Rede von
Andrea
Lederer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Gerhardt, Sie haben soeben verkündet, daß Ihre Fraktion, daß die Koalition für die Reform und den Umbau des Sozialstaates steht. Warum nennen Sie es denn eigentlich nicht beim Namen: Sie stehen für Sozialabbau, nicht für Umbau, sondern für klaren Abbau.
Sie sagen, die Opposition stünde für Besitzstandswahrung, während Sie dagegen vorgehen würden. Ich frage Sie, Herr Gerhardt: Welche Besitzstände meinen Sie denn? Die der Reichen und Vermögenden verändern Sie doch nur zu deren Gunsten. Dort findet doch die Besitzstandswahrung statt, nicht bei den Lohnabhängigen und den sozial Schwachen, denen Sie ständig in die Taschen greifen.
Indem Sie die Vermögensteuer abschaffen, bedienen Sie sie noch zusätzlich.
Im übrigen: Steuersenkungen für große Konzerne und für die Reichen haben Sie doch seit 13 Jahren durchgeführt. Wo sind denn die Arbeitsplätze, die dadurch angeblich entstehen? Sie sind nicht entstanden, ganz im Gegenteil.
Wenn Sie sagen, die Jugend komme zu spät auf den Arbeitsmarkt, dann sagen Sie ihr doch erst einmal, woher sie dort einen Arbeitsplatz bekommen soll, wenn Sie die Bildungszeiten verkürzen wollen. Auch auf diese Frage geben Sie keine Antwort.
Ich denke, daß alle drei Sondersitzungen, die wir erlebt haben, in diesem Sinne einschließlich ihrer Kosten nicht nötig waren. Ich bin auch der Auffassung, daß wir das nächste Woche hätten besprechen können. Vor allen Dingen kann ich kein klares Konzept der SPD als Ziel dieser Debatte erkennen.
Zum Schluß, Herr Scharping, boten Sie der Regierung lauter Hilfestellungen an, wie man über die Schwierigkeiten hinwegkommen kann. Ich sage, dieser Regierung ist nicht mehr zu helfen.
Sie sollten für einen Wechsel der Regierung kämpfen.
Ich finde allerdings, daß die Koalition heute aufgerufen wäre, doch einmal eine klare Antwort darauf zu geben, wann sie gelogen hat. Am 28. Januar 1996 hat diese Koalition die Kürzung des Solidaritätszuschlages beschlossen, aber nicht gesagt, daß als
Dr. Gregor Gysi
Kompensation an die Reduzierung oder, besser gesagt, an die Nichterhöhung des Kindergeldes per 1. Januar 1997 gedacht war. Erst nach dem Wahlkampf am 24. April kam Ihr diesbezüglicher Vorschlag.
Deshalb gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder lügen Sie jetzt, wenn Sie erklären, wegen der Erhöhung des Kindergeldes muß die Reduzierung des Solidaritätszuschlages entfallen, oder Sie haben am 28. Januar gelogen, indem Sie nicht gleich ehrlich gesagt haben, daß das damit verbunden ist. Sie haben damit Wahlbetrug bei den drei Landtagswahlen begangen.
Natürlich ist der Haushalt 1996, Herr Bundesfinanzminister, verfassungswidrig. Natürlich ist auch der Haushalt 1997 verfassungswidrig. Sie operieren mit Einnahmen durch die Privatisierung der Lufthansa und den Verkauf bundeseigener Wohnungen, obwohl Sie genau wissen, daß sie nicht kommen. Sie lassen Ausgaben aus, von denen Sie genausogut wissen, daß sie kommen werden, nämlich die Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit. Wer das vorher weiß, handelt klar verfassungswidrig. Daher sind beide Haushalte verfassungswidrig.
Deshalb sage ich, weil ja auch Sie dafür sind, daß sich das Bundesamt für Verfassungsschutz um uns kümmert: Wenn dieses Bundesamt seine Aufgabe ernst nähme, würde es endlich anfangen, sich um diese Bundesregierung und die sie tragende Koalition zu kümmern.
Diese Bundesregierung ist erstens nicht mehr in der Lage, einen grundgesetzgemäßen Haushalt vorzulegen. Sie gefährdet zweitens den sozialen Frieden und beginnt, ihn zu zerstören. Sie vertieft drittens die soziale Spaltung, indem sie die sozial Schwachen und Lohnabhängigen immer stärker mit Kürzungen belastet, während die Oberschicht dieser Gesellschaft immer besser bedient wird. Sie gefährdet viertens die soziale und demokratische Verfaßtheit der Bundesrepublik Deutschland, die Rechte der Gewerkschaften und die Tarifautonomie.
Sie ist fünftens außerstande, wirksam gegen Massenarbeitslosigkeit vorzugehen. Sie ist sechstens außerstande, Steuergerechtigkeit herzustellen. Sie ist unfähig, mit dem ökologischen Umbau zu beginnen. Sie ist keine Regierung der Einheit mehr, denn sie vertieft die Spaltung zwischen Ost und West.
Bei alledem verheddert sie sich nun selbst in ihrer Lobbyistenpolitik. Nein, diese Regierung ist am Ende, und dieses Ende sollte man nicht verzögern.
Es war der Bundeskanzler, der nach seiner erfolgreichen Wahl am 25. Mai 1983 folgendes gesagt hat: „Wir dürfen uns nicht an diese Macht gewöhnen. Wir dürfen sie nicht als Privat- oder Parteibesitz behandeln. Wir dürfen schon gar nicht auf dieser Macht ausruhen wollen. "
Hören Sie auf damit, darauf auszuruhen! Wachen Sie auf, und gehen Sie in die Opposition!
Das erneuert, wie ich Ihnen aus eigener Erfahrung sagen kann.
Wenn Sie das Ende der Bundesregierung immer weiter verzögern, dann verletzen auch alle diese Bundesminister ihren Amtseid. Sie haben geschworen, Schaden von diesem Volk abzuwenden, organisieren aber ständig neuen Schaden.
Wenn der Bundeskanzler von seiner Auslandsreise zurückkehrt, wenn er in Indonesien und anderswo aus seiner Sicht genügend Waffen verkauft hat
- da stimme ich Ihnen ausnahmsweise einmal zu: Waffenverkäufe nach Indonesien sind wirklich eine Frechheit -,
dann müßten wir uns schon mit der Frage beschäftigen, wie es in diesem Lande weitergeht.
Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Sie haben den sozialen Frieden in dieser Gesellschaft gefährdet. Sie haben einen einzigartigen Tarifkonflikt heraufbeschworen. Sie haben die Arbeitgeber dazu verführt, Tarifvertragsbruch in einem Umfange zu begehen, wie er bis dahin in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nicht bekannt war.
Sie haben die Axt an die Rechte der Gewerkschaften angelegt. Sie wollen eine andere Bundesrepublik Deutschland, eine, in der die Rahmenbedingungen des Grundgesetzes des Jahres 1949 nicht mehr gelten.
- Da brauchen Sie gar nicht aufzukreischen. - Wir sind dem Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland beigetreten. Jetzt sorgen Sie dafür, daß es nicht mehr gilt und daß die Rahmenbedingungen verletzt werden.
Deshalb sage ich Ihnen: Wenn der Bundeskanzler zurückkommt, dann soll er in diesem Parlament die Vertrauensfrage stellen. Wenn Sie noch nach Ihrem Gewissen entscheiden, dann wird er keine Kanzlermehrheit mehr bekommen. Dann ist der Tag gekommen, an dem der Bundespräsident diesen Bundestag aufzulösen und Neuwahlen anzuordnen hat.
Das wird sogar höchste Zeit. Sie sind am Ende, und Sie wissen das auch. Ich kenne Regierungen, die nicht wahrhaben wollten, daß sie am Ende sind. Das
Dr. Gregor Gysi
wird immer nur schlimmer; das kann ich Ihnen sagen.
Allerdings muß die Opposition dann die Arbeit leisten, eine wirkliche Alternative vorzulegen.
Sie muß auch die Kraft haben, den Umgang miteinander souverän zu bestimmen und sich nicht von Herrn Hintze bestimmen zu lassen.
Dann haben wir, glaube ich, eine Alternative, die in dieser Bevölkerung mehrheitsfähig ist. Dann kann mit einer anderen Politik, der Politik des ökologischen Umbaus, der Politik der Gleichstellung, der Politik einer anderen Behandlung von Flüchtlingen und vor allem der Politik der sozialen Gerechtigkeit und der Steuergerechtigkeit in dieser Gesellschaft, begonnen werden.