Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes
— Drucksache 9/667
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
- Drucksache 9/1222 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein Volmer
Wolfgramm
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe, daß das Haus damit einverstanden ist.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Volmer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Anfang meiner Rede zur ersten Lesung dieses Gesetzes habe ich erklärt, daß der vorliegende Mini-Gesetzentwurf kaum eine Diskussion lohnt. Da es aber nichts gibt, was es nicht geben darf, folgte dann eine Diskussion, deren Länge in umgekehrtem Verhältnis zur Quantität und Qualität dieses Gesetzentwurfs stand. Am Ende der Diskussion mußte man dann traurig feststellen, daß nach längerem harten Ringen § 12 des Gesetzes im Schoß der Koalition sein Leben aufgegeben hat. Die Absicht zur Verwaltungsvereinfachung war gestorben, an den Koalitionsfraktionen gescheitert. Gerade dieser § 12 Abs. 1 hatte zu einer nicht immer selbstverständlichen Übereinstimmung zwischen Bundesregierung und Bundesrat geführt. Hier sollte nämlich folgender Satz eingeführt werden — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —:Keiner Genehmigung nach Satz 1 bedarf das Einsammeln oder Befördern von Abfällen aus Haushaltungen einschließlich Sperrmüll und von hausmüllähnlichen Gewerbeabfällen; gleiches gilt für Erdaushub, Straßenaufbruch und Bauschutt, soweit diese nicht durch Fremdstoffe verunreinigt sind.Durch diese Formulierung sollte in erster Linie eine Entlastung der Vollzugsbehörden von verzichtbarem Verwaltungsaufwand erreicht werden. Mit dieser beabsichtigten Verwaltungsvereinfachung waren jedoch SPD und FDP nicht einverstanden. Daß die FDP dieses Spiel mitgemacht hat, verwundert mich ein wenig, weil sie immer von Verwaltungsvereinfachung spricht. Aber wir wissen ja, daß es zwischen Reden und Handeln immer schon erhebliche Unterschiede gegeben hat. So war das auch jetzt. Beide Fraktionen stimmten für mehr Verwaltung. Beide Fraktionen stimmten aber auch gegen den Vorschlag der eigenen Regierung. Wie aber soll diese angeschlagene Regierung wieder auf die Beine kommen, wenn die sie tragenden Fraktionen von SPD und FDP darin wetteifern, sich von der Regierungsmeinung gerade im Umweltschutz abzusetzen und ihr die Unterstützung zu versagen?
Die CDU/CSU-Fraktion — Herr Kollege Wolfgramm, Sie waren an der Beratung j a gewissermaßen nur aus der Ferne beteiligt und können das, was ich jetzt sage, sicherlich auch nur auf Grund der Lektüre der Protokolle bestätigen — hatte sich im Ausschuß vorbehalten, in der zweiten Lesung den Antrag auf Wiederherstellung der Regierungsvorlage zu erneuern. Bei der Aussichtslosigkeit, SPD und FDP für Verwaltungsvereinfachung zu gewinnen, halte ich die Erneuerung des Antrags heute jedoch für reine Energieverschwendung. Wir haben ja das seltsame Verfahren, daß das Innenministerium zu der Zeit der Einbringung des Zweiten Änderungsgesetzes bereits am Dritten Änderungsgesetz arbeitete. Damit haben die Koalitionsfraktionen etwas Bedenkzeit bekommen und die Möglichkeit der Korrektur ihres Versagens, wenn die CDU/CSU bei der dritten Novelle diese Verwaltungsvereinfachung für die Beseitigung von Hausmüll und hausmüllähnlichem Gewerbeabfall erneut beantragen wird. Die Regierung hatte dieses Zweite Änderungsgesetz ein-
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Volmergebracht, weil sie glaubte, nur mit dieser Hilfe die Klärschlammverordnung erlassen zu können.Wer heute die Morgennachrichten gehört hat, mußte feststellen, daß auch die findigen Journalisten in diesem Mini-Gesetz nichts Besonderes finden konnten. Auch sie verwiesen nur auf die Möglichkeit, eine Klärschlammverordnung zu erlassen. Die CDU/CSU hat jedoch immer die Meinung vertreten, daß dieses bereits nach § 15 Abs. 2 des Abfallbeseitigungsgesetzes in der zur Zeit gültigen Fassung möglich war. Die Regierung hat im Beratungsgang nicht klarmachen können, daß sie dafür ein neues Gesetz benötigt. Es ist wohl auch nur eine Schutzbehauptung angesichts des Unvermögens, diese notwendige Verordnung nun endlich zu erlassen. Im Beratungsgang konnte in § 1 Abs. 3 Nr. 3 eine mögliche, denkbare rechtliche Lücke im Berggesetz geschlossen werden, in dem die Bußgeldvorschriften auch für die Abfälle aus bergbaulichen Betrieben gelten.Auf Vorschlag des Bundesrates wurden die Kampfmittel aus diesem Gesetz herausgenommen, weil bei der Beseitigung von Kampfmitteln der Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorrangig sein muß. Der Bundesrat hatte empfohlen, die Konzentrationswirkung des § 13 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes auch für das vereinfachte Genehmigungsverfahren wirksam zu machen. Diesem Anliegen wurde durch eine Ergänzung in § 7 Abs. 2 Rechnung getragen.Bei der Einbringung dieses Gesetzes hatte ich bereits darauf hingewiesen, daß es nur einen winzigen Schritt zur Lösung der anstehenden Abfallprobleme darstellt. Wir hätten lieber alle regelungsbedürftigen Fragen in einer einzigen Novelle erfaßt. Dieses war nach Auffassung der Regierung zur Zeit nicht möglich. Ich erinnere dabei noch einmal an die Abfälle, deren Beseitigung möglicherweise für die Biosphäre schädlich ist. Das Ziel muß die schadlose Beseitigung sein. Ich erinnere an die Regelungsbedürftigkeit bei Einwegpackungen. Die abfallwirtschaftliche Seite muß verstärkt berücksichtigt werden. Wir haben schon bei der Einbringung angekündigt, daß wir jeden kleinen und auch den kleinsten Schritt mittun werden, wenn er dem Umweltschutz dient. Von daher werden wir dem Zweiten Änderungsgesetz zustimmen.Wir dürfen aber darauf hinweisen, daß der Innenminister als Umweltminister bisher eine glücklose Hand gehabt hat. Die Novelle zum Bundes-Immissionsschutzgesetz wurde von ihm zurückgenommen, weil die Sachverständigen den Entwurf im Anhörverfahren völlig zerrissen haben. Das Verkehrslärmschutzgesetz wurde vom Verkehrsminister aufgegriffen, weil der Umweltminister von der Möglichkeit des Erlasses einer Rechtsverordnung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz keinen Gebrauch gemacht hat. Auch dieses Gesetz kam nicht zustande.Nun versucht Herr Baum sein Glück mit der TA-Luft. Aber auch dieser Entwurf liegt bereits in Agonie, ehe er das Licht der Welt erblickt hat. Die Sachverständigen haben Bedenken. Man wird einen neuen Entwurf vorlegen. Wir fordern den Herrn Innenminister auf, die letzten Monate, die ihm noch im Amt zur Verfügung stehen, zu benutzen, eine umfassende dritte Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz vorzulegen, um damit den Bereich der Abf allbeseitigung unter verstärkter Berücksichtigung der Abfallwirtschaft abschließend zu regeln und wenigstens einen Abgang zu haben, der besser ist, als seine Amtszeit es war. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer in das „prallgefüllte" Plenum blickt, der könnte leicht den Eindruck gewinnen, daß dieses Hohe Haus mit dem Abfall nicht allzuviel im Sinn hat. Aber der Schein kann j a bekanntlich trügen; und in diesem Fall trügt er wirklich. Denn wenn irgendwo im Bereich der Umweltpolitik, dann haben Parlament und Regierung, auf dem Gebiet der Abfallbeseitigung ihre Schulaufgaben in den letzten Jahren gemacht, und zwar sorgfältig, verantwortungsvoll und erfolgreich. Das muß einmal deutlich gesagt werden.
Allerdings mußten wir — auch das ist wahr — in der Vergangenheit fast ausschließlich von den Problemen und Gefahren reden, die mit den ständig wachsenden Müll-Lawinen verbunden sind. Gerade weil wir hier gewissenhaft vorgehen müssen, hat es, wie Herr Kollege Volmer schon erwähnte, eine heiße Diskussion über den § 12 gegeben. Ich komme gleich darauf zurück.Unbestreitbar ist jedoch, daß es gelungen ist, rund 50 000 Müllkippen alter Art zu schließen und dafür knapp 5 000 geordnete Deponien anzulegen. Es ist auch gelungen, den Haus- und Gewerbemüll von dem problematischen Sondermüll zu trennen, Transport und Überwachung befriedigend zu regeln, wilde Ablagerungen weitgehend auszuschließen und Gefährdungen des Grundwassers zu vermeiden.Weil dies so ist — lassen Sie mich gleich eine Bitte und Mahnung aussprechen —, sollte man ein so gut eingespieltes und geordnetes System nicht ohne Not gefährden, auch nicht unter dem Stichwort einer — im Prinzip durchaus erwünschten — Verwaltungsvereinfachung. Hierzu darf ich bemerken, Herr Kollege Volmer, daß diese Verwaltungsvereinfachung j a durchaus erreicht wird. Es ist nicht so, daß neuer Verwaltungsaufwand geschaffen würde. Ganz im Gegenteil. Mit dem gefundenen Kompromiß werden immerhin 60 % der bisher genehmigungspflichtigen Fälle wegfallen.Im übrigen betone ich, daß sich die Mehrheit des Ausschusses mit diesem Votum dem Petitum der Kommunen anschließt, die ganz eindringlich vor einer zu weitgehenden Lockerung gewarnt haben. Es kann nicht dem einzelnen Fuhrunternehmer überlassen bleiben, die erforderliche Trennungslinie zwischen gefährlichem und ungefährlichem Abfall zu bestimmen und die von ihm übernommenen Müllmengen dann nach eigenen Gutdünken an irgendei-
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Frau Dr. Hartensteinner Deponie abzuliefern, zumal die Kontrolle vor Ort sehr schwierig ist. Wo es um den Schutz von Grundwasser, von Boden, von Landschaft und letztlich auch um den Schutz der menschlichen Gesundheit geht, ist eine gewisse Einschränkung der Gewerbefreiheit im Interesse des Allgemeinguts „Umwelt" nicht nur erlaubt, sondern, wie wir meinen, geboten.Ich bin Ihnen deshalb dankbar, daß Sie doch zu der Einsicht gekommen sind, auch dem § 12 in dieser Fassung zustimmen zu wollen.Es genügen einige wenige Stichworte zu dem eigentlich wichtigsten Punkt dieser Novelle:In erster Linie geht es darum, daß die Klärschlammverordnung erlassen werden kann. Das ist dringend notwendig, denn sowohl die Kommunen als Klärwerksbetreiber wie auch die Land- und Forstwirte als Abnehmer warten seit geraumer Zeit darauf: die einen, weil sie ihren Klärschlamm loswerden wollen, die anderen, weil sie sichergehen wollen, daß er keine für ihre Bodenkulturen gefährlichen Substanzen enthält.Während 1970 in der Bundesrepublik erst ca. 14 Millionen Kubikmeter Klärschlamm anfielen, sind es heute bereits 36 Millionen Kubikmeter. Sie sollen vernünftig verwertet werden. Folgerichtig bindet der neue § 15 des Gesetzes sowohl die Abgabe als auch das Aufbringen von Klärschlamm an die Einhaltung bestimmter Grenzwerte. Dabei ist besonders wichtig, daß wir den Bereich der Schwermetalle in den Griff bekommen. Mit Recht hat deshalb der Bundesinnenminister strenge Grenzwerte für Blei, Cadmium, Chrom, Quecksilber usw. in der Klärschlammverordnung angesetzt, und mit Recht hat auch der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ausdrücklich gefordert, daß nach Ablauf der vorgesehenen Fünfjahresfrist eine gründliche Überprüfung erfolgt, damit eine mögliche Anreicherung von Schadstoffen im Boden vermieden wird.Nun, wo stehen wir heute und wie geht es weiter? Abfallbeseitigung, Abfallverringerung und Abfallverwertung sind die drei Stufen, in denen sich der Gesamtbereich der Abfallwirtschaft entwickelt, entsprechend dem Abfallwirtschaftsprogramm der Bundesregierung aus dem Jahre 1975.Leider sind steigende Abfallmengen immer noch die Realität, auch wenn die Zuwachsraten geringer geworden sind. 1980 haben wir alle zusammen mehr als 26 Millionen t Hausmüll produziert. Dazu kommen 35 bis 40 Millionen t Industriemüll. Nimmt man die landwirtschaftlichen Abfälle und den Bauschutt hinzu, so ergeben sich jährlich rund 250 Millionen t. Ein wahrhaft gigantischer Müllberg, der sich da vor uns auftürmt!Es gibt nur zwei Möglichkeiten, ihn zu reduzieren: entweder weniger Müll zu produzieren und/oder mehr sogenannte Abfallstoffe wieder als Rohstoffe in den Kreislauf der Wirtschaft zurückzuführen. Eine Kombination beider Methoden ist sicherlich der richtige Weg in die Zukunft. Zu einem gewissen Teil wird dieser Weg schon beschritten, z. B. dadurch, daß heute bereits 40 % der Papierproduktionaus Altpapier stammen oder daß das Altglas-Recycling immer stärker zunimmt.Heute werden übrigens auch bereits 25 % der Abfälle zur Energieerzeugung verwendet, z. B. auf dem Weg der Pyrolyse.Hier eröffnen sich ganz neue Marktchancen, ganz neue Wirtschaftschancen, ganz neue Arbeitschancen. Recycling erfüllt gleichzeitig mehrere Funktionen. Es trägt zur Verringerung des Energieverbrauchs, zur Schonung der Rohstoffvorräte, zur Reduzierung der Abfallmengen, zum sparsamen Umgang mit den immer knapper werdenden Deponieflächen, zur Stabilisierung des ökologischen Gleichgewichts und — last not least — zur Schaffung neuer Arbeitsplätze bei.In diesem Zusammehang scheint mir das sogenannte „Neusser Modell" von großem Interesse zu sein. Es handelt sich um die erste Rohstoffrückgewinnungsanlage in der Bundesrepublik, die die Stadt Neuss mit Unterstützung des Bundesforschungsministers errichtet hat. Sie wurde im Oktober letzten Jahres eröffnet und entsorgt ein Gebiet mit über 200 000 Einwohnern. Außer Papier und Glas werden dort 80 % des Eisens, 50 % der Nichteisenmetalle, 70 % der Kunststoffe — das sind allein 4 000 bis 5 000 t pro Jahr — aus dem Müllanfall aussortiert, und die Müllmenge insgesamt wird, sage und schreibe, um 70 % vermindert. Hier sehe ich ganz erhebliche, sehr begrüßenswerte Fortschritte.Über Lieferverträge werden übrigens diese Altstoffe den weiterverarbeitenden Firmen zugeführt. Die Planung und die Entwicklung der Anlage ist von einer Privatfirma durchgeführt worden, die im Auftrag der Stadt Neuss schon seit Jahren die Abfallbeseitigung besorgt.Sie sehen — hier darf ich auch Bedenken zerstreuen, die von der Opposition mehrfach geäußert worden sind —, es ist nicht nötig und auch nicht gewollt, kommunale „Abfallverwertungsfabriken" zu errichten. Gerade auch auf diesem Gebiet sollten künftig Phantasie und Eigeninitiative der Wirtschaft zum Zuge kommen.Eine letzte Bemerkung sei mir noch gestattet. Ich habe mit Freude registriert, daß Sie, Herr Kollege Volmer, sich bereits bei der ersten Lesung am 11. September sehr stark für die direkte Verringerung des Mülls ausgesprochen haben. Da gibt es ja noch ein erhebliches Potential, z. B. auf dem Gebiet der Einwegverpackungen, die sich immer noch in Milliardenstückzahlen auf unseren Deponien häufen. „Hier ist insbesondere auf die kaum noch zu verantwortende Einwegpackung hinzuweisen" — so steht es im Bundestagsprotokoll vom 11. September 1981 verzeichnet. Das läßt mich sehr hoffen, daß es uns gelingt, bald aus der Sackgasse des Wegwerfsystems herauszukommen.Es gibt ja nicht nur Einbahnstraßen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Bundesregierung hat schon mehrere Wege ausprobiert. Folgen wir ihr auf dem richtigen Weg, folgen wir ihr auf dem Weg, der bald zum Ziele führt, und zwar zu einem vernünftigen Ziel! Dann haben wir wiederum einen positiven
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Frau Dr. HartensteinSchritt in Richtung auf eine wirksame Umweltpolitik getan.
Ich erteile dem Abgeordneten Wolfgramm das Wort. Er hat mir angekündigt, daß er — nach meiner Erinnerung das erste Mal seit Bestehen dieser Vorschrift — nach § 34 der Geschäftsordnung von der Möglichkeit Gebrauch machen will, seinen Beitrag vom Saalmikrofon aus abzugeben.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Vielleicht ist dieses Experiment gerade bei dem nicht überwältigend besetzten Hause und bei der auch nicht sehr überwältigend besetzten Pressetribüne geeignet, die eine oder andere Belebung einzuführen, zumal ich versuchen möchte, wie ich anmerken darf, mich im Rahmen der Kurzrunde an fünf Minuten Redezeit zu halten.
Herr Kollege Volmer — die Frau Kollegin Hartenstein hat das auch nachgelesen; Sie sehen, wie wir im stillen Kämmerlein arbeiten —, Sie haben sich zum Abfallbeseitigungsgesetz von 1972 sehr viel substantieller und umfassender, aber auch sehr viel positiver geäußert. Ich habe den Eindruck, daß Sie sich, nachdem Sie zitiert haben, es sei sowieso nur ein ganz kleines Gesetz — Sie haben dabei Journalisten zitiert —, ein wenig zu tief in die Kritik gestürzt haben. Aber Sie werden ja in die Geschichte eingehen, Herr Kollege Volmer. Denn die angeschlagene Regierung, die Sie beschwören, wird Ihre Rede sicher als Beginn ihres Sturzes ansehen müssen, und das wird dann einen gewissen Ruhm für Sie bedeuten.
— Lieber Herr Kollege Lenz, Sie brauchen nur auf den Knopf zu drücken, und dann können wir uns sozusagen von Mikrofon zu Mikrofon unerhalten.
Das ist nach § 34 der Geschäftsordnung möglich.Ich meine, daß diese Novellierung des Abfallbeseitigungsgesetzes für uns einen wichtigen Punkt auf der Bahn seit 1972 darstellt. Diese Entwicklung seit 1972 hat für die Umweltschützer — dieser Markstein wurde aus dem Aktionsprogramm der Freien Demokraten geboren; das darf ich hier ins Gedächtnis rufen — noch nicht zu einem Abschluß geführt — die Regierung bleibt da initiativ, wie wir wissen —, denn das Gesetz stellt eine bedeutende Zäsur dar.Ich meine, Herr Kollege Volmer, daß Ihre Kritik an der Änderung gegenüber der Regierungsvorlage — mehr Verwaltung, mehr Bürokratie — nicht zieht. Wir müssen immer zwischen der wichtigen Kontrolle und dem Mehraufwand abwägen. In diesem Fall haben wir uns für mehr Kontrolle entschieden,weil der Abfall, in dem sich gefährliche Stoffe befinden können und weiterhin befinden werden, einer solchen Kontrolle bedarf. Ich glaube, daß diese Abwägung hier tatsächlich notwendig gewesen ist. Die Veränderung gegenüber der Regierungsvorlage zeigt, daß die Koalition hier die Aufgabe der Opposition übernommen hat, nämlich eine notwendige Veränderung durchzuführen.
— Herr Kollege, ich glaube, Ihre Lage ist nicht so optimal, daß Sie sie uns als besonders aussichtsreich darstellen könnten.
Übrigens hat sich der Kollege Hammans in der letzten Sitzung, als über das Abfallbeseitigungsgesetz von 1972 geredet wurde, auf die Bibel bezogen. Er hat das 5. Buch Mose zitiert, Kapitel 23, Verse 13 und 14. Ich möchte die wirkliche Zitierung dem Hause heute vorenthalten, weil das vielleicht den einen oder anderen anregt, dieses wichtige Buch zur Hand zu nehmen.
Es bezieht sich speziell, Herr Kollege Volmer, auf Ihre Kritik an diesem Gesetz.Was für uns alle am wichtigsten ist, ist, daß nunmehr die Klärschlammverordnung ihren Weg gehen kann. Alle diejenigen, die sich im Bereich der Kommunalpolitik noch betätigen, wissen, welche drängenden Probleme da anstehen. Ich habe selber im Raum Göttingen erleben müssen, daß aufgetragener Klärschlamm, der den zukünftigen Vorschriften eben nicht entsprach — er war von Schwermetallgiften durchsetzt —, wieder abgetragen werden mußte. Ich glaube, daß ist wirklich ein weiterer großer Schritt, den wir tun werden.Die Zielvorstellung des Gesetzes liegt nicht allein, wie die Opposition das dargestellt hat, in der schadlosen Beseitigung. Frau Kollegin Hartenstein hat das deutlich gemacht. Natürlich muß das Ziel die Beseitigung sein, zugleich aber auch die Rückholbarkeit, das Recycling-Verfahren, das uns natürlich in einen besseren Stand versetzt als die rein schadlose Beseitigung.Übrigens werden wir manche Dinge nicht gesetzlich beseitigen wollen. Joachim Ringelnatz hat einmal gesagt: „Fliegend entfernten sich die Fliegen. Doch ließen sie auf Ei und Kaviar zwei, drei, vier Fliegenexkremente liegen. Die aß der Mensch und ward es nicht gewahr." Das wollen wir nicht regeln; so perfektionistisch wollen wir nicht werden. Insofern brauchen Sie auch keine Sorge zu haben, Herr Kollege Volmer, daß die Bürokratie hier überhand nehmen werde.Der Innenminister hat eine glückliche Hand, meine ich; denn wir haben wichtige Gesetzesvorhaben nicht nur seit 1969 unter Genscher und Maihofer, sondern auch unter Herrn Baum aus dem Innenministerium vorgelegt bekommen. Ich nenne hier das Abwasserabgabengesetz, vor allen Dingen aber das Chemikaliengesetz, das uns neben Japan und Amerika auf dem Gebiet des Umweltschutzes in der
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Wolfgramm
westlichen Welt eine Spitzenstellung verschafft; von der östlichen ganz zu schweigen.Die TA Luft fürchtet sich nicht vor einem frischen Windhauch, aber wir möchten, daß sie nicht verwässert wird, sondern bald erlassen werden kann, damit die wichtigen Verbesserungen im Hinblick auf die schädlichen Auswirkungen des sauren Regens zum Tragen kommen können.Ich jedenfalls gebe nicht nur der Hoffnung, sondern der Sicherheit Ausdruck, daß die weitere Umweltschutzpolitik der Regierung ebenso zielstrebig und umweltfreundlich wie bisher sein wird.
Herr Abgeordneter Wolfgramm, Sie haben das eine Ziel, das Sie sich gesetzt haben, sicher erreicht, nämlich die besondere Aufmerksamkeit des Hauses zu finden, indem Sie Ihren Beitrag vom Saalmikrophon aus gegeben haben. Das zweite Ziel, sich auf fünf Minuten zu beschränken, heben Sie um einiges verfehlt.
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär von Schoeler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kommt sich ab sofort wahrscheinlich etwas altmodisch vor, wenn man von hier vorn aus spricht. Aber ich möchte es trotzdem tun und einige wenige Bemerkungen machen. Ich hatte das eigentlich nicht vor, aber da ich der Rede des Kollegen Volmer entnommen habe, daß der Sturz der Bundesregierung kurz bevorstehe, habe ich mir gesagt, es ist vielleicht die letzte Gelegenheit, hier noch einmal in alter Funktion zu sprechen. Die wollte ich jetzt wahrnehmen.
Mir ist, während Sie gesprochen haben, auch eingefallen, was ich sagen könnte. Das möchte ich jetzt tun, Herr Kollege Volmer. Ihre Rede hat einen sachlichen Teil enthalten. Dazu haben die Frau Kollegin Hartenstein und der Kollege Wolfgramm etwas gesagt. Dazu will ich deshalb weiter gar nichts äußern. Dann hat Ihre Rede aber auch einen unsachlichen Teil enthalten. Zu dem möchte ich gerne etwas sagen. Das bietet sich im Rahmen der „letzten" Rede ja geradezu auch an.
Sie haben den Bundesinnenminister angegriffen.
— Das ist natürlich das gute Recht der Opposition, aber Sie haben ihn unsachlich angegriffen. Anders ist es bei Ihnen gar nicht möglich, meine Damen und Herren von der Opposition. — Sie haben gesagt, das sei alles glücklos gewesen.
Wissen Sie, Herr Kollege Volmer — was ich jetzt
sage, ist mir durchaus ernst —: So kann man miteinander nicht umgehen, sich nämlich hier hinzustellen und scheinheilig zu sagen, es müsse eine umfassende Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz vorgelegt werden, wenn doch vor gar nicht langer Zeit, am Ende der letzten Legislaturperiode, diese umfassende Novelle maßgeblich durch Ihre Fraktion aufgehalten worden ist. Denn Sie haben mit der Forderung nach der Durchführung eines Hearings dafür gesorgt, daß sie in der letzten Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden konnte.
Man kann doch nicht sagen, der Innenminister habe eine glücklose Hand, weil es Kritik an der TA Luft gibt. Wäre es nicht besser, wenn Sie gesagt hätten: „Wir weisen die Angriffe der Industrie auf den Umweltminister wegen des Entwurfs der TA Luft zurück"? Hätte das dem Umweltschutz nicht vielleicht mehr gedient?
Aber hier in einer nicht ausgesprochenen, aber heimlichen Koalition mit den Gegnern des Umweltschutzes dem einen absprachegemäß die Kritik in der Sache zu übertragen, nämlich der Industrie, und hier im Plenum des Bundestages die hämische Kritik wegen der von anderen vorgebrachten sachlichen Bedenken zu übernehmen, diese Doppelstrategie, um das einmal aufzugreifen, werden wir nicht mitmachen, und die werden auch die Bürger, wie ich meine, durchschauen.
Um neben Abfallbeseitigungsgesetz und neben TA Luft noch ein drittes Beispiel zu nehmen: Der Bundesinnenminister und ich bekommen im Augenblick mehrfach Briefe von Kollegen aus den Reihen Ihrer Fraktion, wo es darum geht, daß wir aufweichende Ausnahmegenehmigungen nach dem Abwasserabgabengesetz erteilen sollen. So geht es nicht! Hier „glücklose Hand", beklagen, daß nichts passiert sei, und in der Praxis in allen Gebieten kritisieren und blockieren.
Ich wäre dankbar, wenn Ihre positiven Äußerungen zum Umweltschutz hier nicht verbal blieben, sondern zu einer Unterstützung der Politik des Bundesinnenministers auf dem Gebiet des Umweltschutzes führten. Es gibt in der Tat zahlreiche Initiativen des Bundesinnenministers, den Umweltschutz voranzutreiben, die Sie durchaus unterstützen könnten. Vielleicht ergibt sich das dann in der Zukunft. Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die auf gerufenen Vorschriften sind damit einstimmig angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.Wir treten ein in diedritte Beratung
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Vizepräsident Windelenund kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist damit einstimmig angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erhöhung von Wertgrenzen in der Gerichtsbarkeit— Drucksache 9/1126 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: RechtsausschußMeine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Darf ich davon ausgehen, daß das Haus damit einverstanden ist? — Ich stelle dies fest. Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Dies ist nicht der Fall.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Buschbom.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Ihnen in der Drucksache vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Erhöhung von Wertgrenzen in der Gerichtsbarkeit hat der Bundesrat am 9. Oktober 1981 beschlossen und der Bundeskanzler dem Deutschen Bundestag am 3. Dezember mit der Bemerkung zugeleitet, daß der Bundesminister der Justiz federführend sei.Nach der vorliegenden Formulierung des Entwurfs und seiner Begründung ist beabsichtigt, erstens in Zivilstreitigkeiten durch eine Erhöhung der Streitwertgrenze von 3 000 auf 6 000 DM sowohl die Zuständigkeit der Amtsgerichte zu erweitern und auf Streitigkeiten mit einem Streitwert bis zu 6 000 DM auszudehnen als auch zugleich die Landgerichte wegen verstärkter Eingänge seit 1979 um diese Streitigkeiten zu entlasten, zweitens ebenfalls in Zivilstreitigkeiten durch Erhöhung der Berufungssumme auf 1 000 DM und in Hausratsverfahren und Verfahren in Wohnungseigentumssachen durch Erhöhung der Beschwerdesummen ebenfalls auf 1 000 DM sowie durch Verdoppelung der Beschwerdesummen in Kosten- und Gebührensachen auf 200 DM die Rechtsmittel zu den Landgerichten — so in der Begründung — „auf die Fälle zu beschränken, deren Bedeutung den mit ihnen verbundenen Aufwand rechtfertigt", sowie die Landgerichte und die sonst mit Beschwerden befaßten Gerichte „von Bagatellstreitigkeiten" zu entlasten.Außerdem soll ausweislich der Begründung des Entwurfs die Erhöhung der Wertgrenze für erstinstanzliche Streitigkeiten über den bloßen Ausgleich des durch die Preissteigerungsrate bedingten Anstiegs der Zahl der landgerichtlichen Verfahren hinausgehen, um ein ausgewogenes Gesamtgefüge der Zivilgerichtsbarkeit und den sachgerechten Einsatz der nur begrenzt vorhandenen Kapazitäten zu gewährleisten, weil dies einer seit langem erhobenen rechtspolitischen Forderung entspreche, bei der gegenwärtigen Finanzlage der öffentlichen Hand mit einer spürbaren Personalverstärkung der Gerichte nicht gerechnet werden könne und durch die Erhöhung der Streitwertgrenze auf 6 000 DM erreicht werde, daß die Amtsgerichte einen größeren Prozentsatz der zivilen Rechtsstreitigkeiten schneller und mit weniger Aufwand erledigten.Nun, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich kann nicht leugnen, daß mich diese Begründung für diese doch erhebliche Zuständigkeitsänderung und die damit verbundene Rechtsmittelbeschränkung überrascht hat. Zwar bin auch ich der Ansicht, daß die Hauptlast der Rechtsgewährung in Zivilsachen bei den Amtsgerichten liegt, die 80 % ihrer Eingänge in meist noch unmittelbarem Kontakt mit dem rechtsuchenden Bürger innerhalb von vier Monaten erledigen und ihren Aufgaben mit erheblich geringerem Kostenaufwand als die Landgerichte gerecht werden, ohne daß dies nach meinem Eindruck von den Justizverwaltungen immer gebührend gewürdigt würde. Doch in einem Rechtsstaat zählt bei der Wahrung und Gewährung von Recht nicht nur die reine Kosten-Nutzen-Analyse, sondern auch die Qualität der Rechtsprechung und des Rechtsschutzes, die bei den Landgerichten wegen der Rechtsfindung durch das Kollegium von drei Richtern höher eingeschätzt wird.Ich konnte mich daher des Eindrucks nicht erwehren, daß bei dem hier vorliegenden Entwurf weniger der Rechtsschutz des Bürgers und die Gediegenheit der Rechtsprechung als vielmehr die Misere der öffentlichen Haushalte und der Personalmangel bei den Gerichten Pate gestanden haben.Hört man dann zusätzlich, daß außer dieser geplanten Erweiterung der Zuständigkeit der Amtsgerichte Alternativen zu zivilen Justizverfahren, Zulassungsberufungen und obligatorische Einzelrichter bei den Landgerichten erörtert werden, und bedenkt man weiter, daß das Landgericht durch die Übertragung der Ehe- und Familiensachen auf das Amtsgericht gerade tüchtig Haare lassen mußte, so wird die Vermutung nicht abwegig, daß mit dem geplanten Gesetz nicht nur das Landgericht entlastet werden soll, sondern auch wohlwollend gebilligt wird, daß sich der bisherige Gerichtsaufbau nicht unerheblich ändert.Nun, meine Damen und Herren, ich möchte es nicht bei der Mitteilung meines Eindrucks bewenden lassen. Deshalb zu den Grundsätzen der Vorlage folgendes:Seit dem Inkrafttreten des Gerichtsverfassungsgesetzes sind die Grenzen der Zuständigkeit des Amtsgerichts bei Streitigkeiten über vermögensrechtliche Ansprüche elfmal und die Berufungssumme für vermögensrechtliche Ansprüche achtmal geändert worden, davon vier- bzw. mindestens zweimal nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Wenn man die Protokolle des Deutschen Bundestages über die beiden letzten Wertgrenzenänderungsgesetze nachliest, stellt man fest, daß vieles von dem, was die ehrenwerten Kollegen Emmerlich, Engelhard, Jahn, Kleinert und de With — vorsichtshalber alphabetisch aufgeführt —, die sich — gewissermaßen als Streitwertveteranen — noch unter uns befin-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Januar 1982 4463
Buschbomden, ausgeführt haben, auch heute wieder gesagt werden könnte.Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich ganz kurz Herrn Jahn, den damaligen Minister der Justiz, zitieren:Gegen die vom Bundesrat angestrebte Lösung sprechen eine Reihe von schwerwiegenden Gesichtspunkten . .. Die Abgrenzung nach dem Streitwert zwischen der Kompetenz des alleinentscheidenden Richters beim Amtsgericht einerseits und des aus drei Richtern bestehenden Kollegiums beim Landgericht andererseits ist seit jeher als problematisch empfunden worden ... Bei einer Anhebung der Wertgrenze auf 3 000 DM müssen sich jedoch die Bedenken gegen eine solche Abgrenzung erheblich verstärken. Ich weise ... darauf hin, daß bei der vorgeschlagenen Erhöhung der Wertgrenze auch in dem Streitwertbereich zwischen 1 500 und 3 000 DM— darum ging es damals —künftig 93 Landgerichte letztinstanzlich entscheiden würden.Damit würde in einem weiten Bereich gerade der Streitigkeiten des täglichen Lebens mit oft erheblich rechtlicher und sozialer Problematik die Einheitlichkeit der Rechtsprechung außerordentlich gefährdet werden. Vor allem würde diese Abgrenzung auch keine befriedigende Lösung für die Dauer darstellen.Zweitens. Große Zweifel habe ich auch, ob der mit dem Entwurf erstrebte Entlastungseffekt im personellen Bereich ... erzielt wird.Es würde zwar eine Entlastungbei den ... Oberlandesgerichten ... vorübergehend ..., da jedoch vor allem bei den Landgerichten, die gegenwärtig überlastet sind, kaum Personal freigestellt werden kann, wird der auf die Amtsgerichte zukommende Aufgabenzuwachs zu einer Personalvermehrung bei diesen Gerichten zwingen. Die Amtsrichter sind, jedenfalls in den Ballungsgebieten, völlig ausgelastet. Bei einer Erhöhung der Wertgrenze ... ist eine Überlastung der Amtsrichter und damit die Notwendigkeit des Einsatzes zusätzlichen richterlichen und nichtrichterlichen Personals vorauszusehen. Insgesamt würde die vorgeschlagene Maßnahme also zur Vergrößerung des Personalbestandes führen und damit die Engpässe im personellen Bereich noch verstärken.Zum dritten hat Herr Jahn darauf hingewiesen, daß auch noch Gerichtsgebäude gebaut werden müßten. — Ende des Zitates.Meine Damen und Herren Kollegen, Sie sehen also, daß das Haus sich nicht zum ersten Male mit gerichtlichen Wertgrenzen befaßt. Für unsere heutigen Erörterungen und die anschließende Untersuchung im Rechtsausschuß erlaube ich mir folgendes festzustellen. Grundsätzlich: Das statistische Zahlenwerk, das in der Begründung der Vorlage mitgeteilt wird, ist unzulänglich und erlaubt keine endgültige Wertung und Stellungnahme. In der alten Drucksache aus dem Jahre 1973 war eine Anlage beigefügt, deren Tatsachenkenntnis für die Willensbildung und Entscheidung erforderlich ist. Ich darf auf diese Anlage verweisen und darauf aufmerksam machen, daß den damaligen Beratungen mehrjährige statistische Angaben über Höhe und Dauer der Verfahren bei den Amts- und Landgerichten und ihr Verhältnis zueinander zugrunde lagen. Da die zu beurteilende Vorlage leider keine derartigen Angaben enthält, bin ich versucht, zu fragen, ob der Bundesrat oder auch der Bundesminister der Justiz etwa angenommen haben, der derzeitige Bundestag enthalte inzwischen so viele Hellseher, daß solche Angaben überflüssig wären. Den weiteren Beratungen sollte daher ausreichendes Tatsachenmaterial zur Verfügung stehen.
— Herr Kleinert, sind Sie Hellseher? Ich auch nicht.Durch die Streitwertverdoppelung würde vermutlich mehr als ein Drittel aller erstinstanzlichen Zivilsachen vom Landgericht an das Amtsgericht gelangen. Das hätte zur Folge — jetzt kommen also die Tatsachen —:Erstens. Das Landgericht würde erheblich entlastet, verlöre einen maßgeblichen Anteil an Zivilsachen und würde immer mehr zu einem Berufungs- und Kriminalgericht. Es würde in seiner Struktur verändert.Zweitens. Das Landgericht verlöre einen Teil seiner Beförderungsmöglichkeiten und damit einen Teil der personellen Attraktivität.Drittens. Die Qualität des Landgerichts als Richterausbildungs- und -erprobungsgericht in Zivilsachen ginge weitgehend verloren.Viertens. Durch die Steigerung der Zahl wirtschaftlich schwierigerer Zivilsachen bei dem Amtsgericht würde die Zahl der Berufungen an das Landgericht anwachsen.Fünftens. Für Rechtsstreitigkeiten mit einem Streitwert bis 6 000 DM wäre das Landgericht das letzte Rechtsmittelgericht, und damit wäre die Einheitlichkeit der Rechtsprechung in wichtigen Rechtsgebieten nicht gewährleistet.Sechstens. Das Oberlandesgericht und der Bundesgerichtshof würden entlastet— jetzt kommt also auch etwas Positives —, da Zivilstreitigkeiten mit einem Streitwert zwischen 3 000 und 6 000 DM nicht mehr obergerichtlich appellationsfähig wären.Siebtens. Die Eingänge beim Amtsgericht würden sich um etwa 15 % vermehren. Da diese Vermehrung hauptsächlich durch schwierigere Sachen erfolgen würde, müßte sich die Erledigungsquote des Amtsrichters, der berühmte Pensenschlüssel, von zur Zeit 640 Zivilsachen auf 400 bis 450 Zivilsachen verringern. Das hätte einen um mindestens 30 % erhöhten Richterbedarf zur Folge, der nur aus Proberichtern gedeckt werden könnte, weil Landrichter nicht entbehrlich oder nicht versetzbar wären.
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BuschbomAchtens. Die Amtsgerichte sind ausgelastet. Der mit der Anhebung der Streitwertgrenze erhöhte Richterbedarf beim Amtsgericht würde notwendig zu zusätzlichem Bedarf an nichtrichterlichem Personal und Sachmitteln einschließlich Gerichtsraum führen, der bei der derzeitigen Situation nicht zu decken oder nicht zu beschaffen wäre. Jedenfalls läßt sich die Feststellung der Vorlage, es entstünden keine Kosten, nicht aufrechterhalten.Neuntens. Das Amtsgericht würde dem Landgericht gegenüber nach der Zuweisung der Familiensachen weiter aufgewertet; das würde auf die Dauer nicht ohne besoldungsmäßige Auswirkungen denkbar sein.Die Erhöhung der Berufungssumme bei erstinstanzlichen Entscheidungen der Landgerichte auf 1000 DM würde die Einheitlichkeit der Rechtsprechung in bedeutsamen Fällen mangels Berufungsoder Revisionsfähigkeit nicht mehr gewährleisten und für einen nicht unerheblichen Teil der Zivilrechtsstreitigkeiten — gerade des wirtschaftlich schwächeren Teils unserer Bevölkerung durch den Wegfall der Überprüfbarkeit der erstinstanzlichen zivilrichterlichen Entscheidung Rechtsschutz und Rechtsstaatlichkeit versagen.Die Verdoppelung der Beschwerdesummen in Kostensachen würde wegen der großen Häufigkeit der Beschwerdesachen mit einem Streitwert bis zu 100 DM Rechtsschutz und Rechtsstaatlichkeit vermindern und wäre zwecks Erhalt der Einheitlichkeit der Kostenrechtsprechung nur mit der besonderen Zulassung einer weiteren Beschwerde vertretbar.In Hausrats- und Wohnungseigentumssachen sollte die Beschwerdesumme der Berufungssumme entsprechen.Ich komme zur Schlußbemerkung: Der derzeitige Erkenntnisstand läßt weder eine inflations- noch eine strukturbedingte Notwendigkeit einer Erhöhung der Streitwertgrenze und von Berufungs- oder Beschwerdesummen zur Aufrechterhaltung einer ordnungsmäßigen Zivilgerichtsbarkeit erkennen. Das Echo der Fachverbände, also des Richterbundes, des Anwaltsvereins, der Bundesrechtsanwaltskammer — das letzte habe ich heute früh bekommen —, auf den uns vorliegenden Gesetzentwurf in der Presse vom 12. Januar und in den Fachzeitschriften ist extrem negativ, so negativ, wie es bisher noch nicht erlebt worden ist.Die Vorlage bedarf eingehender Beratung im Rechtsausschuß nach tatsächlicher Ergänzung der Beratungsgrundlage. Dabei werden die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion insbesondere darauf Bedacht nehmen, daß eine funktionsfähige Zivilgerichtsbarkeit mit einem ausreichenden Rechtsschutz unserer Bürger gewährleistet bleibt. — Herr Präsident, meine Damen und Herren, vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schwenk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine ausgesprochentrockene Materie, mit der wir uns in dieser stillen Stunde zu beschäftigen haben. Vielleicht ist es dem einen oder anderen noch vergönnt, das etwas zu würzen.
Aber es müssen auch technische Dinge erledigt werden, wenngleich ich sagen möchte: Es ist nicht nur Technik, sondern ein Stück Rechtspolitik liegt auch hier drin. Das werden wir noch deutlicher herausarbeiten müssen. Mein Vorredner, Herr Buschbom, hat schon auf zahlreiche Ecken und Kanten dieses Entwurfs hingewiesen; wir werden das im Ausschuß gründlich beraten müssen.Der Bundesrat hat diese Erhöhung der Wertgrenzen vorgeschlagen, weil er sich als Träger der Zivilgerichtsbarkeit der unteren Instanzen vor einer schwierigen Lage sieht. Es soll also die Streitwertgrenze — ich wiederhole es - von 3 000 auf 6 000 DM erhöht werden. Davon verspricht man sich nun eine wesentliche Entlastung.Es ist auch nicht zu bestreiten — das tut auch niemand —, daß die Eingänge bei den Amtsgerichten und bei den Landgerichten gestiegen sind, die Prozeßfreudigkeit zugenommen hat. Das muß man nun nicht unbedingt negativ beurteilen. Der Bürger will sein Recht, und er sucht es bei Gericht zu bekommen. Natürlich gibt es auch Klagen, bei denen es weniger um den Streitgegenstand als um die Prozeßfreudigkeit geht; das hat es nun immer gegeben. Aber es gibt weniger Bürger, die sich wirkliches oder vermeintliches Unrecht gefallen lassen. Dazu trägt natürlich die erhöhte Zahl von Rechtsschutzversicherungen bei; jeder vierte Haushalt soll irgendeine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen haben. Das setzt natürlich die Scheu vor einem Prozeß herab. Dazu hat auch die Einführung der Prozeßkostenhilfe beigetragen. Man braucht sich also nicht so leicht zu beugen, sondern kann sich bemühen, sein Recht zu bekommen.Nun muß also der Träger der Gerichtsbarkeit etwas tun. Auch wir wollen, daß die ordentliche Gerichtsbarkeit, die das bisher ja gut bewältigt hat, Recht auch in Zukunft in überschaubarer Zeit gewähren kann. Daß das bisher so der Fall war, danken wir dem Fleiß und der Umsicht aller in der Rechtsfindung Beschäftigten. Das wollen wir hier einmal deutlich aussprechen.
Es ist schon ein großer Vorteil, daß man bei uns in der Bundesrepublik nicht lange warten muß, um zu wissen, woran man ist.Um nun diese zügige Erledigung zahlenmäßig steigender Eingänge zu sichern — die Haushaltsenge ist überall gegeben, auch bei den Ländern der verschiedensten Couleur —, war dann der Gedanke da: Wir setzen die Schwelle höher, und dann geht es flotter; denn bei den Amtsgerichten wird eine Sache nun mal schneller erledigt als bei den Landgerichten. Das liegt allerdings nicht daran, daß die einen
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Dr. Schwenk
flotter arbeiteten als die anderen, sondern das liegt einfach an der Materie.Eine Vermehrung der Richterstellen würde bedeuten, daß auch die Zahl der Mitarbeiterstellen erhöht werden müßte; denn der Richter sitzt nun einmal nicht alleine. Was er sich ausgedacht hat, muß auch umgesetzt werden. Dann kämen noch Baulichkeiten oder teure Anmietungen dazu; denn die Gerichte befinden sich meistens im Stadtkern, da ist es nicht ganz billig. — Also dieser Weg ist wohl nicht gangbar.Gegen die einfache Umschichtung von Zuständigkeiten von einem Gericht auf das andere mit neuen Berufungsmöglichkeiten, die dann wieder gekappt werden, spricht, daß das zu Folgen führen dürfte, die zum Schluß keiner gewollt hat. Deswegen werden wir uns damit genau befassen müssen.Herr Kollege Buschbom hat schon darauf hingewiesen: Der Amtsgerichtsprozeß wird bürgernäher abgewickelt — das liegt auch an dem Stoff, den das Amtsgericht zu verhandeln hat —, während beim Landgericht, im Kollegialgericht, doch oftmals schwierigere Beweisaufnahmen und Sachverständigenanhörungen durchzuführen sind.Wenn man nun sagt: „Bis 6 000 DM Streitwert herunter zum Amtsgericht", führt das nicht zur Vereinfachung der Prozesse, sondern der Amtsrichter muß sich dann mit Prozessen und Stoffen herumschlagen, die eigentlich mehr für ein Kollegialgericht geeignet sind. Ich darf hierbei an die sogenannten Spitzenprozesse erinnern, etwa im Bauwesen, wo hinter einem Streitwert von 5 000 DM in Wahrheit ein Streitgegenstand von zehn- bis zwanzigfacher Höhe steht. Ich denke da an Bausachen, wo, wenn ein Garantieprozeß geführt wird, auf einmal ein großer Punkteprozeß herauskommt, und das soll dann in Zukunft der Amtsrichter allein machen. Es würde also eine Wesensänderung durchgeführt werden.
Als ich die Sache auf den Tisch bekam, dachte ich: Das machen wir so mit einem Federstrich. Kaum haben wir mit der Beratung angefangen, werden wir schon fertig sein. — Taucht man aber in die Sache ein, wird es vielschichtig. Wir wollen das auch alles machen.Umgekehrt wollte der Bundesrat dann, weil er sah, daß auf die Landgerichte mehr Berufungen zukommen könnten, die Sache dadurch wieder vereinfachen, daß er die Berufungssumme erhöhen wollte. Aber es ist nicht so, wie Herr Kollege Clemens jetzt in einer Frage an die Bundesregierung geklärt haben wollte. Er wollte wissen, ob nun in der Tat der Geldwertschwund in der Zeit verdoppelt war. Die Antwort war nicht so ausgefallen, wie sie vielleicht erhofft worden war. Der Bundesrat wollte weitaus höher gehen. Das ist mit Geldwertschwund überhaupt nicht mehr zu erklären.Wir gehen also in die Strukturen hinein.Wir werden das aber keineswegs einfach so ablehnen, wie in ihrer gemeinsamen Presseerklärung der Deutsche Richterbund, der Deutsche Anwaltsverein und die Bundesrechtsanwaltskammer das jetzt vorgeschlagen haben. So einfach können wir uns das nun auch wieder nicht machen. Vielleicht ist das auch so gesagt worden, weil die Anhörungen seitens des Bundesrates nicht in dem Maße durchgeführt worden waren, wie es an sich sonst üblich ist.Wir werden all das, was von diesen Seiten kommt, ebenfalls in unsere Beratungen einbeziehen und dabei auch die Anliegen der Arbeitsgemeinschaften der Verbraucher keineswegs aus dem Auge lassen, die uns darauf hinweisen, daß mit einer Erhöhung der Berufungssumme gerade die Anliegen des Verbraucherschutzes weggedrückt werden könnten; denn viele dieser Prozesse liegen in diesem Bereich, und auch heute noch ist ein Prozeß über 1 000 DM für Otto Normalverdiener keine Bagatelle.Deswegen werden wir uns eher noch Überlegungen zuzuwenden haben, ob etwa ungerechtfertigte, offensichtlich unbegründete Berufungen zurückgewiesen werden können, ohne in der Sache groß behandelt zu werden, damit die wirklich berufungswürdigen Sachen weiter bei einer geringeren Berufungssumme verhandelt werden können. Wir wollen auch dem kleinen Mann den Rechtsschutz nicht verkürzen. Man könnte sogar schlußfolgern — aber bisher hat sich schon gezeigt, daß alle statistischen Aufstellungen da nicht recht greifen —, daß bei dem Vorschlag des Bundesrates am Ende eine Entlastung der Oberlandesgerichte herauskommt und weniger der unteren Instanzen.
— Ja, eben. Er hat das beantragt, aber niemand ist da — schönen Dank für den Hinweis —, während wir uns hier mit dieser Sache bemühen.
— Jawohl, Herr Kollege Lenz. Nur sind wir in der schwierigen Lage eines Richters, der dann sieht, daß das so nicht erledigt werden kann, sondern daß er in der Sache etwas machen muß. Ich freue mich aber sehr über Ihren Zuruf. Diese trockene Materie, von der ich soeben sprach, ist also durchaus auch einer Auflockerung fähig.Wir dürfen dann auch noch an folgendes denken. Wenn wir diese Konzentration durchführen und wenn bei einer Heraufsetzung der Streitwerte der Anwaltzwang bis 6 000 DM entfällt, bedeutet das zwar keineswegs, daß die Anwälte nicht genommen werden, aber daß gerade für jüngere Anwälte der Aufbau einer Praxis erheblich schwieriger würde, was dann dazu führen könnte, daß sich alles noch mehr bei großen Praxen konzentriert und die ständige Erneuerung in der Rechtsanwaltschaft darunter auch etwas leidet. Auch an diesen Gesichtspunkt muß man denken.Also schlußendlich: Wir haben reichlich Stoff zur Beratung, werden das gründlich machen, hoffen aber, die Beratung zügig durchführen und das Anliegen der Bundesländer auch zügig mit einem Gesetzesvorschlag beantworten zu können, um weiterhin für den Bürger eine zügige — um dieses Wort noch4466 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Januar 1982Dr. Schwenk
.) einmal zu verwenden — Rechtsfindung zu gewährleisten. — Schönen Dank fürs Zuhören.
Das Wort hat der Abgeordnete Engelhard.
— Herr Kollege, es war der Abgeordnete Engelhard gemeldet worden, und ich gebe ihm das Wort.
— Wenn der Kollege Engelhard seine Wortmeldung zurückzieht und Sie sich zu Wort melden, gebe ich Ihnen das Wort.
— Ich erteile dem Abgeordneten Kleinert das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Danke sehr, Herr Präsident. — Auch ich möchte das Saalmikrophon benutzen, damit es nicht als eine Einzelerscheinung wirkt, daß man vom Platz aus spricht, sondern unsere Absicht deutlich wird, die Unterhaltung im Plenum stärker zu fördern. Das ist sicherlich nur ein kleiner Beitrag zu vielen Parlamentsproblemen, die uns bewegen, den man da leisten kann, und man wird, wenn sich das einbürgern sollte, Herr Dr. Lenz, daraus technische Folgerungen ziehen müssen. Der Kollege Engelhard hat soeben die wie ich meine, sehr schöne Bemerkung gemacht, hier sei wieder der vertraute Kreis für eine solche rechtspolitische Frage zusammen. Man könnte eigentlich sagen: „Gruppenbild mit Herbert Wehner".
Das ist wohl eine sehr schöne Beschreibung der Situation. Deshalb spreche ich also von hier aus. Das Wichtigste an diesem Saalmikrophon scheint mir zu sein, daß die häufig einleitend zu hörenden Bemerkungen über die Kürze der zu erwartenden Rede etwas glaubwürdiger wirken, wenn man nicht von den ganzen Schutzvorrichtungen des Podiums umgeben ist. Ich will damit Entsprechendes andeuten.Die Kollegen haben sachlich sehr fundiert und auch, wie ich meine, keineswegs trocken die wesentlichen Punkte bereits herausgegriffen. Aus Gründen, die uns nicht erfreuen, haben wir keine Veranlassung, auf die Justizminister Rücksicht zu nehmen, weder auf den des Landes Niedersachsen noch auf den des Landes Nordrhein-Westfalen, wenn die einzigen Stellungnahmen in dieser Sache, die wirklich fundiert sind, die mit Zahlen arbeiten, die Kurven und Entwicklungen aufzeigen, von Verbänden hart arbeitender freier Berufe kommen — in diesem Fall insbesondere vom Deutschen Anwaltverein, der aber hier mit dem Richterbund wieder einmal erfreulich zusammenarbeitet —, die Ministerien aber in einer Art und Weise verfahren, sowohl das Land Niedersachsen wie das Land Nordrhein-Westfalen — aus diesen beiden Ländern ist der Entwurf j awohl initiiert worden —, die mich sehr an das alte Lied erinnert: „Wenn der Topf aber nun ein Loch hat?" Den weiteren Text will ich hier höflicherweise nicht zitieren. Ich bin um so mehr über diese Arbeitsweise überrascht, als die meisten Dinge in diesem Lande erkennbar recht vernünftig und rechtsstaatlich geregelt sind, so daß dies bei gleichbleibender Personalkapazität in diesem Fall nicht der Bundes-, sondern der Länderbehörden zu mehr Kapazität für den Einzelfall führen müßte. Dabei käme dann eine Lösung heraus, bei der diejenigen, die weniger als die Amtsrichter belastet sind, mehr belastet werden, und bei der das Oberlandesgericht, wo sich allein eine Entlastung abzeichnet, am meisten entlastet wird. Das Ganze wird nur sehr spärlich mit Begründungen versehen. Dann muß man allerdings über diese Gegenläufigkeiten hinsichtlich der personalen Kapazität und über das Ergebnis von gelegentlich angestellten Bemühungen erstaunt sein und an bewußtes Volkslied denken.Wir haben 1975 eine Verdoppelung der Sätze gehabt. Die Frage des Herrn Kollegen Clemens wäre also schon damals von der Bundesregierung nicht mit dem Hinweis auf Inflation zu beantworten gewesen. Gott sei Dank haben wir derartige Inflationssätze auch heute noch nicht annähernd erreicht. Es handelt sich also um ein recht willkürliches Hinlangen in die Vollen ohne Berücksichtigung der Dinge, die hier von den Kollegen schon angesprochen worden sind und die nun nicht etwa die beruflich beteiligten Richter und Rechtsanwälte, sondern insbesondere das rechtsuchende Publikum erheblich tangieren.Nach der Systematik des Rechts ist sicherlich die Reihenfolge der drei Maßnahmen, die hier angesprochen sind, richtig. Von der Unverständlichkeit her wäre genau die umgekehrte Reihenfolge richtig; denn das Gravierendste ist die Erhöhung der Beschwerdesumme. Wenn wir schon beim Streitwert und bei der Aufteilung der Zuständigkeit zwischen Amts- und Landgericht fürchten müssen, daß der früher eintretende blaue Himmel der Rechtskraft — hier ist das nur indirekt der Fall, bei der Berufungssumme ist es völlig deutlich — natürlich auch zum Umgehen mit einem etwas breiteren Hobel führt, was die unterschiedlichen Erledigungszahlen zwischen Amtsgericht und Landgericht in gewisser Weise erklären kann, dann ist das bei der Beschwerdesumme viel mehr der Fall; denn da geht es nur um die vom Herrn Kollegen Schwenk erwähnten Spitzensummen. Da geht es immer nur um die Beschwer, die nach der Festsetzung von Kosten, von Gebühren und dergleichen — möglichst nach Anhörung des Bezirksrevisors — übrigbleibt. Über diese Spitze ist schon bei den derzeit geltenden Beschwerdesummen überhaupt keine Diskussion mehr möglich. Da entscheidet der einzelne ohne irgendeine Diskussions- und Zugriffsmöglichkeit, was in der Summierung der Fälle allerdings Erhebliches ausmacht. Über die Beschwerdesumme möchte ich aus diesem Grund, nachdem wir die Bedenken beim letzten Angriff schon sehr deutlich gemacht haben, überhaupt nicht mit mir reden lassen.
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KleinertHinsichtlich der Berufungssumme ist hier schon einiges gesagt worden. Hier steht auch die Einheitlichkeit der Rechtsprechung in Frage. Vielleicht sollte man den Gedanken wieder aufgreifen, den der Justizminister Vogel im Bereich des Mietrechts einmal durchgesetzt hat, daß man über die Rechtsbeschwerde in einer Reihe von Fällen, wo man eine zweite Tatsacheninstanz auch auf seiten der Parteien gar nicht will, zur Einheitlichkeit beiträgt, indem man dann gleich, ohne daß vorher das Landgericht eingeschaltet werden müßte, was ich für einen Mangel der Regelung in diesem Bereich halte, das Oberlandesgericht befaßt. Das könnte meiner Ansicht nach ein nützlicher zusätzlicher Diskussionsgegenstand in unseren Beratungen sein.Dennoch wird es so sein, wie es verschiedene Verbände — die Verbraucherverbände sind zitiert worden — sagen. Man wird nicht bis zum Betrag von 1 000 DM, der dann doch in etlichen Fällen das monatlich verfügbare Einkommen eines einzelnen bedeutet, sagen können: Da gibt es nichts mehr.Eine Untersuchung über die Unterschiedlichkeit von Urteilen, gegen die ein Rechtsmittel nicht möglich ist und gegen die es möglich ist, wäre auch sehr dankenswert, Herr Staatssekretär. Daß sich das nicht auf den Inhalt beziehen kann, ist mir klar. Ich bin der Meinung, es würde schon erheblich sein, den Umfang dieser Urteile statistisch festzustellen. Das geht dann alles sehr viel schneller. Daß es deshalb genauer geht, weil man es soviel kürzer faßt, vermag ich prima facie nicht einzusehen. Diese Zusammenhänge können wir bei der Gelegenheit j a auch einmal untersuchen.Die Prozeßfreudigkeit ist angesprochen worden. Mir ist da eine Geschichte eingefallen. Ich wollte doch den CSU-Kollegen hier auch einmal zeigen, daß wir Norddeutschen nicht so ganz kulturlos sind. Ludwig Thoma berichtet die Geschichte von dem Huberbauern, zu dem sein Advokat kommt und sagt: „Huber, wir haben unseren Prozeß verloren." Da sagt der Huber: „Macht nix, i hob scho an neien."
Daß das natürlich nicht das ist, was zur Erleichterung der hier angesprochenen Problematik beitragen kann, liegt auf der Hand. Wir werden über die Dinge, wie die Kollegen schon übereinstimmend ausgeführt haben, nachzudenken haben.Ich möchte noch ein Wort zum Kollegialgericht sagen. Es gibt schon einen erheblichen Unterschied zum Einzelrichter. Das bedeutet nicht die geringste Kritik an der verdienstvollen Arbeit der Amtsrichter, die sehr viel zu einer dem Bürger verständlichen Rechtsprechung und in ihren Sitzungssälen zu einem wirklichen Rechtsgespräch beitragen. Das alles wird hoch anerkannt. In den etwas komplizierteren Fällen — Herr Schwenk hat Beispiele genannt — ist natürlich das Kollegialgericht nicht aufgefordert, immer zu dritt alles durchzuberaten oder gar zu formulieren. Das geschieht ja auch in der Praxis nicht. Aber man kann als Rechtsuchender oder als Vertreter desselben hoffen, unter dreien eher einen zu finden, der die eigene Art, zu argumentieren und die Sachzusammenhänge zu sehen, teilt, als wenn man ungeschickterweise an einen Einzelrichter gerät,mit dem man eben nicht auf der gleichen Wellenlänge sendet, wie es so schön heißt, und wo dann ein Gespräch überhaupt nicht mehr stattfinden kann. Im Kollegialgericht kann der eine, der besser versteht, was gemeint ist, das anschließend in der Beratung den anderen verdeutlichen. Darin liegt eine ganz wesentliche Funktion, meine ich aus der Praxis des Rechtslebens, für das Kollegialgericht.Nun möchte ich schließen, nachdem ich diesen Weg hier gewählt und auch angekündigt habe, daß das dann alles schneller geht. Ich benutze die Gelegenheit, abschließend noch zu sagen, daß Herr Wolfgramm mir zwar zuvorgekommen ist mit diesen lange diskutierten Maßnahmen, daß ich aber ihm gegenüber den Vorteil genieße, in Anwesenheit desjenigen, der als Mitdenkender aus dem journalistischen Bereich uns auf diese Maßnahme aufmerksam gemacht hat, zu sprechen, während das vorher nicht möglich war. — Danke schön.
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mir bei der Premiere schnell den § 34 unserer neuen Geschäftsordnung durchgelesen, um festzustellen, ob die Saalmikrofone auch für diejenigen offen sind, die von der Regierungsbank kommen. Ich konnte eigentlich — dies war allerdings nur ein flüchtiges Durchlesen — nichts Gegenteiliges finden. Allerdings steht ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes noch aus.
Weil Herr Kollege Buschbom mich ohnehin als einen Veteranen bezeichnet hat, gehe ich deswegen um so beruhigter an dieses Pult; ich bin dann sicher, daß das mit Bestimmtheit richtig und zutreffend ist und nicht angegriffen werden kann.
Ich könnte schon eines der Mikrofone aus der ersten Reihe nehmen, nehme ich an, Herr Kollege Bötsch.Nun zur Sache. Worum geht es? Die statistischen Zahlen weisen aus, daß die Eingänge bei den Landgerichten von 1978 bis 1980 — was ich jetzt vortrage, sind ganz neue Zahlen — um 23,3 % gestiegen sind, wohingegen die Zahlen bei den Amtsgerichten in entsprechender Zeit lediglich eine Steigerung von 6,8 % aufweisen. Wir haben die Jahre ab 1978 gewählt, weil wir so sicher sind, daß es Schwierigkeiten nicht gibt. Von diesem Zeitpunkt an laufen nämlich, wie wir wissen, die Ehesachen bei den Amtsgerichten.Nun kennt jedermann das Sprichwort, es gebe Notlügen, Zwecklügen und statistische Angaben. Wenn man sich anschaut, wie die Erledigungsziffern aussehen, wird deutlich, daß diese unterschiedlichen Eingangszahlen noch nicht so klar bei der Erledigung durchgeschlagen sind.
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Parl. Staatssekretär Dr. de WithDennoch ist festzuhalten, daß bei den Landgerichten, und zwar ab 1978, im Gegensatz zu den Amtsgerichten die Erledigungen ganz offensichtlich schwieriger geworden sind, obwohl hier die Differenz nur etwa 5 % beträgt. Offenbar waren die Landgerichte mit ihrer Kapazität eher als die Amtsgerichte in der Lage, die gestiegenen hohen Eingangszahlen zu verdauen. Es gibt ja bei den Landgerichten auch die Möglichkeit, auf den Einzelrichter zurückzugehen.Dennoch ist eines ganz deutlich. Die Statistik belegt, daß es einen Trend gibt, wonach der rechtsuchende Bürger auf die Dauer beim Landgericht auf sein Urteil länger als beim Amtsgericht warten muß.Das zwingt uns zum Handeln. Denn es gibt ein weiteres Sprichwort: Spätes Recht ist halbes Recht. Dies darf für das Landgericht nicht wahr werden.Die Vermehrung der Planstellen hat ganz offenkundig eine Grenze. Also muß man überlegen, ob eine Korrektur der Wertgrenzen zwischen Amtsgericht und Landgericht am Platz ist, und zwar so, daß wir zu einem Ausgleich kommen und der Bürger in etwa gleicher Weise beim Amtsgericht wie beim Landgericht auf seinen Prozeß warten oder nicht warten muß.Wie erwähnt, hatten wir die letzte Korrektur im Jahre 1975. Wenn man sich die Wertsteigerungen anschaut, die es seitdem gibt, wenn man sich die Statistik erneut betrachtet, dann ist klar, daß die Streitwerte gewachsen sind — allerdings nicht in dem Maß, wie der Bundesrat hier eine Erhöhung um das Doppelte vorschlägt. Würden wir dem Vorschlag des Bundesrats folgen, dann kämen wir ganz sicher zu begrenzten strukturellen Änderungen im Gefüge von Amtsgericht und Landgericht mit allen Folgen. Aber es käme dadurch ganz sicher auch zu einer Verkürzung der Verfahren. Werden doch, wie wir alle wissen, beim Landgericht in 70 % aller Fälle drei Richter behelligt — wenn ich das so formulieren darf —, während das beim Amtsgericht ein einziger Richter erledigt. Eine Änderung der Streitwertgrenzen würde deshalb mit Sicherheit zu einer Beschleunigung führen, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, daß einige Richter vom Landgericht zum Amtsgericht wechseln müssen.Dennoch sage ich: Wir werden im Ausschuß sehr, sehr sorgfältig zu prüfen haben, ob die hier vorgeschlagene Wertgrenzänderung richtig ist.Zwei Gesichtspunkte dürfen bei unseren Überlegungen nicht Pate stehen. Der eine ist, daß es zu einer unvertretbaren strukturellen Änderung dergestalt kommt, daß die quantitative Änderung in eine unvertretbare qualitativ-strukturelle Änderung durchschlägt. Zweitens müssen wir Bedacht nehmen, daß standespolitische Überlegungen und finanzielle Besorgnisse von Organen der Rechtspflege zurückbleiben.Zur Änderung der Berufungssumme ist das Erforderliche hier schon gesagt worden. Gehen wir hier von 500 DM auf 1 000 DM, so besteht in der Tat die Gefahr, daß viele Fälle des täglichen Lebens, die den kleinen Mann treffen, bei einer Instanz bleiben. Und ich sage etwas unvorsichtig: Wir kennen ja dazuauch das Wort „Über uns der blaue Himmel". Hier sollte sehr, sehr sorgfältig geprüft werden, ob wir dies generell hinnehmen können.Erfreulicherweise hat die Justizministerkonferenz auf ihrer Sitzung im Herbst vergangenen Jahres in Celle einen Beschluß gefaßt, der dahin geht, des weiteren zu prüfen, welche Möglichkeiten es noch gibt, hier zu einer vernünftigen Abhilfe zu gelangen. Es gibt auch schon einen Katalog, der allerdings noch nicht durchgeprüft ist. Wenn wir auch verstehen, daß eine Änderung zugunsten der Länder im Gefüge Amts-/Landgericht bald erfolgen muß, so steht doch zu hoffen, daß dabei vielleicht dennoch auch ein Teil der Überlegungen Eingang finden kann, von denen ich gerade im Zusammenhang mit den Überlegungen der Justizministerkonferenz sprach.Was schließlich die Frage der Beschwerdesumme anlangt, so ist dies vielleicht nicht ganz so gravierend. Dieser Punkt ist auch noch nicht ganz so deutlich in das Bewußtsein der Öffentlichkeit getreten. Aber auch hier sage ich mit aller Deutlichkeit: Bei näherem Hinsehen bringt auch das mehr Probleme mit sich, als wir alle erwartet haben. Auch hier gilt: Wir werden sehr, sehr sorgfältig zu prüfen haben, inwieweit wir zu Änderungen zu kommen haben.Bei allem muß gelten: Der Staat hat dem Bürger zu dienen. Der Bürger darf nicht den Eindruck gewinnen, daß hier im Rahmen bloßer Streitwertberichtigungen umgekehrt verfahren wird. — Vielen herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf des Bundesrats Drucksache 9/1126 an den Rechtsausschuß zu überweisen. Ist das Haus mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Stercken, Klein , Dr. Mertes (Gerolstein), Graf Huyn, Dr. Köhler (Wolfsburg), Dr. Marx, Köster, Frau Hoffmann (Soltau), Dr. Abelein, von der Heydt Freiherr von Massenbach, Dr. Czaja, Dr. Todenhöfer, Höffkes, Lamers, Frau Fischer, Schmöle, Dr. Kunz (Weiden) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSULage im Libanon— Drucksache 9/1121 —Überweìsungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche ZusammenarbeitMeine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Debattenrunde vereinbart worden. Darf ich davon ausgehen, daß das Haus damit einverstanden ist? — Ich stelle dies fest.
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Vizepräsident WindelenWird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann eröffne ich die Aussprache. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Stercken.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Entschließungsantrag, der heute in die parlamentarische Beratung eingeführt wird, will dem in unseligen Kriegswirren leidgeprüften libanesischen Volk eine Hilfe bei der Wiederherstellung des Friedens und der Selbstbestimmung sein. Die darin niedergelegten grundsätzlichen Gedanken zur Sicherung des Friedens sind in Übereinstimmung mit allen Bevölkerungsteilen des Libanon und ihren politischen Repräsentanten zusammengetragen worden. Die Verabschiedung dieser Entschließung wird daher von dem um seine Einheit und Unabhängigkeit ringenden libanesischen Volk als eine Hilfe bei der Sicherung seiner nationalen Integrität und damit als ein Dienst am Frieden empfunden.Der Deutsche Bundestag kann sich damit als der eigentlich kompetente Träger öffentlicher Verantwortung in Sachen des Friedens einsetzen. Die zu geringe Bewertung, die über eine lange Zeit hin der Außenpolitik in der Öffentlichkeit, aber auch in diesem Hause zuteil wurde, hat sicher an dem Eindruck mitgewirkt, es bedürfe anderer Institutionen, um den Frieden hinreichend zu sichern. Nein, meine Damen und Herren, dieser Deutsche Bundestag ist als frei gewähltes Parlament in seiner Gesamtheit der berufene Wächter des deutschen Volkes über die Fragen von Sicherheit und Frieden.
Alle Entwicklungen, die den Weltfrieden bedrohen, müssen daher in diesem Hause mit dem Ziel erörtert werden, sämtliche Möglichkeiten politischer Mitwirkung einzusetzen, um den Frieden in dieser Welt, der unteilbar geworden ist, wiederherzustellen und zu sichern.
Dazu besteht in diesen Tagen uni so mehr Veranlassung, als durch die weitgehende Abstinenz der Friedensbewegung vom 10. Oktober 1981 in Sachen Kriegsrecht in Polen der moralische Anspruch verwirkt worden ist, über den zwischen uns und in unserem Volk seitdem gestritten worden ist. Wer die Nachrüstung verteufelt, das Kriegsrecht in Polen und den zweijährigen Befreiungskampf in Afghanistan derart systematisch verschweigt, der macht die Wertvorstellungen unglaubwürdig, die er geradezu mit einem Alleinvertretungsanspruch in die Politik einführen wollte.
Kümmern wir uns daher mehr darum, was dieses Haus in die Friedensdebatte einzuführen vermag, und mühen wir uns darum, daß unsere Beiträge von den Bürgern, die wir vertreten, weder als opportunistisch noch als ideologisch verblendet oder einseitig im Erkennen von Gefahren beurteilt werden können. So sollte auch der Versuch gewertet werden, konstruktive und stabilisierende Positionen zur Lage im Libanon einzunehmen.Doch Stellung beziehen heißt eine klare Haltung einnehmen, heißt das aussprechen, was wir für Recht erkennen.
Der Frieden ist die Folge des Rechts. Wer nicht das Unrecht beseitigt, schafft keinen Frieden.
Der Entschließungsantrag beschreibt diese Kategorien des Rechtes als Voraussetzung für den Frieden, nach dem sich alle Teile der Bevölkerung des Libanon ohne Ausnahme sehnen, dieses aus vielen religiösen und ethnischen Gruppen zur Nation gewachsenen Volkes, in dem das Bedürfnis nach Einheit und Unabhängigkeit nie stärker war als nach den leidvollen Erfahrungen eines in das Land hineingetragenen Bürgerkriegs.
Aus der Entwicklung der letzten Wochen ergibt sich allerdings das Erfordernis, den Überlegungen des Entwurfs noch eine weitere hinzuzufügen. Die Bemühungen des amerikanischen Unterstaatssekretärs Philip Habib, über die volles Einverständnis mit der libanesischen Regierung besteht, sollten durch die beabsichtigte Entschließung des Deutschen Bundestages ebenfalls unterstützt werden:Erstens. Den Truppen der Vereinten Nationen sollte im Zusammenwirken mit libanesischen Streitkräften der gesamte Süden des Landes von der Grenze zu Israel bis zum Litani-Fluß zur Kontrolle zugewiesen werden.Zweitens. Alle schweren Waffen der Palästinenser in Grenznähe sollen mindestens 30 km von der libanesisch-israelischen Grenze abgezogen werden.Drittens. Die an archäologischen und historischen Denkmälern reiche Stadt Tyros soll neutralisiert werden.Viertens. Kontrollpunkte der UNIFIL sollen in Chekif und an der Khardali-Brücke eingerichtet werden.Fünftens. Internationale Truppen sollen künftig in einem Bereich 9 km von Marjejoun die weitere Infiltration von Palästinensern verhindern.Meine Damen und Herren, ich gebe zu, das ist sehr konkret.
Aber wenn wir uns nur in generalisierenden Vorstellungen zum Frieden im Libanon äußern, dann nehmen wir eben nicht in den Positionen eine klare Haltung ein, um die im Augenblick zwischen den Beteiligten gestritten wird.Mit diesen neuen Vorschlägen, denen — auch im Einvernehmen mit der libanesischen Regierung — der Deutsche Bundestag seine politische Unterstützung geben sollte, würden folgende Ziele erreicht:Erstens. Die Grenze des Libanon mit Israel wird durch UNIFIL im Zusammenwirken mit den libanesischen Streitkräften insgesamt gesichert. Von die-
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Dr. Sterckensem Augenblick an gibt es keinen Vorwand mehr für die Anwesenheit syrischer Streitkräfte im Libanon.Zweitens. Die Souveränität des libanesischen Staates und seiner Streitkräfte wird eine erhebliche Stärkung erfahren.Drittens. Die Kontrolle des gesamten Südens durch UNIFIL und den Libanon wird in diesem Gebiet weitere Kampfhandlungen ausschließen und damit wesentliche Voraussetzungen dafür schaffen, daß sich alle Menschen in der Region an den Frieden gewöhnen und auf den Einsatz von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele verzichten.Das gelegentlich auch bei uns erkennbare Verständnis für den Einsatz von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele durch Befreiungsbewegungen — und so auch für die im Libanon operierenden Streitkräfte der PLO — ist für mich nicht nachvollziehbar. Wir Deutschen verzichten auf den Einsatz von Gewalt, um unsere nationale Einheit zu erreichen und damit einen Teil Deutschlands von kommunistischer Fremdherrschaft zu befreien. Ich erkenne nicht den rechtlichen oder moralischen Unterschied, den diejenigen in Anspruch nehmen könnten, die heute über das Leben anderer zum Zwecke der politischen Demonstration verfügen, weil sie in einem eigenen autonomen Land leben möchten.
In Europa gäbe es auch keinen Frieden, wenn nicht von den demokratischen Rechtsstaaten Gewaltverzicht geübt würde. Der Dienst, den wir ganz allgemein zur Sicherung der Menschenrechte leisten wollen, muß mit der Forderung nach Gewaltverzicht verbunden bleiben.
Die Deutschen haben angesichts der Teilung ihres Landes und ihres Verzichts auf den Einsatz von Gewalt zur Lösung dieses Problems ein besonderes Recht, von anderen den Verzicht auf die Anwendung von Terror und Gewalt zu fordern.
Ist unser Verhalten das Opfer und die Voraussetzung für den Frieden in Europa, so müssen sich alle am Konflikt im Nahen Osten Beteiligten der Gewalt enthalten. Ohne Gewaltlosigkeit wird es keinen Frieden geben.
Also muß man alle Mittel einsetzen, die dazu zwingen, auf den Einsatz von Gewalt zu verzichten. Wenn wir diesen Grundsatz nicht allen am Konflikt Beteiligten abverlangen, können wir für uns nicht in Anspruch nehmen, etwas für die Sicherung des Friedens getan zu haben.Zur Gewährleistung von Sicherheit und Frieden ist die Stationierung syrischer Raketeneinheiten auf libanesischem Gebiet in der Bekaa-Ebene ebenso untauglich wie die Schaffung vollendeter Tatsachendurch die israelische Regierung auf den Golan-Höhen im Windschatten des Kriegsrechtes in Polen.
Zwar geben die Syrer dem Staat Israel seit Jahrzehnten nicht ein einziges Zeichen der Hoffnung und des Friedens. Dennoch erwarten wir von Israel, dessen Frieden in Freiheit unsere ganzen Sympathien gelten, daß es den Verhandlungsweg offenhält und damit bekundet, was seine Demokratie von der Willkür und Ungerechtigkeit nichtdemokratischer Staaten unterscheidet.Der vorliegende Antrag ist das Ergebnis einer Informationsreise, an der die Kollegen Dr. Alois Mertes, Hans Klein und ich teilgenommen haben. Dieses Unternehmen ist wohl von allen Libanesen so betont freundlich aufgenommen worden, weil es nicht nur einer bestimmten Bevölkerungsgruppe galt, sondern deutlich machte, daß die deutschen Besucher die Einheit dieses Landes in seiner Mannigfaltigkeit erkennen, verstehen und achten wollen.Zu den Besuchen im Lande, die zunächst unsere Verwunderung und dann unsere Bewunderung hervorgerufen haben, gehörte ein Flug zu den eben bereits erwähnten Truppen der Vereinten Nationen , über deren Aufgabenstellung, Leistungen und Opfer die Öffentlichkeit in einer völlig unzureichenden Weise unterrichtet ist.
Das muß um so mehr beklagt werden, als neben einem entsagungsvollen Dienst in einer Umgebung, die vielerlei Entbehrungen abverlangt, auch der Blutzoll dieser Truppe denjenigen, für die sie ihre Arbeit tut, ein höheres Maß an Dankbarkeit und Interesse abverlangen müßte. 69 Soldaten der Vereinten Nationen, der UNIFIL-Streitkräfte, haben bis zum Herbst letzten Jahres ihr Leben hingegeben, davon 39 in Kampfhandlungen. 110 Soldaten wurden verwundet. Den Truppen der Fidschi, den Senegalesen und den Iren sind die größten Verluste zugefügt worden. Sechs Soldaten sind meuchlings ermordet worden.Meine Damen und Herren, diese Truppen stehen für uns alle im Süden des Libanon, um den Frieden zu erhalten. Ein Mordanschlag auf sie gilt uns allen. Wir können darüber nicht leichtfertig hinweggehen. Den Palästinensern, die für diese Massaker die Verantwortung tragen, kann nur geraten werden, auf diese barbarischen Anschläge unverzüglich zu verzichten. Es kann einem angst und bange werden, wenn auf der Grundlage eines solchen Terrorismus nun auch noch ein Staat gebaut werden sollte.Gibt es für die ganze Welt schon hinreichende Veranlassung, selbst das Leben für die Sache des Friedens im Libanon herzugeben, so gibt es für die Deutschen noch einen weiteren Grund, sich dem Schicksal des libanesischen Volkes verbunden zu wissen. Wir verfügen über die Erfahrung, was die Teilung eines Landes bewirkt, wenn sie durch imperialistische Interessen oder durch die Anwesenheit fremder Truppen im Lande verursacht wird. Die Spannungsursachen, die für die Zersplitterung des Landes in Einflußzonen verantwortlich gemacht werden, lie-
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Dr. Sterckengen nicht in gelegentlichen Rivalitäten der Bevölkerungsgruppen, sondern vielmehr darin begründet, daß unter vielerlei Vorwänden eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes stattgefunden hat, für die das libanesische Volk die leidvolle Zeche zu zahlen hat. Es gehört zu den großen Unverfrorenheiten unserer Tage, daß Okkupanten allenthalben als Friedensstifter auftreten und trotz ihrer Zugehörigkeit zu den Vereinten Nationen, dem Bekenntnis zu ihrer Charta und ihren Menschenrechtspakten hemmungslos formale Begründungen ausweisen, um andere Völker zu unterjochen.In diesem Zusammenhang ein offenes Wort an die Adresse der Palästinenser. Ihr Umgang mit den Libanesen und ihrem Land ist nicht gerade ein ermutigendes Beispiel für die Achtung vor den Rechten anderer Staaten und Völker. Es würde die Durchsetzung ihrer eigenen Rechte erleichtern, wenn sie die politischen Rechte respektieren würden, um die sie selbst so erbarmungslos kämpfen.Ich komme zum Schluß. Meine Damen und Herren, als Deutsche empfinden wir ein besonderes Maß an Solidarität mit dem Libanon, weil uns diese Auswirkungen hegemonialer Politik und diese Mißachtung von Menschenrechten hinlänglich bekannt sind. Wenn wir anderen helfen, solches Unrecht zu beseitigen, dann vertrauen wir auch auf deren Beistand, wenn es um die Sache der Deutschen geht, die auch ihre endgültige Friedenssicherung erst erfahren, wenn das Problem ihrer nationalen Einheit in einer europäischen Friedensordnung gelöst werden kann.Das Europäische, belgische und britische Parlament sowie der amerikanische Senat haben bereits nach der Beschlußfassung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Entschließungen verabschiedet, die zur Zeit ihrer Veröffentlichung als ein Beitrag zur Stärkung der libanesischen Position angesehen werden konnten. Der Deutsche Bundestag besitzt jetzt die Möglichkeit, seinen Teil mit vielen neuen Einzelheiten beizusteuern, damit einem vormals blühenden Land ein neuer friedlicher Anfang erschlossen werden kann.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Soell.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der CDU/CSU-Antrag auf Drucksache 9/1121 zur Lage im Libanon ist, wie der Kollege Stercken ausgeführt hat, Ergebnis einer Delegationsreise von Kollegen der CDU/CSU-Fraktion in den Libanon. Reisen bildet offenbar; zumindest schafft es Erkenntnisse, die bei Ihnen vor einigen Jahren — wenn ich nur an den Antrag von 1978 denke — noch nicht vorhanden waren.
— Ich sage das ja auch ohne hämischen Unterton.Wir alle sind darauf angewiesen, in dieser Fragetatsächlich auch zusätzliche Erfahrungen zu machen.Erlauben Sie mir, bevor ich selbst einige Bemerkungen mache, noch zwei Anmerkungen zu dem, was Sie — insbesondere im Zusammenhang mit dem „offenen Wort an die Palästinenser" — gesagt haben. Es wäre sicherlich nützlich gewesen, wenn Sie auf Ihrer Reise dort auch gerade mit Konfliktparteien wie den Palästinensern und den Syrern geredet hätten.
Es ist eine andere Sache, dort mit ihnen zu reden — und sie sind dort —, als hier von diesem Pult aus mit ihnen zu reden.Die zweite Bemerkung: Wenn Sie hierauf das Beispiel der Deutschen — gerade auch der Erfahrungen der letzten 37 Jahre — anwenden, werden Sie, glaube ich, was das Verständnis der dortigen Konfliktlage, der Gemengelage der Konflikte, angeht, doch nicht mit zureichenden Beispielen aufwarten können. Da müssen Sie schon weit in die Geschichte zurückgreifen. Im Libanon haben wir eine Situation, in der äußere Kräfte — Sie sprachen von Okkupanten — das Land zum Tummelplatz ihrer Konflikte gemacht haben, in der aber auch innere Kräfte mit diesen äußeren Kräften kooperiert haben. Dies müßten Sie, gewissermaßen auf deutschen Boden bezogen, einmal geschichtlich erläutern. Da kommen Sie weit in die deutsche Geschichte zurück; dies ist nicht mit unserer Situation in den letzten 37 Jahren vergleichbar.Jedenfalls begrüßen wir diesen Antrag schon deshalb, weil vielfältige Anstrengungen notwendig sind, um die blutigen Konflikte, die im Libanon auf Kosten der Bürger ausgetragen werden, zurückzudrängen und schließlich auch zu beenden.Lassen Sie mich aber gerade hinsichtlich der Ursachen des Konflikts — und jede Konfliktlösung bedarf zunächst einmal der Analyse der Ursachen und danach einer Beseitigung der Ursachen — fragen, wie es mit der Beteiligung äußerer Kräfte steht. Es gehört ja zu den Gemeinplätzen, daß der Konflikt der arabischen Staaten mit Israel am Ausbruch des Bürgerkrieges im Libanon ganz entscheidend beteiligt gewesen ist. Aber auch dieser Gemeinplatz bedarf einer näheren Betrachtung.Es bleibt richtig, daß die Beteiligung äußerer Kräfte von Bedeutung war und ist, aber es hat auch innerlibanesische Kräfte gegeben, die am Ausbruch des Konflikts sehr stark beteiligt waren. Heute, nach fast sieben Jahren sehr blutiger und zerstörerischer Auseinandersetzungen, ist dies, was die innerlibanesischen Kräfte angeht, doch sicherlich etwas anders geworden.Es gibt heute auf verschiedenen Seiten Signale dafür, daß jedenfalls die innerlibanesischen Kräfte mehr nach der Losung „Libanon den Libanesen" verfahren.
Auf der Seite wichtiger christlicher Kräfte scheinenjedenfalls die Befürworter eines eigenen, von Israel
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Dr. Soellgesicherten Teilstaates an Boden verloren zu haben; zugleich scheint dort die Voraussetzung dafür gewachsen zu sein, zu gewissen politischen Reformen der Verfassungsgrundsätze, die dem Nationalpakt von 1943 zugrunde liegen, zu kommen.Auf der anderen Seite haben Sprecher moslemischer Gruppen — ich erwähne hier Walid Dschumblat — im zurückliegenden Jahr betont, daß die Versuche verstärkt werden müssen, die libanesischen Probleme vom arabisch-israelischen Konflikt — also auch vom Problem der Palästinenser, das die Libanesen immer stärker belaste — zu trennen. Es habe — so Dschumblat — Priorität, auf dem Wege der politischen Verständigung zunächst als Staat zu überleben.Dschumblat hat hinzugefügt, er sehe nicht ein, was es den Palästinensern nützen könne, wenn ihr Gastland nur noch aus verbrannter Erde bestehe und schließlich sein Leben als Staat aushauche. Er hat den Palästinensern empfohlen, sie sollten erkennen, daß sie mit ihren vorübergehenden Privilegien letzten Endes riskieren, daß die palästinensische Revolution im libanesischen und arabischen Treibsand versinke.Solche Auffassungen schaffen unerläßliche, wenn auch sicherlich noch keine hinreichenden Voraussetzungen für eine Einigung der libanesischen Kräfte. Sie bedeuten einen wichtigen Fortschritt gegenüber den festzementierten Meinungen, wie sie noch vor zwei oder drei Jahren dort zu hören waren. Es ist die Erkenntnis daraus, daß der Bürgerkrieg keine Sieger, sondern, jedenfalls, was die Libanesen selber angeht, nur Verlierer geschaffen hat.Ein wichtiger Test für das Wachsen des Bewußtseins „Libanon den Libanesen" werden die Präsidentenwahl im Juli 1982 und die dadurch hoffentlich sich ergebende Stärkung der libanesischen Staatsautorität sein, vor allem auch der ihr zur Verfügung stehenden Instrumente, etwa der Sicherheitsstreitkräfte.Schließlich noch zu der Frage, was wir beitragen können. Herr Kollege Stercken, Sie sind j a sehr ausführlich auf konkrete Vorschläge eingegangen. Ich meine, hier sind unsere Möglichkeiten sicherlich erheblich reduziert, etwa die Möglichkeit, die Lieferung schwerer Waffen an Konfliktparteien im Libanon zu unterbinden. Aber wir sollten uns — da stimme ich Ihnen zu —, was die Stärkung der UNIFIL angeht, der Friedenstruppe der Vereinten Nationen im Südlibanon, dafür einsetzen, daß sowohl die Streitkräfte dort verstärkt werden als auch ihre räumliche Zuständigkeit ausgedehnt wird. Dies ist sicherlich ein richtiger Ansatz. Ich begrüße es auch, daß die sehr gefährliche Tätigkeit, von der Sie ja hier Details geschildert haben, von uns dankend gewürdigt wird. Wir müssen noch im einzelnen darüber sprechen, wie wir selber mit den Mitteln, die wir haben, z. B. in den Vereinten Nationen, für die Stärkung der UNIFIL eintreten können.Aber die europäischen Länder können gute diplomatische Dienste leisten, und sie können eine Reihe wirtschaftlicher und anderer Hilfsmaßnahmen in Angriff nehmen, um der Losung „Libanon den Libanesen" stärker Geltung zu verschaffen.Lassen Sie mich abschließend sagen, daß nur durch gemeinsame Anstrengungen der innerlibanesischen Kräfte — darauf wollte ich heute abheben — und durch Anstrengungen der arabischen Welt, insbesondere auch der Viererkommission der arabischen Liga, die Sie ja in Ihrem Antrag mit erwähnt haben, wie auch durch die Hilfe der westlichen Länder und der Vereinten Nationen auf die Dauer unterbunden werden kann, daß der Libanon weiterhin der Tummelplatz aller Konfliktparteien im Nahen und Mittleren Osten wird oder bleibt. In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Konfliktparteien — das ist j a das Bedrückende daran — in der Tat vermehrt. Es ist nicht nur ein israelisch-palästinensischer Konflikt, nicht nur ein innerlibanesischer Konflikt, sondern auch der Konflikt Irak gegen Syrien, der Konflikt Irak/Iran spielen da mit hinein.
Ich meine jetzt nur die äußeren Konfliktparteien, die hier beteiligt sind. Es ist sicherlich ganz entscheidend, daß dies ausgeräumt wird.Das Höllenfeuer, wie arabische Beobachter die Auseinandersetzungen der Truppen im ganzen Raum Libanon nennen, sollte jedenfalls endlich zum Erlöschen gebracht werden. Es bleiben genug Probleme übrig, die von den Libanesen selber zu lösen sind. Einige davon habe ich angesprochen. Jeder Beitrag zur Lösung des sehr stark von außen hineingetragenen Konflikts ist wichtig. In diesem Sinne begrüßen wir den Kern der Aussagen des CDU/CSU-Antrags und stimmen der Überweisung an den Ausschuß zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch die FDP-Fraktion begrüßt die Initiative der CDU/CSU in Gestalt eines Antrags zum Libanon, den wir ja eben schon andiskutiert haben.Es war zu erwarten, Herr Kollege Stercken, daß dem Libanon-Konflikt ein wesentlich geringeres Interesse des Hauses entgegengebracht werden würde als der Situation in Polen. Ich muß mich natürlich auch fragen, inwieweit diesem Konflikt manchmal noch das Odium des Exotischen anhaftet, obwohl dieses Land sicher noch leidgeprüfter als Polen ist und als Opfer der Nahostkrise Unsägliches erlitten hat. Wir sollten daran denken, daß der Libanon ein Anrainer des Mittelmeeres ist, also zu unseren Nachbarn gehört, so wie Polen als Teil Europas zu unseren Nachbarn gehört. Ich bedaure, daß man diesem Land in der Vergangenheit in den Debatten hier so wenig Beachtung geschenkt hat. Insofern bin ich dankbar, daß wir im Auswärtigen Ausschuß Gelegenheit haben, über Ihren Antrag zu diskutieren, der mir allerdings — ich darf das hier schon kritisch anmerken — einige Schwächen zu enthalten scheint.Wenn Sie ständig nur auf die fortgesetzten „terroristischen Gewalttaten ausländischer Gruppierungen" abheben, so scheint mir das nicht richtig zu
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sein. Denn Sie wissen so gut wie ich, daß die Auseinandersetzungen im Libanon natürlich auch die Folge schwerster innenpolitischer Konflikte sind. Das Vorhandensein privater Milizen, die zu den Gewalttaten ganz wesentlich beigetragen haben, wie natürlich auch bestimmte Ausschreitungen der Palästinenser — das will ich hier nicht verhehlen —waren ja der Anlaß dafür, daß ausländische Truppen eingegriffen haben und sich allerdings jetzt im Libanon wohl auch etablieren; das sehen wir natürlich auch. Das ist ein sehr komplexes Problem, das hinsichtlich seiner Ursachen aber sicher nicht nur als ein Spielball der umgebenden Mächte, als eine Interessensphäre der arabischen Staaten oder Israels gesehen werden kann, sondern hier müssen natürlich auch die unglaublichen sozialen Spannungen, die in diesem Lande geherrscht haben und noch herrschen, und die Art und Weise mit in den Blick genommen werden, wie sich hier einige Cliquen, einige Familien über die staatliche Ordnung — immer schon — hinweggesetzt und bisher auch kaum Reformbereitschaft zu erkennen gegeben haben. Auch das wird für eine Libanon-Lösung langfristig von großem Interesse sein. Es genügt also nicht etwa, die staatliche Autorität wiederherzustellen — wir sind dafür und unterstützen das, was Sie hier sagen —, sondern es muß langfristig auch darauf hingewirkt werden, daß es diesem Lande gelingt, die enormen sozialen Spannungen, die zu dieser Krise mit beigetragen haben, zu beseitigen.Ein weiterer Punkt, der hier zu nennen wäre und der mir noch einer gründlichen Würdigung im Ausschuß zu bedürfen scheint, ist die verbale Form, auf die man sich sowohl in den Erklärungen der Bundesregierung, der Neun und diverser internationaler Gremien beschränkt hat als auch Sie sich in Ihrem Antrag wieder beschränken. Wenn ich lese: wir rufen auf, wir appellieren, wir unterstützen, wir erwarten und wir müssen „den am Konflikt Beteiligten deutlich ... machen" — möglicherweise durch deutsche Beispiele —, dann meine ich: das ist zuwenig. Ich fürchte, das wird nicht ausreichen, eine LibanonLösung herbeizuführen.Ich meine, Herr Kollege Stercken, Herr Kollege Klein, Herr Kollege Soell, wir sollten uns ernsthaft überlegen, ob wir nicht zumindest mit dem Auswärtigen Amt eine weitergehende Initiative ansteuern sollten, eine Initiative, die vielleicht heißen könnte: internationale Libanon-Konferenz. Ich weiß, daß die libanesische Regierung immer wieder gesagt hat: Im Grunde bedarf es zur Lösung der LibanonKrise keiner Gesamtlösung des Nahost-Konfliktes. Es gibt andere Meinungen, die sagen: Der Libanon kann erst wieder frei sein, wenn es eine Gesamtlösung im Nahen Osten gibt. Ich meine: Unabhängig von der noch anzustrebenden großen Nahost-Konferenz, meine Damen und Herren — denn Camp David erweist sich immer mehr als nicht ausreichend, um die Probleme des Nahen Ostens zu lösen —, müßten wir im Ausschuß bedenken, ob es nicht möglich ist
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klein?
— gern; ich darf den Satz nur noch eben zu Ende führen --, eine Libanon-Konferenz herbeizuführen, d. h. die diplomatischen Bemühungen der Westmächte zu verstärken, auch im Libanon zu mehr zu kommen, als nur aufzurufen, zu apellieren oder deutlich zu machen. — Bitte schön.
Herr Kollege Schäfer, könnten Sie sich vorstellen, daß an die Stelle eines Gesamtkunstwerks, einer Konferenz, die vielleicht auch schwer zu verwirklichen ist, eine konkrete Unterstützung dieses Comité de Vigilance, das da unten in dieser Frage bereits agiert, durch das Auswärtige Amt tritt, und könnten Sie sich weiter vorstellen, daß insbesondere eine konkrete Unterstützung der amerikanischen Bemühungen, die Streitparteien zusammenzubringen, den erstrebten Zweck erfüllen könnte?
Herr Kollege Klein, ich bin mit Ihnen der Meinung, daß man im Ausschuß nachdenken muß, welche konkreten Möglichkeiten wir haben, daß wir uns also nicht auf Appelle oder auf moralische Aufrufe beschränken sollten, von denen ich fürchte, daß sie nicht ausreichend sind. Ich bin durchaus mit Ihnen der Meinung, daß wir auch diese Variante überprüfen müssen, uns also im Ausschuß noch ein paar Gedanken mehr machen müssen, damit dieser Antrag vielleicht noch ein bißchen konkreter wird. Das war eigentlich die Zielsetzung, die ich vorschlagen wollte.Herr Kollege Stercken, ich muß natürlich noch ein paar Punkte aufgreifen. Ich bin Ihnen sehr dankbar, — besonders dankbar im Hinblick auf Ihre Funktion in der Deutsch-Israelischen Gesellschaft —, daß Sie hier zum erstenmal einige kritische Worte zu Israel gefunden haben. Ich darf mir angesichts einer mir bevorstehenden Reise auf Einladung der israelischen Regierung erlauben, die Kritik, die Sie an den Palästinensern geübt haben, zu relativieren. Es sich sicher nicht richtig, wenn Sie gesagt haben, daß für die Toten bei der UNIFIL ausschließlich die Palästinenser verantwortlich wären. Das trifft nicht zu. Sie haben es vielleicht nicht so gemeint. Die Verantwortlichkeit von Major Haddad, der von Israel unterstützt wird, kann hier nicht geleugnet werden. Eine ganze Reihe der Todesfälle bei diesen Truppen, die dort für die Ordnung zu sorgen haben, ist auch auf diese sogenannten Ordnungskräfte im Südlibanon zurückzuführen. Wir sollten die Verantwortung nicht einseitig wieder einmal auf die Palästinenser abschieben.Der zweite Punkt: Wir sollten auch Israel ganz deutlich auf seine Verantwortung aufmerksam machen. Meine Damen und Herren, wer im Libanon war — und ich gehöre zu diesen Leuten, ich habe dreimal dieses Land besucht, gerade zuletzt, während der schwersten Auseinandersetzungen —, kann dazu nur sagen: Wir wissen zuverlässig, daß es Angriffe auf den Libanon gegeben hat, die keineswegs palästinensischen Gebäuden, Büros gegolten haben, daß Angriffe auf libanesische Strände, auf Badende, von israelischen Flugzeugen erfolgt sind, daß Angriffe auf die von Ihnen genannte Stadt Ty-rus geflogen worden sind, obwohl dort nur Flüchtlinge gelebt haben und keine Kombattanten. Hier
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Schäfer
unterstütze ich die Kritik, Herr Kollege Stercken, die Sie deutlich gemacht haben in bezug auf die Verantwortung des Staates Israel, dem wir deshalb immer so zugeneigt waren, weil wir glaubten, ihn aus moralischen Verpflichtungen unterstützen zu müssen. Ich kann nur sagen: Wir müssen gelegentlich — und dürfen uns das wohl auch erlauben, insbesondere als jüngere Mitglieder dieses Hauses — den Staat Israel auf seine besonders hohe moralische Verantwortung aufmerksam machen, die uns aus Israel doch immer wieder genannt wird. Ich empfände es als wohltuend, wenn auch von Israel her konstruktivere Beiträge zu der Lösung der LibanonFrage kämen als Bombenangriffe oder die Forderung nach dem Abzug von Luftabwehrraketen.Zu diesem Punkt muß ich sagen: Luftabwehrraketen sind bekanntlich nicht Offensivwaffen. Und wenn Luftabwehrraketen von den Syrern im Libanon stationiert worden sind, dann doch wohl deshalb, weil permanent von Isreal Angriffe auf dieses Land geflogen worden sind. — Ich bin gegen beides. Wir sollten hier aber nicht nur den Abzug der Luftabwehrraketen fordern, sondern wir sollten auch dazu beitragen, daß sich Israel solcher Angriffe auf fremde Territorien enthält.Als letztes: Ich meine, wenn die Anwesenheit der Palästinenser entscheidend dazu beigetragen hat, daß es zu einer Libanon-Krise gekommen ist, wenn die Anwesenheit der Palästinenser dazu beiträgt oder beigetragen hat — im Augenblick herrscht Waffenstillstand, Gott sei Dank; ich hoffe, er wird auch halten —, daß immer wieder Kampfhandlungen auf libanesischem Gebiet von, wie Sie zu Recht sagen, ausländischen Gruppen ausgetragen werden, ist der Gesamtzusammenhang der Nahost-Lösung wiederherzustellen; denn letzten Endes werden die Libanesen erst dann die völlige Freiheit haben, wenn für die 400 000 Palästinenser in diesem Land eine Lösung gefunden worden ist. Ich bin der Auffassung, daß das nur im Rahmen einer Nahost-Lösung geschehen kann. Hier wiederum mein Appell an den Staat Israel, etwas konstruktivere Beiträge als die Zerstreung der Palästinenser in 22 Staaten zu leisten und endlich einmal auf den Tisch zu legen, was er eigentlich mit der Existenz dieser 400 000 Palästinenser im Libanon vorhat. Wir reden hier von Autonomie-Verhandlungen auf der Westbank. Aber dasist doch nicht die Antwort auf das PalästinenserProblem. Hier, meine ich, ist der Bundestag auch gefragt, hier muß der Bundestag bemüht sein, mit den anderen Westmächten zu Lösungen zu kommen. Ich meine, da liegt der Schlüssel zur Libanon-Krise. Wir sollten bei allen Bemühungen, die wir mit diesem Antrag in diesem Haus und im Ausschuß unternehmen werden, nicht vergessen, daß wir langfristig Beiträge für eine Gesamtlösung in diesem Gebiet zu leisten haben, das seit Jahren die leidvollsten Erfahrungen macht. Wir können sagen: Es ist unser herzlicher Wunsch — und darin stimmen sicher alle Fraktionen überein —, Frieden für den Libanon, Frieden für den gesamten Nahen Osten herzustellen. Das ist Zielsetzung der deutschen Außenpolitik. Hier, meine ich, ist das Wort von Herrn Kohl sicher nicht angebracht gewesen, der gestern in der Polen-Debatte von dem „Verfall der deutschen Außenpolitik" gesprochen hat. Ich würde sagen, die deutsche Außenpolitik ist Gott sei Dank inzwischen so reif geworden, daß sie Beiträge auch zur Lösung der Nahostfrage bringen kann, ohne daß wir uns noch international zu schämen brauchten. Unsere Außenpolitik hat heute einen Stellenwert, wie sie ihn lange Zeit nicht gehabt hat. Dafür, glaube ich, sollten wir gelegentlich auch mal dankbar sein. — Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 9/1121 zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu überweisen. Darf ich davon ausgehen, daß das Haus damit einverstanden ist? — Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 19. Januar 1982, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.