Protokoll:
5141

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 5

  • date_rangeSitzungsnummer: 141

  • date_rangeDatum: 7. Dezember 1967

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 19:15 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 141. Sitzung Bonn, den 7. Dezember 1967 Inhalt: Amtliche Mitteilungen 7177 A Entwurf eines Gesetzes zur Verwirklichung der mehrjährigen Finanzplanung des Bundes, I. Teil, Zweites Steueränderungsgesetz 1967 (Drucksache V/2087) ; Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (Drucksache V/2320) — Zweite und dritte Beratung — Dr. Müthling (SPD) 7177 D Dr. Pohle (CDU/CSU) . . 7178 D, 7204 A Frau Kurlbaum-Beyer (SPD) 7179 A, 7188 B Genscher (FDP) 7179 B Dichgans (CDU/CSU) 7184 C Junghans (SPD) 7186 A Mischnick (FDP) 7190 C Dr. h. c. Strauß, Bundesminister . 7191 C Dr. Dahlgrün (FDP) 7200 C Schoettle, Vizepräsident . 7201 B, 7203 D Dorn (FDP) 7201 B, Zoglmann (FDP) 7203 A Dr. Koch (SPD) . . . . . . . 7205 D Frau Funcke (FDP) . . . . . . 7206 D Entwurf eines Gesetzes über die ertragsteuerlichen und vermögensteuerlichen Auswirkungen des Umsatzsteuergesetzes' vom 29. Mai 1967 und zur Änderung steuerlicher Vorschriften (DrittesSteueränderungsgesetz 1967) (Drucksache V/2185) ; Bericht des Haushaltsausschusses gem. § 96 GO (Drucksache V/2321), Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (Drucksache V/2307) — Zweite und dritte Beratung — Dr. Schwörer (CDU/CSU) 7210 C Entwurf eines Zehnten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie über die Anpassung der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (Zehntes Rentenanpassungsgesetz) (Drucksache V/2182) ; Bericht des Haushaltsausschusses gem. § 96 GO (Drucksache V/2302), Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Drucksache V/2301) — Zweite und dritte Beratung — Winkelheide (CDU/CSU) 7212 B Riegel (SPD) 7212 B Geldner (FDP) 7212 D Entwurf eines Gesetzes über die Verbilligung von Gasöl für Betriebe der Landwirtschaft (Gasöl-Verbilligungsgesetz — Landwirtschaft) (Drucksache V/2194); Bericht des Haushaltsausschusses gem. § 96 GO (Drucksache V/2334), Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (Drucksache V/2322) — Zweite und dritte Beratung — Stooß (CDU/CSU) 7213 A Ertl (FDP) 7214 B Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 7214 D II Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 Fragestunde (Drucksachen V/2333, V/2347) Frage des Abg. Dr. Imle: Einfügung eines § 12 a in das Kohle-Anpassungsgesetz . . . . . . . . 7215 D Frage des Abg. Dr. Hauser (Sasbach) : Absicht der Auflösung von Nebenstellen der Deutschen Bundesbank Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 7216 A Dr. Hauser (Sasbach) (CDU/CSU) . 7216 B Köppler (CDU/CSU) 7216 C Frage des Abg. Weigl: Förderung von Orten zentraler Bedeutung . 7216 D Frage des Abg. Weigl: Berücksichtigung der bayerischen Regierungsbezirke Oberpfalz und Niederbayern bei der Schaffung neuer Bundesausbauorte 7216 D Frage des Abg. Junghans: Gründung einer Gesamtgesellschaft für die Steinkohle im Ruhrgebiet auf freiwilliger Basis 7217 A Frage des Abg. Junghans: Schaffung der Grundlagen für einen gesetzlichen Zusammenschluß der Bergbauunternehmen an der Ruhr . . . . 7217 A Frage der Abg. Frau Funcke: Erhöhung der Verbraucherpreise für Wasser, Strom und Gas Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär 7217 B Frau Funcke (FDP) . . . . . . 7217 C Frage des Abg. Dröscher: Rechtsverhältnisse der deutschen Zivilbediensteten der alliierten Streitkräfte Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 7217 D Dröscher (SPD) . . . . . . . . 7218 A Fragen des Abg. Matthöfer: Sendungen des Bayerischen Rundfunks für ausländische Arbeiter Jahn, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 7218 C Matthöfer (SPD) . . . . . . . 7219 A Picard (CDU/CSU) 7219 D Ott (CDU/CSU) 7220 A Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) . 7220 B Frage des Abg. Strohmayr: Etwaige steuerliche Auswirkungen einer Erhöhung der Einheitswerte Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 7220 D Strohmayr (SPD) . . . . . . . 7220 D Fragen des Abg. Krammig: Steuerliche Belastung der deutschen Obstverschlußbrennereien 7221 A Frage des Abg. Fritsch (Deggendorf) : Beurteilungsrichtlinien in der Bundesfinanzverwaltung Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 7221 A Fritsch (Deggendorf) (SPD) . . . . 7221 A Fragen des Abg. Dr. Hauser (Sasbach) : Neues Brennbuch für Abfindungsbrennereien Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 7221 C Dr. Hauser (Sasbach) (CDU/CSU) . 7222 A Scheel, Vizepräsident 7222 B Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) . 7223 A Frage des Abg. Berberich: Auflage zur Brennbuchführung Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 7223 C Berberich (CDU/CSU) 7223 C Fragen des Abg. Wolf: Bundeswehrgarnisonen — Finanzausgleich Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär 7223 D Wolf (SPD) 7224 A Scheel, Vizepräsident 7224 A Fragen des Abg. Strohmayr: Sanierung des Gebäudes des Hauptzollamtes Köln Leicht, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 7224 C Strohmayr (SPD) . . . . . . . . 7224 D Fellermaier (SPD) . . . . . . . 7225 C Fragen des Abg. Böhm: Meldungen betr. Errichtung eines Korps-Depots in der Gemarkung der Gemeinde Gaimersheim (Lkr. Ingolstadt) Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 III Fragen der Abg. Spitzmüller, Kubitza und Schultz (Gau-Bischofsheim) : Fehlerhafte Munition Dr. Carstens, Staatssekretär . . . 7226 A Spitzmüller (FDP) 7226 C Kubitza (FDP) . . . . . . . . 7227 A Ollesch (FDP) . . . . . . . . 7227 A Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) 7227 B Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) . 7227 C Borm (FDP) 7228 B Dr. Enders (SPD) 7228 C Jung (FDP) 7228 D Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Verteidigungspolitik (Drucksache V/2016) in Verbindung mit Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Verteidigungskonzeption der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache V/2025), mit Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Verteidigungspolitik (Drucksache V/2041), mit Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes (FDP) (Drucksache V/1741) — Erste Beratung — und mit Antrag betr. Ausrüstung der Bundeswehr (FDP) (Drucksache V/1990) Fortsetzung der Beratung Brandt, Bundesminister 7229 B D. Dr. Gerstenmaier, Präsident . . 7233 C, 7242 B Borm (FDP) 7233 C Dr. Jaeger (CDU/CSU) 7238 C Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) . 7243 A Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) 7247 D Herold (SPD) 7251 A Haase (Kellinghusen) (SPD) . . . 7253 A Dr. Mommer, Vizepräsident . . . 7255 B Stahlberg (CDU/CSU) 7255 C Jung (FDP) 7256 D Dr. Schröder, Bundesminister . . 7257 B Nächste Sitzung 7261 C Anlagen 7263 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7177 141. Sitzung Bonn, den 7. Dezember 1967 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr
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    *) Siehe Anlage 7 **) Siehe Anlage 8 ***) Siehe Anlage 9 Anlage i Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Dr. Achenbach * 8. 12. Dr. Aigner * 8. 12. Frau Albertz 7. 12. Dr. Arndt (Berlin/Köln) 7. 12. Dr. Artzinger * 8. 12. Bading * 8. 12. Dr. Barzel 8. 12. Bäuerle 7. 12. Bauer (Wasserburg) 9. 12. Berlin 15. 12. Blachstein 16. 12. Blumenfeld** 8. 12. Börner 7. 12. Brück (Holz) ** 8. 12. Dr. Burgbacher 8. 12. Cramer 17. 12. Dr. Dittrich 8. 12. Dröscher * 8. 12. Frau Dr. Elsner 15. 12. Dr. Eppler 7. 12. Flämig ** 8. 12. Frieler 8. 12. Dr. Furler * 8. 12. Gerlach * 8. 12. Gibbert 16. 12. Graaf 8. 12. Dr. Güde 11. 12. Haage (München) 15. 12. Haar (Stuttgart) 8. 12. Hahn (Bielefeld) * 8. 12. Dr. Hammans 8. 12. Dr. Hellige ** 8. 12. Frau Herklotz ** 8. 12. Hilbert 8. 12. Hussong 15. 12. Kahn-Ackermann ** 8. 12. Dr. Kempfler ** 7. 12. Frau Klee ** 8. 12. Dr. Kliesing (Honnef) ** 8. 12. Koenen (Lippstadt) 7. 12. Dr. Kopf ** 8. 12. Frau Korspeter 23. 12. Dr. Kübler 31. 12. Freiherr von Kühlmann-Stumm 8. 12. Kühn (Hildesheim) 9. 12. Kulawig * 8. 12. Kunze 31. 12. Lenz (Brühl) 31. 12. Lenze (Attendorn) ** 8. 12, Dr. Lindenberg 15. 12. Lücker (München) * 8. 12. Mauk * 8. 12. Frau Dr. Maxsein ** 8. 12. *) Für die Teilnahme an einer Tagung des Europäischen Parlaments **) Für die Teilnahme an einer Versammlung der WEU Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. von Merkatz ** 8. 12. Merten 31. 12. Metzger * 8. 12. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller 15. 12. Frau Mönikes 15. 12. Müller (Aachen-Land) * 8. 12. Paul 31. 12. Pöhler ** 8. 12. Richarts * 8. 12. Richter ** 8. 12. Riedel (Frankfurt) * 8. 12. Dr. Rinderspacher ** 8. 12. Rollmann 15. 12. Dr. Rutschke ** 8. 12. Prinz zu Sayn-Wittgenstein- Hohenstein 20. 12. Schmidt (Würgendorf) 9. 12. Dr. Schulz (Berlin) ** 8. 12. Dr. Serres ** 8. 12. Steinhoff 31. 12. Tallert 12. 1. 1968 Vogt ** 8. 12. Dr. Wahl 15. 12. Weimer 7. 12. Wienand ** 8. 12. Baron von Wrangel 7. 12. Anlage 2 Umdruck 311 Änderungsantrag der Fraktion der FDP zur zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verwirklichung der mehrjährigen Finanzplanung des Bundes, I. Teil, Zweites Steueränderungsgesetz 1967 - Drucksachen V/2087, V/2320 -. Der Bundestag wolle beschließen: Artikel 1 wird gestrichen. Bonn, den 5. Dezember 1967 Mischnick und Fraktion Anlage 3 Umdruck 317 Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Schmidt (Wuppertal), Schulhoff, Dr. Schwörer, Regling, Feuring, Frau Funcke und Genossen zur zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die ertragsteuerlichen und vermögensteuerlichen Auswirkungen des Mehrwertsteuergesetzes vom 29. Mai 1967 und zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Drittes Steueränderungsgesetz 1967) - Drucksachen V/2185, V/2307 -. Der Bundestag wolle beschließen: 1. In Artikel 1 wird vor der bisherigen Nummer 1 die folgende Nummer 01 eingefügt: „01. In § 6 Abs. 2 erhält der letzte Halbsatz die folgende Fassung: 7264 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 ,wenn die Anschaffungs- oder Herstellungskosten, vermindert um einen darin enthaltenen Vorsteuerbetrag (§ 9 b Abs. 1), für das einzelne Wirtschaftsgut 800 Deutsche Mark nicht übersteigen.' " 2. In Artikel 4 erhält Nummer 2 die folgende Fassung: ,2. In § 19 Abs. 2 Satz 3 werden die Worte „deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten 600 Deutsche Mark nicht übersteigen" durch die Worte „deren Anschaffungsoder Herstellungskosten, vermindert um einen darin enthaltenen Vorsteuerbetrag (§ 9 b Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes), 800 Deutsche Mark nicht übersteigen" ersetzt.' 3. In Artikel 4 Nr. 3 Buchstabe a erhält die Nummer 1 die folgende Fassung: ,1. hinsichtlich der Worte in Absatz 2 Satz 3 „vermindert um einen darin enthaltenen Vorsteuerbetrag (§ 9 b Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes), 800 Deutsche Mark" erstmals für Wirtschaftsgüter, die nach dem 31. Dezember 1967 angeschafft oder hergestellt werden,".' Bonn, den 6. Dezember 1967 Dr. Schmidt (Wuppertal) Genscher Schulhoff Logemann Dr. Schwörer Dr. Mühlhan Regling Opitz Feuring Ott Frau Funcke Peters (Poppenbüll) Frau Dr. Diemer-Nicolaus Porsch Dorn Schlee Dr. Eckhardt Dr. Schmid-Burgk Dr. Emde Spitzmüller Ertl Stooß Geldner Zoglmann Freiherr von Gemmingen Anlage 4 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Krammig (CDU/CSU) zu Punkt 4 der Tagesordnung (zur Abstimmung über Umdruck 311). Ich stimme dem Antrag auf Umdruck 311 zu, weil mir dieser Antrag die Möglichkeit gibt, gegen die unbefristete Einführung der Ergänzungsabgabe zu stimmen. Im Finanzausschuß hatte ich den Antrag gestellt, die Ergänzungsabgabe auf vier Jahre als Deckungsmittel im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung zu beschränken. Dieser Antrag wurde angenommen, 'später aber auf Grund des Votums .des Haushaltsausschusses wieder aufgehoben. Die Ergänzungsabgabe soll den vorübergehenden Spitzenausgleich im Bundeshaushalt bewirken. Ihre Aufrechterhaltung auf Dauer, jedenfalls auf eine Dauer, die über die mittelfristige Finanzplanung hinausgeht, halte ich für bedenklich. Ich stimme also dem Antrag der FDP zu, da ein Befristungsantrag nicht vorliegt. Anlage 5 Schriftliche Erklärung .des Abgeordneten Winkelheide (CDU/CSU) zu Punkt 6 der Tagesordnung. Im Namen der Fraktion der CDU/CSU gebe ich folgende Erklärung zur Verabschiedung des 10. Rentenanpassungs-Gesetzes ab. Der vorliegende Bericht stellt noch einmal die Daten des Gesetzes fest: 8,1 % Anpassung in der Rentenversicherung, 7,2 % in der Unfallversicherung. Rund 2,3 Milliarden DM ergibt diese Anpassung an Mehraufwendungen, das heißt also, daß die Rentner in allen Sparten insgesamt 2,3 Milliarden DM im Jahre 1968 mehr erhalten. Dieses Gesetz verwirklicht zum 10. Male die Rentenanpassung, wie sie 1957 in den Rentenversicherungs-Neuordnungsgesetzen festgelegt worden ist. Mit Genugtuung schauen wir auf die 10 Jahre der Neuordnung der Rentenversicherungsgesetze zurück. Rund 98 % an Rentenerhöhungen sind in den letzten 10 Jahren vollzogen worden. Das ist eine beachtliche Leistung. Über 8,5 Millionen Rentner vertrauen auf dieses Kernstück der Rentenversicherung. Durch dieses Gesetz rechtfertigen wir das Vertrauen der Rentner. Trotzdem kann man dieses Anpassungsgesetz nicht abseits sehen von den Maßnahmen, die am Freitag im Finanzplanungsgesetz zur Verabschiedung anstehen. Gerade dieser Anlaß bietet bei der Verabschiedung des 10. Rentenanpassungsgesetzes noch einmal Gelegenheit, auf das tragende Grundelement der Rentenversicherung hinzuweisen: der Solidarität der Generationen einerseits und auch auf die Wechselwirkung der Solidarität andererseits. Diese Leistungen erfordern eine Beitragserhöhung auf der Seite der Aktiven und einen Beitrag zur Krankenversicherung der Rentner auf der Seite der Inaktiven. Das bedeutet sicherlich ein Opfer. Die Gründe dafür hat Kollege Stingl am 26. Oktober in diesem Hohen Hause eingehend dargelegt. Wir sind sicher, daß die erhöhte Anforderung an die Solidarität auf ein notwendiges Verständnis draußen im Lande stoßen wird. Andererseits sind wir auch davon überzeugt, daß die Belastung der Inaktiven zur Rentnerkrankenversicherung als die wechselseitige Solidarität gegenüber den Aktiven gesehen wird. Der tiefere Sinn der Anpassung ist doch der, alle Rentner teilnehmen zu lassen an der Fortentwicklung des Ertrages unseres Wirtschaftslebens. Die Rentner sollen sich nicht außerhalb der Gesellschaft fühlen — sondern innerhalb. Zusammenfassend möchte ich erklären, daß die CDU/CSU-Fraktion die Sorge um die Sicherung des Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7265 Alters als eine gesellschaftspolitische Aufgabe von hohem Range ansieht, die Priorität hat. Dabei sind wir uns der wirtschaftlichen, finanziellen, sozialpolitischen Realitäten und Wechselwirkungen stets bewußt. Die Sorge um die älteren Mitmenschen und den Wert des Alters wird uns nicht verlassen, und deshalb wird unser Bemühen nicht erlahmen, uns dafür einzusetzen, daß das Kernstück der Rentenversicherung auch über die 10. Anpassung hinaus erhalten bleibt — auch wenn es Opfer kostet. Die CDU/CSU stimmt dem Gesetz zu. Anlage 6 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Geldner (FDP) zu Punkt 6 der Tagesordnung. Der Entwurf eines 10. Rentenanpassungsgesetzes sieht ebenso wie der Ausschußbericht — Drucksachen V/2301, V/2302 — eine Verbesserung der Leistungen an die Rentner der gesetzlichen Rentenversicherung und der gesetzlichen Unfallversicherung in Höhe von 2,32 Milliarden DM vor. Normalerweise wäre dies ein doppelter Anlaß, diesen Gesetzentwurf besonders zu würdigen: Einmal wegen der Jubiläumszahl 10, in der die 10. Anpassung in ununterbrochener Reihenfolge zum Ausdruck kommt, und zum anderen, weil es sich auch um die absolut höchste Anpassung handelt. Nimmt man die Dinge im Zusammenhang mit der sogenannten mittelfristigen Finanzplanung, sehen sie allerdings etwas anders aus. Diese 10. Rentenanpassung 'ist gleichzeitig 'der Beginn kontinuierlich wachsender Steigerungen der Beitragssätze der versicherten Arbeiter, Angestellten und Selbständigen. Diese 10. Rentenanpassung wird außerdem den Rentnern nicht das bringen, was der unbewanderte Betrachter dieser Zahlen vermuten könnte. Von den ausgewiesenen 2,19 Milliarden DM für die Anhebung der Bestandsrenten aus der gesetzlichen Altersversicherung werden nur etwa 1,7 Milliarden DM tatsächlich an die Renter bezahlt werden. Rund 25 % der Leistungsverbesserungen sind Leistungsverbesserungen theoretischer Art. Dies ist allerdings nicht aus diesem Gesetzentwurf, sondern erst aus dem Finanzänderungsgesetz, II. Teil, zu entnehmen. Hier wird zunächst eine schöne Optik betrieben, der der Pferdefuß einen Tag später folgt. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen tun zwar, als bliebe alles beim Alten, in der Tat aber wird in das soziale Leistungsrecht beträchtlich eingegriffen. Wir Freien Demokraten halten von solch einem Verfahren um der Optik willen nichts. Für den Rentner ist nicht entscheidend, was er theoretisch bekommt, sondern was ihm zum Leben zur Verfügung bleibt. Sie werden ihm daher auch nicht einreden können, daß die Leistungen in den Rentenversicherungen der Arbeiter und Angestellten „nicht angetastet werden", wie es in einem Flugblatt zur Rechtfertigung der CDU/SPD-Koalition gegenüber Millionen Haushalten versucht wird. Die Millionen Betroffenen sind über das soziale Leistungsrecht besser unterrichtet, als es dieser Koalition lieb sein kann, von den Versprechungen der CDU und der SPD in der Vergangenheit für die weitere Zukunft ganz zu schweigen. Sie werden die Stunde der Wahrheit über den möglichen sozialen Leistungsrahmen unter den jeweils gegebenen Wirtschaftsverhältnissen nicht vermeiden können; auch wenn mit diesem und anderen Gesetzen versucht werden sollte, mit finanziellen Manipulationen und Tricks den Zeiger etwas aufzuhalten. Es gehörte zu den Gepflogenheiten der Sozialdemokratischen Partei vor (ihrer Beteiligung an der Regierung, im Rahmen der Beratung der Anpassungsgesetze besonders kritisch darauf hinzuweisen, daß der Anteil des Bundeszuschusses an den Gesamtausgaben der Rentenversicherung 'ständig sinkt. Wir Freien Demokraten stellen nach einjähriger Tätigkeit der SPD im Regierungslager dazu nüchtern fest, daß sich an dieser 'in ihrer Oppositionszeit kritisierten Entwicklung gar nichts ändert; im Gegenteil: der von der SPD kritisierte Prozeß setzt sich unter ihrer Regierungsverantwortung in verstärktem Maße fort. Wenn es sich in der Vergangenheit nicht um Kritik um der Kritik willen gehandelt hat, dann ist heute festzustellen, daß es damals entweder an der nötigen Einsicht oder heute am entsprechenden Durchsetzungsvermögen in der Regierung gefehlt hat. Hatte das Absinken der Bundeszuschüsse an den Gesamtausgaben bisher keine Konsequenzen im Hinblick auf Beitragserhöhungen, so ist dies ab 1.Januar 1968 anders. Durch die Beitragserhöhung infolge des Steigerungssatzes von 14 auf 15 % sollen rund 1,9 Milliarden DM an zusätzlichen Einnahmen erzielt werden, also ungefähr das, was die Rentenanpassung bei echter Anpassung kosten würde. Damit sind erstmalig die verbesserten Leistungen für die Rentner nicht mehr aus dem volkswirtschaftlichen Wachstumsprozeß zu finanzieren. Das verfügbare Einkommen der Arbeiter, Angestellten und Selbständigen muß gekürzt werden, um die wachsenden Leistungen für die Rentner zu finanzieren. Das gilt in allen Sektoren, in denen vom 1. Januar 1968 an nicht automatisch Lohn- und Gehaltserhöhungen wirksam werden. In diesem Zusammenhang scheint ein Wort zur konjunkturellen Situation von Bedeutung. Vertreter der Koalitionsfraktionen haben es als ein besonderes Ereignis gefeiert, daß die Empfänger von Sozialeinkommen sich als Stabilisierungsfaktor in den letzten Monaten erwiesen hätten. Offensichtlich war ihnen die Erkenntnis neu, daß die Bedarfsstruktur der Rentner im wesentlichen von Gütern des in-elastischen Bedarfs bestimmt ist, und daß daher z. B. die Nachfrage nach Automobilen von anderen Faktoren als die nach Brot, Kartoffeln, Fleisch und Gemüse abhängt. Ich verweise in diesem Zusmmenhang auch auf das Jahresgutachten der Sachverständigenkommission, damit keiner dem Irrtum unterliegt, als könne durch eine Verlagerung von Einkommen aus den Arbeitnehmerhaushalten in die der Rentner die konjunkturelle Situation in einem positiven Sinne belebt werden. 7266 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 Eine ganz andere Frage sind die sozialen Gründe, die eine Anhebung der Bestandsrenten rechtfertigen. Hier war es bisher üblich, die Rentenanpassung mit einer Phasenverzögerung entsprechend der Lohn- und Gehaltsentwicklung vorzunehmen. Man hat dies so getan, obwohl die Rentenversicherungsgesetze als Kriterien für die Anpassung a) die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, b) die Produktivität sowie c) das Volkseinkommen je Erwerbstätigen (§ 1272 Abs. 2 RVO) vorschreiben. Ein Abgehen von der verzögerten Lohnbezogenheit hätte allerdings eine weitere Öffnung der sogenannten Rentenschere bedeutet. Wir Freien Demokraten sind der Auffassung, daß es bei dem mit viel Gehirnakrobatik betriebenen Eingriffen in das Leistungsrecht — die nach Angaben der Großen Koalition gar keine sind — nicht bleiben wird. Die Rentenwechsel, die vor der Bundestagswahl 1957 ausgeteilt worden sind, müssen nunmehr eingelöst werden. Das soll allerdings nach Auffassung der FDP nicht dazu führen, daß es in Zukunft Gruppen von Rentnern gibt, die einseitig von der Erhöhung der allgemeinen Bemessungsgrundlage profitieren, und andere, die unter einseitigen Maßnahmen leiden. Wir bedauern sehr, daß die Koalition nicht in der Lage ist, Perspektiven aufzuzeigen, die von Wahlspekulationen frei sind, und eine langfristig solide Entwicklung für Rentner und Beitragszahler versprechen. Diese 10. Rentenanpassung ist keine echte Anpassung mehr im Sinne der bisherigen Regelungen. Wir glauben aber, daß trotz des fragwürdigen Zahlenmaterials der Bundesregierung die Dinge soweit überschaubar sind, daß eine Finanzierung der echten Leistungsverbesserungen für das Jahr 1968 gewährleistet erscheint. Wir werden daher der Anpassung zustimmen. Anlage 7 Umdruck 312 Antrag der Fraktion der FDP zur Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Verteidigungskonzeption der Bundesrepublik Deutschland — Drucksache V/2025 —. Der Bundestag wolle beschließen: 1. Die Bundesregierung wird aufgefordert, auf ein europäisches Sicherheitssystem hinzuwirken; dabei ist auch die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa anzustreben. Dem Bundestag ist über diese Bemühungen fortlaufend zu berichten. 2. Die Bundesregierung wird aufgefordert, unter den nuklearen und nichtnuklearen Partnerstaaten in der NATO eine Aufgabenteilung zwischen der konventionellen und atomaren Verteidigung gemäß dem Prinzip der „flexiblen Antwort" zu verwirklichen. Dadurch würden die vorhandenen Finanzmittel so sinnvoll wie möglich eingesetzt werden. 3. Darum wird die Bundesregierung aufgefordert, die Ausstattung der Bundeswehr mit atomaren Trägerwaffen aufzugeben und sich um eine Verstärkung der konventionellen Kampfkraft zu bemühen. 4. Die Bundesregierung wird aufgefordert, über den Briefwechsel zwischen den Außenministern Frankreichs und der Bundesrepublik hinaus Vereinbarungen zu suchen, die den Kampfauftrag der französischen Truppen in der Bundesrepublik, die Nutzung französischen Territoriums und die Unterstützung der Bundesrepublik durch sonstige Hilfsmittel Frankreichs im Falle einer Aggression festlegen. 5. Die Bundesregierung wird aufgefordert, baldmöglichst den Entwurf eines Gesetzes zur Organisation der Landesverteidigung vorzulegen, das die militärischen und zivilen Verteidigungsmaßnahmen koordiniert. Darüber hinaus ist sicherzustellen, daß in der Bundeswehr klare Kommandoverhältnisse vom Generalinspekteur abwärts geschaffen werden. Bonn, den 5. Dezember 1967 Mischnick und Fraktion Anlage 8 Umdruck 313 Antrag der Fraktion der FDP zur Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Verteidigungskonzeption der Bundesrepublik Deutschland — Drucksache V/2025 —. Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, baldmöglichst einen Gesetzentwurf zur Neuordnung der Laufbahn der Unteroffiziere und Feldwebel (3. Laufbahn) vorzulegen. Bonn, den 5. Dezember 1967 Mischnick und Fraktion Anlage 9 Umdruck 314 Antrag der Fraktion der FDP zur Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Verteidigungskonzeption der Bundesrepublik Deutschland —Drucksache V/2025 —. Der Bundestag wolle beschließen: 1. Die Bundesregierung wird aufgefordert, eine Beschaffung der kostspieligen und schwer zu wartenden Phantom-Maschinen weder als Übergangsflugzeuge noch endgültig als Nachfolgemuster der Starfighter für die Bundesluftwaffe in Erwägung zu ziehen. 2. Die Bundesregierung wird aufgefordert, die finanziellen und technischen Kräfte auf die Ent- Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7267 wicklung eines senkrechtstartenden Flugzeuges anstelle eines Nachfolgemusters für den .Starfighter zu konzentrieren. Bonn, den 5. Dezember 1967 Mischnick und Fraktion Anlage 10 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs Gumbel vom 1. Dezember 1967 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Strohmayr (Drucksache zu V/2299 Frage 118) : Ist der Bundesregierung bekannt, ob die zur Durchführung der sogenannten Schubladengesetze an die Länder und deren nachgeordneten Behörden ergangenen Verordnungsentwürfe, Einzelanweisungen und dergleichen inzwischen aufgehoben worden sind? Zur Beantwortung der von Ihnen gestellten Frage darf ich zunächst bemerken, daß es zwar die von Ihnen genannten Verordnungs-Entwürfe, daneben aber keine „Schubladengesetze" gegeben hat. Die Verordnungs-Entwürfe betrafen Materien, die nach Auffassung der Bundesregierung im Falle eines äußeren Notstandes möglicherweise einer raschen Regelung bedurften. Sie sollten weder automatisch noch global in Kraft treten, sondern erst nach einem an den konkreten Erfordernissen orientierten Beschluß des zur Gesetzgebung berufenen Verfassungsorgans. Die Entwürfe waren allerdings bereits vorsorglich ausgelagert, weil sie den durchführenden Verwaltungsbehörden sofort zur Verfügung stehen sollten, falls der Gesetzgeber die eine oder andere von ihnen als Gesetz oder Verordnung verabschiedet hätte. Die Verordnungs-Entwürfe, deren Zusammenfassung unter dem Namen „Verteidigungsbuch" bekanntgeworden ist, sind bereits Mitte Oktober dieses Jahres zurückgezogen worden. Die Bundesregierung hat dies am 20. Oktober 1967 nochmals ausdrücklich und öffentlich bestätigt. Die Bundesressorts und die Länder sind aufgefordert worden, die Vernichtung aller Entwürfe unverzüglich durchzuführen und bei den nachgeordneten Behörden zu veranlassen. Die Vernichtungsaktion ist noch im Gange; die ersten Vollzugsmeldungen liegen jedoch bereits vor. Einzelanweisungen oder sonstige Unterlagen zur Vorbereitung einer etwaigen Anwendung der ausgelagerten Entwürfe haben ebensowenig existiert wie „Schubladengesetze". Die Auflösung des Verteidigungsbuches ist also mit der Vernichtung der Entwürfe vollständig bewirkt. Eine formelle Aufhebung kam daneben nicht in Frage, weil die Entwürfe — wie ausgeführt — niemals Rechtsqualität erlangt hatten. Anlage 11 Wortlaut des Briefes des Bundesministers Dahlgrün vom 15. Juni 1965 an den Bundeskanzler (Veröffentlichung in der „WELT" vom 18. November 1966) Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Angesichts der sich zusehends verschlechternden Haushaltslage habe ich bereits im Finanzbericht 1965 eine mehrjährige Haushaltsdarstellung gegeben, in der ich die politisch Verantwortlichen eindringlich auf den steigenden Anteil der rechtlich festliegenden, insbesondere der gesetzlich begründeten Ausgaben hingewiesen und die Gefahren für die künftige Haushalts- und Finanzpolitik des Bundes deutlich. gemacht habe. Damit wollte ich auch weitere zwangsläufige Belastungen, die die Gestaltungsmöglichkeiten des Bundeshaushalts noch mehr einengen und die Grenzen des finanziell Vertretbaren und Möglichen überschreiten, verhindern. Schon die vom Bundestag noch bei der Verabschiedung des Bundeshaushalts 1965 über den Regierungsentwurf hinaus beschlossenen Mehrausgaben von 2,5 Mrd. DM (insbesondere Landwirtschaft! Vorfeldbereinigung 770 Mill. D-Mark; Änderung des Kindergeldgesetzes 617 Mill. DM; Deutsche Bundesbahn 400 Mill. DM; Straßenbau 120 Mill. D-Mark) stellen den Ausgleich des Bundeshaushalts 1965 in der Durchführung ernstlich in Frage. Inzwischen sind — gerade in der letzten Zeit — weitere Gesetze beschlossen worden, die die kommenden Jahre in besorgniserregender Weise belasten. Die Ausgaben steigen in einem Umfang, daß sie auch bei gleichbleibendem Wachstum unserer Wirtschaft im Rahmen der verfügbaren Einnahmen nicht gedeckt werden können, geschweige denn eine konjunkturgerechte Haushalts- und Finanzpolitik zulassen. Danach ist schon jetzt der Haushaltsausgleich, wie ihn Art. 110 Abs. 2 GG fordert, in größter Gefahr. Nicht nur im Bundestag — auch in den Ressorts und leider auch von Kollegen im Kabinett werden diese Tatsachen zur Kenntnis genommen, häufig ohne daß daraus Schlüsse gezogen werden. Man weist auf Steuermehreinnahmen hin, die zwar kommen werden, aber längst verbraucht sind, gibt mir den Rat, den Verteidigungshaushalt in Milliardenhöhe zu kürzen, oder bezweifelt ohne Begründung unsere Haushaltszahlen mit dem Hinweis, so schlimm werde es schon nicht kommen. Jeder hält seine Forderung für wahlentscheidend und dringt rücksichtslos auf Erfüllung. Daß zusätzliche Staatsausgaben in diesem Ausmaß ihre Wirkung auf Konjunktur und Stabilität haben müssen, wird häufig einfach aus dem Bewußtsein gestrichen, ebenso wie unsere Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag in dieser Richtung. Als Beispiele, die in der beigefügten Darstellung noch fehlen, erwähne ich din folgenden Fälle aus den letzten Tagen: a) Drucksache IV/3470 vom 24. Mai 1965 der Abgeordneten Varelmann, Winkelheide u. a. „Rentenbeihilfen für Rentenbezieher". Volumen nicht unter 200 Mill. DM bis zu 1 Mrd. DM. b) Im Innenausschuß will die FDP für 1965 doch noch in Höhe von 8 Prozent oder 9 Prozent eine lineare Erhöhung der Beamtenbesoldung mit einem 7268 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 Volumen von jährlich 1 Mrd. DM bis 1,2 Mrd. DM durchsetzen. Belastung für 1965 rund 250 bis 300 Mill. DM. c) Im Verteidigungsausschuß soll die Wehrsolderhöhung auf den 1. Juli 1965 vorgezogen werden (+ 31,5 Mill. DM), soll ein 13. Wehrsold eingeführt werden (+ 12,5 Mill. DM), soll ein Einrückungszuschuß von 20 DM für Putzmaterial jedem Rekruten zugebilligt werden (2,5 Mill. DM), und die Verpflichtungsprämien sollen um 150 Mill. DM erhöht werden. Dabei soll der Haushalt „gespart" haben, weil man eigentlich noch weitere Verbesserungen für notwendig gehalten hätte, zum Beispiel Übernahme der Kosten der Heilfürsorge für die Familienangehörigen und so weiter. d) Die Stadt Bonn drängt immer mehr auf Bundeshilfen und versucht mit Nachdruck alle Probleme zu einem Paket zusammenzuschnüren und dadurch einen Druck auszuüben, daß sie seit langem fast fertige Verhandlungsgegenstände jetzt mit neuen Forderungen koppelt. e) Zum 312-DM-Gesetz beschließen Bundestag und auch der Bundesrat flugs mit einem Volumen von etwa 90 Mill. D-Mark neue Verbesserungen über die Fassung des Regierungsentwurfs hinaus, wohl wissend, daß der Bundesregierung die Hände gebunden sind, weil sie das Gesetz jetzt nicht mehr scheitern lassen kann. Aus der Verantwortung für eine geordnete Finanz- und Haushaltswirtschaft habe ich die Haushaltslage des Bundes und ihre Entwicklung in den kommenden drei Jahren kritisch geprüft. Die beigefügte Darstellung kommt zu folgenden Ergebnissen: 1. Das laufende Rechnungsjahr 1965 wird voraussichtlich mit einem echten Fehlbetrag von etwa 2 Mrd. DM abschließen, der nur aus Kassenkrediten, das heißt, durch Geldschöpfung kurzfristig finanziert werden kann. 2. Für das Rechnungsjahr 1966 liegen die derzeitigen Anforderungen der Ressorts mit 77 Mrd. DM um 13 Mrd. DM (rund 20 Prozent) über dem Haushalt 1965. Davon sind bei Anlegung eines scharfen Maßstabes etwa 9 Mrd. DM als unabweisbarer gesetzlich oder politisch begründeter Bedarf anzuerkennen. Bei Mehreinnahmen von rund 4,6 Mrd. D-Mark verbleibt danach für 1966 ein ungedeckter Bedarf von etwa 5 Mrd. D-Mark. 3. Auch die Rechnungsjahre 1967 und 1968 sind in einem Maße vorbelastet, daß ein ungedeckter Bedarf von 5,9 Mrd. D-Mark für 1967 verbleibt, der sich durch die Notwendigkeit, das voraussichtliche Defizit 1965 abzudecken, auf über 8 Mrd. DM erhöhen kann. Für das Rechnungsjahr 1968 muß auch mit einem ungedeckten Bedarf von 5,5 Mrd. D-Mark gerechnet werden, der sich um einen sicher unvermeidbaren Kassenfehlbetrag aus 1966 wesentlich steigern wird. Diese Gesamtentwicklung bedeutet nicht nur den Verzicht auf eine konjunkturgerechte Haushaltspolitik, was heftige Kritik sowohl innenpolitisch wie innerhalb der EWG hervorrufen wird. Schlimmer noch: Sie trägt den Keim einer schweren Finanzkrise in sich, wenn nicht mit aller Entschiedenheit wirksame Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Die folgenden Maßnahmen sind dabei zu prüfen: a) Sperrung aller vermeidbaren Ausgaben, b) Zurückweisung aller neuen Anforderungen, c) Prüfung, ob und inwieweit bestehende gesetzliche Verpflichtungen abgebaut oder zumindest ausgesetzt werden können, d) Erschließung zusätzlicher Einnahmen. Ich danke Ihnen, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, daß Sie mir für den 17. Juni 1965 um 11 Uhr einen Termin für das erbotene Gespräch gegeben haben. Mit freundlichen Grüßen bin ich Ihr Rolf Dahlgrün
Gesamtes Protokol
Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514100000
Die Sitzung ist eröffnet.
Der Ältestenrat hat in seiner Sitzung am 5. Dezember 1967 den
Antrag der Fraktion der FDP zur Großen Anfrage der Fraktion der FDP betreffend Lage der Landwirtschaft
— Umdruck 300 —
nachträglich dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen.
Den von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Berufsausbildung (Berufsausbildungsgesetz)

— Drucksache V/1009 —
hat der Ältestenrat in der gleichen Sitzung nachträglich dem
Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen.
Der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 6. Dezember 1967 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachstehenden Verordnungen keine Bedenken erhoben habe:
Verordnung Nr. 777/67/EWG des Rates vom 27. Oktober 1967 zur Festsetzung des Grundpreises und der Standardqualität für geschlachtete Schweine für die Zeit vom 1. November 1967 bis 30. Juni 1968
Verordnung Nr. 779/67/EWG des Rates vom 27. Oktober 1967 zur erneuten Verlängerung der Geltungsdauer der Verordnung Nr. 281/67/EWG zur Festsetzung der Höchstbeträge der Erstattung bei der Erzeugung für Zucker, der in der chemischen Industrie verwendet wird.
Zu der in der Fragestunde der 140. Sitzung des Deutschen Bundestages am 6. Dezember 1967 gestellten Frage des Abgeordneten Dr. Mommer, Drucksache V/2333 Nr. 31*), ist inzwischen die schriftliche Antwort des Bundesministers Dr. Heck vom 4. Dezember 1967 eingegangen. Sie lautet:
Die studentischen Organisationen sind Träger der freien Jugendhilfe i. S. des Gesetzes für Jugendwohlfahrt (JWG) vom 11. August 1961. Träger der freien Jugendhilfe dürfen nach § 9 Abs. 1 JWG nur unterstützt werden, wenn sie neben anderen Voraussetzungen die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bieten. Demgemäß verbietet das JWG Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln an studentische Organisationen, die gegen die grundgesetzliche Ordnung in der Bundesrepublik agitieren". Die Anwendung dieses Gesetzes führte zu einem Verwaltungsrechtsstreit des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes gegen die Bundesrepublik Deutschland, der zur Zeit in zweiter Instanz beim Oberverwaltungsgericht in Münster anhängig ist.
Ob sich bislang Länder oder Gemeinden in ihren Bereichen genötigt sahen, Förderungsanträge regionaler studentischer Organisationen aus den genannten Gründen abzulehnen, entzieht sich meiner Kenntnis.
*) Siehe 140. Sitzung, Seite 7095 C
Meine Damen und Herren, wir haben gestern vereinbart, daß wir heute mit Punkt 4 der Tagesordnung beginnen:
Zweite und dritte Beratung des von ,der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verwirklichung der mehrjährigen Finanzplanung des Bundes, I. Teil Zweites Steueränderungsgesetz 1967
— Drucksache V/2087 —
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (14. Ausschuß)

— Drucksache V/2320 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Müthling (Erste Beratung 119. Sitzung)

Das Wort hat der Herr Berichterstatter.

Dr. Hans Müthling (SPD):
Rede ID: ID0514100100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich auf den Schriftlichen Bericht beziehen. Gestatten Sie mir aber bitte darüber hinaus noch einige wenige Erläuterungen.
Die Ergänzungsabgabe hält sich nach den Worten der Regierungsvorlage „in engen Grenzen". Die Zahl der Betroffenen ist recht groß; aber die neue Belastung des einzelnen Steuerpflichtigen ist verhältnismäßig gering. Indes mag aus der Begründung der Regierungsvorlage noch hervorgehoben werden, daß die Abgabe — ich darf zitieren — „ein Gegengewicht zur Erhöhung der Verbrauchsbesteuerung schaffe".
Wie ich aus der schriftlichen Vorlage näher zu entnehmen bitte, gab es von Anfang an beharrliche Bemühungen, die neue Steuer zu befristen, und wie die Öffentlichkeit aus .den Schlagzeilen der letzten Woche erfuhr, war unsere Ausschußarbeit in dieser Hinsicht vorübergehend auch durch ein Stop and go gekennzeichnet. Der jetzige Vorschlag der Nichtbefristung geht erneut von dem Bestreben aus, die notwendigen Opfer sozial gerecht zu verteilen.
Zu diesem Abschluß mag auch die Begründung beigetragen haben, daß die Ergänzungsabgabe nach dem Fortfall der eigentlichen unmittelbaren Haushaltsbedürfnisse wohl zur Abdeckung der Bundesverschuldung aus dem neuen Konjunkturprogramm herangezogen werden müsse. Überdies wäre es nicht gut, wenn mit einem befristeten Gesetz über
7178 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Dr. Müthling
die Ergänzungsabgabe der Finanreform vorgegriffen würde. In diesem Zusammenhang mag noch erwähnt werden, daß der Herr Bundesfinanzminister uns im Finanzausschuß in der letzten Woche in seinem Überblick über die aktuellen Finanzfragen den Hinweis gab, daß ein Wegfall der Ergänzungsabgabe naturgemäß nur im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung erfolgen könne.
Der zweite große Komplex des Zweiten Steueränderungsgesetzes ist auf den Abbau der Steuervergünstigungen bei der Körperschaftsteuer, bei der Gewerbesteuer und bei der Vermögensteuer, auf den großen Gebieten der Sparkassen, der Kreditgenossenschaften mit ihren Zentralstellen und bei den Instituten für den langfristigen Kredit gerichtet.
Dem Finanzausschuß wurden die von der Regierungsvorlage abweichenden Beschlüsse des Bundesrats erläutert. Der bremische Senator Speckmann begründete diese einschränkenden Beschlüsse des Bundesrats insbesondere mit der Beeinträchtigung der in Jahrzehnten gewachsenen Strukturen der öffentlichen Wirtschaft in ihrer kommunalen Verflechtung. Der Hintergrund der kommunalen, der öffentlichen Wirtschaft mit ihrer Verpflichtung zur Daseinsfürsorge für die Gemeindebürger tauchte auf.
Die Bindung der Sparkassen an .das Gebiet ihrer Gewährsträger sprach für die Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände. Ihre Vertreter befürchteten eine Einschränkung der Investitionskredite. Die neue Steuererhöhung könne dazu beitragen, daß die Gemeinden konjunkturwidrig handeln müßten. Sie könnten in ihrer eigenen Rezession gezwungen werden, nach wie vor konjunkturell gesehen eine Parallelpolitik zu treiben, und sie könnten auf diese Weise gezwungen werden, dort zu kürzen, wo es am leichtesten sei, wo es aber konjunkturell am sinnwidrigsten wäre, nämlich bei den Investitionen. — Die Anhörung der beteiligten Verbände wurde damit begründet, daß die Bundesregierung unter dem Druck des Fiskalischen möglicherweise die wirtschaftspolitischen Auswirkungen nicht ausreichend einkalkuliert habe.
Nach den dem Finanzausschuß vorliegenden Materialen, ganz besonders aber nach den bei dieser Anhörung gewonnenen Erkenntnissen wie nach den Vorausberechnungen des Bundesministers der Finanzen ist der Finanzausschuß schließlich zu dem Ergebnis gekommen, weder der Regierungsvorlage noch den Beschlüssen des Bundesrats zu folgen. Die Wahrung der Geschäftsstrukturen der bisher begünstigten Institute wie aber auch die Besorgnis, daß die Investitionskredite durch hohe Besteuerung sich verteuern könnten, waren .die Gründe, die schließlich dafür sprachen, daß unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände, also auch der der Geschäftsbanken, eine mittlere Regelung zu finden, also ein Weg zu gehen wäre, der zwischen den Beschlüssen der Bundesregierung und denen des Bundesrats liege.
Bitte gestatten Sie mir, dies noch ganz kurz in wenigen Zahlen auszudrücken. Während in der Regierungsvorlage für die öffentlichen Sparkassen
und die Kreditgenossenschaften einschl. der Zentralkassen ein einheitlicher Körperschaftsteuersatz von 40 % festgesetzt ist, sieht Artikel 3 der neuen Vorlage jetzt vor: für Sparkassen 35%, für Kreditgenossenschaften 32 % und für Kreditgenossenschaften, die ausschließlich an Religionsgesellschaften Kredite gewähren, 19 %. Für die Kreditgenossenschaften soll der gegenüber den Sparkassen um 3 % niedrigere Steuersatz einen Ausgleich für die Besteuerung der Ausschüttung an die Mitglieder der Genossenschaften bieten. Für die Institute des langfristigen Kredits, das sind also die Hypothekenbanken, Kreditanstalten des öffentlichen Rechts, die Bausparkassen und die Industriekreditbanken, sind 35 % vorgesehen. Und bei den Kapitalgesellschaften dieser Gruppe erhöht sich der Satz auf 36,5 %.
Es war der Antrag gestellt worden, diese neuen Steuersätze schrittweise, im Wege eines Stufenplans, wieder anzuheben. Der Finanzausschuß hat diesen Antrag abgelehnt: Es müsse jetzt Ruhe eintreten wie allgemein auf dem Gebiete der Besteuerung der Wirtschaft; nur das sei konjunkturgerecht.
Nach allem wird man — damit lassen Sie mich bitte schließen — aus der Sicht des Finanzausschusses davon ausgehen können, daß die für das Kreditgewerbe so dringend notwendige Bildung des Eigenkapitals mit solchen Sätzen noch eben als gesichert angesehen werden kann.
Schließlich sprechen die Beratungsergebnisse wohl für die Annahme, daß nur mit jener Lösung eine weitgehende Angleichung an die effektive Steuerbelastung aller Gruppen des Kreditgewerbes erreicht wird. Dies alles, für den Haushalt in plus und minus umgerechnet, ergibt sich aus den Ihnen übermittelten Unterlagen.
Namens des Finanzausschusses bitte ich Sie, den Gesetzentwurf in dieser Fassung anzunehmen.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514100200
Besten Dank dem Herrn Berichterstatter!

(Beifall.)

Zu dem Schriftlichen Bericht hat das Wort der Abgeordnete Dr. Pohle.

Dr. Wolfgang Pohle (CSU):
Rede ID: ID0514100300
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zu dem Bericht des Kollegen Müthling, den er schriftlich erstattet und den er eben auch mündlich wiederholt hat, möchte ich nur folgendes bemerken: Auf Seite 4 Spalte 1 Abs. 2 heißt es im Bericht:
Der Finanzausschuß betrachtet die von ihm mit Mehrheit eingenommene mittlere Position als eine Regelung, die langfristig den Notwendigkeiten des Bundeshaushalts . . . . gerecht wird.
Dazu bemerke ich folgendes: Diese ausdrückliche Hervorhebung der Langfristigkeit könnte zu Mißdeutungen führen. Der Ausschuß wollte seinen Willen kundtun, für das Kreditgewerbe im steuerlichen Bereich Ruhe eintreten zu lassen — Kollege Müthling hat das eben hervorgehoben — und nicht durch Ankündigungen künftiger Tarifänderungen neue
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7179
Dr. Pohle
Unsicherheiten bei den Instituten hervorzurufen. Diesem Anliegen würde es besser entsprechen, wenn das Wort „langfristig" in der von mir eben zitierten Formulierung vermieden worden wäre.
Im übrigen hat der Finanzausschuß bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen, der beiderseitigen Argumente der beteiligten Institutsgruppen einseitige Festlegungen vermieden, vielmehr — insofern stimme ich dem Herrn Kollegen Müthling zu — einer mittleren Lösung zustimmen wollen.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514100400
Das war kein Antrag auf Änderung des Berichts, sondern eine Interpretation.
Frau Kollegin Kurlbaum-Beyer hat das Wort.

Lucie Beyer (SPD):
Rede ID: ID0514100500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, auf der Seite 1 des Berichtes auf Drucksache V/2320 ein Wort zu ändern, weil es sinnentstellend ist. Hier heißt es „kontraktiv" ; es müßte heißen „expansiv". Der Satz heißt nämlich: „Der Steuererhöhung wird durch zusätzliche öffentliche Investitionen im Rahmen des konjunkturpolitischen Programms" — jetzt nicht „kontraktiv", sondern — „expansiv entgegengewirkt." Ich bitte, den Satz entsprechend zu ändern.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514100600
Das Haus ist mit dieser Änderung einverstanden. — Dann rufe ich auf den Art. 1. Zu Art. 1 liegt ein Streichungsantrag der Fraktion der FDP vor *). Zur Begründung hat das Wort Herr Abgeordneter Genscher.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0514100700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Arbeitslage des Hauses hat es bewirkt, daß wir seit Veröffentlichung des Sachverständigengutachtens doch noch eine Art Denkpause nicht nur für die Opposition, sondern auch für die Kollegen der Regierungsparteien bekommen haben. Nun bin ich natürlich nicht so weltfremd, anzunehmen, daß alle die Kollegen — es ist offensichtlich die Mehrheit des Hauses —, die jetzt nicht hier sind, mit heißen Köpfen über diesem Sachverständigengutachten brüten. Aber ich hoffe, daß wenigstens die meisten von ihnen noch in der Presse gestern und heute die Zusammenfassung dieses Gutachtens zur Kenntnis genommen haben.
Wir stehen heute mit der Beratung über die Ergänzungsabgabe im Zentrum der Steuerpolitik dieser Bundesregierung. Der Ehrgeiz dieser Steuerpolitik scheint darin zu bestehen — jetzt verwende ich doch das Wort, Frau Kollegin Kurlbaum —, kontraktiv zu wirken zu ihren eigenen Bemühungen um die Ankurbelung unserer Wirtschaft, um die Belebung der Konjunktur. Meine Damen und Herren, wenn Sie sich einmal Gedanken machten — und ich frage die Bundesregierung, ob sie das getan hat —, welche Wachstumsverluste wir durch die kontraktive Steuerpolitik der Bundesregierung im Jahre 1967 haben, dann würden Sie — um mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister zu sprechen — in der Bemessung dieser Wachstumsverluste zu-
*) Siehe Anlage 2 gleich das quantifizierte Mißtrauen der Wirtschaft gegen die Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Regierung erkennen können.

(Beifall bei der FDP.)

Es scheint sich bei der Ergänzungsabgabe um eine Steuer zu handeln, die im Grunde in der Bundesregierung niemand will. Der Bundeskanzler hat gesagt, sie sei konjunkturpolitisch bedenklich. Der Bundeswirtschaftsminister gar ist gegen die Steuer, aber er mußte die Kröte schlucken, wie er es in einem Fernsehinterview ausgedrückt hat. Von dem Herrn Bundesfinanzminister wissen wir noch aus den Koalitionsgesprächen des Herbstes 1966, als damals schon der Vorschlag für die Erhebung einer Ergänzungsabgabe auf den Tisch kam, daß er ein engagierter Gegner dieser Ergänzungsabgabe ist. Wir haben deshalb die Frage, ob er heute hinter dieser Vorlage steht. Das würde dann die Theorie bestätigen, daß in sehr vielen Fällen die Übernahme eines hohen Staatsamtes auch zu neuen Einsichten verführen — in diesem Fall muß ich wirklich sagen: verführen — kann. Der einzige Minister dieser Regierung, der sich offen mit Klarheit und mit Überzeugung für die Erhebung der Ergänzungsabgabe ausgesprochen hat, ist der Außenminister. Er hat gesagt, wir müßten auch eine Steuer für die Begüterten schaffen.
Wie sieht es nun mit der Steuerpolitik dieser Regierung aus, in deren Zusammenhang und auf deren Hintergrund wir diese neue Zusatzsteuer sehen müssen? Meine Damen und Herren, monatelang wurde die Wirtschaft verwirrt durch die Diskussion über die Entlastung der Altvorräte. Die Bundesregierung selbst hat in der Begründung für das zweite Investitionsprogramm zugeben müssen, daß die zunächst von den Koalitionsfraktionen in Übereinstimmung mit der Bundesregierung vorgenommene Entlastung der Altvorräte zu gering war und daß sich daraus erhebliche Wachstumsverluste ergeben haben. Im Bericht der Bundesbank heißt es für das erste Halbjahr 1967:
Die konjunkturelle Flaute wurde in der Berichtsperiode dadurch verstärkt, daß die Unternehmen infolge der großen Unsicherheit in der Beurteilung der weiteren Konjunkturentwicklung sowie der Unklarheit über die steuerliche Behandlung der sogenannten Altvorräte beim Übergang zum Mehrwertsteuersystem äußerste Vorsicht bei ihren Lagerdispositionen walten ließen.
Dann heißt es weiter:
Die Umkehr von Aufwendungen für den Lageraufbau im ersten Halbjahr 1966 zu Erlösen aus dem Lagerabbau im Berichtszeitraum war gleichbedeutend mit einem Nachfrageausfall von 6 Milliarden DM.

(Hört! Hört! bei der FDP.)

Meine Damen und Herren, wir fragen: Wie kann eine Bundesregierung eine Konjunkturpolitik dieser Art in der konjunkturpolitischen Situation des Jahres 1967 überhaupt verantworten?

(Beifall bei der FDP.)

7180 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Genscher
Wie kann man dann noch sagen, daß zusätzliche kontraktive Maßnahmen in das große Gefüge der sozialen Symmetrie hineingehörten, wo es doch für mich, wenn ich ein richtiges Verständnis dieses Begriffs habe, jetzt gerade darum geht, die Arbeitsplätze zu sichern und neue Arbeitsplätze zu schaffen?

(Beifall bei der FDP.)

Aber nicht allein die Diskussion über die Altvorräte, auch das Hin und Her um den Einführungssatz für die Mehrwertsteuer hat doch ein zusätzliches Maß an Unsicherheit in der Wirtschaft geschaffen. Es ist das einmalige Arbeitsergebnis dieser Regierung, daß sie innerhalb von acht Wochen drei verschiedene Einführungssätze für die Mehrwertsteuer im Jahre 1968 genannt hat.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514100800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Porzner? — Bitte, Herr Porzner.

Konrad Porzner (SPD):
Rede ID: ID0514100900
Herr Genscher, ist Ihnen nicht bekannt, daß die Auftragseingänge bei der Industrie im Oktober 1967 verglichen mit dem Oktober 1966 gestiegen sind, und würden Sie das nicht, auch wenn man unterstellt, daß die Auftragseingänge im Oktober 1966 schon relativ gering waren, als ein Zeichen des Vertrauens in die künftige Wirtschaftsentwicklung und in die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung betrachten?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0514101000
Herr Kollege Porzner, ist Ihnen nicht bekannt, daß z. B. im ersten Halbjahr 1967 die Ausgaben für Anlageinvestitionen um 16% zurückgegangen sind? Und wollen Sie heute bei der Beurteilung der Auftragseingänge insgesamt schon entscheiden, ob es sich dabei wirklich um einen Selbstheilungsprozeß der Wirtschaft oder um unmittelbare Folgen des zweiten Investitionsprogramms handelt?
Ich will Ihnen einmal etwas sagen. Diese Bundesregierung und die sie tragende Mehrheit stehen nämlich vor der Entscheidung, ob sie in Zukunft weitere Investitionshaushalte aus öffentlichen Mitteln in Gang setzen wollen oder ob sie vielmehr die Privatinvestitionen durch eine vernünftige Steuer- und Wirtschaftspolitik anregen wollen.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514101100
Gestatten Sie jetzt eine Frage von Frau Funcke? — Bitte, Frau Funcke!

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0514101200
Herr Kollege Genscher, sind Sie nicht der Meinung, daß dieser Auftragszuwachs im Oktober gerade darauf zurückzuführen ist, daß jetzt endlich die Wirtschaft bei einer besseren Entlastung der Altvorräte die Aufträge nachgeholt hat, die sie vorher wegen der schlechten Entlastung der Altvorräte nicht vergeben hatte?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0514101300
Frau Kollegin Funcke, ich bin dieser Meinung und füge hinzu, daß eine zusätzliche Auftragsentwicklung unter Umständen auch damit erklärbar ist, daß bestimmte Vergünstigungen im Herbst dieses Jahres ausliefen und deshalb zu einer besonderen Anregung führten. Wir müssen einmal abwarten, wie es in den nächsten Monaten aussieht.

(Sehr richtig! bei der FDP und bei der CDU/CSU.)

Nun, meine Damen und Herren, die Beispiele für die verfehlte Steuerpolitik der Bundesregierung sind Legion. Lassen Sie mich etwa auf die Situation der Automobilindustrie hinweisen. Wir alle wissen heute — und die Sachverständigen haben es bestätigt —, daß sich bestimmte steuerliche Maßnahmen zu Beginn dieses Jahres — die Änderung der Kilometerpauschale, die Erhöhung der Mineralölsteuer — natürlich auf die Lage der Automobilindustrie ausgewirkt haben. Gerade schien es so, als ob sich die Automobilindustrie davon erholt hätte, da kam der Bundesverkehrsminister und kündigte in diesem Bereich eine neue steuerliche Maßnahme an, die erneut zu einer Kaufzurückhaltung führte.
Ich glaube, hier ist die Frage berechtigt, wer in dieser Bundesregierung eigentlich für die Steuerpolitik verantwortlich ist und wer dafür verantwortlich ist, daß die Steuerpolitik mit der Konjunkturpolitik der Bundesregierung insgesamt harmonisiert wird.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514101400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Ott? — Bitte, Herr Ott!

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0514101500
Herr Kollege Genscher, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Situation in der Autoindustrie im wesentlichen daher gekommen ist, daß Ihr Parteifreund Finanzminister Dahlgrün vom Januar 1966 bis zum November 1966 davon sprach, daß die Kilometerpauschale von 50 Pf auf 10 Pf gesenkt werden müsse, und daß dies dazu beigetragen hat, daß Millionen Arbeitnehmer es sich überlegt haben, ob sie überhaupt noch ein Auto kaufen können? Das ist die wirkliche Situation.

(Lachen bei der FDP.)


Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0514101600
Verehrter Herr Kollege, ich habe volles Verständnis dafür, daß Sie sich aus einer Verantwortung sozusagen herausfragen wollen, in die Sie voll hineingehören. Aber die Kaufzurückhaltung hat eben nicht in der Zeit begonnen, in der Kollege Dahlgrün Finanzminister war, sondern sie trat in der Zeit ein, in der die Regierung der Großen Koalition mit kleinen Maßnahmen versuchte, die strukturellen Fragen des Bundeshaushalts zu lösen.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514101700
Herr Kollege Genscher, gestatten Sie eine Frage der Frau Abgeordneten Kurlbaum-Beyer?
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7181

Lucie Beyer (SPD):
Rede ID: ID0514101800
Herr Kollege Genscher, wären Sie nicht bereit, in Ihre Überlegungen einzubeziehen, daß mit dem Verkehrsplan und mit den daraus entstehenden Mehrbelastungen oder Mehreinnahmen gleichzeitig eine Entlastung auf der anderen Seite mit vorgesehen ist?

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Welche Entlastung?)

Damit tritt doch dann insgesamt keine Mehrbelastung in Erscheinung, durch diese Entlastung für andere Verkehrsträger.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0514101900
Frau Kollegin, Sie haben mir in Ihrer Fragestellung das Geheimnis der Entlastung, die Sie im Auge haben, nicht verraten. Entscheidend ist doch, daß allein der Effekt der Ankündigung dieser Steuer zu einer Zurückhaltung in vielen Bereichen geführt hat. Das können Sie an den Zahlen ablesen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Um die Verwirrung voll zu machen, hat der Beauftragte der Bundesregierung für die Große Finanzreform, Staatssekretär Hettlage, über die Ziele der Finanzreform eine Erklärung abgegeben, die auch zu großer Beunruhigung führen muß und schon geführt hat. Er hat nämlich gesagt, Aufgabe der Großen Finanzreform sei es, neben der Grundsteuer und der Gewerbesteuer eine neue Steuerquelle für die Gemeinden zu erschließen. Wir gingen bisher davon aus, daß spätestens im Rahmen der Finanzreform die Gewerbesteuer fallen soll. Wenn das nicht das Ziel der Bundesregierung ist, sagen Sie es schnell, damit die Wirtschaft sich auch noch auf diese zusätzliche Kostenbelastung einstellen kann.

(Sehr richtig! bei der FDP.)

Ich würde gerne hören, was der Herr Bundesfinanzminister hier vor dem Hohen Hause über die Auswirkungen einer solchen Steuerpolitik zu sagen hat. Dabei bin ich gar nicht sicher, ob es die Steuerpolitik ist, die er wünscht. Denn er hat hier eine Haushaltsrede gehalten, die in vielen Punkten unseren Beifall verdient hätte und auch erhalten hat.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Aber es erhebt sich die Frage: Wer ist in dieser Regierung verantwortlich für die Konjunkturpolitik und für die Finanzpolitik? Wird das von verschiedenen Stellen geregelt? Wenn ich dieses Gegeneinander sehe, diese Politik des gleichzeitigen Gasgebens und Bremsens, könnte ich mich fast mit den Vorstellungen des Herrn Bundesfinanzministers befreunden, die er einmal geäußert hat, als es ihm darum ging, die Konjunktur- und Finanzpolitik in einem Hause zusammenzufassen. Aber eine institutionelle Änderung allein ist nicht ausreichend, Herr Minister. Es kommt dann auf die Gesamtpolitik an!

(Beifall bei der FDP.)

Eine Fülle von Maßnahmen, meine Damen und Herren — dazu gehört auch die Ergänzungsabgabe —, wird uns mit dem „schillernden" Begriff der sozialen Symmetrie verkauft.

(Heiterkeit.)

In diesen Begriff hinein gehören alle Verteidigungsargumente der Regierungskoalition gegen die notwendigen Haushaltsentscheidungen, die eines Tages doch auf Sie zukommen, meine Damen und Herren, wo immer Sie dann sitzen, ob in der Regierung oder in der Opposition. Es gehören dazu jene Versprechungen, die man auf die Zukunft macht, um Entscheidungen von heute zu rechtfertigen. Der Bundeswirtschaftsminister z. B. hat im Rahmen der sozialen Symmetrie vor der Parteikonferenz der Sozialdemokratischen Partei erklärt, man könne, beginnend mit dem Jahr 1968, mit einer jährlichen Lohnzuwachsrate von 5 % rechnen. Meine Damen und Herren, wundern Sie sich dann eigentlich, wenn die Gewerkschaften die Regierung wenigstens in dieser Frage ernst nehmen und entsprechende Forderungen stellen?

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP.)

Was soll man von einer Bundesregierung halten, die, soweit sie sich wirtschaftspolitisch für zuständig hält, 5 % Lohnzuwachsrate verspricht, die aber als Arbeitgeber im öffentlichen Dienst 2 % anbietet.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP.)

Das versteht kein Mensch, und hier tragen Sie zusätzliche Unruhe in die Wirtschaft, auch in das Konsumverhalten der Menschen draußen hinein. Wir brauchen doch sowohl die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft als auch die Konsumbereitschaft, um das Tal zu überwinden, aus dem wir alle gemeinsam heraus wollen. Nein, meine Damen und Herren, mit einer Politik dieser Art werden Sie die Probleme nicht lösen können, und wir haben die große Sorge, daß Sie deshalb erneut die Ausflucht suchen in weiteren Konjunkturbelebungshaushalten, in weiteren Investitionsprogrammen, anstatt der Wirtschaft das selbst zu überlassen.
Wer hier über soziale Symmetrie spricht in dem Sinne, daß er sagt: „Wir müssen die Begüterten zusätzlich heranziehen", der muß auch sagen, daß wir beim Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit, 1967 und 1966 zusammengerechnet, erhebliche Rückgänge haben. Man kann deshalb mit Recht feststellen, daß in diesem Jahr die Zuwachsrate der nichtentnommenen Unternehmergewinne weiter im Minus liegt. Wer es nicht glaubt, der soll sich nicht auf mich verlassen, sondern der soll in der Rede des Wirtschaftsministers nachsehen; der letzte Halbsatz ist aus der Rede des Herrn Wirtschaftsministers Schiller zitiert.
Wenn man die Ergänzungsabgabe unter dem Stichwort der sozialen Symmetrie verkaufen will, wenn man diese Ergänzungsabgabe so darstellen will, als ob sie ein Ausgleich für Belastungen in anderen Bereichen wäre — im Finanzausschuß haben wir dieses Argument gehört —, wenn man sie als eine Belastung der Begüterten verkaufen will, dann müssen Sie einmal Farbe bekennen, dann müssen Sie angesichts Ihres Bekentnisses zur Marktwirtschaft sagen, ob Sie sich heute noch zu diesem
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Genscher
Grundsatz bekennen. Bekennen Sie sich, vor allem meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, zu der Erklärung, daß Unternehmergewinne, Gewinnerwartungen der Unternehmer, Investitionsbereitschaft, Sicherung der Arbeitsplätze und eine gesunde Lohnentwicklung alles Seiten derselben Sache sind? Wenn Sie darangehen, die Unternehmergewinne und Gewinnerwartungen der Unternehmer mit einer Steuer dieser Art zu beschneiden, dann dürften Sie sich eben nicht wundern, daß darunter auch die Sicherheit der Arbeitsplätze und damit auch eine gesunde Lohnentwicklung leidet.

(Beifall bei der FDP.)

Nun wird gesagt: 3 % sind ja nicht viel. Aber die Bundesregierung selbst räumt in der Begründung ihres Entwurfs ein, daß sich die Ergänzungsabgabe auf den Wirtschaftsverlauf auswirken wird. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten darf ich aus der Begründung der Regierungsvorlage zitieren. Es heißt dort:
Es kann angenommen werden, daß der durch die Ergänzungsabgabe bewirkte Liquiditätsentzug weniger den Verbrauch trifft als die Sparkapitalbildung und die Investitionstätigkeit. Da sich jedoch — wie dargestellt — die zusätzliche Steuerbelastung durch die Ergänzungsabgabe in engen Grenzen hält, werden die Gewinnerwartungen der Unternehmer und das Konjunkturklima nicht ernstlich beeinträchtigt werden, zumal, wie erwähnt, kontraktiven Effekten der Steuererhöhung durch zusätzliche öffentliche Investitionen im Rahmen des konjunkturpolitischen Programms entgegengewirkt wird.
Das heißt doch nichts anderes, als daß diese Bundesregierung die folgende Finanz- und Konjunkturpolitik vertritt: Sie lehnt es ab, die Ausgabenseite des Bundeshaushalts zu bereinigen. Sie geht dazu über, die Einnahmenseite durch Steuererhöhungen — wie sie es nennt — zu verbessern. Da sie aber weiß, daß sich diese Steuererhöhungen schädlich für die wirtschaftliche Entwicklung auswirken, verschuldet sie sich kurzfristig, um diese schädlichen Wirkungen der Steuererhöhungen wieder zu beseitigen, und blockiert damit die Bereinigung der Haushalte der 70er Jahre. Meine Damen und Herren von der Koalition, fühlen Sie nicht, welcher Teufelskreis der Finanzpolitik damit eröffnet wird? Durchbrechen Sie mit uns zusammen durch eine Ablehnung dieser Ergänzungsabgabe diesen Teufelskreis!

(Beifall bei der FDP.)

Wir haben ein Stabilitätsgesetz mit den Zielvorstellungen: Verwirklichung der Stabilität des Preisniveaus, eines hohen Beschäftigungsstandes, des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts und eines stetigen und angemessenen Wirtschaftswachstums. Das alles wollen wir doch gemeinsam erreichen, und das Stabilitätsgesetz gibt uns Weisungen dafür, wie man das erreichen kann. Es sagt nämlich, daß für eine konjunkturelle Lage, wie wir sie jetzt haben, nicht Steuererhöhungen, sondern Steuersenkungen oder gar Investitionsprämien, wie es auch die Sachverständigen vorschlagen, angemessen sind.
Die Bundesregierung scheint nicht zu fühlen, daß sie mit ihrer Vorlage, durch den Verstoß gegen diese Grundsätze des Stabilitätsgesetzes, das erst vor wenigen Monaten beschlossen worden ist, auch gegen die Verfassung selbt verstößt. Denn sie muß sich mit ihrer Finanzpolitik an den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts orientieren. Diese Bestimmung der Verfassung wird durch das Stabilitätsgesetz ausgefüllt. Wer also gegen die Grundsätze des Stabilitätsgesetzes verstößt, verstößt zugleich gegen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und verletzt damit die Bestimmungen des Grundgesetzes. Die Bedeutung des einfachen Bundesgesetzes ist hier durch Art. 109 Abs. 4 noch einmal ausdrücklich unterstrichen.

(Beifall bei der FDP.)

Es reicht deshalb nicht aus, meine Damen und Herren, wenn uns der Bundesfinanzminister sagte — ich glaube, bei der ersten Lesung —, man könne mit verfassungsrechtlichen Bedenken allen Fragen gegenübertreten. Das ist richtig, Herr Bundesfinanzminister. Sie können gegen alle Fragen Rechtsbedenken erheben, sogar gegen außenpolitische Vorstellungen, wie Sie wissen. Dort spielt ja häufig das Rechtsdenken eine große Rolle. Aber hier handelt es sich um begründete verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Bedenken, an denen auch die Bundesregierung und die Mehrheit in diesem Hause doch nicht vorbeigehen sollten.
Deshalb frage ich, welche Konsequenzen die Bundesregierung aus dieser Verfassungslage ziehen will, ob sie nicht doch zu einer Beachtung der Grundsätze des Stabilitätsgesetzes zurückkehren will.
Nun, meine Damen und Herren, eine zusätzliche Frage — da wir uns über die rechtliche Seite des Problems unterhalten —: Weiß die Bundesregierung nicht, daß es sich bei der Ergänzungsabgabe um eine außerordentliche Maßnahme handeln soll, daß sie erst ergriffen werden soll, wenn vorher versucht worden ist, durch eine Veränderung des Beteiligungsverhältnisses eine Verbesserung der Finanzlage des Bundes herbeizuführen? Ich frage die Bundesregierung, ob sie einen solchen Versuch im Verhältnis zu den Ländern unternommen hat und mit welchem Ergebnis.
Ich habe manchmal den Eindruck, daß die .Bundesregierung mit der Erhebung dieser Ergänzungsabgabe noch ein ganz anderes Ziel verfolgt. Schon heute hören wir gar nicht mehr so viel von der großen Finanzreform. Die große Finanzreform war bekanntlich eines der Ziele, um dessen Verwirklichung willen es angeblich notwendig gewesen war, eine Koalition mit verfassungsändernder Mehrheit zu schaffen. Es sollte eines der großen Reformwerke sein. Darum ist es heute still geworden, obwohl der Bundesfinanzminister in einem der ersten Monate seiner Amtsperiode völlig zu Recht gesagt hat, er sehe die große Finanzreform geradezu als eine Bewährungsprobe der Großen Koalition an. Fast habe ich den Eindruck, die Bundesregierung wollte durch die Schaffung einer Bundessteuer ein für den Bund günstiges Ergebnis vorwegnehmen, um dann aus
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der Sicht des Bundes ein weiteres Vorantreiben der Finanzreform vermeiden zu können. Meine Damen und Herren, hier liegen doch die großen Gefahren für die Finanzlage der Länder und der Gemeinden.
Deshalb frage ich die Bundesregierung, wie der Zeitplan der Finanzreform aussieht. Wie sieht die Bundesregierung das Verhältnis dieser Ergänzungsabgabe zu ihren Vorstellungen von der großen Finanzreform? Vielleicht versucht sie wirklich, die Finanzsituation bei Ländern und Gemeinden so zu belassen und nur den Bund über eine Bundessteuer zu sanieren.
Aber nun kommt das Entscheidende über diese Steuer, von der wir sprechen, meine Damen und Herren. Neben diesen rechtlichen Fragen taucht natürlich immer wieder die Frage auf: Sieht denn die Bundesregierung nicht, welche psychologische Wirkung die Erhebung der Ergänzungsabgabe auslöst? Es sind ja nicht nur die 3 %. Wir haben bei den Diskussionen während der Ausschußberatungen doch gehört, daß man bereits daran dachte, den Satz zu erhöhen und die Einkommensgrenze niedriger zu legen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß das demnächst geschieht. Heute noch ist die Ergänzungsabgabe mehr ein Teil der sozialen Symmetrie. Es ist eine Verbrämung mit pseudosozialen Argumenten. Meine Damen und Herren, wenn Sie diese Ergänzungsabgabe draußen mit dem Argument der sozialen Symmetrie vertreten wollen, dann müssen Sie den Menschen, die Sie damit ansprechen wollen, aber auch sagen, daß diese Ergänzungsabgabe die Sorge um die Arbeitsplätze nicht nimmt, sondern in Wahrheit Anlaß gibt, sich um den Wirtschaftsablauf noch mehr Sorgen zu machen.

(Beifall bei der FDP.)

Man fragt sich wirklich, ob die Bundesregierung gar nicht bedenkt, daß sie der deutschen Wirtschaft eine zusätzliche Steuerbelastung in einem Zeitpunkt aufbürdet, in dem durch die Pfundabwertung und andere Abwertungen ohnehin die Exportlage für unsere Wirtschaft erheblich verschlechtert ist. Sind wir denn nicht die Hauptleidtragenden dieser Veränderung in der Welt um uns, angesichts einer gleichartigen Exportstruktur und Exportqualität? Das muß man sehen.
Man soll nicht durch eine Summierung solcher die Wirtschaft belastenden Maßnahmen das gemeinsame Bemühen um eine Ankurbelung der Wirtschaft zusätzlich erschweren, nur weil man aus Koalitionsrücksichten glaubt, man müsse nun auch etwas gegen die Begüterten tun. Meine Damen und Herren, Sie wissen doch alle: getroffen wird am Ende durch konjunkturhemmende Maßnahmen am meisten der kleine Mann und nicht die Begüterten, die Sie im Auge haben.

(Beifall bei der FDP.)

Eine letzte Frage ist hier erlaubt: Paßt denn eigentlich diese Ergänzungsabgabe in die Vorstellungen von einer Steuerharmonisierung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft? Ich glaube, daß auch dieses Argument geprüft ist. Wir sind nur gespannt, wie der Bundesfinanzminister dazu Stellung nehmen wird,
Hier ist davon gesprochen worden, die Erhebung der Ergänzungsabgabe müsse ein Gegengewicht zur Erhöhung der Verbrauchsteuern schaffen. Wie soll ich den Sinn des Begriffes Gegengewicht verstehen? Das ist doch kein Gegengewicht, sondern das ist ein zusätzliches Gewicht, das Sie auch noch aufbürden und das sich zusätzlich nachteilig auswirken wird.
Die Bundesregierung wird sich auch fragen lassen müssen, warum sie sich zusammen mit dem Koalitionsausschuß gegen eine zeitliche Begrenzung der Ergänzungsabgabe ausgesprochen hat. Wenn Sie diese Ergänzungsabgabe überhaupt bejahen, wenn Sie der Meinung sind, Sie brauchten diese Ergänzungsabgabe, dann sollten Sie doch immer wieder die Materialien für die Rechtsgrundlage dieser Ergänzungsabgabe im Auge haben. Es wird nämlich ganz deutlich gesagt, daß nur einmalige Bedarfsspitzen abgedeckt werden können. Nach meiner Überzeugung müßte man im Grunde über die Ergänzungsabgabe und ihre Erhebung von Jahr zu Jahr neu entscheiden. Nur schweren Herzens haben wir der vierjährigen Begrenzung zugestimmt. Wir wollten damit wenigstens ein Schlußdatum setzen, obwohl schon eine vierjährige Befristung im höchsten Maße verfassungsrechtlich bedenklich ist. — Bitte schön.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514102000
Eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Koch.

Dr. Gerhard Koch (SPD):
Rede ID: ID0514102100
Herr Kollege Genscher, wie stellen Sie sich die Erhebung der Ergänzungabgabe von Jahr zu Jahr — entweder bejahend oder verneinend — vor, wenn Sie an die Arbeit der Finanzverwaltung denken, die sich damit befassen muß?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0514102200
Herr Kollege Dr. Koch, die Frage können Sie mir doch nicht stellen, denn ich will sie überhaupt nicht erheben.

(Lachen und Beifall bei der FDP. — Abg. Dr. Koch: Sie schlagen aber doch vor: von Jahr zu Jahr!)

— Ich will sie auch nicht von Jahr zu Jahr erheben, etwa in der Art eines nicht einmal arbeitsrechtlich zulässigen Kettenvertrags. Wir wollen vielmehr nur durch die Notwendigkeit, in einem zweiten Jahr neu zu entscheiden, den Argumenten der Vernunft nach zwölfmonatigem Zeitablauf erneut Geltung verschaffen.

(Beifall bei der FDP.)

Aber wenn Sie schon von der Arbeitsbelastung der Finanzämter sprechen, Herr Kollege Dr. Koch, dann frage ich Sie: wie wollen Sie eigentlich diese zusätzliche Arbeitsbelastung der Finanzverwaltung verantworten, wenn gleichzeitig mit der Erhebung der Ergänzungsabgabe die Umstellung auf die Mehrwertsteuer erfolgen muß? Das ist eine Frage, die Sie beantworten müssen, denn Sie sind ja für die Erhebung der Ergänzungsabgabe.
Auch in der Frage der Befristung ist die Haltung der Bundesregierung nicht überzeugend und vor allen Dingen nicht frei von Widersprüchen. Der
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Genscher
Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium hat sich im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages für eine unbefristete Erhebung der Ergänzungsabgabe ausgesprochen. Im Finanzausschuß des Bundesrates dagegen hat er mitgeteilt, daß die Bundesregierung im Grunde nur für den Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung — nämlich vier Jahre — an die Erhebung denke. Wenn ich aus dem Kopfschütteln des Parlamentarischen Staatssekretärs im Finanzministerium entnehmen kann, daß er doch für die Beschränkung auf vier Jahre ist, erwarte ich hier einen entsprechenden Antrag. Wir würden dem natürlich sofort zustimmen.

(Heiterkeit bei der FDP.)

Diese Ergänzungsabgabe ist in diesem Zeitpunkt, beschlossen als eine sozial verbrämte Zusatzsteuer, nicht erforderlich, im Gegenteil wachstumshemmend und damit auch schädlich für die Einnahmenseite — langfristig gesehen — unserer. Haushalte insgesamt, nicht nur des Bundeshaushalts, sie ist schädlich für die wirtschaftliche Entwicklung. Diese Ergänzungsabgabe trägt in ihrer unbefristeten Form noch eine große Gefahr in sich: wir haben die Sorge, daß aus dieser Ergänzungsabgabe die Reservekasse der Großen Koalition wird, daß man mit dem Aufkommen aus der Ergänzungsabgabe in den künftigen Jahren noch einmal den Versuch machen wird, den notwendigen strukturellen Entscheidungen in unserem Bundeshaushalt auszuweichen. Da liegen die erheblichen finanzpolitischen Bedenken.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514102300
„Wenn Sie schon für eine Ausdehnung der Ergänzungsabgabe über die mittelfristige Finanzplanung hinaus eintreten, welches Defizit wollen Sie denn dann, 1972 beginnend, ausgleichen?" — Da hat er gesagt: „Das wissen wir noch gar nicht, ob dann ein Defizit da ist. Aber es ist möglich, daß wir dann eins haben, und dafür wollen wir vorsorglich diese Ergänzungsabgabe haben." — Damit trägt in der Tat diese Ergänzungsabgabe den Stempel der Verfassungswidrigkeit auf der Stirn.

(Beifall bei der FDP.)

Sie trägt ihn auch auf der Stirn durch die Argumente, die im Finanzausschuß vorgebracht wurden, nämlich: man brauche die Ergänzungsabgabe, weil Belastungen in anderen Bereichen, z. B. in sozialpolitischen Bereichen, vorgenommen würden.
Ich will mich gar nicht über bestimmte Willkürbestimmungen der Ergänzungsabgabe äußern. Bis heute haben wir noch nicht gehört, warum die Bundesregierung sich gerade für die Einkommensgrenzen 16 000 und 32 000 entschieden hat, warum nicht 14 000 und 28 000 oder 18 000 und 36 000? Das muß auch einmal dargelegt werden, wenn Sie die Logik dieser Ergänzungsabgabe verteidigen wollen.
Nein, meine Damen und Herren, wie immer Sie diese Ergänzungsabgabe bewerten; Sie können vernünftigerweise nur zu dem Ergebnis kommen: diese Ergänzungsabgabe darf — auch gerade nach den Erkenntnissen der Sachverständigen in ihrem Gutachten — nicht Gesetz werden. Die Erhebung der Ergänzungsabgabe ist verfassungswidrig. Ihre Gültigkeitsdauer ist verfassungswidrig. Sie ist wirtschafts-und konjunkturpolitisch sinnwidrig. Sie verstößt gegen die Grundsätze und Ziele des Stabilitätsgesetzes, und sie zwingt — wie die Bundesregierung in der amtlichen Begründung der Regierungsvorlage selbst einräumt — zu einer zusätzlichen kurzfristigen Verschuldung des Bundes. Deshalb hat Professor Flume recht, wenn er sagt: „Zu offensichtlich trägt der Plan der Ergänzungsabgabe für die anderen den Stempel der Rechtswidrigkeit, als daß er toleriert werden könnte. Auf der Ergänzungsabgabe lastet der Makel des Koalitionsgeschäfts. Sie ist eine Koalitionssteuer. Sie muß weg."

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514102400
Das Wort hat der Abgeordnete Dichgans.

Dr. Hans Dichgans (CDU):
Rede ID: ID0514102500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Im Namen der Fraktion der CDU/CSU bitte ich Sie, den Antrag der FDP abzulehnen. Ich wäre nicht ehrlich, wenn ich hier behauptete, daß die Fraktion der CDU/CSU einhellig die Ergänzungsabgabe als ein wirtschafts- und steuerpolitisches Meisterstück ansähe. Die Bedenken liegen auf der Hand.
Ich muß vielen Erwägungen, die Herr Genscher angestellt hat, zustimmen. Auch ich bin der Meinung, wir brauchen Gewinne, damit wir Investitionen haben, und wir brauchen insbesondere Investitionsbereitschaft.

(Abg. Moersch meldet sich zu einer Zwischenfrage.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514102600
Eine Zwischenfrage von Herrn Moersch. Bitte, Herr Moersch!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0514102700
Herr Kollege Dichgans, Sie sagten, die Sache werde in der CDU/CSU-Fraktion nicht einhellig als Meisterstück angesehen. Können Sie uns mitteilen, wer von Ihren Oberen sie als Meisterstück ansieht?

(Unruhe und Lachen bei der CDU/CSU.)


Dr. Hans Dichgans (CDU):
Rede ID: ID0514102800
Wir stehen hier vor einer politischen Entscheidung, und die Antwort hierauf ist die folgende:

(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal]: Die Abstimmung!)

Ich habe die Rede von Herrn Genscher mit großem Interesse gehört, aber leider nichts über die Alternative gefunden.

(Abg. Frau Kurlbaum-Beyer: Richtig!)

Er hat zunächst gesagt, wir sollten den Bundeshaushalt in anderer Weise in Ordnung bringen, und
zwar weniger Geld ausgeben. Ich habe jedoch in
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7185
Dichgans
der letzten Zeit hier eine Reihe von Debatten mit angehört, z. B. die Landwirtschaftsdebatte. Ich erinnere mich, daß Ihr Herr Kollege Peters Vorstellungen entwickelt hat, die wesentlich kostspieliger waren als die der Bundesregierung. Herr Genscher, wir kommen nicht weiter, wenn wir nicht Alternativen vorschlagen.
Die politische Alternative ist hier folgende. Es gibt in diesem Hause Bedenken gegen die Ergänzungsabgabe. Es gibt in diesem Hause aber auch Bedenken gegen zahlreiche andere Bestandteile des Finanzplans, z. B. den Beitrag der Rentner zur Krankenversicherung. Nichts wäre leichter, als eine Serie isolierter Abstimmungen zu veranstalten, in denen jeder von uns das, was er unpopulär findet, ablehnt.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist das gute Recht der Opposition!)

Dann könnten wir alle stolz nach Hause gehen. Jeder könnte in seinem eigenen Bereich darauf hinweisen, wie mutig er für die gerechte Sache gestritten habe.
Aber, meine Herren, was wären die Folgen? Wo wäre die Lösung für den Finanzplan? Was wären die Folgen für die Wirtschaft? Herr Genscher, Sie haben eben ein Bild gemalt, das so aussieht, als blickte die Bundesregierung auf ein Jahr der Mißerfolge zurück. Ich kann das eigentlich nicht feststellen. Sehen Sie etwa die Entwicklung der Aktienkurse in diesem Jahr, die doch ein typisches Zeichen für Vertrauen sind! Sehen Sie etwa die Entwicklung der Arbeitslosenzahl! Niemand kann bestreiten, daß sich sehr vieles zum Besseren gewendet hat.
Herr Genscher, ich frage Sie: Was meinen Sie, was geschehen würde, wenn die Vorlagen zum Finanzplan generell abgelehnt würden? Ich sage, das gäbe einen Zusammenbruch des Vertrauens. Ein Zusammenbruch .der Aktienkurse und sicher auch .ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit wären die Folge.
Meine Damen und Herren, es hat keinen Zweck, die Bedenken zu verschweigen. Auch ich finde den Kompromiß, der hier gefunden worden ist, nicht gut. Aber ich sehe keinen besseren. Deshalb meine ich, wir sollten ihm zustimmen.
Hier werden Fragen aufgeworfen, die tief in die Staatspolitik hineinreichen. Wer viel mit der Jugend diskutiert, weiß, wie skeptisch die Arbeit des Bundestages vielfach betrachtet wird. Man wirft uns vor, daß wir unsere Entscheidungen allzu oft aus den taktischen Überlegungen der Tagespolitik, aus den Überlegungen der Popularität heraus, treffen; Meine Damen und Herren, auch aus diesem Grunde möchte ich Sie auffordern, mutig zu sein und einer Regelung zuzustimmen, die eine überzeugende Lösung der Probleme bringt.
Nun sind mehrere Einzelfragen angesprochen worden, unter anderem die Frage der Befristung. Ich glaube, daß die unbefristete Einführung die bessere Lösung ist, und zwar deshalb, weil wir mit Befristungen meist schlechte Erfahrungen gemacht haben. Die Fristen werden bei Ablauf regelmäßig durch Blitzgesetze verlängert. Hier ist gesagt worden, wir müßten uns doch immer wieder die Frage vorlegen, ob. die Ergänzungsabgabe wirtschaftspolitisch überhaupt noch tragbar sei. Herr Genscher, ich bin völlig Ihrer Meinung. Aber diese Frage wollen wir uns nicht erst nach vier Jahren vorlegen, sondern jeweils dann, wenn die wirtschaftspolitische Situation das erfordert.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der FDP.)

Ich habe volles Vertrauen nicht nur zu den Kollegen meiner eigenen Fraktion, sondern auch zu den Kollegen aus der Koalitionsfraktion. Wir alle wollen doch eine vernünftige Wirtschaftspolitik. In dem Augenblick, in dem wir uns davon überzeugen, daß eine andere Lösung besser wäre, werden wir der anderen Lösung zustimmen.

(Abg. Genscher: Wenn Sie das wollen, müssen Sie jetzt schon ablehnen!)

— Ich glaube nicht.
Nun eine letzte Frage. Die Nichtbefristung trägt natürlich die Gefahr in sich — darin muß ich Herrn Genscher zustimmen —, daß die Einnahmen langfristig verplant werden. Hier erhebt sich die Frage: für was? Wir müssen unter allen Umständen dafür sorgen, daß sie nicht für reine Konsumausgaben verplant werden. Wir stehen in der Politik immer wieder vor der Frage: Was geben wir für die Gegenwart, was geben wir für die Zukunft aus? Das drückt sich in der Zusammensetzung der Industrieproduktion aus. Die Statistik läßt das nicht ganz deutlich werden, aber eine Analyse führt etwa zu folgenden Zahlen: Bei den Russen beträgt der Anteil der Konsumgüter an der Industrieproduktion nur etwa 25 %, bei den Amerikanern etwa ein Drittel, bei den Franzosen etwa 40 % und in der Bundesrepublik etwa 50 %. Wir stehen also in der Konsumgüterproduktion an der Spitze der Welt, und das ist bedenklich, wenn man die langfristige Entwicklung in der Wirtschaft betrachtet.
Diese Bedenken hat George Bernard Shaw bereits im Jahre 1929 im „Kaiser von Amerika" formuliert. König Magnus fragt dort seine Minister, ob nicht vielleicht der Wohlstand gefährdet sei. Die Minister antworten ihm entrüstet, die Produktion von Pralinés betrage inzwischen 20 000 t pro Tag und die englischen Golfschläger, das englische Porzellan, die englischen Gobelins und die englischen Rennmotorboote seien die besten der Welt. Vielleicht, Herr Präsident, können Sie gelegentlich eine Sondervorstellung des hiesigen Stadttheaters für den Bundestag veranlassen, um dieses Problem einmal von so berufener sozialistischer Seite darstellen zu lassen.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514102900
Wir wollen sehen, ob der Einfluß des Präsidenten so weit reicht.
7186 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967

Dr. Hans Dichgans (CDU):
Rede ID: ID0514103000
Meine Damen und Herren, die Sache ist sehr ernsthaft. Wenn wir eine Wirtschaftspolitik treiben, die den Konsum allzu sehr in den Vordergrund stellt, schaffen wir die Gefahr, daß auch unsere Wirtschaft den Weg geht, den die englische Wirtschaft gegangen ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514103100
Das Wort hat der Abgeordnete Junghans.

Hans-Jürgen Junghans (SPD):
Rede ID: ID0514103200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Genscher hat hier vorgetragen, Wie die Ergänzungsabgabe mit allen Mitteln bekämpft wird, von der EWG über Finanzreform und Sachverständigengutachten. Sie haben das seit Monaten getan.

(Zuruf des Abg. Genscher.)

Sie gehen sogar so weit, pseudosoziale Argumente zu verwenden, und sagen ganz einseitig — und das ist für uns wirklich interessant —: Wahre soziale Gerechtigkeit sind nur die Unternehmergewinne, denn sie werden nachher neue Arbeitsplätze schaffen. So haben Sie argumentiert.

(Widerspruch bei der FDP.) Das ist ein Teil Ihrer Argumentation.


(Zuruf von der FDP: Dann müssen Sie mal zuhören, Herr Junghans!)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514103300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Genscher?

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0514103400
Herr Kollege Junghans, um hier jede Verfälschung meiner Rede auszuschließen, frage ich Sie: Habe ich gesagt oder habe ich nicht gesagt, Unternehmergewinne und Gewinnerwartungen der Unternehmer, Investitionsbereitschaft, Sicherheit der Arbeitsplätze und eine gesunde Lohnentwicklung seien Seiten derselben Sache, d. h. sie gehörten untrennbar zusammen?

(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Das hat er gesagt! Er hat von sozialer Gerechtigkeit in dem Zusammenhang nicht gesprochen! — Weitere Zurufe.)


Hans-Jürgen Junghans (SPD):
Rede ID: ID0514103500
Das werden Sie noch erfahren, was hoch und niedrig ist in diesem Hause.

(Abg. Genscher: Lesen Sie einmal nach, was Ihr Kollege Schiller auf Ihrer Parteikonferenz zu den Unternehmergewinnen gesagt hat!)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514103600
Herr Genscher, Sie haben nicht das Wort. Sie können nur noch eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie wollen.

Hans-Jürgen Junghans (SPD):
Rede ID: ID0514103700
Herr Genscher, Sie haben doch aus dem Sachverständigengutachten nur dieses eine Bonbon herausgepickt. Ich werde darauf zurückkommen.
Für mich ist bei Ihrer Argumentation auch ganz überraschend, daß Sie hier den Sachverständigenrat als Zeugen aufrufen. Das ist überraschend und originell, da Sie ja in der Vergangenheit einer anderen Auffassung anhingen. Herr Genscher hat es hier auch deutlich gesagt: man solle doch die Wirtschaft sich selber überlassen, den Selbstheilungskräften.

(Widerspruch des Abg. Genscher.)

— Ich finde, das ist das Motto Ihrer bisherigen Auffassung gewesen: Jeder für sich, die Marktwirtschaft für uns alle, ein bißchen Nachtwächter der amtlichen Wirtschaftspolitik ist die Bundesbank.
Bitte, meine Damen und Herren von der FDP: Wenn Sie schon das Gutachten zitieren, dann müssen Sie auch das lesen, was dort über die bisherige Wirtschaftspolitik gesagt wird, gerade im Zusammenhang mit einem Punkt, den Sie herausgegriffen haben, indem Sie sagen: die Wirtschaft soll sich selber überlassen bleiben. Es wird dort unter der Überschrift „Die konjunkturpolitischen Lehren der letzten vier Jahre" vom Fehlen einer wirksamen Verhaltensabstimmung zwischen staatlichen Instanzen auf der einen und den nichtstaatlichen auf der anderen Seite und davon gesprochen, daß die wirtschaftspolitischen Instanzen den Fehlentwicklungen der Jahre 1964/65/66 zu spät und zögernd entgegengetreten sind. Das alles steht im Gutachten. Es steht auch darin, wie gefährlich die These „Ein bißchen Krise schadet nichts, das kann die Wirtschaft schon verkraften" für die deutsche Wirtschaft gewesen ist.
Es werden Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP, die Leviten gelesen über die Fehler vergangener Jahre. Wenn Sie hier eine Maßnahme und dann noch mit einer einseitigen Betonung aus einem Gesamtzusammenhang herausgreifen, dann sieht das so aus, als ob Sie in ein dünnes Brett einen Nagel einschlagen wollen, an dem Sie Ihr Bild über Wirtschafts- und Finanzpolitik und den sozialen Ausgleich der Belastung aufhängen wollen.
Sie erheben hier Vorwürfe wegen der prozyklischen Steuerpolitik. Es kann Ihnen doch aber nicht entgangen sein, daß die Gutachter ausdrücklich feststellen: „Erstmals hat sich eine deutsche Bundesregierung die Ziele, die 1963 dem Sachverständigenrat aufgegeben wurden, zu eigen gemacht."
Auch aus anderen Teilen des Gutachtens, das Sie zitiert haben, könnten Sie gerade im Zusammenhang mit der Aufgabe, Haushalt und Finanzen auf eine sozial zu rechtfertigende Weise in Ordnung zu bringen, einigen Nutzen ziehen.
Herr Genscher, alle wichtigen Entscheidungen dieses Jahres, die Sie so vehement bekämpft haben, werden im Gutachten konjunkturpolitisch positiv beurteilt. Lesen Sie doch die Ausführungen über die Aufrechterhaltung der dynamischen Rente, die Erhöhung der Arbeitslosengelder. Diese Maßnahmen werden doch positiv beurteilt. Sie haben das hier so bekämpft. Die Investitionshaushalte werden positiv beurteilt, sogar die Erhöhung der Mineralölsteuer in einem Teil, zugunsten der Investitionstätigkeit der Gemeinden. Man muß das ganze Gutachten lesen und nicht nur das, was einem gerade gefällt.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7187
Junghans
Auch über die Rolle der von Ihrem Minister Dahlgrün so sehr empfohlenen drastischen Herabsetzung der Kilometerpauschale — wir haben es von 10 auf 36 Pfennig wieder angehoben — können Sie einiges mehr nachlesen, als Sie hier dargeboten haben.
Sie sollten, wenn Sie hier einen Teil herausgreifen, dann auch wenigstens sagen, was Sie denn von dem gesamten Kapitel „Ein Rahmen für Expansion und Stabilität" halten. Das ist nämlich ein Gesamtmodell, und als solches möchten es die Gutachter auch ausdrücklich verstanden wissen. Dann können Sie doch nicht nur den Teil der Förderung privater Investitionen herausgreifen. Da wird doch auch etwas gesagt über notwendige Lohnerhöhungen, notwendige öffentliche Investitionen und notwendiges Wachstum. Davon haben Sie nichts gesagt. Bisher haben doch gerade Sie die gewollten und vorhergesehenen Wachstumsraten, die Art, Wachstumsraten zu wollen und zu quantifizieren, abgelehnt.

(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Wunschideologie, weiter nichts! Das hat er abgelehnt! — Zuruf von der FDP.)

— Den Zwischenruf finde ich sehr schön: „terrible simplificateur". Damit haben Sie doch alles das, was an neuer Wirtschaftspolitik jetzt hineingekommen ist, immer wieder bekämpft, und Sie können doch heute nicht so tun, als ob Sie auf der Seite der Gutachter stehen, die das hier natürlich auch in einem Gesamtmodell dargestellt haben. Bleiben Sie bei dem Gesamtmodell; das ist der Punkt, um den es hier geht.
Der Sachverständigenrat weist auch ausdrücklich auf die Bedingtheit seiner Vorschläge hin. Auch darauf mache ich noch aufmerksam. Der Sachverständigenrat hat sich auch in der Pressekonferenz ausdrücklich dagegen verwahrt, aus dem Gesamtmodell einzelne Elemente isoliert zu behandeln.
Es steht selbstverständlich noch mehr darin. Wir haben auch etwas über die Erhöhung der Rentenbeiträge zu vernehmen. Auch dazu wird dort ein Vorschlag gemacht. Das muß man doch im Gesamtzusammenhang sehen. Insgesamt gibt es, meine ich, eine Fülle interessanter Anregungen, für die wir dem Sachverständigenrat dankbar sind. Aber das Gutachten muß doch im Gesamten in diesem Hause debattiert werden. Das ist unsere Pflicht, und dazu sollten auch meine Bemerkungen beitragen, um anzudeuten, was noch alles ausführlich geprüft werden muß. Sie sollen hier nicht nur eine Sache herausgreifen, nur um den alten verrosteten Nagel: Abbau von Sozialausgaben usw. wieder einschlagen zu können.

(Abg. Genscher: Das Wort habe ich überhaupt nicht benutzt!)

— Natürlich, Sie haben gesagt: Ausgabenkürzung. Wir kennen doch Ihre Anträge. Haben Sie denn hier nicht gegen die Rentendynamisierung für die nächsten vier Jahre gesprochen, haben Sie nicht die bruttobezogene Rente für die Zukunft hier abgelehnt? Das Sachverständigengutachten jedenfalls eignet sich nicht für diese Argumentation.

(Zuruf des Abg. Genscher.)

— Herr Kollege Genscher, keinem hier im Hause, weder auf der Regierungsbank noch auf den Abgeordnetensitzen, kann es doch bei den vergangenen Debatten entgangen sein, daß hier tatsächlich ein Zielkonflikt bestand zwischen der Notwendigkeit der Konjunkturbelebung und der Sanierung der Staatsfinanzen und damit auch der sozialgerechten Verteilung dieser Lasten auf alle Teile unserer Wirtschaft.

(Abg. Dr. Haas: Die Ergänzungsabgabe ist der Zielkonflikt zwischen SPD und CDU! Sie liegen da ganz schief!)

— Die Ergänzungsabgabe ist ein Zielkonflikt? Das müssen Sie noch erläutern. Das verstehe ich weiß Gott nicht, wie eine Abgabe ein Zielkonflikt sein soll. Das kann ich schon sprachlich nicht begreifen.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514103800
Herr Abgeordneter Ertl zu einer Zwischenfrage.

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0514103900
Herr Kollege, können Sie mir erklären, wieso die Große Koalition das Ziel der Sozialreform angesprochen hat, wenn nach Ihrer Meinung alles richtig ist und auch in der Zukunft ohne Schwierigkeiten abläuft?

Hans-Jürgen Junghans (SPD):
Rede ID: ID0514104000
Ich habe Sie nicht verstanden; ich weiß nicht, was das mit der Sache zu tun hat.

(Abg. Ertl: Sie haben doch gerade davon gesprochen, daß auf dem Sozialgebiet alles in Butter ist und alles bestens steht!)

— Ich will Ihnen etwas sagen: Diese Ergänzungsabgabe schmeckt Ihnen nicht, weil sie gerade für Sie politisch interessant ist. Ich glaube, es hat im letzten halben Jahr in diesem Hause keine Sache gegeben, die Sie mit mehr Argumenten behängen wollten als gerade diese. Sie holen alles aus der Mottenkiste, bis zu den Gewerkschaften, sogar bis zu den ÖTV-
Forderungen. Ich frage Sie, was das alles mit der Ergänzungsabgabe zu tun hat.

(Abg. Ertl meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Ja, bitte! Nun kommt noch etwas!

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0514104100
Herr Kollege, Sie werden mir doch zugeben, daß die Ergänzungsabgabe im Prinzip der Gleichberechtigung widerspricht. Oder haben Sie, weil Sie heute eine rote Weste anhaben, auf Vorgodesberger SPD-Zeit zurückgeschaltet?

(Unruhe.)


Hans-Jürgen Junghans (SPD):
Rede ID: ID0514104200
Ich darf Sie jetzt wirklich fragen: Was hat die Ergänzungsabgabe mit der Gleichberechtigung zu tun?

(Anhaltende Unruhe.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514104300
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Die Unruhe im Saal ist so groß, daß es schwer ist, Fragen und Zwischenrufe akustisch zu verstehen. Ich bitte doch um Ruhe.

(Fortgesetzte Unruhe.) Ich bitte um Ruhe!

7188 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967

Hans-Jürgen Junghans (SPD):
Rede ID: ID0514104400
Meine Damen und Herren, ich wiederhole noch einmal: Niemandem in diesem Haus und auch sonst keinem sollte entgangen sein, in welcher schwierigen Situation wir uns 1967 in der Wirtschaftspolitik und gleichzeitig auf dem Gebiet von Haushalt und Finanzen befanden. Deshalb bestand die Aufgabe darin, gleichzeitig Haushalt und Finanzen in Ordnung zu bringen und die Konjunktur wieder zu beleben. Wir vermissen noch immer umfassende Vorschläge der FDP, wie sie denn Einnahmen und Ausgaben mittelfristig in eine gesunde Ordnung bringen will.
Ich möchte noch einmal ausdrücklich feststellen: Sie, meine Damen und Herren von der FDP, wollen nicht einen sozialen Ausgleich beim Aufräumen und Ausräumen dessen, was wir auf dem Gebiet von Wirtschaft und Finanzen zu tun haben. Das ist erkennbar. Sie sprechen von Ausgabenkürzungen im sozialen Bereich. Sie wollen eine viel weitergehende Kürzung der Sozialausgaben und wollen dadurch die ganze Last auf den kleinen Mann, den Arbeitnehmer, den Rentner, abwälzen.

(Abg. Genscher: Wo denn? Sie tragen hier ein Programm vor, das nicht unseres ist, vielleicht Ihres! — Weitere Zurufe von der FDP.)

— Haben Sie hier nicht selber gesagt, daß der
Sozialhaushalt viel zu wenig gekürzt worden ist?

(Abg. Genscher: Ich?)

— Ihre Parteifreunde. Ich spreche Sie ja nicht als Person an, Herr Genscher. Ich darf Sie ja auch noch als Parteimitglied ansehen. Sie haben hier Anträge vorgelegt, mit denen Sie etwa eine doppelte Kürzung des Sozialetats erreichen wollten.

(Abg. Genscher: Haben Sie nicht die Knappschaftsrente verändert?)

— Lesen Sie die Kürzungsvorschläge des Kollegen Dahlgrün von 1966! Wir Sozialdemokraten wünschen jedenfalls niemanden darüber im Zweifel zu lassen, daß die höheren Einkommen mit einer Ergänzungsabgabe von 3 % der Steuerschuld — und nicht vom Einkommen — belastet werden und daß die Belastung an der untersten Grenze dessen liegt, was als sozial gerecht verantwortet werden kann.
Wir bitten deshalb, den Antrag auf Umdruck 311 *) abzulehnen.

(Beifall bei der SPD.)



Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514104500
Das Wort hat Frau Kurlbaum-Beyer.

Lucie Beyer (SPD):
Rede ID: ID0514104600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte vorweg Herrn Kollegen Genscher erklären, daß es uns auch lieber gewesen wäre — damit spreche ich sicher für alle in diesem Hause —, wir wären um Steuererhöhungen herumgekommen. Aber das gilt nicht nur *) Siehe Anlage 2
für diese Steuer, Herr Kollege Genscher, das gilt für alle, die wir bisher beschlossen haben.

(Abg. Genscher: Der Meinung sind auch wir!)

Lassen Sie mich eine zweite Bemerkung anschließen. Zu einem wesentlichen Teil haben wir heute die Suppe auszulöffeln, die Sie, gerade Sie von der FDP, mit Ihren Finanzministern uns in der Vergangenheit mit eingebrockt haben.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der FDP: Billig!)

— Meine Damen und Herren, das ist keine Verdrehung. Ich weiß als Mitglied des Finanzausschusses, daß Herr Dahlgrün und auch seine Vorgänger nicht genug Mut gehabt haben, nicht nur gegenüber der Öffentlichkeit, sondern vor allem auch gegenüber dem Finanzausschuß das zu sagen, was sie über die Finanzmisere hätten sagen müssen, die diese Koalitionsregierung 1966 übernommen hat; denn sie war viel größer, als wir alle vermutet hatten.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Genscher: Haben Sie den Finanzbericht nicht gelesen?)

Ich darf mich auf den Vorsitzenden des Finanzausschusses beziehen und daran erinnern, wie wir bemüht waren, vor 1966, vor den Wahlen, Klarheit zu bekommen, welche Möglichkeiten überhaupt noch gegeben waren, die damals in einer Fülle vorliegenden Anträge zu bewilligen. Nicht einmal haben wir einen genauen Aufschluß darüber bekommen, ob diese Anträge noch verantwortet werden konnten. Ich kann jedem Steuerzahler heute nur sagen: Bedankt euch bei denen, die vor 1966 die Verantwortung getragen haben!

(Beifall bei der SPD.)

Meine Damen und Herren! Ich möchte hier sagen, das Kabinett und wir alle sind nicht zu beneiden um die Schwierigkeiten bei der Lösung der Aufgaben, die jetzt im ersten Jahre vor uns lagen. Man hat es sich jahrelang zu leicht gemacht. Man hat es sich auch dann noch zu leicht gemacht, als abzusehen war, daß wir nicht noch weiterhin einfach aus dem vollen schöpfen können.
Herr Kollege Genscher — Herr Kollege Dichgans hat das schon gesagt —, Sie haben zwar eine gute Rede gehalten, aber Sie haben bis jetzt nicht gesagt, wie Sie die Probleme lösen wollen, wie Sie die Lücken decken wollen, wie Sie die Zukunft in eine ordentliche Bahn hineinbringen wollen. Sie reden immer allgemein vom Abbau von Subventionen. Ja, Herr Kollege, ob sie verdeckt oder unverdeckt sind,
— Sie wissen genau, daß jeder Abbau von Subventionen genauso eine Schwierigkeit auslöst. Wir haben es ja immer festgestellt.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Der Bericht über die verdeckten und offenen Subventionen wird ja hoffentlich bis Ende des Jahres vorliegen. Dann werden wir uns im einzelnen darüber unterhalten. Sie werden uns, Herr Kollege
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7189
Frau Kurlbaum-Beyer
Genscher und meine Damen und Herren von der
FDP, bei der genauen Prüfung auf Ihrer Seite sehen,

(Beifall bei der FDP)

wenn es darum geht, bestimmte Subventionen abzubauen, die einseitige Begünstigungen ganz bestimmter Gruppen bedeuten.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514104700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Funcke? — Bitte, Frau Funcke!

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0514104800
Sind Sie bereit, Frau Kollegin Kurlbaum, zuzugeben, daß ein Wachsen des Brutto-Sozialprodukts um auch nur ein einziges Prozent — gegenüber dem Rückgang dieses Jahres — bereits sehr viel mehr Steuermehreinnahmen bringt, als die ganze Ergänzungsabgabe bringen würde?

Lucie Beyer (SPD):
Rede ID: ID0514104900
Frau Kollegin Funcke, das bestreitet niemand. Aber Sie wissen auf der anderen Seite, daß wir, um die Wirtschaft überhaupt wieder in Gang zu bekommen, Schulden aufnehmen mußten.

(Abg. Genscher: Steht sie denn jetzt still? — Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Sie ist doch in Gang!)

— Jedenfalls, um sie wieder normal wachsen zu lassen. Diese Schulden müssen abgedeckt werden. Wir können zur gegebenen Zeit über die Frage reden, wann diese jetzt eingeführten Steuererhöhungen abgebaut werden können.
Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit sind bereits Ausführungen gemacht worden. Bitte, ich darf hier noch einmal sagen: Diese Fragen sind im Finanzausschuß eingehend erörtert worden. Gegen Ihre Bedenken wurde geltend gemacht, daß die Einführung der Ergänzungsabgabe nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern als eine Maßnahme in einer Gesamtheit von Maßnahmen gesehen werden muß. Im Gesamtrahmen der mittelfristigen Finanzplanung spielt die Ergänzungsabgabe nur eine relativ kleine Rolle, die das grundgesetzlich geforderte gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht keineswegs stören kann. Das Postulat des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts verbietet Steuererhöhungen nicht. Der Art. 106 des Grundgesetzes enthält auch keine Bestimmung, aus der geschlossen werden kann, daß zunächst eine Änderung des Beteiligungsverhältnisses zugunsten des Bundes verlangt werden müsse, bevor eine Ergänzungsabgabe eingeführt wird.
Ich habe schon ausgeführt: Wir betrachten diese Vorlage als Teil eines Gesamtpaketes. Bitte schauen Sie sich doch einmal die Auswirkung der Ergänzungsabgabe an! Die Abgabe bedeutet, daß z. B. bei einem Einkommen von 16 000 DM oder genau von 16 020 DM, wie die Progressionsstufe lautet, ein Lediger ein Mehr an Steuern von 2 DM zu zahlen hat. Und dazu, meine Damen und Herren, schauen Sie sich leinmal die Auswirkungen der Mehrwertsteuer an! Ich will damit deutlich machen, warum wir das als ein Gesamtpaket ansehen. Nehmen Sie ein Einkommen — eine Rente z. B. — von 300 DM! Nach den statistischen Berechnungen werden davon mindestens 60 % für Konsumausgaben verwandt; das wären 180 DM. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 1 % beträgt also bei 180 DM schon 1,80 DM Mehrausgaben für indirekte Steuern bei einem Einkommen, das an der unteren Grenze liegt. Ich finde, Sie können hier nicht davon sprechen, daß die Erhebung der Ergänzungsabgabe eine unsoziale oder nicht zu verantwortende Maßnahme sei.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Wir haben noch einmal deutlich gemacht, daß hier eine Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit erfolgt. Herr Kollege Genscher, wenn Sie die Zahl von 16 000 bzw. 32 000 DM ansehen, — schön, dann können Sie sagen: sie ist gegriffen. Wir hätten genauso gut 14 000 oder 18 000 DM nehmen können. Das ist sicher richtig. Wir glaubten, daß bei diesen 16 000 DM gewiß von einer Leistungsfähigkeit ausgegangen werden kann.
Nun noch etwas zur Befristung. Schon allein der Name „Ergänzungsabgabe" macht deutlich, daß es sich hier um eine Sondersteuer handelt. Die Bundesregierung hat in ihrem Bericht zwar vorgeschlagen, die Ergänzungsabgabe unbefristet einzuführen. Aber die Vertreter der Bundesregierung haben immer wieder darauf hingewiesen, daß die Ergänzungsabgabe als ein Instrument der mittelfristigen Finanzplanung anzusehen ist und entsprechend den Vorstellungen des Grundgesetzgebers ihrem Wesen nach ein Mittel zur Deckung des finanziellen Spitzenbedarfs des Bundes, nicht jedoch ein Finanzierungsinstrument auf Dauer sein soll. Herr Kollege Dr. Dichgans hat bereits gesagt, wir könnten uns darüber zu jeder Zeit wieder unterhalten. Hier ist nicht an ein Deckungsmittel auf Dauer gedacht.

(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Ist das die Auffassung Ihrer Fraktion?)

Meine Damen und Herren, es liegt an uns, dafür Sorge zu tragen, daß es kein Deckungsmittel allgemeiner Art wird. Wir sollten daran vor allen Dingen in den nächsten beiden Jahren vor den Wahlen erinnern. Hier kann man den warnenden Zeigefinger vor allen Dingen nach rechts richten. Denn wir hatten den Mut, unsere Anträge vor 1965 allesamt zurückzuziehen, als wir erkannten, vor welcher Finanzmisere und vor welchen Finanzschwierigkeiten wir stehen würden.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514105000
Frau Funcke möchte eine Zwischenfrage stellen. — Bitte!

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0514105100
Frau Kollegin Kurlbaum, würden Sie vielleicht abschließend noch einmal die Freundlichkeit haben, uns auszurechnen, wie Sie auf die 2 DM kommen, die für Steuerpflichtige mit 16 000 DM im Jahr anfallen sollen? Nach meiner Rechnung sind das, selbst wenn man Arbeitnehmer unterstellt, die noch besondere Freibeträge haben, mindestens 72 DM.

Lucie Beyer (SPD):
Rede ID: ID0514105200
Nein, es sind 2 DM im Monat.
7190 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0514105300
Würden Sie so freundlich sein, das einmal nachzurechnen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514105400
Ja, natürlich. Ich habe hier eine Tabelle; die ist genau nachgerechnet. Bei 16 000 DM ergibt sich eine Einkommensteuerschuld von 3000 DM. Die Ergänzungsabgabe macht nach diesen Berechnungen 2 DM aus. Die Berechnungen stammen aus dem Bundesfinanzministerium.
Ich möchte hier auch für meine Fraktion sagen, daß wir gegen eine Befristung sind, weil, wie schon ausgeführt worden ist, Befristungen uns immer wieder vor Ende der Frist in eine ganz schwierige Situation bringen. Ich finde auch, diese Unsicherheit, die wir immer wieder infolge von Befristungen haben, die bei dem Steuerpflichtigen aufkommt, sollten wir vermeiden. Das ist nicht nur im Interesse des Finanzausschusses, sondern auch im Interesse der Steuerzahler schlechthin. — Herr Dr. Schmidt!

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514105500
Eine Zwischenfrage von Herrn Schmidt, bitte.

Dr. Otto Schmidt (CDU):
Rede ID: ID0514105600
Frau ,Kollegin, wie beurteilen Sie denn die Gefahr des Einflusses dieser zweiten Einkommensteuer auf das Beteiligungsverhältnis zwischen Bund und Ländern hinsichtlich der Einkommen- und Körperschaftsteuer?

Lucie Beyer (SPD):
Rede ID: ID0514105700
Das ist doch eine Steuer, die unabhängig nur dem Bund zusteht.

Dr. Otto Schmidt (CDU):
Rede ID: ID0514105800
Ist denn das nicht ganz klar, daß die Länder bei jeder Verhandlung über den Anteil von Bund und Ländern an der Einkommen- und Körperschaftsteuer vorbringen werden: Du, Bund, kannst dich ja aus der zweiten Einkommensteuer befriedigen?

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


Lucie Beyer (SPD):
Rede ID: ID0514105900
Das ist eine Frage, die sicher zwischen Bund und Ländern inzwischen abgesprochen worden ist.

(Abg. Dr. Schmidt schwierig das ist, zwischen Bund und Ländern etwas abzusprechen!)

— Herr Kollege Schmidt, sicher kann das bei den künftigen Verhandlungen über das Beteiligungsverhältnis eine Rolle spielen.
Wir haben als Fraktion vorgeschlagen, eine Kommission einzusetzen, um Vorschläge für eine Steuerreform zu machen. Dann können Vorschläge gemacht werden, die auch Ihre Sorge, Herr Kollege Dr. Schmidt, beseitigen. Der Antrag ist beim Finanzausschuß, und Sie sind Vorsitzender des Finanzausschusses: Ich empfehle Ihnen, unseren Antrag möglichst rasch zu erledigen, dann können auch Ihre Bedenken sehr rasch beseitigt werden.
Ich darf abschließend nur noch einmal sagen: Wir betrachten die Ergänzungsabgabe als Teil eines Gesamtpaketes. Das hat auch mein Kollege Junghans noch einmal sehr deutlich gemacht. Hier kann man auf keinen Fall von einer unsozialen Wirkung sprechen. Ganz anders ist das aber z. B. bei der Mehrwertsteuer. Herr Kollege Genscher, ich möchte Ihnen wirtschaftspolitisch nur sagen: Bei der Mehrwertsteuer hätte es sich gelohnt, so zu argumentieren. Hier wird der Verbrauch getroffen, und es wird letzten Endes keine Investition mehr erfolgen, wenn nicht entsprechende Nachfrage vorhanden ist.

(Abg. Genscher: Wir haben sie ja abgelehnt!)

— Aber Herr Kollege Genscher, so leicht kann man es sich auch als Opposition nicht machen, daß man einfach ablehnt, aber nicht sagt, wie man selbst die Probleme lösen will.
Ich darf nur noch einmal darum bitten, den Antrag der FDP abzulehnen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514106000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0514106100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte auch zu den Bemerkungen des Herrn Kollegen Junghans Stellung nehmen, die nicht unmittelbar mit dem Steueränderungsgesetz zusammenhängen, von denen es aber doch nötig ist, daß sie hier erörtert werden. Zunächst einmal, Herr Kollege Junghans, frage ich mich überrascht, wo Sie die Weisheit hergenommen haben, daß wir a) die Bruttorente und b) die Dynamik abgelehnt hätten. Offensichtlich haben Sie nicht alles nachlesen können, wenn Sie bei der Debatte selbst nicht dabei waren. Wir haben uns gegen die Automatik gewehrt.

(Lachen bei der SPD.)

— Wenn Sie darüber lachen, meine Damen und Herren, bestätigen Sie wieder einmal, daß Sie nicht wissen, was der Unterschied zwischen Dynamik und automatischer Dynamik ist.

(Beifall bei der FDP.)

Wenn Sie davon sprechen, daß wir in unseren Vorschlägen keine Alternativen geboten hätten, dann möchte ich Ihnen doch in Erinnerung zurückrufen, daß wir Sie hier mehrfach ganz deutlich gebeten haben — nachdem Sie (zur SPD) einen eigenen Plan für eine Änderung der Rentenversicherung vor der Bundestagswahl 1965 zur Diskussion gestellt haben —, mit uns gemeinsam grundsätzlich das Problem zu diskutieren. Da wurde aber von Ihnen hart nein gesagt. Sie können nicht erwarten, daß wir, wenn Sie zu unseren Alternativvorschlägen grundsätzlich nein sagen, für Ihre falsche Politik auch noch die Deckung besorgen.

(Beifall bei der FDP.) Das ist doch Ihre Politik, die Sie treiben.

Meine Damen und Herren, es ist hier davon gesprochen worden, wir würden das Wachstum in der Wirtschaft ablehnen. Wir haben das nie abgelehnt. Wir wehren uns aber dagegen, Wachstum um jeden
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7191
Mischnick
Preis zu fordern und damit auch Kaufkraftschwund zu erleben. Das ist doch das Problem, vor dem wir stehen.
Wenn Sie, Frau Kollegin Kurlbaum, wieder davon anfangen, daß man im November 1966 soviel Mieses habe übernehmen müssen, was alles vorher falsch gemacht worden sei, und daß man von nichts gewußt habe, so bin ich sehr erstaunt, daß gerade Sie als Mitglied des Finanzausschusses die Seite 97 des Finanzberichts des Jahres 1966, vorgelegt am 2. März 1966, nicht gelesen haben. Denn da war die Finanzvorausschau bis zum Jahr 1970 mit den zu erwartenden Defiziten — wenn nichts geschehen würde — genau enthalten.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514106200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Mischnick? — Bitte, Frau Kollegin Kurlbaum!

Lucie Beyer (SPD):
Rede ID: ID0514106300
Herr Kollege Mischnick, haben Sie übersehen, daß ich von 1965, vor allem von dem Mut vor 1965, gesprochen habe?

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0514106400
Das kommt anschließend, Frau Kollegin! Ich habe es nicht vergessen; auf meinem Sprechzettel steht: „Anträge 1965". 1966 ist das in der Haushaltsrede vom Kollegen Dahlgrün alles zum Ausdruck gebracht worden, und als das Haushaltssicherungsgesetz im Dezember 1965, Anfang 1966 hier zur Debatte stand, war es Ihre Fraktion, die zu diesem Haushaltssicherungsgesetz nein gesagt hat, obwohl es schon zu diesem Zeitpunkt notwendig war, mit einem solchen Haushaltssicherungsgesetz weiterzukommen.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514106500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dorn? — Bitte, Herr Dorn!

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0514106600
Herr Kollege Mischnick, sollte Ihnen bei Ihrer Antwort auf die Frage der Frau Kollegin Kurlbaum entgangen sein, daß die sozialdemokratische Parteiführung Ende des vergangenen Jahres erklärt hat, es habe eine hervorragende und bis ins Detail gehende Bestandsaufnahme stattgefunden, und auf Grund dieser Bestandsaufnahme wisse die Regierung nunmehr über alles Bescheid und wolle entsprechend operieren?

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0514106700
Herr Kollege Dorn, die Bestandsaufnahme hatte ich mir aufgehoben im Zusammenhang mit einem Zitat, das ich bringen wollte. Herr Staatssekretär von Hase hat nämlich beim Abgang vom Bundespresseamt gesagt, die Koalition löse Probleme, die es ohne sie gar nicht gebe.

(Heiterkeit bei der FDP.)

Daran mußte ich denken im Zusammenhang mit der Frage der größten Bestandsaufnahme aller Zeiten; denn das ist ja dabei wahrscheinlich herausgekommen.
Aber zurück zu dem, was Sie sagten, Frau Kollegin Kurlbaum. Sie haben 1965 die Anträge zurückgenommen. Das ist völlig richtig. Aber die Anträge, die Sie 1965 zurücknahmen, hatten Vorläufer in den Jahren 1964, 1963, 1962 und 1961, wo wir Sie hier mühsam überzeugen mußten, damals allerdings die CDU/CSU mit uns gemeinsam. Heute will man offensichtlich nichts davon wissen, daß Sie schon damals Forderungen stellten, die eben nicht mit dem Haushalt in Einklang zu bringen waren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, eines wundert mich allerdings immer wieder, nämlich daß Sie, die Sie seit 1949 in diesem Hause als stärkste Fraktion die Hauptverantwortung tragen, sich immer wieder sagen lassen und es hinnehmen, daß Ihre Politik, insbesondere in der Zeit, als Sie die absolute Mehrheit hatten, so schlecht war, daß heute die SPD Ihnen helfen muß, Ihre Fehler zu bereinigen.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514106800
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0514106900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren ! Auch wenn ich der Überzeugung bin, daß ohne meinen geplanten geringen Beitrag zu dieser Diskussion die kommende Entscheidung in wenigen Minuten genauso fallen würde, sehe ich mich angesichts der vorgetragenen Argumente doch veranlaßt, einige Bemerkungen zu machen.
Der Kollege Genscher hat die. Frage gestellt, welche Wachstumsverluste durch die Steuererhöhungen festzustellen seien. Ich glaube, Kollege Genscher hat sich schon der neuen von ihm ja immer als sozialistisch erklärten Wirtschaftspolitik weitgehend angeschlossen, wenn er die Quantifizierbarkeit der Wachstumsverluste durch Steuererhöhungen verlangt. Natürlich stehe ich zu dem, Herr Kollege Genscher, was ich in der Haushaltsrede gesagt habe. Man kann aber nicht immer, sei es aus Gutachten, sei es aus Reden, sei es aus anderen Dingen, jeweils das Argument, das einem gerade ins Konzept paßt, herausnehmen und alles andere, was nicht ins Konzept paßt, ignorieren und übergehen. Warum sage ich das? Wenn Sie heute das Wort „Wachstumsverluste" in den Mund nehmen — ich komme darauf noch zu sprechen —, dann darf ich bemerken, daß Sie immer dann, wenn die Bundesregierung von der Notwendigkeit eines wirtschaftlichen Wachstums sprach — wovon auch ich überzeugt bin, weil sich sonst unsere Sozialstruktur nicht aufrechterhalten läßt —, als warnende Propheten und Hüter der Währung aufgetreten sind und gesagt haben — ich zitiere Ihren Kollegen Ertl in einer seiner letzten Reden —: Uns liegt eben mehr an der Stabilität als am Wachstum. Umgekehrt aber, wenn die Regierung sagt: Hier muß um der Stabilität willen etwas getan werden, was nicht unbedingt wachstumsfördernd ist und sein kann, sagen Sie: Wieviel Wachstumsverluste erleiden wir durch die Stabilitätspolitik!
7192 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Bundesminister Dr. h. c. Strauß
Ich habe in meiner Haushaltsrede vor einigen Wochen expressis verbis erklärt, daß uns die Ausgangssituation unserer Finanzpolitik Ende 1966 gezwungen hat, zwei Ziele gleichzeitig nebeneinander zu verfolgen. Das eine war das langfristige Ziel der Konsolidierung der Bundesfinanzen, das andere war das kurzfristige Ziel eines antizyklischen Einsatzes der Finanzpolitik; d. h. das kurzfristige Ziel war, die Finanzpolitik als Mittel der Wirtschaftsbelebung, als Konjunkturbelebungsinstrument zu verwenden. Beide Ziele, das langfristige und das kurzfristige, mußten und müssen zum Teil auch heute gleichzeitig nebeneinander verfolgt werden. Es gibt nun nicht den leisesten Zweifel, daß Maßnahmen, die im Interesse des Ziels Nr. 1 erforderlich sind, nicht mit den Maßnahmen identisch sein können, die zur Verfolgung des Ziels Nr. 2 ebenfalls ergriffen werden müssen. Hier gibt es eben einen Zielkonflikt, bei dem man sich wieder ausschließlich für das eine, noch ausschließlich für das andere entscheiden kann.
Ich sage jetzt ein Wort, das ich selbstverständlich nur als fiktive Hypothese verstanden wissen will, schon damit es keinerlei besorgniserregenden Charakter gewinnt. Man könnte es allein auf Stabilität anlegen. Stabilität der Währung läßt sich durch eine deflatorische Politik sehr schnell erzielen. Wir würden nicht nur Preisstabilität bekommen. Wir könnten durch eine deflatorische Politik sogar einen gewissen Rückgang des Preisniveaus erzielen. Aber, meine Damen und Herren, um welchen Preis!

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Der Preis wäre politisch nie zu bezahlen. Dahinter steht doch soziale Demontage, dahinter steht politische Radikalisierung, und dahinter steht der Untergang der parlamentarischen Demokratie, wenn ich
es einmal sehr deutlich sagen darf.


(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir haben großen Wert darauf gelegt, die ohne Zweifel aus einer Reihe von Gründen eingetretenen deflatorischen Effekte durch Verstärkung der öffentlichen Nachfrage, durch eine expansive Finanzpolitik im zweiten Teil des Programms zu kompensieren.
Ich bin deshalb auch nicht der Meinung — obwohl' das sozusagen nicht auf meinem Tisch liegt —, daß der niedrigste Preis in jedem Fall der beste ist. Aber über die Frage des „justum pretium", des gerechten Preises, sollte an anderer Stelle und bei anderer Gelegenheit gesprochen werden. Es muß ein Preis erzielt werden, der die Kosten deckt und noch so viel Gewinn und Erträge abwirft, daß daraus die Investitionen bestritten werden können. Ich glaube, darüber brauchen wir uns nicht zu unterhalten.
Aber warum konnte die Finanzpolitik nicht rein antizyklisch, nicht so betrieben werden, wie Sie, Herr Kollege Genscher, es in teilweiser Übereinstimmung mit dem Sachverständigengutachten gesagt haben — aus dem Sie ja auch die Rosinen selektiv für sich herauspicken, wobei ich Ihnen gar nicht unterstellen will, daß Sie das andere aus Zeitmangel noch nicht gelesen haben — ?

(Heiterkeit.)

Ich habe mich schon mehrmals bei anderen Gelegenheiten, auch vor dem Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesminister der Finanzen, sehr deutlich dazu geäußert. Ein rein antizyklischer Einsatz der Finanzpolitik setzt erstens eine aufgeklärte und rational reagierende Öffentlichkeit voraus, die wir noch nicht in dem Umfang erreicht haben, wie wir es wünschen.

(Abg. Jacobi [Köln] : Sehr richtig!)

Sie setzt zweitens sozusagen eine normale Ausgangsposition voraus. Bei einer normalen Ausgangsposition ohne Deroutierung der Finanzen nach dieser oder jener Seite kann das langfristige Ziel der Konsolidierung der Finanzen natürlich entfallen, weil sie dann ja konsolidiert wären, was sie aber, wie ich leider sagen muß, nicht waren. Dann kann das kurzfristige Ziel eines rein antizyklischen Einsatzes sozusagen als alleiniges Ziel der Finanzpolitik verwendet werden.
Es ist nicht nur unser Wunsch, Herr Kollege Genscher, sondern auch unser Ziel und unsere erklärte Absicht, deren Erfüllung wir sozusagen schrittweise verwirklichen, zu der Normallinie der Finanzpolitik zu kommen, bei der es das Problem der langfristigen Konsolidierung nicht mehr gibt, weil die Struktur des Haushalts jedenfalls über mehrere Jahre hinweg etwa ein Gleichgewicht der Einnahmen und der Ausgaben ergibt. Dabei meine ich mit „Einnahmen" selbstverständlich nicht nur ordentliche Einnahmen; denn über die Betrachtung, daß ein Haushalt nicht ausgeglichen sei, wenn die ordentlichen Einnahmen nicht etwa gleich den Ausgaben seien, sind wir schon längst hinaus. Die öffentliche Finanzierung mit Krediten ist heute eine normale Einnahmefinanzierung, bei der es nicht um die Frage geht, ob dieses Mittel richtig ist oder nicht, sondern bei der es nur darum geht, bis zu welcher Grenze diese Kreditfinanzierung ohne Gefahr betrieben werden kann.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

So darf man auch die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung — ich sage das, gleichgültig, wer sich davon betroffen fühlt — nicht auseinanderlegen in süße und in bittere Tropfen; die süßen Tropfen, das sind die Konjunkturhaushalte, die konjunkturbelebenden, wirtschaftsfördernden Maßnahmen,

(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Entlastung der Altvorräte! 700 Millionen!)

— Entlastung der Altvorräte, Abbau der Investitionssteuer oder besser: Verzicht auf sie usw.; und dann kommen die bitteren Tropfen, das ist die Investitionssteuer, das ist die Mehrwertsteuer bzw. ihre Erhöhung, das ist die Ergänzungsabgabe, das ist die Erhöhung einiger Verbrauchsteuern.

(Abg. Genscher: Die Ergänzungsabgabe ist ein giftiger Tropfen!)

Die süßen Tropfen dienen der Konjunkturbelebung, und die bitteren Tropfen dienen sozusagen der Stabilisierung.
Es ist einfach notwendig — ich möchte sagen: unerläßlich —, hier die Gesamtheit der von der
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7193
Bundesminister Dr. h. c. Strauß
Bundesregierung ergriffenen und von der parlamentarischen Mehrheit — ich darf wohl sagen: mit geringen Änderungen — unterstützten Maßnahmen als ein in sich geschlossenes System zu sehen, bei dem es sowohl die langfristigen Erwägungen wie die kurzfristigen Zielsetzungen gibt und bei dem es auch politische Überlegungen gibt, die nicht immer hundertprozentig mit den Erfordernissen der von wissenschaftlicher Ratio vorgetragenen Überlegungen übereinstimmen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das ist kein Angriff gegen die Wissenschaft, die unabhängig von politischen Erwägungen — Mehrheitsmöglichkeiten — ihre Meinung bilden soll. Es ist aber auch nicht die Aufgabe der Politik, Vorschläge der Wissenschaft, so, wie sie kommen, zu übernehmen und durch Handaufheben im Parlament in die politische Wirklichkeit umzusetzen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn dem so wäre, könnten wir eigentlich alle unsere Zeit viel besser verwenden.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Dann würde man mit Hilfe des menschlichen Sachverstandes und mit technischem Einsatz optimale Lösungen erarbeiten, die man dann am besten gleich ohne Parlament durch Verkündung im Bundesgesetzblatt für allgemeinverbindlich erklären würde.

(Heiterkeit in der Mitte.)

Sie werden, glaube ich, die Ironie bei diesen Ausführungen erkennen. Darum müssen wir die Dinge in ihrer Gesamtheit sehen.
Herr Kollege Genscher, Sie sprachen davon, daß ein Regierungsamt neue Einsichten vermittle. Ich habe mich im Herbst letzten Jahres bei den Koalitionsgesprächen, aber auch schon vorher im Kreis der Vorstandschaft der Fraktion der CDU/CSU gegen eine Absichtserklärung des damaligen Bundeskanzlers ausgesprochen, die Ergänzungsabgabe schlechthin in einer Größenordnung von 5 bis 10 % einzuführen. So war damals die nicht genau formulierte Absichterklärung. Ich war damals der Meinung, daß angesichts der von den Propheten in jener Phase in ihrer Tragweite noch nicht erkannten Rezession und trotz der Notwendigkeit der Konsolidierung der Bundesfinanzen, die nicht verkannt worden ist und auch heute nicht verkannt werden darf, eine Erhöhung der direkten Steuern nicht erfolgen dürfe. Wenn Steuererhöhungen notwendig seien, sollte man eine maßvolle Erhöhung der indirekten Steuern — einiger Verbrauchsteuern — vornehmen.
War es denn nicht so, Herr Kollege Dahlgrün, daß man Ihnen bei Ihren Bemühungen um die Konsolidierung der Bundesfinanzen schon in der eigenen politischen Familie — um mich sehr höflich und freundlich auszudrücken — die allergrößten Schwierigkeiten gemacht hat? War es denn nicht so, daß, als Sie mit Vorstellungen kamen, die Sparförderung, die allmählich in die Milliarden geht — Steuerverluste und Prämiengewährung —, einzuschränken, aus den Reihen Ihrer eigenen Fraktion der schärfste Gegenwind kam und Sie den Rückzug
antreten mußten? War es denn nicht so, daß damals --

(Abg. Genscher: Sie haben doch gesagt, Sie wollen die Sparförderung auch nicht einschränken?!)

- Das Steueränderungsgesetz 1966, das diesem
Parlament vorlag, ist nur zum Teil verabschiedet worden. Angesichts der Vordringlichkeit anderer Aufgaben, die wir in der Zwischenzeit auf uns genommen haben, bin ich der Auffassung, daß man die nicht erledigten Teile des Steueränderungsgesetzes 1966 jetzt nicht mehr im nächsten Jahr behandeln soll, sondern das Ganze im Zusammenhang mit der Einkommensteuerreform — mag sie aussehen wie auch immer — behandelt werden sollte. Denn ich bin gegen detaillierte Änderungen
— ich habe mich im Finanzausschuß des öfteren in diesem Sinne ausgesprochen — des Einkommensteuerrechtes.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Aber ich meine nur, daß Herr Kollege Dahlgrün damals, ich darf sagen, möglicherweise den Versuch unternommen hat, die Bundesfinanzen zu konsolidieren und das Wachstum gewisser Ausgabenblöcke zu beschneiden. Dadurch kam er in die größten Schwierigkeiten.
Warum sind denn heute die Fronten anders? Wir hatten doch damals festgelegt: Konsolidierung der Bundesfinanzen erstens durch Kürzung von Ausgaben, zweitens durch Beseitigung von unsichtbaren Finanzhilfen und drittens — wenn unvermeidbar — durch geringe Anhebung indirekter Steuern. So lautete damals der einstimmig gefaßte Kabinettsbeschluß. Er hatte nur einen Nachteil: er hätte nie der Öffentlichkeit bekanntwerden dürfen. Denn sobald er bekannt wurde, hat die FOP den Rückzug aus dem Kabinett angetreten. Es kamen die Protesttelegramme — damals, vor den beiden Landtagswahlen — aus allen Ländern. Die Minister wurden zurückgezogen, und so wurde die Krise flagrant.

(Abg. Dorn: Das ist eine Geschichtsklitterung erster Ordnung!)

— Ich glaube, daß ich eher in der Lage wäre, den Nachweis dafür zu führen, als Sie den für Ihre Behauptung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Man hat manchmal so einen Instinkt.
Als das Kabinett Erhard diesen notwendigen Beschluß faßte, war die Meinung — nicht nur bei uns —: wenn dieser Beschluß in der Öffentlichkeit bekannt wird, kommt die FDP, so klein sie ist, in die schwerste innere Verdrückung. Sie wird dann ihre Minister unter Druck setzen, sich aus dem Kabinett zurückzuziehen. Denn wenn man so strukturiert ist wie Sie, kann man es sich nicht leisten, vor die Öffentlichkeit hinzutreten und zu sagen: „Wir haben gesagt ,Keine Steuererhöhungen', jetzt sind wir leider wieder umgefallen, also doch Steuererhöhungen." Genau das ist doch der Grund.

(Beifall und Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

7194 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Bundesminister Dr. h. c. Strauß
Frau Kollegin Kurlbaum-Beyer hat

(Abg. Genscher meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— sofort Herr Genscher, darf ich nur noch den Satz zu Ende führen! — von der Bestandsaufnahme gesprochen. Ich darf auch sagen, daß ich anläßlich der Koalitionsgespräche zum ersten Mal die volle Wahrheit über den Zustand der Bundesfinanzen kennengelernt habe wie Sie, auch deshalb, weil ich vorher nicht mit den Einzelheiten befaßt war und die Informationen nicht automatisch erhielt. Aber ich weiß, daß der neue Koalitionspartner sagte: Ja, wenn das so ist — wobei die Zahlen noch von Ihnen stammten und dann von Herrn Schmücker vorgelegt wurden, aber es war ja ein und dieselbe Arbeit —, wenn das so ist, dann können wir unser absolutes Nein gegen alle Steuererhöhungen nicht mehr aufrechterhalten. Das war, auf eine kurze Formel gebracht, damals die Haltung der SPD. Deshalb haben wir uns dann in den Koalitionsgesprächen darauf geeinigt, einige der vorgeschlagenen Steuererhöhungen zu streichen und einige — es waren dann hauptsächlich die Erhöhung der Tabaksteuer, der Mineralölsteuer, die Verkürzung der Zahlungsfristen usw. — zur Konsolidierung der Bundesfinanzen als ersten großen Schritt auch tatsächlich durchzusetzen. Ich glaube, ich habe den Ablauf der damaligen Gespräche, Frau Kollegin Beyer und die Teilnehmer des damaligen Gesprächs, in der Substanz ziemlich genau wiedergegeben. —
Herr Kollege Genscher!

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0514107000
Herr Bundesminister, nachdem Sie hier Ihrer Freunde Erwartungen in bezug auf die Reaktion der FDP auf den Kabinettsbeschluß an jenem Mittwoch dargelegt haben, frage ich: würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, -Sie setzen sich damit fast dem Verdacht aus, daß dieser Kabinettsbeschluß nicht aus sachlichen, sondern aus politischen Gründen — mit Erwartung dieses Ergebnisses
— gefaßt wurde?

(Sehr wahr! bei der FDP.)


Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0514107100
Diesen Vorwurf dürften Sie gegenüber Ihren eigenen Ministern von damals nicht erheben.

(Beifall und Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

Das, was ich hier gesagt habe, was damals das Kabinett zu einer späten Nachtstunde beschlossen hat
— es war eine der letzten Sitzungen des Kabinetts Erhard —, das ist auch in den Koalitionsgesprächen im Bungalow beim damaligen Bundeskanzler doch stundenlang erörtert worden. Ihre Vorstellungen, man sollte Ausgaben kürzen, sind wie immer — auch heute wieder — nicht en detail dargelegt worden.

(Zuruf von der FDP: Ach, das stimmt nicht!)

Sie sagten: Ja, lauter kleine Schritte statt der großen Schritte! Sagen Sie doch einmal unter Nennung
von Roß und Reiter, was die großen Schritte sind, zu denen Sie bereit sind!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir haben es — ich darf sagen: erfreulicherweise — durch gemeinsame Bemühungen geschafft, den Besitzstand in der Kriegsopferrente zu erhalten. Aber es hat Ende letzten Jahres hier eine Abstimmung stattgefunden, bei welcher der § 56 des Gesetzes noch anders gefaßt werden sollte, nämlich dahin, daß die Berichterstattung über die Möglichkeiten künftiger Anhebungen bereits im Jahre 1968 erfolgen sollte. Das heißt, damals hat die FDP — schon in der Opposition — eine Resolution, eine Entschließung eingebracht, durch welche die Bundesregierung ein Jahr früher als nach dem damaligen Gesetzestext — und jetzt ist es ohnehin um mehrere Jahre hinausgeschoben — gezwungen worden wäre, über die Möglichkeiten der Anhebung der Kriegsopferrenten zu sprechen. Sie haben damals ja sogar eine Erhöhung der konsumtiven Bundesausgaben durch diesen Ihren Antrag gefördert. Sie haben im Bereich der Rentenversicherung nie klar gesagt, was Sie meinen. Sagen Sie doch einmal, ob Sie für das Nettolohnprinzip sind, ob Sie für die Änderung der Referenzperiode sind, ob Sie für ein einjähriges Aussetzen des Zuwachses sind! Sagen Sie es doch einmal!

(Heiterkeit in der Mitte.) Sie nicken natürlich!


(Abg. Dorn: Herr Minister, wenn Sie öfter hier im Hause wären, hätten Sie einige Antworten schon registrieren können! — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die reinste Demagogie!)

— Ich höre immer nur Andeutungen, und häufig solche sehr widerspruchsvoller Art.
Der Kollege Ott hat schon auf die Kilometergeldpauschale hingewiesen. Natürlich ist es sehr schwer, 50 Pf Kilometergeldpauschale einzuführen und sie dann auf ein Fünftel zu reduzieren. Daran sind wir doch damals gescheitert. Ich darf sagen, daß ich ausnahmsweise von vornherein erklärt habe: Eine gewisse Reduzierung ist notwendig, aber mehr als 36 Pf werden nicht vertretbar sein. Es ist zufällig bei 36 Pf geblieben. Die Reduzierung auf 10 Pf, die mein Vorgänger vorgeschlagen hat, um die Bundesfinanzen zu konsolidieren, wären ein wesentlich schmerzhafterer Eingriff gewesen als die Reduzierung auf 36 Pf. Es gibt noch eine ganze Reihe von Beispielen, auf die ich jetzt im einzelnen nicht eingehen will.

(Abg. Dorn: Zum Beispiel das Schülergehalt!)

— Warum reden Sie immer so gehässig, Herr Dorn? Das haben Sie gar nicht nötig!

(Abg. Dorn: Ich weiß, das ist Ihnen unangenehm!)

Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Dezember 1967 7195
Bundesminister Dr. h. c. Strauß
— Daß Sie nun unter die Psychotherapeuten gegangen sind — —

(Heiterkeit. — Abg. Dorn: Es kann nicht jeder zwei Semester in Innsbruck studieren!)

— Ach, warum sind Sie immer so gehässig und persönlich! Das haben Sie gar nicht nötig! Aber da Sie es nötig haben, beurteilt man Sie eben so, wie Sie anscheinend sind.

(Heiterkeit.)

Warum immer persönliche Spitzen? Warum diese Gehässigkeit?

(Abg. Dorn: Sie fangen doch damit an!)

— Ich rede hier sehr gelassen. Ich rede zur Sache. Ich rede aus dem Schatzkästlein reichhaltiger Erinnerungen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Und ich rege mich bestimmt nicht über das auf, was Sie sagen!
Aber ich wollte hier zusammenfassend nur noch mal in aller Deutlichkeit erklären, daß die beiden Ziele der Finanzpolitik angesichts einer mangelnden Aufgeklärtheit der Öffentlichkeit und angesichts des Fehlens einer normalen Ausgangslage zu gleicher Zeit nebeneinander verfolgt werden mußten: langfristige Konsolidierung ist der eine Einsatz, kurzfristige Wirtschaftsbelebung der andere. Wenn Sie heute vorschlagen, wir sollten auf diese Steuererhöhung ganz oder teilweise verzichten, z. B. die Ergänzungsabgabe ganz streichen: Gut, aber dann werden Sie sich doch nicht der Hoffnung hingeben, daß damit schon kurzfristig eine Wirtschaftsbelebung mit stürmischem Wachstum verbunden sein wird. Hier gibt es auf alle Fälle einen längeren Verzögerungseffekt. Dieser verlängerte Verzögerungseffekt bedeutet doch — darauf ist leider niemand zu sprechen gekommen —, daß die Kreditfinanzierung in der Zwischenzeit noch wesentlich stärker ausgedehnt werden muß, weil Kassendefizite zu erwarten sind.
Und hier: wir werden in diesem Jahre 7,7 Milliarden DM Kreditaufnahme haben plus Kassendefizit, zu decken durch Kreditaufnahme in der Größenordnung von rund 1,2 bis 1,3 Milliarden DM. Dieses Kassendefizit muß ja dann auch 1969 wieder in den Haushalt eingesetzt werden, was in der mittelfristigen Finanzplanung nicht möglich war, aber mit der Fortschreibung dann vom Frühjahr nächsten Jahres an beginnen wird. Da 1,8 Milliarden DM aus den Kreditmarktmitteln des Jahres 1967 infolge der längeren Dauer der Abwicklung der beiden Konjunkturprogramme nicht mehr abgerufen werden konnten, haben wir die Kreditaufnahme auf 7,7 Milliarden DM plus Kassendefizit begrenzt, werden aber im nächsten Jahr, wo diese Mittel mit Sicherheit abgerufen werden, die 1,8 Milliarden DM — das ist ungefähr die Größenordnung — zur Verfügung stellen müssen, d. h. wir kommen im Jahre 1968 auf eine Kreditfinanzierung von fast 10 Milliarden DM, ohne Kassendefizite einzurechnen.
Wenn Sie in der Vergangenheit — mehrere Ihrer Redner, Herr Kollege Genscher — erklärt haben, Sie
hätten Angst, um die Währung, wenn Ihr Parteivorsitzender sogar ein fatales, makabres Wort gesprochen hat, das man nicht in den Mund nehmen soll

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

— ich sage es deshalb auch nicht —, wie können Sie dann von uns verlangen, die Kreditfinanzierung noch sozusagen ad infinitum auszudehnen, die Währung stabil zu halten und trotzdem dann noch langfristig gesundes Wachstum zu erzeugen. Die Rechnung geht doch nicht auf.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich habe mir vorhin erlaubt, zu sagen: mangelnde Aufgeklärtheit. Denn — ich sage es nicht im Sinne des Vorwurfs, Kollege Dahlgrün kennt meine Überlegungen — im Jahre 1964 hat die damalige Finanzpolitik eine Maßnahme getroffen, die zwar mit viel Beifall begrüßt worden ist, die aber als rein prozyklisch angesehen werden muß, nämlich die Steuersenkung des Jahres 1964, bei der dem Steuerzahler 2,8 Milliarden DM Steuerverminderung gewährt worden ist. Kein Mensch wird sagen, Steuerverminderung sei etwas Schädliches — das ist auch nicht meine Meinung —; nur schäumten 1964/65 die Wogen der Konjunktur am höchsten, und statt die dafür zur Verfügung stehenden Mittel zu verwenden, um langfristige Rationalisierungsmaßnahmen, z. B. bei Bahn und Post, zu treffen und die dort gestellten Probleme zu lösen, hat man dieses Geld in der Periode der Hochkonjunktur dem Steuerzahler wieder zur Mehrausgabe — auch für Investitionszwecke, für Konsumzwecke — zur Verfügung gestellt. Das war eine klare Sünde wider den Geist der antizyklischen Finanzpolitik. Warum, Herr Kollege Dahlgrün, haben Sie es damals gemacht? Weil Sie mit Recht der Meinung waren: Wenn der Staat das Geld behält, dann findet man leicht die Möglichkeit, es in Bund und Ländern auszugeben; darum ist es besser, es dem Privaten zu erhalten, als es dem Staate zusätzlich zur Verfügung zu stellen. Sie hatten damals nicht das Instrument einer Konjunkturausgleichsrücklage oder ähnlicher Dinge.
Wenn man aber damals als Sünde wider den Geist einer antizyklischen Finanzpolitik 2,8 Milliarden DM falsch bewegt hat, warum regt man sich dann heute über 700 Millionen DM, die im Zeichen der Konsolidierung der Bundesfinanzen mehr an Steuern hereingeholt werden müssen, in dieser Weise auf, daß man Verfassung und antizyklische Finanzpolitik strapaziert,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

als ob hier die schwersten Fehler begangen würden! Die „Fehler", die heute begangen werden, die bitteren Tropfen, sind die Medizin, mit der Fehler von früher korrigiert werden müssen, wenn ich mir das angesichts der Heftigkeit der jetzt vorgebrachten Kritik ausnahmsweise einmal zu sagen erlauben darf.
Es geht auch nicht so, Herr Kollege Genscher, daß man sagen kann: Selbstheilungsprozeß der Wirtschaft; geht es nach oben, hat die Wirtschaft sich selbst geholfen; geht es nach unten, dann ist
7196 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Bundesminister Dr. h. c. Strauß
die Politik daran schuld. Damit möchte ich auch für diejenigen eintreten, die vorher in der anderen Koalition an verantwortlicher Stelle in Regierung und Parlament gewesen sind. Natürlich hat die Wirtschaft in der Vergangenheit etwas großzügig kalkuliert. Natürlich haben Parlamentarier und Regierung die Ausgaben etwas großzügig anwachsen lassen. Ich habe damals im Jahre 1965 beim Wirtschaftstag der CDU vor den Bundestagswahlen ein Wort gesagt, das mir mehr Ärger als Freude eingebracht hat, nämlich ein Wort der Warnung vor den Restriktionsmaßnahmen der Bundesbank, die, nach Länge und Härte überzogen, zu Folgen führen mußten, deren Überwindung Jahre dauern wird. Ich hatte mir dieses Urteil erst langsam erarbeitet. Es ist auch nicht unsere Aufgabe, die Bundesbank zu kritisieren. Die Bundesbank hat ihre Pflicht als berufene Hüterin der Währung erfüllt. Aber wenn wir heute von mehr Kreditfinanzierung sprechen — im Sinne des Sachverständigengutachtens, im Sinne kritischer Äußerungen hier —, dann darf ich doch, ohne damit die Bedeutung der Bundesbank untertreiben zu wollen, erklären, daß sie nur eine mit beschränkten Zuständigkeiten und beschränkten Vollmachten ausgestattete Institution ist.
Es war ja die Tragik der Finanzpolitik des Jahres 1966, daß man damals allgemein die Tiefe der Rezession und die Dauer der Rezession nicht erkannt hat, auch in der Bundesbank nicht erkannt hat, auch bei den Sachverständigen nicht erkannt, auch anderswo nicht erkannt hat, daß man damals noch Restriktionsmaßnahmen beibehielt, die längst hätten aufgehoben werden müssen, wenn der Anschluß an eine neue Wirtschaftsbelebung hätte früher erfolgen sollen. Das sehen wir heute sozusagen als Propheten ex eventu; aber es ist so gewesen, und das ist ohne Zweifel eine bedauerliche Angelegenheit. Nur war es im November 1966 so, daß damals scheinbar — ich sage ausdrücklich scheinbar — unsere wirtschaftliche Situation noch günstiger war. Aber wenn einmal ein Gefährt in der Bergabfahrt ist, dann kann es sehr wohl noch höher sein, als es ein Jahr später im Falle der Bergfahrt ist — deshalb ist seine Situation nicht günstiger, bloß weil es um einige Meter höher sich befindet als ein Jahr später, wenn es wieder in der Bergfahrt ist. Darum sind solche Vergleiche rein statistischer Art ziemlich sinnlos.
Natürlich sind wir der Meinung: Sicherung der Arbeitsplätze! Aber wir sollten auch da nicht den Teufel an die Wand malen. Sie kennen die letzten Zahlen, Herr Kollege Genscher: 390 000 Arbeitslose, 280 000 offene Stellen, 990 000 Gastarbeiter, einige wenige Zehntausend Kurzarbeiter. Von den 390 000 Arbeitslosen sind laut Statistik 12,8 % über 65 Jahre alt. Das ist also die Schicht des Übergangs vom Arbeitsleben zum Rentnerleben. Wenn wir diese abziehen und noch einen Teil der 55- bis 65jährigen abziehen, kommen wir auf ein Problem, das demnächst dieses Haus abermals beschäftigen wird: daß nämlich drei Viertel der dann noch verbleibenden Arbeitslosen — vor allen Dingen, wenn die Zahlen saisonal bereinigt sind — aus ungelernten Hilfskräften bestehen, während demgegenüber ein Bedarf von 280 000 offenen Stellen da ist, wobei aber nicht ein arithmetischer Ausgleich geschaffen werden kann, weil eine gesuchte Fachkraft nicht durch eine ungelernte Hilfskraft ohne weiteres ersetzt werden kann.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Dieses Problem des Arbeitsmarkts, das uns noch beschäftigen wird, ist viel bedeutsamer als das Operieren mit Arbeitslosenziffern und mit dem Motiv der Angst: „Kampf um die Erhaltung der Arbeitsplätze". Denn in der Wirtschaft geht es wieder aufwärts. Wir haben erfreulicherweise eine nachhaltige Auftragsbelebung festzustellen, und zwar an einer ganzen Reihe von Indikatoren, die eindeutig dafür sprechen.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514107200
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Staratzke?

(Bundesminister Dr. h. c. Strauß: Bitte!)


Dr. Hans-Werner Staratzke (FDP):
Rede ID: ID0514107300
Herr Minister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß man die Lage, die Sie eben schilderten, nicht immer nur von den Beschäftigten aus sehen darf, sondern auch vom Umsatzrückgang, vom Produktionsrückgang, vom Auftragseingangsrückgang und von der mangelnden Investitionsneigung her sehen muß?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0514107400
Ich weiß natürlich und habe das, Herr Kollege, schon mehrmals zum Ausdruck gebracht, daß die statistische oder zahlenmäßige Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht das alleinige Konjunkturbarometer ist. Ich habe ja nur an die Argumentation Ihres Fraktionskollegen Genscher angeschlossen, der in sehr dramatischen Worten von seiner Sorge um die Sicherung der Arbeitsplätze sprach. Ich bin der Auffassung, daß die Statistik in bezug auf das Problem „Arbeitsmarkt" für uns heute durchaus beruhigend ist und keinerlei Anlaß zu einer panikartigen Sorge und zu einer Panikmacherei — die Sie auch gar nicht gemacht haben — bietet. Daß wir regional und strukturell besondere Schwierigkeiten haben — regional in gewissen besonders wirtschaftsschwachen Gebieten, und strukturell: Stichwort „Kohle" usw. —, ist die unvermeidliche Folge des großen Umwälzungsprozesses, in dem wir uns befinden und den wir mit möglichst geringen sozialen Härten und wirtschaftlichen Rückschlägen Stück für Stück durchzustehen versuchen.
Natürlich stellt sich die Frage nach dem Umsatz, natürlich stellt sich die Frage nach den erwarteten Gewinnen und Erträgen, die Frage nach der Investitionsbereitschaft. Aber wenn die Investitionsbereitschaft gedrosselt worden ist, wenn sie zurückgegangen ist, dann, sehr verehrter Herr Kollege, doch bestimmt nicht wegen der Maßnahmen der neuen Bundesregierung, sondern wegen der allgemeinen Rückgangserscheinungen, der zunehmenden Sorge, der wachsenden Unruhe und der steigenden Befürchtungen, wohin die Reise gehen würde, wenn es nicht gelänge, die öffentlichen Finanzen zu konsolidieren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7197
Bundesminister Dr. h. c. Strauß
Dieses psychologische Moment ist leider in der Argumentation der Opposition völlig untergegangen, obwohl sie doch sonst so psychoanalytisch ihre Interpretation der Regierungspolitik, der Koalitionszusammenhänge darzustellen versteht. Warum haben denn die Unternehmer zurückgehalten? Sicherlich, weil die Kostenbelastung allmählich Erträge und Gewinne, dazu noch in Verbindung mit sinkendem Umsatz, vermindert zum Teilauf den Nullpunkt oder noch darunter gedrückt hat, aber doch aus dem Grunde — und das zeigt ja die sinkende Nachfrage nach Krediten auf der privatwirtschaftlichen Seite —, weil man sich gefragt hat: wohin soll denn die Reise bei der ständigen Überlastung der öffentlichen Haushalte mit kumulierenden Ausgaben plus Dynamisierungseffekten gehen? Das hat einen psychologischen Schock hervorgerufen, der aber wahrlich nicht von der neuen Regierung erzeugt worden ist, sondern der noch von der alten mit herbeigeführt worden ist, im Taumel von Ursache und Wirkung — ohne daß ich hier etwa ein moralisches Urteil oder ein Werturteil ausspreche. Wir mußten ja alle aus der Zeit lernen; der Tanz um das Goldene Kalb, die Anbetung Stürmisch steigender Wachstumsraten, eines unbändig hochschießenden Wirtschaftswachstums, der Wunderglaube an die unbegrenzte Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft, der magische Glaube, daß die öffentliche Kuh allen Milch in jeder Menge spenden könne: aus alledem mußten wir uns doch im Laufe einer Selbstheilungsperiode befreien.
Was in diesem Jahr geschehen ist, das ist ja nichts anderes als eine in sich abgestimmte systematische Serie von Maßnahmen, die, einerseits für die Wirtschaft bedenklich, weil konsolidierend, andererseits wieder für die Wirtschaft expansiv und darum das Bedenkliche kompensierend, nebeneinander ergriffen werden mußten. Worum ich in diesem Jahr in unzähligen Reden ringe, ist, die einseitige Denkweise zu unterlassen, nur immer punktuell auf eine Maßnahme hinzusehen und zu sagen: die Maßnahme ist falsch. Jawohl, die 3 % Ergänzungsabgabe und die Erhöhung der Mehrwertsteuer wären eindeutig falsch und könnten von niemandem mitgemacht werden, wenn nicht kompensierend gleichzeitig die zwei Konjunkturhaushalte mit 7,8 Milliarden DM zum Ausgleich der für Konsolidierungsmaßnahmen unter Umständen in Erscheinung tretenden kontraktiven Wirkungen zu diesem Paket gehören würden.
Lassen Sie mich ein letztes Wort sagen. Sonst halte ich die Debatte zu lange auf. Aber zwei Stichworte interessieren mich doch noch. Sie sind von Herrn Genscher und von Herrn Mischnick angeschnitten worden.
Jawohl, der Subventionsbericht wird noch in diesem Jahre vorgelegt werden. Meine Meinung ist, daß er nach dem Bruttoprinzip aufgestellt werden soll, d. h. daß er sowohl die sichtbaren und unsichtbaren Finanzhilfen nach dem Stabilitätsgesetz wie die sichtbaren und unsichtbaren Finanzhilfen außerhalb des Stabilitätsgesetzes aufführen soll, damit man sich einmal von der unerhörten Belastung unserer Wirtschaft und von der von Jahr zu Jahr steigenden Leistungsfähigkeit unseres Staates für
Unterstützungen oder Leistungen aller möglichen Art ein zutreffendes Bild machen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Man soll dabei weder in einen ideologischen noch in einen terminologischen Streit verfallen. Ich bin sehr gern bereit, bei dieser oder jener Leistung zu schreiben: Entschädigung oder Erstattung für dieses oder jenes; ich lege nur Wert darauf, .daß die Leistung darinsteht, damit sich die Öffentlichkeit ein Bild darüber machen kann.
Nun kennen wir ja alle das Stichwort: Die Subventionen müssen abgebaut werden. Gegen dieses hier mehrmals proklamierte Wort wird von niemandem eine Einwendung erhoben. Und jetzt warte ich auf die Freiwilligen, die eines Tages wie Arnold Winkelried bereit sein werden, alle Speere auf sich zu ziehen und erstens zu sagen, wer Subventionsempfänger ist, und zweitens zu sagen, wer von diesen Subventionsempfängern in Zukunft aus übergeordneten Gründen keinen Anspruch mehr darauf erheben kann, diese sichtbare oder unsichtbare Finanzhilfe zu erhalten.

(Zuruf von der FDP: Das ist Ihre Sache!)

— Selbstverständlich ist das insofern unsere Sache, als wir ein Werturteil im Sinne des Stabilitätsgesetzes darüber abgeben müssen. Aber da ja die Opposition der politische Motor dieses Parlaments geworden ist,

(Oh-Rufe bei der FDP)

freue ich mich ja sosehr darauf, von Ihrer Seite wertvolle Anregungen zu bekommen.

(Zurufe von der FDP.)

Ich darf noch aus dem Steueränderungsgesetz 1966 einige bittere Tropfen nennen. Sind Sie z. B. dafür, daß die Steuerfreibeträge von 200 DM für die freien Berufe und für die Landwirtschaft aufgehoben werden? Sind Sie dafür? Das wäre eine interessante Feststellung.

(Abg. Mischnick: Haben Sie vergessen, daß wir den Antrag generell gestellt haben?)

— Nein, das sind Reste aus dem Steueränderungsgesetz 1966. Diese Freibeträge stehen ohne jeden Zweifel wieder im Subventionsbericht, weil es unsichtbare Finanzhilfen sind, gezielte, für bestimmte Berufsgruppen gezielte Freibeträge, die man ihnen durchaus gönnen kann. Ich sehe jedenfalls mit größtem Interesse, weniger mit Sorge, geradezu, möchte ich sagen, mit Begierde der Diskussion des Subventionsberichts entgegen. Ich bin fest überzeugt, daß die Meinungen über den Abbau der Subventionen, so wie die Formel immer einheitlich ausgesprochen wird, auch zu einmütigen Reaktionen im Detail führen wird. Das wird der Fall sein, wo der Bundestag mit 100%iger Geschlossenheit abstimmen wird. — Herr Kollege Schmidt!

Dr. Otto Schmidt (CDU):
Rede ID: ID0514107500
Herr Bundesfinanzminister, haben Sie sich wenigstens mit den Ressorts über den Begriff der Subvention einigen können?

(Beifall bei der FDP.)

7198 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0514107600
Es war nicht leicht, Herr Kollege Schmidt. Darum haben wir den Begriff „Subvention" überhaupt gestrichen und reden nur von sichtbaren und unsichtbaren Finanzhilfen, a) von solchen im Sinne des Stabilitätsgesetzes, die dort aufgeführt sind, b) von sonstigen sichtbaren und unsichtbaren Finanzhilfen. Ich gehe hier von einer bestimmten Nullinie aus. Was über der Nullinie liegt, muß als sichtbare oder unsichtbare Finanzhilfe gewertet werden. Dabei hat es wohl keinen Sinn, z. B. Verteidigungsausgaben oder Ausgaben im Bereich des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung als Finanzhilfen zu betrachten. Umgekehrt stellt sich die Frage, wenn durch solche Haushaltsausgaben bestimmte Firmen Großaufträge erhalten, wieweit das Finanzhilfen sind. Das sind nach meiner Auffassung keine Finanzhilfen, genausowenig wie die Konjunkturhaushalte Finanzhilfen darstellen, wenn Straßenbau, Bundesbahn, Bundespost usw. Aufträge vergeben können.
Ein weiterer Komplex, zu dem hier gesprochen worden ist, ist die Finanzreform. Ich glaube, Sie haben Herrn Staatssekretär Hettlage doch nicht ganz richtig verstanden. Eines der vielen Probleme der Finanzreform ist die Gemeindefinanzreform. Hier ist es unser Ziel, nicht die Gewerbesteuer zu beseitigen, sondern den Ertrag der Gewerbesteuer zu vermindern. Denn die Beseitigung einer Steuer, die beinahe 11 Milliarden DM Ertrag bringt, auf einen Schlag und ihre Umwandlung in eine andere Steuer
— denn niemand kann ja auf den Ertrag verzichten, am allerwenigsten die Gemeinden — oder die Kompensierung durch Erhöhung der direkten Steuern oder der Umsatzsteuer ist wegen der damit verbundenen Umwälzungserscheinungen und Kettenreaktionen politisch nicht möglich, technisch kaum zu empfehlen und im übrigen nicht zweckmäßig. Wir sind für einen Abbau des Aufkommens aus der Gewerbesteuer. — Bitte sehr!

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0514107700
Herr Minister, wollen Sie damit sagen, daß im Rahmen der Steuerharmonisierung innerhalb der EWG die Gewerbesteuer weiter fortbestehen soll?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0514107800
Sie müssen mir genau zuhören, bevor Sie eine Frage geistig formulieren. Ich habe gesagt: Die Umwandlung von 11 Milliarden DM Steuerertrag, der nicht ausfallen kann, mit einem Schlage in irgendeiner Form — sei es durch Erhöhung der direkten Steuern, sei es durch Erhöhung indirekter Steuern
— ist aus einer Reihe von Gründen nicht empfehlenswert. Ich habe gesagt: Die Umwandlung von 11 Milliarden DM auf einen Schlag ist von niemandem vorgeschlagen worden.

(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Doch, ich trete dafür ein!)

— Im Laufe der Zeit, Herr Kollege.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0514107900
Darf ich Sie so verstehen, daß die Bundesregierung schon über einen Stufenplan für den Abbau der Gewerbesteuer verfügt?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0514108000
Ich halte gar nichts von Stufenplänen, schon deshalb nicht, weil wir die weitere Gestaltung unseres Steuersystems in ständiger Abstimmung mit den Maßnahmen anderer EWG-Länder und in Verfolgung der in Brüssel geführten Diskussion vornehmen müssen. Wenn wir aber die Gewerbesteuer auf einen Schlag abbauen, dann bleibt doch nichts anderes übrig, als den Ausfall, da die Gemeinden auf die Summe bestimmt nicht verzichten, zum Teil auch nicht verzichten können, anderweitig zu dekken. Was lempfiehlt sich dafür? Erhöhung der direkten Steuern? Oder Abwälzung auf weitere Verbrauchsteuern? Oder Abwälzung aus die Umsatzsteuer? Bei der Umsatzsteuer wären es bei 11 Milliarden DM drei bis vier Punkte.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514108100
Herr Minister, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Dr. Staratzke?

Dr. Hans-Werner Staratzke (FDP):
Rede ID: ID0514108200
Herr Minister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß man einen solchen Stufenplan schon deshalb haben müßte, weil es sich hierbei um eine Steuer handelt, die es in anderen Staaten der EWG gar nicht gibt und die wir deshalb in der Zukunft sowieso abbauen müssen?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0514108300
Wenn wir alle Steuern abbauen würden, die es in anderen EWG-Ländern nicht gibt, gäbe es bald überhaupt keine Finanzpolitik der EWG-Länder mehr.

(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Das sind die Kostensteuern!)

Schauen Sie sich z. B. das italienische Steuersystem der Cedular-Steuer an! Oder schauen Sie sich das französische Steuersystem an! Ich bin kein Experte, aber ich habe mir einiges dazu zusammenstellen lassen. Aber wir streben ja, darf ich sagen, Schritt für Schritt dem Ziel einer EWG-Steuerharmonisierung zu. Ich habe mich nie einem Zweifel hingegeben, daß das ein langer Weg sein wird. Auch wenn am 1. Januar 1970 gemäß den Beschlüssen des Ministerrats als Umsatzsteuer allgemein die Mehrwertsteuer eingeführt sein wird, was voraussichtlich der Fall sein dürfte, so fallen damit die Steuergrenzen, auch umsatzsteuerlich, noch lange nicht, weil erst noch die Harmonisierung der Sätze — dasselbe Ausmaß an Befreiung, dasselbe Ausmaß an Begünstigungen — EWG-einheitlich erfolgen müßte. Wir sind schon froh, wenn bis. zum Jahre 1970 erst einmal die Systeme angeglichen sind. Dann wird es noch einige Jahre dauern, bis die Steuergrenzen fallen. Dann kommt noch die Frage der Verbrauchsteuern, die ja auch harmonisiert werden müssen. Hier gibt es — Herr Kollege Staratzke, ich darf das Wort ruhig in den Mund nehmen — nationale Interessen, die man nicht ohne weiteres dem Ideal einer europäischen Steuerharmonisierung zum Opfer vorwerfen kann.

(Beifall.)

Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7199
Bundesminister Dr. h. c. Strauß
Wir in der Bundesregierung werden voraussichtlich im Januar, Anfang Februar die Gesetzentwürfe über den gesamten Komplex der Finanzreform behandeln. Sie werden dann in den Gesetzgebungsweg kommen. Dann können wir die konkreten Entscheidungen fällen.
Nur über eines ist man sich klar. Sie haben vorhin Herrn Staatssekretär Hettlage zitiert, der sagte, die Gemeinden müssen eine eigene Einnahmequelle bekommen. Nehmen wir einmal an, der Gewerbesteuerertrag wird um 30 % gesenkt! Das wäre ein Betrag von etwas über drei Milliarden DM. Die Gewerbesteuer ist eine Steuer der Gemeindefinanzierung. Angesichts ihrer finanziellen Situation müssen die Gemeinden für den Ausfall von drei Milliarden DM Gewerbesteuer einen Ersatz bekommen. Das wollen Sie doch nicht bestreiten?

(Zurufe von der FDP: Das ist unstreitig! — Das bestreite ich gar nicht!)

Wo können Sie denn einen Ersatz bekommen? Eine Erhöhung der Grundsteuer im gleichen Umfang, der Grundsteuer A oder der Grundsteuer B

(Widerspruch bei der FDP)

ist ausgeschlossen. Also müssen die Gemeinden doch einen Anteil an einer der beiden großen Steuern, an der Einkommen- und Körperschaftsteuer — es ist an die Einkommensteuer gedacht — oder an der Umsatzsteuer bekommen.

(Zustimmung bei der FDP.)

Das Modell hierfür — ohne daß ich jetzt schon abschließend etwas sagen kann — wird nach unseren Vorschlägen so aussehen, daß den Gemeinden die verfassungsrechtliche Absicherung eines Anteils am örtlichen Aufkommen der Einkommensteuer in der Proportionalzone und zu einem Teil der Progressivzone gewährt werden soll. Das bedeutet, wenn die Senkung der Gewerbesteuer 3 Milliarden DM beträgt, für den Bund eine Milliarde DM weniger Einnahmen aus der Einkommensteuer und für die Länder zwei Milliarden DM weniger Einnahmen. Der Ausgleich wird im Dreieck gesucht. Das kann nur heißen, daß in der Mehrwertsteuer der Ausgleich dafür gefunden wird.
Diese Fragen können zeitlich aber nicht in Kürze erledigt werden. Wir müssen im Jahre 1968 die Grundgedanken der Finanzreform diskutieren und können hoffentlich noch Ende 1968 die dafür vorliegenden Gesetze verabschieden. Dann könnte der allgemeine Teil der Finanzreform zum 1. Januar 1970 in Kraft treten, der Teil Gemeindefinanzreform im Jahre 1970, wobei vor Ablauf von weiteren zwei Jahren an eine Variation, etwa der Hebesätze im gemeindlichen Bereich, aus einer Reihe von Gründen — ich sage: vor Ablauf von weiteren zwei Jahren — nicht gedacht werden kann. Ob man sie einführt oder nicht, ist dann Sache des Gesetzgebers, des Bundestages und des Bundesrates.
Ich darf in diesem Zusammenhang auch noch darauf hinweisen, daß die Neufestsetzung der Einheitswerte, über deren Notwendigkeit es gar keinen Disput gab, frühestens Ende 1970 abgeschlossen sein wird. Dann wird es erst im Jahre 1971 möglich sein, sich die steuerlichen Konsequenzen aus der Neufestsetzung der Einheitswerte zu überlegen, so daß Maßnahmen aus diesem Bereich auch frühestens erst am 1. Januar 1972 in Kraft gesetzt werden können. Wir müssen bei all diesen Dingen den Sachzwang, dem wir uns weder durch politische Argumentation noch durch guten Willen entziehen können, anerkennen.
Ich darf Sie bitten, das Gesetz, so wie es ist, wie es der Ausschuß erarbeitet hat, zu verabschieden. Auch der Kampf und die Befristung ist eine sehr platonische Angelegenheit. Ich bin gegen die Einführung einer Befristung gewesen aus einer ganzen Reihe von Gründen, die man jetzt hier im einzelnen nicht darzulegen braucht. Aber vom Jahre 1969 an, in der nächsten Legislaturperiode stellt sich doch das Thema: Einkommensteuerreform, ja oder nein? Wenn Einkommensteuerreform, halte ich es für selbstverständlich, daß die Frage der Aufrechterhaltung der Ergänzungsabgabe oder des Einbaus dieses Problems — dann ohne Ergänzungsabgabe — in den Gesamtbereich als eines der unvermeidlichen Themen im Bundestag, im Finanzausschuß und vorher in den Ministerien geprüft und erörtert wird. Kein Mensch kann der Regierung nach 1969, wie immer sie aussehen mag, etwa verwehren, dem Parlament eine Streichung der Ergänzungsabgabe vorzuschlagen. Kein Mensch kann dem Parlament, wenn es sieht, daß die Einnahmen ausreichen, um alle notwendigen Ausgabe zu leisten, verwehren, die Ergänzungsgabe wieder zu streichen.
Es gibt hier auch keine begründeten verfassungsrechtlichen Argumente. Es gibt sicherlich konjunkturpolitische Argumente. Über sie haben wir heute lange genug gesprochen. Wenn auch nunmehr Einnahmeverbesserungen um ein gewisses Maß erfolgen mußten, so haben wir uns doch vom Dezember 1956 an bis heute nach reiflicher Überlegung und nicht leichten Herzens ein ausgewogenes System der Einnahmeverbesserungen ausgedacht, die Erhöhung der Tabaksteuer, die Erhöhung der Mineralölsteuer, die Verkürzung der Zahlungsfristen im Bereich der Verbrauchsteuern, Zölle usw., dazu eine gewisse Einschränkung der Sparförderung, dazu eine maßvolle, aber trotzdem spürbare Senkung der Kilometerpauschale, Maßnahmen, die den kleinen Mann betreffen, die im Bereich der direkten Steuern liegen; dann Mehrwertsteuer mehr ab 1. Juli 1968 gegen größere Entlastung der Altvorräte als eine Maßnahme, bei der einerseits wirtschaftliche Belebung und andererseits Einnahmeverbesserung in ein optimales Verhältnis gebracht werden mußten.
Ich scheue mich nicht, hier auch zu sagen, obwohl ich sicherlich in den Normen der Marktwirtschaft denke und obwohl ich weiß, daß Kapital und Geld in einer privaten Wirtschaft die Motoren sind und nicht bloß als unvermeidliches, lästiges Übel angesehen werden dürfen: Wenn bisher jemand im Splitting insgesamt 40 000 DM Einkommen erzielt hat — und bei den steuerlichen Einkommensgrenzen, die hier mit 16 000 bzw. 32 000 genannt sind, geht es, wie Sie genausogut wissen, nicht um die gesamten Einkünfte, sondern nur um das zu versteuernde Einkommen, — was ist dabei noch alles abzusetzen: die
7200 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Bundesminister Dr. h. c. Strauß
Pauschbeträge, die Kinderfreibeträge, die Sonderausgaben; die wirklichen Einkünfte liegen also wesentlich höher als das zu versteuernde Einkommen; die Schwelle, jenseits der die Ergänzungsabgabe beginnt, liegt relativ hoch; das kann man doch nicht bestreiten; das sind auch nicht mehr die Ärmsten der Armen — und wer in Zukunft eine Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer zahlt, nachdem er vorher ab 1965 insgesamt viermal soviel an Steuernachlaß oder Steuersenkungen bekommen hat, für den geht doch darüber die Welt nicht unter, so unangenehm diese Maßnahme auch ist!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514108400
Bevor ich das Wort weiter erteile, habe ich folgendes bekanntzugeben. Die Besprechung von Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses, die für 11 Uhr angesetzt war, entfällt. Dagegen nehmen Innen- und Rechtsausschuß ihre Sitzung auf.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dahlgrün.

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0514108500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß ich bei weitgehender Zustimmung aus diesem Hohen Haus praktisch mit Recht seit einem Jahr geschwiegen habe. Ich habe heute gleichfalls nicht die Absicht gehabt, hier etwas zu sagen, werde aber durch Frau Kollegin Kurlbaum-Beyer herausgefordert, die eine offenbar nicht ausrottbare Legende von dem Nichtwissen der SPD über die Finanzlage 1965/66 immer neu aufwärmt. Dabei hat sie vielleicht die Hoffnung, daß doch etwas hängenbleiben könnte. Diese Legende hat die SPD gebraucht, die hatte sie nötig, um die Notwendigkeit der Großen Koalition in ihren Reihen zu begründen. Diese Legende hat sogar jemand benutzt, um in ehrabschneiderischer Weise ein Mitglied der früheren Bundesregierung mit Gefängnis zu bedrohen.
Frau Kollegin Kurlbaum-Beyer, ich will ganz sachlich feststellen: Es ist falsch, wenn die Regierung der Großen Koalition behauptet, daß sie erstmalig mit einer langfristigeren Planung in Form der mittelfristigen Finanzplanung begonnen habe. Das ist falsch, es wird indessen immer und immer wieder wiederholt.

(Abg. Schmidt [Wuppertal] : Das stimmt! — Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Bei der Breite der Diskussion des heutigen Vormittags habe ich selbstverständlich nicht alle Zahlen und Unterlagen zur Hand; ich muß mich auf das Gedächtnis verlassen. Wir haben 1964 begonnen, haben 1965 verfeinert und haben 1966 im Finanzbericht das Zahlenwerk über die Entwicklung der nächsten Jahre vorgelegt. Wenn Sie von der Veröffentlichung im März 1966 an das dazuschreiben, Zahl für Zahl, Kolonne für Kolonne, was dieses Parlament in den Sommermonaten hinzugetan hat, landen Sie genau bei den Zahlen der Bestandsaufnahme. Ich kann es nicht ändern, Frau Kollegin KurlbaumBeyer, wenn Sie den Finanzbericht 1966 nicht gelesen haben, was man allerdings von Ihnen als langjährigem Mitglied des Finanzausschusses hätte erwarten können.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514108600
Herr Kollege Dahlgrün, gestatten Sie eine Frage der Frau Abgeordneten Kurlbaum-Beyer?

Lucie Beyer (SPD):
Rede ID: ID0514108700
Herr Finanzminister, was hat Sie veranlaßt, diese Ausführungen erst 1966 und nicht schon 1965 zu machen? Man muß auch auf die Beschlüsse eingehen, die damals vom Finanzausschuß getroffen worden sind, vor allem auf Anträge, die von Ihrer Fraktion gestellt worden sind.

(Zuruf von der FDP: Auch 1965 nachlesen!)


Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0514108800
Frau Kollegin, ich bin gern bereit, Ihnen eine Zusammenstellung aller Reden zu geben, die ich hier in diesem Hause gehalten habe, aller beschwörenden Ausführungen an dieses Haus, nicht an Sie allein, auch an meine eigene Fraktion, eben an das ganze Haus, zu bremsen und endlich einmal mit den immer neuen Ausgabebeschlüssen Schluß zu machen.
Mir geht es heute morgen bei meinen einleitenden Bemerkungen nur darum, persönlich einmal festzustellen — bitte, weisen Sie mir das Gegenteil nach —, daß es eine Legende ist, die Sie immer fleißig weiterverbreiten, natürlich nicht Sie allein, Frau Kollegin, andere auch. Sehen Sie sich das doch einmal an: Die Fortschreibung der Zahlen im Finanzbericht 1966, bis in das Jahr 1967 hinein, ist erstaunlich genau vom Bundesministerium der Finanzen gemacht worden. Sie alle wissen, wie schwer es ist, solche Vorausschätzungen zu geben. Ich kann nur der Sachverstand der Herren bewundern, die diese Planungen in die Zukunft hinein damals so genau gebracht haben.
Nun noch ein paar kurze Worte zur Frage der Kredite. Herr Kollege Strauß hat davon gesprochen. Meine. Damen und Herren, niemand aus meiner Fraktion — auch ich selber nicht — hat eine Kreditfinanzierung abgelehnt. Wir machen uns nur Sorge, wie das in den späteren Jahren bezahlt werden soll. Lassen Sie uns doch ganz simpel und nüchtern feststellen: Bei Zuwachsraten des Bruttosozialprodukts von 7, 8, 10 und 11 % hat dieses Haus — ich mit — Ausgaben beschlossen in der Hoffnung, es würde immer so weitergehen. Heute rechnen wir mit sehr viel geringeren Zuwachsraten,

(Abg. Frau Kurlbaum-Beyer: Das haben Sie 1966 gewußt!)

nämlich mit 3,5%. Herr Kollege. Schiller rechnet heute schon wieder mit mehr. Aber die großen Industrienationen, die Vereinigten Staaten und Großbritannien, rechnen auch nur mit 3 %. Im übrigen, Frau Kurlbaum, wissen Sie genauso wie ich: 3 % von 460 oder 480 Milliarden DM Bruttosozialprodukt ergibt in der Relation eine andere Größe als 10 % von 200 Millionen DM.

(Abg. Frau Kurlbaum-Beyer: Das haben Sie doch 1965 gewußt, Herr Minister! Warum Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7201 Dr. Dahlgrün haben Sie denn damals geschwiegen? Warum haben Sie sich im Bundestag nicht gegen die Anträge gewehrt? — Gegenrufe von der FDP. — Abg. Frau Kurlbaum-Beyer: Warum hat er sich nicht gewehrt?)

Ich vermisse bis heute die Kappung auf der Ausgabenseite. Es ist teilweise sehr richtig, was Kollege Strauß über die Ursachen der Rezession gesagt hat. Ich möchte allerdings ergänzen: auch der Krach in der CDU/CSU um den Regierungschef und die 'Tatsache, daß die Opposition und andere die Sache möglichst schwarz gemalt und damit die Talfahrt beschleunigt haben, gehören zu den Gründen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten in der Mitte.)

Darüber wollen wir uns nichts vormachen. Jetzt warten wir dringend darauf, daß nun endlich auf der Ausgabenseite das geschieht, womit sich Herr Kollege Strauß beschäftigt. Wenn ich täglich in der Presse lese, was vor sich geht, stelle ich fest, daß sich Herr Kollege Strauß und sein Haus mit genau denselben Problemen befassen muß, mit denen wir uns damals befaßt haben und für die wir damals nicht nur als Regierung, sondern auch im Finanzausschuß Prügel bezogen haben.
Ich bin bereit, ganz frank und frei zu erklären: im Interesse von uns allen, im Interesse unseres gesamten Lebens muß das zum Erfolg führen, soll das zum Erfolg führen. Aber dazu gehört auch, daß schnellstens die Ausgabenseite auf einen geringeren Zuwachs des Bruttosozialprodukts als Basis zurückgeführt wird, als es 8, 9 oder 10 % darstellen. Daß das nicht im ersten Jahr geht, darüber sind wir uns klar; aber ich warte gespannt darauf und weiß, daß in allen Fraktionen, auch in meiner eigenen, härteste Widerstände zu überwinden sein werden.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten in der Mitte.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514108900
Meine Damen und Herren, angesichts des Verlaufs des heutigen Vormittags sind neue Überlegungen darüber notwendig geworden, wie es weitergehen soll. Ergebnis: um 13 Uhr treten wir in eine einstündige Mittagspause ein. Um 14 Uhr findet die Fragestunde statt. Was sonst noch über die Abwicklung der Geschäfte zu sagen ist, wird später ermittelt werden müssen.
Jetzt hat das Wort der Herr Abgeordnete Dorn.

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0514109000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will nur zu dem Fragenkomplex, der von meinem Freund Dahlgrün schon angesprochen worden ist, noch einige Berner-kungen machen. Ich glaube, es ist notwendig, etwas zu den heute vorgetragenen Verdrehungen in bezug auf die Entwicklung der Krise des vergangenen Jahres richtigzustellen und eindeutig das zurückzuweisen, was auf der einen Seite von Frau Kurlbaum und auf der anderen Seite von Herrn Minister Strauß zu dieser Frage vorgetragen worden ist. Sie werden gemeinsam nicht erreichen, meine Damen und Herren, daß das Wort, das ein früherer CDU-
Bundesvorsitzender über die Sozialdemokraten ausgesprochen hat — ihre Beteiligung an der Bundesregierung sei mit dem Untergang Deutschlands gleichzusetzen —, eines Tages auf die Freien Demokraten übertragen werden kann.
Wir werden an dieser Stelle deswegen noch einmal ganz eindeutig ein paar Worte darüber verlieren müssen; denn wenn sowohl Frau Kurlbaum als auch der Finanzminister heute erklären, daß sie erst bei der Bestandsaufnahme im vergangenen Herbst erfahren hätten, wie die Lage wirklich gewesen sei, dann kann ich nur das noch einmal unterstreichen, was Rolf Dahlgrün dazu gesagt hat.
Im übrigen möchte ich mich zu dem, was im Finanzbericht steht, jetzt nicht äußern; denn aus ihm geht eindeutig hervor, daß jeder, der sich in diesem Hause darum bemühen wollte, einen wirklichen Überblick zu bekommen, ihn hätte bekommen müssen, wenn er diesen Bericht gelesen hätte.

(Beifall bei der FDP.)

Der ständige Einwand der Frau Kollegin Kurlbaum gegenüber den Ausführungen meines Freundes Dahlgrün: „Warum haben Sie nicht bereits 1965 etwas darüber gesagt?" — ich sage das jetzt, weil Herr Dahlgrün das vielleicht nicht alles für sich selbst mit vortragen wollte —, ist eindeutig zu seinen Gunsten geklärt. Am 15. Juni 1965 hat er in einem klaren Brief, in dem alle Entwicklungsphasen und -stufen von ihm schriftlich dargelegt wurden, nicht nur den Bundeskanzler, sondern zumindest auch die Regierungsfraktionen unterrichtet. Es wundert mich also in diesem Zusammenhang, daß Herr Strauß heute erklärt, er habe erst bei der Bestandsaufnahme von diesen Dingen Kenntnis genommen.
Lassen Sie mich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur einen Satz aus diesem Brief von Herrn Dahlgrün zitieren. Nachdem er die Schwierigkeiten geschildert hat, sagt er:
Diese Gesamtentwicklung trägt den Keim einer schweren Finanzkrise in sich, wenn nicht mit aller Entschiedenheit wirksame Gegenmaßnahmen ergriffen werden.
Dann folgt eine ausführliche Darlegung dessen, was man sich dazu vorstellt. Es wird auch nicht bestritten werden können, daß unsere Kollegen bei den Koalitionsverhandlungen des vergangenen Herbstes sehr klare, detaillierte Unterlagen unterbreitet haben.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514109100
Herr Abgeordneter Dorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Kurlbaum?

Lucie Beyer (SPD):
Rede ID: ID0514109200
Herr Kollege Dorn, wie verstehen Sie dann, daß Herr Minister Dahlgrün bei allen Anträgen, die hier noch zur Verabschiedung standen, immer geschwiegen und alle diese Ausgabenkürzungen und Mindereinnahmen des Haushalts einfach hingenommen hat? Können Sie sich erinnern, daß er sich einmal hier hingestellt und gewarnt hat? Ich will vom Finanzausschuß gar nicht sprechen.
7202 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0514109300
Sehr verehrte gnädige Frau, ich wollte gerade ein konkretes Beispiel vortragen: Ihr Kollege Schmitt-Vockenhausen, der jetzt leider nicht mehr hier sein kann, weil er beim Hearing ist, hat einmal auf den Fall Bezug genommen, in dem sich der Finanzminister Dahlgrün im Plenum gegen einen von meiner Fraktion und mir vorgelegten Gesetzentwurf mit erhöhten Ausgaben ausgesprochen und vor dessen Annahme gewarnt hat. Er ist also damals gegen seine eigenen Freunde angetreten. Das können Sie doch nicht bestreiten. Es handelte sich um unseren Antrag zum Gesetz zu Art. 131. — Bitte schön.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514109400
Zu einer Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Schmidt (Wuppertal).

Dr. Otto Schmidt (CDU):
Rede ID: ID0514109500
Herr Kollege Dorn, würden Sie bereit sein, den Wortlaut dieses Briefes des Kollegen Dahlgrün mit zu Protokoll zu geben, damit wir alle uns diesen Brief in Erinnerung bringen können?

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0514109600
Herr Kollege Dr. Schmidt, ich bin sicher, daß wir den Brief als Ergänzung meiner Ausführungen ins Protokoll nehmen können. Ich darf aber sagen, Herr Dr. Schmidt, daß der Wortlaut dieses Briefes im Laufe des Sommers dieses Jahres in der „Welt" veröffentlicht worden ist, so daß jeder, der sich mit den Dingen befassen wollte, auch über den ganzen Wortlaut dieses Briefes informiert sein kann. Aber ich bin gern bereit, mit Einwilligung des Kollegen Dahlgrün, den Wortlaut des Briefes ins Protokoll aufnehmen zu lassen. *)
Die Situation war doch auch im Jahre 1965 eindeutig. Frau Kurlbaum, Ihr Parteifreund Dr. Alex Möller hat am 23. November 1966 im Plenum des Deutschen Bundestages unter anderem ausgeführt — Herr Präsident, ich möchte drei kurze Zitate in meiner Rede verwenden —:
Am 20. Dezember 1965 ist das Haushaltssicherungsgesetz im Bundesgesetzblatt verkündet worden. Spätestens an diesem Tage hätten der Bundeskanzler und der Bundesverteidigungsminister ... wissen müssen, wie die Haushaltswirtschaft des Bundes aussieht.
Beide gehörten zum damaligen Zeitpunkt nicht unserer Fraktion an.
Trotzdem haben sie nach Verabschiedung des Haushaltssicherungsgesetzes ein Devisenausgleichsabkommen in Höhe von 4,5 Milliarden DM mit den USA abgeschlossen.
Das war die eine Seite.
Ich wundere mich eigentlich sehr, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Christlich Demokratischen und Sozialen Union, daß alle die Vorwürfe, die auch heute wieder hier an dieser Stelle von Kollegen der SPD erhoben werden, von Ihnen so bedingungslos hingenommen werden. Sie tun, als ob Sie mit all den Dingen in der Vergangenheit gar
*) Siehe Anlage 11
nichts zu tun gehabt hätten. Darüber wundere ich mich sehr.

(Beifall bei der FDP. — Abg. Rösing: Warten Sie mal ab!)

Vor allen Dingen wundere ich mich, wenn ich daran denke, was der Kollege Dr. Althammer in sehr plastischer Form in der Sitzung vom 23. November 1966 vorgetragen hat. Er warf damals für seine Fraktion und Partei wenige Tage vor der Koalitionsbildung den Sozialdemokraten vor, daß sie Änderungsanträge zum Haushaltsplan und Gesetzentwürfe in diesem Hause vorgelegt hätten, die Mehrausgaben von 9,2 Milliarden DM zur Folge gehabt hätten.

(Hört! Hört! bei der FDP.)

So war die Lage im November des vergangenen Jahres. Der Kollege Althammer hat — nach meiner Auffassung nicht ganz zu Unrecht — darauf hingewiesen, daß die von der SPD in ihrem Wahlkampfprogramm 1965 verlangten Ausgaben eine Gesamtsumme von rund 18 bis 25 Milliarden DM — so Dr. Althammer — erfordert hätten.

(Abg. Haase [Kassel] : Da hatte Dr. Althammer völlig recht!)

In der heutigen Situation kann doch niemand ernsthaft behaupten, daß die Talfahrt im Jahre 1966 begonnen hätte, weil der von den Freien Demokraten gestellte Finanzminister eine Haushalts-, Haushaltssicherungs- und Stabilitätspolitik betrieben habe, die mit der Wirklichkeit nicht mehr übereingestimmt habe.

(Zuruf des Abg. Berkhan.)

Die Sozialdemokraten, Herr Berkhan, waren im Herbst des vergangenen Jahres derselben Meinung, die wir heute vortragen. Lassen Sie mich aus der Sitzung vom 23. November 1966 nur einen Satz aus der Rede verlesen, die der Kollege Wehner gehalten hat, damals an die Adresse der CDU/CSU gerichtet; er sagte: „Sie müssen den politischen Konkurs, den Sie erlitten haben, und seine Begleiterscheinungen selbst verantworten."
Nun, ich sage hier eindeutig

(Zuruf von der SPD)

— haben Sie keine Sorge, Herr Hufnagel —: Wir Freien Demokraten bekennen runs zu der Verantwortung, die wir getragen haben, solange wir in dieser Regierung gesessen haben.

(Beifall bei der FDP.)

Wir erinnern uns noch sehr genau, wie es war. Denn das ist der andere Teil der Legende, der heute auch vorgetragen wurde — von Finanzminister Strauß —, daß wir nämlich an der damaligen Situation schuldig seien. Das kann auch nicht hingenommen werden. Denn jeder, der sein Gedächtnis für die Zeit des vergangenen Herbstes nicht völlig beurlaubt hat, weiß doch, daß die total zerstrittene ChristlichDemokratische und -Soziale Union nicht mehr in der Lage war, ihrem eigenen Kanzler ein solches Ver-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7203
Dorn
trauensvotum hier im Parlament zu geben, wie wir es in der damaligen Situation verlangt hatten.

(Beifall bei der FDP.)

So war doch die Lage im Herbst vergangenen Jahres.
Es hat keinen Sinn, daß Sie glauben, heute wechselseitig uns allein die Entwicklung zur Talfahrt in die Schuhe schieben zu können. Sie haben sich auf Gedeih und Verderb — so hat es der Herr Bundeskanzler geäußert — miteinander verbunden. Sie müssen — auch das sollte in dieser Stunde eindeutig klargestellt werden — Ihren Anteil an dier Verantwortung in Regierung und Opposition des vergangenen Herbstes genauso zum Bestandteil Ihres Bekenntnisses machen, wie wir uns zur Aufgabenteilung — damals in der Regierung und heute in der Opposition — bekennen.

(Beifall bei der FDP.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514109700
Das Wort hat der Abgeordnete Zoglmann.

Siegfried Zoglmann (CSU):
Rede ID: ID0514109800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist notwendig, in dieser Stunde einige wenige Sätze zur historischen Wahrheit vor dem Hohen Hause auszuführen.

(Zurufe von der SPD: Das wäre gut! — Langsam!)

Ich darf an eine der letzten Sitzungen des Verhandlungsgremiums der SPD mit dem Verhandlungsgremium der FDP

(Abg. Haase [Kassel] : Das ist interessant!)

im Fraktionsvorstandszimmer der Freien Demokraten erinnern,

(Zuruf links: Da hatten Sie noch Hoffnung!)

wo uns die Kollegen Wehner, Schiller und Schmidt

(Zuruf links: Vorsichtig! — Heiterkeit links)

mit den Anzeichen der vollkommenen Überraschung, des tiefen Eindrucks, um nicht zu sagen, des Entsetzens

(Zuruf links: Vorsichtig!)

eine Ausarbeitung überreichten, auf zehn bis zwölf Schreibmaschinenseiten abgezogen, überschrieben „Vertraulich".

(Abg. van Delden: Dann dürfen Sie es hier nicht sagen!)

Diese Ausarbeitung stammte von dem Interims-Finanzminister Schmücker.

(Abg. van Delden: Man sieht, man kann Ihnen nichts Vertrauliches sagen, Herr Zoglmann!)

Die Kollegen der SPD waren tief beeindruckt und sagten: Na, hier steht die ganze Katastrophe drin, hier sehen wir, wohin die Fahrt im Finanzpolitischen geht; das sind Zahlen, die wir nicht gekannt haben, die katastrophal sind. — Unser Kollege Mischnick, der offenbar ein gutes Gedächtnis hat, überflog diese Zahlen, sagte „Hoppla, das kenn ich
doch", stand auf und holte aus dem Archiv den Finanzbericht 1966

(Abg. Dr. Wuermeling: Der war vertraulich!)

und hat nachgewiesen, daß diese Zahlen aus dem Finanzbericht 1966 abgeschrieben waren.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP.)

Ein Kollege der SPD, dessen Name ich jetzt aus Barmherzigkeit nicht nennen will,

(Große Heiterkeit)

hat nicht einmal gewußt, daß ein solcher Bericht existiert.

(Abg. Haase [Kassel] : Sie sind ein wahrer Christ!)

Ein anderer Kollege von der SPD, der zuständig dafür war, sich mit wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen zu befassen, hatte die Zahlen aus dem Finanzbericht ebenfalls nicht mehr präsent.

(Abg. van Delden: Das ist ja furchtbar! — Zuruf von der SPD: Schlimmer geht es nicht!)

Wer dann den Mut besitzt, in eine SPD-Versammlung nach Hannover zu gehen und dort zu erklären, daß der Finanzminister Dahlgrün entweder unfähig war, die Situation zu erkennen, oder aber

(Zuruf aus der Mitte: Den haben Sie im Stich gelassen!)

wegen Pflichtverletzung ins Gefängnis gehöre, der ist ein Ehrabschneider!
Ich erkläre das hier ganz einfach und deutlich. Das muß hier in aller Klarheit gesagt werden.

(Lebhafter Beifall bei der FDP.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514109900
Herr Abgeordneter Zoglmann, da Sie keinen Namen genannt haben, kann ich Ihre Bemerkung nicht auf eine bestimmte Person beziehen und sie deshalb auch nicht im geschäftsordnungsmäßigen Sinn behandeln.

(Zurufe von der SPD.) Die Debatte ist damit geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Umdruck 311 *). Ich muß dazu sagen, daß der Abgeordnete Krammig eine schriftliche Erklärung zur Abstimmung zu Protokoll **) gegeben hat, in der er seine Haltung bei dieser Abstimmung begründet.
Wer dem Antrag auf Umdruck 311 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Das letztere ist die übergroße Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über Art. 1. Wer Art. 1 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. — Gegenprobe. — Das erstere war die Mehrheit. Art. 1 ist angenommen.
*) Siehe Anlage 2 **) Siehe Anlage 4
7204 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Vizepräsident Schoettle
Ich rufe Art. 2,-3,-4,-5,-6,-7,-8,9, — 10 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — 3 Enthaltungen. Damit ist das Gesetz in zweiter Beratung angenommen.
Ich rufe auf die
dritte Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort hat Herr Dr. Pohle.

Dr. Wolfgang Pohle (CSU):
Rede ID: ID0514110000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stehen vor der Schlußabstimmung dieses wichtigen Gesetzes. Worin liegt seine Bedeutung?
Auf diese Frage gibt es drei Antworten: Erstens. Das Zweite Steueränderungsgesetz dient dem verfassungsrechtlichen Gebot, die Bundesfinanzen auszugleichen. Gleichzeitig hilft es mit, die Ziele der mittelfristigen Finanzplanung zu erfüllen. Zweitens. Der Ausgleich der Bundesfinanzen erfolgt auf zwei Wegen, und zwar durch Ausgabekürzungen und durch Einnahmeerhöhungen. Das Steueränderungsgesetz, das uns vorliegt, verbessert die Einnahmeseite mit Hilfe von Steuererhöhungen. Drittens. Die von der Bundesregierung gewählten und von den Ausschüssen des Hohen Hauses im wesentlichen gebilligten Steuererhöhungen sind Ausdruck der Maxime, daß die Lasten des Haushaltsausgleichs gleichmäßig verteilt werden. Der vorliegende Gesetzentwurf ist also Teil eines Gesamtpakets von mehreren Maßnahmen. Den ersten Teil dieses Pakets haben wir in der Sondersitzung des Deutschen Bundestages vom 6. bis 8. September behandelt. Seinerzeit haben wir die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 1 % von 10 auf 11 % zum 1. Juli 1968 beschlossen. Dieser Beschluß war auch eine Folge der Erhöhung der Entlastung der Altvorräte, die wir aus konjunkturellen Gründen vornahmen und die auch zur gleichzeitigen Verbesserung der Einnahmeseite des Bundeshaushalts dient.
Meine Damen und Herren, es ist in der Debatte mehrfach von dem Sachverständigengutachten gesprochen worden. Ich weigere mich, auf dieses Gutachten hier einzugehen. Keiner von uns wird es bei der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit im einzelnen studiert haben. Wir müssen das Steueränderungsgesetz und die Vorlage der Regierung betrachten, ohne dabei gleichzeitig schon auf das Sachverständigengutachten zu sprechen kommen zu können.
Das Zweite, was ich an dieser Stelle hervorheben möchte, ist, meine Damen und Herren, die breite Debatte über die Schuldfrage. Ich stehe nicht an, zu erklären — und es hätte nicht der Ermunterung des Kollegen Dorn bedurft —, daß wir von der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union auch die frühere Regierung getragen haben, wie wir selbstverständlich auch die jetzige Regierung mit tragen. Weil wir aber auch in der vorigen Regierung gewesen sind, möchte ich keinen Zweifel daran lassen, daß wir uns voll hinter die Maßnahmen der vorigen Regierung stellen, insbesondere soweit wesentliche Ansätze für die Überwindung der finanziellen Schwierigkeiten, z. B. durch das Haushaltssicherungsgesetz, durch den Ausgleich des Haushalts 1966 usw., gemacht worden sind. Ich möchte das hier öffentlich erklären.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, es ist gesagt worden, daß zunächst einmal die Wirtschaft wieder hätte in Gang gesetzt werden müssen. Aber das ist deshalb nicht richtig,. weil ich nicht glaube, daß man von einem Stillstand der Wirtschaft im Jahre 1966 sprechen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Konjunkturen kommen und gehen; Rezessionen kommen und gehen. Das ist ein ewiges Auf und Ab. Alle Regierungen sind dafür verantwortlich, solche Konjunkturtäler zu überwinden. Auf diesem Wege sind wir hier. Wir sind aber nicht in der Lage, zu sagen, daß die Wirtschaft im Laufe des Jahres 1966 etwa am Rande des Zusammenbruchs gestanden hätte. Dagegen wehren wir uns.

(Beifall in der Mitte.)

Auf der anderen Seite bin ich nicht in der Lage, anzuerkennen, was hier vom Kollegen Dorn vorgetragen worden ist, daß nämlich die Koalitionskrise der Kleinen Koalition nur deshalb entstanden sei, weil die Union in sich zerstritten gewesen sei und nicht hinter ihrem Regierungschef gestanden habe. Das entspricht auch nicht der historischen Wahrheit, und das weise ich hiermit zurück.

(Zuruf von der FDP: Aber es stimmt, Herr Pohle! — Abg. Dr. Emde: Das ist die Wahrheit, Herr Pohle! — Weitere Zurufe von der FDP. — Widerspruch bei der CDU/CSU. — Abg. Ertl: Herr Kollege Pohle, würden Sie mir vielleicht zugeben, daß sich in fast ähnlichem Sinne der gestürzte Kanzler Erhard selbst geäußert hat?)

— Ich weiß nicht, welche Äußerung des gestürzten Kanzlers Erhard Sie meinen. Ich glaube aber, Sie haben sie dann mißverstanden.

(Zuruf von der FDP: Nein, nein!)

— Also gut, darüber können wir sprechen. Sagen Sie mir erst, welche Äußerung Sie meinen.
Meine Damen und Herren, die beiden Gegensatzpaare — hie Belebung der Konjunktur, hie Ausgleich der Bundesfinanzen — sind in diesem Jahre die bestimmenden Größen des wirtschaftspolitischen und des finanzpolitischen Geschehens geworden. Unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten haben wir seinerzeit das zweite Investitionsprogramm, die Finanzierungshilfen für gemeindliche Investitionen aus dem ERP-Vermögen und die Erhöhung der Kreditlinie des Bundes im Bundesbankgesetz behandelt. Gleichzeitig hat das Hohe Haus damals die mittelfristige Finanzplanung zur Kenntnis genommen. Den nächsten Teilaspekt stellt die Ausgabenseite mit ihren Kürzungen und Umstrukturierungen zugunsten der investiven Ausgaben dar. Die gesetzlichen Voraussetzungen dazu schafft das Finanzänderungsge-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7205
Dr. Pohle
setz, über das wir morgen abschließend beraten werden.
Das Zweite Steueränderungsgesetz ist also auf das engste mit der Ausgabenseite verzahnt, und diese ist wiederum mit den konjunkturpolitischen Maßnahmen verwoben. Das Steueränderungsgesetz ist also ein Glied einer Kette von zusammenhängenden Maßnahmen. Demzufolge kann dieses Gesetz oder können seine einzelnen Teile nicht isoliert betrachtet werden. Der Vorschlag etwa, die Ergänzungsabgabe erst später zu verabschieden, würde deshalb gegen die innere Logik des Gesamtwerkes verstoßen. Es geht hierbei nicht nur um Konjunkturförderungsmaßnahmen, es geht auch nicht n u r um Einnahmeverbesserungen und ebenso nicht n u r um Ausgabeminderungen; es geht um alle drei Ziele gleichzeitig.
Das Gesetzgebungswerk stellt also eine Einheit von wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen dar. Es gibt gleichzeitig die Antwort auf mehrere aktuelle Aufgaben von zum Teil gegensätzlicher Natur. Das ist die innere Zwangsläufigkeit, die diesem Gesetzgebungswerk innewohnt. Wir können daher nicht beliebig den einen oder anderen Stein herausbrechen, ohne das Gesamtgebäude zu gefährden. Dies wäre der Fall, würden wir bei der Ergänzungsabgabe so verfahren, daß wir den Art. 1 kurzerhand herausnehmen und damit das Gesetz zu einem Stückwerk werden lassen.
Die Ordnung der Bundesfinanzen, um die wir uns in dieser Woche bemühen, bedeutet aber noch mehr als die Erfüllung des Verfassungsauftrages und der mittelfristigen Finanzplanung. Geordnete Bundesfinanzen sind, das ist in den letzten Monaten wohl immer klarer geworden, die Voraussetzung, und zwar die faktische und die psychologische Voraussetzung eines neuen Konjunkturhochs der Wirtschaft. Das neue Wachstum kann sich nur auf einer sicheren Vertrauensbasis, auf Kontinuität und vor allem auf der Grundlage der Seriösität staatlicher Maßnahmen entfalten. Der Haushaltsausgleich ist deswegen geradezu die Voraussetzung für das Gelingen der konjunkturpolitischen Belebungsmaßnahmen.
In der ersten Beratung, meine Damen und Herren, habe ich von diesem Platz aus erklärt, daß meine Fraktion hinter dem Gesamtkonzept der Regierung steht, daß aber niemand gezwungen sein kann, die einzelnen Bestimmungen in toto unverändert anzunehmen. In Verfolg dieses Grundsatzes haben wir die Vorschläge eingehend geprüft. Daß wir es uns dabei nicht leicht gemacht haben, beweist das Hearing des Finanzausschusses zur Frage der Besteuerung der Kreditinstitute. Der Ausschuß hat auf Grund der Anhörung die Regierungsvorlage in diesem Punkte geändert, die Koalitionsfraktionen sind dem beigetreten. Es gibt auch noch einige andere Fragen, in denen wir sehr eingehend beraten haben.
Meine Damen und Herren! Das Steueränderungsgesetz soll die Einnahmen des Bundes verbessern, ohne das Wachstum der Wirtschaft zu beeinträchtigen. Die Steuererhöhungen treffen in erster Linie die Bezieher höherer Einkommen und das Kreditgewerbe. Niemand soll jedoch glauben, daß wir diesen Weg der Steuererhöhung leichten Herzens beschritten haben. Es ist hier von der sozialen Symmetrie die Rede gewesen. Es ist davon die Rede gewesen — und ich möchte das noch einmal unterstreichen —, daß wir uns auch gegen die Anschauung wehren, die Ergänzungsgabe bedeute bereits einen Vorgriff auf eine Bundessteuer und einen Vorgriff auf die kommende Finanzreform. Das war auch der Grund, weshalb wir durchaus ernsthaft eine Befristung erwogen und viele Mitglieder auch meiner Fraktion sich für eine Befristung ausgesprochen haben.
Wir sind uns der Problematik und des Zielkonflikts im Hinblick auf die Konjunktur durchaus bewußt. Es galt jedoch, zwischen dem unterschiedlichen Gewicht der zu lösenden Aufgaben zu wählen. Wir haben uns für den vorgeschlagenen Weg einer Gesundung der Staatsfinanzen als Voraussetzung eines verbesserten Konjunkturklimas entschieden. Wir sind uns darüber klar, daß die Ergänzungsabgabe ihrem Wesen nach nur eine vorübergehende Abgabe sein kann, eine Abgabe, die jederzeit wieder aufgehoben werden kann und aufgehoben werden muß, wenn ihre Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind und wenn die Gesamtlage es erlaubt.
In diesem Sinne, meine Damen und Herren, stimmt meine Fraktion dem vorliegenden Gesetzentwurf in der vom Finanzausschuß erarbeiteten Fassung zu.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514110100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Koch.

Dr. Gerhard Koch (SPD):
Rede ID: ID0514110200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Zweiten Steueränderungsgesetz habe ich für meine Fraktion folgendes zu erklären.
Das Zweite Steueränderungsgesetz 1967 ist, ebenso wie das noch zu verabschiedende Finanzänderungsgesetz 1967, ein wichtiger und unverzichtbarer Schritt zur Wiederherstellung der finanziellen Ordnung. Wer die in dem vorliegenden Gesetzentwurf verankerten Maßnahmen unter Hinweis auf die gegenwärtige Konjunktursituation ablehnt, verkennt, daß diese Koalition eine doppelte Erbschaft übernehmen mußte: erstens eine Wirtschaftsdepression mit drohender Arbeitslosigkeit und zweitens angeschlagene, desolate Staatsfinanzen. Die Bundesregierung stand und steht vor der Aufgabe, durch konjunkturbelebende Maßnahmen das Gespenst der Massenarbeitslosigkeit zu bannen. Sie hat sich zugleich in der Haushaltspolitik das Ziel gesetzt, für Gleichgewicht, Wahrheit und Klarheit zu sorgen, und das im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung nicht nur für das kommende Jahr, sondern auch für die weitere Zukunft.
Meine Fraktion war sich von vornherein darüber klar, daß bei der Bewältigung dieser Aufgabe ein Zielkonflikt gelöst werden muß. Niemand von uns bestreitet und kann bestreiten, daß Steuererhöhungen an sich konjunkturhemmend und Steuersenkungen konjunkturfördernd sind. Wir sind jedoch der Auffassung, daß die zu beschließenden Steuererhö-
7206 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Dr. Koch
hungen allein aus Gründen der Quantität keine Gefahr für den Konjunkturaufschwung darstellen können. Etwaige kontraktive Wirkungen der Ergänzungsabgabe werden durch die beiden Eventualhaushalte mehr als ausgeglichen.
Die Ergänzungsabgabe — das sei noch einmal ausdrücklich festgestellt — darf nicht nur unter negativem konjunkturpolitischem Aspekt betrachtet werden. Wir sehen sie in Zusammenhang mit der bereits beschlossenen Erhöhung der Mehrwertsteuer von 10 auf 11 % per 1. Juli 1968. Es wäre für meine Fraktion nicht tragbar, wenn die im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung vorgenommenen Steuererhöhungen ausschließlich durch Anhebung der Verbrauchsteuern erfolgen würden.

(Sehr richtig! bei der .SPD.)

Es läßt sich nicht bestreiten, daß die Verbrauchsteuern die breiten Volksschichten verhältnismäßig stärker belasten als die Bezieher höherer und höchster Einkommen. Demgegenüber — das ist ein sehr gewichtiges Moment — paßt sich die Ergänzungsabgabe, wie alle direkten Steuern, der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit de r von ihr betroffenen Steuerzahler an.
Der Ergänzungsabgabe kommt also vom Standpunkt meiner Fraktion aus, der dahin geht, daß die öffentlichen Lasten, soweit das möglich ist, sozialgerecht verteilt werden sollten, eine besonders große Bedeutung zu. Selbstverständlich ist mit dieser Feststellung in keiner Weise gesagt, daß nach der Auffassung meiner Fraktion die Ergänzungsabgabe als Dauerlösung zu betrachten sei. Ob und inwieweit die Ergänzungsabgabe später einmal wieder aufgehoben werden kann, wird zu gegebener Zeit überprüft werden müssen.
Ich glaube, ich brauche auf den Einwand, die Einführung der Ergänzungsabgabe sei verfassungswidrig, nicht weiter enizugehen. Ich möchte dazu nur sagen: Es wäre erstaunlich gewesen, wenn dieser Einwand nicht gekommen wäre. Das ist ja immer der letzte Einwand, den man bringt. Aus dem klaren Wortlaut des Gesetzes kann man jedenfalls keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Einführung der Ergänzungsabgabe im gegenwärtigen Augenblick herauslesen. Man muß auch immer wieder sehen, daß die Einführung der Ergänzungsabgabe keinesfalls isoliert betrachtet werden darf, sondern nur als eine Regelung im Rahmen eines Pakets von Maßnahmen gesehen werden kann.
Was die Einschränkung von Steuervergünstigungen bei der Körperschaftsteuer für verschiedene Gruppen von Kreditinstituten angeht, so ist dem Finanzausschuß dieser Schritt keinesfalls leicht gefallen. Wir haben uns die Bedenken, die der vorgesehenen Steuererhöhung in diesem Sektor entgegenstehen, durchaus klargemacht. Trotzdem glauben wir, daß die getroffene Lösung aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit zu vertreten ist. Wir sind auch der Ansicht, daß mit der Einschränkung dieser Steuerbegünstigungen im Kreditgewerbe ein erster Schritt zu dem von allen Fraktionen dieses Hauses für erforderlich gehaltenen Abbau von steuerlichen Subventionen getan wird. Wir freuen uns, daß in der Frage des Steuersatzes eine Kompromißlösung gefunden ist, die, glaube ich, für die Beteiligten tragbar ist. Ich darf in diesem Zusammenhang auf die Erklärungen verschiedener namhafter Vertreter der Sparkassenverbände und des Genossenschaftsverbandes verweisen, die sich dahin ausgesprochen haben, daß die geplanten Steuererhöhungen als tragbar anzusehen seien. Das loyale Verständnis und die große Einsicht der Sparkassen, der Kreditgenossenschaften und der Realkreditinstitute bei der Beratung über diese anstehenden Fragen verdient hervorgehoben zu werden.
Nach unserer Auffassung kann man bei den nunmehr vorgesehenen Steuersätzen die notwendige Kapitalbildung der Sparkassen und der Kreditgenossenschaften nicht unbedingt als gefährdet ansehen.
Abschließend möchte ich bemerken, daß die SPD- Fraktion dem vorliegenden Gesetzentwurf -
Drucksachen V/2087 und V/2320 — zustimmt und die Annahme des Entwurfs dem Hohen Hause empfiehlt.
Ich darf dann noch vielleicht zu Herrn Zoglmann eine Bemerkung machen. Es ist mir mitgeteilt worden, daß den Beratungen zwischen der SPD, also meiner Fraktion, und der FDP, die seinerzeit im Rahmen der Regierungsumbildung stattgefunden haben, nicht nur der Finanzbericht 1966 zugrunde gelegen hat, sondern ein Papier, das von dem damaligen Bundeswirtschaftsminister, Herrn Schmükker, zusammengestellt war und das ein Zahlenmaterial enthielt, das weit über die Zahlen des Finanzberichts 1966 hinausging. Das wollte ich, um der Wahrheit die Ehre zu geben, im Auftrage meiner Fraktion hier noch einmal feststellen.

(Beifall bei der SPD.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514110300
Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0514110400
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die FDP-Fraktion hat in der zweiten Lesung deutlich gemacht, daß sie den Art. 2 bis 10 zustimmt, wenngleich sie bei einigen Einzelpunkten gern eine etwas andere Lösung gesehen hätte. Diese Zustimmung schließt auch die Regelung für die Besteuerung der Kreditanstalten ein. Wir hätten es allerdings für sachlich richtig und gut gehalten, wenn die Regierung zuvörderst ihrem Auftrag nachgekommen wäre, den seit sechs Jahren überfälligen Bericht über die Wettbewerbsverhältnisse der Kreditanstalten vorzulegen; denn ein solcher Bericht hätte eigentlich erst die sachliche Grundlage für eine systematische Beratung abgegeben. Daß im Kreditgewerbe Wettbewerbsverzerrungen eingetreten sind, unterliegt keinem Zweifel. Aber wir hätten gern eine Lösung angestrebt, die nicht allein diktiert gewesen wäre von dem augenblicklichen Finanzbedarf der Regierung, sondern auch von der klaren Überlegung, was an Wettbewerbsverzerrungen ausgeglichen werden muß und inwieweit bestehende Begrenzungen eine ungleiche Besteuerung rechtfertigen.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7207
Frau Funcke
Von den Verbesserungen, die gegenüber dem Regierungsentwurf auf diesem Gebiet erzielt worden sind, begrüßen wir vor allen Dingen, daß unser Antrag angenommen worden ist, den Kreditgenossenschaften als Ausgleich für die Doppelbesteuerung einen niedrigeren Steuersatz zuzubilligen. An sich hätten wir gewünscht, daß man auch für sie den gespaltenen Steuersatz eingeführt hätte. Denn es ist einfach nicht einzusehen, warum nicht auch Kreditgenossenschaften für die auszuschüttenden Beträge den niedrigen Satz von 15 % in Anspruch nehmen können, da doch auch ihre ausgeschütteten Beträge bei den Genossen nachversteuert werden, genauso wie es mit den Dividenden von Aktiengesellschaften und sonstigen Körperschaften ist. Man hat sich aber in der Koalition leider nicht dazu verstehen können. Und so begrüßen wir es, daß es wenigstens gelungen ist, generell den niedrigeren Satz von 32 % gegenüber den 35 % für die übrigen durchzusetzen. Da es uns außerdem gelungen ist, für die Kreditgenossenschaften die Vermögensbesteuerung in der bisherigen Form beizubehalten, d. h. keine Doppelbesteuerung der Genossenschaftsanteile durchzuführen, wie es die Regierung vorgesehen hatte, stimmen wir diesem Teil des vorliegenden Gesetzes zu.
Aber, meine Herren und Damen, insgesamt lehnen wir das Zweite Steueränderungsgesetz ab, weil es im ersten Artikel jene Ergänzungsabgabe enthält, über die wir heute den ganzen Morgen gesprochen haben. Herr Kollege Genscher hat schon im einzelnen die Bedenken vorgetragen, die wir gegen die Einführung dieser Ergänzungsabgabe haben. Diese Ergänzungsabgabe, meine Herren und Damen, ist konjunkturpolitisch falsch, sie ist verfassungsrechtlich äußerst bedenklich, sie ist finanzpolitisch bestritten und sie ist wirtschaftspolitisch gefährlich. Fast alle Sachverständigen, die etwas von dem Zusammenhang von Wirtschaft, Finanz- und Sozialpolitik verstehen,

(Zuruf von der CDU)

haben eindeutig erklärt, daß die Einführung der Ergänzungsabgabe falsch ist. Meine Herren und Damen, sie ist es gerade deswegen, weil sie eine punktuelle Lösung ist — um die Äußerung des Herrn Finanzministers zu gebrauchen — und nicht im Zusammenhang mit den konjunkturpolitischen, mit den wirtschaftspolitischen und mit den sozialpolitischen Überlegungen gesehen wird, wie wir es wünschen möchten. Die Ergänzungsabgabe erfaßt gerade jene Einkommensteile, die entweder als Sparkapital oder als erweiterte Nachfrage oder in der Hand der Betriebe als Investitionskapital dringend notwendig sind, um den Bemühungen um ein organisches Wirtschaftswachstum Rechnung zu tragen. Dabei verstehe ich allerdings unter organischem Wirtschaftswachstum ein sich aus der Wirtschaft heraus ergebendes Wachstum und nicht eines, das durch staatlich verordnete, sehr einseitige Konjunkturspritzen in einzelnen Bereichen zu erreichen versucht wird.

(Beifall bei der FDP.)

Wer wirklich nachdrücklich die Sicherung der Arbeitsplätze und geordnete Staatsfinanzen wünscht,
kann nur einem solchen organischen Wachstum das Wort reden. Aber genau hier bremsen Sie mit der zusätzlichen Besteuerung.
Nun erinnere ich mich an Diskussionen im Finanzausschuß vor einigen Jahren, als es ebenfalls um Steuerfragen ging. Damals wurde aus den Reihen der SPD heraus argumentiert, daß es in der Wirtschaft kein wirkliches Risiko mehr gebe und deswegen ein gewisser Ausgleich für Risiko in der Wirtschaft nicht mehr erforderlich sei. Daraus sprach zweifelsohne ein besonders großes Vertrauen der damaligen Opposition in den Herrn Wirtschaftsminister Erhard; das muß man anerkennen. Aber da wir ja alle im Laufe der Zeit etwas dazugelernt haben, möchte ich annehmen, daß auch die damalige Oppositions- und heutige Regierungspartei SPD inzwischen nach den Erfahrungen des letzten Jahres eingesehen hat, daß es in der Wirtschafts durchaus ein belangvolles Risiko gibt, ein Risiko, für das gewisse Reserven in der Wirtschaft notwendig sind, gerade deswegen, weil die Sicherung des Arbeitsplatzes auch etwas mit den Finanzreserven eines Betriebes zu tun hat. Wer zu schnell an den Rand seiner finanziellen Kraft gekommen ist — das haben die letzten Monate deutlich gezeigt —, der kann eben auch keine Arbeitsplätze mehr sichern. Darum ist es gefährlich, die Eigenkapitalbildung im gewerblichen Bereich zu sehr zu beschneiden.
Meine Herren und Damen, in diesem Zusammenhang ein Wort auch zu Herrn Kollegen Junghans, der gemeint hat, die Ablehnung der Ergänzungsabgabe durch die FDP sei ein Restbestand aus der Mottenkiste antiquierter Unternehmenspolitik. Herr Kollege Junghans, ich empfehle Ihnen, doch einmal die gesammelten Werke von Schiller zu lesen, die er uns dieser Tage freundlicherweise ins Fach gelegt hat.

(Beifall bei der FDP.)

Vielleicht nehmen Sie vorsorglich auch gleich noch die Rede dazu, die Herr Minister Schiller gerade in diesem Augenblick bei den Arbeitgebern hält. Ich könnte mir denken, daß darin einiges darüber steht, wie Steuerbelastungen mit dem gesamtwirtschaftlichen Wohlstand oder Nicht-Wohlstand zusammenhängen. Das zu wissen wäre sicher ganz nützlich.
Frau Kollegin Kurlbaum, ich komme noch einmal auf Ihre 2 DM zurück. Sie haben nachgewiesen, daß in der Tat für diejenigen, die gerade den allerersten Schritt auf dieser Leiter tun, 2 DM herauskommen. Dieses Beispiel einer Mini-Besteuerung haben Sie sicherlich in dem guten Bestreben gebracht, den Zweiflern in diesem Hause die Dinge ein bißchen zu verniedlichen; denn für 2 DM steigt man natürlich nicht auf die Barrikaden.
Aber, meine Herren und Damen, es ist nicht ganz redlich, in der Erläuterung der Auswirkungen von der untersten Stufe einer schnell ansteigenden Leiter auszugehen. Man sollte dann doch ebenso ehrlich sagen, wie denn das Ende der Leiter aussieht. Da bleibt es eben nicht bei 2 DM, sondern geht in Bereiche, die ganz andere Ausmaße annehmen.
7208 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Frau Funcke
Schon wer die 16 000 DM, für die Übergangssätze gelten, nur um 1000 oder 2000 übersteigt, muß schon unvergleichlich viel mehr bezahlen.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514110500
Frau Kollegin Funcke, gestatten Sie eine Frage der Abgeordneten Frau Kurlbaum-Beyer?

Lucie Beyer (SPD):
Rede ID: ID0514110600
Frau Kollegin Funcke, würden Sie einsehen, daß ich zwar den niedrigsten Satz bei der Ergänzungsabgabe genannt habe, aber andererseits auch ein sehr niedriges Einkommen genommen habe, um damit die Auswirkungen der Mehrwertsteuer zu vergleichen. Ich habe mich hier an die Tatsachen gehalten. Wenn man dann 2 DM Ergänzungsabgabe pro Jahr rechnet bei
16 000 DM Einkommen und auf der anderen Seite z. B. bei einer Monatsrente von 300 DM ein Mehr an Mehrwertsteuer von 1,80 DM pro Monat — bei einer Jahresrente von 3600 DM fallen zusätzlich 21,60 DM Mehrwertsteuer an —, muß man dann nicht zugestehen, daß die Auswirkung der Ergänzungsabgabe in keinem Verhältnis zu der Auswirkung der Mehrwertsteuer steht?

(Beifall bei der SPD.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0514110700
Frau Kollegin KurlbaumBeyer, zunächst werden Sie mir zugeben, daß schon, wenn es 1000 DM mehr sind als 16 000 DM, also
17 0000 oder 18 000 DM, diese 2 DM ganz schnell auf über 100 DM anwachsen.
Das zweite ist folgendes. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie gleich das Stichwort Mehrwertsteuer hereingebracht haben. Sie persönlich sind ja aus dem Obligo; denn Sie haben mit uns gestimmt. Aber Ihre Fraktion und die Fraktion der CDU haben doch gerade der stärkeren Belastung des Verbrauchers und auch des Rentners durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer zugestimmt. Das können Sie uns nun nicht vorwerfen. Wir waren es doch, die diese allgemeine Symmetrie, wenn Sie so wollen, aufrechterhalten wollten und den Verbraucher nicht stärker belasten wollten, weil wir wissen, daß gerade bei der Umsatzsteuer auch der Familienbereich, der breite Bereich der Verbraucher hier am stärksten betroffen wird. Hier sind wir, glaube ich, logisch, wenn wir das eine wie das andere ablehnen.

(Abg. Frau Kurlbaum-Beyer: Wie wollen Sie denn finanzieren?)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514110800
Frau Kollegin Funcke, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Wuermeling?

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0514110900
Bitte.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514111000
Bitte, Herr Wuermeling.

Dr. Franz-Josef Wuermeling (CDU):
Rede ID: ID0514111100
Darf ich in Ergänzung der eben gestellten Fragen einmal die Frage stellen: Ist das wirklich eine so schreckliche Belastung durch die Ergänzungsabgabe, wenn jetzt — auf einer anderen Höhenlage — ein kinderloses Ehepaar mit 3700 DM Monatseinkommen ganze 25 DM Ergänzungsabgabe zu zahlen hat? Das sind Zahlen, die so aus der Mitte gegriffen sind. Das dürfte wohl doch nicht übermäßig hoch sein.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0514111200
Herr Kollege, der Unterschied unserer Argumentation — und das ist offensichtlich während des ganzen Vormittags noch nicht ganz deutlich geworden — ist doch der, daß wir von der konjunkturpolitischen Auswirkung sprechen und Sie von der sozialen Symmetrie. Deshalb kommen wir auch zu anderen Folgerungen. Sie gehen doch erkennbar nicht von dem aus, was volkswirtschaftlich sinnvoll wäre, Sie fragen nicht, welche Auswirkungen Steuerbelastungen für die Wirtschaft und damit für die allgemeine Volkswirtschaft haben, sondern Sie gehen davon aus: Wie kriegen wir in der Großen Koalition Ruhe, damit das eine oder andere durchgesetzt werden kann!

(Beifall bei der FDP.)

Das ist für Sie der einzige Grund für die Ergänzungsabgabe; das ist doch deutlich geworden. Es ist, ähnlich wie Herr Kollege Genscher sagte, eine „Koalitionsberuhigungssteuer" und sonst gar nichts.

(Beifall bei der FDP.)

Das haben doch alle Kollegen, die heute gesprochen haben, in schöner Offenheit gesagt.
Meine Herren und Damen, nun sind wir allerdings durch die begrüßenswerte Offenheit des Herrn Finanzministers etwas weiter, wir haben soeben noch mehr erfahren. Diese Steuer ist also nicht — Herr Kollege Pohle, Sie haben Ihr Manuskript offensichtlich schon gestern geschrieben, bevor der Finanzminister dies gesagt hat — vorübergehend. Sie haben doch sicher auch gehört, daß der Herr Finanzminister soeben sagte, daß die Ergänzungsabgabe in eine Erhöhung der Einkommen- und Lohnsteuer einmünden soll. Um dies zu erfahren, war es interessant, daß die Diskussion heute morgen reichlich ausuferte. So haben wir doch wenigstens einiges von diesen Absichten erfahren. Meine Herren und Damen vom Mittelstandsausschuß der CDU, das sollten Sie mit aller Deutlichkeit gehört haben. Was hier beabsichtigt ist, ist der erste Schritt, um den Mittelstandsbogen wiedereinzuführen, den wir dankenswerterweise einmal herausgeschnitten haben.

(Beifall bei der FDP.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514111300
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Ravens?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0514111400
Frau Kollegin Funcke, ich darf auf Ihre Berechnungen zur Ergänzungsabgabe zurückkommen. Habe ich Sie richtig verstanden, wenn ich Ihre Ausführungen so wiedergebe: Bei 16 000 DM 2 Mark, aber wenn wir n u r 1000 DM mehr nehmen, dann —? Ist Ihnen eigentlich klar, Frau Kollegin, daß diese „nur" 1000 DM mehr für die überwiegende Zahl der Familien in der Bundesrepublik Deutschland mehr sind, als sie überhaupt monatlich zum Leben zur Verfügung haben?
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7209

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0514111500
Auch hier kommen wir offensichtlich nicht klar. Ich habe sachlich die Tatbestände darstellen wollen, nicht aber sozialpolitisch werten wollen. Ich wollte nur die Dimensionen aufzeigen und wollte sagen, daß es einseitig ist, immer nur von 2 DM zu reden. Daß ich die Dimensionen aufgezeigt habe, ist, so glaube ich, sachlich gerechtfertigt. Außerdem handelt es sich um Jahresbeträge, nicht um Monatseinkommen.
Meine Herren und Damen, wohin wollen Sie nun eigentlich in der Koalition noch die Steuerschraube treiben? Herr Minister Strauß hat heute morgen freundlicherweise schon einiges aufgezählt. Ich habe versucht, es zusammenzuschreiben: 1965 Erhöhung der Branntwein- und Sektsteuer, Einführung der Südweinsteuer, 1966 Erhöhung der Mineralölsteuer, Erhöhung der Tabaksteuer, Verminderung der Kilometerpauschale, Einschränkung der Sparförderung; 1967 Einführung der Mehrwertsteuer, Einführung der Ergänzungsabgabe, Verlängerung der Heizölsteuer, Einführung der Aufsichtsratsteuer, Einführung der Güterverkehrsteuer und die indirekte Steuererhöhung durch die Mehrwertsteuer, bezogen auf die Verbrauchsteuern. Im Hintergrund steht die Finanzreform mit einer neuen Kommunalsteuer, und im Hintergrund steht das Steuergutachten der Sachverständigen mit dem Ziel einer Erhöhung der direkten Steuern.
Glauben Sie denn eigentlich, meine Herren und Damen, daß die Wirtschaft hierüber nicht in Beunruhigung gerät, wenn sie an Hand dieser für zwei Jahre erstellten Tabelle ausrechnen kann, was dann in vier Jahren auf sie zukommen wird?

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514111600
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Frage der Frau Abgeordneten Kurlbaum-Beyer?

Lucie Beyer (SPD):
Rede ID: ID0514111700
Frau Kollegin Funcke, wären Sie endlich bereit, auch zu sagen, wie Sie von der FDP diese Finanzlücken hätten decken wollen? Darauf warten wir doch die ganze Zeit. Geben Sie uns endlich die Antwort!

(Zurufe von der SPD und der FDP.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0514111800
Ich komme schon noch zu dieser Frage.
Alle diese Steuererhöhungen

(anhaltende Unruhe)

— wenn Sie so laut sind, kommen wir natürlich nicht schneller zum Ziel — waren begleitet von Beschwörungen relevanter Kreise in beiden Parteien und von der Beteuerung verschiedener Minister, daß jetzt aber keine neuen Steuern kommen würden. Und dann wurden diese Beschwörungen und Beteuerungen doch wieder abgelöst durch Ankündigungen von neuen Steuern. Herr Bundesfinanzminister, es ist doch keine Frage, daß Sie noch vor der Einführung der Güterverkehrsteuer gesagt haben, weitere Steuererhöhungen seien nicht beabsichtigt. Nun haben wir schon wieder eine, und Sie kündigen weitere und die Verewigung der derzeitigen an. Was
soll denn eigentlich von diesen Dingen allen Ernstes in der Bevölkerung geglaubt werden? Was soll denn in den nächsten Jahren oder gar am Ende der mittelfristigen Finanzplanung noch erhöht werden, wenn einmal die vielen kurzfristigen Schulden neben den laufenden Ausgaben getilgt werden müssen?

(Zuruf von der Mitte: Jetzt Ihre Vorschläge!)

Meine Herren und Damen von der Koalition! Sie reden sich selbst ein oder lassen sich von der Regierung einreden, man brauche das Geld, um den Haushalt ausgleichen zu können. Merken wir denn alle miteinander hier nicht, daß eine wiedergesundete Wirtschaft bei normalen Steuersätzen mehr Einnahmen für den Staat bringt als eine unausgelastete Wirtschaft mit überhöhten Steuersätzen?

(Sehr richtig! bei der FDP.)

Das ist doch die Frage, um die es heute geht. Ich habe heute morgen in einer Zwischenfrage angedeutet: nur ein einziges Prozent Zuwachs des Bruttosozialprodukts — der Sachverständigenrat erklärt, in diesem Jahr gebe es 0,5 % minus — bringt weit mehr an Mehrsteuern, als diese Ergänzungsabgabe bringen soll. Wer liegt der Schlüssel, meine Herren und Damen. Die derzeitige Rezession ist sicherlich, Herr Minister, mit ausgelöst durch die Unruhe der Wirtschaft über die Staatsfinanzen, aber doch deswegen, weil die Wirtschaft fürchtet, eines Tages für diese Staatsdefizite zur Kasse gebeten zu werden.

(Beifall bei der FDP. — Zurufe von der Mitte.)

Deswegen ist die Wirtschaft so unruhig. Solange Sie mit permanenten Steuererhöhungen kommen, wird diese Wirtschaft nicht zur Ruhe und zum Vertrauen kommen. Die derzeitige Regierung schafft ja gerade mit den laufenden Steuer- und Kostenerhöhungen die Unsicherheit, die die Gesundungskräfte in unserer Wirtschaft nicht zur Auswirkung kommen läßt. Hier liegt der psychologische Effekt, der weit über diese 700 Millionen DM Belastung durch die Ergänzungsabgabe hinausgeht und eben nicht zahlenmäßig nachgewiesen werden kann. Das ist doch deutlich geworden. Wohin Sie kommen, nicht zuletzt von den amtlichen Sachverständigen, hören Sie doch, daß die Wirtschaft sich in einer ganz großen Unsicherheit und Unruhe befindet.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514111900
Frau Abgeordnete Funcke, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer? — Bitte!

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0514112000
Frau Kollegin, wie würden Sie denn von der psychologischen Seite her die Äußerung Ihres Parteivorsitzenden Mende beurteilen, daß wir vor einer zweiten Inflation stehen?

(Zurufe von der FDP.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0514112100
Aber Herr Kollege Althammer, nicht das Aussprechen von Gefahren schafft die Unsicherheit, sondern die tatsächlichen Ursachen der Unsicherheitsmomente. Wir haben doch ein Beispiel. Bei der Beratung des Mehrwertsteuergesetzes im April dieses Jahres haben Kollegen der SPD der FDP vorgeworfen, wir würder
7210 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Frau Funcke
die Lagerabbautendenzen dadurch erst wecken, weil wir hier in diesem Hause die Sorge äußerten, daß so, wie Sie die Altvorräteentlastung regeln wollten, es in der Wirtschaft zum Lagerabbau kommen würde. Man hat uns gesagt: Sie schaffen erst die Unruhe. Aber das Ergebnis war dann doch so, daß Sie sich nach zwei Monaten haben korrigieren müssen, weil sich unsere Befürchtungen bewahrheiteten.

(Beifall bei der FDP.)

Genau dasselbe wird jetzt wieder geschehen. Jede Wirtschaft wird eines Tages wieder hochkommen, wenn man sie in Ruhe läßt. Das ist nicht das Verdienst einer Regierung. Das „Verdienst" dieser Regierung aber ist es, daß es so lange dauert. Geben Sie der Wirtschaft endlich Ruhe! Geben Sie der Wirtschaft Zuversicht und sichere Kalkulationsgrundlagen! Ersparen Sie ihr neue Steuerbelastungen! Dann können Sie sich — und das auch zu Frau Kurlbaum — das dritte Konjunkturprogramm mit neuen gepumpten Milliarden sparen. Das scheint mir in der Tat billiger zu sein.

(Beifall bei der FDP.)

Die FDP-Fraktion lehnt die Ergänzungsabgabe als konjunkturwidrig ab.

(Erneuter Beifall bei der FDP.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514112200
Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Zweiten Steueränderungsgesetz 1967 im ganzen zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Die Gegenprobe! — Das Gesetz ist mit großer Mehrheit angenommen.

(Abg. Genscher: Enthaltungen feststellen!) — Enthaltungen?


(Drei Abgeordnete der CDU/CSU erheben sich. — Lachen und Zuruf von der FDP: Die drei Getreuen!)

Drei Enthaltungen.
Wir haben noch den Punkt 2 des Antrags des Ausschusses zu erledigen, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Darf ich unterstellen, daß das Haus diesem Teil des Ausschußantrags zustimmt? — Das ist der Fall, es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die ertragsteuerlichen und vermögensteuerlichen Auswirkungen des Umsatzsteuergesetzes vom 29. Mai 1967 und zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Drittes Steueränderungsgesetz 1967)

— Drucksache V/2185 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses (13. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache V/2321 —
Berichterstatter: Abgeordneter Windelen
b) Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (14. Ausschuß)

— Drucksache V/2307 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schwörer

(Erste Beratung 131. Sitzung)

Wünscht der Berichterstatter des Haushaltsausschusses, der Abgeordnete Windelen, das Wort? — Er verzichtet. Wünscht der Berichterstatter des Finanzausschusses, der Abgeordnete Dr. Schwörer, das Wort?

(Abg. Dr. Schwörer: Ich verweise auf den Schriftlichen Bericht!)

— Sie verweisen auf den Schriftlichen Bericht. Wir treten in die Beratung ein.
Ich rufe Art. 1 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 317 t) vor. Zur Begründung hat der Abgeordnete Dr. Schwörer das Wort.

Dr. Hermann Schwörer (CDU):
Rede ID: ID0514112300
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe die Ehre, den Änderungsantrag Umdruck 317, der interfraktionell von den Kollegen Dr. Schmidt (Wuppertal), Schulhoff, Dr. Schwörer, Regling, Feuring, Frau Funcke und Genossen eingebracht worden ist, zu begründen. Dieser Antrag ist im Zusammenhang mit dem Inkrafttrieten des Mehrwertsteuergesetzes notwendig geworden, und zwar aus Gründen ertragsteuerlicher Natur.
Mit dem Entwurf eines Dritten Steueränderungsgesetzes, das wir heute verabschieden, haben wir einige wichtige Schlußfolgerungen aus der Umstellung des Umsatzsteuersystems auf dem Gebiet des Ertragsteuerrechts gezogen. Zu dem hier vorliegenden Petitum möchte ich Ihnen empfehlen, diese neuen Regelungen im Bericht nachzulesen. Ich möchte aber hinzufügen, daß in diesem Zusammenhang vor allem wichtig ist, daß der Vorsteuerbetrag nach § 15 des Umsatzsteuergesetzes, soweit er bei der Umsatzsteuer nicht abgesetzt werden kann, den Anschaffungs- und Herstellungskosten hinzugerechnet werden muß, also ertragsteuerlich aktiviert werden muß. Davon gibt es in diesem Gesetzentwurf eine Ausnahme. Es ist eine Bagatellregelung, die vorsieht — das ist § 9 b Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes —, daß der nicht abziehbare Teil des Vorsteuerbetrags den Anschaffungs- und Herstellungskosten nicht hinzugerechnet zu werden braucht, wenn er 25 % des Vorsteuerbetrags und 500 DM nicht übersteigt oder wenn die zum Ausschluß vom Vorsteuerabzug führenden Umsätze nicht mehr als 3 % des Gesamtumsatzes des Unternehmens betragen.
Diese vernünftige Bagatellregelung führt allerdiegs dazu, daß ein und dasselbe Anlagegut bei dem einen Unternehmen ein geringwertiges Wirtschaftsgut im Sinne des § 6 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes darstellt, bei dem anderen nicht. Sogar bei dem gleichen Unternehmen entstehen von Jahr zu
*) Siehe Anlage 3
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7211
Dr. Schwörer
Jahr unter Umständen verschiedene Rechtslagen. Nach § 15 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes sind nämlich die Vorsteuerbeträge dann voll zu verrechnen, wenn das Unternehmen nur steuerpflichtige Umsätze hat oder wenn diese vorhin erwähnte Bagateliregelung wirksam wird. Auf der anderen Seite stehen die Kleinunternehmer im Sinne des § 19 des Umsatzsteuergesetzes, die Vorsteuerbeträge nicht absetzen können. Dazwischen liegen Fälle, in denen dier prozentuale Anteil der nach § 4 Abs. 6 steuerfreien Umsätze am Gesamtumsatz des Unternehmens dafür maßgebend ist, in welchem Umfang in Rechnung gestellte Vorsteuerbeträge von der eigenen Umsatzsteuerschuld des Unternehmens abgesetzt werden können. Soweit die Regelung des § 15 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes.
Im letzten Bereich ergeben sich die dauernden Veränderungen der Grenze für kurzlebige Wirtschaftsgüter. Um diese Grenze zu stabilisieren, um zu erreichen, daß geringwertige Wirtschaftsgüter bei allen Unternehmen die gleiche und auch eine gleichbleibende Grenze haben, ist eine Änderung des § 6 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes nötig. Diese Änderung ist auch aus Vereinfachungsgründen dringend geboten. Die von den Antragstellern vorgeschlagene Änderung sieht folgendermaßen aus:
Bei der Frage, ob ein kurzlebiges oder geringwertiges Wirtschaftsgut vorliegt, wird in § 6 Abs. 2 auf die Nettoanschaffungskosten abgestellt. Von den gesamten Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Wirtschaftsgutes müssen diejenigen Kosten außer Ansatz bleiben, die nicht verrechenbare Vorsteuerbeträge sind.
Wir schlagen deshalb vor, daß in § 6 Abs. 2 der letzte Absatz folgende Fassung erhält:
„wenn die Anschaffungs- oder Herstellungskosten vermindert um einen darin enthaltenen Vorsteuerbetrag (§ 9 b Abs. 1) für das einzelne Wirtschaftsgut 800 Deutsche Mark nicht übersteigen."
Herr Präsident, ich darf vielleicht gleich die beiden anderen Ziffern unseres Änderungsantrags begründen.
Diese Änderungen ergeben sich daraus, daß im Dritten Steueränderungsgesetz 1967 auch eine Bestimmung des Berlinhilfegesetzes über geringwertige Wirtschaftsgüter an die inzwischen erhöhte Grenze von 800 DM angepaßt werden soll. Es ist nur logisch, wenn wir diese Änderung berücksichtigen und in die Neuregelung einarbeiten.
In Ziffer 2 unseres Änderungsantrags geht es um die Anpassung des § 19 Abs. 2 Satz 3 des Berlinhilfegesetzes bezüglich der geringwertigen Wirtschaftsgüter. Die Ziffer 3 unseres Änderungsantrags befaßt sich mit dem Termin, zu welchem die Neuregelung für kurzlebige und geringwertige Wirtschaftsgüter in Kraft treten soll.
Meine Damen und Herren, dieser interfraktionelle Antrag ist mit dem Finanzministerium abgestimmt. Sie können ihm deshalb beruhigt zustimmen. Ich bitte Sie darum, dem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.

(Beifall.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514112400
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 317 *) Ziffer 1, der den Art. 1 betrifft. Wer stimmt diesem Antrag zu? — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Eine Enthaltung. Der Antrag ist angenommen.
Wir stimmen über den Art. 1 in der neuen Fassung ab. Wer stimmt ihm zu? — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Artikel ist einstimmig angenommen.
Ich rufe die Art. 2 und 3 auf. Wer stimmt diesen Artikeln zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Artikel sind einstimmig angenommen.
Ich rufe Art. 4 auf.
Auf Umdruck 317 finden Sie unter den Ziffern 2 und 3 die entsprechenden Änderungsanträge. Wenn sich aber, wie der Abgeordnete Dr. Schwörer gesagt hat, diese beiden Änderungen aus der Annahme des Antrags unter Ziffer 1 ergeben — so habe ich Sie verstanden —, dann könnten wir über beide Änderungen zusammen abstimmen. Wer den Änderungsanträgen unter den Ziffern 2 und 3 des Umdrucks 317 zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ohne Gegenstimmen sind diese Anträge angenommen.
Wir können dann über Art. 4 in der neuen Fassung abstimmen. Wer stimmt zu? — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch dieser Artikel ist einstimmig angenommen.
Ich rufe die Art. 5, — 6, — die Einleitung und die Überschrift auf. — Wer den aufgerufenen Artikeln, der Einleitung und der Überschrift zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Weder Gegenstimmen noch Enthaltungen. Auch diese Artikel, die Einleitung und die Überschrift sind einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung über das Dritte Steueränderungsgesetz 1967. Wer dem Gesetz im ganzen zutimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie über die Anpassung der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (Zehntes Rentenanpassungsgesetz — 10. RAG)

— Drucksache V/2182 —
*) Siehe Anlage 3
7212 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Vizepräsident Schoettle
a) Bericht des Haushaltsausschusses (13. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache V/2302 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Götz
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (18. Ausschuß)

— Drucksache V/2301 —
Berichterstatter: Abgeordneter Glombig (Erste Beratung 129. Sitzung)

Wünscht der Herr Berichterstatter des Haushaltsausschusses das Wort? — Das ist nicht der Fall. Berichterstatter für den Ausschuß für Sozialpolitik ist der Abgeordnete Glombig. Wünscht er das Wort? — Auch das ist nicht der Fall.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe auf die §§ 1,-2,-3,-4,-5,-6,-7,-8,9, — 10, — 11, — 12. — Ich stelle die aufgerufenen Bestimmungen zur Abstimmung. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ohne Gegenstimmen sind diese Paragraphen angenommen.
Nunmehr rufe ich § 13 auf. Dazu liegt ein Antrag des Ausschusses auf Drucksache V/2301, Seite 3, vor. Der Ausschuß schlägt vor, den Gesetzentwurf mit der Maßgabe anzunehmen, daß in § 13 Abs. 1 letzter Satz die Worte „Arbeitslosenversicherung, der" gestrichen werden, im übrigen die Vorlage aber unverändert bleiben soll. Wer stimmt dem Änderungsantrag des Ausschusses zu § 13 Abs. 1 zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist angenommen.
Wir stimmen dann über § 13 in der veränderten Fassung ab. Wer stimmt § 13 zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — § 13 ist angenommen.
Ich rufe nun die §§ 14, — 15, — 16, — Einleitung und Überschrift auf. Wer stimmt den aufgerufenen Bestimmungen zu? — Danke. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen. Damit ist die zweite Beratung geschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort hat der Abgeordnete Winkelheide.

Bernhard Winkelheide (CDU):
Rede ID: ID0514112500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gebe die Erklärung der CDU/CSU-Fraktion zu Protokoll *), damit wir weiterkommen.

(Beifall.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514112600
Wir bedanken uns. Das Wort hat der Abgeordnete Riegel.

Karl Riegel (SPD):
Rede ID: ID0514112700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der SPD-Fraktion — —

(Zurufe von der CDU/CSU: Zu Protokoll geben!)

*) Siehe Anlage 5
— Ich sage Ihnen offen: Mir ist es zuwider, Erklärungen zu Protokoll zu geben. Dafür halte ich meine
Erklärung namens der SPD-Fraktion sehr, sehr kurz.
Wir möchten zur dritten Lesen des Zehnten Rentenanpassungsgesetzes folgendes erklären: Mit der Annahme dieses Gesetzes wird den Empfängern von Renten aus der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung die seit einem Jahr herrschende Sorge genommen, ob als Folge der entstandenen finanz- und haushaltspolitischen Situation das materielle Recht der Alterssicherung eine Verschlechterung erfahren wird.
Die Fraktion der SPD übersieht nicht, daß im Rahmen dieses Gesetzes zur Verwirklichung einer mehrjährigen Finanzplanung, über die morgen zu sprechen und zu entscheiden sein wird, auch Eingriffe in den sozialen Bereich erfolgen sollen. Entscheidend ist, daß die bruttolohnbezogene dynamische Rente, die in den Rentenneuregelungsgesetzen von 1957 festgelegt wurde, erhalten bleibt. Die jährlich Steigerung der Renten ist in die mittelfristige Finanzplanung einbezogen. Die Rentner dürfen bis zum Jahre 1971 mit einer Steigerung der Renten um annähernd 30 0/o rechnen.
Die Fraktion der SPD sieht in der dynamischen Rente einen entscheidenden Bestandteil einer modernen Alterssicherung. Wir wissen, daß die Haushaltslage der nächsten Jahre und die zu erwartende Steigerung der Zahl der über 65jährigen die Rentenversicherung vor große Schwierigkeiten stellen wird. Das Hohe Haus wird sich mit der Frage der Dekkung wachsender Rentenansprüche bei der Beratung des Dritten Rentenversicherungsänderungsgesetzes zu beschäftigen haben.
Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß das materielle Leistungsrecht der Renten- und Unfallversicherung keine Verschlechterung erfahren darf, auch dann nicht, wenn die Solidargemeinschaft Belastungen zusätzlich zu tragen hat. Es sollte nicht nur gesehen werden, daß die sich aus diesem Gesetz ergebenden Mehraufwendungen in der Höhe von 2,32 Mililarden DM zur Steigerung der Kaufkraft und damit zum konjunkturellen Aufschwung beitragen werden.
Die Fraktion der SPD stimmt dem Zehnten Rentenanpassungsgesetz zu.

(Beifall bei der SPD.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514112800
Das Wort hat der Abgeordnete Geldner.

Karl Geldner (FDP):
Rede ID: ID0514112900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Damit die Möglichkeit einer pünktlichen Mittagspause gegeben ist, gebe ich wie Herr Kollege Winkelheide meine Erklärung namens der Freien Demokratischen Partei zu Protokoll *).

(Beifall.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514113000
Damit ist die Aussprache in der dritten Beratung geschlossen.
*) Siehe Anlage 6
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7213
Vizepräsident Schoettle
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Zehnten Rentenanpassungsgesetz in dritter Beratung im Ganzen zustimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Die. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Offenbar keine Enthaltungen. — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verbilligung von Gasöl für Betriebe der Landwirtschaft (Gasöl-Verbilligungsgesetz-Landwirtschaft)

— Drucksache V/2194 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses (13. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache V/2334 —Berichterstatter: Abgeordneter Brese
b) Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (14. Ausschuß)

— Drucksache V/2322 —
Berichterstatter: Abgeordneter Stooß (Erste Beratung 129. Sitzung)

Wir treten in die zweite Beratung ein. Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Stooß.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514113100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zunächst als Berichterstatter zu sagen, daß der Nachtrag zum Schriftlichen Bericht des Finanzausschusses, der heute auf den Plätzen des Hauses gelegen hat, eine Einfügung erhalten muß. Denn nur damit ist dem Antrag der FDP, so wie er im Finanzausschuß behandelt worden ist, voll Genüge getan.
Ich verlese die Formulierung über die Behandlung des Antrages:
Der Finanzausschuß bittet die Bundesregierung, die Vorschläge in dem Initiativgesetzentwurf der Abgeordneten Wächter und Genossen — Drucksache V/696 — für die Kennzeichnung — Färbung des Heizöls für Heizzwecke — weiter zu verfolgen, sobald hierfür die technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen vorliegen,
und hier muß dann eingefügt werden:
und zu prüfen, ob das so gekennzeichnete Heizöl der Landwirtschaft als steuerbegünstigter Dieselkraftstoff zur Verfügung gestellt werden kann.
Danach will sich der Ausschuß mit dem. Initiativgesetzentwurf — Drucksache V/696 —, den er diesmal nicht als Beratungsgrundlage akzeptieren konnte, erneut befassen. — So ist vollständig wiedergegeben, wie dieser Antrag der FDP im Finanzausschuß behandelt worden ist.
Nun, Herr Präsident, nur noch wenige Bemerkungen zur Sache. Ich bemühe mich, mich sehr kurz zu fassen; aber, meine Damen und Herren, es geht hier um ein sehr wichtiges, bedeutendes Gesetz für
die deutsche Landwirtschaft. Ich bin doch der Meinung, daß dazu in diesem Hohen Hause ein paar Bemerkungen gemacht werden müssen, vor allem auch deshalb, weil gerade dieser Fragenkomplex in den letzten Monaten in der deutschen Landwirtschaft, in der ganzen agrarpolitischen Diskussion, eine große Rolle gespielt hat. In diesen Diskussionen ist immer viel Mißstimmung darüber zum Ausdruck gebracht worden, daß diese Frage für die Zukunft noch nicht gelöst ist. Deshalb wird es dankbar begrüßt, daß die Regierung nun diese Vorlage gebracht hat und daß damit Klarheit geschaffen ist, zu welchen Bedingungen und wie künftighin die deutsche Landwirtschaft den Dieselkraftstoff beziehen kann. Die Regelung, die in diesem Gesetz getroffen ist, stellt zweifellos gegenüber der bisherigen Regelung einen Fortschritt und eine Verbesserung dar.
Ich danke allen Kollegen der Ausschüsse — sowohl des Landwirtschafts- und des Ernährungsausschusses als auch des Finanzausschusses —, daß sie sich entschlossen haben, gleich die Überchrift zu diesem Gesetz zu ändern. Der Verbilligungsbegriff ist in einen Verwendungsbegriff umgewandelt worden. Ich glaube, daß gerade auch diese neue Bezeichnung in der Landwirtschaft allgemein gutgeheißen wird, und zwar deshalb, weil man aus dem Verbilligungsbegriff immer zu sehr den Subventionsgedanken herausgelesen hat. Die Landwirtschaft sieht in dieser Erstattung keine Subvention; denn auch beim steuerbegünstigten Heizöl war nie an eine solche gedacht. Was die Landwirtschaft fordert und verlangt, ist doch nur die Gleichstellung mit den übrigen Landwirtschaften im EWG-Raum. Sie will doch nicht mehr und nicht weniger als dies: daß so, wie die Produktenpreise der Landwirtschaft im EWG-Raum heute weithin gleichgeschaltet sind, auch die Betriebsmittelpreise — und dazu gehört auch das Gasöl — mit denen der übrigen Landwirtschaften gleichgestellt werden. Mit der vorgesehenen Erstattung von 32,5 Pf ist das, glaube ich, weithin erreicht; denn die Selbstkosten der deutschen Landwirtschaft für den Liter Dieselkraftstoff betragen dann noch etwa 18 Pf, und das soll etwa dem Durchschnittspreis entsprechen, zu dem der Dieselkraftstoff der Landwirtschaft in den anderen EWG-Ländern zur Verfügung gestellt wird.
Wichtig ist vor allem auch, daß diese Vergünstigung im Verkehrsfinanzgesetz gesetzlich verankert ist. Das ist eine Sache, die wir unserer Landwirtschaft auch entsprechend aufzeigen wollen.
Die Verfahrensänderung, die vorgenommen wird, ist ebenfalls zu begrüßen. An die Stelle der nachträglichen Erstattung, die man bisher gehabt hat, tritt die Soforterstattung bzw. die Barauszahlung. Das bedeutet praktisch, daß die Landwirtschaft die Erstattung im Jahre 1968 in zwei und in den folgenden Jahren in drei Barauszahlungen bekommt.
Es muß ausgesprochen werden, meine Damen und Herren, daß, sosehr das Gesetz aufs Ganze begrüßt wird, dennoch nicht alle berechtigten Anliegen der Landwirtschaft Berücksichtigung gefunden haben. Das ist einmal der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Erstattung. Sie tritt am 1. Mai 1968 in Kraft. Damit
7214 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Stooß
steht fest, daß die Landwirtschaft für die ersten vier Monate des kommenden Jahres keine Vergünstigung hat.
Ein weiterer Punkt. § 2 Abs. 1 regelt die Abgrenzung der Betriebe. Es ist nicht völlig zu übersehen, welche landwirtschaftlichen Betriebe in der Hand juristischer Personen die Vergünstigung nicht haben bzw. bekommen sollen. Ich möchte meinen: im Zeitalter der Rationalisierung, im Zeitalter überbetrieblicher Zusammenschlüsse bis weit hinein in die bäuerliche Welt sollten notwendige, zeitgemäße Zusammenschlüsse, in welcher Rechtsform sie auch erfolgt sein mögen, in dieser Hinsicht nicht benachteiligt werden.
Ein dritter Punkt. In Abs. 4 des § 2 werden Wasser- und Bodenverbände sowie Teilnehmergemeinschaften nach dem Flurbereinigungsgesetz von der Vergünstigung ausgenommen. Diese Zusammenschlüsse führen im Auftrag der Bauern Unterhaltungs- und Ausbaumaßnahmen auf deren Grundstücken auf ganzen Gemarkungen durch, — sehr wichtige, bedeutsame Maßnahmen. Die Kosten dieser Verfahren sind an sich heute schon sehr hoch, sie sind sehr stark gestiegen, und deshalb wäre es nicht mehr als recht und billig, für die Durchführung dieser Verfahren mit Dieselmaschinen auch den verbilligten Betriebsstoff beziehen zu können.
Wir erwarten, meine Damen und Herren, daß diese Zweifelsfälle, wie sie sich aus der Vorlage ergeben, in einer Durchführungsverordnung möglichst klargestellt werden und eine positive Regelung erfahren, damit wir nicht in Kürze gezwungen sind, eine neue Novellierung des Gesetzes vorzunehmen.
Das sind die wesentlichsten Punkte, die ich zu dem Gesetzentwurf vortragen durfte.
Ich bitte das Hohe Haus, diesem für die Landwirtschaft bedeutsamen Gesetz zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514113200
Das Wort hat der Abgeordnete Ertl. — Ich darf aber darum bitten, daß sich die Abgeordneten gelegentlich mit einem Blick auf die Uhr an unsere Zeitplanung erinnern.

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0514113300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir furchtbar leid, daß ich noch einige Bemerkungen machen muß.
Ich stimme dem Vorredner darin zu, daß dieses Gesetz in der öffentlichen Diskussion eine große Rolle gespielt und daß die ungelöste Problematik sicherlich auch zu einer Situation beigetragen hat, wie sie erst neulich die CSU nach einer Landesvorstandssitzung unter dem Herrn Vorsitzenden Finanzminister Strauß folgendermaßen gekennzeichnet hat: „Die in weiten Kreisen der Landwirtschaft herrschende Unklarheit über die Zukunft der Landwirtschaft kann nur durch eine Zusammenarbeit aller Verantwortlichen der bayerischen und deutschen Landwirtschaft überwunden werden." Gerade diese Gesetzesmaterie hätte die Möglichkeit geboten, zu besseren Lösungen zu kommen. Ich begrüße sehr, daß der Kollege Stooß — ebenso wie alle Kollegen im
Ernährungsausschuß — nachdrücklich betont hat, daß die bessere Lösung die wäre, die eigentlich schon seit anderthalb Jahren auf dem Tisch liegt, nämlich seit dem 15. Juni 1966. Das ist der Vorschlag der FDP-Abgeordneten Wächter, Reichmann, Ertl, Logemann und Genossen in der Drucksache V/696, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes. Das hat man nicht gewollt, offensichtlich auf Wunsch des Finanzministers und des Finanzministeriums nicht. Wir wissen ja auch, warum es anders gewollt wurde: weil man dann optisch 600 Millionen DM als Subventionsbetrag nachweisen kann, obwohl es in der Tat keiner ist. Man kann hier eine falsche Optik aufbauen, man kann hier so tun als ob. Unser Antrag dagegen war klar.
Dann wurde gesagt, die Sache mit der Färbung lassie sich technisch nicht lösen. Dazu kann ich nur sagen: Offensichtlich geht es in anderen Ländern, es geht in Frankreich. Offensichtlich geht es auch bei Benzin. Es wurde auch gesagt, es wäre zu teuer. Nun, die Benzinfirmen färben dauernd. Wenn es teuer wäre, würden sie es sicher nicht machen. Sie wissen, daß hier keine sehr großen Unkosten entstehen.
Alles in allem: Unsere Lösung, nämlich gefärbten Treibstoff auf Zollkarte abzugeben, wäre der einfachere, der zweckmäßigere Weg gewesen. Die Regierung hat hier aber wieder zu einer Übergangslösung gegriffen, obwohl sie sicherlich auf die Dauer nicht zu halten ist.
Ich möchte auch in punkto Sparsamkeit hinzufügen: Hier entstehen neue Verwaltungskosten — ich möchte mit Sicherheit sagen: in Millionenbeträgen; denn es müssen dreimal im Jahr Vorauszahlungen verrechnet werden. Hier entstehen zusätzlich wiederum Erschwernisse in der gesamten Verrechnung, und es entsteht eine echte Benachteiligung für die Landwirtschaft: erstens Verlust von vier Monaten, nämlich Januar bis April, wo es überhaupt keinen Zuschuß, überhaupt keine Begünstigung gibt, und zusätzlich auch keine restlose Beseitigung der Wettbewerbsverzerrungen.
Das alles veranlaßt uns, dieser Vorlage nicht zuzustimmen. Wir werden uns der Stimme enthalten, weil wir es nicht .mitmachen wollen, daß bis zum 1. Januar überhaupt keine Lösung gefunden worden ist. Wir können nicht zustimmen, weil les eine falsche Lösung und eine teure Lösung ist. Wir hatten den besseren, den sachlich richtigeren Weg vorgeschlagen. Wir bedauern, daß die Regierungskoalition diesem besseren Weg nicht vollauf zugestimmt hat.

(Beifall bei der FDP.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514113400
Das Wort hat Herr Staatssekretär Leicht vom Finanzministerium.

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514113500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht mehr auf alle Einzelheiten eingehen, die bereits im zuständigen Ausschuß oder in den Ausschüssen, die sich mit die-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7215
Parlamentarischer Staatssekretär Leicht
ser Frage der Gasölbetriebsbeihilfe befaßt haben, vorgebracht worden sind. Aber ich muß doch eines auf das entschiedenste zurückweisen, Herr Kollege Ertl: So einfach, wie Sie es hier dargestellt haben, ist es nun einmal nicht. Sie haben ja selber, nehme ich an, die Gründe gehört, die es im Augenblick unmöglich machen, bei uns gefärbtes Heizöl zu verwenden. Dabei hat die Regierung 'aber nicht etwa gesagt, daß das, was Sie bezüglich einer Färbung des Heizöls vorgeschlagen haben, einfach auf die Seite geschoben wird und für alle Zeiten nicht in Frage käme. Im Gegenteil, wir haben immer wieder erklärt, daß die Regierung bereit ist, ja es für nötig hält, diese Dinge weiter zu verfolgen. Wenn die Voraussetzungen gegeben sind — ich erinnere hier nur daran, daß man eine Verteilerorganisation neu schaffen muß, und dazu kommen andere schwerwiegende Gründe, die im Augenblick dagegen sprechen —, wird die Bundesregierung dieser Sache nochmals nähertreten.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0514113600
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0514113700
Ich darf doch aus Ihren letzten Bemerkungen entnehmen — Gott sei Dank sind wir doch etwas vorwärtsgekommen —, daß Sie mir bestätigen, daß die Lösung, wie sie unser Antrag vorsieht, technisch durchführbar ist. Das ist also nur eine Frage der Umstellung, und dazu hätten Sie eineinhalb Jahre Zeit gehabt.

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514113800
So einfach ist es wiederum nicht, Herr Kollege Ertl, Ich erinnere an die Ausführungen, die der Herr Kollege Krammig im Finanzausschuß zu der Frage der Möglichkeiten des Aufbaus eines Verteilernetzes gemacht hat. Ich kann nur sagen, daß das nicht in diesen anderthalb Jahren, wie Sie meinen, möglich gewesen wäre, weil auch noch andere Gesichtspunkte eine Rolle gespielt haben. Sie wissen, daß die Frage der Vergällung und noch verschiedene andere Fragen eine Rolle gespielt haben.
Im übrigen war es das Bestreben — das müssen Sie doch endlich einmal anerkennen —, eine Lösung zu finden, die auch die Zustimmung des Bundesrates findet, und das Hauptanliegen, das überhaupt dieses Gesetz ausgelöst hat, so schnell wie möglich zu verwirklichen, nämlich zu einer sofortigen Zahlung der Beihilfe an die Landwirtschaft zu kommen. Dies ist der Weg, der nun gefunden worden ist, um der Landwirtschaft dieses große Anliegen zu erfüllen.
Im übrigen, ein Bezugsscheinverfahren ist nach der jetzigen Regelung, Herr Kollege Ertl, nicht mehr vorgesehen. Wir sind der Meinung — und hier greife ich auf den Bundesrat zurück —, daß das jetzt gefundene Verfahren auch vom verwaltungsmäßigen Aufwand her bedeutend billiger ist als das ursprünglich vorgesehene. Wir meinen, diese Regelung, wie sie jetzt im Finanzausschuß gefunden worden ist mit den Änderungen bis hin zu der Änderung der Überschrift, die auch noch ein gewisses Entgegenkommen der Kollegen im Finanzausschuß darstellt, ist im
Augenblick für diejenigen, die von dem Gesetz betroffen werden, die bestmögliche Regelung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514113900
Die Aussprache ist geschlossen.
Wir treten in die Einzelberatung ein. Ich rufe auf die §§ 1 bis 19, — Einleitung und Überschrift. — Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion der FDP — —

(Zurufe von der FDP: Und noch einzelne!)

— Ich stelle also fest: Bei einer Anzahl Enthaltungen
sind die aufgerufenen Paragraphen angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gasöl-Verbilligungsgesetz-Landwirtschaft im Ganzen zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Jetzt darf ich aber feststellen, daß die Enthaltungen ausschließlich aus der Fraktion der FDP kommen. Das Gesetz ist mit großer Mehrheit angenommen.
Damit sind wir am Schluß der Vormittagssitzung. Wir treten in die Mittagspause ein. Nach dem Stand der Uhr — eine Stunde Pause — beginnen wird um 14.15 Uhr mit der Fragestunde. Daran anschließend wird die Verteidigungsdebatte mit einer Rede des Bundesaußenministers fortgesetzt.
Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung der Sitzung: 13.14 bis 14.16 Uhr.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514114000
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir beginnen mit der
Fragestunde
— Drucksachen V/2333, V/2347 —
Zunächst eine Dringende Mündliche Anfrage des Kollegen Dr. Imle:
Bejaht die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit die Auffassung des Bundeswirtschaftsministers über den Inhalt eines in das Kohle-Anpassungsgesetz einzufügenden § 12 a?
Ich sehe, daß sich Herr Kollege Imle mit der schriftlichen Beantwortung dieser Frage aus dem Geschäftsbereich des Herrn Bundesministers für Wirtschaft einverstanden erklärt hat. Die Antwort des Bundesministers Dr. Schiller vom 7. Dezember 1967 lautet:
In ihrer Sitzung vom 7. November gelangte die Bundesregierung zu der Auffassung, daß so bald als möglich die deutschen Kohlezechen in einer Gesamtgesellschaft organisatorisch zusammengefaßt werden sollen. Dabei herrschte Übereinstimmung, daß die Anwendung gesetzlichen Zwanges nicht ausgeschlossen sein soll, falls eine Einheitsgesellschaft auf privater Basis durch freiwilligen Zusammenschluß nicht in angemessener Frist zustande kommt.
Dementsprechend hatte der Bundeswirtschaftsminister in der Regierungserklärung. vom 8. November den Weg eines „Zwangszusammenschlusses als zweite Möglichkeit" erwähnt. Im übrigen hat er in jener ersten Lesung des Kohlegesundungsgesetzes
7216 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Vizepräsident Scheel
deutlich gemacht, daß die Bundesregierung einer freiwillig zutande kommenden Gesamtgesellschaft den Vorzug gibt, wenn diese gewisse materielle Voraussetzungen erfüllt.
Am 29. November hat der Bundeswirtschaftsminister dem Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages auf Wunsch zwei Formulierungen unterbreitet, die
1. in einer möglichen Neufassung der §§ 12, 13, 15, 17 die freiwillige Lösung einer Gesamtgesellschaft darstellen und
2. in einem zusätzlichen § 12 a) den vorhin erwähnten zwangsmäßigen Zusammenschluß zu einer Gesamtgesellschaft in einer denkbaren Form veranschaulichen.
Beide Formulierungen, sowohl diejenige für die freiwillige Lösung wie diejenige für den Zwangszusammenschluß, sind allein vom Ressort als Diskussionsgrundlage für den Ausschuß verfaßt und zu verantworten.

Dr. Hugo Hauser (CDU):
Rede ID: ID0514114100

Hält es die Bundesregierung für angebracht, daß die Deutsche Bundesbank und ihre nachgeordneten Landeszentralbanken eine ganze Reihe von Nebenstellen aufzulösen beabsichtigt, statt in aufstrebenden Landschaften — so dem Landkreis Bühl/Baden, der im Zentrum des EWG-Raumes liegt — wenigstens die weitere wirtschaftliche Entwicklung abzuwarten und so nicht jetzt in Frage zu stellen, was im genannten Fall das Bundesland Baden-Württemberg mit seinen besonderen Förderungsmaßnahmen für das Oberrheingebiet unter sehr namhaftem finanziellem Einsatz aufgebaut hat?
Bitte, Herr Staatssekretär des Bundesministers für Wirtschaft!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514114200
Die Deutsche Bundesbank hat über Errichtung und Auflösung von Zweigstellen unabhängig zu beschließen. Die Bundesregierung ist für diesen Bereich weder unmittelbar noch mittelbar zuständig.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514114300
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Hauser.

Dr. Hugo Hauser (CDU):
Rede ID: ID0514114400
Herr Staatssekretär, darf ich Sie dann fragen, ob der Bundesbank nicht allein hoheitliche Aufgaben zugewiesen sind, nämlich die Steuerung der Währung als komplexe Aufgabe, und daß betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte und Kostenfragen bei ihr eigentlich nicht im Vordergrund stehen dürfen, weil sie auch keine Gewinne zu erwirtschaften hat?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514114500
Herr Kollege, das sind Entscheidungen, die die Notenbank unabhängig fällt. Die Bundesregierung kann in Fragen der allgemeinen Währungs- und Wirtschaftspolitik Auskünfte verlangen, und sie kann dazu auch Anträge im Zentralbankrat stellen. Alle anderen Fragen sind in voller Autonomie von der Bundesbank selbst zu 'regeln, wie es das Hohe Haus damals beim Beschluß über das Bundesbankgesetz gewünscht hat.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514114600
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Dr. Hauser.

Dr. Hugo Hauser (CDU):
Rede ID: ID0514114700
Darf ich Sie dann nicht, Herr Staatssekretär, zumindest fragen, ob Sie es nicht auch als Benachteiligung ansehen, wenn nun z. B. neue Industrieunternehmen in ein Gebiet hineinkommen und dort die Frage nach einem Bankplatz verneint werden muß, so daß die Chancen einer Industrieansiedlung im oberrheinischen Gebiet z. B. sofort schwächer werden, weil kein Bankplatz da ist?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514114800
Herr Kollege, die Deutsche Bundesbank hat uns freundlicherweise über ihre Intentionen informiert. Aus Gründen der innerbetrieblichen Rationalisierung sind von den 241 Zweigstellen einige aufzulösen. Im Fall der Schließung der Zweigstelle Bühl 'ist eine Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Entwicklung dieses, wie Sie mit Recht sagten, aufstrebenden Gebiets nicht zu befürchten, weil die Funktion der Zweigstelle Baden-Baden übertragen werden soll, die ja nur 16 km entfernt ist.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514114900
Eine Zusatzfrage, Kollege Köppler.

Heinrich Köppler (CDU):
Rede ID: ID0514115000
Herr Staatssekretär, ,darf ich Sie fragen, ob Sie es für möglich halten, daß Frankreich im oberrheinischen Elsaß ähnliche Maßnahmen treffen könnte, wie sie die Bundesbank jetzt plant, oder ob nicht im Gegenteil zu vermuten ist, daß Frankreich im Hinblick auf die EWG alles tut, um die wirtschaftliche Struktur dieses Gebietes zu stärken.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514115100
Herr Kollege, da bleibt mir nichts übrig, als eine Prüfung dieser Frage zuzusagen und Ihnen dann gegebenenfalls schriftlich zu antworten. Ich kann im Augenblick nur eins sagen: Das Zweigstellennetz der Deutschen Bundesbank mit zur Zeit 241 Zweigstellen ist eine Erbschaft des Reichsbank-Zweigstellen-Systems. Die Reichsbank hatte aber weit umfangreichere kommerzielle Kompetenzen als die Deutsche Bundesbank. Sie gab Direktkredite. Damals war auch ein umfangreicheres Zweigstellennetz notwendig. Für die Deutschen Bundesbank entfällt diese Aufgabe und entfällt damit auch die Notwendigkeit, mehr Zweigstellen zu halten, als ihrer augenblicklichen und sicher sehr dauerhaften Aufgabe entspricht. Deswegen sind Vergleiche mit Frankreich auf alle Fälle nur dann sinnvoll zu ziehen, wenn wir beide Banksysteme in diesen Vergleich einbeziehen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514115200
Danke schön. Ich rufe die Fragen 53 und 54 des Abgeordneten Weigl auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß über die Förderung von Orten zentraler Bedeutung (Bundesausbauorte) der größtmögliche Erfolg zur Stärkung wirtschaftsschwacher Gebiete in den Zonenrand- und Bundesausbaugebieten erreicht werden kann, zumal die Erfahrungen der Vergangenheit gezeigt haben, daß die Ausweitung einheimischer und die Ansiedlung neuer Industriebetriebe Gemeinden bestimmter Größenordnungen voraussetzen, die auch die notwendigen Folgemaßnahmen (z. B. ein ausgebautes Schulwesen, stärkeren Wohnungsbau usw.) finanziell bewältigen können?
Gedenkt die Bundesregierung bei der Schaffung neuer Bundesausbauorte die bayerischen Regierungsbezirke Oberpfalz und Niederbayern besonders zu berücksichtigen, nachdem diese Gebiete infolge weitgehend fehlender Kristallisationspunkte in Zeiten wirtschaftlicher Rezession immer der Gefahr größerer Arbeitslosigkeit ausgesetzt sind?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Par-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7217
Vizepräsident Scheel
lamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt vom 7. Dezember 1967 lautet:
1. Die Bundesregierung hält die Förderung von Bundesausbauorten für die den größten Erfolg versprechende Methode, wirtschafts- und strukturschwache Gebiete zu stärken. Dafür spricht zunächst die von Ihnen erwähnte Erfahrung, daß die Folgelasten der Industrieansiedlung und die notwendige Ausstattung mit Schulen, Krankenhäusern etc. besser von Orten bestimmter Größenordnung getragen werden können. Es kommen jedoch noch weitere Standortvorteile hinzu, so z. B. die bessere Verkehrserschließung durch den in der Regel gebotenen Anschluß an Bundesbahn und Bundesstraße. Die bessere Erreichbarkeit des Ortes vergrößert nicht nur den Einzugsbereich des Ortes und damit das Arbeitskräfteangebot, sondern sie erleichtert auch die Transportprobleme der Industrie gerade in den Gebieten, deren Infrastruktur noch verbesserungsbedürftig ist.
2. Die Bundesregierung ist bei der Benennung von Bundesausbauorten an die Vorschläge der Länder gebunden, die in der Reihenfolge der Dringlichkeit gegeben werden. Die vorgeschlagenen Orte müssen jedoch bestimmte Erfordernisse erfüllen. So müssen sie z. B. in Gebieten mit unterdurchschnittlichem Industriebesatz oder in Gebieten mit Umstrukturierungsproblemen liegen, in denen der Bevölkerung keine ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten geboten werden. Daneben sind die vier Zonenrandländer aufgefordert, das Zonenrandgebiet bei ihren Vorschlägen gebührend zu berücksichtigen. Von den bisher in Bayern festgelegten 20 Bundesausbauorten
liegen 8 in den Regierungsbezirken Oberpfalz und Niederbayern. Ich darf annehmen, daß die bayerische Landesregierung auch in Zukunft geeignete Vorschläge für neue Bundesausbauorte in der Oberpfalz und in Niederbayern vorlegen wird.
Wir kommen dann zu den Fragen 55 und 56 des Abgeordneten Junghans:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß bis zum 1. Januar 1968 eine Gesamtgesellschaft für die Steinkohle im Ruhrgebiet auf freiwilliger Basis gegründet werden kann?
Beabsichtigt die Bundesregierung unter Rücksichtnahme auf die normale Dauer des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens, rechtzeitig dem Parlament in Ergänzung des Kohleanpassungsgesetzes einen offiziellen Entwurf vorzulegen, um notfalls die Grundlage für einen gesetzlichen Zusammenschluß der Bergbauunternehmen an der Ruhr zu schaffen?
Auch hier hat sich der Fragesteller mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Dr. Schiller vom 7. Dezember 1967 lautet:
Die Bundesregierung würde es begrüßen, wenn bis zum 1. Januar 1968 Vereinbarungen zustande kommen können, die für die Errichtung einer Gesamtgesellschaft für die Steinkohle im Ruhrgebiet auf freiwilliger Basis erforderlich sind.
Der Bundesminister für Wirtschaft hat bereits am 8. November 1967 im Namen der Bundesregierung erklärt, daß eine entsprechende Ergänzung des Gesetzes erforderlich werden könnte, wenn eine freiwillige Lösung nicht zustande kommen sollte.
Er hat deshalb am 29. November 1967 im Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages auf Wunsch eine denkbare Formulierung für einen derartigen Fall als Diskussionsgrundlage unterbreitet.
Ich rufe die Frage 57 der Frau Abgeordneten Funcke auf:
Hält die Bundesregierung eine Erhöhung der Verbraucherpreise für Wasser um volle 5 % und für Strom und Gas um 10 % auf Grund des Mehrwertsteuergesetzes für vertretbar?
Bitte, Herr Staatssekretär!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514115300
Steuerliche Mehrbelastungen dieses Ausmaßes können durch die Mehrwertsteuer bei Strom und Gas in keinem Falle eintreten, bei Wasser nur in Ausnahmefällen. Bei Strom und Gas entfällt nämlich künftig die unmittelbar zu entrichtende Umsatzsteuer von 1,5 %. Deshalb kann also eine Mehrbelastung in dem von Ihnen skizzierten Ausmaß auf diesen beiden Sektoren nicht eintreten.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514115400
Frau Abgeordnete Funcke zu einer Zusatzfrage.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0514115500
Herr Staatssekretär, haben Sie denn noch nicht gehört, daß die Wasser- und Elektrizitätswerke überall Preiserhöhungen in diesem Umfang fordern? Ich habe ja gefragt, ob sie vertretbar sind, nicht, ob sie tatsächlich eintreten; denn das tun sie.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514115600
Frau Kollegin, bei Gas und Wasser gibt es ja keine staatliche Preisbindung mehr. Die Kommunen entscheiden in eigener Verantwortung, und es sind Fälle denkbar, wo Kostensteigerungen, die in den letzten Jahren aufgetreten sind, mit einer über das steuerliche Maß an Mehrbelastung hinausgehenden Erhöhung abgefangen werden müssen. Darüber haben aber die Kommunen zu entscheiden. Bei den Strompreisen gilt selbstverständlich die staatliche Preisbindung nach wie vor, und es muß von den betreffenden Preisbehörden kontrolliert werden, ob diese Preiserhöhungen gerechtfertigt sind.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514115700
Frau Abgeordnete Funcke zu einer weiteren Zusatzfrage.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0514115800
Herr Staatssekretär, die Bundesregierung hat es für notwendig angesehen, den Verbraucher darüber aufzuklären, daß die Preise nicht steigen sollten. Wäre es nicht ebenso sinnvoll, wenn die Bundesregierung eben auch jene öffentlichen Betriebe darüber aufklärte, daß die Mehrwertsteuer einen solchen Preisanstieg nicht rechtfertigt? Es ist doch sehr schwer, der Wirtschaft klarzumachen, daß Preisdisziplin zu üben ist, wenn die öffentlichen Betriebe das nicht tun.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514115900
Sicher ist das sinnvoll. Es geschieht schon und sollte wahrscheinlich noch stärker geschehen. Da stimme ich Ihnen völlig zu. Nur muß man wohl in den Fällen, in denen sich eine Preiserhöhung, ob mit oder ohne Mehrwertsteuer, infolge früher eingetretener Kostensteigerungen in der Wasser- und in der Gaserzeugung nicht hätte vermeiden lassen, auch einer über 4 oder 3 %, je nachdem, hinausgehenden Preiserhöhung auf Grund der Mehrwertsteuererhöhung sein Plazet erteilen, wenn man es zu erteilen hätte.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514116000
Wir kommen damit zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Ich rufe die Frage 32 des Herrn Abgeordneten Dröscher auf:
Wie weit sind die Bemühungen gediehen, die Rechtsverhältnisse der deutschen Zivilbediensteten der alliierten Streitkräfte entsprechend den Beschlüssen des Deutschen Bundestages zu klären?
Sie wird von dem Abgeordneten Matthöfer übernommen. — Bitte, Herr Staatssekretär!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514116100
Die Bemühungen der Bundesregierung, die Rechtsverhältnisse der deutschen zivilen Arbeitnehmer bei den verbünde-
7218 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Parlamentarischer Staatssekretär Jahn
ten Streitkräften durch eine Änderung des Artikels 56 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut und seines Unterzeichnungsprotokolls dem innerdeutschen Recht weiter anzugleichen, sind in den letzten Monaten fortgesetzt worden. Die letzte Verhandlung mit den Delegationen der Entsendestaaten hat Anfang November stattgefunden. Sie war durch Sachverständigenbesprechungen vorbereitet worden, in denen den Vertretern der verbündeten Streitkräfte die Anwendung einiger wichtiger Bestimmungen des deutschen Arbeitsrechts im Bereich der Bundeswehr erläutert wurde. Da das Ergebnis der Verhandlung noch nicht feststeht, kann die Bundesregierung noch keine näheren Einzelheiten bekanntgeben.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514116200
Ich sehe, daß Herr Dröscher in der Zwischenzeit gekommen ist und seine Frage selbst übernehmen will. Bitte, Herr Dröscher, zu einer Zusatzfrage.

Wilhelm Dröscher (SPD):
Rede ID: ID0514116300
Herr Staatssekretär, haben Sie Verständnis dafür, daß die Bundesregierung, nachdem diese Geschichte seit Jahren läuft und außerdem die Bedrohung der Arbeitsplätze aus anderen Gründen gerade in den Räumen, in denen die Alliierten sitzen und die ja keine Ballungsgebiete sind, immer. gefährlicher wird — wenigstens in der Vorstellung der Leute —, nun mit Nachdruck versuchen sollte, dieses Problem zu lösen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514116400
Ich habe durchaus Verständnis dafür, Herr Kollege Dröscher. Die Regierung sieht das auch nicht anders als Sie, und sie bemüht sich sehr darum. Aber Sie wissen selber: es kommt nicht ganz von ungefähr, daß die Dinge so schleppend gehen. Abgesehen davon, daß zu einem früheren Zeitpunkt, als die Vertragspartner verpflichtet gewesen wären, überhaupt schon Verhandlungen begonnen worden sind und Versuche auch von der anderen Seite akzeptiert worden sind, zu einer Verbesserung zu kommen, gibt es in der Tat eine Reihe von rechtlichen Schwierigkeiten, die zum Teil auch darauf zurückzuführen sind, daß die Vorstellungen der Betroffenen nicht ohne weiteres mit den rechtlichen Möglichkeiten in Einklang gebracht werden können.
All diese Umstände — ich kann sie hier nur andeuten — führen dazu, daß die Verhandlungen selber sehr schwierig sind und deshalb relativ viel Zeit in Anspruch nehmen. Ich glaube dennoch sagen zu können, daß wir gerade angesichts der erschwerten Umstände, die in der Entwicklung der letzten Monate sichtbar geworden sind, hoffen, in einer absehbaren Zeit zu einer angemessenen Lösung zu kommen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514116500
Eine weitere Zusatzfrage.

Wilhelm Dröscher (SPD):
Rede ID: ID0514116600
Herr Staatssekretär, würden Sie bereit sein, in diesem Zusammenhang und im Hinblick auf frühere Erörterungen in diesem Hohen
Hause mit den alliierten Arbeitgebern mit der ganz bestimmten Zielrichtung zu verhandeln, daß sie bereit sind, den deutschen Angestellten die Ausbildung in den Verwaltungslehrgängen und Verwaltungsakademien zu ermöglichen, indem sie, was die Freistellung von der Arbeitszeit und die Beurlaubung angeht, eine nachgiebige Haltung einnehmen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514116700
Alle Fragen, die von den Betroffenen und ihren Vertretern aufgeworfen worden sind, auch diese, sind Gegenstand der Verhandlungen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514116800
Ich rufe die Frage 33 des Abgeordneten Matthöfer auf:
Welche Rolle spielen die Sendungen des Bayerischen Rundfunks für ausländische Arbeiter in der Bundesrepublik im Rahmen der Bemühungen des Auswärtigen Amtes, Kenntnisse der deutschen Sprache und deutscher demokratischer Institutionen im Ausland zu verbreiten?
Herr Staatssekretär, bitte!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514116900
Darf ich die beiden Fragen des Abgeordneten Matthöfer zusammen beantworten?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514117000
Einverstanden. Ich rufe auch die Frage 34 des Abgeordneten Matthöfer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die jetzige Gestaltung der Sendungen des Bayerischen Rundfunks in spanischer Sprache?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514117100
Das Auswärtige Amt sieht in den von den deutschen Rundfunk- und Fernsehsendern verbreiteten Deutschkursen eine begrüßenswerte Erweiterung seiner eigener kulturellen Arbeit im Ausland, die der Werbung für die deutsche Sprache dient. Die Kenntnis der deutschen Sprache unterstützt die Gastarbeiter in Deutschland nicht nur bei der Ausübung ihrer beruflichen Arbeit, sie ermöglicht auch ein besseres Bekanntwerden mit unserem Alltag sowie mit den demokratischen Institutionen unseres Landes. Die Sendungen für Gastarbeiter sollen die Verbindungen der in Deutschland arbeitenden Ausländer mit ihrem Heimatland unterstützen und ihnen das Einleben in Deutschland erleichtern. Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß diese Aufgabe bisher gut erfüllt wurde.
Da die Sendungen in Zusammenarbeit mit. den nationalen Sendegesellschaften in den Heimatländern der Gastarbeiter, aber unter eigener Verantwortung der deutschen Redaktionen gestaltet werden, können gelegentlich Meinungsverschiedenheiten auftreten. Der Bayerische Rundfunk hofft, diese in unmittelbarem Gespräch mit den spanischen Vertretern überwinden zu können. Was die Sendungen selbst betrifft, darf ich darauf hinweisen, daß ein unmittelbarer Einfluß auf die Gestaltung durch die Bundesregierung rechtlich nicht möglich ist.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514117200
Zu einer Zusatzfrage Herr Matthöfer.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7219

Hans Matthöfer (SPD):
Rede ID: ID0514117300
Herr Staatssekretär, es handelt sich ja nicht nur die spanische Botschaft. Ich möchte Sie deshalb fragen, ob die Bundesregierung den massiven Druck, der von den Botschaften verschiedener Länder, z. B. auch Griechenlands, auf die Rundfunkredaktionen ausgeübt wird, weil offenbar in diesen Ländern der Einfluß der Regierung auf die Massenkommunikationsmittel unmittelbarer ist als bei uns, einfach hinnimmt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514117400
Davon, daß, wie Sie, Herr Kollege Matthöfer, hier sagen, auf die Rundfunkanstalten von einzelnen Ländern massiver Druck ausgeübt worden ist, hat das Auswärtige Amt sowenig Kenntnis wie von der Grundlage dieser Behauptung, daß es überhaupt Druck gibt, der da ausgeübt wird. Wenn das so wäre, dann wäre das eine Frage, die an Hand konkreter Beweismittel und konkreter Unterlagen näher geprüft werden müßte. Ich würde es als sehr hilfreich empfinden, Herr Kollege Matthöfer, wenn Sie, falls Sie über solches Material verfügen, das dem Auswärtigen Amt zur Verfügung stellen könnten.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514117500
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Matthöfer.

Hans Matthöfer (SPD):
Rede ID: ID0514117600
Werden Sie, Herr Staatssekretär, sich Kenntnisse durch Befragung der Betroffenen darüber beschaffen, welche Versuche insbesondere die spanische Botschaft unternimmt, um aus deutschen Sendungen für Spanier spanische Sendungen irr Deutschland zu machen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514117700
Wen meinen Sie jetzt mit „Betroffenen"? Die Rundfunkanstalten?

(Abg. Matthöfer: Die Rundfunkanstalten, die Redaktionen!)

— Das wird für die Bundesregierung ein bißchen schwierig, da sie dort eine unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit nicht hat. Ich würde es für besser halten, wenn diese Diskussion hier zum Anlaß genommen werden könnte, auf echte Anstände hinzuweisen und uns entsprechendes Material zur Verfügung zu stellen; denn nur das würde uns in die Lage versetzen, uns ein eigenes Urteil zu bilden und die Frage zu prüfen, ob gegebenenfalls weitere Schritte notwendig sind.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514117800
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Matthöfer.

Hans Matthöfer (SPD):
Rede ID: ID0514117900
Darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, Herr Staatssekretär, daß Sie es nicht für eine Verpflichtung der Bundesregierung halten, die Aktivität von Botschaften autoritärer und totalitärer Staaten, die auf unsere demokratischen Institutionen Druck auszuüben versuchen, zu beobachen und unter Umständen dann dort auch einzugreifen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514118000
So bitte ich meine Antwort unter keinen Umständen zu interpretieren, Herr Kollege Matthöfer. Aber das ist eine Behauptung, die von Ihnen aufgestellt wird und für die bisher für das Auswärtige Amt jedenfalls jeder Anhaltspunkt fehlt. Die bisherigen Erfahrungen in vergleichbaren Fällen zeigen, daß es üblich und der geeignete Weg ist, daß jemand, falls er sich in seinen Rechten beeinträchtigt fühlt — und sei es auch nur durch Druck irgendwelcher Art —, von sich aus uns Kenntnis gibt. Das Auswärtige Amt ist nur schwer in der Lage, von sich aus in einzelnen Bereichen eine Kontrolle auzuüben, in denen es selber keine Veranwortung und keine Einwirkungsmöglichkeiten hat.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514118100
Eine weitere Zusatzfrage.

Hans Matthöfer (SPD):
Rede ID: ID0514118200
Sind Sie nicht doch mit mir der Meinung, Herr Staatssekretär, daß es wünschenswert wäre, wenn in verstärktem Maße die Sendungen des Bayerischen Rundfunks den bei uns arbeitenden Angehörigen spanischer Volksgruppen nicht nur die Arbeitsweise unserer politischen Institutionen und unserer Einheitsgewerkschaft, sondern auch die föderative Struktur unserer Bundesrepublik erklären würden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514118300
Es wird sicherlich dem besseren Verständnis der Bundesrepublik und ihrer politischen Probleme sowie auch der besseren Selbstdarstellung der Bundesrepublik dienen, wenn solche Fragen in diesen Sendungen gründlich behandelt und eingehend dargestellt werden.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514118400
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Picard.

Walter Picard (CDU):
Rede ID: ID0514118500
Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht durch die in der Bundesrepublik geltenden Rundfunkgesetze die Unabhängigkeit und Unbeeinflußbarkeit der deutschen Rundfunkanstalten insoweit gewahrt, als die Gefahren, von denen der Kollege Matthöfer ausgegangen ist, im Grunde eigentlich nicht bestehen, da eine Einflußmöglichkeit nicht gegeben ist?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514118600
Natürlich ist durch die gesetzliche Grundlage die Unabhängigkeit unserer Rundfunkanstalten gewahrt. Aber das schließt nicht zwingend aus, daß es nicht auch zu Meinungsverschiedenheiten und zu Versuchen von Einwirkungen kommen könnte. Ich kann mir die Behauptung des Kollegen Matthöfer deswegen nicht zu eigen machen, weil ich in der Sache keine Kenntnis von solchen Vorgängen habe. Aber das ist sicherlich nicht nur eine Frage der gesetzlichen Grundlagen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514118700
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Picard.
7220 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967

Walter Picard (CDU):
Rede ID: ID0514118800
Herr Staatssekretär, selten Sie, ungeachtet der Tatsache, daß der Bund im Rundfunkwesen keine Zuständigkeit hat, nicht doch eine Möglichkeit, auf Grund der hier vorgetragenen Vermutungen — möchte ich einmal zurückhaltend sagen — die deutschen Rundfunkanstalten, insbesondere die ARD zu befragen, welche Erfahrungen sie auf diesem vom Kollegen Matthöfer angezogenen Gebiet gemacht haben?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514118900
Die Befragungen sind durchaus möglich, Herr Kollege Picard. Aber ich habe bereits darauf hingewiesen, daß nach meiner Meinung diejenigen, die Beschwerden vorzubringen haben, diese von sich aus vorbingen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514119000
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ott.


Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0514119100
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, nachdem Ihnen auf Grund der Äußerungen des Kollegen Matthöfer Klagen über den Bayerischen Rundfunk bekanntgeworden sind, die Ihnen zuvor nicht bekannt waren, sich darüber zu vergewissern und zu informieren, in welcher Weise der Bayerische Rundfunk sich nach der Meinung des Herrn Kollegen Matthöfer außerhalb der Reihe bewegt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514119200
Außerhalb wessen sich bewegt? Ich habe Sie nicht verstanden.

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0514119300
Außerhalb der Reihe. Der Kollege Matthöfer hat doch den Bayerischen Rundfunk beanstandet.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514119400
Ich habe die Frage des Herrn Kollegen Matthöfer in keiner Weise so verstanden.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514119500
Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg zu einer Zusatzfrage.

Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0514119600
Herr Staatssekretär, halten Sie es für denkbar, daß die Bundesregierung im Einvernehmen mit der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Rundfunkanstalten, insbesondere mit dem Bayerischen Rundfunk, dem Hause Unterlagen zur Verfügung stellt, aus denen sich eine Objektivierung dieser heutigen Debatte ermöglichen läßt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514119700
Ich kann jetzt nur sagen, daß ich diese Anregung gern aufgreifen und prüfen werde. Ob daraus ein geeignetes Verfahren, das zu einer selbständigen Berichterstattung der Bundesregierung führt, werden kann, übersehe ich im Augenblick nicht, Herr Kollege Schulze-Vorberg.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514119800
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0514119900
Herr Staatssekretär, nachdem das Thema hier angeschnitten ist und ein Interesse daran besteht, eine wirklich verläßliche Unterlage über Sendungen zu haben, die in fremder Sprache geführt werden und über die viele von uns sich tatsächlich kein eigenes Bild machen können, frage ich: könnten Sie zusichern, daß Sie jedenfalls an die interessierten Abgeordneten eine entsprechende Unterlage liefern werden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514120000
Im Prinzip ja, Herr Kollege Schulze-Vorberg. Die Frage ist nur: wen zählen Sie dann zu den interessierten Abgeordneten?

(Abg. Dr. Schulze-Vorberg: Mich zum Beispiel!)

Das kann die Bundesregierung nur sehr schwer feststellen. Das einfachste wäre dann, in angemessener Zeit mit ,einer weiteren Frage das Interesse hier darzutun.

(Abg. Schulze-Vorberg: Ich werde gern darauf zurückkommen!)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514120100
Das Interesse der Abgeordneten ist natürlich an allen Fragen das gleiche, das unterstelle ich, ein hohes nämlich.

(Heiterkeit.)

Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen, zunächst zu der Frage 40 des Abgeordneten Strohmayr:
Sind in nächster Zeit durch die Erhöhung der Einheitswerte steuerliche Auswirkungen zu erwarten?
Bitte, Herr Staatssekretär!

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514120200
Ich darf Ihre Frage, Herr Kollege Strohmayr, wie folgt beantworten. In dieser Legislaturperiode ist nicht mehr mit steuerlichen Auswirkungen der Neubewertung des Grundbesitzes zu rechnen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514120300
Eine Zusatzfrage.

Alois Strohmayr (SPD):
Rede ID: ID0514120400
Herr Staatssekretär, sind bereits neue Bescheide nach dem geänderten Verfahren ergangen?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514120500
Das kann ich mir nicht vorstellen, Herr Kollege Strohmayr.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514120600
Die nächste Frage, Frage 41, ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7221
Vizepräsident Scheel
Dann kommen wir zu den Fragen 42, 43 und 44 des Abgeordneten Krammig. — Er ist nicht da. Dann werden die Fragen schriftlich beantwortet.
Wir kommen zu Frage 45 des Abgeordneten Fritsch (Deggendorf)

Hält die Bundesregierung die Beurteilungsrichtlinien in der Bundesfinanzverwaltung noch für personal- und sachgerecht?
Bitte, Herr Staatssekretär!

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514120700
Meine Antwort lautet: Ja.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514120800
Diese Antwort war bemerkenswert und erfreulich kurz. — Haben Sie noch eine Zusatzfrage?

Walter Fritsch (SPD):
Rede ID: ID0514120900
Herr Staatssekretär, sind Sie der Auffassung, daß insbesondere bei Beurteilungen im Rahmen der Gremiumsbesprechungen bei der Bundesfinanzverwaltung nicht doch einerseits berücksichtigt werden müßte, daß diese Gremiumsbesprechungen, die der Beurteilung dienen, eine gewisse Anonymität aufweisen in der Verantwortlichkeit bei der Beurteilung, und zum anderen, daß diese Art dier Beurteilung doch wohl die einzige so geartete innerhalb der Bundesverwaltungen ist, da in anderen Bundesverwaltungen der Beamte durch den unmittelbaren Dienstvorgesetzten beurteilt wird?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514121000
Zuständig, Herr Kollege, für die Beurteilung der Beamten der Bundesfinanzverwaltung ist immer ein bestimmter Dienstvorgesetzter, entweder der Oberfinanzpräsident, der Vorsteher eines Hauptzollamtes oder der Leiter einer Bundesvermögensstelle. Um diesen Vorgesetzten für die Beurteilungen der ihnen unterstellten Beamten möglichst breite und gleichmäßige Beurteilungsgrundlagen zu geben, wurde die Besprechung der Beurteilungen in einem Gremium eingeführt. In diesen Gremien können auch solche Beamte wie z. B. der Vorsteher eines Zollamtes oder eines Finanzamtes herangezogen werden; sie können dort ihre Meinung sagen. Die Bundesfinanzverwaltung hat mit diesem System gute Erfahrungen gemacht.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514121100
Noch eine Zusatzfrage.

Walter Fritsch (SPD):
Rede ID: ID0514121200
Herr Staatssekretär, würden Sie nicht in die Überlegungen über mögliche Änderungen des Beurteilungsverfahrens die Gedankengänge mit einbeziehen, die die ÖTV im April 1965 veröffentlicht und sicher auch dem Bundesfinanzministerium unterbreitet hat, nach denen insbesondere die Eigenverantwortlichkeit des Dienstvorgesetzten gestärkt werden sollte und man, wenn man das Prinzip der Gremiumsbesprechung bei der Einzelbeurteilung beibehalten wolle, zwangsläufig und logischerweise z. B. auch disziplinäre Maßnahmen als eine ebenfalls den Beamten sehr betreffende Maßnahme in eine derartige Gremiumsbesprechung verlegen müßte?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514121300
Ob wir das einbeziehen werden, kann ich heute noch nicht beantworten; aber sicherlich, Herr Kollege, prüfen wir alle Vorschläge, nicht nur in diesem Bereich, sondern in allen Bereichen, Vorschläge, die uns Anregungen geben können. Nach sorgfältiger Prüfung werden wir entscheiden, ob wir daraus Konsequenzen zu ziehen haben.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514121400
Ich rufe die Frage 46 des Abgeordneten Dr. Hauser auf:
Welche besonderen Umstände haben die Bundesregierung veranlaßt, in der Brennereiordnung für Abfindungsbrennereien ein neues, sehr kompliziertes Brennbuch vorzuschreiben, nachdem die einschlägigen Vorschriften Jahrzehnte hindurch viel einfacher gehalten waren und ein Brennbuch nur in Ausnahmefällen geführt werden mußte?
Dr. Hauser ist im Saal. — Bitte, Herr Staatssekretär!

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514121500
Ich darf die Frage 46 des Herrn Kollegen Dr. Hauser wie folgt beantworten: Während in Verschlußbrennereien jeder Tropfen Alkohol erfaßt wird, werden die der Versteuerung zugrunde liegenden Branntweinmengen in Abfindungsbrennereien nur durch Ausbeuteberechnungen amtlich geschätzt. Dieser Zustand ist besonders dort unbefriedigend, wo Abfindungsbrenner für zahlreiche andere, sogenannte Stoffbesitzer, brennen. In diesen Fällen war bis zur Novelle der Brennereiordnung vom 1. 10. 1965 eine wirksame Kontrolle des Brennverfahrens des einzelnen Stoffbesitzers nur schwer und nur unter hohem Personalaufwand möglich.
Um hier Wandel zu schaffen, ist, wie Ihnen bekannt ist, da Sie zum Teil sehr kräftig mitgewirkt haben, § 166 der Brennereiordnung am 1. 10. 1965 geändert worden. Während nach. der Handhabung der alten Vorschrift praktisch nur solche Abfindungsbrenner ein Brennbuch zu führen brauchten, die straffällig geworden waren, schreibt die neue Fassung die Führung eines Brennbuches für alle Abfindungsbrenner vor, in. deren Brennereien Branntwein aus selbst gewonnenem Material anderer, also der Stoffbesitzer, hergestellt wird.
Durch Verwaltungsanordnung ist jedoch einschränkend bestimmt worden, daß das Brennbuch nur von solchen Abfindungsbrennern geführt werden muß, die für mehr als 20 Stoffbesitzer, also für mehr als 20 andere, brennen. Das ist geschehen, um nur diejenigen Abfindungsbrenner zur Brennbuchführung heranzuziehen, die das Abfindungsbrennen gewerblich betreiben. Angesichts der hohen steuerlichen Vorteile, die die Abfindungsbrenner und Stoffbesitzer genießen, vertritt die Bundesregierung die Ansicht, daß sich die Abfindungsbrenner, die gewerblich brennen, ein gewisses Maß an Kontrolle gefallen lassen müssen. Die Führung des Brennbuches ist nach den Feststellungen der Bundesregierung nicht kompliziert und verlangt vom Brenner nur einen geringen Arbeitsaufwand, wie mir die Sachverständigen mitgeteilt haben.
7222 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514121600
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Hauser.

Dr. Hugo Hauser (CDU):
Rede ID: ID0514121700
Herr Staatssekretär, warum wurde eigentlich nicht der Versuch gemacht, das wesentlich einfachere alte Brennbuch noch beizubehalten?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514121800
Das Brennbuch in seiner alten Form, Herr Kollege Hauser, gibt nicht den Betriebsablauf wieder. Es war daher für die Steueraufsicht unzureichend.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514121900
Eine Zusatzfrage.

Dr. Hugo Hauser (CDU):
Rede ID: ID0514122000
Ist es aber nicht Perfektionismus, Herr Staatssekretär, wenn jetzt im neuen Brennbuch 20 Spalten auf solch einer Seite stehen und wenn darüber hinaus nun sogar durch einen neueren Erlaß Ihres Hauses der Zusatz von Leitungswasser mengenmäßig hier festgehalten werden muß? Und wehe, wenn der arme Brenner dann einen Eimer voll Wasser zuwenig im Brennbuch festgehalten hat!

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514122100
Ich meine, Herr Kollege Hauser, daß es auf den ersten Blick sehr perfektionistisch wirken könnte. Auf der anderen Seite aber, glaube ich, muß man auch feststellen, daß der Abfindungsbrenner, um ein Anbrennen zu verhindern, einfach in die Maische Wasser hineinschütten muß, wenn er sie zum Brennen einfüllt. Ein im Brennbuch nicht vermerkter Zusatz von Wasser würde den Brenner dem Verdacht aussetzen — und Sie wissen ja, daß das sehr leicht geschehen könnte —, mehr Obststoffe abzubrennen, als er in der Abfindungsanmeldung angemeldet hat. Die Vorschrift dient daher nicht nur der Erleichterung der Steueraufsicht, sondern auch dem Schutz des Brenners.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514122200
Meine verehrten Kollegen, ich bin der Meinung, daß das Finanzministerium bei weitem überfragt ist, wenn es technische Vorgänge des Brennens hier erläutern soll.
Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Dr. Hauser (Sasbach) auf:
Was veranlaßte die Bundesregierung, für denselben Vorgang doppelte Angaben zu verlangen, nämlich zunächst in der detaillierten Abfindungsanmeldung vor Beginn des Brennens und dann nochmals in 20 Spalten des neuen Brennbuches?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514122300
Ich darf die Frage des Herrn Kollegen Hauser wie folgt beantworten.
Das Brennbuch ersetzt nicht die Abfindungsanmeldung. Mit der Abfindungsanmeldung zeigt der Abfindungsbrenner oder Stoffbesitzer der Behörde lediglich an, zu welchem Termin er eine bestimmte Menge vergorener Obststoffe abbrennen will. Aus dem Brennbuch selbst hingegen kann der Aufsichtsbeamte entnehmen, ob der Abtrieb entsprechend der Anmeldung gut durchgeführt worden ist.

Dr. Hugo Hauser (CDU):
Rede ID: ID0514122400
Herr Präsident, darf ich mir Ihnen gegenüber nur eine Frage erlauben?

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514122500
Nein, das ist nicht möglich.

(Abg. Dr. Hauser [Sasbach] : Entschulgigen Sie!)

Aber Sie haben noch alle Ihre Zusatzfragen. Jetzt dürfen Sie wieder eine stellen.

Dr. Hugo Hauser (CDU):
Rede ID: ID0514122600
Weiß die Bundesregierung, daß durch die Brennbuchführung etwa Einmannbetriebe, hauptsächlich Küfereien etwa im nordwürttembergischen Bezirk, besonders betroffen sind, für die diese sehr weitgehenden Buchführungspflicht eine unzumutbare zeitliche Belastung bedeutet?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514122700
Der Bundesregierung ist bekannt, Herr Kollege Dr. Hauser, daß vor allem die Küferinnungen gegen die Brennbuchführung protestiert haben. Da die. Küfer, das Stoffbesitzerbrennen in der Regel gewerbsmäßig betreiben, muß von ihnen als Inhaber von Gewerbebetrieben auch eine sorgfältige Buchführung verlangt werden. Die für die Eintragung geforderten Feststellungen wird ein ordentlicher Brennereibesitzer ohnehin treffen, wenn er den hergestellten Branntwein voll an die Stoffbesitzer abliefert.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514122800
Noch eine Zusatzfrage, Herr Dr. Hauser.

Dr. Hugo Hauser (CDU):
Rede ID: ID0514122900
Erscheint es der Bundesregierung denn wirklich vertretbar, unter Strafandrohung im Brennbuch technische Angaben zu verlangen, die nach den technischen Bestimmungen bei gewissenhafter Ausführung in der Tat viele Stunden Zeit in Anspruch nehmen können und von den Brennern in der zur Verfügung stehenden Zeit gar nicht exakt erledigt werden können, z. B. die Alkoholmessung?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514123000
Das Brennbuch, Herr Kollege Dr. Hauser, enthält keine Strafandrohung. Besondere technische Kenntnisse, die außerhalb des Brennereihandwerks liegen, sind nicht Voraussetzung für die Ausfüllung des Brennbuches. Auch erfordert nach den eingehenden Feststellungen in Rheinland-Pfalz das Ausfüllen der einzelnen Spalten des Brennbuches keinen wesentlichen Zeitaufwand. Die Eintragungen sind jeweils zu Beginn und am Ende eines jeden Abtriebs, also jeweils im Abstand von mehreren Stunden, vorzunehmen und erfordern auch bei schreibungewandten Personen nur wenige Minuten. Aber ich kann Ihnen vielleicht noch das eine sagen: da mir die Dinge zum Teil auch etwas schleierhaft sind, können wir uns vielleicht einmal gemeinsam umsehen und daraus dann gewisse Schlüsse ziehen.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7223

Dr. Hugo Hauser (CDU):
Rede ID: ID0514123100
Danke schön, Herr Staatssekretär!

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514123200
Herr Schulze-Vorberg, ich nehme an, es kommt jetzt eine Zusatzfrage eher eines Branntweinverbrauchers, die politische Aufschlüsse geben könnte.
Bitte schön, Herr Kollege Schulze-Vorberg.

Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0514123300
Darf ich den Irrtum Ihrerseits, Herr Präsident, korrigieren. Ich trinke sehr gern ein gutes Glas Wein, Branntwein aber sozusagen nur in äußersten Notfällen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514123400
Als Medizin sozusagen!

Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0514123500
So ist es. Meine Frage, Herr Staatssekretär, bezieht sich auf die Fragebogen als solche. Sie haben hier wieder einen Fall von Fragebogen mit äußerst komplexen und komplizierten Fragen. Würden Sie diese erneute Frage aus dem Hohen Haus zum Anlaß nehmen, die Fragebogen Ihres Hauses wirklich einmal darauf hin durchzusehen? Ich darf eine gewisse Bereitschaft dazu aus Ihren letzten Worten erkennen.

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514123600
Selbstverständlich sind wir dazu bereit. Sie wissen, daß das Finanzministerium vor wenigen Wochen in einem anderen Fall schnell gehandelt hat.

Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0514123700
Herr Staatssekretär, würden Sie in Ihrem Hause die Überprüfung dieser Fragebogen und, soweit es möglich ist, auch anderer Fragebogen vor allem auch unter dem Gesichtspunkt durchführen, daß man das, was man an Fragenbeantwortung von Großbetrieben wegen des dort vorhandenen technischen Apparats, der vielen Angestellten, Steuerberater und alles dessen, was man sich in sehr großen Betrieben laufend hält, verlangen kann, von kleinen und mittelständischen Betrieben nicht in dieser Perfektion verlangen sollte, daß man ihnen in dieser Beziehung nicht einfach unnötige — ich glaube, gerade auch vom Gesetzgeber her unnötige — Schwierigkeiten machen darf?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514123800
Dieser Gesichtspunkt wird ein besonderes Gewicht haben müssen, wenn man die Überprüfung anstellt.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514123900
Wir haben noch eine Brennereifrage, die Frage 48 des Abgeordneten Berberich:
Welche Personaleinsparungen erhofft sich die Bundesregierung hei dein im Außendienst tätigen Aufsichtspersonal durch die Auflage zur Brennbuchführung, wie sie von dem Abgeordneten Dr. Hauser in den Fragen 46 und 47 angesprochen wurde?
Bitte, Herr Staatssekretär!

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514124000
Die Bundesregierung hat mit der Einführung des Brennbuchs für Abfindungsbrenner nicht beabsichtigt, Personal einzusparen. Für die Kontrolle der Brennbücher wird jedoch auch kein zusätzliches Personal benötigt. Die geringe Mehrbelastung der Verwaltung erhellt z. B. daraus, daß im Bezirk der Oberfinanzdirektion Freiburg von 12 350 in Betrieb befindlichen Abfindungsbrennereien nur 240 ein Brennbuch führen müssen. In den anderen Bezirken liegen die Verhältnisse ähnlich.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514124100
Bitte, Herr Kollege Berberich, eine Zusatzfrage.

August Berberich (CDU):
Rede ID: ID0514124200
Ist dann das Bundesfinanzministerium der Meinung, daß durch die Bronnbuchführung überhaupt keine Personaleinsparung, sondern lediglich ein zusätzlicher Arbeitsaufwand des Brenners erreicht wird?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514124300
Ich habe schon gesagt, daß die Bundesregierung nicht die Absicht gehabt hat, durch die Einführung dieses Brennbuchs eine Personaleinsparung zu erreichen. Das Brennbuch macht den Aufsichtsdienst nicht entbehrlich. Es ist lediglich ein Hilfsmittel zur Verbesserung der Steueraufsicht.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514124400
Wir kommen zu den Fragen des Herrn Abgeordneten Wolf. Ich nehme an, Herr Staatssekretär, daß Sie die drei Fragen — 49, 50, 51 — zusammen beantworten wollen:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Finanzausgleich zwar bei Stationierung einer Bundeswehrgarnison, nicht aber bei Belegung mit einer nichtdeutschen Garnison gewährt wird?
Hält es die Bundesregierung für gerechtfertigt, daß ein Unterschied zwischen der Gewährung eines Ausgleichs an Städte mit Bundeswehrgarnisonen und mit nichtdeutschen Garnisonen gemacht wird?
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, für den Fall, daß eine Ausgleichung der Folgekosten nicht möglich sein sollte, darauf hinzuwirken, daß bei einem Finanzausgleich zwischen dem Land und der Gemeinde der ausländische Bevölkerungsanteil zahlenmäßig berücksichtigt wird?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514124500
Die Regelung des Finanzausgleichs zugunsten der Gemeinden ist ausschließlich Angelegenheit der Länder. Die Entscheidung darüber, ob und inwieweit die Mitglieder einer ausländischen Truppe und deren Familienangehörige bei der Berechnung der Schlüsselzuweisungen der Länder an die Gemeinden zu berücksichtigen sind, obliegt deshalb allein dem Landesgesetzgeber. Ich bitte um Verständnis dafür, daß der Bundesminister der Finanzen unter diesen Umständen von einer sachlichen Stellungnahme zu Einzelheiten des kommunalen Finanzausgleichs absehen muß.
Soweit der Bund sogenannte Bundesfinanzbeihilfen zu den gemeindlichen Investitionen gewährt, die durch militärische Einrichtungen verursacht werden, ist er bemüht, die Gemeinden mit einer Bundeswehrgarnison und diejenigen mit nichtdeutschen Garnisonen gleich zu behandeln.
7224 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514124600
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Wolf.

Willi Wolf (SPD):
Rede ID: ID0514124700
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in der ca. 13 200 Einwohner zählenden Stadt Bramsche im Kreis Bersenbrück 1200 niederländische Soldaten mit ihren Familienangehörigen wohnen und bei der Ermittlung der Einwohnerzahl und infolgedessen bei der Verteilung des Finanzausgleichs unberücksichtigt bleiben? Wenn es auch sicherlich Angelegenheit des Landes ist, so ist es aber nach meiner Auffassung — und ich frage Sie, ob Sie diese Auffassung teilen — —

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514124800
Einen Augenblick, Herr Kollege. Was Ihre Auffassung ist, das würden wir alle gern wissen; nur können Sie es hier in der Fragestunde nicht vortragen. Da der Staatssekretär sich außerstande sieht, zur Sache Auskünfte zu geben, würde ich darum bitten, keine Fragen zur Sache zu stellen. Es hält uns nur auf. Die übrigen Kollegen wollen ihre Fragen auch beantwortet haben. — Es ist eine Landesfrage; ich glaube, das ist schon richtig beantwortet worden.

(Zuruf.)

Sie haben das Recht, Zusatzfragen zu stellen. Zweckmäßigerweise sollten Sie keine Fragen stellen, die sich auf die Sache beziehen; sie können auch Fragen stellen, die sich auf die Sache beziehen, aber die würden ja mit „nicht zuständig" beantwortet werden.

Willi Wolf (SPD):
Rede ID: ID0514124900
Herr Präsident, ich habe eine Frage, die sicherlich das Bundesfinanzministerium angeht, und zwar: Hält es die Bundesregierung für vertretbar, daß Gemeinden Bundesfinanzhilfen für Aufschließungsmaßnahmen und Folgeeinrichtungen bei militärischen Bauvorhaben und Wohnsiedlungen erhalten, wenn es sich um Maßnahmen der Bundeswehr handelt, daß sie aber abgelehnt werden, wenn es sich um Maßnahmen für ausländische Streitkräfte handelt?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514125000
Auch diese Frage habe ich bereits beantwortet, indem ich gesagt habe, daß nicht nur bei der Errichtung von Bundeswehrgarnisonen Bundesfinanzhilfen gewährt werden, sondern daß wir bestrebt sind, die nichtdeutschen Garnisonen auf unserem Gebiet ebenso zu behandeln. Das soll nicht heißen, daß in jedem Falle diese Bundesfinanzhilfen gewährt werden. Wie überall werden auch hier Prüfungen notwendig sein, und auf Grund des Ergebnisses der Prüfung wird dann entschieden, ob oder ob nicht.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514125100
Die Fragen des Kollegen Wolf sind damit beantwortet.
Dann kommen wir zu den Fragen 7 und 8 des Abgeordneten Strohmayr, die bisher im Geschäftsbereich des Bundesschatzministers waren:
Worauf ist es zurückzuführen, daß für die Sanierung des Gebäudes des Hauptzollamtes Köln dringend 750 000 DM erforderlich sind, obwohl der Bau erst vor wenigen Jahren errichtet wurde?
Was ist bisher unternommen worden, um die Schuld- und Haftungsfrage wegen der in Frage 7 erwähnten Schäden einwandfrei zu klären?
Bitte, Herr Staatssekretär.

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514125200
Im Laufe des Jahres 1966 floß in dem im dritten Stock des Gebäudes des Hauptzollamtes Köln untergebrachten Photolabor des Zollkriminalinstituts Säure aus, die in den darunter befindlichen Stahlbetonboden eintrat. Bei der daraufhin — das war also der Anlaß — durch beratende Ingenieure im Auftrage der zuständigen Landesbaudienststelle vorgenommenen Untersuchung der Decken und Stützen wurde festgestellt, daß der Beton stellenweise nicht die vorgesehene Festigkeit aufweist. Die beratenden Ingenieure hielten deshalb Verstärkungen der Decken und Stützen für erforderlich. Die Kosten wurden auf Grund dieses vorläufigen Untersuchungsergebnisses auf rund 750 000 DM geschätzt.
Der Bundesminister der Finanzen hat bei der Aufstellung des Haushalts 1968, nachdem diese vorläufige Feststellung vorlag, einen Betrag in Höhe von 750 000 DM für den genannten Zweck in den Haushalt eingestellt. Der Bundesminister der Finanzen hat dann, nachdem er diesen Betrag von 750 000 DM vorsorglich in den Haushaltsentwurf 1968 eingestellt hatte, durch den baufachlich zuständigen Bundesminister für den wirtschaftlichen Besitz des Bundes und durch das Ergebnis der von ihm eingeleiteten Untersuchungen erfahren, daß die erforderlichen Bauarbeiten bei weitem nicht den großen Aufwand erforderten, der ursprünglich von den beratenden Ingenieuren geschätzt worden war.
Im Zusammenhang mit den zur Zeit laufenden Untersuchungen wird die Beweissicherung durch einen öffentlich bestellten Sachverständigen durchgeführt. Die Schuld- und Haftungsfrage kann erst nach Abschluß dieser Untersuchungen geklärt werden.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514125300
Herr Kollege Strohmayr zu einer Zusatzfrage.

Alois Strohmayr (SPD):
Rede ID: ID0514125400
Herr Staatssekretär, glauben Sie wirklich, daß das, was Sie hier vorgetragen haben, zu der Zerstörung des Bauwerkes geführt hat und damit der Anlaß dafür ist, daß die Standfestigkeit des Baues nicht mehr gewährleistet ist?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514125500
Herr Kollege Strohmayr, ich glaube, Sie haben mich nicht richtig verstanden. Ich habe bewußt gesagt: Die Untersuchung, welche Folgen das Ausfließen der Säure hatte, war der Anlaß, daß überhaupt beratende Ingenieure tätig wurden, und diese haben dann festgestellt, daß Stützen usw. nicht die richtige Festigkeit aufweisen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514125600
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Kollegen Strohmayr.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7225

Alois Strohmayr (SPD):
Rede ID: ID0514125700
Herr Staatssekretär, ist untersucht worden, ob die Standfestigkeit des Gebäudes vorerst noch gewährleistet ist oder nicht?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514125800
Ich habe Ihnen gesagt, daß der zuständige Fachminister, also der Bundesschatzminister, im Augenblick noch Untersuchungen laufen hat und daß wir dann, wenn das Ergebnis dieser Untersuchungen vorliegt, sicherlich das erhalten werden, was Sie mir mit Ihrer Frage angeschnitten haben.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514125900
Eine weitere Zusatzfrage von Herrn Abgeordneten Strohmayr.

Alois Strohmayr (SPD):
Rede ID: ID0514126000
Herr Staatssekretär, wenn geklärt ist, wer die Schuld trägt, werden dann von seiten der Bundesregierung die Schritte unternommen, die notwendig sind, um diejenigen, die die Schuld tragen, regreßpflichtig zu machen?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514126100
Schuld- und Haftungsfrage müssen miteinander gesehen werden. Wenn feststeht, wer das schuldhaft veranlaßt hat, wird daraus sicherlich die Konsequenz gezogen werden.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514126200
Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Alois Strohmayr (SPD):
Rede ID: ID0514126300
Herr Staatssekretär, ist für den Fall, daß die Sanierungsarbeiten vorgenommen werden müssen, auch dafür Sorge getragen worden, daß die dort Beschäftigten ihre Arbeit ordentlich durchführen können, ohne Gefahr zu laufen, durch die Bauarbeiten beeinträchtigt zu werden?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514126400
Das nehme ich an, Herr Kollege. Im übrigen hat der Bundesminister der Finanzen anläßlich einer Besprechung über die Haushaltsfrage im Haushaltsausschuß dieses Parlaments diese Angelegenheit bereits vorgetragen und dort zugesagt, daß laufend darüber berichtet wird.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514126500
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fellermaier!

Ludwig Fellermaier (SPD):
Rede ID: ID0514126600
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß diese bedrohlichen Mängel erst durch den in diesem Falle glücklichen Umstand des Säureaustritts entdeckt werden konnten, und darf ich wissen, was geschehen wäre, wenn keine Säure ausgelaufen wäre und dieser Mangel dadurch nicht hätte entdeckt werden können?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514126700
Ich muß darauf hinweisen, Herr Kollege, daß dieses Gebäude bereits im Jahre 1954. errichtet worden ist und daß der Mangel im Jahre 1966 festgestellt worden ist. Wenn er nicht hätte festgestellt werden können, hätte
natürlich das eine oder andere passieren können. Im Augenblick kann noch niemand sagen, was hätte passieren können; denn die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen, und das Ergebnis ist, wie sich mittlerweile herausgestellt hat, doch nicht so schlimm, wie es sich auf den ersten Anschein hin dargestellt hat.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514126800
Noch eine Zusatzfrage!

Ludwig Fellermaier (SPD):
Rede ID: ID0514126900
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob Sie in den Komplex der amtlichen Untersuchungen auch die Frage mit einbeziehen, ob unter Umständen ein schuldhaftes — vorsätzliches oder fahrlässiges — Verhalten der Bundesbahn amtlicherseits im Jahre 1954 vorgelegen hat.

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0514127000
Die Frage habe ich wohl schon beantwortet, Herr Kollege, indem ich sagte, daß Schuld- und Haftungsfrage im Augenblick geprüft werden. Dazu zählt auch das.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514127100
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Ich rufe die Fragen 67, 68, 69 des Herrn Abgeordneten Böhm auf:
Treffen Meldungen des Donau Kurier vom 28. November 1967 zu, daß in der Gemarkung der Gemeinde Gaimersheim (Landkreis Ingolstadt) ein Korps-Depot errichtet werden soll?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Bevölkerung des Wirtschaftsraumes Ingolstadt über dieses militärische Vorhaben stark beunruhigt ist und maßgebende Vertreter des öffentlichen Lebens sich entschieden dagegen ausgesprochen haben, weil eine wesentliche Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Entwicklung dieser Region befürchtet wird?
Wenn entsprechend der Frage 67 der Bau eines Korps-Depots vorgesehen ist, hat die Bundesregierung mit Rücksicht auf die große Zahl militärischer Anlagen im Raum Ingolstadt die Auswirkungen auf die regional-wirtschaftliche Entwicklung bedacht und geprüft?
Die Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Bevor der Herr Staatssekretär antwortet, frage ich ihn, ob es nicht sinnvoll wäre — wenn ich es richtig sehe —, jetzt die Fragen 74, 75 und 76 vorzuziehen und dann die Fragen 70, 71, 72 und 73 aufzurufen; das sind nämlich alles Zusatzfragen zu die-den drei.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514127200
Herr Präsident, ich hatte vor, allen diesen Fragen eine allgemeine Bemerkung über die Lage der Munition der Bundeswehr voranzustellen und dann die einzelnen Fragen zu beantworten, so daß dann die Reihenfolge keine Rolle mehr spielt.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514127300
Ich glaube, das ist eine vernünftige Lösung. Ich rufe also jetzt die Frage 70 des Abgeordneten Spitzmüller, die Fragen 71, 72 und 73 des Abgeordneten Kubitza sowie die Fragen
7226 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Vizepräsident Scheel
74, 75 und 76 des Abgeordneten Schultz (GauBischofsheim) auf:
Hat die Bundesregierung inzwischen Maßnahmen eingeleitet, um die angeblich mangelhafte Munition, die Pressemitteilungen zufolge von der Bundeswehr gesperrt wurde, ganz oder teilweise reparieren zu lassen?
Läßt sich feststellen, wer für die Beschaffung der angeblich
fehlerhaften Munition der Bundeswehr verantwortlich ist?
Auf welche Weise gedenkt die Bundesregierung die Verantwortlichen für die in Frage 71 aufgezeigte Fehlentwicklung zur Rechenschaft zu ziehen?
Welche Regreßmöglichkeiten bestehen wegen der in Frage 71 erwähnten Munition für die Bundesrepublik?
Ist es zutreffend, daß Pressemitteilungen zufolge sämtliche Splitterhandgranaten, die es gegenwärtig in der Bundeswehr gibt, ein großer Teil der Bestände an Sprenghandgranaten, sämtliche Vorräte der leichten Panzerfaustgranate 44, sämtliche Panzerfäuste vom Typ „Carl-Gustav", ein großer Teil der 105-Millimeter-Munition für die Bordkanone des Leopard-Panzers, sämtliche 81-Millimeter-Mörsermunition, ein Teil der Munitionsbestände für die Artillerie mit der größten Reichweite, die 175-
Millimeter-Feldkanone SF (M 107) und kleinere Posten zahlreicher verschiedener Munitionssorten gegenwärtig von der Bundeswehr für jeglichen Gebrauch gesperrt sind?
Seit wann müssen die in Frage 74 erwähnten Munitionssorten gesperrt oder sogar ausgesondert werden?
Welche Finnen sind an der Herstellung der in Frage 74 erwähnten angeblich fehlerhaften Munition beteiligt gewesen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514127400
Ich darf zunächst mit einer allgemeinen Vorbemerkung zu der Munitionslage bei der Bundeswehr beginnen. Es gibt in der Bundeswehr mehrere hundert verschiedene Munitionsarten und -sorten. Von ihnen sind zur Zeit einige gesperrt. Gründe, aus denen solche Sperrungen verfügt werden, sind die folgenden: Konstruktions-, Fertigungs- oder Materialmängel; Mängel, die durch Lagerung entstehen; Mängel infolge Veralterung und chemischer Zersetzung; Mängel infolge mangelhafter Wartung und Pflege.
In dem Bewußtsein ihrer Verantwortung für Leben und Gesundheit der ihr anvertrauten Soldaten legt die Bundeswehr bei der Sperrung von Munition einen sehr strengen Maßstab an. Munition wird schon gesperrt, wenn mit ihr nur eine leichte Gefährdung verbunden ist. Sperrung von Munition aus den von mir genannten Gründen findet in allen Ländern der Welt statt. Wenn man bedenkt, daß in Deutschland teilweise höhere Anforderungen an die Sicherheit der Munition gestellt werden als im Ausland, ist der Anteil der bei uns gesperrten Munition in keiner Weise als ungewöhnlich anzusehen. Im übrigen muß man unterscheiden zwischen der Munition, die nur für den Frieden, also für Übungszwecke gesperrt ist, und der Munition, die auch für den Ernstfall gesperrt ist. Die erste Munition soll im Ernstfall verwendet werden. Der Anteil der zuletzt genannten, also auch für den Ernstfall gesperrten Munition ist außerordentlich gering. Er beträgt wertmäßig zur Zeit weniger als 1% der Gesamtmunition der Bundeswehr.
Auf die Frage des Herrn Abgeordneten Spitzmüller darf ich speziell folgendes antworten. In allen Fällen, in denen Mängel an der Munition festgestellt worden sind, sind sofortige Untersuchungen und anschließend Maßnahmen zur Abstellung der Mängel veranlaßt worden. Nur da, wo dies wirtschaftlich unzweckmäßig ist, wird davon abgesehen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514127500
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spitzmüller!

Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0514127600
Herr Staatssekretär! Ist es möglich, wenn fehlerhafte Munition festgestellt wird, diese in Deutschland reparieren zu lassen, oder muß sie dann gelegentlich oder in ständigen Fällen zur Reparatur in das Herstellerland zurückgebracht werden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514127700
Teilweise ist es nötig, sie im Ausland, teilweise ist es möglich, sie in Deutschland wiederherstellen zu lassen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514127800
Die nächsten Fragen des Abgeordneten Kubitza!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514127900
Herr Abgeordneter, ich darf auch hierzu auf meine allgemeine Vorbemerkung Bezug nehmen. Auf Ihre spezielle Frage darf ich folgendes antworten: In der Bundeswehr ist keine Munition beschafft worden, die erkennbar fehlerhaft war. Die Beschaffungsverträge sehen im allgemeinen Gewährleistungsbestimmungen vor, die bei verdeckten Mängeln, die bei einer Abnahme festgestellt werden, Anspruchsgrundlage für Nachlieferung, Nachbesserung oder Schadensersatz sind. Vor der Übernahme der Munition in den Munitionsbestand der Bundeswehr finden umfangreiche Quailtätsprüfungen, zunächst in den Herstellerwerken und dann in den amtlichen Güteprüfstellen und durch sogenannten Versuchsbeschluß der Munition, statt.
Hinsichtlich der Frage der Regreßmöglichkeiten darf ich darauf hinweisen, daß ein Regreß im eigentlichen Sinne, d. h. eine Inanspruchnahme der für die Beschaffung Verantwortlichen, nur dann in Frage kommt, wenn es sich um Fälle grober Fahrlässigkeit handelt; solche sind bis jetzt aber nicht erkennbar. Soweit es sich um Gewährleistungsansprüche gegen die Lieferfirmen handelt, sind diese in den abgeschlossenen Verträgen bzw. in den allgemeinen Vertragsbedingungen für derartige Verträge festgelegt. Diese Ansprüche gehen über die gesetzlichen Gewährleistungsansprüche hinaus, insbesondere was die Fristen betrifft. Wenn sich Anhaltspunkte für ein Vorliegen solcher Gewährleistungsansprüche ergeben, werden sie grundsätzlich vom Verteidigungsministerium geltend gemacht.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514128000
Bitte, eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kubitza!
Ich möchte nur sagen, daß damit diese Detailfragen des Abgeordneten Kubitza beantwortet worden sind.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514128100
Ich habe es so verstanden, Herr Präsident.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7227

Werner Kubitza (FDP):
Rede ID: ID0514128200
Sie haben in Ihrer Vorbemerkung die Gründe für die Sperrung genannt. Liegen die Gründe für den Mangel infolge mangelhafter Wartung und Pflege in einem zu geringen Wartungspersonal, Herr Staatssekretär?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514128300
Das möchte ich so allgemein nicht sagen, Herr Abgeordneter.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514128400
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kubitza!

Werner Kubitza (FDP):
Rede ID: ID0514128500
Ist mit dem „Wertmäßigen", das weniger als ein Prozent der Gesamtmunition beträgt, der Gebrauchs- oder der Anschaffungswert gemeint?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514128600
Damit ist der Anschaffungswert gemeint.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514128700
Herr Abgeordneter Ollesch, eine Zusatzfrage!

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0514128800
Herr Staatssekretär! Können Sie mir erklären, warum Munition, die nach Ihren Worten in Friedenszeiten zu Übungszwecken gesperrt werden muß, in Kriegszeiten verwendet werden kann?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514128900
Weil der Grad der Gefährdung bei dieser Munition als so gering angesehen wird, daß man ihn im Kriege glaubt in Kauf nehmen zu können.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514129000
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ollesch.

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0514129100
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es im Kriege viel wichtiger ist, daß die Munition nicht den Mann gefährdet, der sie verwendet, als in Friedenszeiten und zu Übungszwecken?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514129200
Ich würde Ihnen nicht völlig zustimmen. Ich würde glauben, daß es darauf ankommt, daß die Munition weder im Krieg noch im .Frieden den betreffenden Soldaten gefährdet.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514129300
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Marx.

Dr. Werner Marx (CDU):
Rede ID: ID0514129400
Herr Staatssekretär! Darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die gleichen Prinzipien für alle Staaten gelten, die militärische Instrumente haben?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514129500
Es gelten die gleichen
Prinzipien, Herr Abgeordneter, nur mit der Maßgabe, daß wir besonders strenge Maßstäbe anlegen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514129600
Dann kommen wir zu den Fragen 74, 75 und 76 des Abgeordneten Schultz (Gau-Bischofsheim).

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514129700
Herr Abgeordneter, ich darf auch hierzu auf meine allgemeinen Vorbemerkungen Bezug nehmen, in denen ich dem Hohen Hause einen Gesamtüberblick über die Munitionslage bei der Bundeswehr gegeben und insbesondere auch den Anteil der fehlerhaften Munition an der Gesamtmunition genannt habe.
Einzelheiten, nach denen Sie, Herr Abgeordneter, fragen, welche Munitionsarten zur Zeit gesperrt sind und aus welchen Gründen die Sperrung verfügt worden ist, kann ich aus Sicherheitserwägungen öffentlich nicht mitteilen. Ich bin aber bereit, darüber dem Verteidigungsausschuß detaillierte Auskunft zu geben.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514129800
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schultz.
Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP): Herr Staatssekretär, Sie sind aber auch nicht in der Lage, die von mir angezogene Meldung glattweg zu dementieren, d. h. zu sagen: sie ist falsch?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514129900
Herr Abgeordneter, wenn ich das täte, würde ich dem Grundsatz widersprechen, den ich gerade eben selbst aufgestellt habe.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514130000
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schultz.
Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP): Herr Staatssekretär, halten Sie es für sehr befriedigend, daß sich im zwölften Jahr der Aufbauschwierigkeiten der Bundeswehr praktisch dasselbe ereignet wie im fünften Jahr der Aufbauschwierigkeiten der Bundeswehr? Schon 1962 ist der Verteidigungsausschuß mit diesen Munitionsfragen aus ähnlichen Gründen beschäftigt worden. Ist es in der Tat unmöglich, diese Dinge so hinzukriegen, daß der Mann auch Vertrauen zu seiner Waffe bekommen kann?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514130100
Herr Abgeordneter, ich glaube, der .Soldat kann volles Vertrauen zu der Munition haben, die ihm zur Verfügung steht, gerade deswegen, weil Munition, die nur leichte Mängel aufweist, gesperrt wird. Ich möchte glauben, daß das eine gute Praxis ist und daß die Regierung an dieser Praxis unter allen Umständen festhalten sollte. Ich glaube nicht, daß der Verteidigungsminister oder auch Sie die Verantwortung dafür über-
7228 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Staatssekretär Dr. Carstens
nehmen möchten, daß infolge des Gebrauchs fehlerhafter Munition Menschen ums Leben kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514130200
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schultz.
Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) : Herr Staatssekretär, würden Sie es für unangemessen halten, wenn ich Ihnen sagte, daß ich eine solche Feststellung, wie Sie sie zuletzt getroffen haben, gar nicht von Ihnen verlangt habe bzw. auch aus meinen Worten gar nicht zu entnehmen gewesen ist?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514130300
Nein, das würde ich nicht als unangemessen betrachten, Herr Abgeordneter.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514130400
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schultz.
Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) : Herr Staatssekretär, liegt eine Statistik bei dem Bundesverteidigungsministerium über die Unfälle vor, die sich infolge fehlerhafter Munition ereignet haben?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514130500
Ich bin sicher, daß all diese Fälle erfaßt werden, Herr Abgeordneter. Sie sind mir allerdings leider im Augenblick nicht gegenwärtig.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514130600
Noch eine weitere Zusatzfrage.
Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP): Darf ich, Herr Staatssekretär, darauf aufmerksam machen, daß ich gefragt habe, welche Firmen an der Herstellung dieser Munition beteiligt sind. Ist das auch eine Frage, die Sie nicht hier beantworten können, sondern nur im Verteidigungsausschuß beantworten wollen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514130700
Ich bitte um Ihr Verständnis dafür, Herr Abgeordneter, daß ich so verfahre. Denn es gibt Firmen, die nur eine einzige Art von Munition für die Bundeswehr herstellen. Wenn ich die Firma nennte, würde damit die Munition selbst hier öffentlich genannt sein.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514130800
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Borm.

Dr. William Borm (FDP):
Rede ID: ID0514130900
Darf ich, Herr Staatssekretär, die Frage meines Kollegen Schultz dahin gehend einschränken, daß ich Sie frage: Ist die mangelhafte Munition im wesentlichen aus inländischer Fabrikation oder 'aus ausländischer?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514131000
Eine so allgemeine Schlußfolgerung kann man nicht ziehen, Herr Abgeordneter.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514131100
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Enders.

Dr. Wendelin Enders (SPD):
Rede ID: ID0514131200
Herr Staatssekretär, kann man annehmen, daß die beanstandeten Fehler bei Munition für Handfeuerwaffen nicht so gravierend sind wie bei Munition für schwere Waffen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514131300
Ich bin kein Sachverständiger in diesen Fragen. Aber nach meinem laienhaften Verständnis der Situation würde ich diese Frage bejahen.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514131400
Eine weitere Frage.

Dr. Wendelin Enders (SPD):
Rede ID: ID0514131500
Herr Staatssekretär, wenn das der Fall sein sollte, wäre es dann eventuell notwendig, Dienstvorschriften für die Soldaten, die mit diesen Waffen umgehen müssen, zu überprüfen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514131600
Herr Abgeordneter, ich will diese Frage überprüfen lassen. Ich kann sie Ihnen so aus dem Stegreif nicht beantworten.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514131700
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jung.

Kurt Jung (FDP):
Rede ID: ID0514131800
Herr Staatssekretär, welche Maßnahmen hat das Ministerium ergriffen, um die Lagerfähigkeit der Munition zu erhöhen bzw. überhaupt zu erhalten, nachdem ich bereits im Februar dieses Jahres in einer ganz bestimmten Sache darauf hingewiesen habe, daß durch chemische Einwirkungen die Lagerfähigkeit bestimmter Sprengstoffe stark herabgesetzt wurde?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514131900
Herr Abgeordneter, es gibt ohne Frage technische Möglichkeiten, die Lagerfähigkeit zu verbessern. Sie verursachen allerdings durchweg erhebliche Kosten. Daran wird die Realisierung dieser Projekte, die theoretisch ausgearbeitet worden sind, im Augenblick wohl noch scheitern.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514132000
Noch eine Zusatzfrage!

Kurt Jung (FDP):
Rede ID: ID0514132100
Ich möchte das noch etwas vertiefen. Ich meinte, die Lagerfähigkeit ist dadurch eingeschränkt, daß beim Sprengstoff durch bestimmte alkalische Einwirkungen, z. B. durch Beimengung von Glasfasern, eben die Lagerfähigkeit wesentlich herabgesetzt wird, so daß die Munition innerhalb kürzester Zeit unbrauchbar wird.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514132200
Es tut mir leid, Herr Abgeordneter, ich bin kein Fachmann für Munition. Ich kann Ihnen die Frage 'nicht beantworten. Ich bin
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7229
Staatssekretär Dr. Carstens
aber gern bereit, schriftlich oder im Ausschuß darüber Auskunft zu geben.

Walter Scheel (FDP):
Rede ID: ID0514132300
Damit sind wir ,am Ende der Fragestunde.
Wir setzen jetzt die gestern unterbrochene Debatte zu Punkt 8 der Tagesordnung fort:
a) Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Verteidigungspolitik
— Drucksache V/2016 —
b) Große Anfrage der Fraktion der FDP
betr. Verteidigungskonzeption der Bundesrepublik Deutschland
— Drucksache V/2025 —
c) Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Verteidigungspolitik — Drucksache V/2041 —
d) Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes
— Drucksache V/1741 —
e) Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betr. Ausrüstung der Bundeswehr
— Drucksache V/1990 —
Das Wort hat als erster der Herr Bundesminister der Verteidigung, falls er das Wort ergreifen will.

(Zurufe: Der Bundesminister des Auswärtigen!)

— Mir war mitgeteilt, die Bundesregierung will sprechen; aber nicht der Verteidigungsminister, sondern der Bundesminister des Auswärtigen wünscht das Wort zunehmen. Bitte, Herr Bundesminister des Auswärtigen!

(Abg. Genscher: Mal sehen, ob das das gleiche ist!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514132400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern ist in der Debatte der Zusammenhang zwischen Sicherheitspolitik und allgemeiner Außenpolitik mehrfach angesprochen und, wie ich meine, angemessen gewürdigt worden. Das gilt auch für die Sicherheitspolitik mit ihren beiden Aspekten oder, wie gestern wieder gesagt wurde, die beiden Seiten der Medaille, nämlich die Fähigkeit zur Verteidigung und die Bereitschaft zur Abrüstung. Ich möchte gern in meinem Beitrag zur Debatte versuchen, zwei Fragen zu beantworten. Die erste Frage lautet: Was hat die Bundesregierung getan, um Vorschläge zur Rüstungskontrolle, zur Rüstungsminderung zu fördern? Und zweitens: Was tut sie, um einer europäischen Friedensordnung näherzukommen oder ihr den Weg zu ebnen?
In der Regierungserklärung vom Dezember vergangenen Jahres wurde, wie Sie sich erinnern werden, unsere gesamte Außenpolitik als konsequente und wirksame Friedenspolitik dargestellt, durch die wir mithelfen wollen, politische Spannungen zu beseitigen und das Wettrüsten einzudämmen. Wir haben in jener Regierungserklärung vom 13. Dezember vergangenen Jahres versprochen, wir würden an Vorschlägen zur Rüstungskontrolle, Rüstungsminderung und Abrüstung mitarbeiten. Gestern abend ist in der Debatte zu Recht vermutet worden, daß wohl auf diesem Gebiet mehr geschehen sei, als bisher sichtbar gemacht werden konnte oder, wie ich hinzufügen möchte, als hier heute im einzelnen genau dargelegt werden kann. Aber es ist durchaus möglich, im Rahmen dieser Debatte einen ersten Überblick zu geben, den ich gern von Zeit zu Zeit ergänzen möchte und dann hoffentlich auch anreichern kann.
Zunächst zur Thematik des Gewaltverzichts. Sie werden sich daran erinnern, daß die Regierungserklärung vor einem Jahr den deutschen Vorschlag vom März 1966 an die Adresse der Sowjetunion und der anderen osteuropäischen Staaten aktualisierte und diesen Vorschlag zum Austausch von Gewaltverzichtserklärungen ausdrücklich auch auf die deutsche Frage bezog. Hieraus ist inzwischen ein Eckstein unserer Europa- und Ostpolitik geworden. Wir haben die Bereitschaft präzisiert, den Verzicht auf Gewaltanwendung und Gewaltandrohung gegenüber allen osteuropäischen Partnern verbindlich zu formulieren. Wir haben als Regierung vielfach den Willen bekundet, diesen Verzicht so zu vollziehen, daß er ohne jeden Vorbehalt auch für den anderen Teil Deutschlands und diesem gegenüber gilt.
Wir sind in diesen Monaten nicht nur Mißtrauen und polemischen Unterstellungen begegnet, sondern wir haben auch an mehr als einer Stelle ein sachliches Interesse feststellen können. Dabei haben — das werden wir alle verstehen — Stellungnahmen der Regierung der Sowjetunion und Erörterungen mit ihr selbstverständlich ein besonderes Gewicht. Solche Erörterungen werden sich nach der Absicht beider Seiten in vertraulicher Form zu vollziehen haben. Schnelle Ergebnisse sind dabei nicht zu erwarten. Aber jeder soll wissen, daß es an unserem guten Willen nicht fehlen wird.
Was nun die Fragen der regionalen, d. h. europäischen Rüstungskontrolle und Rüstungsminderung angeht, so hat es im Laufe dieses Jahres Beratungen im Kreise der Verbündeten — konkret: im Rahmen der WEU und der NATO — gegeben. Es hat auch den Beginn eines Meinungsaustausches mit anderen befreundeten Regierungen gegeben. Wir sehen für uns nicht eine passive, sondern eine aktive Rolle im Prozeß bilateraler und multilateraler Konsultationen im Kreise der Verbündeten mit dem Ziel, konkrete Vorstellungen über ein Angebot an die Staaten des Warschauer Paktes zu entwickeln. Um eine aktive Rolle spielen zu können, brauchen wir und verfügen wir, wenn auch sicher noch nicht ausreichend, über eigene Vorarbeiten und Studien für einen Abbau der militärischen Konfrontation durch schrittweise und ausgewogene Verminderung der Streitkräfte in Ost und West, insbesondere der ausländischen Truppen in beiden Teilen Deutschlands. Ich gebe allerdings freimütig zu, daß wir meiner Meinung nach den Problemen, von denen hier die Rede ist, und darüber
7230 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Bundesminister Brandt
hinaus viel von dem, was man „Friedensforschung" zu nennen begonnen hat, noch mehr Aufmerksamkeit widmen, noch mehr Gewicht geben und daß wir darin geistig, personell und organisatorisch noch mehr investieren müssen.
Bei unserer Politik der Entspannung und Friedenssicherung haben wir uns auf ein hohes Maß an Übereinstimmung mit den Verbündeten stützen können. Dies kam auch in den Kommuniqués zum Abschluß der NATO-Ministerratstagungen im Dezember vergangenen Jahres in Paris und im Mai dieses Jahres in Brüssel zum Ausdruck.
Die auf die Ostpolitik bezogene Übereinstimmung ist dann auch sehr stark bei den laufenden Beratungen mit unseren französischen Nachbarn zutage getreten. Gleiches gilt für Konsultationen mit den Regierungen Großbritanniens und Italiens und anderer
europäischer Staaten.

Allerdings läßt, so dankbar wir sind und so dankbar ich gerade auch als Bundesaußenminister für die vielfache politische und moralische Unterstützung bin, die wir in diesen Monaten zumal auf dem Feld der Ostpolitik gefunden haben, die konkrete politische Abstimmung unter den westlichen Verbündeten und in der atlantischen Allianz manches — um nicht zu sagen: viel — zu wünschen übrig.
In der Erklärung, die der Bundesverteidigungsminister gestern für die Regierung vorgetragen hat, wird zutreffend ausgeführt, daß unsere Politik der Entspannung und der Friedenssicherung der festen Verankerung in der Allianz bedarf. Wir haben bei früheren Gelegenheiten gesagt — wir werden es nächste Woche im NATO-Rat in Brüssel wieder sagen —: Wir setzen sehr viel darauf, daß es zu einem engen Zusammenwirken unter den Verbündeten und in den westlichen Gemeinschaften als entscheidender Voraussetzung für eine erfolgreiche Politik der Entspannung und der Friedenssicherung kommt. Diese Politik steht nicht nur nicht im Gegensatz zu den Zielen der Allianz, sondern sie ist logischer Bestandteil der Zielsetzung, die sich auf die Bewahrung und die Festigung des Friedens richtet.
Die Fortdauer des Bündnisses, seine Wirksamkeit und seine lebendige Fortentwicklung sind gerade mit dem Blick auf eine künftige europäische Friedensordnung notwendig. Vieles spricht meiner Überzeugung nach dafür, daß ein wirksames europäisches Sicherheitssystem auf absehbare Zeit, wenn es überhaupt zustande zu bringen ist, vernünftig durch Vereinbarungen begründet werden könnte, die sich auf die beiden weiterbestehenden Bündnisse beziehen.
Hier ist gestern auch von den Harmel-Studien die Rede gewesen. Sie kennen jene Überlegungen in der Allianz, die durch den belgischen Außenminister Pierre Harmel angeregt wurden. Es sind Überlegungen über die zukünftige Rolle der Allianz und damit insbesondere auch zum Thema der Ost-West-Fragen und zu den Problemen der europäischen Sicherheit. Zu Recht ist vermutet worden, daß es sich hierbei um zunächst allianzinterne und außerdem vertrauliche Überlegungen handelt. Jedenfalls ist es heute noch nicht möglich, darüber zu berichten.
Doch möchte ich so viel sagen: Auch diese Überlegungen im Rahmen der sogenannten HarmelStudien gingen und gehen davon aus, daß das Dach der Sicherheit auf zwei Säulen ruhen muß. Die eine besteht aus angemessenen einseitigen Vorkehrungen für eine Abschreckung und Verteidigung in der gegebenen Lage, und die andere besteht aus realistischen, illusionslosen Maßnahmen mit dem Blick auf eine beiderseitige Rüstungskontrolle und Abrüstung. Niemand, der uns zuhört oder der nachlesen sollte, was hier gesagt wird, sollte übersehen oder unterschätzen, was die Bundesregierung gesagt hat, als sie erklärte, daß sie — diese Bundesregierung — entschlossen sei, Schritte zu unternehmen und Vorschläge zu unterstützen, die zu einer militärisch ausgewogenen Rüstungsverminderung auf nuklearem und konventionellem Gebiet beitragen können.
Darf ich hier vor dem Hohen Hause eine Bemerkung zu einem Vorgang machen, der sich in dem jetzt zu Ende gehenden Jahr abgespielt hat und der vielfach zu eng aufgefaßt worden war. Sie werden sich daran erinnern, daß wir uns bei den sogenannten Dreierverhandlungen mit den Vereinigten Staaten und Großbritannien mit einigen Rückverlegungen und Truppenrotationen einverstanden erklärt hatten. Gewiß, wir hatten in der Überzeugung zugestimmt, daß unsere Sicherheit dadurch nicht gefährdet würde. Das versteht sich an sich von selbst, denn keiner ist bereit, zuzustimmen, wenn er weiß, daß 'dadurch seine Sicherheit gefährdet wird.
Aber alle Kundigen wissen, daß auch unabhängig von dieser Zentralfrage, ob die Gesamtsicherheit gefährdet wird oder nicht, heutzutage die präsente Stärke der einen Seite und der anderen und die einzelnen Elemente diesere oder jener Seite ein wichtiger Faktor sind. Jedenfalls wirkt der im Osten immer noch zu hörende Vorwurf, die Aufrüstung gehe vom Westen nach Osten, besonders wenig glaubwürdig. Es wird nicht nur für uns interessant sein, ob die tatsächlichen, wenn auch begrenzten Veränderungen in Westeuropa, die sich auf die präsenten Stärken beziehen, eine Entsprechung im Raum des sowjetischen Interesses finden werden oder nicht. Durch ein adäquates Verhalten Wäre die Chance gegeben, die Entspannung, wenn auch nur durch einen bescheidenen Schritt, zu fördern. Durch Indifferenz oder Schwerhörigkeit kann man vom Zentrum der östlichen Macht aus, wenn man will, die Entspannungsbemühungen und die realen, wenn auch begrenzten Entspannungschancen behindern oder stoppen. Das ist die Lage.

Damit nichts unklar bleibt, meine Damen und Herren: Für die Außenpolitik ist es von ganz großer Bedeutung, daß unser Verteidigungsbeitrag, das heißt die Stärke der Bundeswehr, den eingegangenen Verpflichtungen entspricht. Von dieser Basis aus ergibt sich dann hoffentlich in der weiteren Entwicklung die Möglichkeit, bei gleichmäßigen Schritten bei anderen wie auch bei uns verminderte Stärken ins Auge zu fassen. -
Der Kollege Schmidt (Hamburg) hat gestern abend in seiner Rede ausdrücklich gesagt, er erwarte
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7231
Bundesminister Brandt
nicht, daß sich die Regierung zu dem äußere, was er als Entwicklungsmöglichkeiten für den Beginn der siebziger Jahre angedeutet hat. Ich bin ihm dafür dankbar. Dennoch möchte ich im Zusammenhang mit dieser Fragestellung zwei Bemerkungen machen dürfen.
Erstens. Da gerade in diesen Tagen die vor Monaten vereinbarten deutsch-französischen Expertengespräche über Sicherheitsprobleme der siebziger Jahre beginnen, liegt mir daran, für die Bundesregierung festzustellen, daß diese deutsch-französischen Gespräche von unserer Seite aus nicht in der Annahme geführt werden, daß wir uns wegen eines Zerfalls der NATO in wenigen Jahren sicherheitsmäßig in der Isolierung befinden würden. Das ist gar kein Gegensatz. Das ist nur die Feststellung unserer Arbeitshypothesen und das Aneinanderreihen verschiedener Entwicklungsmöglichkeiten. Wir wollen, was die jetzt anlaufenden deutschfranzösischen Gespräche angeht, wirklich die beiderseitigen Auffassungen — die der französischen und die der deutschen Regierung — austauschen. Wir werden hoffentlich miteinander über den Tag hinaus denken und dabei das ganze Europa ins Auge fassen können.
Aber ich sage noch einmal: die Vertreter der Bundesregierung gehen dabei vom Weiterbestehen, von der Weiterentwicklung der atlantischen Allianz aus, von ihrer Fähigkeit, sich im Prozeß der Friedenssicherung zu bewähren. Wir gehen auch davon aus, daß sich der Vertrag bewähren wird, den ich quasi als eine meiner ersten Amtshandlungen zu unterzeichnen hatte. Ich meine den Vertrag vom Dezember vergangenen Jahres über den Status der französischen Truppen in der Bundesrepublik Deutschland. Wir sehen diesen Vertrag im Zusammenhang mit den Abmachungen, die für den Verteidigungsfall zwischen dem französischen Generalstabschef und dem Oberkommandierenden der NATO in Europa getroffen worden sind.
Die andere Bemerkung, die ich machen wollte, ist folgende. Ich stimme dem, was gesagt worden ist, insofern zu: es wäre auch meiner Meinung nach schwer erträglich, wenn es dazu käme, daß die Verbündeten ihre präsente Stärke auf dem Kontinent wesentlich verringerten, wodurch dann womöglich auch aus westlicher Sicht eines Tages die Bundeswehr für überdimensioniert gehalten werden könnte. Hieraus resultiert für mich, daß bei allen künftigen Überlegungen das westliche Bündnis und seine Ausgewogenheit als Einheit und als gemeinsames Interesse gesehen werden muß. Jedenfalls müssen wir uns mit Nachdruck darum bemühen.
Was die weltweiten Maßnahmen in Richtung Rüstungsbegrenzung und Atomrüstung angeht, so stand, wie wir alle wissen, in diesem Jahr 1967 der Nichtverbreitungsvertrag — der Vertrag über die Nichtverbreitung nuklearer Waffen — im Mittelpunkt des internationalen Interesses. Andere Vorschläge waren überwiegend nicht erwünscht; manche hätten solche anderen Vorschläge sogar als eine Behinderung der Bemühungen um den Nichtverbreitungsvertrag angesehen, zumal es eine Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 7. November 1966 gibt, die solche Behinderung untersagt.
Die Haltung der Bundesregierung zu einem Nichtverbreitungsvertrag ist dem Hohen Hause im April dargelegt worden. In einer voraufgegangenen Denkschrift vom 7. April dieses Jahres hatten wir auch einige eigene Vorstellungen für die Verbindung eines etwaigen Nichtverbreitungsvertrages mit weiterreichenden Maßnahmen der Rüstungsbegrenzung entwickelt. So haben wir z. B. wie andere den Gedanken des völligen Teststopps wieder aufgegriffen.
Ich möchte hier übrigens, da ich von den nuklearen Dingen spreche, noch einmal ausdrücklich an den früheren deutschen Vorschlag erinnern, die atomaren, die nuklearen Waffen in ganz Europa unter Wahrung des Kräfteverhältnisses und unter Wirksamer Kontrolle stufenweise zu verringern.
Meine Damen und Herren, obwohl wir selbst nicht Mitglied der Genfer Abrüstungskonferenz sind, haben wir den jetzt vorliegenden Entwurf eines Nichtverbreitungsvertrages nicht ganz unwesentlich mit beeinflußt, gerade da, wo es darum ging und geht, den Zusammenhang mit weiteren Maßnahmen der Abrüstung und Friedenssicherung klar — oder jedenfalls klarer — zu machen. Wir haben uns — das muß auch einmal von dieser Stelle aus gesagt werden, weil es draußen vielfach falsche Vorstellungen gibt — weder quergelegt noch negative Kritik geübt, sondern wir haben konstruktiv mitgearbeitet und uns um drei vitale Interessen zu kümmern gehabt: Die Nichtbeeinträchtigung der friedlichen Nutzung — vital für einen Industriestaat wie die Bundesrepublik Deutschland —, die Wahrung eines einheitlichen Energiemarktes im wachsenden Europa — vital für dieses wachsende Europa — und unsere legitimen Sicherheitsinteressen innerhalb des Bündnisses.
Die Arbeit am Nichtverbreitungsvertrag ist noch nicht abgeschlossen, und eine Gesamtbeurteilung wird erst dann möglich sein, wenn der Gesamttext vorliegt. Aber ich wollte doch auch vor dem Hohen Hause auf die bedeutsame Ankündigung hinweisen, die Präsident Johnson am vergangenen Sonnabend gemacht hat, die amerikanischen zivilen Einrichtungen im Rahmen des Nichtverbreitungsvertrages einer Kontrolle zu unterstellen. Die britische Regierung hat sich, wie sie uns im Frühjahr in Aussicht gestellt hatte, hierzu ebenfalls bereit erklärt.
Dies sind aus unserer Sicht gute Schritte bei dem Bemühen um eine befriedigende Regelung der Kontrollfrage auf der Grundlage der Gleichbehandlung und der Gegenseitigkeit.
Aus meiner Verantwortung als Bundesaußenminister und da wir es nicht nur in östlichen Ländern mit Mißtrauen zu tun haben — was häufig übersehen wird —, liegt mir sehr daran, die vierfache Selbstbeschränkung der Bundesrepublik Deutschland auf nuklearem Gebiet auch von mir aus noch einmal zu unterstreichen:

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

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Bundesminister Brandt
Verzicht auf die Herstellung von Kernwaffen; Verzicht auf eigene Verfügungsgewalt über nukleare Waffen — oder genauer gesagt: atomare Sprengkörper —; Unterwerfung der zivilen Nutzung unter die Kontrolle von Euratom; Unterstützung des Prinzips der Nichtverbreitung von nuklearen Waffen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, die gestrige Erklärung des Bundesverteidigungsministers hat erneut deutlich gemacht, daß es das Ziel der deutschen Außenpolitik ist, eine Friedensordnung in und für Europa schaffen zu helfen, eine Friedensordnung, die allen europäischen Staaten ausreichende Stabilität sichert, und die auch eine gerechte und dauerhafte Lösung der deutschen Frage möglich macht. Dies will sagen: eine europäische Friedensordnung bedeutet mehr als ein Sicherheitssystem. Eine Friedensordnung muß daraufhin konzipiert werden, daß es nicht ausreicht, die Anhäufung militärischer Macht abzubauen, daß dies isoliert auch kaum möglich sein wird — jedenfalls nicht durchgreifend —, sondern daß es darüber hinaus auf den Abbau der politischen Spannungen, den Ausgleich der Interessen, die Verständigung der Völker, die Zusammenarbeit der Staaten ankommen wird, damit solide Grundlagen für eine gute europäische Zukunft geschaffen werden können.
Eine solche Friedensordnung setzt aber voraus oder muß notwendigerweise einschließen, daß die militärische Konfrontation abgebaut und schließlich überwunden wird, daß den berechtigten Sicherheitsinteressen der europäischen Völker und Staaten Rechnung getragen wird, daß durch Vereinbarungen oder im Vorfeld von Vereinbarungen durch paralleles, adäquates Verhalten Rüstungen abgebaut und Kontrollvorkehrungen verstärkt werden. Ich erinnere hier beispielsweise an den deutschen Vorschlag über den Austausch von Manöverbeobachtern, vorüber bilaterale Vereinbarungen abgeschlossen werden könnten.
Nun meine ich, meine Damen und Herren, daß es nicht realistisch wäre, heute oder in nächster Zukunft eine große Lösung der europäischen Probleme zu erwarten. Auch deshalb halten wir es nicht für sinnvoll, dem Gedanken an eine europäische Sicherheitskonferenz nachzujagen, einer Sicherheitskonferenz, die, zumal nach dem uns bisher bekannten Schema, ohnehin nur den besonderen Zielen einer Gruppe von europäischen Staaten dienen sollte oder würde.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Eines Tages wird es gewiß auch zu einer Konferenz über Fragen der europäischen Sicherheit und der Friedensordnung kommen. Aber sie muß gut vorbereitet sein. Die Zeit muß dann für sie reif sein.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Inzwischen werden wir uns dafür einsetzen und daran mitwirken, daß in der Allianz — und wenn ich Allianz sage, meine Damen und Herren, dann meine ich das Bündnis einschließlich seines amerikanischen Pfeilers — darüber beraten und daran gearbeitet wird, wie die Elemente der europäischen Sicherheit und einer europäischen Friedensordnung aussehen sollen. Das kann dann gewiß nicht mehr nur für die Schubladen und nur für die Expertenausschüsse geschehen; denn unser Volk möchte gewiß ebenso wie die Völker ganz Europas wissen, wie der Plan aussieht, nach dem das große gemeinsame europäische Haus gebaut werden kann.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Dieser Tage nahm man in einer Ostberliner Verlautbarung Anstoß daran, daß wir sagen, im Rahmen einer europäischen Friedensordnung müsse eine gerechte und dauerhafte Lösung auch der deutschen Frage gefunden werden, Man meinte in Ostberlin, dies beweise, daß wir etwas ändern wollten; das sei verwerflich, und das stehe im Gegensatz zum Interesse an der Sicherung des Friedens.
Was heißt hier: ändern wollen? Alle, die es ernst meinen mit dem Frieden und mit Europa, wollen, müssen zum Besseren etwas ändern wollen in Europa.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir wollen — alle, die dieses Ziel wollen — eine zweifelhafte durch eine solide Sicherheit ersetzen. Damit fängt es erst einmal an. Wir wollen Mißtrauen durch Zusammenarbeit ersetzen. Wir wollen die Spaltung Europas überwinden.
Gewaltverzicht einschließlich der Respektierung der Grenzen, der in Europa bestehenden Grenzen, bedeutet nicht, daß alles genauso bleiben kann, wie es heute ist. Nicht nur die übersteigerte militärische Konfrontation inmitten dieses Kontinents und auf deutschem Boden ist unvernünftig, auch die Mauer in Berlin und der Todesstreifen mitten durch Deutschland sind unvernünftig,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

widernatürlich und gegen den Strom der Geschichte.
Niemand, dem die in der Charta der Vereinten Nationen verbrieften Rechte etwas bedeuten und dem die friedliche, gedeihliche Zukunft Europas am Herzen liegt, sollte sich darüber im unklaren sein, daß durch Übereinkünfte, durch den Ausgleich der Interessen manches geändert werden muß. Dies gilt für die Lage im anderen Teil Deutschlands, dies gilt für das Verhältnis zwischen den deutschen Gebieten und den in ihnen lebenden Menschen, dies gilt mit dem Blick auf eine Friedensordnung, die auch dem deutschen Volk, wenn es das will, die friedliche Perspektive der nationalen Einheit offenhalten muß. Dies heißt Friedensordnung, europäische Friedensordnung für das deutsche Volk.

(Beifall.)

Dies schwächt den innerdeutschen Gewaltverzicht nicht ab, sondern macht den innerdeutschen Gewaltverzicht überhaupt erst ehrlich, dies setzt ihn in den rechten Zusammenhang mit solchen Regelungen, wie sie der Bundeskanzler in seinen Briefen nach Ostberlin vorgeschlagen hat, um das Leben der Menschen und das Verhältnis zwischen den beiden Ordnungen auf deutschem Boden erträglicher und friedlicher zu gestalten.
Unsere Außenpolitik verbindet die überzeugte aktive Teilnahme am westeuropäischen Zusammen-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7233
Bundesminister Brandt
schluß mit allen sinnvollen Bestrebungen, die die Zusammenarbeit mit den Völkern und Staaten Osteuropas fördern helfen. Gelegentlich höre ich jetzt aus Osteuropa — nicht immer in den Zeitungen, manchmal auch auf andere Weise —, dies sei wohl nur die Meinung des Außenminister der Bundesrepublik Deutschland. Mir liegt daran, hier vor dem Hohen Hause und für die, die sich sonst dafür interessieren, in aller Form festzustellen: dies ist nicht so, sondern das, wovon ich hier und anderswo spreche, ist die Überzeugung des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers, und es ist die Politik der Bundesregierung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir stellen uns, um den Frieden organisieren zu helfen, der Verantwortung für die westeuropäischen Gemeinschaften ebenso wie der Verantwortung für Gesamteuropa. Wir wollen nach bitterer Erfahrung und aus ehrlicher Überzeugung dazu beitragen, daß auf unserem Kontinent Furcht und Mißtrauen überwunden werden, damit Europa in friedlicher, konstruktiver Zusammenarbeit so zusammenwächst, daß es nicht nur dem Wohl seiner Völker gerecht wird, sondern auch dem Frieden der Welt dienen kann. Denn es unterliegt doch keinem Zweifel, daß von einer europäischen Friedensordnung stabilisierende Einflüsse auf das Weltgeschehen ausgehen würden, daß Europa dem Fortschritt der Menschheit besser dienen und daß es denen besser beistehen könnte, die der Hilfe zur Selbsthilfe bedürfen.
Meine Damen und Herren, die Verteidigungspolitik jedes Staates, gerade auch unseres Staates, muß übereinstimmen mit den allgemeinen Leitlinien der auswärtigen Politik. Von dieser Debatte hängt einiges für das Verständnis und die Glaubwürdigkeit unserer Politik in Ost und West ab. Für unsere Bündnispartner muß klarsein: Wir befinden uns in Übereinstimmung mit der in der Allianz durch uns mit formulierten Politik und stehen zu dieser Politik. Für die Regierung der Sowjetunion und unsere östlichen Nachbarn muß klarsein: Unsere Verteidigungspolitik steht nicht im Widerspruch zu unserem Bemühen um Entspannung, sondern ist ihm zugeordnet. Unsere engsten europäischen Partner müssen wissen: Wir meinen es ganz ernst mit unseren Vorschlägen, gemeinsame Antworten auf die Frage nach den langfristigen Möglichkeiten europäischer Kooperation zu finden. Und unser eigenes Volk muß wissen: Wir wollen nicht das Opfer blinder Zufälle sein, auch nicht ein Spielball von Interessen anderer, sondern wir wollen gemeinsam mit unseren Freunden und Verbündeten für die gemeinsame Sicherheit sorgen, aber auch mit ihnen und, in voller Offenheit ihnen gegenüber, auch mit anderen, ohne die es nicht geht, daran arbeiten, daß der Weg zum Abbau der Spannungen und der Rüstungen und zu einer dauerhaften europäischen Friedensordnung geöffnet wird.
Meine Damen und Herren, ein Mann, der seit Kennedys Tagen mit der Verteidigung der Vereinigten Staaten befaßt war und dessen große Fähigkeiten jetzt als Präsident der Weltbank nicht zuletzt auch gegenüber den Entwicklungsländern zur Geltung kommen werden, — ich meine, wie Sie alle sicher schon verstanden haben, Robert McNamara — hat kürzlich gesagt: Die Welt braucht im Jahre 22 des Atomzeitalters keinen neuen Rüstungswettlauf; was die Welt in diesem Jahre 22 des Atomzeitalters braucht, — so sagte er und dem schließe ich mich an — ist ein neuer Wettlauf der Vernunft.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0514132500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Borm.
Ehe er das Wort nimmt, bitte ich ihn, mir zu erlauben, folgendes zu sagen: Ich habe jetzt Wortmeldungen mit Zeitangaben von insgesamt 270 Minuten vorliegen. Das sind also 41/2 Stunden. Ich bitte das Haus, sich darauf einzurichten.
Das Wort hat nunmehr der Herr Abgeordnete Borm.

Dr. William Borm (FDP):
Rede ID: ID0514132600
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist zu begrüßen, daß in dieser Wehrdebatte, die nach langer Zeit wieder einmal stattfindet, der Herr Verteidigungsminister und der Herr Außenminister hier vor dem Hohen Hause ihre Meinungen dargelegt haben. Daraus wird die 'enge Verbundenheit, ja die Unlösbarkeit der beiden Probleme ersichtlich: Es kann keine richtige Konzeption für den Aufbau und die Aufgabenstellung einer Wehrmacht gefunden werden, die nicht mit der Außenpolitik in Einklang ist, und eine Außenpolitik ist unter den heutigen Umständen maßgebend davon mitbestimmt, ob sie sich auf die Schlagkraft und Einsatzfähigkeit der Truppe in ihrem Lande stützen kann.
Es ist ebenfalls zu begrüßen, daß wir von der Freien Demokratischen Partei jetzt Gelegenheit haben, zu den Ausführungen des Herrn Bundesaußenministers sogleich einige Anmerkungen zu machen, so wie wir sie auch zu den Ausführungen des Herrn Verteidigungsministers zu machen haben.
Wir begrüßen es rückhaltlos, daß der Herr Verteidigungsminister sich auf die damalige Regierungserklärung bezieht, in welcher steht — ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren —:
Darum ist der Wille zum Frieden und zur Verständigung der Völker das erste Wort und das Grundanliegen der Außenpolitik dieser Regierung.
Herr Minister Schröder präzisierte dann:
Das Ziel der deutschen Außenpolitik ist eine Friedensregelung Europas, die allen europäischen Staaten ausreichende Stabilität sichert und eine gerechte und dauerhafte Lösung der deutschen Frage vorsieht.
In der Tat ist hier überzeugend dargetan, daß es auch die Meinung der Regierung ist, daß eine befriedigende Lösung unseres deutschen Anliegens nur dann gefunden werden kann, wenn der Friede in Europa und damit die Einigkeit unter den Völkern in den grundlegenden Fragen gesichert sind. Wem also an der Einheit unserer Nation gelegen ist, der
7234 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Borm
sollte +ständig seine Aufgabe darin sehen, den Frieden in diesem geplagten Kontinent weiterhin zu sichern.
Ein Drittes sagte der Herr Bundesverteidigungsminister :
Bis eine gerechte europäische Friedensordnung da ist, kann die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nur — ich wiederhole: nur! — durch ein politisch geschlossenes und militärisch starkes nordatlantisches Bündnis gewährleistet werden.
Hier setzen wir einige Fragezeichen, meine Damen und Herren. Zunächst: „nur". Ich zitiere unseren Kollegen, den Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion, der gestern sagte: Nicht auf die ganze Dauer kann die NATO unser alleiniges Heil sein. Ich betone: Wir wollen durchaus nicht die Zugehörigkeit zur NATO und ihren Bestand in Frage stellen. Aber wir halten es für unsere Pflicht als Opposition, auf einige Probleme hinzuweisen, auf die die Regierung ihr Augenmerk richten sollte.
Heute sagte z. B. der Herr Bundesminister, die Meinung, die er hier vortrage, sei die seine und sie sei 'die Politik der Bundesregierung. Dazu darf ich darauf aufmerksam machen, daß wahrscheinlich oder möglicherweise ein Prozeß einer gewissen Klärung innerhalb der Regierung stattzufinden hat. Denn der Herr Bundesfinanzminister hat in Madrid — ausgerechnet in Madrid! — eine dem völlig entgegenstehende Meinung zum Ausdruck gebracht. Er sagte: Überall ist die Entspannung nur Atmosphäre und noch nirgends hat sie Machtpolitik ersetzt; gerade das bekommt das deutsche Volk mit aller Deutlichkeit zu spüren. Er sagte weiter: Die Bundesrepublik schwimmt mit gefesselten Händen im Strom der Entspannung mit. Zum dritten spricht er von einer Erschütterung der NATO dergestalt, daß er sagte, diese NATO befinde sich in einer Krise, hervorgerufen durch die Vormacht in der NATO, der der Bilateralismus im Verhältnis zwischen den USA und der UdSSR sicherlich mehr wert sei als die Allianz im Nordatlantik. Meine Damen und Herren, hier klaffen Differenzen und die gilt es zu klären.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514132700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. William Borm (FDP):
Rede ID: ID0514132800
Bitte sehr!

Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0514132900
Herr Kollege Borm, der Herr Bundesfinanzminister Strauß hat ausgeführt, daß die NATO sich in gewissen Schwierigkeiten befindet, daß die Entspannung ein Wunsch ist, aber daß sie leider noch nicht Wirklichkeit geworden ist, sondern daß gerade die Sowjetunion und auch die Amerikaner neue Rüstungsrekorde immer gigantischeren Ausmaßes erleben; wir könnten nur hoffen, daß aus den Schwierigkeiten der NATO einerseits und aus dieser gewünschten Entspannung, die von Rüstungsrekorden begleitet ist, andererseits möglichst bald eine echte Entspannung komme, daß wir diese echte Entspannung wollen, sie dann aber auch real und nicht nur im Gerede haben wollen. Wünschen Sie, daß diese Politik sich durchsetzt, und wo sehen Sie den Gegensatz zu dem, was der Herr Außenminister soeben gesagt hat?

Dr. William Borm (FDP):
Rede ID: ID0514133000
Ich habe dem Bundesfinanzminister nicht unterstellt, daß er damit den Wunsch zum Ausdruck bringen wollte, er wünsche eine Entspannung nicht. Im übrigen liegt der genaue Text vor. Wir haben sehr leicht Gelegenheit, es nachzulesen, genauso wie Sie. Ich habe es natürlich gelesen. Aber wie wäre dann die Frage zu deuten, daß die Vereinigten Staaten von Amerika ihr Verhältnis zur Sowjetunion höher bewerten als das zur Allianz?

(Zurufe von der CDU: Ja und?)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich diese Dinge einmal zusammenfassen! Herr Minister Schröder sieht die Sicherheit nur im Nordatlantischen Bündnis gewährleistet. Herr Minister Strauß erklärt gerade dieses wegen der Vormacht der USA für nicht mehr völlig funktionierend. Ich darf aber dann auch noch darauf hinweisen, daß General de Gaulle dieses Bündnis in einer ziemlich brüsken Art und Weise in der Tat in seinen Grundfesten erschüttert hat.
Man kann endlich zu den Äußerungen, die Lord Chalfond vor kurzem getan hat, stehen, wie man will. Sie brauchen nicht, sie sind sicherlich heute nicht die Grundlage der englischen Politik; aber eines ist nicht aus der Welt zu schaffen: sie könnten es einmal sein.
Infolgedessen glauben wir, daß eine deutsche Politik alle Kraft darauf zu verwenden hätte, wenn schon die NATO die Grundlage unserer Politik ist — und warum sollte sie es nicht sein —, daß jene zweifelhaften Faktoren in den eigenen Reihen geklärt werden, daß aber auch unsere Freunde zur Stellungnahme gezwungen werden, um beurteilen zu können, ob die Tragfähigkeit dieses Gebäudes heute und wann immer gewährleistet ist.
Dazu gehört auch ein Blick auf die Differenzen, die im Kern der europäischen Einigung, in der EWG bestehen. Dazu gehört auch ein Hinweis darauf, daß das militärische Bündnis nur dann überzeugend sein kann, wenn es wirtschaftlich untermauert ist. Dazu gehört der Hinweis darauf, daß zu einer solchen Sicherheit die Zustimmung aller EWG-Mitglieder gehört, daß die EWG auf die EFTA auszuweiten ist, um einen weiteren Kreis europäischer Völker in diese Gemeinschaft hineinzubekommen.
Nun, wir sprechen in einer Wehrdebatte. Da stellt sich die Frage, ob die Bundeswehr geeignet und in der Lage ist, ihre Hauptaufgabe zu erfüllen: die Sicherheit unseres Volkes zu gewährleisten. Ich glaube, diese Frage wird jeder von uns damit beantworten, daß die Bundeswehr allein das natürlich nicht kann. Können es aber dann die Truppen der NATO, wenn irgendwelche Umstände eintreten, die es dem potentiellen Angreifer geeignet erscheinen lassen, vom Osten her von seinem Potential Gebrauch zu machen? Von 700 Raketenstellungen, die im Westen der Sowjetunion auf Westeuropa ge-
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richtet sind, wußten wir. Einem Zuruf aus diesem Hause entnahm ich, daß weitere 25 dazugekommen seien. Ich glaube, diese 725 Raketenstellungen sind mit militärischen Mitteln nicht zu beseitigen. Sie sind auch in ihrer Wirkungsmöglichkeit militärisch nicht zu beseitigen. Hier setzt die Politik an. Hier liegt die Aufgabe der Politik, daß jene tödliche Bedrohung des Westens und damit auch unseres Landes beseitigt wird.
Und wie sieht es vom Westen her aus? Wir sind durchaus nicht willens, etwa jene Rundum-Verteidigung, von der General Ailleret gesprochen hat, als für uns notwendig anzusehen. Aber eine Sache ist nicht aus der Welt zu schaffen, meine Damen und Herren: Das französische Manöver Fatex 1967 ging von der akuten militärischen Bedrohung Berlins aus. Die Westtruppen waren nicht in der Lage, den angreifenden Gegner aufzuhalten. Als sich dann dieser Gegner im Laufe der Kampfhandlungen bedenklich der französischen Ostgrenze näherte, nahm man an, daß vom Westen her 40 Atombomben auf unser Land abgefeuert werden. Meine Damen und Herren, das ist eine Manöverannahme, die die größten Bedenken in unserem Volk wachgerufen hat und die auch die Regierung veranlassen sollte, einmal über diesen psychologischen Effekt sehr ernst mit unseren Freunden zu sprechen.
Es gibt keine reine militärische Sicherheit unter dem gegebenen Waffensystem. Es gibt erst recht für Deutschland keine rein militärische Sicherheit angesichts der Tatsache, daß unsere Grenzen von allen Seiten ungeschützt sind und daß einfach unsere Leistungsfähigkeit überfordert wäre, wenn wir jene Anstrengungen militärischer Art machen sollten, die dann vielleicht notwendig wären, um ein Mindestmaß rein militärischer Sicherheit erreichen zu können. Die finanzielle und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres Volkes sind nun einmal begrenzt. Wir haben heute früh in diesem Hohen Hause über diese Frage lange genug geredet.
Zu diesem Punkt, der militärischen Sicherheit, ein letztes. Noch immer im Lauf der Geschichte hat es sich erwiesen, daß auch stärkste Militärmaschinen nicht in der Lage sind, allein die Sicherheit eines Staates zu verteidigen, wenn die Politik versagt, wenn Fehlentscheidungen der Politik eintreten. Das beginnt mit Napoleon I., und Beispiele aus der letzten Vergangenheit sind ebenfalls noch in unser aller Bewußtsein.
Wie sieht es aber nun mit der notwendigen Politik aus, die die Begründung unserer Sicherheit mit zu geben hat, da wir von der Verteidigung reden?
Nun, den Westen können wir dabei außer acht lassen. Wir sollten uns aber doch daran erinnern, daß der Herr Bundesfinanzminister von einer NATO-Krise gesprochen hat. Ich sagte bereits, daß es an der Zeit wäre, daß die Bundesregierung ihre Möglichkeiten in die Waagschale wirft, um recht bald eine Annäherung zwischen EFTA und EWG herbeizuführen.
Im Osten — darüber sind wir uns wohl alle einig; denn von dort vermuten wir einen möglichen Angriff — liegt die Frage unserer Sicherheit, dort und nirgends anders. Wir reden heute soviel von einer neuen Ostpolitik. Meine Damen und Herren, ich glaube, das ist eine falsche Bezeichnung. Ob eine Politik alt ist, ob sie neu ist, ob sie modern ist oder unmodern, ist völlig gleichgültig. Das Kriterium ist ein wesentlich anderes. Es geht nämlich darum, ob sie erfolgreich ist oder nicht. Allein das ist entscheidend und nicht etwas anderes.

(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Sehr gut!)

Und was hat sich nun ereignet? Nachdem jener Ausgleich mit Rumänien stattgefunden hat, bemühen wir uns, bemüht sich der Herr Bundesaußenminister — das sei ihm rückhaltlos anerkannt —, etwas Ähnliches mit den anderen Völkern des Ostens zustande zu bringen. Er. bemüht sich. Wir haben in den Zeitungen gelesen, daß er, wenn er irgend etwas sagt, dann sehr leicht zurückgepfiffen wird oder daß er um eine Interpretation dessen angegangen wird, was er vielleicht so oder so gemeint haben könnte. Das scheint mir nicht darauf hinzudeuten, daß jene innere Geschlossenheit in der Regierung in allen Fragen, die unsere Sicherheit und unsere Politik enthalten, gewährleistet wäre. Auf der anderen Seite aber, bei Herrn Ulbricht, ist etwas geschehen. Er hat es fertiggebracht, mit den anderen Oststaaten bilaterale Verträge für 20 Jahre zu schließen, die es sicherstellen, daß er mit im Spiel ist, wenn das Gespräch von uns auf irgendwelche politischen Dinge gebracht wird, die sich beim Versuch einer Normalisierung der Beziehungen zu den Oststaaten ergeben. Er ist mit am Tisch, unsichtbar, wenn es um diese Fragen geht.
Unzweifelhaft ist unsere Politik durch mindestens zwei neuralgische Punkte in ihrer Manövrierfähigkeit eingeengt. Sprechen wir davon! Der eine dieser Punkte ist Berlin. Dafür können wir nichts, aber wir sollten uns erinnern, daß Herr Chruschtschow dieses Berlin seinerzeit, und das hat sich nicht geändert, als für ihn lebenswichtig betrachtete, indem er sagte: Immer wenn auf der Erde irgendwo Schwierigkeiten auftreten, dann trete ich irgend jemandem in Berlin auf den Fuß. Das ist für die Berliner kein erfreulicher Zustand. Unzweifelhaft engt die notwendige Rücksichtnahme auf Berlin die Aktionsfähigkeit der Bundesregierung ein.
Ein Zweites, was unserer Aktionsfähigkeit Fesseln anlegt, das ist der Komplex um jene Politik, die Herr Hallstein seinerzeit begründet hatte. Im Gegensatz zu Berlin können wir uns dieser Fessel entledigen. Wir würden dann nicht überall um gut Wetter bitten müssen und wir brauchten uns nicht unter Druck setzen zu lassen, wenn wir hier oder dort irgend etwas erreichen wollen. Lassen Sie mich, bitte, wieder ein Zitat aus der Rede des Herrn Bundesverteidigungsministers bringen.
Der Herr Bundesverteidigungsminister glaubt, daß die Politik der Solidarität mit unseren Verbündeten und die erklärte Bereitschaft zur Rüstungsbegrenzung der östlichen Hälfte Europas den Friedens- und Verständigungswillen der deutschen Regierung deutlich vor Augen führe. Gestatten Sie mir, Herr Minister, hier wiederum ein Fragezeichen zu setzen.
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Ich glaube nicht, daß der Gang unserer Politik in den Augen der östlichen Völker jene überzeugende Kraft hat. Gestatten Sie mir, ein Beispiel zu bringen. Der Herr Bundesverteidigungsminister sprach heute von Gewaltverzicht. Er sprach von der erklärten Bereitschaft, diesen Gewaltverzicht gegenüber den Staaten des Ostens förmlich zu dokumentieren, und zwar in einer Art, die die Einbeziehung der DDR in diesen Willen zum Gewaltverzicht eindeutig erkennen ließe. Ich glaube nicht, daß das ausreichen würde. Wir werden uns dem Problem zu stellen haben, den Gewaltverzicht nicht durch den Bund Dritter drüben in Ostberlin aktenkundig zu machen. Wir werden uns einfallen lassen müssen, wie das in einer überzeugenden Weise zu geschehen hat. Ich glaube nicht, daß die östlichen Staaten sich zum Briefträger eines solchen Verzichts nach Ostberlin machen lassen werden.
Es ist einigermaßen befriedigend, wenn man sich einmal ansieht, wie denn unser Volk zu der Frage steht, ob vielleicht der Herr Bundeskanzler und der Herr Stoph ein direktes Gespräch führen sollten. Natürlich beurteilt unser Volk bei einer Befragung diese Dinge nach Parteien verschieden. Aber immerhin sind die Anhänger der größten Partei dieses Hauses zu weit über 60 % der Meinung, daß ein solches Gespräch nützlich und erforderlich sei. Das sollte die Haltung der Reigerung mit beeinflussen, gerade wenn es sich um einen solchen neuralgischen Punkt, um eine solche Notwendigkeit handelt. Ich würde raten, daß die Regierung diese Umfragen einmal selber anstellt.
Herr Minister Schröder meint, es seien Trägermittel für nukleare Waffen nötig. Das schließt natürlich die Notwendigkeit ein, die Sprengköpfe für diese Waffen in der Bundesrepublik zu lagern. Hier setzt wieder ein Aufgabe der Politik ein. Der Herr Bundesaußenminister sprach schon heute davon, daß das stufenweise geschehen könne. Wir möchten ihn an diese Zusage erinnern, und er möge stets im Auge behalten, daß die erste Stufe dieser Stufenleiter recht bald durch seine Bemühungen erreicht wird.
Der Herr Minister Schröder hielt das Potential des Ostens für übermächtig, und er war besorgt darüber, daß es ständig anwachse. Nun, wir nehmen das zur Kenntnis. Nur vermissen wir die Folgerungen, die er daraus zieht. Will er sich auf ein Wettrüsten einlassen oder glaubt er nicht auch, daß das unsere politischen Kräfte in der Bundesrepblik veranlassen sollte, dem Wettrüsten mit politischen Mitteln zu begegnen.
Der Herr Bundesverteidigungsminister sprach davon, man müsse prüfen und man wolle sich überlegen, ob nicht in Europa eine Nuklearabwehr, wie sie jetzt in der Sowjetunion und in den Vereinigten Staaten geplant werde, notwendig sei. Diesen Gedanken sollte man erst dann weiter untersuchen, wenn man weiß, woher die finanzielle Deckung kommt.
Die Frage des Atomsperrvertrages ist vom Herrn Bundesverteidigungsminister nicht angesprochen worden, wohl aber vom Herrn Bundesaußenminister; denn dem obliegt es natürlich, hier die Entscheidung
zu treffen. Hier geht wiederum die Aufforderung an die beiden Koalitionsparteien, sich recht bald darüber klarzuwerden, wie wir uns zur Frage des Atomsperrvertrages verhalten wollen, damit wir nicht den Schwarzen Peter in die Tasche gesteckt bekommen, was recht bald geschehen könnte.
Wir wissen, daß das, was der Herr Bundesaußenminister heute vorgetragen hat, nicht in Übereinstimmung zu bringen ist mit Äußerungen führender Politiker aus den Koalitionsparteien. Damit ist die Frage der Glaubwürdigkeit aufgeworfen. Wir können noch so lautsark unseren Willen proklamieren; es kommt darauf an, daß die Taten überzeugend sind und daß das, was seitens der Regierung zu geschehen hat, als einmütige Meinung der Regierung erkennbar ist und nicht der eine, wenn er zu weit vorstößt, von den anderen zurückgepfiffen wird. Die Frage der Glaubwürdigkeit! So wie es jetzt ist, machen wir es der Ostpropaganda leicht. Wir übersehen nur zu leicht, daß das Mißtrauen gegen Deutschland seit 20, 30 Jahren ein probates Mittel gegen uns und gegen unsere Politik ist, um abträgliche Gefühle wachzurufen, so wie bei uns seit 50 Jahren der Antikommunismus als solcher immer ins Feld geführt wird, wenn man irgend etwas erreichen will, ohne daß die Politik dadurch vom Grunde her realer und vernünftiger wird.
Zu dieser Frage gehört auch — als einziges, was innenpolitisch angesprochen sein sollte — das Verhalten zum Notstand. Wie wir uns dort verhalten, das wird im Ausland sicher mehr beachtet, als wir vielleicht wahrhaben wollen.
Erfreulicherweise sprach der Bundesaußenminister heute von der Notwendigkeit eines europäischen Sicherheitssystems. Wir sind mit ihm darin einig, daß die Zeit noch nicht reif ist, heute eine Sicherheitskonferenz einzuberufen. So etwas braucht Zeit, so etwas braucht Vertrauen. Das muß man zunächst lautlos, aber immerhin zielstrebig vorbereiten.
Bedenklich erscheint mir, daß der Herr Bundesaußenminister heute gesagt hat, ein solches Sicherheitssystem könne er sich als ein Sicherheitssystem zwischen beiden Blöcken vorstellen. Wir bitten, doch zu erwägen, welches Gewicht die bisherige Auslassung der östlichen Seite hat, die behauptet, eine Auflösung der beiden Militärpakte sei als Voraussetzung für ein solches Sicherheitssystem notwendig. Wir wollen die Aufmerksamkeit hierauf lenken, damit wir nicht vor vornherein nur eingleisig fahren, sondern damit wir uns auch in unserer Politik und der Vorbereitung dieser Politik auf Gleisen bewegen, die nicht plötzlich in eine Sackgasse führen.
Die Zeit muß reif sein, so sagte der Herr Außenminister. Nun, ohne Sonne reift nichts. In der Politik ist die Sonne das stetige Handeln, das zielstrebige Handeln, nicht nur das zielstrebige Reden; sie sind Grundlage dafür, daß nach mühseliger Arbeit endlich einmal ein Erfolg gesichert ist.
Wir sind mit dem Herrn Bundesaußenminister darin völlig einig, daß die Grundlage seiner Politik
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die Schaffung eines europäischen Sicherheitssystems ist. Aber das hat Konsequenzen. Wir müssen dann lernen, daß es keine vorgegebenen Größen gibt, daß alles im Fluß ist, daß wir die Gelegenheiten ergreifen müssen, wo immer und wie sie sich bieten. Das bedeutet einen Prozeß des Umdenkens, das bedeutet aber auch, daß wir uns bemühen müssen, aus jenem Zwielicht, das überall in diesen Fragen die europäische Sicherheit und das Zusammenleben der Völker belastet, herauszukommen, aus der Zweideutigkeit herauszukommen. Wir müssen das Gespräch mit den europäischen Völkern suchen, wo immer es sich bietet, um endlich Boden unter die Füße zu bekommen und um nicht mit der Stange im Nebel herumzufahren.
Das muß man auch auf unsere Verteidigungspolitik beziehen. Unsere Soldaten wären überfordert, wenn sie mit einem Risiko belastet würden, dessen Lösung der Politik obliegt und nicht ihnen. Unsere Soldaten dürfen nicht das Gefühl bekommen, von der Politik im Stich gelassen zu werden.
Meine militärischen Erinnerungen aus meiner Zeit als Reserveoffizier des ersten Weltkrieges sind schon etwas unsicher. Aber an eines kann ich mich noch sehr gut erinnern: Wenn die Gefahr von zwei Seiten drohte, dann wurde es brenzlig. Vom Osten her ist sicherlich die Möglichkeit einer Gefahr gegeben. Wenn aber — ich wiederhole es — gemäß Fallex 67 die Soldaten erwarten müssen, daß, wenn sie sich dem Rhein nähern, sie selbst und das Volk, das zu schützen sie berufen sind, mit Atombomben belegt werden, dann beginnt das Vertrauen in die Politik zu schwinden.
Gestatten Sie . mir, zum Schluß noch auf die Debatte und die Bemerkungen aus der Debatte von gestern einzugehen. Herr Kollege Schmidt sagte: Solange Polen, die CSSR und die DDR noch Trägerwaffen haben — wenn auch ohne Sprengköpfe, ebenso wie wir —, brauchen wir sie auch. Wir sollten in diesem Zusammenhang nicht vergessen, daß die Bundeswehr zuerst diese Trägerwaffen hatte und daß dann ierst die anderen sie bekommen haben. Aber das ist Vergangenheit. Jedoch sollte hier — ich sagte es bereits — das Bemühen der Politik einsetzen, um auf diesem Feld wenigstens ein kleines Stück voranzukommen.
Die sechs Punkte, die der Herr Fraktionsvorsitzende der SPD gestern als Resümee der Meinung der SPD vorgetragen hat, sind sämtlich politische Punkte. Wir wären mit allen Parteien dieses Hauses dankbar, wenn die dargelegten Vorstellungen zu Erfolgen in der Frage führen könnten, die uns alle bewegt, in der Frage der europäischen Sicherheit und damit auch der Sicherheit unseres Volkes.
Ich sagte, daß ich in militärischen Dingen kein Fachmann bin. Aber das, was unser Kollege Ollesch gesagt hat, hat mir eingeleuchtet: man solle die Struktur der Bundeswehr so ausrichten, daß niemand auf die Idee kommen kann, es sei eine Aggressivwaffe.

(Abg. Dr. Wörner: Das ist sie doch bereits!)

— Darüber kann man verschiedener Meinung sein. Böswillige könnten es auch anders auslegen.

(Abg. Dr. Wörner: Böswillige können das immer, Herr Kollege!)

— Man kann aber auch das, was Böswillige böswillig auslegen, durch Taten widerlegen.
Ich darf hier auf zwei Äußerungen hinweisen, die in dieser Beziehung durchaus Hoffnungen erwecken. So sagte die SPD am 12. November 1966:
Jede Forderung auf nuklearen Mitbesitz oder nukleare Verfügungsgewalt der Bundesrepublik ist unrealistisch, verhindert die Verständigung und Entspannung und hat daher zu unterbleiben.
Nun kann man sagen: das war vor der Großen Koalition. Ich gehöre nicht zu denen, die glauben, daß sich die Grundlagen der Politik einer Partei dann ändern müssen, wenn sich die Koalition ändert; durchaus nicht.

(Abg. Berkhan meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Sofort bitte; lassen Sie mich den Gedanken zu Ende führen, dann stehe ich Ihnen zur Verfügung.
Dann sagte — ich zitiere den Herrn Vorsitzenden der SPD-Fraktion — am 22. September 1967 unser Kollege Helmut Schmidt:
Der nukleare Auftrag für die deutschen Starfighter kostet mehr, als er im Verteidigungskonzept nutzt.
Ich wäre glücklich, wenn das seinen Niederschlag in der Politik der Bundesregierung finden würde. — Bitte, Herr Kollege.

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0514133100
Herr Kollege Borm, darf ich Sie fragen, ob Sie bei dem Zitat, das Sie soeben gebracht haben, auch das Vorwort beachtet haben. Das Vorwort, welches von meinem Kollegen Helmut Schmidt unterschrieben ist, trägt das Datum vom 10. Januar 1967, und die Sozialdemokraten pflegen ihre Programme nicht alle zwei Monate zu ändern.

Dr. William Borm (FDP):
Rede ID: ID0514133200
Ich bin Ihnen für diesen Hinweis dankbar. Um so ermutigender ist es.
Ich darf aber auch darauf hinweisen — damit komme ich zum Ende; es ist beinahe das letzte — —

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0514133300
Gestatten Sie vorher noch eine Zwischenfrage von Herrn Schmidt?

Dr. William Borm (FDP):
Rede ID: ID0514133400
Ja, bitte.

Helmut Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0514133500
Herr Borm, ich frage nur, weil ich es wirklich nicht verstanden habe, was gewiß an mir liegt. Haben Sie soeben gemeint, einen Widerspruch erkennen zu sollen zwischen dem, was ich, den Sie angesprochen haben, zu einem Zeitpunkt gesagt habe, und dem, was ich zu einem späteren Zeitpunkt gesagt habe,

(Abg. Borm: Eben nicht!)

7238 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Schmidt (Hamburg)

oder haben Sie gemeint, einen Widerspruch erkennen zu sollen zwischen dem, was jemand als Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion hier sagt, und dem, was der Verteidigungsminister oder der Außenminister gesagt haben, oder wo war der Widerspruch, den Sie zu erkennen glaubten?

Dr. William Borm (FDP):
Rede ID: ID0514133600
Ich wollte einem Widerspruch vorbeugen und habe mich sicherlich mißverständlich ausgedrückt. Ich habe das, was Sie damals gesagt haben, als ermutigend bezeichnet und stelle fest, daß Sie das jetzt wiederholt haben. Ich bin darüber befriedigt. Es war also gar kein Widerspruch. Jetzt haben wir uns sicher verstanden.
In einem Ergänzungsweißbuch der britischen Regierung heißt es:
Seit längerem vertritt die Regierung den Standpunkt, ein sowjetischer Angriff in Europa sei unter den gegenwärtigen Verhältnissen unwahrscheinlich, und im Falle irgendeiner Veränderung in diesen Verhältnissen würde sie vermutlich hinreichend gewarnt.
Das ist wohl auch die Grundlage, von der wir auszugehen haben. Es wird also derzeitig von allen Seiten ein Angriff aus dem Osten nicht vermutet. Wir sollten die Zeit nutzen und nicht zuwarten.
Als letztes sei mir folgende Bemerkung gestattet. Der Herr Kollege Zimmermann trug gestern vor, daß das Kriegsbild eines jugoslawischen Generals — er bezeichnete Jugoslawien als Mitglied des Warschauer Paktes; es ist ihm wahrscheinlich in der Hitze des Gefechts entgangen, daß Jugoslawien diesem Pakt nicht angehört — dahin gehe, daß ein begrenzter Krieg durchaus möglich sei und daß es möglich sei, in diesem Kriege taktische Waffen einzusetzen, ohne daß damit mit Sicherheit ein totaler Atomkrieg ausgelöst würde. Der General mag eine Meinung haben, welche er will. Bedenklich wind die Sache nur, wenn man ihn als Kronzeugen dafür anführt, daß wir uns in der Bundesrepublik in unserer politischen und geographischen Situation von den gleichen Überlegungen leiten lassen sollten. Ich glaube, wir tun unserer Politik den besten Dienst — der Herr Bundesaußenminister hat etwas Ähnliches verlauten lassen —, wenn wir uns nicht auf ein Kriegsbild einstellen, sondern wenn wir uns auf die Notwendigkeit einstellen, ein Friedensbild zu entwickeln, wenn wir nicht allzusehr über Kriegsstrategie nachdenken, sondern über die Friedensstrategie.
Professor Weizsäcker hat den Weg gewiesen, und der ist wohl gewiß unverdächtig, ein illusionärer Phantast oder hoffnungsloser Pazifist zu sein. Wenn diese Fragen von der Politik her — sicher zunächst ohne spektakuläre Erfolge — überzeugend und beharrlich angefaßt werden, dann wird die Aufgabe, welche unsere Bundeswehr zu leisten hat, das ihre daran zu tun, die Sicherheit von Staat und Volk und unseres Landes zu gewährleisten, auf verläßlicheren Voraussetzungen beruhen und leichter zu lösen sein als heute, wo von unserer Politik noch
manches zu tun ist, um jenen Frieden vorzubereiten, dem zu dienen unser aller Aufgabe ist.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0514133700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jaeger.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0514133800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Tatsache, daß der Verteidigungsminister ebenso wie der Außenminister in dieser zweitägigen Diskussion gesprochen haben, zeigt die enge Verzahnung, die zwischen ,der Verteidigungspolitik und der Außenpolitik besteht, einer Außenpolitik, die, so kann man vielleicht sagen, auf Entspannung hin ausgerichtet ist, und einer Verteidigungspolitik, die auf dem Prinzip der Sicherheit beruht. Nur derjenige, der sich nicht die Mühe gemacht hat, die Problematik unserer Zeit zu Ende zu denken, kann der Auffassung sein, daß es sich hier um einen Widerspruch handelt; und nur derjenige, der die Augen vor der Wirklichkeit verschließt, kann die Äußerung des Bundesfinanzministers kritisieren, in der Entspannung sei bisher nur Atmosphäre sichtbar geworden. Ja, es gibt Punkte in der Welt — wie Berlin —, wo ich sogar bezweifle, ob auch nur atmosphärisch eine Entspannung sichtbar geworden ist.
Wir müssen uns bei der Entspannung darüber klarsein, daß es sich um ein Ziel der Politik handelt, ein Zwischenziel übrigens, denn das eigentlich Ziel aller Außenpolitik muß reine Friedensordnung sein, die man in Tat und Wahrheit als ein Werk der Gerechtigkeit bezeichnen kann.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Aber als ein Zwischenspiel kann und muß man die Entspannung bezeichnen. Sie aber heute schon als Faktum zu nehmen, das würde einfach der Wirklichkeit in Berlin, in Vietnam, in Nahost und an allen möglichen Stellen der Welt nicht entsprechen.
Ich kann mich auf die Worte beziehen, die kein geringerer als der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des amerikanischen Repräsentantenhauses, der Kongreßmann Rivers, in Brüssel — einem Ort, gegen den Herr Kollege Borm hoffentlich keine Einwendungen hat — auf der Konferenz der Parlamentarier der NATO-Staaten, nunmehr Nordatlantische Versammlung genannt, gesprochen hat. Dort hat er gesagt, er sei am Tage vorher in Berlin an der Mauer gestanden, und seither wisse er, was er von Entspannung als Tatsache zu halten habe. Ich könnte demgegenüber aber auch die andere Seite zitieren: Die Sowjetunion begründet die Erhöhung ihres Verteidigungshaushalts mit der Verstärkung der internationalen Spannungen. Demgemäß wird auch dort, und zwar öffentlich, Entspannung keineswegs als Tatsache hingestellt.
Das ändert gar nichts an der Sache, daß es sich bei der Entspannungspolitik um eine Politik handelt, die selbst so gegensätzliche Bundesgenossen wie die Amerikaner und die Franzosen in gleicher Weise betreiben und der auch wir uns mit guten Gründen angeschlossen haben. Es ist aber eben, um es genau zu sagen, keine Politik der Entspannung, sondern eine
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Dr. Jaeger
Politik auf Entspannung hin. Es darf also keine Politik des „als ob" sein, denn Verteidigung, meine Damen und Herren, kann sich nicht an Wünschen und Hoffnungen orientieren, sondern einfach an den Fakten.

(Beifall bei der CDU/CSU und Abgeordneten der SPD.)

Es ist für die Planung sowohl unserer Bundeswehr als auch des gesamten NATO-Bündnisses nicht die diplomatische Atmosphäre maßgebend, sondern allein das Zahlenwerk des Militärpotentials der möglicherweise gegnerischen Seite. Herr Kollege Dr. Zimmermann hat bereits gestern darauf hingewiesen, daß das militärische Potential des Warschauer Paktes noch nie so groß war, wie es heute ist. Wir haben eine Steigerung des sowjetischen Verteidigungshaushalts für 1968 um 15 %. Das ist mehr als in den letzten drei Jahren zusammen. Dabei handelt es sich nur um die offenen Zahlen des Verteidigungshaushalts, nicht um diejenigen Zahlen, die in anderen Haushalten untergebracht sind.


(Zustimmung in der Mitte.)

Wir wissen auch, daß die Armeen der Satellitenstaaten in diesen Jahren modernisiert worden sind. Wir wissen, daß die Sowjetunion ihre Anstrengungen nicht nur auf atomarem Gebiet vorgenommen hat — auf dem sie ja einiges gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika nachzuholen hat —, sondern auch auf konventionellem Gebiet, wo sie sowieso schon die stärkste Armee der Welt darstellt.
Wir müssen uns außerdem überlegen, daß eine solche Armee wie die russische durchaus nicht nur für einen Krieg in Marsch gesetzt, sondern als ein handfestes Mittel militärischer Bedrohung verwendet werden kann. Auch vor einer solchen Pression muß uns die NATO und in ihrem Rahmen die Bundeswehr schützen. Es wäre — wie der Generalsekretär der NATO, Brosio, auf der gleichen Konferenz in Brüssel mit Recht gesagt hat — töricht, sich auf die guten Absichten der Sowjetunion und ihrer Verbündeten zu verlassen. Es wäre töricht, weil wohl niemand unbedingt und absolut an gute Absichten glaubt. Aber selbst dann, meine Damen und Herren, wenn es jemanden gäbe, der meint, jeder Staatsmann des Ostens sei ein geborener Friedensengel, sollte er sich doch wenigstens daran erinnern, wie einmal über Nacht ein pausbäckiger Friedensengel demontiert worden ist. Denn als Herr Chruschtschow gestürzt wurde, da hat das nicht nur kein westlicher Nachrichtendienst vorher erfahren, da hat es nicht nur keine Zeitung des Westens vorher geschrieben, sondern es wird auch behauptet, daß Herr Chruschtschow in der Frühe des Tages, an dem er mittags ging, es selbst noch nicht gewußt habe. Wenn aber in totalitären Staaten so schnell ein Umschwung in der Führung eintreten kann, dann kann sich das morgen wiederholen, und dann ist es möglich, daß auch — wenn ich so sagen darf — eine rotchinesische Fraktion, eine Richtung der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, auf einmal über Nacht die Macht ergreift, eine Fraktion, die den Kalten Krieg verschärft oder gar mit dem Gedanken des Heißen Krieges spielt. Für solche Fälle muß die Rüstung des Westens, an der die Bundeswehr einen unverzichtbaren Anteil stellt, abschreckend und abkühlend auf jeden wirken.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Deshalb glaube ich, daß eine sinnvolle, auf dem Prinzip der Sicherheit beruhende Verteidigungspolitik geradezu die Grundlage aller Entspannungsdiplomatie bildet, damit diese nicht am Ende mit einer großen Enttäuschung endet.
Ferner hat Generalsekretär Brosio vor der Nordatlantischen Versammlung erklärt, daß er sich Entspannung nur auf dem festen Boden der Gemeinsamkeit und einer angemessenen Stärke vorstellen könne. Ich kann aber auch wieder die andere Seite zitieren. Paul Verner, Mitglied des Politbüros der SED, hat am 21. Oktober dieses Jahres in Berlin erklärt:
Die Friedenspolitik der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Staaten und ihre Anstrengungen zur Verstärkung der Verteidigungskraft sind eine untrennbare notwendige Einheit.
Drüben läßt man bei der angeblichen Friedenspolitik nicht in den Verteidigungsbemühungen nach, sondern verstärkt sie mehr als in den letzten drei Jahren zusammen. Wir werden in unserer Entspannungspolitik auch nicht übersehen dürfen, daß uns die Sicherheit nur dann gewährleistet ist, wenn wir in der Verteidigungsanstrengung nicht nachlassen.
Wir müssen die Chance außenpolitisch groß halten durch eine ideenreiche Politik der Entspannung und das Risiko möglichst klein halten durch eine kräftige Verteidigungspolitik im Rahmen des Bündnisses. Nun wird immer wieder — es ist auch heute geschehen — der Gedanke eines europäischen Sicherheitssystems in die Debatte geworfen. Wer wird nicht solchen Überlegungen gegenüber offen sein? Aber, meine Damen und Herren, ich mißtraue einem jeden europäischen Sicherheitssystem, in dem kein Platz für die Vereinigten Staaten von Amerika ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD.)

Denn ohne den Rückhalt der Vereinigten Staaten könnten die Europäer selbst dann, wenn sie sich entschließen sollten — was derzeit ja nicht möglich ist —, sich zu einem europäischen Bündnis enger Art zusammenzuschließen, auch nicht allein standhalten.
Die Erfahrungen der Geschichte zeigen uns: Das beste Sicherheitssystem ist und bleibt ein Bündnis, das mindestens so stark ist wie die Summe seiner möglichen Gegner. Ich bitte Sie, doch zu beachten, daß das derzeitige Sicherheitssystem — die NATO — seit fast 20 Jahren funktioniert und uns im westlichen Europa einschließlich der vorgeschobenen Stadt Berlin den Frieden, die Sicherheit und die Freiheit erhalten hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD.)

Natürlich beruht dieses Sicherheitssystem auf der Furcht, die die Machtblöcke voreinander haben. Natürlich wäre es schöner, ein Sicherheitssystem würde auf Vertrauen gegründet sein. Aber, meine
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Dr. Jaeger
Damen und Herren, Vertrauen können Sie nicht zaubern und nicht durch Institutionen herbeizwingen. Jedenfalls, eine höhere Sicherheit, als die NATO in den letzten 20 Jahren Europa gegeben hat, kann auch ein anderes Sicherheitssystem nicht bieten, ganz abgesehen davon, daß dieses im Augenblick nicht im Blickfeld liegt.


(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Deshalb ist der Atlantikpakt und die Organisation, die auf ihm aufgebaut ist, lebensnotwendig für Europa im ganzen wie für Deutschland im besonderen.
Hier ist von dem Jahr 1969 gesprochen worden. Es wird von vielen Seiten gefordert, man solle die NATO reformieren. Nun, wer die NATO reformieren will — im Inland und vor allem im Ausland —, der soll dazu Vorschläge machen. Wir Deutsche werden allen Vorschlägen offen sein, insbesondere auch solchen, die der Tatsache Rechnung tragen, daß Europa in den vergangenen zehn Jahren wesentlich erstarkt ist. Wir sind auch offen für die Idee, die der Präsident dieses Hohen Hauses einmal in einer Rede in Tokio dargelegt hat, daß die NATO kein Kreis mehr sei mit einem Mittelpunkt, sondern eine Ellipse mit zwei Mittelpunkten.
Aber, meine Damen und Herren, dann muß man natürlich auch bereit sein, den zweiten Mittelpunkt zu schaffen,

(Zustimmung in der Mitte)

um dieses Europa auch verteidigungspolitisch enger zusammenzuschließen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

An uns, am Deutschen Bundestag, wird das ganz gewiß nicht scheitern.
Der Generalsekretär der NATO, den ich schon zweimal zitiert habe, hat in seiner beachtlichen Rede in Brüssel auch von dem Plan der Sowjetunion gesprochen, daß man ab 1969 die NATO und den Warschauer Pakt sozusagen auf Gegenseitigkeit auflöse, um damit .die Blockbildung zu vermindern, ohne das Gleichgewicht zu verändern. Meine Damen und Herren, ich halte dies für einen höchst gefährlichen Plan, wenn man nicht etwas anderes an die Stelle der NATO setzt, was ebenso wirksam ist. So etwas ist — jedenfalls im Augenblick — nicht zu sehen. Der Osten hat ein System von Staaten, die längst durch eine Vielzahl zweiseitiger Abkommen aneinander gebunden sind, die auf der Grundlage — trotz allem — vieler gemeinsamer Interessen und sicherlich einer gemeinsamen Weltanschauung, vor allem aber auf der gemeinsamen Organisation der kommunistischen Internationale beruhen. Für den Osten ist der Warschauer Pakt nur ein äußeres Dach. Für uns im Westen aber stellt die NATO überhaupt die Möglichkeit dar, die Vielzahl nationaler Interessen — leider meistens auch noch in aller Öffentlichkeit — auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, nachdem man sich kräftig die Meinung gesagt hat. Wenn wir auf dieses Clearing House, wenn wir auf dieses Bündnis, wenn wir auf diese Möglichkeit gemeinsamer Beratung und Beschlußfassung verzichten, wüßte ich nicht, wie die Einheit der westlichen Welt überhaupt garantiert werden sollte.
In diesem Bündnis der NATO liegt unsere Verteidigungspolitik, und jeder, der den Vorwurf erhebt, in Deutschland werde keine neue Konzeption der Bundeswehr entwickelt, sollte sich zuerst einmal die Tatsache vor Augen halten, daß jede Konzeption der Bundeswehr nur eine Teilkonzeption der NATO, unserer gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen sein kann und nach unserer Vorstellung auch sein soll.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Auftrag, den die NATO der Bundeswehr gegeben hat, ist der gleiche, auch nach der Ministerweisung vom 9. Mai 1967, und die flexible response ist zwar jetzt erst offiziell zur Doktrin der NATO gemacht worden, aber sie war es praktisch doch schon lange. Daß die Bundeswehr auf dem Prinzip der massiven Vergeltung aufgebaut worden sei — wie Herr Kollege Ollesch gestern behauptet hat —, stimmt gar nicht. Sie können in den Lebenserinnerungen unseres Kollegen von Eckardt nachlesen, wie er von Konrad Adenauer nach Amerika geschickt wurde, um den Radford-Plan kaputtzumachen, einen Plan, der die Verteidigung allein atomar vorsah und konventionell nur einen Stolperdraht. Hätten wir in Deutschland nur einen Stolperdraht errichtet, dann hätten wir nicht zwölf Divisionen gebraucht, sondern nur zwölf Brigaden oder zwölf Regimenter.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Nein, de facto war schon seit langem die abgestufte Abschreckung das Prinzip, auf dem die NATO im allgemeinen und der deutsche Verteidigungsauftrag im besonderen beruhte. Er ist, wie ich sagte, der alte Auftrag: die Erhaltung und die Wiederherstellung der Integrität des NATO-Territoriums. Wenn ich aber diesen Auftrag habe und wenn ich mit einer Bedrohung rechnen muß, die nicht geringer, sondern stärker geworden ist, dann ist es allerdings sehr bedenklich, wenn man allzusehr den Rotstift ansetzt. Es wäre vor allem eine weltfremde Romantik, anzunehmen, man könne mehr Sicherheit für weniger Geld und weniger Menschen haben; vor allem dann, wenn man gleichzeitig verkündet, daß man auf alle atomaren Waffen, die einigermaßen einen Ersatz für Geld und Menschen darstellen können — wenn auch nur bis zu einem gewissen Grade —, auch noch verzichten will.
Ich halte es auch für falsch, wenn man — hoffentlich nur außerhalb dieses Hauses — immer wieder die Behauptung aufstellt, unsere Bundeswehr sei veraltet. Meine Damen und Herren, sie ist doch eine Armee, die gerade erst aufgebaut ist, ja, deren Aufbau noch nicht in allen Punkten zu Ende gekommen ist. Weshalb sollte sie, die, wie Sie wissen, den modernsten Panzer der westlichen Welt, wenn nicht der Welt überhaupt, besitzt — weshalb sollte ausgerechnet sie veraltet sein? Wir dürfen schon um unserer Soldaten willen, aber auch um unserer Glaubwürdigkeit in der Welt willen, unsere Streitkräfte nicht ständig vermiesen. Wir sollten uns klar sein, daß wir in diesen zwölf Jahren des Auf-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7241
Dr. Jaeger
baus der Bundeswehr ein Kapitel hinter uns gebracht haben, daß — ich glaube, so wird einmal der Historiker urteilen — die größte Friedensleistung ist, die deutsche Soldaten je vollbracht haben,

(Beifall bei der CDU/CSU)

den Aufbau nämlich aus dem Nichts. Das hat es in unserer Militärgeschichte noch nicht gegeben, auch nicht zu den Zeiten eines Scharnhorst, die in manchem eine Parallele zu unserer Zeit darstellen, vor allem wegen der Ideen .der Reform. Überall war schon eine Armee vorhanden; nur diesmal mußte man vom Nullpunkt an aufbauen. Ich glaube, für diese Leistung können wir allen Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften der Bundeswehr auch hier unseren besonderen Dank sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nun leiden wir Deutsche alle miteinander ganz zweifellos an der Krankheit des Perfektionswahns. Wir glauben, alles muß gleich, sofort, hundertprozentig in Ordnung sein, und nehmen nicht zur Kenntnis, was den Romanen selbstverständlich ist: daß alles menschliche Werk eben unvollkommen ist und bleibt. Aber auch von dieser allgemeinen Betrachtung abgesehen: Wie sollte unsere Bundeswehr vollkommener sein als unser junger Staat und unsere Gesellschaft?

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Wie sollte für die Bundeswehr das Problem der Tradition gelöst sein, wenn es für unseren Staat nicht gelöst ist?

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Die Bundeswehr ist ein Teil unseres Staates und
ein Teil unserer Gesellschaft; sie kann deshalb nicht
besser sein als unser Staat und unsere Gesellschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir werden uns in den kommenden Jahren und Jahrzehnten eben gemeinsam und einheitlich darum zu bemühen haben, die Bundeswehr wie den Staat und die Gesellschaft auf der Grundlage, die wir geschaffen haben, weiterzuentwickeln und zu vervollkommnen.
Nun ist ja — um auf den Auftrag 'der Bundeswehr zurückzukommen — am 9. Mai in der Ministeranweisung in Luxemburg festgelegt worden, daß die konventionellen Waffen verstärkt werden sollen — verstärkt und nicht abgebaut. In diesem Zusammenhang hat der Oberbefehlshaber Europa, General Lemnitzer, auf der Konferenz der Nordatlantischen Versammlung in Brüssel ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er einen achtzehnmonatigen Wehrdienst für das mindeste in der jetzigen Zeit hält. Ich glaube, meine Damen und Herren, wenn wir Deutschen damit anfangen würden, davon abzugehen, würden wir eine Kettenreaktion auslösen, ganz abgesehen davon, daß man ja vielleicht auch darüber nachdenken kann, warum wohl die Amerikaner eine zweijährige und die Russen gar eine noch längere Dienstzeit haben. Nicht, daß wir die Zeit von achtzehn Monaten erhöhen wollten —, dazu ist, glaube ich, bei uns nun auch wieder kein Anlaß; aber es heißt doch, daß wir zumindest für
die nächsten Jahre an eine Verminderung der Dienstzeit wie der Streitkräfte nicht herangehen können.
In der Diskussion ist in besonderer Weise immer wieder der Gedanke der Arbeitsteilung hochgekommen, der Gedanke, man 'solle auf die Trägerwaffen verzichten, und ein Redner hat sogar die Frage des Mitbesitzes damit vermischt. Nein, meine Damen und Herren, wir haben keinen Mitbesitz an Atomwaffen, und die Bundesregierung und dieses Hohe Haus haben immer wieder betont, daß wir auch keine nationale Verfügungsgewalt darüber anstreben. Aber unsere Beteiligung an den Trägerwaffen, an den Raketen ist einfach die Voraussetzung, um den Verteidigungsauftrag der Bundeswehr zu erfüllen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Ich habe schon vor beinahe zehn Jahren in diesem Hohen Hause gesagt, daß man es nur dann verantworten kann, deutsche Soldaten zu den Waffen zu rufen, wenn sie dieselben Waffen haben wie die Verbündeten und wie der mögliche Gegner.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn die amerikanischen und britischen Divisionen Atomwaffen haben und die deutschen diese Träger nicht haben, dann ist doch ganz klar, daß im Falle des Falles der Gegner dort einbricht, wo deutsche Soldaten stehen.
Die Direktive vom 9. Mai, über die ich hier spreche, hat nun auch einen Punkt, den man mit einer gewissen Vorsicht betrachten muß. Es ist die Behauptung, daß man mit großer Wahrscheinlichkeit, wenn nicht beinahe mit Sicherheit mit einer Vorwarnzeit, und zwar einer politischen wie einer militärschen Vorwarnzeit, rechnen könne; demgemäß sei vielleicht die Präsenz nicht mehr so notwendig wie früher, denn man sei vorher gewarnt und könne mobilisieren. Ich will all die Argumente, die dagegen sprechen — und es wären sehr viele —, hier nicht anführen, sondern will Sie nur auf eines hinweisen: Im Nahen Osten hatten wir in diesem Sommer eine politische und eine militärische Vorwarnzeit, und trotzdem war ein Überraschungsangriff möglich. Ich glaube, diese Tatsache sollten wir uns auch einmal für Europa vor Augen halten, wenn etwa Truppen des Ostens aus dem Manöver heraus einen Überraschungsangriff starten würden.
Ich habe aus der Rede eines Herrn der Freien Demokraten gestern herausgehört — ich glaubte, es jedenfalls herauszuhören —, daß er einen Überraschungsangriff überhaupt nicht mehr für möglich halte. Meine Damen und Herren, die Möglichkeit des Überraschungsangriffs ausschließen heißt doch den Osten zu diesem Angriff einladen. Denn wenn wir hier über das Kriegsbild sprechen, dann kann ich die Frage, welches das wahrscheinlichste ist, immer dahin beantworten: am wahrscheinlichsten ist das Kriegsbild, von dem wir im Deutschen Bundestag behaupten, daß es gerade dies nicht gebe.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Sollte die Sowjetunion sich jemals zum Kriege entschließen, wird sie bestimmt kein atomares Risiko
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Dr. Jaeger
eingehen, aber auch dem Westen keine Gelegenheit zum Aufmarsch geben, sondern ihre konventionelle Überlegenheit plötzlich und überraschend einsetzen, um Faustpfänder zu gewinnen.
Im übrigen bitte ich Sie noch zu bedenken: Wenn die NATO von einem begrenzten Krieg spricht, dann kann das durchaus ein Krieg sein, der nach den Maßstäben des ersten und des zweiten Weltkrieges für uns Deutsche ein totaler Krieg wäre.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Denn was heißt regionaler Krieg? — Das ist ja auch gestern hier erwähnt worden. — Region heißt in der NATO der Abschnitt eines Kommandobereichs. Europa-Mitte ist ein Kommandobereich, und er reicht von Lübeck bis Passau, die gesamte Grenze des Bundesgebietes entlang. Ein regionaler Krieg mag für die NATO ein begrenzter Krieg sein. Für uns ist er, selbst wenn er nur mit konventionellen Waffen geführt wird, ein Krieg, der uns in der Substanz, der uns völlig trifft.
Deshalb, glaube ich, meine Damen und Herren, dürfen wir in unseren Verteidigungsbemühungen im Westen, in Europa und in der NATO nicht nachlassen. Denn wenn wir nachließen, dann würde das Leben in Europa im allgemeinen und in Deutschland im besonderen erheblich gefährlicher werden, vielleicht bequemer, vielleicht billiger, aber ich muß sagen: Lieber etwas unbequemer und lieber mit Opfern, aber dann mit jenem Grad der Sicherheit, den wir in vergangenen Jahrzehnten gehabt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es geht einfach darum: Sind wir noch bereit, den Preis der Freiheit zu zahlen, zu zahlen im Opfer unserer jungen Männer, zu zahlen mit unseren Steuern, zu zahlen auch gelegentlich mit Einschränkungen unserer Wirtschaft? Sind wir bereit, diesen Preis zu zahlen? Die Antwort darauf, ob der Westen, Europa und Deutschland bereit sind, diesen Preis zu zahlen, entscheidet über unser aller Schicksal in den 70er Jahren.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0514133900
Meine Damen und Herren, ehe ich das Wort weiter gebe, teile ich dem Hause mit, daß dank der hilfreichen Bemühungen der Fraktionsgeschäftsführer die Rednermeldungen sichtbar zusammengeschrumpft sind. Wir haben jetzt statt viereinhalb Stunden gemeldeter Redezeit noch eineinhalb Stunden. Das ist eine Erleichterung der Beratung.
Aber bevor ich von einem meiner Kollegen im Präsidium abgelöst werde, erlaube ich mir, dem Hause folgendes vorzuschlagen. Meine Damen und Herren, diese Debatte, die außerordentlich wichtig ist, hat gezeigt, daß die Vorschriften der §§ 105 bis 108 der Geschäftsordnung, die samt und sonders noch aus der Zeit des alten Deutschen Reichstages stammen, dringend einer Überholung bedürfen.
Wir sollten die Sache etwas zweckmäßiger gestalten und sollten uns darauf vereinbaren, daß die
Großen Anfragen mit schriftlicher Begründung vorgelegt werden.

(Beifall.)

Das hat den großen Vorteil, daß die Regierung, die ja antworten soll, sieht, welche Motive der Fragesteller im Kopf hat, und daß sie sich in der Antwort darauf einrichten kann.
Zweitens. Wenn dann die Regierung angemessen darüber nachgedacht hat — da gibt es eine Frist; sie ist einstweilen zwei Wochen —, wenn sie also zwei Wochen darüber nachgedacht hat und noch nicht fertig ist mit Nachdenken, dann kann man ihr die Frist ja noch etwas verlängern, sagen wir: ihr noch eine Woche mehr geben. Aber dann sollte die Sache an das Haus. Und zwar wie? Es sollte die gedruckte Antwort dem Haus vorgelegt werden.

(Allgemeiner Beifall.)

Die Debatte hier wäre z. B. einfacher geworden und insbesondere für die Opposition noch etwas günstiger gewesen, wenn die Antwort des Herrn Bundesverteidigungsministers von 35 Seiten, sorgfältig ausgearbeitet, sagen wir einmal, zweimal 24 Stunden vorher bekannt gewesen wäre. Eine solche Antwort hat einen Anspruch darauf, dann auch in der Nuance diskutiert zu werden. Es ist aber völlig unmöglich und überfordert das Aufnahmevermögen auch des besten Hörers, die Nuancen aus einer wohlabgewogenen Erklärung von 35 Seiten zu erfassen und dann husch, husch in der Debatte zu berücksichtigen.
Deshalb mein Vorschlag: schriftliche Begründung der Großen Anfragen. Sie wird mit der Anfrage an die Regierung geleitet. Die Regierungsantwort — binnen angemessener Frist, schriftlich — wird dem Hause vorgelegt, und dann wird die Sache auf die Tagesordnung gesetzt, und beginnt sogleich mit der Debatte. Wenn wir in dieser Richtung die §§ 105 bis 108 ändern, meine Damen und Herren, dann ist das eine Erleichterung und eine Intensivierung der Beratungen.

(Lebhafter Beifall. — Allgemeine Zustimmung des Hauses.)

— Ich danke Ihnen für Ihre Zustimmung. Ich werde das Weitere veranlassen.
Bevor ich das Wort erteile, habe ich noch eine Frage: Sind noch weitere Wortmeldungen beabsichtigt? Wir haben heute nachmittag — das will ich ausdrücklich zur Information der Öffentlichkeit sagen — noch andere Verhandlungen in diesem Hause, die nicht geändert werden konnten: die Anhörungen mußten weitergehen, weil wir zum Teil ausländische Sachverständige geladen hatten, aber auch aus anderen zwingenden Gründen. Eine Reihe weiterer Verhandlungen mußten noch nebenher laufen; es war vorgesehen, daß dieser Nachmittag den Ausschüssen gehört. Außerdem gibt es heute abend auch noch andere Verpflichtungen, es gibt Ausschüsse und Gremien des Hauses, die heute abend auch noch tagen müssen. Deshalb wäre ich dankbar, wenn man sich auf die bisherige Liste beschränken könnte.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7243
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Als nächster Redner hat der Herr Abgeordnete Schultz (Gau-Bischofsheim) das Wort, dann Herr Dr. Marx, der Kollege Herold, Herr Kollege Haase (Kellinghusen) und Herr Kollege Stahlberg. So sieht die Rednerliste aus. Alles in allem sind noch 11/2 Stunden gemeldet.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schultz.
Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was die Rednerliste angeht, möchte ich sagen, daß wir uns an sich mit dem, was ich jetzt noch zu sagen habe, begnügen würden im Sinne der Ökonomie des Hauses, es sei denn, wir würden nochmals besonders gereizt werden.

(Heiterkeit.)

Aber möglicherweise werden auch Sie von mir gereizt, obwohl das, wenn überhaupt, nur selten vorkommt.
Was die Frage der neuen Ordnung bezüglich der Großen Anfragen, ihrer Begründung und der Antwort der Regierung angeht, sind wir voll einverstanden. Aber ich unterstreiche, daß dann selbstverständlich auch die Regierungsantwort schriftlich vorliegen muß.

(Zuruf: Das hat der Herr Präsident ja gesagt!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist noch eine Reihe von Anmerkungen zu der gestrigen Diskussion und auch zu dem zu machen, was heute gesagt worden ist, insbesondere auch von meinem geschätzten Kollegen Herrn Dr. Jaeger. Damit möchte ich gleich anfangen, Herr Dr. Jaeger: Wir würden selbstverständlich alle sehr gern an der Bundeswehr und dem, was damit zusammenhängt, auch am Führungsinstrument, am Ministerium selber, an der Regierung selber überhaupt keine Kritik üben und würden sehr gern überhaupt nicht über falsche Dinge sprechen, sondern nur über etwas Gutes reden. Aber das ist leider nicht möglich, weil wir alle Menschen sind und sicher auch Fehler machen. Wogegen ich mich aber schärfstens verwahren möchte, ist, daß die Kritik an der Regierung von diesem Pult aus quasi in eine Vermiesung der Streitkräfte umgemünzt wird; dieser Ausdruck ist vorhin gefallen, glaube ich.

(Beifall bei der FDP und SPD.)

So kann man hier nicht argumentieren. Wenn man hier Kritik übt, geht es uns darum, daß wir etwas besser machen, aber nicht, daß etwas schlechter wird oder etwas Schlechtes bleibt.

(Zuruf: Besser machen wollen! Ob es besser wird, muß man abwarten!)

— Besser machen wollen; selbstverständlich, das konzediere ich durchaus.
Herr Kollege Jaeger hat zum zweiten eine unerhört kühne Logik im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt aufgestellt. Er hat nämlich gesagt: Wenn man die Möglichkeit eines Überraschungsangriffs ausschließen würde, würde man gleichsam den Gegner dazu einladen, so etwas zu tun. Diese
Logik ist vor allem dann nicht schlüssig, wenn wir die Nahostkrise betrachten. Selbstverständlich war es möglich, da Spannung vorhanden war und sie immer stärker geworden ist, sich darauf einzurichten, daß ein kriegerischer Zusammenstoß kommen kann. Selbstverständlich war es möglich, daß dieser Zusammenstoß dann überraschend kam; aber man hat sich dennoch auf diese Überraschung einrichten können. Dagegen hat man bisher unter „Überraschung" eigentlich nur verstanden, daß plötzlich aus heiterem Himmel eine solche Attacke gemacht wird. Das allerdings ist eine Form des Angriffs, die wir für außerordentlich unwahrscheinlich halten und, ich glaube, mit uns noch viele andere auch.
Zum dritten hat Herr Kollege Jaeger gesagt, auf die Frage der Grundwehrdienstzeit eingehend: Was würde es, wenn wir Veränderungen vornehmen würden, für eine Wirkung innerhalb des Bündnisses haben? Es ist so, daß innerhalb des Bündnisses die Engländer von der Wehrpflichtarmee auf die Berufsarmee übergewechselt haben. Deswegen ist das Bündnis doch nicht zusammengebrochen, und auch ein Angriff aus dem Osten hat sich deswegen nicht ereignet. Wir haben weiter feststellen können, daß Frankreich inzwischen mit seinem Grundwehrdienst von 18 Monaten auf 15 Monate zurückgegangen ist. So ist es also nun wieder nicht, daß man sagen kann, wir würden irgendeine bestimmte Entwicklung damit einläuten, wenn wir eine Veränderung in den Grundwehrdienstzeiten vornähmen. Ich komme aber auf diese Frage noch zurück.
Ich würde, nebenbei bemerkt, Ihnen die dpaMeldung von heute zu lesen empfehlen, wo über einen Vortrag berichtet wird, den der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete und Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages Vizeadmiral a. D. Hellmuth Heye gehalten hat. Das wäre vielleicht für manchen der Kollegen ganz interessant.
Herr Kollege Schmidt hat gestern gemeint, die Fraktion der Freien Demokraten müßte eigentlich dankbar sein für die Art und Weise und für die Ausführlichkeit, in der die Regierung in ihrer Regierungserklärung die Fragen der Freien Demokraten beantwortet hat. Ich meine, dankbar zu sein ist immer Pflicht der Regierungsparteien. Daran erinnere ich mich auch noch von früher. Die Opposition kann sich auf den Standpunkt stellen: Hol's der Teufel! Wenn die Fragen nicht beantwortet werden, dann wäre das zumindest ein ganz schlechter parlamentarischer Stil.
Er hat weiter gesagt, daß er erstaunt gewesen wäre, wenn hier eine Verteidigungskonzeption vorgetragen worden wäre. Ich war eigentlich erstaunt, daß das nicht getan worden ist, und, ich glaube, mit mir noch viele andere. Vor allen Dingen auch die Öffentlichkeit draußen war etwas erstaunt. Denn an dieser Konzeption ist, wie man zu wissen glaubte — aber anscheinend hat man eben nichts gewußt —, doch das ganze Jahr 1967 gebrütet worden. Aber anscheinend war das Ei noch nicht reif, um die Brutstation als Hühnchen zu verlassen.
Wir müssen deswegen sagen, daß unsere Frage 1, in der wir gefragt haben, ob die Bundesregierung bereit sei, ihre Verteidigungskonzeption im ganzen
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Schultz (Gau-Bischofsheim)

vorzutragen, quasi mit Nein beantwortet worden ist, weil nämlich diese Frage nicht durch die Tat beantwortet wurde. Die Folgerung daraus ist: also kein Konzept. Denn das, was von der Regierung vorgetragen wurde, ist praktisch eine Feststellung, wie die Lage heute ist, mit einigen Hinweisen in die Zukunft, wobei dreimal unterstrichen ist, daß man das alles noch prüfen müsse. Ich habe das Gefühl, daß man über dem Prüfen und noch einmal Prüfen — was etwas Gutes sein kann — schließlich nicht zum Entschluß kommt, der sich auch einmal ergeben müßte.

(Zuruf von der CDU/CSU: Und Konsultieren!)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0514134000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP): Bitte sehr.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0514134100
Herr Abgeordneter Petersen.


Peter Petersen (CDU):
Rede ID: ID0514134200
Herr Kollege Schultz, entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche. Darf ich Sie fragen, ob Ihnen gestern nicht klargeworden ist, daß es bei dieser ganzen Debatte darum ging, ob eine grundlegend neue Konzeption vorgelegt werden sollte, und daß mit einer gewissen Erleichterung festgestellt wurde, daß eben keine grundlegend neue Konzeption erforderlich ist und daher auch keine entwickelt wurde?
Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) : Ja, Herr Kollege Petersen, über die Frage, ob eine grundlegend neue Konzeption erforderlich ist oder nicht, gehen unsere Meinungen eben auseinander. Wir meinen, daß sich manches doch grundlegend ändern müßte. Das einzige, was dann immer dagegen gesagt wird, ist: Man kann ein solches Instrument wie die Bundeswehr auch gar nicht ändern, man kann gar nicht umstrukturieren, weil das alles viel zu schwierig ist, und vor allen Dingen kann man das nicht schnell genug tun. Im Letzteren stimme ich Ihnen zu. Eine schnelle Veränderung ist natürlich nicht möglich. Aber sie müssen einmal damit anfangen, eine entsprechende andere neue Konzeption zu ermitteln und festzulegen, denn sonst kann sich der Zug auf einer etwas anderen Weichenstellung nicht bewegen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0514134300
Herr Kollege Schultz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Berkhan?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0514134400
Herr Kollege Schultz, stellen Sie gar keine Veränderung fest? Wenn z. B. der Anteil der fliegenden Verbände am Strike, der ursprünglich mit einer Zahl 10 angegeben war, sich nun auf die Richtung 7 bewegt und jetzt bei einer Zahl liegt, die ich hier nicht nennen möchte, wenn er bei dieser Zahl stehengeblieben ist, so kann man doch nicht sagen, daß das gar keine Veränderung
ist. Stellen Sie wirklich gar keine Veränderung fest?
Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP): Nein, das ist für mich keine Veränderung, jedenfalls nicht in die Richtung und in dem Sinn, wie ich mir das vorstellen könnte. Ich möchte aber auf diese Frage nochmal zurückkommen. Die Schwierigkeit ist doch im mer die, darzutun, daß die alte Politik richtig gewesen ist und deshalb so weiterverfolgt werden muß, und damit die andere Seite in Übereinstimmung zu bringen, die möchte, daß eine neue Politik von dieser Regierung getragen wird.

(Abg. Rommerskirchen: Eine gute alte ist mir lieber als eine schlechte neue!)

Das ist doch die Schwierigkeit.
Nun hat Herr Kollege Schmidt gestern auf einen Erfolg der sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung hingewiesen, indem er ausgeführt hat, in dem seinerzeitigen Achtpunkteprogramm der SPD sei unter anderem gefordert worden, die Bundeswehr solle auf dem derzeitigen Stand eingefroren werden. Das sind die berühmten 460 000 Mann. Selbstverständlich, wenn man sehr wohlwollend ist, kann man das als einen Erfolg bezeichnen.

(Abg. Berkhan: Nun seien Sie doch mal wohlwollend!)

— Ich glaube, da muß man wirklich außerordentlich wohlwollend sein. Die Gründe nämlich, die dazu geführt haben, daß bei 460 000 Mann haltgemacht wurde, liegen in der Tatsache, daß für eine Vermehrung einfach das Personal nicht vorhanden war, um die früheren Zielvorstellungen überhaupt anzusteuern. Das war kein bewußtes Tun, sondern man hat sich den nicht zu ändernden Verhältnissen fügen müssen.

(Abg. Berkhan: Das war auch ein bewußtes Tun!)

Das ist kein Zeichen für eine politische Konzeption.
Im übrigen ist natürlich dazu zu bemerken: Auch dieses Einfrieren ist durch die Regierungserklärung in keiner Weise bestätigt worden. In der Regierungserklärung wird nur gesagt, daß das ursprüngliche Ziel von 508 000 nicht zu ereichen war. Darüber, wie es in der Zukunft mit der Präsenzstärke weiter aussehen soll, steht in der Regierungserklärung nichts, und wir haben dazu auch noch nichts gehört. Die Präsenzstärke der Bundeswehr schwankt zwischen 400 000 und 508 000 Mann, in diesem Rahmen etwa. Sie mag noch mehr eingegrenzt sein: zwischen 460 000 und 400 000 Mann. Wir haben besonderen Wert darauf gelegt, daß man, wenn man für die nächsten fünf Jahre planen will, über diese Zahl etwas weiß, daß man weiß, in welche Richtung die Reise geht.
In der Regierungserklärung steht und ist angedeutet worden, daß es in Zukunft Truppen verschiedener Art geben wird: voll präsente und solche, die weniger präsent sind, also sogenannte Kadereinheiten, und außerdem Geräteeinheiten. Es wäre aber meiner Ansicht nach notwendig gewesen, schon in etwa anzudeuten, wie überhaupt dieses System
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Schultz (Gau-Bischofsheim)

funktionieren soll. Wie es sich auswirken soll, darüber ist kein Wort in der Regierungserklärung gesagt. Auch soweit man jetzt den Haushalt für 1968 überfliegen konnte, läßt sich für diese Frage für die Zukunft in keiner Weise etwas daraus entnehmen. Wir meinen eben, daß eigentlich Ende 1967 so etwas doch hätte ein wenig präziser dargestellt werden müssen. In der Regierungserklärung wird nur gesagt, daß neue Überlegungen zur Verbesserung der Struktur der Streitkräfte und für ein realisierbares Fünfjahresprogramm schon Anfang 1967 eingesetzt hätten.
Mir scheint überhaupt, daß sich die Regierung in ihrer Antwort auf die Großen Anfragen, nicht nur auf unsere Große Anfrage, sondern auch auf die der anderen Fraktionen, soweit ich das beurteilen kann, selber sehr viel mehr in Frageform ergangen, als Antworten auf die Fragen gegeben hat. Es ist ja ganz selbstverständlich, daß man Entscheidungen der Regierung haben möchte und nicht Fragestellungen; denn die Fragestellung ist doch eigentlich Sache des Parlaments. Wir möchten also nicht nur hören, wie die Lage augenblicklich ist und was noch alles geprüft werden kann und muß, sondern wir möchten gern wissen, wie es nun eigentlich weitergeht.
So ist z. B. das, was ich gerade gesagt habe, anscheinend auch in der Regierung noch völlig umstritten. Bezügligch der abgestuften Präsenz heißt es in der Regierungserklärung:
Zu entscheiden bleibt, wie im Rahmen der Gesamtstruktur ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Zahl der notwendigerweise präsent zu haltenden Verbände und den mobil zu machenden Verbänden zu finden ist.
Entschuldigen Sie, aber ich muß sagen: ich finde das als Regierungsantwort unbefriedigend, vor allem unbefriedigend als Antwort einer Regierung der Großen Koalition. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie nun eigentlich der Bundesverteidigungsminister und auch der Bundesaußenminister oder der Bundesfinanzminister in den nächsten Ratssitzungen taktieren wollen, wenn doch im eigenen Hause, in der eigenen Regierung noch keine Klarheit über diese Fragen vorhanden ist.
Als zweites Beispiel dafür, daß die Regierung mehr fragt als antwortet, möchte ich das Marine-Beispiel nehmen. Dazu heißt es in der Regierungserklärung:
Für die Marine stellt sich deshalb die Frage, wie dieser Entwicklung der Seerüstung bei den eigenen Seestreitkräften Rechnung getragen werden soll.
Das ist eben leider keine rhetorische Frage, die dann hinterher beantwortet wird, sondern eine Frage, die offenbleibt.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch eine Frage insbesondere an die Kollegen von der SPD richten,

(Abg. Berkhan: Fragen Sie einmal!)

und zwar die Frage, Kollege Berkhan, warum Sie
eigentlich, wenn Sie für nukleare Trägerwaffen sind,
der Marine keine geben wollen. Warum soll die eigentlich benachteiligt werden? Wieso ergeben sich größere psychologische und politische Schwierigkeiten, wenn die Marine nukleare Trägerwaffen bekommt? Das kann ich nicht verstehen. Da scheint mir doch irgendwo ein Bruch in der Überlegung zu bestehen. Aber Sie müssen diese Frage natürlich. nicht heute beantworten; ich möchte sie hier nur einmal gestellt haben.
Es ergeben sich noch andere Fragen: Wehrpflicht, Wehrdienstdauer, Berufsarmee, Milizarmee und was alles damit zusammenhängt. Der Herr Kollege Rommerskirchen hat gestern davon gesprochen, daß eine Berufsarmee oder eine Milizarmee für uns nicht das Passende sei. Ein bißchen habe ich so das Gefühl, daß er hier einen Pappkameraden aufgebaut hat, der für die Berufsarmee eintritt, und man könnte dann schließen, daß dieser Pappkamerad der kleine Bruder von der FDP sei.

(Abg. Rommerskirchen: Ich habe Sie doch ausdrücklich ausgeschlossen! Ich habe gesagt, Sie hätten es nicht gesagt!)

— Lieber Kollege Rommerskirchen, Sie haben uns nicht genügend ausgeschlossen.

(Abg. Rommerskirchen: Doch, eindeutig! Sie können es im Protokoll nachlesen!)

Deshalb möchte ich hier noch einmal ganz deutlich feststellen, daß sich nirgendwo bei der Fraktion der Freien Demokraten eine Meinung für eine Berufsarmee entwickelt — eine Berufsarmee à la England oder à la Kanada —, weil wir glauben, daß das für uns nicht das passende Instrument ist. Was über die Wehrpflichtarmee in der Regierungserklärung steht, möchte ich sogar für richtig halten und unterstreichen.
Es kommt sicher darauf an, daß wir — das ist eben das Neue, das Evolutionäre; zum Gebrauch dieses Ausdrucks bin ich durchaus bereit, aber es muß etwas geändert werden — eine Synthese aus den Elementen der Berufsarmee, des Wehrpflichtheeres und der Reservistenarmee finden. Das ist das, was wir für die Zukunft nötig haben.
In der Regierungserklärung ist zu lesen: Unser Wehrsystem vereinigt Elemente der Berufs- und der Milizarmee. Ich muß sagen: Ich halte diese Feststellung für falsch, und zwar einfach deswegen, weil nämlich die Milizarmee — wenn man von ihr spricht, kann man eigentlich nur an die Schweiz denken — etwas ganz anderes als eine Wehrpflichtarmee ist. In der Milizarmee muß nämlich jeder dienen oder wird irgendwo zum Dienst herangezogen, gleichgültig, ob er nun zum aktiven Militärdienst tauglich ist oder nicht.
Wir sind von dieser Form der allgemeinen Verteidigungsdienstpflicht noch weit entfernt. Wir müssen sicher etwas dazu tun — gestern wurde schon darüber gesprochen —, daß wir uns in dieser Richtung neue Marksteine setzen, schon wenn man das Problem der Wehrgerechtigkeit, das gestern Kollege Zimmermann erwähnt hat, wirklich ernst nimmt und versucht, es zu lösen.
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Schultz (Gau-Bischofsheim)

Aber über die praktische Durchführung, ein Heer, eine Armee, eine Streitkraft für die Zukunft zu finden, um die Elemente, die ich vorher genannt habe, miteinander in Übereinstimmung zu bringen, steht in der Regierungserklärung nichts. Mir scheint, das wäre notwendig. Denn eine solche Organisation stellt natürlich ganz erhebliche Anforderungen, z. B. an die Bundeswehrverwaltung. Sie verlangt eine erhebliche Wendigkeit, und sie verlangt ein ausgezeichnetes Zusammenarbeiten der zivilen und der militärischen Stellen. Ob das augenblickliche Organisationsschema und -system für so etwas überhaupt geeignet wäre, ist eine Frage, die überdacht werden muß und hoffentlich im Ministerium, wenn man es mit diesen Dingen ernst nehmen will, schon überdacht worden ist.
Lassen Sie mich nun noch einmal auf die Frage der Wehrdienstdauer und insbesondere auf den Antrag Drucksache V/1741 kommen. Sie werden wahrscheinlich gesehen haben, daß auf der Vorderseite der Drucksache unten „Begründung umseitig" steht. Ich möchte Sie alle einmal bitten, auch diese Begründung durchzulesen. Dann würde nämlich mancher Einwand, der bisher gebracht worden ist — auch Herr Dr. Jaeger hat hier wieder solche ausgesprochen —, in einem anderen Licht erscheinen.
Ich bin etwas betrübt, daß sich die Lage bezüglich deses Antrags so verschlechtert hat, daß auch Kollege Berkhan nicht mehr bereit ist, wozu er noch im Juli dieses Jahres bereit gewesen ist, diese Frage wenigstens zu prüfen. Herr Kollege Berkhan, Sie haben uns so viel Fragen zur Prüfung angeboten.

(Abg. Rommerskirchen: Weil Sie gegen das Prüfen sind!)

Ich möchte Sie herzlich bitten, daß Sie diese Frage
nach wie vor in Ihren Prüfungskatalog einbeziehen.
Das, was gegen diesen Antrag vorgebracht worden ist, scheint mir nicht ausreichend zu sein, weder das, was von der Regierung in der Regierungserklärung gesagt worden ist, noch das, was aus dem Hause selber kam. Die einfache Feststellung: wir brauchen diese Wehrdienstzeit, um die notwendigen Leute zu haben, um die magische Zahl der Präsenzstärke — die politische Zahl — aufrechtzuerhalten, weil es sonst da und dort Schwierigkeiten geben würde, genügt nicht.

(Abg. Damm: Ihnen nicht!)

Wenn man hier davon spricht, daß wir von der NATO her zur Erfüllung unserer Verpflichtungen angehalten werden müßten, dann trifft das natürlich in dem Sinne auch nicht zu. Wenn Sie von abgestufter Präsenz sprechen, dann ist das schon etwas anderes als das, was seinerzeit mit der NATO vereinbart gewesen ist. Dann können Sie selbstverständlich auch über die Wehrdienstdauer in Ihrem eigenen Entscheidungsbereich entscheiden.
Man sollte besonders auf den zweiten Punkt der Begründung achten, die wir gegeben haben. Wir haben gesagt:
Unser Antrag bezweckt daher, durch eine Herabsetzung der Dauer des Grundwehrdienstes auf wieder 12 Monate folgendes zu erreichen:
Unter der Ziffer 2 heißt es dann:
die Zahl der Rekruten dem vorhandenen Bestand an ausbildenden Offizieren und Unteroffizieren anzupassen und damit eine Verbesserung der Ausbildung zu erreichen.
Das ist der entscheidende Punkt, weswegen wir auf der Prüfung dieses Antrages bestehen. Unser Ziel ist es, leistungsfähige Verbände zu bekommen, in denen der Wehrpflichtige den Eindruck haben kann und haben muß, daß er seine 18 Monate — meinetwegen — sinnvoll verbracht hat.
Dieses Ziel kann selbstverständlich auch auf andere Weise erreicht werden. Aber da möchten wir dann eben die anderen Vorschläge der Regierung kennenlernen. Ich kann mir solche Vorschläge vorstellen. Solange kein Gegenangebot da ist, können Sie nicht erwarten, daß wir von unserem Antrag abrücken.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0514134500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Berkhan?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0514134600
Bevor Sie ein anderes Thema anschneiden, darf ich Sie fragen: Ihre Veränderung bezieht sich doch nur auf die Zeit des Grundwehrdienstes? Grundsätzlich wollen Sie an der Wehrdienstzeit doch nichts ändern?
Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) : Wenn ich es recht verstehe, meinen Sie, wie lange jemand überhaupt wehrpflichtig ist.

(Abg. Berkhan: Wie lange jemand überhaupt dienen muß!)

— Die Übungen eingerechnet?

(Abg. Berkhan: Alles!)

— Selbstverständlich, daran wollen wir nichts ändern. Sie müssen das lesen, was da noch steht.

(Abg. Berkhan: Wir haben es gelesen!)

Wir haben besonders auf das Reservistenpotential, auf die Wehrübungen usw. hingewiesen. Damit ergibt sich das doch von selber.
Der Herr Kollege Zimmermann hat gestern gemeint, wenn man unserem Vorschlag folgte, müßte man noch viel mehr Leute einziehen, um die Präsenzstärke aufrechtzuerhalten. Ich darf hier mein Beispiel von gestern noch einmal kurz wiederholen, damit es allmählich klarwird. Wir gehen von einem schematisch angenommenen augenblicklichen Präsenzstand von 460 000 aus. Eine Herabsetzung des Wehrdienstes würde über die Jahre gesehen bedeuten, daß 60 000 Wehrpflichtige weniger eingezogen werden. Die Präsenzstärke würde auf 400 000 sinken. Für die nicht eingezogenen Wehrpflichtigen würden im Jahr zusätzlich 30 000 Reservisten zu vierwöchigen Übungen eingezogen.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Mommer.)

Das würde bedeuten, daß dann im Jahr 360 000 Reservisten trainiert oder in Übung gehalten wenden.
Wir sind der Meinung, daß so etwas selbstver-
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Schultz (Gau-Bischofsheim)

ständlich ein Ersatz sein kann und vor allen Dingen in die Gedanken 'der abgestuften Präsenz hineinpaßt, ferner, daß es besser ist als das, was wir augenblicklich haben, wo wir nach dem Haushaltsplan nur mit 4000 bis 5000 Wehrübungsplätzen rechnen können. Das bedeutet nämlich, 'daß das Reservistenpotential nach wie vor ungenutzt bleibt. Da dieser Antrag dankenswerterweise dem Verteidigungsausschuß überwiesen werden soll, können wir uns über dieses Problem in der Tat im Ausschuß noch ernstlich unterhalten.
Nun möchte ich noch kurz zu dein Umdruck 312 etwas sagen. Wir bitten, daß auch er den zuständigen Ausschüssen überwiesen wird. Ein Teil der Fragen geht mehr in ,das Außenpolitische, ein anderer Teil geht in das Verteidigungspolitische. Ziffer 2 unseres Antrags lautet folgendermaßen:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, unter den nuklearen und nichtnuklearen Partnerstaaten in der NATO eine Aufgabenteilung zwischen der konventionellen und atomaren Verteidigung gemäß dem Prinzip der „flexiblen Antwort" zu verwirklichen. Dadurch würden die vorhandenen Finanzmittel so sinnvoll wie möglich eingesetzt werden.
Ich möchte nicht alle die Fragen, die gestern diskutiert worden sind, noch einmal aufrühren. Das ist nicht notwendig. Die Standpunkte sind verhältnismäßig klar. Ich möchte nur eines sagen. Wir wollen nicht in dem Sinne auf nukleare Waffen. verzichten, daß es sie innerhalb der NATO gar nicht mehr geben soll, sondern wir meinen, diejenigen sollen sie haben und auch bedienen können — und mit ihnen muß dann zusammengearbeitet werden —, die über die Sprengsätze verfügen. Das ist der entscheidende Punkt, wie wir die Dinge sehen.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514134700
Herr Kollege Schultz, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die von Ihnen angekündigte Redezeit jetzt um zwei Minuten überschritten ist. Das ist der Sinn dieser List — der vorherigen Festlegung der eigenen Redezeit daß der Präsident eine Handhabe hat, auf die Überschreitung der Redezeit hinzuweisen.
Bitte, fahren Sie fort.
Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) : Vielen Dank, Herr Präsident. Ich werde sofort fertig sein. Ich werde vielleicht noch drei Minuten brauchen. Ich hätte also „35 Minuten" sagen müssen.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514134800
Dann hätte man gesagt — das Ist auch eine List dieser Einrichtung —: Können Sie 'es nicht kürzer machen?

(Heiterkeit.)

Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) : Der Bundesaußenminister hat heute über die vertraglichen Vereinbarungen zwischen Frankreich und Deutschland bezüglich der Stationierung von Truppen gesprochen. Er hat angekündigt, daß nun die gemeinsamen Gespräche aufgenommen werden müssen. Wir haben in den Entschließungsantrag auch einen
Punkt über diese Frage aufgenommen. Ziffer 4 lautet:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, über den Briefwechesl zwischen den Außenministern Frankreichs und der Bundesrepublik hinaus Vereinbarungen zu suchen, die den Kampfauftrag der französischen Truppen in der Bundesrepublik, die Nutzung französischen Territoriums und die Unterstützung der Bundesrepublik durch sonstige Hilfsmittel Frankreichs im Falle einer Aggression festlegen.
Auch das scheint uns ein wichtiger Punkt für die künftige Verteidigungsdiskussion zu sein, insbesondere deswegen, weil das der eine Punkt gewesen ist, der auch in Brüssel auf der von Herrn Dr. Jaeger vorhin erwähnten NATO-Parlamentarier-Konferenz in eine Entschließung Eingang gefunden hat. Diesem Punkt sollten wir besondere Bedeutung zumessen.
Alles in allem möchte ich sagen, daß wir glauben, daß es mit dieser Debatte leider noch nicht genug sein kann. Es kommt wohl darauf an, das, was auf dem Tisch liegt, durch bohrende Fragen weiter so anzureichern, daß die Regierung der Großen Koalition vielleicht doch zu einem Entschluß kommt.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514134900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Marx.

Dr. Werner Marx (CDU):
Rede ID: ID0514135000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst zu dem Beitrag von Herrn Schultz einige Bemerkungen machen.
Die erste Bemerkung ist die, daß wir selbstverständlich die Anträge, die Sie hier eingebracht haben, im Ausschuß mit Ihnen diskutieren wollen. Allerdings haben wir dabei die Hoffnung — erlauben Sie, daß ich das sage —, daß sie von der Sache her besser begründet werden, als es der philologische Stil mancher dieser Sätze verrät.
Eine zweite Bemerkung, und zwar noch zu dem Antrag auf Umdruck 314. Sehen Sie, wenn Sie dabei sagen:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, eine Beschaffung der kostspieligen und schwer zu wartenden Phantom-Maschinen weder als Übergangsflugzeuge noch endgültig als Nachfolgemuster der Starfighter für die Bundesluftwaffe in Erwägung zu ziehen,
dann wollen Sie hier eigentlich der Bundesregierung etwas völlig Unmögliches zumuten. Sie wollen ihr nämlich verbieten, und zwar durch einen Beschluß dieses Hohen Hauses verbieten lassen, nachzudenken, und daß sie einer ihrer wesentlichen Verpflichtungen nachkommt. Das hat gar nichts mit der Frage zu tun, ob ein solches System angeschafft wird oder nicht. Aber ich denke doch, es ist ganz unstrittig, daß auch Sie keine Bundesregierung wollen, die darüber nicht entsprechend nachdenkt oder
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Dr. Marx (Kaiserslautern)

die Ergebnisse ihres Nachdenkens nicht bekanntmacht.
Bitte!

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514135100
Eine Zwischenfrage.

Kurt Jung (FDP):
Rede ID: ID0514135200
Herr Kollege Marx, würden Sie mir darin zustimmen, daß die Bundesregierung ja eigentlich schon nachgedacht haben muß, da sie bereits eine Beschaffungsvorlage für diese Maschinen eingesetzt hat?

Dr. Werner Marx (CDU):
Rede ID: ID0514135300
Darauf bezieht sich ja meine Bemerkung über die philologische Exaktheit. Ich würde vorschlagen, Herr Jung — da können wir uns ja sicher noch verständigen —, daß Sie diesen Antrag ein wenig umformulieren. Dann sind Diskussionen dieser Art nicht notwendig.

(Zuruf von der FDP: Wir hätten Sie ja als Philologen hinzuziehen können, Herr Dr. Marx!)

— Ich glaube, es gibt hier eine ganze Reihe von Philologen. Ich habe nicht den Vorzug, Mitglied Ihrer Fraktion zu sein. Ich sehe ein, daß es für Sie besonders schwierig ist, aber ich denke, es gibt philologische Berater, die Ihnen dabei entsprechend Rat und Tat leihen können. Herr Kubitza z. B. ist ein vorzüglicher Philologe.
Darf ich nur noch eine Bemerkung zu Ihnen machen, Herr Schultz. Sie haben gesagt, es sei von uns. aus — oder auch von seiten des Verteidigungsministers aus — so dargestellt worden, als ob mit einem Überraschungsangriff aus heiterem Himmel zu rechnen sei, und das sei doch gar nicht der Fall. Davon hat auch niemand gesprochen, aber der Kollege Dr. Jaeger z. B. hat vorhin auf eine sehr reale Möglichkeit hingewiesen. Ich möchte Sie bitten, diese Möglichkeit in Ihre Überlegungen mit einzubeziehen: daß ein Überraschungsangriff etwa aus einem aus der Tiefe des Raumes heraus vorgetragenen und aufgebauten Manöver durchaus denkbar ist.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514135400
Eine Zwischenfrage von Herrn Schultz.

Dr. Werner Marx (CDU):
Rede ID: ID0514135500
Bitte sehr!
Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) : Würden Sie mir gestatten, Herr Dr. Marx, Ihnen zu sagen, daß ich mich nur auf Dr. Jaeger und seine ÜberraschungsTheorie bezogen habe?

Dr. Werner Marx (CDU):
Rede ID: ID0514135600
Herr Schultz, dann nehmen Sie doch bitte auch zur Kenntnis, daß ich gerade Herrn Jaeger zitiert habe — das Protokoll wird es nachweisen —, daß er davon sprach, ein Angriff aus einem sich entwickelnden Manöver heraus sei durchaus denkbar. Ich glaube, daß das nicht strittig sein sollte.

(Abg. Schultz [Gau-Bischofsheim] : Es ist sehr strittig! — Abg. Damm [CDU/CSU] : Darum schließt er messerscharf, daß nicht sein kann, was nicht sein darf! — Abg. Schultz [Gau-Bischofsheim] meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Ich habe Verständnis dafür; Sie wollen sich ein bißchen revanchieren.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514135700
Noch eine Frage, Herr Schultz.
Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) : Es ist bestimmt die letzte Frage. Würden Sie mir glauben, wenn ich Ihnen sage, daß ich diese Frage bei eben dieser Versammlung in Brüssel an den anwesenden General gestellt habe, ob das möglich sei? Er sagte: Das ist zwar möglich, aber was hat das eigentlich für einen Sinn?

Dr. Werner Marx (CDU):
Rede ID: ID0514135800
Ich kann Ihnen natürlich hier keine stellvertretende Antwort geben auf die Meinung eines solchen Generals. Ich bin aber sicher, daß Ihnen, wenn Sie sich — das wissen Sie genau — nicht nur bei der politischen Führung, sondern auch bei der militärischen Führung, beim Bundesministerium der Verteidigung, erkundigten, dort sehr präzise Ausführungen gemacht würden über Eventualitäten und Möglichkeiten dieser Art. Das ist doch sicher nicht abzustreiten. Ich finde es nicht fair, wenn Sie die Aussage eines nicht genannten Generals in die Debatte werfen, eine Bemerkung, von der ich sage: Sie ist sicher nicht sehr qualifiziert.
Lassen Sie mich noch eine andere Bemerkung machen. Herr Kollege Jung hat gestern in seiner Rede Remarque zitiert: daß da „im Westen nichts Neues" sei.

(Abg. Jung: Ich habe mich auf Wehrmachtsberichte bezogen.)

— Sie haben es mit Wehrmachtsberichten in Verbindung gebracht. Dieses Buch ist aber nach dem ersten und nicht nach dem zweiten Weltkrieg geschrieben worden.
Es gab einen Einwurf von einem Kollegen aus der Mitte des Hauses, der sagte: „Auch im Osten nichts." Ich möchte meinen, daß dieser Einwurf

(Abg. Jung: Er kam vom einem Ihrer Parlamentarischen Staatssekretäre!)

nicht ganz gerechtfertigt ist, und deswegen, Herr Kollege Jung, möchte ich dazu etwas bemerken. Ich glaube, daß sich im Bereich der Warschauer-Pakt-Staaten, und dort vor allen Dingen im Bereich der Sowjetunion, in der Tat eine spürbare Veränderung im strategischen Denken, in der strategisch-taktischen Konzeption entwickelt. Wir haben bei anderer Gelegenheit, Herr Schultz, einmal über Jakubowskij und seinen Aufsatz in der „Krasnaja Swesda" vom 23. Juli dieses Jahres gesprochen. Es ist nicht nur damals, sondern weithin in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, damit werde in die moderne sowjetische Strategie der Gedanke hineingebracht, daß nun vor allen Dingen der konventionelle Krieg möglich sei und daß man sich für
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Dr. Marx (Kaiserslautern)

einen konventionellen Krieg vorbereite. Man sollte hinzufügen, eine Diskussion dieser Art verlangt eigentlich, daß sich derjenige, der darüber spricht, und diejenigen, die darüber schreiben, zunächst einmal an den vorgefundenen Texten orientieren.
Ich habe mir hier diesen Aufsatz von Jakubowskij mitgebracht, und ich erlaube mir, mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur ganz wenige Zitate daraus vorzutragen. Das ist ja nicht irgend jemand; das ist der Oberbefehlshaber der Warschauer-PaktStreitkräfte und als solcher immer einer der ersten stellvertretenden Verteidigungsminister der Sowjetunion. Die Dinge, die er in einer solchen Weise vorträgt, haben authentischen Charakter. Sie geben ein gültiges Bild etwa eines sowjetischen Kriegsbildes wieder. Er sagt hier — ich zitiere — —

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514135900
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Berkhan?

Dr. Werner Marx (CDU):
Rede ID: ID0514136000
Bitte sehr!

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0514136100
Darf ich Sie vorher fragen, Herr Dr. Marx, ob Sie mit mir übereinstimmen, daß in solchen Äußerungen sehr häufig auch ein politischpsychologischer Effekt ist, der nicht mit dem Effekt übereinstimmen muß, den Sie eben nannten?

Dr. Werner Marx (CDU):
Rede ID: ID0514136200
Ich würde gern zustimmen, Herr Berkhan — weil ich aber davon ausgegangen bin, habe ich das nicht mehr eigens gesagt —, daß für einen sowjetischen Marschall bei allen Dingen, die er auf dem Gebiete der militärischen Praxis vorträgt, zunächst die Politik die Dominante ist, die Übersetzung politischer kommunistischer Vorstellungen. Insoweit dachte ich nicht, daß ich das noch einmal eigens sagen müßte. Aber wenn Sie mich so fragen, gebe ich Ihnen das gern zu — als eine Selbstverständlichkeit.
Aber jetzt darf ich bitte dieses Zitat hier vortragen. Herr Jakubowskij sagt:
Besonders große Veränderungen sind in der Taktik des Angriffskampfes vor sich gegangen, welcher die Hauptart der Kampfhandlungen darstellt und das Ziel einer völligen Zertrümmerung des Feindes verfolgt. Nach seinem Wesen mußte dies ein Kampf aller Waffen sein. An ihm waren alle Waffengattungen, Spezialtruppe und die Luftwaffe, beteiligt.
Bei einem späteren Teil seines Aufsatzes sagt er folgendes:
Dank der Ausrüstung mit der Raketenkernwaffe
— also die Raketenkernwaffe, die in vielen begleitenden Kommentaren als nicht mehr wichtig für gewisse strategische Konzeptionen dargestellt wird —
ist ihre Feuerkraft, die Tiefe ihres Feuerschlages, ihre Fähigkeit zu schnellem, entschlossenem Handeln, ins Unermeßliche gewachsen. Dieser qualitätsmäßige Sprung nach vorwärts
hat einen enormen Einfluß auf Charakter und Ausmaß des neuzeitlichen Kampfes aller Waffen, auf die Verfahren seiner Führung ausgeübt. Indessen dürfen wir Rolle und Möglichkeiten der Kernwaffe
— und dies ist nun jenes Zitat, das man in der Presse oft wiedergegeben hat —
nicht verabsolutieren, besonders nicht für das Erreichen der Ziele von Kampfhandlungen der Landstreitkräfte. In einer ganzen Reihe von Fällen der Kampflage werden diese Truppen bereit sein müssen, auch ohne Einsatz von Kernwaffenmitteln zu kämpfen, wobei die herkömmlichen, ordentlichen, „klassischen" Waffen der Truppe — wie Artillerie-, Panzer- und Infanteriewaffen — genügen müssen. Aus diesem Grunde legen Partei und Regierung neben der Entwicklung der Kernwaffenmacht unserer bewaffneten Streitkräfte wie bisher großen Wert auf eine weitere Vervollkommnung dieser Kampfmittel . . .
Es wird dann im weiteren Verlauf dieses Aufsatzes, der übrigens ein besonders interessantes Echo in der Fachliteratur — der rumänischen und der jugoslawischen — gefunden hat, darauf hingewiesen, daß die moderne sowjetische Armee in der Lage sein muß, rasch in die Tiefe des gegnerischen Raums Vorstöße zu machen.
Wir haben bei ,dem letzten Manöver, nämlich bei dem Manöver „Dnjepr", ja erlebt, daß in relativ kurzer Zeit, nämlich im Ablauf von drei Nachtmärschen, zwei volle sowjetische Divisionen einen Geländegewinn von 800 km erreicht haben, daß bei diesem Manöver zwei Luftlandedivisionen aus der Luftabgesetzt worden sind und daß die Luftlandeeinsätze mit schwerem Gerät und stärkstem Panzereinsatz dort in einer sehr prägnanten und sehr eindrucksvollen Weise geübt worden sind. Man hat gesagt, daß diese Manöver am mittleren Dnjepr so etwas ähnliches seien wie der militärische Versuch, nachzuweisen, daß die von Jakubowskij dargestellten 'Prinzipien in der Tat auch durchführbar seien.
Aus Jakubowskijs Meinung, daß konventionelle Auseinandersetzungen immer mehr in den Vordergrund treten, sind ja von einer ganzen Reihe von Kommentatoren auf der westlichen Seite bestimmte Schlüssegezogen worden, und ich gehe sicher nicht fehl, Herr Kollege Schulz, wenn ich denke, auch bei Ihnen. Die Diskussion ist nun so gelaufen, daß daraus folgt, es sei also auch der atomare Träger aus der Bundeswehr zu entfernen.
Ich glaube, daß dies ein Fehlschluß ist. Denn man sollte auch seine eigenen Überlegungen nicht nur auf die Darlegungen einer bestimmten Führungspersönlichkeit im Bereich des Warschauer Paktes abstellen. Man muß z. B. hinzufügen, daß wenige Wochen nach diesen Äußerungen Jakubowskijs, der Marschall der sowjetischen Raketentruppen, General Krylow, eine Rede gehalten hat, in der er zu weithin anderen Ergebnissen gekommen ist. Ich möchte daraus nur einen Satz zitieren: bereits in den ersten Minuten des Krieges sei eine Atomraketensalve mit ihren
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Dr. Marx (Kaiserslautern)

entsprechenden Wirkungen zu erwarten. Es gibt überhaupt in der letzten Zeit — nehmen Sie z. B. auch die Rede des Verteidigungsministers Gretschko, als er das neue Haushaltsgesetz einbrachte, mit einer entsprechenden Veränderung der Wehrpflichtzeit, aber mit der Einführung eines vormilitärischen Unterrichts im ganzen Bereich der Sowjetunion — eine ganze Reihe von Äußerungen führender sowjetischer Politiker und Militärs, die darauf hinweisen, daß sie ihre Armee, ihre Streitmacht und damit die Streitkräfte des Warschauer Paktes, in einen Zustand des besten Trainings, der höchsten militärischen Bereitschaft versetzt wissen wollen, damit sie — wie es heißt — jederzeit in der Lage sind, entscheidende und tiefe Schläge zu führen.
Lassen Sie mich am Ende, meine Damen und Herren, noch einige Bemerkungen machen, auch weil der Kollege Rommerskirchen in seiner Begründung gestern, der Kollege Dr. Zimmermann und heute noch einmal .der Kollege Dr. Jaeger darauf hingewiesen haben, daß durch das immer sichtbarere Einströmen und Eindringen der sowjetischen Marine im östlichen Mittelmeer eine neue Dimension auch für das westliche strategische Denken erzwungen wird. Ich glaube, man kann in diesem Penetrieren, in der modernen sowjetischen Besuchsdiplomatie, eine ganze neue strategische Überlegung der Sowjets ablesen: daß sie in der Lage sein wollen, durch die Aufrüstung ihrer maritimen Macht z. B. auf dem Wege moderner Marineinfanterie und damit verbunden durch den Einsatz moderner Luftlandeverbände, auch weitab von ihrem eigenen Territorium militärische Unternehmungen durchzuführen. Das, was wir heute als eine gewisse Besuchsdiplomatie erleben, wenn wir hören, daß wieder neue sowjetische Kriegsschiffe etwa im Hafen von Port Said vor Anker gegangen sind oder festgemacht haben, ist der Versuch, der Welt klarzumachen, daß die Sowjetunion nun im östlichen Mittelmeer bleibt und vielleicht darüber hinaus im ganzen Mittelmeer ständig als eine der modernen Seemächte vorhanden bleiben will. Aber sie wird dort wahrscheinlich — und ich glaube, daß dies wohl auch ihrem ideologischen Denken entspricht —, nicht so weit gehen, wie manche Spekulationen bei uns annehmen. Sie wird meiner Auffassung nach dort keine Stützpunkte etwa in Häfen oder etwa an Land schaffen. Sie kann sich durchaus selbst versorgen. Sie tut das ja z. B. auch dergestalt, daß nie sich selbst das Wasser mit eigenen Tankern nachfährt. Sie hat vor allen Dingen durch das Hereinnehmen von zehn modernen Bombern ,des Typs TU 16 sicher auch eine tiefe psychologische Wirkung vor allem auf die arabischen Staaten erzeugt. Also nicht nur, um der westlichen Welt oder ihren Verbündeten klarzumachen, daß sie dort nun Fuß zu fassen gedenkt, sondern auch als eine gewisse Ermunterung und Ermutigung ihrer arabischen Verbündeten.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514136300
Eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Petersen.

Peter Petersen (CDU):
Rede ID: ID0514136400
Herr Dr. Marx, darf ich Sie zu Ihren Beobachtungen der Struktur der sowjetischen Streitkräfte fragen: Können Sie uns sagen, welche Bedeutung die sowjetische Führung der Luftbeweglichkeit und der Lufttransportmöglichkeit ihrer Armee, also Hubschraubereinsatz und solchen Dingen, beimißt?

Dr. Werner Marx (CDU):
Rede ID: ID0514136500
Herr Kollege Petersen, die letzten Paraden, z. B. die Parade in Kiew zum Abschluß des Djnepr-Manövers oder die Parade am 7. November zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution, zeigten ja mit besonderer Eindringlichkeit — man hatte den Eindruck, daß auch die Uniformen, die man den Leuten angezogen hat, eine gewisse Wirkung erzielen sollten —, daß die Sowjetunion ihre Luftlandeeinheiten und ihre Marineinfanterieeinheiten forciert ausbaut. Es ist bekannt, daß sie eine ganze Reihe neuer Landungsschiffe entwickelt hat und daß sich solche Landungsschiffe auch im Mittelmeer selbst befinden. Man kann also durchaus annehmen, daß die Sowjetunion in ihren modernen strategischen Überlegungen davon ausgeht, daß sie das Operieren an fernen Gestaden und in fremden Meeren — ich wiederhole: weitab von der eigenen Basis — möglich machen will. Sie versucht natürlich, dies mit dem Hinweis darauf zu erklären, daß sie anstrebe, den amerikanischen mobilen Kräften ein entsprechendes Gegengewicht gegenüberzustellen.
Darf ich aber zum Abschluß noch sagen, daß dieses Eindringen in das östliche Mittelmeer, die Tatsache, daß es bereits geschätzte 2000 militärische und zivile Experten der Sowjetunion etwa in Syrien oder in Ägypten gibt, bedeutet: Die Sowjetunion ist in der Lage — und sie tut es bereits —, in diesen Ländern eine ganze Reihe von Depots so auszubauen mit Waffen, mit Panzern, mit Geschützen, mit Munition usw., daß sie in der Lage ist, eines Tages diese Depots ihrem Wunsche entsprechend zu verwenden.
Dies alles, meine Damen und Herren, sollte bei einer solchen Debatte doch wohl zumindest angedeutet werden,

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut! Sehr notwendig!)

und zwar deshalb, weil in der Diskussion oft der Eindruck entsteht, daß wir so sehr von unseren eigenen Problemen gefangen sind, daß wir darüber vergessen, auch über die Verursachung dieser Probleme nachzudenken. Denn die Bundeswehr ist ja nicht begründet und viele der Probleme und der Schwierigkeiten, die wir natürlich auch im Bereiche der NATO täglich spüren, sind ja nicht etwa das Ergebnis schlechter Administration oder schlechter Zusammenarbeit oder schlechten Willens, sondern sie werden provoziert durch die konzentrierte Art, wie in den Staaten des Warschauer Pakts das militärische, das militärpolitische, das politisch-psychologische Element gehandhabt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich bin der Meinung, daß es darauf ankommt, dies immer im Blick zu haben; denn darin liegt ja die eigentliche Begründung für unsere Verteidigungsanstrengungen, darin liegt die eigentliche Begrün-
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Dr. Marx (Kaiserslautern)

dung für unsere Aufforderung und Zumutung gegenüber dem deutschen Soldaten und dem deutschen Offizier.
Ich schließe mit einem Satz — vielleicht wird das den einen oder anderen wundern — von Karl Jaspers. Aber ich denke, ein langes Philosophenleben bringt viele Zitate zuwege, die zu überdenken und zu zitieren lohnen. Jaspers sagt:
Wer einen kommenden Krieg für sicher hält, wirkt gerade durch diese Gewißheit mit, daß er entsteht. Wer den Frieden für sicher hält, wird unbesorgt und treibt ohne Absicht in den Krieg. Nur wer die Gefahr sieht und keinen Augenblick vergißt, kann sich vernünftig verhalten und tun, was möglich ist, um sie zu beschwören.
Ich denke, wir sollten in diesem Falle auf den Philosophen Jaspers und auf diese Lebensweisheit hören.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514136600
Herr Dr. Marx hat sich trotz der Zwischenfragen an die selbst gesetzte Redezeit von 20 Minuten gehalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Herold.

Karl Herold (SPD):
Rede ID: ID0514136700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte keinesfalls mehr zur Strategie oder zum Kriegsbild sprechen, auch nicht über die Psychologie, sondern auf einige Bemerkungen zurückkommen, die der Kollege Schultz in seinem letzten Beitrag gemacht hat, und zwar im Zusammenhang mit .der Wehrpflicht und der Wehrgerechtigkeit. Ich darf vorweg sagen — ich konnte für meine Fraktion bereits am 13. Juni hier erklären —, daß wir selbstverständlich bereit sind, diesen Antrag der FDP über die Änderung des Wehrpflichtgesetzes mit allem Ernst zu beraten. Das hat nichts damit zu tun, daß dieses Thema in unseren „Prüfungskatalog" aufgenommen worden ist, sondern ich glaube, hier gibt es einige Fragen, die einfach vorher geklärt werden müssen. Sie können nirgendwo anders als im Verteidigungsausschuß Klarheit erlangen; denn dort wird die Entscheidung vorbereitet.
Ich möchte auch die Bundesregierung, besonders den Herrn Verteidigungsminister, den Herrn Außenminister, bitten, bei all den Beratungen zu versuchen, daß von seiten der NATO — ob vom Ministerrat oder von den militärischen Gremien, die dafür zuständig sind — die Karten auf den Tisch gelegt werden, damit man zu einer endgültigen Entscheidung kommen kann, wie es mit unserer Bundeswehr weitergehen soll. Das setzt voraus, daß wir Klarheit haben müssen, welche Aufträge die NATO uns zuteilt. Dann wird es auch notwendig sein, daß die Herren Inspekteure mit dem Generalinspekteur ihre Überlegungen über eine Reform der Gliederung der einzelnen Teilstreitkräfte abgeschlossen haben. Ich bin sehr dankbar, daß wir im Verteidigungsausschuß bereits einen Plan entgegennehmen konnten. Wir hoffen, daß unsere Haushaltsentwicklung auch so weitergeht, daß die finanziellen Voraussetzungen zur Durchführung dieser Pläne gegeben sind.
Den Kollegen von der FDP möchte ich sagen — es ist hier hoffentlich nicht überhört worden —: Es ist kein Böswilliger in diesem Hause, dem man unterstellen könnte, er will aus irgendeinem politischen Grund keine Verkürzung der Wehrdienstzeit. Hier geht es meines Erachtens darum, sich sachlich mit den Dingen auseinanderzusetzen, wenn die fachlichen Grundlagen erarbeitet sind.
Eines bleibt bis zur Stunde bestehen: Auch die Begründung, lieber Kollege Schultz, ist meines Erachtens nicht ausreichend. Wir wissen z. B., daß eine Wehrdienstzeit von zwölf Monaten eine Verstärkung der Ausbildungskapazität um 50 % mit sich bringt. Sie wollen entgegenkommen und sagen, die Einziehungsquote solle nicht mehr alle Vierteljahre, sondern halbjährig festgesetzt werden. Ich muß Ihnen sagen: Dann wird die Wehrungerechtigkeit noch größer. Schon jetzt klagen wir darüber, daß wir von dien tauglichen Wehrpflichtigen nur etwa 50 % einziehen können. Diese Quote wird dann natürlich noch viel größer. Darauf wollte ich Sie nur hingewiesen haben.
Wir wissen, daß gute Ansätze vorhanden sind, die darauf abzielen, die Verhältnisse beim Ausbildungspersonal zu bessern. Gott sei Dank brauchen wir uns nicht mehr darüber zu unterhalten, daß uns noch 40 000 Unteroffiziere und 5000 Offiziere fehlen; die Zahlen sind etwas geringer geworden. Aber ich glaube, auch eine Vermehrung von Ausbildungseinheiten wäre im Augenblick nicht möglich.
Ich teile völlig Ihre Auffassung, Herr Kollege Schultz, daß man die Ausbildung intensiver gestalten muß. Aber ich habe große Sorge, ob das dadurch erreicht wird, daß man z. B. das Wochenende mit einbezieht. Dann wird es wieder große Schwierigkeiten geben. Die Männer, die in den Ausbildungseinheiten als Ausbilder, ob Offiziere oder Unteroffiziere, tätig sind, stöhnen und klagen jetzt schon über eine große Überforderung. Das kann Ihnen überall bestätigt werden.
Ich muß sagen: Daß man im Ministerium bestrebt ist — ich nenne nur ein Beispiel —, diese Ausbildung zu intensivieren, das zeigt z. B. auch der Erfolg von General Steinhoff bei der Ausbildung der Starfighterpiloten. Wir haben doch alle mit Freude zur Kenntnis genommen, daß wir trotz Erhöhung der Flugstundenzahl. von 70 000 auf 90 000 diese Dinge in den Griff bekommen haben. Dafür sind wir Herrn General Steinhoff sehr zu Dank verpflichtet.

(Beifall.)

Ich möchte doch, sehr geehrter Herr Kollege Schultz, vor der Idee mit der Einberufung der Reservisten und in diesem Umfang warnen. Sie haben in Ihrer Begründung unter Punkt 3 zu Recht gesagt, daß man beachten muß, der Wirtschaft nicht länger als unbedingt nötig Arbeitskräfte vorzuenthalten. Stellen Sie sich aber einmal vor, wie das verwirklicht werden soll! Sie sagen, daß man pro Monat 30 000 Reservisten einziehen soll, jeweils für 4 Wochen im Jahr. Da Sie die Präsenz nach
7252 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Herold
Ihren Vorstellungen erhalten wollen, müßten Sie diese Reservisten im Turnus von 4 Wochen 5 bis 6 Jahre lang immer wieder einziehen. Die erste Gefahr dabei ist, daß immer die sogenannten Spezialisten angefordert werden und die anderen draußen bleiben. Die zweite Gefahr ist die Unruhe im Betrieb, die entsteht, wenn ein Mann jahrelang neben seinem Urlaub noch einmal 4 Wochen nicht im Betrieb ist. Diese Sache wage ich also sehr in Zweifel zu ziehen. Ich bin der. festen Überzeugung, daß wir in unserer Unterhaltung einen Weg finden werden, eventuell die Reservistenstellen anzuheben; wie es jetzt ist, scheint es mir zu wenig zu sein.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514136800
Der Abgeordnete Jung möchte eine Zwischenfrage stellen.

Kurt Jung (FDP):
Rede ID: ID0514136900
Herr Kollege Herold, haben Sie nicht gemerkt, daß es sich hier um ein Rechenexempel handelt, basierend auf der Angabe der Bundesregierung, daß ein Reservist — wenn es auch nicht ganz stimmt — doppelt soviel kostet wie ein Wehrpflichtiger? Allein auf diese Annahme abgestellt, hat Herr Schultz dargelegt, was man tun könnte. Er hat es nicht als etwas Absolutes hingestellt, sondern gesagt, daß sich das Ministerium und die Regierung überlegen müssen, wie man diese Reservisteneinheiten künftig mehr mobilisieren kann.

Karl Herold (SPD):
Rede ID: ID0514137000
Sehr verehrter Herr Kollege Jung, das hätten Sie gar nicht zu sagen brauchen. Mein letzter Satz hat bereits die Bereitschaft auch meinerseits erkennen lassen. Was Sie gesagt haben, ist auch meine Meinung. Aber so, wie es dargelegt worden ist, scheint es uns schwierig zu sein.
Ich möchte zum letzten Teil meiner Bemerkungen kommen, und zwar zur Wehrgerechtigkeit. Sehr geehrter Herr Minister, ich persönlich war etwas enttäuscht, daß von seiten Ihres Hauses in Ihrer Antwort auf die drei großen Anfragen nichts dazu gesagt worden ist. Vielleicht können Sie darauf in Ihrem Schlußwort noch eingehen. Es geistern in den letzten Wochen einige Dinge herum, z. B. Wehrsteuer. Was sagen Sie dazu? Das ist eine Geschichte, mit der wir uns in der Öffentlichkeit und natürlich auch in den verschiedenene Fachgremien auseinandersetzen müssen.
Das ist gestern von Kollegen Zimmermann das Beispiel der Schweiz angeschnitten worden. Wenn ich sehe, was dort praktiziert wird! Da wird also einheitlich eine Personaltaxe von 15 Franken für den Militärpflicht-Ersatz erhoben, dann eine Einkommenstaxe, abgestuft mit 2,40 Franken pro 100 Franken Einkommen, einschließlich der Vermögenserträge. Dann gibt es natürlich Freibeträge für Verheiratete, je nach der Kinderzahl und für jede zu unterstützende Person in der Familie.

(Zuruf: Sozialrabatt!)

und auch für Rentner und Invaliden. Stellen wir uns vor, welcher Verwaltungsapparat und welche Verwaltungsarbeit dafür notwendig sind, ohne jetzt anzusprechen, welche Unklarheiten und Ungerechtigkeiten heraufbeschworen werden! Wie soll der Personenkreis abgegrenzt werden. Wer soll bezahlen, Taugliche, Nichttaugliche; wie wird eingeteilt? Wer soll für den Studenten oder den in der Ausbildung Stehenden bezahlen usw? Ich will das aufzeigen, welche schwierigen Probleme hier auf uns zukommen. Etwas Anrüchiges, was dann natürlich sofort auftaucht, ist das sogenannte Freikaufen. Auch das sollten wir uns bei dieser Frage überlegen. Dieses „Freikaufen" wird dann sehr deutlich ausgesprochen. Dadurch würden große Schwierigkeiten und Vorwürfe entstehen.
Ich glaube deshalb, daß man hier zu einigen anderen Überlegungen kommen sollte, die man diskutieren muß. Ich denke an die Erfüllung der Wehrpflicht außerhalb der Bundeswehr, wobei ich einige Gedanken, die Herr Kollege Zimmermann hinsichtlich des Bundesgrenzschutzes geäußert hat, nicht ohne weiteres teile. Aber ich muß sagen, was soziale Einrichtungen betrifft, bin ich im Augenblick sehr vorsichtig. Denn was wir mit dem Einsatz der Ersatzdienstpflichtigen erleben, stimmt mich in dieser Sache nicht sehr ermutigend.
Ich möchte viel lieber zwei Dinge in die Diskussion werfen. Könnte man nicht vielleicht dazu übergehen, einen sogenannt Freibetrag bei der Lohnsteuer oder der Einkommensteuer, einzuplanen, vier bis fünf Jahre im Anschluß an die Wehrpflichtzeit, natürlich begrenzt? Das wäre eine Möglichkeit, den Dienenden eine gewisse Entschädigung zu geben. Das einfachste wäre natürlich ein Entlassungsgeld, das man ohne viel Verwaltungsarbeit auf den Tisch legen kann. Aber das wäre auf Grund der Haushaltslage äußerst schwierig. Das würde nach unserer Berechnung den Bund etwa 200 bis 250 Millionen DM kosten. Ich stelle das nur in den Raum. Ich weiß, das würde große Überlegungen erfordern.

(Abg. Berkhan: Geben Sie den Leuten eine Veba-Aktie !)

— Jawohl, eine Veba-Aktie zum Ausscheiden mit einem Gruß des Verteidigungsministers oder des Bundeskanzlers.
Zum Schluß möchte ich nur noch eine Bitte aussprechen. Wir werden, auch in den letzten Wochen, oft mit Musterungsergebnissen konfrontiert. Vielleicht sollte man, wenn man weiß, daß man nur 50 % der tauglichen Wehrpflichtigen einziehen kann, für eine gewisse Zeit etwas großzügiger sein. Da wird z. B. einer ganz einfach für tauglich erklärt, der auf dem rechten Auge nicht einmal mehr eine Sehkraft von 20 % hat. Der muß dann bis zum Verwaltungsgericht in dieser Sache streiten. Da kann man doch von vornherein einmal die Dienstvorschrift 46/1 hernehmen und durchforsten. Vielleicht findet man da Möglichkeiten, diese Tauglichkeitstabelle etwas zu modernisieren und die Musterungsrichtlinien für unsere schon längst angestrebten Musterungszentren einheitlicher zu gestalten. Dafür wäre ich sehr dankbar.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514137100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haase '(Kellinghusen).
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7253

Detlef Haase (SPD):
Rede ID: ID0514137200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin meinem Kollegen Herold dankbar dafür, daß er am Schluß der Debatte die Dinge etwas auf eine andere Ebene gezogen hat. Denn ich meine, es ist notwendig, im Zusammenhang mit der großen Diskussion um unsere Orientierung in den Fragen der Landesverteidigung auch einmal über jene zu sprechen, die als Menschen in diesem Instrument der Landesverteidigung tätig sind.
Diese unsere deutsche Bundeswehr ist — oder soll sein — eine moderne Armee, ausgestattet mit modernsten Waffen, mit modernsten Waffensystemen und mit modernstem Gerät. Diese Verteidigungsstreitkraft kann aber nur dann glaubwürdig voll einsatzfähig sein, wenn sie sowohl quantitativ als auch qualitativ in allen Führungsfunktionen, in allen Ausbildungsbereichen und auf allen technischen und anderen Spezialgebieten mit entsprechendem Personal ausgestattet ist. Es ist die Frage zu stellen: Trifft das im gegenwärtigen Zeitpunkt auf die Bundeswehr zu? Ich meine: nicht in jeder Beziehung. Ich will mich nicht mit dem Problem der Unterbesetzung auf dem Gebiet der Medizin beschäftigen. Wir wissen alle, wie außerordentlich schwierig es dort ist, wie es dort hinsichtlich der medizinischen Versorgung der Soldaten der Bundeswehr teilweise sogar gefährlich aussieht. Ich will mich vielmehr speziell mit dem Problem der Unteroffiziere der Bundeswehr befassen, die in ihrer Funktion ohne Zweifel eine gewisse Schlüsselposition innehaben. Wie sieht es auf diesem Sektor im Augenblick aus?
Erstens fehlen 34 000 Unteroffiziere. Es sind also 34 000 Planstellen im Bereich der Unteroffiziere nicht besetzt. Es ist bei weitem nicht so, daß sich diese 34 000 gleichmäßig auf alle Unteroffiziersdienstgrade verteilen, vom eben beförderten Unteroffizier bis hin zum Oberstabsfeldwebel; es fehlt vielmehr im wesentlichen der Bereich der Gruppenführer, d. h. der Bereich der Unteroffiziere und Stabsunteroffiziere.
Zweitens stellen wir eine Überbesetzung der Dienstgrade der Portepeeunteroffiziere fest, also jener Unteroffiziere aus dem Bereich der länger- und langdienenden Zeit- und Berufssoldaten, eine Überbesetzung, die ihren Niederschlag in einer dritten Feststellung findet, die ich zu treffen habe: daß Unteroffiziere der Bundeswehr, die zehn Jahre und länger bereits ihren Dienst geleistet haben, zunächst als Zeitsoldaten, aber immer in der Hoffnung und Erwartung, zu einem bestimmten Zeitpunkt in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten übernommen zu werden, trotz nachgewiesener Qualifikation nicht übernommen werden können, weil die für eine Übernahme notwendigen Planstellen durch bereits auf diesen Planstellen Tätige blockiert sind.
Das mag viertens ein Schlaglicht auf die erste Situation werfen, die ich zu schildern versucht habe: das führt zu einer Verringerung der Zahl der Anwärter, weil die Verärgerung über diese Situation ja nicht in der Truppe bleibt, sondern in den zivilen Bereich hinauswirkt. Einer, der selbst von einem so enttäuschenden Schicksal betroffen wird, wird in
der nächsten Generation alles versuchen, seine eigenen Söhne daran zu hindern, sich einem solchen Risiko bei der Berufswahl auszusetzen.
Wie kann nun diese Entwicklung gestoppt werden, wie kann die Entwicklung zu einem normalen Aufbau eines Stellenkegels für eine lebendige Armee wieder in normale Geleise gebracht werden? Da wird nicht nur zur Zeit, sondern seit langer Zeit in vielschichtiger Weise diskutiert, wie man partielle Probleme lösen kann. Ich darf an Weiterverpflichtungsprämien erinnern, die bekanntlich zu einer sehr großen Unruhe in der Truppe im Bereich der Betroffenen geführt haben; ich darf an die Diskussion um eine dritte oder andere oder zusätzliche Laufbahn erinnern, mit der Überlegung, einen vollkommen neuen Typ in der Führungshierarchie der Truppe zu schaffen, mit neuen Dienstgradbezeichnungen, mit anderen Eingangsgruppen in die Laufbahn und anderen Endgruppen in der Laufbahn. Viele Überlegungen sind angestellt worden, viel ist diskutiert worden, aber ein Ergebnis liegt effektiv nicht vor.
Wir sind der Meinung — das ist die Auffassung, die ich für meine Freunde hier zu vertreten habe —, daß wir endlich einmal von dem Versuch einer partiellen Regelung weg sollen, etwa von dem Versuch, durch die Einführung einer neuen Laufbahn zunächst einmal nur den Überhang aus der Spitzengruppe der Unteroffiziere herauszunehmen und in eine neue Laufbahn einzuführen. Das, was an negativen Symptomen im Augenblick sichtbar ist, sollte durch sinnvolle Übergangsvorschriften gelöst werden. Notwendig scheint uns eine vollkommene Neuordnung des gesamten Ausbildungs-, Laufbahn-, Besoldungs-, Versorgungs- und Überleitungsrechts der Unteroffiziere und damit eine vollkommene Neugestaltung des Berufsbildes des Soldaten zu sein, das bisher nicht so klar und deutlich gewesen ist, daß es möglichst viele junge Menschen veranlaßt hat, sich für eine bestimmte Zeit ihres Lebens oder sogar zeitlebens diesem Beruf zur Verfügung zu stellen.
Für die Neugestaltung dieses Berufsbildes müssen überschaubare und klare Richtlinien geschaffen werden, damit einerseits den jungen Menschen der Beruf eines Unteroffiziers der Bundeswehr auf Grund der gebotenen und klar erkennbar qualifizierten Ausbildung, der Aufstiegschancen, der angemessenen Besoldung und der Versorgung nach dem Ausscheiden aus dem Dienst attraktiv erscheint und andererseits der Bundeswehr zu jeder Zeit in ausreichender Zahl gut ausgebildete Unteroffiziere für den Truppen-, Stabs- und Spezialdienst zur Verfügung stehen, deren Dienstzeiten einen altersmäßig klar gegliederten Stellenkegel ermöglichen.
Dafür schlagen wir folgendes vor: Ausbildung.
Alle Unteroffizieranwärter — sie treten also als Anwärter für diese Laufbahn ein, gleichgültig welche der folgenden Laufbahnmöglichkeiten sie gewählt haben — durchlaufen eine 18monatige Ausbildung. Nach erfolgreichem Abschluß dieser Ausbildung werden sie zum Unteroffizier befördert. Das
7254 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Haase (Kellinghusen)

bedeutet eine Verbesserung und eine Konzentration des Ausbildungssystems sowie eine Vermehrung der Plätze an den Unteroffizierschulen. Ich möchte an dieser Stelle davor warnen, in dieser Zeit den Versuch zu machen, die Ausbildungsplätze an den Schulen zu verringern. Wenn die Möglichkeit der Zusammenlegung und Konzentration besteht, ohne daß diese Ausbildungsplätze verringert werden müssen, hätte ich nichts dagegen. Aber eine solche Maßnahme aus Gründen der Sparsamkeit zu Lasten der qualifizierten Ausbildung der Unteroffiziere zu treffen, würde ich für außerordentlich gefährlich halten.
Nach zweijähriger Unteroffizierdienstzeit erfolgt regelmäßig die Beförderung zum Stabsunteroffizier. Warum, werden Sie vielleicht erkennen, wenn ich gleich auf die Fragen der Besoldung zu sprechen komme.
Nach zweijähriger Truppenverwendung haben alle einen Anspruch auf eine in sich geschlossene Feldwebelausbildung. Das schließt die Truppenverwendung während dieser Ausbildung nicht aus.
Auf Grund der Leistungen während der Ausbildung erfolgt dann — das wäre, wenn Sie so wollen, der Abschluß der Anwärterzeit die Übernahme als Unteroffizier auf Zeit bis zu 12 Dienstjahren oder als Berufsunteroffizier mit einer Höchsttruppendienstzeit oder Verpflichtungszeit für den militärischen Dienst von 20 Dienstjahren. Unteroffiziere, die sich während ihrer Dienstzeit durch besondere Leistungen qualifizieren, haben bei Erfüllung bestimmter Normen Anspruch, auf Vorschlag oder auf eigenen Antrag in die Offizierlaufbahn übernommen zu werden.
Laufbahn. Für Unteroffiziere werden folgende Laufbahnen vorgeschlagen:
Unteroffiziere auf Zeit mit in der Regel Verpflichtungen auf 3, 6, 9 oder 12 Dienstjahren. Das ist für uns kein Evangelium. Werden aus Gründen des besseren Dienstzeitablaufs andere Verpflichtungszeiträume festgesetzt, haben wir nichts dagegen. Wir möchten nur, daß wir wegkommen von der ständigen Möglichkeit der Verlängerung um ein Jahr auf fünf oder sechs oder auf sieben Jahre. Wir wissen alle aus den Erfahrungen und den Erkenntnissen, die wir aus der Truppe haben, daß das immer wieder zu Störungen und Mißverständnissen führt, die man vermeiden sollte.
Berufsunteroffiziere mit einer Verpflichtungszeit von 15 oder 20 Jahren. Wir legen uns nicht fest, sondern meinen, daß in der Regel die Truppendienstzeit nach 15 Jahren beendet sein sollte, daß in Ausnahmefällen durchaus eine Truppendienstzeit von 20 Jahren gegeben ist, bevor über die weitere Verwendung in der Truppe oder im zivilen Bereich des öffentlichen Dienstes oder anderweitig ,entschieden wird.
Für die Besoldung scheint es nach diesen unseren Vorschlägen notwendig und auch möglich zu sein, die Zahl der Unteroffiziersdienstgrade von sieben auf fünf zu reduzieren: Unteroffizier A 5, Stabsunteroffizier A 6, Feldwebel A 7, Oberfeldwebel A 8, Hauptfeldwebel A 9. Das ist eine Analogie zum mittleren Dienst des zivilen Bereichs, wo wir auch durch die . Besoldungsgruppe A 9 die sogenannte Überlappung in die nächste Laufbahngruppe hineinbekommen haben. Das läßt sich sicherlich auch hier laufbahnrechtlich auf einfachem Wege realisieren.
Zur Versorgung sei folgendes gesagt. Nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst bei der Bundeswehr wegen Beendigung der Verpflichtungszeit wird die Versorgung wie folgt geregelt. Unteroffiziere auf Zeit mit einer Verpflichtungszeit bis zu 12 Jahren erhalten eine Versorgung nach den bisher geltenden Vorschriften. An dem Status soll nichts geändert werden. Vielleicht muß auf einzelnen Gebieten überlegt werden, ob hinsichtlich der materiellen Stellung das eine zuviel und das andere zuwenig ist. Wir sind ja gerade im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung dabei, einige Überlegungen in dieser Richtung anzustellen.
Berufsunteroffiziere können nach Beendigung ihrer Verpflichtungszeit bei Eignung und Verwendungsmöglichkeit als Offiziere in fachlicher Verwendung in eine entsprechende Laufbahn übernommen werden. Hierzu darf ich sehr deutlich sagen: Wir sind nicht der Meinung, daß es notwendig wird, für diesen qualifizierten Personenkreis eine besondere Laufbahn zu schaffen, sondern dieser Personenkreis kann in eine ergänzte oder erweiterte Offizierslaufbahn überführt werden. Wir sind nicht bereit, zu akzeptieren, daß nicht nur eine besondere Laufbahn geschaffen, sondern auch neue besondere Dienstgrade eingeführt werden und diese Gruppe sogar noch durch besondere Uniformen nach außen gekennzeichnet wird. Nach unserer Meinung läßt sich das anders lösen. Warum soll nicht einer, der als Oberstabsfeldwebel in der Besoldungsgruppe A 10 die Arbeit auf dem Dienstposten eines S 1 geleistet hat — die Unterschriften hat vielfach ein junger Leutnant in der Besoldungsgruppe A 9 geleistet —, genauso wie der andere in der Uniform des Soldaten auch Oberleutnant heißen? Das scheint mir notwendig und möglich zu sein.
Nun entsteht die Frage der weiteren Verwendungsmöglichkeiten der Unteroffiziere mit Verpflichtungszeiten von 15 und 20 Jahren, soweit sie nicht über diesen Weg in eine entsprechende Laufbahn übergeleitet werden. Wir meinen, zunächst einmal sollte erwogen werden, den Zivilversorgungsschein wiedereinzuführen — die Stellungnahme der Regierung ist mir im Augenblick bekannt —, den wir aus bestimmten verfassungsrechtlichen Gründen nicht auf den gesamten Bereich des öffentlichen Dienstes ausdehnen können, sondern nur auf den Bereich des Bundes und hier vielleicht auch aus strukturellen Gründen im wesentlichen auf den Bereich der Landesverteidigung.
Es scheint möglich zu sein, einen großen Teil geeigneter Soldaten zu dieser Zeit unter Gewährung der notwendigen Berufsförderung über diesen Weg in die zivile Beschäftigung als Berufsbeamte im öffentlichen Dienst zu verwenden. Wir sind der Meinung, daß ein Teil dieser Soldaten, soweit sie kein Interesse an einer weiteren Tätigkeit im zivilen Dienst im Rahmen der Landesverteidigung zei-
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Haase (Kellinghusen)

gen oder selbst den Wunsch äußern, dort nicht weiter beschäftigt zu werden, anders verwendet werden sollte.
Die Frage der Autorität des Dienstherrn, soweit es sich um lebenslänglich verpflichtete Beamte handelt, ist hier zu prüfen. Aber vielleicht wollen Sie, daß sie unter Inanspruchnahme eines erdienten Teils des Pensionsanspruchs zu dieser Zeit ausscheiden und sich im zivilen Leben bewähren — soweit sie sich selbständig machen, unter Kapitalisierung des Pensionsanspruchs und Gegenrechnung des dann notwendigen Nachversicherungsanspruchs in der Sozialversicherung.
Jetzt habe ich nichts gesagt — dazu geht auch aus diesen Vorschlägen bisher nichts hervor —, was denn mit denjenigen geschehen soll, die sich in dieser Krisensituation befinden, die nicht wissen, was aus ihnen werden soll, und denen der Druck von unten durch die nachwachsenden jungen Kräfte bei ihrem ständig steigenden Lebensalter etwas zu stark wird. Wir sind der Meinung, daß es möglich sein muß, für diesen relativ kleinen Personenkreis Übergangsvorschriften zu schaffen, die entweder ein reibungsloses Überleiten in die neuen Laufbahnvorschriften ermöglichen oder aber auch auf dem alten Gleis weiterfahrend die Möglichkeit eines vernünftigen und sinnvollen Auslaufens bieten.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir einige Schlußbemerkungen. Diese Vorschläge sollen ein Beitrag zur Verbesserung der Unteroffizierslage sein — nicht der Lage der Unteroffiziere, sondern der Unteroffizierslage —, die nicht in Ordnung ist, was sich für die Beteiligten und die Truppe auswirkt, und die sich teilweise sogar prekär darstellt. Wir diskutieren vielleicht schon etwas zu lange über dieses Problem. Ich habe manchmal den Eindruck, daß die Geschichte schon festgefahren ist.
Die neuen Vorschläge für eine umfassende Lösung des Problems, wie sie von uns unterbreitet werden, bieten vielleicht die Möglichkeit, daß das Verteidigungsministerium sich diesmal ,auf der Grundlage dieser Konzeption gegenüber dem Innenminister und dem Finanzminister etwas leichter durchsetzen kann. Wir wissen um die Schwierigkeiten, die bei den bisherigen Lösungen dort bestanden haben. Wenn wir hier eine Analogie zum Personalrecht des öffentlichen Dienstes gefunden haben, bei der gleichzeitig die Besonderheiten des militärischen Dienstes des Soldaten gewürdigt werden, wird es leichter sein, das durchzusetzen.
Herr Minister, unsere Vorschläge sind Ihrem Haus im einzelnen bekannt. Ich habe mit den zuständigen Herren Ihres Hauses darüber gesprochen und habe die Vorschläge auch erläutert. Ich darf Sie bitten, die Vorschläge nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern grünes Licht zu ihrer Verwirklichung zu geben, damit wir endlich einmal aus diesem Dilemma herauskommen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514137300
Meine Damen und Herren, wir hatten die Rednerliste informell geschlossen. Aber Herr Jung hat noch ums Wort
gebeten und eine Redezeit von fünf bis zehn Minuten angegeben.

(Abg. Berkhan: Das eröffnet aber große Perspektiven, das muß Herr Jung wissen!)

Vor ihm hat Herr Stahlberg das Wort, der sich zuerst für zehn Minuten gemeldet hat, aber dann auf 15 Minuten gegangen ist. Ich möchte beide Redner bitten, danach zu streben, an die untere Grenze der gemeldeten Redezeit heranzukommen.
Bitte, Herr Abgeordneter Stahlberg!

Hermann Stahlberg (CDU):
Rede ID: ID0514137400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich würde es zwar außergewöhnlich reizvoll finden, mich mit den soeben hier gemachten Vorschlägen des Kollegen Haase auseinanderzusetzen. Ich will darauf ausdrücklich verzichten, denn ich glaube, am Schluß einer solchen Debatte, wo es um die Beantwortung der an die Bundesregierung gerichteten Großen Anfragen geht, ist es nicht adäquat, in solche Detailprobleme einzusteigen. Dabei möchte ich nicht verschweigen, daß gestern die Angehörigen der Bundeswehr auf der Tribüne sicherlich von der Art und Weise der Durchführung dieser Debatte enttäuscht waren. Aber das lag nun einmal daran, daß Große Anfragen zu beantworten und nicht Detailprobleme zu diskutieren waren. Ich würde mir wünschen, daß wir uns im Verteidigungsausschuß so viel Zeit für die Detailprobleme nehmen würden, wie wir das heute hier im Plenum versucht haben. Da kommen wir sicher schnell miteinander klar und sehr viel weiter.
Ich darf darauf verweisen, daß wir schon seit längerer Zeit mit dem Ministerium in Gesprächen über die Neuordnung der Laufbahn sind, deren Änderung auch wir für zwingend notwendig halten. Herr Minister, bereits am 13. Juni haben die Sprecher der drei Fraktionen darauf hingewiesen, wie dringlich uns dieses Problem ist. Ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie in Ihrer Schlußantwort noch einmal bestätigten, daß dieses nach wie vor auf der Tagesordnung steht. Ich will mich dennoch mit ein paar Sätzen darüber äußern, worum es eigentlich geht und was hier angesprochen ist.
Die Laufbahnneuordnung in der Bundeswehr muß sich aus dem Dienst und der Leistung des Soldaten heraus verstehen. Die Laufbahnneuordnung soll keine Angleichung an irgendeinen Teil des öffentlichen Dienstes bringen. Vielmehr steht hier ein gesellschaftspolitisches Problem von hohem Rang nunmehr zur Lösung an.
Der Herr Kollege Rommerskirchen hat gestern mit Recht darauf hingewiesen, daß auch in der modernen Armee der Mensch im Mittelpunkt stehen muß. Zu dieser modernen Armee mit moderner Bewaffnung gehört auch ein modernes und neuartiges Menschenbild und damit ein neues Laufbahnrecht.
Lassen Sie mich noch sagen, daß auch bei dieser Bundeswehr — Herr Minister, das ist das, was ich vorhin sagte, was gestern die Bundeswehr in Ihrer Antwort vermißt haben mag —, bei den Soldaten und insbesondere bei den Unteroffizieren, wieder
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Stahlberg
eine innere Zufriedenheit einkehren muß. Wir sollten alle davon ausgehen, daß diese innere Zufriedenheit dazu beitragen wird, daß innere Gefüge dieser Bundeswehr zu festigen.
Ich halte es für außerordentlich bedauerlich und auch für rückschrittlich, wenn in verschiedener Beziehung in sozialer Hinsicht das eine oder andere zur Kürzung vorgeschlagen worden ist und die eine oder andere Maßnahme sich als eine unsoziale Maßnahme herausstellt. Es wäre äußerst gefährlich, wenn diese Bundeswehr in eine soziale Isolierung hineingedrängt werden sollte. Denn diese soziale Isolierung wird schließlich zu einer 'politischen Isolierung führen müssen.

(Abg. Berkhan: Radikalisierung!)

— Auch das wird damit eingeschlossen, Herr Kollege Berkhan, das möchte ich ausdrücklich bestätigen. — Schließlich möchte ich davon ausgehen, daß die innere Zufriedenheit des Soldaten ganz sicher zur Schlagkraft der Truppe erheblich beitragen kann und beitragen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn Sie mir dann noch ein letztes Wort zum Thema Wehrgerechtigkeit gestatten, möchte. ich sagen, daß ich mit vielem von dem, was der Kollege Herold ausgeführt hat, einverstanden bin. Auch hier will ich nicht ins Detailproblem giehen. Ich möchte nur auf folgendes hinweisen. Wenn wir versuchen wollen, zur Wehrgerechtigkeit zu kommen, müssen wir vermutlich erstens so viele Soldaten zur Bundeswehr einziehen, wie notwendig sind. Zweitens sollten wir zum zivilen Ersatzdienst an verschiedensten Stellen so viele Wehrpflichtige einziehen, wie wir uns finanziell leisten können.

(Abg. Berkhan: Und wie es sinnvoll ist!)

— Und wie es sinnvoll ist. Auch das möchte ich bestätigen, Herr Kollege Berkhan.
Drittens sollten wir finanziell vom 28. Lebensjahr an, nämlich dann, wenn — wie der Herr Kollege Herold etwas zweifelnd in den Raum stellte — die Berufsausbildung mit Sicherheit abgeschlossen ist, eine „Abgabe besonderer Art" erheben; ich möchte das Wort „Wehrsteuer" gar nicht erst verwenden. Das könnte — ich verlasse mich auf die Experten — im Jahr immerhin 400 Millionen DM bringen, und die kann ich dann deckungsweise für steuerliche Erleichterungen bei den Wehrpflichtigen einsetzen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514137500
Mommer: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Berkhan?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0514137600
Herr Kollege Stahlberg, gehe ich richtig in der Annahme, daß ein achtundzwanzigjähriger junger Mann noch in den ersten Ehejahren steckt und daß unter Umständen kleine Kinder in der Familie sind und daß bei normalem Einkommen eine solche Belastung eine schlechte gesellschaftspolitische Maßnahme darstellen würde?

Hermann Stahlberg (CDU):
Rede ID: ID0514137700
Zum einen soll die Belastung nicht so hoch sein, daß dies besonders ins
Gewicht fällt, und zum anderen sind hier eben die 18 Monate zu berücksichtigen, die der andere ihm nicht voraushaben kann.

(Beifall in der Mitte.)

Ich möchte aber auch nicht verschweigen, daß sicherlich übrig bleibt, zu sagen: Wenn wir eine Abgabe besonderer Art konzipieren — wie immer sie auch aussehen mag —, dann wird sie nicht dazu beitragen können, im psychologischen Bereich die Wehrbereitschaft in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich zu stärken, und zwar deshalb nicht, weil jeder, der einmal den Dienst an der Gemeinschaft kennengelernt hat, der 18 Monate bei der Bundeswehr gewesen ist — mag er zunächst nach 18 Monaten von „Gammeldienst" und von sonstwas reden —, nach allen Erfahrungen bisher nach einem Jahr und bei wachsendem Lebensalter dennoch immer wieder zurückgeführt wird auf seine Zeit, die er auch bei der Bundeswehr — und nicht, wie man früher sagte: beim Militär — verbracht hat. Wenn dies der Fall ist und sich das positiv auswirkt, dann wird der andere, der etwa zehn Jahre lang in Raten dafür zahlen muß, daß er nicht Soldat war, von Jahr zu Jahr immer — im Grunde genommen — wehrunwilliger sein. Ich meine, daß die Kampfmoral dieser Bundeswehr von uns nur an der Wehrbereitschaft unseres ganzen Volkes gemessen werden kann, die ich nach wie vor für notwendig halte.

(Beifall in der Mitte.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514137800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung.

Kurt Jung (FDP):
Rede ID: ID0514137900
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde mich an die vereinbarte Zeit von fünf Minuten halten.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514138000
Darf ich noch sagen, daß Herr Stahlberg mit acht Minuten seine kürzeste Zeit unterboten hat.

Kurt Jung (FDP):
Rede ID: ID0514138100
Einige Bemerkungen des Kollegen Herold haben mich — und insbesondere Herrn Kollegen Haase — veranlaßt, noch einmal das Wort zu ergreifen. Herr Kollege Herold hat im Zusammenhang mit der Organisation auch von Kreiswehrersatzämtern gesprochen. Ich möchte der Regierung nur anheimgeben, einmal darüber nachzudenken, ob es nicht möglich wäre, bei der Umgestaltung der Organisation dort Reserveoffiziere einzusetzen.
Herr Kollege Haase hat insbesondere die Unteroffizierslaufbahn — —

(Abg. Berkhan: Reserveoffiziere!)

— Reserveoffiziere, ja. Ich habe das nur mal als Anregung gegeben. Ich glaube, das Ministerium wird damit schon etwas fangen können.
Herr Kollege Haase hat über die Unteroffizierslaufbahn gesprochen, und in diesem Zusammenhang ist er auf dritte oder vierte Laufbahnen zu sprechen gekommen. Er hat gefragt, warum diese Leute nicht auch meinetwegen als Oberleutnante antreten könn-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7257
Jung
ten. Ich möchte das für einen besonderen Bereich vertiefen. Ich habe gestern abend gesagt, daß auf der höheren Ebene der akademisch-technisch gebildete Generalstabsoffizier durchaus gut wäre, und verstärkt dazu der Ingenieuroffizier auf dem level des graduierten Ingenieurs. Aber gerade im Bereich der Unteroffiziere brauchen wir technisch gebildete Kräfte auf dem level des Technikers. Hier könnte man durchaus einmal nach den Vereinigten Staaten sehen, und den „warrantofficer", der dort bekannt ist, sollte man einmal näher studieren. Das ist ja auch die Grundlage dieser Laufbahn, die wir hier einmal ins Gespräch brachten.
Nun möchte ich Ihnen auch sagen, warum. Mir ist bei der Landung auf einem Flugplatz folgendes passiert. Da klagt ein Unteroffizier, der in der technischen Laufbahn war, daß eben durch die STAN seine. Aufstiegsmögichkeiten beschränkt seien, und daß wir für Techniker, die wir aus Übersee herüberholten, besonders hohe Kosten hätten. Er sprach da von 8000 DM. Das lag natürlich an dem ungünstigen Umrechnungskurs. Dann kam er darauf zu sprechen, daß er nur bis auf 800 DM komme. Wenn man die Leute fragen würde, dann würden sie — natürlich im Militärjargon — im wesentlichen sagen: Look at the book.
Ich möchte, daß wir uns über diese Laufbahn ernsthaft Gedanken machen. Morgen sollten wir auch ein anderes Problem einmal überdenken. Das hat der gleiche Unteroffizier angesprochen, indem er sagte: Und von diesen 800 DM muß ich noch die sehr hohen Mieten bezahlen. Das ist ein Problem, das im Augenblick nicht nur die Unteroffiziere berührt, sondern auch andere, die in Bundeswohnungen wohnen. Hier sollten wir überlegen, ob wir die Mieterhöhungen, die jetzt kommen und die die Folge von Beschlüssen sind, die in diesem Hause demnächst anstehen, nicht für diese Bundeswohnungen auszusetzen sind; denn das ist nämlich nur ein durchlaufender Posten. Hier werden Kosten anfallen, die wir auf der anderen Seite wiederum durch erhöhtes Wohngeld hinausgeben müssen. Der Bund hat also da keinen Gewinn. Ich würde sagen, daß man auf diese Dinge verzichten sollte, daß man darüber ernsthaft reden sollte.
Früher hat man gesagt, der Obergefreite sei das Rückgrat der Armee. Heute ist es richtig, daß der Unteroffizier in dieser unserer Bundeswehr als Ausbilder das Wichtigste ist. Wir sollten Anreize, die einmal da sind, nicht abbauen, sondern sollten sie sichern, damit wir künftig über ein genügendes Potential von Unteroffizieren verfügen.

(Zustimmung bei der FDP.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514138200
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verteidigung.
Herr Bundesminister, darf ich an Sie die Frage richten, ob Sie auch bereit sind, sich in die Schlinge zu legen, in die die anderen Redner sich legen müssen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514138300
Herr Präsident! Ich werde nicht so unvorsichtig sein,
eine Zeit anzugeben. Ich möchte Ihnen aber sagen, daß ich so kurz wie möglich sprechen werde.

(Abg. Berkhan: So kurz wie gestern, Herr Minister!)

— Gestern — das habe ich selbst bedauert — handelte es sich um ein langes „Opus", das ich vortragen mußte. Aber, meine Damen und Herren, das lag natürlich daran, daß hier 29 Fragen zu beantworten waren, daß daran sehr, sehr lange gearbeitet worden ist — unter Federführung des Verteidigungsministeriums, unter bester Mitwirkung verschiedener anderer Ressorts — und daß eine solche Sache dann ziemlich umfangreich wird.
Aber, meine Damen und Herren, da ich diesen Zuruf bekommen habe, möchte ich sagen: Ich glaube, daß es doch ganz gut war, daß das so ausführlich ausgefallen ist, wie ich es vorgetragen habe. Wir konnten heute bereits an verschiedenen Stellen darauf — nützlicherweise, wie ich glaube — zurückgreifen und werden das auch in Zukunft tun können.
Das Schlußwort, das ich sprechen möchte, ist zunächst ein Wort des Dankes. In diesen Dank möchte ich ganz ausdrücklich meinen Kollegen, den Bundesminister des Auswärtigen, einbeziehen, der einige der Thesen, die ich gestern entwickelt habe, heute nachdrücklich unterstrichen hat; sowohl die These über die Entspannungsbemühungen als auch die These über die Nuklearfrage und das, was über die europäische Friedensordnung gesagt worden ist. Ich will das hier nicht wiederholen. Ich glaube nur, daß klargeworden ist, daß in der Tat die Bundesregierung Verteidigungspolitik als das ansieht, was sie ist, nämlich ein Stück der allgemeinen Außen- und Sicherheitspolitik. Ich glaube, daß jedermann empfunden haben wird, daß die hier aufgestellten Thesen miteinander übereinstimmen.
Meine Damen und Herren, heute nachmittag oder heute abend haben wir eine total veränderte Stimmung in diesem Hohen Hause. Wenn Sie sich einmal ein bißchen umsehen, wie man das von der Regierungsbank aus natürlicherweise betreibt: Wir haben eine Pressetribüne, auf der sich im Augenblick 10, 11 Personen befinden — damit habe ich den diensttuenden Kameramann bereits mitgerechnet —; wir haben eine Publikumstribüne, auf der weniger als zehn, knapp zehn Personen versammelt sind; und die Diplomatentribüne sieht ähnlich aus.

(Abg. Dr. Schulze-Vorberg: Vom Bundesrat gar nicht zu sprechen!)

— Vom Bundesrat will ich der Höflichkeit wegen schweigen. Der Bundesrat hat sich früher zurückgezogen.

(Abg. Hasse [Kassel] : Das Präsidium ist voll besetzt!)

Wir haben hier im Plenum etwas weniger als 50 Personen. Wenn wir das Ganze umsetzen, ist das eine erweiterte Ausschußsitzung, der der Präsident und das Präsidium die Ehre erweisen, den Vorsitz zu führen. Wir haben darum hier etwas gelockerter gesprochen, als wir das sonst vielleicht tun würden. Ich möchte in diesem Stil und in diesem Tonfall durchaus bleiben, meine Damen und Herren, denn
7258 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Bundesminister Dr. Schröder
es ist auf Ihrer Seite, wie ich glaube, ganz richtig hervorgehoben worden, daß die hier angeschnittenen Fragen sämtlich ihr eigenes Gewicht haben, daß sie auch nach draußen zeigen können und zeigen, wie intensiv sich vor allen die Mitglieder des Verteidigungsausschusses um die Sorgen kümmern, die die Bundeswehr bewegen. Alles, was hier vorgetragen worden ist, ist vorgetragen worden in Anwesenheit der Hauptabteilungsleiter des Ministeriums, des Generalinspekteurs, der Herren Inspekteure, und Sie können sicher sein, daß jeder Gedanke, der geäußert worden ist, ein sehr sorgfältiges erneutes Durchdenken im Ministerium finden wird, und wir werden sehen, was wir aus den verschiedenen Anregungen machen können.
Ich darf über ein paar Dinge noch etwas konkreter sprechen.
Dem Kollegen Jaeger möchte ich für die Frage danken, die er gestellt hat und die er im Grunde doch wohl für alle Mitglieder des Hauses positiv hat beantworten wollen, nämlich die Frage: Sind wir noch bereit, den Preis für unsere Freiheit zu zahlen? Das ist in der Tat die Frage, um die es geht, und ich glaube, wir sollten wirklich, das letzte Mitglied des Hohen Hauses eingeschlossen, diese Frage bejahen.

(Beifall.)

Es sind hier jedenfalls keine Töne aufgekommen, die irgend etwas davon Abweichendes ausgesagt hätten.
Ich habe mir natürlich sehr gründlich die Morgenpresse angesehen — erstens bin ich ein begeisterter Zeitungsleser, zweitens mußte man das aber natürlich auch von Amts wegen tun — und habe in einer Zeitung gefunden — vielleicht hat es auch in mehreren gestanden —, im Grunde sei kein neues Konzept vorgetragen worden. Dazu ist vorhin von dem Kollegen Petersen etwas sehr Schönes und Richtiges gesagt worden. Das, was gestern vorgetragen worden ist, ist in der Tat — das wird man bei einer ruhigeren und dann vielleicht gerechteren zweiten Lektüre feststellen können — der Ausdruck eines ganze bestimmten Konzepts; eines Konzepts, das vielleicht nicht jedermann gefällt, das will ich gar nicht bezweifeln. Vor allem diejenigen, die ganz neue Dinge vorschlagen, nämlich die Abschaffung bestimmter Waffenträger, eine radikale Verkürzung der Dienstzeit und einiges mehr, werden sich mit diesem Konzept nicht zufrieden zeigen. Das überrascht mich gar nicht.
Ich habe manchmal den Eindruck, daß manches, was von der rechten Seite des Hohen Hauses gesagt wird, dazu dienen soll, die an sich in jeder Regierungskoalition vorhandene Reibung zu vermehren. Nun, das ist das gute Recht der Opposition, und das mag sie treiben. Aber ich möchte gerade an die Adresse der Opposition sagen, daß wir mit großer Sorgfalt auch auf das hören, vielleicht sogar gerade auf das hören, was Sie vorzutragen hat; denn wir gehen davon aus, daß auch dies alles bemühte Beiträge zur Diskussion *um die bestmögliche Gestaltung der Dinge sind.
Ich selber, das sage ich sehr offen, bin durchaus Anhänger eines kürzeren Grundwehrdienstes, und soweit es an mir liegt, werde ich bestimmt das Nachdenken darüber, wie das verwirklicht werden kann, nicht einstellen. Ich bin mir darüber klar, daß es eine Forderung ist, die weit über die Reihen der Opposition hinaus — manchmal natürlich rein emotional — aufgestellt wird. Man muß sich aber alle Gründe, die ich selber hier dagegen angeführt habe und die zusätzlich angeführt worden sind, sehr, sehr sorgfältig überlegen, nämlich die Dauer dies Wehrdienstes auf der Gegenseite und die Dauer des Wehrdienstes bei unseren wichtigsten Verbündeten, soweit sie nicht, wie die Briten, eine Berufsarmee haben. Das wird es sehr, sehr schwer machen, hier zu Änderungen zu kommen. Aber das Nachdenken darüber halte ich für eine sehr legitime Sache. Wir werden das Nachdenken darüber ganz bestimmt nicht aufgeben, und wir werden noch häufiger miteinander darüber sprechen.
Es wäre dann aber gut, wenn wir nicht mit falschen Behauptungen eingedeckt würden.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Hier ist sehr leicht einfach die Behauptung aufgestellt worden, die Franzosen seien zurückgegangen; ich glaube, es wurde gesagt: auf 15 Monate. Der wahre Tatbestand ist der, daß die französische Regierung eine Ermächtigung bekommen hat — sie gilt, glaube ich, über das Haushaltsjahr hinaus, für ein paar Jahre —, von der jetzigen Dienstzeit herunterzugehen. Der französische Verteidigungsminister hat mir zu dieser Frage vor einiger Zeit gesagt, daß sie in der Tat planten, von der jetzigen Wehrdienstdauer, vielleicht mit einem Zwischenschnitt, herunterzukommen, wenn es ihnen gelingen würde, rund 30 000 Längerdienende — ich glaube, die Zahl ist ungefähr richtig — in der Zwischenzeit zu finden. Frankreich hat also durchaus dasselbe Problem, mit dem auch wir uns herumschlagen, und es wäre besser, einen bedeutenden Nachbarn in dem, was er sowohl tut wie plant, richtig zu sehen, als daß darüber falsche Behauptungen aufgestellt werden.

(Abg. Berkhan: In diesem Lichte können Sie auch eine Ermächtigung bekommen!)

— Vielen Dank! —
Bei dieser Gelegenheit möchte ich gern eines sagen: Es wird sehr oft gesagt — und wie ich glaube, ein wenig leichtfertig und nicht ungefährlich —, daß die Bundeswehr die größte Armee in Europa sei. Das trifft nicht zu. Zahlenmäßig ist die französische Armee — was ich persönlich begrüße
— ein gutes Stück größer als die deutsche Armee. Man sollte also nicht, sei es aus falsch verstandenem Stolz, sei es aus irgendwelchen anderen Gründen, die deutsche Armee als die größte in Europa hinstellen. Das dient keinem guten Zweck, und es trifft, wie ich Ihnen gerade sagte, im Vergleich zur französischen Armee auch nicht zu.

(Abg. Dr. Marx [Kaiserlautern] : Das wäre auch nur Westeuropa!)

— Sie haben völlig recht. Entschuldigen Sie bitte, daß man sich etwas angewöhnt hat, bei Europa zu-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7259
Bundesminister Dr. Schröder
nächst nur den freien westlichen Teil zu sehen und vielleicht nicht immer ganz Europa. Das ist ein sehr berechtigter Hinweis.
Ich komme zu ein paar weiteren Punkten, die in der Debatte konkret gesagt worden sind. Ich bin gerade beim Aufräumen von Unrichtigkeiten. Es tut mir leid, daß die Unrichtigkeiten von rechts gekommen sind. Ich darf mich noch einmal an den Kollegen Jung wenden. Er hat kurzerhand behauptet, offenbar in der Beantwortung auf eine Frage sei ihm gesagt worden, über die Beschaffung der „Phantome" sei nicht entschieden, und er habe nun mit Erstaunen festgestellt, daß im Haushalt 1968 100 Millionen DM für eine solche Beschaffung vorgesehen seien; diese 100 Millionen könnten doch offenbar nach den Betrachtungen, die derzeit darüber angestellt werden, ohne weiteres gestrichen werden.
Dazu möchte ich ganz klar folgendes sagen — und ich weiß, daß diese Frage eine gewisse Rolle in der Pressediskussion spielt —: Wir haben uns auch heute weder für die Wahl des Typs „Phantom" entschieden, noch gibt es bisher eine entsprechende Entscheidung für die Beschaffung dieses Flugzeugs. Die Entscheidung kann nicht eher getroffen werden, als bis wir das Ergebnis der Gesamtplanung haben. Die Modernisierung der Kampfverbände der Luftwaffe nimmt kostenmäßig einen so hohen Anteil an der Gesamtverfügungssumme für die militärische Rüstung in den kommenden Jahren ein, daß gerade auf diesem Gebiet Entscheidungen besonders sorgfältig vorbereitet werden müssen. Erst aus der Gesamtplanung wird sich dann ergeben, zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang eine Umrüstung der Kampfverbände der Luftwaffe stattfinden kann. Hiervon wird auch die Auswahl des Modells bestimmt werden.
Die von Ihnen genannte Haushaltsposition für eine Ersatzbeschaffung der F 104 im Haushalt 1968 ist deshalb eingestellt worden, ohne daß der Typ und die Art der Beschaffung festgelegt sind. Die Einstellung in den Haushalt ist aber erfolgt, weil die Maßnahmen für die Ersatzbeschaffung im Haushaltsjahr 1968 anlaufen müssen, denn die Entwicklung der Bestandslage erfordert das. Ich möchte also auf die Feststellung Wert legen, daß der von dem Kollegen Jung behauptete Widerspruch nicht vorliegt und deshalb auch nicht die von ihm vorgeschlagene Streichung so kurzerhand erfolgen kann.

(Abg. Jung meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Bitte sehr!

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514138400
Eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Jung.

Kurt Jung (FDP):
Rede ID: ID0514138500
Herr Minister, weil Sie das Wort Unrichtigkeit gebrauchten: Würden Sie mir bitte zustimmen, daß in dem entsprechenden Titel ausdrücklich das Wort „Phantom" steht und .die Zahl der Maschinen mit 220 und die Summe mit 3,6 Milliarden DM angegeben sind?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0514138600
Herr Kollege Jung, wenn das wirklich so sein sollte, werde ich mich schriftlich bei Ihnen entschuldigen. Meine Mitarbeiter haben mir etwas anderes aufgeschrieben und gesagt. Sollten Sie aber recht haben, werde ich nicht anstehen, mich zu entschuldigen. Ich werde das nachprüfen, kann das aber wahrscheinlich während dieser Sitzung nicht mehr tun. Das mag in der Zwischenzeit vielleicht geklärt werden.
Ich möchte hier einige Worte an die Adresse der Kollegen Herold, Stahlberg und Haase sagen. Wir schlagen uns sehr mit der Frage herum, wie wir einen besseren Nutzen von den Reservisten bekommen. Vielleicht verrate ich ein Geheimnis, aber ich tue es ganz gern. Die höchste Zahl, die wir bei allen Vorausplanungen und bei allen Versuchen, in ein ausgeglicheneres Kostenverhältnis zu kommen, haben festlegen können, war die Zahl von 6000 täglich. Wir pflegen diese Zahl, wenn wir an vierwöchige Übungen denken, mit 10, und wenn wir an 14tägige Übungen denken, mit 20 zu multiplizieren. Bleiben wir einmal bei .dem Multiplikator 20. Das bedeutet, daß wir von den Reservisten rund 120 000 im Jahr umschlagen können, wenn man von dieser höchsten Zahl 6000 ausgehen kann.
Nach unseren Untersuchungen trifft es zu, daß die Reservisten ungefähr das Anderthalbfache der Kosten des Wehrpflichtigen verursachen. Wir sind infolgedessen in der Heranziehung der Reservisten leider gehemmter, als wir es gern wären.

(Zuruf von der SPD: Einschließlich Unterhalt?)

— Ich kann nur von den Zahlen ausgehen, mit denen wir üblicherweise rechnen. Dann läuft es darauf hinaus, daß es das Anderthalbfache des Wehrpflichtigen ist. Das macht uns so zögernd in dieser Frage, und das macht es uns so schwierig in dieser Frage. Ich möchte dem Hohen Hause gerne versichern, daß wir das Anliegen, das vorgetragen worden ist, absolut teilen und für absolut berechtigt halten. Und wenn wir auch nicht so negativ über die Frage der Reservisten überhaupt denken, wie es heute gelegentlich dargelegt wurde, verursacht .es uns starkes Nachdenken, was wir nun tatsächlich tun können, um in einer vernünftigen Weise das Reservistenpotential genügend auszuschöpfen. Unser neues Prinzip, über das ich gestern des längeren gesprochen habe, dient ja auch dazu, eine schnelle Auffüllung gerade aus Reservisten vorzunehmen, also einen möglichst guten Gebrauch von ihnen zu machen.
Nun ein Wort zu der Laufbahnproblematik. Bei der Laufbahnproblematik war es sehr interessant, zu sehen, daß das, was der Herr Kollege Haase ausführte, keineswegs mit dem übereinstimmte, was der Kollege Stahlberg zu dieser Frage .ausführte. Wir befinden uns leider nicht auf der glücklichen Ebene der Übereinstimmung, von ,der ich vor ein paar Monaten ausgegangen bin. Ich habe vor ein paar Monaten den Glauben gehabt, daß gewisse Ideen, die das Ministerium entwickelt hat und für die sich mein Vorgänger nachdrücklich eingesetzt
7260 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Bundesminister Dr. Schröder
hat, hier im Hohen Hause auf eine mehr oder weniger einmütige Zustimmung stoßen würden. Wie ich jetzt sehe, ist das keineswegs der Fall. Die Sache liegt also ein gutes Stück ,schwieriger. Aber ich will darüber heute nicht ins Leere sprechen.
Der Herr Kollege Stahlberg hat etwas gesagt, was ich für völlig richtig halte. Heute sind nicht viele Angehörige der Bundeswehr in diesem Saal. Er hat ganz recht, es waren gestern sehr viel mehr. Ich weiß auch nicht, wie es mit der inneren Zufriedenheit all der Beteiligten steht. Ich habe auch darüber einiges in der Zeitung gelesen, wie ich hoffe, auf Grund genauer Befragungen, aber ich weiß nicht, wie es mit der inneren Zufriedenheit jedes einzelnen steht. Ich möchte dazu nur eines sagen: Ich finde die Forderung sehr berechtigt, daß wir das Äußerste tun sollen, für innere Zufriedenheit zu sorgen. Soweit das organisatorische Maßnahmen erfordert, werden wir sehen, welche Möglichkeiten sich dafür bieten.
Ich habe über die Frage, die mit dem Problem der Gerechtigkeit stark zusammenhängt, ein wenig mit den Kollegen gesprochen, denen ich die Regierungserklärung aus diesem oder jenem Grunde vorher zugänglich machte. Ich habe ihnen folgendes gesagt: Wir werden uns nicht um jeden der Fälle im einzelnen kümmern können, die Ihnen persönlich vielleicht jetzt aufgestoßen sind und persönlich vorschweben. Aber soviel ist sicher: Wir werden das Äußerste tun, soweit man das mit einer entsprechenden personellen Besetzung tun kann, daß alle durch die Personalpolitik und an der Personalpolitik Beteiligten das Gefühl bekommen, daß .wirklich Gerechtigkeit geübt wird, daß es sich also nicht darum handelt, bestimmte einzelne Gruppen zu fördern, sondern daß wirklich das Prinzip der Gerechtigkeit geübt wird. Das müssen und werden wir fertigkriegen können. Wir werden uns auf diesem Gebiet um das Äußerste bemühen.
Ich möchte nur ein Geständnis machen, nämlich daß das, was sich in der Diskussion über Wehrgerechtigkeit und Wehrungerechtigkeit entwickelt hat, mir große Sorge bereitet. Die Sache ist für mich nicht damit erledigt, daß der Bundestag das Finanzänderungsgesetz beschließt. Es wird auch noch durch den Bundesrat gehen; was der Bundesrat dazu sagen wird, weiß ich noch nicht. Ich bedauere nur, daß wir gerade durch dieses Gesetz oder, sagen wir mal, durch den militärisch relevanten Teil des Gesetzes eine Diskussion bekommen haben, die der Bundeswehr außerordentlich abträglich sein kann. Wir werden sehen müssen, und zwar zusammen sehen müssen — ich spreche jetzt viele von Ihnen in Ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Verteidigungsausschusses an —, wie wir das wenden und ändern können
Aber das eine Problem — ich spreche jetzt von den Vorschlägen, die mir gemacht worden sind — der nicht 100%igen Heranziehung aller Tauglichen zum Grundwehrdienst ist nur theoretisch sehr schnell gelöst. Die Ungerechtigkeit, die sich dabei ergibt, läßt sich in einer Unterhaltung sehr schnell befriedigend abklären. Was sich aber keineswegs
befriedigend abklären läßt, ist die Frage: Was tut man eigentlich dagegen, was ist eigentlich richtig? Der Herr Kollege Herold hat — auf eine Zwischenfrage hin — ein paar Dinge gesagt, die ich für unbedingt richtig halte, nämlich den nicht heranzuziehen, den er sich als Ehemann oder Vater vorstellt, und ihn einschließlich seiner Frau Jahre hindurch — es wurde von 10 Jahren gesprochen — zu verärgern. Das ist etwas, woran die Bundeswehr überhaupt kein Interesse haben kann.

(Sehr richtig!)

Deswegen halten wir sehr wenig davon, den Kreis der Leute noch zu vermehren, die sich nachträglich und jahrelang in dieser Weise beschwert fühlen. Wir müssen uns nach meiner Meinung eher — ich habe dazu einen sehr einfachen Vorschlag gemacht bekommen, nur ist er zu einfach, um durchgeführt werden zu können — auf eine Förderung des Gedienten und des Dienenden einstellen,

(Beifall)

als daß wir, nachher mit sehr vielen Ausnahmen versehen, eine Belastung des Nicht-gedient-Habenden herbeiführen. Das ist eine Sache, über die wir miteinander sprechen müssen. Mir schwebt dabei vor, daß wir für diesen Zweck — ich halte das für eine außerordentlich wichtige Sache — eine kleine Kommission bilden, vielleicht eine Kommission des Verteidigungsausschusses und des Ministeriums. Wir wollen ernsthaft darüber nachdenken, was wir an dieser Stelle tun können. Daß dies eine Stelle ist, wo etwas geschehen muß, zeigen die Vorgänge der letzten paar Monate, die für die Bundeswehr außerordentlich unglücklich gewesen sind. Es tut der Bundeswehr nicht gut, wenn sie in dieser Weise — das glaube ich jedenfalls — öffentlich besprochen werden. Deswegen werden wir sehen müssen, ob wir dieses Problem nicht in einer Art und Weise lösen können, die besser ist als mancher der Vorschläge, die sich in der Luft befinden.
Eine andere Sache aber möchte ich hier nachdrücklich ablehnen. Ich bin keineswegs dafür — ich sage das, obwohl ich mich daran erinnere, daß ich lange Jahre Innenminister gewesen bin —, die Reihen des Bundesgrenzschutzes zusätzlich aufzufüllen oder auf der Basis einer allgemeinen Dienstpflicht an ein technisches Hilfswerk oder an andere soziale Einrichtungen zu denken. Denn, meine verehrten Damen und Herren — —

(Abg. Berkhan: Mehr Krankenschwestern!)

— Mehr Krankenschwestern, gut. Ich habe gar nichts gegen eine anständige Betreuung von Kranken. Aber ob Leute, die das gegen ihren Willen tun müssen, die richtigen Betreuer sind, wage ich nun doch zu bezweifeln. Ich habe die große Sorge, daß, von den finanziellen Fragen ganz abgesehen, uns diese Sache organisatorisch und ausstattungsmäßig in die allergrößte Verdrückung bringen würde. Das sagt sich relativ leicht: Nehmen wir die Leute doch in andere Organisationen hinein! Das ist aber keineswegs das Richtige.
Aus dem, was ich gesagt habe, werden Sie ohne Schwierigkeit ableiten, daß ich selbst auf dem Stand-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967 7261
Bundesminister Dr. Schröder
punkt stehe, daß das Problem nur über eine Begünstigung des Dienenden gelöst werden kann. Wir werden miteinander darüber sprechen müssen, in welcher Weise das am besten geschieht.
Dies, meine Damen und Herren, sind die wenigen Bemerkungen, die ich zum Schluß der Debatte machen möchte. Ich möchte Ihnen allen sehr herzlich dafür danken, daß Sie sich an dieser Diskussion beteiligt haben. Ich danke auch denjenigen, die ihre eigenen Wortmeldungen zurückgestellt haben. Ich habe einem der Beteiligten gesagt, aus Rücksicht auf das Ministerium, auf unsere Mitarbeiter hätte das nicht zu geschehen brauchen. Ich höre jeden einzelnen der Kollegen sehr gern und finde jeden einzelnen der Kollegen außerordentlich anregend in seinen Ausführungen. Daß die Geschäftsführer darüber anders denken, kann ich verstehen und will es ihnen auch nicht übelnehmen. Aber wir werden — das ist das Letzte, was ich dazu sagen möchte — jedes der angesprochenen Probleme weiter behandeln. Ich möchte dem Hohen Haus nur dafür danken, daß wir in dieser an sich sehr schwierigen, früher zum Teil mit viel stärkeren Emotionen als heute belasteten Frage einen so gemeinsamen Standpunkt eingenommen haben. Ich sehe das als einen guten Auftakt für die Lösung der Probleme an, die wir heute miteinander als noch nicht befriedigend gelöst ansehen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0514138700
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende dieser neuneinhalbstündigen Debatte über Verteidigungspolitik. Ich darf Ihnen vielleicht etwas zum Nachdenken mit in den Abend geben. Von den 91/2 Stunden waren gut 4 Stunden der Begründung der Großen Anfragen und der Antwort der Bundesregierung gewidmet. Als ich eben Herrn Präsidenten Gerstenmaier ablöste, sagte er, wir müssen die §§ 105 und 106 der Geschäftsordnung dahin gehend ändern, daß die Begründung und die Antwort auf die Großen Anfragen schriftlich vorweg geliefert werden und daß hier im Plenum gleich mit der Debatte begonnen wird. Änderungen dieser Art sind in unserem Haus sehr schwierig. Deshalb muß man darüber nachdenken. Das war der Zweck meiner Bemerkungen. Denken Sie mit mir darüber nach, ob das vielleicht eine bessere Form der Behandlung so großer Themen sein könnte.
Wir haben dann noch einige Vorlagen den Ausschüssen zu überwiesen. Zu der Großen Anfrage der Fraktion der FDP liegen drei Anträge der FDP vor, auf den Umdrucken 312 *), 313 **) und 314***). — Es besteht Einverständnis, daß sie dem Verteidigungsausschuß überwiesen werden? — Es ist so beschlossen.
Dann die Punkte 8 d) und 8 e) unserer Tagesordnung:
d) Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes
— Drucksache V/1741 —
e) Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betr. Ausrüstung der Bundeswehr
— Drucksache V/1990 —
Es besteht Einverständnis, beide Punkte an den Verteidigungsausschuß zu überweisen? — Es ist so beschlossen.
Wir sind am Ende dieser Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Freitag, den 8. Dezember, 9 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.