Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
eröffne unsere Plenarsitzung.
Ich möchte zu Beginn unserer Kollegin Heidemarie
Wieczorek-Zeul zu ihrem besonders runden Geburtstag
gratulieren, den sie heute hier im Deutschen Bundestag
begeht.
Herzliche Glückwünsche und alle guten Wünsche für die
nächsten Jahre!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentri-
büne haben der Präsident des Parlaments der Repu-
blik Kasachstan, Herr Nurlan Nigmatulin, und seine
Delegation Platz genommen. Im Namen aller Kollegin-
nen und Kollegen des Deutschen Bundestages begrüße
ich Sie herzlich.
Für Ihren Aufenthalt in Berlin, in Deutschland und für
die Gespräche mit vielen Mitgliedern des Hauses, insbe-
sondere aber für die weitere parlamentarische Entwick-
lung Ihres Landes wünschen wir Ihnen alles Gute und
viel Erfolg.
Wir setzen unsere Haushaltsberatungen – Tagesord-
nungspunkt I – fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2013
– Drucksachen 17/10200, 17/10202 –
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-
haltsausschusses zu der Unterrich-
tung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2012 bis 2016
– Drucksachen 17/10201, 17/10202, 17/10826 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.9 auf:
Einzelplan 04
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
– Drucksachen 17/10804, 17/10823 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Rüdiger Kruse
Petra Merkel
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz
Dr. Tobias Lindner
Wir werden über den Einzelplan 04 nach Abschluss
der Debatte namentlich abstimmen. Zu diesem Einzel-
plan liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke
vor. Außerdem haben die Fraktionen Die Linke und
Bündnis 90/Die Grünen je einen Entschließungsantrag
eingebracht, über die wir am Freitag nach der Schlussab-
stimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache dreieinhalb Stunden vorgesehen. Darf
ich dazu Ihr Einvernehmen feststellen? – Das ist offen-
sichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Kollegen Peer Steinbrück für die SPD-Frak-
tion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ohne Zweifel: Deutschland steht im europäi-schen Vergleich zu vielen unserer Partner innerhalb derEuropäischen Währungsunion und der Europäischen
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Union deutlich besser da. Das hat mehrere Gründe. Wirhaben dafür Sorge getragen, dass wir eine industrielleWertschöpfungskette erhalten, im Gegensatz zu vielenanderen Ländern. Wir haben es mit einem sehr tüchtigenMittelstand zu tun. Viele große deutsche Unternehmenhaben sich restrukturiert. Das dreisäulige Kreditwesenhat sich gerade in schwierigen Zeiten und mit Blick aufdie Finanzierung des deutschen Mittelstandes bewährt.Das duale Ausbildungssystem, das berufliche Ausbil-dungssystem in Deutschland wird von vielen beneidet.Wir haben es mit einer exzellenten Facharbeiterschaftund mit einer starken und sehr bewährten Sozialpartner-schaft zu tun. Das ist die gute Nachricht für unser Land.
Die schlechte Nachricht ist: Diese vergleichsweisegute Entwicklung hat mit der Arbeit dieser Bundesregie-rung in den letzten drei Jahren wenig zu tun.
Wir sind Alice im Wunderland, nicht wegen, sonderntrotz dieser schwarz-gelben Bundesregierung.
Während eine von Gerhard Schröder geführte rot-grüne Bundesregierung mit mutigen, auch mit umstritte-nen Reformen Deutschland modernisiert hat, währendeine Große Koalition mit maßgeblichen Beiträgen derSPD für eine sehr kluge Antikrisenpolitik gesorgt hat,die Konjunktur und Beschäftigung in Deutschland stabi-lisiert hat, stellt sich die Frage, welche nennenswertenInitiativen die schwarz-gelbe Bundesregierung, die Ko-alition in den letzten drei Jahren für Wachstum und Be-schäftigung in Deutschland ergriffen hat.
Ja – Herr Gröhe –, dann schauen Sie doch einmal mitmir in das bundestagsinterne Recherchesystem; ich stelleIhnen das anheim. Ich habe das gemacht. Ich habe zumBeispiel nach Gesetzesinitiativen zur Förderung vonWachstum und Beschäftigung gesucht. Dabei bin ich da-rauf gestoßen, dass es eine große leere Kiste ist, die manda findet.
Sucht man beispielsweise unter dem Stichwort „Wirt-schaft“, bekommt man elf Treffer, und zwar von einemGesetz zur Änderung der Gewerbeordnung über ein Ge-setz zur Einführung eines Zulassungsverfahrens für Be-wachungsunternehmen auf Seeschiffen
bis zu einem Gesetz zur Änderung des Beherbergungs-statistikgesetzes.
Dann habe ich mir die Mühe gemacht, mit einem ande-ren Stichwort zu suchen – ich habe gedacht, da werdeich garantiert fündig –, und zwar mit dem Stichwort„Mittelstand“. Was habe ich gefunden? Null Treffer indiesem bundestagsinternen Recherchesystem! Null, garnichts, kein einschlägiges Vorhaben für den deutschenMittelstand seit drei Jahren!
Zum Schluss habe ich das Suchwort „Wachstum“eingegeben. Tatsächlich habe ich zu meiner gelindenÜberraschung einen Treffer gehabt, nämlich das be-rühmt-berüchtigte Wachstumsbeschleunigungsgesetz vom4. Dezember 2009, mit dem Sie die Hoteliers versorgthaben, mit dem Sie die Erbschaft- und Schenkungsteuergesenkt haben
und mit dem Sie die Umstrukturierung von Unterneh-men im Bereich der Grunderwerbsteuer geregelt haben.Donnerwetter, was Sie in drei Jahren unter diesen dreiStichworten alles auf den Weg gebracht haben!
All das steht in einem, wie ich finde, ganz merkwür-digen Gegensatz zu Ihrer dröhnenden Selbstbeweihräu-cherung. Und kommen Sie mir nicht mit der Absenkungdes Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung und zurRentenversicherung! Bei der Arbeitslosenversicherunghaben Sie den Spielraum preisgegeben, den Sie inschlechteren Zeiten für die Reaktivierung des Kurzarbei-tergeldes brauchen.
Bei der Rentenversicherung haben Sie – gleichermaßenzur Kritik von Arbeitnehmern und Arbeitgebern – sträf-lich versäumt, eine Demografiereserve anzulegen, diewir angesichts der Altersentwicklung unserer Gesell-schaft dringend brauchen, um sehr sprunghafte Steige-rungen zulasten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zuvermeiden.
Diese Bundesregierung hat dieses Land weder imHier und Jetzt gestaltet, noch hat sie für die Zukunft vor-gesorgt. Nichts macht das deutlicher als zum Beispielder Vergleich zwischen dem Koalitionsausschuss derGroßen Koalition am 5. Januar 2009, in dem unter maß-geblicher Handschrift der SPD Schritte zur Bewältigungder damaligen Herausforderungen unternommen wur-den, und zwar mit einer Kurzarbeitergeldregelung, miteinem kommunalen Investitionsprogramm, mit einer
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Abwrackprämie für Automobile und mit einer zusätzli-chen Förderung der öffentlichen Infrastruktur, und IhremKoalitionsausschuss vom 4. November dieses Jahres.Welch ein Unterschied mit Blick auf die Qualität und dieBedeutung der Themen, über die dort diskutiert wordenist!
In diesem Koalitionsausschuss haben Sie sich mit kei-ner einzigen Frage beschäftigt, die den Bürgerinnen undBürgern im Augenblick unter den Nägeln brennt. Stattdes-sen Sendepause und Handlungsunfähigkeit: zur Spaltungdes Arbeitsmarktes mit Niedrigstlöhnen, zur gleichen Be-zahlung von Frauen und Männern, zur Energiewende mitdrohenden Strompreiserhöhungen sowohl für privateHaushalte als auch für Industrieunternehmen, zur Un-durchlässigkeit und Unterfinanzierung unseres Bildungs-systems, zur ungerechten steuerlichen Behandlung vonAlleinerziehenden, insbesondere Frauen, zu Geschiede-nen, die gleichermaßen ihre Kinder betreuen, zu eingetra-genen gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften oderzum nach wie vor skandalösen Ehegattensplitting. Nichtsdazu!
Keiner dieser Punkte – nicht ein einziger! – und vorallen Dingen kein konzises Krisenmanagement in Ab-sprache mit Frankreich zur augenblicklichen Lage in Eu-ropa standen auf Ihrer Tagesordnung. Tatsächlich, HerrKauder, haben wir von Ihnen eher gewisse Maßregelun-gen Frankreichs gehört, wo doch eine bessere Verabre-dung und Vorbereitung der jetzt anstehenden Sitzungensehr viel besser gewesen wäre.
Herr Brüderle karikierte sich einmal mehr selbst mitdem Wort vom „großen Sprung nach vorn“ als Ergebnisdieses Koalitionsausschusses. Autosuggestion, lieberHerr Brüderle, ist auch eine politische Kunstform; dasgebe ich zu.
Diese Koalition kämpft nur mit und für sich selbst,aber sie kümmert sich nicht um die konkreten Problemedieses Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger. Weralle Kraft braucht, um die Koalition zusammenzuhalten– statt unser Land –, der sollte in die Rehabilitation.
Frau Bundeskanzlerin, wir haben im Schloss Bellevuebereits einen Präsidenten. Ich will damit sagen: Sie sindnicht eine über Ihrem Kabinett schwebende Präsidentin,die mit den Niederungen der innenpolitischen Heraus-forderungen nichts zu tun hat,
sondern Sie sind die Chefin einer Regierung, für derenHandwerk und Qualität in erster Linie Sie verantwortlichsind.
Deshalb ist auch Ihnen der Vorwurf zu machen, dass Siedie gute Zeit nicht genutzt haben und Vorsorge für ange-spannte Zeiten nicht getroffen haben.Dabei hat Ihre Koalition schlichtweg mehr Glück alsVerstand: Gegenüber der ersten schwarz-gelben Finanz-planung für den Zeitraum 2010/2013 haben sich dieSteuereinnahmen deutlich günstiger entwickelt, habensich die Zinsausgaben deutlich günstiger entwickelt, ha-ben sich die Arbeitsmarktausgaben deutlich günstigerentwickelt. Das dürfte Sie in einer Größenordnung von130 Milliarden Euro entlastet haben.Darüber hinaus kann der Bundesfinanzminister in ei-ner Art Eldorado deutsche Staatsanleihen zu einem Na-hezu-Null-Zins platzieren, weil viele Deutschland als si-cheren Hafen suchen, in dem sie ankern wollen – einefantastische Situation für einen Bundesfinanzminister,die ich gerne gehabt hätte.
Der Versicherungskonzern Allianz rechnet Ihnen vor,dass sich im deutschen Staatshaushalt jährlich eineZinsersparnis von über 10 Milliarden Euro ergibt, weilin der Krise in Europa alle diesen sicheren Hafen ansteu-ern und deshalb deutsche Staatsanleihen, sogar mit Ver-lust, kaufen. Das ist eine fantastische Lage.Jenseits des jährlichen haushaltspolitischen Rituals– mit der Erfolgspropaganda auf der einen Seite des Hau-ses und den vielen Belegen, dass das alles nicht der Fallist, auf der anderen Seite des Hauses – bleibt nüchternfestzustellen: Nie zuvor war die haushaltspolitische Aus-gangslage für eine ehrgeizige Konsolidierung und einezügige Rückführung der Neuverschuldung in Deutsch-land so günstig wie heute.
Das haben Sie nicht genutzt. Sie haben – das entsprichtIhrer Mentalität – Einzelinteressen bedient, wofür dieBeschlüsse des Koalitionsausschusses vom 4. Novemberbeispielhaft stehen.Lenken Sie mir nicht ab – ich denke an die gestrigenBeiträge, verehrter Herr Schäuble –, indem Sie ankündi-gen, dass Sie das strukturelle Defizit einige Jahre vor2016 erreichen wollen. Sie könnten bereits in der Fi-nanzplanung für 2014 die Neuverschuldung insgesamtauf null senken – wenn Sie denn wollten.
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2013 wird nach vielen Prognosen ein wirtschaftlichschlechtes, einige sagen sogar: ein für weite Teile derWährungsunion und der Europäischen Union hochpro-blematisches Jahr. Das wird auf Deutschland abfärben.Obwohl die Wolken am Horizont immer dunkler werdenund die Konjunktur sich erkennbar eintrübt, sorgen Siemit diesem Haushalt nicht vor.Die Selbstbedienung beim Gesundheitsfonds und beider KfW ist nicht nur haushaltspolitisch unseriös, sie istin der Sache hanebüchen.
Für 2013 sollen zu den ohnehin vorgesehenen Kürzungendes Bundeszuschusses von 2 Milliarden Euro 0,5 Milliar-den Euro hinzukommen, für 2014 weitere 2 MilliardenEuro. Statt hier angesichts eines demografischen Wan-dels, der sich mit mathematischer Sicherheit voraussagenlässt, Vorsorge zu betreiben, machen Sie „rechte Tasche,linke Tasche“. Der Gesundheitsfonds wird zum Sonder-konto für Wahlgeschenke, die Sie am 4. November zuverteilen beschlossen haben.
Es wird noch schlimmer: Als eine Neuauflage derPanzerknackerbande
begeht diese Koalition einen Bankraub von 1 MilliardeEuro bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Die Staats-bank muss herhalten, um Haushaltslöcher zu stopfen,Haushaltslöcher, die bei der aktuellen Einnahmesituationeigentlich gar nicht entstehen dürften. Die KfW, meineDamen und Herren von der Koalition, ist eine Förder-bank,
die aus ihren Reserven Investitionsprogramme gestaltensoll. Sie gestaltet Zukunft und Fortschritt in diesem Landmit Programmen, die wir angesichts der sich abschwä-chenden Konjunktur vielleicht dringender denn je benö-tigen.
Und Sie plündern diese Bank! Dass sich Schwarz-Gelbnun sogar bei Investitionsmitteln bedient, um Leistungenwie das Betreuungsgeld gegenzufinanzieren, das belegteinmal mehr: Das ist Politik von gestern und wird aufKosten der Zukunft bezahlt.
Diese Bundesregierung tut nichts, um den erkennba-ren Fliehkräften in unserer Gesellschaft Einhalt zu ge-bieten. Es sind keine kraftvollen Initiativen erkennbar,um Deutschland wirtschaftlich in der Champions Leaguezu halten.Was ist mit dem gemeinsamen Fehler, den wir mitdem Kooperationsverbot im Grundgesetz gemacht ha-ben, und der Notwendigkeit, das Bildungssystem inDeutschland zu reformieren? Welche Antworten hat dieBundesregierung auf die steigenden Energiepreise, aufdie steigenden Belastungen von privaten Haushalten undIndustriebetrieben? Welche Antworten haben Sie zurdramatischen Finanzlage der Kommunen, zur Unter-finanzierung von Bildung, zu den steigenden Mieten undwenig bezahlbarem Wohnraum und zur dramatischenSpaltung des Arbeitsmarktes? Welche Antworten liefernSie der deutschen Öffentlichkeit?
Keine.Sie ignorieren sträflich die Drift in der Einkommens-und Vermögensverteilung. Die Schere zwischen Armund Reich in Deutschland nimmt deutlich zu. Ich emp-fehle Ihnen, dazu das sehr lesenswerte Buch Der Preisder Ungleichheit des US-Ökonomen und Nobelpreisträ-gers Joseph Stiglitz zu lesen. Der Preis der Ungleichheitbestehe darin, so schreibt er, dass eine Nation nicht mehrin der Lage sei, das Bestmögliche aus den Fähigkeitenihrer Bürgerinnen und Bürger zu machen. Weiter heißtes, die vermögenden, teilweise durchaus nur noch ihrpersönliches Interesse wahrnehmenden Eliten würdenInfrastruktur, Bildung und Innovation kaputtsparen. Ge-nau dieses Risiko lastet auch auf der BundesrepublikDeutschland.
Ich stelle Ihnen diese Lektüre anheim.Sie ignorieren ebenso die Unterschiede in der Bezah-lung von Frauen und Männern. Frauen verdienen indiesem Land durchschnittlich 23 Prozent weniger alsMänner. Wo ist Ihre Initiative für ein Entgeltgleichheits-gesetz, das mit dieser Ungerechtigkeit aufräumt?
Frauen stoßen bei der Gestaltung ihrer Karriere nachwie vor an gläserne Decken. Was tun Sie dagegen? Siestreiten über eine sogenannte Flexi-Quote.Sie gaukeln mit Ihrem Gesetzentwurf zur kalten Pro-gression den Bürgern einen Befreiungsschlag vor, derzwar für den Einzelnen vernachlässigbare Verteilungs-effekte hat, wohl aber ernste Belastungen für alle Ge-bietskörperschaften in der Bundesrepublik Deutschlandhervorruft. Niedrigstverdiener haben von der Abschaf-fung der kalten Progression allenfalls eine Entlastungvon knapp 2 Euro, mehr nicht. Ich sage Ihnen an dieserStelle: Ja, selbstverständlich wird die SPD, auch aufLänderebene, die Erhöhung des steuerfreien Minimumsmittragen. Wenn Sie einen Vorschlag machen würden,der den inflationsbedingten Staubsaugereffekt vornehm-lich bei unteren und mittleren Einkommen beseitigenwürde, und dies mit dem Vorschlag einer Gegenfinanzie-rung über einen erhöhten Spitzensteuersatz verbindenwürden, dann würden wir in der SPD gemeinsam auf-horchen.
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Die ungeahnten Folgen des chaotischen Ausstiegs ausdem Ausstieg des Ausstiegs aus der Kernenergie mussich Ihnen nicht länger vorhalten. Diese sind nämlich sooffensichtlich, dass Sie es inzwischen mit einer entspre-chenden Kritik nicht nur von der SPD, den Grünen undden Gewerkschaften, sondern auch von vielen Unterneh-mern und Wirtschaftsverbänden zu tun haben. DieserAusstieg aus dem Ausstieg des Ausstiegs aus der Kern-energie ist jenes Projekt, das Sie mit großem Aplomb als„Energiewende“ bezeichnen.Besser als eine Ethikkommission, Frau Bundeskanz-lerin, wäre damals eine Expertenkommission gewesen,die sich mit den Erzeugungskapazitäten, mit Kosten-und Preisgerüsten, mit den technischen Voraussetzungenfür ein immer dezentraleres Energieversorgungssystemund mit den infrastrukturellen Notwendigkeiten beschäf-tigt und Ihnen die Vorlage für einen Masterplan gelieferthätte.
Von einem solchen Masterplan kann bei Ihnen keineRede sein, sondern Sie lassen das alles im Streit der Zu-ständigkeiten Ihrer Ressorts laufen und stimmen es mitden Ländern zu spät ab. Jede Frittenbude in Deutschlandwird besser gemanagt als die Energiewende in diesemLand.
Statt eine energiepolitische Strategie aus einem Gusszu verfolgen, arbeiten Sie sich von Gipfel zu Gipfel vo-ran. Niemand hier in diesem Saal weiß noch genau, wel-cher Gipfel eigentlich welches Ergebnis hatte. Es ist beiIhnen wie immer dasselbe: Gipfel statt Strategie, Insze-nierung statt Substanz, Palaver statt Lösungen, Nebelstatt Klarheit. Aber darüber verliert diese RegierungZeit, die unser Land nicht hat.
Sie sind die größte Investitionsbremse bei der Ener-giewende, worunter konkrete Unternehmen entlang derKüste längst leiden, zum Beispiel die SIAG Nordsee-werke GmbH in Emden.
Dies schreiben Ihnen elf Windparkbetreiber, darunter dievier großen EVUs, in einem Brief ins Stammbuch. IhreReaktion ist aber gleich null.Frau Bundeskanzlerin, Sie sind mit Ihrer Semantikab-teilung Weltmeisterin in der Erfindung von Etiketten. Essind aber folgenlose Etiketten: „Energiewende“, „Bil-dungsrepublik Deutschland“, „Lebensleistungsrente“,was ein nackter Zynismus ist,
„Herbst der Entscheidungen“ – davon haben wir 2011einmal gehört –, „Jahr des Vertrauens“ – das war auch2011 –, „Lohnuntergrenze“ – Frau von der Leyen hatsich inzwischen in einer Talkshow damit gebrüstet, siehätte den Mindestlohn erfunden –,
„Technologie, Talente und Toleranz“. Das alles sind Eti-ketten ohne jede Folge. Dazu gehört auch Ihr Spruch von„mehr Europa“.Damit sind wir bei Europa.Es ist nicht erst seit zehn Tagen klar, sondern eigent-lich seit dem ersten Griechenland-Paket offensichtlich,dass die Probleme von Griechenland zu groß sind unddass Griechenland große Mühe hat, eine funktionsfähigeund effiziente Staatsverwaltung aufzubauen, und bisheute nicht in der Lage ist, die Flucht von Kapital inSteueroasen zu bremsen. Es ist offensichtlich, dass dieRezession in diesem Land sich in eine Depression wei-terentwickelt, zu einer Austerität führt und die staatlicheund gesellschaftliche Ordnung dieses Landes zu destabi-lisieren droht. Es ist offensichtlich, dass Griechenland indiesem Jahrzehnt nicht wieder zu einigermaßen aus-kömmlichen Konditionen an die Kapitalmärkte zurück-kehren wird. All dies ist offensichtlich.Es ist so offensichtlich, Frau Bundeskanzlerin, dassman diese Probleme „mit einem Mix aus Warten, Wurs-teln und Wegsehen“, wie die Süddeutsche Zeitung ge-schrieben hat, nicht mehr übertünchen kann.
Die Stunde der Wahrheit ist da. Nach allgemeiner Ein-schätzung, Frau Bundeskanzlerin, muss endlich einekonkrete Entlastung von Griechenland und nicht nureine bloße Verschiebung des Schuldendienstes stattfin-den. Griechenland muss substanziell entlastet werden.Bezogen auf den Radikalvorschlag von Frau Lagardeheißt das: Es ist gar nicht einmal das störende und sehrweit reichende Element, dass sie für einen weiterenSchuldenschnitt plädiert, das Sie in Verlegenheit bringt,sondern was Sie in Verlegenheit bringt, ist die dahinter-stehende knallharte Analyse der Direktorin des Interna-tionalen Währungsfonds, die Ihren Schleiertanz nachden Melodien „Kein Cent für die Griechen“ – das war imFrühjahr 2010 – bis hin zu „Es wird kein zusätzlichesGeld für Athen geben“ – das ist die neue Melodie – auf-fliegen lässt. Diesen Schleiertanz haben Sie uns, derdeutschen Öffentlichkeit und auch Ihrer eigenen Koali-tion zu lange vorgeführt, mit dem Ergebnis, dass IhreKoalition, insbesondere Ihre Fraktion, Ihnen zunehmendrote Linien setzt, die Sie in Europa handlungsunfähigmachen. Das ist das Zusammenspiel Ihres Schleiertanzesmit den darauffolgenden Reaktionen Ihrer eigenen Frak-tion.
Sie haben so viele rote Linien aus Ihren eigenen Rei-hen zu beachten, dass Sie sich in Europa nicht mehr kon-struktiv aufstellen können, um diese Krise zu lösen. DieZeit des Lavierens, Abwartens und auch der Scheibchen-diplomatie ist allerdings vorbei. Machen Sie sich selbst
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ehrlich und endlich eine klare Ansage! Die FinanzlückeGriechenlands ist ohne Inanspruchnahme des deutschenSteuerzahlers nicht zu schließen. Wir sind längst in einerHaftungsunion, und für die Stabilisierung der Europäi-schen Währungsunion werden wir wie für die deutscheWiedervereinigung Opfer bringen müssen. Ein Schul-dentilgungsfonds, eine faktische Entlastung Griechen-lands, ist besser als eine unter wachsendem Problem-druck unkonditionierte Staatsfinanzierung durch dieEZB. Sagen Sie dies endlich der deutschen Öffentlich-keit!
Sagen Sie einfach, was ist! Damit beginnt jede Politik.Es ist eine ganz einfache Ableitung: Erstens. Ein Kol-laps Griechenlands führt zu unhaltbaren politischen undökonomischen Kosten. Das ist die Erkenntnis, die Sie inder Sommerpause auch gewonnen haben. Zweitens.Deshalb muss Griechenland in der Euro-Zone gehaltenund stabilisiert werden. Drittens. Dafür braucht es mehrZeit und eine Streckung der Auflagen, die Griechenlanderfüllen muss. Viertens. Dies führt unabweisbar zu einerFinanzlücke.Das ist eine ganz klare Ableitung. Sie ist nicht durchirgendein Mixtum compositum zu schließen, nach demMotto: Dann reduzieren wir einmal die Zinsen ein biss-chen, eventuell auf deutsches Niveau. Was würden dennSpanien und Italien dazu sagen, wenn gleichzeitig derenZinsen hochgingen? Oder mit Blick auf eine Streckungin den Laufzeiten? Oder indem Geld zum Abkauf vonStaatsanleihen bei Privaten zu einem günstigeren Kursinvestiert wird? Oder indem sogar ein weiterer Schul-denschnitt ansteht? Alles kostet Geld. Alles betrifft die-sen Bundeshaushalt. Deshalb wäre es angemessen, dassSie bei diesen Unwägbarkeiten die Verabschiedung die-ses Haushaltsentwurfes so lange verschieben, bis inEuropa Klarheit ist.
Ich will mich mit den kurzfristigen Auswirkungen garnicht beschäftigen, die eine Bonitätsabstufung vonFrankreich und die Vertagung der gestrigen Euro-Gruppe haben. Das wollen wir alle nicht herbeireden.Aber womit ich mich beschäftige, ist: Wie reagierendenn die Finanzmärkte, wenn sie merken, dass Ihre Ent-scheidungen vom 29. Juni dieses Jahres im Europäi-schen Rat folgenlos gewesen sind? Haben Sie nicht beiSpanien die Hoffnung genährt, dass eine Direktkapitali-sierung spanischer Banken aus dem ESM möglich ist?Das haben die sich ja nicht ausgedacht. Sie haben dies aneine Kondition gebunden. Mit der Erfüllung dieser Kon-dition rechneten diese mediterranen Länder zum 1. Ja-nuar 2013.Erkennbar ist Ihr Sinnen und Trachten darauf gerich-tet, dass es zu dieser Bankenunion als Voraussetzung füreine solche Direktkapitalisierung nicht kommt. Aberwenn sie nicht kommt: Was heißt das für Spanien undfür die Erwartungen der Finanzmärkte? Was heißt das,wenn das Draghi-Programm so nicht greift, wo er entge-gen Ihren ursprünglichen Überzeugungen bereit ist,Staatsanleihen unlimitiert aufzukaufen, unter der Vo-raussetzung, dass sich die Länder vorher den Auflagendes ESM stellen? Aber vielleicht gibt es einige Länder,die sich diesen Auflagen gar nicht stellen wollen? Viel-leicht ist Herr Rajoy mit der spanischen Regierung garnicht bereit, diese Bedingungen zu erfüllen? Gerät damitdie Bundesrepublik Deutschland und geraten Sie als Re-gierung auf eine Rutschbahn, an deren Ende Sie an demPunkt landen, den wir Ihnen schon immer vorausgesagthaben, nämlich dass wir zahlen müssen?Die Frage ist, wie die Finanzmärkte reagieren, wennsie feststellen, dass vieles folgenlos geblieben ist. Ichstelle in diesem Zusammenhang auch die Frage: Was isteigentlich aus der Umsetzung des Wachstums- und Be-schäftigungspaktes vom 29. Juni dieses Jahres gewor-den?
Was ist denn konkret mit der Umsetzung der Finanz-transaktionsteuer? Sie können sich daran erinnern, dassnicht nur für meine Fraktion, sondern auch für die Frak-tion von Bündnis 90/Die Grünen diese beiden Punkte dieVoraussetzung für unsere Zustimmung bei einer Zwei-drittelmehrheit, die Sie brauchten, und von konstitutiverBedeutung waren. Wenn wir uns in diesem Punkt vonIhnen hinter die Fichte geführt fühlen, dann werden wirIhnen nicht erneut die Kastanien aus dem Feuer holen,wenn Sie wieder unsere Zustimmung brauchen.
Meine Damen und Herren, ob Haushaltskonsolidie-rung oder Ihre Europapolitik, ob endlose Streitereienüber Dinge wie das Betreuungsgeld, die wir nicht brau-chen, oder Ihr rückwärtsgewandtes Gesellschaftsbild, obTatenlosigkeit bei der sozialen Spaltung des Landes oderIhr Dilettantismus bei der Energiewende: Diese Stümpe-rei muss endlich aufhören!
Sie müssen, Frau Bundeskanzlerin, diese Fähigkeitenzum Aussitzen und Abwarten irgendwo gelernt haben,diese Neigung, sich nicht zu exponieren, schön in derDeckung zu bleiben, um dann auf den Zug zu springen,in dem die meisten Fahrgäste sind. Sie haben zu langeden Zusammenhalt Ihrer Koalition über die Interessenunseres Landes und die Interessen eines gemeinsamenEuropas gestellt. Im September 2013 ist es endlich soweit, dass dies beendet werden kann. Dazu werde ichbeitragen.
Dieser Haushaltsentwurf ist der letzte einer schwarz-gelben Koalition, der zur Abstimmung entweder amFreitag ansteht oder später, wenn Sie auf meine Bitteeingehen, diese Verabschiedung zu verschieben.
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Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, wirsind uns in diesem Hause weitgehend einig darüber, dasswir diesen Haushalt in einer schwierigen europäischenund in einer schwierigen internationalen Lage vorlegen.Es ist gerade drei Jahre her, als wir den stärksten Wirt-schaftseinbruch in der Geschichte unseres Landes hat-ten: 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wir musstenim Jahr 2010 einen Krisenhaushalt mit einer Neuver-schuldung von über 80 Milliarden Euro vorlegen. Daswar die höchste Neuverschuldung, die je in einem Haus-halt stand. 2011 konnten wir als erstes großes Industrie-land wieder das Vorkrisenniveau erreichen.
Das alles hat in den letzten drei Jahren stattgefunden.Es ist gelungen, was wir gerne wollten: dass Deutsch-land stärker aus der Krise herauskommt, als es hineinge-gangen ist.
Dazu haben viele einen Beitrag geleistet. Das wurde inder Großen Koalition begonnen, aber die christlich-libe-rale Koalition hat es weitergeführt.
Wir konnten Fehler korrigieren mit dem schon genann-ten Wachstumsbeschleunigungsgesetz,
indem wir mehr für Unternehmen gemacht haben, indemwir Erbschaften bessergestellt und damit Unternehmendas Verbleiben im Lande ermöglicht haben.Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen undHerren, diese Erfolgsbilanz darf man ja auch einmal an-sprechen. Ein nüchterner Blick auf die Fakten zeigt:Diese Bundesregierung ist die erfolgreichste Bundes-regierung seit der Wiedervereinigung.
Ich will das auch gerne begründen.Sie ist die erfolgreichste Bundesregierung seit derWiedervereinigung, weil wir – das ist für die Menschenim Lande wichtig; das sollte man jetzt in diesem Hausnicht vergessen – den tiefsten Stand der Arbeitslosigkeitseit der Wiedervereinigung haben.
Das bedeutet mehr Teilhabe für Millionen von Men-schen – von Bürgerinnen und Bürgern und ihren Fami-lien.
Wir sind die erfolgreichste Bundesregierung, weil wirmehr für Forschung und Bildung ausgeben, als es seitder Wiedervereinigung jemals geschehen ist.
Das bedeutet mehr Chancen für junge Menschen.Wir sind die erfolgreichste Bundesregierung seit derWiedervereinigung – ich glaube, sogar über die Wieder-vereinigung hinaus –, weil es noch nie eine solche Ent-lastung für die Kommunen in unserem Lande gegebenhat.
Wir arbeiten an zwei ehrgeizigen Projekten. Zu demeinen, der Energiewende, kann ich nur sagen: Als Sie da-mals den Ausstieg unter Rot-Grün für 2022 veranlassthaben, haben Sie sich um keinerlei Vorsorge, was Lei-tungsbau, EEG und anderes anbelangt, gekümmert,meine Damen und Herren.
Wir haben an einer anderen Stelle akzeptiert, dass dieRealität sich geändert hat. Wir haben die Wehrpflichtausgesetzt. Wir bauen die Bundeswehr um. Das ist einesder ganz großen Projekte, die für unser Land wichtigsind. Nebenbei konnten wir noch einen Freiwilligen-dienst einführen, der seinesgleichen sucht, und das Eh-renamt in unserem Land sehr stärken.
Das heißt, die Menschen können sich auf uns verlas-sen. Aber sie können auch darauf bauen, dass wir in dieZukunft blicken. Wir wissen: Für eine gute Situationheute, die auch am morgigen Tag gilt, muss immer neugearbeitet werden, und das in drei Bereichen: solideFinanzen, Solidarität mit den Schwächeren in der Ge-sellschaft und Erhaltung und Festigung der Wettbe-werbsfähigkeit.Beginnen wir einmal mit den soliden Finanzen. DieNeuverschuldung ist auf ein Niveau von 17,1 MilliardenEuro heruntergekommen.
Das heißt, wir erfüllen, drei Jahre bevor die Schulden-bremse es von uns verlangt, die Vorgabe, die strukturelleNeuverschuldung auf 0,35 Prozent zu begrenzen. Dassucht seinesgleichen, zum Beispiel bei den Ländern, undzeigt, was der Bund hier leistet.
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25230 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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Des Weiteren sagen wir – das haben wir in dem schongenannten Koalitionsausschuss festgelegt –: Wenn sichdie wirtschaftliche Lage vernünftig weiterentwickelt,dann werden wir 2014 daran arbeiten, die strukturelleNeuverschuldung noch einmal zu senken, und zwar aufnull. Auch das ist ein ambitioniertes Ziel. 2016 – daskönnen Sie der mittelfristigen Finanzplanung entnehmen– wollen wir die Neuverschuldung auf null geführt ha-ben. Das wäre das erste Mal seit über 40 Jahren. Das istunser Blick in die Zukunft, und der ist vernünftig.
Wir wissen aber: Solide Finanzen sind natürlich keinSelbstzweck, sondern es geht letztendlich darum, wasdie Menschen im Lande davon haben. Neben der Tatsa-che, dass wir zukunftsfähiger werden, wenn wir uns we-niger neuverschulden und wenn wir langfristig Schuldenabbauen, ist eines der wesentlichen Resultate der gutenSituation auf dem Arbeitsmarkt, dass in den letzten Jah-ren auch die Einkommensungleichheit gesunken ist. Daszeigt sich daran, dass zum Beispiel zwischen 2005 und2010 1 100 Euro mehr pro Haushalt im Osten und600 Euro mehr im Westen inflationsbereinigt zur Verfü-gung standen. Diese Entwicklung setzt sich jetzt geradefort. Einkommensungleichheit wird verringert, indemwir mehr Menschen in Arbeit bringen. Das ist die Lehreaus den letzten Jahren. Dieser Kurs muss fortgesetztwerden.
Ich weiß, dass die gute Situation, die sich heute in un-serem Lande darstellt, ganz wesentlich von den Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmern und den Unternehmernin unserem Lande erarbeitet wurde, und zwar jeden Tagaufs Neue, mit viel Leidenschaft, mit viel Herzblut, mitviel Ausbildung und allem, was dazu gehört. Aber ge-rade deshalb bedeuten solide Finanzen natürlich auch,dass wir da, wo wir den Menschen Freiräume eröffnenkönnen, sie ihnen auch eröffnen.Was wir geschafft haben, sind zwei Dinge: einerseitsdie sozialen Sicherungssysteme, auf die wir in diesemLand stolz sein können – Rentenversicherung, Pflege-versicherung, Arbeitslosenversicherung –, zu stärken,ihnen ihre Aufgabenerfüllung zu ermöglichen, und ande-rerseits da, wo es möglich ist, den Kurs durch Entlastungvon Lohnzusatzkosten fortzusetzen, um wieder mehr Ar-beitsplätze zu schaffen. Das ist genau der Kreislauf, aufden wir setzen, weil wir den Menschen im Lande etwaszutrauen, meine Damen und Herren; das ist vielleichtauch der Unterschied zwischen Ihnen und uns.
Deshalb sagen wir: Ja, wir senken den Rentenversi-cherungsbeitrag, so wie es im Übrigen die rechtlicheLage erfordert,
weil wir wissen, dass wir langfristig vor großen Heraus-forderungen stehen, aber auch, weil wir wissen, dass wirgerade jetzt in einem sehr fragilen Umfeld arbeiten undalles, was Entlastung möglich macht, wieder wachs-tumsfördernd wirkt. So haben wir es im Übrigen auchmit dem Gesundheitsbeitrag in der Großen Koalition ge-macht. Das nur einmal zur Erinnerung.
Und wir haben die Praxisgebühr abgeschafft – auchdas war der letzte Koalitionsausschuss –; das wurde of-fensichtlich von allen befürwortet. Der Vizepräsidentdes Deutschen Bundestages, der seines Zeichens einMitglied der SPD-Fraktion ist, hat darauf hingewiesen,dass es selten vorkommt, dass in so großer EinmütigkeitEntscheidungen getroffen werden. Meine Damen undHerren, sagen Sie einfach einmal Danke an die FDP, diedas Abschaffen der Praxisgebühr ermöglicht hat.
Wir haben gleichzeitig den Vorschlag gemacht, dasswir in einer Zeit, in der die Einkommen nach langerLohnzurückhaltung in Deutschland wieder steigen, nichtdie Steuern senken, sondern dass wir nichts anderes ma-chen, als den Menschen das, was ihnen durch die kalteProgression und die Inflation genommen wird, durch dieErhöhung des Grundfreibetrags wieder zurückzugeben.
Sie müssen mir einmal erklären, warum es gerechtsein soll, dass der Staat zwar den Menschen mit unterenund mittleren Einkommen das zurückgeben will, was ersich vorher, obwohl es ihm eigentlich gar nicht gehörtund ihm nur durch Nebeneffekte zugefallen ist, genom-men hat, dass er aber just in dem Moment zum Beispielfür die Mittelständler, die vielleicht etwas mehr verdie-nen, gleich noch einmal die Steuern erhöht. Mir leuchtetdas nicht ein. Das ist nicht gerecht.
Oder um es andersherum zu sagen: Lieber geben Siedenjenigen mit unteren und mittleren Einkommen nichtszurück, wenn Sie nicht gleichzeitig denjenigen mit höhe-ren Einkommen etwas nehmen können. Das ist eine tollePolitik in Zeiten der ersten Reallohnzuwächse seit Jah-ren, meine Damen und Herren. Das muss man hier ein-fach einmal aussprechen.Unsere Vorstellung von Gesellschaft ist, dass geradeauch die Kommunen Handlungsspielräume haben. Inden Kommunen findet Politik nah bei den Menschenstatt. Wir wissen, dass eine der großen Herausforderun-gen der Zukunft die demografische Veränderung ist. Wirwissen, dass Altersarmut ein Thema ist, das mit anstei-gender Bedeutung gerade die Kommunen beschäftigenwird. Genau deshalb haben wir gesagt: Wir übertragendie Kosten der Grundsicherung auf den Bund, und zwarfür alle Zeiten. Das ist einer der großen Beiträge fürmehr freiheitliche Politik in unserem Land, für mehrkommunalen Handlungsspielraum. Die kommunalenSpitzenverbände erkennen das auch an. Das sollten Sieebenfalls tun, meine Damen und Herren.
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Was die zukünftigen Herausforderungen angeht, istmit Sicherheit die demografische Veränderung eine derganz großen Herausforderungen für unsere Gesellschaft.Die Bundesregierung hat deshalb nicht nur die Lage ana-lysiert und die Handlungsfelder, in denen wir agierenmüssen, bestimmt; wir haben uns auch an alle Mitstreiterin dieser Frage gewandt. Im Übrigen haben wir auchsehr positive Antworten bekommen. Jetzt werden wirdie Demografiestrategie Schritt für Schritt umsetzen –zusammen mit den Kommunen, mit den Ländern, mitden kommunalen Spitzenverbänden und mit anderenAkteuren.
Wir haben aber natürlich auch schon erste Schritteunternommen. Ich will hier nennen: die Allianz für Men-schen mit Demenz, zusätzliche Leistungen für Demenz-kranke – diese können wir jetzt endlich in der Pflegever-sicherung besser darstellen – und die Förderung derprivaten Pflegevorsorge. Das sind nur drei Punkte, beidenen wir ganz konkret beginnen, dem demografischenWandel entgegenzuwirken.Natürlich wissen wir: Gerade in Zeiten, in denen sichdie Bevölkerung so entwickelt, dass wir mehr ältereMenschen haben, in denen die Lebensdauer glücklicher-weise auch länger ist, gilt es vor allen Dingen, den Fami-lien den Spielraum und die Lebensmöglichkeiten zu ge-ben, die Zukunft zu bewältigen; denn in Familienwerden Werte vermittelt, die der Staat so nicht vermit-teln kann.
Wir setzen daher auf Wahlfreiheit. Deshalb haben wirdas Betreuungsgeld hier beschlossen.
Das haben wir hier ausführlich diskutiert. Dazu möchteich heute gar nichts sagen. Die Problematik bezüglichder Wahlfreiheit zeigt sich aber natürlich vorrangig da-rin, dass Deutschland über Jahrzehnte zu wenige Kinder-betreuungsplätze für unter Dreijährige hatte. Im Übrigenhat Rot-Grün in den Jahren seiner Regierung gar nichtsdaran geändert. Da mussten wir erst einmal kommen,meine Damen und Herren, um dafür zu sorgen, dass mandamit überhaupt einmal einfängt.
Ohne eine CDU-Familienministerin in der Großen Ko-alition wäre es doch gar nicht dazu gekommen. Dasmüssen die Menschen im Lande doch einmal wissen.
Wir haben 4 Milliarden Euro für die Kleinkindbetreu-ung eingesetzt. Wir haben jetzt noch einmal 580 Millio-nen Euro draufgelegt. Wir zahlen die Betriebskosten.Das alles tun wir trotz der Nichtzuständigkeit des Bun-des, weil wir überzeugt sind, dass die Zukunft unseresLandes davon abhängt.
Nachdem wir nun verabschiedet haben, dass wir nocheinmal zusätzliches Geld in die Hand nehmen, sage ich– auch im Einvernehmen mit der zuständigen Ministerin –:Jetzt ist es an den Ländern, auch wirklich das Ziel umzu-setzen, das wir gemeinsam vereinbart haben, nämlichden Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz zum 1. August2013, meine Damen und Herren.
Natürlich müssen wir auch darauf achten, dass keineGeneration über Gebühr belastet wird. Das wird uns inden nächsten Jahren ganz wesentlich beschäftigen; denndie jungen Menschen sind heute viel mobiler, als sie dasfrüher waren. Keiner in Deutschland kann gezwungenwerden, zu arbeiten. Deshalb müssen wir auf eine Gene-rationenbalance achten.Wir haben eine Situation, in der wir bis 2030 6 Mil-lionen Erwerbstätige weniger haben werden. Wir habeneine Situation, in der sich das Verhältnis zwischen Er-werbstätigen und Rentnern bis 2030 von heute drei zueins auf zwei zu eins, also zwei Erwerbstätige auf einenRentner, verändern wird.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, wir haben darauf ja die richtige Antwort ge-funden.
Wir haben gesagt: Wenn die Menschen länger leben,dann müssen wir die Arbeitszeit verlängern. Deshalb ha-ben wir uns für die Rente mit 67 entschieden.
Ich rate uns allen dringend, den Menschen keinen Sandin die Augen zu streuen und heute nicht wieder so zutun, als wäre das alles nicht nötig und als wäre es besser,bis 2020 zu warten und dann zu entscheiden. Dann wür-den die Einschnitte viel dramatischer sein.
Stattdessen sollten wir doch einmal das anschauen,was wir geschafft haben. 2001 betrug die Erwerbstäti-genquote der 60- bis 64-Jährigen 21 Prozent, war also je-der Fünfte erwerbstätig. 2011 waren es 44,2 Prozent.Das heißt, wir haben den Anteil verdoppelt. Ich bin da-mit nicht zufrieden. Ich weiß auch, dass diese Zahl beiden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsver-hältnissen geringer ist. Aber sollten wir diese Entwick-lung nicht lieber positiv aufnehmen und darauf auf-bauen, anstatt den Menschen einzureden, das sei allesgar nicht nötig?
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Wir sagen: Wir wollen, dass alle bis 64 oder 65 Jahre imErwerbsleben sein können. Da werden auch viele Be-triebe umdenken müssen. Aber diese Herausforderungenmüssen wir annehmen.
Wenn man richtig hingehört hat, weiß man: Natürlichhaben wir uns im Koalitionsausschuss mit dem ThemaAltersarmut beschäftigt.
Wer jetzt behauptet, dass das Thema Altersarmut dieMenschen nicht interessiert – denn angeblich beschäfti-gen wir uns ja nur mit Sachen, die die Menschen nichtinteressieren –,
der sagt schlichtweg nicht die Wahrheit.
Denn das Thema Altersarmut ist ein Thema.
Sie haben damals unter Rot-Grün die Grundsicherungeingeführt. Wir haben damals die Grundsicherung über-nommen. Das war eine richtige Entscheidung. Ich rateuns jetzt allen, diese Entscheidung, die so alt auch nochnicht ist, nicht wieder so schlechtzureden, dass die Men-schen den Eindruck haben, das sei etwas, was gar nichtakzeptabel ist. So etwas wie eine Grundsicherung gibt esin vielen Ländern nicht.
Aber wir sagen auch: Wer 40 Jahre gearbeitet hat, werprivat vorgesorgt hat, der soll eine Rente aus der Renten-kasse bekommen. Dafür steht die christlich-liberale Ko-alition, und dafür werden wir unsere Vorschläge vorle-gen.
Dann möchte ich daran erinnern, dass der wichtigsteFaktor, mit dem wir unseren Wohlstand erhalten können,die Investition in Bildung und Forschung ist. Hier hat dieKoalition mehr getan als alle Koalitionen vor ihr. Sie hatknapp 4 Milliarden Euro pro Jahr mehr investiert. Jederweiß, dass Wissenschaftler aus dem Ausland zu uns zu-rückkommen, weil die Berechenbarkeit von Forschungs-bedingungen in Deutschland inzwischen ein Standort-markenzeichen geworden ist.Ich will auch noch an das erinnern, was wir in den Be-reichen geschafft haben, in denen wir mit den Ländernzusammenarbeiten. 2008 hatten wir einen Qualifizie-rungsgipfel mit den Ministerpräsidenten. Wir haben in-zwischen eine Studienanfängerquote von 50 Prozent.Wir haben inzwischen weniger Schulabbrecher. Wir ha-ben inzwischen mehr Migrantinnen und Migranten, dieeinen Schulabschluss machen. Es sind aber immer nochzu viele, die keinen machen. Fast doppelt so viele müss-ten ihn machen. Aber wir sind auf einem guten Weg, unddiesen Weg werden wir ganz gezielt fortsetzen, geradeim Bereich der Integration. Denn auch hier zeigt sich,wie wir in der Zukunft mit unserer Gesellschaft klar-kommen können.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, dass die Jugendarbeitslosigkeit mit die ge-ringste in Europa ist, dass sie in den letzten Jahren hal-biert wurde, ist doch ein Riesenerfolg. Sagen wir dochden Jugendlichen: Hier arbeiten wir weiter. Keiner darfverloren gehen. – Aber malen wir doch nicht ein schwar-zes Bild von Deutschland.
Wenn es um Kooperationsverbote geht, dann emp-fehle ich Ihnen einfach, der beantragten Änderung desGrundgesetzartikels 91 b zuzustimmen. Genau damitwollen wir das Kooperationsverbot im Wissenschaftsbe-reich aufheben. Die Bundesbildungsministerin ist glück-licherweise so mutig, einfach das zu machen, was not-wendig ist, sei es in Baden-Württemberg, sei es in Berlinhinsichtlich der Kooperation von Charité und Max-Delbrück-Centrum. Aber es wäre schöner, wir könntenes auf eine gemeinsame Grundlage stellen.
Also, sträuben Sie sich nicht. Seien Sie mutig. Gehen Sieauf unser Anliegen ein, das Kooperationsverbot zuerstda abzuschaffen, wo es möglich ist. Das ist meine Auf-forderung an Sie.
Meine Damen und Herren, natürlich werden wir ge-rade im Energiebereich vor große Herausforderungengestellt. Wir haben jetzt glücklicherweise einen Arbeits-modus mit den Ministerpräsidenten gefunden.
– Ja, eine vernünftige Kooperation.
– Eine vernünftige Kooperation. Sie wissen, dass wir,wenn ich mich recht erinnere, im Juni des Jahres 2011die Energiewende beschlossen haben. Der Kooperations-modus ist ein Jahr später in Kraft gesetzt worden.
Wir werden im Dezember den ersten Monitoringberichtbekommen. Den werden Sie beraten können.
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Wir sagen doch überhaupt nicht, dass es nicht eineganze Reihe von wirklichen Herausforderungen gibt.Vor welchen Herausforderungen wir stehen, haben wirbei der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zurPhotovoltaik erfahren. Es waren nicht die Koalitions-fraktionen, die einen schnelleren Abbau verhindert ha-ben, sondern es waren zum Schluss die Abstimmungs-mechanismen mit dem Bundesrat.
Ich sage nur: Es geht um eine bessere Verzahnung.Das müssen wir schaffen. Deshalb werden wir bis Märzauch Vorschläge dazu vorlegen. Im Übrigen sind wir mitden Ministerpräsidenten darin übereingekommen, dasswir besser vernetzen und dass wir die zunehmende undinzwischen auch in vielen Bereichen und an vielen Stun-den des Tages gleichrangige Versorgung mit erneuerba-ren Energien mit grundlastfähigen Kraftwerken sichern,und zwar so, dass die Dinge Hand in Hand gehen: dassdie Speichermöglichkeiten besser werden und dass wirdafür die entsprechenden Netze haben. Dazu befindetsich eine Vielzahl von Gesetzgebungsverfahren in Ar-beit, die ich hier nicht alle aufzählen möchte.Wir werden die Energiewende allerdings nur schaf-fen, wenn wir auch im Bereich der Energieeffizienzetwas erreichen. Hier gehört es wirklich zu den Para-doxien, dass Sie das Wort „Energieeffizienz“ wunderbarim Munde führen, während die gesamte Gesellschaft,alle Verbände – von den Gewerkschaften über die Um-weltverbände bis zu den kommunalen Spitzenverbän-den, Handwerksverbänden und den restlichen Wirt-schaftsverbänden – sagen: Bitte lasst uns ein steuerlichesAnreizprogramm für Gebäudesanierung machen. – Da-rauf haben Sie uns bisher keine vernünftige Antwort ge-geben. Das ist die Situation.
Sie wissen genau, eine solche steuerliche Förderungder Gebäudesanierung finanziert sich nicht nur aus sichheraus, sondern schafft noch Mehrwert. Das sagt jeder,der von der Sache Ahnung hat. Deshalb sollten Sie daswirklich noch einmal überdenken.
Meine Damen und Herren, natürlich ist Deutschlandmit dem, was ich beschrieben habe, und mit dem, waswir noch in Angriff nehmen werden, nicht eine Insel,sondern tief vernetzt mit der Weltökonomie und mit dereuropäischen Wirtschaft. Europa befindet sich in einereher ernsten Lage. Deshalb sollten wir mit Ruhe und An-erkennung auf das schauen, was in Europa passiert, aberauch mit der Erkenntnis, dass diese Dinge nicht in ein,zwei Jahren zu lösen sind.Der Chef des EFSF und des ESM, Herr Regling, sagteuns vor wenigen Tagen: Die Unterschiede in den Lohn-stückkosten zwischen Nordeuropa und Südeuropa sindvon 50 Prozent auf 20 Prozent gesunken. Das ist nichtalles, aber es ist ein wichtiger Indikator, der dafürspricht, dass daraus auch Arbeitsplätze entstehen wer-den, genauso wie aus den Arbeitsmarktreformen, die wirin Deutschland durchgeführt haben.
Wenn Sie die 500 Seiten, die wir Ihnen zu den Verän-derungen in Griechenland übersandt haben, einmaldurchschauen, dann wissen Sie, dass es hier nicht vor-rangig um Sparauflagen geht. Es geht zwar auch umSparen, insbesondere im öffentlichen Sektor. Aber hiergeht es vor allem um einen tiefgreifenden und notwendi-gen Umbau des griechischen Staates, damit die Men-schen in Griechenland auf lange Sicht wieder eineChance haben, auch in Wohlstand zu leben und ihre Zu-kunft selbst gestalten zu können.
Ja, es ist richtig, dass es eine politische Entscheidungist, zu sagen: Wir wollen, dass Griechenland im Euro-Raum bleibt. Natürlich sind wir in Europa durch ge-meinsame Werte verbunden. Aber das entbindet unsnicht davon, darauf zu achten, dass die Reformen inGriechenland zum Wohle der Menschen in Griechenlandwirklich durchgeführt werden müssen.
Deshalb ist die Kombination von Anforderungen hin-sichtlich Veränderungen auf der einen Seite und von So-lidarität auf der anderen Seite genau die richtige AntwortEuropas in dieser Situation.
Es ist eine gute Nachricht, dass die Troika bereits jetztgesagt hat, dass die Vorgaben zu den Veränderungen inGriechenland erfüllt sind und dass die vorher durchzu-führenden Maßnahmen – die sogenannten Prior Actions –auch durchgeführt wurden. Das ist ein wichtiger Fort-schritt, und ich weiß, wie viel Anstrengung das die grie-chische Regierung gekostet hat.Deshalb werden auch keinerlei Abstriche bei den Erwar-tungen an die Reformen gemacht, bei deren UmsetzungDeutschland im Übrigen hilft, sowohl im Gesundheitsbe-reich als auch beim Aufbau der lokalen Verwaltung.Aber angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung inGriechenland, aber auch in Europa und weltweit, gibtman Griechenland zwei Jahre mehr Zeit, um den Primär-überschuss zu erreichen, der vorher veranschlagt war.Wir kennen das im Übrigen auch; denn bei uns hat sichdie Wachstumsprognose seit dem Frühjahr ebenfalls hal-biert. Es ist also nicht so, dass nur die Prognosen fürGriechenland nicht ganz richtig sind. Spätestens seit derKrise sind wir daran gewöhnt, da öfter einmal etwasNeues zu hören.Jetzt geht es darum, die notwendigen Finanzierungenbereitzustellen. Ich möchte zunächst einmal ein herzli-ches Dankeschön an den Bundesfinanzminister sagen,der immer noch auf der Regierungsbank sitzt, obwohl er
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die ganze Nacht gearbeitet und Sie dann noch alle infor-miert hat. Danke.
Aus diesen Informationen wissen Sie, wie die Planungenaussehen. Ich will das jetzt nicht im Detail darstellen.Man weiß es zwar nicht genau, aber ich glaube, es gibtChancen, am Montag zu einer Lösung zu kommen.In diesem Zusammenhang möchte ich noch eine Be-merkung machen. Diese Sehnsucht – darauf bin ich hierschon oft eingegangen –, es möge doch die eine Aktion,den einen Befreiungsschlag, die eine Wahrheit geben,welche bewirken, dass morgen diese Probleme nichtmehr auftauchen – diese Sehnsucht wird es nicht geben.
– Die Sehnsucht gibt es natürlich, aber die Antwort aufdiese Sehnsucht wird es nicht geben. Diese Sehnsucht istzwar menschlich verständlich, aber die Antwort wird esso nicht geben. Das Ganze ist ein Prozess. Was überJahre und Jahrzehnte versäumt wurde, kann nicht plötz-lich über Nacht realisiert werden. Deshalb werden wirauch weiterhin schrittweise vorangehen müssen.
Morgen beginnt ein Europäischer Rat, der wiederumvon großer Bedeutung ist. Ich weiß nicht, ob wir morgenoder übermorgen schon zu abschließenden Ergebnissenkommen können. Wir wollen das; notfalls müssen wiruns Anfang des nächsten Jahres noch einmal treffen.Es geht um die mittelfristige finanzielle Vorausschau.Weil hier nach dem Wachstum gefragt wurde, will ichnoch einmal darauf hinweisen, dass wir den Wachstums-pakt beschlossen haben. Dieser Wachstumspakt wirdnatürlich umgesetzt. Der kundige Thebaner weiß zumBeispiel, dass wir unser Geld für die Europäische Inves-titionsbank überwiesen haben. Der noch kundigere The-baner weiß, dass damit schon erste Programme vonHerrn Hoyer bearbeitet wurden.Wenn die Europäische Kommission dann noch alleFragen rund um die Beihilfe geregelt hat, dann stehenfür Portugal und für Griechenland 500 Millionen Euround vieles andere bereit, was vorher nicht möglich war.Wir haben uns also richtig entschieden, als wir uns füreine Stärkung von Wachstum, Investition und für einegrößere Rolle der Europäischen Investitionsbank einge-setzt haben. Da waren wir ja alle einer Meinung. Ichwollte Ihnen nur noch einmal mitteilen, dass das Ganzenun auch läuft.
Wenn Sie sich zugleich einmal anschauen, wie vielflexibler die Strukturfonds heute verwendet werden kön-nen – zum Beispiel zur Kofinanzierung für kleinere undmittlere Unternehmen, damit diese bei der EuropäischenInvestitionsbank einen Kreditantrag stellen können –,dann wissen Sie, dass wir für die Umsetzung der Be-schlüsse aus dem Wachstumspakt bereits die richtigenAntworten gefunden haben.Die mittelfristige finanzielle Vorausschau ist nun diekonsequente Fortsetzung. Deutschland hat sich stark ge-macht, schon jetzt, Ende 2012, eine Entscheidung zutreffen. Neulich bin ich gefragt worden: Warum denn dasjetzt auch noch? Darauf habe ich geantwortet: Damit esPlanbarkeit und Planungssicherheit gibt. – Denn fürviele Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die imAugenblick eine Haushaltskonsolidierung vornehmen,sind die europäischen Investitionsmittel fast die einzigenMittel, die für Investitionen in die Zukunft zur Verfü-gung stehen.
Deshalb brauchen wir diese Planbarkeit, und deshalbsollte sich Deutschland dafür einsetzen.
Sie verstehen sicherlich, dass es natürlich auch eineReihe von Eigeninteressen gibt – vom Agrarbereich bishin zu den neuen Bundesländern –, die wir in den Ver-handlungen ebenfalls vertreten werden. Das AuswärtigeAmt, hier Staatsminister Link, hat hierfür intensive Vor-bereitungen getroffen. Wir werden das in den nächstenTagen in den Verhandlungen fortsetzen.Insgesamt geht es darum, wie sich Europa in der Zeitvon 2014 bis 2020 aufstellen wird. Wir wollen zumSchluss sagen können: Ja, wir tun mehr für moderneNetze. Ja, wir tun mehr für Investitionen in Forschungund Entwicklung. Ja, wir haben in einigen Bereichenweniger Bürokratie. Ja, wir können besser investieren,da einige Dinge von der Kommission geleistet werdenkönnen. Meine Damen und Herren, wir werden also da-ran arbeiten.Ich will auf einen weiteren Bereich in Europa zu spre-chen kommen, der natürlich wichtig ist. Wir alle wissen:Die Finanzkrise konnte nur dadurch entstehen, dass dieRegulierung der Finanzmärkte nicht ausreichend war.Deshalb will ich auch an dieser Stelle eine klare Antwortgeben: Es haben sich ausreichend Mitgliedstaaten gefun-den, die in einer verstärkten Kooperation an einerFinanztransaktionsteuer arbeiten werden. Der Kommis-sionspräsident selber hat mir noch einmal gesagt, dass esfür ihn oberste Priorität hat, dass wir das wirklich sehrschnell umsetzen. Insofern laufen die Verhandlungen.Sie wissen, dass Deutschland in vielen Fragen derBankenregulierung Vorreiter war.
Wir haben die Leerkäufe verboten. Das ist inzwischen inEuropa Gemeingut. Wir haben den Hochfrequenzhandelverboten. Wir hoffen, dass Europa folgt. Wir waren dieErsten, die ein Restrukturierungsgesetz für die Banken
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hatten. In Europa arbeitet man jetzt glücklicherweisedaran.Beim nächsten G-20-Treffen – ich habe gerade mitdem russischen Präsidenten darüber gesprochen; Russ-land hat dann die G-20-Präsidentschaft inne – wird dasThema Schattenbanken, das in der Tat ein Riesenthemaist, eine zentrale Rolle spielen. Das Financial StabilityBoard hat am Sonntag genau dazu Vorschläge gemacht.Ich werde alle Kraft daransetzen – hoffentlich mit IhrerUnterstützung –,
dass wir genau in dem Bereich vorankommen. Denn an-sonsten schaffen wir nicht, was wir uns vorgenommenhaben, nämlich dass jeder Finanzplatz, jeder Finanz-marktakteur und jedes Finanzprodukt einer Regulierungunterworfen werden, möglichst nicht nur in Deutsch-land, möglichst nicht nur in Europa, sondern möglichstüberall auf der Welt.
Ich will auf die Initiative des Finanzministers verwei-sen, der zusammen mit dem britischen Finanzministerdas Steueroasentum noch einmal auf die Tagesordnunggesetzt hat.
Auch das ist eine ganz wichtige Initiative. Also, wir soll-ten gemeinsam daran arbeiten. Denn die Widerständeliegen weniger in Deutschland; sie liegen außerhalbDeutschlands. Da haben wir alle noch viel zu tun, meineDamen und Herren.
Wenn ich über die Lage in Europa spreche, dann seiauch ein Blick auf die internationale Lage geworfen. Wirsehen in diesen Tagen, dass die Menschen in einigenRegionen in einer sehr fragilen Situation leben. Ichmöchte dem Bundesaußenminister danken, dass er jetztim Nahen Osten unterwegs war und wichtige Impulsegesetzt hat,
dafür, dass wir einen Beitrag dazu leisten, einen Waffen-stillstand zu erreichen, aber auch – ich sage das ganzbewusst – dass wir ein Zeichen an Israel senden. Denndie Gewalt hatte ihren Ausgangspunkt in Beschüssenvonseiten der Hamas auf israelisches Gebiet. Wir alle,die wir nicht dort waren, können uns, glaube ich, nichtvorstellen, was es bedeutet, wenn man zusammen mitseiner Familie immer wieder Angst hat, beschossen zuwerden. Deshalb sage ich ausdrücklich: Es gibt dasRecht auf Verteidigung der eigenen Bevölkerung, unddieses Recht hat der israelische Staat, und er hat diePflicht.
Nichtsdestotrotz – das wird heute in der außenpoliti-schen Debatte sicherlich noch eine Rolle spielen – wer-den wir natürlich alles daransetzen, eine Eskalation derGewalt zu vermeiden, einen Waffenstillstand zu errei-chen und den politischen Prozess so schnell wie möglich– so schwierig das auch ist – wieder in Gang zu setzen;denn zu ihm gibt es mittelfristig und langfristig keinevernünftige Alternative.
Meine Damen und Herren, wir erleben seit Monatendie quälende Situation in Syrien, wo Tausende undAbertausende von Menschen aufgrund der Gewalt ster-ben. Über 400 000 Flüchtlinge sind in den Nachbarlän-dern Syriens.
Wir erleben, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Natio-nen nicht zu einer gemeinsamen Stimme findet, und diesist bedrückend. Wir haben auch erlebt, dass ein Mit-gliedstaat unseres Bündnisses, der NATO, angegriffenwurde. Deshalb hat die Bundesregierung, natürlich nachganz engen Konsultationen mit Ihnen, gesagt: Wenn einPartner in der NATO an uns einen Wunsch hat, dann prü-fen wir das, dann versuchen wir natürlich, diesenWunsch zu erfüllen. Natürlich schauen wir uns die Be-dingungen an, und selbstverständlich wird das alles hierim Parlament umfassend diskutiert; das ist das Wesenunserer Parlamentsarmee.Dies zeigt aber auch, wie nah wir doch den Krisen-regionen sind und wie kostbar das Gut des Friedens ist.Ich will einen weiteren Schwerpunkt nennen: Mali.Wir schicken uns an, dass eine Ausbildungsmission derEuropäischen Union zusammengestellt wird. Auch hiererfolgt eine engste Abstimmung mit dem Parlament.Auch hier ist es, wie ich finde, richtig, zu sagen: Wirwollen keinen eigenen Einsatz; aber wenn es um denKampf gegen den Terrorismus geht, sind wir schon ver-pflichtet, unser Wissen und unsere Fähigkeiten in derAusbildung weiterzugeben. Deshalb diskutieren wir diesganz intensiv.Wir werden noch in diesem Jahr beginnen, über einneues Afghanistan-Mandat zu beraten. In diesem Zu-sammenhang möchte ich ganz klar sagen: Es gibt viel zutun in Afghanistan. Aber wir befassen uns inzwischenmit dem Prozess der Übergabe von Verantwortung inVerantwortung. Wir können die Zahl unserer Soldatin-nen und Soldaten reduzieren; das ist eine gute Nachricht.Wir haben Erhebliches bei der Ausbildung der afghani-schen Streitkräfte und bei der Ausbildung der afghani-schen Polizei erreicht; auch das ist wichtig. Ich male hierkein geschöntes Bild, ich kenne die Probleme; aber ichsage: Das ist ein ganz wichtiger Prozess. Wir sind unseinig, dass wir unseren Soldatinnen und Soldaten von
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Herzen für ihren Dienst in Afghanistan danken, der allesandere als einfach ist.
Wir sind uns einig – das zeigt auch die vernetzteKooperation in der Bundesregierung –,
dass wieder das gilt, was für alle militärischen Konfliktegilt: Allein militärisch werden wir keinen Sieg erringen,es muss eine politische Kooperation, eine Entwicklungs-kooperation, eine Sicherheitskooperation geben.
Ich glaube, auch darüber gibt es eigentlich keine unter-schiedlichen Meinungen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Debatte findetalso in einer schwierigen Situation in Europa, in einerfragilen Situation in vielen Regionen der Welt statt.Umso mehr können wir uns glücklich schätzen, dass wirin Europa leben, dass diese Europäische Union am10. Dezember den Friedensnobelpreis verliehen be-kommt,
und das im Übrigen nicht in einer Zeit, in der Europagroße Erfolge zu verzeichnen hat – als der Kalte Kriegzu Ende ging, als die Europäische Union erweitertwurde, als der Euro eingeführt wurde –, sondern in einerZeit, in der auch wir beweisen müssen, dass wir an un-sere europäische Zukunft glauben.
Ich darf Ihnen sagen: Wir in der Bundesregierung tunalles dafür, damit der Satz, den wir anlässlich des50. Jahrestages der Römischen Verträge gesagt haben:„Wir sind zu unserem Glück vereint“, auch in Zukunftgilt. Das ist ein wesentlicher Teil der Arbeit der christ-lich-liberalen Koalition. Andere habe ich Ihnen vorge-stellt. Wir tun unsere Arbeit: für heute, für morgen, fürdie Zukunft und vor allen Dingen für die Menschen indiesem Lande. Das zeichnet uns aus.Herzlichen Dank.
Ich glaube, jetzt ist es gut. Wir können die Debatte
fortsetzen.
Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die
Kollegin Katja Kipping.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer die
bisherige Debatte verfolgt hat, hat gemerkt, dass sie so
ein bisschen was von einer Castingshow hatte: Deutsch-
land sucht den Superwahlkämpfer. Beide Kandidaten
versuchen, sich ins rechte Licht zu setzen. Herr
Steinbrück schenkt der Regierung mit viel rhetorischem
Tamtam ein, Frau Merkel verteidigt sich tapfer. Die
Fanblöcke sind aufmarschiert. Das alles ist etwas weni-
ger glamourös als bei Deutschland sucht den Superstar;
dafür ist aber Herr Lammert, finde ich, etwas sympathi-
scher als Dieter Bohlen.
Am Ende aber ist es vor allen Dingen eine Show, und
die Frage ist doch:
Wie groß sind die Unterschiede wirklich, wenn die
Scheinwerfer aus sind und wenn es in den Backstage-
bereich geht? Wird nicht hinter der Bühne schon ganz
heftig geflirtet?
Einen kleinen Augenblick, bitte, Frau Kipping. – Ich
darf diejenigen, die jetzt der Debatte nicht weiter folgen
können oder wollen, bitten, entweder den Saal zu verlas-
sen oder jedenfalls für die gebotene Aufmerksamkeit zu
sorgen.
Bitte schön, Frau Kipping.
Herr Steinbrück, Sie haben auf Angriff gespielt. DieFrage ist aber doch: Wie glaubwürdig ist das? WerdenSie nicht einen Haushalt mit der gleichen Schwerpunkt-setzung in den höchsten Tönen loben, wenn es nach derWahl zu einer Großen Koalition kommt? Und dass esdazu kommen wird, pfeifen doch inzwischen schon dieSpatzen von den Dächern.
Wir erleben hier eine Show. Die Medien werden morgenwieder Haltungsnoten vergeben. Die Frage ist doch:Reicht es wirklich, Haltungsnoten zu vergeben? Sinddafür die Probleme nicht viel zu groß?Immer mehr Menschen können ihre Stromrechnungnicht bezahlen und sind von Stromabschaltungen betrof-fen. Die Mieten explodieren, sodass viele Menschen ausden Wohngebieten der Innenstädte verdrängt werden. El-tern laufen sich die Hacken ab auf der Suche nach einemKitaplatz. Die Schere zwischen Arm und Reich in die-sem Land geht immer weiter auseinander, und Deutsch-land exportiert weiter fleißig Kriegswaffen und trägt da-mit zur Aufrüstung in der Welt bei.Meine Damen und Herren, das ist die Realität in die-sem Land. Ich finde, angesichts dieser Realität müssen
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25237
Katja Kipping
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wir hier mehr liefern als eine Show. Politik muss mehrleisten als eine Castingshow. Wir brauchen einen wirkli-chen Wechsel, und darum geht es uns als Linke.
Wir wollen einen wirklichen Wechsel hin zu einem so-zial-ökologischen Umbau, hin zu Umverteilung, damitdie Reichen nicht immer reicher und die Armen nichtimmer ärmer werden. Das ist unser Verständnis vonPolitik.
Zu einem wirklichen Wechsel gehört die Beendigungder Zweiklassenmedizin und die Einführung einer soli-darischen Bürgerversicherung, also einer Versicherung,in die alle – auch Abgeordnete und Beamte – einzahlen.Wir haben errechnet, dass dadurch der Beitrag sogarniedriger ausfallen würde. Er läge dann nämlich bei10,5 Prozent. Meine Damen und Herren, das wäre dochetwas. Das könnten wir doch zusammen in Angriff neh-men.
Zu einem wirklichen Wechsel gehört eine sozialeEnergiewende. Diese muss den Wechsel hin zu erneuer-baren Energien garantieren, ohne dass die Ärmstenfrieren und im Dunkeln leben müssen. Wir haben dazuVorschläge gemacht. Um nur einen zu nennen: Wir mei-nen, dass wir endlich wieder eine funktionierende Preis-aufsicht benötigen; denn sprudelnde Gewinne derStromkonzerne bei steigender Energiearmut, das ist füruns als Linke nicht hinnehmbar.
Zu einem wirklichen Wechsel in diesem Land gehörtauch ein Ende aller Kampfeinsätze. Deutschland ist derdrittgrößte Kriegswaffenexporteur. Meine Damen undHerren, wir wissen es doch: Wenn die Waffen reden,schweigt die Vernunft. Niemand kauft sich einen Panzer,um ihn als Zierde in den Vorgarten zu stellen. Am Endefindet jede Waffe ihren Krieg. Deswegen sagt die Linkeganz klar: Wir brauchen einen sofortigen Stopp derRüstungsexporte; denn mit dem Tod macht man keineGeschäfte. Das ist einfach unanständig.
Zu einem wirklichen Wechsel gehört aber auch, dieUN-Konvention für die Rechte von Menschen mitBehinderung ernst zu nehmen. Barrierefreiheit und In-klusion sind eben keine Almosen, die man mal gewährt,wenn es uns gerade in den Kram passt. Inklusion undBarrierefreiheit sind ein Recht. Im Übrigen würde Bar-rierefreiheit das Leben nicht nur für Menschen mit Be-hinderung, sondern für alle Menschen besser machen.
Zu einem wirklichen Wechsel gehört, dass wir nichtnur auf dem Papier für jedes Kind einen Kitaplatz garan-tieren. Eltern wissen es: Man kann sich gar nicht früh ge-nug um einen Kitaplatz bemühen, am besten fängt manschon vor dem Beginn der Schwangerschaft an.Das sind doch unmögliche Fristen. Das geht dochnicht! Als ich geboren wurde, haben meine Eltern einenAntrag auf einen Trabant gestellt, weil die Lieferfristenfür Autos damals 18 Jahre betrugen. Über diese Seite derDDR-Mangelwirtschaft können wir heute nur lachen.Was mir heute Sorge bereitet, ist, dass in diesem reichenLand inzwischen Bildung zur Mangelware verkommt.Wir meinen, es kann nicht sein, dass sich Eltern die Ha-cken ablaufen müssen. Deswegen müssen wir die Gelderfür den Kitaausbau aufstocken.
Das alles sind Maßnahmen, die man sofort angehenkann. Ich möchte im Folgenden über drei zentrale Berei-che reden, an denen man erkennen kann, wie ein wirkli-cher Wechsel aussehen kann. Ich möchte auch die Debat-ten zwischen CDU/CSU und SPD in diesen Bereichendaraufhin abklopfen, inwieweit es tatsächlich einen Un-terschied zwischen ihnen gibt.Das erste Thema ist die sogenannte Euro-Rettung.Nun sind die Verhandlungen gestern gescheitert. In derTat muss man deswegen die zentrale Frage aufwerfen:Wie seriös ist es angesichts des bisherigen Verhand-lungsstandes überhaupt, in dieser Woche einen Haushaltzu beschließen? Wer von Ihnen kann denn wirklich aus-schließen, dass am Ende Entscheidungen anstehen, dieauf den Haushalt durchschlagen? Also: Am Ende stellenwir nur einen ungedeckten Scheck aus.Europa. Dieses Wort ist im Sprachgebrauch inzwi-schen untrennbar verbunden mit dem Begriff „Krise“.Aber wofür könnte Europa stattdessen stehen? Europakönnte für die große Menschheitshoffnung auf Friedenstehen. Europa könnte dafür stehen, dass die sozialenGrundrechte eben nicht nur Theorie sind, sondern ver-wirklicht werden. Europa könnte als Kraft des Fort-schritts für die Beendigung von Rassismus und Nationa-lismus stehen.Leider muss ich all dies im Konjunktiv formulieren;denn der Kurs von Schwarz-Gelb in Europa führt in eineandere Richtung. Man muss sagen: Durch Ihren Kurswird die Krise deutlich verschärft. Ja, Frau Merkel, essind Ihre Kürzungsauflagen, die mit dazu führen, dassSchwangere in Griechenland nur dann in einen Kreißsaalgelassen werden, wenn sie Geld hinblättern. Es sind IhreKürzungsauflagen, die dazu führen, dass es in Kinder-krankenhäusern an dem Überlebensnotwendigen fehlt.Das Kürzungsdiktat führt aber nicht nur zu humanitä-ren Katastrophen. Es ist auch volkswirtschaftlich falsch.Mit diesem Kürzungsdiktat reiten Sie Europa weiter indie Krise. Das wird letztlich auch für unser Land zumBumerang werden; denn auch deutsche Unternehmensind auf die Nachfrage in Südeuropa angewiesen. Das istdoch ganz einfach: Wenn Lohn- und Rentenkürzungenin Südeuropa zu einer flächendeckenden Verarmung füh-ren, spätestens dann werden wir merken, dass sich dortkaum noch jemand einen Fernseher, ein Fahrrad und an-deres leisten kann. Das heißt auch, dass man dorthinnichts mehr exportieren kann. Dann wird die Krise auchhier ganz anders zutage treten. Deshalb sagen wir alsLinke ganz klar: Wir wollen einen Marshallplan, wir
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Katja Kipping
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wollen einen sozial-ökologischen Umbau in Europa, unddafür muss man Geld in die Hand nehmen.
In den Debatten über die Euro-Rettung konnten wirhier oft SPD-Redner erleben, die Frau Merkel heftigstattackierten. Ja, reden können sie. Das lassen sich einigeauch gut entlohnen. Am Ende lief es aber ab wie bei ei-ner dieser Castingshows, wo die Kandidaten im Schein-werferlicht miteinander konkurrieren und hinterher imBackstagebereich heftig flirten. Am Ende haben SPDund Grüne dem Fiskalpakt und der sogenannten Euro-Rettung – leider – treu und brav zugestimmt.Das Schlimme daran war nicht nur ihre Entscheidung,sondern vor allem die Begründung. Es hieß: Wir müssendie Finanzmärkte stabilisieren; wir müssen die Finanz-märkte beruhigen. Das sind verdammt teure Beruhi-gungspillen. Es war doch genau diese Haltung, das Er-starren vor den Finanzmärkten wie das Kaninchen vorder Schlange, die uns in diese Krise hineingeführt hat.Wenn uns die Krise eines deutlich vor Augen geführthat, dann, dass wir die Finanzmärkte an die Kandarenehmen müssen. Deswegen lautet das Gebot der Stundenicht, milliardenschwere Baldriantabletten für die Fi-nanzmärkte in die Hand zu nehmen, sondern Regulie-rung. Sparkassen statt Zockerbanden – das ist das Gebotder Stunde.
Ich komme zum zweiten zentralen Bereich, zuHartz IV. Erinnern Sie sich noch an die Debatten überden Hartz-IV-Regelsatz? Das glich rhetorisch einerSchlacht der Gigantinnen. Am Ende – welche Überra-schung – lag der Unterschied bei 3 Euro. Von einem Re-gelsatz, der wirkliche Teilhabe garantiert, sind leiderSPD wie CDU/CSU weit entfernt.Beide sind leider auch weit davon entfernt, die Sank-tionen abzuschaffen. Wie diese wirken, möchte ich an ei-nem Beispiel verdeutlichen. Eine Dresdnerin – das hatsie mir erzählt, als sie mich aufsuchte – sitzt in einemVorstellungsgespräch. Am Ende dieses Gesprächs gehtes um den Lohn. Dabei rutscht ihr der Satz heraus: Ups,der ist ja niedriger als Hartz IV. – Der Arbeitgeber mel-det dies dem Jobcenter. Daraufhin wird dieser FrauHartz IV um 30 Prozent gekürzt.Auch das ist Kern und Wesen von Hartz IV: Die Men-schen sollen gefügig gemacht werden, sollen Dumping-löhne akzeptieren. Hartz-IV-Sanktionen untergraben aberdie Grundrechte. Ich möchte eine Gesellschaft, in der sichniemand als Untertan auf einem Amt fühlt. Ich möchteeine Gesellschaft, in der niemand auf einem Amt schika-niert werden kann. Auch deswegen sagt die Linke: Wirwollen Hartz IV durch eine soziale, sanktionsfreie Min-destsicherung ersetzen.
Zum dritten Bereich, zur Rente. Wir wissen: NiedrigeLöhne führen am Ende auch zu niedrigen Renten. Inso-fern ist unser Einsatz für gute Arbeit auch ein Einsatz fürgute Renten. Unser Rentenkonzept sieht eine Rentenver-sicherung vor, in die alle einzahlen. Wir wollen außer-dem eine solidarische Mindestrente, die wirklich vor Al-tersarmut schützt. Das ist eine Alternative zur drohendenAltersarmut: eine armutsfeste Rente und die Garantie,dass man im Alter nicht ins Bodenlose fällt.
Die Modelle von SPD und CDU/CSU – egal wie siebezeichnet werden – werden dem nicht gerecht. Die in-zwischen zur Lebensleistungsrente degradierte Zu-schussrente wird gerade einmal 2 Prozent der Geringver-dienenden irgendwie helfen.Ich finde, dass wir in diesem Bereich nicht kleckerndürfen; denn inzwischen ist Altersarmut auch in diesemLand Realität. Davon zeugt zum Beispiel das Schicksaleiner 82-Jährigen, die mich vor einigen Wochen in mei-nem Wahlkreisbüro aufsuchte. Wegen einer Behinde-rung durfte sie ihr Leben lang nur halbtags arbeiten.Deswegen hat sie eine niedrige Rente. Sie hat fein säu-berlich aufgeschrieben, wie viel Geld ihr pro Tag nachden notwendigen monatlichen Abzügen zum Lebenbleibt: 8,47 Euro. Das reicht, um nicht zu verhungern.Aber viel mehr ist nicht drin. 8,47 Euro bedeuten bei-spielsweise, dass sie das letzte Mal vor 20 Jahren imTheater war. Bei Anschaffungen wird es schwierig. Siesagte zu mir: Für den Sommer habe ich Sandaletten undfür den Winter Stiefel. Aber was mache ich in der Über-gangszeit? Da muss ich mich entscheiden, ob ichschwitze oder friere. – So sieht Altersarmut in diesemLand aus. Das haben alle bisherigen Bundesregierungenmit zu verantworten; denn niemand von Ihnen hatte denMut und die Courage, eine Mindestrente einzuführen,die sicher vor Altersarmut schützt. Damit muss jetztSchluss sein.
Die Unterschiede zwischen SPD und CDU/CSU inder Rentenpolitik muss man mit der Lupe suchen. Aberdie Gemeinsamkeiten springen sofort ins Auge. Gemein-sam haben Sie die Rente erst ab 67 zu verantworten. Ge-meinsam haben Sie sich für eine Senkung des Rentenni-veaus ausgesprochen. Gemeinsam haben Sie bisher dieAngleichung des Rentenwertes Ost an den RentenwertWest immer wieder hinausgeschoben.Nun ist etwas Bewegung in die Frage der Ostrentengekommen. Herr Steinbrück hat das als ein wichtigesThema erkannt. Ich sage: Das ist ein wirklicher Erfolgder Linken. Wir haben dieses Thema immer wieder aufdie Tagesordnung gesetzt.
Hier zeigt sich einmal mehr: Die Linke wird immer mehrzum Ideengeber, zur Ideenwerkstatt. Es ist gut, wenn Siebei uns abschreiben. Keine Sorge, wir nehmen dafürauch keine Gebühren.
Damit wir andere Wege in diesem Land einschlagenkönnen, braucht es ein breites Bündnis für eine faireUmverteilung und einen sozial-ökologischen Umbau.Dazu möchten wir einladen. Doch wie reagieren Sie,Herr Steinbrück? Aus purer Ideologie schließen Sie jeg-
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liche Kooperation aus. Ich meine, wer so handelt, dermacht vor allen Dingen eines: Er schafft eine Überle-bensversicherung für eine CDU-Kanzlerin Merkel.
Wer so agiert, ist vielleicht ein Versicherungsmakler,wenn es um Überlebensversicherungen für CDU-Kanz-lerinnen geht, aber er verhindert auf jeden Fall einenwirklichen Wechsel. Sie verhindern mit diesem Agierendie Einführung von Mindestlöhnen, Mindestrenten undeiner Mindestsicherung. Sie verhindern die Einführungeiner Bürgerversicherung, und Sie verhindern den Stoppvon Rüstungsexporten. Das haben Sie zu verantworten.
An dem vorliegenden Haushalt ist viel zu kritisieren.Ich möchte das an zwei Zahlen verdeutlichen. Die Linkehat vorgeschlagen, 22 Millionen Euro mehr für denKampf gegen die Ausbreitung von Neonazis einzuset-zen. 22 Millionen Euro sind nicht viel im Vergleich zumVolumen des gesamten Haushalts. Als die Studie „DieMitte im Umbruch“ vorgestellt worden ist, waren wiralle betroffen. Wir haben gehört, dass jeder Vierte aus-länderfeindlich und fast jeder Zehnte antisemitisch ist.Solch ein Befund erfordert mehr als bloße Betroffenheit.Da muss man doch etwas tun. Aber Sie waren nicht ein-mal bereit, etwas Geld in die Hand zu nehmen, um denKampf gegen Rechtsradikalismus zu unterstützen. Dasist wirklich peinlich.
8,6 Milliarden Euro – um diese Summe sollen dieMittel im Bereich Arbeitsmarkt gesenkt werden. Das isteine massive Kürzung. Ihre Begründung, dass Sie hieraufgrund der sinkenden Arbeitslosenzahlen kürzen, ziehteinfach nicht; denn die Zahlen werden im nächsten Jahrnicht so sehr sinken. Hier zeigt sich eines ganz klar: Siewollen den Haushalt zulasten der Arbeitsmarktpolitik sa-nieren. Das ist ein Preis, den man eigentlich nicht zahlenkann.
In Haushaltsdebatten wird gern darüber gesprochen,was wir uns alles nicht leisten können. Ich möchte überdrei Punkte sprechen, die wir uns aus Sicht der Linkentatsächlich nicht leisten können.Erstens. Verzicht auf einen Mindestlohn. Wenn wir ei-nen flächendeckenden Mindestlohn hätten, dann hättenwir weniger Ausgaben, zum Beispiel für aufstockendeHartz-IV-Leistungen. Wenn wir höhere Löhne hätten,gäbe es mehr Einnahmen bei den Sozialversicherungen.Prognos hat es ausgerechnet: Ein flächendeckender Min-destlohn von 10 Euro pro Stunde würde zu insgesamt12 Milliarden Euro mehr in den Haushalten und den So-zialkassen führen. Das ist doch nicht nichts. Wir könnenes uns einfach nicht leisten, wie Schwarz-Gelb es hand-habt, aus ideologischen Gründen darauf zu verzichten.Mit dieser Form von Ideologie muss Schluss sein, auchaus haushalterischen Gründen.
Zweitens. Ausgaben für das Militär. Wir haben es aus-gerechnet: Pro Einwohner geben wir für das Militär imJahr 400 Euro aus. Es ist sehr interessant: An allen wich-tigen Stellen wird gekürzt. Für den Kitaausbau und denKampf gegen Rechtsextremismus ist kein Geld vorhan-den, aber beim Militär sind wir großzügig. Ich meine,diese Großzügigkeit können wir uns nicht mehr leisten.Hier gilt es, Geld einzusparen.
Drittens. Steuergeschenke an Superreiche, an Millio-näre und an Konzerne. Die Steuerpolitik der vorange-gangenen Bundesregierungen hat Konzerne und Reichesteuerlich enorm entlastet. Die Senkung des Spitzensteu-ersatzes und die Senkung der Körperschaftsteuer sindnur einige Beispiele. Die Gewerkschaft Verdi hat ausge-rechnet, wie viel Geld uns durch diese Steuergeschenkeseit dem Jahr 2000 durch die Lappen gegangen ist. Ins-gesamt wären auf allen Ebenen rund 500 MilliardenEuro zusammengekommen. Dieses Geld fehlt in den öf-fentlichen Kassen, zum Beispiel für den Ausbau von Ki-tas. 500 Milliarden Euro Steuerverlust seit 2000 – dieseGroßzügigkeit gegenüber den Reichen und den Konzer-nen können wir uns nicht mehr leisten. Deswegen sagenwir ganz klar: Wir brauchen jetzt einen Kurswechsel hinzu Steuergerechtigkeit, hin zu einer couragierten Besteu-erung von Reichen und von Konzernen.
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: DieProbleme sind groß. Ich glaube, angesichts dessen müs-sen wir hier mehr leisten als eine Show im Scheinwerfer-licht. Es geht um mehr als um Scheingefechte imScheinwerferlicht. Es geht darum, wirkliche Alternati-ven zur Abstimmung zu stellen. Die Vorschläge der Lin-ken zeigen diese auf. Ein erster Schritt wäre, wenn Sieunseren Änderungsanträgen heute zustimmen.Vielen Dank.
Rainer Brüderle ist der nächste Redner für die FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kol-legin Kipping, nach Ihrer Rede wünscht man sich denGysi geradezu zurück.
Der Auftritt des Kollegen Steinbrück hat heute keinenmehr überrascht. Er ist der Kollege in diesem Haus, deralles besser weiß. Ob er es besser kann, steht auf einemanderen Blatt. Der Kollege Steinbrück hat zu den meis-ten Themen mindestens zwei Meinungen im Angebot:
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Rainer Brüderle
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Frauenquote, Rente mit 67, Griechenland-Insolvenz,Transparenz bei Nebentätigkeiten, Betreuungsgeld,Finanzmarktregulierung, Trennbankensystem. Selbst zuIhrer Kanzlerkandidatur erklären Sie gestern dies, heutedas Gegenteil. Ich habe die Zitate Ihrer Irrungen undWirrungen dabei.
Wenn sich der Kollege Steinbrück korrigieren muss,spricht er nicht von Fehler, sondern von einer Lernkurve.
Seit der Ankündigung als Kanzlerkandidat kennt dieLernkurve von Herrn Steinbrück nur eine Richtung: steilnach unten.
Sie haben sich abhängig gemacht: nicht von den Groß-banken, den Möbelhäusern, den Sparkassen und Stadt-werken, bei denen Sie gegen Geld Vorträge gehalten ha-ben; das habe ich nie so gesehen, und das habe ich auchnicht kritisiert.
Nein, Sie haben sich abhängig gemacht von der SPD-Linken. Sie hält zu dem unterirdischen Krisenmanage-ment im Moment öffentlich den Mund. Heute gab es denneuesten Fall. Die Welt titelt: „Steinbrücks ‚Heuschre-cke‘ entsetzt die Genossen“. Sie haben den Autor des be-rühmten Buches Scheißkerle als Onlineberater vorgese-hen und sich offenbar wieder von ihm getrennt – erneutein „genialer“ Griff in die Personalkiste.
Sie sind offenbar „out of touch“. Ich hoffe, Sie sind nicht„out of space“.
Sie werden einen hohen Preis für das Schweigen IhrerLinken zahlen. Jeden Linksschwenk müssen Sie mitma-chen. Das werden wir in den nächsten Wochen und Mo-naten sehen. Die linke Programmatik geben IhnenSigmar Gabriel und die Jusos vor.
Der Kandidat stürzt von einer Lernkurve zur nächsten.So kann man keinen Staat machen.
Das gilt übrigens auch für das Thema Griechenland.Sie haben erklärt – ich zitiere –:Griechenland ist pleite.Man müsse über eine Insolvenzordnung für Staatennachdenken. – Sie haben erklärt:Ich wäre gern vorbereitet für den Fall einer griechi-schen Pleite.Man brauche einen Plan B. – Sie haben erklärt:In einigen Fällen mehren sich bei mir die Zweifel,ob alle Länder in der Euro-Zone gehalten werdenkönnen.Sie haben erklärt:Ich kann nicht erkennen, dass einige Länder die Lü-cke ihrer Wettbewerbsfähigkeit schließen können.Sie haben erklärt:Wenn aber Reformzusagen permanent gebrochenwerden, zweifelt man, ob unsere Solidarität nichtvergeudet ist.Sie haben erklärt:
Ich gebe ja zu, dass man nicht immer zu geradlini-gen Ergebnissen kommt. Man schwankt ja auch un-ter dem Eindruck sich aktuell verändernder Daten.Man müsse Griechenland wegen der Ansteckungsgefahrretten. – Das war nur eine kleine Auswahl Ihrer diversenGriechenland-Positionen. Welchen Steinbrück hätten Siebei der SPD denn gern? Den Steinbrück der Insolvenz,den Steinbrück der Euro-Bonds oder den Steinbrück derAnsteckungsgefahr? Die Leute sagen: Der Peer hat allesim Angebot.
Diese Bundesregierung kämpft seit über zwei Jahrenfür eine Ausgewogenheit von Solidität und Solidarität.Griechenland hat unbestreitbar einige Fortschritte ge-macht. Allerdings: Man ist noch nicht über den Berg.Für uns war die Reihenfolge immer klar: Die Troika legtihren Bericht vor, danach wird auf Grundlage des Be-richts entschieden. Europa ist solidarisch. Aber wir er-warten auch Gegenleistungen. Geld bringt dabei einbisschen Zeit; aber es löst keine Strukturprobleme. Ent-scheidend ist, dass Griechenland die Strukturreformenim Parlament nicht nur beschließt, sondern sie auchwirklich konkret anpackt. Davon hängt die EntwicklungGriechenlands ab.
In ganz Europa brauchen wir mehr Stabilität, mehrSolidität, mehr Wettbewerbsfähigkeit. Natürlich brau-chen wir Solidarität mit den Schwächeren; aber Deutsch-land darf auch nicht überfordert werden. Die hilfsbedürf-tigen Länder müssen die Unterstützung, die sie erfahren,auch nutzen. Sie müssen ihre Wettbewerbsfähigkeit er-höhen. Sie müssen Wachstum schaffen. Das ist übrigensdie Kernfrage für ganz Europa, nicht nur für die Länder,die unter Rettungsschirmen stehen.Schauen Sie sich die Situation in Frankreich an: Dorthat man lange Zeit auf Konzepte der Steuererhöhung,auf Konzepte der Arbeitszeitverkürzung, auf Konzepteder frühen Verrentung gesetzt. Der neue Präsident wollte
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Rainer Brüderle
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dies anfangs noch toppen. Als Erstes hat er die Sarkozy-Reformen zurückgedreht. Er hat die Steuern erhöht, dieRentenreform gestoppt. Gleichzeitig musste er einenWachstumseinbruch in Frankreich verkünden. Heute istdie Malaise noch größer: Rekordarbeitslosigkeit, vieleSchulden und wenig Wettbewerbsfähigkeit.Der Economist, London, hat vergangene WocheAlarm geschlagen: Er warnte vor der Zeitbombe im Her-zen Europas – „The time-bomb at the heart of Europe“.Dies wurde in Frankreich als zu drastisch empfunden.Wir wissen: Magazine brauchen Schlagzeilen, und aufder Insel wird manches anders gesehen. Aber diese Ana-lyse einfach vom Tisch zu wischen, wäre nicht richtig.Ich darf zitieren, was Gerhard Schröder über die Poli-tik der sozialistischen Regierung in Frankreich gesagthat: Die Wahlkampfversprechen des französischen Prä-sidenten werden sich an der ökonomischen Situationbrechen. Wenn es mit der Refinanzierung der Schuldenschwierig wird, bekommt Frankreich echte Probleme. –Auch das wurde in Frankreich als zu drastisch empfun-den. Diese Woche hat jedoch die zweite RatingagenturFrankreichs Kreditwürdigkeit herabgestuft.Die Franzosen warten auf den Mitterrand-Moment ih-rer neuen Administration. François Mitterrand brauchtezwei Jahre, bis er die wirtschaftlichen Realitäten akzep-tierte. Bei seinem ersten sozialistischen Nachfolger sinderste Ansätze erkennbar, dass er richtige Maßnahmen er-greift, etwa die Senkung der Unternehmensteuern inFrankreich. Europa braucht ein starkes Frankreich,Deutschland braucht ein starkes Frankreich. Deutsch-land und Frankreich sind gute Partner und Freunde. Des-halb wünschen wir unseren französischen Nachbarn,dass sie bald die Kraft haben, die richtigen Entscheidun-gen zum Erfolg hin zu treffen.
Wenn wir in andere Regionen der Welt schauen, sollteuns bewusst werden, wie viel Glück wir in Europa undmit Europa haben. Europa ist eine Friedens- und Wohl-standsgemeinschaft. Die Kanzlerin hat auf die Lage imNahen Osten hingewiesen. Dort kann man sehen, wieMenschen leiden müssen, wenn das friedliche Zusam-menleben immer wieder infrage gestellt wird. Ich teiledie Sorgen der Bundeskanzlerin und des Bundesaußen-ministers zur Lage im Nahen Osten. Die Bilder, die unstäglich über die Medien, das Fernsehen erreichen, sindbedrückend.Israel hat das Recht, sich der Gewalt der Hamas-Ra-keten entgegenzustellen. Israel hat das Recht, sein Landund sein Volk zu verteidigen. Israels Regierung handeltzum Schutz ihrer Bürger; es ist die Reaktion auf die Ra-keten der Hamas.Diese terroristischen Angriffe von radikalen Islamis-ten stellen – das sollten wir nicht vergessen – auch un-sere Werte der Freiheit infrage. Wir müssen alle ein Inte-resse daran haben, dass diese Zusammenhänge von Todund Zerstörung besprochen werden.Die Bundesregierung setzt auf Verhältnismäßigkeitund Deeskalation. Der Bundesaußenminister war geradezu Vermittlungsgesprächen, zu Sondierungsgesprächenin Israel, in Palästina. Er führt auch in Kairo Gespräche.Ägypten ist ein wichtiger Faktor. Ägypten hat Einflussauf die Führung in Gaza. Präsident Mursi hat bisher sehrverantwortlich gehandelt. Wir wünschen uns von ihm,dass er seinen Einfluss geltend macht. Ein Stopp des Ra-ketenbeschusses ist eine notwendige Bedingung für eineWaffenruhe. Wir müssen alles in unserer Macht Ste-hende tun, damit dieser Konflikt nicht eskaliert. Es darfkeinen Flächenbrand in dieser Region geben.
Im Moment findet das fast schon traditionelle Ringenum den europäischen Gesamthaushalt für die nächstensieben Jahre statt. Die meisten Geberländer, wie Deutsch-land, haben ein Angebot gemacht, das vernünftig undausgewogen ist. Dabei geht es grob gesprochen um1 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts.Großbritannien ist ausgeschert. Übrigens hat das zumGroßteil die Schwesterpartei der SPD, die Labour Party,zu verantworten. Der britische Premier wäre mit einemEinfrieren des Finanzrahmens zufrieden gewesen. DasUnterhaus verlangt wegen der Labour Party eine Kür-zung. Wo war da eigentlich der Kanzlerkandidat derSPD? Wo war da Sigmar Gabriel, der sonst an jederEcke die Sozialistische Internationale hochhält? KeinTon war von Ihnen zu vernehmen. Ihre Schwesterparteischwenkt zu den Euro-Skeptikern über. Sie hat die Fron-ten gewechselt, und von der SPD gibt es keine Reaktionzur veränderten Position der Labour Party Großbritan-niens.
Dass manche Nehmerländer, wie Polen, mehr wollen,ist verständlich. Sie haben das Argument: Wir müssen40 Jahre des Eisernen Vorhangs aufholen und sind aufeinem guten Weg. – Hier sollte die Europäische Kom-mission ein Makler zwischen den Interessen sein. Aberdiese Rolle ist im Moment nicht wirklich erkennbar. Zu-dem soll die Kommission eine gewisse Vorbildfunktioneinnehmen.Günter Verheugen hat letzte Woche erklärt, dass auchdie Kommission ein Zeichen der Haushaltskonsolidie-rung setzen sollte. Alle nationalen Regierungen, auchDeutschland, schnallen den Gürtel enger. Da kann dieKommission nicht übermäßig draufsatteln. Verheugenhat auch gesagt – ich zitiere –:Europa wird nicht untergehen, wenn wir etwas we-niger Geld ausgeben, als die Kommission vorge-schlagen hat.Ich bin dem Ratspräsidenten Van Rompuy dankbar.Er hat sehr diskussionswürdige Vorschläge, etwa auchzum Agrarbereich, gemacht. Man muss allerdings fra-gen, warum die regionale Strukturpolitik europäisch ist,eine gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik aber nurin Umrissen erkennbar ist. Unser Außenminister und un-ser Verteidigungsminister, Westerwelle und de Maizière,arbeiten hart daran, dass sich da etwas ändert. Das ist
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Rainer Brüderle
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richtig so. Will Europa im Konzert der Weltmächte mit-spielen, dann darf es sich nicht nur währungspolitischstark aufstellen, sondern muss dies auch in diesen Fel-dern tun. Europa muss sich außen- und sicherheitspoli-tisch europäisieren. Das ist ein langer Weg. Da geht essicherlich um Jahre, vielleicht auch um Jahrzehnte. Aberohne eine gemeinsame Armee, ohne eine gemeinsameAußenpolitik wird die europäische Integration nach mei-ner Überzeugung nicht gelingen.Deutschland geht es gut, besser als den meisten Län-dern auf der Welt. Deutschland ist die viertgrößte Volks-wirtschaft der Welt. Bei der Wettbewerbsfähigkeit liegtDeutschland auf den vorderen Plätzen. Deutschland istein sicherer Hafen des Wohlstands. Seit drei Jahren stei-gen die Reallöhne. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Das giltauch für die Jugendarbeitslosigkeit und die Langzeit-arbeitslosigkeit. Die Kinderarmut ist zurückgegangen.Zu dieser guten Bilanz haben viele beigetragen: fleißigeMenschen, erfolgreiche Unternehmen, vernünftige So-zialpartner, aber auch die christlich-liberale Koalition.Die christlich-liberale Koalition hält Deutschland aufKurs.
Wir konsolidieren, wir investieren, wir entlasten.
Drei Jahre früher als vorgeschrieben halten wir dieSchuldenbremse ein. Ohne Zusatzbelastungen von au-ßen hätten wir einen ausgeglichenen Haushalt. Durch dieEinlage in den ESM haben wir europäische Verpflich-tungen übernommen. Wir überweisen den Bundeslän-dern über 10 Milliarden Euro. Vor allem die rot-grüngeführten Länder haben sich die Zustimmung zum Fis-kalpakt teuer bezahlen lassen. Das ist die Realität. Sonsthätten wir schon längst einen ausgeglichenen Haushalt.
Für die rot-grünen Regierungen ging es bei den Ver-handlungen nicht um die Zukunft des Euro, sondern ummöglichst viele Euro für ihre Staatskassen, um ihre Län-derhaushalte aufzuhübschen. Das kann sehr hilfreichsein, wie man an der Situation in Nordrhein-Westfalensieht. Baden-Württemberg hat 3 Milliarden Euro Mehr-einnahmen und 5 Milliarden Mehrausgaben. So siehtgrüne Nachhaltigkeit aus. Da kann man das bewundern.
Die christlich-liberale Koalition hingegen macht dasanders. Die christlich-liberale Koalition macht das bes-ser.
Wir setzen seit Beginn dieser Legislaturperiode aufstrikte Ausgabendisziplin.Wären wir der „Wünsch dir was“-Opposition gefolgt,wären die Ausgaben Jahr für Jahr um Milliardenbeträgegestiegen. Allein für diesen Haushalt hat die SPD Erhö-hungsanträge im Volumen von 7 Milliarden Euro ge-stellt. Kürzungsanträge: Fehlanzeige! Herr Steinbrück,googeln Sie mal! Dann finden Sie noch mehr Ausgaben-wünsche von Sozialdemokraten und keine Beiträge da-für, den Haushalt zu konsolidieren. Googeln machtschlauer – auch Sie mit Blick auf Ihre eigene Partei.
Von den Grünen kommen 6 Milliarden Euro ohne Kür-zungsvorschläge dazu.Rot-Grün will seine Zusatzausgaben anders finanzie-ren.
Sie wollen die Steuern massiv erhöhen.
Kollege Trittin gibt dabei den Möchtegern-Finanzminis-ter. Glauben Sie wirklich ernsthaft, Herr Trittin, dieDeutschen würden Ihnen ihr Geld anvertrauen?
Man kann in den Beschlüssen der Grünen nachlesen,was ein Finanzminister Trittin die Steuerzahler kostenwürde: Erhöhung der Einkommensteuer: 5 Milliarden,Abschaffung des Ehegattensplittings: 3,5 Milliarden,
Einführung einer Vermögensabgabe: zehn mal 10 Mil-liarden,
Erhöhung der Lkw-Maut, Erhöhung der Diesel- bzw.Heizölsteuer, Erhöhung der Steuern für Firmenwagen,Einführung einer Kerosinsteuer: insgesamt 10 Milliar-den Steuerbelastung;
Verdoppelung der Erbschaftsteuer: 4,4 Milliarden, Erhö-hung der Unternehmensteuern: 3,5 Milliarden, Erhö-hung der Mehrwertsteuer: 3,5 Milliarden.Die Kombilösung Trittin/Steinbrück wird teuer. Siekostet uns im Jahr 40 Milliarden Euro. Das ist Ihr Werk.Sie wollen den Leuten das Geld abnehmen, weil Sienicht bereit sind, zu sparen. Sie flüstern das nur; Ihr Par-teitag schaffte die Wahrheit an den Tag.
– Frau Roth, nachdem Sie so degradiert wurden, strahlenSie wieder. Ich freue mich für Sie.
Die Grundsteuer wollen Sie auch erhöhen. Sie wollenFreiberuflern die Gewerbesteuer aufhalsen und eine Bür-gerzwangsversicherung. Das trifft voll den Mittelstand
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Rainer Brüderle
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in Deutschland, das trifft voll die Wirtschaftsdynamik,das trifft voll die Konjunktur.
Ihre Mixtur aus Steuererhöhungen, Umverteilungs-fantasien und staatlichem Dirigismus wäre ein Schrump-fungsprogramm für Deutschland. Das würde uns hintenherunterwerfen. Die Hälfte unserer Erfolge im Exporterzielen wir durch Aufträge für Europa. Sie führen mitIhrer Politik nicht nur Deutschland, sondern auch Eu-ropa in die Rezession.
Die christlich-liberale Koalition macht das anders.Die christlich-liberale Koalition macht das besser. Diechristlich-liberale Koalition entlastet die Bürger.Wir schaffen die Praxisgebühr ab – Entlastung für dieBürger: 2 Milliarden.
Hinzu kommt die Ersparnis der Bürokratiekosten dafür –Entlastung: 350 Millionen Euro.
Wir senken die Rentenbeiträge in einem Volumen von5 bis 6 Milliarden Euro. Wir warten darauf, dass Grün-Rot die unsägliche Blockade beim steuerlichen Existenz-minimum und bei der kalten Progression aufgibt.
Ihre Haltung ist doch schizophren. Sie erklären über-all: „Tut was für die Binnennachfrage“, aber wenn Sieetwas dazu beitragen und mitentscheiden können, sindSie dagegen. Sie wollten auch die Senkung der Renten-beiträge im Bundesrat verhindern. Das wäre gegenRecht und Gesetz gewesen.Das wäre übrigens auch das Verhindern einer zukünf-tigen Rentenerhöhung gewesen. Wenn die Beiträge nichtgesenkt worden wären, dann wäre das nach der Renten-formel so. Ich kann ja noch verstehen, dass Sie uns kei-nen politischen Erfolg gönnen. Aber weshalb wollen Sieden Rentnerinnen und Rentnern nicht das Mehr an Renteermöglichen? Weshalb wollen Sie nicht die Belastungder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer reduzieren?Was haben Ihnen denn die Rentner und die Arbeitneh-mer getan, dass sie von Ihnen so schlecht behandelt wer-den sollen?
Nein, Rentner und Arbeitnehmer haben einen gesetzli-chen Anspruch, und sie haben einen moralischen An-spruch.In Wahrheit wollen Sie von Rot-Grün das Geld vonden Berechtigten halten bzw. haben, um Ihre Idee von ei-ner Einheitsrente voranzutreiben. Das Argument, dassRücklagen gebildet werden sollen, ist an Fadenscheinig-keit gar nicht zu überbieten. Bislang gab es nur eine Re-gierung, die schamlos in die Schwankungsreserve dergesetzlichen Rentenversicherung eingegriffen hat: Daswar Rot-Grün. Sie haben in die Schwankungsreserveeingegriffen.
Sich selbst hier aufzuplustern wie aufgeblasene Maikä-fer, ist zutiefst unredlich.Obendrein haben Sie noch Nullrunden für die Rentne-rinnen und Rentner verhängt. Das alles hätte nicht seinmüssen. Hier an diesem Platz stand Gerhard Schrödermit gespielter Reue und erklärte: Ich habe mich geirrt,
als ich die Rentenreform von Norbert Blüm zurückge-nommen habe. – Jetzt werden die Herren Steinbrück undGabriel die Bundesrepublik wieder in ein rentenpoliti-sches Abenteuer stürzen, wenn sie es können.Die SPD behauptet immer: Ein Arbeitsplatz ist diebeste Versicherung gegen Altersarmut. – Da hat sierecht. Aber wie passt das zu Ihren Rentenplänen? Siewollen in den nächsten Jahren die Beitragssätze dras-tisch erhöhen. Sie wollen bis 2020 den Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmern 90 Milliarden Euro zusätzlichabnehmen. Das kostet 200 000 Jobs. Es ist doch kein gu-ter Weg, erst einmal die Arbeitslosigkeit zu erhöhen, umdann die Altersarmut in der Breite bekämpfen zu kön-nen. Machen Sie es doch gleich richtig, anstatt die Men-schen zu Versuchskaninchen alter sozialistischer Re-zepte zu machen. Das passt nicht mehr.
Die christlich-liberale Koalition macht es anders. Diechristlich-liberale Koalition macht es besser. Wir entlas-ten nicht nur die Arbeitnehmer und die Unternehmen.Wir erhöhen nicht nur die Rente. Wir machen sie auchzukunftsfest. Wir wollen die dritte Säule stärken, die pri-vate Altersversorgung. Die junge Gruppe von CDU/CSU und FDP hat einen guten Vorschlag zu Anrech-nungsfristen bei der Grundsicherung erarbeitet. Das wol-len wir umsetzen.
Wir führen eine Lebensleistungsrente ein. Sie erspartkünftig Rentnerinnen und Rentnern den erniedrigendenGang zum Sozialamt. Sie berücksichtigt aber auch: Wermehr eingezahlt hat, muss auch mehr herausbekommen.Rente ist kein staatliches Almosen; sie ist ein eigentums-ähnlicher Rechtsanspruch der Beitragszahler. Das wirdvon den grün-roten Umverteilern immer wieder ver-drängt. Der Weg in die Einheitsrente ist mit der christ-lich-liberalen Koalition nicht zu machen. Das wollenCDU/CSU und FDP nicht mitmachen.
Die Stromversorger erhöhen im nächsten Jahr massivdie Preise: 10 Prozent und mehr. Auch die StadtwerkeBochum sind dabei; ich will es am Rande erwähnen.
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Rainer Brüderle
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Dreister finde ich die Argumentation der Grünen. DieGrünen präsentieren Jahr für Jahr eine Studie zur Strom-preisentwicklung, die sie selbst in Auftrag geben. Ichwill auf die methodischen Mängel nicht eingehen; mirgeht es um den Strompreispopulismus der Grünen. Siebehaupten: Die Konzerne sind schuld. – Dann frage ichSie: Warum machen Sie da nichts dagegen, wo Sie poli-tische Verantwortung tragen? Die grün-rote Landesre-gierung in Baden-Württemberg ist Großaktionär vonEnBW. EnBW erhöht zum 1. Januar 2013 ebenfalls mas-siv die Preise. Was machen die Grünen dagegen? Nichtsmachen sie! Sie lamentieren nur.
Ihre ehemalige Vorsitzende, Frau Röstel, und andereGrüne nehmen gern die Aufsichtsratstantiemen mit undmachen hier im Plenum Stimmung. Wo ist denn der An-stand, den die Spitzenkandidatin der Grünen und Vize-präsidentin dieses Hauses für sich reklamiert? Wo ist derAnstand der Grünen, wenn es um ihren dreisten Solar-lobbyismus geht?
Herr Trittin hat bei der Einführung des EEG gesagt:Das kostet jeden Bürger nur eine Eiskugel im Monat. –Das ist Arroganz und Ignoranz, die kaum zu überbietensind.
Zur Kritik an den Ausnahmen des EEG für bestimmteIndustriezweige: Wer hat sie denn eingeführt? DieseAusnahmensystematik hat Trittin eingeführt. Die Leutemit dem kleinen Geldbeutel zahlen für die Klientelpoli-tik der Grünen. 300 Milliarden Euro an Subventionenkommen allmählich zusammen. Damit ist die Dimensionder Steinkohlebeihilfe längst überschritten.
– Sie hören nicht zu. – Die vereinigte Linke im Bundes-tag in Deutschland fordert: Wir sollen weniger exportie-ren. – Sie nennen das verschwiemelt: Reduzierung derLeistungsbilanzüberschüsse. – Es geht um Hunderttau-sende Arbeitsplätze in der deutschen Exportindustrie.Die Welt beneidet uns um unsere Chemieindustrie, Au-tomobilindustrie, Maschinenbauer und Mittelständler.Aber was schlägt die Opposition vor? Sollen wir inDeutschland eine Abwrackprämie einführen, damit dieFranzosen mehr Absatz haben? Sollen wir schlechterwerden, oder sollen die anderen besser werden?Es war auch die Forderung nach Ausweitung derKurzarbeiterregelung zu hören. Meine Damen und Her-ren, wir haben derzeit 40 000 Arbeitnehmer in Kurzar-beit. Das ist nicht schön, aber es ist doch nicht – der Kol-lege Steinbrück hat einen Vergleich zwischen demKoalitionsausschuss auf dem Höhepunkt der Krise unddem Koalitionsausschuss heute gezogen – mit den1,2 Millionen Kurzarbeitern vergleichbar, die wir 2008hatten.Wer jetzt Panik schürt, betätigt sich als Angstverstär-ker. Ich halte das für unverantwortlich.
Genauso unverantwortlich ist es, Vermögenswerte inHöhe von 100 Milliarden Euro vergesellschaften zu wol-len, wie Herr Kollege Trittin es tut. Man darf auch nichtan die Substanz der Unternehmen herangehen. Nein, diechristlich-liberale Koalition, Bewahrer von Wohlstandund Freiheit, nimmt nicht den Menschen ihr Vermögenweg.Rot-Grün bedeutet Massenarbeitslosigkeit und Wohl-standsverluste. Sie haben 5 Millionen Arbeitslose hinter-lassen. Wir haben das geändert und kräftig verbessert.
Deshalb hat Deutschland eine gute Regierung. Wir set-zen alles daran, dass wir mit der bürgerlichen Regierungvon CDU/CSU und FDP diese erfolgreiche Politik fürDeutschland und Europa fortsetzen und Ihre Experi-mente in der Schublade bleiben.Vielen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun
der Kollege Jürgen Trittin das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LieberKollege Brüderle, ich bin Ihnen dankbar. Sie haben IhreRedezeit dafür verwendet, das grüne Programm vorzu-stellen. Das hilft uns.
Ansonsten kann ich Ihnen nur eines sagen: Mir ist je-mand lieber, der etwas lernt. Deswegen ist mir PeerSteinbrück mit seiner Lernkurve lieber als Ihr Dauerauf-enthalt in einer pfälzisch genuschelten Lärmkurve.
Frau Bundeskanzlerin, Sie sind seit sieben JahrenKanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Sie berufensich dabei gerne auf Konrad Adenauer. KonradAdenauer hat einmal gesagt: „Ich sage immer die Wahr-heit, aber nie die ganze.“
Sie haben dieses rheinische Motto zur Überschrift Ih-rer Europapolitik gemacht. Sie sagen, was die Euro-
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Jürgen Trittin
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Krise angeht, den Bürgerinnen und Bürgern nicht einmaldie halbe Wahrheit.
Sie haben wörtlich gesagt: Was mit mir auf keinen Fallgehen wird, das ist der Weg über die Vergemeinschaftungder Schulden. – Heute haben wir über 200 MilliardenEuro gemeinschaftliche Schulden und Staatsanleihen inder EZB.Heute Morgen präsentieren Sie uns den Vorschlag,statt Griechenland mit einem dritten Hilfspaket zu hel-fen, es mit zusätzlichen T-Bills in Höhe von 9 MilliardenEuro, also weiterer vergemeinschafteter Haftung, zu be-lasten. Das ist Ihre Form des Umgangs mit der Wahrheit.Dabei können Sie sich, glaube ich, nicht einmal mehr aufKonrad Adenauer berufen.
Ihre Strategie der kleinen Schritte und des Zögerns istjetzt sichtbar an ein Ende gekommen. Sie haben daserste Hilfspaket für Griechenland aus Angst vor derLandtagswahl in Nordrhein-Westfalen blockiert.
Jetzt soll Griechenland zwei Jahre mehr Zeit bekommen.Das ist richtig wegen der negativen Effekte, die es gebenwürde, wenn man das nicht machen würde: Man würdedie Rezession in Griechenland verlängern. Man würdenicht sparen, sondern mehr Schulden anhäufen. Aber Siescheuen sich, den Menschen in Deutschland zu sagen,was das heißt. Das heißt, dass es Geld, auch Steuergeld,kosten wird. Dieses Ergebnis versuchen Sie zu verkleis-tern, zu verkomplizieren. Deswegen wollten Sie sich inder vergangenen Nacht nicht mit dem Rest Europas eini-gen.
Das Signal ist doch irre. Wir haben den Griechen im-mer gesagt: Wir sind solidarisch, wenn ihr das umsetzt,was wir mit euch vereinbart haben. – Jetzt bestätigt dieTroika, dass die Griechen ihre Hausaufgaben gemachthaben, und in genau diesem Moment zeigt sich Europahandlungsunfähig, weil es sich über die Fragen nicht ei-nigen kann. Wer ist denn da vertragstreu, die Griechenoder die Europäer? Ich finde, diese Nacht in Brüssel wareine schwarze Stunde.
Sie finanzieren zwischen, Sie legen T-Bills auf, Sie grei-fen auf den EFSF zurück, und Sie greifen auf die EZBzurück, anstatt schlicht und ergreifend zu sagen: Ja, wirmüssen für die Rettung Griechenlands Geld in die Handnehmen.Ich sage Ihnen: Ich verstehe das. Wenn man elf Land-tagswahlen verloren hat, wenn man gerade davor steht,die zwölfte zu verlieren, dann hat man Angst vor denWählerinnen und Wählern.
Aber die Menschen sind weiter. Sie verlieren dieseWahlen, und Sie werden auch die Niedersachsen-Wahlverlieren, nicht wegen der Wahrheit, sondern weil dieMenschen den Eindruck haben, dass ihnen etwas vorge-macht wird. Das wollen sie nicht mehr.
Sieben Jahre sind Sie Bundeskanzlerin. WDR 4 wirbtja mit dem Spruch: Gutes bleibt. – Was bleibt eigentlichvon sieben Jahren Merkel? Krisenmanagement? Neh-men wir einmal die Finanzkrise. Ich zitiere die Bundes-kanzlerin aus dem Jahre 2008. Sie haben gesagt: KeineBank darf so groß sein, dass sie wieder Staaten erpressenkann. – Das war Angela Merkel im Jahr 2008. 2007hatte die Deutsche Bank eine Bilanzsumme von 2 Billio-nen Euro; das ist das Sechsfache des Bundeshaushaltes.Heute – Sie haben sich eben zum Vorreiter der Banken-regulierung ausgerufen –
beträgt die Bilanzsumme der Deutschen Bank 2,1 Billio-nen Euro. Nichts bleibt von Ihren Ankündigungen.
Gibt es eine Schuldenbremse für Banken? Nein. Gibtes jetzt eine Haftung für die Eigner und Gläubiger stattder Verstaatlichung von Bankschulden? Gibt es alsoBail-in statt Bail-out? Nein, das gibt es nicht. Gibt eseine europäische Bankenunion mit einer scharfenAufsicht, einem Bankenrestrukturierungsfonds, finan-ziert aus einer Bankenabgabe? Nein. Sie blockieren dasInkrafttreten genau dieser Bankenunion zum 1. Januar.
Krisenmanagement – es wird so weitergemacht wievor der Krise: mit möglichst wenig Eigenkapital mög-lichst viel Geld hebeln, und wenn es schiefgeht, springtder Staat schon ein. Dann reden Sie davon, wir hätten esbloß mit einer Staatsschuldenkrise zu tun. Diese „Nur-Staatsschuldenkrise“ bringt zurzeit das historischeFriedensprojekt Europa in ernste Gefahr. Der Zusam-menhalt Europas ist gefährdet. Dass Europa noch nichtauseinandergebrochen ist, liegt nicht am Krisenmanage-ment der Bundeskanzlerin, sondern an unseren europäi-schen Partnern, an der EZB, am IWF, die Sie letztend-lich gezwungen haben, immer wieder das zu tun, wasnötig ist – aber in der Regel zu spät, und zu spät heißtimmer zu teuer.
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Sie haben damit aber eines geschafft – und das ist langevor Ihnen keiner Bundesregierung gelungen –: DasAnsehen Deutschlands bei der G 20, innerhalb Europasund das Ansehen international war noch nie so schlecht.Noch nie waren wir in einer Frage dermaßen isoliert wieunter Ihrer Kanzlerschaft. Was von sieben Jahren Merkelbleibt, ist ein gewaltiger Ansehensverlust Deutschlandsauf internationaler Ebene.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Man musssparen, man muss reformieren, und man muss als Kredit-geber auch Bedingungen stellen. Aber machen wir unsdoch nichts vor: Griechenland und Spanien haben schonlange kein Ausgabenproblem mehr. Sie haben gespart,dass es kracht. Griechenland hat in den vergangenen dreiJahren jedes Jahr 4,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistungeingespart, Spanien allein im Jahr 2012 6 Prozent. – Nureinmal am Rande bemerkt, Frank: Bei der Einführungvon Hartz IV war es nicht einmal 1 Prozent der Wirt-schaftsleistung. – Das heißt, Ihr dauernder Appell, dieseStaaten sollten sparen, zielt völlig daneben. Sie habenein Einnahmeproblem, und dieses Einnahmeproblemkann man lösen. Aber dazu bedarf es eines gemeinsameneuropäischen Handelns. Wir brauchen endlich einen ge-meinsamen Steuerpakt für Europa, damit Reeder und an-dere ihre Steuern bezahlen und wir nicht hinterher finan-zieren, dass Leute ihr Geld aus Griechenland abziehen.
Was machen Sie? Sie torpedieren alle Anstrengungenzu einer gemeinsamen Politik, zum Beispiel im Kampfgegen Steuerhinterziehung. Sie schließen ein bilateralesAbkommen mit der Schweiz mit dem Ergebnis, dass dieBemühungen zur Umsetzung der entsprechenden Richt-linie in Europa ins Stocken kommen. Jetzt wollen Sieuns allen Ernstes verkaufen, dass die UBS und die CreditSuisse für uns die Steuern bei den Vermögenden eintrei-ben. Firmen, gegen die deutsche Staatsanwälte wegenBeihilfe zur Steuerhinterziehung ermitteln, sollen alsodie Steuern einziehen. Wissen Sie, woran mich das erin-nert? Das kommt mir so vor, als würden Sie den Schutz-gelderpresser von der Mafia damit beauftragen, gleichauch noch die Gewerbesteuer einzutreiben.
Außerdem haben Sie hier gesagt, Sie seien für Wachs-tum. Warum wollen Sie denn dann die im mehrjährigenFinanzrahmen derzeit vorgesehenen Ausgaben um100 Milliarden Euro kürzen? Warum wollen Sie mittenin einer schweren Rezession im Süden Europas die In-vestitionsfähigkeit dieser Staaten auf diese Weise unter-minieren? Wohin diese Kürzung führt, sieht man ja andem Vorschlag der zypriotischen Präsidentschaft und andem Vorschlag von Herman Van Rompuy. Wo wird denneingeschnitten? Eingeschnitten wird bei Forschung,gespart wird bei Innovation, und zusammengestrichenwerden die Connecting Europe Facilities. Es wird alsodort gespart, wo Wachstum entstehen kann. Gleichzeitigerhält und konserviert man die alten Strukturen einerüberalterten und veralteten Agrarpolitik.
Strukturen zu konservieren und Wachstum zu blockie-ren, ist das Falscheste, was man in einer solchen Situa-tion machen kann.Ich sage Ihnen: Wir haben miteinander etwas anderesvereinbart. Wir haben uns zwar nicht über die Höheverständigt. Das stimmt; da waren wir im Dissens. AberSie haben mit uns, mit der Opposition, gemeinsambeschlossen, dass es klare Prioritäten geben soll – fürWachstum, für Investitionen im mehrjährigen Finanzrah-men in Innovation und in die energetische Infrastruktur.Genau da wollen Sie jetzt kürzen. Sie sind wortbrüchig,Frau Bundeskanzlerin.
Es bleibt noch etwas von sieben Jahren Ihrer Kanzler-schaft. Sie raten dem Rest Europas immer, zu sparen.Frau Bundeskanzlerin, in den sieben Jahren Ihrer Kanz-lerschaft wuchsen die Staatsschulden in Deutschland umein Drittel, um 500 Milliarden Euro, also eine halbe Bil-lion. Sie haben allen Sparsamkeit gepredigt. Gleichzeitighaben Sie in diesem Zeitraum die gesamtstaatlicheVerschuldung von 63 Prozent – damit waren die Maast-richt-Kriterien fast eingehalten – auf im nächsten Jahrüber 84 Prozent gesteigert. Wenn auch nicht viel vonIhrer Kanzlerschaft bleibt: Dieser Haufen Schuldenbleibt für kommende Generationen. Er bleibt sehr lange.
Sie haben auch von Gerechtigkeit und von Teilhabegesprochen. Nun, die ganze Rabulistik über die Statistikkann über zwei Dinge nicht hinwegtäuschen. Wir habenlange Zeit Reallohnrückstände gehabt; jetzt erfolgt nurein mäßiges Aufholen. Gleichzeitig war der Besitz, dasVermögen, in Deutschland noch nie so ungerecht verteiltwie heute. Gleichzeitig müssen Kommunen zur Erfül-lung gesetzlicher Aufgaben mittlerweile Kassenkreditein einer Größenordnung von 50 Milliarden Euro allein indiesem Jahr aufnehmen. In dieser Situation streiten Siedafür, die öffentliche Hand um noch einmal 6 MilliardenEuro zu erleichtern. Das ist unverantwortlich. Das hatübrigens auch nichts mit der kalten Progression zu tun.
Von diesen 6 Milliarden Euro würden übrigens 5 Mil-liarden, 83 Prozent, der oberen Hälfte der Einkommens-bezieher zugutekommen und nicht der unteren Hälfte.Sie planen Steuergeschenke auf Pump für Leute, die dasnicht brauchen.Was vernünftig wäre, wäre in der Tat, das steuerfreieExistenzminimum anzuheben, und zwar stärker, als Siees wollen. Wir sind dazu gerne bereit. Aber wir sagen:Das muss man solide gegenfinanzieren, zum Beispieldurch die Anhebung des Spitzensteuersatzes. Dann
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entlasten Sie alle mit einem Jahreseinkommen unter60 000 Euro und lassen dafür diejenigen bezahlen, diemehr als 80 000 Euro verdienen. Das ist gerecht, und dasist finanziell verantwortbar.
Was also bleibt von sieben Jahren Merkel, ist einschamloser Klientelismus,
von der „Mövenpick-Steuer“ bis hin zum Betreuungs-geld, einem Schnäppchen für die Versicherungswirt-schaft. Das Betreuungsgeld ist das, was die CSU beim„Schrottwichteln“ am 4. November 2012 – Sie haben esKoalitionsausschuss genannt – bekommen hat.
Aber, meine Damen und Herren, das hilft nichts. Esschafft keine bessere Bildung. Wir müssen in Deutsch-land den Zustand überwinden, dass, wer einmal arm ist,arm bleibt, und dass, wer einmal reich ist, das ebenfallsbleibt, und die Mittelschicht zerbröselt. Was haben Siean diesem Zustand geändert? Nichts. Dabei liegen dieGegenmittel auf der Hand: bessere Bildung von Anfangan; eine Frauenpolitik, die die gläserne Decke einreißtund dafür sorgt, dass das begabtere Geschlecht den Wegnach oben überhaupt gehen kann; eine Frauenquote; eineArbeitsmarktpolitik, die sich an den Stärken der Men-schen orientiert, sie aktiv fördert. Was machen Sie? Siekürzen die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik.Was von sieben Jahren Merkel bleibt, ist, dass Sie dasgroße Versprechen der sozialen Marktwirtschaft bre-chen, das Versprechen, dass der Fleißige nicht derDumme ist, sondern den Aufstieg schaffen kann, dass esChancengleichheit gibt. Unter Ihrer Kanzlerschaft istdiese Gesellschaft undurchlässiger geworden. Sie gehenschludrig mit dem Erbe von Ludwig Erhard um.
Nächste Woche wird die Klimakonferenz in Dohastattfinden. Ich bin nicht optimistisch, was ihrenAusgang angeht. Der Trend, dass immer mehr CO2 aus-gestoßen wird – wir liegen mit 800 Millionen TonnenCO2-Ausstoß übrigens weltweit immer noch aufPlatz sechs –, wird nicht gebrochen werden. Das hat et-was damit zu tun, dass in Doha Europa nicht mehr dieRolle des Antreibers spielt. Warum tut Europa das nichtmehr? Das tut Europa deswegen nicht, weil es vonDeutschland gebremst wird. Es ist diese Bundesregie-rung, die blockiert, dass es ein europäisches Klima-schutzziel von minus 30 Prozent im Jahr 2020 gibt. Siesind es, die verbindliche Energieeffizienzziele blockie-ren. Sie blockieren regelmäßig jeden Versuch ambitio-nierter Verbrauchsobergrenzen für Spritfresser. Ich frageSie: Wie viele von den ökologisch schädlichen Subven-tionen in Milliardenhöhe haben Sie in den sieben JahrenIhrer Kanzlerschaft abgebaut? Keinen einzigen Euro. Siehaben diese Subventionen ausgebaut.
Sie haben sie ausgebaut, indem Sie aus dem Erneuer-bare-Energien-Gesetz eine Subventionsmaschine fürSchlachthöfe und Pommesfabriken gemacht haben. Siehaben die ökologisch schädlichen Subventionen hoch-getrieben, indem Sie die Netzumlage nutzen, um Bank-rechenzentren und Golfplätze zu finanzieren.
All das wird von den Verbraucherinnen und Verbrau-chern bezahlt. Ich sage Ihnen eins, weil Sie gerade soschön gelacht haben: Diejenigen, die von den Strom-netzgebühren nicht befreit sind – etwa die Hälfte derenergieintensiven Unternehmen sind mittlerweile vonder Stromsteuer befreit –, zahlen die Rechnung für IhreSubventionspolitik. Das sind nicht die großen, das sinddie kleinen und mittelständischen Unternehmen, dieHandwerker in diesem Lande. An denen halten Sie sichschadlos.
Nein, meine Damen und Herren, sieben Jahre Merkelwaren sieben verlorene Jahre für dieses Land.Frau Merkel, Sie simulieren gerne, Sie seien in derMitte. Das ist ein Irrtum. Man steht nicht in der Mitte,nur weil man zwischen „Crazy Horst“ und RainerBrüderle steht.
Die Mitte Deutschlands liegt ganz woanders. Acht vonzehn Deutschen wollen eine neue Wirtschaftsordnung,die Ressourcen schont und für sozialen Ausgleich sorgt.89 Prozent der Deutschen finden die Einkommensunter-schiede zu groß. 76 Prozent wollen einen Mindestlohn,80 Prozent die Gleichstellung der Homo-Ehe. Das istDeutschlands Mitte. Wer sich aus dieser Mitte aus-schließt, der steht nicht in der Mitte, sondern rechts vonder Mitte.Sie haben über sieben Jahre einen Mindestlohn undFrauenquoten blockiert. Sie haben sieben Jahre einenwirksamen Staatsschuldenabbau blockiert. Sie verhin-dern seit sieben Jahren ambitionierten Klimaschutz. Siesind eine Dagegen-Kanzlerin. Einen Wandel zu Gerech-tigkeit, zu Teilhabe, zu einer offenen Gesellschaft, zuKlimaschutz und Energiewende wird es erst geben,wenn Sie in der Opposition sitzen, und das wird abnächstem September so sein.
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Das Wort hat der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion, Volker Kauder.
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Trittin, esist schön gewesen, dass Sie uns an einen richtigen Satzerinnert haben, nämlich: Was gut ist, bleibt. – Ich sageIhnen: Deswegen bleibt Angela Merkel Kanzlerin derBundesrepublik Deutschland.
Wir beraten heute den Bundeshaushalt 2013. Dass wirin diesem Bundeshaushalt zu einem guten Ergebniskommen, hängt auch damit zusammen, dass wir inDeutschland eine stabile, gute wirtschaftliche Situationhaben. Herr Trittin, es gehört schon ein Gutteil anChuzpe oder Vergesslichkeit dazu, sich hier hinzustellen– das gilt auch für den Kollegen Steinbrück – und daranzu erinnern, was man alles machen wolle, wenn man andie Regierung kommt. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir ha-ben den Schrott aufräumen müssen, den Sie von Rot undGrün in diesem Land hinterlassen haben.
Es gibt aber eine Langzeitfolge. Einen Großteil der ho-hen Arbeitslosigkeit und der Neuverschuldung habenwir zurückführen können durch eine kluge Politik imRahmen der Großen Koalition. Aber eines bleibt, HerrKollege Steinbrück und Herr Kollege Trittin: Es war dieRegierung, die Sie damals als Koalition getragen haben,die in Europa das größte Chaos mit bleibenden Schädenangerichtet hat, indem sie die Stabilitätskriterien außerKraft gesetzt hat.
Jetzt hierher zu kommen und Sprüche zu machen, wie esin Europa weitergehen soll, ist der absolute Hammer.Wenn man sich ansieht, was Sie in Ihrer Regierungszeitangerichtet haben, dann würde das ausreichen, Sie fürviele Jahre von einer neuen Regierung auszuschließen.
Darüber werden wir in den nächsten Monaten reden.Es geht auch gar nicht, Herr Kollege Trittin, sich hierhinzustellen und der Bundesregierung zu sagen, manhätte noch mehr sparen können. Ich sage: Wir sind froh,dass wir die Schuldenbremse in der Großen Koalitiongegen die Stimmen der Linken durchgesetzt haben. Teileder SPD-Fraktion – das weiß ich noch – haben gesagt,wir seien verrückt, eine Schuldenbremse einzuführen,weil das der Politik die Gestaltungsmöglichkeiten neh-men würde.
Nun haben wir die Schuldenbremse; vereinbart ist sie für2016, erreichen werden wir sie 2013.Der Bundesfinanzminister weist regelmäßig daraufhin, dass die Absenkung der Staatsverschuldung und dieEinhaltung der Schuldenbremse nicht ausschließlichAufgabe des Bundes ist, sondern aller Institutionen indiesem Land. Da kann man sich als Grüner oder als Mit-glied der SPD nicht davonstehlen, wenn in Baden-Würt-temberg seitens der neuen Regierung der bemerkens-werte Satz fällt: Zunächst müssen wir noch einmalrichtig Schulden machen, damit wir danach sparen kön-nen. – Was ist denn das für eine Politik in heutiger Zeit?
Wir sagen: Wir müssen sparen und weniger Schuldenmachen. Sie müssen Ihrem grünen HoffnungsträgerKretschmann einmal sagen, dass er die Zeichen der Zeitnicht verstanden hat.Es ist schon merkwürdig, dass gerade bei einer Partei,die das Wort „Nachhaltigkeit“ ständig im Munde führt,bei der Umwelt und allen anderen möglichen Bereichen,dann, wenn es wirklich um Nachhaltigkeit geht, nämlichdarum, die Schulden nicht weiter ausufern zu lassen,sondern sie zurückzuführen, um Chancen für die jungeGeneration zu schaffen, das Programm „Nachhaltigkeit“auf einmal zu einem Schuldenaufwuchs führt, und das ineiner Zeit, in der wir alle große Steuereinnahmen haben.Da kann ich nur sagen: Es sind die grün-rot und rot-grünregierten Bundesländer, die noch viel vor sich haben,wenn sie das erreichen wollen, was wir mit dem Bundes-haushalt 2013 erreichen werden.
Wir haben auch einen Fehler von Grün-Rot bzw. Rot-Grün korrigiert, die den Kommunen in diesem Landenorme Kosten aufgehalst haben. Es ist geradezu einTreppenwitz, wenn sich hier Vertreter der Oppositionhinstellen und darüber sinnieren, dass sich unsere Kom-munen in einer schweren finanziellen Lage befinden. Siehaben den Kommunen damals mit einem einzigen Ge-setz – insgesamt waren es noch viel mehr – mehr als5 Milliarden Euro auf die Haushalte gedrückt, indem Siedie Grundsicherung für Ältere bei der Einführung denKommunen angelastet haben. Wir nehmen das jetzt zu-rück. Sich aber hier hinzustellen und zu sagen: „DieKommunen müssen entlastet werden“, ist wirklich einWitz. Sie haben die Kommunen in größtem Maße belas-tet. Dies nehmen wir nun zurück. Deswegen kann ichnur sagen: Was Sie hier machen, ist absolut unredlich,Herr Kollege Trittin.
Gehen wir einmal einen Schritt weiter; das hat allesmit dem Haushalt zu tun. Reden wir einmal über das,was Wolfgang Schäuble gestern angesprochen hat, näm-lich das Steuerabkommen mit der Schweiz. Ich bin eini-germaßen überrascht, wenn ich höre, dass wichtige Ge-setzgebungsvorhaben, die sich entlastend für fast alleBürgerinnen und Bürger in unserem Land auswirken,nicht im Bundesrat beschlossen werden können, weil dieBundesländer – allen voran Nordrhein-Westfalen – mei-nen, sie könnten auf Steuereinnahmen nicht verzichten.Dass Nordrhein-Westfalen nicht darauf verzichten kann,kann man nachvollziehen; denn dort ist der Weg, den
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Baden-Württemberg jetzt geht, schon eingeschlagenworden: neue Schulden bis zur Verfassungswidrigkeitihres Haushalts.
Wenn es aber so ist, dass die Länder sagen, sie könntenVorhaben nicht auf den Weg bringen, die wichtig sind– die im Übrigen auch den Grünen wichtig sind –, zumBeispiel die energetische Gebäudesanierung, dann kannich nicht verstehen – außer es handelt sich um ganz bil-lige parteipolitische Taktik –, warum man das Angebotdes Bundes nicht annimmt, mehrere Milliarden Euro, dieeigentlich dem Bund zustehen würden, den Ländern undGemeinden zu geben, um die Maßnahmen umsetzen zukönnen. Man müsste nur das Steuerabkommen abschlie-ßen.Herr Trittin, wir sind uns einig – auch der KollegeSteinmeier, davon bin ich felsenfest überzeugt –, dasswir es für richtig halten, das Gebäudesanierungspro-gramm jetzt umzusetzen, und dass wir es für falsch hal-ten, bei der KfW Mittel zu mobilisieren, weil wir somehr Geld ausgeben müssten als bei einer steuerlichenFörderung. Das wissen Sie alles. Sie trauen sich nurnicht, Ihren Ländern zu sagen: Jetzt gebt euch mal einenRuck. – Ich fordere Sie auf: Geben Sie sich einen Ruckund veranlassen Sie, dass die Länder und Kommunendie 3 bis 4 Milliarden Euro mehr erhalten können, dieWolfgang Schäuble ihnen zugesagt hat. Ich finde es un-erträglich, sich hier hinzustellen, über die Situation derKommunen zu klagen und dann das Geld, das ihnen an-geboten wird, nicht anzunehmen.
Ich muss Ihnen einmal klar sagen: Das ist Heuchelei. Sokönnen wir nicht miteinander arbeiten.
Herr Trittin, gestern riefen Sie mir, während WolfgangSchäuble sprach, über die Reihen hinweg zu: Wir wollendie gleichen Bedingungen wie Amerika. – WolfgangSchäuble kann Ihnen im Detail erklären, dass wir in un-serem Steuerabkommen mit der Schweiz bessere Bedin-gungen haben als Amerika.
Es gibt nämlich bei dem Abkommen mit Amerika keineRegelung für die zurückliegende Zeit. Wenn Sie einer-seits die gleichen Bedingungen wie Amerika einfordernund sich andererseits hier hinstellen und beklagen, dassnicht alle Fälle, die in der Vergangenheit liegen, aufge-löst werden, dann kann ich nur sagen: Sie brauchen drin-gend Nachhilfeunterricht vom Bundesfinanzminister,damit Sie einmal kapieren, wo der Unterschied zwischenden Abkommen liegt.
Wir bekommen für die in der Vergangenheit liegendenFälle von der Schweiz eine entsprechende Geldsumme,die wir den Kommunen zur Verfügung stellen wollen.Ich muss auch sagen: Herr Trittin, Sie können sichvielleicht über die Abgeltungsteuer beklagen; aber dieSPD kann es nicht. Herr Kollege Steinbrück, die Abgel-tungsteuer haben wir miteinander vereinbart.
Das Koch/Steinbrück-Papier hat die Voraussetzungendafür geschaffen. Wie haben Sie gejubelt, was Sie allesauf den Weg gebracht haben! Die Abgeltungsteuer führteben zur Anonymität: Sie wird abgezogen, und der Fallist erledigt. Es kann nicht sein, dass man auf einmal, nurweil man Kanzlerkandidat der SPD geworden ist und dieLinken zufriedenstellen muss, nicht mehr wahrhabenwill, was man selber gemacht hat. So weit darf der Ge-dächtnisverlust nicht reichen, Herr Kollege Steinbrück.
Ich kann nur hoffen, dass Vernunft einzieht und derBundesrat mit den Stimmen der von SPD und Grünenregierten Länder jetzt endlich das tut, worauf viele Men-schen, etwa im Handwerk, warten: die Gebäudesanie-rung voranbringen. Ich habe nicht nur in allen Fachzeit-schriften, sondern auch in Vorlagen von Ihnen, denGrünen, gelesen, dass der Gebäudebestand die größteMöglichkeit bietet, Energie einzusparen. Sie haben dafürgesorgt, dass wir da mindestens ein Jahr verloren haben.Das, was Sie hier machen, ist keine wirklich überzeu-gende ökologische Politik; das ist Obstruktion um derParteiinteressen willen, nichts anderes.
Sie können das noch korrigieren; wir sind im Vermitt-lungsverfahren.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir schaf-fen mit diesem Bundeshaushalt die Voraussetzungen da-für, dass wir im Jahr 2014 zu einem strukturell ausgegli-chenen Haushalt kommen. Das ist mehr, als wir zunächsterwartet haben. Dies ist auch Voraussetzung dafür, dasswir als Deutschland unsere Aufgaben und Herausforde-rungen in Europa angehen können. Mit der gigantischenVerschuldung, die Sie uns nach den Jahren der rot-grü-nen Bundesregierung hinterlassen haben, hätten wir garnicht die notwendige Kraft gehabt, all diese Aufgaben zumeistern.Ich glaube, man sollte am heutigen Tage, an dem wirwissen, dass für Griechenland eine Lösung gesucht undin der nächsten Woche sicher auch gefunden wird, nocheinmal deutlich machen, was unsere Auffassung ist undwelche Probleme entstünden, wenn man Ihrem Kursfolgte. Wir haben klar und deutlich formuliert, dass wirsolidarisch sind, dass wir aber verlangen, dass sich indem Land, dem wir Geld geben, Dinge ändern. Das hatnicht einmal Herr Trittin bestritten; denn auch er sagt:Einer, der Kredite gibt, kann und muss entsprechendeAuflagen beschließen. – Um es noch einmal klar unddeutlich zu sagen, damit der Unsinn nicht weitergetrie-ben wird: Wir legen bei der Euro-Rettungspolitik vor al-lem Wert darauf – die Bundeskanzlerin sagt es regelmä-ßig –, dass wir in Europa wettbewerbsfähig werden. Nurwenn Europa wettbewerbsfähig ist, werden wir die He-
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rausforderungen meistern können, die mit einem Wettbe-werb in der ganzen Welt verbunden sind. Deutschlandhat eine solche Wettbewerbsfähigkeit erreicht – auch wirhaben noch das eine oder andere zu tun –; aber andereeben nicht. Wir allein werden es nicht schaffen können,selbst wenn wir wettbewerbsfähig sind, dass Europa denWettbewerb mit der Welt aufnehmen kann. Deswegenmüssen alle mitmachen.Natürlich unterstützen wir unsere französischenFreunde dabei, den Weg konsequent in die richtige Rich-tung zu gehen. Herr Kollege Steinbrück, man kann sichaber nicht an dieses Rednerpult stellen und sagen, dassWettbewerbsfähigkeit notwendig ist, um sich dann mitseinen sozialistischen Freunden zu treffen und denenständig die falschen Ratschläge zu geben. Vielmehrmüssten Sie ihnen sagen: Ihr müsst das nachholen, waswir mit der Agenda 2010 beschlossen haben. Sie dürfensie nicht dabei unterstützen, sozialistischen Irrsinn inEuropa zu verbreiten. – So funktioniert die Sache!
Es gibt einen alten, ganz einfachen Merksatz: Politikbeginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Ich hoffe,dass in Frankreich die Realität sehr bald zur Kenntnisgenommen wird. Gerhard Schröder hat seine Meinungdazu gesagt.Wir wollen natürlich in Europa Wettbewerbsfähigkeiterreichen. Deshalb haben wir den Griechen auch keineSparpolitik verordnet, sondern wir haben gesagt: Esmüssen sich Strukturen ändern. Es wird geholfen, dieVerwaltungskraft von Kommunen zu stärken, die Ver-waltungskraft einer Steuerverwaltung aufzubauen undvieles andere mehr. Das braucht natürlich seine Zeit.Einige Maßnahmen sind bereits erfolgreich umge-setzt. Die Regierung Samaras macht mehr als jedeVorgängerregierung in Griechenland – das wollen wirdurchaus anerkennen –, aber es müssen sich auch dieStrukturen ändern.Ich glaube felsenfest: Durch das, was Sie die ganzeZeit vom Stapel lassen – nach dem Motto „Es muss aufjeden Fall geholfen werden“, Schuldenunion, Euro-Bonds usw. –,
nehmen Sie den Regierungen, die mutig aufgestandensind und gesagt haben: „Wir reformieren“, die Kraft, dienotwendigen Reformen auch durchzuführen.
Wenn Sie einfach nur bedingungslos Geld ausgebennach dem Motto „Es spielt keine Rolle, was es kostet“,dann werden Sie niemanden wirklich motivieren, denharten und schweren Weg zu gehen.Deswegen bin ich dankbar für die Position der Bun-desregierung, dankbar dafür, dass der Bundesfinanz-minister die schwierigen Verhandlungen führt. Ich weiß,dass es sowohl die Bundeskanzlerin als auch der Bun-desfinanzminister nicht immer leicht haben. Man könntesehr schnell der Versuchung erliegen, den Forderungenderjenigen, die gerne umverteilen wollen, nachzugeben.Ich kann nur sagen: Wir werden darauf achten, dass dieGrundsätze von Solidarität und Solidität nicht insRutschen kommen. Das ist der Maßstab für unsere Euro-papolitik.
Wir schauen in diesen Tagen mit Sorge auf die Ent-wicklung im Nahen Osten. Wir alle hoffen, dass die di-plomatischen Bemühungen wirklich tragen und ein Kriegverhindert werden kann. Als die Bundeskanzlerin heuteMorgen darauf verwiesen hat, dass Israel ein Selbst-verteidigungsrecht hat, dass Israel das Recht hat, sichgegen Angriffe zu wehren, kam aus allen FraktionenBeifall, nur nicht von der Linken. Das hat mich einiger-maßen bestürzt. Sie haben ein ungeklärtes Verhältnis zuIsrael, meine Kolleginnen und Kollegen von der Linken,um es sehr vorsichtig zu formulieren.
Wir werden alles tun, was in unseren Möglichkeiten ist– ich bin dem Bundesaußenminister dafür dankbar –, umin dieser schwierigen Situation zu Israel zu stehen. Wirwollen aber auch alles dafür tun, dass eine diplomatischeLösung gefunden wird.Da wir schon bei diesem Thema sind: Ja, Mursi, derägyptische Präsident, leistet dafür einen wichtigenBeitrag. Er wird demnächst, Frau Bundeskanzlerin,Deutschland besuchen.Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass wir– bei allem, was wir an Positivem bei dem sehen, wasMursi jetzt in dem Konflikt im Nahen Osten macht – er-warten, dass er in gleicher Weise auf die Christen inÄgypten zugeht und sie am Verfassungsprozess gleich-berechtigt beteiligt.
Es gibt keine Teilung der Menschenrechte. Was wir inden letzten Tagen gerade aus der verfassungsgebendenVersammlung in Ägypten gehört haben, lässt uns beidiesem Punkt doch manche Sorge haben. Ich bitte sehrdarum, dass auch dies im Gespräch gesagt wird.Wir alle wissen, in welch glücklicher Situation wir le-ben. Vor wenigen Tagen haben wir am Volkstrauertagauf den Friedhöfen daran gedacht, was im letzten Jahr-hundert, einem furchtbaren Kriegsjahrhundert, alles ge-schehen ist – auch durch unser Land, durch Deutschland.Deswegen haben wir allen Grund, uns dafür einzusetzen,dass Gewalt und Krieg keine Mittel der Politik sind.Aber wir haben aus unserer Geschichte auch gelernt,dass Gewalt und Krieg immer dort entstehen, wo es un-gerecht zugeht, wo Menschenrechte – beispielsweise
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Volker Kauder
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auch die Religionsfreiheit – nicht eingehalten werden.Deswegen vergessen wir über all die Debatten, die wirjetzt über den Bundeshaushalt und über Europa führen,nicht, dass dieses Europa mehr ist als ein Europa vonEuro und Cent, sondern dass es eine Werte- und Schick-salsgemeinschaft ist, die wir uns erhalten wollen als einVorbild für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte.
Ich glaube, dass wir mit dem Haushalt, den wir in die-ser Woche verabschieden, einen wichtigen Schritt gehen,um für die junge Generation neue Chancen und Mög-lichkeiten zu eröffnen. Ich wäre froh, wir könnten imBundesrat dadurch, dass wir die Korrektur der kaltenProgression hinbekommen, ein deutliches Zeichen fürdie Menschen setzen.Es mag aus Ihrer Sicht so sein, dass Sie den Spitzen-steuersatz erhöhen wollen. Sie können es sehr gerne ma-chen, das so zu formulieren. Auch ich habe manchenWunsch, den ich jetzt nicht umsetzen kann und deswe-gen in das Regierungsprogramm schreiben werde. Aberjetzt will ich Ihnen einmal eines sagen: Es darf doch dieParteipolitik nicht so weit gehen – das grenzt schon anZynismus –, zu sagen: Weil wir eines unserer Ziele, dieErhöhung des Spitzensteuersatzes, nicht umsetzenkönnen, werden wir den kleinen Leuten die steuerlicheEntlastung nicht geben, die sie verdient haben.
Was ist denn das für eine Arbeitnehmerinnen- undArbeitnehmerpartei? Da brauchen Sie gar nicht so zugrinsen. Das ist unglaublich! Schäbig ist das von derSPD, dass sie an diesem Punkt nicht mitmacht.
Deswegen bin ich froh, dass wir wenigstens eine Sen-kung der Beiträge hinbekommen haben – als ein Beispieldafür, dass wir es ernst meinen damit, die Menschen zuentlasten.Jetzt will ich noch einen letzten Hinweis geben: Siestellen sich hier hin und sagen – auch in verschiedenenVeröffentlichungen –: Es muss die Binnenkaufkraft ge-stärkt werden. – Im Übrigen verstehen wir als Binnen-kaufkraft inzwischen europäische Binnenkaufkraft.Wenn man aber sagt, dass die Binnenkaufkraft gestärktwerden muss, und dann alles dafür tut, dass die Men-schen nicht entlastet werden und nicht mehr Geld imGeldbeutel haben, ist das das glatte Gegenteil von Stär-kung der Binnenkaufkraft.
Sie sollten sich einmal entscheiden, ob Sie hü oder hottwollen. Wir wollen die Binnenkaufkraft stärken undwollen, dass die Menschen von den Lohnerhöhungen,die sie Gott sei Dank jetzt bekommen, etwas mehr in derTasche haben.
Sie verhindern dies aus ideologischen Gründen. Dasalles können Sie den Menschen, die in den nächstenWochen zu ihrem Weihnachtseinkauf gehen, erklären.Wir werden es auf jeden Fall machen. Politik für dieMenschen in diesem Land sieht anders aus als das, wasSie gerade machen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werdendeshalb diesen Bundeshaushalt am Freitag mit den Stim-men der Koalitionsfraktionen verabschieden. Er ist einschönes Signal – das sagen wir immer wieder –: Diechristlich-liberale Koalition hilft, damit es die Menschenjetzt und in Zukunft einfacher haben.
Das Wort hat der Kollege Joachim Poß für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Kollege Kauder, ich finde, dass schäbig heuteMittag oder heute Morgen besonders die Art und Weisewar, wie Sie mit der Wahrheit umgegangen sind.
Das kann man an verschiedenen Beispielen darstellen:Sie reden von Problemen in Baden-Württemberg, die IhrZögling Mappus hinterlassen hat, und lasten das jetztseinem Nachfolger an.
Sie reden von Problemen in Frankreich, die Ihr FreundSarkozy hinterlassen hat, und lasten das seinem Nach-folger an.
Das ist Ihre Methode, Herr Kauder, mit der Wahrheitumzugehen. Damit kommen Sie nicht durch, jedenfallsbei uns nicht. Diese Art von Legendenbildung ist Vor-bereitung auf den kommenden Wahlkampf.Das gilt auch für die anderen Themen. EnergetischeGebäudesanierung: Sicherlich sollten sich die Länder dabewegen, aber die Bundesregierung muss sich in glei-cher Weise bewegen. Wir brauchen einen Kompromiss;
das sage ich Ihnen. Das ist meine persönliche Überzeu-gung. Das sage ich auch den Ländervertretern. Daran ar-beiten wir. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dasswir im Interesse der Sache zu einem Kompromiss kom-men müssen. Auf der Strecke dahin können Sie abernicht eine Seite diffamieren, wie Sie das hier gemachthaben. Das geht nicht, Herr Kollege Kauder.
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Joachim Poß
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Unredlich und fachlich gänzlich daneben – die Kanz-lerin äußert sich gelegentlich in ähnlich unqualifizierterWeise – äußern Sie sich wieder zu den Veränderungendes europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts 2004/2005. Ohne die damaligen Veränderungen – jenseits derpolitischen Hintergründe – hätten wir die heutige Schul-denbremse nicht – die waren nämlich das Muster da-für –, hätten wir in der Großen Koalition zusammennicht relativ erfolgreich die Finanz- und Wirtschaftskrisebekämpfen können. Nur so hatten wir die Möglichkeit,die großen Konjunkturpakete zu schnüren – das war derpräventive Arm –, von denen vor allem die Kommunenprofitiert haben, über die Sie so viel geredet haben.
Nur so war das zu erklären. Inzwischen gibt es sogarwissenschaftliche Ausarbeitungen dazu. Ich habe derenLektüre Herrn Brüderle auch schon einmal empfohlen;ich bitte auch Sie, Herr Kauder, sich vielleicht einmalein bisschen mit den Fakten zu beschäftigen, bevor Sieentweder aus Mangel an Kenntnis oder vorsätzlich dasVolk belügen. Das wäre wirklich zu empfehlen.
Im Übrigen gehört zu einer erfolgreichen Regierung– Frau Merkel hat ja von der „erfolgreichsten Regierungseit der Wiedervereinigung“ gesprochen –,
dass sie – Kollege Meister, Sie sind doch ein integrerMensch; gehen Sie voran! –
den Menschen die Wahrheit sagt. In Sachen Griechen-land und in Sachen „Krise in der Euro-Zone“ haben Sieeben und systematisch die Unwahrheit gesagt,
zumindest getäuscht oder angetäuscht. Das ist Ihre Me-thode. Aber damit scheitern Sie. Ihre Täuschung führtauch zu großen Orientierungsproblemen in den Reihenvon Schwarz-Gelb. Gelegentlich war auch geistige Ver-wirrung festzustellen. Deswegen hat sich der KollegeSchäuble – zumindest hatte ich den Eindruck – heuteMorgen bei seiner Berichterstattung in der SPD-Bundes-tagsfraktion durchaus wohlgefühlt, wegen der sachli-chen Debatte. Ich glaube, er hatte mehr Sorgen, als er zuIhnen in die Fraktion kam, um die Ergebnisse von ges-tern Nacht zu erklären, die nun weiß Gott nicht berühmtwaren.
Man sollte mit so großen Worten wie „erfolgreichsteRegierung seit der Wiedervereinigung“ vorsichtig sein.Frau Merkel hat heute Morgen wieder eine Rede nachdem Motto „Gut geklaut ist halb gewonnen!“ gehalten.Ich meine damit, dass sie sich die Früchte der Politik,der Leistungen oder der Forderungen anderer ans Reversgeheftet hat.
Auch das war bereits Teil Ihrer Vorbereitung für dasnächste Jahr. Auch das lassen wir so nicht durchgehen.Das gilt für das, was sich für die Kommunen getan hat;das gilt für die Beschäftigungssituation, die Sie sich zu-gutehalten.Die Menschen in Deutschland sehen das im Übrigenganz anders als die Regierung; darauf wurde gesternschon hingewiesen. Frau Merkel, Sie führen nicht die er-folgreichste Regierung seit der Wiedervereinigung. Sieführen die Regierung, der aus der Bevölkerung am meis-ten Misstrauen begegnet, weil sie Ihnen jenseits Ihrerguten persönlichen Werte, Frau Merkel, im Prinzipnichts zutraut. Es mag sein, dass Sie vielleicht als Ein-zige aus der Schar, die sich hier darbietet – das will ichnicht näher bewerten –, herausragen. Aber 70 Prozentder Deutschen sagen: Die Regierung Merkel betreibt nurKlientelpolitik. Recht haben diese 70 Prozent.
65 Prozent sagen, die Regierung Merkel kümmere sichnicht um die Zukunftsprobleme. Da haben die 65 Pro-zent ebenfalls recht; denn Sie haben in den letzten dreiJahren überhaupt keine Antworten auf das gefunden,was uns zum Beispiel aufgrund des demografischenWandels bedrängt. Das, was Sie als „Lebensleistungs-rente“ ausgeben, ist ein Treppenwitz. Das ist eine Belei-digung für diejenigen, die ein Leben lang gearbeitet ha-ben; das muss man deutlich sagen.
Sie kommen mit semantischen Antworten, aber ebennicht mit richtigen Problemlösungen.Was bleibt eigentlich als Ergebnis Ihrer Regierungs-arbeit? Kollege Trittin hat gefragt: Was bleibt eigentlichvon der Kanzlerin Merkel nach sieben Jahren? Ich willganz sachlich fragen: Was bleibt eigentlich als Ergebnisder Regierungsarbeit von Schwarz-Gelb? Was bleibt ei-gentlich jenseits von Griechenland-Krise und Euro-Land-Stabilisierung? Sind irgendwo Probleme grundle-gend und umfassend angegangen und nachhaltig gelöstworden? Wohl eher nicht! Was von dieser Regierungbleibt, sind Stichworte wie „Hotelsteuer“, „Betreuungs-geld“ sowie „Inkompetenz“ und „soziale Ignoranz“. Ja,„Inkompetenz“ und „soziale Ignoranz“ sind die Marken-zeichen dieser Bundesregierung und dieser Koalition.Ich vermute, dass so listige Menschen wie HerrBrüderle und andere in den Reihen von Schwarz-Gelbsogar froh sind, dass die Griechenland-Krise und dieStaatsfinanzierungsprobleme im Euro-Raum den Blickauf die umfassende Erfolglosigkeit und den Dauerstreitin der schwarz-gelben Regierung verstellen, dass sichdas alles vielleicht sogar zur Ablenkung eignet. Wir spü-ren aber, dass die Merkel’sche Griechenland- undEuropa-Taktik jetzt an ihr Ende gelangt. Sie, Frau
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Joachim Poß
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Merkel, und die Koalition werden den großen gesell-schaftlichen Herausforderungen auch bei der Pflege oderbei der anwachsenden Altersarmut nicht gerecht. IhrePolitik ist das genaue Gegenteil von Problemlösung undFortschritt. Das gilt zum Beispiel beim Betreuungsgeldoder auch beim von Ihnen organisierten Kahlschlag inder aktiven Arbeitsmarktpolitik.
Wer wie ich aus dem Ruhrgebiet oder auch aus anderenentsprechenden Teilen Deutschlands – egal ob aus Ost-deutschland oder Westdeutschland – kommt und sieht,wie vielen jungen Menschen durch die radikale Strei-chung von Arbeitsmarktmitteln – über 26 MilliardenEuro – Lebenschancen genommen werden, muss sagen:Es ist eine Schande, dass eine christlich-liberale Koali-tion – so nennen Sie sich ja – eine solche Politik vertritt.
Diese Reihe könnte man fortsetzen: gescheiterte Bil-dungsgipfel, Energiewendegipfel und anderes mehr.Das ist sogar von einem konservativen Kommentatoreines Massenblatts kürzlich aufgegriffen worden. Er hatIhnen prophezeit, dass es letzten Endes von allen überSteuern und Abgaben zu tragen ist, wenn Sie – wie aufdem letzten Gipfel – ganz nebenbei Gelder verteilen.Das unterscheidet uns. Wir wollen in der Tat eine höheresteuerliche Belastung von Spitzenverdienern und Ver-mögenden. Wir wollen aber nicht eine höhere Belastungfür alle. Das zeigt deutlich – darüber werden wir imnächsten Jahr sprechen –, was uns unterscheidet. DerSinn für sozialen Ausgleich ist in den letzten drei Jahrenin Deutschland regelrecht unter die Räder gekommen,und das werden wir ändern.
Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Otto Solms
für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich will in der kurzen Redezeit, die ich habe, nur auf ei-nen Zusammenhang hinweisen, nämlich auf den makro-ökonomischen Zusammenhang von Abgaben- und Steu-erbelastungen einerseits und Beschäftigung andererseits.Als wir im Oktober 2009 mit den Koalitionsverhandlun-gen begonnen haben, war unsere größte Sorge: Wieschaffen wir es, diesen Haushalt in Ordnung zu bringen?Die Große Koalition und der damalige FinanzministerPeer Steinbrück hatten uns einen Haushaltsplan mit einerNeuverschuldung von 86 Milliarden Euro übergeben;dies sollten wir verantworten. 86 Milliarden Euro Neu-verschuldung waren für das Jahr 2010 geplant.Wie kommen wir aus dem Debakel heraus? Das wardie zentrale Frage bei den Verhandlungen. Wir habenuns dann entschieden, auf Wachstum zu setzen, weil wirnur durch Wachstum mehr Beschäftigung bekommen.Wie können wir Wachstum beschleunigen? Was könnenwir dafür tun? Wir haben mit dem Wachstumsbeschleu-nigungsgesetz Entlastungen beschlossen. Wir haben imLaufe der Legislaturperiode weitere Entlastungen be-schlossen, insbesondere bei den Sozialabgaben, bei derRentenversicherung. Alles in allem beläuft sich die Ent-lastung – dies hängt noch davon ab, ob Sie beim Abbauder kalten Progression zustimmen – auf einen Betragvon 36 Milliarden Euro.Das hat dazu beigetragen, dass wir diese fantastischeSituation auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland haben,die wir heute feststellen können. Das ist das einmaligeWirtschaftswunder, das wir heute erleben. Ich versteheHerrn Trittin nicht; ich weiß nicht, wo in der Welt er sichherumtreibt. Er hat erzählt, was ihm alles gesagt wird.Überall dort, wo ich hinkomme, fragen mich die Men-schen: Wie schafft ihr das? Wie habt ihr das erreicht?Das ist ja eine unglaubliche Leistung. Überall in Europagehen die Wachstumszahlen zurück, aber in Deutschlandbleiben sie stabil, die Beschäftigung bleibt hoch, und dieArbeitslosigkeit bleibt niedrig.
Das ist die einmalige Erfolgsbilanz dieser Regierung.Sie ist überhaupt nicht wegzudiskutieren; Herr Poß, Siehaben das in Zweifel gezogen. Es ist auch eine entschei-dende sozialpolitische Leistung. Es ist doch unser Anlie-gen, unsere sozialpolitische Aufgabe, allen Menschen,die arbeiten wollen, die ihren Lebensunterhalt selbst ver-dienen wollen, die Möglichkeit dazu zu geben. Die Zahlder Beschäftigten, der Erwerbstätigen, ist heute auf ei-nem Stand, auf dem sie nie zuvor in der Bundesrepublikwar: 41,85 Millionen Beschäftigte. Die Zahl der Arbeits-losen ist um 1,9 Millionen deutlich zurückgegangen,während die Zahl der Beschäftigten um 2,3 Millionengestiegen ist. Das ist doch eine Bilanz, die unvergleich-bar ist, insbesondere wenn Sie sich an die Krisensitua-tion zurückerinnern, die wir 2009 erlebt haben.Ich hätte nie gedacht, dass es in drei Jahren gelingenwürde, den Haushalt auf den Stand zu bringen, auf demwir heute sind. Wir haben im Kernhaushalt quasi eineNullverschuldung, wenn Sie bedenken, dass wir denLändern und Gemeinden etwa 10 Milliarden Euro an Be-lastungen abgenommen haben
und über 8 Milliarden Euro als Eigenkapital für denESM zur Verfügung stellen mussten.
Das heißt auf Deutsch: Wir haben eine riesige Er-folgsbilanz im Haushalt. Wir können heute mit Stolz sa-gen: Wir haben diese Herkulesaufgabe bewältigt. Dieshatte uns niemand zugetraut; wir hatten es uns auchselbst nicht zugetraut. Wir sind heute stolz darauf, dasswir das erreicht haben. Es steht uns auch zu, das in der
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Dr. Hermann Otto Solms
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Öffentlichkeit so zu sagen. Deswegen kann ich Ihnennur empfehlen: Schließen Sie sich dem Erfolg an!
Falls das Unglück geschehen sollte, dass Sie an die Re-gierung kommen, sollten Sie nicht die Gegenstrategie,die Sie heute verkünden, wahrmachen, nämlich denMenschen wieder in die Tasche zu greifen,
die Steuern an allen Ecken und Enden zu erhöhen unddamit die Basis für Wachstum und Beschäftigung wiederzu zerstören.Denken Sie daran, Herr Poß – das wissen Sie genausogut wie ich –, dass die Einkommensteuer die Betrieb-steuer für Personengesellschaften und Einzelkaufleuteist. Wenn Sie die Einkommensteuer erhöhen, dann sen-ken Sie die Investitionsquote des Mittelstandes, unddann legen Sie die Axt an die Beschäftigung in diesemLand.
Deswegen warne ich Sie davor, diese Dummheit zu be-gehen. 2002 haben Sie eine vernünftige Steuerreformgemacht. Erinnern Sie sich daran! Das war erfolgreich.Diese Politik muss fortgesetzt werden. Aber das wirdwohl nur mit der Koalition, die heute regiert, gelingen.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Gerda Hasselfeldt für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Haushaltsdebatten sind normalerweise eine gute Gele-genheit für die Opposition, eigene Vorschläge vorzule-gen, vernünftige, zielführende, zukunftsweisende Alter-nativen aufzuzeigen und zu begründen.
Wenn wir uns die Debatten von gestern und heute vorAugen führen, dann kann man dazu nur sagen: Fehlan-zeige! Diese Chance haben Sie verpasst.
Objektiv betrachtet muss man natürlich sagen: Es istauch nicht so einfach, Alternativen vorzulegen, und zwardeshalb nicht, weil die finanzpolitische, die wirtschafts-politische, die arbeitsmarktpolitische und die soziale Si-tuation in unserem Land eine gute ist; das hat ja sogarHerr Steinbrück heute zugegeben. Das ist das Ergebnisder guten Arbeit der Menschen im Land, einer gutenmittelständischen Struktur und einer wettbewerbsfähi-gen Wirtschaft. Aber, meine Damen und Herren, liebeKolleginnen und Kollegen, das ist auch das Ergebniseiner zukunftsweisenden, einer verantwortungsvollen,einer guten Politik dieser Regierung seit Jahren.
Es geht um die Grundlagen der Finanzen, um einensparsamen Umgang mit den Steuergeldern. Bei dem,worüber wir immer unter dem Stichwort „Haushaltskon-solidierung“ sprechen, geht es ja um nichts anderes alsum einen sparsamen Umgang mit den Steuergeldern, mitdem Geld der Bürgerinnen und Bürger. Da gesagt wurde:„Ihr könntet noch mehr sparen“, will ich von meinerSeite daran erinnern: Zu Beginn dieser Legislaturperiodelag vom Finanzminister aus der Zeit der Großen Koali-tion ein Haushalt mit einer Nettokreditaufnahme von86 Milliarden Euro vor. Heute, drei Jahre später, sind wirbei 17 Milliarden Euro. Das muss uns erst einmal je-mand nachmachen!
Wenn man dann gerade von Herrn Steinbrück hörenmuss: „Es ist noch nicht alles konsolidiert, und man hättedas viel besser machen können“, sollte man an seine Tä-tigkeit als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen erin-nern. Sie dauerte drei Jahre, dann ist er gescheitert. DasErgebnis dieser drei Jahre war eine Erhöhung der Netto-neuverschuldung von etwa 83 Milliarden Euro auf108 Milliarden Euro, also um 25 Milliarden Euro – eineGrößenordnung, die dem damaligen Schuldenstand vongesamt Bayern entsprach. Das heißt, in drei Jahren sind inNordrhein-Westfalen unter seiner Regierung genausoviele neue Schulden gemacht worden, wie sich in 60 Jah-ren in Bayern angehäuft haben.
Meine Damen und Herren, von so einem Menschenmüssen wir uns nicht sagen lassen, wie Haushaltskonso-lidierung geht, wie sparsamer Umgang mit Steuer-geldern geht; das kann doch wirklich niemand ernstnehmen – wir nicht und auch die Bevölkerung nicht.
Sparen, sparsamer Umgang mit Steuergeldern, Haus-haltskonsolidierung, das ist kein Selbstzweck, meine lie-ben Kolleginnen und Kollegen, sondern das machen wiraus Verantwortung für die nachwachsenden Generatio-nen, für unsere Kinder und Enkelkinder, denen wir keineSchulden überlassen wollen, sondern Freiräume zurGestaltung ihres Lebens. Das machen wir aber auchdeshalb, weil uns nicht zuletzt die Staatsschuldenkrise inEuropa lehrt, dass solides Haushalten, solider Umgangmit öffentlichen Geldern die Grundlage ist für ein soli-des Wachstum, für gutes Wirtschaften, für Freiraum dereinzelnen Menschen und dafür, dass es den Menschenim Land und in Europa gut geht. Sparen und Haushalts-konsolidierung stehen bei uns deshalb nicht nur auf demPapier, sondern sind ein wichtiges Anliegen von uns al-len.
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Gerda Hasselfeldt
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Wir schauen da nicht nur auf den Bundeshaushalt.Wir haben in dieser Legislaturperiode in ganz besonde-rer Weise auch auf die Haushalte der Kommunen ge-schaut. Es ist vorhin schon angesprochen worden: Wirgeben den Kommunen im Bereich der Grundsicherungzurück, was Sie ihnen vorher genommen haben.
Rot-Grün hat den Kommunen die Aufgabe der Grund-sicherung übertragen. Wir übernehmen nun diese Ausga-ben, damit die Kommunen Freiraum bekommen.
Die gleiche Unterstützung lassen wir den Kommunenbei der Kinderbetreuung angedeihen. Ich sage ganz be-wusst – gerade auch für die CSU –: Der Ausbau der Kin-derbetreuungsstätten für unter Dreijährige ist uns einganz großes Anliegen. Das zeigt sich an der hohen Be-teiligung des Bundes an den Ausbaukosten und den Be-triebskosten, obwohl dafür eigentlich nicht der Bund zu-ständig ist, sondern die Länder und Kommunen. Daszeigt sich insbesondere an Bayern: Dort ist die Dynamikdes Ausbaus der Kinderbetreuungsplätze für unter Drei-jährige größer als in allen anderen Bundesländern. Übri-gens ist in Bayern auch die Erwerbstätigkeitsquote derFrauen am höchsten – was uns von vielen gar nicht zu-getraut wird. Wie ich jetzt gelesen habe, hat man auchmir persönlich manches in meinem Leben gar nicht zu-getraut; das will ich aber nur am Rande erwähnt haben.
In Bayern liegt der Ausbaustand der Kinderbetreu-ungsplätze für unter Dreijährige schon weit über demStand, der im Bundesdurchschnitt angestrebt ist: Wir ha-ben nämlich für mehr als 40 Prozent der Kinder unterdrei Jahren Betreuungsplätze. Und das in einem Landmit einer Partei in der Regierung, die gerade in den letz-ten Monaten an dem wichtigen Projekt Betreuungsgeldfestgehalten hat! Damit machen wir deutlich: Wir brau-chen beides.
Wir setzen uns für beides ein, für den Ausbau der Kin-derbetreuungsstätten genauso wie für das Betreuungs-geld, und zwar deshalb, weil wir Ja zur Kinderbetreuungsagen, Ja auch zu Kinderbetreuungseinrichtungen sagen,aber Nein zu staatlicher Bevormundung in der Erzie-hung. Das ist der wesentliche Unterschied zu Ihnen.
Entlastung im öffentlichen Bereich, Haushaltskonso-lidierung, das ist die eine Seite. Schwerpunktsetzungenbei den Familien, in der Bildung, in der Forschung, beiInnovationen, bei allem, was mit Investitionen zu tunhat, das ist die zweite Seite. Das, meine Damen und Her-ren, ist letztlich der Markenkern dieser Regierung: einenachhaltige Finanzpolitik, eine Finanzpolitik, die ge-prägt ist auf der einen Seite vom sparsamen Umgang mitSteuergeldern und auf der anderen Seite von der Förde-rung von Wachstum und Beschäftigung. Das Ergebnisgibt uns recht. Das Ergebnis unserer Arbeit ist nämlichein Rückgang der öffentlichen Verschuldung, ein Rück-gang der Arbeitslosigkeit und eine Zunahme des Wachs-tums.Das Ergebnis Ihrer Regierungszeit war ein anderes.
– Ja. Das waren nämlich steigende Arbeitslosenzahlen,das war steigende Verschuldung, und das war Null-wachstum.
Die Ziele, die Sie verfolgt haben, unterscheiden sich dia-metral von den unsrigen.
In einer Zeit, in der sich weltwirtschaftlich so vielesverändert hat und schwieriger geworden ist, in so einerZeit muss man genau prüfen, ob die Maßnahmen, dieman vorschlägt, nicht das Erreichte wieder kaputt ma-chen. Ich will nur einige Dinge nennen, die nicht nurnicht geeignet sind, sondern das Erreichte mit Sicherheitkaputt machen würden.Sie schlagen unter anderem die Erhöhung des Spit-zensteuersatzes vor, sogar noch als Kompensation fürdie Abschaffung der kalten Progression; das ist vorhinschon angesprochen worden. Meine Damen und Herren,wie kann man nur so etwas machen wollen! Sie sinddoch eine Partei, die sich auf die Fahne geschrieben hat,für die Arbeitnehmer, für die kleinen Leute da zu sein.
Vor diesem Hintergrund verstehe ich aber nicht, warumman über ein Jahr lang im Bundesrat eine Regelung blo-ckiert, die zur Entlastung dieser kleinen Leute, der Ar-beitnehmer, der fleißigen Menschen führt, denen dieFrüchte ihrer Arbeit zurzeit nicht gegönnt werden, weildie Lohn- bzw. Gehaltserhöhungen durch die Progres-sions- und Inflationswirkung zunichtegemacht werden.Wie man zum Abstellen dieser Ungerechtigkeit, was wirmit unserem schon beschlossenen Gesetz vorsehen, sa-gen kann: „Nein, das wollen wir als Arbeitnehmerparteinicht“, das müssen Sie dem Volk wirklich einmal erklä-ren. Ich kapiere das nicht.
Wenn Sie wenigstens einen Vorschlag machen wür-den, der vernünftig wäre, dann würde mir das noch ein-gehen. Aber mit einer Erhöhung des Spitzensteuersatzestreffen Sie gerade die Leistungsbereiten, die Leistungs-fähigen, die Arbeitnehmer und die Unternehmer. 80 Pro-zent unserer Unternehmen sind mittelständisch organi-
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Gerda Hasselfeldt
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siert und bezahlen Einkommensteuer. 80 Prozent! Siestellen Arbeitsplätze zur Verfügung. Wie die Erhöhungdes Spitzensteuersatzes zum Arbeiten, zu neuen Investi-tionen sowie zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzenmotivieren soll, verstehe ich nicht. Es wird eben nichtmotiviert. Mit diesem Vorhaben machen Sie jeden Inves-titionsmotor von Anfang an kaputt. Sie blockieren jedeweitere Leistungsbereitschaft und produzieren damit zu-sätzliche Arbeitslose. So wollen Sie Verantwortungwahrnehmen.
Ähnlich verhält es sich bei Ihren Vorstellungen zurEinführung einer Vermögensteuer, zur Erhöhung derErbschaftsteuer, zu einer Vermögensabgabe usw. MitVerlaub: Das sind Vorschläge aus der Mottenkiste. Teil-weise haben Sie die alle schon probiert. Sie sind ledig-lich dazu geeignet, Neiddebatten zu führen. Aber siesind in der jetzigen Phase nicht geeignet, Wachstum undBeschäftigung zu halten bzw. auch noch zu verbessern.Mit diesen Vorstellungen zerstören Sie das, was aufge-baut wurde, vom Kern her. Sie verstehen unter Konsoli-dierung nichts anderes als maßlose Steuererhöhungen,als Abkassieren von denjenigen Menschen, die leis-tungsfähig und leistungsbereit sind.
Dieser Kurs, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, istein völlig anderer als der Kurs, den wir bisher gefahrensind und den wir auch weiterhin fahren werden.Kollege Dr. Solms hat es angesprochen: Wir haben zuBeginn dieser Legislaturperiode stark darauf gesetzt,Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Dies ist gelun-gen. Wir sind Vorbild mit unserer Politik der Haushalts-konsolidierung, mit unserer nachhaltigen Finanzpolitik,mit unserer wachstumsorientierten Politik in ganz Eu-ropa und darüber hinaus. Das, meine lieben Freunde,sollten wir auch künftig bleiben.
Das Wort hat der Kollege Axel Schäfer für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zuerst einmal möchte ich dem Kollegen Schäuble gratu-lieren. Nein, nicht zu dem Haushalt; denn dazu haben wirdoch eine ganze Menge berechtigte Kritik. Ich möchteihm dazu gratulieren, dass er fast auf den Tag genau seit40 Jahren Mitglied des Deutschen Bundestages ist – einesicherlich außergewöhnliche Leistung. Ich glaube, er hatin vielen Bereichen Bedeutendes geleistet. Als Sozialde-mokrat war ich natürlich mit einer Reihe seiner Positio-nen nicht einverstanden. Aber darauf kommt es nicht an.Er hat sicherlich Bleibendes geleistet mit seiner Grund-satzrede zum Thema „Hauptstadt – Berlin oder Bonn?“,
die ich in jedem einzelnen Wort unterstütze und die dazubeigetragen hat, dass wir hier sitzen.
Was ansonsten die Situation dieser Regierung anbe-langt: Das kann man fast überhaupt nicht weiter dramati-sieren. Für jemanden, der sehr oft und sehr lange inEuropa unterwegs ist, sind die Fakten ernüchternd,manchmal auch erschlagend. Ich habe in den letzten30 Jahren bei meinen Gesprächen noch nie erlebt, dasseine deutsche Bundesregierung in so vielen europäi-schen Hauptstädten ein solch schlechtes Image hatte wiedie aktuelle. Ich habe das nicht einmal erlebt unterHelmut Kohl, der ja durchaus ein paar umstrittene Sa-chen gemacht hatte, und auch unter Gerhard Schrödernicht. Als europapolitischer Koordinator bin ich oft inder Situation, dass ich sagen muss: Moment, bei FrauMerkel gilt dieses und jenes.
Die mittlerweile vorhandene Kritik ist schlecht fürdas Ansehen unseres Landes. Das muss einfach einmaldeutlich ausgesprochen werden. Unser Ansehen istschlecht, weil teilweise nicht klar ist, welcher Regie-rungskurs gefahren wird, was man als nächste Maß-nahme ergreift und wo und wie lange man zu seinen ei-genen Vorschlägen steht, und weil aus der Mitte dieserschwarz-gelben Koalition viele Länder durch eine maß-lose Rhetorik, die mit der Realität, zum Beispiel in Grie-chenland, nichts mehr zu tun hat, beschämt und auch be-schädigt worden sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt einen funda-mentalen Unterschied zwischen der Kanzlerin und demkünftigen Kanzler Peer Steinbrück.
– Hören Sie einmal genau zu!
Er hat bezogen auf die Große Koalition gesagt – das istder Unterschied –: Bezüglich des damals beschlossenenKooperationsverbots in der Bildung ist Selbstkritik nö-tig. Sie waren dagegen weder in Bezug auf die Entspan-nungspolitik von 1972 noch sonst bis heute irgendwanneinmal in der Lage, zu sagen: Jawohl, da haben wir poli-tische Fehler gemacht; die müssen wir korrigieren. DieBürgerinnen und Bürger werden bei der Wahl im Sep-tember 2013 die Möglichkeit haben, Ihre Fehler zu kor-rigieren.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25257
Axel Schäfer
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist doch ganzeinfach, das auszusprechen, was notwendig ist, damit dieBürgerinnen und Bürger unsere jetzige Situation in Eu-ropa verstehen, aber das wird nicht getan.Erstens. Wir müssen immer wieder wiederholen: Eskann uns in Deutschland nur gutgehen, wenn es den an-deren Ländern nicht schlecht geht. Das ist die Grundlageüberhaupt!Zweitens. Da wir in Deutschland die wirtschaftlichenGewinner der Einigung sind, ist es richtig, dass wir alsNettozahler einen adäquaten und ansehnlichen finanziel-len Beitrag leisten.Drittens. Wir dürfen nicht nur so tun, als wüssten wirvon allem den Preis, sondern wir müssen auch deutlichmachen, was der Wert dieser Gemeinschaft ist.Genau diese Grundhaltung ist bei Ihnen nicht vorhan-den. Das ist eine der Ursachen dafür, dass wir die aktuel-len Schwierigkeiten in Europa haben.
Was ich zu Wert und Preis gesagt habe, wird sich inden nächsten Tagen beweisen; denn Ihre Politik, die sub-stanziell und essenziell darin besteht, das Parlament eherzu schwächen und das Intergouvernementale zu stärken,wird sich schon an diesem Wochenende rächen. Sie wer-den sehen: Wir werden keinen mittelfristigen Finanzrah-men hinbekommen, der vom Europäischen Parlamentmitgetragen wird.Ich kann die Kolleginnen und Kollegen dort nur er-mutigen – gerade auch bei Liberalen und Christdemo-kraten gibt es da viel Kritik –, zu diesem MFR Nein zusagen, weil er genau das nicht ermöglicht, was wir inEuropa brauchen: Wachstum, Beschäftigung, Nachhal-tigkeit. All das, was versprochen ist, kann nämlich mitdiesem Mittelfristigen Finanzrahmen nicht gehalten wer-den.
Mit Erlaubnis der Frau Präsidentin zitiere ich einmal,was das Auswärtige Amt gerade dazu geschrieben hat:In den Weisungen des Auswärtigen Amtes für den Stän-digen Vertreter Deutschlands bei der EU vom 15. No-vember heißt es: „Die Kürzungsvorschläge im Bereich1b“, also wirtschaftliche, soziale und territoriale Kohä-sion, „sind nicht ausreichend.“ Das heißt, es soll nochmehr gekürzt werden. Das heißt auch, dass es noch we-niger Mittel für das geben soll, was nötig ist: Förderungder Beschäftigung, Bekämpfung der Jugendarbeitslosig-keit und Fortschritte bei der Nachhaltigkeit in Europa.Das ist in der Praxis die Politik dieser Bundesregierungin Europa. Darum wird es gehen.Ich sage Ihnen auch, liebe Kolleginnen und Kollegen:Wir als SPD befinden uns heute in einer sehr entspann-ten Situation. Deshalb konnte Kollege Solms sagen:Wenn Sie nächstes Jahr an die Regierung kommen, be-denken Sie dies und das. – Wir haben jetzt schon in derDebatte erlebt, dass Sozialdemokratinnen und Sozialde-mokraten und Grüne in den zentralen Fragen sehr nahebeieinander sind. Der Parteitag von Bündnis 90/Die Grü-nen hat gezeigt, dass es ein hohes Maß an Geschlossen-heit gibt. Die Nominierung von Peer Steinbrück auf demSPD-Parteitag am 9. Dezember wird dieses Maß an Ge-schlossenheit noch einmal in besonderer Weise verdeut-lichen.
Ich bin davon überzeugt: Es gibt bei uns die Entschlos-senheit, Sie im nächsten Jahr abzulösen. Das werden wirmachen. Dafür werden wir werben.Glück auf!
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege
Rüdiger Kruse.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Herr Kollege Schäfer, in der Generaldebatte darfman generell so ziemlich alles sagen und machen. Siehaben eine Ermutigungsrede für einen Parteitag gehal-ten. Das scheinen Sie nötig zu haben. Ich will mich garnicht einmischen und Stellung beziehen, ob Ihre Pro-gnose richtig ist. Auch ich glaube, Steinbrück wirdKanzlerkandidat; darin stimmen wir überein. Auch in Ih-rer Beurteilung von Wolfgang Schäuble stimmen wirüberein.Sie haben dann ein paar Ausführungen zu unserenNachbarn gemacht und dazu, wie man denen helfen soll,damit es ihnen wieder gutgeht. Das ist alles richtig. Nur:Wenn Sie einen Ertrinkenden retten wollen, dann müs-sen Sie selber schwimmen können. Wenn Sie dazu bei-tragen, dass die Arme und Beine des Rettungsschwim-mers immer stärker gefesselt werden, dann wissen Siegenau, welches Schicksal ihm droht. In diese Richtunggehen Ihre Politikvorschläge.Sie haben eben auf große Gemeinsamkeit zwischenRot und Grün hingewiesen. Mein Part am Ende der De-batte ist es immer, auf das Thema Kultur zu kommen,weil das ja die Spitze der Bewegung ist. Weil es eineHaushaltsdebatte ist, kann man einmal schauen: Wie hatsich denn diese Gemeinschaft von Rot-Grün ausgewirkt?Wir wissen, der damalige Kanzler hatte viele Künstler-freunde und war in dieser Richtung wirklich interessiert.Er hat sich auch einen schöngeistigen Staatsminister fürKultur besorgt. Wie haben sich denn damals die Haus-halte für Kultur entwickelt? Rot-Grün hat in seiner Zeit,vom Anfang bis zum Ende, den Etat für Kultur verän-dert: um 10 Millionen Euro nach unten.
Okay. Was hat denn Schwarz-Rot gemacht? In den vierJahren Schwarz-Rot wurde der Etat über die Jahre verän-
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Rüdiger Kruse
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dert: um 80 Millionen Euro nach oben. Okay, Schwarzwirkt. Was hat Schwarz-Gelb in den letzten Jahren ge-macht? Schwarz-Gelb hat auch den Etat verändert: um134 Millionen Euro nach oben.
Was kann man an dieser Farbenlehre sehen? Rot-Grün bringt gar nichts und ist für die Kultur kontrapro-duktiv. Das Einzige, was es bringt, sind schöngeistigeReden und Beileidsbekundungen für die schlechte Situa-tion der Kultur. Je höher der Anteil von Schwarz wird,desto besser geht es der Kultur.Jetzt könnte man nach Schwarz-Gelb sagen: Probie-ren wir einmal eine Runde Schwarz pur aus.
Auch damit habe ich kein Problem. Ich muss aber nachden Beratungen sagen, dass sich die Koalitionäre derchristlich-liberalen Koalition wirklich vorgenommen ha-ben, im Zusammenspiel in diesen Jahren substanziell et-was zu leisten und substanziell die Kultur in diesemLande zu stärken. Das ist uns gelungen. Ich freue michauch über die gute Zusammenarbeit mit JürgenKoppelin, die in langen und manchmal auch sehr streit-vollen Gesprächen sehr gute Ergebnisse gezeigt hat.
Es ist ja in Europa im Augenblick nicht selbstver-ständlich, dass Kulturetats erhöht werden. In Frankreich– ich weiß nicht, ob das an den grün-roten Vorlieben fürHollande liegt; Sie besuchen ihn auch zu oft; sein Ratingwird jedes Mal schlechter –
wurde der Kulturetat zusammengestrichen, natürlichhauptsächlich bei den Projekten, die die Vorgängerregie-rung auf den Weg gebracht hat.Es gibt ja die Grundvermutung, alle Künstler seienlinks, was natürlich Quatsch ist, aber bleiben wir ersteinmal dabei. Zur Szene der Kulturschaffenden gehörensicherlich nicht überwiegend Mitglieder meiner Partei.Stellen Sie sich einmal vor, wir wären auf die Idee ge-kommen, alle diese Einrichtungen dichtzumachen. Aberes gibt einen kulturpolitischen Ansatz, dessen Vertreterso denken. Dieser Ansatz kommt von den Rändern derpolitischen Gesellschaft, die dazu neigen, Kultur in Skla-venhaft zu nehmen und sie als Verkündungsinstrumentzu missbrauchen. Das tun Bürgerliche nicht, und es gibtnur eine bürgerliche Regierung.
Die christlich-liberale Regierung hat dort Akzente ge-setzt, wo wir nationale wie internationale Bedeutung undInnovationen sehen. Ich glaube auch, dass das die Auf-gabe des Bundes ist. Es ist den Kommunen oftmalsschwergefallen, Kulturprojekte weiter zu fördern. Oft-mals wird auch, so verkehrt es ist, zuerst bei der Kulturgespart. Wir werden so nicht verfahren, sondern wir hal-ten an unserer Linie fest. Das ist uns auch gut gelungen.Die Mittel für die Filmförderung sind um 10 Millio-nen Euro auf 70 Millionen Euro gestiegen. Das ist einBereich, in dem sich Kultur sehr direkt mit der Wirt-schaft trifft.Wir haben in der Musikwirtschaft, ausgehend vonentsprechenden Initiativen, ein ähnliches Programm imAufbau. Ich sage nicht, in welcher Höhe, damit jetzt nie-mand in die Luft springt. Aber auch hier kann Deutsch-land von einem reinen Import- zu einem Exportland wer-den.All das, was wir für den Denkmalschutz tun, wirkt inder Fläche und kommt damit allen zugute, weil es keineschwarzen, grünen, gelben oder roten Denkmäler gibt.Es geht uns dabei natürlich nicht um tote Steine: Wir for-dern immer Nutzungskonzepte und richten uns auch sehrexplizit an die Lebenden, die heutigen Künstler und Kul-turaktiven, wie es heute so schön heißt; denn den Begriff„Kulturschaffende“ mag ich nicht.
– „Kulturaktive“ hat Wolfgang Börnsen neulich gesagt.Dieses Wort fand ich sehr schön.Auf jeden Fall können wir eines feststellen: Wo im-mer sich der Künstler selber verortet – am besten geht esihm unter einer bürgerlichen christlich-liberalen Regie-rung.
Das Wort hat der Kollege Siegmund Ehrmann für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Eigentlich sollte Petra Merkel, unsere Haushäl-terin, zu diesem Einzelplan sprechen. Sie ist aber kurz-fristig erkrankt, und ich erlaube mir, ihr von dieser Stelleaus die besten Genesungswünsche zu übermitteln.
Diesen Kulturhaushalt, der jetzt nach den Beratungensowohl im Ausschuss für Kultur und Medien als auch imHaushaltsausschuss vorliegt, bewerte ich als einen Kul-turhaushalt der Ambivalenz. Herr Kruse, es war ein biss-chen selbstgefällig, wie Sie das alles geschildert haben.
In der Tat haben wir einen Aufwuchs von 100 Millio-nen Euro insgesamt in diesen Beratungen erreicht. Punk-tuell decken sich die Positionsverbesserungen bei einzel-nen Etatposten auch mit den Vorstellungen derSozialdemokratie, zum Beispiel bei der Kulturstiftungdes Bundes und der Deutschen Akademie für Spracheund Dichtung, aber auch, was den Aufwuchs bei derStiftung Aufarbeitung angeht.
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Siegmund Ehrmann
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Es reicht aber nicht, Herr Kruse, wenn es einen kul-turaffinen Haushälter gibt. Die Kulturgruppe im Aus-schuss für Kultur und Medien hat sich der inhaltlichenDebatte völlig verweigert. Das, was in den Haushalt ein-gestellt wurde, ist nicht inhaltlich begründet worden. ImGegenteil, es wurde blind abgestimmt, und es wurdeganz allein Ihnen überlassen. Das war eine Ein-Mann-Show, die dafür gesorgt hat, dass diese Positionen vomHaushaltsausschuss im Haushalt verankert worden sind.Dabei ist Kulturpolitik nicht alleine Ressortpolitik.Wir sollten bestimmte Dinge in Zusammenhang bringen.Die Mittel für die Goethe-Institute sind um 2,5 Millio-nen Euro gekürzt worden. Zudem sind im Etat desAuswärtigen Amtes 5 Millionen Euro an Mitteln fürSprachförderung gesperrt worden. Zeitgleich wird imKulturetat verankert, dass ein sudetendeutsches Museumerrichtet werden soll und dass der Stiftung Flucht, Ver-treibung, Versöhnung zusätzliche Mittel zur Verfügunggestellt werden,
obwohl es in der letzten Wahlperiode keinen entspre-chenden Mittelabfluss gab. Was für Bilder nach innenund nach außen transportieren Sie mit diesen Aktivitä-ten?
Ein weiteres Thema – ressortübergreifend betrachtet –ist die kulturelle Bildung. Ja, das ist ein ganz zentralerPunkt. Es ist gut, dass sich der Bund in dieser Hinsichtanstrengt, aber es ist Kernaufgabe der Länder. Es sindgroße Programme aufgelegt worden. Aber wie sind sieverteilt worden? Ohne Abstimmung mit den Ländern,ohne Koordination sind riesige Beträge, die sicherlichvon den Empfängern dankbar entgegengenommen wer-den, verteilt worden. Die Bundesvereinigung KulturelleKinder- und Jugendbildung erhält 20 Millionen Euro,der Verband deutscher Musikschulen 20 Millionen Euro,der Deutsche Bühnenverein 10 Millionen Euro, die Stif-tung Lesen 6 Millionen Euro. Sicherlich geht das Geld inordentliche Hände, aber Nachhaltigkeit wird doch nurgewährleistet, wenn man das im Verbund von Kommu-nen, Ländern und Bund kommuniziert. Nur wenn mandas miteinander bespricht, gewährleistet man einenwirksamen Mitteleinsatz. Davon kann nicht einmal inAnsätzen die Rede sein.
Sie haben die Initiative Musik angesprochen. Was ge-schieht dort? Wir ringen seit Jahren darum, dass Spiel-stätten, die es schwer haben – es geht insbesondere umSpielstätten im Bereich des Jazz, aber auch des Pop unddes Rock –, mit einem Spielstättenpreis ermutigt wer-den. Das ist eine gute Initiative. Der Bund stellt in die-sem Haushalt der Initiative Musik richtigerweise Geldzur Verfügung. Es wird aber einfach erwartet, dass dieLänder 540 Millionen Euro beisteuern, ohne dass manmit den Ländern redet. Wie soll in diesem Sektor, in demFörderung und Impulsgebung notwendig sind, ohne Ko-operation mit den Ländern etwas Wirksames geschehen?Ich vermag es nicht zu erkennen.
Angesprochen wurde das Denkmalschutzprogramm.Es ist in der Tat sehr gut, dass sich der Bund auch in die-sem Jahr dafür deutlich engagiert. Über 30 MillionenEuro werden wieder eingestellt. Aber was geht mit die-sem Denkmalschutzprogramm in diesem Haushalt, derjetzt zu verabschieden sein wird, einher? Die Kriterienwerden aufgeweicht. Es werden jetzt auch historischeWasser-, Schienen- und Luftfahrzeuge gefördert, aberauch Neubauten, zum Beispiel der Neubau eines Doku-zentrums für die Opfer deutscher Diktaturen in Rostockund – so weit geht der Haushaltsausschuss; man riecht,dass es da nur um konkrete Wahlkreisinteressen gehenkann – der Raddampfer „Kaiser Wilhelm“ in Lauenburg.Herzlichen Glückwunsch an den Kollegen, der das imBundeshaushalt verankern konnte!
Was ist das aber für eine inhaltliche Linie, wenn ich überDenkmalschutzprogramme rede?In weiten Bereichen zeugt dieser Haushalt von einersehr paternalistischen Haltung. Es ist sehr viel Geld zurVerfügung gestellt worden, es wird nach merkwürdigenKriterien verteilt, aber eine inhaltliche Debatte überKonzepte findet nicht in Ansätzen statt.
Lassen Sie mich auf ein ganz großes Projekt zu spre-chen kommen. Das ist die Deutsche Digitale Bibliothek.Wir als Deutscher Bundestag sind schon seit geraumerZeit hinter der Bundesregierung her, dass sie endlichkonzeptionelle Überlegungen vorlegt. Wir finden in die-sem Haushalt dazu eine kleine Aussage, quasi eineHausnummer. Es geht um die Digitalisierung des Film-erbes. Wenn man weiß, dass es 30 000 Institutionen inöffentlicher Hand in unserem Land gibt, die Digitalisie-rungsbedarf haben, dann muss dieser Aufgabenstrangeinmal geordnet werden. Es müssen Prioritäten definiertwerden. Es kann nicht sein, dass, weil der Kulturstaats-minister bekannterweise filmaffin ist, gerade in diesemSegment eine Priorität gesetzt wird, ohne dass man in-haltlich darlegt, in welchen Bereichen es sinnvoll ist,große Aktivitäten zu entfalten.Kurzum, im Kulturbereich haben wir in diesem Haus-halt einen Aufwuchs, aber es findet keine verantwortli-che Debatte statt. Die aber fordern wir ein. Wir erwartenvon der Bundesregierung und auch von den Koalitions-fraktionen, dass sie sich inhaltlich diesen Themen stellenund gut begründet darlegen, was sie mit dem vielen Geldzu tun gedenken.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Kollege Wolfgang Börnsen für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Siggi, den guten Genesungs-wünschen für Petra Merkel schließen wir uns gerne an –eine sehr engagierte, seriöse und hilfsbereite Kollegin.
Deiner Rede schließen wir uns nicht an. Sie war – dukannst es viel besser – ein wenig zu kleinkariert. Du hastauch vergessen, mitzuteilen, dass sich – im Gegensatz zuallen Staatsministern vorher – dieser Staatsminister jederSitzung des Kulturausschusses stellt. Er ist jedes Maldabei. Jedes Mal gibt es inhaltliche Diskussionen. Dasist ein konzeptionell wirklich kluges Programm – auchmit eurer Hilfe. Danke schön!
Vor genau sieben Jahren schrieb eine Zeitung: DasBüro des Kulturstaatsministers im achten Stock galtbisher als Horst der bunten Vögel. Nun ist dort einschwarzer Rabe im Anflug,
vielleicht auch ein kluger Uhu.Am 21. November 2005 präsentierte Angela MerkelBernd Neumann als neuen Kulturstaatsminister – einekluge Entscheidung, wie sich herausstellen sollte, einGewinn für die Kulturpolitik in Deutschland.
Seit seiner Nominierung wurde der Kulturhaushaltachtmal in Folge auf jetzt 1,28 Milliarden Euro erhöht –auch dank verständnisvoller Haushälter. Das ist ein Re-kord, wie es ihn in der Geschichte der Bundesrepubliknoch nie gegeben hat.
Ein solches Förderprogramm ist gut für unsere Bürge-rinnen und Bürger, für Kulturaktive, für Künstler, fürKreative und ganz besonders für den KulturstandortDeutschland, den jährlich immerhin 60 MillionenMenschen aus aller Welt besuchen.Diesen Kulturausbau seit acht Jahren nenne ich meis-terlich gehandelt von Bernd Neumann, wie wir ihn ken-nen: pragmatisch, praktisch, produktiv und konstruktiv.
Doch das Bundesbeispiel macht keine Schule. InStädten und Gemeinden bleibt ein beherztes Wachstumfür Kultur aus. Noch kritischer: In den meisten Ländernbefindet sich die Kulturfinanzierung auf dem Rückzug,und zwar ganz deutlich. Obwohl die Förderung derKultur in fast allen Ländern Verfassungsrang hat, führenoffensichtlich Finanzlage und Sparzwänge zu solchenVerzweiflungsrückschritten.Trotz der Tatsache, dass die Kulturausgaben deröffentlichen Haushalte gerade einmal 1,6 Prozent aus-machen, setzt man dort den Rotstift an. Das ist falsch.Länder und Gemeinden sind mit 88 Prozent Hauptver-antwortliche für die Kulturförderung. Wenn sie bereits inguten Jahren Zweifel an einer offensiven Förderung auf-kommen lassen, wie soll es dann erst in Krisenzeitenwerden?Verantwortungsbewusste Politik muss Vorsorge be-treiben. Die Kultur in unserem Land braucht ein stabilesFundament. Wir benötigen eine Allianz für die Kultur inDeutschland. Dieser Konvent sollte sich aber nicht nurmit den monetären Herausforderungen befassen. Einekritische Überprüfung der kulturellen Infrastrukturgehört auch dazu: Wer hat an welchem Ort die bestenVoraussetzungen für die Kulturförderung?Ein weiterer Sachverhalt muss ebenfalls auf den Prüf-stand gestellt werden: Es geht – damit ist es uns wirklichernst – um die Sicherung der materiellen Existenzgrund-lagen für Kulturaktive. Oder, wie es Volker Kauder, derVorsitzende unser Fraktion, formuliert hat: „Wir müssendie Grundlagen dafür erhalten, dass ein Künstler vonseiner Arbeit leben kann.“Beim Urheberrecht haben wir von der UnionsfraktionPosition bezogen. Bei der Künstlersozialversicherungund beim Arbeitslosengeld für Kultur-, Film- undFernsehschaffende haben wir deutliche Verbesserungenerzielt.Doch das alles reicht noch nicht. Das durchschnitt-liche Jahreseinkommen von Kulturaktiven beträgt12 500 Euro. Fast jeder zweite bildende Künstler mussmit 5 Euro pro Stunde auskommen. In anderen Kultur-bereichen ist es nicht besser. Ein Bundeskonvent für dieKultur hat sich dieser Herausforderung anzunehmen.Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion werden unsweiter aktiv für die Existenzsicherung und die Einkom-mensverbesserung einsetzen.Ein Beispiel, wie das gelingen kann, haben wir mitder Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundes-regierung geschaffen. Das ist eine Erfolgsgeschichte.Hans-Joachim Otto, Dagmar Wöhrl und andere habenengagiert dafür gearbeitet. Über 250 000 Freiberuflerund Kleinunternehmer von der Architektur bis zumTheater und zum Spielebereich machen diese bunteKreativszene aus. Mehr als 1 Million Menschen sind in-zwischen dort tätig, und es boomt weiter. Das ist, findeich, eine Erfolgsgeschichte.Ich bedanke mich am Ende der Beratungen diesesHaushaltsbereichs ganz besonders bei den vielen Privat-initiativen, bei den Kirchen, die mit 3 Milliarden EuroKulturförderung betreiben, bei den Stiftungen, die mit4 Milliarden Euro dabei sind, auch bei der deutschenWirtschaft und bei dem deutschen Mittelstand, der mitfast 400 Millionen Euro jährlich Kultursponsoringbetreibt. Das ist Ausdruck eines guten Bürgersinns. Dasist ein Zeichen dafür, dass die Rahmenbedingungen fürdie Kulturförderungen in der Bundesrepublik Deutsch-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25261
Wolfgang Börnsen
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land stimmen. Dafür zuständig ist nicht zuletzt einStaatsminister, der als kluger Uhu im Horst des Bundes-kanzleramtes gelandet ist.Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Lukrezia Jochimsen für
die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die abschließende Beratung des Haushalts 2013 gibt dieGelegenheit, sich grundsätzlich mit der Kulturpolitik desBundes zu befassen, besonders dann, wenn diese De-batte gegen Ende einer Legislaturperiode stattfindet.Die Linksfraktion ist davon überzeugt, dass es keineinfaches Weiter-so der Bundeskulturpolitik – ohne in-haltliche Debatte und mit vielen fragwürdigen Investitio-nen – mehr geben darf.
Kein Weiter-so auch mit dieser Wurmfortsatzdebatte,wie wir sie heute wieder einmal führen müssen, am Endeder sogenannten Elefantenrunde, wenn noch ein paarMinuten für eine Kulturdiskussion übrig bleiben. Fürdiese Debatte muss man sich fast entschuldigen, so we-nig passt sie in die Generalauseinandersetzung mit derPolitik der Kanzlerin, und so wenig kann man zumThema selbst einbringen. Also kein Weiter-so, sondernvom nächsten Jahr an eine veritable Debatte über Glanzund Elend deutscher Kulturpolitik –
in Auseinandersetzung mit einem veritablen Kulturmi-nister, mit eigenem Ressort, gleichberechtigt im Kabi-nett und vor allem als Gleicher unter Gleichen inEuropa.Ja, wir fordern für die Zukunft ein Bundeskulturmi-nisterium.
Diese Forderung ist nicht neu. Als Sondervotum derFraktion Die Linke ist sie im Bericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ von Dezember2007 bereits dokumentiert. Ich darf zitieren:Die Fraktion DIE LINKE. spricht sich für eine wei-tere Stärkung der Bundeskulturpolitik durch dieEinführung des Amtes eines Bundeskulturministersmit Kabinettsrang aus. Wir plädieren für eine Bün-delung der verschiedenen Aufgabenfelder in einemKulturministerium, um die Belange der Kulturgegenüber anderen Ressorts sowie auf europäischerEbene wirksamer vertreten zu können. Darüberhinaus halten wir eine grundlegende Reform derKompetenzverteilung im Rahmen der Födera-lismusreform II in Richtung eines kooperativenKulturföderalismus … und einer einheitlichenAußenvertretung in der Europäischen Union fürdringend notwendig.Was vor fünf Jahren eine richtige und wichtige Forde-rung war, ist es heute erst recht.
Das sieht inzwischen interessanterweise auch dasKulturforum der Sozialdemokratie so, und es hat imDezember vorigen Jahres festgestellt – ich darf kurzzitieren –:Das Gewicht von Kulturpolitik auf Bundesebene istim Rahmen eines kooperativen Kulturföderalismusin den letzten Jahren deutlich gewachsen. Um die-ser Aufgabe in einem nationalen, europäischen undinternationalen Kontext zu entsprechen, brauchtKulturpolitik im Bund ein eigenständiges Ministe-rium. Viele wichtige politische Zukunftsaufgabensind ohne den Beitrag der Kultur nicht zu lösen.Wohl wahr – Kompliment an das Kulturforum derSozialdemokratie!Was würde sich mit der Ernennung eines Bundes-kulturministers ändern?Erstens. In Europa hätten wir einen gleichrangigenBundeskulturminister, nicht nur einen Beobachter amKatzentisch.
Zweitens. Wir hätten einen vom Bundeskanzleramtunabhängigen Bundeskulturminister. Kulturförderung istein sensibler Bereich der Politik, und die Nähe zumMachtzentrum der Republik ist äußerst problematisch.
Drittens. Wir hätten im Kabinett einen bei Ressort-abstimmungen gleichberechtigten Bundeskulturministeroder eine -ministerin. Auch das ist nicht unerheblich undwäre ein Signal für das ganze Land: Kultur ist uns ge-nauso wichtig wie die anderen Ressorts. Vielleicht ließesich dann auch das Staatsziel Kultur endlich erreichen.
Viertens. Wir hätten es mit einem eigenen Kultur-haushalt zu tun und mit einer eigenständigen Haushalts-debatte, anstelle dieser Zwitternummer, die wir nun seitJahren absolvieren mit dem Seufzer: Jetzt muss auchnoch etwas zur Kultur gesagt werden.Seit 14 Jahren gibt es das Amt des Beauftragten derBundesregierung für Kultur und Medien. Ja, es ist eineErfolgsgeschichte von drei unterschiedlichen Regierun-gen und vier Beauftragten. Aber jetzt geht es darum,Kulturpolitik weiter zu entwickeln, wohlgemerkt ohnedie föderale Zuständigkeit der Länder und der Kommu-nen zu verringern. Im Gegenteil: Es geht um Stärkung,Verstärkung eines kooperativen Kulturföderalismus.
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Dr. Lukrezia Jochimsen
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Gerade in Zeiten wie unseren, geprägt von globalenKrisen, Verunsicherung und Not, wird Kultur für das In-dividuum wie für den gesellschaftlichen Zusammenhaltimmer wichtiger: als Halt, als Verständigung, als Selbst-versicherung und damit als Hoffnung für die nächste Ge-neration. Das sollte uns so wichtig sein, dass wir umden-ken, nach vorne schauen und endlich grundsätzlichNeues zu schaffen bereit sind.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Jürgen Koppelin für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte vorab auf das eingehen, was von den Sozial-
demokraten gesagt wurde. Es gab den Vorwurf, das, was
wir gemacht haben, sei inhaltlich teilweise oder
überwiegend nicht begründet. Es ist nun einmal im
Haushaltsausschuss so, dass in letzter Minute zusätz-
liche Gelder zur Verfügung gestellt werden können.
Ich habe in meinem Beitrag Dank zu sagen. Vor allem
danke ich Gerda Hasselfeldt, Volker Kauder und Rainer
Brüderle, die uns die Möglichkeit gegeben haben, diesen
Etat aufzustocken.
So einfach ist das ja alles nicht.
Ich nenne hier die 31,5 Millionen Euro für Substanz-
erhaltung und Restaurierung von Kulturdenkmälern.
Viele Bürger und Bürgerorganisationen haben diese
Sache in die Hand genommen, weil die Länder – warum
also soll ich mich mit ihnen abstimmen? – ihre Etats ge-
kürzt haben. Sie sind nicht in der Lage, die Kulturdenk-
mäler zu erhalten. Das machen teilweise Bürgerinitiati-
ven. Sie organisieren Veranstaltungen bis hin zum
kleinen Basar, um etwas Gewinn zu erzielen und um
etwas tun zu können. Ihnen wollen wir helfen. Diese Ak-
tivitäten wollen wir unterstützen. Das ist einer unserer
Gründe.
Ich nenne Ihnen aber auch noch andere Gründe.
Kommen Sie mir nicht damit, dass das inhaltlich nicht
begründet sei. Gerade aus aktuellem Anlass sage ich,
dass es uns gelungen ist, die Barenboim-Said-Akademie
zu unterstützen, ein wunderbares Orchester, zusammen-
gesetzt aus Israelis und Palästinensern. Das ist doch eine
tolle Sache. Das müssen Sie doch auch so sehen!
Ich möchte ausdrücklich dem ehemaligen Staats-
minister Naumann danken, dass er hier die Initiative er-
griffen hat. Alle Achtung, kann ich da nur sagen!
Ich habe mich auch sehr für das Jüdische Museum en-
gagiert. Ich möchte an dieser Stelle im Deutschen
Bundestag, ohne ins Detail zu gehen, Herrn Professor
Michael Blumenthal ganz herzlich danken, der in Orani-
enburg geboren ist und aus Deutschland flüchten musste.
Er hat die Initiative übernommen, das Jüdische Museum
in Berlin zu schaffen. Eine tolle Sache. Dank an Mike
Blumenthal!
Kommen Sie also nicht damit, das sei nicht begründet!
Ich sage ganz offen: Ich habe lange in Hamburg gear-
beitet und sah in der Nähe immer eine ausgebombte
Kirche. Das hat mich sehr geprägt, auch in meiner politi-
schen Haltung. Dort gibt es eine Initiative, die diese aus-
gebombte Kirche erhalten will. Wir unterstützen das.
Jetzt kann dieses Denkmal gegen den Krieg erhalten
werden. Das ist eine tolle Sache, und Sie sollten Beifall
klatschen, anstatt hier herumzumosern.
Aber es gibt auch noch andere Dinge. Nehmen wir die
Produktion von Filmen in Deutschland. Deutschland ist
ein bedeutender Standort. Wir haben die Förderung um
10 Millionen Euro erhöht. Das ist eine ganz wichtige
Sache.
Der Standort Deutschland wird gefördert, beispiels-
weise in Brandenburg, überall dort, wo Filme gedreht
werden. Man müsste eigentlich sagen: Alle Achtung!
Wenn Sie von „Abstimmung mit den Ländern“ reden,
sage ich: Ich stelle fest, dass die Länder überall gekürzt
haben. Sie haben kein Geld. Wir helfen jetzt denjenigen,
die die Initiative ergreifen wollen.
Weil meine Zeit um ist, möchte ich an dieser Stelle
abschließend ganz besonders Staatsminister Neumann
danken. Sein Engagement – ebenso wie das Engagement
der Kulturpolitiker und der Mitglieder des Haushalts-
ausschusses – hat dafür gesorgt, dass Kultur in Deutsch-
land wieder eine bedeutende Rolle spielt. Lieber Herr
Neumann, herzlichen Dank für Ihre Aktivitäten.
Bevor ich der letzten Rednerin in dieser Debatte dasWort erteile: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir habenfür alle 620 Mitglieder des Deutschen Bundestages eineSitzgelegenheit, sprich: einen Sessel, in diesem Saal. Ichbitte, damit wir auch der letzten Rede noch folgen kön-nen, davon Gebrauch zu machen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25263
Vizepräsidentin Petra Pau
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Vielleicht können das die Fraktionen den Kollegen, diein Gespräche verwickelt sind und gerade diesen Hinweisnicht aufnehmen konnten, noch vermitteln.Das Wort hat jetzt die Kollegin Tabea Rößner für dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Herr Dr. Koppelin, wir mosern nicht die ganze Zeit he-rum. Auch wir begrüßen natürlich den Aufwuchs desKulturetats – 100 Millionen Euro mehr sind eingestelltworden – und vor allen Dingen, dass Sie unserer Forde-rung, die Mittel der Kulturstiftung des Bundes zu erhö-hen, nachgekommen sind. Das finden wir wirklich gut.
Aber – Siggi Ehrmann und Luc Jochimsen habenschon darauf hingewiesen – es geht darum, wie dieseEntscheidung zustande gekommen ist. Hierzu möchteich Ihnen die Frage stellen, Herr Dr. Koppelin: Wie passtes mit dem demokratischen Verständnis dieses Hauseszusammen, wenn mal eben in einer Last-Minute-Entscheidung 10 Millionen Euro für ein sudetendeut-sches Museum eingestellt werden, ohne den Kulturaus-schuss zu beteiligen und ohne darüber dort zu beraten?Das müssen Sie mir einmal erklären.
Das ist nicht transparent, sondern undemokratisch. Dasmuss man, denke ich, deutlich sagen.Ich will mich heute aber vornehmlich mit einemanderen wichtigen Thema beschäftigen, das für unsereDemokratie ebenso elementar ist und das von der Bun-desregierung ziemlich vernachlässigt wird. Zu diesemThema wird hier leider auch nicht geredet. Es geht umdie Medien.Vlothoer Anzeiger, Deister-Leine-Zeitung, Abend-zeitung Nürnberg – das sind nur drei von insgesamt elfZeitungen, die seit Beginn Ihrer Regierungszeit pleitege-gangen sind oder ihre Hauptredaktionen geschlossen ha-ben. Vergangene Woche eine neue Schreckensmeldung:Die Frankfurter Rundschau hat Insolvenz angemeldet.
Ob die Financial Times Deutschland überleben wird,entscheidet sich noch. Es besteht zwar kein direkterZusammenhang zwischen Ihrem Regierungsantritt unddem Zeitungssterben, aber fest steht: Sie haben in dendrei Jahren wenig unternommen, um die Pressekriseabzuwenden.
Im Kulturausschuss sagte Kollege Müller-Sönksen,dass die Koalition mit dem Leistungsschutzrecht undden Änderungen zum GWB genug für die Medien-vielfalt getan habe.
Da kann ich nur feststellen: Das sind gleich zwei Insol-venzen auf einmal – die der Frankfurter Rundschau unddie Bankrotterklärung schwarz-gelber Medienpolitik.
Nichts von dem, was Sie getan haben oder was Sienoch vorhaben, hätte die Frankfurter Rundschau geret-tet, auch nicht das Leistungsschutzrecht für Presse-verlage. Denn die Probleme der Frankfurter Rundschauliegen nicht im Onlinebereich, sondern im Printbereich.
Das Leistungsschutzrecht ist ein rückwärtsgewandtesGesetz, das nicht den kleinen Verlagen, nicht der Nürn-berger Abendzeitung und schon gar nicht den Journalis-ten in der Krise helfen wird. Es belohnt und entlohnt denBoulevardjournalismus im Netz. Es ist ein Wahlge-schenk an die großen Verlage, allen voran an Springer.Sie haben die Betroffenen glauben lassen, dass sie nurein Stück von dem großen Google-Kuchen bräuchten,dann würde alles gut werden. Die kleinen Verlage wer-den aber kaum davon profitieren, und am Ende zahlensie noch drauf, wenn zum Beispiel Google ihre Ange-bote nicht mehr listet. Daher frage ich Sie: Wie, bitte,soll das Leistungsschutzrecht die Medienvielfalt erhal-ten?
Das andere Projekt der Bundesregierung sind die Än-derungen im Kartellrecht. Durch die Lockerung derPressefusionskontrolle können größere Verlage ihre klei-neren Mitbewerber noch einfacher schlucken. Fusionenwaren schon vorher möglich, nur mussten sie geprüftwerden. Jetzt geht das ganz geräuschlos, und der Wettbe-werb zwischen den Blättern wird durch einen Einheits-brei ersetzt. Das, meine Damen und Herren, ist einfachdas Gegenteil von Medienvielfalt.
Vor allen Dingen wird aber herumreguliert, ohne zuwissen, was überhaupt notwendig ist. Weder Kartellamtnoch Monopolkommission haben einen Anlass für eineÄnderung im Kartellrecht gesehen. Weil kaum Datenüber den Pressemarkt vorliegen, wird einfach so imNebel herumgestochert. Daher fordern wir eine Medien-datenbank. Die vorgelegte Studie ist das nicht; sie musszu einer echten Datenbank weiterentwickelt und regel-mäßig aktualisiert werden. Sehr geehrter Herr Neumann,Sie haben das bis jetzt immer abgelehnt. Ich hoffe, Sie
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Tabea Rößner
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ändern noch Ihre Meinung, im Sinne einer fundiertenMedienpolitik.
In der Krise müssen wir uns trauen, neue Wege zu er-denken. Denn gerade die Presse ist ein sehr diffizilesGut, grundlegend für unsere Demokratie und deshalb zuRecht staatsfern organisiert. Wir können und wollen Ver-lage nicht einfach subventionieren oder ihnen Geschäfts-modelle diktieren; das ist völlig klar. Aber es brauchtmehr als Geschenke an die großen Verlage, um vor allemdie Medienvielfalt, also auch die lokalen und regionalenRedaktionen zu erhalten. Stiftungsmodelle und die För-derung der Weiterbildung von Journalisten sind in derDiskussion; darüber muss man weiter diskutieren.Wir müssen uns aber auch Gedanken über die Zu-kunft des Journalismus an sich machen, darüber, wiedieser zukünftig finanziert werden kann, wie Journalis-ten von ihrer Arbeit leben können. Zum Beispiel brau-chen wir dringend Änderungen im Urhebervertragsrecht,Herr Börnsen, und da hat die Regierung bisher versagt.
Uns Medienpolitiker eint doch eines: Wir betonen im-mer wieder, dass die Medien eine wichtige Stütze derDemokratie sind. Wenn die Medien die Säule sind, dannist die Lokalpresse der Fuß der Säule. Die Lokalpresseist der Ort, an dem viele Journalisten ausgebildet wer-den; sie informiert die Menschen vor Ort über die Politikin ihrer Stadt oder ihrem Kreis.Wir dürfen das Pressesterben nicht einfach hinneh-men. Die Lage ist brenzlig, aber es ist noch nicht zu spät.Sie haben noch knapp ein Jahr, um endlich Bewegung indie Sache zu bringen. Tun Sie es, sonst machen wir es!
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 04 – Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt – in
der Ausschussfassung.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/11527 vor, über den wir zuerst
abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ände-
rungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen, bei unterschiedlichem Abstimmungsverhalten in
der SPD-Fraktion – hier gab es Gegenstimmen und Ent-
haltungen –, gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
abgelehnt.
Wir stimmen nun über den Einzelplan 04 namentlich
ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind an allen Ab-
stimmungsplätzen Schriftführer? – Das ist der Fall. Ich
eröffne die Abstimmung über den Einzelplan 04.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.1)
Ich erlaube mir, meinen Hinweis von vorhin zu wie-
derholen: Wir haben für alle Mitglieder des Deutschen
Bundestages eine Sitzgelegenheit. Ich bitte Sie, diese
einzunehmen, damit ich den nächsten Tagesordnungs-
punkt aufrufen kann. Dies gilt im Übrigen sowohl für
das Parlament als auch für die Bundesregierung. Auch
hier ist Vorsorge getroffen, dass jeder der Debatte im Sit-
zen folgen kann.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.10 auf:
Einzelplan 05
Auswärtiges Amt
– Drucksachen 17/10805, 17/10823 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Klaus Brandner
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler
Zu dem Einzelplan 05 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Klaus Brandner für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Bevor ich auf den Einzelplan zu sprechen komme,möchte ich es nicht versäumen, den Berichterstatternzum Einzelplan 05, insbesondere Herrn Hauptbericht-erstatter Kollegen Frankenhauser, sowie den Mitarbei-tern des Haushaltsreferats meinen Dank für die offene,präzise, konstruktive und verlässliche Zusammenarbeit,auch unter neuer Referatsleitung, auszusprechen.
Wir haben heute die Haushaltsberatungen in derAbschlussrunde vorzunehmen und dabei ein Resümee zuziehen. Mein Fazit vorweg: Die Regierungskoalitionstolpert auch mit diesem Haushaltsentwurf kraft- undkonzeptionslos ins Wahljahr 2013. Leider gilt diesesResümee in weiten Teilen auch für den Etat des Auswär-tigen Amtes. Ich spreche dabei besonders die auswärtigeKultur- und Bildungspolitik an. Auch hier finden sich imKoalitionsvertrag, also der wichtigen Grundlage der1) Ergebnis Seite 25266 D
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Klaus Brandner
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Regierungskoalition, klare Worte, die sich am Ende aberleider nur als Lippenbekenntnisse herausstellen. Es heißtdort:Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist einetragende Säule der deutschen Außenpolitik.Sie ist also die tragende Säule. Darin stimmen wir völligüberein. Weiter heißt es:Wir werden die Auswärtige Kultur- und Bildungs-politik finanziell bestmöglich ausstatten und verste-hen dies als langfristige politische, kulturelle undwirtschaftspolitische Investition.Dieses Versprechen, meine Damen und Herren,wurde aber mehrmals gebrochen. Zum Beispiel wurdendie Sondermittel für Bildung und Forschung regelmäßigzweckentfremdet. In den letzten drei Jahren wurden dievon Bundesministerin Schavan und BundeskanzlerinMerkel versprochenen Sondermittel – immerhin in Höhevon 92 Millionen Euro – in diesem Haushalt für Bildungund Forschung nicht zusätzlich zur Stärkung der auswär-tigen Bildungs- und Wissenschaftsarbeit genutzt, son-dern zweckentfremdet, um andere Haushaltslöcher zustopfen. Mit solchen Tricksereien schwächen Sie, sehrgeehrter Herr Minister, die tragende Säule der deutschenAußenpolitik.
Diese Haushaltslöcher, Herr Minister, sind im Übri-gen entstanden, weil Sie nicht die nötige Kraft oder denWillen aufbringen, um eine ausreichende Mittelausstat-tung Ihres Ministeriums sicherzustellen. Das sehen wirim Übrigen in vielen Bereichen, zum Beispiel bei denAuslandsschulen. Zuerst die gute Nachricht: Die Koali-tion hat die dringend notwendigen zusätzlichen Mittelfür die Auslandsschulen in der Bereinigungssitzungnoch bereitgestellt. Damit sind Sie den Forderungen derSPD gefolgt. Ich spreche den Berichterstattern meineAchtung aus. Im Übrigen sieht man ganz deutlich,Kollege Frankenhauser und Kollege Koppelin, dass Be-richterstatter am Werk sind, die Kraft haben und Einflussnehmen, obwohl ich sagen muss, dass ich nicht immerIhren Aktivitäten folgen kann. In diesem Punkt aber ha-ben Sie wirklich Gutes geleistet. Dafür herzlichen Dank!
Diese Fehlerkorrektur im Auslandsschulbereich kannüberhaupt nicht darüber hinwegtäuschen, dass die voll-mundig angekündigte Reform des deutschen Auslands-schulwesens bisher nur Schall und Rauch ist. DieseReform hat für viel Ärger und vor allen Dingen Verunsi-cherung gesorgt. Sie hat auch außerhalb unserer Bera-tungen für viel Verdruss gesorgt. Wir hätten uns hier,sehr geehrter Herr Minister, ich darf das so sagen, Ihreordnende Hand gewünscht. Sie ist an diesem Punkt lei-der ausgeblieben. Nach wie vor gilt: Der drastische Re-formbedarf bleibt. Die unzureichenden Versuche, hiereine Lösung zu finden, werden im Übrigen auch durchden Bericht des Bundesrechnungshofes aufgezeigt, derein katastrophales Bild der Politik für die deutschenAuslandsschulen zeichnet. Er ist nachzulesen; ich ver-weise einfach darauf.In der auswärtigen Kulturpolitik gibt es eine Abstra-fung des Goethe-Instituts. Auch hierzu gibt es wichtigeHaushaltsberatungen, die zeigen, dass die allgemeineKulturarbeit, die der Bundesregierung, wie wir geradebeim vorherigen Einzelplan gehört haben, doch sehr amHerzen liegt, im Bereich des Auswärtigen leider nichtzusätzlich begünstigt wurde. Das ist sehr bedauerlich.Der Kulturetat im Bundeskanzleramt dagegen hat in denHaushaltsberatungen noch einmal eine Aufstockung um100 Millionen Euro erfahren.Man kann sich auch fragen – Herr Minister, ich fragedas auch ganz offen –, ob Sie dabei in der Bundesregie-rung die besten Karten haben. Denn warum wird geradeder Kulturetat des Bundeskanzleramtes um 100 Millio-nen Euro aufgestockt; während im Etat des AuswärtigenAmtes davon nichts zu spüren ist?
Ich muss Sie natürlich fragen: Haben Sie nicht ausrei-chend dafür gekämpft? Es besteht ein erheblicher Mittel-bedarf. Ich verweise zum Beispiel auf die Programm-arbeit. Hier wird um 8 Millionen Euro gekürzt. Dasbedeutet übrigens das Aus für wichtige Kulturprojekteauf diesem Sektor. Damit nicht genug: Sie haben es nochnicht einmal verhindern können, dass völlig einseitigeMittelreduzierungen beim Goethe-Institut durchgesetztwurden.
Das schränkt die Arbeitsgrundlagen dieses renommier-ten Instituts drastisch ein. Das ist unfair. Das muss ichhier so kritisch anmerken.
Kritisch will ich insbesondere die Konzeptionslosig-keit beim Thema Afghanistan anmerken. Die Bundes-kanzlerin hat heute Morgen noch einmal deutlichgemacht, wie wichtig es ihr ist, dass wir eine sicherheits-politische Kooperation pflegen und ausbauen. Auf derletzten Afghanistan-Geberkonferenz in Tokio am 8. Julidieses Jahres haben Sie, Herr Außenminister, zum Bei-spiel versprochen, dass Deutschland die zivile Hilfe aufdem derzeitigen Niveau von etwa 430 Millionen Europro Jahr fortführen wird, und das mindestens bis 2016.Nun sollen die Leistungen im Rahmen des Stabilitäts-pakts Afghanistan um 10 Millionen Euro gekürzt wer-den.
War das mit Ihnen abgesprochen, Herr Minister? IhrHaus jedenfalls war von dieser Aktivität völlig über-rascht; denn diese Kürzungen stehen nicht im Einklangmit den Regierungszusagen. Damit senden Sie ein fata-les Signal an die Menschen in Afghanistan und unsereinternationalen Partner. Von Verlässlichkeit und Werte-orientierung in der Außenpolitik ist an diesem Punktnichts zu spüren.
Verlässlichkeit sieht bei der SPD anders aus.
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Klaus Brandner
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Ein weiteres Beispiel ist die Umsetzung der AA-BMZ-Vereinbarung. Wir waren uns darüber im Klaren,dass zwischen CDU und CSU das eine oder andereScharmützel ausgetragen wird. Die liberalen Regie-rungsmitglieder wollten dem anscheinend nicht nachste-hen. Der Bruderkrieg an der Spitze, den Minister Niebelvor einigen Wochen angezettelt hat, überbietet aber, wieich finde, all das bei weitem. Er offenbart die tiefenGräben und persönlichen Abneigungen innerhalb Ihrereigenen Partei. Minister Niebel hat Ihnen in der PresseUntätigkeit und Vernachlässigung der humanitären Hilfein Kenia vorgeworfen. Es könne doch nicht sein, dassüber Hunderttausend Menschen unter der Untätigkeitdes Außenamtes litten. „Jetzt muss es“ – wörtliches Zi-tat; gemeint ist das Außenministerium – „Verantwortungzeigen.“ Als ich das gelesen habe, habe ich zuallererstgedacht: Es ist schon ein besonderer Stil, wenn einRegierungsmitglied im Ausland derart negativ über Kol-legen spricht. Dabei ist der Eindruck vermittelt worden,Hunderttausende von Menschen würden hungern undTausende würden vor sich hindarben und medizinischnicht versorgt werden, weil das Außenamt nicht handelt.Ich bin froh darüber, dass das Außenamt schnell reagierthat und deutlich gemacht hat, dass das zumindest nichtan der Mittelvergabe und an der Aktivität des Außenam-tes liegt. Das war wichtig. Es ist genug Porzellan zer-schlagen worden. Es wurde der Eindruck vermittelt, dasshier Chaos und Streitigkeiten vorherrschen. Das hat demRuf Deutschlands und der deutschen Außenpolitikgeschadet – das ist schon schlimm genug –, und das ineiner sogenannten bürgerlichen Koalition.
Abschließend will ich Ihnen sagen, dass Ihnen dieKraft und der Wille zu Reformen im eigenen Haus feh-len. Sie, Herr Minister, haben sich in Ihrer Amtszeit vielum Äußeres und um Äußerlichkeiten gekümmert. Siehaben allerdings die inneren Angelegenheiten des Aus-wärtigen Amtes nicht immer so verfolgt, wie wir uns dasvorstellen. Ihnen fehlten die Kraft und der Wille fürwichtige Reformen im Inneren. Beim Auswärtigen Amtmangelt es nämlich an vielen Ecken und Enden. ZumBeispiel gibt es unhaltbare Zustände für die Beschäftig-ten in zahlreichen Visastellen. Mitarbeiter berichten vondramatischen Zuständen.
Herr Brandner, denken Sie bitte an die Zeit.
Ich bin sofort fertig. – Sie berichten, dass es viel zu
wenig Personal und zu wenige Räumlichkeiten gibt. Sie
berichten von Arbeitsüberlastung und Überstunden ohne
Ende. Auch hier haben Sie eine Fürsorgepflicht.
Ein Problem ist auch der Investitionsstau bei den
Botschaften. Der Bundesrechnungshof hat einen Investi-
tionsstau mit einem Volumen von 500 Millionen Euro
ermittelt.
Eine gute Politik nimmt sich dieser Hausaufgaben an,
sorgt dafür, dass im Haus Aufgabenkritik geübt wird und
die notwendigen Investitionen rechtzeitig erfolgen. Das
wünschen wir uns; denn so handelt ein Außenminister,
der seine Aufgabe ernst nimmt. Insofern haben Sie noch
viel zu tun, um uns zu überzeugen.
Diesem Haushalt können wir, jedenfalls so, wie er
jetzt vorliegt, nicht zustimmen.
Herzlichen Dank.
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebeich das von den Schriftführerinnen und Schriftführernermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmungzum Einzelplatz 04 – Bundeskanzlerin und Bundeskanz-leramt – bekannt: abgegebene Stimmen 581. Mit Jahaben gestimmt 316, mit Nein haben gestimmt 265,Enthaltungen keine. Der Einzelplan 04 ist angenommen.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 581;davonja: 316nein: 265JaCDU/CSUIlse AignerPeter AltmaierPeter AumerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannErnst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Veronika BellmannDr. Christoph BergnerPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserMichael FrieserErich G. FritzDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartNorbert GeisAlois GerigEberhard GiengerMichael GlosJosef GöppelPeter GötzDr. Wolfgang GötzerReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundMonika Grütters
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Olav GuttingDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank HeinrichRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingChristian HirteRobert HochbaumKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampJoachim HörsterAnette HübingerHubert HüppeThomas JarzombekDieter JasperDr. Franz Josef JungAndreas Jung
Dr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterAlois KarlBernhard Kaster
Volker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterEckart von KlaedenEwa KlamtVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenManfred KolbeDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykThomas KossendeyMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Hermann KuesGünter LachDr. Karl A. Lamers
Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeDr. Max LehmerPaul LehriederDr. Ursula von der LeyenIngbert LiebingMatthias LietzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigDr. Michael LutherKarin MaagDr. Thomas de MaizièreHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Dr. Michael MeisterDr. Angela MerkelMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtMarlene MortlerDr. Gerd MüllerStefan Müller
Dr. Philipp MurmannBernd Neumann
Michaela NollDr. Georg NüßleinFranz ObermeierEduard OswaldHenning OtteDr. Michael PaulRita PawelskiUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaChristoph PolandRuprecht PolenzEckhard PolsThomas RachelDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckErwin RüddelAlbert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleDr. Annette SchavanKarl SchiewerlingNorbert SchindlerTankred SchipanskiGeorg SchirmbeckChristian Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Detlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelErika SteinbachChristian Freiherr von StettenDieter StierGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerKarin StrenzThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Peter TauberAntje TillmannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzVolkmar Vogel
Stefanie VogelsangAndrea Astrid VoßhoffMarco WanderwitzKai WegnerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Karl-Georg WellmannPeter WichtelAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar G. WöhrlDr. Matthias ZimmerWolfgang ZöllerWilli ZylajewFDPJens AckermannChristian AhrendtChristine Aschenberg-DugnusDaniel Bahr
Florian BernschneiderSebastian BlumenthalClaudia BögelKlaus BreilRainer BrüderleAngelika BrunkhorstErnst BurgbacherMarco BuschmannSylvia CanelHelga DaubReiner DeutschmannBijan Djir-SaraiPatrick DöringMechthild DyckmansHans-Werner EhrenbergRainer ErdelJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickeDr. Edmund Peter GeisenDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannHeinz GolombeckMiriam GrußJoachim Günther
Dr. Christel Happach-KasanHeinz-Peter HausteinManuel HöferlinElke HoffBirgit HomburgerHeiner KampMichael KauchDr. Lutz KnopekPascal KoberDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppDr. h. c. Jürgen KoppelinSebastian KörberHolger KrestelPatrick Kurth
Heinz LanfermannSibylle LaurischkHarald LeibrechtSabine Leutheusser-SchnarrenbergerLars LindemannDr. Martin Lindner
Michael Link
Dr. Erwin LotterOliver LuksicHorst MeierhoferPatrick MeinhardtGabriele MolitorJan MückePetra Müller
Burkhardt Müller-SönksenDr. Martin Neumann
Dirk NiebelHans-Joachim Otto
Cornelia PieperGisela PiltzJörg von PolheimDr. Birgit ReinemundDr. Peter RöhlingerDr. Stefan RuppertBjörn SängerChristoph SchnurrJimmy SchulzMarina SchusterDr. Erik SchweickertWerner SimmlingJudith SkudelnyDr. Hermann Otto SolmsJoachim SpatzDr. Max StadlerDr. Rainer StinnerStephan ThomaeManfred TodtenhausenDr. Florian ToncarSerkan TörenJohannes Vogel
Dr. Daniel VolkDr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff
NeinSPDIngrid Arndt-BrauerRainer Arnold
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Heinz-Joachim BarchmannDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelSören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Gerd BollmannKlaus BrandnerWilli BraseBernhard Brinkmann
Edelgard BulmahnMarco BülowUlla BurchardtPetra CroneDr. Peter DanckertMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSebastian EdathyIngo EgloffSiegmund EhrmannDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerKarin Evers-MeyerElke FernerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeDagmar FreitagSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterIris GleickeGünter GloserUlrike GottschalckAngelika Graf
Kerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßWolfgang GunkelHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannMichael Hartmann
Hubertus Heil
Wolfgang HellmichRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Frank Hofmann
Dr. Eva HöglChristel HummeJosip JuratovicOliver KaczmarekJohannes KahrsDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerFritz Rudolf KörperAnette KrammeAngelika Krüger-LeißnerChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerKirsten LühmannCaren MarksKatja MastHilde MattheisUllrich MeßmerDr. Matthias MierschFranz MünteferingDietmar NietanThomas OppermannHolger OrtelAydan ÖzoğuzHeinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeStefan RebmannGerold ReichenbachSönke RixRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannKarin Roth
Marlene Rupprecht
Annette SawadeAnton SchaafAxel Schäfer
Marianne Schieder
Werner Schieder
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Carsten Schneider
Ottmar SchreinerSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeDr. Martin SchwanholzRolf SchwanitzStefan SchwartzeRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackDr. h. c. Wolfgang ThierseFranz ThönnesWolfgang TiefenseeRüdiger VeitUte VogtDr. Marlies VolkmerAndrea WickleinHeidemarie Wieczorek-ZeulDr. Dieter WiefelspützWaltraud Wolff
Uta ZapfDagmar ZieglerManfred ZöllmerBrigitte ZypriesDIE LINKEAgnes AlpersDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmSteffen BockhahnChristine BuchholzEva Bulling-SchröterDr. Martina BungeRoland ClausSevim DağdelenWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeDr. Gregor GysiHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerDr. Barbara HöllAndrej HunkoUlla JelpkeDr. Lukrezia JochimsenKatja KippingHarald KochJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichUlla LötzerDr. Gesine LötzschThomas LutzeUlrich MaurerCornelia MöhringNiema MovassatWolfgang NeškovićThomas NordPetra PauJens PetermannRichard PitterleYvonne PloetzIngrid RemmersPaul Schäfer
Michael SchlechtDr. Ilja SeifertRaju SharmaKersten SteinkeSabine StüberAlexander SüßmairDr. Kirsten TackmannFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerJohanna VoßSahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerJörn WunderlichSabine ZimmermannBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMarieluise Beck
Volker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderAgnes BruggerViola von Cramon-TaubadelEkin DeligözKatja DörnerHarald EbnerHans-Josef FellDr. Thomas GambkeKai GehringBritta HaßelmannBettina HerlitziusPriska Hinz
Dr. Anton HofreiterBärbel HöhnIngrid HönlingerThilo HoppeUwe KekeritzKatja KeulMemet KilicSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkUte KoczyTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan KühnRenate KünastMarkus KurthUndine Kurth
Monika LazarDr. Tobias LindnerNicole MaischJerzy MontagKerstin Müller
Beate Müller-GemmekeDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Krista SagerManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtUlrich SchneiderDorothea SteinerDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDaniela WagnerBeate Walter-RosenheimerArfst Wagner
Wolfgang WielandDr. Valerie WilmsJosef Philip Winkler
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25269
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Ich erteile jetzt das Wort dem Kollegen Dr. RainerStinner von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wiralle stehen heute sicherlich unter dem Eindruck der krie-gerischen Auseinandersetzung im Nahen Osten. UnserMitgefühl gilt allen unbeteiligten Zivilisten, die darunterleiden müssen. Ich spreche sicherlich im Namen desganzen Hauses, wenn ich hier und heute insbesondereunserem Außenminister Guido Westerwelle für seineunermüdlichen Bemühungen um eine Friedenslösung imNahen Osten danke.
Dieser Einsatz wird, wie wir gestern Abend – vielleichtzu Ihrem Unwillen – vernehmen konnten, im In- undAusland breit unterstützt und anerkannt. Dieser Würdi-gung schließen wir uns ausdrücklich an. Dieses Engage-ment des Außenministers ist Teil eines Dreiklangs derdeutschen Außenpolitik in den letzten drei Jahren, diediese Bundesregierung konsequent betrieben hat: erstensaktive Wahrnehmung der internationalen Verantwortungfür Frieden und Sicherheit,
zweitens aktive Weiterentwicklung unserer Bündnisseund drittens aktive Gestaltung einer Welt im Wandel. Zuallen drei Aspekten möchte ich kurz Stellung nehmen.Erstens: internationale Verantwortung für Frieden undSicherheit. Auf die Bemühungen von AußenministerWesterwelle im Nahen Osten habe ich hingewiesen. Dasist ein komplexes Thema, gar keine Frage. Es kann nureine politische Lösung geben. Daran wollen wir unsgerne beteiligen. Weitere Vermittlungsbemühungen sindgefragt. Israel ist genauso groß wie Hessen. Stellen Siesich bitte einmal vor, was bei uns los wäre, wenn in denletzten Monaten über 1 500 Raketen auf Hessen abge-feuert worden wären. Deshalb sage ich hier und heute:Die israelische Regierung hat angesichts der Situationdas Recht – ich sage sogar: die Pflicht –, ihre Bevölke-rung gegen einen solchen Angriff zu verteidigen.
Das ist völlig unabhängig von sonstigen Diskussionen,die wir über die israelische Politik in diesem Hause füh-ren.Deutschland hat in den letzten zwei Jahren eine aktiveRolle im Weltsicherheitsrat gespielt. Das hat so großeAnerkennung gefunden, dass Deutschland unmittelbardanach trotz anderer Bewerber als Mitglied in den UN-Menschenrechtsrat gewählt wurde. Das zeigt, welcheAnerkennung deutsche Politik international gewonnenhat.
Deutschland nimmt aktiv an den E-Drei-plus-Drei-Gesprächen teil, obwohl wir nicht, wie wir alle wissen,permanentes Mitglied des Sicherheitsrates sind. Auchhier zeigen wir, dass wir internationale Verantwortungübernehmen. Unser Land und insbesondere unserAußenminister hat sich seit Beginn des arabischenFrühlings um die Region aktiv gekümmert, und zwar imVergleich zu anderen Ländern sicherlich überdurch-schnittlich. Wir werden in der Region anerkannt, und un-ser Engagement ist gern gesehen.Deutschland nimmt weiterhin eine aktive, positiv ge-staltende Rolle in Afghanistan wahr. Aufgrund der deut-schen Außenpolitik und des Engagements unseresAußenministers konnte die Londoner Konferenz erst-mals – wie wir alle wissen: viel zu spät – ein gemeinsa-mes Konzept entwickeln. Nach diesem Konzept werdenwir gemeinsam den Übergang und die Übergabe inVerantwortung gestalten. Hier spielt Deutschland eineaktive Rolle.
Zweitens: zu unserer aktiv gestaltenden Rolle in denBündnissen. Zu unserem Beitrag zur Finanzsituation inder EU brauche ich, glaube ich, hier nichts mehr zusagen. Aber auch außerhalb der EU-Finanzen spieltDeutschland eine aktive Rolle. Ich wiederhole gerne un-ser Bekenntnis zu Europa. Wir, die Koalitionsfraktionen,wissen, dass Europa Deutschlands Zukunft ist. Wirwissen, dass wir die Welt nur mitgestalten können, wennwir Teil eines geeinten, starken Europas sind. Deshalbengagieren wir uns nach wie vor sehr stark für Europa.Der Bundesregierung ist es bisher zum Glück gelungen,die delikate Balance zwischen erwünschter Führung undnicht erwünschter Dominanz in Europa zu wahren. Da-für gilt Ihnen, Herr Außenminister, mein persönlicherDank. In den Dank schließe ich ausdrücklich Staatsmi-nister Michael Link ein, der diese Rolle perfekt wahr-nimmt. Vielen Dank.
Die NATO spielt nach wie vor eine wichtige Rolle fürunsere Sicherheit; das ist gar keine Frage. Im aktuellenFall geht es um Bündnissolidarität mit der Türkei. Ichsage hier sehr deutlich für meine Fraktion, dass wir die-sem verlässlichen Bündnispartner Türkei natürlich dieSolidarität zukommen lassen, von der wir über mehrereJahrzehnte hinweg in Deutschland gelebt haben.
Ich sage sehr deutlich, Herr Gehrcke, dass es hier aus-schließlich darum geht, das Territorium der Türkei zuschützen. Es ist in keinster Weise das beabsichtigt oderintendiert und auch nicht die Gefahr gegeben, die einigevon der Opposition an die Wand gemalt haben, nämlichdass damit die Einbeziehung in den syrischen Bürger-krieg vorbereitet, geplant oder vorgenommen wird. Dasist nicht der Fall. Es geht darum, das Territorium einesverlässlichen Partners zu schützen.
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25270 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012
Dr. Rainer Stinner
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Meine Fraktion ist der Meinung, dass die Verlegung derPatriots, wenn sie denn kommt, mandatiert werdenmuss. Das ergibt sich nach meinem Dafürhalten eindeu-tig aus dem Urteil des Verfassungsgerichts vom 7. Mai2008.
Die dritte Aufgabe, die aktive Gestaltung einer sichwandelnden Welt, nimmt in der deutschen Außenpolitikin den letzten drei Jahren eine zunehmend größere Rolleein. Diese Bundesregierung hat erstmals ein Konzeptvorgelegt – es trägt den vielleicht nicht ganz charmantenNamen Gestaltungsmächtekonzept –, das aufzeigt, wiewir mit den Ländern umgehen, die zunehmend ihrenPlatz in der Welt einnehmen wollen. Dies bezieht sichauf Länder auf allen Kontinenten, nicht nur auf China.Es gibt auch im Verhältnis zu unserem wichtigstenPartner, den Vereinigten Staaten, wichtige Aufgaben. Ichmöchte mich hier auf eine Aufgabe konzentrieren, weilich sie für besonders wichtig halte. Das ist der Abschlusseines Freihandelsabkommens. Nach meinem Dafürhal-ten hat der Abschluss eines solchen Abkommens politi-sche Wirkungen, die weit über zu erwartende Wohl-fahrtseffekte auf beiden Seiten hinausgehen. Es wäre einZeichen, wenn es gelingen würde, dass 800 Millionenwestlich orientierte Menschen und ihre Gesellschaftenzusammen eine Freihandelszone bilden. Ich sage nur:Wir alle konnten heute Morgen lesen, dass in AsienPläne bestehen, eine Freihandelszone aufzubauen, dersage und schreibe die Hälfte der Menschheit angehörenwürde. Daran sieht man, um welche Dimensionen essich handelt, wenn wir über diese Themen sprechen.Die Bundesregierung hat die Zeichen der Zeit er-kannt. Kein anderes Land hat mit so vielen Ländern in-tensive Regierungskonsultationen: China, Indien, Russ-land, auch Israel und Palästina. Damit wird der deutscheEinfluss in der Welt gesichert. Unsere Werte und Interes-sen werden in der Welt gut vertreten. Die Bundesregie-rung und der Außenminister setzen Vertrauen in Partnerund Freunde, sie sind bereit, Verantwortung zu überneh-men, und sie treten im Ausland bestimmt, aber nicht ar-rogant auf. Diese Bundesregierung hat im Ausland Ver-trauen erworben. Dieses Vertrauen kann und soll dieBundesregierung auch in unserem eigenen Land haben.Vielen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort der Kol-
lege Michael Leutert.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn man den Haushalt des Auswärtigen Amtes be-trachtet, sieht man große Ansprüche bei den gestelltenAufgaben, aber keine entsprechende Ausstattung mit fi-nanziellen Mitteln. Die Aufgaben werden im Vorwortdes Einzelplanes klar definiert. Danach dient der Aus-wärtige Dienst unter anderem erstens einer dauerhaften,friedlichen und gerechten Ordnung in Europa und derWelt, zweitens der Wahrung der Menschenrechte sowiedrittens dem Aufbau eines vereinten Europas.Schauen wir uns an, wie viel Geld bereitgestellt wird,um diese großen und wichtigen Aufgaben zu erfüllen, sokann man nur feststellen, dass gemessen an diesen Auf-gaben der Auswärtige Dienst nur mangelhaft ausgestat-tet ist. Das Auswärtige Amt verfügt über 3,5 MilliardenEuro. Das sind gerade einmal 1 Prozent des Gesamtetats.Im Gegensatz dazu verfügt das Bundesministerium fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung über6,4 Milliarden Euro, also über fast doppelt so viel. Auchwenn der nächste Vergleich etwas hinkt, da die Bundes-wehr wesentlich mehr Personal hat als das diplomatischeKorps, ist er trotzdem erwähnenswert. Der Verteidi-gungsminister hat immerhin Zugriff auf 11 Prozent desBundeshaushaltes; das sind circa 33 Milliarden Euro.Der entscheidende Fakt, auf den ich hinweisen möchte,ist der Umstand, dass der Verteidigungsminister in denletzten vier Jahren noch einmal 2 Milliarden Euro mehrbekommen hat. Noch einmal zum Vergleich: Das Aus-wärtige Amt verfügt über insgesamt 3,5 Milliar-den Euro, der Verteidigungsminister hat in den letztenvier Jahren 2 Milliarden Euro on top bekommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dasmacht deutlich, dass wir uns in einer Schieflage befin-den. Der Kollege Frankenhauser hat in den diesjährigenHaushaltsverhandlungen mit Nachdruck darauf hinge-wiesen, dass wir uns über die Problematik der Finanz-ausstattung des Auswärtigen Amtes Gedanken machenmüssen. Entweder wir verfahren nach dem Top-down-Prinzip – das heißt, es gibt die Festlegung, dass für dieAußenpolitik lediglich 3,5 Milliarden Euro zur Verfü-gung stehen, und dann müssen die Haushälter sehen, wiedas Geld verteilt wird –, oder aber es werden zuerst dieAufgaben definiert, und anschließend nehmen wir dasGeld in die Hand, das wir tatsächlich benötigen, umdiese Aufgaben wahrnehmen zu können.Derzeit wird nach der Top-down-Methode verfahren;das heißt, wie gesagt, dass der vorab umrissene Finanz-rahmen nicht überschritten werden darf. Für jede Ände-rung, die in den Verhandlungen vorgenommen wird,muss also auch eine Deckungsmöglichkeit im Etat desAuswärtigen Amtes gefunden werden. Das führt dannallerdings zu absurden Anträgen der Koalition, zum Bei-spiel bei dem sehr richtigen und wichtigen Projekt derIntensivierung der europäischen Integration 1 Mil-liarde Euro obendrauf zu legen, dieses Geld allerdingsim Bereich der Abrüstung einzusparen. Das, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, halten wir von der Linken für denfalschen Weg.
Die Linke will im Gegensatz dazu mehr Ausgaben inden Bereichen humanitäre Hilfe, Förderung der Men-schenrechte, Abrüstung und Rüstungskontrolle. Wirschlagen vor, in diesen drei Bereichen insgesamt215 Millionen Euro mehr auszugeben. Das ist noch be-scheiden, wäre aber eine annähernd angemessene Finan-zierung.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25271
Michael Leutert
(C)
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Noch deutlicher wird die Unterfinanzierung im Übri-gen, wenn man sich vor Augen hält, dass die Hälfte desBudgets des Außenministers durch Personal- und Be-triebskosten und durch Pflichtbeiträge an internationaleOrganisationen gebunden ist. Liebe Kolleginnen undKollegen, bei solch einer Unterfinanzierung ist an großeProjekte und außenpolitische Strategien natürlich nichtzu denken. Für eine strategische Ausrichtung des Aus-wärtigen Amtes und seiner Politik bedarf es zudem nichtnur des Geldes, sondern auch der dazugehörigen Kom-petenzen. Da herrscht meines Erachtens einiges Durch-einander. Ich möchte das gern an zwei Beispielen ver-deutlichen.Erstens ist die Frage nach dem Verhältnis zwischendem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeitund Entwicklung und dem Auswärtigen Amt zu benen-nen. Als die FDP vor vier Jahren angetreten ist, wolltesie ja eigentlich das BMZ ins Auswärtige Amt integrie-ren. Das galt so lange, solange Dirk Niebel noch nichtMinister war. Mittlerweile, nach vier Jahren Arbeit vonSchwarz-Gelb, hat das Entwicklungshilfeministerium ei-nen zweimal so umfangreichen Etat und auch noch dop-pelt so viel Aufwuchs wie das Auswärtige Amt zu ver-zeichnen. Zusätzlich wird nun versucht, durchÜbertragung von Projekten und Personal Aufgaben neuzu verteilen.Zweitens ist das Thema Europa zu benennen. Da stelltsich die Frage, wer in der Bundesregierung in europäi-schen Angelegenheiten eigentlich den Hut aufhat. Sorichtig Außenpolitik ist es ja nicht mehr. Aus diesemGrund wurden folgerichtig auch die europäischen Aus-landsschulen in das Ressort des Bildungs- und For-schungsministeriums verschoben. Der FinanzministerHerr Schäuble darf die Zukunft Europas im Milliarden-rahmen verhandeln, während sich Minister Westerwellemit 3 Millionen Euro begnügen muss, um die Aufgabedes Aufbaus eines vereinten Europas zu erledigen.Zusammengefasst sieht es letztendlich so aus: In denLändern, in denen militärische Konflikte stattfinden,
hat mittlerweile der Verteidigungsminister das Sagen.
In den Ländern, in denen keine bewaffneten Auseinan-dersetzungen stattfinden, kann der Entwicklungshilfemi-nister mit 6 Milliarden Euro im Rücken großzügig Pro-jekte anschieben. In den europäischen Fragen geben dieKanzlerin und Schäuble die Richtung vor. Dem Außen-minister bleibt nichts weiter übrig, als ein paar Hände zuschütteln.
Wenn dieser Zustand nicht geändert wird, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, brauchen wir nicht weiter überAußenpolitik zu reden, auch nicht über außenpolitischeStrategien.Diesen Weg hält die Linke für falsch. Wir wollen einstarkes Auswärtiges Amt als die tragende Säule der zivi-len Außenpolitik. Wir wollen, dass in den BereichenMenschenrechte, humanitäre Hilfe und Abrüstung end-lich die Gelder eingestellt werden, die dafür benötigtwerden. Erst wenn diese Bereiche so finanziert sind,dass diese Aufgaben tatsächlich erledigt werden können,können wir dem Haushalt zustimmen.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der
Kollege Philipp Mißfelder.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Sep-tember dieses Jahres hat Deutschland für einen Monatden rotierenden Vorsitz im Sicherheitsrat der VereintenNationen übernommen. Vergangene Woche wurdeDeutschland mit einem exzellenten Ergebnis zum zwei-ten Mal in den Menschenrechtsrat gewählt. Diese beidenEreignisse zeigen, welch großes Ansehen Deutschlandin der Organisation der Vereinten Nationen genießt undmit welchem Respekt uns entgegengetreten wird. Die er-folgreiche Präsidentschaft im UNO-Sicherheitsrat unddie Wahl in den Menschenrechtsrat sind auch das Ergeb-nis Ihrer sehr guten Arbeit, sehr verehrter Herr Minister,und Anerkennung der internationalen Arbeit der Bun-desregierung. Deshalb danke ich Ihnen und möchte Ih-nen zu diesen beiden großen Erfolgen recht herzlich gra-tulieren.
Mein Kollege Stinner hat den gestrigen Tag erwähnt.Wir alle haben mit großer Spannung verfolgt, was unserBundesaußenminister gestern geleistet hat. Ich hoffe undwünsche, dass wir in dieser wichtigen Mission Erfolghaben. Ich glaube, man hat gestern gemerkt, welchenStellenwert Deutschland im Nahen Osten mittlerweilehat. Herr Minister, auch dazu ein großes Komplimentvon meiner Fraktion!
Wir haben in den vergangenen Jahren Schwerpunktegesetzt, und wir setzen auch im Rest der Legislaturpe-riode Schwerpunkte. Deutschland spielt in den großenKonflikten der Welt eine sehr starke Rolle, sowohl wasdie Frage des arabischen Frühlings angeht, als auch inder aktuellen Situation im Nahen Osten. Deutschlandsführende Rolle in der Verschuldungskrise, in der Ver-trauenskrise in der Euro-Zone, ist ebenfalls schon er-wähnt worden.
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Philipp Mißfelder
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Deutschland genießt bei seinen Partnern extrem ho-hes Ansehen. Das wird auch von unseren Nachbarn sowahrgenommen. Ich möchte an dieser Stelle nur den pol-nischen Außenminister Sikorski zitieren, der bei einemVortrag in der DGAP gesagt hat:Ich bin wahrscheinlich der erste polnische Außen-minister in der Geschichte, der das sagt, aber hierist es: Ich habe weniger Angst vor deutscher Macht,als ich anfange, mich vor deutscher Inaktivität zufürchten.Ich glaube, eine größere Anerkennung durch unsereNachbarn kann es kaum geben,
gerade wenn man sich anschaut, wie das deutsch-polni-sche Verhältnis früher ausgesehen hat. Vor diesem Hin-tergrund bin ich der Meinung, dass wir tatsächlich mitStolz zurückblicken können und daran weiterarbeitensollten, dass dieses Ansehen erhalten bleibt.
Herr Sarrazin, Sie tragen einen bekannten Namen undtönen ja auch hier herum. Ich sage Ihnen jetzt einmal et-was zu Ihrem Parteitagsbeschluss. Seitens der Bundesre-gierung wird verantwortungsbewusst Außenpolitik ge-macht. Wenn man sich dagegen anschaut, mit wie wenigVerantwortungsbewusstsein bei Ihnen Beschlüsse zu-stande kommen, muss man sich schon wundern. Sie plä-dieren doch immer dafür, die Türkei möglichst eng anEuropa zu binden. Doch wenn ein NATO-Partner unsereHilfe braucht, dann sagen Sie Nein und wenden sich abund wollen den Einsatz von defensiven Maßnahmennicht gestatten. Ich appelliere an Ihre Vernunft: Über-denken Sie Ihre Position, geben Sie Ihrem Herzen einenRuck, machen Sie einfach mit bei dieser wichtigen Er-füllung unserer Bündnissolidarität! Ich glaube, dass gro-ßer Handlungsbedarf besteht, wenn es darum geht, unse-rem wichtigen Freund und Partner, der Türkei, in dieserschwierigen Situation beizustehen.
Mein Kollege Stinner hat es angesprochen: Deutsch-land spielt eine zentrale Rolle. Wir definieren unsere In-teressen, wenn es darum geht, deutlich zu machen, wodie Gratwanderung – manchmal der Widerspruch – zwi-schen interessengeleiteter Außenpolitik und Werteorien-tierung stattfindet. Demzufolge war es konsequent, dassdie Bundesregierung, das Auswärtige Amt, mit der Im-plementierung des Gestaltungsmächtekonzepts gezeigthat, wo zukünftige Herausforderungen liegen. Die de-mografischen Veränderungen, die großen Verwerfungen,die die Ressourcenknappheit mit sich bringen wird, aberauch die großen Konflikte unserer Zeit, der Einsatz inAfghanistan, das Aufkommen neuer Organisationen wieder Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit oderder ASEAN, die Neudefinition der chinesischen Außen-politik, all das wird mit sehr großer Ernsthaftigkeit undmit verhältnismäßig geringem Mittelaufwand effizientverfolgt. Vor diesem Hintergrund glaube ich, dass wir,wenn wir diese Haushaltsdiskussion führen, zu Recht sa-gen können, dass die aktuellen Herausforderungen desWeltgeschehens vom Auswärtigen Amt professionellund effizient beantwortet werden. Deshalb sollten wirseine Arbeit weiter konsequent unterstützen.Es gibt sicherlich noch Punkte – der eine oder anderewird wohl noch etwas dazu sagen –, über die man disku-tieren kann. Die auswärtige Kulturpolitik ist ein Bereich,mit dem nicht alle zufrieden sind. Aber das Gesamtbild,das sich ergibt, kann sich sehen lassen. Es zeugt nämlichvon einer nachhaltigen und überlegten außenpolitischenKonzeption. Davon sind andere weit entfernt. DiesenPartnern müssen wir offen sagen, wenn wir mit ihnennicht übereinstimmen. Das macht die Bundesregierungsehr gelassen und professionell in einem Ton, der, wieich finde, angemessen ist.Wir waren am vergangenen Freitag gemeinsam mitunserer Bundeskanzlerin in Russland. Ich glaube, auchdieser Besuch hat gezeigt, dass Deutschland in der Lageist, gegenüber wichtigen Partnern, Verbündeten undFreunden kritische Punkte anzusprechen. Der Stil, indem der Petersburger Dialog in der vergangenen Wochein Moskau abgelaufen ist, hat gezeigt, wie belastbar dasdeutsch-russische Verhältnis ist.
Ich meine, dass wir in diesem Sinne als Freund vonwichtigen Partnern in der Welt weiter an dieser ausgegli-chenen Haltung arbeiten sollten.Der Handlungsbedarf, den wir weiterhin sehen, liegtauf der Hand. Den Nahen Osten haben meine Vorrednerund auch ich schon angesprochen. Die Neuausrichtungdes nordafrikanischen Raums und des arabischen Raumsist eine besondere Herausforderung für uns. Die Kanzle-rin hat heute klare Worte gesprochen, was die großenHerausforderungen in Bezug auf Mali betrifft. Auch daist Deutschland bereit, seiner Verantwortung gerecht zuwerden.Ich möchte an diesem Tag noch eine Initiative unseresFraktionsvorsitzenden Volker Kauder erwähnen, sichbesonders der Lage der Christen in der Welt anzuneh-men. Gerade weil die christlich-demokratische/christ-lich-soziale Fraktion im Deutschen Bundestag dafürwirbt, für die Verwirklichung der universalen Menschen-rechte einzutreten, müssen wir uns vor Augen führen,dass gerade die Christen der Welt im Augenblick in einerbesonders schwierigen Situation sind.Ich danke Volker Kauder dafür, dass er dieses Thema,das früher ein Schattendasein geführt hat, mittlerweilebei jeder Reise, bei jeder außenpolitischen Initiative an-spricht und in den Mittelpunkt rückt. Wir können aufErfolge zurückblicken, was sowohl die Situation im Irakangeht, wo Deutschland eine stabilisierende Rolle spielt,was aber auch die schwierige Situation in der Türkei an-geht. Insbesondere in Ägypten sind die verlässlichen
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Philipp Mißfelder
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Partnerschaften, die wir eingegangen sind, wichtig. Alldas führt dazu, dass Christen in diesen Ländern ein ge-schütztes Leben führen können. Da wollen wir uns auchweiterhin engagieren.
Bei vielen Begegnungen im Ausland habe ich mit In-teresse Vergleiche anstellen und feststellen können, wieunterschiedlich internationale Organisationen auftreten,wie sich Länder interessengeleitet verhalten und versu-chen, ihre nationalen Interessen durchzusetzen. EineSache, die uns besonders auszeichnet, ist, dass wir ver-suchen – das ist in Brüssel nicht gerade einfach –, unsereaußenpolitische Konzeption immer in einen größerenRahmen einer gemeinsamen und abgestimmten europäi-schen Position zu setzen. Erstens machen das nicht alleLänder in Europa so. Zweitens führt die Art und Weise,wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Auswärti-gen Amtes versuchen, deutsche und europäische Interes-sen vernünftig und sachorientiert zu vertreten, zu gro-ßem Respekt, wofür wir ihnen danken sollten.Auf schwierigeren Posten von Kabul bis Bagdad ge-nauso wie auf Posten, die vermeintlich einfacher sind,beispielsweise in Athen oder in Madrid, leisten unsereMitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Auswärtigen Diensthervorragende Arbeit. Ich möchte deshalb – oft wird esals selbstverständlich angesehen, dass das Diplomati-sche Korps professionell arbeitet – den Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern, den Ortskräften, aber auch den Fami-lien, die häufig mit zeitlicher Entbehrung zu lebenhaben, danken. An einem solchen Tag geht es nicht nurums Geld, sondern auch um die Anerkennung dessen,was Menschen im Namen der Bundesrepublik Deutsch-land leisten.Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt dasWort der Kollege Sven-Christian Kindler.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Wir sind wohl alle während dieser Haus-haltswoche mit den Gedanken im Nahen Osten. DieHoffnungen von gestern Abend haben sich leider nichterfüllt. Es gibt noch immer keine Waffenruhe im NahenOsten.Hier ist klar festzustellen: Dieses Jahr sind HunderteRaketen aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert wor-den. Die israelische Regierung hat daraufhin reagiert.Die Raketenangriffe der Islamisten aus dem Gazastrei-fen sind klar zu verurteilen. Natürlich hat Israel dasRecht, sich selbst und seine Bürgerinnen und Bürger zuverteidigen und zu schützen.
Klar ist aber auch: Für eine Deeskalation dieses Kon-flikts, die jetzt dringend notwendig ist, müssen sichnatürlich beide Seiten bewegen. Ich hoffe weiterhin,dass es dort schnell zu einem Waffenstillstand kommt.Wir begrüßen, dass es vielfältige diplomatische Initiati-ven von Ägypten, von den USA und von der Europäi-schen Union gibt. Herr Außenminister Westerwelle, ichbegrüße es, dass Sie in der Region aktiv sind und sicheingeschaltet haben. Ich glaube nur, dass das langfristignicht reichen wird.Natürlich ist es wichtig, dass es wieder zur Aufnahmevon Friedensverhandlungen kommt, weil nur das echteStabilität garantieren kann. Für die Aufnahme vonVerhandlungen ist es notwendig, dass sich beide Seitenbewegen. Dies muss einerseits zur Beendigung derGazablockade für zivile Güter, wie zum Beispiel fürBaustoffe – also nicht für Waffen –, und andererseits zueinem Siedlungsstopp in der Westbank führen. Klar seinmuss aber natürlich auch, dass die Palästinenser ein füralle Mal Gewaltverzicht üben und das ExistenzrechtIsraels anerkennen müssen. Das ist vor allen Dingen des-halb notwendig, weil wir wissen, dass wir dort einenechten und langfristigen Frieden brauchen, der wichtigfür die Sicherheit Israels und der Palästinenser ist.
Ich komme nun zu einem anderen aktuellen Thema inder Region, nämlich zur Auseinandersetzung an der tür-kisch-syrischen Grenze. Wie es aussieht, wird die Türkeivermutlich noch in dieser Woche einen Antrag an dieNATO auf Entsendung von Patriot-Raketen stellen.Herr Mißfelder, ich glaube, Sie haben das falsch ver-standen. Es gibt bisher keine festgelegte Position für einmögliches Abstimmungsverhalten, weil uns das Mandatnoch gar nicht vorliegt. Wir haben bisher nur viele Fra-gen und Zweifel. Ich will gar nicht verschweigen: Wirhaben Zweifel hinsichtlich der Verlegung. Denn dieserEinsatz wäre natürlich auch mit Risiken und Gefahrenverbunden. Man muss sich auch vor Augen führen, dassPatriot-Raketen bei den bisherigen Angriffen aus Syrienauf das türkische Territorium mit Mörsergranaten undArtillerie nicht geholfen hätten. Ich finde, es muss auchausgeschlossen werden, dass die Bundeswehr und dieNATO durch die Hintertür in den Syrien-Krieg hineinge-zogen werden.
Klar ist auch – daran führt kein Weg vorbei –: DieBundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Sollte sich dieBundesregierung entscheiden, Patriot-Raketen und Bun-deswehrsoldaten in die Türkei zu entsenden, dann mussdieses Mandat hier im Deutschen Bundestag beschlossenwerden.
Aber nicht nur die Brandherde im Nahen Osten zei-gen uns wieder einmal, dass wir in einer Welt mit vielengewalttätigen Konflikten und Kriegen leben. Damit sindwir mitten in dieser Haushaltsdebatte, weil die Bewälti-
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Sven-Christian Kindler
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gung von Konflikten natürlich auch mit Geldern imHaushalt zu tun hat.Es gibt zum Beispiel für die Länder des arabischenFrühlings Transformationsgelder. Diese Gelder sind inden Haushalt eingestellt worden – das war auch richtigso –, weil wir natürlich wissen, dass die Bürgerinnen undBürger dort unterstützt werden müssen, damit aus altenDiktaturen nicht wieder neue Diktaturen werden. DerDemokratieaufbau braucht einen langen Atem. Das Pro-blem ist: Laut der Finanzplanung sind die Mittel ab 2014nicht nachhaltig gesichert. Es gibt keine Konstanz undVerlässlichkeit. Das ist ein Problem dieser Bundesregie-rung: Es gibt keine vorausschauende und verlässlicheAußenpolitik.
Wie verheerend das sein kann, erkennt man zumBeispiel auch, wenn man sich die letzte Bereinigungs-sitzung zum Haushalt anschaut. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion haben die schwarz-gelben Haushälter10 Millionen Euro beim Stabilitätspakt Afghanistan ge-kürzt. Dabei geht es um Polizeiaufbau, um Justizaufbau,um Rechtsstaatlichkeit, um Gesundheitsprojekte und umMenschenrechte. Das ist ein verheerendes Zeichen andie Menschen in Afghanistan, weil damit signalisiertwird: Deutschland und diese Bundesregierung verab-schieden sich aus der Verantwortung. Das kann man denMenschen in Afghanistan nicht zumuten. Diese Unter-stützung Deutschlands für Afghanistan im zivilen Be-reich muss weitergehen.
Noch im Juli haben Sie, Herr Westerwelle, in Tokiodie Zusage gemacht, es gebe weiterhin 430 MillionenEuro für den zivilen Aufbau in Afghanistan. Was ist vierMonate später passiert? Ihre Haushälter haben Ihnen10 Millionen Euro weggekürzt. Sie waren nicht darüberinformiert. Es ist natürlich peinlich, dass das AuswärtigeAmt nicht involviert war. Dies war eine Blamage für IhrHaus, weil intern klar wird, wie planlos die schwarz-gelbe Außenpolitik ist. Dies war aber auch eine Blamageersten Ranges auf internationalem Parkett, weil sichzeigte: Diese Bundesregierung ist international nichtverlässlich.
Wir wollen diese Kürzung rückgängig machen undhaben einen Antrag dazu gestellt. Dem können Sie zu-stimmen; ich bitte Sie darum. Herr Westerwelle, auchSie können ihm zustimmen. Die nachhaltige Entwick-lung Afghanistans darf nicht durch den Zickzackkursdieser Bundesregierung gefährdet werden.Vielen Dank.
Das Wort hat der Bundesaußenminister Dr. GuidoWesterwelle.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-wärtigen:Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Kolleginnen und Kollegen! Ich stehe noch sehrunter dem Eindruck des Besuches in Israel und in Ägyp-ten in den letzten beiden Tagen. Ich glaube, dass es ausdiesem Anlass entgegen der sonstigen Übung angemes-sen ist, dass ich hier auch in der zweiten Runde derHaushaltsdebatte das Wort ergreife.Ich möchte vorab noch einmal zum Ausdruck brin-gen: Wir alle sind enttäuscht darüber, dass gesternAbend eine Waffenruhe nicht möglich wurde. Gleichzei-tig ist die Bundesregierung der Auffassung: Wir werdenunsere Bemühungen, dass eine Waffenruhe aufgrundinternationaler Hilfe doch noch zustande kommt, nichteinstellen. Im Gegenteil: Wir werden im Interesse derMenschen unsere Bemühungen noch verstärken. Wirwollen, dass eine Waffenruhe erreicht wird. Wir wollenaber gleichzeitig mit dieser Waffenruhe die Vorausset-zungen dafür schaffen, dass ein nachhaltiger Waffenstill-stand erarbeitet werden kann. Dazu gehören drei Säulen:Erstens. Die Raketenangriffe aus Gaza nach Israelmüssen unverzüglich eingestellt werden. Das ist ein Ver-brechen, das durch nichts gerechtfertigt werden kann.
Zweitens. Der Raketen- und Waffenschmuggel nachGaza ist eine der Ursachen für die innere Bewaffnung,auch von militanten Gruppen im Gazastreifen selbst.Deswegen wird es einen nachhaltigen, stabilen Waffen-stillstand nur geben, wenn der Waffenschmuggel ein-gestellt wird. Wir appellieren auch an Ägypten, dieseAufgabe anzunehmen, diese Verantwortung wahrzuneh-men. Ägypten hat sich in diesen letzten Tagen als einsehr verantwortungsvolles Land gezeigt. Jetzt geht esdarum, dass der Waffenschmuggel unterbunden wird. Erist eine Bedrohung für die Sicherheit der gesamtenRegion, nicht nur für die Sicherheit von Israel.
Drittens. Für uns ist völlig klar, dass es einen nachhal-tigen Waffenstillstand und eine stabile, gute und friedli-che Entwicklung für die gesamte Region nur gebenkann, wenn auch die Menschen in Gaza selbst eine wirk-liche Entwicklungsperspektive haben.Ich war vor zwei Jahren der erste Außenminister derwestlichen Welt, der nach der ersten Lockerung derBlockade im Gazastreifen gewesen ist. Ich habe die Kin-der dort gesehen, und ich habe dort Schulen besucht. Dasist etwas, was man natürlich nicht vergisst. Deswegensage ich hier noch einmal ganz klar: Für uns ist selbst-
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Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
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verständlich, dass die Menschen in Gaza eine Perspek-tive brauchen, dass sie eine Möglichkeit haben müssen,sich auch wirtschaftlich zu entfalten. Gerade deshalb istes so wichtig, dass die Radikalen und die Gewaltbereitendie friedlichen Menschen in Gaza nicht länger in Geisel-haft nehmen können. Dieser Zusammenhang muss gese-hen werden.
Ich will hinzufügen: Israel ist unser Freund. Die fried-lichen Palästinenser sind es ebenfalls.
Aus der Tatsache, dass wir Raketenangriffe aus demGazastreifen gegen den Süden Israels in aller Klarheitverurteilen, eine unbalancierte Einseitigkeit herauszu-lesen, beinhaltet einen Vorwurf, der der Sache nicht ge-recht wird. Wenn wir die Raketenangriffe verurteilenund das Recht von Israel, sich zu verteidigen, unterstrei-chen, dann ist das keine Parteinahme. Wenn es eineParteinahme ist, dann ist es eine Parteinahme für dieMenschen und für die Menschlichkeit und für denFrieden. Zu dieser Parteinahme und auch zu dieserParteilichkeit bekennen wir uns gerne.
Herr Westerwelle, erlauben Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Hänsel von der Linken?
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Bitte sehr.
Frau Hänsel.
Danke schön, Herr Präsident. – Danke, Herr Minister
Westerwelle, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.
Sie haben davon gesprochen, dass es der Bundesre-
gierung um einen nachhaltigen Frieden geht. Sie haben
eben ein paar Bedingungen genannt. Aber den grundle-
genden Konflikt aufgrund der seit Jahrzehnten andauern-
den Besatzung haben Sie nicht angesprochen.
Es gibt nicht nur die Auseinandersetzung zwischen der
Hamas und der israelischen Regierung; es gibt auch eine
völkerrechtswidrige Besatzung seit über vierzig Jahren.
In dieser Zeit ist sehr viel Land in der Westbank verloren
gegangen. Das wissen wir doch alle. Wie viele Delega-
tionen fahren denn jedes Jahr in die Westbank und sehen,
wie viel Land geraubt wird und nicht mehr verfügbar ist,
um einen palästinensischen Staat aufzubauen?
Wenn wir zu einem nachhaltigen gerechten Frieden
kommen wollen, dann können wir nicht isoliert über
Gaza und die israelische Regierung diskutieren, sondern
wir müssen ernsthaft auf die Frage antworten, wie wir
uns eine Zwei-Staaten-Lösung vorstellen. Denn wenn
wir dazu schweigen, dann gibt das immer nur radikalen
Kräften Auftrieb. Es gibt eine Spirale der Gewalt, aber
es fehlt die Lösung.
Kommen Sie bitte zum Punkt.
Deswegen mein Appell an Sie: Wir müssen da zu ei-
ner Änderung kommen.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Frau Kollegin, ich fürchte, dass Ihrer Frage nicht nur
eine falsche Annahme, sondern auch eine falsche Politik
zugrunde liegt, und zwar unter folgendem Gesichts-
punkt: Hamas spricht nicht für die Palästinenser,
sondern Hamas spricht für die Gewalt. Die Palästinenser
werden durch Präsident Mahmud Abbas repräsentiert,
den ich selber gestern aufgesucht habe und der in großer
Klarheit immer und immer wieder gesagt hat: Die Rake-
tenbeschüsse aus Gaza in Richtung Israel sind nicht die
Politik von Palästina und der palästinensischen Autoritä-
ten; sie sind zu verurteilen.
Wir dürfen die Unterschiede auch innerhalb dieser
Kräfte nicht unterschätzen. Deswegen habe ich aus-
drücklich gesagt: Die friedlichen Palästinenser sind un-
sere Freunde. Dass wir auf dem Verhandlungswege eine
Zwei-Staaten-Lösung wollen, ist von dieser Bundesre-
gierung und übrigens auch von mir selbst, zuletzt in mei-
ner Rede vor den Vereinten Nationen, immer und immer
wieder unterstrichen worden. – Vielen Dank, Frau Kolle-
gin.
Herr Kollege Westerwelle, auch Frau Wieczorek-Zeulwürde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-wärtigen:Ich habe gehört, Sie haben heute Geburtstag. Wiekönnte ich da anders entscheiden?
Herzlichen Glückwunsch, Frau Kollegin!
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25276 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012
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Ich mache eine Zwischenbemerkung. – Herr Außen-
minister, Sie haben heute zu Recht darauf hingewiesen,
dass nicht die Hamas für Palästina spricht, sondern Prä-
sident Abbas. Ich erwarte jetzt von Ihnen, dass Sie deut-
lich machen, dass die Bundesregierung und Sie selbst
bereit sind, in der UN-Generalversammlung dem Antrag
zuzustimmen, den Präsident Abbas, der für den multila-
teralen, friedlichen Weg steht, für eine bessere interna-
tionale Anerkennung Palästinas stellt. Ich erwarte auch,
dass Sie innerhalb der Europäischen Union dafür sorgen,
dass diesem Antrag zugestimmt wird.
Meine Begründung ist: Man kann doch nicht einer-
seits – das haben die Minister im Rat für Auswärtige An-
gelegenheiten auch gesagt – die Hamas zu Recht wegen
der Gewalt kritisieren und andererseits Abbas den fried-
lichen Weg vor die Generalversammlung der Vereinten
Nationen zur Aufwertung des Status versperren. Das
passt nicht zusammen.
Ich erwarte, dass Sie eine klare Aussage hierzu machen.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Frau Kollegin, wenn Sie freundlicherweise stehen
bleiben würden, solange ich Ihre Frage beantworte –
nicht aus Gründen der Courtoisie, sondern damit der
Präsident nicht den falschen Knopf drückt und die Ant-
wort zulasten meiner Redezeit geht.
Frau Kollegin, Sie waren selber viele Jahre Mitglied
der Bundesregierung. Deswegen wissen Sie, dass man in
der Außenpolitik Fragen dann beantwortet, wenn sie
sich stellen, und nicht immer dann, wenn sie einem ge-
stellt werden. Wir werden die Entscheidung fällen, und
zwar dann, wenn wir den Antrag kennen, wenn er tat-
sächlich vorliegt, wenn er tatsächlich zur Abstimmung
gestellt werden sollte und wenn wir mit allen unseren
Verbündeten ausreichende Konsultationen getätigt ha-
ben. Dann entscheide ich über das Abstimmungsverhal-
ten der Bundesregierung. Das ist verantwortungsvolle
Außenpolitik.
Keine verantwortungsvolle Außenpolitik wäre es, jetzt
irgendwelche Schaufensterankündigungen zu machen,
nur weil das hier vielleicht gerne gehört wird. Das wäre
außenpolitisch ein großer Schaden für unser Land.
Herr Minister, erlauben Sie noch eine Nachfrage der
Kollegin Wieczorek-Zeul? Das wäre aber jetzt die letzte
Zwischenfrage, die ich zulasse.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Aber dann muss es schon ein runder Geburtstag von
Ihnen heute sein.
– Ich gratuliere von Herzen, Frau Kollegin.
Das hält keiner hier für möglich.
Sie haben gesagt, die Frage sei nicht gestellt worden.Ich wollte Sie darauf hinweisen, dass Ihr Ministeriumuns eine Nachricht des Außenministerrats vom 19. No-vember über eine Beratung innerhalb der EuropäischenUnion zugeschickt hat. In der Nachricht steht, dass sichdie Mitgliedstaaten der Europäischen Union vermutlichenthalten. Andere Länder haben gesagt, dass sie dafürstimmen. Die Frage ist also gestellt. Ich bin ganz sicher,dass auch Herr Abbas Sie darauf angesprochen hat.Am 29. November, in ungefähr einer Woche, geht esin der UN-Generalversammlung um den Antrag. Ichbitte Sie, auch vor dem Hintergrund der jahrzehntelan-gen Erfahrungen, sicherzustellen, dass die Mitgliedstaa-ten der Europäischen Union sich in dieser Debatte nichtwegducken, sondern dass sie mit ihrer Stimme diesemAntrag Nachdruck verleihen und damit die Position vonPräsident Abbas stärken.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-wärtigen:Ich will dazu Folgendes sagen: Zunächst einmal ist esnicht angebracht, den Eindruck zu erwecken, als hätteIhnen mein Amt ein Abstimmungsverhalten der Euro-päischen Union oder einzelner Mitgliedstaaten angekün-digt; Sie haben vielmehr eine Unterrichtung von denBeratungen erhalten, an denen ich selber noch am Mon-tagmittag teilgenommen habe. Das wichtigste Wort, dasSie erwähnt haben, ist „vermutlich“. Nur, auf der Basiseiner Vermutung kann kein Außenminister ein Abstim-mungsverhalten festlegen. Das würden auch Sie in mei-ner Situation nicht tun, wobei ich sagen muss, dass Siein diese Situation aus meiner Sicht nicht kommen wer-den.
– Bitte, Frau Kollegin, ich möchte noch zu Ende antwor-ten. Ich habe nur noch eine Minute und 13 Sekunden Re-dezeit. Daher müssen Sie noch stehen bleiben.Ich will noch einen ernsten, inhaltlichen Grund sagen,warum wir all dies mit allen anderen Europäern sorgfäl-tig beraten werden, übrigens auch mit den anderen Ver-bündeten, die wir international haben. Dass das gesternnatürlich ein Thema bei Präsident Mahmud Abbas gewe-
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Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
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sen ist, wissen Sie. Das war auch im September, als ichihn ebenfalls getroffen habe, so. Das ist regelmäßig einThema zwischen uns.Der Punkt ist nur: Was hilft dem Anliegen einer wirk-lichen Zwei-Staaten-Lösung am meisten, einseitigeSchritte oder ein Ergebnis von Verhandlungen? Wir sindder Überzeugung, dass eine Verhandlungslösung dasBeste ist, was man in dieser Situation erreichen kann.Deswegen werde ich keine spekulativen Ankündigungenhier machen. Wir werden diesem Prinzip weiterhin fol-gen, wie es übrigens auch die Vorgängerregierungenstets getan haben. Es ist noch nicht allzu lang her, dassSie selber regiert haben.Meine Damen und Herren, ich will noch eine Bemer-kung zu einem Thema machen, das von den KollegenMißfelder und Kindler angesprochen worden ist, näm-lich zum Thema Patriots. Ich rechne damit, dass in kur-zer Zeit eine Anfrage der Türkei für die Stationierungvon Patriot-Raketen bei der NATO eingeht. Ich habe dendeutschen Botschafter angewiesen, einen solchen Antrag– natürlich nur, wenn die Bedingungen erfüllt sind, undunter den üblichen Vorbehalten – positiv anzunehmen;denn es wäre ein schwerer Fehler, wenn wir einemNATO-Mitgliedsland in einem Moment, in dem sich die-ses Mitgliedsland Angriffen von außen ausgesetzt sieht,eine defensive Unterstützung verweigern würden. Ichglaube, wenn die Bitte eines NATO-Mitgliedslandesnach defensiver Hilfe von einem anderen Bündnispart-ner, zum Beispiel Deutschland, abgelehnt und damit eineEntscheidung der NATO blockiert würde, hätte das un-absehbare Folgen für das Bündnis. Manchmal brauchtman auch selber Solidarität. Das muss man immer dannim Kopf haben, wenn andere in einem Bündnis nach So-lidarität fragen. Das ist die Richtung, in die wir gehenwollen.
Allen Parlamentsvorbehalten wird selbstverständlichRechnung getragen. Herr Kollege, auch ich glaube, dasseine Befassung des Deutschen Bundestages und eineAbstimmung erforderlich sind.Zum Abschluss möchte ich mich bei den Damen undHerren der Ausschüsse, vor allen Dingen des Haushalts-ausschusses, und bei den Berichterstattern bedanken. Ichdanke von Herzen für eine sehr kollegiale Zusammenar-beit. In diesen Dank schließe ich ausdrücklich die Da-men und Herren – in diesem Fall die Herren – der Oppo-sition ein, und zwar für ihre Berichterstattung und fürihre Arbeit insbesondere im Haushaltsausschuss. Es wareine gute, faire Zusammenarbeit.Ich verstehe und respektiere, dass Kollegen der Oppo-sition immer etwas finden müssen. Das soll auch so sein.Im Kern kommt es aber auf eine Sache an: Ist es derBundesregierung in den letzten drei Jahren gelungen,das Ansehen unseres Landes in der Welt zu mehren, jaoder nein?
Da wir vor zwei Jahren in den Sicherheitsrat der Ver-einten Nationen und vor wenigen Wochen nach kontro-verser Diskussion in einer geheimen Abstimmung in denMenschenrechtsrat der Vereinten Nationen gewählt wor-den sind, scheint der Blick der Welt auf unsere Außen-politik offensichtlich besser zu sein als der Blick der Op-position. Damit kann ich leben.Vielen Dank.
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Gernot
Erler das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Inder Tat: Die ganze Welt schaut auf die Lage in Nahost,auf die Konfliktentwicklung in Israel und in den Palästi-nensergebieten. Gestern gab es einige Stunden langHoffnung auf eine rasche Feuerpause. Diese Hoffnungwurde enttäuscht. Es wird weiter geschossen.Wie immer sind dabei Zivilisten, Frauen und Kinderdie ersten und zahlenmäßig die meisten Opfer. Jeder, derden Waffenstillstand weiter aufschiebt, aus welchenGründen auch immer, lädt Schuld auf sich – Schuld amTod und an Verletzungen von unschuldigen Opfern desKonflikts. Ich bin mir sicher: Der gesamte DeutscheBundestag unterstützt nicht nur eine sofortige Waffen-ruhe, sondern fordert sie unmissverständlich ein.
Herr Außenminister, Sie haben sich eingeschaltet undsind innerhalb von 24 Stunden in Jerusalem, Ramallahund Kairo gewesen. Es kann sein, dass der deutsche Ein-fluss in Nahost überschaubar ist, wie der Kollege Stinnerheute Morgen im Radio gesagt hat; es kann sein, dass esvorerst nur „im Trippelschritt zur Feuerpause“ kommt,wie eine Tageszeitung heute schreibt. Aber Sie, HerrMinister, haben sich bemüht, dass diese kleinen Schrittewenigstens in die richtige Richtung gehen. Dafür habenSie unsere Anerkennung und unsere Unterstützung auchbei weiteren Versuchen dieser Art.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich muss espolitisch weitergehen, wenn erst einmal das Wichtigste,also das Schweigen der Waffen, erreicht ist. Was musseigentlich noch passieren, bis alle verstehen, dass inWirklichkeit der Konflikt zwischen Israel und den Paläs-tinensern die Mutter aller Konflikte in der Großregiondes Broader Middle East, das nördliche Afrika mit ein-geschlossen, ist?Eine nachhaltige Lösung – Herr Minister, Sie habendiesen Begriff auch gebraucht – dieses Konflikts ist un-verzichtbar, und zwar für alle Schauplätze von Iran über
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Dr. h. c. Gernot Erler
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Syrien bis Mali, für alle Regionen, in denen Extremistenund Dschihadisten Zulauf haben. Es kann nicht sein,dass ein Ausweg aus der jetzigen dramatischen Situationnur wieder in eine Sackgasse führt, die in drei Jahren er-neut in einem Gewaltausbruch endet, wie das Ende2008, Anfang 2009 der Fall war und jetzt in diesen Ta-gen der Fall ist.Wer eine nachhaltige Lösung dieses Konflikts will,muss auch bereit sein, sich selbst zu bewegen. Ich per-sönlich vertrete schon länger die Position, dass man amEnde doch mit den Vertretern der Hamas direkt verhan-deln muss. Längst ist klar: Im Gazastreifen muss sich dieHamas inzwischen weit radikalerer Dschihad-Gruppenerwehren. Wie kann es denn sein, dass die ganze Weltjetzt auf die Vermittlungsfähigkeiten des ägyptischen Prä-sidenten Mohammed Mursi baut, wo doch jeder weiß,dass die Muslimbruderschaft, aus der Mursi kommt, dieHamas als Familienmitglied betrachtet? Das hat für michkeine Logik. Zumindest muss man konstatieren, dass dieAusgrenzungsstrategie, die viel mit Selbstausgrenzungzu tun hat, in der Sache bisher keinen Schritt nach vornegeführt hat.Ich möchte noch zu einem anderen tagesaktuellenThema kommen, das Sie ebenfalls hier behandelt haben,Herr Minister, nämlich zu der offenbar bevorstehendentürkischen Bitte um Unterstützung durch das Abwehr-system Patriot PAC-3, das in drei NATO-Ländern in Ge-brauch ist, auch in Deutschland. Herr Außenminister, ichhalte auch dies für eine politische Frage, die in IhrRessort fällt. Ich sage „auch dies“, da wir seit einigerZeit beobachten, dass Ihr Ressort, bildlich gesprochen,einem Schrumpfungsprozess bei den Aufgaben ausge-setzt ist.Eigentlich ist der Werdersche Markt auch für Europazuständig, eigentlich auch für die deutsche Russland-Politik, die in den letzten Wochen Schlagzeilen gemachthat. Sie nehmen aber einfach hin, dass für alle sichtbarhier das Bundeskanzleramt die Hauptrolle übernommen,um nicht zu sagen: usurpiert hat.
Genauso haben Sie sich für alle sichtbar aus der politi-schen Federführung für das deutsche Engagement inAfghanistan verabschiedet. Jetzt droht das Ganze offen-sichtlich auch bei den nächsten beiden absehbaren deut-schen Auslandsmissionen, nämlich beim Einsatz der Pa-triots an der türkisch-syrischen Grenze und bei derMission im westafrikanischen Mali – nur dass hier dasBMVg das Kommando übernommen hat. Alle diese Zu-ständigkeitsverlagerungen sind problematisch und fin-den nicht unsere Zustimmung.Wir haben großen Respekt vor dem, was die Türkei alsNachbar des syrischen Dramas leistet, vor allem mit derklaglosen Aufnahme von bisher mehr als 130 000 Flücht-lingen aus Syrien, zu denen täglich Hunderte, manchmalsogar Tausende dazukommen. Angesichts der prekärenLage an der 900 Kilometer langen syrisch-türkischenGrenze haben wir auch großes Verständnis für türkischeSorgen und stehen zu unseren Bündnispflichten.Aber es ist doch eine Selbstverständlichkeit, dass je-der deutsche Einsatz in dieser gefährlichen Situation, dieerhebliche Eskalationspotenziale aufweist, ein Mandatdes Deutschen Bundestages braucht und dass bei dieserEntscheidung natürlich Text und Begründung des er-warteten türkischen Antrags von uns sorgfältig geprüftwerden müssen. Ich verstehe überhaupt nicht, HerrMißfelder, Herr Stinner, warum Sie hier einem vorausei-lenden Bündnisgehorsam das Wort reden.
Es ist doch gerade der Sinn des Parlamentsvorbehalts inDeutschland, dass wir das sorgfältig prüfen, bevor wir ineinen Einsatz gehen.
Dazu müssen uns aber die entsprechenden Texte vorlie-gen. Dass zum Beispiel nach dem Artikel von HerrnSenator McCain in den letzten Tagen und auch nach tür-kischen Äußerungen vor einiger Zeit einiges erklärt wer-den muss, ist klar.Ich bin ganz sicher, dass wir, wenn wir zu dieserSelbstverständlichkeit des gemeinsamen Prüfens zurück-kehren, eine vernünftige Entscheidung treffen können.Es ist eigentlich eine traurige Angelegenheit, dass wirdie Bundesregierung erst wieder mit unseren Möglich-keiten zu dieser Selbstverständlichkeit zurückgeführt ha-ben.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Jetzt hat das Wort die Kollegin Erika Steinbach von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-nächst ein herzliches Dankeschön an Sie, Herr Außen-minister, für Ihren wirklich sehr engagierten Einsatz fürden Frieden im Nahen Osten. Ich wünsche Ihnen unduns im Interesse der Menschen dort viel Erfolg dabei.
Menschenrechtspolitik ist eine Grundkonstante dieserBundesregierung, dieser christlich-liberalen Koalition.Die Einhaltung von Menschenrechten ist auch ethischesFundament für die demokratische, für die kulturelle undsogar für die wirtschaftliche Entwicklung eines jedenLandes. Dafür engagieren wir uns, und zwar sehr. Fürdiese Querschnittsaufgabe setzt sich die deutsche Au-ßenpolitik ein.
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Erika Steinbach
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Ein erheblicher Teil der Aufgaben liegt natürlich imBereich der Außenpolitik. Die Herausforderungen, de-nen sich Deutschland in diesem Bereich gegenübersieht,sind in den letzten Jahren deutlich erkennbar gewachsen.Es sind schwierige Herausforderungen; denn zunehmendprallen in vielen Regionen der Welt religiöse, ethnischeoder ideologische Vorstellungen aggressiver aufeinanderals in vielen Jahren zuvor.Mit großer Sorge schauen wir auf die Situation in Sy-rien und auf das unendliche Leid, das durch den viel zulange währenden Bürgerkrieg über viele Menschen ge-kommen ist und immer noch kommt. Die Bundesregie-rung unterstützt die Opfer dieses Krieges, soweit esüberhaupt möglich ist – im Landesinneren Syriens ist esganz schwierig –, durch bilaterale und auch durch Hilfenim Rahmen der Europäischen Union. Wir befürwortenausdrücklich, was die Bundesregierung dort leistet.Durch den bevorstehenden Winter – das kann sich jedervorstellen – verkompliziert sich die Lage für die Flücht-linge. Insbesondere entstehen in den Nachbarländern Sy-riens, in Libanon, Jordanien und der Türkei, aufgrundder vielen syrischen Flüchtlinge schwierige Situationen.Die Umbrüche im Nahen Osten und in Nordafrika imvergangenen und in diesem Jahr sind sicherheitspolitischvon hoher Brisanz. Das betrachten wir allesamt mit-einander – ich meine damit alle Fraktionen in diesemHause – nicht ohne Sorge. Deutschland unterstützt alleMaßnahmen, die die Hilfsorganisationen in den betref-fenden Ländern leisten können, soweit sie überhaupt indie jeweiligen Länder hineinkommen. Das schlägt sichauch im Haushalt des Auswärtigen Amtes nieder.Unsere Aufmerksamkeit gilt akut unter anderem na-türlich dem afrikanischen Norden. Die Sahelzone – daswurde bereits angesprochen – wird von marodierendenBanden und von al-Qaida destabilisiert. Das hat dramati-sche Folgen für die Menschen in dieser Region. Vondeutscher Seite wurden 39 Millionen Euro für die Nah-rungsmittelhilfe bereitgestellt.Die demokratische Entwicklung in den Ländern dersogenannten Arabellion ist – das können wir jetzt erken-nen – leider kein Garant für die Durchsetzung und fürdie Einhaltung von Menschenrechten. Da mache sichniemand etwas vor! Demokratisierung kann dort auch zuIslamisierung führen. Die Zukunft der Minderheiten dortist durchaus nicht so gesichert, wie wir es uns alle wün-schen und wünschen müssen. Insbesondere die Christenund die Bahai in dieser Region leben in Sorge um ihreZukunft.Darum danke ich unserem FraktionsvorsitzendenVolker Kauder, der erst in der vergangenen Woche Ge-spräche mit dem Vorsitzenden der ägyptischen Partei fürFreiheit und Gerechtigkeit – das ist die Partei der Mus-limbrüder – geführt hat. Sein Anliegen war insbeson-dere, für den Schutz der religiösen Minderheiten zusensibilisieren. Es gab die Zusage, dass der Schutz vonMinderheiten in der neuen ägyptischen Verfassung ver-ankert werden solle. Das begrüßen wir seitens der christ-lich-liberalen Koalition ganz ausdrücklich. Ich glaubeaber, dass wir den Prozess sehr aufmerksam beobachtenmüssen. Mehr können wir ohnehin nicht tun. Wir kön-nen aber auch immer wieder in Gesprächen und im Dia-log mahnen und versuchen, zu sensibilisieren.Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch inEuropa gibt es für die Menschenrechte gehörig viel zutun. Die Entwicklung der Menschenrechte und der De-mokratie in Russland, der Ukraine oder in Weißrusslandmuss uns beschäftigen. Es ist wirklich gut, dass Bundes-kanzlerin Angela Merkel in Moskau sehr deutlich aufDefizite in Russland hingewiesen hat – in der gebotenenTonart, aber sie hat es sehr deutlich getan.
Das war nicht immer so.Die europäischen Mitgliedstaaten, darunter selbstver-ständlich Deutschland, schauen besorgt auch auf dieUkraine. Die Strafverfolgung gegen die ehemalige Mi-nisterpräsidentin Julija Timoschenko, gegen Vertreterihrer damaligen Regierung und deren Umfeld ist erkenn-bar politisch motiviert. Die Haftbedingungen sind unver-einbar mit menschenwürdigen Grundsätzen und europäi-schen Werten.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechtefällte 2011 822 Entscheidungen zur Ukraine. 814 davonbetrafen Menschenrechtsverletzungen, insbesondere dasRecht auf ein faires Verfahren. Das Verfassungsgerichtder Ukraine ist, wie alle registrieren können, letztlich nurnoch ein willfähriges Organ der Exekutive.Die Menschenrechtsorganisation „Reporter ohneGrenzen“ sieht die Ukraine auf Platz 116, was die Pres-sefreiheit anbelangt. Damit befindet sich dieses europäi-sche Land in der Rangfolge der defizitären Staaten inGesellschaft von Venezuela und Simbabwe, die aufPlatz 117 stehen. Das spricht für sich, und das sprichtBände.Menschenrechte sind also auch bei uns in Europa beiweitem noch nicht in allen Ländern selbstverständlich.Auch auf unserem Kontinent gibt es Defizite und damitHerausforderungen, die wir immer wieder anpackenmüssen. Dem stellt sich die Bundesregierung, und demstellt sich die christlich-liberale Koalition. Ich glaube,wir alle miteinander haben da noch viel zu tun.
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege
Wolfgang Gehrcke.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ichmöchte mit einem Punkt anfangen, bei dem ich über-zeugt bin, dass wir uns darüber hier im Hause einig sind:Die Außenpolitik meiner Fraktion weist in eine völlig
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Wolfgang Gehrcke
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andere Richtung als die Außenpolitik anderer Fraktionenund der Bundesregierung.
Diese Feststellung ist mir wichtig, und ich will sie Ihnenim Einzelnen begründen.Beginnen möchte ich mit der Debatte zum Nahen Os-ten. Ich bin sehr traurig und es bewegt mich sehr, dass esheute in Tel Aviv einen erneuten Anschlag gegeben hatund dass wieder Menschen zu Schaden gekommen sind.Ich bin sehr besorgt darüber, dass die Waffenruhe mögli-cherweise nicht zustande kommt. Wenn die Waffenruhenicht zustande kommt, wird es keinen Waffenstillstandgeben. Dann wird es weiterhin keine Chance auf irgend-eine Verhandlungslösung geben.Man muss sich darüber klar werden, was dort eigent-lich abläuft. Ich habe oftmals den Eindruck, als gebe eseine Seelenverwandtschaft zwischen extremen Palästi-nensern und extremen Israelis. Immer wenn die Chanceauf einen Frieden gegeben ist, erfolgt ein solcher An-schlag, erfolgt eine solche Zuspitzung. Aus diesem Teu-felskreislauf muss man herauskommen, man muss eineandere politische Richtung einschlagen.
Mir ist es sehr wichtig, dass wir versuchen, in dieserverzweifelten Situation das Richtige zu tun. Herr Außen-minister, nehmen Sie es mir ab: Wenn Sie wirklich dazubeigetragen haben, dass es zu einer Waffenruhe kommt,will ich Sie gar nicht kritisieren. Ich habe allerdings ge-lesen, was die Presse schreibt und was Kollegen aus Pa-lästina schreiben, wie beispielsweise Frangi, der ja langein Deutschland Politik gemacht hat und der Ihnen Ein-seitigkeit vorhält. Was Sie hier vorgetragen haben, wareinseitig. Das war kein Appell an beide Richtungen.
Meine Fraktion ist fest davon überzeugt, dass man sa-gen muss: Schluss mit den Raketenangriffen auf Israelund Schluss mit den Bombenangriffen auf Palästina!Beides muss sofort eingestellt werden.
Wer von einer Seite Vorleistungen fordert, wird keinenWaffenstillstand erreichen.Was Sie hier zum möglichen Antrag der Palästinenserin der UNO gesagt haben, war doch nur ein Ausweichen.Aus Ihrem Hause hört man etwas ganz anderes. Da hörtman, dass die Entscheidung bereits getroffen ist. Das sa-gen nicht Sekretärinnen, sondern das sagt Ihre Füh-rungsetage.Ich sage hier: Deutschland wird in der Vollversamm-lung der Vereinten Nationen – ich kritisiere das – leidernicht für den Antrag Palästinas stimmen. Das halte ichfür einseitig und politikunfähig; das gefährdet den Frie-den im Nahen Osten.
Arafat ist einst mit einer Pistolentasche am Gürtel– ich weiß nicht, ob darin eine Pistole war – und einemÖlzweig in der Hand vor die Generalversammlung getre-ten. Abbas ist mit dem Antrag auf Aufnahme in die Ver-einten Nationen vor die Generalversammlung getreten.Was, bitte sehr, ist einseitig daran, wenn sich jemand andie UNO wendet und sich dem Diktat der UNO unter-werfen will? Das ist keine Einseitigkeit; das ist Vernunft.Es ist ein Angebot für eine friedliche Zusammenarbeit.
Ich denke, man kann zu Ihrer Außenpolitik eine ganzeReihe von Punkten auflisten. Ich habe mir auch überlegt,was ich zu Ihrer Entlastung anführen kann; denn ich ver-suche immer, gerecht zu sein. Da kriegen Sie schongrößere Angst; das weiß ich. Sie könnten zu Ihrer Ent-lastung anführen, dass Sie nur das weitergeführt haben,was Rot-Grün und Schwarz-Rot angefangen haben.
Im Wesentlichen stimmt das: Sie haben eine falschePolitik fortgesetzt.
Das entlastet Sie aber nicht; die Politik bleibt falsch.Einmal habe ich Sie gelobt – da haben Sie einenSchreck gekriegt –, und zwar dafür, dass sich Deutsch-land im Weltsicherheitsrat in der Libyen-Frage derStimme enthalten hat. Mein Eindruck ist, dass Sie heutedavon ablenken wollen. Das war jedoch eine vernünftigeEntscheidung.Ich muss Ihnen vorhalten, dass Sie hier am Pult fak-tisch gesagt haben: Wenn der Antrag der Türkei kommt– und er kommt –, werden wir diesem Antrag zustim-men. – Sie haben ein bisschen darum herumgeredet; aberdie Auskunft war eindeutig: Sie werden Ja sagen. Ichhalte das für eine falsche Entscheidung. Die Begründungder Türkei ist nicht nachvollziehbar. Keiner bedroht dieTürkei mit Krieg; es gibt keine Kriegsbedrohung von au-ßen. Die Türkei ist allen Mächten militärisch überlegen.Sie müssen der Türkei keine Raketen und keine Bundes-wehrsoldaten zur Verfügung stellen.
Mit solch einer Entscheidung führen Sie Deutschland– ähnlich wie in der Mali-Frage – in die falsche Rich-tung. Sie sind aus Afghanistan noch nicht heraus undsetzen schon die falsche Afghanistan-Politik fort. Sieführen Deutschland erneut in eine militärische Aus-einandersetzung, und zwar an der Grenze zwischen derTürkei und Syrien. Deutschland läuft damit Gefahr, inden Bürgerkrieg hineingezogen zu werden. Das ist docheine Politik, der man nicht zustimmen kann.
Die ganze Außenpolitik leidet unter dem großen Pro-blem, dass Sie die Bundeswehr zum Mittel der Außen-politik gemacht haben, dass Sie die Außenpolitik milita-risiert haben. Einer solchen Außenpolitik kann eine linke
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Wolfgang Gehrcke
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Partei nicht zustimmen. Kolleginnen und Kollegen derSPD, es gab einmal eine Zeit, in der August Bebel fürIhre Partei gesagt hat: „Diesem System keinen Mannund keinen Groschen.“ Ich finde, das kann man auchheute sagen. Bei einer solchen Außenpolitik darf mandem Etat des Auswärtigen Amtes nicht zustimmen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Manuel Sarrazin von
den Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Gehrcke, wir werden dem Etat nicht zustimmen.
Ich möchte aber doch sagen: Eigentlich ist es so, dass dieBinnendifferenzierung zwischen Antithesen immer eineStärke der Linken war. Unterscheiden Sie doch einmalzwischen der Zweiten und der Dritten Internationale!Auch wir sind nicht mit Herrn Westerwelle einer Mei-nung, haben aber trotzdem eine gewisse Binnendifferen-zierung vorgenommen. Werfen Sie uns bitte nicht mitHerrn Westerwelle in einen Topf. So schlimm sind wirwirklich nicht; das sollten Sie uns durchgehen lassen.
Zu der Frage, über die wir aktuell sprechen. Es istdoch ganz klar, dass wir in diesem Hause uneinge-schränkt um die unschuldigen zivilen Opfer im NahenOsten trauern und ihren Angehörigen unser Mitgefühlausdrücken, ganz egal, auf welcher Seite die Opfer zubeklagen sind. Es ist richtig, was hier alle gesagt haben:Es muss alles für eine Waffenruhe getan werden. Eskann keinen Zweifel daran geben, dass Israel das Rechthat, seine Bürger zu schützen. Gleichzeitig führen wirdie Debatte – sie wird auch in Israel geführt –, ob dasmilitärische Vorgehen, das sich im Moment andeutet,diesem Ziel wirklich am besten dient.Wenn wir über die aktuelle Lage reden, dann müssenwir bei der Analyse ansetzen, die hier schon angeklun-gen ist: Die Rolle Deutschlands in Europa und der Welthat sich verändert. Es wird mehr auf uns geschaut; es istwichtiger geworden, wie sich Deutschland verhält.
Wenn ich die aktuelle Debatte von heute früh aus derPerspektive eines Außenpolitikers betrachte, dann mussich sagen: Wenn aus den Reihen der Koalition immerwieder solche Debatten wie jene zu Griechenland undzum Euro losgetreten werden, kann die Bundesregierungdiesem neuen Bild von Deutschland in der Welt nicht ge-recht werden.
Dazu gehört nicht, dass sich eine Oppositionsfraktionimmer sehr genau überlegt, wie sie sich verhält. Ich kannsagen: Bei vielen Abstimmungen machen wir es unswirklich schwer. Wer weiß, wie ich in Bezug auf Afgha-nistan abstimmen werde? Dass wir uns die Entscheidungschwer machen, sieht man ja, wenn man das mit anderenKollegen vergleicht, die hier schon gesprochen haben.Wir haben das Recht, genau zu prüfen, was uns vorge-legt wird. Wir sehen ein Risiko in Bezug auf den Einsatzvon Patriots. Wir werden uns unsere Entscheidung genauüberlegen, weil wir wollen, dass Risiken ausgeschlossenwerden. Das ist der Stand der Dinge.Herr Mißfelder, Sie haben die Türkei angesprochen.Es ist schon lustig: Für Sie bedeutet privilegiertePartnerschaft Patriot-Partnerschaft. Ich möchte daraufhinweisen, dass die Bundesregierung in den Beitritts-verhandlungen mit der Türkei im Rahmen der Erweite-rung der Europäischen Union dadurch, wie sich dieKoalition in dieser Sache aufstellt – ich meine nicht dasWording im Koalitionsvertrag –, eine riesige Chance indieser Region verpasst hat, und das nur aus rein partei-politischen Erwägungen und Interessen. Das wird derRolle Deutschlands in der Europäischen Union und inder Welt nicht gerecht.
Herr Mißfelder hat Herrn Sikorski zitiert, der ganzdeutlich gesagt hat: Er wünscht sich als Mitglied einerPartei der Mitte, der Platforma Obywatelska, für Polenals wichtiges, relativ neues Mitgliedsland in der Euro-päischen Union mehr Engagement der Bundesregierungund angesichts der aktuellen Krise in der EuropäischenUnion mehr klare Worte Deutschlands. Er wünscht sich,dass Deutschland mehr tut, um die 27 europäischenStaaten zusammenzuhalten. Stattdessen habe man eherdas Gefühl, der Euro-Klub sei exklusiv und die Staaten,die 2004 im Zuge der Erweiterung der EuropäischenUnion beigetreten sind, spielten keine Rolle mehr.Deutschland muss seine Rolle wahrnehmen; man schautauf uns. Die Bundesregierung muss hier mehr tun.
Herr Erler hat dargestellt, dass das Auswärtige Amtfür immer weniger Bereiche zuständig ist. Lassen Siemich dazu ein Beispiel nennen. Bei den eigentlich feder-führenden Verhandlungen des Außenministeriums zumEU-Haushalt ist es inzwischen Frau Aigner, die die deut-sche Rolle definiert. Es gibt innerhalb der Bundesregie-rung immer noch keine abgestimmte Position in Bezugauf den siebenjährigen Finanzrahmen. Dabei beginntmorgen der EU-Gipfel.Wir müssen uns doch die Frage stellen: Was sind dieHerausforderungen, denen sich Europa in der Krise ge-genübersieht? Welche Leitideen, gerade in finanziellerHinsicht, brauchen wir jetzt in Europa? Die Position derBundesregierung wird jedoch schlichtweg dazu führen,dass der Bedeutungsverlust Europas in der Welt in finan-zieller Hinsicht untermauert wird.Liebe Kollegen von der liberalen Fraktion, hier gehtes nicht einfach nur um einen Streit zwischen der Agrar-
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Manuel Sarrazin
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politik und einem anderen Politikfeld. Es geht darum,dass die Axt an die Bereiche Forschung, Innovation,Wachstum und Beschäftigung in Südeuropa gelegt wird.Gleichzeitig werden agroindustrielle Strukturen verfes-tigt, was dazu führt, dass die künftige Agrarwirtschaft inDeutschland und in der Europäischen Union nicht trag-fähig sein wird.Ich weiß, dass die FDP eine lange europapolitischeTradition hat. Deshalb bin ich maßlos enttäuscht, dassunter der Federführung eines liberalen Außenministersein solcher MFR verhandelt wird und Sie auch noch dieVerhandlungsbox von Van Rompuy loben.
Mein Schlussbild ist: Die Europa- und Außenpolitikdieser Bundesregierung ist vergleichsweise gestaltfrei.Das wird der Rolle Deutschlands in Europa und in derWelt nicht gerecht. Das ist einer von vielen guten Grün-den, diesen Einzelplan abzulehnen.Danke.
Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Stübgen von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte indieser Debatte auf ein Thema zu sprechen kommen, daszwar den Bundeshaushalt 2013 nicht direkt betreffenwird, dafür aber die Haushalte 2014 bis 2020. Der deut-sche Nettobetrag wird dabei im höheren zweistelligenMilliardenbereich liegen. Das betrifft den mittelfristigenFinanzrahmen, zu dem auf dem Sondergipfel des Euro-päischen Rates, der morgen Abend beginnt, hoffentlicheine Einigung erzielt werden kann. Es handelt sich indiesem Bereich um einen – man kann das so sagen –Billionenhaushalt; denn um ungefähr diese Summe gehtes beim europäischen Finanzrahmen von 2014 bis 2020.Die Vorstellungen dazu liegen teilweise etwas darüber,teilweise etwas darunter.Wir als Koalition sowie die Bundesregierung habenvon Anfang an deutlich gemacht, dass es für uns wichtigist, dass sich die in ganz Europa notwendigen Sparbemü-hungen auch ein wenig im künftigen europäischen Haus-halt niederschlagen. Das bedeutet eine Orientierung an1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Bedauerlicher-weise hat die Europäische Kommission darauf bislangnicht gehört. Sie hat schon vor einem Jahr einenVorschlag vorgelegt, der deutlich über der Grenze von1 Billion Euro und auch deutlich über der 1-Prozent-Grenze liegt, obwohl – deswegen haben wir das schondamals deutlich kritisiert – alle europäischen Ländermittlerweile stark konsolidieren bzw. sparen müssen.Die Kommission meint, mit ihrer Politik über den Wol-ken schweben zu können, nach dem Motto: Das allesgeht uns nichts an.Das Europäische Parlament war so clever, diesen An-satz noch zu toppen. Es hat in seiner Entschließungschlichtweg alle Sonderwünsche aller Ausschüsse zu-sammengerechnet. Damit kommt es mit seinem Ansatznoch einmal auf eine höhere Summe.Leider konnte selbst die dänische Ratspräsidentschafttrotz starker Bemühungen mit ihren Vorlagen noch nichteinmal zu einer Zielorientierung für den mittelfristigenFinanzrahmen kommen. Die Zeit läuft uns aber davon.Die Bedingungen für einen vernünftigen Abschluss die-ses gemeinsamen Rahmens werden aber im nächstenJahr – ob am Anfang oder am Ende des Jahres – nichtbesser.Die zypriotische Ratspräsidentschaft hat einen Vor-schlag vorgelegt. Ich glaube, Herr Kollege Sarrazin hatmit seiner großen Kritik an der Bundesregierung vorallem diesen im Blick gehabt.
Es wurde versucht, ein Sparprogramm vorzulegen. Daswar aber sehr einseitig taktisch motiviert, nach demMotto: Wie umgehe ich bei den Einsparungen starke In-teressengruppen? Für Frankreich beispielsweise ist dereuropäische Agrarhaushalt eine Art Teil der Staatsrä-son – vor allem, da die Sozialisten regieren. Auf der an-deren Seite haben Polen und „die Freunde der Kohä-sion“, wie sie sich selber nennen, zu Recht gefordert,dass ihr Anteil an den Kohäsionsmitteln und Struktur-fondsmitteln steigen muss. Das wird im Übrigen seitJahren von uns unterstützt. Mit ihren Vorstellungen aber,wie hoch die Steigerungen sein müssen, gehen sie überdas Maß des Finanzierbaren in der Europäischen Unionhinaus.Das Ergebnis des zypriotischen Vorschlages war, dasses starke Kürzungen in den so wichtigen Zukunftsberei-chen dieses Haushaltes wie Forschung und Entwicklung,Connecting Europe etc. gab. Diese Ausrichtung ist nachAnsicht der Bundesregierung und meiner Fraktion nichtakzeptabel. Wir waren immer der Meinung, dass die gro-ßen traditionellen Ausgabenblöcke, die Agrarfonds unddie Strukturfonds, einen Beitrag leisten müssen, um denkünftigen europäischen Haushalt zukunftsfähiger zumachen.Wir haben seit einigen Tagen einen Vorschlag des eu-ropäischen Ratspräsidenten Van Rompuy vorliegen.Dieser Vorschlag ist nach Einschätzung meiner Fraktioneine arbeitsfähige Verhandlungsgrundlage. Möglicher-weise wird mit diesem Vorschlag das Fenster einenSpaltbreit hin zu einer möglichen Einigung in den nächs-ten Tagen geöffnet.Ich will auf einzelne wesentliche Punkte dieses Vor-schlages eingehen. Im Rompuy-Vorschlag sind im Aus-gabenblock „Gemeinsame Agrarpolitik“ Einsparungenin Höhe von ungefähr 26 Milliarden Euro vorgesehen.
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Michael Stübgen
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Das ist relativ viel. Ich bin aber der Auffassung, dassKürzungen in diesem Bereich für die europäische Land-wirtschaft und letztlich auch für die deutsche Landwirt-schaft durchaus erträglich sind. Wenn wir in diesemZusammenhang in der Lage sind, die Modulationspflichtetwas offener zu gestalten, ist das ein durchaus verhan-delbarer Grundsatz. Des Weiteren ist es, wie gesagt,auch ein Kürzungsbeitrag in einem traditionellen Ausga-benblock, den die Grünen am liebsten ganz streichenwürden.Ich komme zum zweiten Bereich, zu den Strukturmit-teln. Hier schlägt Van Rompuy eine Kürzung von29 Milliarden Euro vor. Das ist etwas mehr als beimAgrarsektor. Hierzu muss man allerdings feststellen,dass dieser Bereich für Deutschland in Bezug auf zweiPunkte in besonderer Weise ziemlich sensibel ist.Zum einen haben wir in den ostdeutschen Bundeslän-dern eine ganze Reihe von Ziel-1-Gebieten. Wir habendie berechtigte Forderung, dass die Ziel-1-Gebiete, dieaus dieser Strukturförderung herauswachsen – das giltübrigens nicht nur für die Ziel-1-Gebiete in Deutschland,sondern für alle Ziel-1-Gebiete –, sozusagen mit einemSicherheitsnetz davor bewahrt werden, dass die Förde-rung auf null abstürzt. Diese Forderung ist von VanRompuy im Wesentlichen aufgenommen worden. Ichhalte es für möglich, dass man sich auf ein Sicherheits-netz – 60 Prozent von den Mitteln, die in der vergange-nen Finanzperiode im Durchschnitt gezahlt worden sind –einigt.Wir haben aber noch ein weiteres Problem. Es betrifftdie Phasing-out-Hilfen. Ich will das kurz erklären: Wirhaben drei Regionen in Deutschland, Lüneburg, Leipzigund Brandenburg-Süd, für die die Phasing-out-Regelungschon jetzt gilt. Ab 2014 erhalten diese Regionen imPrinzip null Förderung. Problematisch ist, dass diese Re-gionen nicht aufgrund der Tatsache, dass sie sich tollentwickelt haben, in der letzten Finanzperiode in diePhasing-out-Regelung einbezogen wurden, sondern alsFolge des statistischen Effekts, der sich aus dem Beitrittder zwölf neuen Mitgliedsländer der EuropäischenUnion ergab. Deshalb halte ich es für richtig, dass wirversuchen – das müssen wir fordern –, für diese Länderein Sicherheitsnetz zu spannen, das ungefähr 60 Prozentder vorherigen Förderung entspricht.
Lassen Sie mich ganz zum Schluss noch kurz Folgen-des sagen: Wichtig ist, dass wir den Nettosaldo Deutsch-lands im Auge behalten; denn das müssen wir denBürgern gegenüber verantworten. Der alte Kommis-sionsvorschlag sah vor, dass unsere Bruttoüberweisun-gen an die Europäische Union jährlich um 8 Milliar-den Euro steigen. Das ist deutlich zu viel. Ich akzeptiere,dass es aufgrund der Entwicklung in der EuropäischenUnion zu einem Aufwuchs des Nettosaldos kommt. Die-ser Aufwuchs muss aber finanzierbar sein. Ich glaube,dass der Van-Rompuy-Vorschlag diesbezüglich eine guteGrundlage bietet. Ich wünsche mir, dass es noch in die-ser Woche zu einer Einigung kommt. Ich möchte denVerhandlungsführern vom Auswärtigen Amt, insbeson-dere Staatsminister Michael Link, für die bisherige Ver-handlungsführung danken. Diese Verhandlungen habendie Tür zu einem vernünftigen, für alle tragbaren undtrotzdem zukunftsorientierten europäischen Haushalt2014 bis 2020 geöffnet.Danke schön.
Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Edelgard
Bulmahn.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich möchte auf ein Kernanliegen deutscherAußenpolitik zurückkommen – zumindest sollte dies im-mer ein Kernanliegen deutscher Außenpolitik sein –:Friedensförderung und Konfliktvermeidung.Gerade in diesen Tagen erleben wir im Nahen Osten,wie wichtig Frieden für Menschen ist, wie sehr Men-schen unter militärischen Angriffen, unter gewalttätigenAuseinandersetzungen leiden. Ich glaube, wir könnenuns nur annähernd vorstellen, was es heißt, jeden Tag,jede Nacht Angst um das Leben der Familie zu haben,Angst um das Leben der Freunde, der Bekannten und derNachbarn zu haben, Angst um das eigene Leben zu ha-ben. Deshalb wünschen wir uns – ich glaube, das gilt füralle in diesem Saal –, dass die deutsche Bundesregierungwirklich alles Mögliche dafür tut und ihren gesamtenEinfluss nutzt, um eine Waffenruhe und möglichst aucheinen Waffenstillstand zu erreichen. Meine Vorrednerhaben es bereits gesagt: Dafür wünschen wir Ihnen, HerrAußenminister, viel Erfolg. Wir wünschen uns, dass wirdieses Ziel gemeinsam mit unseren Partnern möglichstschnell erreichen.
In Ländern wie Mali, Somalia und an anderen Ortendestabilisieren nichtstaatliche Akteure, Terroristen, Re-bellen, Extremisten, Clans oder ethnische Gruppen,ganze Regionen. Sie tragen ihre Konflikte mit Gewaltaus. Sie terrorisieren die Zivilbevölkerung. Überall zeigtsich, dass diese Konflikte mit militärischen Mitteln al-lein nicht zu lösen sind. Militärische Mittel sind und dür-fen immer nur Ultima Ratio sein, um Menschenleben zuschützen, wenn alle anderen politischen Mittel versagthaben.Die Wissenschaft verzeichnet für 2011 weltweit fast400 Konflikte. Davon werden 38 mit massiver Gewalt-anwendung ausgetragen. Viele dieser Konflikte werden– das ist das Erschreckende – bereits seit Jahrzehntenausgetragen. Das ständige Wiederaufflammen dieserKonflikte zeigt, dass die zugrundeliegenden Konflikt-
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Edelgard Bulmahn
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ursachen niemals gelöst worden sind, dass es kein wirk-sames Konfliktmanagement gegeben hat und dass keinwirksamer Friedensförderungsprozess stattgefunden hat.Diese Konflikte zeigen ebenfalls nachdrücklich, dasseine militärische Intervention noch keinen Friedenschafft, sondern dass es notwendig ist, dass wir alleMöglichkeiten der Konfliktvermeidung und des Kon-fliktmanagements nutzen, um Konflikte mit zivilen Mit-teln zu transformieren. Zuallererst in der Außenpolitik,aber auch auf anderen Politikfeldern, in der Wirtschafts-politik, der Entwicklungspolitik oder der Umweltpolitik.Die Bundesregierung legt mit ihrem Haushalt für2013 leider offen, dass sie über einen solchen Ansatznicht verfügt; denn man kann feststellen, dass wichtigeEntwicklungen einfach nicht zur Kenntnis genommenwerden. Man muss leider auch zur Kenntnis nehmen,dass gerade dieser Bereich der deutschen Außenpolitikunter Schwarz-Gelb immer mehr dem Rotstift zum Op-fer fällt. Für den Bereich der zivilen Krisenpräventionund der Friedenserhaltung sollen im Jahr 2013 nur noch95 Millionen Euro – ich wiederhole: 95 Millionen Euro –zur Verfügung gestellt werden. In diesem Jahr waren esnoch 120 Millionen Euro. Ich persönlich fand das schon– ich glaube, das sage ich im Namen vieler hier – viel zuwenig.
Aber diesen kleinen Betrag noch einmal so massiv zukürzen, ist – das sage ich Ihnen ganz klar – nicht verant-wortbar.Wenn Konflikte nicht so eskalieren sollen, dass sie inmilitärische und gewalttätige Auseinandersetzungen um-schlagen, und wenn Konflikte nicht immer wieder auf-flammen sollen, dann muss es ein echtes Commitmentdieser Regierung für zivile Krisenprävention und Frie-densförderung geben. Das kann ich aber nicht feststel-len, wenn ich mir den Haushalt anschaue.
Da nutzen keine verbalen Erklärungen. Es reicht nicht,sich hinzustellen und zu sagen, dass man das möchte. Esist notwendig, dass man dies auch in den finanziellenEntscheidungen untermauert und damit das klare Signalgibt, dass man es ernst meint.Letztendlich zeichnet sich ab, dass dieser Bereich inder Außen- und der Entwicklungspolitik zum Verschie-bebahnhof verkommt. Ich will ein Beispiel nennen.15 Millionen Euro werden aus dem Bereich der zivilenKrisenprävention im Rahmen der Kooperationsvereinba-rung vom AA ins BMZ transferiert; verbunden ist dasmit der Wahrnehmung der sogenannten Katastrophen-prävention. Aber auf meine Anfrage an das BMZ erhalteich die Antwort, dass es dort noch keine Überlegungengebe, was Katastrophenprävention überhaupt sei undwas sie leisten könne. Genau das ist der falsche Weg.Der mühsame Weg eines erfolgversprechenden Kon-fliktmanagements hin zu echtem Frieden braucht Zeitund verlässliche Unterstützung. Eine wirksame zivileKrisenpräventionspolitik erfordert langen Atem. Kurzat-mig die Mittel herauf- und herunterzufahren oder Bewil-ligungen nur für ein Jahr auszusprechen, wie es imBereich des Auswärtigen Amtes üblich ist, ist nicht derrichtige Weg. Damit werden wichtige Chancen zuFriedenssicherung und Konfliktlösung vertan. Die Ver-lässlichkeit gegenüber unseren Partnern leidet. Sie ge-fährden damit auch die wichtige Arbeit der zivilgesell-schaftlichen Organisationen; denn diese können ihreArbeit nur auf der Grundlage zuverlässiger finanziellerRahmenbedingungen leisten. Deshalb sage ich aus-drücklich: Das ist leider auch ein Zeichen dafür, dass dasCommitment seitens der Bundesregierung nicht da ist.Ich würde mich sehr freuen, wenn die Bundesregierunghier Einsicht zeigte, wenn sie hier mehr investierte undTransparenz herstellte – das ist auf anderen Politikfel-dern beispielsweise durch die Einrichtung von Förderda-tenbanken seit Jahrzehnten üblich –
Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Zeit.
– und wenn Friedensförderung und ziviles Konflikt-
management zu einem echten Schwerpunkt in der Politik
der Bundesregierung würden. Ich befürchte, dass wir da-
rauf noch ein Jahr warten müssen. Wir werden das auf
jeden Fall verändern.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem BundesaußenministerDr. Guido Westerwelle.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-wärtigen:Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Kolleginnen und Kollegen! Vor dem Hintergrund,dass wir uns am Anfang der Debatte mit dieser Frage be-fasst haben und ich auch im Interesse des Umgangs derBundesregierung mit dem Parlament nicht möchte, dassich nachher zu hören bekomme, man habe bei der De-batte zu diesem Haushalt schon Informationen gehabt,die dann in der Debatte zurückgehalten worden sind,möchte ich Ihnen sagen: Im Laufe dieser Debatte ist derAntrag der Türkei für den Einsatz von defensiven Pa-triot-Systemen zum Schutz der Türkei bei uns eingegan-gen. Mir liegt der Antrag jetzt vor.Ich möchte Ihnen sagen, dass ich nach der ersten Lek-türe dieses Antrages den Eindruck habe, dass die Krite-rien, die wir selber gesetzt haben, erfüllt sind. Insbeson-dere heißt es in diesem Antrag, dass der Einsatz, dass dieStationierung ausschließlich defensiv sein wird.
In keiner Weise wird damit an einer Flugverbotszonemitgewirkt oder irgendeine offensive Operation unter-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25285
Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
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stützt. Das wurde ja auch vorher in den Ausschüssen dis-kutiert. In dem Antrag steht natürlich noch mehr, HerrKollege.Im Interesse des Umgangs miteinander und aus Re-spekt vor dem Deutschen Bundestag möchte ich Ihnenvor Ende dieser Debatte sagen: Wenn sich das Ergebnismeiner ersten Prüfung bestätigt – ich habe den Antrageben erst in die Hände bekommen; Sie haben es gesehen –,dass die Bedingungen, die wir gestellt haben, erfülltsind, dann wird die Bundesregierung dem DeutschenBundestag eine Zustimmung hierzu empfehlen. Das istselbstverständlich.Es hat Tote in der Türkei gegeben. Es hat Granaten-einschläge und Gewalttaten vom syrischen Staatsgebietaus zulasten der Türkei und türkischer Staatsangehörigergegeben. Natürlich ist in der Türkei dadurch eine großeSorge über die eigene Sicherheit entstanden; denn Wei-teres seitens dieses Unrechtsregimes Assad von Syrienaus kann nicht ausgeschlossen werden. Wenn ein NATO-Partner, um seine eigene Sicherheit zu gewährleisten, dieUnterstützung unseres Bündnisses anfordert, dann müs-sen wir schon sehr gute Gründe haben, einer solchenBitte nicht zu entsprechen. Diese Gründe sehe ich nicht.Hier gilt zuerst die Bündnissolidarität.
Erlauben Sie noch eine Frage der Kollegin Zapf?
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Wenn es gewünscht ist, bitte sehr.
Bitte schön.
Herr Minister, trifft es zu, dass Sie bereits zugestimmt
haben, oder dürfen wir Ihre Ausführungen, die Sie jetzt
gemacht haben, anders verstehen, als es in einer Mel-
dung von Spiegel Online steht?
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Ich kann nicht zu einzelnen Artikeln Stellung neh-
men; da bitte ich um Nachsicht. Aber ich weiß nicht:
Waren Sie nicht dabei? Ich habe doch hier gesprochen.
Sie waren doch am Anfang der Debatte anwesend. Jeder
von Ihnen hat gehört, was ich gesagt habe. Ich würde Sie
bitten, dort keine Dinge hineinzugeheimnissen. Ich habe
heute eine einzige öffentliche Äußerung dazu gemacht,
und zwar hier vor dem Deutschen Bundestag. Dazu, wie
das bei Nachrichtenagenturen oder Nachrichtenmagazi-
nen verbreitet wird, kann ich hier nichts sagen. Ich
würde sagen: Noch gilt das, was hier gesprochen worden
ist. Noch sollten wir uns an dem orientieren, was die
Bundesregierung hier vorträgt.
Wenn wir nur noch Zeitungswissen austauschen, können
wir uns die Debatten sparen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Gauweiler.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Nach dieser wichtigen Informationdes Herrn Außenministers möchte ich zur zentralen Be-handlung unseres Haushaltes zurückkommen. Mir ob-liegt es, einige Anmerkungen zur auswärtigen Kultur-und Bildungspolitik zu machen.Der Minister hat in seinem ersten Redebeitrag heutedie zentrale Frage wie folgt gestellt: Ist es gelungen, dasAnsehen Deutschlands zu mehren, oder nicht? Ichkomme gerade von der Mitgliederversammlung desGoethe-Instituts, die sich in einer Bilanz – bei kritischenAnmerkungen zur Haushaltshöhe; selbstverständlich –genau damit beschäftigt hat. Ich möchte Ihnen vierPunkte vortragen, die die Antwort auf die Frage nachdem Ansehen Deutschlands und seiner Mehrung bestim-men:Erstens. Wir stellen überall ein großes Interesse ander deutschen kulturellen Präsenz fest – weltweit. Zwei-tens. Deutschland definiert sich mehr und mehr nicht nurim Streit um politische Tagesfragen, sondern auch kultu-rell. Drittens. In diesem Diskurs entsteht keine denunzia-torische Situation zu unseren Lasten mehr. Viertens. Esist durch diese Kulturarbeit ein Vertrauen gewachsen,das auch durch politische Tagesereignisse nicht soschnell zu erschüttern ist.Herr Lehmann hat, ausgehend von diesem Obersatzund auf der Basis der Zahlen dieses Jahres bis heute, biszum November 2012, gesagt: Das Jahr 2012 wird das er-folgreichste Jahr in der Geschichte des Goethe-Institutssein. – Dies halte ich für eine zentrale Information, wasdiesen Teil der Debatte betrifft. Ich denke, dafür mussman als Deutscher Bundestag allen Beteiligten ein Wortdes Dankes sagen.
Alle Veranstaltungen des Goethe-Instituts sind über-bucht. Die deutschen Schulen im Ausland haben langeWartelisten. Vor wenigen Wochen ist eine Forderung er-füllt worden, die der Deutsche Bundestag einstimmig er-hoben hat: Die Bundesregierung hat ein eigenes Gesetzüber die deutschen Auslandsschulen vorgelegt. Die Sti-pendienpolitik und die Stipendienvergaben des Deut-schen Akademischen Austauschdienstes – Mitgliederaller Fraktionen haben sich vorgestern lange mit Stipen-diaten unterhalten – werden immer attraktiver.
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Dr. Peter Gauweiler
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In den Jahren 2012 und 2013 wird es, vom DeutschenBundestag begleitet, drei große internationale Deutsch-land-Jahre geben: in Indien, in Russland, in Brasilien. InIndien ist vor kurzem ein Vertrag geschlossen worden,nach dem in den nächsten drei Jahren an 1 000 weiterenSchulen Deutsch unterrichtet wird. Wenn dieser Vertragerfüllt sein wird, werden 1 Million Menschen in Indienzusätzlich Deutsch sprechen. In Russland bzw. Moskauist gerade ein großer – auf Neudeutsch – Workshop mit1 000 Deutschlehrern durchgeführt worden. Nur neben-bei zu Ihrer Information: Russland ist weltweit das Landmit den meisten Schülern und Studenten, die Deutschlernen.In Brasilien werden, beginnend 2013, wiederum vomDeutschen Bundestag vorbereitet, im Rahmen desDeutschland-Jahres über die ganze Nation verteilt zweigroße Ausstellungen zum Erlernen der deutschen Spra-che stattfinden, verbunden mit einem mobilen Projektauf dem Lande. Dies ist – für Außenstehende – keine Or-chideenvorstellung, keine Arabeske. Vielmehr ist SaoPaulo der größte Standort der deutschen Industrie außer-halb Deutschlands.Es gibt eine explodierende Zahl von Deutschlernern.Der Durchbruch – das können Sie Herrn Steinmeier sa-gen; das wird ihn freuen – begann mit dem PASCH-Pro-jekt; heute ist es in Asien und Osteuropa der Brenner.Wenn wir uns diese großen Erfolge, die sich der Deut-sche Bundestag selber ans Portepee heften kann, an-schauen, dann sehen wir: Sie gehen zurück auf einen Be-schluss, den wir im letzten Jahr einstimmig gefällthaben, und zwar zum Sonderprogramm „Bildungsoffen-sive Deutsch“.Wir haben mit 8 Millionen Euro begonnen, warendann bei 6 Millionen Euro und sind jetzt bei 5 MillionenEuro. Wir haben dazu vom Haushaltsausschuss eineSperre auferlegt bekommen, allerdings mit der festenZusicherung, dass diese Sperre bei klarer Bekanntgabevon Inhalt und Programm sofort aufgehoben werdenwird.
Herr Kollege Gauweiler, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Kindler? Das würde Ihre Redezeit,
die eigentlich abgelaufen ist, verlängern.
Das ist eine Riesenidee. Ja. Danke.
Vielen Dank, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen,
Herr Gauweiler. Wir sind gleich am Ende der Debatte;
dann müssen wir über den Einzelplan 05 des Haushaltes
abstimmen. Sie sind Vorsitzender des Unterausschusses
„Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“. Können Sie
uns sagen, welches Votum der Unterausschuss „Auswär-
tige Kultur- und Bildungspolitik“ zu diesem Haushalt
abgegeben hat? Sollen wir ihm zustimmen, oder sollen
wir ihn ablehnen?
Können Sie bitte bei Gelegenheit sagen, verehrter
Herr Kollege, dass diese Zwischenfrage von Ihnen nicht
mit mir abgesprochen war?
Ich kann jetzt darauf hinweisen, dass der von mir ver-
tretene Unterausschuss „Auswärtige Kultur- und Bil-
dungspolitik“ diesem Etat, weil er ihm zu klein war,
nicht zugestimmt hat. Es haben sich zwei Mitglieder der
Koalition enthalten. Ich war es nicht, ich habe zuge-
stimmt; ich hätte es mich gar nicht getraut, anders abzu-
stimmen.
Das heißt aber nicht, dass das Bessere nicht der Feind
des Guten ist. Nachdem Sie mich aus der Mitte der Grü-
nen-Fraktion fragen, darf ich Ihnen sagen – nicht als
Frage, sondern als Feststellung –: Ist Ihnen bekannt, dass
seit dem Jahre 2006 – seit dem Ende der Zeit des aller-
größten Außenministers, den wir je hatten –
der Etat der auswärtigen Kulturpolitik von 548 Millio-
nen Euro – das war die Zeit, wo die meisten Goethe-In-
stitute überhaupt geschlossen wurden – dem jetzigen
Entwurf nach auf 787 Millionen Euro angestiegen ist?
Sind wir uns nicht einig – bei allem, was wir manchmal
auskabbeln müssen –, dass das ein großer Erfolg ist, über
den auch Sie sich freuen werden?
Vielen Dank.
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Herbert
Frankenhauser.
Kollege Fricke, das ist keine München-Versammlung.Die Rednerabfolge wurde auch nicht abgesprochen. Obdas bei der vorherigen zutreffend ist, weiß ich nicht. –Gleichwohl meine besten Glückwünsche zu deinem Ge-burtstag, lieber Otto.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25287
Herbert Frankenhauser
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Ich habe einmal nachgedacht. Peter Gauweiler ist einalter Weg- und Kampfgefährte von mir. Es ist jetzt vier-zig Jahre her, dass wir, Peter, gemeinsam für den Stadtratder Landeshauptstadt München kandidiert haben. Ichhabe das Revue passieren lassen, als der Bundesaußen-minister – der den von dir zitierten noch leicht übertref-fen kann – über die Türkei berichtete.Soweit ich mich zurückerinnern kann – ich bin schonin einem gewissen fortgeschrittenen Alter, kann michaber noch relativ gut zurückerinnern –, hieß es immer:Die Sicherheit Deutschlands garantiert das Bündnis. Ichbin der Meinung: Wer sich über Jahrzehnte auf dasBündnis verlassen konnte, kann nicht, wenn ein anderesBündnismitglied Solidarität einfordert, das Bündnis ver-lassen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der Einzelplan 05 ist ein kleiner, aber doch fei-ner. Entgegen vielen Behauptungen und Mutmaßungenist er nicht immer kleiner geworden, sondern ist von2,1 Milliarden Euro 2004 kontinuierlich auf nunmehr3,485 Milliarden Euro gewachsen. Der Anteil für dieKultur stieg im selben Zeitraum von 557 Millionen Euroauf 787 Millionen Euro. Das ist eine Steigerung von im-merhin 41,2 Prozent – obwohl ich in der ganzen ZeitHauptberichterstatter war und mir immer vorgeworfenwird, ich sei ein Kulturbanause und würde zu wenig fürdie Kultur tun. Das Gegenteil werde ich gleich unter Be-weis stellen.Zunächst aber noch zu den sonst durchaus sehr ge-schätzten Kollegen der SPD und der Grünen: Die habennoch bei der Einzelplanberatung Anträge für Mehraus-gaben gestellt, nämlich die SPD – bescheiden – mit74 Millionen Euro, die Grünen mit 168 Millionen Euround die Linken – Spitzenreiter – mit 179 Millionen Euro.Bemerkenswert war, dass für nichts, auch nicht für einenCent eine Gegenfinanzierung vorhanden war.
– Sie wollten es vielleicht, aber Sie haben es nicht getan.
Dass Sie gemerkt haben, dass der alte Spruch Ihres frü-heren Außenministers „Ohne Moos nix los“ stimmt, hatsich darin gezeigt, dass Sie in der Bereinigungssitzungüberhaupt keinen Antrag mehr gestellt haben.
Jedenfalls haben die Berichterstatter der Koalition – wo-bei ich auch die Zusammenarbeit mit den Berichterstat-tern der Opposition durchaus zu schätzen weiß – not-wendige und auch vernünftige Korrekturen zumRegierungsentwurf gemacht.Wir haben auch nicht gekürzt, liebe Kolleginnen undKollegen, wie jetzt dauernd erzählt wird. Wir haben beider Haushaltsposition zur Pflege der deutschen Spracheim Ausland lediglich eine Sperre verhängt, weil wir wis-sen möchten, welche Institutionen mit welchen Maßnah-men betraut werden sollen. Wer es noch nicht wissensollte: Eine Sperre ist keine Kürzung.Das Goethe-Institut – auch da werden mir immerKürzungen vorgeworfen – hat seinerzeit, als die von mirbetriebene Budgetierung des Goethe-Instituts umgesetztworden ist, von sich aus eine sogenannte Effizienzren-dite angeboten. In den letzten Jahren ist sie nicht einge-fordert worden, weil das Goethe-Institut gesagt hat, mitder neuen Arbeitsweise und Buchhaltung müsse es ersteinmal zurechtkommen. Aber nun hat der Rechnungshofdas noch einmal beanstandet. Deswegen haben wir unsdaran gehalten – man soll ja Zusagen einhalten – undjetzt diese Effizienzrendite im Haushalt vorgesehen.
Wir haben die Mittel für die Stiftungen, speziell fürdie Arbeit in Griechenland und die Verbreitung der Blas-musik dort,
um 1 Million Euro erhöht. Wir haben die Mittel für dasMinenräumen noch einmal um 1,5 Millionen Euro er-höht. Wir haben die Mittel für Krisenprävention undFriedenserhaltung um eine weitere Million Euro erhöht.Wir haben das Hospiz der Borromäerinnen in Jerusalemmit 1 Million Euro bedacht, damit diese besondere Ein-richtung im Osten Jerusalems erhalten werden kann. Wirhaben Beträge für die Berufsbildung in Ägypten eta-tisiert – Kollege Brandners Initiative. Und wir habennach 15 Millionen Euro im Haushalt 2012 nun zusätz-lich zum Regierungsentwurf 20 Millionen Euro für diedeutschen Schulen im Ausland eingesetzt.
Die Schulen im Ausland liegen uns besonders am Her-zen. Sie sind eine ganz wesentliche Säule des BildesDeutschlands im Ausland. Ob wir wirklich ein Aus-landsschulgesetz brauchen, vor allen Dingen eines, beidem die Mitwirkung des Parlaments eingeschränkt wird,bedarf noch weiterer Überlegungen und Beratungen.
Wir haben die Ansätze für den DAAD, den Deut-schen Akademischen Austauschdienst, um 5 Millionen,für die Alexander-von-Humboldt-Stiftung um 2 Millio-nen Euro und für die Deutsche Schule in Istanbul um1 Million Euro erhöht. Ich denke, auch dies gehört zurAusstattung unserer auswärtigen Kulturpolitik.Mit diesem Haushalt, Herr Bundesminister, könnenSie Ihre erfolgreiche Politik ohne Weiteres fortsetzen.
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25288 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012
Herbert Frankenhauser
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Ich bin gespannt, ob die Grünen dort, wo es rot-grüneLandesregierungen gibt, jetzt endlich eine finanzielleBeteiligung an den deutschen Auslandsschulen wahrmachen, die ja über Jahre hinweg eingefordert wordenist.
Es ist mir auch heute nicht möglich, irgendjemanden aufder Bundesratsbank zu begrüßen. Herr Kollege Kindler,es wäre doch schön, wenn Sie Ihre Kollegen entspre-chend animieren würden. Das wäre zum Vorteil unsererdeutschen Auslandsschulen.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05
– Auswärtiges Amt – in der Ausschussfassung. Hierzu
liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt
für den Änderungsantrag auf Drucksache 17/11538? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ände-
rungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfrak-
tionen.
Abstimmung über den Einzelplan 05 – Auswärtiges
Amt – in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 05
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt I.11 auf:
Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung
– Drucksachen 17/10813, 17/10823 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Peter Willsch
Bartholomäus Kalb
Bernhard Brinkmann
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Dr. Gesine Lötzsch
Dr. Tobias Lindner
Zum Einzelplan 14 hat die Fraktion Die Linke einen
Entschließungsantrag eingebracht, über den wir am
Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen wer-
den.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Bernhard Brinkmann von der SPD-
Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Einzel-plan 14, Verteidigung, umfasst für das Haushaltsjahr2013 Ausgaben von rund 33,3 Milliarden Euro. DieseGrößenordnung – lassen Sie mich das zu Beginn meinerAusführungen feststellen und einen Blick in die Zukunftwagen – wird gerade auch wegen der begonnenen Neu-ausrichtung der Bundeswehr auch in den nächsten Jah-ren benötigt.Wie schnell uns vollmundige, in der Kabinettsklausurim Sommer 2010 beschlossene Sparmaßnahmen wiedereinholen können, hat meine Fraktion bei den Beratungender Haushaltspläne 2011 und 2012 und auch bei der ers-ten Lesung des Haushalts für das Jahr 2013 deutlich ge-macht. Auf eine Anfrage des Kollegen Lindner von denGrünen – ich gehe einmal davon aus, dass er das in sei-nen Ausführungen noch zum Ausdruck bringen wird –wurde uns ein Papier geliefert, mit dem deutlich ge-macht werden soll, dass das Einsparziel von rund8,3 Milliarden Euro, gestreckt um ein Jahr, erreicht wird.Dazu sage ich hier noch einmal in aller Deutlichkeit:Dem ist nicht so.
Dafür gibt es ganz einfache Gründe: Die Kosten für dasEinheitliche Liegenschaftsmanagement, für die Wieder-einführung des Weihnachtsgeldes und für die Tarif- undBesoldungserhöhungen kamen doch nicht über Nachtauf uns zu. Daneben gibt es noch einige andere Kosten-steigerungen, die man in der Vergangenheit nicht alsVorsorge berücksichtigt hat. Auch in der mittelfristigenFinanzplanung für die Folgejahre haben Sie dafür keineVorsorge getroffen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Neuaus-richtung der Bundeswehr ist die größte Herausforde-rung, der sich unsere Bundeswehr jemals zu stellenhatte. Sie wurde begonnen; aber sie läuft noch ein wenigholprig. Dafür gibt es durchaus nachvollziehbare Gründe.Dass Reformen nicht ohne Reibungsverluste und Zu-kunftsängste zu realisieren sind, ist eine Selbstverständ-lichkeit; das weiß jeder. Das gilt auch für die Neuaus-richtung unserer Bundeswehr.Wenn allerdings Studien vorliegen, nach denen einhoher Prozentsatz der Soldatinnen und Soldaten und derzivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unzufrieden ist,Herr Minister de Maizière, dann darf man darüber nichtso einfach hinweggehen, sondern dann muss man han-deln. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir uns in dennächsten Wochen und Monaten – es kommen ja die Ad-ventszeit, die Weihnachtszeit, der Jahreswechsel unddann das Frühjahr – darauf verständigen könnten, dassdie Bearbeitungszeit von bestimmten Personalvorgängenmassiv verkürzt wird. Eine lange Bearbeitungszeit istkein Einzelfall, sondern scheint bei dieser Reform eingroßes Problem zu sein.Gestern und heute ist viel über Sparen gesprochenworden. Es gibt ja auch noch das Liberale Sparbuch. DerKollege Fricke – lieber Otto Fricke, herzlichen Glück-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25289
Bernhard Brinkmann
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wunsch zu deinem Geburtstag – hat sich auch beim Ein-zelplan 14 entsprechend geäußert. Allerdings hat er indiesem Bereich nicht ganz die Wahrheit zum Ausdruckgebracht, weil meine Fraktion in der Bereinigungssit-zung und auch davor sehr wohl Einsparvorschläge in dieBeratung eingebracht hat. Sie haben sie abgelehnt. Dem-zufolge konnten sie nicht wirksam werden.
Ihre pauschale Aussage, lieber Herr Fricke, und die IhresFraktionsvorsitzenden, Herrn Brüderle, wir würden im-mer nur mehr Geld ausgeben wollen, stimmt also zumin-dest für diesen Bereich nicht. Diesen Vorwurf weise ichhier in aller Deutlichkeit zurück.
Wenn man sich die Struktur des Zivilpersonals nocheinmal intensiv anschaut – dabei ist noch nicht alles um-gesetzt, was mit der Reform von VerteidigungsministerStruck beschlossen worden ist –, dann wird man feststel-len: Die bestehenden Anforderungen sind mit den55 000 Mitarbeitern, wie von der Koalition vorgesehen,nicht zu leisten. Wir als SPD-Fraktion haben daher bean-tragt, die Zahl der Zivilbeschäftigten von 75 000 nichtauf 55 000 zu reduzieren, sondern nur auf 62 500. DieserAntrag ist ebenfalls von der Koalition abgelehnt worden.Dass wir damit aber nicht ganz falsch liegen, kann manschon daran erkennen, dass Sie in der Bereinigungssit-zung einen Antrag eingebracht haben, der die Verset-zung des Personals in andere Ministerien regelt. Wo da-bei etwas eingespart wird, ist mir bis heute schleierhaftgeblieben.Lassen Sie mich zum Schluss meinen Dank an dieSoldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz, aber auchhier im Land richten. Sie verrichten einen gefährlichenDienst. Jede Soldatin und jeder Soldat setzt sich an ih-rem bzw. seinem Ort für unser Land ein. Die Soldatinnenund Soldaten inklusive der zivilen Mitarbeiterinnen undMitarbeiter und auch die Reservisten haben die Aner-kennung des Parlaments verdient.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Klaus-Peter Willsch für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kollegen! Lassen Sie mich mit einemDank beginnen. Unsere sehr intensive Diskussion desEinzelplans ist durch Ihr Haus begleitet worden. HerrMinister de Maizière, ich möchte Ihnen und IhremMinisterium für die harmonischen und effizienten Bera-tungen ganz herzlich danken. Unseren Bitten um Aus-kunft wurde, so wie wir uns das vorgestellt haben,prompt und umfangreich nachgekommen. Die Zusam-menarbeit ist exzellent.Ich will an die erste Lesung anknüpfen. Damals hatteich mich bei den Berichterstattern insgesamt für die guteZusammenarbeit bedankt. Der Kollege Jürgen Koppelinrief dazwischen, dass das natürlich an der Qualität desHauptberichterstatters liegt. Jürgen, das will ich sehrgerne konzedieren. Ganz herzlichen Dank für die Zu-sammenarbeit! Ich will das aber auch zum Anlass neh-men, Bernhard Brinkmann für die Zusammenarbeit zu dan-ken. Beide, Bernhard Brinkmann und Jürgen Koppelin,haben aus eigenem Entschluss klargestellt, dass sie nichtmehr für den nächsten Bundestag kandidieren und des-halb natürlich auch keine Berichterstattung für den Ein-zelplan 14 mehr wahrnehmen werden. Ganz herzlichenDank für die Zusammenarbeit! Jürgen Koppelin hat dasseit 1994 gemacht. Er ist im Jahr der Wiedervereinigungin den Bundestag gekommen und war in der Folge fürsechs Verteidigungsminister Berichterstatter bzw. Haupt-berichterstatter für den Verteidigungsetat. Das ist einebeachtliche Leistung. Vielen Dank für diese Zusammen-arbeit, ich denke, im Namen aller.
Es ist angesprochen worden: Wir befinden uns imgrößten Wandlungsprozess, im größten Prozess der Um-strukturierung der Bundeswehr. Dabei sind innerhalb derTruppe täglich erhebliche Veränderungen im Hause zuspüren und zu verkraften. Dass so etwas Unsicherheitmit sich bringt, Kollege Brinkmann, und sich zunächstauch in Umfragen niederschlägt, halte ich für nachvoll-ziehbar und natürlich. Ich habe aber den Eindruck, dassdas Wichtigste, was seitens der Führung des Hauses zutun war, die klare Definition der Terminvorgaben war,wann was geschieht, wann welche Entscheidung getrof-fen wird, wer wann wie endgültig eingeplant wird undwelche Standorte in welchem Umfang erhalten bleiben.Dadurch, dass das Punkt für Punkt abgearbeitet wird, be-steht für die Soldaten Klarheit, wie der Prozess abläuft.Das ist der wichtigste Punkt bei diesem Umbau, und densetzt das Haus nach unserer Auffassung hervorragendum.
Die Diskussion über die Einsparvorgabe von 8,3 Mil-liarden Euro im Bereich des Einzelplans 14 können wirgerne führen. Denn so, wie Sie es dargestellt haben, lie-ber Kollege Brinkmann, nämlich dass alles absehbarwar, trifft nicht zu. Wir haben die Einsparvorgabe imRahmen der Regierungsklausur bekommen – ein Jahrspäter wurde eine Verlängerung bis 2015 gewährt –, undsie ist im Rahmen der Finanzplanung eindeutig darge-stellt. Natürlich ist eine Bereinigung nötig, um Effekte,die separat zu betrachten sind, zu berücksichtigen. DieTarifsteigerung wie auch die Wiedergewährung desWeihnachtsgeldes
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25290 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012
Klaus-Peter Willsch
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ist vom Finanzminister im gesamten Bundeshaushalteinbezogen worden. Insofern muss man die Finanzpla-nung um einen solchen Posten bereinigen, um den Saldoermitteln zu können.
Das Gleiche gilt für das Thema BImA. Das sollte manvielleicht für die Öffentlichkeit und die Kameraden aufder Tribüne ansprechen, damit das auch verstanden wird:Dadurch, dass wir die Liegenschaften alle miteinanderder Bundesanstalt für Immobilienaufgaben unterstellen,haben wir eine Bilanzverlängerung erfahren. Wir hattenmehr Ausgaben für diesen Bereich und müssen Mietezahlen. Das ist aber sozusagen ergebnisneutral und musssaldiert werden, wenn man den wirklichen Effekt errech-nen möchte. Ich glaube, dass wir uns auch hier mit dem,was wir auf den Weg gebracht haben, sehen lassen kön-nen.Ich will noch eine kurze Bemerkung zu dem Antragder Linken machen. Sie fordern im Wesentlichen: Wirschaffen alles ab, was wir an Waffen haben, und stellendie Rüstungsindustrie dann um. – Sie wollen also Kon-version. Das kann man zwar so sehen; aber wir sehendas anders. Wir glauben, dass es die erste und vor-nehmste Pflicht eines Staates ist, die Freiheit und Sicher-heit eines Landes nach außen zu sichern. Dafür brauchenwir eine Armee, und sie muss einsatzfähig sein. Wir se-hen gerade heute an dem Antrag der Türkei, dass wirkeinesfalls in einer sich auf einen ewigen Frieden hinentwickelnden Welt leben, sondern dass es notwendig istund bleibt, die Freiheit und Sicherheit des Staatsterrito-riums sicherstellen und Bündnisverpflichtungen erfüllenzu können. Deshalb braucht man gar nicht weiter auf denAntrag der Linken einzugehen.
– Sie haben ein völlig anderes Weltbild. Bleiben Sie ru-hig dabei. Wir müssen uns nicht weiter darüber aus-einandersetzen.Angesichts der Diskussion, die wir heute schon beimEinzelplan des Auswärtigen Amtes geführt haben, näm-lich wie wir mit dem Begehren der Türkei, sie bei der Si-cherung der Grenze zu Syrien zu unterstützen, umgehen,muss die SPD, so glaube ich, noch einmal darüber nach-denken, was sie in ihrem Strategiepapier niedergelegthat. Darin geht es im Wesentlichen um die Weiterent-wicklung hin zu einer europäischen Armee, die Waffengemeinsam entwickelt und beschafft. Da muss jedochnoch ein Satz hinzukommen: Es geht auch um eine Ar-mee, die unter gemeinsam festzulegenden Bedingungeneingesetzt werden kann. Hinter die Frage, ob wir es aufeuropäischer Ebene hinbekommen, ein so weitreichen-des Mandat durch das Parlament, wie es in Deutschlandder Fall ist, festzulegen, mache ich etliche Fragezeichen.Das ist ein noch offener Punkt in Ihrem Antrag.Ich will noch einige Kleinigkeiten ansprechen, die wirin Einzelanträgen aufgegriffen und als Koalition im Rah-men der Haushaltsberatungen umgesetzt haben. Ange-sichts der Tatsache, dass die Einsparvorgabe, wie ichdargelegt habe, eingehalten wurde, war für zusätzlicheEinsparungen nicht mehr viel Luft. Wir haben uns daraufkonzentriert, einige Akzente zu setzen. Wir legen Wertdarauf, dass der leichte Unterstützungshubschrauber fürdie Spezialkräfte jetzt angeschafft wird. Wir haben ent-sprechende Signale vom Haus bekommen. Wir habendas Kapital für die Härtefallstiftung für die Opfer vonKriegseinsätzen und anderen militärischen Einsätzen um3 Millionen Euro erhöht. Dabei ist anzumerken, dass alleStiftungen momentan ein Problem mit der derzeitigenZinslage haben.Wir haben festgestellt, dass wir beim Thema „Infante-rist der Zukunft“ stolz darauf sein können, dass unsereIndustrie dieses System entwickelt hat, das sich im Ein-satz bewährt. Unsere Partnerarmeen sind geradezu nei-disch auf die Ausstattung unserer Soldaten. Es ist ganzwichtig, dass die weitere Einführung nach Plan verläuft.Wir müssen unseren Soldaten die Gewissheit geben,dass wir sie bestens vorbereitet und ausgerüstet in einenEinsatz schicken, damit sie ihren Auftrag erfüllen kön-nen und im Feld überleben.Die Ereignisse in Mali bereiten uns große Sorgen. Ichkann aber meine Ausführungen abkürzen, weil darüberschon im Rahmen der Debatte über den Einzelplan desAuswärtigen Amtes diskutiert wurde. Wir können esnicht zulassen, auch nicht in Mali, dass sich der Terrorerneut einer staatlichen Struktur bemächtigt und sich ineinem Staat festsetzt. Deshalb halten wir es für richtig,dass Mali geholfen wird.Ich will abschließend noch kurz das Thema Rüstungs-export streifen, weil dieses Thema auch von der Bundes-kanzlerin kürzlich bei der Bundeswehrtagung in Straus-berg angesprochen worden ist. Bei allen Diskussionen,die wir darüber führen, sollten alle, die es ernst mit derLandesverteidigung meinen – die Linken lassen wireinmal außen vor –, noch einmal nachdenken. Wenn wirnicht auf der ganzen Welt intervenieren wollen, dannmüssen wir befreundete Länder und Partner ertüchtigen,damit sie die militärische Sicherung selbst durchführenkönnen. Dazu gehört natürlich, dass wir ihnen als Liefe-rant zur Verfügung stehen und ihnen mit der Lieferungvon Waffen und Systemen zur Seite stehen. Ein weitererEffekt ist, dass es uns nur so möglich sein wird, dass wirim eigenen Lande eine wehrtechnische Industrie erhal-ten, die sich weiter an der Spitze der technologischenEntwicklung befindet. Unser eigener Markt ist viel zuklein. Deshalb halte ich prinzipielle Diskussionendarüber für nicht angezeigt. Über Details kann man sichimmer unterhalten; aber wir sollten versuchen, den rela-tiv breiten Konsens, den wir insgesamt in Fragen derVerteidigungspolitik im ganzen Hause haben, auch aufdieses Technologiefeld auszudehnen.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wün-sche der Debatte weiterhin einen guten Verlauf.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25291
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Das Wort hat die Kollegin Inge Höger für die Fraktion
Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!Krieg ist kein Gesellschaftsspiel, … Nur die bedin-gungslose Abkehr vom Krieg überhaupt kann dahelfen.
Das sagte niemand anderes als Albert Einstein nach demZweiten Weltkrieg. Dies sollte uns auch heute noch Ver-pflichtung sein. Leider erleben wir in Deutschland in denletzten 20 Jahren das genaue Gegenteil, nämlich eineMilitarisierung der Außenpolitik. Die jüngste Bundes-wehrreform hat das Ganze noch befeuert. Inzwischenwerden Auslandseinsätze endgültig zum wesentlichenAufgabenfeld der Bundeswehr erklärt. Das ist aus Sichtder Linken ein ganz gefährlicher Irrweg.
Im Rahmen von Haushaltskürzungen wurde bereits2010 erklärt – Herr Willsch erwähnte es eben –, dassauch die Bundeswehr sparen solle, nämlich 8,3 Milliar-den Euro. Die Umsetzung wurde bis heute Jahr für Jahrverschoben, immer auf das nächste Jahr. Auch in diesemHaushalt finden wir nichts, was auch nur annähernd mitSparen zu tun hat. Stattdessen wurde der Militäretaterneut um 1,6 Milliarden Euro erhöht. Betrachtet maneinen längeren Zeitraum, ist die Steigerung noch sehrviel deutlicher. Für 2012 sind Militärausgaben in Höhevon 33,3 Milliarden Euro eingeplant; im Jahr 2000 wa-ren es noch 10 Milliarden Euro weniger. Das entsprichteiner Steigerung von über 40 Prozent in zwölf Jahren.Nach den etwas ehrlicheren NATO-Zahlen plant dieBundesregierung im nächsten Jahr Militärausgaben inHöhe von 37 Milliarden Euro. Dieses Geld würde drin-gend für Bildung und Soziales oder Entwicklungshilfegebraucht.
Die Steigerungen lassen sich nicht mit steigendenPersonalausgaben und Kosten für die Altersversorgungbegründen. Im Jahr 2000 wurden mit 23 Milliarden Eurocirca 300 000 Soldaten und 600 Bundeswehrstandortefinanziert. Heute wird für eine deutlich kleinere Armeemit 190 000 Soldaten und 390 Standorten deutlich mehrGeld gezahlt. Leider hat diese Verkleinerung der Bun-deswehr nichts mit Friedenspolitik zu tun; sonst würdenwir das sehr begrüßen. Wir erleben aber das genaue Ge-genteil. Zukünftig sollen Auslandseinsätze die Prioritäthaben. Statt bisher circa 7 000 sollen mehr als 10 000Soldatinnen und Soldaten für Auslandseinsätze zur Ver-fügung stehen. Genau diese Kriegs- und Besatzungsein-sätze machen die Bundeswehr so teuer.
Ich halte wenig von der europäischen Rüstungs-agentur. Es wäre besser, diese Institution abzuschaffen.Sie sollte durch eine Abrüstungsagentur ersetzt werden.Die europäische Rüstungsagentur hat aber interessanteZahlen gesammelt. Sie hat dokumentiert: Die Zusatz-kosten für die Kriegs- und Besatzungseinsätze für jedeneingesetzten Soldaten haben sich allein in den vier Jah-ren von 2006 bis 2010 in etwa verdoppelt. Auch hierwaren nicht die Personalkosten die wesentlichen Preis-treiber. Es waren die immer teurere Ausrüstung, dieentsprechend steigenden Wartungskosten, der höhereMunitions- und Treibstoffverbrauch.
– Das ist alles im Einzelplan 14.
Die deutsche Militärpolitik produziert zahlreiche Ver-liererinnen und Verlierer:
die Menschen in den Einsatzgebieten, die Soldaten, diefür diese Politik verheizt werden, aber auch die Steuer-zahlerinnen und Steuerzahler, die diesen Wahnsinnbezahlen müssen. Gleichzeitig produziert diese Politikaber auch Gewinner: Die Rüstungsindustrie profitiertmassiv von der intensiveren und stärker technisiertenKriegsführung. Wenn zukünftig verstärkt Drohnen undweiteres Hightechkriegsgerät auch von der Bundeswehrbeschafft und eingesetzt werden, sind weitere Kosten-explosionen zu befürchten. Statt immer neue Waffen zubeschaffen, fordert die Linke Frieden durch Abrüstung.
Die Rüstungsproduktion für deutsche Streitkräfte undder Rüstungsexport hängen eng zusammen. Exportmacht die deutsche Kriegsführung preiswerter, da dieStückkosten für neues Kriegsgerät sinken. Der Ruf nachdeutscher Kriegsbeteiligung in aller Welt, egal ob huma-nitär oder mit anderen Lügen begründet, fördert auch dieentsprechende Rüstungsproduktion und den Rüstungs-export. So kann die Rüstungsindustrie weitere Profitemachen. Auf der Gegenseite entstehen neue Krisen undSpannungen in aller Welt. Die neuesten Rüstungsexport-zahlen sind erschreckend. Im letzten Jahr wurden deut-sche Rüstungsexporte in Höhe von 5,4 Milliarden Eurogenehmigt. 42 Prozent der Kriegswaffen werden in Län-der außerhalb von EU und NATO exportiert. Ich binerschrocken über die Rechtfertigung solcher Genehmi-gungen. Kanzlerin Merkel erklärte im letzten Jahr:Wir müssen die Staaten, die bereit sind, sich zuengagieren, auch dazu befähigen. Ich sage aus-drücklich: Das schließt auch den Export von Waf-fen mit ein.Diese Merkel-Doktrin stützt sich entweder auf deutscheSoldaten oder auf deutsche Waffen. Dies hat katastro-phale Konsequenzen. Gerade in der Nahostregion brau-
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Inge Höger
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chen wir nicht noch mehr Waffen. Wir brauchen Abrüs-tungsinitiativen und eine Rückkehr der Diplomatie.
Deutsche Waffen kommen auf dem Umweg über dieGolfstaaten in den syrischen Bürgerkrieg. DeutscheWaffen befähigen die saudische Armee, bei Protesten inBahrain zu intervenieren. Deutsche Waffen bestärken dieisraelische Regierung in ihrer Politik, die in erster Linieauf militärische Stärke setzt. Die verheerenden Folgensehen wir zurzeit in Gaza. Wer andere Länder aufrüstet,der ist auch verantwortlich für die katastrophalen Konse-quenzen, die sich ergeben, wenn Öl ins Feuer gekipptwird.Die Linke fordert eine Rückkehr zu einer Politik derDeeskalation und Versöhnung. Wir fordern ein Ende derAuslandseinsätze der Bundeswehr, den sofortigenAbzug aus Afghanistan und einen Ausstieg aus derRüstungsproduktion sowie ein Ende der Rüstungs-exporte. Frieden lässt sich nicht herbeibomben.
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege
Dr. h. c. Jürgen Koppelin das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich darf als Hauptberichterstatter den Dank an meineMitberichterstatter weitergeben. Ich sage ausdrücklich:Ich schließe die Kollegin Lötzsch – sie ist heute, glaubeich, nicht da – in diesen Dank mit ein. Wir haben in die-sem Team eine ganz hervorragende Zusammenarbeit anden Tag gelegt; das muss ich sagen.
Kollege Brinkmann, da wir beide aus diesem Hause aus-scheiden wollen, können wir jetzt besonders viel Lobverteilen.Kollegin Höger, es wäre vielleicht ganz gut, wenn Sieaußer dem Neuen Deutschland noch einige andereZeitungen lesen würden.
Vielleicht bekämen Sie dann ein anderes Bild.Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch die Debatteheute zog sich – der Außenminister und die Bundeskanz-lerin haben dazu Stellung genommen – die Anforderungvon Patriot-Raketen und NATO-Unterstützung seitensder Türkei. Ich finde, das bewegt schon. Genauso hatmich übrigens damals, in der Zeit der rot-grünenKoalition, bewegt, dass wir Israel Patriot-Raketen zurVerfügung gestellt haben. Das geschah allerdings ohnePersonal und ohne Parlamentsbeteiligung; das will ichausdrücklich sagen. Dass wir diese Raketen zur Verfü-gung gestellt haben, habe ich für selbstverständlich ge-halten. Auch jetzt halte ich es für selbstverständlich, dasswir unserem NATO-Partner Türkei helfen.
Warum erwähne ich das? Ich erwähne es auch, weilsich manche in den letzten Tagen, wie ich finde, sehrvorlaut geäußert haben, und zwar bevor die Anforderungaus der Türkei überhaupt vorlag. Wenn ich das sage,schaue ich ein bisschen auf einen Kollegen von denGrünen, der im hinteren Bereich sitzt.
– Lieber Kollege! – Wenn wir uns als Politiker äußern,sollten wir gleichzeitig immer daran denken – in derNähe meines Wahlkreises gibt es einen Bundeswehr-standort, dessen Soldaten von unserer Entscheidungwahrscheinlich betroffen sind: Husum –, wie dieMenschen darauf reagieren, wie sehr sie durch die Mel-dungen – der eine sagt dies und der andere das –verängstigt werden. Man sollte mit diesem Thema alsoein bisschen sensibler umgehen. Wenn wir uns öffentlichäußern, sollten wir vor allem an die Soldatinnen undSoldaten der Bundeswehr denken, die diesen Einsatzdurchführen müssen.
Das gilt grundsätzlich. Von Berlin aus lässt sich alleswunderbar kommentieren, Dinge in Afghanistan wiesolche, mit denen wir es in der Vergangenheit zu tunhatten, oder dieser Einsatz. Aus der warmen Stube lässtsich das alles ganz leicht kommentieren. Aber man sollteimmer an die Menschen denken.Ich sage mit Blick auf den Haushalt: Wir haben mitdem Haushalt 2012 und auch jetzt erneut dazu beige-tragen, den Beförderungsstau erheblich abzubauen. Wirhaben 100 weitere A-12-Planstellen geschaffen. Ichglaube, das ist ein gutes Signal an unsere Soldaten.Natürlich wissen wir, dass die Bundeswehr attraktiverwerden muss, auch was die Besoldung angeht. Wir wol-len gutes Personal und stehen im Wettbewerb mit derWirtschaft. Insofern, glaube ich, haben wir die richtigenEntscheidungen getroffen.Es gibt einen weiteren Punkt. Ich bleibe bei den An-gehörigen oder den ehemaligen Angehörigen der Bun-deswehr und der NVA. Herr Kollege Willsch hat esschon angesprochen. Wir haben den Fonds für Strahlen-geschädigte von NVA und Bundeswehr noch einmal um3 Millionen Euro aufgestockt. Ich finde, auch das warein richtiges Signal. An dieser Stelle möchte ich Staats-sekretär Schmidt für sein Engagement in diesem Bereichausdrücklich danken.
Frau Kollegin, Sie haben gerade gesagt, wir hättenkeine Einsparungen vorgenommen. Ich verweise hiernoch einmal auf den Haushalt. Sie sollten einmal hinein-gucken. Ich habe den Eindruck, Sie haben gar nicht hin-
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Dr. h. c. Jürgen Koppelin
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eingeguckt. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Das wirdim Jahr 2013 noch nicht wirksam, aber für die Zeit ab2014 haben wir Verpflichtungsermächtigungen in Höhevon 650 Millionen Euro gestrichen. Das ist doch keinPappenstiel.
Sie hätten nur einmal in den Haushalt gucken sollen. Soeinfach ist das.Früher habe ich auch bei Veranstaltungen der Bundes-wehr gesagt, dass der Bundeswehretat 10 Prozent desBundeshaushaltes ausmachen müsste. Heute liegen wirbei etwa 11 Prozent. Das ist ein ausgesprochen gutes Si-gnal.
Da ich wahrscheinlich das letzte Mal in einer Haus-haltsdebatte rede, erlauben Sie mir, liebe Kolleginnenund Kollegen, den einen oder anderen Wunsch zu äu-ßern. Die Kosten für unsere Einsätze im Ausland liegenbei etwa 900 Millionen Euro. Es war immer meinWunsch, dass diese Kosten im Einzelplan 60 ausgewie-sen werden und nicht aus dem Verteidigungsetat bestrit-ten werden müssen. Das wäre ehrlicher und offener.
Ein Steckenpferd von mir betraf die Flugbereitschaftder Bundeswehr. Diese arbeitet hervorragend. Aber jederMinister, einschließlich der Bundeskanzlerin, der dieFlugbereitschaft bestellt, sollte anschließend abrechnen,und dieses sollte sich im jeweiligen Etat widerspiegelnund nicht allein auf Kosten der Bundeswehr gehen. Wasdie Kosten angeht, wäre auch das ehrlicher; denn auchdieses steigert den Etat des Verteidigungsministeriums.
Wir haben Diskussionen gehabt über die Frage: Be-kommen wir, wenn wir eine Freiwilligenarmee haben,genug junge Leute zusammen, die sich melden? Ichfinde, die Zahlen sehen sehr gut aus. Darüber können wiralle froh sein. Ich sage noch einmal und wiederholemich: Wir müssen attraktiv sein, auch bei der Besol-dung. Wir müssen attraktive Standorte haben. Es mussein Beruf sein, bei dem man sagt: Ja, ich bin bereit, dort-hin zu gehen. – Wir konkurrieren mit der Wirtschaft. In-sofern finde ich die Zahl der freiwillig Wehrdienstleis-tenden ausgesprochen gut.Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch sagen: Ichwünsche mir, dass wir in nächster Zeit, auch aus demMinisterium, Vorschläge bekommen, wo weitere Einspa-rungen möglich sind. Das ist nicht die Aufgabe derHaushälter, Herr Minister. Ich weiß, dass Sie hier aufdem richtigen Wege sind. Wenn ich mir anschaue, wel-che Beschaffungsmaßnahmen wir beschlossen haben– alles Dinge, die wir heute in dieser Stückzahl nichtmehr brauchen –: Es ist dringend geboten, mit der Indus-trie zu sprechen. Das ist nicht gegen die Industrie gerich-tet, aber wir brauchen modernes Gerät. Ich nenne Ihnenals Beispiel die Stückzahl der Eurofighter. Hier tragenwir Verantwortung, auch meine Partei. Ich kann mirnicht vorstellen, dass es einen Luftkrieg wie anno Tobakgeben wird. Wir brauchen heute weniger Eurofighter.Beim Transportflugzeug haben wir das gemacht. Hier er-warte ich aber auch, dass Firmen wie EADS ihre Ver-träge einhalten und es nicht schon wieder Verzögerungengibt. Schauen Sie sich die einzelnen Beschaffungsmaß-nahmen an! Ich glaube, da wären noch Einsparungenmöglich.Herr Minister, schauen Sie sich bitte auch einmal dasBekleidungsmanagement an! Das sind alles Entschei-dungen, die unter rot-grüner Regierung getroffen wur-den. Man wollte privatisieren. Das waren keine Ent-scheidungen der FDP. Ich hätte längst nicht allesprivatisiert. Man muss nicht um jeden Preis privatisie-ren.Nehmen Sie den Bundeswehrfuhrpark! Der Rech-nungshof sagt, allein beim Bundeswehrfuhrpark könnteüber 1 Milliarde Euro eingespart werden. Schauen Siesich das für die nächsten Haushalte an! Ich glaube, daskäme der Bundeswehr zugute.Ansonsten ist dieser Haushalt ein sehr guter Haushalt.In Richtung Bundeswehr sage ich: Sie haben einen gutenVerteidigungsminister.Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Dr. Tobias Lindner das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Herr Kollege Koppelin, Sie haben sich auf dieAnfrage der Türkei zu Patriot-Systemen bezogen und indiesem Zusammenhang, ich finde, durchaus zu Rechtvon einer gewissen Sensibilität gegenüber den betroffe-nen Soldatinnen und Soldaten gesprochen. Meine Frak-tion hält es aber dann, wenn wir das mit der Sensibilitätgegenüber den betroffenen Soldatinnen und Soldatenernst meinen, auch für geboten, dass wir die Fragen, dieim Raum stehen, bei denen einige Mitglieder dieses Ho-hen Hauses skeptisch sind, in aller Sachlichkeit und derReihe nach klären, bevor wir zu einer Entscheidungkommen, und dass wir – wenn wir über „Entscheidung“reden – diese Entscheidung an diesem Ort und an dieserStelle treffen.Ich bin den zahlreichen Kolleginnen und Kollegensehr dankbar, die sich in den letzten Tagen ausdrücklichfür eine Parlamentsbeteiligung ausgesprochen haben.Ich bin Ihnen, Herr Minister, sehr dankbar, dass Sie andieser Stelle klare Worte gefunden haben, weil wir über-zeugt sind: An keiner anderen Stelle als hier im Deut-schen Bundestag kann und sollte diese Entscheidung ge-troffen werden.
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25294 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012
Dr. Tobias Lindner
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Wir haben in dieser Debatte bereits viel über diesemysteriöse Einsparvorgabe von 8,3 Milliarden Euro ge-sprochen, die Ihr Vorgänger Karl-Theodor zu Guttenbergbei der Kabinettsklausur ausgegeben hat. Ihr Haus hatmir auf meine Nachfrage hin eine – das will ich zugeste-hen – durchaus sehr kreative Rechnung präsentiert, nachder, würde man dieser Rechnung glauben, diese Einspar-vorgabe erbracht werden würde.Ich will in diesem Zusammenhang über drei Dinge re-den: Es war nicht unbekannt, als die Kabinettsklausurstattfand, dass es in diesem Land ein Einheitliches Lie-genschaftsmanagement gibt, in das die Liegenschaftender Bundeswehr überführt werden. Es war richtig undwichtig – Herr Kollege Koppelin hat über die finanzielleAusstattung der Soldatinnen und Soldaten gesprochen –,dass es Gehaltssteigerungen bei der Bundeswehr gibt.
Aber die Tatsache, dass es in mehr oder weniger regel-mäßigen Abständen zu Gehaltssteigerungen kommt, istähnlich überraschend wie Weihnachten im Dezember.Ein weiterer Punkt. Es ist im Grunde ein Treppenwitz,dass sich ausgerechnet die Linke auf die NATO-Krite-rien für Verteidigungsausgaben bezieht. Nehmen wirdiese einmal ernst! Dabei muss man die 1 Milliarde Euroberücksichtigen, die in den Einzelplan 60 für Personal-ausgaben verlagert wurde. Wenn man berücksichtigt,dass die veranschlagten 8,3 Milliarden Euro mittelfristigüber vier Jahre zu erbringen waren, dann erkennt manschon an dieser Stelle, dass allein die Hälfte dieser Ein-sparung von 8,3 Milliarden Euro durch die Personalkos-ten im Einzelplan 60 sozusagen aufgefressen werden.Das sind ja keine virtuellen Kosten; diese Kosten fallenreal an.Welche Schlussfolgerungen muss man daraus ziehen?Herr Minister, sagen Sie den Soldaten an dieser Stelledie Wahrheit! Die Sparvorgabe, die Ihr Vorgänger ausge-bracht hat, kann mit dieser Reform nicht erbracht wer-den. Die Soldatinnen und Soldaten in unserem Land ha-ben doch keine Angst vor der Wahrheit. Sie haben Angstdavor, dass man ihnen etwas vormacht und dass danneine weitere Reform die Konsequenz wäre. Deswegenmüssen wir uns an dieser Stelle ehrlich machen.
Ein anderer Punkt. Die Konsolidierung eines Haus-halts, das Erfüllen einer Sparvorgabe sind kein Selbst-zweck. Wenn wir in diesem Land – darüber wurde heuteMorgen in der Elefantenrunde viel gesprochen – anderePrioritäten setzen wollen, wenn wir mehr Geld für Bil-dung und Forschung und im Bereich der Entwicklungs-zusammenarbeit ausgeben wollen, wenn wir in diesemBundeshaushalt zugleich die Risiken abbilden wollen,die sich aus der Schuldenkrise in Europa ergeben, undwenn wir der Schuldenbremse gerecht werden wollen,dann müssen wir auch – in der vorangegangenen Debattezum Einzelplan 05 ist darauf hingewiesen worden – sa-gen, wo dieses Geld herkommen soll.Wenn wir an dieser Stelle so ehrlich sind, dann müs-sen wir auch sagen: Wenn ein Konsolidierungsbeitragerbracht werden soll, dann muss die Bundeswehr weg-kommen vom Konzept „Breite vor Tiefe“. Sie brauchtvielmehr ein Fähigkeitsprofil, das einer modernen Ar-mee in einem Land entspricht, das nicht mehr bedrohtist, einer Armee, die in Bündnisse eingebunden ist. Einsolches Fähigkeitsprofil muss definiert werden. Hieraufmuss man sich konzentrieren. Und das tun Sie geradenicht.Ich fand, dass diese Debatte heute in einer sehr ange-messenen Tonlage verlaufen ist. Daher möchte ich zumSchluss Ihnen, Herr Kollege Koppelin, für die Hauptbe-richterstattung danken. Ein Dank gilt auch meinen Kol-legen Mitberichterstattern und der Kollegin Mitbericht-erstatterin.Viele von Ihnen wissen es: Ich bin ein Mensch, derden Kriegsdienst mit der Waffe verweigert hat, der nachder Prüfung seines Gewissens zum Ergebnis kam, dasser nicht in der Lage ist, in der Bundeswehr einen Dienstzu leisten. Das hindert mich aber nicht daran, den Solda-tinnen und Soldaten Respekt entgegenzubringen, die ih-ren Dienst tun und Einsätze erfüllen, in die wir, derDeutsche Bundestag – gleich wie wir einzeln abge-stimmt haben und wie wir morgen darüber denken –, siegeschickt haben. Ich finde, diese Debatte ist dieserschweren Aufgabe angemessen. Auch die Gespräche derBerichterstatter im letzten Jahr waren ihr angemessen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung,Dr. Thomas de Maizière.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Ver-teidigung:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich möchte den Dank der Berichterstatter im Namenmeines Ministeriums und in meinem Namen gern zu-rückgeben. Die Zusammenarbeit war im Hinblick aufQualität, Klima, Tonlage und Ergebnis bemerkenswert.Das finde ich gut; das ist der Sache angemessen.Herr Lindner, jedes Mal, wenn wir uns treffen, redenwir über diese 8,3 Milliarden Euro. Sie haben gesagt, wirsollten uns in dieser Debatte jetzt ehrlich machen. Esgibt nichts Ehrlicheres als das Zahlenwerk des Haushal-tes: Im Haushalt stehen alle Zahlen, steht das Ergebnis.
Daneben gibt es die mittelfristige Finanzplanung. DieZahlen sind so, wie sie sind. Ich kann nur sagen – ichhabe es hier gesagt, ich habe es bei der Bundeswehrta-gung gesagt –: Mit diesem Zahlenwerk und der mittel-fristigen Finanzplanung ist die Neuausrichtung der Bun-deswehr solide finanziert. Das ist gut und richtig so. Ichfinde es interessant, dass die Opposition immer nach die-sen 8,3 Milliarden Euro sucht. Das basiert auf der 43. Fi-
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Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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nanzplanung. Die Dinge stellen sich jetzt so dar, wie esdie Zahlen hergeben. Sie müssen sich einmal einig wer-den, ob Sie das kritikwürdig finden oder nicht. Jeden-falls: Der Haushalt ist so, wie er ist, auskömmlich.Wir haben in der Bereinigungssitzung einen kleinenSchlag mitbekommen. Wir haben allerdings auch etwasGutes mitbekommen: Die Mittel für die Höhergruppie-rung helfen bei der Anpassung an das Personalstruktur-modell und damit der Bundeswehr. So ist es im Leben;so ist es beim Haushalt. Ich habe das Ergebnis nicht wei-ter zu beanstanden.In der ersten Lesung haben wir sehr intensiv über dieNeuausrichtung der Bundeswehr gesprochen, auch, HerrBrinkmann, über die Studie, die damals gerade frischvorlag. Natürlich hat sie Konsequenzen; wir haben dasbei der Bundeswehrtagung erörtert und werden das wei-ter tun. In der Tat ist jetzt das Hauptthema bei den Solda-ten: Wie kommt es schnell zu Personalsicherheit? –Selbst wenn es hier eine schlechte Nachricht gäbe, wäredies besser als die derzeitige Unsicherheit. Es dauert einbisschen, bis das geklärt ist. Es wird vorangehen. Ichkümmere mich darum; die Verantwortlichen kümmernsich darum. Das ist ein zentrales Thema.Ich glaube, es ist angemessen – das erwarten Sie vonmir –, dass ich in der heutigen Debatte keine größerenAusführungen zur Neuausrichtung mache, sondern einpaar Anmerkungen zur Sicherheitspolitik, insbesonderezum Antrag der Türkei.
Der Außenminister konnte Ihnen nur mitteilen, dass derAntrag, während die Debatte stattfand, eingegangen ist.Ich will den Antrag ein bisschen erläutern.Ich will allerdings eines vorab sagen. Es gehört zurDebatte hier und heute; es gehört zur Beschreibung desNahen Ostens. Ich bedanke mich für die große Einmü-tigkeit, die es in der Debatte über die Etats des Kanzler-amts und des Außenministeriums bei diesem Themagab. Das, was der türkische Ministerpräsident in diesenTagen zu Israel gesagt hat, ist indiskutabel und es findetmeine Zustimmung überhaupt nicht. Das sage ich vor-weg.
– Nein. Ich will sagen: Man kann öffentlich verurteilen,dass ein Bündnispartner, dem wir jetzt helfen werden, insolch einer Weise über den Staat Israel und das, was Is-rael gemacht hat, geredet hat. Um es ganz klar zu sagen:Ich tue es hiermit.
– Möglicherweise haben nicht alle verstanden, woraufsich meine Äußerung bezog. Der türkische Ministerprä-sident hat Israel in diesem Zusammenhang „ethnischeSäuberung“ und anderes vorgeworfen. Um es klar zu sa-gen: Das ist in der Sache und in der Tonlage total dane-ben.
Hier geht es um den Antrag der Türkei, der jetzt vor-liegt. Wir haben über die Frage diskutiert, insbesondereder Abgeordnete Nouripour: Was heißt das für die De-batte über Flugverbotszonen? Gibt es hier einen Rutsch-bahneffekt? Inwieweit wird Deutschland da hineingezo-gen? – Ich hoffe, ich kann das, wenn ich das jetzterläutere, glasklar ausräumen.In dem Antrag selbst – also nicht in unserer Antwort –bittet die Türkei um Hilfe beim Schutz der Bevölkerungund des Territoriums, um einen Beitrag zur Deeskalationder Krise entlang der Südostgrenze des NATO-Gebieteszu leisten und um die Solidarität und die Entschlossen-heit der Allianz zu demonstrieren. Das ist der erstePunkt.Die Türkei selbst schreibt in ihrem Antrag: Diese Sta-tionierung – ich habe hier den Text nur auf Englisch, ichübersetze ihn mit meinen eigenen Worten – wird aus-schließlich defensiv sein, sie wird – in no way support –in keiner Weise unterstützen eine Flugverbotszone oderirgendeine offensive Operation. – Das ist bereits im An-trag der Türkei enthalten.Die Sozialdemokraten haben darauf hingewiesen,dass sie eine schriftliche Erklärung von der Türkei wol-len, dass es keinen Schritt zu einer No-fly-Zone gibt.Diese Erklärung liegt jetzt vor, sodass jede Verdächti-gung gegenüber diesem Antrag in Bezug auf eine Einmi-schung in den syrischen Bürgerkrieg gegenstandslos ge-worden ist. Deswegen werde ich, Herr Außenminister,empfehlen, diesem Antrag zuzustimmen.
Herr Minister, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unter-
breche. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des
Kollegen Nouripour?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Ver-
teidigung:
Eine Bemerkung darf ich, glaube ich, nicht gestatten,
nur eine Frage.
Doch, nach Geschäftsordnung ist beides möglich. Ich
kann aber nicht erkennen, was es sein wird.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Ver-
teidigung:
Er kann sagen, was er für richtig hält. – Bitte.
Danke, Frau Präsidentin. Ich will eine Frage stellen. –Herr Minister, Sie haben gerade dargelegt, was die Tür-kei für eine No-fly-Zone beantragt hat.
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25296 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012
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Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Ver-teidigung:In Bezug auf die No-fly-Zone.
Ich habe Sie gerade so verstanden, dass die Türkei in
ihrer Request ausschließt, dass es eine No-fly-Zone mit
den Mitteln der NATO geben wird.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Ver-
teidigung:
Ja.
Mich treibt am meisten die Frage um, ob wir Instru-mente geben an Personen oder Gruppen auf der anderenSeite der Grenze, die etwas davon hätten, wenn dieNATO Teil des Konflikts wäre und damit das Gleichge-wicht der Kräfte aushebeln würde. Meine Frage ist:Wenn Sie noch nicht genau sagen können – so war zu-mindest mein Stand heute Morgen im Ausschuss –, wogenau stationiert werden soll, wie können Sie das Szena-rio, das Risiko, das ich gerade beschrieben habe, aus-schließen?Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Ver-teidigung:Zunächst kann ich Ihnen mitteilen, dass in der nächs-ten Woche eine Besichtigung der Stationierungsortestattfinden wird. Wenn schon der Antrag darauf abzielt,dass die Stationierung defensiv ist, wird von uns tech-nisch, rechtlich und politisch, faktisch auch genau so ge-handelt. In der Antwort werden wir das genau so nieder-legen.Man kann in Sorge weiter herumsuchen. Am Wo-chenende wurden verständlicherweise Debatten geführt.Heute wurde der Antrag in aller Klarheit vorgelegt. Da-durch sind, glaube ich, sämtliche möglichen kritischenAnmerkungen gegenüber dieser Operation erledigt.Trotzdem kann man ihn ablehnen. Trotzdem kann mankritische Fragen stellen. Aber ob damit dieses oder jenesgemeint sein könnte, alles, was in den vergangenen Ta-gen diskutiert wurde, ist negativ beantwortet, und das istgut so.Ich will ein Wort zu AWACS sagen, weil das heuteMorgen eine Rolle spielte. Ich kann für die Bundesregie-rung sagen, dass eine zusätzliche Verlegung vonAWACS zu diesem Zweck nicht beantragt, nicht beab-sichtigt ist und auch nicht stattfindet. Das ist ein klarerPunkt. Dass das, was ohnehin im Rahmen der NATOroutinemäßig – „routinely“ wird es in diesem Antragheißen – da ist, selbstverständlich weiterhin genutzt wer-den kann, das versteht sich, glaube ich, von selbst. Daswird auch der Fall sein. Wenn Sie den Antrag im Einzel-nen lesen, werden Sie das genau bewerten können. Wirwerden im Ausschuss sicher noch darüber beraten.Lassen Sie mich noch einmal unterstreichen – HerrWesterwelle hat es vorhin gesagt –: Wir sind entschlos-sen, den Antrag positiv zu beantworten und ihn, wenndie Voraussetzungen vorliegen, auch schnellstmöglichpositiv zu bescheiden.Das bedeutet auch – damit komme ich zur Mandats-pflicht –, dass wir in der Bundesregierung so schnell wiemöglich ein Mandat dazu erarbeiten und dem DeutschenBundestag vorlegen werden. Ich möchte allerdings denDeutschen Bundestag bitten, das so zu beraten – wir ge-ben uns alle Mühe, was die zeitlichen Abläufe angeht –,dass wir spätestens in der Dezembersitzung in zweiterLesung ein Ergebnis haben. Das wäre, glaube ich, ange-messen.Ich will noch etwas zur Mandatspflicht sagen, weilwir ein paar Tage mit der Entscheidung zu dieser Fragegewartet haben. Ich will Ihnen kurz mein Motiv dazu of-fenlegen. Es kann nicht sein, dass man – das habe ichschon heute Morgen im Ausschuss gesagt – die Frageder Mandatspflicht nach politischer Opportunität ent-scheidet: Da passt es mal; dann sind wir für Mandats-pflicht. Da passt es mal nicht; dann machen wir es mallieber nicht. Wir definieren das so, wie es gerade poli-tisch passt. – Das wollen wir nicht. Deswegen musste einbisschen klarer sein, worum es geht.Man könnte durchaus argumentieren, dass eine reindefensive Maßnahme, von der wir überzeugt sind, dasssie die Gefahr einer Eskalation vermindert und nicht er-höht, gerade deswegen die Mandatspflicht nicht begrün-det, weil sie die Einbeziehung in militärische Auseinan-dersetzungen vielleicht unwahrscheinlicher macht. Aber:Es kommt hier nach der Rechtsprechung des Bundesver-fassungsgerichts sehr stark auf die zeitliche und inhaltli-che Nähe sowie auch auf die Einsatzart an. Danach ist esvöllig eindeutig – nach meiner Überzeugung; das ist dieÜberzeugung der Bundesregierung –, dass dieser Vor-gang ein Mandat erfordert. Deswegen wird es ein Mandatgeben.
Ich wollte nur einmal begründen, wo im Einzelnen dieArgumentationslinie verläuft.So weit zur Türkei. Ich hoffe sehr, dass wir nach einerruhigen Debatte dazu auch zu einer gemeinsamen Auf-fassung kommen. Bei allen Fraktionen möchte ich sehrdafür werben, dass wir durch öffentliche Äußerungen– ich sage es einmal ganz schnörkellos – die SPD unddie Grünen nicht auf frühere Äußerungen festnageln,sondern völlige Freiheit und Offenheit haben. Ichmöchte dafür werben, dass die SPD und die Grünen imLichte der jetzigen Entwicklung dem Antrag im Ergeb-nis zustimmen.Lassen Sie mich zum Schluss noch ein Wort zu Af-ghanistan sagen. Wir werden darüber ausführlich debat-tieren. Die Bundesregierung wird ein neues Mandat be-schließen. Das Mandat wird – mit Blick auf dieRegierungsneubildung; es gibt auch einige taktische undfachliche Gründe, die dafür sprechen – eine etwas län-gere Laufzeit – 13 Monate – haben. Wir haben diesesMandat gemeinsam erarbeitet. Wir haben es auch kon-sentiert. Wir sind der Überzeugung, dass dieses Mandatinternational passfähig, militärisch lageorientiert undpolitisch verantwortbar ist.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25297
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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International haben wir gesagt: together in, togetherout. Zusammen sind wir nach Afghanistan hineingegan-gen; wir gehen auch zusammen heraus. Das ist die inter-nationale Botschaft. Bisher ist es – jedenfalls überwie-gend – gelungen, das auch national so zu sehen. Ichhoffe sehr, dass es dabei bleibt. Das ist im Interesse derSoldaten.Nach alledem bitte ich im Interesse der Bundeswehrum eine breite Zustimmung zu diesem Haushalt.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Rainer Arnold für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Wenn es um die Parlamentsarmee geht, bedeutet dasmehr, als hier gelegentlich bei EntsendeentscheidungenJa oder Nein zu sagen. Es ist eine besondere Verantwor-tung, die alle Abgeordneten im Deutschen Bundestag tra-gen. Dies wissen wir, und diese Verantwortung nehmenwir auch als Oppositionspartei wahr. Deshalb brauchenwir diesbezüglich auch keine Belehrungen von HerrnMißfelder und vom Kollegen Schockenhoff.
Diese Verantwortung bedingt aber auch, dass die Re-gierung ihren Informationspflichten gegenüber dem Par-lament nachkommt. Herr Minister, bei Patriot haben Siedas eben nicht getan. Wenn Sie zuerst mit der Presse re-den und wir das dann aus der Zeitung erfahren, habenSie unserem eigentlich gemeinsamen Anliegen, einegute Debatte zu führen, wirklich keinen Gefallen getan.
Heute früh hat der Bundestag seine Rechte deutlicheingefordert. Die Debatte war hilfreich. Das, was Siejetzt erklärt haben, ist nötig und hilfreich, vor allen Din-gen auch die Absicht der Türkei, schriftlich zu fixieren,dass diese Raketensysteme keinesfalls eine Veränderungihrer – das muss man sagen – bisher sehr verantwor-tungsvollen Politik an dieser schwierigen Grenzsituationherbeiführen werden.Herr Minister, wenn Sie jetzt auch noch sagen wür-den, dass nicht die Deutschen allein, sondern auch nochandere Partner, die Patriot-Raketen haben, mit beteiligtsind, und Sie, Herr Minister, sich am Ende – vielleichtauch, wenn es um AWACS geht – das Urteil des Verfas-sungsgerichts aus dem Jahr 2008 einmal genau an-schauen und auch hier eine Lernkurve haben und fest-stellen, dass man AWACS mit mandatieren muss, wirdmeine Fraktion, glaube ich, vor dem Hintergrund derBündnisloyalität über diesen Einsatz verantwortungsvolldiskutieren und dann verantwortungsvoll entscheiden.Sie haben heute überhaupt nicht über die Reform ge-sprochen. Ich glaube, wir müssen trotzdem darüber re-den, und zwar vor dem Hintergrund der Türkei-Debatte,der Mali-Debatte und vor dem Hintergrund der Tatsache,dass 16 UNO-Missionen in der Welt dringend techni-sche, infrastrukturelle und logistische Unterstützung vonden Industriestaaten benötigen. Die Debatte der jüngstenMonate zeigt doch, Herr Minister, dass Sozialdemokra-ten mit ihrer Einschätzung recht hatten, dass die zukünf-tigen Einsätze der Bundeswehr eher nicht wie der Afgha-nistan-Einsatz aussehen werden, sondern es in Zukunftviele kleine Einsätze geben wird, bei denen es um infra-strukturelle und logistische Unterstützung geht. HerrMinister, die Reform bildet diese zukünftigen Anforde-rungen nicht ausreichend ab. Wir haben die Debatte„Breite vor Tiefe“ schon oft geführt.Es bleibt richtig, dass man angesichts der verändertenWelt andere Prioritäten setzen müsste. Doch was machenSie? Wir diskutieren über den Einsatz von Patriot-Rake-ten. In Wirklichkeit wird diese Fähigkeit aber halbiert.Das ist ein Schmuckstück, über das nur drei Länder inder NATO verfügen. Wir diskutieren über Hubschrauber.Und was machen Sie? Statt ein paar in den Südsudan zuschicken, werden die Hubschrauberfähigkeiten redu-ziert. Wir reduzieren auch logistische Fähigkeiten, diewir in Mali gebrauchen könnten.Herr Minister, Sie haben auf der Kommandeurtagungdie Weizsäcker-Kommission zitiert: Die Bundeswehr istzu groß, sie ist falsch zusammengesetzt, sie ist unmo-dern. – Ja, sie ist zu groß. Sie wird jetzt kleiner. Aber Siereduzieren die Bundeswehr mit dem Rasenmäher, woder Rasentrimmer angesagt wäre. Die Truppe ist falschaufgestellt, falsch strukturiert. Sie bleibt aber falsch auf-gestellt, weil Sie alles nur reduzieren, aber die Verhält-nisse nicht ändern. Es wurde auch gesagt, die Truppe seiunmodern. Ich glaube, die Truppe ist nicht unmodern.Fakt ist aber: Der Etat für Investitionen ist in diesemJahr so gering wie nie. Damit schafft man keine moder-nen Streitkräfte.
Herr Minister, mich wundert, dass Sie entgegen Ihremeigentlichen Politikstil angefangen haben, Ihre Reformkommunikativ ein bisschen zu überhöhen. Sie redennicht mehr von einer Reform oder einer Transformation.Sie reden von einer Neuausrichtung, als ob man das Radneu erfinden würde. Wahr ist doch: Es gibt neue Struktu-ren im Ministerium und in den nachgeordneten Behör-den. Das ist in Ordnung. Das kann man so machen. Beider Truppe selbst ist aber überhaupt nichts Neues ange-kommen. Es kommt nur weniger an, aber nichts Neues.Das heißt, diese Reform ist konzeptionell nicht auf derHöhe der Zeit.Was genauso schlimm ist, Herr Minister: Sie ist auchhandwerklich zumindest in Teilen sehr schlecht. Das istdann besonders schlimm, wenn Menschen bei der Bun-deswehr vom schlechten Handwerk betroffen sind. Sieerzählen, die Reform sei erfolgreich. Herr Minister, dieReform ist so erfolgreich, dass die aktiven Soldaten er-klären, dass sie ihren Kindern eigentlich nicht mehrempfehlen können, den Soldatenberuf zu wählen.
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Rainer Arnold
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Die schlechte Stimmung in der Truppe hat auch etwasmit Unsicherheiten zu tun; Herr Minister, da haben Sierecht. An der Spitze des Hauses haben Sie die Erwartunggeweckt, dass im Herbst dieses Jahres alle Soldatinnenund Soldaten Klarheit über ihre Zukunft bekommenwürden. Das ist aber nicht der Fall. Dies zerstört Ver-trauen. Dabei ist Vertrauen der Soldatinnen und Soldatendie wichtigste Basis, die die Politik schützen muss.Herr Minister, Sie haben ein Attraktivitätsprogrammgeschrieben, aber am Ende wird nur ein Drittel davonumgesetzt. Das Schlimmste ist, dass Sie gerade dort, woes besonders wichtig ist – es geht um die bessere Verein-barkeit des Soldatenberufs mit der Familie –, nur dasTürschild austauschen. Sie schreiben statt „Büro XY“„Familienzimmer“ oder „Mutter-Kind-Zimmer“ darauf.Wenn man sich die Sache genau anschaut, stellt manfest, dass eine junge Mutter, die nicht von Bayern nachNorddeutschland versetzt werden kann – ich habe vielesolche Fälle auf dem Schreibtisch –, einen kaltherzigenBescheid bekommt, der besagt, dass familiäre Belangenicht interessieren und sie ihrem Truppenteil folgenmuss. Zivilbeschäftigte, die vor Jahren ihre Arbeitszeitreduziert haben, weil sie kleine Kinder hatten, und jetzt,da die Kinder groß sind, wieder mehr arbeiten wollen,erhalten allesamt eine Absage: Sie können ihre Arbeits-zeit nicht mehr erhöhen. Das ist genau das Gegenteil voneiner besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Die Zivilbeschäftigten bestrafen Sie sowieso mehr-fach. Sie reduzieren ihre Zahl ohne entsprechende Auf-gabenkritik. Sie verschieben einen Teil zu anderenRessorts und nehmen den Zivilbeschäftigten die Freiheit– eines der wenigen Attraktivitätsmittel –, zwischenTrennungsgeld und Umzugsgeld zu wählen. Amschlimmsten ist: Sie nehmen deren Sorgen nicht ernstund sagen nicht ehrlich, dass einige Hundert Zivilbe-schäftigte nachher unter einen anderen Tarifvertrag fal-len, der möglicherweise eine Abqualifizierung um zweiStufen zur Folge hat. Wie Sie das heilen wollen, sagenSie nicht. Aber den Vertrag mit den anderen Ressorts ha-ben Sie schon unterschrieben. So darf man mit Men-schen bei der Bundeswehr nicht umgehen.Dass Sie uns das nicht glauben, kann ich verstehen.Wenn aber Ihre eigenen Haushälter einen Antrag ein-bringen, der deutlich macht, dass Sie bei der Verlagerungdes Personals nach dem Prinzip „linke Tasche, rechte Ta-sche“ verfahren, und in dem sie sagen, dass sie gegendiese Verlagerung sind, dann sollten Sie, Herr Minister,vielleicht doch einmal innehalten und prüfen, ob bei die-ser Reform alles richtig ist, und nicht starr an Vorgabenfesthalten.
Herr Minister, wir appellieren an Sie: Justieren Siediese Reform nach! Machen Sie das bitte jetzt und nichterst dann, wenn sich die neuen Strukturen verfestigt ha-ben. Die Soldaten machen sich viele Sorgen. Wenn dieStruktur nicht trägt – es gibt, wie wir wissen, Bereiche,die nicht zukunftsfähig sind –, muss eine kommendeneue Regierung das sofort wieder angehen. Justieren Siejetzt nach, bevor sich eine falsche Struktur verfestigt!Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Verzichten Sie auf dieAuslagerung von Zivilpersonal in andere Ressorts! War-ten Sie zumindest so lange ab, bis der Bundesrechnungs-hof klar sagt, ob diese Reform etwas bringt oder ob sie– das sage ich Ihnen voraus – mehr kostet.Herr Minister, machen Sie noch eines: Lassen Sie dieSorgen der Soldaten ein bisschen näher an sich heran! Esist nicht so, dass die Spitze entscheidet und dann dieNachgeordneten für die Umsetzung verantwortlich sind.Lassen Sie die Probleme an sich heran, und zeigen Sie,dass es sich wirklich um Ihren Verantwortungsbereichhandelt und Sie da Verantwortung wahrnehmen.Die Bundeswehr wirbt mit dem Satz – das ist ja IhrLieblingsslogan, Herr Minister, und es ist nicht schlecht,an das Verantwortungsgefühl von Bürgern und Soldatenzu appellieren –: „Wir.Dienen.Deutschland.“ HerrMinister, ergänzen Sie diesen Slogan durch einen etwasabgewandelten Slogan: „Wir.Dienen.Den Menschen beider Bundeswehr.“ Das ist die Aufgabe der Ressortspitze.Recht herzlichen Dank.
Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Elke Hoff
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Ich freue mich besonders über die großeHarmonie, die wieder einmal in der Debatte über denEinzelplan 14 herrscht.
Ich möchte mich als Verteidigungspolitikerin dem Dankan die Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsaus-schuss anschließen. Sie haben gemeinsam die Bundes-wehr in schwieriger Zeit, in der der Einspardruck aufalle Ressorts erheblich ist, in die Lage versetzt, in dennächsten Jahren solide zu wirtschaften. Das ist vor demHintergrund, dass die Mittel im Bundeshaushalt insge-samt gesenkt wurden, eine Leistung, die auf das Kontoder Haushälter geht. Dafür danken wir Ihnen als Vertei-digungspolitiker sehr herzlich.Verehrter Kollege Arnold, Sie haben auf die Reformabgestellt und an den Minister appelliert, die Sorgen derSoldaten näher an sich herankommen zu lassen. Erin-nern wir uns daran, dass Thomas de Maizière seit seinemAmtsantritt vor der Aufgabe steht, die Aussetzung derWehrpflicht, die Umsetzung der Bundeswehrreform, dieUmsetzung von Auslandseinsätzen und die Rückverle-gung der Truppe aus Afghanistan zu managen. Ichglaube, wir hätten uns keinen besseren Minister undkeine bessere Persönlichkeit wünschen können, um alldiese Dinge auf den Weg zu bringen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25299
Elke Hoff
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Es war auch vernünftig und klug, im Rahmen des Re-formbegleitgesetzes eine Evaluation vorzusehen. Abereine Evaluation macht erst dann Sinn, wenn es einenZeitraum gibt, über den man tatsächlich befinden kann.Wir sollten der Reform schon eine gewisse Zeit geben,damit sie greifen kann. Dann können wir gegebenenfallsim Rahmen des Evaluationsauftrages Änderungen Rech-nung tragen.Ich möchte an dieser Stelle auch auf die aktuellen Er-eignisse eingehen, über die wir hier heute schon disku-tiert haben. Eine ganz wesentliche Erkenntnis ist – dasist selbstverständlich –: Die Welt wird nicht friedlicher.Das Ende des Kalten Krieges führt nicht sozusagen zumEnde der Geschichte, was seinerzeit viele in einemÜberschwang der Freude formuliert haben.
Vielmehr werden wir in Zukunft mit vielen kleinen Kon-flikten konfrontiert werden, die Auswirkungen auf dieStabilität von Regionen haben und durch die globaleVernetzung auch auf uns. So wie viele Kollegen, die sichhäufig in diesen Krisenregionen bewegen, glaube auchich, dass gerade dort Ansprüche an die BundesrepublikDeutschland im Hinblick auf die Herstellung von Sicher-heit gestellt werden. Man erwartet von uns eben nicht,dass wir uns hinsetzen und die Hände in den Schoß le-gen, sondern man erwartet, dass wir mit den Instrumen-ten, die uns zur Verfügung stehen, dort in der Welt, wowir glauben, tätig sein zu können und zu müssen – vorallen Dingen auch im Rahmen des Bündnisses –, unse-ren Beitrag leisten.Es war insofern sehr klug und richtig, dass die Bun-desregierung auf die Anfrage des türkischen Bündnis-partners zur Entsendung von Patriots positiv reagiert hat.Welchen Sinn hat ein Bündnis überhaupt, wenn nichtden, dass ein Mitglied, das in eine Lage gerät, in der esden Eindruck hat, dass seine Sicherheit gefährdet ist, andie anderen Bündnispartner appellieren kann? Die jetztangeforderten Fähigkeiten hat die Türkei nicht, aber dieAmerikaner, die Niederländer und die Deutschen habensie. Ich finde es sehr klug, dass die Bündnispartner, diedie Fähigkeit haben, dann auch in so einem Fall zusam-menarbeiten.Meine Hoffnung ist, dass wir endlich mit dem Mythosbezüglich der Parlamentsbeteiligung aufräumen. Häufighört man die Frage: Kann sich ein Partner mit Parla-mentsbeteiligung – das wird immer als Parlamentsvorbe-halt bezeichnet – innerhalb eines Bündnisses überhauptan solchen Aktionen beteiligen? Selbstverständlich kanner das. Ich glaube, dass die Haltung dieses Parlaments,die hier in der Kürze der Zeit dargestellt worden ist – mitallen berechtigten Fragen, die zu beantworten sind –,deutlich macht, dass wir unsere Verantwortung wahrneh-men. Herr Minister, wenn die Bundesregierung jetzt zü-gig ein tragfähiges Mandat formuliert, dieses auch kom-muniziert und uns vorlegt, ist es nach meiner festenÜberzeugung selbstverständlich leistbar, dass dieses Par-lament noch in diesem Jahr unter Beweis stellt, dass esdie Bündnisverpflichtung unseres Landes mitträgt. Fürmich ist das überhaupt keine Frage.
Ich wünsche mir dann aber auch, dass angesichtsmöglicherweise wieder auftretender Konflikte in denVerhandlungen – wir wünschen uns natürlich alle, dassdiese nicht mehr auftreten – vonseiten der Bundesregie-rung proaktiv auf NATO-Ebene gesagt wird: LiebeFreunde, eurem Eindruck, dass der Parlamentsvorbehaltin der Bundesrepublik Deutschland zu einer Störung derAbläufe im Bündnis führt, widersprechen wir mit Vehe-menz.
Wir können bei den Truppenbesuchen, die wir ma-chen, feststellen – das finde ich sehr gut; den Kollegengeht es sicherlich genauso –, dass inzwischen viele Sol-datinnen und Soldaten sagen: Gott sei Dank haben wirdiesen Parlamentsvorbehalt. Dadurch wissen wir undunsere Familien zu Hause, dass wir, wenn wir in einenEinsatz geschickt werden, eine breite politische Rücken-deckung haben und nicht permanent Gegenstand politi-scher Debatten sind. Ich wäre als Regierung froh, wenndie Debatte vorher geführt wird und sich nicht im Nach-hinein über einen Zeitraum von einem halben Jahr, ei-nem oder mehreren Jahren hinzieht. Denn dann wissenunsere Soldatinnen und Soldaten nicht, wer sie unter-stützt. Wir führen die Debatte jetzt, also vorher, und räu-men hoffentlich alle Fragen aus. Dann wissen unsereSoldatinnen und Soldaten, dass sie mit der breiten Rü-ckendeckung aller Verfassungsorgane dieses Landes inihren schwierigen Einsatz gehen.Ich möchte an dieser Stelle im Namen meiner Frak-tion – dies gilt aber wohl für uns alle – allen Soldatinnenund Soldaten höchste Anerkennung für das übermitteln,was sie für uns unter schwierigen Bedingungen, aberauch, ich nenne es einmal so, im normalen Dienstbetrieb– auch diese Kameradinnen und Kameraden sollten wirnicht vergessen – leisten, und ihnen sagen, dass wir alsParlament hinter ihnen stehen. Über den Haushalt undüber die Parlamentsbeteiligung stellen wir unter Beweis,dass sie sich auf die Parlamentarier in diesem Hause ver-lassen können.Vielen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat nun die KolleginChristine Buchholz das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichfürchte, ich muss an dieser Stelle die traute Harmonie indiesem Haus – von SPD bis FDP – etwas eintrüben.
Das betrifft sowohl die aktuelle Zuspitzung im türkisch-syrischen Grenzkonflikt als auch die Kritik am soge-nannten Verteidigungshaushalt. Über 33 Milliarden Eurosollen in einen Etat gesteckt werden, der eine globalagierende Interventionsarmee finanziert. Es geht nichtum Verteidigung. Es geht darum, dass die Bundeswehrin immer mehr Auslandseinsätze geschickt werden soll.
Kosovo, Afghanistan, Sudan, Somalia – die Liste wirdimmer länger. Nun kommen auch noch der türkisch-syri-sche Grenzkonflikt und Mali hinzu.Zu Ersterem. Jetzt ist es amtlich: Die Bundesregie-rung ist entschlossen, die Bundeswehr an die türkisch-syrische Grenze zu verlegen. Sie behaupten, es geht umdie Verteidigung des NATO-Bündnispartners Türkei.
Herr de Maizière, Sie können doch nicht ignorieren, dassdie türkische Regierung eine eigene Agenda in demGrenzkonflikt verfolgt. Ankara fordert seit langem dieEinrichtung einer Flugverbotszone über Syrien. Sie be-ziehen sich jetzt darauf, dass in der Anfrage davon nichtdie Rede ist. Aber natürlich geht die Entwicklung weiter.Was machen Sie, wenn die Entwicklung tatsächlich wei-tergeht und auf politischer Ebene die Flugverbotszoneumgesetzt werden sollte?
Das Ziel ist meines Erachtens klar: Die Erdogan-Re-gierung will die NATO in eine militärische Auseinander-setzung mit hineinziehen. Mit der Stationierung der Pa-triot-Raketen kommt sie dabei einen entscheidendenSchritt voran. Es ist schlimm, dass die Bundesregierungdas auch noch unterstützen will.
Sie riskieren, dass Deutschland in einen Krieg hinein-gezogen wird. Dabei gibt es doch erste Warnzeichen:Das türkische Parlament hat Anfang Oktober dieses Jah-res einer Gesetzesvorlage zugestimmt, die einen Einsatzder Armee in Syrien ermöglicht. Die türkische Armeehat 250 Panzer an die syrische Grenze verlegt. Die Zei-tung Hürriyet berichtet unter Berufung auf Militärkreise– ich zitiere –:Die Planungen für eine mögliche Intervention imNachbarland laufen auf Hochtouren, … die Überle-gungen sehen vor, einen Panzereinsatz durch Luft-angriffe auf syrische Stellungen vorzubereiten.Aber Sie, Herr de Maizière, reden hier von Verteidigung.Nein, meine Damen und Herren, die Stationierung derPatriot-Raketen ist nicht geeignet, um Menschen in dersyrischen-türkischen Grenzregion vor Mörserbeschusszu schützen. Sie ist auch keine Unterstützung für die sy-rische Demokratiebewegung.
Wir sagen: Es gibt keine Bündnisverpflichtung zurUnterstützung der türkischen Kriegsvorbereitungen. Da-für dürfen kein Cent und kein Soldat bereitgestellt wer-den.
Unsere Solidarität gilt der syrischen Demokratiebewe-gung und der türkischen Friedensbewegung.
Was in aller Welt soll die Bundeswehr in Mali? DieBundesregierung hat entschieden, die Entwicklungszu-sammenarbeit mit Mali auszusetzen, nachdem die dortgewählte Regierung im März dieses Jahres wegge-putscht wurde. Aber nun soll die aus diesem Putsch her-vorgegangene Regierung bei der militärischen Rück-eroberung der Tuareg-Gebiete unterstützt werden.Die Tuareg-Rebellen bieten seit Monaten Verhandlun-gen an. Aber anstatt darauf einzugehen, unterstützen EUund Bundesregierung die abenteuerlichen Angriffspläneder westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS.Das kann nur zu einem fürchterlichen und langwierigenKrieg führen, der noch mehr Leid und Zerstörung bringenwird. Die Bundeswehr darf für solch einen Krieg nichtzur Verfügung stehen, weder als kämpfende Truppe nochdurch Entsendung von Ausbildern.
Die Bundesregierung verpulvert das Steuergeld derArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für eine Politik,die deutsche Soldaten an immer mehr Fronten in dieserWelt schickt. Für 2013 sind dafür direkt über 1 Mil-liarde Euro eingeplant. Aber indirekt sind die Kostennoch viel höher.Nehmen wir als Beispiel die Beschaffung desA400M. Dieser Airbus hat nur einen Zweck: Er soll Sol-daten und Material in alle Welt verfrachten. Im neuenHaushalt schlägt allein das mit 725 Millionen Euro zuBuche. In den kommenden Jahren ist mit weiteren 7 Mil-liarden Euro zu rechnen.Es kann doch nicht angehen, dass Sie hier einen Fis-kalpakt „durchstimmen“, der Deutschland und Europaein Kürzungsdiktat aufzwingt, wenn es um Sozialesgeht, dass aber für die Entsendung von Truppen Jahr umJahr immer neue Milliarden bereitstehen.Holen Sie lieber die Soldaten aus Afghanistan undden anderen Auslandseinsätzen zurück! Schicken Siekeine weiteren Soldaten ins Ausland! Es gibt unzähligeMöglichkeiten, dieses Geld für soziale und humanitäreZwecke in Afghanistan und anderen Ländern auszuge-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25301
Christine Buchholz
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ben, beispielsweise für Flüchtlinge, die vor dem Bürger-krieg in Syrien geflohen sind. Hören Sie aber endlichauf, dieses Geld für das Militär zu verpulvern!
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Agnes Brugger das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrMinister, nein, es sind noch nicht alle Fragen beantwor-tet,
weder nach der heutigen Sondersitzung des Verteidi-gungsausschusses, die wir Grüne beantragt haben, nochnach Ihrem Beitrag in dieser Debatte. Sie haben einigeFragen beantwortet; aber viele wichtige Fragen sindnoch offen. Man muss sich damit auseinandersetzen, be-vor man eine Zusage gibt.
So konnten Sie uns heute Morgen nicht erklären, HerrMinister, inwiefern ausgerechnet Patriot-Raketen, diegegen Mittelstreckenraketen, aber auch gegen Flugzeugeund Hubschrauber eingesetzt werden können, ein geeig-netes Mittel darstellen sollen, um auf die Spannungen imtürkisch-syrischen Grenzgebiet zu reagieren. Gegen denBeschuss durch Mörser – das ist das, was gerade pas-siert – können sie nämlich nichts ausrichten.Sie konnten auch noch nichts dazu sagen, wo genaudie Patriot-Raketen und damit auch die Soldatinnen undSoldaten der Bundeswehr stationiert werden sollen. Dasist auch eine wichtige Frage.Außerdem gibt es bisher auch keine Antwort darauf,was denn passiert, wenn die NATO, zum Beispiel durcheinen Beschuss der Stellungen, in diesen bewaffnetenKonflikt hineingezogen wird.
Sie können sich doch nicht einer offenen und ehrli-chen Diskussion über das Eskalationsrisiko und über dieGefahr, Konfliktpartei in einem schweren regionalen be-waffneten Konflikt zu werden, verweigern.
Auch ich finde, dass wir die Türkei in dieser schwieri-gen Situation unterstützen müssen. Meine Damen undHerren von der Koalition, Sie reden von Bündnissolida-rität.
Deshalb frage ich zurück: Wo ist Ihre Solidarität mit un-seren Partnern, wenn es darum geht, zum Beispiel dieWinterprogramme der UN für die Flüchtlingslager inden Nachbarstaaten zu finanzieren?
Wo ist Ihre Solidarität, wenn es darum geht, durch dieAufnahme von Flüchtlingen aus Syrien in Deutschlanddie Türkei zu entlasten?
Da kann ich nur feststellen, dass Sie keine Ahnung da-von haben, was Solidarität und Verantwortung bedeuten.Wir Grüne wissen das sehr wohl. Wir haben hier imBundestag beantragt, dass Deutschland syrische Flücht-linge aufnimmt. Schwarz-Gelb hat das leider kaltherzigabgelehnt.
Verantwortungslos, aber auch kopflos: das ist dieschwarz-gelbe Verteidigungs- und Sicherheitspolitik.Unverantwortlich und kopflos: Das ist auch der Verteidi-gungshaushalt. Große Teile des Geldes werden für un-sinnige Projekte oder unsinnige Beschaffungen ausgege-ben; der Kollege Lindner hat dazu schon einiges gesagt.Damit meine ich in erster Linie gar nicht die Luftkissen-fahrzeuge und die bundeswehreigene Sonnencreme, dienicht nur in der heute-show für Lacher gesorgt haben.Viele wichtige Fragen, die gerade im Reformprozesseine Rolle spielen, wie zum Beispiel die Vereinbarkeitvon Familie und Dienst, packen Sie gar nicht erst an.Falsche Schwerpunkte, falsche Entscheidungen in derSache, kaum Einsparungen – deshalb nenne ich IhrenHaushaltsentwurf plan- und kopflos.Wenn Sie, Herr Minister de Maizière, mit einemzufriedenen Schmunzeln dem Verteidigungsausschussberichten, wie Sie im Rahmen der Haushaltsverhandlun-gen bei Finanzminister Schäuble noch mehr Geld he-rausschlagen konnten, dann muss ich sagen: Herr deMaizière, ich kann Ihre Zufriedenheit nicht nachvollzie-hen, nicht als Mitglied des Verteidigungsausschussesund insbesondere nicht als junge Politikerin, deren Ge-neration mit den finanziellen Entscheidungen von heutenoch lange wird leben müssen. Sie vergrößern heute denSchuldenberg – wie mit dem gesamten Haushalt –; dieZeche zahlen die jungen Menschen dann morgen. Dasnenne ich eine verantwortungslose Politik.
Gerade wenn man schaut, wofür Sie das Geld ausge-ben wollen, wird einem deutlich, dass Sie eindeutig Ver-antwortungsgefühl vermissen lassen. Das betrifft zumBeispiel die Pläne zum Kauf bewaffneter Drohnen fürdie Bundeswehr. Ohne zu erklären, wofür genau siediese neuen Waffensysteme einsetzen will, holt die Bun-desregierung schon einmal Angebote für die Beschaf-fung waffenfähiger Kampfdrohnen ein. Der zunehmendeEinsatz solcher Systeme hat schwerwiegende Auswir-kungen auf die Kriegsführung. Dies zeigen nicht zuletztdie Drohnen, die von den USA im Rahmen der Terroris-musbekämpfung zu gezielten Tötungen eingesetzt wur-den und deren Einsatz in den letzten Jahren zahlreiche
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25302 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012
Agnes Brugger
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zivile Opfer gekostet hat. Nicht umsonst heißen dieseDrohnen übersetzt „Raubtier“ und „Sensenmann“.Wir alle müssen uns doch die Frage stellen, ob derEinsatz solch ferngesteuerter Systeme nicht dazu führt,dass die Hemmschwelle zum Einsatz militärischerGewalt sinkt, und das sowohl bei politischen Entschei-dungsträgern als auch bei den Militärs im Einsatz.Darüber hinaus besteht beispielsweise auch die Gefahreines Rüstungswettlaufs. Um genau diese Fragen zu prü-fen und zu diskutieren, haben wir Grünen im April einenAntrag eingebracht. Im Ausschuss haben Sie, meine Da-men und Herren von der Koalition, diesen Antrag abge-lehnt.Es ist doch schockierend, wie Schwarz-Gelb aus dembloßen Drang, technologisch mithalten zu wollen, dieRisiken, die mit neuen Waffensystemen einhergehenbzw. verbunden sein können, konsequent ignoriert.Für meine Fraktion kann ich Ihnen sagen: Wir werdennicht nachlassen, Ihnen diese Diskussion abzuringen.Denn ohne eine solche ehrliche ethische, friedenspoliti-sche, völkerrechtliche und abrüstungspolitische Debattekann es aus unserer Sicht auch keine Beschaffung sol-cher Drohnen geben.
Deshalb: Hören Sie endlich auf mit dieser kopflosenund verantwortungslosen Sicherheitspolitik, und fangenSie endlich an, Ihre Sparversprechen mit Verantwortungumzusetzen!Vielen Dank.
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Henning
Otte das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In dieser Debatte um den Verteidigungshaushalt geht es
um Zahlen, aber eben nicht nur um Zahlen. Hier geht es
um Männer und Frauen, die oftmals einen schwierigen
und gefährlichen Dienst für unser Land leisten. Ihnen
gebühren unsere ungeteilte Wertschätzung und unser
Dank, auch und insbesondere in der Phase der großen
Veränderungen im Rahmen der Neuausrichtung unserer
Bundeswehr. Man kann ja von der Linken sagen, was
man will. Aber dass die Leistungen unserer Soldatinnen
und Soldaten verunglimpft werden, ist nicht in Ordnung.
Die Neuausrichtung ist notwendig. Man kann über die
besten Mittel und Wege streiten. Das ist Ausdruck demo-
kratischer Kultur und kann im besten Fall zu einem
konstruktiven Miteinander führen. Schade nur, lieber
Kollege Arnold, dass Sie die Kritikpunkte, die Sie hier
in öffentlicher Sitzung mit Inbrunst vorgetragen haben,
nicht auch in der sachorientierten Sitzung des Verteidi-
gungsausschusses vorgetragen haben.
Diese Koalition hat in den letzten Jahren für die Ver-
sorgung und Ausstattung unserer Soldaten viel getan.
Liebe Kollegin Brugger, wenn wir von Ausstattung spre-
chen – wir sagen ja, wir haben Verantwortung für die
Ausstattung unserer Soldatinnen und Soldaten –, sehen
Sie dahinter offensichtlich nur ein Wettrüsten. Das ist
genau der Unterschied zwischen uns beiden. Deswegen
ist es gut, dass wir die Verantwortung tragen.
Lassen Sie mich kurz bilanzieren, was wir in der
christlich-liberalen Koalition in dieser Legislaturperiode
bereits umsetzen konnten.
Kollege Otte, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-
kung der Kollegin Brugger?
Ja.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr
Kollege Otte, dass Sie meine Frage zulassen. Ich habe
im Vorfeld einer Beschaffung von Drohnen eine ehrliche
und kritische Debatte über die Auswirkungen gefordert,
die eine solche Beschaffung haben kann. Sie haben mir
gerade unterstellt, ich würde generell die Ausstattung
der Bundeswehr ablehnen.
Ich möchte Sie nur fragen, ob Ihnen jenseits der
ganzen Versorgungsverbesserungsgesetze, die wir hier
gemeinsam beschlossen haben, bekannt ist, dass der An-
trag zur Verbesserung der Betreuungskommunikation für
die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, der sogenannte
Skype-Antrag, ursprünglich ein grüner Antrag war?
Es gibt Dinge, die wir gemeinsam für unsere Solda-tinnen und Soldaten beschließen. Dabei hat deren WohlVorrang. Wir waren jüngst im Einsatz und haben unsdavon überzeugt, dass –
– im Gebiet des Einsatzes; Frau Höger, es wäre vielleichtauch für Sie ganz gut, einmal da hinzufahren – das eineMaßnahme ist, die bei den Soldatinnen und Soldaten gutankommt. Von daher spricht nichts dagegen, wenn wirhier gemeinsam entsprechende Entscheidungen treffen.
Ich möchte zur Bilanz zurückkommen:Der Schutzstatus der Fahrzeuge ist dem Auftrag ange-passt worden. Das Einsatzversorgungs-Verbesserungsge-setz ist eine ganz wichtige Maßnahme. Wir werden inder nächsten Sitzungswoche die notwendige ISAF-Man-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25303
Henning Otte
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datsverlängerung beschließen. Wir entsenden Soldatin-nen und Soldaten in dem Wissen um ihre Pflichterfül-lung und ihre gefährlichen Einsätze.Hinsichtlich der Fürsorgepflicht und der sozialenVerantwortung haben wir mit dem schon genanntenEinsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz viel erreicht.Wir konnten die Versorgung der im Dienst Geschädigtensowie der Hinterbliebenen maßgeblich verbessern. DieWiedereinführung des Weihnachtsgeldes und die Ge-haltserhöhung sind ganz wichtige Maßnahmen, die wirin der christlich-liberalen Koalition durchgesetzt haben.Mit der Verabschiedung des Bundeswehrreform-Begleitgesetzes haben wir die Aufhebung der Hinzuver-dienstgrenzen für Bundeswehrangehörige und – ich seheden Kollegen Hochbaum – auch für diejenigen mitNVA-Vordienstzeit aufgehoben. Das war eine wichtigeNote.Das alles war ein wichtiger, von uns herbeigeführterParadigmenwechsel. Damit haben wir weiterhin Richti-ges und Wichtiges auf den Weg gebracht.Ich danke an dieser Stelle dem Ministerium und allenvoran Herrn Verteidigungsminister Dr. de Maizièresowie allen Kolleginnen und Kollegen dafür, dass wirdieses gemeinsam erreichen konnten.
Ich bin zuversichtlich, dass wir auch die weiterenAufgaben gemeinsam bewältigen werden. Die Verein-barkeit von Dienst und Familie sehe ich dabei durchausals einen ganz wichtigen Punkt an – auch für die Zufrie-denheit unserer Soldaten und zur Attraktivitätssteige-rung.Eine asymmetrische Sicherheitslage, eine entspre-chende Einsatzrealität, die Finanzierbarkeit und diedemografische Entwicklung: Das sind Faktoren, dienicht nur eine Veränderung unserer Bundeswehr, son-dern auch eine Neuausrichtung erforderlich machen.Diese Neuausrichtung ist die richtige Antwort auf die si-cherheitspolitischen Herausforderungen. Ich freue mich,mit wie viel Interesse diese Neuausrichtung auch außer-halb der Politik und der Streitkräfte wahrgenommenwird.Gerade auch im Hinblick auf den Haushalt ist dieFrage grundlegend, welches Fähigkeitsspektrum dieBundeswehr vorhalten sollte. In den Verteidigungspoliti-schen Richtlinien steht als Grundlage der Neuausrich-tung der Grundsatz „Breite vor Tiefe“. Das bedeutet,dass unsere Streitkräfte ein möglichst breites Fähigkeits-spektrum beherrschen sollen, um sowohl die politischenwie auch die militärischen Handlungsoptionen nutzen zukönnen. Das wird durch den Einzelplan 14 und auchdurch die mittelfristige Finanzplanung abgebildet.Wer die sicherheitspolitischen Entwicklungen auf-merksam betrachtet, wird feststellen, dass die Aufgabenoffensichtlich nicht weniger werden. Gerade darum müs-sen wir über benötigte Fähigkeiten vor dem Hintergrundunserer Verantwortung innerhalb unseres Bündnissessprechen. In der heutigen Zeit kann kein europäischerEinzelstaat alle Fähigkeiten vollumfänglich wie bishervorhalten.Die partnerschaftliche Zusammenarbeit, das Teilenvon Aufgaben und das Streben nach integrativen euro-päischen Prozessen und internationalen Strukturen sindgrundlegende Aspekte im Miteinander einer gutenBündnispolitik. Wie Bündnispolitik aussieht, erleben wirhochaktuell. Die Frage ist: Soll Deutschland die Türkeidurch die Entsendung von Patriot-Abwehrraketen unter-stützen? Erstens. Ein NATO-Partner bittet um Unterstüt-zung. Zweitens. Wir haben diese Fähigkeiten.Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition,jeder Einsatz unserer Bundeswehr wird grundlegend dis-kutiert und geprüft. Das ist für uns selbstverständlich.Unverständlich ist allerdings, wie man einerseits übereiltimmer den vollständigen Beitritt der Türkei in die EUfordert und andererseits ebenso übereilt, beinahe re-flexartig, eine Unterstützung eben dieses Landes infragestellt. Entweder das passt nicht zusammen, oder dahintersteht eine Doppelmoral.
Deutschland, liebe Kolleginnen und Kollegen, bleibtein verlässlicher Partner innerhalb unseres Bündnisses.Ich bin Verteidigungsminister de Maizière dankbardafür, dass er an dieser Verlässlichkeit von Anfang ankeinen Zweifel gelassen hat, uns schon vor Eingang deroffiziellen Anfrage heute in der Sitzung des Verteidi-gungsausschusses frühzeitig informiert
und sehr deutlich dargestellt hat, dass es sich hier um eindefensives Vorgehen handelt.
Deutschland steht zu seiner Verantwortung und zuseiner Bundeswehr. Der vorliegende Haushalt zeigtdiesen politischen Rückhalt für unsere Streitkräfte auf.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt dem Einzel-plan 14 daher selbstverständlich zu.
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lassen Sie mich zum Ende dieser Debatte noch zwei Be-merkungen machen, die eine zu einem haushaltspoliti-schen Fachthema und die andere zur Debattenpolitik desVerteidigungsministers.Als Fachthema kann man sich ein Thema aussuchen;ich habe mich für die Beschaffung der Hubschrauber für
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25304 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012
Dr. Hans-Peter Bartels
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unsere Bundeswehr entschieden. Seit 1990 planen wirdie Einführung des Marinehubschraubers MH-90. Dabeihaben wir die unterschiedlichsten Phasen der Nichtbe-schaffung dieses Hubschraubers unter verschiedenstenRegierungen erlebt. Auch Sozialdemokraten waren be-teiligt, aber die drei Verteidigungsminister der letztensieben Jahre gehörten einer anderen Fraktion an. Wirwarten immer noch auf die ersten einsatzfähigen Hub-schrauber.
– Wunderbar. Also einen hält er aus.
Jetzt ist nach Jahren der Verschiebung, Veränderung,Streckung beschlossen worden, nicht mehr 122, sondernnur noch 80 Hubschrauber anzuschaffen. Ich habe ein-mal nachgefragt, wie jetzt der Sachstand ist. Die Ant-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es wird weiterhinintensiv an einer für beide Seiten akzeptablen Lösunggearbeitet. – Auch das kommt nicht voran. Eigentlichkommt da gar nichts voran.Wir sind im Übrigen der Meinung: Wir brauchen ehermehr als weniger Hubschrauber, also keine Reduzie-rung. Wir brauchen Hubschrauber, um die regionalenBündnisse, die wir stärken wollen, besser unterstützenzu können. Hier soll nicht systematisch reduziert wer-den, wie das bei dem Rest der Bundeswehr gemachtwird, sondern es müssen Schwerpunkte gesetzt werden.Für die Anschaffung des Kampfhubschraubers Tigergilt Ähnliches. Deren Zahl soll von 80 auf 40 reduziertwerden. Die Antwort ist die gleiche. Auch da gibt esnoch keine Lösung. Wir sind allerdings damit einver-standen, dass hier die Anzahl reduziert wird. Wir brau-chen nicht mehr ganz so viele Kampfhubschrauber wiezu der Zeit der Bedrohung durch Panzer.Noch eines zu den Einsätzen in Afghanistan, die jetztgeplant werden. Es macht Freude, die Antworten desStaatssekretärs Beemelmans zu lesen. Frage: Wie oft istder Einsatz in Afghanistan verschoben worden? Ant-wort: Für den UH-Tiger wurden die Planungen zweimalverschoben. Für den MH-90 ist der Einsatz insgesamtdreimal verschoben worden. – Auch die jüngere Ge-schichte ist, was die Hubschrauber angeht, also keine Er-folgsgeschichte. Sie müssen sich da besonders anstren-gen. Sie sind nicht der Erste, der sich anstrengen muss,aber vielleicht erreichen Sie wirklich ein Ergebnis hin-sichtlich des Einsatzes in Afghanistan im nächsten Jahr.Der MH-90 ist der Ersatz für „Sea King“ und „SeaLynx“, ein Marinehubschrauber, welchen Musters auchimmer. Die erste Auslieferung war einmal für 1999 ge-plant, dann für 2011, dann für 2015. Im Moment gibt esnoch kein neues Datum, weil es keinen Vertrag gibt. Bisheute gibt es keinen Beschaffungsvertrag für einenneuen Marinehubschrauber. So können Sie mit den An-forderungen unserer – zugegeben – kleinsten, aber nichtunwichtigsten Teilstreitkaft nicht umgehen.Ich habe Ihnen einmal ein wunderschönes Foto mit-gebracht, das in einer regionalen Tageszeitung zu sehenwar. Darauf sehen Sie fünf „Sea-King“-Hubschrauber,nicht flugfähig, auf einem Ponton, der auch nicht vonselbst fährt, gezogen von einem Schlepper durch denNord-Ostsee-Kanal bei der Verlegung von Kiel nachNordholz. Das soll nicht die Zukunft der Marine oderder Hubschrauberei werden.
Aber es ist ein Sinnbild dafür, dass hier etwas nicht funk-tioniert. Reformieren Sie das Beschaffungswesen so,dass die Maschinen zulaufen. Dies ist alles schon langegeplant und muss jetzt kommen.
Bezüglich des leichten Unterstützungshubschraubershaben wir im Verteidigungsausschuss relativ einhelligbeschlossen: Wir wollen ihn haben. Dafür ist im Vertei-digungshaushalt für nächstes Jahr Geld eingestellt. Jetztbin ich gespannt, ob Sie das hinbekommen. Der Be-schluss ist da, das Geld ist da, jetzt müssen Sie ihnnächstes Jahr beschaffen. Versuchen Sie das einmal!Meine zweite Bemerkung bezieht sich auf die Debat-tenpolitik. Wir haben in der Frankfurter Rundschau ineinem Aufsatz vom Verteidigungsminister gelesen, dasser sich Gedanken darüber macht, wie die Debatte zuAuslandseinsätzen in Deutschland befeuert werdenkann. Er schreibt zu den Auslandseinsätzen:Welche Überzeugungen leiten uns Deutsche dabei?Welche Ansprüche stellen wir dabei an uns selbst?Diskussionen? Fehlanzeige!Nun gibt es eine Diskussion, die der Verteidigungs-minister selbst angestoßen hat: Das ist die über Vetera-nen. Da bin ich nicht so ganz sicher, dass das die Diskus-sion ist, die wir in Deutschland am dringendsten zuführen haben. Es soll auch eine Studie des Sozialwissen-schaftlichen Instituts der Bundeswehr geben, die besagt:Das ist in Deutschland nicht von zentralem Interesse. Ichglaube, auch die Soldaten, die aus einem Einsatz zurück-gekehrt sind, interessiert nicht, ob man sie als Veteranenbezeichnet. Das ist für einen 34-jährigen Industriemeis-ter, der als Hauptfeldwebel in Afghanistan im Einsatzwar, sicherlich nicht der richtige Begriff, um sich damitidentifizieren zu können. Sie können diese Debatte gernezu einem guten Ende bringen, aber es ist nicht die wich-tigste Debatte, die wir zu führen haben.Wir sollten vielmehr eine andere Debatte führen – ichbin auch dankbar dafür, dass das schon zweimal ange-klungen ist –, aber wir müssten sie separat führen. Siebetrifft das, was Frau Bundeskanzlerin bei der Bundes-wehrtagung in Strausberg auf den Punkt gebracht hat –ich zitiere –:Um aber unsere sicherheitspolitischen Ziele erfolg-reich verfolgen zu können, sind wir als EU oder alsNATO-Partner auch darauf angewiesen, dass in Zu-kunft auch andere Länder – insbesondere die, diewirtschaftspolitisch an Bedeutung gewinnen – Ver-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25305
Dr. Hans-Peter Bartels
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antwortung übernehmen. Das sage ich ganz beson-ders im Hinblick auf Schwellenländer.Sie fügt dann hinzu:Oftmals reicht es aber nicht, neue Partner nur zu er-mutigen. Vielmehr geht es auch um Ertüchtigung.Ertüchtigung setzt bereits bei guter Regierungsfüh-rung an. Sie kann ebenso Ausbildung wie auch Un-terstützung bei der Ausrüstung bedeuten.Das sind bedeutungsschwere Ankündigungen. Es istsozusagen eine Art Paradigmenwechsel in der Sicher-heitspolitik der Bundesrepublik Deutschland. Da geht esnicht mehr um Bündnisse, sondern um einzelne Länderin anderen Regionen, in denen wir nicht selbst sicher-heitspolitische Verantwortung übernehmen wollen. Dasist vielleicht keine Erfindung dieser Regierung, sondernwir haben schon bei dem von Rot-Grün beschlossenenEinsatz in Osttimor festgestellt, dass es nicht immersinnvoll ist, dass Deutschland sich überall auf der Weltmilitärisch engagiert.Sicherlich sollten wir Partner haben, aber wir müssenauch die Debatte führen, welche Partner wir haben wol-len und welche Unterstützung wir ihnen geben wollen.Ausrüstungsunterstützung ist sicherlich nicht das Erste,was einem dazu einfällt. Vielleicht fangen wir besser mitpolitischer Unterstützung an und kommen dann zur Aus-bildungsunterstützung, Herr Minister. Jetzt haben Sienoch die Chance, bei der Bundeswehrreform nachzu-steuern und die Schulkapazitäten der Bundeswehr nichtganz so stark zu reduzieren. Statt sie nur auf den eigenenBedarf zu reduzieren, sollten Sie eher zusätzliche Kapa-zitäten für internationale Lehrgänge schaffen.Wenn Sie diese Politik machen wollen, brauchen SieAusbildungskapazitäten – vielleicht auch in Mali, aberzunächst einmal bei uns in Deutschland. Das kann mansystematisch tun, wenn man eine solche Politik verfol-gen will.Rüstungsexporte in Länder, die für uns bisher nichtinfrage gekommen sind, fallen uns nicht an erster Stelleein. Natürlich ist Indien für uns ein Partner in diesemBereich. Das ist richtig. Ob das auch für Indonesien gilt,wäre diskussionswürdig. Saudi-Arabien ist es ganz si-cher nicht, Herr Minister. Diese Diskussion müssen wirführen.Vielen Dank.
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Dr. Reinhard
Brandl das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Auch ich bin ein junger Abgeordneter, und weilFrau Kollegin Brugger das Thema Generationengerech-tigkeit angesprochen hat, möchte auch ich etwas dazusagen.Als ich vor drei Jahren die erste Haushaltsdebatte mit-gemacht habe, lag der letzte Haushalt der Großen Koali-tion mit 80 Milliarden Euro Neuverschuldung vor.
Jetzt sind wir bei 17 Milliarden Euro, mit der schwarzenNull in Sichtweite. Das sind immer noch 17 MilliardenEuro zu viel, Frau Brugger. Aber der Schritt von 80 Mil-liarden auf 17 Milliarden Euro ist schon eine Riesenleis-tung dieser christlich-liberalen Koalition.
– Ich habe bewusst gesagt: Große Koalition. Nichtsdes-totrotz: Ich bin 2009 gewählt worden. Das war keine ein-fache Zeit, so einem Haushalt zustimmen zu müssen.
– Ich gebe zu: Die CDU/CSU war mit dabei, angesichtsder schweren Situation. Aber ich rede jetzt als jungerAbgeordneter, der 2009 gewählt wurde. Uns ist dieserSchritt gelungen, ohne dass wir irgendetwas kaputtge-spart haben.Nehmen wir einmal den Verteidigungshaushalt. Wirhaben die Bundeswehr in den letzten Jahren verkleinertund die frei werdenden Ressourcen nicht nur genutzt,um zu sparen, sondern auch dafür, die Truppe strukturellbesser aufzustellen und den Dienst für die Soldaten at-traktiver zu machen.Zum Thema Attraktivitätsmaßnahmen hat HerrArnold von der SPD dankenswerterweise im Oktobereine schriftliche Anfrage an die Bundesregierung ge-stellt. Das BMVg hat dann auf 20 Seiten ausführlich ge-antwortet und insgesamt 46 Einzelmaßnahmen aufge-führt, die bereits umgesetzt sind oder kurz vor derUmsetzung stehen. Da geht es um soziale Maßnahmen,materielle Verbesserungen, Verbesserungen der Aus-und Fortbildung, Öffentlichkeitsarbeit und Nachwuchs-werbung. Man kann sagen: In diesem Bereich passiertwirklich viel im Sinne unserer Soldatinnen und Solda-ten, und das ist auch gut so.
Bei den Strukturen ist das Leitmotiv „Breite vorTiefe“. Herr Lindner, Sie haben das vorhin kritisch hin-terfragt, und das wurde auch von der SPD in der Vergan-genheit immer wieder kritisch betrachtet, freilich ohnedass benannt würde, an welcher Stelle wir denn Fähig-keiten einsparen sollen,
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25306 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012
Dr. Reinhard Brandl
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damit wir uns an anderen Stellen – Stichwort Tiefe –mehr spezialisieren können. Ich stimme Herrn Arnold indem Punkt zu, dass eine Fähigkeit, für die sich Tiefe an-bieten würde, die Raketenabwehr ist. Das ist eine Fähig-keit, über die fast nur Deutschland verfügt. Nur die Nie-derlande und – außerhalb von Europa – die USA habenebenfalls solche Fähigkeiten.Wir haben in den vergangenen Jahren immer wiederüber die Frage debattiert, warum wir überhaupt ein Ra-ketenabwehrsystem brauchen und wer uns denn angrei-fen solle. Es wurde gesagt, das sei viel zu teuer. Damalsgab es kein Einsatzszenario. Jetzt ist ein solches Szena-rio da, und wir brauchen diese Fähigkeit. Wir brauchensie aber nicht für uns selbst, sondern für einen unsererPartner im Bündnis. Jetzt bestünde doch eigentlich einegute Chance, Kooperation im Bündnis praktisch zu le-ben. Was passiert aber plötzlich bei uns? Diejenigen, dievorher noch mehr Kooperation und eine weitere Vertie-fung der europäischen Sicherheitspolitik gefordert ha-ben, eiern herum und fragen: Ist die Türkei aus deutscherPerspektive genügend bedroht, sodass sie die Patriot-Ra-keten wirklich braucht, oder ist sie es nicht?Eine Bedrohungslage kann man natürlich je nach Per-spektive immer unterschiedlich einschätzen. Es weißkeiner genau, wie sich ein solcher Konflikt weiterentwi-ckeln wird.
Aber entscheidend ist in diesem Fall gar nicht einmal,wie wir die Bedrohungslage einschätzen, sondern ent-scheidend ist vor allem, wie der Bündnispartner dassieht, der sich bedroht fühlt und uns deswegen um Hilfebittet.
Es mag sein, dass Sie als Opposition sich nicht recht-zeitig und vollständig informiert fühlen, aber das ist eineinnenpolitische Frage. Das außenpolitische Signal, dasSie senden, indem Sie zuerst einmal Nein und dann„vielleicht“ sagen, ist im Hinblick auf eine vertiefte Ko-operation fatal. Was soll denn der Partner von uns den-ken, der die öffentliche Debatte, die über das Wochen-ende geführt worden ist, verfolgt? Wenn Sie von derOpposition Ihre eigenen Forderungen ernst nähmen,dann müssten Sie in einem solchen Fall sagen: Ja, wirstellen die Fähigkeit zur Verfügung, aber nur unter be-stimmten Bedingungen. – Sie können aber nicht zuerstNein und dann „vielleicht“ sagen.
Auch ich bin für eine vertiefte europäische Koopera-tion, aber dafür ist ein langer Weg der Vertrauensbildungnotwendig. Das schaffen wir nur, wenn wir uns in sol-chen Situationen als vertrauenswürdig erweisen undnicht unserem jeweiligen Partner bzw. demjenigen, derdie Fähigkeit braucht, Hintergedanken unterstellen undihn damit öffentlich brüskieren.Nichtsdestotrotz sind wir heute im Jahr 2012, und dieReform der Bundeswehr und der Haushalt der Bundes-wehr sind für die Jetztzeit gedacht. Wir müssen feststel-len, dass wir nicht in allen Bereichen diese vertiefte Ko-operation, die wir uns wünschen, strukturell verankerthaben und mit ihr planen können. Deswegen ist derstrukturelle Ansatz der Bundesregierung „Breite vorTiefe“ in diesem Haushalt und bei dieser Reform richtig,und wir tragen ihn mit. Angesichts dessen, was unter denfinanziellen Rahmenbedingungen möglich ist, ist dieserAnsatz der Regierung im Haushalt gut finanziert.Ich habe heute in der gesamten Debatte nicht ein ein-ziges Mal den Vorwurf gehört, wir würden zu wenig fürdie Bundeswehr ausgeben.
Als Verteidigungspolitiker meiner Koalition stelle ichfest: Damit können wir eigentlich ganz gut leben.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 14 – Bundesministerium der Verteidigung – in derAusschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da-gegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 14 ist mitden Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktiongegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion DieLinke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-nommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt I.12 auf:Einzelplan 23Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung– Drucksachen 17/10823, 17/10824 –Berichterstattung:Abgeordnete Volkmar KleinMartin GersterDr. h. c. Jürgen KoppelinDr. Dietmar BartschPriska Hinz
Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion derSPD, ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke undein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen vor.Über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen werden wir später namentlich abstimmen.Des Weiteren hat die Fraktion Die Linke einen Ent-schließungsantrag eingebracht, über den wir am Freitagnach der Schlussabstimmung abstimmen werden.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-gin Dr. Bärbel Kofler für die SPD-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25307
Vizepräsidentin Petra Pau
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Wir diskutieren nun den Einzelplan 23, den Etat fürEntwicklungszusammenarbeit. Eines muss man ganz amAnfang feststellen: Dieser Etat bleibt weit hinter den Er-fordernissen und den Notwendigkeiten einer internatio-nalen Armutsbekämpfung zurück.
Von diesem Einzelplan und von dieser Beratung gehtein fatales Signal aus, nämlich das Signal, dass Deutsch-land nicht zu seinen internationalen Verpflichtungen zustehen bereit ist, dass Deutschland sich nicht weiter aneiner soliden und verlässlichen, gemessen an seinerWirtschaftskraft berechneten Finanzierung der Entwick-lungszusammenarbeit beteiligt. Wir haben uns leider mitdiesem Haushalt genau davon verabschiedet
– sehr richtig: wir nicht; die Regierung hat sich davonverabschiedet –,
und das, obwohl der Minister bei seiner letzten Rede imSeptember 2012 den Etat des Einzelplans 23 als Rekord-haushalt bezeichnet hat.Damals hat er gesagt, dass man sich dem Ziel der so-genannten ODA-Quote verpflichtet sieht, dass wir also0,7 Prozent von unserem Reichtum abgeben wollen, umden Ärmsten der Armen zu helfen. Im September diesesJahres hat der Herr Minister gesagt – ich zitiere –:Mit dem Haushalt 2013 behalten wir diese Prioritä-tensetzung des Koalitionsvertrags bei.Wo stehen wir jetzt, zwei Monate später? Mittlerweilemuss sogar Herr Niebel zugeben, dass das damals einebewusste Täuschung des Parlaments und der Öffentlich-keit war.
Herr Minister, ich habe Sie vor zwei Monaten gefragt,mit welchen Maßnahmen Sie es schaffen wollen, diesesZiel zu erreichen – angesichts der bekannten Tatsache,dass der Haushalt seit Beginn Ihrer Regierungsüber-nahme jährlich um mindestens 1 Milliarde Euro hättesteigen müssen, um bis zum Jahr 2015 das 0,7-Prozent-Ziel zu erreichen.
Sie sind die Antwort schuldig geblieben. Die Steigerun-gen der letzten Jahre waren verschwindend gering. Mitdiesem Haushalt wird zum ersten Mal – seit vielen Jah-ren von Ihren Regierungshaushältern befördert und vo-rangetrieben – der Entwicklungsetat sinken. Ich haltedas für einen Skandal.
Die Absenkung des Entwicklungsetats um 124 Mil-lionen Euro ist eine fatale Fehlentscheidung. Was abernicht geht, ist das, was Sie, Herr Minister, nun gegen-über der Presse praktizieren: Sie tun so, als hätte manohne diese Absenkung das 0,7-Prozent-Ziel erreichenkönnen. Nein, auch das wäre nicht gegangen. Ich wie-derhole: Wir hätten über Jahre hinweg deutliche Mittel-aufwüchse im Milliardenbereich benötigt, um unserenVerpflichtungen zur Armutsbekämpfung weltweit wirk-lich nachkommen zu können.
Verstecken Sie sich an dieser Stelle also nicht hinter denHaushältern – obwohl sie falsch entschieden haben –und nicht hinter dem Parlament. Es wäre schön gewesen,wenn Sie den Drive, das Engagement des Parlaments derletzten Jahre genutzt hätten, das sich fraktionsübergrei-fend für eine Erhöhung des Entwicklungsetats eingesetzthat.Ich möchte an dieser Stelle noch einmal – auch mitRespekt vor den Kolleginnen und Kollegen aus der Re-gierungskoalition, die diesen Aufruf unterschrieben ha-ben – an den entwicklungspolitischen Konsens erinnern.372 Parlamentarierinnen und Parlamentarier aller Frak-tionen haben diesen Aufruf unterschrieben. Damals ha-ben wir formuliert – dahinter konnten sich viele aus allenFraktionen, die hier heute sitzen, versammeln –:Ob die notwendigen Finanzmittel aufgebracht wer-den, ist vor allem eine Frage der Prioritätensetzung.Ob wir auf die gebotene Ehrlichkeit und Zuverläs-sigkeit verweisen, auf christliche Nächstenliebe, in-ternationale Solidarität oder weltweite Gerechtig-keit – wir fühlen uns moralisch dazu verpflichtet,auf die Einhaltung der 0,7-%-Zusage zu drängen,und fordern das Bundeskabinett und den Haushalts-ausschuss des Deutschen Bundestages auf, die da-für notwendigen Weichen zu stellen.Das war der Aufruf, hinter dem sich über 370 Parlamen-tarierinnen und Parlamentarier versammelt haben.Ich äußere an dieser Stelle noch einmal den dringen-den Appell, wenigstens darüber nachzudenken, ob wirdie Kürzung von 124 Millionen Euro im Entwick-lungsetat heute zurücknehmen und damit unserer Verant-wortung als Parlamentarier gerecht werden können.
Warum? Wir brauchen uns doch nur vor Augen zuführen, was VENRO, der Dachverband aller entwick-lungspolitischen Nichtregierungsorganisationen, in sei-nem Schreiben auf den Punkt bringt: Diese Gelder sindnötig. Ob es um Gesundheitsbildungsprogramme geht,ob es um die Zusammenarbeit für soziale Dienste imländlichen Bereich geht, ob es um Frauenförderung geht,ob es um Programme des Zivilen Friedensdienstes geht
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25308 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012
Dr. Bärbel Kofler
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– wir haben eben erst über alle möglichen Fragen, auchüber die von Krieg und Frieden, diskutiert; mit dem Zi-vilen Friedensdienst könnte man gerade für ein friedli-ches Miteinander etwas tun – oder ob es um die grund-sätzlichen Ausrichtungen unserer Entwicklungspolitikgeht: Gerade jetzt, wo auf UN-Ebene die Weltgesund-heitsorganisation beginnt, sich dafür einzusetzen, dasswir weltweit zum Beispiel die Basiskrankenversorgungin den Mittelpunkt stellen, können wir wirklich etwastun, um Menschen nachhaltig aus der Armutsfalle zu be-freien. Doch ausgerechnet in dieser Zeit senden wir einfatales Signal in die Welt, indem wir die Mittel für diedeutsche Entwicklungszusammenarbeit senken.
Dasselbe gilt für den Bereich des Klimawandels. Esist schön, wenn Herr Niebel den Bericht der Weltbankjüngst als „klimapolitischen Weckruf“ bezeichnet hat.Ich frage mich, ehrlich gesagt: Wo waren Sie die letztenJahre? Dieses Weckrufs bedarf es eigentlich nicht bei alldenen, die wissen, was für dramatische Folgen gerade inden Ländern, auf die Entwicklungszusammenarbeit ab-zielt – dort leben die Ärmsten der Armen –, durch denKlimawandel ausgelöst werden. Diesem klimapoliti-schen Weckruf muss aber auch ein finanzpolitischerWeckruf folgen. Die Mittel zur Bekämpfung des Klima-wandels müssen doch insbesondere denjenigen gegebenwerden, die selbst die Mittel nicht aufbringen können,um mit den Folgen des Klimawandels – den sie selbstnicht verursacht haben – zurechtkommen zu können.Weil ich weiß, dass vonseiten der Regierung immer„Finanzierung, Finanzierung“ gerufen wird: Was Fragendes Klimawandels angeht, kann man nur Nicholas Sternzitieren, der schon 2006 gesagt hat: Wenn wir nicht han-deln, wird uns das, volkswirtschaftlich betrachtet, dasFünffache von dem kosten, was es uns kostet, wenn wirjetzt vernünftig Mittel einsetzen.Ich bin schon erstaunt – das muss ich wirklich sa-gen –, dass ein Ministerium, das für Entwicklungszu-sammenarbeit, für Armutsbekämpfung zuständig ist,sich in den letzten Jahren als Bremser bei solch innovati-ven Finanzinstrumenten wie der Finanztransaktionsteuergezeigt hat, dass der Minister das Gegenteil dessen getanhat, was eigentlich seine Aufgabe gewesen wäre: neue,innovative Finanzierungsinstrumente in den Mittelpunktzu stellen.
Kollegin Kofler, Sie können selbstverständlich wei-
terreden. Ich muss Sie aber darauf aufmerksam machen,
dass das zulasten der folgenden Kollegen aus Ihrer Frak-
tion geht.
Mein letzter Satz, Frau Präsidentin. – Auch zur Finan-
zierung kann man nur sagen: Schließen Sie sich den vie-
len guten Ideen an, die aus der Bevölkerung kommen,
zum Beispiel der Kampagne „Steuer gegen Armut“.
Dann haben wir vernünftige Mittel für Entwicklungszu-
sammenarbeit auch in unserem Haushalt.
Herzlichen Dank.
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege
Dr. h. c. Jürgen Koppelin.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich habe noch einmal nachgesehen: Die Kollegin Koflerist in der dritten Legislatur hier im Deutschen Bundes-tag. Deshalb hätte sie eigentlich eins sagen müssen: Beiuns, bei den Sozialdemokraten, hat es mit dem Etat fürEntwicklungshilfe nicht so gut geklappt. Jetzt muss ichfeststellen, dass wir mit Schwarz und Gelb nach denUSA an zweiter Stelle in der Welt stehen.
Das ist die entscheidende Botschaft: Wir sind nachden USA der zweitgrößte Geber in der Welt. Das ist dasVerdienst unter anderem von Minister Niebel und seinerPolitik. Das muss man einmal festhalten, und das solltenSie anerkennen. In der Opposition fordern Sie allesMögliche, aber als Sie regiert haben, waren Sie unfähig.Das ist das Entscheidende.
Sie haben die Organisation VENRO angesprochen.Das finde ich sehr interessant. Ich schätze die Arbeit vonNGOs.
Aber von VENRO bekommt man laufend hektografierteBlätter, die nicht einmal unterschrieben sind. Ich habeam 16. November ein Blatt bekommen, auf dem stand,man solle mehr entwicklungspolitische Bildungsarbeitmachen. Mein Kollege Klein und ich haben das ge-macht. Wir haben in den Etat – das können Sie sich imEinzelplan 23 anschauen; ich nenne ihn noch einmal,weil Sie sich den Etat wahrscheinlich gar nicht mehr an-gesehen haben, weil Sie Ihr Manuskript schon vorherfertig hatten –
zusätzlich 5 Millionen Euro für die berufliche Ausbil-dung eingestellt, 2 Millionen Euro für den DAAD, zu-dem Mittel für die Humboldt-Stiftung, und auch dieDeutsche Welle bekommt etwas für die Ausbildung. Ichkönnte Ihnen noch weitere Beispiele nennen: Die politi-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25309
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
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schen Stiftungen, die Kirchen, 10 Millionen Euro für dieZusammenarbeit mit dem Büro für Nachhaltige Ent-wicklung usw. Also, auch das haben wir erfüllt. Aber da-für bekommt man kein Dankesschreiben, sondern gleichdas nächste Schreiben mit der nächsten Forderung. Dasist leider die Wahrheit; die muss man hier auch einmalsagen.
Die Kollegin Koczy möchte eine Frage stellen oder
eine Bemerkung machen.
Ja, ich möchte gerne meine Redezeit verlängern.
Dazu bin ich gerne bereit.
Herr Kollege Koppelin, wollen Sie leugnen, dass
durch die Kürzung von 124 Millionen Euro in der Berei-
nigungssitzung des Haushalts der Aufwuchs der ODA-
Quote in der Bundesrepublik gesenkt wird und Sie damit
mit der schwarz-gelben Koalition dem Aufwuchs ein
Minus beschert haben und dass die Kürzung um 87 Mil-
lionen Euro, die unter dem Strich herauskommt, bedeu-
tet,
dass die Kanzlerin ihr Versprechen, auf dem Weg zum
0,7-Prozent-Ziel jährlich eine Steigerung zu erreichen,
nicht halten kann?
Ja, das will ich leugnen, und zwar aus zwei Gründen:Erstens. Den Etat des Auswärtigen Amtes – ich weißnicht, ob Sie gerade hier waren; ich bin schon den gan-zen Tag hier – haben wir um zusätzlich 20 MillionenEuro erhöht für Minenräumung, für humanitäre Hilfeusw. Sie können das nachrechnen. Auch das dient derODA-Quote.Jetzt sage ich Ihnen etwas, weil Sie bei Bündnis 90/Die Grünen sind. Ich habe mir vom Sekretariat desHaushaltsausschusses des Deutschen Bundestages Fol-gendes heraussuchen lassen: Das Abstimmungsergebniszu dem Antrag von der Koalition, über den wir uns hierstreiten, lautete damals: Diesem Antrag haben die Koali-tion und Bündnis 90/Die Grünen zugestimmt.
So ist es. Sie haben unserem Antrag zugestimmt.
– Dann müssen Sie das mit Ihrer Kollegin Hinz klären.Das war genau so.Jetzt stellen Sie einen Änderungsantrag, über den na-mentlich abgestimmt werden soll. Das ist wieder ty-pisch. Man kann einen solchen Änderungsantrag stellen;
aber Sie werden damit die Neuverschuldung anheben,oder Sie müssen eine Gegenfinanzierung machen. Dashaben Sie nicht gemacht. Sie haben auch nicht berück-sichtigt, dass wir den Etat des Auswärtigen Amtes auf-gestockt haben. Auch bei der Entwicklungshilfe habenwir nicht alles gestrichen, sondern einiges wieder aufge-stockt. Das ist die Wahrheit.
Hier wird von der ODA-Quote gesprochen. Ich finde,das ist ein ehrenwertes Ziel. Ich vermisse hier die Kolle-gin Göring-Eckardt. Der hätte ich nämlich gerne eineFrage gestellt. Die EKD beschloss vor vielen, vielen Jah-ren, dass 2 Prozent aller Kirchensteuereinnahmen in dieEntwicklungshilfe gehen sollten. 2 Prozent! Ich kann Ih-nen genau sagen, wann das beschlossen wurde: schon1986.
Jetzt würde ich gerne einmal wissen, was davon ver-wirklicht worden ist. Ich hätte gerne von der KolleginGöring-Eckardt gehört, ob dieser Beschluss durchgesetztwurde. Nein, die Kirchen haben das auch nicht hinbe-kommen. Das ist alles nicht erfreulich, aber es ist dieWahrheit. Ich finde, das sollte man auch einmal zurKenntnis nehmen.Ich sage nach wie vor: Wir sind zweitgrößter Geber.Damit kann sich diese Koalition sehen lassen. Es wirdviel gemacht. Die Schwerpunkte, die wir gesetzt haben– Bildung, aber auch andere Schwerpunkte, die MinisterNiebel gesetzt hat, nachdem er das Amt von FrauWieczorek-Zeul übernommen hat –, können sich durch-aus sehen lassen. Wir sind stolz darauf, dass wir auch an-dere Richtungen eingeschlagen haben. Sie hatten einenSammelkorb, Sie hatten null Richtung in der Entwick-lungspolitik.
– Melden Sie sich doch nachher noch einmal zu einerZwischenfrage oder zu einer Kurzintervention. Es istnicht meine Art, so gegen Frauen anzureden.
Minister Niebel hat von Frau Wieczorek-Zeul einenSammelkorb übernommen, der null Linie enthielt. End-lich ist im Haushalt dieses Ministeriums eine Linie er-kennbar. Es ist erkennbar, was wir in der Entwicklungs-hilfe bewirken wollen.
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25310 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
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Das ist lobenswert. Das hat Minister Niebel geschafft,und dafür verdient er Anerkennung. Daran geht keinWeg vorbei.
Wenn Sie von den Sozialdemokraten hier schon soauftreten und uns kritisieren: Das können Sie alles ma-chen.
Wir sind hier ja im Deutschen Bundestag. Aber wie siehtes denn eigentlich aus: Sie fahren nach der Wahl des Prä-sidenten alle nasenlang nach Frankreich, vorher schondie Troika. Fahren Sie doch auch einmal zu Ihrem Präsi-denten da in Frankreich
und fragen ihn einmal, warum er seine Entwicklungs-hilfe eingefroren hat, warum er nicht mehr macht.
– Frau Kollegin, Sie müssen sich einfach einmal ange-wöhnen, zuzuhören. Ich habe es gerade gesagt: Wir sindim Deutschen Bundestag. Aber fahren Sie trotzdem nocheinmal hin. Das kann doch nicht schaden. Das ist meineEmpfehlung.Also, dieser Haushalt kann sich sehen lassen. Ichweiß, der Minister ist vielleicht nicht zufrieden, wenn esein bisschen weniger ist, als er sich vorgenommen hat.
Der Verteidigungsminister hat vorhin gesagt, er sei auchnicht ganz zufrieden, weil wir ihm etwas weggenommenhaben. Der Wirtschaftsminister war auch nicht ganz zu-frieden. Dem Gesundheitsminister haben wir eine halbeMilliarde Euro weggenommen. Das ist so. Denn wirwollten die Neuverschuldung senken. Die geplante Net-tokreditaufnahme liegt bei 17,1 Milliarden Euro. Hierhat jeder seinen Beitrag zu leisten.Ich bedanke mich für Ihre Geduld und Ihre Aufmerk-samkeit. Ich bin ganz sicher, der Minister wird mit die-sem Etat wunderbar klarkommen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Dietmar Bartsch für die
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ein-zelplan 23 hat es in diesem Jahr geschafft – ich binschon ein paar Tage im Parlament –, dass er bereits beider Einbringungsdebatte eine sehr umfangreiche Rollegespielt hat. Das schafft man natürlich nur, wenn etwasganz besonders toll ist oder etwas ganz besonders im Ar-gen liegt. Hier ist eines ganz klar: Dieser Etat liegt imArgen.
Alle vorliegenden Anträge, die Entschließungsanträge,die heute zur namentlichen Abstimmung stehen, bewei-sen, dass hier etwas im Argen liegt.Jürgen Koppelin hat gesagt, es sei alles so gut. Ichwill nur eines konstatieren: Laut Ergebnis der Bereini-gungssitzung des Haushaltsausschusses ist der Etat desEinzelplans 23 gesunken; der Etat des Einzelplans 23 istniedriger als im Vorjahr.
Die ODA-Quote liegt unter 0,4 Prozent. Das sind Ergeb-nisse, die überhaupt nicht zu akzeptieren sind, denn,Herr Minister, Sie haben sich drei Jahre lang hier hinge-stellt und behauptet, der Etat werde im nächsten Jahr hö-her ausfallen, trotz schwieriger Finanzlage. Das ist adabsurdum geführt. Sie haben noch am Tag der Bereini-gungssitzung verkündet, dass der Etat um 37,5 Millio-nen Euro gegenüber 2012 steigen würde. Das ist nichtder Fall. Die Koalitionäre haben Ihrer ursprünglich stol-zen Botschaft – Steigerung des Etats in schwieriger Fi-nanzlage – abrupt ein Ende bereitet. So sieht es bei die-sem Etat wirklich aus.
Was hat denn Frau Merkel heute Vormittag im Hin-blick auf die internationalen Konflikte dargelegt? Sie hatgesagt: Na ja, mit militärischen Maßnahmen alleine gehtes nicht, wir müssen viel mehr tun für wirtschaftlicheZusammenarbeit. – Ich dachte, ich höre nicht richtig.Kannte die den Etat nicht? Das ist ein Widerspruch insich. Entweder wir machen hier mehr zur Verhinderungvon militärischen Konflikten, wir tun etwas für die Ar-mutsbekämpfung, oder aber nichts von dem, was vorhinerzählt worden ist, entspricht der Wahrheit.
Die Linke hat schon in den Etatberatungen im Haus-haltsausschuss sehr viele Änderungsanträge eingebracht,und jetzt stellen wir wieder einen Änderungsantrag. Dawird gesagt, das seien ja so viele Änderungsanträge, dassei doch typisch für die Linke. Ich will nur eines sagen:Nur dann, wenn all unsere Anträge realisiert würden,würden wir die Schritte in Richtung einer höheren ODA-Quote gehen, die wirklich notwendig sind. Deswegenstellen wir die Anträge.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25311
Dr. Dietmar Bartsch
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Es ist noch viel mehr machbar; da sind wir uns doch si-cherlich einig. Wenn wir könnten, dann würden wir indiesem Sektor mehr gegen Armut in der Welt tun. Nurwenn wir hier wirklich etwas drauflegen, ist es realis-tisch, unser Ziel bei der ODA-Quote zu erreichen.Die Koalition hat ihren Minister mit einem FriendlyFire schwer beschädigt. Sie hat sich ein weiteres Malvon Wahlversprechen verabschiedet;
das für 2015 gesetzte Ziel ist damit erledigt. Die Schüt-zen werden zufrieden sein; aber die Leidtragenden sindvor allem die Ärmsten in der Dritten Welt, meine Damenund Herren. Das ist die Situation.
Lassen Sie mich eine Bemerkung zur Organisations-reform bei der GIZ machen; mein Kollege Movassatwird darauf noch eingehen. Ja, wir von der Oppositionhaben da Druck gemacht und konnten das eine oder an-dere erreichen, zum Beispiel, dass mehr Frauen an derSpitze der GIZ vertreten sind. Ich will in diesem Zusam-menhang auf einen Punkt eingehen. Sie haben sinnvol-lerweise ein Evaluierungsinstitut gegründet. Das ist ver-nünftig. Nur sind hier zwei Dinge wichtig: Erstens mussdas Institut wirklich Freiheiten haben und darf kein In-strument des Ministers oder des Ministeriums werden.Zweitens muss das Parlament eingebunden werden. EinBeirat ist gut; aber wir hier im Parlament müssen Re-chenschaft abgelegt bekommen und selber etwas tunkönnen, damit das Institut wirklich evaluiert und nichtzu einem Instrument des Ministeriums wird.
Ich will eine weitere Bemerkung machen. Es gibt inder Entwicklungspolitik weiterhin ein Gerangel zwi-schen den Ministerien um einzelne Posten und einzelneEtats. Das hat zur Folge, dass Mittel für die Entwick-lungszusammenarbeit auf die Etats der unterschiedlichs-ten Ministerien verteilt sind: auf das Auswärtige Amt,das Wirtschaftsministerium, das Justizministerium, dasUmweltministerium usw. Das alles geht querbeet; jedermacht ein bisschen seine eigene Entwicklungspolitik.Ich finde, das geht so nicht.Die Entwicklungszusammenarbeit darf sich nicht alszweites Standbein der Wirtschaftspolitik sehen.
Sie darf auch nicht als Außenwirtschaftspolitik verstan-den werden. Hier geht es wirklich um etwas anderes. Esist doch völlig klar, dass mit den Mitteln verantwor-tungsbewusst umgegangen werden muss. Wenngleich esunterstellt wird: Niemand aus der Opposition will etwasanderes. Mit jedem Euro muss ein möglichst hoher Nut-zen für die Menschen erzielt werden. Auch das ist völligunbestritten. Da dürfen Sie niemandem etwas anderesunterstellen. Es darf aber nicht zuerst ins Auge genom-men werden, welche positive Rückwirkung die Entwick-lungshilfe auf die deutsche Wirtschaft hat. Das wärenämlich die falsche Richtung. Es geht eben wirklich umdie Menschen in den anderen Ländern; es geht um dieEntwicklungshilfe, die in diesen Ländern anzustrebenist. Das müssen wir in den Blick nehmen.Mein Appell, mein Aufruf ist: Sorgen Sie dafür, dasshier wirklich Politik aus einer Hand gemacht wird! Set-zen Sie sich in der Regierung durch, auch im Hinblickauf eine Steigerung des Etats! Es gibt heute bei der na-mentlichen Abstimmung die Möglichkeit, zumindest ei-nen Teil zu korrigieren. Das würde niemandem wehtun.Im Übrigen würde es Ihnen niemand vorwerfen, wenndas ein Stück weit zu einer höheren Neuverschuldungführen würde; das würde niemand hier im Saal kritisie-ren.
Im Übrigen haben wir genügend andere Ideen.
Herr Minister, damals, als Sie in der Opposition wa-ren, haben Sie verkündet, dass Sie das Entwicklungs-ministerium abschaffen wollen.
– Ja, das ist lange her. Es gibt einen Erkenntniszuwachsbeim Minister. Das ist völlig in Ordnung. Man lerntdazu. So geht es allen, auch mir und Ihnen. Das ist wun-derbar. – Jetzt ist angesichts des Friendly Fire, das Sievon der Koalition organisiert haben, aber zu konstatie-ren, dass letztlich wohl doch in diese Richtung gearbeitetwird. Denn Sie, Herr Niebel, können sich nicht wehren.Das Entscheidende ist: Sie können sich in der Regierungnicht durchsetzen, wenn es darum geht, das wirklichNotwendige zu realisieren.
In der Koalition hat man offensichtlich übersehen, dasses sich hier inzwischen um einen FDP-Minister handelt.All das, meine Damen und Herren, wäre eigentlich nichtweiter tragisch; aber das Schlimme ist, dass es zulastender Ärmsten dieser Welt geht und letztlich dem AnsehenDeutschlands in der Welt schadet. Also, ändern Sie das!Zum Schluss möchte ich mich ausdrücklich bei denvielen Engagierten bedanken, die auf diesem Feld arbei-ten.Danke schön.
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege VolkmarKlein das Wort.
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25312 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In dieser Diskussion sind schon viele Zahlen
und Behauptungen umhergeschwirrt. Richtig ist – das ist
schade –, dass die üblichen und auch erwarteten Steige-
rungen im Haushalt des BMZ für 2013 nicht zu vermel-
den sind.
Nach den Beschlüssen gibt es im Einzelplan 23 auf dem
Papier sogar eine kleine Absenkung. Auch das ist richtig
– das ist auch nicht schön –, aber diese Absenkung gibt
es vor allen Dingen auf dem Papier.
Der Einzelplan 23 schrumpft gegenüber dem Jahr
2012 um 80 Millionen Euro. Aber diese 80 Millionen
Euro haben sozusagen nur ihren Heimathafen gewech-
selt. Auf Wunsch der beiden Minister sind die Mittel für
entwicklungsorientierte Not- und Übergangshilfe vom
Einzelplan 23 in den Einzelplan 05, Auswärtiges Amt,
verschoben worden.
Das kann man im Haushaltsentwurf nachvollziehen.
Deswegen ist es ehrlich, wenn wir von einer Stagnation
im Einzelplan 23 und nicht von einer Absenkung reden.
Die Befürchtungen, dass die deutsche ODA-Quote
unter die für 2011 festgestellten 0,4 Prozent sinken
könnte, scheinen mir voreilig zu sein,
denn im Jahre 2011, als die OECD-Statistik eine ODA-
Quote von 0,4 Prozent festgestellt hat, lag der Einzel-
plan 23 noch bei 6,0 Milliarden Euro. Für das kom-
mende Jahr enthält der Einzelplan trotz der gerade be-
schriebenen Verhältnisse 6,3 Milliarden Euro, also
300 Millionen Euro mehr.
Der Europäische Entwicklungsfonds fordert von uns,
von Deutschland, im kommenden Jahr nicht wie ur-
sprünglich angekündigt 838 Millionen Euro, sondern
144 Millionen Euro weniger. Das ist eine extern vorge-
gebene Zahl. Wenn der Europäische Entwicklungsfonds
nicht Teil unseres Haushaltes, sondern – wie von der
EU-Kommission gefordert – Teil des EU-Haushaltes
wäre, dann würde sich durch dieses Revirement bei uns
gar nichts niederschlagen. So beträgt die Forderung an
Deutschland 144 Millionen Euro weniger. Deshalb redu-
ziert sich der Einzelplan 23 um diesen Betrag.
Es ist kein Geheimnis, dass ich mir persönlich gut
hätte vorstellen können, einen größeren Teil des wegfal-
lenden Geldes für Erhöhungen im eigentlichen BMZ-
Haushalt zu nutzen. Angesichts der Gesamtsituation des
Haushalts unseres Landes und auch der europäischen Si-
tuation ist der Beschluss ein anderer. Aber – darauf
möchte ich mit allem Nachdruck hinweisen – wir haben
20 Millionen Euro des wegfallenden Geldes zusätzlich
auf andere Titel im BMZ-Haushalt verteilt. Es wird da-
für verwendet, die von uns gestaltete deutsche Entwick-
lungszusammenarbeit zusätzlich zu stärken.
Wir stehen ständig vor der Frage: Wie können wir die
verschiedenen Aufgaben miteinander in Einklang brin-
gen? Was ist mit der Verantwortung für die Nächsten
jenseits unserer Grenzen? Ich bin sehr dafür, dass wir im
Interesse des Nächsten jenseits unserer räumlichen
Grenzen – das ist ein ethisches Gebot – viel Geld einset-
zen. Ich bin aber auch dafür, dass wir an den Nächsten
jenseits unserer zeitlichen Grenzen denken und deshalb
die gesamte Haushaltssituation im Blick behalten.
Wenn wir die Entwicklung des Haushalts über die ge-
samten vier Jahre der Wahlperiode hinweg vergleichen,
dann stellen wir fest, dass wir 2009 einen Gesamthaus-
halt hatten,
der 309 Milliarden umfasste. Jetzt liegt er bei 302 Mil-
liarden Euro, das heißt, insgesamt gibt es ein Abschmel-
zen der Ausgaben. Gleichzeitig ist festzustellen: Wir ha-
ben damals im Einzelplan 23 5,7 Milliarden Euro für
Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung gehabt,
heute sind es, trotz der beschriebenen Zusammenhänge,
6,3 Milliarden Euro. Das sind fast 10 Prozent mehr als
damals vor vier Jahren.
Mit dieser Erhöhung von 20 Millionen Euro für die ei-
gentliche Entwicklungszusammenarbeit – das hat eben
schon einmal kurz eine Rolle gespielt – haben wir, denke
ich, wichtige Akzente gesetzt. Einerseits haben wir da-
mit wichtige Akzente im Bereich der Bevölkerungsent-
wicklung gesetzt, indem wir zusätzliche Gelder für die
UN-Organisationen in diesem Bereich bereitstellen, und
wir geben mehr Geld für Bildung im Bereich der
Humboldt-Stiftung, des DAAD und der Deutschen
Welle aus. Weiter setzen wir Akzente, indem wir die
Verpflichtungsermächtigungen gerade im Bereich der
nichtstaatlichen Entwicklungszusammenarbeit deutlich
erhöhen. Das bedeutet langfristig Verlässlichkeit der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit.
Möchten Sie eine Zwischenfrage von Frau Koczy zu-lassen?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25313
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Aber gern.
Bitte schön.
Herr Klein, ist Ihnen der Koalitionsvertrag bekannt,
in dem die Koalition von FDP und CDU/CSU von einem
jährlichen Aufwuchs der ODA-Quote redet? Wie bewer-
ten Sie den Zustand, dass diese ODA-Quote jetzt unter
0,4 Prozent sinkt?
Auf das Letzte habe ich Sie eben hingewiesen. Das
kann man heute überhaupt noch nicht prognostizieren.
Da 2011 auf der Basis eines deutlich niedrigeren Ent-
wicklungshilfehaushaltes eine ODA-Quote von 0,4 Pro-
zent ausgerechnet wurde, sind derartige Befürchtungen
gegenwärtig völlig gegenstandslos. Im Übrigen habe ich
doch gerade noch einmal dargestellt, welch große Be-
deutung dieser Bereich der internationalen Verantwor-
tung, gemessen am Gesamthaushalt, in den letzten Jah-
ren für uns gewonnen hat. Genau das unterstreicht diese
Verpflichtung.
Dabei müssen wir insgesamt aufpassen, dass wir nicht
viel zu viel nur über das eingesetzte Geld reden. Wissen
wir denn überhaupt genug über die Wirkungen? Ich
glaube, wir haben da Nachholbedarf. Das spiegeln ge-
rade die neuen Geber – die Schwellenländer, aber auch
die großen privaten Fonds – wider. Die wollen – unter
dem Schlagwort: „value for money“ – in viel höherem
Maße wissen, wie die Wirksamkeit der eingesetzten
Instrumente ist.
Ich denke, dass die deutsche Entwicklungszusam-
menarbeit einen ausgesprochen guten Ruf hat. Das wird
an vielen Stellen deutlich. Zum Beispiel wurde es vor ei-
nigen Wochen beim Besuch des Weltbankchefs Jim
Yong Kim hier in Berlin unterstrichen. Ich hatte jetzt die
Gelegenheit – auch dadurch wurde das deutlich –, ein
Gespräch mit dem Chef der thailändischen Entwick-
lungsorganisation zu führen. Die möchte gerne Deutsch-
land als Partner für deren Entwicklungszusammenarbeit
mit ihren Nachbarländern haben, nicht weil Deutschland
das meiste Geld mitbringt, sondern das beste Knowhow
hat. Das ist eine Frage der Wirksamkeit.
An vielen Stellen ist es offenkundig, dass man mit
wenig Geld eine große Wirkung erzielen kann. Ich nenne
in diesem Zusammenhang beispielsweise die AFI, die
Allianz für finanzielle Inklusion. Sie wurde ursprünglich
von der Gates Foundation gegründet und wird heute von
unserem Geld mit unterstützt. Weiter nenne ich das
Netzwerk von Notenbanken, die in den Entwicklungs-
ländern auch regulatorisch die Grundlagen dafür legen,
dass zum Beispiel in Westafrika Mobile Banking ge-
macht werden kann. Die Menschen dort können Kleinst-
guthaben transaktionskostenfrei per Handy übermitteln.
Das sind tolle Dinge.
Bei vielen anderen Sachen ist es wesentlich schwerer,
zu bewerten, was denn nun wirklich wirksam ist. Deswe-
gen ist die Evaluierung – die wir in viel größerem Maße
in den Vordergrund stellen werden, als wir es bisher ge-
tan haben – ganz wichtig. Dafür wird dieses Institut
künftig arbeiten. Sicherlich müssen wir alle gemeinsam
als Parlament darauf achten, dass es auch wirklich die
von uns gewollte Unabhängigkeit hat. Diese Evaluie-
rung aber wird anschließend garantieren, dass das von
uns investierte Geld in den entsprechenden Ländern kon-
tinuierlich eine größere Wirksamkeit entfalten kann.
Ich glaube, dass wir hier insgesamt – deswegen emp-
fehle ich auch die Zustimmung – einen Haushalt als gu-
ten Rahmen vorlegen, den der Minister, der seinen Job
im Übrigen ganz hervorragend macht, ganz sicher auch
in hervorragender Weise ausfüllen wird.
Herzlichen Dank.
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Priska Hinz dasWort.Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der heutige Beitrag von Jürgen Koppelin war unter-irdisch; das muss ich sagen.
Volkmar Klein hat hier
eine Vernebelungstaktik versucht, um schlechte Buch-haltungstricks zu verbergen. Damit kann man vielleichtAbgeordnete beeindrucken, die nichts vom Haushaltverstehen, aber selbst die will ich in Schutz nehmen.
– Nein, deswegen sage ich ja, dass ich sie in Schutznehme. – Das, was Volkmar Klein hier gesagt hat, warein durchschaubares Manöver: Sie haben die 80 Millio-nen Euro, die in einer Nacht-und-Nebel-Aktion vomBMZ zum Auswärtigen Amt verschoben wurden, ge-nutzt, um zu sagen: Es wurde ja gar nicht gekürzt. – Fürso dumm kann man uns schlicht und einfach nicht ver-kaufen. So dumm ist niemand!
Diese 80 Millionen Euro hätten im Haushalt des BMZeigentlich draufgesattelt werden müssen. Hinzu kommenmüssten noch die insgesamt 144 Millionen Euro, die ausdem Europäischen Entwicklungsfonds zurückgeflossen
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Priska Hinz
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sind. Das wäre dann eine reelle Zahl. Alles andere isteine Kürzung des Haushalts des BMZ.
Darüber können auch viele Worte nicht hinwegtäuschen.
Frau Kollegin Hinz, der Kollege Heiderich würde Ih-
nen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Ja, gerne.
Sehr geehrte Frau Kollegin, wir haben eben der Redevon Herrn Koppelin zugehört. Ich habe von HerrnKoppelin erfahren, dass dem Antrag, die Mittel für denEEF um 144 Millionen Euro zu kürzen, auch die Grünenzugestimmt haben.
Ich habe mir das so notiert. Ich glaube, das ist eine ganzwesentliche Aussage. Ich würde von Ihnen gerne wis-sen: Haben Sie zugestimmt oder nicht? Vernebeln Siedas jetzt, indem Sie hier andere Dinge in die Diskussioneinbringen?
Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Es freut mich, dass meine Antwort nicht auf die Rede-zeit angerechnet wird; denn das wollte ich eh sagen. Vie-len herzlichen Dank! – Ja, wir waren der Meinung, dasses keinen Sinn macht, die 144 Millionen Euro, die beimEuropäischen Entwicklungsfonds nicht gebraucht wer-den, dort verfallen zu lassen. Dass die Mittel da gekürztwerden müssen, ist völlig logisch.
– Darf ich bitte ausreden? – Das Ministerium hat Vor-schläge unterbreitet, wo die Mittel etatisiert werden kön-nen. Ihre Koalition hat diese Vorschläge als Berichter-stattervorschläge aber nicht gelten lassen und nicht alsAnträge eingebracht. Wir Grünen haben einen ODA-Aufholplan vorgelegt, mit dem wir 900 Millionen Eurozusätzliche Mittel für das BMZ beantragt haben.
Zusätzlich 900 Millionen Euro! – Sie können ruhig ste-hen bleiben, bis ich Ihnen eine vollständige Antwort ge-geben habe. – Hinzu kommen 300 Millionen Euro fürweitere Etats. Das macht 1,2 Milliarden Euro
plus 600 Millionen Euro zusätzlich für den internationa-len Klimaschutz.
Sie können uns also nicht vorwerfen, dass wir für Ent-wicklungszusammenarbeit nicht genügend Geld ausge-ben wollen. Im Gegenteil: Wir halten am 0,7-Prozent-Ziel fest. Wir würden mit diesem Aufholplan das BMZstärken. Mit diesem Aufholplan würden wir auch das0,7-Prozent-Ziel erreichen, zwar nicht 2014, aber 2017.
Diese Kürzung im Haushalt des BMZ erfolgte wohlauf Wunsch eines einzelnen Abgeordneten im Haus-haltsausschuss, der derselben Fraktion angehört wie derMinister.
Das ist eine ganz besonders pikante Sache. Dass dieCDU, die ihre Kanzlerin immer aufs internationale Par-kett schickt, da mitmacht, finde ich besonders erstaun-lich. Sie haben ja auch offensichtlich Probleme, hier zuargumentieren. Deswegen hat Volkmar Klein ja auch sovirtuos eine Vernebelungstaktik angewandt.
Ich weiß, dass viele von Ihren Kolleginnen und Kollegendas Ganze nicht mittragen wollen. Wir sind gespannt,wie nachher die Abstimmung über unseren Änderungs-antrag ausgeht.
Ich halte es für notwendig, noch einmal deutlich zumachen, dass die entwicklungspolitische Strategie derBundesregierung und der Koalition auch jenseits derTatsache, dass das ODA-Ziel aufgegeben wurde und derKoalitionsvertrag zumindest in diesem Bereich über-haupt nicht mehr gilt, nicht richtig erkennbar ist. Es gibtzwar eine Vereinbarung, die festlegt, wie die Not- undÜbergangshilfe in das Auswärtige Amt überführt werdensoll. Die Glaubwürdigkeit wurde aber schon bei der ers-ten Nagelprobe erschüttert, als es darum ging, wer fürdie Not- und Übergangshilfe sowie die Strukturhilfe ei-gentlich verantwortlich ist. Da haben Sie schon versagt.Es gab wieder keine Koordination zwischen den Minis-terien. Es mussten erst Zeitungsberichte erscheinen, be-vor die Minister klärten, wer bei der Hungersnot inDadaab zuständig ist, wer künftig die Mittel ausgibt undwer die Verträge weiter gestaltet. Das ist doch wirklichein Armutszeugnis.
Das zeigt, dass wir mit unserer Auffassung richtigliegen,dass es nicht sinnvoll ist, die entsprechenden Mittel zu
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25315
Priska Hinz
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verschieben, und dass es notwendig ist, die Not- undÜbergangshilfe im BMZ zu belassen.Zu der Frage, ob das BMZ die Federführung im Len-kungsausschuss haben soll, haben wir noch gar nichtsgehört. Wir wissen überhaupt nicht, wer die Federfüh-rung besitzt und wie die Koordination innerhalb derBundesregierung aussieht. Es ist schlecht für die Ent-wicklungszusammenarbeit, wenn es hier kein feder-führendes Ressort gibt, das mit den anderen RessortsKooperationen und Ausgaben vereinbart. Die vielbe-schworene Kohärenz gibt es nicht.Wir haben, wie gesagt, 900 Millionen Euro zusätzlichbeantragt.
– Nein, die sind nicht ungedeckt, lieber Kollege Barthle.Sie wissen genau, dass wir in der Bereinigungssitzungeinen entsprechenden Deckungsvorschlag gemacht ha-ben, aus dem hervorgeht, wie das Ganze finanziert wirdund wie gleichzeitig die Nettokreditaufnahme stärker ge-senkt werden kann als jetzt durch die Koalition.
Jenseits der Quantität setzen wir deutliche Schwer-punkte bei Klimaschutz, Gesundheitsversorgung in Ent-wicklungsländern sowie bei Grund- und Sekundarbil-dung. Außerdem müssen die multilateralen Hilfengestärkt werden; denn im Rahmen der internationalenZusammenarbeit muss man die Kooperation mit anderenGeberländern und internationalen Organisationen su-chen.Ein letzter Satz. Wir Grüne hätten sicherlich auch1,2 Milliarden Euro mehr beantragen können,
um die Umsetzung unseres Aufholplans bei der ODA-Quote zur forcieren. Wir haben nun einen Änderungs-antrag vorgelegt, der zum Ziel hat, wenigstens den ur-sprünglichen Ansatz für das BMZ wiederherzustellen.
Frau Kollegin.
Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Ich hoffe sehr, dass Sie sich ein Herz fassen und unse-
rem Änderungsantrag zustimmen.
Helga Daub hat das Wort für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!Selten hat ein Haushalt schon im Vorfeld solch eine me-diale Begleitmusik erfahren wie dieser Einzelplan. Dasist auch gut so. Endlich ist der zweitgrößte Investitions-haushalt, der sonst eher unter Nichtbeachtung leidet,auch einmal im Fokus.
Es gibt überhaupt keinen Grund, unsere Erfolge kleinzu-reden.Wenden wir uns den Tatsachen zu. Bei wichtigenSchwerpunkten tun wir heute mehr als zuvor. Multilate-ral stocken wir die Mittel für die Vereinten Nationen um10,4 Millionen Euro auf. Kollege Koppelin hat die Zah-len schon erwähnt, aber das kann man nicht oft genugmachen.
Das Gleiche machen wir bei der internationalenZusammenarbeit mit den Regionen. Da beträgt die Auf-stockung insgesamt 10 Millionen Euro.
Entwicklungspolitische Vorhaben der Stiftungen und derKirchen erhalten mit jeweils 2 Millionen Euro mehr ei-nen größeren finanziellen Spielraum. Durch dieses Geldfür die Zivilgesellschaft stärken wir das bürgerschaftli-che Engagement; dies ist ein wichtiger Aspekt.
Im Übrigen ist das ein Kernanliegen liberaler Politik.Im Koalitionsvertrag wird nicht grundlos auf die wich-tige Rolle von Kirchen und Stiftungen hingewiesen.Diese Institutionen sind unverzichtbar für den Aufbauund die Festigung demokratischer und rechtstaatlicherStrukturen in Entwicklungsländern. Wir alle erleben jadie Dynamik der Veränderungen in diesen Ländern.Insofern ist es folgerichtig, dass wir in unserem Haushalteinen entsprechenden Aufwuchs haben. Stiftungen undKirchen können auch gerade in den Ländern arbeiten, indenen sich staatliche Organisationen nicht oder nochnicht etablieren können. Dort leisten sie unverzichtbareArbeit.Wir wollen eine intensive Einbindung aller Beteilig-ten in die Entwicklungspolitik. Das heißt für uns: Wirsetzen auf den Dreiklang von Staat, Wirtschaft undZivilgesellschaft. Da ich gerade die Wirtschaft erwähne– ich weiß, einige mögen jetzt vielleicht Pickel bekom-men –, möchte ich sagen: Durch jeden Euro, den wirausgeben – das Ministerium heißt ja auch Ministeriumfür wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung –,kommen 3 bis 4 Euro zurück. Es ist also ein Geben undNehmen. Wir erschließen neue Märkte. Wir schaffenauch Arbeitsplätze. Mindestens genauso wichtig ist, dasswir damit auch helfen, unsere Werte und Standards zuverbreiten.
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Helga Daub
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– Ja, gut, Sie haben andere Werte und Standards. Dasweiß ich.
Der Bereich Aus- und Fortbildung – dies wurde schonmehrmals erwähnt – wird jetzt mit einem Plus von5 Millionen Euro verstärkt. Der Deutsche AkademischeAustauschdienst, die Alexander-von-Humboldt-Stiftungund die Deutsche Welle profitieren davon. Damit werdenwichtige Weichen für die Zukunft und für eine erfolgrei-che Entwicklungspolitik gestellt.Natürlich würden wir alle gerne mehr geben undmehr helfen. Ich mache an dieser Stelle auch keinenHehl aus meiner Enttäuschung, dass der Einzelplan 23nicht die vollen 144 Millionen Euro bekommt. Ich weiß,ich habe das mit unterschrieben. Schließlich sind esnicht abgerufene Mittel aus dem Europäischen Entwick-lungsfonds; das sind Gelder, die wir uns eigentlich er-arbeitet haben. Dass ich das so hinnehme – ich sprechejetzt für mich persönlich –, hat damit zu tun, dass wirnicht der einzige Haushalt sind, der Kürzungen hinneh-men muss. Das Ganze dient der Haushaltskonsolidie-rung. Ich habe noch die Worte des haushaltspolitischenSprechers der SPD im Ohr – er ist gerade nicht anwe-send –, der die ganze Zeit von Haushaltskonsolidierunggesprochen hat. Daher müsste ihm an dieser Stelle dasHerz höher schlagen.
Übrigens ist der vorübergehende Minderbedarf derEuropäischen Kommission nicht zuletzt unserer kriti-schen Haltung zur Budgethilfe geschuldet.
Auch die Europäische Kommission schaut jetzt im Inte-resse der Steuerzahler bei der Mittelvergabe genauer hin.Immerhin gehen noch 20 Millionen Euro dieser 144 Mil-lionen Euro in den Haushalt des BMZ. Die restlichen124 Millionen Euro werden zur Haushaltskonsolidierungeingesetzt. Letztlich ist dies ein lobenswertes Ziel.Jetzt komme ich zur ODA-Quote. Zugegeben, eswäre in der Tat schöner gewesen, wenn wir schon jetztsagen könnten, dass wir 0,4 Prozent erreicht hätten.
Es wäre ein gutes Signal dafür gewesen, dass wir denWillen haben, eine Quote von 0,7 Prozent bis 2015 zuerreichen. Dass dies gewaltiger Anstrengungen bedarf,wissen wir, Herr Hoppe. Dafür wären 1,5 MilliardenEuro pro Jahr bis 2015 notwendig. Das ist nicht zu ma-chen; aber es wäre ein gutes Symbol gewesen.
Dazu bedarf es aber auch eines Prioritätenkatalogs – sonenne ich es einmal – des Parlaments und des Haushalts-ausschusses. Ich sage an dieser Stelle: Bündnis 90/DieGrünen haben dem im Haushaltsausschuss zugestimmt.
Nun könnten es – eine Nachrechnung wird das ergeben –0,39 Prozent werden; eventuell ist auch eine Quote von0,4 Prozent möglich. Zum Vergleich: Beim Amtsantrittdieser Regierung betrug die ODA-Quote 0,35 Prozent.Vielleicht sollte man die Vorgaben zur Berechnungder ODA-Quote, die immerhin – es ist vorhin schon ein-mal erwähnt worden – 30 Jahre alt sind, einmal überden-ken. Ohne die Bedeutung der Entwicklungszusammen-arbeit zu mindern, sollte man überprüfen, ob sie nochzeitgemäß sind. Um deutlich zu machen, was sich in denletzten 30 Jahren alles verändert hat, braucht man nurauf die Informationstechnologie und auf all die Verände-rungen zu verweisen, die sie mit sich gebracht hat.Allerdings – das betrifft unseren Bereich ganz beson-ders – sind aus vielen Entwicklungsländern inzwischenSchwellenländer geworden.
Wollen Sie die Frage von Herrn Kekeritz zulassen?
Nein. – Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich sageganz nebenbei: Wenn wir in Europa und in Deutschlandnicht aufpassen, sind wir eines Tages diejenigen, die derEntwicklungszusammenarbeit mit anderen Ländernbedürfen.
Das ist jedoch eine Diskussion, die man an andererStelle und unter anderen Gesichtspunkten führen muss.Noch einmal: Wir stellen die ODA-Quote nicht in-frage. Aber man sollte vielleicht über eine Anpassungder Kriterien zu ihrer Berechnung nachdenken.
Bevor von der Opposition allzu sehr gebarmt wird,muss ganz deutlich festgestellt werden: Seit 2009 ent-spricht der Aufwuchs der ODA-Quote einem Betrag vonimmerhin 1,3 Milliarden Euro, und die Bundesrepublikist nach wie vor zweitgrößter bilateraler Geber weltweit.Da meine Redezeit fortgeschritten ist,
komme ich zum Schluss.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25317
Helga Daub
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Fakt ist: Seit Amtsantritt dieser Regierung ist der BMZ-Etat um gut 600 Millionen Euro gestiegen. Entwick-lungszusammenarbeit ist eine Investition in eine bessereZukunft für die Entwicklungsländer. Diesem Ziel istdiese Regierung weiterhin verpflichtet.
Danke.
Sascha Raabe hat das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Liebe Kollegin Daub, im Fachausschussschätze ich Sie ja durchaus.
Aber wenn Sie in einer Situation, in der Deutschland,was die Steuereinnahmen angeht, bedingt durch vieleFaktoren so gut dasteht wie nie – wenn Sie heuteMorgen die Generaldebatte verfolgt haben, konnten Siedas hören –, sagen: „Wir müssen aufpassen, dassDeutschland nicht irgendwann einmal zu einem Ent-wicklungsland wird“, und wenn ausgerechnet in einemJahr, in dem wir eine so gute finanzielle Basis haben, derEntwicklungsetat gekürzt wird,
dann ist das ein Schlag ins Gesicht der 900 MillionenMenschen, die hungern. Das ist schäbig, und das weiseich hier in aller Schärfte zurück, liebe Kolleginnen undKollegen.
Deutschland ist ganz weit davon entfernt, ein Ent-wicklungsland zu werden. Aber in der Tat verspielen wirunsere Zukunft, wenn wir nicht über den eigenen Teller-rand blicken und nicht verstehen, dass wir in einer Weltleben, in der wir die bestehenden Herausforderungen nurgemeinsam mit anderen Ländern bewältigen können.Das gilt gerade im Hinblick auf das Bevölkerungswachs-tum. Bis zum Jahr 2050 werden 9 Milliarden Menschenauf der Welt leben. Mit all diesen Menschen sitzen wirsozusagen in einem Boot; wir müssen sie mitnehmen.Wir können uns nicht ausklinken und so tun, als wür-den wir nicht wahrnehmen, was um uns herum ge-schieht. Wir erleben gerade in sehr vielen StaatenKriege, Konflikte, Hunger, Armut, Chaos und Terror. Ineiner solchen Situation können wir doch nicht einfachden Entwicklungsetat kürzen und dann noch sagen: Dasmüssen wir machen, weil Deutschland sonst selbst einEntwicklungsland wird. – So geht das nicht, liebe Kolle-ginnen und Kollegen!
Die Probleme sind nicht erst seit heute bekannt, son-dern sie kamen schon in der ersten Debatte zu diesemHaushalt zur Sprache. Der Aufwuchs in Höhe von37,5 Millionen Euro, der im Haushalt enthalten ist, hätte– das wissen wir doch alle – nie im Leben gereicht, umunserem internationalen Versprechen, bis 2015 eineODA-Quote von 0,7 Prozent zu erreichen, auch nur an-satzweise nachzukommen. Spätestens jetzt werden Siezu Vertragsbrechern. Wir haben heute schon mehrmalsfestgestellt: Dieser Koalitionsvertrag ist wirklich das Pa-pier nicht wert, auf dem er gedruckt ist; er ist genausohinfällig wie Ihre gesamte Koalition.
Das Ergebnis der Bereinigungssitzung des Haushalts-ausschusses lag im Morgengrauen vor. Der Begriff„Grauen“ trifft es ziemlich genau. Das Geld, das drin-gend gebraucht wird für den Aufbau von sozialen Siche-rungssystemen, für Bildung, für Gesundheit, für Ernäh-rungssicherung, für Bewässerungsprojekte, all das Geldfehlt jetzt. Deswegen haben viele Organisationen derZivilgesellschaft uns Abgeordnete heute noch einmal an-geschrieben und an uns appelliert, diese Kürzungennicht hinzunehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegenvon der Koalition, hören Sie die Signale! Haben Sie denMut, auch einmal gegen Ihre Fraktionsoberen zu stim-men! Stimmen Sie diesen Kürzungen nachher nicht zu!
Zu verantworten, Herr Minister Niebel, hat diese Kür-zungen keineswegs das Parlament, wie Sie es in einerPressemitteilung und in der Haushaltssitzung behauptethaben. In diesem Haus gab es einen entwicklungspoliti-schen Konsens. Die Mehrheit der Abgeordneten hat ei-nem Aufwuchs um 1,2 Milliarden Euro pro Jahr zu-gestimmt. Sie haben daraus nie etwas gemacht. WennSie auftreten, ob hier oder in aller Welt, dann tun Sie dasbreitbeinig und am liebsten mit Feldjägermütze.
Letztes Mal, bei der ersten Debatte, haben Sie – groß-spurig, wie Sie sind – etwas von einem Rekordhaushalterzählt. Und jetzt lassen Sie sich von Ihrem eigenenHaushälter, von Herrn Koppelin, am Nasenring durchdie Manege ziehen.
Das ist doch lächerlich. Kein Wunder, dass Sie am Kabi-nettstisch nicht einen einzigen Tagesordnungspunktdurchgesetzt haben. Wie wollen Sie gegenüber der Bun-deskanzlerin 1 Milliarde Euro durchsetzen, wenn Sienicht einmal in der Lage sind, 37 Millionen Euro gegen-über Ihrem eigenen Haushälter durchzusetzen? Das isteine Lachnummer.
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25318 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012
Dr. Sascha Raabe
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Herr Minister, Sie sollten einmal Ihr Verhältnis zu denKollegen Ihrer eigenen Partei überprüfen. Auch als Siedamals einen Sonderfonds für Haiti forderten, hat IhnenHerr Koppelin den herausgestrichen. Es kann doch nichtsein, dass jedes Mal, wenn Herr Koppelin „Sitz!“ sagt,der Bundesminister für Entwicklung, der Wuffi Dirk,wie ein kleiner Hund mit dem Schwänzchen wackelt.
Das ist doch ein wichtiges Thema, Herr Minister. Dareicht es nicht, sich aufzuplustern. Sie müssen wenigs-tens Ihren eigenen Haushälter mit Autorität von IhrerSache überzeugen. Sonst werden Sie mit Ihren Anliegenim Kabinett keine Glaubwürdigkeit haben.Herr Minister, ich habe schon mehrmals Ihre Vettern-wirtschaft kritisiert. Das mache ich jetzt nicht noch ein-mal. Bemerkenswert ist aber, dass die Personalpolitik imBMZ – das spiegelt sich im Haushalt wider – immermehr in Richtung Wahlkampf geht. Die Abteilung „Pla-nung und Kommunikation“ wird mit Stellen aufgebläht.Der Personalrat spricht davon, dass – ich zitiere – „inden operativen Kernbereichen des Hauses SchmalhansKüchenmeister ist“, weil immer mehr gute Leute aus denFachabteilungen abgezogen werden, sodass letztlich nurnoch Propaganda gemacht wird.Man muss sich dann schon die Frage stellen, ob mitdiesem Haushalt für das Jahr 2013 nicht eher das Zielverfolgt wird, den Bundestagswahlkampf statt imDehler-Haus im BMZ mit dem Geld der deutschen Steu-erzahler planen zu können. Nachdem Sie die Service-stelle „Engagement Global“ gegründet haben, werdenSie demnächst wahrscheinlich auch noch eine Service-stelle „Engagement Liberal“ gründen. Wenn es um IhrePartei geht, Herr Minister, ist Ihnen nichts zu teuer. Dastrifft aber auf die Menschen, die es nötig hätten, leidernicht zu.Herr Minister, Sie haben in Ihrem Haus seit 2010,wenn ich richtig gezählt habe, mehr als 20 Strategie-papiere schreiben lassen. Selbst wir als Fachpolitikerhaben Mühe, da die Übersicht zu behalten.
Ständig werden uns neue Konzepte präsentiert. In derChefetage des BMZ wird so viel heiße Luft produziert,dass man schon Angst vor Wüstenbildung haben muss.Dazu passt, dass Sie uns neulich ein entwicklungspoliti-sches Weißbuch vorgelegt haben, in dessen zehn Haupt-botschaften auf der ersten Seite Sie eigentlich nur sichselbst feiern. Die Begriffe „Hunger“ und „Armut“ tau-chen in dieser Gliederung kein einziges Mal auf.Ich kann nur sagen: Wir Sozialdemokraten haben eineStrategie vorgelegt, in der die Bekämpfung von Hungerund Armut an allererster Stelle steht. Sie hingegen ma-chen in erster Linie Außenwirtschaftsförderung. Sie ha-ben eine Ressortvereinbarung mit dem Auswärtigen Amtgeschlossen, die angeblich zu einer besseren Abstimmungund mehr Effizienz – Sie nehmen ja immer das Wort „Ef-fizienz“ in den Mund – führten sollte. Dann werfen Sie Ih-rem ehemaligen besten Freund Westerwelle aber vor:Es kann nicht sein, dass Menschen in der von Kri-sen geschüttelten Region am Horn von Afrika unterder Untätigkeit des Auswärtigen Amtes leiden.Das kommt dabei heraus, wenn man die Kernzuständig-keit des BMZ, nämlich humanitäre Hilfe zu leisten, aus-lagert, um einen Kuhhandel zu machen. Anschließendklagen Sie öffentlich in der Presse Westerwelles Untätig-keit an. Da kann natürlich eine Männerfreundschaftschon einmal auf der Strecke bleiben. Noch schlimmerist aber, dass Zehntausende Flüchtlinge in der Krisen-region am Horn von Afrika darunter leiden.
Herr Raabe!
Ich komme zum Schluss. – Ich kann Ihnen nur sagen,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition:
Wenn Sie heute so abstimmen, wie Sie abstimmen wol-
len, dann müssen Sie den Menschen erklären, warum Sie
an diesem trüben Novembertag das 0,7-Prozent-Ziel zu
Grabe getragen haben. Ich appelliere an Ihr Gewissen:
Stimmen Sie dem nicht zu!
Johannes Selle hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Das Ziel der wirt-schaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung ist es, al-len Menschen ein menschenwürdiges Leben zu ermögli-chen. Das ist eine ehrenvolle Aufgabe, die aber riesengroßist und die durch Bevölkerungswachstum, Klimaverän-derungen und Ressourcenverknappung wächst. Zusätz-lich erfordern Naturkatastrophen wie Überschwemmun-gen und Dürren unsere Hilfe. Dort, wo Not herrscht,muss auch in Zukunft schnell geholfen werden. Deutsch-land hat auf die Hungersnot in Ostafrika zum Beispielunmittelbar mit Hilfen in Höhe von 33,5 Millionen Euroreagiert – zusätzlich zu den Leistungen im Rahmen un-serer multilateralen Zusammenarbeit.Die Millenniumsentwicklungsziele zu erreichen, wirdwohl leider nicht ganz gelingen. Gerade bei Hunger undUnterernährung sind die Zahlen – erst von 20 Prozentauf 16 Prozent gefallen und jetzt wieder auf 19 Prozentgestiegen – ganz wesentlich verursacht durch die stei-genden Lebensmittelpreise.Wir werden zunehmend damit konfrontiert, durchfehlende Entwicklung verursachte kriegerische Aus-einandersetzungen und terroristische Bedrohungen zubewältigen. Ich darf an Mali, Sudan, Südsudan und ganzaktuell an Kongo erinnern. Deshalb ist es wichtig, dass
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Johannes Selle
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wir in unserer Entwicklungszusammenarbeit Konflikt-prävention fördern und vor allem in fragilen Staaten mitunserem Engagement nicht nachlassen.
Aus meiner Sicht ist es an der Zeit, dem Gedanken ei-nes stärkeren, dauerhaften Engagements in einem Landnäherzutreten. Dadurch könnte langfristig der Verwal-tungsaufbau und damit eine gute Regierungsführungschneller vorangebracht werden. Der Südsudan zumBeispiel braucht das. Ganzheitliche Konzepte fehlen ein-fach. Zudem würden die Zivilgesellschaft und die Wirt-schaft in Deutschland viel stärker motiviert.Mit Minister Niebel hat es einen Paradigmenwechselgegeben.
Die Entwicklungszusammenarbeit hat ihre Wirksamkeitim Inland erhöht. Die Vorfeldreform, an der sich die Vor-gängerin des Ministers elf Jahre lang erfolglos versuchthat,
ist eine große Erfolgsgeschichte.
Die Integration von WZ-Referenten an den deutschenBotschaften kommt voran und wird von unseren Part-nern sehr geschätzt. Für den Umgang mit fragilen Staa-ten wurde ein schlüssiges und anerkanntes Konzept vor-gelegt.Wenn Jobs wichtig für die Bekämpfung der Armutsind, dann heißt das, die Wirtschaft einzubeziehen.Nachhaltige Beschäftigung und selbsttragender Auf-schwung brauchen Arbeitsplätze im produzierenden Ge-werbe. Die Förderung der Privatwirtschaft in Entwick-lungsländern hat eine größere Bedeutung bekommen.90 Prozent aller neugeschaffenen Stellen entstehen näm-lich durch privatwirtschaftliche Initiativen.
„Der Privatsektor ist Wachstumsmotor“, so Staats-sekretärin Gudrun Kopp. In dieser Linie steht auch derHaushaltsentwurf der Regierung mit einer Erhöhung von37,5 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr auf insge-samt 6,4 Milliarden Euro.
Wir Entwicklungspolitiker wünschen uns mehr, aber wirstehen in der Verpflichtung, den Haushalt zu konsolidie-ren. Das ist auch für die wirtschaftliche Zusammenarbeitsehr wichtig, damit wir weiter helfen können.Alle wesentlichen Positionen im Haushalt steigennach diesem Entwurf. Ich rede dabei von den Positionen,deren Mittel an Institutionen gehen, die direkt für dieMenschen arbeiten.
Der Ansatz für den Europäischen Entwicklungsfonds be-trug 838 Millionen Euro. Wegen fehlender sinnvoller Pro-jekte meldete die Kommission einen um 144 MillionenEuro geringeren Bedarf an. Niemand hat bisher hinter-fragt, warum der Europäische Entwicklungsfonds seineZiele wiederholt nicht erreicht hat. Daran hat auch dieOpposition keine Kritik geübt. Wir hätten das nicht be-nötigte Geld gerne in andere Projekte gesteckt. Dazu ha-ben wir auch Vorschläge vorbereitet.Entwicklung, Hilfe und Arbeit zugunsten derSchwächsten in der Welt: Das ist unsere tägliche Be-schäftigung und wird dadurch zu einer Angelegenheitdes Herzens, weil wir eben so dicht dran sind. Im Haus-haltsausschuss wurden nun Tatsachen geschaffen.
Von den 144 Millionen Euro wurden 22,9 MillionenEuro dem Einzelplan 23 für die Verstärkung der Projektebelassen. 121 Millionen Euro wurden zur Reduzierungder Kreditaufnahme verwendet. Das mag vor dem Hin-tergrund der Verschuldung plausibel erscheinen, wärevon den Entwicklungspolitikern aber nicht unterstütztworden. Im weiteren parlamentarischen Verfahren istaber eine Änderung nicht so einfach möglich.Die Projekte, die im Entwurf des Haushaltes vorgese-hen waren, haben darunter nicht gelitten. Die Mittel da-für wurden teilweise erhöht. Das darf man auch einmalsagen. Ich möchte auch auf die Gefahr hinweisen, dassder Europäische Entwicklungsfonds die Gelder, die ernicht gebraucht hat, noch einfordern kann, wie es in derFinanzierungsvereinbarung steht.Noch einige Worte zu den Anträgen, über die heuteabgestimmt werden muss:Die SPD verlangt ganz locker 1,4 Milliarden Euromehr
und legt natürlich keine Gegenfinanzierung vor, obwohlKollege Steinbrück gerade heute früh eine Nullverschul-dung für möglich hielt.
Das ist im Vergleich zu den gut 2,25 Milliarden Euro,die die Linken in ihren Anträgen fordern,
bescheiden. Vielleicht gilt auch hier der Satz: Je weiterweg von einer Regierungsbeteiligung man ist, destoleichter fallen die Forderungen.
Für Ausgaben von 2,25 Milliarden Euro reichen derLinken eineinhalb Seiten. Wenn man die Mittel für dieSchwerpunkte addiert, die nach Ihrer Meinung mehr Un-terstützung benötigen, dann sieht man, dass 800 Millio-nen Euro gar nicht untersetzt sind, nach dem Motto: DasMinisterium wird die restlichen Gelder schon vernünftig
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Johannes Selle
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einsetzen. – Meine Kollegen von den Linken, diese ein-einhalb Seiten sprechen ganze Bände, wie seriös Sie mitder knappen Ressource Steuergeld umgehen.Aber auch die nicht untersetzten Forderungen derSPD sind groß genug, dass man annehmen kann, dass sieebenfalls nicht mit einer Regierungsbeteiligung rechnet.
Bleibt der Antrag der Grünen, der es zwar in sich hat,aber aufgrund der Zustimmung im Haushaltsausschussin einem ganz anderen Licht erscheint. Der Antrag trifftauch den Nerv der Unionsabgeordneten, die als Fach-politiker von dem Beschluss im Haushaltsausschussüberrascht wurden. Ich habe die Initiative unterstützt,das 0,7-Prozent-Ziel verstärkt anzustreben.
„Wir wollen nicht die Union …“, hat Ihr Vorsitzenderauf dem Parteitag der Grünen unter Beifall gerufen,
den Sie anschließend wiedergewählt haben. Was Sieheute wollen, ist aber, unser gemeinsames Ziel politischauszunutzen. Ich mag mich aber nicht auf diesen klebri-gen Fliegenfänger setzen.
Dass wir mit einem Anteil am Gesamthaushalt von2 Prozent mit über 10 Prozent zum Sparen im Gesamt-haushalt beitragen, macht uns nicht glücklich. Ich undmeine Kollegen geben das Ziel nicht auf, für eine effi-ziente Entwicklungszusammenarbeit die dafür nötigenMittel aufzubringen. Dabei wissen wir die Kanzlerin anunserer Seite. Für die nächsten Beratungen sind wir je-denfalls sensibilisiert.
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege
Niema Movassat.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrNiebel, ich bin guter Dinge, dass dies heute der letzteentwicklungspolitische Haushalt unter Ihrer Verantwor-tung ist, den wir uns antun müssen. Ihre Bilanz als Ent-wicklungsminister ist verheerend.
Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag geschrieben,dass Sie 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens fürEntwicklungszusammenarbeit aufbringen wollen. Da-mit wollten Sie ein vor über 40 Jahren abgegebenes völ-kerrechtlich verbindliches Versprechen einlösen. Aberseit Ihrem Amtsantritt dümpelt die deutsche Entwick-lungshilfequote bei mageren 0,4 Prozent oder wenigerherum. Das zeigt, wie viel Ihnen Entwicklungszusam-menarbeit praktisch wert ist: so gut wie nichts.
Um wie versprochen die 0,7 Prozent bis 2015 zuschaffen, bräuchten wir eine Steigerung des Entwick-lungshaushalts von etwa 2 Milliarden Euro pro Jahr.Deshalb, Herr Selle, haben wir diesen Antrag hier einge-bracht. Machbar ist das. Wer 33,3 Milliarden Euro fürden Verteidigungshaushalt ausgibt wie diese Regierung,aber nur 6,3 Milliarden Euro für Entwicklung, setzt fal-sche Prioritäten. Mit einem Bruchteil des Geldes, das Siefür Rüstung und Krieg ausgeben, ließen sich Armut undElend auf dieser Welt bekämpfen.
Nun soll das Volumen des Entwicklungshaushalts so-gar noch schrumpfen. Das besonders Pikante ist, dassSie diese Haushaltskürzungen laut Presseberichten Ih-rem Parteikollegen Koppelin zu verdanken haben, derSie damit offensichtlich schwächen möchte. Da stimmtdann wohl bei der FDP der Satz: Die Steigerung vonFeind ist Parteifreund.
Eines Ihrer Ziele war die Fusion der staatlichen tech-nischen Entwicklungszusammenarbeit. Sie haben dafürGTZ, DED und InWEnt zur GIZ, Gesellschaft für Inter-nationale Zusammenarbeit, zusammengefügt. Damitsollte die Entwicklungsarbeit effektiver werden. DieIdee war gut, die Realität ist ein Trauerspiel. Viele Be-schäftigte sind frustriert. Laut der jüngsten Mitarbeiter-befragung ist fast die Hälfte der GIZ-Belegschaft mitdem Fusionsprozess und der Arbeit des Vorstands unzu-frieden. Da Sie, Herr Niebel, das Projekt immer alsChefsache behandelt haben, ist das auch für Sie ein ver-nichtendes Urteil.
Verheerend ist auch die politische Umorientierung,die Sie in der GIZ vorantreiben. Sie bauen das Unterneh-men zu einem weltweiten Dienstleistungsunternehmenfür Aufgaben aller Art um. Die Kernaufgabe der Ent-wicklungspolitik, die Armutsreduzierung, fällt dabeihinten runter. Im neuen Leitbild der GIZ steht dazu keinWort mehr.Während für uns im globalen Norden eine ausrei-chende Ernährung, fließend Wasser und Strom meistselbstverständlich sind, kämpfen unzählige Menschenim Süden täglich ums nackte Überleben. 1,4 MilliardenMenschen weltweit leben in extremer Armut. Die Tellerbleiben leer, Schulen sind unerreichbar, sauberes Wasserist Luxusgut. Angesichts dessen ist Armutsbekämpfungwichtiger denn je.
Stattdessen bietet die GIZ Dienstleistungen an, diemit Menschenrechten und Entwicklungszusammenarbeitnichts zu tun haben. So bildet die GIZ saudische Grenz-
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Niema Movassat
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polizisten aus. Ich frage Sie, Herr Niebel: Ist Saudi-Ara-bien, in dem Frauen gesteinigt, Menschen zur Bestra-fung Gliedmaßen abgehackt werden, ein Beispiel fürMenschenrechte und Rechtsstaatlichkeit? Wir als Linkesagen klar Nein.
Für Sie ist Entwicklungspolitik nichts anderes als Au-ßenwirtschaftsförderung im Interesse deutscher Unter-nehmen. Diese profitieren von Ihrem Kurs, nicht kleineund mittelständische Unternehmen in den Ländern desSüdens.
Dazu passen auch Ihre Renditeerwartungen. Vor kurzemsprachen Sie im Entwicklungsausschuss davon, dass je-der Euro in der Entwicklungszusammenarbeit zu einerErhöhung des deutschen Exports um 3 bis 4 Euro führt.Aus 1 Euro mach 4 Euro, 300 Prozent Rendite: Da er-blasst ja selbst ein Herr Ackermann vor Neid.
Herr Niebel, Ihnen fällt Ihr eigener ideologischer Wi-derspruch nicht einmal mehr auf. Ich dachte, Liberalelehnen Subventionen für Unternehmen ab. Nun bauenSie zum Beispiel mit öffentlich-privaten Partnerschaftendas Entwicklungsministerium zu einem Förderinstitutfür deutsche Unternehmen um. Mit liberaler Lehre hatdas nichts zu tun.
Aber all das ist letztlich nur die Spitze des Eisbergs.Wir brauchen eine grundlegend andere entwicklungs-politische Strategie. Die globale soziale Ungerechtigkeitmuss beendet werden.Heute besitzen weltweit 63 000 Menschen ein Vermö-gen von 40 Billionen Dollar. Das ist mehr als die Hälftedes jährlichen Bruttoinlandsprodukts aller Staaten aufder Welt zusammengenommen. 63 000 Menschen – dassind gerade einmal 0,00009 Prozent der Weltbevölke-rung.
Gleichzeitig hat die Hälfte der Menschheit keinerlei Ver-mögen. Gleichzeitig verhungert alle fünf Sekunden einKind. Überall auf der Welt sterben Menschen an Hunger,ob in Guatemala, Kongo oder Indien.Auf der einen Seite gibt es grenzenlosen Reichtum,auf der anderen Seite ungeheure Armut. Bei einer ge-rechten Verteilung des weltweiten Reichtums müssteheute niemand mehr an Hunger und Armut sterben.
Deshalb müssen wir umverteilen – in Deutschland undweltweit. Das wäre tatsächliche Entwicklungspolitik.Danke für die Aufmerksamkeit.
Thilo Hoppe hat jetzt das Wort für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich will jetzt nicht die großen Linien der Entwicklungs-politik beschreiben, sondern uns nur noch einmal vorAugen führen, um was es gleich in der namentlichen Ab-stimmung gehen wird. Es geht allein darum, eine Fehl-entscheidung des Haushaltsausschusses zu korrigierenund zu dem Entwurf zurückzukehren, den diese Bundes-regierung vorgelegt hat.Um es klarzustellen: Wir stehen nach wie vor zu un-serer Position, die Entwicklungsausgaben und die Aus-gaben für humanitäre Hilfe, also die ODA-Leistungen,Jahr für Jahr um 1,2 Milliarden Euro zu steigern. Denndas wäre notwendig, um dem 0,7-Prozent-Ziel nahezu-kommen und es 2017 erreichen zu können. Das hättenwir wieder beantragen können, aber es wäre wieder ab-gelehnt worden. Das ist eine sinnlose Übung.Das, was wir jetzt vorlegen, ist nur die Streichung ei-ner Streichung. Was ist geschehen? Der Regierungsent-wurf sah eine zwar geringfügige, aber immerhin nocheine Steigerung des Entwicklungshaushaltes vor. Dannkam die überraschende Sitzung des Haushaltsausschus-ses, in der im Endeffekt 124 Millionen Euro herausge-strichen wurden. Auch wenn hier mit vielen Zahlen jon-gliert wurde: Das lässt sich nicht wegreden. Das habenauch andere Kolleginnen und Kollegen zugegeben undbestätigt. Im Vergleich zum Vorjahr ist das eine realeKürzung um 86,5 Millionen Euro. Das hat der KollegeKlein auch zugegeben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in denletzten Jahren immer engagiert diskutiert und gestritten,wie hoch die Aufwüchse sein müssten. Wenn wir dasheute Abend durchgehen lassen, dann wird es zum ers-ten Mal nach langer Zeit in die falsche Richtung gehen.Bisher ging die Fieberkurve noch nach oben. Jetzt wirdes den Knick nach unten geben. Das wäre ein absolut fa-tales Signal für die Glaubwürdigkeit Deutschlands in derWelt.
Das wäre eine schlechte Nachricht. Bitte seien Siesich der fatalen internationalen Wirkung dieses Signalsbewusst. Es ist doch kein Geheimnis – ich plauderekeine Interna aus –, dass sich der Entwicklungsminister,die Staatssekretärin und viele Kolleginnen und Kollegenaus dem Entwicklungsausschuss sehr über diese Streich-aktion geärgert haben.
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Thilo Hoppe
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Herr Selle, ich nehme das Ganze sehr ernst. Ich hatteversprochen, den Text des entwicklungspolitischen Kon-senses über die zusätzlichen 1,2 Milliarden Euro, denviele von Ihnen dankenswerterweise unterschrieben ha-ben, niemals zum Anlass einer namentlichen Abstim-mung zu machen und Sie nicht in Schwierigkeiten zubringen. Aber darum geht es heute nicht. Es geht heutenur darum, eine Kürzung zu verhindern bzw. sie zu kor-rigieren.Was wir jetzt machen, klingt paradox: Ich verteidigeden Regierungsentwurf, den Entwurf dieser Bundesre-gierung gegenüber einer einsamen Kürzungsaktion aufBetreiben hauptsächlich eines Haushälters.
Darüber bitte ich jetzt nachzudenken und in sich zu ge-hen. Nehmen Sie den Parlamentarismus ernst!
Denn er sieht vor, dass das Plenum dieses Bundestagesdas letzte Wort behält.
Er sieht nicht vor, was leider Gewohnheitsrecht gewor-den ist: dass immer der Haushaltsausschuss das letzteWort behalten soll.
Ich will jetzt nicht die Gewissensdimension ins Spielbringen; es geht um Ihre Überzeugung. Wie gesagt, wirhaben gemeinsam für Aufwüchse gekämpft und uns nurdarüber gestritten, wie hoch die Aufwüchse sein müssen.Aber Kürzungen waren überhaupt nicht in Sicht, wederim Entwicklungsministerium noch bei den Kolleginnenund Kollegen, mit denen wir im AwZ gut zusammenar-beiten.Wir haben jetzt die Möglichkeit, das noch zu korrigie-ren. Es stimmt auch nicht, dass damit der ganze Haushaltkippen würde. Wir haben uns nach der Verfahrensweiseerkundigt. Es wäre möglich, diese Rücknahme der Kür-zung noch am Freitag in dritter Lesung einzuarbeiten.Das würde ein winziges Stückchen mehr Schuldenauf-nahme bedeuten. Aber sagen Sie jetzt bitte nicht, dass124 Millionen Euro ein riesengroßes Problem darstellen,wenn man sieht, dass wir hohe Steuermehreinnahmenhaben, dass wir 750 Millionen Euro für neue Straßenausgeben, dass wir Beschlüsse für ein Betreuungsgeldgefasst haben usw. Es geht hier um Prioritätensetzung,um die Rückkehr zum Regierungsentwurf. Darüber kön-nen wir gleich abstimmen. Ich bitte Sie, Ihrer Überzeu-gung zu folgen.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege
Helmut Heiderich.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Bundesminister Niebel hat bei der Vorstellung
des Haushalts vor wenigen Wochen darauf hingewiesen,
dass das BMZ zum vierten Mal in Folge einen Rekord-
haushalt vorlegt.
Nun hat ihm der Haushaltsausschuss buchstäblich
und im wahrsten Sinne des Wortes einen Strich durch die
Rechnung gemacht. Meine verehrten Damen und Herren
von den Grünen, eben habe ich erfahren, dass Sie an die-
ser Streichung aktiv beteiligt waren.
Deswegen sage ich ganz deutlich: Wenn Sie jetzt mit Ih-
rem Antrag kommen und das, was Sie gestrichen haben,
wieder aufsetzen wollen, dann ist das wirklich eine Ka-
priole besonderer Art.
Möchten Sie die Zwischenfrage von Herrn Hoppe zu-
lassen?
Jetzt nicht, später bitte.
Was aus der technischen Sicht der Haushälter sicher-lich ein Korrekturposten unter vielen gewesen sein mag,war für die Gesamtdarstellung der Entwicklungspolitikin der Öffentlichkeit leider ein Desaster; denn in Rela-tion zum Haushalt 2012 – das ist jetzt schon ein paarmalgesagt worden – bleibt unter dem Strich ein Minus,wenn auch ein kleines, von 86 Millionen Euro.Natürlich haben sich alle Journalisten und Entwick-lungsorganisationen, von Agro Action bis World Vision,darauf gestürzt und sich zu Wort gemeldet. Ich will nureinige Überschriften nennen: „Deutschland kürzt Ent-wicklungshilfe“, „Deutschland begräbt ein Stück globa-ler Verantwortung“, „Deutschland verabschiedet sichaus seiner internationalen Verantwortung“, „Sparen aufKosten der Ärmsten“ usw.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25323
Helmut Heiderich
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Das war die direkte Reaktion auf diese Entwicklung.Ich denke, all dies wäre leicht zu vermeiden gewesen,wenn nicht auch Sie, Frau Hinz, die Hand gehoben hät-ten, sondern sie unten gelassen hätten.
Ich sage eines dazu ganz deutlich: Wir Entwicklungs-politiker haben diese Situation nicht zu verantworten.Wir Entwicklungspolitiker – das sage ich genauso deut-lich – wollen und werden uns nicht von unserer interna-tionalen Verantwortung verabschieden. Wir werden wei-ter kämpfen.
Trotz all dieser Schlagworte, die eben von mir zitiertworden sind, werden wir für das kommende Haushalts-jahr, auch nach der Veränderung des Etats, niemandemeinen einzigen Euro wegnehmen oder irgendwelche Mit-tel streichen. Das Gegenteil ist richtig. Auch nach derVeränderung werden 23 Millionen Euro zusätzlich ver-geben. Ich liste auf: 5 Millionen Euro für die beruflicheAus- und Fortbildung, 4 Millionen Euro für die Verein-ten Nationen, 2 Millionen Euro für politische Stiftungen,2 Millionen Euro für Kirchen und 10 Millionen Euro fürnachhaltige Entwicklung und Klimaschutz. Das alleswird zusätzlich im kommenden Haushaltsjahr geleistet.
Nun werden Sie fragen: Wo ist denn das Problem?Warum diese Aufregung? Nun, wir haben eben schongehört – ich will das ganz kurz machen –, dass für denEuropäischen Entwicklungsfonds 838 Millionen Euroangesetzt waren. Zwei Tage vor der Verabschiedung gabes einen neuen Hinweis – ich habe mir das extra aus demBMF geben lassen –, dass diese Mittel aus Gründen, dieman in Brüssel zu verantworten hat und nicht bei uns– ich will das nicht lange ausführen –, reduziert werden.Das BMF hat interessanterweise in seinen Beurteilungs-bogen hineingeschrieben: politische Bedeutung gering. –Ich glaube, an dieser Stelle hat man sich ein wenig ver-schätzt.
Leider muss ich auch feststellen: Kein Einziger vondenen, die ich eben zitiert habe – wenn man sich dieStellungnahmen aufmerksam durchliest, ist das eindeu-tig zu erkennen –, hat sich mit diesen inneren Zusam-menhängen beschäftigt. Deswegen ist es auch ganz na-türlich, dass sich die Opposition auf dieses Ereigniseinschießt.Ich halte aber auch fest: Was die Grünen hier heutebeantragen, ist nichts anderes als Bilanzkosmetik.
Mit der Annahme dieses Antrags – das sage ich ganzdeutlich; Herr Hoppe kann mich ja gleich noch dazu be-fragen – wird kein Einziger weltweit im nächsten Jahrauch nur einen einzigen Euro mehr bekommen als jetzt.
Setzt man diese Veränderung in Relation zu der Ent-wicklungspolitik, die mit diesem Haushalt insgesamt ge-leistet wird, ist ganz deutlich zu sagen: Man muss die Kir-che im Dorf lassen. Deutschland wird in 2013 insgesamtüber 10 Milliarden Euro an ODA-Leistungen erbringen.Obwohl wir selbst nur 1,1 Prozent der Weltbevölkerungdarstellen, werden wir international den zweitgrößtenAnteil aller Staaten leisten – direkt hinter den USA. Auchdarauf muss einmal öffentlich hingewiesen werden.
Im Übrigen hat Frankreich seine ODA-Quote im letz-ten Jahr um 5,6 Prozent gesenkt. England hat sie um0,8 Prozent reduziert. Außerdem hat die neue französi-sche Regierung gerade mitgeteilt, dass die ODA-Quotefür die nächsten Jahre bei 0,4 Prozent eingefroren wer-den soll. Und schauen Sie einmal in die USA: Die ODA-Quote beträgt dort 0,2 Prozent.Deshalb ist dieser Fetischismus, immer auf die Hun-dertstelstellen nach dem Komma zu schauen und daraneine erfolgreiche Entwicklungspolitik festzumachen, fürmich kein Maßstab. Für mich ist der Maßstab, ob wir esschaffen, dass die Menschen in dieser Welt eine bessereLebensqualität erreichen.Ich will einmal einige Beispiele nennen. 3 MilliardenMenschen weltweit haben nach wie vor weniger als2 Dollar am Tag zur Verfügung. 1,5 Milliarden Men-schen haben keinen Zugang zu Energie. 1 MilliardeMenschen weltweit muss immer noch Hunger leiden.An diesen Stellen müssen wir ansetzen und aufhören,hier über Hundertstelstellen hinter dem Komma zu dis-kutieren.Gerade bei der Hungerbekämpfung hat diese Koali-tion in den letzten Jahren eine Menge enormer Verbesse-rungen erreicht. Was in rot-grüner Regierungszeit – da-rüber haben wir uns ja schon einmal unterhalten – fastaus dem Haushalt herausgestrichen worden war, ist unterunserer Verantwortung wieder deutlich aufgewachsen.Wir haben damit international neues Renommee fürDeutschland gewonnen.
Das Ministerium hat eine Taskforce eingerichtet. EinZehn-Punkte-Programm ist in der Umsetzung. Gemein-sam mit dem Agrarministerium haben wir Vereinbarun-gen getroffen, um die Schlagkraft der beiden Ministerienzusammenzufügen. Im Sinne einer modernen Ausrich-tung der Hungerbekämpfung haben wir die DeutscheInitiative für Agrarwirtschaft und Ernährung ins Lebengerufen. Ich glaube, damit machen wir deutlich, dass wir
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Helmut Heiderich
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das Problem des Hungers weltweit von verschiedenenSeiten ins Visier nehmen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor demHintergrund, dass wir hier im Detail an Verbesserungenweltweit arbeiten, sind die 1,4 Milliarden Euro, die nachdem heute hier gestellten Antrag der SPD auf den Haus-halt draufgesattelt werden sollen, wirklich kein Betrag,der in irgendeiner Weise auch nur annähernd realistischwäre.
Es kann auch nicht sein, dass Ihr haushaltspolitischerSprecher gestern erklärt, diese Bundesregierung spare zuwenig und müsse wesentlich mehr Geld einsammeln,und Sie heute fordern, 1,4 Milliarden Euro draufzusat-teln. Das ist eine Doppelmoral, die man hier nicht so ste-hen lassen kann.
Letzter Punkt, meine sehr verehrten Kolleginnen undKollegen. Es ist eben schon kurz angesprochen worden:Sie sollten sich einmal an das erinnern, was uns von denFachleuten in der Anhörung im Frühjahr aufgegebenworden ist. Damals hieß es nicht, wir sollten zusätzlichesGeld über die Welt ausschütten, sondern es hieß, wirsollten uns darum kümmern, die Wirksamkeit der Ent-wicklungspolitik zu verbessern. Ich glaube, auch da ha-ben wir und unsere Regierung einen guten Anfang ge-macht. Wir haben zum Beispiel beim Global Fundgezeigt, wie man die Wirksamkeit verbessert. Wir habendas Deutsche Evaluierungsinstitut gegründet. Je höherdessen Wirksamkeit wird, desto mehr können wir mitdem eingesetzten Geld machen. Das ist allemal besser,als sich auf eine Hundertstelstelle hinter dem Komma zukonzentrieren.Schönen Dank.
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem
Kollegen Thilo Hoppe.
Sehr geehrter Herr Kollege Heiderich, Sie haben be-
hauptet, die grüne Fraktion sei für eine Kürzung des Ent-
wicklungsetats. Ich möchte Sie herzlich bitten, diese Be-
hauptung zurückzunehmen und zur Kenntnis zu nehmen,
dass wir Aufwüchse in Höhe von 900 Millionen Euro für
den Entwicklungshaushalt beantragt haben.
Wenn einer Rückführung von nicht benötigten Mit-
teln aus dem Europäischen Entwicklungsfonds in Höhe
von 144 Millionen Euro zugestimmt wurde, dann muss
das gegen die Aufwüchse von 900 Millionen Euro ge-
gengerechnet werden. Der von uns gewünschte Auf-
wuchs ist daher immer noch groß: mehr als 750 Millio-
nen Euro.
Es geht hier nicht um irgendwelche Stellen weit hinter
dem Komma; vielmehr stimmen wir gleich darüber ab
– ich kann es noch einmal in Erinnerung rufen –, ob der
Entwicklungsetat zum ersten Mal seit langer Zeit real
gekürzt wird – gegen den Willen der Bundesregierung,
gegen den Willen des Entwicklungsministers und gegen
den Willen vieler Kolleginnen und Kollegen aus dem
Entwicklungsausschuss – oder ob wir diese Kürzung zu-
rücknehmen und den alten Regierungsentwurf wieder
einsetzen. Darum geht es gleich in der Abstimmung.
Herr Kollege Heiderich, möchten Sie erwidern? –
Bitte schön.
Herr Kollege Hoppe, wir haben vorhin zweimal ge-
hört, dass im Haushaltsausschuss eine Kürzung von
144 Millionen Euro beschlossen worden ist und dass
dieser Beschluss dazu geführt hat, dass jetzt im Entwick-
lungsetat unter dem Strich kein Plus steht, wie vorher,
sondern ein Minus. Die Debatte dieser Woche in allen
deutschen Zeitungen und in zahlreichen Institutionen hat
sich darum gedreht, dass die Kürzung von 144 Millionen
Euro unter dem Strich zu einem Minus führt. Diese Kür-
zung ist – das ist eben von Frau Hinz bestätigt worden –
mit Ihrer Stimme beschlossen worden.
Deswegen ist das Ergebnis auch von den Grünen verur-
sacht. Auch Sie müssen einmal zur Kenntnis nehmen,
dass Sie dafür gesorgt haben, dass unter dem Strich ein
Minus herausgekommen ist. Das dürfen Sie nicht ande-
ren vorwerfen.
Martin Gerster hat jetzt das Wort für die SPD-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrterHerr Minister Niebel, Sie haben heute um 17.40 Uhr einSatirevideo verschickt, „Africa for Norway“, und unsAbgeordneten dabei vier unterhaltsame Minuten ge-wünscht. Ich kann in Anbetracht des Verlaufs der Haus-haltsberatungen verstehen, dass Sie gute Stimmung ma-chen wollen. Aber gerade heute ist es doch völligdeplatziert und grenzwertig, uns ein Satirevideo zu schi-cken.
Ich muss schon sagen: Ich habe den Minister Niebelauch als jemanden erlebt, der kämpfen kann, der enga-giert auftreten kann.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25325
Martin Gerster
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Aber es ist schon ziemlich traurig, dass er heute nicht be-reit ist, für seinen Etatentwurf noch einmal zu kämpfen.Das müssen wir an dieser Stelle deutlich kritisieren.
Heute ist nämlich kein guter Tag für Armutsbekämpfungund für Entwicklungszusammenarbeit. Das muss deut-lich gesagt werden.
Es ist sogar noch mehr: Es ist blamabel, auch für dieKoalition, die anscheinend nun offen zeigt, was sichschon damals bei der Regierungsübernahme durchSchwarz-Gelb angebahnt hat. Es ist blamabel auch fürdie Koalitionsfraktionen, weil der Etat des BMZ zumersten Mal seit zehn Jahren sinkt – trotz sprudelnderSteuereinnahmen, trotz niedriger Zinsen und trotz17 Milliarden Euro Neuverschuldung. Das ist eine Bla-mage für Schwarz-Gelb.Ich frage an dieser Stelle: Wo waren eigentlich dieeinflussreichen Leute in der Unionsfraktion und in derFDP-Fraktion, die doch auch das tragen müssten, wasdie Bundeskanzlerin und der Minister Niebel auf inter-nationaler Ebene versprechen? Der Entwicklungsminis-ter, Herr Niebel, hat in der ersten Lesung darauf auf-merksam gemacht. Er hat wörtlich gesagt:Ich danke der Frau Bundeskanzlerin, die wiederholtdas Erreichen des 0,7-Prozent-Ziels zu ihrer eige-nen Sache gemacht hat und die auch ganz persön-lich ein großes Engagement in Fragen der Entwick-lungspolitik zeigt.Ich frage jetzt: Warum wird diese Politik von derUnionsfraktion und der FDP-Fraktion in den Haushalts-beratungen unterlaufen?
Das können wir doch nicht hinnehmen. Warum hat dennniemand interveniert? Heute Morgen stellt sich die Bun-deskanzlerin, Frau Merkel, hier hin und sagt:Diese Bundesregierung ist die erfolgreichste seitder Wiedervereinigung.
Genau in diesem Ressort zeigt sich jetzt, wie wenigUnterstützung und Rückhalt sie bei der Entwicklungszu-sammenarbeit hat. Deswegen sage ich: Insgesamt ist das,was hier passiert, einfach nur peinlich,
peinlich für das Ansehen Deutschlands auf internationa-ler Ebene. Es ist peinlich, wie internationale Zusagen un-terminiert werden.Herr Niebel, bei der ersten Lesung habe ich Ihnen ge-sagt: Es wäre gut, wenn Sie auf dem Teppich bleibenwürden. Diesen Ratschlag hätten Sie befolgen sollen;denn das, was jetzt passiert, ist wahrlich kein Ruhmes-blatt für Sie und Ihre FDP-Fraktion. Das haben wir auchin den Medien entsprechend lesen können.An dieser Stelle muss man sagen, dass wir vonseitender SPD-Fraktion immer wieder auf die systematischenFinanzierungslücken hingewiesen haben. Wir haben im-mer wieder darum gebeten, auch in der Bereinigungssit-zung, uns die Schritte aufzuzeigen, die notwendig sind,damit wir bis 2015 das ODA-Ziel erreichen können. DieAntwort war: Na ja, wir halten an diesem Ziel fest, aberkonkrete Schritte können wir nicht nennen. – Ich finde,das ist schwach. Mit dem heutigen Tag wird nun endgül-tig die Katze aus dem Sack gelassen. Es zeigt sich, dassdie Skepsis, die von Anfang an in der Fachöffentlichkeit,aber auch in der Öffentlichkeit insgesamt vorhandenwar, mehr als berechtigt war. Die Chance, die ODA-Quote tatsächlich zeitnah zu erreichen, ist vertan. HerrNiebel, Sie können das natürlich auf die Haushälterschieben; aber ich vermisse, dass Sie wirklich um IhrenHaushaltsansatz kämpfen. Hier hätte man sich ein biss-chen mehr wünschen können.
Was ist die Folge von dem, was heute offensichtlichmit den Stimmen der Mehrheit beschlossen werden soll?Wir sind auf internationaler Ebene nicht mehr glaubwür-dig und können dort nicht mehr glaubhaft auftreten. Wenwollen wir zu mehr Engagement in der Entwicklungszu-sammenarbeit bewegen, wenn wir selber an dieser Stellenicht entsprechend glaubwürdig sind, wenn wir selber andieser Stelle hinter unseren Zusagen bleiben? Deswegensage ich: Nein, so kann es nicht sein. Wir haben entspre-chende Änderungsanträge eingebracht, sowohl in derBereinigungssitzung als auch heute im Plenum. Ich kannnur dazu aufrufen, für unseren Antrag zu stimmen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, eines möchte ich hier noch anspre-chen. Wenn man Ihre Politik sieht, Herr Niebel, danndrängt sich einem immer wieder eines auf: dass Ent-wicklungszusammenarbeit benutzt wird, um letztendlichpersonalpolitisches Product Placement für die FDP zubetreiben.
Immer wieder wurde bei den Haushaltsberatungen ge-sagt: Dies wird gemacht, um die Visibilität, um dieSichtbarkeit, zu erhöhen. Man hat den Eindruck, dassdas BMZ die Politik so betreibt, dass man eine Litfaß-säule aufstellt und sie zuplakatiert. Das ist dann Ent-wicklungszusammenarbeit. Das darf doch wohl nichtwahr sein.
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Martin Gerster
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Ich will noch einen Punkt anführen, der für dasSelbstverständnis im Ministerium bezeichnend ist. Dieszeigte sich auch, als Staatssekretär Beerfeltz beim Jah-resessen des Waren-Vereins der Hamburger Börse davongeschwärmt hat, dass auch für Entwicklungsländer– wörtlich – der „freie Welthandel eine klassische Win-win-Situation“ sei. Ich finde, diese Aussage ist sehr ent-larvend, was das Verständnis der Koalition in Bezug aufdiesen Politikbereich anbelangt.
Denn insgesamt wird man nur wenige Experten finden,die diesen naiven Automatismus teilen. Noch immer bil-det das Mantra der freien Marktwirtschaft die GrenzenIhres entwicklungspolitischen Horizonts.Deswegen will ich an Sie appellieren, diesen Haushaltabzulehnen und unserem Änderungsantrag zuzustim-men. Wir können nur hoffen, dass wir bald eine Bundes-regierung haben, die das umsetzt, was auf internationalerEbene versprochen wurde.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Jürgen Klimke für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! In der Tat fällt es mir zum ersten Mal leicht undschwer zugleich, den Haushalt des Bundesministeriumsfür wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zuverteidigen.Schwer fällt es mir deshalb, weil auch ich nicht rich-tig glücklich bin über das, was im Haushaltsausschussgeschehen ist, dass nämlich ein an sich guter Einzelplan,in dem die Richtung stimmte, derart deutlich verändertwurde, sodass es keinen Aufwuchs gibt. Das bedaure ichpersönlich außerordentlich.
Die Entwicklungspolitiker innerhalb der CDU/CSUhaben intensiv darüber gesprochen, wie man mit dieserSituation umgehen soll. Wir befinden uns in einer Lage,in der wir einerseits entwicklungspolitische Glaubwür-digkeit bewahren wollen und andererseits zu einer not-wendigen Geschlossenheit in der Abstimmung beitragenmüssen. Das ist ein ziemlich einmaliger Vorgang, deraber nicht den Entwicklungspolitikern anzulasten ist; dasmöchte ich noch einmal deutlich sagen.Leicht fällt es mir auf der anderen Seite deshalb, weildie Entwicklungspolitik in dieser Legislaturperiode zumersten Mal in ihrer Geschichte einen ganz umfangrei-chen Paradigmenwechsel erfahren durfte. Die Koali-tionsfraktionen haben zum Beispiel erreicht, dass unserePrivatwirtschaft und die regionalen wirtschaftlichenWachstumskräfte in den Entwicklungsländern und in un-seren Partnerländern eine sehr enge Kooperation einge-gangen sind.Wir haben endgültig – und das ist auch wichtig – denBegriff der Entwicklungshilfe aus unserem Sprachge-brauch gestrichen. Mit diesem Begriff haben wir Schlussgemacht. Trotzdem will die Opposition noch an den da-mit verbundenen Inhalten festhalten. Ihre Sehnsuchtnach den überholten Positionen ist eine Sehnsucht nachveralteten Strukturen. Dafür stehen wir persönlich nichtmehr. Ideen für die Zukunft haben Sie nicht. Deshalbkann Deutschland froh sein, dass Sie ab dem nächstenJahr weitere vier Jahre auf der Oppositionsbank schmo-ren werden.
Es ist klar, liebe Opposition: Wir betreiben keineWirtschaftshilfe für den deutschen Mittelstand; es istvielmehr eine moderne Entwicklungszusammenarbeit,eine Kooperation auf Augenhöhe mit den Entwicklungs-ländern.
Wir bieten den Staaten Know-how und Wirtschaftsstruk-turen an, damit dadurch endlich überall unsere Partnervon dem Tropf der alten Entwicklungshilfe abgekoppeltwerden können.Wir haben Visionen und Konzepte, die wir in dieserLegislaturperiode umgesetzt haben. Meine Damen undHerren, Sie haben das immer bekämpft. Sie haben dasletzte UN-Entwicklungsziel – Wachstum durch Privat-wirtschaft – über Jahrzehnte in den Haushaltsansätzendes BMZ negiert.Dass die Grünen und die Linken in der Entwicklungs-politik wirtschaftsunfreundliche Positionen vertreten, istuns allen klar. Dass jedoch auch die SPD jegliche Verbin-dungen zwischen Mittelstand, den Infrastrukturprojekten,den Außenhandelskammern und den Handwerkskam-mern, die in der Entwicklungszusammenarbeit wesentli-che Aufgaben übernehmen, als negativ definiert haben,das ist bezeichnend für ihre Ideologie in dieser Frage. Dasfinde ich sehr erschütternd. Wir konnten in der Entwick-lungszusammenarbeit der letzten drei Jahre deutliche Er-folge bürgerlicher Politik verzeichnen; ich habe es ebengesagt.
Die SPD hat auch in Zeiten der Großen Koalition im-mer wieder eine Aufstockung der Mittel für die Zusam-menarbeit mit der Wirtschaft verhindert. Zum Beispielhat das Ministerium die PPP-Instrumente kaum genutzt.One-to-one-Shops, Messebeteiligungen, Wirtschafts-Know-how, Verbände bei Regierungsverhandlungen,Länderkoordinationskreise – all diese Aspekte der
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Jürgen Klimke
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wirtschaftlichen Zusammenarbeit durften nicht auf derTagesordnung stehen. Das sind doch die Fakten. Wir ha-ben einen Paradigmenwechsel herbeigeführt. Das istsehr viel bedeutender als ein Rückgang der Mittel für daskommende Jahr um möglicherweise 83 Millionen Euro.
Die Grundlage der Arbeit ist verändert worden, in einerichtige Richtung.Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund einerkonsequenten Umsetzung unserer Konzepte im Rahmender Förderung der Privatwirtschaft bereiten wir uns aufdas vor, was in der nächsten Regierungszeit, ab 2013,auf uns zukommt. Da haben wir drei Hauptbereiche imAuge:Erstens: Konsequenzen aus den heutigen Leitlinienfür multilaterale Entwicklungsleistungen sowie Ent-wicklung einer Zukunftsvision im Hinblick auf dieMDG-Ziele.Zweitens: Verbesserung der Kohärenz der deutschenEntwicklungszusammenarbeit.Drittens: Vernetzung der deutschen Durchführungsor-ganisationen und der Institutionen unserer Partnerländer.Meine Damen und Herren, wir müssen in den nächs-ten Jahren dringend eine deutsche Strategie im Hinblickauf multilaterale Entwicklungsleistungen entwerfen.Diese Strategie muss sich auf eine klare Analyse derFrage stützen, wie diese Form der Finanzierung geför-dert werden kann. In der Strategie sollten auch Deutsch-lands Prioritäten bei der Reform des multilateralen Sys-tems und die Kriterien für die Finanzierung dargelegtwerden.Wir setzen uns bei den MDG-Zielen für eine Nachfol-gekonzeption für den Zeitraum bis 2030 ein. Wir wollendie Diskussion über eine ODA-Quote von 0,7 Prozentals Lehre verstehen und Konsequenzen daraus ziehen.Wir wollen erkennen, was nur wohlfeile Rhetorik ist undwas auch in Zeiten der Wirtschaftskrise tatsächlichmachbar ist. Wir setzen uns bei der Formulierung derZiele für den Zeitraum bis 2030 dafür ein, dass die länd-liche Entwicklung, die wir bei den Zielen für denZeitraum bis 2015 etwas vernachlässigt haben, eine grö-ßere Bedeutung erhält. Wir setzen uns weiter dafür ein,dass die Handelssysteme ausgeweitet werden und diePrivatwirtschaft stärker einbezogen wird, dass GoodGovernance eine wesentliche Rolle spielt und das Krite-rium der Einhaltung der Menschenrechte, das wir inunsere Programme implementiert haben, in diesem Zu-sammenhang noch viel bedeutender wird.Ich habe es gesagt: Die Kohärenz ist ein wichtigerPunkt, das heißt die Vernetzung der deutschen Durch-führungsorganisationen. Dazu gehört auch die Kohärenzder Arbeit der Ministerien. In der Zukunft müssen wireine stärkere Sensibilisierung für diese Fragen erreichen.
Herr Kollege.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Die ge-
nannten drei Leitlinien werden die Entwicklungspolitik
der nächsten Jahre bestimmen; dafür werben wir beim
Wähler. Wir sind sehr zuversichtlich, dass unsere Arbeit
der letzten Jahre goutiert wird und wir unsere Arbeit im
Entwicklungsbereich in der nächsten Legislaturperiode
erfolgreich fortsetzen werden.
Danke sehr.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 23 – Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-menarbeit und Entwicklung – in der Ausschussfassung.Hierzu liegen uns fünf Änderungsanträge vor. Überdiese werden wir zuerst abstimmen.Wir beginnen mit dem Änderungsantrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen, den Sie auf Drucksache17/11532 finden. Zu diesem ist namentliche Abstim-mung verlangt. Es liegen mehrere Erklärungen zur Ab-stimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1) Ichbitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, dievorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen be-setzt? – Dann eröffne ich die Abstimmung.Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimmkarte nicht einwerfen konnte? – Das scheint nichtder Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Ichbitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit derAuszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentli-chen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2)Wir setzen die Abstimmung fort und kommen zu dendrei Änderungsanträgen der Fraktion der SPD. – HerrFricke, ich würde gerne abstimmen lassen, aber Sielenken die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPDab. Übrigens: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.
Änderungsantrag auf Drucksache 17/11528. Werstimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustim-mung durch die einbringende Fraktion und die Linke,die Koalitionsfraktionen waren dagegen, Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten.Änderungsantrag auf Drucksache 17/11529. Werstimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Änderungsantrag ist wiederum abgelehnt beiZustimmung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, dieKoalitionsfraktionen haben dagegen gestimmt, die Linkehat sich enthalten.Änderungsantrag auf Drucksache 17/11530. Werstimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Dieser Änderungsantrag ist wiederum abgelehnt beiZustimmung durch SPD-Fraktion und Linke, die Koali-1) Anlage 22) Ergebnis Seite 25328 C
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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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tionsfraktionen waren dagegen, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten.Schließlich kommen wir zum Änderungsantrag derFraktion Die Linke auf Drucksache 17/11531. Werstimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Änderungsantrag ist wiederum abgelehnt beiZustimmung durch die einbringende Fraktion, dieKoalitionsfraktionen waren dagegen, enthalten habensich SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Ich unterbrechejetzt die Sitzung bis zum Vorliegen des Ergebnisses dernamentlichen Abstimmung.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichenAbstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 561. MitJa haben gestimmt 251, mit Nein haben gestimmt 305.Es gab 5 Enthaltungen. Damit ist der Antrag abgelehnt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 561;davonja: 251nein: 305enthalten: 5JaSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeinz-Joachim BarchmannDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelSören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerUwe BeckmeyerLothar Binding
Gerd BollmannKlaus BrandnerWilli BraseEdelgard BulmahnMarco BülowUlla BurchardtPetra CroneElvira Drobinski-WeißSebastian EdathyIngo EgloffSiegmund EhrmannDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerKarin Evers-MeyerElke FernerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeDagmar FreitagSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterIris GleickeGünter GloserUlrike GottschalckAngelika Graf
Kerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßWolfgang GunkelHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannMichael Hartmann
Hubertus Heil
Wolfgang HellmichDr. Barbara HendricksGustav HerzogPetra Hinz
Dr. Eva HöglChristel HummeJosip JuratovicOliver KaczmarekJohannes KahrsDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela Kolbe
Fritz Rudolf KörperAnette KrammeUte KumpfChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerKirsten LühmannCaren MarksKatja MastHilde MattheisUllrich MeßmerDr. Matthias MierschFranz MünteferingAndrea NahlesDietmar NietanThomas OppermannHolger OrtelHeinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeStefan RebmannGerold ReichenbachSönke RixRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannKarin Roth
Marlene Rupprecht
Annette SawadeAnton SchaafAxel Schäfer
Marianne Schieder
Werner Schieder
Ulla Schmidt
Carsten Schneider
Ottmar SchreinerSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeRolf SchwanitzStefan SchwartzeRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingSonja SteffenDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackDr. h. c. Wolfgang ThierseFranz ThönnesWolfgang TiefenseeRüdiger VeitUte VogtDr. Marlies VolkmerHeidemarie Wieczorek-ZeulDr. Dieter WiefelspützWaltraud Wolff
Uta ZapfDagmar ZieglerManfred ZöllmerDIE LINKEAgnes AlpersDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmSteffen BockhahnChristine BuchholzEva Bulling-SchröterDr. Martina BungeRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeDr. Gregor GysiHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerDr. Barbara HöllAndrej HunkoUlla JelpkeDr. Lukrezia JochimsenKatja KippingHarald KochJan KorteJutta KrellmannCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichUlla LötzerThomas LutzeUlrich MaurerCornelia MöhringNiema MovassatWolfgang NeškovićThomas NordJens PetermannRichard PitterleYvonne PloetzIngrid RemmersPaul Schäfer
Michael SchlechtDr. Ilja SeifertKersten SteinkeSabine StüberAlexander SüßmairDr. Kirsten TackmannFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerJohanna VoßHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerJörn WunderlichSabine Zimmermann
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25329
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENVolker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderAgnes BruggerViola von Cramon-TaubadelEkin DeligözKatja DörnerHarald EbnerHans-Josef FellDr. Thomas GambkeKai GehringKatrin Göring-EckardtBritta HaßelmannBettina HerlitziusPriska Hinz
Dr. Anton HofreiterBärbel HöhnIngrid HönlingerThilo HoppeUwe KekeritzKatja KeulMemet KilicSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkUte KoczyTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan KühnRenate KünastMarkus KurthUndine Kurth
Monika LazarDr. Tobias LindnerNicole MaischJerzy MontagKerstin Müller
Beate Müller-GemmekeDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffDr. Hermann E. OttLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Krista SagerManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtUlrich SchneiderDorothea SteinerDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDaniela WagnerBeate Walter-RosenheimerArfst Wagner
Wolfgang WielandDr. Valerie WilmsJosef Philip WinklerNeinCDU/CSUIlse AignerPeter AltmaierPeter AumerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannErnst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Veronika BellmannDr. Christoph BergnerPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang Börnsen
Norbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserErich G. FritzDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartNorbert GeisAlois GerigEberhard GiengerPeter GötzDr. Wolfgang GötzerReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersOlav GuttingFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilMichael HennrichAnsgar HevelingChristian HirteRobert HochbaumKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampJoachim HörsterAnette HübingerHubert HüppeThomas JarzombekDieter JasperDr. Franz Josef JungAndreas Jung
Dr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterAlois KarlBernhard Kaster
Volker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterEckart von KlaedenEwa KlamtVolkmar KleinAxel KnoerigJens KoeppenManfred KolbeDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykThomas KossendeyMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Hermann KuesGünter LachDr. Karl A. Lamers
Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeDr. Max LehmerPaul LehriederDr. Ursula von der LeyenIngbert LiebingMatthias LietzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigDr. Michael LutherKarin MaagHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Dr. Michael MeisterDr. Angela MerkelMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtMarlene MortlerDr. Gerd MüllerStefan Müller
Dr. Philipp MurmannBernd Neumann
Michaela NollDr. Georg NüßleinFranz ObermeierEduard OswaldHenning OtteDr. Michael PaulRita PawelskiUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaChristoph PolandRuprecht PolenzEckhard PolsThomas RachelDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleDr. Annette SchavanDr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerTankred SchipanskiGeorg SchirmbeckChristian Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Detlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnCarola StaucheErika SteinbachChristian Freiherr von StettenDieter Stier
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25330 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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Gero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerKarin StrenzThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Peter TauberAntje TillmannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzVolkmar Vogel
Stefanie VogelsangAndrea Astrid VoßhoffMarco WanderwitzKai WegnerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Karl-Georg WellmannPeter WichtelAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDr. Matthias ZimmerWolfgang ZöllerWilli ZylajewFDPJens AckermannChristian AhrendtChristine Aschenberg-DugnusDaniel Bahr
Florian BernschneiderSebastian BlumenthalClaudia BögelNicole Bracht-BendtKlaus BreilRainer BrüderleAngelika BrunkhorstErnst BurgbacherMarco BuschmannSylvia CanelHelga DaubReiner DeutschmannBijan Djir-SaraiPatrick DöringMechthild DyckmansHans-Werner EhrenbergRainer ErdelJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickeDr. Edmund Peter GeisenDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannHeinz GolombeckMiriam GrußJoachim Günther
Dr. Christel Happach-KasanHeinz-Peter HausteinManuel HöferlinBirgit HomburgerMichael KauchDr. Lutz KnopekPascal KoberDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppDr. h. c. Jürgen KoppelinSebastian KörberHolger KrestelPatrick Kurth
Heinz LanfermannSibylle LaurischkHarald LeibrechtLars LindemannDr. Martin Lindner
Michael Link
Dr. Erwin LotterHorst MeierhoferPatrick MeinhardtGabriele MolitorJan MückePetra Müller
Burkhardt Müller-SönksenDr. Martin Neumann
Dirk NiebelHans-Joachim Otto
Cornelia PieperGisela PiltzJörg von PolheimDr. Birgit ReinemundDr. Peter RöhlingerDr. Stefan RuppertBjörn SängerChristoph SchnurrJimmy SchulzMarina SchusterDr. Erik SchweickertWerner SimmlingJudith SkudelnyDr. Hermann Otto SolmsDr. Max StadlerTorsten StaffeldtDr. Rainer StinnerStephan ThomaeManfred TodtenhausenDr. Florian ToncarSerkan TörenJohannes Vogel
Dr. Daniel VolkDr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff
EnthaltenCDU/CSUFrank HeinrichJürgen KlimkeDr. Christian RuckSabine Weiss
Dagmar G. Wöhrl
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-plan 23 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist derEinzelplan bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktio-nen angenommen. Die Oppositionsfraktionen haben da-gegen gestimmt.Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.13 auf:Einzelplan 10Bundesministerium für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz– Drucksachen 17/10823, 17/10824 –Berichterstattung:Abgeordnete Georg SchirmbeckRolf SchwanitzHeinz-Peter HausteinRoland ClausKatja DörnerZum Einzelplan 10 liegen vier Änderungsanträge derFraktion der SPD sowie ein Änderungsantrag der Frak-tion Die Linke vor.Verabredet ist, neunzig Minuten zu debattieren. –Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann istdas so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort für dieSPD-Fraktion dem Kollegen Dr. Wilhelm Priesmeier.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da-men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diedeutsche Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft stehtvor großen Herausforderungen. Wir müssen den gesell-schaftlichen Anforderungen, die an diesen Sektor ge-stellt werden, entsprechen. Vor allen Dingen, was einenachhaltige Produktion, den Schutz der Biodiversitätund nicht zuletzt die Sicherstellung von viel mehr Tier-schutz betrifft, brauchen wir neue Lösungsansätze. Ver-braucherinnen und Verbraucher sind durch Lebensmit-telkrisen und die Debatte um den Antibiotikagebrauch inder Tierhaltung zutiefst verunsichert. Obwohl die Le-bensmittel heute an und für sich so sicher wie noch niesind,
misstraut man der gesamten Lebensmittelproduktion.
Aber nicht nur verbraucherseitig ist die Landwirtschaftgefordert. Auch die Klima- und Klimaschutzpolitik wirdfür die Landwirtschaft zu einer großen Herausforderung.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25331
Dr. Wilhelm Priesmeier
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Die Landwirte brauchen langfristige Anpassungsstrate-gien, vor allen Dingen, um dem Klimawandel begegnenzu können. Sie müssen sich anpassen, weil sie selbervom Klimawandel betroffen sind, aber auch, damit wirCO2 einsparen können. Für die SPD ist klar: Wir lassenunsere landwirtschaftlichen Unternehmen und Betriebeangesichts dieser Herausforderungen nicht im Regen ste-hen. Ich glaube, es ist sinnvoll, mit Haushaltsmitteln,dem Geld des Steuerzahlers, die Landwirtschaft zu för-dern und bei diesem Prozess finanziell zu unterstützen.
Der von Schwarz-Gelb verantwortete Haushalt bietetmit seinen 5,26 Milliarden Euro keine besondere Unter-stützung bei der Bewältigung der zukünftigen Heraus-forderungen.
Ich glaube, dieser Agrarhaushalt orientiert sich an demPrinzip „Weiter so wie bisher“. Er ist fantasielos und ei-gentlich ohne Gestaltungsanspruch im Hinblick auf dieZukunft. Wir haben aus diesem Grund mehrere Ände-rungsanträge eingebracht, über die wir nach der Debatteabstimmen werden. Ich darf Sie daher schon an dieserStelle um Ihre Zustimmung bitten.
Wir schlagen ein Bundesprogramm „Tierhaltung undTierschutz“ vor; denn gerade die Debatte um Tierwohlund Tierschutz zeigt, wie wichtig die Weiterentwicklungin diesem Bereich für die landwirtschaftliche Nutztier-haltung sein wird. Die Leistungen unserer Ernährungs-und Landwirtschaft sind beträchtlich. Wir sind weltweitwettbewerbsfähig. Aufgrund dieser Wettbewerbsfähig-keit werden wir letztendlich die Erneuerung und die Ver-besserung von Standards bezahlen müssen. Wenn wir sieschon bezahlen müssen, dann müssen wir auch dafürsorgen, dass dieser Sektor wettbewerbsfähig bleibt. Diegesellschaftliche Akzeptanz darf nicht verloren gehen;denn an ihr hängt das Einkommen vieler Familienbe-triebe in Deutschland.Wir wollen gezielt die Weiterentwicklung von Hal-tungssystemen in der Wissenschaft und in der Praxis un-terstützen. Deshalb unterstützen wir auch das, was vonder Deutschen Agrarforschungsallianz vorgeschlagenwurde. Wir halten das für eine sinnvolle Strategie undhätten uns gewünscht, dass sich das auch in einer Haus-haltsposition niederschlägt. Aber Sie waren nicht bereit,Mittel einzustellen.
Wir können natürlich keine Wunder versprechen.Aber wir erreichen unsere wesentlichen Ansätze, dieauch in unseren Anträgen zum Tragen kommen, durchUmschichtung und Prioritätensetzung in diesem Haus-halt. Das ist vernünftig; denn der Gesamthaushalt musskonsolidiert werden. Sie haben das aber in Ihren Vorla-gen nicht entscheidend dargestellt. Aus diesem Grund istdie Opposition gehalten, hier zu korrigieren und nachzu-bessern. Streichen Sie doch zum Beispiel die Agrardie-selrückvergütung, und machen Sie Geld frei für Zu-kunftsinvestitionen!Der Umgang mit dem Tierschutz wird an der gegen-wärtigen Debatte über die Novelle zum Tierschutzgesetzdeutlich.
Statt den Schenkelbrand und die betäubungslose Kastra-tion zu verbieten, kommt bei Ihnen anscheinend derTierschutz schon im Gesetzgebungsverfahren unter dieRäder. Frau Ministerin Aigner, Sie dürfen sich an dieserStelle auf die Unterstützung der SPD-Bundestagsfrak-tion verlassen.
Wir werden Sie unterstützen, damit der bisherige Ent-wurf so bleibt, wie er ist, und nicht verwässert wird. Wirsind bereit, eine zeitnahe Umsetzung mitzutragen, aucheventuell gegen Andersdenkende in der Regierungsko-alition. Ich mache Ihnen heute dieses Angebot. Viel-leicht kommen wir zusammen.Ich bedauere zutiefst, wie in den letzten Wochen maß-gebliche Kolleginnen und Kollegen der schwarz-gelbenKoalition mit der Ministerin umgegangen sind. Ichfinde, sie ist öffentlich vorgeführt worden. Das tut demAmt nicht gut.
– Da hier jemand aus Niedersachsen schreit: Er solltesich in Acht nehmen; denn dieser Herr aus Niedersach-sen übt gleichzeitig eine andere Funktion aus, genausowie andere Herren, die einem großen Verband in maß-geblicher Stellung angehören und insofern vielleicht ei-gene Interessen haben.
Es ist genau zu unterscheiden, was Sie hier sagen undwas Sie dazwischenrufen. In welcher Funktion rufen Siejetzt dazwischen? Diese Frage stelle ich hier an Sie.Dass die Debatte über das Tierschutzgesetz am letztenMittwoch in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von der Ta-gesordnung genommen wurde, erweckt den Anschein,dass das Gesetz nicht verbessert, sondern dass bestimm-ten Lobbyinteressen nachgekommen werden soll unddass dieser wichtige Gesetzentwurf unter die Räder desniedersächsischen Wahlkampfes gerät. Es mag sein, dassder Druck aus Niedersachsen massiv ist. Aber in der An-hörung haben wir erfahren, dass der Schenkelbrand inkeiner Weise geeignet ist, um Pferde dauerhaft erkenn-bar zu kennzeichnen. Das wissen wir alle. Bei Ihnen gehtes mehr nach dem Motto „Raus aus den Kartoffeln, reinin die Kartoffeln“. Diese Strategie ist offensichtlich nichttragfähig.
Ich begrüße daher, dass der Kollege Goldmann nun be-herzt eingeschritten ist und dafür gesorgt hat, dass die
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25332 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012
Dr. Wilhelm Priesmeier
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Debatte über das Tierschutzgesetz doch noch auf die Ta-gesordnung für die nächste Ausschusssitzung gesetztwurde. Ich finde, hier zeigt die FDP endlich einmal klareKante.
Lieber Michael: Standhaft bleiben! Nicht umfallen!Aber noch ist nicht Mittwoch.
Wir brauchen endlich Klarheit hier im Hause undkeine taktischen Spielchen mehr. Deshalb kann ich nuran alle appellieren, dort vernünftig zu verfahren, sodasswir letztendlich zu einer vernünftigen Novelle kommen.Ich glaube – meine Redezeit ist leider begrenzt,
also überspringe ich einige Punkte in meinem Manu-skript –, es ist an der Zeit, der strukturkonservativenAgrarpolitik Ade zu sagen. Wir als SPD scheuen denKonflikt mit dem Bauernverband und mit den Lobbyis-ten nicht.
Herr Kollege.
Führende Repräsentanten dieser Verbände lenken of-
fensichtlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Agrar-
politik der CDU. Darum ist ein Regierungswechsel 2013
dringend notwendig.
Wir kämpfen dafür.
Vielen Dank.
Georg Schirmbeck hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Lieber Wilhelm Priesmeier, du brauchst keineAngst zu haben. Wo Heinz-Peter Haustein und SchorseSchirmbeck stehen, wird der Ministerin nichts getan.
Im Übrigen diskutieren wir jetzt nicht – auch wenn esinteressant sein mag – über das Tierschutzgesetz, sondernwir haben Haushaltsberatungen, und zwar die zweite Be-ratung. Hier geht es um das, über das wir im Haushalts-ausschuss und im Fachausschuss diskutiert haben, unddarum, welche Veränderungen es gibt.
– Ja, wir reden sicherlich auch darüber. Damit haben wirüberhaupt keine Probleme. – Nicht jeder Antrag, der hiergestellt wird und in dem es um Geld geht, ist sinnvoll.Manchmal ist es viel sinnvoller, keine Mittel zur Verfü-gung zu stellen. Das hier sind nämlich Haushaltsplanbe-ratungen und nicht „Wünsch dir was“ oder etwas Ähnli-ches.
Ich habe bei der ersten Beratung angesprochen, dassdie Stiftungen jetzt Probleme haben, weil die Kapitalein-nahmen nicht mehr so hoch sind. Daraufhin hat meinFreund Heinz-Peter Haustein gesagt, dass die StiftungWarentest mehr Geld braucht. Sie bekommt nun500 000 Euro mehr.
Im nächsten Jahr begehen wir 300 Jahre nachhaltigeForstwirtschaft. Wir haben gesagt: Das muss mit ent-sprechender Öffentlichkeitsarbeit begleitet werden. Da-für stellen wir 250 000 Euro zur Verfügung.
Wir haben festgestellt, dass wir bei internationalenAuftritten unserer Ernährungswirtschaft und auch unse-rer Landmaschinenproduzenten viel Geld verdienen,dass da Wertschöpfung stattfindet, die wir für unsereVolkswirtschaft brauchen. Deshalb haben wir gesagt:Wir wollen dort zukünftig verstärkt auftreten. – Dafürstellen wir 1 Million Euro zusätzlich zur Verfügung. Wirwollen eine Professorenstelle für Verbraucherschutz si-chern, und wir wollen langfristig den Praktikantenaus-tausch sichern, weil auch das für unsere Volkswirtschaftwichtig ist.Dann berät man einen Haushalt und glaubt, man hatdiesen Einzelplan fertig. Plötzlich stellt man fest: Hierfehlen über Nacht 19 Millionen Euro. Woran liegt das?Die Koalition hat beschlossen, die Praxisgebühr abzu-schaffen. Das bedeutet für den Einzelplan 10, dass19 Millionen Euro zusätzlich zu finanzieren sind. 10 Mil-lionen Euro haben wir über die einzelnen Ansätze für diesoziale Sicherung, die zwei Drittel dieses Haushalts aus-machen, eingespart. Darüber hinaus haben wir an ande-ren Stellen noch 9 Millionen Euro einsparen müssen.Diese Dinge sind unabweisbar. Deshalb heißt es „Haus-haltsberatungen“.Im vorigen Jahr gab es das eine oder andere Vor-kommnis in der Ernährungswirtschaft und in der Land-wirtschaft. Darüber haben wir hier intensiv diskutiert.Wie das so ist: Der eine fordert da 10 neue Stellen, derandere fordert dort 20 neue Stellen. Das summiert sich.Wir haben die Forderungen analysiert und festgestellt,dass wir bei einigen Punkten ganz konkret korrigieren
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und dort in der Tat mehr Stellen zur Verfügung stellenmüssen.
Deshalb stellen wir 12 neue Stellen für den nachgelager-ten Bereich Lebensmittelsicherheit zur Verfügung, undwir stellen 6 neue Stellen für den Bereich Verbraucher-schutz und Energiewende zur Verfügung. Dies sind18 neue Stellen.Ich sage Ihnen: Wir können gar nicht so gut sein wieSie. Sie fordern 50 oder 150 neue Stellen, und in IhrenAnträgen, über die wir gleich abstimmen werden, for-dern Sie auch neue Ämter. Für jede neue Idee brauchtman neue Ämter. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Diesebrauchen wir nicht; denn wir haben eine sehr gut neuaufgestellte Ressortforschung, die sich in den nächstenJahren an ihren neuen Standorten und mit ihren neuenMannschaften finden muss. Zusätzlich ist da nichts zutun.
Wir sind stolz auf diese Mannschaft. Die Arbeit, die dortgeleistet wird, ist Weltspitze. Dazu sollten wir stehen.In Richtung SPD kann ich nur sagen: Die Ressortfor-schung haben wir in der Großen Koalition so konzipiert.Dass Sie diese Institute, bevor sie in ihrer neuen Formtätig werden können, schon wieder reformieren wollen,zeigt: Das ist Reformitis und hat mit sachlichen Überle-gungen in diesem Zusammenhang gar nichts zu tun.
Meine Damen und Herren, man kann ja immer nachmehr Geld rufen. Aber man muss an der einen oder an-deren Stelle auch fragen: Ist eigentlich alles, was wir inder Vergangenheit gemacht haben, überhaupt notwendiggewesen? Ich sage Ihnen: Der Kollege Schwanitz undich sind, was die Notfallvorsorge angeht, in wesentli-chen Punkten einer Meinung. Wir denken, dass hier undda etwas getan werden muss. In der Zeit nach dem Zwei-ten Weltkrieg, in den 50er- und 60er-Jahren, bis zur deut-schen Einheit mag das so richtig gewesen sein. Heuteaber ist das in weiten Teilen überholt. Deshalb glaubenwir, dass wir hier mit Blick auf den nächsten Haushalteinen fühlbaren Millionenbetrag einsparen können. Wirhaben das vorgeschlagen und werden das auch beschlie-ßen. Aber ich sage Ihnen: Daran muss im Detail gearbei-tet werden, und zwar möglichst zügig; denn ich glaube,das, was wir da machen, bringt uns überhaupt nicht wei-ter.
Ich nenne Ihnen ein ganz einfaches Beispiel: StellenSie sich vor, irgendwo ist Getreide eingelagert, das in ei-nem Notfall einer Mühle zugeführt werden soll, Sie ge-ben jungen Familien oder jungen Leuten eine Tüte Mehlund sagen, sie sollen daraus etwas machen. So könnenSie für die Notfallvorsorge nicht viel tun. Hier ist alsoein Umdenken erforderlich. Dafür brauchen wir nichtmehr Geld, sondern neue Ideen für die Zukunft.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, WilhelmPriesmeier hat zu Recht darauf hingewiesen: Wir brau-chen Aufklärung über die moderne Landwirtschaft. Dasssie gelingt, ist aber nicht in allen Fällen mit neuen Stel-len zu gewährleisten. Daran muss zielgerichtet gearbei-tet werden. Es kommt nicht auf die Masse, sondern aufdie Klasse an. Manches, was unter dem Etikett „Verbrau-cherschutz“ geschieht, ist eher Vernebelung. Die Leutewerden eher dumm gemacht, als dass sie wirklich aufge-klärt werden.
Wir müssen ehrlich sein und zugeben, dass wir vieleDinge, die mit der Ernährung zusammenhängen, wissen.Wir wissen zum Beispiel, dass es nicht gut ist, zu viel zuessen und zu viel zu trinken bzw. das Falsche zu trinken.
Aber wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass esMenschen gibt, die so leben wollen, wie sie leben. Sielassen sich das nicht verbieten, auch dann nicht, wenn esim Einzelnen nicht so gesund ist.
Meine Damen und Herren, wir können uns hier natür-lich darüber streiten, welche Regierung wie gut ist. Ichsage Ihnen: Das Beste sind objektive Zahlen, beispiels-weise zur sozialen Sicherung im ländlichen Raum, mit4 Milliarden Euro der größte Batzen im Einzelplan 10.
Wenn Sie die Beträge, die sich über die Jahre angehäufthaben, zusammenrechnen, dann stellen Sie fest: Die Re-gierung, für die Heinz-Peter Haustein, Ilse Aigner undich stehen, ist um 1 Milliarde Euro besser, als es die Re-gierung Künast war.
Das ist gut für den ländlichen Raum. Diese Mittel kom-men nämlich nicht nur den Grundbesitzern und den Bau-ern zugute. Durch diese 1 Milliarde Euro, die für denländlichen Raum zur Verfügung gestellt wird, haben dortviele Leute Aufträge und Arbeit. Das ist Wertschöpfung.Das ist wirkliches Engagement für den ländlichen Raum.Darauf sind wir stolz.
Meine Damen und Herren, manches, was ich jetzt an-spreche, habe ich Ihnen schon in der ersten Beratung ge-sagt; da habe ich Ihnen auch dieses Buch, das Schwarz-buch WWF, schon einmal gezeigt.
Sie können sich aber auch in Fernsehsendungen, in de-nen über Themen wie FSC berichtet wird, darüber infor-
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mieren, was für Scharlatane es gibt – bis hin zu Ikea. Siehaben es bestimmt gehört: Politisch Verfolgte mussten inder DDR für eine internationale Möbelkette arbeiten; dasist ja mittlerweile bekannt.Ich sage Ihnen: Wenn Sie eine Testzeitschrift – wirschätzen diese Zeitschriften ja sehr und fördern sie auch– in Händen halten, dann dürfen Sie nicht nur die Seitenaufschlagen, auf denen steht, wie viel Strom die Geräte,die getestet wurden, verbrauchen oder wie die einzelnentechnischen Daten der Geräte sind.
Sie sollten auch die Seiten aufschlagen, auf denen be-schrieben wird, unter welch menschenunwürdigen Ar-beitsbedingungen diese Güter zur Steigerung unseresWohlstandes in den Entwicklungsländern der Welt pro-duziert werden.
Es hilft nämlich überhaupt nichts, sich hier über den Ein-zelhaushalt Entwicklungshilfe aufzuregen und ein gro-ßes Theater zu veranstalten, wenn es darum geht, wieviele Planstellen wir mit Blick auf die Verbraucherauf-klärung schaffen werden. Man muss auch durch das ei-gene Kaufverhalten einen konkreten Beitrag leisten.
Ich sage Ihnen: Wer erwartet, dass er ein halbesHähnchen, braun gegrillt, für 1,98 Euro kaufen kann, dermuss gewisse Konsequenzen bei der Tierhaltung ertra-gen.
Die Bauern haben kein Problem damit, wenn die Besatz-stärke in den Ställen um die Hälfte reduziert wird.
Wenn die Einnahmen entsprechend erhöht werden, dannist das alles machbar. Schizophren ist nur,
zu sagen: Das darf alles nichts kosten, das muss nochbilliger werden, wir müssen noch mehr konsumierenkönnen. – Das ist der falsche Weg; das kann nicht richtigsein.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie nicht lang-weilen, aber darauf hinweisen, dass – mir liegt eine Auf-stellung vor – Ilse Aigner und ihr Ministerium in denvergangenen Jahren über 60 verschiedene Initiativen er-griffen und umgesetzt haben. Sie behaupten immer, wirhätten nichts auf den Weg gebracht. Da sehen Sie, waswir alles auf den Weg gebracht haben. Wir können da-rauf stolz sein, glaube ich.Wir dürfen im Ergebnis feststellen, dass wir inDeutschland mit die gesündesten Lebensmittel haben, zuPreisen, die man sich in der Vergangenheit gar nicht hatvorstellen können. Auf das, was unsere Ernährungswirt-schaft, unsere Landwirtschaft zustande gebracht haben,können wir stolz sein. Andere in der Welt beneiden unsdarum.Last, but not least darf ich feststellen, dass ich in die-sen Tagen zehn Jahre im Haushaltsausschuss bin. Ichhätte mir in jungen Jahren gar nicht vorstellen können,dass ich diese Ehre habe. Ich habe sehr gerne im Haus-haltsausschuss gearbeitet und werde das auch im nächs-ten Jahr sehr gerne tun. Ich darf mich bedanken beiHeinz-Peter Haustein, meinem Freund aus dem Erzge-birge, und bei der Bundesministerin, genauso bei ihremVorgänger, Herrn Seehofer. Vor allen Dingen aber darfich mich bei der ganzen Mannschaft, die in den vergan-genen Jahren mit mir zusammengearbeitet hat, herzlichbedanken. Es war eine tolle Zusammenarbeit, nicht nurin den Wochen, in denen wir über den Haushaltsplan be-raten haben. Wir haben eine ganze Reihe von Dingen aufden Weg gebracht. Darauf können wir über den Tag hi-naus stolz sein.Herzlichen Dank und schönen Abend.
Alexander Süßmair hat das Wort für die Fraktion Die
Linke.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Ich versuche es jetzt einmal ein bisschen ruhigerund fachlicher.
Wir sprechen heute abschließend über den Haushalts-entwurf zu unserem Ressort Ernährung, Landwirtschaftund Verbraucherschutz für 2013. Ich möchte mich vorallem mit dem Aspekt Landwirtschaft befassen.Was erwartet diese Gesellschaft von der Landwirt-schaft? Welche Anforderungen werden heute und in derZukunft an sie gestellt? Die Landwirtschaft soll denMenschen in Deutschland, aber auch in Europa ausrei-chend Lebensmittel zur Verfügung stellen, und zwar zubezahlbaren Preisen für alle. Die Lebensmittel solleneine hohe Qualität haben. Umwelt und Ressourcen müs-sen geschont werden. Die Artenvielfalt, die Biodiversi-tät, muss erhalten werden, und es muss in einer Weiseproduziert werden, die man auch auf lange Sicht fortset-zen kann, Stichwort „Nachhaltigkeit“.
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Alexander Süßmair
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Nutztiere, die zur Herstellung von Lebensmitteln dienen,sollen artgerecht gehalten werden, und ihnen sollen un-nötiges Leid und Qualen erspart werden. Die Landwirt-schaft soll nachwachsende Rohstoffe für die Industrieherstellen und einen Beitrag zur Energieerzeugung unddamit zum Klimaschutz leisten.
Die Landwirtschaft soll es ermöglichen, den Lebensun-terhalt zu verdienen, damit die Menschen in den ländli-chen Räumen bleiben und eine lebenswerte Zukunftsper-spektive haben, und das nicht nur in Europa, sondernweltweit.Frau Aigner, Sie betonen in Ihrer Presseerklärung vonheute Mittag zum morgigen Europäischen Rat die He-rausforderungen, vor denen die Landwirtschaft steht. Inder Analyse sind wir uns durchaus in vielen Punkten ei-nig. Aber die Schlussfolgerungen, die Sie ziehen, unddie Politik, die Sie machen, passen mit der Analyse nichtzusammen.Wird der Haushalt der Regierung den Anforderungengerecht? Die Linke sagt: Er wird den Anforderungen lei-der nicht gerecht. Ich möchte einige Beispiele nennen,zu denen wir von der Linken Anträge gestellt haben.Fangen wir mit dem Themenbereich Ernährungs-sicherung an. Wir von der Linken lehnen die Förderungvon Agrarexporten ab. Billigexporte verhindern denAufbau regionaler Märkte, vor allem in den Ländern desSüdens auf unserem Globus.
Der Haushaltstitel „Maßnahmen zur Verstärkung derAußenhandelsbeziehungen im Agrar- und Ernährungs-bereich“ muss daher gestrichen werden. Stattdessensollte die Bundesregierung ihrer internationalen Verant-wortung nachkommen und mit 500 000 Euro den Welt-agrarbericht unterstützen.
Zum Thema „Umwelt- und Ressourcenschutz“. Be-sonders im Bereich Ökolandbau gibt es einen Aufholbe-darf, und zwar sowohl für die Forschung als auch für diebewirtschafteten Flächen. In der Nachhaltigkeitsstrate-gie der Bundesregierung wird ein Anteil von 20 Prozentökologischen Landbaus in Deutschland bis 2020 ange-strebt. Allerdings werden lediglich 3 Prozent des For-schungsbudgets für die Forschung zum Ökolandbau aus-gegeben, und die bewirtschaftete Fläche verharrt seitlängerem bei etwa 5 Prozent der gesamten Nutzfläche.Die Linke will die Förderung um 8 Millionen Euro auf25 Millionen Euro erhöhen, damit endlich ernst gemachtwerden kann mit dem Ziel 20 Prozent ökologisch nach-haltiger Landwirtschaft bis 2020.
Zum Thema „Förderung ländlicher Räume und Ein-kommenssicherung“. Einen kleinen, aber wirksamen Bei-trag hätte das BMELV selbst liefern können, und zwar mitder Ansiedlung der Außenstelle des Bundesinstituts fürRisikobewertung in Neuruppin. Hier hat die Koalitionwieder einmal frühere Zusagen gebrochen. Es soll näm-lich keine Außenstelle des Bundesinstituts in Neuruppingeben. Das schwächt nicht nur Neuruppin, sondern isteine Entscheidung gegen den ländlichen Raum.
Um die ländlichen Räume zu stärken, brauchen wirauch mehr Wertschöpfung vor Ort. Die Linke beantragtdeshalb ein Förderprogramm zur Markteinführung undUmrüstung von Landmaschinen, die mit reinem Pflan-zenöl betrieben werden können.
Früher wurden ungefähr 10 Prozent Hafer für die Ernäh-rung der Pferde angebaut. Heute könnte man 10 ProzentRaps für Traktoren und Mähdrescher anbauen. Die Folgewären innerbetriebliche, lokale, maximal regionaleKreisläufe. Aber die Steuerpolitik der Bundesregierunghat viele kleine Ölmühlen kaputt gemacht. Die Linkewill ihnen unter die Arme greifen. Wir möchten eine Fi-nanzierung über die Absenkung der Agardieselerstattungum einen halben Cent pro Liter. Das wäre sinnvoll.
Wir Linke sind der Meinung: Wir brauchen eine wirt-schaftlich tragfähige, aber eben auch ökologisch nach-haltige und nicht zuletzt soziale Landwirtschaft für dieZukunft. Aber die Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaftist in Gefahr. Die Bundesregierung will nämlich diePläne zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik derEU-Kommission kippen und beharrt auf der Festlegung,nicht mehr als 1 Prozent des Bruttonationaleinkommensals Beitrag zum EU-Haushalt zu leisten. Gleichzeitigaber fordert Frau Aigner, dass die Landwirtschaft nichteinseitig belastet werden darf. Wenn Sie eine solcheSparpolitik durchsetzen, wird das letzten Endes zulastender gestaltenden Agrarpolitik in Europa gehen. Damit ver-gibt die Bundesregierung die Möglichkeit, den Heraus-forderungen von Klimawandel, Erhalt der Biodiversität,Ressourcenschutz und Tierschutz in einer gestaltendenFörderpolitik zu begegnen. Damit macht die Bundes-regierung letztlich eine Politik gegen die ländlichenRäume.
Die Linke ist für eine solidarische Landwirtschaft undfür lebenswerte ländliche Räume. Wir haben konkreteVorschläge gemacht, wie die Landwirtschaft sozialerund auch nachhaltiger hätte werden können.Vielen Dank.
Heinz-Peter Haustein hat das Wort für die FDP-Frak-tion.
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25336 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012
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Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen! Sehr geehrte Herren! Deutschland ist ein schö-
nes Land,
und wir leben in einer guten Zeit. Niemand muss hun-
gern.
Ich stehe hier als Berichterstatter der FDP-Fraktion
für den Einzelplan 10, den Einzelplan des Ministeriums
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Ich bedanke mich bei der Hauptberichterstatterin Katja
Dörner, bei Rolf Schwanitz sowie bei Roland Claus für
die gute Zusammenarbeit und natürlich ganz besonders
bei meinem lieben Freund und gefühlten Zwillingsbru-
der Schorsch Schirmbeck.
Die Landwirtschaftspolitik ist von einem sozialen
Engagement dieser Regierung geprägt. So sind wir eben
als liberale Koalition mit der CDU: sozial geprägt.
70 Prozent von diesen 5,26 Milliarden Euro, nämlich ge-
nau 3,65 Milliarden Euro, gehen in den Sozialbereich
dieses Haushalts.
Das kann sich sehen lassen. Wir machen das deshalb,
weil unsere Bauern auch Unternehmer sind. Sie müssen
unterstützt werden; sie müssen wettbewerbsfähig blei-
ben. Deshalb, lieber Wilhelm Priesmeier, stützen wir
auch den Agrardiesel. Wir entlasten unsere Bauern um
430 Millionen Euro, damit sie in diesem harten Wettbe-
werb in Europa und auf der Welt wettbewerbsfähig blei-
ben.
Wir haben die Verbraucherpolitik gestärkt, indem wir
auch dort einen Aufwuchs erreicht haben. Die Mittel für
den Bereich „Information der Verbraucherinnen und
Verbraucher“ werden von 20 auf 25 Millionen Euro er-
höht, und für die Stiftung Warentest stehen 5 Millionen
Euro zur Verfügung.
Wir haben die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschut-
zes“ bei 600 Millionen Euro belassen, obwohl in Europa
und auf der Welt, wie bekannt, eine Finanz- und Wirt-
schaftskrise wütet. Dieses Geld plus das Geld der Länder
macht über 1 Milliarde Euro für diesen Bereich aus.
Auch das kann sich sehen lassen.
Wir haben insgesamt 494 Millionen Euro in den Be-
reich „Nachhaltigkeit, Forschung und Innovation“ ein-
gestellt. Darin enthalten sind 14 Millionen Euro für Mo-
dellvorhaben mit dem Schwerpunkt Tierschutz – das ist
ein Plus von 5 Millionen Euro – und zusätzliche Mittel
für den Energie- und Klimafonds, und auch einen Wald-
klimafonds haben wir aufgelegt.
Weitere Bereiche des Haushaltes – als Haushälter
muss man ja einmal die Zahlen vortragen – sind „Inter-
nationale Maßnahmen“ und „Forschung für Innovatio-
nen, Hightech-Strategie“. Dafür haben wir 60,2 Millio-
nen Euro zur Verfügung gestellt, was einen Aufwuchs
von immerhin 1,2 Millionen Euro bedeutet. Schließlich
gibt es noch die Verwaltung, also das Ministerium, das
etwas mehr Geld braucht, weil es umstrukturiert wurde
und wird. Dafür stehen insgesamt 93,2 Millionen Euro
zur Verfügung.
Da ich schon einmal bei diesem Ministerium bin: Wir
können froh sein, dass das so gut läuft und dass wir eine
kompetente Ministerin haben.
Deshalb richte ich meinen Dank an das Ministerium, an
Sie, liebe Ilse Aigner,
an Gerd Müller, an Peter Bleser und natürlich auch an
Uli Kuhlmann und an Albert Wulff. Mit euch gibt es ein
gutes Zusammenarbeiten. Wir kämpfen für unsere Bäue-
rinnen und Bauern. – Ihr, liebe Bäuerinnen und Bauern,
seid bei dieser christlich-liberalen Koalition gut aufge-
hoben. Wir kämpfen für euch.
In diesem Sinne ein herzliches „Glück auf!“ aus dem
Erzgebirge.
Damit der Süden den Osten ablösen kann, hat jetzt
Harald Ebner das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
Soll ich das wiederholen?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Kolleginnen undKollegen! Kollege Schirmbeck, ich empfehle, Büchervor dem Lesen aus der Verpackung zu nehmen.
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Nun aber zu etwas anderem: Ich war entsetzt, mitwelcher Kaltschnäuzigkeit die Kollegen Holzenkampund Co. bei der ersten Lesung des Haushalts ein Land-wirtschaftsmodell mit Billigfleischproduktion und allenFolgen schöngeredet haben, nach dem Motto: Hauptsa-che billig! Eine Landwirtschaft, die Billiglebensmittelproduziert, ist erfolgreich und damit auch gut. – Aberohne den Import von 3 Millionen Hektar Gensoja ausSüdamerika, wo Mensch und Umwelt unter massivemPestizideinsatz leiden, funktioniert Ihr Modell dochüberhaupt nicht. Gleichzeitig klagen Sie über mangelndeWertschätzung für Lebensmittel. Sie müssen sich hierschon entscheiden: Billigfleisch oder Wertschätzung?Beides zusammen geht nicht.
Sie setzen im Haushalt die falschen Schwerpunkte,weil Sie in ein falsches Agrarmodell investieren, dasbäuerliche Betriebe verdrängt und nur industrielle Groß-betriebe fördert. Warum verhandelt denn die Bundesre-gierung bei der GAP-Reform in Brüssel nicht auf Basisder Beschlüsse der Agrarministerkonferenz, sondernvertritt dort die Positionen vom Deutschen Bauernver-band und vom Industrieverband Agrar?In Ihrem Agrarmodell hat auch der Tierschutz keinenPlatz – wir haben das vorhin schon gehört –, nur in denReden – ich zitiere –:Nutztierhaltung in der Landwirtschaft kann nur er-folgreich sein, wenn sich die Tiere wohlfühlen undwenn es genügend Akzeptanz in der Gesellschaftgibt.
Das war Ministerin Aigner in der letzten Haushalts-rede. – Wie können Sie dann ein derart mickriges Tier-schutzgesetz vorlegen und die wenigen Verbesserungenwie das Verbot von Schenkelbrand oder die betäubungs-lose Ferkelkastration von den eigenen Leuten wiedereinkassieren lassen?
Jetzt verstehe ich auch Ihren Satz, Frau Ministerin:„Außerdem gehen Union und FDP das Tierschutzgesetzan.“ – „Angegangen“ sind Sie das Gesetz wirklich, undzwar so lange, bis nichts mehr übrig geblieben ist.
Statt konkret etwas für das Tierwohl zu tun, geben Sie5 Millionen Euro für Akzeptanzförderung aus. Da mussetwas anderes passieren. Wir fordern 5 Millionen Eurofür ein Zentrum für Tierschutz, das dann Standards ent-wickelt.Auch bei der Fütterung mit Gensoja ändern Sie:nichts! Große Ankündigungen von Frau Aigner: Wirwollen eine Eiweißstrategie! Im Haushalt: Nichts! Fehl-anzeige! Wir fordern dafür 5 Millionen Euro.Im Bayernwahlkampf inszeniert sich MinisterinAigner gerne als Gentechnikgegnerin. Schon im Bun-destag aber ist damit Schluss und in Brüssel erst recht.Nicht ein einziges Mal hat sich die Bundesregierung inden EU-Gremien gegen Importzulassungen für Gentech-Pflanzen gewehrt. Das ist beschämend.
Kein Wunder: Außer den Statements der Ministerin hörtman aus der Koalition nur einhellige Begeisterung fürdiese Risikotechnologie. Die FDP möchte hier mehrChancen als Risiken sehen. Dabei werden die Risiken zuwenig bewertet. Was tun Sie denn, Frau Ministerin, wenndie EU-Kommission, wie angekündigt, in den nächstenMonaten Anbauzulassungen für Gentechpflanzen erteiltund damit auch das deutsche Anbauverbot für MON 810fällt? Was tun Sie dann für die Wahlfreiheit und denSchutz der Verbraucherinnen und Verbraucher, für diegentechnikfrei wirtschaftenden Landwirte, Imker und Le-bensmittelhersteller? Kein Wort haben wir von Ihnen bis-her dazu gehört. Kein Cent geht in die BekanntmachungIhres eigenen „Ohne Gentechnik“-Siegels. Da lassen Siesich vom kleinen Koalitionspartner offenbar durch dieManege führen.
Wir wollen 2 Millionen Euro für die Bekanntmachungdieses Zeichens bereitstellen und damit endlich die gen-technikfreie Land- und Ernährungswirtschaft unterstüt-zen.Auch beim chemischen Pflanzenschutz bleibt die Ko-alition ihrem industriellen Agrarmodell treu. In IhrenAugen ist es kein Problem, dass im letzten Jahr 58 Pro-zent aller untersuchten Lebensmittel mit Pestizid-rückständen belastet waren. Das ist ein Skandal. Dasmuss sich ändern, lieber Kollege Goldmann.
– Der Kollege Gerig hat gesagt: Der Bericht ist gut. – IhrNationaler Aktionsplan Pflanzenschutz ist so unverbind-lich, dass die Umweltverbände frustriert ausgestiegensind.
Für Projekte zur Reduktion des chemischen Pflanzen-schutzes geben Sie immerhin 2 Millionen Euro aus.Aber das ist nicht genug. Das ist aus unserer Sicht mehrals schwach.
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25338 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012
Harald Ebner
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Das Bundesprogramm Ökolandbau will die Koalitionweiterhin für „andere Formen nachhaltiger Landwirt-schaft“ zweckentfremden. So kann man auch den Im-portanteil am Biomarkt steigern.Kollege Holzenkamp hat bei der ersten Lesung vonder hervorragenden Interessenvertretung der Landwirt-schaft durch die Bundesregierung gesprochen. Der tie-fere Sinn der Formulierung „Interessenvertretung“ hatsich mir erst nach der Lektüre der Frankfurter Rund-schau erschlossen, in der es um die Art und Vielzahl Ih-rer bezahlten Nebentätigkeiten in der Agrarindustrieging.
Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss.
Die Politik, die mit diesem Haushalt zum Ausdruckkommt, ist gerade keine Interessenvertretung für diebäuerlichen Familienbetriebe.
Deren Zahl halbiert sich nämlich dank Ihrer ach so er-folgreichen Politik – da sind wir dann bei den objektivenZahlen, Kollege Schirmbeck – nach wie vor alle zwan-zig Jahre.
Herr Kollege.
Wir lehnen deshalb diesen Haushalt ebenso ab wie
Ihre abstruse Agrarpolitik; denn dieses Agrarmodell hat
keine Zukunft, genauso wenig wie die Bundesregierung.
Danke schön.
Für die Bundesregierung hat jetzt Ilse Aigner dasWort.
Ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung, Land-wirtschaft und Verbraucherschutz:Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der letzte Vortraghat wieder einmal gezeigt, wie schön ein Wünsch-dir-was-Konzert bei den Haushaltsberatungen ist.
Gerade die Grünen sind diejenigen, die einfach so35 Millionen Euro zusätzlich gefordert haben, und zwarohne Gegenfinanzierung.
Das zeigt wieder einmal, dass in Sachen Haushaltsfinan-zen die Nachhaltigkeit offensichtlich nicht gilt.
Herr Süßmair, glaube ich, hat von der sozialen Kom-ponente in der Landwirtschaftspolitik gesprochen. Ja,die gibt es bei uns. Die Kollegen Schirmbeck undHaustein haben das angesprochen. 70 Prozent des Haus-haltes gehen in Sozialpolitik; sie fließen direkt in dielandwirtschaftlichen Betriebe zur Unterstützung unteranderem auch des Strukturwandels. Das ist konkrete So-zialpolitik, und die wollen wir nicht europäisch, sondernnational gestalten.
Damit bin ich schon bei Europa. Was ist die Aufgabevon Europa? Heute früh war die Debatte zum Kanzler-etat oder auch die Aussprache zur großen Politik. Wirwissen, dass wir große Verantwortung haben. Morgenbeginnt die Debatte der Regierungschefs zu der mittel-fristigen Finanzplanung für die nächsten Jahre bis 2020.Das werden schwierige Verhandlungen; das ist keineFrage. Ich sage ausdrücklich und betone dies noch ein-mal, weil es angesprochen worden ist: Ja, wir stehen alsgroßer Nettozahler dazu, dass wir die Ausgaben wie inanderen Bereichen auch hier begrenzen müssen. Trotz-dem glaube ich, dass die Landwirtschaft in diesem Be-reich schon viel getan hat. Unser Gesamtetat ist schondeutlich abgesunken, was den Anteil an den europäi-schen Finanzen betrifft. Hier brauchen wir aber weiterUnterstützung, weil die Zahlungen, die letztendlich überdie europäische Ebene erfolgen, oft direkt einkommens-wirksam und nicht national zu kompensieren sind. Des-halb ist es wohl selbstverständlich, dass die zuständigeLandwirtschaftsministerin auch weiter für einen großenAnteil kämpfen wird. Ich glaube, das müsste mir zuge-standen werden.
Das ist auch wichtig, meine sehr geehrten Damen undHerren, weil in Europa immerhin 14 Millionen Betriebevon der Landwirtschaft leben; das sind 9 Prozent allerBeschäftigten. Das ist eine große Zahl, und um das aufDeutschland herunterzubrechen: Es sind 4,8 MillionenMenschen, die in der Landwirtschaft oder in den vor-und nachgelagerten Bereichen Arbeit finden. Dafürbrauchen sie Unterstützung, und die haben sie mit derchristlich-liberalen Regierung.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25339
Bundesministerin Ilse Aigner
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Es geht um Jobs und Ausbildungsplätze gerade auch inden ländlichen Regionen. Dafür brauchen wir aktiveLandwirtinnen und Landwirte. Wir brauchen sie aber inerster Linie – und das ist keine Selbstverständlichkeit –für die Produktion von Lebensmitteln, also von unserenNahrungsmitteln. Vor fünfzig Jahren war das nichtselbstverständlich – um noch einmal auf die Ursprüngeder Gemeinsamen Agrarpolitik zurückzugehen –: Es hatin Deutschland und in Europa Hunger gegeben.
Es ist die Leistung unserer Landwirtschaft und der Bäue-rinnen und Bauern, dass sich heute keiner mehr inDeutschland darüber Gedanken machen muss, ob er ge-nug zu essen hat. Das ist eine große Leistung. HerzlichenDank dafür an unsere Landwirtinnen und Landwirte!
Ich glaube, dass es sich lohnt, für diese Schlüssel-branche weiter zu kämpfen. Natürlich geht es auch umdie inhaltliche Ausgestaltung. Meine Damen und Herrenauch von der Opposition, dazu gibt es unterschiedlicheMeinungen. Damit meine ich ausdrücklich nicht dieFachpolitiker. Aber die Spitze der SPD zum Beispiel hatganz klar gesagt, dass sie will, dass die Direktzahlungengekürzt werden.
Das will ich nicht. Ich sage ausdrücklich: Ich differen-ziere hier, lieber Kollege Wilhelm Priesmeier; aber dashilft nichts. Deshalb ist unser Bekenntnis klar und deut-lich: Wir wollen eine starke erste Säule, und wir wollenauch eine starke zweite Säule weiter erhalten.
Wir wollen natürlich auch eine vernünftige und zu-kunftsfähige Agrarpolitik.Weil ich auch gerne näher auf die Strukturen eingehe,liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen: Mir wäre eslieb, wenn Sie den Blick mehr auf die anderen europäi-schen Länder richten würden, um zu sehen, welcheStrukturen es dort noch gibt. In Deutschland gibt eskeine Produktionsförderung und keine gekoppelten Zah-lungen mehr. In Deutschland gibt es keine historischenZahlungen mehr, bei denen der eine Hektar 5 000 Eurowert ist und der andere nur 75 Euro.
Das gibt es in anderen europäischen Ländern noch. Des-halb sage ich mit voller Überzeugung: Es muss einer derHauptansatzpunkte sein, dass die europäischen Nach-barn erst einmal auf das Niveau Deutschlands kommen,bevor wir weitere Maßnahmen ergreifen.
Das Nächste ist: Ja, natürlich wollen wir Umwelt-schutz und eine nachhaltige Produktion, aber wir wollenauch, dass bisherige Leistungen anerkannt werden.
Ich bleibe dabei: Es kann nicht sein, dass am Schluss nurdie Bürokratie blüht. Das hilft uns auch nicht.
Ich halte mich an den Agrarministerbeschluss. Das istüberhaupt keine Frage. Deshalb sagen wir ganz deutlich,und zwar einhellig: Keine Stilllegung von Flächen. –Denn das können wir uns nicht leisten. Diese Forderunghalte ich eins zu eins aufrecht.
Frau Ministerin, der Kollege Priesmeier möchte Ihnen
gern eine Zwischenfrage stellen.
Ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung, Land-
wirtschaft und Verbraucherschutz:
Selbstverständlich, gerne.
Verehrte Frau Ministerin, stimmen Sie mit mir dahingehend überein, dass in den letzten zehn Jahren diePachtpreise in Deutschland um etwa 40 Prozent gestie-gen sind? Wenn Sie diese Steigerung mit den Zahlungenvergleichen, die an die Betriebe geflossen sind, dannstellen Sie fest, dass die Pachtpreise etwa in Höhe derGrößenordnung dieser Zahlungen gestiegen sind. SehenSie einen Zusammenhang zwischen den Zahlungen ausBrüssel für die Flächenprämie und dem Steigen derPachtpreise oder auch der Preise für den Erwerb vonFlächen?Ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung, Land-wirtschaft und Verbraucherschutz:Sehr geehrter, lieber Kollege Priesmeier, zuerst ein-mal: Wenn dem so wäre, dann gäbe es keinen Grund fürdie Absenkung. Das wäre unlogisch. Zweitens. Ichglaube nicht, dass das der Grund ist; sonst müsste es inanderen europäischen Ländern ähnlich sein. DiePreissteigerung hat andere Ursachen. Das wissen wir.Deshalb haben wir zum Beispiel beim Erneuerbare-Energien-Gesetz Korrekturen vorgenommen; denn dieKonkurrenz zwischen der Biogasproduktion, der land-wirtschaftlichen Nutztierhaltung und der Futtermittel-herstellung ist in manchen Regionen größer geworden.Insgesamt werden die Flächen nicht mehr. Deshalbmacht es keinen Sinn, Flächen aus der Produktion zunehmen. Das ist ganz klar.
Ich möchte noch etwas hinzufügen, was mir sehrwichtig ist. Das betrifft die Diskussion über die benach-teiligten Gebiete in Deutschland. Ich muss auf europäi-scher Ebene dagegenhalten, dass ein neues System ein-geführt wird, welches in Deutschland dazu führt, dassviele benachteiligte Gebiete, die jetzt noch vom Systemerfasst sind, über Nacht herausfallen. Um es konkret zumachen: In Mecklenburg-Vorpommern käme es zu einer
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Bundesministerin Ilse Aigner
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kompletten Umkehrung der jetzigen Verhältnisse. Daskann kein Mensch verstehen.
Deshalb lohnt es sich, auf dieser Ebene für die benach-teiligten Gebiete zu kämpfen. Ich bin der festen Über-zeugung, dass wir diese Flächen brauchen und dass auchdiejenigen, die nicht so gute Bedingungen haben, eineChance haben müssen, anständig zu produzieren. Des-halb brauchen wir die Unterstützung in diesem Bereich.
– Es wäre schön, wenn es mehr würden. Aber das ver-drießt mich nicht. Trotzdem lohnt es sich, dafür zukämpfen, sehr geehrter Herr Ostendorff.
Ich habe schon oftmals auf verlorenem Posten gekämpft;aber meine Überzeugung werde ich deshalb nicht verlie-ren. Das ist vielleicht der Unterschied.
Ich will noch ein paar Punkte zur Verbraucherpolitiksagen. Ich kann wegen der Kürze der Redezeit nicht alleBereiche heute abdecken.
Eines aber möchte ich ansprechen: Wir haben viel überBanken, die Regulierung von Banken und darüber disku-tiert, in welche Schwierigkeiten wir durch die Bankengekommen sind. Wir haben wieder viel reguliert, wasdie Vorgängerregierung dereguliert hat, und das ist rich-tig so. Wir haben auch im Bankenbereich – da bin ichder Überzeugung, dass es richtig war – eine Qualitäts-offensive Verbraucherfinanzen auf den Weg gebracht.Wir gehen einen Schritt nach dem anderen: Beratungs-protokoll, Produktinformationsblatt, Meldung der Bera-ter bzw. – falls sie Schwierigkeiten gemacht haben –Registrierung der Angelegenheit bis hin zu Regelungenzu einer Honorarberatung, die wir demnächst ins Kabi-nett einbringen wollen. Ein Schritt nach dem anderenwird umgesetzt.
Dafür brauchen wir natürlich mehr Geld. Man kannsich immer mehr wünschen; das ist keine Frage. Aberwir haben uns gerade für die Verbraucherinformation5 Millionen Euro zusätzlich sozusagen erarbeitet; wirhaben das Geld an anderer Stelle eingespart, um weitereSchwerpunkte setzen zu können. Das halte ich für rich-tig. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich be-danke mich deshalb ganz herzlich bei den gefühltenZwillingen Schorse Schirmbeck und Peter Haustein. Ichbedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, dieim Haushaltsausschuss mitgewirkt haben, aber selbst-verständlich auch bei den Fachpolitikern. Ich sage das,weil ich vor ziemlich genau zehn Jahren das erste Malals Haushälterin zu diesem Bereich sprechen durfte, alsowie auch heute zum Einzelplan 10 – damals als Bericht-erstatterin, heute als Ministerin. Es wird wohl das letzteMal sein, dass ich zum Haushalt spreche. Deshalb be-danke ich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen ganzbesonders herzlich für die gute Zusammenarbeit.Danke schön.
Rolf Schwanitz hat jetzt das Wort für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Ministerin Aigner, Sie haben es gerade angespro-chen: Das ist der letzte Etat für das Ministerium fürErnährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, fürden Sie Verantwortung haben.Ich will zunächst einmal grundsätzlich feststellen,dass sich an diesem Einzelplan 10 gegenüber dem Ent-wurf, den wir vor drei Monaten hier schon einmal disku-tiert haben, substanziell eigentlich nichts geändert hat.Ich will mich auf einige Feststellungen konzentrieren.Erstens. Frau Aigner, mit diesem Einzelplan 10 sindSie sich in Ihrer Leidenschaft als Subventionsministerintreu geblieben. Es ist bei den zusätzlichen Subventionenvon 50 Millionen Euro für die landwirtschaftlicheUnfallversicherung geblieben. Zugleich liegt vieles imArgen, insbesondere beim alten Spitzenverband derlandwirtschaftlichen Sozialversicherung. Es besteht dieGefahr, dass die Problemlagen, die beim Spitzenverbandexistieren, sich fehlerhaft in die neue Bundesträgerstruk-tur, die entstehen soll, hinein fortsetzen.Sie haben dazu nichts gesagt. Der Bundesrechnungs-hof hat die Ministerin aber gerügt. Deswegen will ichdas einmal ansprechen. Der Bundesrechnungshof hat er-klärt, das Ministerium habe seine Einflussmöglichkeitenzur Kostendämpfung nicht genutzt. Dazu haben wir vonIhrer Seite kein Wort gehört. Der Bundesrechnungshofhat in seinen Bemerkungen 2012, vor wenigen Tagenvorgelegt, festgestellt, dass der Spitzenverband den Per-sonalbedarf immer noch nicht sachgerecht etatisiert undhaushaltsrechtlich nicht ordentlich begründet.
Der Bundesrechnungshof kritisiert, dass Stellen undPersonalkosten im Spitzenverband explosionsartig um30 Prozent nach oben gegangen sind. Er sagt: Die jährli-chen Personalausgaben dieses Spitzenverbandes von43 Millionen Euro sind haushaltsrechtlich nicht begrün-det.
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Rolf Schwanitz
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Dieser Befund steht im krassen Gegensatz zu dem zu-sätzlichen Subventionsausbau von 50 Millionen Euro.
Deswegen sage ich Ihnen: Verantwortliche Sozialpolitiksieht anders aus, meine Damen und Herren.
Zweitens. Als Verbraucherschutzministerin, FrauAigner, werden Sie in 2013 wahrscheinlich wiederumein ziemlicher Ausfall sein. Unsere seit längerer Zeit aufdem Tisch liegenden Vorschläge, die Deutsche StiftungVerbraucherschutz nachhaltig aufzustellen, verursacher-gerecht zu finanzieren und zu einer nachhaltigen Struk-tur mit Marktwächterfunktion auszubauen, haben Siezwar entgegengenommen. Sie wurden aber durch dieKoalition abgelehnt. Sie haben sie auch nicht aufgegrif-fen. Von früheren Ankündigungen – ursprünglich kamso etwas ja von Ihnen – wollen Sie nichts mehr hören.An dieser Stelle also: große Worte, keine Taten. Das istdie Bilanz.
Bei der Stiftung Warentest – Kollege Haustein hat esangesprochen – hinterlassen Sie ein echtes Fiasko, FrauAigner. Das Flaggschiff der deutschen Verbraucher-schutzarbeit in Deutschland mit dem höchsten Ansehenund dem höchsten Stellenwert im Bewusstsein derMenschen ist in einer finanziellen Schieflage. Diese fi-nanzielle Schieflage ist eine direkte Folge der schwarz-gelben Kürzungen aus den Jahren 2011 und 2012. Dasist so.
Nachdem die Stiftung Warentest in 2011 nur nochdurch einen Bilanztrick schwarze Zahlen ausweisenkonnte, hat der Stiftungsvorstand, Herr Primus, vor kur-zem für 2012 erklärt, dass ein Minus von 1,35 MillionenEuro in der Bilanz angekündigt werden muss. Sie, FrauAigner, haben die Stiftung 2011 zu einer finanztechni-schen Mogelpackung gezwungen. Das ist eigentlich eineRufschädigung für die Stiftung, die an sich gerade gegenso etwas Front machen soll. Sie haben sie dazu veran-lasst, indem Sie dafür gesorgt haben, dass 2011 gar keinanderer Weg mehr bestand. 2012 haben Sie sie dann völ-lig im Stich gelassen. Unter Verbraucherschutzgesichts-punkten müsste das für die Verbraucherschutzministerineigentlich ein Rücktrittsgrund sein.
Aber Sie werden das durch Öffentlichkeitsarbeit ka-schieren; da bin ich mir ganz sicher.Apropos Öffentlichkeitsarbeit: Ich habe den Ein-druck, da brechen Sie alle Rekorde. Nach dem Einzel-plan 10 werden die Ausgaben für Öffentlichkeits- undFachinformationen 2013 mit 21,4 Millionen Euro einenneuen Höchststand erreichen. 21,4 Millionen Euro!
Das ist im Wahljahr 2013 20 Prozent mehr als im Jahrdavor, konkret: 3,5 Millionen Euro mehr. Ein Schelm,wer Böses dabei denkt!
Übrigens hat das Bundesverfassungsgericht schon vorvielen Jahren gesagt, dass das Anwachsen der Mittel fürÖffentlichkeitsarbeit in Wahlkampfnähe unzulässig ist.Es hat gesagt, dass in Vorwahlzeiten – ich zitiere – „dasGebot äußerster Zurückhaltung“ durch die Ministerienzu beachten ist. Die Vorwahlzeit beträgt im nächstenJahr vielleicht maximal sechs Monate. Danach sind wirschon unmittelbar in der Wahlkampfzeit. Und da erhö-hen Sie die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit imVergleich zu diesem Jahr um 20 Prozent. Das ist etwas,was mit Sitte und Anstand eigentlich gar nichts mehr zutun hat.
Das größte Versagen aber, Frau Ministerin Aigner, ist,dass Sie ein massives Unvermögen – das hat die Haus-haltsberatung bestätigt – im Bereich von Innovation,Forschung und Entwicklung in Ihrem Etat zu verbuchenhaben.
Die Vorschläge, die wir dazu gemacht haben – KollegePriesmeier hat sie im Zusammenhang mit den Bundes-programmen angesprochen; sie stehen heute ebenfallszur Abstimmung –, haben Sie bisher abgelehnt, und dieMittel, die in den Einzelplänen für 2010, 2011 und 2012veranschlagt worden sind, haben Sie nicht ausgeschöpft.Ich will diese Zahlen noch einmal nennen – sie sind vonIhrem Haus mittlerweile bestätigt –: 2010 17,8 Millio-nen Euro Innovationsmittel nicht ausgeschöpft;2011 32,1 Millionen Euro Innovationsmittel nicht aus-geschöpft. Nach der Kalkulation für 2012 – das habenSie noch nicht bestätigt; aber da bin ich mir ziemlichsicher – 41 Millionen Euro nicht ausgeschöpft.
Das Finanzministerium hat jahrelang zusätzlicheInnovationsmittel in diesen Einzelplan gepumpt. DasEinzige, was bei Ihnen anwächst, sind die Ausgaben-reste: In drei Jahren wurden 90 Millionen Euro für Inno-vationen nicht ausgeschöpft. Das sind verlorene Per-spektiven.Frau Aigner, Sie können im nächsten Herbst nachBayern gehen. Die Bauern, die Landwirte, die im
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Rolf Schwanitz
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Umbruch stehen und die auf Innovationen setzen müssenund Hilfe brauchen, können dem Umbruchdruck nichtausweichen, und sie werden darüber noch ihr Urteilfällen.Herzlichen Dank.
Die Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan hat jetzt
das Wort für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Heute Morgen in der Debatte um den Kanzlerhaushalthat ein Kanzlerkandidat der SPD hier gesagt: „Sagen Sieeinfach, was ist! Damit beginnt jede Politik.“
– Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, ich zitiere ihn. – Aber wer sagt hier, was ist?Das hat zum Beispiel mein Kollege Haustein gesagt:Deutschland ist schön.
Das hat ebenfalls Herr Brüderle in der Haushaltsdebattegesagt. Die christlich-liberale Regierung hält Kurs:niedrigster Stand der Arbeitslosigkeit, mehr Geld fürForschung und Bildung, die Entlastung der Kommunen.Die Agrarpolitik der christlich-liberalen Koalition hatdaran ihren Anteil.„Sagen, was ist“, das heißt in Deutschland auch: DieBedeutung der Agrarwirtschaft ist deutlich größer, alsdies von den meisten Menschen eingeschätzt wird.
5 Millionen Menschen finden Arbeit in der Land- undForstwirtschaft und in der Fischerei, in den vor- undnachgelagerten Bereichen. Das heißt, dass der gesell-schaftliche Stellenwert von Landwirtschaft, von Ernäh-rungswirtschaft, von Forstwirtschaft, von Fischerei deut-lich höher ist, als dies gemeinhin angenommen wird.Die Land- und Forstwirtschaft mit der Ernährungs-wirtschaft macht einen ausgesprochen guten Job. Sieproduziert sichere Lebensmittel. Sie produziert gesundeLebensmittel. Sie trägt dazu bei, dass wir in Deutschlandeine erhebliche Biodiversität haben, dass wir lebens-werte ländliche Räume haben. Es lohnt sich, bei uns inDeutschland Urlaub zu machen, und das liegt an denguten ländlichen Räumen.
„Sagen, was ist“, das heißt auch: Deutschland istdrittgrößter Agrarexporteur. Volumen: 50 MilliardenEuro. Das sichert in erheblichem Umfang Arbeitsplätzein den ländlichen Räumen. Das trägt zur Wertschöpfungin den ländlichen Räumen bei. Deswegen ist es gut, dasswir nicht Agrarexportförderung betreiben, sondern dasswir die Unternehmen in die Lage versetzen, ihre Chan-cen auf den Exportmärkten auch tatsächlich zu nutzen.Die FDP steht für eine unternehmerische, eine markt-orientierte Landwirtschaft. Das heißt, wir wollen Frei-heit für die Landwirte, eigene Entscheidungen zu treffen.Wir wollen ihnen verlässliche Rahmenbedingungenschaffen.
Landwirte nutzen diese Chancen, indem sie nicht nurin die klassische Landwirtschaft investieren, sonderngleichzeitig in den Bereich der Energie durch Produktionvon Biomasse für die energetische und die rohstofflicheVerwertung, in den Bereich des Tourismus, in den Be-reich der Direktvermarktung investieren. Landwirte sindkreativ. Diese Chancen wollen wir ihnen erhalten.„Sagen, was ist“, heißt auch: Wir haben in Europa,eine anhaltende Wirtschafts- und Finanzkrise. Wer die-ses ernst nimmt, muss auch sagen: Wir brauchen eineBegrenzung des EU-Haushalts auf 1 Prozent des EU-Bruttonationaleinkommens. Das ist eine richtige Politik,und diese wird von der FDP getragen.
– Nicht zögerlich, sondern sehr konsequent.
– Einfach einmal zuhören!Wir sind aber auch der Meinung, dass die dafür not-wendigen Einsparungen nicht allein vom Agrarhaushaltzu leisten sind, sondern dass andere Haushalte mitma-chen müssen.
Wir sind der Auffassung, dass wir eine GemeinsameAgrarpolitik der Europäischen Union brauchen, die denLandwirten Einkommensmöglichkeiten schafft. Deswe-gen sind wir der Auffassung, dass wir keine Kappung,keine Degression wollen. Ich will ganz deutlich sagen:Uns ist bewusst, dass wir in den neuen Bundesländerngrößere Betriebe haben. Diesen die Förderung zu erhal-ten, gehört auch dazu, um die Lebensfähigkeit ländlicherRäume in den neuen Bundesländern zu erhalten.
Wir wollen den Erhalt eines Sicherheitsnetzes, aber kei-nen Ausbau der Intervention. Deswegen darf Greeningkeine Flächenstilllegung sein. Wir brauchen die Flächenzur Produktion.
Wir sind für die Abschaffung der Exporterstattung,weil wir meinen, dass wir nicht mit dem Geld der Steu-erzahler in Märkte eingreifen wollen.
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Dr. Christel Happach-Kasan
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„Sagen, was ist“, heißt aber auch, dass wir gerade imBereich der Tierhaltung einen erheblichen Forschungs-bedarf haben. Deswegen gehen die Investitionen und dieneuen Prioritäten in diesem Haushalt insbesondere inForschung und Entwicklung, insbesondere in die Erfor-schung besserer Haltungsbedingungen für Nutztiere. Wirhaben es gemeinsam erlebt: Wir haben als Folge derGlobalisierung neue Krankheiten: Blauzungenvirus,Schmallenberg-Virus. Darauf müssen wir reagieren. Wirhaben in den nordwestdeutschen Räumen, in Schleswig-Holstein und in Niedersachsen insbesondere, die soge-nannte Faktorenerkrankung bei Rindern. Wir müssen er-forschen: Was ist die Ursache? Wir müssen außerdem er-forschen: Wie können wir Landwirte beraten, damit ihreTiere von dieser Krankheit nicht befallen werden?Wir wollen eine Verbesserung der Tiergesundheitdurch Zucht, durch bessere tiergerechte Haltung. Ichhalte es für einen sinnvollen Ansatz, über ein Tierwohl-Label die Verbraucherinnen und Verbraucher in die Ver-antwortung für die Tierhaltung mit einzubeziehen.Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, imFordern an die Landwirte seid ihr immer gut. Aber ihrverschweigt jedes Mal, dass höhere Standards in derTierhaltung Geld kosten, dass die Verbraucherinnen undVerbraucher eine Mitverantwortung haben. Höhere Stan-dards in der Tierhaltung müssen bezahlt werden. Deswe-gen ist tierschutzgerechte Politik nur dann glaubhaft,wenn gesagt wird, wer dafür aufkommt.
Es wird auch von den Verbraucherinnen und Verbrau-chern zu bezahlen sein müssen. Wir wollen ein freiwilli-ges Tierwohl-Label mit tierbasierten Tierschutzindikato-ren – Indikatoren wie „Mortalität“, wie „Klauen- undFußballengesundheit“ – sowie eine Auswertung derSchlachtergebnisse.Die Landwirtschaft sagt: Wir können beides. Wirkönnen sowohl für die Ernährung produzieren als auchBiomasse für die energetische Verwertung erzeugen. Dasgeht aber nur dann, wenn wir, wie ich gesagt habe, dasGreening nicht als Flächenstilllegung auffassen. Dasgeht nur dann, wenn wir die Empfehlung des Bioökono-mierats unterstützen und ein Konzept einer nachhaltigenIntensivierung der landwirtschaftlichen Produktion vo-rantreiben.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, dersogenannte Weltagrarbericht ist jetzt fünf Jahre alt.
Er gehört in die Mottenkiste. Er hat sich nicht bewährt.
Die Forderung des britischen Regierungsreports TheFuture of Food and Farming ist, glaube ich, wesentlichaktueller und zukunftsgerichteter als das, was der soge-nannte Weltagrarbericht festgeschrieben hat.Wenn wir tatsächlich die Energiewende wollen – unddiese Bundesregierung ist angetreten, um eine Energie-wende durchzuführen –, dann müssen wir dafür auch dieRahmenbedingungen schaffen. Das bedeutet, den Lei-tungsbau voranzubringen. Wenn wir den Leitungsbauvoranbringen wollen, dann müssen wir hierfür die ent-sprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Das heißt,es muss eine faire Entschädigung für diejenigen Grund-eigentümer geben, die davon betroffen sind, und zwarnicht nur ein kleines Taschengeld, sondern eine Entschä-digung entsprechend den Renditeerwartungen der Netz-betreiber.
Außerdem brauchen wir eine Kompensationsverord-nung, die es möglich macht, nicht nur landwirtschaftli-che Fläche aus der Nutzung zu nehmen, sondern überGeldausgleich Natur in Wert zu setzen. Eine solche Ver-ordnung muss es möglich machen, Versiegelungen auf-zuheben, um damit einen echten Mehrwert für die Naturzu erhalten, statt nur landwirtschaftliche Fläche aus derNutzung zu nehmen. In diesem Bereich müssen wir vor-angehen.
2007 lag bereits das Gutachten des BMELV zumThema „KUP“, Kurzumtriebsplantagen, vor. Ich er-warte, dass wir auf diesem Gebiet besser vorankommen.In einigen Bundesländern laufen Programme, die zumZiel haben, dass Grünland, das nicht mehr für die Tier-haltung genutzt wird, in KUP umgewandelt wird. Ichglaube, das ist ein richtiger Weg. Auf diesem Weg soll-ten wir vorangehen.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit war abgelaufen.
Ich komme zum Schluss. – Gerade was Ernährungssi-
cherheit angeht, haben wir in diesem Jahr eine schlechte
Erfahrung gemacht: Noroviren haben dazu beigetragen,
dass 11 000 Kinder und Jugendliche erkrankt sind. Im
vergangenen Jahr sind an Ehec durch Sprossen, die von
einem Biohof stammten, 53 Menschen gestorben.
Frau Kollegin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,wenn man Agrarpolitik und Ernährungspolitik macht,reicht es nicht, einfach gegen Gentechnik zu sein. Manmuss auch konkrete Projekte für die Zukunft unsererLand- und Ernährungswirtschaft in Deutschland haben.
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Dr. Christel Happach-Kasan
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Das hat der ländliche Raum verdient.Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin
Karin Binder.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Moderner Verbraucherschutz lebt auch von Glaubwür-
digkeit und vom Vertrauen der Verbraucherinnen und
Verbraucher.
Dazu gehört, dass Verbraucherinnen und Verbraucher
gehört und beteiligt werden, dass ihre Anregungen oder
ihre Kritik ernst genommen werden. Moderner Verbrau-
cherschutz soll wirken. Dazu gehört, Verbraucherinnen
und Verbraucher vor Täuschung und Irreführung der Un-
ternehmen zu schützen – im Discounter ebenso wie in
der Bank oder im Internet.
Moderner Verbraucherschutz bedarf aber einiger An-
strengungen mehr, als uns hier vom Aigner-Ministerium
serviert werden. Aus Zeitgründen muss ich meine Be-
wertung und meine Kritik auf wenige Punkte beschrän-
ken.
Erstens. Das erfolgreiche Portal der Verbraucherzen-
tralen „lebensmittelklarheit.de“ ist das erste unabhän-
gige Medium, das Kritik und Haltung der Verbraucherin-
nen und Verbraucher aufnimmt und wiedergibt.
Hier kommen die Marketingtricks und Täuschungsma-
növer der Unternehmen ans Licht. Deshalb ist dieses
Portal den Angriffen und Anfeindungen der Lebensmit-
telindustrie und der Lebensmittellobby ausgesetzt.
Als Abgeordnete sollten wir uns schützend davor stellen.
Dieses Portal muss ausgebaut, verstetigt und finanziell
gesichert werden. Dafür müssten in diesem Haushalt
Mittel bereitgestellt werden.
Zweitens. Die Information der Verbraucherinnen und
Verbraucher im Ernährungsbereich muss bereits bei den
kleinen Verbraucherinnen und Verbrauchern in Kinder-
gärten und Schulen ansetzen. 90 Prozent der hierzulande
angebotenen Schulverpflegung ist mangelhaft.
Schlechte Qualität und kaum Abwechslung sorgen für
Ablehnung bei den Kindern und Jugendlichen.
Die Vernetzungsstellen Schulverpflegung hätten hier
viel zu tun. Mehr Beratung und mehr Unterstützung der
Schulträger könnte das Angebot und die Akzeptanz we-
sentlich verbessern.
Dazu müssten die Vernetzungsstellen ausgebaut und per-
sonell sowie materiell besser ausgestattet werden. Aber
das Aigner-Ministerium lässt die Förderung auslaufen.
Da kann einem der Appetit vergehen.
Frau Kollegin, möchten Sie die Zwischenfrage des
Kollegen Schweickert zulassen?
Gern.
Frau Kollegin Binder, vielen Dank für das Ermögli-
chen einer Zwischenfrage. – Sie haben gerade ausge-
führt, dass es wichtig sei, das Portal weiterzuführen und
auszubauen. Stimmen Sie mit mir überein, dass es die
Aufgabe der Politik ist, dafür zu sorgen, dass tatsächli-
che Missstände zum Beispiel durch Änderungen auf
Vorschlag der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommis-
sion beseitigt werden? Sollte nicht tatsächlich etwas pas-
sieren, anstatt auf Dauer nur ein Meckerportal zu haben?
Lieber Kollege Schweickert, da stimme ich voll undganz mit Ihnen überein. Nur behaupte ich: In diesem Be-reich wird immer kreativer für neue Produkte geworben.Es werden immer mehr Produkte auf den Markt gewor-fen. Das heißt, es wird uns noch lange nicht der Stoffausgehen, um dieses Portal zu bestücken. Bis wir Abge-ordnete tatsächlich die Maßnahmen ergriffen haben, dienötig sind, um einen langfristigen Schutz vor Täuschun-gen aufzubauen, wird es dauern.
Mein dritter Punkt. Nach den Lebensmittelskandalenund den Erkenntnissen der letzten Jahre
sollte Lebensmittelsicherheit beim zuständigen Ministe-rium endlich in den Mittelpunkt der Arbeit rücken. Derletzte Vorfall, bei dem mehr als 11 000 Kinder aufgrunddes Verzehrs tiefgekühlter, verunreinigter Erdbeeren er-krankten, machte die Versäumnisse nochmals deutlich.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25345
Karin Binder
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Die geforderte Neuaufstellung der staatlichen Le-bensmittelkontrolle sucht man im Haushaltsplan vergeb-lich; denn auch dazu müssten Frau Aigner und die Bun-desregierung bereit sein, mehr Geld in die Hand zunehmen, für mehr Personal, für bessere und laufendeQualifizierungsmaßnahmen und für eine bessere Aus-stattung.
Viertens. Die Kürzungspolitik der Bundesregierung inunseren Sozialsystemen zwingt Menschen in die privateVorsorge. Sie sollen selbst mit Verkäufern von Bankenund Versicherungen über ihre Alterssicherung und ihrePflege verhandeln. Die Verluste, die Verbraucherinnenund Verbraucher durch schlechte Finanzberatung schonhinnehmen mussten, gehen in die Milliarden Euro. Des-halb hat die Linke einen Antrag auf Bereitstellung von20 Millionen Euro für die Einrichtung eines Fi-nanzwächters und eines Finanz-TÜV gestellt. Der Fi-nanzwächter soll bei den Verbraucherzentralen angesie-delt werden. Der Finanz-TÜV soll in einer neu zuschaffenden Verbraucherschutzbehörde als Zulassungs-stelle eingerichtet werden und alle neuen Produkte prü-fen, bevor sie auf den Markt kommen. Nur so wird fi-nanzieller Verbraucherschutz wirklich möglich undwerden schwarze Schafe aussortiert werden.
Nur so können undurchsichtige Finanzmärkte wirksamkontrolliert werden. Aber auch dazu müsste Frau Aignerbereit sein, die Anschubfinanzierung zu gewährleisten,die über Einnahmen aus Kartellstrafen refinanziert wer-den könnte.
Damit würden das Verursacherprinzip angewendet unddie Finanzbranche zur Kasse gebeten werden.Mein fünfter und letzter Punkt. Viele Beschäftigte imAigner-Ministerium und in den nachgelagerten For-schungseinrichtungen und Instituten leisten hervorra-gende Arbeit.
Aber fast 3 000 der Beschäftigten in diesen Einrichtun-gen sitzen auf befristeten Stellen, und das ist für mich alsGewerkschafterin und als MdB der Linken ein untragba-rer Zustand.
Wir reden hier in diesem Hohen Hause oft genug übergute Arbeit oder auch über alternsgerechte Arbeit. AlsGewerkschafterin sage ich Ihnen: Es ist nichts so schäd-lich für gute Arbeit und gute Leistung wie ein ungesi-chertes Beschäftigungsverhältnis. Wenn jemand ständigAngst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes haben mussoder dem Druck einer jahrelangen Probezeit ausgesetztist, ist das alles andere als gesundheitsförderlich. Die ei-gene Lebens- und Familienplanung werden durch dieseunsichere Beschäftigung massiv eingeschränkt. Vor al-lem junge Frauen haben dann rasch ein Problem: Wer-den sie schwanger, sind sie ihren Job los.
Frau Kollegin, kommen Sie zum Ende bitte.
Ja, gerne. – Angeblich setzen wir doch auf die hohe
Qualifikation gutausgebildeter junger Frauen. Deshalb
müsste sich die Bundesregierung als Vorbild und als
Vorreiter betätigen und existenzsichernde, gute Arbeit
schaffen.
Frau Kollegin.
Alles andere ist nicht hinnehmbar. Wir werden uns
zusammen mit den Gewerkschaften dafür einsetzen,
dass sich das ändert.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Nicole Maisch hat das Wort für Bündnis 90/Die Grü-
nen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der vorliegende Haushaltsentwurf zeigt vor allenDingen eines, nämlich wie konzept- und ambitionslosdie schwarz-gelbe Bundesregierung ins Wahljahr gehenwird.
Sicher, Sie stellen in einigen Bereichen mehr Mittelein, Sie kippen ein bisschen mehr Geld in bewährteStrukturen – einiges davon wird sich sicher für hübschePR-Aktionen eignen –, aber das verdeckt nicht, dass wires hier mit einer strategischen Leere sondergleichen zutun haben.Sicher, nicht alles, was den Konsumenten nutzt, mussviel Geld kosten.
Nehmen wir die Gesetze gegen unlautere Geschäftsprak-tiken: Inkassobetrug, Telefonwerbung, Abmahnunwe-sen. Diese gammeln allerdings bei der FDP in derSchublade.
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Nicole Maisch
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Die siamesischen Zwillinge aus CDU und FDP könntensich da doch einmal zusammentun
und diese Gesetzespakete aus der Versenkung holen. Wirwarten schon sehr lange darauf.In den zentralen strategischen Feldern der Verbrau-cherpolitik, wo durch Fehlentwicklungen auf den Märk-ten hohe individuelle und volkswirtschaftliche Schädenverursacht werden, müssen Sie investieren, dort müssenSie die Mittel auch konzentrieren. Man kann nicht an dereinen Stelle 1 Million und an anderer Stelle 5 Millionenausgeben, sondern man muss sich finanziell auf be-stimmte inhaltliche Schwerpunkte konzentrieren.
Wir schlagen Ihnen zwei Schwerpunkte vor. Punkteins: die Verbesserung der Ernährung von Kindern undJugendlichen. Punkt zwei: den finanziellen Verbraucher-schutz. Wir haben diese Vorhaben – unsere KolleginKatja Dörner hat das mit Ihnen im Haushaltsausschussverhandelt – auch mit Haushaltsanträgen unterlegt.Ich beginne mit dem Thema Ernährung. Übergewichtund Fehlernährung sind gesundheitspolitische Mega-themen. Individuelles Leid und gesellschaftliche Folge-kosten von ernährungsbedingten Krankheiten zwingenuns zum politischen Handeln. Wann kann man Ernäh-rungskultur und Essverhalten am besten beeinflussen,am besten zum Guten wenden? Das ist natürlich im Kin-der- und Jugendalter. Deshalb fordern wir einErnährungsprogramm, das die Gießkannenstruktur derschwarz-gelben Ernährungspolitik beendet und sinnvolleProjekte in langfristige strukturelle Verbesserungenüberführt.
Unser Problem ist: Wir haben viele nette Einzel-projekte, die auch alle gut sind, aber nach zwei Jahrensind sie vorbei. Das kann es auf Dauer nicht sein.Wir wollen die Schulvernetzungsstellen zu Kompe-tenzzentren Gemeinschaftsverpflegung ausbauen undlangfristig die Strukturen fördern. Frau Aigner, Sie kön-nen doch nicht sagen: Wir lassen die Finanzierung auf-bauen, mit der Schulverpflegung ist alles in Ordnung.Dazu haben die Kollegen, die vor mir gesprochen haben,schon einiges gesagt.Wir wollen ein Bundesprogramm zur Umsetzung derDGE-Standards in der Gemeinschaftsverpflegung.Wir wollen den Umbau bestehender Förderpro-gramme, zum Beispiel in der Absatzförderung. Sie sollanwendbar werden für die regionale Gemeinschaftsver-pflegung.Der zweite Punkt, den ich strategisch sehr wichtigfinde, weil er so hohe individuelle, aber auch volkswirt-schaftliche Kosten verursacht, ist das Thema finanziellerVerbraucherschutz. Trotz unzähliger Debatten hier imPlenum hat sich in den vergangenen Jahren in diesemBereich wenig verändert. Deshalb brauchen wir nebeneiner verbraucherorientierten Finanzaufsicht dringenddie ergänzende sektorspezifische Verstärkung der Anle-gerinteressen. Dass Sie der Stiftung Warentest 1,5 Mil-lionen Euro zweckgebunden geben wollen, finden wirnicht falsch. Die sollen sie bekommen. Aber das reichtnatürlich nicht.Daneben brauchen wir dringend den Aufbau einesMarktwächters, der als Ergänzung zur staatlichen Auf-sicht verbraucherorientierte Marktbeobachtung leisten,Initiativrecht gegenüber der BaFin haben und Instru-mente der kollektiven Rechtsdurchsetzung wahrnehmensoll. Ich weiß, das Thema Wächter ist bei Ihnen negativbesetzt – Sie mögen das Wort nicht –, aber wenn Sie denMarktwächter nicht wollen, dann erklären Sie mir, wieSie die unbestritten notwendigen Aufgaben, zum Bei-spiel verbraucherorientierte Marktbeobachtung, wahr-nehmen wollen. Die Verbraucherzentralen leisten bereitsheute einen Teil dieser Aufgaben, aber es fehlen Ihnensowohl die finanziellen Mittel als auch die rechtlichenVoraussetzungen, um diese Funktion wirklich wahrzu-nehmen.Nicht nur der Haushaltsposten in diesem Bereich istmager, sondern auch die regulatorische Bilanz dieserRegierung im Bereich finanzieller Verbraucherschutz.
Wir fragen Sie: Wo bleibt der Verbraucherschutz alsKernaufgabe der BaFin? Wo bleibt die Rechtsgrundlagefür versteckte Testkäufer? Die Schaffung einer Rechts-grundlage für versteckte Testkäufer hat Frau Aigner wie-derholt in Pressemeldungen angekündigt, gekommen istsie leider nicht. Als wir das hier im Plenum geforderthaben, waren Sie nicht bereit, es zu unterstützen. Wosind die verbesserten Rahmenbedingungen für Sammel-klagen von geprellten Anlegern? Wo ist die Deckelungfür Dispozinsen? Wo ist das im Koalitionsvertrag ange-kündigte gleiche Schutzniveau über alle Produkte, überalle Vertriebswege hinweg? Das ist ein Versprechen, dasSie als FDP und Union im Koalitionsvertrag den Anle-gerinnen und Anlegern gegeben haben. Sie haben esnicht eingeführt.
Frau Aigner, Sie haben den Grünen vorgeworfen, wirhätten ein „Wünsch dir was“ zusammengepackt undkeine Ahnung, wie wir es finanzieren sollen. Das stimmtnicht. Wir haben Gegenvorschläge gemacht.
Es ist klar, wir als Fachpolitiker wären da vielleicht nichtso pingelig gewesen; aber wir haben Haushaltspolitiker,die uns im Nacken sitzen, und diese haben natürlichGegenfinanzierungsvorschläge gemacht. Klar, HerrSchirmbeck, Sie finden die vielleicht gut,
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Nicole Maisch
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aber wir sagen: Wir müssen die Agrarsubventionen aus-laufen lassen, dann ist genug Geld für all das da, was ichhier vorgeschlagen habe.
Frau Kollegin, kommen Sie zum Ende.
Damit komme ich auch zum Ende. – Das sind ein paar
Sparvorschläge, die Sie sich merken sollten. Dann wird
vielleicht aus Ihrer strukturellen Null irgendwann auch
eine richtige schwarze Null.
Mechthild Heil hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir sprechen heute in der Haushaltsdebatteüber unseren Einzelplan 10 und damit auch über dieSchwerpunkte unserer Verbraucherpolitik. Wir sprechendarüber, was wir machen, und auch darüber, warum wirdie Positionen der Opposition ablehnen. In der Debattezur ersten Lesung wurde und in den täglichen Diskussio-nen mit Ihnen wird mir immer wieder sehr deutlich,worin sich unsere Politik von der Ihren unterscheidet.
Grundlage unserer Verbraucherpolitik ist die Ent-scheidungsfreiheit der Verbraucherinnen und Verbrau-cher oder, wie unsere Bundeskanzlerin es heute Morgentreffend formuliert hat: Wir trauen den Menschen in un-serem Land etwas zu.
Wir wollen keine Welt, in der Verbraucher ihre Entschei-dungen nach Farben der Nährwert- oder der Hygieneam-pel treffen: In dem grün markierten Restaurant darf ichessen, weil es dort bei der letzten Kontrolle sauber war.
Die rot gekennzeichnete Butter soll ich stehen lassen,weil sie zu viel Fett enthält, obwohl das eigentlich beiButter normal ist. Ich verstehe schon, dass die Opposi-tion an solch einer Welt Spaß hätte und sich in ihrwohlfühlen würde; denn zumindest dort würde Rot-Gründominieren. In der realen Welt ist das nämlich nicht so.
Die Welt lässt sich nicht so einfach in Rot und Grünbzw. in Gut und Böse einteilen, also in Rot gleichschlecht und Grün gleich gut. Lebensmittel sind nichteinfach entweder gesund oder ungesund. Eine Bäckereiist auch nicht einfach nur deshalb dreckig, weil dort einProtokoll nicht korrekt ausgefüllt wurde. Die Welt, vorallem unsere Konsumlandschaft, ist komplexer als alldas. Sie verliert ihre Komplexität auch nicht, indem mansie auf drei Farben reduziert. Solche Markierungen sindvielleicht in einer Tiefgarage hilfreich, damit man denAusgang findet, aber sicherlich gehören sie nicht in einLebensmittelregal.
Wir sprechen nämlich von selbstbestimmten Men-schen. Ich finde es unerträglich und anmaßend, dass dielinke Seite dieses Hauses meint, man müsse den Men-schen in Deutschland die Welt mundgerecht servieren,
weil sie komplexe Informationen sonst nicht verdauenkönnten. Wir bevormunden die Verbraucher nicht, undwir werden sie auch nicht zu Sklaven eines Farbleit-systems machen. Wir wollen nicht staatlich definieren,was am besten für die Menschen ist, weil wir den Men-schen etwas zutrauen.
Diese unsere Grundhaltung gilt für alle Bereiche.Deshalb gängeln wir die Verbraucher nicht, sondernschaffen Rahmenbedingungen, damit Verbraucher denProdukten am Markt wieder vertrauen können.
Wir haben kostenfreie Warteschleifen eingeführt, umdie Verbraucher vor Abzocke am Telefon zu schützen.
Wir haben das verbindliche Bestätigungsfeld bei Ver-tragsabschlüssen im Internet, den sogenannten Button,eingeführt.
Wir geben der BaFin, der Bundesanstalt für Finanz-dienstleistungen, mehr Kompetenzen bei der Kontrolleder Banken. Ich sage nur: Register für Anlageberater.
Auch das Portal lebensmittelklarheit.de läuft unglaub-lich gut, Frau Binder. Wir haben es eingeführt.
Frau Binder, es liegt eben noch kein Antrag für eineFortsetzung dieses Programms vor, was nicht heißt, dass
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Mechthild Heil
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wir es ablehnen. Aber wir kennen Sie so. Sie verdrehendie Tatsachen und die Wahrheit immer so.
Neben den Verbesserungen der Rahmenbedingungenstärken wir mit Informationen und Aufklärung die Posi-tion der Verbraucher auf den Märkten. Wenn es um In-formation und Aufklärung geht, gilt – das wissen wiralle –: Viel hilft nicht immer viel, im Gegenteil. Was wirstatt einer Informationsflut brauchen, sind verständlicheund zielgruppenspezifische Informationen. Wir brau-chen Transparenz, damit die Verbraucher ohne Schwie-rigkeiten vergleichen und optimal entscheiden können.Deswegen haben wir das Verbraucherinformationsgesetznovelliert.
Jetzt erhalten die Verbraucher Behördenauskünfte zuProdukten schneller, unbürokratischer und sogar meistkostenlos. Außerdem haben wir die Produktinforma-tionsblätter sowie die Protokollpflichten eingeführt unddamit für mehr Durchblick bei Finanzanlagen gesorgt.
Die App „Zu gut für die Tonne!“, die seit gesternonline abrufbar ist, steht heute auf Platz eins. Auch dasist eine Idee von uns. Das ist gute, zielgruppenspezifi-sche Information.
Mit dem Markttransparenzgesetz geben wir denVerbrauchern die Möglichkeit, ihre Marktmacht an denTankstellen tatsächlich zu nutzen.
Aus einem Bürokratiemonster haben wir ein wirksamesInstrument gemacht, das den Autofahrern beim Sparenhilft. Ab Mitte 2013 müssen die Tankstellen jede Ände-rung ihrer Kraftstoffpreise in Echtzeit an eine Datenbankbeim Bundeskartellamt melden. Diese Daten werden denKunden über Internetportale, eine Handy-App oderNavigationsgeräte zur Verfügung gestellt.
Das ist echte Preistransparenz. Jeder Autofahrer – auchSie – kann auf einen Blick die günstigste Tankstelle inseiner Umgebung oder auf seiner Strecke finden. Sokönnen die Verbraucher mit ihrem Tankverhalten denWettbewerb ankurbeln und dadurch die Benzinpreisebeeinflussen.
Die beste Nachricht ist: Unsere Verbraucherpolitikwirkt.
Die Lage und die Zufriedenheit der Verbraucher inDeutschland haben sich in den vergangenen Jahren posi-tiv entwickelt. Das Vertrauen der Bürger in die Märkteist viel stärker ausgeprägt als das Misstrauen. Das isteine Bestätigung für die christlich-liberale Verbraucher-politik.
Die große Herausforderung für uns besteht nun darin,die Verbraucherpolitik an die gesellschaftlichen Verän-derungen anzupassen. Eine der größten gesellschaftli-chen Herausforderungen ist der demografische Wandel.Auch deshalb wurde der Titel „Verbraucherinformation“mit zusätzlichen 5 Millionen Euro ausgestattet. Ziel istes unter anderem, älteren Menschen Hilfe bei der Suchenach einem geeigneten ambulanten Pflegedienst zugeben.Die Stiftung Warentest bzw. deren Zeitschrift Finanz-test soll mit zusätzlich 2 Millionen Euro ausgestattetwerden. Dieses Geld wird die Stiftung nutzen, umFinanzdienstleistungen zu prüfen, zu bewerten und ihrInformationsangebot auszubauen. Damit haben wir einweiteres wirksames Instrument zur Überwachung desFinanzmarktes neben der BaFin und der Verbraucher-zentrale Bundesverband eingeführt. Wir sind in diesemBereich sehr gut aufgestellt. Wir wollen keine Doppel-struktur durch die Einrichtung eines Finanzmarktwäch-ters schaffen.
Bessere und gut aufbereitete Informationen führen zubesseren Entscheidungen. Das wollen wir fördern.Verbraucherpolitik ist aber nie fertig. Die Arbeit istnie ganz getan. Fortwährend kommen neue Produkte aufden Markt, vom einfachen Lebensmittel bis zum kom-plexen Finanzprodukt. Die Gesellschaft ändert sich stän-dig, und damit ändern sich natürlich auch die Bedürf-nisse der Verbraucherinnen und Verbraucher undschlussendlich auch die Verbraucherpolitik. Wir erken-nen diese Veränderungen frühzeitig und gestalten sie mitden Verbraucherinnen und Verbrauchern gemeinsam.Die Verbraucherpolitik der christlich-liberalen Koali-tion ist hervorragend aufgestellt. Wir machen erfolgrei-che Verbraucherpolitik. Das wissen die Menschen imLand. Das spiegelt sich auch in dem heute vorliegendenHaushaltentwurf wider. Ich lade Sie also ein: StimmenSie zu, dann werden Sie Teil unserer Erfolgsgeschichte!Vielen Dank.
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Mechthild Heil
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Kerstin Tack hat jetzt das Wort für die Fraktion der
SPD.
Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sagen, was ist, das möchten wir auch. Wir sind in derVerbraucherpolitik mindestens mangelhaft, wenn nichtungenügend aufgestellt.
– Schön, dass Sie noch aufgewacht sind. Das ist ja einerster Anfang.Wenn ich sage, wir in Deutschland sind in der Ver-braucherpolitik mindestens mangelhaft, wenn nicht un-genügend aufgestellt, dann meine ich beispielsweise denAnlegerschutz.
– Regen Sie sich nicht auf! Jetzt rede ich. Sie sind heutenicht dran. Zumindest haben Sie keine Redezeit bekom-men.
Frau Aigner, was Sie zu den Dispozinsen vorgelegthaben, ist nicht genug für eine Ministerin, die noch imFrühjahr der Meinung war, sie müsste die Verbrauche-rinnen und Verbraucher an dieser Stelle schützen. Dasreicht nicht.Beim Thema Honorarberatung hat Ihnen Ihre eigeneKoalition die Zuständigkeit entzogen. Das ist ein Affrontgegenüber der eigenen Ministerin. Das haben wir inte-ressiert zur Kenntnis genommen.
Die Vorlage, die von Herrn Schäuble kommt, ist auchungenügend. Dieses Verfahren ist leider einer Verbrau-cherministerin in Deutschland nicht würdig, und in derVorlage ist nichts enthalten, was die Anleger und Ver-braucher schützen würde.
Statt Vorschläge für ein modernes Datenschutzrechtvorzulegen, haben Sie es vorgezogen, ausschließlichpersönliche Konsequenzen zu ziehen. Das ist einerMinisterin, die für den Schutz von Verbraucherinnen undVerbrauchern auch in der digitalen Welt zuständig ist,unwürdig.
Die Idee einer Stiftung Datenschutz ist gleich ganz ge-scheitert.Die Stiftung Finanzdienstleistung ist eine Mogelpa-ckung. Jetzt geben Sie der Stiftung Warentest zurück,was Sie ihr vorher genommen haben.
Die Hygieneampel an Restauranttüren, Frau Heil, istkeine Idee der Opposition, sondern geltende Beschluss-lage aller Verbraucherminister in Deutschland, auch derder Union. Mit dem, was Sie hier machen, erweisen Sieden Verbraucherministerinnen und -ministern einen Bä-rendienst. Wenn die Hygieneampel an Restauranttürenauf Rot steht, dann bedeutet das nicht, dass man nicht hi-neingehen darf. Vielmehr hat man Wahlfreiheit und kanntrotzdem die entsprechende Lokalität aufsuchen. Es istsehr arm, Frau Ministerin, dass Sie diese Idee nicht auf-greifen.
Ähnlich verhält es sich mit der Plattform „lebensmit-telklarheit.de“. Weil sie noch nie das Kind der Koalitionwar, ist verständlich, warum im Moment so sehr darüberdiskutiert wird, wie man am besten einstampfen kann,was man sowieso noch nie wollte. Seien Sie doch ehrlichund sagen Sie, dass Sie das nicht wollen, anstatt zu be-haupten, dass das Ganze nicht funktioniert.
In Bayern ist Frau Aigner zwar ganz klar für gentech-nikfreie Regionen, in Brüssel aber stimmt sie allem zu,was der Zulassung von GVO dient. Auch das ist einerVerbraucherministerin, die den Verbraucherwillen inDeutschland im Blick haben sollte, nicht würdig.
Im Gesundheitsbereich gibt es Frau Aigner nicht. Siekommt schlicht und ergreifend nicht vor, obwohl auchhier Verbraucherpolitik betrieben werden muss. Die Pa-tientinnen und Patienten sind bei ihr nicht gut aufgeho-ben.Die Inkassounternehmen können weiterhin irrwitzigeAbmahngebühren verlangen, weil die Koalition seitFrühjahr dieses Jahres nicht in der Lage ist, ein Anti-Ab-zocke-Gesetz auf den Weg zu bringen. Sie nimmt damitin Kauf, dass Millionen Verbraucherinnen und Verbrau-cher weiterhin täglich mit Abmahngebühren hochgradigbelastet werden. Wir halten das für einen Skandal. Ichfinde, auch eine deutsche Verbraucherministerin mussdies skandalisieren, selbst wenn es Schwierigkeiten mitder eigenen Koalition gibt.
Nun sollen 25 Millionen Euro mehr zur Informationder Verbraucher ausgegeben werden. Frau Heil sagtgleichzeitig, man wolle keine Informationsflut. Es er-schließt sich nicht wirklich, wie das zusammenpasst.
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Kerstin Tack
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Mehr Information schadet zwar nicht, aber es muss dochauch klar sein, was man damit will.Wir wollen den Ausbau von Forschung. Wir wollen,dass man sich mit der Effektivität all unserer politischenEntscheidungen für die Verbraucherpolitik auseinander-setzt. Wir wollen, dass klar ist, welche Instrumente zumZiel führen. Wir wollen, dass durch qualifizierte For-schung bessere finanzielle Anreize gegen bessere Kon-trollen abgewogen werden. Wir wollen, dass klar ist, obProduktinformationen verständlich sind oder nicht. Dazubrauchen wir entsprechende Bedingungen und vor allenDingen Forschungsvorhaben, die uns das dokumentie-ren.Last, but not least: Ja, wir wollen einen Marktwächter.Wir wollen ihn starkmachen. Wir wollen ihn nicht ir-gendwie. Ich denke, dass wir da nicht weit auseinander-liegen; denn wir haben die Einführung dieses Markt-wächters in der Großen Koalition 2008 gemeinsambeschlossen. Sie wollen das nicht wahrhaben, aber es istnun einmal so. Wir wollen ihn, weil nach unserer An-sicht die Verbraucherinnen und Verbraucher ein Rechtdarauf haben, dass ihre Interessenvertretung bei einemsehr starken Markt ein Gewicht bekommt. Deshalb wol-len wir neben dem Finanzmarktwächter auch einenMarktwächter für Gesundheit, für digitale Welt und fürEnergie. Denn wir glauben, dass dies Bereiche sind, indenen starke Verbraucherstimmen, und zwar kollektiv,gegenüber einer starken Anbieterseite von Nutzen seinkönnen. Wir wollen damit der Aufsicht die Chance ge-ben, effektiv tätig zu werden, indem sie gezielten Hin-weisen, die sie durch das System der Marktwächter er-halten, nachgehen können.Wir glauben, dass das allemal sinnvoll eingesetztesGeld für gelingende und gute Verbraucherpolitik inDeutschland ist. Wir stellen unsere Vorschläge heute zurAbstimmung und freuen uns auf Ihre Unterstützung.Herzlichen Dank.
Der Kollege Franz-Josef Holzenkamp hat jetzt das
Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen!
Bei aller Kritik von der Opposition – das gehört in derHaushaltswoche dazu – bleibt es dabei: Wir haben imKern einen richtig guten Haushalt vorgelegt. Ich möchteden Haushältern für unseren Einzelplan, HerrnSchirmbeck und auch Herrn Haustein, und auch demBMELV mit Ilse Aigner an der Spitze ein herzlichesDankeschön sagen. Dieser Haushalt steht für Verläss-lichkeit und Perspektive. In diesem bescheidendenHaushalt leisten wir einen Beitrag – auch wenn er über-sichtlich ist – für die Konsolidierung. Gleichzeitig habenwir bei wirklich knappem Budget – das ist unstreitig; daswissen wir alle hier – zukunftsweisende Schwerpunktegesetzt.
Was macht die Opposition? Ich unterstreiche das, wasIlse Aigner gesagt hat: Bei der Opposition geht es nachdem Motto „Wünsch dir was“. Bundesprogramme sollenfinanziert und Fachgremien eingerichtet werden. DieSPD will erforschen lassen, wie lange technische Geräteleben. Das kann man machen, aber damit muss derHaushalt doch wirklich nicht belastet werden. Wir alsKoalition sagen dazu Nein.
Wenn die Opposition mal mit Sparvorschlägenkommt, dann geht es gleich ums Ganze: Grüne undLinke fordern – der Punkt wurde mehrfach angespro-chen –, die Exportförderung auf Null zu setzen. Ich habeschon häufiger daran erinnert: Welthandel ist Vorausset-zung für Welternährung.
Es geht nicht um Billigexporte. Wir sind für eine Ab-schaffung von Exporterstattungen. Ich unterstreiche dasnoch einmal ausdrücklich.
Aber wir sind für Wertschöpfung im ländlichen Raumdurch kleine und mittelständische Unternehmen; umdiese geht es nämlich. Es geht um Arbeitsplätze im länd-lichen Raum. Die Großen helfen sich sowieso selber.
Aber das ist ja bei Ihnen Programm: Gegen die Gro-ßen wettern und die Kleinen treffen.
Einmal abgesehen von den inhaltlichen Irrungen undWirrungen in Ihren Anträgen: Was kostet denn diesesWunschkonzert? Die SPD bewegt sich mit ihren Weih-nachtswünschen in einem Bereich um 50 MillionenEuro. Ich muss loben, dass dies gegenfinanziert ist. Aberwo? Die Zuschüsse bei der landwirtschaftlichen Unfall-versicherung sollen um 50 Millionen Euro abgesenktwerden. Meine Damen und Herren, die landwirtschaftli-chen Familien sollen die Wünsche der SPD über Bei-tragssatzerhöhungen bei der Unfallversicherung bezah-len!
Es ist für sie schon schwer genug, mit der alten Last desStrukturwandels fertigzuwerden. Mit uns ist das nicht zumachen. Wir finden das sogar schäbig. Das zeigt Ihr ge-ringes Interesse an der deutschen Landwirtschaft, meineDamen und Herren von der SPD.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. November 2012 25351
Franz-Josef Holzenkamp
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Es geht weiter – diesmal ohne Gegenfinanzierung;Frau Aigner hat das angerissen –: Die Grünen wollenMehrausgaben von 35 Millionen Euro,
die Linken – beim Geldausgeben sind Sie ja unangefoch-ten Spitze –
Mehrausgaben von 72 Millionen Euro. Wer bezahlt das?Das bezahlt der Steuerzahler. Das sind die Verbrauche-rinnen und Verbraucher. Deshalb haben wir Ihre Anträgeaus Überzeugung abgelehnt. Das ist Verbraucherschutz.Verbraucherschutz bedeutet auch Entlastung der Men-schen, meine Damen und Herren. Das sollte man irgend-wann einmal begreifen!
Da wir gerade beim Verbraucherschutz sind:
Schauen Sie sich das Gutachten von Prognos, das schonzitiert wurde, an – ein glänzendes Zeugnis für die christ-lich-liberale Koalition.
Wir ruhen uns aber nicht aus. Wir erhöhen die Mittel undsetzen sie effizient und effektiv ein.
Frau Tack, Sie haben die Kennzeichnung durch Am-pel und Smileys angesprochen. Sie haben mit Ihrer Aus-sage zur Position der Verbraucherschutzminister und–ministerinnen der Länder in Deutschland recht. Aberder Vollständigkeit halber müssen Sie dazusagen: AlleWirtschaftsminister sind dagegen, auch die von der SPD.Sie müssen sich einmal entscheiden. So einig sind Siesich nämlich nicht.
Noch einmal zur Agrarsozialpolitik, meine Damenund Herren. Die deutschen Bauern, die Bauernfamilienin Deutschland, können sich bei der Sozialversicherungauf uns als christlich-liberale Koalition verlassen. Allesind uns wichtig.
Deshalb unterstützen wir auch gern den Umbau unsererSozialversicherung hin zu einem Bundesträger, verteiltüber drei Jahre, mit 150 Millionen Euro, damit das Tra-gen der alten Last verträglich bleibt.Meine Damen und Herren, wir wollen Innovation undForschung. Die Herausforderungen – ich glaube, da sindwir uns alle einig – sind gewaltig. Wir müssen 2050 fastdoppelt so viele Lebensmittel erzeugen wie heute. Bisdahin sind es nur noch knapp vierzig Jahre. Das geht nurmit einer modernen und zukunftsorientierten Landwirt-schaft – die EuroTier hat das übrigens in besondererForm deutlich gemacht –,
in Deutschland, in Europa, aber gerade auch in denSchwellen- und Entwicklungsländern.
Dafür braucht es mehr Forschung und mehr Innovation.Deshalb haben wir diese Mittel um 27 Millionen Euroerhöht,
auf insgesamt 0,5 Milliarden Euro.Da sonst immer so viel gemeckert wird, will ich andieser Stelle endlich einmal den vielen Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern dieser Institute – Schorse Schirmbeckhat darauf hingewiesen – ein Dankeschön für ihre her-vorragende Leistung und die hervorragende Arbeit, diesie leisten, sagen.
Auch im Jahr 2012 ist bisher eine ganze Menge auf siezugekommen.
Ich will auf das Modell- und Demonstrationsvorha-ben hinweisen. Hier stellen wir für den Tierschutz21 Millionen Euro zusätzlich bereit. Meine Damen undHerren, Sie haben viele Wünsche zum Thema Tierschutzgeäußert. Wir unterlegen ihn mit konkreten Haushalts-mitteln. Das ist auch nicht neu. Wir tun nämlich bereitsetwas. Es gibt schon solche Versuche, beispielsweise inmeinem Heimatbundesland Niedersachsen; ich kann Ih-nen entsprechende landwirtschaftliche Betriebe nennen.Wir wollen den Tierschutz praktikabel und letztendlichbezahlbar gestalten.
Wenn Sie so einfach sagen: „Von heute auf morgensoll mit der betäubungslosen Ferkelkastration Schlusssein; wir wollen sie verbieten“, dann frage ich Sie: Wasfür Folgen hat das eigentlich, gerade für die kleinenlandwirtschaftlichen Betriebe?
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Franz-Josef Holzenkamp
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Sie befeuern den Strukturwandel in einer Art und Weise,die vollkommen unangemessen ist.
Wissen Sie eigentlich, was Sie den Bauernfamilien an-tun? Ihnen ist das offensichtlich egal. Uns als christlich-liberaler Koalition ist das aber nicht egal, meine Damenund Herren.
Im Übrigen sage ich an die Adresse der SPD: Wennihr bei diesem Thema sagt: „Sofort verbieten!“, gleich-zeitig aber einen Änderungsantrag zum Haushalt ein-bringt, in dem ihr mehr Forschung zu diesem Bereichfordert, ist uns nicht ganz klar, was ihr wirklich wollt. Ihrmüsst euch einmal entscheiden.
Noch einige Ausführungen zum Thema Verlogenheit.
Es vergeht kein Tag, an dem wir uns nicht von den Grü-nen anhören müssen, wie schlimm dieser Export ist unddass man den Menschen vor Ort helfen müsse. Bei Letz-terem sind wir einer Meinung. Das ist uns tatsächlichwichtig. Deshalb haben wir die Mittel für die BilateraleTechnische Zusammenarbeit um 2 Millionen Euro auf-gestockt.Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,Sie haben vorgeschlagen, das wieder zurückzunehmenund davon eine Kampagne gegen Gentechnik zu ma-chen.
Das steht so in Ihrem Antrag. Das ginge auf Kosten derArmen. Das ist nicht zu verantworten; das kann nichtsein.
Ich komme abschließend zum Thema „GemeinsameAgrarpolitik“. In dieser Woche finden Verhandlungenüber den mehrjährigen Finanzrahmen statt. Meine Da-men und Herren, eines wünsche ich mir von uns allen:Lasst uns die Diskussion nicht nur auf Umverteilung re-duzieren! Verfolgen wir doch gemeinsam deutsche Inte-ressen!
Wir würden unseren Bauern etwas Gutes tun.Wir haben einen Superhaushalt entwickelt, einenHaushalt mit Perspektive für Verbraucherschutz, für dieLandwirtschaft. Wenn Sie ehrlich sind, können Sie ihmnur zustimmen.
Damit schließe ich die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 10 – Bundesministerium für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz – in der Ausschussfas-sung.Sie haben vier Änderungsanträge der Fraktion derSPD vorliegen, über die wir zuerst abstimmen.Änderungsantrag auf Drucksache 17/11533. Werstimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmungdurch SPD und Linke. CDU/CSU und FDP waren dage-gen. Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten.Änderungsantrag auf Drucksache 17/11534. Werstimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Änderungsantrag ist ebenfalls abgelehnt bei Zustim-mung durch die einbringende Fraktion. Linke und Bünd-nis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Die Koalitions-fraktionen waren dagegen.Änderungsantrag auf Drucksache 17/11535. Werstimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Änderungsantrag ist wiederum abgelehnt bei Zu-stimmung durch SPD und Linke. Bündnis 90/Die Grü-nen haben sich enthalten. Die Koalitionsfraktionen wa-ren dagegen.Änderungsantrag auf Drucksache 17/11536. Werstimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Ableh-nung durch CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grü-nen. SPD und Linke waren dafür.Weiterhin liegt uns ein Änderungsantrag der FraktionDie Linke auf Drucksache 17/11537 vor. Wer stimmt da-für? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Än-derungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch dieFraktion Die Linke. Die Koalitionsfraktionen waren da-gegen. SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben sich ent-halten.Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Einzel-plan 10 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für denEinzelplan 10 in der Ausschussfassung? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Einzelplan in
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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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der Ausschussfassung angenommen bei Zustimmungdurch die Koalitionsfraktionen. Die Oppositionsfraktio-nen waren dagegen.Damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesord-nung. Ich berufe die nächste Sitzung des DeutschenBundestages auf morgen, Donnerstag, den 22. Novem-ber 2012, 9 Uhr, ein.Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonne-nen Einsichten. Die Sitzung ist geschlossen.