Rede von
Oskar
Lafontaine
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte am heutigen Tag findet zu einem Zeitpunkt statt, wo die Wirtschaftsinstitute festgestellt haben, daß sie damit rechnen, daß auch im nächsten Jahr die Arbeitslosigkeit nicht sinken, sondern noch leicht ansteigen wird. Dies zeigt den Ernst der Situation. Ich meine, es wäre gut, wenn die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wieder in den Mittelpunkt der deutschen Politik gerückt würde.
Der Bundeskanzler hat auf dem CDU-Parteitag - das ist kaum bemerkt worden - das Ziel relativiert, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu halbieren. Es wirft doch die Frage auf, ob Sie selbst nicht mehr an den Erfolg Ihrer eigenen Politik glauben, wenn Sie, kaum daß ein Ziel ausgesprochen ist, es schon wieder zurücknehmen.
Es ist keine Frage, daß eine solide Finanzpolitik Grundlage für Wachstum und Beschäftigung ist. Interessant war nur, Ihnen heute zuzuhören, Herr Finanzminister, als Sie gesagt haben, nach Ihrem Urteil ist die eigene Finanzpolitik langfristig angelegt. Das war wirklich ein bemerkenswerter Augenblick am heutigen Tag. Denn am selben Tag hat die deutsche Öffentlichkeit das Urteil der Wirtschaftsforschungsinstitute zur Kenntnis genommen, und das lautet wie folgt: Die Finanzpolitik ist von hektischem Aktionismus geprägt;
mittelfristige Konzepte sind völlig aus dem Blickfeld geraten; die Finanzpolitik hat mehr Vertrauen verspielt als gewonnen; die Finanzpolitik belastet das Investitionsklima in Deutschland. Der Steuerrechtler Professor Lang sagt: Die Bürger erleben das Steuerrecht als Chaos, Willkür und Täuschung. Und da sprechen Sie hier von einer langfristig angelegten Finanzpolitik.
Glauben Sie wirklich, mit einem Verdrängen der Tatsachen kämen Sie jetzt noch weiter? Glauben Sie wirklich, daß, wenn Sie sich allein immer wieder bescheinigen, Ihre Finanzpolitik sei in Ordnung, während die gesamte Fachwelt zu einem gegenteiligen Urteil kommt, Sie dann keinen Grund hätten, Ihre Politik zu korrigieren?
Herr Kollege Fischer hat die konservative „Frankfurter Allgemeine Zeitung" zitiert. Man könnte jetzt den ganzen Debattenbeitrag damit füllen, die Urteile konservativer Presseorgane vorzulesen. Überall ist der Tenor der gleiche: Diese Regierung ist nicht in der Lage, eine solide Finanzpolitik zu betreiben, sie belastet das Investitionsklima in Deutschland und ist damit für steigende Arbeitslosigkeit auch in den nächsten Wochen und Monaten verantwortlich.
Der Bundesfinanzminister, der für diese Finanzpolitik des hektischen Aktionismus, die das Investitionsklima belastet, Verantwortung trägt, hat dann die Frage aufgeworfen: Wo sind denn Rezepte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit? Meine Damen und Herren, wenn Sie schon nicht zuhören, wenn die Opposition ihre Vorschläge macht, dann sollten Sie wenigstens den Beratungsinstituten einmal Gehör schenken, die für Sie mittelbar und direkt im Grunde genommen die Zuarbeit leisten.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit ist sehr wohl der Auffassung, daß es möglich ist, die Beschäftigung deutlich zu steigern und die Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Es schlägt dazu unter anderem vor, Maßnahmen zu ergreifen, um die durchschnittliche Jahresarbeitszeit zu verringern, vor allem über mehr Teilzeit und über die Verminderung der Überstunden, also in flexibler, reversibler und kostengünstiger Form.
Erinnern Sie sich daran, daß Sie alle Bemühungen der Gewerkschaften zu Arbeitszeitverkürzungen in diesem Hause diskreditiert haben, und erinnern Sie sich daran, daß Sie sich jetzt immer noch weigern, Teilzeitarbeit für Beamte gesetzlich zu ermöglichen, was der Bundesrat seit langem fordert! Warum blokkieren Sie vernünftige Beschäftigungspolitik in diesem Lande?
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
Dieses Institut plädiert für eine längerfristig zurückhaltende Tarifpolitik bei den Löhnen, deren Anstieg zunächst hinter dem Produktivitätsfortschritt zurückbleibt und diesen auch später nicht überschreitet.
Auch zur Lohnpolitik haben sich die Wirtschaftsinstitute geäußert. Sie haben insbesondere in letzter Zeit den Gewerkschaften bescheinigt, daß sie durch ihre Tarifforderungen und ihre Lohnabschlüsse sehr wohl die Grundlagen dafür gelegt haben, daß es zu mehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland kommen könnte, weil die Lohnpolitik im wesentlichen dem Produktivitätsfortschritt nicht vorausgeeilt ist und damit einen Beitrag für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland geleistet hat.
Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund müßten Sie doch irgendwann einmal erkennen, was der Betrug bedeutet, den Sie sich geleistet haben, indem Sie vor den Wahlen das Bündnis für Arbeit hochleben ließen, um nach den Wahlen den Gewerkschaften den Stuhl vor die Tür zu stellen.
Statt die ausgestreckte Hand der Gewerkschaften in Richtung einer wachstums- und beschäftigungsorientierten Lohnpolitik zu ergreifen, haben Sie mit einer Kürzung der Lohnfortzahlung und mit Sozialabbau geantwortet. Sie haben überhaupt nicht begriffen, was für ein Geschenk es für eine konservative Regierung war, daß sich die Gewerkschaften bereit erklärt haben, mit Ihnen zusammen eine Politik für Wachstum und Beschäftigung zu machen. Statt dessen haben Sie dieses Angebot ausgeschlagen. Dies zeigt, daß bei dieser Regierung politische Stümper am Werk sind, die die Verantwortung für unser Land entzogen bekommen müssen.
Das Institut schlägt die Senkung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern vor. Trotz dieser Forderungen der Institute stellt sich der Bundesfinanzminister hier hin und fragt: Wo sind denn Ihre Vorschläge?
Herr Bundesfinanzminister, wir hatten beide vereinbart, für das Jahr 1997 das Kindergeld zu erhöhen und die Steuern zu senken. Sie wollten dies gegen die ökonomische Vernunft wieder zurücknehmen. Wir sorgen gegen Ihren Widerstand dafür, daß das ökonomisch Vernünftige getan wird. Diffamieren Sie es nicht als Blockade, wenn wir Ihrer Unfähigkeit Widerstand entgegensetzen.
Es geht um die Senkung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern. Hier wird eine der Fehlkonstruktionen Ihrer Politik sichtbar, die schon mehrfach angesprochen wurde, die Sie aber scheinbar seit Jahren nicht verstehen wollen und nicht begreifen.
Es ist interessant, daß sich die F.D.P. immer als Steuersenkungspartei profilieren will. Scheinbar begreift auch diese Partei nicht, daß es auf der anderen Seite eine Belastung für Arbeitnehmer und Wirtschaft gibt, die genauso wichtig ist. Diese Belastung nennt sich Abgabe. Sie hätten besser plakatiert „Abgabenland ist abgebrannt", denn während Sie auf der einen Seite die Steuerpolitik nicht in den Griff bekommen, steigen auf der anderen Seite die Sozialabgaben in Deutschland auf Grund Ihrer verfehlten Finanzierung der deutschen Einheit immer weiter und werden damit zur Grundlage für die Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen.
Wenn Sie tapfer sagen, es werde keine Steuererhöhung geben, obwohl es schon am nächsten Tag nicht mehr wahr war, aber gleichzeitig überhaupt nicht mehr über die Abgaben reden, dann zeigt das, daß die Wirtschafts- und Finanzpolitik in eine völlige Schieflage geraten ist. Eine der Hauptursachen für das Wegrationalisieren von Arbeitsplätzen ist das ständige Steigen der Abgaben auf Arbeitsplätze. Sie sind durch Ihre völlig verfehlte Finanzpolitik die Hauptverursacher dafür, daß die Abgabenlast in Deutschland so stark gestiegen ist, daß dieser Rationalisierungsdruck bezogen auf die Arbeitsplätze immer stärker geworden ist. Wann begreifen Sie dies endlich? Was soll Ihr vollmundiges Versprechen, Sie würden keine Steuererhöhungen mehr zulassen, obwohl dies schon am selben Tag widerlegt worden ist?
Ich sage an die Adresse der F.D.P.: Beschäftigen Sie sich auch einmal mit den Abgaben. Bedenken Sie auch die ökonomischen Effekte, die daraus resultieren, daß die Abgaben ständig steigen. Den Bürgerinnen und Bürgern ist es völlig gleich, wie das Geld bezeichnet wird, das man ihnen aus der Tasche zieht. Es ist ihnen völlig gleich, ob man die Mark, die man ihnen aus der Tasche zieht, Steuer oder Abgabe nennt. Deshalb reden Sie in Zukunft gefälligst über Steuern und Abgaben, und erkennen Sie endlich, daß Sie das Steuer- und Abgabenniveau in Deutschland in der Nachkriegszeit auf eine Rekordhöhe getrieben haben und daß hierin eine der Hauptursachen für die Fehlentwicklung auf dem Arbeitsmarkt liegt.
Statt kurzfristigem Aktionismus fordern die Institute vertrauensbildende Beschlüsse zur Konsolidierung der Staatsausgaben, deren kaufkraftmindernde Bestandteile aber angesichts der derzeit ungünstigen Konjunkturlage erst verzögert in Kraft zu setzen sind. Das heißt für die Wirtschaftsinstitute - so fordert dies auch das Institut der Bundesanstalt für Arbeit -, die Konjunktur auch bei den Haushaltsentscheidungen nicht völlig außer acht zu lassen und insbesondere beispielsweise Investitions- und Forschungsausgaben nicht sinnlos zusammenzustreichen.
Dies sind vier Vorschläge, die die Institute machen. Wenn Sie beispielsweise nicht auf die Vorschläge hören wollen, die die Opposition macht, hören Sie doch wirklich einmal auf den Rat der Wissenschaftler,
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
dann kommen Sie ein gutes Stück weiter. Wissenschaftlicher Rat ist immer noch besser als Selbstgefälligkeit, die beratungsunfähig geworden ist.
Deshalb sagen die Institute zu Recht - wann hat eine Regierung je solch verheerende Zensuren bekommen? -: Für die hohe Arbeitslosigkeit ist nicht der immer wieder beschworene internationale Wettbewerb verantwortlich, sondern - so wörtlich - das eigene wirtschaftspolitische Versagen. Recht haben die Institute. Ihr eigenes wirtschaftspolitisches Versagen ist die Ursache für die ständig steigende Arbeitslosigkeit.
Meine Damen und Herren, als ich vorhin dem F.D.P.-Vorsitzenden zugehört habe, ist mir allmählich klargeworden, warum der eine oder andere meint, das hier sei eine Schauveranstaltung. Ich habe nämlich in den letzten Tagen, wie viele unserer Bürgerinnen und Burger, die jetzt zuhören, Zeitungen lesen können. Ich habe gehört und gelesen, was Sie über die Arbeit des Bundesfinanzministers geäußert haben. Da lesen wir heute, daß dieser Bundesfinanzminister völlig einfallslos und hilflos sei.
Da lesen wir von Graf Lambsdorff, der immerhin als jemand gilt, der die Wirtschafts- und Finanzpolitik bei Ihnen entscheidend mitprägt, daß das Urteil über die Fähigkeiten dieses Finanzministers grausam sei.
Da spottet dieser Abgeordnete, der die Regierung ja unterstützen soll, ob demnächst Lottogewinne in den Haushalt eingeplant werden sollen, um die völlige Unseriosität Ihrer Finanzpolitik auf die Schippe zu nehmen.
Da sagt der F.D.P.-Vorsitzende draußen - nicht hier -: Wir sind es leid, wöchentlich über neue Haushaltsvorlagen beraten zu müssen. Recht haben Sie. Wir sind es wirklich leid, ständig über neue Haushaltsvorlagen beraten zu müssen.
Da sagt Graf Lambsdorff wieder, der Finanzminister soll endlich einmal Haushalte vorlegen, bei denen man nicht schon bei der Vorlage weiß oder ahnt: Das kann überhaupt nicht stimmen.
Es sind ja nicht nur die Wirtschaftsinstitute,
die Ihre Politik in Bausch und Bogen verdammen. Es ist nicht nur die böse Opposition, die das tut. Nein, in den eigenen Reihen werden die Stimmen immer lauter, die sagen: Eine solche Wirtschafts- und Finanzpolitik ist chaotisch. Sie ist Hauptgrundlage für die steigende Arbeitslosigkeit in Deutschland und für die Zerrüttung der Staatsfinanzen.
Meine Damen und Herren, der Kollege Fischer hat eine Sonntagszeitung - vorhin zumindest noch - gehabt, in der die F.D.P.-Führung als die „Betrüger von Bonn" bezeichnet wurde. Vielleicht hat der eine oder andere gedacht, das Urteil sei vielleicht doch etwas hart. Daß Sie hier ab und zu umfallen, ist bekannt aus der Geschichte der Bundesrepublik. Der Vorwurf der Umfallerpartei ist nicht neu, aber daß Leute bewußt betrügen, ist schon ein sehr, sehr harter Vorwurf. Daß viele Wählerinnen und Wähler über den doppelten Wahlbetrug empört sind: auf der einen Seite Bündnis für Arbeit und Halbierung der Arbeitslosenzahlen - das wird kassiert - und dann Senkung des Solizuschlages - das wird wieder kassiert -, das muß man doch verstehen. Die Bürgerinnen und Bürger sind es leid, immer wieder von Ihnen hinters Licht geführt zu werden.
Wenn Sie sich aber, meine Herren von der F.D.P., Herr Gerhardt, hier hinstellen und nach diesen bösen Worten, nach dieser vernichtenden Kritik am Bundesfinanzminister kein einziges Wort dazu verlieren, dann ist das nach meiner Auffassung unehrenhaft.
Diese Koalition kann schon deshalb niemals wieder Erfolg haben, weil Sie den Respekt voreinander verloren haben.
Die Institute machen konkrete Vorschläge - nicht nur zur Steuererleichterung, die wir jetzt gegen Ihren Widerstand durchsetzen, sondern auch dazu, die Steuerreform für das Jahr 1998 verbindlich zu beschließen. Wir wollen Steuererleichterungen für Teile der Bevölkerung - da hat der Kollege Fischer recht -, weil wir mehr Steuergerechtigkeit wollen. Wir bestehen darauf, daß diese Steuerreform für das Jahr 1998 in Kraft gesetzt wird. Wir können vernünftige, das Wachstum fördernde Entscheidungen nicht aussetzen, bis Sie sich in der Koalition irgendwann einmal zusammengerauft haben.
Angesichts der Tatsache, daß Sie schon so oft das Wahlvolk betrogen haben, indem Sie vor Wahlen Versprechungen abgegeben haben, die Sie unmittelbar nach Wahlen gebrochen haben, glauben Sie doch nicht ernsthaft, daß sich irgend jemand darauf einlassen kann, mit Ihnen eine Steuerreform für das Jahr 1999 - also nach der Bundestagswahl - zu beschließen. Das glauben Sie doch wohl nicht ernsthaft.
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
Dasselbe gilt für die Abgaben. Alle Institute fordern seit langem, den Anstieg der Abgaben zu bremsen. Sie haben heute gehört, was die Rentenversicherer sagen. Sie wissen, was sich bei der Pflegeversicherung tut. Sie wissen immer noch nicht genau, wie es bei der Krankenversicherung weitergeht usw.
Meine Damen und Herren, dieser schwere Fehler, den sozialen Versicherungskassen immer mehr versicherungsfremde Leistungen aufzubürden, ist einer der gravierendsten der letzten Jahre. Wir haben mehrfach angeboten, diese Fehlentwicklung in Verbindung mit der ökologischen Steuerreform systematisch abzubauen und die Sozialabgaben im Interesse von Wachstum und Beschäftigung zu senken.
Ich fasse zusammen. Was Sie hier heute vorgetragen haben, zeigt, wie tief zerrüttet diese Koalition ist. Für mich ist es wirklich beachtlich, daß Sie die Achtung voreinander verloren haben, daß Sie noch nicht einmal in der Lage sind, das, was Sie sich in ungezählten Interviews vorgeworfen und was Sie aneinander kritisiert haben, mit einem einzigen Satz zu erwähnen.
Deshalb ist es richtig, wenn beispielsweise die Wochenzeitung „Die Zeit" schreibt: „Die Regierung Kohl ist in ihrem jetzigen Zustand überfordert, die Probleme in Deutschland zu lösen." Das ist ein ausgewogenes, ein sachliches Urteil. Die Ursache dafür ist Ihre tiefe Zerstrittenheit, die Sie handlungsunfähig gemacht hat. Die Leidtragenden sind die Arbeitslosen in diesem Lande. Dieser Zustand darf nicht länger andauern.