Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Die heutige Sitzung habe ich gemäß Art. 39 Abs. 3 Satz 3 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 21 Abs. 2 der Geschäftsordnung auf Verlangen der Fraktion der SPD einberufen.
Ich rufe den einzigen Tagesordnungspunkt unserer heutigen Sitzung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts
- Drucksache 13/5902 -
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Kollege Scharping.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Land befindet sich in einer besonders schwierigen Situation.
Die Haushalte des Bundes waren 1983, 1988, 1990 und 1993 in dem Sinne verfassungswidrig, daß die Ausgaben für Investitionen unter der Kreditaufnahme lagen. Dies droht auch für das Jahr 1996.
Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht in Deutschland ist gestört. Wir beantragen diese Feststellung vor allen Dingen deshalb, weil schon zum 30. September dieses Jahres die Finanzierungssalden des Bundes mit 64,8 Milliarden DM um rund 5 Milliarden DM stärker negativ ausfallen, als dies im Haushaltsgesetz vorgesehen ist.
Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht kann nur erreicht werden, wenn endlich etwas gegen die Arbeitslosigkeit getan wird.
Es kann nur erreicht werden, wenn die Investitionen des Bundes auf einem höheren Stand bleiben als die Schuldenaufnahme. Es kann nur erreicht werden, wenn die Steuern gerechter und wirtschaftlich vernünftiger erhoben werden.
Es kann nur erreicht werden, wenn die Lohnnebenkosten endlich sinken, anstatt über sie faktisch eine doppelte Besteuerung der Produktion vorzunehmen.
Es kann nur erreicht werden, wenn junge Menschen wieder ermutigt werden. Dafür ist die erste Voraussetzung, jedem jungen Menschen einen Ausbildungsplatz zu garantieren.
Gleichgewicht in Deutschland kann nur erreicht werden, wenn die Situation der Familien und der Kinder wirksam verbessert wird, anstatt sie zur Arabeske der künftigen Entwicklung zu machen.
Nach Art. 110 des Grundgesetzes ist die Bundesregierung verpflichtet, alle zu erwartenden und absehbaren Einnahmen und Ausgaben im Haushaltsplan zu veranschlagen. Das ist mit dem Haushaltsplan 1996 nicht geschehen.
Nach Art. 115 des Grundgesetzes ist die Bundesregierung verpflichtet, die Schuldenaufnahme unter der Summe der Investitionen zu halten; es sei denn, das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ist gestört.
Rudolf Scharping
Diese Feststellung obliegt ausschließlich dem Deutschen Bundestag. Wir beantragen diese Feststellung deshalb, weil hier entschieden werden muß, daß es angesichts einer verhängnisvollen, die Menschen belastenden Politik endlich zu einer Wende kommen muß.
In der Bundestagssitzung am 18. Oktober dieses Jahres hat die Koalition jede Debatte über ihre Steuerpolitik verweigert. Angesichts der Zahlen, die Ende September erreicht wurden, wird das erklärbar, aber nicht verständlich. An keinem anderen Ort in Deutschland außer im Deutschen Bundestag kann die Konsequenz aus einer verfehlten Politik gezogen werden. Man kann es auch nicht einem Interviewkrieg der Koalitionäre überlassen, wie die Politik in Deutschland zu gestalten und zu korrigieren ist.
Nach der Vorlage des Herbstgutachtens der Wirtschaftsinstitute kann man damit rechnen, daß ein geringfügig stärkeres wirtschaftliches Wachstum im Jahre 1997 erreicht wird. Man muß aber gleichzeitig befürchten, daß die Arbeitslosigkeit erneut anwachsen wird. Man muß befürchten, daß im Osten Deutschlands das Wirtschaftswachstum weit hinter den Erfordernissen zurückbleibt. Man muß befürchten, daß Ihre Politik erneut in einen verfassungswidrigen Haushalt führt. Die erschreckend hohe Zahl von arbeitslosen Bürgerinnen und Bürgern, das Chaos Ihrer Finanzpolitik, die Haushalte 1996 und 1997 sind schon heute Symbole einer unmäßigen Belastung der Bevölkerung. Korrigieren Sie endlich diese Politik!
Statt einer konzeptionell klaren und wirksamen Politik wird uns Chaos geboten, statt Finanzpolitik Buchhaltung, statt Wirtschaftspolitik soziale Demontage, statt eines konzeptionellen Vorgehens interner Streit der Koalition, statt der dringend notwendigen Verläßlichkeit für die sozialen Beziehungen und die investierende Wirtschaft ein rüdes Hin und Her innerhalb der Koalition.
Die Ausgaben des Bundes lagen am 30. September 1996 bei einem negativen Finanzierungssaldo von 64,8 Milliarden DM. Im Jahre 1996 werden fast 8 Millionen Menschen in Deutschland die Erfahrung der Arbeitslosigkeit machen. Anstatt einer Regierung, die konzeptionell und klar etwas für die Zukunft ihres Landes, seine wirtschaftliche Stärke und seinen sozialen Zusammenhalt tut, haben wir eine Regierung, deren Mitgliedern es nur noch wichtig erscheint, dem anderen per Interviews etwas ins Gesicht zu schlagen, anstatt etwas für die Zukunft des Landes zu tun.
Wir haben eine Regierung, in der der Verstoß gegen die Verfassung zur Regel zu werden droht.
Wir haben eine Regierung, in der das Lügen und das Hinters-Licht-Führen zur Übung geworden ist.
Sie haben 1990 behauptet, es werde keine Steuererhöhungen geben. Tatsächlich haben Sie jährlich mit erhöhten Steuern in Höhe von 116 Milliarden DM zugelangt. Das war der größte Steuerbetrug in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Sie haben 1995 erst nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichtes dafür gesorgt, daß das Existenzminimum steuerfrei gestellt wird, und hatten dafür einen Buckel vorgesehen, der erst durch massive öffentliche und parlamentarische Kritik vermieden werden konnte.
Sie haben anstatt verläßlicher und klarer Politik 1989 die Quellensteuer abgeschafft und 1992 eine unwirksame Zinsabschlagsteuer eingeführt.
Sie haben 1991 den Solidaritätszuschlag eingeführt, ihn 1992 abgeschafft, ihn 1995 wieder eingeführt und streiten jetzt darüber, ob er 1998 um 1 oder 2 Prozentpunkte sinken soll.
Sie wollten die Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen zur Finanzierung von Gewerbebetrieben durchsetzen und sind erst durch die Opposition im Bundestag daran gehindert worden.
Sie wollten verhindern, daß die Familien wirksam entlastet werden und haben erst nach starkem öffentlichen und parlamentarischen Druck ein einheitliches Kindergeld mit Abzug von der Steuerschuld ermöglicht.
Sie haben in der Finanzierung des Wohnungsbaus ein ständiges Hin und Her zu verantworten.
Sie sind mit der Harmonisierung der Zinsbesteuerung in der Europäischen Union gescheitert.
Sie haben die Mineralölsteuer zu einem dauerhaften Griff in die Portemonnaies der Bürgerinnen und Bürger mißbraucht, anstatt etwas für die nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung zu tun.
Sie haben allein die Steuerbelastung bei unverbleitem Benzin von 54,7 auf 112,7 Pfennig gesteigert. Sie
Rudolf Scharping
sind mit einer ökologisch verträglichen Reform der Besteuerung von Kraftfahrzeugen gescheitert.
Sie sind erst durch das Bundesverfassungsgericht gezwungen worden, das Kindergeld an das Existenzminimum der Kinder anzupassen. Sie sind erst durch das Bundesverfassungsgericht gezwungen worden, das Existenzminimum der Bürger von Steuern freizustellen. Sie sind erst durch das Bundesverfassungsgericht gezwungen worden, die Zinseinkünfte und die Einkünfte anderer Art steuerlich gleichzubehandeln.
Sie stellen eine Regierung, die mit steuerlichem Hin und Her massive Ungerechtigkeiten und zugleich eine erhebliche Verunsicherung der Investoren in Deutschland und damit eine massive Belastung der Arbeitsmärkte und der wirtschaftlichen Entwicklung bewirkt hat. Sie sind eine Koalition des Chaos und des Streites, aber keine Koalition für die Zukunft dieses Landes.
Der Streit, den Sie in den vergangenen Wochen geführt haben, macht es überdeutlich. Wenn es überhaupt eines Zeugen aus den Reihen der Koalition für meine Feststellungen bedarf, könnte ich Ihnen die Aussagen Dutzender aus der letzten Woche zitieren. Ich zitiere sinngemäß nur einen, der forderte, daß Sie endlich beginnen, Haushaltsentwürfe vorzulegen, bei denen man nicht schon bei der Vorlage weiß oder ahnt: Das kann nicht stimmen. Betreiben Sie endlich eine Haushaltspolitik, die mittelfristige Orientierung gibt, anstatt von hektischem Aktionismus geprägt zu sein, eine Politik, die Vertrauen gewinnt, statt es zu verspielen, eine Politik, über die kein Mitglied Ihrer Koalition sagen kann: Das Urteil fällt grausam aus.
Diese Politik liegt ausschließlich in der Verantwortung der Bundesregierung und folglich ausschließlich in der Verantwortung des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland. Wenn das Hauptbuch der Nation gefälscht wird, dann können die privaten Bilanzen weder der Wirtschaftsunternehmen noch der Haushalte in Ordnung bleiben.
Wenn der Bundeskanzler angesichts dieser Situation sagt, er stehe nicht unter Erklärungszwang, dann ist das für seine Politik und sein Verständnis vom Parlament bezeichnend. Wenn der Chef des Bundeskanzleramtes die Wahrnehmung parlamentarischer Rechte, die Tatsache, daß ein verfassungswidriger Haushalt konstatiert werden muß und daß eine Wende in der deutschen Politik eingefordert werden muß, und diese parlamentarische Debatte zu einer lächerlichen Schauveranstaltung erklärt,
offenbart das etwas vom Verständnis dieser Regierung in bezug auf die parlamentarische Debatte. Daß Sie in der Lage sind, die notwendige Erörterung eines verfassungswidrigen Haushaltes im Deutschen Bundestag auch noch mit Beifall für diese gegenüber dem Parlament ungezogene Bemerkung zu quittieren, offenbart auch Ihr Verständnis vom Parlament.
Wo eigentlich, wenn nicht hier im Deutschen Bundestag, soll wenigstens der eine Teil des Vorwurfes ausgeräumt werden? Wo, wenn nicht im Deutschen Bundestag, soll denn debattiert werden, was Ihre Politik in Deutschland anrichtet? Wo, wenn nicht hier, soll denn debattiert werden, wie eine Wende in der Politik Deutschlands aussehen könnte?
In jeder selbstbewußten parlamentarischen Demokratie würde sich das ganze Parlament gegen eine solche Bemerkung von den Mitgliedern jener Regierung wehren, die einen verfassungswidrigen Haushalt zu verantworten hat.
In jeder selbstbewußten Demokratie würde eine Koalition, anstatt die Debatte in den Zeitungen auszutragen, wenigstens den Mut haben, dieses Parlament eben nicht zu jener Schauveranstaltung verkommen zu lassen, zu der Sie offenkundig entschlossen sind nach der Methode: Die Politik findet woanders statt. Sie findet aber hier im deutschen Parlament statt. Hier wird auf der Grundlage streitiger Debatten entschieden.
Sie haben bei der Haushaltsberatung 1995 die Risiken geleugnet. Sie haben noch bei der Verabschiedung des Haushaltes gesagt, die Äußerungen von Frau Matthäus-Maier, von meinem Kollegen Karl Diller und von vielen anderen seien bloße Kassandrarufe. Heute stellt sich heraus: Die einzigen Realisten in diesem Deutschen Bundestag waren die Vertreter der Opposition, nicht die Vertreter der Regierung und nicht die Vertreter der Regierungskoalition.
Sie haben auf die Täuschbarkeit der Wählerinnen und Wähler gesetzt. Mit dem Solidaritätszuschlag, Ihrer Haushaltspolitik und Ihrer Finanz- und Wirtschaftspolitik setzen Sie erneut auf die Täuschbarkeit der Wählerinnen und Wähler. Das ist einer Demokratie unwürdig. Was Sie tun, ist einer parlamentarischen Demokratie unwürdig.
Rudolf Scharping
Sie haben die Risiken geleugnet. Jetzt steht Herr Waigel als der Blamierte dar, und die F.D.P. besitzt die Frechheit, auf ihn einzuprügeln, damit nur ja nicht deutlich wird, daß die F.D.P. bei dem Desaster die treibende Kraft gewesen ist.
Das alles ist die Politik des Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl. Wo immer er heute, an diesem Tag, in dieser Stunde sein mag:
Er wird in diesem Bundestag für seine Politik und für das Scheitern einer Politik, die einmal geistig-moralische Wende sein wollte, Rede und Antwort stehen müssen.
So, wie wir es Ihnen im Januar, im Februar, im März und mehrfach danach angeboten haben, so bieten wir Ihnen auch heute an, die wirtschaftliche Kraft unseres Landes zu steigern, Existenzgründer zu ermutigen,
technischen Fortschritt voranzubringen und das Land durchgreifend zu modernisieren, anstatt sozialen Abbau und schlichte Demontage zu betreiben.
Wir bieten Ihnen erneut an, Bürokratie abzubauen und dafür einen leistungsfähigen öffentlichen Dienst zu entwickeln, die Motivation und die Leistungsfähigkeit seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu nutzen, anstatt so halbherzig an die Modernisierung des Staates und seiner Tätigkeit heranzugehen, wie Sie das tun.
Wir bieten Ihnen erneut an, das Steuerrecht zum 1. Januar 1998 zu reformieren, damit es in Deutschland wirtschaftlich besser und sozial gerechter zugeht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Bundesregierung hat mit ihrer Tätigkeit, mit der Vorlage und der Abwicklung des Haushaltes 1996, mit der Vorlage des Haushaltes 1997, durch das ständige Hin und Her in ihrer eigenen Steuerpolitik und die massiven Ungerechtigkeiten im sozialen Bereich jeden Kredit verspielt. Wahrscheinlich ist das die Grundlage dafür, daß Sie immer mehr Kredite aufnehmen müssen, anstatt Vertrauen und Investitionen für die Zukunft unseres Landes anzusammeln.
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Scharping, alles, was Sie heute hier gesagt haben, hätten Sie am nächsten Dienstag oder Mittwoch genauso sagen können, ohne daß Sie in dieser Zeit etwas verändert hätten, und Sie hätten dann nicht heute, am Weltspartag, dem Steuerzahler eine sechsstellige Zahl zumuten müssen, die er für eine überflüssige Sitzung entrichten muß.
Übrigens, Herr Kollege Scharping, Sie haben zur Abwesenheit des Bundeskanzlers eine unqualifizierte Bemerkung gemacht.
Sie wissen genau, wo er sich aufhält. Sie wissen auch, warum er sich dort aufhält: um dort Aufträge für Arbeitsplätze in Deutschland zu gewinnen.
Ich gehöre diesem Hohen Hause seit 1972 an. Es wäre mir nie eingefallen, bei einer Auslandsreise von Willy Brandt oder von Helmut Schmidt in dieser dümmlichen, unqualifizierten Art und Weise einen Bundeskanzler zu bewerten.
Wenn es stimmt - ich habe das nicht nachgerechnet -, daß Helmut Kohl heute länger im Amt ist als Konrad Adenauer, dann gratulieren wir ihm zu dieser großen Leistung nicht nur der Länge, sondern auch der Qualität seiner Regierungspolitik. Wir sind stolz auf diesen Bundeskanzler.
- Frau Präsidentin, die Damen und Herren von der Linken sind offensichtlich relativ aufgeregt von ihren Reisen zurückgekommen. Aber das wird uns nicht davon abhalten, an diesem Nachmittag das Notwendige zu sagen. Ich habe ohnehin nicht gewußt, was ich mit diesem Nachmittag sonst anfangen kann, und freue mich, daß ich auf diese Art und Weise zu Ihrer Rolle in der Finanzpolitik etwas sagen kann.
Es geht Ihnen nicht um die Sache, sonst hätten Sie diese Debatte nächste Woche geführt. Es geht Ihnen um vordergründige Parteitaktik.
Sie mehren damit nicht den Nutzen, vielmehr wird mit dieser Sitzung das Geld des Steuerzahlers zum Fenster hinausgeworfen.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Es ist eine billige Effekthascherei, wie Sie hier mit viel Polemik versuchen, eine Debatte zu inszenieren, für die es faktisch keine neue Grundlage gibt.
Anstatt sich konstruktiv mit Sachfragen auseinanderzusetzen, bremsen und blockieren Sie weiter. Sie, Herr Scharping, haben nicht einen einzigen konkreten Vorschlag gemacht, wie die Nettokreditaufnahme des nächsten Jahres verringert werden soll.
Sie haben sich den Anweisungen Ihres Parteivorsitzenden, der Sie vor einem Jahr entmachtet hat, gefügt und das Jahressteuergesetz 1997 in wichtigen Teilen blockiert. Sie kritisieren die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und ihre Gegenfinanzierung. Dabei müßten Sie genau wissen, daß im Hearing des Finanzausschusses diese Gegenfinanzierung, auf die wir natürlich auch lieber verzichten würden, von allen, von der Wirtschaft bis hin zum Handwerk, akzeptiert, als richtig empfunden und mitgetragen wird, weil der Wegfall dieser Substanzsteuer für die Betriebe und für die Wirtschaft wichtiger ist als Liquiditätsverschiebungen. Darauf sind Sie nicht eingegangen.
Wenn die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer an Ihnen scheitert, sind Sie nach 1992 wieder dafür verantwortlich, daß eine wichtige Steuerstrukturreform nicht stattfinden kann, daß diese schlechte Steuer im Osten noch eingeführt werden muß und die Betriebe im Osten zusätzlich mit 500 Millionen DM belastet werden, von denen wir nicht wissen, wie wir ihnen das über die Steuer wiedergeben können. Dies ist der falsche Weg, vor dem Sie auch heute wieder falsches Zeugnis abgelegt haben.
Herr Scharping, Sie und die SPD betreiben ein Doppelspiel: Einerseits bekennen Sie sich zu den Kriterien und zum Fahrplan von Maastricht. Andererseits blockieren Sie durch die Bundesratsmehrheit die notwendige Konsolidierung auf der Ausgabenseite. Das wirkt sich nicht nur negativ auf den Bundeshaushalt - sowohl beim Vollzug 1996 als auch für 1997 - aus, sondern Sie blockieren damit auch die Konsolidierung bei Ländern und Kommunen. Das war beim Sozialhilferecht so, und das ist beim Asylbewerberleistungsgesetz so.
Sie haben auch eine weiß Gott schmerzliche Einsparung im nächsten Jahr verweigert, nämlich die Erhöhung des Kindergeldes um ein Jahr zu verschieben.
Sie wissen, daß dies alles andere als schön für uns war. Sie wissen aber auch ganz genau, daß ein Teil der von Ihnen regierten Länder froh darüber gewesen wäre, wenn sie diese Entlastung für ein Jahr gehabt hätten. Nein, Sie beklagen alles, Sie fordern mehr, und Sie haben nicht einen einzigen Sparvorschlag für 1996 oder 1997 angeboten.
Im Gegenteil. Sie sind für ein höheres Defizit beim Vollzug des Haushalts 1996 verantwortlich.
Es ist Ihre Schuld, daß die Nettokreditaufnahme nicht gesenkt werden kann und die Investitionen nicht gesteigert werden können.
Dies hat Ihnen auch der letzte Deutschlandbericht der OECD ganz deutlich ins Stammbuch geschrieben: Die OECD appelliert an den Bundesrat, die Konsolidierung nicht länger zu blockieren. Der Sachverständigenrat hat es ähnlich formuliert.
Wir haben das Konzept der symmetrischen Finanzpolitik, die die Senkung der Staatsquote als Basis für eine Defizitrückführung und die Senkung der Steuer- und Abgabenlast zur Voraussetzung hat. Wir haben unsere Finanzpolitik langfristig angelegt und dies nicht erst seit gestern.
Dazu gehört die finanzpolitische Bewältigung der deutschen Einheit.
Offensichtlich ist Ihr Gedächtnis so kurz, daß Sie sich nicht einmal an das erinnern können, was in dem Zusammenhang 1994, 1995 und 1996 allein im Bundeshaushalt erfolgt ist.
Sie wissen, daß die Transferausgaben für die neuen Länder einen Schwerpunkt im Bundeshaushalt bilden.
1996 gab es Ausgaben von 90 Milliarden DM im Soll, 1997 gibt es Ausgaben von 81 Milliarden DM auf der Basis des Regierungsentwurfs.
Darin sind allein Investitionszuschüsse in Höhe von jährlich 6,6 Milliarden DM enthalten.
Sie wissen ganz genau, daß der Bund die Hauptlast der Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen getragen hat. Die Übernahme der Erblasten kostet den Bundeshaushalt 1996 25,7 Milliarden und 1997 26,5 Milliarden DM. Wir haben auf sieben Umsatzsteuerpunkte verzichtet. Bundesergänzungszuweisungen zugunsten der neuen Länder kosten 1996 35 Milliarden DM und 1997 36 Milliarden DM.
Darüber hinaus beteiligt sich der Bund mit jährlich rund 3 Milliarden DM am Schuldendienst für den Fonds Deutsche Einheit.
Wir haben im Bundeshaushalt den Kohlepfennig von 8 Milliarden DM und die Finanzierung der zweiten Stufe der Bahnreform übernommen. Wir haben die Länder 1997 in der Größenordnung von 12 Milliarden DM im Rahmen der Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs ausgestattet.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Meine Damen und Herren, das sind riesige Summen.
Das sind riesige Leistungen, die wir in den letzten Jahren erbracht haben und über die Sie nicht hinweggehen können. Es ist billige, primitive Polemik, die Sie hier betreiben, wenn Sie die Fakten nicht zur Kenntnis nehmen.
Sie verweigern sich Reformen im Sozialsystem. Sie sind eine Reformverhinderungspartei. Sie verweigern sich den Notwendigkeiten auf den Arbeitsmärkten, obwohl Ihre ausländischen Freunde Ihnen in anderen Ländern ein anderes Beispiel geben.
Sie haben überhaupt kein Konzept, kein einziges vernünftiges Rezept zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vorgeschlagen, kein Rezept für mehr Investitionen und nachhaltiges Wachstum. Außer Sprüchen, Herr Scharping, war in Ihrer Rede nichts, aber auch gar nichts enthalten.
Meine Damen und Herren, die Rahmenbedingungen der Finanzpolitik werden derzeit von deutlich geringeren Steuereinnahmen und höheren Arbeitsmarktausgaben geprägt.
Die Ursache dafür ist ein deutlich niedrigeres Wachstum als ursprünglich angenommen. Sie haben die Steuerschätzung vom November vergangenen Jahres nicht bestritten, an der schließlich auch Ihre Länder beteiligt sind.
An diese Steuerschätzungen haben wir uns zu halten, im Bund genauso wie in den Ländern. Ich lasse mir doch von Ihnen keine Manipulationen an Zahlen vorhalten,
wo Ihre eigenen Parteifreunde dabeigewesen sind, nach deren Zahlen wir uns zu richten haben. Das ist doch die Wahrheit bei den Prognosen und bei den Steuerschätzungen!
Im Mai dieses Jahres hat der Arbeitskreis Steuerschätzung für den öffentlichen Gesamthaushalt 1997 Steuermindereinnahmen von 66,5 Milliarden DM gegenüber der Schätzung vorn Mai 1995 festgestellt. Auf den Bund entfallen davon rund 30 Milliarden DM.
Die öffentlichen Haushalte, allen voran der Bund, haben nicht erst 1997 mit Einsparungen auf Zusatzbelastungen im Haushalt reagiert. Seit 1994 haben wir verstärkt disponible Ausgaben im Bundeshaushalt zurückgeführt, 5 Milliarden DM Einsparungen
durch eine globale Minderausgabe in 1994, vollständige Aufnahme der Mittel für die Kohleverstromung in den Bundeshaushalt in 1996, vollständige Gegenfinanzierung des Familienleistungsausgleichs in der Größenordnung von 6 Milliarden DM in 1996 und weitere 7 Milliarden DM Haushaltseinsparungen im Haushalt 1997 als Teil des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung.
Das Ergebnis allein dieser Einsparungen und Umschichtungen von insgesamt 25 Milliarden DM seit 1994 ist deutlich in den Einzelplänen 1997 abzulesen. Im Regierungsentwurf weisen 15 von 25 Einzelplänen zum Teil deutliche Ausgabenrückgänge gegenüber dem verfügbaren Soll 1996 auf. Nach aktuellem Stand gehen 1997 die Ausgaben um 2,5 Prozent gegenüber dem Plan 1996 zurück.
Was wollen Sie eigentlich kritisieren? Daß wir sparen oder daß wir an anderer Stelle nicht mehr ausgeben? Wenn Sie mehr ausgeben wollen, dann sagen Sie, wo Sie sparen wollen! Wollen Sie Steuern erhöhen? Wollen Sie Ausgaben senken? Was wollen Sie? Außer Sprüchen ist nichts erkennbar. Das offenbart das ganze Dilemma Ihrer konzeptionslosen Politik.
Zwischen 1993 und dem Jahr 2000 beträgt der durchschnittliche Ausgabenzuwachs nur knapp 1 Prozent. Zwischen 1969 und 1982, zur Zeit der SPD-Regierung, betrug diese Rate 8,7 Prozent.
Allein mit unserer symmetrischen Finanzpolitik und einer geringeren Steigerung des öffentlichen Gesamthaushalts im Verhältnis zum nominalen Bruttosozialprodukt entsteht die Chance, Staatsquote, Defizitquote und dann auch Steuern dauerhaft zu senken. Der Anteil der Bundesausgaben am Bruttosozialprodukt beträgt 12,5 Prozent im Jahre 1997. Das ist ein Tiefstand, den wir zuletzt 1954 hatten.
Seit 1993 hat die SPD-Mehrheit im Bundesrat ein Entlastungsvolumen des Bundes von rund 6 Milliarden DM, bezogen auf das Jahr 1996, blockiert.
Schon 1993 wollten wir die Bezugsdauer für Arbeitslosenhilfe auf zwei Jahre begrenzen. Sie haben das blockiert.
Allein das macht 4 Milliarden DM aus.
1995 haben wir das Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz vorgelegt. Statt zum Jahresbeginn 1996 trat es wegen der Blockade der SPD erst zum 1. Juni in Kraft und belastet den Bundeshaushalt mit 1 Milliarde DM.
Die Mißbrauchsbekämpfung in Form einer stärkeren Vermögenserfassung bei Beziehern von Arbeitslosenhilfe und der Wegfall der originären Arbeitslo-
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
senhilfe hätten den Bundeshaushalt nochmals um 1,3 Milliarden DM entlastet.
Anstatt beim Sozialhilferecht und beim Asylbewerberleistungsgesetz kooperativ zu sein, um damit Länder und Kommunen zu entlasten, haben Sie auch dies verhindert. Sie sind die Blockierer einer wirksameren Konsolidierung, die wir gern hätten und die wir gegen Sie leider nicht stärker durchsetzen können.
Zum Haushaltsvollzug 1996: Die Experten hatten im letzten Jahr für 1996 noch ein Wachstum von real plus 2,4 vom Hundert und eine durchschnittliche Arbeitslosenzahl von rund 3,5 Millionen angenommen. Nach ursprünglichen Korrekturen auf nur einen dreiviertel Prozentpunkt Wachstum gehen die Schätzungen derzeit von einem Wachstum des Bruttoinlandprodukts von real 1 bis 1,5 Prozent aus. Für den Arbeitsmarkt werden jedoch für 1996 im Durchschnitt rund 500 000 Arbeitslose mehr erwartet, als im Herbst 1995 angenommen.
Für den Bund bedeutet diese Entwicklung Steuermindereinnahmen von über 14,5 Milliarden DM und unabweisbare Arbeitsmarktmehrausgaben von 12,5 Milliarden DM.
Bereits im März, vor den Landtagswahlen, habe ich darauf reagiert und eine Haushaltssperre angeordnet, mit der wir 5 Milliarden DM einsparen. Weitere Entlastungen sind durch die Minderabführungen an die EU mit minus 4 Milliarden DM zu erwarten, weniger Zinsen von etwa minus 2,8 Milliarden DM sowie Gewährleistungen bis zu minus 2 Milliarden DM. Dennoch werden diese Entlastungen nicht ausreichen, die für 1996 vorgesehene Nettokreditaufnahme von 59,9 Milliarden DM einzuhalten.
Die Steuerschätzung am 7. und 8. November wird - ohne daß ich ihr vorgreifen wollte - für 1996 zusätzliche Mindereinnahmen für Bund und Länder ergeben. Wir müssen und werden darauf rechtzeitig für den Haushalt reagieren. Eines muß klar sein: Als Eckdatum steht, daß die Neuverschuldung 1997 nicht über die 56,5 Milliarden DM hinausgeht, die wir gemeinsam vereinbart haben.
Die Privatisierungserlöse werden in diesem Jahr das veranschlagte Soll von 9 Milliarden DM nicht erreichen. Nur: Den Vorwurf mangelnder Etatreife lasse ich nicht gelten. Das Bundeskabinett hat am 28. November 1995 den Bericht des Bundesfinanzministers „Verringerung von Beteiligungen des Bundes, Fortschreibung 1995" beraten und den darin
vorgeschlagenen Maßnahmen zugestimmt. Das gilt für Lufthansa, für Tank & Rast und auch für die Postbank.
Eines ist klar, meine Damen und Herren: Aus heutiger Sicht wird keine der für 1996 geplanten Privatisierungen scheitern. Lediglich der Abschluß wird sich in einigen Fällen um wenige Monate verzögern. Für die Bruttokreditaufnahme und für die Kapitalsituation in Deutschland ist dies unerheblich.
Nun noch einmal zu Art. 115 des Grundgesetzes: Das Soll der Nettokreditaufnahme lag mit knapp 60 Milliarden DM unter der Summe der Investitionen von rund 66 Milliarden DM. Bei der Haushaltsaufstellung war die Kreditobergrenze des Art. 115 des Grundgesetzes damit eingehalten. Nach überwiegender Auffassung der Haushaltsrechtsexperten - das wissen Sie ganz genau, Herr Scharping - bezieht sich die Kreditobergrenze des Art. 115 des Grundgesetzes auf die Haushaltsaufstellung, nicht auf den Haushaltsvollzug.
Von einem Verstoß gegen die Verfassung kann somit keine Rede sein.
Es gibt eine ganz einfache Antwort: Herr Scharping, klagen Sie! Sie brauchen das hier gar nicht lautstark auszusprechen. Gehen Sie vor das Bundesverfassungsgericht, klagen Sie! Wir sind jedenfalls davon überzeugt, daß wir korrekt sowie an Hand der verwertbaren und zur Verfügung stehenden Daten nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben. Sie wissen ganz genau: Ihr Antrag entbehrt daher jeder sachlichen Grundlage.
Wir haben mit dem Rechnungsprüfungsausschuß und dem Bundesrechnungshof ein Verfahren vereinbart. Die Bundesregierung nimmt bei der Rechnungslegung zu einer Überschreitung der Kreditobergrenze im Haushaltsvollzug Stellung. Wenn im Rahmen des Haushaltsvollzugs wegen einer wesentlich veränderten wirtschaftlichen Lage die Nettokreditaufnahme die Summe der Investitionen übersteigt, so kann dies gemäß Art. 112 des Grundgesetzes sehr wohl zulässig sein. Danach ist es dem Bundesfinanzminister erlaubt, bei unvorhergesehenem und unabweisbarem Bedarf über- bzw. außerplanmäßige Ausgaben zu leisten.
Bei den Leistungen für den Arbeitsmarkt handelt es sich um die Erfüllung von Rechtsverpflichtungen. Für solche überplanmäßigen Leistungen bedarf es gemäß § 37 der Bundeshaushaltsordnung keines Nachtragshaushalts. Sie müssen mir die Frage beantworten: War es nicht richtig, daß ich das überplanmäßig genehmigt habe? Hätten Sie die Ausgaben nicht
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
vollziehen wollen, zu denen wir beim Arbeitslosengeld und bei der Arbeitslosenhilfe verpflichtet sind?
Art. 110 Abs. 4 des Grundgesetzes und § 18 der Bundeshaushaltsordnung lassen es zu, nicht verbrauchte Kreditermächtigungen des Vorjahres zur Deckung von Ausgaben des laufenden Jahres heranzuziehen. Auch dies ist allgemein üblich. Die Haushaltsordnungen der Länder haben entsprechende Regelungen.
Meine Damen und Herren, die parlamentarischen Beratungen zum Haushalt 1997 stehen im Zeichen verbesserter Wachstumserwartungen für das Jahr 1997. Die Wachstumsannahmen von real 2,3 vom Hundert vom Frühjahr, von denen wir bisher ausgegangen sind, haben sich als realistisch erwiesen. Die gestern vorgelegten Prognosen der Institute untermauern unsere Einschätzung vom Frühjahr und gehen von 2,5 Prozent realem Wachstum aus.
Diese Dynamik reicht leider nicht aus, um die Arbeitsmarkt- und Steuereinnahmeprobleme zu lösen. Ich habe schon im September in der Haushaltsdebatte auf Risiken für den Haushalt 1997 hingewiesen. Wir müssen uns auf weitere Steuermindereinnahmen für 1997 einstellen.
Für den Regierungsentwurf haben wir Einsparungen bei der Bundesanstalt für Arbeit beschlossen, die das ursprünglich geschätzte Defizit von 8 Milliarden DM ausgeglichen haben. Auf Grund der Einschätzung, der Arbeitsmarkt werde weiterhin schwach sein, ist für 1997 jetzt von einem zusätzlichen Bedarf der Bundesanstalt für Arbeit von 6 Milliarden DM auszugehen.
Wir haben darauf reagiert und neben den Einsparungen des Wachstumsprogramms zusätzliche Maßnahmen mit dem Ziel einer Begrenzung des Zuschusses für die Bundesanstalt innerhalb der Bundesregierung abgestimmt. Dennoch wird sich 1997 ein begrenzter Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit nicht vermeiden lassen.
Die konjunkturell bedingten Zusatzbelastungen werden zum größten Teil durch entlastende Maßnahmen gedeckt.
- Durch die Zinsen, durch die Gewährleistungen, durch Grundstückserlöse, durch Reserven bei der BvS, durch Einnahmen bei der Telekommunikation, durch zusätzliche Privatisierungsmaßnahmen und durch Minderabführungen an die Europäische Union.
Trotz der Zusatzbelastungen bei den Steuern und auf dem Arbeitsmarkt: Es bleibt bei unserer Zielsetzung, die Nettokreditaufnahme von 56,5 Milliarden DM für 1997 nicht zu erhöhen. Die Schätzung der Forschungsinstitute zum Defizitkriterium von Maastricht ist daher unbegründet. Bei ihrer Schätzung von dreieinhalb Prozent gehen die Institute davon aus, daß der Bund seine Eckwerte 1997 nicht halten könne. Sie können aber das, was wir beschließen, nicht in ihre Rechnung aufnehmen. Wir werden in den nächsten 14 Tagen im Gegenteil beweisen, daß wir die Eckwerte halten können. Wenn auch die Länder ihre Eckwerte verteidigen, wovon ich ausgehe, werden wir das Staatsdefizit auf einen Wert unter 3 Prozent begrenzen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns diese überflüssige Debatte beenden! Lassen Sie uns endlich zur vernünftigen Arbeit zurückkehren! Tragen Sie Ihren Teil zur Sanierung, zur Beschäftigung und für mehr Investitionen in Deutschland bei! Sie haben sich bisher Ihrer Aufgabe in den Ländern und im Bundestag verweigert. Sie sind die Blockade für die Zukunft Deutschlands.
Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Joseph Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister,
es war schon ziemlich erbärmlich, was Sie heute vor dem Hause abgeliefert haben.
Wissen Sie, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, die Opposition blockiere alles, die Opposition sei schuld, dann freut es die Opposition, daß sie so mächtig ist. - Gerne wären wir so mächtig; aber leider ist es nicht so.
Herr Bundesfinanzminister, so etwas wie Ihren Auftritt gerade eben nennt man eigentlich Angstbeißen.
Aus Ratlosigkeit und aus Hilflosigkeit versuchen Sie, auf die Opposition draufzuschlagen. Dabei wissen Sie ganz genau: Ihr Hauptproblem ist nicht die Opposition, Ihr Hauptproblem ist die Handlungsfähigkeit Ihrer eigenen Koalition.
Wenn Sie sich hier 20 Minuten hinstellen und nicht einen Satz zum Herbstgutachten der Wirtschaftsinsti-
Joseph Fischer
tute, zu diesem Generalverriß Ihrer Politik sagen, dann sagt das mehr als all Ihre vielen Worte.
Wenn Sie im Herbstgutachten von gestern mitgeteilt bekommen, daß Ihre Finanzpolitik ein schlichtes Stolpern von Haushaltsloch zu Haushaltsloch, von Waigel-Loch zu Waigel-Loch ist und wenn Sie das gleichzeitig als symmetrische Finanzpolitik bezeichnen, müssen Sie offenbar schon im Zustand des Vollrausches oder der völligen Entrückung sein.
Die letzten zwei Wochen haben doch eines Marge- macht: Die Standortkrise in diesem Land, über die viel diskutiert wurde, ist vor allem eine politische Krise - eine politische Krise, die aus der Handlungsunfähigkeit der derzeitigen Koalition entsteht.
- Ich komme gleich noch zur F.D.P., zur Steuersenkungspartei F.D.P. Gedulden Sie sich noch einen Augenblick!
Wenn die Lage nicht so ernst wäre, könnte man sich eigentlich schieflachen über das, was Sie in den vergangenen 14 Tagen abgezogen haben. Aber Sie verhindern die notwendigen Reformen und setzen die Zukunftsfähigkeit unseres Landes aufs Spiel.
Schauen Sie doch nur einmal, wie Sie mit der Frage der Abschaffung der Vermögensteuer umgegangen sind, die sozial ein Skandal ist. Unter dem Gesichtspunkt des strukturellen Erneuerungsbedarfs und des Konsolidierungsbedarfs ist diese Frage eigentlich eine Nebensächlichkeit. Zur Gegenfinanzierung der 9,4 Milliarden DM wollten Sie erst das Kindergeld verfassungswidrig nicht erhöhen. Als dies am Widerstand der Opposition, an der „Blokkade", wie Herr Waigel sie nennt, scheiterte, kamen Sie auf die Idee, die Mineralölsteuer zu erhöhen. Nun sage ich Ihnen als Grüner: Es gibt hundert gute Gründe, die Mineralölsteuer zu erhöhen, aber nicht zur Gegenfinanzierung der Abschaffung der Vermögensteuer. Da haben wir eine klare Position.
Als die Mineralölsteuererhöhung, Kollege Schäuble, an den schlichten Überlebensängsten dieser Truppe, Ihres Koalitionspartners F.D.P., gescheitert war, kam man zum Solidaritätszuschlag. Die sozial skandalöse Abschaffung der Vermögensteuer wird also jetzt durch den Griff in die Finanzen des Aufbaus Ost gegenfinanziert.
- Hören Sie, Ihr Generalsekretär, der uns heute leider nicht die Ehre gibt - er wird dafür seine Gründe haben -, hat noch am Donnerstag der letzten Sitzungswoche hier eine Rede gehalten, in der er die F.D.P. als Steuersenkungspartei gepriesen hat. Am Freitag morgen seid ihr umgefallen. Das waren nicht einmal 24 Stunden.
Ich kann mich, verehrter Herr Kollege Gerhardt, sehr gut an die Wahlkämpfe in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz und in Schleswig-Holstein erinnern. Die F.D.P. ist - beim Barte des Solms - wie mit einer Monstranz mit der Abschaffung des Solidaritätszuschlags, die wir immer für unverantwortlich und falsch gehalten haben, herumgelaufen. Ich sage Ihnen: Den Vorwurf, daß es sich dabei um Wahlbetrug und bei Ihnen um Wahlbetrüger handelt, den müssen Sie sich gefallen lassen, seitdem Sie in dieser Frage eingeknickt sind.
Kollege Scharping hat es schon erwähnt: Daß Sie eine Steuersenkungspartei seien, ist nur eine Mär. Seit 1991 sind Steuererhöhungen von insgesamt 100 Milliarden DM eingetreten. Jetzt wurde noch einmal die Grunderwerbsteuer um 3,4 Milliarden DM erhöht. Das ist die Realität.
Meine Damen und Herren, das ist nur ein Beispiel für die Handlungsunfähigkeit dieser Regierung. Ich meine, gegenwärtig reicht es völlig aus, wenn man konservative Zeitungen liest. Man könnte hier eigentlich eine Rede nur mit Zitaten aus konservativen Zeitungen oder aus Interviews, in denen die lieben Koalitionäre übereinander herziehen, halten. Herr Waigel, wie Graf Lambsdorff und andere Liberale Sie klassifizieren, klassifiziert Sie maximal noch Herr Stoiber, aber kein Grüner und kein Roter. Das muß man doch einmal ganz einfach sagen. So etwas haben wir über Sie noch nicht gesagt.
Meine Damen und Herren, wie ist der Zustand der Republik auf dem Hintergrund dieser Handlungsunfähigkeit? Was lese ich heute in der „FAZ", dem Zentralorgan von Rot-Grün?
Spitzen Sie jetzt einmal die zarten Öhrchen, Herr Bundesfinanzminister! Dort lese ich:
Wendezeit
Die Folgen der Entschlußlosigkeit und des Populismus sind nun zu besichtigen: die Wirtschaft im Westen Deutschlands knickt unter der Last der Ostsanierung zusammen; der Osten entwickelt sich derweil zum teuersten Wirtschaftsdesaster der Nachkriegsära; Deutschland bleibt ein Hochsteuerland mit Massenarbeitslosigkeit und ohne
Joseph Fischer
Beitrittsberechtigung zur Währungsunion. Man muß nicht Ökonom sein, um zu begreifen, daß hier alles schiefläuft, was irgend schieflaufen kann.
- Sie dürfen zur „FAZ" ruhig einmal klatschen; sie hat es in diesem Fall verdient.
Ich fahre fort:
Die Feststellung, ausgerechnet diese Koalition biete die schlechteste Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahrzehnte, ist vom Kanzler hochfahrend mit Fiktionen beantwortet worden: Aufschwung Ost, Währungsunion.
Das ist die Realität heute in Deutschland, die Sie zu verantworten haben - nicht die Opposition, meine Damen und Herren von der Koalition.
Wir haben die höchste Arbeitslosigkeit. Wir bekommen die Überschuldung der Haushalte nicht in den Griff. Auf Grund dessen, daß Sie die deutsche Einheit schuldenfinanziert haben, sitzen wir heute in der Zinsfalle.
Auf Grund dessen, daß Sie die deutsche Einheit über eine Belastung der Sozialversicherungsträger finanziert haben, haben wir heute unverantwortlich hohe Lohnnebenkosten, die eine wesentliche Ursache für die Massenarbeitslosigkeit in diesem Lande sind.
Sie sollten jetzt darauf setzen, den Menschen die Wahrheit zu sagen. Sie sollten ihnen klipp und klar sagen - ich weiß, viele Kolleginnen und Kollegen aus der Union und auch Kollegen aus der Bundesregierung, die der Union angehören, sagen das hinter vorgehaltener Hand ganz genauso -: In der gegenwärtigen Situation gibt es keinen Spielraum für Steuersenkungen. Das ist gegenwärtig nicht drin.
Wir können allerdings mehr Steuergerechtigkeit herbeiführen,
und das wird bei einzelnen, oder bei sozial benachteiligten Gruppen dann zu Steuersenkungen führen. Aber volkswirtschaftlich - insgesamt gesehen - gibt es angesichts der Doppelkrise von Globalisierung und deutscher Einheit keine Möglichkeit, die Steuern zu senken, es sei denn, man setzt als kleine Partei die eigenen Überlebensinteressen höher als die Interessen unseres Landes, und das tut die F.D.P.
Meine Damen und Herren, Höhepunkt des Ganzen soll - unter ästhetischen, nicht unter politischen Gesichtspunkten freue ich mich darauf ja schon - die Steuerreform sein. Das wird ein Schlachtfest werden, wenn ihr die Steuerreform anpackt. Ich versuche, mir konkret vorzustellen, wie die Interessen in der Koalition dann zum Tanzen kommen und was dann los ist. Wenn ihr schon bei einer Deckungslücke von 9,4 Milliarden DM solche Probleme miteinander bekommt, dann, Herr Gerhardt, wird die F.D.P. entweder zur Dauerumfalleinrichtung, oder Sie werden - wenn Sie Ihre eigene Position ernst nehmen - diese Koalition am Ende doch noch verlassen müssen.
Das werden wir hier noch alles erleben.
Nein, in diesem Land sind strukturelle Reformen notwendig. Eine dieser strukturellen Reformen ist, daß wir endlich mit einer Steuerreform ernst machen, die soziale Gerechtigkeit, die Transparenz schafft. Ich sage allerdings für uns klipp und klar: Diese soziale Sauerei, daß eine Senkung der Einkommensteuertarife über eine Mehrwertsteuererhöhung gegenfinanziert wird, darf es nicht geben. Wenn Sie das so anpacken, wird Ihnen dieses Thema 1998 um die Ohren fliegen. Das wage ich Ihnen schon heute zu prophezeien.
Wir müssen endlich eine ökologische Steuereform einführen. Nachdem Sie, Herr Waigel, mit dem Bareis-Gutachten solche Probleme hatten und unter dem „Druck der Verhältnisse" zu neuen Erkenntnissen kamen: Begreifen Sie doch endlich einmal, daß eine ökologische Steuerreform nicht nur eine Chance für die Umwelt, sondern - durch das Eröffnen neuer Märkte und die Entlastung bei den Lohnnebenkosten - vor allen Dingen auch für die Schaffung neuer Arbeitsplätze bietet.
Hier im Hause haben Sie sofort eine Mehrheit für einen substantiellen Beginn einer ökologischen Steuerreform. Damit werden wir mehr für die Entlastung der Haushalte, mehr für die Entlastung der Arbeitsmärkte tun, als dies bei dem Tohuwabohu, das gegenwärtig bei der Koalition abläuft, der Fall sein wird.
Deshalb: Es darf nicht wahr sein, daß die Zukunft dieses Landes an den parteipolitischen Überlebensinteressen der F.D.P. hängt. Das kann nicht sein!
Dadurch bekommen Sie von der Union ein riesiges Problem. Sie wissen so gut wie ich, daß die Zeit des Nichthandelns zu Ende geht. Die Opposition hat es Ihnen immer wieder prophezeit: Die Stunde in dieser
Joseph Fischer
Legislaturperiode, mit der das Aussitzen zu Ende geht, naht.
Jetzt muß gehandelt werden. In einer Zeit radikal defizitärer Haushalte, in einer Zeit der Notwendigkeit der Beachtung der Maastricht-Kriterien, in einer Zeit von Massenarbeitslosigkeit, von mehr als vier Millionen Arbeitslosen, in einer Zeit allgemeiner Innovationsschwäche setzt diese Einsicht nicht Populismus voraus - nach der Devise: „Wählt uns, wir senken die Steuern! " -, sondern entschlossenes Handeln bei der Umsetzung der Interessen dieses Landes. Das heißt auch, daß man den Menschen sagt, daß auf absehbare Zeit eine Senkung der Steuerlast insgesamt nicht drin sein wird: mehr Steuergerechtigkeit, aber keine Senkung der Steuerlast. Das wissen Sie von der Union ganz genau.
Sie wissen auch, daß Sie jetzt am Barte von Solms oder am Schopf von Gerhardt hängen, weil richtig ist, was Lambsdorff sehr klar gesagt hat: Wenn es Steuererhöhungen gibt, ist die F.D.P. tot. Nur, es darf doch nicht wahr sein, daß die Reformfähigkeit, daß die Veränderungsnotwendigkeit in diesem Land am Schicksal einer kleinen Partei und ihrem Überlebensinteresse als Dauerregierungspartei hängt.
Herr Kollege Waigel, das ist das eigentliche Problem, mit dem wir es hier zu tun haben. Anstatt entschlossen Reformen anzupacken, was Sie in dieser Koalition nicht mehr hinbekommen, hangeln Sie sich von einer Notlösung zur anderen, von einem Loch zum nächsten; doch die Löcher werden immer tiefer werden.
Wir brauchen eine ökologische und soziale Erneuerung, mehr Innovation in diesem Land. Wir müssen die Menschen endlich mit der Wahrheit konfrontieren und mit einer Politik Schluß machen, die auf steuerpolitischen Lügen aufgebaut ist.
Das Wort nimmt jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Fischer hat recht: Im Kern geht es um die Kursbestimmung der Politik in Deutschland, und nicht nur um eine Haushaltsfrage.
Diejenigen, die Reformen in Deutschland heute verhindern, sitzen auf der linken Seite, und diejenigen, die Reformen wollen, sitzen auf der rechten Seite dieses Hauses.
Es ist so, als drängten sich in diesen Tage alle Verteidiger der alten Wohlstandsgarantien und alle Besitzstandswahrungsdenker in Deutschland zusammen. Jeder holt einen Balken aus seiner Scheune und verhindert beschäftigungsprogrammatische Impulse, die wir beschlossen haben. Jeder stellt sich gegen Reformen und gegen ein Stückchen mehr eigene Selbstverantwortung. Viele wollen Alters- und Sozialsicherungssysteme garantiert haben, die sich aber als Barriere gegen Beschäftigung entwickeln.
Herr Scharping, was hat denn Ihre Partei dazu beigetragen, um über mehr Deregulierung zu mehr Beschäftigung in Deutschland zu kommen?
Das Armutszeugnis, das Sie sich mit der Ladenschlußdiskussion ausgestellt haben, ist noch in guter Erinnerung.
Wie reagieren denn Sozialdemokraten und Grüne auf kleinste Schritte der Privatisierung, außer sie zu verzögern und zu behindern? Wie lange haben wir denn im Rahmen der großen Privatisierungsdiskussionen warten müssen, bis Sie entscheidungsfähig waren? Wo ist denn Ihr Beitrag zur Reform der Gesundheitssysteme? Wo ist denn Ihr Beitrag, sich vom alten Denken zu verabschieden und ein Stück programmatischer Reformpolitik einzuleiten?
Sie mobilisieren all diejenigen in der deutschen Öffentlichkeit, die die Veränderungen nicht wahrhaben wollen, die die Globalisierung der Märkte leugnen, die die Arbeitsbeziehungen in aller Welt wegdenken, obwohl sie Realität sind. Dann richten Sie sich an uns und sagen, wir seien die Schuldigen für die Arbeitslosigkeit. Sie verursachen Löcher in dem Haushalt, die wir zu stopfen haben. Das ist die Situation, die benannt werden muß.
Sie beschließen Ausgabenprogramme via Bundesrat, die wirklich im Gegensatz zu dem Antrag stehen, den Sie uns heute hier zur Beschlußfassung vorlegen.
Es ist doch in der Bundesrepublik nicht so, daß die Regierung und die Koalition allein die Verantwortung hat; Sie bestimmen in diesem Land mit. Es gibt aber keinen einzigen Einsparungsvorschlag der Sozialdemokratischen Partei. Ich kenne ausschließlich Vorschläge zur Ausgabensteigerung.
Und dann rufen Sie nach einer Gleichgewichtspolizei. Sie sollten nicht sozusagen in den Haushalt einbrechen und hinterher nach der Polizei rufen. Das können wir Ihnen hier nicht durchgehen lassen.
Dr. Wolfgang Gerhardt
Sie sind zu Kurskorrekturen in der deutschen Politik, die wir dringlichst brauchen, weil die alte Politik der Dienstleistung und auch die alte Politik der Befriedigung von Interessen nicht mehr trägt, nicht in der Lage.
- Wir haben durchaus einen Rückschlag erlitten, Herr Kollege Fischer; das gestehe ich Ihnen zu. Aber nicht diejenigen beschädigen die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland, die eine Steuersenkung verschieben, sondern die, die zu Entscheidungen zur Steuersenkung gar nicht fähig sind und Ausgaben-programme beschließen, die sie kreditfinanzieren, ohne auf die Seriosität der Haushalte zu achten. Die sitzen aber nicht im Regierungslager.
Wir haben Diskussionen über die Notwendigkeit von Reformen bei den sozialen Sicherungssystemen geführt. Sie wissen genausogut wie ich: Wenn wir die sozialen Systeme heute nicht reformieren, werden wir morgen Arbeitsplätze in Deutschland vernichten, statt neue zu schaffen. Sie sind hinsichtlich der sozialen Sicherungssysteme zu keinem Reformvorschlag in der Lage. Sie bestätigen altes Besitzstandswahrungsdenken, ohne daß Sie jährliche Wachstumsraten zur Verfügung haben, wie wir sie früher hatten. Sie sind nicht zu Reformschritten in der Lage und halten an alten Besitzständen fest, über die wir hinweg müssen, wenn dieses Land Zukunft haben will.
Eine Politik, über die Herr Scharping und Sie hier diskutieren, die sich darauf beschränkt, in der Öffentlichkeit all diejenigen zu mobilisieren, die nicht bereit sind, die Wahrheit und die wirkliche Lage zur Kenntnis zu nehmen, ist in Wahrheit Populismus.
Das muß ich Ihnen vorhalten. Das ist ein Stück Populismus, der den Menschen die Zukunft verbaut.
Sie haben uns bei allen großen politischen Entscheidungen in der Bundesrepublik Deutschland - auch bei denjenigen, die schwierig und zur Aufstellung von Haushalten notwendig waren - nie gestützt. Sie haben alle schwierigen Entscheidungen, bei denen Sie wußten, wir müssen den Menschen etwas zumuten, konterkariert, uns kritisiert und beschimpft. Sie haben via Bundesrat keinen Beitrag zur Haushaltsstabilisierung geleistet und dürfen deshalb aus dieser Diskussion mit der Position, die Sie hier vortragen, nicht glaubwürdig entlassen werden. Das kann nicht nur im Interesse des Parlaments, sondern auch im Interesse der deutschen Öffentlichkeit so nicht hingenommen werden.
Wenn Sie Haushalte konsolidieren und über das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht sprechen wollen, dann treten Sie bitte hier an dieses Rednerpult und sagen Sie hinsichtlich der großen Subventionsbereiche, ob, wie schnell und mit welcher Zielsetzung Sie sie abbauen wollen. Sagen Sie bei der deutschen Steinkohle bitte ganz klar, mit welcher Zielsetzung Sie bis zum Jahre 2005 welche Absenkung anstreben und wann Sie beginnen wollen. Sagen Sie das nicht nicht nur hier; sagen Sie das auch im Ruhrgebiet - beschimpfen Sie uns nicht dort -, wo wir dann beschimpft werden, weil wir ein Stück alte Struktur verändern wollen.
Wir können weitere Bereiche diskutieren. Wir entlassen die junge Generation zu spät in das Berufsleben. Das Rentensystem trägt nicht mehr, wenn Arbeitnehmer früher als mit 65 Jahren aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Sagen Sie, was Ihre Alternative ist, wenn Sie uns kritisieren, daß wir eingestehen, die Rente erst wieder mit 65 Jahren in seriöser Weise bezahlen zu können. Treffen Sie in den Ländern bildungspolitische Entscheidungen, die die jungen Menschen früher in die berufliche Wirklichkeit entlassen, statt sie zu lange im Schulsystem festzuhalten. Sie haben dazu nicht den Mut. Das muß hier angesprochen werden.
Ich erinnere mich noch daran, wie Sie uns Vorwürfe gemacht haben, als wir seriöserweise feststellen mußten, daß das Rentensystem es jedenfalls nicht mehr finanzieren kann,
daß jemand heute so spät in das Berufsleben eintritt und im Alter von 60 Jahren dann die früher gewohnte Rente - die man nun ab 65 erhält - je ausgezahlt bekommt. Sie haben uns deswegen beschimpft.
Sie haben eher Kosten und Probleme verursacht, als einen mutigen Reformschritt getan. Ihr Vorwurf hinsichtlich des Gesundheitswesens ist die pure Un-
Dr. Wolfgang Gerhardt
fähigkeit, bei diesen kollektiven Systemen Entscheidungen zu treffen, damit den Menschen überhaupt transparent wird, was ihnen auf dem Konto abgebucht wird.
Sie beklagen die geringen Nettolöhne. Sie fordern die Gewerkschaften zu hohen Tarifabschlüssen auf.
Sie spreizen zwischen Lohn und Produktivität 20 Prozent. Dann kritisieren Sie uns bei unserer Haushaltskonsolidierung und Politik.
Nein, Sie haben keine politische Richtung außer der des Festhaltens an Besitzständen und liebgewonnenen Gewohnheiten der Vergangenheit.
Wir müssen in diesem Herbst bei einer schwierigen finanziellen und wirtschaftlichen Situation ein Stück Kurskorrektur in der Politik in der Bundesrepublik Deutschland vornehmen. Wir geraten an schwierige Stellen. Es wird aber entscheidend darauf ankommen, ob wir die Kraft haben, das durchzustehen.
- Wenn wir das jetzt aufgeben, werden wir verlieren. Wenn wir jetzt durchhalten, können wir gewinnen.
Deshalb, Herr Fischer, ist Steuersenkung nichts Beliebiges. In einem Land, das Beschäftigung sichern will, ist die Senkung von Steuern notwendig, um internationale Signale für Investitionen in Deutschland zu senden.
Darum geht es. Es geht um Steuersenkung für die Sicherung von Beschäftigung in Deutschland.
Die Koalition muß mit seriösen Deckungsvorschlägen alles daransetzen, die Steuern so früh wie möglich zu senken - nicht weil es um den Koalitionspartner F.D.P. geht, sondern weil es um Beschäftigung in Deutschland geht. Das ist unser Ziel. Deshalb vertreten wir diese Position.
Sie wissen genauso wie ich, daß Kapital international mobil ist und daß Arbeit weltweit handelbar ist. Wenn wir darauf nicht mit steuerlichen Instrumenten reagieren, wird diese Mobilität an uns vorbeigehen und zwar zu Lasten der Zukunftschancen der jungen Generation in Deutschland.
Deshalb sage ich zum Abschluß: Im Gegensatz zu Ihnen vertreten wir eine Politik, die die Fähigkeit zu Reformen, auch die Fähigkeit zu Kurskorrekturen und damit ein Stück notwendige Neuorientierung der Politik in Deutschland beinhaltet. Sie befindet sich jetzt in einer schwierigen Situation, aber wir
müssen es durchstehen, wenn wir der Bundesrepublik Deutschland eine stabile Zukunft geben wollen.
Das Wort hat jetzt Dr. Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Gerhardt, Sie haben soeben verkündet, daß Ihre Fraktion, daß die Koalition für die Reform und den Umbau des Sozialstaates steht. Warum nennen Sie es denn eigentlich nicht beim Namen: Sie stehen für Sozialabbau, nicht für Umbau, sondern für klaren Abbau.
Sie sagen, die Opposition stünde für Besitzstandswahrung, während Sie dagegen vorgehen würden. Ich frage Sie, Herr Gerhardt: Welche Besitzstände meinen Sie denn? Die der Reichen und Vermögenden verändern Sie doch nur zu deren Gunsten. Dort findet doch die Besitzstandswahrung statt, nicht bei den Lohnabhängigen und den sozial Schwachen, denen Sie ständig in die Taschen greifen.
Indem Sie die Vermögensteuer abschaffen, bedienen Sie sie noch zusätzlich.
Im übrigen: Steuersenkungen für große Konzerne und für die Reichen haben Sie doch seit 13 Jahren durchgeführt. Wo sind denn die Arbeitsplätze, die dadurch angeblich entstehen? Sie sind nicht entstanden, ganz im Gegenteil.
Wenn Sie sagen, die Jugend komme zu spät auf den Arbeitsmarkt, dann sagen Sie ihr doch erst einmal, woher sie dort einen Arbeitsplatz bekommen soll, wenn Sie die Bildungszeiten verkürzen wollen. Auch auf diese Frage geben Sie keine Antwort.
Ich denke, daß alle drei Sondersitzungen, die wir erlebt haben, in diesem Sinne einschließlich ihrer Kosten nicht nötig waren. Ich bin auch der Auffassung, daß wir das nächste Woche hätten besprechen können. Vor allen Dingen kann ich kein klares Konzept der SPD als Ziel dieser Debatte erkennen.
Zum Schluß, Herr Scharping, boten Sie der Regierung lauter Hilfestellungen an, wie man über die Schwierigkeiten hinwegkommen kann. Ich sage, dieser Regierung ist nicht mehr zu helfen.
Sie sollten für einen Wechsel der Regierung kämpfen.
Ich finde allerdings, daß die Koalition heute aufgerufen wäre, doch einmal eine klare Antwort darauf zu geben, wann sie gelogen hat. Am 28. Januar 1996 hat diese Koalition die Kürzung des Solidaritätszuschlages beschlossen, aber nicht gesagt, daß als
Dr. Gregor Gysi
Kompensation an die Reduzierung oder, besser gesagt, an die Nichterhöhung des Kindergeldes per 1. Januar 1997 gedacht war. Erst nach dem Wahlkampf am 24. April kam Ihr diesbezüglicher Vorschlag.
Deshalb gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder lügen Sie jetzt, wenn Sie erklären, wegen der Erhöhung des Kindergeldes muß die Reduzierung des Solidaritätszuschlages entfallen, oder Sie haben am 28. Januar gelogen, indem Sie nicht gleich ehrlich gesagt haben, daß das damit verbunden ist. Sie haben damit Wahlbetrug bei den drei Landtagswahlen begangen.
Natürlich ist der Haushalt 1996, Herr Bundesfinanzminister, verfassungswidrig. Natürlich ist auch der Haushalt 1997 verfassungswidrig. Sie operieren mit Einnahmen durch die Privatisierung der Lufthansa und den Verkauf bundeseigener Wohnungen, obwohl Sie genau wissen, daß sie nicht kommen. Sie lassen Ausgaben aus, von denen Sie genausogut wissen, daß sie kommen werden, nämlich die Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit. Wer das vorher weiß, handelt klar verfassungswidrig. Daher sind beide Haushalte verfassungswidrig.
Deshalb sage ich, weil ja auch Sie dafür sind, daß sich das Bundesamt für Verfassungsschutz um uns kümmert: Wenn dieses Bundesamt seine Aufgabe ernst nähme, würde es endlich anfangen, sich um diese Bundesregierung und die sie tragende Koalition zu kümmern.
Diese Bundesregierung ist erstens nicht mehr in der Lage, einen grundgesetzgemäßen Haushalt vorzulegen. Sie gefährdet zweitens den sozialen Frieden und beginnt, ihn zu zerstören. Sie vertieft drittens die soziale Spaltung, indem sie die sozial Schwachen und Lohnabhängigen immer stärker mit Kürzungen belastet, während die Oberschicht dieser Gesellschaft immer besser bedient wird. Sie gefährdet viertens die soziale und demokratische Verfaßtheit der Bundesrepublik Deutschland, die Rechte der Gewerkschaften und die Tarifautonomie.
Sie ist fünftens außerstande, wirksam gegen Massenarbeitslosigkeit vorzugehen. Sie ist sechstens außerstande, Steuergerechtigkeit herzustellen. Sie ist unfähig, mit dem ökologischen Umbau zu beginnen. Sie ist keine Regierung der Einheit mehr, denn sie vertieft die Spaltung zwischen Ost und West.
Bei alledem verheddert sie sich nun selbst in ihrer Lobbyistenpolitik. Nein, diese Regierung ist am Ende, und dieses Ende sollte man nicht verzögern.
Es war der Bundeskanzler, der nach seiner erfolgreichen Wahl am 25. Mai 1983 folgendes gesagt hat: „Wir dürfen uns nicht an diese Macht gewöhnen. Wir dürfen sie nicht als Privat- oder Parteibesitz behandeln. Wir dürfen schon gar nicht auf dieser Macht ausruhen wollen. "
Hören Sie auf damit, darauf auszuruhen! Wachen Sie auf, und gehen Sie in die Opposition!
Das erneuert, wie ich Ihnen aus eigener Erfahrung sagen kann.
Wenn Sie das Ende der Bundesregierung immer weiter verzögern, dann verletzen auch alle diese Bundesminister ihren Amtseid. Sie haben geschworen, Schaden von diesem Volk abzuwenden, organisieren aber ständig neuen Schaden.
Wenn der Bundeskanzler von seiner Auslandsreise zurückkehrt, wenn er in Indonesien und anderswo aus seiner Sicht genügend Waffen verkauft hat
- da stimme ich Ihnen ausnahmsweise einmal zu: Waffenverkäufe nach Indonesien sind wirklich eine Frechheit -,
dann müßten wir uns schon mit der Frage beschäftigen, wie es in diesem Lande weitergeht.
Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Sie haben den sozialen Frieden in dieser Gesellschaft gefährdet. Sie haben einen einzigartigen Tarifkonflikt heraufbeschworen. Sie haben die Arbeitgeber dazu verführt, Tarifvertragsbruch in einem Umfange zu begehen, wie er bis dahin in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nicht bekannt war.
Sie haben die Axt an die Rechte der Gewerkschaften angelegt. Sie wollen eine andere Bundesrepublik Deutschland, eine, in der die Rahmenbedingungen des Grundgesetzes des Jahres 1949 nicht mehr gelten.
- Da brauchen Sie gar nicht aufzukreischen. - Wir sind dem Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland beigetreten. Jetzt sorgen Sie dafür, daß es nicht mehr gilt und daß die Rahmenbedingungen verletzt werden.
Deshalb sage ich Ihnen: Wenn der Bundeskanzler zurückkommt, dann soll er in diesem Parlament die Vertrauensfrage stellen. Wenn Sie noch nach Ihrem Gewissen entscheiden, dann wird er keine Kanzlermehrheit mehr bekommen. Dann ist der Tag gekommen, an dem der Bundespräsident diesen Bundestag aufzulösen und Neuwahlen anzuordnen hat.
Das wird sogar höchste Zeit. Sie sind am Ende, und Sie wissen das auch. Ich kenne Regierungen, die nicht wahrhaben wollten, daß sie am Ende sind. Das
Dr. Gregor Gysi
wird immer nur schlimmer; das kann ich Ihnen sagen.
Allerdings muß die Opposition dann die Arbeit leisten, eine wirkliche Alternative vorzulegen.
Sie muß auch die Kraft haben, den Umgang miteinander souverän zu bestimmen und sich nicht von Herrn Hintze bestimmen zu lassen.
Dann haben wir, glaube ich, eine Alternative, die in dieser Bevölkerung mehrheitsfähig ist. Dann kann mit einer anderen Politik, der Politik des ökologischen Umbaus, der Politik der Gleichstellung, der Politik einer anderen Behandlung von Flüchtlingen und vor allem der Politik der sozialen Gerechtigkeit und der Steuergerechtigkeit in dieser Gesellschaft, begonnen werden.
Das Wort hat der Ministerpräsident des Saarlandes, Oskar Lafontaine.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte am heutigen Tag findet zu einem Zeitpunkt statt, wo die Wirtschaftsinstitute festgestellt haben, daß sie damit rechnen, daß auch im nächsten Jahr die Arbeitslosigkeit nicht sinken, sondern noch leicht ansteigen wird. Dies zeigt den Ernst der Situation. Ich meine, es wäre gut, wenn die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wieder in den Mittelpunkt der deutschen Politik gerückt würde.
Der Bundeskanzler hat auf dem CDU-Parteitag - das ist kaum bemerkt worden - das Ziel relativiert, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu halbieren. Es wirft doch die Frage auf, ob Sie selbst nicht mehr an den Erfolg Ihrer eigenen Politik glauben, wenn Sie, kaum daß ein Ziel ausgesprochen ist, es schon wieder zurücknehmen.
Es ist keine Frage, daß eine solide Finanzpolitik Grundlage für Wachstum und Beschäftigung ist. Interessant war nur, Ihnen heute zuzuhören, Herr Finanzminister, als Sie gesagt haben, nach Ihrem Urteil ist die eigene Finanzpolitik langfristig angelegt. Das war wirklich ein bemerkenswerter Augenblick am heutigen Tag. Denn am selben Tag hat die deutsche Öffentlichkeit das Urteil der Wirtschaftsforschungsinstitute zur Kenntnis genommen, und das lautet wie folgt: Die Finanzpolitik ist von hektischem Aktionismus geprägt;
mittelfristige Konzepte sind völlig aus dem Blickfeld geraten; die Finanzpolitik hat mehr Vertrauen verspielt als gewonnen; die Finanzpolitik belastet das Investitionsklima in Deutschland. Der Steuerrechtler Professor Lang sagt: Die Bürger erleben das Steuerrecht als Chaos, Willkür und Täuschung. Und da sprechen Sie hier von einer langfristig angelegten Finanzpolitik.
Glauben Sie wirklich, mit einem Verdrängen der Tatsachen kämen Sie jetzt noch weiter? Glauben Sie wirklich, daß, wenn Sie sich allein immer wieder bescheinigen, Ihre Finanzpolitik sei in Ordnung, während die gesamte Fachwelt zu einem gegenteiligen Urteil kommt, Sie dann keinen Grund hätten, Ihre Politik zu korrigieren?
Herr Kollege Fischer hat die konservative „Frankfurter Allgemeine Zeitung" zitiert. Man könnte jetzt den ganzen Debattenbeitrag damit füllen, die Urteile konservativer Presseorgane vorzulesen. Überall ist der Tenor der gleiche: Diese Regierung ist nicht in der Lage, eine solide Finanzpolitik zu betreiben, sie belastet das Investitionsklima in Deutschland und ist damit für steigende Arbeitslosigkeit auch in den nächsten Wochen und Monaten verantwortlich.
Der Bundesfinanzminister, der für diese Finanzpolitik des hektischen Aktionismus, die das Investitionsklima belastet, Verantwortung trägt, hat dann die Frage aufgeworfen: Wo sind denn Rezepte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit? Meine Damen und Herren, wenn Sie schon nicht zuhören, wenn die Opposition ihre Vorschläge macht, dann sollten Sie wenigstens den Beratungsinstituten einmal Gehör schenken, die für Sie mittelbar und direkt im Grunde genommen die Zuarbeit leisten.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit ist sehr wohl der Auffassung, daß es möglich ist, die Beschäftigung deutlich zu steigern und die Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Es schlägt dazu unter anderem vor, Maßnahmen zu ergreifen, um die durchschnittliche Jahresarbeitszeit zu verringern, vor allem über mehr Teilzeit und über die Verminderung der Überstunden, also in flexibler, reversibler und kostengünstiger Form.
Erinnern Sie sich daran, daß Sie alle Bemühungen der Gewerkschaften zu Arbeitszeitverkürzungen in diesem Hause diskreditiert haben, und erinnern Sie sich daran, daß Sie sich jetzt immer noch weigern, Teilzeitarbeit für Beamte gesetzlich zu ermöglichen, was der Bundesrat seit langem fordert! Warum blokkieren Sie vernünftige Beschäftigungspolitik in diesem Lande?
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
Dieses Institut plädiert für eine längerfristig zurückhaltende Tarifpolitik bei den Löhnen, deren Anstieg zunächst hinter dem Produktivitätsfortschritt zurückbleibt und diesen auch später nicht überschreitet.
Auch zur Lohnpolitik haben sich die Wirtschaftsinstitute geäußert. Sie haben insbesondere in letzter Zeit den Gewerkschaften bescheinigt, daß sie durch ihre Tarifforderungen und ihre Lohnabschlüsse sehr wohl die Grundlagen dafür gelegt haben, daß es zu mehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland kommen könnte, weil die Lohnpolitik im wesentlichen dem Produktivitätsfortschritt nicht vorausgeeilt ist und damit einen Beitrag für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland geleistet hat.
Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund müßten Sie doch irgendwann einmal erkennen, was der Betrug bedeutet, den Sie sich geleistet haben, indem Sie vor den Wahlen das Bündnis für Arbeit hochleben ließen, um nach den Wahlen den Gewerkschaften den Stuhl vor die Tür zu stellen.
Statt die ausgestreckte Hand der Gewerkschaften in Richtung einer wachstums- und beschäftigungsorientierten Lohnpolitik zu ergreifen, haben Sie mit einer Kürzung der Lohnfortzahlung und mit Sozialabbau geantwortet. Sie haben überhaupt nicht begriffen, was für ein Geschenk es für eine konservative Regierung war, daß sich die Gewerkschaften bereit erklärt haben, mit Ihnen zusammen eine Politik für Wachstum und Beschäftigung zu machen. Statt dessen haben Sie dieses Angebot ausgeschlagen. Dies zeigt, daß bei dieser Regierung politische Stümper am Werk sind, die die Verantwortung für unser Land entzogen bekommen müssen.
Das Institut schlägt die Senkung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern vor. Trotz dieser Forderungen der Institute stellt sich der Bundesfinanzminister hier hin und fragt: Wo sind denn Ihre Vorschläge?
Herr Bundesfinanzminister, wir hatten beide vereinbart, für das Jahr 1997 das Kindergeld zu erhöhen und die Steuern zu senken. Sie wollten dies gegen die ökonomische Vernunft wieder zurücknehmen. Wir sorgen gegen Ihren Widerstand dafür, daß das ökonomisch Vernünftige getan wird. Diffamieren Sie es nicht als Blockade, wenn wir Ihrer Unfähigkeit Widerstand entgegensetzen.
Es geht um die Senkung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern. Hier wird eine der Fehlkonstruktionen Ihrer Politik sichtbar, die schon mehrfach angesprochen wurde, die Sie aber scheinbar seit Jahren nicht verstehen wollen und nicht begreifen.
Es ist interessant, daß sich die F.D.P. immer als Steuersenkungspartei profilieren will. Scheinbar begreift auch diese Partei nicht, daß es auf der anderen Seite eine Belastung für Arbeitnehmer und Wirtschaft gibt, die genauso wichtig ist. Diese Belastung nennt sich Abgabe. Sie hätten besser plakatiert „Abgabenland ist abgebrannt", denn während Sie auf der einen Seite die Steuerpolitik nicht in den Griff bekommen, steigen auf der anderen Seite die Sozialabgaben in Deutschland auf Grund Ihrer verfehlten Finanzierung der deutschen Einheit immer weiter und werden damit zur Grundlage für die Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen.
Wenn Sie tapfer sagen, es werde keine Steuererhöhung geben, obwohl es schon am nächsten Tag nicht mehr wahr war, aber gleichzeitig überhaupt nicht mehr über die Abgaben reden, dann zeigt das, daß die Wirtschafts- und Finanzpolitik in eine völlige Schieflage geraten ist. Eine der Hauptursachen für das Wegrationalisieren von Arbeitsplätzen ist das ständige Steigen der Abgaben auf Arbeitsplätze. Sie sind durch Ihre völlig verfehlte Finanzpolitik die Hauptverursacher dafür, daß die Abgabenlast in Deutschland so stark gestiegen ist, daß dieser Rationalisierungsdruck bezogen auf die Arbeitsplätze immer stärker geworden ist. Wann begreifen Sie dies endlich? Was soll Ihr vollmundiges Versprechen, Sie würden keine Steuererhöhungen mehr zulassen, obwohl dies schon am selben Tag widerlegt worden ist?
Ich sage an die Adresse der F.D.P.: Beschäftigen Sie sich auch einmal mit den Abgaben. Bedenken Sie auch die ökonomischen Effekte, die daraus resultieren, daß die Abgaben ständig steigen. Den Bürgerinnen und Bürgern ist es völlig gleich, wie das Geld bezeichnet wird, das man ihnen aus der Tasche zieht. Es ist ihnen völlig gleich, ob man die Mark, die man ihnen aus der Tasche zieht, Steuer oder Abgabe nennt. Deshalb reden Sie in Zukunft gefälligst über Steuern und Abgaben, und erkennen Sie endlich, daß Sie das Steuer- und Abgabenniveau in Deutschland in der Nachkriegszeit auf eine Rekordhöhe getrieben haben und daß hierin eine der Hauptursachen für die Fehlentwicklung auf dem Arbeitsmarkt liegt.
Statt kurzfristigem Aktionismus fordern die Institute vertrauensbildende Beschlüsse zur Konsolidierung der Staatsausgaben, deren kaufkraftmindernde Bestandteile aber angesichts der derzeit ungünstigen Konjunkturlage erst verzögert in Kraft zu setzen sind. Das heißt für die Wirtschaftsinstitute - so fordert dies auch das Institut der Bundesanstalt für Arbeit -, die Konjunktur auch bei den Haushaltsentscheidungen nicht völlig außer acht zu lassen und insbesondere beispielsweise Investitions- und Forschungsausgaben nicht sinnlos zusammenzustreichen.
Dies sind vier Vorschläge, die die Institute machen. Wenn Sie beispielsweise nicht auf die Vorschläge hören wollen, die die Opposition macht, hören Sie doch wirklich einmal auf den Rat der Wissenschaftler,
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
dann kommen Sie ein gutes Stück weiter. Wissenschaftlicher Rat ist immer noch besser als Selbstgefälligkeit, die beratungsunfähig geworden ist.
Deshalb sagen die Institute zu Recht - wann hat eine Regierung je solch verheerende Zensuren bekommen? -: Für die hohe Arbeitslosigkeit ist nicht der immer wieder beschworene internationale Wettbewerb verantwortlich, sondern - so wörtlich - das eigene wirtschaftspolitische Versagen. Recht haben die Institute. Ihr eigenes wirtschaftspolitisches Versagen ist die Ursache für die ständig steigende Arbeitslosigkeit.
Meine Damen und Herren, als ich vorhin dem F.D.P.-Vorsitzenden zugehört habe, ist mir allmählich klargeworden, warum der eine oder andere meint, das hier sei eine Schauveranstaltung. Ich habe nämlich in den letzten Tagen, wie viele unserer Bürgerinnen und Burger, die jetzt zuhören, Zeitungen lesen können. Ich habe gehört und gelesen, was Sie über die Arbeit des Bundesfinanzministers geäußert haben. Da lesen wir heute, daß dieser Bundesfinanzminister völlig einfallslos und hilflos sei.
Da lesen wir von Graf Lambsdorff, der immerhin als jemand gilt, der die Wirtschafts- und Finanzpolitik bei Ihnen entscheidend mitprägt, daß das Urteil über die Fähigkeiten dieses Finanzministers grausam sei.
Da spottet dieser Abgeordnete, der die Regierung ja unterstützen soll, ob demnächst Lottogewinne in den Haushalt eingeplant werden sollen, um die völlige Unseriosität Ihrer Finanzpolitik auf die Schippe zu nehmen.
Da sagt der F.D.P.-Vorsitzende draußen - nicht hier -: Wir sind es leid, wöchentlich über neue Haushaltsvorlagen beraten zu müssen. Recht haben Sie. Wir sind es wirklich leid, ständig über neue Haushaltsvorlagen beraten zu müssen.
Da sagt Graf Lambsdorff wieder, der Finanzminister soll endlich einmal Haushalte vorlegen, bei denen man nicht schon bei der Vorlage weiß oder ahnt: Das kann überhaupt nicht stimmen.
Es sind ja nicht nur die Wirtschaftsinstitute,
die Ihre Politik in Bausch und Bogen verdammen. Es ist nicht nur die böse Opposition, die das tut. Nein, in den eigenen Reihen werden die Stimmen immer lauter, die sagen: Eine solche Wirtschafts- und Finanzpolitik ist chaotisch. Sie ist Hauptgrundlage für die steigende Arbeitslosigkeit in Deutschland und für die Zerrüttung der Staatsfinanzen.
Meine Damen und Herren, der Kollege Fischer hat eine Sonntagszeitung - vorhin zumindest noch - gehabt, in der die F.D.P.-Führung als die „Betrüger von Bonn" bezeichnet wurde. Vielleicht hat der eine oder andere gedacht, das Urteil sei vielleicht doch etwas hart. Daß Sie hier ab und zu umfallen, ist bekannt aus der Geschichte der Bundesrepublik. Der Vorwurf der Umfallerpartei ist nicht neu, aber daß Leute bewußt betrügen, ist schon ein sehr, sehr harter Vorwurf. Daß viele Wählerinnen und Wähler über den doppelten Wahlbetrug empört sind: auf der einen Seite Bündnis für Arbeit und Halbierung der Arbeitslosenzahlen - das wird kassiert - und dann Senkung des Solizuschlages - das wird wieder kassiert -, das muß man doch verstehen. Die Bürgerinnen und Bürger sind es leid, immer wieder von Ihnen hinters Licht geführt zu werden.
Wenn Sie sich aber, meine Herren von der F.D.P., Herr Gerhardt, hier hinstellen und nach diesen bösen Worten, nach dieser vernichtenden Kritik am Bundesfinanzminister kein einziges Wort dazu verlieren, dann ist das nach meiner Auffassung unehrenhaft.
Diese Koalition kann schon deshalb niemals wieder Erfolg haben, weil Sie den Respekt voreinander verloren haben.
Die Institute machen konkrete Vorschläge - nicht nur zur Steuererleichterung, die wir jetzt gegen Ihren Widerstand durchsetzen, sondern auch dazu, die Steuerreform für das Jahr 1998 verbindlich zu beschließen. Wir wollen Steuererleichterungen für Teile der Bevölkerung - da hat der Kollege Fischer recht -, weil wir mehr Steuergerechtigkeit wollen. Wir bestehen darauf, daß diese Steuerreform für das Jahr 1998 in Kraft gesetzt wird. Wir können vernünftige, das Wachstum fördernde Entscheidungen nicht aussetzen, bis Sie sich in der Koalition irgendwann einmal zusammengerauft haben.
Angesichts der Tatsache, daß Sie schon so oft das Wahlvolk betrogen haben, indem Sie vor Wahlen Versprechungen abgegeben haben, die Sie unmittelbar nach Wahlen gebrochen haben, glauben Sie doch nicht ernsthaft, daß sich irgend jemand darauf einlassen kann, mit Ihnen eine Steuerreform für das Jahr 1999 - also nach der Bundestagswahl - zu beschließen. Das glauben Sie doch wohl nicht ernsthaft.
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
Dasselbe gilt für die Abgaben. Alle Institute fordern seit langem, den Anstieg der Abgaben zu bremsen. Sie haben heute gehört, was die Rentenversicherer sagen. Sie wissen, was sich bei der Pflegeversicherung tut. Sie wissen immer noch nicht genau, wie es bei der Krankenversicherung weitergeht usw.
Meine Damen und Herren, dieser schwere Fehler, den sozialen Versicherungskassen immer mehr versicherungsfremde Leistungen aufzubürden, ist einer der gravierendsten der letzten Jahre. Wir haben mehrfach angeboten, diese Fehlentwicklung in Verbindung mit der ökologischen Steuerreform systematisch abzubauen und die Sozialabgaben im Interesse von Wachstum und Beschäftigung zu senken.
Ich fasse zusammen. Was Sie hier heute vorgetragen haben, zeigt, wie tief zerrüttet diese Koalition ist. Für mich ist es wirklich beachtlich, daß Sie die Achtung voreinander verloren haben, daß Sie noch nicht einmal in der Lage sind, das, was Sie sich in ungezählten Interviews vorgeworfen und was Sie aneinander kritisiert haben, mit einem einzigen Satz zu erwähnen.
Deshalb ist es richtig, wenn beispielsweise die Wochenzeitung „Die Zeit" schreibt: „Die Regierung Kohl ist in ihrem jetzigen Zustand überfordert, die Probleme in Deutschland zu lösen." Das ist ein ausgewogenes, ein sachliches Urteil. Die Ursache dafür ist Ihre tiefe Zerstrittenheit, die Sie handlungsunfähig gemacht hat. Die Leidtragenden sind die Arbeitslosen in diesem Lande. Dieser Zustand darf nicht länger andauern.
Es spricht jetzt der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Wolfgang Schäuble.
Dr. Wolfgang Schäuble (von der CDU/ CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Lafontaine, wenn die Bürger etwas leid sind, dann, fürchte ich, ist es diese Art von Reden und Debatten, wie Sie sie heute geführt haben.
Nach dem Ritual, das solchen Debatten eigen ist, müßte ich anfangen, Sie zu beschimpfen; dann kommt der nächste usw. Dadurch wird nicht ein einziger Arbeitsplatz in diesem Lande geschaffen. Da bewirkt der Bundeskanzler mit seiner Reise mehr für die Menschen in diesem Lande.
Wissen Sie, was mich am meisten gestört hat?
- Da ist schon wieder der Schreihals vom Dienst. Das Recht der Opposition, Sondersitzungen des Bundestages zu beantragen, ist völlig unbestritten. Ich habe aber meine Zweifel, ob die heutige Sitzung wirklich vernünftig ist. Ich bin auch nicht ganz sicher, ob sie allen Regeln entspricht. Aber darüber werden wir an anderer Stelle zu reden haben.
- Ja, natürlich. Ein Antrag darf erst drei Tage nach Verteilung der Drucksache beraten werden. Die Drucksache, die dieser Debatte zugrunde liegt, war aber nicht rechtzeitig verteilt.
Herr Ministerpräsident Lafontaine, hören Sie ganz genau zu! Was mich wirklich stört, ist folgendes. Für heute, Mittwoch, den 30. Oktober, um 11 Uhr war eine Sitzung des Vermittlungsausschusses einberufen. Auf der Tagesordnung stand das Gesetz zur Ergänzung des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes. Diese Sitzung des Vermittlungsausschusses ist, weil eine Reihe von Ländern nicht anwesend sein konnte, mangels Beschlußfähigkeit abgesagt worden.
Das finde ich völlig unerträglich. Ich finde es völlig unerträglich, hier Sondersitzungen - Schauveranstaltungen - durchzuführen und dort, wo die Arbeit gemacht werden muß, damit die Finanzen in Ordnung kommen, die Beschlußunfähigkeit herbeizuführen. Das paßt nicht zusammen.
Herr Dr. Schäuble, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Struck?
Bitte sehr.
Herr Kollege Schäuble, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Absage dieser Sitzung des Vermittlungsausschusses, die Sie zutreffend beschrieben haben, unter anderem darauf zurückzuführen ist, daß von CDU und CSU regierte Länder keine Möglichkeit sahen, an dieser Sitzung teilzunehmen?
Entschuldigung, sobald Sie ruhig sind, antworte ich Ihnen. Erstens können Sie von der Bundesratsbank überhaupt keine Zwischenrufe machen, und zweitens: Lassen Sie mich doch antworten!
Dr. Wolfgang Schäuble
Ich habe mich genau vergewissert, Herr Kollege Struck, weil ich das ja auch wissen will. Die mir erteilte Auskunft ist, daß bei allen vier Pairingvereinbarungen zwischen den Ländern - sie pairen untereinander - jeweils das SPD-regierte Land die Initiative ergriffen hat und auf ein unionsregiertes Land zugegangen ist. Das ist die Wahrheit.
Sie können das nachprüfen. Ich habe mich genau vergewissert: Vier SPD-regierte Bundesländer sind initiativ geworden, weil sie nicht in der Lage sind, an der Sitzung des Vermittlungsausschusses teilzunehmen. Deswegen halte ich die Behauptung aufrecht: Das ist ein widersprüchliches Verhalten.
- Nein, das ist die Wahrheit.
Ich habe mich ausdrücklich erkundigt, und so ist es mir aufgeschrieben worden: In allen Fällen ist die Initiative von den A-regierten Ländern ausgegangen. Deswegen sage ich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es hilft doch gar nichts. Wenn wir die Probleme unseres Landes - daß wir welche haben, ist gar nicht zu bestreiten - lösen wollen, dann lassen Sie uns doch darüber reden: Was kann und was muß getan werden? Aber es macht doch keinen Sinn, im Bundesrat alle Einsparungen zu blockieren - jetzt muß ich Ihnen wieder die Liste vorlesen; wir haben Finanzprobleme sowohl im Haushalt 1996 wie im Haushalt 1997, weil die rot-grüne Mehrheit im Bundesrat alle zustimmungspflichtigen Einspargesetze blockiert - und anschließend den Vermittlungsausschuß noch beschlußunfähig zu machen. Das geht wirklich nicht.
Herr Kollege Lafontaine, Sie haben das Gutachten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erwähnt. Das ist schon toll.
- Ich kenne es. Ich habe es zwar nicht dabei; aber ich habe den wesentlichen Inhalt im Kopf.
Ich will Ihnen den wesentlichen Inhalt nennen.
Dieses Gutachten sagt, daß man mit vier verschiedenen Maßnahmen die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2005 tatsächlich in einer Größenordnung reduzieren könne, wie es auch Bundesregierung, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften gemeinsam im Januar als Erwartung ausgedrückt haben.
Was sind diese vier Maßnahmen? Das eine ist in der Tat eine Flexibilisierung der Arbeitszeit, aber eben nicht durch Reduzierung der Wochenarbeitszeit - ganz und gar nicht -, sondern durch mehr Teilzeitarbeit und durch Abbau von Überstunden. Wir bekommen Überstunden nur abgebaut, wenn wir beispielsweise die Flexibilisierungsmaßnahmen durchführen, die Sie beim Kündigungsschutzgesetz so bekämpft haben. Anders ist das nicht zu schaffen.
Denn nur wenn die Betriebe in der Lage sind, risikoabhängiger einzustellen - das geht nur durch mehr Flexibilität beim Kündigungsschutz -, bekommt man durch Abbau von Überstunden zusätzliche Arbeitsplätze. Wer solche Veränderungen blokkiert, schafft nicht mehr Arbeitsplätze, sondern er verhindert, daß mehr Arbeitsplätze entstehen.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sagt, daß die Tarifpartner bei der Lohnentwicklung Zurückhaltung wahren sollen. Die Tarifabschlüsse sollen dabei unter dem Zuwachs der Produktivitätsrate bleiben.
Ich glaube, das Gutachten hat recht. Aber, Herr Lafontaine, es ist schon ziemlich dreist, daß Sie dieses Gutachten hier anführen. Sie haben in jeder Debatte gesagt, wir bräuchten höhere Lohnsteigerungen. Sie sind damit den Gewerkschaften bei verantwortungsvoller Lohnpolitik in den Rücken gefallen. Wenn Sie Ihre Meinung ändern, ist das gut; aber dann sagen Sie es auch! Wir sind der Meinung, es geht nicht anders.
Weiterhin sagt das Gutachten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, der Sozialversicherungsbeitrag dürfe insgesamt nicht steigen, sondern müsse sinken. Die Staatsquote müsse reduziert werden. Damit sind wir doch beim Kern der Probleme.
Wir sind übrigens bei dem, was im Januar zwischen Wirtschaft, Gewerkschaften und Bundesregierung im Kanzleramt besprochen, vereinbart und in einer gemeinsamen Erklärung - veröffentlicht im Bulletin der Bundesregierung vom 26. Januar - festgehalten worden ist. Wir haben diese gemeinsamen Absichtserklärungen überhaupt nicht aufgekündigt.
- Frau Fuchs, nehmen Sie es zur Hand und sagen Sie mir, an welchem Punkt wir das, was damals vereinbart worden ist - -
- Moment, nicht dazwischenreden! Melden Sie sich zu einer Zwischenfrage und sagen Sie konkret, wogegen Sie sind.
Ich lese Ihnen die gemeinsame Erklärung vor. Ich bin wirklich dafür, daß wir aufhören, der Öffentlich-
Dr. Wolfgang Schäuble
keit die Unwahrheit zu erzählen, wie es hier ständig geschieht.
Dann lese ich Ihnen jetzt noch einmal aus dieser gemeinsamen Erklärung vor, die auch von den Gewerkschaftsvertretern unterschrieben wurde:
Eine zu hohe Staatsquote hemmt die wirtschaftliche Dynamik, engt Spielräume für Eigeninitiative ein und mindert die Leistungsbereitschaft der Bürger .. .
Den Sozialstaat zu sichern und zu festigen ist gemeinsames Ziel und gemeinsame Aufgabe. Seine Finanzierungsgrundlagen müssen durch Reformen erhalten bleiben. Die Sozialbeiträge insgesamt und die Sozialabgabenquote müssen stabilisiert und bis zum Jahr 2000 wieder auf unter 40 Prozent zurückgeführt werden ...
Die Praxis der Frühverrentung muß abgelöst werden durch eine neue sozial verträgliche Möglichkeit eines gleitenden Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand ...
Im Gesundheitswesen müssen Kostenbegrenzungen durch mehr Wettbewerb, größere Selbstverantwortung, mehr Befugnisse und Verantwortung der Selbstverwaltungen erreicht werden ...
Geprüft werden sollen in gemeinsamen Gesprächen Möglichkeiten zur Verringerung von Fehlzeiten in den Betrieben.
- Die Frage beantworte ich, wenn Sie mir die Chance dazu geben.
Wir haben im Programm für Wachstum und Stabilität Punkt für Punkt genau das umgesetzt, was der Beitrag der Politik sein kann, damit die gemeinsame Erwartung, die Arbeitslosigkeit zu halbieren, erfüllt werden kann.
Sie haben unsere Vorschläge kritisiert. Das ist in Ordnung, man kann unterschiedlicher Meinung sein.
Aber Sie haben alle unsere Vorschläge, die im Bundesrat zustimmungspflichtig sind, blockiert. Sie haben beispielsweise die Dynamisierung des Anstiegs der Sozialhilfeleistungen durch Ihre Verweigerung im Vermittlungsausschuß und mit der Mehrheit des Bundesrats nicht verhindert.
Daß die Sozialhilfeausgaben weiterhin so ansteigen, ist die Hauptursache unserer Probleme; denn wir sind im Bereich aller anderen Transferleistungen nicht in der Lage, das Sozialhilfeniveau zu unterschreiten.
Sie haben sich bei der Flexibilisierung von Arbeitszeiten und bei der Flexibilisierung von Einstellungsmöglichkeiten für kleine und mittlere Betriebe verweigert. Sie haben Einsparungen in der gesetzlichen Krankenversicherung im Bundesrat blockiert, so daß wir jetzt gezwungen sind, das Gesetz so einzubringen, daß es nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf.
Daß dann, wenn man Gesetzentwürfe einbringt, für die eine Mehrheit im Bundesrat nicht zustande kommt, in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, man müsse die Entwürfe neu einbringen, so daß sie nicht zustimmungspflichtig sind, und daß dadurch die Bevölkerung verwirrt wird, ist wahr. Das kann man auch verstehen. Aber wenn die Mehrheit des Bundesrates sich jeder Einsparung verweigert, werden wir die Staatsquote nicht senken können.
Denn sie kann man nur durch Einsparungen senken, anders nicht.
Sie haben immer nur Steuererhöhungs- und Abgabenerhöhungsvorschläge gemacht. Sie haben nicht einen einzigen Einsparungsvorschlag gemacht. Ich muß Ihnen das vorhalten.
- Können wir die einen Moment ausschreien lassen und dann wieder in Ruhe miteinander reden?
Wenn Sie schon eine Sondersitzung beantragen, sollten Sie die Möglichkeit geben, Argumente auszutauschen. Andernfalls sollten Sie diese Schauveranstaltungen lassen.
Ich will das wiederholen: Wenn sowohl die gemeinsame Erklärung von Wirtschaft, Gewerkschaften und Bundesregierung als auch die Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sagen, zentraler Ansatz, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, sei die Verringerung der Staatsquote, dann kommen wir um Einsparungen nicht herum.
Wenn Sie jeden Einsparvorschlag für die öffentlichen Haushalte wie für die soziale Sicherung - Krankenversicherung, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Sozialhilfe - so diffamieren, bekämpfen und blockieren, wie Sie es in diesem Jahr getan haben, dann kommen wir nicht in dem Maße voran, das notwendig wäre, wenn wir mehr Arbeitsplätze und weniger Arbeitslosigkeit erreichen wollen. Deswegen appelliere ich an Sie, damit aufzuhören, viel-
Dr. Wolfgang Schäuble
mehr endlich daran mitzuwirken und Ihre Verantwortung ernst zu nehmen.
Herr Dr. Schäuble, darf ich in der Zwischenzeit fragen, ob Sie eine Frage der Kollegin Sonntag-Wolgast genehmigen?
Frau Präsidentin, wenn die Opposition ein bißchen ruhiger wäre, würde ich Zwischenfragen zulassen. Im Augenblick möchte ich erst einmal ungestört reden.
- Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich habe Ihnen das so oft freundschaftlich erklärt: Ich kann nicht so laut schreien wie andere. Ich will Ihnen die Gründe nicht darlegen. Deswegen finde ich es in einem hohen Maße unfair, wie Sie mich am Reden hindern wollen.
Ich will das noch einmal wiederholen, weil es so wichtig ist und weil unsere Bürgerinnen und Bürger darauf hoffen, daß etwas dabei herauskommt, wenn wir solche Debatten machen, daß wir etwas erreichen, um die Arbeitslosigkeit besser zu bekämpfen, und daß wir besser erklären können, was wir tun und warum wir es tun: Alle Sachverständigen, auch die Gewerkschaften - sie haben es unterschrieben -, sagen: Ohne eine Senkung der Staatsquote, ohne eine Senkung der Sozialversicherungsquote besteht keine Chance, die Arbeitslosigkeit abzubauen.
Deswegen ist es falsch, wenn die Opposition bei jeder Gelegenheit jeden Sparvorschlag so diffamiert, wie sie es bisher getan hat; das ist der Kern des Problems. Nun kann man über jeden Sparvorschlag unterschiedlicher Meinung sein. Aber was nicht geht, ist, daß man alle Sparvorschläge diffamiert, selber keine macht und dann mit der Bundesratsmehrheit alle zustimmungspflichtigen blockiert. Das geht nicht.
Wir haben das „Bündnis für Arbeit" nicht aufgekündigt. Uns liegt an einem vernünftigen Zusammenwirken mit Arbeitgebern und Gewerkschaften., Die Politik alleine kann die Arbeitslosigkeit nicht abbauen. Die Politik schafft keine Arbeitsplätze, höchstens im öffentlichen Dienst.
- Die Politik gestaltet die Rahmenbedingungen.
Sie muß die Rahmenbedingungen so gestalten, daß
sie durch sparsames Wirtschaften in den öffentlichen
Haushalten und bei den Sozialversicherungen Spielräume für die Senkung von Steuern und Abgaben erschließt und im übrigen mehr Flexibilität und mehr Einstellungsmöglichkeiten schafft. Genau das ist es, was wir im Programm für Wachstum und Beschäftigung in diesem Jahr getan haben. Deswegen sollten Sie aufhören, die Ängste der Menschen zu schüren. Vielmehr sollten Sie daran mitwirken, daß wir eine bessere Chance haben, gute Ergebnisse zu erzielen.
Wahr ist eben auch: Die Bedingungen für Investitionen in unserem Lande sind ungünstiger als in den meisten anderen vergleichbaren europäischen Ländern. Deswegen - und aus keinem anderen Grunde - muß die Vermögensteuer entfallen: weil die Vermögensteuer eine Steuer auf investiertes Kapital ist.
Es geht doch nicht um primitive Sozialdemagogie, sondern darum, daß investiertes Kapital in Deutschland weniger rentabel ist als in anderen Ländern.
- Jetzt geht das schon wieder los!
Deswegen haben wir das Problem, daß in den letzten Jahren zehnmal so viele Investitionen von Deutschland aus im Ausland getätigt worden sind wie vom Ausland aus in Deutschland. Damit sind in Deutschland Arbeitsplätze verlorengegangen.
Wenn wir das ändern wollen, müssen wir die Besteuerung von investiertem Kapital und die Unternehmensbesteuerung verändern.
Wenn es ernst ist mit dem Ziel der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit - ich unterstelle, daß es uns gemeinsam Ernst damit ist -, der muß ernsthaft um den geeigneten Weg ringen. So wie wir Lohn- und Lohnzusatzkosten senken müssen, so wie die Bürokratie nicht immer mehr überhandnehmen darf - auch das ist ein Grund dafür, daß die Staatsquote, nämlich der Anteil der öffentlichen Hand an der Verwendung des Bruttoinlandsproduktes, gesenkt werden muß -, so muß die Unternehmensbesteuerung gesenkt werden.
Wenn Investitionen in Deutschland weniger rentierlich sind als in unseren Nachbarländern - der Bundeskanzler hat es, ich glaube, auf unserem Parteitag vor kurzer Zeit vorgetragen; es ist auf jeden Fall öffentlich bekanntgeworden - und von Osterreich bis Holland mit günstigerer Besteuerung um Investitionen geworben wird, darf man die Besteuerung investierten Kapitals nicht weiter erhöhen wollen, wie es die SPD zum Ziel hat, sondern muß sie senken. Das muß man doch zur Kenntnis nehmen, wenn man mehr Arbeitsplätze will.
Deswegen muß endlich die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft werden.
Dr. Wolfgang Schäuble
Es ist doch ein unerträglicher Skandal, daß Sie seit anderthalb Jahren die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer blockieren.
- Wider besseres Wissen. - Was dies für ein Skandal ist, wird doch an dem Verhalten Ihres Verhandlungsführers, des Hamburger Bürgermeisters Voscherau, sichtbar. Er muß - weisungsgemäß - dem Bundesfinanzminister Theo Waigel und den Vertretern der Koalition erklären, die Mehrheit im Bundesrat werde der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer nicht zustimmen, sondern sie verhindern. Am Tag danach fordert er den Bundesfinanzminister auf, er solle dafür sorgen, daß die Gewerbekapitalsteuer in den neuen Ländern nicht eingeführt werden müsse. Entweder - oder! Wenn sie dort nicht eingeführt werden darf, muß sie abgeschafft werden, und zwar in ganz Deutschland. Anders geht das nicht.
Ich bin am Montag, als Sie diese Sitzung beantragt haben, in Magdeburg gewesen. Dort hat der Wirtschaftsminister des Landes Sachsen-Anhalt gesprochen. Er ist, glaube ich, von der SPD. Da wir mehr Arbeitsplätze brauchen, so sagte er, dürften wir nicht immer die neuen Technologien, insbesondere die Gentechnik und Biotechnologie, blockieren. Es sei ein Skandal, daß jeder Freilandversuch im Bereich der Biotechnologie niedergetrampelt werde. So werde die Zukunft verspielt. Dann hat er davon gesprochen, daß die Rahmenbedingungen für Investitionen in den neuen Ländern steuerlich verbessert werden müßten.
Ich habe ihm gesagt: Kommen Sie doch einmal in den Bundestag! Solch eine Rede eines SPD-Politikers würde ich hier gerne einmal hören. Sie würde uns ein Stück weiterbringen, insbesondere wenn die SPD darauf hören würde.
Wenn Sie die Einführung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Länder erzwingen
- nein, Entschuldigung, Sie verweigern die Abschaffung; Sie brauchen nur zuzustimmen, das weiß inzwischen jedes Kind in Deutschland -, haben Sie jedes Recht verloren, im Interesse der Menschen und der Arbeitsplätze in den neuen Ländern zu reden.
Eine weitere Bemerkung.
- Das bestimme ich schon selbst, wieviel ich hier sage. Wenn Sie das Recht haben, Sitzungen einzuberufen, werden wir doch noch das Recht haben, zu bestimmen, was wir sagen.
Kollege Fischer - er kann keine Zwischenrufe mehr machen, da er den Saal verlassen hat; das ist auch in Ordnung -
hat von der Zinsfalle gesprochen. Die muß in seinem Kopf zugeschnappt sein. So niedrige Zinsen wie heute haben wir selten in Deutschland gehabt. Die Realitäten muß man doch ein wenig kennen.
Dann hat Kollege Fischer - da ist er wieder; Entschuldigung, ich habe Sie eben übersehen - davon gesprochen, daß die Erhöhung der Mineralölsteuer zur Gegenfinanzierung für die Abschaffung der Vermögensteuer vorgesehen sei. Herr Kollege Fischer, Grundkenntnisse im Finanzverfassungsrecht könnten Ihnen nicht schaden. Die Vermögensteuer steht ausschließlich den Ländern und die Mineralölsteuer ausschließlich dem Bund zu. Das eine kann also nicht mit dem anderen kompatibel sein. Die Fakten muß man schon kennen.
- Das ist ganz eindeutig.
Jetzt will ich zu einem weiteren Punkt kommen, der ebenfalls wichtig ist. Herr Kollege Gerhardt, alle Partner in der Koalition sollten daran denken: Manche der Diskussionen führen dazu, daß die Mehrheit unserer Bevölkerung wahrscheinlich der Überzeugung ist, es würden laufend die Steuern erhöht. Das entspricht aber nicht der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist vielmehr, daß die Steuern, wenn auch in einem bescheidenen Maße, gesenkt werden. Ich will die Gelegenheit nutzen, dies noch einmal zu betonen. Ich sage gar nicht, daß das ausreichend sei; wir brauchen weitere Einsparmaßnahmen.
Die Wahrheit ist aber, daß im Saldo Jahr für Jahr die Steuern gesenkt werden, zum Beispiel durch die Steuerbefreiung des Existenzminimums zum 1. Januar 1996 und durch die Neuordnung des Familienleistungsausgleichs.
- Der Sachverhalt ist erst einmal zur Kenntnis zu nehmen und den Menschen zu vermitteln.
Die Steuern sind in diesem Jahr im Saldo um 18 Milliarden DM niedriger, als es der Fall gewesen wäre, wenn das Gesetz nicht geändert worden wäre. Was Ihren Beitrag betrifft: Hätte der Bundesrat nicht Einspruch eingelegt, hätten wir die Steuern um 22 Milliarden DM senken können. Sie haben die Steuersenkung um 4 Milliarden DM verkürzt.
Auch wenn zum 1. Januar 1997 - irgendwann wird der Vermittlungsausschuß tagen; er wird nicht immer beschlußunfähig sein - die Verhandlungen noch nicht beendet sind, ist ganz sicher, daß die Steuern 1997 nicht höher als die Steuern 1996 sein werden.
Dr. Wolfgang Schäuble
Sie werden im Saldo, wenn auch nur um einen kleinen Schritt, gesenkt.
- Aber natürlich. Ich rede jetzt von dem Tatbestand, daß die Steuerlast im nächsten Jahr etwas niedriger sein wird. Das sollten Sie nicht bestreiten.
Im übrigen hat das von Ihnen so viel zitierte Gutachten der Forschungsinstitute ausdrücklich ausgeführt, daß zum erstenmal seit der Wiedervereinigung die Staatsquote im nächsten Jahr wieder sinkt, und zwar um 0,4 Prozent. Das reicht zwar noch nicht, aber die Trendwende ist erreicht. Wir sind auf dem richtigen Weg, und das haben wir gegen Ihren Widerstand durchgesetzt.
Wenn Sie Vermögensteuer, Familienleistungsausgleich und Erbschaftsteuer miteinander saldieren und zusammenrechnen, werden Sie feststellen, daß die Steuern im nächsten Jahr sinken. 1999 werden wir mit der großen Steuerreform einen großen Schritt in Richtung Steuersenkung machen. Wir werden uns in den nächsten Tagen und Wochen Schritt für Schritt einigen müssen, wann und in welchem Umfang wir die Reform durchführen, Herr Kollege Gerhardt. Alles was möglich ist, nutzen wir zur Reduzierung der Steuerbelastung.
Die Opposition hat vielleicht ein taktisch verständliches Interesse daran, die Bevölkerung zu verwirren.
Die Wahrheit ist: Wir als Koalition sollten durch die Art, wie wir manche öffentliche Debatten führen
oder gelegentlich nicht führen, nicht den Eindruck erwecken, als würden die Steuern ständig erhöht. Wir erhöhen sie nicht, sondern wir senken sie im Saldo. Das ist auch notwendig; denn sie müssen gesenkt werden, damit wir in Deutschland mehr Arbeitsplätze schaffen. Um das und um nichts anderes geht es.
Um mehr Arbeitsplätze zu bekommen, müssen wir weiterhin den Weg der Einsparungen gehen. Dieser Weg ist unbequem. Über jede einzelne Maßnahme kann und muß in der Demokratie immer auch gestritten werden.
Was wir und auch die Opposition aber wirklich nicht machen sollten, ist, die Debatten so zu führen, daß im Ergebnis immer nur noch höhere Steuern und Abgaben, eine noch höhere Staatsquote und keine Chance zu Veränderungen herauskommen. Wer die Veränderung des Status quo zum Tabu erklärt und die Besitzstände verteidigt, wer Innovation verweigert, den Menschen Angst einredet und so tut, als sei mit marginalen Veränderungen sogleich der Weltuntergang verbunden, oder wer, wenn wir Veränderungen durchführen, die hinter dem Stand aller europäischen Länder sogar zurückbleiben - auch bei der
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall -, dann so tut, als würde jetzt der Sozialstaat zu Grabe getragen, der verweigert die notwendigen Reformen.
Wer in einer Zeit, in der sich so ungeheuer viel verändert - es mag nicht jedem gefallen, daß wir in der industriellen Produktion mit jedem Standort in der Welt konkurrieren, weswegen gelegentlich der Kanzler und andere Regierungsmitglieder in andere Erdteile fahren müssen, um im wirtschaftlichen und politischen Interesse der Bundesrepublik Deutschland unsere Beziehungen zu pflegen und weiterzuentwickeln; das ist doch nicht falsch, sondern richtig -,
wer angesichts dieser Globalisierung die notwendigen Innovationen verweigert, gefährdet den Wohlstand und die soziale Sicherheit für die Zukunft.
Wer in einer Zeit, in der die industrielle Entwicklung und Rationalisierung dazu führen, daß wir allein in der Industrie und in den großen Verwaltungen nicht so viele Arbeitsplätze schaffen, wie wir brauchen, damit alle Menschen Beschäftigung haben, die notwendigen Flexibilisierungen im Arbeitsrecht und auch bezüglich des Ladenschlusses verweigert und blockiert, schadet den Chancen, mehr Arbeitsplätze zu gewinnen. Wir können nur im Dienstleistungsbereich die Arbeitsplätze finden und schaffen, die wir allein in der Industrie und in den großen Verwaltungen nicht zur Verfügung haben. Sie verweigern jede Flexibilisierung.
Wer angesichts der demographischen Entwicklung, angesichts der Tatsachen also, daß wir länger leben dürfen und die Zahl der Kinder zurückgegangen ist, daß sich aus dem Zusammenwirken von steigender Lebenserwartung und geringerer Kinderzahl der Anteil älterer Menschen in kurzer Zeit dramatisch erhöht, so tut, als seien Reformen in der Kranken- und Rentenversicherung nicht notwendig, der legt die Hand an die Wurzeln der sozialen Sicherheit.
Diejenigen, die die notwendigen Anpassungen vornehmen, dafür arbeiten und sich mühen - vielleicht auch mit Fehlern; wer nicht handelt, macht keine Fehler; aber der größte Fehler ist es, nicht zu handeln -, die notwendigen Anpassungen an die stattfindenden Veränderungen um uns herum und in unserem Lande rechtzeitig zu erreichen, mühen sich um die Zukunft unseres Landes. Diejenigen, die jede Veränderung diffamieren und blockieren, die die Besitzstände verteidigen sowie Neid und Angst schüren, schaden der Zukunft.
Deswegen stelle ich fest: Wir, die CDU/CSU, werden uns in der Koalition mit der F.D.P. nicht davon abhalten lassen, den mühsamen, aber notwendigen Weg zu gehen, erforderliche Reformen und Innovationen durchzusetzen, damit der Wohlstand, der in 50 Jahren in diesem Land erarbeitet worden ist, auch in den nächsten 50 Jahren sicher ist und das höhere Maß an sozialer Sicherheit, das wir in Deutschland im Vergleich zu den allermeisten anderen Ländern haben, auch in der Zukunft erhalten werden kann.
Dr. Wolfgang Schäuble
Das aber geht nicht durch Blockieren, sondern nur durch Erneuerung. Die Union ist dazu bereit.
Als letzte Rednerin in dieser Debatte erhält Dr. Christa Luft das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Kollege Dr. Schäuble, auch Sie haben sich leider eben nur bei taktischen Manövern aufgehalten. Sie haben so getan, als sei das Finanzchaos der Bundesrepublik vom Himmel gefallen bzw. hänge nur mit der Blockadehaltung der Opposition zusammen.
Ich sage Ihnen: Immer mehr Menschen in diesem Lande begreifen doch, daß es in diesem Lande an Reformen mangelt, und Sie zu der Zeit, als Reformen in die Wege geleitet werden mußten, sie für imageschädigend gehalten und daher verschleppt haben.
Immer mehr Menschen begreifen auch, daß Sie, ohne ernsthafte Vorschläge der Opposition überhaupt zu prüfen, diese gleich in den Papierkorb werfen. Eine Selbstherrlichkeit kann Ihnen, dem Finanzminister und der gesamten Koalition, ja niemand absprechen.
Herr Kollege Schäuble, Sie haben als Reformvorschläge Teilzeitangebote und Kürzung der Sozialhilfe erwähnt, Sie haben auf die Lockerung des Kündigungsschutzes und auf die Veränderung des Ladenschlusses hingewiesen. Dies alles mögen ja kleinste Schritte sein. Aber das kann man doch nicht mit dem großen Wort „Reformen" umschreiben.
Diese Bundesregierung reißt das vereinte Land in einen Abwärtsstrudel, weil sie die substantiellen Reformen nicht angepackt hat und auch weiterhin nicht anpackt. Jetzt bekommen Sie dafür die Quittung. Ich nenne die Reform des öffentlichen Dienstes: Hat sie denn etwa nichts mit Senkung der Staatsquote zu tun? Ich meine, da liegt doch ein ganz erhebliches Potential. Ich nenne die Steuerreform: Weshalb müssen wir bei der Besteuerung von Spekulationsgewinnen bis zum Tage X warten, bis Sie sich einmal über eine Steuerreform geeinigt haben? Das ist ein uralter Vorschlag der Opposition, dem Sie sich jetzt auch zuwenden müssen, aber sie wollen ihn um noch ein paar Jahre verschieben;
oder auch die intensivere Steuerprüfung: ein uralter Vorschlag der Opposition. Sie haben das immer abgewehrt. Subventionsabbau: Seit Jahrzehnten haben Sie sich diesem Problem nicht zugewandt. Sie haben nicht die Courage aufgebracht. Jetzt soll es im Hauruck-Verfahren und zu Lasten der Bergleute und anderer abhängig Beschäftigter gehen.
Bei der Reform der Arbeitsförderung und bei der Reform der Rentenversicherung - weiß Gott, wesentliche Reformvorhaben - beschränken Sie sich auf die Kürzung von ABM und der Arbeitslosenhilfe, auf Erhöhung des Renteneintrittsalters und ähnliche Dinge. Aber an die Errichtung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors, eine Herausforderung der Gegenwart und noch mehr der Zukunft, haben Sie keinen Gedanken verschwendet.
Frau Luft, Ihre Redezeit ist zu Ende.
An eine bedarfsorientierte soziale Grundsicherung gehen Sie nicht heran und auch nicht daran, die Vergabe öffentlicher Fördermittel an Beschäftigungsimpulse zu binden. Dies sind Forderungen, die einer Reform gerecht werden könnten. Dies alles wäre notwendig, damit sich die Regierung endlich dem Gemeinwohl zuwendet und nicht weiterhin Klientelpolitik betreibt und Gruppeninteressen bedient.
Danke.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" auf Drucksache 13/5902. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. abgelehnt.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 6. November 1996, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.