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    Deutscher Bundestag 7. Sitzung Bonn, den 30. Oktober 1969 Inhalt: Amtliche Mitteilung 127 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. h. c. Strauß (CDU/CSU) 127 B Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister 136 B Kienbaum (FDP) 144 C Höcherl (CDU/CSU) 146 B von Hassel, Präsident (zur GO) 149 C, 163 B Ertl, Bundesminister 149 C Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) 159 A Peters (Poppenbüll) (FDP) 160 C Klinker (CDU/CSU) 162 C Logemann (FDP) 164 D Dr. Schiller, Bundesminister 167 C Dr. Schmid, Vizepräsident (zur GO) 174 B Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) 178 C Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär 181 B Gewandt (CDU/CSU) 183 A Dr. Haas (FDP) 183 D Dichgans (CDU/CSU) 185 B Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) 185 C Frau Funcke, Vizepräsident 186 C Dr.-Ing. Leussink, Bundesminister 188 A Dr. Meinecke (SPD) 191 D Dr. Mikat (CDU/CSU) 193 B Moersch (FDP) 195 C Genscher, Bundesminister 198 C Dr. Lohmar (SPD) 201 A Katzer (CDU/CSU) 202 C Dr. Schellenberg (SPD) 207 A Schmidt (Kempten) (FDP) 212 A Dr. Burgbacher (CDU/CSU) 214 C Arendt, Bundesminister 216 A Benda (CDU/CSU) 220 B Dr. Ehmke, Bundesminister 223 B Dr. Rutschke (FDP) 223 C von Hassel, Präsident 228 A Dr. Lauritzen, Bundesminister 228 B Vogel (CDU/CSU) 228 C Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) 230 B Jahn, Bundesminister 231 C Brandt, Bundeskanzler 232 B Dr. Barzel (CDU/CSU) 236 C Wehner (SPD) 240 A Nächste Sitzung 241 Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten 243 A Anlagen 2 bis 4 Schriftliche Erklärungen der Abg. Dichgans (CDU/CSU), Dr. Rutschke (FDP) und Dr. Jungmann (CDU/CSU) zu der Regierungserklärung 243 B Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Oktober 1969 127 7. Sitzung Bonn, den 30. Oktober 1969 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Amrehn ** 16. 11. Dr. Dittrich * 31. 10. Frau Herklotz ** 17. 11. Frau Geisendörfer 30. 10. Gottesleben 31. 12. Dr. Jungmann 10. 11. Frau Kalinke ** 17. 11. Dr. Kempfler 30. 10. Lücke (Bensberg) 31. 10. Frau Meermann ** 9. 11. Müller (Aachen-Land) * 30. 10. Petersen ** 17. 11. Dr. Preiß 31. 10. Raffert ** 9. 11. Dr. Rinderspacher 14. 11. Schlee 31. 10. Dr. Schmidt (Offenbach) 31. 10. Dr. Starke (Franken) 30. 10. Weigl 31. 10. Dr. Wörner 30. 10. Frau Dr. Wolf ** 20. 11. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an einer Tagung der Interparlamentarischen Union Anlage 2 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dichgans (CDU/CSU) zu der Regierungserklärung. Nachdem das Thema Baustahlpreise von zwei prominenten Kollegen angesprochen worden ist, wollte ich dazu etwas sagen. Die Preisentwicklung für Baustahl, genauer Betonstahl, ist lebhaft kritisiert worden, nicht ohne Grund. In der Tat sind Fälle vorgekommen, in denen ein Bauunternehmer, der bei seinem Händler noch Januar dieses Jahres 450 DM/t gezahlt hatte, im Juli 1969 900 DM bezahlen sollte, das Doppelte. Herr Kollege Dr. Strauß hat dazu bereits mit Recht bemerkt, daß das Problem sehr verwickelt liege. Dazu nur drei Zahlenpaare. Im Jahre 1960 lag der Preis für Betonstahl ab deutschem Hüttenwerk bei etwa 520 DM/t, was zu Preisen ab Händlerlager in der Größenordnung von 650 DM/t führte. Jm Jahre 1968 erlebten wir einen weltweiten Preiseinbruch bei Stahl, mit Preisbewegungen, wie wir sie früher nur am internationalen Metallmarkt erlebt hatten, etwa bei Kupfer und Zinn. 25 % des deutschen Stahlverbrauchs stammen aus dem Ausland. Belgischer Stahl wurde in dieser Baissezeit mit etwa 350 DM/t ab Hüttenwerk, 450 DM/t ab Händlerlager angeboten, alles in runden Zahlen, die nur die Größenordnungen zeigen sollen. Bei einem Überflußangebot wirkt bekanntlich das billigste Angebot preisbestimmend. Deutsche Hüttenwerke mußten deshalb den Auslandsangeboten folgen. Sie waren übrigens daraufhin in mehreren Fällen gezwungen, die Vorauszahlungen von Körperschaftsteuer einzustellen. Im Sommer 1969 entwickelte sich nun ein weltweiter Stahlboom, der den belgischen Preis in wenigen Monaten von 350 auf 700 DM in die Höhe schnellen ließ, was zu dem erwähnten hohen Preis ab Händlerlager führte, 900 DM/t im Extremfall. Daraus ergab sich eine allgemeine Preisauftriebstendenz für Betonstahl ab Händlerlager, weil in Mangellagen die höchste Preisforderung für eine Menge, die noch benötigt wird, den Gesamtpreis bestimmt. Wie haben sich nun die Betonstahlpreise ab deutschem Hüttenwerk entwickelt? Sie liegen unverändert bei 520 DM, wie im Jahre 1960, eher einige Mark darunter. Von allen Stahlsorten wurde nur der Betonstahl, weniger als 10 % der Gesamtmenge, von hektischen Preisausschlägen erfaßt. Für die übrigen verlief die Preiskurve weit ruhiger, für manche von ihnen völlig stetig. Bei Betonstahl gab es im Sommer 1969 zeitweise Lieferschwierigkeiten. Niemand hatte diese sprunghafte Steigerung der Nachfrage vorausgesehen, weder die Stahlindustrie noch der Bundeswirtschaftsminister. Die Stahlindustrie bemühte sich jedoch intensiv um eine Erhöhung der Erzeugung, mit sichtbarem Erfolg. Die extremen Preise gingen rasch zurück. Kritische Kollegen haben mir hier bestätigt, daß heute Betonstahl wieder zum Preise von etwa 650 DM/t vom Händlerlager zu haben ist. Die exzessiven Preisschwankungen waren gewiß unerfreulich. Aber der Mechanismus der Marktwirtschaft hat rasch funktioniert. Seit 1960 ist der allgemeine Index der Industriepreise um etwa 14% gestiegen, während die Stahlpreise sich beim Stand von 1960 gehalten haben. Wäre das bei allen Preisen der Fall, so wäre das Wort Preisstabilität in der heutigen Debatte nicht vorgekommen. Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Rutschke (FDP) zu der Regierungserklärung. Die Fraktion der FDP begrüßt es außerordentlich, daß die neue Bundesregierung in ihrer programmatischen Erklärung den innenpolitischen Problemen der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten breiten Raum geschenkt hat. Seit Jahren hat keine Bundesregierung so konkrete und konstruktive Aussagen gemacht. Die Bundesregierung hat erklärt, daß sie die notwendigen Maßnahmen zur 244 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Oktober 1969 Eingliederung vollenden wird. Vierundzwanzig Jahre nach Kriegsende ist es wahrlich erforderlich, daß dieses mit so viel Leid verbundene Kapitel der deutschen Geschichte endlich zu einem befriedigenden Abschluß kommt. Es besteht kein Zweifel, daß die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge am unzulänglichsten in bezug auf die ostdeutschen Bauern geblieben ist. Jeder weiß, daß die Bundesrepublik Deutschland diesen Menschen nicht wieder zu einem Bauernhof zu verhelfen vermag. Aber ein eigenes Haus mit einem Stück Siedlerland hätte man in den verflossenen zwei Jahrzehnten den ostdeutschen Landwirten sicherlich zur Verfügung stellen können. Noch der scheidende 5. Bundestag appellierte an die neue Bundesregierung, einen Eingliederungsplan aufzustellen, nach dem jährlich wenigstens 4000 Ost- und Mitteldeutsche eine Nebenerwerbssiedlung erhalten können. Die neue Bundesregierung wird danach streben, jenen einstimmigen Wunsch aller Fraktionen zu realisieren. Die gewerblichen Betriebe der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigten leiden immer noch unter erheblichem Eigenkapitalmangel. Zu welch ernster Bedrängnis dieser Zustand führt, konnte man 1966 sehen, als die westdeutsche Wirtschaft in die Krise abglitt. Die Geschädigtenbetriebe waren die ersten, die an den Rand des Konkurses gerieten. Die neue Bundesregierung wird sich deshalb bemühen, die notwendigen eigenkapitalbildenden Maßnahmen fortzusetzen. Die wohnungsmäßige Eingliederung der Vertriebenen, Flüchtlinge und Ausgebombten läßt immer noch zu wünschen übrig. Dies gilt nicht nur für das Fehlen von Mietwohnungen für diesen Personenkreis, sondern verstärkt für das Phänomen des Wohnraum-Eigenbesitzes. Nas neue Kabinett bringt ferner in seiner Regierungserklärung zum Ausdruck, daß es den Lastenausgleich und die Kriegsfolgegesetzgebung, auch im Interesse der Flüchtlinge aus der DDR, zu einem gerechten Abschluß bringen wird. Die Einfügung bezüglich der Flüchtlinge soll zweifellos zum Ausdruck bringen, daß sich die Bundesregierung um eine Gleichstellung der Flüchtlinge mit den Vertriebenen in bezug auf die Hauptentschädigung bemühen wolle. Der Hinweis auf einen „gerechten" Abschluß deutet an, daß die Regierung prüfen werde, inwieweit allgemein eine Verbesserung der Entschädigungsleistungen vorgenommen werden kann. Auch der Ausbau der Altersversorgung der ehemals Selbständigen fällt in diese Programmankündigung. Der letzte Bundestag hatte diesbezüglich die neue Bundesregierung gebeten, eine angemessene Erhöhung des Selbständigenzuschlags im 2. Unterhaltshilfeanpassungsgesetz vorzusehen. Die neue Regierung hat die Bemühungen um die Realisierung dieses Parlamentswunsches bereits seit einigen Tagen aufgenommen. Es wird bei dieser Gelegenheit darauf ankommen, die Altersversorgung stärker als bisher in ein angemessenes Verhältnis zur früheren soziologischen Stellung der Geschädigten zu bringen. In der Öffentlichkeit ist — insbesondere von Geschädigtenverbänden — kritisiert worden, daß das Bundesvertriebenenministerium aufgelöst worden ist. Diese Kritik geht an dem Kern der Sache vorbei. Der zentrale Verwaltungsapparat für die Eingliederung, den Lastenausgleich und die kulturelle Betreuung der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten ist tatsächlich uneingeschränkt erhalten geblieben. Soweit es die außenpolitischen und deutschlandpolitischen Belange der Vertriebenen und Flüchtlinge betrifft, war auch in der Vergangenheit der Vertriebenenminister dafür nicht ressortzuständig. Alle Wünsche oder Vorstellungen werden aber wirkungslos und vergeblich sein, wenn uns eines nicht gelingt: die Kaufkraft unserer Währung zu stabilisieren. Insbesondere die Geschädigtenkreise, ob Kriegssachgeschädigte, Vertriebene oder Flüchtlinge, sind — und hierbei wiederum insbesondere die älteren Menschen — auf die Erhaltung der Kaufkraft unseres Geldes angewiesen. Sie sind wirklich darauf angewiesen — mehr als alle anderen. Die schlechteste Sozialpolitik im weitesten Sinne des Wortes ist die Politik des schlechten Geldes. Wer den Weg der Anpassungsinflation vorzog, anstatt rechtzeitig alle volkswirtschaftlichen Mittel, wie z. B. die Aufwertung unserer D-Mark, einzusetzen, hat sich insbesondere an diesem Personenkreis versündigt. Diese nicht zu rechtfertigende Politik wird ihre Auswirkungen mit voller Wucht im Hinblick auf Preissteigerungen erst in den nächsten Monaten haben. Das wird aber dann für die Geschädigtenkreise besonders schmerzlich sein. Die Verantwortung für die kommenden Preissteigerungen liegt aber nicht — das möchte ich hier und heute eindeutig feststellen — bei der neuen Bundesregierung, sondern einzig und allein bei den Herren Bundeskanzler Dr. Kiesinger und Finanzminister Strauß und bei Ihnen, meine Damen und Herren der CDU/CSU. Anlage 4 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Jungmann (CDU/CSU) zu der Regierungserklärung. Es gehört zu der traditionellen Besonderheit der Gesundheitspolitik jedenfalls in diesem Hause —, daß ihr Akzent weniger auf den unvermeidlichen Meinungsverschiedenheiten als auf der gemeinsamen humanitären Verpflichtung gelegen hat. Deshalb und in diesem Geist stelle ich fest, daß die gesundheitspolitischen Aussagen der Regierungserklärung in jeder Hinsicht enttäuschend sind. Wir haben mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß die Aufgabe der Gesundheitspolitik jetzt auch von der Bundesregierung bescheidener und realistischer als früher in dem Schutz der Men- Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Oktober 1969 245 schen vor den durch Technik und Zivilisation hervorgerufenen Gesundheitsrisiken gesehen wird. Wir haben ebenfalls mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß Wissenschaft und Forschung jetzt an erster Stelle dieser Aufgaben genannt werden. Von der Konkretisierung dieser löblichen Erkenntnis haben wir allerdings wahrlich nichts Überzeugendes gehört. Was da von einem Institut für Sozialmedizin gesagt worden ist, ist mehr Propaganda als Wissenschaft und Forschung. Wenn die sozialmedizinische Forschung an unseren Universitäten und Hochschulen wenigstens etwas großzügiger gefördert würde, würde dabei zweifellos mehr herauskommen als aus einem solchen Institut im Bundesgesundheitsamt. Für die Erforschung der Grundlagen für die Früherkennung der großen Krankheiten unserer Zeit ist das jedenfalls weder der beste noch der erfolgversprechendste Weg. Wir wollen unsere Sorgen bezüglich der weiteren Entwicklung der wissenschaftlichen Institute des Bundesgesundheitsamtes nicht verhehlen. Wenn Wissenschaft und Forschung im Gesundheitspolitischen Programm tatsächlich an erster Stelle stehen sollen — und wir begrüßen das ausdrücklich, weil es schon seit vielen Jahren unsere ausdrückliche Ansicht ist -, dann muß im Bundesgesundheitsamt eine grundlegende Neugestaltung erfolgen. Angesichts der Tatsache, daß heute jeder fünfte oder sechste Mensch an Krebs stirbt, ist es doch wohl kaum angemessen, wenn die Bundesregierung der Krebsbekämpfung „besondere Bedeutung" beimessen will. Auch hier haben wir die klare und konkrete Aussage vermißt, was und wie das geschehen soll. Warum ist vor allem mit keinem Wort gesagt worden, daß die heute schon vorhandenen Möglichkeiten der Früherkennung des Krebses und der anderen großen Krankheiten unserer Zeit endlich voll ausgenutzt werden sollen? Statt der unverbindlichen Versicherung guter Absichten zur Reinhaltung von Wasser und Luft und zum Schutz vor dem Lärm hätten wir auch lieber gehört, w i e das geschehen soll, w i e unsere Städte und Dörfer z. B. von dem täglich wachsenden Zivilisationsmüll befreit werden sollten. Mit Interesse haben wir zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung schon bald ein Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser vorlegen will. Wir sind sehr gespannt, dann zu erfahren, was unter einem „bedarfsgerecht gegliederten System leistungsfähiger Krankenhäuser" zu verstehen ist. Hoffentlich nicht ein seelenloses und damit zugleich unmenschliches System ausschließlich funktionsbezogener Institutionen! Daß die neue Bundesregierung die ärztliche Ausbildung reformieren will, ist — gelinde ausgedrückt — eine unangebrachte Absichtserklärung. Denn tatsächlich müssen wir - der Deutsche Bundestag - von der Bundesregierung erwarten, daß sie ihrerseits bald realisiert, was ihr vom Gesetzgeber aufgetragen worden ist. Bisher sieht es allerdings so aus, als ob diese Aufgabe eher verzögert als mit der notwendigen Einsicht und Energie vorangetrieben würde. Daß sich die Bundesregierung zu dem Grundsatz der freien Arztwahl bekennt, ist nicht gerade sensationell. Daß sie sich auch zum Grundsatz der freien Berufsausübung bekennt, ist schon eher von Interesse. In den Programmen der SPD haben wir eine so klare Aussage bisher jedenfalls vermißt. Unklar und besorgniserregend ist die Aussage, daß die Bundesregierung, „abgestimmt auf die europäische Entwicklung", dafür sorgen wird, daß „Staat und Heilmittelhersteller im Arzneimittelwesen verantwortlich zusammenwirken" sollen, „um ein Maximum an Sicherheit zu gewährleisten". Dieses Maximum an Sicherheit ist jedenfalls nicht nur die Absicht, sondern Grundsatz, Sinn und Inhalt unserer deutschen Arzneimittelgesetzgebung gewesen, die von allen Fraktionen dieses Hauses getragen worden ist. Was muß und was soll da jetzt geändert werden? Wir bleiben bei unserer Auffassung, daß die Verantwortung für die Arzneimittel über die Gesetzgebung und über die Befolgung der Gesetze hinaus nicht vom Staat übernommen werden kann, weil der Staat diese Aufgabe nicht erfüllen kann. Auch in der Gesundheitspolitik erwarten wir also klare Aussagen, damit wir wissen, welchen Absichten wir zustimmen können und welchen Absichten wir rechtzeitig entgegentreten müssen. Ich darf abschließend feststellen, daß das von uns selbst früher einmal angestrebte und schließlich geschaffene Gesundheitsministerium heute wohl nicht mehr für die optimale Organisation der Gesundheitspolitik angesehen werden kann. Das gilt auch für das jetzt aus Familien-, Jugend- und Gesundheitsministerium zusammengelegte Ministerium. Wie wenig seine Teile ein organisches Ganzes bilden, ergibt sich allein schon aus der Behandlung seiner verschiedenen Aufgaben in der Regierungserklärung. Das gilt um so mehr, als dem Vernehmen nach die Einheit der Gesundheitspolitik durch Herauslösung der gesamten Umwelthygiene aus dem Gesundheitsministerium gesprengt werden soll. Wir sind der Ansicht, daß alle Teile dieses Ministeriums Teile eines modernen Innenministeriums sein sollten, eines Innenministeriums allerdings, das sich als das für die Daseinsvorsorge der Staatsbürger verantwortliche Ministerium zu verstehen hätte. Das ergibt sich aus unserer grundsätzlichen Auffassung, daß Schutz der Gesundheit Aufgabe einer richtig verstandenen Gesundheitspolitik sind, nicht aber die mehr oder weniger verkappte Vorstellung, daß das Wohl und Wehe der Menschen vom Staate organisiert werden könnte.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Franz Josef Strauß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mir die Regierungserklärung nicht nur genau angehört, sondern ich habe sie auch eingehend gelesen, um hinter den Zusammenhang der einzelnen Teile und auch hinter den Sinn einzelner Formulierungen zu kommen, was nicht immer leicht war. Die Regierungserklärung ist ohne Zweifel der gelungene Versuch, vieles zu bieten, und das in umfangreichen und sicherlich auf Publizitätswirkung abgestellten Formulierungen. Aber sie ist kein gelungener Versuch, eine Politik der inneren Geschlossenheit, der äußerlich überzeugenden Klarheit und der nach erkennbaren Wertordnungen abgestuften Zielsetzungen eines klaren politischen Willens zu bieten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Mit Recht hat der Fraktionsvorsitzende der CDU/ CSU, Dr. Rainer Barzel, schon eingangs seiner Ausführungen das berühmte lateinische Kurzzitat gebraucht: Multa non multum. Man kann nicht sagen, daß sie ein Leipziger Allerlei ist; aber sie ist ein Vielerlei an Politik, aber nicht viel.
    Herr Bundeskanzler, man merkt dem Inhalt und Stil nach, daß viele Hände mitgewirkt haben.

    (Beifall hei der CDU/CSU.)

    Abgesehen von den Ressortministern — was natürlich ist —, reicht die Skala nach meinen stilanalytischen Untersuchungen

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU) offensichtlich von Ahlers bis Grass,


    (erneute Heiterkeit bei der CDU/CSU) von Bahr bis Bauer.


    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es ist aber keine Synthese der Konzeption, sondern es ist angesichts der Aufsplitterung gleicher Sachgebiete an verschiedenen Stellen eine Art Buchbindersynthese,

    (Heiterkeit und Beifall hei der CDU/CSU)

    die teilweise eine contradictio in se ipso oder in adjecto darstellt, also Widersprüchliches verbindet und den Mangel an innerlich zusammenhängender Disposition einfach nicht verbergen kann.
    Die Regierungserklärung läßt als Ganzes die Absicht erkennen, auf allen Gebieten, und zwar sofort Grundlegendes, natürlich Neues zu leisten, auch wenn es gar nicht neu ist, sondern nur darin besteht, die in der Vergangenheit geleisteten Vorarbeiten — z. B. Abgabenrechtsreform oder neue Straßenverkehrsordnung — nun als eigene Leistung ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Die Abgabenrechts-reform z. B. ist von früheren — sage ich ausdrücklich im Plural — Bundesfinanzministern entwickelt, aber dem Parlament nicht mehr vorgelegt worden, weil die Fülle finanzpolitischer Reformen und Routineaufgaben in den letzten drei Jahren den Finanzausschuß ohnehin bis an die Grenze der Belastungsfähigkeit voll in Anspruch genommen hat. Ähnlich ist es mit der neuen Straßenverkehrsordnung. Vom Tierschutz will ich hier nicht reden,

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    weil ich viel von Tier hege halte. - Sie wurde von früheren Bundesverkehrsministern erarbeitet; aber sie wurde nicht mehr in Kraft gesetzt, weil zu Recht eine Harmonisierung innerhalb Europas angestrebt wurde, was wir Kraftfahrer alle sehnlichst wünschen. Die Nebenfrage heißt nur: Ist diese Harmonisierung nun erreicht worden oder ist das, was im Jahre 1970 in Kraft gesetzt werden soll, deutscher Eigenbau im Alleingang? Der vorliegende Entwurf einer Straßenverkehrsordnung stellt einen erheblichen Fortschritt dar, auch im Hinblick auf die



    Dr. h. c. Strauß
    Verbesserung der Verkehrssicherheit. Aber - ich
    beschränke mich auf diese beiden Beispiele — die Blumen gehören in beiden Fällen nicht an den bisher noch kahlen Hut dieser Bundesregierung.
    Ich darf weiter sagen, auch wenn es gestern in sehr sphinxhaften Formulierungen umschrieben und begründet worden ist: Wir sind jetzt auch nicht im Monat 1 des Jahres 1 der deutschen Demokratie nach dem Weltkrieg 2.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir haben mit der deutschen Demokratie sofort nach dem Kriege begonnen, als wir in einer Zeit, wo andere dem deutschen Volke keine Zukunftschance mehr gaben, an die Arbeit gingen. In Zusammenarbeit mit den oft recht landesunkundigen Organen der Besetzungsmächte, manchmal auch im Kampf gegen ihre Willkür haben wir in den unteren Organen uns bemüht, die brennenden Probleme des Tages und die primitivsten Lebensfragen der Bevölkerung zu lösen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir haben Selbstverwaltungskörperschaften aufgebaut, politische Parteien auf Kreis- und Landesebene gegründet. Wir haben dann im Wirtschaftsrat oder im Parlamentarischen Rat die materiellen und rechtlichen Grundlagen für diese Bundesrepublik gelegt. Wir haben in den letzten 20 Jahren in diesem Hause und draußen im Lande mit Hilfe der ganzen Bevölkerung das moderne Deutschland geschaffen,

    (lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    vor dessen weiterem Ausbau wir jetzt stehen —, nicht mehr und nicht weniger.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Was hoffentlich Hunderttausende, vielleicht Millionen ausländischer Besucher im Jahre 1972 sehen sollen, habe ich in einer Rede vor diesem Hohen Hause als Abgeordneter im Jahre 1965, als ich vorschlug, die Bundesrepublik möge sich um die Olympischen Spiele in ihren Grenzen, und zwar in der Landeshauptstadt München, bemühen, so ausgedrückt: Wir haben nichts zu verbergen; wir wollen möglichst vielen ausländischen Besuchern aus aller Herren Länder, aus allen Herrschaftssystemen das wahre Deutschland zeigen, damit die Diffamierungskampagne an der Wirklichkeit zerschellt. Das ist auch heute noch unsere Absicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Was also hoffentlich Hunderttausende oder Millionen ausländischer Besucher im Jahre 1972 sehen sollen, ist nicht das moderne Deutschland des Jahres 3 der Ara Brandt, sondern ist das, was wir seit der Währungsreform gemeinsam gebaut haben.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU.)

    Dabei schließt das Wort „gemeinsam" auch noch ein, daß wir mit unseren Mehrheiten gegen die damalige Opposition das durchsetzen mußten, was sich nachher als richtig erwies und von den ursprünglichen Neinsagern oft ohne Röte im Gesicht als Mitleistung übernommen wurde.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es gibt in der menschlichen Entwicklung, es gibt im wissenschaftlich-technischen, im wirtschaftlich-sozialen Fortschritt nie einen Stillstand. Es gibt immer nur eine Entwicklung, mit der man Schritt halten muß. Wir haben mit ihr Schritt gehalten. Es gibt auch nie ein Ende, solange es eine menschliche Geschichte gibt. Darum sollte man etwas bescheidener sprechen und nicht so tun, als ob die Zeit der großen Reformen nun und ab jetzt und ab hier beginne - „und wir haben das Glück zu hören, und Ihr dürft dabeisein".

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Viele Reformen liegen hinter uns. Neue Reformen werden immer vor uns stehen. Auch wenn diese Regierung ihre Zeit erfüllet haben wird, wird sie ungelöste Probleme hinterlassen,

    (Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    und die nächste wird wieder zu Reformen Gelegenheit haben und gezwungen sein, sagen zu müssen, daß die vorhergehende manches versäumt habe.

    (Anhaltende Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Die Frage ist nicht - ich sage das mit großem Ernst
    und mit tiefer Überzeugung , ob der Amtsantritt der neuen Regierung eine Zäsur bedeutet, sondern: ob nach 20 Jahren glücklicher deutscher Geschichte die neue Regierung ein ebenso glückliches drittes Jahrzehnt einleitet. Wenn es eine Zäsur wäre, wäre es schlecht um das deutsche Volk bestellt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Deshalb hat auch die deutsche Demokratie nicht mit der Wahl des neuen Bundeskanzlers begonnen. Ich begrüße es, wenn es heißt, die Bundesregierung wisse, daß sie der loyalen Zusammenarbeit mit den gesetzgebenden Körperschaften bedarf. Aber es reicht nicht, wenn sie nur ihren guten Willen anbietet, wie es dort zu lesen steht. Das Parlament ist die oberste Instanz der deutschen Politik, und es kann mehr erwarten als guten Willen, nämlich: Beachtung seines politischen Willens und seiner politischen Zuständigkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dr. Barzel hat mit Recht darauf hingewiesen, daß noch kein Bundeskanzler so günstige wirtschaftliche und finanzielle Verhältnisse vorgefunden habe wie der jetzige.

    (Lachen bei der SPD.)

    Herr Wehner hat mit Recht von der Notwendigkeit gesprochen, die stabilen Grundlagen von Wirtschaft und Finanzen zu hüten. Ich möchte nicht wie Veteranen vergangener Schlachten sie noch einmal durchkämpfen, aber wo immer das Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft abgelegt wird, sollte man auch bei unterschiedlicher Beurteilung der Person in dieser Fraktion oder in Ihrer Fraktion, Herr Bundeskanzler, den Namen Erhard an der Spitze nennen.

    (Lebhafter anhaltender Beifall bei der CDU/CSU.)

    Gegen ihn richtete sich in den Jahren von 1948 an
    im Wirtschaftsrat, im Wahlkampf 1949 bis weit in



    Dr. h. c. Strauß
    die fünfziger Jahre hinein der Zorn der Gegner der sozialen Marktwirtschaft. Darum hätte es dem Herrn Bundeskanzler gut angestanden, wenn er auch den Namen Erhard in Verbindung mit einer erfolgreichen, Reform deren Nutznießer er heute selbst ist, genannt hätte.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Unruhe und Zurufe von der SPD.)

    Denn es war gerade dieser Erhard, der der SPD geholfen hat, ein Stück ihrer eigenen Vergangenheit bewältigen zu können,

    (Beifall bei der CDU/CSU — anhaltende Unruhe bei der SPD)

    die sie wahrscheinlich ohne ihn nicht bewältigt hätte.

    (Zurufe links.)

    Um so befremdlicher ist die Äußerung, daß die Bundesregierung ein schwieriges wirtschaftspolitisches Erbe übernommen habe. Darüber gilt es jetzt zu reden.
    Ich bejahe ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft und bin kein Anhänger des Wirtschaftsliberalismus im Sinne von „Laissez faire, laissez aller — le monde va de lui-même". Ich bejahe die Globalsteuerung der Wirtschaft im Sinne einer Konjunkturpolitik der großen Linie, aber nicht der hektischen Korrektur am Detail.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich bin gegen eine geschäftige Aktivität, eine Polypragmasie, die versucht, jeden Wellenschlag auszugleichen. Einer solchen Wirtschaftspolitik würde es genauso ergehen wie einem Segler bei einer Hochseeregatta, der jede Welle ausgleichen will. Zum Schluß hat er den Kurs verloren, das Boot voll Wasser und bleibt letzter Sieger.

    (Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Der Bundeswirtschaftsminister hat auch gestern abend wieder die Karl-Schiller-Legende erzählt, die durch ständige Wiederholung zwar immer rührender, aber deshalb nicht richtiger wird.

    (Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Ich komme darauf noch zurück. Ich bin Anhänger einer staatlichen Strukturpolitik in einzelnen Wirtschaftsbereichen, die ihrer bedürfen, z. B. in der Landwirtschaft und im Bergbau. Aber auch hier ist ein Zuviel manchmal schädlich. Wir werden das an der Kohle- und Koksknappheit in diesem Winter bemerken, die kein Ruhmeszeugnis für eine sorgfältig geplante Kohlepolitik darstellt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir haben auch deshalb dem Mansholt-Plan unsere scharfe Kritik gegenübergesetzt. Ich bin der Meinung, daß man bestimmte Wirtschaftszweige nicht durch langfristige Untergangsprognosen unter ständigem Schrecken und ständiger Angst halten sollte.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich bin allerdings sehr erfreut gewesen, Herr Bundeskanzler, von Ihnen zu hören, daß Sie für eine nationale und nicht für eine europäische Agrarstrukturpolitik eintreten. Als ich dieses Jahr beim Deutschen Bauerntag in Mainz aus gutem Grunde für eine nationale Agrarstrukturpolitik eingetreten bin und die finanzielle Unmöglichkeit einer europäischen Agrarstrukturpolitik für die Bundesrepublik nachgewiesen habe, war es ein damaliger SPD-Staatssekretär und heutiger Abgeordneter der SPD-Fraktion, der diese Äußerungen bedauert hat und für einen europäischen Finanzausgleich zum Zwecke einer europäischen Agrarstrukturpolitik eingetreten ist, nämlich Herr von Dohnanyi. Mein Kollege und Nachfolger Alex Möller weiß ganz genau, daß eine europäische Agrarstrukturpolitik nach diesen Vorschlägen nur eines zur Folge hätte, nämlich daß sich der deutsche Minussaldo gegenüber Brüssel Jahr für Jahr gegenüber dem bisherigen Zustand mit Dynamisierungseffekten — um modern zu reden — verdoppeln würde.
    Wir sind auch für eine regionale Wirtschaftsförderung und machen deshalb darauf aufmerksam, daß radikale Konjunkturdämpfung jede regionale Strukturpolitik fragwürdig macht, weil die aufgewendeten Haushaltsmittel nicht den notwendigen Erfolg ergeben und weil die gewährten Anreize nicht mehr geeignet sind, die Investitionstätigkeit in diesen Problemgebieten zu beleben. Nur bei einem warmen Gesamtkonjunkturklima kann man erwarten, daß auch in den kühleren Regionen investiert wird. Wenn in den wärmeren Regionen radikal gedämpft wird, wird in den kühleren nicht mehr investiert. Wir haben das bereits mehrmals erlebt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Schließlich bin ich für eine staatliche Tätigkeit einer besonderen Förderung auf dem Gebiete der wissenschaftlichen Forschung und der technischen Entwicklung, weil hier die finanzielle Kraft einzelner Unternehmungen, ja oft aller Unternehmungen eines ganzen Landes überfordert wird, weil hier nur mehr kontinentale Dimensionen ausreichen.
    Ich freue mich über das Bekenntnis zu einer funktionsfähigen marktwirtschaftlichen Ordnung. Ich darf diese Freude im Namen der ganzen Fraktion der CDU/CSU ausdrücken. Aber dahinter stecken schon wieder manche Pferdefüße — immer dieses ewige „ja, aber" —, z. B. der Pferdefuß der Fusionskontrolle, die sich auf alle Bereiche der Wirtschaft erstrecken soll.
    Leider sind die Ausführungen zu den geplanten Änderungen des Gesetzes zur Wettbewerbsbeschränkung zu allgemein gehalten, als daß man darauf eingehen könnte. Wir begrüßen alle Maßnahmen, die als Förderung der kleinen Mittelbetriebe gedacht sind, möchten aber dann gerne wissen, warum in der Regierungserklärung das im letzten Jahr mit beinahe weltanschaulicher Fanatik vertretene Verbot der Preisbindung zweiter Hand entweder im Hintergrund gehalten oder eines seligen Todes entschlummert ist. Man hätte erwarten dürfen, daß dieses Thema nach den vorangegangenen Kämpfen im Kabinett, im Parlament und in der Öffentlichkeit zu einem dominierenden Eckstein der Wirtschaftspolitik der neuen Regierung geworden



    Dr. h. c. Strauß
    wäre und entsprechend in der Regierungserklärung Niederschlag gefunden hätte.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wie steht es mit der Preisbindung zweiter Hand, wenn andererseits ein wirksamer Schutz vor diskriminierenden Praktiken in der Regierungserklärung in Aussicht gestellt wird.
    Meine Freunde und ich sind nicht von der Großbetriebsphilosophie besessen. Das trifft eher für Teile einer anderen großen Fraktion dieses Hauses zu. Wir sind der Meinung, daß die beste Mittelstandspolitik darin besteht, die Klein- und Mittelbetriebe vor nicht zu verkraftenden Belastungen im steuerlichen und sozialpolitischen Bereich zu bewahren.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Einführung des Mehrwertsteuersystems hat ja gerade der steuerlichen Wettbewerbsgleichheit gedient. Wir können aber nicht übersehen, daß der Druck der amerikanischen Giganten in absehbarer Zeit, spätestens nach Ende des Vietnamkrieges, wieder zunehmen wird.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

    Er muß zur weiteren Konzentration innerhalb Europas und in der Bundesrepublik führen, wenn ein Ausverkauf vermieden werden soll. Gemessen an amerikanischen Maßstäben haben wir — man kann sagen: leider oder glücklicherweise — keine großen Firmen. Die Dividende von General Motors ist höher als der Umsatz des Volkswagenwerkes. Weitere
    Beispiele sind bekannt.
    Andererseits verweise ich aber darauf, daß gerade sehr viele Mittelbetriebe mit Spezialprodukten und knappsten Gewinnspannen in ihrer Existenz von einem Export abhängen, bei dem sie schärfsten Konkurrenzdruck ausgesetzt sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Da ich versuche, in praktischen Vorstellungen zu denken, und mich nicht von Theorien beherrschen lasse, würde ich gerne mit Namensnennung marktbeherrschende und marktstarke Unternehmungen in der Bundesrepublik erfahren, bei denen die Mißbrauchskontrolle erforderlich ist, so daß eine Änderung des Kartellgesetzes eines der zwingendsten Erfordernisse zu sein scheint.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr gut!)

    Ich sage Ihnen aber ganz offen, ich halte gar nichts von einer vorbeugenden Fusionskontrolle. Auch die beschwichtigende Formulierung „unabhängige Monopolkommission" kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier wieder einmal ein bürokratisches Instrument gebastelt werden soll, in dem solche über betriebswirtschaftliche Entscheidungen zu befinden haben, die weder mit Arbeitsplätzen noch mit Vermögen für die Richtigkeit ihrer Entscheidung zu haften haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich stelle die Frage, ob mit dem Wort Fusionskontrolle auch wieder etwas anderes am Horizont auftaucht, was der Bundeswirtschaftsminister früher,
    im Jahre 1965 und in den Jahren vorher, mehrmals erwähnt hat, nämlich die Notwendigkeit einer Investitionskontrolle, um unerwünschten wirtschaftlichen Entwicklungen durch weise bürokratische Entscheidungen vorzubeugen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    Nur mit Kopfschütteln kann ich von einer Finanzpolitik vernehmen, die eine graduelle Umorientierung des Gütermarktes auf dem Binnenmarkt fordert.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Man mag der Ansicht sein, daß die deutsche Wirtschaft zu exportlastig ist, und darum gewillt sein, die Exportintensität abzubauen — aber doch nicht auf diesem Wege. Auf welchem Wege, werde ich sagen. Außerdem wird das kaum möglich sein, wenn nicht das gesamtwirtschaftliche Wachstum beeinträchtigt werden soll.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

    Bisher jedenfalls war der Export ein Wachstumsträger ersten Ranges, und die Unternehmen sind im Grunde doch nur auf die Auslandsmärkte gegangen, weil der Binnenmarkt für unsere industriellen Kapazitäten zu eng war, ist und bleiben wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Eine ins Gewicht fallende Umorientierung auf den Binnenmarkt dürfte erhebliche strukturelle Schwierigkeiten aufkommen lassen, nicht zuletzt weil unsere Ausfuhr zu einem erheblichen Teil aus Investitionsgütern besteht. Wie sollen aber auch Fahrzeuge, Generatoren, Maschinen, chemische Produkte, die nicht mehr auf den Weltmarkt gehen sollen, im Inland bei Umänderung der Struktur von Angebot und Nachfrage abgesetzt werden?
    Schließlich darf nicht übersehen werden, daß die exportintensiven Branchen in der Regel zugleich unsere wichtigsten Wachstumsindustrien sind.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Das Bekenntnis zur Marktwirtschaft klingt schön, aber die Praxis, wie die Regierungserklärung sie ankündigt, sieht leider etwas anders aus: immer mehr Wirtschaftsbereiche mit goldenen Fesseln zu umgarnen, sie subventionsabhängig zu machen

    (Abg. Dr. Barzel: Das ist es!)

    und ihnen dann den Segen zu versprechen mit Redensarten wie: „Bedient euch! Wer zuerst kommt, mahlt zuerst!" Das steht im krassen Widerspruch zum Bekenntnis, und darum werden wir dieses Bekenntnis an dem Wort messen: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen."

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Denn der Kampf gegen die Marktwirtschaft wird schon lange nicht mehr offen geführt, sondern nach einer offenen Verbeugung vor ihrer Ikone auf den Schleichpfaden ihrer Aushöhlung betrieben,

    (Zuruf von der SPD: Eine Platitude nach der anderen!)

    wobei all diese Schleichpfade schön klingende
    Namen tragen, die eines Tages auch in einem



    Dr. h. c. Strauß
    Schiller-Lexikon zur Erheiterung der Nachwelt zu finden sein werden.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Nun komme ich zu dem Thema, bei dem ich gestern Herrn Kollegen Schiller sorgfältig zugehört habe. Er hat gestern etwas in Unterbrechung des geplanten Ablaufs über das Thema Aufwertung gesprochen. Er hat gestern abend seine Variante der Aufwertungsdiskussion abermals angeboten und, wie üblich, nach einem Bekenntnis, nicht in die Vergangenheit zurückzugreifen, sich fast ausschließlich mit ihr beschäftigt.
    Ich darf dazu einmal bemerken, daß die Frage der Aufwertung oder Nichtaufwertung nicht im Stil eines Dogmenkrieges ausgetragen werden kann

    (Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Wehner: Hört! Hört!)

    — das habe ich immer gesagt, Herr Kollege Wehner; Sie haben es selbst gehört — und daß es hier keine Lösung gibt, die allein richtig oder allein falsch ist. Es geht ausschließlich darum, festzustellen, welche Lösung in einer nicht so sehr auf Stabilität bedachten Umwelt unserer Partner die geringeren Nachteile bietet.
    Der Herr Bundeswirtschaftsminister scheint im März 1969 seine Damaskus-Stunde erlebt zu haben. Ob er dabei eine Erscheinung hatte oder eine höhere Eingebung erhielt, hat er nicht mitgeteilt.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Denn bis dahin war er entgegen allen anderslautenden Nachrichten ein Gegner der Aufwertung,

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    der in einer Reihe von Äußerungen, die ich nicht wiederholen will, bei allen möglichen Gelegenheiten seine ablehnende Haltung wortgewandter zu formulieren und überzeugender zu begründen verstand, als es mir armem Sterblichen möglich war.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich möchte aber auf diese Periode der Vorgeschichte im einzelnen nicht mehr eingehen.
    Ich muß mich nur mit aller Entschiedenheit gegen seine Darstellung von der Spekulation à la Franz Josef Strauß wenden, die er selber früher, als er sich noch in anderer Kombination und Konstellation befand, immer als das Ergebnis einer unrichtigen Zitierung bezeichnete, wenn auch mit einem Seitenblick. Das auslösende Moment für die Spekulationswelle Ende April/Anfang Mai war der Rücktritt des französischen Staatspräsidenten, mit dem die Erwartung einer französischen Abwertung verbunden wurde. Meine in einer Diskussion gemachte Äußerung, daß das Ausland mit einem höheren Aufwertungssatz, nämlich 8 bis 10 %, im November gerechnet habe, wobei ich in meiner Darstellung jede Aufwertung abgelehnt habe, wurde in gerissener Weise dazu benutzt, falsche Erwartungen zu erwecken. Aber darum geht es heute gar nicht mehr, sondern es geht um die Frage, ob Aufwertung und Abwertung als Mittel der Konjunktursteuerung verwendet werden sollten, und diese Frage beantworten wir mit einem ganz klaren Nein.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die nächste Frage, die es hier gibt, ist das Problem, ob man durch Aufwertung die sogenannte Importinflation, wie sie Direktor Emminger von der Deutschen Bundesbank nannte, verhindern sollte und verhindern kann: in der Theorie ja, in der Praxis mit wenig Erfolg. Die Vergangenheit nach dem März 1961 hat gezeigt, daß die Preisentwicklung kaum davon beeinflußt wurde. Aber auch die britische und französische Abwertung haben bewiesen, daß sich die geänderten Währungsspannen nicht in den Importpreisen niederschlagen; siehe die Preise für britische und französische Automobile.

    (Abg. Dr. Barzel: Hört! Hört!)

    Jedenfalls ist der Schaden, der durch eine Aufwertung entsteht, größer als der fragwürdige Nutzen.
    Der Herr Bundeskanzler hat schließlich erklärt, daß mit der Aufwertung das fundamentale Ungleichgewicht in der Zahlungsbilanz beseitigt werden soll. Da ist er offensichtlich mit falschen Informationen bedient worden. Denn die deutsche Zahlungsbilanz, und zwar die Grundbilanz, von der hier auszugehen ist, war im Jahre 1968 ausgeglichen und weist in den ersten Monaten des Jahres 1969 bereits ein Defizit von 8,7 Milliarden DM auf,

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    und zwar im Zusammenhang mit dem Kapitalexport, über den noch kurz zu reden sein wird. Die laufenden Posten mit einzubeziehen ist unmöglich, weil die Bewegung der laufenden Posten nach oben und damit die Aufblähung der Währungsreserven der Bundesbank durch die in der Öffentlichkeit geführte Aufwertungsdiskussion herbeigeführt worden ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    An dieser teutonischen Alleinleistung hat der Bundeswirtschaftsminister einen entscheidenden Anteil.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn es so wäre, wie er gestern abend gesagt hat, hätte er nach dem 9. Mai im Besitze der höheren Weisheit die törichte Kabinettsmehrheit verlassen und als Privatmann sprechen sollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn aber ein Wahlkampf unter dem Zeichen der Alternative geführt wird „Regierungsmehrheit CDU/CSU, dann keine Aufwertung; andere Regierungsmehrheit, dann Aufwertung", dann darf man sich nicht wundern, daß in den letzten Tagen vor der Wahl wieder eine große Spekulationswelle eingesetzt hat. Der sozialdemokratische Koalitionspartner von damals hat selbst in einem Wahlkampfbericht vor den Wählern lautstark erklärt, man habe — Stichwort „Wahlpropaganda" — bei deutschen Auslandsurlaubern das Thema Aufwertung für Wahlkampfzwecke künstlich angeheizt. Wenn dann noch der Bundeswirtschaftsminister in einer Fülle von Äußerungen erklärt, es sei noch nicht zu spät, zu handeln, man müsse nach dem 28. September schnell handeln — wobei er unter Handeln
    132 Deutscher Bundestag 6. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Oktober 1969
    Dr. h. c. Strauß
    immer nur Aufwerten verstand —, wenn er weiterhin erklärt, er werde keiner Regierung beitreten, die nicht aufwerte, wenn die Meinungsforscher mit falschen Prognosen eine SPD-Mehrheit prophezeiten, dann darf man sich über die Spekulationswelle vor der Wahl nicht wundern.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Als noch in der Wahlnacht das Regierungsbündnis SPD/FDP praktisch verkündet wurde, war das die feierliche Ankündigung der Aufwertung. Deshalb setzte am Montagmorgen, 29. September, ein solcher Zustrom von Spekulationsgeldern ein, daß in den ersten zwei Börsenstunden mehr als eine Milliarde DM einfloß. Erst dann wurden unter der Zwangslage der nicht von uns geschaffenen Situation die Kurse freigegeben,

    (lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch und Lachen bei den Regierungsparteien)

    aber nicht, wie Herr Schiller gestern irreführend
    sagte, als stillschweigend geschlossener Vergleich,

    (Abg. Hermsdorf: Das glauben Sie doch selber nicht! Weitere Zurufe von der SPD)

    — doch, das glaube ich sehr , nicht als stillschweigend geschlossener Vergleich, sondern als Folge der durch ihn und den Koalitionspartner von heute geführten Kampagne.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Widerspruch bei der SPD. Abg. Wehner: Auf zwei Stunden kam es an?!)

    — Jawohl, auf die zwei Stunden kam es an, weil nach den ersten beiden Stunden schon Herr Blessing erklärte: Angesichts der geschaffenen Situation bleibt keine andere Wahl, weil sonst an diesem Tage eine unkontrollierbare Zahl von Milliarden einfließt. Die Behauptung „CDU/CSU-Mehrheit oder Aufwertung" stammt nicht von mir, sondern das hat der Bundesbankdirektor Emminger in einer Besprechung uns als die einzig mögliche Alternative genannt.

    (Zurufe von der SPD.)

    — So ist die Wirklichkeit. Wenn Sie keine Ahnung davon haben — —

    (Lebhafte Zurufe von den Regierungsparteien.)

    — Ihr Zorn beweist doch nur ein schlechtes Gewissen, Kollege Hermsdorf.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Widerspruch und Zurufe von den Regierungsparteien.)

    ich freue mich sehr, daß gestern offensichtlich ein neuer Tag in der deutschen Politik eingeführt worden ist, nämlich der Tag des „Bayern-Kurier" im deutschen Parlament. Es sprach gestern Karl Schiller von der Franz-Josefschen Hauspostille. Nun gut, warum nicht? Dann sprach er von der „Münchner Prawda". Ich möchte die Zwischenrufe, die dazu erklungen sind, und die Antwort hier nicht wiederholen. Wenn die „Prawda" etwas- für die heutige
    Koalition Gutes sagt, dann wird sie tatsächlich als Wahrheit empfunden, sonst nicht immer.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU. — Zurufe von den Regierungsparteien.)

    Aber leider muß ich Sie, Herr Kollege Schiller, eines vielleicht nicht absichtlich begangenen Plagiats bezichtigen; denn es war der bayerische Stanzlsänger Roider Jackl, der das Wort von der „Münchner Prawda" gesungen hat. Ich habe es Ihnen wiedererzählt, und von da an haben Sie es als eigenes Produkt weiterverkauft.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD.)

    Wenn im übrigen die Währungsreserven der Bundesbank vom 7. September bis zum 29. September 1969 um 6 Milliarden DM gestiegen sind, wobei die D-Mark zur alten Parität erworben wurde, dann haben die D-Mark-Käufer einen Aufwertungsgewinn von mehr als 400 Millionen DM erzielt. Doch das nur nebenbei.
    Wenn der Herr Bundeskanzler weiter sagt — indem er ein neues Motiv nachschiebt —, das Nein des damaligen Finanzministers sei entgegen seiner Vormittagsäußerung nicht nationalistisch gewesen, aber das Ja wäre aus europapolitischen Gründen, aus Gründen des Weltwährungssystems richtig gewesen, dann irrt er abermals. Sicherlich sind wir in den ausländischen Hauptstädten unserer Wirtschaftspartner und Exportkonkurrenten für diesen Entschluß gelobt worden. Ich habe aber Zweifel, ob das Lob der vom Herrn Wirtschaftsminister dem deutschen Volk zugedachten Gewinnausschüttung galt oder ob es nicht von eigenen Interessen bestimmt ist, wovon ich überzeugt bin.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn wir eigene Interessen vertreten, scheint es nationalistisch zu sein; wenn andere es tun, ist es ein legitimes Nationalbewußtsein.
    Man könnte eine große Zahl von ausländischen Stimmen hier nennen; ich will darauf verzichten. Aber die Tatsache, daß nicht ein einziges Land der deutschen Aufwertung gefolgt ist oder offensichtlich zu folgen bereit ist, zeigt, daß in anderen Ländern die grundsätzlichen Bedenken geteilt werden, die gegen eine Paritätsänderung vorgebracht werden müssen.
    Es kann nur immer wieder betont werden, daß man die Aufwertung nicht unter kurzfristigen konjunkturellen Gesichtspunkten beurteilen kann, daß man sie unter langfristigen Aspekten beurteilen muß. Es ist ernsthaft zu befürchten, daß die Aufwertung um 8,5 oder 9,3 % den deutschen Export auf mittlere und längere Sicht mehr behindert, als unserer Zahlungsbilanz zuträglich ist. Im übrigen soll man bei uns nicht so tun, als ob eine hohe Exportquote ein nationales Unglück sei. Andere denken umgekehrt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es ist schwierig, Exportmärkte zu gewinnen. Es ist leicht, sie durch staatliche Manipulation zu vermindern. Es ist fast unmöglich, sie wiederzugewinnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)




    Dr. h. c. Strauß
    Auch der deutsche Kapitalexport ist kein Unglück; er hat auch seine guten Seiten, und zwar wirtschaftlich wie politisch. Ich bin auch der Meinung, daß der reine Portfolio-Export, d. h. die Emission von ausländischen D-Mark-Anleihen, auf unbegrenzte Zeit nicht in der Höhe der beiden letzten Jahre fortgesetzt werden sollte. Aber unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist zur Stabilisierung der deutschen Wirtschaft und des Binnenmarktes einem weitgespannten Programm zur Förderung langfristiger Auslandsinvestitionen der Vorzug zu geben. Das Fünf-Punkte-Programm der Regierungserklärung zur Finanzpolitik will aber genau die umgekehrte Entwicklung fördern. Es schweigt sich darüber aus. Es hat sich offensichtlich hier der Linie des DGB angeschlossen und will die Dinge im günstigsten Falle sich selbst überlassen.
    Ich trete nach wie vor aus gutem Grunde für die Verstärkung der deutschen Direktinvestitionen im Ausland und ihre Förderung ein. Ich nenne dazu folgende Gesichtspunkte: Verteilung des wirtschaftlichen Risikos, wie es andere Industrieländer ebenfalls tun; besserer Konjunkturausgleich mit anderen Ländern; auch für mittlere Betriebe ist die Förderung der Auslandsinvestitionen von besonderer Bedeutung; Schaffung neuer Absatzmärkte; Sicherung von Rohstoffbasen; Überwindung von Zollschranken und anderen dirigistischen Hemmnissen; sinnvolle Verwendung, aber nicht Drosselung des deutschen Exportpotentials.
    Wenn ich daran denke, daß das Deutsche Reich im Jahre 1913 bei einem Sozialprodukt von 25 Milliarden Goldmark Auslandsinvestitionen in Höhe von 15 Milliarden Goldmark hatte und die Bundesrepublik 1967 dank den beiden Weltkriegen und ihren Folgen Enteignung — bei einem Sozialprodukt von 500 Milliarden D-Mark 14 Milliarden D-Mark Auslandsinvestitionen hatte, dann muß ich das angesichts der Zahlen in vergleichbaren Industrieländern als auf die Dauer nicht vertretbar und nicht mehr verantwortbar erklären.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der frühere Bundeskanzler hat gestern auf die politischen Folgen einer D-Mark-Aufwertung im landwirtschaftlichen Bereich hingewiesen. Die materiellen Folgen sind auch jetzt ernst, weil in der Landwirtschaft mit einem Einkommensverlust von 200 Millionen D-Mark je Prozent Aufwertung gerechnet werden muß.
    Ich warne aber - und ich sage das mit großem
    Ernst - in diesem Zusammenhang, lieber Herr Kollege Möller, vor einer Manipulation mit der Mehrwertsteuer. Bei der Manipulation mit der Einführung eines neuen Mehrwertsteuersatzes, sei es, daß ein Weg von 8 % oder 12 % in dieser oder jener Stufe gegangen wird, wird der eigentliche Sinn der Mehrwertsteuer, nämlich endlich zu einem transparenten, nicht mehr manipulierbaren Umsatzsteuer-system zu kommen, von neuem durchlöchert.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. von Dohnanyi meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

    Von der EWG werden wir weniger als 500 Millionen DM bekommen. — Ich habe leider eine begrenzte Redezeit, darum kann ich Fragen nicht beantworten; nicht, weil ich sie nicht beantworten will, Herr von Dohnanyi.
    Wir werden von der EWG, schätze ich, etwa 400 Millionen DM bekommen. Der Rest muß so oder so, sei es durch Mindereinnahmen bei der Mehrwertsteuer, sei es durch offene Finanzhilfen, ausgewiesen werden. Hier schweigt sich die Regierungserklärung darüber aus, ob diese Einkommensentschädigung für die Landwirtschaft einmal — und dann degressiv - oder ob sie durch die Reihe der Jahre hindurch gewährt werden soll. Ich bin der Auffassung, daß sie durch die Reihe der Jahre hindurch leider gewährt werden muß,

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    weil sonst das, was wir an nationaler Agrarstrukturpolitik treiben, auf Sand gebaut ist und die dafür aufgewendeten Mittel umsonst ausgegeben werden.
    Dann denke ich noch daran, daß der Verlust der Bundesbank 4 bis 41/2 Milliarden DM betragen wird. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, das ist nicht ein buchhalterischer Verlust, wie Sie im Fernsehen mit dieser oder einer ähnlichen Formulierung meinten. Die Bundesbank hat bis zum Jahre 1968 wegen der Aufwertung 1961 keinen Gewinn mehr an den Bund abgeführt, und sie wird jetzt für viele Jahre keinen Gewinn mehr abführen. Die 41/2 Milliarden DM werden im Laufe der Jahre dem Bundeshaushalt fehlen, und sie müssen durch Schulden oder vom Steuerzahler ersetzt werden. Das ist die Wirklichkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Mancher Kaufmann, der nicht zwischen einem buchhalterischen und einem echten Verlust unterscheiden kann, hat darin schon seine Pleite begründet,
    — wenn ich das einmal sehr deutlich sagen darf.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Im übrigen weise ich diese Kausalität, Herr Bundeskanzler, daß durch eine verzögerte Aufwertung
    — wobei das Wort „verzögerte" eben nur aus Ihrer Sicht der Dinge zu verstehen ist und von Ihnen allein stammt — etwa eine höhere Entschädigung für die Landwirtschaft oder gar etwa höhere Besoldungen im öffentlichen Dienst erforderlich seien, zurück. Die Form der Kausalität würde einer strengen Nachprüfung nach kartesianischer Logik bestimmt nicht standhalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Denn als die Aufwertung am 9. Mai vom damaligen Bundeskanzler abgelehnt wurde, begann eine für Wirtschaft und Währung gefährliche, und zwar absichtlich betriebene, Inflationshysterie. Die Preise wurden geradezu mit Gewalt hochgeschwätzt.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Und als der Aufstieg der Preise, wie prophezeit und erwartet, nicht eintrat, hat man das Motiv umgestellt und von den erhöhten Gewinnen gesprochen, die die wilden Streiks rechtfertigten.
    Ich möchte mich zu diesem Thema nicht äußern, aber nur eines sagen: wenn in der Stahlindustrie



    Dr. h. c. Strauß
    erhöhte Gewinne wilde Streiks mit besonderen Lohnforderungen rechtfertigen, dann verstehe ich nicht, Herr Bundeswirtschaftsminister, warum Sie im März letzten Jahres in Ihrem Subventionsprogramm noch 200 Millionen DM Ersatz für die Stahlindustrie vorgeschlagen haben,

    (lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    weil sie infolge ihrer Auftragslage und Ertragssituation mit den Folgen der von Ihnen ja vorgeschlagenen und von mir mitgemachten Exportsteuer nicht fertigwerden würde. Das ist doch die Wirklichkeit.
    Nun komme ich — darüber werden sich manche freuen, manche nicht — zum letzten Kapitel meiner Ausführungen, die nicht alle Sektoren des finanziell-wirtschaftlichen Bereichs abdecken können. Aber nach dem, was ich gestern gehört habe, mußte ich mich vor der Öffentlichkeit auch einmal mit dieser Frage genauso befassen, wie es gestern geschehen ist.
    Der Herr Bundeskanzler hat sich in seinen gestrigen Ausführungen vor diesem Hohen Hause zu der Bemerkung veranlaßt gesehen, es könne leider keine Rede davon sein, daß der Herr Finanzminister Möller geordnete Bundesfinanzen übernommen hätte. Hierzu ist zu sagen, daß keiner der Vorgänger von Herrn Möller je geordnetere Finanzen und eine solidere finanzielle Grundlage vorgefunden hat als er selbst,

    (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Sehr richtig! — Beifall bei der CDU/CSU)

    wozu ich ihm herzlich gratuliere. Auf dieser Basis ließe sich die Fortschreibung der Finanzplanung bis zum Jahre 1973 ohne nicht zu bewältigende Risiken durchführen.
    Aber erhebliche Gefahren drohen nicht nur von vergangenen Verpflichtungen, sondern auch von dem großen Programmbündel, das diese Regierungserklärung enthält. Bezeichnend ist, daß kein Wort darüber verloren wird, wie das finanziert werden soll. Es wurden nicht einmal konkrete Zahlen oder auch nur einigermaßen zuverlässige Schätzungen genannt.
    Bundeskanzler Brandt hat ein Mehr an Demokratie verheißen. Wenn das nicht eine rhetorische Floskel sein soll, hätte gesagt werden müssen, woher die Mittel für all die Vorhaben, die als „Reformen" bezeichnet werden, genommen werden sollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es wird in der Regierungserklärung ausdrücklich gesagt, daß die Solidität die Grundlage der Finanzpolitik sein soll. Eine solide Regierungserklärung, die sich auf eine solide Finanzpolitik beruft, hätte aber dann anders aussehen müssen!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Momentaufnahme nach den Wahlen sah folgendermaßen aus: am 30. September 1969 eine Einnahmesteigerung im Jahre 1969 um 16,6 %, eine Ausgabensteigerung nur um 5,0 % — jeweils gegenüber dem Vorjahr. Das ergibt einen Finanzierungsüberschuß von 2,7 Milliarden DM bei insgesamt 4,766 Milliarden Bruttokreditaufnahme. Dazu kommt die Deckung des Fehlbetrages aus 1967 mit 1,35 Milliarden. Das bedeutet im außerordentlichen Haushalt bis zum 30. September 1969 ein Minus von
    4 156 000 000 DM weniger aufgenommener Kredite
    und im ordentlichen Haushalt ein Plus von 139 Millionen DM bei Null im außerordentlichen Haushalt.
    Bis Ende des Rechnungsjahres 1969 sind Mehreinnehmen von insgesamt 4 Milliarden DM zu erwarten. Auf der Ausgabenseite ergibt sich bis zum 30. September im ordentlichen und außerordentlichen Haushalt ein Betrag von 5,8 Milliarden Minderausgaben, davon ordentlicher Haushalt 5,3, außerordentlicher 0,54 Milliarden. Natürlich ist in den letzten drei Monaten dieses Jahres noch ein stärkeres Ansteigen der Ausgaben zu erwarten. Dennoch wird dank unserer Haushaltsführung das Ausgabesoll 1969 bei weitem nicht erreicht werden. Die Kassenlage des Bundes ist zur Zeit außerordentlich günstig. 4 Milliarden DM befinden sich bar in der Kasse.

    (Hört! Hört! von der CDU/CSU.)

    Trotz der bis Jahresende noch zu tilgenden 3 Milliarden DM kurzfristiger Schulden und der Leistung von Gehältern und Renten für den Monat Januar in Höhe von rund 2,3 Milliarden DM dürften keinerlei Schwierigkeiten entstehen. Für das Gesamtjahr sind Einnahmesteigerungen von knapp 16 % zu erwarten. Die Ausgabesteigerungen für das Gesamtjahr liegen bei 7 %. Daher wird auch am Ende des Jahres ein Finanzierungsüberschuß von 1 bis 1,5 Milliarden DM bei einer Nettokreditaufnahme von Null zu verzeichnen sein. Wäre man diesen Weg weitergegangen, könnte auch im Jahre 1970 die Nettokreditaufnahme weiterhin bei Null liegen, was für unsere Wirtschaft, für die Stabilität unserer Währung nur zuträglich wäre,

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Hier wird die gesunde finanzielle Basis und auch die richtige konjunkturelle Politik in der Haushaltsgestaltung durch Ausgabenminderung und vorzeitige Schuldentilgung in Höhe von insgesamt rund
    5 Milliarden DM deutlich. Diese Zahlen sprechen für sich selbst, und sie erlauben nicht, von ungeordneten Bundesfinanzen zu reden.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr! — Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es kommen Belastungen für die Kriegsopferversorgung, die Erhöhung des Kindergeldes, die für den öffentlichen Dienst vorgesehene Besoldungsverbesserung; es kommen Mehrbelastungen, die vor allem durch die Aufwertung entstehen: Verlust der Bundesbank, Ausgleichszahlungen für die Landwirtschaft; und es kommen eine ganze Reihe von Mehrbelastungen, die bis jetzt überhaupt nicht quantifiziert sind. Darf ich hier erinnern an die Krankenhausfinanzierung — bis jetzt nicht quantifiziert —, an das Städtebauförderungsgesetz —keine Zahlen angegeben —, Dynamisierung der Kriegsonferversorgung — keine Zahlen—, Abbau der Altersgrenzen in den Rentenversicherungen, Öffnung der Rentenversicherungen, Dynamisierung
    Deutscher Bundestag —.6. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Oktober 1969 135
    Dr. h. c. Strauß
    der Pflichtversicherungsgrenze in der Krankenversicherung, Arbeitgeberanteil zur Krankenversicherung für Höherverdienende, Maßnahmen gegen Wasser- und Luftverunreinigung und gegen Lärmbelästigung, Institut für Sozialmedizin, alle möglichen Enqueten, Ausbildungsförderung, Bildungsurlaub, Wohngeld, Verbesserung der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, Vermögensbildung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes, Verbrechensbekämpfung, Sportkonferenz, kombinierter Verkehr Schiene/Straße, Umschuldung des RentenFremdkapitals der Deutschen Bundesbank,

    (Beifall und Unruhe bei der SPD Zuruf von der SPD: Luft holen!)

    Bildungsplanung und Bildungsbudget,

    (anhaltender Beifall bei der SPD)

    — ich habe nur Ihre eigene Regierungserklärung addiert, sonst gar nichts —,

    (Abg. Wehner: Wir wollten Ihnen nur wohl!)

    Koordinierung der Friedensforschung, Europäisches Jugendwerk, Wehrgerechtigkeit, Steigerung der Entwicklungshilfe. All das kann nur ernsthaft versprochen werden, wenn man gewillt und in der Lage ist, dafür die erforderlichen Mindestbeträge aufzubringen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.) Und davon kann leider keine Rede sein!

    Ich schätze, daß neben den Mehrbelastungen, die im Jahre 1970 durch vergangene Zusagen und Verpflichtungen in Höhe von rund 2 Milliarden DM entstehen werden, die in der Zwischenzeit eingetretenen Mehrverpflichtungen ohne das, was heute noch nicht quantifizierbar ist, 5 weitere Milliarden betragen — und darüber hinaus noch ein in der Kürze der Zeit von mir nicht zu schätzender Betrag. Das macht natürlich die Fortschreibung der mehrjährigen Finanzplanung in den Jahren 1971, 1972 und 1973 zu einem Risiko. Aber wir lehnen die Vaterschaft für dieses Risiko ab; das muß ich ausdrücklich sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir sind nicht bereit, die Alimente zu zahlen.
    Lieber Herr Kollege Möller, ich darf Ihnen für das schwere Amt, das Sie übernommen haben, von Herzen viel Glück wünschen. Ich danke Ihnen sehr für die anerkennenden Worte, die Sie — leider in der Beethovenhalle und nicht im Bundesfinanzministerium; wo, ist aber gleich — gefunden haben.

    (Zurufe von der SPD.)

    — Hören Sie mich nur an! Ich hätte auch sehr gern an der Verabschiedung teilgenommen.

    (Ah-Rufe bei der SPD.)

    Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kollege Möller hat gesagt: Wir werden Extrazüge einsetzen müssen, die diesmal von Bonn aus in die Landeshauptstädte fahren, um all die Leute wieder zurückzubringen;

    (Hört! Hört! und Pfui-Rufe bei der CDU/CSU)

    bisher liefen die Züge in umgekehrter Richtung. — So haben Sie auf einer Parteikonferenz gesagt.
    Ich darf für meine Amtsführung feststellen, daß ich selbst jedenfalls — ich sage beinahe: leider — und meines Wissens auch nicht die Personalabteilung aus Bayern, aus der Landeshauptstadt München, auch nur einen einzigen Beamten in mein Amt nachgezogen hat.

    (Abg. Rösing: Hört! Hört!)

    Wenn es heute genauso bliebe, wären wir sehr zufrieden.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    Ich darf weiterhin sagen, daß es zur Zeit meiner Amtsführung nicht die Frage gegeben hat: Welcher Partei gehören Sie an?

    (Lachen bei der SPD. Abg. Dr. Pohle: Selbstverständlich! — Weitere Zurufe von der SPD und Gegenrufe von der CDU/CSU.)

    Sie sehen, wie Sie sich hier blamieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich habe das Vorzimmer meines Kollegen Dahlgrün mit einem Persönlichen Referenten, der ein bekannter Funktionär der FDP war, unverändert beibehalten. Ich habe ebenso zum Zorn meines Kollegen Möller den der FDP angehörenden Pressereferenten beibehalten, den ich damals aus gewissen Gründen entlassen sollte. Ich habe mich vor meine Leute gestellt, und als sie versetzt wurden, sind sie dorthin versetzt worden, wohin sie es wegen ihrer Beförderung wünschten. Bei mir gab es keine Sonderzüge, die in die Landeshauptstädte heimkommen sollten, um damit die Beamten in der umgekehrten Richtung zu befördern.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das Grundgesetz schreibt vor, daß die obersten Bundesbehörden nach einem gesunden landsmannschaftlichen Schlüssel zusammengesetzt sein sollen. Ich habe nichts getan, um diesen Schlüssel etwa im Sinne meiner Provenienz zu verbessern.

    (Zurufe von der SPD.)

    Ich habe sämtliche Abteilungsleiter beibehalten.
    Leider muß ich feststellen, daß in einer unwürdigen Form durch den Beauftragten des Herrn Bundesfinanzministers, den Parlamentarischen Staatssekretär Reischl, der es selbst — das muß ich ausdrücklich sagen — in liebenswürdiger und versöhnender Form getan hat, ein Staatssekretär, der sowieso die Altersgrenze erreicht hat und dessen Amtszeit verlängert worden war, durch Aushändigung der Urkunde in den Ruhestand geschickt worden ist. Staatssekretär Hettlage hätte eine andere Form der Verabschiedung verdient gehabt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich spreche die Dinge ganz offen an. Staatssekretär Grund, der, wie ich weiß, weil er es mir mitgeteilt hat, der es auch jedem anderen gesagt hat, keiner Partei angehört, aber fast 40 Jahre im öffentlichen Dienst war, hätte von vornherein, nicht erst jetzt, wie es nachträglich zugestanden worden ist, eine andere Verabschiedung verdient.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)




    Dr. h. c. Strauß
    Warum müssen denn unbedingt die Köpfe rollen, wenn ein neuer Minister kommt?

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Was haben Herr Grund, Herr von Schoenebeck, Herr Korff, Herr Schädel und Herr Falk, vier Ministerialdirektoren, getan, daß sie in dieser Form auf einmal hinausgesetzt worden sind?

    (Lebhafte Pfui-Rufe und Beifall bei der CDU/CSU. — Gegenrufe von der SPD.)

    Ich möchte deshalb hier sagen: Sie waren fleißige, sachkundige, korrekte, dem Staat und seiner Räson ergebene Beamte,

    (Zurufe von der SPD)

    die ohne Rücksicht auf Personen und ohne Rücksicht auf Parteien ihre Pflicht erfüllt haben.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Von diesem Stil wollte ich mich distanzieren, als ich an der gemeinsamen Verabschiedung nicht teilgenommen habe.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir stehen zum deutschen Berufsbeamtentum, wir stehen zu seiner Sauberkeit und zu seiner Korrektheit,

    (Beifall bei der CDU/CSU — große Unruhe bei der SPD)

    und wir wollen nicht haben, daß Beamte je nach dem Ausgang politischer Wahlgänge oder ihrer Manipulation durch Koalitionen um ihre Zukunft Angst haben müssen,

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP. — Pfui-Rufe von der CDU/CSU.)

— Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen und dem Redner zuzuhören.

(Abg. Hermsdorf: Das ist eine Opposition! — Weitere Zurufe von der SPD.)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alex Möller


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf die Schlußbemerkungen meines Herrn Amtsvorgängers und auf das Thema „Köpfe rollen", ein Thema, das eine bekannte Zeitung als „Blutbad" bezeichnet hat, eingehen. Was ist wirklich wahr?
    Herr Staatssekretär Grund ist auf Grund einer Koalitionsvereinbarung durch Herrn Staatssekretär Dr. Hans Georg Emde ersetzt worden. Ich nehme an, das ist legitim. Das wird wohl von keinem bezweifelt.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Aber wie!)

    Es war nicht möglich, eine Verabschiedung des Herrn Staatssekretärs Grund, wie sie vom Herrn Kollegen Strauß gewünscht wurde, nämlich in der gemeinsamen Versammlung der Mitarbeiterinnen
    und Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums und des Bundesschatzministeriums, vorzunehmen, da es sich hierbei ja um die Übernahme von zwei Ministerien gehandelt hat.

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

    Es ist daher mit Herrn Staatssekretär Grund verabredet worden, daß die Verabschiedung am Dienstag nachmittag im Bundesfinanzministerium vor allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erfolgt.

    (Beifall bei der SPD. Zurufe von der CDU/CSU: Nachträglich!)

    Was ist mit den Leitern der Abteilungen geschehen? Diejenigen Abteilungsleiter, die ersetzt worden sind, sind ersetzt worden durch Ministerialdirigenten — von einer Ausnahme abgesehen —, die sich, wenn ein Ministerialdirektor die Leitung einer Abteilung nicht mehr innehat, ganz von selbst als Nachfolger anbieten. Mir ist die Parteizugehörigkeit dieser Herren nicht bekannt.

    (Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Zimmermann: Warum haben Sie sie denn entlassen? Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Daß das nicht nur die Meinung der Beteiligten, sondern daß das auch die Meinung eines Abteilungsleiters ist, der die Leitung der Abteilung I abgegeben hat, um die Leitung der Abteilung IV zu übernehmen, möchte ich im folgenden klarstellen.
    Der Leiter der Abteilung I, der Grundsatzabteilung, Herr Dr. Vogel, den ich sehr schätze, hat die Leitung der Abteilung IV — Steuern — übernommen. Nun müssen Sie davon ausgehen, meine Damen und Herren, daß ich die Tätigkeit der Herren aus achtjähriger Zusammenarbeit im Finanzausschuß beurteilen kann. Ich habe im Finanzausschuß insbesondere die Arbeit des Herrn Dr. Vogel als eines Steuerfachmannes besonders geschätzt und ihm aus diesem Grunde die Abteilung IV — Steuern — anvertraut. Herr Ministerialdirektor Dr. Vogel ist zu mir gekommen, nachdem das geschehen war, und hat mich gefragt, ob ich wisse, daß er seit zwei Jahren Mitglied der CDU sei.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Ich habe ihm mitgeteilt, daß mir das bekannt sei, daß ich mich aber bei der Besetzung dieser Positionen im Finanzministerium selbstverständlich nach der sachlichen Qualifikation richten müsse,

    (lebhafter Beifall bei der SPD Beifall bei der FDP)

    daß ich diese sachliche Qualifikation bei Herrn Dr. Vogel schätze und ihm deshalb diese Aufgabe übertragen hätte. In dem Fall Korff wollen wir uns seiner Arbeitskraft - er steht kurz vor der Pensionierung noch bedienen, um die Haushaltsrechtsreform und einige andere Arbeiten mit seiner Hilfe durchzuführen.
    Was bleibt also übrig? Es bleiben zwei Namen: von Schoenebeck und Schädel.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Warum dann die „Sonderzüge" ?)




    Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
    Daß man das nicht als Köpferollen oder Blutbad bezeichnen kann, muß jeder objektiv Urteilende zugeben.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU: Warum dann die „Sonderzüge"?)

    Bleibt übrig, Herr Kollege Strauß, daß ich die Leitung der Grundsatzabteilung mit einem Herrn besetzen möchte, der längere Zeit mit mir zusammengearbeitet hat und der der SPD angehört. Aber der erste Nachfolger — Sie kennen die Abteilung genau -- wäre ja ein Ministerialdirigent, der auch meiner Partei angehört,

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    so daß ich glaube, daß man diesen Vorgang nicht
    als eine parteipolitische Besetzung bezeichnen kann.