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    Deutscher Bundestag 7. Sitzung Bonn, den 30. Oktober 1969 Inhalt: Amtliche Mitteilung 127 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. h. c. Strauß (CDU/CSU) 127 B Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister 136 B Kienbaum (FDP) 144 C Höcherl (CDU/CSU) 146 B von Hassel, Präsident (zur GO) 149 C, 163 B Ertl, Bundesminister 149 C Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) 159 A Peters (Poppenbüll) (FDP) 160 C Klinker (CDU/CSU) 162 C Logemann (FDP) 164 D Dr. Schiller, Bundesminister 167 C Dr. Schmid, Vizepräsident (zur GO) 174 B Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) 178 C Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär 181 B Gewandt (CDU/CSU) 183 A Dr. Haas (FDP) 183 D Dichgans (CDU/CSU) 185 B Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) 185 C Frau Funcke, Vizepräsident 186 C Dr.-Ing. Leussink, Bundesminister 188 A Dr. Meinecke (SPD) 191 D Dr. Mikat (CDU/CSU) 193 B Moersch (FDP) 195 C Genscher, Bundesminister 198 C Dr. Lohmar (SPD) 201 A Katzer (CDU/CSU) 202 C Dr. Schellenberg (SPD) 207 A Schmidt (Kempten) (FDP) 212 A Dr. Burgbacher (CDU/CSU) 214 C Arendt, Bundesminister 216 A Benda (CDU/CSU) 220 B Dr. Ehmke, Bundesminister 223 B Dr. Rutschke (FDP) 223 C von Hassel, Präsident 228 A Dr. Lauritzen, Bundesminister 228 B Vogel (CDU/CSU) 228 C Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) 230 B Jahn, Bundesminister 231 C Brandt, Bundeskanzler 232 B Dr. Barzel (CDU/CSU) 236 C Wehner (SPD) 240 A Nächste Sitzung 241 Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten 243 A Anlagen 2 bis 4 Schriftliche Erklärungen der Abg. Dichgans (CDU/CSU), Dr. Rutschke (FDP) und Dr. Jungmann (CDU/CSU) zu der Regierungserklärung 243 B Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Oktober 1969 127 7. Sitzung Bonn, den 30. Oktober 1969 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Amrehn ** 16. 11. Dr. Dittrich * 31. 10. Frau Herklotz ** 17. 11. Frau Geisendörfer 30. 10. Gottesleben 31. 12. Dr. Jungmann 10. 11. Frau Kalinke ** 17. 11. Dr. Kempfler 30. 10. Lücke (Bensberg) 31. 10. Frau Meermann ** 9. 11. Müller (Aachen-Land) * 30. 10. Petersen ** 17. 11. Dr. Preiß 31. 10. Raffert ** 9. 11. Dr. Rinderspacher 14. 11. Schlee 31. 10. Dr. Schmidt (Offenbach) 31. 10. Dr. Starke (Franken) 30. 10. Weigl 31. 10. Dr. Wörner 30. 10. Frau Dr. Wolf ** 20. 11. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an einer Tagung der Interparlamentarischen Union Anlage 2 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dichgans (CDU/CSU) zu der Regierungserklärung. Nachdem das Thema Baustahlpreise von zwei prominenten Kollegen angesprochen worden ist, wollte ich dazu etwas sagen. Die Preisentwicklung für Baustahl, genauer Betonstahl, ist lebhaft kritisiert worden, nicht ohne Grund. In der Tat sind Fälle vorgekommen, in denen ein Bauunternehmer, der bei seinem Händler noch Januar dieses Jahres 450 DM/t gezahlt hatte, im Juli 1969 900 DM bezahlen sollte, das Doppelte. Herr Kollege Dr. Strauß hat dazu bereits mit Recht bemerkt, daß das Problem sehr verwickelt liege. Dazu nur drei Zahlenpaare. Im Jahre 1960 lag der Preis für Betonstahl ab deutschem Hüttenwerk bei etwa 520 DM/t, was zu Preisen ab Händlerlager in der Größenordnung von 650 DM/t führte. Jm Jahre 1968 erlebten wir einen weltweiten Preiseinbruch bei Stahl, mit Preisbewegungen, wie wir sie früher nur am internationalen Metallmarkt erlebt hatten, etwa bei Kupfer und Zinn. 25 % des deutschen Stahlverbrauchs stammen aus dem Ausland. Belgischer Stahl wurde in dieser Baissezeit mit etwa 350 DM/t ab Hüttenwerk, 450 DM/t ab Händlerlager angeboten, alles in runden Zahlen, die nur die Größenordnungen zeigen sollen. Bei einem Überflußangebot wirkt bekanntlich das billigste Angebot preisbestimmend. Deutsche Hüttenwerke mußten deshalb den Auslandsangeboten folgen. Sie waren übrigens daraufhin in mehreren Fällen gezwungen, die Vorauszahlungen von Körperschaftsteuer einzustellen. Im Sommer 1969 entwickelte sich nun ein weltweiter Stahlboom, der den belgischen Preis in wenigen Monaten von 350 auf 700 DM in die Höhe schnellen ließ, was zu dem erwähnten hohen Preis ab Händlerlager führte, 900 DM/t im Extremfall. Daraus ergab sich eine allgemeine Preisauftriebstendenz für Betonstahl ab Händlerlager, weil in Mangellagen die höchste Preisforderung für eine Menge, die noch benötigt wird, den Gesamtpreis bestimmt. Wie haben sich nun die Betonstahlpreise ab deutschem Hüttenwerk entwickelt? Sie liegen unverändert bei 520 DM, wie im Jahre 1960, eher einige Mark darunter. Von allen Stahlsorten wurde nur der Betonstahl, weniger als 10 % der Gesamtmenge, von hektischen Preisausschlägen erfaßt. Für die übrigen verlief die Preiskurve weit ruhiger, für manche von ihnen völlig stetig. Bei Betonstahl gab es im Sommer 1969 zeitweise Lieferschwierigkeiten. Niemand hatte diese sprunghafte Steigerung der Nachfrage vorausgesehen, weder die Stahlindustrie noch der Bundeswirtschaftsminister. Die Stahlindustrie bemühte sich jedoch intensiv um eine Erhöhung der Erzeugung, mit sichtbarem Erfolg. Die extremen Preise gingen rasch zurück. Kritische Kollegen haben mir hier bestätigt, daß heute Betonstahl wieder zum Preise von etwa 650 DM/t vom Händlerlager zu haben ist. Die exzessiven Preisschwankungen waren gewiß unerfreulich. Aber der Mechanismus der Marktwirtschaft hat rasch funktioniert. Seit 1960 ist der allgemeine Index der Industriepreise um etwa 14% gestiegen, während die Stahlpreise sich beim Stand von 1960 gehalten haben. Wäre das bei allen Preisen der Fall, so wäre das Wort Preisstabilität in der heutigen Debatte nicht vorgekommen. Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Rutschke (FDP) zu der Regierungserklärung. Die Fraktion der FDP begrüßt es außerordentlich, daß die neue Bundesregierung in ihrer programmatischen Erklärung den innenpolitischen Problemen der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten breiten Raum geschenkt hat. Seit Jahren hat keine Bundesregierung so konkrete und konstruktive Aussagen gemacht. Die Bundesregierung hat erklärt, daß sie die notwendigen Maßnahmen zur 244 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Oktober 1969 Eingliederung vollenden wird. Vierundzwanzig Jahre nach Kriegsende ist es wahrlich erforderlich, daß dieses mit so viel Leid verbundene Kapitel der deutschen Geschichte endlich zu einem befriedigenden Abschluß kommt. Es besteht kein Zweifel, daß die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge am unzulänglichsten in bezug auf die ostdeutschen Bauern geblieben ist. Jeder weiß, daß die Bundesrepublik Deutschland diesen Menschen nicht wieder zu einem Bauernhof zu verhelfen vermag. Aber ein eigenes Haus mit einem Stück Siedlerland hätte man in den verflossenen zwei Jahrzehnten den ostdeutschen Landwirten sicherlich zur Verfügung stellen können. Noch der scheidende 5. Bundestag appellierte an die neue Bundesregierung, einen Eingliederungsplan aufzustellen, nach dem jährlich wenigstens 4000 Ost- und Mitteldeutsche eine Nebenerwerbssiedlung erhalten können. Die neue Bundesregierung wird danach streben, jenen einstimmigen Wunsch aller Fraktionen zu realisieren. Die gewerblichen Betriebe der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigten leiden immer noch unter erheblichem Eigenkapitalmangel. Zu welch ernster Bedrängnis dieser Zustand führt, konnte man 1966 sehen, als die westdeutsche Wirtschaft in die Krise abglitt. Die Geschädigtenbetriebe waren die ersten, die an den Rand des Konkurses gerieten. Die neue Bundesregierung wird sich deshalb bemühen, die notwendigen eigenkapitalbildenden Maßnahmen fortzusetzen. Die wohnungsmäßige Eingliederung der Vertriebenen, Flüchtlinge und Ausgebombten läßt immer noch zu wünschen übrig. Dies gilt nicht nur für das Fehlen von Mietwohnungen für diesen Personenkreis, sondern verstärkt für das Phänomen des Wohnraum-Eigenbesitzes. Nas neue Kabinett bringt ferner in seiner Regierungserklärung zum Ausdruck, daß es den Lastenausgleich und die Kriegsfolgegesetzgebung, auch im Interesse der Flüchtlinge aus der DDR, zu einem gerechten Abschluß bringen wird. Die Einfügung bezüglich der Flüchtlinge soll zweifellos zum Ausdruck bringen, daß sich die Bundesregierung um eine Gleichstellung der Flüchtlinge mit den Vertriebenen in bezug auf die Hauptentschädigung bemühen wolle. Der Hinweis auf einen „gerechten" Abschluß deutet an, daß die Regierung prüfen werde, inwieweit allgemein eine Verbesserung der Entschädigungsleistungen vorgenommen werden kann. Auch der Ausbau der Altersversorgung der ehemals Selbständigen fällt in diese Programmankündigung. Der letzte Bundestag hatte diesbezüglich die neue Bundesregierung gebeten, eine angemessene Erhöhung des Selbständigenzuschlags im 2. Unterhaltshilfeanpassungsgesetz vorzusehen. Die neue Regierung hat die Bemühungen um die Realisierung dieses Parlamentswunsches bereits seit einigen Tagen aufgenommen. Es wird bei dieser Gelegenheit darauf ankommen, die Altersversorgung stärker als bisher in ein angemessenes Verhältnis zur früheren soziologischen Stellung der Geschädigten zu bringen. In der Öffentlichkeit ist — insbesondere von Geschädigtenverbänden — kritisiert worden, daß das Bundesvertriebenenministerium aufgelöst worden ist. Diese Kritik geht an dem Kern der Sache vorbei. Der zentrale Verwaltungsapparat für die Eingliederung, den Lastenausgleich und die kulturelle Betreuung der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten ist tatsächlich uneingeschränkt erhalten geblieben. Soweit es die außenpolitischen und deutschlandpolitischen Belange der Vertriebenen und Flüchtlinge betrifft, war auch in der Vergangenheit der Vertriebenenminister dafür nicht ressortzuständig. Alle Wünsche oder Vorstellungen werden aber wirkungslos und vergeblich sein, wenn uns eines nicht gelingt: die Kaufkraft unserer Währung zu stabilisieren. Insbesondere die Geschädigtenkreise, ob Kriegssachgeschädigte, Vertriebene oder Flüchtlinge, sind — und hierbei wiederum insbesondere die älteren Menschen — auf die Erhaltung der Kaufkraft unseres Geldes angewiesen. Sie sind wirklich darauf angewiesen — mehr als alle anderen. Die schlechteste Sozialpolitik im weitesten Sinne des Wortes ist die Politik des schlechten Geldes. Wer den Weg der Anpassungsinflation vorzog, anstatt rechtzeitig alle volkswirtschaftlichen Mittel, wie z. B. die Aufwertung unserer D-Mark, einzusetzen, hat sich insbesondere an diesem Personenkreis versündigt. Diese nicht zu rechtfertigende Politik wird ihre Auswirkungen mit voller Wucht im Hinblick auf Preissteigerungen erst in den nächsten Monaten haben. Das wird aber dann für die Geschädigtenkreise besonders schmerzlich sein. Die Verantwortung für die kommenden Preissteigerungen liegt aber nicht — das möchte ich hier und heute eindeutig feststellen — bei der neuen Bundesregierung, sondern einzig und allein bei den Herren Bundeskanzler Dr. Kiesinger und Finanzminister Strauß und bei Ihnen, meine Damen und Herren der CDU/CSU. Anlage 4 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Jungmann (CDU/CSU) zu der Regierungserklärung. Es gehört zu der traditionellen Besonderheit der Gesundheitspolitik jedenfalls in diesem Hause —, daß ihr Akzent weniger auf den unvermeidlichen Meinungsverschiedenheiten als auf der gemeinsamen humanitären Verpflichtung gelegen hat. Deshalb und in diesem Geist stelle ich fest, daß die gesundheitspolitischen Aussagen der Regierungserklärung in jeder Hinsicht enttäuschend sind. Wir haben mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß die Aufgabe der Gesundheitspolitik jetzt auch von der Bundesregierung bescheidener und realistischer als früher in dem Schutz der Men- Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Oktober 1969 245 schen vor den durch Technik und Zivilisation hervorgerufenen Gesundheitsrisiken gesehen wird. Wir haben ebenfalls mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß Wissenschaft und Forschung jetzt an erster Stelle dieser Aufgaben genannt werden. Von der Konkretisierung dieser löblichen Erkenntnis haben wir allerdings wahrlich nichts Überzeugendes gehört. Was da von einem Institut für Sozialmedizin gesagt worden ist, ist mehr Propaganda als Wissenschaft und Forschung. Wenn die sozialmedizinische Forschung an unseren Universitäten und Hochschulen wenigstens etwas großzügiger gefördert würde, würde dabei zweifellos mehr herauskommen als aus einem solchen Institut im Bundesgesundheitsamt. Für die Erforschung der Grundlagen für die Früherkennung der großen Krankheiten unserer Zeit ist das jedenfalls weder der beste noch der erfolgversprechendste Weg. Wir wollen unsere Sorgen bezüglich der weiteren Entwicklung der wissenschaftlichen Institute des Bundesgesundheitsamtes nicht verhehlen. Wenn Wissenschaft und Forschung im Gesundheitspolitischen Programm tatsächlich an erster Stelle stehen sollen — und wir begrüßen das ausdrücklich, weil es schon seit vielen Jahren unsere ausdrückliche Ansicht ist -, dann muß im Bundesgesundheitsamt eine grundlegende Neugestaltung erfolgen. Angesichts der Tatsache, daß heute jeder fünfte oder sechste Mensch an Krebs stirbt, ist es doch wohl kaum angemessen, wenn die Bundesregierung der Krebsbekämpfung „besondere Bedeutung" beimessen will. Auch hier haben wir die klare und konkrete Aussage vermißt, was und wie das geschehen soll. Warum ist vor allem mit keinem Wort gesagt worden, daß die heute schon vorhandenen Möglichkeiten der Früherkennung des Krebses und der anderen großen Krankheiten unserer Zeit endlich voll ausgenutzt werden sollen? Statt der unverbindlichen Versicherung guter Absichten zur Reinhaltung von Wasser und Luft und zum Schutz vor dem Lärm hätten wir auch lieber gehört, w i e das geschehen soll, w i e unsere Städte und Dörfer z. B. von dem täglich wachsenden Zivilisationsmüll befreit werden sollten. Mit Interesse haben wir zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung schon bald ein Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser vorlegen will. Wir sind sehr gespannt, dann zu erfahren, was unter einem „bedarfsgerecht gegliederten System leistungsfähiger Krankenhäuser" zu verstehen ist. Hoffentlich nicht ein seelenloses und damit zugleich unmenschliches System ausschließlich funktionsbezogener Institutionen! Daß die neue Bundesregierung die ärztliche Ausbildung reformieren will, ist — gelinde ausgedrückt — eine unangebrachte Absichtserklärung. Denn tatsächlich müssen wir - der Deutsche Bundestag - von der Bundesregierung erwarten, daß sie ihrerseits bald realisiert, was ihr vom Gesetzgeber aufgetragen worden ist. Bisher sieht es allerdings so aus, als ob diese Aufgabe eher verzögert als mit der notwendigen Einsicht und Energie vorangetrieben würde. Daß sich die Bundesregierung zu dem Grundsatz der freien Arztwahl bekennt, ist nicht gerade sensationell. Daß sie sich auch zum Grundsatz der freien Berufsausübung bekennt, ist schon eher von Interesse. In den Programmen der SPD haben wir eine so klare Aussage bisher jedenfalls vermißt. Unklar und besorgniserregend ist die Aussage, daß die Bundesregierung, „abgestimmt auf die europäische Entwicklung", dafür sorgen wird, daß „Staat und Heilmittelhersteller im Arzneimittelwesen verantwortlich zusammenwirken" sollen, „um ein Maximum an Sicherheit zu gewährleisten". Dieses Maximum an Sicherheit ist jedenfalls nicht nur die Absicht, sondern Grundsatz, Sinn und Inhalt unserer deutschen Arzneimittelgesetzgebung gewesen, die von allen Fraktionen dieses Hauses getragen worden ist. Was muß und was soll da jetzt geändert werden? Wir bleiben bei unserer Auffassung, daß die Verantwortung für die Arzneimittel über die Gesetzgebung und über die Befolgung der Gesetze hinaus nicht vom Staat übernommen werden kann, weil der Staat diese Aufgabe nicht erfüllen kann. Auch in der Gesundheitspolitik erwarten wir also klare Aussagen, damit wir wissen, welchen Absichten wir zustimmen können und welchen Absichten wir rechtzeitig entgegentreten müssen. Ich darf abschließend feststellen, daß das von uns selbst früher einmal angestrebte und schließlich geschaffene Gesundheitsministerium heute wohl nicht mehr für die optimale Organisation der Gesundheitspolitik angesehen werden kann. Das gilt auch für das jetzt aus Familien-, Jugend- und Gesundheitsministerium zusammengelegte Ministerium. Wie wenig seine Teile ein organisches Ganzes bilden, ergibt sich allein schon aus der Behandlung seiner verschiedenen Aufgaben in der Regierungserklärung. Das gilt um so mehr, als dem Vernehmen nach die Einheit der Gesundheitspolitik durch Herauslösung der gesamten Umwelthygiene aus dem Gesundheitsministerium gesprengt werden soll. Wir sind der Ansicht, daß alle Teile dieses Ministeriums Teile eines modernen Innenministeriums sein sollten, eines Innenministeriums allerdings, das sich als das für die Daseinsvorsorge der Staatsbürger verantwortliche Ministerium zu verstehen hätte. Das ergibt sich aus unserer grundsätzlichen Auffassung, daß Schutz der Gesundheit Aufgabe einer richtig verstandenen Gesundheitspolitik sind, nicht aber die mehr oder weniger verkappte Vorstellung, daß das Wohl und Wehe der Menschen vom Staate organisiert werden könnte.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Kollege, daß ein Widerspruch da ist, ist unbestritten. Ob er zu überbrücken ist, das ist eine Frage der Kooperationsbereitschaft in dieser Koalition. Ich schätze diese Bereitschaft sehr hoch ein, und zwar auf beiden Seiten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Herr Kollege Stoltenberg hat hier in seinem Diskussionsbeitrag gesagt, daß die Fraktion der CDU/ CSU es z. B. begrüße, daß die Referate, die sich mit Fragen der Bildungspolitik befassen, aus dem Innenministerium in das Ministerium des Herrn Kollegen Leussink übergegangen seien, und hinzugefügt: Na ja, das ist aber mehr eine administrative



    Bundesminister Genscher
    Sache, das darf man nicht überschätzen. — Meine Damen und Herren, ich denke noch an die Zeit zurück, in der mein Kollege Lenz darum gerungen hat, diese Referate in sein Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung zu bekommen. Es war nicht zu schaffen, obwohl es ohne Änderung eines einfachen Gesetzes und ohne Grundgesetzänderung möglich gewesen wäre. Es ist draußen in der Polemik gegen die Regierungserklärung und gegen die neue Bundesregierung ein wenig geringschätzig über die Kabinettsreform gesprochen worden. Wir werden darüber nachher noch im Grundsätzlichen zu diskutieren haben. Aber ich finde, allein die Tatsache, daß diese Regierung als erste Bundesregierung in der Lage war, die Bildungszuständigkeiten, soweit sie beim Bund sind, in einem Haus zusammenzufassen, würde bereits ein Lob für eine gelungene Kabinettsreform rechtfertigen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lohmar.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ulrich Lohmar


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die sehr kritische Würdigung, die der bisherige Bundesminister für wissenschaftliche Forschung, Herr Kollege Stoltenberg, der Regierungserklärung hat zuteil werden lassen, hat offenbar in der gegenwärtigen und zukünftigen Opposition, der CDU/CSU — wie ich finde, zu Recht — keine ungeteilte Zustimmung gefunden. Sowohl in der Sache wie in der Form unterschied sich der Beitrag des Kollegen Mikat beträchtlich von den gedanklich verkürzten und politisch, wie ich meine, etwas abwegigen Anmerkungen des Kollegen Stoltenberg.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich möchte, meine Damen und Herren, für die sozialdemokratische Fraktion ganz allgemein zu dieser Regierungserklärung und ihren Aussagen über den Bereich von Bildung und Wissenschaft anmerken, daß es keine Regierungserklärung in den vergangenen Jahren gegeben hat, die in der Sache und in der Form so klar war wie die, die Bundeskanzler Brandt vorgetragen hat. Um eine Lieblingsvokabel des Kollegen Dr. Barzel zu benutzen, der gelegentlich gern von politischen Absichtserklärungen spricht: Sie wissen genau, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Regierungserklärungen nicht mehr sein können und nicht mehr sein wollen als eben solche politischen Absichtserklärungen. Man kann sie also auch nur daran messen, ob die Absichten, die sie zum Inhalt haben, die sie ausdrücken wollen, klar formuliert sind. Das ist hier geschehen.
    Ich möchte weiter, ebenso wie die beiden anderen Fraktionen, unserem neuen Bundesminister für Bildung und Wissenschaft die besten Wünsche der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion mit auf den Weg geben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich möchte diese guten Wünsche, die wir durch eine
    tatkräftige Mitarbeit in den nächsten Monaten und
    Jahren unterstreichen werden, in wenige konkrete
    Anmerkungen kleiden, die Bezug nehmen sowohl auf die Regierungserklärung als auch auf die Jungfernrede, die Herr Kollege Leussink heute hier vor uns gehalten hat.
    Zum ersten: Herr Bundesminister, ich glaube, Sie wären gut beraten, wenn Sie das, was Sie gegen Schluß Ihrer Rede zu den Schülern und Studenten in unserem Lande gesagt haben, ganz konkret auch auf die vielen jungen Wissenschaftler an den Universitäten und an den Forschungsinstituten bezögen, wenn Sie sie einlüden, an der Präzisierung und an der Durchführung der Bildungs- und Wissenschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland mitzuwirken.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Was wir Sozialdemokraten an dem bisherigen Stil des Bundesforschungsministers gelegentlich bemängelt haben — verzeihen Sie, Herr Kollege Stoltenberg —, war die Neigung zum Kurialstil und dazu, die Gesprächspartner des Ministeriums sozusagen von der Präsidentenebene an aufwärts zu suchen. Wir meinen, Herr Bundesminister Leussink, daß Sie gut beraten wären, Ihre Berater auch unterhalb der Präsidentenebene, nämlich bei jungen Wissenschaftlern in diesem Lande, zu suchen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die zweite Anmerkung, meine Damen und Herren, greift im Grunde einen Hinweis unseres Kollegen Mikat auf. Das entscheidende quantitative Problem, vor dem wir in den nächsten Jahren stehen werden — darüber hat es unter den Fraktionen dieses Parlaments seit zwei, drei Jahren keine Meinungsverscheidenheit mehr gegeben —, das zentrale Problem heißt: Wie schaffen wir es, in den 70er Jahren jedem jungen Mensch en eine Ausbildung an einer Fachhochschule oder an einer Hochschule oder, wenn man die integrierte Gesamthochschule als Ziel nimmt, an einer Gesamthochschule zu geben? Das ist das entscheidende Problem: Wie vermeiden wir es, daß wir Anfang der 70er Jahre ein akademisches Proletariat vor den Türen unserer Hochschulen stehen haben? Ich glaube nicht, Herr Bundesminister Leussink, daß wir dieser Engpaßfrage mit nur einer Methode begegnen können. Wir werden uns sehr unkonventionelle Wege einfallen lassen müssen, um mit diesem Engpaß fertigzuwerden.
    Drittens: Ich finde es sehr gut, daß Herr Bundesminister Leussink schon in seiner ersten Rede vor dem Deutschen Bundestag das Stichwort ,,Demokratisierung" aufgenommen und zugleich klargemacht hat, daß er nicht die Absicht hat, nun einen nicht weiterführenden Streit über Paritäten oder über ideologische Formeln zu beginnen. In der Tat, es handelt sich auch nach Meinung unserer Fraktion darum, konkrete, praktikable Möglichkeiten der Kooperation an den Hochschulen und in den Forschungsinstitutionen zu entwickeln. Wir sind dazu bereit, dies im Rahmen des Bundesrahmengesetzes gemeinsam mit der Bundesregierung zu tun. Ich bin sehr der Meinung, die der Kollege Moersch vorgetragen hat, daß die Meinungsbildung zu diesen



    Dr. Lohmar
    Fragen sich nicht hinter den verschlossenen Türen
    der Parlamentsausschüsse vollziehen darf, sondern
    in öffentlichen Informationssitzungen erfolgen muß,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Haben wir doch schon gehabt!)

    damit alle Beteiligten und Betroffenen die Chance haben, hier mitzuwirken und zu hören, was hier im Bundestag verhandelt wird.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch nicht neu! Hearings hatten wir doch schon!)

    — Ja, wem sagen Sie das? Ich habe sie als Ausschußvorsitzender ja einberufen. Also was soll der Hinweis?
    Die letzte Anmerkung, meine Damen und Herren, bezieht sich auf die Rangordnung, die wir in der Großforschung in den nächsten Jahren einhalten, oder genauer gesagt: erst neu festlegen müssen. Wir haben von seiten unserer Fraktion klargemacht, daß wir das „Gießkannenprinzip" nicht für eine geeignete Methode der Festlegung von Prioritäten in der Großforschung halten. Heute hat, Herr Bundesminister Leussink, einer der hilfreichen Kritiker unserer Bildungs- und Wissenschaftspolitik, Georg Picht — Ihnen wie mir kein Unbekannter — in einem Beitrag in der „Zeit" dazu einen wesentlichen Gedanken vorgetragen, den ich gern — mit Genehmigung der Frau Präsidentin — zur Kenntnis bringen möchte.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Herr Lohmar, wir hatten doch gar kein Gießkannenprinzip!)

    Herr Picht geht davon aus, daß die beiden Großmächte, die Amerikaner und die Russer, für eine absehbare Zeit, ganz sicher für die 70er Jahre, noch eine große Belastung im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung ihres Rüstungspotentials werden übernehmen müssen, und er sagt dann:
    Das hat zur Folge, daß die USA und die Sowjetunion trotz ihrer riesigen Kapazitäten nicht einmal ihre internen Probleme zu lösen vermögen und daß die wichtigsten Ressourcen der heutigen Welt für die Überwindung der Not dieser Welt nicht zur Verfügung stehen. Durch diese Feststellungen
    — fährt Picht fort —
    ist die Lücke bezeichnet, in die eine europäische — und damit auch eine deutsche — Wissenschaftspolitik vorstoßen müßten. Die großen Chancen einer solchen Politik liegen nicht dort, wo die USA und Rußland ihre Kräfte konzentrieren; sie liegen vielmehr auf jenen Gebieten, die von diesen Mächten vernachlässigt werden, weil sie sich anderswo festgelegt haben.
    Ich finde das einen bemerkenswerten und zu überdenkenden Hinweis bei der Suche hier im Bundestag und in der Bundesregierung nach Maßstäben für die Festlegung von Prioritäten in der Großforschung, auf die wir in den letzten vier Jahren vergeblich gewartet haben.
    Meine Damen und Herren, im ganzen hat die Regierungserklärung — das haben die Pressekommentare zum Ausdruck gebracht — den Versuch gemacht, einen Weg zwischen Kontinuität und Reform einzuschlagen. Nun kann man Politik so definieren, wie es gelegentlich von manchen konservativen Leuten getan wird. Man kann sagen, Politik sei die Kunst des Möglichen. Ich meine, wir kommen damit nicht aus, sondern wir sollten uns Carlo Schmids Definition der Politik zu eigen machen, der uns wiederholt darauf hingewiesen hat, Politik sei mehr als die Kunst des Möglichen, sie sei vielmehr die Kunst, das Notwendige möglich zu machen.

    (Beifall bei der SPD.)

    In diesem Sinne, meine Damen und Herren, wünsche ich der Bundesregierung in dem Bereich von Wissenschaft und Bildung vielleicht doch ein bißchen weniger Kontinuität und ein bißchen mehr Reform.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)