Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebeKolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll dieTagesordnung um den Antrag der Fraktion der FDP„Handlungsfähigkeit der Außenpolitik wiederherstellen“– Drucksache 14/9948 – erweitert werden. Sind Sie damiteinverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann istso beschlossen.Wir setzen die Haushaltsberatungen fort:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Fest-stellung des Bundeshaushaltsplans für das Haus-haltsjahr 2003
– Drucksache 14/9750 –b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungFinanzplan des Bundes 2002 bis 2006– Drucksache 14/9751 –Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanz-leramtes, des Auswärtigen Amtes, des Bundesministe-riums der Verteidigung sowie des Bundesministeriumsfürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.Außerdem rufe ich den Tagesordnungspunkt 6 a und6 b sowie Zusatzpunkt 5 auf:6. a) Beratung des Antrags der Fraktion der PDSKeine deutsche Beteiligung an einem Krieg ge-gen den Irak– Drucksache 14/9876 –b) Beratung des Antrags der Fraktion der PDSKeinen Krieg gegen den Irak– Drucksache 14/9877 –ZP 5 Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Helmut Haussmann, Ina Albowitz, Paul K.Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDPHandlungsfähigkeit deutscher Außenpolitikwiederherstellen– Drucksache 14/9948 –Ich erinnere daran, dass wir gestern für die heutigeAussprache insgesamt vier Stunden beschlossen haben.Ich erteile das Wort dem Ministerpräsidenten des Frei-staates Bayern, Edmund Stoiber.Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident
mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr
Niemand auf diesem Kontinent will Krieg. Niemand inDeutschland will Krieg, weder der Bundeskanzler nochich, weder SPD noch CDU/CSU noch die anderen Par-teien in diesem Hause.
Gerade aufgrund unserer bitteren geschichtlichen Erfah-rung ist die Verpflichtung zum Frieden Grundlage derPolitik von CDU und CSU.
Das gilt seit den Anfängen dieser Republik unter KonradAdenauer und all seinen Amtsnachfolgern. In der Tradi-tion dieser Verpflichtung stehe ich und steht die gesamteUnion.
Niemand in diesem Land, das im vergangenen Jahr-hundert zwei furchtbare Weltkriege durchlitten hat, will25575
253. SitzungBerlin, Freitag, den 13. September 2002Beginn: 9.00 UhrKrieg. Dieser gemeinsame Konsens darf auch in Wahl-kampfzeiten nicht unter die Räder kommen.
Niemand sollte mit den Ängsten der Menschen Politikmachen.
Das Entscheidungsmonopol zur Sicherung des Welt-friedens liegt bei den Vereinten Nationen. Ich habe deshalbdas klare Bekenntnis des amerikanischen Präsidenten zumVorrang der Vereinten Nationen und des Weltsicherheits-rates in der Irak-Frage mit Befriedigung zur Kenntnis ge-nommen.
Entscheidend ist das politische Ziel des amerikanischenPräsidenten, dass der Irak die Waffeninspektoren wiederuneingeschränkt und ohne Bedingungen zulässt.
Das Ziel ist Abrüstung und mehr Sicherheit in der Regionund für die ganze Welt. Der amerikanische Präsident hatausdrücklich unterstrichen, dass dieses Ziel im Rahmender UNO erreicht werden soll.Gestern Abend hat mir UN-Generalsekretär KofiAnnan in einem ausführlichen Telefonat
bestätigt, dass er die Rede des amerikanischen Präsiden-ten als Stärkung der Vereinten Nationen begrüßt und siefür sehr ermutigend hält.
Wie er bin ich der festen Überzeugung, dass nur Ge-schlossenheit und gemeinsames Handeln der Völkerge-meinschaft Inspektoren im Irak durchsetzen und den Dik-tator in die Schranken verweisen werden.
Die Stärkung der Rolle der Vereinten Nationen ist auchdas Ziel unseres Nachbarn im Westen, des französischenStaatspräsidenten Chirac, mit dem ich mich am Mittwocheingehend unterhalten habe.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Sicher-heitsrat muss auf eine bedingungslose Rückkehr der UN-Waffeninspektoren in den Irak drängen. Wenn der Irakdie Rückkehr der UN-Waffeninspektoren innerhalb dergesetzten Frist nicht akzeptiert, muss der Weltsicherheits-rat erneut tätig werden.
Entscheidend ist, dass Europa in dieser Frage mit einerStimme spricht. Europa muss einen gemeinsamen Wegder Friedenssicherung gehen.
Herr Bundeskanzler, aus Wahlkampfgründen habenSie den europäischen Weg verlassen und Kriegsszenarienhochgezogen.
Was Deutschland betrifft, ist eines klar: Niemand verlangtden Einsatz deutscher Soldaten im Irak und niemand wirdeine solche Anforderung an Deutschland richten.
Sie wissen genau, dass die Bundeswehr 10 000 Soldatenim Auslandseinsatz hat: von Afghanistan bis zum Bal-kan.
Sie wissen auch ganz genau, dass die Bundeswehr bisüber ihre Grenzen gefordert ist. Wenn der Bundeskanzlerso tut, als müsse er eine Frage beantworten, die in Wirk-lichkeit niemand stellt, täuscht er unser Volk!
Meine Damen, meine Herren, ich möchte dies nocheinmal ansprechen: Sie isolieren – so lauten heute dieKommentare in allen großen Tageszeitungen – mit IhrerPosition Deutschland in der Weltgemeinschaft und vor al-len Dingen in Europa. Dies muss beendet werden.
Aber es geht nicht um die Entscheidung, ob deutscheTruppen in den Irak entsendet werden.
Es geht vielmehr darum, ob Sie, Herr Bundeskanzler, Ihremiserable Bilanz in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpo-litik fortschreiben können oder nicht. Das ist die zentraleFrage.
Sie beschäftigen sich mit außenpolitischen Fragen, dieniemand an Sie stellt, beantworten aber nicht die Fragen,die das deutsche Volk an Sie hat.
Ich sage noch einmal zum Vorwurf der Isolation: Stattdie notwendigen Gespräche mit den Verbündeten, mit denFreunden und den Nachbarn zu führen, um Einfluss zunehmen, schüren Sie Kriegsangst und ziehen damit überdie Marktplätze.
Auf diese Weise stellen Sie Deutschland ins Abseits. Eswird unser erstes politisches Ziel sein, die Irritationen beiunseren Freunden und Partnern auszuräumen, die Sie,Herr Bundeskanzler, zum Schaden Deutschlands herbei-geführt haben.
Herr Bundeskanzler, mit dieser durchsichtigen Wahl-kampftaktik und mit der Täuschung der Menschen versu-
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chen Sie Ihr Versagen in der Wirtschafts- und in der Ar-beitsmarktpolitik zu verdecken.
Die Wahrheit ist doch: Unabhängig vom Ausgang derWahl wird im Winter kein einziger deutscher Soldat imIrak stehen. Aber wenn Sie die Wahl gewinnen würden,dann wären in Deutschland schon im Winter noch300 000 Arbeitslose mehr zu beklagen.
Allein zwölf der größten deutschen Unternehmen wer-den insgesamt rund 50 000 Arbeitsplätze abbauen. DieBauwirtschaft wird 60 000 Arbeitsplätze streichen.
Der Einzelhandel hat 30 000 Entlassungen angekündigt.In vielen Betrieben in ganz Deutschland sind weitere Tau-sende von Arbeitsplätzen akut gefährdet. Gestern hat zumBeispiel das Statistische Bundesamt für das erste Halbjahrdieses Jahres 18 500 Pleiten und den damit verbundenenVerlust von 134 000 Arbeitsplätzen gemeldet. Gesternwurde bekannt, dass über 5 000 Arbeitsplätze bei Mobil-com vor dem Aus stehen. Zusammen mit den Arbeitsplät-zen, die bei Privatinsolvenzen verloren gehen, werden biszum Jahresende über 600 000 Arbeitsplätze wegfallen.Das ist die bittere Wahrheit in Deutschland, Herr Bundes-kanzler. Das ist die Perspektive bei Rot-Grün.
Sie haben kurz vor der Wahl 1998 vom damaligen Auf-schwung behauptet: „Das ist mein Aufschwung.“ Deshalbgilt im Jahre 2002 mit 4 Millionen Arbeitslosen im Juni,im Juli und im August: Das sind Ihre Arbeitslosen, HerrBundeskanzler.
Millionen in ganz Deutschland, in West und Ost, leidenunter der Arbeitslosigkeit. Diese Katastrophe führt zu ma-terieller und seelischer Not der Menschen. In Deutschlandherrscht millionenfach Zukunftsangst und Perspektivlo-sigkeit.
Arbeitslosigkeit vernichtet das Selbstwertgefühl und dasSelbstbewusstsein der Menschen. Arbeitslosigkeit zer-stört den Wohlstand der betroffenen Familien. Die Folgender Massenarbeitslosigkeit treffen die gesamte Gesell-schaft. Massenarbeitslosigkeit treibt die Beiträge zur Ren-ten- und zur Krankenversicherung in die Höhe. Massen-arbeitslosigkeit führt zu dramatischen Steuerausfällen.Massenarbeitslosigkeit raubt die Kraft zu Investitionen indie Zukunft des gesamten deutschen Volkes. Deshalb istMassenarbeitslosigkeit das Grundübel unserer Gesell-schaft.
Wo ist der Kraftakt dieser Regierung für die Millionenvon arbeitslosen Frauen und Männern? Wo sind die So-fortprogramme? Wo ist Ihr Minister, der durchs Landfährt und der den Menschen Hoffnung gibt? Wo ist derWirtschaftsminister? – Fehlanzeige!
Wo ist Ihr großes Projekt? Wo ist Ihr Befreiungsschlag?Wo ist Ihr Aufschwung, der zu mehr Beschäftigung führt?Ich kann nur sagen: Totalausfall! Sie haben kein Kon-zept und keine Mannschaft.
Sie haben kein Angebot für Deutschland.
Jetzt im Wahlkampf plakatieren Sie plötzlich: An-packen! – Zum Anpacken hatten Sie vier Jahre Zeit.
Sie haben in vier Jahren die Chancen von Millionen ar-beitslosen Frauen und Männern vertan. Nicht erst seit52 Gutachten und nicht erst seit Hartz wissen Sie, was zutun ist. Ich zitiere:Deutschland als eine der reichsten Nationen der Weltleidet unter einer bedrückend hohen Massenarbeits-losigkeit. Die Ursachen dafür sind nur zum Teil,höchstens zu einem Viertel, konjunkturell, sie sindüberwiegend, also mindestens zu drei Vierteln,strukturell: ... zu hohe Arbeitskosten, ... zu hohe Re-gulierungsdichte durch den Staat und die Bürokratie,ein Steuerrecht, ... das Unternehmen und Haushalteüber Gebühr belastet ...Das waren die Worte des Bundeskanzlers GerhardSchröder am 1. Februar 1999 auf dem Weltwirtschafts-forum in Davos. Schon damals wussten Sie sehr genau,was gegen die Arbeitslosigkeit zu tun ist. Sie hatten 1999und Sie haben 2002 kein Erkenntnisproblem. Sie habenein Durchsetzungsproblem.
Sie werden mit dieser SPD und mit dieser KoalitionIhre Versprechen niemals durchsetzen. Sie sind in denvergangenen vier Jahren gescheitert.
Ihre „ruhige Hand“ würde auch in weiteren vier Jahrenscheitern.
Herr Bundeskanzler, Sie wollten nicht alles anders,aber vieles besser machen.
Sie haben in Ihrer Regierungserklärung im Novem-ber 1998 versprochen:Wir wissen: Ökonomische Leistungsfähigkeit ist derAnfang von allem.Das war Ihr Anspruch. Tatsache ist: Deutschland ist beimWachstumstempo der Länder in Europa Schlusslicht.
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Im Jahre 2001 dümpelte Deutschland beim Wachstum amEnde aller 15 EU-Staaten. Der EU-Durchschnitt war zwei-einhalbmal so hoch. Zudem besteht keine Aussicht aufBesserung. Der Aufschwung ist in weite Ferne gerückt.Nur Herr Riester erwartet noch im Herbst einen Frühling.
Heute bemühen Sie als fadenscheinige Ausrede für denletzten Platz Deutschlands die schlechte Weltwirtschaft.Tatsache ist aber: Der Export Deutschlands ist auch imJahre 2001 um über 7 Prozent gestiegen.
Unser Außenhandelsüberschuss schlägt gegenwärtig alleRekorde.
Wir haben eine Binnenrezession. Deutschlands Problemist nicht die Exportabhängigkeit. Deutschlands Problemheißt Rot-Grün.
Schon seinerzeit in Davos hatten Sie das Problem er-kannt. Helmut Schmidt hat Ihnen vor ein paar Wochennoch einmal ins Stammbuch geschrieben,
dass die Probleme der Arbeitslosigkeit nichts mit derWeltwirtschaft zu tun haben. Es ist Ihre Bilanz, die wir ge-genwärtig haben. Das haben die Menschen in Deutsch-land nicht verdient.
Sie wollten vieles besser machen. Sie haben in IhrerRegierungserklärung 1998 versprochen:Wir eröffnen den Menschen die Perspektive derSelbstständigkeit. ... Dies wird Kennzeichen einermittelstandsorientierten Politik ...Das war Ihr Anspruch. Das war der richtige Ansatz. DerMittelstand bietet 70 Prozent der Arbeitsplätze und80 Prozent der Ausbildungsplätze. Im Mittelstand ent-scheidet sich der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Diedeutsche Arbeitsmarktkatastrophe ist deshalb vor allenDingen eine Mittelstandskatastrophe. Tatsache ist: IhreSteuerreform führt zu einem katastrophalen Investitions-rückgang in den Kommunen.
Das kostet Aufträge für den Mittelstand.
Ihr Gesetz zur Scheinselbstständigkeit ist ein Jobkiller.
Mit dem geänderten Betriebsverfassungsgesetz belastenSie den Mittelstand mit Bürokratie und Kosten. Der un-konditionierte Rechtsanspruch auf Teilzeit wie die Ein-schränkung der befristeten Arbeitsverhältnisse – allesgeht zulasten des Mittelstands. Das sind mit die Ursachenfür die hohe Arbeitslosigkeit und für Pessimismus undZurückhaltung im Mittelstand. Der Mittelstand hat keinVertrauen in Sie, nachdem Sie 1998 so viel versprochenund nichts gehalten haben.
Die Selbstständigenquote ist seit 1998 permanent ge-sunken. Die Zahl der Gewerbeanmeldungen sank sogarum 10 Prozent.
Hinzu kommen 40 000 Unternehmenspleiten in diesemJahr. Beides stellt einen Negativrekord in der deutschenNachkriegsgeschichte dar. Der deutsche Mittelstand hatkeinerlei Vertrauen in diese Regierung. Das ist Ihre Bilanz.Das haben die Menschen in Deutschland nicht verdient.
Sie sind mit dem Anspruch angetreten, vieles besser zumachen. Sie haben in Ihrer Regierungserklärung vom No-vember 1998 zum Thema Steuerreform versprochen:Sie verbindet modernen Pragmatismus mit einemstarken Sinn für soziale Fairness. Im Mittelpunkt stehtdie Entlastung der aktiv Beschäftigten und ihrer Fa-milien sowie der kleinen und mittleren Unternehmer.
Das war Ihr Anspruch. Tatsache ist: Erst haben Sie denMittelstand und die Arbeitnehmer gegenüber den Kapi-talgesellschaften benachteiligt und jetzt verschieben Siedie Steuerentlastung für die kleinen Leute und für diePersonenunternehmen. Im Jahr 2000 haben die Kapi-talgesellschaften noch 23 Milliarden Euro Körper-schaftsteuer gezahlt. Im Jahr 2001 hingegen haben dieFinanzminister 400 Millionen Euro ausbezahlt. Aus einerSteuereinnahme, die die fünftgrößte Einnahmequelle desStaates darstellte, ist ein reiner Ausgabenposten gewor-den. Viele große Firmen zahlen keine Körperschaftsteu-ern mehr.
Aber den Alleinerziehenden streicht Rot-Grün den Haus-haltsfreibetrag! Das ist sozial ungerecht.
Viele große Firmen zahlen keine Körperschaftsteuermehr. Aber Rot-Grün erhöht die Besteuerung von Abfin-dungen für Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz verlieren.Das ist sozial ungerecht.
Was ist aus dieser SPD geworden, meine sehr verehrtenDamen und Herren?
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Wo bleibt die soziale Gerechtigkeit? Sie formulieren ei-nen Anspruch, wo bleibt die Erfüllung? Diese Diskrepanzmuss immer wieder deutlich gemacht werden.
Nach den bisherigen Erhöhungen von Öko-, Tabak- undVersicherungsteuer plant Rot-Grün zum 1. Januar 2003nochmals eine dreifache Steuererhöhung: erstens Öko-steuer, zweitens Einkommensteuer und drittens Körper-schaftsteuer. Nach Ansicht der Wirtschaft treibt diesesSteuererhöhungsprogramm 25 000 Firmen in die Pleite. Eskostet 200 000 Arbeitsplätze und bedeutet damit für die öf-fentliche Hand circa 4,6 Milliarden Euro Mehrbelastung.Das ist Ihre Bilanz. Das haben die Menschen inDeutschland nicht verdient!
CDU/CSU werden in einer neuen BundesregierungDeutschland zu einem Land machen, in dem es wieder at-traktiv und erstrebenswert ist, sich selbstständig zu ma-chen. Wir haben morgen nur dann mehr Arbeit, wenn wirheute für mehr Selbstständige sorgen.
Wir werden alles tun, damit Dynamik, Mut zum Risikound Initiativgeist nicht länger mit Bürokratismus undübermäßiger Belastung durch Steuern und Abgaben er-stickt werden. Deshalb werden wir das Gesetz zurBekämpfung der Scheinselbstständigkeit außer Kraft set-zen und damit Existenzgründern Mut machen sowie Exis-tenzgründungen anregen.
Jeder Existenzgründer schafft im Durchschnitt drei neueArbeitsplätze. Deshalb werden wir den Mittelstand beider Bildung von Eigenkapital für Investitionen durch ver-besserte Bedingungen für Abschreibungen, für die An-sparrücklage und für Beteiligungskapital unterstützen.Wir stehen im Interesse der Gesamtwirtschaft an der Seitedes Mittelstandes.
Wir werden deshalb auch die von Rot-Grün geplanteErhöhung der Gewerbesteuerumlage zum 1. Januar 2003rückgängig machen, damit unsere Kommunen ihre sozia-len Aufgaben erfüllen und wieder investieren können. Dasschafft Arbeitsplätze im Mittelstand.
Wir werden außerdem die nächste Erhöhung der Öko-steuer abschaffen. Mit uns gibt es keine Steuererhöhungenzum 1. Januar nächsten Jahres.
Wir werden des Weiteren die von Rot-Grün geplante Ver-schiebung der nächsten Entlastungsstufe der Steuer-reform rückgängig machen. Mit uns werden die Bürger imnächsten Jahr rund 10 Milliarden Euro mehr in ihrer Ta-sche haben.
Das alles ist ein tatsächlich wirksames Konjunkturpro-gramm, das auch Arbeit schafft.Herr Bundeskanzler, Sie wollten vieles besser machen.Sie haben in Ihrer Regierungserklärung vom November1998 versprochen:Die Bundesregierung ist sich völlig im Klaren da-rüber, dass sie ihre Wahl wesentlich der Erwartungverdankt, die Arbeitslosigkeit wirksam zurückdrän-gen zu können.Genau dieser Herausforderung werden wir uns stellen.Das war Ihr Anspruch vor knapp vier Jahren. Tatsache ist:Seit August 2001 steigt die Arbeitslosigkeit im Vergleichzum Vorjahresmonat. Seit Oktober 2001 sinkt die Zahl derErwerbstätigen im Vergleich zum Vorjahresmonat. DerTrend geht abwärts. Auch im Jahresschnitt werden übervier Millionen Menschen arbeitslos sein. Das sind500 000 Arbeitslosenschicksale mehr, als der Kanzler1998 landauf, landab versprochen hat. Die „Zeit“ kom-mentiert: „Nun ist der Kanzler dort angekommen, wo erim Oktober 1998 begonnen hat.“ Das ist Ihre Bilanz. Dashaben die Menschen in Deutschland nicht verdient.
Herr Bundeskanzler, Sie wollten vieles besser machen.Sie haben in Ihrer Regierungserklärung vom November1998 gesagt, versprochen:Das Bündnis für Arbeit ist der richtige Ort, um sichden drängenden Fragen zu stellen.Sie wollten Arbeit finanzieren statt Arbeitslosigkeit be-zahlen. Das war Ihr Anspruch. Tatsache ist: Rot-Grün hatden Niedriglohnsektor mit bürokratischem Mehltau über-zogen. Das Job-AQTIV-Gesetz ist ein bürokratischerFlop. Hören Sie sich einmal in den deutschen Arbeitsäm-tern um! Dann stellen Sie fest, dass dieses Gesetz nichtvollziehbar ist.Nach dem Totalausfall des Bündnisses für Arbeit wirdnun Herr Hartz als Heilsbringer angepriesen. Jahrelanghat der Bundeskanzler auf die Entwicklung der Weltwirt-schaft hingewiesen und sie als Ausrede gebraucht. Plötz-lich soll die Arbeitslosigkeit durch das Umsetzen der Vor-schläge der Hartz-Kommission halbiert werden können.Zuerst haben Sie versprochen, die Zahl der Arbeitslosen um0,5 Millionen zu senken. Jetzt versprechen Sie indirekt, inzwei Jahren die Zahl der Arbeitslosen um 2 Millionen zuverringern. Merken Sie denn nicht, wie unglaubwürdig dasalles ist und wie sehr Sie Vertrauen missbrauchen?
Je schlimmer die Lage wird, desto fantastischer werdendie Versprechungen.
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CDU und CSU und eine neue Bundesregierung werdenDeutschland zu einem Land machen, in dem sich Arbeitund Leistung wieder lohnen.
Wir werden sofort neue 400-Euro-Jobs einführen. Wirschaffen damit Jobs ohne jede Steuer oder Abgabe für denArbeitnehmer, brutto für netto. Damit werden wir bei Ein-kommen im Bereich von 400 bis 800 Euro die Abgabenreduzieren und Arbeit wieder attraktiver machen.
Wir werden die Arbeitslosenhilfe, die Sozialhilfe undden Niedriglohnbereich reformieren. Für uns gilt derGrundsatz: Wer arbeitet, muss mehr in der Tasche habenals der, der nicht arbeitet. Das werden wir in ganzDeutschland durchsetzen.
Herr Bundeskanzler, Sie wollten vieles besser machen.
Sie haben in Ihrer Regierungserklärung vom Novem-ber 1998 versprochen, den Aufbau Ost zur Chefsache zumachen. Das war Ihr Anspruch.
Tatsache ist: Im August 2002 waren im Osten fast 100 000Menschen mehr arbeitslos als im August 1998. Zur Jah-resmitte 2002 hat die Zahl der Arbeitslosen im Osten denhöchsten Stand seit der Wiedervereinigung erreicht. BeimWachstum ist die Schere zwischen Ost und West weit aus-einander gegangen. Junge, kreative Menschen wandern inScharen ab. In vielen Regionen macht sich Hoffnungslo-sigkeit breit.
Die Jungen müssen gehen, die Alten bleiben zurück. Dasist das Schlimmste, was dieser Chef dem Osten angetanhat.
CDU/CSU und eine neue Bundesregierung werdenDeutschland zu einem Land machen, in dem sich dieSchere zwischen Ost und West schließt. Bei Ihnen geht sieauseinander. Das ist das Problem.
Wir werden den Aufbau Ost noch in diesem Jahr mit ei-nem kommunalen Investitionsprogramm im Umfang von1 Milliarde Euro entschlossen vorantreiben. Wir werdenden Menschen mit unserer „Offensive Zukunft Ost“ miteiner weiteren Milliarde Euro Chancen eröffnen, damitsie in ihrer Heimat bleiben können und dort Arbeit finden.Es ist meines Erachtens unverantwortlich, dass die Men-schen im Osten in Anzeigen, gerade auch der Bundesan-stalt für Arbeit, aufgefordert werden, auszuwandern, umeinen Job zu finden.
Ihr Problem so zu lösen ist doch unsäglich. Wir wollendoch für die Menschen hier in Deutschland Jobs schaffen.
Deshalb werden wir Existenzgründer unterstützenund befristete Sonderregelungen für schnellere Genehmi-gungen, für erleichterte Unternehmensgründungen undfür flexiblere Arbeitsverträge einführen. Die Hürden fürSelbstständigkeit und Arbeit müssen weg, und zwar so-fort. Ganz besonders für die Menschen im Osten gilt: So-zial ist, was Arbeit schafft.
Ich werde mich mit ganzer Kraft darum kümmern, dassdie Menschen wieder Hoffnung und Perspektiven haben,
dass die Kaufzurückhaltung aufhört, dass die Ängstlich-keit aufhört, dass der Defätismus in diesem Land aufhörtund dass der Mittelstand wieder Mut fasst. Dies ist mitRot-Grün nicht zu schaffen. Da würde alles so bleiben,wie es ist.
Dynamik und Leistungsfähigkeit, Aufschwung und Ar-beit, das ist unsere Antwort auf die Bedürfnisse und aufdie Hoffnungen der Menschen.Was aber würden vier weitere Jahre Rot-Grün fürDeutschland bedeuten? Noch einmal vier Jahre Rot-Grünhieße weniger Wirtschaftswachstum, mehr Arbeits-losigkeit, mehr Steuern und mehr Bürokratie.
Noch einmal vier Jahre Rot-Grün hieße noch mehr Zu-wanderung nach Deutschland.
Das ist unverantwortlich in einem Land mit vier Milli-onen Arbeitslosen.
Unsere wichtigste Aufgabe ist es, vier Millionen Arbeits-losen wieder Arbeit zu verschaffen, statt neue Arbeits-kräfte ins Land zu holen.
Meine Damen, meine Herren, Deutschland kann nichtmehr Zuwanderung verkraften.
Angesichts der zunehmenden Zahl von ausländischenKindern, die heute schon keinen Abschluss erreichen,
weil sie zu spät und häufig mit völlig unzureichendenDeutschkenntnissen eingeschult werden,
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angesichts ganz erheblicher Integrationskosten, die Bund,Länder und Kommunen heute schon in Milliardenhöheaufzubringen haben, unterstreiche ich: Wir werden mitden gegenwärtigen Problemen kaum fertig. Deshalb ist esunakzeptabel, uns durch mehr Zuwanderung neue Pro-bleme aufzuladen, die wir noch weniger bewältigen kön-nen.
Die Lasten der Integration tragen die sozialSchwächeren in den Brennpunkten der deutschen Groß-städte. Hier liegt sozialer Sprengstoff; hier steht Tag fürTag eine Politik der sozialen Gerechtigkeit auf dem Prüf-stand. Wir in CDU und CSU sehen diese Realität und han-deln für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft. Wirbrauchen weniger Zuwanderung, damit mehr Integrationmöglich ist.
Noch einmal vier Jahre Rot-Grün hieße weniger Sicher-heit für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes.
Wir dulden keine rechtsfreien Räume. Wir stehen für nullToleranz gegenüber allen Formen der Kriminalität.
Wir werden unsere Kinder besser vor Verbrechen schüt-zen. Wir werden ein drittes Antiterrorpaket durchsetzen.Rot-Grün ist auf halbem Wege stehen geblieben.
Wir werden dafür sorgen, dass gewaltbereite Auslän-der regelmäßig bereits beim Verdacht
terroristischer Straftaten ausgewiesen werden.
Alle gewaltbereiten islamistischen Gruppierungen müs-sen schnellstmöglich verboten werden.
Wir werden die Aufnahme biometrischer Merkmale wieFingerabdrücke und Gesichtsmerkmale in Visa, Pässe undPersonalausweise umsetzen.
Wir werden die Werbung für in- und ausländische terroris-tische Vereinigungen unter Strafe stellen.
Es ist unerträglich, wenn Extremisten mit Plakaten wie„Hoch lebe die al-Qaida“ oder „Es lebe Bin Laden“ straf-frei durch unsere Innenstädte ziehen können. Das kannund darf nicht sein.
Deutschland darf kein Ruheraum, kein Vorbereitungs-raum und kein Ausführungsraum für Terroristen sein.
Noch einmal, meine Damen, meine Herren, vier JahreRot-Grün bedeutet: Noch mehr Einzelhändler gingenPleite, noch mehr Bauern gäben auf, noch mehr Jugendli-che fänden keinen Arbeitsplatz und keinen Ausbildungs-platz,
noch mehr ältere Arbeitnehmer würden aus dem Arbeits-markt gedrängt, noch mehr Menschen müssten von Ar-beitslosen- und Sozialhilfe leben.
– Es mag ja sein, meine sehr verehrten Damen und Her-ren, dass Sie das aufregt, aber Sie sollten es zu verändernversuchen, statt ständig zu versuchen, denjenigen zu un-terbrechen, der auf die Wahrheit hinweist. Mich interes-siert das überhaupt nicht.
Wir haben in den nächsten vier Jahren eine Menge anProblemen zu lösen: die Probleme der demographischenVeränderung, die Probleme und Sorgen der Familien, dieProbleme der Integration der Ausländer in diesem Lande,die Probleme in der Bildungspolitik in ganz Deutschlandsowie die Probleme bei der Integration der Menschen, diemorgen und übermorgen als neue Inländer in der Europä-ischen Union hinzukommen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, all diese Pro-bleme lassen sich nicht mit schönen Worten, schönenKommissionen sowie schönen Plänen lösen,
die die rot-grüne Koalition vorgelegt hat und immer wie-der vorlegt. Wem am Ende seiner Amtszeit bei 4 Mil-lionen Arbeitslosen nicht mehr einfällt, als noch eine neueKommission, die 52., einzusetzen, der zeigt, dass er seineVersprechungen und damit die Menschen im Lande nichternst nimmt.
Es geht ganz allein darum: Ohne die Probleme der Ar-beitslosigkeit zu lösen, können wir unsere innen- undaußenpolitischen Probleme überhaupt nicht lösen.Deswegen geht es am 22. September letzten Endesdarum: Geht es weiterhin abwärts oder geht es auf-wärts? Das ist, auf den Kern gebracht, die Wahlent-scheidung: Aufschwung oder Abschwung? Aufwärtsoder abwärts?
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Diese Entscheidung haben die Deutschen am 22. Septem-ber zu treffen. Wir stehen für Aufschwung und Stopp desAbwärts. Danke schön.
Nun erteile ich dasWort dem Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Herr Stoiber, Ihre Rede hat eines deutlich gemacht:
Sie wollen vielleicht Kanzler werden, aber Sie habennicht die Fähigkeiten dazu.
Das war eine Mischung aus Hilflosigkeit und Aggressi-vität, die nur eines zeigt: In schwierigen Situationenkommt man mit einer solchen Mischung nicht weiter, son-dern nur mit Führungsfähigkeit.
Meine Damen und Herren, wenn Sie während derRede des Kandidaten in Ihre Reihen geschaut hätten,wäre Ihnen klar geworden, wie sehr Sie die Frage be-schleicht, ob Sie mit Frau Merkel nicht besser gefahrenwären.
Diese Frage, zunächst noch leise intoniert, wird, seien Siesich dessen sicher, in den nächsten Tagen und Wochenlauter werden.
Lassen Sie mich aufgrund der hier dargestellten Ver-zerrungen einige Bemerkungen zur internationalen Situa-tion machen.
Es wurde hier darüber geredet, dass Fragen beantwortetwerden, die niemand stellt. Ich stelle mir wirklich dieFrage, wo die, die so reden, eigentlich leben.
Die Fragen der internationalen Politik sowie die Be-fürchtungen und Sorgen über die Entwicklung speziell imNahen Osten beschäftigen nach meinem Eindruck ganzviele Menschen in Deutschland. Diese erwarten von derFührung des Landes natürlich, dass sie Antworten aufdiese Fragen formuliert.
Ich will mit einigen Bemerkungen zur internationalenLage und hierbei insbesondere zur gestrigen Rede des ame-rikanischen Präsidenten George W. Bush beginnen. SeineForderung, dass das Regime in Bagdad die VN-Resolutio-nen ohne Ausnahme erfüllen muss, ist gewiss richtig.
Es kann überhaupt keine Frage sein – das war auch niestrittig –, dass die Waffeninspektoren ins Land müssen.
Das war nie strittig. Aber strittig war und bleibt, ob an-stelle dieses Ziels ein anderes Ziel in den Mittelpunkt derDiskussion gerückt werden darf. Diese Diskussion habenwir doch miteinander geführt.
Ich sage: Wer an die Stelle des Ziels, die Inspektoren insLand zu bringen, das Ziel der gewaltsamen Beseitigungdes Regimes gesetzt hat, hat die Position der VereintenNationen in der Vergangenheit und in der Gegenwartfalsch dargestellt. So war das.
Deshalb ist es gut, dass dieses Ziel wieder in den Mittel-punkt der aktuellen und, wie ich hoffe, auch der künftigenDiskussion gerückt wird.
Dafür werden wir alle politischen, diplomatischen undnatürlich auch wirtschaftlichen Möglichkeiten mobilisie-ren und mobilisieren müssen.
Dass der amerikanische Präsident die Bedeutung desVN-Sicherheitsrates gewürdigt hat, ist zu begrüßen. Wersich aber einmal mit der Rede im Einzelnen befasst, wirdmir zustimmen, wenn ich sage, dass es im Laufe der Ver-handlungen nicht leicht sein wird, dafür zu sorgen, dassdie alleinige Entscheidungsgewalt des Sicherheitsratestatsächlich gewahrt bleibt. Ich denke, auch das muss man
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als Konsequenz dessen, was gesagt worden ist, offen aus-sprechen.
Meine Damen und Herren, wichtige Fragen in diesemKontext bleiben offen. Der Erfolg im Kampf gegen deninternationalen Terrorismus, der in keiner Weise – auchund gerade in Afghanistan nicht; die Vorhut des interna-tionalen Terrorismus ist eben nicht besiegt – beendet ist,hängt auch vom Zusammenhalt der internationalen Ko-alition gegen diesen Terrorismus ab.
Die Debatte, die in den letzten Tagen und Wochen ge-führt worden ist und der man auch in Deutschland nichtausweichen durfte und konnte, beinhaltet natürlich dieGefahr, dass diese internationale Koalition, zu der auchdie moderaten arabischen Staaten gehören und gehörenmüssen, zumindest – so sie nicht zerbricht – in Mitlei-denschaft gezogen wird. Das gilt es in dieser ganzen De-batte zu beachten.
Hinzu kommt die Konsequenz der Entscheidungen, diewir im Rahmen der internationalen Koalition getroffenhaben. Hinzu kommt also auch die Konsequenz der Ent-scheidung, in Afghanistan militärisch zu intervenieren.Übrigens, das war eine Entscheidung, die, wenn ich daranerinnern darf, hier im Hohen Hause unter Rückgriff aufdie Vertrauensfrage durchgesetzt worden ist. Von Ihnenhat niemand dabei mitgemacht; Sie haben ja dagegen ge-stimmt.
Die Arbeit, die mit der Konsequenz aus dem 11. Sep-tember verbunden ist, ist eben nicht zu Ende gebracht.Denn zu dieser Konsequenz gehört, dass wir nicht nur mi-litärisch intervenieren, um die Taliban zu bekämpfen, son-dern auch, dass wir vor den Augen der Völker der Welt mitdem wirklich weiterkommen,
was im Englischen „nation building“ heißt, also mit jenerAufbauarbeit, auf die insbesondere die Völker der DrittenWelt schauen und die es unmöglich macht, dass Ideologenund Fundamentalisten diese Völker für ihre Zwecke ein-setzen und damit missbrauchen.
Wenn wir über den Nahen Osten diskutieren, dannmüssen wir bedenken, dass es immer auch um regionaleStabilität geht, um die Auswirkungen einer militärischenIntervention in dieser so sensiblen und schwierigen Re-gion. Für das, was nach einer denkbaren, möglichen, insAuge gefassten militärischen Intervention passiert, hatbislang niemand ein in sich schlüssiges und nachvollzieh-bares Konzept auf den Tisch gelegt.
Deshalb sage ich: Meine Argumente gegen eine militäri-sche Intervention bleiben bestehen.
Es bleibt ebenfalls klar: Unter meiner Führung wird sichDeutschland an einer militärischen Intervention nicht be-teiligen.
Wenn wir uns in dieser Frage, meinethalben aus unter-schiedlichen Erwägungen, einig sind, dann ist es gut; abereines kann man nicht durchgehen lassen: hier den Ein-druck zu erwecken, als sei man in dieser Konsequenz dergleichen Meinung wie die Regierung, und im Übrigendraußen etwas völlig anderes zu erzählen. Damit werdenSie nicht durchkommen.
Das, was wir formuliert haben und was wir unserenPartnern in dieser Frage und in anderen Fragen sagen, be-deutet: Bündnissolidarität auf der einen Seite, aber auchEigenverantwortung auf der anderen. Über die existenzi-ellen Fragen der deutschen Nation wird in Berlin ent-schieden und nirgendwo anders.
Übrigens, um Solidarität und entsprechende Entschei-dungen geht es auch bei einem anderen Thema, das HerrStoiber angesprochen hat. Ich meine das Thema „Wiewerden wir mit den Folgen der Flutkatastrophe fertig?“Ich finde, dass die Alternativen, die es dazu gibt, auf demTisch liegen, von den Menschen in Deutschland bewer-tet werden können und ganz sicher auch bewertet wer-den.Wie sehen diese Alternativen aus? Wir haben gesagt:Wir finanzieren die Folgen der Flutkatastrophe, indem wirdie Steuerentlastungen um ein Jahr verschieben. KeineFrage, das betrifft viele Menschen. Es betrifft sie im Übri-gen unterschiedlich; es betrifft die Menschen mit einemgeringeren Einkommen weniger als die mit einem größe-ren. Wie Sie alle wissen, hat das mit der Progression in un-serem Steuerrecht zu tun.
Die andere Position, die der bayerische Kandidat hier ein-genommen hat, heißt: Wir finanzieren das auf Pump. Das
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sind die beiden Möglichkeiten, die hier erläutert wordensind.
Ich halte unsere Position für die verantwortliche,
weil sie dazu führt, dass die Schäden, die die Flut ge-schlagen hat, in dieser Generation und von dieser Gene-ration ausgeglichen werden und nicht auf die Schulternunserer Kinder und Enkelkinder gelegt werden. Das istverantwortliche Politik.
Wir finanzieren das so, dass es keinerlei Auswirkungenauf die notwendigen Investitionen, die wir mit dem Soli-darpakt II zur Verfügung gestellt haben, gibt.
Diese Regierung hat, nach wirklich harten Kämpfen miteiner Mehrheit im Bundesrat, zu der Sie, Herr Stoiber,gehört haben, dafür gesorgt, dass der Aufbau Ost weiter-hin solide finanziert werden kann, und zwar bis zum Jahr2019. Das ist der Erfolg dieser Koalition und meiner Re-gierung.
Wir sorgen mit dem Finanzierungskonzept Fluthilfedafür, dass beides nicht gegeneinander ausgespielt wird,sondern dass die zusätzlichen Schäden auch zusätzlichbewältigt werden können. Das ist aktive Solidarität mitden Menschen, die von der Flut betroffen sind.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht mehr als gerecht,dass wir auch der Kreditwirtschaft sagen: Euren Anteilmüsst ihr erbringen. – Das geht gar nicht anders. Es gehtdoch nicht an, dass wir die erforderlichen Abschreibungenund die Kosten für das, was realisiert werden muss, alleinden Menschen in Deutschland auf den Buckel legen. Esgibt auch eine Solidaritätsverpflichtung derer, die in derKreditwirtschaft verantwortlich sind. Diese Verpflichtunggilt es – natürlich entsprechend der Leistungsfähigkeit –einzuklagen. Man sollte dies aber nicht ganz außen vorlassen.
Herr Stoiber, Sie haben über die Notwendigkeit derHaushaltskonsolidierung und über das, was wir im Be-reich der Steuerpolitik gemacht haben, geredet. Sie habenuns vorgeworfen, wir seien es gewesen, die die sozialeBalance in Deutschland nicht hergestellt hätten.
Welch ein Vorwurf, ausgerechnet von Ihnen!Ich komme zu den Tatsachen: In den letzten Jahren, indenen die CDU/CSU und die FDP regierten, lag die Steu-erbelastung der Menschen mit geringstem Einkommenbei über 26 Prozent.
Das heißt, diejenigen mit dem geringsten Einkommenmussten im Verhältnis den größten Anteil an Steuern zah-len. Das war Ihre Position und Ihre Politik.
Nach unseren politischen Maßnahmen liegt die Steuerbe-lastung dieser Menschen jetzt bei unter 20 Prozent
und wird im Jahre 2005 auf 15 Prozent sinken. Das ist so-ziale Steuerpolitik. Das ist Hilfe für diejenigen mit den ge-ringsten Einkommen.
Wir sind es gewesen, die ein Unternehmensteuer-recht gemacht haben, das den Unternehmen in Deutsch-land, und zwar den großen wie den kleinen, eine solidePosition im europäischen und internationalen Wettbewerbverschafft hat. Wir sind es gewesen, nicht Sie!
Wir sind es gewesen, die dafür gesorgt haben, dass dieKapitalgesellschaften einen Steuersatz von 25 Prozent zuzahlen haben. Er ist definitiv abzuliefern, und zwar von derersten Mark an. Der wird für ein Jahr um 1,5 Prozent-punkte steigen. Ich habe vernommen, dass Sie dagegensind, die freiwillig angebotene Solidarleistung der Unter-nehmen anzunehmen. Ich weiß gar nicht, warum. Wir kön-nen nämlich das Geld für die Finanzierung der Beseitigungder Schäden der Flutkatastrophe ganz gut gebrauchen.
Im Zusammenhang mit der Steuerpolitik komme ichnun auf das zu sprechen, was Sie immer kritisieren. Sie sa-gen, wir hätten die Kapitalgesellschaften im Vergleich zuden Personengesellschaften, die nach Einkommensteuer-recht besteuert werden, bevorzugt. Nichts davon ist rich-tig, meine Damen und Herren. Der Spitzensteuersatz be-trägt zurzeit 48,5 Prozent, aber wir haben dafür gesorgt,dass die in Deutschland im Durchschnitt zu zahlenden13 Prozent an Gewerbeertragsteuer voll angerechnet wer-den können. Wir haben das gemacht, nicht etwa Sie.
Die Großen, die Körperschaften, müssen übrigens diesedurchschnittlich 13 Prozent voll drauflegen.Dann, meine Damen und Herren, müssen Sie im Übri-gen auch berücksichtigen – hier geht es ja um kompli-zierte Vorgänge –,
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dass Kapitalgesellschaften nicht nur diese durchschnitt-lich 13 Prozent Gewerbeertragsteuer zusätzlich abführenmüssen, sondern definitiv besteuert werden, währendPersonengesellschaften, weil für sie das Einkommensteu-errecht gilt, unter das Einkommensteuerrecht fallen.
Sie sollten nämlich wissen, dass im Einkommensteuer-recht Grenzbesteuerung gilt, also nicht schon von der ers-ten Mark an voll besteuert wird.
Angesichts dessen, meine Damen und Herren, fällt dieBehauptung, die Personengesellschaften in Deutschlandseien schlechter als die Kapitalgesellschaften gestellt,
vollständig in sich zusammen. Das wissen übrigens auchdie, um die es dabei geht.
Deswegen sage ich Ihnen: Mit dieser Art von ober-flächlicher Behandlung –
man könnte auch sagen: Verlogenheit –
kommen Sie nicht weiter. Das spüren Sie ja auch langsamam Stimmungsumschwung in der deutschen Bevölkerung.Denn das, was wir gemacht haben, stabilisiert und stärktdie Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen inEuropa und auf dem Weltmarkt. Zudem handelt es sich umeine sozial ausgewogene Steuerpolitik. Sowohl auf derAngebots- als auch auf der Nachfrageseite haben wir einevernünftige Steuerpolitik gemacht; die ist mit dem Namenvon Bundesfinanzminister Hans Eichel verbunden.
Nicht zuletzt Folge Ihrer Steuerpolitik ist es gewesen,dass in Ihren letzten Amtsjahren von 1994 bis 1998 diereale Belastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerständig gestiegen ist,
ihre Einkommen in diesen vier Jahren um durchschnitt-lich 5 Prozent gesunken sind. Während unserer Regie-rungszeit ist dagegen das reale Einkommen der Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland um über7 Prozent gestiegen. Das ist sozial verantwortliche Poli-tik; damit müssen Sie sich einmal auseinander setzen,meine Damen und Herren.
Schauen Sie: Die Zahlen machen doch allzu deutlich, dassmehr und mehr gespürt wird, dass Sie nichts als heiße Luftin diesen Fragen verbreiten, wir aber die Menschen inDeutschland real besser gestellt haben.
Ich will gern zugeben, dass wir auf dem Arbeitsmarktdie Ziele, die wir uns gesetzt hatten, nicht erreicht haben.
Wir hatten uns vorgenommen – das war eine Zielgröße –,zum Ende der Legislaturperiode auf 3,5 Millionen Ar-beitslose zu kommen. Wir haben diese Zielmarke nicht er-reicht. Aber all diejenigen, die jetzt erzählen, das habenicht die Ursachen in dem, was wir seit dem 11. Septem-ber 2001 erleben müssen, haben entweder keine Ahnungoder sind böswillig.
Unabhängig von der Tatsache, dass wir die Ziele, andenen wir festhalten, nicht erreicht haben, gilt gleichwohl– der Finanzminister hat das gestern eindrucksvoll darge-stellt –: Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Be-schäftigten in Deutschland
ist in der Zeit, in der wir regieren, um 1,1 Millionen ge-stiegen.
Der Kandidat hat die Arbeitslosenzahlen für Au-gust 2002 mit denen vom August 1998 verglichen. Auchin diesem Bereich wird von Ihnen schlicht gemogelt. Wirhatten im August 2002 77 000 Arbeitslose weniger als1998. Sie hatten durch Ihre Wahlkampf-AB-Maßnahmenim August 1998 für drei Monate vor der Wahl und dreiMonate nach der Wahl den Arbeitsämtern 300 000 Ar-beitslose auf die Payroll gegeben. Das war die Art undWeise, wie Sie die Arbeitslosenstatistik geschönt und ver-pfuscht haben. Das gilt es hier einmal deutlich zu machen.
Es ist wahr – ich habe überhaupt keinen Grund, dasnicht zuzugeben –: Wir haben das Ziel, das wir uns ge-steckt haben, nicht erreicht. Aber wir sind deutlich unterdem, was Sie erreicht haben. Von Leuten, die ihr Scheitern
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auch auf dem Arbeitsmarkt bereits bewiesen haben, las-sen wir uns ungern Vorschriften machen.
Übrigens halte ich das, was Sie in jüngster Zeit als an-gebliche Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt andeuten,nämlich die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer und ihrer Gewerkschaften entscheidend zu kür-zen, für einen gefährlichen Irrweg. Mitbestimmung undgute Betriebsräte, ausgestattet mit eigenen Rechten, aufder einen Seite und auf der anderen Seite kreative Unter-nehmer, die auf gleicher Augenhöhe Arbeitsbedingungenin Deutschland aushandeln, das hat unser Land stark undnicht schwach gemacht. Das werden wir verteidigen.
Deshalb ist das, was Sie in diesem Sektor ankündigen,nicht nur volkswirtschaftlich gefährlich, sondern es de-motiviert auch die Menschen, von deren Arbeit unser allerWohlergehen in erster Linie abhängt.
Sie haben sich dann über die Vorschläge der Hartz-Kommission – um dies sehr zurückhaltend zu sagen – ne-gativ verbreitet. Ich halte das für falsch und ich prophe-zeie: Sie werden das, was dort vorgeschlagen worden ist,aus der Opposition heraus noch einmal mit Deutlichkeitunterstützen. Denn da geht es wirklich um das Prinzip,dass Menschen, die ihre Qualifikationen verloren haben,weil sie arbeitslos geworden sind, sie wiederbekommen,dass sie gefördert, aber auch gefordert werden. Fordernheißt, das ihnen und ihren Familien jeweils Möglichemuss getan werden. Aber danach haben sie Anspruch aufdie solidarische Hilfe der Gesellschaft. Für die handelt derStaat. Das darf nicht in Vergessenheit geraten.
Früher haben Sie gerne über Familienpolitik geredet– jedenfalls Sie von der CDU/CSU –, aber in Ihrer Regie-rungszeit – das wird nicht in Vergessenheit geraten – ha-ben Sie nichts dafür getan.
– Ja, ich muss Sie daran erinnern. – Das Bundesverfas-sungsgericht hat in zwei Entscheidungen festgestellt, dassIhre Familienpolitik schlicht verfassungswidrig gewesenist. Das war Ihre Politik.
So ist es gewesen; dem kann man nicht widersprechen.Wir hatten 13 Milliarden Euro allein in dieser Legisla-turperiode zu investieren, um Ihre verfassungswidrige Fa-milienpolitik auf einen Stand zu bringen, der unserer Ver-fassung entspricht. Das war die zentrale Aufgabe, die wirzu machen hatten. Wir haben sie gemacht und 13 Milliar-den Euro mobilisiert.
Wir haben heute mit etwa 56 Milliarden Euro die größ-ten Ausgaben in diesem Bereich. Das ist die Leistung derrot-grünen Koalition. Wir haben deutlich gemacht, wiewichtig es uns war, etwas für Familien mit Kindern zu tun,indem wir dreimal das Kindergeld erhöht haben.
In der nächsten Legislaturperiode wird es ein großesProjekt geben – wir haben es uns fest vorgenommen –, dasVorrang vor allen anderen hat. Um unser Bildungssystemauf ein qualitativ höherwertiges Niveau zu bringen undum Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern zurealisieren, müssen wir in diesem Land mehr, als das inder Vergangenheit der Fall war, in Ganztagsbetreuunginvestieren. Wir werden das tun.
Wir werden den Ländern jährlich 1 Milliarde Euro zurVerfügung stellen – das ist im Haushalt gerechnet; das istkeine utopische 20-Milliarden-Forderung, die Sie in dieWelt setzen –,
damit in den Schulen eine Ganztagsbetreuung realisiertwerden kann. Das ist gut für die Kinder aus sozial schwa-chen Verhältnissen, die diese Betreuung brauchen, wennsie gleiche Chancen haben sollen.
Ganztagsbetreuung ist vor allen Dingen wichtig, umFrauen zu ermöglichen, Familie und Beruf besser als jezuvor unter einen Hut zu bekommen. Wir wollen dafürsorgen, dass Frauen in Deutschland leben können, wie siewollen, und nicht gesagt bekommen, wie sie leben sollen.Das werden wir durchsetzen.
Ganztagsbetreuung ist im Haushalt berücksichtigt undwird von dieser Koalition realisiert werden.Lassen Sie mich auf das zurückkommen, was die Flutuns auch lehrt. Neben der Notwendigkeit, in dieser Gene-ration die Schäden, die sie geschlagen hat, auszugleichen,lehrt sie vor allen Dingen, künftige Schäden zu verhin-dern. Da setzt Politik an – auch und gerade Energie-politik –, wie wir sie in der rot-grünen Koalition gemachthaben.
Das, was wir in den letzten Jahren geleistet haben, setztan dieser Stelle an. Ich nenne die Förderung erneuerbarerEnergieträger, die sehr wichtig sind, wenn man des Kli-maproblems wirklich Herr werden will und wenn man mitder Verantwortung der reichen Industriestaaten gegenüberden ärmeren Staaten, insbesondere den Staaten der Drit-
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ten Welt, Ernst macht. Wir haben die Verpflichtung, um-weltschonende Technologien zu entwickeln und einzuset-zen. Die ärmeren Länder haben nicht die notwendigenRessourcen, um das zu tun. Wenn wir es geschafft haben,müssen wir diese Technologien transferieren, damit dieanderen Länder es ebenfalls tun können.
Wir sind allen anderen Ländern, auch in Europa, in denletzten vier Jahren weit voraus gewesen, was den Ein-satz dieser Technologien und dieser Möglichkeiten an-geht.
Ich habe mitbekommen, dass Sie sich anschicken, dasrückgängig zu machen, was wir erfolgreich zur Überwin-dung der Atomenergie in Deutschland mit allen Beteilig-ten verhandelt haben.
Ich halte das für den falschen Weg. Am 22. Septemberwird auch darüber entschieden werden, ob es einen ver-nünftigen Weg in der Energiepolitik oder einen Rückfallin alte Zeiten gibt.
Zu den 16 energiepolitischen Gesetzen hat die rechteSeite des Hauses vierzehnmal Nein gesagt. Sie habenvierzehnmal Nein dazu gesagt, Umweltgesichtspunktemit ökonomischen Gesichtspunkten zusammenzubrin-gen. Das ist aber das Gebot der Zukunft. Es wird nämlichkeine erfolgreiche Wirtschaft geben, wenn die natürlichenLebensgrundlagen zerstört sind.
Ich will vier Punkte nennen, die deutlich machen, dassdieser Haushalt, über den wir heute diskutieren, einenrichtigen Weg beschreibt, den wir miteinander weiterge-hen müssen.Erstens. Ich glaube, es ist wirklich wichtig und machtDeutschlands Erfolg aus, dass wir es nach dem ZweitenWeltkrieg verstanden haben, ein System zwischen Kapi-tal und Arbeit aufzubauen, das tatsächlich in Balance ist.Kreative, mutige Unternehmer auf der einen Seite, selbst-bewusste, mit eigenen Rechten ausgestattete Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer auf der anderen Seite, die aufgleicher Augenhöhe Arbeitsbedingungen aushandeln –das ist der Inhalt des Erfolgsmodells Deutschland. Dasverteidigen und entwickeln wir.
Zweitens. Die vor allem von dieser Koalition eingelei-tete Vereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie in derPraxis, die zum Beispiel in der Energiepolitik
und in der Frage des Pfandes deutlich wird, zu der Sie sichimmer schwerpunktmäßig verbreiten.
Diese Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie ist Fort-schritt in und für Deutschland. Das darf nicht preisgege-ben werden. Auch darum geht es am 22. September.
Drittens. In der Bildungspolitik müssen wir auf Qua-lität achten,
aber all denen misstrauen, die uns sagen wollen: „Diegrößte Qualität erhaltet ihr dann, wenn ihr das Bildungs-system für die Kinder aus den sozial schwächeren Fami-lien dicht macht.“
Denen sage ich: Mit mir nicht! Das mag Ihr Weg sein. Mitmir indessen nicht!
Wir wollen ein qualitativ hochwertiges Bildungssys-tem und werden es durchsetzen, ein Bildungssystem, dasallen Begabungen in Deutschland eine Chance gibt unddas durch massive Investitionen in Ganztagsbetreuungdafür sorgt, dass über Chancengleichheit zwischenFrauen und Männern in Deutschland nicht nur geredetwird, sondern dass sie gesellschaftliche Wirklichkeitwird. Das ist unser Anliegen.
Viertens. In der internationalen Politik kennen und er-füllen wir unsere Bündnisverpflichtungen ohne Wenn undAber.
Das haben wir in den vier Jahren, in denen wir regiert ha-ben, bewiesen: im Kosovo, in Mazedonien, aber auch bei„Enduring Freedom“. Dass es nicht für alle – auch fürmich nicht – leicht gewesen ist, diese Entscheidungen zutreffen, ehrt diejenigen, die entschieden haben, weil siesolche Entscheidungen nicht leichtfertig treffen. Aber wirhaben entschieden und das hat Deutschlands Ansehen inder Welt gemehrt.
Diese internationale Politik der Bündnisfähigkeit und-bereitschaft, eine internationale Politik des Selbst-bewusstseins ohne Überheblichkeit, habe ich in den letz-ten vier Jahren mit Außenminister Fischer entworfen unddurchgesetzt. Wir werden sie auch gemeinsam weiterdurchsetzen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich erteile das Wort
dem Kollegen Guido Westerwelle, FDP-Fraktion.
Dr. Guido Westerwelle (von der FDP sowie
von Abgeordneten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Es ist sehr bemerkenswert, wie der Bundeskanzler auf die
Rede des bayerischen Ministerpräsidenten geantwortet
hat. Es ist bemerkenswert, mit welcher persönlichen
Schärfe er das getan hat. Einem Herausforderer, einem
bayerischen Ministerpräsidenten, einem Kollegen in die-
sem Haus überhaupt die Fähigkeiten und die geistige
Qualität abzusprechen ist ein Niveau, das wir in dieser
Debatte nicht fortsetzen sollten.
Wir haben Ihre Ausführungen zur Außenpolitik
gehört, und es ist richtig und notwendig, dass an einem
solchen Tag in einer solchen Debatte auch ausführlich
über die Frage der Außenpolitik und den Weg der Außen-
politik gesprochen wird. Sie haben sich selbst – wen wun-
dert das? – ein gutes Zeugnis ausgestellt. Ich möchte des-
wegen gern die Kommentare einiger Zeitungen von
gestern und heute anführen.
Die „Zeit“, die Ihnen ansonsten in vielen Fragen sehr
nahe steht, sagt:
Kein anderes Land von Belang hat wuchtiger gegen
Amerika ausgeteilt wie dieses. ... Was Wunder, dass
Bagdad nun die Deutschen ganz freundlich an-
lächelt – und Berlin die Umarmung verlegen abweh-
ren muss.
Sie fügt hinzu:
Wahlkampf ersetzt eben keine Außenpolitik. Außen-
politik hat mit Einfluss, nicht mit Agitation zu tun.
Die „Frankfurter Allgemeine“ vom heutigen Tag soll
ebenfalls zitiert sein. Dort heißt es:
Die Regierungen in London und Paris arbeiten jetzt
daran, Amerika für die Vereinten Nationen und die
Vereinten Nationen für Amerika zu gewinnen. Die
Regierung in Berlin dagegen arbeitet daran, im Amt
zu bleiben.
Es war bemerkenswert, mit welcher Häme und mit
welch höhnischem Gelächter nicht nur auf der Regie-
rungsbank, sondern auch auf der Seite der Regierungs-
parteien reagiert worden ist. Dazu, dass mit einem solch
höhnischen Gelächter auf der Regierungsbank und bei
Rot und Grün auf die Mitteilung eines Ministerpräsiden-
ten eines Bundeslandes, er habe mit dem französischen
Staatspräsidenten und dem Generalsekretär der Vereinten
Nationen Gespräche geführt, reagiert wird, sage ich Ih-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es wäre Ihre Aufgabe gewesen,diese Telefonate zu führen.
Sie haben mittlerweile selbst aus Ihren eigenen Reihen,und zwar nicht nur von Herrn Klose, sondern auch vonHerrn Lippelt – er sitzt dort und folgt verschmitzt der De-batte –, etwas zu hören bekommen. Die Deutsche Presse-agentur zitiert heute ein Interview mit ihm aus einer Ta-geszeitung:Erst war er zu weit rechts, jetzt ist er zu weit links.Der Kanzler wird in Schwierigkeiten geraten, wennder UN-Sicherheitsrat eine Resolution beschließt.Niemand in diesem Haus ist doch der Meinung, dassein Alleingang der Vereinigten Staaten von Amerika ge-gen den Irak, noch dazu ohne Mandat der Vereinten Na-tionen, sinnvoll oder zulässig ist oder deutsche Unterstüt-zung erhält. Das ist doch nicht allen Ernstes das Problemdieser Debatte. Das Problem ist, dass Sie bis jetzt nochnicht ein einziges Mal mit dem amerikanischen Präsiden-ten über Ihre Position gesprochen haben. Zur Festigkeit inder Außenpolitik zählt auch die Fähigkeit, diese festeMeinung im persönlichen Gespräch zu übermitteln.
Sie haben Ihre außenpolitische Haltung auf Wahl-kampfkundgebungen entdeckt und gefunden. Das ist dasProblem. In der Tat wäre eine Intervention der Vereinig-ten Staaten von Amerika gegen den Irak ohne Mandat derVereinten Nationen im Alleingang gegen europäische In-teressen gerichtet. Es wäre mit Sicherheit auch eine De-stabilisierung der Region und zugleich gegen das Völker-recht.Es ist an Ihnen, an der Regierung unseres Landes, dafürzu sorgen, dass eine als richtig erkannte Position zunächsteinmal mit den europäischen Partnern besprochen wird,dass man sich dort bemüht, eine gemeinsame Haltung zufinden, und man anschließend die Kraft hat, diese festePosition auch vor Ort zu erläutern.Wir haben Sie bereits Anfang März in der Runde imKanzleramt aufgefordert, das persönliche Gespräch zusuchen, weil es vorhersehbar war,
wie sich diese Gedankenwelt diesseits und jenseits des At-lantiks auseinander entwickelt. Es ist an Ihnen, diesen Zu-stand der Sprachlosigkeit zu überwinden, aber nicht ir-gendwann nach der Wahl, sondern sofort. Es könnenZeiten kommen, da werden vielleicht auch wir Deutschewieder auf Verbündete angewiesen sein. Dann wollen wirauch nicht, dass so mit uns umgegangen wird.
Sie haben hier mit einer wirklichen Grundachse derdeutschen Außenpolitik gebrochen, nämlich dass es in derDiplomatie, dass es in der Außenpolitik keinen Zustandder Sprachlosigkeit zwischen Regierungschefs gebendarf. Dass Sie in dieser Woche mitteilen mussten, undzwar auf eine Nachfrage von Journalisten auf einer Pres-
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sekonferenz, Sie hätten noch nicht einmal ein Telefonatmit dem amerikanischen Präsidenten geführt,
ist in meinen Augen etwas, was hier in keiner Weise mitirgendwelchen lässigen Bemerkungen beiseite gewischtwerden kann.Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Ein HerrScheel, ein Herr Genscher, ein Klaus Kinkel oder auch einWilly Brandt, ein Adenauer und auch ein Helmut Kohl hatmanche harte Auseinandersetzung mit den VereinigtenStaaten von Amerika in der Sache gehabt. Ich erinnerebeispielsweise an die Frage der Stationierung der atoma-ren Kurzstreckenwaffen hier in Deutschland. Diese aberhatten die Kraft und den Mut, das, was richtig ist, den Ver-bündeten nicht nur via Wahlkampfkundgebung mitzutei-len, sondern vor Ort zu sein. Sie hätten dort hingemusst,Herr Bundeskanzler. Dass Sie nicht dorthin fliegen, zeugtin Wahrheit von einer Feigheit in der Außenpolitik, dienicht vernünftig ist.
Aber dies ist nicht der einzige Vorgang, der uns mitBlick auf die Tradition der Nachkriegszeit überraschenmuss. Wir dürfen in diesen Tagen erleben, wie ein Vertei-digungsminister zusammen mit etwas mehr als 40 Solda-ten eine Initiative mit dem Titel „Soldaten für Schröder“vorstellt. Zum allerersten Mal in der Geschichte unsererRepublik versucht eine Regierungspartei, die Bundes-wehr für den eigenen Wahlkampf zu nutzen. Wir habeneine Armee des ganzen Volkes und nicht einer Regie-rungspartei. Wir haben eine Parlamentsarmee und keineArmee, die vor Ihren Wahlkampfkarren gehört, meinesehr geehrten Damen und Herren.
Kein Wort dazu von Ihnen. Wir als Parteien bekommendie Erlasse aus dem Verteidigungsministerium zugestellt,man solle die Bundeswehr und die Soldaten aus demWahlkampf herauslassen, man dürfe keine Truppenbesu-che mehr vor der Wahl machen.
Wie selbstverständlich halten wir uns alle daran, aber derVerteidigungsminister geht hin und vertritt mit einem sol-chen Aufruf eine Position, die dem Ansehen der Bundes-wehr schadet. Die Bundeswehr hat nicht in den Wahl-kampf hineingezogen zu werden, ganz gleich ob manregiert oder ob man in der Opposition ist.
Sie haben nicht das Recht, die Bundeswehr für IhrenWahlkampf zu instrumentalisieren.
– Ich grüße den Abgeordneten Schröder.
Er sitzt jetzt neben seinem Generalsekretär und besprichtwahrscheinlich mit ihm, wie er den Aufruf zurückziehenkann. Das ist schon eine bemerkenswerte Art und Weisedes Umgangs mit diesem Parlament. Wir haben hier ebendie Rede des deutschen Bundeskanzlers gehört, es kommtin dieser Debatte ein Sperrfeuer an Zwischenrufen vonder Regierungsbank und dann nimmt der deutsche Bun-deskanzler, um dessen Haushalt es hier geht, irgendwo inden hinteren Reihen Platz, um seinen Wahlkampf zu be-sprechen, anstatt seiner Verantwortung hier vor diesemParlament gerecht zu werden.
Hier ist mittlerweile ein Stil eingekehrt, der wirklich be-merkenswert ist.Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie haben aufdie wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes hinge-wiesen. Es ist richtig, dass Sie das getan haben. Es ist, wieich denke, aber auch wichtig festzuhalten, dass die wirt-schaftliche Entwicklung in Deutschland eben nicht dasErgebnis der weltwirtschaftlichen Ereignisse, der interna-tionalen Entwicklung oder des schrecklichen Terroran-schlags des 11. Septembers ist. Wie wir wissen, weisensämtliche Länder in Europa – das sagen alle Statistiken inEuropa – ein besseres Wirtschaftswachstum auf als wirin Deutschland. Das deutsche Wirtschaftswachstum liegtzurzeit bei etwa 0,6 Prozent, das Wirtschaftswachstum inÖsterreich bei über 1 Prozent, das in Frankreich bei 2 Pro-zent und das in Großbritannien bei etwa 2,3 Prozent.Sie können sich nicht mit der internationalen, mit derweltwirtschaftlichen Entwicklung herausreden. Die Si-tuation hängt im Wesentlichen damit zusammen, dasswir in den letzten Jahren – aber nicht nur in den letztenvier Jahren; das soll ausdrücklich erwähnt sein – inDeutschland eine Politik erlebt haben, die auf jedesneue Problem mit einem Paragraphen, einer Subventionoder einer neuen Steuer reagiert hat. Deswegen habenwir mittlerweile eine Staatsquote, die in Europa mit ander Spitze liegt, nämlich eine Staatsquote von 48,5 Pro-zent. Das heißt, jeder zweite Euro, der zurzeit inDeutschland ausgegeben wird, geht durch die Händedes Staates. Es ist das eigentliche Problem der deut-schen Volkswirtschaft, dass sie zu viel bürokratischeStaatswirtschaft und zu wenig soziale Marktwirtschaftaufweist.
Das muss in Deutschland geändert werden. Der Staatsan-teil in unserer Wirtschaft ist zu groß. Er muss auf dieKernaufgaben zurückgeführt werden.
– Wir erleben heute einen Kanzler auf Wanderung. WennSie möchten, können Sie gerne auch einmal bei uns Platznehmen. Herr Gerhardt macht Ihnen für einen Augenblickgerne seinen Stuhl frei. Setzen Sie sich ruhig, Herr Bun-deskanzler. Dann können Sie sehen, wie das bei uns so ist.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 253. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2002
Dr. Guido Westerwelle25589
Genießen Sie die Zeit, in der Sie noch so herumstolzierenkönnen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchteauf den Kern dieser Debatte zurückkommen, und zwar aufdie wirtschaftliche Entwicklung in unserem Lande. Wirerleben, wie in dieser Zeit auf die nationale Herausforde-rung, beispielsweise die Solidarität mit den Opfern derFlutkatastrophe, unterschiedlich reagiert wird. Ihre Re-aktion ist eben nicht, die bürokratische Staatswirtschaftzurückzudrängen; Sie erhöhen vielmehr weiter die Steu-ern. Das ist genau der falsche Weg. Es handelt sich näm-lich faktisch um eine Steuererhöhung.Wenn Sie die Entlastungen, die schon im Gesetzblattstehen, jetzt verschieben, dann ist das genau der falscheWeg. Tausende von Handwerkern und mittelständischenBetrieben haben darauf vertraut, dass auch sie endlichzum 1. Januar nächsten Jahres die Entlastungen be-kommen, die die Großen zum Teil schon erhalten haben.Diese Betriebe, die auf der Kippe stehen, die sich bis jetztwirklich durchgeschleppt haben, hatten vielleicht nocheinmal Mut geschöpft, weil entsprechende Entlastungenangekündigt wurden. Sie erhöhen damit, wie der Bund derSteuerzahler zu Recht sagt, faktisch für die betroffenenMittelständler die Steuern.Was nutzt es uns, wenn wir das Unglück des Hoch-wassers mit dem Unglück höherer Arbeitslosigkeit durchSteuererhöhungen bekämpfen wollen? Es stehen Tau-sende von Betrieben des Mittelstands auf der Kippe. DerPräsident des Handwerkes, ein besonnener Mann, sagte,dadurch würden 200 000 Arbeitsplätze möglicherweisewegfallen. Das ist in Wahrheit die entscheidende Frageder deutschen Politik. Wir können nicht bei jeder Heraus-forderung die Steuern erhöhen. Wir müssen die Steuernsenken, damit den Menschen mehr in der Tasche bleibtund sie damit in diesem Lande wirtschaften können.
Sie sagen: Wir können uns Steuersenkungen in Deutsch-land nicht leisten. Wir sagen: Wir können es uns inDeutschland nicht leisten, auf Steuersenkungen zu verzich-ten. Sie sagen: Steuersenkungen sind gewissermaßen dieDividende eines wirtschaftlichen Aufschwungs. Wir sa-gen Ihnen: Steuersenkungen sind die Voraussetzung fürden wirtschaftlichen Aufschwung.
Herr Bundeskanzler, wir haben gerade von Ihnen denSatz gehört, wir hätten dieses und jenes doch in der altenLegislaturperiode machen können. Das ist bemerkens-wert. Die alte Regierung – das ist das Einzige, was ich zurVergangenheit sagen will – hat die Petersberger Be-schlüsse, nämlich eine nachhaltige Steuersenkung undSteuervereinfachung, auf den Weg gebracht.
Sie als Ministerpräsident, Herr Bundeskanzler, und Sieals Ministerpräsident, Herr Finanzminister, waren es, diein trauter Allianz mit Herrn Lafontaine, von dem Sieheute nichts mehr wissen wollen, eine Blockade im Bun-desrat beschlossen haben. Deutschland wäre weiter,wenn Sie damals nicht gegen nationale Interessen gehan-delt hätten.
Wir als Freie Demokraten haben vorgerechnet, wie al-lein durch den Subventionsabbau, die Entbürokratisie-rung und die Privatisierungspolitik mehr als 28 MilliardenEuro im Haushalt erwirtschaftet werden können. Daswäre genug, um beispielsweise eine Steuersenkungsre-form zwischenzufinanzieren. Es wäre genug, um Investi-tionen in Bildung zu ermöglichen. Es wäre zusammen mitweiteren Maßnahmen auch genug, um den Sonderfondszur Beseitigung der Schäden durch die Hochwasserka-tastrophe finanziell ordentlich auszustatten und unsereSolidarität zum Ausdruck zu bringen.
Das alles wird aber nicht reichen.
In Wahrheit geht es darum, dass wir die Strukturen indiesem Land verändern müssen. Davor stehen wir bei die-ser Wahl. Es geht nicht darum, dass nur einzelne Köpfeausgetauscht werden. Es geht darum, dass dieses Land imHerbst einen Politikwechsel bekommt, der den Staat aufdie Kernbereiche konzentriert und ihn dort herausnimmt,wo er teuer, aber gefällig tätig ist, wo er in Wahrheit abernichts zu suchen hat und wo er regelmäßig kleinen Mit-telständlern durch entsprechende staatliche Tätigkeiten,die natürlich subventioniert und immer preiswerter als an-dere sind, Konkurrenz macht.Es geht vor allen Dingen um die Frage, wie wir dieStrukturen in unserem Land verändern können. Auchdazu haben Sie nicht einen einzigen Satz gesagt. Sie wer-fen uns vor, das sei Sozialabbau, und sprechen von Chan-cengleichheit. Es ist doch nicht so, als ob irgendjemand indiesem Hause – das ist ein Popanz – gegen Chancen-gleichheit sei.
Wir sind für Chancengleichheit am Start und gegen Er-gebnisgleichheit am Ziel. Wir sagen: Leistung muss sichlohnen; wer arbeitet, muss mehr haben als derjenige, dernicht arbeitet, weil wir sonst keinen Schwung in unsereWirtschaft bekommen und keine Dynamik in unserer Ge-sellschaft haben.
Sie führen jetzt kurz vor Schluss die Hartz-Vorschlägein die Debatte ein. Aus Hartz hätte in der Tat einmal einBernstein werden können, und zwar im Sommer. Aber
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Dr. Guido Westerwelle25590
dann hätten Sie nicht als Gewerkschaftsfunktionär und alsVertreter der Regierung intervenieren und in Wahrheit alldie zunächst angedachten und notwendigen strukturellenVeränderungen weichspülen dürfen.Ein Mann aus Ihren Reihen, der sicherlich über die Par-teigrenzen hinweg in diesem Hause hohe Achtung ge-nießt, ist der Altbundeskanzler Helmut Schmidt. Erschreibt Ende August in der „Zeit“:Ähnlich wie in Frankreich, Italien, Spanien et ceteraist die deutsche Arbeitslosigkeit im Wesentlichenselbst gemacht. Die holländischen und die dänischenNachbarn haben gezeigt, wie man – bei vergleichba-rer Wirtschaftsstruktur, bei gleicher Zinspolitik undbei vergleichbarer Abhängigkeit von der Weltwirt-schaft – durch nationale politische und gesetzgeberi-sche Anstrengung mit Massenarbeitslosigkeit fertigwerden kann.Das schreibt der Sozialdemokrat Helmut Schmidt. Er fügtnoch etwas hinzu:Dazu muss im Tarifvertragsgesetz die Verordnungder „Allgemeinverbindlichkeit“ gestrichen und imBetriebsverfassungsgesetz müssen jene Paragraphenabgeschafft werden, die es den Geschäftsleitungenund den Betriebsräten verbieten, Betriebsvereinba-rungen über Löhne, Arbeitszeiten und -bedingungenabzuschließen.Wir werden nach der Wahl Helmut Schmidt beim Wortnehmen und genau dies durchsetzen, weil wir eine maß-geschneiderte Tarifpolitik brauchen und keine Tarifpoli-tik, die nur einigen wenigen Funktionären nutzt, aber kei-nem einzigen Arbeitnehmer in Deutschland.
Wir sind der Meinung, dass wir diese Strukturen ver-ändern müssen. Dazu zählt natürlich auch, dass das Ge-setz gegen die Scheinselbstständigkeit wieder abgeschafftwerden muss. Es war in Wahrheit nichts anderes als einSchikanegesetz gegen Existenzgründer.
Dazu zählt auch, dass wir die Schwarzarbeit bekämp-fen müssen, indem wir Niedriglohnjobs nicht nur im sogenannten haushaltsnahen Bereich zulassen, wie es der-zeit – das ist immerhin anerkennenswert – von der Hartz-Kommission vorgeschlagen wird, sondern indem630-Euro-Jobs nach dem Vorbild der bisherigen 630-DM-Beschäftigungsverhältnisse eingeführt werden.
Das ist mit Sicherheit eine Maßnahme, mit der auf ei-nen Schlag aus der Schwarzarbeit heraus Hunderttau-sende von Arbeitsplätzen entstehen können.Ich erinnere mich noch daran, dass Sie als Sozialde-mokraten diese Vorschläge immer wieder als Dienst-mädchenprivileg beschimpft haben. Was ist das eigent-lich für ein Gesellschaftsverständnis? Dieses Verständnisvon Knecht und Dienstmädchen entspricht nicht der Ar-beitswelt der Gegenwart. In der Informationsgesellschaftunserer Zeit gibt es keinen Grund, diejenigen, die Dienst-leistungen erbringen, mit schäbigen Worten zu diskrimi-nieren.
Sie stellen das Rückgrat der Entwicklung unserer Volks-wirtschaft dar.Sie haben auch über die Bildung gesprochen. Wirfreuen uns, dass Sie dieses Thema – wenn auch sehr ober-flächlich – doch wenigstens in die Debatte eingeführt ha-ben. Es ist aber auch notwendig, dass wir sowohl über dieInhalte als auch über die Strukturen und die Finanzierungreden. Sie trauen sich eben nicht, zum Beispiel an dieSteinkohlesubventionen heranzugehen. Das wäre aberdringend notwendig. Stattdessen erheben Sie eine Öko-steuer, die aber mit Umweltschutz nichts zu tun hat.Wir wollen den Umweltschutz verbessern, aber durchMarktwirtschaft und neue Technologien. Er wird sichnicht gegen neue Technologien und neue marktwirt-schaftliche Prozesse verbessern lassen. Es ist ein Fehler,mit der Ökosteuer beispielsweise den öffentlichen Perso-nennahverkehr zu verteuern, aber den fossilen RohstoffSteinkohle weiter zu subventionieren und ihn sogar vonder Ökosteuer auszunehmen. Das ist kein Umweltschutzoder Klimaschutz, sondern Irrsinn.
Deswegen wollen wir, dass diese Subventionen endlichgestrichen werden. Wenn allein die Steinkohlesubven-tionen gestrichen würden – die sowieso von gestern sind– dann wären wir in der Lage, zum Beispiel für jedesGrundschulkind in Deutschland 900 Euro mehr aufzu-bringen.
Wir könnten für jeden Kindergartenplatz in Deutschland1 000 Euro einsetzen.Die Steinkohlesubventionen bedeuten vor allen Dingengegenüber denjenigen eine Versündigung, die im Stein-kohlebergbau beschäftigt sind. Sie sind im Durchschnitt33 Jahre alt. Man darf diesen jungen Menschen nicht nochviele Jahre vormachen, das ginge bis zum Sankt-Nimmer-leins-Tag so weiter, sondern man muss jetzt, solange dieseMenschen noch jung genug sind, für sie eine andere Be-schäftigung zu finden, die Umstrukturierung angehen. Dastrifft erst recht deshalb zu, weil es im Ruhrgebiet einenFachkräftemangel im Handwerk gibt.Diesen Mut müssen die Politiker haben. Denn Politikist nicht nur der Resonanzboden von Stimmungen, son-dern Politik heißt auch geistige Meinungsführerschaftund bedeutet, in einem Wahlkampf auch unbequemeWahrheiten vorzutragen. Alles andere ist von gestern,meine sehr geehrten Damen und Herren.
Deswegen müssen wir über die Strukturen reden. Es istrichtig, dass wir an die Strukturen herangehen wollen, bei-spielsweise auch hinsichtlich der Fragen, was der Bunddarf und was der Bund machen muss.
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Dr. Guido Westerwelle25591
Herr Ministerpräsident Stoiber, ich meine, dass es in je-dem Fall – und zwar über die Parteigrenzen hinweg – inder nächsten Legislaturperiode zu einer bereits überfälli-gen Diskussion kommen wird, wie das auch zwischen denLändern unterschiedliche Niveau in den Schulen ausge-glichen werden und wie einmal im Jahr ein Bundesbil-dungsbericht vorgelegt werden kann, der mit einheitli-chen und nachvollziehbaren Qualitätsmaßstäben dafürsorgt, dass die Schulen und Bildungseinrichtungen insge-samt in Deutschland besser werden.Es ist kein vernünftiger Trost, wenn Bayern feststellt:Bei uns ist alles bestens, denn wir sind besser als Bremen.Das ist zu wenig. Denn wenn nach der PISA-Studie selbstdie besten Bundesländer Bayern und Baden-Württem-berg, was den Zustand der Schulen angeht, auf internatio-naler Ebene nur Mittelmaß – sogar schlechtes Mittelmaß –sind, dann entspricht das nicht einer hinreichend ehrgeizi-gen Bildungspolitik. Deswegen ist es richtig, wenn in die-sem Haus nach der Wahl – hoffentlich – über das öffent-lich diskutiert werden wird, was bereits vor der Wahlunter der Hand und über alle Parteigrenzen hinweg be-sprochen worden ist.Es ist notwendig, dass wir eine Strukturreform in derBildungspolitik durchführen; denn es ist nicht sinnvoll,dass es eine Kultusministerkonferenz gibt, auf der sich dieLänderminister aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips ge-genseitig lähmen, die zehn Jahre lang an einer Recht-schreibreform arbeitet und die nicht in der Lage ist, zumBeispiel für vernünftige qualitative Standards an denSchulen zu sorgen. In Wahrheit müsste in diesem Wahl-kampf über neue Strukturen in der Bildungspolitik ge-sprochen werden. Hoffentlich geschieht dies wenigstensnach dem Wahlkampf; denn Bildung ist der eigentlicheRohstoff der Deutschen und die Zukunftsfrage in diesemLande.
In diesen Zusammenhang gehört auch die Frage der In-halte und der Werte. Dass wir bei der momentanen Dis-kussion über die Bildungspolitik – leider – überhauptnicht über Inhalte und Werte reden, ist in meinen Augeneine große Gefahr.
Denn Bildung – wir reden natürlich nicht nur darüber –darf niemals vom Geldbeutel der Eltern abhängig werden.Das ist richtig. Übrigens, die jetzigen Zustände machenBildung vom Geldbeutel der Eltern abhängig.
Wer es sich leisten kann, der sorgt bereits heute dafür, dassdas eigene Kind Nachhilfe erhält, um den Unterrichtsaus-fall auszugleichen. Die Kinder, die aus kinderreichen Fa-milien und aus ärmeren Verhältnissen kommen – hiermüssen genauso Talente gefördert werden –, müssen miteinem maroden Schulsystem zurechtkommen, das sich in-ternational immer mehr verabschiedet.
Deswegen muss weit mehr über Inhalte und Werte ge-sprochen werden.Folgendes sage ich auch an die Adresse gewisserLeute, die auf der Regierungsbank sitzen: Leistungsbe-reitschaft, Disziplin, Respekt und Herzensbildung sindnicht irgendwelche altmodischen Sekundärtugenden, son-dern Primärtugenden, die eine Gesellschaft zusammen-halten. Diese Tugenden sind nichts Verstaubtes. Siegehören vielmehr in unsere Zeit.
Herr Bundeskanzler, Sie weisen – zu Recht – regel-mäßig auf Ihren eigenen Bildungsweg hin. Dieser ver-langt jedem durchaus Respekt ab. Das soll ausdrücklichgesagt werden.
Mein Bildungsweg begann auf der Realschule. Deswegenkann ich über das Folgende relativ unbefangen reden.Nach meiner Meinung ist es nicht vernünftig, dass wir inDeutschland auf die PISA-Studie mit folgenden Maßnah-men reagieren: Aus Niedersachsen kommt der Vorschlag,das Sitzenbleiben abzuschaffen. Von den Grünen kommtregelmäßig der Vorschlag, das System der Notengebungabzuschaffen und die Zeugnisse durch Lernentwicklungs-berichte zu ersetzen. Ich glaube, wir müssen einen ganzanderen Weg beschreiten. Wir müssen doch erkennen:Wer jungen Menschen das Erzielen guter Noten in gefäl-liger Weise leicht macht, der macht ihnen das gesamtespätere Leben schwer. Wer fördern will, der muss auchfordern, und zwar maßvoll. Das muss zum Inhalt der Bil-dungspolitik gehören.
In diesen Zusammenhang gehört noch ein andererPunkt, den ich ebenfalls ansprechen möchte, weil ichglaube, dass es gut wäre, wenn wir uns in der jetzigen De-batte nicht nur das vorhalten, was in den letzten Jahren al-les schief gelaufen ist, sondern auch über die Zukunfts-fragen reden. Ich persönlich glaube, dass es in diesemHause keine einzige Fraktion gibt, die im Stadium der Un-schuld ist. Es geht aber darum, wer aus seinen Irrtümerngelernt und sich neu aufgestellt hat.In den ersten vier Klassen der Schulen in vielen großenStädten, gerade auch in Berlin, können manchmal 50 bis70 Prozent der Kinder nicht mehr genügend Deutsch.Dasist schlimm für das einzelne Kind, weil es beim Lernennicht vorankommt und deswegen frustriert wird. Das istaber auch schlimm für die ganze Klasse, weil sie keineLernfortschritte machen kann. Deswegen werden wir dasZuwanderungsgesetz – zwingend und nicht etwa neben-bei – wie folgt ändern: Wer nach Deutschland zuwandertund hier bleiben möchte, der muss bereit sein, sich zu in-tegrieren und die deutsche Sprache zu erlernen. Das darfman sagen, ohne in eine rechtsradikale Ecke geschoben zuwerden.
In der heutigen Debatte haben wir uns natürlich mit denThemen auseinander gesetzt, die im Wahlkampf einegroße Rolle spielen. Aber ich hoffe, dass wir uns nach derBundestagswahl – gleich wer dann die Regierungsverant-
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wortung übernehmen wird; in dieser Beziehung hat jedesMitglied dieses Hauses einen eigenen Wunsch – an dievon mir skizzierten nationalen strukturellen Herausforde-rungen herantrauen und sie meistern werden. Der Poli-tikwechsel ist es, den wir in Wahrheit in Deutschland indiesem Herbst brauchen. Dieser Politikwechsel steht am22. September zur Wahl. Für diesen Politikwechsel wol-len wir eintreten.Vielen Dank.
Ich erteile dem Bun-desminister Joseph Fischer das Wort.Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen
ren! Lassen Sie mich zu Beginn dieser Debatte auf die ak-tuellen Entwicklungen mit Bezug auf den Irak eingehen.Wenn wir hier darüber reden, dann, Herr Westerwelle, re-den wir nicht darüber, wer mit wem telefoniert oder werwen besucht, sondern über die ganz entscheidende Frageunserer Sicherheit im beginnenden 21. Jahrhundert.
Ich sage dies bewusst zwei Tage nach dem Jahrestag des11. September. Wir alle miteinander werden zu kurz grei-fen, wenn wir uns hier ins Verfahren flüchten – an die ersteStelle die Frage des Telefonats, an die zweite Stelle dieBündnissolidarität stellen –, ohne uns vorher Klarheitüber das zu verschaffen, was tatsächlich vor sich geht, umdann unsere Position zu bestimmen.
Der 11. September, als jener furchtbare Terrorangriffauf die Menschen und auf die Regierung der VereinigtenStaaten, unseren wichtigsten Bündnispartner außerhalbEuropas, stattgefunden hat, hat die Welt verändert. Andiesem Tag wurde zugleich sichtbar, dass eine neue großeGefahr für den Weltfrieden aufgetaucht ist, nicht mehreine staatliche, gleichwohl aber eine totalitäre Gefahr, diesich so genannter asymmetrischer Mittel, das heißt terro-ristischer, nicht staatlicher Mittel, bedient. Es gab Zer-störungen, eine Angriffsintensität und Verluste an unbe-teiligten und unschuldigen Menschen, die früher nurAusdruck staatlicher Konfrontation, eines Krieges zweierStaaten waren.Dabei hat sich etwas verdichtet. Da ist ein Blick aufAfghanistan von entscheidender Bedeutung, wo aus demVerschwinden der Ordnung des Kalten Krieges anders alsin Europa nicht ein Mehr an Stabilität entstanden, sondernein Ordnungsverlust eingetreten ist. Dieser Ordnungsver-lust war nicht nur der Nährboden für furchtbares Leid derbetroffenen Zivilbevölkerung, sondern zugleich der Nähr-boden für einen, der sich zu einem internationalen Terro-rismus und zur Gefahr für den Weltfrieden Terrorismusentwickelt hat.Wir haben es mit der Krise einer großen Region zwi-schen Atlantik und Indus, einer für unsere Sicherheithochgefährlichen Krise zu tun. Unter dem Damokles-schwert dieses Terrorismus, dieser terroristischen Bedro-hung, unter dem weder die Menschen in den USA nochwir hier leben können, leben wollen und leben dürfen, ha-ben wir die für uns schmerzhafte Entscheidung getroffen,uns zur Wehr zu setzen.
Ich sage es, auch wenn es eine bittere Wahrheit ist: Wirwerden mit Osama Bin Laden nicht verhandeln können.Worüber wäre da zu verhandeln: darüber, dass sie weni-ger unschuldige Menschen umbringen, dass sie es lieberlassen sollen, Israel zu zerstören, dass sie vom Terroris-mus ablassen sollen? Das alles wird nicht funktionieren.Deswegen heißt die bittere Konsequenz: Wir werden die-sen Terrorismus niederkämpfen. Wir werden ihn besiegenmüssen. Hier ist Deutschland voll solidarisch, leistet sei-nen Anteil und wird ihn auch in Zukunft leisten.
Was wir zugleich gesehen haben, ist die hohe Gefähr-lichkeit von Regionalkonflikten in unserer unmittelbarenoder weiteren Nachbarschaft, in Nahost, im Kaukasus, inKaschmir.Wenn wir uns die Struktur der neuen Bedrohung, derGefahr für den Weltfrieden einmal anschauen, dann stellenwir fest: Es sind vier Elemente, die, wenn sie sich verbin-den, von allerhöchster Gefährlichkeit sind. Das erste Ele-ment ist der religiöse Hass. Das zweite Element sind Regio-nalkonflikte bzw. nationale Konflikte, die in Verbindung mitreligiösem Hass den Charakter von Glaubenskriegen be-kommen. Das dritte Element ist die mögliche Aufladungsolcher Konflikte mit Massenvernichtungsmitteln bis hinzur Nuklearisierung. Das vierte Element ist der asymmetri-sche Terror, der eine völlig neue Qualität erhält.Exakt diese vier Elemente sind in dem bedrohlichstenKonflikt, dem Konflikt auf dem indischen Subkontinent,vorhanden. Hier besteht ein enger Zusammenhang mit derEntwicklung in Afghanistan.In meiner Analyse der Bedrohung unserer Sicherheitkomme ich daher zu folgender Prioritätensetzung. Ers-tens. Der Kampf gegen den Terrorismus muss bis zu sei-ner vollständigen Niederlage geführt werden. Zu dieserVerpflichtung stehen wir in voller Solidarität.
Zweitens. Wir müssen vorbeugen, indem wir durchkluge Diplomatie versuchen, eine Verbindung dieser vierElemente zu verhindern. Das bedeutet vor allem, eineEindämmung oder eine Lösung der Regionalkonflikteherbeizuführen, die ich gerade genannt habe.
Damit komme ich zu der entscheidenden, meiner An-sicht nach strategischen Frage, die in der gesamten De-batte von der Opposition nicht angesprochen wird. Wir
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stehen vor einer Neuordnungsaufgabe, für die der Vaterdes jetzigen Präsidenten und sein damaliger Außenminis-ter Baker nach dem Ende des Kalten Krieges völlig zuRecht die Formel der neuen Weltordnung fanden. DieseNeuordnung muss letztendlich zu einem globalen koope-rativen Sicherheitssystem hinführen, das nicht mehr wiein Zeiten des Kalten Krieges nur auf einer Ebene als glo-bale Sicherheit durch die beiden Großen und ihre Bünd-nissysteme definiert sein wird. Vielmehr wird globale ko-operative Sicherheit in Zukunft heißen: Dort, wo diegroßen Mächte und ihre Bündnissysteme agieren, ist dieerste Ebene. Die zweite Ebene wird die regionale globaleSicherheit sein; denn wir haben in Afghanistan erlebt – undwir würden es, wenn wir nicht Acht geben, im NahenOsten oder auf dem indischen Subkontinent erleben – dassdie globale Sicherheit aufgrund regionaler Konfrontationgefährdet wird. Aber auch auf der asymmetrischen Ebene– dort, wo Terrorismus entsteht, aber auch dort, wo furcht-bare Bürgerkriege Bevölkerungen auf schlimmste Art undWeise malträtieren – müssen wir Stabilität schaffen.
Darin liegt der Dissens, den ich ganz offen benenne;das ist auch Gegenstand der Diskussion in den USA undbis in die Reihen der Republikanischen Partei. Sie könnendoch nicht bestreiten, dass jemand wie Brent Scowcroftund andere enge Mitarbeiter des Präsidenten exakt diegleichen Positionen wie diese Regierung vertreten.Die entscheidende Frage ist, ob dieser Neuordnungs-ansatz kooperativ oder konfrontativ vorgenommen wird.Genau darin liegt der Unterschied der Betrachtungswei-sen und das ist mein Haupteinwand.
Meine Sorgen sind nach der gestrigen Rede von Präsi-dent Bush nicht geringer geworden. Ich komme gleichnoch einmal auf die Frage des Sicherheitsrates zu spre-chen; das wird aber nur ein kurzfristiges Problem sein.Die Probleme, die sich aus einem Krieg ergäben, wärenallerdings langfristiger Natur. Deswegen muss man siesehr sorgfältig bedenken und darf sie nicht ausklammern.Bis zur Stunde und nach aufmerksamem Hören der Rededes Präsidenten erkenne ich in Bezug auf die Bedro-hungsanalyse keine wesentlich neuen Fakten. Das ist derheutige Stand der Erkenntnisse.Wir nehmen das Problem der Massenvernichtungs-waffen weiß Gott sehr ernst. Soll das aber heißen, meineDamen und Herren, dass wir allen Regimen, die überMassenvernichtungswaffen verfügen und nicht demokra-tischer Natur sind, in Zukunft mit Krieg drohen werden?Wäre die Konsequenz nicht vielmehr, in internationalerZusammenarbeit ein wirksames Regime zur Ächtung vonMassenvernichtungswaffen und zur Unterbindung derAufrüstung zu entwickeln? Wären nicht in dieser Rich-tung Signale der großen Mächte notwendig?
Mir fallen unter dem Gesichtspunkt Massenvernich-tungswaffen und ballistische Systeme noch einige andereProblemfelder in dieser Region ein. Die wichtige Frageist, ob daraus Konsequenzen entstehen werden. Seit dem11. September habe ich die große Sorge, dass eine Strate-gie der konfrontativen Neuordnung vor allen Dingen imNahen Osten umgesetzt wird. Das hätte Konsequenzen,über die wir sprechen müssen, denn sie beträfen uns.
An diesem Punkt sind, wie der Bundeskanzler sagte, dieinternationale Koalition gegen die größte Gefahr, den in-ternationalen Terrorismus, sowie die regionale Stabilitätfür unsere Sicherheit von entscheidender Bedeutung.
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen klipp undklar: Die Rede des US-Präsidenten beinhaltet die wichtigeAussage, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Natio-nen jetzt die Lösung in den Händen hält. Allerdings hatPräsident Bush Bedingungen gesetzt, zu denen ich ehrli-cherweise gleich hinzufügen muss, dass es alles andere alseinfach wird, und zwar vor allen Dingen unter dem Ge-sichtspunkt, ob dann die Drohung mit Krieg wirklich ausder Welt sein wird.
Nur dies verschafft dem Sicherheitsrat die Möglichkeit,glaubwürdig zu handeln. Die diplomatische Zurückhal-tung gebietet es, dass ich diese von mir aufgeworfeneFrage nicht beantworte. Dass ich diese Frage aber gestellthabe, macht Ihnen klar, welches meine große Sorge in die-sem Zusammenhang ist.Genauso liegt es jetzt in den Händen von SaddamHussein, eine absehbare große Tragödie nicht nur für seinLand, sondern für die gesamte Region abzuwenden. Vo-raussetzung dafür ist die unverzügliche und vollständigeErfüllung der Sicherheitsratsresolutionen und die Öff-nung der Grenzen für die Inspektoren.
Meine Damen und Herren, ich tue mich mit der Thesevon der Bedrohungskulisse aus folgendem Grund so über-aus schwer: Wer eine Bedrohungskulisse aufbaut, mussauch die Kraft haben, sie hinterher zu realisieren.
Wir hatten diese Kraft im Zusammenhang mit dem Ko-sovo.
Hier muss man die Frage stellen, ob die jetzige Bedro-hungsanalyse eine solche Konsequenz rechtfertigt: Gibtes dafür einen sachlichen Grund, etwa den, dass das Con-tainment unwirksam ist? Ich behaupte, nein. Ferner stelltsich die Frage nach der regionalen Stabilität. Schließlichhaben wir bis heute keine Antwort auf die Frage, was denneine amerikanische Präsenz in Bagdad bedeutet. Sie be-deutet, dass die USA– nicht für Wochen und Monate, son-dern für Jahre und vielleicht Jahrzehnte – die Verantwor-tung für Frieden und Stabilität in einer der gefährlichsten
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Regionen der Welt übernehmen müssen. Dies hatte sei-nerzeit den Vater des Präsidenten und die damaligeAdministration davon abgehalten. Bis heute habe ichkeine Antwort darauf, ob die Mehrheit des amerikani-schen Volkes dazu bereit ist.Meine Hauptsorge ist folgende: Wenn die USAtatsäch-lich in diesem Raum intervenieren – sie haben die Macht-mittel dazu –, dann aber die Neuordnung nicht vollenden,wird es langfristig zwei Negativwirkungen strategischerNatur geben. Erstens werden wir als unmittelbare Nach-barregion unsere geopolitische Situation nicht verändernkönnen. Zweitens wird dies bei der Mehrheit des ameri-kanischen Volkes die isolationistischen Tendenzen erheb-lich verstärken, was wiederum für Frieden und Stabilitätauf der ganzen Welt eine sehr negative Wirkung hätte.
Deswegen sagen wir sehr eindeutig, dass wir ange-sichts der nicht absehbaren und auch, wie wir meinen,nicht vertretbaren Risiken zu einer klaren Positionierungkommen. Sie ist nicht gegen das Bündnis gerichtet, imGegenteil. Fragen Sie doch einmal hinter vorgehaltenerHand, was diejenigen, die in den USA eine Politik desRealismus wie die, für die wir stehen, zu machen versu-chen, von unserer Position halten. Wir wurden sogar da-rauf hingewiesen, wie wichtig es sei, dass wir als großerBündnispartner diese Position artikulieren. Der Bundes-kanzler hat unsere Haltung zweifelsfrei klar gemacht,dass wir uns aus den genannten Gründen an einem Krieggegen den Irak nicht beteiligen werden.
Meine Damen und Herren, es wird allgemein gesagt,wir stünden am 22. September vor einer Richtungsent-scheidung.Wer den bayerischen Ministerpräsidenten undden Bundeskanzler heute Morgen gehört hat, der weiß,dass es in der Tat eine Richtungsentscheidung ist.
Schauen Sie, Herr Stoiber, es gibt an jeder Regierungviel zu kritisieren, an Ihrer wie an unserer. Aber eine Rich-tungsentscheidung in der Demokratie ist keine zwischenUntergang und blühenden Gärten. Es geht nicht darum, obsich die Sahelzone auf Gebiete nördlich der Alpen aus-dehnen wird oder ob Sie Ihre blühenden Landschaften inganz Deutschland Wirklichkeit werden lassen. So argu-mentieren Sie aber. Sie wissen ganz genau, dass es darumnicht geht, sondern dass es vielmehr darum geht, ob imRahmen der vorhandenen Möglichkeiten, eingeengt durchdie volkswirtschaftlichen Daten und vor allem durch dieweltwirtschaftlichen Realitäten, die Alternativen besserals das sind, was die Regierung zur Erneuerung unseresLandes getan hat.Sehen wir uns die Realitäten doch einmal an. Ich findediese Diskussion fast albern.
Bayern ist ein wunderbares Land und ich sage nicht, dassdie CSU es ruiniert hat; im Gegenteil. Sie müssen aberdoch zur Kenntnis nehmen, dass über Ihr Mitglied imKompetenzteam, Lothar Späth – gestern vor einer Wochehabe ich das im Wirtschaftsteil einer Zeitung gelesen –,geschrieben stand: „Lothar Späth muss seine Umsatz- undErtragszahlen bei Jenoptik drastisch nach unten korrigie-ren.“ Warum muss er das denn? Weil die thüringischeLandesregierung versagt hat? Nein! Weil die Bundesre-gierung versagt hat?
Nein!
– Okay. Sehen Sie, genau das meine ich.
Des Deutschen voll mächtig lese ich da: Der Halbleiter-markt in den USA existiert nicht mehr.
Das war der entscheidende Punkt.Ich schaue mir an, warum die Pleitewelle im GroßraumMünchen und in Bayern insgesamt – die Zahlen aus dem Ar-beitsamtsbezirk Freising liegen mir allerdings nicht vor – soüberdurchschnittlich hoch ist. Das würde ich nie derStaatsregierung vorwerfen. Ich weiß nämlich, warum dasso ist: Es gibt dort besonders viele Start-up-Unternehmenim Bereich der Biotechnologie, der Informationstechno-logie und auch des Internets. Viele davon sind angesichtsdes Platzens der Blase jetzt Pleite gegangen. Es war rich-tig, ihnen die Möglichkeiten zu geben, und ich würde niebehaupten, Sie seien daran Schuld.Sie haben hier immer wieder klar gemacht – das ist fürSie der entscheidende Unterschied –, dass Sie ein großerFreund des Mittelstandes sind. Ich sage nicht, dass Siekleine und mittelständische Unternehmen gefährden; dennderen schwierige Situation ist Ausdruck der weltwirt-schaftlichen Lage. Das muss man klar sehen. Herr Minis-terpräsident, um eines schiffen Sie als großer Freund desMittelstandes hier aber herum: Sie tragen natürlich schondie Verantwortung für Ihre spezifische Form der Mittel-standsförderung, nämlich dafür, dass Sie einem kleinenMittelständler wie Leo Kirch durch Ihre EntscheidungenMilliarden hinterhergeworfen haben.
Ich habe nun gedacht, dass es für einen bayerischenMinisterpräsidenten und Kanzlerkandidaten immer umFassbier geht. „Edmund und die Dose“ ist aber eine end-lose Geschichte.
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich habe gar nicht gewusst,dass die Dose eine solche Bedeutung für Sie als Freunddes Mittelstandes bekommen wird, aber, bitte schön.
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Bundesminister Joseph Fischer25595
In einer Zeitung aus München von Freitag, dem13. September 2002, lese ich: „Mittelständische Geträn-kewirtschaft attackiert den Kanzlerkandidaten“, „Brauerwerfen Stoiber Wortbruch vor“, „Branche macht mitKundgebungen und Anzeigen gegen die Dosenpfandpoli-tik des CSU-Politikers mobil“. Herr Stoiber, die Anzeigenwerden Sie ja kennen. Dort steht, dass durch Ihre Politik250 000 Arbeitsplätze in 10 000 mittelständischen Unter-nehmen gefährdet werden. Meine Damen und Herren, dasnennt sich Freund des Mittelstandes! Er will uns sagen,wie man die Arbeitslosigkeit abbaut!
Zu wesentlichen Teilen der Zukunftsvorsorge habenSie gar nichts gesagt. Die Umwelt haben Sie diesmal zumBeispiel völlig weggelassen, und zwar aus guten Gründen.Zur Familien- und Kinderpolitik haben Sie nichts gesagt,obwohl die Investitionen in die kommende Generationentscheidend für die Zukunft sind. Auch zur Gerechtig-keitsfrage haben Sie nichts gesagt.
Betrachten wir doch weiterhin Ihre Mittelstandspolitik.Sie wollen Arbeitsplätze schaffen. Ich habe große Ver-sprechungen gehört; Vertrauen sei die entscheidendeFrage. Alle vertrauen Ihnen, selbstverständlich. Sie wol-len die Steuern senken – auch Herr Westerwelle ist für die-ses Rezept – und danach komme der Aufschwung. Wennder Aufschwung komme, sinke die Arbeitslosigkeit und eskönne investiert werden.Herr Westerwelle, ich will nicht über die Vergangen-heit reden. Sie haben gelernt, Herr Stoiber hat gelernt undauch wir lernen ständig. Wie viel Glaube, Hoffnung undLiebe müssen aber in den Herzen der Wählerinnen undWähler sein, um Ihr Team, das 16 Jahre lang Gelegenheithatte, es anders zu machen und Steuersätze zu produzie-ren, bei denen wir erröten müssten, zu wählen? Warumhaben Sie das in den 16 Jahren nicht erfolgreich hinbe-kommen? Meine Damen und Herren, diese Frage müssenSie einmal beantworten.
Ich möchte, wie gesagt, nicht zurück in die Vergangen-heit, aber Sie haben gesagt, die SPD sei schuld, dass ihrvon eurem Spitzensteuersatz von 53 Prozent nicht herun-tergekommen seid. Meine Frage lautet: Wie seid ihr dorthingekommen? Die SPD hat euch doch nicht dort hoch-getrieben.
25,9 Prozent Eingangssteuersatz bei euch, 19,9 Prozentbei uns heute! Herr Westerwelle, so groß kann doch diePISA-Not nicht sein, dass man nicht begreift, dass53 mehr ist als 48,5 und 25,9 mehr als 19,9.
Wir akzeptieren ja, dass wir Entlastungen schaffenmüssen. Wir haben heute nahezu nichts mehr von Ihrerfast linksradikalen Agitation gegen die Unternehmen-steuerreform gehört. Wenn ich mir anschaue – das sageich hier ganz bewusst –, wie sich die Auslandsinvestitio-nen in den letzten Jahren der Regierung Kohl entwickelthaben, dann erkenne ich, dass das, was wir entscheidenmussten, etwas ist, weswegen – ich sage es ganz offen –mein linkes Herz blutet.Wir befinden uns aber in einem Steuerwettbewerb.Auch nach dem 22. September werden wir, was die Un-ternehmensteuern angeht, im Rahmen einer offenen EU-Volkswirtschaft konkurrenzfähig sein müssen. Davon,dass es einen gemeinsamen Markt gibt, profitiert Deutsch-land am meisten. Da wir wieder Investitionsstandort wer-den wollten, mussten wir eine entsprechende Unterneh-mensteuerreform durchführen. Wer behauptet, derMittelstand sei dabei benachteiligt worden – sowohl derKanzler als auch der Finanzminister haben Ihnen die Zah-len vorgelesen –, der redet schlicht und einfach Unsinn.
Als ich in der Opposition saß,
regierten Sie, Herr Stoiber, in München und waren mitTheo Waigel beschäftigt. Ich werde nie vergessen, wieMichel Glos mir im November 1996 zuraunte: Wenn wirso weitermachen, dann werden wir die Wahlen verlieren.Er meinte die nötigen Strukturreformen, die seit 1990vertagt worden waren. Er sah die Notwendigkeit, dass dieUmsetzung dieser Strukturreformen endlich angepacktwird. Er hat Recht gehabt.
– Ja, ich erinnere mich. Ich komme gleich darauf zu spre-chen.Der entscheidende Punkt ist ein anderer. Wenn Sie da-mals die Zustimmung der Sozialdemokraten im Bundes-rat – uns haben Sie nicht gebraucht – hätten bekommenwollen, dann wäre das ganz einfach möglich gewesen. Ichhabe mich immer gefragt: Wieso sollte die SPD Ihrer Mei-nung nach zu einer – wenn auch in anderer Hinsicht – not-wendigen Steuerreform die Hand heben, obwohl die In-teressen ihrer Wähler dadurch auf das Sträflichstezurückgestellt würden?
Damals sollten die ersten 50 Kilometer des Weges zwi-schen Wohnung und Arbeitsplatz aus der Berechnung derEntfernungspauschale herausgenommen werden. Außer-dem ging es um die Steuerbelastung der Schichtarbeit, derNacht- und Sonntagszuschläge.Herr Westerwelle, ich sage Ihnen: Es geht um eineklare Richtungsentscheidung.
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Bundesminister Joseph Fischer25596
Wenn Sie über Leistung reden, dann sollte dies immermöglichst lange im Fernsehen gezeigt werden. Im Zu-sammenhang mit Leistung stellt sich doch die Frage: Fürwen soll sich Leistung lohnen? Zu Ihrem Steuerreform-konzept kann ich nur sagen: Wenn sich Leistung wiederlohnen soll, dann geht es eben nicht nur darum, einen Spit-zensteuersatz von 35 Prozent zu finanzieren,
sondern vor allen Dingen darum, dass Sie die Senkungdes Spitzensteuersatzes über eine Verringerung der Ei-genheimförderung und der Sparerfreibeträge sowie überdie Schichtzuschläge und die Nachtarbeits- und Sonn-tagszuschläge gegenfinanzieren wollen.
Dazu sage ich Ihnen, Herr Westerwelle: Ich bin sehr derMeinung, dass sich Leistung wieder lohnen solle; das darfaber nicht nur für einige wenige gelten, deren Einkommendem Spitzensteuersatz unterliegt – für die auch –, sondernvor allen Dingen für die Millionen abhängig Beschäftig-ter. Vor uns liegt tatsächlich eine klare Richtungsent-scheidung. Was Sie vorhaben, geht mit uns nicht.
Ich komme auf das Thema „Mittelstand und Arbeits-plätze“ zurück. Ich habe selbst neulich in Bayern erlebt,wie dort die in der Brauereiwirtschaft Tätigen wegen Ih-rer „Dose“ auf die Barrikaden gegangen sind.
Schauen wir uns den Umweltbereich an! Herr Stoiber, imWindenergiebereich gibt es mittlerweile über 30 000 Ar-beitsplätze, Tendenz steigend. Insgesamt gibt es mittler-weile im Bereich der erneuerbaren Energien rund130 000 Arbeitsplätze, Tendenz ebenfalls steigend.Durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz und die Mo-bilisierung privater Investoren sind wir heute – ich hättees selbst nicht für möglich gehalten – weltweit führend;wir sind die Nummer eins. Ich habe es in Dessau erlebt,wo ich gemeinsam mit dem Kollegen Trittin war. Das ein-zige Unternehmen, das in Dessau boomt – ansonsten liegtdie Industrie dort weitestgehend brach –, ist das Unter-nehmen, das die Säulen für die Windkraftanlagen her-stellt. Ähnliches habe ich in Rostock und in Magdeburggesehen. Das ehemalige Sachsenwerk in Dresden hat400Arbeitsplätze, obwohl es nicht einen Cent, nicht einenPfennig öffentliches Geld bekommt. Der Unternehmer inDessau sagte mir bei einem Treffen: Wenn das Erneuer-bare-Energien-Gesetz abgeschafft wird – das hatten Sieursprünglich vor; jetzt wollen Sie es verbessern, Sie soll-ten besser „verwässern“ sagen –, dann werde ich entlas-sen müssen und keine weiteren Einstellungen vornehmenkönnen. Das ist die Realität.
Das sind alles Mittelständler. Sie werden Arbeitsplätzenicht schaffen können, ohne neue Beschäftigungsfelderzu eröffnen. Das ist der entscheidende Punkt. In diesemPunkt sind Sie unehrlich. Das ist sozusagen der FaktorSpreng in Ihnen, den man neuerdings feststellen kann.
Der frühere Edmund – wie er wirklich ist – hätte sich hierhingestellt und gesagt: Ich halte das alles für Quatsch. Ichbin für Atomenergie. Deswegen haben wir in Bayern ei-nen so hohen Atomenergieanteil. Deswegen habe ich inKarlsruhe geklagt, aber ich habe leider verloren. – DieRichtungsentscheidung ist klar: Er ist für Atomenergieund wir wollen aussteigen, weil wir sie für nicht verant-wortbar halten.
Er hat aber nicht den Mut, sich hier hinzustellen und dasin dieser Offenheit zu sagen.Die Frage der Gerechtigkeit ist eine entscheidendeFrage. Steuerpolitik ist Verteilungspolitik. Daran führtkein Weg vorbei. Ich kann den Menschen nur immer wie-der sagen: Lasst euch durch die Zahlen nicht irritieren, esgibt zwei schlichte Fragen, die man stellen muss. HerrWesterwelle erzählt immer schön, dass die Wirtschaft flo-rieren muss, Leistung sich lohnen muss und die Steuern– Wer zahlt schon gerne Steuern? Niemand! – runter müs-sen. Es gibt zwei Fragen, die man stellen muss, denn dasist eine ganz einfache Sache: Wer bekommt es? Wer be-zahlt es? – Das sind die beiden schlichten Fragen zurSteuerpolitik als Gesellschaftspolitik.
Das sollten sich die Menschen sehr genau anschauen.Hinterher wird einem das Fell über die Ohren gezogen;dann ist es allerdings zu spät.Herr Stoiber, als ich Ihnen neulich zugehört habe,wurde ich an meine Kindheit erinnert. In Stuttgart auf derKönigstraße vor der Kaufhalle gab es einen wirklich be-gnadeten Rhetor – das kann man nicht von jedem sagen,der hier spricht –,
der dort Wundertinkturen verkauft hat, und zwar mit Kra-watten, die vorher recht schmutzig gemacht wurden.Wenn Sie die Krawatte durch diese Tinktur gezogen ha-ben, war sie wieder sauber. Dieses Mittel kostete ganz we-nig. Diesen Mann nannten wir den billigen Jakob. Wennman das Mittel, das man leichtgläubig gekauft hatte, zuHause benutzte, weil Vater ein Malheur hatte und Mutterdas Fleckenmittel brachte, war der Fleck sofort weg unddie Familie war beeindruckt. Wenn man die Krawatte amnächsten Sonntag wieder aus dem Schrank herausholenwollte, war – wenn man Glück hatte – der Fleck nur wie-der da; aber meistens war die ganze Krawatte weg.
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Bundesminister Joseph Fischer25597
Verstehen Sie? Das entspricht Ihrer Politik! Da hört derSpaß auf! Das ist die Politik des billigen Jakob! HerrStoiber, Sie müssten sagen, wie Sie die Versprechungenim Umfang von 70 Milliarden realisieren wollen. Siemüssten sagen: Wir wollen das Erneuerbare-Energien-Gesetz abschaffen. Wir sind für Atomenergie. Stellen Siesich hier hin und vergessen Sie Ihren Spreng. Machen Siedie Alternativen, die Sie wirklich im Kopf haben, klar. Sa-gen Sie doch einmal, wer Ihre unbezahlte Rechnung be-zahlen wird. Welche sozialen Gruppen werden dafür zubezahlen haben?
Sagen Sie doch einmal, was Sie beim Verbraucherin-nen- und Verbraucherschutz vorhaben, Herr Stoiber. Ver-gessen Sie einmal Herrn Spreng! War es denn RenateKünast, die auf BSE kam, oder war es die Futtermit-telindustrie? Ich frage, wie eng die Verflechtung derFunktionärsspitzen des Bauernverbandes mit der Futter-mittelindustrie tatsächlich ist. Es ist doch grotesk: EinChristdemokrat, der immerhin noch so etwas wie den Be-griff „Bewahrung der Schöpfung“ im Kopf haben müsste,
müsste doch wissen, dass man Wiederkäuer nicht unge-straft mit Fleischmehl füttern kann. Genau das war die Ur-sache für BSE.Diese Verhältnisse müssen anders werden.Renate Künast wird dafür sorgen, dass sie anders werden.
Die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher ha-ben Vorrang vor den Interessen der Futtermittelindustrie.Das sind die Dinge, um die es wirklich geht und bei de-nen es auch um die Zukunft unserer Kinder geht.Das, was der Bundeskanzler zum Generationenver-trag gesagt hat, kann ich nur nachdrücklich unter-streichen: Wir haben die Rentenreform gemacht und dieRentenstabilität wieder gewährleistet. Was in diesem Zu-sammenhang auf uns niederprasselte, was insbesondereauf den Arbeitsminister niederprasselte, halte ich alles fürdaneben.Ich sage Ihnen, wie die Rentenreformdebatte, die ichhier in der Opposition mitbekommen habe, gelaufen ist.Es hieß immer: Die Rente ist sicher. Eines Morgens saßich in Bonn auf der Oppositionsbank, als BundeskanzlerKohl sagte: Die Rente ist sicher.
Ich hatte meinen Hasenschlaf und dämmerte weiter fort,bis er sagte: In dreizehn Jahren wird sie nicht mehr sichersein, ab dem Jahr 2013. – Ich habe dann kurz nachge-rechnet. Jahrgang 48 geht dann mit 65 Jahren in die Rente.Man muss doch wissen, dass wir unseren Kindern jetztschon eine riesige Last ins Kreuz hängen, ohne dass wirdas ändern können, nämlich die geburtenstarken Jahr-gänge. Das wird niemand ändern. Da müssen Sie vorherdie Traute haben zu sagen: Wir wollen dann Rentenkür-zungen. Dann bekommen wir aber ein vertikales Gerech-tigkeitsproblem zwischen Jung und Alt. Oder wir wollen,dass die Renten in Größenordnungen ansteigen, die Belas-tungen mit sich bringen, zu denen die Jungen sagen wer-den: So haben wir nicht gewettet.Diese Fragen haben Sie, Herr Ministerpräsident, nunmit der Schuldenlast verbunden. So komme ich auf dasThema deutsche Einheit. Ich hätte damals genausoSchulden gemacht. Nur die Frage ist doch – das wurde inIhren Reihen diskutiert –, warum die Konsolidierungnicht begonnen wurde. Das ist doch der entscheidendePunkt.
Sie sind jetzt dabei, denselben Fehler wieder zu machen.Es wurde Ihnen vorgerechnet, dass von dem, was wir vor-schlagen – im Grunde genommen ein Investitionspro-gramm in den Wiederaufbau, die Bauwirtschaft und an-deres in den neuen Bundesländern –, ein stärkerer Impulsausgeht als von der Steuerentlastung. Die Aussage, dasses hier um Gerechtigkeit gehe, haben Sie mittlerweile fal-len gelassen. Doch Ihr Vorschlag – das verstehe ich unterrationalen Gesichtspunkten nicht – läuft doch nur daraufhinaus, wieder Schulden zu machen. Wir können doch an-gesichts von 200 Millionen Euro Spenden für den zwei-ten Aufbau Ost sehen, wie weit die innere Einheit mittler-weile ist. Die heutige Generation ist stark genug, dasheute anzupacken.
Die Verschiebung der Steuerentlastung um ein Jahr istkeine Steuererhöhung. Ich bekomme dafür überallgroßen Beifall, weil die Bereitschaft, aus Fehlern zu ler-nen, im Volk ganz offensichtlich größer ist als in der Op-position.
Wir haben hier 16 Jahre immer schöne Reden über dieFamilie gehört. Wir haben eine erbitterte Debatte über dieFrage des § 218 geführt. Meine persönliche Haltung da-bei war immer klar: keine Kriminalisierung der freienEntscheidung der Frau. Ich habe aber immer auch die an-dere Position akzeptiert. Dass aber eines keine Rollespielte, habe ich nie verstanden: Wir müssten doch jen-seits dieser Glaubenskriegsdebatte uns sofort in demPunkt einig sein, dass wir ein Defizit bezüglich der Kin-derfreundlichkeit unseres Landes haben. Ich möchte dafürjetzt niemanden verantwortlich machen,
aber wir haben da ein klares Defizit. Wenn ich nach Skan-dinavien oder Frankreich komme, wird mir das ganz deut-lich.Wir haben die Leistungen für die Familien deutlich an-gehoben, in vier Jahren über 40 Prozent; wir haben dasKindergeld in drei Stufen um 36 Prozent erhöht. Das istbeachtlich. Zusätzlich haben wir noch die Korrektur derFehlentscheidungen, die Sie in Form einer fast verfas-sungswidrigen Familienbelastungspolitik getroffen ha-ben, bezahlen müssen. All das kommt zusammen. Wennwir jetzt nicht den Mut haben – da stimme ich dem Bun-
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deskanzler völlig zu –, für die Vereinbarkeit von Kindernund Beruf die entsprechende Infrastruktur einzuführen,und den Ländern und Gemeinden die notwendigen Fi-nanzmittel zur Verfügung stellen, dann versäumen wir dieLösung einer entscheidenden Zukunftsfrage. Das gingedann hauptsächlich zulasten junger Frauen. Das dürfenwir nicht tun; es geht nämlich um die Zukunft der kom-menden Generation.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen letz-ten Punkt ansprechen. Ich möchte Sie, Herr Ministerprä-sident, warnen. Auch wenn die Umfragen schlecht wer-den, sollten Sie jetzt nicht gegen Zuwanderer undAusländer agitieren.
Ich sage das als jemand, der sich an den hessischen Kom-munalwahlkampf 1989 in Frankfurt erinnern kann.
Den werde ich nie vergessen; es hat mich tief geprägt, wieeine große Volkspartei Stimmungen mobilisierte undplötzlich selbst in einer Stadt wie Frankfurt
große Minderheiten, die zu uns gehören, die Bürgerinnenund Bürger dieser Stadt sind, plötzlich querbeet Angst be-kamen.
Deswegen sage ich Ihnen, Herr Ministerpräsident: Auchmit der Haltung, die Sie in dieser Frage einnehmen, tref-fen Sie eine Richtungsentscheidung. Es geht nicht um dieFrage: Zuwanderung, ja oder nein?
Neben Ihnen sitzt ja Herr Müller, der das sehr offen arti-kuliert hat, was für ein Schmierentheater Sie im Bundes-rat geboten haben.
Auf Hochdeutsch würde man ebenso wie auf Bayerisch,Saarländisch oder Hessisch sagen: Während Sie dortwirklich auf den Tischen getanzt haben, weil Sie meinten,damit wären die Grenzen geöffnet – Sie wissen, das Ge-genteil ist der Fall –, hätte – wir reden ja über das Landvon Laptop und Lederhosen – ein einziger Mausklick aufdie Webseite der bayerischen Staatsregierung, AbteilungSozialministerium, genügt, um festzustellen, dass dortPflegekräfte in Polen gesucht werden.
Ich nenne das Heuchelei, Herr Ministerpräsident. Ichnenne das nichts anderes als Heuchelei!
Deswegen haben wir eine Richtungsentscheidung voruns. Wir wollen die ökologische und soziale Erneue-rungspolitik. Wir wollen eine Stärkung der Wettbewerbs-fähigkeit. Wir wollen ein weltoffenes Deutschland. Dafürsteht diese Koalition. Wir wollen Friedenspolitik, undzwar Friedenspolitik gegründet auf Realismus. Das heißt,wir werden unsere Entscheidungen im Bündnis, auchwenn sie unbequem sind, gut begründet einbringen. So-lange wir nicht sicher sind, dass eine Entscheidung in dierichtige Richtung führt, wobei es nicht nur um das Lebenunserer Soldaten geht, sondern auch um die Frage der Ge-fährdung unserer zukünftigen Sicherheit, werden wir un-bequeme Positionen vertreten. Das ist die Richtungsent-scheidung. Für diese Politik stehen wir!Ich danke Ihnen.
Nun erteile ich dasWort dem Vorsitzenden der PDS-Fraktion, Roland Claus.Roland Claus (von Abgeordneten der PDS mitBeifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Herr Ministerpräsident Stoiber – erist weg –, ich will mich ja nicht an der Zensurenverteilungzur heutigen Rede beteiligen. Aber bislang hat man dembayerischen Ministerpräsidenten nachgesagt und nachge-schrieben, er habe Kreide, sagen wir einmal, gegessen.Nach seiner heutigen Rede ist eines ganz offenkundig: InBayern ist die Kreide wohl alle.
Auch ich möchte an die Regierungserklärung von Bun-deskanzler Schröder, die wir im November 1998 in Bonngehört haben, erinnern. Da war sehr viel Hoffnung undAufbruch in Ihren Reihen, meine Damen und Herren vonder Koalition. Da war Hoffnung auf einen Politikwechsel.Da war ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit versprochen.Der Aufbau Ost sollte zur Chefsache gemacht werden undes sollte künftig mehr zivile statt militärischer Konfliktlö-sungen geben. Das hat in der Tat auch uns Hoffnung ge-macht.Wir haben seinerzeit aber auch schon festgestellt: Siehatten die Wahlen gewonnen mit dem Image von GerhardSchröder und mit dem Programm von Oskar Lafontaine.
Mit dem Rückzug Lafontaines aus der Politik und mitIhrem selbstverordneten Weg in die neue Mitte beganneine Politik, in der soziale Gerechtigkeit, wirklicher Auf-bau Ost und zivile statt militärischer Konfliktlösungenmehr und mehr zurückgedrängt wurden.
Nun haben Sie sich eines im Wahlkampf ja möglicher-weise legitimen – trotzdem muss man es so nennen –
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Tricks bemächtigt. Sie haben uns 1998 immer und laut-stark genug gesagt: Wir wollen gemessen werden andem, was wir der Öffentlichkeit versprochen haben. In-zwischen haben Sie den Maßstab aber an allen Ecken undEnden gewechselt und messen sich lediglich noch daran,was Ihre Vorgängerregierung Ihnen hinterlassen hat. Ichfinde, so etwas darf die Öffentlichkeit Ihnen nicht durch-gehen lassen. Das muss man hier noch einmal sagen dür-fen.
Es ist leider wahr, dass auch unter Kanzler Schröder indiesem Land die Reichen reicher und die Armen zahlrei-cher werden. Sie begünstigen die Bezieher großer Einkom-men. Wir können uns nur gemeinsam darüber wundern – esmutet schon drollig an –, dass die CDU/CSU-Fraktion so-zusagen als Kampftruppe gegen das Großkapital mobili-siert. Die Regierung hat ihr dafür natürlich reichlich Muni-tion geliefert. Den Osten hat der Kanzler Sommer fürSommer wie ein fremdes Land bereist, immer nach demMotto: Vorsicht, Cousinen lauern überall!Was wir für besonders gravierend halten: Deutschlandist an zwei Kriegen, nämlich auf dem Balkan und inAfghanistan, beteiligt und dies mit Zustimmung der Op-position mit Ausnahme der PDS. Ich denke, das hat in derTat Wählerinnen und Wähler enttäuscht. Nur die Pro-gramme von CDU/CSU und FDP sprechen für die Wie-derwahl Ihrer Regierung. Gegenwärtig ist der KandidatStoiber – wenn man so will – Ihr bester Wahlkämpfer fürIhre Politik.Wir haben es mit einer Umverteilung von unten nachoben zu tun. Da lohnt ein Blick in die aktuellsten Gutach-ten der Monopolkommission, die alles andere als einePDS-Plattform ist. Diese Kommission hat die Entwick-lung der 100 größten Unternehmen in Deutschland unter-sucht. Es ist festzustellen, dass diese Unternehmen ihreWertschöpfung von 1998 bis 2000 um über 12 Prozentsteigern konnten. Das sind über 270 Milliarden Euro. DieBilanzsumme der zehn größten Banken ist im gleichenZeitraum um 32 Prozent gestiegen. Es wird immer so vielgeklagt, es sei in diesem Land kein Geld vorhanden. ZurWahrheit über die Politik von Rot-Grün gehört aber, dasssich der private Reichtum in der Bundesrepublik in denletzten zehn Jahren mehr als verdoppelt hat. Deshalb sa-gen wir: Geld ist nach wie vor genug da. Es ist nur höchstungerecht verteilt.
Reichtum wird in diesem Lande nach wie vor weiterprivatisiert und soziale Not wird kommunalisiert. HerrBundeskanzler und die anderen Regierungsmitglieder, dieSie dieses Thema angesprochen haben: Natürlich unter-stützen wir das Vorhaben, Geld in Ganztagsschulen zu in-vestieren. Sie haben 4 Milliarden Euro versprochen. AberSie haben in den Haushalt 2003, über den wir in diesen Ta-gen reden, nur ein Drittel dessen eingestellt, was für dasnächste Jahr notwendig wäre. Das ist Ihre Politik: Auf dereinen Seite machen Sie große Versprechungen und auf deranderen Seite tun Sie nicht das Notwendige, um diese Ver-sprechungen einzuhalten.
Wir haben es mit einer Steuerpolitik zu tun, die zurFolge hat, dass der Anteil aus der Tabaksteuer inzwischenden Anteil aus der Körperschaftsteuer übersteigt. Wir wol-len nicht hinnehmen, dass die Arbeitslosigkeit als diegrößte Ungerechtigkeit und Unfreiheit der Neuzeit nichtwirklich bekämpft wird. Ich gestatte mir trotzdem die An-merkung, dass im letzten Monat im Bundesland Mecklen-burg-Vorpommern ein Abbau der Arbeitslosigkeit erreichtwurde. Ich finde, das ist ein ermutigendes Zeichen, auchwenn ein Abbau nur in diesem Bundesland zu verzeichnenwar.
Nun tauchen Vorschläge auf, dass man die Arbeitslo-sigkeit möglicherweise beseitigen könnte, indem manmehr Druck auf Arbeitssuchende ausübt. Wir sagen Ihnendazu: Arbeitslose sind in diesem Land mit Arbeitslosigkeitschon genug bestraft. Sie müssen nicht noch als Faulenzerbeschimpft werden.
Deshalb sagen wir, dass der eine oder andere Hartz-Vorschlag bedenkenswert, unterstützenswert und auchumsetzenswert sein mag. Aber im Grunde gehen dieseVorschläge in die falsche Richtung; denn Deutschlandbraucht eine Reform derArbeitswelt und nicht eine Re-form der Arbeitslosenwelt.
Als ein Politiker aus den neuen Bundesländern nervt esmich schon, wenn ich hier immer höre, wir müssten nachneuen Niedriglohnmodellen suchen. Mir sind verdammtnoch mal die Niedriglohnrealitäten in diesem Landeschon zu viel. Es hätte in der Auseinandersetzung vor demWahltag die Chance bestanden, auch vonseiten der Ar-beitgeberverbände ein Wort einzulösen. Was hilft es,wenn man auf ihren Kongressen immer hört, in diesemLand seien 1,5 Millionen Stellen nicht besetzt? Es wärejetzt die Chance gewesen, diese 1,5 Millionen Stellen of-fen zu legen. Dann hätte man darüber reden können.
Wir hatten uns vorgestellt, in dieser Legislaturperiodebei der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost undWest mehr zu erreichen. Als die SPD im Frühjahr diesesJahres auf einem Sonderparteitag in Magdeburg und na-hezu zeitgleich, kurz danach, das Präsidium der Union be-schlossen haben: „Bis 2007 wollen wir die Löhne undGehälter angleichen“, da haben wir uns, obwohl wir wei-ter gehende Forderungen hatten, gedacht: Lasst uns dochdiesmal im Deutschen Bundestag festlegen – einen ent-sprechenden Antrag haben wir vorgelegt –, die Löhneund Gehälter bis 2007 anzugleichen. Was haben Sie,meine Damen und Herren sowohl von der Koalition alsauch von der Unionsfraktion, getan? Sie haben diesenAntrag abgelehnt. Deshalb glauben wir Ihnen Ihre Ver-sprechungen vor der Wahl nicht mehr. Auch das gehörtzur Wahrheit.
Hans Eichel hat gestern den schönen Begriff der ge-fühlten Wahrheit eingeführt. Dieser Begriff gefällt mir.
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Ich erlebe den Umgang mit gefühlter Wahrheit sehr deut-lich in meinem Wahlkreis Halle an der Saale,
wo mir sehr viele Menschen – leider werden es immermehr – sagen, dass sie die Nase voll haben von Verspre-chungen vor der Wahl. Solche Versprechungen führen lei-der sehr oft zu Resignation. Wir sollten also mit Verspre-chungen haushalten und nicht inflationär damit umgehen.Die PDS-Fraktion hat gestern dem Gesetzentwurf derKoalition zur Flutwasserhilfe zugestimmt. Wir haben dasgetan, obwohl wir gesagt haben, man hätte dieses Gesetzbesser gestalten können. Wir waren aber der Meinung,dass man kompromissbereit sein muss. Heute sage ich Ih-nen jedoch noch einmal: Es ist ein schwerer Fehler gewe-sen, dass Sie gestern dem Gesetzentwurf der PDS-Frak-tion zur Flutopferentschädigung, in dem beschriebenwird, wie man konkret vorgehen könnte, nicht zuge-stimmt haben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, als die PDS-Fraktion nach dem 11. September des vergangenen Jahresgesagt hat: „In diesen Tagen wird sich zeigen, wie zivili-siert die zivilisierte Welt wirklich ist“, als wir gesagt ha-ben: „Krieg ist die falsche Antwort auf Terror“, da habenwir mit sehr harschen Reaktionen, mit Schmäh aus diesemParlament zu tun gehabt. Heute tun einige von der Koali-tion so, als hätten sie den Begriff von der uneinge-schränkten Solidarität nie geprägt. Daher muss in diesemParlament und in der Öffentlichkeit ausgesprochen wer-den – auch das gehört zur Wahrheit –, dass man jetzt,nachdem man sich in die Gefolgschaft einer USA-Politikbegeben hat, die uns in den Afghanistan-Krieg geführthat, offenkundig versucht, sich abzusetzen und wenigeWochen vor der Wahl mit Friedensrhetorik Punkte zumachen. Dazu sagen wir Ihnen: Wenn es denn ehrlich ge-meint ist, verdienen Sie unsere Unterstützung. Aber mehrals 60 Prozent der Deutschen glauben dem Kanzler dieseWorte nicht. Ich gehöre dazu.
Es geht hier um die Frage, ob ein Krieg stattfindet odernicht, und nicht darum, ob Telefongespräche geführt wer-den oder nicht. Man sollte sich einmal in die Lage deramerikanischen Regierung versetzen. Präsident Bush sagtsich: Was haben die Deutschen eigentlich? Es bestehtdoch die gleiche Situation wie in Afghanistan. Wir habendarauf hingewiesen, dass eine Bedrohungslage besteht,die dortige Diktatur weg muss und es schwere Menschen-rechtsverletzungen gibt. – Nun fragt sich Bush, warum dieDeutschen bei dem Krieg in Afghanistan so bereitwilligmitgemacht haben und warum sie das gegenüber dem Iraknicht mehr tun wollen.Das Problem also ist: Wer sich einmal in die Spirale derGewalt begibt, wer einmal bereit ist, Krieg als Mittel derPolitik zu legitimieren, der wird dann auch mit den Fol-gen dieser Politik konfrontiert, weil er aus der Spirale derGewalt nicht mehr herauskommt.
Inzwischen wissen wir, dass 71 Prozent der Deutscheneinen Irak-Krieg und 48 Prozent Krieg als Mittel der Poli-tik überhaupt ablehnen. Wir sagen deutlich: Das Völker-recht ist keine Speisekarte. Es gilt insgesamt. Auch dieAndrohung militärischer Gewalt ist ein glatter Völker-rechtsbruch. Deshalb hat die PDS-Fraktion heute einenAntrag vorgelegt, der den eindeutigen Inhalt hat: „DerDeutsche Bundestag lehnt einen Krieg gegen den Irak undjegliche deutsche Beteiligung daran ab.“ Sie haben nach-her bei der Abstimmung die Möglichkeit, für die Öffent-lichkeit klarzustellen, wie Ihre Haltung hierzu wirklich ist.
Deshalb sage ich Ihnen zum Schluss: Wer Stoiber nichtwill und Schröder nicht traut, der muss PDS wählen.Schön, dass Sie es inzwischen auch verstanden haben.
Ich erteile das Wortdem Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-West-falen, Wolfgang Clement.
dentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!Als jemand, der nicht immer Ihren Debatten folgen kannund sich freut, dass er heute die Ehre und das Vergnügenhat, das zu tun, habe ich natürlich aufmerksam zugehört,selbstverständlich besonders aufmerksam meinem Kolle-gen, dem Kanzlerkandidaten Stoiber, der heute seineletzte Rede als Kanzlerkandidat gehalten hat.
Ich habe das so wahrgenommen: So wie er gesprochenhat, spricht jemand, der seine Felle davonschwimmensieht.
Er hat jetzt ein Gespräch, was ich natürlich versteheund akzeptiere; aber dass, während die ganze Welt überdie Frage eines Krieges gegen den Irak, ja oder nein, dies-kutiert, vom Kanzlerkandidaten der Union hier die Vor-stellung geäußert wird, man solle dieses Thema möglichstaus dem Wahlkampf heraushalten, halte ich für welt-fremd. Es zeigt seine Scheu, klare Positionen zu beziehen.
Ich bin sehr froh über und dankbar für die Art, in derder Bundeskanzler und der Außenminister die Positionder Bundesrepublik Deutschland hier skizziert haben. Ichhalte diese Entscheidung für richtig. Wir haben es mit ei-ner Entscheidung von weltpolitischer Bedeutung zu tun,mit einer Fragestellung, bei der das Völkerrecht in äußers-ter Weise gefragt ist und auf die man, Herr KollegeWesterwelle, nicht routiniert, nicht mit den üblichen Rou-tinegesprächen und -telefonaten antworten kann. Gerade
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im Wahlkampf – wann denn sonst? – erwarten wir dazuklare Auskünfte von denjenigen, die regieren, und denje-nigen, die regieren wollen. Diese habe ich bei Herrn Kol-legen Stoiber vermisst.
Was mich erschrocken hat – um das klar zu sagen –, istdie Art und Weise, in der sich der Kollege Stoiber zumThema innere Sicherheit und Zuwanderung geäußerthat. Das ist für mich jedenfalls erschreckend. Ich gehe mitdiesem Thema nicht leichtfertig um und kenne viele Pro-bleme, die sich daraus ergeben. Das aber, was ich in derReaktion und vor allem in der Schlussphase des Wahl-kampfes wahrnehme, spricht für eine Neigung zur Hyste-rie, die wirklich nicht unbedenklich und ungefährlich ist.
Es spricht auch für die Neigung, eine solche Hysterie zuverbreiten.Herr Kollege Stoiber, Sie haben immer geglaubt– manchmal haben Sie es auch öffentlich behauptet –, einInnenminister einer rot-grünen Bundesregierung oderLandesregierung sei ein Sicherheitsrisiko. Sie haben sichdamit bei Otto Schily verspekuliert, das ist das Problem.
Nun machen Sie aus dem, was beispielsweise im Umfeldvon Heidelberg geschehen ist, einen Vorgang, der an Hys-terie und an unwahrer Darstellung nicht zu überbieten ist.
In Heidelberg sind ganz offensichtlich – darüber ist zudiskutieren – Ermittlungspannen geschehen, denen diebaden-württembergische Justiz und das Innenministerium– der baden-württembergische Innenminister, der KollegeSchäuble, hat solche Informations- und Ermittlungspan-nen eingeräumt –, nachgehen könnten und sollten. Wirhören stattdessen Erwartungen und Äußerungen des HerrnKollegen Beckstein, die nicht nur die üblichen Vorwürfean die Adresse der Bundesregierung enthalten, sondern ausdem Sachverhalt einer Ermittlungspanne auch Vor-schläge ableiten, die eine überregionale Zeitung ausMünchen – Sie verstehen schon, es ist die „SüddeutscheZeitung“ – als sonderbar bis unsinnig bezeichnet hat.
Herr Beckstein hat zum Beispiel eine Art Spekula-tionsausweisung ins Gespräch gebracht. Dabei geht es umeine Ausweitung der Ausweisungsgründe ins Uferlose,wie es die „Süddeutsche Zeitung“ zu Recht beschreibt.Das nenne ich Hysterie; es hat mit Kompetenz nicht mehrdas Geringste zu tun.
Was sind Ihre Antworten auf die dritte große Herausfor-derung – die Situation in der Wirtschaft und am Arbeits-markt –, mit der wir es zu tun haben? Ich habe mit aller Auf-merksamkeit zugehört und versuche, dazu Stellung zunehmen. Was ich wahrnehme, ist eine Schwarzmalereider Situation in der Bundesrepublik Deutschland. Ichhabe schon aus der gestrigen Debatte Begriffe wie Kon-kursverschleppung und Ähnliches gehört, über die manangesichts der damit verbundenen Verzerrung der Realitätnur noch den Kopf schütteln kann.
Bald bleibt außer Bayern kein Land in Deutschlandmehr übrig, das noch in Ordnung ist. Es gibt bald keinÜbel mehr, an dem die Bundesregierung nicht schuldigist. Herr Bundeskanzler, Sie müssen sich darauf vorberei-ten, dass Sie demnächst auch für die Sommermücken ver-antwortlich gemacht werden. Dieses Risiko besteht.
– Sicher, Herr Kollege Glos, eine Opposition darf nichtzufrieden sein,
auch nicht mit sich selbst. Aber nicht einmal mit sichselbst sind Sie zurzeit zufrieden. Das ist doch Ihr Problem,Herr Kollege.
Sie darf auch nicht den Bezug zur Realität verlieren.Das, was Sie über den Zustand der BundesrepublikDeutschland schreiben, wie Sie eine der stärksten Wirt-schaftsnationen der Welt, die an Wirtschaftskraft stärkerist als die französische und die spanische Volkswirtschaftzusammengenommen, eine Volkswirtschaft, in die weitmehr Auslandsinvestitionen gehen, als dies bei Ihnen inden 16 Jahren Ihrer Regierungszeit geschehen ist, darstel-len, ist hinsichtlich des Realitätsverlustes, den Sie denMenschen zumuten, nicht mehr zu überbieten.
Die Menschen, die Bürgerinnen und Bürger, wissen diesund nehmen dies auch so wahr.In der Sache vernebelt der Kollege Stoiber Positionenund er nimmt zu keiner Frage – ähnlich wie zur Irak-Frage – in aller Konkretheit
– Herr Kollege Repnik, überschätzen Sie sich bitte nicht –
und Klarheit Stellung. Ich nehme dazu Stellung. VonIhrem Kanzlerkandidaten, Herr Kollege, habe ich mirheute schon ganz andere Zumutungen angehört.
Nehmen Sie die Steuerreform: Ich habe noch nie einesolche Wertschätzung dieser Steuerreform durch IhreSeite erlebt wie jetzt. Am Anfang war diese Steuerreformdes Teufels, weil sie angeblich gegen den Mittelstand ge-
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richtet war. Dies war doch landauf, landab, von oben bisunten, Ihre Sprache.
– Nicht von Ihnen, Herr Westerwelle, ich spreche von derCDU/CSU. – Als es um die Verschiebung der Steuer-reform ging, war dies des Teufels, weil dies wiederum alsgegen den Mittelstand gerichtet betrachtet wurde.
Sie müssen doch irgendwann zur Logik zurückkehrenund zur Kenntnis nehmen, dass dies eine Steuerreform ist
– erregen Sie sich nicht, sondern nehmen Sie das zurKenntnis –, die dem Mittelstand mehr bringt als dengroßen Unternehmen, die davon nicht profitieren.
Daran werden Sie auch durch Ihre Lautstärke nicht vor-beikommen.
Herr Kollege Westerwelle, natürlich muss ich auch zudem, was Sie ausgeführt haben, etwas sagen. Sie habenheute nicht noch einmal dargestellt, wie Sie die 7,1 Mil-liarden Euro aufbringen wollen, die für die Nothilfe in Ost-deutschland, für die Hilfe nach der Flutkatastrophe not-wendig sind. Ich habe gehört, dass Sie diese Summe durchUmschichtungen im Haushalt aufbringen wollen. DiesesExperiment würde ich gern einmal von Ihnen etwas kon-kretisiert haben. Sie versuchen immer, den Eindruck derKonkretheit zu erwecken. Von Ihnen möchte ich gern wis-sen, wie Sie die 7,1 Milliarden Euro, die jetzt zur Verfü-gung stehen müssen, mobilisieren wollen, Herr Kollege.Dazu gibt es von Ihnen kein Wort.
Sie sprechen lediglich von ein wenig Bürokratieabbau.Damit kommt man jedenfalls mit denjenigen, die sich pro-fessionell mit einem solchen Thema beschäftigen, wirk-lich nicht zu einem Ergebnis.
Sie erwarten natürlich, dass ich etwas zum Bergbausage. Das, was Sie hier vortragen, könnte man alsMilchmädchenrechnung bezeichnen, wenn es nicht soernst wäre. Ihre Vorstellung, man könne die Subventionenfür den Bergbau von heute auf morgen streichen, um mitdiesen Mitteln Bildungspolitik zu finanzieren, ist deshalbeine Milchmädchenrechnung, weil Sie dann, wenn Siedies täten, auf einen Streich etwa 100 000 Arbeitslosemehr hätten. Dann müssten Sie diese rund 100 000 Ar-beitslosen in Deutschland finanzieren. Auch wenn ich allesozialen Aspekte weglasse, wäre dies eine Katastrophe.Ihr Kollege Möllemann tut dies bei uns genauso, wie Siees heute hier getan haben.Dies allein würde bedeuten, dass Sie ein Vielfachesdessen aufbringen müssen, was Sie durch die Streichungder Subventionen für den Steinkohlebergbau gewinnen zukönnen glauben, Herr Kollege.
Sie stellen dabei auch etwas anderes nicht dar. Die Bun-desregierung fährt vereinbarungsgemäß die finanzielleFörderung des Steinkohlebergbaus bis zum Jahre 2005kontinuierlich nach unten. Dabei geht es um einen bei-nahe tagtäglichen Abbau von Arbeitsplätzen im Bergbau.Dies sind teilweise bis zu 1 000 Arbeitsplätze pro Jahr. Beidiesem Rückbau fahren wir mit Unterstützung der Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer des Bergbaus so hart ander Kante, dass es dann, wenn Sie einen noch tieferenSchnitt in die Subventionen machen würden, sofort zubetriebsbedingten Kündigungen kommen würde. Dasist das, was Sie verantworten müssten, Herr KollegeWesterwelle. Mit Ihren Vorschlägen kann man keine Schu-len finanzieren, sondern damit richten Sie eine sozialeKatastrophe an.
Herr Kollege Westerwelle, ich würde Ihnen im Übri-gen empfehlen, sich einmal mit der Frage zu beschäftigen,in welcher energiewirtschaftlichen Situation sich dieBundesrepublik Deutschland heute befindet und in wel-cher Situation sie sich in sechs, acht oder zehn Jahren be-finden wird, wenn die Ölpreise und damit auch die Gas-preise in die Höhe klettern und die Abhängigkeit vonImportenergien noch größer wird, als sie heute schon ist.
Ich vermute, wenn Sie sich ernsthaft damit beschäftigenwürden, würden Sie entweder zu dem Ergebnis kommen,dass Sie mit Kohle umgehen können müssen – dann ist esgut, einen Sockel an heimischer Kohle zu haben –,
oder Sie müssten das tun, was der Kollege Fischer demKollegen Stoiber empfohlen hat: sagen, dass Sie auf dieAtomenergie setzen. Es gibt keinen anderen Weg. DieseFrage muss beantwortet werden. Man darf sich nicht mitein paar vermeintlich öffentlichkeitswirksamen Äußerun-gen davonstehlen.Zum Thema Bildung habe ich hier nicht die Möglich-keit, ausreichende Antworten zu geben. Sie können sichdarauf verlassen, dass wir – ich spreche für Nordrhein-Westfalen, stehe darüber aber auch mit meinen Kollegenin den Ländern in Kontakt – die notwendigen Schluss-folgerungen aus dem ziehen werden, was die PISA-Studieuns aufgibt. Das bedeutet beispielsweise, dass wir bun-desweite Bildungsstandards einführen müssen, dass wir– das ist die wichtigste Lehre aus dieser Studie – mit derBildung unserer Kinder früher beginnen müssen, als es inDeutschland üblich ist, dass wir vorschulischen Unter-richt einrichten werden und anderes.Vor allen Dingen geht daraus aber hervor, Herr Kol-lege, dass wir die Ganztagsbetreuung, so wie der Bun-deskanzler es dargestellt hat – ich bin ihm dankbar für das,
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was er dazu gesagt hat –, in Deutschland massiv ausbauenmüssen. Das bisher mangelnde Angebot ist einer der größ-ten Nachteile, die wir gegenüber den Bildungssystemenanderer Länder haben.
Es ist ein wesentlicher Schritt, dass der Bundeskanzlerden Ländern zugesagt hat, in den nächsten vier Jahren4 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen, um den Pro-zess der Einführung der Ganztagsbetreuung in unserenLändern zu beschleunigen. Aus Sicht Nordrhein-West-falens kann ich nur sagen: Nordrhein-Westfalen ist imdeutschen Maßstab auf diesem Sektor gar nicht soschlecht positioniert. Wir haben gut 600 Ganztagsschulenin unserem Land, Bayern hat nur 16. Aber auch wir sinddarauf angewiesen, dass wir auf diesem Sektor noch wei-ter vorankommen. Dafür setzen wir uns ein.Das Problem, das ich bei meinem Kollegen Stoibersehe, ist seine Glaubwürdigkeit. Er bezieht in diesemWahlkampf nicht klar Stellung. Er versucht, gleichzeitigfür alles zu stehen: Auf der einen Seite beschwört er diefreie soziale Marktwirtschaft und den Mittelstand – esgibt ja keine Rede, in der er das nicht tut –, auf der ande-ren Seite platziert er sein halbes Kabinett in den Auf-sichtsgremien der Bayerischen Landesbank, die Gelder inHöhe von 2 Milliarden Euro in die Kirch-Gruppe gesteckthat, damit eine Blasenökonomie in Bayern aufgebaut hat,die es nirgendwo sonst in dieser Größenordnung gegebenhat, und gescheitert ist.
– Das sagt der Richtige, Herr Kollege. 2 Milliarden Euro!Eine solche Investition in ein Medienunternehmen, in einUnternehmen überhaupt, hat es in der Geschichte derBundesrepublik noch nicht gegeben und eine unterneh-merische Katastrophe in dieser Größenordnung auchnicht.Ich sage Ihnen: Diese Art der Förderung der Kirch-Gruppe durch die Bayerische Landesbank war eine För-derung gegen jeden Rat von Experten.
– Er hätte investieren können, wenn er es gekonnt hätte.Sie hätten schon damals wissen müssen, Herr KollegeStoiber, dass dieses Unternehmen eine solche Förderungnicht rechtfertigte.
– Ach du lieber Gott, jetzt kommen Sie mir auch noch mitOberhausen! Herr Kollege, wir können einmal gemein-sam dort hinwandern, dann zeige ich Ihnen die Arbeits-plätze dort.Die Forderungen an die Kirch-Gruppe, mit denen wires heute zu tun haben, haben eine Größenordnung von8 Milliarden Euro.
Auf der anderen Seite sind noch nicht einmal 2 MilliardenEuro vorhanden. Hier wurde eine Blasenökonomie aufge-baut, die es so noch nicht gegeben hat. Diese Blasenöko-nomie ist zulasten anderer Standorte in Hamburg, in Ber-lin, in Köln und in weiteren Städten gegangen. Das ist es,was geschehen ist.
Deshalb hat der Kollege Fischer hier nicht ganz Recht.Die gestiegene Zahl der Pleiten im Mediensektor wie imgesamten Kommunikationssektor von kleinen Unterneh-men in München hat sehr wohl etwas mit der großenPleite zu tun. Selbstverständlich sind diese Unternehmenvon den dortigen Geschehnissen abhängig. Selbstver-ständlich werden sie durch das, was bei Kirch geschehenist, an die Wand fahren. Dafür gibt es Verantwortlich-keiten.
Ich möchte auf der anderen Seite darauf eingehen, HerrKollege Stoiber, dass Sie dem Bundeskanzler hier zurLast legen, sein Ziel, die Zahl der Arbeitslosen inDeutschland auf 3,5 Millionen zu senken, nicht erreichtzu haben, dass Sie sich dann aber nicht einmal mit äußers-ter Mühe daran erinnern können – ich jedenfalls habedazu von Ihnen keinen Satz gehört –, am 11. Juni 1996den Beschäftigungspakt Bayern mit dem Ziel unter-schrieben zu haben, die Zahl der Arbeitslosen innerhalbvon vier Jahren zu halbieren. Kein Wort haben Sie dazugesagt, stattdessen kamen nur Vorwürfe an andere.Auch ich habe mir solche Ziele gesetzt, Herr Kollege.Das Problem der Politik ist nicht, sich Ziele zu setzen undfür sie zu streiten. Das Problem der Politik ist auch nicht,den Bürgerinnen und Bürgern reinen Wein einzuschenkenund zu erläutern, mit welchen Problemen man auf derStrecke zu kämpfen hat und was man trotzdem dafür tunwird, um am Ende doch noch ans Ziel zu kommen. Dashat der Bundeskanzler getan. Das Problem ist, dass Sieauch hier nicht Position beziehen, dass Sie nicht klarFarbe bekennen, Herr Kollege Stoiber. Über Ihr hohesZiel, die Arbeitslosigkeit in Bayern zu halbieren, habenSie nie mehr ein einziges Wort verloren. Aber hier könnenSie sich vor Abscheu und Empörung kaum einkriegen.Das ist es, was die Menschen spüren. Jeden Tag, den derWahlkampf dauert, merken die Menschen das einStückchen mehr.
Natürlich – das ist nicht zu übersehen – ist die Zahl derInsolvenzen in Deutschland deutlich angewachsen. Wirhaben im ersten Halbjahr 2002 eine Zunahme der Unter-nehmensinsolvenzen um etwa 15 Prozent. 18 500 Insol-venzen sind bei den Amtsgerichten registriert. Im erstenHalbjahr 2001 waren es 16 200. Was dabei allerdings ver-
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Ministerpräsident Wolfgang Clement
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gessen wird – das ist vielleicht nicht ganz so wichtig, aberzur Genauigkeit und zur korrekten Darstellung des Bildesgehört es dazu –, ist, dass diese Zunahme um 15 Prozentmaßgeblich mit den Änderungen im Insolvenzrecht zu tunhat; denn im Jahr 2002 können zum ersten Mal auch mit-tellose Personen und Einzelunternehmen ein Insolvenz-verfahren eröffnen. Das wirkt sich natürlich aus.
Was mich in Wahrheit stört, Herr Kollege Merz, ist,dass Sie nichts anderes tun, als diese Insolvenzzahlen imLand zu verbreiten, um den Menschen nahe zu bringen,wie katastrophal die Lage ist. Dabei verlieren Sie kein ein-ziges Wort darüber, dass in der gleichen Zeit in der Bun-desrepublik Deutschland – in Bayern, in Nordrhein-West-falen und in allen anderen Ländern – eine hohe Zahl vonneuen Unternehmen entsteht und dass wir im Saldo heutenicht weniger, sondern mehr Unternehmen haben.
Wenn der Kanzlerkandidat zum wiederholten Male be-schreibt, welches große Unternehmen in welcher StadtArbeitsplätze abzubauen gedenkt – das wird sicherlichnicht aus Daffke gemeldet, sondern es steckt Überlegungdahinter –, so erwarte ich von ihm, dass er dann, wenn ervom Mittelstand spricht, im gleichen Atemzug die Zahlder neu entstandenen Unternehmen mit seinen drei odervier Arbeitsplätzen nennt. Dazu brauchen wir keinenRegierungswechsel, sondern diese Unternehmensgrün-dungen haben wir auch im Saldo bereits heute inDeutschland.
Wir haben in Nordrhein-Westfalen – um Ihnen auchdiese Zahl zu nennen – nach den Handelsregistereintra-gungen im ersten Halbjahr dieses Jahres 13 136 Unter-nehmensneugründungen. Allein in Nordrhein-Westfalensind es also über 13 000; in Bayern waren es übrigens9 972. Wenn ich die Zahl der Unternehmen, die vomMarkt gegangen sind und aus dem Handelsregister gestri-chen wurden, mit der Zahl derjenigen, die neu eingetra-gen wurden, vergleiche, dann stelle ich im ersten Halbjahreinen positiven Saldo fest. Wir haben in Nordrhein-West-falen 7 400 Unternehmen mehr, und zwar richtige mittel-ständische Unternehmen. In Bayern waren es 6 300; auchdas ist nicht schlecht. Diese Ergebnisse müssen einmalgenannt werden, damit die Schwarzmalerei endlich auf-hört.
Mir macht der Wahlkampf durchaus Spaß. Ich finde esjedoch langsam, aber sicher verhängnisvoll, in welcherWeise über diesen Wirtschaftsstandort gesprochen wirdund wie dieser Wirtschaftsstandort von Ihnen schlecht ge-redet wird. Sie machen in diesem Wahlkampf nichts an-deres als schwarz malen und schlecht reden.
Herr Kollege Stoiber, ich frage mich immer: Wofürstehen Sie? Heute habe ich nach Ihrer Rede den Eindruckgewonnen, dass ich Sie manchmal nicht wirklich vonHerrn Schill unterscheiden kann.
Das, was Sie heute zur Zuwanderung und zur inneren Si-cherheit gesagt haben und auch die Art und Weise, wie Siees vorgetragen haben, haben mich an Herrn Schill erin-nert.Ich habe Sie auch in anderen Szenen des Wahlkampfeserlebt. Insbesondere wenn Sie über die großen Unterneh-men der Bundesrepublik sprachen, hatte ich den Eindruck,Sie wollten noch mit über 60 Lebensjahren den Bundes-kanzler mit Positionen links überholen, die GerhardSchröder vielleicht mit 30 vertreten haben könnte.
Darin liegt Ihr Problem.
Herr Ministerpräsi-
dent, ich unterbreche Sie sehr ungern, aber ich möchte Sie
doch darauf aufmerksam machen, dass es Redezeiten
gibt. Daran müssen sie sich zwar nicht halten, aber ich
wäre Ihnen dankbar, wenn Sie es trotzdem täten, weil
sonst das ganze Zeitkonzept ins Rutschen gerät.
mich selbstverständlich danach richten.
Was das Wahlprogramm und die Wahlversprechen der
Union angeht, möchte ich gern noch darauf hinweisen,
dass ihnen nach einer Umfrage von RTL 80 Prozent der
Bürgerinnen und Bürger nicht glauben.
Ich meine, das ist für unsere Diskussion nicht unwichtig.
Sie haben in Wahrheit in diesem Wahlkampf Ihre Positio-
nen vernebelt, und zwar bis zur Unkenntlichkeit.
Die Bürger haben den Eindruck, Sie wollen nichts als die
Macht in Berlin.
Das mag für Sie viel sein; für das deutsche Volk ist das zu
wenig, Herr Kollege.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die CDU/CSU-Fraktion erteile ich jetzt der Kollegin Dr. Angela Merkeldas Wort.
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Dr. Angela Merkel (von der CDU/CSUmit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Wir befinden uns in der Endphase des Wahl-kampfes und müssen mit Bedauern feststellen, dass wir indieser Phase den größten Betrug am Wähler in der deut-schen Nachkriegsgeschichte erleben.
Herr Bundeskanzler, damit meine ich nicht das gebro-chene Versprechen, das Sie zum Beispiel zur Ökosteuergegeben haben. „Bei sechs Pfennig ist Ende der Fahnen-stange“, lautete die Parole im Wahlkampf 1998.
Was ist daraus geworden? Jedes Jahr sechs Pfennig! Am1. Januar nächsten Jahres wären es dann wieder sechsPfennige, wenn Sie gewählt werden sollten, was aberglücklicherweise nicht passieren wird. Das war der Ein-stieg in Ihr Vorgehen nach dem Motto „versprochen – ge-brochen“. Dabei gehen Sie mit keinem Wort darauf ein,warum Sie so vorgegangen sind.
Wenn wir hier über Steuern sprechen, ist festzustellen:Die Menschen in Deutschland arbeiten 56 Prozent desJahres – das bedeutet bis weit in den Juli hinein – ledig-lich dafür, dass sie Steuern an den Staat abführen. AmEnde Ihrer Legislaturperiode macht das 44 MilliardenEuro mehr Steuern für die Bürgerinnen und Bürger unddie Personengesellschaften – das heißt, die mittelständi-schen Betriebe – aus als im Jahr 1998. Das ist die Wahr-heit über Steuern und Abgaben in Deutschland.
Sie haben – das haben Sie in Ihren Wahlversprechennicht angegeben – jede nationale Herausforderung undKatastrophe durch Steuererhöhungen beantwortet. Damitmuss endlich Schluss sein. Deswegen haben wir an-gekündigt: Wir setzen den Bundesbankgewinn für die Be-wältigung der Flut ein.Sie, Herr Eichel, werden nicht müde zu behaupten, wirmachten damit neue Schulden. Das stimmt nicht. Wir ar-beiten vernünftig und bringen Deutschland aus der Spi-rale der Rezession heraus. Wir bringen Deutschland ineine Phase des Wachstums und dafür brauchen wir etwaslänger für die Tilgung der Schulden. Ich halte das für dierichtige Antwort auf diese nationale Herausforderung.
Wenn ich vom größten Betrug am Wähler in der deut-schen Nachkriegsgeschichte spreche, dann meine ich auchnicht Ihr gebrochenes Versprechen zum Aufbau Ost.Gleich wird der mecklenburg-vorpommersche Minister-präsident Ringstorff zu Wort kommen. Allein im Jahr 2000sind 60 000 junge Menschen aus den neuen Bundesländernabgewandert. Die Bilanz der letzten vier Jahre weist aller-dings trotz der Abwanderung und der Tatsache, dass Sienoch Prämien für die Abwanderung gewährt haben – daswerden wir abschaffen, die Leute sollen stattdessen dasGeld da bekommen, wo sie leben, damit dort wieder Le-ben entsteht –, im Jahr 2002 93 000 mehr Arbeitslose inden neuen Bundesländern aus als 1998.
Deshalb kann ich nur sagen: Die Chefsache „Aufbau Ost“ist auf der ganzen Linie gescheitert. Sie haben für dieneuen Bundesländer nichts getan, außer dort hin und wie-der herumzureisen, wenn die Sonne geschienen hat. Dasreicht nicht aus, Herr Bundeskanzler. Deshalb ist dies ei-nes Ihrer gebrochenen Versprechen.
Wenn ich von der größten Täuschung der Wähler in derdeutschen Nachkriegsgeschichte spreche, dann meine ichauch nicht Ihre gebrochenen Versprechen in Bezug auf dieRente. Ich erinnere mich noch gut daran, wie Sie denRentnern mit großem Pathos versprochen haben, dassauch in Zukunft die Renten entsprechend der Entwick-lung der Nettoeinkommen steigen werden. Im Jahr 2000ist es nicht so gewesen. Sie haben die Rentenlüge in diedeutsche Politik eingeführt. Der Preis dafür ist, dass dieBeiträge zur Rentenversicherung heute nicht sinken, son-dern steigen. Das ist die Wahrheit über die rot-grüne Ren-tenpolitik und den Umgang mit den alten Menschen indiesem Land.
Auch deshalb sagen am Ende der laufenden Legislaturpe-riode 83 Prozent der Menschen in Deutschland, dass diesoziale Kluft in Deutschland größer geworden sei. HerrBundeskanzler, wenn Sie als Sozialdemokrat noch einenRestbestand an sozialem Empfinden haben, dann solltenSie sich dies zu Herzen nehmen und nicht einfach über dieMenschen hinwegreden.
Die Tatsache, dass die Krankenkassenbeiträge steigen,bedeutet – Sie haben ja von den Familien gesprochen –,dass eine Durchschnittsfamilie mit zwei Kindern 170 Euromehr pro Jahr zahlen muss. Im nächsten Jahr werden es so-gar 240 Euro sein. Das heißt auf gut Deutsch, dass Öko-steuer plus steigende Sozialversicherungsbeiträge imGrunde dazu führen, dass Familien schon am 1. Januarjeden Jahres nicht mehr, sondern eher weniger in der Ta-sche haben, auch wenn Sie auf der Grundlage einesBundesverfassungsgerichtsurteils das Kindergeld er-höht haben. Die Ökosteuer war besonders unsozial fürdie Familien.
Das, was Sie bei den Alleinerziehenden angerichtet ha-ben, haben Sie doch in Ihrer eigenen Familie erlebt. Ihreeigene Schwester, Herr Bundeskanzler, hat Ihnen insStammbuch geschrieben, dass eine allein erziehende Mut-ter aufgrund Ihrer Politik 1 027 Euro im Jahr verliert. Wiewollen Sie das rechtfertigen? Wollen Sie etwa behaupten,
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dass das sozial gerechte Politik sei? Ich kann nicht erken-nen, dass das sozial gerecht ist.
Wenn ich von der größten Täuschung der Wähler in derdeutschen Nachkriegsgeschichte spreche, dann meine ichauch nicht Ihr gebrochenes Versprechen hinsichtlich derArbeitslosigkeit. Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt
– wir haben Sie nicht dazu aufgefordert –: Wenn ich biszum Ende der jetzigen Legislaturperiode nicht dafür ge-sorgt habe, dass die Zahl der Arbeitslosen unter 3,5 Milli-onen liegt, dann bin ich bzw. sind wir es nicht wert, wie-der gewählt zu werden. Wir sagen deshalb: Dort, wo SieRecht haben, sollen Sie auch Recht bekommen, Herr Bun-deskanzler. Die Quittung bekommen Sie am 22. Septem-ber dieses Jahres.
Man muss den Menschen in diesem Land immer wie-der sagen, dass dieses Versprechen, Herr Bundeskanzler,wohl kalkuliert war; denn Sie wussten, dass ab 1998 jedesJahr 200 000 Menschen mehr in Rente gehen werden, alsjunge Menschen auf den Arbeitsmarkt kommen. Deshalbhaben Sie sich sicherlich gedacht: 4,1 Millionen minus4 mal 200 000 ist gleich 3,3 Millionen. Deshalb bin ichauf der sicheren Seite, wenn ich verspreche, die Zahl derArbeitslosen auf 3,5 Millionen zu reduzieren. – Die Tat-sache, dass die Zahl der Arbeitslosen noch immer über4 Millionen liegt, macht Ihre Fälschung der Arbeitsplatz-statistik ganz offensichtlich. Sie rechnen nämlich die 630-Mark-Arbeitsverhältnisse mit ein.
Die Wahrheit nach vier Jahren Rot-Grün heißt: Es gibtheute weniger Arbeitsplätze als 1998.
Diese Entwicklung muss endlich wieder verändert wer-den.
Wenn Sie immer wieder auf die Wahlkampf-ABM ausdem Jahre 1998 verweisen, dann muss ich Ihnen sagen:Der Bundesfinanzminister persönlich ist stolz darauf, dassihm in diesem Jahr 2,5 Milliarden Euro mehr für die Ar-beitsmarktpolitik zur Verfügung stehen. Die Wahrheit ist,dass Sie natürlich auch in der Arbeitsmarktpolitik vielesgemacht haben, das nach Meinung von Herrn Hartz ineffi-zient ist, und dass Sie beim Arbeitsmarkt nicht auf Wachs-tum und Befreiung gesetzt haben. Sie haben Deutschlandvielmehr in einem Wust aus Regeln und unsinnigen Geset-zen erstickt und damit den Menschen Initiative und Krea-tivität genommen. Das ist die Wahrheit über Rot-Grün!
Deshalb muss man einfach feststellen: Schon bis hier-her war die Realität rot-grüner Politik: versprochen – ge-brochen. Sie haben 1998 Ihre Chance gehabt. Sie wissendoch auch, dass die Menschen Ihnen mit großen Erwar-tungen entgegengetreten sind.
Sie hätten doch die Möglichkeit gehabt, wirklich etwas inIhre Richtung zu bewegen.
Sie können heute die Dinge nicht so wenden, wie es Ihnenpasst, und dann, wenn wir die Realitäten benennen, sagen,wir würden Deutschland schlecht reden. Wer nicht fähigist, die Realität zur Kenntnis zu nehmen, der ist schon garnicht zur Veränderung fähig. Deshalb muss sich inDeutschland etwas ändern.
Herr Ministerpräsident Clement, in Ihrem Land gibt esim Wahlkampf wegen mangelnder Mobilisierung Ihrer ei-genen Truppenteile den Slogan: Ich wähle der Doris ihrenMann seine Partei. – Herr Clement, ich würde an IhrerStelle schreiben – das hat wieder nichts mit Schlechtredenzu tun –: Wir versaufen unsrer Oma ihr klein Häuschen. –Das ist die Bilanz von vier Jahren Rot-Grün: keine Zu-kunftsinvestitionen, sondern leben von der Substanz die-ses Landes.
Wenn ich vom größten Betrug am Wähler spreche – derspielt sich leider in der Schlussphase dieses Wahlkampfsab –,
dann meine ich das Spiel des Bundeskanzlers mit denÄngsten der Menschen vor Krieg und Terror.
Dies markiert den Gipfel einer Legislaturperiode, in derman die Erwartungen der Menschen sowieso schon mitFüßen getreten hat.
Die Hoffnung zu wecken, mit Ihrer Position beim Irakkönnte eine Bundesregierung die Chance haben, nachdem 22. September durchzukommen, ist der schamloses-te Betrug am Wähler, den ich in meiner politischen Ge-schichte und viele andere jemals erlebt haben, Herr Bun-deskanzler.
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Ich sage „schamlos“ – Sie würden wahrscheinlich „unan-ständig“ sagen –, weil es hier nicht um Dinge geht, dieauch wichtig sind – wie Arbeitsplätze, Steuern und vielesandere –, sondern um die Ängste und Gefühle der Men-schen, und mit denen spielt man in verantwortlicher Poli-tik in Deutschland nicht.
Das hat nichts damit zu tun, dass wir ein Thema zumTabu erklären wollen. Selbstverständlich muss man überdie Frage von Krieg und Frieden im Zusammenhang mitdem Irak sprechen,
aber man muss es so tun,
dass man verantwortlich handelt im Blick auf das, wasnotwendig ist.
Herr Bundeskanzler, Sie wissen doch ganz genau, dassIhre Position überhaupt nicht haltbar ist. Wenn wir an derRegierung sind, wird es Wochen und Monate dauern, bisdas von Ihnen in diesen Tagen zerstörte Vertrauen wie-derhergestellt werden kann.
Sie wissen doch, dass die Isolierung einer großen Na-tion, gerade einer Exportnation wie Deutschland, aufDauer überhaupt nicht durchzuhalten ist. Sie wissen dochum die Einflüsse zwischen Politik und Weltwirtschaft; ichnenne nur das Beispiel WTO. Sie selbst haben sich dochvor wenigen Tagen in Johannesburg hingestellt und dieVereinigten Staaten von Amerika gegeißelt, weil sie inUmweltfragen einen Alleingang machen. Ich finde dasgenauso falsch wie Sie. Genauso darf sich Deutschlandnicht an die Seite stellen und sich isolieren, sondern mussmit der Gemeinschaft eine gemeinsame Position finden.
Zu Ihrer Politik des letzten Jahres kann man nur sagen:Von der uneingeschränkten Solidarität am 11. September2001 zum uneingeschränkten Alleingang am 11. Septem-ber 2002, das ist zu viel für jeden ernst zu nehmendenMenschen.
Ich frage Sie allen Ernstes: Wohin kämen wir eigentlich,wenn alle wichtigen Nationen dieser Welt so vorgehenwürden wie Deutschland? Das ist unverantwortlich.Während des Wahlkampfes haben sich die MaßstäbeIhrer Politik verschoben.
Wenn Herr Müntefering sagt, dass Deutschland auchdann, wenn Beweise vorlägen, niemals UN-Maßnahmenunterstützen würde, dann kann ich nur sagen: Das hatnichts mit Verantwortung zu tun, sondern zeigt nur, dassdie deutsche Außenpolitik jetzt zur Unterabteilung derKampa geworden ist. So kann man in Deutschland nichtvorgehen.
Es liegt in der Tradition der christlichen Parteien CDUund CSU, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg nie einenpolitisch verantwortlich Handelnden gegeben hat, derDeutschland in ein Abenteuer geführt hat. Allein Ihre un-entwegt wiederholte Aussage, dass mit Ihnen kein Aben-teuer zu machen sei, fordert die Feststellung heraus: EinAbenteuer ist mit überhaupt keinem verantwortlichen Po-litiker zu machen, auch nicht mit Politikern von CDU undCSU.
Ich versichere Ihnen: Mit uns ist in Bezug auf den Krieggenauso wenig ein Abenteuer zu machen wie in Bezug aufWege in Deutschlands Isolation. Beide Arten von Aben-teuer finden mit uns nicht statt.
Ich sage dies sehr bewusst als jemand, der wie vermut-lich alle hier im Haus viele Briefe und viele Telefonanrufevon Menschen bekommt, die sich Sorgen machen undAngst haben. Gerade ältere Menschen in diesem Landäußern: Ich habe den Krieg noch selber miterlebt. Könntihr bitte etwas tun, dass ich das nicht wieder erlebenmuss? Ich kann es nicht schaffen, ich habe Angst vorBomben.
Natürlich kennen auch wir die Umfragen und wissenum die Meinung zu einem militärischen Einsatz im Irak.Wir wären doch blind und taub, wenn wir solche Ängsteignorierten. Aber wir müssen in diesem Hause als Men-schen und als Politiker entscheiden, worin das Interesseunseres Landes besteht; beide Sichtweisen müssen zu-sammengehen. Deutschland ist nicht irgendein Land, son-dern das größte Land in Europa. Deshalb ist gerade in die-sem Punkt eine Politik der Verantwortlichkeit gefragt,
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Dr. Angela Merkel25608
nicht aber eine Politik, die das Fähnchen morgens ent-sprechend den Meinungsumfragen nach dem Wind hängt.
Als verantwortlicher Politiker müssen Sie schon einpaar Fragen beantworten.
Was ist die Lehre aus dem Schicksal der Deutschen, dieauf der tunesischen Insel Djerba an einem Urlaubstag imApril dieses Jahres nach einem Bombenattentat in der Sy-nagoge ihr Leben verloren? Was ist die Lehre aus denFestnahmen in Heidelberg vor wenigen Tagen, aus derTatsache, dass nicht die deutsche Polizei, sondern deramerikanische Geheimdienst die Gefahr entdeckte undGott sei Dank einen schrecklichen Anschlag vereitelte?
Beide Beispiele zeigen: Die Lösung besteht mit Si-cherheit nicht in einem Alleingang. Vielmehr verlangt dieGlobalisierung von uns – Sie haben es doch theoretisch sooft gesagt –, endlich neu über das Verhältnis von innererund äußerer Sicherheit nachzudenken. Beides ist nichtvoneinander zu trennen.
Wir können beides für unsere Länder nur durchsetzen,wenn wir eine Allianz der Starken dieser Welt bilden, dieDemokratie und Freiheit wollen, nicht aber, wenn wir inDeutschland Alleingänge unternehmen.
Am 11. September 2002 haben wir alle in einem be-eindruckenden Gottesdienst im Berliner Dom der Opferdes 11. September 2001 gedacht. Bischof Huber hat ge-sagt: Selig sind die, die Frieden stiften; denn sie werdenSöhne und Töchter Gottes genannt. Diese Worte aus derBergpredigt hat er ausgelegt und gesagt, oft werde dieserTeil der Verkündigung Jesu als Aufforderung dazu gedeu-tet, Unrecht einfach nur hinzunehmen. Das sei einMissverständnis. Die Bergpredigt lade vielmehr dazu ein,Möglichkeiten gewaltfreien Handelns zu erkunden. Dannsagte er weiter: Selig sind die Friedensstifter – nicht dieFriedfertigen, sondern die Friedensverfertiger.
Das sei die entscheidende Botschaft der Bergpredigt, soBischof Huber.
Ich kenne die Position der Kirchen bezüglich des Irak.Aber, meine Damen und Herren, in der Botschaft ist voneinem aktiv handelnden Menschen, einem Friedensstifter,die Rede. Deshalb ist nach meiner Auffassung ein Bun-deskanzler nur dann ein Friedensstifter, wenn er zum Te-lefonhörer greift,
durch Europa reist und etwas unternimmt, um seine Posi-tion in Europa und in der Welt durchzusetzen, nicht aberdann, wenn er auf deutschen Marktplätzen den Menschendurch Schreien Angst macht.
Was ist jetzt nach der Rede von Präsident Bush?Deutschland wird bald nicht ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat sein. Wo sind Sie denn, wenn die Briten anUN-Resolutionen arbeiten? Sie sitzen noch nicht einmalam Katzentisch, weil Ihnen nach Ihren Reden hier inDeutschland niemand mehr ein Stück Brot abnimmt.
Meine Damen und Herren, nach dem 11. Septembervergangenen Jahres habe ich mich oft dagegen gewehrt,wenn es hieß, nichts sei mehr so, wie es einmal war. Ichhalte diesen Satz für falsch und völlig überzogen; denn dieWerte, nach denen wir unsere Politik ausrichten, sind nachdem 11. September dieselben wie vorher.
Aber eines wissen wir seit dem 11. September:Wir wissen spätestens seit dem 11. September, ei-gentlich bereits seit Auschwitz, dass der Mensch zuabsolut allem fähig ist.Diesen Satz hat der Vorsitzende des Zentralrates der Judenin Deutschland, Paul Spiegel, gestern in einem Gastkom-mentar in der „Welt“ geschrieben. Das heißt für mich sehrkonkret: Wenn wir die Lehre von Auschwitz ernst nehmenund aus der Vernichtung der Juden in Deutschland und derWelt eine Lehre ziehen, dann müssen wir dies mit Blickauf die Zukunft, auf verantwortliche Politik heute tun.Ich möchte es niemals erleben, dass sich eine deutscheBundesregierung fragen lassen muss: Habt ihr alles getan,um zu verhindern, dass der Diktator im Irak die Juden inIsrael in Lebensgefahr bringen konnte?
– Ja, das müssen Sie sich schon anhören. – Habt ihr ver-gessen, dass es das erklärte Ziel Husseins ist, die ExistenzIsraels zu vernichten? Habt ihr wirklich den Anfängen ge-wehrt? Es ist ausgesprochen problematisch, wenn der ira-kische Außenminister Nadschi Sabri in diesen Tagen sagt,Deutschlands Veto erfolge im Namen aller Völker, diesich nicht damit abfänden, dass eine Hand voll jüdischerund amerikanischer Gruppen der Welt ihren Willen auf-zwingt. Einen solchen Kronzeugen möchte ich für deut-sche Politik nicht haben. Sie haben zurzeit einen solchenKronzeugen, davon müssen wir schnellstens wieder weg-kommen und dafür wird die Union sorgen.
Deshalb liegen neun Tage vor der Wahl die Alternati-ven in Deutschland klar auf dem Tisch:
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in der Innenpolitik, in der Wirtschaftspolitik, in der Ar-beitsmarktpolitik
und auch in der Außenpolitik.
In der Außenpolitik hätte ich es mir nicht vorstellen kön-nen.Die Alternative lautet: entweder mit Rot-Grün weitereSteuererhöhungen oder mit uns endlich ein Stopp derSteuererhöhungen und wieder Wachstum in Deutschland,
entweder mit Rot-Grün weitere unsinnige Gesetze wie dieGesetze über Scheinselbstständigkeit und den Rechtsan-spruch auf Teilzeitarbeit oder mit uns ein Befreiungs-schlag auf dem Arbeitsmarkt,
eine Abschaffung dieser Gesetze und die Schaffung be-trieblicher Bündnisse für Arbeit, endlich wieder Luft zumAtmen für diejenigen, die in diesem Lande Leistungsträ-ger sind und ohne die wir nicht auskommen,
entweder mit Rot-Grün ein weiterer schleppender Um-gang mit notwendigen Sicherheitsmaßnahmen – denkenSie doch nur an das Theater zwischen Rot und Grün beiden biometrischen Merkmalen in Ausweisen und Pässen;was ist denn so schlimm daran, neben einer Fotografienoch einen Fingerabdruck zu haben, Sie sollten sich end-lich bewegen – oder aber konsequentes Verhalten in derinneren Sicherheit und – ich sage das in allem Ernst – einevernünftige Verknüpfung von innerer und äußerer Sicher-heit im Zuge unserer Erfahrungen mit dem Terrorismus.Das ist die Alternative.
Herr Clement, auch wenn Sie hier mit noch so treuenAugen über die Zuwanderung sprechen: Sie wissendoch, wie es ist. Die Menschen im Lande wissen, dass IhrGesetz keine Begrenzung von Zuwanderung bietet.
Die Menschen im Lande wissen auch, dass Herr Schilyam Anfang dieser Legislaturperiode gesagt hat
– diesen Satz hätte ich nicht gesagt; regen Sie sich dochnicht auf –, dass das Maß des Zumutbaren überschrittenist. Sie wissen, dass in Deutschland spätestens nach PISA
völlig klar ist: Bevor wir eine neue Zuwanderung bekom-men, müssen wir erst einmal die Integration der bei unslebenden ausländischen Kinder verbessern.
Sie haben keine einzige Mark dafür vorgesehen, dasProblem, dass in Berlin-Kreuzberg 40 Prozent der auslän-dischen Kinder und Jugendlichen weder einen Schul-noch einen Berufsabschluss haben, zu beseitigen. Trotz-dem reden Sie über mehr Zuwanderung. Mit uns habenSie die Alternative; wir werden das ändern. Dieses Gesetzwird so nicht in Kraft treten.
Es hat mich gefreut, dass die FDP auch etwas ändern will.Somit wird Deutschland ab dem 22. September ein ande-res Zuwanderungsgesetz erhalten.
Deshalb wird es – auch in der Außenpolitik – eineRichtungsentscheidung sein. Es geht nämlich um dieFrage, wie wir deutsche Interessen besser vertreten.
Geschieht dies durch emotionales Geschrei auf deutschenMarktplätzen oder durch Freundschaft, Kooperation undVertretung deutscher Interessen zusammen mit Verbünde-ten und Freunden auf dieser Welt? Wir entscheiden uns fürden zweiten Weg.
Diese fünf Punkte markieren die Alternativen, über die dieMenschen am 22. September entscheiden können.
Meine Damen und Herren, vor ein paar Tagen hat– nach einem Bericht in einer niedersächsischen Zeitung –Ihr Fraktionsvorsitzender Stiegler, der hier möglichst spätzu Wort kommt, weil Sie es selbst schon fürchten,
den Unionskanzlerkandidaten Edmund Stoiber – hörenSie gut zu – als „Experten im Lügen“ bezeichnet.
Er hat gesagt, er zeige „Züge von Schizophrenie“.Schließlich hat er hinzugefügt: „Nero hat Rom ange-steckt, so etwas will Herr Stoiber auch.“
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So viel nur zum fairen Wahlkampf in Deutschland. Das istvollkommen inakzeptabel.Wir sind froh, dass die Meinungen über EdmundStoiber bei den Sozialdemokraten doch auseinander ge-hen. Ein anderer wichtiger Sozialdemokrat hat nämlichvor ein paar Jahren in einem Interview über unserenKanzlerkandidaten gesagt: Er, Edmund Stoiber, hält, waser verspricht, und er zieht es dann auch durch. Ich sage:Herr Bundeskanzler, selten sprechen Sie die Wahrheit; da-mals haben Sie die Wahrheit gesprochen. Wir dachten, wirsagen das den Menschen mit Ihrer Unterschrift: Er ziehtdie Dinge durch und hält, was er verspricht.
Die Politik der gebrochenen Versprechen wird beendet –das wird das Ergebnis des 22. September sein.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun erteile ich demMinisterpräsidenten des Landes Mecklenburg-Vorpom-mern, Harald Ringstorff, das Wort.
ten Damen und Herren! Ich habe mich bei der Rede vonFrau Merkel eben gefragt, woher sie den Mut nimmt, voneiner Täuschung der Wähler zu sprechen.
Frau Merkel, wer hat denn die Wähler, insbesondere inOstdeutschland, zweimal mächtig getäuscht,
und zwar das erste Mal – das war 1990 – mit den Ver-sprechungen von den blühenden Landschaften in drei bisvier Jahren und das zweite Mal – das war 1994 – mit demVersprechen, die Arbeitslosigkeit innerhalb der nächstenLegislaturperiode zu halbieren? 1998 hat man Ihnen IhreVersprechungen zu Recht nicht mehr geglaubt.
13 Jahre nach der Wende wissen wir: Für den AufbauOst gibt es keine Patentrezepte; wer behauptet, er habesie, der sagt die Unwahrheit.
Die Ostdeutschen sind misstrauisch geworden, vor allemdenen gegenüber, die uns schnell blühende Landschaftenversprochen hatten. Zwischen den Zahlen lesen, das hat-ten wir zu DDR-Zeiten gelernt; aber 1990 wollten vieleMenschen im Osten glauben, was man ihnen erzählte. DasVertrauen und die Erwartungen in die Politik waren rie-sengroß und dieses Vertrauen hat die Kohl-Regierungdurch ihre leichtfertigen Versprechungen enttäuscht.
Im Osten haben wir aber inzwischen wieder ein un-trügliches Gespür dafür entwickelt, wer es ehrlich mit unsmeint und wer nicht. Wir lassen uns kein X mehr für einU vormachen. Wer uns heute besucht, der bekommt daszu spüren. Wir prüfen jeden, der etwas von uns will, aufHerz und Nieren und vor allem dem, der unsere Stimmewill.Eine solide Politik für den Osten kostet heute vor allemeines: den Mut, den Menschen zu sagen, was Politik leis-ten kann und was nicht. Der Glaube an die staatliche Ob-rigkeit, auch an die staatliche Steuerung wirtschaftlicherProzesse ist im Osten noch weit verbreitet. Politisch ver-antwortlich gegenüber dem Osten handeln heißt dahernicht, den Glauben zu verbreiten, die Politik oder gar eineinzelner Politiker könnte alles richten.
Politisch verantwortlich gegenüber dem Osten zu handelnheißt, solide Rahmenbedingungen zu schaffen, damit derOsten in Zukunft auf eigenen Beinen stehen kann.
Die Bundesregierung unter Gerhard Schröder hatte1998 erstmals den Mut, diesen Weg zu gehen, weg vonunfinanzierbaren Versprechungen, hin zu Ehrlichkeit,Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit, weg vom Aktionis-mus mit immer neuen Sonderprogrammen, hin zu einereffizienten Förderung von Entwicklungspotenzialen. Diefalschen Weichenstellungen in den frühen 90er-Jahrendurch die Kohl-Regierung wurden korrigiert. Mit der För-derung von Innovation, Investition, Forschung, Bildung,Infrastruktur und regionaler Netzbildung wurden neueSchwerpunkte gesetzt, wurde die Politik neu ausgerichtet.Ich glaube, das ist der richtige Weg, das ist der Weg fürOstdeutschland.
Dieser Weg wird mit dem Bundeshaushalt 2003 kon-kret und konsequent fortgesetzt. 40 Prozent aller Investi-tionsausgaben fließen in die neuen Länder. Den Schwer-punkt bildet der weitere Ausbau der Infrastruktur. ZurStärkung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit derostdeutschen Wirtschaft fließen rund 100 Millionen Euro inForschung und Entwicklung. Durch das Stadtumbaupro-gramm Ost wird die Lebensqualität in den Städten weiterverbessert.
Die neuen Länder sind auf dem Weg zu einer zukunfts-orientierten Wirtschaft vorangekommen. Die wirtschaftli-che Struktur hat sich erheblich verbreitert. Die neuen Län-der sind inzwischen zu einer exzellenten Adresse fürInvestoren geworden; aber wäre nach der Wende mehr er-halten geblieben, käme heute leichter etwas hinzu.
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Dr. Angela Merkel25611
Die Kohl-Regierung hat uns 1998 mehr Probleme un-gelöst hinterlassen, als sie gelöst hat. Die ostdeutscheIndustrie war weitgehend abgebaut. Der Aufschwungvon Anfang der 90er-Jahre war auf der Bauwirtschaft auf-gebaut. Mit Steuersparmodellen und Fördermitteln wurdezu oft am Bedarf vorbei ein künstlicher Bauboom aus-gelöst, der uns heute Hunderttausende von leer stehendenMietwohnungen und Büroflächen beschert hat. Das warKapitalvernichtung in großem Umfang.
Seit 1996 ging es mit der Bauwirtschaft steil bergab.Der Aufbau der Industrie musste erst Schritt für Schritteingeleitet werden. Das war eine schwierige Aufgabe, ander wir weiter arbeiten müssen, ohne dass die ganz schnel-len Erfolge möglich wären. Das ist harte Arbeit, die denMenschen viel abverlangt. Dazu kommt, dass Sie 1998die Arbeitsmarktsituation mit Hunderttausenden von Ar-beitsbeschaffungs- und Strukturanpassungsmaßnahmengeschönt haben. Das muss hier noch einmal deutlich ge-sagt werden.
Wenn Sie bezüglich der Arbeitslosigkeit mit dem Fingerauf uns zeigen, dann zeigen vier Finger auf Sie zurück.
Viel Strohfeuer und Aktionismus, das war die Politik derCDU, unter deren Folgewirkung der Osten noch heute lei-det.Wir kommen Schritt für Schritt voran. Der Aufbau Ostist aber noch lange nicht abgeschlossen. Hinzu kommt,dass die Flut vieles zunichte gemacht hat, was in jahre-langer Arbeit geschaffen wurde. Mit dem Solidarpakt IIund dem Länderfinanzausgleich ist aber eine solide Basisgeschaffen worden, um den Aufbau Ost erfolgreich fort-zuführen. Der Solidarpakt II ist eine politische Leistung,vor allem des Kanzlers. Das hat er genauso zu seiner Sa-che gemacht
wie das solide finanzierte Hilfspaket für die Flutopfer.Herr Stoiber hat nicht nur gegen den Länderfinanzaus-gleich geklagt, er klagt jetzt auch gegen den Ost-West-Finanzausgleich der Krankenkassen. Wenn er sich mitseinen Forderungen durchsetzt, würde das Jahr für Jahr2 Milliarden Euro weniger für den Osten bedeuten. Ichfordere Sie, Herr Stoiber, darum auf: Ziehen Sie IhreKlage zurück!
Sie haben uns heute 1 Milliarde Euro für den Osten in ei-ner Legislaturperiode angeboten. Auf der anderen Seitewollen Sie uns Jahr für Jahr 2 Milliarden Euro wegneh-men. Das ist kein ehrliches Angebot.
Ich erwarte vom Kanzlerkandidaten der Union auch einklares Wort zu den EU-Vorschlägen von Herrn Fischler zurLandwirtschaft. Unsere Position im Osten ist klar: Wirlehnen die Kappung der Beihilfen nach Betriebsgrößen ab,denn sie würde unsere traditionell groß strukturierten Be-triebe besonders hart treffen.
Dabei haben diese Betriebe ihre Wettbewerbsfähigkeitnach der Wende eindrucksvoll unter Beweis gestellt. DerKanzler hat sich hinter den Osten gestellt. Ich frage HerrnStoiber: Wo stehen Sie? Vertrauen ist in der Politik einwirklich großes Geschenk. Vertrauen muss man sich harterarbeiten, vor allem im Osten. Der Kanzler hat das er-kannt und handelt danach. Deshalb schenken wir imOsten ihm das Vertrauen.Herzlichen Dank.
Ich habe zwei Bittenum eine Kurzintervention vorliegen. Die erste beziehtsich auf die Rede von Frau Merkel. Ich habe das vorhinvergessen; deswegen folgen jetzt die Kurzinterventionen.Frau Köster-Loßack, bitte.
Verantwortung Deutschlands angespielt. In der Frage derIrakpolitik des Präsidenten der Vereinigten Staaten warvon der Existenzgefährdung Israels bei den Plänen, dievorgelegt wurden, bisher nicht die Rede.
Ich bin für drei Wochen in den Vereinigten Staaten ge-wesen und habe dort die Zerwürfnisse innerhalb der ame-rikanischen Regierung mitbekommen. Ich kann nur sa-gen, dass Kanzler Schröder und Außenminister Fischersich gerade dieser historischen Verantwortung gegenüberIsrael sehr bewusst sind, wenn sie es unter diesen Um-ständen abgelehnt haben, eine unilaterale Attacke gegenden Irak zu unterstützen.
Jetzt wurde ein weiterer Schritt auf die Vereinten Na-tionen zu gemacht. Es ist trotzdem nicht geklärt, was pas-siert, wenn die internationale Allianz gegen den Terroris-mus, die bisher nur sehr prekär war, zerbricht, und waspassiert, wenn die Konflikte in der gesamten Region –auch der Kaschmirkonflikt – in kriegerischer Art aufbre-chen und dazu führen, dass Israel von den arabisch-isla-mischen Staaten und von der islamischen Staatengemein-schaft insgesamt dazu verdammt wird, alleine zu stehen.Ich glaube, wir müssen außenpolitisch die allergrößteVorsicht walten lassen und dürfen nicht ganz bestimmtenInteressen innerhalb der amerikanischen Regierung jetztdas Wort reden. Wir müssen vorsichtig und mit diplo-matischem Fingerspitzengefühl vorangehen. An allerers-ter Stelle steht nicht nur unsere Sicherheit, sondern vor al-lem das Überleben Israels. Das ist die wichtigste Frage,die hier zunächst gelöst werden muss.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 253. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2002
Ministerpräsident Dr. Harald Ringstorff
25612
Frau Kollegin Merkel
möchte nicht darauf antworten.
Nun hat der Kollege Nooke das Wort für eine Kurzin-
tervention.
Frau Präsidentin! Sehr
verehrte Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, das,
was Sie hier zum Thema Aufbau Ost angeboten haben, ist
falsch. Sie versuchen hier als Ministerpräsident eines
Landes Stimmung zu machen,
das ganz hinten steht. Sie haben davon gesprochen, dass
es keine blühenden Landschaften gibt. Was ist denn in den
Fluten untergegangen? Was kostet denn jetzt in Sachsen
und Sachsen-Anhalt Geld? Es ist die Wiederherstellung
der blühenden Landschaften von Helmut Kohl. Woran
liegt es denn, dass es bei Ihnen weniger aufwärts gegan-
gen ist?
Sie sprechen davon, dass die politisch Verantwortli-
chen im Osten darauf hinweisen müssen, dass der Staat
nicht alles leisten kann. Aber was machen Sie? Sie regie-
ren zusammen mit der PDS und sagen bei Ihrer erneuten
Kandidatur, dass Sie nach den Landtagswahlen wieder
mit der PDS zusammen regieren wollen.
Diese Partei betreibt doch die entsprechende Stimmungs-
mache in Ostdeutschland, dass der Staat alles leisten und
bezahlen könne.
Was Sie hier anbieten, ist doch in höchstem Maße unehr-
lich.
Herr Ministerpräsident, schauen Sie sich Ihre Bilanz
an: Vor Ihrer Zeit gab es in Mecklenburg-Vorpommern
eine Bildungspolitik wie in Sachsen und Thüringen. Was
haben Sie erreicht? – Sie liegen ganz hinten, Sachsen aber
auf Platz drei und Thüringen auf Platz vier. Ihre Bilanz
sieht doch so aus, dass das, was Sie hier anbieten, nicht
funktioniert. Ich glaube – das muss man einfach feststel-
len –, dass nirgends so viel junge Menschen wie aus
Mecklenburg-Vorpommern weglaufen – und das auf-
grund Ihrer Politik. Frau Merkel hat die Zahlen genannt:
Im Jahre 2000 sind 61 000 und im Jahre 2001 103 000
mehr Menschen aus dem Osten weggegangen, als aus
dem Westen in den Osten gekommen sind.
In Ihrem Land ist es am schlimmsten. Ihre Politik ist doch
zum Davonlaufen. Deshalb finde ich es schon erstaunlich,
dass Sie uns hier vorwerfen, wir hätten beim Aufbau Ost
nichts erreicht.
In den letzten vier Jahren gab es aus Ihrer Fraktion
nicht einen diesbezüglichen Antrag. Herr Thierse gibt den
Hofnarren und macht hier die richtigen Sprüche, Herrn
Schwanitz kennt keiner.
Das ist Ihre Bilanz bezüglich des Aufbaus Ost. Wir kön-
nen darüber gerne emotional diskutieren, wir lassen uns
aber unsere Erfolge nicht kaputtreden.
Danke.
Das Wort zur einerErwiderung hat der Ministerpräsident des Landes Meck-lenburg-Vorpommern, Harald Ringstorff.
unsere Erfolge nicht kaputtreden.
Sie verfolgen dieselbe Politik wie der Oppositionsführerbei uns im Landtag: das Land schlechtreden, schlechtre-den, schlechtreden.
Ich will Ihnen einige Fakten nennen:Erstens. Unser Bundesland nimmt bezüglich desWachstums der gewerblichen Wirtschaft in der letzten Le-gislaturperiode Platz zwei bezogen auf die ganze Bundes-republik Deutschland ein.Zweitens. Wir haben in dieser Legislaturperiode daszweithöchste Industriewachstum unter den ostdeutschenLändern.Drittens. Wir sind seit drei Jahren Nummer eins imTourismus in Deutschland, obwohl Ihr Oppositionsführergesagt hat: Aufgrund der rot-roten Regierung würdenkeine Touristen mehr zu uns kommen.Viertens. Unsere Universitäten haben wir so ausge-baut, dass sie im innerdeutschen Ranking auf Platz zweistehen.
Als Letztes: Zu Unionszeiten, Herr Nooke, sind mehrLeute aus Mecklenburg-Vorpommern weggegangen alsjetzt.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 253. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2002 25613
Herzlichen Dank.
Herr Abgeordneter
Nooke, Sie haben den Bundestagspräsidenten als Hofnar-
ren bezeichnet. Ich rüge Sie deswegen. Ich glaube, wir
sollten aufhören, die Institutionen des Parlamentarismus
zu beschädigen.
– Herr Thierse ist der Bundestagspräsident und wenn Sie
Herrn Thierse als Hofnarren bezeichnen, bezeichnen Sie
den Bundestagspräsidenten als Hofnarren. Das ist ja wohl
eindeutig.
Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Gehrcke für die
PDS-Fraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich wusste vor der Debattegar nicht, wie wichtig die Frage ist, ob man telefonierenkann oder nicht. Da kann ich natürlich nicht zurückstehen.Auch ich habe telefoniert; ich habe mit meiner Frau tele-foniert. Die Nummern von Chirac, Putin und Kofi Annanwaren pausenlos besetzt. Wahrscheinlich hat Herr Stoiberdie Leitungen blockiert.
Aber wenn telefonieren können der Ausweis für Außen-politik ist, dann sind wir schon sehr heruntergekommen.Ich glaube, wir sollten hier sehr klar erkennen, dassdas, was Frau Merkel und Herr Stoiber bezüglich des Irakvorgetragen haben, im Kern heißt: Deutschland wird mit-machen. Unter Windungen und unter Schmerzen kannHerr Fischer dann wieder sagen, dass sein Herzblut aus-fließt, aber Deutschland wird mitmachen. Genau dasmuss man mit einem Beschluss des Deutschen Bundesta-ges verhindern.
Meine Frau hat mir geraten – man muss ja einen Nutz-effekt daraus ziehen –,
vor dem Bundestag Nelson Mandela, den von allen Frak-tionen doch sehr geschätzten, immer wieder zitierten Frie-densnobelpreisträger zur Bush-Rede zu zitieren. Ichmöchte Ihnen das vortragen, was Nelson Mandela gesagthat:Die Vereinigten Staaten sind eine Bedrohung für denWeltfrieden. Die Vorbereitung eines Militärschlagsgegen den Irak im Alleingang mit Großbritannienmuss aufs Strengste verurteilt werden.Laut Mandela ist die Politik der USA also eine Bedro-hung für den Weltfrieden. Die Rede von Präsident Bushvor den Vereinten Nationen war keine Rede des Friedens.Es war eine Rede des Krieges. Das, was hier als Angebotdargestellt wird, heißt doch nichts anderes als: Wenn dieVereinten Nationen mitmachen, dann sind wir mit euch,und wenn ihr nicht mitmacht, werden wir es alleine ma-chen. – Das ist die Art und Weise, wie Weltherrschaft aus-geübt wird und wie mit der Souveränität anderer Staatenumgesprungen wird.Nach den Wahlen – auch das ist bekannt – ist vor demKrieg. Ein Krieg gegen den Irak ist die Fackel in das Pul-verfass Naher Osten. Ein Krieg gegen den Irak kann sichzu einem neuen Weltkrieg, zu einem dritten Weltkrieg,ausweiten. Es ist ein Krieg um eine neue Weltordnung.Deswegen halte ich es für gerechtfertigt, von hier aus dazuaufzufordern, Nein zu diesem Krieg – Nein in der Öffent-lichkeit, Nein in den Vereinten Nationen und auch Neinhier im Bundestag – zu sagen.
Die Menschen in unserem Lande haben den Eindruck,dass der Kanzler mit ihren Ängsten – mit den Ängstenvor Arbeitslosigkeit, mit den Ängsten, dass der Ostenhängen gelassen wird, und mit den Ängsten vor einemneuen Krieg – spielt, weil er darauf setzt, als starkerMann auftreten zu können und die Dinge auf sich zu kon-zentrieren: Chefsache Ost, Chefsache Arbeitslosigkeitund Chefsache Irak-Krieg. Eins muss ich den Kollegin-nen und Kollegen von SPD und Grünen lassen: Bei Ihnenfunktioniert der demokratische Zentralismus. Wenn derKanzler sagt: „Wir sind für den Krieg“, dann sind Sie allefür den Krieg,
wenn der Kanzler sagt: „Wir sind gegen den Krieg“, dannsind Sie alle gegen den Krieg. Glaubwürdigkeit erreichenSie gerade in dieser Frage so nicht.
Glaubwürdigkeit erreicht man, wenn man nicht auf einKanzlerwort baut. Kanzlerworte kommen und gehen.
Entscheidend ist, was der Deutsche Bundestag beschließt.Diesen einfachen Satz, den Sie in der Öffentlichkeit alsUnterstützung Ihres Kanzlers auslegen können, zu be-schließen, nämlich dass man an einem Krieg nicht teil-nimmt, dem wollen Sie sich verweigern. Das ist doch ein-deutig.
Dazu kommt, dass man nicht nur Worte schwingendarf, sondern dass Taten gefordert sind. Die Panzer ausKuwait müssen zurück – und nicht erst dann, wenn einKrieg begonnen hat.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 253. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2002
Ministerpräsident Dr. Harald Ringstorff
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Es muss klargemacht werden, dass die USA in Deutsch-land keine Überflugs- und Stationierungsrechte im Zu-sammenhang mit einem Krieg im Irak ausüben können.Es muss auch klargemacht werden, dass das Drehbuch, indem steht, wie dieser Krieg stattfinden soll, schon längstgeschrieben ist. Es war schon kennzeichnend, dassAußenminister Fischer auf den Kosovo-Krieg aufmerk-sam gemacht hat. Schauen wir uns das Drehbuch nocheinmal an.Der erste Schritt war, dass man von einer Drohkulissesprach, die aufgebaut werden sollte. Es wurde zwar Neinzum Krieg gesagt, es wurde aber auch davon gesprochen,dass man eine Drohkulisse brauche. Auch heute sprichtman von der Notwendigkeit einer Drohkulisse.
Der zweite Schritt war, dass man gesagt hat, dieseDrohkulisse müsse glaubwürdig und robust sein. „Ro-bust“ ist anscheinend ein Lieblingswort von Außenminis-ter Fischer. Ich habe gelernt, dass er dieses Wort immermit Herzbeklemmung und dem Verlust von Herzblut aus-spricht. Bei der großen Zahl der Kriegseinsätze, die er imParlament gerechtfertigt hat, müsste er eigentlich schonvöllig ausgeblutet sein.Der dritte Schritt war, dass man in der Bevölkerungeine Stimmung geschaffen hat, in der man den Kriegrechtfertigen konnte. Erinnern Sie sich an die Bilder, dieim Bundestag gebraucht wurden! Erinnern Sie sich an denHufeisenplan! Erinnern Sie sich an den aberwitzigen Ver-gleich von Kosovo und Auschwitz! Dieser Vergleichstammte doch von Vertretern Ihrer Regierung. Wir wer-den erleben – Frau Merkel hat schon damit angefangen –,dass solche Bilder wieder im Bundestag gebraucht wer-den.Der deutschen Bevölkerung ist nie die Wahrheit gesagtworden, was die deutsche Kriegsbeteiligung in Afghanis-tan angeht:
kein Wort zum KSK und zu den Toten, die es bei denMilitäreinsätzen gegeben hat. Ich will Sie in diesem Zu-sammenhang darauf aufmerksam machen, dass 45 Pro-zent der Menschen in unserem Lande eine deutsche Be-teiligung an Militäreinsätzen prinzipiell ablehnen. Siehatten im Bundestag nur eine Vertretung; das war diePDS-Fraktion.Diesen Menschen will ich sagen: Vielleicht waren un-sere Argumente in den vielen Diskussionen nicht immergut genug.
Ich will ihnen weiterhin sagen: Vielleicht waren wir nichtimmer mutig genug. Ich will ihnen sogar zugestehen, dassvielleicht auch wir Illusionen hinsichtlich Rot-Grün hat-ten.Sicher ist aber, dass wir zu wenige waren und dass dieMenschen von uns noch mehr Anstrengungen erwartethaben, diesen deutschen Kriegskurs zu stoppen und die-ser Entwicklung zu widerstehen. Sicher gab es auch beiuns den Wunsch, nicht immer in der Minderheit zu sein.Aber sicher ist auch: Wir haben standgehalten, währendandere umgefallen sind.
Wir haben in diesem Parlament siebzehnmal gegendeutsche Militäreinsätze und deren Verlängerungen ge-stimmt. Wir haben gegeben, was wir konnten, weil wirwussten, dass dieser Weg für Deutschland verhängnisvollist. Wir haben uns im Bundestag oft den Vorwurf anhörenmüssen, dass wir Nein sagen. Aber ich habe die Erfahrunggemacht: In diesem Parlament sitzen zu viele Jasager undzu wenige Neinsager. Man muss an den richtigen Stellenauch einmal Nein sagen können.
Das Szenario, das ich hier aufgezeigt habe, war dasDrehbuch für den Kosovo-Krieg. Dieses Szenario wirdwieder aufgebaut werden, um einen Krieg gegen den Irakzu begründen. Was der Kanzler bisher gesagt hat, ist ausmeiner Sicht wenig überzeugend und wenig glaubwürdig,weil er weiß, dass der Weg so verlaufen wird.Wenn Sie glaubwürdig sein wollen und wenn Rot-Grün diese Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen will,dann gibt es dafür zwei Möglichkeiten: Entweder Siestimmen dem Antrag der PDS zu – damit hätte der Bun-destag entschieden, dass es keine deutsche Kriegsbeteili-gung geben wird – oder Sie bringen einen eigenen Antragein, in dem dieser Satz enthalten ist. Wenn Sie beides nichtwollen, dann betreiben Sie billigen Wahlkampf und sindwenig glaubwürdig. Sie werden mit der Frage „Ja oderNein zum Krieg?“ nicht weiter spielen dürfen. Hier istErnsthaftigkeit gefordert. Nicht der Kanzler, sondern dasParlament hat die Entscheidung zu treffen.Schönen Dank.
Nun erteile ich derBundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort.Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: FrauPräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heu-tige Debatte ist auch eine Debatte über die internationaleVerantwortung Deutschlands. Es geht in der Tat auch umdie Frage, wie man Frieden stiften kann. In diesem Zu-sammenhang erinnere ich daran, dass wir alle nach dem11. September 2001 der Meinung waren, es gehe darum,dass wir dem Terrorismus notfalls auch mit polizeilichenund militärischen Mitteln entgegentreten. Es geht aberauch darum, Schritte in Richtung einer gerechteren Welt-ordnung zu gehen, um damit beizutragen, die Armut welt-weit zu bekämpfen, und um dem Gefühl von Ohnmachtund Hoffnungslosigkeit weltweit entgegenzuwirken.
Unsere Regierung hat Schritte in die richtige Richtunggemacht. Wir wollen und dürfen nicht auf halber Streckestehen bleiben. Wir haben dazu beigetragen, die ärmsten
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 253. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2002
Wolfgang Gehrcke25615
Entwicklungsländer im Umfang von 70 Milliarden US-Dollar zu entschulden, und es ihnen damit ermöglicht, dieArmut und die Hoffnungslosigkeit in ihren Regionen zubekämpfen.
Das ist ein richtiger Schritt in Richtung Friedensstiftungund in Richtung einer gerechteren Gestaltung der Glo-balisierung.Wir haben für die ärmsten 48 Entwicklungsländer denvöllig freien Marktzugang zur Europäischen Union er-reicht.
Sie haben damit die Chance, selber Einkommen zu er-wirtschaften und sich wirtschaftlich zu entwickeln. Da-mit haben wir der Hoffnungslosigkeit und dem Gefühlder Unterlegenheit und Ohnmacht weltweit entgegenge-wirkt. Das ist ein sehr deutlicher Beitrag zur Friedens-stiftung.
Wir packen heute präventiv die Konflikte der Zukunftan. Mit unserer Entwicklungszusammenarbeit wollen wirdazu beitragen – das haben wir auf dem Gipfel in Johan-nesburg international verankert –, dass bis zum Jahr 2015ein großer Teil der Menschheit Zugang zu sauberemTrinkwasser und zu sanitärer Grundversorgung hat. Da-mit leisten wir einen Beitrag dazu, dass Millionen vonMenschen in der Welt – zumal Kinder – nicht sterbenmüssen. Auch damit tragen wir zur Schaffung von Hoff-nung und zur Bekämpfung der Armut in der Welt bei.
Man schätzt, dass bis zum Jahre 2025 etwa 2 Milliar-den Menschen von Wasserknappheit drastisch und dra-matisch bedroht sind. Wenn wir Unterstützung zur Ver-wirklichung eines besseren Wassermanagements bieten,tragen wir dazu bei, künftige Kriege um Wasser zu ver-hindern. Auch das ist ein Beitrag zur Friedensstiftung.
In Johannesburg haben wir uns bei unseren Partnerlän-dern für Energieeffizienz und erneuerbare Energien ein-gesetzt, wie wir es auch in unserer praktischen Arbeit inder Bundesregierung und in unserem Ministerium tun. AlsFolge des Gipfels von Johannesburg wird es eine großeglobale Koalition von mehr als 80 Ländern geben, diesagen: Wir wollen in diesem Bereich vorankommen. – Sieleisten damit einen Beitrag dazu, künftige Unwetterkata-strophen und Klimakatastrophen zu verhindern. Auch da-rum geht es, wenn wir davon sprechen, internationale Ver-antwortung wahrzunehmen.
Ich bin es leid, dass immer wieder der Eindruck er-weckt wird, internationale Verantwortung nähme man nurmilitärisch wahr.
Was wir heute tun müssen, um künftige Krisen und Kriegezu verhindern, das tun wir auch.
Diese Orientierung bringt den EntwicklungsländernChancen. Sie schafft bei uns Arbeitsplätze und macht un-abhängiger vom Öl. Diejenigen Länder, die sich auf dieseSchwerpunkte konzentrieren, kommen auf den Welt-märkten voran.Was hat die CDU/CSU getan? Sie hat alle unsere Ge-setze im Bereich der erneuerbaren Energien abgelehnt.Sie setzt auf Atomenergie. Eine Richtungsentscheidungsteht vor uns – das ist wahr –: Es geht darum, ob das, waswir begonnen haben, die Friedenssicherung und die Kon-fliktprävention, weiterhin in den internationalen Bezie-hungen eine Chance hat, fortgesetzt zu werden, oder obwir in vergangene Zeiten zurückfallen.
Angesichts der Probleme die wir hier im Land aufzu-arbeiten haben – Stichwort: Lasten der Überschwem-mungskatastrophe und wirtschaftliche Entwicklung –,und angesichts dessen, was international zu leisten ist,sage ich: Lassen Sie uns doch die in unserem Land und inder Welt zur Verfügung stehenden Mittel konzentriertdafür einsetzen, dass diese Probleme gelöst werden, undlassen Sie uns sie nicht für Krieg verschwenden! Dasmuss unsere Orientierung sein; das ist die richtige Per-spektive.
Für das, was ich Ihnen als Entwicklungsministerin imFolgenden sagen möchte, berufe ich mich auf HorstKöhler, den Managing Director des InternationalenWährungsfonds und ehemaligen Staatssekretär im HauseWaigel. Er warnt vor einem Irak-Krieg und weist daraufhin, dass ein solcher Krieg dramatische Auswirkungen aufdie Entwicklungs- und Schwellenländer haben wird.Diese sind am stärksten von weltwirtschaftlicher Rezes-sion bedroht. Für sie würde der Zerfall des Bündnisses ge-gen den Terrorismus dramatische Auswirkungen haben,und das Ziel, das wir uns weltweit bis zum Jahr 2015 ge-setzt haben, nämlich die Armut drastisch zu bekämpfen,hätte keine Chance mehr.
Wer weiß, dass Unsicherheiten auf den Kapitalmärktenfür die Entwicklungsländer drastische Auswirkungen ha-ben und Ölpreiserhöhungen sinkende Wachstumsratennach sich ziehen, wer weiß, dass steigende Militärausga-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 253. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2002
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul25616
ben in letzter Konsequenz durch Aufrüstung Wachstumbremsen, der muss dafür plädieren, dass wir alle Lösun-gen versuchen um zu verhindern, dass ein Krieg gegenden Irak in Gang kommt, und dafür sorgen, dass die poli-tischen Lösungen und nicht das militärische Denken über-wiegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die geschätzten Kos-ten dieses Irak-Krieges liegen bei 80 Milliarden US-Dollar. Beim Golf-Krieg hat sich Deutschland seinerzeitmit 18 Milliarden DM beteiligt. Wir werden uns weder fi-nanziell noch militärisch an diesem Irak-Krieg beteiligen.Wir werden dafür sorgen, dass unsere Position, die heuteim Deutschen Bundestag zum Ausdruck gekommen ist,sehr klar ist.
Ich sage Ihnen: Wenn an dieser Stelle der Kanzlerkan-didat der CDU/CSU nicht klar Position bezieht und er-klärt, was seine Erwartungen und Vorstellungen sind,dann hat sich die CDU/CSU offensichtlich schon der Per-spektive des Krieges unterworfen und will es nur nochnicht laut sagen, weil sie weiß, wie unpopulär eine solchePosition in der deutschen Bevölkerung ist.
Das Wort
hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der SPD, Ludwig
Stiegler.
Ludwig Stiegler (von Abgeordneten der SPD
mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Wir haben heute Oppositionsreden nach dem
Strickmuster der Rede von Franz Josef Strauß auf der Ta-
gung am 18./19. November 1974 in Sonthofen gehört. Ich
will einige Kernaussagen aus der Strauß-Rede in Erinne-
rung rufen, damit Ihnen auffällt, was hier zugange ist.
Er sagte damals, erstens darf man in einer solchen Si-
tuation überhaupt kein Rezept empfehlen. – Das haben
wir erlebt. Dann sagte er, es muss alles wesentlich tiefer
sinken, es muss einen Schock im öffentlichen Bewusst-
sein geben. Weiter sagte er, man darf sich nicht um die
Themen kümmern, die viel Detailkunde brauchen, son-
dern man braucht die Emotionalisierung der Bevölke-
rung, die Furcht, die Angst und das düstere Zukunftsbild
sowohl innen- wie außenpolitischer Art.
Meine Damen und Herren, er sagte auch, man kann
nicht genug an allgemeiner Konfrontierung schaffen.
Und: Das alles darf uns nicht daran hindern, unter einem
Übermaß an Objektivität zu leiden. Schließlich sagte er
– Stoibers Taktik derzeit –: nur anklagen, warnen, aber
keine konkreten Rezepte nennen!
Meine Damen und Herren, Sie haben nach der Strauß-
Theorie versucht, die Bevölkerung mit genau dieser Tak-
tik zu überziehen. Sie meinen, Sie müssen ein schwarzes
Loch malen. Ich sage Ihnen aber: In diesem schwarzen
Loch werden Sie selber verschwinden.
Herr Kol-
lege Stiegler, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Glos?
Bei Michael Glos bleibt mir
nichts anderes übrig.
Bitte
schön, Herr Glos.
Herr Kollege Stiegler, da
Sie gerade beim Polemisieren sind und allgemein bekannt
ist, dass Ihnen dabei manchmal das Temperament durch-
geht, frage ich Sie, ob Sie bereit sind, sich für das zu ent-
schuldigen, was Angela Merkel aus einer niedersächsischen
Zeitung vorgelesen hat, nämlich dass Sie Stoiber mit Nero
verglichen und gesagt haben, der wolle das Land anzünden.
Meine Damen und Herren,Angela Merkel hat mir schöne Stichworte gegeben, duhättest also gar nicht zu fragen brauchen. Ich wäre schonnoch darauf gekommen. Du darfst dich jetzt auch wiederhinsetzen,
weil ich im Laufe meiner Rede darauf eingehe.
– Ja gut, dann wird es nicht auf die Redezeit angerechnet;umso besser.Zum Stichwort „Wahrheit“: Ich habe den Stoiber einenExperten in Sachen Unwahrheit genannt,
und zwar aus folgenden Gründen: Was er über die Wir-kungen der Steuerreform und insbesondere über die Aus-wirkungen auf den Mittelstand sagt, ist die glatte Un-wahrheit.
Das Gegenteil von dem, was Herr Stoiber sagt, ist wahr.Das Gegenteil von dem, was Herr Stoiber über die Wir-kungen des Zuwanderungsgesetzes sagt, ist wahr.
Er steht vor der Wahl: Entweder bekennt er, dass er keinGesetz lesen kann, oder er bekennt, dass er vorsätzlich dieUnwahrheit sagt.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 253. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2002
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul25617
Wer hier wie Herr Stoiber sagt, man mache das Tor fürMillionen Zuwanderer auf, der hat das Gesetz nicht gele-sen. Wer behauptet, die Aufhebung der Anwerbestopp-verordnung und die Tatsache, dass jetzt im Gesetz steht,was hier zu regeln ist, bedeute eine Öffnung der Türe,spricht die Unwahrheit. Die Anwerbestoppverordnung istaufgehoben,
genauso wie die Anwerbestoppausnahmeverordnung.Wenn Herr Stoiber etwas anderes behauptet, steht er mitder Wahrheit auf Kriegsfuß.
Das Gleiche gilt für das, was er über die wirtschaftli-che Entwicklung dieses Landes sagt. Das hat mit der ob-jektiven Wahrheit nichts zu tun.
Wenn Lügen kurze Beine hätten, könnte Edmund Stoiberdie nächsten Stabhochsprungweltmeisterschaften imMaßkrug ausrichten.
Herr Kol-
lege...
Dies zu der Entschuldigung,
die Sie angesprochen haben.
Es ist hier nichts zurückzunehmen.
Herr Kol-
lege Stiegler...
Was Kaiser Nero betrifft: Ich
habe bilderreich geschildert, dass Kaiser Nero den Unter-
gang besingen wollte. Was hat denn Herr Stoiber heute an-
deres getan, als den Untergang und den Abgrund zu be-
singen?
Daraus zieht er seine Lust. Nach Franz-Josef-Strauß-Ma-
nier will er sich als Retter in der Not feiern lassen. Wenn
dies so ist, muss er sich gefallen lassen, dass er hart ange-
fasst wird. Man kann nicht selber zulangen, aber dann,
wenn man selbst eine gewischt kriegt, zur Mama laufen.
Das haut nicht hin.
Herr Kol-
lege Stiegler, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage des
Kollegen Glos? Ich bitte Sie aber darum, dass die Antwort
kurz und präzise und nicht eine Nebenrede ist.
Herr Präsident, die Antwort
war kurz und präzise.
Herr Kollege Stiegler, ich
frage Sie noch einmal – –
Herr Kol-
lege Glos, einen Moment bitte! Herr Kollege Stiegler, das
beurteile ich. Diese Antwort war nicht kurz und präzise.
Ich bitte, auf die nächste Frage kurz und präzise zu ant-
worten.
Herr Kollege Glos, bitte schön.
Heißt das, dass Sie nicht
bereit sind, sich für diese einmalige Entgleisung durch
den Vergleich mit Nero, der – wie Sie gesagt haben – Rom
absichtlich angezündet hat, zu entschuldigen? Bis jetzt
war es ein wortreiches Herumreden.
Ich habe nicht gesagt, dassStoiber Rom anzünden will, sondern dass er sich wie wei-land Kaiser Nero am Untergang des Vaterlandes weidenund es besingen will, um sich als Retter in der Not feiernzu lassen. Das war die Botschaft.
Wer Ohren hat, der höre!
– Wer Ohren hat, der höre!Meine Damen und Herren, Sie können nicht glauben,dass Sie hier über die Marktplätze und über das Land zie-hen und diese Bundesregierung und die sie tragende Koa-lition mit falschen Aussagen, mit Aussagen, die grobwahrheitswidrig sind, angreifen können und meinen, wirwürden uns dann hinstellen und sagen: Haut uns auchnoch auf die rechte Backe! Hier gilt alttestamentarisch:Auge um Auge, Zahn um Zahn.
– Ich glaube schon, dass Ihnen das nicht gefällt. Wenn dieFDP noch etwas mausig wird, lese ich noch vor, wasStrauß über die FDP gesagt hat.
Dann zerstöre ich aber manche Beziehungen.Wir haben hier erlebt, dass Sie meinen, alles schwarzmalen zu können. Sie sind zwar Schwarze, aber deshalb
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 253. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2002
Ludwig Stiegler25618
ist hier nicht alles schwarz zu malen. Ich fange mit demKollegen Beckstein an. Welche Krisenszenarien hat ernicht vor dem 11. September aufgebaut! Er wollte dasLand in Unsicherheit und Furcht vor Terror bringen, umsich hinterher als Retter in der Not preisen zu können. Wirhaben Otto Schily, der zu Vernunft und zu Zurückhaltunggemahnt hat. Otto Schily hat Recht behalten. GüntherBeckstein sollte sich bei Otto Schily entschuldigen.
Ich will mir hier kurz anschauen, was Sie zu Ihrer Hin-terlassenschaft sagen: Sie sind auf der Flucht vor IhrerVergangenheit. Sie haben 1998 einen Sanierungsfall hin-terlassen. Wir zahlen 75 000 Euro pro Minute für IhreSchuldenlast, auch jetzt, wo wir hier zusammensitzen.Und was wollen Sie? Kaum ist der Stall des Augias aus-gemistet, wollen Sie wieder einziehen und zum Beispielbei der Hochwasserhilfe neue Schulden machen. Sie blei-ben draußen!
Sie jammern über Steuern und Abgaben, haben unsaber die höchste Steuer- und Abgabenlast hinterlassen.Glauben Sie bloß nicht, dass Ihnen die Menschen dasglauben, was Sie hier erzählen! Selber nichts zustandebringen und bei anderen fordernd auftreten, so haben wirnicht gewettet.
Meine Damen und Herren, jetzt schlägt es dreizehn.Sie kommen daher und nennen die Arbeitslosigkeit eineKatastrophe. Dass Sie kein Griechisch können, weiß ichinzwischen; „katastrophae“ heißt: plötzliche, jähe Wen-dung. Schauen wir uns doch einmal die Entwicklung derArbeitslosigkeit an: In der Regierungszeit von CDU/CSUund FDP ist die Arbeitslosigkeit Jahr für Jahr gestiegen;der Scheitelpunkt war 1998.
Gerhard Schröder und die rot-grüne Koalition habendafür gesorgt, dass die Arbeitslosigkeit zurückging. Wirhaben jetzt eine niedrigere Arbeitslosigkeit als zu IhrerZeit.
Während Sie sich mit Ihrer Semantikabteilung bespre-chen, weil Sie bei der Hochwasserhilfe so schlecht ausge-sehen haben, wollen Sie plötzlich die Hilfe in der Not ver-kleinern und wollen eine Entwicklung fortsetzen, dessenErbe wir von Ihnen übernommen haben. Stellen Sie sichIhrer Verantwortung! Es ist eine alte konservative Tradi-tion, Schwierigkeiten zu hinterlassen und sich dann vomAcker zu machen. Stellen Sie sich endlich Ihrer Verant-wortung!
Meine Damen und Herren, Sie haben hier getreu nachFranz Josef Strauß keine Rezepte genannt,
weil Sie nur anklagen wollen, weil Sie sich als Retter inder Not feiern lassen wollen. Wir nennen der Bevölkerungunsere Projekte: Vereinbarkeit von Familie und Berufbzw. Schule, Gleichstellung von Frauen und Männern,Chancengleichheit der Kinder aus bildungsfernen Schich-ten.
Bei Ihnen ist das BAföG untergegangen. Durch uns sindwieder fast 100 000 mehr Schülerinnen und Schüler, Stu-dentinnen und Studenten in der BAföG-Förderung. Dasist konkrete Politik für die Menschen.
– Das Meister-BAföG kommt hinzu.Oder reden wir über die alternativen Energien:. Siesind noch im Industriemuseum, während wir weltweitSpitze in der Entwicklung alternativer Energien sind.
In dem Zusammenhang äußere ich meine Sorge vor derBewusstseinsspaltung von Edmund Stoiber: Wenn in Te-melin in der Tschechischen Republik ein Atomkraftwerkgebaut wird, dann droht der Untergang des bayerischenWaldes. Wenn nebenan in Ohu ein Atomkraftwerk steht,dann ist das ein Wunderwerk der Technik.– Meine Damenund Herren, wer zwei gleiche Anlagen unterschiedlich be-urteilt, die nur etwa 100Kilometer auseinander liegen, derkann nicht ganz dicht sein.
– Dann nehmen Sie die Aussagen zu Temelin zurück! Dasist im Grunde ein Nationalismus, um nicht einen härterenAusdruck zu verwenden. Man kann nicht sagen, dass da-mit auf der einen Seite die Welt untergeht und auf der an-deren Seite die Rettung wartet. Damit haben wir als Ober-pfälzer einige Erfahrungen. Sie wollten uns auch einmaleine WAA als Fahrradspeichenfabrik andienen. Wir aberhaben Sie mit Ihrer „Fahrradspeichenfabrik“ vertrieben.Dafür haben wir jetzt BMW.
Wir machen mit der Politik für alternative Energieneine Politik des Friedens mit der Natur. Wir werden esdem Staustufen-Edi nicht erlauben, die Donau zuzubeto-nieren. Die schöne blaue Donau bleibt unserem bayeri-schen Lande erhalten.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 253. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2002
Ludwig Stiegler25619
Sie greifen die Hartz-Kommission an. Es wird vor al-lem spannend, wenn man die Meinungen von Herrn Späthund ihre Entwicklungen verfolgt.
Herr Späth ändert seine Meinungen wie ein Zufallsgene-rator. Erst waren die Hartz-Vorschläge eine revolutionäreIdee, dann waren sie von der CDU/CSU abgeschrieben,am Ende war es der größte Mist. Letzteren Zusammen-hang kann ich noch verstehen. Hintergrund dessen aberist, dass Sie, meine Damen und Herren, in Wahrheit keinRezept für den Arbeitsmarkt haben. Daher wollen Sie dasGanze mies machen und sind neidisch, dass der Kanzlerdie Gelegenheit genutzt hat, um Änderungen durchzuset-zen. 30 Jahre lang haben Sie den Präsidenten der Bundes-anstalt für Arbeit gestellt. Eingefallen ist Ihnen nichts.Jetzt, da anderen etwas einfällt, wird es von Ihnenschlecht geredet.
Sie jammern, der Mittelstand lechze nach Steuer-senkungen. Ihr Steuerprogramm vermittelt vielleicht denEindruck, den Mittelstand zu fördern. Die Senkung desSpitzensteuersatzes ist aber alles andere als eine Mittel-standsförderung. Der Mittelstand sieht den Spitzen-steuersatz nur von weitem. Das zentrale Problem desMittelstandes ist die Eigenkapitalausstattung und die Kre-ditfinanzierung. Deshalb ist der Jobfloater die angemes-sene Antwort. Wir werden in unserem Land auch in Zu-kunft dafür sorgen müssen, dass regionale Banken undSparkassen Jobfloater für den Mittelstand ausgeben; dennder Mittelstand ist in Ihrer Zeit durch hohe Steuern ausge-blutet worden. Hinzu kam, dass ausgeschüttete Gewinnesteuerlich besser als einbehaltene Gewinne gestellt wur-den. Das ist die eigentliche Ursache der Krise des Mittel-standes, die wir bewältigen und nicht Sie.
Der Kanzler und der Finanzminister haben mit Basel IIein Verhandlungsergebnis erzielt,
das den Mittelstand in Zukunft bei der Kreditversorgungbesser als zu Ihrer Zeit stellt. – Sie brauchen sich nicht anden Kopf zu fassen,
das trifft Sie selber. – Wir haben für den Mittelstand er-reicht, dass der kleine Mittelständler bei der Hinterlegungdes Eigenkapitals in Zukunft besser gestellt wird. Das istunsere Leistung.Edmund Stoiber dagegen hat für seinen „Mittelständ-ler“ Kirch Milliardenkredite aufs Spiel gesetzt. 11 Milli-arden Euro Kreditausleihvolumen der Landesbank, über200 Millionen Euro Gewerbesteuer und 200 MillionenEuro Körperschaftsteuer sind verschwunden, weil unserNeo-Berlusconi Herrn Kirch die Kredite hinterher gewor-fen hat, wie andere Menschen Pferden Heu hinwerfen.
Wir haben den Aufbau Ost vorangebracht, während Sieblühende Landschaften nur versprochen haben. Wir ha-ben den Solidarpakt entwickelt. Ich sage genauso wieHarald Ringstorff: Nehmen Sie die Klage zurück, die sichgegen die Solidarität bei den Krankenkassen richtet.Wenn Sie in Ostdeutschland sind, wird Ihre Stimme wiedie des Wolfs, der Rügener Kreide gefressen hat. Plötzlichdienen Sie sich als Freund des Ostens an. Ihre Haltungund Ihre Vorschläge widerlegen Sie. Sie zeigen, was Siein Wahrheit mit den ostdeutschen Ländern vorhaben.
Die Union lebt von Miesmacherei. Die Union pflegtdie Verzweiflung. Sie will wie Strauß, dass alles schlech-ter wird, damit man polemisieren kann. Unsere Bevölke-rung hat eine zupackende Regierung verdient.
Sie predigen Taten, Gerhard Schröder handelt.
Ihr Kandidat liegt im Liegestuhl, während sich GerhardSchröder, Otto Schily und andere um das Hochwasser küm-mern. Ihr Kandidat steht für einen Fernsehspot auf,während wir für die Menschen sorgen. Das ist der Unter-schied: nicht Taten plakatieren, sondern Taten durchführen!
Wir kämpfen voller Hoffnung und Zuversicht mit denMenschen gemeinsam. Wir werden die Probleme meis-tern. Sie weiden sich an den Problemen, bieten aber keineLösungen an. Wir lösen die Probleme dieses Landes. Ichbin stolz darauf, was meine Fraktion auf diesem Feld ge-leistet hat. Sie wird auch weiterhin erfolgreich sein.Vielen Dank.
Das Worthat jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Schäuble von derCDU/CSU-Fraktion.Dr. Wolfgang Schäuble (von derCDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! VerehrteKolleginnen und Kollegen! Auch am Ende einer langenLegislaturperiode mit viel Auf und Ab erlebt man immerwieder neue Überraschungen, wie wir eben während derRede des Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion gese-hen haben.
Ich beneide Sie um Ihre Griechisch-Kenntnisse, HerrStiegler; ich habe keine. Aber ich habe zu Beginn der Wo-che gelesen, der Bundeskanzler und SPD-Vorsitzende
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Ludwig Stiegler25620
habe Sie zur Zurückhaltung und Mäßigung aufgefordert.Das kann ich inzwischen gut verstehen. Ich verstehe auch,dass er gegangen ist, bevor Sie geredet haben.
Ich will aber gleich hinzufügen: Die Kandidaten müs-sen wieder in den Wahlkampf zurückkehren. AuchEdmund Stoiber musste gehen. Deshalb hat er mir eineNotiz geschickt, in der steht: Bitte Stiegler nicht ganzernst nehmen! – Wo er Recht hat, hat er Recht.
Ich kann Ihnen das Autograph gern geben, damit Sie esselber sehen.
Ich möchte kurz einige Punkte, die Sie angesprochenhaben, Herr Stiegler, richtig stellen. Was das ThemaZuwanderungsgesetz anbetrifft, stellt sich der Sachver-halt folgendermaßen dar: Es gibt in diesem Gesetz nichteinen einzigen Paragraphen, der die Zuwanderung gegen-über der heutigen Rechtslage einschränkt. Es gibt aber indiesem Zuwanderungsgesetz eine Reihe von Paragra-phen, die die Zuwanderung gegenüber der heutigenRechtslage erweitern. Wenn man die Vorzeichen nichtverwechselt, kann dieses Zuwanderungsgesetz nach denRegeln der Logik nur eine Zunahme der Zuwanderungbringen, aber nicht das Gegenteil.
Deshalb vertreten wir – wie Angela Merkel bereits ausge-führt hat – die Position:
Angesichts der Tatsache, dass die Situation in Deutsch-land durch die Verdoppelung der Zahl der Menschenausländischer Abstammung seit den 70er-Jahren beigleichzeitigem Rückgang der Zahl der sozialversiche-rungspflichtigen Beschäftigten in diesem Zeitraum ge-prägt ist, sollten wir das Schwergewicht unserer Be-mühungen künftig auf die Verbesserung der Integrationderjenigen, die sich bereits hier aufhalten,
statt auf die künstliche Erhöhung der Zuwanderung durchden Gesetzgeber legen. Das ist der falsche Weg.
– Sie sollten auch im Wahlkampf den Menschen nicht einX für ein U vormachen wollen.
Dieses Zuwanderungsgesetz verstärkt die Zuwanderung.Wir vertreten den Standpunkt: Es wird auch in ZukunftZuwanderung geben, aber wir müssen die Integration ver-bessern und wir haben keinen Bedarf an einer Zunahmeder Zuwanderung.
Des Weiteren würde ich gern in aller Ruhe etwas zuIhren Bemerkungen über die Arbeitslosigkeit vor vierJahren und zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausführen. Esist wahr: Die Arbeitslosigkeit ist nicht über Nacht ge-kommen. Dabei handelt es sich um eine lang anhaltendeEntwicklung.
– Wenn eine Katastrophe eine plötzlich eingetretene Si-tuation ist, dann handelt es sich in dem Sinne nicht umeine Katastrophe, sondern um das Ergebnis einer lang an-haltenden Entwicklung.Aber Sie sollten Folgendes nicht vergessen, Herr Kol-lege Stiegler: Erstens. Die Arbeitslosigkeit ist derzeitnoch genauso hoch wie vor vier Jahren.
– Doch, sie beträgt 4,1 Millionen. Die Differenz beträgtweniger als 100 000. In diesen vier Jahren sind aber800 000 mehr ältere Menschen aus dem Erwerbslebenausgeschieden, als jüngere nachgekommen sind. Deswe-gen ist die Lage nicht gleich geblieben, sondern sie ist vielschlechter als vor vier Jahren.
Zweitens. Im Jahr 1998 war saisonbereinigt von Januarbis Dezember eine Abnahme der Arbeitslosigkeit vonetwa 1Million zu verzeichnen. 1998 war die Entwicklungsehr gut, nachdem die Vorjahre schwierig waren. SeitMitte vergangenen Jahres ist keine Abnahme der Arbeits-losigkeit, sondern ein Anstieg zu verzeichnen. Das heißt,die Lage ist schlechter geworden, der Trend hat sich ge-nau umgekehrt. Damals ging die Arbeitslosigkeit zurück;jetzt steigt sie. Das ist das eigentlich Verheerende an derBilanz dieser rot-grünen Regierung.
Drittens, zur wirtschaftlichen Lage in Deutschland:Natürlich ist sie durch die Weltkonjunktur und den11. September 2001 schwieriger geworden. Das kann nie-mand im Ernst bestreiten. Aber Sie können damit nicht er-klären, warum die wirtschaftliche Dynamik in Deutsch-land geringer ist als in jedem anderen Land derEuropäischen Union. Der 11. September 2001 und dieWeltkonjunktur haben ja für Portugal, Dänemark, Groß-britannien, die Niederlande oder Frankreich keine anderenAuswirkungen. Wenn Deutschland bei der wirtschaftli-chen Dynamik Schlusslicht in der Europäischen Union ist,dann kann der Grund also nur in den Fehlern rot-grünerPolitik und in nichts anderem liegen.
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Dr. Wolfgang Schäuble25621
Nach meiner festen Überzeugung ist der entscheidendeFehler rot-grüner Politik, dass Sie die Lage und die Stim-mung im Mittelstand systematisch kaputtgemacht haben.Eine Steuerreform, die dazu führt, dass die einkommen-steuerpflichtigen Unternehmen mehr Steuern zahlen müs-sen als die Kapitalgesellschaften, ist objektiv falsch undzerstört jede Bereitschaft im Mittelstand, Vertrauen in dieZukunft zu haben. Das ist der eigentliche Fehler. Deswe-gen müssen und werden wir das verändern.
Es gab sicherlich schon 1998 viel Bürokratie. Diese istschließlich nicht von Ihnen erfunden worden. Aber inIhren vier Regierungsjahren ist es dramatisch schlimmergeworden. Ich verweise in diesem Zusammenhang immerauf die Riester-Rente; denn sie ist ein Synonym dafür,dass man durch ein Übermaß an Regulierung selbst eingutes Anliegen kaputtmachen kann. Das Anliegen, dieprivate Altersvorsorge zu fördern, ist ja richtig. Aber Siehaben das so bevormundend und bürokratisch reguliert,dass nur 10 Prozent der Menschen von der Riester-RenteGebrauch machen und 90 Prozent sagen: Rutsch mir dochden Buckel runter! Das zeigt beispielhaft, dass Sie mit zuviel Bürokratie die dynamischen Kräfte in unserer Wirt-schaft und Gesellschaft zerstört haben. Das ist der Grund-fehler.
Ich möchte noch eine Bemerkung zum Aufbau Ostmachen. Auch ich bestreite nicht, dass wir 1998 mit derÜberwindung der Folgen der Teilung und des Sozialismusnicht so weit waren, wie wir es 1990 gehofft hatten. Aberbis 1998 hat sich die Schere zwischen neuen und altenBundesländern jedes Jahr ein bisschen weiter geschlos-sen. Der Abstand verringerte sich zwar manchmal nur we-nig, aber kontinuierlich. Seit 1998 geht die Schere wiederauseinander. Der Rückstand der neuen Bundesländer aufdie alten ist in Ihren vier Regierungsjahren größer gewor-den. Deswegen muss es am 22. September einen Wechselgeben.
Wir wollen eine Politik machen, die stärker auf denMittelstand setzt. Im Übrigen ist es Quatsch, wenn Sie be-haupten, dass unsere Maßnahmen nicht konkret seien.Wenn Sie sich unser Regierungsprogramm und unser So-fortprogramm genau anschauen, dann stellen Sie fest,dass diese eine Fülle von konkreten Maßnahmen enthal-ten, die sehr genau belegt sind. Ihre einzige Aussage imWahlkampf ist: Schröder soll Kanzler bleiben! Er ist dieeigentliche Ich-AG in Deutschland. Das ist ein bisschenzu wenig für die nächsten vier Jahre.
Deswegen sage ich Ihnen: Wer will, dass es in Deutsch-land wieder aufwärts geht, muss dafür sorgen, dass eineandere Politik gemacht wird. Mit Ihnen ist es abwärts ge-gangen. Das ist die generelle Richtung von Rot-Grün. Dahilft überhaupt nichts. Mit uns wird es wieder aufwärtsgehen. Wenn wir an die Regierung kommen, werden wirauf den Mittelstand und die Sanierung der sozialen Si-cherungssysteme setzen. Wir werden eine Steuerreformmachen, die nach dem Prinzip „einfacher, gerechter undniedrigere Steuersätze für alle“ für Gerechtigkeit sorgenwird, statt Benachteiligungen zu schaffen.
Ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen.Natürlich haben Sie 1996/97 mit Ihrer damaligen Mehr-heit im Bundesrat alles blockiert, nach dem Motto: Jeschlechter es dem Land geht, desto mehr Kritik üben wiran der Regierung. An der Auseinandersetzung über die Fi-nanzierung der Soforthilfe für die Opfer der Hochwasser-katastrophe kann man einen entscheidenden Unterschiedzwischen Ihrem damaligen und unserem heutigen Verhal-ten erkennen. Wir haben gesagt: Auch wenn wir uns mitunseren Vorstellungen, was die richtige Finanzierung derSoforthilfe anbetrifft, in diesem Hause nicht durchsetzen,weil wir nicht die Mehrheit haben, werden wir im Bun-desrat für das, was Sie beschließen, für die notwendigeZustimmung sorgen und nicht blockieren, weil wir davonüberzeugt sind, dass wir den Streit zwischen unterschied-lichen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat nicht aufdem Rücken der Hochwasseropfer austragen können.
Das Interesse des Landes hat bei uns auch im WahlkampfVorrang vor den parteipolitischen Interessen.Meine letzte Bemerkung. Ich bin schon ziemlich ent-setzt, auch wenn ich verstehe, dass der Außenministersein Amt in den letzten Wochen kaum noch wahrgenom-men hat.
– Entschuldigung! – Es gab eine gemeinsame Politik vonAdenauer bis Kohl und selbst diese Regierung hatte in denersten Jahren mit Unterstützung der Opposition, je-denfalls von CDU/CSU und FDP – die PDS will ich danicht in Anspruch nehmen –, in den Grundlinien deut-scher Außenpolitik Kontinuität gewahrt. Diese Grund-linien sind: niemals allein, keinen deutschen Sonderweg,keinen Alleingang, sondern fest eingebunden sein in dasimmer enger zusammenwachsende Europa, mit diesemeinigen Europa eine stärkere Rolle auch im AtlantischenBündnis spielen und im Atlantischen Bündnis und mitEuropa dafür sorgen, dass die Vereinten Nationen einestärker ordnende Kraft in dieser Welt unglaublich vielerSchwierigkeiten – die Frau Entwicklungshilfeministerinhat auch davon gesprochen – und voller Spannungen seinkönnen.Dies alles verraten Sie in diesen Wochen des Wahl-kampfs. Wir haben die Grundlagen der gemeinsamenAußenpolitik nicht verlassen. Übrigens: Nicht unseret-wegen musste der Bundeskanzler bei einer bestimmtenAbstimmung die Vertrauensfrage stellen. Es war nur– auch daran muss man erinnern – wegen der Unzuver-lässigkeit von Rot-Grün.
Ich habe Ihre Gesichter noch vor Augen – das ist ja imFernsehen gezeigt worden –, als Ihnen der Parteivorsit-zende in Ihrer Präsidiumssitzung am 1.August gesagt hat:
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Dr. Wolfgang Schäuble25622
Jetzt lenken wir von Wirtschaft und Arbeitsmarkt und un-serer verheerenden Bilanz ab, indem wir den Irak zum be-herrschenden Wahlkampfthema machen.
Aus Wahlkampfgründen und wegen nichts anderem ha-ben Sie in Deutschland eine Gespensterdebatte angefan-gen und Deutschland, Europa und der UNO erheblichenSchaden zugefügt.
Heute Morgen ist schon gesagt worden: Niemand indiesem Land will Krieg. Alles andere wäre auch absurd.Wir haben über Jahrzehnte, manchmal im Konsens mitIhnen, manchmal in bitteren Auseinandersetzungen,
für Frieden gesorgt und gegen viele Ängste den Friedengesichert. Der Friede wird gesichert, wenn wir notfalls inder Lage sind, jemanden, der möglicherweise eine Gefahrfür den Frieden darstellt, davon zu überzeugen, dass essich für ihn nicht lohnt. Es war schon richtig, finde ich,dass die Vereinten Nationen – es war nicht irgend-ein Alleingang, sondern es war der Sicherheitsrat derVereinten Nationen –, nachdem die Aggression vonSaddam Hussein gegen Kuwait zurückgewiesen wordenwar, gesagt haben: Dieses Regime darf keine Massenver-nichtungswaffen haben. Es müssen Überwachungendurchgeführt werden, die sicherstellen, dass er keine sol-chen Waffen hat.
Wenn ein Diktator wie Saddam Hussein erst Atomwaffenhat, ist die Welt weniger sicher als vorher. Deswegen istes richtig, dafür zu sorgen, dass die Vereinten Nationendas durchsetzen.
Das hat Präsident Bush gestern gesagt, nichts anderes.
Die Vereinten Nationen verlieren jede Möglichkeit,nicht mit militärischen Maßnahmen, sondern durch poli-tischen Druck das Ziel der Friedenssicherung zu errei-chen, wenn die Mitglieder der Vereinten Nationen sagen:Was immer ihr beschließt, wir sind jedenfalls nicht da-bei. – Das hat keinen Sinn. Das ist der Fehler dieser Re-gierung. Sie haben die Vereinten Nationen geschwächt.Deswegen stoßen Sie mit dieser Politik im Irak SaddamHusseins auf Zustimmung – das ist wahr –, aber vor die-ser Art von Zustimmung sollten Sie sich eigentlich fürch-ten. Sie sollten den Diktatoren nicht dabei helfen, auchnoch Atomwaffen zu bekommen.
Sie haben verhindert, dass es eine gemeinsame Positionder Europäer gibt. Sie schwächen die Vereinten Nationen.Sie haben die atlantische Partnerschaft entscheidend ge-schwächt.
Das können Sie überhaupt nicht bestreiten. Der deutscheBotschafter in Amerika – er war bis vor kurzem Staats-sekretär im Auswärtigen Amt – hat mit der Zurückhal-tung, die einem Botschafter geziemt, schon vor Wochendarauf hingewiesen, dass durch das Verhalten vonSchröder und der Regierung schwere Schäden für dasdeutsch-amerikanische Verhältnis entstehen. Das giltauch für den Verteidigungsminister mit seinem Schwa-dronieren; er musste im Übrigen gehen.Diese Bemerkung will ich in diesem Zusammenhangnoch machen: Dass der Inhaber der Befehls- und Kom-mandogewalt eine Initiative von Soldaten für eine Parteigründet, ist eine schwere Verletzung der Pflichten und derVerantwortung eines Verteidigungsministers.
Die amtierende Präsidentin hat vorhin darauf hingewie-sen, dass der Bundestagspräsident auch dann, wenn ersich parteipolitisch äußert, was sein Recht ist, weil er auchPolitiker ist, immer noch Bundestagspräsident sei. Ichmeine, Frau Kollegin Fuchs – Sie sind gerade nicht am-tierende Präsidentin; deswegen darf ich Sie ansprechen –,dass der Verteidigungsminister nicht sagen kann, das habeer als SPD-Politiker gemacht. Solange er Verteidigungs-minister ist, hat er besondere Verantwortlichkeiten. Gegendie hat er verstoßen. Deswegen muss er abgelöst werden.Deswegen sage ich Ihnen: Hören Sie auf, die Grund-bedingungen deutscher Sicherheit und einer Politik fürFrieden und Freiheit zu gefährden, weil Sie im Wahl-kampf nervös sind! Kehren Sie zu einer gemeinsamen eu-ropäischen Politik zurück, zu einer Politik der Stärkungder atlantischen Partnerschaft, zu einer Politik, die dieVereinten Nationen dazu nutzt, den Frieden wo immermöglich zu sichern! Hören Sie auf, in den letzten Tagenvor der Wahl die falsche Richtung einzuschlagen, indemSie die Ängste der Menschen schüren!Wir haben überhaupt keine schwachen Nerven. Ichmahne vielmehr an, auch in der Endphase eines Wahl-kampfes daran zu denken, dass der Gewinner nach derEntscheidung der Bevölkerung am 22. September einehohe Verantwortung für eine gute Zukunft Deutschlandsin einer schwierigen wirtschaftlichen Lage hat. Mit Ihremunverantwortlichen Gerede in diesem Wahlkampf habenSie die Lage für jede künftige Regierung in den kommen-den Jahren erheblich erschwert. Sie werden die Schädenin der europäischen und atlantischen Politik nicht besei-tigen können. Auch aus diesem Grunde müssen Sie ab-gelöst werden.
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Dr. Wolfgang Schäuble25623
Das Wort
hat jetzt erneut der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Ludwig
Stiegler.
Meine Damen und Herren!Wir haben jetzt wieder einen typischen Schäuble erlebt:Er hat viel gesagt, aber mit keinem Ton auf die konkreteFrage geantwortet: Einsatz im Irak, ja oder nein? HerrSchäuble, ich glaube, der Herr hat Ihnen die Sprache ge-geben, damit Sie Ihre Gedanken verbergen können.
Sie haben jetzt eine Viertelstunde zu diesem Thema gere-det, aber während die deutsche Bevölkerung von GerhardSchröder weiß, dass er ohne Wenn und Aber Nein sagt zueinem Einsatz im Irak, winden Sie Girlanden. Sie garnie-ren das Ganze mit übler Nachrede, die sich auf die Bera-tungen im Parteipräsidium der SPD bezieht. Ich habe andiesen Beratungen teilgenommen und verbitte mir, dassSie der deutschen Sozialdemokratie unterstellen, sie nutzeein solches Thema zu Wahlkampfzwecken.
Sie haben noch vor Wochen gesagt, das sei gar keinThema, und uns vorgeworfen, wir kämen zu früh. Wer istdenn von der Wirklichkeit überholt worden, Sie oder wir?Die Entscheidung ist gefallen und die Bevölkerung musswissen, woran sie ist. Herr Schäuble, alles Drumherum-reden hilft nicht weiter.Wenn Sie über Saddam reden, so erinnere ich Sie da-ran, dass Sie einmal Innenminister waren und die Bera-tungen der Geheimdienste kennen. Sie wissen, dass dieErkenntnisse zu Ihrer Zeit nicht viel anders waren alsheute. Es ist Ihrer eigenen Vergangenheit nicht würdig,jetzt zu sagen, man wolle keine Kriegskonfrontation,denn das sei eine Hilfe für Saddam Hussein.
Zu Ihren Äußerungen in Bezug auf Kollegen Struck:Solche Initiativen gab es in jedem Wahlkampf. Auch derBundesminister der Verteidigung kann außerhalb desDienstes zeigen, welcher Partei er angehört.
Das war früher nicht anders und das wird auch in Zukunftso sein.Meine Damen und Herren, es ist schön, dass ich nocheinmal auf Herrn Schäuble eingehen kann,
weil er in Sachen Zuwanderung wieder dreist die Un-wahrheit verbreitet hat. In diesem Zuwanderungsgesetzsteht ausdrücklich, dass die Integration aller bereits Zu-gewanderten in den Arbeitsmarkt absoluten Vorrang vorNeuanwerbungen hat. Nur solche hoch spezialisiertenFachkräfte, die mehr Arbeitsplätze schaffen, als sie fürsich selber und ihre Familien brauchen, werden angewor-ben. Die Entscheidung über die Zuwanderung mit Pro-gramm ist unter den Vorbehalt von Bundestag und Bun-desrat gestellt. Hören Sie auf, entweder das Gesetz zuignorieren oder den Menschen vorsätzlich etwas Falscheszu sagen. Es ist eine dreiste Lüge, zu behaupten, wirmachten angesichts von 4 Millionen Arbeitslosen das Torauf. Das Gegenteil ist der Fall, meine Damen und Herren.
Noch schöner wird es, wenn Sie sich über Integrationverbreiten. Sie haben in den 16 Jahren Ihrer Regierungs-zeit 2 Millionen Aussiedler geholt, sich aber nicht um de-ren Integration gekümmert. Sie haben sie als Stimmhilfegebraucht; aber deren Integration haben wir begonnen.Die Sprachintegration von Ausländern fängt jetzt mit demZuwanderungsgesetz an. Hier scheinheilig von Integra-tion zu reden, nachdem man 16 Jahre lang geschlafen hat,ist eine Dreistigkeit, meine Damen und Herren.
Herr Schäuble, ich fordere Sie deshalb noch einmalauf, sich das Gesetz zu besorgen und endlich aufzuhören,genauso wie der Kandidat und die Union insgesamt denMenschen auf den Marktplätzen dreist das Gegenteil des-sen zu sagen, was im Gesetz steht. Ich bin mit EdmundStoiber nicht zuletzt deswegen so scharf ins Gericht ge-gangen, weil ich nicht glaube, dass er nicht weiß, was imGesetz steht. Es muss irgendeinen Sprechzettelschreiberin der Staatskanzlei geben, der das Gesetz lesen kann. Da-rum muss ich davon ausgehen, dass Herr Stoiber ständigwider besseres Wissen die Unwahrheit verbreitet. Das las-sen wir uns nicht gefallen.
Genauso, meine Damen und Herren, ist es ein glatterSchwindel, wenn Sie sagen, die Arbeitslosigkeit seiheute nicht anders als damals.
1998 hatten wir nach Überwindung der Asienkrise einenweltwirtschaftlichen Aufschwung; dann folgten die bei-den guten Jahre 1999 und 2000. Wie man unschwer imGutachten des Sachverständigenrates nachlesen kann,hatten wir Weihnachten 2000 die Ölpreiskrise – ich erin-nere daran, dass wir hier die Sondersozialhilfe beschlos-sen hatten –, anschließend die BSE-Krise – die Hälfte derBSE-Fälle gab es in den wohlbehüteten Ställen meinesVaterlandes Bayern – mit Folgen für die Verbraucher unddie Nahrungsmittelindustrie, dann nach dem 11. Septem-ber die Zerstörung der Börsenkurse und zu Weihnachten2001 und im Januar dieses Jahres die amerikanischen Bi-lanzbetrügereien.Deshalb ist es unerhört, dass Sie versuchen, solche Ent-wicklungen der rot-grünen Koalition vor die Tür zu kar-ren. Sie hatten im weltwirtschaftlichen Aufschwung einen
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Aufschwung der Arbeitslosigkeit. Sie haben 1996 das Be-schäftigungsförderungsgesetz verabschiedet. In seinerRede – ich habe sie nachgelesen – sagte Michael Glos da-mals, wir müssten den Kündigungsschutz und alles Mög-liche abbauen, damit der Aufschwung komme. Mit IhremSozialabbau ist ein Aufschwung der Arbeitslosigkeit ge-kommen; das ist die historische Wahrheit, meine Damenund Herren.
Deshalb lassen wir uns Ihre Interpretationsversuche nichtgefallen.Herr Schäuble redet dann wieder grob die Unwahrheit,wenn er sagt, der Mittelstand sei durch die Besteuerungder Kapitalgesellschaften benachteiligt. Herr Schäuble,die SPD-Fraktion stiftet Ihnen einen Nachhilfekurs bei ei-nem Steuerberater, damit Sie endlich lernen, was in dementsprechenden Gesetz steht. Es ist dreist, die Einkom-mensteuer mit der Körperschaftsteuer zu vergleichen;denn bei der Einkommensteuer gilt die Durchschnitts-besteuerung auch für die Handwerker, denen wir die Ge-werbesteuerlast abgenommen haben. Hätten Sie es jemalsgeschafft, den Handwerkern die Gewerbesteuerlast zunehmen, dann hätte Herr Rauen ein Fest organisiert, ge-gen das der Tanz um das Goldene Kalb im Alten Testa-ment ein kleiner Event gewesen wäre.
Meine Damen und Herren, Sie aber haben das nicht zu-stande gebracht. Der Mittelstand, die Handwerker und diePersonengesellschaften zahlen deutlich weniger Steuernals damals.Dreist ist es auch, die Körperschaftsteuer zu diffamie-ren. Wir wollten mit Ihnen weltweit wettbewerbsfähigeSteuertarife haben. Also haben wir gemeinsam die Kör-perschaftsteuer, die übrigens ab dem ersten Euro ohneKinderfreibeträge und sonstige Freibeträge zu zahlen ist– das nur zur Nachhilfe, Herr Schäuble –, auf 25 Prozentgesenkt. Aber die Gewerbesteuer kommt noch dazu, beider Kapitalausschüttung auch noch die Kapitalertrag-steuer.Es ist erstaunlich, dass Sie meinen, sich hier mitfalschen Argumenten als Rächer der Enterbten darstellenzu können. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen:Wenn Schäuble, Stoiber und Merz nach Steuergerechtig-keit rufen, ist es so, als ob ein Wolf zu einer Bürgerinitia-tive zum Schutz der Lämmer aufruft. Das ist die wahre Si-tuation.
Schauen Sie sich doch Ihr Steuerprogramm an! Daseinzig Neue an Ihrem Programm ist die Senkung des Spit-zensteuersatzes. Alles andere steht bei Eichel im Bun-desgesetzblatt. Man fragt sich, wieso Sie bereits be-schlossene Dinge ins Programm schreiben. Sie wollentarnen, dass es Ihnen in Wahrheit nur um den Spitzen-steuersatz geht. Die FDP ist wenigstens so ehrlich undbekennt sich zu Petersberg. Sie wollen den Leuten dieKatze im Sack verkaufen. Das ist der Unterschied. DieLiberalen bekommen wenigstens Punkte für Ehrlich-keit. In der Sache sind sie aber genau so schlecht wieSie.
Meine Damen und Herren, Sie jammern und sagen, dieGroßunternehmen würden keine Steuern mehr zahlen.Das Beispiel BMW wird genannt. Wie war es denn mitBMW? Es war doch Theo Waigel, der die Verrechnungder Auslandsverluste durchgesetzt hat. Nach unseremSteuerrecht kann BMW diese Verluste seit dem 1. Januarnicht mehr verrechnen. Es ist eine Ungehörigkeit, das Ge-setz selbst zu machen, uns die Wirkungen anzuhängenund den Menschen nicht zu sagen, dass wir das längst kor-rigiert haben.
Damit sind Sie bei mir gerade an der richtigen Adresse!
Ich komme zur privaten Altersvorsorge. Sie jammernjetzt und sagen, die Riester-Rente sei zu bürokratisch. Ja-wohl, sie ist streng geregelt. Aber wenn wir sie nicht vorSpekulation geschützt hätten, wären die Altersersparnissedieses Jahres aufgrund der amerikanischen Börsenkriselängst durch den Kamin gegangen und Sie würden unsvorhalten, wir seien fahrlässig mit den Altersersparnissenumgegangen. Sie müssen sich entscheiden und dürfenhier keine Fidelmühle aufbauen.
Man könnte stundenlang
Ihre Unwahrheiten zerpflücken. Ich sage Ihnen: DieWahrheit wird Sie frei machen. Kehren Sie zur Wahrheitund zur Wahrhaftigkeit zurück, dann wird auch das Klimain diesem Hause wieder besser!Vielen Dank.
Ichschließe die Aussprache und bitte noch einen Moment umAnwesenheit, weil wir noch einige Formalien zu erledi-gen haben.Interfraktionell ist die Erweiterung der Tagesord-nung um folgende Zusatzpunkte vereinbart worden:ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSUFür eine glaubwürdige Politik gegenüber dervom Irak ausgehenden Bedrohung– Drucksache 14/9972 –ZP 7 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-sprache
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 253. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2002
Ludwig Stiegler25625
a) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 423 Petitionen– Drucksache 14/9955 –b) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 424 Petitionen– Drucksache 14/9956 –c) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 425 Petitionen– Drucksache 14/9957 –d) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 426 Petitionen– Drucksache 14/9958 –e) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 427 Petitionen– Drucksache 14/9959 –f) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 428 Petitionen– Drucksache 14/9960 –g) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 429 Petitionen– Drucksache 14/9961 –h) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 430 Petitionen– Drucksache 14/9962 –i) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 431 Petitionen– Drucksache 14/9963 –j) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 432 Petitionen– Drucksache 14/9964 –k) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 433 Petitionen– Drucksache 14/9965 –l) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 434 Petitionen– Drucksache 14/9966 –m) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 435 Petitionen– Drucksache 14/9967 –Sind Sie mit der Aufsetzung einverstanden? – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Wir kommen zu den Überweisungen und Abstimmun-gen.Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b: Interfraktionell wirdÜberweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/9750und 14/9751 an den Haushaltsausschuss vorgeschlagen.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dannsind die Überweisungen so beschlossen.Tagesordnungspunkt 6 a: Wir kommen zur Abstim-mung über den Antrag der Fraktion der PDS auf Druck-sache 14/9876 mit dem Titel „Keine deutsche Beteiligungan einem Krieg gegen den Irak“. Wer stimmt für diesenAntrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DerAntrag ist bei Gegenstimmen der PDS-Fraktion und Ent-haltung des Herrn Ströbele mit den Stimmen der übrigenFraktionen abgelehnt.Tagesordnungspunkt 6 b: Abstimmung über den An-trag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/9877 mitdem Titel „Keinen Krieg gegen den Irak“. Wer stimmt fürdiesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen derSPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen undder FDP bei Gegenstimmen der PDS-Fraktion und desKollegen Ströbele abgelehnt.Zusatzpunkt 5: Abstimmung über den Antrag der Frak-tion der FDP auf Drucksache 14/9948 mit dem Titel„Handlungsfähigkeit deutscher Außenpolitik wieder her-stellen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit denStimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS bei Ge-genstimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt.Zusatzpunkt 6: Abstimmung über den Antrag der Frak-tion der CDU/CSU auf Drucksache 14/9972 mit dem Ti-tel: „Für eine glaubwürdige Politik gegenüber der vomIrak ausgehenden Bedrohung“.Wer stimmt für diesen An-trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DerAntrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen undder PDS bei Gegenstimmen von CDU/CSU und FDP ab-gelehnt.Zusatzpunkt 7 a: Sammelübersicht 423, Drucksache14/9955. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 423 ist mit denStimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der PDS-Frak-tion angenommen.Zusatzpunkt 7 b: Sammelübersicht 424, Drucksache14/9956. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 253. Sitzung. Berlin, Freitag, den 13. September 2002
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms25626
Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 424 ist mit demgleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.Zusatzpunkt 7 c: Sammelübersicht 425, Drucksache14/9957. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 425 ist mit demgleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.Zusatzpunkt 7 d: Sammelübersicht 426, Drucksache14/9958. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 426 ist ebenfallsmit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor ange-nommen.Zusatzpunkt 7 e: Sammelübersicht 427, Drucksache14/9959. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 427 ist ebenfallsmit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor ange-nommen.Zusatzpunkt 7 f: Sammelübersicht 428, Drucksache14/9960. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 428 ist mit denStimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen vonCDU/CSU, FDP und PDS angenommen.Zusatzpunkt 7 g: Sammelübersicht 429, Drucksache14/9961. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 429 ist mit denStimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS bei Ge-genstimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.Zusatzpunkt 7 h: Sammelübersicht 430, Drucksache14/9962. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 430 ist mit denStimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP bei Ge-genstimmen von CDU/CSU und Enthaltung der PDS an-genommen.Zusatzpunkt 7 i: Sammelübersicht 431, Drucksache14/9963. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 431 ist mit denStimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU beiGegenstimmen von FDP und PDS angenommen.Zusatzpunkt 7 j: Sammelübersicht 432, Drucksache14/9964. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 432 ist mit denStimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der PDS an-genommen.Zusatzpunkt 7 k: Sammelübersicht 433, Drucksache14/9965. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 433 ist mit denStimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der PDS an-genommen.Zusatzpunkt 7 l: Sammelübersicht 434, Drucksache14/9966. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 434 ist mit denStimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS-Fraktion,bei Gegenstimmen der CDU/CSU und Enthaltung derFDP angenommen.Zusatzpunkt 7 m: Sammelübersicht 435, Drucksache14/9967. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 435 ist mit denStimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der PDS an-genommen.Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-nung und damit am Ende der voraussichtlich letzten Sit-zung der 14. Wahlperiode des Deutschen Bundestages.Hinter uns liegen vier arbeitsreiche Jahre, Jahre kon-troverser Debatten, aber vielfach auch des Konsensesüber Fraktionsgrenzen hinweg in grundlegenden Fragen.Ich möchte die in den zurückliegenden vier Jahren geleis-tete Arbeit zum Anlass nehmen, Ihnen allen für Ihr Engage-ment und Ihren Einsatz zu danken.Mein besonderer Dank gilt den vielen Kolleginnen undKollegen, die dem 15. Deutschen Bundestag nicht mehrangehören werden. Viele von ihnen haben im Parlamentan herausgehobener Stelle über viele Jahre hinweg ge-wirkt: Mitglieder des Präsidiums, des Ältestenrates, Aus-schussvorsitzende, ehemalige Regierungsmitglieder undStaatssekretäre, unter ihnen die langjährige Präsidentindes Deutschen Bundestages, Rita Süssmuth, die Vizeprä-sidentin Anke Fuchs und der Vizepräsident Rudolf Seiterssowie der Bundeskanzler Helmut Kohl. Vielen von ihnenist bei ihren Abschiedsreden von hier aus bereits in Ihreraller Namen der Dank des Deutschen Bundestages ausge-sprochen worden. Ich will nochmals allen ausscheidendenKolleginnen und Kollegen Dank sagen und ihnen unserebesten Wünsche für ihr weiteres Leben mit auf den Weggeben.
Mein Dank gilt auch den Schriftführerinnen undSchriftführern
und nicht zuletzt den vielen Mitarbeiterinnen und Mitar-beitern, die vor und hinter den Kulissen ihren Dienst tun.
Ich bedanke mich für Ihren Beifall, denn ohne diese Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter könnten wir unsere parla-mentarische Arbeit nicht leisten.
Wir werden unsere parlamentarische Arbeit in der15. Wahlperiode fortsetzen. Allen, die dabei sein werden,wünsche ich eine glückliche Hand zum Wohle unseresVolkes.
Die Sitzung ist geschlossen.