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    Deutscher Bundestag 7. Sitzung Bonn, den 30. Oktober 1969 Inhalt: Amtliche Mitteilung 127 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. h. c. Strauß (CDU/CSU) 127 B Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister 136 B Kienbaum (FDP) 144 C Höcherl (CDU/CSU) 146 B von Hassel, Präsident (zur GO) 149 C, 163 B Ertl, Bundesminister 149 C Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) 159 A Peters (Poppenbüll) (FDP) 160 C Klinker (CDU/CSU) 162 C Logemann (FDP) 164 D Dr. Schiller, Bundesminister 167 C Dr. Schmid, Vizepräsident (zur GO) 174 B Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) 178 C Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär 181 B Gewandt (CDU/CSU) 183 A Dr. Haas (FDP) 183 D Dichgans (CDU/CSU) 185 B Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) 185 C Frau Funcke, Vizepräsident 186 C Dr.-Ing. Leussink, Bundesminister 188 A Dr. Meinecke (SPD) 191 D Dr. Mikat (CDU/CSU) 193 B Moersch (FDP) 195 C Genscher, Bundesminister 198 C Dr. Lohmar (SPD) 201 A Katzer (CDU/CSU) 202 C Dr. Schellenberg (SPD) 207 A Schmidt (Kempten) (FDP) 212 A Dr. Burgbacher (CDU/CSU) 214 C Arendt, Bundesminister 216 A Benda (CDU/CSU) 220 B Dr. Ehmke, Bundesminister 223 B Dr. Rutschke (FDP) 223 C von Hassel, Präsident 228 A Dr. Lauritzen, Bundesminister 228 B Vogel (CDU/CSU) 228 C Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) 230 B Jahn, Bundesminister 231 C Brandt, Bundeskanzler 232 B Dr. Barzel (CDU/CSU) 236 C Wehner (SPD) 240 A Nächste Sitzung 241 Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten 243 A Anlagen 2 bis 4 Schriftliche Erklärungen der Abg. Dichgans (CDU/CSU), Dr. Rutschke (FDP) und Dr. Jungmann (CDU/CSU) zu der Regierungserklärung 243 B Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Oktober 1969 127 7. Sitzung Bonn, den 30. Oktober 1969 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Amrehn ** 16. 11. Dr. Dittrich * 31. 10. Frau Herklotz ** 17. 11. Frau Geisendörfer 30. 10. Gottesleben 31. 12. Dr. Jungmann 10. 11. Frau Kalinke ** 17. 11. Dr. Kempfler 30. 10. Lücke (Bensberg) 31. 10. Frau Meermann ** 9. 11. Müller (Aachen-Land) * 30. 10. Petersen ** 17. 11. Dr. Preiß 31. 10. Raffert ** 9. 11. Dr. Rinderspacher 14. 11. Schlee 31. 10. Dr. Schmidt (Offenbach) 31. 10. Dr. Starke (Franken) 30. 10. Weigl 31. 10. Dr. Wörner 30. 10. Frau Dr. Wolf ** 20. 11. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an einer Tagung der Interparlamentarischen Union Anlage 2 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dichgans (CDU/CSU) zu der Regierungserklärung. Nachdem das Thema Baustahlpreise von zwei prominenten Kollegen angesprochen worden ist, wollte ich dazu etwas sagen. Die Preisentwicklung für Baustahl, genauer Betonstahl, ist lebhaft kritisiert worden, nicht ohne Grund. In der Tat sind Fälle vorgekommen, in denen ein Bauunternehmer, der bei seinem Händler noch Januar dieses Jahres 450 DM/t gezahlt hatte, im Juli 1969 900 DM bezahlen sollte, das Doppelte. Herr Kollege Dr. Strauß hat dazu bereits mit Recht bemerkt, daß das Problem sehr verwickelt liege. Dazu nur drei Zahlenpaare. Im Jahre 1960 lag der Preis für Betonstahl ab deutschem Hüttenwerk bei etwa 520 DM/t, was zu Preisen ab Händlerlager in der Größenordnung von 650 DM/t führte. Jm Jahre 1968 erlebten wir einen weltweiten Preiseinbruch bei Stahl, mit Preisbewegungen, wie wir sie früher nur am internationalen Metallmarkt erlebt hatten, etwa bei Kupfer und Zinn. 25 % des deutschen Stahlverbrauchs stammen aus dem Ausland. Belgischer Stahl wurde in dieser Baissezeit mit etwa 350 DM/t ab Hüttenwerk, 450 DM/t ab Händlerlager angeboten, alles in runden Zahlen, die nur die Größenordnungen zeigen sollen. Bei einem Überflußangebot wirkt bekanntlich das billigste Angebot preisbestimmend. Deutsche Hüttenwerke mußten deshalb den Auslandsangeboten folgen. Sie waren übrigens daraufhin in mehreren Fällen gezwungen, die Vorauszahlungen von Körperschaftsteuer einzustellen. Im Sommer 1969 entwickelte sich nun ein weltweiter Stahlboom, der den belgischen Preis in wenigen Monaten von 350 auf 700 DM in die Höhe schnellen ließ, was zu dem erwähnten hohen Preis ab Händlerlager führte, 900 DM/t im Extremfall. Daraus ergab sich eine allgemeine Preisauftriebstendenz für Betonstahl ab Händlerlager, weil in Mangellagen die höchste Preisforderung für eine Menge, die noch benötigt wird, den Gesamtpreis bestimmt. Wie haben sich nun die Betonstahlpreise ab deutschem Hüttenwerk entwickelt? Sie liegen unverändert bei 520 DM, wie im Jahre 1960, eher einige Mark darunter. Von allen Stahlsorten wurde nur der Betonstahl, weniger als 10 % der Gesamtmenge, von hektischen Preisausschlägen erfaßt. Für die übrigen verlief die Preiskurve weit ruhiger, für manche von ihnen völlig stetig. Bei Betonstahl gab es im Sommer 1969 zeitweise Lieferschwierigkeiten. Niemand hatte diese sprunghafte Steigerung der Nachfrage vorausgesehen, weder die Stahlindustrie noch der Bundeswirtschaftsminister. Die Stahlindustrie bemühte sich jedoch intensiv um eine Erhöhung der Erzeugung, mit sichtbarem Erfolg. Die extremen Preise gingen rasch zurück. Kritische Kollegen haben mir hier bestätigt, daß heute Betonstahl wieder zum Preise von etwa 650 DM/t vom Händlerlager zu haben ist. Die exzessiven Preisschwankungen waren gewiß unerfreulich. Aber der Mechanismus der Marktwirtschaft hat rasch funktioniert. Seit 1960 ist der allgemeine Index der Industriepreise um etwa 14% gestiegen, während die Stahlpreise sich beim Stand von 1960 gehalten haben. Wäre das bei allen Preisen der Fall, so wäre das Wort Preisstabilität in der heutigen Debatte nicht vorgekommen. Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Rutschke (FDP) zu der Regierungserklärung. Die Fraktion der FDP begrüßt es außerordentlich, daß die neue Bundesregierung in ihrer programmatischen Erklärung den innenpolitischen Problemen der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten breiten Raum geschenkt hat. Seit Jahren hat keine Bundesregierung so konkrete und konstruktive Aussagen gemacht. Die Bundesregierung hat erklärt, daß sie die notwendigen Maßnahmen zur 244 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Oktober 1969 Eingliederung vollenden wird. Vierundzwanzig Jahre nach Kriegsende ist es wahrlich erforderlich, daß dieses mit so viel Leid verbundene Kapitel der deutschen Geschichte endlich zu einem befriedigenden Abschluß kommt. Es besteht kein Zweifel, daß die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge am unzulänglichsten in bezug auf die ostdeutschen Bauern geblieben ist. Jeder weiß, daß die Bundesrepublik Deutschland diesen Menschen nicht wieder zu einem Bauernhof zu verhelfen vermag. Aber ein eigenes Haus mit einem Stück Siedlerland hätte man in den verflossenen zwei Jahrzehnten den ostdeutschen Landwirten sicherlich zur Verfügung stellen können. Noch der scheidende 5. Bundestag appellierte an die neue Bundesregierung, einen Eingliederungsplan aufzustellen, nach dem jährlich wenigstens 4000 Ost- und Mitteldeutsche eine Nebenerwerbssiedlung erhalten können. Die neue Bundesregierung wird danach streben, jenen einstimmigen Wunsch aller Fraktionen zu realisieren. Die gewerblichen Betriebe der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigten leiden immer noch unter erheblichem Eigenkapitalmangel. Zu welch ernster Bedrängnis dieser Zustand führt, konnte man 1966 sehen, als die westdeutsche Wirtschaft in die Krise abglitt. Die Geschädigtenbetriebe waren die ersten, die an den Rand des Konkurses gerieten. Die neue Bundesregierung wird sich deshalb bemühen, die notwendigen eigenkapitalbildenden Maßnahmen fortzusetzen. Die wohnungsmäßige Eingliederung der Vertriebenen, Flüchtlinge und Ausgebombten läßt immer noch zu wünschen übrig. Dies gilt nicht nur für das Fehlen von Mietwohnungen für diesen Personenkreis, sondern verstärkt für das Phänomen des Wohnraum-Eigenbesitzes. Nas neue Kabinett bringt ferner in seiner Regierungserklärung zum Ausdruck, daß es den Lastenausgleich und die Kriegsfolgegesetzgebung, auch im Interesse der Flüchtlinge aus der DDR, zu einem gerechten Abschluß bringen wird. Die Einfügung bezüglich der Flüchtlinge soll zweifellos zum Ausdruck bringen, daß sich die Bundesregierung um eine Gleichstellung der Flüchtlinge mit den Vertriebenen in bezug auf die Hauptentschädigung bemühen wolle. Der Hinweis auf einen „gerechten" Abschluß deutet an, daß die Regierung prüfen werde, inwieweit allgemein eine Verbesserung der Entschädigungsleistungen vorgenommen werden kann. Auch der Ausbau der Altersversorgung der ehemals Selbständigen fällt in diese Programmankündigung. Der letzte Bundestag hatte diesbezüglich die neue Bundesregierung gebeten, eine angemessene Erhöhung des Selbständigenzuschlags im 2. Unterhaltshilfeanpassungsgesetz vorzusehen. Die neue Regierung hat die Bemühungen um die Realisierung dieses Parlamentswunsches bereits seit einigen Tagen aufgenommen. Es wird bei dieser Gelegenheit darauf ankommen, die Altersversorgung stärker als bisher in ein angemessenes Verhältnis zur früheren soziologischen Stellung der Geschädigten zu bringen. In der Öffentlichkeit ist — insbesondere von Geschädigtenverbänden — kritisiert worden, daß das Bundesvertriebenenministerium aufgelöst worden ist. Diese Kritik geht an dem Kern der Sache vorbei. Der zentrale Verwaltungsapparat für die Eingliederung, den Lastenausgleich und die kulturelle Betreuung der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten ist tatsächlich uneingeschränkt erhalten geblieben. Soweit es die außenpolitischen und deutschlandpolitischen Belange der Vertriebenen und Flüchtlinge betrifft, war auch in der Vergangenheit der Vertriebenenminister dafür nicht ressortzuständig. Alle Wünsche oder Vorstellungen werden aber wirkungslos und vergeblich sein, wenn uns eines nicht gelingt: die Kaufkraft unserer Währung zu stabilisieren. Insbesondere die Geschädigtenkreise, ob Kriegssachgeschädigte, Vertriebene oder Flüchtlinge, sind — und hierbei wiederum insbesondere die älteren Menschen — auf die Erhaltung der Kaufkraft unseres Geldes angewiesen. Sie sind wirklich darauf angewiesen — mehr als alle anderen. Die schlechteste Sozialpolitik im weitesten Sinne des Wortes ist die Politik des schlechten Geldes. Wer den Weg der Anpassungsinflation vorzog, anstatt rechtzeitig alle volkswirtschaftlichen Mittel, wie z. B. die Aufwertung unserer D-Mark, einzusetzen, hat sich insbesondere an diesem Personenkreis versündigt. Diese nicht zu rechtfertigende Politik wird ihre Auswirkungen mit voller Wucht im Hinblick auf Preissteigerungen erst in den nächsten Monaten haben. Das wird aber dann für die Geschädigtenkreise besonders schmerzlich sein. Die Verantwortung für die kommenden Preissteigerungen liegt aber nicht — das möchte ich hier und heute eindeutig feststellen — bei der neuen Bundesregierung, sondern einzig und allein bei den Herren Bundeskanzler Dr. Kiesinger und Finanzminister Strauß und bei Ihnen, meine Damen und Herren der CDU/CSU. Anlage 4 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Jungmann (CDU/CSU) zu der Regierungserklärung. Es gehört zu der traditionellen Besonderheit der Gesundheitspolitik jedenfalls in diesem Hause —, daß ihr Akzent weniger auf den unvermeidlichen Meinungsverschiedenheiten als auf der gemeinsamen humanitären Verpflichtung gelegen hat. Deshalb und in diesem Geist stelle ich fest, daß die gesundheitspolitischen Aussagen der Regierungserklärung in jeder Hinsicht enttäuschend sind. Wir haben mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß die Aufgabe der Gesundheitspolitik jetzt auch von der Bundesregierung bescheidener und realistischer als früher in dem Schutz der Men- Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Oktober 1969 245 schen vor den durch Technik und Zivilisation hervorgerufenen Gesundheitsrisiken gesehen wird. Wir haben ebenfalls mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß Wissenschaft und Forschung jetzt an erster Stelle dieser Aufgaben genannt werden. Von der Konkretisierung dieser löblichen Erkenntnis haben wir allerdings wahrlich nichts Überzeugendes gehört. Was da von einem Institut für Sozialmedizin gesagt worden ist, ist mehr Propaganda als Wissenschaft und Forschung. Wenn die sozialmedizinische Forschung an unseren Universitäten und Hochschulen wenigstens etwas großzügiger gefördert würde, würde dabei zweifellos mehr herauskommen als aus einem solchen Institut im Bundesgesundheitsamt. Für die Erforschung der Grundlagen für die Früherkennung der großen Krankheiten unserer Zeit ist das jedenfalls weder der beste noch der erfolgversprechendste Weg. Wir wollen unsere Sorgen bezüglich der weiteren Entwicklung der wissenschaftlichen Institute des Bundesgesundheitsamtes nicht verhehlen. Wenn Wissenschaft und Forschung im Gesundheitspolitischen Programm tatsächlich an erster Stelle stehen sollen — und wir begrüßen das ausdrücklich, weil es schon seit vielen Jahren unsere ausdrückliche Ansicht ist -, dann muß im Bundesgesundheitsamt eine grundlegende Neugestaltung erfolgen. Angesichts der Tatsache, daß heute jeder fünfte oder sechste Mensch an Krebs stirbt, ist es doch wohl kaum angemessen, wenn die Bundesregierung der Krebsbekämpfung „besondere Bedeutung" beimessen will. Auch hier haben wir die klare und konkrete Aussage vermißt, was und wie das geschehen soll. Warum ist vor allem mit keinem Wort gesagt worden, daß die heute schon vorhandenen Möglichkeiten der Früherkennung des Krebses und der anderen großen Krankheiten unserer Zeit endlich voll ausgenutzt werden sollen? Statt der unverbindlichen Versicherung guter Absichten zur Reinhaltung von Wasser und Luft und zum Schutz vor dem Lärm hätten wir auch lieber gehört, w i e das geschehen soll, w i e unsere Städte und Dörfer z. B. von dem täglich wachsenden Zivilisationsmüll befreit werden sollten. Mit Interesse haben wir zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung schon bald ein Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser vorlegen will. Wir sind sehr gespannt, dann zu erfahren, was unter einem „bedarfsgerecht gegliederten System leistungsfähiger Krankenhäuser" zu verstehen ist. Hoffentlich nicht ein seelenloses und damit zugleich unmenschliches System ausschließlich funktionsbezogener Institutionen! Daß die neue Bundesregierung die ärztliche Ausbildung reformieren will, ist — gelinde ausgedrückt — eine unangebrachte Absichtserklärung. Denn tatsächlich müssen wir - der Deutsche Bundestag - von der Bundesregierung erwarten, daß sie ihrerseits bald realisiert, was ihr vom Gesetzgeber aufgetragen worden ist. Bisher sieht es allerdings so aus, als ob diese Aufgabe eher verzögert als mit der notwendigen Einsicht und Energie vorangetrieben würde. Daß sich die Bundesregierung zu dem Grundsatz der freien Arztwahl bekennt, ist nicht gerade sensationell. Daß sie sich auch zum Grundsatz der freien Berufsausübung bekennt, ist schon eher von Interesse. In den Programmen der SPD haben wir eine so klare Aussage bisher jedenfalls vermißt. Unklar und besorgniserregend ist die Aussage, daß die Bundesregierung, „abgestimmt auf die europäische Entwicklung", dafür sorgen wird, daß „Staat und Heilmittelhersteller im Arzneimittelwesen verantwortlich zusammenwirken" sollen, „um ein Maximum an Sicherheit zu gewährleisten". Dieses Maximum an Sicherheit ist jedenfalls nicht nur die Absicht, sondern Grundsatz, Sinn und Inhalt unserer deutschen Arzneimittelgesetzgebung gewesen, die von allen Fraktionen dieses Hauses getragen worden ist. Was muß und was soll da jetzt geändert werden? Wir bleiben bei unserer Auffassung, daß die Verantwortung für die Arzneimittel über die Gesetzgebung und über die Befolgung der Gesetze hinaus nicht vom Staat übernommen werden kann, weil der Staat diese Aufgabe nicht erfüllen kann. Auch in der Gesundheitspolitik erwarten wir also klare Aussagen, damit wir wissen, welchen Absichten wir zustimmen können und welchen Absichten wir rechtzeitig entgegentreten müssen. Ich darf abschließend feststellen, daß das von uns selbst früher einmal angestrebte und schließlich geschaffene Gesundheitsministerium heute wohl nicht mehr für die optimale Organisation der Gesundheitspolitik angesehen werden kann. Das gilt auch für das jetzt aus Familien-, Jugend- und Gesundheitsministerium zusammengelegte Ministerium. Wie wenig seine Teile ein organisches Ganzes bilden, ergibt sich allein schon aus der Behandlung seiner verschiedenen Aufgaben in der Regierungserklärung. Das gilt um so mehr, als dem Vernehmen nach die Einheit der Gesundheitspolitik durch Herauslösung der gesamten Umwelthygiene aus dem Gesundheitsministerium gesprengt werden soll. Wir sind der Ansicht, daß alle Teile dieses Ministeriums Teile eines modernen Innenministeriums sein sollten, eines Innenministeriums allerdings, das sich als das für die Daseinsvorsorge der Staatsbürger verantwortliche Ministerium zu verstehen hätte. Das ergibt sich aus unserer grundsätzlichen Auffassung, daß Schutz der Gesundheit Aufgabe einer richtig verstandenen Gesundheitspolitik sind, nicht aber die mehr oder weniger verkappte Vorstellung, daß das Wohl und Wehe der Menschen vom Staate organisiert werden könnte.
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    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir, der ich nicht die Ehre habe, diesem Hohen Hause anzugehören, ist es völlig klar, daß ich mich des besonderen Wohlwollens von Ihnen allen erfreuen muß, wenn ich meine Arbeit hier positiv leisten soll. Ich möchte deshalb bei meinem ersten Auftreten vor Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, damit beginnen, daß ich mich sehr herzlich bedanke für die Glückwünsche, die mir die drei Herren Fraktionsvorsitzenden bei der Übernahme des Amtes übermittelt haben. Diese und die freundlichen Bemerkungen, die der Führer der Opposition, Herr Dr. Barzel, gestern an mich gerichtet hat, stärken mein Selbstvertrauen, daß wir alle zusammen die schwierige Arbeit meistern werden, die ich in dem mir anvertrauten Ressort in der Exekutive zu leisten habe.
    Es wird draußen behauptet, wir gingen unvorbereitet in die siebziger Jahre. Ein solcher Artikel war erst unlängst etwa in der „Welt" zu lesen. Ich glaube, das ist in weiten Teilen der Bevölkerung der Eindruck, daß wir nicht vorbereitet sind. Ob das im einzelnen stimmt, ist nicht so wichtig, jedenfalls müssen wir uns mit dieser Einstellung auseinandersetzen, und wir müssen mit ihr rechnen. Wir werden nur beweisen können, daß wir vorbereitet sind, wenn wir uns hier zusammen bemühen, das zu tun, was notwendig ist.
    Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch einen weiteren Dank aussprechen, den ich ausführlicher schon bei der Übernahme des Amtes ausgesprochen habe, nämlich an meinen Vorgänger, Herrn Dr. Stoltenberg.
    Der von mir übernommene Bereich ist mir nicht völlig unbekannt. Seit einer ganzen Reihe von Jahren habe ich in verschiedenen Eigenschaften als Berater des Ministeriums für wissenschaftliche Forschung gedient. Ich weiß also, daß Sie hier in den letzten Jahren eine ganz erhebliche Erhöhung des Etats meines Hauses vorgenommen haben, mit dessen Höhe man auch heute schon eine ganze Menge machen kann. Die verschiedenen Programme des Hauses weisen das aus. Wir sind dort also auf dem richtigen Wege, wenn natürlich auch noch lange nicht am Ende.
    In dem Hause wurden in den letzten Jahren Förderungsschwerpunkte gebildet. Das ist etwas, was heute unbedingt notwendig ist, was nicht nur überall verlangt wird, sondern tatsächlich überall auch notwendig ist. Auch hier sind wir, glaube ich, auf dem richtigen Wege.
    Es wurden auch Anfänge gemacht für das nach meinem Dafürhalten unbedingt notwendige partnerschaftliche Verhältnis zwischen den die Gesellschaft repräsentierenden staatlichen Organen und der Wissenschaft oder, genauer gesagt, den Wissenschaftsorganisationen. Auch hier ist ein Anfang gemacht, der weiterentwickelt werden muß.
    Desgleichen hat man angefangen, auf einem außerordentlich schwierigen Gebiet einen Versuch zu machen: rationale Kriterien für die Prioritätenfestsetzung von Forschungsförderung zu entwerfen. Das ist ein außerordentlich schwieriges Geschäft, das auch in den Vereinigten Staaten noch lange nicht gelöst ist, sondern erst in den Anfängen steckt. Ich verweise auf das, was Herr Weinberg, der Chef von Oakridge, sowohl in den Vereinigten Staaten als auch hier mündlich und schriftlich geäußert hat.
    In dieser Hinsicht wird also die in der Regierungserklärung ja mehrfach angesprochene Kontinuität zweifelsohne gewahrt werden. Natürlich wird die neue 'Regierung an manchen Punkten andere Akzente setzen, und wir müssen uns sicher auf einzelnen Gebieten auch an ganz neue Denkstrukturen gewöhnen. Der Herr Abgeordnete Kienbaum hat das heute vormittag hier schon in einem anderen Zusammenhang etwas näher ausgeführt.
    Ich will dazu nur ein Schlagwort wiederholen: neue Technologien. Es genügt aber nicht, sich nur mit neuen Technologien zu beschäftigen. Das Geschäft besteht in Wirklichkeit darin, Produkte der Forschung so schnell wie möglich in industrielle Produktion umzusetzen. Ich weiß nicht, ob wir in Deutschland überhaupt schon begriffen haben, was das heißt. Wenn man sich die Geschwindigkeit ansieht, mit der dieser Prozeß in Japan — ich beziehe mich jetzt nicht wie üblich auf die Vereinigten Staaten, sondern auf unseren neuen Konkurrenten Japan — vor sich geht, bleibt einem nur die Feststellung, daß wir noch sehr im Rückstand sind.
    Ich will jetzt mehr in chronologischer Reihenfolge als in einer bewertenden Reihenfolge die anderen Tätigkeitsbereiche des neuen Ministeriums kurz streifen:
    Im Bereich der Hochschulen werden bereits seit einer langen Reihe von Jahren Zuschüsse für In-



    Bundesminister Dr.-Ing. Leussink
    vestitionen gegeben. Das geschah bisher auf der Grundlage von Abkommen zwischen Bund und Ländern. Jetzt geschieht es bekanntlich im Rahmen des Hochschulbauförderungsgesetzes bei den sogenannten Gemeinschaftsaufgaben.
    Es ist nur logisch, daß man sich, wenn man sich intensiv an dem Bau des Gehäuses beteiligt, auch mit dem Inhalt beschäftigen muß. Der 5. Bundestag hat dieser Erkenntnis dadurch Rechnung getragen, daß in Art. 75 des Grundgesetzes eine Rahmenplanungskompetenz für Hochschulen geschaffen wurde. Daraus ergibt sich unmittelbar die berechtigte Forderung nach dem Hochschulrahmengesetz, wobei ich die Betonung gerne auf Rahmen legen würde. Dabei wird das ist in der Regierungserklärung gesagt — das Gewicht zunächst auf den Abbau der hierarchischen Strukturen zu legen sein. Ich glaube — und mit mir glauben das viele —, daß damit schon viele andere zweifellos vorhandene Mißstände in der Organisation unserer Hochschulen aller Art beseitigt werden können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Das ginge natürlich notfalls auch auf anderem Wege, etwa über das Bundesbeamtenrechtsrahmengesetz. Wie man es am zweckmäßigsten und vor allen Dingen am schnellsten macht, wird die Diskussion in der nächsten Woche zeigen, an der sich die Opposition erfreulicherweise intensiv beteiligen wird.
    Die schwierige Frage der Mitwirkung an der Verantwortung in den verschiedenen Gremien innerhalb des Gesamthochschulbereichs ist das nächste, wichtige, wenn nicht das wichtigste Thema. Ich möchte heute schon sagen, daß ich nichts von Schemata auf diesem Gebiet halte,

    (Zustimmung des Abg. Dr. Martin)

    gleichgültig ob es sich um die Drittelparität oder um die von mir mit erfundene Viertelparität — diese geht auf eine Neujahrsumfrage der „Welt" zurück, die vor einigen Jahren angestellt wurde — handelt. Ich bin der Meinung, daß die Tausende von hochqualifizierten technischen Mitarbeiter in einem Forschungsunternehmen, wie es die Universität ja auch ist, an der richtigen Stelle ebenfalls etwas zu dem Gesamtgeschehen zu sagen haben.

    (Allgemeiner Beifall.)

    Wie gesagt, von solchen ideologisch geformten festen Begriffen wie „Drittelparität" oder „Viertelparität" halte ich im Grunde nicht sehr viel.

    (Allgemeiner Beifall.)

    Die richtigen Verhältnisse bei der Mitverwaltung müssen sich aus der sachlichen Erforderung der Funktionen ergeben, die in verschiedenen Entscheidungsgremien zu leisten sind.
    Wir sind uns darüber klar: Keiner von uns hat irgendein Patentrezept für das Ganze in der Tasche. Wir werden also experimentieren müssen, und ich glaube, jede gesetzliche Regelung muß genügend Spielraum lassen, verschiedenes auszuprobieren. Ich bin also z. B. sehr dafür, daß zur Zeit an der Technischen Hochschule Darmstadt die Drittelparität
    ziemlich konsequent ausprobiert wird, und wir sollten uns einmal ansehen, was nach einem oder zwei Jahren dabei herausgekommen ist.

    (Lachen und Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU.)

    — Das Ergebnis steht noch gar nicht fest! Ich glaube, Sie sollten im Moment weder dagegen sein noch besonders dafür sein. Wir sollten uns vielmehr in naturwissenschaftlich-empirischer Weise ansehen, was dabei herauskommt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Wir müssen doch einmal loskommen von den Emotionen auf diesem Gebiet. Das ist kein Gebiet mehr für Emotionen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir werden also auch dort Experimente machen müssen, und wir alle müssen wohl anerkennen, daß die Zeit der Scheu vor Experimenten wie auf vielen anderen Gebieten auch auf diesem Gebiete vorbei ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das ist mir jedenfalls in den anderthalb Tagen der bisherigen Debatte klargeworden, daß auch die Opposition dieser Meinung ist und daß sie sich in dieser Hinsicht durchaus als lernfähiges System erweist, als lernfähiges System, das wir alle werden und sein müssen, wenn es auch noch so unbequem ist. Mir ist völlig klar, wie unbequem das ist.
    In diesem Zusammenhang würde ich gerne auf eine Bemerkung von Herrn Dr. Strauß kommen, der, glaube ich, heute früh gesagt hat, mit Recht gesagt hat — ich würde das genauso sehen —, daß sich bei der Olympiade 1972 das moderne Deutschland darstellen soll. Wir müssen doch aber nun einmal zur Kenntnis nehmen, daß große Teile der deutschen Jugend, besonders der studentischen Jugend, dieses zur Zeit vorhandene Deutschland nicht für ein modernes Land halten, und zwar geht das vom RCDS bis zum SDS.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU. — Abg. Leicht: Das sind aber keine Maßstäbe!)

    Diese halten offensichtlich diesen Staat nicht für modern. Das können wir nicht einfach ableugnen, und sie sind auch keine quantité négligeable. Wir müssen uns eingestehen, und zwar Sie und wir alle, daß wir es bisher einfach nicht geschafft haben, der Jugend dieses Gefühl zu nehmen. Es nützt gar nichts, wenn wir uns mit ideologischen Haltungen damit beschäftigen, sondern hier würde ich wieder sagen: Wir sollten uns das anhören, wir sollten Experimente machen und dann sehen, welche Haltung und welches System und welche Zusammensetzung zu vernünftigen Ergebnissen führt.
    Im Zusammenhang mit dem Hochschulrahmengesetz, das in der Regierungserklärung angesprochen ist, möchte ich noch etwas sagen. Herr Kollege Stoltenberg, man kann, wie Sie aus Ihrer Erfahrung sicher wissen, für ein Gebiet nicht alles in einer Regierungserklärung unterbringen, man bekäme



    Bundesminister Dr.-Ing. Leussink
    sonst einen ganzen langen Katalog. Ich habe über die Gesamthochschule sehr klare bestimmte Vorstellungen, mit denen ich verschiedene wahrscheinlich weit links überholen könnte, die das gar nicht vermuten. Ich würde z. B. meinen, wir sollten da auf die Dauer ein konsekutives System anstreben, was für deutsche Begriffe einstweilen noch viel zu revolutionär ist. Wir müßten dort viele beamtenrechtliche Dinge regeln und kämen dann wahrscheinlich dazu, daß sich das Beamtenrecht an manchen Stellen grundsätzlich nicht zur Lösung solcher Dinge eignet.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Es gibt zur Gesamthochschule eine große Reihe von beachtenswerten und diskussionsfähigen Vorschlägen. Ich möchte sie nicht vollständig aufzählen. Aber man sollte die wesentlichsten vielleicht doch einmal nennen. Da ist der baden-württembergische Vorschlag, an dem bekanntlich Herr Kollege Dahrendorf die Hauptarbeit geleistet hat, jedenfalls in der ersten Fassung. Der Evers-Plan ist auf dem Tisch; das Modell der SPD für ein demokratisches Bildungswesen vom Januar dieses Jahres ist da; die Leitsätze der CDU vom Juni dieses Jahres sind da; und der Entwurf der FDP für ein Hochschulgesetz ist da.
    Die größte Last für die deutsche Universität besteht nach meinem Dafürhalten in der Tatsache, daß die Humboldt-Universität von 1810 bis etwa 1930 so ausgezeichnet war und so viele Erfolge hatte, daß sie zum Vorbild für die ganze Welt geworden ist. So etwas können Sie z. B. in der ernsthaften Literatur der Vereinigten Staaten, die sich mit Hochschulpolitik beschäftigt, heute lesen. Von einem so erfolgreichen System loszukommen ist eben sehr schwer, psychologisch durchaus verständlich.
    Aber es stellt sich doch heute einfach heraus, daß dieses so einmalig erfolgreiche System für die heutige Welt nicht mehr paßt. Ich erwähne, was man in Amerika den land-grant-university-Charakter nennt, d. h. daß eine Universität von vornherein im Dienst der Gesellschaft steht und nicht in erster Linie darauf ausgerichtet ist, Privatdozenten zu produzieren. Natürlich sind solche Aussagen bei uns immer noch leicht anrüchig. Ich glaube, man kommt nicht darum herum: auch die deutschen Universitäten müssen sich durch die Schaffung eines Gesamthochschulsystems dieser Aufgabe öffnen.
    Ich bin hier Neuling. Frau Präsidentin, ich weiß nicht, was dieser rote Knopf bedeuten soll.


Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Bundesminister, es gibt bestimmte Vorstellungen über die Länge einer Rede. Wir sind hier sehr tolerant. Aber es ist die Frage, ob es im Interesse der Geschäftslage möglich wäre, irgendwann zum Abschluß zu kommen.

(Heiterkeit und Beifall.)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    „Irgendwann" selbstverständlich.

    (Heiterkeit.)

    Wie quantifizieren Sie denn „irgendwann"?