Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Fischer hat recht: Im Kern geht es um die Kursbestimmung der Politik in Deutschland, und nicht nur um eine Haushaltsfrage.
Diejenigen, die Reformen in Deutschland heute verhindern, sitzen auf der linken Seite, und diejenigen, die Reformen wollen, sitzen auf der rechten Seite dieses Hauses.
Es ist so, als drängten sich in diesen Tage alle Verteidiger der alten Wohlstandsgarantien und alle Besitzstandswahrungsdenker in Deutschland zusammen. Jeder holt einen Balken aus seiner Scheune und verhindert beschäftigungsprogrammatische Impulse, die wir beschlossen haben. Jeder stellt sich gegen Reformen und gegen ein Stückchen mehr eigene Selbstverantwortung. Viele wollen Alters- und Sozialsicherungssysteme garantiert haben, die sich aber als Barriere gegen Beschäftigung entwickeln.
Herr Scharping, was hat denn Ihre Partei dazu beigetragen, um über mehr Deregulierung zu mehr Beschäftigung in Deutschland zu kommen?
Das Armutszeugnis, das Sie sich mit der Ladenschlußdiskussion ausgestellt haben, ist noch in guter Erinnerung.
Wie reagieren denn Sozialdemokraten und Grüne auf kleinste Schritte der Privatisierung, außer sie zu verzögern und zu behindern? Wie lange haben wir denn im Rahmen der großen Privatisierungsdiskussionen warten müssen, bis Sie entscheidungsfähig waren? Wo ist denn Ihr Beitrag zur Reform der Gesundheitssysteme? Wo ist denn Ihr Beitrag, sich vom alten Denken zu verabschieden und ein Stück programmatischer Reformpolitik einzuleiten?
Sie mobilisieren all diejenigen in der deutschen Öffentlichkeit, die die Veränderungen nicht wahrhaben wollen, die die Globalisierung der Märkte leugnen, die die Arbeitsbeziehungen in aller Welt wegdenken, obwohl sie Realität sind. Dann richten Sie sich an uns und sagen, wir seien die Schuldigen für die Arbeitslosigkeit. Sie verursachen Löcher in dem Haushalt, die wir zu stopfen haben. Das ist die Situation, die benannt werden muß.
Sie beschließen Ausgabenprogramme via Bundesrat, die wirklich im Gegensatz zu dem Antrag stehen, den Sie uns heute hier zur Beschlußfassung vorlegen.
Es ist doch in der Bundesrepublik nicht so, daß die Regierung und die Koalition allein die Verantwortung hat; Sie bestimmen in diesem Land mit. Es gibt aber keinen einzigen Einsparungsvorschlag der Sozialdemokratischen Partei. Ich kenne ausschließlich Vorschläge zur Ausgabensteigerung.
Und dann rufen Sie nach einer Gleichgewichtspolizei. Sie sollten nicht sozusagen in den Haushalt einbrechen und hinterher nach der Polizei rufen. Das können wir Ihnen hier nicht durchgehen lassen.
Dr. Wolfgang Gerhardt
Sie sind zu Kurskorrekturen in der deutschen Politik, die wir dringlichst brauchen, weil die alte Politik der Dienstleistung und auch die alte Politik der Befriedigung von Interessen nicht mehr trägt, nicht in der Lage.
- Wir haben durchaus einen Rückschlag erlitten, Herr Kollege Fischer; das gestehe ich Ihnen zu. Aber nicht diejenigen beschädigen die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland, die eine Steuersenkung verschieben, sondern die, die zu Entscheidungen zur Steuersenkung gar nicht fähig sind und Ausgaben-programme beschließen, die sie kreditfinanzieren, ohne auf die Seriosität der Haushalte zu achten. Die sitzen aber nicht im Regierungslager.
Wir haben Diskussionen über die Notwendigkeit von Reformen bei den sozialen Sicherungssystemen geführt. Sie wissen genausogut wie ich: Wenn wir die sozialen Systeme heute nicht reformieren, werden wir morgen Arbeitsplätze in Deutschland vernichten, statt neue zu schaffen. Sie sind hinsichtlich der sozialen Sicherungssysteme zu keinem Reformvorschlag in der Lage. Sie bestätigen altes Besitzstandswahrungsdenken, ohne daß Sie jährliche Wachstumsraten zur Verfügung haben, wie wir sie früher hatten. Sie sind nicht zu Reformschritten in der Lage und halten an alten Besitzständen fest, über die wir hinweg müssen, wenn dieses Land Zukunft haben will.
Eine Politik, über die Herr Scharping und Sie hier diskutieren, die sich darauf beschränkt, in der Öffentlichkeit all diejenigen zu mobilisieren, die nicht bereit sind, die Wahrheit und die wirkliche Lage zur Kenntnis zu nehmen, ist in Wahrheit Populismus.
Das muß ich Ihnen vorhalten. Das ist ein Stück Populismus, der den Menschen die Zukunft verbaut.
Sie haben uns bei allen großen politischen Entscheidungen in der Bundesrepublik Deutschland - auch bei denjenigen, die schwierig und zur Aufstellung von Haushalten notwendig waren - nie gestützt. Sie haben alle schwierigen Entscheidungen, bei denen Sie wußten, wir müssen den Menschen etwas zumuten, konterkariert, uns kritisiert und beschimpft. Sie haben via Bundesrat keinen Beitrag zur Haushaltsstabilisierung geleistet und dürfen deshalb aus dieser Diskussion mit der Position, die Sie hier vortragen, nicht glaubwürdig entlassen werden. Das kann nicht nur im Interesse des Parlaments, sondern auch im Interesse der deutschen Öffentlichkeit so nicht hingenommen werden.
Wenn Sie Haushalte konsolidieren und über das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht sprechen wollen, dann treten Sie bitte hier an dieses Rednerpult und sagen Sie hinsichtlich der großen Subventionsbereiche, ob, wie schnell und mit welcher Zielsetzung Sie sie abbauen wollen. Sagen Sie bei der deutschen Steinkohle bitte ganz klar, mit welcher Zielsetzung Sie bis zum Jahre 2005 welche Absenkung anstreben und wann Sie beginnen wollen. Sagen Sie das nicht nicht nur hier; sagen Sie das auch im Ruhrgebiet - beschimpfen Sie uns nicht dort -, wo wir dann beschimpft werden, weil wir ein Stück alte Struktur verändern wollen.
Wir können weitere Bereiche diskutieren. Wir entlassen die junge Generation zu spät in das Berufsleben. Das Rentensystem trägt nicht mehr, wenn Arbeitnehmer früher als mit 65 Jahren aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Sagen Sie, was Ihre Alternative ist, wenn Sie uns kritisieren, daß wir eingestehen, die Rente erst wieder mit 65 Jahren in seriöser Weise bezahlen zu können. Treffen Sie in den Ländern bildungspolitische Entscheidungen, die die jungen Menschen früher in die berufliche Wirklichkeit entlassen, statt sie zu lange im Schulsystem festzuhalten. Sie haben dazu nicht den Mut. Das muß hier angesprochen werden.
Ich erinnere mich noch daran, wie Sie uns Vorwürfe gemacht haben, als wir seriöserweise feststellen mußten, daß das Rentensystem es jedenfalls nicht mehr finanzieren kann,
daß jemand heute so spät in das Berufsleben eintritt und im Alter von 60 Jahren dann die früher gewohnte Rente - die man nun ab 65 erhält - je ausgezahlt bekommt. Sie haben uns deswegen beschimpft.
Sie haben eher Kosten und Probleme verursacht, als einen mutigen Reformschritt getan. Ihr Vorwurf hinsichtlich des Gesundheitswesens ist die pure Un-
Dr. Wolfgang Gerhardt
fähigkeit, bei diesen kollektiven Systemen Entscheidungen zu treffen, damit den Menschen überhaupt transparent wird, was ihnen auf dem Konto abgebucht wird.
Sie beklagen die geringen Nettolöhne. Sie fordern die Gewerkschaften zu hohen Tarifabschlüssen auf.
Sie spreizen zwischen Lohn und Produktivität 20 Prozent. Dann kritisieren Sie uns bei unserer Haushaltskonsolidierung und Politik.
Nein, Sie haben keine politische Richtung außer der des Festhaltens an Besitzständen und liebgewonnenen Gewohnheiten der Vergangenheit.
Wir müssen in diesem Herbst bei einer schwierigen finanziellen und wirtschaftlichen Situation ein Stück Kurskorrektur in der Politik in der Bundesrepublik Deutschland vornehmen. Wir geraten an schwierige Stellen. Es wird aber entscheidend darauf ankommen, ob wir die Kraft haben, das durchzustehen.
- Wenn wir das jetzt aufgeben, werden wir verlieren. Wenn wir jetzt durchhalten, können wir gewinnen.
Deshalb, Herr Fischer, ist Steuersenkung nichts Beliebiges. In einem Land, das Beschäftigung sichern will, ist die Senkung von Steuern notwendig, um internationale Signale für Investitionen in Deutschland zu senden.
Darum geht es. Es geht um Steuersenkung für die Sicherung von Beschäftigung in Deutschland.
Die Koalition muß mit seriösen Deckungsvorschlägen alles daransetzen, die Steuern so früh wie möglich zu senken - nicht weil es um den Koalitionspartner F.D.P. geht, sondern weil es um Beschäftigung in Deutschland geht. Das ist unser Ziel. Deshalb vertreten wir diese Position.
Sie wissen genauso wie ich, daß Kapital international mobil ist und daß Arbeit weltweit handelbar ist. Wenn wir darauf nicht mit steuerlichen Instrumenten reagieren, wird diese Mobilität an uns vorbeigehen und zwar zu Lasten der Zukunftschancen der jungen Generation in Deutschland.
Deshalb sage ich zum Abschluß: Im Gegensatz zu Ihnen vertreten wir eine Politik, die die Fähigkeit zu Reformen, auch die Fähigkeit zu Kurskorrekturen und damit ein Stück notwendige Neuorientierung der Politik in Deutschland beinhaltet. Sie befindet sich jetzt in einer schwierigen Situation, aber wir
müssen es durchstehen, wenn wir der Bundesrepublik Deutschland eine stabile Zukunft geben wollen.