Protokoll:
6007

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 6

  • date_rangeSitzungsnummer: 7

  • date_rangeDatum: 30. Oktober 1969

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:43 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 7. Sitzung Bonn, den 30. Oktober 1969 Inhalt: Amtliche Mitteilung 127 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. h. c. Strauß (CDU/CSU) 127 B Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister 136 B Kienbaum (FDP) 144 C Höcherl (CDU/CSU) 146 B von Hassel, Präsident (zur GO) 149 C, 163 B Ertl, Bundesminister 149 C Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) 159 A Peters (Poppenbüll) (FDP) 160 C Klinker (CDU/CSU) 162 C Logemann (FDP) 164 D Dr. Schiller, Bundesminister 167 C Dr. Schmid, Vizepräsident (zur GO) 174 B Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) 178 C Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär 181 B Gewandt (CDU/CSU) 183 A Dr. Haas (FDP) 183 D Dichgans (CDU/CSU) 185 B Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) 185 C Frau Funcke, Vizepräsident 186 C Dr.-Ing. Leussink, Bundesminister 188 A Dr. Meinecke (SPD) 191 D Dr. Mikat (CDU/CSU) 193 B Moersch (FDP) 195 C Genscher, Bundesminister 198 C Dr. Lohmar (SPD) 201 A Katzer (CDU/CSU) 202 C Dr. Schellenberg (SPD) 207 A Schmidt (Kempten) (FDP) 212 A Dr. Burgbacher (CDU/CSU) 214 C Arendt, Bundesminister 216 A Benda (CDU/CSU) 220 B Dr. Ehmke, Bundesminister 223 B Dr. Rutschke (FDP) 223 C von Hassel, Präsident 228 A Dr. Lauritzen, Bundesminister 228 B Vogel (CDU/CSU) 228 C Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) 230 B Jahn, Bundesminister 231 C Brandt, Bundeskanzler 232 B Dr. Barzel (CDU/CSU) 236 C Wehner (SPD) 240 A Nächste Sitzung 241 Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten 243 A Anlagen 2 bis 4 Schriftliche Erklärungen der Abg. Dichgans (CDU/CSU), Dr. Rutschke (FDP) und Dr. Jungmann (CDU/CSU) zu der Regierungserklärung 243 B Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Oktober 1969 127 7. Sitzung Bonn, den 30. Oktober 1969 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Amrehn ** 16. 11. Dr. Dittrich * 31. 10. Frau Herklotz ** 17. 11. Frau Geisendörfer 30. 10. Gottesleben 31. 12. Dr. Jungmann 10. 11. Frau Kalinke ** 17. 11. Dr. Kempfler 30. 10. Lücke (Bensberg) 31. 10. Frau Meermann ** 9. 11. Müller (Aachen-Land) * 30. 10. Petersen ** 17. 11. Dr. Preiß 31. 10. Raffert ** 9. 11. Dr. Rinderspacher 14. 11. Schlee 31. 10. Dr. Schmidt (Offenbach) 31. 10. Dr. Starke (Franken) 30. 10. Weigl 31. 10. Dr. Wörner 30. 10. Frau Dr. Wolf ** 20. 11. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an einer Tagung der Interparlamentarischen Union Anlage 2 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dichgans (CDU/CSU) zu der Regierungserklärung. Nachdem das Thema Baustahlpreise von zwei prominenten Kollegen angesprochen worden ist, wollte ich dazu etwas sagen. Die Preisentwicklung für Baustahl, genauer Betonstahl, ist lebhaft kritisiert worden, nicht ohne Grund. In der Tat sind Fälle vorgekommen, in denen ein Bauunternehmer, der bei seinem Händler noch Januar dieses Jahres 450 DM/t gezahlt hatte, im Juli 1969 900 DM bezahlen sollte, das Doppelte. Herr Kollege Dr. Strauß hat dazu bereits mit Recht bemerkt, daß das Problem sehr verwickelt liege. Dazu nur drei Zahlenpaare. Im Jahre 1960 lag der Preis für Betonstahl ab deutschem Hüttenwerk bei etwa 520 DM/t, was zu Preisen ab Händlerlager in der Größenordnung von 650 DM/t führte. Jm Jahre 1968 erlebten wir einen weltweiten Preiseinbruch bei Stahl, mit Preisbewegungen, wie wir sie früher nur am internationalen Metallmarkt erlebt hatten, etwa bei Kupfer und Zinn. 25 % des deutschen Stahlverbrauchs stammen aus dem Ausland. Belgischer Stahl wurde in dieser Baissezeit mit etwa 350 DM/t ab Hüttenwerk, 450 DM/t ab Händlerlager angeboten, alles in runden Zahlen, die nur die Größenordnungen zeigen sollen. Bei einem Überflußangebot wirkt bekanntlich das billigste Angebot preisbestimmend. Deutsche Hüttenwerke mußten deshalb den Auslandsangeboten folgen. Sie waren übrigens daraufhin in mehreren Fällen gezwungen, die Vorauszahlungen von Körperschaftsteuer einzustellen. Im Sommer 1969 entwickelte sich nun ein weltweiter Stahlboom, der den belgischen Preis in wenigen Monaten von 350 auf 700 DM in die Höhe schnellen ließ, was zu dem erwähnten hohen Preis ab Händlerlager führte, 900 DM/t im Extremfall. Daraus ergab sich eine allgemeine Preisauftriebstendenz für Betonstahl ab Händlerlager, weil in Mangellagen die höchste Preisforderung für eine Menge, die noch benötigt wird, den Gesamtpreis bestimmt. Wie haben sich nun die Betonstahlpreise ab deutschem Hüttenwerk entwickelt? Sie liegen unverändert bei 520 DM, wie im Jahre 1960, eher einige Mark darunter. Von allen Stahlsorten wurde nur der Betonstahl, weniger als 10 % der Gesamtmenge, von hektischen Preisausschlägen erfaßt. Für die übrigen verlief die Preiskurve weit ruhiger, für manche von ihnen völlig stetig. Bei Betonstahl gab es im Sommer 1969 zeitweise Lieferschwierigkeiten. Niemand hatte diese sprunghafte Steigerung der Nachfrage vorausgesehen, weder die Stahlindustrie noch der Bundeswirtschaftsminister. Die Stahlindustrie bemühte sich jedoch intensiv um eine Erhöhung der Erzeugung, mit sichtbarem Erfolg. Die extremen Preise gingen rasch zurück. Kritische Kollegen haben mir hier bestätigt, daß heute Betonstahl wieder zum Preise von etwa 650 DM/t vom Händlerlager zu haben ist. Die exzessiven Preisschwankungen waren gewiß unerfreulich. Aber der Mechanismus der Marktwirtschaft hat rasch funktioniert. Seit 1960 ist der allgemeine Index der Industriepreise um etwa 14% gestiegen, während die Stahlpreise sich beim Stand von 1960 gehalten haben. Wäre das bei allen Preisen der Fall, so wäre das Wort Preisstabilität in der heutigen Debatte nicht vorgekommen. Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Rutschke (FDP) zu der Regierungserklärung. Die Fraktion der FDP begrüßt es außerordentlich, daß die neue Bundesregierung in ihrer programmatischen Erklärung den innenpolitischen Problemen der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten breiten Raum geschenkt hat. Seit Jahren hat keine Bundesregierung so konkrete und konstruktive Aussagen gemacht. Die Bundesregierung hat erklärt, daß sie die notwendigen Maßnahmen zur 244 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Oktober 1969 Eingliederung vollenden wird. Vierundzwanzig Jahre nach Kriegsende ist es wahrlich erforderlich, daß dieses mit so viel Leid verbundene Kapitel der deutschen Geschichte endlich zu einem befriedigenden Abschluß kommt. Es besteht kein Zweifel, daß die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge am unzulänglichsten in bezug auf die ostdeutschen Bauern geblieben ist. Jeder weiß, daß die Bundesrepublik Deutschland diesen Menschen nicht wieder zu einem Bauernhof zu verhelfen vermag. Aber ein eigenes Haus mit einem Stück Siedlerland hätte man in den verflossenen zwei Jahrzehnten den ostdeutschen Landwirten sicherlich zur Verfügung stellen können. Noch der scheidende 5. Bundestag appellierte an die neue Bundesregierung, einen Eingliederungsplan aufzustellen, nach dem jährlich wenigstens 4000 Ost- und Mitteldeutsche eine Nebenerwerbssiedlung erhalten können. Die neue Bundesregierung wird danach streben, jenen einstimmigen Wunsch aller Fraktionen zu realisieren. Die gewerblichen Betriebe der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigten leiden immer noch unter erheblichem Eigenkapitalmangel. Zu welch ernster Bedrängnis dieser Zustand führt, konnte man 1966 sehen, als die westdeutsche Wirtschaft in die Krise abglitt. Die Geschädigtenbetriebe waren die ersten, die an den Rand des Konkurses gerieten. Die neue Bundesregierung wird sich deshalb bemühen, die notwendigen eigenkapitalbildenden Maßnahmen fortzusetzen. Die wohnungsmäßige Eingliederung der Vertriebenen, Flüchtlinge und Ausgebombten läßt immer noch zu wünschen übrig. Dies gilt nicht nur für das Fehlen von Mietwohnungen für diesen Personenkreis, sondern verstärkt für das Phänomen des Wohnraum-Eigenbesitzes. Nas neue Kabinett bringt ferner in seiner Regierungserklärung zum Ausdruck, daß es den Lastenausgleich und die Kriegsfolgegesetzgebung, auch im Interesse der Flüchtlinge aus der DDR, zu einem gerechten Abschluß bringen wird. Die Einfügung bezüglich der Flüchtlinge soll zweifellos zum Ausdruck bringen, daß sich die Bundesregierung um eine Gleichstellung der Flüchtlinge mit den Vertriebenen in bezug auf die Hauptentschädigung bemühen wolle. Der Hinweis auf einen „gerechten" Abschluß deutet an, daß die Regierung prüfen werde, inwieweit allgemein eine Verbesserung der Entschädigungsleistungen vorgenommen werden kann. Auch der Ausbau der Altersversorgung der ehemals Selbständigen fällt in diese Programmankündigung. Der letzte Bundestag hatte diesbezüglich die neue Bundesregierung gebeten, eine angemessene Erhöhung des Selbständigenzuschlags im 2. Unterhaltshilfeanpassungsgesetz vorzusehen. Die neue Regierung hat die Bemühungen um die Realisierung dieses Parlamentswunsches bereits seit einigen Tagen aufgenommen. Es wird bei dieser Gelegenheit darauf ankommen, die Altersversorgung stärker als bisher in ein angemessenes Verhältnis zur früheren soziologischen Stellung der Geschädigten zu bringen. In der Öffentlichkeit ist — insbesondere von Geschädigtenverbänden — kritisiert worden, daß das Bundesvertriebenenministerium aufgelöst worden ist. Diese Kritik geht an dem Kern der Sache vorbei. Der zentrale Verwaltungsapparat für die Eingliederung, den Lastenausgleich und die kulturelle Betreuung der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten ist tatsächlich uneingeschränkt erhalten geblieben. Soweit es die außenpolitischen und deutschlandpolitischen Belange der Vertriebenen und Flüchtlinge betrifft, war auch in der Vergangenheit der Vertriebenenminister dafür nicht ressortzuständig. Alle Wünsche oder Vorstellungen werden aber wirkungslos und vergeblich sein, wenn uns eines nicht gelingt: die Kaufkraft unserer Währung zu stabilisieren. Insbesondere die Geschädigtenkreise, ob Kriegssachgeschädigte, Vertriebene oder Flüchtlinge, sind — und hierbei wiederum insbesondere die älteren Menschen — auf die Erhaltung der Kaufkraft unseres Geldes angewiesen. Sie sind wirklich darauf angewiesen — mehr als alle anderen. Die schlechteste Sozialpolitik im weitesten Sinne des Wortes ist die Politik des schlechten Geldes. Wer den Weg der Anpassungsinflation vorzog, anstatt rechtzeitig alle volkswirtschaftlichen Mittel, wie z. B. die Aufwertung unserer D-Mark, einzusetzen, hat sich insbesondere an diesem Personenkreis versündigt. Diese nicht zu rechtfertigende Politik wird ihre Auswirkungen mit voller Wucht im Hinblick auf Preissteigerungen erst in den nächsten Monaten haben. Das wird aber dann für die Geschädigtenkreise besonders schmerzlich sein. Die Verantwortung für die kommenden Preissteigerungen liegt aber nicht — das möchte ich hier und heute eindeutig feststellen — bei der neuen Bundesregierung, sondern einzig und allein bei den Herren Bundeskanzler Dr. Kiesinger und Finanzminister Strauß und bei Ihnen, meine Damen und Herren der CDU/CSU. Anlage 4 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Jungmann (CDU/CSU) zu der Regierungserklärung. Es gehört zu der traditionellen Besonderheit der Gesundheitspolitik jedenfalls in diesem Hause —, daß ihr Akzent weniger auf den unvermeidlichen Meinungsverschiedenheiten als auf der gemeinsamen humanitären Verpflichtung gelegen hat. Deshalb und in diesem Geist stelle ich fest, daß die gesundheitspolitischen Aussagen der Regierungserklärung in jeder Hinsicht enttäuschend sind. Wir haben mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß die Aufgabe der Gesundheitspolitik jetzt auch von der Bundesregierung bescheidener und realistischer als früher in dem Schutz der Men- Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Oktober 1969 245 schen vor den durch Technik und Zivilisation hervorgerufenen Gesundheitsrisiken gesehen wird. Wir haben ebenfalls mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß Wissenschaft und Forschung jetzt an erster Stelle dieser Aufgaben genannt werden. Von der Konkretisierung dieser löblichen Erkenntnis haben wir allerdings wahrlich nichts Überzeugendes gehört. Was da von einem Institut für Sozialmedizin gesagt worden ist, ist mehr Propaganda als Wissenschaft und Forschung. Wenn die sozialmedizinische Forschung an unseren Universitäten und Hochschulen wenigstens etwas großzügiger gefördert würde, würde dabei zweifellos mehr herauskommen als aus einem solchen Institut im Bundesgesundheitsamt. Für die Erforschung der Grundlagen für die Früherkennung der großen Krankheiten unserer Zeit ist das jedenfalls weder der beste noch der erfolgversprechendste Weg. Wir wollen unsere Sorgen bezüglich der weiteren Entwicklung der wissenschaftlichen Institute des Bundesgesundheitsamtes nicht verhehlen. Wenn Wissenschaft und Forschung im Gesundheitspolitischen Programm tatsächlich an erster Stelle stehen sollen — und wir begrüßen das ausdrücklich, weil es schon seit vielen Jahren unsere ausdrückliche Ansicht ist -, dann muß im Bundesgesundheitsamt eine grundlegende Neugestaltung erfolgen. Angesichts der Tatsache, daß heute jeder fünfte oder sechste Mensch an Krebs stirbt, ist es doch wohl kaum angemessen, wenn die Bundesregierung der Krebsbekämpfung „besondere Bedeutung" beimessen will. Auch hier haben wir die klare und konkrete Aussage vermißt, was und wie das geschehen soll. Warum ist vor allem mit keinem Wort gesagt worden, daß die heute schon vorhandenen Möglichkeiten der Früherkennung des Krebses und der anderen großen Krankheiten unserer Zeit endlich voll ausgenutzt werden sollen? Statt der unverbindlichen Versicherung guter Absichten zur Reinhaltung von Wasser und Luft und zum Schutz vor dem Lärm hätten wir auch lieber gehört, w i e das geschehen soll, w i e unsere Städte und Dörfer z. B. von dem täglich wachsenden Zivilisationsmüll befreit werden sollten. Mit Interesse haben wir zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung schon bald ein Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser vorlegen will. Wir sind sehr gespannt, dann zu erfahren, was unter einem „bedarfsgerecht gegliederten System leistungsfähiger Krankenhäuser" zu verstehen ist. Hoffentlich nicht ein seelenloses und damit zugleich unmenschliches System ausschließlich funktionsbezogener Institutionen! Daß die neue Bundesregierung die ärztliche Ausbildung reformieren will, ist — gelinde ausgedrückt — eine unangebrachte Absichtserklärung. Denn tatsächlich müssen wir - der Deutsche Bundestag - von der Bundesregierung erwarten, daß sie ihrerseits bald realisiert, was ihr vom Gesetzgeber aufgetragen worden ist. Bisher sieht es allerdings so aus, als ob diese Aufgabe eher verzögert als mit der notwendigen Einsicht und Energie vorangetrieben würde. Daß sich die Bundesregierung zu dem Grundsatz der freien Arztwahl bekennt, ist nicht gerade sensationell. Daß sie sich auch zum Grundsatz der freien Berufsausübung bekennt, ist schon eher von Interesse. In den Programmen der SPD haben wir eine so klare Aussage bisher jedenfalls vermißt. Unklar und besorgniserregend ist die Aussage, daß die Bundesregierung, „abgestimmt auf die europäische Entwicklung", dafür sorgen wird, daß „Staat und Heilmittelhersteller im Arzneimittelwesen verantwortlich zusammenwirken" sollen, „um ein Maximum an Sicherheit zu gewährleisten". Dieses Maximum an Sicherheit ist jedenfalls nicht nur die Absicht, sondern Grundsatz, Sinn und Inhalt unserer deutschen Arzneimittelgesetzgebung gewesen, die von allen Fraktionen dieses Hauses getragen worden ist. Was muß und was soll da jetzt geändert werden? Wir bleiben bei unserer Auffassung, daß die Verantwortung für die Arzneimittel über die Gesetzgebung und über die Befolgung der Gesetze hinaus nicht vom Staat übernommen werden kann, weil der Staat diese Aufgabe nicht erfüllen kann. Auch in der Gesundheitspolitik erwarten wir also klare Aussagen, damit wir wissen, welchen Absichten wir zustimmen können und welchen Absichten wir rechtzeitig entgegentreten müssen. Ich darf abschließend feststellen, daß das von uns selbst früher einmal angestrebte und schließlich geschaffene Gesundheitsministerium heute wohl nicht mehr für die optimale Organisation der Gesundheitspolitik angesehen werden kann. Das gilt auch für das jetzt aus Familien-, Jugend- und Gesundheitsministerium zusammengelegte Ministerium. Wie wenig seine Teile ein organisches Ganzes bilden, ergibt sich allein schon aus der Behandlung seiner verschiedenen Aufgaben in der Regierungserklärung. Das gilt um so mehr, als dem Vernehmen nach die Einheit der Gesundheitspolitik durch Herauslösung der gesamten Umwelthygiene aus dem Gesundheitsministerium gesprengt werden soll. Wir sind der Ansicht, daß alle Teile dieses Ministeriums Teile eines modernen Innenministeriums sein sollten, eines Innenministeriums allerdings, das sich als das für die Daseinsvorsorge der Staatsbürger verantwortliche Ministerium zu verstehen hätte. Das ergibt sich aus unserer grundsätzlichen Auffassung, daß Schutz der Gesundheit Aufgabe einer richtig verstandenen Gesundheitspolitik sind, nicht aber die mehr oder weniger verkappte Vorstellung, daß das Wohl und Wehe der Menschen vom Staate organisiert werden könnte.
Gesamtes Protokol
Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0600700000
Die Sitzung ist eröffnet.
Folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Abgeordnete Brandes hat am 29. Oktober 1969 auf seine Mitgliedschaft beim Bundestag verzichtet.
Meine Damen und Herren, auf der Tagesordnung steht nur ein einziger Punkt:
Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Strauß. Ich darf bekanntgeben, daß die Fraktion der CDU/CSU für diese Rede 45 Minuten Redezeit beantragt hat.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600700100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mir die Regierungserklärung nicht nur genau angehört, sondern ich habe sie auch eingehend gelesen, um hinter den Zusammenhang der einzelnen Teile und auch hinter den Sinn einzelner Formulierungen zu kommen, was nicht immer leicht war. Die Regierungserklärung ist ohne Zweifel der gelungene Versuch, vieles zu bieten, und das in umfangreichen und sicherlich auf Publizitätswirkung abgestellten Formulierungen. Aber sie ist kein gelungener Versuch, eine Politik der inneren Geschlossenheit, der äußerlich überzeugenden Klarheit und der nach erkennbaren Wertordnungen abgestuften Zielsetzungen eines klaren politischen Willens zu bieten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Mit Recht hat der Fraktionsvorsitzende der CDU/ CSU, Dr. Rainer Barzel, schon eingangs seiner Ausführungen das berühmte lateinische Kurzzitat gebraucht: Multa non multum. Man kann nicht sagen, daß sie ein Leipziger Allerlei ist; aber sie ist ein Vielerlei an Politik, aber nicht viel.
Herr Bundeskanzler, man merkt dem Inhalt und Stil nach, daß viele Hände mitgewirkt haben.

(Beifall hei der CDU/CSU.)

Abgesehen von den Ressortministern — was natürlich ist —, reicht die Skala nach meinen stilanalytischen Untersuchungen

(Heiterkeit bei der CDU/CSU) offensichtlich von Ahlers bis Grass,


(erneute Heiterkeit bei der CDU/CSU) von Bahr bis Bauer.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Es ist aber keine Synthese der Konzeption, sondern es ist angesichts der Aufsplitterung gleicher Sachgebiete an verschiedenen Stellen eine Art Buchbindersynthese,

(Heiterkeit und Beifall hei der CDU/CSU)

die teilweise eine contradictio in se ipso oder in adjecto darstellt, also Widersprüchliches verbindet und den Mangel an innerlich zusammenhängender Disposition einfach nicht verbergen kann.
Die Regierungserklärung läßt als Ganzes die Absicht erkennen, auf allen Gebieten, und zwar sofort Grundlegendes, natürlich Neues zu leisten, auch wenn es gar nicht neu ist, sondern nur darin besteht, die in der Vergangenheit geleisteten Vorarbeiten — z. B. Abgabenrechtsreform oder neue Straßenverkehrsordnung — nun als eigene Leistung ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Die Abgabenrechts-reform z. B. ist von früheren — sage ich ausdrücklich im Plural — Bundesfinanzministern entwickelt, aber dem Parlament nicht mehr vorgelegt worden, weil die Fülle finanzpolitischer Reformen und Routineaufgaben in den letzten drei Jahren den Finanzausschuß ohnehin bis an die Grenze der Belastungsfähigkeit voll in Anspruch genommen hat. Ähnlich ist es mit der neuen Straßenverkehrsordnung. Vom Tierschutz will ich hier nicht reden,

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

weil ich viel von Tier hege halte. - Sie wurde von früheren Bundesverkehrsministern erarbeitet; aber sie wurde nicht mehr in Kraft gesetzt, weil zu Recht eine Harmonisierung innerhalb Europas angestrebt wurde, was wir Kraftfahrer alle sehnlichst wünschen. Die Nebenfrage heißt nur: Ist diese Harmonisierung nun erreicht worden oder ist das, was im Jahre 1970 in Kraft gesetzt werden soll, deutscher Eigenbau im Alleingang? Der vorliegende Entwurf einer Straßenverkehrsordnung stellt einen erheblichen Fortschritt dar, auch im Hinblick auf die



Dr. h. c. Strauß
Verbesserung der Verkehrssicherheit. Aber - ich
beschränke mich auf diese beiden Beispiele — die Blumen gehören in beiden Fällen nicht an den bisher noch kahlen Hut dieser Bundesregierung.
Ich darf weiter sagen, auch wenn es gestern in sehr sphinxhaften Formulierungen umschrieben und begründet worden ist: Wir sind jetzt auch nicht im Monat 1 des Jahres 1 der deutschen Demokratie nach dem Weltkrieg 2.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir haben mit der deutschen Demokratie sofort nach dem Kriege begonnen, als wir in einer Zeit, wo andere dem deutschen Volke keine Zukunftschance mehr gaben, an die Arbeit gingen. In Zusammenarbeit mit den oft recht landesunkundigen Organen der Besetzungsmächte, manchmal auch im Kampf gegen ihre Willkür haben wir in den unteren Organen uns bemüht, die brennenden Probleme des Tages und die primitivsten Lebensfragen der Bevölkerung zu lösen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir haben Selbstverwaltungskörperschaften aufgebaut, politische Parteien auf Kreis- und Landesebene gegründet. Wir haben dann im Wirtschaftsrat oder im Parlamentarischen Rat die materiellen und rechtlichen Grundlagen für diese Bundesrepublik gelegt. Wir haben in den letzten 20 Jahren in diesem Hause und draußen im Lande mit Hilfe der ganzen Bevölkerung das moderne Deutschland geschaffen,

(lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

vor dessen weiterem Ausbau wir jetzt stehen —, nicht mehr und nicht weniger.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Was hoffentlich Hunderttausende, vielleicht Millionen ausländischer Besucher im Jahre 1972 sehen sollen, habe ich in einer Rede vor diesem Hohen Hause als Abgeordneter im Jahre 1965, als ich vorschlug, die Bundesrepublik möge sich um die Olympischen Spiele in ihren Grenzen, und zwar in der Landeshauptstadt München, bemühen, so ausgedrückt: Wir haben nichts zu verbergen; wir wollen möglichst vielen ausländischen Besuchern aus aller Herren Länder, aus allen Herrschaftssystemen das wahre Deutschland zeigen, damit die Diffamierungskampagne an der Wirklichkeit zerschellt. Das ist auch heute noch unsere Absicht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Was also hoffentlich Hunderttausende oder Millionen ausländischer Besucher im Jahre 1972 sehen sollen, ist nicht das moderne Deutschland des Jahres 3 der Ara Brandt, sondern ist das, was wir seit der Währungsreform gemeinsam gebaut haben.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU.)

Dabei schließt das Wort „gemeinsam" auch noch ein, daß wir mit unseren Mehrheiten gegen die damalige Opposition das durchsetzen mußten, was sich nachher als richtig erwies und von den ursprünglichen Neinsagern oft ohne Röte im Gesicht als Mitleistung übernommen wurde.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Es gibt in der menschlichen Entwicklung, es gibt im wissenschaftlich-technischen, im wirtschaftlich-sozialen Fortschritt nie einen Stillstand. Es gibt immer nur eine Entwicklung, mit der man Schritt halten muß. Wir haben mit ihr Schritt gehalten. Es gibt auch nie ein Ende, solange es eine menschliche Geschichte gibt. Darum sollte man etwas bescheidener sprechen und nicht so tun, als ob die Zeit der großen Reformen nun und ab jetzt und ab hier beginne - „und wir haben das Glück zu hören, und Ihr dürft dabeisein".

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Viele Reformen liegen hinter uns. Neue Reformen werden immer vor uns stehen. Auch wenn diese Regierung ihre Zeit erfüllet haben wird, wird sie ungelöste Probleme hinterlassen,

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU)

und die nächste wird wieder zu Reformen Gelegenheit haben und gezwungen sein, sagen zu müssen, daß die vorhergehende manches versäumt habe.

(Anhaltende Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Die Frage ist nicht - ich sage das mit großem Ernst
und mit tiefer Überzeugung , ob der Amtsantritt der neuen Regierung eine Zäsur bedeutet, sondern: ob nach 20 Jahren glücklicher deutscher Geschichte die neue Regierung ein ebenso glückliches drittes Jahrzehnt einleitet. Wenn es eine Zäsur wäre, wäre es schlecht um das deutsche Volk bestellt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Deshalb hat auch die deutsche Demokratie nicht mit der Wahl des neuen Bundeskanzlers begonnen. Ich begrüße es, wenn es heißt, die Bundesregierung wisse, daß sie der loyalen Zusammenarbeit mit den gesetzgebenden Körperschaften bedarf. Aber es reicht nicht, wenn sie nur ihren guten Willen anbietet, wie es dort zu lesen steht. Das Parlament ist die oberste Instanz der deutschen Politik, und es kann mehr erwarten als guten Willen, nämlich: Beachtung seines politischen Willens und seiner politischen Zuständigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dr. Barzel hat mit Recht darauf hingewiesen, daß noch kein Bundeskanzler so günstige wirtschaftliche und finanzielle Verhältnisse vorgefunden habe wie der jetzige.

(Lachen bei der SPD.)

Herr Wehner hat mit Recht von der Notwendigkeit gesprochen, die stabilen Grundlagen von Wirtschaft und Finanzen zu hüten. Ich möchte nicht wie Veteranen vergangener Schlachten sie noch einmal durchkämpfen, aber wo immer das Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft abgelegt wird, sollte man auch bei unterschiedlicher Beurteilung der Person in dieser Fraktion oder in Ihrer Fraktion, Herr Bundeskanzler, den Namen Erhard an der Spitze nennen.

(Lebhafter anhaltender Beifall bei der CDU/CSU.)

Gegen ihn richtete sich in den Jahren von 1948 an
im Wirtschaftsrat, im Wahlkampf 1949 bis weit in



Dr. h. c. Strauß
die fünfziger Jahre hinein der Zorn der Gegner der sozialen Marktwirtschaft. Darum hätte es dem Herrn Bundeskanzler gut angestanden, wenn er auch den Namen Erhard in Verbindung mit einer erfolgreichen, Reform deren Nutznießer er heute selbst ist, genannt hätte.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Unruhe und Zurufe von der SPD.)

Denn es war gerade dieser Erhard, der der SPD geholfen hat, ein Stück ihrer eigenen Vergangenheit bewältigen zu können,

(Beifall bei der CDU/CSU — anhaltende Unruhe bei der SPD)

die sie wahrscheinlich ohne ihn nicht bewältigt hätte.

(Zurufe links.)

Um so befremdlicher ist die Äußerung, daß die Bundesregierung ein schwieriges wirtschaftspolitisches Erbe übernommen habe. Darüber gilt es jetzt zu reden.
Ich bejahe ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft und bin kein Anhänger des Wirtschaftsliberalismus im Sinne von „Laissez faire, laissez aller — le monde va de lui-même". Ich bejahe die Globalsteuerung der Wirtschaft im Sinne einer Konjunkturpolitik der großen Linie, aber nicht der hektischen Korrektur am Detail.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich bin gegen eine geschäftige Aktivität, eine Polypragmasie, die versucht, jeden Wellenschlag auszugleichen. Einer solchen Wirtschaftspolitik würde es genauso ergehen wie einem Segler bei einer Hochseeregatta, der jede Welle ausgleichen will. Zum Schluß hat er den Kurs verloren, das Boot voll Wasser und bleibt letzter Sieger.

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Der Bundeswirtschaftsminister hat auch gestern abend wieder die Karl-Schiller-Legende erzählt, die durch ständige Wiederholung zwar immer rührender, aber deshalb nicht richtiger wird.

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Ich komme darauf noch zurück. Ich bin Anhänger einer staatlichen Strukturpolitik in einzelnen Wirtschaftsbereichen, die ihrer bedürfen, z. B. in der Landwirtschaft und im Bergbau. Aber auch hier ist ein Zuviel manchmal schädlich. Wir werden das an der Kohle- und Koksknappheit in diesem Winter bemerken, die kein Ruhmeszeugnis für eine sorgfältig geplante Kohlepolitik darstellt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir haben auch deshalb dem Mansholt-Plan unsere scharfe Kritik gegenübergesetzt. Ich bin der Meinung, daß man bestimmte Wirtschaftszweige nicht durch langfristige Untergangsprognosen unter ständigem Schrecken und ständiger Angst halten sollte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich bin allerdings sehr erfreut gewesen, Herr Bundeskanzler, von Ihnen zu hören, daß Sie für eine nationale und nicht für eine europäische Agrarstrukturpolitik eintreten. Als ich dieses Jahr beim Deutschen Bauerntag in Mainz aus gutem Grunde für eine nationale Agrarstrukturpolitik eingetreten bin und die finanzielle Unmöglichkeit einer europäischen Agrarstrukturpolitik für die Bundesrepublik nachgewiesen habe, war es ein damaliger SPD-Staatssekretär und heutiger Abgeordneter der SPD-Fraktion, der diese Äußerungen bedauert hat und für einen europäischen Finanzausgleich zum Zwecke einer europäischen Agrarstrukturpolitik eingetreten ist, nämlich Herr von Dohnanyi. Mein Kollege und Nachfolger Alex Möller weiß ganz genau, daß eine europäische Agrarstrukturpolitik nach diesen Vorschlägen nur eines zur Folge hätte, nämlich daß sich der deutsche Minussaldo gegenüber Brüssel Jahr für Jahr gegenüber dem bisherigen Zustand mit Dynamisierungseffekten — um modern zu reden — verdoppeln würde.
Wir sind auch für eine regionale Wirtschaftsförderung und machen deshalb darauf aufmerksam, daß radikale Konjunkturdämpfung jede regionale Strukturpolitik fragwürdig macht, weil die aufgewendeten Haushaltsmittel nicht den notwendigen Erfolg ergeben und weil die gewährten Anreize nicht mehr geeignet sind, die Investitionstätigkeit in diesen Problemgebieten zu beleben. Nur bei einem warmen Gesamtkonjunkturklima kann man erwarten, daß auch in den kühleren Regionen investiert wird. Wenn in den wärmeren Regionen radikal gedämpft wird, wird in den kühleren nicht mehr investiert. Wir haben das bereits mehrmals erlebt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Schließlich bin ich für eine staatliche Tätigkeit einer besonderen Förderung auf dem Gebiete der wissenschaftlichen Forschung und der technischen Entwicklung, weil hier die finanzielle Kraft einzelner Unternehmungen, ja oft aller Unternehmungen eines ganzen Landes überfordert wird, weil hier nur mehr kontinentale Dimensionen ausreichen.
Ich freue mich über das Bekenntnis zu einer funktionsfähigen marktwirtschaftlichen Ordnung. Ich darf diese Freude im Namen der ganzen Fraktion der CDU/CSU ausdrücken. Aber dahinter stecken schon wieder manche Pferdefüße — immer dieses ewige „ja, aber" —, z. B. der Pferdefuß der Fusionskontrolle, die sich auf alle Bereiche der Wirtschaft erstrecken soll.
Leider sind die Ausführungen zu den geplanten Änderungen des Gesetzes zur Wettbewerbsbeschränkung zu allgemein gehalten, als daß man darauf eingehen könnte. Wir begrüßen alle Maßnahmen, die als Förderung der kleinen Mittelbetriebe gedacht sind, möchten aber dann gerne wissen, warum in der Regierungserklärung das im letzten Jahr mit beinahe weltanschaulicher Fanatik vertretene Verbot der Preisbindung zweiter Hand entweder im Hintergrund gehalten oder eines seligen Todes entschlummert ist. Man hätte erwarten dürfen, daß dieses Thema nach den vorangegangenen Kämpfen im Kabinett, im Parlament und in der Öffentlichkeit zu einem dominierenden Eckstein der Wirtschaftspolitik der neuen Regierung geworden



Dr. h. c. Strauß
wäre und entsprechend in der Regierungserklärung Niederschlag gefunden hätte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wie steht es mit der Preisbindung zweiter Hand, wenn andererseits ein wirksamer Schutz vor diskriminierenden Praktiken in der Regierungserklärung in Aussicht gestellt wird.
Meine Freunde und ich sind nicht von der Großbetriebsphilosophie besessen. Das trifft eher für Teile einer anderen großen Fraktion dieses Hauses zu. Wir sind der Meinung, daß die beste Mittelstandspolitik darin besteht, die Klein- und Mittelbetriebe vor nicht zu verkraftenden Belastungen im steuerlichen und sozialpolitischen Bereich zu bewahren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Einführung des Mehrwertsteuersystems hat ja gerade der steuerlichen Wettbewerbsgleichheit gedient. Wir können aber nicht übersehen, daß der Druck der amerikanischen Giganten in absehbarer Zeit, spätestens nach Ende des Vietnamkrieges, wieder zunehmen wird.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

Er muß zur weiteren Konzentration innerhalb Europas und in der Bundesrepublik führen, wenn ein Ausverkauf vermieden werden soll. Gemessen an amerikanischen Maßstäben haben wir — man kann sagen: leider oder glücklicherweise — keine großen Firmen. Die Dividende von General Motors ist höher als der Umsatz des Volkswagenwerkes. Weitere
Beispiele sind bekannt.
Andererseits verweise ich aber darauf, daß gerade sehr viele Mittelbetriebe mit Spezialprodukten und knappsten Gewinnspannen in ihrer Existenz von einem Export abhängen, bei dem sie schärfsten Konkurrenzdruck ausgesetzt sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Da ich versuche, in praktischen Vorstellungen zu denken, und mich nicht von Theorien beherrschen lasse, würde ich gerne mit Namensnennung marktbeherrschende und marktstarke Unternehmungen in der Bundesrepublik erfahren, bei denen die Mißbrauchskontrolle erforderlich ist, so daß eine Änderung des Kartellgesetzes eines der zwingendsten Erfordernisse zu sein scheint.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr gut!)

Ich sage Ihnen aber ganz offen, ich halte gar nichts von einer vorbeugenden Fusionskontrolle. Auch die beschwichtigende Formulierung „unabhängige Monopolkommission" kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier wieder einmal ein bürokratisches Instrument gebastelt werden soll, in dem solche über betriebswirtschaftliche Entscheidungen zu befinden haben, die weder mit Arbeitsplätzen noch mit Vermögen für die Richtigkeit ihrer Entscheidung zu haften haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich stelle die Frage, ob mit dem Wort Fusionskontrolle auch wieder etwas anderes am Horizont auftaucht, was der Bundeswirtschaftsminister früher,
im Jahre 1965 und in den Jahren vorher, mehrmals erwähnt hat, nämlich die Notwendigkeit einer Investitionskontrolle, um unerwünschten wirtschaftlichen Entwicklungen durch weise bürokratische Entscheidungen vorzubeugen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Nur mit Kopfschütteln kann ich von einer Finanzpolitik vernehmen, die eine graduelle Umorientierung des Gütermarktes auf dem Binnenmarkt fordert.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Man mag der Ansicht sein, daß die deutsche Wirtschaft zu exportlastig ist, und darum gewillt sein, die Exportintensität abzubauen — aber doch nicht auf diesem Wege. Auf welchem Wege, werde ich sagen. Außerdem wird das kaum möglich sein, wenn nicht das gesamtwirtschaftliche Wachstum beeinträchtigt werden soll.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

Bisher jedenfalls war der Export ein Wachstumsträger ersten Ranges, und die Unternehmen sind im Grunde doch nur auf die Auslandsmärkte gegangen, weil der Binnenmarkt für unsere industriellen Kapazitäten zu eng war, ist und bleiben wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Eine ins Gewicht fallende Umorientierung auf den Binnenmarkt dürfte erhebliche strukturelle Schwierigkeiten aufkommen lassen, nicht zuletzt weil unsere Ausfuhr zu einem erheblichen Teil aus Investitionsgütern besteht. Wie sollen aber auch Fahrzeuge, Generatoren, Maschinen, chemische Produkte, die nicht mehr auf den Weltmarkt gehen sollen, im Inland bei Umänderung der Struktur von Angebot und Nachfrage abgesetzt werden?
Schließlich darf nicht übersehen werden, daß die exportintensiven Branchen in der Regel zugleich unsere wichtigsten Wachstumsindustrien sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Das Bekenntnis zur Marktwirtschaft klingt schön, aber die Praxis, wie die Regierungserklärung sie ankündigt, sieht leider etwas anders aus: immer mehr Wirtschaftsbereiche mit goldenen Fesseln zu umgarnen, sie subventionsabhängig zu machen

(Abg. Dr. Barzel: Das ist es!)

und ihnen dann den Segen zu versprechen mit Redensarten wie: „Bedient euch! Wer zuerst kommt, mahlt zuerst!" Das steht im krassen Widerspruch zum Bekenntnis, und darum werden wir dieses Bekenntnis an dem Wort messen: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen."

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Denn der Kampf gegen die Marktwirtschaft wird schon lange nicht mehr offen geführt, sondern nach einer offenen Verbeugung vor ihrer Ikone auf den Schleichpfaden ihrer Aushöhlung betrieben,

(Zuruf von der SPD: Eine Platitude nach der anderen!)

wobei all diese Schleichpfade schön klingende
Namen tragen, die eines Tages auch in einem



Dr. h. c. Strauß
Schiller-Lexikon zur Erheiterung der Nachwelt zu finden sein werden.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Nun komme ich zu dem Thema, bei dem ich gestern Herrn Kollegen Schiller sorgfältig zugehört habe. Er hat gestern etwas in Unterbrechung des geplanten Ablaufs über das Thema Aufwertung gesprochen. Er hat gestern abend seine Variante der Aufwertungsdiskussion abermals angeboten und, wie üblich, nach einem Bekenntnis, nicht in die Vergangenheit zurückzugreifen, sich fast ausschließlich mit ihr beschäftigt.
Ich darf dazu einmal bemerken, daß die Frage der Aufwertung oder Nichtaufwertung nicht im Stil eines Dogmenkrieges ausgetragen werden kann

(Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Wehner: Hört! Hört!)

— das habe ich immer gesagt, Herr Kollege Wehner; Sie haben es selbst gehört — und daß es hier keine Lösung gibt, die allein richtig oder allein falsch ist. Es geht ausschließlich darum, festzustellen, welche Lösung in einer nicht so sehr auf Stabilität bedachten Umwelt unserer Partner die geringeren Nachteile bietet.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister scheint im März 1969 seine Damaskus-Stunde erlebt zu haben. Ob er dabei eine Erscheinung hatte oder eine höhere Eingebung erhielt, hat er nicht mitgeteilt.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Denn bis dahin war er entgegen allen anderslautenden Nachrichten ein Gegner der Aufwertung,

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

der in einer Reihe von Äußerungen, die ich nicht wiederholen will, bei allen möglichen Gelegenheiten seine ablehnende Haltung wortgewandter zu formulieren und überzeugender zu begründen verstand, als es mir armem Sterblichen möglich war.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte aber auf diese Periode der Vorgeschichte im einzelnen nicht mehr eingehen.
Ich muß mich nur mit aller Entschiedenheit gegen seine Darstellung von der Spekulation à la Franz Josef Strauß wenden, die er selber früher, als er sich noch in anderer Kombination und Konstellation befand, immer als das Ergebnis einer unrichtigen Zitierung bezeichnete, wenn auch mit einem Seitenblick. Das auslösende Moment für die Spekulationswelle Ende April/Anfang Mai war der Rücktritt des französischen Staatspräsidenten, mit dem die Erwartung einer französischen Abwertung verbunden wurde. Meine in einer Diskussion gemachte Äußerung, daß das Ausland mit einem höheren Aufwertungssatz, nämlich 8 bis 10 %, im November gerechnet habe, wobei ich in meiner Darstellung jede Aufwertung abgelehnt habe, wurde in gerissener Weise dazu benutzt, falsche Erwartungen zu erwecken. Aber darum geht es heute gar nicht mehr, sondern es geht um die Frage, ob Aufwertung und Abwertung als Mittel der Konjunktursteuerung verwendet werden sollten, und diese Frage beantworten wir mit einem ganz klaren Nein.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die nächste Frage, die es hier gibt, ist das Problem, ob man durch Aufwertung die sogenannte Importinflation, wie sie Direktor Emminger von der Deutschen Bundesbank nannte, verhindern sollte und verhindern kann: in der Theorie ja, in der Praxis mit wenig Erfolg. Die Vergangenheit nach dem März 1961 hat gezeigt, daß die Preisentwicklung kaum davon beeinflußt wurde. Aber auch die britische und französische Abwertung haben bewiesen, daß sich die geänderten Währungsspannen nicht in den Importpreisen niederschlagen; siehe die Preise für britische und französische Automobile.

(Abg. Dr. Barzel: Hört! Hört!)

Jedenfalls ist der Schaden, der durch eine Aufwertung entsteht, größer als der fragwürdige Nutzen.
Der Herr Bundeskanzler hat schließlich erklärt, daß mit der Aufwertung das fundamentale Ungleichgewicht in der Zahlungsbilanz beseitigt werden soll. Da ist er offensichtlich mit falschen Informationen bedient worden. Denn die deutsche Zahlungsbilanz, und zwar die Grundbilanz, von der hier auszugehen ist, war im Jahre 1968 ausgeglichen und weist in den ersten Monaten des Jahres 1969 bereits ein Defizit von 8,7 Milliarden DM auf,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

und zwar im Zusammenhang mit dem Kapitalexport, über den noch kurz zu reden sein wird. Die laufenden Posten mit einzubeziehen ist unmöglich, weil die Bewegung der laufenden Posten nach oben und damit die Aufblähung der Währungsreserven der Bundesbank durch die in der Öffentlichkeit geführte Aufwertungsdiskussion herbeigeführt worden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

An dieser teutonischen Alleinleistung hat der Bundeswirtschaftsminister einen entscheidenden Anteil.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn es so wäre, wie er gestern abend gesagt hat, hätte er nach dem 9. Mai im Besitze der höheren Weisheit die törichte Kabinettsmehrheit verlassen und als Privatmann sprechen sollen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn aber ein Wahlkampf unter dem Zeichen der Alternative geführt wird „Regierungsmehrheit CDU/CSU, dann keine Aufwertung; andere Regierungsmehrheit, dann Aufwertung", dann darf man sich nicht wundern, daß in den letzten Tagen vor der Wahl wieder eine große Spekulationswelle eingesetzt hat. Der sozialdemokratische Koalitionspartner von damals hat selbst in einem Wahlkampfbericht vor den Wählern lautstark erklärt, man habe — Stichwort „Wahlpropaganda" — bei deutschen Auslandsurlaubern das Thema Aufwertung für Wahlkampfzwecke künstlich angeheizt. Wenn dann noch der Bundeswirtschaftsminister in einer Fülle von Äußerungen erklärt, es sei noch nicht zu spät, zu handeln, man müsse nach dem 28. September schnell handeln — wobei er unter Handeln
132 Deutscher Bundestag 6. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Oktober 1969
Dr. h. c. Strauß
immer nur Aufwerten verstand —, wenn er weiterhin erklärt, er werde keiner Regierung beitreten, die nicht aufwerte, wenn die Meinungsforscher mit falschen Prognosen eine SPD-Mehrheit prophezeiten, dann darf man sich über die Spekulationswelle vor der Wahl nicht wundern.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Als noch in der Wahlnacht das Regierungsbündnis SPD/FDP praktisch verkündet wurde, war das die feierliche Ankündigung der Aufwertung. Deshalb setzte am Montagmorgen, 29. September, ein solcher Zustrom von Spekulationsgeldern ein, daß in den ersten zwei Börsenstunden mehr als eine Milliarde DM einfloß. Erst dann wurden unter der Zwangslage der nicht von uns geschaffenen Situation die Kurse freigegeben,

(lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch und Lachen bei den Regierungsparteien)

aber nicht, wie Herr Schiller gestern irreführend
sagte, als stillschweigend geschlossener Vergleich,

(Abg. Hermsdorf: Das glauben Sie doch selber nicht! Weitere Zurufe von der SPD)

— doch, das glaube ich sehr , nicht als stillschweigend geschlossener Vergleich, sondern als Folge der durch ihn und den Koalitionspartner von heute geführten Kampagne.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Widerspruch bei der SPD. Abg. Wehner: Auf zwei Stunden kam es an?!)

— Jawohl, auf die zwei Stunden kam es an, weil nach den ersten beiden Stunden schon Herr Blessing erklärte: Angesichts der geschaffenen Situation bleibt keine andere Wahl, weil sonst an diesem Tage eine unkontrollierbare Zahl von Milliarden einfließt. Die Behauptung „CDU/CSU-Mehrheit oder Aufwertung" stammt nicht von mir, sondern das hat der Bundesbankdirektor Emminger in einer Besprechung uns als die einzig mögliche Alternative genannt.

(Zurufe von der SPD.)

— So ist die Wirklichkeit. Wenn Sie keine Ahnung davon haben — —

(Lebhafte Zurufe von den Regierungsparteien.)

— Ihr Zorn beweist doch nur ein schlechtes Gewissen, Kollege Hermsdorf.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Widerspruch und Zurufe von den Regierungsparteien.)

ich freue mich sehr, daß gestern offensichtlich ein neuer Tag in der deutschen Politik eingeführt worden ist, nämlich der Tag des „Bayern-Kurier" im deutschen Parlament. Es sprach gestern Karl Schiller von der Franz-Josefschen Hauspostille. Nun gut, warum nicht? Dann sprach er von der „Münchner Prawda". Ich möchte die Zwischenrufe, die dazu erklungen sind, und die Antwort hier nicht wiederholen. Wenn die „Prawda" etwas- für die heutige
Koalition Gutes sagt, dann wird sie tatsächlich als Wahrheit empfunden, sonst nicht immer.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU. — Zurufe von den Regierungsparteien.)

Aber leider muß ich Sie, Herr Kollege Schiller, eines vielleicht nicht absichtlich begangenen Plagiats bezichtigen; denn es war der bayerische Stanzlsänger Roider Jackl, der das Wort von der „Münchner Prawda" gesungen hat. Ich habe es Ihnen wiedererzählt, und von da an haben Sie es als eigenes Produkt weiterverkauft.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD.)

Wenn im übrigen die Währungsreserven der Bundesbank vom 7. September bis zum 29. September 1969 um 6 Milliarden DM gestiegen sind, wobei die D-Mark zur alten Parität erworben wurde, dann haben die D-Mark-Käufer einen Aufwertungsgewinn von mehr als 400 Millionen DM erzielt. Doch das nur nebenbei.
Wenn der Herr Bundeskanzler weiter sagt — indem er ein neues Motiv nachschiebt —, das Nein des damaligen Finanzministers sei entgegen seiner Vormittagsäußerung nicht nationalistisch gewesen, aber das Ja wäre aus europapolitischen Gründen, aus Gründen des Weltwährungssystems richtig gewesen, dann irrt er abermals. Sicherlich sind wir in den ausländischen Hauptstädten unserer Wirtschaftspartner und Exportkonkurrenten für diesen Entschluß gelobt worden. Ich habe aber Zweifel, ob das Lob der vom Herrn Wirtschaftsminister dem deutschen Volk zugedachten Gewinnausschüttung galt oder ob es nicht von eigenen Interessen bestimmt ist, wovon ich überzeugt bin.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn wir eigene Interessen vertreten, scheint es nationalistisch zu sein; wenn andere es tun, ist es ein legitimes Nationalbewußtsein.
Man könnte eine große Zahl von ausländischen Stimmen hier nennen; ich will darauf verzichten. Aber die Tatsache, daß nicht ein einziges Land der deutschen Aufwertung gefolgt ist oder offensichtlich zu folgen bereit ist, zeigt, daß in anderen Ländern die grundsätzlichen Bedenken geteilt werden, die gegen eine Paritätsänderung vorgebracht werden müssen.
Es kann nur immer wieder betont werden, daß man die Aufwertung nicht unter kurzfristigen konjunkturellen Gesichtspunkten beurteilen kann, daß man sie unter langfristigen Aspekten beurteilen muß. Es ist ernsthaft zu befürchten, daß die Aufwertung um 8,5 oder 9,3 % den deutschen Export auf mittlere und längere Sicht mehr behindert, als unserer Zahlungsbilanz zuträglich ist. Im übrigen soll man bei uns nicht so tun, als ob eine hohe Exportquote ein nationales Unglück sei. Andere denken umgekehrt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es ist schwierig, Exportmärkte zu gewinnen. Es ist leicht, sie durch staatliche Manipulation zu vermindern. Es ist fast unmöglich, sie wiederzugewinnen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)




Dr. h. c. Strauß
Auch der deutsche Kapitalexport ist kein Unglück; er hat auch seine guten Seiten, und zwar wirtschaftlich wie politisch. Ich bin auch der Meinung, daß der reine Portfolio-Export, d. h. die Emission von ausländischen D-Mark-Anleihen, auf unbegrenzte Zeit nicht in der Höhe der beiden letzten Jahre fortgesetzt werden sollte. Aber unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist zur Stabilisierung der deutschen Wirtschaft und des Binnenmarktes einem weitgespannten Programm zur Förderung langfristiger Auslandsinvestitionen der Vorzug zu geben. Das Fünf-Punkte-Programm der Regierungserklärung zur Finanzpolitik will aber genau die umgekehrte Entwicklung fördern. Es schweigt sich darüber aus. Es hat sich offensichtlich hier der Linie des DGB angeschlossen und will die Dinge im günstigsten Falle sich selbst überlassen.
Ich trete nach wie vor aus gutem Grunde für die Verstärkung der deutschen Direktinvestitionen im Ausland und ihre Förderung ein. Ich nenne dazu folgende Gesichtspunkte: Verteilung des wirtschaftlichen Risikos, wie es andere Industrieländer ebenfalls tun; besserer Konjunkturausgleich mit anderen Ländern; auch für mittlere Betriebe ist die Förderung der Auslandsinvestitionen von besonderer Bedeutung; Schaffung neuer Absatzmärkte; Sicherung von Rohstoffbasen; Überwindung von Zollschranken und anderen dirigistischen Hemmnissen; sinnvolle Verwendung, aber nicht Drosselung des deutschen Exportpotentials.
Wenn ich daran denke, daß das Deutsche Reich im Jahre 1913 bei einem Sozialprodukt von 25 Milliarden Goldmark Auslandsinvestitionen in Höhe von 15 Milliarden Goldmark hatte und die Bundesrepublik 1967 dank den beiden Weltkriegen und ihren Folgen Enteignung — bei einem Sozialprodukt von 500 Milliarden D-Mark 14 Milliarden D-Mark Auslandsinvestitionen hatte, dann muß ich das angesichts der Zahlen in vergleichbaren Industrieländern als auf die Dauer nicht vertretbar und nicht mehr verantwortbar erklären.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der frühere Bundeskanzler hat gestern auf die politischen Folgen einer D-Mark-Aufwertung im landwirtschaftlichen Bereich hingewiesen. Die materiellen Folgen sind auch jetzt ernst, weil in der Landwirtschaft mit einem Einkommensverlust von 200 Millionen D-Mark je Prozent Aufwertung gerechnet werden muß.
Ich warne aber - und ich sage das mit großem
Ernst - in diesem Zusammenhang, lieber Herr Kollege Möller, vor einer Manipulation mit der Mehrwertsteuer. Bei der Manipulation mit der Einführung eines neuen Mehrwertsteuersatzes, sei es, daß ein Weg von 8 % oder 12 % in dieser oder jener Stufe gegangen wird, wird der eigentliche Sinn der Mehrwertsteuer, nämlich endlich zu einem transparenten, nicht mehr manipulierbaren Umsatzsteuer-system zu kommen, von neuem durchlöchert.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. von Dohnanyi meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Von der EWG werden wir weniger als 500 Millionen DM bekommen. — Ich habe leider eine begrenzte Redezeit, darum kann ich Fragen nicht beantworten; nicht, weil ich sie nicht beantworten will, Herr von Dohnanyi.
Wir werden von der EWG, schätze ich, etwa 400 Millionen DM bekommen. Der Rest muß so oder so, sei es durch Mindereinnahmen bei der Mehrwertsteuer, sei es durch offene Finanzhilfen, ausgewiesen werden. Hier schweigt sich die Regierungserklärung darüber aus, ob diese Einkommensentschädigung für die Landwirtschaft einmal — und dann degressiv - oder ob sie durch die Reihe der Jahre hindurch gewährt werden soll. Ich bin der Auffassung, daß sie durch die Reihe der Jahre hindurch leider gewährt werden muß,

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

weil sonst das, was wir an nationaler Agrarstrukturpolitik treiben, auf Sand gebaut ist und die dafür aufgewendeten Mittel umsonst ausgegeben werden.
Dann denke ich noch daran, daß der Verlust der Bundesbank 4 bis 41/2 Milliarden DM betragen wird. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, das ist nicht ein buchhalterischer Verlust, wie Sie im Fernsehen mit dieser oder einer ähnlichen Formulierung meinten. Die Bundesbank hat bis zum Jahre 1968 wegen der Aufwertung 1961 keinen Gewinn mehr an den Bund abgeführt, und sie wird jetzt für viele Jahre keinen Gewinn mehr abführen. Die 41/2 Milliarden DM werden im Laufe der Jahre dem Bundeshaushalt fehlen, und sie müssen durch Schulden oder vom Steuerzahler ersetzt werden. Das ist die Wirklichkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Mancher Kaufmann, der nicht zwischen einem buchhalterischen und einem echten Verlust unterscheiden kann, hat darin schon seine Pleite begründet,
— wenn ich das einmal sehr deutlich sagen darf.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Im übrigen weise ich diese Kausalität, Herr Bundeskanzler, daß durch eine verzögerte Aufwertung
— wobei das Wort „verzögerte" eben nur aus Ihrer Sicht der Dinge zu verstehen ist und von Ihnen allein stammt — etwa eine höhere Entschädigung für die Landwirtschaft oder gar etwa höhere Besoldungen im öffentlichen Dienst erforderlich seien, zurück. Die Form der Kausalität würde einer strengen Nachprüfung nach kartesianischer Logik bestimmt nicht standhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Denn als die Aufwertung am 9. Mai vom damaligen Bundeskanzler abgelehnt wurde, begann eine für Wirtschaft und Währung gefährliche, und zwar absichtlich betriebene, Inflationshysterie. Die Preise wurden geradezu mit Gewalt hochgeschwätzt.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Und als der Aufstieg der Preise, wie prophezeit und erwartet, nicht eintrat, hat man das Motiv umgestellt und von den erhöhten Gewinnen gesprochen, die die wilden Streiks rechtfertigten.
Ich möchte mich zu diesem Thema nicht äußern, aber nur eines sagen: wenn in der Stahlindustrie



Dr. h. c. Strauß
erhöhte Gewinne wilde Streiks mit besonderen Lohnforderungen rechtfertigen, dann verstehe ich nicht, Herr Bundeswirtschaftsminister, warum Sie im März letzten Jahres in Ihrem Subventionsprogramm noch 200 Millionen DM Ersatz für die Stahlindustrie vorgeschlagen haben,

(lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

weil sie infolge ihrer Auftragslage und Ertragssituation mit den Folgen der von Ihnen ja vorgeschlagenen und von mir mitgemachten Exportsteuer nicht fertigwerden würde. Das ist doch die Wirklichkeit.
Nun komme ich — darüber werden sich manche freuen, manche nicht — zum letzten Kapitel meiner Ausführungen, die nicht alle Sektoren des finanziell-wirtschaftlichen Bereichs abdecken können. Aber nach dem, was ich gestern gehört habe, mußte ich mich vor der Öffentlichkeit auch einmal mit dieser Frage genauso befassen, wie es gestern geschehen ist.
Der Herr Bundeskanzler hat sich in seinen gestrigen Ausführungen vor diesem Hohen Hause zu der Bemerkung veranlaßt gesehen, es könne leider keine Rede davon sein, daß der Herr Finanzminister Möller geordnete Bundesfinanzen übernommen hätte. Hierzu ist zu sagen, daß keiner der Vorgänger von Herrn Möller je geordnetere Finanzen und eine solidere finanzielle Grundlage vorgefunden hat als er selbst,

(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Sehr richtig! — Beifall bei der CDU/CSU)

wozu ich ihm herzlich gratuliere. Auf dieser Basis ließe sich die Fortschreibung der Finanzplanung bis zum Jahre 1973 ohne nicht zu bewältigende Risiken durchführen.
Aber erhebliche Gefahren drohen nicht nur von vergangenen Verpflichtungen, sondern auch von dem großen Programmbündel, das diese Regierungserklärung enthält. Bezeichnend ist, daß kein Wort darüber verloren wird, wie das finanziert werden soll. Es wurden nicht einmal konkrete Zahlen oder auch nur einigermaßen zuverlässige Schätzungen genannt.
Bundeskanzler Brandt hat ein Mehr an Demokratie verheißen. Wenn das nicht eine rhetorische Floskel sein soll, hätte gesagt werden müssen, woher die Mittel für all die Vorhaben, die als „Reformen" bezeichnet werden, genommen werden sollen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es wird in der Regierungserklärung ausdrücklich gesagt, daß die Solidität die Grundlage der Finanzpolitik sein soll. Eine solide Regierungserklärung, die sich auf eine solide Finanzpolitik beruft, hätte aber dann anders aussehen müssen!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Momentaufnahme nach den Wahlen sah folgendermaßen aus: am 30. September 1969 eine Einnahmesteigerung im Jahre 1969 um 16,6 %, eine Ausgabensteigerung nur um 5,0 % — jeweils gegenüber dem Vorjahr. Das ergibt einen Finanzierungsüberschuß von 2,7 Milliarden DM bei insgesamt 4,766 Milliarden Bruttokreditaufnahme. Dazu kommt die Deckung des Fehlbetrages aus 1967 mit 1,35 Milliarden. Das bedeutet im außerordentlichen Haushalt bis zum 30. September 1969 ein Minus von
4 156 000 000 DM weniger aufgenommener Kredite
und im ordentlichen Haushalt ein Plus von 139 Millionen DM bei Null im außerordentlichen Haushalt.
Bis Ende des Rechnungsjahres 1969 sind Mehreinnehmen von insgesamt 4 Milliarden DM zu erwarten. Auf der Ausgabenseite ergibt sich bis zum 30. September im ordentlichen und außerordentlichen Haushalt ein Betrag von 5,8 Milliarden Minderausgaben, davon ordentlicher Haushalt 5,3, außerordentlicher 0,54 Milliarden. Natürlich ist in den letzten drei Monaten dieses Jahres noch ein stärkeres Ansteigen der Ausgaben zu erwarten. Dennoch wird dank unserer Haushaltsführung das Ausgabesoll 1969 bei weitem nicht erreicht werden. Die Kassenlage des Bundes ist zur Zeit außerordentlich günstig. 4 Milliarden DM befinden sich bar in der Kasse.

(Hört! Hört! von der CDU/CSU.)

Trotz der bis Jahresende noch zu tilgenden 3 Milliarden DM kurzfristiger Schulden und der Leistung von Gehältern und Renten für den Monat Januar in Höhe von rund 2,3 Milliarden DM dürften keinerlei Schwierigkeiten entstehen. Für das Gesamtjahr sind Einnahmesteigerungen von knapp 16 % zu erwarten. Die Ausgabesteigerungen für das Gesamtjahr liegen bei 7 %. Daher wird auch am Ende des Jahres ein Finanzierungsüberschuß von 1 bis 1,5 Milliarden DM bei einer Nettokreditaufnahme von Null zu verzeichnen sein. Wäre man diesen Weg weitergegangen, könnte auch im Jahre 1970 die Nettokreditaufnahme weiterhin bei Null liegen, was für unsere Wirtschaft, für die Stabilität unserer Währung nur zuträglich wäre,

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Hier wird die gesunde finanzielle Basis und auch die richtige konjunkturelle Politik in der Haushaltsgestaltung durch Ausgabenminderung und vorzeitige Schuldentilgung in Höhe von insgesamt rund
5 Milliarden DM deutlich. Diese Zahlen sprechen für sich selbst, und sie erlauben nicht, von ungeordneten Bundesfinanzen zu reden.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr! — Beifall bei der CDU/CSU.)

Es kommen Belastungen für die Kriegsopferversorgung, die Erhöhung des Kindergeldes, die für den öffentlichen Dienst vorgesehene Besoldungsverbesserung; es kommen Mehrbelastungen, die vor allem durch die Aufwertung entstehen: Verlust der Bundesbank, Ausgleichszahlungen für die Landwirtschaft; und es kommen eine ganze Reihe von Mehrbelastungen, die bis jetzt überhaupt nicht quantifiziert sind. Darf ich hier erinnern an die Krankenhausfinanzierung — bis jetzt nicht quantifiziert —, an das Städtebauförderungsgesetz —keine Zahlen angegeben —, Dynamisierung der Kriegsonferversorgung — keine Zahlen—, Abbau der Altersgrenzen in den Rentenversicherungen, Öffnung der Rentenversicherungen, Dynamisierung
Deutscher Bundestag —.6. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Oktober 1969 135
Dr. h. c. Strauß
der Pflichtversicherungsgrenze in der Krankenversicherung, Arbeitgeberanteil zur Krankenversicherung für Höherverdienende, Maßnahmen gegen Wasser- und Luftverunreinigung und gegen Lärmbelästigung, Institut für Sozialmedizin, alle möglichen Enqueten, Ausbildungsförderung, Bildungsurlaub, Wohngeld, Verbesserung der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, Vermögensbildung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes, Verbrechensbekämpfung, Sportkonferenz, kombinierter Verkehr Schiene/Straße, Umschuldung des RentenFremdkapitals der Deutschen Bundesbank,

(Beifall und Unruhe bei der SPD Zuruf von der SPD: Luft holen!)

Bildungsplanung und Bildungsbudget,

(anhaltender Beifall bei der SPD)

— ich habe nur Ihre eigene Regierungserklärung addiert, sonst gar nichts —,

(Abg. Wehner: Wir wollten Ihnen nur wohl!)

Koordinierung der Friedensforschung, Europäisches Jugendwerk, Wehrgerechtigkeit, Steigerung der Entwicklungshilfe. All das kann nur ernsthaft versprochen werden, wenn man gewillt und in der Lage ist, dafür die erforderlichen Mindestbeträge aufzubringen.

(Beifall bei der CDU/CSU.) Und davon kann leider keine Rede sein!

Ich schätze, daß neben den Mehrbelastungen, die im Jahre 1970 durch vergangene Zusagen und Verpflichtungen in Höhe von rund 2 Milliarden DM entstehen werden, die in der Zwischenzeit eingetretenen Mehrverpflichtungen ohne das, was heute noch nicht quantifizierbar ist, 5 weitere Milliarden betragen — und darüber hinaus noch ein in der Kürze der Zeit von mir nicht zu schätzender Betrag. Das macht natürlich die Fortschreibung der mehrjährigen Finanzplanung in den Jahren 1971, 1972 und 1973 zu einem Risiko. Aber wir lehnen die Vaterschaft für dieses Risiko ab; das muß ich ausdrücklich sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir sind nicht bereit, die Alimente zu zahlen.
Lieber Herr Kollege Möller, ich darf Ihnen für das schwere Amt, das Sie übernommen haben, von Herzen viel Glück wünschen. Ich danke Ihnen sehr für die anerkennenden Worte, die Sie — leider in der Beethovenhalle und nicht im Bundesfinanzministerium; wo, ist aber gleich — gefunden haben.

(Zurufe von der SPD.)

— Hören Sie mich nur an! Ich hätte auch sehr gern an der Verabschiedung teilgenommen.

(Ah-Rufe bei der SPD.)

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kollege Möller hat gesagt: Wir werden Extrazüge einsetzen müssen, die diesmal von Bonn aus in die Landeshauptstädte fahren, um all die Leute wieder zurückzubringen;

(Hört! Hört! und Pfui-Rufe bei der CDU/CSU)

bisher liefen die Züge in umgekehrter Richtung. — So haben Sie auf einer Parteikonferenz gesagt.
Ich darf für meine Amtsführung feststellen, daß ich selbst jedenfalls — ich sage beinahe: leider — und meines Wissens auch nicht die Personalabteilung aus Bayern, aus der Landeshauptstadt München, auch nur einen einzigen Beamten in mein Amt nachgezogen hat.

(Abg. Rösing: Hört! Hört!)

Wenn es heute genauso bliebe, wären wir sehr zufrieden.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Ich darf weiterhin sagen, daß es zur Zeit meiner Amtsführung nicht die Frage gegeben hat: Welcher Partei gehören Sie an?

(Lachen bei der SPD. Abg. Dr. Pohle: Selbstverständlich! — Weitere Zurufe von der SPD und Gegenrufe von der CDU/CSU.)

Sie sehen, wie Sie sich hier blamieren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich habe das Vorzimmer meines Kollegen Dahlgrün mit einem Persönlichen Referenten, der ein bekannter Funktionär der FDP war, unverändert beibehalten. Ich habe ebenso zum Zorn meines Kollegen Möller den der FDP angehörenden Pressereferenten beibehalten, den ich damals aus gewissen Gründen entlassen sollte. Ich habe mich vor meine Leute gestellt, und als sie versetzt wurden, sind sie dorthin versetzt worden, wohin sie es wegen ihrer Beförderung wünschten. Bei mir gab es keine Sonderzüge, die in die Landeshauptstädte heimkommen sollten, um damit die Beamten in der umgekehrten Richtung zu befördern.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das Grundgesetz schreibt vor, daß die obersten Bundesbehörden nach einem gesunden landsmannschaftlichen Schlüssel zusammengesetzt sein sollen. Ich habe nichts getan, um diesen Schlüssel etwa im Sinne meiner Provenienz zu verbessern.

(Zurufe von der SPD.)

Ich habe sämtliche Abteilungsleiter beibehalten.
Leider muß ich feststellen, daß in einer unwürdigen Form durch den Beauftragten des Herrn Bundesfinanzministers, den Parlamentarischen Staatssekretär Reischl, der es selbst — das muß ich ausdrücklich sagen — in liebenswürdiger und versöhnender Form getan hat, ein Staatssekretär, der sowieso die Altersgrenze erreicht hat und dessen Amtszeit verlängert worden war, durch Aushändigung der Urkunde in den Ruhestand geschickt worden ist. Staatssekretär Hettlage hätte eine andere Form der Verabschiedung verdient gehabt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich spreche die Dinge ganz offen an. Staatssekretär Grund, der, wie ich weiß, weil er es mir mitgeteilt hat, der es auch jedem anderen gesagt hat, keiner Partei angehört, aber fast 40 Jahre im öffentlichen Dienst war, hätte von vornherein, nicht erst jetzt, wie es nachträglich zugestanden worden ist, eine andere Verabschiedung verdient.

(Beifall bei der CDU/CSU.)




Dr. h. c. Strauß
Warum müssen denn unbedingt die Köpfe rollen, wenn ein neuer Minister kommt?

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Was haben Herr Grund, Herr von Schoenebeck, Herr Korff, Herr Schädel und Herr Falk, vier Ministerialdirektoren, getan, daß sie in dieser Form auf einmal hinausgesetzt worden sind?

(Lebhafte Pfui-Rufe und Beifall bei der CDU/CSU. — Gegenrufe von der SPD.)

Ich möchte deshalb hier sagen: Sie waren fleißige, sachkundige, korrekte, dem Staat und seiner Räson ergebene Beamte,

(Zurufe von der SPD)

die ohne Rücksicht auf Personen und ohne Rücksicht auf Parteien ihre Pflicht erfüllt haben.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Von diesem Stil wollte ich mich distanzieren, als ich an der gemeinsamen Verabschiedung nicht teilgenommen habe.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir stehen zum deutschen Berufsbeamtentum, wir stehen zu seiner Sauberkeit und zu seiner Korrektheit,

(Beifall bei der CDU/CSU — große Unruhe bei der SPD)

und wir wollen nicht haben, daß Beamte je nach dem Ausgang politischer Wahlgänge oder ihrer Manipulation durch Koalitionen um ihre Zukunft Angst haben müssen,

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0600700200
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP. — Pfui-Rufe von der CDU/CSU.)

— Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen und dem Redner zuzuhören.

(Abg. Hermsdorf: Das ist eine Opposition! — Weitere Zurufe von der SPD.)


Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0600700300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf die Schlußbemerkungen meines Herrn Amtsvorgängers und auf das Thema „Köpfe rollen", ein Thema, das eine bekannte Zeitung als „Blutbad" bezeichnet hat, eingehen. Was ist wirklich wahr?
Herr Staatssekretär Grund ist auf Grund einer Koalitionsvereinbarung durch Herrn Staatssekretär Dr. Hans Georg Emde ersetzt worden. Ich nehme an, das ist legitim. Das wird wohl von keinem bezweifelt.

(Zurufe von der CDU/CSU: Aber wie!)

Es war nicht möglich, eine Verabschiedung des Herrn Staatssekretärs Grund, wie sie vom Herrn Kollegen Strauß gewünscht wurde, nämlich in der gemeinsamen Versammlung der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums und des Bundesschatzministeriums, vorzunehmen, da es sich hierbei ja um die Übernahme von zwei Ministerien gehandelt hat.

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

Es ist daher mit Herrn Staatssekretär Grund verabredet worden, daß die Verabschiedung am Dienstag nachmittag im Bundesfinanzministerium vor allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erfolgt.

(Beifall bei der SPD. Zurufe von der CDU/CSU: Nachträglich!)

Was ist mit den Leitern der Abteilungen geschehen? Diejenigen Abteilungsleiter, die ersetzt worden sind, sind ersetzt worden durch Ministerialdirigenten — von einer Ausnahme abgesehen —, die sich, wenn ein Ministerialdirektor die Leitung einer Abteilung nicht mehr innehat, ganz von selbst als Nachfolger anbieten. Mir ist die Parteizugehörigkeit dieser Herren nicht bekannt.

(Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Zimmermann: Warum haben Sie sie denn entlassen? Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Daß das nicht nur die Meinung der Beteiligten, sondern daß das auch die Meinung eines Abteilungsleiters ist, der die Leitung der Abteilung I abgegeben hat, um die Leitung der Abteilung IV zu übernehmen, möchte ich im folgenden klarstellen.
Der Leiter der Abteilung I, der Grundsatzabteilung, Herr Dr. Vogel, den ich sehr schätze, hat die Leitung der Abteilung IV — Steuern — übernommen. Nun müssen Sie davon ausgehen, meine Damen und Herren, daß ich die Tätigkeit der Herren aus achtjähriger Zusammenarbeit im Finanzausschuß beurteilen kann. Ich habe im Finanzausschuß insbesondere die Arbeit des Herrn Dr. Vogel als eines Steuerfachmannes besonders geschätzt und ihm aus diesem Grunde die Abteilung IV — Steuern — anvertraut. Herr Ministerialdirektor Dr. Vogel ist zu mir gekommen, nachdem das geschehen war, und hat mich gefragt, ob ich wisse, daß er seit zwei Jahren Mitglied der CDU sei.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Ich habe ihm mitgeteilt, daß mir das bekannt sei, daß ich mich aber bei der Besetzung dieser Positionen im Finanzministerium selbstverständlich nach der sachlichen Qualifikation richten müsse,

(lebhafter Beifall bei der SPD Beifall bei der FDP)

daß ich diese sachliche Qualifikation bei Herrn Dr. Vogel schätze und ihm deshalb diese Aufgabe übertragen hätte. In dem Fall Korff wollen wir uns seiner Arbeitskraft - er steht kurz vor der Pensionierung noch bedienen, um die Haushaltsrechtsreform und einige andere Arbeiten mit seiner Hilfe durchzuführen.
Was bleibt also übrig? Es bleiben zwei Namen: von Schoenebeck und Schädel.

(Zuruf von der CDU/CSU: Warum dann die „Sonderzüge" ?)




Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Daß man das nicht als Köpferollen oder Blutbad bezeichnen kann, muß jeder objektiv Urteilende zugeben.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU: Warum dann die „Sonderzüge"?)

Bleibt übrig, Herr Kollege Strauß, daß ich die Leitung der Grundsatzabteilung mit einem Herrn besetzen möchte, der längere Zeit mit mir zusammengearbeitet hat und der der SPD angehört. Aber der erste Nachfolger — Sie kennen die Abteilung genau -- wäre ja ein Ministerialdirigent, der auch meiner Partei angehört,

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

so daß ich glaube, daß man diesen Vorgang nicht
als eine parteipolitische Besetzung bezeichnen kann.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0600700400
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stoltenberg?

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0600700500
Herr Kollege Möller, wie verträgt sich diese etwas verharmlosende Darstellung mit Ihrer Stuttgarter Äußerung über die „Sonderzüge"? Brauchen Sie denn „Sonderzüge", um die zwei Herren in ihren Heimatort zu fahren?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0600700600
Meine Damen und Herren, ich habe jetzt nüchtern und sachlich Tatsachen festgestellt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das Hohe Haus kann selbst beurteilen, was von den Vorwürfen übrig geblieben ist.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Was aus Teilen einer von mir in meinem Landesverband gehaltenen Rede eine einzige Zeitung gemacht hat, muß die Redaktion dieser Zeitung und nicht ich verantworten.

(Beifall bei den Regierungsparteien. - Zurufe von der CDU/CSU.)

So sind jedenfalls die Tatsachen.
Ich habe in der Versammlung, bei der meine Vorstellung gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der beiden Ministerien erfolgt ist, im einzelnen die Tätigkeit derer gewürdigt, die an der neuen Arbeit nicht mehr beteiligt sind. Ich habe auch ein offenes und klares Wort zu meinem Herrn Amtsvorgänger gesagt, das ich hier wiederholen möchte. Sie wissen, daß ich Ihnen, Herr Strauß, ausdrücklich gedankt habe. Sie wissen, daß ich Ihre Finanzpolitik in diesem Hohen Hause als Abgeordneter immer vertreten und unterstützt habe. Das gilt auch für Ihre Vorgänger. Ich stand immer zur Verfügung, wenn es sich darum handelte, die soliden Grundsätze einer von der Regierung zu vertretenden Finanzpolitik hier weiter zu fundieren; das wissen Sie.
Ich habe hinzugefügt, daß in die Reihe der Reichs- und Bundesfinanzminister Herr Kollege Strauß als der Bundesfinanzminister der mittelfristigen Finanzplaneng und der Finanzreform bezeichnet werden wird. Ich habe kein weiteres Wort hinzugefügt, obwohl Sie mir zugeben müssen, daß ich an der Entwicklung der mittelfristigen Finanzplanung und an dem Zustandekommen der Finanzreform nicht ganz unbeteiligt war.

(Beifall bei der SPD. — Zustimmung hei der CDU/CSU.)

Dasselbe gilt für viele Kollegen der drei Fraktionen; aber darauf kam es in diesem Zusammenhang gar nicht an. Es kam darauf an, festzuhalten, was der Finanzminister, der von mir ersetzt wird — ich kann nu-r sagen: leider; ich habe mich nach dieser Position nicht gedrängt —, in der Geschichte der deutschen Finanzpolitik geleistet hat. Das habe ich so klar und deutlich gesagt; da ist keine abweichende Unterstellung möglich.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0600700700
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Dr. Starke?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0600700800
Meine Damen und Herren, ich schließe hiermit das Kapitel ab. Ich habe noch mehr zu sagen.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Herr Kollege Dr. Strauß hat begonnen mit der Bemerkung, daß an der Regierungserklärung viele Hände mitgewirkt hätten. Ich würde „Hände" ersetzen durch „Köpfe", und dann wären wir uns einig.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich kann verstehen, daß Ihnen die von der neuen Regierung abgegebene Regierungserklärung weniger gefällt. Ich kann nur sagen: Mir gefallen die beiden letzten Regierungserklärungen, die des Herrn Kollegen Kiesinger die Ihnen ja damals auch weniger gefallen hat -

(Heiterkeit bei der SPD)

und auch die jetzt von dieser Regierung abgegebene Erklärung, die den Weg anzeigen soll, den wir in den kommenden vier .Jahren beschreiten wollen. Diese Weganzeigung ist erforderlich, damit Sie sich darüber klar werden, was sich die neue Bundesregierung vorgenommen hat zu tun. Hätten wir weniger ausgesagt, wäre es Ihnen ganz selbstverständlich auch nicht recht gewesen.
Sie haben von einem großen Programmbündel gesprochen. Selbstverständlich ist es ein großes Bündel von Vorhaben, die in der Regierungserklärung aufgezeigt worden sind, und doch ist noch nicht alles und nicht alles ausführlich genug dargestellt worden. Beispielsweise hat der Herr Kollege Barzel nach Seite 12 seines Redemanuskripts, erster Absatz, gesagt, daß das Wort „Familienlastenausgleich" fehle, und hat das beanstandet. Er hat hinzugefügt:
Während für die Kriegsopferversorgung der 1. Januar als der Termin der so notwendigen Verbesserung genannt wird, muß das Kindergeld sich mit einem ungewissen Hinweis begnügen. Wir wollen beides zum selben Termin.

Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Ich habe Verständnis dafür; aber, Herr Kollege Barzel, haben Sie auch bitte Verständnis für meine Haltung. Sie werden an manchen Stellen der Regierungserklärung feststellen, daß mehr Unverbindlichkeit als Verbindlichkeit bei Erklärungen vorhanden ist. Das ist selbstverständlich darauf zurückzuführen, daß ich mich bemüht habe, keine zeitlichen Festlegungen und keine Festlegungen hinsichtlich der Höhe bestimmter Ausgaben vorzunehmen. Ich stimme im übrigen mit Ihrer Auffassung völlig überein. Nur hätte ich im Augenblick noch nicht sagen können, wie, in welchem Umfange und mit welchen letzten finanzwirtschaftlichen Auswirkungen wir die Realisierung dieser auch von uns vertretenen Fordederung vornehmen können.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0600700900
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Barzel? —

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0600701000
Herr Kollege Möller; könnten Sie dem Hause eine ungefähre Terminplanung für die Einbringung des neuen Haushalts und — oder — der mittelfristigen Finanzplanung geben? Das wäre, glaube ich, für den Fortgang dieser Gesamtdebatte sehr förderlich.

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0600701100
Wir haben da einige Schwierigkeiten zu überwinden, vor denen auch Herr Kollege Strauß gestanden hätte. Sie wären auch eingetreten, wenn sich die bisherige Große Koalition hätte fortsetzen lassen und Herr Kollege Strauß Bundesfinanzminister geblieben wäre. Denn nach dem Terminplan, der auf Abteilungsebene bisher erarbeitet war, ergab sich, daß die Einbringung des Haushalts mit der Haushaltsrede etwa im März hätte erfolgen können, weil wir diesmal nach der Haushaltsreform gezwungen sind, nicht nur den Haushalt für das Jahr 1970 vorzulegen, sondern auch den neuen Finanzplan. Wir müssen also die mittelfristige Finanzplanung neu entwickeln. Wir müssen mit dieser für vier Jahre geltenden mittelfristigen Finanzplanung auch neue Prioritäten und Schwerpunkte setzen. Wir müssen diesmal erstmalig den Haushaltsgesetzentwurf und den Finanzplan beiden Häusern, sowohl dem Bundesrat als auch dem Bundestag, zum gleichen Zeitpunkt vorlegen. Wir müssen dann die Sechswochenfrist des Bundesrates respektieren und können erst danach in diesem Hohen Hause in die erste Lesung des Bundeshaushaltsgesetzentwurfs eintreten.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0600701200
Gestatten Sie eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Barzel? —

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0600701300
Das klingt sehr vernünftig, Herr Kollege Möller. Wäre es dann nicht ganz rund, auch die vorgesehenen Steuersenkungen in diese Gesamtplanung einzubeziehen und auch erst zu diesem Termin dem Hause vorzulegen?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0600701400
Das wäre dann ein sehr vernünftiger
Vorschlag, wenn es sich nicht darum handelte, daß der 1. Januar kurz vor der Tür stehen würde und wir also gezwungen sind, recht schnell zu handeln — immer vorbehaltlich der Zustimmung des Hohen Hauses. Jedenfalls werden die beiden Gesetzentwürfe, die den Arbeitnehmerfreibetrag und die Ergänzungsabgabe betreffen, bereits heute vom Finanzministerium dem Kabinett zugeleitet, und das Kabinett wird darüber in den nächsten Tagen beraten.
Ich möchte noch etwas sagen zu dem Beginn der Ausführungen des Herrn Kollegen Strauß. Er hat unter anderem davon gesprochen, daß einige Gesetzesvorhaben erwähnt worden seien, die auf die Vorarbeiten der letzten oder der vorangegangenen Bundesregierungen zurückzuführen sind. Er hat dabei auch auf die Abgabenreform verwiesen. Das ist selbstverständlich richtig. Ich möchte das an dieser Stelle ausdrücklich klarstellen. Insoweit handelt es sich um die Fortsetzung von begonnenen Arbeiten früherer Bundesregierungen. Wir werden uns gern bei jedem einzubringenden Gesetzentwurf ausdrücklich auf diese bereits geleisteten Vorarbeiten beziehen. Wenn Sie aber — —

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0600701500
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Müller-Hermann?

Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0600701600
Herr Minister, werden Sie der Opposition zugestehen, daß sie Zweifel äußern muß an der Solidität der Finanzpolitik der neuen Bundesregierung, wenn in der Regierungserklärung apodiktisch eine Fülle von Ausgaben verkündet werden, aber Sie hier zugestehen müssen, daß Sie sich über die Deckung dieser Ausgaben bisher nicht haben Gedanken machen können?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0600701700
Doch, wir haben uns darüber schon Gedanken gemacht. Das werde ich Ihnen im Laufe meiner Ausführungen hoffentlich noch nachweisen können. Ich würde es sehr bedauern, wenn die Opposition eine voreilige Schlußfolgerung zöge und nicht von der grundsätzlichen Erklärung ausginge, die ich am Anfang meiner Ausführungen ausdrücklich abgegeben habe.

(Beifall bei der SPD.)

Nehmen Sie doch bitte folgendes Beispiel! Sie wissen alle, was das Ausbildungsförderungsgesetz, wenn es vollendet auf dem Tisch liegt, kostet. Wir haben uns einmal bei der Besprechung der mittelfristigen Finanzplanung darüber sehr eingehend unterhalten. Auch Herr Kollege Strauß hat den hohen gesellschaftspolitischen Wert dieser Gesetzesarbeit anerkannt und unterstrichen. Wir waren übereinstimmend der Meinung: das läßt sich in den kommenden Jahren in den gewünschten Größenordnungen nicht realisieren. Aber wir waren auch der Meinung: wir müssen ein deutliches Zeichen setzen, um klarzumachen, daß wir diese Modernisierung der Ausbildungsförderung ernst nehmen.



Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Wir haben angefangen, bescheiden angefangen. Das Gesetz tritt erst am 1. Juli 1970 mit einer Ausgabe von 200 Millionen in Kraft, wird dann im Jahre 1971 400 Mililonen Ausgaben, 1972 500 Millionen Ausgaben erfordern, steht also in gar keiner Relation zu dem wirklichen Ausgabevolumen dieser Ausbildungsförderung, wenn sie einmal so gestaltet wird, wie das nach den modernen, zukunftsweisenden Absichten derer geschehen muß, die von der Sache etwas verstehen. Wir haben hier also ein Ausrufungszeichen gesetzt mit der Modernisierung des Gesetzes. Wir fangen mit 200 Millionen im Jahr bzw. 400 Millionen im Jahre 1971 an, um zu zeigen, daß die damalige Bundesregierung diese gesellschaftspolitische Forderung durchaus ernst nahm und vor der Öffentlichkeit klarstellen wollte, daß auch die Öffentlichkeit davon zustimmend Kenntnis zu nehmen hat.
Das gleiche wird für andere Gebiete gelten. Ich habe bei der Vertretung des Finanzplans der SPD in der Pressekonferenz auf Fragen ausdrücklich erklärt, ich sei nicht in der Lage, beispielsweise unsere Vorstellung im SPD-Regierungsprogramm hinsichtlich der Hausfrauenrente finanziell abzudecken; das koste 900 Millionen Mark, und die stünden für dieses Finanzprogramm noch nicht zur Verfügung. Das hindert aber nicht, eine solche klare Absichtserklärung auszusprechen, damit jeder weiß, wohin der Kurs geht.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Das hätten Sie im Wahlkampf auch wissen müssen!)

— Das war am 6. oder 7. August, also am Anfang des eigentlichen Wahlkampfes. Sie können nachlesen, daß das von der Presse, Herr Kollege MüllerHermann, auch gewürdigt worden ist, daß ich den Mut gehabt habe, solche Tatsachen auszusprechen.

(Beifall bei der SPD.)

Meine Kollegin und meine Kollegen im Kabinett haben gewürdigt, daß es sich bei unserer Arbeit um eine Finanzpolitik und eine Finanzwirtschaft der Solidität handeln muß. Meine Damen und Herren, daß ich nicht von einer solchen Linie, die ich jahrelang im Bundestag und überall vertreten habe, in einem Regierungsamt abgehe, nehmen Sie mir doch bitte ab!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Vielleicht brauche ich manchmal auch die Hilfe der CDU/CSU-Kollegen, selbst wenn diese Hilfe nur darin besteht, daß Sie diesem meinem Standpunkt und dem Versuch, ihn zu realisieren und aufrechtzuerhalten, Verständnis entgegenbringen. Um dieses Verständnis möchte ich bitten und werben.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Strauß hat gesagt: Wir haben das moderne Deutschland geschaffen, vor dessen Ausbau wir stehen. Ich würde zu dieser Bemerkung, Herr Kollege Strauß, nichts gesagt haben, wenn nicht auch aus den weiteren Passagen hervorgehen würde, daß Sie mit diesem „wir" in erster Linie die CDU/CSU gemeint haben. Sie haben später ja dann auch von „Ihren Mehrheiten" gesprochen. Ich glaube, Herr Kollege Strauß, wir sollten uns darüber einig sein, daß das, was von 1945 bis in das Jahr 1949 geschehen ist, eine großartige Gemeinschaftsleistung des gesamten deutschen Volkes war.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU. — Abg. Dr. h. c. Strauß: Das habe ich ja ausdrücklich gesagt!)

Vergessen Sie in diesem Zusammenhang bitte nicht, daß auch die Ordnung in der Verwaltung auf die Arbeit in den Ländern, in der gemeinsamen Wirtschaftsverwaltung in den beiden Zonen zurückzuführen ist.

(Abg. Dr. Barzel: Das hat er doch alles gesagt!)

Ich wollte noch einmal ausdrücklich feststellen, daß darüber keine Meinungsverschiedenheit bestehen kann. Dabei will niemand die Leistungen herabwürdigen oder nicht voll anerkennen, die auf das Konto des damaligen Bundeskanzlers Adenauer gehen oder auf die damalige Wirtschaftspolitik des Bundeswirtschaftsministers Prof. Dr. Erhard zurückzuführen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich habe das immer und bei jeder Gelegenheit gesagt. Das weiß Herr Prof. Erhard. Als sich Herr Prof. Erhard 1960-1961 in einer schwierigen Situation hinsichtlich seiner Aufwertungsvorstellungen befand, habe ich ihn zu jener Zeit in Artikeln und in Rundfunkinterviews unterstützt. Das ist nachlesbar. Ich mußte bedauern, daß der damalige Bundeskanzler nicht auf seinen sachkundigen Wirtschaftsminister gehört hat. Das scheint das Schicksal von Wirtschaftsministern in manchen Situationen zu sein,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

ist aber für die Wirtschaft doch höchst bedauerlich. Sehr verehrter Herr Kollege Erhard, Sie werden sicherlich auch sagen: Hätte man damals meinem Rat früher Folge geleistet, hätte man eher auf mich gehört, wäre manches glatter und einfacher gegangen.

(Zuruf des Abg. Stücklen.)

Herr Kollege Strauß, es hat natürlich auch in der damaligen Politik der ersten Deutschen Bundestage Alternativen und Meinungsverschiedenheiten gegeben. Ich will nicht auf die Einzelheiten, z. B. auf das Schicksal der EVG, eingehen. Wie heftig der Streit damals war, wissen alle, die beteiligt gewesen sind. Aber es ist doch so, daß dadurch, daß die Mehrheit auf bestimmmten politischen Gebieten ihre Auffassung durchgesetzt hat, Tatsachen und Fakten geschaffen wurden und daß jede neue Regierung von den so geschaffenen Tatsachen und Fakten ausgehen muß. Sie kann doch nicht plötzlich all das auflösen, was von 1949 ab geschehen ist, sondern sie hat sich mit den durch die damaligen Mehrheiten entstandenen politischen und wirtschaftlichen Tatbeständen abzufinden und hat auf dieser Grundlage aufzubauen und die Politik weiterzuentwickeln.
Sie sagten, wenn diese neue Bundesregierung ihre Zeit „erfüllet hat" — ich fand die Formulierung „erfüllet hat" ganz beachtlich —, wird auch sie Versäumnisse hinterlassen. Das wird von uns nicht bestritten. Wenn wir in den vergangenen .Jahren Ver-



Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
säumnisse und Fehler der jeweiligen Regierung angekreidet haben, so ist es natürlich richtig und notwendig, daß auch die jetzige Opposition dasselbe tut. Daß sie das tut, hat der Verlauf des gestrigen Tages bewiesen und wird auch der Verlauf des heutigen Tages erweisen. Vielleicht werden Sie aber enttäuscht darüber sein, wenn ich hinzufüge, daß ich mich in allen wichtigen Fragen früh genug auch bei der Opposition abzusichern wünsche, d. h. ich werde mich jeweils hei Ihnen anmelden, so wie ich mich für die kommende Woche bereits bei der CDU/CSU-Fraktion angemeldet habe, um Ihnen die Lage in meinem Haus und das, was im Hinblick auf Gesetzesvorlagen beabsichtigt ist, darzustellen. Ich wollte Ihnen dann auch den Arbeitsplan mitbringen mit einer graphischen Darstellung

(Beifall)

über die Verabschiedung des Haushaltsplangesetzentwurfes, wie er bisher beabsichtigt war und wie er nach meiner Meinung unter den jetzigen Umständen verabschiedet werden könnte. Das gleiche gilt für die mittelfristige Finanzplanung. Ich möchte Sie also ebenso wie die Regierungskoalition früh genug und in persönlichen Gesprächen verständigen, damit keine Mißverständnisse aufkommen. Ich bitte, von dieser Erklärung Kenntnis zu nehmen.

(Beifall.)

Meine Damen und Herren, es ist notwendig, daß ich auch ein paar Bemerkungen aus meiner Sicht zur Frage der Aufwertung mache. Herr Kollege Strauß, das kann es nicht geben, daß nach den Ereignissen, die mit dem 9. Mai zusammenhängen, Preise her-aufgeschwätzt werden können.

(Beifall bei der SPD. Zurufe von der CDU/CSU: Doch!)

— Nein! Daß eine gewisse psychologische Stimmung entstehen kann, gilt für beide Seiten, wobei ich Ihnen nur ein Beispiel nennen möchte: Sehen Sie sich die Entwicklung der Preise bei Baustahl an, und Sie werden zugeben müssen, daß niemand hier in der Bundesrepublik Deutschland eben diese Baustahlpreise um 300 % heraufgeschwätzt hat mit all den Konsequenzen, die sich für Bauten von privater Seite und der öffentlichen Hand im Lande ergeben haben.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0600701800
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Leicht?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0600701900
Bitte sehr!
Leicht CDU/CSU): Herr Bundesfinanzminister, ist Ihnen die Aussage von Herrn Bundeswirtschaftsminister Schiller bekannt, die er im März gemacht hat, daß man sich hüten sollte, die Preise hochzureden?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0600702000
Herr Kollege Leicht, diese Bemerkung des Herrn Professor Schiller ist mir selbstverständlich bekannt, wie mir auch bekannt ist, was am 28. April 1969 Herr Kollege Strauß gesagt hat und was in diesem Zusammenhang nun bezüglich der Aufwertung an Feststellungen getroffen wurde.

(Abg. Dr. h. c. Strauß meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Ich meine aber, darum handele es sich doch wirklich nicht. Wir sollten vielmehr die Tatbestände, so wie sie sind, zur Kenntnis nehmen. — Entschuldigen Sie bitte, Herr Kollege Strauß! — Wenn Sie sich einmal die „Bild"-Zeitung vom 18. Oktober ansehen - der Chefredakteur steht Ihnen, Herr Strauß, ja näher als mir —, so heißt es da: Fast alles wird teurer. Und dann werden die ganzen Positionen aufgezählt. Das ist doch sicherlich nicht unser Werk, das Werk der neuen Bundesregierung, sondern das sind die Zwangsläufigkeiten, die sich nach meiner Meinung aus der fehlenden außenwirtschaftlichen Absicherung ergaben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0600702100
Herr Abgeordneter Strauß zu einer Zwischenfrage.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600702200
Herr Bundesfinanzminister, da ich Sie immer wie auch heute sehr ernst nehme, frage ich Sie

(Zurufe von der SPD) — das war nie anders —,


(Erneute Zurufe von der SPD. - Gegenrufe von der CDU/CSU)

ob Sie der Meinung sind, daß eine angebliche Preiserhöhung von 300 % beim Baustahl — die Verhältnisse liegen viel differenzierter, und vielleicht sind sie Ihnen unbekannt — mit einer Aufwertung von 6,25 % hätte verhindert werden können.

(Zurufe von der CDU/CSU: Minus 4!)


Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0600702300
Herr Kollege Strauß, Sie wissen, daß ich mich gerade mit Ihrem Wort beschäftigt habe, die Preise seien hochgeschwätzt worden. Ich wollte an diesem Beispiel nachweisen, daß das nun ganz bestimmt partiell für wichtige Gebiete nicht gilt.

(Zuruf des Abg. Dr. h. c. Strauß.)

Nun lassen Sie mich bitte etwas Grundsätzliches sagen, sonst würde mir der Vorwurf gemacht, ich hätte in dieser Situation meine Meinung zur Aufwertung in diesem Hohen Hause nicht vorgetragen. Ich müßte sie dann dem Hohen Hause über die Presse zur Kenntnis bringen, und das würde mir mit Recht vom Herrn Kollegen Barzel verübelt.
Die Aufwertung war nach meiner Meinung der erste notwendige Schritt zur Preisstabilisierung. Nachdem die Preis- und Lohnentwicklung der letzten Monate nun wirklich auf die Blockierung dieser Maßnahme durch die Mehrheit des früheren Kabinetts zurückzuführen ist, können die eingetretenen Konsequenzen solcher Fehlentscheidungen nicht mit



Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
einem Schlage, sondern nur schrittweise überwunden werden.
Es gibt selbstverständlich auch klare Folgewirkungen, z. B. die Erkenntnis der Sparer, daß die neue Bundesregierung nicht tatenlos zusieht, wenn angespartes Vermögen in einen Inflationierungsprozeß gerät.

(Beifall bei der SPD.)

Wir sollten nicht unterschätzen, was es bedeutet, dieses Vertrauen der Sparer zu erhalten oder, soweit es teilweise verloren gegangen ist, wiederzugewinnen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Es ist nicht verloren gegangen!)

Wir sollten es nicht unterschätzen, sowohl staatspolitisch wie auch wirtschaftspolitisch, wie auch hinsichtlich unserer Zielsetzungen, die die Vermögensbildung betreffen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Kreise der Industrie stellen immer wieder eine Exportgefährdung weit in den Vordergrund, obwohl wir alle auch wissen, daß die Exportpreise in den letzten Monaten besonders stark gestiegen sind, gegenüber September 1968 um nicht weniger als 7,5 v. H. Im übrigen muß man von den 8,5 v. H. 4 v. H. abziehen, weil die steuerliche Erschwerung des Exports entfällt. Es bleiben 4,5 v. H., die sich um die zuletzt enorm hohen Kurssicherungskosten verringern. Was dann noch verbleibt, ist nach meiner Meinung nicht so gravierend, daß die Aufwertung den Export als Ganzes zurückwerfen wird. Gewisse punktuelle Schwierigkeiten sind möglich, aber nach meiner Meinung behebbar.
Dem Hinweis, der Export werde nicht weiter so wachsen wie bisher, kann ich nur die Antwort gegenüberstellen: das ist nun tatsächlich der beabsichtigte Effekt. Gerade als bedeutende Außenhandelsnation sind wir wegen der Notwendigkeit eines funktionsfähigen Welthandels bei unseren ungewöhnlich hohen außenwirtschaftlichen Überschüssen — und das nun schon im dritten Jahr — an einem sich normalisierenden Exportzuwachs einschließlich verstärkter Einfuhren interessiert. Außerdem, was für alle Teile der Wirtschaft gilt, gilt auch für den Export, der zugegebenermaßen eine bedeutende Rolle für die industrielle Weiterentwicklung der Bundesrepublik spielt. Auch er muß sich in die gesamtwirtschaftlichen Überlegungen organisch einordnen.
Meine Damen und Herren, es ist dann auch im Zusammenhang mit dem Ausgleich des Einkommensverlusts bei der Landwirtschaft von Herrn Kollegen Strauß die Lösung über die Mehrwertsteuer beanstandet worden. Ich kann seine grundsätzlichen Bedenken in diesem Punkt durchaus verstehen. Ich habe den Standpunkt eingenommen, daß es besser wäre, über einen Grenzausgleich den Einkommensverlust abzudecken oder eine andere Möglichkeit ins Auge zu fassen, nämlich die Subventionierung über den Bundeshaushalt, das also offen und klar ohne Manipulation bei der Mehrwertsteuer auszuweisen. Ich habe meine großen Bedenken. Die sind
auch von Herrn Kollegen Schiller, dem Bundeswirtschaftsminister, geteilt worden. Man hat in Luxemburg zunächst den Versuch gemacht, über den Grenzausgleich zu einer Lösung zu kommen. Die andere vorgetragene Lösung ist rundheraus abgelehnt worden. Wir sind dann auf diese beiden Alternativen, die mit der Mehrwertsteuer zusammenhängen, angewiesen. Ich weise auch darauf hin, daß ich von vornherein Zweifel angemeldet habe, ob es möglich ist, diese Novellierung der in Frage kommenden Gesetze in der vom EWG-Ministerrat vorgesehenen Sechswochenfrist durchzuführen; denn wir brauchen dazu nicht nur den Bundestag, sondern auch den Bundesrat. Das alles ist bekannt.
Aber, Herr Kollege Strauß, auch Sie haben bei Ihrer Amtsführung kennengelernt, daß nicht überall das gewünschte Echo zu hören ist, wenn Sie einen Standpunkt eingenommen haben. Ich glaube, auch ich muß mich mit dieser Tatsache allmählich abfinden. Wir haben den europäischen Ausrichtungsfonds inzwischen bereits plafondiert. Aber jetzt steht die Plafondierung des europäischen Garantiefonds innerhalb der Agrarwirtschaft zur Diskussion. Ich meine, da bedarf es großer Anstrengungen, um zu einer auch für die Bundesrepublik vertretbaren Lösung zu kommen. Die Erwägungen der beiden Kollegen Schiller und Ertl, die in Luxemburg waren, gingen dahin, es bei dieser Gelegenheit zu einer für uns wirklich vertretbaren Neuordnung einschließlich der Plafondierung kommen zu lassen, statt bei der Aufwertung jetzt schon entscheidende Schritte zu tun, die Komplikationen hervorgerufen hätten. Aber daß wir in den nächsten Monaten die Frage der Agrarfinanzierung in der EWG auch unter Berücksichtigung der Interessen der Bundesrepublik Deutschland vernünftig zu lösen haben — dabei handelt es sich nicht nur um die Interessen der Landwirtschaft, sondern um unsere Interessen als Bundesrepublik —, daß wir das nur in einem bestimmten Rahmen machen können und daß die Mittel, die wir hier zur Verfügung stellen, plafondiert zu sein haben, damit das nicht ins Unendliche wächst, darüber sind wir uns in diesem Hohen Hause sicherlich einig.
Es darf unter gar keinen Umständen Praxis werden, daß die EWG Agrarfinanzierung etwa auf Kosten der notwendigen nationalen strukturpolitischen Maßnahmen für die Landwirtschaft erfolgt. Wir dürfen die Interessen der Landwirtschaft national mit all den Vorhaben, die, wie ich feststellen möchte, von der früheren Bundesregierung in einem besonderen Programm entwickelt worden sind, nicht vernachlässigen. Es müßte auch im Interesse der EWG liegen, daß wir zu einem weiteren fortschrittlichen Gesundungsprozeß in der deutschen Landwirtschaft kommen.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Nun darf ich vielleicht zu meiner Entlastung und zur Entlastung meiner Kollegen, Herr Kollege Strauß, darauf aufmerksam machen, daß die Idee mit der Mehrwertsteuer nicht von uns stammt. Wir wollen ja immer die Urheberrechte angeben, das ist inzwischen vielleicht eine stille Vereinbarung geworden.



Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Sie wissen — und auch Herr Kollege Leicht daß
die Urheberschaft beim Landwirtschaftsministerium liegt.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Dazu hat der verehrte Kollege Herr Bundesernährungsminister a. D. Hermann Höcherl im ,,Mittagsmagazin" des Westdeutschen Rundfunks, bekanntgegeben am 16. Oktober im Rundfunk- und Fernsehdienst, folgendes ausgeführt:
Wir haben vorgeschlagen, die Differenz zwischen dem heutigen Paritätsstand und dem neuen Paritätsstand der Umsatzsteuer, also der heutigen Mehrwertsteuer, zuzuschlagen.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Damit hat sich natürlich mein Kollege Ertl ebenso auseinandersetzen müssen wie Herr Kollege Schiller. Mir wäre es lieb gewesen, wenn wir hier nicht an die Vorstellungen des Landwirtschaftsministeriums hätten anknüpfen müssen, sondern wenn wir eine andere Lösung vorgenommen hätten, als sie tatsächlich eingetreten ist. Ich wollte das nur zur Abrundung des Bildes sagen, damit kein Mißverständnis entsteht. Es besteht in diesen Auffassungen ein Zusammenhang zwischen dem jetzigen Landwirtschaftsministerund seinem verehrten Vorgänger.
Nun, meine Damen und Herren, noch eine Bemerkung zu den Wertberichtigungen, die bei der Bundesbank wegen des entstehenden Bilanzverlustes notwendig sind. Lassen Sie mich dazu einmal ganz deutlich meinen Standpunkt sagen. Er ist allerdings nicht so deutlich wie der des Herrn Kollegen Strauß im Schreiben vom 8. Mai 1969 an den Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Blessing. Ich will das Schreiben hier nicht verlesen. Das ist zunächst einmal der Ausgangspunkt der weiteren Verhandlungen; denn das Kabinett hat beschlossen, daß Bundesfinanzministerium und Bundesbank sich über diese Wertberichtigungen wegen des entstehenden Bilanzverlustes unterhalten sollten und einen Vorschlag zu unterbreiten haben. Aber nach meiner Meinung sind Verluste aus Paritätsänderungen eben nicht einzelwirtschaftlicher Natur. Sie sind im Grunde genommen keine Verluste der Deutschen Bundesbank, sondern der gesamten deutschen Volkswirtschaft, sofern man bei volkswirtschaftlich erwünschter D-MarkAufwertung überhaupt von volkswirtschaftlichen Verlusten sprechen kann. Daher wird zur Zeit im Finanzministerium geprüft, ob ein solcher theoretischer Buchverlust nicht dadurch ausgeglichen werden kann, daß er auf der Aktivseite der Bundesbankbilanz lediglich auf einem neu einzurichtenden volkswirtschaftlichen Ausgleichskonto, das als Devisenausgleichskonto bezeichnet werden könnte, verbucht wird, ohne daß dadurch eine Forderung gegen den Bund entsteht.

(Sehr gut! bei der FDP.)

Ich darf also bitten, einmal abzuwarten, wie diese Verhandlungen mit der Bundesbank verlaufen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Manipulation!)

und darf dann auf diesen Vorgang notfalls in diesem Hohen Haus zurückkommen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0600702400
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Althammer?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0600702500
Bitte!

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0600702600
Herr Minister, ist Ihnen nicht bekannt, daß Ihr Kollege Schiller gestern abend hier im Hause erklärt hat, ein Teil werde nach seiner Meinung auf jeden Fall vom Bundeshaushalt übernommen, und ist Ihnen auch nicht bekannt, daß in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am letzten Montag ein ausführlicher Artikel stand, in dem genau ausgeführt ist, daß, wie immer Sie die Verbuchung vornehmen, dieser Verlust letztlich vom deutschen Volk, vom Steuerzahler zu tragen ist.

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0600702700
Ja; das wäre aber dann nicht der Fall, wenn man verführe, wie Herr Kollege Strauß in seinem Brief vom 8. Mai 1969 festgestellt hat, oder wenn es möglich wäre, auf der Basis des von mir hier vorgetragenen Vorschlags eine Verständigung mit der Bundesbank zu erreichen. Auf alle Fälle sind wir doch zunächst einmal interessiert, auf dieser Basis zu verhandeln, und ich bitte in unser aller Interesse, unsere Position gegenüber der Bundesbank nicht zu erschweren.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0600702800
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Strauß?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0600702900
Bitte!

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600703000
Darf ich Ihre Ausführungen, Herr Bundesfinanzminister, so verstehen, daß Sie darauf dringen werden und die sichere Erwartung haben, daß die Bundesbank, nachdem der Aufwertungsverlust des Jahres 1961 im Jahre 1968 endlich getilgt war, auch im Jahre 1970 und in den folgenden Jahren weiterhin 350 Millionen, 400 Millionen DM Gewinn an den Bundeshaushalt abführen wird?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0600703100
Daß das für mich das Beste und Angenehmste wäre, unterliegt keinem Zweifel; und das wäre auf der Basis des von mir gemachten Vorschlags, der einfach zu der bekannten „ewigen Schuld" führen würde, erreichbar. Daß ich das versuchen muß, Herr Kollege Strauß, ist doch, meine ich, einfach meine Pflicht. Wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister gestern in der Debatte über andere Lösungen gesprochen hat, dann deswegen, weil er schon selber einmal in einem anderen Stadium eine solche Anregung ohne entsprechende Reaktion gegeben hat. Aber nach meiner Meinung kann ich auf einen solchen Versuch wegen der Bedeutung der Frage nicht verzichten. Denn wir sind uns sicher einig: ob wir das mit Rückstellungen und



Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Auflösung der Rückstellungen machen oder nicht und dadurch eine entsprechende nach außen erkennbare Entlastung erhalten — in Wirklichkeit kommt die ganze Schuld auf den Bundeshaushalt zu,

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

wenn nicht mein Vorschlag zu realisieren ist. Deswegen wäre ich dankbar, wenn wir das hier nicht negativ behandelten. Denn wir müssen nach § 27 des Bundesbankgesetzes hinnehmen, daß die Rückstellungen wieder aufgefüllt werden. In dem Umfang, in dem sie aufgefüllt werden, entstehen keine Gewinne, die für den Bundeshaushalt interessant wären. Da würde eben folgendes eintreten — wie Sie richtig sagen —: es fehlt diese Gewinnzuweisung, und es fehlt dann der Betrag, über den wir hätten verfügen können.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Ich habe Ihnen ja gut vorgearbeitet!)

Ich habe mich auch bedankt.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0600703200
Herr Bundesminister, gestatten Sie nun eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haase?

Lothar Haase (CDU):
Rede ID: ID0600703300
Herr Bundesfinanzminister, darf ich Sie also dahingehend verstehen, daß die Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers vom vergangenen Sonntagabend im Deutschen Fernsehen, die Währungsverluste der Deutschen Bundesbank würden den deutschen Steuerzahler nicht berühren, unzutreffend sind?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0600703400
Nein, das können Sie so nicht verstehen. Wie es zu verstehen ist, habe ich soeben in dem Dialog zwischen Herrn Kollegen Strauß und mir festgestellt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Vielleicht ist Herr Kollege Strauß so freundlich, Ihnen gegenüber privat, weitere Informationen vorzunehmen.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zum Schluß, noch auf die Risiken einzugehen, die nun auf den Bundeshaushalt bzw. auf die Finanzplanung zukommen. Herr Kollege Strauß, ich bin Ihnen sehr dankbar für die Pressekonferenz, die Sie am 17. Oktober abgehalten haben, und das Papier, das da herausgegeben worden ist. Es sind die „Finanznachrichten" Nr. 149. Ich werde sie jedenfalls immer — für einige Monate jedenfalls — in meiner Rocktasche tragen, um darauf zurückkommen zu können. Sie haben mir damit eine wertvolle Hilfe gegeben. Ich weiß nicht, ob es Ihre erklärte Absicht war, aber ich möchte mich für diese Hilfe ausdrücklich bedanken.
Auf Seite 7 der „Finanznachrichten" haben Sie die Risiken gegenüber der alten Finanzplanung für das Rechnungsjahr 1.970 angegeben und festgestellt, daß
sich diese zwangsläufigen Mehrausgaben auf Grund bereits getroffener Entscheidungen, durch die auch die jetzige Bundesregierung gebunden ist, auf die von Ihnen angeführten Gebiete beziehen. Sie haben dabei für 1970 eine Gesamtmehrbelastung mit einem Betrag von 1,9 Milliarden DM errechnet. Sie haben ausdrücklich hervorgehoben: Das ist auf alte Verpflichtungen oder Beschlüsse zurückzuführen. Das gilt auch für zusätzliche Risiken, die Sie auf Seite 8 erwähnen: z. B. im Sozialbereich, bei der Kriegsopferversorgung und beim Kindergeld. Da haben Sie Zahlen genannt, die ich aus, naheliegenden Gründen hier nicht zu wiederholen brauche.
Keine Zahlen haben Sie genannt bei Vermögensbildung, Bildungswesen, Landwirtschaft usw. Daraus geht hervor, daß auch Sie sich damals, am 17. Oktober, in einem Zustand befanden, der es Ihnen noch nicht gestattete, für alle Bereiche die letzten gültigen Zahlen zu ermitteln. Ich will hierauf eingehen.
Für die Landwirtschaft haben Sie z. B. erklärt: Betragsmäßig bestehen im Landwirtschaftsbereich erheblich Risiken, und zwar vor allen Dingen im Hinblick auf das auslaufende EWG-Anpassungsgesetz. Ich habe inzwischen festgestellt, daß beispielsweise bei den strukturpolitischen Maßnahmen gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung für 1970 vom Landwirtschaftsministerium ein zusätzlicher Mindestbedarf von 533 Millionen DM angenommen wird, um den Anschluß an 1969 zu sichern. Das ist eine Vorstellung, die ich von mir aus nicht ablehnen kann, sondern die ich im Prinzip und aus der Grundhaltung gegenüber dem Landwirtschaftsprogramm als berechtigt anzusehen habe. Dann ist auf Grund der Nachforderungen, die sich aus neuen Marktordnungen ergeben, ein Betrag von 1 161 Millionen DM entstanden. Das ist allein für den Sektor Landwirtschaft eine Mehrbelastung von auch rund 1,7 Milliarden 'DM nur für den Haushalt 1970.
Nun müssen wir darangehen, die neuen Erkenntnisse zu verwerten, um einen Haushaltsplanentwurf für das Jahr 1970 herzustellen, der auf diesen Erkenntnissen basiert. Dann müssen wir beginnen, mit dem Einbau dieses Haushalts in das erste Jahr der mittelfristigen Finanzplanung den Finanzplan zu erstellen. Jeder wird mir zugeben müssen, daß das einige Zeit erfordert, wenn man diese Arbeit mit der notwendigen Gründlichkeit und Sorgfalt vornehmen will. Daran sind wir doch alle interessiert, insbesondere ich; denn ich möchte für die dann erarbeiteten und vorzulegenden Zahlen im Hohen Hause und überall dort, wo es erwünscht ist, auch geradestehen können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen ein letztes Beispiel dafür nennen, wie kompliziert es ist und warum ich Sie bitten muß, mir eine gewisse Toleranzfrist einzuräumen. Das gilt hier nicht nur allgemein, sondern selbstverständlich auch für bestimmte Vorstellungen, die im Regierungsprogramm enthalten sind und die ich Sie so zu bewerten bitte, wie ich das an dem Beispiel des Ausbildungsförderungsgesetzes darzustellen versucht habe.



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Meine Damen und Herren, was Sie bei Beginn einer solchen sorgfältigen Arbeit entdecken, ist beachtlich. Ich führe als Beispiel die Investitionssteuer an. Da ist nach Schätzungen im Bundesfinanzministerium, aber auch nach Schätzungen des Ifo-Institutes München — man hat sich richtigerweise dieses Institutes bedient — ein Aufkommen an Investitionssteuer im Jahre 1969 von 4,9 Milliarden DM veranschlagt worden. Nach den jetzigen Feststellungen der zuständigen Abteilung des Bundesfinanzministeriums kommen nicht 4,9 Milliarden DM herein, sondern nur 2,1 Milliarden; das sind 2,8 Milliarden DM in einem Jahr, im Jahre 1969, weniger. Was das auch für die weitere Entwicklung bedeutet, ist klar.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

— Ich würde sie nicht leicht nehmen, Herr Kollege.

(Erneuter Zuruf von der CDU/CSU.)

— Ja, das kommt in den nächsten Jahren sowieso, aber jetzt handelt es sich um das Jahr 1969. Da sind — bitte, sehen Sie es nach — 4,9 Milliarden DM veranschlagt worden, und jetzt wird in der zuständigen Abteilung meines Hauses gerechnet: es werden etwa 2,1 Milliarden DM sein.
Ich habe mich also zunächst einmal damit abzufinden, daß diese 2,9 Milliarden DM 1969 fehlen. Aber ich finde mich nicht so damit ab, daß ich das einfach zur Kenntnis nehme und nun weiß, daß sich diese Steuereinnahmen auch in den anderen noch in Frage kommenden Jahren entsprechend geringer entwickeln wird, wobei wir dann noch von geringeren Prozentzahlen ausgehen müssen, sondern ich meine, meine Damen und Herren, daß es meine Pflicht ist, zu untersuchen: wie ist es denn zu diesem Minus von 2,8 Milliarden DM gekommen? Wenn ich 4,9 Milliarden DM schätze, die an Investitionssteuern einkommen, dann ist es für mich gerade für ein solches Jahr wie für das Jahr 1969 zur Zeit unerfindbar, daß man nun mit einem Steuereingang von nur 2,1 Milliarden DM rechnen kann. Dem muß nach meiner Meinung genau nachgegangen werden, und darüber müssen wir dem Hohen Hause berichten, weil dieser Vorgang zu ganz erheblichen Verschiebungen in der Haushaltsgestaltung und in der mittelfristigen Finanzplanung führt.

(Zustimmung des Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal]. — Abg. Leicht: Was wäre aber geschehen, wenn wir die Investitionssteuer nach Schiller noch um 3 % gesenkt hätten?)

— Das will ich gar nicht untersuchen. Mir genügt dieser Brocken schon, Herr Kollege Leicht.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, ich darf zum Schluß kommen. Ich habe nicht alle Punkte erörtern können, die zu erörtern ich mir vorgenommen hatte, weil es notwendig war, auf die Ausführungen meines Herrn Amtsvorgängers, des Herrn Kollegen Strauß, einzugehen, Das, was ich an dem betreffenden Donnerstagnachmittag gesagt habe, möchte ich hier wiederholen. Ich würde mir sehr wünschen, in der kommenden schweren Arbeit insbesondere mit der Unterstützung der Amtsvorgänger rechnen zu
können, die hier noch politisch-parlamentarisch tätig sind, der Herren Kollegen Strauß und Starke. Ich jedenfalls würde mich gern ihres sachverständigen Rates in der Zukunft bedienen. Und ich bitte das ganze Hohe Haus, davon überzeugt zu sein, daß es mir wirklich ernst ist, wenn ich mich in nächster Zeit bemühen werde, die Solidität unserer Finanzpolitik nicht in Zweifel kommen zu lassen. Ich will mich um eine solide öffentliche Finanzwirtschaft bemühen, die im Dienste der Erfüllung gesellschaftspolitischer Aufgaben steht, aber unter Berücksichtigung aller Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Ich hoffe, daß es mir möglich ist, im Kabinett und hier im Hohen Hause Anhänger für diese von mir beabsichtigte Finanzpolitik zu finden. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0600703500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kienbaum. Für ihn hat die Fraktion der FDP 30 Minuten Redezeit beantragt.

Gerhard Kienbaum (FDP):
Rede ID: ID0600703600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich bin Neuling in diesem Hohen Hause, und Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich nicht in die aus der Vergangenheit in die bisherige Diskussion eingeflossenen Konfliktstoffe einzusteigen gedenke. Ich möchte mich vielmehr ausschließlich auf vor uns liegende und zu lösende Probleme im ökonomischen Bereich beschränken.
Die vorrangige Aufgabe im Bereich der Wirtschaftspolitik heute und morgen stellt sich mir mit der Wiederherstellung des Gleichgewichts von Angebot und Nachfrage; denn zur Zeit ist die Diskrepanz bei Gütern und Leistungen und, was mir noch einschneidender zu sein scheint, beim Produktionsfaktor Arbeit das Kennzeichen. Von dieser Diskrepanz her kommt nämlich die permanente Gefahr des Preisauftriebs, mit der wir uns sicher auch noch morgen und übermorgen zu beschäftigen haben.
Die Aufgabe der Wiederherstellung des Ausgleichs bei Angebot und Nachfrage gewinnt aber noch deshalb an Gewicht, weil wir alle weiteres Wachstum benötigen. Die Regierung hat aufgewertet. Wir dürfen von dieser Aufwertung einen Teilabbau der Exportübernachfrage und zugleich eine Belebung des Wettbewerbs auf Grund verschärfter Konkurrenz draußen erwarten. Herr Kollege Strauß, ich glaube, wir werden darin übereinstimmen, daß wir dies erwarten dürfen, nämlich den Teilabbau der Exportübernachfrage und zugleich eine Belebung des Wettbewerbs drinnen auf Grund der Verschärfung der Konkurrenz draußen. Das, scheint mir, ist als Ergebnis dieser Maßnahme zu begrüßen. Die exportierenden Unternehmen in der Wirtschaft stellen sich nämlich sowohl in ihrer Aktivität draußen als auch bei ihren Maßnahmen drinnen auf diese Wirkung ein.
Nun meine ich allerdings, daß idas, was wir auf Grund der Aufwertung erwarten dürfen, nicht aus-



Kienbaum
reichen wird. Wir kommen mit dieser Maßnahme allein nicht aus. Denn das Personaldefizit und die der Stabilität daraus erwachsenden Gefahren drohen innerhalb Deutschlands zur chronischen Krankheit zu werden. Das Personaldefizit beeinträchtigt insonderheit die wachsenden Sektoren unserer Wirtschaft. Es bedroht auf Dauer unsere Wettbewerbsfähigkeit auch draußen in der Welt.
Hier ist die Frage zu stellen, und die Freien Demokraten stellen sie angesichts einer neuen Arbeitsperiode: Bietet die Begrenzung beispielsweise der Nachfrage durch öffentliche Ausgabenminderung eine echte Chance? Sie bietet eine Chance, natürlich, aber doch nur zeitlich begrenzt. Eine Dauerchance haben wir nicht zu erwarten. Eine Analyse allein der dringenden Aufgaben zeigt es sowohl bei der Konsumnachfrage, in der Altersversorgung, der Krankenversorgung, der Kriegsopferversorgung, aber auch bei den Personal- und Sachkosten in Schule, Hochschule, Erwachsenenbildung und nicht zuletzt in Forschung und Entwicklung. Diese Konsumnachfrage läßt sich auf Dauer ohne Schaden nicht begrenzen, ebensowenig die Investitionsnachfrage im öffentlichen Bereich, wiederum im Bereich der Schulen und Hochschulen, bei den Verkehrswegen, den Kommunikations-Investitionen, den Krankenhäusern und den Sportanlagen.
Die Summe dieser Nachfragekomponenten läßt sich allenfalls — und das werden wir immer wieder neu entscheiden müssen — zeitlich steuern. Wir können extreme Spitzen vermeiden, wegdrükken können wir diese Nachfrage nicht. Deshalb sollten wir unsere Anstrengungen auf eine dauerhaftere Chance konzentrieren. Sie liegt, wie wir glauben, in der Verstärkung und zugleich in der bewußten Bemühung um Aufwandsenkung auf der Angebotsseite. Daher wird von der FDP das in der Regierungserklärung an vielen Stellen in Erscheinung tretende Programm der bewußten Förderung von Änderungen ausdrücklich begrüßt.

(Beifall bei der FDP.)

Hier sehen wir unsere langfristigen Chancen. Wir erwarten eine Senkung des Zeiteinsatzes überall, auch in den Aufgaben der in der Verantwortung der öffentlichen Hand stehenden Institutionen. Wir erwarten zusätzlich aus der Arbeit auf diesem Gebiet die Sprungsteigerung — ich wiederhole: die Sprungsteigerung — der spezifischen Leistung, die uns aus unserem Defizit herausbringen kann.
Allerdings, die Voraussetzung für einen Erfolg ist das Vorhandensein von Reserven. Wer wollte wohl bezweifeln, daß sie vorhanden sind, allerdings auf viele Teilgebiete verteilt, in der privaten Wirtschaft sowohl wie in der öffentlichen Verwaltung? Und weil sie an so vielen Stellen verteilt sind, gerade daher ist diese Aufgabenstellung, diese nach vorne gerichtete Anstrengung so besonders mit hohen Anforderungen gepflastert.
Wirtschaftspolitisch — das sollte deutlich werden als Resümee dieser Regierungserklärung — kann niemand behagliche Ruhe oder etwa bleibenden Ertrag erwarten. Die Regierung und das Parlament
können beides auch nicht versprechen. Das Programm verspricht statt dessen, den Wandel nicht zu behindern, ja den Wandel zu fördern.
Expressis verbis ist das ausgedrückt auf dem Gebiet, auf dem ich vor einigen .Jahren besondere Auseinandersetzungen zu führen hatte, auf dem Gebiet der Energie, des Energieangebots, ja des bewußten Förderns neuer Energieformen. Genauso ist es ausgedrückt im Verkehrsangebot, mit den besseren Problemlösungen, mit der größeren Leistungsfähigkeit, die auf dem Verkehrsmarkt, in den Verkehrsunternehmen und in der Verkehrsinvestition dargelegt worden sind. Ausgedrückt ist es auch in der Erwartung von Forschungsergebnissen und deren Nutzung. Viel neue Technologie ist erforderlich. Hinzu kommt aber auch ein Bedürfnis nach Fortschritt in Managementmethoden. Beides zusammen bietet uns Reserve und Chancen. Ausgedrückt ist es schließlich in der Erklärung, der Rationalisierung auch innerhalb der Regierungsarbeit und der öffentlichen Verwaltung - besonders in der öffentlichen Verwaltung — zum Durchbruch zu verhelfen.

(Beifall bei der FDP.)

Und schließlich ist es ausgesprochen in der Verstärkung der Weiterbildung. Hier kann ich sicher auf erläuternde Feststellungen verzichten.
Lassen Sie mich aber noch mit wenigen Worten zwei große Sektoren skizzieren mit — ich darf es so ausdrücken — fast unerschöpflichen Reserven zur Steigerung des Angebots! Da ist die mittelständische gewerbliche Wirtschaft, die immer noch weit über 50 % der Erwerbstätigen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland repräsentiert. In diesem, in viele tausend Unternehmen der Industrie, des Handels, des Handwerks und der Dienstleistung gegliederten Wirtschaftsbereich ist geradezu Legion die Zahl der Möglichkeiten der Angebotsverstärkung, der Senkung des wirtschaftlichen und des personellen Aufwands.
Noch sind die regionalen Leistungsunterschiede innerhalb der Bundesrepublik Deutschland — um auf ein anderes Gebiet überzugehen —, bezogen auf den einzelnen Einwohner, 5 : 1 und mehr. Wer wollte wohl bezweifeln, daß sich hier Möglichkeiten bieten, eine ganz besondere Reserve zu schöpfen? Das wird sich nur durch regionale Wirtschaftsförderung erfüllen lassen. Sie ist-in Zielsetzung und Methode angesprochen, und wir begrüßen das.
Schließlich: Auch die sektoralen Unterschiede; die Unterschiede der Leistungsfähigkeit der Branchen sollten uns Ansporn sein, die Reserven zu heben. Wertschöpfung, Arbeits- und Kapitalproduktivität sind nicht am Ende der Entwicklung angekommen.
Es sollte allerdings nicht verschwiegen werden, was wichtigstes Instrument für erfolgreiches Bemühen sein muß: der Wettbewerb. Dieser Wettbewerb beschränkt sich inzwischen sicher nicht mehr auf den Wettbewerb um Absatz. Er dehnt sich inzwischen auf den Wettbewerb um den qualifizierten Mitarbeiter und auf den Wettbewerb um Verfügbarkeit von Geldmitteln und — das sollte mit be-



Kienbaum
sonderem Nachdruck erwähnt werden — auf den Wettbewerb um Ideen aus,

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

um Ideen sicher auch in diesem Hohen Hause.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Deshalb begrüßt es meine Fraktion mit besonderer Genugtuung, daß in dieser Regierungserklärung an jedwede protektionistische Bestrebung hier drinnen innerhalb der Bundesrepublik wie draußen eine Absage erteilt wurde.

(Beifall bei der FDP. — Zuruf von der CDU/CSU: Abwarten!)

Der Verbraucher, so scheint mir, muß noch mehr als bisher der frei Wählende und der Bestimmende im Wirtschaftsprozeß sein und bleiben. Nur er — das ist meine Überzeugung — kann der entscheidende Veränderer werden. Alle Anbieter, die Produzenten wie die Verteiler, müssen sich als Problemlöser mit immer neuen Ideen auf ihn ausrichten.

(V o r sitz: Präsident von Hassel.)

Ich darf zusammenfassen: Ich glaube, daß die Reserveausschöpfung durch Veränderung im Wettbewerb um bessere und wirtschaftlichere Lösungen eine Strategie des getrennten, auf vielen Gebieten gleichzeitigen Handelns verlangt, jedoch bei klarer Ausrichtung auf das eine Ziel: die Produktivitätssteigerung. Hier erwartet meine Fraktion eine integrierte Aktivität der gesamten Regierung. Wir sollten allerdings nicht verschweigen, daß wir, um diesem Ziel zu dienen, auch eine Verstärkung unserer Angebotspotentiale — ich wiederhole: eine Verstärkung unserer Angebotspotentiale — an außerdeutschen Standorten erwarten.
Lassen Sie mich abschließend eine Hoffnung äußern: daß neben der faktenorientierten Wirtschaft, die sich bereits auf die neue Situation eingestellt hat, das ganze Haus — ich wiederhole: das ganze Haus — der von mir dargestellten Aufgabe seine nachdrückliche Unterstützung leihen wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien und vereinzelt bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600703700
Das Wort hat der Abgeordnete Höcherl.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0600703800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es hat bereits gestern abend und auch schon heute vormittag agrarpolitische Debattenteile gegeben. Herr Professor Schiller hat auch die Trophäen aus Luxemburg hier bereits vorgezeigt. Wenn es wirkliche Trophäen sind, müssen sie, wie ich meine, zwischen Ertl und Professor Schiller geteilt werden.
Jeder, der die kontroversen Ausgangspositionen der beiden Koalitionsparteien in der Agrarpolitik kennt — und jeder, der die vielen agrarpolitischen Debatten in diesem Hause verfolgt hat, muß sie kennen —, mußte darauf gespannt sein, welchen Nenner, welchen unvermeidlich breiten Nenner die neue Regierungskoalition in dem Kompromiß für die Agrarpolitik finden würde. Ich habe diese Regierungserklärung mit großer Aufmerksamkeit angehört, ohne einen besonderen Lernprozeß für das stillschweigende Anhören, wie es der Herr Bundeskanzler wünscht, durchgemacht zu haben, und zu meiner eigenen Absicherung, ob mir nicht eines der goldenen Worte entgangen sein könnte, habe ich, wie das bei Juristen so üblich ist, den Text auf alle agrarpolitischen Passagen hin nachgelesen. Ich bitte nun zu entschuldigen, wenn ich zu einem sehr viel bescheideneren Urteil komme: das Resultat war mager und dürftig.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die FDP hat es immer schwer gehabt, den agrarpolitischen Flügel in die liberale Wirtschaftspolitik ihres industriellen Flügels zu integrieren. Ich habe auch immer den Eindruck gehabt, daß die Agrarpolitik der FDP ein Stiefkind in der progressiven liberalen Familie sei, ein Stiefkind, das man wegen seiner ländlichen Verwandtschaft geduldet, in Wahlzeiten sogar geschätzt hat. Die SPD selber ist agrarpolitisch etwas bei Herrn Mansholt angesiedelt, obwohl sie diese Geistesverwandtschaft mit Herrn Mansholt und seinen Ideen in der Zeit vor der Wahl nach der bekannten Melodie „Grüß mich nicht Unter den Linden" etwas unterdrückt hat.

(Heiterkeit.)

Der Kompromiß in der Agrarpolitik der Kleinen Koalition ist unter den vielen Kompromissen, die bei einer solchen politischen Trotzehe begreiflich sind, der Kompromiß mit der größten Bandbreite. Diese Bandbreite reicht von null bis unendlich. — Ich bitte, dabei zu beachten, daß ich nicht von minus null gesprochen habe.
Die Agrarpolitik ist immer ein Sorgenkind dieses Hauses gewesen, und sie war auch der Sektor, auf dem die neue Regierung ihre erste Bewährungsprobe zu bestehen hatte. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung grundsätzliche Ausführungen, wenn auch nur sehr wenige, zur Agrarpolitik gemacht und zu den Ergebnissen der letzten Verhandlungen in Luxemburg Stellung genommen. In der Zwischenzeit haben wir weitere Informationen durch Professor Schiller und auch durch den Herrn Bundesfinanzminister bekommen.
Ich möchte mich zunächst mit den prinzipiellen Bemerkungen befassen. Das Hohe Haus wird mir gestatten, dazu einige Zahlen zu nennen. Die landwirtschaftliche Bevölkerung beträgt auch in unserem Industriezeitalter in der Bundesrepublik noch 10 % der Beschäftigten. Das sind rund 2 Millionen, die Familien einbezogen sind es 5 Millionen Menschen, die auf 1,3 Millionen Betriebe verteilt über die ganze Bundesrepublik leben. Es sind zumeist Menschen, die durch die natürlichen Gegebenheiten ihres Arbeitsprozesses von vielen Errungenschaften unserer Zeit, von freiem oder gar verlängertem Wochenende, von der sich ständig verkürzenden Arbeitszeit, von geregeltem Urlaub und von vielen anderen Selbstverständlichkeiten, ausgeschlossen sind und deren Einkommen im großen Durchschnitt weit unter dem Durchschnitt des Einkommens für die Lohnempfänger liegt.



Hödierl
All das wäre meines Erachtens Anlaß genug sowohl von der Qualität wie von der Quantität her -- für eine Regierung, entsprechende Aussagen zu machen. Ich bin deshalb sehr erstaunt, daß die recht umfangreiche Regierungserklärung sich mit so wenigen Sätzen für einen so bedeutungsvollen Sektor begnügt.
Der entscheidende Satz zur Agrarpolitik lautet folgendermaßen: Die Landwirtschaft soll zu einem gleichrangigen Teil der modernen Volkswirtschaft werden; sie soll im vollen Umfange an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung teilnehmen. Als besondere Zielsetzung wird eine Strukturpolitik aus einem Guß — eine Formel, die schon ziemlich abgenützt ist — auch für ländliche Räume und als besondere strukturpolitische Aufgabe die Modernisierung der Landwirtschaft anvisiert.
Wenn ich in eine Kritik dieser Sätze eintreten darf, dann kann ich beim besten Willen nichts anderes sagen, als daß der erste Satz nur eine schlichte Selbstverständlichkeit enthält. Die Landwirtschaft ist ein Wirtschaftszweig mit zwei Millionen Arbeitskräften, mit einem Umsatz von 30 Milliarden, sie tritt als Gruppenkäufer mit 20 Milliarden für Betriebsmittel auf. Sie konnte in 15 Jahren überwiegend aus eigener Kraft eine Produktivitätssteigerung in ihrem Bereich von 250 bis 300 % erreichen, also mehr als viele industrielle Zweige. Ihre Bedeutung geht weit über die Bedeutung und das Gewicht anderer Wirtschaftszweige hinaus, von denen viel mehr in der Öffentlichkeit die Rede ist. Dazu kommt noch, daß die Produktion von Lebens- und Ernährungsgütern für jede Gemeinschaft eine besondere Priorität hat. Ein solcher Wirtschaftszweig hätte eine bessere Behandlung in der Regierungserklärung verdient.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Teilnahme an der Einkommens- und Wohlstandsentwicklung ist viel besser und ausführlicher im Landwirtschaftsgesetz aus dem Jahre 1955 und in den Artikeln 38, 39 und folgende des EWG-Vertrages formuliert. Beides sind verpflichtende Gesetze für jede Bundesregierung. Eine Wiederholung dieser gesetzlichen Verpflichtungen wäre nichts besonderes gewesen. Von einer modernen und — wie sie von sich selbst behauptet den inneren Reformen verpflichteten Regierung hätte ich eine progressive Aussage erwartet.
Die Modernisierung der Landwirtschaft ist bereits in vollem Gange, zumeist aus eigener Kraft der Landwirtschaft selbst. Sie hat sich weit über die industriellen Produktivitätsfortschritte hinaus unter schwierigsten Startbedingungen in kürzester Zeit in die Spitzengruppe der modernen Landwirtschaften gesetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich kann mir diese spärlichen Passagen in der Regierungserklärung nur aus dem bekannten getrübten Verhältnis der SPD zur Landwirtschaft erklären.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Was soll das heißen?)

— Ich werde es genau erklären.

(Abg. Wehner: Das ist eine getrübte Art der Argumentation!)

— Nein, es ist ein getrübtes Verhältnis; das ist sehr bedauerlich. - Offenbar konnte sich auch der
durch die Wahl stark gestutzte Agrarflügel der FDP nicht ausreichend durchsetzen.

(Zurufe von den Regierungsparteien.)

Die angekündigte Einbeziehung in die Konzertierte Aktion kommt reichlich spät. Ich begreife immer noch nicht, was eigentlich Herrn Professor Schiller, der sich nicht so leicht von anderen, auch von Mehrheitsmeinungen, beeinflussen läßt — wie wir alle aus bitterer Erfahrung wissen —,

(Heiterkeit)

früher überhaupt daran gehindert hat, die Landwirtschaft von Anfang an an dieser Konzertierten Aktion zu beteiligen,

(Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Wehner: Nachdem Sie so „dafür" gekämpft haben!)

wobei ich zu diesem Ausspracheverein,

(Abg. Wehner: Aha!)

dessen politische, pädagogische und psychologische Bedeutung ich keineswegs unterschätzen möchte, doch sagen muß, daß er nicht gerade von überragend großen Erfolgen trieft.
Aus der allgemeinen, auf die pressemäßige Wirkung zielenden Vorbemerkung über die Kontinuität der im Jahre 1966 eingeleiteten Politik in der Großen Koalition möchte ich in meinem Optimismus die Folgerung ziehen, daß sich diese Formel der Kontinuität auch auf die im Jahre 1968 in der Großen Koalition einstimmig konzipierte neue Agrarpolitik bezieht, die in ihren Komponenten der Preispolitik, der Betriebsmodernisierung, der Sozialpolitik und Bildungspolitik nach wie vor gelten müßte. Man hätte dazu auch gern einige bestätigende Formulierungen gehört.
Im Rahmen der reduzierten Redezeit wende ich mich nun den aktuellen Problemen der EWG-Agrarpolitik zu, nämlich den Luxemburger Vorgängen. Ich verkenne keineswegs, daß es für eine in den Geburtswehen stehende Regierung schwierig ist, beim ersten Augenaufschlag mit so schwierigen Entscheidungen konfrontiert zu werden. Daß die so heiß begehrte Aufwertung vor allem schwierigste EWG-Probleme auslösen mußte, konnte auch für den in EWG-Fragen sehr erfahrenen Professor Schiller keine Überraschung sein. Ich sage hier ganz offen: neben den vielen von anderer Seite vorgetragenen Bedenken zu diesem Komplex der Aufwertung war für mich immer eines der Hauptbedenken, daß ein so einseitiger Währungsvorgang bedeutungsvolle Einflüsse und Konsequenzen innerhalb der EWG haben müßte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Diese Regierung hat die Aufwertung zu einem Epos ihrer Wirtschaftspolitik gemacht. Über die Haltung der Kommission und des Ministerrates war sie aber genauestens unterrichtet. Zuletzt wurde sie in



Höcherl
der Sitzung vom 6. Oktober in Luxemburg, die wir noch zusammen bestritten haben, unterrichtet, nachdem die Erweiterung der Bandbreite am 29. September beschlossen worden ist. Sie hat also im vollen Bewußtsein aller nur denkbaren Folgen diesen Schritt unternommen, und ihre Verantwortung ist deshalb doppelt zu zählen.
Der Herr Bundeskanzler hat über das Ergebnis der, wie ich gern anerkenne, sehr harten Verhandlungen in Luxemburg in seiner Regierungserklärung einen Kurzbericht gegeben. Wie es mit Kurzberichten so geht, fehlt Wesentliches, vor allem was die Betroffenen, nämlich die deutsche Landwirtschaft, interessiert. Es ist richtig, daß die deutsche Delegation mit Nachdruck für eine temporäre Beibehaltung der bisherigen Preise in Landeswährung mit Grenzausgleich plädiert hat. Das Plädoyer fand, wie jeder Kundige wissen mußte, kein rechtliches und politisches Gehör. Man kann angesichts der Offenkundigkeit dieser Situation nichts anderes schließen, als daß es sich nur um politische Rhetorik gehandelt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn meine spärlichen Informationen zutreffen — ich hoffe, daß diese in Zukunft besser werden —, wurde dieser Pfad der Tugend bald als ausweglos erkannt, und als Trostpreis wurde eine Übergangsregelung für sechs Wochen beschlossen, mit dem klaren Ergebnis, daß nach diesen sechs Wochen endgültige Regelungen nach dem Vertrag folgen müßten und daß vor allem die Preise um den Aufwertungssatz herabgesetzt werden müßten. Man muß dabei wissen, daß es zu dieser Übergangsregelung für sechs Wochen heute noch keine Warenliste gibt, daß sie kaum auf so entscheidende Sektoren wie Obst und Gemüse, Eier und Geflügel angepaßt ist, - um nur einige im schwersten Konkurrenzkampf mit den Partnerstaaten stehende Produktionszweige zu nennen, die einen sehr beachtlichen Anteil am Einkommen der deutschen Landwirtschaft haben.
Das eigentliche Ergebnis ist nun die Tatsache, daß die deutschen landwirtschaftlichen Preise nach Ablauf dieser sechs Wochen um den sehr hohen, für die Landwirtschaft keineswegs im goldenen Schnitt stehenden Aufwertungssatz herabgesetzt werden müssen. Ich bitte, sich einmal die Lage vorzustellen, wenn irgendeine andere Berufsgruppe in der gleichen Zeit Einkommensverluste — und darum handelt es sich — von bis zu 20 % hätte ins Auge fassen müssen. Der Hinweis auf den Ausgleich zieht nur für die Frist dieser Ausgleichszahlung, und hier liegt das eigentliche Problem. Die deutsche Landwirtschaft, die im EWG-Vergleich mit überhöhten Kosten produzieren muß, hat schon einmal schwere Opfer für die Integration gebracht, und andere haben dabei geerntet, nicht nur die Exportindustrie und andere Wirtschaftszweige, die in den zehn Jahren EWG ihre Umsätze im Gemeinsamen Markt um das Mehrfache steigern konnten. Das gilt ebenfalls für die aus dieser Steigerung resultierenden Arbeitsplätze.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600703900
Herr Kollege Höcherl, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre
15 Minuten abgelaufen sind. Ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen.

(Abg. Stücklen: Als ehemaliger Minister verdient er einen Zuschlag!)


Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0600704000
Von den besonderen Problemen eines brauchbaren Maßstabes für diesen Ausgleich will ich gar nicht reden. Ich selbst habe früher das Modell der Mehrwertsteuer vorgeschlagen, und zwar in voller Kenntnis all der Unvollkommenheiten und Schwierigkeiten, die heute bereits erörtert worden sind. Es handelt sich um die große und entscheidende Aufgabe, für Millionen und aber Millionen von Geschäftsvorfällen im landwirtschaftlichen Bereich eine Lösung zu finden, von den Fährnissen und Schwierigkeiten auf dem Markt gar nicht zu reden, und auch eine Mehrwertsteuerregelung gibt keineswegs die Sicherheit, daß auf dem Markt die notwendigen Erzeugerpreise erzielt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

— Mein Vorschlag ging dahin, daß man die Mehrwertsteuer als Modell nimmt und die Ausgleichszahlungen über das Finanzamt, also über den Haushalt, leistet.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Die Behauptung, daß darüber hinaus die Partnerstaaten bereit seien, sich an einer solchen Ausgleichszahlung zu beteiligen, ist für mich nicht sehr glaubwürdig. In vierjährigem Umgang, wie ich ihn in Brüssel und in Luxemburg hatte, lernt man das Klima für solche Bereitschaften kennen. Wenn ich recht unterrichtet bin, wollen sich die Partnerstaaten für 1970 nur auf 100 Millionen Rechnungseinheiten und auslaufend 1971 auf 50 Millionen einlassen. Das ist genau der Betrag, der durch die französische Abwertung bei der Gemeinschaftskasse eingespart wird. Von dieser Einschränkung habe ich in der Regierungserklärung nichts gehört und nichts gelesen. Professor Schiller wird nach meiner Kenntnis der Dinge auch von seiner Seite aus nicht bereit sein, einer Mehrwertsteuerregelung oder einem Modell dieser Art über 8 % zuzustimmen. Am Schluß der Regierungserklärung steht dann der Satz: „Diese Regierung redet niemandem nach dem Munde." Hier wäre eine Gelegenheit zur Verifizierung dieses stolzen Satzes gewesen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Mit großem Interesse ich bitte, mir noch einige
Minuten zu geben, Herr Präsident — habe ich den Satz gehört, daß keine Politik des Preisdruckes stattfinden sollte. Auch dieser Satz ist in schlichter Betrachtung nicht besonders trostreich. Wenn sich andere Berufszweige und andere Berufsgruppen immer größere Stücke aus dem großen Kuchen der gemeinsamen Leistung herausschneiden, ist es ein kümmerlicher Trost, keinem Preisdruck ausgesetzt zu sein. Wo sollen die steigenden Kosten und Aufwertungsverluste untergebracht werden, und wo soll gleichzeitig eine Beteiligung an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung herkommen?

(Beifall bei der CDU/CSU.)




Höcherl
All das dürfte auch für die Erweiterung der EWG, vor allem auch für die englische Landwirtschaft, eine sehr, sehr wenig einladende Form sein.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wenig attraktiv!)

Die belgische und die holländische Regierung, die in vergleichbaren Konjunktursituationen und vor gleichen Währungsproblemen stehen, haben trotz unseres eilfertigen Beispiels die kalte Schulter gezeigt und sich gegen eine Aufwertung erklärt. Warum? Sie wissen beide sehr gut, welche Vorteile auch auf dem landwirtschaftlichen Sektor über unsere Aufwertung auf sie warten.
Hinter all dem steht doch die nüchterne Tatsache, daß sich für die Landwirtschaft unserer Partnerstaaten neue große Chancen abzeichnen, die sie mit großem Genuß wahrnehmen. Es hätte meines Erachtens durchaus eine Möglichkeit gegeben, in Luxemburg eine bessere Verhandlungsposition zu beziehen. Lange Zeit nämlich war der Agrarmarkt und seine Buchwährung der Rechnungseinheit eine Aufforderung an die Konjunktur- und Währungspolitik, für die Herr Professor Schiller seit geraumer Zeit verantwortlich ist, nachzuziehen. Es ist nichts geschehen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Jetzt versucht man, die integrationsfreudige Agrarpolitik auch noch in den Anklagezustand zu versetzen anstelle der im Verzug stehenden Konjunktur- und Währungspolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Drehen wir einmal die Sache herum: Die Ausgleichsabgabe für Agrarprodukte wie auch die steuerlichen Maßnahmen werden solange zugestanden, bis sich die ihrer Natur nach mehr zur Integration geborenen Faktoren Konjunktur- und Währungspolitik harmonisieren.
Die Regierungserklärung beklagt auch noch die schlechte Ausstattung der Landwirtschaft in der mittelfristigen Finanzplanung. Ich stimme dem zu. Der Haushaltsansatz für 1970 ist zu schwach. Es handelt sich aber nicht nur um die gesetzlichen 1,4 Milliarden DM aus den Marktordnungen für rechtsverbindliche Anforderungen, die auf Referentenebene bereits vor der neuen Regierungsbildung zugesagt worden sind, sondern um weitere 500 Millionen DM für die Fortführung des gemeinsam beschlossenen Agrarprogramms, die Bundeskanzler Kiesinger in Ausübung seiner Richtlinienkompetenz bereits vor sieben Monaten zugesagt hat. Aber auch damit ist es nicht getan. Dazu kommt noch der unbestrittene Teil des Verlustausgleichs.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600704100
Herr Kollege Höcherl, ich habe Ihnen bereits sechs Minuten zugegeben. Ich bitte jetzt, in einer Minute zu einem Abschluß zu kommen. Sie können sich nachher wieder melden. Aber ich halte jetzt die Rednerordnung ein und darf Sie bitten, zu einem Abschluß zu kommen.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0600704200
Meine Damen und Herren, ich darf davon ausgehen, daß diese drei Milliarden — nicht bloß die zwei Milliarden — Gegenstand
der kommenden mittelfristigen Finanzplanung für die Landwirtschaft sein werden.
Zum Schluß — zum etwas vorgezogenen Schluß —: Ich habe meinem Kollegen Ertl das Amt in gehöriger Form übergeben und ihm erklärt, er könne auf unsere konstruktive und unterstützende Opposition rechnen.

(Abg. Ollesch: Das ist ein Wort!)

Ich habe ihm aber auch erklärt, er werde nach einem gültigen Maßstab beurteilt werden, und zwar danach, was er für die deutsche Landwirtschaft, was er für die Verbraucher und für Europa herauszuholen vermag.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600704300
Herr Kollege Höcherl, darf ich Ihnen ein gelegentliches Studium des § 37 unserer Geschäftsordnung empfehlen. Darin steht, daß Sie in freier Rede zu sprechen haben. Das Hohe Haus kennt Ihre Voten, die Sie sonst in freier Rede hier abgeben. Ich glaube, daß Sie darauf aufmerksain gemacht werden müssen.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Schmidt (Gellersen).

(Bundesminister Ertl: Nein, ich hatte mich gemeldet!)

— Sie können jederzeit das Wort begehren, Herr Minister. Bitte schön, Herr Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Herr Minister Ertl!

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600704400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schmidt, ich würde mich freuen, wenn die Agrarier in den Fraktionen nach der einleitenden Ministerrunde noch eine zusätzliche Runde einläuteten. Das gibt mir dann vielleicht die Gelegenheit, mich jetzt kurz zu fassen und am Schluß noch einmal Stellung zu nehmen.
Ich möchte hier zunächst meinem Kollegen Höcherl meinen persönlichen Dank für das demokratische Fair play bei der Amtsübergabe abstatten. Er hat sich nicht nur als ein vorbildlicher Mensch und Charakter, sondern auch als ein großartiger Demokrat erwiesen.

(Abg. Stücklen: Das ist uns Bayern angeboren!)

Dafür meinen verbindlichen Dank! Ich weiß das zu schätzen und zu würdigen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU/CSU.)

Er hat in einer vorbildlichen Art die Vorbereitungen für die Amtsübergabe getroffen und die Amtsübergabe in einer Form vollzogen, von der ich meine, daß sie unserem Staat und unserer Demokratie nutzt. Dafür bin ich ihm persönlich sehr dankbar.
Nun, wir haben die Rollen vertauscht. Er ist jetzt in der Opposition und ich bin in der Regierung. Ich weiß, wie verschieden die Positionen sind.

(Zurufe von der CDU/CSU.)




Bundesminister Ertl
— Ja, meine verehrten Freunde aus der Opposition, das ist notwendig für den Fortschritt und die Fortentwicklung unserer Politik, und da brauchen wir eine konstruktive Opposition. Ich will eine kämpferische, konstruktive Opposition haben, so wie ich sie auch selbst geführt habe.

(Heiterkeit.)

Dafür meinen ganz verbindlichen Dank! Das soll ein lebendiges Haus sein und soll kein Haus sein, das vom Kressbronner Kreis ferngesteuert ist. Das ist der Unterschied von gestern zu heute. Das ist ein wesentlicher Fortschritt zum Wohle der Demokratie und für das Ansehen dieses Hohen Hauses.
Mein verehrter Vorredner und Kollege Höcherl, Sie haben gesagt: Mein Gott, das muß die Opposition ja sagen; was in dieser Regierungserklärung steht, ist alles sehr dürftig. Ich habe hier die wunderschöne Regierungserklärung des Kabinetts Kiesinger. Darin steht überhaupt kein Wort über Agrarpolitik.

(Hört! Hört! bei den Regierungsparteien.)

Das muß ich einmal feststellen. Ich weiß gar nicht, wer damals Landwirtschaftsminister war. Wenn ich mich nicht täusche, war es der Herr Höcherl.

(Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

Aber vielleicht sind die Gewichte in diesem Kabinett anders. Vielleicht hat in diesem Kabinett wirklich der Landwirtschaftsminister etwas mehr mitzureden, als es früher war.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich zitiere ja nur Fakten. Kein Wort stand in dieser Regierungserklärung — —

(Zuruf des Abg. Dr. h. c. Kiesinger.)

— Herr Bundeskanzler Kiesinger, Sie bewältigen ja gern Vergangenheit. Wollen wir gleich in der Vergangenheitsbewältigung weitermachen?

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie haben später sogar erklärt, es hätte auch noch anderes gegeben, worüber man noch hätte reden können. Daraus muß ich schließen, daß Sie die Landwirtschaft gar nicht wichtig nahmen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)

— Das muß ich daraus schließen. Jetzt wollen wir das historisch einmal festhalten.

(Abg. Stücklen: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen!)

- Darauf kommen wir. Nur nicht so voreilig! Eilige
Leute, nicht wahr, Herr Stücklen, haben kein Glück in der Welt.

(Heiterkeit bei den Regierungsparteien. Zurufe von der CDU/CSU.)

- Nur mit der Ruhe! In der Regierungserklärung steht kein Wort. Die Regierung der Großen Koalition hat zur Agrarpolitik erst Stellung genommen, als die damalige Opposition, die FDP, sie in Form
einer Großen Anfrage zur Antwort zwang, und da war diese Antwort noch dürftig.

(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Deswegen sind Ihrer Partei die Bauern jetzt davongelaufen!)

- Herr Bundeskanzler, die werden inzwischen merken, was Sie alles versprochen haben. Das ist die Suppe, die ich mit auslöffeln muß, und diese Suppe ist verdammt dick. Das muß ich hier sagen; denn ich habe weiß Gott keinen leichten Stand. Aber ich komme darauf zurück. So sind die historischen Fakten, damit wir hier bei der Wahrheit bleiben. 63 Zeilen — ich habe es nachrechnen lassen — sind es jetzt über die Agrarpolitik. Ich freue mich, daß mein Vorredner Höcherl sogar einige positive Akzente dazu gesehen hat.
Meine verehrten Kollegen von der CDU, warum haben Sie denn Minister Schiller nicht gezwungen, die Landwirtschaft in die konzertierte Aktion aufzunehmen? Die Freien Demokraten haben das zur Koalitionsbedingung gemacht. Das ist der Unterschied in unserer Zusammenarbeit.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

- Jetzt müssen Sie noch sagen, das hat die CDU
schon immer gewollt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, immer schon!)

— Aber nicht erreicht.

(Abg. Ehnes meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Der Kollege Ehnes will mich etwas fragen, nehme sich an. Ich will ihm helfen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600704500
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ehnes?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600704600
Ja.

Georg Ehnes (CSU):
Rede ID: ID0600704700
Herr Bundesminister, wären Sie bereit, auch den Artikel des „Vorwärts" vom 23. Oktober 1969 zu lesen, wo geschrieben steht, daß die Forderungen der Agrarpolitik abgelehnt werden müssen, damit wir nicht wieder zum grünen Naturschutzpark der Bundesrepublik Deutschland zurückkehren?

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)


Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600704800
Herr Kollege Ehnes, vielleicht dm Gegensatz zu Ihnen und Ihrem Verhältnis zum „Bayern-Kurier" interessiert mich als für die Agrarpolitik verbindlichen Mann dieser Regierung der „Vorwärts" gar nicht.

(Heiterkeit und lebhafter beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600704900
Gestatten Sie, Herr Minister, eine zweite Zusatzfrage?




Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600705000
Jawohl.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600705100
Das Wort hat der Abgeordnete Ehnes.

Georg Ehnes (CSU):
Rede ID: ID0600705200
Herr Bundesminister, ich wäre Ihnen dankbar, würden Sie den Herrn Bundeskanzler fragen, ob er Ihre Auffassung teilt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600705300
Herr Kollege Ehnes, Sie können sich darauf verlassen, daß ich mit dem Herrn Bundeskanzler über Agrarpolitik schon ausführlich gesprochen habe. Den Niederschlag haben Sie in der Regierungserklärung gelesen.

(Abg. Stücklen: Im „Vorwärts" !)

Im übrigen wird diese Regierung die Pressefreiheit für alle Zeitungen schützen einschließlich des „Bayern-Kurier".

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei der CDU/CSU. — Zurufe.)

So liberal sind wir.

(Anhaltende Zurufe.)

— Nun, wir können ja fortsetzen. Ich bin gern bereit; ich habe Zeit.
Nun, Herr Kollege Höcherl: dann kam wieder die alte Leier. Ich muß sagen, es kommt beinahe vom Leierkastenmann, mit dem der Prinz Konstantin seligen Gedenkens den Wahlkampf geführt hat — was alles für verschiedene Flügel in der FDP sind und wie schlecht die Agrarpolitik immer wieder behandelt wird, wie sie im Wahlkampf herauskommt. Ich will jetzt nur einige Fakten aus dieser Debatte ziehen, und zwar zum Verhältnis der CDU zur Agrarpolitik und zur Landwirtschaft.

(Abg. Stücklen: Sehr gut!)

Wir haben gestern den Beitrag des Herrn Kollegen Hallstein gehört, von dem wir allerdings dann gehört haben, daß es kein CDU-Beitrag war.

(Abg. Stücklen: Ein Hallstein-Beitrag!)

Es war eine sehr eigenartige flankierende Hilfe für mich. Wenn diese Rede v o r den Verhandlungen in Luxemburg gehalten worden wäre, ich wüßte nicht, was ich dann überhaupt noch zu verhandeln gehabt hätte.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich habe heute gehört, was der von mir hochverehrte frühere Finanzminister, mein Landsmann Strauß, über die Mehrwertsteuer sagte. Ich freue mich sehr, Kollege Höcherl, daß Sie gesagt haben, dieser Entwurf stamme ja aus Ihrem Hause in Kooperation mit dem damaligen Finanzminister. Auch in der EWG-Politik, das muß ich zugeben, und das habe ich auch Ihnen zugebilligt — wobei ich auch sage: ich freue mich sehr, wenn die Opposition
andere Vorstellungen hier durchsetzt —, werde ich die Gesetzesbefehle dieses Hohen Hauses mit letzter Konsequenz in Brüssel vollziehen. Aber ich erwarte diese Gesetzesbefehle. Auch da nehmen wir eine andere Position ein, als sie vielleicht früher manchmal eingenommen wurde.
Ich habe hier heute gehört, daß der Kollege Strauß erhebliche grundsätzliche Bedenken — die sogar berechtigt sind -- zur Mehrwertsteuerlösung hat. Dann muß allerdings gesagt werden, was man tun soll.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ja, meine verehrten Freunde, — —

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Das müssen doch die Aufwerter wissen!)

— Darauf komme ich noch zurück, verehrter Herr Strauß. Ich bin bereit, wenn dieses Hohe Haus beschließt: „Nur Grenzabgabe, mit allen politischen Konsequenzen". Ich erinnere aber an die Spannbreite zwischen Höcherl und Hallstein. Da muß die CDU Farbe bekennen, muß sagen, welche Konsequenzen sie bezüglich der EWG zu übernehmen bereit ist.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Einkommensausgleich!)

— Sie wollen also die Subventionen? Ich nehme das gern zur Kenntnis. Darüber läßt sich reden.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Keine Desintegration in der EWG! Wir waren uns der Schwierigkeiten bewußt!)

- Herr Finanzminister Strauß, —

(Oh-Rufe)

— Herr Finanzminister a. D. Strauß, (Heiterkeit)

ich nehme hier in aller Öffentlichkeit zur Kenntnis, daß Sie für den Subventionsweg sind.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Einkommensausgleich!)

— Nein, nein! Man sollte es sich nicht gar so leicht machen!

(Abg. Köppler: Sie müssen Farbe bekennen! — Abg. Dr. h. c. Strauß: Wir wußten, was darin steckt! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Einkommensausgleich! Anhaltende Zurufe.)

— Ich wäre dankbar, wenn die Kollegen der CDU sich nachher alle zum Wort meldeten oder Fragen stellten. Ich bin zwar sehr wortgewandt,

(Beifall und Heiterkeit)

aber die Gabe, mit zehn Leuten auf einmal zu reden, habe ich noch nicht, Herr Kollege Köppler. Jedoch auch die werde ich mir noch zulegen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600705400
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Niegel?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600705500
Ja!




Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0600705600
Herr Minister, gestatten Sie die Zwischenfrage:

(Bundesminister Ertl: Immer!)

Können wir im Hohen Hause noch beschließen, daß wir nur auf der Grenzabgabe beharren, wenn Sie in Brüssel bzw. in Luxemburg bereits einer beschränkten Grenzabgabe für sechs Wochen zugestimmt haben?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600705700
Dieses Haus ist souverän, und die Beschlüsse —

(Lachen in der Mitte. — Zuruf von der CDU/CSU: Im Unterschied zur Regierung!)

— Ich frage jetzt wirklich: Ist dieses Haus nicht souverän?

(Zuruf von der SPD: Natürlich!)

Auf Grund souveräner Beschlüsse wird die Regierung in Brüssel weiterverhandeln.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600705800
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz?

Dr. Carl Otto Lenz (CDU):
Rede ID: ID0600705900
Herr Minister Ertl, sind Sie der Auffassung, daß wir die Souveränität dieses Hauses dazu in Anspruch nehmen sollten, die Regierung zu desavouieren und Vertragsbrücke zu beschließen?

(Oho-Rufe von den Regierungsparteien.)


Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600706000
Herr Kollege Lenz, Sie haben offensichtlich meinen gestrigen Beitrag zu Herrn Hallstein nicht gehört. Ich möchte Ihnen sagen, daß die Rechnungseinheit kein Bestandteil des Vertrages ist und somit auch die Grenzabgabe nicht.

(Abg. Wehner: Sehr wahr!)

Marktordnungen sind vielmehr EWG-Gesetze. Für mich gilt - ich lasse mich gern von Völkerrechtlern belehren, aber ich bin der Meinung, daß diese Frage völkerrechtlich endgültig geklärt werden müßte — für internationale Gesetze, für Marktordnungen, dasselbe wie für nationale Gesetze: daß sie eben entsprechend den Notwendigkeiten fortentwickelt und notfalls auch revidiert werden müssen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn das nicht die Aufgabe ist, können wir die Politik einstellen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600706100
Gestatten Sie, Herr Minister, eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz?

Dr. Carl Otto Lenz (CDU):
Rede ID: ID0600706200
Sind Sie, Herr Minister der Auffassung, daß dieses Haus oder die Bundesregierung Maßnahmen beschließen kann, die im Widerspruch zu rechtsgültig verabschiedeten Verordnungen der EWG stehen?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600706300
Ich habe gesagt, daß dieses Haus der Regierung den Gesetzesauftrag geben kann, darüber in der Kommission und im Ministerrat zu verhandeln.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das ist eine politische Frage. Ich betone noch einmal, wer hier Marktordnungen zu heiligen Kühen macht, wird Europa nicht nutzen, sondern Europa schaden.

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600706400
Gestatten Sie, Herr Minister, eine weitere und letzte Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600706500
Bitte, ununterbrochen!

Dr. Carl Otto Lenz (CDU):
Rede ID: ID0600706600
Herr Minister, sind Sie mit mir der Auffassung, daß die Frage der Übereinstimmung von europäischem und nationalem Recht nicht nur eine politische, sondern auch eine rechtliche Frage ist?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600706700
O ja! Ich habe auch gesagt: Ich werde sofort Anweisung geben, daß das einmal rechtlich endgültig geklärt wird. Ich bitte sogar den Herrn Bundeskanzler, dieses Problem prüfen zu lassen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ja, meine verehrten Freunde von der CDU, Sie tun so erstaunt, als wenn Sie 16 Jahre lang diese Politik nicht alle mit verursacht hätten. Das muß ich nun einmal ganz offen sagen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich bin hier bei der Bilanzeröffnung. — Herr Niegel, Sie kommen schon dran. Aber erst lassen Sie mich auch einmal etwas sagen.

(Fortgesetzte Zurufe von der CDU/CSU.)

— Das ist ja Methode, wie hier gearbeitet wird.

(Sehr wahr! bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ach, wissen Sie, Sie tun immer so schnell beleidigt.

(Heiterkeit. — Beifall bei der SPD.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600706800
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600706900
Nein, der Kollege Niegel soll für ein paar Minuten warten. Ich möchte jetzt einen Satz sagen, damit ich hier überhaupt einmal einen Gedankengang vollenden kann.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)




Bundesminister Ertl
Ich möchte hier feststellen: die Bandbreite dieser CDU-Opposition ist in puncto Agrarpolitik so breit, daß wahrscheinlich gar kein Band ausreicht, um die Breite aufzunehmen: von Hallstein zu Höcherl, von Pohle zu Katzer, und weiß der Teufel, wer noch alles dabei ist.

(Heiterkeit. — Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das wollen wir hier einmal in aller Deutlichkeit feststellen. Den Bauernverbandspräsidenten Kollege Ehnes und den Pressereferenten des Bayerischen Bauernverbandes, unser hochverehrtes neues Mitglied Niegel, der jetzt die nächste Frage bekommt, habe ich dabei noch gar nicht erwähnt. Sie sind besonders willkommen.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Das ist eben der Unterschied in einer Volkspartei!)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600707000
Herr Minister, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Niegel?

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0600707100
Herr Minister, ich möchte die Frage stellen: Glauben Sie nicht, daß wenn Sie bezüglich Ihrer Erklärung mit dieser Auffassung nach Brüssel gehen, an der Vertragstreue der deutschen Bundesregierung gezweifelt wird?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600707200
Ich muß sagen, ich verstehe Sie bald gar nicht mehr. Einerseits fordern Sie etwas von mir, und wenn ich es dann täte, dann würden Sie sagen, ich sei nicht mehr vertragstreu.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich muß Ihnen eines sagen, meine verehrten Kollegen. Der Landwirtschaftsminister, der dieses Amt in dieser Situation zur Zeit übernommen hat, wozu Ihre Politik erhebliche Bausteine geliefert hat, ist heute ein Trapezkünstler. Ihre Frage verlangt von mir einen fünffachen Salto mortale. Diese Politik können Sie machen, aber ich nicht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600707300
Gestatten Sie, Herr Minister, eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dasch?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600707400
Ja, bitte!

Valentin Dasch (CSU):
Rede ID: ID0600707500
Herr Minister Ertl, Sie haben vorher der CDU/CSU-Fraktion vorgeworfen, daß sie durch ihre 16- oder 20jährige Europa- und EWG-Politik die Schwierigkeiten verursacht hat. Ich frage Sie, Herr Minister Ertl: Werden Sie die Weiterentwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft als deutscher Minister vertreten, oder werden Sie diese bisher geschaffenen Fakten zu stören versuchen?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600707600
Ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Frage. Ich habe es gestern schon erklärt, ich werde an einem Europa der Partnerschaft arbeiten, in dem im Interesse einer dauernden Freundschaft Vor- und Nachteile zu gleichen Gewichten verteilt werden.

(Beifall bei der SPD und FDP.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wurde dann bemängelt, daß wir nicht auf alle Details eingegangen sind. Das gebe ich gerne zu, verehrter Kollege Höcherl; wir werden ja bei der Grünen Debatte den Dialog fortsetzen. Ich möchte Ihnen sagen — und Sie wissen ja, wie ich es bereits als Oppositionssprecher gesagt habe —, daß wir die wesentlichen Teile Ihres Agrarprogramms für den gesamten Förderungsprozeß als Grundlage auch unserer Anschauungen haben. Und ich tue mich heute leicht, das zu sagen: Was ich damals als Oppositionssprecher gesagt habe, das darf ich heute als Minister erst recht bekennen. Ich bin der Meinung, daß die Strukturpolitik in die Regionalpolitik eingebettet werden muß, daß die Bildungspolitik die Chancengleichheit der Bildung für die Landwirtschaft gewährleisten muß. Ich will gar nicht damit anfangen, wer da gebremst hat. Da könnte ich ja wieder anfangen, nicht?

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich bin der Meinung, daß die Marktpolitik weitergeführt werden muß, bei der Gott sei Dank durch Absatzförderungsgesetz und Marktstrukturgesetz die Weichen gestellt worden sind. Der Kollege Schmidt ist gerade dabei, nun die ersten Grundzüge zu erarbeiten; er wird vielleicht selber dazu etwas sagen. Ich bin der Meinung, daß die Marktpolitik intensiviert werden muß; denn wir müssen für die Zukunft gerade offensive Marktpolitik und eine Politik der Investitionshilfe treiben. Dazu kommt der Sozialkatalog. Ich werde auf diese Fragen zur gegebenen Zeit zurückkommen.
Lassen Sie mich jetzt aber noch etwas zu den Luxemburger Vorgängen sagen. Nun, ich muß jetzt fragen — und ich bitte darum, daß hier einmal jemand eine verbindliche Erklärung dazu abgibt —, ob wirklich in diesem Hohen Hause jemand die Auffassung vertritt, daß die Bundesregierung nicht hätte aufwerten sollen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja!)

— Ja, dann bitte ich, das hier einmal deutlich zu erläutern!

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Haben Sie denn meine Rede nicht gehört? — Abg. Leicht: Er war nicht da! — Zuruf von der CDU/ CSU: Strauß hat eine Stunde darüber gesprochen!)

— Ich werde Ihnen sagen, warum ich nicht da war, Herr Leicht. Weil ich mit Herrn Mansholt telefoniert habe und mit ihm ein Fernschreiben gerade über die Fragen des Kollegen Höcherl noch einmal abgesprochen habe. Ich glaube, das war wohl in diesem



Bundesminister Ertl
Moment nützlicher. Man soll es sich nicht so leicht machen.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Dann können Sie doch solche Fragen nicht stellen!)

Ich lasse es mir ja nicht entgehen, wenn mein Landsmann Strauß spricht. Ich habe mit einem Ohr zugehört,

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Und mit dem anderen Ohr auf Herrn Mansholt gehört!)

— und mit einem Ohr sogar Herrn Mansholt, weil der Herr Mansholt Herr Strauß, damit Sie es genau wissen; ich habe Zeugen — sogar gesagt hat: Was ist denn im Parlament los? Da habe ich gesagt: Mein verehrter Freund Strauß spricht, und da kann ich nicht ganz abschalten.

(Heiterkeit bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. h. c. Strauß: Hoffentlich hat der Mansholt die richtige Erinnerung an dieses Gespräch!)

— Ja, ich hätte ihn gerne mithören lassen. — Ich frage wirklich, ob man sich dann auch über die Situation im klaren war, die für die deutsche Landwirtschaft durch eine Nichtaufwertung entstanden wäre. Denn die Alternative ist die Anpassungsinflation. Und ich frage mich: Warum hat die alte Regierung

(Unruhe bei der CDU/CSU. Zurufe des Abg. Unertl.)

— Auch darüber reden wir noch. Wenn Sie nur ein bißchen Geduld hätten! Sie würden es mir leichter machen. Ich höre ja auch zu.

(Unruhe und Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich bin für die freie Wildbahn im Parlament, wie Sie wissen.

(Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

Wir können das weiter pflegen. Ich bin da nicht so; das können wir alles machen.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Aber dann geht es eben ein bißchen durcheinander, denn ich meine, Sie können von mir nicht immer ein Konzept verlangen und mich dauernd unterbrechen. Ich bin immer für offene Aussprache und klare Antworten.
Ich frage dann, warum die alte Regierung, zu der, wenn ich mich nicht täusche, als Bundesernährungsminister mein hochverehrter Freund Hermann Höcherl und als Finanzminister mein noch höhergeschätzter Landsmann Strauß gehörten, die Wechselkurse freigegeben hat.

(Beifall und Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

Das frage ich mich.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Das habe ich doch heute ausführlich begründet! Da hat das „halbe Ohr" nicht gereicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

- Nein, Herr Kollege, das verstehe ich nicht. Wir
hätten also die Freigabe des Wechselkurses rückgängig machen und allein auf die Anpassungsinflation abstellen müssen. Das hätten wir tun sollen.

(Abg. Wehner: Ja, sehr wahr!)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600707700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Köppler?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600707800
Ja, Herr Kollege Köppler.

Heinrich Köppler (CDU):
Rede ID: ID0600707900
Herr Bundesminister, wären Sie bereit, die Rede, die Herr Kollege Dr. Strauß heute morgen gehalten hat, vielleicht noch einmal nachzulesen, ehe Sie auf sie eingehen?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600708000
Lieber Herr Köppler, herzlichen Dank! Ich werde das gern tun. Ich betone nur noch einmal -- das möchte ich hier in aller Deutlichkeit sagen —, daß alle Beteiligten im Ministerrat in einer, wie ich meine, demonstrativen Art den Schritt der deutschen Bundesregierung bezüglich der Aufwertung begrüßt haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das glauben wir! — Heiterkeit.)

Sie zeigen eine merkwürdige Europatreue.

(Abg. Wehner: Sehr wahr, genau! — Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

Das finde ich aber wirklich merkwürdig. Das ist einmalig. So kann man nicht Politik machen:

(Abg. Wehner: Sehr wahr! Beifall bei den Regierungsparteien)

hier paßt man und dort paßt man nicht. Nein, nein, so einfach ist es nun nicht.

(Abg. Rösing: Sie machen es sich noch einfacher!)

Da ich weiß, wie sehr meine verehrten Freunde aus Bayern die deutsch-französische Freundschaft wünschen, darf ich Ihnen noch folgendes sagen. Der französische Finanzminister hat gesagt, er hätte sich die Aufwertung schon viel früher gewünscht.

(Zurufe von der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600708100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Strauß?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600708200
Ja, Herr Kollege Strauß.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600708300
Ich bestreite nicht die Richtigkeit Ihrer Darstellung, daß der französische Finanzminister die Aufwertung früher gewünscht hätte und das geäußert hat. Aber haben Sie die Rede von ihm gehört — wiedergegeben durch Radio Luxemburg und vom Bundespresse- und Informationsamt veröffentlicht — ,

(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Richtig!)


Dr. h. C. Strauß
wonach Frankreich auch ohne die deutsche Aufwertung die Sanierung seiner Wirtschaft und seiner Finanzen erreicht hätte? Nur so sei es etwas leichter gegangen.

(Zurufe von der SPD.)


Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600708400
Ich werde mir den Text besorgen, Kollege Strauß. Ich berichte nur über Dinge, bei denen ich selber anwesend war.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Weniger telefonieren und mehr lesen!)

Herr Kollege Schiller wird mir jetzt nicht böse sein, wenn ich hier sage: er hatte in Brüssel zunächst den angenehmeren Part. Nachher hat er mich dafür aber um so kämpferischer unterstützt. Er ist nämlich zuerst gelobt worden, und ich mußte zunächst etwas anderes hören.
Ich darf Ihnen folgendes sagen, Herr Strauß. Ich habe einen harten Strauß mit der Kommission ausgefochten, weil ich ihr sagen mußte: Sie haben doch die Nichtaufwertung gewünscht. Die Kommission hat sich dann davon distanziert und erklärt, so etwas habe sie nie gesagt.
Jetzt komme ich nämlich zu den Folgen für die Landwirtschaft.

(Zuruf des Abg. Dr. h. c. Strauß. — Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

— Ich habe Sie nicht verstanden.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Ein Schiller-Adjutant!)

— Oh nein! Wissen Sie, Herr Strauß, ich brauche keine Lehrjahre in Innsbruck; die brauche ich nicht.

(Heiterkeit und lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. h. c. Strauß: Ein begabter Autodidakt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Auf bayerisch würde ich sagen: Mancher lernt's selber!

(Heiterkeit.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600708500
Herr Minister, gestatten Sie die zweite und letzte Frage des Abgeordneten Ehnes?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600708600
Jawohl!

Georg Ehnes (CSU):
Rede ID: ID0600708700
Herr Bundesminister, teilen Sie meine Auffassung, daß die Kommission diese Währungsauseinandersetzung eventuell wieder als Alibi benutzt, um die schwerwiegenden Probleme beispielsweise bei der Milch weiter vor sich herzuschieben und auszuklammern? Zweitens: Teilen Sie meine Auffassung, daß wir jetzt eine gute Waffe gehabt hätten, die eine bessere Anwendung im Bereich der Harmonisierung der Wirtschafts- und Währungsunion hätte finden müssen?

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Sehr richtig!)


Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600708800
Kollege Ehnes, dazu kann ich nur folgendes sagen. Ich muß mich zwar immer wiederholen, aber ich tue es gern. Ich habe gestern schon Herrn Hallstein geantwortet, der ganz andere Auffassungen als Sie vertritt. Das möchte ich hier auch einmal in aller Deutlichkeit feststellen. Ich möchte ferner sagen, Sie sollten einmal interfraktionell klären, welche Meinung hier gilt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.) So geht es auch nicht dauernd.


(Abg. Dr. h. c. Strauß: Das ist unsere Bandbreite!)

— Das ist Ihre Bandbreite. Aber ich muß Ihnen sagen, daß unter dieser „Bandbreite" auch die Glaubwürdigkeit leiden kann.

(Beifall bei den Regierungsparteien. Zurufe von der CDU/CSU.)

Sie wollen doch eine Antwort haben? Sie dürfen gleich wieder fragen.

(Heiterkeit.)

Kollege Ehnes, ich habe viel Zeit. Nur keine Sorgen! Ich habe hohen Respekt vor bayerischen Bauernverbandspräsidenten; die lasse ich immer fragen.
Kollege Ehnes, ich habe gestern dem Herrn Hallstein schon gesagt: der Weg der Steuerung des Agrarmarktes über Preise auf der Basis von Verrechnungseinheiten ist auf die Dauer nicht tragbar, wenn nicht das Fundament die gemeinsame Wirtschafts-, Konjunktur- und Währungspolitik ist. Das ist eine klare und präzise Antwort. Helfen Sie mir in der Opposition, dazu in Europa eine Mehrheit zu finden! Dann werden Sie sehr viel für Europa tun können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600708900
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Strauß?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600709000
Ja, gern!

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600709100
Herr Bundeslandwirtschaftsminister, was haben Sie getan, um die von den Mitgliedern der Kommission und den übrigen fünf Mitgliedern der EWG nach Ihrer richtigen Darstellung begrüßte deutsche Aufwertung als Instrument für eine Harmonisierung der Wirtschafts- und Konjunkturpolitik innerhalb der EWG einzusetzen, statt sie im Alleingang zu verplempern?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600709200
Herr Bundesfinanzminister a. D. Franz Josef Strauß, ich weiß nicht, ob das Protokoll aus der Kommission veröffentlicht werden kann. Auf jeden Fall aber kann die Antwort gegeben werden, die ich soeben dem Kollegen Ehnes gegeben



Bundesminister Ertl
habe. Die habe ich zu dreistündigen Auseinandersetzungen in Brüssel gemacht und, wie mir die gesamte deutsche und internationale Presse bestätigt, nicht ohne Erfolg. Und ich hätte mir hier ein Wort der Anerkennung gewünscht. Das wäre auch politisch fair-play.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. h. c. Strauß: Was war denn der Erfolg?)

- Das lesen Sie bitte in der Zeitung nach! Sie
haben einen guten Presseausschnittsdienst.
Damit komme ich zum Schluß.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Was war denn der Erfolg? Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Herr Ahlers vom Bundespresseamt, ich bitte, den Herrn Bundesminister a. D. zu informieren.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Nun, Herr Kollege Höcherl, zu den Präzisionen. Wir haben geradezu — —

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Was war denn der sachliche Erfolg der Harmonisierung?)

— Herr Kollege Strauß, ich gebe jetzt keine weitere Antwort. Lesen Sie die Zeitung! Lesen Sie sogar die „Neue Zürcher" und lesen Sie den Kommentar der internationalen Presse! Darin werden Sie lesen, daß diese Regierung zum erstenmal den deutschen Standpunkt mit Nachdruck vertreten hat. Ich lasse mir das nicht nehmen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600709300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0600709400
Herr Bundesminister Ertl, haben Sie mit Ihrer letzten Aussage auch sagen wollen, daß z. B. Herr Schiller in den vergangenen Monaten in Brüssel nicht seine Meinung gesagt hat?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600709500
Ich habe jetzt die internationale Presse zitiert, und dabei bleibt es.

(Heiterkeit bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600709600
Gestatten Sie eine letzte Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel?

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0600709700
Herr Bundesminister, hat die Bundesregierung bei ihren Verhandlungen in Brüssel in den letzten Tagen mit der Suche nach Ausgleichsmaßnahmen — Sie selbst sagten: „Wir haben nicht die richtigen Vorschläge; helfen Sie uns in der Opposition" — nicht die erforderliche Bandbreite für notwendige Preiskorrekturen auf agrarpolitischem Gebiet, die unbedingt notwendig sind, bereits verspielt?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600709800
Ich freue mich auf Ihren Antrag im Parlament, der mein Wohlwollen finden wird.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600709900
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Höcherl.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0600710000
Herr Bundesminister, halten Sie die Behauptung aufrecht, die Sie soeben vorgetragen haben, daß zum erstenmal durch Sie und Professor Schiller bei den letzten Verhandlungen der deutsche Standpunkt mit Nachdruck vertreten worden sei?

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Nach der Unterwerfung durch die Aufwertung!)


Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600710100
Ich habe gesagt, daß in der internationalen Presse — —

(Lachen bei der CDU/CSU.)

— Ich möchte niemandem hier persönlich unterstellen, daß er es nicht vorher ebenso mit Nachdruck gemacht hat, aber ich betone, das ist ein Eindruck, den ich aus der deutschen und internationalen Presse habe, und ich habe zuvor schon gesagt, dabei bleibt es! Ich werde mir wohl noch erlauben dürfen, die Presse zu zitieren.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich habe nichts unterstellt, und ich möchte hier in aller Form erklären, daß mein Kollege Höcherl weiß Gott mit allerletzter Energie und mit größter Zähigkeit in Brüssel verhandelt und auch Erfolge erzielt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir sind doch gar nicht so. Aber, meine verehrten Freunde, ich erwarte auch von der jetzigen Opposition, daß sie dieses Echo der inländischen und ausländischen Presse nicht negiert.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600710200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Barzel?

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0600710300
Herr Kollege Ertl, nachdem Sie offenbar so erfolgreich — auch im Rausch der Presse, wie Sie sagen, erfolgreich

(Bundesminister Ertl: Gar nicht!)

dort verhandelt haben, würden Sie vielleicht die Güte haben, diesem Haus nicht nur die Antwort zu geben: Herr Ahlers möchte bitte? Der Adressat in der Agrarpolitik dieses Hauses ist der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Würden Sie die Güte haben, uns Ihre Erfolge hier mitzuteilen? Wir würden gern die Federn an Ihrem Hut sehen, Herr Kollege Ertl.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600710400
Herr Kollege Barzel, gestern ist Ihnen das Ergebnis bekanntgegeben worden. Ich



Bundesminister Ertl
bin auch gern bereit, das in allen Einzelheiten zu wiederholen.

(Zurufe von der CDU CSU: Hier!)

- Ja bitte, das Ergebnis lautet erstens einmal so,
daß wir einen sechswöchigen Aufschub haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. h. c. Strauß: Das ist der Erfolg? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich muß Ihnen sagen, daß ist beinahe Dialektik. Ich muß wirklich sagen, ich weiß nicht, ob man das in der Form machen kann. Ich habe nicht Gelegenheit, überhaupt einen Gedankengang zu Ende zu sprechen, und es wird in nicht immer, möchte ich sagen, menschlich netter Art dazwischengerufen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das möchte ich hier einmal in aller Form sagen, wobei ich darauf hinweise, daß mir die Lebendigkeit des Parlaments sehr am Herzen liegt. Sie können von mir nicht immer präzise Antworten bekommen, wenn man mich dauernd mit einem anderen Gedankengang konfrontiert.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Erstens: Die Kommission hat anerkannt, daß ein Einnahmeverlust von 200 Millionen besteht und daß dieser Verlust voll ausgeglichen werden muß.

(Zurufe von der CDU/CSU: Pro Prozent!)

— Pro Prozent! Das ist aber doch gestern schon gesagt worden, Herr Strauß. Ich muß wirklich sagen: müssen wir tatsächlich alles wiederholen, was der Kollege Schiller gesagt hat? Ich wiederhole es noch ;)einmal: pro Prozent 200 Millionen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich weiß nicht, was das soll.

(Abg. Dorn: Das ist doch System, das ist doch Absicht!)

— Ich bin wirklich einer, der Humor hat. Ich muß Ihnen aber sagen: da hört wahrscheinlich der Humor, die Gemütlichkeit bald auf.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

— Nein, nein, lieber Herr Kollege Strauß; Sie wissen, wie sehr ich Sie menschlich schätze. So einfach sind die Dinge weiß Gott nicht. Ich möchte dieses Haus hier auch dafür um Verständnis bitten, daß ich in den letzten vier Tagen höchstens 12 Stunden geschlafen habe.

(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

— Warum? Weil ich einen Auftrag ausführen mußte, von dem die gesamte Weltpresse gesagt hat, daß ein Landwirtschaftsminister noch nie einer so schwierigen Situation konfrontiert war.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. h. c. Strauß: Dann hätte man die Aufwertung nicht machen sollen, dann hätte es die schwierige Situation nicht gegeben!)

— Ich weiß ja, Herr Strauß, daß Sie das alles besser wissen als die gesamte Wirtschafts- und Finanzwelt in ganz Europa; das weiß ich sehr genau.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Also der Einkommensverlust - pro Prozent 200 Millionen ist anerkannt. Die Bundesregierung hat die Möglichkeit, durch eine Mehrwertsteuerlösung für einen Einkommensausgleich zu sorgen. Ein harter Streit ist, inwieweit sich die Gemeinschaft daran beteiligt. Ich betone hier noch einmal in aller Deutlichkeit, die Bereitschaft der anderen Finanzminister ist sehr gering.
Es wurde dann die Ersparnis aus der Franc-Abwertung angeboten. Wir haben dieses Angebot nicht akzeptiert; wir haben davon nur Kenntnis genommen.
Das ist im wesentlichen in Kürze die derzeitige Situation. Endgültige Entscheidungen fallen. Wir haben leidenschaftlich gerungen. Es war gar nicht leicht, allen Mitgliedern im Ministerrat in Brüssel zu sagen, daß wir zwei Kammern haben, daß wir einen Bundestag und einen Bundesrat haben und daß wir an deren Gesetzesbefehl gebunden sind. Dafür hat manches Mitglied im Rat gar kein Verständnis gehabt. Wir haben die sechs Wochen durchgesetzt. Wir sind uns ja einig — mit dem Kollegen Höcherl bin ich doch einig und mit Ihnen, Herr Strauß, und mit Ihnen, Herr Barzel —: diese schwierige Situation darf nicht wieder ausschließlich zu Lasten eines Berufsstandes gehen. Das können wir nur meistern, wenn Regierung u n d Opposition es machen.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei der CDU/CSU.)

Ich kann in der EWG keinen Fortschritt ohne die konstruktive Mitarbeit der Opposition erzielen. Ich muß nicht immer ein Lob erhalten. Sie dürfen mich gern kritisieren. Kritisieren Sie mich und machen Sie mir Vorschläge. Ich bin gern bereit, alle Vorschläge zu prüfen und konstruktiv zu verwerten. Ich betrachte auch diese Debatte für mich als Rükkenstärkung, Herr Kollege Strauß, das sage ich Ihnen ganz offen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Barzel: So ist es doch auch!)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600710500
Gestatten Sie als letzte der zugelassenen zwei Zusatzzwischenfragen noch eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Strauß? —

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600710600
Herr Bundeslandwirtschaftsminister, sind Sie bereit, einzusehen, daß wir gerade in Ahnung dieser Schwierigkeiten —nicht nur dieser, sondern auch anderer, aber gerade dieser Schwierigkeiten — vor einem einseitigen Schritt der Aufwertung ohne ausreichende Vorbereitung gewarnt haben?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Zweitens — es ist ein Komplex, Herr Präsident —, daß der Weg über die Mehrwertsteuer schon jetzt einen Verstoß gegen die bisherigen EWG-Richtlinien darstellt, da die EWG-Kommission nicht einmal bereit war, die 5,5 % — Sie wissen, was ich meine — ohne Bedenken hinzunehmen, weshalb sie bei 8 % gar nicht mitmachen kann und eine dritte Umsatzsteuerrichtlinie diesen Weg wieder versper-



Dr. h. c. Strauß
ren kann und, wenn sie konsequent ist, versperren muß? Drittens und letztens: Das hoben wir ja gar nicht wissen wollen. Wir wollten nur wissen — das war der Ausgangspunkt der Frage —, wie Sie das Instrument der Aufwertung, die von den anderen aus sehr durchsichtigen Gründen gewünscht und begrüßt wird, eingesetzt haben, um sie zu kombinieren mit einer obligatorischen Harmonisierung der Währungs- und Wirtschaftspolitik der anderen Länder.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)


Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0600710700
Herr Kollege Strauß, dazu nur noch einen einzigen Satz, den ich jetzt zum wiederholten Male sage. Sie können es im Protokoll nachlesen. Ich bitte, mich hier nicht in Schwierigkeiten zu bringen; ich weiß nicht, ob die Protokolle vom Rat veröffentlicht werden. Ich kann Ihnen nur sagen, daß ich dort erklärt habe: Wenn es nicht zu einer Wirtschafts- und Währungseinheit kommt, läßt sich keine Agrarpolitik, wie sie bisher gemacht worden ist, fortsetzen. Das kann nicht in absehbarer Zeit, sondern ich habe Herrn Kollegen Schiller erklärt, das muß so schnell wie möglich geschehen. Und nun will ich Ihnen ganz offen eines sagen: ich setze hier Hoffnungen auf die Gipfelkonferenz. Wenn diese Frage nicht von den Regierungschefs und den Außenministern zum zentralen Anliegen gemacht wird, dann wird Europa daran Schaden leiden. Das sage ich in aller Deutlichkeit und mit allem Ernst
dieser Stunde.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Zum Schluß war gesagt worden, man wisse ja nun gar nicht, was für Einzelregelungen erfolgten. Wir haben — und Sie wissen ja, Herr Kollege Höcherl, wie das zugeht, nächtelang — über zwei Stunden lang verhandelt — ich hätte beinahe ein anderes Wort gebraucht, aber ich muß mich zurückhalten und will auch das Klima nicht verderben — über die Hereinnahme von Geflügel, Fleisch, Gemüse und ähnlichem mehr in die Erstattung, Herabsetzung des sogenannten Fehlkoeffizienten und anderes mehr. Das wurde zunächst zugesagt. Inzwischen sind neue Zweifel aufgetaucht. Deshalb habe ich heute früh mit Herrn Mansholt telefoniert, und nun lese ich Ihnen vor, wie das Telefongespräch von mir durch Fernschreiben sofort bestätigt wurde:
Übergangsregelung nach der Aufwertung der D-Mark.
1. Ich bitte, die Importausgleichsabgaben und Exporterstattungen für landwirtschaftliche Produkte erheblich wirksamer zu gestalten als in den vergangenen Wochen.
Ich betone, ich bin auch hier schon wieder vorbelastet. Aber ich will keinen Vorwurf machen. Ich will es nur feststellen, damit meine Bilanz auf Heller und Pfennig genau die Fakten klarlegt. Ich bin zu einem Beschluß der alten Regierung durch die Wechselkursfreigabe bereits wieder vorbelastet.
Die deutsche Landwirtschaft, insbesondere auch
die Exportwirtschaft, hat viele Millionen Verluste wegen der unzureichenden Regelung durch die Kommission hinnehmen müssen. Die Kommission hat sämtliche zusätzlichen Anträge der Bundesregierung unbeachtet gelassen. Es besteht deshalb grolle Spannung und Erbitterung wegen der andersartigen Behandlung Frankreichs bei der Abwertung. Die deutsche Öffentlichkeit erwartet, daß jetzt nach der Aufwertung um 8,5 % eine vollkommenere und gerechtere Regelung durch die Kommission erfolgt.
2. Ich bitte dringend, daß die Kriterien dahingehend geändert werden, daß der Grenzausgleich nicht erst dann erfolgt, wenn die Preissenkung bei den landwirtschaftlichen Rohstoffen sich in Höhe von 3,5 % auf die Preise der Verarbeitungserzeugnisse auswirkt. Der Ausgleich muß unbedingt schon dann erfolgen, wenn die Fühlbarkeitsschwelle von 2 % erreicht wird.
3. Der Warenkatalog muß auf die Produkte, bei denen Abschöpfungen und Erstattungen auf Grund von Artikel 235 erfolgen, ausgedehnt werden.
4. Importausgleichsabgaben und Exporterstattungen müssen miteinander harmonieren.
5. Exporterstattungen müssen sowohl für Ausfuhren nach Drittländern als auch für Ausfuhren nach der Gemeinschaft gewährt werden.
6. Ich warne dringend davor, eine Regelung vorzusehen, bei der der Versuch gemacht wird, je nach der Bedeutung des Exportes für die einzelnen Warengruppen und je nach der Versorgungslage bei den einzelnen Warengebieten in der Bundesrepublik vorzugehen. Es sind eine Fülle von Klagen wegen der ungleichmäßigen Behandlung zu erwarten.
7. Ein Katalog von Waren, bei denen nach Ansicht der deutschen Regierung Importabgaben und Exporterstattungen notwendig sind, wird der Kommission heute morgen zugestellt. Es kann sein, daß dieser Katalog nicht ganz vollständig ist.
Herr Strauß, bitte sehen Sie mir nach, daß ich deshalb Ihre Rede nicht anhören konnte. Aber ich glaube, das war notwendig.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich möchte nur noch ein einziges Wort sagen. Ich möchte ganz sachlich feststellen: wer sagt, man hätte nicht aufwerten dürfen, muß auch sagen, wie er hätte vermeiden wollen, daß bereits jetzt die Betriebsmittelkosten für die deutsche Landwirtschaft um 10 % gestiegen sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien.) Darum bitte ich um Antwort und Auskunft.

Am Schluß eine Bitte! Die schwierige Situation, in die besonders ich hineingestellt bin und die für die Zusammenarbeit in Europa lebensentscheidend ist, kann nur gemeistert werden, wenn in diesem Haus ein hohes Maß an Gemeinsamkeit herrscht. Meine Bereitschaft, nicht nur hier, sondern auch



Bundesminister Ertl
unter vier Augen oder fünf oder sechs oder acht Augen mit der Opposition zu sprechen,

(Heiterkeit)

ist gegeben. Sie werden mich immer nach allen Seiten offen finden.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600710800
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt (Gellersen).

Dr. R. Martin Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0600710900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie werden verstehen, daß ich mit dem Tempo nicht mitkomme.

(Heiterkeit.)

Ich will aber versuchen, zu den Einlassungen des Kollegen Höcherl einige wenige Bemerkungen zu machen.
Ich finde die Auslassung des Kollegen Höcherl bemerkenswert, schon deshalb, weil er in den letzten Wochen und Tagen immer wieder erklärt hat, er werde kein Wort mehr zur Agrarpolitik sagen, er wolle sich der hohen Wirtschaftspolitik verschreiben. Daher hat es mich heute besonders gefreut, daß er doch zur Agrarpolitik zurückfindet. Nun, Herr Kollege Höcherl, ich darf Sie daran erinnern, daß wir in den letzten anderthalb Jahren, gerade wir beide, gemeinsam an dem Programm gearbeitet, daß ' wir es gemeinsam mit Freunden in Ihrer Fraktion, die sehr konservativ sind, zu tun gehabt haben und daß wir es gemeinsam zu einer modernen Agrarpolitik gebracht haben. Daran haben Sie einen großen Anteil.
Ihr Pech, Kollege Höcherl, war nur, daß Sie mit dem Parteivorsitzenden Strauß als Finanzminister nicht konnten, der Ihnen die Mittel für dieses Programm verweigert hat.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Gestatten Sie eine Zwischenfrage?)

— Moment, nur einen Satz noch. — Sie haben von dem getrübten Verhältnis der SPD zur Landwirtschaft gesprochen, Herr Kollege Höcherl. Aus den Erfahrungen, die Sie mit uns gemacht haben, dürften Sie das nicht gesagt haben. Im übrigen lassen Sie das unsere Sache sein. — Herr Kollege Strauß!

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600711000
Eine Zwischenfrage, Herr Kollege Strauß.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600711100
Ich möchte hier jetzt nicht auf die Bandbreite der SPD in diesem Punkte zu sprechen kommen. Ich möchte Sie nur fragen, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Bundesfinanzminister sich in allen Fällen mit dem Herrn Bundesernährungsminister geeinigt, seine wesentlichen Wünsche erfüllt und sie in einem Kabinett gegen eine Ihnen sicher nicht unbekannte Minderheit durchgesetzt hat.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. R. Martin Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0600711200
Herr Kollege Strauß, ich erinnere mich noch an den Tag, an dem Herr Höcherl das Programm bekanntgab, Sie eine Stunde später den Strich gezogen haben und dem eigenen Kabinettskollegen haben sagen müssen, daß die Finanzierung für dieses Programm noch ausbleibt. Waschen Sie also einmal in der eigenen Küche, dann können wir weitersehen.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Zielvermögen!)

Ich habe die Einlassung des Kollegen Höcherl so verstanden, daß es ihm fast die Sprache verschlagen hat, daß die gegenwärtige Koalition der Agrarpolitik in der Regierungserklärung so viel Raum eingeräumt hat. Herr Ertl hat bereits darauf hingewiesen. Es ist Ihnen offenbar nicht entgangen, daß in diesen agrarpolitischen Bemerkungen so viel Vernünftiges gesagt ist. Wahrscheinlich haben Sie uns das nicht zugetraut. Sie ersehen aber daraus, daß Sie die Weisheit in landwirtschaftlichen Fragen nicht allein gepachtet haben; wir sind alle daran beteiligt. Sie werden auch nicht verhehlen können, daß z. B. die Agrarpolitik — das stellen übrigens alle Zeitungen fest — einen sehr breiten Raum in der Regierungserklärung einnimmt. Das ist immerhin bemerkenswert. Wir sind jedenfalls mit der Regierungserklärung in bezug auf die Agrarpolitik zufrieden. In der Regierungserklärung sind schwerwiegende Sätze ausgesprochen. Sie enthält allerdings keine frommen Wünsche à la Kiesinger, etwa über die bedauernswerte Bauersfrau, die arme Bauersfrau und ähnliche Dinge. In der Regierungserklärung ist die Lage ganz nüchtern und real dargestellt, und auch die entsprechenden Maßnahmen werden aufgezeigt.
Wir gehen an das heran, Herr Kollege Höcherl, was Ihnen bisher versagt worden ist. Wir haben nicht nur die Konzertierte Aktion zugesagt erhalten, sondern wir haben auch eine entsprechende Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung zugesagt erhalten. Das alles wird realisiert. Die Weichen sind meines Erachtens richtig gestellt, und Sie können sicher sein, daß wir auch den Zug, der darauf fahren soll, richtig und gut beladen werden.

(Zustimmung bei der SPD.)

Herr Ertl hat bereits dargestellt, daß wir natürlich die Fragen der Struktur — sowohl der Markt- als auch der allgemeinen Agrarstruktur — in den Vordergrund stellen werden. Wir werden das, was wir begonnen haben, mit Verve fortsetzen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600711300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Höcherl?

Dr. R. Martin Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0600711400
Bitte sehr!

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0600711500
Herr Kollege Dr. Schmidt, wie bringen Sie denn die Feststellungen in der Regierungserklärung zum Agrarprogramm auf einen Nenner, daß die Landwirtschaft an der Einkommens- und Wohlstandsentwicklung teilnehmen soll, daß die Preise nicht gedrückt, nicht angeglichen werden sollen, daß aber bereits in sechs Wochen die Preise zunächst einmal um 81/2 % gesenkt werden, wobei

Höcherl
der Ausgleich noch ganz unsicher ist? Diese Feststellungen beinhalten einen ganz erheblichen Widerspruch. Ich wäre dankbar, wenn Sie mir das erklären könnten.

Dr. R. Martin Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0600711600
Herr Kollege Höcherl, in aller Ruhe: Sie haben hier heute früh vom Finanzminister vernommen, daß der Einkommensausgleich für Jahre gesichert ist. Nehmen Sie das doch einmal zur Kenntnis! Dann können Sie doch nicht dauernd Fragen in den Raum stellen. Darüber hinaus werden Sie mir doch zugeben müssen, daß Sie selber eine andere Politik gar nicht hätten treiben können. Wer weiß, ob Sie das, was wir in dieser Regierung beim Finanzminister haben durchsetzen können, bei Ihrem Finanzminister erreicht hätten?!
Meine Damen und Herren, nun noch eine Bemerkung zu den allgemeinen strukturellen Aufgaben. Wir sind uns darüber klar das steht in der Regierungserklärung —, daß die strukturellen Veränderungen in den 70er Jahren außerordentlich groß sein werden. Wir werden das Bisherige — ich hoffe, auch mit Ihnen — wahrscheinlich stärker akzentuieren. Natürlich werden wir dabei auch den ländlichen Sozialfragen verstärkt Aufmerksamkeit schenken. Wir bleiben am Ball. So wird es also weitergehen.
Herr Kollege Höcherl, wir waren in der Großen Koalition der Motor der Agrarpolitik, und wir werden es auch in der gegenwärtigen Koalition bleiben.

(Abg. Dr. Althammer: Rückwärstgang! — Abg. Stücklen: Motor? Sie haben den falschen Gang eingeschaltet!)

— Natürlich, wir waren der treibende Motor.
Ich will noch eines hinzufügen. Sie haben vorhin sehr viel über die Brüsseler Verhandlungen gehört. Ich bin von dem Ergebnis befriedigt, weil etwas Besseres wahrscheinlich gar nicht herauszuholen war. Die realistische Betrachtungsweise all der Fragen, die Europa betreffen, wird uns in der Zukunft guttun.

(Beifall bei der SPD.)

Sie wird besser sein als das, was wir in den früheren Jahren gehabt haben.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Bitte, schreien Sie nicht so laut! Denken Sie an den Kollegen Schmücker, der sich im Dezember des Jahres 1964 schon ausgezogen hatte, als die anderen noch ihren Mantel anhatten. Das Thema ist doch zur Genüge bekannt, und Sie sollten diese Dinge hier nicht besonders ankreiden. Mehr war nicht drin; die Ergebnisse sind zufriedenstellend. Natürlich gibt es Schwierigkeiten, aber wir werden sie, dessen bin ich sicher, meistern.
Lassen Sie mich am Schluß zu dem Stil, den die neue Regierung im Umgang mit der Landwirtschaft übt, noch ein paar Bemerkungen machen. Daß der Bundeswirtschaftsminister — dafür sind wir ihm dankbar — das Gespräch mit der Landwirtschaft sucht, ständig sucht, ist bekannt. Das führt er fort.
Ein besonderer Dank gilt aber dem Bundeskanzler, der mitten in den Arbeiten zur Regierungserklärung Zeit gefunden hat, die Bauernvertreter zu empfangen, ein halbes Bataillon zu empfangen, und der mit ihnen die Sorgen geteilt hat. Es ist schön zu lesen, daß die Bauern dabei sehr beeindruckt waren, beeindruckt von den Kenntnissen über die Landwirtschaft und dem Verständnis für ihre Sorgen. Das dürfte der Berufsstand nicht beiseitige schieben, und ich meine, das ist eine Methode, die sicher auch in Zukunft geübt wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Alles in allem: Wir verkennen die aktuellen Schwierigkeiten nicht; wird werden, dessen bin ich sicher, damit fertig werden.

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600711700
Das Wort hat der Abgeordnete Peters (Poppenbüll).

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0600711800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stellen mit Befriedigung fest, daß die neue Bundesregierung in den aktuellen Fragen, aber auch in den grundsätzlichen Fragen zur Agrarpolitik absolut positiv zu handeln bereit ist. Wir stellen das im Bereich der EWG-Agrarpolitik und in der nationalen Agrarpolitik fest. Die notwendige Abwertung des Franc und die notwendige Aufwertung der D-Mark, die hier fast zwei Tage diskutiert worden ist und an der wohl jetzt kaum noch Zweifel bestehen,

(Lachen bei der CDU/CSU)

haben bewiesen, daß das System der Rechnungseinheiten in der EWG nicht funktioniert. Nach den Rechnungseinheiten liegen die Preise jetzt um über 20 % auseinander, 12 % Abwertung bei den Franzosen und 81/2 % Aufwertung bei uns. Es ist kaum anzunehmen, daß mit dieser Rechnungseinheit in der EWG-Agrarpolitik auf Dauer weiterzukommen ist.
Die EWG muß zunächst — und das ist ebenfalls schon betont worden — die Voraussetzungen für eine gemeinsame Währungs- und Konjunkturpolitik schaffen. Erst wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann es in der EWG wieder Marktordnungen mit gemeinsamen Preisen geben. Wir stellen mit Befriedigung fest, daß die Minister Schiller und Ertl dies bei den Verhandlungen in Luxemburg klargemacht haben, auch wenn sie in dieser Richtung keinen endgültigen Beschluß erreicht haben. Wir wissen aber, daß durch die Sechs-Wochen-Frist, für die diese Regelung gilt, eine Voraussetzung für spätere Verhandlungen geschaffen worden ist.
Wir glauben, daß durch eine Mehrwertsteuerregelung, die heute morgen hier angesprochen worden ist, eine Lösung erreicht wird, die dem Prinzip nach etwas Ähnliches darstellt wie eine Abschöpfungs- und Rückerstattungsordnung. Denn ob die Mehrwertsteuer als Einfuhrsteuer an der Grenze erhoben wird oder ob man eine Abschöpfung vornimmt und ob eine Rückerstattung oder eine Rück-



Peters (Poppenbüll)

vergütung der Umsatzsteuer erfolgt, das dürfte wohl im Effekt zumindest fast das gleiche sein.
Die Landwirtschaft muß die Mehrwertsteuerlösung jeder anderen Zuwendung einer Subvention vorziehen, weil sie produktbezogen ist. Auch das Argument der CDU, das heute morgen von Herrn Strauß angeführt wurde, daß damit eine gemeinsame Mehrwertsteuerregelung in der EWG unterbunden würde und daß die jetzige Bundesregierung den ersten Schritt getan habe, stimmt doch einfach nicht. Denn mit dem Absicherungsgesetz, das im November 1968 beschlossen worden ist, ist der erste Schritt zu ähnlicher Manipulation schon getan worden, und an dieser Manipulation, Herr Höcherl, waren auch Sie beteiligt.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600711900
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ehnes?

Georg Ehnes (CSU):
Rede ID: ID0600712000
Herr Kollege Peters, sind Sie nicht der Auffassung, daß uns dieselbe Gerechtigkeit zuteil werden sollte, wie sie den Franzosen zuteil geworden ist?

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0600712100
Ich würde die französische Lösung an Ihrer Stelle nicht vorschlagen, Herr Ehnes. Denn die französische Lösung bedeutet eine Freistellung von dem Durchschlagen der Rechnungseinheit auf die nationalen Preise mit dem zwangsweisen Abbau innerhalb von zwei Jahren. Dieser Abbau innerhalb von zwei Jahren würde bei uns eine effektive Preissenkung ohne Ausgleich bedeuten. Diese Lösung wollen wir gerade nicht. Die können auch Sie als Bauernverbandspräsident sehr wahrscheinlich nicht wollen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600712200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bewerunge?

Karl Bewerunge (CDU):
Rede ID: ID0600712300
Wäre Ihnen nicht auch wohler, wenn Sie anstatt sechs Wochen zwei Jahre Frist zum Verhandeln hätten?

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0600712400
Mir wäre wohler, wenn wir zwei Jahre statt sechs Wochen ohne die Verpflichtung hätten, dann den Preisabbau vorzunehmen. Das ist das Entscheidende.
Es ist dargelegt worden, daß der Einkommensverlust pro Aufwertungsprozent 200 Millionen DM beträgt und daß ein Ausgleich im ganzen von 1,7 Millliarden DM zugesagt ist. Wenn der größere Teil dieser Summe durch die Mehrwertsteuer gegeben werden könnte, und zwar in einer Anhebung von 5 % auf 11 % — also um 6 %, um 1,2 Milliarden DM -, und der Rest durch eine zusätzliche Subvention gegeben würde, dann hätte diese Bundesregierung nach meiner Meinung in den Verhandlungen eine Regelung erreicht, die optimal war, auch wenn ein reines Zurückgehen im EWG-Vertrag auf Abschöpfung und Rückerstattung die bessere Lösung wäre.
Das Entscheidende ist, daß wir keine Regelung treffen, die eine Degression enthält, die also einen Abbau dieser Zusagen beninhaltet. Das scheint uns das Hauptsächliche an dieser Entwicklung gewesen zu sein.
Bitte schön.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0600712500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie die Zwischenfrage: wenn Sie sich so mit Leidenschaft für die Mehrwertsteuerregelung einsetzen, glauben Sie nicht, daß mit Ausnahme der gebundenen Preise bei Getreide die Landwirtschaft trotzdem die Zeche zahlen muß? Denn wenn der Markt die 6 % letztlich nicht hergibt, selbst wenn sie aufgeschlagen werden, muß schließlich die Landwirtschaft die Einbußen am Nettopreis hinnehmen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig! Das ist die Gefahr!)


(Poppenbüll) (FDP) : Herr Kollege, Sie haben als Beispiel genau das verkehrte Produkt genommen. Denn bei den Marktordnungspreisen, bei Getreide, bei Zuckerrüben, bei Milch und bei Raps, schlägt die Mehrwertsteuer mit Sicherheit zu 100 % durch.


(Abg. Dr. Ritz: Das hat er ja gesagt!)

Ob auf dem inneren Markt bei den Veredelungsprodukten ein gleiches Durchschlagen vorhanden wäre, darüber gibt es zweierlei Meinungen. Aber an der Grenze ist durch die Erhebung der Einfuhrsteuer der volle Schutz gegeben, genau wie bei der Abschöpfungsregelung, und das sollte man jedenfalls begriffen haben, wenn man aus der Landwirtschaft kommt.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Ritz: Das ist doch die Frage! Es geht doch gerade um die Veredelungsprodukte!)

— Ich habe das eben umfassend dargestellt. Das müßte eigentlich begriffen worden sein.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600712600
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Niegel?

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0600712700
Bitte schön!

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0600712800
Herr Kollege, ich glaube, wir haben uns mißverstanden. Ich habe die Getreideprodukte bewußt ausgeklammert und habe bewußt von den Veredelungsprodukten gesprochen. Glauben Sie nicht, daß bei der Einführung der Mehrwertsteuer vor zwei Jahren hier ein Preisdruck erfolgt ist, der sogar heute noch bei den Veredelungsprodukten nachwirkt? Ich befürchte das Schlimmste auf diesem Gebiet.

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0600712900
Ich habe, weil ich Ihre Frage akustisch nicht völlig verstanden hatte, alle Produkte in meiner Antwort zusammengefaßt. Damit ist das, was Sie soeben gefragt haben, beantwortet.



Peters (Poppenbüll)

Ein ähnlich schlechtes Erbe wie in der Währungs- und EWG-Politik hat die frühere Bundesregierung auf dem Sektor Agrarhaushalt hinterlassen. Herr Minister Höcherl, Sie haben in Ihrer Aufstellung — man kann sie das Höcherlsche Testament nennen — ein Fehl von 700 Millionen DM in der nationalen Agrarpolitik und von 1,4 Milliarden DM in der EWG-Agrarpolitik festgestellt. Es sind also rund 2 Milliarden DM, die mehr gedeckt werden sollen, ohne daß zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden. Sowohl der Posten der 700 Millionen DM für die nationale Agrarpolitik — das ist die Summe, die 1970 weniger zur Verfügung steht als 1969 — als auch das Mehr von 1,4 Milliarden DM für den EWG-Agrarfonds 1970 waren voraussehbar. Beide Positionen waren schon voraussehbar, als die mittelfristige Finanzplanung aufgestellt wurde. Sie haben also in dieser Frage der neuen Regierung ein außerordentlich schlechtes Erbe übergeben.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600713000
Gestatten Sie, Herr Abgeordneter, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Höcherl?

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0600713100
Bitte schön!

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0600713200
Herr Kollege, haben Sie meine Bemerkung überhört, daß der Bundeskanzler Kiesinger bereits im März dieses Jahres die notwendige Ergänzung von 500 Millionen DM für den nationalen Agrarhaushalt zugesagt hat und daß die 1,1 Milliarden DM für Rechtsverbindlichkeiten aus der EWG-Marktordnung bereits vor Bildung der neuen Bundesregierung auf der Referentenebene völlig abgeklärt waren? Wie können Sie unter solchen Verhältnissen und unter diesen Umständen noch diese Behauptung aufrechterhalten?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0600713300
Herr Kollege Höcherl, die Zusage des Herrn Kollegen Kiesinger, als er noch Bundeskanzler war, über 500 Millionen DM, von der Sie reden, soll das ausgleichen, was in der mittelfristigen Finanzplanung durch Wegfall der EWG-Anpassung gekürzt worden war. Ich habe Ihnen bei der letzten Haushaltsberatung gesagt, es sei völlig klar, daß diese Kürzung nicht durchzuhalten sei; denn wenn sie eintreten sollte, würden wichtige innenpolitische Agrarmaßnahmen gekürzt werden müssen, die keine Regierung kürzen wolle, ganz zu schweigen von den Maßnahmen, die Sie sonst angekündigt haben, die ebenfalls nicht darin enthalten sind. In der mittelfristigen Finanzplanung für das Jahr 1970 war diese Summe jedenfalls nicht enthalten.
Nun kommt das zweite, Herr Minister a. D. Auch die Summe von 1,4 Milliarden DM — Sie sprechen von 1,2 Milliarden DM — zusätzlich für den EWG-Agrarfonds ist — wenn Sie sich an die Diskussion in diesem Hause erinnern — seit mehr als einem Jahr in diesem Hause — und in Ihrem Ministerium sicher noch länger — bekannt. Auch diese Summe war nicht in der mittelfristigen Finanzplanung. Wenn sie darin enthalten gewesen wäre, wäre die
Lage für das Agrarministerium günstiger gewesen. Das läßt sich wohl nicht bestreiten.
Wir begrüßen, daß die neue Bundesregierung den Beschluß gefaßt hat, die nationalen Mittel und die EWG-Mittel getrennt zu etatisieren, so daß die Mittel für die nationale Agrarpolitik im Agraretat, die Mittel für den EWG-Agrarfonds im Einzelplan 60 ausgebracht werden sollen.
Wenn die jetzige Bundesregierung die Zusagen in bezug auf die Agrarpolitik — die EWG-Agrarpolitik und die nationale Agrarpolitik — in den weiteren Verhandlungen und im Bundeshaushalt wahrmacht, dann wird die deutsche Landwirtschaft mit dieser Agrarpolitik zufrieden sein können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600713400
Das Wort hat der Abgeordnete Klinker.

Hans-Jürgen Klinker (CDU):
Rede ID: ID0600713500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben es hier heute mit der Aussprache zur Regierungserklärung Brandt zu tun und haben durch das Ministergespann Ertl—Schiller — den einen als Landwirtschaftsminister und den anderen als Ernährungsminister, möchte ich sagen —(Zurufe)

einige zusätzliche Erklärungen bekommen. (Anhaltende Zurufe.)

— Nein: Ernährungsminister Schiller und Landwirtschaftsminister Ertl;

(Heiterkeit)

ich glaube, auf Grund des Ergebnisses in Luxemburg
ist hier durchaus der Platz, das einmal festzustellen.
Ich möchte aber jetzt konkretisieren und mich etwas mehr mit der Aussage der Regierungserklärung beschäftigen.
Durch die Bindung der deutschen Agrarpreise an den „grünen Dollar" droht den deutschen Landwirten, auch nach dem Beschluß des EWG-Ministerrats vom 27. Oktober, ein Einkommensverlust von mindestens 1,7 Milliarden DM; da beißt keine Maus ein Stück vom Faden ab. Diese Preiseinbuße schlägt zwangsläufig voll auf das Einkommen durch. Das heißt, das Einkommen unserer Landwirtschaft wird im Durchschnitt um etwa 20 % verringert. Gleichzeitig zeichnen sich im Zuge der konjunkturellen Entwicklung in der Bundesrepublik durch Preis- und Kostensteigerungen erhebliche zusätzliche Belastungen für die deutsche Landwirtschaft ab. Sie, Herr Bundeskanzler, haben der deutschen Landwirtschaft versprochen, daß ihr durch die Aufwertung keine Einkommensverluste entstehen.
Die von der EWG-Kommission und den anderen EWG-Partnerländern vorgeschlagenen Ausgleichszahlungen sind nach meiner Auffassung kein geeigneter Weg zur Erfüllung dieses Versprechens. Auch die von Ihnen aufgezeigten Wege eines Ausgleichs durch eine Änderung des Mehrwersteuergesetzes und durch direkte Ausgleichszahlungen sind nicht



Klinker
geeignet, die Einkommensverluste der deutschen Landwirtschaft auf die Dauer zu verhindern.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600713600
Gestatten Sie, Herr Abgeordneter, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Peters (Poppenbüll)?

Hans-Jürgen Klinker (CDU):
Rede ID: ID0600713700
Bitte!

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0600713800
Herr Klinker, ist Ihnen nicht klar, daß, wenn nicht aufgewertet worden wäre, die Preissteigerungen für die Bedarfsartikel, die die Landwirtschaft kaufen muß, weit größer gewesen wären als jetzt?

Hans-Jürgen Klinker (CDU):
Rede ID: ID0600713900
Dafür bleiben Sie mir den Beweis schuldig, Herr Peters; das ist nicht drin!

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Stücklen: Es war eine reine Schutzbehauptung!)

Ich halte den Standpunkt von Kommission und Rat für falsch — das möchte ich hier auch sagen —, daß der EWG-Markt durch die Beibehaltung des bisherigen deutschen Preisniveaus bei einem Grenzausgleich in Frage gestellt werde.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600714000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Junghans?

Hans-Jürgen Klinker (CDU):
Rede ID: ID0600714100
Bitte sehr!

Hans-Jürgen Junghans (SPD):
Rede ID: ID0600714200
Herr Kollege, kennen Sie den § 37 der Geschäftsordnung, in dem es heißt: „Die Redner sprechen grundsätzlich in freiem Vortrag."?

(Zurufe von der SPD. — Gegenrufe von der CDU/CSU.)


Hans-Jürgen Klinker (CDU):
Rede ID: ID0600714300
Herr Kollege, natürlich kenne ich den. Aber bei so schwerwiegenden Problemen muß ich wohl etwas meine Zahlen gebrauchen dürfen. Ich glaube, daß sollten Sie mir nicht vorwerfen.

(Zurufe von der SPD.)

Meine Freunde wissen, daß ich natürlich auch ohne alles formulieren kann.

(Erneute Zurufe.)

Aber das ist hier keine Art und Weise.

(Anhaltende Zurufe.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600714400
Meine Damen und Herren, es besteht kein Zweifel daran, daß die Diskussionsbeiträge frei zu halten sind. Ich habe einen der Redner heute morgen bereits auf den § 37 aufmerksam gemacht, ihm sein Studium empfohlen. Ich hätte es zum Schluß bei Herrn Abgeordneten Klinker ebenfalls getan. Es ist das erstemal in diesen beiden Tagen, daß von jener Bestimmung Gebrauch gemacht wird. Ich darf dringend bitten, daß alle Kollegen, die 15-Minuten-Beiträge geben, sich in Zukunft an diesen Paragraphen halten. Herr Kollege Klinker, ich darf Sie bitten, Ihre Ausführungen auf Ihre 15 Minuten Redezeit zu begrenzen und möglichst einen freien Vortrag zu halten.

Hans-Jürgen Klinker (CDU):
Rede ID: ID0600714500
Aber, Herr Präsident, ich habe es ja schon gesagt, daß ich so schwerwiegende und an den Kern der Probleme herangehende Darstellungen nur geben kann, wenn ich mir die Formulierung wirklich ernsthaft überlegt habe, und dafür haben Sie wohl Verständnis.

(Zurufe von der SPD.)

Ich bin der Meinung, Herr Bundeskanzler, daß diese Sechs-Wochen-Frist zu kurz ist. Sie werden in der Zwischenzeit mit all den Vorbereitungen, die erforderlich sind, gar nicht fertig werden. Es wäre nach meiner Auffassung politisch richtig gewesen, die Regelung für eine Zeit bis mindestens nach der Gipfelkonferenz zu treffen. Ich bin auch der Meinung, daß die deutsche Landwirtschaft auf Grund dieser vorläufigen Beschlüsse absolut noch nicht von den Gefahren freigestellt ist und daß die Stellungnahmen, die hier von einigen Herren abgegeben werden, weit an der tatsächlichen Schwierigkeit der Probleme vorbeigehen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600714600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Fellermaier?

Ludwig Fellermaier (SPD):
Rede ID: ID0600714700
Herr Kollege Klinker, mich wundert sehr — und deshalb frage ich Sie —, daß Sie hier das Wort an den Herrn Bundeskanzler richten, obwohl Sie als Mitglied des Europäischen Parlaments wissen, daß solche Entscheidungen im Rat eben auch dann getroffen werden, wenn sie von einem Mitgliedstaat nicht oder nur teilweise gebilligt wurden. Das sind doch gemeinsame Ratsentscheidungen.

Hans-Jürgen Klinker (CDU):
Rede ID: ID0600714800
Nein, ich fordere den Bundeskanzler ja geradezu auf, sich mit dieser sechswöchigen Frist nicht zufriedenzugeben, sondern die Frist unbedingt zu verlängern,

(Beifall bei der CDU/CSU)

weil man in dieser Zeit einfach nicht agieren kann, Herr Fellermaier.

(Abg. Fellermaier: Dann haben Sie nicht aufgepaßt, was Herr Schiller gestern zu diesem Komplex vorgetragen hat!)

— Herr Schiller hat von der Verlängerung der Sechs-Wochen-Frist kein Wort gesagt.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600714900
Lehnt Ihre Regierung das Mansholt-Memorandum in der bisherigen Form wirklich ab?

(Abg. Fellermaier: Fragen Sie doch Herrn Hallstein!)

Stehen Sie, Herr Bundeskanzler, ernsthaft hinter der Koalitionsabsprache, daß die Strukturpolitik allein kein Ersatz für eine aktive Erzeugerpreispolitik sein kann? Denn Sie sprechen in der Regierungserklärung nur davon, daß bei den notwendigen Strukturverbesserungen eine Politik des Preisdrucks vermieden werden müsse. Herr Bundeskanzler, be-



Klinker
fürworten Sie im Ernst eine landwirtschaftliche Preispolitik, die sich an den Kosten und Gegebenheiten des Marktes ausrichtet? Diese konkrete Frage möchte ich Ihnen stellen. Wird Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler, im Ministerrat die Auffassung des Herrn Präsidenten Mansholt, daß die Struktur- die Preispolitik ersetzen kann, auch mit Entschiedenheit ablehnen?
Nach der agrarpolitischen Zielsetzung Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, soll das deutsche Agrarprogramm wie auch die gemeinsame EWG-Agrarpolitik nun weiterentwickelt werden. Da wünsche ich Ihnen viel Glück. Ich muß sagen, daß die Ausführungen Ihres Finanzministers zu der Frage der Finanzierung durchaus eine gute Diskussionsgrundlage bilden. Ich bin der Meinung, daß man auf eine solche Aussage, was die innere Agrarpolitik anlangt, aufbauen kann.
Auf der anderen Seite meine ich aber, daß die doch nicht sehr präzisen Ausführungen des neuen Herrn Ministers noch sehr viel mehr konkretisiert werden müssen, wenn überhaupt ein Verhandlungserfolg in Brüssel erreicht werden soll.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich glaube, mit so einfachen Formulierungen, wie es hier heute gemacht wurde, kann man keine europäische Agrarpolitik ernsthaft begründen und auch vertreten.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600715000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dröscher?

Wilhelm Dröscher (SPD):
Rede ID: ID0600715100
Herr Kollege Klinker, sind Sie 'bereit, nach dieser Fragestellung zu erklären, welche grundsätzlichen Unterschiede in der Tendenz auf die Betriebsvergrößerung und die ökonomische Verbesserung der Strukturen es zwischen dem HöcherlPlan und dem Mansholt-Memorandum gibt, und zu erläutern, welche konkreten Preisvorstellungen es im Höcherl-Plan gegeben hat?

Hans-Jürgen Klinker (CDU):
Rede ID: ID0600715200
Herr Kollege Dröscher, die Tendenz des Mansholt-Plans unterscheidet sich in dieser Beziehung von dem gemeinsamen Plan der vorigen Regierungsfraktion dadurch, daß man eben den Einzelbetrieb fördern will. Mansholt will eine Entwicklung einleiten, die unsere bäuerliche Struktur ernsthaft in Gefahr bringen kann. Und Sie wissen, daß in dem Vertrag letztlich steht, daß die europäische Landwirtschaft im Hinblick auf einen bäuerlichen Betrieb entwickelt werden soll.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600715300
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Peters (Poppenbüll)?

Hans-Jürgen Klinker (CDU):
Rede ID: ID0600715400
Bitte!

Walter Peters (FDP):
Rede ID: ID0600715500
Herr Klinker, sind Sie der Meinung, daß die Verhandlungen, die Herr Schmücker 1964 führte, erfolgreicher waren als die, die jetzt von Herrn Minister Schiller und Herrn Minister Ertl geführt worden sind?

Hans-Jürgen Klinker (CDU):
Rede ID: ID0600715600
Herr Peters, ich habe kein Wort davon gesagt, daß die Verhandlungen von Schiller und Ertl völlig erfolglos gewesen sind. Ich bin der Meinung, daß ein Zugzwang auch bei den weiteren Verhandlungen, die die Herren durchzuführen haben, bestehen wird, der mindestens genauso hart sein wird wie der bei den damaligen Verhandlungen, die die Minister Schmücker und Schwarz zu führen hatten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.) Das werden wir in Kürze erleben.


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600715700
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dröscher? —

Wilhelm Dröscher (SPD):
Rede ID: ID0600715800
Sind Sie bereit, Herr Kollege Klinker, zuzugeben, daß nach dem Mansholt-Papier die Einzelbetriebsförderung genauso möglich ist wie die Förderung neuer Betriebseinheiten?

Hans-Jürgen Klinker (CDU):
Rede ID: ID0600715900
Herr Kollege Dröscher, das Mansholt-Papier ist ein Memorandum, also eine Diskussionsgrundlage. Einzelheiten sind noch nicht beschlossen. Deswegen kann ich hier auch Ihre Frage nicht mit Ja oder Nein beantworten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600716000
Wir freuen uns, Herr Abgeordneter Klinker, daß es auch ohne das Manuskript ging. — Das Wort hat nun der Abgeordnete Logemann.

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0600716100
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst auf die Aussagen des Kollegen Klinker zurückkommen. Ich möchte meinen Kollegen Ertl, unseren Landwirtschaftsminister, doch in Schutz nehmen. Sie alle haben ja heute morgen miterlebt, daß er einfach nicht die Zeit fand, seine Vorstellungen nun noch konkret zu entwickeln; er wurde laufend durch Zwischenfragen unterbrochen. Kollege Ertl wird das in nächster Zeit mit Sicherheit noch im einzelnen nachholen; wir haben immer wieder Gelegenheit — dafür werden Sie ja Sorge tragen — zu diskutieren.
Ich bin auch sehr erfreut darüber, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Opposition, daß Sie doch in der Tat hier heute morgen eine so lebhafte Opposition entwickelt haben. Ich muß aber feststellen, daß Ihre lebhafte Opposition, die heute morgen hier gezeigt worden ist und die ich begrüße, Ihre bisherigen, 20jährigen agrarpolitischen Leistungen bei weitem übertrifft. Das will ich einmal feststellen: dazwischen besteht wirklich ein sehr, sehr großer Unterschied.

(Abg. Bewerunge: Sie waren ja teilweise über lange Strecken beteiligt, Herr Logemann. Vorsichtig!)

Wir möchten wirklich — hier stimme ich mit Minister Ertl überein — eine lebhafte und starke Opposition. Ich habe auch das Gefühl, daß wir die be-



Logemann
kommen werden. Ich habe so den Eindruck, daß wir künftig sogar eine königlich-bayerische Opposition im Deutschen Bundestag erleben werden; auch das möchte ich als positives Vorzeichen sehen.
Ich bitte aber — bei aller Kritik, die Sie an uns üben — doch auch von der Opposition her immer wieder um bessere Vorschläge. Ich glaube, Kritik und bessere Vorschläge gehören in der Tat zusammen, wenn man zu einer fruchtbaren Entwicklung — in diesem Falle der Agrarpolitik — kommen will.
Nun noch einiges zu Herrn Klinker. Uns ist durchaus bekannt, Herr Kollege Klinker, daß wir Preiseinbußen von 20'0/o bekommen werden. Aber genauso bekannt sollte Ihnen doch auch sein, daß der Herr Bundeskanzler und alle kompetenten Minister einen vollen Einkommensausgleich für diese Preiseinbußen zugesagt haben. Und, meine Damen und Herren von der Opposition, vergessen Sie doch eines nicht: Wir haben schon im Frühjahr dieses Jahres darauf hingewiesen, daß im Falle einer Nichtaufwertung der Deutschen Mark der deutschen Landwirtschaft bis zum Herbst Einkommensverluste in einer Größenordnung von fast 400 Millionen DM durch Kostensteigerungen entstehen würden. Bitte rechnen Sie doch einmal zusammen, was allein schon die Preissteigerungen bei Landmaschinen usw. auf der Kostenseite ausmachen, so daß wir immer wieder auch berücksichtigen müssen , welche Folgen eine Nichtaufwertung für die deutsche Landwirtschaft doch in der Tat schon jetzt hat und in Zukunft noch verstärkt gehabt hätte.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600716200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bewerunge?

Karl Bewerunge (CDU):
Rede ID: ID0600716300
Sind Sie nicht der Meinun, Herr Logemann, daß diese Fragen hier nur rein akademisch behandelt werden? Wir wissen genau, daß weitere Preiserhöhungen kommen und zusätzliche Verluste von 20 % eintreten werden. Ist durch die Aufwertung der D-Mark ohne Berücksichtigung der Probleme der Landwirtschaft nicht eine hoffnungslose Situation entstanden, in der heute morgen auch der Fachminister nicht wußte, wie er sich dazu einstellen soll? Ist das nicht die ernste Situation?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0600716400
Ich sehe durchaus die Schwierigkeiten, die sich jetzt ergeben. Aber, Herr Kollege Bewerunge, verkennen Sie doch nicht das, was in der Zwischenzeit schon eingetreten ist, nämlich die Verluste, die wir z. B. durch die Einfuhr von französischem Weizen, durch das Unterlaufen der Preise für deutsche Agrarerzeugnisse praktisch schon gehabt haben. Das alles schlägt doch genauso zu Buche. Ich habe durchaus nicht den Eindruck gehabt, daß der Minister heute morgen um einen Lösungsvorschlag verlegen gewesen wäre, sondern er hat nur nicht die Zeit gefunden, um die Dinge nun noch im einzelnen konkret darzustellen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600716500
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Apel?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0600716600
Bitte sehr!

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0600716700
Herr Kollege, sind Sie bereit, die Kollegen von der CDU darauf aufmerksam zu machen, daß die Schließung der Devisenbörsen und dann die Freigabe der Wechselkurse am 29. im Endeffekt der Landwirtschaft diese Schwierigkeiten bereits gebracht hatten und daß nur ein Schlußpunkt unter die Entwicklung gesetzt wurde, die schon eingeleitet und die auch notwendig war?

(Zurufe von der CDU/CSU.)


Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0600716800
Selbstverständlich! Das will ich gern bestätigen. Aber das müßte der CDU/CSU selbst bekannt sein; denn sie hatte ja diese QuasiAufwertung mit beschlossen. Wir waren also praktisch schon, wenn Sie so wollen, ins Wasser hineingeworfen worden.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600716900
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dasch?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0600717000
Bitte!

Valentin Dasch (CSU):
Rede ID: ID0600717100
Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß Sie mit Ihren jetzigen Äußerungen, daß es für die Landwirtschaft in Deutschland praktisch nur einen staatlichen Einkommensausgleich gebe, völlig im Widerspruch zu dem stehen, was die FDP vor der Wahl im ganzen Bundesgebiet als Preispolitik gefordert hat?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0600717200
Herr Dasch, Sie können beruhigt sein. Ich komme gleich noch auf die Preispolitik.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600717300
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Niegel?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0600717400
Bitte sehr!

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0600717500
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß die Kostenerhöhungen, ob Aufwertung oder Nichtaufwertung, zwangsläufig auf die Landwirtschaft zugekommen wären? Glauben Sie ferner nicht, daß die Lohnerhöhungen, die erfolgt sind, so oder so gekommen wären?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0600717600
Ohne Aufwertung — das müssen wir doch sehen — wären aber doch diese Kostensteigerungen erheblich stärker gewesen. Jetzt haben wir durchaus die Möglichkeit, mit der Aufwertung bremsend auf die Entwicklung einzuwirken. Das alles hat der Bundeswirtschaftsminister gestern schon in aller Eindeutigkeit dargestellt.
Meine Damen und Herren, ich bin gehalten, meine Redezeit von 15 Minuten nicht zu überschreiten. Ich möchte also nur noch eine Zwischenfrage zulassen, Herr Präsident.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600717700
Bitte schön! Herr Abgeordneter Ehnes zu einer Zwischenfrage.




Georg Ehnes (CSU):
Rede ID: ID0600717800
Herr Kollege Logemann, teilen Sie meine Auffassung, daß Herr Bundeswirtschaftsminsiter Schiller die Verantwortung zu leicht genommen hat? Denn er hat sich damals gegen eine Aufwertung der D-Mark ausgesprochen.

(Widerspruch bei der SPD.)


Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0600717900
Nein, das ist nicht der Fall gewesen. Wir haben über diese Dinge hier im Bundestag diskutiert. Herr Minister Schiller hat am 8. Mai seine Auffassung zur Aufwertung der D-Mark deutlich vorgetragen.

(Abg. Dr. Schwörer: Und im November 1968?!)

Meine Damen und Herren, ich komme damit aber zu meinem eigentlichen Beitrag. Uns ist durchaus bekannt, welche schwierige Hypotheken wir in der Regierungsverantwortung gerade für die Agrarpolitik übernommen haben. Es sind Hypotheken, die zum Teil durch die Verzögerung der Aufwertung der D-Mark entstanden sind. Das alles bringt uns in ungeheure Schwierigkeiten. Sie alle haben die Meldung aus dem Landwirtschaftsministerium über das entstehende Haushaltsdefizit gehört. Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen sagen: wir sehen aus der Verantwortung heraus durchaus die Realitäten.
Ich möchte an dieser Stelle Herrn Minister Schiller und Herrn Minister Ertl sehr dafür danken, daß sie versucht und alle möglichen Anstrengungen gemacht haben, im Ministerrat weitere Schwierigkeiten für die deutsche Landwirtschaft zu verhindern. Hier ist vorhin gesagt worden, dies sei ein neues Gespann. In der Tat! Ich bin der Auffassung, daß dieses „Gespann" Schiller/Ertl in Zukunft zugfest sein wird. Davon bin ich fest überzeugt, und darauf kommt es, meine ich, in der Zukunft doch entscheidend an.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren von der Opposition, haben Sie denn wirklich erwartet, daß die neue Regierung in Brüssel nun sofort die Sterne würde vom Himmel holen können? Das war doch angesichts der Belastungen und der Festlegung, die vorhanden war, nicht zu erwarten. Auch das muß man doch sehen.
Ich bin überhaupt der Auffassung, Sie sollten der neuen Regierung zunächst einmal eine Schonzeit gewähren. Wir wollen diese Schonzeit nicht ausnutzen — das ist jetzt schon deutlich geworden —, sondern sofort konkret zu den einzelnen Punkten etwas sagen und dazu auch Vorschläge entwickeln. Was ich aber als positiv werte, ist die Tatsache, daß doch in dieser Regierung der gute Wille zu einer Agrarpolitik entsprechend unseren Vorstellungen durchaus vorhanden ist.
Ich möchte hier vor allem das Verhalten des Bundeskanzlers Brandt lobend hervorheben. Noch vor Abgabe der Regierungserklärung war er bereit, eine „kriegsstarke Kompanie" von Vertretern des Deutschen Bauernverbandes zur Beratung zu empfangen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir schon einmal gehört!)

— Sicherlich, Sie haben es schon einmal gehört; aber ich glaube, es ist gut, wenn es noch einmal gesagt wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Denn völlig im Gegensatz zu dieser Gesprächsbereitschaft von Bundeskanzler Brandt schon vor der Regierungserklärung stand doch das Verhalten des Bundeskanzlers — jetzt außer Diensten — Dr. Kiesinger. Bei Herrn Dr. Kiesinger war es erst nach monatelangem Briefeschreiben des Präsidenten Rehwinkel überhaupt möglich, daß die Bauernvertreter endlich einmal auf Gesprächsbereitschaft stießen.

(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Da hatten sie es nicht so nötig!)

— Herr Kollege Dr. Kiesinger, da war es wirklich sehr, sehr nötig.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber das ist doch keine vergleichbare Situation! Das ist doch eine katastrophale Situation!)

— Völlig vergleichbar. Meine Damen und Herren, Regierungserklärungen sind immer vergleichbar; sie sind ja auch die Aussage des Bundeskanzlers für die kommende Agrarpolitik. Herr Kollege Dr. Kiesinger, ich habe auch die Regierungserklärung von 1966 wiederholt nachgelesen. Minister Ertl hat es heute morgen schon gesagt: von der Agrarpolitik wirklich kein Wort, kein einziges Wort! Die erste Aussage dazu haben Sie dann gemacht auf Grund der Großen Anfrage, die wir von der FDP im November 1967, glaube ich, eingeleitet hatten. Herr Kollege Dr. Kiesinger, ich muß Ihnen sagen: Sie haben damals sehr wohlklingende Worte für die deutsche Landwirtschaft gefunden. Sie haben auch nicht vergessen, an das Wohl der Landfrauen zu denken.

(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Wir haben sogar Mehrheitsabstimmungen im Kabinett gehabt!)

— Das alles wirkte sehr positiv. Mein Kollege Ertl, der nach Ihrer Stellungnahme damals hier das Wort nahm, hat damals erklärt: schön hat er es gesagt, aber nichts hat er gesagt! Damit hat er recht behalten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es war eben keine Aussage zur Agrarpolitik da. (Zurufe von der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600718000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0600718100
Ich will keine Zwischenfrage mehr gestatten, weil meine Zeit wahrscheinlich gleich abgelaufen ist.
Meine Damen und Herren! Ich komme damit noch zu einigen Anmerkungen zur Regierungserklärung, die ich wirklich für sehr wichtig halte. In dieser Regierungserklärung — und ich glaube, das ist einmalig bei allen Regierungserklärungen der letzten Jahre — ist der Satz festgehalten: Die Landwirtschaft soll sich zu einem gleichrangigen Teil unserer modernen Volkswirtschaft entwickeln, der an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwick-



Logemann
lung teilnimmt. Hinzu kommt weiter die Erfüllung einer gemeinsamen Forderung, die hier immer wieder erhoben worden ist, daß nämlich in Zukunft die Vertreter der Landwirtschaft an der konzertierten Aktion teilnehmen können. Das sind doch Aussagen!

(Zuruf von der CDU/CSU: Das hat bisher Herr Schiller verweigert!)

— Aber die Zusage ist in der Regierungserklärung enthalten. Ich finde, wir sollten das nicht übersehen, sondern wir sollten diese Aussage der Regierungserklärung nun auch praktisch nutzen. Das ist ein Auftrag, vor allen Dingen von der Opposition her auf diese Dinge einzugehen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Lesen die die Argumente von Herrn Schiller gegen die Einbeziehung der Landwirtschaft in die konzertierte Aktion nach!)

Meine Damen und Herren, ich möchte weiter sagen, daß es aber auch noch andere positive Aussagen gibt. Ich werte z. B. auch das positiv, was zur Agrarstrukturpolitik gesagt worden ist. Ich glaube, der Kollege Hallstein wird in der Zwischenzeit eingesehen haben, daß er sich gestern in einem Irrtum bei seinen Aussagen und Stellungnahmen befand.
In der Regierungserklärung steht zur Strukturpolitik ein weiterer Satz: daß bei der notwendigen Strukturverbesserung der Landwirtschaft eine Politik des Preisdruckes vermieden werden müßte.

(Abg. Bewerunge: Ist das Ihr Konzept?)

Da haben wir also die Preise. Das entspricht völlig den Vorstellungen der Freien Demokraten; das darf ich hier in aller Deutlichkeit sagen.

(Abg. Bewerunge: Ist das Ihr kostendeckender Preis?)

- Nein, meine Damen und Herren von der Opposition, geben Sie doch bei den Preisen nicht so schnell auf; noch ist Polen nicht verloren.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir können hier durchaus noch Chancen wahrnehmen. Wir haben ja EWG-Regelungen. Ich denke dabei an die Zuckerrüben. Man könnte analog dazu andere Dinge entwickeln. Warum denn gleich so pessimistisch?
In diesem Zusammenhang noch den Hinweis, daß für uns die Erzeugerpreispolitik ein wichtiger Bestandteil der landwirtschaftlichen Einkommenspolitik bleiben wird. Der Herr Kollege Ertl hat hier als Minister schon angedeutet, um welche Dinge es in der modernen Strukturpolitik heute geht. Ich will diesen Katalog nicht weiter ausführen, sondern nur anmerken, daß ich schon im Frühjahr dieses Jahres anläßlich der Agrardebatte positiv auf die Schiller-Studie verwiesen habe. Ich glaube, daß die Schiller-Studie und das Agrarprogramm der Bundesregierung sehr wohl geeignet sind, uns auf dein Wege der Strukturpolitik weiterzuhelfen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600718200
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung von 13.02 Uhr bis 15.02 Uhr.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600718300
Die Sitzung ist wieder eröffnet. Das Haus fährt in der Aussprache über die Regierungserklärung fort. Das Wort hat Herr Bundesminister Professor Karl Schiller. Seine Redezeit ist auf 30 Minuten angesagt.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600718400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle haben heute mit großem Interesse und mit Anteilnahme die frische Morgenattacke unseres Kollegen Strauß verfolgt. Er hatte mir später versprochen, zu meiner Replik jetzt hier zu sein; ich nehme an, er wird gleich kommen. Leider hat er bei jener Morgenattacke sehr oft nur die Hälfte des Frontabschnittes berührt, d. h. die Hälfte der Wahrheit. Leider hatte er sich erst einmal klugerweise im Frühnebel einige Pappkameraden im Gelände aufgestellt, um sie dann abzuschießen. Dabei hat er dann viele Fahrkarten geschossen. Das kann auch einem alten, verdienten Heeresflakartilleristen passieren, das gestehe ich ihm gerne zu.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Aber diese ganze Parforcetour und diese Morgenattacke diente wohl in erster Linie der moralischen Aufrüstung der eigenen Truppe, und das mag auch gewürdigt werden.

(Erneute Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Nun komme ich inhaltlich zum Ersten. Kollege Strauß sprach davon, die Regierungserklärung von Kanzler Brandt sei so aufgebaut und angelegt, daß nun mit dieser Regierungserklärung eine neue Zeitrechnung beginne. „Ab urbe condita", so würde Strauß sagen, werde nunmehr gezählt— Jahr I, II, III usw. — Übrigens, Sie wissen, wie lange Rom gestanden hat — weit mehr als zwanzig Jahre.

(Heiterkeit bei der SPD.)

Dazu sagte er, man habe zu wenig oder fast gar nicht auf Dinge verwiesen, die vor dieser Zeitrechnung oder dieser Zeitenwende erarbeitet worden seien, und wir hätten nicht gesehen - so möchte ich es ausdrücken —, daß jeder Nachfolger in der Politik und jede neue Regierung auf den Schultern ihrer Vorgänger stünden - was ich übrigens im Dezember 1966 von mir aus für unsere damalige Lage gesagt habe.
Ich möchte jedoch auf ein Gebiet und ein Thema hinweisen, das den Kollegen Strauß und mich ungemein beschäftigt hat und das ihn doch auch in seiner neuen Funktion beschäftigen sollte: ich meine das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft. Bundeskanzler Brandt hat in seiner Regierungserklärung wörtlich gesagt: „Dieses Gesetz ist eine der großen Reformleistungen des Fünften Deutschen Bundestages, es verpflichtet zum Handeln." Das heißt: er hat ausdrücklich in diesem Fall - in einem Fall, der Strauß und Schiller gleichermaßen anging — bezüglich der Arbeit des

Bundesminister Dr. Schiller
Zustandebringens und der Vorarbeit der letzten Regierung und des letzten Bundestages seine Reverenz erwiesen.
Aber ich erwähne das nicht nur aus diesem Grunde, sondern ich erwähne es auch aus inhaltlichen Gründen. Mit diesem Gesetz ist unser Instrumentenkasten der Globalsteuerung geschaffen. Wir — Bundeskanzler Brandt und ich selber als Bundeswirtschaftsminister seines Kabinetts — haben keine Sehnsucht und keinen Bedarf nach weiteren Instrumenten, nach weiteren Schräubchen. Mit dem Stabilitäts- und Wachtumsgesetz ist unser Werkzeugkasten komplett. Ich möchte der Fama entgegentreten, daß ich immer mehr Bedarf entwickelte nach weiteren Haken und Ösen, nach neuen Schräubchen, Hämmerchen und Zangen. Nichts davon ist richtig.

(Abg. Dr. Barzel: Vielleicht ein paar Bretter?)

— Ja, die muß man bohren! Das ist aber allgemeines Schicksal der Politik, von Max Weber als Bohren harter Bretter formuliert, das wissen Sie.

(Abg. Dr. Barzel: Je nachdem, wo die Bretter gerade sind!)

— Aber nicht im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz und bei den beiden Autoren und auch dem dritten Autor, Dr. Alex Möller. Bei den dreien können Sie nicht von Brettern vor gewissen Körperteilen reden. Nicht wahr, das meinten Sie doch, Herr Dr. Barzel?

(Heiterkeit.)

Ein Zweites: Mit dieser eindeutigen Betonung, daß unsere künftige Politik, soweit sie den Ablauf des Wirtschaftsprozesses betrifft, d. h. die sogenannte Prozeßpolitik, auf diesem Gesetz basieren wird und daß wir uns diesem Gesetz verpflichtet fühlen, ist in der Regierungserklärung zugleich eindeutig ein neuer Schwerpunkt im Gegensatz zur alten Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 im wirtschaftspolitischen Bereich gesetzt worden: die Stärkung der marktwirtschaftlichen Ordnung; um es noch deutlicher zu sagen: die Ordnungspolitik. Ich brauche nur ein Zitat aus dem Leitartikel der heutigen Frankfurter Allegemeinen Zeitung zu geben — von Herrn Fack —; da steht: das neue Regierungsprogramm habe
einen bewußt ordnungspolitischen Kern . . . Im Zentrum steht dabei die Vervollkommnung des Kartellgesetzes in einer Richtung, die von den Unionsparteien zwanzig Jahre hindurch immer nur anvisiert, aber niemals verwirklicht worden ist.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Sie sehen also, lieber Herr Strauß, auf marktwirtschaftlichem Gebiete versuchen wir, Ihr 20jähriges
Bemühen zu übertreffen. Das ist doch ganz legitim.

(Abg. Dr. Stoltenberg: Und wie ist es mit der Preisbindung der zweiten Hand?)

— Lieber Herr Stoltenberg, Sie haben Ihren Schäffer,
hätte ich bald gesagt, Ihren Grundriß der Ökonomie
gut gelernt, und Sie greifen, wenn ich bei Punkt 2 bin, immer schon auf Punkt 3 vor.

(Abg. Dr. Stoltenberg: Das tut man bei Professoren immer!)

Ich kann wieder nur sagen: Es gibt keine Möglichkeit — ich wäre selber froh, wenn es sie gäbe —, alle Dinge mit einem Wort auf einmal und zugleich zu sagen.

(Beifall und Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

Kollege Strauß hat in seiner Kritik an diesem zentralen Passus der Regierungserklärung von Bundeskanzler Brandt gesagt, die Sache mit der Mißbrauchsaufsicht über marktstarke Unternehmungen sei für ihn eine zu unklare Sache. Er wolle eine klare Definition. Lieber Herr Strauß, ich muß bei Ihnen hier eine Informations- oder Gedächtnislücke feststellen. Im vorigen Jahr habe ich eine Kartellnovelle eingebracht, und zwar auch in bezug auf eine Neuformulierung der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende und marktstarke Unternehmungen. Sie ist dann aus einem anderen Grunde gescheitert, übrigens nicht im Kabinett, sondern in einem Gremium davor. Über diesen Punkt brauchen wir uns im Moment nicht zu unterhalten. Aber diese Novelle enthielt eine klare Definition, eine klare Umgrenzung der Ausdehnung der Mißbrauchskontrolle auf marktbeherrschende und marktstarke Unternehmen. Lieber Herr Strauß, dieser Entwurf war in diesem Punkte mit Ihnen bzw. Ihrem Hause — ich hoffe, das war dasselbe — einvernehmlich abgestimmt worden.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Warum haben Sie ihn an der Preisbindung zweiter Hand scheitern lassen?)

— Das kommt noch. Aber in jenem anderen Punkt hatten Sie zugestimmt.
Lieber Herr Strauß, Sie sprachen im Zusammenhang mit der Preisbindung von einer gewissen dogmatischen Starrheit. Was diesen Punkt angeht, so muß ich Sie wiederum daran erinnern, daß ich in jenen Gremien, die über dieses Thema zu beraten hatten, vier oder fünf Kompromißvorschläge gemacht habe. Der allermildeste sah z. B. vor, alle bestehenden Preisbindungen der zweiten Hand weiterhin rechtlich geschützt zu lassen, die Neuanmeldungen für Preisbindungen der zweiten Hand aber einem schärferen Verfahren zu unterwerfen. Dieser Vorschlag ist abgelehnt worden. Ich glaube, auch eine neue Kartellnovelle wird der marktmäßigen Kräften mehr Raum geben als einer Normierung des Inhalts, daß die Preisbindung der zweiten Hand schlagartig außer Kraft gesetzt wird
Ich möchte noch etwas zum marktwirtschaftlicher Gehalt dieses alten und neuen Entwurfs sagen. Wir wollen neben der Ablaufspolitik oder Globalsteuerung — oder wie wir das nennen wollen — in Zukunft tatsächlich den Marktkräften mehr Raum geben. Wie hältst du es mit der Marktwirtschaft? Sc fragen wir viele hier im Raum.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Ist das Ihr nächstes Buch?)




Bundesminister Dr. Schiller
— Lieber Herr Kollege Strauß, ich denke bei Ihnen z. B. an § 23 des Außenwirtschaftsgesetzes, eines Ihrer Lieblingskinder — das ist vielleicht nicht ganz richtig —, aber sicher eines Ihrer Lieblingsobjekte. Das war nicht marktwirtschaftlich. Da haben sich unsere Geister immer geschieden.
Ich denke hier auch an eine andere Sache, an ein anderes Lieblingsprojekt Ihrerseits: die selektive Kontrolle der deutschen Auslandsinvestitionen. Ich erwähne es nur. Manchesmal haben wir festgestellt: Mit der Marktwirtschaft war es bei mir ein bißchen mehr. ich sage Ihnen: Ihr marktwirtschaftliches Godesberger Programm müssen Sie bei der CSU noch nachholen. Das ist mir ganz klar.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. h. c. Strauß: Selektive Kontrolle der Auslandsinvestitionen?)

— Jawohl, ein Lieblingsthema von Ihnen. Damit haben wir uns so oft befassen müssen.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Da haben Sie sich in der Adresse getäuscht!)

— Nein, die Rheindorfer Straße ist eine ganz hohe Adresse bei uns, die ist bei uns hochgeachtet gewesen und wird es weiter sein.

(Zurufe von der CDU/CSU: Gewesen!)

- Sie haben von uns ja anders gedacht. Ich habe
gesagt: Wir liefern Ihnen für eine bestimmte Regelung eine Feldhaubitze, also keine große Lösung. Da haben Sie sagen lassen: Duisdorf ist für uns schon lange eine Stalinorgel. So war das.

(Heiterkeit bei der SPD.)

Aber lassen wir die humorvollen Reminiszenzen aus der Vergangenheit.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Sie scheinen ein militaristisches Phantasieleben zu führen.)

— Nein, nein, das sind doch schöne Zitate aus diesen erlebnisreichen zweidreiviertel Jahren.
Das dritte ist die präventive Fusionskontrolle. Da muß ich Ihnen nun sagen, lieber Herr Strauß: dagegen haben Sie sich heute morgen sehr dezidiert ausgesprochen. Ich selbst halte eine Kontrolle des Zusammenschlusses — etwa nach dem britischen Modell — Großer oder sehr Großer zu noch Größeren für marktkonforn, während ich zugleich gegen eine starre Marktanteilsbegrenzung bin. Die letztere wäre dirigistisch. Wenn man sagte: ,,Jeder darf nur 30 % haben", muß man nämlich kontingentieren. Aber das ist nicht der Punkt.
Ich komme auf jene andere Sache zurück. Ich habe vor mir das Heft 2 vom September 1969 der angesehenen Zeitschrift „Marktwirtschaft" liegen. Unser Kollege Heinrich Gewandt, Vorsitzender des Diskussionskreises Mittelstand der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages, schreibt darin —ich darf zitieren, Herr Präsident :
Die präventive Fusionskontrolle ist zum zentralen Problem bei der Novellierung des Kartellgesetzes geworden. Sie ist Bestandteil sowohl des Wahlprogramms der CDU wie auch des Programms der CDU-Sozialausschüsse und der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU.

(Heiterkeit und Beifall hei der SPD.)

Lieber Herr Strauß, entweder besteht da eine
Informationslücke zwischen der CSU und der CDU
— das weiß ich nicht — oder diese eindeutige Erklärung, diese Bezugnahme auf Programme, gehört zu jenem schönen Thema, das heute morgen Herr Kollege Ertl so anschaulich beschrieben hat, nämlich zu der großen Bandbreite von CDU und CSU zusammen.

(Heiterkeit bei FDP.)

Auf dieser Bandbreite gibt es also ein klares Nein auf seiten von Franz Josef Strauß gegen die präventive Fusionskontrolle und unter Berufung auf ein Wahlprogramm der CDU und einige andere Dokumente ein klares Ja auf seiten von Heinrich Gewandt aus Hamburg. Herr Gewandt, ich hoffe, zu Ihren Gunsten, daß diese Ihre Äußerungen nicht nur bis zum 28. September, 18.00 Uhr, Gültigkeit hatten. Ich hoffe, daß sie weiter Gültigkeit haben.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

— Ich bedanke mich. Damit kann ich nur sagen: Leider ist dieser Aspekt, lieber Herr Strauß, den Sie so kritisch aufgeworfen haben in dem Bemühen, die moralische Aufrüstung Ihrer Truppe ein bißchen zu festigen,

(Zuruf von der CDU/CSU.)

in diesem Fall nach meiner Ansicht nicht gerade dazu geeignet, die Moral Ihrer Truppe zu festigen.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Rechnen Sie es Helmut Schmidt als Reserveübung an!)

Da ist doch ein eindeutiger Widerspruch unter Ihren Heerhaufen festzustellen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Dann, Herr Kollege Strauß, nachdem wir die Ordnungspolitik im Sinne einer fortschrittlichen und sich weiter entwickelnden Marktwirtschaft angedeutet haben als logische Folge des Tatbestands, daß in der vorigen Regierung die Fragen der Instrumente für die Ablaufspolitik klar geregelt worden sind, möchte ich mich nun noch kurz zu jenem anderen Thema der Aufwertung der D-Mark äußern, nicht um das Thema: Aufwertung oder Anpassungsinflation bis in alle Ewigkeit — es ist von dem Regierungssprecher dabei ja einmal die Ewigkeit beschworen worden — fortzusetzen.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Haben Sie ihn deshalb behalten?)

— Nein! Mir steht es nicht zu, mich dazu zu äußern. Ich bin wenigstens nicht dazu ordiniert, von „Ewigkeit zu Ewigkeit" zu sprechen. Das müssen andere Leute machen.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien. —Zuruf des Abg. Dr. h. c. Strauß.)

- Sie auch nicht, Herr Strauß. - Aber Sie sprachen von der öffentlichen Debatte über die Aufwertung und beklagten sich darüber. Ich rede dabei nicht über die Zeiten des Wahlkampfes. Ich habe gestern in Ihrer Abwesenheit gesagt, ich verstehe Ihre Worte vom frühen Nachmittag gestern dahin, daß die Tätigkeit hier im Parlament nicht die Fortsetzung des Wahlkampfes mit anderen Mitteln ist.

(Beifall bei der SPD.)




Bundesminister Dr. Schiller
Aber am 9. Mai fiel jene Entscheidung — das muß ich nun erwähnen; das war vor dem Wahlkampf —,

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Für Sie nicht!)

und am 14. Mai haben Sie mit Ihrer Anzeigenaktion begonnen: „Mit Franz Josef Strauß als Finanzminister bleibt die D-Mark hart, die Wirtschaft gesund, da kann kommen, wer will." Das heißt, durch die Nichtaufwertung — so wurde suggeriert — wird die Mark hart bleiben, während sie doch durch eine Aufwertung — ob sie nun angebracht ist oder nicht, das will ich jetzt gar nicht diskutieren - auf jeden Fall, lieber Herr Strauß, härter wird. Diese Diskussion haben Sie mit dieser Anzeigenserie begonnen.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Ich habe mich doch an den Kabinettsbeschluß gehalten, aber Sie nicht!)

— Bloß, Sie haben mit dieser öffentlichen Diskussion einmal — das weiß ich ganz genau — gegen eine sanfte Mahnung des damaligen Bundeskanzlers verstoßen, nicht in ein Triumphgeheul der Kabinettsmehrheit einzustimmen; und zum anderen haben Sie mit dieser Anzeigenserie die Kampagne gegen die ökonomische Vernunft und die Kampagne für eine ökonomisch richtige Entscheidung erst angeheizt. Das ist nun einmal so gewesen.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Die Unterschriftensammlung der Professoren war doch früher!)

— An der war ich nicht beteiligt. Sie wissen, es waren 99, und einige haben später gesagt, sie hätten einen Platz für mich gelassen, damit es 100 werden. Ich war aber nicht dabei.
Nun, Herr Strauß, gerade Sie hätten eine ganz klare Möglichkeit gehabt, die öffentliche Debatte über Preise und Preisstabilität, über Währung, über Aufwertung oder Nichtaufwertung zu verhindern, und zwar durch Handeln der Regierung. Sie wissen ganz genau — und das muß ich sagen, weil es bei Ihnen immer unter den Tisch gewischt wird -: am 23. Juni habe ich dem Kabinett — zuerst dem Herrn Bundeskanzler — ein Memorandum mit einer ganzen Serie von Ersatzmaßnahmen außenwirtschaftlicher und binnenwirtschaftlicher Art vorgelegt, um von dem einen Instrument herunterzukommen und um auch darzulegen, daß man nicht monoman sei. In diesem Dokument, das Sie genau kennen — wir haben mehrfach darüber telefoniert; Sie waren aus gegebenem Anlaß, infolge Ihres Unfalls, in Würzburg — steht einmal:
Ein erhebliches Nachhinken der Tariflöhne hinter der Entwicklung der Effektivverdienste und steigende Kosten der Lebenshaltung führen zu verstärkten Tariflohnforderungen. In Anbetracht der sich weiter verschärfenden Arbeitskräfteknappheit werden diese Forderungen spätestens ab Herbst dieses Jahres zunehmend auch von den Unternehmern bewilligt werden.
Das war die zentrale Prognose dieses Memorandums.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Eine der vielen!)

Aber richtig. Und es gab Ihnen die Möglichkeit, mit der öffentlichen Diskussion Schluß zu machen — Sie standen doch der Sache nahe — und etwa außenwirtschaftlich die steuerliche Absicherung, die 4 % Exportbesteuerung und 4 % Importverbilligung, zu verstärken.
Ebenso waren Sie doch nicht gar ein Todfeind einer befristeten Aussetzung der degressiven Abschreibungen. Ich erinnere mich unserer Gespräche, und ich erinnere mich der ersten Halbzeit einer Kabinettsitzung, wo Sie diesen Dingen sehr gewogen waren und wo der damalige Bundeskanzler sagte: Das ist eine neue Situation. Dann zogen Sie sich zurück — ich sagte damals: von nun ab tritt die Minderheitsregierung in Funktion — und kamen dann heraus mit dem Ergebnis, daß Sie sich der Mehrheit bei Ihnen angeschlossen hatten. Sie hatten sich ihr gebeugt, gut. Aber damit war diese Variante, die von der einseitigen Debatte wegging und wegführen konnte, verspielt, Herr Strauß. Das war doch am 22. Juli noch einmal eine Chance im Kabinett.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600718500
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600718600
Ja, natürlich!

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600718700
Bitte, Herr Abgeordneter Strauß!

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600718800
Würden Sie mir glauben, Herr Kollege Schiller, daß ich nach den bedauerlichen Auseinandersetzungen um die Aufwertung, bei denen Sie ja Ihre Position über Nacht um 180 Grad geändert haben — —

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600718900
Das war nicht im Sommer des Jahres!

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600719000
Das war nur wenige Wochen vorher.
Dr. Schiller: Bundesminister für Wirtschaft: Aber Sie leben doch auch nach dem Gregorianischen Kalender, hören Sie mal, das war im März! —

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)


Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600719100
Aber ich weiß nicht, ob der Gregorianische Kalender vorschreibt, daß man innerhalb kürzester Zeit seine Meinung um 180 Grad ändern muß. Das hat doch mit dem Kalender nichts zu tun.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber würden Sie mir glauben, daß ich nach der bedauerlichen Auseinandersetzung um die Aufwertung, auf die ich übrigens nicht zurückkommen will, um des lieben Friedens willen die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen nicht völlig ausgeschlagen habe, daß ich aber - bitte, nehmen Sie mir das jetzt endlich hier wenigstens einmal ab -




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600719200
Ja, gerne!

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600719300
— Ihre ständigen Vorschläge, die Exportsteuer zu verdoppeln oder auf 6 ° o zu erhöhen, dabei die Altkontrakte diesmal herauszulassen — früher wurden sie hereingenommen —, die Investitionssteuer, deren frühere Senkung Sie vorgeschlagen haben, zu erhöhen

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600719400
Das stand gar nicht zur Debatte!

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Der Vorschlag der Senkung war anderthalb Jahre vorher!

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600719500
— nein, Sie haben doch in Ihrem Papier vom 23. Juni die Erhöhung der Investitionssteuer verlangt -

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600719600
Eben, in einer veränderten Zeit!

(Zurufe von der SPD.)


Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600719700
— und die degressive Abschreibung zeitweise auszusetzen, daß ich alle diese Vorschläge als eine Sünde wider eine vernünftige Steuerpolitik abgelehnt habe, weil sie ein dauerndes Drehen an der Steuerschraube bedeuten?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600719800
Herr Kollege Strauß, ich nehme Ihre Ausführungen entgegen; obgleich eine jener Maßnahmen im Stabilitätsgesetz steht.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Aber Sie dürfen mich nicht immer unterbrechen, wenn ich eine Frage an Sie richte! — Widerspruch bei der SPD.)

— Aber Unterbrechungen sind doch parlamentarisch erlaubt.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600719900
Herr Abgeordneter Strauß, das Haus hatte sicher Nachsicht mit Ihnen, daß Sie, statt eine Frage zu stellen, interessante Ausführungen gemacht haben.

(Beifall bei der SPD. Abg. Dr. h. c. Strauß: Ich hoffe, daß Sie immer den gleichen Maßstab anwenden, Herr Präsident!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600720000
Aber ich bin immer — —

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Keinen doppelten Maßstab bitte! Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600720100
Der Redner hat das Wort. Der Fragesteller hat nur das Wort zu einer Zwischenfrage.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Diese Fragen sind in diesem Hause üblich!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600720200
Aber ich bin immer hei Herrn Strauß gerne Helfer in Steuersachen,

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien)

und als Helfer in Steuersachen bei Herrn Strauß setze ich hinter seine Ausführungen ein Fragezeichen; dann ist er parlamentarisch soeben auch korrekt gewesen.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien. Abg. Dr. h. c. Strauß: Sie sollten doch so viel Deutsch können, daß Sie eine Frage bis zum Ende verfolgen können!)

— Ach, Ihre Fragen kann ich immer ganz schön verfolgen. — Sie wissen ganz genau, daß jener Katalog in meinem Memorandum vom 23. Juni beidhüftig war und daß gemeint war, ein Mittel auf der rechten Seite außenwirtschaftlicher Art und ein Mittel auf der linken Seite binnenwirtschaftlicher Art auszuwählen und beide zusammen zu ergreifen, nicht aber die ganze Serie auf der einen Seite oder die ganze Serie auf der anderen Seite. So ist es doch wirklich nicht gewesen.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Und — oder — oder, haben Sie geschrieben! — Abg. Stücklen: Interessantes Material für die Memoiren, die Sie mal schreiben werden!)

— Gar keine Memoiren, lieber Herr Stücklen. Es geht um ein anderes Thema: um das Thema, daß es sich nicht immer um die valutarische Lösung handelte, und vor allem darum, die öffentliche Debatte — Sie hätten die Gelegenheit gehabt, Herr Strauß hatte es mir telefonisch aus Würzburg selber gesagt — durch Handeln der alten Regierung zu beenden. Aber sie hat nicht gehandelt. Das war es doch!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Im übrigen geht es um die alte Geschichte, daran führt also kein Weg vorbei: Wer Dämpfung in einer Hochkonjunktur ablehnt, muß sich doch ehrlich auf die beiden Alternativen hin entscheiden und sagen: „Ich will die Alternative A" oder „Ich will die Alternative B". Es gibt Leute — Professor Stützel, Diether Stolze —, die sind gegen die Aufwertung, sagen aber ganz deutlich: „Dafür nehmen wir die Preissteigerung einer expandierenden Wirtschaft in Kauf."

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600720300
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Strauß?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600720400
Ja, bitte!

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600720500
Herr Schiller, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es nicht nur eine wissenschaftliche Meinung gibt, sondern daß es eine ganze Reihe von potenten Wissenschaftlern einschlägiger Art gibt, die anderer Meinung sind als Sie und die von Ihnen nicht einfach abqualifiziert werden dürfen? Wenn Ihnen deren



Dr. h. c. Strauß
Namen nicht bekannt sind — sind Sie dann bereit, diese Namen von mir wenigstens zu hören? Und schließlich, Herr Kollege Schiller: Haben Sie den Bericht der EWG-Kommission gelesen, wo als Dampfungsmaßnahmen haushaltspolitische Mittel empfohlen worden sind, und wissen Sie, daß Sie einer der Hauptsprecher gegen meine Einsparungsvorschläge waren?

(Beifall bei der CDU CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600720600
Herr Strauß, das letzte ist nicht der Fall. Nun sind wir also wirklich in der Exegese der Vergangenheit.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Ich wollte die Sperre im Kabinett, und Sie haben es verhindert!)

— Aber lieber Herr Strauß, die Sperre im Kabinett trägt zwei Unterschriften. Ich komme darauf noch.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Das zweite Mal! In der zweiten Runde!)

Ab 18. März gab es eine Vorlage im Kabinett auf Sperre von 1,8 Milliarden DM. Darunter standen zwei Namen, zwei gutbürgerliche Namen, Strauß und Schiller, und nichts weiter. Das war eine gemeinsame Vorlage.

(Abg. Wehner: Ja!)

Das wissen die Kollegen aus dem Kabinett.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Aber nur begrenzt! — Lachen bei der SPD. Weitere Zurufe und Gegenrufe.)

Das war diese Phase. Und nachher habe ich doch in der zweiten Phase, am 22. Juli, bei der endgültigen Sperrung auch ja gesagt.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Sind das keine Dämpfungsmaßnahmen?)

— Natürlich! Aber nicht genügend. — Und ich habe Ihnen den prominentesten Vertreter der Wissenschaft — soweit ich das sehe —, der im Sachverständigenrat in der Minderheit war, der gegen die Aufwertung war,

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Den meine ich ja gar nicht!)

genannt, und zwar mit Betonung genannt, weil er sagt: Ohne Aufwertung muß man eine bestimmte, relativ hohe jährliche Preissteigerungsrate in Kauf nehmen.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Den meine ich ja gar nicht!)

— Ich weiß nicht, wen Sie sonst meinen, ob Sie dabei etwa ins Ausland gehen, ins befreundete Ausland.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Schmölders, Stucken, Salin, Meimberg, Veit!)

— Nun, darunter sind eine Reihe von Herren, von denen ich sagen würde, daß sie in bezug auf unser Stabilitätsbewußtsein nicht ganz so rigoros sind, wie ich es bin und wie Sie es eigentlich sein müßten, Herr Strauß. Nicht alle!

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Fällen Sie Werturteile über Kollegen?)

— Nein, nein! Das ist doch kein moralisches Werturteil. Ich bitte Sie!
Das alles war, glaube ich, eine verpaßte Chance. Man sollte nicht über die Vergangenheit so reden, als ob es nur einen Feldzug für oder gegen Aufwertung gegeben hätte. Und dann will ich den ganzen Wahlkampf auslassen, weil es sinnlos ist, die Platten, die in den vier oder sechs Wochen vor dem 28. September abgelaufen sind, hier erneut ablaufen zu lassen.
Ich möchte nun zu dem Thema übergehen, das die erste wirkliche stabilitätspolitische Tat noch der alten Regierung seit Anfang des Jahres war, nämlich zu der Freigabe der Wechselkurse am 29. September.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600720700
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dichgans?
Dr. Schiller, Bundesminister für Wirtschaft. Ja.

Dr. Hans Dichgans (CDU):
Rede ID: ID0600720800
Herr Minister, wann glauben Sie, wird die nächste Aufwertung notwendig sein?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600720900
Herr Dichgans, wir haben, wie Sie wissen, einen mutigen Aufwertungssatz von 8,5% gewählt, der vorgreift. Wir setzen unsere ganze Hoffnung darauf, daß die anderen Länder in der Europäischen Gemeinschaft nun endlich einmal von der ständigen Verletzung der Stabilitätsvorschriften der europäischen Verträge ablassen.

(Ah!-Rufe von der CDU/CSU.)

— Jawohl! Ja, sollen wir denn das Sichgehenlassen mitmachen?

(Zurufe von der CDU/CSU: Schlamperei, ja!) - Wollen Sie das?


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600721000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Strauß?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600721100
Herr Kollege Schiller, sind wenigstens Sie in der Lage, die Frage zu beantworten, die Ihr Kollege Landwirtschaftsminister heute morgen nicht beantworten konnte?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600721200
Er hat doch alle Fragen sehr gut beantwortet!

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)


Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600721300
Die nicht! Die Frage habe ich zweimal gestellt und sie ist zweimal nicht beantwortet worden.
Erstens: Was haben Sie getan, um in Verbindung mit dem Aufwertungsbeschluß der deutschen Regierung, obendrein in der Höhe von 81/2 %, der drosselnd wirkt und deshalb neues Gasgeben erfordert, was Sie ganz genau wissen —




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600721400
Na, na, na! Nicht so schnell damit!

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600721500
wir kennen uns
auf dem Gebiet schon sehr lange, mit Konjunkturhaushalten usw. - , um in Verbindung mit dem Aufwertungsbeschluß ein konjunkturkonformes Verhalten der Länder zu fordern? Wenn Sie es nicht getan haben - zweitens -: Warum haben Sie es unterlassen, und was waren Ihre Erfolge dabei?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600721600
Erstens habe ich genauso wie der Kollege Ertl sehr deutlich gesagt, daß es unmöglich ist — das ist im Jahre 1962 passiert; daran war ich nicht beteiligt und auch Herr Ertl nicht unmittelbar —, einen grünen Dollar mit einer europäischen Agrarmarktordnung zu schaffen und im übrigen in der Währungs-, Wirtschafts- und Kreditpolitik völlig auseinanderzulaufen. Daß das zu ständigen Spannungen, zu eruptiven Paritätsänderungen mit Folgen führt. — —(Abg. Dr. h. c. Strauß: Die zweite Frage!) — Ich kann nicht ganz so schnell reden wie Sie.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Das halte ich für ausgeschlossen!)

— Sie halten es für ausgeschlossen, na gut, wollen wir dem mal nachkommen!
Zweitens ist sehr deutlich gesagt worden: Mit dieser Geschichte muß Schluß sein; und wenn bei diesem deutschen Schritt, der ja unter anderem durch die Inflationierung der anderen Mitgliedstaaten mit veranlaßt ist, in der EWG jetzt die Lasten nicht gemeinsam getragen werden, dann müßten wir einen Hebel ansetzen. Ich habe gestern verlesen, daß ich dort eine sehr harte Erklärung abgab. Ich habe nämlich gesagt: Das bedeutet, daß nun im Rat das Verursachungsprinzip und nicht mehr das gemeinschaftliche Prinzip angewendet wird. Wer seine Währung ändert, muß dafür also selber bezahlen.
In Zukunft heißt das als Konsequenz für die Bundesregierung: Wir werden bei der kommenden Agrarfinanzierung ebenfalls das Verursachungsprinzip anwenden, d. h. derjenige, der die Überschüsse veranlaßt hat, muß bezahlen. So ist es von mir in Luxemburg gesagt worden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.) Damit haben wir schon Schrauben eingezogen.


(Abg. Dr. h. c. Strauß: Sie glauben immer an die phraseologische Kraft!)

— Herr Strauß, Sie kennen doch Brüssel. Na ja, allzu häufig waren Sie nicht da. Ich habe da deutlich gesprochen. Aber davon abgesehen! Dafür, daß im Augenblick der Aufwertung und im Augenblick der Neubildung einer Bundesregierung Kollege Ertl und ich als letzten Hebel nicht die Politik des leeren Stuhls praktizierten — Herr Strauß, das wäre nämlich noch das allerletzte Mittel —, daß wir das nicht getan haben, dafür erbitte ich allerdings um Nachsicht des ganzen Hauses. Ich möchte einmal die
Debatte heute sehen, wenn wir das gemacht hätten

(Beifall bei den Regierungsparteien — Abg. Dr. h. c. Strauß und Abg. Höcherl melden sich zu einer Zwischenfrage.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600721700
Eine Zwischen frage des Herrn Abgeordneten Höcherl.

(Abg. Haehser: Das sind ja beides Bayern; die können doch zusammen sprechen! — Heiterkeit.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600721800
Id bin an das Leben mit den Bayern gewöhnt; das wissen Sie.

(Heiterkeit bei der SPD.)


Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0600721900
Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben soeben das Verursachungsprinzip zitiert, und zwar in der Form, daß Sie in Ihren beabsichtigten Maßnahmen auf die nationale Verursachung zielen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600722000
Das uns von anderer Seite entgegen gehalten wurde!

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0600722100
Wie, glauben Sie, ist es mit dem EWG-Vertrag, mit der europäischen Integrationspolitik zu vereinbaren, wieder auf nationale Verursachungen zurückzugehen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600722200
Nun, ich nehme an, Sie haben mit ebenso großer Aufmerksamkeit und hoffentlich auch mit ebenso großer Freude wie ich den Ausführungen meines Kollegen Ertl heute morgen gelauscht. Er hat Möglichkeiten nach dem Vertrag aufgewiesen, daß man sich sehr wohl auch auf nationale Marktordnungen beziehen und gleichzeitig ein guter Europäer im Sinne der europäischen Verträge sein kann. Das hat er ganz deutlich gesagt.

(Abg. Höcherl: Ja, Herr Professor Schiller, dazu gehört ein großer Glaube! — Beifall bei der CDU/CSU.)

— Den großen Glauben mögen Sie ja haben, aber wir haben die Kenntnis, und wir haben gestern gehandelt, nicht wahr.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600722300
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Strauß.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600722400
Ich bedaure, feststellen zu müssen, daß Sie meine Frage nicht zur Kenntnis genommen haben. Sie lautet: Was haben Sie, wenn Sie schon zur Aufwertung entschlossen waren und wenn die anderen Fünf schon erheblich daran interessiert zu sein schienen, getan, diese Aufwertung im Sinne einer conditio sine qua non zu verbinden mit einem konjunkturpolitischen Kodex der Sechs, so daß dieser Schritt mit einer Maßnahme verbunden wird, die dann weitere Änderungen von Währungsparitäten nicht mehr erforder-



Dr. h. c. Strauß
lieh macht? Und welche anderen Linder sind jetzt bereit, ähnliche Schritte zu tun?

(Beifall bei der CDU CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600722500
Herr Strauß. Sie veranlassen mich, mein Rednerkonto hier immer mehr zu überziehen.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Das hat Sie noch nie gestört!)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600722600
Es ist schon überzogen, Herr Minister.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600722700
Ich tue das nur, wenn ich eine entsprechende Kreditlinie vom Präsidenten bekomme; dann antworte ich auch darauf. — Der von Herrn Strauß erwähnte konjunkturpolitische Kodex ist lange beschlossen und in Rotterdam beschworen worden. Ich weiß nicht, ob Sie dabei waren, Herr Strauß. Aber in GarmischPartenkirchen waren Sie dabei; da haben wir ihn wieder beschworen. Und diesen Kodex habe ich als Punkt Nummer 1 für das weitere Verhalten und für die Beteiligung der anderen Länder an dieser deutschen Aktion, als conditio sine qua non — —

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Und trotzdem haben Sie es anders gemacht!)

- Wir haben es doch nicht anders gemacht!

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Sie verwechseln doch Kodex mit Stilübung! — Unruhe bei der SPD.)

- Nein, ich habe den Kodex benutzt und ein Junktim aufgestellt.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Wo ist das Junktim?) — Das Junktim heißt: Ihr müßt mit bezahlen,


(Abg. Dr. h. c. Strauß: Das ist gar nicht gemeint!)

und ihr müßt eure Politik entsprechend gestalten. Beides ist drin!

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Haben Sie die feste Zusage?)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600722800
Herr Bundesmini-
ster, — —

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600722900
Beides hat der Rat zur Kenntnis genommen. Der Rat hat zur Kenntnis genommen, - —

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600723000
Meine Damen und Herren! Ich finde Dialoge sehr interessant. Nur sind sie nicht ganz —

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600723100
Also, Herr Strauß, — —

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600723200
Nur sind sie nicht ganz geschäftsordnungsgemäß. Die Geschäftsordnung kennt Zwischenfragen, aber keine Dialoge.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600723300
Ich habe ganz eindeutig —

(Erneute Heiterkeit bei der CDU/CSU.) — Ich kann doch antworten!


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600723400
Bitte?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600723500
Oder kann ich nicht antworten?

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600723600
Natürlich! Das war nicht an Sie gerichtet.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600723700
Herr Strauß, ich habe erstens auf die Tatsache hingewiesen, daß der Art. 104 durch andere Staaten verletzt wird und das aufhören sollte, und zweitens darauf, daß die anderen Staaten auch bei dem Verursachungsprinzip eine kommunitäre Teilfinanzierung zu leisten haben. Wenn sie das kommunitäre Prinzip noch anwenden werden, müssen sie auch etwas leisten.
Aber nun zur Freigabe der Wechselkurse, zu unserer eigenen Sache. Sie wissen ganz genau, am 29. September gab es zwei Möglichkeiten: den § 23 Außenwirtschaftsgesetz, eine Lieblingslösung von Ihrer Seite, Herr Strauß, Devisenbannwirtschaft, auf deutsch gesagt: Devisenzwangswirtschaft. Sie wissen seit dem 9. Mai, daß ich im Kabinett erklärt habe: Ich mache alles mit; aber die Anwendung des § 23, die Einführung der strikten Devisenbewirtschaftung nach außen hin, nicht im Sinne nur einer Arabeske, das ist für mich die Kabinettsfrage. Das war für mich die Grenzlinie.
Zum zweiten. Sie selber haben sich dann der marktwirtschaftlichen Lösung, nämlich der Freigabe der Wechselkurse, angeschlossen. Sie war vorbereitet durch eine gemeinsame Arbeit von vier Staatssekretären aus vier Häusern. Sie sollten sich über die Tragweite dieser Maßnahmen vom 29. September im Sinne eines stillen Vergleichs, wie ich gestern sagte, eigentlich im klaren gewesen sein.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600723800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600723900
Sind Sie noch in der Lage, sich zu erinnern — —

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600724000
Ich bin immer in der Lage, mich an Sie zu erinnern.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600724100
Es fragt sich, woran.
Sind Sie noch in der Lage, sich daran zu erinnern, daß der Direktor der Deutschen Bundesbank, Ottmar Emminger, erklärt hat, daß es aus den bekannten Gründen — die ich hier nicht zu wiederholen brauche, weil ich sie in meiner Rede genannt habe —, jetzt notwendig sei, die Wechselkurse vorübergehend freizugeben, daß der Marktzwang sogar

Dr. h. c. Strauß
zur alten Parität zurückführen werde und damit in keiner Weise eine Präjudizierung irgendwelcher Art verbunden sei?

(Zurufe von der SPD.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600724200
Herr Strauß, ich darf die Sache ergänzen.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Sind Sie bereit, sich daran zu erinnern?)

— Ich darf die Sache in einem ganz entscheidenden Punkt ergänzen. Herr Emminger hat die Rückkehr zur alten Parität als nicht ausgeschlossen bezeichnet. — Schade, daß der Name gefallen ist. Sie hätten lieber sagen sollen: ein Vertreter der Deutschen Bundesbank. Dann ist der Vertreter der Bundesbank in dem Konventikel, das Sie dann wieder einmal in dieser itio in partes des Kabinetts, d. h. in der Minderheitsregierung, veranstaltet haben, gefragt worden: Unter welchen Voraussetzungen ist eine Rückkehr zur Parität möglich? — Darauf hat Herr Emminger gesagt: Mit einem überzeugenden Programm. — Dann haben Kollegen von Ihnen Herrn Emminger gefragt: Worin besteht denn das „überzeugende Programm", uni zur alten Parität zurückzukehren? — Darauf hat er klipp und klar gesagt: Dieses „überzeugende Programm" besteht in der Anpassungsinflation. — Das ist die volle Story, Herr Strauß.

(Hört! Hört! und lebhafter Beifall bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600724300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Arndt?

Dr. Klaus Dieter Arndt (SPD):
Rede ID: ID0600724400
Herr Bundeswirtschaftsminister, können Sie mir in diesem Zusammenhang mitteilen, mit welcher Preissteigerungsrate die Deutsche Bundesbank gerechnet hat, falls es nicht zu einer Aufwertung gekommen wäre?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600724500
Mit etwa 6 %!

(Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Dr. Luda: Damit hat die Deutsche Bundesbank gerechnet?)

— Ja, mit 6 %, in den internen Beratungen.

(Abg. Dr. Luda: In internen Beratungen?) — Für 1970, jahresdurchschnittlich.

Dann sagte Herr Strauß, andere Länder hätten nicht nachgezogen, vielleicht aus wohlerwogenen Beweggründen. Nun, Herr Strauß, wir wußten genau Bescheid. Es gab innere Schwellenwerte für verschiedene Nachbarländer, von denen ab man, wenn sie durch eine deutsche Aufwertung erreicht worden wären, halbwegs mitgekommen wäre. Diese Schwellenwerte, Herr Strauß — ich muß Ihnen das sagen —, hätten für die deutsche Aufwertung zweistellige Zahlen bedeutet. Dann wären andere Länder wahrscheinlich halbwegs mitgegangen. Das schien uns nun im Ausschuß des Kabinetts, der für diese Fragen eingesetzt worden ist, des Guten zuviel.
Im übrigen haben wir festgestellt: Manche Mitgliedsländer gehen deshalb nicht mit, weil sie andere politische Prioritäten haben, und zwar im Widerspruch zu den Römischen Verträgen, weil sie eine heimische Preissteigerung von 7 bis 8 % pro Jahr als Alternative zu einer Aufwertung ihrer eigenen Währung als politische Wertvorstellung eben hinnehmen. Das ist eben eine andere politische Entscheidung.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Wieviel Prozent, sagten Sie?)

— 7 % bis 8 % jährlich.

(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Herr Schiller, wenn das so ist, wann kommt dann bei uns die nächste Aufwertung?)

— Herr Dr. Kiesinger, wenn diese Aufwertung, wie Präsident Blessing geschätzt hat, drei Jahre dauert, — —

(Abg. Dr. Luda: Zwei Jahre, hat er gesagt!)

— Zwei bis drei; niemand kann es abschätzen. Eines kann ich Ihnen sagen: In den Grundsätzen der Nationalökonomie findet sich der alte Spruch: Die Natur macht keine großen Sprünge — dann macht man es in kleineren Schritten viel besser, als wenn man es lange verzögert, wie wir es tun mußten, und dann schließlich einen großen Sprung von 81/2 % macht. Besser wäre es gewesen für die Gesamtwirtschaft und für die Gleichmäßigkeit der Entwicklung, zweimal 4 oder einmal 4 und einmal 41/2 zu nehmen.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

Aber ich sehe, wir kommen hier in einen Dialog,

(Zuruf von der SPD: In ein Kolleg!) in ein Propädeutikum, hätte ich bald gesagt.


(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600724600
Herr Abgeordneter Strauß zu einer Zwischenfrage.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600724700
Dem Propädeutikum stimme ich durchaus zu; ich glaube, daß Sie einiges hier zu lernen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei den Regierungsparteien.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600724800
Ich lerne immer gerne zu.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600724900
Aber, Herr Kollege Schiller, sind Sie sich wirklich nicht darüber im klaren, daß eine jeweils in kurzfristigen Abständen stattfindende Änderung des Außenwertes der D-Mark ein permanentes Element der Unrast und der Unruhe in einen Wirtschaftszweig hineinbringt, der auf langfristige Dispositionen angewiesen ist und der Anspruch darauf hat, vor staatlichen Manipulationen seiner Ertragslage verschont zu werden?

(Beifall bei der CDU/CSU.)





Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600725000
Ich kann Ihnen nur eines sagen: dann bestätigen Sie meine Aussage von gestern: Die deutsche Wirtschaft und die internationale Wirtschaft sind erleichtert über den mutigen Aufwertungssatz, der bedeutet

(Lebhafter Widerspruch bei der CDU/CSU — Abg. Dr. h. c. Strauß: Total falsch!)

— lassen Sie mich doch auch ausreden, ich habe Sie doch auch in Ruhe angehört —

(Abg. Dr. Pohle: Das Interesse der deutschen Wirtschaft ist dagegen! — Abg. Dr. h. c. Strauß: Die deutsche Wirtschaft ist der Meinung, daß der Zwischenzustand endlich einmal beseitigt werden muß!)

daß allesamt froh sind, daß diese Bundesrepublik Deutschland auf zwei bis drei Jahre kein Herd irgendwelcher Spekulation zugunsten der D-Mark und zu Lasten anderer Länder sein kann. Das ist der Tatbestand. Und das haben wir durch unser Handeln erreicht.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Pohle: Und so etwas ist Wirtschaftsminister. — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich bin gerne bereit, auf jede Frage zu antworten, aber Herr Pohle: eine „unbequeme Opposition", wie Barzel sie empfohlen hat, ist gut. Bloß eine Opposition der Phonstärke, das reicht mir nicht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600725100
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Strauß?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600725200
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, Herr Kollege Schiller, daß Ihre Behauptung, die deutsche Wirtschaft habe diesen Schritt begrüßt, eine unzulässige Vermischung von zwei Motiven darstellt? Sie hat es nämlich begrüßt, daß der Zwischenzustand, der Schrecken ohne Ende, einmal zu Ende geht, aber sie hat nicht die Aufwertung begrüßt.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD: Frage!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600725300
Herr Strauß, sie tut noch ein weiteres. Ich habe es gestern gesagt, und ich bitte alle anderen hier im Saal um Nachsicht, wenn ich mich wiederhole, aber wir hatten nicht das Glück Ihrer Gegenwart.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Ich habe Sie genau gehört!)

— Sie waren physikalisch hier nicht präsent.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Physikalisch bin ich nie präsent, sondern physisch!)

— Manchmal doch recht physikalisch, ganz augenscheinlich.
Die ganze deutsche Wirtschaft sagt heute: Wären wir doch bloß rechtzeitig dem Schiller gefolgt, dann wäre die Sache billiger geworden.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Widerspruch bei der CDU/CSU.)

— Jawohl!
Herr Strauß, Sie haben immer zwei besondere politische Programmpunkte, man könnte auch sagen, „Anliegen" im Sinne der Evangelischen oder Katholischen Akademien. Das eine ist die Förderung — Herr Strauß, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit, denn ich muß Ihnen antworten —

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Jawohl, Herr Oberlehrer!)

der langfristigen Direktinvestitionen. Da muß ich Ihnen eines sagen: Die Aufwertung de jure um 8,5 Prozent — oder 9,3 Prozent vom Dollar aus gesehen — hat für die Zukunft die Direktinvestitionen deutscher Unternehmer weit mehr gefördert, als alle möglichen Steuererleichterungen, die auf Kosten des kleinen Mannes gehen würden, es je erreicht hätten.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. h. c. Strauß: Trotz der geminderten Ertragslage?)

Endlich ist eingetreten, daß deutsche Unternehmungen öffentlich erklären: Auf Grund der neuen valutarischen Relation halten wir es für leichter, in den USA oder in anderen Ländern zu investieren. Das ist doch ein Ergebnis!

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Bei welchem Ertrag?)

— Herr Strauß, wollen Sie solche Steuererleichterungen auf Kosten der kleinen Steuerzahler? Ist die valutarische Lösung nicht viel gerechter, viel glatter und viel marktwirtschaftlicher?

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Meinen Sie! Scheinbar!)

— Warum denn scheinbar?

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Die müssen doch auch so bezahlt werden!)

— Sie wissen doch ganz genau, daß der Dollar überbewertet ist und daß die D-Mark unterbewertet war. Nun haben wir unseren Schritt getan.
Ein Zweites! Ich will nun noch mal auf Sie eingehen, Herr Strauß. Sie sind der Schreiber des Vorwortes der deutschen Übersetzung von ServanSchreibers Buch „Die amerikanische Herausforderung", eines Werkes, das sich dagegen wendet, daß die Amerikaner — unter anderem — durch ihren überhöhten Wechselkurs in Europa, d. h. auch in Deutschland, Fabriken — übertrieben formuliert — für ein Ei und Butterbrot einkaufen. Es ist ein Buch, das sich gegen diese Überfremdung wendet. Müssen Sie nicht zugeben, daß es bei einem Satz von 9,3 %, dem Satz für einen Amerikaner, der Dollars besitzt, was ich voraussetze — Sie schütteln den Kopf; ich nehme an, daß es so einen Amerikaner gibt —,

(Heiterkeit bei der SPD)




Bundesminister Dr. Schiller
für einen Amerikaner nun schwieriger ist, deutsche Fabriken aufzukaufen, wenn er jetzt 9,3 °/o mehr bezahlen muß, um hier in der Bundesrepublik Kapital zu erwerben? Das ist doch auch der Sinn der Stärkung unserer Währung, daß wir die aus falschen Wechselkursen resultierenden Kapitalbewegungen einschränken.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600725400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stoltenberg?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600725500
Gern!

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0600725600
Ist Ihnen bekannt, Herr Kollege Schiller, daß nach Servan-Schreibers Statistiken die Amerikaner im wesentlichen Geld investieren, das sie hier verdienen, und daß insofern Ihr Argument falsch ist?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600725700
Daß, soweit sie in deutscher Valuta verdienen, lieber Herr Stoltenberg, Veränderungen der Wechselkurse keine Bedeutung haben, ist selbstverständlich. Aber daß der Ausverkauf auf dem Wege über ausländische Währungen — ich sehe ja schon, daß Sie, Herr Stoltenberg, auf dem Wege der Erkenntnis sind —

(Heiterkeit bei den Regierungsparteien)

oder daß die sogenannte Überfremdung deutscher Fabriken durch ausländisches Kapital durch die Erhöhung des Wechselkurses der D-Mark erschwert ist, das müssen Sie doch zugeben.
Ich kann nur zusammenfassen: Gegen die Aufwertung der D-Mark um 8,5 % zu sein und sich dann über ungenügende deutsche Direktinvestitionen im Ausland oder über den Ausverkauf von deutschen Firmen an ausländische Besitzer zu beklagen, das, lieber Herr Strauß — ich komme auf ein morgendliches Zitat von Ihnen —, verträgt sich nicht mit der von Ihnen erwähnten kartesianischen Logik.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600725800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Strauß?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600725900
Sind Sie sich darüber im klaren, Herr Kollege Schiller, daß angesichts der von mir durchaus begrüßten amerikanischen Investitionen in der Bundesrepublik

(Zurufe von der SPD: Ach!)


(Bundeswirtschaftsminister Dr. Schiller: Natürlich! Jetzt reden Sie bald wie ich es immer getan habe)

8,5 oder 9,3 % bedeutungslos sind im Hinblick auf
die Tatsache, daß die Bieter im allgemeinen 250 bis
300 % dessen bieten, was der höchste europäische Bieter zu bieten hat?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600726000
Herr Strauß, Sie tun so, als ob eine Preiserhöhung um 9,3 % einfach für die Katz sei; so tun Sie. In Wirklichkeit ist das schon für sehr viele ein Hindernis.
Oder nehmen Sie einen dritten Fall, der genauso liegt: Wir müssen das Arbeitspotential in unserer Bundesrepublik, damit wir ein bestimmtes stetiges Wachstum erreichen, erhöhen. Mit einem Schlage haben wir durch diese Aufwertung das Angebot an Gastarbeitern erhöht.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Ist das wünschenswert?)

— Wenn wir, lieber Herr Strauß, nur auf diese Weise, durch Zuwanderung von Gastarbeitern, unser Arbeitspotential erhöhen können, dann bin ich sehr wohl dafür. Oder wollen Sie veranlassen, daß wir die Arbeitszeiten in der Bundesrepublik verlängern, daß wir mehr Frauenarbeit, mehr Kinderarbeit einführen?

(Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU.)

Das deutsche Arbeitspotential ist doch voll ausgenutzt, das wissen Sie doch.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600726100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? —

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600726200
Sind Sie der Meinung, Herr Kollege Schiller, daß die Menschen zu den Maschinen transportiert werden sollen — um jetzt in Ihrem Jargon zu sprechen —, oder wäre es nicht besser, deutsche Maschinen zu den Menschen im Ausland zu bringen und damit die Produktion zu verteilen?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600726300
Herr Strauß, da sehen Sie, was für ein glänzendes Mittel die Aufwertung ist. Sie haben es bloß bisher noch nicht ganz so gesehen.

(Heiterkeit.)

Dieses glänzende Mittel schafft nämlich durch die höhere Tauschkraft der D-Mark im Ausland für unsere Kapitalbesitzer die Möglichkeit, dort Gelände und Ansiedlungsobjekte aufzukaufen, wie es umgekehrt den anderen Weg erleichtert, menschliche Arbeitskraft aus fremden Ländern in die Bundesrepublik zu bringen. Gegen diese Logik, Herr Strauß, können Sie mit dem besten Willen nicht an.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. h. c. Strauß: Wenn Sie mich herausfordern, ja!)

Vielen Dank — ein Ja!

(Abg. Dr. h. c. Strauß meldet sich zu einer Zwischenfrage.)





Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600726400
Herr Abgeordneter Strauß, nach der Geschäftsordnung sind nur zwei Fragen zulässig

(Zurufe von der CDU/CSU: Aber die Redezeit!)

— zu einem bestimmten Komplex, nicht zum Ganzen. — Wird sonst noch eine Zwischenfrage gewünscht?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600726500
Ich glaube, wir haben dieses Colloquium privatissime et gratis jetzt hier genügend gehalten. Wir können es gern später fortsetzen. Lieber Herr Strauß, ich gebe Ihnen jetzt erst einmal eine Empfehlung bis zum nächsten Colloquium privatissime et gratis — ohne Aufwertung: Nehmen Sie jetzt die Realitäten so, wie sie sind,

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Ja, ich nehme sie!)

gerade in der Wirtschaftspolitik! Wer in der Wirtschaftspolitik Realitäten ignoriert, der schadet sich selbst. Nehmen Sie das, was diese Bundesregierung gemacht hat, daß sie den langen geistigen Kampf mit einem befreienden Schlag beendet hat, als ein Datum für Ihre weiteren politökonomischen Aspirationen — so möchte ich sagen.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600726600
Herr Abgeordneter Böhme möchte eine Zwischenfrage stellen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600726700
Ich bin an sich beim Schlußwort.

(Abg. Dr. Böhme: Herr Bundeswirtschaftsminister, ist Ihnen bekannt, daß das Angebot — —)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600726800
Herr Abgeordneter, der Herr Bundesminister läßt keine Frage mehr zu.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600726900
Ich möchte jetzt zu einem Schlußwort kommen. Nach dieser Empfehlung an Herrn Kollegen Strauß, der heute morgen wieder eine Attacke gegen die Aufwertung geritten hat, eigentlich postmortal — nicht was Sie, Herr Strauß, betrifft, um Gottes willen, sondern was die Diskussion betrifft —, nach meiner Mahnung, die Realitäten nicht mehr zu ignorieren, möchte ich mit einem Schlußwort schließen, und zwar aus einem ganz anderen Bereich, über den wir beide uns in der Vergangenheit auch unterhalten haben, z. B. im „Anast". Man kann die Liebhaber bayerischer Literatur in zwei Gruppen teilen. Die einen schätzen den Karl Valentin höher — dazu gehöre ich —, die anderen Ludwig Thoma, und Sie haben mir gestanden, daß Sie zu den Anhängern Ludwig Thomas gehören.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Ich habe beide gelesen!)

— Das setze ich voraus, daß Sie alles gelesen haben, was überhaupt „ab urbe condita" geschrieben worden ist.

(Große Heiterkeit.)

Aus Ihrem Ludwig Thoma möchte ich ein paar Zeilen eines ganz kurzen Gedichts zum Abschluß verlesen. Das Gedicht lautet:
Ludwig Thoma:
Nach den Wahlen
Es schreit nicht mehr in fetten Schriften Das Für und Wider von der Wand ... Zur Menschheit wird auf diesem Wege Die heiß entflammte Wählerschar,
Und wieder Nachbar und Kollege Ist, wer noch gestern Schurke war.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Heiterkeit.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600727000
Nun, Ludwig Thoma ist trotz Karl Valentin ein vorzüglicher Dichter gewesen,

(Heiterkeit. — Beifall bei der CDU/CSU.) auch als Verfasser der Filser-Briefe.

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller-Hermann.

Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0600727100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Grunde ist die vergangenheitsbezogene Aufwertungsdiskussion nicht sehr ergiebig. Der Bundeswirtschaftsminister sprach von den Realitäten, von denen wir ausgehen müßten. Wir hätten Anlaß, uns sehr mit der Frage zu beschäftigen, wie wir — um ein Wort meines Fraktionschefs zu gebrauchen — mit dem Klotz am Bein einer überzogenen Aufwertungsquote leben können, ohne Schaden jetzt und auf die Dauer zu nehmen.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr gut!)

Aber diese Aufwertungsdiskussion wird uns von der Bundesregierung aufgezwungen, und sie ist auch nicht unnötig, wie gerade die letzten Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers erkennen ließen.

(Zustimmung in der Mitte.)

Denn im Grunde hat der Herr Bundeswirtschaftsminister uns eben bestätigt, die einseitige Wechselkursänderung der D-Mark gibt keine Gewähr dafür, daß andere Länder, die bisher eine disziplinlose Währungspolitik betrieben haben, durch die deutsche Aktion ermuntert oder genötigt werden könnten, nun eine etwas diszipliniertere Währungspolitik betreiben.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Ja, wir haben durch den einseitigen Schritt der Bundesregierung wahrscheinlich ein Instrument, wenn nicht sogar das einzige Instrument aus der Hand gegeben, das auch eine Wirkung in den anderen Ländern hätte auslösen können, von deren Währungspolitik wir mit abhängen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir können aus den Ausführungen von Herrn
Schiller entnehmen, daß wir uns schon heute auf



Dr. Müller-Hermann
eine neue Aufwertung am Tage X einrichten müssen,

(Hört! Hört! in der Mitte)

ja, daß diese Bundesregierung sich sehr schnell in den Ruf bringen könnte, eine Aufwertungsregierung, eine Regierung der permanenten Aufwertung zu sein.
Das andere, was uns und dem Kollegen Strauß Anlaß gegeben hat, heute auf das Thema in aller Ausgiebigkeit zurückzukommen, ist, daß die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung den Eindruck zu erwecken versucht, als ob die Preisauftriebstendenzen ausschließlich auf die nicht erfolgte Aufwertung zurückzuführen seien. Meine Damen und Herren, das ist ein Ablenkungs- und Vernebelungsmanöver, dem wir entgegentreten müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte darauf hinweisen, daß der Index der Lebenshaltungskosten vom Mai bis Juni dieses Jahres konstant 2,7 % über dem des Vorjahres gelegen hat und im September dieses Jahres eine Steigerungsrate von 0,1 % zu verzeichnen war. Der Herr Wirtschaftsminister hat gestern unter Bezugnahme auf eine vom ihm nicht genannte Quelle für das nächste Jahr einen Preisauftrieb von 5 % vorausgesagt.

(Abg. Leicht: Heute nannte er 6 %!)

Meine Damen und Herren, wogegen wir uns wenden müssen, ist die Simplifizierung in der Darstellung der Bundesregierung, daß „Nichtaufwertung" für „Preisaufstieg" steht und Aufwertung Preissenkung oder Preisdämpfung bedeutet.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. h. c. Strauß: Das monokausale Denken!)

Ein kleines Beispiel! Ich verweise auf eine Notiz in der heutigen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", in der darauf hingewiesen ist, daß die ausländischen Automobilfirmen durchaus keinen Anlaß sehen, wegen der Aufwertung der D-Mark mit ihren Preisen auf dem deutschen Binnenmarkt herunterzugehen. Die bei uns bestehende Nachfrage macht das nicht nötig. Ich bin ganz sicher, daß das, was hier am Beispiel der Automobilindustrie deutlich wird, für viele andere Importgüter in gleicher Weise gilt.
Ich möchte Ihnen zugleich ein anderes weitreichenderes Beispiel in Erinnerung rufen. Denken Sie an die Erfahrungen, die wir 1961 mit der Aufwertung gemacht haben. Der frühere Bundeskanzler Erhard kann sicher bestätigen, daß damals auf Grund der Aufwertung Preisdämpfungstendenzen gar nicht oder wenn überhaupt, dann sehr sporadisch nach Ablauf von etwa einem Jahr in Erscheinung getreten sind.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

Meine Damen und Herren, niemand leugnet, daß wir im Laufe der letzten Zeit überproportionale Exportüberschüsse gehabt haben und daß diese natürlich auch einen gewissen Einfluß auf die Preisentwicklung im Inland haben. Aber diese Exportentwicklung ist mit Sicherheit nicht, wie die Bundesregierung darzustellen versucht, der eigentliche Anstoß für die Preisauftriebsentwicklung.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Von den psychologischen Faktoren ist heute schon zur Genüge gesprochen worden. Meine Damen und Herren, es wäre richtiger gewesen, wenn der Bundeswirtschaftsminister offen bekannt hätte, daß auch er sich geirrt hat,

(Beifall bei der CDU/CSU)

daß er die Konjunkturentwicklung falsch eingeschätzt hat und sich aus dieser Fehleinschätzung eben eine Reihe von Folgewirkungen ergeben hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Am Anfang aller Vorwürfe, sehr verehrter Herr Kollege Schiller, der jetzt nicht mehr hier ist,

(Abg. Dr. Barzel: Das ist doch unglaublich! Wo ist denn der Schiller?)

die Sie an die Adresse anderer richten, müßte eigentlich das Bekenntnis eines soliden Christen stehen: Ich selbst habe mich geirrt und habe gesündigt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Als der Herr Bundeswirtschaftsminister Schiller die Amtsgeschäfte im Dezember 1966 übernahm,

(Abg. Dr. Barzel: Wo ist er denn? Er redet eine Stunde und ist dann nicht da! — Abg. Dorn: Zu Ihrer Regierungszeit hat die Regierungsbank doch oft ganz leergestanden! Zuruf von der SPD: Der Parlamentarische Staatssekretär ist da! — Abg. Dr. Barzel: Wir haben Anspruch auf den Minister!)

prägte er das schöne Wort vom „Aufschwung nach Maß". Ich frage mich, wo ist dieser Aufschwung nach Maß in den letzten Jahren gewesen und geblieben?

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Fragen Sie Herrn Strauß!)

Es ist doch kein Zufall, daß diese Vokabel in der Regierungserklärung nicht wiedergekehrt ist, wie man sich überhaupt im Vokabular etwas vorsichtiger verhält, als das vorher der Fall gewesen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Wenn wir die Konjunkturentwicklung objektiv analysieren, kommt man an der Tatsache nicht vorbei, daß gerade der Bundeswirtschaftsminister das Gleichgewicht von innerer Stabilität und Wachstum in seiner Amtszeit nicht genügend beachtet hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600727200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dorn?

Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0600727300
Bitte, Herr Kollege Dorn!
I


Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0600727400
Herr Kollege Müller-Hermann, nachdem Sie gerade festgestellt haben, daß der vom früheren Bundeswirtschaftsminister in der vorigen Koalition angekündigte Aufschwung nach Maß nicht eingetreten sein soll, frage ich Sie: Wer hat denn zu dieser Zeit, für den Zeitraum, für den Sie das beklagen, die Richtlinien der Politik bestimmt?

Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0600727500
Die Frage ist völlig gerechtfertigt. Sie wissen ja auch, daß es zwischen den Koalitionspartnern gerade über die Frage der Konjunkturpolitik wesentliche Meinungsverschiedenheiten gegeben hat, und ich werde Ihre Frage sofort beantworten.
Ich will zunächst einmal darauf hinweisen, daß Herr Schiller, was er ruhig auch einmal freimütig eingestehen könnte, zu lange nur auf Wachstum gesetzt hat und dabei zuwenig und zu spät die innere Stabilität unserer Wirtschaft beachtet hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich darf in Erinnerung rufen, meine Damen und Herren, daß es noch zu Anfang des Jahres 1968 Herr Schiller gewesen ist, der ein weiteres Anheizen der Wirtschaft durch die heute vormittag schon zitierte Senkung der Investitionssteuer von 8 auf 5 % befürwortet hat, und daß er noch im Juni 1968, zu einem Zeitpunkt, zu dem man wirklich schon in Überlegungen eintreten mußte, wie es um die Währungsparität beschaffen ist, noch ein drittes Konjunkturförderungsprogramm mit einer Zuwachsrate des Bundeshaushalts von 4,6 auf 6 %, mit Zinszuschüssen im gemeindlichen Bereich und Steuersenkungsangeboten vorgelegt hat. Herr Kollege Dorn, damals ist es nur nach schweren Mühen Bundeskanzler Kiesinger, Finanzminister Strauß und intensiven gegenläufigen Anstrengungen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gelungen, Herrn Schiller von diesem Vorhaben abzubringen und andere Beschlüsse herbeizuführen.

(Beifall hei der CDU/CSU.)

Herr Schiller hat dann, nachdem er noch im November 1968 mit zu den entschiedenen Gegnern einer Aufwertung gehört hat, im Frühjahr dieses Jahres sehr kurzfristig, gewissermaßen über Nacht, umgeschaltet, um — wie mir scheint, in richtiger Erkenntnis der vor ihm liegenden Entwicklung
rechtzeitig eine Art von Alibiposition beziehen zu können.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Falsche Kausalität!)

Meine Damen und Herren, die Folge seiner eigenen Fehlprognosen waren die wilden Streiks, die dann die schnellen und starken Lohnerhöhungen mit zweierlei Wirkungen ausgelöst haben: auf der einen Seite eine abnormale Ausweitung der Binnennachfrage und auf der anderen Seite einen wesentlich vermehrten Kostendruck. Beide zusammen tragen zu den Preisauftriebstendenzen bei, mit denen wir heute rechnen oder die wir heute befürchten müssen. Seltsamerweise oder bezeichnenderweise sind diese wilden Streiks damals in Bereichen der Wirtschaft ausgebrochen, die man mit der
Aufwertung oder Nichtaufwertung mit Sicherheit in gar keinen Zusammenhang bringen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, wer will uns glauben machen, daß etwa die Tarife für die Müllabfuhr oder für andere Dienstleistungen durch Aufwertung oder Nichtaufwertung beeinflußt werden? Nein, meine Damen und Herren, im wesentlichen sind ,die Preisauftriebstendenzen, mit denen wir jetzt rechnen müssen, auf binnenwirtschaftliche Gründe zurückzuführen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Der Beifall ist aber sehr schwach!)

Von dem Aufschwung nach Maß ist nicht sehr viel übriggeblieben,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

und wenn heute in der Regierungserklärung von der „Stabilisierung nach Maß" gesprochen wird, sind wir gerne bereit, eine solche Bemühung zu unterstützen. Dann muß aber mit Sicherheit eine Politik des ständigen Wechsels, des ständigen „stop and go" aufhören. Wir können es uns nicht weiter leisten, nach der Art eines Amokfahrers wechselnd Gas zu geben und zu bremsen, wie das in den letzten Jahren praktiziert worden ist.

(Zuruf von der SPD: Ach du lieber Gott!)

Wir haben damit eine Entwicklung ausgelöst, die der Präsident eines bekannten Wirtschaftsverbandes dieser Tage als eine Art von „aufgeregter Marktwirtschaft" bezeichnet hat, in die wir hineinmanövriert worden sind.

(Beifal bei Abgeordneten der CDU/CSU. Zurufe von der SPD.)

Die Regierungserklärung läßt aber wenig Hoffnung zu, daß es zu dieser Stabilisierung nach Maß kommen wird. Auf der einen Seite wird ein hoher Aufwertungssatz verteidigt, auf der anderen Seite wird bereits eine neue Phase des Anheizens eingeleitet mit dem bekannten Neckermann-Katalog an Zusatzausgaben und mit dem Hinweis auf eine mögliche Lockerung der Kreditschraube. Aus dem, was wir heute vormittag von Herrn Bundesfinanzminister Möller gehört haben, der zugeben mußte, daß er uns zumindest heute keine Auskunft geben könnte, wie sich dieser Wunschkatalog in eine mittelfristige Finanzplanung einbauen läßt, wird deutlich, daß diese Regierung bisher nicht weiß, wo die Prioritäten ihrer Ausgabenpolitik liegen sollen und wo gelegentlich auch einmal ein Nein gegenüber möglichen Ausgabenwünschen gesagt werden muß.

(Beifall bei der CDU CSU.)

Man hat den Eindruck, meine Damen und Herren, daß die neue Bundesregierung, nachdem bisher kurzfristig nacheinander Gashebel und Bremspedal benutzt worden sind, sich jetzt bemüht, das Kunststück fertigzubringen, beides zugleich zu tun.

(Zuruf von der SPD: Unerhört einfallsreich!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Opposition ist gegenüber der neuen Bundesregie-



Dr. Müller-Hermann
rung und auch gegenüber dem Bundeswirtschaftsminister Schiller durchaus gutwillig. Ich glaube, daß das in der Regierungserklärung enthaltene Bekenntnis zur marktwirtschaftlichen Ordnung und zum Stabilitätsgesetz eine Basis für die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition sein könnte, wenn es mit beidem auf seiten der Regierung ernst gemeint ist.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat auf die Notwendigkeit einer Novelle zum Kartellgesetz hingewiesen. Er wird dabei unsere volle Unterstützung haben. Wir werden aller Voraussicht nach auch eigene Vorstellungen entwickeln, wie die Novelle zum Kartellgesetz aussehen sollte. Herr Bundeswirtschaftsminister, ganz sicher könnten wir wesentlich weiter sein, wenn nicht in der vergangenen Legislaturperiode an Ihnen oder, ich möchte sagen, an Ihrem Trotz die Verabschiedung einer Kartellnovelle gescheitert wäre, im Grunde an einer nebensächlichen Angelegenheit, die in der neuen Regierungserklärung nicht einmal mehr erwähnt wird. Wir werden uns natürlich darum bemühen, durch positive Maßnahmen einen echten Leistungswettbewerb in unserer Wirtschaft zu gewährleisten, und wollen uns nicht auf ein negatives Instrumentarium zur Kontrolle oder zur Unterdrückung von Kartellen beschränkt wissen. Wir wollen allerdings auch, daß die Aufsichtsbehörde, ein Kartellamt, wirklich unabhängig ist und nicht einer vom Bundeswirtschaftsminister abhängigen, dirigierten Planung unterliegt. Es gibt in diesem Zusammenhang eine Fülle von Themen, die noch der Klärung bedürfen: wo Marktmacht vorliegt, wo Mißbrauch anfängt, wer darüber entscheidet und wie das Instrumentarium aussehen soll, das einer solchen Kartellbehörde an die Hand gegeben werden soll.
Zum Abschluß, meine Damen und Herren, möchte ich, ohne noch einmal die Aufwertungsdiskussion aufflammen zu lassen, einen Wunsch meiner Fraktion zum Ausdruck bringen. Wir fordern die Regierung auf, die jetzt durch die Aufwertung gerade der stark exportorientierten Wirtschaft zugefügten Schäden abzustellen, weil wir alle wissen, wie wichtig für die weitere Entwicklung unserer Wirtschaft eine starke — und, wie wir auch wissen, eine immer stark umkämpfte — Position der deutschen Wirtschaft auf dem Weltmarkt ist und bleiben wird. Wir bitten daher, daß die Bundesregierung die Schäden für wichtige Bereiche unserer Wirtschaft abzuwehren bemüht ist, im Interesse der inneren Stabilität, sicherer Arbeitsplätze, regionaler Ausgewogenheit und eines organischen Wirtschaftswachstums, an dem alle Bürger teilhaben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600727600
Das Wort hat Herr Staatssekretär Dr. Arndt.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600727700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre und die Freude, für den Herrn Bundeswirtschaftsminister dem Kollegen Müller-Hermann von der CDU-CSU-
Fraktion auf seine Ausführungen zu antworten. Ich
darf mit einem speziellen Dank an ihn beginnen. Die Worte, die er zum Schluß gesagt hat über die gemeinsamen Aufgaben, über Marktwirtschaft, über Sicherung der Arbeitsplätze und der Preisstabilität, das sollte im Mittelpunkt der Zusammenarbeit zwischen diesem Hause und den Fraktionen und der Bundesregierung stehen. Sie werden in der Bundesregierung einen offenen, fairen Partner finden, der auf Ihre Anregungen eingehen wird, dies nicht nur bei den von Ihnen so ausführlich dargestellten Problemen der Wettbewerbsgesetzgebung. Wir sind bereit, über jede Ihrer Anregungen ernsthaft nachzudenken und möglichst schnell ein möglichst gutes Gesetz zu machen.
Dieser Anfang gibt mir aber auch die Möglichkeit, eine Bitte an Sie zu richten: führen Sie doch nicht die Schlachten der letzten Jahre noch einmal!

(Beifall bei der SPD. Abg. van Delden: Das müssen Sie Ihrem Minister sagen!)

Fangen wir doch endlich einmal an, das zu vergessen.
Erstens: Sie sprachen von einem dritten Konjunkturprogramm. Er gab kein drittes Konjunkturprogramm.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)

— Nein! wirklich, das gab es nicht.
Zweitens: Sie zweifelten daran, ob die Aufwertung die Preise dämpfen wird, und nahmen als Beweis die Aufwertung von 1961. Mit der Aufwertung von 1961 ist wirklich nicht gegen eine preisdämpfende Wirkung dieser Maßnahme zu argumentieren. Die Maßnahme von 1961 war sehr schwach dosiert, kam sehr spät, und viele Menschen sind der Meinung, daß ohne selbst diese bescheidene Aufwertung 1961 die Preise im folgenden Jahr stärker gestiegen wären, als sie schon gestiegen sind.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Das ist aber Astrologie!)

— Warten wir doch und warten Sie bei Ihrem Argument auf die Preisentwicklung der nächsten Monate! Die Regierungserklärung hat die Risiken der kommenden Monate in bezug auf die Preisentwicklung klar und offen dargelegt. Der Höhepunkt kann noch vor uns liegen.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Aber doch nicht deshalb!)

- Der Höhepunkt kann noch vor uns liegen. Aber sie sagt damit auch, er kann nicht jahrelang vor uns liegen. Es wird in absehbarer Zeit, in diesem Winter, Bilanz gemacht werden können. Vielleicht wird diese Bilanz viel schneller gemacht werden können, als Sie und selbst die Regierung noch glaubten. Vielleicht werden wir uns viel schneller davon überzeugen können, wie bereits in den ersten Monaten eine fühlbare Preiseindämmung auf den Binnenmärkten durch die billigeren Importe erzielt worden ist.
Das Dritte sind die wilden Streiks.

(Abg. Dr. Luda meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Das paßt jetzt gerade sehr gut. Bitte schön!




Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0600727800
Herr Kollege Dr. Arndt, glauben Sie nicht, daß Sie die Erwartungen der Öffentlichkeit in die Auswirkung der Aufwertung zu hoch schrauben angesichts der Tatsache, daß die Statistiker Ihres Hauses die mögliche Preisdämpfungswirkung der Aufwertung auf nur 1 % bemessen haben und auch das nur unter der Voraussetzung, daß die Aufwertung auf die Agrarpreise voll durchschlägt, was nach den Vereinbarungen in Luxemburg bekanntlich nicht der Fall ist?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600727900
Die Agrarpreisregelung haben wir ja und hat vor allem dieses Hohe Haus durchaus in der Hand. Es ist ja gestern und heute über die beiden Möglichkeiten bei der Mehrwertsteuer ausführlich gesprochen worden: die eine Variante, die auf die Verbraucher durchschlägt, hat meine Sympathie, die andere Variante, die die Staatskasse etwas mehr schont, hat meine Sympathie weniger.

(Abg. Dr. Luda: Aber das eine Prozent!)

— Was das eine Prozent anlangt, so weiß ich nicht, was die Statistiker des Bundeswirtschaftsministeriums an Varianten für verschiedene Aufwertungssätze alles ausgerechnet haben. Aber es ist ganz sicher, daß die Preiswirkung stärker sein wird. Sie können das an der Differenz zwischen 5 % oder 6 °/o Preissteigerung, die gekommen wäre, wie uns auch die Bundesbank sagt, und dem, was kommen wird, ablesen. Wir werden wahrscheinlich eine Preisdämpfung von immerhin 2 bis 3 % haben. Das ist, finde ich, ein schöner Erfolg für eine so späte Maßnahme.

(Beifall bei der SPD.)

Warten wir doch einmal die nächsten Monate ab. Schon in ein, zwei Wochen kommt ein neuer Preisindex, der schon für den Oktober gilt. Das ist der erste Monat des freien Wechselkurses. Warten wir doch einmal ab, ob der Preisauftrieb sich fortgesetzt hat oder gestoppt worden ist!

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600728000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Strauß?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0600728100
Haben Sie mit mir nicht auch den Eindruck, Herr Kollege Dr. Arndt, daß Sie sich jetzt zwei Wege offenhalten? Steigen die Preise, war es die Verspätung der Aufwertung. Gehen sie zurück, dann ist es nicht die Wirkung der zurückgehenden Weltkonjunktur, sondern dann ist es die von der Bundesregierung beschlossene Aufwertung, wobei in beiden Fällen ein falsches monokausales Denken vorliegt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600728200
Nein, nein, Herr Kollege Strauß. Da überschätzen Sie durchaus meine Taktik.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Ist das möglich?)

Ich habe gesagt, wir werden nicht monate-, geschweige denn jahrelang sagen: „Der Höhepunkt der Preissteigerungen liegt noch vor uns." Wir werden das nicht noch im Frühjahr sagen; da muß er hinter uns liegen. Das war eine Chance für Sie, schneller zur Bilanz mit uns zu kommen. Aber ich warne Sie davor, diese Bilanz als zu gut für Ihre Position einzuschätzen.
Nun darf ich auf die wilden Streiks kommen, Herr Müller-Hermann. Die haben tatsächlich etwas mit der Nichtaufwertung zu tun, die haben tatsächlich auch etwas damit zu tun, daß aus dem Maßnahmenkatalog des Bundeswirtschaftsministers, dem Memorandum vom 23. Juli, nichts von der linken und nichts von der rechten Seite genommen worden ist. Diese Streiks haben etwas mit der Tatsache zu tun, daß die Übernachfrage nicht eingedämmt wurde, daß die Menschen am Arbeitsplatz überfordert wurden. Die mußten sonnabends und sonntags in die Kohlengruben und an den Hochofen gehen

(Zuruf: In die Kohlengrube?)

— ja, auch in die Kohlenschächte in diesem Sommer — und hatten Überstunden.

(Zuruf: Ist das nicht falsche Planung?)

Das geht auf die Dauer nicht gut. Das wollen die Menschen an Ort und Stelle auch gar nicht. Sie wollen Vollbeschäftigung, Sicherheit der Arbeitsplätze auf lange Zeit; sie wollen aber auch eine anständige Arbeitszeit in der Woche, die ihnen ein Wochenende für die Familie und die vielen Freuden des Alltags läßt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn das über längere Zeit nicht möglich wird, kommt es zu Eruptionen.
Deswegen ist durchaus etwas daran, wenn hier von Professor Schiller gesagt wurde: auch die wilden Streiks haben mit dem Nichthandeln des damaligen Kabinetts zu tun, mit dem „wilden Streik der Politiker" — wie auch schon einmal gesagt worden ist — im Sommer.

(Abg. Dr. Stoltenberg: Sie sollten in die Zukunft schauen, Herr Arndt!)

— Herr Stoltenberg, Ihre Position verstehe ich gar nicht. Sie waren früher Wissenschaftsminister. Sie hätten sehr dafür sein sollen, daß das Realeinkommen der deutschen Wissenschaftler gegenüber dem ihrer amerikanischen Kollegen steigt. Da liegt ein Ärgernis, das wir seit Jahren beklagen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie wissen, daß das kein neues Problem für Sie ist.
Meine Damen und Herren, ich habe noch Redezeit, aber ich gedenke nicht, sie den Fraktionen wegzunehmen. Noch einmal herzlichen Dank, Herr MüllerHermann, für Ihre Offerte. Es wird nicht an der Regierung liegen, wenn sie nicht eingelöst wird.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)





Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600728300
Das Wort hat der Abgeordnete Gewandt.

Heinrich Gewandt (CDU):
Rede ID: ID0600728400
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Staatssekretär im Wirtschaftsministerium wird von uns außerordentlich geschätzt. Aber wir hätten es natürlich begrüßt, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister die Gelegenheit wahrgenommen hätte zu replizieren. Wir dürfen doch wohl nicht annehmen, daß die erste wirtschaftspolitische Kontroverse, Herr Professor Schiller, Sie schon so erschöpft hat, daß Sie eine Pause benötigten.

(Heiterkeit. — Abg. Fellermaier: Aber, Herr Gewandt!)

Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben uns vorgehalten, daß die Kritik des Kollegen Strauß an Ihren ordnungspolitischen Vorstellungen zurückzuweisen sei. Sie können von uns Zusammenarbeit erwarten, aber sicher keinen Blankoscheck. Wenn Sie in einer Regierungserklärung sehr allgemein sprechen, so hätte der Herr Bundeswirtschaftsminister hier die Möglichkeit gehabt, die Befürchtungen des Kollegen Strauß bezüglich einer Fusionskontrolle, die zu einem Dirigismus entartet, durch eine Klarstellung seiner Intentionen auszuräumen.
Herr Bundeswirtschaftsminister, Tucholsky hat einmal gesagt, die Nationalökonomie sei die Metaphysik des Pokerns. Das sollte man aber nicht zur Wirtschaftspolitik einmal sagen können. Wir erwarten Klarheit. Wir haben in Ihren ordnungspolitischen Vorstellungen diese Klarheit vermissen müssen. Einmal sagen Sie nicht, wie Sie sich die Fusionskontrolle vorstellen. Im übrigen sprechen Sie von einer ganz neuen Institution, nämlich von einer Monopolkommission. Sie sagen nicht, wem sie verantwortlich sein soll, welche Aufgaben sie hat, ob man das so machen will wie in England, daß die Herren der Kommission votieren, die Regierung sich aber immer anders entschließt. Mir wäre es sehr viel sympathischer, Sie hätten sich für eine stärkere Unabhängigkeit der Kartellbehörde entschließen können und dagegen ausgesprochen, das das Kartellamt dem Dirigismus und der Einflußnahme des Ministeriums unterliegt.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600728500
Herr Abgeordneter, — —

Heinrich Gewandt (CDU):
Rede ID: ID0600728600
Sofort! Wenn ich das erst zu Ende führen darf.
Sie müssen verstehen, daß wir Vorbehalte machen. Als Sie merkten, daß Sie mit Ihren Vorstellungen zur vertikalen Preisbindung hier im Hause keine Mehrheit finden würden, haben Sie den Weg der administrativen Maßnahmen gewählt. Es heißt also: Unsere Vorsicht ist berechtigt.
Im übrigen darf doch eines festgestellt werden: Wir waren jederzeit bereit, eine Novellierung des Kartellgesetzes vorzunehmen. Es ist an der Verbindung mit der Preisbindung, wie zitiert, gescheitert. Heute haben wir festzustellen, daß dieses Junktim — — Herr Dorn, Sie wollen ja immer einen
entscheidungsfrohen Bundeskanzler; hier hat sich
der Bundeskanzler nicht entschieden, zumindest
nicht im Sinne des Wahlprogramms seiner Partei.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600728700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Moersch?

Heinrich Gewandt (CDU):
Rede ID: ID0600728800
Ja.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0600728900
Herr Kollege Gewandt, warum haben Sie nicht gegen die Fusionskontrolle gesprochen, als der letzte Bundestag mit den Stimmen der CDU/CSU der Bundesregierung empfohlen hat, für Presseunternehmen die vorbeugende Fusionskontrolle einzuführen?

Heinrich Gewandt (CDU):
Rede ID: ID0600729000
Ich bin ja gar nicht gegen die Fusionskontrolle. Ich sage nur: Man kann sich darüber erst unterhalten, wenn man ganz konkret weiß, wie sie aussehen soll. Herr Strauß hat auf Gefahren hingewiesen und keine Antwort auf die Frage erhalten, wie sich die Regierung dies vorstellt.
Deshalb, meine Damen und Herren, und auf Grund der Erfahrungen, die wir gemacht haben, muß hier doch einmal festgestellt werden: Wir sind uns einig in der Verbesserung der Kooperationsmöglichkeiten. Wir sind uns einig in bezug auf die Einführung der Bagatellkartelle. Alle anderen Fragen müssen ausdiskutiert werden. Wir erwarten hier ein klares Wort der Regierung. Es fehlt! Deshalb unsere - nach meiner Auffassung berechtigte — Kritik. In den Ordensvorstellungen der Regierung ist doch nicht der nötige reformatorische Eifer festzustellen, wie auch — das möchte ich abschließend sagen — eine Reihe anderer wesentlicher wirtschaftspolitischer Reformen, beispielsweise die Reform des GmbH-Rechts oder des Genossenschaftsrechts, fehlt.
Ich möchte noch einmal betonen: Wir sind zu jeder Art der Zusammenarbeit bereit. Wir können allerdings keinen Blankoscheck geben. Wir möchten der Regierung schon jetzt ankündigen: Wenn sie nicht in einer angemessenen Frist endlich die Unebenheiten im Wettbewerbsrecht beseitigt, dann werden wir wie in der vergangenen Legislaturperiode durch unsere Initiative zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb auch in dieser Legislaturperiode die Initiative ergreifen, damit unser Wettbewerbsrecht endlich funktionsfähig wird und den Anforderungen der modernen Gesellschaft entspricht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600729100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haas.

Dr. Christian Albrecht Haas (FDP):
Rede ID: ID0600729200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich bin mit dem Herrn Kollegen Dr. Müller-Hermann der Meinung, daß wir versuchen müssen, von dem leidigen Aufwertungsthema langsam wieder herunterzukommen. Aber ich möchte



Dr. Haas
namens meiner Fraktion doch auch ein paar Worte dazu sagen.
Im Grunde genommen ist es doch nur ein Kausalitätsstreit, der hier ausgetragen wird. Sie, meine Damen und meine Herren von der Opposition, sagen: Es war ja gar keine Situation vorhanden, die zur Aufwertung gezwungen hätte. Es waren hausgemachte Gründe, die in Erscheinung getreten sind, die ihre Spitze sogar in den anheizenden Äußerungen des damaligen und jetzigen Wirtschaftsministers hatten. Es wurde eine Situation, die angeblich eine Aufwertung erforderte, vorgetäuscht. Demgegenüber erklären wir, die beiden Koalitionsfraktionen: O nein, das außenwirtschaftliche Gleichgewicht war so sehr in Unordnung geraten, daß eine andere Möglichkeit, als aufzuwerten, nicht mehr bestanden hatte.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600729300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Luda?

Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0600729400
Herr Kollege, erhalten Sie Ihre Behauptung aufrecht, daß auch die FDP-Fraktion voll diese Auffassung teilt angesichts der Tatsache, daß Ihr Fraktionskollege Dr. Starke, der frühere Bundesfinanzminister und sicher ein besonders sachkundiger Kollege, noch am 27. August dieses Jahres in einem Zeitungsartikel wörtlich geschrieben hat:
Wir lehnen eine Wirtschaftspolitik ab, die laufend Aufschwünge nach Maß herbeiführt, die sich dann als unmäßig erweisen und mit dem Holzhammer der Aufwertung bekämpft werden müssen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)


Dr. Christian Albrecht Haas (FDP):
Rede ID: ID0600729500
Natürlich, das war, vorn Standpunkt der damaligen Opposition aus gesehen, auch durchaus ein überlegenswerter Satz, wie Sie zugeben müssen. Inzwischen sind wir ja vielleicht auch wieder ein bißchen vorangekommen und etwas klüger geworden.
Ich habe, meine Damen, meine Herren, gesagt, es ist ein Streit um die Kausalität. Und nun will ich Ihnen zugeben: Es ist manchmal durchaus schwierig zu unterscheiden, was Ursache, was Wirkung ist. Es gibt auch Ursachenreihen, bei denen eine durch eine Ursache ausgelöste Wirkung ihrerseits wieder eine neue Kausalität auslöst. Auch das gebe ich noch zu. Dennoch sage ich — ich spreche im Augenblick gerade meinen verehrten Kollegen Strauß, den früheren Herrn Bundesfinanzminister, an —, auch mit noch so viel Rabulistik läßt sich nicht bestreiten, wie die Ursachenkette wirklich liegt. Sie liegt eindeutig so, daß das außenwirtschaftliche Gleichgewicht so sehr zu einem Ungleichgewicht geworden war, daß ein anderes Mittel als die Aufwertung schließlich und endlich nicht mehr vorlag.

(Abg. Dr. h. c. Strauß: Warum?)

— Moment, ich komme auf das, was Sie hören wollen. Schließlich hat ja diese außergewöhnliche Situation schon ein Jahr lang bestanden, ohne daß ihr abgeholfen wurde, und zwar anders abgeholfen
wurde als mit haushaltspolitischen Mitteln, die Sie angewandt haben und die Sie richtig angewandt haben, Herr Kollege Strauß: Schuldentilgung, Schaffung einer Ausgleichsrücklage und was man so tut, was nicht falsch ist, was jedoch die wirklich vorhandene Ursache eines extremen außenwirtschaftlichen Ungleichgewichts nicht beseitigen konnte. Ich bin der Auffassung, Herr Kollege Strauß, daß es der schwerste wirtschaftspolitische Fehler von Ihnen, von Herrn Kollegen Kiesinger und von Ihnen allen war, diese Kausalität, die unausweichlich war, nicht zu sehen, sich in eine Ecke manövrieren zu lassen, aus der man dann nicht mehr herauskam und herausfand, und rechtzeitig den befreienden Schritt der Aufwertung nicht getan zu haben.
Nun haben Sie heute morgen die Frage gestellt — und die kann man hier sehr wohl stellen, das billige ich Ihnen zu —, ob man denn der Meinung sei und sein könne, daß die Aufwertung ein Element der Konjunktursteuerung sei. Ich bin der Meinung, so kann man die Frage nicht bejahen. Aber ich bin doch der Meinung, daß sie ein Element der Konjunkturkorrektur in einer extremen Situation sein kann und sein muß. Es ist sicher so, daß niemand die Frage bejahen kann, die der Herr Kollege Dichgans mit Recht etwa so gestellt hat: Wollen Sie vielleicht so ungefähr alle anderthalb Jahre eine Aufwertung haben? Nein, aber die letzte Aufwertung liegt ja auch acht Jahre zurück. In einer extremen Situation wird aber ein anderer Ausweg als die Aufwertung nicht bleiben und auch hier ist er nicht geblieben, meine Damen und meine Herren. Das, glaube ich, muß man sagen, daß Sie mit ihren haushaltspolitischen Dämpfungsmaßnahmen hier doch nicht weitergekommen sind, daß Sie doch so die Wurzel des Übels, die wirkliche Ursache nicht haben beseitigen können. Das haben Sie doch gesehen: wir haben doch die Probe aufs Exempel gemacht. - Bitte, Herr Kollege Luda!

Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0600729600
Herr Kollege Haas, sind Sie nicht bereit, zuzugeben, daß wir nur deshalb mit den haushaltspolitischen Maßnahmen nicht den vollen Erfolg gehabt haben, weil der Vorschlag, zur Bildung einer Konjunkturausgleichsrücklage, den Franz Josef Strauß im Oktober gemacht hat, am damaligen Bundeswirtschaftsminister gescheitert ist und diese Maßnahme erst im Juli nachgezogen worden ist?

Dr. Christian Albrecht Haas (FDP):
Rede ID: ID0600729700
Ich weiß als früherer Oppositioneller über Kabinettsinterna natürlich nicht Bescheid. Ich bin aber der Überzeugung, daß die Situation, die ich geschildert habe, schon im letzten Herbst, als die Aufwertung längst fällig gewesen wäre, Herr Kollege Luda, so exeptionell gewesen ist, daß selbst diese von Herrn Kollegen Strauß vorgeschlagene Maßnahme, wenn sie vorgeschlagen worden ist, die Dinge nicht mehr hätte wenden können.
Ich begrüße es, daß sich der Herr Bundeswirtschaftsminister vorhin zum Stabilitätsgesetz bekannt und ausgeführt hat, daß dieses Gesetz eine notwen-



Dr. Haas
dige, aber auch eine ausreichende Handhabe sei. Jawohl, es ist ausreichend. Nicht zuletzt haben wir uns über die endgültige Formulierung dieses Stabilitätsgesetzes vor Jahr und Tag hier eingehend den Kopf zerbrochen. Das war gut; denn das Gesetz wurde zu einer Zeit geschaffen und im Entwurf vorgelegt, als sich unsere Wirtschaft in einer Aufschwungphase befand, nämlich ziemlich genau vor vier Jahren. Es wurde dann aber zu einer Zeit verabschiedet, als wir schon in die Rezession hineingekommen waren, also eine Abschwungphase hatten. Unter diesen beiden Gesichtspunkten wurden die Formulierungen des Gesetzes sozusagen durchgeprobt. Gerade an diesem Gesetz wurde die Lehre der, wenn ich so sagen darf, antizyklischen Finanzgebarung exerziert und erprobt, eine Lehre, welche die allein richtige ist. Zu befürchten war aber von vornherein, daß man sich zu der Lehre der antizyklischen Politik nur in der Abschwungphase bekenne würde, daß man sich dazu aber nicht mehr in einer Aufschwungphase bekennen würde. Genauso war es hier der Fall. Denn das, was Herr Kollege Strauß als Finanzminister an haushaltspolitischen Maßnahmen vorgeschlagen hat — ich hatte sie hier kurz skizziert , hat doch nicht ausgereicht, um die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Tatsächlich war die Zeit für eine außerordentliche Maßnahme gekommen, und diese bestand eben in der Aufwertung. Ihnen das klarzumachen, meine Damen, meine Herren, war mein Bestreben. Ich hoffe, daß es mir gelungen ist.
Für die Zukunft hoffe ich, daß dann, wenn wieder eine solch extreme Situation gegeben ist — ich hoffe, das liegt in weiter, weiter Ferne —, die im Stabilitätsgesetz vorgesehenen Maßnahmen - dieses Gesetz reicht nach meiner Meinung aus, um auch extremen Situationen weitgehend zu begegnen — hervorgekehrt und wirklich rechtzeitig und entschlossen in Angriff genommen werden, was diesmal nicht der Fall gewesen ist.

(Beifall hei der FDP und bei Abgeordneten der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600729800
Das Wort hat der Abgeordnete Dichgans.

Dr. Hans Dichgans (CDU):
Rede ID: ID0600729900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Fürchten Sie nichts! Ich werde nicht über die Aufwertung und auch nicht über die Kartelle reden,

(Beifall in der Mitte und links)

obwohl ich über beides gern reden würde. Ich werde nicht einma! über die Stahlpreise reden,

(Abg. Stücklen: Das wäre schon interessanter!)

die heute von mehreren prominenten Rednern angesprochen worden sind; denn ich möchte die Debatte nicht aufhalten. Ich möchte hier nur sagen, daß die Stahlpreise nach hektischen Ausschlägen inzwischen wieder zu dem Stand von 1960 zurückgekehrt sind.
Herr Präsident, um die Debatte, wie gesagt, nicht aufzuhalten, bitte ich um die Erlaubnis, einen Text, den ich zu diesem Zweck geschrieben habe, überreichen zu dürfen *).

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0600730000
Er wird zu Protokoll genommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stoltenberg.

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0600730100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Regierungserklärung sind die Bedeutung und der Vorrang der Aufgaben von Wissenschaft, Forschung und Bildung nachdrücklich betont worden. Dies ist zu begrüßen — auch gerade vom Standpunkt der CDU/CSU —, aber andererseits nicht neu und auch nicht ausreichend. Wir können in manchen Punkten Übereinstimmung feststellen in grundsätzlichen Wertungen und Zielen, auch in Einzelvorhaben der technischen Entwicklung, etwa in der Unterstreichung der Bedeutung der Datenverarbeitung und der Ziviltechnologie, über deren reale Bedeutung und Aufgaben wir allerdings noch einige weitere Feststellungen gewünscht hätten.
Vor allem aber müssen wir betonen, daß es nicht genügt, in der Forschungs- und Bildungspolitik die Größe der Aufgabe zu beschreiben und in allgemeinen Wendungen die Absicht zu verkünden, sie zu meistern. Die Erfahrungen der letzten zehn Jahre machen ganz deutlich, daß es in erster Linie um das Aufweisen der Mittel und der Wege der Verwirklichung geht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

In diesem zentralen Punkt der Konkretisierung ist die Regierungserklärung hinter den Erwartungen und Erfordernissen zurückgeblieben.
Heute stellen sich für Parlament und Regierung, wie ich glaube, folgende Fragen.
Erstens. Wie werden die Wissenschafts- und Bildungspolitik des Bundes in die Gesamtpolitik eingefügt, insbesondere vor dem Hintergrund der finanz- und haushaltspolitischen Prioritäten?
Zweitens. Reichen unsere rechtlichen und administrativen Mittel aus, um diese großen Aufgaben zu meistern? Welches neue und zusätzliche Instrumentarium muß gegebenenfalls geschaffen werden?
Drittens. Wie können wir zu einer Übereinstimmung der qualitativen und quantitativen Erfordernisse kommen, zu einer Politik, die den Widerspruch zwischen großen Reformankündigungen und der spannungsreichen Wirklichkeit unserer Hochschulen und Schulen überwindet?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir müssen mit Bedauern sagen, daß die zentrale Frage der Bildungs- und Wissenschaftsfinanzierung offen geblieben ist. Alle rednerische Begabung, alle ausführlichen Darlegungen, die wir auch heute vom Finanzminister und gestern und heute vom Wirt-
*) Siehe Anlage 2



Dr. Stoltenberg
schaftsminister gehört haben, waren nicht dazu angetan, diesen entscheidenden Punkt zu klären, wie in einer Konjunktur-, Finanz- und Haushaltspolitik der vielbeschworene Vorrang der Zukunftsinvestitionen sichergestellt werden soll.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir hätten es begrüßt, wenn an Stelle zu langer Ausführungen über die Vergangenheit in diesem zentralen Gebiet der Zukunft von den Mitgliedern der Bundesregierung mehr Klarheit geschaffen worden wäre.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Angekündigt wurden Steuersenkungen in der Hochkonjunktur, vor der Finanzplanung, vor dem Haushaltsplan 1970, den der Bundesfinanzminister, wie wir zu unserer Bestürzung erfahren haben, diesem Hause erst im März 1970 vorlegen will. Angekündigt wurde der Vorrang neuer hoher Subventionen als Folge der Aufwertung, die nach einem erstaunlichen Wort des Bundeswirtschaftsministers von der gesamten deutschen Wirtschaft — zu der wohl auch die Landwirtschaft gehört — angeblich begrüßt werden soll, eine völlige Verzeichnung der Wirklichkeit dieser Tage!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Angekündigt wurden konkrete Konsumausgaben in weiten Bereichen, zum Teil beziffert auf Millionenbeträge. Wir wissen sehr genau, wie dieses Dilemma der neuen Regierung lautet, das auch bei aller Eloquenz des Kollegen Schiller hier nicht geklärt werden konnte. Diese Fiskalpolitik kann zu einem so starken Ansteigen des Haushalts 1970 führen, daß eine konjunkturwidrige antizyklische Finanzpolitik die erhofften Wirkungen der Aufwertung annulliert und damit gegen das von Herrn Schiller so stark betonte Stabilitätsgesetz entscheidend verstieße.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber wie heißt die Alternative, nachdem man sich im Bereich der neuen Subventionen und der neuen Konsumausgaben so weit festgelegt hat? Sie kann so lauten, daß aus konjunkturpolitischen Gründen die Gesamtausgaben so beschnitten werden, daß auch die Zukunftsinvestitionen für Bildung und Wissenschaft dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden. Wir werden uns den Etat 1970, den wir selbstverständlich — gestützt auf klare rechtliche Vorschriften — vor dem März 1970 erwarten und verlangen,

(Beifall bei der CDU/CSU)

daraufhin sehr genau aussehen.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Manche sozialdemokratischen Politiker machen sich die Lösung dieses schwierigen Zielkonfliktes außerordentlich einfach. Ich möchte hier einen Satz des sozialdemokratischen Schulsenators von Berlin, des derzeitigen Präsidenten der Kultusministerkonferenz, Herrn Evers, zitieren, der zu dieser entscheidenden Frage folgendes gesagt hat:
Eine SPD-FDP-Bundesregierung wird eine konsequente Friedenspolitik für Europa betreiben.
Das schließt ein, daß Gelder, die bisher in den Verteidigungshaushalt flossen, künftig für die Bildung verwendet werden können.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, dies ist eine Aussage, die ich aus Höflichkeit nicht näher qualifizieren möchte.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Aber sie zeigt, daß es auch gerade in der neuen Regierungspartei jene von Herrn Schiller erwähnte
große Bandbreite innerparteilicher Differenzen gibt.

(Vizepräsident Frau Funcke übernimmt zum ersten Male den Vorsitz. — Lebhafter Beifall im ganzen Hause.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600730200
Ich bedanke mich herzlich für die freundliche Ermutigung. Herr Kollege, ich bitte um Entschuldigung für die Unterbrechung.

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0600730300
Eine angenehme Unterbrechung, Frau Präsidentin!

(Beifall.)

Jene große Bandbreite innerparteilicher Differenzen wird hier in der neuen Regierungspartei sichtbar, die mir bedeutender und schicksalhafter zu sein scheint als eine unterschiedliche Akzentuierung in der Frage der Fusionskontrolle.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600730400
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Lohmar?

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0600730500
Gern, Herr Dr. Lohmar.

Dr. Ulrich Lohmar (SPD):
Rede ID: ID0600730600
Herr Kollege Stoltenberg, was würden Sie davon halten, das Zitat von Herrn Evers wenigstens vollständig wiederzugeben und das Hohe Haus darauf aufmerksam zu machen, daß Herr Evers erstens nicht die Alternative: Verteidigungspolitik oder Bildungs- und Wissenschaftspolitik in der heutigen oder der überschaubaren Situation dargestellt hat und zweitens selber andere, auch aus seiner Sicht sehr viel überzeugendere Vorschläge zur Bildungsfinanzierung unterbreitet hat?

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0600730700
Ich habe, Herr Kollege Lohmar, sein Zitat, so glaube ich, korrekt und auch in dem Zusammenhang, in dem es gefallen ist, hier ganz vollständig wiedergegeben. Ich bin nicht in der Lage, hier das gesamte Interview vorzulesen. Aber es steht Ihnen frei, diese Aussage zu ergänzen und auch zu korrigieren. Ich glaube, dies zeigt, daß Sie in Ihrer Partei einen innerparteilichen Lern- und Diskussionsprozeß brauchen, an dem sich in diesem Punkte sicher der neue Verteidigungsminister Helmut Schmidt maßgebend beteiligen wird,

(Beifall bei der CDU/CSU.)




Dr. Stoltenberg
nachdem, was wir gestern von ihm hier über die dringenden Aufgaben der Bundeswehr und der Verteidigungspolitik gehört haben.
Meine Damen und Herren, wir sind mit der Regierung — und darin stimmen wir ihr ausdrücklich zu — für ein verbessertes System der Bildungsplanung und für ein wirkungsvolleres abgestimmtes Bildungsbudget von Bund, Ländern und Gemeinden. Ich möchte etwas daran zweifeln, ob es solide ist, ein solches Budget für 15 Jahre anzukündigen, wie es gestern hieß. Aber das ist eine methodische Frage, über die wir im einzelnen bei anderer Gelegenheit sprechen können.
Ich muß jedoch hier feststellen, daß der neue Name des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft Erwartungen weckt, die bei den gegebenen Zuständigkeiten des Bundes nicht voll zu erfüllen sind.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Ich glaube, daß die Einbeziehung der bildungspolitischen Referate des Bundesministeriums des Innern in das Wissenschaftsministerium eine administrativ richtige Entscheidung war wir begrüßen sie —, die man aber auch in ihrer begrenzten politischen Bedeutung völlig realistisch einschätzen muß. Hierdurch gewinnt der Bund nicht einen Millimeter größerer politischer Wirksamkeit, als er sie heute besitzt. Es gibt wohl niemanden in diesem Hohen Hause, der an die Fakten verändernde Kraft neuer Namensbezeichnungen und Behördenstempel glaubt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich sage das desalb so deutlich, weil die Bundesregierung in ihrer Erklärung in diesem Bereich ausdrücklich auf die Weiterentwicklung der bundesstaatlichen Ordnung verzichtet hat. Das steht in einem scharfen Widerspruch nicht nur zu den Wahlankündigungen der Freien Demokraten, die wir an jeder Litfaßsäule gesehen haben, nicht nur zu vielen Reden sozialdemokratischer Politiker vor der Wahl, sondern auch zu dem, was weithin die deutsche Öfffentlichkeit von uns allen erwartet.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es ist sachlich unzutreffend, wenn der Bundeskanzler in einem Interview am 27. Oktober in dem vorweggenommenen Teil seiner Regierungserklärung von „neugeschaffenen Kompetenzen des Bundes für die Bildungsplanung" spricht. Art. 91 des Grundgesetzes in der Fassung der Finanzreform gibt dem Bund keine originäre Zuständigkeit, sondern lediglich die Möglichkeit, Vereinbarungen über gemeinsame Einrichtungen der Bildungsplanung mit den Ländern zu schaffen. Das ist aber keine Kompetenz im juristischen Sinne.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600730800
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0600730900
Ja, ich bin gern bereit, wenn mir die Redezeit dadurch nicht etwas verkürzt wird.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600731000
Nein, wir werden zulegen.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0600731100
Herr Kollege Stoltenberg, darf ich aus Ihren Ausführungen zur bildungspolitischen Kompetenz des Bundes schließen, daß die CDU/CSU-Fraktion nunmehr bereit sein wird, den Anträgen zur Erweiterung der Bundeskompetenz, die sie der FDP im letzten Bundestag abgelehnt hat, zuzustimmen, und darf ich weiter daraus schließen, daß es nicht zutrifft, daß der Vorsitzende der CDU, Herr Dr. Kiesinger, weiterhin eine solche Ausweitung der Kompetenzen ablehnt, wie er das in Berlin nach Ihrem Bundesparteitag getan hat?

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0600731200
Zwischen dem Bundeskultusministerium, das unser Parteivorsitzender abgelehnt hat, und dem, was diese Regierungserklärung hier konstatiert und nicht verändern will, gibt es einen weiten Spielraum schöpferischer Möglichkeiten, um den wir uns in diesem Hause bemühen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Uns sind die Möglichkeiten und die Grenzen solcher Beratungsgremien wohl bekannt. Ausschlaggebend bleibt die Frage, wie entschieden wird und wer im staatlichen Gesamtzusammenhang diese Fragen entscheidet.
Worum geht es in dieser Legislaturperiode? Es geht um Analysen und Zielvorstellungen. Wir bejahen das mit der Bundesregierung, die dies mit Recht betont hat. Aber, meine Damen und Herren, Daten und Ziele für 1980 in den Fragen der Hochschulstruktur, in der Diskussion über Studentenzahlen sind nur sinnvoll, solide und hilfreich, wenn sie abgestimmt werden mit den erkennbaren langfristigen beruflichen Chancen in unserer Gesellschaft, der inhaltlichen Neubestimmung der Studiengänge und Prüfungsordnungen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Noch dringender als diese langfristigen Perspektiven, die in der Regierungserklärung anklangen, ist ein konkreten Aktionsprogramm für die nächsten fünf Jahre für unsere Hochschulen und unsere Bildungseinrichtungen, von dem wir in der Regierungserklärung fast nichts gespürt haben, wenn ich einzelne vernünftige Bemerkungen über Baurationalisierung und Baumethoden einmal dabei außer acht lasse.

(Zuruf von der SPD.)

Dafür haben wir, sowohl ich in meiner Amtszeit als Bundesminister, damals auch von Ihnen (zur SPD) unterstützt, als auch wir als Partei, in den letzten Monaten genügend konkrete Vorschläge entwickelt, die zum mindesten in der Thematik in diese Regierungserklärung hätten aufgenommen werden müssen. Ich nenne als einzelnes: die Erweiterung der Zusammenarbeit von Bund und Ländern auf dem Gebiet der Finanzierung und Planung der Fachhochschulen sowie die Entwicklung neuer Studiengänge an ihnen, die ich für die vergangene Regierung der Großen Koalition bereits im Frühsommer den Ländern konkret angeboten habe, die Neugründung von



Dr. Stoltenberg
Universitäten nach einem Gesamtkonzept für unseren Staat, die Schaffung von mindestens 100 000 neuen Studienplätzen im Fachhochschulbereich in den nächsten fünf Jahren und geeignete Schritte zur schrittweisen Überwindung des Numerus clausus.
In der Regierungserklärung war leider von diesen konkreten Erfordernissen der nächsten vier und fünf Jahre und damit auch der drängenden Not an unseren Hochschulen innerhalb der Studentenschaft und unter den abgewiesenen Studienbewerbern nur wenig zu spüren. Hierüber müssen wir in diesem Hohen Hause sprechen und entscheiden. Wir wissen am besten, wie schwer diese Fragen sind, daß es hier keine einfachen Lösungen gibt. Aber es ist notwendig, daß die Parteien dieses Hauses und auch die Bundesregierung konkreter und verbindlicher, als das hier geschah, dazu eine Diskussionsgrundlage liefern. Wir werden es in den nächsten Monaten — lange vor dem Mai, der für die Debatte angekündigt wurde — nicht an Gesetzesinitiativen und Anträgen fehlen lassen, um unseren Beitrag für die Meisterung dieser großen Aufgabe zu leisten.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600731300
Das Wort hat der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Herr Professor Dr. Leussink.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600731400
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir, der ich nicht die Ehre habe, diesem Hohen Hause anzugehören, ist es völlig klar, daß ich mich des besonderen Wohlwollens von Ihnen allen erfreuen muß, wenn ich meine Arbeit hier positiv leisten soll. Ich möchte deshalb bei meinem ersten Auftreten vor Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, damit beginnen, daß ich mich sehr herzlich bedanke für die Glückwünsche, die mir die drei Herren Fraktionsvorsitzenden bei der Übernahme des Amtes übermittelt haben. Diese und die freundlichen Bemerkungen, die der Führer der Opposition, Herr Dr. Barzel, gestern an mich gerichtet hat, stärken mein Selbstvertrauen, daß wir alle zusammen die schwierige Arbeit meistern werden, die ich in dem mir anvertrauten Ressort in der Exekutive zu leisten habe.
Es wird draußen behauptet, wir gingen unvorbereitet in die siebziger Jahre. Ein solcher Artikel war erst unlängst etwa in der „Welt" zu lesen. Ich glaube, das ist in weiten Teilen der Bevölkerung der Eindruck, daß wir nicht vorbereitet sind. Ob das im einzelnen stimmt, ist nicht so wichtig, jedenfalls müssen wir uns mit dieser Einstellung auseinandersetzen, und wir müssen mit ihr rechnen. Wir werden nur beweisen können, daß wir vorbereitet sind, wenn wir uns hier zusammen bemühen, das zu tun, was notwendig ist.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch einen weiteren Dank aussprechen, den ich ausführlicher schon bei der Übernahme des Amtes ausgesprochen habe, nämlich an meinen Vorgänger, Herrn Dr. Stoltenberg.
Der von mir übernommene Bereich ist mir nicht völlig unbekannt. Seit einer ganzen Reihe von Jahren habe ich in verschiedenen Eigenschaften als Berater des Ministeriums für wissenschaftliche Forschung gedient. Ich weiß also, daß Sie hier in den letzten Jahren eine ganz erhebliche Erhöhung des Etats meines Hauses vorgenommen haben, mit dessen Höhe man auch heute schon eine ganze Menge machen kann. Die verschiedenen Programme des Hauses weisen das aus. Wir sind dort also auf dem richtigen Wege, wenn natürlich auch noch lange nicht am Ende.
In dem Hause wurden in den letzten Jahren Förderungsschwerpunkte gebildet. Das ist etwas, was heute unbedingt notwendig ist, was nicht nur überall verlangt wird, sondern tatsächlich überall auch notwendig ist. Auch hier sind wir, glaube ich, auf dem richtigen Wege.
Es wurden auch Anfänge gemacht für das nach meinem Dafürhalten unbedingt notwendige partnerschaftliche Verhältnis zwischen den die Gesellschaft repräsentierenden staatlichen Organen und der Wissenschaft oder, genauer gesagt, den Wissenschaftsorganisationen. Auch hier ist ein Anfang gemacht, der weiterentwickelt werden muß.
Desgleichen hat man angefangen, auf einem außerordentlich schwierigen Gebiet einen Versuch zu machen: rationale Kriterien für die Prioritätenfestsetzung von Forschungsförderung zu entwerfen. Das ist ein außerordentlich schwieriges Geschäft, das auch in den Vereinigten Staaten noch lange nicht gelöst ist, sondern erst in den Anfängen steckt. Ich verweise auf das, was Herr Weinberg, der Chef von Oakridge, sowohl in den Vereinigten Staaten als auch hier mündlich und schriftlich geäußert hat.
In dieser Hinsicht wird also die in der Regierungserklärung ja mehrfach angesprochene Kontinuität zweifelsohne gewahrt werden. Natürlich wird die neue 'Regierung an manchen Punkten andere Akzente setzen, und wir müssen uns sicher auf einzelnen Gebieten auch an ganz neue Denkstrukturen gewöhnen. Der Herr Abgeordnete Kienbaum hat das heute vormittag hier schon in einem anderen Zusammenhang etwas näher ausgeführt.
Ich will dazu nur ein Schlagwort wiederholen: neue Technologien. Es genügt aber nicht, sich nur mit neuen Technologien zu beschäftigen. Das Geschäft besteht in Wirklichkeit darin, Produkte der Forschung so schnell wie möglich in industrielle Produktion umzusetzen. Ich weiß nicht, ob wir in Deutschland überhaupt schon begriffen haben, was das heißt. Wenn man sich die Geschwindigkeit ansieht, mit der dieser Prozeß in Japan — ich beziehe mich jetzt nicht wie üblich auf die Vereinigten Staaten, sondern auf unseren neuen Konkurrenten Japan — vor sich geht, bleibt einem nur die Feststellung, daß wir noch sehr im Rückstand sind.
Ich will jetzt mehr in chronologischer Reihenfolge als in einer bewertenden Reihenfolge die anderen Tätigkeitsbereiche des neuen Ministeriums kurz streifen:
Im Bereich der Hochschulen werden bereits seit einer langen Reihe von Jahren Zuschüsse für In-



Bundesminister Dr.-Ing. Leussink
vestitionen gegeben. Das geschah bisher auf der Grundlage von Abkommen zwischen Bund und Ländern. Jetzt geschieht es bekanntlich im Rahmen des Hochschulbauförderungsgesetzes bei den sogenannten Gemeinschaftsaufgaben.
Es ist nur logisch, daß man sich, wenn man sich intensiv an dem Bau des Gehäuses beteiligt, auch mit dem Inhalt beschäftigen muß. Der 5. Bundestag hat dieser Erkenntnis dadurch Rechnung getragen, daß in Art. 75 des Grundgesetzes eine Rahmenplanungskompetenz für Hochschulen geschaffen wurde. Daraus ergibt sich unmittelbar die berechtigte Forderung nach dem Hochschulrahmengesetz, wobei ich die Betonung gerne auf Rahmen legen würde. Dabei wird das ist in der Regierungserklärung gesagt — das Gewicht zunächst auf den Abbau der hierarchischen Strukturen zu legen sein. Ich glaube — und mit mir glauben das viele —, daß damit schon viele andere zweifellos vorhandene Mißstände in der Organisation unserer Hochschulen aller Art beseitigt werden können.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Das ginge natürlich notfalls auch auf anderem Wege, etwa über das Bundesbeamtenrechtsrahmengesetz. Wie man es am zweckmäßigsten und vor allen Dingen am schnellsten macht, wird die Diskussion in der nächsten Woche zeigen, an der sich die Opposition erfreulicherweise intensiv beteiligen wird.
Die schwierige Frage der Mitwirkung an der Verantwortung in den verschiedenen Gremien innerhalb des Gesamthochschulbereichs ist das nächste, wichtige, wenn nicht das wichtigste Thema. Ich möchte heute schon sagen, daß ich nichts von Schemata auf diesem Gebiet halte,

(Zustimmung des Abg. Dr. Martin)

gleichgültig ob es sich um die Drittelparität oder um die von mir mit erfundene Viertelparität — diese geht auf eine Neujahrsumfrage der „Welt" zurück, die vor einigen Jahren angestellt wurde — handelt. Ich bin der Meinung, daß die Tausende von hochqualifizierten technischen Mitarbeiter in einem Forschungsunternehmen, wie es die Universität ja auch ist, an der richtigen Stelle ebenfalls etwas zu dem Gesamtgeschehen zu sagen haben.

(Allgemeiner Beifall.)

Wie gesagt, von solchen ideologisch geformten festen Begriffen wie „Drittelparität" oder „Viertelparität" halte ich im Grunde nicht sehr viel.

(Allgemeiner Beifall.)

Die richtigen Verhältnisse bei der Mitverwaltung müssen sich aus der sachlichen Erforderung der Funktionen ergeben, die in verschiedenen Entscheidungsgremien zu leisten sind.
Wir sind uns darüber klar: Keiner von uns hat irgendein Patentrezept für das Ganze in der Tasche. Wir werden also experimentieren müssen, und ich glaube, jede gesetzliche Regelung muß genügend Spielraum lassen, verschiedenes auszuprobieren. Ich bin also z. B. sehr dafür, daß zur Zeit an der Technischen Hochschule Darmstadt die Drittelparität
ziemlich konsequent ausprobiert wird, und wir sollten uns einmal ansehen, was nach einem oder zwei Jahren dabei herausgekommen ist.

(Lachen und Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU.)

— Das Ergebnis steht noch gar nicht fest! Ich glaube, Sie sollten im Moment weder dagegen sein noch besonders dafür sein. Wir sollten uns vielmehr in naturwissenschaftlich-empirischer Weise ansehen, was dabei herauskommt.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Wir müssen doch einmal loskommen von den Emotionen auf diesem Gebiet. Das ist kein Gebiet mehr für Emotionen.

(Beifall bei der SPD.)

Wir werden also auch dort Experimente machen müssen, und wir alle müssen wohl anerkennen, daß die Zeit der Scheu vor Experimenten wie auf vielen anderen Gebieten auch auf diesem Gebiete vorbei ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das ist mir jedenfalls in den anderthalb Tagen der bisherigen Debatte klargeworden, daß auch die Opposition dieser Meinung ist und daß sie sich in dieser Hinsicht durchaus als lernfähiges System erweist, als lernfähiges System, das wir alle werden und sein müssen, wenn es auch noch so unbequem ist. Mir ist völlig klar, wie unbequem das ist.
In diesem Zusammenhang würde ich gerne auf eine Bemerkung von Herrn Dr. Strauß kommen, der, glaube ich, heute früh gesagt hat, mit Recht gesagt hat — ich würde das genauso sehen —, daß sich bei der Olympiade 1972 das moderne Deutschland darstellen soll. Wir müssen doch aber nun einmal zur Kenntnis nehmen, daß große Teile der deutschen Jugend, besonders der studentischen Jugend, dieses zur Zeit vorhandene Deutschland nicht für ein modernes Land halten, und zwar geht das vom RCDS bis zum SDS.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU. — Abg. Leicht: Das sind aber keine Maßstäbe!)

Diese halten offensichtlich diesen Staat nicht für modern. Das können wir nicht einfach ableugnen, und sie sind auch keine quantité négligeable. Wir müssen uns eingestehen, und zwar Sie und wir alle, daß wir es bisher einfach nicht geschafft haben, der Jugend dieses Gefühl zu nehmen. Es nützt gar nichts, wenn wir uns mit ideologischen Haltungen damit beschäftigen, sondern hier würde ich wieder sagen: Wir sollten uns das anhören, wir sollten Experimente machen und dann sehen, welche Haltung und welches System und welche Zusammensetzung zu vernünftigen Ergebnissen führt.
Im Zusammenhang mit dem Hochschulrahmengesetz, das in der Regierungserklärung angesprochen ist, möchte ich noch etwas sagen. Herr Kollege Stoltenberg, man kann, wie Sie aus Ihrer Erfahrung sicher wissen, für ein Gebiet nicht alles in einer Regierungserklärung unterbringen, man bekäme



Bundesminister Dr.-Ing. Leussink
sonst einen ganzen langen Katalog. Ich habe über die Gesamthochschule sehr klare bestimmte Vorstellungen, mit denen ich verschiedene wahrscheinlich weit links überholen könnte, die das gar nicht vermuten. Ich würde z. B. meinen, wir sollten da auf die Dauer ein konsekutives System anstreben, was für deutsche Begriffe einstweilen noch viel zu revolutionär ist. Wir müßten dort viele beamtenrechtliche Dinge regeln und kämen dann wahrscheinlich dazu, daß sich das Beamtenrecht an manchen Stellen grundsätzlich nicht zur Lösung solcher Dinge eignet.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Es gibt zur Gesamthochschule eine große Reihe von beachtenswerten und diskussionsfähigen Vorschlägen. Ich möchte sie nicht vollständig aufzählen. Aber man sollte die wesentlichsten vielleicht doch einmal nennen. Da ist der baden-württembergische Vorschlag, an dem bekanntlich Herr Kollege Dahrendorf die Hauptarbeit geleistet hat, jedenfalls in der ersten Fassung. Der Evers-Plan ist auf dem Tisch; das Modell der SPD für ein demokratisches Bildungswesen vom Januar dieses Jahres ist da; die Leitsätze der CDU vom Juni dieses Jahres sind da; und der Entwurf der FDP für ein Hochschulgesetz ist da.
Die größte Last für die deutsche Universität besteht nach meinem Dafürhalten in der Tatsache, daß die Humboldt-Universität von 1810 bis etwa 1930 so ausgezeichnet war und so viele Erfolge hatte, daß sie zum Vorbild für die ganze Welt geworden ist. So etwas können Sie z. B. in der ernsthaften Literatur der Vereinigten Staaten, die sich mit Hochschulpolitik beschäftigt, heute lesen. Von einem so erfolgreichen System loszukommen ist eben sehr schwer, psychologisch durchaus verständlich.
Aber es stellt sich doch heute einfach heraus, daß dieses so einmalig erfolgreiche System für die heutige Welt nicht mehr paßt. Ich erwähne, was man in Amerika den land-grant-university-Charakter nennt, d. h. daß eine Universität von vornherein im Dienst der Gesellschaft steht und nicht in erster Linie darauf ausgerichtet ist, Privatdozenten zu produzieren. Natürlich sind solche Aussagen bei uns immer noch leicht anrüchig. Ich glaube, man kommt nicht darum herum: auch die deutschen Universitäten müssen sich durch die Schaffung eines Gesamthochschulsystems dieser Aufgabe öffnen.
Ich bin hier Neuling. Frau Präsidentin, ich weiß nicht, was dieser rote Knopf bedeuten soll.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600731500
Herr Bundesminister, es gibt bestimmte Vorstellungen über die Länge einer Rede. Wir sind hier sehr tolerant. Aber es ist die Frage, ob es im Interesse der Geschäftslage möglich wäre, irgendwann zum Abschluß zu kommen.

(Heiterkeit und Beifall.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600731600
„Irgendwann" selbstverständlich.

(Heiterkeit.)

Wie quantifizieren Sie denn „irgendwann"?

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600731700
Herr Bundesminister, wir können ja das rote Licht abstellen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600731800
Nein, geben Sie mir noch vier Minuten.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600731900
Ja, die geben wir gern.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600732000
Vielen Dank.
Ich darf ganz kurz auf das jüngste Kind dieses Ministeriums kommen, auf die allgemeine Bildungspolitik. Wir haben den Art. 91 b des Grundgesetzes. Herr Kollege Stoltenberg hat daran in erster Linie von der Exekutive her mitgearbeitet. Aber er ist offensichtlich nicht so schrecklich zufrieden mit seinem Erfolg. Immerhin, es ist doch einmal ein Einstieg.
Man sollte sich voll bewußt sein, daß hier die Möglichkeit eines harten Zusammenstoßes mit der berühmten Kulturhoheit der Länder sofort gegeben ist. Nun sieht es zwar so aus, als wenn alle Parteien auf der Kulturhoheit der Länder nicht mehr so hart bestehen würden, wie das vielleicht noch vor einem Jahr war. Ich darf an den Artikel von Herrn Kollegen Holthoff vorgestern in der „WAZ" erinnern.

(Abg. Köppler: In solchen Fragen hat er nichts zu sagen!)

— Es ist immerhin eine Stimme eines Kultusministers eines Landes. Ich stimme seiner sachlichen Begründung sogar zu. Aber ich würde hier sagen: Nun mal langsam mit den jungen Pferden! Wir sollten so schnell wie möglich erst einmal ausloten, was wir denn mit dem neuen Instrumentarium machen können. Wenn die Bewußtseinsänderung in den Kultusministerien der Länder entsprechend weit fortgeschritten ist, kann man auch mit einem relativ schwachen Instrument sicher eine ganze Menge machen.

(Beifall bei der SPD.)

Ich habe einfach den Eindruck, daß hier ein schnelles Umdenken im Gange ist. Sollte nicht, wie es in der Regierungserklärung heißt, der Bund in erster Linie jetzt einmal seine Bereitschaft nicht nur verbal, sondern konkret erklären und beweisen, daß er bereit ist, den Ländern seine Hilfe zur Verfügung zu stellen, auch, wenn es notwendig ist, materiell?
Von Natur aus bin ich wahrscheinlich viel mehr Zentralist als Föderalist. Aber in einem Zeitalter, wo eigentlich viele Entschlüsse gar nicht mehr in Bonn, sondern in Brüssel gefaßt werden müßten, bin ich doch der Meinung, daß föderale Elemente in unserem Staatswesen durchaus ihre Berechtigung haben. Ich meine das nicht nur wegen der historischen Entwicklung, sondern z. B. auch wegen der Möglichkeiten zum edlen Wettstreit. Ich weiß nicht, wenn wir seit jeher eine zentrale Kultusverwaltung



Bundesminister Dr.-Ing. Leussink
gehabt hätten, ob wir in der Entwicklung der Schul- und Hochschulpolitik heute schon so weit wären.

(Beifall bei der SPD. — Vereinzelter Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Köppler: Sie haben eine Fehlzündung ausgelöst, Herr Minister! —'Abg. Unertl: Das war sehr gut, Herr Minister, was Sie da sagten! — Heiterkeit.)

Auch auf diesem Gebiete müßte es eigentlich heißen: Konkurrenz hebt das Geschäft.

(Abg. Unertl: Sehr richtig!)

Bevor wir allzu zentralistisch werden, müßten wir hier in Bonn auch erst einmal eine entsprechende Atmosphäre schaffen, die um ein Kultusministerium herum sein muß; denn gerade auf diesem Gebiete halte ich — Sie werden vielleicht erstaunt sein — von dem Atmosphärischen außerordentlich viel.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Abg. Moersch: Aber in München ist die Atmosphäre ganz gut, und Bayern liegt trotzdem hinten!)

— Ach, um den Salvatorpiatz herum — wenn auch vielleicht nicht in dem bestimmten Haus — ist doch eigentlich inzwischen eine ganz vernünftige Atmosphäre entstanden.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Ich würde also vorschlagen, daß wir diese Frage einstweilen einmal wohltuend offenhalten, daß wir uns genau anschauen, was im nächsten und im
übernächsten Jahr passiert, und die Ergebnisse diskutieren. Und wenn die Diskussion des Ergebnisses dazu führt, daß etwas anderes geschehen muß, dann müssen wir uns mit sachlicher Begründung, weil es bisher nicht genügend war, andere Dinge überlegen. Das wäre jedenfalls mein Vorschlag.
Vor allem müssen wir uns — und damit bin ich bald fertig, Frau Präsidentin — so schnell wie möglich die finanziellen Konsequenzen aller dieser Dinge, der angekündigten und beabsichtigten Programme, überlegen.

(Beifall.)

Ich glaube, daß wir eine erste Annäherung dazu im Laufe des Jahres 1970 erarbeiten müssen. Schon jetzt ist klar: die finanziellen Anforderungen werden sehr hoch sein. Nicht nur die Opposition hat implizite auch für dieses Gebiet bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß sie sehr hoch sein werden, und mit Recht gefordert, daß man das in das allgemeine Programm genau einbaut. Das hat vor Ihnen der Herr Finanzminister bei mir schon sehr intensiv und mehrfach getan.
Der eine oder andere kennt meine quantitativen Vorstellungen vielleicht. Sie können sie sonst nachlesen in der Denkschrift zum 65. Geburtstag meines Freundes Ernst Schütte. Der Finanzminister kennt auch diese meine quantitativen Vorstellungen.
Ich möchte diese Ausführungen abschließen mit einem Appell an die jungen Menschen, an die Schüler und Studenten. Diese Regierung hat den festen Willen, viel zu tun, wesentlich mehr zu tun,
als bisher getan worden ist, für Bildung und für Ausbildung.

(Beifall bei der SPD. — Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Wenn das so ist, muß aber auch die Bereitschaft der jungen Generation, der Schüler und Studenten, erwartet werden, hierbei mitzumachen.
Wir sind uns darüber klar: es wird eine längere, sehr unbequeme Übergangszeit geben. Wir werden uns mit Behelfs- und Übergangslösungen abfinden und für diese Zeit auch einmal Dinge in Kauf nehmen müssen, die sehr weit von unseren und den Idealvorstellungen der jungen Generation entfernt sind. Ich glaube, das muß in aller Deutlichkeit gesagt werden, und ich möchte von hier aus diesen Appell an die jungen Menschen richten.
Mir ist klar, daß wir dies nur dann erwarten können, wenn wir in der nächsten Zeit ganz klar, deutlicher, als das in einer Regierungserklärung, und sicher auch deutlicher, als das in einem Diskussionsbeitrag zur Regierungserklärung möglich ist, sagen, was wir im einzelnen wollen. Und wenn die Opposition uns zwingt, das genauer bereits vor dem Mai 1969 zu sagen, so kann das für uns nur der Anlaß sein, eben nicht acht Stunden Schlaf in der Nacht zu haben,

(Abg. Köppler: Mit Schlafen ist es vorbei, Herr Leussink! — Heiterkeit.)

sondern vielleicht nur vier oder fünf.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600732100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Meinecke.

Dr. Rolf Meinecke (SPD):
Rede ID: ID0600732200
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie sehen: der neue Bundeswissenschafts- und Forschungsminister ist ein Nachtarbeiter, und so kann man durchaus seinen Versprecher erklären.
Meine Damen und Herren! Den von Herrn Kollegen Dr. Stoltenberg in großer Schärfe vorgetragenen Differenzen zwischen seiner Meinung und der Meinung seiner Fraktion und dem Gehalt der in der Regierungserklärung stehenden Grundsätzen für das Bildungs- und Ausbildungsprogramm, für die Förderung von Wissenschaft und Forschung ist eines voranzustellen. Ich glaube, das, was er in bezug auf nicht klar definierte Aussagen betont hat, impliziert immerhin: daß er mit den grundsätzliken Ausführungen und Aussagen der Regierungserklärung übereinstimmt!
In diesem Zusammenhang möchte ich ihn gern darauf hinweisen, daß vor drei Jahren der damalige Bundeskanzler Kiesinger in der Regierungserklärung zu diesem Gebiet unserer politischen Landschaft nicht mehr zu sagen imstande war als:
Die Förderung der Forschung in Schlüsselbereichen der technischen Entwicklung — wie der Elektronik, der Atomenergie und der Weltraumforschung — ist für die Zukunft der Gesamtwirtschaft und damit für den Wohlstand



Dr. Meinecke
unseres Volkes ertragreicher als Subventionen, die nur der Erhaltung von stagnierenden Bereichen dienen.
Das war damals eine ausschließlich quantitative Betrachtungsweise. Die jetzige Bundesregierung bemüht sich, ihre politischen Vorstellungen für die Zukunft anders zu begründen, neu zu begründen. Sie wird in den Grenzen ihrer Möglichkeiten zu einem Gesamtbildungsplan kommen. Das Ziel, die Zielvorstellung ist die Erziehung eines kritischen und urteilsfähigen Bürgers. Die Bundesregierung wird sich von der Erkenntnis leiten lassen, daß der zentrale Auftrag des Grundgesetzes, allen Bürgern gleiche Chancen zu geben, noch nicht annähernd erfüllt wurde und damit Auftrag für die künftige Arbeit bleibt. Sie müssen zugeben., meine Damen und Herren der CDU: Welch Panoramawechsel der bildungspolitischen Landschaft auch hier in diesem Hause!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Der Kollege Stoltenberg hat gesagt, es seien keine klaren Aussagen darüber vorhanden, ob die jetzt vorhandenen Instrumente des Grundgesetzes und der Gesetzgebung ausreichten; er hätte darüber gern nähere Erläuterungen gehört. Herr Kollege Stoltenberg, uns allen hier ist bekannt, daß die jetzt neu verfügbaren drei Instrumente der Bundesregierung weder ausgeschöpft sind noch bereits praktiziert werden konnten. Das Hochschulbau-Rahmengesetz tritt am 1. Januar 1970 in Kraft. Es ist also müßig, heute darüber zu reden, ob dieses Instrument ausreichend ist. Man wird die Instrumente benutzen, ausschöpfen und anwenden müssen.
Mit Ihnen einer Meinung, daß man nach einer gewissen Frist dies überdenken sollte. Mit Ihnen aber nicht einer Meinung, wenn Sie so tun, als ob Sie auf dieser Seite des Hauses (zur CDU/CSU) immer schon bezüglich der Verlagerung von Kompetenzen auf dem Gebiet des Bildungswesens von den Ländern zum Bundesstaat und zur Bundesregierung einhelliger Meinung gewesen wären. Da gehen Grenzen der politischen Meinungsbildung quer durch dieses Haus. Wir alle wissen ganz genau, daß diese Bundesregierung ein Bildungsbudget kurzfristiger Art erst aufstellen kann, wenn eine Bildungsplanung langfristiger Art als Zielvorstellung erarbeitet wurde. Wir alle — einschließlich des zuständigen Ausschusses — haben in den letzten vier Jahren erarbeitet und sind davon ausgegangen, daß dieser gemeinsame nationale Bildungsplan, vom Wissenschafts- und vom Bildungsrat erarbeitet, Ende dieses Jahres oder Mitte des nächsten Jahres vorliegt. Wenn diese langfristigen Zielvorstellungen vorhanden sind, wird man ein kurzfristiges Budget festsetzen.
Nun haben Sie kritisiert, daß in der Regierungserklärung für die Bildungsplanung ein Zeitraum von 15 bis 20 Jahren und für das Bildungsbudget ein Zeitraum von 5 bis 15 Jahren genannt wird. Ich meine, daß sich das nicht ganz so weit von den von Ihnen aufgerissenen Thesen unterscheidet.
Meine Damen und Herren, hier wurde darüber gesprochen, es sei nicht ausreichend, mit einer Zusammenfassung der Kompetenzen innerhalb der
Bundesregierung ein Instrument zu bekommen, um die notwendigen Fragen zu lösen. Immerhin haben die Fraktion der FDP und der Wissenschaftsausschuß bereits vor fast einem Jahr die Bundesregierung aufgefordert, zu einer Zusammenfassung der zersplitterten Kompetenzen innerhalb der Regierung - im Rahmen der Kompetenzen des Herrn Bundeskanzlers — zu kommen. Sie hätten die Möglichkeit gehabt, diese Dinge mehr voranzutreiben. Dafür haben wir jetzt in der Regierungserklärung die klare Aussage, daß die Bundesregierung im Rahmen einer Flurbereinigung der Ressortzuständigkeit die entsprechenden Maßnahmen ergreifen und in Kürze dieses Hohe Haus ein Papier auf den Tisch bekommen wird, in dem das näher dargelegt ist.
Hier sind unterschiedliche Auffassungen geäußert worden, was wie und in welcher Art Bildungsplanung in Politik umzusetzen ist. Nun, meine Damen und Herren, das ist ja den Bildungsplanern selbst noch nicht ganz klar. Der von Ihnen, Herr Kollege Stoltenberg, vorgelegte Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bildungsplanung weist auch hier aus, daß man noch nicht zu einer einmütigen Auffassung gekommen ist.

(Zuruf des Abg. Dr. Stoltenberg.)

— Aber mit Ihrer Zustimmung, so möchte ich annehmen; denn der Innenminister hat ja auch europäische Vergleiche zwecks gemeinsamer Betrachtung unterschiedlicher Schulsysteme anstellen lassen. Er ist dabei auch zu ganz überraschenden Schlüssen gekommen, die zu beleuchten für die CDU ganz interessant wäre, wenn sie z. B. ihre eigenen Stellungnahmen zum Thema der Gesamtschule einmal kritisch überprüfen würde. Bildungsplanung und Planung im Bereich solcher Systeme sind eben etwas ganz anderes als eine mittelfristige oder kurzfristige Planung im industriellen Bereich mit den entsprechenden Konsequenzen, wo die Auswirkungen sehr viel rascher zu erkennen und die Kostenfaktoren sehr viel rascher anzusetzen sind.
Ich bleibe dabei, meine Damen und Herren: Was diese Bundesregierung in diesem wichtigen Absatz über die Förderung von Bildung und Ausbildung, Wissenschaft und Forschung ausgesagt hat und was erstmalig in einer Regierungserklärung in dieser Bundesrepublik einen dergestalt breiten Raum einnimmt, ist eine gute Ausgangsbasis für die Arbeit der kommenden Jahre. Es ist eine gute Ausgangsbasis, um sich im Detail auf die Kosten festzulegen, die entstehen müssen. Ich darf Sie daran erinnern, daß die Partei, der ich angehöre, die Sozialdemokratische Partei, auch vor der Wahl bereits feste Verpflichtungen programmatischer Art eingegangen ist, wonach feststeht, zu welchen jährlichen Kostensteigerungen sie im Rahmen dieses Budgets bereit ist.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600732300
Herr Kollege Dr. Meinecke, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Rolf Meinecke (SPD):
Rede ID: ID0600732400
Ja, gewiß.

Dr. Berthold Martin (CDU):
Rede ID: ID0600732500
Herr Kollege, Ihnen ist doch sicher bekannt, daß beim Wissenschaftsrat, bei



Dr. Martin
der Kultusministerkonferenz und überall die Zahlen über die dringenden Aufgaben vorliegen. Beispielsweise weiß man, was das 10. Schuljahr, die vorschulische Bildung oder die Weiterführung des Schuletats kostet. Finden Sie es in dieser Lage nicht etwas dürftig, wenn eine Regierungserklärung nicht eine einzige Zahl oder mindestens eine Andeutung über die finanziellen Dimensionen aufweist?

Dr. Rolf Meinecke (SPD):
Rede ID: ID0600732600
In Anbetracht der notwendigen Aufwendungen für das Schulwesen in den Ländern, für die Neueinführung des 10. Schuljahrs und für andere Forderungen, die dieses Hohe Haus gemeinsam an die Länder gestellt hat — z. B. der Ausbau des Vorschulwesens — sind ein Gesamtbudget und ein Gesamtrahmenplan nur in Zusammenarbeit mit den Ländern und unter der Bereitwilligkeit der Länder, die entsprechenden Kosten ihrerseits aufzuwenden, möglich. Das aber wiederum ist, wie wir ja festgestellt haben, Gegenstand eines gemeinsamen Bildungsplans und damit Grundlage eines Nationalbudgets.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich würde ganz gerne noch darauf hinweisen, daß dieses Hohe Haus bereits im Jahre 1966, sehr kurzfristig nach der Regierungsbildung durch die Große Koalition, auf die Gesamtproblematik des Numerus clausus, der Studienbeschränkung und der daraus sich ergebenden Konsequenzen hingewiesen hat. Die Situation, Herr Kollege Stoltenberg, ist auch in den vergangenen drei Jahren in keiner Weise besser geworden; sie hat sich verschärft, und damit ) haben wir alle hier zu überprüfen, inwieweit wir gemeinsam diese Probleme bewältigen können — und wollen.

(Beifall bei der SPD.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600732700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Mikat.

Dr. Paul Mikat (CDU):
Rede ID: ID0600732800
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf ein erstes Wort des herzlichen Grußes an Sie, Herr Kollege Leussink, richten, nicht nur auf Grund der vielen Übereinstimmungen mit Ihnen, die ich auch heute wieder feststellen konnte, sondern auch rein privat möchte ich uns beiden wünschen, daß wir bei unserem Achtstundenschlaf bleiben. Mir wäre nichts unangenehmer, als zu wissen, daß wir es hier im Hause mit einer bei der bildungspolitischen Orientierung unausgeschlafenen Regierung und einer unausgeschlafenen Opposition zu tun haben. Also: ich schlafe nachts acht Stunden.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und Abgeordneten der SPD.)

Herr Kollege Leussink, Sie haben ohne Zweifel drei sehr wichtige Punkte, die mir grundlegend für jede Bildungspolitik nach vorn zu sein scheinen, angesprochen. Sie haben einmal die Absage an ideologische Verkrustungen aller Art postuliert. Sie haben zweitens die Offenheit für verschiedene Modelle und die damit notwendig verbundene Flexibilität in unseren Versuchen gefordert; und Sie haben zum dritten ein ganz klares Ja auch zu Experimenten
und Versuchen aller Art gesagt. Ich hoffe, daß diese Ihre Nüchternheit und daß diese Emotionsfreiheit dann auch in allen unseren Ländern Bestandteil der Bildungsreform und der damit verbundenen Reformversuche wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich stimme Ihnen — um das gleich vorwegzunehmen - auch darin zu, wenn Sie die Forderung erhoben haben, daß der Ausbau unseres Bildungswesens von der Funktion auszugehen hat, die die Bildungsinstitutionen in Staat und Gesellschaft besitzen. Das bedeutet, um ein Beispiel zu nennen, daß wir uns fragen müssen, ob unsere Universität denn nicht in einem sehr viel stärkeren Maße gerade bei den schulbezogenen Disziplinen und Fachabteilungen praxisbezogener, d. h. stärker auf die Aufgaben der Schule bezogen werden muß. Ich darf daran erinnern, daß die Ruhruniversität Bochum jüngst eine Veröffentlichung auf Grund sorgfältiger Untersuchungen publizieren konnte; dabei ergab sich, daß hinsichtlich der schulbezogenen Fachabteilungen 73 Vo der Lehrveranstaltungen nicht auf die Schulwirklichkeit abgestimmt sind.
In dieses Kapitel gehört die Überprüfung der Studienordnungen, gehört die Überprüfung der Prüfungsordnungen. Das sind Aufgaben, die wir angesichts der vorhandenen Kompetenzsituation sicherlich nicht von diesem Hohen Hause aus gestaltend werden wahrnehmen können, aber es ist diesem Hohen Hause unbenommen, immer wieder durch Appelle an ein gemeinsames Handeln der deutschen Bundesländer in diesen elementaren Fragen die Dringlichkeit einheitlicher Lösungen dieser Aufgaben zu sehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, ich möchte hier auch ein klares Wort zur Frage „Bildungspolitik und föderalistische Struktur unseres Bundes" sagen. Kein Zweifel, so unaufhebbar der Föderalismus als Verfassungselement dieser Bundesrepublik Deutschland ist, so müssen wir doch gerade um des Föderalismus willen daran interessiert sein, daß es sich um einen funktionierenden Föderalismus handelt. Wir dürfen ihn also nicht als ein statistisches, sondern als ein von uns allen dynamisch fortzuentwickelndes Verfassungsprinzip verstehen,

(Beifall bei der CDU/CSU)

soll nicht der Föderalismus letzten Endes selber Schaden leiden. Wer den Föderalismus im Geiste des Grundgesetzes bejaht, wird seine verfassungsrechtliche Fortentwicklung bejahen müssen, und auch dafür werden wir von der CDU/CSU in diesem Hause kämpfen.
Herr Kollege von der SPD-Fraktion, Sie haben völlig recht. Die Meinungsbildung geht natürlich oft quer durch die Fraktionen.

(Zurufe von der FDP: Na, na!)

— Ich weiß nicht, was Sie wollen. Wenn das schon immer Ihre Forderung gewesen ist, können Sie doch jetzt nicht „Na, na" sagen. In mir haben Sie einen Streiter dafür. Ich habe das immer betont,



Dr. Mikat
früher als Kultusminister und jetzt auch von hier aus.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der FDP.)

Meine Damen und Herren, dazu gehört — Herr Kollege Leussink, hier stimmen wir ebenfalls überein —, daß wir im Rahmen der Bildungsplanungskompetenz, die wir jetzt haben, in der Tat prüfen müssen, ob die Instrumentarien auf die Dauer gesehen ausreichen. Das wird sich vor allen Dingen hinsichtlich zweier wichtiger Problemkreise zeigen, nämlich hinsichtlich der untrennbaren Verbundenheit zwischen Schule und Hochschule heute. Wenn wir die Hochschule heute nicht mehr als isolierte Institution, sondern im Sinne der Einheit, vom primären bis in den tertiären Bildungsbereich hinein, verstehen, gerade dann werden wir fragen müssen: Reichen unsere verfassungsrechtlichen Instrumentarien aus? Ich persönlich glaube: nein, bin aber wie Sie für Ihre Behutsamheit in dieser Angelegenheit.
Es läge nahe, hier etwas über das Hochschulrahmengesetz zu sagen. Ich darf dazu nur so viel erklären, daß wir, auch wenn uns die Regierungserklärung keinen näheren Hinweis auf den Inhalt ihres Hochschulrahmengesetzes gibt, doch hoffen, daß auch das Hochschulrahmengesetz, das Sie uns vorlegen werden, die nötige Flexibilität für die Verschiedenheiten am Ort läßt. Die CDU/CSU hat in ihrem Arbeitskreis für Wissenschaft und Publizistik unter der Leitung ihres bildungspolitischen Sprechers, des Herrn Kollegen Martin, einen Gesetzentwurf fertiggestellt. Wir werden diesen Gesetzentwurf dem Hohen Hause vorlegen. Wenn wir dann zwei Entwürfe haben, halte ich das für gut. Dann werden wir nämlich beide Entwürfe miteinander vergleichen können und hoffentlich auch zu einer guten, gemeinsamen Lösung kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, Politik ist immer Politik in konkreten geschichtlichen Situationen. Unsere gegenwärtige geschichtliche Situation wird aber wesentlich bestimmt durch einen sich in immer schnelleren Abläufen vollziehenden wissenschaftlichen Fortschritt, der eine Dimension erreicht hat, die der geschichtlichen Dimension der — trotz aller Blockbildungen in Ost und West — eben doch einen Welt, die keine isolierten Felder mehr kennt und kennen darf, heute entspricht. Folgerichtig entspricht dieser konkreten Situation, in der sich unser Volk wie alle anderen Völker befindet, die zwingende Notwendigkeit, der Bildungs- und Wissenschaftspolitik die Priorität zuzuweisen.
In diesem Sinne, Herr Bundeskanzler — er ist gerade nicht hier —, darf ich der Bundesregierung sagen, daß wir die Stellenzuweisungen „Priorität für Bildungs- und Wissenschaftspolitik," begrüßen.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei der SPD.)

Verstehen wir unsere Welt als ein geschichtliches Feld, also als ein in permanentem Wandel und in permanenter Entwicklung befindliches Feld, dann, meine Damen und Herren, werden wir auch mit dem Begriff der Reform nicht die Vorstellung nur einer einzelnen Maßnahme oder nur einzelner Gesetze verbinden. Dann bedeutet für uns und das ist
für die Bildungspolitik entscheidend — Reform der Gesellschaft dauernde und bleibende Aufgabe, und wir werden Bildungspolitik als den eigentlichen Kern der Gesellschaftspolitik begreifen.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD.)

Sosehr wir mit den allgemeinen Aussagen der Regierungserklärung übereinstimmen können — Sie sind inzwischen Gott sei Dank schon Gemeingut geworden —, sosehr muß ich freilich auch sagen, daß konkret natürlich über manches zu reden sein wird.
Aber lassen Sie mich auch zum Ausdruck bringen, daß in der Tatsache, daß die Opposition hier erklären kann: wir sehen in euren allgemeinen Aussagen auch das, was wir aussagen, daß in dieser allgemeinen Zielvorstellung für die Bildung, auf die Zukunft bezogen eine Chance liegt, die wir alle in diesem Hohen Hause nutzen sollten.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD.)

Denn je größer ,der Konsens ist, desto näher sind wir in der Tat nun auch daran, mit dem Wort von der Priorität Wirklichkeit, Realität zu machen.
Sosehr ich mir bewußt bin, daß wir langfristig planen müssen, sosehr bin ich mir freilich auch bewußt, daß es einige Dinge gibt, die uns ganz heiß auf den Nägeln brennen. Alle qualitativen Reformen des deutschen Bildungswesens, alle strukturellen Reformen, ob sie nun Universität oder Schule betreffen, setzen voraus, daß wir die quantitativen Probleme in den Griff bekommen. Sie können keine Schulreform ohne mehr Lehrer machen. Unsere Frage lautet also — und darüber werden wir sprechen müssen —: Was werden wir von diesem Parlament aus tun können, um den Lehrermangel zu beseitigen? Sind wir bereit, den Beruf des Lehrers nun auch mit der entsprechenden Attraktivität auszustatten?

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD.)

Das hat eine ,ganz bestimmte Bedeutung für die Weiterentwicklung unserer pädagogischen Hochschulen: nicht nur daß sie dort, wo sie es noch nicht sind, wissenschaftliche Hochschulen werden müssen, sondern auch, daß wir der Ausbildung für alle pädagogischen Berufe einen besonderen Stellenwert im Rahmen der von uns angestrebten Gesamthochschule zuweisen.
Ferner werden wir hier fragen müssen: an welchen Ort — und da können wir nicht lange warten — gehören Neugründungen? Denn die Frage „Ausbau bestehender Universitäten oder Neugründungen?" ist falsch gestellt. Neben den Ausbau der bestehenden Universitäten müssen wir angesichts der Studentenzahlen, die auf uns zukommen, den Mut haben, Neugründungen ins Auge zu fassen, und zwar in Form von Gesamthochschulen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es liegt mir sehr viel daran, zu diesem Punkt, gerade weil die Regierungserklärung darüber nichts



Dr. Mikat
gesagt hat, heute hier etwas nachzutragen. Diese Neugründungen gehören einmal in die Ballungsgebiete und zum anderen in die bisher in dieser Beziehung strukturell unterentwickelten Gebiete. Wenn es uns nämlich mit der Herstellung der Chancengleichheit wirklich ernst ist, dann müssen wir uns überlegen, ob wir nicht gezwungen sind, z. B. in den großen Ballungsgebieten — etwa nach amerikanischem oder sowjetischem Vorbild — vom primären bis zum tertiären Bildungsbereich das Angebot zu erstellen, um es mehr Menschen möglich zu machen, ohne zwingenden Wohnsitzwechsel universitäre Studien aufzunehmen, ganz abgesehen davon, daß es uns nur das vermehrte Angebot in Ballungsgebieten auch ermöglichen wird, dem so häufig übersehenen Problem der permanenten Fortbildung und Weiterbildung der akademischen Berufe einigermaßen gerecht zu werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren! Diese Bildungspolitik, die wir betreiben müssen — auch das ist von Ihnen, Herr Leussink, gesagt worden — wird uns ja weit über den Rahmen der traditionellen kulturpolitischen Fragestellungen hinaus zu der Fragestellung führen: wie muß überhaupt die gesellschaftspolitische Orientierung in einer Leistungsgesellschaft bestimmt werden?
Ich bin z. B. der Auffassung, wenn wir an die notwendige Uberprüfung des Beamtenrechts — näherhin des Laufbahnrechts — gehen, darf unter bildungspolitischem Aspekt diese Überprüfung weder haltmachen vor Prestigebastionen, noch darf sie ein Nachgeben sein gegenüber Prestige-Nachholbedarf.

(Sehr gut! bei der FDP.)

Wer es ernst mit der Bildungsgesellschaft als einer Leistungsgesellschaft meint, muß in der Tat bereit sein, unser starres Laufbahnrecht zu überwinden.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD.)

Allein aus Zeitgründen — ich komme zum Schluß, verehrte Frau Präsidentin — muß ich es mir ersparen, im einzelnen nun die Punkte anzugehen, die uns heute vordringlich beschäftigen müssen. Unter diesem „Heute" verstehe ich ja nicht den heutigen Tag; ich verbinde damit die Hoffnung, daß wir sehr bald zu eingehenden Debatten in diesem Hohen Hause kommen, auch wenn wir auf bestimmten Feldern, wie ich eingangs sagte, die verfassungsrechtliche Handlungskompetenz noch nicht haben. Wir sollten aber jedenfalls zum Meinungsbildungsprozeß der Länder selber beitragen.
Bildung ist ein permanenter Prozeß. Er kann und darf nicht auf bestimmte, scharf umrissene Abschnitte im Leben des Menschen beschränkt sein.
Lassen Sie mich ein letztes Wort sagen. Bildung hängt eng mit Friedenssicherung zusammen. Es gab — und damit möchte ich schließen — und gibt in der Liturgie der Kirche ein altes Gebet, das lautet: „Vor Pest, Hunger und Krieg bewahre uns, o Herr!" Meine Damen und Herrn, Pest und Hunger sind da, wo sie überwunden wurden — leider sind
sie noch nicht überall überwunden worden —, überwunden worden nicht nur durch den Appell, sondern durch das zähe und das gemeinsame Handeln von Wissenschaft, von Forschung. So wird es auch um den Frieden bestellt sein. In dem Maße, in dem wir nüchtern und zäh diesen bildungspolitischen Gesamtprozeß in Angriff nehmen, werden wir einen Beitrag zum Frieden in dieser Welt leisten. Infolgedessen sind die Ausgaben, die auf diesem Felde zu tätigen sind und die nicht eine Generation allein wird tragen können — darüber werden wir bei der Finanzierung noch sprechen —, nicht nur Zukunftsausgaben für unser Volk, sondern sie sind ein Beitrag zur Verteidigung von Frieden und Sicherheit in der ganzen Welt.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600732900
Das Wort hat Herr Abgeordneter Moersch.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0600733000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte dem Herrn Kollegen Mikat für seine Ausführungen auch im Namen meiner Fraktion ausdrücklich danken. Ich begrüße ihn hier in unserem Hause als einen Mitstreiter für die bildungspolitische Vernunft.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei der CDU/CSU.)

Ich hoffe, daß sein Schwung nicht durch Fraktionsberatungen erlahmen wird.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.—Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie schlechte Erfahrungen? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Wir haben ja in diesem Hause auch mit anderen Kollegen aus Nordrhein-Westfalen, die für die CDU/CSU bildungspolitisch tätig gewesen sind, in der Vergangenheit Erfahrungen gemacht. Einer sitzt noch hier; andere sind nicht mehr wiedergekommen. Das ist die Erfahrung, die ich Ihnen doch ins Gedächtnis zurückrufen möchte.

(Abg. Kiep: Aber bei Ihnen ist die Tür jederzeit offen!)

— Entschuldigen Sie, bei Ihnen sind wegen falscher, wegen abweichender Meinung — im Ausschuß unter anderem — welche nicht wiedergekommen. Das ist ein entscheidender Unterschied.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich kann nur sagen: ich bin voller Hoffnung. Warum wehren Sie sich denn so?

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer war denn das?)

— Frau Dr. Wex!

(Fortgesetzte Zurufe von der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, ich möchte Herrn Professor Leussink für seine Darlegungen danken, weil sie uns zeigen, daß in diesem Hause eine sehr nützliche politische Zielansprache in diesen Fragen möglich sein wird. Das halten wir für das Entscheidende.



Moersch
Ich darf hier die Hoffnung ausdrücken, daß wir in vielen Fällen im zuständigen Ausschuß durch öffentliches Anhören die Positionen klären, die in der Wissenschafts- und Forschungspolitik geklärt werden müssen. Dabei werden wir zu den Einzelheiten kommen, und dann werden auch in diesem Hause die Fronten sicherlich wiederum klar zu erkennen sein.
Bevor ich zu einigen Sachpunkten kurze Anmerkungen mache, muß ich Sie um Geduld für einen Hinweis zu einer vergangenen Debatte bitten. Herr Dr. Luda hat meinem Fraktionskollegen Dr. Haas ein Zitat vorgelesen. Ich hatte den Eindruck, daß Herr Dr. Haas die Frage etwas mißverständlich aufgefaßt hat. Herr Dr. Luda, wenn Sie Ihr Zitat noch einmal lesen, werden Sie feststellen, daß mein Kollege Dr. Starke am 27. August nicht die Aufwertung abgelehnt hat, sondern die Politik des Nichtstuns unter Bundeskanzler Kiesinger, die zur Kontroverse über die Aufwertung geführt hat. Ich darf hinzufügen, daß die FDP-Fraktion im Mai in diesem Hohen Hause sehr präzise und klar erklärt hat, sie halte aus Stabilitätsgründen eine Aufwertung für notwendig. Soweit der Hinweis, damit nachträglich keine Zweifel aufkommen!

(Abg. Matthöfer: Auch die Sozialausschüsse der CDU, Herr Moersch; aber die schweigen hier!)

Das nur zur Anmerkung für die Historiker, wenn ich es so sagen darf. Ich habe damit vermeiden wollen, daß noch einmal eine Debatte darüber aufflammt. Ich denke, Sie werden mir alle dankbar dafür sein, daß wir die Aufwertungsdebatte nicht noch einmal im einzelnen fortgesetzt haben.
Nun zu der Rede des Herrn Kollegen Dr. Stoltenberg und zu den Bundeskompetenzen. Herr Kollege Dr. Stoltenberg, für Ihre Ausführungen zur Bundeskompetenz und Ihr Zitat der Regierungserklärung gilt die alte Wahrheit: Wer halb zitiert, hat ganz gewonnen. Hätten Sie nämlich die Seite 17 des Manuskripts der Regierungserklärung gelesen, dann hätten Sie festgestellt, daß sich die Bundesregierung den Weg für eine Erweiterung der Kompetenzen offenhält, ja ausdrücklich die Weiterentwicklung des föderalistischen Systems im Auge hat, die Herr Professor Mikat mit Recht hier vertritt. Dort heißt es nämlich:
Die Bundesregierung wird in dieser Legislaturperiode ein Gremium schaffen, dem Politiker aus Bund, Ländern und Gemeinden, Verwaltungsbeamte und Wissenschaftler angehören. Es soll Vorschläge zur Fortentwicklung der bundesstaatlichen Struktur ausarbeiten.
Das ist ein ganz klar postulierter Auftrag.
Ich halte es für richtig, daß wir die Gesamtüberprüfung der föderalistischen Struktur vornehmen, nachdem die Verfassung in der letzten Legislaturperiode auf diesem Gebiet leider ziemlich zusammengeflickt worden ist, z. B. durch Einrichtungen, die nicht parlamentarisch kontrolliert sind, um das ganz klar zu sagen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600733100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage zu diesem Punkt?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0600733200
Bitte!

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0600733300
Herr Kollege Moersch, ist Ihnen gerade bei diesem Teil der Debatte nicht auch deutlich geworden, daß es an einer anderen Stelle der Regierungserklärung, nämlich in dem Abschnitt über Bildung und Wissenschaft, über den wir hier sprechen, ausdrücklich heißt: „sie will den Ländern — ohne deren Zuständigkeiten anzutasten — helfen." Das ist, wenn ich das Deutsch richtig verstehen kann, der programmatische Verzicht auf eine Weiterentwicklung des bundesstaatlichen Systems in diesem Bereich, und damit müssen Sie sich schon auf der Grundlage Ihrer früheren Erklärungen und Ihrer bekannten Forderungen etwas selbstkritisch auseinandersetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0600733400
Ich komme gleich darauf. Das ist keineswegs ein Widerspruch, wie Sie ihn hier konstruieren. Es ist beabsichtigt, das machtverteilende Prinzip aufrechtzuerhalten, aber innerhalb dieses Prinzips die Gewichte so zu verteilen, wie es der Vernunft entspricht.

(Abg. Köppler: Herr Moersch, ist es nicht „sowohl — als auch", wie so oft in der Regierungserklärung? — Abg. Dr. Hammans: Wo sind denn Ihre Forderungen aus dem Wahlkampf?)

— Ich verstehe gar nicht, daß Sie sich so große Sorgen um meine Forderungen machen. Sie haben zwar mit Mehrheit, wenn ich es recht verstehe, beschlossen, ein Bundeskultusministerium einzurichten. Sie sind dann aber von Ihrem Parteivorsitzenden und von allen Landesfürsten, die Sie haben, desavouiert worden, und sie haben hinterher auch nicht gesagt, was der neue Inhalt der Verfassung sein soll. Wir haben in unserem Wahlprogramm ganz genau gesagt, welche Kompetenzen wir haben wollen. Das ist entscheidend, und ich bin nach wie vor der Meinung — aber das wird sich herausstellen — —

(Abg. Dr. Hammans: Wo sind die Forderungen denn in der Regierungserklärung?)

— Ich spreche hier für die FDP-Fraktion, und wir sind Parlamentarier, die eine Meinung haben können, Herr Dr. Hammans.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich bin der Ansicht, daß wir das, was jetzt an Kompetenzen durch die Anträge der FDP erreicht wurde, auszuschöpfen haben und daß wir dann entscheiden müssen, ob nach unserer Meinung auf diese Weise die Chancengleichheit in Deutschland hergestellt und das Bürgerrecht auf Bildung verwirklicht werden kann oder nicht.

(Beifall bei der FDP.)

Ich persönlich bin der Ansicht, daß es jetzt darauf ankommt, zunächst einmal die Grundlagen für das jetzt Mögliche zu schaffen und daß wir uns dann allerdings — und dafür bin ich — in diesem Hause ernsthaft überlegen, wie wir verfassungsrechtlich die Rahmenkompetenz für das gesamte Bildungswesen



Moersch
erreichen können. Wenn Sie das ebenfalls wollen, meine Herren von der CDU/CSU, dann ändern Sie doch Ihren starren Sinn vom letzten Mal und stimmen Sie hier entsprechenden Anträgen zu! Es hat ja keinen Wert, in einer Regierungserklärung Postulate zu erheben, wenn man von vornherein weiß, daß die notwendige Zweidrittelmehrheit durch Ihre Sperre und durch die Sperre einiger Länder gar nicht zustande kommt. Denn Sie haben durch Ihre Parteivorsitzenden erklären lassen, Sie wollten das nicht. Wenn das jetzt anders ist — Herr Köppler schüttelt den Kopf —, soll es uns recht sein, dann wollen wir darüber reden. Ich frage mich dann allerdings, wer bei Ihnen eigentlich etwas zu sagen hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600733500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Matthöfer?

Hans Matthöfer (SPD):
Rede ID: ID0600733600
Herr Kollege Moersch, finden Sie es nicht auch erstaunlich, daß gerade von Vertretern einer Partei, gegen deren Widerstand 1949 durchgesetzt werden mußte, daß die Bundesrepublik mehr ein Bundesstaat als ein Staatenbund wurde
die CSU hat ja wegen zu großer zentralistischer "Tendenzen dieses Grundgesetz abgelehnt —, heute ausgerechnet den Sozialdemokraten Mangel an zentralistischem Eifer vorgeworfen wird?

(Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU.)


Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0600733700
Herr Matthöfer, ich will niemanden daran hindern, klüger zu werden. Warum sollte man die CDU daran hindern wollen?

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Köppler meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Entschuldigen Sie, darf ich den Satz zu Ende führen.
Die Frage bei der CDU/CSU ist der Bindestrich, meine Damen und Herren, denn die CSU hat vorhin keineswegs Beifall gegeben, als Herr Mikat und als andere Ihrer Sprecher die Meinung vertreten haben, die wir früher hier schon vertreten haben. Das möchte ich doch mal wissen, wie es hier mit der Einheit der Fraktion steht. Oder wollen Sie vorläufig einmal zwei Fraktionen machen, bis die Frage geklärt ist? Es könnte ja sein.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600733800
Herr Kollege Moersch, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Köppler?

Heinrich Köppler (CDU):
Rede ID: ID0600733900
Herr Kollege Moersch, wären Sie bereit, Herrn Kollegen Matthöfer — der sich doch sehr gut an politische Positionen von 1949 zu erinnern scheint —, darüber aufzuklären, daß inzwischen beispielsweise sein Parteikollege Kühn in dieser Frage in eine Position eingerückt ist — im
Wege des Rollentauschs —, die vielleicht früheren Positionen meiner eigenen Partei entspricht?

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)


Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0600734000
Herr Köppler, ich glaube, Herr Matthöfer ist aufgeklärt, er ist ein sehr aufgeklärter Mensch. Ich kann Ihnen nur versichern, daß ich in Diskussionen mit Herrn Kühn in jüngster Zeit einen ganz anderen Eindruck hatte. Wenn alle Ministerpräsidenten so fortschrittlich wären in der Gesamthochschulfrage und in der Kompetenzfrage, wie sich Herr Kühn mir gegenüber — im Beisein von Kollegen des Bundestages — gezeigt hat, wäre ich sehr dankbar. Ich möchte sagen: wenn Sie Missionar spielen wollen, fangen Sie in Ihren eigenen Reihen bei den Ministerpräsidenten an, die der CDU angehören.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600734100
Herr Kollege Moersch, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Althammer?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0600734200
Wenn es sein muß, Herr Althammer! Dann muß ich aber auf die Zeitökonomie Rücksicht nehmen, Frau Präsidentin.

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0600734300
Herr Kollege Moersch, nachdem Sie wiederholt die CSU apostrophiert haben, darf ich Sie daran erinnern, daß die letzte Verfassungsänderung bei der Abstimmung im Vermittlungsausschuß mit den Stimmen der CSU und des bayerischen Ministerpräsidenten angenommen worden ist, und darf ich Sie daran erinnern, daß sowohl der Herr Bundeskanzler in seinen Ausführungen im „Spiegel" wie auch heute hier der neue Minister diese föderalistischen Tendenzen sehr positiv gewürdigt haben?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0600734400
Also, Herr Dr. Althammer, wir wollen über das Prinzip des Föderalismus hier gar nicht streiten. Ich habe gar nichts bestritten. Sie haben hier lediglich fürs Protokoll einige Anmerkungen gemacht, um am Ende auf jeden Fall bei den Siegern zu sein; das ist mir völlig klar.

(Heiterkeit.)

Wir waren uns in diesem Hause darin einig, daß der Föderalismus als machtverteilendes Prinzip notwendig ist, daß aber Föderalismus nicht bedeuten kann: Kulturhoheit ganz allein nur bei den Ländern. Und wir haben das im Bundestag auch geändert. Da kann man im Verhältnis Bund—Länder andere Ausgleiche finden. Die Frage ist doch, daß das Bürgerrecht auf Bildung den Vorrang hat vor Zuständigkeitsfragen. Wenn wir uns auf diese Formel einigen, können wir alles das machen, was praktisch notwendig ist. Sie irren sich doch, wenn Sie glauben, daß wir etwa aus einer ideologischen Verklemmung heraus nun Grundgesetzänderungen um jeden Preis vornehmen wollten auf diesem Gebiet. Wir wollen nur die Änderungen haben, die notwendig sind, um bildungspolitisch das zu erreichen, was hoffentlich wir alle in diesem Haus für richtig und notwendig halten.



Moersch
Aber wir unterscheiden uns in der Frage, was praktisch möglich sei. Hier haben wir uns vielleicht darauf einigen können, daß wir nun einmal den Versuch mit dem Gegebenen machen und daß wir nicht mehr Gefühle in den Ländern auf einmal verletzen wollen, als unbedingt notwendig ist; so lese ich die Regierungserklärung.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Die Frage, um die es in der Praxis nachher geht, ist doch, wie etwa das Hochschulrahmengesetz im einzelnen — ich möchte wegen meiner Redezeit jetzt keine Zwischenfragen mehr zulassen; Sie können sich nachher zum Wort melden —, wie die Hochschulgesetzgebung des Bundes, die Rahmengesetzgebung aussehen soll. Über Einzelheiten werden wir in diesem Hause sprechen. Aber eines wollen wir vielleicht gemeinsam festhalten: Die Entwicklung des gesamten Bildungswesens verbietet eine ins einzelne gehende Regelung nicht nur aus verfassungsrechtlichen Gründen, sondern auch aus Vernunftgründen. Je weniger wir kodifizieren müssen, desto besser ist es. Ich teile die Auffassung, daß gerade im Beamtenrecht bestimmte Vorarbeiten geleistet werden müssen.
Aber ich möchte auch ganz deutlich sagen, daß es noch eine andere Art für den Bund gibt, hier gewissermaßen die Richtung zu bestimmen und den Ton anzugeben. Der Bund hat heute Einrichtungen in der Forschung — nicht in der Lehre —, bei denen er sehr wohl dafür sorgen kann, daß neue Strukturen geschaffen werden, d. h. daß die hierarchischen Strukturen überwunden werden und daß ein Kollegialsystem eingeführt wird und daß man dessen Funktionieren beobachtet und ausprobiert.
Wir sind in diesem Hause auch — ich wiederhole es hier für die neuen Kollegen — schon lange dafür eingetreten, daß man Reformen — etwa durch private Einrichtungen — einmal am Modell erprobt, ehe man beginnt, vom Staat her alles und jedes zu kodifizieren. Ich hoffe, daß wir auch in diesem Punkte einig sind, denn dann wird das Ziel, das wir uns gemeinsam gesetzt haben, sehr viel leichter zu erreichen sein.
Eine letzte Bemerkung. In der Regierungserklärung wird zu Recht gesagt, daß die Entscheidung über Forschungsprioritäten auf Grund der Gesamtumstände bisher sehr mangelhaft gewesen ist. Ich freue mich, daß Herr Professor Leussink hier gerade das Gebiet der Technologie angeschnitten hat. Wir haben das Gefühl, daß auf diesem Gebiet etwas getan werden muß. Mittlerweile ist es aber nicht mehr nur ein Gefühl, das man hat, sondern die sichere Erkenntnis, daß das, was in der Vergangenheit getan wurde, nicht immer zweckmäßig und ökonomisch gewesen ist. Wir müssen — ich denke in diesem Zusammenhang besonders an die Datenverarbeitung — entschieden einige feste Ziele anstreben. Es genügt nicht, neue Gesellschaften oder irgend etwas ähnliches zu gründen und sich damit zufrieden zu geben. Vielmehr müssen auch die Beratungssysteme radikal überprüft werden. Es muß vor allem — ich hoffe, darüber wird hier im Hause Einigkeit bestehen — klar sein, daß nicht der Titel eines Beraters für die Qualität bürgt. Allein die
Qualität des Ratschlags ist entscheidend. Wir dürfen künftig auf hierarchische Prinzipien gegründete und von der Sache selbst nicht gerechtfertigte Beratungsgremien nicht weiter bestehen lassen. Auch hier ist Offenheit ein ganz entscheidendes Prinzip.
Ich denke, daß wir in wenigen Monaten, wenn wir hier über die neuen Vorlagen zu debattieren haben, über die Einzelheiten sprechen können. Ich nehme jedenfalls mit großer Freude zur Kenntnis, daß die bildungspolitischen Sprecher der CDU/CSU — ganz besonders Herr Professor Mikat — uns hier eine freundliche Zusammenarbeit angeboten haben. An uns soll es nicht liegen. Ich hoffe, daß im Wissenschaftsausschuß die unterschiedlichen Standpunkte in voller Offenheit und in voller Öffentlichkeit dargestellt werden und daß wir uns nicht anmaßen, heute schon jede Einzelheit festlegen zu wollen. Ich bin sicher, daß wir, wenn wir mit diesem Vorbehalt ans Werk gehen, in vier Jahren in diesem Hohen Hause feststellen können, daß die Bildungspolitik die Priorität hat. Die Besetzung des Ministeriums und die neuen Kompetenzen nach dem Grundgesetz geben uns nicht nur eine neue Chance, sondern auch eine Verantwortung, die wir sicherlich gemeinsam wahrnehmen werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600734500
Das Wort hat der Bundesminister Genscher.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0600734600
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Das außerordentliche Interesse, das die Fraktion der CDU/CSU in ihrer neuen Rolle als Opposition der Fortentwicklung des Föderalismus widmet, veranlaßt mich schon in dieser Stunde, das Wort zu ergreifen, wobei ich nicht verschweigen möchte, daß es für einen vier Jahre gedienten parlamentarischen Geschäftsführer ohnehin ein gewisses Problem war, zwei Tage einer Debatte zuhören zu müssen, bevor sein Sachgebiet in einem Randproblem und jetzt in einem Zentralproblem angeschnitten wird.

(Abg. Dr. Althammer: Sie sind ja noch nicht dran!)

— Wenn Sie meinen, daß der Föderalismus und die Meisterung dieses Problems nicht in den Fachbereich des Innenministeriums gehören, muß ich Sie darüber aufklären, daß eben dies zentrale Probleme unseres Hauses sind.

(Abg. Kiep meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Bitte schön, Herr Kollege!

Dr. Walther Leisler Kiep (CDU):
Rede ID: ID0600734700
Herr Minister, erlauben Sie mir, daß ich Sie gleich zu Anfang Ihrer Ausführungen unterbreche, um Sie daran zu erinnern, daß es die Fraktion der CDU/CSU war, die als erste Fraktion dieses Hauses seit Bestehen des Deutschen Bundestages eine Große Anfrage betreffend die Weiterentwicklung des föderativen Systems eingebracht hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)





Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0600734800
Meine verehrten Damen und Herren! Der verehrte Herr Kollege Leisler Kiep nimmt mir das Wort aus dem Munde. In der Tat, Kollegen der CDU/CSU haben im letzten Bundestag eine Große Anfrage eingebracht, und zwar auf dem Wege eines Abgeordnetenantrags, weil sie in ihrer Fraktion kein Verständnis für das Problem der Fortentwicklung des Föderalismus gefunden haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Diese Anfrage ist von der früheren Bundesregierung schriftlich am 20. März 1969 in einer, wie ich gern gestehe, vorzüglichen Weise beantwortet worden. Diese Antwort hätte eine Debatte im Parlament verdient. Aber dieselben Kollegen, die sich mühsam durchsetzen konnten, eine solche Anfrage einzubringen, konnten es gegenüber ihrer Fraktionsführung nicht durchsetzen, daß diese Anfrage im Deutschen Bundestag auch noch diskutiert wurde. Das ist Ihr innerfraktionelles Problem.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600734900
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Lenz?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0600735000
Von Herrn Kollegen Lenz, der der Spitzenreiter dieser Gruppe war, immer.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600735100
Herr Abgeordneter Lenz!

Dr. Carl Otto Lenz (CDU):
Rede ID: ID0600735200
Herr Minister, nachdem wir nun genügend über die Vorgeschichte gesprochen haben, möchte ich zum Inhalt — Sie haben ihn eben sehr lobend kommentiert, dafür danke ich — fragen: Meinen Sie nicht, daß in der Antwort der Bundesregierung genügend Material für die Weiterentwicklung des föderativen Systems gewesen ist, so daß sich die Einsetzung einer neuen Kommission zu diesem Thema erübrigt?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0600735300
Meine verehrten Damen und Herren, in jener Anfrage war z. B. auch das Problem angeschnitten, ob nicht mehr Zuständigkeiten des Bundes auf dem Gebiet des Bildungswesens erforderlich wären. Aber weder die Mitglieder der Bundesregierung, die diese Frage sehr positiv beantwortet haben, noch die Antragsteller der Großen Anfrage selbst haben einem entsprechenden Antrag der FDP-Fraktion, der damaligen Opposition im Deutschen Bundestag, zugestimmt. — Bitte schön!

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0600735400
Herr Kollege Genscher, müssen Sie nicht doch noch einmal die Akten überprüfen und dann feststellen, daß im Gegensatz zu Ihrer Darstellung dieses Hohe Haus mit einer ganz überwältigenden Mehrheit beim ersten Durchgang der Finanzreform einer weitergehenden Lösung auf dem Gebiet des Bildungswesens und der Bildungsplanung zugestimmt hat und daß lediglich ! durch die zurückhaltendere Position des Bundesrates in der zweiten Lesung eine Kompromißlösung zustande kam, deren Grenzen und Problematik wir deutlich sehen und auf die ich hier nachdrücklich hingewiesen habe?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0600735500
Herr Kollege Stoltenberg, ich habe von den Anträgen der FDP gesprochen, denen Sie nicht zugestimmt haben.

(Abg. Dr. Stoltenberg: Es gibt noch andere!) Bitte schön!


Dr. Carl Otto Lenz (CDU):
Rede ID: ID0600735600
Herr Kollege Genscher, da wir von der Vergangenheit sprechen, was nicht meine Absicht war —

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0600735700
Sie haben ja damit begonnen!

Dr. Carl Otto Lenz (CDU):
Rede ID: ID0600735800
Nein, entschuldigen Sie, von der Großen Anfrage haben Sie gesprochen.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0600735900
Nein!

Dr. Carl Otto Lenz (CDU):
Rede ID: ID0600736000
Und zwar haben Sie meinem Kollegen Kiep gesagt, Herr Minister, er habe Ihnen das Wort aus dem Munde genommen.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0600736100
Er hat zuerst davon gesprochen!

Dr. Carl Otto Lenz (CDU):
Rede ID: ID0600736200
Es war doch also Ihre Absicht! Aber das wollte ich nicht fragen. Ich wollte fragen: Trifft es zu, daß in diesem Entwurf zum 20. Änderungsgesetz zum Grundgesetz im Rechtsausschuß die damals vorliegenden Anträge der FDP wörtlich übernommen worden sind und daß wir erst im Plenum durch neue, weitergehende Anträge überrascht worden sind?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0600736300
Herr Kollege, wenn Sie sich so intensiv mit der Fortentwicklung des föderalistischen Systems befaßt haben, wie ich Ihnen das konzediere, konnten Sie auch durch weitergehende Anträge der FPD in keiner Weise überrascht werden und hätten ihnen gleichwohl aus sachlichen Gründen zustimmen können.
Meine Damen und Herren, wir haben durch die Einsetzung eines Gremiums, das sich nicht als theoretische Professorenkommission verstehen soll, sondern das ein Gremium aus Politikern, aus Verantwortlichen aus allen Ebenen unseres staatlichen Bereichs und aus Wissenschaftlern sein soll, die Voraussetzung für eine pragmatische Regelung gefunden, die es uns ermöglichen soll, sehr bald Vorschläge für eine Reform unserer Verfassung aus einem Guß vorzulegen. Dabei wird die Frage der Fortentwicklung des föderalistischen Systems, die Prüfung der Frage nämlich, ob die Abgrenzung der



Bundesminister Genscher
Zuständigkeiten von Bund und Ländern auf die Dauer so sein kann, wie sie jetzt ist, ob hier nicht in der einen wie in der anderen Richtung etwas geschehen muß, eine entscheidende Bedeutung einnehmen. Dazu kommt aber auch das Problem der Stärkung der Bürgerrechte, und dazu kommen andere Fragen, auch die Untersuchung, ob sich einzelne Verfassungsänderungen, die in den letzten Jahren vorgenommen wurden, noch in das Gesamtwerk einfügen oder ob nicht eine Überholung, eine Verfassungsreform aus einem Guß, stattfinden muß. Das ist nicht die Ankündigung — um es klar zu sagen — einer Totalrevision, sondern es ist eine Überprüfung der vorgenommenen Änderungen, ihre Einfügung in eine Gesamtkonzeption, die Fortentwicklung des föderalistischen Systems, und, meine Damen und Herren, es ist auch eine Frage der Stärkung der Bürgerrechte in unserem Land.
Lassen Sie mich nun ein Wort zu den Problemen sagen, vor denen diese Regierung stehen wird, vor denen sie nicht nur in diesem Hohen Hause, sondern auch im Bundesrat stehen wird.
Meine Damen und Herren, Sie als Opposition haben gerade bei Verfassungsänderungen eine besondere Position. Sie können Verfassungsänderungen aufhalten. Sie können sie aber durch Ihre Stimme auch fördern. Ich sehe das nicht als ein Hindernis an, sondern ich sehe das im Gegenteil als das richtige Verhältnis der Einflußsphären von Regierungsparteien und Opposition an. Ich habe es in der Vergangenheit als Mangel betrachtet, daß die Opposition in Verfassungsfragen nicht entscheidend mitreden konnte. Wir alle wollen eine Kontinuität der Verfassungsentwicklung. Deshalb halte ich es für ein wertvolles Ergebnis dieser Regierungsbildung, daß wir eine auch in der Verfassungsverantwortung und in der Verfassungsentscheidung stehende parlamentarische Opposition in diesem Hohen Hause haben.
Besonders aber begrüße ich es, daß die erste Sitzung des Bundesrates nach Bildung der neuen Bundesregierung denjenigen eine klare Absage erteilt hat, die ihre Hoffnung darauf gesetzt hatten, den Bundesrat zu einem Instrument der Opposition gegen die Bundesregierung in unserer Gesetzgebung machen zu können. Ich möchte dafür ausdrücklich danken.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Stücklen: Wer wollte das denn?)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600736400
Herr Bundesmininister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0600736500
Bitte schön!

Dr. Winfried Pinger (CDU):
Rede ID: ID0600736600
Herr Minister, Sie sprachen eben von einer Stärkung der Bürgerrechte. An welche Bürgerrechte haben Sie gedacht, und wie könnte die Stärkung aussehen?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0600736700
Herr Kollege, Sie wissen, daß z. B. die Frage in der Diskussion ist, ob nicht der Zwang zur Gesetzesinitiative auch über ein Volksbegehren möglich gemacht werden sollte. Das muß man sehr genau untersuchen. In Bayern hat man damit in den Fragen der Schul- und Bildungspolitik sehr gute Erfahrungen gemacht.

(Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)


Dr. Winfried Pinger (CDU):
Rede ID: ID0600736800
Verstehe ich Sie richtig: Sie denken also an Rechte der staatsbürgerlichen Mitwirkung an diesem Staat,

(Bundesminister Genscher: So ist es!) nicht an Freiheitsrechte oder Menschenrechte?


Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0600736900
Ich will ja nicht Rechte einschränken, sondern ich will darstellen, daß unser Grundrechtskatalog in seiner Ausgestaltung und in seiner Verbindlichkeit für die gesamte Gesetzgebung und das gesamte staatliche Verhalten ein Höhepunkt in der Verfassungsgeschichte in unserem Land ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Sie werden mir im übrigen einräumen, daß ich auch den von der Bundesregierung angekündigten und unverzüglich vorzulegenden Gesetzentwurf über die Herabsetzung des Wahlalters, also eine Ausdehnung des Kreises der Mitwirkungsberechtigten, als einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Bürgerrechte in unserem Land betrachte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600737000
Herr Bundesminister Genscher, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Dr. Carl Otto Lenz (CDU):
Rede ID: ID0600737100
Herr Bundesinnenminister, würden Sie mir darin recht geben, daß zwischen Ihrer Auffassung, die Sie z. B. in einem Artikel „Die Rechtspolitik der FDP" zu dem Thema der Einfügung plebiszitärer Elemente in unsere Verfassung vertreten haben, und der Auffassung des Herrn Bundesminister für besondere Aufgaben, in der gleichen Nummer derselben Zeitschrift nachzulesen, ein nicht zu überbrückender Widerspruch besteht?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0600737200
Herr Kollege, daß ein Widerspruch da ist, ist unbestritten. Ob er zu überbrücken ist, das ist eine Frage der Kooperationsbereitschaft in dieser Koalition. Ich schätze diese Bereitschaft sehr hoch ein, und zwar auf beiden Seiten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Herr Kollege Stoltenberg hat hier in seinem Diskussionsbeitrag gesagt, daß die Fraktion der CDU/ CSU es z. B. begrüße, daß die Referate, die sich mit Fragen der Bildungspolitik befassen, aus dem Innenministerium in das Ministerium des Herrn Kollegen Leussink übergegangen seien, und hinzugefügt: Na ja, das ist aber mehr eine administrative



Bundesminister Genscher
Sache, das darf man nicht überschätzen. — Meine Damen und Herren, ich denke noch an die Zeit zurück, in der mein Kollege Lenz darum gerungen hat, diese Referate in sein Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung zu bekommen. Es war nicht zu schaffen, obwohl es ohne Änderung eines einfachen Gesetzes und ohne Grundgesetzänderung möglich gewesen wäre. Es ist draußen in der Polemik gegen die Regierungserklärung und gegen die neue Bundesregierung ein wenig geringschätzig über die Kabinettsreform gesprochen worden. Wir werden darüber nachher noch im Grundsätzlichen zu diskutieren haben. Aber ich finde, allein die Tatsache, daß diese Regierung als erste Bundesregierung in der Lage war, die Bildungszuständigkeiten, soweit sie beim Bund sind, in einem Haus zusammenzufassen, würde bereits ein Lob für eine gelungene Kabinettsreform rechtfertigen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600737300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lohmar.

Dr. Ulrich Lohmar (SPD):
Rede ID: ID0600737400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die sehr kritische Würdigung, die der bisherige Bundesminister für wissenschaftliche Forschung, Herr Kollege Stoltenberg, der Regierungserklärung hat zuteil werden lassen, hat offenbar in der gegenwärtigen und zukünftigen Opposition, der CDU/CSU — wie ich finde, zu Recht — keine ungeteilte Zustimmung gefunden. Sowohl in der Sache wie in der Form unterschied sich der Beitrag des Kollegen Mikat beträchtlich von den gedanklich verkürzten und politisch, wie ich meine, etwas abwegigen Anmerkungen des Kollegen Stoltenberg.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich möchte, meine Damen und Herren, für die sozialdemokratische Fraktion ganz allgemein zu dieser Regierungserklärung und ihren Aussagen über den Bereich von Bildung und Wissenschaft anmerken, daß es keine Regierungserklärung in den vergangenen Jahren gegeben hat, die in der Sache und in der Form so klar war wie die, die Bundeskanzler Brandt vorgetragen hat. Um eine Lieblingsvokabel des Kollegen Dr. Barzel zu benutzen, der gelegentlich gern von politischen Absichtserklärungen spricht: Sie wissen genau, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Regierungserklärungen nicht mehr sein können und nicht mehr sein wollen als eben solche politischen Absichtserklärungen. Man kann sie also auch nur daran messen, ob die Absichten, die sie zum Inhalt haben, die sie ausdrücken wollen, klar formuliert sind. Das ist hier geschehen.
Ich möchte weiter, ebenso wie die beiden anderen Fraktionen, unserem neuen Bundesminister für Bildung und Wissenschaft die besten Wünsche der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion mit auf den Weg geben.

(Beifall bei der SPD.)

Ich möchte diese guten Wünsche, die wir durch eine
tatkräftige Mitarbeit in den nächsten Monaten und
Jahren unterstreichen werden, in wenige konkrete
Anmerkungen kleiden, die Bezug nehmen sowohl auf die Regierungserklärung als auch auf die Jungfernrede, die Herr Kollege Leussink heute hier vor uns gehalten hat.
Zum ersten: Herr Bundesminister, ich glaube, Sie wären gut beraten, wenn Sie das, was Sie gegen Schluß Ihrer Rede zu den Schülern und Studenten in unserem Lande gesagt haben, ganz konkret auch auf die vielen jungen Wissenschaftler an den Universitäten und an den Forschungsinstituten bezögen, wenn Sie sie einlüden, an der Präzisierung und an der Durchführung der Bildungs- und Wissenschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland mitzuwirken.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Was wir Sozialdemokraten an dem bisherigen Stil des Bundesforschungsministers gelegentlich bemängelt haben — verzeihen Sie, Herr Kollege Stoltenberg —, war die Neigung zum Kurialstil und dazu, die Gesprächspartner des Ministeriums sozusagen von der Präsidentenebene an aufwärts zu suchen. Wir meinen, Herr Bundesminister Leussink, daß Sie gut beraten wären, Ihre Berater auch unterhalb der Präsidentenebene, nämlich bei jungen Wissenschaftlern in diesem Lande, zu suchen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die zweite Anmerkung, meine Damen und Herren, greift im Grunde einen Hinweis unseres Kollegen Mikat auf. Das entscheidende quantitative Problem, vor dem wir in den nächsten Jahren stehen werden — darüber hat es unter den Fraktionen dieses Parlaments seit zwei, drei Jahren keine Meinungsverscheidenheit mehr gegeben —, das zentrale Problem heißt: Wie schaffen wir es, in den 70er Jahren jedem jungen Mensch en eine Ausbildung an einer Fachhochschule oder an einer Hochschule oder, wenn man die integrierte Gesamthochschule als Ziel nimmt, an einer Gesamthochschule zu geben? Das ist das entscheidende Problem: Wie vermeiden wir es, daß wir Anfang der 70er Jahre ein akademisches Proletariat vor den Türen unserer Hochschulen stehen haben? Ich glaube nicht, Herr Bundesminister Leussink, daß wir dieser Engpaßfrage mit nur einer Methode begegnen können. Wir werden uns sehr unkonventionelle Wege einfallen lassen müssen, um mit diesem Engpaß fertigzuwerden.
Drittens: Ich finde es sehr gut, daß Herr Bundesminister Leussink schon in seiner ersten Rede vor dem Deutschen Bundestag das Stichwort ,,Demokratisierung" aufgenommen und zugleich klargemacht hat, daß er nicht die Absicht hat, nun einen nicht weiterführenden Streit über Paritäten oder über ideologische Formeln zu beginnen. In der Tat, es handelt sich auch nach Meinung unserer Fraktion darum, konkrete, praktikable Möglichkeiten der Kooperation an den Hochschulen und in den Forschungsinstitutionen zu entwickeln. Wir sind dazu bereit, dies im Rahmen des Bundesrahmengesetzes gemeinsam mit der Bundesregierung zu tun. Ich bin sehr der Meinung, die der Kollege Moersch vorgetragen hat, daß die Meinungsbildung zu diesen



Dr. Lohmar
Fragen sich nicht hinter den verschlossenen Türen
der Parlamentsausschüsse vollziehen darf, sondern
in öffentlichen Informationssitzungen erfolgen muß,

(Zuruf von der CDU/CSU: Haben wir doch schon gehabt!)

damit alle Beteiligten und Betroffenen die Chance haben, hier mitzuwirken und zu hören, was hier im Bundestag verhandelt wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch nicht neu! Hearings hatten wir doch schon!)

— Ja, wem sagen Sie das? Ich habe sie als Ausschußvorsitzender ja einberufen. Also was soll der Hinweis?
Die letzte Anmerkung, meine Damen und Herren, bezieht sich auf die Rangordnung, die wir in der Großforschung in den nächsten Jahren einhalten, oder genauer gesagt: erst neu festlegen müssen. Wir haben von seiten unserer Fraktion klargemacht, daß wir das „Gießkannenprinzip" nicht für eine geeignete Methode der Festlegung von Prioritäten in der Großforschung halten. Heute hat, Herr Bundesminister Leussink, einer der hilfreichen Kritiker unserer Bildungs- und Wissenschaftspolitik, Georg Picht — Ihnen wie mir kein Unbekannter — in einem Beitrag in der „Zeit" dazu einen wesentlichen Gedanken vorgetragen, den ich gern — mit Genehmigung der Frau Präsidentin — zur Kenntnis bringen möchte.

(Zuruf von der CDU/CSU: Herr Lohmar, wir hatten doch gar kein Gießkannenprinzip!)

Herr Picht geht davon aus, daß die beiden Großmächte, die Amerikaner und die Russer, für eine absehbare Zeit, ganz sicher für die 70er Jahre, noch eine große Belastung im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung ihres Rüstungspotentials werden übernehmen müssen, und er sagt dann:
Das hat zur Folge, daß die USA und die Sowjetunion trotz ihrer riesigen Kapazitäten nicht einmal ihre internen Probleme zu lösen vermögen und daß die wichtigsten Ressourcen der heutigen Welt für die Überwindung der Not dieser Welt nicht zur Verfügung stehen. Durch diese Feststellungen
— fährt Picht fort —
ist die Lücke bezeichnet, in die eine europäische — und damit auch eine deutsche — Wissenschaftspolitik vorstoßen müßten. Die großen Chancen einer solchen Politik liegen nicht dort, wo die USA und Rußland ihre Kräfte konzentrieren; sie liegen vielmehr auf jenen Gebieten, die von diesen Mächten vernachlässigt werden, weil sie sich anderswo festgelegt haben.
Ich finde das einen bemerkenswerten und zu überdenkenden Hinweis bei der Suche hier im Bundestag und in der Bundesregierung nach Maßstäben für die Festlegung von Prioritäten in der Großforschung, auf die wir in den letzten vier Jahren vergeblich gewartet haben.
Meine Damen und Herren, im ganzen hat die Regierungserklärung — das haben die Pressekommentare zum Ausdruck gebracht — den Versuch gemacht, einen Weg zwischen Kontinuität und Reform einzuschlagen. Nun kann man Politik so definieren, wie es gelegentlich von manchen konservativen Leuten getan wird. Man kann sagen, Politik sei die Kunst des Möglichen. Ich meine, wir kommen damit nicht aus, sondern wir sollten uns Carlo Schmids Definition der Politik zu eigen machen, der uns wiederholt darauf hingewiesen hat, Politik sei mehr als die Kunst des Möglichen, sie sei vielmehr die Kunst, das Notwendige möglich zu machen.

(Beifall bei der SPD.)

In diesem Sinne, meine Damen und Herren, wünsche ich der Bundesregierung in dem Bereich von Wissenschaft und Bildung vielleicht doch ein bißchen weniger Kontinuität und ein bißchen mehr Reform.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600737500
Als nächster hat sich Herr Abgeordneter Katzer gemeldet. Ich nehme an, daß damit ein neuer Bereich der Gesellschaftspolitik angesprochen wird und die Bildungspolitik abgeschlossen ist. Bitte schön, Herr Abgeordneter Katzer!

Hans Katzer (CDU):
Rede ID: ID0600737600
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wäre sehr glücklich, wenn man in diesem Hohen Hause einmal den Tag erleben könnte, wo, wenn über Bildungspolitik gesprochen wird, nicht nur über die akademische Bildung, über Hochschulen und Universitäten gesprochen wird,

(Beifall bei der CDU/CSU)

sondern gleichzeitig der gesamte Bereich der beruflichen Bildung eingeschlossen wird. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß wir diesen Tag einmal erleben, wo wir nicht zu getrennten, sondern zu gemeinsamen, ineinander übergreifenden Aussagen in diesen beiden Bereichen kommen.
Meine Damen und Herren, was den gesellschaftspolitischen Bereich anlangt, so lassen Sie mich sagen, daß wir die neue Regierung selbstverständlich da unterstützen werden, wo sie die von uns maßgeblich konzipierte und getragene Sozialpolitik fortführt, d. h. wo die insbesondere in der letzten Legislaturperiode begonnene Sozialpolitik, die sich als produktive und rationale Sozialpolitik begreift, weitergeführt wird.
Das gilt konkret für die Aussage in der Regierungserklärung zum Sozialbudget. Allerdings hätte ich es sehr gern gesehen, wenn die Bundesregierung hier nicht nur die Weiterführung des Sozialbudgets ausgesprochen hätte, sondern wenn sie auch die Richtung hätte angeben können, nach der dieses Budget weiterentwickelt werden soll. Ich möchte von mir aus sagen: mir und der Fraktion der CDU/CSU liegt daran, daß nunmehr, nach der ersten Grundlage, die funktionale Betrachtungsweise in dieses Sozialbudget mit aufgenommen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)




Katzer
Zum zweiten. Da, wo die Bundesregierung fortsetzt, was in der vergangenen Legislaturperiode begonnen wurde, wird sie unsere Unterstützung haben. Das gilt z. B. die für Frauenenquete. Meine Damen und Herren, hier geht es nicht nur um die berufstätige Frau. Zwar geht es natürlich darum, insbesondere um die qualifizierte berufstätige junge Frau, aber es geht auch um unsere Hausfrauen. Ich glaube, da müßte in dieser Sozialenquete noch etwas nachgetragen werden.

(Beifall bei der CDU CSU.)

Ich will den Satz über die Stärkung der Tarifautonomie unterstreichen, und ich will den Satz unterstreichen, der sich unter Ziffer 30 der Regierungserklärung findet und den auch Herr Wehner angesprochen hat, daß wir dafür zu sorgen haben, daß wir gegenüber denen, die trotz Hochkonjunktur und Vollbeschäftigung im Schatten leben müssen. die durch Alter, durch Krankheit oder durch strukturelle Veränderung gefährdet sind, unsere Bemühungen verstärken würden und müssen. Ich hätte es nur sehr gerne gesehen, wenn sich die Bundesregierung dazu etwas näher geäußert hätte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Vielleicht ist das in der Aussprache möglich. Denn ich glaube in der Tat, meine Damen und Herren, wir müssen unsere ganze Aufmerksamkeit sehr stark gerade auch jenen Schichten in unserem Volke zuwenden, die nicht durch organisierte Interessengruppen abgedeckt werden,

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

die sich in aller Regel gut selbst helfen können. Das gilt schließlich, meine Damen und Herren, für den Bereich der Kriegsopferversorgung. Hier steht dieses Hohe Haus mit allen drei Fraktionen im Wort. Wir werden darauf drängen, daß die Bundesregierung so bald wie möglich den Bericht vorlegt; ich habe darüber in der Regierungserklärung leider nichts gelesen. Und wir werden darauf drängen, daß unser Versprechen, das wir vor den Wahlen gegeben haben, wahr wird, daß zum 1. Januar 1970 die Kriegsopferversorgung erhöht wird.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Hermsdorf: Was ist da anders?)

Meine Damen und Herren! — Bitte sehr?

(Erneuter Zuruf des Abg. Hermsdorf.)

— Aber entschuldigen Sie höflich, Sie werden sich doch daran gewöhnen müssen, daß die Oppositionspartei das sagt, was ihr in einem Augenblick richtig und nötig erscheint, auch wenn Sie es zufällig schon einmal gesagt haben sollten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Daran werden Sie sich, glaube ich, gewöhnen müssen.
Das alles sind also Punkte, die eigentlich nur eine Fortschreibung der bisherigen Politik bedeuten. Nun ist diese Bundesregierung angetreten unter der sehr anspruchsvollen Devise, eine Koalition der inneren Reformen zu sein. Und hier, so muß ich
sagen, ist die Fraktion der CDU/CSU bitter enttäuscht worden.

(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Lachen und Unruhe bei der SPD.)

Im gesellschaftspolitischen Bereich - -

(Zuruf des Abg. Wehner.)

— Ja, ich weiß, das ist Ihnen nicht angenehm, aber Sie müssen sich das ja — -

(Abg. Wehner: Im Gegenteil! Es ist mir sehr angenehm!)

— Entschuldigen Sie, Herr Wehner, gestern hat der Bundeskanzler gesagt, wir sollten uns angewöhnen, hier zuzuhören. Vielleicht gewöhnen Sie es sich auch einmal an, zuhören zu können, wenn die Opposition in diesem Hause spricht! Das scheinen Sie lernen zu müssen.

(Lebhafte Zustimmung bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Dampf ablassen! — Weitere Zurufe von der SPD.)

Ich wiederhole deshalb, meine Damen und Herren,

(Anhaltende Unruhe bei der SPD)

hier sind wir bitter enttäuscht worden; denn immer dann, wenn in der Regierungserklärung von Reformen gesprochen wird, haben wir es mit verbalen Allgemeinheiten zu tun. Und immer dann, wenn man neugierig wird und denkt, jetzt müsse es doch konkret gerade erst kommen, heißt es: Eine Kommission wird gebildet, ein Ausschuß wird gebildet, es muß geprüft werden, es muß überlegt werden.
Ich habe vor vier Jahren dieses Amt angetreten und weiß — ich habe es hier bei mir, Herr Kollege Schellenberg —

(Zuruf von der SPD.)

-- Ach, Herr Kollege, dazu werde ich Ihnen nachher noch einiges sagen. Gestatten Sie, daß ich das nachher noch tue. Dazu will ich gern noch einen Satz sagen.
Vor vier Jahren, als ich hier das erste Mal als Bundesminister für Arbeit und Sozialwesen stand, hat der Kollege Schellenberg eine ganze Reihe von Fragen gestellt. Darauf habe ich gesagt, man kann füglich von einer Regierungserklärung nicht erwarten, daß sie bis ins Detail gehende Antworten gibt.

(Aha! bei der SPD.)

— Nein, das kann man nicht. Aber erwarten kann und muß man, daß diese Regierung nicht nur sagt: ich will das ansprechen, sondern auch sagt, auf welche Art und Weise sie es ansprechen will, und das habe ich vermißt.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, ich hätte Verständnis dafür, daß keine Details angesprochen werden können. Aber nehmen wir einmal die Krankenversicherungsreform. Hier hören wir nichts von einer Zielsetzung, sondern nur von einer Sachverständigenkommission. Das ist das Ergebnis der Regierungserklärung. Die Krankenversiche-



Katzer
rungspflichtgrenze wird sogar nur „überprüft" und dann dynamisiert. Übrig bleibt konkret der Arbeitgeberbeitrag für Angestellte.

(Zuruf von der SPD: Na, hören Sie mal! Sie haben es doch abgelehnt! — Abg. Matthöfer: Wo waren Sie denn, als wir es zum 1. September machen wollten?)

— Aber entschuldigen Sie! Das sind Dinge, die Sie sich im Wahlkampf selber vorgemacht haben und offenbar jetzt noch zu glauben scheinen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU. — Oh-Rufe bei der SPD.)

— Aber, meine Damen und Herren, fragen Sie doch einmal Ihren Koalitionspartner, ob er bereit wäre, mit Ihnen die Lohnfortzahlung zu machen, die die Christlich-Demokratische Union in der letzten Legislaturperiode mit Ihnen zusammen verabschiedet hat!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Fragen Sie doch einmal Ihren Koalitionspartner! Fragen Sie ihn bitte! Dort ist die Adresse für Sie.

(Zurufe von der FDP.) Auch das ist alles nur eine Weiterführung.

Bei der Rentenversicherung hören wir, daß man beabsichtige, einen schrittweisen Abbau der festen Altersgrenze zu prüfen; man werde sich bemühen, das durch ein Gesetz über die flexible Altersgrenze zu erreichen. Meine Damen und Herren, dazu kann ich nur sagen: Wo ist hier die Reform? Im Wahlkampf hörten wir etwas ganz anderes. Im Wahlkampf war von der Hausfrauenrente, der Herabsetzung der Altersgrenze und der Öffnung für Selbständige die Rede. Meine Damen und Herren, das habe ich — Sie können alle meine Wahlreden nachlesen
— nie, nicht ein einziges Mal, angesprochen. Ich habe gesagt, über all diese Dinge kann man reden. Aber wer darüber redet — ich halte das für vernünftig -, der muß uns sagen, wie das finanziert
werden soll. Hier gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir erhöhen die Beiträge für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die wir bereits gemeinsam ab Januar 1973 auf 18 % erhöht haben, oder man erhöht den Bundeszuschuß. Davon habe ich allerdings in der Regierungserklärung nichts gehört.

(Sehr richtig in der Mitte.)

Deshalb müssen wir darauf drängen, daß uns das hier klar gesagt wird.
Bevor ich hierherkam, bekam ich von Herrn Weyer eine Zeitung der FDP ins Haus geschickt. Der eine oder andere geht heute vielleicht noch in den Kommunalwahlkampf, wie ich das bei mir zu Hause tun muß. Ich darf Ihnen das vielleicht mit auf den Weg geben. Unter der Überschrift „Wir halten, was wir versprechen"

(Lachen bei der CDU/CSU)

heißt es:
Die Altersversorgung für Selbständige wird verbessert und eine für Hausfrauen kommt endlich.

(Lachen bei der CDU/CSU — Zurufe von der FDP.)

Das hat Herr Weyer in diesem Papier gesagt.

(Abg. Rösing: Der linke Flügel der SPD! — Abg. Killat: Damit haben Sie doch die Zustimmung, Herr Kollege!)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich wegen der Kürze der Zeit nur noch zwei Punkte ansprechen, die mir wichtig zu sein scheinen. Es sind das Gebiet Betriebsverfassungsgesetz und das Gebiet Mitbestimmung. Das ist auf Seite 28 der Regierungserklärung angesprochen. Dort heißt es:
Auf der Grundlage der in der letzten Legislaturperiode eingebrachten Gesetzentwürfe
wird eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes ... durchgeführt.
Ich habe mir einmal den SPD-Entwurf — denn der ist ja nur eingebracht — und den FDP-Entwurf mit anderer Zielsetzung, nämlich dem Minderheitenschutz, angesehen. Ich möchte die Bundesregierung fragen, auf welcher Basis nun der neue Entwurf eingebracht werden soll. Denn wir stellen hier fest, daß die Konzeption der SPD und der FDP sich fundamental unterscheiden. Während der sozialdemokratische Entwurf von einer sehr verstärkten Mitwirkung der Gewerkschaften in den Betriebsräten ausgeht, geht die FDP genau von der umgekehrten Position aus. Ich würde es dankbar begrüßen, wenn wir hier in dieser Debatte eine Klärung dieser Frage bekämen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nun zur Frage der Mitbestimmung. Ich habe in diesem Hause als Arbeitsminister — und ich werde als Oppositionssprecher nicht anders reden als von der Regierungsbank — diese Kommission für richtig gehalten. Ich habe sie begrüßt und habe gesagt, wir werden das Ergebnis abwarten. Der Herr Kollege Matthöfer hat in der Sitzung vom 22. Januar 1969 gesagt — ich möchte die Hoffnung nicht aufgeben, daß auch die fünfzig „Gerechten", von denen Herr Wehner gestern gesprochen hat und wo er meinte, er habe sich nie einer Täuschung hingegeben — —

(Abg. Matthöfer: Leider zu Recht! Wo waren Sie denn?)

— Hören Sie doch zu! Sie haben gesagt, Herr Matthöfer: „Die wären nötig, um diese längst überfällige Frage politisch zu entscheiden. Sie muß politisch entschieden werden. Da helfen uns — bei allem Respekt, den ich vor Professoren habe — keine Professorenkommissionen."

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Jetzt haben Sie in der Regierungspartei offenbar mehr Respekt vor Professorenkommissionen und warten diese Entwicklung ab.

(Abg. Matthöfer: Als es politisch zu entscheiden war, sind Sie und Ihre Freunde nicht dagewesen! Deshalb!)

— Meine Damen und Herren, ich weiß, daß Ihnen das recht unangenehm ist. Deshalb verstehe ich Ihre Aufregung sehr. Ich möchte deshalb an dieser Stelle sagen, — —

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600737700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?




Hans Katzer (CDU):
Rede ID: ID0600737800
Ich habe schon eine rote Lampe, Herr Kollege Wischnewski. Ich muß also die Frau Präsidentin fragen. Ich fühle mich in einer sehr peinlichen Lage. Das gelbe Licht ist schon aus, das rote brennt noch. Frau Präsidentin, wenn ich diese Frage jetzt annehme - ich habe noch drei Punkte —, wie mache ich das?

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600737900
Sie haben noch
vier Minuten.

Hans Katzer (CDU):
Rede ID: ID0600738000
Dann tut es mir leid, Herr Kollege Wischnewski; die brauche ich, um das darzulegen, was ich hier zu sagen habe.

(Zuruf von der SPD: Klare Verhältnisse! — Weitere Zurufe von der SPD.)

Herr Kollege Wehner, lassen Sie mich in möglichst großer Ruhe, weil es mir nicht angemessen scheint, das in der Hektik der Diskussion zu vertiefen, ein Wort auf das sagen, was Sie gestern angesprochen haben: Ich habe Sorge, daß die Vokabel „Machtwechsel" — oder wie immer man das hier jetzt bezeichnet — den tatsächlichen und wirklichen Hintergrund dessen, was sich in diesen Tagen vollzieht, verschleiert; ich habe Sorge vor Tendenzen, zu einem gewissen Gleichklang — um kein härteres Wort zu gebrauchen — zwischen gesellschaftlichen Organisationen und politischen Parteien zu kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn ich sehe, meine Damen und Herren — ich sage das mit allem Ernst —, wie Spitzengewerkschaftler vor den Wahlen diese bedeutsame Frage zu einer zentralen Frage unserer Gesellschaft — wie ich meine, mit Recht — gemacht haben — ich habe das nie gebilligt; ich will das jetzt nicht verschärfen, nicht vertiefen; ich wäre dankbar, wenn ich das in Ruhe sagen dürfte —, habe ich wirklich Sorge, daß angesichts der Erklärungen vor der Wahl und der Erklärungen nach der Wahl eine so große Kluft entsteht, daß wir zweierlei sehen müssen. Das ist erstens eine gewisse Verwischung von gesellschaftlichen und politischen Positionen. Ich habe zweitens Sorge, daß parteipolitische Ziele wichtiger sind als die Erfüllung des gewerkschaftlichen Auftrages, zu dem die Gewerkschaften angetreten sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das bedrückt mich in der Tat sehr. Ich sage das insbesondere auch im Hinblick auf die junge Generation. Damit ist nämlich die Glaubwürdigkeit der Verbände und damit der Gewerkschaften und das Verhältnis von Gewerkschaften und Staat angesprochen.

(Abg. Matthöfer meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Ich könnte mehr dazu sagen; aber die Zeit läßt es leider nicht zu, Herr Kollege Matthöfer. Ich bin nicht Herr dieser Zeit, deshalb lassen Sie mich zum Schluß sagen:

(Abg. Matthöfer: Die Zeit wird Ihnen nicht angerechnet!)

— Ich hatte noch vier Minuten; ich weiß nicht, wieviel es noch sind, Frau Präsidentin.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600738100
Hier sind vier Minuten von Herrn Professor Leussink.

Hans Katzer (CDU):
Rede ID: ID0600738200
Vier Minuten! Vielen Dank. Bitte schön, Herr Kollege Matthöfer!

Hans Matthöfer (SPD):
Rede ID: ID0600738300
Herr Kollege Katzer, darf ich Sie als Gewerkschaftler, der Sie auch sind

(Abg. Katzer: Wieso auch?) — gemeinsam mit mir —,


(Abg. Katzer: Ach so!)

fragen, wer Sie daran hindert, sich in Ihrer Fraktion dafür einzusetzen, daß wir einen abstimmungsfähigen Mitbestimmungsentwurf auf den Tisch bekommen? Wenn Sie das Gewicht Ihrer ganzen Fraktion für einen vernünftigen Entwurf hier mit einbringen,

(Beifall bei der SPD Zurufe von der CDU/CSU)

dann entsteht in diesem Hause eine ganz andere Situation.

(Fortgesetzte Zurufe von der CDU/CSU.)


Hans Katzer (CDU):
Rede ID: ID0600738400
Herr Kollege Matthöfer, das scheint mir der bequemste und einfache Weg zu sein: wir machen mal die Regierung, und ihr gebt uns dann die Stimmen, die wir für das brauchen, was wir mit denen nicht machen können.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nein, Herr Kollege, das ist nicht die Basis.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Darüber werden wir noch diskutieren, Herr Kollege.

(Abg. Matthöfer meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage.)

- Wenn das nicht von meiner Zeit geht!

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0600738500
Sie bekommen Verlängerung.

Hans Katzer (CDU):
Rede ID: ID0600738600
Bitte schön!

Hans Matthöfer (SPD):
Rede ID: ID0600738700
Herr Kollege Katzer, darf ich Sie daran erinnern, daß wir gemeinsam in einer Regierung waren und daß die SPD einen Entwurf vorgelegt hat und daß es da leider an Ihrer Zustimmung gefehlt hat.

(Beifall bei der SPD.)


Hans Katzer (CDU):
Rede ID: ID0600738800
Herr Kollege Matthöfer, darf ich Sie daran erinnern — ich habe das vorsorglich mitgebracht, denn ich habe mich natürlich auf diese Debatte vorbereitet —, was die gemeinsame Große Koalition zur Frage der Mitbestimmung gesagt hat. Sie hat gemeinsam gesagt:



Katzer
Die Bundesregierung wird eine Kommission unabhängiger Sachverständiger berufen und sie mit der Auswertung der bisherigen Erfahrungen mit der Mitbestimmung als Grundlage weiterer Überlegungen beauftragen. Die Bundes- regi erung lehnt Bestrebungen ab, die den bewußten und erkennbaren Zweck einer Aushöhlung der Mitbestimmung verfolgen.
Das war die gemeinsame Grundlage, auf der wir
angetreten sind und die Sie dann verlassen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Geiger: Ein ganzes Jahr lang haben Sie sich nicht durchgesetzt, daß die Kommission eingesetzt wurde!)

Meine Damen und Herren, ich bitte um Entschuldigung, ich möchte jetzt zum Abschluß kommen. Ich möchte das nicht auf diese Gebiete einengen. Ich habe erstens die Punkte angeführt, bei denen wir - weil das die Fortsetzung unserer Politik ist — mitarbeiten. Ich habe zweitens gesagt, daß das Wort von den inneren Reformen nicht stimmt; denn überall da, wo das Wort „Reform" steht, steht sofort dahinter: Kommission, Ausschuß und was weiß ich. Ich sage drittens, daß die Unionsfraktionen auf zwei Gebiete ihr besonderes Augenmerk richten werden. Das eine ist die Frage der Eigentumspolitik. Entschuldigen Sie höflich, wenn ich das hier sage, meine Damen und Herren: die Erhöhung von 312 auf 624 DM als Reformwerk zu bezeichnen, geht mir etwas zu weit.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das scheint mir sehr einfalls- und phantasielos zu sein.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU. - Zurufe von der SPD.)

— Sie haben dazu gleich Gelegenheit. Zu dieser Frage wird anschließend der Kollege Burgbacher noch sprechen; denn wir halten sie für so bedeutsam, daß sie heute noch kurz vertieft werden muß.
Das zweite ist: Die Union der Christlichen Demokraten wird die Frage der Familienpolitik zu einer zentralen Aufgabe dieser Legislaturperiode machen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dazu wollte Herr Kollege Dr. Götz sprechen. Mit dem Zeitablauf wird das möglicherweise Schwierigkeiten geben. Deshalb will ich hier schon sagen, daß wir diese Frage bei erster Gelegenheit anschneiden werden.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600738900
ich habe es bedauert, daß in der Regierungserklärung kein Wort über die europäische Sozialpolitik, kein Wort über die europäische Arbeitsmarktkonferenz steht. Gerade bei der Situation, in der Europa sich befindet, wäre es gut und sinnvoll, glaube ich, wenn die Sozialpolitik hier ihren konstruktiven Beitrag leisten würde.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

(Vorsitz:
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen.)

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600739000
Das Wort hat Herr Bundesminister Professor Leus-sink.

(Zurufe.)

— Er steht hier auf der Liste, die ich soeben von meiner Frau Kollegin übernommen habe. Ich nehme an, daß es eine Wortmeldung eines Mitglieds der Bundesregierung nach den Bestimmungen der Geschäftsordnung ist.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600739100
Ich fasse mich ganz kurz. Wenn ich den Herrn Abgeordneten Katzer richtig verstanden habe, so hat er gesagt, sein Wunsch sei es, zu erleben, daß an demselben Tage, wo hier über Bildungspolitik gesprochen wird, auch über Berufsausbildung gesprochen würde.

(Abg. Katzer: Und berufliche Bildung!)

— Ja, und über berufliche Bildung. Diesen Tag hat er heute bereits erlebt. Denn erstens stehen in der Regierungserklärung Bildung und Ausbildung nebeneinander, und Sie können davon ausgehen, daß jedenfalls in meinem Verstande zu dem ganzen Komplex selbstverständlich die Ausbildung innerhalb und außerhalb von allgemeinbildenden Schulen und in den Betrieben usw. und die Fortbildung gehören.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600739200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Katzer?

Hans Katzer (CDU):
Rede ID: ID0600739300
Es steht in der Regierungserklärung, und das habe ich sehr begrüßt. Ich habe nur gesagt, ich hätte es noch dankbarer begrüßt, wenn Sie in Ihren Ausführungen auch auf diesen Bereich Bezug genommen hätten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600739400
Herr Kollege Katzer, ich darf Sie nur freundlicherweise bitten, das Fragezeichen dem Hause verständlich zu machen.

(Abg. Katzer: Ich setze dann das Fragezeichen noch dahinter!)

— Ich höre es dann jetzt auch noch. — Bitte sehr, Herr Bundesminister!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600739500
Darf ich dann meinen Beitrag in eine Frageform kleiden: Würden Sie mir zugestehen, daß meine Redezeit ohnehin schon zu sehr überschritten war, um auch das noch anzusprechen?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600739600
Herr Bundesminister, darf ich Ihnen hierzu sagen, daß Sie jetzt als Mitglied des Hauses natürlich nach den Bestimmungen der Geschäftsordnung die Möglichkeit haben, 15 Minuten zu sprechen, wenn Sie



Vizepräsident Schmitt-Vockenhausen
glauben, daß dem Herrn Kollegen Katzer damit gedient wäre, daß Sie es noch verdeutlichen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600739700
Ich habe den Eindruck, daß der Abgeordnete Katzer durch die zwei Sätze, die ich vorhin gesprochen habe, schon befriedigt ist. Ich habe ja ausdrücklich hervorgehoben, daß wir diesen Gesamtkomplex nur so verstehen, und man müßte ja blind sein — mindestens auf einem halben Auge, wenn das geht —, wenn man das nicht einbeziehen und nicht sehen würde, wie z. B. in vielen Betrieben eine viel bessere allgemeine Ausbildung betrieben wird als in vielen öffentlichen Schulen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600739800
Das Wort hat der Herr Kollege Professor Dr. Schellenberg.

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0600739900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zuerst ganz auf das zurückkommen, was Herr Kollege Barzel gestern zur Gesellschaftspolitik gesagt hat. Herr Kollege Barzel, Sie haben gestern zu Beginn Ihrer Ausführungen mit erhobenem Zeigefinger eine Liste gesellschaftspolitischer Notwendigkeiten vorgetragen, von der Verbesserung des Betriebsverfassungsgesetzes über Neuordnung des Familienlastenausgleichs bis zur Altersversorgung der Selbständigen. Aber für eine Fraktion, die 20 Jahre den Bundeskanzler und den Bundesarbeitsminister gestellt hat, war das eine Liste der Versäumnisse.

(Beifall bei der SPD.)

Herr Kollege Katzer hat heute einen etwas anderen Ton angeschlagen. Er hat nämlich zuerst gesagt, in der Regierungserklärung stehe hinsichtlich der Gesellschaftspolitik nichts anderes als eine Fortschreibung dessen, was von ihm eingeleitet worden sei. Das war der erste Teil. Im zweiten Teil hat er dann von Enttäuschungen gesprochen. Herr Kollege Katzer, Sie haben zwar auf die Bitte Bezug genommen, die Sie vor vier Jahren an das Haus gerichtet haben, sich nicht zu Detailfragen äußern zu müssen. Aber Sie haben damals gleichzeitig um eine Denkpause gebeten, die Ihnen das Haus dann sehr großzügig gewährt hat. Ich muß aus unserer gemeinsamen Arbeit feststellen: als wir Sie dann beispielsweise zum Thema Lohnfortzahlung oder Krankenversicherungsreform zwei Jahre später um die Ergebnisse Ihrer Denkpause baten, war das Ergebnis, wie wir Berliner sagen; „reichlich dünne". Denn haben Sie z. B. keinen Entwurf zur Lohnfortzahlung zustande gebracht, und das, was bezüglich Krankenversicherungsreform von Ihnen als sogenannter Einstieg konzipiert wurde, war nichts anderes als Kostenbeteiligung.

(Beifall bei der SPD.)

Jetzt, Herr Kollege Katzer, kritisieren Sie, daß in der Regierungserklärung hinsichtlich der Krankenversicherungsreform eine Sachverständigenkommission vorgeschlagen und angekündigt wird. Ich finde
die Regierungserklärung in dieser Hinsicht außerordentlich sachdienlich. Es ist nämlich sinnvoll, kontroverse Fragen vorher gründlich mit allen Beteiligten zu klären und erst dann einen Gesetzentwurf vorzulegen. Im übrigen haben wir Sozialdemokraten bereits 1963 vergeblich eine solche Sachverständigenkommission gefordert. Sicher würde auch die CDU von den Ergebnissen einer solchen Sachverständigenkommission profitieren können — über Kostenbeteiligungspläne hinaus.
Dann haben Sie, Herr Kollege Katzer, von der Altersgrenze gesprochen. Ich möchte nur auf folgendes aufmerksam machen. Sie haben in der Fragestunde am Ende der letzten Legislaturperiode durch Ihren Staatssekretär Rechnungen nennen lassen, die auf phantastischen Annahmen beruhen. Ich würde es dankbar begrüßen, wenn die Bundesregierung zu gegebener Zeit etwas realistischere Vorausberechnungen vorlegte, als Sie sie in der Fragestunde vortragen ließen. Im übrigen muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie bei dem letzten Zahlenmaterial über die Finanzen der Rentenversicherung, das Sie dem Hause vorgelegt haben — beim Sozialbericht 1969 —, Zahlen genannt haben, die durch die Berechnung Ihres eigenen Hauses bereits überholt waren. Sie haben das letzte Zahlenmaterial, das viel günstiger war, dem Hause nicht unterbreitet. Ich bedauere das.
Lassen Sie mich, zum Thema Hausfrauenrente noch folgendes sagen, Herr Kollege Katzer. Im Regierungsprogramm der Sozialdemokratischen Partei heißt es darüber:
Nach Aufnahme aller Angestellten in die Rentenversicherung wird auch Selbständigen und Hausfrauen (Hausfrauenrente) die Teilnahme an der sozialen Alterssicherung ermöglicht.
Herr Kollege Katzer, Sie haben in ihren kritischen Äußerungen — Sie sprachen von bitterer Enttäuschung — völlig übersehen, daß in der Regierungserklärung entscheidende Impulse für die weitere Gestaltung unserer Gesellschaftspolitik vorhanden sind. Aus Zeitgründen will ich hier nur drei Punkte hervorheben: soziale Sicherung für alle, mehr Gerechtigkeit in der Sozialpolitik und mehr Demokratie im Arbeitsleben.
Zu dem ersten Punkt. Was in der Regierungserklärung über die Möglichkeit, weitere Gruppen der Gesellschaft in die soziale Sicherung einzubeziehen, gesagt ist, bedeutet praktisch — da Arbeiter und Angestellte sozial gesichert sind —: Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige und Hausfrauen.

(Beifall bei der SPD.)

Das ist eine wichtige Aussage.

(Abg. Katzer: Öffnung der Rentenversicherung, nicht eigenständig!)

— Herr Kollege Katzer, Sie haben damals vor vier Jahren zu Detailfragen keine Auskunft gegeben. Sie haben auch nach einem Wirken von vier Jahren als Minister keine Auskunft gegeben. Sie haben auch nicht den Auftrag des Bundestages vom Dezember 1967 erfüllt, einen Gesetzentwurf über Alterssiche-



Dr. Schellenberg
rung der Selbständigen vorzulegen. Und nun wünschen Sie, daß acht Tage nach der Regierungsneubildung Einzelheiten in organisatorischer und finanzieller Hinsicht dargelegt werden. Das geht nicht an.
In bezug auf die weitere Entwicklung unserer sozialen Sicherung ist es ein bedeutsamer Tatbestand, daß in der Regierungserklärung erxpressis verbis steht: Überprüfung der Versicherungspflichtgrenze in der Krankenversicherung. Wer die harten Auseinandersetzungen kennt, die wir noch im Juni über die Versicherungsgrenzen von 990 DM und 1200 DM geführt haben, muß anerkennen, daß es sich in der Regierungserklärung um einen beachtlichen Schritt handelt, der über die Grenze von 1200 DM hinaus weist, nicht nur für die Angestellten, sondern auch für Selbstsändige. So viel zu den Schritten in Richtung auf eine soziale Sicherung für alle.
Ein zweiter wichtiger gesellschaftspolitischer Punkt der Regierungserklärung ist der: Die Bundesregierung erstrebt mehr Gerechtigkeit in der sozialen Sicherung an. Im Zusammenhang mit diesem Thema muß ich Herrn Kollegen Barzel einen Vorwurf machen. Sie haben gestern vom Krankenversicherungsbeitrag der Rentner ohne fehlenden sozialen Bezug gesprochen. Herr Kollege Barzel, ich fand das deshalb nicht ganz fair, weil wir alle wissen, daß Ihre Fraktion für einen Rentnerkrankenversicherungsbeitrag in Höhe von 4 % war, die Sozialdemokraten aber dagegen waren.

(Beifall bei der SPD.)

Schließlich haben wir uns in mühseligem Ringen auf 2 % geeinigt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600740000
Herr Kollege Schellenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Katzer?

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0600740100
Ja, bitte schön!

Hans Katzer (CDU):
Rede ID: ID0600740200
Herr Kollege Schellenberg, Sie stimmen mir doch sicher zu, daß es richtig ist, daß erstens der Vorschlag, den Rentnerkrankenkassenversicherungsbeitrag auf 4 % festzusetzen, im Finanzkabinett geboren wurde, in dem zwei Ihrer Minister vertreten waren, daß zweitens an dem Finanzvolumen, das eingespart werden mußte, auch von Ihnen kein Pfennig gespart worden ist, daß wir zwar 2 %o statt 4 % gesagt haben, deshalb aber zu sozial ungerechtfertigten Maßnahmen gekommen sind, nämlich zur Hinausschiebung des Rentenbeginns auf den nächsten Monat und zur Kürzung des Arbeitslosengeldes. Würden Sie die Güte haben, das zuzugeben?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0600740300
Herr Kollege Katzer, ich muß Ihnen in diesem Zusammenhang etwas ganz anderes sagen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

In der Frage des Krankenversicherungsbeitrages
der Rentner hat es vor der entscheidenden Kabinettssitzung, an der ich als Gast teilnehmen durfte, einen Beschluß der Sozialausschüsse in der sogenannten Offenburger Erklärung vom 9. Juli 1967 gegeben, der lautet:

(Abg. Katzer: Das hat doch damit gar nichts zu tun!)

„Die Leistungen eines Beitrages der Rentner an die gesetzliche Krankenversicherung ist zumutbar." Damit haben Sie überhaupt erst den Weg für den Krankenversicherungsbeitrag geöffnet.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie hätten Sie es denn finanziert?)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600740400
Herr Kollege Schellenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Barzel?

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0600740500
Ja, selbstverständlich!

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0600740600
Herr Kollege Schellenberg, würden Sie die Güte und die Liebenswürdigkeit haben, zur Kenntnis zu nehmen, daß meine Formulierung wie folgt hieß:
Ohne den sozialen Bezug der Einführung der Ergänzungsabgabe, z. B. den Krankenversicherungsbeitrag der Rentner, wenigstens zu erwähnen, beschloß die Koalition . . .
Dies ist ein völlig korrektes Zitat, ein völlig korrekter Sachverhalt, und es wird Ihrer Aufmerksamkeit als einem damals Beteiligten nicht entgangen sein, daß wir miteinander glaubten, daß die Belastung der geringer verdienenden Mitbürger nur erträglich sei, wenn zugleich die besser verdienenden Mitbürger belastet würden. Das ist das, was ich ansprechen wollte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0600740700
Herr Kollege Barzel,
ich muß Ihnen sagen, daß bei der Auseinandersetzung — das ist gleichzeitig eine weitere Antwort an Herrn Kollegen Katzer — über den Rentnerkrankenversicherungsbeitrag sehr massiv die Frage der Erhaltung der dynamischen Rente gestellt wurde, und zwar in negativem Sinne.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Und, Herr Kollege Barzel, das ist mein zweiter Vorwurf gegen Sie: Sie haben gestern behauptet, daß die dynamische Rente seinerzeit gegen die SPD beschlossen worden sei.

(Abg. Dr. Barzel: Das habe ich nie behauptet.)

— Herr Kollege Barzel, ich habe mich an Hand des Protokolls davon überzeugt. Sie haben eine Liste vorgetragen und haben gesagt: Reform usw., dynamische Rente, was Sie alles gegen unsere Stimmen durchgesetzt haben. Wollen Sie bestreiten, daß Sie wörtlich erklärt haben: „gegen Ihre Stimmen", also der SPD? Damit hatten Sie im Hause erklärt



Dr. Schellenberg
so muß dos jeder an Hand des Protokolls verstehen -, die SPD war gegen die dynamische Rente.

(Abg. Dr. Götz und Abg. Dr. Barzel melden sich zu Zwischenfragen.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600740800
Herr Kollege Barzel, darf ich zunächst einmal den Herrn Kollegen Schellenberg fragen, ob er weitere Zwischenfragen zuläßt?

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0600740900
Bitte schön, ja! Wenn Sie, Herr Präsident, das gütigerweise von meiner Zeit abrechnen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600741000
Ich werde bei dem roten Licht entsprechend berücksichtigen, daß Sie die Zeit nachholen können.
Ich darf aber nun den Kollegen Götz fragen, ob er erst dem Kollegen Barzel — —

(Abg. Dr. Götz: Ich würde gerne zuerst fragen!)

- Bitte, Herr Kollege Götz!

Dr. Hermann Götz (CDU):
Rede ID: ID0600741100
Herr Kollege Professor Schellenberg, Sie sind wieder auf die bruttolohnbezogene dynamische Rente zu sprechen gekommen und haben für die SPD in Anspruch genommen, dieses Rentensystem immer verteidigt zu haben: Wollen Sie hier wirklich ernsthaft so wie im Wahlkampf bestreiten, daß das von uns geschaffene Rentensystem, die bruttolohnbezogene dynamische Rente, von uns seit 1957 zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt wurde, sondern daß wir immer klipp und klar erklärt haben, daß wir an diesem von uns geschaffenen System nicht rütteln lassen werden? Wollen Sie dies hier wirklich ernsthaft in Zweifel stellen?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0600741200
Herr Kollege Dr. Götz, soweit sich das auf Ihre Person bezieht, selbstverständlich, soweit es — —

(Lebhafter Widerspruch bei der CDU/CSU.)

— Augenblick mal! Ich sage es ganz genau. Ich stelle erstens mit Befriedigung fest, daß sich die Formulierung von Herrn Dr. Barzel, wir hätten dagegen gestimmt, nicht auf die dynamische Rente beziehen soll. Das ist nun klargestellt. Jetzt komme ich zu dem zweiten Punkt, den Herr Götz angesprochen hat. Es hat in der CDU/CSU-Fraktion darüber sehr oft harte Auseinandersetzungen gegeben.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)

— Meine Fraktion, die SPD-Fraktion, war in Hinsicht auf die dynamische Rente stets völlig einheitlich.
Aber es gab in der Öffentlichkeit erhebliche Äußerungen prominenter CDU-Mitglieder.

(Abg. Ruf meldet sich zu einer Zwischenfrage.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600741300
Her Kollege Ruf, entschuldigen Sie, erst müssen wir den Herrn Kollegen Schellenberg fragen, ob er Ihre Zwischenfrage zuläßt.

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0600741400
Ja, ich bin gern bereit.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600741500
Ja, Herr Kollege Ruf wollte mit der Frage beginnen, bevor überhaupt die Möglichkeit bestand, den Herren Kollegen Schellenberg zu fragen. Das war der Sinn.

Thomas Ruf (CDU):
Rede ID: ID0600741600
Herr Kollege Schellenberg, können Sie mir einen einzigen Kollegen der CDU/CSU-Fraktion nennen, der im Sozialpolitischen Ausschuß des Bundestages oder hier im Plenum gegen die bruttolohnbezogene dynamische Rente gesprochen oder einen entsprechenden Antrag gestellt hat? — Ich bitte, das Mikrophon nicht immer sofort wieder abzustellen. Ich bin mit meiner Frage noch nicht fertig. Es ist die Pflicht des Präsidenten, dafür zu sorgen, daß jeder Kollege hier mit seiner Wortmeldung gehört wird.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600741700
Herr Kollege, Sie haben Ihre Frage gestellt. Ich konnte nach Ihrer Atempause davon ausgehen, daß Sie mit der Frage, die im Zusammenhang beendet war, auch tatsächlich zu Ende waren. Im nehme aber gern zur Kenntnis, daß Sie die Frage um einen zweiten längeren Satz erweitern wollen. Ich habe dagegen keine Bedenken. Nur muß sich der Fragesteller nach der Geschäftsordnung im Grunde auf kurze Zwischenfragen konzentrieren. Das ist auch der Sinn der Zwischenfragen.

Thomas Ruf (CDU):
Rede ID: ID0600741800
Vielen Dank, Herr Präsident. — Darf ich weiter fragen: Herr Professor Schellenberg, geben Sie zu, daß sämtliche 12 Rentenanpassungsgesetze, durch die die Renten an die Entwicklung der Bruttolöhne angepaßt wurden, in diesem Hause einstimmig verabschiedet worden sind?

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0600741900
Herr Kollege Ruf, es hat Sprecher der CDU gegen die bruttolohnbezogene Rente gegeben.

(Zurufe von der CDU/CSU: Welche?)

— Herr Balke beispielsweise: „Auch die Rentner müssen die Lasten der Zukunft tragen", „Renten nicht mehr an die Löhne koppeln", um nur eine Bemerkung zu zitieren. Es gab in dieser Hinsicht sogar von Herrn Kollegen Katzer, der sich — das erkläre ich — hier immer für die lohnbezogene Rente eingesetzt hat, Formulierungen, die Sorgen erwecken mußten.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)

— Ja, ich kann sie vorlesen:
Frage Stuttgarter Zeitung vom 8. April 1967: Bedeutet für Sie, Herr Minister, Stabilität im Zusammenhang mit der Alterssicherung, daß die lohnbezogene Rente in jedem Fall erhalten bleiben muß?



Dr. Schellenberg
Antwort Katzer: Es geht dabei um folgendes: Kann man das Rentensystem mit dieser dynamischen Form fortsetzen, oder wäre es nicht möglich, zu anderen Formen zu kommen, zur nettolohnbezogenen oder Produktivitätsrente oder wie man das immer nennt?
Das waren Erklärungen, die nicht so eindeutig waren wie die Auffassung der Sozialdemokraten über die bruttolohndynamische Rente.
Aber jetzt möchte ich zur Weiterentwicklung der Sozialpolitik kommen, die der Gegenstand der Regierungserklärung ist. Die Bundesregierung erstrebt — und wir begrüßen das — mehr Gerechtigkeit in der sozialen Sicherung, indem sie Wahlfreiheit bei der Altersgrenze prüfen und anstreben will - das ist eine wichtige Erklärung —, ferner größere soziale Gerechtigkeit dadurch, daß sie Angestellten, die nicht pflichtversichert sind, Anspruch auf den Arbeitgeberanteil geben will — das ist ein Positivum —, und schließlich Anpassung der Kriegsopferrenten, nicht nur alle zwei Jahre, Herr Kollege Katzer, sondern jährlich; ferner sollen auch strukturelle Verbesserungen vorgenommen werden. Das sind bedeutsame Fortschritte im Hinblick auf eine größere soziale Gerechtigkeit.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600742000
Herr Kollege Schellenberg, der Kollege Ott steht am Fragemikrophon. Ich frage Sie, ob Sie eine Zusatzfrage zulassen.

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0600742100
Ja, bitte schön!

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0600742200
Herr Kollege Schellenberg, würden Sie mir angesichts Ihrer Erklärung hinsichtlich der bruttolohnbezogenen Rente widersprechen, wenn ich Sie auffordere, sich bei Ihrem jetzigen Koalitionspartner darüber zu informieren, ob es richtig ist, daß er im November 1966 die Auffassung vertrat, daß der Zuschuß aus dem Bundeshaushalt an die Rentenversicherung als eingefroren zu betrachten sei?

(Abg. Killat: Genauso wie bei großen Teilen der CDU!)


Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0600742300
Die Antwort ist durch Herrn Killat schon gegeben. Wir sind froh darüber, daß es nunmehr gelungen ist, die lohnbezogene Rente so zu sichern, daß es überflüssig geworden ist, sie in der Regierungserklärung überhaupt zu erwähnen. Sie ist zur Selbstverständlichkeit geworden.

(Beifall bei der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, Sie wissen — niemand kann es bestreiten —, daß es ein harter Kampf war. Wir können gemeinsam stolz sein — auch mit der FDP, die sich beim Dritten Rentenversicherungsänderungsgesetz zur bruttolohnbezogenen Rente bekannt hat -, daß das jetzt gemeinsame Auffassung des Hauses ist.
Meine Damen und Herren der CDU, im Hinblick auf diese gesellschaftspolitischen Fortschritte in der
Regierungserklärung muß ich aber darauf hinweisen, daß der sozialpolitischen Diskussion keineswegs nur das zugrunde gelegt werden kann, was Herr Kollege Katzer heute vorgetragen hat, so wichtig es sein mag. Die CDU/CSU hat in Erwartung der Übernahme der Regierung ein sozialpolitisches Schwerpunktprogramm für die VI. Legislaturperiode am 20. August auf einer großen Pressekonferenz veröffentlicht. Ich möchte aus diesem Schwerpunktprogramm einmal eine CDU/ CSU-Negativliste vorlesen: „Die Einführung der Wahlfreiheit für die Altersgrenze lehnt die CDU mit Entschiedenheit ab." Die Regierungserklärung will die Aufgabe prüfen. Zweitens steht im CDU-Schwerpunktprogramm, höher verdienenden Arbeitern will die CDU/CSU den Arbeitgeberanteil eher entziehen, als ihn auch den Angestellten zu geben, wie das der Inhalt der Regierungserklärung ist.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Und dann steht für die Kriegsopferrenten bei der CDU/CSU lediglich: zweijährige Anpassung, während es in der Regierungserklärung heißt: jährliche Anpassung und strukturelle Verbesserungen. Das ist ein erheblicher Fortschritt.
Lassen Sie mich nun zu dem dritten Punkt kommen. Die Bundesregierung will mehr Demokratie am Arbeitsplatz.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600742400
Herr Abgeordneter Schellenberg, würden Sie eine Frage des Kollegen Maucher zulassen?

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0600742500
Ja, gern!

Eugen Maucher (CDU):
Rede ID: ID0600742600
Herr Kollege Schellenberg, Sie haben soeben gesagt — das ist erfreulich —, daß Sie die Anpassung der Kriegsopferversorgung nicht alle zwei Jahre, sondern alljährlich wollen. Da Sie das jetzt so darstellen, frage ich Sie: ist Ihnen nicht bekannt, daß der Beschluß, so wie er jetzt zustande gekommen ist, zunächst einstimmig gefaßt war, auch mit den Stimmen Ihrer Fraktion?
Zweitens. Wenn Sie jetzt die jährliche Anpassung anstreben, werden Sie von uns Unterstützung erfahren. Aber können Sie mir gleichzeitig versichern, daß Sie bereit sind, für die Anpassung entsprechend der wirtschaftlichen Entwicklung die erforderlichen Mittel bereitzustellen?
Drittens. Sie sprechen von einer alljährlichen strukturellen Änderung. Habe ich Sie da richtig verstanden? Können Sie sagen, was Sie bei diesem Vorhaben laut Regierungserklärung unter strukturellen Änderungen verstehen?

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0600742700
Da Sie das hier aussprechen, muß ich doch darauf zurückkommen, was damals im Hause notwendig war. Wir mußten am 30. Oktober 1968 allein einen Antrag einbringen, weil Sie die Unterschrift verweigerten, den Kriegsopferbericht im Jahre 1969 vorzulegen. So hart mußte damals darum gerungen werden.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)




Dr. Schellenberg
Erst nachher wurde daraus ein einstimmiger Beschluß. — Ich möchte jetzt nicht mehr auf Fragen antworten, weil ich den nächsten Punkt behandeln will.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600742800
Herr Kollege Schellenberg, ich wollte gerade dem Herrn Kollegen Maucher und den anderen Damen und Herren des Hauses sagen, im Hinblick auf die Geschäftslage wäre ich sehr dankbar, wenn wir die Zwischenfragen auf die dringlichen beschränken würden ich bitte dafür um Verständnis —, weil wir sonst mit unserem Zeitplan, den sich die Fraktionen übereinstimmend vorgenommen haben, nicht mehr ganz zu Ende kommen. Herr Kollege Schellenberg, ich würde vorschlagen, daß wir die letzte Frage des Kollegen Maucher noch zulassen, wenn es Ihnen recht ist.

Eugen Maucher (CDU):
Rede ID: ID0600742900
Herr Kollege Schellenberg, würden Sie mir zugestehen, daß die Darstellung, die Sie jetzt gegeben haben, einfach den Tatsachen nicht entspricht? Es ist richtig, daß Sie den Antrag gestellt haben. Aber es muß Ihnen genauso bekannt sein wie uns, daß die Entschließung, die gemeinsam verabschiedet wurde, von mir verfaßt und von Ihnen übernommen worden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0600743000
Herr Kollege Maucher, Sie haben in Ihrer Frage die Entwicklung nicht dargestellt, die entscheidend war. Es war nämlich entscheidend, von den Vorschriften des Finanzänderungsgesetzes wegzukommen und zur ursprünglichen Fassung dc s Dritten Neuordnungsgesetzes zu kommen. Sie haben uns damals in dieser entscheidenden Phase nicht unterstützt. Wir mußten allein einen Gesetzentwurf einbringen, nachdem wir wochenlang vergeblich mit Ihnen darüber verhandelt hatten.

(Beifall bei der SPD.)

Wir sind glücklich, daß jetzt in der Regierungserklärung die präzise Festlegung erfolgt ist: 1. Januar nächsten Jahres, Erhöhung der Kriegsopferrenten, dann laufende jährliche Anpassung, und außerdem noch strukturelle Verbesserung.
Jetzt ist das Thema Kriegsopfer abgeschlossen, und ich komme jetzt zu dem nächsten Punkt — den ich schon begonnen hatte —, mehr Demokratie am Arbeitsplatz. Was in der Regierungserklärung zur Reform des Betriebsverfassungs-, des Personalvertretungsgesetzes und auch hinsichtlich „erweiterte Mitverantwortung und Mitbestimmung" gesagt ist, sind Schritte auf einem richtigen Wege.
Die Regierungserklärung besagt auch, daß Gesetzentwürfe der letzten Legislaturperiode mit herangezogen werden sollen. Dann wird sich herausstellen, Herr Kollege Katzer, was von Ihrer Fraktion vorliegt. Das ist nämlich Ihr berühmter oder berüchtigter Entwurf vom 2. November 1967, in dem faktisch die Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes begrenzt wird auf die Frage eines, ich muß doch wohl sagen, extremen Minderheitenschutzes im Interesse
— entschuldigen Sie, Herr Kollege — des Christlichen Gewerkschaftsbundes. Das war doch der entscheidende Inhalt Ihres Gesetzentwurfes, nicht wahr?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600743100
Herr Kollege Schellenberg, darf ich vielleicht nunmehr, nachdem Sie eine gewisse Zeit überzogen haben, bitten, in etwa anderthalb bis zwei Minuten zum Schluß zu kommen.

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0600743200
Ja, Herr Präsident.
Es geht uns hinsichtlich der Frage „Mehr Demokratie am Arbeitsplatz" um eine prinzipielle gesellschaftspolitische Frage. Herr Kollege Heck - den ich leider im Augenblick nicht hier sehe — hat dazu am 30. Juli im Deutschland-Union-Dienst etwas gesagt, was uns wesentlich von der CDU unterscheidet, falls es die Meinung der gesamten CDU sein sollte. „Für uns ist Demokratie unsere Form der politischen Herrschaft im Staat", so schreibt Herr Kollege Heck. „Es hat wenig Sinn, mit einer Demokratisierung den Bereich des Staates zu überschreiten." In dieser Hinsicht sind wir völlig anderer Auffassung. Wir Sozialdemokraten wollen: mehr Demokratie in Gesellschaft und Betrieb, damit in unserem Staat die Demokratie stärker verankert und lebendiger wird.
Meine Damen und Herren, das Programm der Regierung ist in bezug auf die Gesellschaftspolitik ein Koalitionsprogramm. Es steht natürlich, wie wir alle wissen, im Zeichen des Kompromissis. Wir Sozialdemokraten stehen aber voll auch zu dem gesellschaftspolitischen Teil der Regierungserklärung. Meine Damen und Herren der CDU/CSU, niemand von der Opposition soll meinen, er könne uns in der Gesellschaftspolitik auseinanderdividieren.

(Zuruf von der CDU/CSU: Abwarten!)

Wir wollen nämlich das Bild eines sozialpolitischen Gezerres, früherer Regierungen der CDU, unserem Volke ersparen.
Noch eine Schlußbemerkung. In diesem sozialpolitischen Schwerpunktprogramm der CDU heißt es: „Die Leistungen in unserem sozialen Sicherungssystem sind so hoch und im ganzen so ausgewogen, daß wir keine aufwendigen strukturellen Leistungsverbesserungen mehr anstreben sollten." Meine Damen und Herren, das ist Ausdruck einer bedenklichen Selbstzufriedenheit. Ich habe mich deshalb gefreut, daß Herr Katzer die Formulierung der Regierungserklärung hinsichtlich der Sorge um die Mitbürger unterstrichen hat, die im Schatten leben. Ich hoffe, meine Damen und Herren auch von der Opposition, daß wir uns hinsichtlich der Gesellschaftspolitik darin einig sind, daß der demokratische und soziale Rechtsstaat eine ständige Aufgabe und Verpflichtung für uns alle ist.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600743300
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Kollege Schmidt (Kempten).


Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0600743400
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Katzer, Sie haben den sozialpolitischen Teil einer herben Kritik unterzogen. Ich habe mich eigentlich etwas darüber gewundert; denn in einer dpa-Meldung von gestern haben Sie zu dem sozialpolitischen Teil der Regierungserklärung beinahe stolz erklärt:
Die Punkte Sozialpolitik und Kriegsopferversorgung sind so, daß man zu einer Übereinstimmung mit der CDU kommen könnte. Sie bedeuten die Fortsetzung der Politik, die ich vor vier .Jahren begonnen habe.
So haben Sie den sozialpolitischen Teil in der Öffentlichkeit gestern anscheinend als einen positiven beurteilt, heute natürlich etwas anders.

(Abg. Katzer: Das war nur der erste Teil! Sie haben den zweiten Teil nicht bekommen; da steht das drin, was ich auch heute gesagt habe!)

- Aber, Herr Kollege Katzer, das mag Ihre Auffassung sein, und selbstverständlich sind Sie als Sprecher der Opposition zu einer solchen Kritik verpflichtet.
Wir Freien Demokraten jedenfalls finden den sozialpolitischen Teil der Regierungserklärung wohltuend unterschieden von dem, was in der letzten Regierungserklärung vom Dezember 1966 stand; denn da war nichts konkret. Da mußte man acht Monate warten, bis über die Finanzierung überhaupt die Mifrifi vorlag.

(Abg. Mick: Nach da drüben gucken!)

Wir glauben, daß die von uns mitgetragene Bundesregierung und die von uns mitverantwortete Regierungserklärung wesentlich ehrlicher, klarer und konkreter in ihren Formulierungen ist, daß sie deutlich sagt - ich werde auf einiges in der kurzen Zeit hinweisen -, welche Wege wir in den einzelnen Bereichen gehen wollen, daß sie beispielsweise etwas zur Familienpolitik sagt, während in der Regierungserklärung von Herrn Dr. Kiesinger nichts über die Familienpolitik stand, daß sie beispielsweise etwas über den gerechten Abschluß der Kriegsfolgengesetzgebung sagt, während es vor zweieinhalb Jahren hieß: „Keine Gelder mehr für die Vergangenheit!"
Meine Damen und Herren, hier sind Akzente. Jawohl, es waren die drei bösen Sätze. Herr Kollege Mick, wir haben uns damals darüber auseinandergesetzt.
Ich glaube, schon hier wird deutlich, welche Aufgabe sich SPD und FDP, welche Aufgabe sich die Bundesregierung gestellt hat, nämlich - —

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600743500
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mick zu?

Josef Mick (CDU):
Rede ID: ID0600743600
Herr Kollege Schmidt, waren wir in der vergangenen Legislaturperiode nicht allgemein und allesamt stolz auf all die Kriegsfolgengesetze, die wir gemeinsam und einstimmig beschlossen haben?

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0600743700
Herr Kollege Mick, Sie haben mich mißverstanden. Ich habe erklärt: In der Regierungserklärung vom Dezember stand das so. Es hat sich dann geändert. Sie wissen auch sehr genau, wieviel Anfragen gerade die Opposition die Freien Demokraten zu diesen Punkten immer wieder vorgelegt hat, bis die Dinge in Bewegung kamen. Lesen Sie die Regierungserklärung vom Dezember 1966 nach! Ich kann sie Ihnen gern geben. Sie liegt auf meinem Platz.
Wir sehen in diesem sozialpolitischen Teil einen der wesentlichen Grundpfeiler dieser neuen Bundesregierung, dieser sozialen, liberalen Bundesregierung, die einen Weg in die Gesellschaft des nächsten Jahrtausends öffnen will, die all die Dinge neu -

(Oh-Rufe von der CDU/CSU.)

— In das nächste Jahrtausend hinein! Meine Damen und Herren, machen Sie Sozialpolitik, Gesellschaftspolitik für morgen oder auch für übermorgen, für die Zukunft, für sich oder auch für Ihre Kinder und für Ihre Enkel?

(Zuruf von der CDU/CSU.)

Diese neuen Wege müssen beschritten werden; sie sind sozial-liberal hier vorgezeichnet.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Wir freuen uns ganz besonders — und das ist ja wohl auch unser gutes Recht —, daß eine ganze Reihe von Vorstellungen bereits konkret angesprochen worden sind, die wir in den vergangenen Jahren sehr häufig in diesem Hohen Hause als Anträge vorgelegt haben und die in fast allen Fällen an Ihnen, an dem damaligen Teil der Regierung, an der jetzigen Opposition, gescheitert sind.

(Zuruf von der CDU 'CSU: Realismus, Herr Schmidt!)

Ich darf einige davon aufführen. Das, was in der Regierungserklärung mit der Öffnung der gesetzlichen Alterssicherung gemeint ist, heißt eben, daß die Selbständigen in diese Altersversicherung aus freiem Willen eintreten können, das heißt eben, daß die Hausfrauen eine Möglichkeit in dieser Richtung bekommen. Es ist nicht etwa so — wie Sie, Herr Katzer, es darstellten, als Sie das mit einem Fragezeichen versehen haben —, daß das nur vielleicht so sein könnte. Die Prüfung der Einführung einer flexiblen Altersgrenze heißt eben, daß wir diesen Weg gehen wollen, daß wir aber natürlich phi-fen müssen und das müssen Sie auch, und das müssen wir alle zusammen —, wie wir diesen Weg gehen können, wie wir ihn finanzieren können, wie wir ihn in Einklang bringen können mit dein überspannten Arbeitsmarkt und all den Dingen und den Problemen, die damit zusammenhängen. Das müssen wir dabei auch sehen.

(Zuruf von der CDU, CSU: Das ist etwas anderes als das, was man vorher hörte!)




Schmidt (Kempten)

— Entschuldigen Sie, das ist nichts anderes. Können Sie sich an unseren Antrag zur flexiblen Altersgrenze in der Sozialversicherung erinnern?

(Zuruf von der CDU/CSU: Ich meine nach drüben! - Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

- ich kann mich aber nicht erinnern, daß der Herr Kollege Schellenberg etwas anderes gesagt hätte. Er hat zu anderen Dingen Stellung genommen, hat sich mit anderen Dingen auseinandergesetzt. In einer Viertelstunde kann man, wenn man die Zeit einhalten will, leider nicht den ganzen Fächer im Detail ansprechen.
Wir begrüßen es ganz besonders, daß im Bereich der Krankenversicherung zunächst einmal zwei konkrete Maßnahmen sehr schnell kommen werden, nämlich die Dynamisierung der Versicherungspflichtgrenze für Angestellte und der Arbeitgeberbeitrag für alle Angestellten auch über der Grenze.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie werden sich alle noch daran erinnern, wie mein Kollege Spitzmüller dies in vielen Debatten für die Freien Demokraten immer wieder gefordert hat. Jetzt wird es Erfüllung finden; das sehen wir als einen guten Teil dieses sozial-liberalen Weges an.
Wir begrüßen es auch, daß eine Sachverständigenkommission kommt, denn wir müssen, meine Damen und Herren - und wer schon 1961 am damaligen Sozialpaket mitgepackt, an all den Problemen mitdiskutiert hat, der weiß, wie diffizil und wie vielschichtig der Bereich ist, der in einer solchen Kommission angesprochen werden muß: von den Ärzten und Zahnärzten bis zu den Krankenhäusern, von den Medikamentenfragen zum versorgungsärztlichen Dienst und allen diesen Dingen , all dies zunächst einmal zu einem großen Tableau zusammenführen. Und dann werden wir eine Reform machen; darauf können Sie sich verlassen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir begrüßen auch und werden uns darum bemühen, daß die im Sommer eingeführte Form der Beitragsrückgewährung - das kommt ja auch in der Regierungserklärung sehr deutlich zum Ausdruck — daraufhin überprüft wird, ob diese Methode nicht im Endeffekt mehr kostet, als sie bringt, und ob sie nicht im Endeffekt negative Auswirkungen hat.
Und nun komme ich — Herr Katzer, Sie haben es vorhin angesprochen kurz auf die Frage der Lohnfortzahlung. Wir werden uns gemeinsam, Herr Kollege Schellenberg, auch sehr aufmerksam die Entwicklung bei der Lohnfortzahlung anschauen, und wir werden vielleicht überlegen, ob wir nicht zu dem zurückkehren, was Sie eigentlich auch wollten, zu einem totalen Ausgleich, der die Dinge leichter macht, als sie bisher waren. Wir hätten eine gemeinsame Basis, eine bessere Situation als die jetzige zu schaffen.

(Abg. Müller [Remscheid] : Kann man das etwas genauer hören? — Abg. Katzer: Wie war das? Ich habe das nicht gehört!)

Ich kann mich erinnern, daß Sie, Herr Kollege
Katzer, damals — wahrscheinlich doch mit dem
Kollegen Schellenberg — in der Kommission saßen, wo man sich einigte, ob man es so oder so macht. Dann werden Sie doch die Vorschläge der SPD noch kennen.

(Abg. Katzer: Meinen Sie, ohne Staatszuschuß? Abg. Dr. Klepsch: Wo bleiben denn Ihre Rütlischwüre im Wahlkampf?)

- Ich habe den totalen Ausgleich gemeint, wie er vorgesehen war. Ich habe gesagt: wir werden sehen. Ich sage jetzt nicht, daß das kommt. Aber wir werden sehen, wie man hier eine bessere Lösung finden kann; denn wir halten die jetzige immer noch für sehr problematisch.
Ein weiteres, meine Damen und Herren, zur Kriegsopferversorgung, ganz kurz. Wir begrüßen es ebenfalls, daß nunmehr endlich der Weg dafür offen ist, daß am 1. Januar 1970 zunächst einmal die Anpassung erfolgt. Sie wissen, daß wir mit beiden Fraktionen nicht der gleichen Meinung waren. Wir hätten die Anpassung lieber im Sommer gesehen. Aber wir haben die feste Überzeugung, daß die Bundesregierung den Bericht schnell genug vorlegen wird, so daß die Renten auch wirklich zum 1. Januar ausgezahlt werden können. Ich glaube, Herr Minister Arendt, hier wird es keine Sehwierigkeiten geben, und ich bin sicher, daß auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, im Ausschuß bei einer schnellen Verabschiedung mitwirken werden, damit wir diese Leistung zum 1. Januar erbringen können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Lassen Sie mich noch wenige Worte zum Betriebsverfassungsgesetz und zum Thema Mitbestimmung sprechen. Wir sind davon überzeugt, daß es auf Grund der beiden Vorlagen — mit gewissen Einschränkungen denke ich dabei auch an die Vorlage der CDU/CSU, wobei ich aber die Verbindung des Minderheitenschutzes mit der Möglichkeit anderer Institutionen nicht für richtig halte — möglich sein wird, und zwar sehr schnell möglich sein wird — und wir werden alle unsere Kräfte dafür einsetzen —, ein gutes neues Betriebsverfassungsgesetz oder eine gute Novelle zum Betriebsverfassungsgesetz vorzulegen, eine Novelle, die die Möglichkeit der Einrichtung von Betriebsräten wesentlich verbessert, die Einrichtung der Wirtschaftsausschüsse obligatorisch macht, das Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrecht in personellen und sozialen Fragen wesentlich ausweitet und in allen betriebsinternen Fragen, Betriebsvereinbarungsfragen, wesentlich mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten als in der Vergangenheit schafft. Sie wissen, daß wir unsere Vorstellungen in dieser Richtung bereits im Wahlkampf deutlich vorgetragen haben. Wir werden allerdings auch - darüber werden wir uns noch etwas unterhalten müssen, Herr Kollege Schellenberg — eine gewisse Art des Minderheitenschutzes mit in diese Novelle einbauen. Sie kennen unsere Vorstellungen;

(Abg. Dr. Schellenberg: Ja!)

Sie haben etwas andere Vorstellungen. Aber ich bin sicher, daß wir zu einer Lösung kommen werden.
Nun ein letztes, meine Damen und Herren. Herr Kollege Katzer, eine Frage an Sie. Sie haben vorhin



Schmidt (Kempten)

überzeugend von dem Gewerkschaftsauftrag zur Mitbestimmung gesprochen, und zwar als Sprecher der CDU/CSU-Opposition. Ich möchte Sie jetzt fragen: Haben Sie in diesem Augenblick für die CDU/CSU-Fraktion, für die Sozialausschüsse, für den Wirtschaftsbeirat oder für den Mittelstandskreis der CDU gesprochen?

(Zuruf von der CDU/CSU: Für die Fraktion spricht man hier, das sollten Sie doch wissen!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600743800
Herr Kollege Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Katzer?

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0600743900
Bitte!

Hans Katzer (CDU):
Rede ID: ID0600744000
Darf ich Ihre Frage wie folgt beantworten, Herr Kollege, und daran werden Sie sich in den nächsten vier Jahren gewöhnen müssen: Ich habe als stellvertretender Vorsitzender der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion gesprochen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0600744100
Ich danke Ihnen für Ihre Antwort, Herr Kollege Katzer. Ich habe das auch angenommen. Ich war mir bloß deshalb etwas im unklaren, weil ich sehr genau weiß, daß es hier unterschiedliche Auffassungen gibt. Außerdem könnte ich mir vorstellen, daß unter den hier Anwesenden eine ganze Reihe nicht damit einverstanden sind, daß Sie das für die Fraktion gesagt haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das überlassen Sie uns!)

— Aber bitte sehr! Darüber werden wir uns in absehbarer Zeit noch unterhalten. Ich wollte mich nur einmal orientieren, damit ich ungefähr weiß, wie die Dinge stehen.
Wir jedenfalls, meine Damen und Herren — lassen Sie mich das abschließend sagen; ich will mich an die Zeit halten; ungefähr dürfte es hinkommen —, werden uns in der Mitbestimmungsfrage genau nach der Vereinbarung in der Regierungserklärung richten. Wir haben unsere Meinung dazu vor und nach der Wahl offen gesagt. Wir werden in dieser Frage auf Grund des Berichts vertrauensvoll zusammenarbeiten und werden sicher zu Lösungen kommen, in denen sozial-liberalen Überlegungen zur Mitbestimmung ebenfalls Rechnung getragen wird, ohne daß wir uns nun unbedingt an Modelle von früher anklammern müssen. Wir glauben jedenfalls und sind der festen Überzeugung, daß es in gutem Einvernehmen gerade im gesellschaftspolitischen Bereich gelingen wird, eine Reihe von Maßnahmen konkreter Art, vordergründiger Art, möchte ich sagen, und eine Reihe von Reformen auf längere Frist in diesen vier Jahren zu beschließen, Reformen, die in diesem Hause schon lange fällig waren.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600744200
Das Wort hat der Kollege Prof. Dr. Burgbacher.

Dr. Fritz Burgbacher (CDU):
Rede ID: ID0600744300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche nur zu dem Thema Vermögensbildung und Eigentumspolitik und bin, wie es sich nach meiner Auffassung bei Debatten über eine Regierungserklärung sozusagen gehört, der Meinung, daß man sich in dieser Debatte auf das Grundsätzliche beschränken sollte.

(Zustimmung bei der SPD.)

Sie wissen, daß meine politischen Freunde seit zwölf Jahren eine aktive und gelegentlich auch phantasiereiche Eigentumspolitik gemacht haben. Wir haben eine Reihe beachtenswerter Erfolge erzielt, teilweise zusammen mit den Kollegen der
SPD, teilweise auch zusammen mit Kollegen der FDP, darunter auch das 312-DM-Gesetz, das jetzt laut dem Passus auf Seite 11 der Regierungserklärung schlicht und einfach auf zweimal 312 DM erhöht werden soll. Das ist der einzig konkrete Gedanke in diesem für die allgemeine Politik so besonders wichtigen Abschnitt.
Nun, diese Idee von der Verdoppelung haben wir natürlich auch schon längst gehabt. Wir sind aber davon abgekommen, weil wir der Meinung sind, daß noch nicht einmal die ersten 312 DM bei allen Arbeitnehmern durchgeschlagen sind. Wir sind deshalb der Meinung, daß die zweiten 312 DM eigentlich weniger der Masse der Arbeitnehmer als einigen Empfängern besonders guter Einkommen zugute kommen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir haben dabei mit außergewöhnlichem Bedauern festzustellen, daß von der ursprünglich heiß umstrittenen Tariffähigkeit des 312-DM-Gesetzes, die wir dann vor Jahren erreicht haben, in einem merkwürdigen Einvernehmen die Tarifpartner bis heute so furchtbar wenig Gebrauch gemacht haben, obwohl dieser Teil einer Tarifvereinbarung, nämlich der Investivlohnteil, auch im Sinne des heute und gestern so oft erwähnten Stabilitätsgesetzes nicht nur den Erfolg hätte, daß Eigentum in Arbeitnehmerhand gebildet wird, sondern auch den Erfolg hätte, daß das wesentlich stabilisierender wirkt, als wenn auch dieser Teil in den Konsum geht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte deshalb an dieser Stelle heute an die Tarifpartner, deren Tarifhoheit und Tarifzuständigkeit für uns alle eine Selbstverständlichkeit jetzt und in Zukunft sein muß, den Appell richten, in diesen freien Vereinbarungen endlich den Raum frei zu machen, daß auch vermögensbildende Teile zum Konsumlohn hinzuvereinbart werden.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Matt höfer meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Bitte, Herr Matthöfer!

Hans Matthöfer (SPD):
Rede ID: ID0600744400
Herr Professor Dr. Burgbacher, in der Annahme, daß Sie selbstverständlich die kreislaufanalytischen Zusammenhänge kennen, sie gehören zum gesicherten Bestand der Volkswirtschaftstheorie, aus denen sich ergibt, daß Ausfuhrüberschüsse immer auch Vermögensbildung in der Hand der jetzigen Kapitalbesitzer sind; in der



Matthöfer
weiteren Annahme, daß Sie mit Herrn Dr. Strauß übereinstimmen, der heute hier forderte, die Maschinen zu den Arbeitern zu bringen und nicht die, Arbeiter zu den Maschinen, sich also dafür einsetzt, daß die durch das Währungsungleichgewicht herbeigeführten strukturellen Ausfuhrüberschüsse in permanente Kapitalausfuhr umgewandelt werden, um damit diesen Zustand, der zu einer einseitigen Vermögensbildung in Unternehmerhand führt, zu verewigen; in der weiteren Annahme, Herr Professor Dr. Burgbacher, daß Sie die Auswirkungen

(anhaltende Zurufe von der CDU/CSU: Frage!)

-- Herr Präsident, ich bin gerne bereit, die Kommata nd Strichpunkte dieses Satzes mitzudiktieren; ich bin noch immer beim ersten Satz — der Aufwertung von 1961 auf die Einkommensverteilung kennen, nämlich eine Verschiebung um 5 Milliarden DM zugunsten der .Arbeitnehmer, frage ich Sie als Befürworter der Vermögensbildung, warum Sie hier nicht im Sinne der Offenburger Erklärungen der Sozialausschüsse für die Aufwertung bei der vorhergehenden Debatte eingetreten sind?

(Lachen bei der CDU/CSU.)


Dr. Fritz Burgbacher (CDU):
Rede ID: ID0600744500
Man hat beinahe den Eindruck, als sei das Thema Aufwertung das einzige, mit dem die SPD umzugehen weiß.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das, was Sie gesagt haben — daß die zusätzlichen Gewinne in die Hände derer wachsen, die schon I Eigentum haben -, trifft völlig zu. Ich bin Ihnen für den Hinweis dankbar, weil Sie mir damit die Brücke zu dem schlagen, was ich in der Hauptsache sagen wollte.
ich wollte nämlich sagen, daß wir nach meiner Auffassung und nach Auffassung vieler meiner Freunde an dem Punkt angekommen sind, wo wir uns bezüglich der Förderung der Vermögensbildung mit Sparprozessen, die als Primärakt der Vermögensbildung sehr wichtig und unentbehrlich sind, über das 312-DM-Gesetz hinaus endlich einmal etwas einfallen lassen müssen, um allen unselbständig Tätigen in unserem Volk den Zugang zum Produktionskapital frei zu machen.

(Beifall hei der CDU/CSU. — Bravo-Rufe und Beifall bei der SPD.)

In der Regierungserklärung, die zweifellos, wie wir alle verstehen müssen, ein Kompromiß zwischen FDP und SPD sein muß — wir sehen daran die Schwierigkeiten dieser Koalition; sie wären ja nicht, wenn das nicht wäre -, wird gesagt, daß das Beteiligungssparen erleichtert werden soll. Glauben Sie in allem Ernst, daß Sie damit dieses Problem des Zugangs aller unselbständig Tätigen zum Produktionskapital lösen können? Sie haben sich früher so oft über Seelenmassage und andere Dinge mokiert. Begeben Sie sich jetzt auf den gleichen Weg, wollen Sie diese Frage mit Seelenmassage lösen?

(Beifall bei der CDU/CSU. Zuruf von der SPD: Aufwertung!)

— Das hat doch mit der Aufwertung nichts zu tun. Ich kann mich nicht nur über Aufwertung unterhalten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600744600
Herr Kollege Burgbacher, der Herr Kollege Lenders würde Sie gern etwas fragen.

Dr. Fritz Burgbacher (CDU):
Rede ID: ID0600744700
Ja, bitte!

Helmut Lenders (SPD):
Rede ID: ID0600744800
Herr Kollege Burgbacher, wenn Sie die Maßnahmen, die in der Regierungserklärung vorgeschlagen oder angekündigt sind,

(Abg. Dr. Burgbacher: Angedeutet sind!)

als Seelenmassage bezeichnen, würden Sie mir dann zustimmen, daß alles das, was die CDU/CSU in achtzehnjähriger Regierungstätigkeit getan hat, ebenfalls Seelenmassage war?

Dr. Fritz Burgbacher (CDU):
Rede ID: ID0600744900
Bevor ich Ihnen diese Frage beantworten kann, müssen Sie erst einmal auf dem Gebiet der Eigentumspolitik soviel geleistet haben, wie wir in diesen 18 Jahren geleistet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es ist nach meiner Ansicht unmöglich, diese Frage — —

(Zurufe von der SPD.)

— Bitte melden Sie sich, lieber Herr Kollege. Heben Sie den Finger, und dann fragen Sie, und sonst halten Sie möglichst die Schnüß, damit es weitergehen kann.
Ich wiederhole: Unantastbarkeit der Tarifhoheit der Tarifpartner. Aber wollen Sie die vier bis fünf Millionen unselbständig Tätiger, die in keiner Tarifgemeinschaft sind, von dieser Sache einfach ausschließen?

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Die Beteiligung unseres Volkes am Produktionskapital ist keine Frage nur der tariflich organisierten Arbeitnehmer, sondern ist eine Frage des gesamten deutschen Volkes, und sie ist von einer nach meiner Ansicht schicksalhaften Bedeutung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Was nutzt das Geschwätz über die tatsächlich unmögliche Verteilung des Eigentums am Produktivvermögen, wenn man sich hier nicht entschließt? Man hat bei der Aufwertung so oft von „mutig" gesprochen. Ich bin bei dem Wort „mutig" immer bedenklich, daß diese Haltung vielleicht an Stelle von Denkvorgängen treten könnte. Für Generäle ist Mut gut, für Wirtschaftsminister ist Überlegung besser;

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) aber das nur nebenbei.

Ich wiederhole, was ich gesagt habe, und rufe dieses Haus auf zu einer Initiative zur Regelung des Zugangs aller unserer Mitbürger — aller, ob Beamter, Angestellter oder Arbeiter, kurz aller unselbständig Tätigen — zu dem Produktionskapital in

Dr. Burgbacher
selbstverständlichen Maßen und Ausmaßen, die auf eine langfristige Entwicklung abgestellt sind, die aber die Ernsthaftigkeit des Beginns der Lösung dieses sozialpolitischen Problems einschließen und beweisen. Meine Fraktion behält sich vor, hierzu in allernächster Zeit einen Gesetzentwurf vorzulegen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600745000

Ich darf dem Redner dafür danken, daß er trotz der Zwischenfragen unter der nach der Geschäftsordnung möglichen Redezeit geblieben ist.
Ich gebe nunmehr Herrn Bundesminister Arendt das Wort.

Walter Arendt (SPD):
Rede ID: ID0600745100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Sprecher der Opposition endete kollegial, und ich erlaube mir, kollegial zu beginnen. Ich denke an das Jahr 1965, also an die Zeit vor vier Jahren, als Sie, Herr Kollege Katzer, an dieser Stelle in der gleichen Eigenschaft standen, in der ich jetzt hier stehe, und nicht nur eine Denkpause erwarteten und sozusagen beantragten, sondern sie auch erhielten und in der darauffolgenden Zeit mit großem Wohlwollen von uns behandelt wurden.

(Abg. Katzer: Sie auch von uns!)

Jetzt verlangen Sie von mir nach einer Woche eine detaillierte Stellungnahme zu vielen Punkten, und das, muß ich sagen, finde ich nicht ganz schön.

(Beifall bei der SPD. Abg. Katzer: Von der Regierungserklärung! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Sie sagten - wenn ich das hier gleich sagen darf -, Sie vermißten in der Regierungserklärung eine ganze Menge Dinge. Sie haben nicht gesprochen vom Bildungsurlaub, Sie haben nicht gesprochen von der Dynamisierung der Krankenversicherungsbeiträge, Sie haben nicht davon gesprochen, daß wir beabsichtigen, einen Arbeitgeberbeitrag für Angestellte, die über der Pflichtversicherungsgrenze liegen, einzuführen, Sie haben nicht davon gesprochen, daß wir ein Punktsystem einführen wollen. Ich möchte es so ausdrücken: Herr Kollege Katzer, Sie haben von unserer Regierungserklärung so gesprochen, wie Sie sie gern haben. wollten, aber nicht so, wie sie ist; denn in unserer Regierungserklärung ist eine ganze Menge mehr enthalten.

(Beifall bei der SPD.)

Sie wissen ganz genau — denn so lange sind Sie ja noch nicht aus dem Hause des Arbeitsministers daß es eine ganze Menge Detailfragen gibt, die noch ungeklärt sind, und ich möchte Sie wirklich herzlich bitten: Lassen Sie mich erst einmal eine Bestandsaufnahme machen, und dann werden wir sehen, wie es in der Wirklichkeit aussieht.

(Beifall bei den Regierungsparteien und des Abg. Katzer)

Ein Wort noch zur europäischen Sozialpolitik. Da brauche ich keine Bestandsaufnahme, weil ich die
Ehre hatte, acht Jahre lang dem Europäischen Parlament anzugehören. Ich muß sagen, da habe ich von seiten des Arbeits- und Sozialministers der Bundesrepublik Deutschland auf europäischer Ebene in der Vergangenheit nicht sehr viel gesehen. Das muß ich in aller Deutlichkeit sagen.

(Abg. Katzer: Dann haben Sie nicht die Ministerratssitzungen verfolgt!)

— Nein, ich war ja nicht Minister. Das mache ich in Zukunft.

(Abg. Katzer: Dann haben Sie die Protokolle nicht verfolgt!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600745200
Herr Minister, der Herr Kollege Pinger hätte gern eine Frage gestellt. —

Dr. Winfried Pinger (CDU):
Rede ID: ID0600745300
Herr Minister, Sie sind davon ausgegangen, daß Sie in der Kürze der Zeit nicht auf allen Gebieten der Sozial- und Gesellschaftspolitik detaillierte Vorschläge vorlegen konnten. Sind Sie nicht der Meinung, daß es, nachdem die vergangene Regierung vier Modelle der Vermögensbildung vorgelegt hat, jetzt an der Zeit gewesen wäre, dieses wichtige Problem anzufassen, aus den vorhandenen vier Modellen eines auszuwählen und in der Regierungserklärung eines dieser Modelle vorzulegen,

(Zurufe von der SPD)

und sind Sie nicht auch der Meinung, daß das Problem der Vermögensbildung nicht länger auf die lange Bank geschoben werden kann, sondern daß es darauf angekommen wäre, es jetzt anzufassen?

(Zurufe von der SPD: Frage!)


Walter Arendt (SPD):
Rede ID: ID0600745400
Herr Kollege, ich werde nachher darauf zurückkommen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600745500
Entschuldigen Sie, Herr Minister. Ich wollte noch sagen: Wir müssen immer das Fragezeichen, das ich vorhin schon beim Kollegen Matthöfer vermißt habe, deutlich machen.

Walter Arendt (SPD):
Rede ID: ID0600745600
Ich wollte Ihnen nur sagen, Herr Kollege: ich komme nachher darauf zu sprechen. Aber vielleicht können Sie sich auch später einmal mit Ihrem Kollegen Katzer über diese vier Modelle unterhalten. Dann werden Sie sehen, wie groß die Schwierigkeiten dabei sind. So einfach, wie Sie das jetzt darstellen, ist es nicht.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600745700
Herr Minister, eine weitere Frage des Herrn Kollegen Moersch!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0600745800
Herr Minister, sind Sie mit mir der Meinung, daß der Wunsch nach so detaillierten Vorlagen aus Kreisen der CDU/CSU-Fraktion doch offenbaren muß, daß die CDU/CSU-Fraktion mit der



Moersch
Arbeit der ihr angehörenden Minister bzw. Vorgänger nicht einverstanden sein kann?

(Heiterkeit und Zustimmung bei der SPD.)


Walter Arendt (SPD):
Rede ID: ID0600745900
Herr Moersch, ich bin Ihrer Meinung.
Lassen Sie mich folgendes sagen. Ich bin der Auffassung, daß wir dank unserer gemeinsamen Aufbauarbeit auch in diesem Hause ein beachtliches Ausmaß an sozialer Sicherheit für die Menschen in unserem Lande erreicht haben. Zwar gibt es noch sehr viele Ungerechtigkeiten. Aber wir können uns, so möchte ich meinen, auf diesem Gebiete auch in der Welt sehen lassen. Dennoch: wer heute auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit Bestandsaufnahme macht, hat dabei sehr unterschiedliche Empfindungen. Da ist erstens das Wissen, daß wir in der Vergangenheit vieles an sozialem Fortschritt verwirklichen konnten. Da ist zweitens die Erwartung, daß im Zuge des wirtschaftlichen Fortschritts auch die soziale Sicherheit als Voraussetzung zur Selbstbehauptung des einzelnen in der Gesellschaft weiterentwickelt werden kann und muß.
Drittens gibt es aber auch bedrückende Fragen. Viele Bürger in unserem Lande haben noch keinen angemessenen Anteil an dem Stand der sozialen Sicherheit, den wir im Durchschnitt erreicht haben.

(Beifall bei der SPD.)

Dies wird vor allem deutlich, wenn man einmal Menschen begegnet, die kein Erwerbseinkommen haben, die ein unzureichendes Sozialeinkommen beziehen, in einer schlechten Wohnung leben müssen und die deshalb nur unvollkommen am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Man muß sich einmal fragen, was solchen Menschen der soziale Rechtsstaat eigentlich bedeuten kann. Das Problem liegt darin, daß ganze Gruppen unseres Volkes benachteiligt sind. Sie stehen im Schatten des Wohlstandes. Alte Menschen, Behinderte, vom Strukturwandel Betroffene, um nur einige beispielhaft zu nennen, stehen vielfach noch außerhalb des gesellschaftlichen und des sozialen Fortschritts. Es ist verständlich, daß in der vergangenen Zeit in der Aufbauphase die Erhöhung der Geldleistungen als vorrangig angesehen werden mußte.
Diese Leistungen werden ihren Rang auch in der Zukunft behalten. Die Sozialpolitik aber muß künftig ihr Angebot an individuellen Leistungen und an sozialen Diensten verstärken. Bei der Herstellung. wirklich gleicher Startchancen in der Ausbildung, über die persönlichen Fragen der Arbeits- und Berufsgestaltung bis hin zur gezielten Betreuung alter Menschen müssen wir große Anstrengungen unternehmen, um jedem einzelnen das Gefühl der Isolierung zu nehmen. Wir dürfen nicht zulassen, daß es in unserem gesellschaftlichen Gefüge eine graue Zone gibt. Niemand sollte einen ungenügenden Anteil am sozialen Fortschritt haben und dadurch in Verzweiflung und Resignation abgedrängt werden.
In diesem Bereich — das muß often ausgesprochen werden — bleibt noch vieles aufzuarbeiten. Die Regierungserklärung macht deutlich, daß diese
Regierung sich diesen Aufgaben verpflichtet fühlt. Natürlich kann das nicht mit einem Federstrich geschehen. Aber ich möchte mit meinem Beitrag klarmachen, daß ich diese Aufgaben deutlich sehe und auch als eine Verpflichtung ansehe.
Die Aufgabenbereiche der Sozialpolitik, der Wirtschaftspolitik und der Finanzpolitik sind gleichrangig in ihrem politischen Gewicht. Sie sind auch miteinander verzahnt. Sie müssen aber auch hinsichtlich ihrer Methodik gleichrangig ausgerichtet sein. Gleichrangigkeit der Sozialpolitik heißt zugleich, daß sie gleichwertig und gleich leistungsfähig mit der Wirtschaftspolitik und der Finanzpolitik ist. Ich meine damit nicht nur, daß diese drei Aufgabenbereiche aufeinander abgestimmt werden müssen, sondern ich meine, Wirtschafts- und Finanzpolitik müssen eine soziale Ausrichtung erfahren. Aus diesen Gründen muß auch das Sozialbudget gleichrangig neben der wirtschaftlichen Gesamtrechnung und der mittelfristigen Finanzplanung stehen. Das Sozialbudget kann nach meiner Auffassung nicht nur ein fiskalisches Rechenwerk sein. Es muß zu einem Instrument ausgebaut werden, das politische Grundsatzentscheidungen über Alternativen ermöglicht.

(Abg. Katzer: Sehr gut!)

Es muß mehr als bisher den Charakter einer sozialpolitischen Zielprojektion erhalten.

(Abg. Katzer: Sehr gut!)

Herr Kollege Katzer, Sie vertreten auch die Meinung, daß das Sozialbudget funktional zu gestalten ist. Ich hätte es sehr gern gesehen, wenn Sie, der Sie ja an der Erstellung des ersten Budgets beteiligt waren, dort schon solche funktionalen Betrachtungsweisen zur Anwendung gebracht hätten.

(Abg. Katzer: Das war das erste!)

Darum werden wir uns dann gemeinsam bemühen können.
Ich habe in meiner früheren Tätigkeit und in meiner Verantwortlichkeit die Bedeutung sozialer Leistungen im Prozeß der wirtschaftlichen Umstrukturierung kennengelernt. Sie können mir glauben, an Rhein und Ruhr sähe es heute anders aus, wenn wir nicht die Gleichwertigkeit sozialer Maßnahmen erreicht hätten.

(Beifall bei der SPD.)

Hier hat sich bereits gezeigt, daß die Sozialpolitik — das entspricht auch meiner Sicht der Dinge - nicht mit einer Reparaturkolonne vergleichbar ist, die nur die Aufgabe hat, bereits eingetretene Schäden im Wirtschaftsablauf zu beseitigen.

(Allgemeiner Beifall.)

Die Sozialpolitik muß als ein Instrument der vorbeugenden Sicherung und Gestaltung, als Instrument auch der Strukturpolitik verstanden werden. Ich glaube nicht, daß sie dadurch eine Abwertung erfährt. Hier wird erneut die Gleichrangigkeit dokumentiert. Wir sollten sozialpolitische Maßnahmen bewußt in den Dienst der Förderung des Strukturwandels stellen, und zwar keineswegs nur im Bereich des Bergbaus oder der eisen- und stahler-



Bundesminister Arendt
zeugenden Industrie im Ruhrgebiet, sondern auch in allen anderen Bereichen unseres wirtschaftlichen Geschehens, vor allen Dingen dort, wo die selbständigen Erwerbstätigen zu Hause sind.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einigen wenigen Fragen noch ein paar Bemerkungen machen. Ich bin mir bewußt, daß das in diesem Sommer verabschiedete Arbeitsförderungsgesetz neue und gute Grundlagen für die Arbeitsmarktpolitik geschaffen hat. Das darf und kann aber nicht Grund zur Selbstzufriedenheit sein.

(Abg. Katzer: Sehr gut!)

In der Zukunft wird es darauf ankommen, die vom Gesetzgeber geschaffenen Möglichkeiten zügig und effektiv für die Arbeitnehmer nutzbar zu machen. Darüber hinaus werden wie die weitere Entwicklung aufmerksam beobachten und daraus weitere Konsequenzen ziehen müssen. Das gilt insbesondere für die noch offenen Finanzierungsfragen, aber auch für Fragen der Selbstverwaltung.
Auf dem Gebiet der Arbeitsmarktpolitik ist nicht allein die Gesetzgebung gefordert. Auch bei anderen Stellen, vor allen Dingen bei den Tarifpartnern, liegen Verantwortlichkeiten. Es kommt also auf das Zusammenwirken aller Stellen an. Ich werde in der nächsten Zeit darum bemüht sein, die erforderliche Zusammenarbeit zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgebervertretern, zwischen der Wissenschaft und der öffentlichen Hand besser als bisher zu organisieren.

(Beifall bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, es kommt auch darauf an, daß wir die Auswirkung von Automatisierung und Rationalisierung besser in den Griff bekommen und das wir das Erforderliche zur Beseitigung sozialer Nachteile veranlassen. In diesem Zusammenhang muß geprüft werden, wie die Arbeit der Automationskommission beim Bundesministerium für Arbeit intensiviert und, wenn es sein muß, auch gegesetzlich abgesichert werden kann.
Ich nehme den Satz in der Regierungserklärung, daß wir den Bürgern unseres Staates die Furcht nehmen werden, Opfer des technischen Fortschritts und des strukturellen Wandels zu werden, sehr ernst. Ich habe dieser Furcht seit Jahren an der Ruhr täglich ins Auge sehen müssen. Ich habe diese Furcht aber auch in den Augen anderer Menschen sehen müssen. Deshalb werde ich mit meinen politischen Freunden in dieser Regierung alles daransetzen, daß diese Furcht für die Zukunft endgültig gebannt wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn es das Ziel dieser Bundesregierung ist, die Sicherheit des Arbeitsplatzes zu gewährleisten, dann meine ich damit nicht nur die Sicherheit eines Arbeitsplatzes, sondern auch seines Arbeitsplatzes. Es bedrückt mich, daß es in dieser Hinsicht in unserem Volke große Gruppen gibt, deren Sicherheit nicht im wünschenswerten Umfang gewährleistet ist. Ich denke dabei insbesondere an die älteren Arbeitnehmer, an Behinderte, aber auch an die Frauen. Gerade in dieser Hinsicht sehe ich große Aufgaben für die Betriebe und für die Unternehmungen.
Ich möchte allen Beteiligten — und davon gibt es einige — eine Kooperation anbieten. Wir müssen es gemeinsam durch langfristige Arbeitsmarktpolitik und durch bessere betriebliche Personalplanung schaffen, Schritt für Schritt für mehr Sicherheit und damit für mehr persönliche Entfaltungsmöglichkeit zu sorgen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD.)

Jedermann hat sich daran gewöhnt, daß es eine langfristige Investitionsplanung und Absatzplanung gibt. Der Gedanke einer langfristigen Personalplanung ist dagegen noch sehr schwach entwickelt. Ich möchte deshalb alle Sachverständigen der Wirtschaft auffordern, einmal zu überlegen, ob eine verbesserte langfristige und sozial ausgerichtete Personalplanung nicht auch ökonomisch sehr sinnvoll wäre.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD.)

Ich könnte mir vorstellen, daß bei dem gegenwärtigen Stand unserer technischen Entwicklung der Faktor Arbeitskraft und technisches Wissen, die soziale Ausgewogenheit und die Erfahrung, zu einem Betriebskapital geworden sind, das heute schon viel schwerer zu beschaffen ist als das Geldkapital. Wir sind entschlossen, in der Sicherung der Arbeitsplätze Fortschritte zu erzielen.
Dabei bin ich nicht der Meinung, daß solche Fortschritte ausschließlich durch gesetzgeberische Initiative erreicht werden können, sondern daß wir auch dankbar für jeden Schritt sein sollten, der draußen in der Wirtschaft von den Beteiligten selbst unternommen wird, um eine Änderung des gegenwärtigen Zustandes zu erreichen. Es kommt nicht so sehr darauf an, wie wir dieses Ziel erreichen, sondern ich finde, es kommt darauf an, d a ß wir dieses Ziel erreichen.
Meine Damen und Herren, in der Regierungserklärung heißt es — und das war auch Gegenstand der speziellen Betrachtung des Sprechers der Opposition —:
Die Bundesregierung wird im Laufe der Legislaturperiode den schrittweisen Abbau der festen Altersgrenze prüfen und sich bemühen, sie durch ein Gesetz über die flexible Altersgrenze zu ersetzen.
Das ist eine wichtige Aussage, meine Damen und Herren, und ich höre jetzt schon den Ausspruch: Das kostet aber eine ganze Menge Geld. Sicherlich wird es Geld kosten, aber ich glaube, man muß in diesem Zusammenhang folgendes sagen: Die jetzige starre Altersgrenze wurde vor vielen Jahrzehnten unter völlig anderen Voraussetzungen gestaltet. Sie entspricht heute nicht mehr der sozialen Wirklichkeit.

(Beifall bei der SPD.)

Im Hinblick auf die Zukunft muß man dem einzelnen mehr Spielraum für individuelle Entscheidungen einräumen. Deshalb müssen wir prüfen, wie diese starre Altersgrenze abgebaut werden kann. Die finanziellen und die volkswirtschaftlichen Konse-

Bundesminister Arendt
quenzen einer generellen Herabsetzung können natürlich nicht bagatellisiert werden. Man sollte aber nicht sofort eine Maximalrechnung aufmachen, die jedes Handeln ausschließt. Wir sollten realistische Werte zugrunde legen, die den notwendigen sozialen Fortschritt mit den finanziellen Möglichkeiten in Einklang bringen.

(Abg. Schulhoff: Sehr gut!)

Man sollte dabei stufenweise vorgehen. Man darf
diese Frage auch nicht allein unter dem Kostengesichtspunkt sehen, denn das muß ich hier sagen: —(Abg. Schulhoff: Aber auch!)

— Sicherlich auch! Aber wir dürfen nicht untätig sein, Herr Kollege Schulhoff, weil Untätigkeit in dieser Frage schon heute Probleme aufwirft: die vorzeitige Invalidität — wir wissen es doch alle —, die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer und die vielen Menschen, die sich an dieser starren Altersgrenze stoßen, sind ein Problem.

(Beifall bei der SPD.)

Hier entstehen bereits heute Kosten, die zwar nicht genau meßbar sind, die aber niemand wegdiskutieren kann und die auch nicht von selbst kleiner werden. Deshalb müssen wir diese Fragen anpacken.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch ein Wort zur Mitbestimmung sagen, weil das so oft erwähnt wurde. Es gibt keine Regierungserklärung
— das will ich einmal feststellen —, die sich zu diesem Fragenkreis so konkret geäußert hätte wie die jetzige Regierungserklärung. Ich möchte gern, daß die Diskussion über diese wichtige Frage aus der verbalen Radikalität herausgelöst und herausgeführt wird.

(Beifall bei der SPD.)

Wir müssen zu einer praktischen Gestaltung kommen. Ich bin durch die Regierungserklärung legitimiert, hier konkrete Schritte einzuleiten. Wir werden dem Hohen Hause zunächst Gesetzentwürfe über eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes und des Personalvertretungsgesetzes vorlegen; denn auch das ist Mitbestimmung.

(Abg. Mick: Auf einmal, Kollege Arendt?)

— Wir haben das nie bestritten, Herr Kollege Mick.

(Zuruf von der CDU/CSU: Vor Tische las man's anders!)

Wir werden also in dieser Hinsicht Fortschritte machen können und ganz sicherlich — davon bin ich überzeugt — auch erreichen, daß diese Gesetze eine entsprechende Mehrheit bekommen.
Was die Frage der qualifizierten Mitbestimmung angeht, so wird sie nicht nur bei uns, sondern — das wissen auch Sie — in vielen anderen Ländern, auch in den Ländern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, diskutiert. Auch hier würde ich es für gut halten, wenn wir zu einer Entkrampfung der Diskussion kommen könnten. Im übrigen erwarten wir demnächst den Bericht der Mitbestimmungskommission, und dann werden wir diesen Bericht zur Grundlage der Erörterung machen. Wenn Sie nicht
zufrieden sind, Herr Mick, - Sie haben damals für die Einsetzung dieser Kommission mitgestimmt.
Die Frage der Mitbestimmung ist ein Grundthema der künftigen gesellschaftspolitischen Entwicklung. Das Mitbestimmen, das Mitdenken und das Mithandeln ist ein wesentlicher Teil einer demokratischen Gesellschaftsordnung, und zwar ganz allgemein,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

nicht nur im Arbeitsleben und auch nicht nur in unserem Land. Die Grundfrage heißt: Wie bringen wir es fertig, dem Bedürfnis der Menschen, sich in ihrem modernen Selbstverständnis zur Geltung zu bringen, Rechnung zu tragen, und wie bringen wir es fertig, dieses Erfordernis in die moderne Industriestruktur einzuordnen? Ich werde das offene Gespräch über diese Fragen fördern, wo immer es möglich ist.
In der Regierungserklärung ist auch ein Satz über die Bewahrung und Stärkung der Tarifautonomie enthalten. Lassen Sie mich auch hierzu noch wenige Sätze sagen. Für die neue Bundesregierung ist dieser Satz nicht eine freundliche Verbeugung gegenüber den sozialen Gruppen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Nicht nur in tatsächlicher Hinsicht sind die Tarifpartner seit mehr als 20 Jahren ein unersetzlicher Faktor für die Ausgestaltung unserer sozialen Wirklichkeit, sondern sie sind es nach Auffassung der Bundesregierung mit unerläßlicher Notwendigkeit. Jeder von uns wird akzeptieren, daß eine gerechte, eine freie und moderne Gestaltung des Wirtschafts- und des Soziallebens ohne die Gewerkschaften in der Bundesrepublik undenkbar wäre.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU/CSU.)

Diese Erkenntnis, meine Damen und Herren, erfordert aber auch, daß der Staat von sich aus bereit ist, den unerläßlichen Freiheitsraum anzuerkennen, und daß er ihn nicht mit seinen Maßnahmen einengt.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Die Tarifparteien — das möchte ich Ihnen sagen — sollten nicht bei jeder Gelegenheit nach dem Staat rufen, und der Staat sollte sich überall dort zurückhalten, wo die Tarifparteien auf Grund ihres Auftrags wirksamer und besser in der Lage sind, Probleme zu lösen.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600746000
Herr Minister, darf ich Sie nur darauf aufmerksam machen, daß unsere Zeit läuft.

Walter Arendt (SPD):
Rede ID: ID0600746100
Ich komme zum Schluß, Herr Präsident!
Für die Tarifparteien hat natürlich die Gestaltung der Lohn- und Einkommensverhältnisse sowie der Arbeitsbedingungen Vorrang. Aber auch dort, wo Anstrengungen unternommen werden, fortschrittliche Schutzregelungen durch Tarifvertrag zugunsten der Arbeitnehmer abzuschließen, die von Ratio-



Bundesminister Arendt
nalisierung und Automation betroffen sind, müssen solche Möglichkeiten eröffnet werden.
Der Kollege Katzer hat bei dieser Gelegenheit von dem, wie er sich ausdrückte, Gleichklang zwischen den sozialen Gruppen — er meinte Gewerkschaften — und der Politik gesprochen. Herr Kollege Katzer, Sie sind Mitgleid der Gewerkschaft genau wie ich, und Sie wissen, daß in den Grundgesetzen der Gewerkschaften, in der Satzung, ein Bekenntnis zur Unabhängigkeit gegenüber den politischen Einrichtungen enthalten ist.

(Zuruf des Abg. Katzer.)

— Herr Kollege Katzer, ich bin davon überzeugt, daß Sie sich in Ihrer Gewerkschaft mindestens ebenso wie ich in meiner Gewerkschaft dafür einsetzen werden, daß diese Grundsätze der Unabhängigkeit auch in der nächsten Zeit erhalten bleiben.

(Beifall bei der SPD.)

Die rote Lampe leuchtet schon einige Zeit auf; ich muß zum Schluß kommen. Es gibt eine ganze Reihe von Fragen, über die wir noch reden müssen, über die wir reden werden. Ich möchte Ihnen zum Schluß sagen — und darüber gibt es gar keine Meinungsverschiedenheiten, auch bei Ihnen, bei der Opposition, nicht —: Im nächsten Jahr und in den kommenden vier Jahren sind eine ganze Reihe offener Fragen und Probleme anzupacken und zu lösen. Da bedarf es der Mithilfe und der Mitwirkung vieler. Ich bitte um diese Mithilfe und um diese Mitwirkung.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600746200
Das Wort hat der Herr Kollege Benda.

Dr. Ernst Benda (CDU):
Rede ID: ID0600746300
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben gestern und heute einen langen Marsch durch die Institutionen hier durchgeführt. Wenn mich mein Eindruck nicht täuscht, sind wir nunmehr bei dem Bereich angelangt, der bei der Bildung dieser Bundesregierung mit am Ausgangspunkt stand, bei dem Bereich der Innen- und der Rechtspolitik im engeren Sinne. Die mir zur Verfügung stehende Zeit wird es nur erlauben, in Stichworten einige der Bereiche anzusprechen. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich manches, was der Erwähnung wert wäre, jetzt nicht behandeln kann.
Ich darf Ihnen, Herr Minister Genscher, zur Frage ,der Verfassungsreform im Anschluß an die Diskussion vor zwei oder drei Stunden nur noch ein Wort sagen. Ich habe natürlich sehr gern gehört, daß Sie die Antwort der früheren Bundesregierung auf die Anfrage der Kollegen der CDU zum föderalistischen System als eine sehr qualifizierte Arbeit bezeichnet haben. Ich bin dafür um so dankbarer, als ich persönlich mich sehr intensiv um die Formulierung dieser Antwort bemüht habe; ich erwähne es nicht deswegen. Wäre es nicht bei der Möglichkeit, die Sie aufgezeigt haben, sich in einer Kommission den Fragen der Verfassungsreform zu widmen, eine gute Idee, wenn eine Fraktion oder eine Gruppe von Kollegen dieses Hauses, zu denen ich dann vielleicht auch ganz gern gehören würde, diese Anfrage alsbald wieder einbrächte? Die neue Bundesregierung würde Gelegenheit haben — ich würde das mit sehr großem Interesse verfolgen —, entweder die gleiche oder eine in diesem oder jenem Punkt vielleicht unterschiedliche Antwort zu geben und uns dann die Möglichkeit zu geben, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt in diesem 6. Bundestag die Fragen, die damals auch zu meinem lebhaften Bedauern hier nicht diskutiert werden konnten, erneut zu behandeln. Ich würde das für einen guten Weg halten. Ich sehe, daß die Initiative natürlich nicht bei der Regierung, sondern beim Parlament liegt. Aber ich würde mich freuen, wenn wir auf diesem Wege alsbald eine Gelegenheit hätten, darüber zu sprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, ich will jetzt — das soll der einzige Punkt sein, den ich im wesentlichen behandeln möchte — einige Worte über die Kabinettsreform, die uns hier angekündigt worden ist und von der wir mittlerweile einiges erfahren haben, sagen. Auch Herr Bundesinnenminister Genscher hat vorhin noch einmal diese Kabinettsreform als eine, wie er meinte, sehr bedeutende Leistung angekündigt. Ich möchte dazu folgendes sagen. Die Regierungserklärung sagt auf Seite 16 der umgedruckten Fassung: „Die Regierung muß bei sich selbst anfangen, wenn von Reform die Rede ist." So weit, so gut. Ich kann nur sagen, meine Damen und Herren und Herr Bundeskanzler: Wenn die anderen Reformen, die die Bundesregierung angekündigt hat, in der gleichen Weise verlaufen wie die Reform der Bundesregierung, dann bin ich über die Durchführung der von Ihnen angekündigten Reformen etwas in Sorge.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir haben hier eine Menge Vorablob gehabt, das von denjenigen, die die Sache veranstaltet haben, selber gekommen ist. Wir haben eine ganze Reihe von Ankündigungen, spektakuläre, zum Teil auch durchaus werbewirksame Ankündigungen gehabt. Aber die Werbung hält das, was sie verspricht, nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Herr Kollege Dorn hat am 15. März 1967 — das war die zweite und dritte Lesung des Gesetzes über die Rechtstellung der Parlamentarischen Staatssekretäre — hier im Hause gesagt, ich darf das zitieren: „Wir Freien Demokraten haben schon in der ersten Lesung" — nämlich dieses Gesetzes —„darauf hingewiesen, daß wir uns unter Kabinettsreform eigentlich etwas anderes vorgestellt haben als eine Ausweitung der Minister und Staatssekretäre um weitere sieben Damen oder Herren dieses Hauses." Nun gut, das war 1967. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dorn — meinen Glückwunsch zuvor! — kann nun natürlich sagen: „Mit fünf Prozent sind Sie dabei."

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Dr. Rutschke.)


Benda
heute handelt es sich ja ich werde darauf noch
ein wenig einzugehen haben, Herr Kollege Rutschke — im Bereich der Parlamentarischen Staatssekretäre nicht um sieben, sondern um mehr als das Doppelte. Wenn man die Prinzipien, die damals hier verkündet worden sind, heute anwenden wollte, dann könnte man — um wieder einen der populären Werbeslogans aufzugreifen - sagen: Es mag ja sein, daß Sie meinen, daß Sie die richtigen Männer haben; aber müssen die unbedingt alle einen Posten in dieser Regierung haben?

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich werde mich jetzt mit der Abgrenzung der Ressorts nicht im einzelnen beschäftigen können. Dazu würde die Zeit nicht reichen. Der Herr Bundeskanzler hat ja auch angekündigt — dafür bin ich dankbar —, daß eine Ubersicht über die Abgrenzung der Zuständigkeiten demnächst vorgelegt werden wird. Das wird Gelegenheit zu einer Detaildiskussion entweder hier im Plenum oder in den Fachausschüssen geben. Manches, was in der Ressortabgrenzung durchgeführt worden ist, halte ich für sachgerecht und zweckmäßig, manches halte ich für fragwürdig, einiges für bedenklich.
Für mit am bedenklichsten, auch in der Art und Weise, wie es gemacht wurde, halte ich folgendes. Die ursprüngliche Meinungsbildung innerhalb der Koalition oder jedenfalls bei dem Herrn Bundeskanzler, war, das Wohnungsbauministerium nicht fortzuführen, wofür in der Tat eine Reihe von Sachargumenten sprechen; ich kann und will die Sache jetzt nicht diskutieren. Dann hat sich in einer sehr massiven Weise die einschlägige Lobby eingeschaltet, und dann hat man es dennoch gemacht. Ich glaube nicht, daß dies eine sehr glückliche Entscheidung gewesen ist.
Für wesentlich wichtiger und wesentlich ernster halte ich den Umstand, daß zwar auf der einen Seite — und dessen rühmt sich diese Regierung — eine Reihe von Ministerpositionen eingespart worden sind, fünf an der Zahl, daß statt dessen aber sofort im ersten Zugriff fünfzehn Parlamentarische Staatssekretäre geschaffen worden sind.
Ich will hier gleich, um einer verbreiteten, populären, aber, wie ich glaube, irrigen Meinung entgegenzutreten, sagen, daß es überhaupt nicht oder jedenalls nicht in erster Linie um die hierdurch entstehenden finanziellen oder haushaltsmäßigen Auswirkungen geht. Ich werde mich mit den Parlamentarischen Staatssekretären sogleich noch etwas im einzelnen zu beschäftigen haben. Aber ich meine, daß diese Regierung nicht mit hinreichender Sorgfalt geprüft hat, auch bei den beamteten Staatssekretären nicht — dazu gleich noch ein Wort —, wie die Führungsspitze der Ministerien so einzurichten ist, daß sie wirklich mit Effizienz — nicht unter finanziellen Gesichtspunkten sparsam, sondern eben rationell und politisch wirksam — arbeiten können.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Eine unrationell arbeitende Regierung ist zweifellos das Teuerste und etwas, was wir uns unter gar keinen Umständen leisten können.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich halte es, uni es an einem Beispiel aus dem Bereich der beamteten Staatssekretäre zu sagen, Herr Kollege Genscher — ich habe es Ihnen persönlich im Gespräch schon gesagt —, schlechthin für unüberlegt, daß das Bundesinnenministerium bei veränderten Zuständigkeiten — auch dazu später vielleicht einmal ein Wort — als erstes wieder von bisher einem beamteten Staatssekretär zu zweien, genau genommen zu dreien gekommen ist; denn der bisherige Staatssekretär im Bereich des bisherigen Vertriebenenministeriums ist ja — was ich in der Sache an sich für zweckmäßig und richtig halte — gebeten worden, seine Tätigkeit, ich glaube, bis auf weiteres — ich weiß es nicht genau , fortzuführen.
Herr Kollege Genscher, ich habe, als ich das Amt übernommen hatte, mit, wie ich glaube, sehr guten Gründen eine Gelegenheit wahrgenommen, dieses Haus mit einem beamteten Staatssekretär zu führen. Ich glaube, daß es — darüber gibt es ja Papiere und Studien im Hause, die ich Ihrer Aufmerksamkeit nur anempfehlen kann — für die Wirksamkeit der Arbeit in diesem Hause nicht schlechter, sondern besser ist, es so zu machen wie bisher. Leider sind diese Vorabentscheidungen zunächst einmal getroffen, und Sie haben sich, wie ich fürchte, in Ihrem Bereich die Möglichkeit zu einer wirklichen Modernisierung im Sinne der Empfehlungen, die Ihnen vorliegen, bereits verbaut. Das führt dann — und das nur nebenbei — zu teilweise, fürchte ich, Herr Bundesinnenminister, grotesken Situationen.
Ich verstehe überhaupt nicht — um das an einem Beispiel zu sagen — eine der organisatorischen Maßnahmen, die wohl getroffen worden ist, nämlich die Teilung der bisherigen Abteilung öffentliche Sicherheit in eine Unterabteilung I mit Unterstellung unter den einen der beamteten Staatssekretäre und zwei andere Unterabteilungen mit Unterstellung unter den anderen Staatssekretär. Der Herr Bundeskanzler hat sich mit der Verbrechensbekämpfung beschäftigt und sich gerühmt, daß die Bundesregierung da etwas tun werde. Darüber kann ich jetzt nicht sprechen. Ich halte es für einen geradezu grotesken Fehlweg, wenn man auf diese organisatorische Weise die Unterstellung der kriminalpolizeilichen Zuständigkeiten des Bundes unter einen beamteten Staatssekretär und der übrigen polizeilichen Angelegenheiten unter einen anderen beamteten Staatssekretär vornimmt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wie das funktionieren soll. wird wohl heute oder bei späterer Gelegenheit zu erläutern sein. Im übrigen werden wir das erleben. Ich glaube nicht, daß das funktionieren kann.
Meine Damen und Herren, es hat mit, wie ich meine, sehr großer Sachkunde erarbeitete Vorschläge einer Projektgruppe für die Reform der Bundesregierung und Bundesverwaltung auf Grund von Beschlüssen der vorigen Bundesregierung gegeben. Ich fürchte, daß sie bei den Koalitionsverhandlungen nicht bekannt waren oder jedenfalls unbeachtet geblieben sind.



Benda
Noch ein Wort zu der Zahl der Parlamentarischen Staatssekretäre. Die Institution — ich komme darauf, soweit meine Zeit reicht, noch mit einigen Bemerkungen zurück — wird von uns — das hat die Debatte über das Gesetz in der vorigen Wahlperiode ergeben — bejaht. Alle Gesetzesmaterialien, von denen ich doch annehmen möchte, daß sie in den zuständigen Bundesressorts gelesen worden sind, weisen eindeutig aus, daß es die Intention des Gesetzgebers dieses Hohen Hauses war, in den am stärksten belasteten großen Häusern — aber nur in diesen — die Parlamentarischen Staatssekretäre einzurichten. Ich zitiere den Kommentar, erschienen in der Sammlung „Das deutsche Bundesrecht", der sagt, daß es dem Sinne des Gesetzes entspricht, in diesen — und nur in diesen — Ressorts diese Institutionen einzurichten. Ich frage mich, ob sich die neue Bundesregierung überhaupt solche Gedanken gemacht hat und ob sie nicht im ersten Zugriff vielmehr gemeint hat, das einmal von den Personen her regeln zu sollen.
Das führt dann zu ganz merkwürdigen Situationen. Hier gibt es einen Vorgang, mit dem ich Herrn Bundesminister Lauritzen ansprechen möchte. Ich darf folgende Passage Ihrer, aber auch der Aufmerksamkeit des Herrn Bundeskanzlers, der zugleich angesprochen ist, empfehlen. Ich lese in der „Bonner Rundschau" vom 25. Oktober 1969, daß sich der Bundesminister Dr. Lauritzen in der Kommunalwahl um den Posten eines Bürgermeisters der Stadt Bad Honnef bewirbt.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Wie er dann dem Interviewer erklärt hat, sehe er keinerlei Schwierigkeiten in der Verbindung des Ministeramts mit dem des Bürgermeisters.

(Lachen in der Mitte.)

Ich will jetzt mal beiseite lassen, daß es da eine Bestimmung im Bundesministergesetz gibt — ich gehe davon aus, daß sie eingehalten wird — zu der Frage, ob ein Bundesminister ein öffentliches Ehrenamt einnehmen soll. Es heißt dort, daß er es nicht soll und daß die Bundesregierung Ausnahmen zulassen kann. In diesem Interview heißt es weiter, das würde keine Schwierigkeiten machen; denn Herrn Minister Lauritzen werde dies in dem speziellen Falle um so leichter möglich sein, als ihm, was bisher nicht der Fall war, in seinem Ministerium ab sofort ein Parlamentarischer Staatssekretär zur persönlichen Entlastung zur Verfügung stehe.

(Hört! Hört! und Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Das gebe ihm die Möglichkeit, politisch in der Öffentlichkeit mehr in Erscheinung zu treten als bisher. So würde es kein zeitliches Problem darstellen, Rats- und Hauptausschußsitzungen zu leiten und die repräsentativen Aufgaben eines Bürgermeisters wahrzunehmen.

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, ich sage mit aller Deutlichkeit, daß die Institution des Parlamentarischen Staatssekretärs mißbraucht würde, wenn sie dazu dienen soll, die außerdienstlichen — sicher ehrenwerten, sicher verdienstvollen, aber eben außerdienstlichen -- Aktivitäten eines Bundesministers zu ermöglichen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das ist ein Verstoß — wie ich meine — nicht nur gegen den Sinn, sondern gegen den Wortlaut des Gesetzes, und zwar nicht nur des Gesetzes über die Parlamentarischen Staatssekretäre, sondern des Gesetzes über die Rechtsstellung der Bundesminister. Ich wiederhole: Ich empfehle diesen Vorgang der Aufmerksamkeit des Chefs der Regierung, des Herrn Bundeskanzler.
Meine Damen und Herren, mir bleiben — wenn ich es richtig sehe, Herr Präsident — etwa knapp fünf Minuten. Ich möchte ein kurzes Wort zu der Institution des Bundesministers im Bundeskanzleramt sagen. Ich weiß nicht, ob Herr Minister Ehmke da ist; ich habe mich immer so gern mit ihm gestritten, und ich würde mich sehr gerne auch jetzt mit ihm streiten, so weit die Zeit reicht. — Mit dieser Institution wird, wie mir scheint, mit den Organisationsnormen des Grundgesetzes in einer merkwürdigen

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID0600746400
Es ist in der Tat also nicht so wichtig, welchen Geschäftsbereich der Herr Bundesminister Ehmke hat, denn er wird ja, wie er sicherlich selber meint, überall gebraucht.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Ich bin nicht sicher, Herr Bundesminister Ehmke, ob Sie nun der allmächtige Hausmeier des Bundeskanzlers oder eine Art Gebrechlichkeitspfleger der auf schwankenden Grundlagen stehenden Regierungskoalition sind; ich nehme an, beides.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Hier leuchtet jetzt schon die gelbe Lampe auf, und ich muß meinen Beitrag sehr abkürzen; aber ich werde Ihnen das vielleicht einmal in einer Notiz zuleiten. — Ich glaube, daß die Organisationsnormen, insbesondere Art. 62 des Grundgesetzes, in einer bedenklichen Weise tangiert sind, wenn man das so macht, wie die gegenwärtige Bundesregierung es macht.
Hinzu kommt ja, daß das Bundeskanzleramt nicht nur mit dem Bundesminister und — soll ich es so sagen — „Unterbundeskanzler" Professor Ehmke, sondern auch mit einem Parlamentarischen Staatssekretär, einer Dame, und einem beamteten Staatssekretär besetzt ist, also doch eine ganz erhebliche Kopflastigkeit aufweist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die haben's nötig!)

Das Amt des Stellvertreters des Bundeskanzlers, das des Vizekanzlers, bleibt ja wohl eine Farce. Es bleibt von der Institution des Vizekanzlers wohl nur der klangvolle offiziöse Titel.
Ich muß leider — und ich bedaure das - zur Frage der Parlamentarischen Staatssekretäre jetzt auf weitere Ausführungen verzichten. Einen Satz darf ich, Herr Präsident, vielleicht noch dazu sagen. Ich höre



Benda
da von verschiedenen Absichten, bei denen ich nur empfehlen kann, das nachzulesen, was der jetzige Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Herr Dr. Schäfer, in der einschlägigen Literatur geschrieben hat: Ein Ausbau dieser Institution — nach Meinung von Herrn Staatssekretär Dr. Schäfer — ohne Änderung des Art. 62 des Grundgesetzes ist nicht möglich. — Wir bieten unsere Mitarbeit dabei an. Aber, Herr Bundeskanzler, es ist unmöglich, daß zunächst einmal vollendete Tatsachen geschaffen werden sollen und daß dann die Opposition zur gefälligen Mitarbeit an notwendigen Grundgesetzänderungen eingeladen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist der Beginn der neuen Demokratie!)

Dies mitzumachen sind wir nicht bereit.
Einen allerletzten Satz; denn ich kann über Fragen der Personalpolitik nichts mehr sagen; die Zeit reicht dazu nicht aus. Ich warne davor — und es wird Gelegenheit geben, sich damit zu beschäftigen —, das fortzusetzen, was in einigen Bereichen — ich verallgemeinere das nicht — geschieht. Die manchmal groteske Hast, die dabei zum Teil an den Tag gelegt wird, erweckt den Eindruck, als oh die derzeitige Bundesregierung sich selbst nur hundert Tage gibt, also — um in dem Bild zu bleiben — selber meint, daß aus dieser Belle-Alliance sehr bald ein Waterloo werden wird.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600746500
Meine Damen und Herren! Das Wort hat der Herr Bundesminister Ehmke.

(Zurufe von der CDU/CSU: Lauritzen! — „Bürgermeister" Lauritzen wollen wir hören!)


Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID0600746600
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin erstaunt, daß der Herr Kollege Benda in diesen zwei Tagen die Meinung gewonnen hat, die Regierung bräuchte einen Gebrechlichkeitspfleger.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sogar am ersten Tage wußten wir das!)

Mein Eindruck von beiden Tagen ist, daß sich Regierung wie Opposition bester Gesundheit erfreuen. Ich hoffe, daß es vier Jahre lang dabei bleibt.

(Abg. van Delden: Bei uns hält sie an!)

Was nun die neue Regelung — Herr Bundeskanzler, ich komme jetzt zu Ihnen — im Bundeskanzleramt betrifft, so bin ich erstaunt darüber, Herr Benda, daß Ihr Urteil von dem von Herrn Dr. Kiesinger so weit abweicht. Wenn ich recht gehört habe, Herr Dr. Kiesinger, haben Sie dem neuen Bundeskanzler zu dieser Lösung gratuliert, weil Sie die gleiche Lösung
seinerzeit angestrebt haben, sie in Ihrer Partei allerdings nicht haben durchsetzen können.

(Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der SPD. — Beifall bei Abgeordneten der FDP. — Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600746700
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Kollege Rutschke.

(Zurufe von der CDU/CSU: „Bürgermeister" Lauritzen!)

— Das Wort hat Herr Kollege Rutschke. Mir liegt eine Wortmeldung von Herrn Minister Lauritzen im Augenblick noch nicht vor.

Dr. Wolfgang Rutschke (FDP):
Rede ID: ID0600746800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Benda, ich glaube, Sie haben sich die Sache doch etwas zu leicht gemacht. Sie haben zwar eingehend über die 15 neuen Parlamentarischen Staatssekretäre gesprochen, haben aber, glaube ich, nicht erwähnt, daß gleichzeitig fünf Ressorts eingespart worden sind.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)

— Sie haben es zumindest nur nebenbei erwähnt. Das hängt nämlich miteinander zusammen. Es gehört zusammen, und zwar aus folgendem Grund.
Es wird immer gesagt, daß die Einsparung von Ressorts natürlich eine gute Sache sei. Das ist nicht neu, sondern das haben wir schon unter der Regierung Adenauer gehört. Aber da war sie natürlich nicht möglich, weil eine bestimmte Proporzsituation gegeben war: ein Katholik und ein Protestant, einer aus dem Norden und einer aus dem Süden usw. Es mußten immer mehr Ressorts geschaffen werden, zum Teil ohne Geschäftsbereich. Damit hat diese Regierung jetzt einmal Schluß gemacht.

(Abg. Köppler: Wieso?)

— Wir haben — das können Sie nicht bestreiten, Herr Köppler — fünf Ressorts eingespart

(Abg. van Delden: Wieso Sie? Die Regierung! — weitere lebhafte Zurufe von der Mitte.)

und haben die Aufgaben auf andere Ministerien aufgeteilt. Denn, meine Damen und Herren, absolut unnötig war deren Arbeit nicht. Sie konnte nicht einfach vom Tisch gewischt werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)


(Abg. Dr. Stark einer Zwischenfrage.)




Dr. Rutschke
— Ich habe wenig Redezeit. Ich möchte wenigstens den Gedanken zu Ende bringen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600746900
Herr Kollege Stark, es ist das Recht des Kollegen Rutschke, die Zwischenfrage abzulehnen.

Dr. Wolfgang Rutschke (FDP):
Rede ID: ID0600747000
Auf der anderen Seite besteht natürlich, wenn andere Ministerien um die Ressorts, die aufgeteilt worden sind, vergrößert werden, die Gefahr, daß sich die Bürokratie gegenüber cien politisch Verantwortlichen ungebührlich stark durchsetzen kann.

(Abg. Köppler: Sprechen Sie von Herrn Lauritzen?)

— Lassen Sie mich den Gedanken einmal zu Ende führen. Vielleicht begreifen Sie es dann, Herr Köppler. Sie sollten eigentlich dafür Verständnis haben.
Damit die Bürokratie nicht zu stark wird und auch der politische Einfluß erhalten bleibt, muß natürlich der Parlamentarische Staatssekretär zur Entlastung des Ministers dessen Aufgaben mit wahrnehmen. Ich halte es für zweckmäßig, daß man, wie es auch im modernen Management gehandhabt wird, eine Arbeitsteilung durchführt, indem man dem Ministser nur die wichtigsten Entscheidungen überläßt und der Parlamentarische Staatssekretär andere Entscheidungen trifft, die zwar der Minister auch zu treffen hat, die aber auch verantwortlich vom Parlamentarischen Staatssekretär vorgenommen werden können. Das ist die entscheidende Frage. -
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch folgendes sagen. Die Kabinettsreform ist damit ja nicht vollendet; aber immerhin war das erst einmal ein sehr tatkräftiger Beginn, der schon in ein paar Tagen verwirklicht worden ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Warten Sie ab, was aus dieser Kabinettsreform noch herauskommen wird! Es wird mit Sicherheit eine bessere Lösung, als wir sie bisher gehabt haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Herr Präsident, ich hatte an sich noch die Absicht, über die Fragen der Entschädigungspolitik, die ja nunmehr im Innenministerium ressortieren, zu sprechen. Ich darf vielleicht im Hinblick auf die vorgeschrittene Zeit diese Ausführungen zu Protokoll geben.*)

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600747100
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Bundesminister Genscher.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0600747200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich würde es für falsch halten, die Absicht der Bundesregierung bei der Ernennung von Parlamentarischen Staatssekretären für alle Häuser unter dem Gesichtspunkt einer Zeitungskommentierung zu kommunalpolitischen
*) Siehe Anlage 3
Plänen des Kollegen Lauritzen beurteilen zu wollen. Das ist eine unzulässige Verallgemeinerung, Herr Kollege Benda, die an sich dem Sachgegenstand nicht angemessen ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien. Abg. Köppler: Für diese Bemerkung ist Herr Lauritzen die Adresse! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Verzeihen Sie, ich kann doch als Mitglied der Bundesregierung zu dieser Frage, wenn ich das Problem der Kabinettsreform abhandle, ein Wort sagen.
Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat als erste ihrer Leistungen in der Tat etwas durchgesetzt, was frühere Regierungen, zu denen Sie und auch wir und auch die Sozialdemokraten gehört haben, in Aussicht genommen haben, aber nicht erreichen konnten: Sie hat eine Straffung der Kabinettsarbeit durch eine Überprüfung der Zuständigkeiten der Ressorts herbeigeführt. Das liegt auch in Ihrem und im allgemeinen Interesse und sollte deshalb begrüßt werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Köppler: Im Prinzip ja!)

— Nicht nur im Prinzip.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600747300
Herr Kollege Genscher, Sie lassen eine Zwischenfrage des Kollegen Benda zu? — Bitte schön!

Dr. Ernst Benda (CDU):
Rede ID: ID0600747400
Herr Minister, ich wollte Sie nur fragen, ob Sie nicht auf einer Weide grasen, die Sie nicht angelegt haben, wenn Sie nur — und das zum Teil höchst unvollkommen — das übernehmen, was der Bericht der vorhin erwähnten Projektgruppe vorgeschlagen hat. Die Materialien liegen ja alle da.

(Abg. Rasner: „Danke schön" sagen!)


Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0600747500
Herr Kollege Benda, es hat auch früher schon eine Fülle von Vorschlägen dafür gegeben, wie man Kabinettsreformen durchführen kann. Entscheidend ist, daß eine politische Gruppierung, die sich zur Zusammenarbeit in einer Regierung entschließt, auch die Kraft hat, den Ressortimperialismus bestimmter Teile zu überwinden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich darf hier die Leidensgeschichte der Entstehung früherer Regierungen noch einmal erwähnen: Konrad Adenauer hat sich im Jahre 1949 dafür entschuldigt, daß er 13 Ministerien hatte. Es sind dann erheblich mehr geworden. Sie sollten auch als Opposition bereit sein, anzuerkennen, daß hier ein gewaltiger Schritt in Richtung auf eine Straffung der Regierungsarbeit getan worden ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rasner: „Gewaltig" ist übertrieben!)

— Herr Kollege Rasner, wenn Sie wenigstens einmal zwei abgeschafft hätten, wäre es ja schon gut



Bundesminister Genscher
gewesen. Wir haben vier abgeschafft, und das ist viel.

(Abg. Rasner: Aber „gewaltig" ist übertrieben!)

Das fünfte wird gesetzlich noch mit Ihrer liebenswürdigen Mithilfe noch geregelt werden.

(Abg. Baron von Wrangel: ... Mini-Koalition!)

- Wissen Sie, Herr von Wrangel, ich gehöre doch
nicht zu denjenigen, die mit der Primitivvorstellung durch die Lande reisen, daß sie sagen: wenn irgendwo ein Minister verschwindet, spart der Bundeshaushalt sieben Millarden, sondern uns geht es, um es noch einmal klar zu sagen, darum, die Regierungsarbeit in diesem Lande zu straffen. Und dafür haben wir einen gewaltigen Schritt getan.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Lassen Sie mich nun zum Problem der Parlamentarischen Staatssekretäre auch etwas sagen! Wir werden durch eine Novellierung des Gesetzes dafür Sorge tragen, daß die Zuständigkeiten der Staatssekretäre noch schärfer umrissen werden. Aber ich glaube, Sie sollten auch als Opposition einmal darüber nachdenken, ob nicht die Tatsache, daß in Zukunft in der Führung jedes Hauses zwei Parlamentarier tätig sind, eine Verstärkung des Einflusses des Parlaments auf die Exekutive darstellt.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Köppler: Schlimme Erfahrungen gemacht?!)

Nun gibt es große und kleine Ressorts, und wir können ja nicht halbe Parlamentarische Staatssekretäre ernennen. Sie werden uns sicher auch nicht empfehlen, daß wir für große Ministerien zwei berufen. Das ist der Grund, warum größere und kleinere Ressorts je einen Parlamentarischen Staatssekretär haben.
Herr Ehmke hat hier schon zutreffende Worte für den Bundesminister im Kanzleramt gesagt. Ich habe die Kritik von Herrn Kollegen Benda eigentlich vermißt, als der Bundeskanzler Erhard Herrn Westrick zum Bundesminister im Kanzleramt ernannt hat, Herr Kollege.

(Abg. Köppler: Der war aber allein!)

— Aber die verfassungsrechtlichen Bedenken, die Herr Benda vorgetragen hat, sind doch nicht davon abhängig, ob neben diesem Bundesminister noch ein Parlamentarischer Staatssekretär steht oder nicht; das ist eine grundsätzliche Frage.

(Beifall bei den Regierungsparteien.) So einfach ist das Problem also nicht.

Lassen Sie mich noch ein Wort zur Effizienz der Führungsspitze im Bundesministerium des Innern sagen. Herr Kollege Benda, ich bin nicht ganz sicher, ob die Tatsache, daß Sie Herrn Gumbel allein an der Spitze Ihres Hauses unter sich hatten, nur das Ziel hatte, die Effizienz der Führungsspitze zu stärken. Es ist mir nicht recht verständlich, warum Sie dann
nicht längst die zweite Staatssekretärstelle abgegeben haben, die ich vorfand, als ich das Haus übernahm, und die ich nun mit einem sehr qualifizierten Beamten besetzt habe.

(Abg. Benda meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Lag das möglicherweise — wenn ich das noch vor Ihrer Frage sagen darf - daran, daß Herr Gumbel Wert darauf legte, allein Staatssekretär zu sein?

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Ernst Benda (CDU):
Rede ID: ID0600747600
Ich darf, Herr Bundesminister, nicht antworten, sondern nur fragen.

(Bundesminister Genscher: Sie werden ja jede Antwort in eine Frage kleiden können!)

Darf ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß Ihre zweite Vermutung abwegig ist, darf ich Sie ferner bitten, mir zu glauben — wenn ich das mehr in die Form eines Kalauers kleiden darf —, daß ich die B-11-Stelle nicht einsparen wollte, sondern immer vorgeschlagen habe, daraus drei B-3-Stellen und eine B-2-Stelle zu machen. Leider habe ich dafür nicht das notwendige Verständnis bei den Haushaltsrechtlern gefunden. Das war eigentlich das, was ich gern gemacht hätte.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0600747700
Herr Kollege Benda, ich hoffe da auf etwas mehr Unterstützung, denn ich bin ja gerade dabei, eine weitere Staatssekretärsstelle auf eine B-9-Stelle abzuforsten; das ist die frühere Staatssekretärsstelle aus dem Bundesvertriebenenministerium. Sie wird also nicht gehortet, sondern wird zu dem gemacht, was wirklich vorgesehen ist, nämlich zur Stelle des Leiters einer, wenn auch bedeutsamen und großen Abteilung. Ich freue mich, daß ich aus Ihrem Munde entnehmen konnte, daß auch Sie die Beauftragung von Herrn Nahm mit der Leitung dieser Abteilung zur Vollendung der Schlußgesetzgebung für einen Vorzug der personellen Entscheidungen im Bundesministerium des Innern halten.

(Abg. Dr. Becher [Pullach] : Da sind Sie aber ein bedauerlicher Oberförster! — Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

— Ach Gott, wissen Sie, Herr Kollege Becher, ich hatte an sich jetzt einen Zwischenruf von Herrn Jahn -- zur Unterscheidung sage ich: von Herrn Jahn (Braunschweig) — erwartet, der zwar nicht im Parlament, aber außerhalb des Parlaments angeblich im Namen eines Viertels der Deutschen gerügt hat, daß das Bundesvertriebenenministerium inzwischen in das Bundesministerium des Innern integriert worden ist. Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Kollege: In der Wahrnehmung der Belange der Vertriebenen und der Flüchtlinge wird sich diese Bundesregierung, unabhängig von der Organisationsform, von niemandem übertreffen lassen. Das ist nicht eine Frage des Bestehens eines Ministeriums, sondern einer effektiven Regierung und des politi-



Bundesminister Genscher
schen Willens der sie tragenden Mehrheit in diesem Hause.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Czaja meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Bitte!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600747800
Herr Minister, ich sehe, daß Sie die Frage des Kollegen annehmen. Bitte schön, Herr Kollege Czaja!

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0600747900
Herr Minister, darf ich Ihnen in dem Zusammenhang einmal eine politische Frage stellen.

(Zurufe von der SPD. — Bundesinnenminister Genscher: Darf ich annehmen, daß Sie mit mir der Meinung sind, daß auch Herr Benda keine persönliche, sondern eine politische Frage gestellt hat!)

Darf ich Ihnen in dem Zusammenhang auch eine politische Frage stellen, und zwar die: Ist Ihnen bekannt, daß die Herren, die sich bisher zu dieser Frage geäußert haben — beispielsweise der Präsident dieses Hauses, aber auch der bisherige Vertriebenenminister —, immer wieder erklärt haben, daß es notwendig und unumgänglich sei, einen Repräsentanten und Vertreter dieser Gruppe, der mit dem Schicksal dieser Menschen verbunden ist, im Kabinettsrang zu haben, und darf ich Sie fragen, wer das im derzeitigen Kabinett ist?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0600748000
Herr Kollege, ich bin nicht ganz über den Lebenslauf von Herrn von Hassel informiert.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

Ich hatte angenommen, daß er die Qualifikation als Vertriebener eigentlich nur dadurch erreicht hatte, daß er bei der Bildung der Großen Koalition aus dem Verteidigungsministerium vertrieben wurde.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien. — Lebhafte Zurufe von der CDU/ CSU.)

Ich bin auch nicht der Meinung — —

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600748100
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Frage — —

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0600748200
Darf ich erst zu Ende antworten. — Ich bin auch nicht der Meinung, daß ein Minister, der an der Spitze eines Hauses steht, das die Wahrnehmung der Interessen bestimmter Gruppen der Bevölkerung zur Aufgabe hat, unbedingt diesen oder allen diesen Gruppen angehören muß. Nehmen Sie es trotzdem als Vorzug an, daß ich zu einer der betroffenen
Gruppen des früheren Vertriebenenministeriums gehöre — wenn Sie das gemeint haben sollten.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600748300
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Frage des Kollegen Czaja? —

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0600748400
Herr Minister, dürfen die Betroffenen, die sich in vielen Briefen an uns wenden, daraus schließen, daß Sie sich aus der vergangenen Schicksalserfahrung, aber auch aus der derzeitigen Schicksalsverbundenheit mit diesem Personenkreis — auch zur Aufarbeitung der europäischen Aufgaben, die sich daraus ergeben — voll verbunden fühlen werden?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0600748500
Herr Kollege, uneingeschränkt ja!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600748600
Herr Minister, gestatten Sie weiter eine Frage des Kollegen Rasner?

Will Rasner (CDU):
Rede ID: ID0600748700
Herr Kollege Genscher, da ich Sie schon lange kenne: Könnten Sie sich entschließen, Ihre sehr saloppe Bemerkung über Herrn von Hassel hier zurückzunehmen?

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von den Regierungsparteien.)


Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0600748800
Herr Kollege, die Bemerkung über Herrn von Hassel war weder salopp, noch sollte sie Herrn von Hassel in irgendeiner Form herabsetzen. Das war nicht meine Absicht. Wenn sie so verstanden werden 'sollte oder wenn jemand die Absicht haben sollte, sie so zu verstehen, möchte ich dem dadurch die Grundlage entziehen, daß ich sage: es war nicht so gemeint.
Meine Damen und Herren, es ist auch nicht so, daß die Koalition eine groteske Hast bei der Lösung von Personalproblemen gezeigt hätte. Aber es gibt Häuser, in denen dann in letzter Stunde hastig getroffene Personalentscheidungen vorgefunden hat. Im Interesse der Betroffenen möchte ich mich jetzt an dieser Stelle nicht dazu äußern, weil eine Fülle von menschlichen Problemen da mit hineinspielen. Lassen Sie mich aber, weil ich nun darauf angesprochen worden bin — —

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0600748900
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Benda.

Dr. Ernst Benda (CDU):
Rede ID: ID0600749000
Herr Minister, darf ich nur zur Sicherheit fragen, ob Sie etwa irgendwelche Vorgänge im Bereich des Bundesministeriums des Innern meinen. Für diesen Fall würde ich Sie dann bitten, sie hier mit Roß und Reiter zu nennen.




Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0600749100
In einem Falle ja, und ich werde sie dennoch hier nicht nennen. Denn ich halte überhaupt nichts davon, Herr Kollege, wenn Politiker ihre Auseinandersetzungen auf dem Rücken von Beamten, die hier nicht antworten können, austragen.

(Starker Beifall bei den Regierungsparteien. — Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ihre Zwischenrufe veranlassen mich, auch zu einem Wort des Herrn Kollegen Strauß Stellung zu nehmen, das er heute morgen gebraucht hat: „Wir stehen zum deutschen Berufsbeamtentum, wir stehen zu seiner Sauberkeit und zu einer Korrektheit."
— Es wird niemand in diesem Hause sein, der diesen Satz nicht voll unterschreiben kann. — „Und wir wollen nicht haben, daß Beamte je nach dem Ausgang politischer Wahlgänge oder ihrer Manipulation durch Koalitionen um ihre Zukunft Angst haben müssen." Was heißt denn eigentlich „Manipulation durch Koalitionen"? Das würde ich gern einmal wissen.

(Abg. Köppler: Sie müssen das doch wissen, Herr Genscher!)

— Ich habe darauf gewartet, daß das kommt. — Dieses Wort hat mich ebenso betroffen wie ein Wort des Herrn Abgeordneten Dr. Kiesinger in der gestrigen Debatte:
Sie haben uns den Krieg erklärt,
— an eine Fraktion dieses Hauses gerichtet —
und diesen Krieg gegen Sie werden wir mit allem Nachdruck führen, meine Damen und Herren.

(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Er hat auch „fair" gesagt! — Abg. Wehner: Aber „Krieg"! — Gegenrufe zwischen CDU/CSU und SPD.)

— Aber „Krieg" ! Ist das nicht eigentlich die Wiederbelebung jenes Begriffes, den ich eigentlich aus der deutschen Politik verbannt zu sehen hoffte, die Wiederbelebung des bösen Wortes vom FreundFeind-Verhältnis in der Politik?

(Beifall bei der SPD.) Sein Vater Carl Schmitt — mit C — sagt:

Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch häßlich zu sein,
— kann man nicht behaupten --

(Lachen bei der CDU/CSU)

er muß nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht sogar vorteilhaft und rentabel sein, mit ihm Geschäfte zu machen. Der Feind ist in einem besonders intensiven Sinne existentiell ein Anderer und Fremder, mit dem im extremen Fall existentielle Konflikte möglich sind.
Diese Form des politischen Konflikts wollen wir eben nicht. Wir verstehen — das möchte ich an dieser Stelle sagen — unser Verhältnis zur CDU unabhängig von Koalition und Opposition. Wir verstehen unser Verhältnis unabhängig davon, und zwar auf Grund der Achtung vor einer anderen demokratischen Partei und auch auf Grund von gemeinsam erbrachten Aufbauleistungen. Wir würden niemals glauben, daß gute Christ-Demokraten nur solche sind, die mit uns koalieren, genausowenig wie gute Liberale nicht nur solche sind, die mit der CDU koalieren, sondern Gott sei Dank sind wir in Deutschland so weit, daß jeder mit jedem koalieren kann.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Herr Kollege Dr. Kiesinger hat Herrn Scheel daran erinnert, daß er früher einmal eine Ermahnung an die Adresse der Partei von Herrn Scheel gerichtet hat.

(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Ja, eine Prognose!)

Darf ich eine andere Ermahnung, Herr Dr. Kiesinger, in Ihr Gedächtnis zurückrufen, die Herr Scheel am 7. Juni 1967 an Ihre Anschrift gerichtet hat? Er hat damals gesagt:
Es liegt auch eine gewisse Gefahr in der Haltung des Herrn Bundeskanzlers selbst, der sich, was sicherlich menschlich und auch hinsichtlich der Solidarität der beiden Partner rühmenswert ist, in einem immer stärkeren Maße mit dieser Form der Zusammenarbeit identifiziert. Deshalb könnte ich mir vorstellen,
— so sagte Herr Scheel —
daß, wenn einmal die Notwendigkeit einer anderen Zusammenarbeit bestünde, seine eigenen Parteifreunde — für manche unerfreulich, für manche vielleicht erfreulich — ihn bereits eingemauert sehen in seinen eigenen Erklärungen.
Ich halte auch heute diese Erklärung des Herrn Kollegen Scheel von damals für nachdenkenswert.

(Zustimmung bei der FDP.)

Ich kann ebensowenig wie Herr Kollege Benda wegen der fortgeschrittenen Zeit hier noch zu den Fragen der Verbrechensbekämpfung Stellung nehmen, die mir besonders am Herzen liegen, auch nicht zu den Problemen des öffentlichen Dienstes. Wir werden hoffentlich sehr bald Gelegenheit haben, das zu tun.
Aber ich möchte am Schluß als Minister, der auf die Verfassung dieses Landes vereidigt ist und sie zu bewahren in besonderem Maße berufen ist, auf das eingehen, was Herr Kollege Dr. Barzel hier gesagt hat im Zusammenhang mit dem außenpolitischen Teil der Regierungserklärung.
Herr Kollege Dr. Barzel hat beanstandet, daß das Wort „Wiedervereinigung" in der Regierungserklärung nicht vorkomme. Er hat dann ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zitiert, das bekannte KPD-Verbots-Urteil, das ich im übrigen — soweit es die Behandlung der deutschen Frage angeht — für eine der größten Leistungen dieses Gerichts halte, — vor allem in seiner Sicht für die Zukunft. Herr Kollege Barzel, in der Tat ist durch dieses Urteil noch einmal das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes festgestellt worden. An einer bestimmten Stelle, bei der Frage, ob ein Verbotsverfahren gegen die KPD gegen dieses Gebot verstoße oder nicht, wird ausgeführt, daß die Bedingungen,



Bundesminister Genscher
unter denen der Weg zur Einheit der Nation gesucht werden könne, sich ändern können:
Es genügt, zu prüfen, ob der Weg, der nach dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnis zur Herbeiführung der Wiedervereinigung voraussichtlich eingeschlagen wird .
Dann kommen die Folgerungen. Was heißt dieser Satz? Dieser Satz bedeutet — und das höchste deutsche Gericht hat das ausgesprochen —, daß im Wandel der Zeiten unter der Veränderung der politischen Verhältnisse in Deutschland und um uns herum sich die Wege, auf denen die Einheit der Nation herbeigeführt werden kann, ändern können. Das Ziel bleibt. Angesichts Ihrer Mahnung und Ihres Hinweises auf dieses Urteil möchte ich an dieser Stelle nur sagen: diese Regierung wird sich in dem Ringen um die Wiederherbeiführung der äußeren und die Wahrung der inneren Einheit unserer Nation von niemandem übertreffen lassen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600749200
Herr Bundesminister Genscher, ich habe vorhin am Lautsprecher Ihre Bemerkung über meine Vertriebeneneigenschaft gehört. Ich möchte zur Richtigstellung nur sagen: ich bin am Tage des Kriegsausbruches in Afrika interniert, als Deutscher deportiert worden und gelte als solcher als auslandsdeutscher Vertriebener.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das Wort hat nunmehr Herr Bundesminister Dr. Lauritzen.

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0600749300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist dem Hohen Hause sicherlich nicht unbekannt, daß ich jahrelang in der praktischen Kommunalpolitik gestanden habe. Deswegen entspreche ich gerne einer Bitte meiner Freunde, auch jetzt für parlamentarische kommunale Arbeit zur Verfügung zu stehen. Außerdem liegt Honnef ja nicht so weit von Bonn entfernt. Ich brauche also nicht das Flugzeug zu benutzen, um dort hinzukommen. Die Entscheidung ist gefallen, als es in meinem Hause einen Parlamentarischen Staatssekretär noch gar nicht gab. Die Dinge liegen also schon weit zurück.
Im übrigen glaube ich nicht, meine Damen und Herren, daß ich eines Tages vor die Frage gestellt werde, ob ich Minister bleiben oder Bürgermeister von Honnef werden will. Diese Frage stellt sich nicht. Im Augenblick stehen wir in der Kommunalwahl. Ich helfe meinen politischen Freunden dabei. Wir werden alles tun, um diese Wahl zu einem guten Ergebnis zu bringen.

(Beifall bei der SPD.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600749400
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reddemann?

Dr. Gerhard Reddemann (CDU):
Rede ID: ID0600749500
Herr Minister, erleichtere ich Ihnen vielleicht die Antwort, wenn ich feststelle, daß Sie sich sicher nur deswegen zur Verfügung gestellt haben, weil Sie wissen, daß die Bevölkerung von Honnef Sie ohnehin nicht wählen wird?

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU.)


Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0600749600
Ich glaube, Sie sind über den Sachverhalt nicht richtig informiert. Ich stehe auf Platz 1 der Liste. Mit diesem Platz hat selbst in Honnef die SPD eine gute Chance. Vielleicht werden die Chancen meiner Partei dort sogar noch besser.

(Beifall bei der SPD.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600749700
Das Wort hat der Abgeordnete Vogel.

Friedrich Vogel (CDU):
Rede ID: ID0600749800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Regierungserklärung ist gut eine Seite dem Bereich der Justizpolitik gewidmet. Es wäre sicherlich verlockend, darüber heute abend noch in eine längere Diskussion einzutreten. Ich glaube, Sie werden es mir nachfühlen können, wie einem Abgeordneten zumute ist, der zum erstenmal in diesem Hause spricht und dann gleichzeitig noch unter dem Zwang steht, es kurz zu machen. Ich werde mich bemühen, mich kurz zu fassen.
Ich möchte hier zu drei Punkten Stellung nehmen, erstens zum Bereich der Justizreform, zweitens zu dem Bereich der Reformen des Rechts, die in der Regierungserklärung angesprochen worden sind, und drittens werde ich einen Punkt ansprechen, der mir im Augenblick einige Aktualität zu haben scheint.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Justizreform ist ein sehr weites Feld. Es gibt hier einen sehr weiten Bereich zu bearbeiten. Herr Bundesjustizminister, wir haben uns darüber vorhin schon unterhalten. Ich glaube, daß das, was hierzu in der Regierungserklärung gesagt ist, im Grunde genommen sehr punktuell ist. Wir haben zu wenig von der Reform im Blick, um einen Maßstab an diese Reform anlegen zu können. Ich bin mir darüber im klaren, daß eine Justizreform eine Aufgabe ist, die nicht in einem großen Wurf gelöst werden kann und deshalb in Schritten durchgeführt werden muß. Dennoch bin ich der Auffassung, Herr Bundesjustizminister, daß Sie uns schon ein Bild Ihrer Gesamtkonzeption vorzeigen müssen, wenn wir Ihnen bei einigen Schritten folgen sollen. Wir sind sehr wohl bereit — wir wissen, daß Sie dazu der Unterstützung dieses ganzen Hauses bedürfen —, Ihnen in Einzelschritten zu folgen, wenn Sie uns ein Bild Ihrer Reform zeichnen, so wie Sie sich das vorstellen, und wenn wir Gelegenheit haben, darüber zu sprechen. Ich meine, es sollte Aufgabe dieses ganzen Hauses sein, diesen Bereich unserer Staatsgewalt, den Bereich der dritten Gewalt, die wir die „pouvoir neutre" nennen, auch gemeinsam zu gestalten.
Nun muß ich allerdings sagen, daß das, was hier bisher in der Regierungserklärung angekündigt ist, ein bißchen wenig ist, und daß das, was bisher ver-



Vogel
wirklicht ist, nicht gerade eine Heldentat ist, wenn die Zuständigkeit für die Finanzgerichtsbarkeit und die Verwaltungsgerichtsbarkeit dem Justizminister unterstellt wird. Wir wissen, daß die Gerichtsbarkeiten, die hier nicht genannt sind, die besondere Schwierigkeit ausmachen. Die SPD stellt in diesem Lande im Kommunalkampf den Anspruch, die Partei zu sein, die keine halben Sachen macht. Ich würde sagen: hier haben Sie eine halbe Sache gemacht, und Sie sollten überlegen, wie Sie das besser machen können.
Es gibt in diesem Bereich viele Fragen, die ich heute abend nicht ansprechen kann, etwa die Frage der Dreistufigkeit. Mit der Aussage: „Wir wollen die Dreistufigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit schaffen", ist ja noch nichts gesagt; da fangen die Schwierigkeiten erst an. Wir werden uns darüber zu unterhalten haben, wie es mit dem Eingangsgericht ist und wie es mit der Sicherstellung ist, daß dieses Eingangsgericht ein dem Volke nahes Gericht ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Um diese Frage wird es gehen, wenn wir dem Bürger eine Gerichtsbarkeit vorstellen, die seinen Wünschen und Ansprüchen gerecht wird.
Das gleiche gilt für die Fragen etwa der Beschleunigungsnovelle, von der wir hoffen, daß sie, nachdem die Landesjustizverwaltungen Gelegenheit gehabt haben, Stellung zu nehmen, sehr bald in diesem Hause eingebracht wird. Wir sind uns darüber im klaren, daß zur Rechtsgewährung auch gehört, daß das Recht rechtzeitig gewährt wird, denn sonst kann es sehr leicht zu einer Rechtsverweigerung werden. Darum werden wir uns gemeinsam zu bemühen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich meine, Herr Bundesjustizminister, in diesem Zusammenhang müssen wir auch gemeinsam überlegen, wie wir die Funktionsfähigkeit der oberen Bundesgerichte sicherstellen können. Hier sind Fragen angesprochen, die sehr, sehr schwierig sind.
Lassen Sie mich auch einiges wenige zu dem sehr schwierigen personellen Bereich sagen, denn letztlich steht und fällt die dritte Gewalt mit den Richterpersönlichkeiten, die hier ihre Funktion ausüben. Sie haben angekündigt, daß das Problem der Richterbesoldung gelöst werden soll. Ich darf Ihnen wünschen, daß Sie hier eine gute Unterstützung beim Herrn Bundesinnenminister finden, Herr Bundesjustizminister. Dieser hat sich ja bereits vor der Wahl in dieser Frage festgelegt. Wir werden ihn sicherlich gemeinsam daran zu erinnern haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

Meine Damen und Herren, ich darf hier aber auch einen anderen Bereich ganz kurz ansprechen, das ist die Frage der Auswahl der Richter für unsere oberen Bundesgerichte. Ich möchte hier nur ganz kurz sagen, daß mir die Praxis, die wir in der letzten Zeit im Richterwahlausschuß erlebt haben, nicht gut zu sein scheint und daß wir gemeinsam zu überlegen haben, wie wir zu einer Entpolitisierung der
Auswahl der Richter für die oberen Bundesgerichte kommen können.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Einiges wenige zu den Rechtsreformen, die in der Regierungserklärung angesprochen worden sind. Meine Damen und Herren, hier ist der Bereich des Strafrechts angesprochen. Wir sind sicherlich einig, daß diese Strafrechtsreform in dieser Legislaturperiode zum Abschluß gebracht werden soll. Dazu gehört aber, Herr Bundesjustizminister, daß wir die Entwürfe für die Weiterführung der Strafrechtsreform so rechtzeitig hier im Hause haben, daß wir im Sonderausschuß für Strafrecht sehr ausführlich, sehr eingehend die Beratungen führen können, die dazu führen sollen, daß wir eine breite Mehrheit für die weiteren Novellen der Strafrechtsreform bekommen.
Das gleiche gilt für die Frage der Reform des Ehescheidungsrechts. Auch hier werden wir uns sehr intensiv bemühen müssen. Ich darf Ihnen schon hier sagen, daß die Probleme der Frau und die Probleme der Kinder, insbesondere aus geschiedenen Ehen, für uns ein sehr wichtiger Gesichtspunkt bei der Beratung sein werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nun, meine Damen und Herren, etwas zu dem Punkt, von dem ich sagte, daß er eine gewisse aktuelle Bedeutung hat. Ich habe vor mir die neueste Nummer der Zeitschrift „stern" mit einem Interview des Herrn Bundeskanzlers liegen. Dort gibt es eine Stelle, über die wir uns, glaube ich, hier ein wenig unterhalten müssen. Der Herr Bundeskanzler wird gefragt, ob er eine Amnestie für die Studenten erlassen wolle, gegen die noch eine Reihe von Demonstrationsprozessen anstehen. Er hat darauf geantwortet: ,,Ja, wir müssen mit der Jugend wieder ins reine kommen, und ich denke an eine solche Amnestie."
Herr Bundeskanzler, wir sind sicherlich darüber einig, daß bisher Amnestien in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht vom Bundeskanzler verordnet werden, und wir sind uns sicherlich auch darüber einig, daß das Verkündungsblatt dafür nicht der „stern" ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Bundeskanzler, das war eine rhetorische Einleitung. Aber ich glaube, es ist ein sehr, sehr schlechter Stil, wenn Sie zwei Tage, nachdem die Regierungserklärung hier abgegeben worden ist, in einem Blatt, das eine gewisse Publizität hat und sicherlich Kreise erreicht, die Sie ansprechen wollen, verkünden, daß es eine Amnestie geben soll. Herr Bundeskanzler, hier, in Ihrer Regierungserklärung, wäre für diese Frage Platz gewesen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das wäre guter Stil gewesen und hätte mit beigetragen zu dem, was Sie unter mehr Demokratie bei uns in der Bundesrepublik Deutschland sehen wollen.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)




Vogel
Ich will nicht auf die sehr komplexe und sehr schwierige Frage einer solchen Amnestie eingehen, Herr Bundeskanzler. Darüber werden wir hier zu sprechen haben, wenn Ihre präzisen Vorstellungen dazu auf dem Tisch des Hauses liegen. Ich möchte nur eines sagen: sicherlich wollen wir alle mit der Jugend ins reine kommen, soweit es hier Schwierigkeiten und Probleme gibt. Das ist sicherlich nicht das Problem. Wir werden nach Wegen suchen müssen, wie wir das erreichen. Aber es geht nicht nur darum, mit dieser Jugend ins reine zu kommen. Es geht auch um die Frage, auf welcher Geschäftsgrundlage das geschieht. Es geht hier ganz einfach um eine Frage, die ich als das Lebensprinzip des freiheitlichen Rechtsstaates bezeichnen möchte, um die Frage der Toleranz und die Forderung, Gegensätze allein mit den geistigen Waffen der freien öffentlichen Diskussion auszutragen. Wir können doch nicht bestreiten, daß dieses Lebensprinzip des freiheitlichen Rechtsstaates in den letzten Jahren in der Bundesrepublik Deutschland angegriffen worden ist und daß es nicht immer von allen ausreichend verteidigt woren ist. Darüber werden wir zu sprechen haben.
In diesem Zusammenhang hat es Versuche gegeben, illegalen Aktionen einen Anflug von Rechtmäßigkeit zu geben. Ich sage ganz klar: unser Rechtsstaat wird unglaubwürdig, wenn er in Einzelfällen davor zurückschreckt, seine eigenen Gesetze anzuwenden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte in diesem Zusammenhang ein Wort des Dankes an die Richter des Bundesgerichtshofs sagen, ein Wort des Dankes dafür, daß sie in dieser Frage erfreulicherweise die notwendige Klarheit geschaffen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, hier haben wir ein Problem, über das wir sprechen müssen, wenn es um die Frage einer Amnestie geht, um die Frage, wie wir mit dieser jungen Generation ins reine kommen.
Ich darf damit schließen, daß ich sage: es gibt zwischen Demokratie und Revolution sicherlich kein Zwischending.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600749900
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus.

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (FDP):
Rede ID: ID0600750000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem Herr Kollege Vogel jetzt doch noch zu den Rechtsproblemen gesprochen hat, möchte ich mich für meine Fraktion auch noch kurz dazu äußern. Ich möchte damit beginnen, womit Sie geendet haben, Herr Kollege Vogel. Sie haben ein Wort gesagt, das durchaus richtig ist: Ein Rechtsstaat wird unglaubwürdig, wenn er seine Gesetze nicht anwendet, wenn er nicht dafür sorgt, daß sie angewendet werden. Das ist richtig. Aber das enthebt uns doch nicht der Verpflichtung, solche Gesetze zu machen, die nachher für den Richter auch leicht anwendbar sind.
Dabei müssen Sie das eine berücksichtigen — darüber waren wir uns in allen drei Fraktionen doch schon in der letzten Legislaturperiode einig —, daß die Strafbestimmungen, die sich heute mit Landfriedensbruch, Aufruhr, Auflauf, also mit den sogenannten Demonstrationsdelikten, befassen, dringend reformiert werden müssen, weil sie zu einer Zeit gemacht worden sind, als unser Grundgesetz noch nicht galt. Hier geht es nicht um Gewalttätigkeiten gegen Personen und Sachen — diese sind sowieso geschützt —; es geht darum, daß Personen, Bürger, die einfach nur dabei sind, nicht in dieser Weise mit zur Verantwortung gezogen werden können und sollen, wie es heute noch möglich ist und geschieht.

(Beifall bei der SPD.)

Die Tatsache, daß die Urteile bei ungefähr gleichem Tatbestand so außerordentlich verschieden ausfallen — beim einen Freispruch und beim anderen mehr als ein Jahr Gefängnis ohne Bewährungsfrist —, zeigt, daß hier eine vordringliche Aufgabe auf uns zukommt.
Damit hängt auch eine andere Frage zusammen. Als in der letzten Legislaturperiode das politische Strafrecht reformiert wurde, mußte aus dieser Reform auch mit einem Amnestiegesetz die Konsequenz gezogen werden. Nach der Reform der Demonstrationsdelikte wird es nach meiner Auffassung genauso notwendig sein, die entsprechenden Konsequenzen ebenfalls in Form einer Amnestie zu ziehen. So habe ich das verstanden.
Ich habe damit schon gesagt, daß es notwendig ist, die Strafrechtsreform zu Ende zu führen. Herr Kollege Vogel, ich glaube nicht, daß es unserer Arbeit dienlich wäre, wenn das Justizministerium jetzt den ganzen Besonderen Teil — es ist ja bisher kaum etwas davon reformiert — in einem einzigen großen Gesetzentwurf vorlegen wollte. Ich habe vielmehr die Bitte, daß möglichst schnell einzelne Novellen vorgelegt werden. Ich habe die Hoffnung, daß insofern die Arbeiten, die die Alternativ-Professoren weiter durchführen, sehr hilfreich sein werden.
Hilfreich wird etwas Weiteres sein, was ebenfalls mit der Verbrechensbekämpfung zusammenhängt —auch ein gutes materielles Strafrecht dient nämlich der Verbrechensbekämpfung —, das ist die Ergänzung durch ein modernes wirksames Strafvollzugsgesetz. Die Strafvollzugskommission arbeitet sehr intensiv, genauso wie die Eherechtskommission.
Nach meiner Meinung muß auch die Reform des Scheidungsrechts so schnell wie nur möglich in Angriff genommen werden. Damit muß eine Verbesserung der Unterhalts- und Versorgungsansprüche der Frauen verbunden sein, die an der Scheidung schuldlos sind. Es sind dies vor allem die Fälle, wo sich die Männer nach 20 Jahren oder noch längerer Zeit von ihren Frauen getrennt haben ohne Rücksicht darauf, was diese Frauen für ihre Ehe und in der Ehe für den Mann und für die Familie geleistet haben. Deswegen ist es notwendig, daß gleichzeitig Sozialgesetze und das Beamtengesetz geändert werden, eine umfangreiche Reform, die nicht nur das



Frau Dr. Diemer-Nicolaus
Justizministerium, sondern auch noch andere Ministerien betrifft.
Zum Schluß komme ich auf das, was Sie am Anfang gesagt haben, Herr Kollege Vogel, auf die Frage der Justizreform. Ich habe mit Freude gehört, daß das Rechtspflegeministerium, das wir Freien Demokraten schon vom 2. Bundestag an in jeder Legislaturperiode immer wieder gefordert haben, jetzt offensichtlich die Billigung auch der CDU- und hoffentlich auch der CSU-Fraktion insofern findet, als wenigstens ein Anfang gemacht wird und die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die Finanzgerichtsbarkeit dem Justizministerium unterstellt werden. Allerdings sind wir Freien Demokraten der Meinung: Endziel muß das echte Rechtspflegeministerium mit der Unterstellung auch der Arbeits- und der Sozialgerichte sein. Aber immerhin, ein guter Anfang wird gemacht.
Dies sollte aber dadurch ergänzt werden — ich bin nicht sicher, ob die Legislaturperiode dafür ausreicht, aber man sollte es doch nach Möglichkeit tun —, daß man für die verschiedenen Zweige der Gerichtsbarkeit zu möglichst einheitlichen Verfahrensordnungen kommt. Das ist möglich, und von der Rechtswissenschaft sind Entwürfe dafür vorgelegt.
Zu der Frage der Justizreform: drei- oder vierstufig? In der Regierungserklärung ist gesagt worden: „soll" dreistufig sein. Es heißt nicht „muß". Das Problem „dreistufig oder vierstufig?" wird von uns sehr eingehend diskutiert werden müssen. Im Ziel sind wir uns wahrscheinlich völlig einig. Wir wollen einen Prozeß haben, der dem Rechtsuchenden möglichst bald ein Urteil gibt, das jedoch mit der notwendigen Gründlichkeit gefällt werden muß. Ich möchte darauf hinweisen, daß ein Verfahren, das zu einem schnelleren Urteil führt als das übliche Verfahren, in dem „Stuttgarter Modell" bereits erprobt wird.
Alle diese Fragen stehen mit der Qualifikation unserer Richter in Zusammenhang.
Hiermit hängt eine andere Frage zusammen. Die Ausbildung unserer Juristen ist nicht mehr zeitgemäß.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Trennung zwischen der theoretischen Ausbildung an den Universitäten und der praktischen Ausbildung in der Referendarzeit muß beseitigt werden; die Ausbildung muß nach meiner Meinung in einem einheitlichen Verfahren im Wechsel zwischen Theorie und Praxis erfolgen. Entsprechende Vorschläge sind da. Notwendig ist dann aber, das Richtergesetz so zu ändern, daß dieses nach meiner Auffassung modernere Ausbildungssystem wenigstens einmal durchgeprobt werden kann, genauso wie man heute neue Schulmodelle durchprobt, um festzustellen, ob man damit zu besseren Ergebnissen kommt.
Ich habe mich für die Freie Demokratische Partei schon dafür ausgesprochen, daß die Stellung der Richter, unserem Grundgesetz entsprechend, auch nach außen hin ganz klar in Erscheinung tritt. Sie sind keine Beamten. Dazu gehört, daß sie nicht in den allgemeinen Besoldungsgesetzen mitbehandelt werden, sondern ein eigenes Amtsgehaltsgesetz bekommen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das gehört aber alles zusammen zu den Fragen der Justizreform.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600750100
Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600750200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine vorgerückte Stunde. Ich will mich deswegen darauf beschränken, einige der Fragen, die an mich gerichtet worden sind, zu beantworten. Ich glaube, das ist nicht nur eine Frage der Höflichkeit; es waren auch Fragen, die an den Justizminister gerichtet waren.
Herr Kollege Vogel, die Frage der Justizreform ist viel zu umfangreich, als daß sie in einer Regierungserklärung erschöpfend behandelt werden könnte. Wir sind uns sicher darüber einig: das ist ohnehin nicht eine Sache, die in einem Akt vollzogen werden kann; dazu wird es auf vielen Gebieten wichtiger Schritte bedürfen. Ich freue mich, zu hören, daß von Ihrer Seite dabei tatkräftige Unterstützung zu erwarten ist. Sie dürfen sicher sein, daß die Vorstellungen für eine Lösung insgesamt so bald wie möglich auch dem Hause präsentiert werden, damit wir uns gemeinsam darüber klar werden können, wie wir im einzelnen weiter verfahren wollen.
Was hinsichtlich des Rechtspflegeministeriums die Überführung der Zuständigkeit in der Verwaltungs- und der Finanzgerichtsbarkeit anlangt, so waren dies die beiden Gebiete, bei denen es ohne Gesetzesänderung möglich war, sofort eine Entscheidung herbeizuführen. Das wird für die Zukunft die Auseinandersetzung um die Frage der Behandlung der anderen Gerichtsbarkeiten sicher schon unter dem Gesichtspunkt erleichtern, daß sich durch die Praxis manche der mit der Überführung dieser beiden Gerichtsbarkeiten in die Obhut des Justizministeriums sicherlich sich ergebenden Vorbehalte leichter werden ausräumen lassen. Die Diskussion darüber muß geführt werden.
Ich bedanke mich bei den Sprechern in diesem Teil der Debatte ausdrücklich für die in Aussicht gestellte Unterstützung bei der Herbeiführung einer richtergemäßen Besoldung. Wir werden wohl sehr bald in dieser Frage hier im Hause mit konkreten Vorschlägen vor Sie hintreten. Ich hoffe, daß die Zustimmung, die ich hier auf allen Seiten des Hauses gesehen habe, dann auch in der praktischen Beschlußfassung ihren Ausdruck findet.

(Abg. Köppler: Sind Sie dafür zuständig?)

Ich möchte schließlich nur wenige Bemerkungen zum Thema Amnestie machen. Meine Damen und Herren, die Frage der Demonstrationsdelikte und ihrer praktischen Anwendung und Anwendbarkeit hat Unruhe hervorgerufen und ruft sie mit Recht hervor. Wer sich die Gesetze einmal ganz unvoreingenommen ansieht, wird der Feststellung zustim-



Bundesminister Jahn
men, daß es sich hier teilweise um Strafbestimmungen handelt, die in ihrem Verhältnis zum Grundgesetz und zu seiner Ordnung mindestens der Klärung bedürfen, wenn nicht zum Teil wirklich reichlich überholt sind. Ich sage: zum Teil wirklich überholt sind. Aber auch diese Frage bedarf einer sorgfältigen Prüfung.
Die Richter, die vielfältig vor die Frage gestellt sind, ob und wie sie diese Gesetze in einem vernünftigen Verhältnis zu unserer grundgesetzlichen Ordnung anwenden wollen, sind in einer schwierigen Lage. Ich bin der Meinung, daß es unsere, des Gesetzgebers Sache ist, ihnen so schnell wie möglich klare Regelungen zu geben, die die Anwendung dieser Gesetze in einer vernünftigen Form möglich machen.

(Beifall bei der SPD.)

In diesem Zusammenhang wird sich dann auch die Frage stellen, was, wenn wir zu einer solchen Bereinigung kommen werden, mit den anhängigen Verfahren geschieht. Ich höre jetzt von dem Kollegen Neuberger, daß es sich um eine sehr erhebliche Zahl von Verfahren handelt. Darüber muß dann gesprochen werden. Ich möchte meinen, es stünde uns allen gut an, wenn diejenigen, die die Frage einer Amnestie zu prüfen haben, dabei nicht aus dem Auge verlieren würden, daß wir auch einen eigenen Beitrag zum inneren Ausgleich in unserem Lande leisten können.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600750300
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600750400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mich zunächst für die vielen guten Beiträge und für manche hilfreiche Kritik in dieser Debatte bedanken. Ich denke, alle Mitglieder des Hohen Hauses werden wie ich selbst mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis genommen haben, welchen Niederschlag diese Debatte bisher in der Presse, im Rundfunk und im Fernsehen gefunden hat; das geht ja noch weiter. Ich denke, es ist gut, daß die Träger der öffentlichen Meinung in diesem Umfang Kenntnis von dem genommen haben, was uns hier beschäftigt, und dazu auch ihre eigene Meinung sagen; denn auch dies kann uns weiterhelfen.
Der Grundtenor dieser Kommentare ist die Feststellung, daß der Bundestag wieder lebendiger geworden sei. Diese Feststellung ist zweifellos richtig, wenn sie auch natürlich die Tatsache verbirgt, daß sich in Zukunft neben den großen Auseinandersetzungen hier im Plenum wie bisher sehr viel stille, von der Öffentlichkeit weniger beachtete Arbeit in diesem Parlament abspielt. Der Deutsche Bundestag gilt mit Recht als eines der fleißigsten Parlamente der Welt, und dies gereicht ihm zur Ehre.
Ich sage das auch deshalb, weil diese Arbeit in den zurückliegenden Legislaturperioden ganz wesentlich mit dazu beigetragen hat, daß wir in der Tat — wie Herr Kollege Strauß heute vormittag
gesagt hat und wie ich es auch vor einigen Tagen gewürdigt habe — in vielen Bereichen ein modernes Deutschland haben. Aber es gibt auch viele Lebensbereiche, in denen es noch nicht so ist, und insgesamt müssen wir uns anstrengen, daß wir durch die Verwirklichung der Reformen ständig Schritt halten mit den Anforderungen der Zeit. Darum geht es.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das wird aber immer so sein!)

— Gewiß.
Eine andere Feststellung aus meiner Sicht, meine Damen und Herren: Ich denke, die Debatte — mit den Krisen, die auch solche Auseinandersetzungen durchlaufen müssen und die manchmal heilende Effekte haben können - hat gezeigt, daß es in diesem Hause nicht das geben wird, was man ein Freund-Feind-Verhältnis nennt, weil es ein solches Verhältnis angesichts der Notwendigkeit zur Verständigung neben dem Streit nicht geben darf und weil die Gemeinsamkeiten der Aufgaben und der Verpflichtung gegenüber unserem Volk letztlich immer durchschlagen müssen.
Diese Bundesregierung wird wie die vorige Regierung — wenn ich auch dies noch einmal betonen darf — die Rechte dieses Hauses selbstverständlich voll und so gut sie es versteht immer respektieren. Sie ist sich außerdem der parlamentarischen Situation, wie sie aus dein Ergebnis der Bundestagswahlen entstanden ist, voll bewußt, so wie andererseits die starke, die sehr starke Opposition in diesem Hause sich sicher auch in der Debatte dieser beiden Tage — vielleicht noch etwas mehr als zuvor — hat überzeugen können von der Entschlossenheit der beiden diese Regierung tragenden Fraktionen, diese Legislaturperiode effektiv und wirksam und gut miteinander durchzustehen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es ist ja neben vielem anderen das Fehlen der großen Debatten über die Fragen der Nation gewesen, das auch junge Menschen in den letzten Jahren häufig bemängelt haben. Und da mag sich dann auch etwas verbessern, indem nun dem Plenum seine eigentliche Bedeutung noch stärker wieder zukommen wird, und wir können alle nur hoffen, daß dies dazu beiträgt, das Interesse vieler junger Menschen an unserer Arbeit zu wecken und auch damit unsere Demokratie zu festigen. Auch das Regierungsprogramm, über das hier debattiert wurde, ist darauf abgestellt, der Bevölkerung insgesamt, aber insbesondere auch den jungen Menschen zu zeigen, daß die politische Führung die Aufgaben, die ihr gestellt sind, erkennt und daß sie bereit ist, diese Aufgaben anzupacken. Wir alle miteinander — ob Mehrheit oder starke Minderheit — müssen uns ja sowohl in der Arbeit hier wie anderswo darauf einstellen, daß das nächstemal, wenn wir uns nach vier Jahren begegnen, um dann für eine neue Wegstrecke eine Entscheidung zu bekommen, nicht weniger als sieben neue Jahrgänge in unserem Volk darüber mitentscheiden werden, wenn wir bis dahin die Veränderungen durchgeführt haben, die die Regierung vorschlägt. Man muß sich einmal klarmachen, was dies bedeutet, daß heute 14- und 15jährige Jungen und



Bundeskanzler Brandt
Mädchen dann schon darüber mitentscheiden werden, wer in dieses Haus gewählt wird und wen dieses Haus dann mit der Führung für weitere vier Jahre betraut.
Da ich schon über die jungen Menschen spreche, ein Wort zu den kritischen Bemerkungen, die heute abend gegen Schluß der Kollege Vogel hier gemacht hat. Ich will nicht meinerseits jetzt noch eine neue Polemik starten; sonst hätte ich gesagt: Es wäre gut gewesen, wenn er die Antwort, die ich dem „stern" gegeben habe, vollständig vorgetragen hätte. Ich habe erstens nicht gesagt: ich schlage eine Amnestie vor. Denn es ist mit Recht gesagt worden, ich hätte sie gar nicht vorzuschlagen. Ich denke auch daran, daß es selbst Frankreich, das durch eine sehr viel schwerere Krise mit den jungen Leuten hindurch mußte, für richtig gehalten hat, das Problem so zu lösen.
Ich habe weiter gesagt: Man muß einen Unterschied machen zwischen jungen Leuten, die über die Stränge geschlagen sind, und solchen, die kriminelle Taten im eigentlichen Sinne des Wortes begangen haben. Ich habe dann gesagt: Wir haben das Problem, das die Juristen lösen können; ich bin keiner. Was machen wir mit solchen, die selbst bei einer Amnestie sagen: wir wollen unseren Prozeß trotzdem haben, vielleicht auf Grund eines Beschlusses? Vielleicht sind es auch nur einzelne, die sich das vornehmen.
Der richtige Zusammenhang aber ist natürlich vor allem der, auf den Herr Kollege Jahn eben hingewiesen hat. Im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform gab es schon im alten Bundestag weithin eine Verständigung über eine Reform, was die Demonstrationsdelikte angeht. Wenn es dazu kommt, werden wir, denke ich, alle miteinander sagen können, daß damit ein Stück auch in bezug auf eine Amnestierung verbunden sein muß. Das ergibt sich aus der Logik der Sache und dem bisherigen Gang der Verhandlungen darüber.
Ich möchte trotz mancher kritischer Bemerkungen, die heute nachmittag dazu gemacht worden sind, nur noch unterstreichen, wie sehr wir gerade an die jungen Menschen zu denken haben, wenn wir uns stärker als bisher mit allen Kräften, über die wir verfügen, geistigen und materiellen Kräften, um die Reform des Bildungs- und Ausbildungswesens kümmern. Dieser Anspruch, den die Jungen und viele mit ihnen an uns stellen, ist unabweisbar und voll berechtigt, und er wird im Rahmen unserer Möglichkeiten von der Bundesregierung erfüllt werden. Ich hoffe, das Haus hat den Eindruck gewonnen, daß Professor Leussink als Bundesminister für Bildung und Wissenschaft der Mann ist, der das, gestützt auf das Vertrauen vieler, für die Bundesregierung in die Hand nehmen kann.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ebenso darf ich im Namen der ganzen Regierung noch einmal unterstreichen, daß wir dem Bundesfinanzminister, unserem Kollegen Möller — denn das ist unsere Pflicht und die Pflicht des Kanzlers vor allen anderen noch —, bei seinen Bemühungen
um die Solidität der Finanzpolitik in den kommenden Jahren helfen werden.
Ich habe dem Herrn Kollegen Klinker noch eine Antwort zu geben. Ich wollte mich in der Debatte über die Landwirtschaft nicht extra zu Wort melden. Ich habe mir die Antwort für meine Zusammenfassung jetzt aufgespart. Herr Kollege Klinker wird es mir nicht übelnehmen, wenn ich seine Fragen, die ich mir sehr genau angehört habe und auf die man auch sonst noch zurückkommen kann, jetzt nicht punktweise beantworte, sondern statt dessen noch einmal auf unsere Regierungserklärung und auf das verweise, was ich am Tag vor der Regierungserklärung, am Montag vormittag, den Vertretern des Bauernverbandes im Bundeskanzleramt gesagt habe. Ich unterstreiche das, was der zuständige Bundesminister heute vor diesem Hohen Hause gesagt hat. Ich stelle mich nicht hinter, sondern, wie es meine Pflicht ist, vor den Kollegen Ertl, auf den sich die Bauern werden verlassen können.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Arme Landwirtschaft!)

Nun ist hier und da in der Debatte über die verschiedenen Sachgebiete immer wieder die Frage aufgeworfen worden, ob das, was ich gesagt habe, nicht einerseits doch zu wenig und andererseits zu viel gewesen sei. Einige haben bemängelt — dafür läßt sich vieles ins Feld führen —, was alles nicht ausgeführt wurde. Andere haben — auch beim Kollegen Strauß klang das an — von dem „Neckermann-Katalog" hier und draußen gesprochen. Wenn nun schon, Herr Kollege Benda, von Werbeslogans die Rede ist, dann heißt es ja — wenn man schon von Neckermann spricht —: „Neckermann macht's möglich!" Wir wollen es auch möglich machen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU. — Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Rösing: Neckermann hat Mini-Preise!)

Meine Damen und Herren, noch ein Wort zu den Parlamentarischen Staatssekretären. Man kann nun nicht zweierlei machen. Man kann nicht einerseits sagen: die Projektgruppe, an der ja der eine und andere derer, die mit mir jetzt arbeiten, auch ein bißchen beteiligt war — direkt oder indirekt —, hat eine vorzügliche Arbeit geleistet, jeder Regierung könne nur geraten werden, davon möglichst viel aufzunehmen, und andererseits fragen: warum habt ihr fünfzehn Parlamentarische Staatssekretäre? Denn genau dies hat die Projektgruppe mit vorgeschlagen: weniger Ministerien und einen Parlamentarischen Staatssekretär in jedem Ministerium. Ich sage nicht, daß man das so machen mußte, ich sage nur, daß offensichtlich auch andere gemeint haben, daß man es so machen könnte. Mehr will ich nicht sagen.
Dann noch einmal ein Wort — obwohl Herr Genscher dazu schon gesprochen hat —, was die Beamten angeht, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU. Ich kann es leider nicht in Gegenwart von Herrn Kollegen Strauß sagen, der sich zu diesem Thema geäußert hat. Das war ungerecht, sachlich nicht gerechtfertigt, das hat diese Re-



Bundeskanzler Brandt
gierung nicht verdient, und die Beamten haben es auch nicht verdient, daß sie auf diese Weise in die Kontroverse hineingebracht werden.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

.Jeder, der mich jetzt fast drei Jahre als Außenminister gesehen hat, weiß — es hat einmal in einem Fall eine unterschiedliche Meinung gegeben —, daß ich es verstehe, eine nicht parteipolitisch geprägte Beamtenpolitik zu machen.

(Beifall bei der SPD.)

Das wird jeder, der das objektiv betrachtet, zugeben müssen. So wird es bleiben.
Allerdings wird es auch aus einem ganz anderen Grunde, nämlich aus sachlichen Gründen so bleiben, daß in den Ministerien Sozialdemokraten nicht mehr — seit langem nicht mehr — nur in den Kategorien der Chauffeure und der Pförtner vertreten sind.

(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Katzer: Wo denn? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, ich unterstreiche und sage noch einmal:

(Zuruf von der CDU/CSU: Das sind doch Unterstellungen!)

Aus sachlichen Gründen hatte es sich schon dahin entwickelt, daß nicht wie in einer früheren Zeit Anhänger einer Richtung nur in diesen Kategorien vertreten waren.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600750500
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann?

(Zurufe von der SPD: Nein!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0600750600
Ich möchte jetzt mein Schlußwort zusammenhängend sprechen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Meine Damen und Herren! Die Regierungserklärung ist darauf angelegt gewesen, in der Innenpolitik durchschaubar zu machen, welche Selbstbindungen diese Bundesregierung — kontrollierbar für jedermann — eingeht. Dies gilt auch für die Außenpolitik. Trotzdem konnte — ich sage es noch einmal — die Bundesregierung dies um so leichter tun, als sie ausdrücklich mit diesem Bezug auf den außenpolitischen Teil der Regierungserklärung der Großen Koalition vom 13. Dezember 1966 hingewiesen hat. Nach manchem, was gestern gegensätzlich vorgetragen wurde, liegt mir sehr daran, an dieser Stelle und in dieser Zusammenfassung zu unterstreichen, warum und mit welcher Betonung die Bundesregierung in ihrer Erklärung gesagt hat: niemand kann uns ausreden, daß auch die Deutschen wie alle anderen Völker ein Recht auf Selbstbestimmung haben und daß die Bundesregierung im Zusammenhang mit der konkreten Politik, mit konkret anstehenden Verhandlungen oder Gesprächsversuchen gesagt hat: das Recht auf Selbstbestimmung, wie es in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegt ist, gilt auch für das deutsche Volk; dieses Recht und der Wille, es zu behaupten, können kein Verhandlungsgegenstand sein. Dies war in der Kontroverse etwas untergegangen. Um es zu unterstreichen, brauchten wir nicht den Hinweis auf die Verfassung oder ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Selbst wenn es diese Bestimmung im Grundgesetz nicht gäbe, lebte dieses Recht, müßte es in jedem einzelnen von uns und in unserem gemeinsamen politischen Willen leben, was sonst auch kontrovers sein mag.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich sage hier mit allem Ernst: dieses Recht würde nichts wert sein, wenn der Wille dazu in den Menschen in Deutschland, wo immer sie leben, nicht lebendig bliebe.
Natürlich wird es von unserer praktischen Politik abhängen — und ich gebe jetzt nicht den Begriff „Begriffsakrobatik" zurück —, wieweit das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit der einen Nation wachbleibt. In dieser Frage bin ich selber übrigens nicht pessimistisch. Das Bewußtsein, einer Nation anzugehören, wird, weil man auch anderswo nicht völlig an dem Empfinden der Menschen vorbei kann, sogar durch die Regierenden in Ostberlin und in der durch sie geschaffenen Verfassung nicht geleugnet, nicht zu leugnen versucht.
Herr Professor Hallstein hat gestern bemängelt, daß wir uns in dieser Regierungserklärung für die nächsten vier Jahre nicht noch einmal ausdrücklich zu den Vereinigten Staaten von Europa oder — in der Terminologie von Herrn Kollegen Kiesinger — zum politisch geeinigten Europa bekannt hätten. Nun, wir haben, nicht im Gegensatz dazu, nicht durch ein Abrücken von diesen Zielsetzungen, sondern ohne das Ziel aus dem Auge zu verlieren, das festgehalten, was in den nächsten Monaten und in diesen vier Jahren getan werden muß. Wenn wir das erreichen, dann sind wir einen Riesenschritt, nein, mehrere große Schritte weitergekommen.
Wir haben — um die Parallele dazu zu geben —, was die deutschen Dinge angeht, in der Tat keine Antwort zu geben versucht. Wir haben uns das nicht zugetraut; dies bekenne ich. Wir haben keine Antwort darauf gegeben, in welcher Form die Deutschen eines Tages im Rahmen einer europäischen Friedensordnung sich wieder begegnen, miteinander leben und an ihrer gemeinsamen Zukunft arbeiten werden. Diese Frage haben wir in der Tat nicht beantwortet. Wir haben statt dessen gesagt, was die Regierung in dieser Legislaturperiode in der Deutschlandpolitik zu bewegen versuchen will. Da bitte ich doch nach der Kontroverse des gestrigen Tages noch einmal die Regierungserklärung, ihren Wortlaut und Sinn, im Zusammenhang zu sehen. Dann, glaube ich, wird das klare Programm, das auf eine wenn auch noch so schwierige Veränderung der Verhältnisse abzielt, deutlicher werden.
Der Kollege Gradl hat gestern abend aus seinen Sorgen gesprochen, daß der Graben noch tiefer werden könnte, daß man im Ausland annehmen könnte, die Deutschen hätten sich mit dem jetzigen Zustand, hätten sich mit der permanenten unsinnigen Tei lung abgefunden. Ich habe die Sorge verstanden, aus



Bundeskanzler Brandt
der diese Sätze gesprochen worden sind, und ich habe sie trotzdem bedauert — bedauert deswegen, weil ich glaubte, dieser Zweifel wäre am besten nicht aufgekommen. Aber da er aufgekommen ist, muß ich dazu noch etwas sagen dürfen. Wir müssen so über diese Dinge weiter miteinander sprechen, daß insoweit kein Zweifel bleibt. Denn sonst versäumten wir unsere Pflicht, für die wohlverstandenen Interessen des deutschen Volkes zu sprechen. Das ist ja die Pflicht, an die wir, auf die heutige Situation bezogen, noch einmal erinnert worden sind und der wir uns stellen.
Es ist mir und der ganzen Bundesregierung jedenfalls sehr ernst mit unserer Absicht, auch mit der DDR, was immer sie von den übrigen Partnern des Warschauer Paktes unterscheidet, zu einem verbindlichen Gewaltverzicht zu kommen. Dafür ist die DDR auch, was immer sie sonst von anderen unterscheiden mag, handlungsfähig, obwohl die Beziehungen zu uns, wie wir gesagt haben, nur von besonderer Art sein können. Dafür spielen nun für mich die stärker juristisch betonten Erwägungen zum Thema Volkssouveränität, wie ich zugebe, nicht dieselbe Rolle wie andere, weil es sich mir so darstellt, als komme es darauf an, daß die Politik die Voraussetzung dafür schafft, daß der Souverän Volk eines Tages wieder zur Geltung kommen kann.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Im übrigen wissen wir alle: Die Vier Mächte haben in den Deutschland als Ganzes betreffenden Fragen jene Vorbehaltsrechte und Pflichten, die in diesem Hause niemand antasten will. Auch daran muß erinnert werden, wenn wir über Volkssouveränität, auf Deutschland als Ganzes bezogen, sprechen. Es muß an diese Pflichten und Rechte, auf Berlin bezogen, ganz besonders erinnert werden, und hier, für unsere praktische Politik in der jetzt unmittelbar vor uns liegenden Zeit, geht es um das, was die Bundesregierung im Rahmen ihrer Handlungsfähigkeit tun will und tun kann, soweit die Regierenden in Ostberlin dazu bereit sind. Daß dabei für die Menschen etwas Sichtbares und Fühlbares herauskommen muß, ist für mich selbstverständlich, und ich bitte, mir zu glauben: der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin weiß auch noch als Bundeskanzler um die Nöte der Menschen im geteilten Deutschland; sie waren ihm dort ein Jahrzehnt lang — nein, zwei Jahrzehnte lang noch näher, als sie anderen sein können.
Ich will, da die Zeit fortschreitet, meine Bemerkungen zum Thema des Bundesbevollmächtigten in Berlin hier nicht noch ausweiten. Wir können darauf zurückkommen. auch darauf, wie oft man in Berlin mit der Nase darauf gestoßen worden ist, wo die Grenzen unserer Macht liegen, — nicht nur früher, nicht nur damals. Das ist die eigentliche Statusminderung im geteilten Deutschland in den letzten Jahren. Sie lag noch unter der Regierung Adenauer darin, daß keiner von uns etwas tun konnte, als Oststaaten sagten: Wir bestimmen „Kein Berliner mit dem Bundespaß darf in diese Länder reisen". Ich habe nicht gesehen, daß irgendeiner uns hat helfen können, das zu ändern. Genausowenig wie im vergangenen Jahre, Herr Kollege Kiesinger, als es
um jene Art von Machtausübung ging mit den Transitvisa, wie es die anderen nennen; da stießen wir auch hart an die Grenze dieser so ausgeübten Gewalt durch einen „Staat DDR" oder, wie andere es zu nennen vorziehen, „ein staatsähnliches Phänomen"; das macht keinen großen Unterschied für das, um was es tatsächlich für die betroffenen Menschen geht.
Aber mir geht es um folgendes. In der Regierungserklärung steht — abgesehen von dem, was ich bereits in Erinnerung gebracht habe —, auf die Selbstbestimmung bezogen: Erstens. Wir wollen den anderen Teil, die Menschen, die dort leben, um die es immer geht, -- soweit wir darauf Einfluß haben —nicht um die Vorteile ihrer Teilnahme am Handel und am kulturellen Austausch bringen. Ich denke, das ist im wesentlichen nicht bestritten worden; das hat keine eigentliche Rolle in der Debatte gespielt.
Zweitens. Wir sind bereit, mit der Regierung in Ostberlin auf gleicher Basis ohne Diskriminierung zu reden. Wir greifen das frühere Angebot auf. Wir haben unsere Themen. Die mögen mit ihren Themen kommen!
Drittens. Wir stellen einen Zusammenhang her, nicht nur aus enger deutscher Sicht, sondern aus der Sorge um den Frieden in Europa und um eine Verbesserung der Verhältnisse zwischen West und Ost, einen Zusammenhang zwischen diesem Ringen um innerdeutsche Regelungen und der Art, in der sich die DDR anderen gegenüber darstellen möchte. Wir stellen diese Verbindung her und sagen: das erste kann nicht ohne Einfluß bleiben auf das zweite. Insofern hängt es von Ostberlin nicht zuletzt selbst ab, was aus der Art wird, wie man ihm begegnet durch andere.
Viertens sagen wir: für uns ist das kein Ausland, sondern für uns geht es um besondere Beziehungen, Beziehungen besonderer Art.

(Unruhe bei der CDU/CSU.)

Ich darf offen sagen — aber das hängt vielleicht wieder damit zusammen, daß ich selbst nicht Jurist bin --: mir ist manches an der Anerkennungsdiskussion nicht nur hier, sondern auch sonst schon in diesen Jahren etwas zu akademisch erschienen. Das liegt eben daran, daß ich zu lange erfahren habe, wo die Grenzen der Macht liegen und wie wenig in konkreten Situationen einem damit gedient ist, Formeln für die Wirklichkeit zu halten.
Aber ich bin noch eine Antwort auf die verständliche Frage schuldig, welche Haltung die Bundesregierung zur Frage der Beziehungen zwischen der DDR und Drittländern über den von mir allgemein erwähnten Zusammenhang hinaus einnehmen wird. Ich fand, die Antwort war klar, die der Außenminister gestern gegeben hat.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)

— Aber wenn es es gewünscht wird, bin ich gern bereit, sie zu ergänzen. Ich bin gern bereit, sie in voller Übereinstimmung mit dem Herrn Außenminister zu ergänzen und zu sagen: Erstens. Es interessiert nicht nur uns — ich ließ es eben schon anklingen —, sondern alle, jedenfalls alle, denen



Bundeskanzler Brandt
es um den Frieden in Europa geht, wie sich Ostberlin zu dem einstellt, was diese Bundesregierung in Anlehnung an die Schritte der vorigen vorschlägt, offeriert, zur Diskussion stellt. Und es interessiert nicht nur uns, weil es nicht nur ein deutsches Problem ist, sondern auch andere, ob es zu Vereinbarungen kommen wird, die im Interesse der Menschen und des Friedens liegen. Das ist der eine Punkt.
Zweitens. Wir hoffen und erwarten, daß die — um die Terminologie hier ganz genau zu beachten — uns verbündeten und befreundeten Staaten, jene Staaten, die mit uns auf dem einen oder anderen Gebiet zusammenarbeiten, unserem Bemühen die gebührende Beachtung schenken und dieses Bemühen nicht erschweren. Eine andere Haltung wäre weder hilfreich noch freundlich.
Drittens. Wir hoffen und erwarten, daß die mit uns verbündeten und befreundeten Staaten — die Staaten, mit denen wir arbeiten — weiterhin für das Recht auf Selbstbestimmung, das in unserer Regierungserklärung diese eindeutige Rolle spielt, Verständnis zeigen und uns dabei unterstützen, daß der Weg zur Lösung unserer nationalen Fragen nicht versperrt und verbaut wird.
Viertens. Wo dies doch — und überhaupt — geschieht, werden wir unseren eigenen Interessen entsprechend von Fall zu Fall entscheiden.
Der Außenminister hat dem Hohen Hause gestern schon gesagt, daß die großen Botschaften vor Abgabe der Regierungserklärung eine Vorunterrichtung erhalten hätten. Ich kann dem Hohen Hause mitteilen, daß heute in Übereinstimmung zwischen dem Außenminister und mir — es ist nicht üblich, dem Hohen Hause den Text hier vorzutragen — alle unsere Auslandsvertretungen im Sinne dessen, wovon ich eben sprach, instruiert worden sind.

(Zuruf von der CDU/CSU: In welchem Sinne?)

Meine Damen und Herren, ich habe eben gesagt: „entsprechend unseren eigenen Interessen". Darauf kommt es an. Ich habe im vergangenen Jahr von mehr als einem Außenminister gehört, man habe lange darauf gewartet, daß die deutsche Stimme auf Gebieten vernehmlicher werde, in denen es nicht nur um Proteste und Belehrungen, die sich aus der deutschen Frage im engeren Sinne des Wortes ergeben, geht. Es geht also nicht nur um das innerdeutsche Bemühen um Erleichterungen und Verbesserungen, sondern es geht auch und gerade bei diesem ganzen so schwierigen Thema darum, einen verbreiterten Aktionsraum für die Vertretung unserer Interessen in der Welt zu schaffen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Und ob nun die Zeichen auf Sturm stehen oder ob man — was in jedem Falle stimmen wird — in allen Teilen der Welt und in allen Blöcken und Gruppierungen vor großen Wandlungen steht, wir müssen dabei, ohne uns zu überheben, unsere eigene Rolle spielen und dabei weniger jammern und mehr gestalten.
Meine Damen und Herren, man hat die Kontinuität der Politik dieser Regierung bezweifelt.
Es wäre ein Mißverständnis, zu glauben, Kontinuität sei nichts als Fortsetzung des Bestehenden. Dann brauchten wir übrigens keine Wahlen und keine politische Auseinandersetzung. Kontinuität ist kein Lineal. Der Historiker Mommsen hat für einige Kritiker einen Merksatz geprägt, den ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Er lautet: Man kann auch dadurch vom rechten Wege abkommen, daß man zu lange auf dem geraden bleibt.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

Nach meinem Verständnis der Kontinuität unserer Politik könnte ich auch sagen: der politische Gegensatz zu „Keine Experimente" ist nicht einfach „Experimente", sondern der Gegensatz ist „Keine Angst vor Experimenten". Das ist der Leitsatz unserer Politik.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600750700
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0600750800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Schlußworte haben eigentlich eine neue Debatte eröffnet.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nach unserem Eindruck ist hier soeben entweder geklärt worden, indem das eine oder andere, was der Herr Außenminister gestern gesagt hat, zurechtgerückt worden ist, oder es ist weiter verwirrt worden. Das würde dann eine große Debatte werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Bundeskanzler, lassen Sie mich mit dem Schlußsatz anfangen, den sie sagten, Kontinuität sei kein Ideal. Sicherlich nicht — —

(Zurufe: Lineal!)

— Ich bitte um Entschuldigung, ich habe das falsch gehört. Lassen Sie mich aber sagen, meine Damen und Herren: Ich hoffe, in der Frage der Kontinuität sind wir uns alle einig — und das sage ich gegen niemanden —, daß es gilt, die Prinzipien unserer Verfassung, und daß es gilt, den Auftrag des Grundgesetzes, nämlich die Menschenrechte für alle, zu erstreiten. Dies muß die oberste Kontinuität der deutschen Politik bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dazu ist nun zu fragen, ob es den Weg zur Selbstbestimmung aller Deutschen freilegt,

(Zuruf von der CDU/CSU: Genau das!)

wenn man etwas anderes tut, als alle Völker herzlich zu bitten, diesen Weg nicht dadurch zu erschweren, daß sie die Spaltung Deutschlands rechtlich sanktionieren. Dies ist doch die Frage, die hier zuerst zu stellen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Erlauben Sie mir, bevor ich dazu noch einiges auch aus dieser Debatte sagen werde, zunächst ein paar Worte zu dieser Debatte zu sagen. Ich glaube,



Dr. Barzel
daß „Financial Times" von heute etwas Gutes geschrieben hat und möchte das gerne, mit Genehmigung des Herrn Präsidenten, hier in die Debatte einführen. Sie schreibt:
Nach drei Jahren Großer Koalition hat Westdeutschland mit Überraschung festgestellt, daß es wieder eine machtvolle Opposition hat, deren Hauptzweck es ist, die Regierung zu Fall zu bringen. Seit den frühen Tagen der Bundesrepublik hat der Bundestag keine so scharfe Opposition gesehen. Einige deutsche Beobachter, die vergessen zu haben schienen, wie es in einer parlamentarischen Demokratie zugehen kann, zuckten sichtlich zurück angesichts von Szenen, die in Westminster als normal gegolten hätten.
Meine Damen und Herren, ich sage das nicht, weil ich mich im Gewitter gestern früh wohlgefühlt hätte. Für mein Gefühl ist Sonnenschein schon angenehmer, und wenn es den zur Zeit nicht geben kann, dann - so möchte ich mich meteorologisch ausdrücken — ist eigentlich die Rückseite das Angenehmere: Dann gibt es gelegentlich Schauer, nicht ganz vorhersehbar; im übrigen ist die Luft klar und die Fernsicht vorzüglich; ich glaube, diese Situation ist besser.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, nun zur Deutschlandpolitik. Wir haben uns bemüht — Bundeskanzler Kiesinger, viele unserer Sprecher, auch schon mit dem ersten Wort der Opposition hier im Hause —, eine Diskussion nach vorn zu eröffnen. Wir versuchen, hier deutlich zu machen, daß wir nicht etwa irgendeinem Fortschritt auf diesem Gebiet im Wege stehen. Da sitzt doch der Mann, der es angefangen hat, das Gespräch anzubieten! Wir haben gemeinsam diese Politik formuliert. Aber warum wohl haben wir als die Basis dieser Angebote die Politik der Nichtanerkennung begriffen?

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Das ist doch die Frage, die wir hier stellen müssen, auch unter dem Gesichtspunkt der Kontinuität. Wir suchen diese Diskussion. Wir haben durch unsere Fragen versucht, Positionen zu klären. Das ist nicht überall gelungen. Ich glaube, wir werden hier noch ein paar deutschlandpolitische Debatten haben müssen, bis alle Positionen, vor allem innerhalb dieser Regierung, völlig klar sein werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir haben hierzu — und das hat der Herr Bundeskanzler entweder übersehen oder nicht gewürdigt oder nicht würdigen wollen — doch keine Debatte über Theoreme geführt. Wir haben hier, alle, die dazu gesprochen haben, eine Debatte mit dem Blick auf die Selbstbestimmung und mit dem Blick auf das Erreichen der Menschenrechte für alle geführt. Und wir haben dazu auch konkrete Vorschläge gemacht.
Dann hat man versucht, uns in eine Ecke zu bringen, in die wir gar nicht hingehören. So wie man - was kläglich gescheitert ist — noch Verschiedenes versucht hat, sei es, daß ich meinen Freund
Katzer angucke, sei es, daß ich meine Freunde von der CSU angucke, sei es, daß ich den Bundeskanzler Kiesinger angucke, sei es, daß ich die freundlichen Worte an meine Adresse ansehe; wissen Sie: ob mit Freundlichkeit oder mit Salz, uns kriegen Sie nicht auseinander!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dies ist eine ganz klare Situation, meine Damen und Herren. Wir haben Fragen gestellt. Wir haben gefragt, wie die Position, die die neue Regierung hier eingenommen hat, mit der Präambel des Grundgesetzes vereinbar sei; eine Frage, die nicht beantwortet worden ist. Wir haben gefragt, wie das mit einer Politik zu vereinbaren sei, die das Selbstbestimmungsrecht sucht. Und wir haben danach gefragt, wie wir verhindern können — der Bundeskanzler Kiesinger hat dies hier gestern in wirklich klassischer Weise gesagt —, daß Sie sich selbst, Herr Bundeskanzler, durch die Vielzahl der Anerkennungen anderer Staaten in eine Situation bringen, in der Sie am Schluß nicht mehr frei sind in dem, was Sie selbst tun.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das ist doch die Frage. Je mehr Staaten die deutsche Spaltung sanktionieren, desto weniger Unterstützung auf der Welt haben wir doch für unser Selbstbestimmungsrecht! Das ist unsere Position. Das muß hier gesagt werden, Herr Bundeskanzler, damit klar ist: hei aller Bereitschaft zur Kooperation, bei aller Bereitschaft, in den menschlichen Dingen zu helfen — und ich wundere mich, Herr Kollege Franke, daß sich in dieser Debatte der — ja, wir haben eben keinen Gesamtdeutschen Minister mehr — nicht beteiligt hat —, — —(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese von mir jetzt geschilderte Basis der Deutschlandpolitik der neuen Bundesregierung findet nicht die Zustimmung der Opposition, und sie ist jenseits der Behauptung von Kontinuität.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Das, meine Damen und Herren, muß hier ganz klar sein.
Ich finde, Herr Bundeskanzler, das, was Sie gestern in der Debatte — ich sage dies ganz ruhig; aber es war mein Gefühl — auf all die Fragen und auf die vielen Debattenbeiträge, die es hier zu diesem Punkt gab, gesagt haben, war mir, ehrlich gesagt, zu plakativ und zu wenig argumentativ. Sie haben im Laufe des Nachmittags gesagt — ich zitiere hier aus dem Protokoll —:
Die wirkliche Alternative ist, ob man überwiegend dabei bleibt, zu beklagen und zu bedauern, was als Ergebnis des zweiten Weltkrieges schlecht ist, oder ob man unter den veränderten Bedingungen jede mögliche Chance nutzt, um für die Menschen im geteilten Deutschland, für den Frieden in Europa etwas zu erreichen.
Nur, wo ist denn da eigentlich eine Alternative, Herr Bundeskanzler? Was hat denn die Regierung Kiesinger, der Sie als Außenminister angehört haben, getan?

(Abg. Kleinert: Nichts! — Heiterkeit.)




Dr. Barzel
— Darauf könnten Sie nun eigentlich Ihrem neuen Koalitionspartner selber etwas sagen, Herr Bundeskanzler; denn zum Nichtstun sind Sie nicht drei Jahre nach Bonn gekommen; dann wären Sie doch in Berlin geblieben.

(Anhaltende Heiterkeit.)

— Meine Damen und Herren, das ist ein ernster Punkt. Lassen Sie uns versuchen, diesen ernsten Punkt hier ganz ruhig durchzuhalten. Herr Bundeskanzler, da haben Sie eine Alternative gesucht, die es nicht gibt. Denn die Regierung, der Sie als Außenminister angehört haben, hat doch die Versuche gemacht — z. B. vom April 1967 —, für die Menschen im geteilten Deutschland etwas zu erreichen. Wir haben doch dann, Herr Bundeskanzler, miteinander — ich muß noch einmal davon sprechen — hier am 25. September 1968 gewisse Festlegungen getroffen. Darüber haben wir vorher gesprochen, und zwar nicht nur die Fraktionsvorsitzenden, die hier angeblich alles gemacht haben. Nein! Sie haben mit dem Bundeskanzler gesprochen, und der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU hat mit dem damaligen Außenminister gesprochen, bevor diese Festlegungen erfolgten. Daran darf man doch wohl einmal erinnern.
Da haben wir gesagt — ich muß es eben noch einmal zitieren, meine Damen und Herren, und die Reihenfolge war doch so wichtig — in der Ziffer 6: keine Anerkennung, auch nicht eines zweiten souveränen deutschen Staates deutscher Nation. Dann erst kommt die Ziffer 7. Das hat doch alles seine Logik. Daran haben doch Leute gearbeitet, die sich nicht so leichthändig, wie das heute abend geschah, zu gesamtdeutschen und ostpolitischen Dingen äußerten, sondern die sorgfältig überlegten und formulierten.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

In der Ziffer 7 haben wir gesagt, einstimmig hier im Hause, mit der damaligen Opposition — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —:
Der Deutsche Bundestag wird alle Verhandlungen und Maßnahmen der Bundesregierung unterstützen, die zum Wohle der Menschen im gespaltenen Deutschland und im Interesse des Zusammenhalts der Nation möglich sind.
Das ist der Satz. Diese Politik hatten wir angefangen. Wir haben sie nach der tschechoslowakischen Tragödie hier bestätigt. In der ersten Einlassung der Opposition sind Ihnen neue Themen für solche innerdeutschen Gespräche genannt worden; und es ist der Wunsch, solche Gespräche herbeizuführen, unterstützt worden. Was soll da diese „Alternative"? Sie kann sich nur an Leute draußen richten. Ich habe gesagt, Herr Bundeskanzler, Reden zum Fenster hinaus würden wir nicht für große Stunden der Opposition halten. Das sollte die Regierung sich eigentlich auch zum Leitstern nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Erlauben Sie mir, auf einen weiteren Punkt aus der Debatte zu sprechen zu kommen. Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, Sie hätten sich eine Antwort nicht zugetraut auf die Frage, wie eines Tages die Deutschen zusammenleben würden. Meine Damen und Herren, vor einem Jahr, am 25. September 1968, hat sich dieses Haus an dieser Stelle einstimmig noch zugetraut, zu sagen, wie das Zusammenleben aller Menschen in Deutschland sein sollte. Da haben wir alle einstimmig beschlossen — wir alle, die dem 5. Bundestag angehört haben — und haben das Ziel formuliert — ich zitiere —:
Ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung besitzt und in die Gemeinschaft der europäischen Völker eingebettet ist.
Dies haben wir vor einem Jahr noch alle miteinander uns zugetraut zu sagen. Das gilt nun wohl nicht mehr!
Herr Bundeskanzler, in einem Punkt möchte ich trotzdem in der Hoffnung, daß man sich dann findet, Ihnen Unterstützung geben: In der Ausdehnung des Gewaltverzichts auf den anderen Teil Deutschlands, einer Politik, die Bundeskanzler Kiesinger begonnen hat. Nur, sehen Sie sie sich bitte ganz genau an! Jetzt erinnere ich an die Gespräche vor dem ersten Brief des Bundeskanzlers Kiesinger — ich habe ihn so schnell nicht zur Hand; ich konnte nicht wissen, daß jetzt so eine Debatte begann —, und ich erinnere den Kollegen Wehner daran, daß wir darüber sorgfältig gesprochen haben. In dem Brief wurde Herr Stoph aufgefordert, seinerseits die Gewalt einzustellen, z. B. an der Mauer in Berlin. Wer für solche Art von Gewalt handlungsfähig ist, der hat natürlich Verantwortung. Das haben wir nie bestritten, vielmehr immer — und dies war mein Vorschlag — von den Verantwortlichen geredet. Aber wir hoffen doch, Herr Bundeskanzler — ich will Sie eben in dieser Frage unterstützen —, daß Sie in solche Überlegungen des Gewaltverzichts auch dieses Schicksal der Deutschen, die in Deutschland von einer Seite auf die andere wollen, einbeziehen; daß Sie die Tatsache der Mauer und des Schießbefehls noch als Gewalt empfinden.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, ich möchte gerne noch einen dritten Punkt aus der Debatte anschneiden, auch deshalb, weil daran im Lauf der letzten Stunde Kritik geübt worden ist. Unser Kollege Hallstein hat der Bundesregierung gestern — ich zitiere aus dem Protokoll — auf Grund von Fragen, die nicht beantwortet wurden, „eine an Indifferenz grenzende Distanziertheit von den wichtigsten Vorgängen der europäischen Integration" vorgeworfen. Er hat davon gesprochen, daß die vorhandene Europäische Gemeinschaft das einzige Stück vorhandener, realer europäischer Friedensordnung sei. Wir sagen dies nicht gegen andere. Herr Bundeskanzler, wenn Sie wirklich einen deutschen Beitrag leisten wollen, zu einem Sicherheitssystem in Europa und zu einer Friedensordnung, dann finden Sie diese Opposition mit Rat und Tat an Ihrer Seite. Nur: wir bitten sehr herzlich — und das ist eine Bitte, die ich vor allem an den Herrn Außenminister richte, und ich bin sicher, daß der Herr Ernährungsminister versteht, daß ich das aus einer guten Gesinnung auch an



Dr. Barzel
seine Adresse sage —, die jetzigen Schwierigkeiten in Europa aus einer Gesinnung anzugehen, daß nicht dieses Stück realer Friedensordnung in einem Teil Europas am Schluß Schaden nimmt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Bundeskanzler, wenn Sie es wünschen, bevor die europäische Gipfelkonferenz ist, die „mehr Demokratie", die Sie wagen wollen, zu praktizieren oder die Kooperation mit der Opposition tatsächlich zu suchen, die wir angeboten und die Sie akzeptiert haben, dann möchte ich Ihnen sagen, — und dies in aller Form: Dies ist ein erster Punkt. Es ist für Sie wichtig, ob Sie — sei es mit einer Debatte, sei es durch Gespräche, das liegt bei Ihnen — in Kenntnis der Auffassung der Opposition zu dieser Konferenz fahren oder ohne, mit Unterstützung der Opposition oder ohne, oder vielleicht gar mit einer öffentlichen Unterstützung hier, die vorher Ihre Position stärkt. Wir sind zu all den drei Methoden bereit, Herr Bundeskanzler, nur nicht zu einem: hinterher hier etwa nur eine Debatte über geschaffene Tatsachen haben zu können, um sie dann akzeptieren zu sollen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte gern, Herr Bundeskanzler, eben noch einen wirtschaftspolitischen oder, konkret gesagt, finanzpolitischen Punkt anschneiden. Der Kollege Alex Möller — er ist verhindert, er hat, glaube ich, einen guten Grund — hat heute morgen auf unser Befragen gesagt, es sei nicht früher als im März möglich, den Haushalt und die neue mittelfristige Finanzplanung vorzulegen. Dazu hat mein Kollege Stoltenberg auf die Rechtsvorschriften hingewiesen und gesagt, das müßte wohl etwas früher möglich sein. Ich habe dann gefragt, ob denn wirklich diese Steuersenkungen vorher passieren sollten, bevor man eine Gesamtübersicht habe. Ich habe im Ohr, daß der Herr Wissenschaftsminister uns hier, ohne eine Zahl zu nennen, doch wohl gesagt hat, daß er von uns etwas verlangen werde. Das habe ich, glaube ich, richtig verstanden. Herr Bundeskanzler, Sie sollten sich noch einmal überlegen, ob Sie wirklich hier so mit Vorlagen vorweg kommen oder erst einmal eine Rang- und Reihenfolge und einen Blick auf das finanziell Mögliche in Ihr Regierungsprogramm bringen. Das, glaube ich, wäre wirklich wichtig.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

In diesem Zusammenhang freue ich mich, daß der Herr Kollege Möller heute morgen — ich freue mich allerdings nicht über das, was er personalpolitisch in seinem Haus gemacht hat — wenigstens, nun, wie soll ich jetzt sagen: aussagekräftiger war in dem, was er über sozialdemokratische höhere Beamte dem Hause mitgeteilt hat, als die Bemerkungen des Herrn Bundeskanzlers über die Chauffeure, die dieser hier gemacht hat; und ich glaube, er wollte den Chauffeuren sicherlich nicht zu nahe treten. Wir leben nun mal mit ihnen!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir behalten uns vor, diese gesamte Frage hier im Hause noch im Zusammenhang zur Sprache zu bringen.
Ein vorletzter Punkt. Der Herr Kollege Genscher hat hier von der Verfassungsreform gesprochen, und an die Opposition appelliert. Nun, auch wir wissen, daß in diesem Hause auf dem Gebiet der Verfassung natürlich gar nichts ohne die CDU/CSU möglich ist. Deshalb wäre es sicherlich gut, wenn alle Vorstellungen, die hierzu entwickelt werden, auch rechtzeitig und von Anfang an erörtert und uns nicht nur hinterher Vorlagen zur Zustimmung übereignet würden.
Meine Damen und Herren, wir wollten dies zum Schluß sagen: Wir hoffen nicht nur, daß diese Debatte ein lebendiges Parlament deutlich gemacht hat, sondern begrüßen auch, daß Sie, Herr Bundeskanzler, heute abend in Ihrem Schlußwort nachgeholt haben, was in Ihrer Regierungserklärung fehlte, nämlich die guten Sätze an die Adresse der Jugend.

(Lachen bei der SPD.)

— Das war nun auch höchste Zeit, daß Sie zeigten, daß es für Sie noch nicht zu spät ist, meine Damen und meine Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Opposition möchte heute, nachdem der Herr Kollege Schiller lange gesprochen hat, doch am Schluß noch folgendes sagen: Nach dieser ersten Debatte wäre es gut, wenn wir jetzt in die Geschäftsordnung guckten und uns alle wirklich daran hielten. Das war eine ganz gute Idee mit den 15 Minuten. Es wäre auch ganz gut, wenn sich alle von dieser Seite daran halten könnten. Sonst müssen wir einen Weg finden, der es ermöglicht, Zwischenfragen in irgendeiner Form anzurechnen. Darüber muß man wahrscheinlich sprechen.

(Zuruf von der SPD: Überlassen Sie das dem Parlament!)

— Meine Damen und Herren, gucken Sie sich doch einmal an, wieviel Zeit am heutigen Tage — das haben Sie früher immer beklagt, nun müssen Sie mir doch das Genüßliche lassen, es am Abend eines solchen Tages auch einmal zu beklagen — von der Redezeit hier durch Mitglieder der Bundesregierung wahrgenommen wurde! Als Herr Schiller fertig war, kam sein Beauftragter, der Herr Parlamentarische Staatssekretär, der auch das Recht hat, jederzeit das Wort zu nehmen.
Meine Damen und Herren, lassen wir uns am Schluß nicht auf Schiller, sondern auf Goethe verständigen: „Der Worte sind genug gewechselt, laßt mich auch endlich Taten seh'n!"

(Beifall bei der CDU/CSU und bei der SPD.)

Allein an diesen Taten wird die deutsche Jugend auch das messen, was Sie tun, und in dem, Herr Bundeskanzler, sind sich die Jugend und die Opposition völlig einig: Wir erwarten ihre Taten!

(Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)





Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600750900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (SPD):
Rede ID: ID0600751000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mir sehr verständlich, daß der Vorsitzende der Fraktion der CDU/CSU als der Sprecher der Opposition hier am Schluß einer Debatte über die Regierungserklärung wünscht, noch einmal deutlich zu machen, daß die Opposition im Bundestag ihren Akzent auch zu setzen hat, nachdem der Chef der Bundesregierung eine zusammenfassende Äußerung zu dieser Debatte gegeben hat.
Ich persönlich nehme jedes Wort und jeden Satz ernst. Aber gerade deshalb will ich von mir aus die Debatte nicht neu beginnen. Das könnte man. Ich habe im 1. Deutschen Bundestag Debatten erlebt — wir wußten, warum wir solche dann nicht mehr führen wollten —, die bis in die frühen Morgenstunden gingen, und es war dann danach meist auch irgend jemand beschädigt. Das kann ich auch noch, auch nach 20 Jahren!
Ich bin hier gar nicht frivol. Ich wollte nur folgendes sagen: Es dient, meine Damen und Herren, der deutschen Sache nicht, die Debatte so zu bewerten oder bewerten zu lassen, als gäbe es hier jemand oder gar eine Mehrheit dieses Hauses, die die Anwendung von Gewalt gegen Menschen, die von Deutschland nach Deutschland wollen, nicht verabscheute

(Beifall bei den Regierungsparteien)

oder die jedenfalls nichts zur Beendigung dieses Zustands tun wolle. Ich sage: Das dient der deutschen Sache nicht — bei allem, was kontrovers ist —, der man in dieser Zeit — und hier muß ich an das anknüpfen, was der Bundeskanzler gesagt hat — nur mit dem Blick auf das vor uns Liegende am besten dienen kann. Ich will das nicht vertiefen.
Sie haben recht, Herr Kollege Dr. Barzel: Wir werden über solche Fragen oder, sagen wir besser: darüber, daß hier so etwas als Eindruck mitgenommen werden kann oder von anderen, die mithören, mitsehen, draußen dann so bewertet werden kann, debattieren müssen und werden vieles klären müssen. Dabei werden wir in einer Reihe von Fragen kontrovers bleiben. Hier würde ich, hätten wir mehr Zeit, erinnern an jenen Satz in der Einleitung der Regierungserklärung über die Gegensätzlichkeit in der Sache und die gemeinsame Verpflichtung im Nationalen.
Ich wollte jedenfalls sagen: Auf unserer Seite läßt niemand sich von anderen übertreffen — —

(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir schon ein paarmal gehört!)

— Ich bitte Sie, lassen Sie mich! Ich habe das vorhin auch mit Ruhe angehört. Wenn Sie das nicht wollen, habe ich gesagt, kann ich bis morgen früh um fünf debattieren!

(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch!)

Ja, bitte sehr! Wollen Sie das? Haben Sie die Vorstellung? — Ich wollte ein versöhnendes Wort sagen; Sie wollen es nicht hören!

(Beifall bei der SPD.)

Das ist die Lage in diesem Hause. Ich meine Sie, die Sie das jetzt eben gesagt haben, nicht alle!
Ich wollte noch einmal in aller Ruhe sagen — entschuldigen Sie meine Erregung —: Auf unserer Seite läßt niemand sich übertreffen — auch Sie, Herr Memmel, möchte ich dabei angesprochen haben — von anderen in dem Bemühen um das Recht auf Selbstbestimmung unseres ganzen deutschen Volkes!

(Beifall bei den Regierungsparteien.) Und nun fangen Sie wieder an!

Ich hatte mir heute morgen, weil Herr Dr. Barzel nach dem Wort, das der Bundeskanzler in dieser Frage — das ist eine völlig andere Frage — der Berufsbeamten gesagt hat, noch einmal ausdrücklich darauf kam, etwas notiert — aber ich wollte nicht in die Debatte eingreifen —, nachdem ich mir den Schluß der Rede von Herrn Strauß notiert hatte. Es geht ja und ging dabei gar nicht um ein Ja oder ein Nein zum Berufsbeamtentum, sondern hier ging es um die Bewertung völlig normaler politischer Vorgänge, bei denen die Regierung ein Interesse haben muß, deutlich zu machen — und die sie tragende Mehrheit hat in diesem Falle dasselbe Interesse —, daß hier nichts Unkorrektes vorlag, nichts gegen das, was mit diesem Wort, ich sage: mit diesem wohl gezielt gemeinten Wort „Wir stehen zum Berufsbeamtentum" gesagt ist. Wir auch! Das ist das Problem nicht. Was für mich problematisch war, ist etwas an der Art, in der das hier gesagt worden ist. Und ich hätte es nicht wieder aufgebracht; ich bringe es auf und muß es noch einmal aufbringen, nachdem Herr Dr. Barzel nach den ergänzenden sachlichen Ausführungen des Bundesministers der Finanzen, Dr. Möller, darauf einging. Hier ist nach meinem Empfinden mit dieser Art von Schlußbemerkung des Herrn Dr. Strauß von heute nachmittag — oder war es vormittags, man kommt schon durcheinander - versucht worden, in das Berufsbeamtentum sozusagen einen Stachel mit Widerhaken hineinzutreiben. Und nur deshalb habe ich noch einmal dazu gesprochen. Das werden wir nicht erleichtern, jedenfalls nicht diese Form.

(Zustimmung des Abg. Dr. von Dohnanyi.)

Wissen Sie, wenn es nicht so spät wäre, würde ich an die Assoziation erinnern, die mir dabei aufkam, eine Assoziation an andere Worte, die ganz bestimmte Bedeutungen nur dann und nur deswegen haben, weil sie in einer schlimmen Zeit unseres Volkes immer wieder wie Sägen angebracht worden sind, z. B. das Wort „Ausverkauf" — so auch dieses Wort. Und das möchte ich: daß wir bei allen sachlichen Kontroversen dies aus der Welt zu bringen versuchen. Deswegen habe ich das hier noch einmal



nach diesen kritischen Bemerkungen gesagt. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0600751100
Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist erschöpft; ich sehe keine Wortmeldung mehr. Ich schließe daher die Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung und berufe die nächste Sitzung ein auf Mittwoch, den 5. November 1969, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.