Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister,
es war schon ziemlich erbärmlich, was Sie heute vor dem Hause abgeliefert haben.
Wissen Sie, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, die Opposition blockiere alles, die Opposition sei schuld, dann freut es die Opposition, daß sie so mächtig ist. - Gerne wären wir so mächtig; aber leider ist es nicht so.
Herr Bundesfinanzminister, so etwas wie Ihren Auftritt gerade eben nennt man eigentlich Angstbeißen.
Aus Ratlosigkeit und aus Hilflosigkeit versuchen Sie, auf die Opposition draufzuschlagen. Dabei wissen Sie ganz genau: Ihr Hauptproblem ist nicht die Opposition, Ihr Hauptproblem ist die Handlungsfähigkeit Ihrer eigenen Koalition.
Wenn Sie sich hier 20 Minuten hinstellen und nicht einen Satz zum Herbstgutachten der Wirtschaftsinsti-
Joseph Fischer
tute, zu diesem Generalverriß Ihrer Politik sagen, dann sagt das mehr als all Ihre vielen Worte.
Wenn Sie im Herbstgutachten von gestern mitgeteilt bekommen, daß Ihre Finanzpolitik ein schlichtes Stolpern von Haushaltsloch zu Haushaltsloch, von Waigel-Loch zu Waigel-Loch ist und wenn Sie das gleichzeitig als symmetrische Finanzpolitik bezeichnen, müssen Sie offenbar schon im Zustand des Vollrausches oder der völligen Entrückung sein.
Die letzten zwei Wochen haben doch eines Marge- macht: Die Standortkrise in diesem Land, über die viel diskutiert wurde, ist vor allem eine politische Krise - eine politische Krise, die aus der Handlungsunfähigkeit der derzeitigen Koalition entsteht.
- Ich komme gleich noch zur F.D.P., zur Steuersenkungspartei F.D.P. Gedulden Sie sich noch einen Augenblick!
Wenn die Lage nicht so ernst wäre, könnte man sich eigentlich schieflachen über das, was Sie in den vergangenen 14 Tagen abgezogen haben. Aber Sie verhindern die notwendigen Reformen und setzen die Zukunftsfähigkeit unseres Landes aufs Spiel.
Schauen Sie doch nur einmal, wie Sie mit der Frage der Abschaffung der Vermögensteuer umgegangen sind, die sozial ein Skandal ist. Unter dem Gesichtspunkt des strukturellen Erneuerungsbedarfs und des Konsolidierungsbedarfs ist diese Frage eigentlich eine Nebensächlichkeit. Zur Gegenfinanzierung der 9,4 Milliarden DM wollten Sie erst das Kindergeld verfassungswidrig nicht erhöhen. Als dies am Widerstand der Opposition, an der „Blokkade", wie Herr Waigel sie nennt, scheiterte, kamen Sie auf die Idee, die Mineralölsteuer zu erhöhen. Nun sage ich Ihnen als Grüner: Es gibt hundert gute Gründe, die Mineralölsteuer zu erhöhen, aber nicht zur Gegenfinanzierung der Abschaffung der Vermögensteuer. Da haben wir eine klare Position.
Als die Mineralölsteuererhöhung, Kollege Schäuble, an den schlichten Überlebensängsten dieser Truppe, Ihres Koalitionspartners F.D.P., gescheitert war, kam man zum Solidaritätszuschlag. Die sozial skandalöse Abschaffung der Vermögensteuer wird also jetzt durch den Griff in die Finanzen des Aufbaus Ost gegenfinanziert.
- Hören Sie, Ihr Generalsekretär, der uns heute leider nicht die Ehre gibt - er wird dafür seine Gründe haben -, hat noch am Donnerstag der letzten Sitzungswoche hier eine Rede gehalten, in der er die F.D.P. als Steuersenkungspartei gepriesen hat. Am Freitag morgen seid ihr umgefallen. Das waren nicht einmal 24 Stunden.
Ich kann mich, verehrter Herr Kollege Gerhardt, sehr gut an die Wahlkämpfe in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz und in Schleswig-Holstein erinnern. Die F.D.P. ist - beim Barte des Solms - wie mit einer Monstranz mit der Abschaffung des Solidaritätszuschlags, die wir immer für unverantwortlich und falsch gehalten haben, herumgelaufen. Ich sage Ihnen: Den Vorwurf, daß es sich dabei um Wahlbetrug und bei Ihnen um Wahlbetrüger handelt, den müssen Sie sich gefallen lassen, seitdem Sie in dieser Frage eingeknickt sind.
Kollege Scharping hat es schon erwähnt: Daß Sie eine Steuersenkungspartei seien, ist nur eine Mär. Seit 1991 sind Steuererhöhungen von insgesamt 100 Milliarden DM eingetreten. Jetzt wurde noch einmal die Grunderwerbsteuer um 3,4 Milliarden DM erhöht. Das ist die Realität.
Meine Damen und Herren, das ist nur ein Beispiel für die Handlungsunfähigkeit dieser Regierung. Ich meine, gegenwärtig reicht es völlig aus, wenn man konservative Zeitungen liest. Man könnte hier eigentlich eine Rede nur mit Zitaten aus konservativen Zeitungen oder aus Interviews, in denen die lieben Koalitionäre übereinander herziehen, halten. Herr Waigel, wie Graf Lambsdorff und andere Liberale Sie klassifizieren, klassifiziert Sie maximal noch Herr Stoiber, aber kein Grüner und kein Roter. Das muß man doch einmal ganz einfach sagen. So etwas haben wir über Sie noch nicht gesagt.
Meine Damen und Herren, wie ist der Zustand der Republik auf dem Hintergrund dieser Handlungsunfähigkeit? Was lese ich heute in der „FAZ", dem Zentralorgan von Rot-Grün?
Spitzen Sie jetzt einmal die zarten Öhrchen, Herr Bundesfinanzminister! Dort lese ich:
Wendezeit
Die Folgen der Entschlußlosigkeit und des Populismus sind nun zu besichtigen: die Wirtschaft im Westen Deutschlands knickt unter der Last der Ostsanierung zusammen; der Osten entwickelt sich derweil zum teuersten Wirtschaftsdesaster der Nachkriegsära; Deutschland bleibt ein Hochsteuerland mit Massenarbeitslosigkeit und ohne
Joseph Fischer
Beitrittsberechtigung zur Währungsunion. Man muß nicht Ökonom sein, um zu begreifen, daß hier alles schiefläuft, was irgend schieflaufen kann.
- Sie dürfen zur „FAZ" ruhig einmal klatschen; sie hat es in diesem Fall verdient.
Ich fahre fort:
Die Feststellung, ausgerechnet diese Koalition biete die schlechteste Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahrzehnte, ist vom Kanzler hochfahrend mit Fiktionen beantwortet worden: Aufschwung Ost, Währungsunion.
Das ist die Realität heute in Deutschland, die Sie zu verantworten haben - nicht die Opposition, meine Damen und Herren von der Koalition.
Wir haben die höchste Arbeitslosigkeit. Wir bekommen die Überschuldung der Haushalte nicht in den Griff. Auf Grund dessen, daß Sie die deutsche Einheit schuldenfinanziert haben, sitzen wir heute in der Zinsfalle.
Auf Grund dessen, daß Sie die deutsche Einheit über eine Belastung der Sozialversicherungsträger finanziert haben, haben wir heute unverantwortlich hohe Lohnnebenkosten, die eine wesentliche Ursache für die Massenarbeitslosigkeit in diesem Lande sind.
Sie sollten jetzt darauf setzen, den Menschen die Wahrheit zu sagen. Sie sollten ihnen klipp und klar sagen - ich weiß, viele Kolleginnen und Kollegen aus der Union und auch Kollegen aus der Bundesregierung, die der Union angehören, sagen das hinter vorgehaltener Hand ganz genauso -: In der gegenwärtigen Situation gibt es keinen Spielraum für Steuersenkungen. Das ist gegenwärtig nicht drin.
Wir können allerdings mehr Steuergerechtigkeit herbeiführen,
und das wird bei einzelnen, oder bei sozial benachteiligten Gruppen dann zu Steuersenkungen führen. Aber volkswirtschaftlich - insgesamt gesehen - gibt es angesichts der Doppelkrise von Globalisierung und deutscher Einheit keine Möglichkeit, die Steuern zu senken, es sei denn, man setzt als kleine Partei die eigenen Überlebensinteressen höher als die Interessen unseres Landes, und das tut die F.D.P.
Meine Damen und Herren, Höhepunkt des Ganzen soll - unter ästhetischen, nicht unter politischen Gesichtspunkten freue ich mich darauf ja schon - die Steuerreform sein. Das wird ein Schlachtfest werden, wenn ihr die Steuerreform anpackt. Ich versuche, mir konkret vorzustellen, wie die Interessen in der Koalition dann zum Tanzen kommen und was dann los ist. Wenn ihr schon bei einer Deckungslücke von 9,4 Milliarden DM solche Probleme miteinander bekommt, dann, Herr Gerhardt, wird die F.D.P. entweder zur Dauerumfalleinrichtung, oder Sie werden - wenn Sie Ihre eigene Position ernst nehmen - diese Koalition am Ende doch noch verlassen müssen.
Das werden wir hier noch alles erleben.
Nein, in diesem Land sind strukturelle Reformen notwendig. Eine dieser strukturellen Reformen ist, daß wir endlich mit einer Steuerreform ernst machen, die soziale Gerechtigkeit, die Transparenz schafft. Ich sage allerdings für uns klipp und klar: Diese soziale Sauerei, daß eine Senkung der Einkommensteuertarife über eine Mehrwertsteuererhöhung gegenfinanziert wird, darf es nicht geben. Wenn Sie das so anpacken, wird Ihnen dieses Thema 1998 um die Ohren fliegen. Das wage ich Ihnen schon heute zu prophezeien.
Wir müssen endlich eine ökologische Steuereform einführen. Nachdem Sie, Herr Waigel, mit dem Bareis-Gutachten solche Probleme hatten und unter dem „Druck der Verhältnisse" zu neuen Erkenntnissen kamen: Begreifen Sie doch endlich einmal, daß eine ökologische Steuerreform nicht nur eine Chance für die Umwelt, sondern - durch das Eröffnen neuer Märkte und die Entlastung bei den Lohnnebenkosten - vor allen Dingen auch für die Schaffung neuer Arbeitsplätze bietet.
Hier im Hause haben Sie sofort eine Mehrheit für einen substantiellen Beginn einer ökologischen Steuerreform. Damit werden wir mehr für die Entlastung der Haushalte, mehr für die Entlastung der Arbeitsmärkte tun, als dies bei dem Tohuwabohu, das gegenwärtig bei der Koalition abläuft, der Fall sein wird.
Deshalb: Es darf nicht wahr sein, daß die Zukunft dieses Landes an den parteipolitischen Überlebensinteressen der F.D.P. hängt. Das kann nicht sein!
Dadurch bekommen Sie von der Union ein riesiges Problem. Sie wissen so gut wie ich, daß die Zeit des Nichthandelns zu Ende geht. Die Opposition hat es Ihnen immer wieder prophezeit: Die Stunde in dieser
Joseph Fischer
Legislaturperiode, mit der das Aussitzen zu Ende geht, naht.
Jetzt muß gehandelt werden. In einer Zeit radikal defizitärer Haushalte, in einer Zeit der Notwendigkeit der Beachtung der Maastricht-Kriterien, in einer Zeit von Massenarbeitslosigkeit, von mehr als vier Millionen Arbeitslosen, in einer Zeit allgemeiner Innovationsschwäche setzt diese Einsicht nicht Populismus voraus - nach der Devise: „Wählt uns, wir senken die Steuern! " -, sondern entschlossenes Handeln bei der Umsetzung der Interessen dieses Landes. Das heißt auch, daß man den Menschen sagt, daß auf absehbare Zeit eine Senkung der Steuerlast insgesamt nicht drin sein wird: mehr Steuergerechtigkeit, aber keine Senkung der Steuerlast. Das wissen Sie von der Union ganz genau.
Sie wissen auch, daß Sie jetzt am Barte von Solms oder am Schopf von Gerhardt hängen, weil richtig ist, was Lambsdorff sehr klar gesagt hat: Wenn es Steuererhöhungen gibt, ist die F.D.P. tot. Nur, es darf doch nicht wahr sein, daß die Reformfähigkeit, daß die Veränderungsnotwendigkeit in diesem Land am Schicksal einer kleinen Partei und ihrem Überlebensinteresse als Dauerregierungspartei hängt.
Herr Kollege Waigel, das ist das eigentliche Problem, mit dem wir es hier zu tun haben. Anstatt entschlossen Reformen anzupacken, was Sie in dieser Koalition nicht mehr hinbekommen, hangeln Sie sich von einer Notlösung zur anderen, von einem Loch zum nächsten; doch die Löcher werden immer tiefer werden.
Wir brauchen eine ökologische und soziale Erneuerung, mehr Innovation in diesem Land. Wir müssen die Menschen endlich mit der Wahrheit konfrontieren und mit einer Politik Schluß machen, die auf steuerpolitischen Lügen aufgebaut ist.