Rede von
Dr.
Franz Josef
Strauß
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren ! Auch wenn ich der Überzeugung bin, daß ohne meinen geplanten geringen Beitrag zu dieser Diskussion die kommende Entscheidung in wenigen Minuten genauso fallen würde, sehe ich mich angesichts der vorgetragenen Argumente doch veranlaßt, einige Bemerkungen zu machen.
Der Kollege Genscher hat die. Frage gestellt, welche Wachstumsverluste durch die Steuererhöhungen festzustellen seien. Ich glaube, Kollege Genscher hat sich schon der neuen von ihm ja immer als sozialistisch erklärten Wirtschaftspolitik weitgehend angeschlossen, wenn er die Quantifizierbarkeit der Wachstumsverluste durch Steuererhöhungen verlangt. Natürlich stehe ich zu dem, Herr Kollege Genscher, was ich in der Haushaltsrede gesagt habe. Man kann aber nicht immer, sei es aus Gutachten, sei es aus Reden, sei es aus anderen Dingen, jeweils das Argument, das einem gerade ins Konzept paßt, herausnehmen und alles andere, was nicht ins Konzept paßt, ignorieren und übergehen. Warum sage ich das? Wenn Sie heute das Wort „Wachstumsverluste" in den Mund nehmen — ich komme darauf noch zu sprechen —, dann darf ich bemerken, daß Sie immer dann, wenn die Bundesregierung von der Notwendigkeit eines wirtschaftlichen Wachstums sprach — wovon auch ich überzeugt bin, weil sich sonst unsere Sozialstruktur nicht aufrechterhalten läßt —, als warnende Propheten und Hüter der Währung aufgetreten sind und gesagt haben — ich zitiere Ihren Kollegen Ertl in einer seiner letzten Reden —: Uns liegt eben mehr an der Stabilität als am Wachstum. Umgekehrt aber, wenn die Regierung sagt: Hier muß um der Stabilität willen etwas getan werden, was nicht unbedingt wachstumsfördernd ist und sein kann, sagen Sie: Wieviel Wachstumsverluste erleiden wir durch die Stabilitätspolitik!
7192 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Dezember 1967
Bundesminister Dr. h. c. Strauß
Ich habe in meiner Haushaltsrede vor einigen Wochen expressis verbis erklärt, daß uns die Ausgangssituation unserer Finanzpolitik Ende 1966 gezwungen hat, zwei Ziele gleichzeitig nebeneinander zu verfolgen. Das eine war das langfristige Ziel der Konsolidierung der Bundesfinanzen, das andere war das kurzfristige Ziel eines antizyklischen Einsatzes der Finanzpolitik; d. h. das kurzfristige Ziel war, die Finanzpolitik als Mittel der Wirtschaftsbelebung, als Konjunkturbelebungsinstrument zu verwenden. Beide Ziele, das langfristige und das kurzfristige, mußten und müssen zum Teil auch heute gleichzeitig nebeneinander verfolgt werden. Es gibt nun nicht den leisesten Zweifel, daß Maßnahmen, die im Interesse des Ziels Nr. 1 erforderlich sind, nicht mit den Maßnahmen identisch sein können, die zur Verfolgung des Ziels Nr. 2 ebenfalls ergriffen werden müssen. Hier gibt es eben einen Zielkonflikt, bei dem man sich wieder ausschließlich für das eine, noch ausschließlich für das andere entscheiden kann.
Ich sage jetzt ein Wort, das ich selbstverständlich nur als fiktive Hypothese verstanden wissen will, schon damit es keinerlei besorgniserregenden Charakter gewinnt. Man könnte es allein auf Stabilität anlegen. Stabilität der Währung läßt sich durch eine deflatorische Politik sehr schnell erzielen. Wir würden nicht nur Preisstabilität bekommen. Wir könnten durch eine deflatorische Politik sogar einen gewissen Rückgang des Preisniveaus erzielen. Aber, meine Damen und Herren, um welchen Preis!
Der Preis wäre politisch nie zu bezahlen. Dahinter steht doch soziale Demontage, dahinter steht politische Radikalisierung, und dahinter steht der Untergang der parlamentarischen Demokratie, wenn ich
es einmal sehr deutlich sagen darf.
Wir haben großen Wert darauf gelegt, die ohne Zweifel aus einer Reihe von Gründen eingetretenen deflatorischen Effekte durch Verstärkung der öffentlichen Nachfrage, durch eine expansive Finanzpolitik im zweiten Teil des Programms zu kompensieren.
Ich bin deshalb auch nicht der Meinung — obwohl' das sozusagen nicht auf meinem Tisch liegt —, daß der niedrigste Preis in jedem Fall der beste ist. Aber über die Frage des „justum pretium", des gerechten Preises, sollte an anderer Stelle und bei anderer Gelegenheit gesprochen werden. Es muß ein Preis erzielt werden, der die Kosten deckt und noch so viel Gewinn und Erträge abwirft, daß daraus die Investitionen bestritten werden können. Ich glaube, darüber brauchen wir uns nicht zu unterhalten.
Aber warum konnte die Finanzpolitik nicht rein antizyklisch, nicht so betrieben werden, wie Sie, Herr Kollege Genscher, es in teilweiser Übereinstimmung mit dem Sachverständigengutachten gesagt haben — aus dem Sie ja auch die Rosinen selektiv für sich herauspicken, wobei ich Ihnen gar nicht unterstellen will, daß Sie das andere aus Zeitmangel noch nicht gelesen haben — ?
Ich habe mich schon mehrmals bei anderen Gelegenheiten, auch vor dem Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesminister der Finanzen, sehr deutlich dazu geäußert. Ein rein antizyklischer Einsatz der Finanzpolitik setzt erstens eine aufgeklärte und rational reagierende Öffentlichkeit voraus, die wir noch nicht in dem Umfang erreicht haben, wie wir es wünschen.
Sie setzt zweitens sozusagen eine normale Ausgangsposition voraus. Bei einer normalen Ausgangsposition ohne Deroutierung der Finanzen nach dieser oder jener Seite kann das langfristige Ziel der Konsolidierung der Finanzen natürlich entfallen, weil sie dann ja konsolidiert wären, was sie aber, wie ich leider sagen muß, nicht waren. Dann kann das kurzfristige Ziel eines rein antizyklischen Einsatzes sozusagen als alleiniges Ziel der Finanzpolitik verwendet werden.
Es ist nicht nur unser Wunsch, Herr Kollege Genscher, sondern auch unser Ziel und unsere erklärte Absicht, deren Erfüllung wir sozusagen schrittweise verwirklichen, zu der Normallinie der Finanzpolitik zu kommen, bei der es das Problem der langfristigen Konsolidierung nicht mehr gibt, weil die Struktur des Haushalts jedenfalls über mehrere Jahre hinweg etwa ein Gleichgewicht der Einnahmen und der Ausgaben ergibt. Dabei meine ich mit „Einnahmen" selbstverständlich nicht nur ordentliche Einnahmen; denn über die Betrachtung, daß ein Haushalt nicht ausgeglichen sei, wenn die ordentlichen Einnahmen nicht etwa gleich den Ausgaben seien, sind wir schon längst hinaus. Die öffentliche Finanzierung mit Krediten ist heute eine normale Einnahmefinanzierung, bei der es nicht um die Frage geht, ob dieses Mittel richtig ist oder nicht, sondern bei der es nur darum geht, bis zu welcher Grenze diese Kreditfinanzierung ohne Gefahr betrieben werden kann.
So darf man auch die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung — ich sage das, gleichgültig, wer sich davon betroffen fühlt — nicht auseinanderlegen in süße und in bittere Tropfen; die süßen Tropfen, das sind die Konjunkturhaushalte, die konjunkturbelebenden, wirtschaftsfördernden Maßnahmen,
— Entlastung der Altvorräte, Abbau der Investitionssteuer oder besser: Verzicht auf sie usw.; und dann kommen die bitteren Tropfen, das ist die Investitionssteuer, das ist die Mehrwertsteuer bzw. ihre Erhöhung, das ist die Ergänzungsabgabe, das ist die Erhöhung einiger Verbrauchsteuern.
Die süßen Tropfen dienen der Konjunkturbelebung, und die bitteren Tropfen dienen sozusagen der Stabilisierung.
Es ist einfach notwendig — ich möchte sagen: unerläßlich —, hier die Gesamtheit der von der
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Bundesminister Dr. h. c. Strauß
Bundesregierung ergriffenen und von der parlamentarischen Mehrheit — ich darf wohl sagen: mit geringen Änderungen — unterstützten Maßnahmen als ein in sich geschlossenes System zu sehen, bei dem es sowohl die langfristigen Erwägungen wie die kurzfristigen Zielsetzungen gibt und bei dem es auch politische Überlegungen gibt, die nicht immer hundertprozentig mit den Erfordernissen der von wissenschaftlicher Ratio vorgetragenen Überlegungen übereinstimmen.
Das ist kein Angriff gegen die Wissenschaft, die unabhängig von politischen Erwägungen — Mehrheitsmöglichkeiten — ihre Meinung bilden soll. Es ist aber auch nicht die Aufgabe der Politik, Vorschläge der Wissenschaft, so, wie sie kommen, zu übernehmen und durch Handaufheben im Parlament in die politische Wirklichkeit umzusetzen.
Wenn dem so wäre, könnten wir eigentlich alle unsere Zeit viel besser verwenden.
Dann würde man mit Hilfe des menschlichen Sachverstandes und mit technischem Einsatz optimale Lösungen erarbeiten, die man dann am besten gleich ohne Parlament durch Verkündung im Bundesgesetzblatt für allgemeinverbindlich erklären würde.
Sie werden, glaube ich, die Ironie bei diesen Ausführungen erkennen. Darum müssen wir die Dinge in ihrer Gesamtheit sehen.
Herr Kollege Genscher, Sie sprachen davon, daß ein Regierungsamt neue Einsichten vermittle. Ich habe mich im Herbst letzten Jahres bei den Koalitionsgesprächen, aber auch schon vorher im Kreis der Vorstandschaft der Fraktion der CDU/CSU gegen eine Absichtserklärung des damaligen Bundeskanzlers ausgesprochen, die Ergänzungsabgabe schlechthin in einer Größenordnung von 5 bis 10 % einzuführen. So war damals die nicht genau formulierte Absichterklärung. Ich war damals der Meinung, daß angesichts der von den Propheten in jener Phase in ihrer Tragweite noch nicht erkannten Rezession und trotz der Notwendigkeit der Konsolidierung der Bundesfinanzen, die nicht verkannt worden ist und auch heute nicht verkannt werden darf, eine Erhöhung der direkten Steuern nicht erfolgen dürfe. Wenn Steuererhöhungen notwendig seien, sollte man eine maßvolle Erhöhung der indirekten Steuern — einiger Verbrauchsteuern — vornehmen.
War es denn nicht so, Herr Kollege Dahlgrün, daß man Ihnen bei Ihren Bemühungen um die Konsolidierung der Bundesfinanzen schon in der eigenen politischen Familie — um mich sehr höflich und freundlich auszudrücken — die allergrößten Schwierigkeiten gemacht hat? War es denn nicht so, daß, als Sie mit Vorstellungen kamen, die Sparförderung, die allmählich in die Milliarden geht — Steuerverluste und Prämiengewährung —, einzuschränken, aus den Reihen Ihrer eigenen Fraktion der schärfste Gegenwind kam und Sie den Rückzug
antreten mußten? War es denn nicht so, daß damals --
- Das Steueränderungsgesetz 1966, das diesem
Parlament vorlag, ist nur zum Teil verabschiedet worden. Angesichts der Vordringlichkeit anderer Aufgaben, die wir in der Zwischenzeit auf uns genommen haben, bin ich der Auffassung, daß man die nicht erledigten Teile des Steueränderungsgesetzes 1966 jetzt nicht mehr im nächsten Jahr behandeln soll, sondern das Ganze im Zusammenhang mit der Einkommensteuerreform — mag sie aussehen wie auch immer — behandelt werden sollte. Denn ich bin gegen detaillierte Änderungen
— ich habe mich im Finanzausschuß des öfteren in diesem Sinne ausgesprochen — des Einkommensteuerrechtes.
Aber ich meine nur, daß Herr Kollege Dahlgrün damals, ich darf sagen, möglicherweise den Versuch unternommen hat, die Bundesfinanzen zu konsolidieren und das Wachstum gewisser Ausgabenblöcke zu beschneiden. Dadurch kam er in die größten Schwierigkeiten.
Warum sind denn heute die Fronten anders? Wir hatten doch damals festgelegt: Konsolidierung der Bundesfinanzen erstens durch Kürzung von Ausgaben, zweitens durch Beseitigung von unsichtbaren Finanzhilfen und drittens — wenn unvermeidbar — durch geringe Anhebung indirekter Steuern. So lautete damals der einstimmig gefaßte Kabinettsbeschluß. Er hatte nur einen Nachteil: er hätte nie der Öffentlichkeit bekanntwerden dürfen. Denn sobald er bekannt wurde, hat die FOP den Rückzug aus dem Kabinett angetreten. Es kamen die Protesttelegramme — damals, vor den beiden Landtagswahlen — aus allen Ländern. Die Minister wurden zurückgezogen, und so wurde die Krise flagrant.
— Ich glaube, daß ich eher in der Lage wäre, den Nachweis dafür zu führen, als Sie den für Ihre Behauptung.
Man hat manchmal so einen Instinkt.
Als das Kabinett Erhard diesen notwendigen Beschluß faßte, war die Meinung — nicht nur bei uns —: wenn dieser Beschluß in der Öffentlichkeit bekannt wird, kommt die FDP, so klein sie ist, in die schwerste innere Verdrückung. Sie wird dann ihre Minister unter Druck setzen, sich aus dem Kabinett zurückzuziehen. Denn wenn man so strukturiert ist wie Sie, kann man es sich nicht leisten, vor die Öffentlichkeit hinzutreten und zu sagen: „Wir haben gesagt ,Keine Steuererhöhungen', jetzt sind wir leider wieder umgefallen, also doch Steuererhöhungen." Genau das ist doch der Grund.
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Bundesminister Dr. h. c. Strauß
Frau Kollegin Kurlbaum-Beyer hat
— sofort Herr Genscher, darf ich nur noch den Satz zu Ende führen! — von der Bestandsaufnahme gesprochen. Ich darf auch sagen, daß ich anläßlich der Koalitionsgespräche zum ersten Mal die volle Wahrheit über den Zustand der Bundesfinanzen kennengelernt habe wie Sie, auch deshalb, weil ich vorher nicht mit den Einzelheiten befaßt war und die Informationen nicht automatisch erhielt. Aber ich weiß, daß der neue Koalitionspartner sagte: Ja, wenn das so ist — wobei die Zahlen noch von Ihnen stammten und dann von Herrn Schmücker vorgelegt wurden, aber es war ja ein und dieselbe Arbeit —, wenn das so ist, dann können wir unser absolutes Nein gegen alle Steuererhöhungen nicht mehr aufrechterhalten. Das war, auf eine kurze Formel gebracht, damals die Haltung der SPD. Deshalb haben wir uns dann in den Koalitionsgesprächen darauf geeinigt, einige der vorgeschlagenen Steuererhöhungen zu streichen und einige — es waren dann hauptsächlich die Erhöhung der Tabaksteuer, der Mineralölsteuer, die Verkürzung der Zahlungsfristen usw. — zur Konsolidierung der Bundesfinanzen als ersten großen Schritt auch tatsächlich durchzusetzen. Ich glaube, ich habe den Ablauf der damaligen Gespräche, Frau Kollegin Beyer und die Teilnehmer des damaligen Gesprächs, in der Substanz ziemlich genau wiedergegeben. —
Herr Kollege Genscher!