Frau Präsidentin, wenn die Opposition ein bißchen ruhiger wäre, würde ich Zwischenfragen zulassen. Im Augenblick möchte ich erst einmal ungestört reden.
- Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich habe Ihnen das so oft freundschaftlich erklärt: Ich kann nicht so laut schreien wie andere. Ich will Ihnen die Gründe nicht darlegen. Deswegen finde ich es in einem hohen Maße unfair, wie Sie mich am Reden hindern wollen.
Ich will das noch einmal wiederholen, weil es so wichtig ist und weil unsere Bürgerinnen und Bürger darauf hoffen, daß etwas dabei herauskommt, wenn wir solche Debatten machen, daß wir etwas erreichen, um die Arbeitslosigkeit besser zu bekämpfen, und daß wir besser erklären können, was wir tun und warum wir es tun: Alle Sachverständigen, auch die Gewerkschaften - sie haben es unterschrieben -, sagen: Ohne eine Senkung der Staatsquote, ohne eine Senkung der Sozialversicherungsquote besteht keine Chance, die Arbeitslosigkeit abzubauen.
Deswegen ist es falsch, wenn die Opposition bei jeder Gelegenheit jeden Sparvorschlag so diffamiert, wie sie es bisher getan hat; das ist der Kern des Problems. Nun kann man über jeden Sparvorschlag unterschiedlicher Meinung sein. Aber was nicht geht, ist, daß man alle Sparvorschläge diffamiert, selber keine macht und dann mit der Bundesratsmehrheit alle zustimmungspflichtigen blockiert. Das geht nicht.
Wir haben das „Bündnis für Arbeit" nicht aufgekündigt. Uns liegt an einem vernünftigen Zusammenwirken mit Arbeitgebern und Gewerkschaften., Die Politik alleine kann die Arbeitslosigkeit nicht abbauen. Die Politik schafft keine Arbeitsplätze, höchstens im öffentlichen Dienst.
- Die Politik gestaltet die Rahmenbedingungen.
Sie muß die Rahmenbedingungen so gestalten, daß
sie durch sparsames Wirtschaften in den öffentlichen
Haushalten und bei den Sozialversicherungen Spielräume für die Senkung von Steuern und Abgaben erschließt und im übrigen mehr Flexibilität und mehr Einstellungsmöglichkeiten schafft. Genau das ist es, was wir im Programm für Wachstum und Beschäftigung in diesem Jahr getan haben. Deswegen sollten Sie aufhören, die Ängste der Menschen zu schüren. Vielmehr sollten Sie daran mitwirken, daß wir eine bessere Chance haben, gute Ergebnisse zu erzielen.
Wahr ist eben auch: Die Bedingungen für Investitionen in unserem Lande sind ungünstiger als in den meisten anderen vergleichbaren europäischen Ländern. Deswegen - und aus keinem anderen Grunde - muß die Vermögensteuer entfallen: weil die Vermögensteuer eine Steuer auf investiertes Kapital ist.
Es geht doch nicht um primitive Sozialdemagogie, sondern darum, daß investiertes Kapital in Deutschland weniger rentabel ist als in anderen Ländern.
- Jetzt geht das schon wieder los!
Deswegen haben wir das Problem, daß in den letzten Jahren zehnmal so viele Investitionen von Deutschland aus im Ausland getätigt worden sind wie vom Ausland aus in Deutschland. Damit sind in Deutschland Arbeitsplätze verlorengegangen.
Wenn wir das ändern wollen, müssen wir die Besteuerung von investiertem Kapital und die Unternehmensbesteuerung verändern.
Wenn es ernst ist mit dem Ziel der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit - ich unterstelle, daß es uns gemeinsam Ernst damit ist -, der muß ernsthaft um den geeigneten Weg ringen. So wie wir Lohn- und Lohnzusatzkosten senken müssen, so wie die Bürokratie nicht immer mehr überhandnehmen darf - auch das ist ein Grund dafür, daß die Staatsquote, nämlich der Anteil der öffentlichen Hand an der Verwendung des Bruttoinlandsproduktes, gesenkt werden muß -, so muß die Unternehmensbesteuerung gesenkt werden.
Wenn Investitionen in Deutschland weniger rentierlich sind als in unseren Nachbarländern - der Bundeskanzler hat es, ich glaube, auf unserem Parteitag vor kurzer Zeit vorgetragen; es ist auf jeden Fall öffentlich bekanntgeworden - und von Osterreich bis Holland mit günstigerer Besteuerung um Investitionen geworben wird, darf man die Besteuerung investierten Kapitals nicht weiter erhöhen wollen, wie es die SPD zum Ziel hat, sondern muß sie senken. Das muß man doch zur Kenntnis nehmen, wenn man mehr Arbeitsplätze will.
Deswegen muß endlich die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft werden.
Dr. Wolfgang Schäuble
Es ist doch ein unerträglicher Skandal, daß Sie seit anderthalb Jahren die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer blockieren.
- Wider besseres Wissen. - Was dies für ein Skandal ist, wird doch an dem Verhalten Ihres Verhandlungsführers, des Hamburger Bürgermeisters Voscherau, sichtbar. Er muß - weisungsgemäß - dem Bundesfinanzminister Theo Waigel und den Vertretern der Koalition erklären, die Mehrheit im Bundesrat werde der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer nicht zustimmen, sondern sie verhindern. Am Tag danach fordert er den Bundesfinanzminister auf, er solle dafür sorgen, daß die Gewerbekapitalsteuer in den neuen Ländern nicht eingeführt werden müsse. Entweder - oder! Wenn sie dort nicht eingeführt werden darf, muß sie abgeschafft werden, und zwar in ganz Deutschland. Anders geht das nicht.
Ich bin am Montag, als Sie diese Sitzung beantragt haben, in Magdeburg gewesen. Dort hat der Wirtschaftsminister des Landes Sachsen-Anhalt gesprochen. Er ist, glaube ich, von der SPD. Da wir mehr Arbeitsplätze brauchen, so sagte er, dürften wir nicht immer die neuen Technologien, insbesondere die Gentechnik und Biotechnologie, blockieren. Es sei ein Skandal, daß jeder Freilandversuch im Bereich der Biotechnologie niedergetrampelt werde. So werde die Zukunft verspielt. Dann hat er davon gesprochen, daß die Rahmenbedingungen für Investitionen in den neuen Ländern steuerlich verbessert werden müßten.
Ich habe ihm gesagt: Kommen Sie doch einmal in den Bundestag! Solch eine Rede eines SPD-Politikers würde ich hier gerne einmal hören. Sie würde uns ein Stück weiterbringen, insbesondere wenn die SPD darauf hören würde.
Wenn Sie die Einführung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Länder erzwingen
- nein, Entschuldigung, Sie verweigern die Abschaffung; Sie brauchen nur zuzustimmen, das weiß inzwischen jedes Kind in Deutschland -, haben Sie jedes Recht verloren, im Interesse der Menschen und der Arbeitsplätze in den neuen Ländern zu reden.
Eine weitere Bemerkung.
- Das bestimme ich schon selbst, wieviel ich hier sage. Wenn Sie das Recht haben, Sitzungen einzuberufen, werden wir doch noch das Recht haben, zu bestimmen, was wir sagen.
Kollege Fischer - er kann keine Zwischenrufe mehr machen, da er den Saal verlassen hat; das ist auch in Ordnung -
hat von der Zinsfalle gesprochen. Die muß in seinem Kopf zugeschnappt sein. So niedrige Zinsen wie heute haben wir selten in Deutschland gehabt. Die Realitäten muß man doch ein wenig kennen.
Dann hat Kollege Fischer - da ist er wieder; Entschuldigung, ich habe Sie eben übersehen - davon gesprochen, daß die Erhöhung der Mineralölsteuer zur Gegenfinanzierung für die Abschaffung der Vermögensteuer vorgesehen sei. Herr Kollege Fischer, Grundkenntnisse im Finanzverfassungsrecht könnten Ihnen nicht schaden. Die Vermögensteuer steht ausschließlich den Ländern und die Mineralölsteuer ausschließlich dem Bund zu. Das eine kann also nicht mit dem anderen kompatibel sein. Die Fakten muß man schon kennen.
- Das ist ganz eindeutig.
Jetzt will ich zu einem weiteren Punkt kommen, der ebenfalls wichtig ist. Herr Kollege Gerhardt, alle Partner in der Koalition sollten daran denken: Manche der Diskussionen führen dazu, daß die Mehrheit unserer Bevölkerung wahrscheinlich der Überzeugung ist, es würden laufend die Steuern erhöht. Das entspricht aber nicht der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist vielmehr, daß die Steuern, wenn auch in einem bescheidenen Maße, gesenkt werden. Ich will die Gelegenheit nutzen, dies noch einmal zu betonen. Ich sage gar nicht, daß das ausreichend sei; wir brauchen weitere Einsparmaßnahmen.
Die Wahrheit ist aber, daß im Saldo Jahr für Jahr die Steuern gesenkt werden, zum Beispiel durch die Steuerbefreiung des Existenzminimums zum 1. Januar 1996 und durch die Neuordnung des Familienleistungsausgleichs.
- Der Sachverhalt ist erst einmal zur Kenntnis zu nehmen und den Menschen zu vermitteln.
Die Steuern sind in diesem Jahr im Saldo um 18 Milliarden DM niedriger, als es der Fall gewesen wäre, wenn das Gesetz nicht geändert worden wäre. Was Ihren Beitrag betrifft: Hätte der Bundesrat nicht Einspruch eingelegt, hätten wir die Steuern um 22 Milliarden DM senken können. Sie haben die Steuersenkung um 4 Milliarden DM verkürzt.
Auch wenn zum 1. Januar 1997 - irgendwann wird der Vermittlungsausschuß tagen; er wird nicht immer beschlußunfähig sein - die Verhandlungen noch nicht beendet sind, ist ganz sicher, daß die Steuern 1997 nicht höher als die Steuern 1996 sein werden.
Dr. Wolfgang Schäuble
Sie werden im Saldo, wenn auch nur um einen kleinen Schritt, gesenkt.
- Aber natürlich. Ich rede jetzt von dem Tatbestand, daß die Steuerlast im nächsten Jahr etwas niedriger sein wird. Das sollten Sie nicht bestreiten.
Im übrigen hat das von Ihnen so viel zitierte Gutachten der Forschungsinstitute ausdrücklich ausgeführt, daß zum erstenmal seit der Wiedervereinigung die Staatsquote im nächsten Jahr wieder sinkt, und zwar um 0,4 Prozent. Das reicht zwar noch nicht, aber die Trendwende ist erreicht. Wir sind auf dem richtigen Weg, und das haben wir gegen Ihren Widerstand durchgesetzt.
Wenn Sie Vermögensteuer, Familienleistungsausgleich und Erbschaftsteuer miteinander saldieren und zusammenrechnen, werden Sie feststellen, daß die Steuern im nächsten Jahr sinken. 1999 werden wir mit der großen Steuerreform einen großen Schritt in Richtung Steuersenkung machen. Wir werden uns in den nächsten Tagen und Wochen Schritt für Schritt einigen müssen, wann und in welchem Umfang wir die Reform durchführen, Herr Kollege Gerhardt. Alles was möglich ist, nutzen wir zur Reduzierung der Steuerbelastung.
Die Opposition hat vielleicht ein taktisch verständliches Interesse daran, die Bevölkerung zu verwirren.
Die Wahrheit ist: Wir als Koalition sollten durch die Art, wie wir manche öffentliche Debatten führen
oder gelegentlich nicht führen, nicht den Eindruck erwecken, als würden die Steuern ständig erhöht. Wir erhöhen sie nicht, sondern wir senken sie im Saldo. Das ist auch notwendig; denn sie müssen gesenkt werden, damit wir in Deutschland mehr Arbeitsplätze schaffen. Um das und um nichts anderes geht es.
Um mehr Arbeitsplätze zu bekommen, müssen wir weiterhin den Weg der Einsparungen gehen. Dieser Weg ist unbequem. Über jede einzelne Maßnahme kann und muß in der Demokratie immer auch gestritten werden.
Was wir und auch die Opposition aber wirklich nicht machen sollten, ist, die Debatten so zu führen, daß im Ergebnis immer nur noch höhere Steuern und Abgaben, eine noch höhere Staatsquote und keine Chance zu Veränderungen herauskommen. Wer die Veränderung des Status quo zum Tabu erklärt und die Besitzstände verteidigt, wer Innovation verweigert, den Menschen Angst einredet und so tut, als sei mit marginalen Veränderungen sogleich der Weltuntergang verbunden, oder wer, wenn wir Veränderungen durchführen, die hinter dem Stand aller europäischen Länder sogar zurückbleiben - auch bei der
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall -, dann so tut, als würde jetzt der Sozialstaat zu Grabe getragen, der verweigert die notwendigen Reformen.
Wer in einer Zeit, in der sich so ungeheuer viel verändert - es mag nicht jedem gefallen, daß wir in der industriellen Produktion mit jedem Standort in der Welt konkurrieren, weswegen gelegentlich der Kanzler und andere Regierungsmitglieder in andere Erdteile fahren müssen, um im wirtschaftlichen und politischen Interesse der Bundesrepublik Deutschland unsere Beziehungen zu pflegen und weiterzuentwickeln; das ist doch nicht falsch, sondern richtig -,
wer angesichts dieser Globalisierung die notwendigen Innovationen verweigert, gefährdet den Wohlstand und die soziale Sicherheit für die Zukunft.
Wer in einer Zeit, in der die industrielle Entwicklung und Rationalisierung dazu führen, daß wir allein in der Industrie und in den großen Verwaltungen nicht so viele Arbeitsplätze schaffen, wie wir brauchen, damit alle Menschen Beschäftigung haben, die notwendigen Flexibilisierungen im Arbeitsrecht und auch bezüglich des Ladenschlusses verweigert und blockiert, schadet den Chancen, mehr Arbeitsplätze zu gewinnen. Wir können nur im Dienstleistungsbereich die Arbeitsplätze finden und schaffen, die wir allein in der Industrie und in den großen Verwaltungen nicht zur Verfügung haben. Sie verweigern jede Flexibilisierung.
Wer angesichts der demographischen Entwicklung, angesichts der Tatsachen also, daß wir länger leben dürfen und die Zahl der Kinder zurückgegangen ist, daß sich aus dem Zusammenwirken von steigender Lebenserwartung und geringerer Kinderzahl der Anteil älterer Menschen in kurzer Zeit dramatisch erhöht, so tut, als seien Reformen in der Kranken- und Rentenversicherung nicht notwendig, der legt die Hand an die Wurzeln der sozialen Sicherheit.
Diejenigen, die die notwendigen Anpassungen vornehmen, dafür arbeiten und sich mühen - vielleicht auch mit Fehlern; wer nicht handelt, macht keine Fehler; aber der größte Fehler ist es, nicht zu handeln -, die notwendigen Anpassungen an die stattfindenden Veränderungen um uns herum und in unserem Lande rechtzeitig zu erreichen, mühen sich um die Zukunft unseres Landes. Diejenigen, die jede Veränderung diffamieren und blockieren, die die Besitzstände verteidigen sowie Neid und Angst schüren, schaden der Zukunft.
Deswegen stelle ich fest: Wir, die CDU/CSU, werden uns in der Koalition mit der F.D.P. nicht davon abhalten lassen, den mühsamen, aber notwendigen Weg zu gehen, erforderliche Reformen und Innovationen durchzusetzen, damit der Wohlstand, der in 50 Jahren in diesem Land erarbeitet worden ist, auch in den nächsten 50 Jahren sicher ist und das höhere Maß an sozialer Sicherheit, das wir in Deutschland im Vergleich zu den allermeisten anderen Ländern haben, auch in der Zukunft erhalten werden kann.
Dr. Wolfgang Schäuble
Das aber geht nicht durch Blockieren, sondern nur durch Erneuerung. Die Union ist dazu bereit.