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    Deutscher Bundestag 7. Sitzung Bonn, den 30. Oktober 1969 Inhalt: Amtliche Mitteilung 127 A Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. h. c. Strauß (CDU/CSU) 127 B Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister 136 B Kienbaum (FDP) 144 C Höcherl (CDU/CSU) 146 B von Hassel, Präsident (zur GO) 149 C, 163 B Ertl, Bundesminister 149 C Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) 159 A Peters (Poppenbüll) (FDP) 160 C Klinker (CDU/CSU) 162 C Logemann (FDP) 164 D Dr. Schiller, Bundesminister 167 C Dr. Schmid, Vizepräsident (zur GO) 174 B Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) 178 C Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär 181 B Gewandt (CDU/CSU) 183 A Dr. Haas (FDP) 183 D Dichgans (CDU/CSU) 185 B Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) 185 C Frau Funcke, Vizepräsident 186 C Dr.-Ing. Leussink, Bundesminister 188 A Dr. Meinecke (SPD) 191 D Dr. Mikat (CDU/CSU) 193 B Moersch (FDP) 195 C Genscher, Bundesminister 198 C Dr. Lohmar (SPD) 201 A Katzer (CDU/CSU) 202 C Dr. Schellenberg (SPD) 207 A Schmidt (Kempten) (FDP) 212 A Dr. Burgbacher (CDU/CSU) 214 C Arendt, Bundesminister 216 A Benda (CDU/CSU) 220 B Dr. Ehmke, Bundesminister 223 B Dr. Rutschke (FDP) 223 C von Hassel, Präsident 228 A Dr. Lauritzen, Bundesminister 228 B Vogel (CDU/CSU) 228 C Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) 230 B Jahn, Bundesminister 231 C Brandt, Bundeskanzler 232 B Dr. Barzel (CDU/CSU) 236 C Wehner (SPD) 240 A Nächste Sitzung 241 Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten 243 A Anlagen 2 bis 4 Schriftliche Erklärungen der Abg. Dichgans (CDU/CSU), Dr. Rutschke (FDP) und Dr. Jungmann (CDU/CSU) zu der Regierungserklärung 243 B Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Oktober 1969 127 7. Sitzung Bonn, den 30. Oktober 1969 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Amrehn ** 16. 11. Dr. Dittrich * 31. 10. Frau Herklotz ** 17. 11. Frau Geisendörfer 30. 10. Gottesleben 31. 12. Dr. Jungmann 10. 11. Frau Kalinke ** 17. 11. Dr. Kempfler 30. 10. Lücke (Bensberg) 31. 10. Frau Meermann ** 9. 11. Müller (Aachen-Land) * 30. 10. Petersen ** 17. 11. Dr. Preiß 31. 10. Raffert ** 9. 11. Dr. Rinderspacher 14. 11. Schlee 31. 10. Dr. Schmidt (Offenbach) 31. 10. Dr. Starke (Franken) 30. 10. Weigl 31. 10. Dr. Wörner 30. 10. Frau Dr. Wolf ** 20. 11. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an einer Tagung der Interparlamentarischen Union Anlage 2 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dichgans (CDU/CSU) zu der Regierungserklärung. Nachdem das Thema Baustahlpreise von zwei prominenten Kollegen angesprochen worden ist, wollte ich dazu etwas sagen. Die Preisentwicklung für Baustahl, genauer Betonstahl, ist lebhaft kritisiert worden, nicht ohne Grund. In der Tat sind Fälle vorgekommen, in denen ein Bauunternehmer, der bei seinem Händler noch Januar dieses Jahres 450 DM/t gezahlt hatte, im Juli 1969 900 DM bezahlen sollte, das Doppelte. Herr Kollege Dr. Strauß hat dazu bereits mit Recht bemerkt, daß das Problem sehr verwickelt liege. Dazu nur drei Zahlenpaare. Im Jahre 1960 lag der Preis für Betonstahl ab deutschem Hüttenwerk bei etwa 520 DM/t, was zu Preisen ab Händlerlager in der Größenordnung von 650 DM/t führte. Jm Jahre 1968 erlebten wir einen weltweiten Preiseinbruch bei Stahl, mit Preisbewegungen, wie wir sie früher nur am internationalen Metallmarkt erlebt hatten, etwa bei Kupfer und Zinn. 25 % des deutschen Stahlverbrauchs stammen aus dem Ausland. Belgischer Stahl wurde in dieser Baissezeit mit etwa 350 DM/t ab Hüttenwerk, 450 DM/t ab Händlerlager angeboten, alles in runden Zahlen, die nur die Größenordnungen zeigen sollen. Bei einem Überflußangebot wirkt bekanntlich das billigste Angebot preisbestimmend. Deutsche Hüttenwerke mußten deshalb den Auslandsangeboten folgen. Sie waren übrigens daraufhin in mehreren Fällen gezwungen, die Vorauszahlungen von Körperschaftsteuer einzustellen. Im Sommer 1969 entwickelte sich nun ein weltweiter Stahlboom, der den belgischen Preis in wenigen Monaten von 350 auf 700 DM in die Höhe schnellen ließ, was zu dem erwähnten hohen Preis ab Händlerlager führte, 900 DM/t im Extremfall. Daraus ergab sich eine allgemeine Preisauftriebstendenz für Betonstahl ab Händlerlager, weil in Mangellagen die höchste Preisforderung für eine Menge, die noch benötigt wird, den Gesamtpreis bestimmt. Wie haben sich nun die Betonstahlpreise ab deutschem Hüttenwerk entwickelt? Sie liegen unverändert bei 520 DM, wie im Jahre 1960, eher einige Mark darunter. Von allen Stahlsorten wurde nur der Betonstahl, weniger als 10 % der Gesamtmenge, von hektischen Preisausschlägen erfaßt. Für die übrigen verlief die Preiskurve weit ruhiger, für manche von ihnen völlig stetig. Bei Betonstahl gab es im Sommer 1969 zeitweise Lieferschwierigkeiten. Niemand hatte diese sprunghafte Steigerung der Nachfrage vorausgesehen, weder die Stahlindustrie noch der Bundeswirtschaftsminister. Die Stahlindustrie bemühte sich jedoch intensiv um eine Erhöhung der Erzeugung, mit sichtbarem Erfolg. Die extremen Preise gingen rasch zurück. Kritische Kollegen haben mir hier bestätigt, daß heute Betonstahl wieder zum Preise von etwa 650 DM/t vom Händlerlager zu haben ist. Die exzessiven Preisschwankungen waren gewiß unerfreulich. Aber der Mechanismus der Marktwirtschaft hat rasch funktioniert. Seit 1960 ist der allgemeine Index der Industriepreise um etwa 14% gestiegen, während die Stahlpreise sich beim Stand von 1960 gehalten haben. Wäre das bei allen Preisen der Fall, so wäre das Wort Preisstabilität in der heutigen Debatte nicht vorgekommen. Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Rutschke (FDP) zu der Regierungserklärung. Die Fraktion der FDP begrüßt es außerordentlich, daß die neue Bundesregierung in ihrer programmatischen Erklärung den innenpolitischen Problemen der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten breiten Raum geschenkt hat. Seit Jahren hat keine Bundesregierung so konkrete und konstruktive Aussagen gemacht. Die Bundesregierung hat erklärt, daß sie die notwendigen Maßnahmen zur 244 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Oktober 1969 Eingliederung vollenden wird. Vierundzwanzig Jahre nach Kriegsende ist es wahrlich erforderlich, daß dieses mit so viel Leid verbundene Kapitel der deutschen Geschichte endlich zu einem befriedigenden Abschluß kommt. Es besteht kein Zweifel, daß die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge am unzulänglichsten in bezug auf die ostdeutschen Bauern geblieben ist. Jeder weiß, daß die Bundesrepublik Deutschland diesen Menschen nicht wieder zu einem Bauernhof zu verhelfen vermag. Aber ein eigenes Haus mit einem Stück Siedlerland hätte man in den verflossenen zwei Jahrzehnten den ostdeutschen Landwirten sicherlich zur Verfügung stellen können. Noch der scheidende 5. Bundestag appellierte an die neue Bundesregierung, einen Eingliederungsplan aufzustellen, nach dem jährlich wenigstens 4000 Ost- und Mitteldeutsche eine Nebenerwerbssiedlung erhalten können. Die neue Bundesregierung wird danach streben, jenen einstimmigen Wunsch aller Fraktionen zu realisieren. Die gewerblichen Betriebe der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigten leiden immer noch unter erheblichem Eigenkapitalmangel. Zu welch ernster Bedrängnis dieser Zustand führt, konnte man 1966 sehen, als die westdeutsche Wirtschaft in die Krise abglitt. Die Geschädigtenbetriebe waren die ersten, die an den Rand des Konkurses gerieten. Die neue Bundesregierung wird sich deshalb bemühen, die notwendigen eigenkapitalbildenden Maßnahmen fortzusetzen. Die wohnungsmäßige Eingliederung der Vertriebenen, Flüchtlinge und Ausgebombten läßt immer noch zu wünschen übrig. Dies gilt nicht nur für das Fehlen von Mietwohnungen für diesen Personenkreis, sondern verstärkt für das Phänomen des Wohnraum-Eigenbesitzes. Nas neue Kabinett bringt ferner in seiner Regierungserklärung zum Ausdruck, daß es den Lastenausgleich und die Kriegsfolgegesetzgebung, auch im Interesse der Flüchtlinge aus der DDR, zu einem gerechten Abschluß bringen wird. Die Einfügung bezüglich der Flüchtlinge soll zweifellos zum Ausdruck bringen, daß sich die Bundesregierung um eine Gleichstellung der Flüchtlinge mit den Vertriebenen in bezug auf die Hauptentschädigung bemühen wolle. Der Hinweis auf einen „gerechten" Abschluß deutet an, daß die Regierung prüfen werde, inwieweit allgemein eine Verbesserung der Entschädigungsleistungen vorgenommen werden kann. Auch der Ausbau der Altersversorgung der ehemals Selbständigen fällt in diese Programmankündigung. Der letzte Bundestag hatte diesbezüglich die neue Bundesregierung gebeten, eine angemessene Erhöhung des Selbständigenzuschlags im 2. Unterhaltshilfeanpassungsgesetz vorzusehen. Die neue Regierung hat die Bemühungen um die Realisierung dieses Parlamentswunsches bereits seit einigen Tagen aufgenommen. Es wird bei dieser Gelegenheit darauf ankommen, die Altersversorgung stärker als bisher in ein angemessenes Verhältnis zur früheren soziologischen Stellung der Geschädigten zu bringen. In der Öffentlichkeit ist — insbesondere von Geschädigtenverbänden — kritisiert worden, daß das Bundesvertriebenenministerium aufgelöst worden ist. Diese Kritik geht an dem Kern der Sache vorbei. Der zentrale Verwaltungsapparat für die Eingliederung, den Lastenausgleich und die kulturelle Betreuung der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten ist tatsächlich uneingeschränkt erhalten geblieben. Soweit es die außenpolitischen und deutschlandpolitischen Belange der Vertriebenen und Flüchtlinge betrifft, war auch in der Vergangenheit der Vertriebenenminister dafür nicht ressortzuständig. Alle Wünsche oder Vorstellungen werden aber wirkungslos und vergeblich sein, wenn uns eines nicht gelingt: die Kaufkraft unserer Währung zu stabilisieren. Insbesondere die Geschädigtenkreise, ob Kriegssachgeschädigte, Vertriebene oder Flüchtlinge, sind — und hierbei wiederum insbesondere die älteren Menschen — auf die Erhaltung der Kaufkraft unseres Geldes angewiesen. Sie sind wirklich darauf angewiesen — mehr als alle anderen. Die schlechteste Sozialpolitik im weitesten Sinne des Wortes ist die Politik des schlechten Geldes. Wer den Weg der Anpassungsinflation vorzog, anstatt rechtzeitig alle volkswirtschaftlichen Mittel, wie z. B. die Aufwertung unserer D-Mark, einzusetzen, hat sich insbesondere an diesem Personenkreis versündigt. Diese nicht zu rechtfertigende Politik wird ihre Auswirkungen mit voller Wucht im Hinblick auf Preissteigerungen erst in den nächsten Monaten haben. Das wird aber dann für die Geschädigtenkreise besonders schmerzlich sein. Die Verantwortung für die kommenden Preissteigerungen liegt aber nicht — das möchte ich hier und heute eindeutig feststellen — bei der neuen Bundesregierung, sondern einzig und allein bei den Herren Bundeskanzler Dr. Kiesinger und Finanzminister Strauß und bei Ihnen, meine Damen und Herren der CDU/CSU. Anlage 4 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Jungmann (CDU/CSU) zu der Regierungserklärung. Es gehört zu der traditionellen Besonderheit der Gesundheitspolitik jedenfalls in diesem Hause —, daß ihr Akzent weniger auf den unvermeidlichen Meinungsverschiedenheiten als auf der gemeinsamen humanitären Verpflichtung gelegen hat. Deshalb und in diesem Geist stelle ich fest, daß die gesundheitspolitischen Aussagen der Regierungserklärung in jeder Hinsicht enttäuschend sind. Wir haben mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß die Aufgabe der Gesundheitspolitik jetzt auch von der Bundesregierung bescheidener und realistischer als früher in dem Schutz der Men- Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Oktober 1969 245 schen vor den durch Technik und Zivilisation hervorgerufenen Gesundheitsrisiken gesehen wird. Wir haben ebenfalls mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß Wissenschaft und Forschung jetzt an erster Stelle dieser Aufgaben genannt werden. Von der Konkretisierung dieser löblichen Erkenntnis haben wir allerdings wahrlich nichts Überzeugendes gehört. Was da von einem Institut für Sozialmedizin gesagt worden ist, ist mehr Propaganda als Wissenschaft und Forschung. Wenn die sozialmedizinische Forschung an unseren Universitäten und Hochschulen wenigstens etwas großzügiger gefördert würde, würde dabei zweifellos mehr herauskommen als aus einem solchen Institut im Bundesgesundheitsamt. Für die Erforschung der Grundlagen für die Früherkennung der großen Krankheiten unserer Zeit ist das jedenfalls weder der beste noch der erfolgversprechendste Weg. Wir wollen unsere Sorgen bezüglich der weiteren Entwicklung der wissenschaftlichen Institute des Bundesgesundheitsamtes nicht verhehlen. Wenn Wissenschaft und Forschung im Gesundheitspolitischen Programm tatsächlich an erster Stelle stehen sollen — und wir begrüßen das ausdrücklich, weil es schon seit vielen Jahren unsere ausdrückliche Ansicht ist -, dann muß im Bundesgesundheitsamt eine grundlegende Neugestaltung erfolgen. Angesichts der Tatsache, daß heute jeder fünfte oder sechste Mensch an Krebs stirbt, ist es doch wohl kaum angemessen, wenn die Bundesregierung der Krebsbekämpfung „besondere Bedeutung" beimessen will. Auch hier haben wir die klare und konkrete Aussage vermißt, was und wie das geschehen soll. Warum ist vor allem mit keinem Wort gesagt worden, daß die heute schon vorhandenen Möglichkeiten der Früherkennung des Krebses und der anderen großen Krankheiten unserer Zeit endlich voll ausgenutzt werden sollen? Statt der unverbindlichen Versicherung guter Absichten zur Reinhaltung von Wasser und Luft und zum Schutz vor dem Lärm hätten wir auch lieber gehört, w i e das geschehen soll, w i e unsere Städte und Dörfer z. B. von dem täglich wachsenden Zivilisationsmüll befreit werden sollten. Mit Interesse haben wir zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung schon bald ein Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser vorlegen will. Wir sind sehr gespannt, dann zu erfahren, was unter einem „bedarfsgerecht gegliederten System leistungsfähiger Krankenhäuser" zu verstehen ist. Hoffentlich nicht ein seelenloses und damit zugleich unmenschliches System ausschließlich funktionsbezogener Institutionen! Daß die neue Bundesregierung die ärztliche Ausbildung reformieren will, ist — gelinde ausgedrückt — eine unangebrachte Absichtserklärung. Denn tatsächlich müssen wir - der Deutsche Bundestag - von der Bundesregierung erwarten, daß sie ihrerseits bald realisiert, was ihr vom Gesetzgeber aufgetragen worden ist. Bisher sieht es allerdings so aus, als ob diese Aufgabe eher verzögert als mit der notwendigen Einsicht und Energie vorangetrieben würde. Daß sich die Bundesregierung zu dem Grundsatz der freien Arztwahl bekennt, ist nicht gerade sensationell. Daß sie sich auch zum Grundsatz der freien Berufsausübung bekennt, ist schon eher von Interesse. In den Programmen der SPD haben wir eine so klare Aussage bisher jedenfalls vermißt. Unklar und besorgniserregend ist die Aussage, daß die Bundesregierung, „abgestimmt auf die europäische Entwicklung", dafür sorgen wird, daß „Staat und Heilmittelhersteller im Arzneimittelwesen verantwortlich zusammenwirken" sollen, „um ein Maximum an Sicherheit zu gewährleisten". Dieses Maximum an Sicherheit ist jedenfalls nicht nur die Absicht, sondern Grundsatz, Sinn und Inhalt unserer deutschen Arzneimittelgesetzgebung gewesen, die von allen Fraktionen dieses Hauses getragen worden ist. Was muß und was soll da jetzt geändert werden? Wir bleiben bei unserer Auffassung, daß die Verantwortung für die Arzneimittel über die Gesetzgebung und über die Befolgung der Gesetze hinaus nicht vom Staat übernommen werden kann, weil der Staat diese Aufgabe nicht erfüllen kann. Auch in der Gesundheitspolitik erwarten wir also klare Aussagen, damit wir wissen, welchen Absichten wir zustimmen können und welchen Absichten wir rechtzeitig entgegentreten müssen. Ich darf abschließend feststellen, daß das von uns selbst früher einmal angestrebte und schließlich geschaffene Gesundheitsministerium heute wohl nicht mehr für die optimale Organisation der Gesundheitspolitik angesehen werden kann. Das gilt auch für das jetzt aus Familien-, Jugend- und Gesundheitsministerium zusammengelegte Ministerium. Wie wenig seine Teile ein organisches Ganzes bilden, ergibt sich allein schon aus der Behandlung seiner verschiedenen Aufgaben in der Regierungserklärung. Das gilt um so mehr, als dem Vernehmen nach die Einheit der Gesundheitspolitik durch Herauslösung der gesamten Umwelthygiene aus dem Gesundheitsministerium gesprengt werden soll. Wir sind der Ansicht, daß alle Teile dieses Ministeriums Teile eines modernen Innenministeriums sein sollten, eines Innenministeriums allerdings, das sich als das für die Daseinsvorsorge der Staatsbürger verantwortliche Ministerium zu verstehen hätte. Das ergibt sich aus unserer grundsätzlichen Auffassung, daß Schutz der Gesundheit Aufgabe einer richtig verstandenen Gesundheitspolitik sind, nicht aber die mehr oder weniger verkappte Vorstellung, daß das Wohl und Wehe der Menschen vom Staate organisiert werden könnte.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hermann Höcherl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es hat bereits gestern abend und auch schon heute vormittag agrarpolitische Debattenteile gegeben. Herr Professor Schiller hat auch die Trophäen aus Luxemburg hier bereits vorgezeigt. Wenn es wirkliche Trophäen sind, müssen sie, wie ich meine, zwischen Ertl und Professor Schiller geteilt werden.
    Jeder, der die kontroversen Ausgangspositionen der beiden Koalitionsparteien in der Agrarpolitik kennt — und jeder, der die vielen agrarpolitischen Debatten in diesem Hause verfolgt hat, muß sie kennen —, mußte darauf gespannt sein, welchen Nenner, welchen unvermeidlich breiten Nenner die neue Regierungskoalition in dem Kompromiß für die Agrarpolitik finden würde. Ich habe diese Regierungserklärung mit großer Aufmerksamkeit angehört, ohne einen besonderen Lernprozeß für das stillschweigende Anhören, wie es der Herr Bundeskanzler wünscht, durchgemacht zu haben, und zu meiner eigenen Absicherung, ob mir nicht eines der goldenen Worte entgangen sein könnte, habe ich, wie das bei Juristen so üblich ist, den Text auf alle agrarpolitischen Passagen hin nachgelesen. Ich bitte nun zu entschuldigen, wenn ich zu einem sehr viel bescheideneren Urteil komme: das Resultat war mager und dürftig.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die FDP hat es immer schwer gehabt, den agrarpolitischen Flügel in die liberale Wirtschaftspolitik ihres industriellen Flügels zu integrieren. Ich habe auch immer den Eindruck gehabt, daß die Agrarpolitik der FDP ein Stiefkind in der progressiven liberalen Familie sei, ein Stiefkind, das man wegen seiner ländlichen Verwandtschaft geduldet, in Wahlzeiten sogar geschätzt hat. Die SPD selber ist agrarpolitisch etwas bei Herrn Mansholt angesiedelt, obwohl sie diese Geistesverwandtschaft mit Herrn Mansholt und seinen Ideen in der Zeit vor der Wahl nach der bekannten Melodie „Grüß mich nicht Unter den Linden" etwas unterdrückt hat.

    (Heiterkeit.)

    Der Kompromiß in der Agrarpolitik der Kleinen Koalition ist unter den vielen Kompromissen, die bei einer solchen politischen Trotzehe begreiflich sind, der Kompromiß mit der größten Bandbreite. Diese Bandbreite reicht von null bis unendlich. — Ich bitte, dabei zu beachten, daß ich nicht von minus null gesprochen habe.
    Die Agrarpolitik ist immer ein Sorgenkind dieses Hauses gewesen, und sie war auch der Sektor, auf dem die neue Regierung ihre erste Bewährungsprobe zu bestehen hatte. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung grundsätzliche Ausführungen, wenn auch nur sehr wenige, zur Agrarpolitik gemacht und zu den Ergebnissen der letzten Verhandlungen in Luxemburg Stellung genommen. In der Zwischenzeit haben wir weitere Informationen durch Professor Schiller und auch durch den Herrn Bundesfinanzminister bekommen.
    Ich möchte mich zunächst mit den prinzipiellen Bemerkungen befassen. Das Hohe Haus wird mir gestatten, dazu einige Zahlen zu nennen. Die landwirtschaftliche Bevölkerung beträgt auch in unserem Industriezeitalter in der Bundesrepublik noch 10 % der Beschäftigten. Das sind rund 2 Millionen, die Familien einbezogen sind es 5 Millionen Menschen, die auf 1,3 Millionen Betriebe verteilt über die ganze Bundesrepublik leben. Es sind zumeist Menschen, die durch die natürlichen Gegebenheiten ihres Arbeitsprozesses von vielen Errungenschaften unserer Zeit, von freiem oder gar verlängertem Wochenende, von der sich ständig verkürzenden Arbeitszeit, von geregeltem Urlaub und von vielen anderen Selbstverständlichkeiten, ausgeschlossen sind und deren Einkommen im großen Durchschnitt weit unter dem Durchschnitt des Einkommens für die Lohnempfänger liegt.



    Hödierl
    All das wäre meines Erachtens Anlaß genug sowohl von der Qualität wie von der Quantität her -- für eine Regierung, entsprechende Aussagen zu machen. Ich bin deshalb sehr erstaunt, daß die recht umfangreiche Regierungserklärung sich mit so wenigen Sätzen für einen so bedeutungsvollen Sektor begnügt.
    Der entscheidende Satz zur Agrarpolitik lautet folgendermaßen: Die Landwirtschaft soll zu einem gleichrangigen Teil der modernen Volkswirtschaft werden; sie soll im vollen Umfange an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung teilnehmen. Als besondere Zielsetzung wird eine Strukturpolitik aus einem Guß — eine Formel, die schon ziemlich abgenützt ist — auch für ländliche Räume und als besondere strukturpolitische Aufgabe die Modernisierung der Landwirtschaft anvisiert.
    Wenn ich in eine Kritik dieser Sätze eintreten darf, dann kann ich beim besten Willen nichts anderes sagen, als daß der erste Satz nur eine schlichte Selbstverständlichkeit enthält. Die Landwirtschaft ist ein Wirtschaftszweig mit zwei Millionen Arbeitskräften, mit einem Umsatz von 30 Milliarden, sie tritt als Gruppenkäufer mit 20 Milliarden für Betriebsmittel auf. Sie konnte in 15 Jahren überwiegend aus eigener Kraft eine Produktivitätssteigerung in ihrem Bereich von 250 bis 300 % erreichen, also mehr als viele industrielle Zweige. Ihre Bedeutung geht weit über die Bedeutung und das Gewicht anderer Wirtschaftszweige hinaus, von denen viel mehr in der Öffentlichkeit die Rede ist. Dazu kommt noch, daß die Produktion von Lebens- und Ernährungsgütern für jede Gemeinschaft eine besondere Priorität hat. Ein solcher Wirtschaftszweig hätte eine bessere Behandlung in der Regierungserklärung verdient.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Teilnahme an der Einkommens- und Wohlstandsentwicklung ist viel besser und ausführlicher im Landwirtschaftsgesetz aus dem Jahre 1955 und in den Artikeln 38, 39 und folgende des EWG-Vertrages formuliert. Beides sind verpflichtende Gesetze für jede Bundesregierung. Eine Wiederholung dieser gesetzlichen Verpflichtungen wäre nichts besonderes gewesen. Von einer modernen und — wie sie von sich selbst behauptet den inneren Reformen verpflichteten Regierung hätte ich eine progressive Aussage erwartet.
    Die Modernisierung der Landwirtschaft ist bereits in vollem Gange, zumeist aus eigener Kraft der Landwirtschaft selbst. Sie hat sich weit über die industriellen Produktivitätsfortschritte hinaus unter schwierigsten Startbedingungen in kürzester Zeit in die Spitzengruppe der modernen Landwirtschaften gesetzt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich kann mir diese spärlichen Passagen in der Regierungserklärung nur aus dem bekannten getrübten Verhältnis der SPD zur Landwirtschaft erklären.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Was soll das heißen?)

    — Ich werde es genau erklären.

    (Abg. Wehner: Das ist eine getrübte Art der Argumentation!)

    — Nein, es ist ein getrübtes Verhältnis; das ist sehr bedauerlich. - Offenbar konnte sich auch der
    durch die Wahl stark gestutzte Agrarflügel der FDP nicht ausreichend durchsetzen.

    (Zurufe von den Regierungsparteien.)

    Die angekündigte Einbeziehung in die Konzertierte Aktion kommt reichlich spät. Ich begreife immer noch nicht, was eigentlich Herrn Professor Schiller, der sich nicht so leicht von anderen, auch von Mehrheitsmeinungen, beeinflussen läßt — wie wir alle aus bitterer Erfahrung wissen —,

    (Heiterkeit)

    früher überhaupt daran gehindert hat, die Landwirtschaft von Anfang an an dieser Konzertierten Aktion zu beteiligen,

    (Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Wehner: Nachdem Sie so „dafür" gekämpft haben!)

    wobei ich zu diesem Ausspracheverein,

    (Abg. Wehner: Aha!)

    dessen politische, pädagogische und psychologische Bedeutung ich keineswegs unterschätzen möchte, doch sagen muß, daß er nicht gerade von überragend großen Erfolgen trieft.
    Aus der allgemeinen, auf die pressemäßige Wirkung zielenden Vorbemerkung über die Kontinuität der im Jahre 1966 eingeleiteten Politik in der Großen Koalition möchte ich in meinem Optimismus die Folgerung ziehen, daß sich diese Formel der Kontinuität auch auf die im Jahre 1968 in der Großen Koalition einstimmig konzipierte neue Agrarpolitik bezieht, die in ihren Komponenten der Preispolitik, der Betriebsmodernisierung, der Sozialpolitik und Bildungspolitik nach wie vor gelten müßte. Man hätte dazu auch gern einige bestätigende Formulierungen gehört.
    Im Rahmen der reduzierten Redezeit wende ich mich nun den aktuellen Problemen der EWG-Agrarpolitik zu, nämlich den Luxemburger Vorgängen. Ich verkenne keineswegs, daß es für eine in den Geburtswehen stehende Regierung schwierig ist, beim ersten Augenaufschlag mit so schwierigen Entscheidungen konfrontiert zu werden. Daß die so heiß begehrte Aufwertung vor allem schwierigste EWG-Probleme auslösen mußte, konnte auch für den in EWG-Fragen sehr erfahrenen Professor Schiller keine Überraschung sein. Ich sage hier ganz offen: neben den vielen von anderer Seite vorgetragenen Bedenken zu diesem Komplex der Aufwertung war für mich immer eines der Hauptbedenken, daß ein so einseitiger Währungsvorgang bedeutungsvolle Einflüsse und Konsequenzen innerhalb der EWG haben müßte.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Diese Regierung hat die Aufwertung zu einem Epos ihrer Wirtschaftspolitik gemacht. Über die Haltung der Kommission und des Ministerrates war sie aber genauestens unterrichtet. Zuletzt wurde sie in



    Höcherl
    der Sitzung vom 6. Oktober in Luxemburg, die wir noch zusammen bestritten haben, unterrichtet, nachdem die Erweiterung der Bandbreite am 29. September beschlossen worden ist. Sie hat also im vollen Bewußtsein aller nur denkbaren Folgen diesen Schritt unternommen, und ihre Verantwortung ist deshalb doppelt zu zählen.
    Der Herr Bundeskanzler hat über das Ergebnis der, wie ich gern anerkenne, sehr harten Verhandlungen in Luxemburg in seiner Regierungserklärung einen Kurzbericht gegeben. Wie es mit Kurzberichten so geht, fehlt Wesentliches, vor allem was die Betroffenen, nämlich die deutsche Landwirtschaft, interessiert. Es ist richtig, daß die deutsche Delegation mit Nachdruck für eine temporäre Beibehaltung der bisherigen Preise in Landeswährung mit Grenzausgleich plädiert hat. Das Plädoyer fand, wie jeder Kundige wissen mußte, kein rechtliches und politisches Gehör. Man kann angesichts der Offenkundigkeit dieser Situation nichts anderes schließen, als daß es sich nur um politische Rhetorik gehandelt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn meine spärlichen Informationen zutreffen — ich hoffe, daß diese in Zukunft besser werden —, wurde dieser Pfad der Tugend bald als ausweglos erkannt, und als Trostpreis wurde eine Übergangsregelung für sechs Wochen beschlossen, mit dem klaren Ergebnis, daß nach diesen sechs Wochen endgültige Regelungen nach dem Vertrag folgen müßten und daß vor allem die Preise um den Aufwertungssatz herabgesetzt werden müßten. Man muß dabei wissen, daß es zu dieser Übergangsregelung für sechs Wochen heute noch keine Warenliste gibt, daß sie kaum auf so entscheidende Sektoren wie Obst und Gemüse, Eier und Geflügel angepaßt ist, - um nur einige im schwersten Konkurrenzkampf mit den Partnerstaaten stehende Produktionszweige zu nennen, die einen sehr beachtlichen Anteil am Einkommen der deutschen Landwirtschaft haben.
    Das eigentliche Ergebnis ist nun die Tatsache, daß die deutschen landwirtschaftlichen Preise nach Ablauf dieser sechs Wochen um den sehr hohen, für die Landwirtschaft keineswegs im goldenen Schnitt stehenden Aufwertungssatz herabgesetzt werden müssen. Ich bitte, sich einmal die Lage vorzustellen, wenn irgendeine andere Berufsgruppe in der gleichen Zeit Einkommensverluste — und darum handelt es sich — von bis zu 20 % hätte ins Auge fassen müssen. Der Hinweis auf den Ausgleich zieht nur für die Frist dieser Ausgleichszahlung, und hier liegt das eigentliche Problem. Die deutsche Landwirtschaft, die im EWG-Vergleich mit überhöhten Kosten produzieren muß, hat schon einmal schwere Opfer für die Integration gebracht, und andere haben dabei geerntet, nicht nur die Exportindustrie und andere Wirtschaftszweige, die in den zehn Jahren EWG ihre Umsätze im Gemeinsamen Markt um das Mehrfache steigern konnten. Das gilt ebenfalls für die aus dieser Steigerung resultierenden Arbeitsplätze.


Rede von Kai-Uwe von Hassel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Kollege Höcherl, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre
15 Minuten abgelaufen sind. Ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen.

(Abg. Stücklen: Als ehemaliger Minister verdient er einen Zuschlag!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hermann Höcherl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Von den besonderen Problemen eines brauchbaren Maßstabes für diesen Ausgleich will ich gar nicht reden. Ich selbst habe früher das Modell der Mehrwertsteuer vorgeschlagen, und zwar in voller Kenntnis all der Unvollkommenheiten und Schwierigkeiten, die heute bereits erörtert worden sind. Es handelt sich um die große und entscheidende Aufgabe, für Millionen und aber Millionen von Geschäftsvorfällen im landwirtschaftlichen Bereich eine Lösung zu finden, von den Fährnissen und Schwierigkeiten auf dem Markt gar nicht zu reden, und auch eine Mehrwertsteuerregelung gibt keineswegs die Sicherheit, daß auf dem Markt die notwendigen Erzeugerpreise erzielt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    — Mein Vorschlag ging dahin, daß man die Mehrwertsteuer als Modell nimmt und die Ausgleichszahlungen über das Finanzamt, also über den Haushalt, leistet.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Die Behauptung, daß darüber hinaus die Partnerstaaten bereit seien, sich an einer solchen Ausgleichszahlung zu beteiligen, ist für mich nicht sehr glaubwürdig. In vierjährigem Umgang, wie ich ihn in Brüssel und in Luxemburg hatte, lernt man das Klima für solche Bereitschaften kennen. Wenn ich recht unterrichtet bin, wollen sich die Partnerstaaten für 1970 nur auf 100 Millionen Rechnungseinheiten und auslaufend 1971 auf 50 Millionen einlassen. Das ist genau der Betrag, der durch die französische Abwertung bei der Gemeinschaftskasse eingespart wird. Von dieser Einschränkung habe ich in der Regierungserklärung nichts gehört und nichts gelesen. Professor Schiller wird nach meiner Kenntnis der Dinge auch von seiner Seite aus nicht bereit sein, einer Mehrwertsteuerregelung oder einem Modell dieser Art über 8 % zuzustimmen. Am Schluß der Regierungserklärung steht dann der Satz: „Diese Regierung redet niemandem nach dem Munde." Hier wäre eine Gelegenheit zur Verifizierung dieses stolzen Satzes gewesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Mit großem Interesse ich bitte, mir noch einige
    Minuten zu geben, Herr Präsident — habe ich den Satz gehört, daß keine Politik des Preisdruckes stattfinden sollte. Auch dieser Satz ist in schlichter Betrachtung nicht besonders trostreich. Wenn sich andere Berufszweige und andere Berufsgruppen immer größere Stücke aus dem großen Kuchen der gemeinsamen Leistung herausschneiden, ist es ein kümmerlicher Trost, keinem Preisdruck ausgesetzt zu sein. Wo sollen die steigenden Kosten und Aufwertungsverluste untergebracht werden, und wo soll gleichzeitig eine Beteiligung an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung herkommen?

    (Beifall bei der CDU/CSU.)




    Höcherl
    All das dürfte auch für die Erweiterung der EWG, vor allem auch für die englische Landwirtschaft, eine sehr, sehr wenig einladende Form sein.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wenig attraktiv!)

    Die belgische und die holländische Regierung, die in vergleichbaren Konjunktursituationen und vor gleichen Währungsproblemen stehen, haben trotz unseres eilfertigen Beispiels die kalte Schulter gezeigt und sich gegen eine Aufwertung erklärt. Warum? Sie wissen beide sehr gut, welche Vorteile auch auf dem landwirtschaftlichen Sektor über unsere Aufwertung auf sie warten.
    Hinter all dem steht doch die nüchterne Tatsache, daß sich für die Landwirtschaft unserer Partnerstaaten neue große Chancen abzeichnen, die sie mit großem Genuß wahrnehmen. Es hätte meines Erachtens durchaus eine Möglichkeit gegeben, in Luxemburg eine bessere Verhandlungsposition zu beziehen. Lange Zeit nämlich war der Agrarmarkt und seine Buchwährung der Rechnungseinheit eine Aufforderung an die Konjunktur- und Währungspolitik, für die Herr Professor Schiller seit geraumer Zeit verantwortlich ist, nachzuziehen. Es ist nichts geschehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Jetzt versucht man, die integrationsfreudige Agrarpolitik auch noch in den Anklagezustand zu versetzen anstelle der im Verzug stehenden Konjunktur- und Währungspolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Drehen wir einmal die Sache herum: Die Ausgleichsabgabe für Agrarprodukte wie auch die steuerlichen Maßnahmen werden solange zugestanden, bis sich die ihrer Natur nach mehr zur Integration geborenen Faktoren Konjunktur- und Währungspolitik harmonisieren.
    Die Regierungserklärung beklagt auch noch die schlechte Ausstattung der Landwirtschaft in der mittelfristigen Finanzplanung. Ich stimme dem zu. Der Haushaltsansatz für 1970 ist zu schwach. Es handelt sich aber nicht nur um die gesetzlichen 1,4 Milliarden DM aus den Marktordnungen für rechtsverbindliche Anforderungen, die auf Referentenebene bereits vor der neuen Regierungsbildung zugesagt worden sind, sondern um weitere 500 Millionen DM für die Fortführung des gemeinsam beschlossenen Agrarprogramms, die Bundeskanzler Kiesinger in Ausübung seiner Richtlinienkompetenz bereits vor sieben Monaten zugesagt hat. Aber auch damit ist es nicht getan. Dazu kommt noch der unbestrittene Teil des Verlustausgleichs.