Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung spreche ich Glückwünsche zu Geburtstagen aus: zum 70. Geburtstag — am 7. Dezember — Herrn Kollegen Dr. Willeke,
zum 60. Geburtstag — am 10. Dezember — Herrn Kollegen Even ,
zum 74. Geburtstag Herrn Kollegen Wittmer-Eigenbrodt,
und heute feiert seinen 76. Geburtstag Herr Kollege Nieberg.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister der Justiz hat unter dem 6. Dezember 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. DiemerNicolaus, Frau Dr. Flitz , Frau Funcke (Hagen), Frau Dr. Kiep-Altenloh und Genossen betr. Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den UN-Konventionen über die politischen Rechte der Frauen und über Nationalität der verheirateten Frauen — Drucksache IV/1616 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1736 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 3. Dezember 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Frey , von Bodelschwingh. Dr. Even (Düsseldorf) und Genossen betr. Rauchschaden an Wäldern — Drucksache IV/1630 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1740 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat unter dem 2. Dezember 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Zimmer, Frau Hubert und Genossen betr. Haushalt des Europarates — Drucksache IV/1644 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1741 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Justiz hat unter dem 3. Dezember 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Wahl, Bauer , Dr. Stammberger und Genossen betr. Haager Übereinkommen über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht — Drucksache IV/1642 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1745 verteilt.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung des Rates, in der gemeinsame Grundsätze und ein gemeinschaftliches Verfahren für den handelspolitischen Schutz der EWG gegenüber anomalen Praktiken von Drittländern festgelegt werden
- Drucksache IV/1739 —
an den Außenhandelsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 22. Januar 1964
Verordnung des Rates über die Einzelheiten der Anwendung
des Statuts der Beamten und der Beschäftigungsbedingungen
für die sonstigen Bediensteten auf das Personal des Kontrollausschusses
— Drucksache IV/1738 —
an den Ausschuß für Inneres mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 13. Dezember 1963.
Der Präsident des Bundestages hat gemäß § 96 a GO die Dreiunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963
— Drucksache IV/1715 —
dem Außenhandelsausschuß mit der Bitte um fristgemäße Behandlung überwiesen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich das Wort der Geschäftsordnung, und zwar zur Tagesordnung, dem Herrn Abgeordneten Dr. Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner Fraktion beantrage ich, den Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts — Drucksache IV/1714 — auf die Tagesordnung zu setzen.
Die Mehrheit unseres Haushaltsausschusses hat § 60 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung arg strapaziert und sich eine Lücke in der Geschäftsordnung über Rechte und Pflichten mitberatender Ausschüsse zunutze gemacht,
um zu verhindern, daß der Beschluß eines federführenden Ausschusses, des Kriegsopferausschusses,
uns in dieser Woche zur zweiten und dritten Beratung zugeleitet werden konnte. Diese Blockierung hat die sozialdemokratische Bundestagsfraktion gezwungen, sich des Wortlauts zu bemächtigen, mit dem der Kriegsopferausschuß die Neuregelung der Kriegsopferrenten beschlossen hat. Wir legen Ihnen diesen Beschluß, den Sie, meine Damen und Herren, mit gefaßt haben, hier wortwörtlich vor, und wir wollen Ihnen durch die Beratung dieses Textes die Gelegenheit geben, sich zu besinnen, die angeblichen Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen und noch in dieser Woche das neue Kriegsopferrecht zu verabschieden.
Der Haushaltsausschuß stand unter einem Druck und unter dem Trommelfeuer der Propaganda der Bundesregierung.
4662 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Mommer
Unter diesem Druck und unter dem Trommelfeuer der Propaganda
hat er mit einem Vertagungsbeschluß, mit einem Verfahrensbeschluß die Verwirklichung der Verbesserung noch in diesem Jahre verhindert.
Meine Damen und Herren! Jeder in diesem Hause weiß, daß es um eines hier ganz sicher nicht geht — und mögen Sie es noch so oft behaupten. Es geht nicht darum, das Volumen des Haushalts 1964 auszuweiten. Die Sozialdemokratie wiederholt hier: Wir akzeptieren den Plafonds von 60,3 Milliarden DM. Es geht darum, innerhalb dieser Summe Umschichtungen vorzunehmen,
um dadurch die Deckung für die Mehrausgaben zu beschaffen.
Ich stelle fest: in dem Entwurf des Haushalts 1964 sind 648 Millionen DM für die Verbesserung der Leistungen eingesetzt. Nach Berechnung der Bundesregierung würden zur vollen Verwirklichung der Beschlüsse des Kriegsopferausschusses weitere 642 Millionen DM im Jahre 1964 benötigt.
Das ist eine wahrscheinlich zu hoch gegriffene Zahl; sie ist auch viel höher als die Zahl, die der Herr Bundesfinanzminister gestern in der Öffentlichkeit genannt hat. Aber um Streit zu vermeiden, unterstellen wir diese Zahl als richtig. Dieser Betrag soll also durch Umschichtung und nicht durch Erhöhung des Haushaltsvolumens aufgebracht werden.
— Die kommen; nur Geduld!
Auch die Mehrheit im Haushaltsausschuß hat den materiellen Gehalt der Beschlüsse des Fachausschusses akzeptiert; sie behauptete aber, es sei erst in der zweiten Januarhälfte möglich, den Haushalt des näheren nach Einsparungsmöglichkeiten zu untersuchen.
Ich sage da: wo kein Wille ist, da ist natürlich auch kein Weg.
Holen wir doch einmal diese Zahl herunter in das allgemein menschliche Vorstellungsvermögen; was heißt das dann? Meine Damen und Herren, wenn in einem Haushalt von 60 300 Millionen DM 642 Millionen DM durch Umdispositionen bereitgestellt werden sollen, dann ist das das gleiche Verhältnis, wie wenn eine Hausfrau, die einen Monatsetat von 603 DM hat, jetzt etwa infolge von Preissteigerungen, die Sie ihr auferlegen,
für 6,42 DM umdisponieren soll.
— Das ist genau dasselbe Verhältnis! Und jeden
Monat zwingen Sie unsere Hausfrauen, die Lösung
eines solchen Rechenexemples zu finden. Uns wollen Sie glauben machen, daß es den Experten im Haushaltsausschuß nicht möglich sei, solche Umschichtungen vorzunehmen!
Der wirkliche Grund dafür, daß Sie sich jetzt nicht in der Lage sehen, für Deckung zu sorgen, liegt natürlich darin, daß Sie hier sparen und ein Exempel von der Unbeugsamkeit des neuen Bundeskanzlers statuieren wollen. Das ist der wirkliche Grund Ihres Verhaltens. Angesichts des Nichtwollens helfen auch die Beweise nicht, die die Sozialdemokraten im Haushaltsausschuß für die Deckungsmöglichkeiten schon vorgelegt haben. Allein zwei Quellen — hören Sie! — würden genügen, um die Deckung mehr als sicherzustellen. Da ist erstens die Möglichkeit gegeben, von den Zuschüssen zur Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten in Höhe von 5,4 Milliarden DM statt der jetzt vorgesehenen 500 Millionen DM in Gestalt von Schuldbuchforderungen den Versicherungsträgern eine weitere halbe Milliarde in dieser Form zuzuteilen.
Da ist zweitens die Möglichkeit, daß das dem Bund für das Jahr 1964 zustehende Darlehen in Höhe von 280 Millionen DM von der Volkswagenwerkstiftung in den Haushaltsplan 1964 eingestellt wird. Wer Deckung finden will, der findet sie. Wer aber verzögern und auf Kosten der Kriegsopfer am falschen Ende sparen will,
der findet schon ein Mittel, um den Stufenplan, den Sie theoretisch ablehnen, in der Praxis doch durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, hier ist die Gelegenheit, der Kriegsopferversorgung den Rang zugeben, den Sie ihr alle in Ihren Reden feierlich zuerkennen.
Hier geht es darum, die feierlichen Wahl-, Regierungs- und Fraktionsversprechungen zu erfüllen und vor dem Volke glaubwürdig zu bleiben. Hier geht es um die Souveränität und die Würde des Bundestages als Herr über Haushalt und Gesetzgebung.
Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Im Namen der Fraktion der CDU/CSU lehne ich den Antrag ,der sozialdemokratischen Fraktion ab. Für die Fraktion der CDU/CSU ist die schnelle und würdige Anhebung der Kriegsopferrenten eine dringliche Frage,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4663
Dr. Barzel
eine Frage mit Vorrang vor anderen, auch eine Frage des 'Rechtes. Ich weiß, daß ,der Herr Bundeskanzler ebenso denkt und dieser Priorität auch im Haushaltsansatz für 1964 Ausdruck gegeben hat.
In einem versöhnlichen Telegramm an die Kriegsblinden hat der Bundeskanzler betont, das Parlament .habe noch nicht entschieden, und er hat das gute Wort gesagt, wir müßten den Weg zueinander finden.
Das gilt nicht nur nach draußen, das gilt auch hier im Hause. Wir sollten uns 'bemühen, wieder eine einvernehmliche Lösung zu erreichen.
Wir suchen noch danach — und das hat im Haushaltsausschuß bereits begonnen —, was innerhalb der 60,3 Milliarden DM, zu denen Sie sich soeben auch bekannt haben, für 1964 möglich ist. Wir suchen noch nach Deckung für eine würdige Erhöhung der Kriegsopferrenten zum frühest möglichen Termin.
Der Haushaltsausschuß wird und soll im Januar hier Klarheit schaffen. Noch aber wissen wir weder, wieviel Geld der Bund für das Jahr 1963 durch den Länderbeitrag zur Verfügung haben wird,
noch, wieviel für 1964, noch haben wir den Haushaltsplan 1964 hier vorliegen. Der Vermittlungsausschuß, einberufen durch den Kollegen Zinn, tagt erst am 18. Dezember. Die sachlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung heute sind nicht gegeben.
Wenn wir zugleich ja sagen zum Vorrang der Kriegsopferversorgung wie auch ja zur finanziellen Stabilität, wenn wir also unseren Blick auf das Mögliche richten, so tun wir das, weil wir wissen, daß die Bereitstellung der fast 50 Milliarden DM, die wir bisher für die Kriegsopferversorgung haben ausgeben dürfen, nur möglich War wegen unserer Politik der sozialen Marktwirtschaft und der finanziellen Stabilität.
Nur wenn wir das erhalten, werden wir auch künftig, wie bisher, die Sozialleistungen nicht nur anheben, sondern real verbessern können. Gerade dem kleinen Mann dient die stabile Mark.
Wir werden, meine Damen, meine Herren, das alles nur erhalten, wenn wir in sachlicher Atmosphäre klären, wo Kürzungen innerhalb des Haushalts möglich sind. Auch bei dieser Frage haben wir an alle, haben wir an das Ganze zu denken. Zusätzliche Mittel hier erfordern Kürzung an anderer Stelle, und
das will wohl überlegt sein im zuständigen AusSchuß.
Meine Damen und Herren, niemand kann uns, und zwar uns gemeinsam, diese Verantwortung abnehmen. Wer an morgen denkt, muß sich heute so verhalten, daß wir auch morgen noch den Rentnern und allen gutes deutsches Geld geben können. .
Wir lehnen den Antrag auch ab, weil er der bisherigen Übung unseres Bundestages widerspricht. Zum erstenmal wird eine Ausschußvorlage als Antrag einer Fraktion eingebracht, und das, obwohl die Ausschüsse, denen die Vorlage überwiesen war und denen wir doch auch Ihren Antrag jetzt, wenn wir ihn annähmen, erst noch überweisen müßten — er müßte ja an derselben Stelle landen —, ihre Beratungen noch nicht haben abschließen können.
Wir stellen auch fest — das hat Herr Kollege Mommer auch getan —, daß der Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion sehr deutlich die Handschrift unserer Kollegin Frau Dr. Probst im Ausschuß trägt.
Meine Damen und Herren! Wir sagen nein zu Ihrem Antrag, weil er nicht hilft, dringliche Gemeinschaftsaufgaben gemeinsam zu lösen, sondern unnötig neue Fronten schafft.
Wir sagen nein, weil wir in ruhiger Überlegung im Januar das mögliche Beste finden wollen.
Wir sind in der glücklichen Lage, unsere positive Einstellung zur Kriegsgeneration und zum Soldatentum nicht erst noch unter Beweis stellen zu müssen.
Wir haben das in Wort und Tat seit 1945 getan. Und wir werden es weiter tun!
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Zoglmann.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Wenn ich ein Wort des Kollegen Barzel aufgreifen darf, dann möchte ich sagen: Sie werden doch hoffentlich von uns nicht erwarten, daß wir unser Eintreten für die Kriegsgeneration in diesem Haus unter Beweis stellen sollen. Wir haben das immer getan, und das, was ich hier auszuführen habe, wird sich im Rahmen dessen bewegen.
Die Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei bekräftigt deshalb ihre Auffassung von der Vordringlichkeit der Kriegsfolgengesetzgebung, insbesondere der Kriegsopfergesetzgebung. Die vor uns liegenden sozialpolitischen, gesellschaftspolitischen und wirtschaftspolitischen Auf-
4664 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Zoglmann
gaben sind untrennbar miteinander verbunden. Sie können nur dann bewältigt werden, wenn alle Beteiligten ihren Zusammenhang erkennen. Das setzt eine gemeinsame Arbeit von Regierung und Parlament in sachlicher und nüchterner Atmosphäre voraus.
Die Freien Demokraten bedauern deshalb, daß die Rechtsansprüche der Kriegsopfer zum Gegenstand von Auseinandersetzungen und wahltaktischen Erwägungen geworden sind.
Der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, heute in erster Lesung eine Gesetzesinitiative zur Kriegsopferversorgung im Bundestag zu beraten, ist geeignet, die Öffentlichkeit irrezuführen.
Auch dieser Entwurf der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei muß nach § 96 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ebenso wie der bereits verabschiedete Antrag im Kriegsopferausschuß beraten
und dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. Erst dann kann er vom Bundestag und vom Bundesrat verabschiedet werden.
Die Antragsteller können sich nicht darüber im Unklaren sein, lieber Kollege Mommer, daß das in den noch verbleibenden Wochen in diesem Jahr nicht mehr möglich ist.
— Ich komme sofort darauf zurück, Herr Kollege Wehner.
Deshalb bittet die Fraktion der Freien Demokratischen Partei das Hohe Haus um eine nüchterne Betrachtung der gegebenen Möglichkeiten.
Wir unterstützen die Politik der Bundesregierung zur Stabilerhaltung unserer Währung. Diese Politik dient allen Schichten unseres Volkes. Die FDP wird deshalb dafür sorgen, daß sich das Haushaltsvolumen mit 60,3 Milliarden DM im Rahmen des Zuwachses des Sozialprodukts hält.
Zur Verbesserung der Kriegsopferversorgung wird die FDP im Haushaltsausschuß durch Einsparungen an anderer Stelle im Haushalt 1964 die notwendigen zusätzlichen Mittel nachweisen und entsprechende Vorschläge ihrerseits unterbreiten.
Diese Vorschläge werden es nach Überzeugung der
Freien Demokraten allen Fraktionen dieses Hauses
möglich machen, das Inkrafttreten der Novelle zur Kriegsopferversorgung
mit dem Beginn des neuen Haushaltsjahres
am 1. Januar wirksam werden zu lassen.
— Herr Kollege Wehner, hier ist von der CDU klar gesagt worden, sie wünscht, daß die Kriegsopfernovelle so bald wie möglich in Kraft tritt.
— Herr Leber, wenn jemand in dieser Frage nicht umgefallen ist, dann ist es die FDP.
Aber wir wollen dieses Wort aus der Betrachtung herauslassen.
— Die CDU wünscht — sie hat es hier erklärt, und wir wollen uns an das halten, was hier erklärt worden ist — das Inkrafttreten so bald wie möglich.
Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion ist selbstverständlich für das Inkrafttreten am 1. Oktober,
aber sie setzt den 1. Januar — nehmen Sie das als ein Wort, meine sehr verehrten Kollegen von der SPD! — als den spätestmöglichen Termin der Verabschiedung dieser Novelle. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis!
Eine weitere Verzögerung wird die FDP auf keinen Fall mitmachen.
— Wir werden das ja alles mit Ihnen dann im Januar erleben. Jedenfalls muß dieser heutige Antrag, der nach unserem Dafürhalten eindeutig aus Überlegungen gestellt ist, die hier im Hause nicht akzeptiert werden können, von uns abgelehnt werden.
Herr Abgeordneter Zoglmann, Sie haben gesagt: „der Verabschiedung dieser Novelle", — dann müßte das Haus sich heute damit befassen.
Sie meinen: „des Inkrafttretens". Das nur zur Klarstellung vor der Abstimmung.
Meine Damen und Herren, wir stimmen ab über den Antrag der Fraktion der SPD, den Gesetzentwurf Drucksache IV/1714, die Ihnen vorliegt, heute
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4665
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
auf die Tagesordnung zu setzen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! —
Enthaltung? — Der Antrag ist abgelehnt.
Zu der in der Fragestunde der 98. Sitzung des Deutschen Bundestages am 4. Dezember 1963 gestellten Frage des Abgeordneten Ertl Nr. I ist inzwischen die schriftliche Antwort des Herrn Staatssekretärs Dr. Schäfer vom 6. Dezember 1963 eingegangen. Sie lautet:
Nach Auffassung der Bundesregierung sollte aus Sicherheitsgründen im Regelfall vermieden werden, daß mehrere Persönlichkeiten in politischen Spitzenstellungen dasselbe Flugzeug benutzen.
Bei der Reise des Herrn Bundespräsidenten und der ihn begleitenden Delegation zu den Trauerfeierlichkeiten in Washington mußte von diesem Grundsatz abgewichen werden, weil diese Reise unter Zeitdruck stand und nur eine Maschine bereitgestellt werden konnte, die zusätzlich zu den Sicherheitsmaßnahmen der Fluggesellschaft einer besonderen kriminalpolizeilichen Sicherheitskontrolle unterzogen worden war.
Die Bundesregierung wird darum besorgt sein, den eingangs genannten Sicherheitsvorstellungen in dem höchst erreichbaren und vertretbaren Maße Rechnung zu tragen.
Zu den in der Fragestunde der 99. Sitzung des Deutschen Bundestages am 5. Dezember 1963 gestellten Fragen des Abgeordneten Dr. Wuermeling Nrn. XII/4, XII/5 und XII/6 ist inzwischen die schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Blank vom 6. Dezember 1963 eingegangen. Sie lautet:
Frage 1:
Es trifft zu, daß im Dezember Weihnachtsgeld an Bundesbeamte gezahlt wird. Zu welchem Zeitpunkt Leistungsverbesserungen auf den Gebieten des Kindergeldes und der Kriegsopferversorgung in Kraft treten werden, hängt von der Entscheidung des Parlaments ab.
Frage 2:
Die Bundesregierung hält an den Grundsätzen der Regierungserklärung vom 18. 10. 1963 fest. Sie hofft, daß der Bundestag ihr ermöglichen wird, diese Grundsätze zu verwirklichen.
Frage 3:
Die Bundesregierung hat im Haushaltsplan 1964 Mittel für die Verbesserung der Kindergeldleistungen eingesetzt. Sie ist dabei davon ausgegangen, daß das dem Bundestag vorliegende Bundeskindergeldgesetz am 1. 4. 1964 in Kraft tritt.
Wir kommen zur Tagesordnung. Ich rufe auf die Fragestunde
— Meine Damen und Herren, ich bitte, Platz zu nehmen. — Wir setzen die Sitzung fort, aber ich unterbreche unverzüglich, wenn Sie nicht Platz nehmen.
Ich bitte die Türen zu schließen. Herr Abgeordneter Struve, nehmen Sie bitte Platz.
Ich rufe in der Fragestunde die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf, zunächst die Frage I/1 — des Herrn Abgeordneten Seibert —:
Hat der deutsche Regierungsvertreter anläßlich der III. Wirtschaftskonferenz der Rhein-Zentralkommission der ablehnenden Haltung dieser Konferenz gegenüber der Einführung von Margentarifen für die Rheinschiffahrt mit ausdrücklicher Billigung der Bundesregierung zugestimmt?
Bitte, Herr Bundesverkehrsminister!
Herr Präsident, ich darf wohl die Fragen des Herrn Abgeordneten Seibert, die den gleichen Fragenkomplex betreffen, zusammen beantworten, wenn Herr Kollege Seibert damit einverstanden ist.
Bitte sehr. Ich rufe dann noch auf die Fragen I/2 und I/3 — des Herrn Abgeordneten Seibert —:
Ist aus der erst neuerdings feststellbaren Ablehnung der tarifarischen Vorschläge der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine gemeinsame Verkehrspolitik durch die Bundesregierung zu folgern, daß die Bundesregierung andere konkrete Vorschläge für die künftige Tarifpolitik zu unterbreiten gedenkt?
Wäre nicht mit erheblichen weiteren Schwierigkeiten bei einer Angleichung der Wettbewerbsbedingungen im nationalen und internationalen Rahmen zu rechnen, wenn für die verschiedenen Verkehrsträger mit der Einführung von Margentarifen einerseits und der Zustimmung zu einer freien Preisbildung für die Rheinschiffahrt andererseits derart unterschiedliche Möglichkeiten für die Festsetzung von Tarifen geschaffen würden?
Bitte, Herr Minister.
Zu den fünf Vorschlägen der EWG-Kommission vom 20. Mai 1963 zur Verwirklichung der künftigen gemeinsamen Verkehrspolitik der Gemeinschaft liegt bisher weder eine abschließende Stellungnahme der Bundesregierung noch eine Entscheidung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vor. Ich habe aber als Bundesminister für Verkehr wiederholt die Vorschläge der Kommission als grundsätzlich annehmbar bezeichnet, natürlich dazu auch noch Einwände vorgetragen, die sich vor allem auf die meines Ermessens notwendige rechtzeitige Angleichung der Wettbewerbsbedingungen beziehen. Insbesondere habe ich wiederholt öffentlich darauf hingewiesen, daß die Einführung von Margentarifen im grenzüberschreitenden Verkehr zwingend auch die Einführung von Margentarifen für die drei Verkehrsträger im Binnenverkehr nach sich ziehen wird und daß die Rheinschiffahrt im Gemeinsamen Markt keine isolierte Tarifinsel bilden kann. Solange über die Vorschläge der Kommission auf Grund der Vorschriften der Artikels 75 des Römischen Vertrages und gemäß den Verfahrensvorschriften dieses Vertrages verhandelt wird und sich die Bundesregierung dazu noch nicht verbindlich erklärt hat, verbietet sich selbstverständlich jede ablehnende Stellungnahme einzelner der Regierung angehöriger Vertreter.
Nach der Veröffentlichung der Vorschläge hat nicht nur innerhalb der interessierten Kreise, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit eine lebhafte Diskussion über deren Inhalt und die Möglichkeiten einer Verwirklichung eingesetzt. Es sind uns eine Reihe von Stellungnahmen zustimmender, ablehnender und einschränkender Art bekannt geworden. Die Zentralkommission in Straßburg, die auf dem Wege eines vereinbarten Dokumentenaustauschs die Vorschläge der Kommission unmittelbar erhielt, hat nach Abtrennung der Rechtsfragen, die der Beratung durch die Kommission vorbehalten wurden, ihr im Jahre 1951 konstituiertes Beratungsgremium, die sogenannte Wirtschaftskonferenz der Rheinschiffahrt, um eine Äußerung zu den Auswirkungen ersucht, die die Durchführung der Vor-
4666 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm
schläge der Kommission in Brüssel auf die Rheinschiffahrt haben können.
In einer ersten Sitzung am 5. und 6. November 1963 sind durch das Rheinschiffahrtsgewerbe einige negative Feststellungen zu verschiedenen Punkten der fünf Vorschläge, soweit diese die Rheinschifffahrt betreffen, unter besonderer Berücksichtigung des Vorschlages zur Einführung der Margentarife und zur Verwirklichung der Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen getroffen worden. Diese Bedenken erklären sich aus der Problematik, die sich aus dem inneren Wettbewerb in der Binnenschiffahrt ergibt. Sie gründen sich auch darauf, daß für den bisher durch Tariffestsetzungen nicht reglementierten internationalen Rheinverkehr besonderer Wert auf eine materielle Gleichbehandlung der Verkehrsträger im Rahmen der gemeinsamen Verkehrspolitik gelegt werden muß. Die als Beobachter in der Wirtschaftskonferenz anwesenden Regierungsvertreter aller Rheinuferstaaten und Belgiens haben diese wirtschaftlichen Feststellungen in Kenntnis der Zusammenhänge für richtig gehalten, dabei aber aus den eingangs erwähnten Gründen einer Ablehnung der EWG-Vorschläge durch diese Wirtschaftskonferenz widersprochen.
Auch die Zentralkommission selbst hat sich in einer darauf folgenden Sitzung am 20./21. November noch nicht in der Lage gesehen, sich zu diesen Feststellungen der Wirtschaftskonferenz verbindlich zu äußern, solange diese nicht von konstruktiven Beiträgen des internationalen Rheinschiffahrtsgewerbes für die weiteren Verhandlungen begleitet sind.
Auf die von Ihnen hervorgehobene notwendige Angleichung der Wettbewerbsbedingungen haben die Vertreter der Rheinschiffahrt gleichfalls aufmerksam gemacht. Auch über diese Frage wird innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bekanntlich weiter verhandelt.
Ich rufe die Frage I/4 — des Herrn Abgeordneten Cramer — auf :
Treffen Zeitungsmeldungen zu, wonach die Mittel zum Ausbau des Küstenkanals auf der Strecke Kampe—Dörpen auf 3,50 m Tiefe auch für 1964 gestrichen sind?
Herr Kollege, der Ausbau des Küstenkanals ist in dem zweiten Vierjahresprogramm über Investitionen der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung mit insgesamt 52 Millionen DM enthalten, von denen 23 Millionen DM auf den Ausbau der Weststrecke entfallen. Im Programm war für 1964 ein Teilbetrag von 6,8 Millionen DM vorgesehen.
Es trifft zu, daß die zum Entwurf des Bundeshaushaltsplans 1964 angemeldeten Mittel zum Ausbau der westlichen Strecke des Küstenkanals zwischen Sedelsberg und Dörpen gestrichen werden mußten und daher in ihm nicht enthalten sind. Die Begründung ist in der angespannten Haushaltslage zu suchen. Trotz Anerkennung der Dringlichkeit der geplanten Maßnahmen konnten die angeforderten Mittel für diese wie für zahlreiche andere Baumaßnahmen an den Binnen- und Seewasserstraßen von der Bundesregierung leider nicht vorgesehen werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß die niedersächsischen und die bremischen Unterweserhäfen Augenblick keinen Anschluß an das westdeutsche Kanalnetz für auf 1000 t abgeladene Binnenschiffe haben, und zwar bei der jetzt angespannten Konkurrenzlage im Gegensatz zu den übrigen westlichen Seehäfen?
Herr Kollege Cramer, Sie wissen wahrscheinlich genauso gut wie ich, daß wir hi den letzten Jahren die sogenannte Weststrecke des Küstenkanals durch Anlage von Weichen für einen einbahnigen Verkehr für mit 1000 t abgeladene Schiffe mit 2,20 m Tiefgang ausgebaut haben, so daß diese Schiffe — wenn auch mit der üblichen Behinderung des einbahnigen Verkehrs — von den Unterweserhäfen nach dem Dortmund-Ems-Kanal verkehren können.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Cramer.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß auf der ganzen Strecke des Küstenkanals die 1000-t-Schiffe nicht verkehren können, sondern daß zwischen Kampe und Dörpen eine Strecke ist, die noch tiefer ausgebaggert werden muß?
Mir ist nur bekannt, daß wir den Kanal auf seiner ganzen Strecke für die Befahrung mit 1000-t-Schiffen bei 2,20 m — nicht bei 2,50 m — Abladetiefe freigegeben haben.
Also nur teilweise.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, aus Ihren Ausführungen ist also festzustellen, daß mit dem Ausbau des Küstenkanals in der Reststrecke erst im Jahre 1965 zu rechnen ist. Auf der anderen Seite ist aber vorgesehen, daß der Mittelandkanal zwischen Minden und Bergeshövede zu derselben Zeit ausgebaut werden soll. Muß an sich nicht der Küstenkanal als Ausweichmöglichkeit für den behinderten Verkehr auf dem Mittellandkanal vorgesehen werden? Würde also .der Ausbau beider Strecken nicht zu einer erheblichen Verkehrsbehinderung führen?
Die letzte Frage kann ich verneinen. Außerdem wird der Mittellandkanal leider nicht ausgebaut, wie ich das wünschen möchte, sondern nur repariert.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4667
Ich rufe die Frage I/5 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing — auf:
Ist die Bundesregierung daran interessiert, daß die zivile deutsche Luftfahrt an der ersten Serie von voraussichtlich 38 Stück des in englisch-französischer Produktionsgemeinschaft zu bauenden Superschallflugzeuges Concorde partizipiert, das etwa um das Jahr 1970 im zivilen Flugverkehr eingesetzt werden soll und von dem die ausländische Presse meldet, daß englische, französische und amerikanische Luftverkehrsunternehmen sich bereits die überwiegende Mehrzahl gesichert haben?
Herr Kollege, das Überschallflugzeug „Concorde", ein französisch-englisches Gemeinschaftsprojekt, ist in der Langstrecken-Version bei 2,2facher Schallgeschwindigkeit, also Mach 2,2, auf die größte Reichweite von 6000 km ausgelegt. Diese Reichweite gestattet keinen Direktflug von der Bundesrepublik nach New York. Denn die kürzeste Entfernung — Großkreis-Entfernung — Frankfurt–New York beträgt 6200 km. Wie bei dem Übergang zu den reinen Düsenflugzeugen, wo die Entwicklung ähnlich verlief, sollten wir abwarten, bis Flugzeugmuster mit genügender Reichweite auf den Markt kommen. Darüber hinaus stehen noch erhebliche wirtschaftliche und technische Fragen zur Lösung an — zum Beispiel das Lärmproblem —, die es geraten erscheinen lassen, vorerst von einer Beschaffung dieses Flugzeugmusters Abstand zu nehmen und die weitere Entwicklung der zivilen Überschallflugzeugmuster abzuwarten. Die Bundesrepublik ist daher nicht daran interessiert, daß die Deutsche Lufthansa aus der ersten Fertigungsserie Überschallflugzeuge erhält.
Eine Zusatzfrage.
Glauben Sie, Herr Minister, daß die Deutsche Lufthansa unter diesen Umständen in den 70er Jahren noch mit den englischen und französischen Unternehmen konkurrenzfähig sein wird?
Das glaube ich sehr wohl. Denn wir können sicher erwarten, daß bis dahin Muster auf dem Markt sein werden, die unseren Anforderungen genügen.
Zweite Zusatzfrage.
Haben Sie Anhaltspunkte dafür, daß gleichzeitig mit der „Concorde" oder wenig später andere Muster, von denen Sie eben sprachen, auf dem Markt sein werden?
Ja, wir haben Anhaltspunkte dafür. Aber selbstverständlich kann ich Ihnen keine Gewißheit geben.
Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Börner.
Herr Minister, halten Sie die jetzigen großen deutschen internationalen Flughäfen überhaupt für geeignet für Flugzeuge des Typs, der von Herrn Abgeordneten Kliesing genannt worden ist?
Ich habe schon einmal ausgeführt, Herr Kollege, daß wir für den Überschallflugverkehr in erster Linie an den Ausbau des Flughafens Kaldenkirchen nördlich von Hamburg denken. Weiterhin sollen voraussichtlich zwei Flugplätze in Westdeutschland und ein Flugplatz in Süddeutschland dafür vorgesehen werden. Von den vorhandenen Flugplätzen sind die Flugplätze Frankfurt und Köln-Bonn geeignet..
Zweite Zusatzfrage.
Im Hinblick auf die Lärmbelästigung, die bei Überschallmaschinen zu erwarten ist, möchte ich Sie fragen, ob es überhaupt wünschenswert ist, diese Flugplätze für diesen Verkehr freizugeben bzw. ihren Ausbau vorzusehen.
Herr Kollege, Köln-Bonn und Frankfurt brauchen, wie gesagt, nicht ausgebaut zu werden. Der Flughafen in Kaldenkirchen ist so gelegen, daß eine Lärmbelästigung praktisch nicht eintritt, weil An- und Abflugschneisen über dem Wasser liegen.
Ich rufe die nächste Frage auf, Frage I/6 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing —:
Wann kann mit dem Beginn des Baues der Bonner Nord- bzw. Südbrücke gerechnet werden?
Herr Kollege, mit dem Bau der Bonner Nordbrücke wird im Spätsommer 1964 begonnen.
Die Planung der Bonner Südbrücke steht mit der Neuordnung der Verkehrsanlagen in Bonn in engem Zusammenhang. Die Entscheidung über die Änderung der Bahnanlagen und über die damit verbundene sogenannte Stadtautobahn ist noch nicht getroffen. Damit hängen auch die weiteren Planungen im Raum von Bad Godesberg zusammen. Ferner ist die Lage der Südbrücke abzustimmen mit der Planung der Verbindungsstraße von den Bundesstaßen 56 und 257 südwestlich Bonns zu der geplanten Auffahrt auf die Köln—Frankfurter Autobahn bei Stieldorf. Nach dem derzeitigen Sachstand dieser Planungen wird der Baubeginn für die Bonner Südbrücke daher kaum vor 1967 erwartet werden können. Es war von Anfang an vorgesehen, die beiden Brücken nacheinander zu bauen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, könnten Sie mir sagen, welche Argumente dafür entscheidend waren, der Bonner Nordbrücke die Priorität zu geben, während man doch auf Grund der allgemeinen Verkehrslage hätte annehmen dürfen, daß zuerst die Südbrücke gebaut werden würde?
4668 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Herr Kollege, die Bonner Nordbrücke liegt im Zuge von Fernverkehrsstraßen und ist daher eine typische Aufgabe des Bundes. Die Bonner Südbrücke dagegen dient in erster Linie der Verbindung der beiden Rheinufer und hat daher in erster Linie regionalen Charakter. Nur durch den von mir genannten Straßenzug von der B 257 zu einer neuen Autobahnauffahrt bei Stieldorf wird sie überhaupt in das Fernstraßennetz eingeordnet und kann infolgedessen vom Bund erstellt werden.
Letzte Zusatzfrage.
Darf ich Ihren Worten also entnehmen, daß die Bonner Nordbrücke etwa um das Jahr 1966/67, die Bonner Südbrücke dagegen nicht vor 1970 fertiggestellt sein wird?
Sie können, Herr Kollege, damit rechnen, daß die Brücken, wenn alle Voraussetzungen geschaffen sind, zwei bis drei Jahre Bauzeit erfordern. Wenn es also gelingt, die Bonner Nordbrücke 1964 in Gang zu bringen, hoffen wir, sie bis 1966 auch fertigzustellen, wenn keine besondere Schwierigkeiten beim Bau eintreten. Dann könnte 1967 mit der Südbrücke begonnen werden, und diese könnte bis etwa 1969 fertiggestellt sein.
Die nächste Frage ist die Frage I/7 — Abgeordneter Dr. Gleissner —:
Sieht die Bundesregierung die Gefahren, die dem Raum südlich von München als wichtigem Teil des bayerischen Oberlandes in seiner Eigenschaft als Erholungs- und Fremdenverkehrsgebiet und der ansässigen Bevölkerung durch den in erschreckendem Umfang zunehmenden Straßenverkehr drohen. insbesondere durch die damit verbundene Lärmentwicklung, Luftverseuchung und Unfallhäufigkeit?
Bitte, Herr Minister!
Herr Kollege, das Verkehrsaufkommen ergibt sich im großen ganzen aus der Wirtschafts- und Siedlungsstruktur des betreffenden Gebietes. Es handelt sich daher primär um eine Frage 'der Landesplanung. Diese ist im wesentlichen eine Aufgabe der Länder selbst. Die Planung der Bundesstraßen des Fernverkehrs geschieht daher im engen Benehmen mit den Landesplanungsbehörden. Die Planung des örtlichen und regionalen Straßenverkehrs ist allein Sache der Länder.
Ich glaube nicht, ,daß durch den Straßenverkehr — auch bei weiter ansteigender Entwicklung — der Raum südlich Münchens als Erholungs- und Fremdenverkehrsgebiet beeinträchtigt wird. Heute bedarf zudem jedes Wirtschaftsgebiet und vorzüglich jedes Fremdenverkehrsgebiet einer ausreichenden Verkehrserschließung. So ist es auch zu verstehen, daß immer wieder gefordert wird, die Fremdenverkehrsgebiete und vor allem auch den gesamten Alpenrand von Berchtesgaden bis zum Bodensee durch leistungsfähige Straßen weiter zu erschließen wie z. B. durch die Deutsche Alpenstraße, Rossfeldstraße, Klobensteinstraße, Autostraße MünchenSpatzenhausen—Kempten—Lindau, Ulm - Kempten und die Verbindung Augsburg—Füssen.
Die von Ihnen erwähnten Belästigungen durch Lärm 'und Luftverseuchung sind natürlich nicht von der Hand zu weisen, vor allem innerhalb der Kurorte. Sie sind aber auch als die Kehrseite der erfreulichen Entwicklung unserer Gesamtwirtschaft zu werten. Eine Einschränkung des 'individuellen motorisierten Verkehrs halte ich besonders für den Fremdenverkehr nicht für realistisch. Das kann meines Erachtens nur örtlich für bestimmte Gebiete in Betracht kommen, um sogenannte Oasen der Ruhe zu schaffen, z. B. in den Fremdenverkehrsorten selbst, für Naturschutzgebiete, an den Seeufern, in bestimmten Gebirgstälern usw.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Minister, wird — Ihrer These folgend — demnach in Zukunft bei Fremdenverkehrsorten vorrangig die Umgehungsstraße geplant und gebaut?
Soweit es sich um Bundesstraßen handelt, tun wir das, Herr Kollege. Soweit es sich um die Landesplanung handelt, kann ich Ihnen dazu leider keine Auskunft geben.
Würden Sie das in dem betreffenden Raum noch einmal überprüfen lassen? Denn es liegen für zahlreiche Fremdenverkehrsorte — ich denke an Schliersee, an Tegernsee, Bad Wiessee — konkrete Anträge vor.
Jawohl. Wir sind aber, wie Sie wissen, Herr Kollege, mit der Planung nicht nur für diese Orte, sondern auch für Bad Tölz beschäftigt und bemüht, Lösungen zu finden. Sie wissen jedoch selbst, welch große Schwierigkeiten es bereitet, in diesen dichtbesiedelten Gebieten Umgehungsstraßen durchzuführen, und ich verweise darauf, daß überall, wo ich versuche, eine Linie zu finden, ich bis in höchsten Stellen Einsprüche hinnehmen muß.
Ich rufe Frage I/8 — des Herrn Abgeordneten Dr. Gleissner auf:
Ist auch der Herr Bundesverkehrsminister der Auffassung, daß die Überbelastung der Straßen und die damit verbundenen Gefahren durch eine bessere Ausgestaltung der öffentlichen Verkehrsmittel, insbesondere der Bundesbahn, in technischer, fahrplanmäßiger und tariflicher Hinsicht kompensiert oder zumindest gemildert werden können?
Bitte, Herr Minister!
Ich teile durchaus Ihre Ansicht, Herr Kollege, daß durch Verbesserungen im Betrieb der öffentlichen Verkehrsmittel die heute mancherorts zu beobachtende Überbelastung der Straßen durch Personenfahr-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4669
Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm
zeuge wesentlich abgemildert werden könnte. Park- und Halteverbote in Verdichtungszonen können diesen Prozeß fördern. Ich denke z. B. an Kassel. Allerdings kann die Bundesregierung in dieser Beziehung keinen Zwang ausüben, weil die Verkehrsregelung den Ländern obliegt, weil für die Verkehrsnutzung die Wahl des Verkehrsmittels grundsätzlich frei ist und weil die Tarifbildung Sache der konkurrierenden Verkehrsträger ist.
Dem Ziele der Straßenentlastung im Güterverkehr dienen z. B. alle Formen des kombinierten Verkehrs, bei dem die Güter für cien größten Teil ihres Laufes auf der Schiene befördert werden, während die An- und Abfuhr auf der Straße erfolgt. Dazu ist neben dem Behälterverkehr vor allem der sogenannte Huckepackverkehr zu zählen. Hierzu gehören bei den Eisenbahnen auch der Einsatz von arbeitsökonomischen Güterwagentypen wie Selbstentladewagen, Muldenkipper, Schiebedach- und Schiebewandwagen sowie die Schaffung geeigneter Umschlagseinrichtungen auf den Bahnhöfen. Alle diese Maßnahmen werden deshalb durch Bereitstellung von Forschungsmitteln gefördert.
Im Güterverkehr bietet schon jetzt die stark gestiegene Zahl der TEEM-Züge und der innerdeutschen Schnellgüterzüge, deren Reisegeschwindigkeit von Jahr zu Jahr erhöht wird und deren Fahrplan erweitert wurde, der verladenden Wirtschaft reichlich Gelegenheit, zur Entlastung der Straßen beizutragen. In gleicher Weise wirken Maßnahmen zur Beschleunigung und Verbesserung des Rangierdienstes, die schnell fortschreitende Elektrifizierung und die Verdieselung des Zugantriebs und des Betriebes auf den Rangierbahnhöfen.
Der Entlastung der Straßen und vor allem der Ortsdurchfahrten vom Lkw-Verkehr dienen ferner tarifliche Maßnahmen. In erster Linie ist hier die Auseinanderentwicklung der Regeltarife für Eisenbahn und Kraftwagen zu nennen. Sie zielt darauf, dem Kraftwagen die kleineren Sendungen, der Schiene die größeren Massengutsendungen zuzuweisen. In gleicher Richtung wirken die Sonderermäßigungen für geschlossene Züge, sogenannte Ganzzüge, und für Wagengruppen. Ferner werden bisher grundsätzlich die Ausnahmetarife für Massengüter auf den Schienenweg beschränkt. Die Bemühungen der Eisenbahnen und der Binnenschifffahrt um den Massengutverkehr werden von mir in jeder Weise unterstützt.
Ich habe wiederholt darauf hingewiesen, daß die Heranführung der Verkehrswirtschaft an die soziale Marktwirtschaft und damit eine Lockerung noch bestehender Beschränkungen deshalb nur schrittweise erfolgen sollte, weil dazu unsere Verkehrsinfrastruktur noch nicht ausreicht und z. B. eine zu starke Ausweitung der Kontingente im gewerblichen Güterfernverkehr oder eine zu starke Senkung der Beförderungsteuer im Werkfernverkehr zusätzlichen Verkehr in einem Ausmaß auf die Straßen ziehen würde, wie es das heutige schon überlastete Straßennetz gar nicht zu fassen vermag, während das Schienennetz nicht ausgelastet ist.
Der Personenverkehr ist in den letzten Jahren durch den Einsatz moderner Zugeinheiten und Wagentypen und durch eine allgemeine Beschleunigung der Züge sehr gefördert worden. Im Ruhrgebiet laufen Pläne für die Einführung eines Städteverkehrs mit starrem Fahrplan, in München für die Hereinnahme des Vorortsverkehrs bis in die Stadtmitte durch den geplanten Tunnel zwischen Haupt- und Ostbahnhof. Ein freilich nur begrenzt wirksames Mittel zur Entlastung der Fernstraßen ist der sogenannte Autoreisedienst. Die Beliebtheit dieser Einrichtung ist in steter Zunahme begriffen.
Im Reiseverkehr, vor allem im Bereich der Großstädte, wirken sich die auf Veranlassung der Bundesregierung besonders entgegenkommend gestalteten Zeitkartenpreise verkehrswerbend aus. Wenn auch heute ungeachtet der wesentlich höheren Kosten viele Berufstätige den eigenen Pkw benutzen, so wird doch, auf die Dauer gesehen, neben den günstigen Preisen der Verkehrsnotstand, besonders auch die Parkraumnot, dahin wirken, daß sich die Berufstätigen vermehrt wieder der Schiene zuwenden. Die Bundesbahn ist auch tariflich sehr um den Nahverkehr bemüht. Sie beabsichtigt, durch besondere Ermäßigungen auf die stärkere Benutzung ihrer außerhalb des Berufsverkehrs meist schwach besetzten Personenzüge hinzuwirken. Abschließend möchte ich Sie noch auf die Arbeit der Enquete-Kommission über die Verkehrslage in den Gemeinden hinweisen, die 1964 abgeschlossen sein soll und über die ich dem Hohen Hause berichten werde.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schwabe.
Herr Minister, werden Si bei Ihren zugesagten Bemühungen wegen der Schwierigkeiten, die Herr Kollege Gleissner und Herr Kollege Ertl speziell im Fremdenverkehrsbereich dargelegt haben, vielleicht auch die Fraktionen der soeben genannten Kollegen darauf hinweisen, daß eine Reihe von anstehenden Bestrebungen betreffend etwa die Erhöhung der Zahl der Konzessionen für den Güterfernverkehr auf der Straße, etwa die Senkung der Beförderungsteuer für den Werkverkehr, etwa die Erhöhung der Gewichte der Lastwagen und die Verlängerung der Lastwagen dazu beitragen werden, die beklagten Zustände noch beklagenswerter zu machen, und daß die Bemühungen der Fraktionen mit diesen Entwicklungen in Einklang gebracht werden müssen?
Ich stimme Ihnen vollinhaltlich zu, Herr Kollege Schwabe, und ich werde mich bemühen, alle diese Dinge in solchem Rahmen zu halten, daß sie noch erträglich sind. Aber ich gebe Ihnen zu, daß bei der Ausweitung des Verkehrszuwachses auf den an sich schon überlasteten Straßen, bei der ständigen Zunahme des Pkw-Verkehrs — im letzten Jahr um 1 Million Fahrzeuge — das natürlich ein außerordentlich schwieriges Unterfangen ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann.
4670 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Herr Minister, habe ich Sie recht verstanden, daß Sie im ersten Teil Ihrer Antwort bei den Maßnahmen, die sich direkt auf den Straßenverkehr beziehen, sagten, dieser Bereich liege in der Zuständigkeit der bayerischen Staatsregierung?
Nein, ich glaube, Herr Kollege, da haben Sie mich nicht ganz richtig verstanden. Soweit es sich um Maßnahmen handelt, die in den Ortschaften und auf den Landes- und Kreisstraßen getroffen werden müssen, liegen sie in der Zuständigkeit der bayerischen Staatsregierung. Soweit es sich um Maßnahhandelt, die auch wir mit den Bundesfernstraßen durchführen, führen wir sie nur in Verbindung mit der Landesplanung durch, und insofern sind auch die bayerische Staatsregierung und die Landesplanung stets eingeschaltet.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die von Herrn Abgeordneten Dr. Gleissner gestellte Frage I/9 auf:
Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, gemeinsam mit der Deutschen Bundesbahn überprüfen zu lassen, welche Möglichkeiten bestehen, um schon jetzt den Betrieb auf den Strecken München—Schliersee—Bayrischzell, München—Holzkirchen—Bad Tölz—Lenggries, ferner München—Isartal/Loisachtal sowie München—Ammerseegebiet so auszugestalten, daß für die Bevölkerung, insbesondere für den Pendler-, Ausflugs- und Fremdenverkehr, die Benutzung der Bundesbahn angesichts des einseitig überlasteten Straßenverkehrs attraktiver als bisher erscheint und zumindest eine gleichgute Verkehrsbedienung gewährleistet wird?
Mein Bestreben, Herr Kollege, ist, wie nochmals betont sei, ganz allgemein darauf gerichtet, alle Maßnahmen zu unterstützen, die der Entlastung der Straßen dienen können. So bin ich selbstverständlich bereit, die Bundesbahn zu bitten, dem Verkehr auf den von Ihnen genannten Strecken südlich von München ihre besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
Wie die Bundesbahn mir dazu mitteilt, entspricht die Zahl der auf diesen Strecken eingesetzten Züge dem derzeitigen Verkehrsbedürfnis.
Als kurzfristige Maßnahme der Deutschen Bundesbahn zur Verkürzung der Reisezeiten ist z. B. der Einsatz von Wendezügen ab Sommer 1964 auf der Strecke München—Bayrischzell vorgesehen. Dadurch entfällt das Umsetzen der Lokomotive in der Spitzkehre Schliersee. Weiterhin ist damit zu rechnen, daß nach Inkrafttreten der neuen EisenbahnBau- und -Betriebsordnung die Geschwindigkeit auf geeigneten Nebenbahnen auf 80 Stundenkilometer heraufgesetzt werden kann. Soweit es sich bei den südlich von München gelegenen Strecken um solche Nebenbahnen handelt, wird die Deutsche Bundesbahn die dann gegebenen Möglichkeiten voll ausschöpfen.
Als langfristige Maßnahme wird der Bau der Verbindungsbahn in München durch Zusammenfassung aller Münchener Vorortstrecken in dem Tunnel zwischen Haupt- und Ostbahnhof eine erhebliche Verkürzung der Reisezeiten mit sich bringen. Auch
wird die Deutsche Bundesbahn im Zuge der Erneuerung ihres Reisezugwagenparks nach und nach in der Lage sein, auch auf den südlichen Vorortstrecken von München modernere Wagen einzusetzen. Erhebliche Fahrzeitgewinne könnten auch noch durch die Umstellung der restlichen Strecken auf elektrischen oder Dieselbetrieb erreicht werden, die für die Zukunft in Aussicht genommen ist.
Diese Maßnahmen sind in einem zwischen mir und der Deutschen Bundesbahn abgestimmten langfristigen Programm enthalten.
Eine Zusatzfrage?
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, im Rahmen der von Ihnen angekündigten Überprüfung auch überprüfen zu lassen, ob die abgebauten Teile der Isartalbahn wieder ausgebaut werden sollten und der Betrieb auf der Gesamtstrecke attraktiv genug gestaltet werden sollte?
Soweit mir bekannt ist, ist diese Bahn tatsächlich stillgelegt, und stillgelegte Strecken wird die Bundesbahn bestimmt nicht wieder aufnehmen. Denn die Stillegung ist ja vorher sehr eingehend mit Bundes- und Landesbehörden und dem Verwaltungsrat der Deutschen Bundesbahn geprüft und erst dann ausgesprochen worden.
Zweite Zusatzfrage!
Herr Minister, ist es nicht bedauerlich, daß bei der inzwischen eingetretenen völligen und totalen Verkehrsüberfüllung im Isar- und Loisachtal nicht in Erwägung gezogen wird, eine vor Jahren erfolgte Stillegung nun doch wieder rückgängig zu machen?
Herr Kollege, bedauerlich ist es vielleicht für die örtlich Betroffenen. Aber die Berechnungen der Bundesbahn sind seinerzeit so gewesen, daß letzten Endes auch die bayerische Staatsregierung zugestimmt hat. Wir hatten die bayerische Staatsregierung — wie in allen anderen Fällen — gebeten, das Defizit zu übernehmen. Dazu wir sie nicht bereit.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ertl!
Herr Minister, ist bei dem von Ihnen zugesagten Ausbau — ich denke hier insbesondere an die Strecke Holzkirchen—Bad Tölz—Tegernsee — auch daran gedacht, die bisher eingleisige Strecke auf eine zweigleisige umzustellen? Denn das würde doch sicherlich eine wesentliche Beschleunigung des Verkehrs herbeiführen.
Herr Kollege, wir sind der Meinung, daß wir heute
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4671
Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm
mit eingleisigen Strecken entsprechender Traktion und mit entsprechenden technischen Einrichtungen für die Signalgebung eine bessere Leistung erzielen können, als man bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges auf zweigleisigen Strecken erzielen konnte.
Eine zweite Zusatzfrage!
Herr Minister, darf ich Sie noch einmal fragen — Sie kennen mein altes Leid —: Wird bei der kommenden Fahrplangestaltung auch auf die Anschlußmöglichkeiten der Fernzüge Rücksicht genommen werden? Bis jetzt ist es angesichts der schlechten Verhältnisse im Münchner Hauptbahnhof und insbesondere des Holzkirchener Bahnhofs kaum möglich, die Anschlüsse zu erreichen.
Ja, Herr Kollege, die Bundesbahn bemüht sich darum. Der Fahrplan wird auch nicht vom Bundesminister für Verkehr gemacht, sondern von der Bundesbahndirektion im Einvernehmen mit den zuständigen Industrie- und Handelskammern. Ich bitte die Industrie- und Handelskammer München wegen ihrer Tätigkeit im Fahrplanausschuß noch einmal auf dieses Anliegen besonders hinzuweisen.
Frage I/10 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut —:
Wie wird bei der Verwendung der Auskünfte der Flensburger Autosünderkartei die Gleichheit vor dem Gesetz sichergestellt, nachdem feststeht, daß die Eintragungsverfügungen der Gerichte offenbar nach völlig unterschiedlichen Gesichtspunkten ergehen?
Herr Präsident, wenn die Herren Abgeordneten Dr. Müller-Emmert und Dr. Kohut einverstanden wären, würde ich gern die Fragen 10 bis 12, da sie denselben Gegenstand betreffen, gemeinsam beantworten.
Bitte sehr. Dann rufe ich auch die Fragen I/11 und I/12 — des Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Emmert — auf:
Welche Erfahrungen sind mit dem VerkehrsZentralregister beim Kraftfahrt-Bundesamt bisher gemacht worden?
Trägt die Bundesregierung sich mit der Absicht, gesetzgeberische Maßnahmen vorzuschlagen, die eine gleichmäßige Behandlung aller Kraftfahrer bei der Eintragung in das Verkehrs-Zentralregister sicherstellen?
Mit dem Verkehrs-Zentralregister beim KraftfahrtBundesamt sind bisher gute Erfahrungen gemacht worden. Die Eintragungen erfolgen nach der Gesetzeslage, die sich wie folgt entwickelte:
Bei der gesetzlichen Regelung der Verkehrs-Zentralkartei hatte die Bundesregierung vorgeschlagen, nur eine kleine, genau bestimmte Gruppe gerichtlicher Verurteilungen von der Eintragungspflicht auszunehmen. Auf Grund eines Vorschlages des Vermittlungsausschusses ist der Gesetzgeber jedoch über diesen Vorschlag der Bundesregierung hinausgegangen und hat den Gerichten die Möglichkeit eröffnet, allgemein bei leichteren Übertretungen die Nichteintragung anzuordnen. Wenn auch das Bundesverfassungsgericht mit Beschluß vom 9. Juli 1963 festgestellt hat, daß gegen diese Regelung verfassungsmäßige Bedenken nicht bestehen, so ist gleichwohl nicht zu bestreiten, daß die Gerichte die Frage, was noch eine leichtere Übertretung ist, nicht einheitlich beantworten. Das hängt mit der Unbestimmtheit des Begriffs der leichteren Übertretung zusammen, gegen den die Bundesregierung von Anfang an im Gesetzesverfahren Bedenken erhoben hat. Allerdings kommen unbestimmte Rechtsbegriffe auch sonst im Strafrecht vor. Sie sind nicht ganz vermeidbar und führen dann zu einer gewissen Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung, die mit Rücksicht auf die Unabhängigkeit der Gerichte hingenommen werden muß. Übrigens kann man die Zahl der Nichteingetragenen natürlich nicht mit der Zahl der von der Polizei infolge von Verkehrsdelikten vorgelegten Anzeigen vergleichen, sondern nur mit der Zahl der Verurteilungen, die sich leider nicht zuverlässig ermitteln läßt.
Das hier zuständige Koordinierungsorgan, der Straßenverkehrssicherheitsausschuß des Bundes und der Länder, dem auch Vertreter der Justizministerien angehören, hat sich wiederholt mit der Anwendung des § 6 a Abs. 2 des Straßenverkehrsgesetzes befaßt und Möglichkeiten einer Vereinheitlichung der Praxis beraten. Auf Grund dieser Erörterungen wurde bei den Landesjustizverwaltungen angeregt, durch ihre Strafverfolgungsbehörden auf eine einheitliche Anwendung der Vorschrift hinzuwirken und vor allem, notfalls durch Einlegung von Rechtsmitteln, zu verhindern, daß gefährliche Verkehrsverstöße der Eintragung entgehen.
Der Straßenverkehrssicherheitsausschuß wird sich in seiner nächsten Sitzung im Januar 1964 erneut mit diesem Gegenstand befassen. Er wird insbesondere prüfen, ob gesetzgeberische Maßnahmen notwendig sind. Infolge der Kürze der Beobachtungszeit und der bei gesetzlichen Neuregelungen erfahrungsgemäß auftretenden Übergangsschwierigkeiten war eine abschließende Beurteilung dieser Frage bisher leider noch nicht möglich.
Ungeachtet dieser gewissen Unzulänglichkeiten möchte ich jedoch ausdrücklich feststellen, daß die Verkehrs-Zentralkartei durch ihre bisherige Tätigkeit Segen gestiftet hat. Ihre Wirkung läßt sich allerdings statistisch nicht messen. Namentlich kann nicht gesagt werden, wie viele Kraftfahrer gerade durch die Scheu vor der Kartei zu einem vorsichtigeren und rücksichtsvolleren Fahren veranlaßt wurden. Es ist aber allgemein bekannt, daß sich die meisten Kraftfahrer sehr bemühen, nicht in die Kartei eingetragen zu werden, und sich in ihrer Fahrweise entsprechend verhalten. Wegen dieser verkehrserzieherischen Wirkung hat die Zentralkartei bereits große internationale Beachtung gefunden. Die Europäische Konferenz der Verkehrsminister von 18 europäischen Ländern hat in einem einstimmigen Beschluß vom 5. Oktober 1960 allen Mitgliedstaaten derartige Erfassungen von Verkehrszuwiderhandlungen empfohlen.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr!
4672 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Herr Minister, sind Sie nicht auch der Meinung, daß es ein untragbarer Zustand ist, wenn die Zahl der Eintragungsverfügungen bei dem einen Amtsgericht 20 % der Fälle beträgt und bei dem anderen 100 % der Fälle, also, wie statistisch festzustellen ist, zwischen 20 und 100 % schwankt?
Wir haben eine Umfrage veranstaltet, Herr Kollege, und festgestellt, daß bei der Mehrzahl aller Gerichte diese Schwankungen zwischen 15 und 45 % betragen, daß es allerdings in Niedersachsen ein Gericht gibt, wo diese Schwankung zwischen 0 und 98 % liegt. Aber bei der Unabhängigkeit des Richters können wir nur dieses Faktum feststellen und über die Verkehrssicherheitskonferenz und die Justizministerien bitten, auf die Gerichte einzuwirken, daß sie einheitlicher verfahren.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Minister, sind Sie entschlossen, dafür zu sorgen, daß der Autofahrer gegen diese überforschen Richter geschützt wird?
Herr Kollege, ich vermag leider auf die Richter keinen anderen Einfluß auszuüben, als daß ich über die Länderverkehrssicherheitskonferenz die Justizministerien bitte, den Richtern einheitliche Weisungen zu geben und sie zu bitten, sich nach einheitlichen Grundsätzen zu verhalten. Leider ist mir ein weiterer Weg nicht möglich.
Zusatzfrage?
Herr Minister, wäre es nicht möglich, Bestimmungen zu schaffen, die eine gleichmäßige Behandlung der Verurteilungen im Hinblick auf die Eintragung besser gewährleisten, vielleicht in der Form, daß unter Umständen leichteste Übertretungen überhaupt nicht eingetragen werden dürfen?
Sie sollen auch nicht eingetragen werden. Das Gericht gibt ja selber an, ob einzutragen ist oder nicht; denn das Gericht hat die Möglichkeit, die Eintragung auszusetzen bzw. gar nicht zu veranlassen. Infolgedessen liegt es bei dem Richter, ob er eine Eintragung für notwendig hält. Es kann durchaus sein, daß z. B. jemand, der schon einmal eingetragen ist, auf Wunsch des Richters auch wegen einer leichten Übertretung noch einmal neu eingetragen wird.
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Minister, ist es denn nicht so, daß die Gerichte gemäß § 6 a Abs. 2 des Straßenverkehrsgesetzes eben einen zu großen Ermessensspielraum haben und daß dieser zu große
Ermessensspielraum die unterschiedliche Behandlung der Eintragungen zur Folge hat?
Herr Kollege, dieser große Ermessensspielraum ist den Gerichten durch den Beschluß dieses Hohen Hauses und des Bundesrats gegeben worden und nicht nach dem Willen der Bundesregierung.
Letzte Zusatzfrage!
Herr Präsident, ich habe noch zwei Zusatzfragen, wenn ich dies sagen darf. Ich hatte nämlich zwei Fragen gestellt.
Bitte sehr.
Herr Minister, ich möchte dazu noch folgendes sagen. Wäre es beispielsweise nicht möglich, so etwas wie ein neues Punktbewertungssystem in diesem Fall einzuführen, das sich nach der Schwere der jeweiligen abgeurteilten strafbaren Handlung richtet, also ein System, das einerseits eine gleichmäßige Behandlung der Verurteilungen sicherstellen würde, zugleich auch vollständig wäre, auf der anderen Seite aber auch zulassen würde, daß Verwaltungsbehörden gegen gewisse Verkehrssünder, die öfter aufgefallen sind, vorgehen, indem sie vielleicht die Fahrerlaubnis entziehen oder sonstige Maßnahmen ergreifen?
Herr Kollege, es ist ja bei der Durchführung ein genaues System insofern vorhanden — das haben die Länder eingeführt, nicht wir, und das ist in den Ländern auch unterschiedlich —, als nämlich bei Mehrfacheintragungen im Wege von Benachrichtigungen durch das Zentralregister verschiedene Maßnahmen in gesteigerter Form gegen die Mehrfachtäter getroffen werden, nämlich zunächst Verwarnung, dann Verkehrserziehung und schließlich als schlimmste verwaltungsmäßige Strafe die Entziehung des Führerscheins, soweit das Gericht diese Entziehung nicht selbst verfügt hat. Das liegt aber in der Durchführung des Gesetzes, die den Ländern obliegt.
Wir werden mit dem Verkehrssicherheitsausschuß der Länder noch einmal prüfen, ob durch eine schärfere Fassung der Bestimmung des § 6 a vielleicht eine einheitlichere Rechtsprechung erzielt werden kann. Aber, wie gesagt, das ist auch eine Angelegenheit, die nicht von mir allein entschieden werden kann, sondern die in diesem Koordinierungsorgan beraten werden muß, weil es sich hier um ein Zustimmungsgesetz handelt, dessen Ausführung weitgehend den Justizministern der Länder überlassen ist.
Zusatzfrage? Herr Abgeordneter Dürr.
Herr Minister, teilen Sie meine Ansicht, daß eine gleichmäßigere Handhabung bei den
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4673
Dürr
verschiedenen Gerichten leichter sein wird, sobald das im Entwurf der Strafrechtsreform vorgesehene Tagesbußensystem eingeführt sein wird?
Das ist durchaus zu erwarten, Herr Kollege. Wir müssen uns aber, bis das soweit ist, mit den gegebenen Verhältnissen abfinden.
In der Drucksache IV/1744 wird der Verkehrsminister auch noch einmal gefragt. Herr Minister, sind Sie darauf vorbereitet? — Ich rufe auf die Frage I/1 — des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer —:
Welches ist das Ergebnis der Tests über Vor- und Nachteile von Leitplanken und sogenannten Slibardrahtnetzen als Schutz gegen Verkehrsunfälle?
Herr Kollege, Untersuchungen über die Bewährung von Leitplanken werden durch das Innenministerium des Landes Baden-Württemberg im Auftrage und mit Mitteln des Kuratoriums „Wir und die Straße" durchgeführt. Außerdem hat der Bundesminister für Verkehr Erhebungen über die Bewährung der bisher an den Bundesautobahnen eingebauten Leitplanken in den Mittelstreifen bei Unfällen anstellen lassen. Über die Versuche in BadenWürttemberg liegt dem Bundesminister für Verkehr ein Zwischenbericht vom 4. November 1963 vor. Hierin werden die bisher verwendeten Stahl- und Betonleitplanken für Pkw-Anfahrten mit Aufprallwinkeln von 15 Grad und Geschwindigkeiten von 100 km in der Stunde als geeignet bezeichnet. Bei den Lkw-Anfahrten konnten bisher nur die Stahlleitplanken — und hier besonders eine Neukonstruktion — einen mit 70 bis 80 km in der Stunde anfahrenden und unter 15 Grad aufprallenden Lkw umlenken und auf dem Mittelstreifen zurückhalten.
Der in Ihrer Frage genannte Slibardrahtzaun wurde bei Pkw-Anfahrten mit Aufprallwinkeln von 15 Grad und Geschwindigkeiten von 100 km in der Stunde niedergewalzt und überquert.
Nach den Voruntersuchungen kommen größere Aufprallwinkel als 15 Grad in der Praxis nur vor, wenn bei einem Unfall das beteiligte Fahrzeug bereits mit einem anderen Hindernis zusammengestoßen ist. Für derartige Fälle bestimmte Verbesserungen an Stahlleitplanken werden zur Zeit im Auftrag des Bundesministers für Verkehr auf dem Prüffeld in Baden-Württemberg erprobt.
Bei den Erhebungen des Bundesministers für Verkehr über das Verhalten der bisher an den Bundesautobahnen eingebauten Leitplanken im Mittelstreifen wurden 1047 Pkw-Unfälle und 455 Lkw-Unfälle erfaßt. Es betrug der Anteil derjenigen Unfälle, bei denen die Fahrzeuge von den Leitplanken aufgefangen wurden, bei Pkw 97,1 %, bei Lkw 90,1 %. Die Leitplanken durchbrachen oder über die Leitplanken hinweg kippten folgende Fahrzeuge, die jedoch auf dem Mittelstreifen liegenblieben: bei den Pkw 1,2 %, bei den Lkw 5,7 %. Die Leitplanken durchbrachen oder kippten darüber hinweg und gerieten dabei auf die Gegenfahrbahn: bei den Pkw 1,7 % und bei den Lkw 4,2 %.
Damit ist unserer Ansicht nach bewiesen, daß die Leitplanken doch einen durchaus guten, unfallverhindernden Zweck erfüllen, weil es gerade zu den besonders schweren Unfällen geführt hat, wenn Fahrzeuge auf die Gegenfahrbahn gerieten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Herr Minister, wie ist sichergestellt, daß Untersuchungen dieser Art unbeeinflußt bleiben von dem Druck bestimmter Lieferanten, die Interesse an der Lieferung der einen oder der anderen Art haben?
Herr Kollege, die Untersuchungen werden unter der Leitung des baden-württembergischen Innenministeriums und seiner Abteilung Straßenbau durchgeführt. Ich habe durchaus das Vertrauen, daß diese Herren, insbesondere Herr Professor Böhringer in seiner gleichzeitigen Eigenschaft als Vorsitzender der Forschungsgesellschaft für das Straßenwesen e. V., sehr objektiv sind und sich sehr bemühen, die Versuchsbedingungen objektiv zu gestalten. Herr Professor Böhringer ist gleichzeitig Professor an der Technischen Hochschule in Stuttgart.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rinderspacher.
Herr Minister, sind die Ergebnisse der gleichartigen Versuche in den Vereinigten Staaten bei diesen Ergebnissen mit verwertet worden?
Nein. Wenn unsere Untersuchungen fertig sind, werden wir sie mit diesen Ergebnissen vergleichen. Ich habe eben schon ausgeführt, Herr Kollege, daß ich noch einen Zwischenbericht erstatten könnte.
Zweite Zusatzfrage.
Ist Ihnen bekannt, daß in den Vereinigten Staaten bereits über zwei Jahre derartige Versuche mit angeblich sehr guten Ergebnissen durchgeführt werden?
Diese Versuche sind mir durchaus bekannt. Bisher decken sich deren Ergebnisse durchaus mit den Ergebnissen, die wir haben.
Frage I/2 — des Herrn Abgeordneten Lemmrich —:
Welche Erfahrungen wurden bisher über die Haltbarkeit von Betonrandstreifen an Bundesstraßen gesammelt?
Herr Kollege, mit den Betonrandstreifen wurden an den Bundesautobahnen und Bundesstraßen gute Erfahrungen gemacht. Betonrandstreifen werden seit
4674 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm
dem Jahre 1955 angewendet. Die Ebenflächigkeit der zwischen dem Betonrandstreifen eingebauten Fahrbahnen und die genaue Einteilung der verschiedenen erforderlichen Fahrbahnquerneigungen sind in erster Linie auf die gut einmeßbaren und sicher zu gründenden Betonrandstreifen zurückzuführen. Außerdem ist durch derartige Einrichtungen eine lange Haltbarkeit des Fahrbahnrandes gewährleistet. Zur Verhütung von Tausalzschäden müssen die Betonrandstreifen in der gleichen Güte wie der Beton der Fahrbahndecken hergestellt werden. Mit Betonrandstreifen aus Fertigbauteilen haben wir in letzter Zeit gleich gute Erfolge erzielt. Sie haben den Vorteil, daß sie in kürzerer Zeit verlegt werden können als solche an Ort und Stelle hergestellte aus sogenanntem Ortsbeton. Bei einfacherer Ausbauweise — wie z. B. bei Zwischenausbau und anderem — wird auf die Betonrandstreifen verzichtet, obwohl dadurch natürlich der Fahrbahnrand nicht so geschützt ist wie bei Einbau von Betonrandstreifen.
Keine Zusatzfrage. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr erledigt.
Ich rufe aus der Drucksache IV/1737 die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf. Zunächst die Frage XII/1 — des Herrn Abgeordneten Fritsch —:
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, das Schlangestehen der Empfänger von Versichertenrenten vor den Auszahlschaltern der Deutschen Bundespost zukünftig zu vermeiden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Deutsche Bundespost ist ständig bemüht, den Rentenempfängern unnötige Wartezeiten an den Rentenzahlschaltern zu ersparen. So wurde durch vielfältige organisatorische Maßnahmen wie Anmietung von Rentenzahlräumen, Vermehrung der Rentenzahltage von vier auf sechs, Einrichtung von Rentenzahlschaltern in ausreichender Zahl, Einteilung der Zahltage in Zahlabschnitte für einzelne Empfängergruppen unter erheblichem Kostenaufwand alles getan, um Wartezeiten zu vermeiden. Alle diese Maßnahmen sind aber vergeblich, wenn ein plötzlicher Witterungsumschwung den regelmäßigen Fluß der Rentenempfänger zur Zahlstelle unterbricht oder die Rentenempfänger sich nicht an die für sie festgesetzten Zahltage oder Zahlstunden halten.
Bislang ist es gelungen, etwa 25 % aller Rentenempfänger für die unbare Zahlung zu gewinnen. Durch den Einsatz elektronischer Datenverarbeitungsanlagen haben wir die Möglichkeit, unbare Zahlungen in unbeschränktem Umfange durchzuführen. Es ist zu hoffen, daß die bei den Rentenempfängern in steigendem Maße erkennbare Bereitschaft zur unbaren Zahlung künftig mehr als bisher genutzt wird. Allein durch eine wesentliche Vermehrung der unbaren Zahlungen 'ist eine fühlbare Entlastung der Auszahlungsschalter zu bewirken.
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, sehen Sie eine Möglichkeit, in Verbindung mit den Rentenversicherungsträgern die unbare Zahlungsweise zu fördern?
Herr Abgeordneter, die Deutsche . Bundespost tut — was Ihnen verständlich sein wird — gemeinsam mit den Rentenversicherungsträgern alles mögliche, um das zu erreichen und weiter zu fördern.
Keine weitere Zusatzfrage. Frage XII/2 — der Frau Abgeordneten Herklotz —:
Ist die Bundesregierung bereit, den Vorschlag zu unterstützen, eine Kennedy-Gedächtnismarke der Deutschen Bundespost oder der Landespostdirektion Berlin herauszugeben?
Die Deutsche Bundespost trägt sich mit dem Gedanken, eine Kennedy-Gedenkmarke herauszugeben. Mit den planenden Vorarbeiten hierfür ist bereits am 27. November dieses Jahres begonnen worden. Namhafte Graphiker sind zur Zeit mit der Herstellung von Entwürfen für eine solche Gedenkmarke beschäftigt. Die Gedenkmarke wird voraussichtlich in der Bundesrepublik und in Berlin ausgegeben werden. Die endgültige Entscheidung hierüber ist noch nicht getroffen.
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, beabsichtigt die Deutsche Bundespost, die Kennedy-Gedächtnismarke so schnell wie möglich herauszugeben, oder soll die Briefmarke zum Jahrestag der Ermordung des amerikanischen Präsidenten erscheinen?
Wie Sie aus unseren schnell angelaufenen Vorbereitungen ersehen, wollen wir die Herausgabe so schnell wie möglich bewirken. 'Aber ich darf Ihnen sagen, daß die notwendigen Vorbereitungen so lange dauern werden, daß aller Voraussicht nach erst der Todestag des amerikanischen Präsidenten im nächsten Jahr der Herausgabetag sein wird.
Frage XII/3 — des Herrn Abgeordneten Peiter —:
Wann ist damit zu rechnen, daß das Fernmeldeamt Limburg an den Selbstwählferndienst angeschlossen und damit die Benachteiligung für Teile des Lahn-, Westerwald-, Aar- und Einrich-Gebietes beseitigt wird?
Der Abgeordnete ist nicht im Saal; dann wird die Frage schriftlich beantwortet.
Frage XII/4 — des Herrn Abgeordneten Dr. Eppler —:
Wann wird mit Umbau und Erweiterungsbau des Postamtes in Alpirsbach Kr. Freudenstadt begonnen werden?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4675
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Postdienstgebäude in Alpirsbach, Bahnhofstraße 9, in dem das Postamt und die örtliche Wählvermittlungsstelle untergebracht sind, muß wegen der unzureichenden Raumverhältnisse durch einen Neubau ersetzt werden, der auf dem gleichen Grundstück errichtet werden soll. Der Neubau ist bereits grundsätzlich genehmigt worden. Die zuständige Oberpostdirektion Tübingen ist beauftragt, den Vorentwurf aufzustellen. Nach dem derzeitigen Stand der Planung wird das Bauvorhaben noch im Laufe des Jahres 1964 baureif werden. Bei der Vielzahl dringender Hochbauvorhaben läßt sich in Anbetracht der außerordentlich angespannten Finanzlage der Deutschen Bundespost der Zeitpunkt des Baubeginns jedoch noch nicht übersehen.
Ich rufe auf die Frage VI — aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen — auf Drucksache IV/1744, Frage der Abgeordneten Frau Meermann:
Welche Möglichkeiten bestehen für eine Einordnung des Briefumschlag-Formats DIN C 5 in das „Standard-Format"?
Frau Abegordnete Meermann ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet.
Ich kehre zurück zu der Drucksache IV/1737. Frage II — des Abgeordneten Dr. Roesch — aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft:
Wie viele Beamte des höheren Dienstes im Bundeswirtschaftsministerium haben ein abgeschlossenes Studium der Wirtschaftswissenschaften ?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das Bundeswirtschaftsministerium hat zur Zeit 378 Beamte des höheren Dienstes. Davon haben 106 ein abgeschlossenes Studium der Wirtschaftswissenschaften.
Ich möchte ergänzend sagen, daß bei zwölf Wirtschaftswissenschaftlern, Angestellten des höheren Dienstes, heute die Übernahme in das Beamtenverhältnis eingeleitet ist.
Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung. Frage III — des Abgeordneten Hammersen —:
Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um der durch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 19. Juni 1963 — III A 1134/61, 1 K 480/61/Münster — eingetretenen Rechtsunsicherheit auf dem Gebiete des Erschließungsbeitragsrechtes nach § 133 des Bundesbaugesetzes zu begegnen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die uneinheitliche Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zur Anwendung des § 133 des Bundesbaugesetzes auf bebaute Grundstücke ist von der Bundesregierung mit Aufmerksamkeit verfolgt worden. Als das erste Revisionsverfahren beim Bundesverwaltungsgericht anhängig geworden war, haben wir sofort den Herrn Oberbundesanwalt angewiesen, sich am Verfahren zu beteiligen, und ihn mit eingehenden Instruktionen versehen. Dabei haben wir unsere bereits in einem Rundeschreiben vom 30. Mai 1962 an die zuständigen Länderminister vertretene Auffassung dargelegt, nach der bebaute Grundstücke nach dem Bundesbaugesetz dann nicht der Beitragspflicht unterliegen, wenn sie bereits vor Inkrafttreten des ersten Ortsstatuts über die Erhebung von Anliegerbeiträgen oder vor Beginn der Anlegung der Straße bebaut worden sind. Die Praxis der Verwaltungen und die Rechtsprechung sind dieser Auffassung aber nur zum Teil gefolgt.
Wir haben den Herrn Oberbundesanwalt gebeten, das Bundesverwaltungsgericht auf die Unzuträglichkeiten, die sich aus dieser unterschiedlichen Rechtsprechung ergeben, und auf die besondere Dringlichkeit einer Entscheidung in dieser Frage hinzuweisen. Wie wir inzwischen erfahren haben, ist zu hoffen, daß diese Entscheidung in absehbarer Zeit ergeht. Die Bundesregierung meint zunächst die ausstehende Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abwarten zu sollen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich fragen, ob Ihnen das bisher nicht veröffentlichte Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 9. Oktober 1963 bekannt ist, wonach mit dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes bereits verjährte Beitragsforderungen der Gemeinden auf Grund des § 133 Abs. 4 des Bundesbaugesetzes wieder aufgelebt sind, während der Hessische Verwaltungsgerichtshof eine genau gegenteilige Auffassung vertritt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auch diese Divergenz ist uns bekannt, und wir hoffen, daß das Bundesverwaltungsgericht, wenn es im Revisionsverfahren entscheidet, auch zu diesem Rechtsstreit Stellung nimmt.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsekretär, ist Ihnen weiter die sicherlich vom Gesetzgeber nicht gewollte Folge des § 133 Abs. 3 des Bundesbaugesetzes bekannt, die insofern unbefriedigend ist, als auf Grund dieser Bestimmung von Gemeinden Vorausleistungen auf Erschließungsbeiträge auch dann gefordert werden, wenn auf einem bereits bebauten Grundstück lediglich wirtschaftlich untergeordnete Ergänzungsbauten oder geringfügige Um- und Ausbauten vorgenommen werden, wobei die angeforderten Erschließungsbeiträge oft die tatsächlichen Baukosten weit übersteigen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auch das ist uns bekannt, Herr Abgeordneter. Wir hatten im Erlaß vom Mai 1962, auf den ich mich
4776 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Staatssekretär Dr. Ernst
vorhin bezog, bereits darauf hingewiesen, daß wir der Meinung sind, daß diese Praxis nicht mit dem Sinn des Gesetzes übereinstimmt. Aber ehe wir dem Bundestag vorschlagen, gesetzgeberische Maßnahmen einzuleiten, um das Bundesbaugesetz zu ändern, möchten wir abwarten, ob das Revisionsgericht sich — wie wir hoffen — unserem Standpunkt anschließt und damit diese Unzuträglichkeiten ausräumt.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Jugend. Frage IV — des Abgeordneten Welslau —:
Welche Schritte hat der Herr Bundesfamilienminister unternommen, um dem in seiner Gegenwart einstimmig gefaßten Beschluß des Ausschusses zu entsprechen, den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundeskindergeldgesetzes auf den 1. Juli 1963 festzusetzen?
— Die Frage wird übernommen.
Herr Präsident! Der in der Sitzung am 22. Mai 1963 einstimmig gefaßte Beschluß des mitberatenden Bundestagsausschusses für Familien- und Jugendfragen stimmt wörtlich überein mit der Vorlage der Regierung. Der federführende Bundestagsausschuß für Arbeit hat sich, wie Ihnen sicher bekannt ist, diesem Votum des Bundestagsausschusses für Familien- und Jugendfragen nicht angeschlossen.
Der Bundesminister für Familie und Jugend hat keine Möglichkeit, Beschlüsse von Ausschüssen zu verhindern oder ihre Änderung durchzusetzen. Die Entscheidung über die endgültige Fassung des Regierungsentwurfs des Bundeskindergeldgesetzes und damit auch über den Zeitpunkt des Inkrafttretens liegt beim Bundestag.
Keine Zusatzfrage.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen. Ich rufe auf die Frage V/1 — des Herrn Abgeordneten Faller —:
Ist die Bundesregierung bereit, den Vorschlag des Deutschen Touring-Clubs zu unterstützen, alle Arzneimittel einheitlich und auffällig zu kennzeichnen, die die Fahrtüchtigkeit von Kraftfahrern beeinträchtigen können?
Zur Beantwortung die Frau Bundesgesundheitsministerin.
Die Bundesregierung ist mit der Prüfung der hier angeschnittenen Frage befaßt. Seit einiger Zeit wird in einem Ausschuß „Verkehrsmedizin" der Bundesärztekammer geprüft, welche Medikamente in ein Verzeichnis derjenigen Arzneimittel aufzunehmen sind, die solche Wirkungen in bezug auf die Fahrtüchtigkeit hervorbringen können.
Zusatzfrage?
— Keine Zusatzfrage. Ich rufe auf die Frage V/2
— des Herrn Abgeordneten Faller —:
Ist der Bundesregierung die Zahl der Medikamente bekannt, die bei Kraftfahrern Rauschzustände" mit oder ohne Alkoholgenuß herbeiführen können?
Die Zahl der Arzneispezialitäten, die einen nachteiligen Einfluß auf die Fahrtüchtigkeit haben, ist im Augenblick noch nicht genau zu übersehen. Wir hoffen, daß wir durch den Ausschuß für Verkehrsmedizin, von dem ich soeben gesprochen habe, bald einen Überblick darüber bekommen werden.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Ich rufe auf die Frage VI/1 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut —:
Ist die Bundesregierung bereit, bei der französischen Regierung vorstellig zu werden, daß die gesetzlich vorgesehene Entschädigung von etwa 25 deutschen Staatsangehörigen, die ihren Besitz in Algerien verloren haben, beschleunigt wird, zumal es sich um einen insgesamt geringfügigen Betrag handelt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, dem Auswärtigen Amt sind bisher nur zwei Fälle bekanntgeworden, in denen deutschen Staatsangehörigen in Algerien Besitz entzogen worden ist. Eine französische Gesetzgebung zur Entschädigung von Personen, die nach der Unabhängigkeit Algeriens ihren Besitz in Algerien verloren haben, besteht bisher nicht. Die bisherige gesetzliche Regelung bezieht sich vielmehr auf die Aufnahme und Eingliederung von algerischen Flüchtlingen.
Zusatzfrage!
Ist Ihnen nicht bekannt, daß die Assemblée Algérienne eine Entschädigungsgesetzgebung aufgestellt hat, die auch im Mutterland von der Assemblée Nationale übernommen worden ist und die beinhaltet, daß auch deutsche Geschäftsleute, die in Algerien ansässig waren — nach meinen Informationen sind es höchstens 25 —, entschädigt werden müssen und sollen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Derartiges ist mir nicht bekannt, Herr Abgeordneter, sondern mir ist, wie ich soeben sagte, bekannt, daß es bisher eine gesetzliche Entschädigung nicht gibt, vielmehr die gesetzlichen Maßnahmen der Eingliederung der Flüchtlinge dienen.
Eine zweite Zusatzfrage!
Würden Sie so liebenswürdig sein, die Angelegenheit noch einmal nachzuprüfen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich werde das selbstverständlich gern tun, Herr Abgeordneter.
Ich rufe auf die Frage VI/2 — des Herrn Abgeordneten Dr. Dr. h. c. Friedensburg —:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4677
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Hält die Bundesregierung die Gründung einer italienischen Staatsuniversität mit europäischem Charakter, die von der italienischen Regierung in Florenz vorbereitet wird, für eine Verwirklichung der Vorschrift des Artikels 9 Ziffer 2 des Euratomvertrages, wonach im Rahmen der europäischen Gemeinschaften eine europäische Anstalt im Range einer Universität geschaffen werden soll?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darf ich die beiden Fragen nacheinander beantworten? Sie stehen in unmittelbarem Zusammenhang.
Einverstanden.
Wenn ich dadurch nicht in meinen Zusatzfragen beeinträchtigt werde, gern.
Sie wollen also zweimal zwei Zusatzfragen stellen. — Ein bißchen billiger könnten Sie es ja machen, Herr Kollege Friedensburg; aber es ist mir recht.
Ich werde mich bemühen.
Dann rufe ich also noch die Frage VI/3 - des Herrn Abgeordneten Dr. Dr. h. c. Friedensburg — auf:
In welcher Weise gedenkt die Bundesregierung für den Fall, daß sie die in Florenz zu gründende italienische Staatsuniversität mit europäischem Charakter durch Bundesmittel zu unterstützen beabsichtigt, die Verwirklichung der in wiederholten Beschlüssen bekanntgegebenen Wünsche des Europäischen Parlaments und der eigenen Vorstellungen der Bundesregierung von den wesentlichen Merkmalen einer europäischen Universität sowohl im Aufbau als auch in der weiteren Entwicklung zu sichern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Grundlage für die Errichtung einer europäischen Universität, so wie sie jetzt geplant ist, bildet ein Beschluß der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaften vom 18. Juli 1961, der in Bonn gefaßt wurde. Der Beschluß sieht die Gründung einer europäischen Universität in Florenz durch Italien und eine Beteiligung der fünf anderen Länder vor.
Demgegenüber bestimmt Art. 9 des Euratom-Vertrages, daß eine Universität kraft europäischen Rechts errichtet werden soll. Die Verwirklichung dieses ursprünglichen Plans stieß jedoch auf so große Schwierigkeiten, daß die Mitgliedstaaten sich entschlossen, den jetzt vorgesehenen Weg zu gehen.
Die Haltung der Bundesregierung in der Frage der europäischen Universität wird gemäß den grundgesetzlichen Bestimmungen über die kulturellen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland in Abstimmung mit den Ländern festgelegt. Dabei werden selbstverständlich die Resolutionen des Europäischen Parlaments berücksichtigt, und die Bundesregierung setzt sich besonders dafür ein, daß sie in einem möglichst weitgehenden Umfang berücksichtigt werden.
Wie im Statut einer europäischen Universität, die nach dem Beschluß der Staats- und Regierungschefs in Italien errichtet werden soll, die Auffassungen und die Rechte aller beteiligten Regierungen zur Geltung gebracht und dauernd gesichert werden können, wird Gegenstand der in dem Beschluß vorgesehenen Konvention sein. Über diese Konvention werden die Verhandlungen im kommenden Jahr aufgenommen werden.
Zusatzfrage!
Glaubt die Bundesregierung, daß ihre Verpflichtung aus dem Euratom-Vertrag durch die Bonner Beschlüsse vom Jahre 1961 verwirklicht ist und damit als erledigt angesehen werden kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung glaubt, daß die Beschlüsse von 1961 die bestmögliche Art der Verwirklichung der in Artikel 9 des Vertrages zum Ausdruck gekommenen Absicht darstellen.
Eine weitere Zusatzfrage!
Ich muß die Frage wiederholen, Herr Staatssekretär: Ist damit die vertragliche Verpflichtung der Bundesregierung aus dem Euratom-Vertrag als erledigt anzusehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es handelt sich hier, Herr Abgeordneter, — insofern ging meine Antwort auf Ihre Frage auf den nach meiner Auffassung entscheidenden Punkt ein — nicht um eine Verpflichtung, die die Bundesregierung unabhängig von der Verpflichtung der anderen Mitgliedsregierungen übernommen hätte, sondern es handelt sich um eine gemeinsame Verpflichtung der sechs Mitgliedstaaten. Die Bundesregierung hat sich mit größtem Nachdruck für die genaue Verwirklichung des in Artikel 9 vorgesehenen Planes eingesetzt, jedoch nicht mit dem von uns erstrebten und erwünschten Erfolg. So ist es zu der Lösung vom Jahre 1961 gekommen, die, wie ich gesagt habe, das Bestmögliche darstellt.
Dritte Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung der Gesetzentwurf der italienischen Regierung bekannt, der der Kammer zugeleitet worden ist und der die Regelung für die zukünftige Staatsuniversität in Florenz enthält? Glaubt die Bundesregierung, daß dieser Gesetzentwurf der italienischen Regierung die prinzipiellen Forderungen, die einstimmig vom Europäischen Parlament angenommen worden sind, erfüllt, wonach — ich lese vor; der Beschluß ist zeitlich nach den Bonner Beschlüssen gefaßt — „die erforderliche Annäherung der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft auf kulturellem und geistigem Gebiete nicht allein durch eine Zusammenarbeit der nationalen Regierungen verwirklicht werden kann" und
4678 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Dr. h. c. Friedensburg
wonach die Universität die volle Autonomie erhalten muß? Ist der Bundesregierung dieser Gesetzentwurf bekannt und was gedenkt sie dazu zu tun?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bundesregierung ist dieser Gesetzentwurf bekannt, Herr Abgeordneter. Aber ich bin sicher, daß die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes durch das italienische Parlament in engem Zusammenhang mit der Konvention stehen wird, die Italien mit seinen übrigen Partnerstaaten abschließen wird. Gegenstand der Konvention wird die Behandlung und Lösung gerade der von Ihnen soeben aufgeworfenen Fragen sein.
Frage VI/4 —— des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer —:
Weiß die Bundesregierung, wie viele Volksdeutsche in Rumänien zu ihren Angehörigen in die Bundesrepublik übersiedeln möchten?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung steht wegen des in Ihrer Frage behandelten Komplexes in ständiger enger Verbindung mit allen beteiligten Stellen in Deutschland. Sie sucht nach Wegen, um das Problem einer Lösung zuzuführen. Eine öffentliche Mitteilung von Zahlen durch die Bundesregierung würde nach Auffassung der Bundesregierung die von ihr angestrebte Lösung, an der ein sehr großes menschliches Interesse besteht, erschweren.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung Berichte über die Familienzusammenführung von Volksdeutschen aus Rumänien vor, die nur dadurch möglich wird, daß die Angehörigen in der Bundesrepublik für die Ausreisenden eine Summe zahlen, die für einzelne Familien bis zu 50 000 DM gehen soll?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Derartige Berichte, Herr Abgeordneter, sind mir nicht zur Kenntnis gekommen.
Zweite Zusatzfrage!
Ist Ihnen dann auch nicht bekannt, daß z. B. in meinem Wahlkreis Ludwigsburg in Großsachsenheim jetzt fünf Familien mit zusammen 20 Personen leben, die für eine Gesamtsumme von 109 450 DM freigekauft wurden, das heißt für eine Kopfquote von rund 5470 DM?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auch das, Herr Abgeordneter, ist mir nicht bekannt. Aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir die Unterlagen zur Verfügung stellen könnten.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jaksch.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung unter Umständen bereit, den vom Kollegen Mommer angeprangerten Menschenhandel vor den Vereinten Nationen zur Sprache zu bringen, und zwar unter Hinweis auf die in der Charta der Menschenrechte gewährleistete Freizügigkeit?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich darf wiederholen, was ich vorhin gesagt habe: Die Bundesregierung sucht nach Lösungen für dieses Problem, und zwar nach Lösungen, die zu einem Erfolg führen. Daß es ein schwieriges Problem ist, ist der Bundesregierung bekannt. Die Bundesregierung glaubt nicht, daß durch öffentliche Mitteilung der Lösungsmöglichkeiten, die sie sieht, der Sache ein Dienst erwiesen würde.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung dessen bewußt, daß ein einstimmiger Beschluß des 3. Bundestages vom 14. Juni 1961 vorliegt, welcher auf die menschlichen Notstände auf dem Gebiet der Familienzusammenführung aus den Ostblockstaaten hinweist, und daß dieser Beschluß einen verpflichtenden Auftrag an die Bundesregierung darstellt, bei jeder sich bietenden Gelegenheit für die Beseitigung dieser Notstände einzutreten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, dieser Beschluß ist der Bundesregierung wohlbekannt. Die Bundesregierung hat u. a. im Hinblick auf diesen Beschluß die von mir eingangs angedeuteten Schritte unternommen. Nur glaubt die Bundesregierung nicht — das darf ich noch einmal sagen —, daß durch eine öffentliche Mitteilung ihrer Absichten und der von ihr eingeleiteten Schritte der Sache ein Dienst erwiesen würde.
Ich breche die Fragestunde ab. Sie geht morgen um 14 Uhr weiter.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 23 des Ausschusses für Petitionen über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen (Drucksache IV/1689).
Ich frage, ob das Wort gewünscht wird. — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag des Ausschusses ist angenommen.
Punkt 3 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4679
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Gesetzes zu dem Sonderabkommen vom 7. Dezember 1957 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Arbeitslosenversicherung ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (Drucksache IV/1670).
Ich frage, ob der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Haase, das Wort wünscht. — Der Berichterstatter verzichtet. Wird sonst in zweiter Beratung das Wort gewünscht? — Es wird nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen.
Wer in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung.
Allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldungen.
Wer in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ist angenommen.
Punkt 4 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 7. Mai 1963 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und und der Republik Österreich über Kriegsopferversorgung und Beschäftigung Schwerbeschädigter ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen (Drucksache IV/1684).
Ich frage, ob der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Maucher, das Wort wünscht. — Der Berichterstatter verzichtet.
Ich eröffne die zweite Beratung und rufe Art. 1, 2, 3, 4 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Artikeln sowie der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung.
Allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldungen.
Wer in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In dritter Beratung angenommen.
Punkt 5 der Tagesordnung:
— Der Berichterstatter verzichtet.
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Gesundheitswesen (Drucksachen IV/1735, zu IV/1735).
Ich rufe auf § 1, — 2, — 2 a, 3, — 4. — Zur Einleitung und zur Überschrift liegt ein interfraktioneller Antrag *) vor, wonach eine etwas vernünftigere Bezeichnung gefunden werden soll. Das Gesetz soll heißen: „Gesetz über die Jugendzahnpflege". Das Haus ist mit diesem Änderungsvorschlag einverstanden? — Es ist so beschlossen. — Wer in zweiter Lesung zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Dritte Beratung.
— Keine Wortmeldungen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Abgestimmt werden muß noch über den Antrag des Ausschusses unter Nr. 2. Dem Antrag des Ausschusses wird zugestimmt? — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf den Punkt 8 der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet der Landbeschaffung (Drucksache IV/1648);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Inneres (Drucksache IV/1716). (Erste Beratung 98. Sitzung)
Der Berichterstatter, der Herr Abgeordnete Dr. Rinderspacher, verzichtet. Ich rufe auf Art. 1, — 2,
— 3, — Einleitung und Überschrift. — Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In zweiter Lesung angenommen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Keine Änderungsanträge. Ich eröffne die allgemeine Ausprache. — Keine Wortmeldungen.
Wer in dritter Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Punkt 9 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
*) Siehe Anlage 2 Gesetzes über steuerliche Maßnahmen zur Förderung von privaten Kapitalanlagen in Entwicklungsländern (Drucksache IV/1476);
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache IV/1711) ;
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir können unserer Fraktion unmöglich empfehlen, einer Entschließung zuzustimmen, die in sich so widerspruchsvoll ist und deren Gedankengänge zu einer gesetzlichen Lösung derart ungeeignet sind. Da die Sache so unklar ausgedrückt ist, daß es sich kaum lohnt, hier darüber zu reden und zu streiten, werden wir uns der Stimme enthalten.
Ich stelle die Entschließung Umdruck 366 zur Abstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen ist die Entschließung Umdruck 366 angenommen.
Zur Begründung .des Entschließungsantrages Umdruck 367 *) hat Herr Abgeordneter Dr. Löbe das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Beratung des Entwicklungshilfe-Steuergesetzes haben wir in allen Ausschüssen unter Zeitdruck gestanden. Deshalb ist eine dringende Sorge der deutschen Seeschiffahrt und der
*) Siehe Anlage 3
*) Siehe Anlage 4
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4681
Dr. Löbe
deutschen Luftfahrt nicht mit der genügenden Sorgfalt erörtert worden.
Der Entschließungsantrag hat zum Ziel, daß sich das Parlament mit dieser wichtigen Frage, die mit der Entwicklungshilfe in unmittelbarem Zusammenhang steht, etwas näher beschäftigt und daß auch die Bundesregierung an dieser Untersuchung Anteil nimmt, damit bei künftigen Verhandlungen nicht die Schwierigkeiten außer acht gelassen werden, die bisher der deutschen Seeschiffahrt so große Sorge gemacht haben. Ich bitte Sie deshalb, dem Antrag zuzustimmen.
Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 114 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 19. Juni 1959 über den Heuervertrag der Fischer ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für
Arbeit (Drucksache IV/1721).
— Zur Geschäftsordnung? — Was möchten Sie denn?
Herr Präsident, Sie haben eben zu der letzten Entschließung bei der Abstimmung gesagt: „Das letzte ist die Mehrheit".
Das ist ganz falsch!
Sie haben dann gesagt, der Antrag sei also angenommen. Man müßte annehmen, dann sei er abgelehnt gewesen. Ich bitte, das doch noch einmal zu klären.
Ich bedanke mich für den kritischen Hinweis. Wenn der Bundestagspräsident schläft, ist es natürlich schlecht.
Aber es ist ganz richtig im Protokoll; Sie können sich darauf verlassen. Ein Zuruf, Herr Abgeordneter, hätte aber auch genügt, um mich zum Bewußtsein des Irrtums zu bringen.
Meine Damen und Herren, was ich sagen wollte, ist natürlich, daß erstens dieses Gesetz unter
Punkt 9 unserer Tagesordnung — Entwicklungshilfe-Steuergesetz — angenommen ist, daß zweitens der Entschließungsantrag Umdruck 367 ebenfalls angenommen ist, und um ganz vollständig zu sein: Der Antrag Umdruck 366 ist auch angenommen. Ist nun alles klar? - Ich bedanke mich.
Jetzt geht es weiter mit Punkt 10 der Tagesordnung. Ich habe schon die zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 114 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 19. Juni 1959 über den Heuervertrag der Fischer aufgerufen.
Ich frage den Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Dr. Dörinkel, ob er das Wort wünscht. — Er verzichtet.
Ich rufe auf Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In zweiter Lesung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer diesem Gesetzentwurf in dritter Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in dritter Lesung angenommen.
Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. November 1962 über die Änderung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zum Zwecke der Assoziierung der Niederländischen Antillen ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (Drucksache IV/1725).
Ich frage den Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Metzger, ob er das Wort wünscht. — Der Herr Berichterstatter verzichtet.
Ich rufe auf Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift. — Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In zweiter Lesung angenommen.
Wir treten ein in die
dritte Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das
Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer
zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erhe-
4682 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
ben. — Gegenprobe! — In dritter Lesung angenommen.
Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. Juli 1962 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Ceylon zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen ;
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (Drucksachen IV/1742, zu IV/1742).
Ich frage den Herrn Abgeordneten Beuster, den Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. — Er verzichtet.
Ich rufe auf Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In zweiter Lesung angenommen.
Wir treten ein in die
dritte Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache.. — Keine Wortmeldungen.
Wer in dritter Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In dritter Lesung angenommen.
Ich rufe auf Punkt 13 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. Oktober 1962 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuer ;
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (Drucksachen IV/1743, zu IV/1743).
Ich frage den Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. — Der Berichterstatter verzichtet.
Ich rufe in zweiter Lesung auf Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer zuzustimmen wünscht, ,den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In zweiter Lesung angenommen.
Wir treten ein in ,die
dritte Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. - Keine Wortmeldungen.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In dritter Lesung angenommen.
Ich rufe auf Punkt 14 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Inneres (Drucksache IV/1729).
Das Wort hat der Herr Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit 1949 ist die Wahlkreiseinteilung unverändert. In der gleichen Zeit aber haben sich die Bevölkerungszahlen in den Ländern und in den Wahlkreisen sowohl absolut als auch im Verhältnis zueinander stark verschoben. Die Abweichung von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise soll nach dem Bundeswahlgesetz in einem Wahlkreis nicht mehr als 331/3% nach oben oder unten betragen. Diese Toleranz wird zur Zeit bei 37 Wahlkreisen überschritten. Der größte Wahlkreis der Bundesrepublik, Gelsenkirchen, zählt 384 000 Einwohner, der kleinste Wahlkreis, Norder-
und Süderdithmarschen, hat nur 128 000 Einwohner. Der im Grundgesetz und im Bundeswahlgesetz niedergelegte Grundsatz des gleichen Wahlrechts wird durch Überhangmandate in einigen Bundesländern gefährdet. Der letzte Bundestag hat auf eine Neueinteilung der Wahlkreise noch verzichtet. In diesem Bundestag ist es unsere Pflicht, die Wahlkreiseinteilung wieder mit der Bevölkerungsverteilung und damit wieder mit dem Gesetz in Einklang zu bringen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben von dem Herrn Berichterstatter gehört, daß an der ostfriesisch-oldenburgischen Nordseeküste aus drei bisherigen Bundestagswahlkreisen zwei gemacht werden sollen. Man fragt sich in der Bevölkerung, warum dies eigentlich geschehen muß. Und man nimmt dann die „Grundsätze für die Wahlkreiseinteilung" zur Hand, die die Wahlkreiskommission auf den Seiten 6 bis 8 der Drucksache IV/741 niedergelegt hat. Man kommt bei der Beantwortung dieser Frage dann zunächst einmal zu dem Ergebnis, daß der Vorschlag der Wahlkreiszusammenlegung nicht mit der Größe der beteiligten drei Bundeswahlkreise zu begründen ist. Die Bevölkerungszahl dieser Bundestagswahlkreise überschreitet in keinem Falle die Toleranzgrenze von 331/3 % nach oben oder nach unten, auch nicht .die Toleranzgrenze von 25 % nach oben oder nach unten, nicht einmal die Toleranzgrenze von 20 % nach oben oder nach unten. Man sollte deshalb davon ausgehen, daß hinsichtlich der Bevölkerungszahl dieser Wahlkreise keine Bedenken bestanden hätten, sie unverändert bestehen zu lassen. Zu dem Hinweis des Berichterstatters, daß die Bevölkerungszahl sich vermehren möge, damit man diesen Wahlkreis dann wieder einrichten könne, darf 'ich mitteilen, daß die Bevölkerungszahl sich jetzt laufend wieder vermehrt und daß es im übrigen gar nicht an der Bevölkerungszahl liegt, wenn der eine von den drei Bundestagswahlkreisen auf-
*) Siehe Anlage 5
4684 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Conring
gelöst werden soll und die beiden anderen geändert werden sollen.
Wenn Sie statt der drei Bundestagswahlkreise — nach dem Vorschlag ,des Innenausschusses — zwei Bundestagswahlkreise bilden, werden Sie das Ergebnis haben, daß die neuen Bundestagswahlkreise genau um dieselben Zahlenprozente über dem Bundesdurchschnitt liegen, wie die bisherigen Wahlkreise unter dem Bundesdurchschnitt lagen. Das wäre allenfalls noch erträglich, wenn nicht in der Drucksache der Wahlkreiskommission zum Ausdruck gebracht wäre, daß die jetzigen Bundestagswahlkreise „erheblich unter der durchschnittlichen Einwohnerzahl der Wahlkreise" lägen, und wenn nicht dieselbe Wahlkreiskommission bei den gleichen Prozentsätzen, die sich beider Neuordnung — diesmal über dem Bundesdurchschnitt — ergeben, erklärt hätte, daß dieselben Zahlen „in verhältnismäßig geringem Umfang" den Bundesdurchschnitt überstiegen. Dieser Widerspruch in der Begründung ist natürlich auch in den Bundestagswahlkreisen aufgefallen. Man hat sich vergeblich die Frage vorgelegt, warum dieselben Zahlen in dem einen Falle „erheblich" und in dem anderen Falle unerheblich, „verhältnismäßig gering" seien. Dieser Widerspruch ist nicht aufgeklärt worden. Wir können, aber davon abgesehen, überhaupt keinen sachlichen Grund finden, den Wahlkreis Leer-Wittmund aufzulösen.
Ist die neue Lösung besser als die bisherige Lösung? Sie wissen, ,daß Ostfriesland eine historisch gewachsene Einheit darstellt. Ostfriesland ist ein Fürstentum gewesen, das im Jahre 1744 nach dem Aussterben des ostfriesischen Fürstenhauses an Preußen fiel. Es ist von 1744 über die napoleonischen Wirren hin bei Preußen geblieben und wurde 1815 dem Königreich Hannover zugeteilt. Als das Königreich Hannover im Jahre 1866 verschwand, wurde es wieder dem Königreich Preußen zugeteilt. Aber in all den Zeitläufen wurde die Einheit Ostfrieslands erhalten. Diese Einheit wurde auch nach 1945 beibehalten, als Ostfriesland zu Niedersachsen kam.
Jetzt soll in bezug auf die Bundestagswahlkreise diese historisch gewachsene Einheit aufgelöst werden, indem man einen Teil Ostfrieslands den Ostfriesen überläßt, während man den anderen Teil mit dem oldenburgischen Stadtkreis Wilhelmshaven, einer Stadt von über 100 000 Einwohnern, und einem Teil des oldenburgischen Landkreises Friesland verbindet. Wir haben in Ostfriesland keinerlei Verständnis dafür, daß diese alte Einheit Ostfrieslands, die stets respektiert wurde und die sich auch bisher in den Bundestagswahlkreisen durchaus günstig ausgewirkt hat, jetzt zerstört werden soll. Wir sind der Auffassung, daß die Herren, die diesen Vorschlag gemacht oder ihm zugestimmt haben, allzusehr von statistischen Zahlen ausgegangen sind und gewachsene historische Einheiten nicht genügend berücksichtigt haben.
Meine Damen und Herren, dieselbe Einheit besteht bezüglich der wirtschaftlichen und sozialen Struktur. Ostfriesland ist ein strukturell einheitlich ländliches Gebiet. Es gibt unsere Hafenstadt —
Emden — mit 45 000 Einwohnern. Die nächst größere Stadt Leer hat 22 000 Einwohner.
Wenn Sie diese Einheit — nicht nur die historisch-politische, sondern auch die wirtschaftliche und soziale Einheit — bei Neueinteilung der Bundestagswahlkreise auflösen und zu einem angeblich besseren Ergebnis kommen, dann haben Sie den Vorschlag vor sich, den Sie hier in der Vorlage finden. Ostfriesland soll dann also wahlkreismäßig so aufgeteilt werden, daß die Hafen- und Handelsstadt Wilhelmshaven mit über 100 000 Einwohnern mit der ländlichen Regierungshauptstadt Ostfrieslands und den ländlichen Kreisen Wittmund und Aurich verbunden wird, unbekümmert darum, daß zwischen der Stadt Wilhelmshaven und Ostfriesland verhältnismäßig wenig Beziehungen bestanden haben und bestehen.
Man fragt sich in Ostfriesland, warum denn alle diese Gesichtspunkte — die ausreichende Bevölkerungszahl, die historisch-politische Einheit, die wirtschaftliche und soziale Einheit — bei der Neueinteilung der Bundestagswahlkreise nicht berücksichtigt werden. Man liest in den „Grundsätzen", die sich die Wahlkreiskommission selbst gegeben hat, vergeblich nach. Von allen diesen Grundsätzen sind in diesem speziellen Falle so gut wie alle verletzt oder nicht berücksichtigt. Selbst die Zerschneidung eines Landkreises — des oldenburgischen Landkreises Friesland — findet hier statt, etwas, was nach der Auffassung der Wahlkreiskommission überhaupt nur dann Platz greifen dürfte, wenn sonst „untragbare Abweichungen" von der Einwohnerzahl gegeben wären.
Bei dieser Situation kann man sich nicht darüber wundern, daß sich die gesamte Bevölkerung von Ostfriesland eindeutig und energisch gegen diese Neueinteilung gewandt hat. Die politischen Parteien Ostfrieslands, gleich welcher Färbung, sind der Auffassung, daß die Neueinteilung eine wesentliche Verschlechterung des bisherigen Zustandes darstelle. Die wirtschaftlichen Korporationen — die Industrie- und Handelskammer, die Handwerkskammer, die Landwirtschaft, die Ostfrieslandstiftung u. a. — sind der einmütigen Meinung, daß hier keine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung stattfindet. Auch die Presse, gleich welcher Richtung, hat erklärt, daß die Neuordnung — ich darf einmal zitieren — „kein Jota besser" sei als die bisherige Ordnung und daß kein Grund gefunden werden könne, der eine solche Neueinteilung rechtfertigen könne. Ja, eine der Zeitungen schließt ihre Betrachtungen damit ab, daß sie schreibt, wenn die Demokratie funktioniere, müsse es für uns bei der alten Einteilung bleiben; hier werde gegen die einhellige Volksmeinung ein bewährter Zustand nur verschlechtert.
Es ist mir einigermaßen unverständlich, daß man über diese einheitlichen Auffassungen einfach zur Tagesordnung übergegangen ist — auch im Ausschuß —, zumal irgendein ersichtlicher Grund, den man den Wählern in diesen ostfriesisch-oldenburgischen Wahlkreisen plausibel machen könnte, überhaupt nicht vorliegt.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4685
Dr. Conring
Bei dieser Sachlage, meine Damen und Herren, erhebt sich die Frage: Wie kann dem abgeholfen werden? Natürlich hätte man zu einer Neueinteilung der Wahlkreise in dem ganzen nordniedersächsischen Raum kommen können, ohne die Auflösung gerade dieses einen Wahlkreises an der Nordseeküste, zu der sich kein Grund darbietet, vorzuschlagen. Das hätte um so näher gelegen — und das ist den beteiligten Ausschußmitgliedern dargelegt worden —, als Ostfriesland ein Grenzland und ein Sanierungsgebiet ist, das sehr dringend darauf angewiesen ist, daß seine Abgeordneten im Bundestag u. a. auch die regionalen Interessen dieses Gebiets an der Nordseeküste, das etwas abseits gelegen ist, wahrnehmen.
Man könnte aber auch einen anderen Weg gehen. Denn wenn man zu einer Neueinteilung der verschiedenen nordniedersächsischen Wahlkreise käme, würde man natürlich wieder andere Wahlkreise berühren, die dann ihrerseits erklären würden: Hier bleibt zwar ein Wahlkreis erhalten, aber dort wird dafür ein anderer Wahlkreis aufgelöst. Deshalb bin ich mit einer Reihe von niedersächsischen Abgeordneten der CDU bei der Beratung dieses Gegenstandes zu dem Ergebnis gekommen, daß man in Ostfriesland den bisherigen Zustand belassen und statt der Auflösung einen neuen Wahlkreis für Niedersachsen schaffen sollte. Die Gründe, die gegen diesen Wunsch geltend gemacht werden, sind m. E. nicht durchschlagend. Ich will Sie damit nicht belästigen und auch nicht zu sehr ins einzelne gehen. Ich meine aber, daß der relativ beste und einfachste Weg wäre, nach dem bayerischen Vorbild zu verfahren und für Niedersachsen einen Wahlkreis mehr einzurichten, wie es in Niederbayern jetzt geschieht. Dann würde in Ostfriesland die alte Wahlkreiseinteilung bestehenbleiben können. Man sollte aber nicht — wie es in einem Kreistagsbeschluß heißt — „die verhängnisvolle und unzweckmäßige Zerreißung des bisher einheitlichen und in Jahrhunderten gewachsenen ostfriesischen Raumes" aus Gründen vornehmen, die keinem Menschen plausibel gemacht werden können.
Aus diesem Grunde habe ich mir erlaubt, den Antrag Umdruck 375 vorzulegen. Ich darf bei dieser Gelegenheit einen Druckfehler berichtigen, der sich beim Abschreiben eingeschlichen hat. Zu dem Wahlkreis 20, dem einen ostfriesischen Wahlkreis, der den Namen Aurich-Emden trägt, gehören die kreisfreie Stadt Emden, der Landkreis Aurich und der Landkreis Norden. Der andere ostfriesische Wahlkreis umfaßt die Landkreise Leer und Wittmund. Der dritte Kreis — Wilhelmhaven-Friesland — soll ebenfalls in dem alten Umfang bestehenbleiben.
Die notwendige Neueinteilung der Bundestagswahlkreise, gegen die man aus den bekannten, vom Berichterstatter vorgetragenen Gründen nichts einwenden kann — sie ist eine Notwendigkeit für die Gesamtheit —, sollte man nicht mit einem, wie wir meinen, schweren Unrecht gegenüber den an der ostfriesisch-oldenburgischen Küste liegenden Bundestagswahlkreisen belasten. Sie wissen vielleicht aus der Geschichte, daß die Friesen ein besonders ausgeprägtes Gefühl für Recht haben.
Aus den Reihen der Friesen sind große Rechtsdenker hervorgegangen, die Sie kennen. In der ostfriesischen Bevölkerung wird weitgehend die Auffassung vertreten, die u. a. in den Beschlüssen der ostfriesischen Landkreise und in den Beschlüssen der Städte Emden und Leer zum Ausdruck kommt, daß der ostfriesischen Bevölkerung kein Unrecht geschehen sollte, sondern daß ihr das Recht gegeben werden sollte, auf das sie Anspruch hat.
Deshalb bitte ich Sie herzlich, mit der Neueinteilung der Wahlkreise nicht eine, wie wir in Ostfriesland beinahe sagen müssen, willkürliche Auflösung eines einzelnen Wahlkreises zu verbinden, der keine Gründe für eine Auflösung aufweist. Ich bitte Sie deshalb, unseren Änderungsantrag Umdruck 375 anzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Conring, es ist nicht richtig, daß — wie Sie sagen— der Ausschuß über die Wünsche von Ostfriesland zur Tagesordnung übergegangen sei. Wir haben uns sehr lange und eingehend bemüht, bessere Regelungen zu finden. Aber das war einfach nicht möglich. So einfach, wie Sie und einige Kollegen es sich machen — einen anderen Wahlkreis aufzuteilen und, wenn das nicht geht, schließlich einen weiteren Wahlkreis vorzuschlagen —, geht es leider nicht. Der Vorschlag, den die Antragsteller hier vorlegen, ist schlicht verfassungswidrig. Wenn neue Wahlkreise geschaffen würden, würden nach den Prozentzahlen zunächst Hamburg und Hessen jeweils einen weiteren Wahlkreis erhalten müssen und dann erst das Land Niedersachsen.
Ich will nicht auf die weiteren Argumente eingehen, die der Herr Kollege Conring hier vorgetragen hat: schweres Unrecht, Zerreißung, Gefühl für Recht. Herr Kollege Conring, hier haben Sie sich etwas übersteigert. Wir sind auch alle für Recht. Sie wollen doch nicht behaupten, daß wir hier jemandem Unrecht tun wollen. Lesen Sie die Begründung der Regierungsvorlage und den Bericht der Wahlkreiskommission. Wenn wir es uns so einfach machten, wie Sie es vorhaben, könnten in Deutschland noch 15 weitere Gegenden mit dem gleichen Anspruch kommen, noch einen Wahlkreis zu bekommen. Das würde dazu führen, daß die gesamte Wahlkreiseinteilung gefährdet würde.
Ich bitte um Ablehnung dieses Antrages.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte ein
4686 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Vogel
anderes Argument in die Debatte einführen, das mittelbar mit den Argumenten zu tun hat, die Herr Dr. Conring anführte. Ich glaube, es ist hier der Platz, etwas zusätzlich zu sagen.
Durch die neue Wahlkreiseinteilung werden sehr viele direkte, seit 14 Jahren bestehende Bande zerschnitten und zerrissen, die zwischen Abgeordneten und den Wählern in ihrem Wahlkreis mühsam geknüpft worden sind.
- Das wollte ich gerade sagen; das trifft Sie genauso, wie mich das trifft.
— Entschuldigen Sie — ich jammere auch nicht darüber, und ich wundere mich, daß Sie das als „jammern" bezeichnen, Herr Kollege Wehner. Wir rühren hier an einen der wesentlichsten Bestandteile im Funktionieren unserer parlamentarischen Demokratie; und da sollten wir nicht mit solchen Ausdrücken operieren, wie Sie das soeben getan haben.
Es kommt mir hier darauf an, ein Argument anzuführen, das inmitten der notwendigen Berechnungen bis jetzt nach meinem Dafürhalten noch nicht seinen Niederschlag gefunden hat. Wir haben eine parlamentarische Demokratie. Diese parlamentarische Demokratie ringt auch bei uns noch um ihre Anerkennung in den breitesten Massen. Es ist kein unwesentliches Argument, wenn hier bei dieser Gelegenheit auch derer gedacht wird, die bis jetzt 14 Jahre hindurch sich mit ihren Abgeordneten in Dörfern und Städten verbunden gefühlt haben und die nun durch einen notwendigen, auch von uns als notwendig anerkannten Verwaltungsakt aus diesem Verhältnis herausgerissen werden. Ich glaube, es ist notwendig, daß das an dieser Stelle auch einmal gesagt wird. Denn hier werden Bande zerschnitten, die im Laufe von 14 Jahren mühsam geknüpft worden sind, hier wird eine Arbeit unterbrochen, die im Laufe von 14 Jahren gediehen ist; das kann nicht so ohne weiteres durch diesen neuen Verwaltungsakt ersetzt werden. Ich bitte Sie also, auch dieses, wenn Sie wollen: psychologische Moment, Herr Kollege Wehner, dabei nicht völlig außer acht zu lassen, wenn hier aus zwingenden Notwendigkeiten zu einer Ausbalancierung des Gleichgewichts innerhalb der Bundesrepublik gekommen werden muß. Wir sehen ein, daß das notwendig ist; aber ich glaube, es ist unsere Pflicht, auch auf dieses sehr wichtige psychologische Moment hinzuweisen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wagner.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist notwendig, doch noch eine Bemerkung zu dem Antrag Umdruck 375 zu machen.
Mit dem Vorschlag des Innenausschusses, die Zahl der Wahlkreise von 247 auf 248 zu erhöhen, wurden mögliche Ungerechtigkeiten bei der Verteilung der Wahlkreise auf die Bundesländer vermieden. Ich bin mir bewußt, daß die Verhältnisse in Niedersachsen trotzdem nicht voll befriedigen können. Wir haben deshalb auch geprüft, ob diese Härte durch eine Erhöhung der Zahl der Wahlkreise auf 249 vermieden werden könnte. Wir mußten aber feststellen, daß vor der Zuteilung eines Wahlkreises an Niedersachsen auf Grund der Reststimmenzahlen zuerst Hessen und Hamburg zum Zuge kämen. Wir müßten also, um Niedersachsen zu helfen, insgesamt sechs zusätzliche Abgeordnetensitze schaffen. Der Antrag in der Fassung des Umdrucks 375 widerspricht deshalb dem Grundsatz der Gleichbehandlung. Ich muß Sie trotz aller Zuneigung zum Lande Niedersachsen bitten, diesen Antrag abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Gerlach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Schriftlichen Bericht Drucksache IV/1729 hat der Herr Berichterstatter im Teil II darauf hingewiesen, daß der Ausschuß für Inneres bei seinen Beratungen davon ausgegangen ist, daß der Entwurf der Bundesregierung - Drucksache IV/1376 — und damit der Bericht der Wahlkreiskommission nicht wesentlich verändert werden könne, ohne daß die notwendige Neueinteilung der Wahlkreise in dieser Legislaturperiode überhaupt gefährdet würde. Über die Notwendigkeit der Neueinteilung der Wahlkreise gibt es keine Meinungsverschiedenheiten. Es ist mir aber trotz des Hinweises im Schriftlichen Bericht nicht recht verständlich, warum begründete Änderungswünsche, die dem Inhalt und dem Sinn des Bundeswahlgesetzes eher entsprechen als der Bericht der Wahlkreiskommission, keine Berücksichtigung fanden. Es ist anzuerkennen, daß der Ausschuß für Inneres schnell gearbeitet hat. Hierin ist, so glaube ich, auch der Grund dafür zu finden, daß die Vorschläge der Wahlkreiskommission eine so weitgehende Billigung gefunden haben.
Der Änderungsantrag Umdruck 375 hat zum Zweck, die natürlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge Ostfrieslands, der nordwestlichen Ecke der Bundesrepublik, wiederherzustellen, wie es das Bundeswahlgesetz vorsieht. Nach dem Vorschlag der Wahlkreiskommission sollen die Landkreise Aurich und Wittmund dem Wahlkreis Wilhelmshaven zugeordnet werden. Die Stadt Aurich ist Sitz des ostfriesischen Regierungspräsidenten und der altehrwürdigen Körperschaft der „Ostfriesischen Landschaft." Der Landkreis Aurich bildet mit den übrigen ostfriesischen Landkreisen und der kreisfreien Stadt Emden nicht nur einen Regierungsbezirk, sondern auch nach der Struktur, seinen Menschen, Gewohnheiten und natürlichen Gegebenheiten ein einheitliches Ganzes. Die kreisfreie Stadt Wilhelmshaven, die zum Verwaltungsbezirk Oldenburg gehört, hat mit dem Landkreis Aurich überhaupt keine und mit dem Landkreis Wittmund nur sehr vage Zusammenhänge.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4687
Gerlach
Unverständlicherweise sollen auf Vorschlag der Wahlkreiskommission die zum Teil vor der Stadt Wilhelmshaven liegenden großen Gemeinden Sande, Zeteln, Bockhorn und Neuenburg, die überdies eng mit Wilhelmshaven verbunden sind, dem neuen Wahlkreis Oldenburg zugeteilt werden. Das eine ist so widersprüchlich wie das andere.
Der vorliegende Änderungsantrag geht davon aus, die bestehenden gebietlichen Zusammenhänge zu respektieren, aber nicht neue unbegründete und dem Bundeswahlgesetz widersprechende Neugliederungen zu schaffen.
Meine Damen und Herren, ich bin kein Ostfriese und erhalte auch nicht das Indigenat der „Ostfriesischen Landschaft'', wenn ich mich hier für die Beibehaltung der ostfriesischen Wahlkreise einsetze. Wer aber dieses Land kennt, der weiß um seine Eigenart und die seiner Menschen, der weiß auch um die Schwierigkeiten, mit denen dieses Land als Grenzland an der Nordsee und an den Grenzen der Niederlande zu kämpfen hat.
Der Änderungsantrag hat trotz des Votums des Innenausschusses eine im Bundeswahlgesetz liegende Begründung. Wirtschaftliche, strukturelle und landschaftliche Gegebenheiten werden dadurch wiederhergestellt.
Ich bitte, diesem Antrag zuzustimmen, um Ungerechtigkeiten zu vermeiden.
Keine weiteren Wortmeldungen. Dann kommen wir zur Abstimmung über Ziffer 1 des Änderungsantrags der Abgeordneten Dr. Conring, Burgemeister und Genossen, Umdruck 375. Wer zustimmen will, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! - Enthaltungen? — Die ablehnenden Stimmen waren ,die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe dann den Art. I Nr. 1 — in der Fassung des Ausschußbeschlusses —, Nr. 2, Nr. 3, Nr. 4, Nr. 5 und Nr. 6 auf. — Wer zustimmen will, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Es liegt ein Änderungsantrag Umdruck 363*) vor, eine Nr. 6 a und eine Nr. 6 b einzufügen. Wird zu diesem Antrag das Wort gewünscht? — Bitte, Herr Kollege Dr. Jaeger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag hat nichts mit der umstrittenen Wahlgeometrie zu tun. Es handelt sich um einen Antrag, den das Präsidium dieses Hauses gestellt hat. Jedenfalls hat mich Herr Präsident Dr. Gerstenmaier ausdrücklich ermächtigt, dies hier zu sagen. Es fehlt allerdings die Unterschrift unseres Kollegen Schoettle, die aber nur deswegen nicht zu erreichen war, weil er bedauerlicherweise seit längerer Zeit erkrankt und nicht hier in Bonn ist.
Es handelt sich bei diesem Antrag um zweierlei Fragen. Einmal soll durch die Einfügung von Nr. 6 a erreicht werden, daß das Mandat auch im
*) Siehe Anlage 6 Ausland niedergelegt werden kann, eine Bestimmung von geringer politischer Bedeutung, aber von einer gewissen Zweckmäßigkeit. Zum zweiten soll die Bestimmung abgeschafft werden, daß über die Niederlegung eines Mandats der Vorstand des Deutschen Bundestages entscheidet. Dies hat sich in der Praxis als umständlich und zeitraubend erwiesen; es hat die Niederlegung zeitlich weit hinausgeschoben. Außerdem bestehen verfassungsrechtliche Zweifel, ob das Recht des Abgeordneten, sein Mandat niederzulegen, überhaupt durch einen Vorstandsbeschluß beeinträchtigt werden kann. Dieser juristische Streit ist nie ausgetragen worden, weil der Vorstand in der Vergangenheit einem solchen Wunsch, wenn auch mit Verzögerung, immer Rechnung getragen hat. Aber weil eben solche Zweifel bestehen, ist es zweckmäßig, diese Bestimmung abzuschaffen. Ich darf Ihnen gemeinsam mit den Herrn Kollegen Dr. Schmid und Dr. Dehler, die den Antrag unterschrieben haben, und dem Herrn Präsidenten Dr. Gerstenmaier die Annahme des Antrages empfehlen.
Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir stimmen dann ab über den Änderungsantrag auf Umdruck 363. Wer zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen! — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Einstimmige Annahme! Dann sind also in Artikel I die Nummern 6 a und 6 b eingefügt.
Ich rufe dann auf Nr. 7. Hierzu liegt noch der Änderungsantrag auf Umdruck 375 unter Ziffer 2 vor. Herr Kollege Conring, wird der Antrag aufrechterhalten?
— .Er ist in der Sache erledigt. Ich bitte dann um
Ihre Erklärung: wird der Antrag zurückgenommen?
— Der Antrag wird aufrechterhalten. Dann müssen wir darüber abstimmen.
Wir stimmen also ab über den Antrag der Abgeordneten Dr. Conring, Burgemeister und Genossen auf Umdruck 375 unter Ziffer 2. Wer diesem Antrag zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen!
— Gegenprobe! — Der Antrag ist 'abgelehnt.
Ich rufe dann auf Nr. 7 in der Fassung des Beschlusses des Ausschusses. Wer zustimmen will, gebe bitte Handzeichen! — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme!
Ich rufe auf Nr. 8. Hier liegt zunächst der Änderungsantrag auf Umdruck 369 *) der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP vor. Wird hierzu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich über diesen Antrag abstimmen. Wer dem Antrag auf Umdruck 369 zustimmen will, gebe bitte das
*) Siehe Anlage 7
4688 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Vizepräsident Dr. Dehler
Handzeichen! — Gegenprobe! — Enthaltungen? —Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Es liegt weiter vor der Antrag auf Umdruck 372 **) der Abgeordneten Frau Kalinke, Werner, Missbach, Dr. Pflaumbaum, Burgemeister, Böhme und Genossen. Das Wort zur Begründung hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Über die Verhältnisse, die sich aus der im Ausschuß vorgenommenen Änderung und .aus den Beschlüssen und Vorschlägen der Kommission in Niedersachsen ergeben, hat die soeben beendete Debatte schon einiges sehr deutlich gemacht. Es wird niemanden hier im Hause geben, der uns nicht bestätigen wird, daß die Verhältnisse in Niedersachsen außerordentlich unbefriedigend sind. Es wird niemanden geben, der nicht die Notwendigkeit einsieht, das zum mindesten hier in allem Ernst zum Ausdruck zu bringen, auch wenn der Antrag auf Umdruck 372 sich speziell auf die hannoverschen Wahlkreise bezieht.
Ich verzichte darauf, über die weiteren Probleme in Niedersachsen jetzt zu sprechen. Ich will vielmehr in dem Antrag, der gemeinsam nicht nur von meinen Freunden aus Niedersachsen, sondern gemeinsam mit vielen Kollegen aus allen Bundesländern gestellt ist, nur auf das besondere Problem der Landeshauptstadt Niedersachsens, Hannover, hinweisen. Wir sehen durchaus manche Argumente ein, die von der Kommission und von .den Kollegen geltend gemacht worden sind, die sich für die Kommissionsvorschläge auch zuungunsten vieler .spezieller Wünsche in unserem Lande ausgesprochen haben. Wir haben Verständnis für manche Änderung, so hart sie auch ist. Wir haben aber kein Verständnis, daß sich die Mehrheit im Ausschuß dafür ausgesprochen hat — ja, ich glaube, es war sogar einstimmig, und ich spreche das offen aus —, in fast allen entscheidenden Fällen die Sonderwünsche und einzelne begründete Anträge mit dem Hinweis auf die Kommissionsvorschläge abzulehnen, aber ausgerechnet im Falle der Landeshauptstadt Hannover die Kommissionsvorschläge zugunsten der Wünsche der sozialdemokratischen Fraktion und der Landesregierung in Niedersachsen abzulehnen.
Wir sehen die Notwendigkeit der Schaffung eines dritten Wahlkreises in Hannover ein. Wir haben aber auch kein Verständnis — das möchte ich hier .ganz objektiv feststellen — für die Begründung im Ausschußbericht. Im Ausschußbericht ist gesagt, daß .der Entwurf nicht wesentlich verändert werden kann, ohne 'die notwendige Neueinteilung der Wahlkreise in dieser Legislaturperiode überhaupt zu gefährden. Auf diesen Satz will ich, um die Debatte nicht zu verlängern, nicht mehr besonders eingehen. Er verdiente untersucht zu werden!
Manches Vernünftige und Richtige dagegen ist schon gesagt worden. Wenn aber die Änderung nach allgemeiner und !unbestrittener Auffassung, wie es in diesem Bericht heißt, in räumlicher und struktureller Hinsicht eine Verbesserung der Regie-
**) Siehe Anlage 8 rungsvorlage bedeutet, so muß ich dem in bezug
auf die Landeshauptstadt entschieden widersprechen. Der Ausschußbericht enthält die Feststellung
— die der Vorsitzende und der Berichterstatter gemeinsam unterzeichnet haben —, daß es sich bei der Landeshauptstadt und damit bei der Änderung der Wahlkreise 36, 37, 38 und 41 nur „um geringfügige Änderungen" handelt. Ich muß, auch im Namen meiner Freunde, .sagen, daß hiervon keineswegs die Redesein kann.
Wir haben verstanden, daß man sich im Ausschuß mit manchen Dingen, wie der Herr Vorsitzende hier gesagt hat, große Mühe gegeben hat. Im Falle der Landeshauptstadt Hannover scheint mir das weniger .der Fall gewesen zu sein.
— Ich bin nicht Mitglied Ihres Ausschusses. Aber ich habe mich bemüht, bei der Diskussion dieser Frage ,die Motive 'und die Hintergründe sehr eingehend zu untersuchen und habe festgestellt, daß schon aus dem Kommissionsbericht und aus der von der Kommission gegebenen Begründung erkennbar ist, wohin die Wünsche der niedersächsischen Landesregierung und die Wünsche unserer verehrlichen Opposition in diesem Hohen Hause in diesem Fall gehen.
Ich spreche das sehr offen aus, weil ich immer für ein offenes Wort bin und weil ich meine, daß es sich .die loyalen Vertreter der Opposition selber angelegen sein lassen werden, in dieser Frage nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, daß es sich hier um andere Hintergründe handelt.
— Gut, das werde ich bei der Abstimmung sehen, Herr Vorsitzender.
Wir bedauern jedenfalls, .daß man den Vorschlägen der Kommission hier nicht gefolgt ist, obwohl gerade Sie, Herr Schmitt-Vockenhausen, bei der Ablehnung von anderen Wünschen immer wieder Wert darauf gelegt haben, zu betonen, daß es die Vorschläge der Kommission seien, auf die man Rücksicht nehmen solle. Aber in Hannover wird man genauso wie in anderen Bezirken fragen, warum denn gerade hier Sie und Ihre Freunde mit der niedersächsischen Landesregierung von diesem Grundsatz, der Kommission und ihren Vorschlägen zu folgen — ich halte die Vorschläge der Kommission für loyal, für neutral und für sehr gut überlegt —, abgegangen sind. Diese Änderung steht auch im Gegensatz zu der Erklärung im Ausschußbericht, wonach der Ausschuß davon ausgegangen ist, daß der Entwurf nicht wesentlich verändert werden könnte, ohne notwendige Neuregelungen zu gefährden.
Aus diesem Grunde haben meine Freunde zwar darauf verzichtet, weitere Anträge zu stellen, sehen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4689
Frau Kalinke
sich aber nicht in der Lage, darauf zu verzichten, das Problem der hannoverschen Wahlkreise hier zu erwähnen und um Ihr Verständnis und um Ihre Stimme für die Wiederherstellung der Regierungs- und der Kommissionsvorlage zu bitten.
Es war der erklärte Wille ,der Kommission, daß, wie der Abgeordnete Vogel hier erklärt hat, auch auf die Gewöhnung der Wähler und die Zusammenhänge zwischen ihnen und ihren Abgeordneten Rücksicht genommen werden soll. Wir sind der Meinung, daß bei der Neuschaffung eines dritten Wahlkreises auf zusammenhängende Bezirke Rücksicht genommen werden muß. Trotzdem glaube ich, daß, alles in allem, die Kommission bemüht gewesen ist, loyal zu verfahren, und auch Gründe gehabt hat, bei gründlicher Prüfung schon bei der Entstehung dieses Gesetzes die Wünsche der Landesregierung von Niedersachsen im Stadium der Vorbereitung anzuhören, aber nicht zu berücksichtigen. Es ist auffällig, daß, wie aus dem Bericht zu erkennen ist, alle Anregungen aller Landesregierungen bis auf diese eine berücksichtigt werden konnten.
Ich wäre daher dankbar, wenn sich die Kollegen aller Fraktionen in diesem Hause in diesem Punkt, der Neugründung eines dritten Wahlkreises in Hannover, darauf einigen könnten, die Vorschläge der Kommission, die so gründlich geprüft worden sind, und auch die Vorschläge ,der innerstädtischen Abgrenzung in den neuen Großräumen, die sich weitgehend auf Stellungnahmen auch der städtischen Verwaltungen stützten
— so steht es in dem Bericht —, zu berücksichtigen.
— Sie werden mir zugeben, Herr Kollege, daß der Versuch der Kommission zur objektiven und unparteiischen Beurteilung ,der Situation in keiner Weise bestritten werden kann. Sie werden, wenn Sie anderer Auffassung sind, zu erläutern haben, welche Gründe und Hintergründe es geben kann, in diesem Ausnahmefall im Lande Niedersachsen und vor allem in der Landeshauptstadt Hannover der Kommission nicht zu folgen. Ich werde mich freuen, wenn sich auch in Ihrer Fraktion — Herr Kollege, ich sage das auf Grund Ihres Zurufs — Kollegen finden, die namens der sozialdemokratischen Fraktion zum Ausdruck bringen, daß ihnen bei dieser Entscheidung daran liegt, jeden Verdacht eines parteipolitischen Interesses auszuräumen, indem sie den Kommissionsvorschlägen folgen.
Ich bitte das Haus, die Regierungsvorlage wiederherzustellen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Miessner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin etwas verwundert, daß hier auf die tatsächlichen Verhältnisse des Großraums Hannover abgehoben wird und meine Vorrednerin
dann zu einem Ergebnis kommt, das gerade diesen einheitlichen Großraum wieder zerreißt. Ich darf daher namens meiner Fraktion erklären, daß wir gerade, weil sich in den letzten Jahren die Entwicklung zum Großraum Hannover, der die Gebiete der Stadt und des Landkreises umfaßt, vollzogen hat, diesen Großraum nun nicht durch eine davon abweichende Wahlkreiseinteilung wieder auseinanderreißen wollen. Das aber würde geschehen, wenn man dem Vorschlag der Frau Abgeordneten Kalinke folgte. Nach der Vorlage des Ausschusses haben wir jetzt den guten Zustand, daß sich die drei Wahlkreise 36, 37 und 38 mit dem Gebiet des Großraums Hannover voll decken, und darum sollte man es dabei belassen.
Im übrigen, meine Damen und Herren, sind die Dinge im Ausschuß sehr sachlich besprochen worden. Es sind dies keine Fragen von Opposition oder Regierung.
Das Wort hat der Abgeordnete Rollmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Kalinke hat sich hier mit sehr nebulösen Andeutungen erkundigt, was den Ausschuß dazu bewogen hat, eine Änderung der Wahlkreise in Hannover vorzuschlagen.
Herr Dr. Miessner hat soeben bereits einige Gründe dargelegt, nämlich die Schaffung des Großraums Hannover-Stadt und -Land. Meine Damen und Herren, wenn Sie sich einmal die Mühe machten, einen Stadtplan von Hannover vorzunehmen, könnten Sie sehen, daß die Einteilung, die wir im Ausschuß einstimmig gefunden haben, eine bedeutend bessere Abgrenzung der Stadtkreise in Hannover vorsieht als jene, die die Regierung vorgeschlagen hat. Ich glaube, daß die Gliederung, die wir auf diese Weise gefunden haben, wirklich die bessere ist.
Herr Dr. Vogel hat soeben davon gesprochen, daß wir alte Wahlkreise erhalten sollten. Durch die Neuregelung für den Raum Hannover, die wir im Ausschuß gefunden haben, ist es möglich gewesen, daß ein weiterer Wahlkreis voll und ganz erhalten geblieben ist, nämlich der Wahlkreis HamelnSpringe. Damit hat sich die Zahl der Wahlkreise, die in ihrem Besitzstand erhalten geblieben sind, von 93 auf 94 erhöht.
Auch das ist ein Argument, das einmal deutlich gesagt werden muß. Ich darf Sie daher bitten, der Ausschußvorlage Ihre Zustimmung zu geben.
Herr Abgeordneter Burgemeister hat das Wort.
4690 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte die Ausführungen meiner Kollegin Frau Kalinke hier sehr nachdrücklich unterstützen. Ich möchte Bezug nehmen auf das, was der Herr Kollege Miessner in bezug auf den Großraum Hannover soeben vorgetragen hat. Es könnte der Eindruck entstehen, die Fragen des Großraums Hannover seien bei der Beurteilung der Anträge der SPD im Ausschuß nicht genügend berücksichtigt worden. Ich darf deswegen darauf verweisen, daß schon die Wahlkreiskommission in der Drucksache 741 sehr deutlich gemacht hat, daß die Frage Hannover bei der Kommission eine entscheidende Rolle gespielt hat und daß die Kommission nach eindeutiger Abwägung der auch von der Landesregierung in Hannover vorgebrachten Argumente sich dahin entschlossen hat, die Regelung vorzuschlagen, die in der Regierungsvorlage enthalten ist.
Es heißt in dem Bericht der Wahlkreiskommission der Bundesregierung ausdrücklich:
Die Landesregierung hat gegen die Vorschläge keine Einwendungen erhoben, mit Ausnahme der Vorschläge zur Neugliederung im Raum Hannover. Den Gegenvorschlägen konnte die Kommission nach sorgfältiger Prüfung jedoch nicht folgen, weil die Zuteilung eines 3. Wahlkreises für die Stadt Hannover allein im Vergleich zu anderen Großstädten mit mehreren Wahlkreisen nicht vertretbar erschien und weil die Zusammenfassung der räumlich getrennten Teile des Landkreises Hannover zu einem Wahlkreis nur um den Preis der Veränderung weiterer Wahlkreise und der Schaffung überdurchschnittlich großer Wahlkreise in dünn besiedelten Gebieten möglich gewesen wäre.
Ich möchte damit deutlich machen, daß die Frage sehr wohl überprüft worden ist und daß sie deswegen nach unserer Meinung nicht hier noch einmal erörtert werden muß. Wir sind der Meinung, daß die Vorschläge, die im Regierungsentwurf enthalten sind, wohlbegründet sind und den Verhältnissen besonders Rechnung tragen.
Ich bitte Sie wirklich noch einmal sehr dringend — ich kann es von der SPD sicher nicht verlangen, daß sie es tut, aber ich bitte meine Freunde und ich bitte die Freunde von der FDP-Fraktion —, diesem Antrag, den Frau Kollegin Kalinke gestellt und begründet hat, Ihre Zustimmung zu geben.
Wir stimmen nunmehr über den Antrag Umdruck 372 ab. Wer zustimmt, gebe bitte das Zeichen. — Gegenprobe! -
Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Dann noch der Antrag auf Umdruck 375 — der Abgeordneten Dr. Conring, Burgemeister und Genossen — unter Ziffer 3. Der Antrag wird aufrechterhalten; wir müssen darüber abstimmen. Wer ihm zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Weiterhin ist eingereicht worden der Änderungsantrag zu Art. I Nr. 8 von den Abgeordneten Zoglmann, Busse und Genossen, Umdruck 377*)
Ich gebe das Wort zur Begründung und, da der Antrag noch nicht verteilt ist, zur Verlesung des Antrags dem Herrn Abgeordneten Zoglmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Änderungsantrag zu Nr. 8 hat folgenden Wortlaut:
Nummer des Wahlkreises: 103
Name des Wahlkreises: Bielefeld-Land
Gebiet des Wahlkreises: Landkreis Bielefeld und Halle
Nummer des Wahlkreises: 106
Name des Wahlkreises: Paderborn — Wiedenbrück
Gebiet des Wahlkreises: Landkreis Paderborn Landkreis Wiedenbrück.
Der Zweck dieses Antrags ist es, die Stadt Gütersloh als Hauptstadt des Kreises Wiedenbrück im Bereich des Wahlkreises zu lassen, in dem sie sich befindet, nämlich im Bereich des Wahlkreises Paderborn-Wiedenbrück. Gütersloh ist als Hauptstadt des Kreises Wiedenbrück der wirtschaftliche, kulturelle und natürliche Mittelpunkt des Wahlkreises. Es besteht keine Veranlassung zu einer Änderung; denn die jetzigen Zahlen befinden sich innerhalb der Toleranzgrenzen: der Wahlkreis Bielefeld-Land minus 13 %, der Wahlkreis Paderborn-Wiedenbrück, wie er nach diesem Antrag beibehalten werden soll, plus 28 % gegenüber dem Bundesdurchschnitt, d. h. innerhalb der Toleranzgrenze von plus 33 %.
Ich bitte das Haus, diesem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich gibt es noch eine Reihe Wünsche anderer und ähnlicher Art wie den hier vom Herrn Kollegen Zoglmann vorgetragene Änderungsvorschlag. Wir können zu unserem großen Bedauern nicht darauf eingehen. Ich bitte das Haus, den Antrag abzulehnen.
Wir stimmen ab über den soeben verlesenen Änderungsantrag der Abgeordneten Zoglmann und Genossen. Wer zustimmen will, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen dann ab über Art. I Nr. 8 in der Fassung der Vorlage, Art. II, Art. III, Einleitung und Überschrift. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen eine Stimme angenommen.
*) Siehe Anlage 9
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4691
Vizepräsident Dr. Dehler
Ich schließe die zweite Beratung und eröffne die
dritte Beratung.
Als Änderungsantrag zur dritten Lesung ist der Antrag der Abgeordneten Dr. Conring, Burgemeister und Genossen neu eingebracht worden. Ich kann wohl en bloc über diesen Antrag abstimmen lassen. Wer ihm zustimmt, gebe Zeichen. — Gegenprobe!
— Der Antrag ist abgelehnt.
Weitere Anträge liegen nicht vor, auch keine Wortmeldungen. Ich kann dann in der dritten Beratung über die Vorlage in der Fassung der Beschlüsse der zweiten Lesung abstimmen lassen. Wer zustimmt, erhebe sich. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei wenigen Gegenstimmen angenommen.
— Hat die Erklärung jetzt noch Sinn, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen?
— Dann bestehen wohl keine Bedenken, daß die Erklärung abgegeben wird.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei Vorlagen, die das Hohe Haus und seine Mitglieder betreffen, verzichtet das Haus gerne auf eine Debatte. Das ist verständlich. Aber wir wissen auch, daß das in der Öffentlichkeit oft falsch ausgelegt wird. Es ist daher vielleicht doch gut, wenn wenigstens einige grundsätzliche Bemerkungen zu der jetzt verabschiedeten Änderung der Wahlkreiseinteilung gemacht werden.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß natürlich jeder von uns weiß — der Herr Kollege Vogel hat schon davon gesprochen —, daß diese Wahlkreiseinteilung für viele verdiente Mitglieder des Hauses eine schwere Entscheidung ist. Ich will die Schwere und Tragweite hier gar nicht verkleinern. Um so dankbarer sind wir alle, daß das Haus sich die Vorlage des Innenausschusses zu eigen gemacht hat. Sicher wäre es leichter gewesen, wenn einige Jahre früher schon einmal eine Änderung erfolgt wäre und wenn nicht der mahnende Finger des Bundesverfassungsgerichts im Hintergrund der heutigen Verabschiedung gestanden hätte.
Wer gehofft hatte, der Ausschuß könne sich in eine wahlrechtssystematische Diskussion begeben, mußte enttäuscht werden. Eine Debatte hätte sicher die innenpolitischen Auseinandersetzungen belebt. Aber wir mußten schnell gute Arbeit leisten, um eine Vorlage zu bringen, die so rechtzeitig vor den Wahlen in Kraft treten kann, daß Wähler, Parteien und Abgeordnete sich darauf einstellen können.
Welche Gesichtspunkte waren nun neben den von der Kommission in ihrem Bericht ausführlich dargestellten für uns entscheidend? Im Grunde hätte schon in den 50er Jahren eine Neueinteilung vorgenommen werden müssen. Der Herr Berichterstatter hat das dankenswerterweise heute noch einmal sichtbar gemacht. Die Chancengleichheit war nach der jetzigen Wahlkreiseinteilung nicht mehr genügend gesichert.
Die ungünstige Einteilung der Wahlkreise hat dazu geführt — und das war der zweite Grund —, daß ständig Überhangmandate entstanden sind. Wir haben mit der heute beschlossenen Lösung die Ursache für derartige Überhangmandate abgebaut. Drittens hat der Ausschuß keine Wahlkreisgeometrie betrieben und keine Veränderungen in den Chancen der Parteien vorgenommen.
Das ist summa summarum der Inhalt unserer Beratungen gewesen. Wir haben hier schnell die Klarheit geschaffen, die lange genug vor den Wahlen für die Wähler, für die Abgeordneten und nicht zuletzt für die Parteiorganisationen, die sich mit der Aufstellung der Kandidaten beschäftigen müssen, notwendig ist.
Ich möchte herzlich den Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen danken, die den Ausschuß bei der Erörterung und Ablehnung von Sonderwünschen unterstützt haben. Ich möchte aber auch all den Mitgliedern des Hohen Hauses herzlich danken, die sicher gute Gründe für Änderungsanträge gehabt hätten und die heute dennoch im Interesse einer schnellen Verabschiedung dieser Vorlage darauf verzichtet haben, solche Anträge zu stellen.
Einige Fragen und Wünsche sind offengeblieben. Ich denke an die Frage, ob das Wahlrecht für die Seeleute durch die Veränderung der Fristen genügend gesichert ist. Darüber werden wir im März oder April im Ausschuß noch einmal sprechen. Wir werden dann auch noch die Möglichkeiten des Wahlrechtes der Europabeamten und eventuell der Auslandsdeutschen behandeln.
Heute hat das Hohe Haus mit diesem Gesetz insgesamt eine wichtige und wesentliche Entscheidung getroffen. Ich danke Ihnen sehr.
Ich schließe die Beratung über diesen Punkt und rufe auf Punkt 15 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Spar-Prämiengesetzes ;
Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (Drucksachen IV/1712, zu IV/1712).
Es liegt vor der Schriftliche Bericht des Wirtschaftsausschusses, erstattet durch den Abgeordneten Porzner. Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird eine mündliche Ergänzung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Beratung und rufe auf Art. 1. Es liegen vor Änderungsanträge der Fraktion der SPD
4692 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Vizepräsident Dr. Dehler
auf Umdruck 368 *) und der Fraktion der FDP auf Umdruck 371 **).
Das Wort zur Begründung des Änderungsantrages Umdruck 368 hat Herr Abgeordneter Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Änderungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion zum Ausschußantrag hat in der Sache zum Ziel, die Regierungsvorlage wiederherzustellen, — mit Ausnahme der Einfügung der Bestimmungen über die Lastenausgleichstitel, die jetzt in die Prämienförderung einbezogen werden sollen. Der Antrag entspricht mit Ausnahme eben dieses Punktes der Lastenausgleichstitel auch dem Antrag der Fraktion der Freien Demokraten auf Umdruck 371. Er entspricht schließlich dem Beschluß, den der Finanzausschuß des Bundestages mit großer Mehrheit gefaßt hat.
In dem vom Wirtschaftsausschuß mit Mehrheit beschlossenen Gesetzentwurf ist eine Einzeländerung des bestehenden Gesetzes vorgesehen, nämlich die, daß nicht mehr nur der Ersterwerb, sondern der einfache Erwerb irgendeines Papieres zur Prämienfördeung berechtigen soll. Dieser Änderung stehen schwere Bedenken entgegen. Wesentlich ist aber, daß, wenn man schon in solche Einzelfragen einsteigen wollte, eine ganze Reihe von Fragen zu diesem Gesetz zu stellen wären, die in der Kürze der Zeit — denn es handelt sich ja um die notwendige Erstreckung einer Befristung — gar nicht behandelt werden können.
Die Mittel für die Sparprämien nehmen mittlerweile .einen sehr erheblichen Teil der Haushaltsausgaben in Anspruch. Es ist deswegen, wie wir glauben, mit etwas größerer Sorgfalt zu prüfen, ob sie nicht etwas zu ungezielt gestreut werden und ob sie nicht besser gezielt werden könnten, insbesondere im Sinne des dem Hause seit etwa anderthalb Jahren vorliegenden Antrags der sozialdemokratischen Fraktion, durch gewisse Staffelungen Sorge dafür zu tragen, daß die Sparförderung verstärkt, wenn nicht vorzüglich den kleinen Einkommen zugute kommt. Das ist die eine Überlegung, die insbesondere die Mehrheit des Finanzausschusses bei ihrem Beschluß geleitet hat, nämlich daß man nicht eine Einzelfrage vorziehen kann, ohne die vielen anderen Einzelfragen, die ebenfalls anstehen, zu berücksichtigen.
Ganz wesentlich ist vor allem, daß der Wirtschaftsausschuß entgegen der Regierungsvorlage, die nur eine Erstreckung der Geltungsdauer des Gesetzes auf ,ein Jahr vorsehen wollte, die unbefristete Weitergeltung des derzeitigen Gesetzes vorsehen will. Damit wird der Notwendigkeit, eine Harmonisierung und eine Reform sämtlicher Sparförderungsmaßnahmen unserer Gesetze vorzunehmen, eine eindeutige Absage erteilt. Diese Notwendigkeit ist in einigen Beschlüssen dieses Hauses, in Regierungserklärungen und zuletzt wieder in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers Erhard betont worden. Wir haben diese Reform zum Ende
*) Siehe Anlage 10 **) Siehe Anlage 11
dieses Jahres erwartet. Wir haben zur Kenntnis nehmen müssen, daß die Regierung eine solche Vorlage bis zu diesem Zeitpunkt nicht einbringen kann. Wir haben weiter zur Kenntnis genommen, daß die Regierung beabsichtigt, diese Fragen im Zusammenhang mit dem von ihr geplanten Steueränderungsgesetz 1964 anzugreifen. Wenn wir jetzt, wie in der Ausschußvorlage vorgesehen, die unbefristete Weitergeltung des derzeitigen Gesetzes beschließen, so heißt das nichts anderes, als daß wir von dieser Harmonisierung, von diesen Absichten der Regierung und von der wirklichen Reform der Sparförderung nichts wissen wollen. Deswegen unser Antrag, der in der Sache mit dem Antrag der Freien Demokratischen Partei und mit den Beschlüssen des Finanzausschusses völlig übereinstimmt, wie in der Regierungsvorlage die Weitergeltung ,des Gesetzes nur .auf das nächste Jahr zu erstrecken. Das heißt, daß wir für das nächste Jahr auf Grund von entsprechenden Regierungsvorlagen und auf Grund der Anträge der Opposition, die dem Hause und dem Ausschuß bereits vorliegen, eine Reform und eine Harmonisierung des ganzen Systems fordern und erwarten.
Wünscht noch jemand das Wort? —
— Es ist aufgerufen — es gilt als aufgerufen — Art. 1 Nr. 1. Sie wollen den Antrag auf Streichung der Nr. 1 begründen? — Bitte, Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Freien Demokraten haben sich mit den verschiedenen Anregungen, die zu dem Sparprämiengesetz an sie herangetragen worden sind und die sich auch aus dem Gesetz im Laufe der Zeit entwickelt haben, befaßt. Sie halten es für notwendig, daß wir über das Sparprämiengesetz und die Möglichkeiten, die Eigentumsbildung zu fördern, sehr eingehend nachdenken. Wir sollten dies jedoch im Zusammenhang mit dem von der Regierung zur Reform der Einkommensteuer insgesamt zugesagten Entwurf tun. Darum halten wir es nicht für richtig, schon in diesem Augenblick, und zwar nur für ein Jahr, Änderungen vorzunehmen, die doch sinnvollerweise im Gesamtzusammenhang mit der Sparprämienförderung und den Möglichkeiten der Steuervergünstigung bei den Sonderausgaben im Einkommensteuerrecht gesehen werden müssen.
Aus diesem Grunde bitten wir das Haus, unseren Antrag anzunehmen, der praktisch die Wiederherstellung der Regierungsvorlage vorsieht, d. h. in diesem Augenblick keinerlei Änderungen vorzunehmen, damit nicht den späteren Beratungen etwas vorweggenommen und unter Umständen etwas blockiert wird.
Herr Kollege Seuffert, auch wir hätten das Einkommensteuergesetz gern schon jetzt beraten. Da dies aber im Augenblick nicht möglich ist, halten wir es für die bessere Lösung, die Geltungsdauer des Gesetzes um ein Jahr zu verlängern und keiner-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4693
Frau Funcke
lei Änderungen vorzunehmen. Wir bitten daher, unseren Antrag anzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Burgbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion stelle ich den Antrag, das Hohe Haus möge entsprechend dem Antrag im Schriftlichen Bericht des Wirtschaftsausschusses die Vorlage in der Fassung, wie sie aus der Drucksache IV/1712 ersichtlich ist, annehmen. Ich stelle weiter den Antrag, die auf den Umdrucken 368 und 371 vorliegenden Änderungsanträge abzulehnen.
Ich begründe das wie folgt. Meine Fraktion ist der Auffassung, daß die Förderung des Eigentums lin Personenhand und die grundsätzliche politische Maßnahme der Förderung des Sparens zu den politischen Grundlinien der übersehbaren Zukunft gehören und deshalb nicht jedes Jahr durch ein auf ein Jahr verlängertes Gesetz der Öffentlichkeit gegenüber in Frage gestellt werden dürfen.
Wir bitten deshalb das Hohe Haus um die unbefristete Verlängerung als eine politische Willenshandlung, die auf dem grundsätzlichen Bekenntnis zur Förderung des Eigentums in Personenhand durch den Sparprozeß beruht.
Wenn ein so kluger Jurist wie unser Kollege Seuffert versucht, dem Hohen Hause klarzumachen, daß man ein Gesetz nur ändern könne, wenn es auf ein Jahr verlängert werde, wird er, so hoffe ich, kein Gehör finden. Es steht dem gar nichts im Wege, daß im Laufe des kommenden Jahres nicht nur die Sparprämienförderung, sondern überhaupt das System der Prämienförderung erneut durchdacht, modernisiert und auch im Sinne der verstärkten Förderung der Eigentumsbildung für Kleineinkommen novelliert wird. Zu dieser Harmonisierung und zu einer Verstärkung der Wirkung für Kleineinkommen bekennt sich meine Fraktion ausdrücklich. Sie verpflichtet sich, entsprechende Vorlagen im Sinne dieses Zieles zu beraten.
Die in der vom Wirtschaftsausschuß erarbeiteten Fassung des § 1 Abs. 2 in Nr. 3 vorgesehene Ersetzung des Wortes „Ersterwerb" durch das Wort „Erwerb" verfolgt den Zweck, daß alle Wertpapiere, und zwar auch Aktien, sparprämienfähig gemacht werden. Wir wissen, daß jeder zunächst in barem Geld sparen soll. Wir sind aber der Meinung, daß man in unserer modernen Wirtschaft die Wertpapiere und die Aktien nicht diskriminieren und daß man für sie — nach Wahl jedes Bürgers — diese Möglichkeit schaffen sollte.
Was die andere Frage angeht, ob Grundbeträge des Anspruchs auf Hauptentschädigung nach dem Lastenausgleichsgesetz sparprämienfähig gemacht werden sollen, sind, soweit ich das übersehen kann, die Fraktionen dieses Hohen Hauses einig. Das ist sehr erfreulich. Das zeigt aber auch, daß es doch wohl Fragen gibt, die man am besten bei dem jetzigen Beschluß regelt.
Wir bitten deshalb höflichst, die Vorlage so anzunehmen, wie sie Ihnen auf Drucksache IV/1712 vorliegt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, nach den Darlegungen hier im Hause verpflichtet zu sein, eine Erklärung darüber abzugeben, wie die Mehrheit des Finanzausschusses dazu gekommen ist, sich der Regierungsvorlage anzuschließen.
Die Regierung hat ja eine Befristung auf ein Jahr ohne jede weitere materielle Änderung gewünscht. Der Sinn der Regierungsvorlage war der: innerhalb dieses Jahres sollte nicht etwa das Sparprämiengesetz abgeschafft, sondern sollte die längst anstehende Aufgabe der Koordinierung der verschiedenen Sparformen gelöst werden. Das ist mehr als dringend notwendig. Die Regelungen des § 10 des Einkommensteuergesetzes, das Bausparprämiengesetz und das Sparprämiengesetz widersprechen einander, decken sich jedenfalls nicht. Deshalb hat es einen guten Sinn, zunächst einmal eine Befristung des gegenwärtigen Rechtszustandes vorzunehmen und innerhalb dieser Frist die anstehenden Grundprobleme zu lösen. Zu diesen Grundproblemen gehören auch Beschränkungen, möglicherweise unter Bezugnahme auf die Einkommensgrenze, nach oben, damit ein Mißbrauch des Sparprämienwesens vermieden wird.
Ich glaube, niemand von der Mehrheit des Finanzausschusses hat etwas gegen eine bestimmte gesellschaftspolitische Auffassung, nämlich gegen die Förderung des Eigentums. Aber dieses Gesetz hat ja nicht nur einen gesellschaftspolitischen Aspekt, sondern hat auch einen entscheidenden finanz- und wirtschaftspolitischen Aspekt.
Angesichts der Entwicklung der Staatsausgaben kann es uns nicht gleichgültig sein, ob und in welcher Weise die Koordinierung vorgenommen wird, und insbesondere, ob das Prämiensparen zu einer Dauereinrichtung wird. Ein wirtschaftspolitisches Instrument, das zugleich Privilegien verleiht, muß sehr wohl auch unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, ob es nicht schlechthin einer Befristung solcher Privilegien bedarf; man sollte in einem späteren Zeitpunkt erneut überprüfen können, ob alle gesellschaftspolitischen und wirtschaftspolitischen Bedürfnisse die Verlängerung notwendig machen und, wenn ja, in welcher Form.
Das sind die Überlegungen der Finanzpolitiker. Das sind berechtigte wirtschaftspolitische Überlegungen. Ohne also zu gesellschaftspolitischen Absichten Stellung zu nehmen, waren wir der Auffas-
4694 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Schmidt
sung — und ich für meine Person bleibe bei dieser Auffassung —, daß es richtiger ist, zunächst einmal die sachliche Koordinierung vorzunehmen. Deshalb werde ich mich für die Anträge der SPD und der FDP entscheiden.
Das Wort hat der Abgeordnete Katzer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nur zwei Bemerkungen machen.
Die Tatsache, daß wir uns heute über eine Verlängerung des Sparprämiengesetzes in diesem Hohen Hause unterhalten, unterstreicht sehr nachdrücklich die Richtigkeit des Vorschlages der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion auf unbefristete Verlängerung dieses Gesetzes. Ich darf daran erinnern, daß wir genau vor einem Jahr dieselbe Debatte über diesen Gegenstand hatten, daß aber damals die CDU/CSU-Fraktion leider im Hammelsprung unterlag und daß es leider nur zu einer einjährigen Befristung kam. Jetzt wird von einigen Gruppen dieses Hohen Hauses leider wieder versucht, das Gesetz nur um ein Jahr zu verlängern. Ich möchte deshalb sehr nachdrücklich darum bitten, dieses Gesetz unbefristet zu verlängern. Dabei haben wir durchaus die Möglichkeit zur Harmonisierung, wie es dargestellt wurde.
Als zweites möchte ich zu den Ausführungen des Kollegen Dr. Schmidt folgendes sagen. Die CDU/ CSU-Fraktion hat gestern bei ausgezeichneter Besetzung gegen nur fünf Stimmen sich für die Annahme der Vorlage des Wirtschaftsausschusses ausgesprochen. Ich darf das Hohe Haus bitten, so zu verfahren.
Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den dankenswerten Ausführungen des Kollegen Schmidt kann ich mich bei meiner Erwiderung auf die Darlegungen der Kollegen Burgbacher und Katzer auf einige Worte beschränken.
Es geht, Herr Kollege Burgbacher, nicht um den formaljuristischen Unterschied, daß auch ein unbefristetes Gesetz jederzeit geändert werden kann, sondern es geht darum, ob wir die auch von Ihnen als notwendig und von Ihnen als erstrebenswert bezeichnete Reform und Harmonisierung der Sparförderungen im nächsten Jahr endlich haben wollen oder ob wir sie irgendwann haben wollen. Das ist der Unterschied. Diese Reform sollte nach den Beschlüssen dieses Hauses schon längst erfolgt sein. Sie soll nunmehr — und das ist der Sinn — ernstlich in Angriff genommen und nächstes Jahr erledigt werden. Sie können ein Gesetz, das Sie selber als reformbedürftig bezeichnen, nicht unbefristet verlängern. Sie wollen aber beschließen, das jetzige, im Grunde auch von Ihnen kritisierte Gesetz soll unbefristet gelten.
Ich verzichte in diesem Augenblick darauf, näher auszuführen, was der Begriff Erwerb oder Ersterwerb überhaupt bedeutet. Sie verlangen nicht mehr den Ersterwerb. Bisher war die Voraussetzung für die Sparförderung beim Erwerb eines Wertpapiers, daß ein neues Papier auf den Kapitalmarkt gelangt ist. Genau wie bei Sparguthaben mußte es sich um einen Sparakt handeln, und es durfte nicht ein Umtausch von Papieren vorliegen, die bereits auf dem Kapitalmarkt waren. Es wird also eine Beeinträchtigung der Förderung des Sparens in Form von Sparguthaben eintreten, die sehr bedenklich ist.
Was die Lastenausgleichstitel anlangt, so handelt es sich darum, daß das Finanzministerium im Zusammenhang mit der erst kürzlich eingeleiteten Mobilisierung der Entschädigungsforderungen des Lastenausgleichs die Einbeziehung dieser neuen Titel in die Prämienförderung nachdrücklich befürwortet. Ich würde deshalb sehr verbunden sein, wenn die Freie Demokratische Partei auf ihren Antrag, auch diese Änderung wegfallen zu lassen, verzichtete. Denn darüber, daß wir das im Zusammenhang mit dem Lastenausgleich logischerweise einbeziehen müssen, sind wir alle einig.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rutschke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer wird einem gesellschaftspolitischen Zweck, der zweifellos gut ist, widersprechen wollen! Ich möchte Sie aber darauf hinweisen, daß wir ja wohl andere Fragen vorrangig zu regeln haben. Wir sind der Meinung, daß, wenn wir nun einmal feststellen mußten, daß wir z. B. mit der Regelung für die Kriegsopfer warten müssen, weil nicht genügend Geld da ist, wir erst einmal das Geld dafür ausgeben sollten, die alten Schulden zu begleichen.
Deshalb meine ich, daß der Antrag, der hier eine Erweiterung vorsieht, abgelehnt werden sollte.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Imle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht uns hier um folgendes. Der ganze Komplex der Eigentumsbildung soll im kommenden Steueränderungsgesetz seinen Niederschlag finden. Wir halten es nicht für richtig, jetzt schon etwas vorwegzunehmen, was noch bis dahin Zeit hat. Unsere Fraktion ist bereit, die Regelung so vorzunehmen, daß die Bestimmungen betreffend Erwerb und bezüglich der Lastenausgleichsforderungen bereits mit Wirkung ab 1. Januar 1964 in Kraft gesetzt werden können. Wir sollten uns aber nicht durch .die Vorwegnahme dieser Bestimmungen die Möglichkeit nehmen, bei ,der Beratung des Steueränderungsgesetzes 1964 den Komplex im ganzen zu erörtern. Wir glauben daher, daß die Regierungsvorlage angenommen wer-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4695
Dr. Imle
den sollte, und haben deshalb den Antrag gestellt, sie wiederherzustellen.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Burgbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte keine Ausführungen zur Sache mehr machen, möchte aber mit Rücksicht auf die politische Bedeutung, die die Frage für uns hat, namentliche Abstimmung beantragen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich nehme an, daß der Antrag auf namentliche Abstimmung von einer genügenden Zahl von Kollegen unterstützt wird. — Er ist hinreichend unterstützt.
Wir müssen uns jetzt klarwerden, worüber die namentliche Abstimmung stattfinden soll. Ich halte es für richtig, daß wir den Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 371 Ziffer 1 vorziehen. Das ist zwar ein negativer Antrag, und wir haben an sich die Übung, nur positiv abzustimmen. Ich möchte es aber in diesem Falle für richtig halten, den Streichungsantrag vorzuziehen; durch die Streichung würde ja die Regierungsvorlage insoweit wiederhergestellt werden. — Besteht Einigkeit, daß wir so verfahren? Ich halte es für zweckmäßig. Herr Professor Burgbacher, ich verstehe Ihren Antrag dahin, daß über den Antrag Umdruck 371 Ziffer 1 namentlich abgestimmt werden soll. Einverständnis?
Wir stimmen also ab über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP Umdruck 371 Ziffer 1. Es wird namentlich abgestimmt. Ich bitte die Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Es haben 392 stimmberechtigte Abgeordnete und 19 Berliner Abgeordnete abgestimmt. Mit Ja haben 216, mit Nein 172 stimmberechtigte Abgeordnete gestimmt. Enthalten haben sich 4 stimmberechtigte Abgeordnete. Von den Berliner Abgeordneten haben 11 mit Ja und 8 mit Nein gestimmt. Der Antrag Umdruck 371 Ziffer 1, Nrn. 1 und 2 zu streichen, ist also angenommen.
Ja
CDU/CSU
Bewerunge
Dr. Dr. h. c. Dresbach Frau Haas
Dr. Höchst Frau Dr. Probst
Dr. Schmidt Windelen
SPD
Frau Albertz
Anders
Arendt Auge
Bading Bäuerle Bäumer Bals
Bauer Dr. Bechert Behrendt
Bergmann Berkhan Berlin
Beuster Biegler Biermann Birkelbach Blachstein
Dr. Bleiß Börner
Dr. h. c. Brauer Brünen
Bruse
Buchstaller
Büttner Busch
Corterier Cramer Dr. Deist Diekmann
Frau Döhring
Dopatka Dröscher Frau Bilers
Dr. Eppler
Erler
Eschmann
Faller
Felder Figgen Flämig Folger Franke Dr. Frede
Frehsee
Frau Freyh Fritsch
Geiger Gerlach Glombig Gscheidle
Haage Haase (Kellinghusen) Hamacher
Hansing Hauffe Heide Heiland
Dr. Dr. Heinemann Hellenbrock
Frau Herklotz Hermsdorf
Herold Hirsch Höhmann
Hörauf
Hörmann Frau Dr. Hubert Hussong
Jacobi
Jacobs Jahn
Dr. h. c. Jaksch Jürgensen
Junghans
Junker Kaffka
Kahn-Ackermann Kalbitzer
Frau Kettig
Killat
Dr. Koch
Könen Frau Korspeter
Kraus
Dr. Kreyssig
Dr. Kübler
Kulawig
Lange Langebeck Lautenschlager
Lemper
Lenz Dr. Lohmar
Lücke Maibaum
Marquardt
Marx Matthöfer
Matzner
Frau Meermann
Merten
Metter
Metzger
Dr. Meyer Meyer (Wanne-Bickel)
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Dr. Mommer
Dr. Morgenstern
Müller
Müller
Müller
Müller
Dr. Müller-Emmert
Peiter
Peters
Dr. Pohlenz Porzner
Priebe
Ravens
Regling
Rehs
Dr. Reischl Reitz
Frau Renger
Riegel
Dr. Rinderspacher
Ritzel
Dr. Roesch Rohde
Frau Rudoll
Sänger
Saxowski Dr. Schäfer
Frau Schanzenbach
Scheuren
Dr. Schmid Schmidt (Braunschweig)
Dr. Schmidt
Dr. Schmidt Schmidt (Würgendorf) Schmitt-Vockenhausen Schröder (Osterode) Schwabe
Seidel
Seither
Frau Seppi Seuffert Stephan Striebeck Strohmayr Dr. Tamblé Wegener Wehner Welke
Welslau
Weltner
Frau Wessel
Wienand Wilhelm Wischnewski
Frau Zimmermann
Zühlke
Berliner Abgeordnete
Bartsch
Frau Berger-Heise Braun
Frau Krappe
Liehr
Mattick
Neumann Dr. Schellenberg Dr. Seume
Urban
Wellmann
FDP
Busse
Dr. Danz
4696 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Dehler Deneke
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dr. Dörinkel
Dürr
Eisenmann Dr. Emde Ertl
Frau Dr. Flitz
Frau Funcke
Dr. Hamm Hammersen
Dr. Hellige Dr. Imle
Frau Dr. Kiep-Altenloh Dr. Kohut
Kreitmeyer Kubitza
Freiherr von KühlmannStumm
Dr. Löbe
Logemann Dr. Mälzig Mertes
Freiherr von Mühlen Murr
Opitz
Peters Rademacher
Ramms
Reichmann
Dr. Rieger
Dr. Rutschke Sander
Schmidt
Schultz
Soetebier Spitzmüller
Dr. Stammberger
Dr. Supf
Wächter
Walter
Weber Zoglmann
Nein
CDU/CSU
Adorno
Dr. Aigner
Dr. Althammer
Arndgen
Dr. Arnold Dr. Artzinger
Baier
Baldauf
Balkenhol Dr. Barzel
Bauer Bauknecht
Bausch
Becker
Berberich Dr. Besold Biechele
Dr. Bieringer Dr. Birrenbach
Frau Dr. Bleyler
Blöcker
Frau Blohm
von Bodelschwingh
Dr. Böhm Böhme (Hildesheim) Brand
Dr. Brenck Brese
Brück
Bühler
Dr. Burgbacher Burgemeister Dr. Conring
Dr. Czaja van Delden Dr. Dittrich Drachsler Draeger
Ehnes
Ehren
Eichelbaum
Dr. Elbrächter
Frau Engländer
Dr. Even
Even Falke
Dr. Franz Franzen
Dr. Fritz Dr. Furler
Gaßmann Gedat
Gehring
Dr. Gerlich Gibbert
Giencke
Dr. Gleissner
Glüsing
Dr. Gossel Gottesleben Dr. h. c. Güde
Härzschel
Hahn
Dr. Hahn
Dr. von Haniel-Niethammer Harnischfeger
Dr. Hauser Heix
Dr. Hesberg
Hesemann Hösl
Holkenbrink
Horn
Dr. Huys
Illerhaus
Frau Jacobi
Josten
Dr. Jungmann
Frau Kalinke
Dr. Kanka Katzer
Dr. Kempfler
Frau Klee
Klein
Dr. Kliesing Knobloch
Dr. Knorr Dr. Kopf Krug
Frau Dr. Kuchtner
Kühn Kuntscher
Leicht
Lemmrich Lenz
Lenze Leonhard
Lermer
Leukert Dr. Luda
Maier Majonica
Dr. Martin Meis
Mengelkamp
Menke
Dr. von Merkatz
Mick
Missbach
Müller Müller (Remscheid)
Müser
Nieberg
Dr. Dr. Oberländer
Oetzel
Frau Dr. Pannhoff
Dr. Pflaumbaum
Dr.-Ing. Philipp
Frau Pitz-Savelsberg
Dr. Poepke
Porten
Dr. Ramminger
Rasner Rauhaus
Frau Dr. Rehling
Dr. Reinhard
Riedel Rollmann
Rommerskirchen
Ruf
Ruland Scheppmann
Schlee Schlick Schneider,
Frau Schroeder Dr. Schwörer
Dr. Seffrin
Dr. Serres
Dr. Siemer
Dr. Sinn
Spies
Stauch
Dr. Stecker
Stein
Dr. Steinmetz
Stiller Stooß
Storm Strauß Struve Sühler Tobaben
Unertl Varelmann
Verhoeven Vogt
Wagner
Dr. Weber
Weigl
Weinkamm Weinzierl
Werner
Wieninger
Winkelheide Dr. Winter
Wittmer-Eigenbrodt
Dr. Wuermeling Wullenhaupt Ziegler
Dr. Zimmer
Dr. Zimmermann
Berliner Abgeordnete
Benda
Dr. Dr. h. c. Friedensburg Dr. Gradl
Hübner Lemmer
Frau Dr. Maxsein
Müller
Stingl
Enthalten
CDU/CSU
Dr. Dichgans Haase Schulhoff
Dr. Vogel
Damit sind der Antrag der SPD Umdruck 368 Ziffer 1 und der Ausschußbeschluß über Art. 1 Nrn. 1 und 2 gegenstandslos.
Dann ist über Nr. 3 zu verhandeln. Hierzu liegen die Änderungsanträge Umdruck 368 Ziffer 2 der Fraktion der SPD und Umdruck 371 Ziffer 2 der Fraktion der FDP vor, die identisch sind. Wird zu diesen Anträgen das Wort gewünscht? — Nicht.
Ich mache zur Grundlage der Abstimmung den Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 368 Ziffer 2. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich muß die Abstimmung wiederholen. Wer dem Antrag unter Ziffer 2 auf Umdruck 368 zustimmt, erhebe sich vom Platz. — Gegenprobe! — Der Vorstand ist nicht einig. Wir müssen auszählen. —
Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Mit Ja haben gestimmt 187 Abgeordnete, mit Nein 173, keine Enthaltungen. Der Antrag unter Ziffer 2 des Umdrucks 368 der Fraktion der SPD ist also angenommen, damit übereinstimmend der Antrag der Fraktion der FDP unter Ziffer 2 des Umdrucks 371.
Ich rufe dann auf Art. 2, — Art. 3, — Einleitung und Überschrift. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme. Ich schließe die zweite Beratung.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Seuffert hat das Wort.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4697
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den in der zweiten Lesung getroffenen Entscheidungen ist die CDU/CSU nunmehr bereit, zusammen mit uns dafür Sorge zu tragen, daß die Lastenausgleichstitel in die Prämienförderung einbezogen werden. Das hat der Antrag *) zum Ziel, den ich dem Hause vortragen darf und den ich Ihnen, Herr Präsident, noch schriftlich übergeben werde. Danach sollen die gestrichenen Nrn. 1 und 2 des Art. 1 des Gesetzes in der Fassung der Vorlage des Wirtschaftsausschusses wiederhergestellt werden mit der Maßgabe, daß unter Nr. 1 Buchstabe a die Buchstaben aa) und infolgedessen auch die Unterteilung bb) wegfallen, so daß es unter Buchstabe a heißt:
In Absatz 2 wird hinter Nummer 3 die folgende Nummer 4 angefügt:
Das heißt, diese Nr. 1 erhält die Fassung unseres Änderungsantrags Umdruck 368.
Diesen Antrag möchten wir nunmehr gemeinsam mit der CDU/CSU stellen.
Es wird also der Antrag gestellt:
§ 1 wird wie folgt geändert:
a) In Absatz 2 wird hinter Nummer 3 die folgende Nummer 4 angefügt:
„4. Grundbeträge des Anspruchs ...
Und weiter, wie es in der Drucksache IV/1712 steht.
Das heißt praktisch: der Buchstabe a in der Fassung des Änderunsantrags Umdruck 368, die Buchstaben b und c in der Fassung der Ausschußvorlage, auch Nr. 2 in der Fassung der Ausschußvorlage.
Damit wir uns ganz klar sind: Es soll folgende Änderung vorgenommen werden: Die Nr. 4 wird so angefügt, wie es im Änderungsantrag Umdruck 368 Ziffer 1 vorgesehen ist; die Buchstaben b und c und Nr. 2 bleiben wie in der Ausschußvorlage.
Das Wort hat der Abgeordnete Kuntscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie bereits Herr Kollege Seuffert erklärt hat, entsprechen wir einem Fraktionsbeschluß, indem wir jetzt dem Antrag der SPD Umdruck 368 beitreten, wonach Schuldverschreibungen in Form der Lastenausgleichstitel in das Sparprämiengesetz einbezogen werden sollen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag wird nicht strittig werden, denn die Fraktion der FDP schließt sich ihm an.
*) Siehe Anlage 12
Besteht völliges Einverständnis über Fassung und Tragweite des Antrags? — Das ist der Fall. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — der Antrag ist gegen die Stimme des Herrn Dr. Imle, im übrigen einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz mit der nunmehr beschlossenen Änderung zustimmt, erhebe sich vom Platze. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Zwischendurch gebe ich bekannt, daß die Beratungen heute nachmittag mit Tagesordnungspunkt 16, Sechstes Rentenanpassungsgesetz, und Tagesordnungspunkt 17, Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend auswärtige Kulturpolitik, fortgesetzt werden.
Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 18:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen aus Lebens- und Rentenversicherungen .
Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht, Aussprache ebenfalls nicht. Ich schließe die erste Beratung.
Es ist vorgesehen Überweisung an den Wirtschaftsausschuß — federführend — und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung. — Keine Einwendungen; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 19:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Assoziierungsabkommen vom 20. Juli 1963 zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den mit dieser Gemeinschaft assoziierten afrikanischen Staaten und Madagaskar sowie zu den mit diesem Abkommen in Zusammenhang stehenden Abkommen .
Das Wort wird nicht gewünscht.
Es besteht Streit über die Frage, welche Ausschüsse zu beteiligen sind. Der Vorsitzende des Außenhandelsausschusses, Herr Abgeordneter Dr. Serres, ist der Meinung, daß der Außenhandelsausschuß zumindest mitbeteiligt werden muß. Bestehen dagegen Bedenken? — Wenn nicht, dann wird die Vorlage überwiesen an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten — federführend — sowie an den Ausschuß für Entwicklungshilfe und den Außenhandelsausschuß zur Mitberatung. Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 20:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Zollgesetzes .
4698 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Vizepräsident Dr. Dehler
Die Vorlage kann ohne Beratung an den Finanzausschuß — federführend — sowie an den Außenhandels ausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. — Keine Einwendungen; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 21:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1961 in der Fassung der Zolltarif-Verordnung vom 21. Juni 1963 (Zweites Zolltarif-Änderungsgesetz) (Drucksache IV/1702).
Es ist vorgeschlagen Überweisung an den Außenhandelsausschuß. — Es ist so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 22:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 11. April 1962 des Internationalen Übereinkommens zur Verhütung der Verschmutzung der See durch Öl, 1954, und zur Änderung des Gesetzes vom 21. März 1956 .
Der Gesetzentwurf soll an den Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen überwiesen werden. — Es ist so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 23:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rahmengesetzes zur Vereinheitlichung des Beamtenrechts (Drucksache IV/1698).
Der Gesetzentwurf soll an den Ausschuß für Inneres überwiesen werden. — Es ist so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 24:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Binnenschiffahrts- und Rheinschiffahrtssachen .
Der Gesetzentwurf soll an den Rechtsausschuß überwiesen werden. — Es ist so beschlossen.
Dann rufe ich auf den Tagesordnungspunkt 26:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP betr. Braumalzfracht (Drucksachen IV/1236, IV/1704).
Der Bericht des Herrn Abgeordneten Drachsler liegt vor. Der Bericht wird nicht ergänzt. Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich stelle den Antrag des Ausschusses auf Drucksache 1704 zur Abstimmung. Wer dem Antrag zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Inneres über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Auslieferung des ungarischen Staatsangehörigen Geza Györfi nach Frankreich (Drucksachen IV/1527, IV/1717).
Der Bericht der Frau Abgeordneten Jacobi liegt vor. Sie hat das Wort zur Ergänzung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst muß ich einen Fehler berichtigen, der sich in der Drucksache IV/1717 eingeschlichen hat. Die Ausweisung des Ungarn Geza Györfi ist nach § 5 der Ausländerpolizeiverordnung und nicht nach § 5 der Asylverordnung erfolgt, wie in der Drucksache links Zeile 3 von unten steht. Es ist festzustellen, daß die Behörden bei der Ausweisung des Györfi gesetzesbuchstabengetreu gehandelt haben. Györfi kam nicht direkt aus einem Verfolgungsland. Deshalb meinte das Fürther Landratsamt, daß auf ihn § 4 der Asylverordnung nicht zutreffe. Er war mittellos und ohne Paß und verschwand nach einigen Tagen aus dem Lager. Daraufhin wurde die Ausweisungsverfügung am 24. Juli erstellt und sofortige Ausführung angeordnet. Unverständlich ist nur der Vermerk: Der Stellung eines eventuellen Asylantrags stehen der Erlaß und der Vollzug dieses Aufenthaltsverbotes nicht entgegen, da der Betroffene die Entscheidung über seinen Antrag auch in Frankreich abwarten kann. Gerade das war die Härte; denn man mußte wissen, was Györfi in Frankreich erwartete. Außerdem hätte man schon in den ersten Tagen bei intensiverer Befragung des Aufenthaltsuchenden feststellen können, daß Györfi von Dezember 1956 bis 'September 1960 in der Schweiz gelebt und dort Asylrecht genossen hat. Man hätte ihn auch statt nach Frankreich nach der Schweiz überstellen können. Die baden-württembergische Polizei war lediglich ausführendes Organ und zur Amtshilfe verpflichtet, als sie zwei Monate später Györfi in Heilbronn auffand. Schon am Nachmittag dieses Tages wurde Györfi an der Rheinbrücke in Kehl der französischen Polizei überstellt.
In dem Entwurf des neuen Ausländergesetzes, der dem Bundestag vorliegt und zur Zeit im Innenausschuß beraten wird, ist eine Bestimmung über eine Duldung vorgesehen, die es den Behörden in Zukunft erleichtern wird, aus menschlichen Gründen auf den Vollzug einer Ausweisung zu verzichten. Das läßt uns hoffen, daß uns ähnliche tragische Konflikte in Zukunft nicht mehr werden beunruhigen müssen. Daß die Öffentlichkeit so intensiv dazu Stellung nahm, bezeugt nur, daß gerade die deutsche Bevölkerung mit dem Herzen immer auf seiten dessen steht, den das Schicksal aus seiner Heimat hinter dem Eisernen Vorhang herausgeführt hat.
Die Bemühungen, Györfi aus Frankreich wieder nach Deutschland zurückzuholen, sind sowohl von den Bundesbehörden wie auch durch die Presse eingeleitet worden. Die „Heilbronner Zeitung" hatte Stimmen gesammelt, die Frankreich gegenüber den Wunsch nach Rückführung äußerten. Es war
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4699
Frau Jacobi
also eine richtige Volksabstimmung. 2700 Menschen gaben innerhalb von 4 Tagen der „Heilbronner Zeitung" die Unterschrift für den Wunsch, daß Györfi nach Deutschland zurückgeführt werde.
Wessen Bemühungen es nun zuzuschreiben ist, daß Györfi nach Deutschland zurückkam, schon bevor der Bundestag zu dem Antrag der SPD Stellung genommen hatte, können wir nicht feststellen. Wir können aber sicherlich den französischen Behörden unseren Dank für das Verständnis, das sie gezeigt haben, aussprechen und darauf hinweisen, daß es auch in einem anderen Falle, nämlich im Falle des Oberst Argoud, wünschenswert wäre, wenn dasselbe Verständnis der französischen Behörden ebenfalls zu der Rückführung führen würde.
Dieses wollte ich als Erläuterung zu dem Schriftlichen Bericht noch sagen. Die Presse hat in der ganzen Angelegenheit jedenfalls eine wichtige und gute Funktion ausgeübt.
Ich danke der Frau Berichterstatterin.
Das Wort wird nicht gewünscht. — Es liegt der Antrag des Ausschusses vor, den Antrag der Fraktion der SPD für erledigt zu erklären. — Ich darf Ihr Einverständnis mit diesem Antrag annehmen.
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.
Die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie über die Anpassung der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (Drucksache IV/1584)
in Verbindung mit dem Sozialbericht 1963 ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Drucksache IV/ 1731, zu IV/1731).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Killat. Ich erteile ihm das Wort.
— Sie verzichten.
Ich rufe in zweiter Beratung den Artikel I auf. Dazu liegen auf Umdruck 364 *) Ziffer 1 und auf Umdruck 373 **) zwei Änderungsanträge vor. Beide Anträge beziehen sich auf § 1 Abs. 2.
*) Siehe Anlage 13 **) Siehe Anlage 14
Wer begründet den Änderungsantrag Umdruck 364? — Herr Abgeordneter Hussong!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begründe die Änderungsanträge meiner Fraktion Umdruck 364 Ziffer 1 und Ziffer 4. Es geht hierbei um das Ausmaß der Rentenanpassung für etwa 11 000 Rentenbezieher, die im Saarland wohnhaft sind und in Lothringen gearbeitet haben. Der weitaus größte Teil dieser Arbeitnehmer — etwa 10 000 — waren bei den lothringischen Gruben beschäftigt und beziehen heute als Rentner sowohl eine Besitzstandsrente als auch zum Ausgleich Fürsorgeleistungen nach den Bestimmungen, die das in diesem Jahr aufgehobene saarländische Fürsorgegesetz Nr. 345 vorgesehen hatte. Diese Leistungen sind in den vergangenen Jahren fünfmal angepaßt worden. In dem jetzt zur Verabschiedung vorliegenden Entwurf hat die Bundesregierung zum erstenmal von einer Anpassung abgesehen.
Der Sozialpolitische Ausschuß hat sich bei seinen Beratungen in Berlin mit dem Entwurf befaßt und hat einstimmig beschlossen, die Anpassung der Fürsorgeleistungen — also der Ausgleichsleistungen — vorzunehmen. Nicht angepaßt wurden jedoch die Besitzstandsrenten. Wenn der Entwurf in der vom Sozialpolitischen Ausschuß vorgelegten Fassung verabschiedet werden sollte, würden die Renten der betroffenen ehemaligen saarländischen Grenzgänger in einem geringeren Ausmaß als die Renten aller übrigen Bezugsberechtigten angepaßt werden.
Lassen Sie mich dafür ein Beispiel anführen. Unterstellt, ein Rentner bezieht 400 DM Versicherungsrente und zum Ausgleich eine Fürsorgeleistung von 200 DM, insgesamt also 600 DM. Die Anpassung nur auf die Fürsorgeleistung, in diesem Falle auf die 200 DM, bezogen, würde bedeuten, daß eine Erhöhung um 16,40 DM erfolgen würde, während der Vergleichsrentner mit der Anpassung auf 600 DM eine Erhöhung von 49,20 DM bekommen würde. Ein solcher Rentner wäre also Monat für Monat um den Betrag von 32,80 DM gegenüber dem vergleichbaren Rentner benachteiligt, und dieser Differenzbetrag würde sich von einer Anpassung zur anderen noch erhöhen.
Unabhängig davon, ob hier der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Versicherten noch eingehalten oder ob er verletzt ist, glaube ich, daß sich eine solche Entscheidung auch moralisch gesehen nicht rechtfertigen ließe und ja wohl auch außerhalb der Bundesregierung von niemand gewollt war. Eine Nichtanpassung der Besitzstandsleistungen würde auch den politischen und staatsrechtlichen Verhältnissen, denen die Betreffenden in der Vergangenheit unterlagen, nicht entsprechen. Sie würde auch den sozialversicherungsrechtlichen Entwicklungen, die zu- den Fürsorgeleistungen geführt haben, nicht Rechnung tragen.
Die Bundesregierung begründet nun ihre Nichtanpassungs bestimmung mit Idem Hinweis, daß es sich um eine Leistung handle, die lediglich im Wege der Besitzstandswahrung gewährt werde und daß hier eine Angleichung nicht gerechtfertigt sei. Dar-
4700 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Hussong
über hinaus sind von den Vertretern der Bundesregierung anläßlich der Beratung des Entwurfs Vergleiche zu der Rechtssituation der Grenzgänger anderer Bundesgebiete gezogen worden. Meine Freunde und ich halten eine solche Betrachtungsweise für ungerechtfertigt. Die einzige Vergleichsbasis liegt nur in dem Wort „Grenzgänger", und diese Betrachtung ist auch noch, nebenbei bemerkt, unzutreffend. Es handelt sich um ein ausgesprochen saarländisches Problem, für das es Vergleiche zu und in anderen Gebieten des Bundes nicht gibt.
Lassen Sie mich zur Sach- und Rechtslage einige Ausführungen machen. 1871 ist Elsaß-Lothringen von Frankreich abgetrennt worden. Dieses Gebiet, das mit der Saar eine Wirtschaftseinheit bildete, war somit Gebiet des Deutschen Reiches und damit Inland. Dieser staatsrechtliche Zustand bestand bis zum Kriegsende 1918, also rund 47 Jahre.
Dann wurde durch den Versailler Friedensvertrag die Saar aus dem Reichsgebiet ausgegliedert und verwaltungsmäßig dem Völkerbund unterstellt. Die Gruben des Saarlandes wurden Frankreich zur Ausbeute als Eigentum übergeben und waren bei einer späteren Regelung wieder zurückzukaufen. Insoweit war zumindest eine Wirtschafts- und betriebswirtschaftliche Einheit mit den saarländischen und lothringischen Gruben für diese Zeit gegeben.
Erst 1935, nach der Abstimmung, wurde die alte deutsch-französische Grenze wiederhergestellt, und zwar nach einem Zeitraum von 62 Jahren. Damals wurden die Bergleute, die in Lothringen arbeiteten, praktisch erstmalig tatsächlich Grenzgänger. Damals war aber auch die Arbeitslosigkeit an der Saar noch so groß, daß den Bergarbeitern durch die Arbeitsämter die Nichtvermittlung angedroht wurde, falls sie ihre Arbeitsplätze in Lothringen aufgeben sollten.
1940 war es wieder andersherum. Lothringen war wieder einmal zum Saarland dazugeschlagen. Man hat zu diesem Zeitpunkt, und zwar mit Wirkung vom 1. Januar 1941, das Reichsrecht in Lothringen eingeführt. Die Rentenleistungen für lothringische Versicherungszeiten wurden nach den Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung berechnet und gezahlt.
Diese Bestimmungen sind nach dein zweiten Weltkrieg, als die Saar wieder einmal mit Frankreich eine Wirtschaftsgemeinschaft, eine Währungs- und Zolleinheit, bildete, beibehalten worden mit der Maßgabe, daß die französische Knappschaft die auf ihre Versicherungszeiten anfallenden Leistungen an die Saar-Knappschaft zurückzahlte. Über eine rechtliche Zwischenstufe sind dann die versicherungsrechtlichen Beziehungen für den Personenkreis mit dem saarländischen Fürsorgegesetz Nr. 345 völlig neu und abschließend geregelt worden.
Mit der Einführung des SozialversicherungsAngleichungsgesetzes Saar wurde dieses Gesetz Nr. 345 außer Kraft gesetzt. Bei der Neuregelung war zwar nicht der rechtliche, aber doch der persönliche Besitzstand gesichert worden, soweit er bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes erworben war. Dabei bestand volle Übereinstimmung darüber, daß, wenn in der Person der Berechtigten auch nach der Aufhebung des Gesetzes Umstände eintreten sollten, die nach dem bisherigen Recht zu einer Erhöhung der Fürsorgeleistungen, und zwar durch familiäre Veränderungen, geführt hätten, diese Leistungen gewährt werden sollten.
Über die künftige Anpassung bestand im Sozialpolitischen Ausschuß Einmütigkeit. Der Herr Berichterstatter hat damals hier vorgetragen, daß die Leistungen grundsätzlich an Rentenanpassungen teilnehmen sollen. Diese Auffassung wurde auch noch durch den Hinweis erhärtet, daß die Bundesregierung gebeten wurde, bei der Vorlage von Rentenanpassungsgesetzen entsprechende Vorschläge zu machen. Das ist auch praktisch durch das Hohe Haus hier beschlossen worden. Die Bundesregierung ist trotz dieser klaren Willensäußerung und unter Außerachtlassung des ihr gebotenen Auftrags anders verfahren. Sie hat die Anpassung ausdrücklich, und zwar für alle Rententeile, ausgenommen.
Bei der letzten Beratung in Berlin haben wir uns noch einmal einstimmig für die Anpassung ausgesprochen. Wir alle waren wohl der Auffassung, daß es sich um eine Anpassung aller Rentenbezüge, also auch der Vergleichsrenten, handelte. Jetzt wird die Sache so interpretiert, daß nur die Fürsorgeleistungen, nicht aber die Vergleichsrenten angepaßt werden sollten. Damit können wir uns nicht zufrieden geben. Eine solche Regelung wäre auch menschlich ungerecht, weil die Betroffenen die politischen und staatsrechtlichen Verhältnisse nicht zu verantworten haben. Sie haben weder die Regelung von 1871 noch den Versailler Friedensvertrag von 1919 noch die Regelung nach 1945 zu verantworten. Sie haben selbst genug unter diesem wechselseitigen Ablauf der Dinge zu leiden gehabt.
Bei einem solchen Beschluß bedenken Sie bitte: unsere Bergarbeiter haben ein ganzes Arbeitsleben lang praktisch im Inland gearbeitet und sind, wenn man von den vier Jahren nach 1935 bis 1940 einmal absieht, erst mit der wirtschaftlichen Eingliederung der Saar in den Bund im Jahre 1959 echte Grenzgänger geworden. Wenn Sie also diese Anpassung nicht vornehmen wollen, dann bedeutet das praktisch, daß diese zwar auch als inländische Arbeitskräfte geltenden Menschen nicht nur ihren Arbeitskameraden im Inland gegenüber erheblich benachteiligt würden. Dann müßten sie sich auch noch wünschen, nicht in Lothringen, sondern z. B. in Polen oder in einem anderen Lande, das nicht der der EWG angehört, gearbeitet zu haben. Dann würde nämlich die Anrechnung über das FremdRentenrecht erfolgen. Das kann doch sicherlich niemand gewollt haben. Das kann sicherlich auch niemand als gerechtfertigt ansehen. Deshalb unsere Änderungsanträge! Ich darf Sie bitten, ihnen zuzustimmen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch ein paar Zahlen mitteilen, damit hier auch einmal die Größenverhältnisse angesprochen werden. Reine Fürsorgeleistungen erhalten 1886 Invaliden, 1592 Witwen und 270 Waisen. Rund 3800 Personen beziehen also überhaupt keine Rente aus Versicherungszeiten, sondern ihre ganzen Bezüge sind nur Fürsorgelei-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4701
Hussong
stungen. Nach dem, was der Außenpolitische Ausschuß beschlossen hat, wären diese Renten in der Höhe des Rentenanpassungsgesetzes anzupassen. Dann verblieben nur noch 6569 Personen, deren andere Rentenbestandteile nicht angepaßt werden. Dazu kommen in der IV und AV noch rund 350 oder 400 Fälle, so daß es insgesamt 7000 Angleichungsfälle gibt. Da die Anpassungsbeträge zu einem großen Teil zu Lasten der Versicherungsträger gehen, ist für den Bund nach meiner Auffassung die Finanzfrage von untergeordneter Bedeutung.
Nur noch eine letzte Bemerkung. Fünfmal sind jetzt alle Leistungen aus der Rentenversicherung angepaßt worden. Im Bereich des Arbeitsrechts wäre ein solches Verfahren sicherlich nach höchstrichterlicher Entscheidung schon längst zum Gewohnheitsrecht geworden. Es ist bedauerlich, daß der gleiche Rechtsgrundsatz bisher keinen Niederschlag im Sozialrecht gefunden hat. In den Kreisen der Betroffenen würde man es aber sicherlich nicht verstehen, wenn man fünfmal den Rentnern gleichgestellt worden ist, von der sechsten Rentenangleichung ab aber keine Berücksichtigung mehr erfolgen soll.
Auch aus diesem Grunde darf ich Sie noch einmal recht herzlich bitten: stimmen Sie unseren Anträgen zu und behandeln Sie die im Saarland wohnhaften und 98 % ihres Arbeitslebens im Inland arbeitenden Arbeitnehmer genauso, wie Sie ihre Kollegen im übrigen Bundesgebiet behandeln.
Das Wort hat der Abgeordnete Klein zur Begründung seines Antrages.
Herr Präsident! Meine Damen und 'Herren! Ich will hier ein Wort wiederholen, das ich dieser Tage gesprochen habe: Ich wäre sehr erfreut, wenn wir einmal dahin gelangten, daß wir hier im Hause nicht mehr gesondert vom Saarland zu sprechen brauchen. Es ist nicht meine Absicht, die gesamte historische Entwicklung des Saarlandes, auf die sich diese Anträge gründen, noch einmal darzulegen. Ich will nur in einigen Sätzen sagen, warum wir der Meinung sind, daß die Renten dieses Personenkreises angepaßt werden müssen, und warum die Betroffenen dieselbe Meinung haben.
Im Jahre 1680 begann die Tragödie des immerwährenden Grenzwechsels zwischen Saarland und dem übrigen Deutschen Reich. Viermal wurde das Saarland auf längere Zeiträume hinaus ganz abgetrennt, und einmal wurden sogar große Teile des Landes auf die Dauer von 200 Jahren abgetrennt. 1870/71 wurde das Gebiet zwangsläufig wirtschaftlich mit Lothringen als vorher französischem Land, das dann zum Deutschen Reich gehörte, vereinigt. 1919 erfolgte dann noch einmal die Abtrennung.
Dabei wurde zwangsläufig das Grenzgängerproblem gefördert. Die Menschen wurden angegangen, ihre Arbeitsplätze jenseits der Grenze aufrechtzuerhalten. Wir können mit Sicherheit sagen, daß 1935 vom Nationalsozialismus sogar ein politischer Zwang ausgeübt wurde, indem man diesen Tausenden von Leuten sagte: Ihr müßt drüben bleiben, einmal aus marktpolitischen Erwägungen und zum zweiten auch im Hinblick auf die Devisenlage. Mit Fug und Recht können wir also sagen, daß es sich hier um einen Kreis von Personen handelt, die einen Arbeitsplatz jenseits der Grenze nicht von sich aus gesucht haben, sondern dazu durch den politischen Wirrwarr — mal so, mal so — gezwungen waren.
Zweitens ist zu fragen: Was war für diese Menschen richtig? Waren sie in dieser Periode diesseits der Grenze, dann war jenseits richtig. Waren sie in einer anderen Periode jenseits, dann war diesseits richtig. Versetzen wir uns in die Situation dieser Menschen, Menschen, die nun mehr als 200 Jahre zwischen den Grenzen leben!
Ich möchte noch auf einen anderen Grund hinweisen. Sämtliche Parteien und auch die Abgeordneten an der Saar hatten den im Mai 1963 in Berlin gefaßten Beschluß des Ausschusses an der Saar publiziert. Auf diesen Beschluß ist hinreichend hingewiesen worden. Ich will ihn nicht mehr vorlesen, sondern will nur sagen, daß damals in ganz konkreter Weise die Anpassung für die spätere Zeit vorgesehen war. Wenn wir dies berücksichtigen, sollten wir beschließen, daß für diesen Personenkreis die Anpassung in vollem Maße durchgeführt wird.
Nun zu dem vorliegenden Antrag. Ich muß hier betonen: Weil die Zeit zur Unterschriftensammlung fehlte, habe ich diesen Antrag im Auftrage aller saarländischen Abgeordneten und einer Anzahl anderer Abgeordneten eingereicht. Das ist der Grund, weshalb nicht mehrere Unterschriften darunterstehen.
Ich bitte nun, Herr Präsident, daß über den Antrag der Fraktion der SPD Umdruck 364 Ziffern 1 und 4 zusammen mit den Ziffern 1 und 2 unseres Antrags abgestimmt wird, da sie sich insoweit decken.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, diesem Antrag zu entsprechen.
Das Wort hat der Abgeordnete Becker.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß zu den Ausführungen meiner beiden Herren Vorredner doch einiges sagen, ja, ich muß sogar den Anträgen widersprechen.
— Warum „Hört! Hört!"? Wenn ich diese Angelegenheit nur aus regionaler Sicht sähe, würde ich vielleicht genauso reden wie der verehrte Herr Kollege Hussong oder der verehrte Herr Kollege Klein.
4702 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Becker
— Darauf komme ich noch. — Aber bei Annahme dieser Anträge würden wir eine Vertiefung — ich will das Wort „Zementierung" nicht gebrauchen — der ungleichen Behandlung gleicher oder doch ähnlicher Tatbestände herbeiführen.
Der verehrte Herr Kollege Hussong sagte vorhin: Fünfmal haben wir jetzt angepaßt, und auf einmal fällt der Bundesregierung ein, diese Anpassung nicht mehr durchzuführen. Herr Kollege Hussong, wir haben erst im Juni 1963 das Angleichungsgesetz für die Saar verabschiedet, und erst nach Verabschiedung dieses Gesetzes konnte diese Sache erneut angepackt werden. Das Sozialversicherungs-Angleichungsgesetz für die Saar vom Juni besagt, daß die Saarländer, die in Frankreich — also in Lothringen — gearbeitet haben, die französischen Zeiten nach deutschem Recht durch eine sogenannte Sonderleistung — man kann auch sagen: Fürsorge — gewertet bekommen. Dadurch sollen sie an die deutschen Leistungen angepaßt werden. Es sollte den Arbeitnehmern der Saar, wie wir damals sagten, der Besitzstand gewahrt werden.
Aber nicht nur an der Saar, sondern auch in vielen anderen Gebieten unseres deutschen Vaterlandes, insbesondere in Grenzgebieten, hat es immer Menschen gegeben — unterschiedlich in der Zahl —, die im fremden Land Arbeit und Brot gesucht und gefunden haben. Ich komme aus dem Grenzland-Wahlkreis Pirmasens-Zweibrücken-Bergzabern. Bei uns waren das bis 1914 vielleicht ein paar hundert Menschen. Nach 1917, in den 20er Jahren — die älteren wissen es noch —, in der sogenannten Cuno-Zeit, als bei uns Tausende von Menschen arbeitslos waren, haben die Menschen drüben im Elsaß und in Lothringen Arbeit und Brot gesucht und sind zum großen Teil mit ihren Familien vorübergehend nach drüben verzogen. Diesen Menschen würde dann das gleiche Recht zustehen. Ihre französische Arbeitszeit wird nach französischem Recht bewertet, und sie werden von der französischen Sozialversicherung bezahlt. Das gilt auch für alle anderen in den übrigen Grenzgebieten. Ich nenne nur diejenigen, die von Nordrhein-Westfalen nach Holland in die Provinz Limburg als Bergleute gegangen sind, nach Belgien oder nach Luxemburg. All diese Menschen bekommen ihre Rente für die Zeit, die sie drüben gearbeitet haben, nach dem Recht des jeweiligen Landes. Wenn wir es anders machten, dann würden wir die zwischenstaatlichen Vereinbarungen, die wir abgeschlossen haben, erschweren.
Gerade die Grenzlandabgeordneten werden immer mit den Schwierigkeiten auf diesem Gebiet konfrontiert. Es vergeht fast keine Woche, in der nicht irgendein Arbeiter von damals, der heute längst Rentner geworden ist, zu mir kommt und sagt: Warum bekomme ich meine französischen Zeiten so gerechnet, und warum bekommt sie der Kollege, der drüben im Saarland wohnt, so gerechnet? Das ist kein Neidkomplex. Aber man muß ja mit diesen Dingen fertig werden.
Ich möchte Ihnen noch etwas anderes sagen. Wir sollten uns einmal alle miteinander Gedanken darüber machen, wie wir allen diesen Leuten helfen können, indem wir allen das gleiche Recht geben. Wir sollten den Gleichheitsgrundsatz für alle wahren. Aus diesem Grunde müssen wir die beiden gestellten Anträge ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wilhelm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihre Zeit nicht lange in Anspruch nehmen. Nur eine kurze Klarstellung. Ich bedaure, daß Herr Kollege Becker zur Ablehnung des Antrages erneut ein Argument vorgebracht hat, das schon einige Dutzend Male im Laufe der letzten Jahre entkräftet wurde, nämlich das Argument der vergleichbaren Grenzgänger in Baden, in Schleswig-Holstein und sonstwo.
Es ist durch die Darstellung entkräftet worden, die vorhin sowohl Herr Kollege Hussong als auch Herr Kollege Klein im Hinblick auf die historische Entwicklung gegeben haben. Es gibt kein Gebiet in Deutschland, das ein so wechselvolles staatsrechtliches Schicksal wie die Saar hatte. Das soll man doch endlich einmal zur Kenntnis nehmen, wenn solche Fragen hier zur Diskussion stehen.
Man sollte nicht immer die Diskussion von vorn anfangen, als habe es keinen Versailler Friedensvertrag mit seinen Auswirkungen auf die Saar gegeben, als habe es das Jahr 1871 nicht gegeben im Hinblick auf das Schicksal Elsaß-Lothringens, als habe es die ganze Entwicklung und die Folgen des zweiten Weltkrieges nicht gegeben. Es kommt einem manchmal fast so vor, als hätten nur die Saarländer den ersten und den zweiten Weltkrieg verloren
und als hätten sie ihr staatsrechtliches Schicksal selber verschuldet,
Sie mögen abwehren. Aber man hat oft den Eindruck, —
Dieser Personenkreis ist doch letzten Endes wieder durch das politische Bekenntnis zu Deutschland in das Verhältnis des Grenzgängers gekommen. Hätten sie sich bei der Volksbefragung am 23. Oktober 1955 anders entschieden, hätte für sie dieses Problem nie zur Diskussion gestanden.
Ihr politisches Bekenntnis zu Deutschland mit der
Folge der politischen und wirtschaftlichen Einglie-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4703
Wilhelm
derung 1957 und 1959 soll sie jetzt schlechter stellen, als es sonst der Fall gewesen wäre.
Das wäre eine Bestrafung für ein Bekenntnis zu Deutschland.
Darüber hinaus war es das Ziel des saarländischen Gesetzes Nr. 345, diesen Personenkreis denen gleichzustellen, die im Inland gearbeitet haben. Das würde jetzt leider nicht mehr geschehen.
Abschließend noch eine Bemerkung! Im Beamtenrecht spricht man von wohlerworbenen Rechten. Wenn es wohlerworbene Rechte gibt, dann haben diese sogenannten Grenzgänger, um die es hier geht, seit Jahrzehnten ihre Rechte wohlerworben. Ich bitte, das bei Ihrer Abstimmung zu berücksichtigen.
Das Wort hat der Abgeordnete Klein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nur noch zwei Sätze sagen. Zunächst möchte ich eine Behauptung aufstellen, und zwar die Behauptung, daß es an keiner Grenze des ehemaligen Deutschen Reiches einen Parallelfall Saar gibt. Dann möchte ich bemerken, daß sogar die Weimarer Republik, ohne daß gesetzliche Grundlagen dafür vorhanden waren, diesen Rentnern damals geholfen hat. Ich erinnere nur an die Heidelberger Abrede im Jahre 1927. Man gab jedem Rentner ohne Rechtsgrundlage, ohne daß besondere Gesetze an der Saar dieserhalb bestanden hätten, Zuschüsse. Man hat also Einsicht gehabt, ohne daß man dazu verpflichtet gewesen wäre.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich komme zur Abstimmung. Wir stimmen ab über den Änderungsantrag Umdruck 364 Ziffer 1 und gleichzeitig über den gleichlautenden Änderungsantrag Umdruck 373 Ziffer 1. Wer für diese gleichlautenden Anträge ist, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Erstes war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Wir stimmen nunmehr ab über Art. I §§ 1 bis 4 einschließlich. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Acht Enthaltungen, vier Gegenstimmen; angenommen.
Ich rufe auf den Änderungsantrag Umdruck 364 Ziffer 2. Wer begründet ihn? - Das Wort hat der Abgeordnete Meyer.
Meyer (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich glaube, in diesem Jahre haben wir es leichter, das Haus zu der Einsicht zu bewegen, daß nun endlich beim Sechsten Rentenanpassungsgesetz auch die rund 2 Millionen Rentner berücksichtigt werden müssen, die seinerzeit bei der Rentenreform 1957 den Sonderzuschuß von 21 DM bzw. 14 DM für die Witwen bekommen haben. Wir haben in den letzten Wochen und Tagen Ausführungen gehört, aus denen hervorgeht, daß man jetzt eine gezieltere Sozialpolitik betreiben müsse, daß man zuerst und insbesondere den Kreisen sozialpolitisch helfen müsse, die es am notwendigsten haben. Hier haben wir einen solchen hervorstechenden Fall, bei dem es darum geht, den Menschen zu helfen, denen dringend geholfen werden muß, nämlich den 2 Millionen Menschen, die sogenannte Kleinstrenter sind, die also einen Rentenbetrag von 100 bis 150 DM im ganzen Monat — man überlege sich diese Zahl! - haben und größtenteils davon „leben" müssen. Hier können Sie jetzt also Ihre in den letzten Wochen im Zusammenhang mit der Kriegsopferversorgung erwähnte gezielte sozialpolitische Leistung anbringen, indem Sie diese Sonderbeträge endlich beim Sechsten Rentenanpassungsgesetz mit anpassen. Die Rentenerhöhung würde ganze 80 Pfennig im Monat für die Menschen betragen, die eine Rente von 100 DM im Monat haben. Sie würden also eine jährliche Rentenerhöhung von 10 DM im Durchschnitt erhalten. Um diese kleinen Beträge haben Sie um des Schlagwortes willen, möchte ich sagen, der „Lohnbezogenheit" gerade diejenigen Rentner geschädigt, denen doch nach Ihrer Ansicht, die Sie draußen vertreten haben, geholfen werden muß.
Ich habe schon bei den verschiedensten Gelegenheiten der Verabschiedung der Rentenanpassungsgesetze Ausführungen vom Grundsätzlichen her gemacht. Ich möchte es mir in diesem Jahre ersparen, mich insbesondere mit dem Argument auseinanderzusetzen, das Sie bei den Ausschußberatungen, ich möchte sagen, lapidar vorgetragen haben, ohne es exakt zu beweisen, und das im Bericht wiederkehrt: daß dieser Teil seinerzeit nicht „lohnbezogen" war. Ich könnte Ihnen eine ganze Fülle von Beispielen dafür anführen — ich habe es im Ausschuß und auch hier bei früheren Ausführungen zu diesem Thema getan —, daß die Rentenreform des Jahres 1957, von der 6,5 Millionen Rentner erfaßt waren, eine erhebliche Verzerrung des Rentengefüges mit sich gebracht hat.
Ich habe im Ausschuß beispielsweise den Fall der beiden Schwestern aus Bad Nauheim angeführt, die vor der Rentenreform die gleiche Rente, nämlich genau 144 DM, erhielten. Die Rentnerin, die mehr
Beiträge bezahlt hat — das würde also der Lohnbezogenheit gleichkommen —, hat bei der pauschalen Umstellung im Jahre 1957 ihre Rente von 144 DM behalten, während die Rente ihrer Schwester auf 210 DM aufgestockt wurde. Diese beiden zusammenlebenden Menschen kommen also immer weiter auseinander.
Bitte, nehmen wir wirklich einmal das Argument der exakten Lohnbezogenheit. Man soll aber doch
4704 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Meyer
nicht auf Prinzipien herumreiten, sondern soll den Menschen sehen, auch diesen Kleinstrentner, dem man wirklich einmal helfen müßte, statt ihn in seinem Rentenbezug immer weiter zurückzustoßen.
Ich könnte auch noch einmal das Beispiel der Witwenrenten anführen. Wenn sich eine wirkliche Lohnbezogenheit der Rentenreform abzeichnete, müßten alle Witwen, wie wir es beschlossen haben, 60% bekommen. Sie wissen aber — und soweit ich aus der Presse entnommen habe, sind Sie selbst jetzt, nachdem wir seit Jahren bohren, dabei, dies zu ändern —, daß die Frauen, die nach 1957 durch den Todesfall ihres Ehegatten Rentnerinnen geworden sind, höchstens 35 %, aber keine 60 % der Rente bekommen, wie wir es im Gesetz beschlossen haben. Von einer exakten Lohnbezogenheit kann also auch hier keine Rede sein. Deshalb entfällt dieses Argument wirklich!
Wenn wir uns mit diesem Thema weiter auseinandersetzten, würden wir die Frage zu beantworten haben: wie ist denn dieser Sonderzuschuß eigentlich entstanden? Da gibt es nur eine Antwort. Sie ist aus der Wahlsituation des Jahres 1957 entstanden. Weil Sie 2 Millionen Rentner nicht leer ausgehen lassen wollten, haben Sie diesen Sonderzuschuß erfunden, haben ihn gewährt und haben einige hundert Millionen D-Mark dafür ausgegeben. Nun sind Sie nicht bereit, diese Menschen in die Anpassung einzubeziehen, obwohl es kein beweiskräftiges Argument gibt, sie auszuschließen.
Bei den Beratungen hat es sogar noch eine Sonderbetrachtung gegeben, die ich hier aber nicht vertiefen möchte und mit deren Anführung ich Sie sogar in eine arge Verlegenheit bringen würde. Nach dieser Auffassung sollte der Sonderbeitrag insgesamt abgesetzt werden, bevor der übrige Teil der Rente angepaßt wird, also auch bei den Rentnern, bei denen nur fünf, sechs oder gar nur eine Mark in dem Sonderbeitrag stecken. Das Thema erweitert sich bei der Vergleichsrente sogar noch, und diese Beträge werden noch höher; aber alles das möchte ich mir heute wirklich schenken. Ich möchte Sie nur an Ihre sozialpolitischen Verlautbarungen der letzten Tage erinnern, nicht 2 Millionen Menschen — Kleinstrentner — auszuschließen, die gerade auf diese geringen Beträge der Anpassung angewiesen sind.
Deshalb hoffe ich, daß der Antrag in diesem Jahre einstimmig durchgeht und daß auch der Sonderzuschuß in die Anpassung einbezogen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Gaßmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Kollege Meyer, leider muß ich Sie auch in diesem Jahr enttäuschen und Ihnen sagen, daß auch Ihre heutigen Ausführungen meine Freunde keinesfalls überzeugt haben und uns deshalb bewegen könnten, Ihrem Antrag zuzustimmen.
— Was wir wollen, das werde ich Ihnen jetzt genau sagen, Herr Kollege Geiger.
Herr Kollege Meyer, auch Ihr jedes Jahr wiederkehrendes Beispiel von den beiden Schwestern, die ursprünglich beide 144 Mark Rente hatten, von denen nach der Rentenreform die eine nur 160 DM, die andere aber 220 DM bekam, zieht nicht mehr. Dieses Beispiel hat mit dem eigentlichen Problem Ihres heutigen Antrags überhaupt nichts zu tun.
— Es hat nichts mit dem Problem der Einbeziehung des Sonderzuschusses in die Anpassung zu tun. Es sind ja auch nicht wir, die jedes Jahr diese doch einfach hoffnungslose Frage zur Diskussion stellen.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben es mit einer beinahe beneidenswerten Findigkeit fertiggebracht, Jahr für Jahr eine andere Definition des rechtlichen bzw. sozialpolitischen Charakters des Sonderzuschusses vorzutragen. Im Jahre 1961 meinte der Sprecher Ihrer Fraktion — es war ebenfalls der Kollege Meyer —, dieser Sonderzuschuß sei ein echter Rentenbestandteil, der als solcher eo ipso in die Anpassung einbezogen werden müsse. Im letzten Jahr hat Herr Kollege Meyer seine Definition geändert und davon gesprochen, daß es sich um einen Teuerungszuschlag handle, der entsprechend dem Anstieg der Lebenshaltungskosten dynamisiert werden müsse.
Sie, Frau Kollegin Korspeter, haben uns im letzten Jahr zugerufen, dieser Sonderzuschuß sei ein Wahlzuschuß.
— Na, dann haben Sie aber sehr gründlich dabei mitgewirkt, denn auch Sie haben einstimmig diesen Sonderzuschuß befürwortet.
Er hat aber mit einer Wahl oder dem Charakter eines Wahlzuschusses wahrhaftig nichts zu tun.
— Ich wiederhole dann auch unseren Standpunkt. Wenn man nachträglich die Niederschrift über die letztjährige Sitzung liest, muß man sagen, daß es nicht passend war, gerade in diesem Zusammenhang von einem Wahlgeschenk zu sprechen.
Es geht uns — um das von vornherein klarzustellen — wahrhaftig nicht darum, den Rentnern diesen Anpassungsteil vorzuenthalten, der bei den Hinterbliebenenrenten bis zu 1,10 oder 1,15 DM ansteigen und der bei den Versichertenrenten bis zu 2,90 DM monatlich betragen kann. Es geht uns nicht darum, den armen Rentnern diesen kleinen Betrag vorzuenthalten, sondern es geht uns darum,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4705
Gaßmann
konsequent zu unterscheiden, was von dem Gesamtzahlbetrag eigentliche Rente ist und was aus sozialen Erwägungen zusätzlich hinzugefügt wurde.
Wenn ich Ihre jahrelangen Bemühungen um immer neue Definitionen über den Charakter dieses Sonderzuschusses rückblickend betrachte, dann wundere ich mich nur, daß Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die geradezu klassische Definition der Frau Kollegin Korspeter so völlig vergessen zu haben scheinen. Diese Definition stammt aus der zweiten Beratung des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes im Jahr 1957. Es ging damals um den Art. 2 § 36 des Gesetzes, aber gar nicht um den unsere jetzige Frage berührenden entscheidenden Absatz 2, der besagt, daß der § 1272 RVO, der die Anpassung regelt, auf den Sonderzuschuß keine Anwendung findet. Diese Bestimmung, die ich eben genannt habe, haben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, damals gar nicht beanstandet; Sie haben dazu gar keinen Änderungsantrag gestellt, sondern Sie waren damals mit uns der Auffassung, daß die Sonderzuschüsse überhaupt nicht anpassungsfähig sind. Für Sie ging es damals um den Abs. 3 des § 36 des Art. 2, zu dem Sie — ich anerkenne das — im Interesse der Renten-Versicherungsträger forderten, daß der Bund die Aufwendungen für den Sonderzuschuß voll erstatte und nicht nur mit einem Teilbetrag, der damals im Gesetz auf 320 Millionen DM festgesetzt worden ist. Diesen Antrag haben Sie, verehrte Frau Kollegin Korspeter, begründet. Ich erbitte die Genehmigung des Herrn Präsidenten, zu zitieren, was Sie in der Sitzung vom 18. Januar 1957 — Sie können das auf Seite 10453 des Sitzungsberichts nachlesen — gesagt haben. Sie erklärten damals — —
— Doch, natürlich! Das gehört genau zur Sozialpolitik.
Denn mit dieser Frage haben wir uns und hat sich der Sozialpolitische Ausschuß damals sehr eingehend befaßt.
Sie haben, Frau Kollegin Korspeter — passen Sie genau auf! —, zur Definition eben dieses Sonderzuschusses wörtlich erklärt:
Da nach der vom Sozialpolitischen Ausschuß erarbeiteten Fassung dieser Sonderzuschuß sowieso nicht versicherungstechnisch begründet werden kann, sondern aus sozialen Gründen gegeben wird, schlagen wir vor, daß die Aufwendungen für den Sonderzuschuß in voller Höhe vom Bund erstattet werden.
Sie haben damals ganz einwandfrei unsere Meinung geteilt, daß es sich hier nicht um einen Rententeil, sondern um einen aus sozialpolitischen Erwägungen eingefügten Zuschuß handelt.
— Nein, den muß man eben nicht anpassen.
Es ist einer der Grundsätze des Gesetzes. Wo kämen wir hin, wenn wir nun einen Grundsatz um den anderen aufgäben!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege Gaßmann, darf ich Sie fragen, ob das Brot und das Fleisch für die Rentner mit Sonderzuschuß billiger sind.
Darauf bin ich vorhin schon eingegangen.
Ich sagte, es geht uns nicht um die 1,10 DM und nicht um die 2,90 DM, sondern es geht uns um den Grundsatz,
um den Grundsatz, daß Rententeile dynamisiert werden und daß das, was nicht zur Rente gehört — ich komme darauf nachher noch einmal zurück —, aus der Anpassung herausgelassen wird.
— Auf eine so unsachliche Bemerkung, Herr Wehner, gehe ich überhaupt nicht ein.
Daß es sich hier nur um einen sozialpolitischen Titel handelt, wie Sie, Frau Korspeter, es erklärt haben, war damals nicht nur Ihre Auffassung, sondern das war die Auffassung der gesamten Opposition, und es war auch die Auffassung meiner politischen Freunde. Der Unterschied zwischen uns und Ihnen ist nur der, daß wir unserer Auffassung über den echten rechtlichen Tatbestand treu geblieben sind, während Sie das in den letzten Jahren nicht mehr wahrhaben wollten. Vielleicht sind es — nachdem Sie, Frau Korspeter, uns im letzten Jahr ein solches unterstellt haben, darf auch ich das zweifellos hier ruhig sagen — nun bei Ihnen wahltaktische Überlegungen, die Sie zu Ihrem Gesinnungswandel veranlaßt haben. Ich werde es mir deshalb versagen, auf all die gefühlsbetonten Momente, die mein verehrter Herr Vorredner Kollege Meyer angeführt hat, jetzt einzugehen, und mich nur noch mit der ganz eindeutigen Rechtslage befassen.
— Nein! In dieser Frage kann man keine Gefühlsduselei betreiben; in dieser Frage muß man konsequent bleiben.
Ich sagte, daß ich mich mit der Rechtslage befassen möchte. Ich will als erstes dazu sagen, daß Ihr Antrag, der hier vorliegt und über den jetzt abgestimmt werden soll, nämlich in Art. I § 5 Abs. 1
4706 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Gaßmann
des Sechsten Rentenanpassungsgesetzentwurfs die Worte „den Sonderzuschuß und" zu streichen, rechtspolitisch ja doch nur deklaratorische Bedeutung hätte, daß er, selbst wenn er angenommen würde, keinerlei rechtliche Wirkung haben würde; denn es bliebe ja immer noch das primäre Recht des Art. 2 ,§ 36 Abs. 2 des ArbeiterrentenversicherungsNeuregelungsgesetzes bestehen, der eine Anpassung der Sonderzuschüsse ausdrücklich verbietet.
— Herr Professor Schellenberg, vielleicht haben Sie das vergessen. Wenn Sie also die Absicht haben, im nächsten Jahr mit demselben, allerdings hoffnungslosen Anliegen wieder zu kommen, empfehle ich Ihnen, doch zu beachten, daß Sie zwei Anträge stellen müssen, nämlich einmal, die Bestimmung in Art. 2 § 36 Abs. 2 des ArbeiterrentenversicherungsNeuregelungsgesetzes — dasselbe gilt natürlich für das Angestelltenversicherungsgesetz; dort ist es der § 35 Abs. 2 — zu streichen, und zum zweiten, die drei Worte „den Sonderausschuß und" zu streichen. Nur dann hat es überhaupt einen Sinn, sich über Ihren Antrag zu unterhalten.
— Ich glaube, wenn es um die Paragraphenreiterei geht, können sich die Sozialpolitiker wahrhaftig sehen lassen im Vergleich zu dem, was Sie uns als Paragraphenreiterei immer wieder vorexerziert haben, Herr Wehner.
Ohne in Gefühlsduselei verfallen zu wollen, Herr Gaßmann, mehr Sanftmut, mehr Sanftmut, bitte.
Ich will mich bemühen, sanfter zu werden. Dies geht aber nur, wenn mich Herr Kollege Wehner nicht mit solchen unsachlichen Zwischenrufen, die wahrhaftig nichts mit Sozialpolitik zu tun haben, immer wieder unterbricht.
Der Sonderzuschuß wurde bisher — in Übereinstimmung mit dem von mir zitierten Art. 2 § 36 Abs. 2 — von allen Rentenanpassungen ausgenommen, und zwar mit gutem Recht. Seine Einbeziehung in der Rentenanpassung mit diesem Sechsten Rentenanpassungsgesetz würde daher in diesem Jahre erstmalig erfolgen, und man würde damit von den seit Inkrafttreten der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze durchgeführten Anpassungen abweichen, da wir immer nur die Anpassung der Renten selbst und nicht die Anpassung zusätzlicher sozialpolitischer Elemente vorgeschrieben haben.
Ich wiederhole: der Sonderzuschuß ist nun eben nicht Bestandteil der Rente; er ist eine Sonderleistung, und zwar eine, die bei der Beratung der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze im Jahre 1956 nicht im Regierungsentwurf stand, sondern auf Vorschlag des Sozialpolitischen Ausschusses gewissermaßen als eine besondere Vergünstigung des Gesetzgebers in das Gesetzeswerk aufgenommen wurde, um solche Rentenempfänger, die auf Grund der Umstellung eine Mindesterhöhung ihrer Rente nicht erwarten konnten, nicht leer ausgehen zu lassen.
Seine Einbeziehung in die Rentenanpassung durch das Sechste Rentenanpassungsgesetz stünde zu dem System dieses Gesetzes, nach dem ausschließlich Renten Gegentand der Anpassung sind, im Widerspruch. Die Anpassung der Renten erfolgt nach § 1 des heute zur Beschlußfassung anstehenden Rentenanpassungsgesetzes „aus Anlaß der Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage für das Jahr 1963." Der Sonderzuschuß wird von Anfang an unabhängig von der allgemeinen Bemessungsgrundlage — da beziehe ich mich auf diesen § 1 — und unabhängig von ihren Veränderungen gewährt. Er hat zu der Bemessungsgrundlage überhaupt keine innere Beziehung. Seine Anpassung würde deshalb seiner Rechtsnatur als einer gleichbleibenden pauschal gewährten Leistung, die nicht an der allgemeinen Bemessungsgrundlage orientiert ist, widersprechen.
Personen, die Renten nach dem alten Recht beziehen und deshalb einen Sonderzuschuß erhalten, sind heute noch gegenüber Personen, denen ein Sonderzuschuß nicht gewährt wird, weil ihre — mag sein: auch niedrigen — Renten nach neuem Recht berechnet sind, insoweit begünstigt, als sie allmonatlich zu ihren Renten einen zusätzlichen Betrag erhalten, ohne daß diesem Versicherungszeiten, Ausfallzeiten oder Zurechnungszeiten zugrunde liegen. Es erscheint deshalb nicht gerechtfertigt, Personen, die bereits seit Jahren durch den Sonderzuschuß begünstigt sind, in noch größerem Umfange gegenüber den Personen, die nach neuem Recht behandelt werden und einen Sonderzuschuß nicht erhalten können, dadurch besserzustellen, daß der Sonderzuschuß nach dem Sechsten Rentenanpassungsgesetz im Zahlbetrag erhöht wird.
Da nun der Sonderzuschuß nicht im Wege einer versicherungsmäßigen Rentenberechnung ermittelt wurde, werden mit den Aufwendungen für diesen Sonderzuschuß konsequenterweise die Versicherten nur zu einem verhältnismäßig geringen Teil belastet. Für die Aufwendungen für den Sonderzuschuß werden vom Bund im Jahre 1964 den Trägern der Rentenversicherung der Arbeiter und den Trägern der Rentenversicherung der Angestellten annähernd 174 Millionen DM erstattet. 1957 waren es für beide Versicherungszweige noch 320 Millionen DM. Dieser Erstattungsbetrag ist gerade im Hinblick auf einen gleichbleibenden Sonderzuschuß festgesetzt worden, der eben der Anpassung auf Grund der Rentenanpassungsgesetze nicht unterliegt. Bei einer Anpassung auch des Sonderzuschusses müßten zusätzliche Mittel dafür entweder vom Bund aufgebracht oder die Lasten auf die Versicherten abgewälzt werden. Dabei handelt es sich immerhin um einen Betrag von 30 Millionen DM. Auch dafür müßte dann im Bundeshaushalt noch Deckung gesucht werden; denn auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, würden es sicher für einen schlechten Weg halten, die Versicherten dafür haftbar zu machen, daß der Gesetzgeber im Jahre 1957 sozialpolitische Elemente in die Rentenberechnung einbezogen hat. Wir werden Ihnen auf diesem Weg nicht folgen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4707
Gaßmann
Deshalb bitte ich das Hohe Haus namens meiner Fraktion, diesen SPD-Antrag abzulehnen.
Gestatten Sie mir noch einige zusätzliche Ausführungen, da es sich hier auch um eine Finanzierungsfrage für die Rentenversicherung handelt. Ich möchte einiges zu den Ausführungen sagen, die der Herr Abgeordnete Dr. Mommer heute morgen in der Geschäftsordnungsdebatte gemacht hat. Dort hat er namens seiner Fraktion allen Ernstes vorgeschlagen, die Finanzierungslücke, die auf Grund des Zweiten Neuordnungsgesetzes für die Kriegsopferversorgung entstehen würde, dadurch zu schließen, daß den deutschen Rentenversicherungsträgern von dem allgemeinen Bundeszuschuß zur Rentenversicherung ein Betrag von 1 Milliarde DM vorenthalten wird. Dieser Betrag soll nicht, wie es seit Bestehen des Bundeszuschusses üblich war, in bar zur Verfügung gestellt, sondern in langfristigen Bundesschuldbuchverschreibungen vergütet werden.
Ich verkenne nicht, daß der für 1964 im Gesetz vorgeschriebene allgemeine Bundeszuschuß mit rund
— Herr Mommer hat den Betrag heute morgen genannt — 5,4 Milliarden DM — —
- wir reden von der Finanzierung der Rentenanpassung.
— Natürlich hängt das damit zusammen. Da diese Ausführungen heute morgen von Herrn Dr. Mommer gemacht worden sind,
nehme ich für mich in Anspruch, jetzt auch darauf zu antworten.
Ich gebe also zu, daß diese 5,4 Milliarden DM ein sehr ansehnlicher Betrag im Rahmen des Bundeshaushalts sind, ein Betrag, der aber von den Rentenversicherungsträgern zur Auszahlung der laufenden Renten genauso benötigt wird wie der Betrag, den man benötigen würde, wenn man Ihrem Antrag und Ihrem Wunsch, auch die Sonderzuschüsse anzupassen, folgte.
Die Mehraufwendungen der Rentenversicherungsträger, die der Bundestag heute beschließen wird
— und damit komme ich zu unserer Sache, nämlich dem Rentenanpassungsgesetz — —
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ritzel?
Ich möchte erst diese Darlegungen zu Ende führen; ich stehe nachher gern zur Verfügung.
— Er wird mich wirklich nicht aus dem Konzept bringen, auch wenn ich die Frage gleich beantworten würde.
Ich wiederhole: Die Mehraufwendungen, die den Rentenversicherungsträgern durch das, was wir heute als Rentenanpassungsgesetz beschließen werden, entstehen, betragen immerhin eineinhalb Milliarden DM, und die Gesamt-Rentenausgaben der Rentenversicherung werden dadurch im Jahre 1964 auf etwa 23 Milliarden DM steigen. Ich nenne diese Zahlen, damit man hier weiß, um was für Größenordnungen es sich handelt. Der Vorschlag, den Herr Dr. Mommer heute morgen gemacht hat, — —
— Ob es Ihnen gefällt oder nicht gefällt, das ist eine Sache für sich; aber diese Frage wurde heute morgen angeschnitten, sie hängt zusammen mit der Finanzlage der Rentenversicherung, sie hängt auch zusammen mit Ihrem Antrag. Sie können die Beratung nur aufhalten, aber Sie können mich nicht zum Schweigen bringen.
Aber das, was Herr Mommer heute vorgeschlagen hat — meine Damen und Herren von der Opposition, das sollten Sie sich doch genau anhören, denn es betrifft natürlich gerade auch Ihre Versicherten, die in den Selbstverwaltungsorganen der Versicherungsträger doch mit 50 % vertreten sind —, würde einem massiven, vom Bundesgesetzgeber auszusprechenden Anlagezwang für die Rentenversicherungsträger gleichkommen, wie man ihn wirklich nur im Dritten Reich, und das auch nur zum Ende seiner wenig glorreichen Geschichte erlebt hat; es würde einer, ich möchte sagen, fast völligen Entmündigung der Selbstverwaltungsorgane bei den Rentenversicherungsträgern gleichkommen und zweifellos den heftigsten Protest auch der Versichertenvertreter in diesen Organen auslösen, auch wenn der Vorschlag von der SPD kommt.
Die Rentenversicherungsträger haben den Finanzierungssorgen der Bundesregierung, die sie auch in den letzten Jahren gehabt hat, stets ein wohlwollendes Interesse entgegengebracht. Die Bundesregierung ließ sich in diesen Fragen in der Regel durch die Bundesbank vertreten. Nur einige wenige Zahlen! Allein im Jahre 1963 haben die Rentenversicherungsträger auf freiwilliger Grundlage 300 Millionen DM in Bundestiteln erworben. Bereits diese Übernahme von 300 Millionen DM in Bundestiteln im Jahre 1963 hat einige Landesversicherungsanstalten in erhebliche Schwierigkeiten gebracht. Es muß befürchtet werden, daß bei der zwangsweisen Anlegung des über dreifachen Betrages in Bundestiteln im Jahre 1964 eine Reihe von Landesversicherungs-
4708 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Gaßmann
anstalten in Liquiditätsschwierigkeiten geraten würden.
— Dazu habe ich schon gesprochen. Nachdem aber heute morgen außerhalb der reinen Geschäftsordnungsdebatte der Herr Dr. Mommer einen Sachantrag gestellt hat, habe ich mir herausgenommen, jetzt zu dieser Sache ebenfalls zu sprechen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ritzel?
Bitte sehr, Herr Ritzel.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, wieviel die Bundesregierung in ihrem Haushaltsplanentwurf 1964 an Überlassung von Schuldtiteln an die Rentenversicherungsträger selbst vorgesehen hat?
Ja, das ist mir wohl bekannt. Sie hat 500 Millionen DM vorgesehen.
Schön. — Darf ich weiter fragen, über wieviel flüssiges, anlagesuchendes Kapital die Rentenversicherungsträger zur Zeit verfügen.
An flüssigem Kapital stehen den Rentenversicherungsträgern nur die Betriebsmittel zur Verfügung. Alles andere ist nach den Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung angelegt, und wenn Sie den Betrag wissen wollen, so kann ich Ihnen auch diesen sagen: das, was an Anlagen vorhanden ist, beträgt in der Arbeiterrenten- und in der Angestelltenversicherung zusammen etwa 19 Milliarden DM. Aber diese 19 Milliarden sind zum Teil recht langfristig angelegt.
Eine weitere Frage!
Sie haben überhört, Herr Kollege, daß ich Sie gebeten habe, mir auf die Frage zu antworten, wieviel anlagesuchendes, flüssiges Kapital zur Zeit bei den Rentenversicherungsträgern vorhanden ist.
Ich möchte Ihnen sagen: so gut wie keines.
Dann will ich es Ihnen sagen: 2 Milliarden DM.
Das ist also noch eben genau der Betrag, den die Rentenversicherungsträger etwa monatlich für eine Rentenzahlung und sonstige Aufgaben benötigen. Hier handelt es sich um Betriebsmittel, über die in diesem Zusammenhang, wenn es sich um Kapitalvermögen handelt, nicht gesprochen werden kann.
Soweit flüssige Mittel zur Verfügung stehen, die nicht als Betriebsmittel benötigt werden, waren die Versicherungsträger immer einsichtig genug, sie so anzulegen, daß auch der Bundesregierung geholfen ist. Ich sagte schon: allein im letzten Jahr haben die Landesversicherungsanstalten über 300 Millionen DM auf diese Weise zugunsten des Bundes festgelegt.
— Bitte nachher; es hat ja keinen Sinn. Da Sie mir das Recht streitig machen wollen, gerade zu der von Herrn Dr. Mommer heute morgen aufgeworfenen Frage Stellung zu nehmen, mache ich es Ihnen streitig, mich nun fortgesetzt wegen dieser Frage zu unterbrechen.
Weiter: Die Kassenüberschüsse der Versicherungsträger werden voraussichtlich in den nächsten Jahren zurückgehen. Das ergibt sich aus dem Sozialbericht, der uns heute zur Debatte vorgelegt worden ist. Andererseits werden die Rentenausgaben in den nächsten Jahren ansteigen. Wahrscheinlich werden wir am 1. Januar 1965 nicht eine Rentenanpassung von 8,2 %, sondern eine solche von 9,4 % haben, und bei dieser Entwicklung ist unter Umständen mit defizitären Bilanzen in der Rentenversicherung zu rechnen. Das vorhandene Vermögen müßte dann zumindest bei einigen Landesversicherungsanstalten angegriffen werden. Auf diese Weise entstehen ernste Schwierigkeiten, da es sich bei allen diesen Werten um länger gebundene Vermögensanlagen handelt.
Die Träger der Arbeiterrenten- und der Angestelltenversicherung werden 1964 Kassenüberschüsse in Höhe von etwa 1 Milliarde DM erzielen. So die Vorausberechnungen. Die Versicherungsanstalten müssen also, wenn dem Vorschlag des Herrn Dr. Mommer gefolgt wird, ihren gesamten Überschuß in voller Höhe in Bundestiteln anlegen.
— Ich bin davon überzeugt;
denn wenn 1 Milliarde verfügbaren Bundeszuschusses plötzlich wegfällt, der nämlich in Bundestiteln gegeben wird, dann geht die Milliarde, die als Einnahmeüberschuß dableibt, restlos in diesen Anlagen auf. Dann ist es aber auch vorbei mit irgendwelchen Maßnahmen, die bisher von den Landesversicherungsanstalten und der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in großzügiger Weise zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus getroffen worden sind, dann ist es vorbei mit der Darlehensgewährung für den Neubau von Krankenanstalten, mit Darlehen an Gemeinden zur Finanzierung der Wasserversorgung, der Abwässerbeseitigung, der Maßnahmen zur Reinhaltung der Luft, dann ist es aus mit Darlehen an die Deutsche Bundesbahn und an die Deutsche Bundespost.
Dann bedenken Sie bitte weiter, daß die Rentenversicherungsträger bereits jetzt Schuldbuchforderungen in Höhe von annähernd 3 Milliarden DM in ihrem Portefeuille haben. Sie haben darüber hinaus Anleihen der Bundesbahn und der Bundespost sowie
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4709
Gaßmann
Kommunalobligationen in Höhe von 11/2 Milliarden DM übernommen, zusammen also etwa 41/2 Milliarden DM, und haben damit mehr als ein Fünftel ihres Vermögens ausschließlich in Titeln öffentlich-rechtlicher Körperschaften und Organisationen angelegt. Die Rücklagen und die Kassenüberschüsse der Rentenversicherungsträger — das haben Sie von der Opposition früher selbst ausgeführt, Sie wollen es heute nur nicht mehr wahrhaben — sind eben nicht dazu da, um für andere Zwecke verwendet zu werden als für die Sicherung der Rentenzahlung. Man würde ein schlechtes Beispiel geben, wenn man bei jeder anderen Gelegenheit etwa wieder denselben Weg ginge und zu allem Überschüsse der Landesversicherungsanstalten und der Bundesversicherungsanstalt verwenden wollte.
Der Bundesregierung sind alle diese Momente, die ich soeben vorgetragen habe, genau bekannt. Sie weiß auch, daß sie den Rentenversicherungsträgern Liquiditätshilfe leisten müßte; sie müßte also Bundesschuldbuchforderungen vorzeitig zurückbezahlen, wenn einige Rentenversicherungsträger in Schwierigkeiten kämen. Deshalb, Herr Kollege Ritzel, hat die Bundesregierung im Haushaltsgesetz 1964 vorgesehen, einen Teilbetrag des allgemeinen Bundeszuschusses in Höhe von 500 Millionen DM durch Zuteilung von Schuldbuchforderungen gegen den Bund an die Rentenversicherungsträger zu entrichten und sich bzw. den Bundesfinanzminister ermächtigen zu lassen, darüber mit den Rentenversicherungsträgern zu verhandeln und Vereinbarungen über diesen Betrag von etwa 10 % des gesamten Bundeszuschusses, also von 500 Millionen DM zu treffen. Die Bundesregierung will also einen an sich möglichen Anlagezwang, wie er — ich habe es einleitend schon gesagt — in den Zeiten des „Dritten Reiches" möglich war, vermeiden. Die verantwortlichen Männer im Verband Deutscher Rentenversicherungsträger haben sich beim Verbandstag dieses Verbandes vor vierzehn Tagen in Hannover für den Abschluß einer solchen freiwilligen Vereinbarung eingesetzt. Sie haben dabei sehr erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden gehabt, die nicht zuletzt auch von Versichertenvertretern bei den Landesversicherungsanstalten gemacht worden sind.
Nun sollen also die Verhandlungen über eine freiwillige Vereinbarung über diese 500 Millionen DM anlaufen, wie sie im Haushaltsgesetzentwurf, wohl in § 21, vorgesehen sind. Da hat uns Herr Dr. Mommer heute morgen mit der Forderung von 1 Milliarde DM einen Bärendienst erwiesen;
denn damit wird es uns erheblich erschwert,
zu einer vernünftigen freiwilligen Regelung mit der Bundesregierung über die 500 Millionen DM zu kommen.
— Das hat mit den Kriegsopfern nichts zu tun. Herr Dr. Mommer, ich habe im Gegenteil die Hoffnung und den Wunsch, daß der Haushaltsausschuß, der die Neuregelung der Kriegsopferversorgung zu behandeln haben wird, andere und, wie ich meine, bessere Wege finden wird, um den Kriegsopfern zu ihrem Recht zu verhelfen, das ich ihnen von ganzem Herzen gönne und wünsche. Ich hoffe aber auch, daß der Kriegsopferausschuß nicht den von Herrn Dr. Mommer empfohlenen, allzu einfachen, um nicht zu sagen, primitiven Weg geht, der bei dieser so heiklen und einschneidenden Frage wahrhaftig nicht der Weisheit letzter Schluß sein kann.
Ich bin bereit, noch die von mir abgewiesene Frage zu beantworten. Sie wird, wie ich sehe, nicht mehr gestellt. •
Das Wort hat der Abgeordnete Geiger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wohl selten ist die Ablehnung einer guten Sache mit so vielen Worten begründet worden, wie das Herr Kollege Gaßmann heute nachmittag im Auftrag der CDU/CSU getan hat. Ich hätte gewünscht, daß alle Rentnerinnen und Rentner, die einen Sonderzuschuß von 14 bzw. 21 DM zu ihrer Rente erhalten, einmal gehört hätten, daß Sie gerade deren Los zum Anlaß nehmen, hier über etwas ganz anderes zu sprechen als über das, um was es in der Sache wirklich gegangen ist.
Herr Kollege Gaßmann, Sie haben sehr viel von grundsätzlichen Erwägungen gesprochen und haben uns vorgehalten, wie unsere Definition des Zuschusses von 21 oder 14 DM in den verschiedenen Jahren gelautet hat. Sie hätten aber auch mit aller Deutlichkeit sagen müssen und sagen können, daß schon bei der Rentenreform im Jahre 1957 wegen des für diesen Personenkreis schlechten Ergebnisses Sonderzuschüsse in Höhe von 14 bzw. 21 DM gezahlt werden mußten. Auch das hätten Sie einmal sagen und beachten sollen.
Gerade dieser Personenkreis soll jetzt bei der Gesamtentwicklung der Einkommensverhältnisse, aber auch bei der Gesamtentwicklung der Lebenshaltungskosten und der Preisverhältnisse von einer Rentenanpassung dieses geringen Betrages ausgenommen werden. Es scheint zu dem vom Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung so oft gepriesenen neuen Stil in der Sozialpolitik zu gehören, daß Sie für die Rentenversicherung und die Währungsstabilität immer dann die größte Gefahr sehen, wenn es darum geht, den Menschen, die der sozialen Hilfe wirklich bedürfen, zu helfen.
Ich möchte Ihnen ganz deutlich sagen: Wir Sozialdemokraten folgen Ihnen in diesem Stil nicht. Für uns handelt es sich um ein sozialpolitisches Anliegen für einen Personenkreis, der einer Hilfe bedarf.
Geiger
Über die gesetzestechnische Regelung können wir uns noch auseinandersetzen. Hier geht es gerade darum, den Menschen zu helfen, die in der Landwirtschaft tätig waren, die als Heimarbeiter tätig waren, die in ihrem Arbeitsleben schlechte Einkommensverhältnisse gehabt haben.
Es läßt sich in keiner Weise begründen, daß durch die Hereinnahme des Sonderzuschusses in die Rentenanpassung die Finanzgrundlagen der Rentenversicherung in Gefahr gebracht werden könnten. Wenn Sie, sehr geehrter Herr Kollege Gaßmann, hier einige Sorgen der Rentenversicherung darlegen wollten — ich hätte dafür Verständnis —, dann sollten Sie als Verbandsvorsitzender dazu einen anderen Anlaß nehmen und nicht zu etwas völlig anderem reden als zu dem, worum es geht. Das möchte ich mit aller Deutlichkeit sagen.
Was soll man denn von den Maßhalteappellen halten, wenn sie immer und immer wieder an diesen Personenkreis gerichtet werden? Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, bedenken Sie doch, daß für viele Rentner und erst recht für diesen Teil, der auf den Sonderzuschuß angewiesen ist, die Erhöhung der Renten, die ab 1. Januar 1964 stattfinden soll, einfach nicht mehr ausreicht, um die in den letzten Wochen und Monaten eingetretenen Preiserhöhungen aufzufangen, ganz zu schweigen von einer Verbesserung des Lebensstandards dieser auf eine Rente angewiesenen Personen. Selbst dann, Herr Kollege Gaßmann und meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wenn wir jedes Jahr das gleiche Lied singen müssen, werden wir auf unsere Forderung nach sozialer Gerechtigkeit für diese Menschen nicht verzichten. Wir müssen, wenn es uns auch schwerfällt, auch Ihr jährliches Nein zu dieser sozialpolitischen Forderung ertragen. Von der Berechtigung unserer Forderung sind wir überzeugt, und erst recht sind es die Menschen draußen, die auf eine solche Hilfe angewiesen sind.
Ich möchte hoffen und wünschen, daß Sie in sich gehen und unserem Antrag zustimmen.
Keine weiteren Wortmeldungen? — Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 364 Ziffer 2 zustimmen will, der gebe das Handzeichen.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Eine Enthaltung. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr ab über Art. I §§ 5 bis 7.
— Dann stimmen wir zunächst über § 5 ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! - Enthaltungen? — Erstes war die Mehrheit; der Paragraph ist angenommen.
Nun die §§ 6 und 7. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Art. II. Zu § 1 sind drei Änderungsanträge gestellt, Umdruck 364 Ziffern 3 und 4 und Umdruck 373, wobei festzustellen ist, daß der Antrag Umdruck 364 Ziffer 4 gleichlautend ist mit dem Antrag Umdruck 373.
Wer begründet? — Das Wort hat der Abgeordnete Killat.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bitte, mir als Berichterstatter zu gestatten, eine Berichtigung zu der Zusammenstellung in Drucksache IV/1731 vorzutragen. Auf Seite 7 in der rechten Spalte muß es unter Nr. 2 a in der ersten Zeile heißen: „Als Geldleistung im Sinne des Absatzes 1 . . ." statt „. . . § 1". Es handelt sich um einen Druckfehler.
Nach dem Höhenflug in die Finanzgestaltung der Rentenversicherungsträger und in die Anlage- und Vermögensübersicht, den der Herr Kollege Gaßmann unternommen hat, will ich den Versuch machen, unseren Antrag Umdruck 364 Ziffer 3 und — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — Ziffern 5 und 7 nüchtern vorzutragen; sie sind sachgleich.
Unser Antrag bezweckt, daß auch die Unfallrenten derjenigen angepaßt werden, deren Jahresarbeitsverdienste nach dem Ortslohn berechnet sind. In Art. II § 1 des Gesetzes wird sinngemäß die Begründung gegeben, wann in der Unfallversicherung die Renten angepaßt werden sollen. Sie lautet, daß alle auf den Jahresarbeitsverdienst abgestellten Renten angepaßt werden müssen.
Nun hat die Regierung vorgeschlagen — das ergibt sich aus Abs. 2 —, daß von dieser Anpassung solche Unfallrenten ausgenommen werden sollen, bei denen der Jahresarbeitsverdienst nach dem Ortslohn berechnet ist. Es handelt sich hierbei um Unfallrenten, die der Natur der Sache nach auf der Basis geringerer Einkommen festgesetzt sind. Es geht beispielsweise um mithelfende Familienangehörige in der Landwirtschaft und um die Personenkreise, die von meinem Kollegen Geiger schon genannt worden sind, solche mit geringeren Bezügen, Arbeiter und auch Angestellte, die vielleicht auch Teilzeitarbeit geleistet haben. Für diesen Personenkreis gilt § 575 RVO. Zur Sicherung einer Mindestleistung ist hier der Ortslohn als die Mindestgrenze angegeben worden.
Bei dem jetzt von der Regierung vorgeschlagenen Verfahren würden wir geradezu das Kuriosum erleben, daß die Renten von Unfallrentenbeziehern, deren Jahresarbeitsverdienste vielleicht gerade noch an der Grenze der Mindestjahresarbeitsverdienste liegen, noch angepaßt werden, während andere, bei denen die Jahresarbeitsverdienste vielleicht nur geringfügig unter dieser Grenze liegen und die nach § 575 den Mindestjahresarbeitsverdienst zugeschrieben erhielten, nicht angepaßt würden. Man würde also eine Schutzmaßnahme, eine zugunsten dieser Rentner eingefügte Klausel gerade in das Gegenteil verkehren und diesen Personenkreis in Zukunft von einer Anpassung ausschließen. Das kann nicht der Sinn der generellen Vorschrift von § 579 sein, alle auf einen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4711
Killat
Jahresarbeitsverdienst abgestellten Unfallrenten anzupassen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf die letzte Erhöhung der Geldleistungen in der Unfallversicherung hinweisen, die 1960 vorgenommen wurde. Man hat damals bei der allgemeinen Anpassung die auf Ortslöhnen aufgebauten Renten durch Anhebung des Ortslohnes erhöht. In § 4 des damaligen Umstellungsgesetzes für die Geldleistungen in der Unfallversicherung wurde vorgeschrieben, daß die Ortslöhne mit Wirkung vom 1. Januar 1961 auf den Stand angehoben werden, der als ortsüblich gilt.
Wir bitten Sie, für diesen Personenkreis in der Unfallversicherung ebenfalls die Anpassung vorzunehmen, und schlagen Ihnen deshalb auf Umdruck 364 mit den Ziffern 3, 5 und 7 die entsprechenden Anpassungsregelungen vor.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Franz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch unsere Fraktion ist der Meinung, daß es zweckmäßig ist, die Ziffern 3, 5 und 7 des SPD-Antrages, die sich unter dem Stichwort „Ortslöhne" subsumieren lassen, in einer einheitlichen, gemeinsamen Stellungnahme zu behandeln.
Auf den ersten Blick könnte man der Meinung sein, daß die Argumentation, die Ortslöhne sollten nicht gegenüber den Jahresarbeitsverdiensten benachteiligt werden, etwas für sich hat. Wir müssen aber feststellen, daß die Jahresarbeitsverdienste — von denen ich gern zugeben möchte, daß sie die ganzen wirtschaftlichen Möglichkeiten der dynamischen Lohnentwicklung jener Jahre erkennen lassen — faktisch aus denen des Jahres 1959 resultieren. Im Rahmen des vorläufigen Neuregelungsgesetzes des Jahres 1961 sind die Jahresarbeitsverdienste 1959 und 1960 mit 1,0 multipliziert worden. Das ist zwar prinzipiell eine Anpassung, faktisch aber sind die Jahresarbeitsverdienste von 1959 der Anpassung zugrunde gelegt worden. Wir müssen feststellen, daß die Ortslöhne und die Jahresarbeitsverdienste aus den Ortslöhnen 1961 neu festgesetzt worden sind. Ich gebe zu, daß die Festsetzung der Ortslöhne starrer vor sich geht als die wirtschaftliche Entwicklung der Jahresarbeitsverdienste. Aber ich glaube, daß ein zweijähriger Vorsprung der Ortslöhne vor den Jahresarbeitsverdiensten durchaus angemessen ist. Wir möchten aber durchaus nicht zulassen, daß die Ortslöhne gegenüber den Jahresarbeitsverdiensten zu sehr ins Hintertreffen geraten, und sind deshalb bereit, die Ziffer 7 des SPD-Antrags anzunehmen.
In dem Zusammenhang muß aber darauf hingewiesen werden — ich glaube, es ist wichtig, das festzustellen -, daß die Ermächtigung zu einer
Neufestsetzung vom 1. Januar 1964 an keine Verpflichtung zur Höherfestsetzung beinhaltet.
Ich darf also bitten, die Anträge Ziffern 3 und 5 des Umdrucks 364 abzulehnen und die Ziffer 7 anzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Killat.
Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Ich begrüße es sehr, daß aus sozialpolitischen Erwägungen die Mehrheit unserem Antrag in Ziffer 7 zustimmen wird. Wir sind dann bereit, auf eine Abstimmung über die Ziffern 3 und 5 zu verzichten und ziehen unsere Vorschläge in diesen Ziffern zurück.
Sie ziehen also den Antrag zurück?
Ehe ich über den Paragraphen abstimmen lasse, rufe ich zunächst den Änderungsantrag Umdruck 364 Ziffer 4, gleichlautend mit dem Änderungsantrag Umdruck 373 Ziffer 2, auf. — Das Wort hat der Abgeordnete Hussong.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, dieser Antrag ist sehr kurz zu begründen. Es handelt sich im Grunde genommen genau um dasselbe Prinzip wie bei Ziffer 1. Während es sich dort um Sozialrentner handelt, handelt es sich hier um die Unfallrentner. Das ist eigentlich schon alles, was zur Sache zu sagen ist.
Ergänzend möchte ich noch darauf hinweisen, daß in dieser Sache kaum finanzielle Momente sind; denn nach den getroffenen Feststellungen sind die Unfallrenten, die von Frankreich gezahlt werden, im Schnitt genauso hoch wie die Unfallrenten, die auch sonst üblicherweise gezahlt werden, so daß diese Bestimmung keine finanzpolitische Auswirkung hat. Es ist aus rechtssystematischen Gründen lediglich erforderlich, sie in den Entwurf mit aufzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Klein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ziffer 1 des Änderungsantrags Umdruck 373 bezog sich auf die Rentenversicherung, Ziffer 2 bezieht sich auf die Unfallversicherung. Notwendigerweise soll hier ein Gleichklang bestehen. Deshalb bitte ich, auch diese 'Ziffer anzunehmen.
Ich möchte weiter darauf hinweisen, daß zwischen den beiden Vorlagen in einem Wort ein Unterschied besteht. In dem Antrag der SPD Umdruck 364 Ziffer 4 heißt es im letzten Halbsatz „abzuleiten sind", in dem von mir gestellten Antrag Umdruck 373 Ziffer 2 heißt es „abgeleitet sind". Es ist an sich
4712 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Klein
wohl dasselbe. Nur damit der Wortlaut klar ist,
würde ich vorschlagen, zu sagen „abgeleitet sind".
Es heißt „abgeleitet sind". Keine weitere Begründung? — Dann stimmen wir ab. Der Antrag Umdruck 364 Ziffer 3 ist zurückgezogen.
Es bleibt also abzustimmen über den Antrag Umdruck 364 Ziffer 4. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Meine Damen und Herren, es ist schwer zu sagen. Darf ich bitten, die Abstimmung durch Erheben von den Sitzen zu wiederholen. Wer zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe!
— Wir müssen durch Hammelsprung entscheiden. —
Meine Damen und Herren! Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. An der Abstimmung haben teilgenommen 355 Abgeordnete. Mit Ja haben gestimmt 182 Abgeordnete, mit Nein 173. Enthalten hat sich kein Abgeordneter. Damit ist der Antrag angenommen.
Wir stimmen nunmehr über § 1 in der veränderten Fassung ab. Wer Art. II § 1 zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Der Änderungsantrag zu § 2 ist zurückgezogen.
Wer den §§ 2, — 3, — 4 sowie Art. III § 1 zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Zu Art. III § 2 liegt der Änderungsantrag Umdruck 364 Ziffer 6 vor.
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Biermann.
Meine Damen und Herren! Wie in den vergangenen Jahren, wenn wir hier die Frage der Rentenanpassung behandelten, so haben wir uns auch heute wieder mit den Anrechnungsbestimmungen des jetzigen Art. III § 2 auseinanderzusetzen. Es geht hierbei darum, ob die Rentenerhöhung, die wir heute gemeinsam beschließen wollen, auch im kommenden Jahr wieder auf die Leistungen aus der Kriegsopferversorgung, die Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz, die Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz und die weiteren Sozialleistungen, die in dem Ihnen vorliegenden Entwurf im einzelnen aufgeführt sind, angerechnet werden soll. Es geht darum, ob wie in der Vergangenheit hier die eine Hand wieder nehmen soll, was die andere Hand soeben gegeben hat.
Diese bisher praktizierte Methode des Gebens und des wieder Nehmens ist nach unserer Auffassung in der Sache widersprüchlich, insbesondere aber sozial ungerecht, ungerecht deshalb, weil diejenigen Rentner, die außer ihrer Rente eine der von mir eben angeführten Sozialleistungen erhalten, von der Rentenanpassung praktisch ausgeschlossen bleiben. Diese Rentner erhalten lediglich aus verwaltungstechnischen Erfordernissen eine, wie es hier in der Vergangenheit so schön hieß, „Schonfrist" von fünf Monaten, d. h. sie erhalten vom 1. Januar bis zum 31. Mai eines jeden Jahres die Rentenerhöhung, ohne daß eine Anrechnung vorgenommen wird; aber ab Juni eines jeden Jahres wird die Rentenerhöhung angerechnet, und die Einkommen der hiervon betroffenen Rentner — ich schätze ihre Zahl auf etwa eine Million — sinken wieder auf den Stand des Vorjahres zurück.
Daß ein solches Verfahren nicht nur bei den Betroffenen kein Verständnis findet, liegt wohl nur zu klar auf der Hand. Wir sind darum gehalten, nun endlich dieses Unrecht zu beseitigen. Wir haben heute auch die Möglichkeit dazu.
Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang an die Ausführungen des Sprechers der CDU/CSU, der im vergangenen Jahr — es war einen Tag später, es war am 12. Dezember — hier die Auffassung vertreten hat, daß diese Frage durchaus der erneuten und sehr kurzfristigen Prüfung bedürfe. Nun, eine kurzfristige Prüfung dieser sozialpolitisch nicht wünschenswerten Ungerechtigkeiten ist nicht erfolgt. Das alte Unrecht haben wir wie gehabt — so darf man sagen — wieder vor uns. Wir können uns darum heute nicht damit zufriedengeben, daß die Lösung dieses Problems wieder aufgeschoben, daß sie wieder um ein weiteres Jahr verzögert wird.
Meine 'Damen und Herren, ich weiß, man kann hier sagen: Alle Jahre wieder! Ich will es darum kurz machen. Unser bereits im Ausschuß für Sozialpolitik gestellter Antrag, das Wort „Mai" durch das Wort „Dezember" zu ersetzen, wurde mit 12 gegen 12 Stimmen bei einer Stimmenthaltung abgelehnt. Das heißt — und das darf ich hier einmal sagen —, die Vertreter der CDU/CSU stimmten gegen unseren Antrag, während ein Vertreter der FDP mit meinen politischen Freunden für unseren Antrag stimmte und ein Vertreter der FDP sich der Stimme enthielt.
Wenn man dieses Ergebnis berücksichtigt, können wir wohl heute trotz der im vergangenen Jahr gehabten Enttäuschung in dieser Frage zuversichtlich sein, daß das anstehende Problem — zumindest mit Mehrheit — für den betroffenen Personenkreis gelöst wird.
Ich darf Sie daher namens meiner Fraktion dringend darum bitten, unserem Antrag auf Umdruck 364 Ziffer 6 Ihre Zustimmung zu geben, um damit das bestehende Unrecht in dieser Frage zu beseitigen.
Das Wort hat der Abgeordnete Weigl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir nehmen das von dem Kollegen Biermann aufgeworfene Problem, ob eine teilweise Anrechnung oder eine Nichtanrechnung der Rentenerhöhung auf andere Sozialleistungen, insbesondere in der Kriegsopferversorgung, im Lastenausgleichsgesetz und im Bundesentschädigungsgesetz, erfolgen soll, sehr ernst. Ich darf nur
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4713
Weigl
auf die Stellungnahmen der Kollegen meiner Fraktion in den vergangenen Jahren verweisen. Es ist auch zuzugestehen, daß man sich nicht leicht tut, diesen Sachverhalt dem einzelnen Betroffenen auseinanderzusetzen.
Trotzdem, meine verehrten Damen und Herren, müssen wir ablehnen, und zwar deshalb, weil sich sonst als letzte Konsequenz die Auflösung eines bewährten Systems andeutet.
Wir bekennen uns zur Lohnfunktion in der gesetzlichen Rentenversicherung. Das hat sich schon bewährt, Herr Kollege. Die Ausgleichsrente im Kriegsopferrecht z. B. hat eine völlig andere Funktion. Deshalb scheint es mir übertrieben zu sein, wenn hier von Unrecht gesprochen wird.
Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder betont, daß eine Lösung dieser Frage nur über eine Verbesserung in den zuständigen Gesetzen möglich ist
— Frau Kollegin, ich werde gleich darauf eingehen —, um hier nicht systemwidrig vorzugehen..
Ich möchte, weil gerade der Zwischenruf gekommen ist: „Warum haben Sie es nicht getan?", darauf hinweisen, daß sich in den Ausschußberatungen zum Zweiten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts bereits ein erfreulicher Fortschritt abzeichnet. Der § 33 bringt nämlich eine wesentliche Verbesserung des anrechnungsfreien Einkommens.
— Ich darf darauf hinweisen, Herr Kollege, daß Sie diese wesentliche Verbesserung sogar in der Drucksache IV/1714, also in einen Antrag Ihrer Fraktion, übernommen haben.
Wir haben es also, meine Damen und Herren, hier mit einer wesentlichen Verbesserung zu tun, und ich darf für meine Fraktion die Überzeugung äußern, daß in den anderen Gesetzen künftig dasselbe geschehen wird.
Eine Nichtanrechnung der Erhöhung in der gesetzlichen Rentenversicherung auf andere Sozialleistungen bis zum Monat Mai kommt nach unserer Überzeugung einem mittleren Weg gleich. Eine Anrechnungsfreiheit für ein Jahr wäre die völlige Beseitigung der Anrechnung überhaupt.
Wir müssen wegen der Konsequenzen, wegen der sich daraus ergebenden Verwirrung, die letztlich einem Angriff auf das — das werden Sie doch zugeben — sicherlich erprobte System gleichkäme, darum bitten, die Ziffer 6 des Umdrucks 364 abzulehnen. Wenn wir Ihrem Vorschlag folgen würden, gäbe es in der letzten Konsequenz nur einen einzigen Ausweg, und das wäre die Einheitsversicherung, die wir ablehnen müssen,
und zwar nicht zuletzt im Interesse unserer Rentner selbst ablehnen müssen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 364 Ziffer 6 zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nun über die §§ 2 und 3 ab. Wer diesen Paragraphen zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Der Änderungsantrag Umdruck 364 Ziffer 7 ist schon begründet. Auch eine Antwort ist schon erfolgt. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Nunmehr §§ 4 und 5, Einleitung und Überschrift.
— Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! - Enthaltungen? — Angenommen.
Es scheint Übereinstimmung zu bestehen, daß die dritte Beratung am Freitag erfolgen soll; über die Reihenfolge der Tagesordnung werden wir uns noch verständigen können. Damit ist dieser Punkt für heute erledigt.
Ich rufe Punkt 17 auf:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. auswärtige Kulturpolitik .
Zur Begründung der Großen Anfrage hat der Abgeordnete Kahn-Ackermann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben diese Große Anfrage eingebracht, weil uns die steigende Bedeutung einer oft und aus unterschiedlichsten Gründen unzulänglich bewältigten Aufgabe Sorge macht. Es ist nicht so, daß wir die Schwierigkeiten auf dem Gebiet der auswärtigen Kulturarbeit nicht kennen würden, und es ist nicht so, daß wir dem Geleisteten nicht Anerkennung zollen würden. Aber ich denke, daß die Laudatio über die Verdienste von Ihrer Seite her kommen wird und daß wir am Schluß der Debatte sehen können, in welchem Umfang wir ihr beizupflichten vermögen.
Die Frage nach der Konzeption der auswärtigen Kulturarbeit umschließt auch den Wert, den man ihr innerhalb der auswärtigen Politik beimißt: ob man die auswärtige Kulturarbeit als ein Ornament, einen Blinddarm innerhalb des ganzen Gefüges unseres Amtes betrachtet, oder ob man sie als wesentliches Element der Politik betrachtet. Ferner ist da die Frage der Methode wichtig, die eng mit der Rolle verknüpft ist, die man unserer Sprache als wichtigstem Medium unserer Kulturarbeit beimißt. Hier ist vieles unklar. Ich darf Sie beispielsweise an die Denkschrift erinnern, die der Deutsche Industrie- und Handelstag im Frühjahr dieses Jahres den Mitglie-
4714 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Kahn-Ackermann
dern dieses Hauses zugesandt hat und worin er auf die Folgen hinweist, die z. B. innerhalb unserer europäischen Gremien dadurch entstehen, daß man zweifellos nicht eine mehrsprachige Administration anstrebt. Wir müssen die Bundesregierung fragen, welche Rolle sie der deutschen Sprache innerhalb Europas zumißt und welche Akzente sie hier zu setzen versucht, weil das ein außerordentlich wichtiger Punkt innerhalb der auswärtigen Kulturarbeit, soweit sie in Europa geleistet wird, ist.
Schließlich die Kernfrage nach dem Inhalt: Soll Kulturarbeit Vermittlung von Spitzenprodukten für eine intellektuelle Elite sein oder soll sie mehr sein? Kulturarbeit — so sehen wir es — ist eigentlich die unablässige Einwirkung von Menschen auf ihre Umwelt. Es ist sicher, daß wir auf dem Gebiet unserer auswärtigen Kulturarbeit diese Breite nicht haben. Aber darauf möchte ich im einzelnen noch zu sprechen kommen.
Unsere Kulturarbeit hat eine Neigung zum Esoterischen. Ich frage mich manchmal, ob man Konzerten oder literarischen Abenden, die man in manchen Ländern nahezu ausschließlich für die deutsche Kolonie oder das diplomatische Korps veranstaltet, als Medium der Kulturarbeit nicht eine viel zu große Bedeutung beimißt. Wir leben in einer sehr differenzierten Welt, und selbst das akzeptierte Bild unserer Kulturarbeit, daß wir sozusagen die Selbstdarstellung deutscher Kultur als Leitbild vor uns haben sollen, wird heute auch mitunter fragwürdig, wenn ich an die vielen Länder denke, in denen die
Leute, die dort wohnen, einfach nicht das intellektuelle Interesse haben, sich für unsere Probleme und unsere kulturellen Probleme zu interessieren, weil die Voraussetzungen dort nicht erfüllt sind. Hier wird man darangehen müssen, nach besseren und politisch wirkungsvolleren Methoden zu suchen.
Wir übersehen ferner nicht, daß mancher Akzent unserer auswärtigen Kulturarbeit durch die nicht zu unterschätzende Aktivität der Zone und ihrer auswärtigen Missionen gesetzt wird. Aber gerade diese Tätigkeit trifft bei uns auf eine verwundbare Stelle. Die in einem Grundsatzerlaß vorgeschriebene politische Abstinenz für die die Kulturarbeit tragenden Goethe-Institute, die ich als Prinzip für Unsinn halte und die nur im Einzelfall berechtigt sein mag, setzt hier unseren Wirkungsmöglichkeiten nicht unbeträchtliche Grenzen. So verschweigt die deutsche Kulturpolitik die Existenz weiter Bereiche unseres Lebens und unserer Geschichte, und so nimmt es nicht wunder, daß beispielsweise, von ganz verschwindenden Ausnahmen abgesehen, niemand daran gedacht hat, im Rahmen dieser auswärtigen Kulturarbeit etwa des hundertjährigen Gründungstages der deutschen Arbeiterbewegung zu gedenken und sie für das deutsche Ansehen in vielen Ländern, in denen das Bild Deutschlands gerade von dieser Seite her nicht bekannt ist, nutzbar zu machen. Als ich diese Frage einem der Kulturattachés in einem unserer wichtigsten Nachbarländer vorgelegt habe, in dem das gerade infolge der starken politischen Linken dort sicherlich eine nützliche Angelegenheit gewesen wäre, hat er gesagt, das sei selbstverständlich eine gute Idee; aber von selber ist er nicht darauf gekommen. Ich finde es jedenfalls schade, daß wir Lassalle, Bebel und den ganzen entscheidenden Beitrag der deutschen Arbeiterbewegung zur sozialen Revolution des 19. und 20. Jahrhunderts den anderen überlassen, und das gerade in Ländern, in denen dieser Beitrag für die eigene staatliche Ausformung von ungeheurer Bedeutung ist. Das hat auch in manchen Kleinigkeiten seine Auswirkung. Ich kann mich entsinnen, vor längerer Zeit einmal einen Werbefilm für die auswärtige Kulturarbeit gesehen zu haben, in dem — man könnte viel daran kritisieren, aber ich möchte jetzt nur auf diese einzige Kleinigkeit zu sprechen kommen — u. a. auch die Stadt Trier mit all ihren historischen römischen Baudenkmälern gezeigt wurde; aber auf die Idee, das Geburtshaus von Karl Marx zu zeigen, das gerade in seiner Werbewirkung für eine historische Figur, die von den anderen für sich beansprucht wird, von Wert ist, ist niemand gekommen. Das könnte für die Bundesrepublik eine Angelegenheit von positiver Bedeutung sein, und wir sollten das nicht anderen überlassen.
Meine Damen und Herren, wir kennen die Schwierigkeiten in unseren kulturellen Beziehungen zur Sowjetunion. Trotzdem scheint mir die Bundesrepublik nicht allzu viel Phantasie an Lösungen für die festgefahrene Situation verschwendet zu haben, die uns wohlbekannt ist. Ich sage das nur, weil eine Reihe von unterschiedlichsten Faktoren, von Max Gregers Tanzkapelle angefangen über Bernhard Wickis in Rußland ungewöhnlich erfolgreichen Film „Die Brücke" bis zu einem Besuch deutscher Schriftsteller in sehr nachhaltiger Weise auf eine Korrektur des sowjetischen Bildes der Bundesrepublik hingewirkt haben; ich glaube, eine Korrektur, die wohl auch zu den Zielen unserer auswärtigen Politik gehört.
Noch ein Satz zu unseren kulturellen Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten. Sie sind ein Teil Europas, und ein Abbau administrativer Hindernisse gegenüber einer intensiveren Pflege kultureller Beziehungen würde auch da auf ganz natürliche Weise dem Zerrbild entgegenwirken, das politische Propaganda vor uns errichtet hat.
Hätte die Bundesrepublik in all diesen entscheidenden Fragen ein Konzept und lebte sie weniger aus einer Kombination von etwas zuviel Kulturroutine und leider wenig genialen Improvisationen, so hätten wir die simple Frage nach dem Konzept der kulturpolitischen Arbeit im Ausland nicht zu stellen brauchen.
Zweitens wird nach den Beiträgen gefragt, die die Bundesrepublik zur Kulturarbeit im Rahmen der europäischen Institutionen leistet. Da möchte ich die Frage an Sie richten, Herr Minister, inwieweit die Bundesregierung sich die Empfehlungen des Europarats vom 16. September dieses Jahres zu Herzen genommen hat und inwieweit sie wirklich darangeht, sich in etwa positiv der Idee einer gemeinsamen Darstellung Europas auf den anderen Kontinenten anzuschließen, einem Postulat, das, wie ich mit großer Freude bemerkt habe, auch von den Kollegen der CDU in den europäischen Gremien befürwortet worden ist. Ferner erhebt sich die Frage, in-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4715
Kahn-Ackermann
wieweit die Bundesregierung die Empfehlungen des Europaparlaments zur kulturellen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zu befolgen gedenkt und daran mitwirken will, daß gemeinsame Einrichtungen, die dazu nötig sind, geschaffen werden.
Wir möchten auch gerne wissen, worin die deutsche Mitarbeit im Rat für kulturelle Zusammenarbeit sozusagen ihr Arbeitsziel sieht. Wir wissen, daß dieses Gremium umgebaut werden soll, weil es die Erwartungen nicht ganz erfüllt hat, die man in es gesetzt hat. Ich muß sagen: einem Gremium, das fast ausschließlich aus Beamten besteht — ich habe nichts gegen Beamte; aber sie sind an Weisungen gebunden —, fällt es schwer, progressive Ideen zu entwickeln und einen Schritt nach vorn zu tun. Aber uns interessiert, welche Haltung die Bundesregierung hier einnimmt und ob sie glaubt, daß eine derartige Institution alle die ihr übertragenen Aufgaben mit einem Budget von 2 Millionen Neuen Franken erfüllen kann.
Angesichts des Ranges, der ganz offensichtlich nach außen diesem Beitrag zur europäischen Kulturarbeit beigemessen wird, muß man schließlich fragen, ob dort wirklich eine ernsthafte Mitarbeit erfolgt oder ob man einfach in diesen Gremien mitwirkt, weil man eben drin ist. Die Frage nach einem gemeinsamen Europa stellt sich auch in der Frage unserer zwischenstaatlichen kulturellen Beziehungen. Der Begriff der gemeinsamen abendländischen Kultur wird oft verwendet. Wenn man ihn aber gebraucht, soll man ihn nicht bloß als Floskel benutzen, sondern dann soll man damit in seiner Politik auch zeigen, daß man ernsthaft um eine Verwirklichung einer gemeinsamen Kulturpolitik bemüht ist.
Ich komme zur dritten Frage. Die deutschen Kulturinstitute sind das Hauptmedium unserer Kulturarbeit geworden. Kürzlich haben wir in Algier das 100. Goethe-Institut eröffnet. Seit einer Reihe von Jahren stellt sich aber für diese große Zahl von Kulturinstituten, die heute im wesentlichen sehr selbständig ihre Aufgabe wahrnehmen, das Problem der geeigneten zentralen Führung und in diesem Zusammenhang auch des Programmdirektors.
Mit Wahl von Botschafter Pfeiffer zum Präsidenten dieser Institution ist gewiß gegenüber dem vorher herrschenden Interregnum ein Fortschritt erzielt worden. Jedoch muß ich die Frage stellen, ob nicht auch hier das gilt, was ich vorhin für das allgemeine Konzept gesagt habe, nämlich ob man nicht daran denken muß, für diese Aufgabe Persönlichkeiten zu gewinnen, die selber schöpferische Ideen zu unserer kulturellen Wirksamkeit im Ausland beitragen können. Ich weiß, daß es da Hindernisse hinsichtlich der Bezahlung und der Möglichkeit gibt, gute Kräfte zu gewinnen. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Die Frage ist lediglich, welche Bedeutung man diesen Aufgaben zumißt. Dann wird man auch Wege finden, auch die materiellen Wege, um die für Führungsaufgaben in solchen Gremien geeigneten Persönlichkeiten zu finden. Natürlich ist die Lösung der Personalfrage nicht einfach. Allein im Jahre 1962 sind 30 derartige neue Institute eröffnet worden. Man kann dem Auswärtigen Amt und dem Goethe-Institut nur gratulieren, wenn es ihm gelungen sein sollte, in einem einzigen Jahr 30 gute Leute für diese neu eröffneten Institute zu finden. Gerade das ist ein Moment, das mich sehr hoffnungsfreudig macht, daß auch dort, wo die Vorstellungen über die Besetzung mit geeigneten Persönlichkeiten noch nicht verwirklicht werden können, eine Verwirklichung möglich ist.
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß der Grundsatzerlaß „keine Politik an den GoetheInstituten" ihre Wirkungsmöglichkeiten stark beeinträchtigt, wenn Sie Politik in einem weiteren Sinne nehmen, wie er etwa von den Organisationen verstanden wird, die sich in unseren Nachbarstaaten oder in anderen Staaten mit der kulturellen Arbeit beschäftigen, z. B. vom British Council.
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie, Herr Minister, daran erinnern, daß, wenn man die Ausleihlisten unserer Goethe-Institute nachprüft, die politische Literatur immer noch vor der anderen führt und daß Marx noch immer an der Spitze aller Autoren vor Goethe rangiert. Das möge nur ein Fingerzeig für das Interesse sein, das das Leserpublikum in diesen überwiegend in Entwicklungsländern gelegenen Leseinstituten hat.
Zu viele dieser Institute führen, so möchte ich sagen, ein rein einem ästhetischen Programm verhaftetes Dasein. Das sollte man wohl schon im Hinblick auf die Tätigkeit der auswärtigen Missionen der Zone, wie ich vorhin gesagt habe, ändern.
Die Haupttätigkeit der Institute ist die Vermittlung der deutschen Sprache. Hier werden wir Jahr für Jahr mit der Tatsache konfrontiert, daß erfreulicherweise die Zahl derjenigen, die Deutsch lernen wollen, ansteigt. Ja, man muß direkt staunen, welche Mengen da in unsere Kurse strömen. Aber aus dieser Tatsache ergibt sich nach meiner Ansicht eine Reihe von außerordentlich wichtigen Fragen. Zunächst einmal soll man sich durch die Zahlen nicht blenden lassen. Wer Gelegenheit hat, mit den Leitern solcher Kulturinstitute zu sprechen, und den Dingen auf den Grund geht, wird feststellen, daß im Endeffekt die Zahl derjenigen, die wirklich bemüht sind, Deutsch soweit zu lernen, daß sie es als Sprache benutzen können, sehr gering ist. Das zweite: wenn man diesen Zweig des Unterrichts der deutschen Sprache so sehr ausdehnt, muß man sich auch die Frage stellen, was man später einmal mit den Leuten anfangen will, die die deutsche Sprache erlernt haben. Hier fehlt die Fortsetzung. Es fehlt ein Fortsetzungsprogramm. Es fehlt an Möglichkeiten, die Leute, die wirklich Deutsch gelernt haben, weiter für die Arbeit unserer Kulturinstitute zu interessieren. Es mag sein, daß hier zuweilen ein materieller Mangel mitspielt, aber im großen und ganzen ist für diesen Fall nichts vorgesehen. Es erscheint mir auch als ein Mangel unseres Besucherprogramms, daß etwaige besonders gute Absolventen der Kurse an unseren Goethe-Instituten, die es in der Tat bis zu einer Art Diplom gebracht haben, dann nicht auch als Ansporn und um sie zur Mitarbeit zu gewinnen, in das Besucherprogramm oder in die verschiedenen Besucherprogramme der Bundesregierung einbezogen werden.
4716 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Kahn-Ackermann
Lassen Sie mich zum Problem der Goethe-Institute noch eines sagen. Alle diese Goethe-Institute besitzen Bibliotheken, und das ist mit einer der Hauptzwecke ihres Daseins. Aber was nützt es, daß wir in solchen Ländern Hunderte oder Tausende von deutschen Büchern haben, wenn sie trotz des Deutschunterrichts praktisch nur von einem Minimum der Besucher gelesen werden! Es erscheint absolut notwendig, daß die Bemühungen, mehr englische und französische Übersetzungen deutscher Literatur und deutscher Fachliteratur in diese Bibliotheken einzustellen, verstärkt werden.
Dann noch eines. Ein Teil des Bildes, das man sich von uns als Kulturnation im Ausland macht, beruht auf einer Reihe von technischen Leistungen. In kaum einem dieser Goethe-Institute finden Sie aber eine technische Bibliothek, die diese Leistungen in etwa repräsentiert. Dieser Mangel ist mir nicht bloß von Leitern, sondern auch von vielen Besuchern dieser Bibliotheken vorgehalten worden.
Uns stehen für den Ausbau dieser Institute nur beschränkte Mittel zur Verfügung. Da muß man allen Ernstes fragen, ob nicht manchmal ein etwas vorsichtigeres Taktieren am Platz wäre; denn wenn man an manchen Orten in den Entwicklungsländern prüft, wer von den Einheimischen die Veranstaltungen dieser Institute besucht — vielleicht ist es das Konzept, daß man in die Zukunft gebaut hat —, dann stellt man fest, daß im Jahresdurchschnitt, nur auf die einheimischen Besucher abgehoben, manchmal nicht mehr als 10, 15 oder 20 Leute kommen.
Auch an eine Verlagerung der Gewichte muß gedacht werden. Schauen Sie, da gibt es verhältnismäßig kleine Zweit- und Drittorte in afrikanischen Ländern, die heute bereits über ein Goethe-Institut verfügen. In der größten Stadt Indiens, in Bombay, mit über 6 Millionen Einwohnern, die auch für das geistige Leben Indiens von großer Bedeutung ist, haben wir kein Kulturinstitut. Ich kenne die dornenvolle Vorgeschichte, warum wir dort keines haben. Aber auch hier ist es eine Frage des guten Willens und die Frage gewesen, wie man einen guten Weg findet, dieses Problem zu bewältigen.
Unsere vierte Frage beschäftigt sich mit den deutschen Schulen im Ausland. Sie sind ein Kernstück unserer Kulturarbeit und zugleich eines der problematischsten. Die Schwierigkeiten auf diesem Gebiet reißen nicht ab. Schwierigkeiten bereiten die nach 1945 geschaffenen Schulträgerschaften. Sie waren, genauer gesagt, oft mehr hinderlich als förderliche Schulvereine. Sie waren ursprünglich einmal dazu gedacht, einen Teil der Mittel für diese Schulen aufzubringen, was sich im Laufe der Jahre jedoch größtenteils als Illusion herausgestellt hat.
Da sind die ungelösten Verwaltungsfragen.
Seit Jahren haben wir nur eine Handvoll Leute — darunter nur vier Herren des höheren Dienstes, die meist Juristen und keine Pädagogen sind —, die praktisch die Arbeit in über 350 Schulen beobachten und leiten sollen. Das ist ein unmöglicher Zustand. Das kann man mit einer solchen Equipe nicht machen. Es kann einen nicht wunder nehmen, daß zwei Drittel der Schulen daher — genau betrachtet — ein vom Amt und seinen Diensten völlig unkontrolliertes Dasein führen.
Für ihre Leistung und für ihr Ansehen gibt es keine objektiven Beurteilungsunterlagen. So konnte es beispielsweise vorkommen — ich möchte Sie an dieses Ereignis nur erinnern —, daß vor zwei Jahren in einer unserer Renommierschulen, nämlich der neuen Schule in Madrid, beim Abitur 95 % der Schüler durchgefallen sind, weil man festgestellt hat, daß trotz Neubaus und aller möglichen Bestrebungen in dem Wirken dieser Schule einfach die Möglichkeiten für den Unterricht, wie sie bei uns angesehen werden, nicht mehr vorhanden waren und daß man sich auch andere Ziele gesetzt hat.
Bei manchen dieser Schulen muß man sich fragen, ob es noch deutsche Schulen sind oder ob wir sie nicht besser unter der Rubrik „Bildungshilfe" einem neuen Status zuführen sollten. Nur eine Handvoll der Auslandsschulen führt zum Abitur. Ich möchte Sie fragen, ob das im Interesse unserer Hochschulpolitik liegt, wo wir zusätzlich eine Menge Geld ausgeben, um Bewerber aus anderen Ländern — ich denke hier besonders an die Entwicklungsländer — in Deutschland zusätzliche Deutschkurse absolvieren zu lassen. Irgendwo erscheint es mir persönlich auch geradezu widersinnig, wenn eine der berühmtesten dieser Schulen, unsere Humboldt-Schule in Mexiko, praktisch ein Jahr vor dem Abitur aufhört. Das ist eine Art Fehlplanung, die der baldigsten Korrektur bedarf.
Fachleute bemängeln außerdem das veraltete Erziehungsziel vieler deutscher Schulen besonders in den Entwicklungsländern, und sie fragen, wo denn eine neue deutsche Modellschule bleibe, die auf die moderne Industriegesellschaft vorbereite und die nach der Grundstufe Aufbauzüge für die kaufmännisch, die technisch, die landwirtschaftlich und die wissenschaftlich Interessierten und Begabten enthalte.
Auf Prestigeschulen, die schlechter als die Schulen des Gastlandes sind, sollten wir verzichten. Das ganze Problem bedarf eines sorgfältigen Studiums, einer politischen Klärung und einer neuen organisatorischen Lösung. Der jetzige Zustand ist unbefriedigend und verleitet, materiell gesehen, zu Fehlinvestitionen und zur Verschwendung von Geld.
In diesem Zusammenhang bleibt die Beteiligung an internationalen oder europäischen Schulvorhaben für die Beschulung deutscher Kinder zu prüfen. Ich möchte hier fragen, inwieweit die Schulabteilung des Auswärtigen Amts der Empfehlung des Kulturpolitischen Beirats des Auswärtigen Amts vom 24. Oktober 1961 nachgekommen ist, möglichst deutsche Lehrer für solche internationalen Schulen bereitzustellen.
— Darüber müßte man sich auch noch unterhalten.
Eine Nebenbemerkung. Es ist sehr schön, daß wir eine große und mittlerweile voll ausgebaute deutsche Schule in Paris haben. Aber ich muß fragen, warum man sich eigentlich keine Sorgen über die
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4717
Kahn-Ackermann
Schulverhältnisse von 400 deutschen Bergarbeiterkindern in Nordfrankreich macht. Ich habe bisher noch nicht gehört, daß deutscherseits irgendwo ein schulisches Zentrum für diese Kinder in Aussicht genommen worden ist.
Lassen Sie mich auch noch ein Wort zu den Gewerbeschulen sagen, die in vieler Hinsicht ein bedeutender Pluspunkt unserer auswärtigen Kulturarbeit sind. 22 davon sind in Betrieb. Die Errichtung von 44 solcher Schulen hat die Bundesregierung bindend zugesagt. Aber da bereits im abgelaufenen Jahr vorübergehend vier der schon in Betrieb befindlichen Schulen ohne Leiter waren, weil es den Ländern nicht möglich war, für Ersatz zu sorgen, frage ich mich, ob sich die Bundesregierung bei der Zusage für diese 44 Gewerbeschulen auch Gedanken darüber gemacht hat, wo sie die Gewerbelehrer für diese 44 Schulen herbekommt. Sie können praktisch nur aus dem Reservoir der Länder geschöpft werden, wo sie selbst eine Mangelware sind. Ein breit gestreutes Programm erscheint mir bei der Kürze der Zeit, in der es durchgeführt werden soll, als eine Verzettelung der zur Verfügung stehenden Kräfte.
Ganz abgesehen davon sollte die Bundesregierung ihre Autorität dafür einsetzen, daß die wirklich entnervende Zersplitterung der Zuständigkeiten im Dienstverkehr der bereits bestehenden Schulen mit deutschen Stellen in irgendeiner Form bereinigt wird. Wenn die Leiter dieser Schulen irgendwelche Anliegen haben, so müssen sie sich meistens erst I an fünf Stellen wenden, bevor sich eine dieser Stellen als zuständig erklärt.
Noch eine kurze Bemerkung zu den Lehrern an unseren Auslandschulen. Die Auswahl dieser Lehrer — manche Zwischenfälle und die viele, viele Arbeit, die das Amt damit hat, auch das Bundesverwaltungsamt, führen dazu, daß die Schulabteilung im Auswärtigen Amt mit der ihr übertragenen Aufgabe nicht fertig wird — ist nach wie vor problematisch. Das kann unter den gegenwärtigen Umständen, die ja nicht zu ändern sind, auch nicht anders sein. Aber auch hier vermisse ich eine Initiative, um gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz zu einer besseren Lösung dieses Problems zu kommen.
Schließlich bleibt noch das Problem der Entsendung von deutschen Lehrern an nichtdeutsche Schulen beispielsweise in Entwicklungsländern. Mein Freund Wischnewski hat kürzlich die Öffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht, daß die Bundesrepublik offensichtlich nicht in der Lage war, der Regierung der Republik Algerien neun von ihr erbetene Schullehrer zu schicken. Diese seine Bekanntmachung in der Öffentlichkeit hat eine Stellungnahme der Ständigen Konferenz der Kultusminister gezeitigt, die mich eigentlich überrascht hat. Der Vertreter der Konferenz schreibt hier — wenn ich das eben verlesen darf —:
Ich darf Ihnen hierzu mitteilen, daß den Kultusministern der Länder von der algerischen Bitte nichts bekanntgeworden ist. Die Kultusminister haben wiederholt dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit die grundsätzliche Bereitschaft erklärt, Fachkräfte für eine Tätigkeit in Entwicklungsländern zu beurlauben.
Mir scheint, daß hier irgendwo Sand im Getriebe ist und daß dieser Sand mit einem geeigneten Scheuermittel alsbald entfernt werden sollte.
Der schwächste Punkt unserer Kulturpolitik liegt in dem Thema, das wir unter Punkt 6 angeschnitten haben: die Entsendung von Hochschullehrern und Lektoren ins Ausland und die Beziehungen zwischen deutschen und ausländischen Universitäten. Die ungeheure Nachfrage nach Lektoren und Hochschullehrern hat in all den vergangenen Jahren niemals befriedigt werden können. Die Schwierigkeiten sind nicht zu übersehen. Beamtete Hochschullehrer gehen ungern aus der Bundesrepublik heraus, weil noch immer — obwohl eine Reihe von Universitäten dankenswerterweise entsprechende Leerstellen geschaffen haben — diese Frage nicht in einer Weise geregelt ist, die es für Hochschullehrer attraktiv macht, ins Ausland zu gehen. Diejenigen Hochschullehrer die von sich aus und durch Verträge mit fremden Regierungen auf sich allein gestellt draußen arbeiten, werden nach wie vor in einer unzureichenden Weise durch die Bundesrepublik gefördert. Ich will gern zugeben, daß seit der Errichtung der Vermittlungsstelle für Wissenschaftler im Ausland einiges geschehen ist und sich manches gebessert hat. Aber im großen und ganzen, so muß man sagen, ist dieses Problem ungelöst.
Ich habe kürzlich mit dem Rektor einer Technischen Hochschule eines sehr, sehr großen Entwicklungslandes gesprochen. Dieser Mann hat einen Monat hindurch sämtliche deutsche Universitäten und Technischen Hochschulen besucht, um zwei Lehrkräfte für seine eigene Universität zu erhalten. Er ist mit leeren Händen wieder nach Hause gefahren. Das verwundert mich auch gar nicht. Denn in den Hochschulen selbst sind ja keine Möglichkeiten für eine solche Entsendung vorhanden. Aber ich würde sagen: wenn schon ein solcher Mann nach Deutschland kommt, wäre es wohl die Pflicht des Auswärtigen Amtes, ihn auch mit jenen Stellen in Kontakt zu bringen, mit denen er vielleicht positivere Gespräche in dieser Sache führen kann.
Universitätspartnerschaften, wie sie in den vergangenen Jahren eingeleitet worden sind, sind sicherlich eine gute Sache. Auch die Versprechungen und die Zusagen, die die Bundesrepublik anderen Ländern zum Mitaufbau an ihren Universitäten gegeben hat, bleiben genau wie in unserem eigenen Lande, wo ja auch die Universitäten aus ihren Nähten platzen, eine problematische Aufgabe deswegen, weil es sich immer schon nach wenigen Jahren herauszustellen pflegt, daß die Bundesrepublik den aus solchen Partnerschaften oder Zusagen erwachsenen Verpflichtungen materiell nicht mehr gewachsen ist.
Selbstverständlich will dann eine solche Universität
neue Institute haben, mehr Professoren, sie wächst
4718 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Kahn-Ackermann
heraus, und das führt allerdings nachher in materielle Kategorien, die wahrscheinlich von uns allein nicht mehr zu bewältigen sind. Man muß daher fragen, ob es auch gerade bei den Unversitätspartnerschaften nicht besser wäre, ein bißchen mehr auf die europäische und internationale Zusammenarbeit zuzusteuern, um weitere finanzkräftige Partner beim Aufbau solcher Universitäten zu haben.
In diesem Bereich ist ferner das Problem der Lektoren, der Germanisten an den auswärtigen Universitäten und besonders in den Entwicklungsländern völlig ungelöst. Sie alle, meine Damen und Herren, haben wahrscheinlich die Denkschrift von Professor Lennartz vom DAAD erhalten, der darauf hinweist, daß er mit den ihm in diesem Jahr bewilligten Haushaltsmitteln, obwohl das Auswärtige Amt die Berechtigung seiner Forderung erkenne, nicht auskommen könne. Ich möchte darauf hinweisen, daß gerade auf diesem Gebiet der Entsendung von Lektoren und Professoren künftig mehr getan werden muß. Dies ist mindestens so wichtig wie die Errichtung von neuen Goethe-Instituten; denn wie die Erfahrungen gezeigt haben, kommen Lektoren oder besonders Professoren häufig in die Situation, Berater fremder Administrationen und Minister zu sein und in eine Tätigkeit zu gelangen, in der sie für die auswärtige Politik und auch die auswärtigen Kulturbeziehungen der Bundesrepublik in einem ungeheuren Maße nützlich sein können.
Ich möchte Ihnen, Herr Minister, um aus diesen Schwierigkeiten herauszukommen, eine Anregung geben. Die Probleme liegen ja hauptsächlich darin, daß es für die einzelnen Universitäten, die wir nicht beeinflussen können, offensichtlich so sehr, sehr schwierig ist, Leute zu entsenden, wegen der Leerstellen, wegen der Frage, was nachher mit den Leuten geschieht, wenn sie wieder zurückkommen. Sie glauben, daß sie dann irgendwie in ihrem Fortkommen behindert sind. Wäre es nicht möglich, einmal mit einem dazu geeigneten oder bereiten Bundesland zu sprechen, ob es vielleicht bereit ist, eine Universität zu errichten, die praktisch nur aus einer Verwaltung besteht und in der alle diejenigen Hochschullehrer beheimatet sein könnten, die länger als zwei, drei Jahre — und das ist ja auch sehr wichtig; manche sind fünf, zehn oder 15 Jahre draußen — solche Aufgaben im Interesse der Bundesrepublik übernehmen? Ich weiß nicht, ob eine solche Idee an den bestehenden Schwierigkeiten scheitert. Zumindest scheint sie mir ein praktischer Lösungsvorschlag zu sein, dem man vielleicht nachgehen könnte.
Unsere Frage Nr. 7 beschäftigt sich damit, ob die Bundesregierung Möglichkeiten sieht, bei dem Studium von Studenten aus anderen Ländern aufgetretenen Mängeln besser entgegenzuwirken als bisher. Das Problem der Auslandstudenten ist in diesen Tagen durch eine Denkschrift der Kultusministerkonferenz neu aktuell geworden, die zu meinem großen Erstaunen der Bundesrepublik vorschlägt, mehr für das Ausländerstudium zu tun bzw. eine größere Zahl von ausländischen Studenten nach Deutschland hereinzuziehen. Ich bin froh, daß die Westdeutsche Rektorenkonferenz eine sachliche Erwiderung darauf gegeben hat. Ich will die bekannte Liste der Mißstände hier nicht repetieren. Aber ich möchte Sie an ein Wort Ihres Vorgängers erinnern, Herr Minister, der gesagt hat, daß alle auswärtige Kulturarbeit sinnlos wird, wenn wir Studenten, Besuchern und Praktikanten nicht unser Leben sinnfällig machen können und sie enttäuscht in ihre Heimatländer zurückfahren lassen. Wenn auch Ihr Amt in diesem Fall nur der Briefkasten ist, es dürfte Ihnen in diesem Zusammenhang nicht gleichgültig sein, was die Studenten und Praktikanten in unserem Lande an persönlichen Erlebnissen haben, und in diesem Zusammenhang auch nicht, was die Allgemeinheit über das Leben in diesen Ländern weiß und was Volksschüler in der Bundesrepublik über Afrika, Asien und Lateinamerika erfahren.
Eine in dankenswerter Weise auf Initiative der UNESCO durchgeführte Bestandsaufnahme über Unterrichtswerke in der Bundesrepublik enthüllt, daß Bildungshilfe im eigenen Land auf diesem Gebiet dringend geboten erscheint. In diesen Büchern enthüllt sich ein europazentrisches Geschichtsbild. Den Schülern wird nicht vermittelt, daß eine vierhundertjährige Hegemonie Europas durch eine pluralistische Völkergemeinschaft abgelöst worden ist. Ich bin daher einem Beamten der Bundesregierung dankbar, der die Herausgabe eines ausgezeichneten Modellunterrichtsbuches veranlaßt hat, das, wie mir scheint, eine passende Weihnachtsgabe des Außenministers für seine Kollegen für Kultur und Erziehung in den Ländern sein würde.
Aber zurück zu den Studenten. Ich weiß, daß nicht übermäßig viel geschieht, um eine gelegentlich oberflächliche Begeisterung für unsere Formen, zu leben und Politik zu machen, zu vertiefen. Trotzdem sollten wir alles tun, um den Sinn dieser Studenten für ein freiheitliches Weltbild zu wecken. Statt dessen aber werden unsere akademischen Besucher in der Bundesrepublik häufig mit einer doppelbödigen akademischen Freiheit konfrontiert. Das Recht der freien Meinungsäußerung ist vielen Studenten verwehrt, und mit Recht beklagt sich die Vereinigung der afro-asiatischen Studenten, daß die Anerkennung ihrer Gruppen und Vereine an vielen Universitäten von der schriftlichen Verpflichtung abhängt, keine politischen Diskussionen zu veranstalten. Ist denn die Bundesregierung Erfüllungsgehilfe der politischen Doktrinen ausländischer Staaten? Das kann ich nicht glauben.
In dieses Gebiet, meine Damen und Herren, gehört es auch, daß wir uns etwas härter zeigen sollten, wenn nach einem jeweiligen Regierungswechsel in irgendeinem fernen Land die neue Regierung plötzlich darauf besteht, daß ein großer Teil der bei uns studierenden Landsleute von ihnen zurückgerufen wird, Menschen, in die die Steuerzahler der Bundesrepublik viele Tausende von Mark investiert haben, nur weil ihnen die Richtung dieser Leute im Augenblick nicht paßt, und daß sie ver-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4719
Kahn-Ackermann
suchen — und wir das zulassen —, die Rückkehr durch Paßentziehungen und durch Denunziation etwa in der Richtung, es handele sich überwiegend um Kommunisten und dergleichen, zu erzwingen.
Mir scheint im großen und ganzen, daß in der Frage der ausländischen Studenten bei uns eine bescheidene Änderung der politischen Richtung geboten ist, insbesondere was die Vergabe von Stipendien betrifft, wenn mir auch klar ist, daß wir damit nur einen sehr kleinen Teil erreichen; denn praktisch sind nur 15% aller auswärtigen Studierenden Stipendienstudenten. Aber ich möchte doch folgendes bemerken. In Afrika und in Asien, besonders aber in Afrika, gibt es erstklassige Universitäten und Technische Hochschulen mit viel freier Kapazität, da die afrikanischen Eltern in der Regel zu arm sind, um ihre Kinder studieren zu lassen. Die von der UNESCO in diesem Herbst veranstaltete Konferenz über die Entwicklung des Erziehungswesens in Afrika hat empfohlen, Stipendien nur noch den Ländern anzubieten, die keine eigenen Universitäten haben. Die afrikanische Rektorenkonferenz im Oktober dieses Jahres ist sogar noch weiter gegangen und hat gemeint, daß das ganze Undergraduate-Studium an afrikanische Universitäten verlegt werden sollte.
Ein zweites Moment ist — ich habe mich auf mehreren Reisen selber davon überzeugen können, insbesondere in Asien -, daß viele in der Bundesrepublik ausgebildete Fachkräfte in ihrem Heimatland keine ihrer Ausbildung entsprechende Stellung
finden. Es scheint mir, daß auf diesem ganzen Gebiet in Zukunft eine etwas sorgfältigere Planung Platz greifen müßte.
Unsere nächste Frage bezieht sich auf die organisatorischen und personellen Voraussetzungen der Kulturabteilung des Auswärtigen Amts. Noch immer gilt diese Abteilung zuwenig in Ihrem Haus, Herr Minister. Man könnte auch hier die grundsätzliche Frage, die öfters diskutiert worden ist, anknüpfen, ob die Arbeit dieser Abteilung überhaupt in Ihr Haus gehört. Wir sind der Meinung, daß sich hier nun einmal eine Tradition eingebürgert hat. Einiges wird in Ihrem Hause gemacht. Die Kulturarbeit draußen ist ein untrennbarer Bestandteil der Außenpolitik, und deswegen kann das Leiten und Planen nicht aus dem Ministerium herausverlegt werden. Aber es gibt eine Diskrepanz zwischen den 172 Millionen DM, die in dieser Abteilung verplant werden, und der Zahl der Verwalter, die damit beschäftigt sind. Eines der größten Probleme dieser Abteilung ist, ,daß die Mitarbeiter vor Verwaltungsarbeit kaum noch zum Planen und Nachdenken kommen. Die Klage über unbeantwortete oder viel zu spät beantwortete Post reißt nicht ab. Entscheidungen, die von außen angefordert worden sind, kommen oft so spät, daß sie durch den Gang der Ereignisse überholt sind.
Glücklicherweise kann man feststellen, daß wenigstens auf dem Gebiet der Zusammenarbeit mit der Kultusministerkonferenz sich einige positive Nuancen abzeichnen. Aber diese Konferenz kann ja immer nur Empfehlungen aussprechen. Eigentlich brauchte das Auswärtige Amt ein noch intensiveres Verbindungsmedium zu den Länderhauptstädten und den Entscheidungen auf kulturellem Gebiet, die dort gefällt werden. Das legt mir die Fragenahe, warum eigentlich der Herr Minister für Bundesratsangelegenheiten, von dem ich glaube, daß er in seiner Tätigkeit nicht durch übermäßige Arbeitsfülle verhindert ist, sich nicht angelegentlicher um dieses Gebiet und um Maßnahmen auf diesem Gebiet kümmert, auf dem er mir in hohem Maße zuständig zu sein scheint. Hier könnte er bei den auftretenden Schwierigkeiten dem Auswärtigen Amt eine Menge von Ungelegenheiten im Verkehr mit der Kultusministerkonferenz, den Bundesländern oder dem Bundesrat abnehmen.
Kulturarbeit hat heute - darüber gibt es gar keinen Zweifel mehr — in Europa eine ,andere Zielsetzung als in Afrika, in Asien eine andere als in Amerika. Sie können unsere wichtigsten Verbündeten, z. B. die USA, in dieser Hinsicht nicht behandeln wie irgendein ähnlich großes Land in Asien. Die Aufgabenstellung ist eine andere. Dieser Diversität der Aufgabe ist aber die Organisation der Kulturarbeit nicht gewachsen. Sie bedarf einer grundsätzlichen Reform, in der sich in gewisser Weise auch die Neuorganisation des Amtes widerspiegelt. Sie bräuchte eine Europaabteilung, eine Afrikaabteilung, eine Asienabteilung, und sie müßte das Referat, das sich mit unseren Kulturbeziehungen zu internationalen Organisationen befaßt, von vielen anderen Aufgaben entlasten. Allein die unzulänglichen organisatorischen und personellen Voraussetzungen dieser Abteilung bewirken, daß die Kulturbeziehungen weit hinter den wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit anderen Ländern zurückgeblieben sind.
Noch ein Wort über das Verhältnis der Abteilung zu den Organisationen, mit denen sie zusammenarbeitet und in die sie einen Teil ihrer Aufgaben hineingelegt hat, wie das Goethe-Institut, den Akademischen Austauschdienst, die Humboldt-Stiftung und andere. Diese Organisationen arbeiten heute an unseren auswärtigen Missionen selbständig, und ein direktes Weisungsrecht des beauftragten Kulturreferenten ihnen gegenüber besteht nicht. Die Zusammenarbeit klappt überall da, wo das menschliche Verhältnis harmonisch ist. Aber wie Sie selbst wissen, kann das menschliche Verhältnis nicht immer harmonisch sein, und ich finde, man muß auch für solche Fälle Vorsorge treffen. Ich würde einer Regelung des Verhältnisses zu diesen Organisationen den Vorzug geben, die auch der Möglichkeit Rechnung trägt, daß das persönliche Verhältnis zwischen dem Kulturreferenten und den Leitern dieser Institute kein besonders herzliches ist — das kommt vor — und daß dort etwas gänzlich anderes gemacht wird, als was sich der Kulturreferent für die politische und kulturpolitische Arbeit in dem betreffenden Lande vorstellt.
In manchen Ländern ist es heute so, daß die Funktion des Kulturreferenten praktisch auf die eines Verwaltungsmannes abgesunken ist. Da könnten Sie an seine Stelle auch einen Konsularsekretär setzen; der könnte das nämlich auch machen. Ich
4720 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Kahn-Ackermann
glaube nicht, daß eine solche Lösung im Interesse der Bundesrepublik liegt.
Noch ein Wort über die Zusammenarbeit mit den nachfolgenden Organisationen, die Kulturarbeit machen. Es scheint mir nicht sehr sinnvoll zu sein, daß hier die Bestimmung vorherrscht, daß die Verwaltungskosten bei den ständigen Zuschüssen, die dort geleistet werden, nur 7 % über den Personalkosten liegen dürfen. In der Kulturarbeit sind solche bindenden Vorschriften, die eigentlich geradezu einer Aufblähung des Personalapparates das Wort reden, meiner Ansicht nach etwas unsinnig.
— Das ist eine haushaltstechnische Anordnung, die vom Auswärtigen Amt und seinen Inspektoren den nachgeordneten Organisationen auferlegt ist.
Lassen Sie mich nun etwas zu der Frage 9 sagen, also zu der Frage, welche Erfahrungen die Bundesregierung mit Kulturreferenten gemacht hat, die keine Laufbahnbeamten sind. Heute halten sich im Amt selber diejenigen, die nur Angestellte und Spezialisten sind, und Beamte etwa die Waage. Aber ich möchte sagen, im Amt fehlt ein bißchen die Neigung, besonders qualifizierte Köpfe für die Aufgabe des Kulturreferenten heranzuziehen und heranzubilden. Es scheint eine Politik zu sein, daß man diese Aufgaben überwiegend Beamten übertragen will, die aus dem eigentlichen allgemeinen Dienst stammen, und wir müssen unsere große Skepsis anmelden, ob eine solche Politik die richtige ist. Jedenfalls, die Parade, die wir nach der Tagung I der Kulturreferenten in Maria-Eich gesehen haben, hat doch sehr deutlich gezeigt, daß zumindest das Amt für seine kulturelle Auslandsarbeit noch ganz gut eine Reihe von exquisiten Köpfen gebrauchen kann.
Das alles aber hängt doch wohl eng mit der allgemeinen Personalpolitik des Auswärtigen Amts zusammen. Ich möchte nicht in den Verruf kommen oder sozusagen der Mißdeutung ausgesetzt werden, daß ich das, was ich jetzt sage, etwa deshalb sage, weil ich, da ich irgendwo nicht richtig behandelt worden sei, verschnupft sei. Das ist unter gar keinen Umständen der Fall. Ein Botschafter einer unserer größeren Missionen hat neulich bei Antritt seines Amts seinen Mitarbeitern gesagt, er halte die Betreuung von Ministern und Abgeordneten für eine der wichtigsten Aufgaben einer Botschaft, weil die Botschaft sozusagen nach dieser Betreuung beurteilt werde. Das ist ein sehr weiser Satz, Herr Minister. Ich kann Ihnen für die Betreuung, die man an. unseren auswärtigen Missionen erfährt, für die Gastfreundschaft und die Hilfe, die einem dort gewährt werden, nur das Zeugnis 1 a ausstellen.
Ein kluger Mann aus Ihrem Amt hat einmal gesagt, daß die Personalpolitik unter Ihrem Vorgänger aus drei Komponenten zusammengesetzt gewesen sei, nämlich aus den Wünschen des ehemaligen Bundeskanzlers Dr. Adenauer und seines Staatssekretärs, aus den Vorurteilen des damaligen Außenministers und aus den Pressionen von Gruppen, die von außen her in das Amt hineingewirkt haben.
Heute höre ich, daß Sie die Personalpolitik erfolgreich gegen die Lobbyisten von außen abgeschirmt hätten. Wenn dem so ist, wäre das ein Verdienst. Aber wir kommen an der Tatsache nicht vorbei, daß der Chef Ihrer Personalabteilung — nunmehr sozusagen in der dritten Generation — kein Mann aus dem auswärtigen Dienst ist, auch kein Mann, der jemals im Ausland war.
Man muß in diesem Zusammenhang mal fragen: Wieso gilt eigentlich die Regelung bei der Einstellung in den auswärtigen Dienst, daß die Eingestellten mindestens eine Fremdsprache beherrschen müssen, für die Personalreferenten aber nicht? Die einzige „Fremdsprache" von der ich glaube, daß Herr Raab sie beherrscht, ist Rheinisch.
An den auftretenden Unzulänglichkeiten bei der Besetzung ausländischer Missionen sind meines Erachtens eine Reihe von Faktoren schuld, erstens einmal, daß, Herr Minister, Fehlentscheidungen in Ihrem Amt offenbar aus Gründen der Autorität Ihres Personalchefs grundsätzlich nicht rückgängig gemacht werden, und dann, daß in dem Kollegium, in dem Sie jetzt Ihre personalpolitischen Entscheidungen treffen, einer der Hauptakteure — eben der Personalreferent — den auswärtigen Dienst aus eigener Erfahrung nicht kennt. Und keiner Ihrer beiden Staatssekretäre, denen man viel Lob zollen muß, hat überhaupt jemals irgendeine Zeit auf einer auswärtigen Mission verbracht. Offenbar werden bei solchen Ernennungen auch Konsultationen mit erfahrenen Referenten nur im Ausnahmefall gepflogen.
Der nächste Faktor ist wohl die Illusion vom sogenannten allgemeinen Dienst, d. h. die Vorstellung, daß jeder im auswärtigen Dienst grundsätzlich für jedes Amt geeignet sein muß. Dieses Prinzip ist ohnehin durchbrochen durch die zahlreichen klimatisch schwierigen Positionen, auf die man eine Reihe von Herren Ihres Hauses aus gesundheitlichen Gründen nicht schicken kann. Inzwischen müßte sich aber bei Ihnen doch auch herumgesprochen haben, daß ein Mann, der vielleicht in Den Haag oder in Teheran sehr gut ist, möglicherweise — es ist ein Beispiel — in Delhi versagt oder in Djakarta sogar fehl am Platz ist. Die Aufgabenstellung des Amtes und das Handwerk der Diplomatie haben sich verändert, was freilich viele nicht wahrhaben wollen; sonst könnte es einem nicht passieren, daß ein Botschafter in einem Lande, in dem die meisten Führer der zu der Regierung in Opposition stehenden Gruppen nicht in der Lage sind, irgendeine der europäischen Sprachen zu sprechen, in dem man nicht einmal die Aufschrift auf einem Omnibus lesen kann, wenn man durch die Straßen der Hauptstadt geht, erklärt, er glaube, daß die Beherrschung der Landessprache für Herren seiner Mission eine überflüssige Angelegenheit sei; das sei keine Frage, die für seine Berichte und überhaupt für die Beziehungen der Botschaft zu diesem betreffenden Land eine bedeutsame Rolle spiele.
Das Potential des Amtes an in seltenen Sprachen erfahrenen Herren, Herr Minister, wird überhaupt
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4721
Kahn-Ackermann
gelegentlich recht kurios eingesetzt. Ich habe mir sagen lassen, daß beispielsweise in diesem Jahr — ich weiß nicht, ob es wahr ist; vielleicht dementieren Sie es — drei Herren des höheren Dienstes nach Moskau hätten versetzt werden sollen, die weder russisch sprachen, noch irgendeine Vorkenntnis von diesem Land hatten. Ich kann verstehen, daß ein junger Mann auch mal nach Moskau muß, um das Land kennenzulernen und auch die Sprache zu lernen. Wenn aber das zuträfe, daß gleich ein solcher Massennachschub geplant war, wäre das doch etwas eigenartig.
Ich entsinne mich an meinen Besuch in Hongkonk, wo mir erzählt wurde, daß ein großer Mangel an chinesisch sprechenden Herren bestehe, die zur Auswertung der Presse usw. benötigt würden, während man drei oder vier gar nicht so weit entfernt liegende Orte nennen könne, in denen zur gleichen Zeit chinesisch sprechende Herren in absolut untergeordneten Positionen tätig seien. Ich glaube also, daß hier eine gewisse Rationalisierung in der Arbeit von Wert wäre.
Mangelnde Sprachkenntnisse führen natürlich zur Verwendung von einheimischen Kräften. Da muß es manchmal überraschen, wenn man erfährt, daß solche als V-Leute aus den Bürgern des Gastlandes rekrutierte Personen, die sich im Dienst oder im Nachfolgedienst unserer Missionen befinden, häufig eher über bevorstehende personalpolitische Veränderungen an der Mission unterrichtet sind, von der sie verwendet werden, als der Geschäftsträger, der Generalkonsul oder der Botschafter. Das weist doch immerhin darauf hin, daß solche Leute noch direkte Drähte zu Ihrem Amt haben und von dort eben schneller bedient werden als der eigentliche Missionschef.
Das merkwürdige System, nach dem offenbar seit Jahren gelegentlich Missionschefs ausgesucht werden, zeitigt auch andere Folgen. Ich muß sagen, ich persönlich empfinde es nicht gerade sehr angenehm, wenn man bei dem Besuch einer Botschaft schon bald von einem jüngeren Herrn im konsularischen Dienst erfährt
— das hat alles etwas damit zu tun, denn es handelt sich um Fragen der Personalpolitik, und ich glaube, wir sollten diese Angelegenheit hier einmal berühren, denn es geht hier um die Verwendung von Spezialisten, und Spezialisten sind in diesem Falle auch die Leute, die in der Kulturpolitik tätig sein sollen —,
daß etwa der Botschafter nichts tauge, und wenn einem diese Tatsache nachher von Herren des höheren Dienstes bestätigt wird. Das finde ich etwas eigenartig.
Es gibt noch viel Interessanteres. Herr Minister, ich habe mir sagen lassen, daß es eine diplomatische Mission gibt, die auf Anweisung aus dem Amt von dem zuständigen Geschäftsträger überhaupt gar nicht betreten werden darf, weil man Angst
habe, er sei dort der auf ihn harrenden delikaten Aufgabe nicht gewachsen. Und schließlich die offenbare Folge dieser Personalpolitik: daß ein Teil der Botschaften eines ganzen Kontinents von Herren geleitet wird, die ihrer Aufgabe nicht gewachsen und nicht fähig sind. Um jedem Mißverständnis vorzubeugen, Herr Minister: das ist nicht meine Meinung, sondern das ist die Meinung eines Ihrer trefflichen Herren, der es als der für diesen Kontinent zuständige Referent eigentlich wissen müßte.
Ich bin kein Fürsprecher des Proporzes; im diplomatischen Dienst schon gar nicht. Aber bei der riesigen Zahl unserer auswärtigen Vertretungen fällt es doch auf, daß über einigen recht offen die Fahne der Regierungspartei flattert, während von der Opposition zur Zeit nur noch e i n Herr vorhanden ist. Ich wäre sehr froh, wenn Sie mich eines Besseren belehren würden. Ich will gar nicht Kritik daran üben, aber ich möchte sagen, es ist ein bißchen vielleicht ein Symptom, das durch eine Entwicklung hervorgerufen worden ist, die nicht so ganz mit dem Charakter des Auswärtigen Dienstes übereinstimmt. Mein Freund Wischnewski hat schon vor geraumer Zeit darauf hingewiesen, daß Botschaft nicht gleich Botschaft ist und daß die Hilfsreferenten, die unter afrikanischer Sonne ihre Beglaubigungsschreiben überreichen, vielleicht nicht in Ihren Augen, Herr Minister, aber doch in den Augen der Bürokratie und des Amtes weiter Hilfsreferenten bleiben. Das führt zu der direkten Überlegung, ob nicht das traditionelle Bewertungsschema unserer Auslandsvertretungen vielleicht einem revolutionären Akt unterworfen werden sollte, der die tatsächliche Bedeutung des Platzes dem Rang des Botschafters angleicht.
Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann, gestatten Sie, daß ich darauf aufmerksam mache, daß nach § 39 der Geschäftsordnung die Redezeit im allgemeinen nicht viel mehr als eine Stunde betragen soll.
Schließlich lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch ein Wort über die Angestellten sagen, weil unter ihnen eine besonders große Zahl von Kulturreferenten ist. Hier gibt es nach dem geltenden Bundesangestelltentarif völlig ungenügende Aufstiegschancen, und hier erreicht eine manchmal formalistische Personalpolitik des Amtes zuweilen einen gewissen Höhepunkt an Unsinnigkeit, wenn man von der Vorstellung ausgeht, daß ein Angestellter nichts mehr zulernen könne. Wie könnte es sonst geschehen, daß Missionen angewiesen werden, Angestellten, die sich zu Spezialkennern des Landes emporgearbeitet haben, die Ausübung ihrer augenblicklichen Funktion zu untersagen, weil diese nicht zu den Tätigkeitsmerkmalen der Tarifgruppe gehöre, in der sie dort beschäftigt sind! Auf diese Art und Weise hat — das wissen Sie selber — das Amt in den letzten Jahren einige ungewöhnlich tüchtige Angestellte in leitenden Funktionen verloren.
4722 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Kahn-Ackermann
Lassen Sie mich jetzt noch einiges zu dem Punkt 10, der Frage der Kulturabkommen, sagen. Ich möchte mich auf ein einziges Beispiel in bezug auf unser Kulturabkommen mit Frankreich beschränken. Seit 1954 haben wir dort eine Gemischte Kommission. Trotz der in dem Kulturabkommen enthaltenen Bestimmungen ist in den meisten der dort behandelten Fragen immer noch kein großer Fortschritt erzielt worden. Beispielsweise berät die Kommission seit sechs Jahren über die gegenseitige Anerkennung der Zeugnisse und Semester. Man muß sich in diesem Zusammenhang klar sein, daß solche Abkommen — das Kulturabkommen ist ja jetzt noch unterstützt worden durch den Vertrag, den wir geschlossen haben — nicht historische Unterschiede wegwischen. Wir haben beispielsweise, das wissen Sie ja, 20 Millionen DM für den Jugendaustausch mit Frankreich bereitgestellt. Man muß sich darüber klar sein, daß dieser Jugendaustausch überwiegend eine Frage der gegenseitigen Sprachkenntnisse ist. In diesem Zusammenhang spielen die in dem Kulturabkommen vorgesehenen Bestimmungen, daß der gegenseitige Sprachunterricht gefördert werden soll, eine große Rolle. Wenn hier auf dieser einen Seite so viel Geld für diesen Zweck ausgegeben wird, wie in der Praxis gar nicht unterzubringen ist, dann kann ich es auf der anderen Seite nicht begreifen, warum das Geld nicht vorhanden ist, um die von den Franzosen gewünschte Vermehrung der Zahl der Deutsch-Lektoren an ihren Oberschulen durchzuführen. Das wäre doch im Rahmen unserer Kulturpolitik, im Rahmen dieser Kulturabkommen eine sinnvolle Aufgabe!
Schließlich und endlich möchte ich noch auf ein zweites Kulturabkommen zu sprechen kommen, nämlich das Kulturabkommen mit der Südafrikanischen Union. Herr Minister, ich möchte Sie fragen, wer auf die Idee gekommen ist, dieses Abkommen zu schließen, und ob dieses Abkommen denn auch jenen zugute kommt, die unter der Rassentrennungspolitik in der Südafrikanischen Union zu leiden haben, und ob es denn die Politik der Bundesregierung sein kann, ein solches Kulturabkommen zu schließen, das diesem Teil, dem überwiegenden Teil der Bevölkerung in diesem Lande, nicht zugute kommt.
Unter Punkt 11 unserer Großen Anfrage fragen wir nach der Zusammenarbeit mit der UNESCO. Da gibt es eine Reihe von Aufgaben. Ich möchte nur daran erinnnern, daß von den 1200 Stellen des Programms der Technischen Hilfe der UNESCO nur 36 von Deutschen besetzt sind, obwohl wir das Land sind, das den fünftgrößten Beitrag in dieser Organisation zahlt.
Die UNESCO ist eine Körperschaft geworden, in der die Auseinandersetzungen immer politischer werden und in der die Zone auf Anerkennung drängt. Ich fürchte, daß die deutsche Haltung in dieser Organisation diesen Bestrebungen nicht immer Rechnung trägt. Unser ganzes Engagement in der UNESCO ist überhaupt etwas merkwürdig. Ich denke daran, daß wir beispielsweise auf der letzten Generalkonferenz mit allen uns zu Gebote stehenden Hilfsmitteln dafür gekämpft haben, daß das
UNESCO-Institut in Hamburg erhalten bleibt, was nach vielen Mühen auch gelungen ist, während jetzt plötzlich der Finanzminister aus technischen Gründen diesem Institut vorübergehend die Zuschüsse entzogen hat, was eine große Verärgerung im Generalkonsulat der UNESCO hervorgerufen hat und was sicherlich keine gute Sache war, da ein Zweifel darüber bestehen muß, was wir auf diesem Gebiet eigentlich wollen.
Noch eine Bemerkung zu diesem Thema. Die Bundesrepublik hat im Zuge des UNESCO-Programms der Rettung der nubischen Tempel in Kalabsha einen guten Beitrag geleistet. Ich muß aber sagen, daß die Handhabung unserer Mitwirkung bei der Rettung des großen Tempels von Abu Simbel uns nicht gerade zur Ehre gereicht hat. Ich kann nicht begreifen, daß man einem Land, in dem wir auf der Ebene der Entwicklungshilfe große Mengen Geld investieren, lange Zeit gezögert hat, ein paar Millionen zu geben, um dieses in der Menschheitsgeschichte einmalige Denkmal zu retten, und daß bei den entscheidenden Verhandlungen, die vor kurzem in Kairo stattgefunden haben, die Bundesrepublik auf der Konferenz der beteiligten Mächte durch einen Legationsrat vertreten war, der von der Botschaft entsandt worden ist und der über die ganze Angelegenheit überhaupt nicht informiert worden ist, so daß wir dort einen denkbar ungünstigen Eindruck hinterlassen haben.
Ich möchte auch gerne wissen, wie sich die Bundesregierung zukünftig zur UNESCO-Politik stellt, ob sie damit einverstanden ist, daß das Budget der UNESCO um 20 % angehoben wird, ob sie Möglichkeiten erkennt, die uns im Rahmen der UNESCO-Politik gegeben sind, auch mit den osteuropäischen Staaten in einen gewissen kulturellen Austausch zu kommen, und welche Beiträge sie zum Ost-West-Programm der UNESCO zu liefern gedenkt.
Punkt 12 unserer Großen Anfrage betrifft die Abgrenzung zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Ministerium des Herrn Scheel. Ich höre, daß inzwischen eine Abgrenzung zwischen den beiden Ministerien gefunden worden ist. Das scheint mir eine erfreuliche Folge dieser Großen Anfrage zu sein. Der Dschungelkrieg, der zwischen dem Auswärtigen Amt und dem BMZ geführt worden ist, ist unerträglich gewesen. Lange Zeit hat man sich vielfach nicht gegenseitig informiert, und der Aktentransfer hat häufig Monate in Anspruch genommen.
Herr Minister, ich hoffe, daß die echte Kooperation nun einsetzt. Ich fürchte nur, daß sich das nicht ändern wird, solange der Herr Scheel sich mehr als Ko-Pilot denn als Chefmechaniker in einem ihm zugewiesenen technischen Bereich fühlt.
Ein Wort zum Schluß. Ich hoffe, daß diese Debatte zu einer klaren Zielsetzung unserer auswärtigen Kulturpolitik, zu einer wirkungsvolleren Arbeit, zur Abstellung der Mängel und zur Reorganisation der Kulturabteilung führt. Man kann nicht 175 Millionen mit ebensoviel Leuten und mit der gleichen Organisation verplanen und verteilen wie 20 Millionen. Man darf dann nicht erwarten, daß sich der erhoffte Erfolg einstellt. Der gegenwärtige Zustand ist nicht sehr sinnvoll. In diesem Haus ist seit Jah-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4723
Kahn-Ackermann
ren vergeblich versucht worden, die Regierung zur Einsicht zu bewegen, gelegentlich auch in diesem Bereich die Kollegen des Haushaltsausschusses. Aber die Initiative hier muß beim Außenminister liegen, und das war bisher nicht immer übermäßig spürbar. Mit Ihrem Vorgänger, Herr Minister, habe ich darüber in diesem Hause öfter diskutiert und auch korrespondiert. Seine nie erfüllte Hoffnungen erweckenden Briefe könnte man vielleicht heute in einem sehr schmalen, „Lieben Sie Brecht?" — nicht Brahms! Brecht! — titulierten Bändchen veröffentlichen. Wir hoffen, daß Ihre Antwort den Willen zu einer planvollen Intensivierung der auswärtigen Kulturpolitik deutlich macht. Es wäre zu schade, wenn Ihre heutige Antwort, um nochmals mit Françoise Sagan zu sprechen, mit der Überschrift „Bon jour tristesse" versehen werden müßte.
Die Große Anfrage ist begründet. Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Kahn-Ackermann hat eine Menge von Gedanken und eine Fülle von Tatsachen vorgetragen. Ich bin ihm dafür herzlich dankbar, für den einen Teil mehr, für den anderen Teil weniger, wie das so zu sein pflegt. Wir haben uns zuletzt in Djakarta getroffen. Ich erwähne das nur, um aus eigenem Wissen zu bestätigen, wie sehr sich der Herr Kollege Kahn-Ackermann eine Information über die hier zur Erörterung stehenden Tatbestände hat angelegen sein lassen.
An sich sind Debatten der hier angeregten Art sehr schwierig. Wir sind gegen Abend in diesem Hohen Hause in eine etwas intimere Atmosphäre geraten, wenn man die Zahl der Teilnehmer als einen Ausdruck der Intimität auffassen will.
In der Tat eignet sich ein derartiges Thema, wenn es in eine solche Fülle von Punkten zerfällt, nur wenig zu einer Plenarbehandlung. Ich bitte deswegen zu entschuldigen, wenn ich nicht auf die Fülle der Fragen, die Herr Kollege Kahn-Ackermann über die formulierten Fragen hinaus gestellt hat, so ohne weiteres eingehen kann.
Gewisse Teile seiner Darlegungen bewegten sich im Bereich des Budgetrechts. Fragen, die er hinsichtlich der Vermehrung von Stellen vorgebracht hat, können in sehr nützlicher Weise noch einmal in der Haushaltsdebatte aufgenommen werden. Fragen der personellen Kritik eignen sich auch nicht unbedingt zur Beantwortung im Plenum. Trotzdem will ich auf einiges davon gleich, bevor ich zu den formulierten Fragen Stellung nehme, eingehen.
Im Grunde lief die Kritik darauf hinaus, daß der Leiter der Personalabteilung des Auswärtigen Amtes für diese Aufgaben nicht der richtige Mann sei. Ich drücke das einmal ganz einfach aus. In diesem Punkte bin ich ganz anderer Meinung. Ich schätze den Leiter der Personalabteilung als einen hervorragenden Mann. Ich selbst bin es gewesen, der ihn daran gehindert hat, jetzt eine Auslandsvertretung zu übernehmen, weil ich glaube, daß seine Wirksamkeit, um wirklich einen vollen Ertrag bringen zu können, noch länger dauern sollte. Ich möchte mich also wirklich, da er dann und wann auch öffentlich angegriffen wird, in aller Form und mit großer Überzeugung vor ihn stellen. Es gibt sehr wenig Leute, die geeignet und bereit sind, eine so opfervolle und beschwerliche Position wie die des Leiters einer so großen Personal- und einer so großen Verwaltungsabteilung zu übernehmen. Ich würde Ihnen beinahe eine Wette anbieten, daß wir, wenn wir alle unsere B-8-Botschafter, also alle Botschafter in einer vergleichbaren Kategorie, befragen würden, ob sie bereit wären, in das Auswärtige Amt zurückzukommen und mit ihren hervorragenden Erfahrungen im Auslande ihrem Vaterlande an dieser speziellen Stelle zu dienen, nicht übermäßig viel Zusagen zu erwarten hätten. Damit will ich den Herren nicht zu nahe treten. Ich will nur die Schwierigkeit und das Beschwerliche dieser Position mit Nachdruck herausstellen.
In anderem Zusammenhang ist vom Kollegen Kahn-Ackermann gesagt worden, daß wir personell sehr knapp seien — das ist ganz offensichtlich —und daß wir auch an sprachbegabten Leuten sehr knapp seien; auch das ist richtig. Ich bezweifle das nicht einen Augenblick. Wenn ich Ihnen durch einen Blick in unsere Kartei einmal zeigen würde, wieviel Beamte des höheren Dienstes wir haben, die der russischen Sprache mächtig sind, dann werden Sie sehr schnell einsehen, wie schwer es ist, eine Mission wie die in Moskau zu besetzen. Das gilt für andere Fälle cum grano salis. Deswegen kann man nicht mehr tun, als unter dem vorhandenen Personal so gut wie möglich auszusuchen und dafür zu sorgen, daß auch dem Beet des Nachwuchses allmählich mehr und mehr brauchbare Kräfte herangezogen werden.
Ich bin in der Tat der Meinung, daß wir für die Sprachenausbildung noch sehr viel tun müssen und vielleicht noch ganz andere Wege beschreiten müssen. — Bitte sehr, Herr Kollege Dresbach.
Herr Minister, können die Herren denn nicht noch eine Sprache dazulernen? Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß der Großvater unseres Kollegen Bismarck mit 45 Jahren in Petersburg noch Russisch gelernt hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Dresbach, ich bin Ihnen für diese Frage dankbar. Sie gibt mir Gelegenheit zu sagen, daß natürlich erwartet werden muß -- in manchen Fällen ist es sicherlich ein gewisses Opfer daß die Herren, die in ein Land der Welt versetzt werden, dessen Sprache sie nicht beherrschen, das Äußerste
4724 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Bundesminister Dr. Schröder
tun, um mindestens in den Gebrauch dieser Sprache einigermaßen hineinzuwachsen. Das gehört zu den Pflichten eines Diplomaten in einer solchen Stellung, und es gibt dafür auch gute Beispiele, wie mir scheint.
Herr Bundesminister, verzeihen Sie. Gestatten Sie auch eine Frage des Herrn Abgeordneten Sanger?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Natürlich, bitte sehr!
Herr Bundesminister, könnte der Mangel an geeignetem Personal für manche Teile des Auslands nicht auch daran liegen, daß die Voraussetzungen für die Personalauswahl einmal überdacht werden müßten und daß man vielleicht auch zu anderen Prinzipien als den bisherigen für die Ausbildung des geeigneten Personals kommen müßte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Sänger, wir haben schon häufiger darüber nachgedacht, ob die derzeitigen Sprachenerfordernisse, die wir für den Eintritt in den auswärtigen Dienst aufstellen, richtig sind oder nicht. Das ist ein sehr, sehr schwieriges Thema. Wir haben sogar gelegentlich daran gedacht, die sprachlichen Erfordernisse eher herabzusetzen, um eine größere Auswahlbreite zu bekommen und unsererseits dann mehr für die Sprachenausbildung zu tun. Aber es ist sehr schwer, den Weg zu bestimmen, der uns mit einiger Sicherheit an das Ziel kommen läßt, das wir erreichen müssen.
Erlauben Sie mir nun, daß ich die Fragen, die gestellt worden sind, in der Reihenfolge beantworte, wie sie vorgetragen worden sind.
Zunächst zur Frage 1. Die Pflege der kulturellen Beziehungen zum Ausland bildet seit dem Ende des ersten Weltkrieges einen immer wichtiger gewordenen Teil der deutschen Außenpolitik. Diese Arbeit begann am Ende ,des vergangenen Jahrhunderts mit der staatlichen Förderung von deutschen Bildungseinrichtungen im Ausland, insbesondere der archäologischen und historischen Institute und der deutschen Auslandsschulen. Es folgte die staatliche Förderung des Austausches von Professoren, Dozenten, Studenten und Praktikanten. In diesem Sinne war der Deutsche Akademische Austauschdienst seit 1925 mit staatlichen Geldern tätig. Ein weiteres Arbeitsgebiet war die systematische Förderung der Verbreitung der deutschen Sprache und Kultur durch die Einrichtung von Sprachkursen und Kulturinstituten. 1932 wurde zu diesem Zweck das Goethe-Institut in München gegründet. Ein viertes Tätigkeitsfeld rückte nach dem zweiten Weltkrieg immer stärker in den Vordergrund: die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Bildungswesens, z. B. UNESCO und Europarat.
Die Bundesregierung war seit der Wiedereinrichtung des Auswärtigen Amts und seiner Kulturabteilung 1951 bemüht, die Förderung dieser vier Ziele in eine geordnete Konzeption zu bringen. Die Rück-
schläge des verlorenen Krieges, die Auflösung zahlreicher deutscher Bildungseinrichtungen im Ausland und die finanzielle Enge gestatteten nur langsam, diese Tätigkeiten wieder aufzunehmen und zu erweitern. Hinzu kommt, daß die Kompetenzverteilung auf kulturellem Gebiet die Tätigkeit des Bundes bei der Pflege der kulturellen Beziehungen zum Ausland schwerfälliger als z. B. in Frankreich und Großbritannien macht.
In den ersten Jahren beschränkte sich die Kulturarbeit im Ausland darauf, Stück um Stück der durch das Dritte Reich und den Krieg verlorenen Positionen zurückzugewinnen. Die Bundesregierung war bemüht, die klassischen Mittel der kulturellen Wirkung im Ausland wieder aufzubauen. Dabei sind an erster Stelle das deutsche Auslandsschulwesen und daneben der Professoren- und Studentenaustausch zu nennen. Der Deutsche Akademische Austauschdienst zur Vergabe von Stipendien an ausländische Studenten und die Alexander-von-Humboldt-Stiftung für Stipendien an Ausländer mit abgeschlossenem Hochschulstudium wurden wieder gegründet.
Neue Wege konnten erst seit 1955 beschritten werden. Die Betreuung von ausländischen Studenten und Praktikanten in der Bundesrepublik wurde eine der Hauptaufgaben. Das erste deutsche Kulturinstitut nach dem zweiten Weltkrieg wurde 1955 in Rom eröffnet. Seit 1960 wurde das Goethe-Institut in München mit der Verwaltung der vom Bund errichteten Kulturinstitute beauftragt. 1961 wurde der Kulturpolitische Beirat als Beratungsorgan des Auswärtigen Amts gegründet. Eine Reihe von großen Gastspielen brachte deutsche Kunst in alle Teile der Erde. Daneben wurden Versuche mit folkloristischen und ähnlichen Darstellern unternommen. Der rasch wachsenden Bedeutung der Massenmedien, Rundfunk, Film und Ton, für die kulturellen Beziehungen zum Ausland wurde Rechnung getragen. Auch auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung, der Jugendpflege und des Sports wurden zahlreiche Verbindungen mit anderen Ländern angeknüpft, wobei die Entwicklungsländer eine besondere Rolle spielen. Ein großes Gästeprogramm wurde aufgestellt, das Persönlichkeiten nach Deutschland bringt, die durch ihre Tätigkeit in ihrem eigenen Land eine Kenntnis der deutschen Verhältnisse verbreiten können. Ein großzügiges Hilfswerk 'wurde für die kulturelle, nicht missionarische Tätigkeit der Kirchen, vor allem in den Entwicklungsländern, ermöglicht.
Die vom Parlament im Kultur- und Schulfonds zur Verfügung gestellten Mittel für diesen Zweck sind von 2,8 Millionen DM im Jahre 1952 auf 165 Millionen DM im Jahre 1963 gestiegen. Damit ist ein Umfang erreicht, der ungefähr den Bemühungen von Frankreich und Großbritannien auf diesem Gebiet entspricht. Trotz der Schwierigkeiten, die in der Bundesrepublik dieser Arbeit entgegenstehen — der Tatsache, daß keine historische Hauptstadt vorhanden ist, keine so verbreitete Sprache wie Englisch oder Französisch, lange Unterbrechung kultureller Beziehungen —, sind in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt worden. Natürlich sind noch nicht alle Pläne verwirklicht worden. Die Grenzen liegen in den Möglichkeiten des Haushalts, aber auch in der
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4725
Bundesminister Dr. Schröder
Schwierigkeit, im Lande der Vollbeschäftigung die notwendigen Personen zu finden.
Die Vorstellungen, von denen sich die Bundesregierung bei der Pflege der kulturellen Beziehungen leiten läßt, möchte ich danach wie folgt zusammenfassen:
Erstens. Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß die geistigen Kräfte eines Volkes und seine Kultur nur in ständiger Berührung und Beschäftigung mit anderen Völkern und Kulturen, in unausgesetztem Austausch von Gedanken und Erfahrungen und in der Auseinandersetzung mit fremden Ideen und Lebensformen lebendig bleiben und sich weiterentwickeln können. Sie wird daher das unendlich mannigfaltige und vielschichtige Netz kultureller Verflechtung, das sich — mit und ohne staatliches Zutun — seit dem zweiten Weltkrieg mit dem Ausland wieder angesponnen hat, behutsam pflegen und, soweit erforderlich, mit Bundesmitteln fördern. In diesem Bemühen wird die Bundesregierung im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten anderen Völkern, die eine kulturelle Beziehung zu Deutschland suchen, die Gelegenheit dazu auch in ihrem eigenen Lande bieten.
Zweitens. Eine solche Darstellung deutscher Kultur wird sich nicht in dem Rückgriff auf ein vielhundertjähriges reiches kulturelles Erbe und die wissenschaftlichen wie technischen Leistungen unserer Väter erschöpfen können. Sie wird auch die Bekanntschaft mit dem heutigen Deutschland vermitteln, das darum ringt, mit den Folgen der Zeit von 1933 bis 1945 fertig zu werden, vor allem mit der Tragödie 1 der Spaltung unseres Vaterlandes. Hierbei soll das Kulturgut der Vertreibungsgebiete und Mitteldeutschlands im Bewußtsein des Auslands erhalten bleiben, um für die geistige Einheit Gesamtdeutschlands Zeugnis abzulegen. Die Kulturpolitik soll einen Beitrag zur Wiederherstellung des deutschen Ansehens in der Welt liefern und die Bemühungen der deutschen Außenpolitik ergänzen.
Drittens. Die Darstellung Deutschlands soll ferner unseren Willen zeigen, mit anderen Völkern dieser Erde im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit an den großen Aufgaben der Zukunft mitzuarbeiten, die der Hebung des Bildungswesens in der Welt und dem kulturellen Weiterschreiten dienen. Die Bewältigung dieser Aufgabe ist nach Ansicht der Bundesregierung ein entscheidender Beitrag zur Erhaltung des Weltfriedens.
Viertens. Die Bundesregierung ist sich der großen Bedeutung kulturpolitischer Bemühungen bilateraler wie multilateraler Natur gegenüber den Entwicklungsländern bewußt.
Nun die Antwort auf die zweite Frage. Von den staatlichen europäischen Organisationen hat nur der Europarat ein eigenes Organ für Kulturarbeit, nämlich den im Januar 1962 geschaffenen Rat für kulturelle Zusammenarbeit. An der Arbeit seiner Fachausschüsse und Arbeitsgruppen nimmt die Bundesregierung regen Anteil. Von der Notwendigkeit einer kulturellen Zusammenarbeit in Europa sind wir durchdrungen. Mit Bedacht fördern wir den Gedanken des Europakollegs, der europäischen Schulen, der europäischen Hochschulwochen sowie der europäischen Kulturtage. Die Bundesrepublik hat sich auch an den großen Kunstausstellungen des Europarats in hervorragender Weise beteiligt.
Der finanzielle Beitrag des Bundes zur Kulturarbeit des Europarats wird aus dem Gesamtbeitrag des Bundes an den Europarat bestritten. Darüber hinaus werden mit Bundesmitteln Seminare, Kurse und Treffen im Rahmen der kulturellen Programme des Europarats durchgeführt. In der Regel werden in der Bundesrepublik jährlich drei bis vier solcher Seminare abgehalten. Die 1962 veranstaltete Europarat-Konferenz über Lehrbücher der Geographie war besonders erfolgreich und hat zu Fortsetzungsseminaren geführt. Im Jahre 1963 hat die Bundesrepublik einen Europarat-Kurs zur Einführung in die Arbeit der Erwachsenenbildungszentren sowie im Rahmen der Jugendarbeit des Europarats und, gemeinsam mit Frankreich und den Niederlanden, ein Seminar „Kennenlernen internationaler Arbeitsstätten" veranstaltet. In Vorbereitung ist eine von deutscher Seite vorgeschlagene didaktische Ausstellungsreihe über europäische Einrichtungen.
Der von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft getragene Gedanke einer europäischen Universität wird von der Bundesregierung begrüßt.
Die Antwort auf die dritte Frage lautet folgendermaßen. Der Aufbau der deutschen Kulturinstitute nach dem zweiten Weltkrieg war ein fast völliger Neubeginn. Es begann 1955. Heute gibt es nahezu 200 Kulturinstitute größerer und kleinerer Art, von denen etwa die Hälfte dem Goethe-Institut in München untersteht; die übrigen werden meist von deutsch-ausländischen Vereinen, einige unmittelbar vom Bunde verwaltet. Über zwei Drittel dieser Kulturinstitute sind erst in den letzten vier Jahren entstanden. Obwohl ihre Arbeit erst nach einer Anlaufzeit von mehreren Jahren mit einiger Sicherheit beurteilt werden kann, läßt sich heute schon sagen, daß sie den Erwartungen der Bundesregierung entspricht. Gewisse Mängel, die sich zuweilen gezeigt haben, sind aus dem Anfangsstadium zu erklären.
Zu den Aufgaben dieser Institute gehört das Abhalten deutscher Sprachkurse, die Fortbildung ausländischer Deutschlehrer, die Einrichtung einer Bibliothek, das Verleihen von Filmen, Dias und Tonbändern, die Veranstaltung von Vorträgen, Filmabenden, Konzerten, Diskussionsabenden und kleinen Ausstellungen sowie ein allgemeiner Auskunftsdienst über das kulturelle Leben in Deutschland. Diese Zielsetzung entspricht den Wünschen der Bundesregierung.
Bei der Planung der Kulturinstitute ist die Bundesregierung bemüht gewesen, die Schwerpunkte nach der kulturpolitischen Dringlichkeit zu verteilen. Demgemäß sind Kulturinstitute geschaffen worden, wo im benachbarten europäischen Ausland die Begegnung mit deutscher Kultur gewünscht wurde und wünschenswert war oder wo in Übersee, z. B. Südamerika, von Nachkommen deutscher Auswanderer die kulturelle Verbindung mit der Heimat ihrer Väter gesucht wurde.
4726 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Bundesminister Dr. Schröder
Die Frage, inwieweit auch andere Länder in das Netz unserer Kulturinstitute einbezogen werden können, hängt von den dafür im Bundeshaushalt bereitgestellten Mitteln und von der Möglichkeit ab, geeignete Persönlichkeiten für diese Aufgabe zu gewinnen. Die Schließung eines Kulturinstitutes mit dem Ziele, dafür an anderer Stelle ein neues zu eröffnen, stößt in dem betreffenden Lande, wie die Erfahrung gezeigt hat, auf heftigen Widerstand und kann dadurch sogar zu einem Politikum werden.
Zur vierten Frage: Auslandsschulen sind eines der ältesten und wirkungsvollsten Mittel der Kulturpolitik, neuerdings aber auch eines der teuersten. In früheren Jahrzehnten wurden die zahlreichen deutschen Auslandsschulen ganz oder überwiegend durch die von einer wohlhabenden deutschen Auslandskolonie getragenen deutschen Schulvereine finanziert. Die Katastrophe der beiden Weltkriege hat nicht nur dieses blühende deutsche Auslandsschulwesen, sondern auch das Vermögen seiner auslandsdeutschen Förderer vernichtet. Der Wiederaufbau begann 1950 vom Nullpunkt und ohne wesentliche Finanzhilfe von auslandsdeutscher Seite. Heute gibt es wieder 137 deutsche Auslandsschulen mit fast 1200 aus dem innerdeutschen Schuldienst entsandten Lehrkräften sowie etwa 300 weitere Schulen, denen die Bundesregierung mit Lehrmitteln oder Sachspenden hilft. Dieser Wiederaufbau ist zum größten Teil aus Bundesmitteln finanziert worden. Der Zuschuß aus Bundesmitteln beträgt heute im allgemeinen 3/4 bis 4/5 der Kosten einer deutschen Auslandsschule.
Diese auf den Bund übergegangene Finanzlast setzt der Errichtung neuer deutscher Auslandsschulen Grenzen und zwingt zu sorgfältiger Planung und zu eingehenden Überlegungen, ob und wann ein Schulbau zweckmäßig sei, welcher Schulstruktur der Vorzug zu geben und wie die deutsche Auslandsschule an Schulsystem und Lehrplan des Gastlandes anzupassen sei. Zur Vermeidung von Fehlleistungen bedarf die deutsche Auslandsschule laufender schulischer wie pädagogischer Beaufsichtigung und Beratung durch erfahrene Pädagogen sowie regelmäßiger Inspektionen. Um diese wichtige Aufgabe stärker als bisher durchführen zu können, sind Überlegungen im Gange, das Auswärtige Amt in größerem Umfange von routinemäßigen Verwaltungsaufgaben im Bereich des Auslandsschulwesens durch Übertragung dieser Aufgaben auf andere, dafür geeignete Bundeseinrichtungen zu entlasten. Die Bundesregierung hat im übrigen in Erkenntnis dieser Notwendigkeiten im Entwurf des Haushaltsplans 1964 die Bewilligung neuer Planstellen beantragt, um die Abordnung von Pädagogen für diese Aufgaben an das Auswärtige Amt zu ermöglichen.
Bei der Errichtung, Erhaltung und Förderung deutscher Auslandsschulen hat sich die Bundesregierung von Grundsätzen leiten lassen, die dem erheblich gewachsenen Nationalbewußtsein der außereuropäischen Völker und ihrem Wunsche nach Assimilierung fremder Volksgruppen Rechnung tragen. Sie hat als neuen Begriff die „Begegnungsschule" entwickelt, in der auch nichtdeutschen Landeskindern nach deutschen Lehrmethoden deutsche Kulturwerte nahegebracht werden, ohne dadurch die Eingliederung in ihre neue Heimat zu beeinträchtigen. Hieraus folgt, daß Deutsch nur noch in Ausnahmefällen die ausschließliche Unterrichtssprache ist. Diese Schulen werden möglichst zur Oberstufe und bis zum deutschen Abitur oder einem Abschluß geführt, der dem deutschen Abitur entspricht.
Neben der Begegnungsschule sind neuerdings eine Reihe von deutschen Auslandsschulen geschaffen worden, in denen ganz überwiegend Kinder deutscher Eltern unterrichtet werden, die nur vorübergehend im Ausland ansässig sind. Meist handelt es sich dabei um Kinder von Experten und Technikern in Entwicklungsländern oder von Angehörigen deutscher Auslandsdienststellen. Diese Schulen sollen den deutschen Kindern den Anschluß an das heimatliche Schulsystem ermöglichen; sie werden daher im allgemeinen nicht über die Grundschule hinausgeführt.
Die Entscheidung, ob und in welchem Maße eine Auslandsschule förderungswürdig ist, kann nicht an Hand starrer Kriterien, sondern nur unter Berücksichtigung der in jedem Land anders gelagerten Gegebenheiten erfolgen. Die Grenzlinie liegt dort, wo der Einfluß deutscher Bildungselemente so geringfügig geworden ist, daß von einer wirksamen kulturellen Ausstrahlung nicht mehr gesprochen werden kann.
Zur Frage 5: Die Erfahrungen der deutschen Lehrer an Auslandsschulen werden bisher vornehmlich im Ausschuß für das. Auslandsschulwesen der Kultusministerkonferenz ausgewertet. Dieser Ausschuß hat seit 1951 in 44 Sitzungen das Auswärtige Amt bei der Ausarbeitung von Regelungen der Vertragsverhältnisse, der finanziellen und sozialen Sicherung der deutschen Auslandslehrer beraten und dabei eine überaus nützliche Arbeit geleistet. Die angestrebte Entlastung von administrativer Kleinarbeit, der in dem Entwurf des Haushaltsplans für 1964 vorgesehene Einsatz einzelner erfahrener Pädagogen der Länder und die bereits gewonnenen Erkenntnisse werden die Bundesregierung künftig stärker als bisher in die Lage versetzt, die Erfahrungen der Auslandslehrer bei den Planungs- und Lenkungsaufgaben für Neugründung, Ausbau oder Schließung von Auslandsschulen, ihren Strukturfragen u. a. planmäßig zu sammeln, auszuwerten und bei der weiteren Arbeit zu berücksichtigen. Darüber hinaus werden auch Ausarbeitungen über pädagogische Grundsatzfragen angestrebt. Bei der Auswahl der für den Auslandsschuldienst geeigneten Lehrer arbeitet das Auswärtige Amt mit den Kultusministern der Länder eng und erfolgreich zusammen. Über die Dauer der Dienstverträge deutscher Lehrer an einer Auslandsschule sind im November 1962 zwischen dem Auswärtigen Amt und den Kultusministern der Länder Richtlinien vereinbart worden, die den Anforderungen der Auslandsschulen wie der Möglichkeit von Beurlaubungen Rechnung tragen. Eine zu kurze Vertragsdauer entspricht nicht den Erfordernissen der Auslandsschule; eine zu lange Beurlaubung verbietet sich aus pädagogischen Gründen. Der im allgemeinen gangbare Mittelweg ist eine Entsendung, je nach den klimatischen Bedingungen des Gastlandes, von drei bis fünf Jahren
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4727
Bundesminister Dr. Schröder
mit einer Verlängerung, in Einzelfällen, von zwei bis drei Jahren. Für die zur Entsendung ausgewählten Auslandslehrer veranstaltet das Auswärtige Amt Vorbereitungskurse, in denen die Lehrer unter Verwertung der Erfahrungen zurückgekehrter Lehrer auf ihre neuen Aufgaben hingeführt werden. Die Vermehrung dieser Lehrgänge findet an den beschränkten Haushaltsmitteln ihre Schranke.
Zur sechsten Frage: Die Beziehungen zwischen den deutschen Hochschulen und den Hochschulen des Auslandes sind so alt wie die Hochschulen selbst. Sie werden von Hochschullehrern und Instituten getragen, durch den Austausch von Veröffentlichungen gepflegt und auf internationalen Kongressen erneuert. Die Kosten hierfür — Leerstellen, Beurlaubungen — tragen fast immer die Länder der Bundesrepublik. Im Jahre 1961 waren 82 deutsche Hochschullehrer als ständige Gastprofessoren an ausländischen Hochschulen und 141 ausländische Gastprofessoren an deutschen Hochschulen tätig. Die Zahl der zu kurzfristigen Gastvorlesungen entsandten deutschen Professoren überstieg 900.
Initiative, Fortführung und Pflege dieser Beziehungen liegen weitgehend bei den Hochschulen und ihren Lehrkörpern. Die Bundesregierung greift helfend ein, falls die hierfür benötigten Mittel nicht ausreichen und die Anknüpfung oder Erhaltung dieser 'Beziehungen unter außenpolitischen Gesichtspunkten wünschenswert erscheint. So hat die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Ländern und der Westdeutschen Rektorenkonferenz 1961 die „Vermittlungsstelle für deutsche Wissenschaftler im Ausland" geschaffen und finanziert, deren Tätigkeit zu einer erheblichen Verstärkung der wissenschaftlichen Beziehungen zu Hochschulen, auch in Entwicklungsländern, geführt hat.
Ein bewährtes Mittel zur Förderung der Verbindung zwischen deutschen und ausländischen Hochschulen ist die Gewährung von Stipendien. Die Bundesregierung hat in zunehmendem Maße Mittel dafür bereitgestellt. Die Zahl der über den DAAD an Ausländer vergebenen Stipendien der Bundesregierung ist von 700 im Jahre 1957 auf 1800 im Jahre 1963 gestiegen. Daneben werden über das Bundesministerium des Innern jährlich 183 Hochschulstipendien zur Förderung des unmittelbaren Studentenaustausches gewährt, wobei die Auswahl der Partnerhochschule und die Stipendienvergabe den deutschen Hochschulen überlassen bleiben. Sodann ermöglicht die Bundesregierung durch die etwa 350 von ihr geschaffenen Forschungsstipendien der Alexander-von-Humboldt-Stiftung jungen ausländischen Wissenschaftlern die Fortbildung an deutschen wissenschaftlichen Instituten.
Erwähnung verdienen auch die 190 mit Bundesmitteln geförderten Lektorate der deutschen Sprache an ausländischen Hochschulen; ihrer wünschenswerten Vermehrung sind durch die beschränkten Haushaltsmittel Grenzen gesetzt.
Patenschaften zwischen deutschen und ausländischen Hochschulen sind eine sich neuerdings abzeichnende Form der Zusammenarbeit. Sie dienen vornehmlich der Förderung von Hochschulen in den
Entwicklungsländern, die sich noch im Aufbau befinden. Bei diesen Patenschaften stellt die deutsche Seite die Lehrkräfte, der ausländische Partner die Lehrgebäude und normalerweise auch die Lehreinrichtungen bereit. Eigentliche Patenschaften bestehen nur mit den Universitäten in Kabul und Hue. Daneben gibt es eine Reihe patenschaftsähnlicher Bindungen, unter anderem mit den Universitäten in Izmir in der Türkei, in Awas im Iran, in Ife in Nigeria, in Nairobi in Kenya und in Recife in Brasilien. Die Bundesregierung verkennt nicht die Bedeutung, die den Unversitätspatenschaften zukommt. Die bisherigen Erfahrungen haben aber auch die Schwierigkeiten erkennen lassen, die bei der Durchführung zutage treten. Insbesondere muß bei der revolutionären Grundhaltung der Studentenschaft in manchen Partnerländern die Bundesregierung darauf bedacht sein, nicht durch die Patenschaft in innerpolitische Auseinandersetzungen des Partnerlandes hineingezogen zu werden.
Eine wirksame Hilfe beim Aufbau von Hochschulen im Ausland sind die aus Bundesmitteln finanzierten Sachspenden an ausländische Hochschulen, besonders in den Entwicklungsländern, die der Einrichtung und Ausgestaltung von Universitätsinstituten dienen.
Zur Frage 7. Die Bundesregierung hat nur beschränkte Möglichkeiten, den vorhandenen Mängeln beim Studium von Ausländern in der Bundesrepublik entgegenzuwirken, da sie im Innern keine Zuständigkeit in kulturellen Angelegenheiten besitzt. Zuständig für Maßnahmen zur Behebung solcher Mängel sind die deutschen Länder sowie die Universitäten, die sich weitgehender Autonomie erfreuen.
In der Bundesrepublik sind in früheren Jahren aus dem Bestreben, die deutsche Hilfsbereitschaft bei der Heranbildung des akademischen Nachwuchses befreundeter Staaten unter Beweis zu stellen, die Zulassungsbedingungen für die deutschen Hochschulen großzügig gehandhabt worden. Diese Großzügigkeit hat zu dem Mißbrauch geführt, daß zahlreiche ausländische Studenten, die wegen unzulänglicher Leistungen in ihren Heimatstaaten zum Hochschulstudium nicht zugelassen worden sind, deutsche Hochschulen bezogen haben. Dadurch hat manch tüchtiger ausländischer Student an deutschen Hochschulen keinen Platz gefunden,
und der Leistungsdurchschnitt ausländischer Studenten ist zum Nachteil des Rufes der deutschen Hochschulen gesunken.
Die Bundesregierung trägt dafür Sorge, daß dort, wo sie Einfluß nehmen kann — etwa bei den Vergabebedingungen für DAAD-Stipendien —, strenge Maßstäbe angelegt und hohe Qualitäten gefordert werden. Sie hofft dadurch vorbildlich zu wirken. Außerdem wird gegenwärtig von den zuständigen Stellen an einer strengeren Handhabung der Zulassungsbedingungen gearbeitet.
Für Betreuungsaufgaben stellt die Bundesregierung jährlich einen erheblichen Betrag im Bundeshaushalt bereit, und zwar 1962 7,4 Millionen DM,
4728 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Bundesminister Dr. Schröder
1963 6,7 Millionen DM. Sie versieht studentische und andere Betreuungsorganisationen mit Geldmitteln und gewährt beträchtliche Zuschüsse zum Bau und zur Einrichtung von internationalen Studentenwohnheimen.
Den Mängeln, die sich im Einzelfalle auf der Ebene menschlicher Beziehungen mit ausländischen Studierenden ergeben, versucht die Bundesregierung durch Aufklärung und Betreuungsmaßnahmen entgegenzuwirken.
Zur Frage 8. Die Bundesregierung ist sich der Tatsache bewußt, daß sie der zunehmenden Bedeutung der auswärtigen Kulturpolitik auch in organisatorischer und personeller Hinsicht Rechnung tragen muß, um die Gesamtaufgabe möglichst wirksam lenken zu können.
In der Zeit von 1956 bis 1963 ist daher die Zahl der Bediensteten in der Kulturabteilung des Auswärtigen Amts um etwa 40 % verstärkt worden. Dieser Personalvermehrung steht ein rasch anwachsender Arbeitsanfall gegenüber. So werden im Schul- und Kulturfonds heute 166 Millionen DM gegenüber 27 Millionen DM im Jahre 1956 verwaltet; die Zahl der vom Schulreferat vermittelten Lehrer stieg im gleichen Zeitraum von 312 auf 1168, die Zahl der betreuten Schulen von rund 140 auf etwa 440, die Zahl der zu bearbeitenden Kulturabkommen von 11 auf 32. Dieses Anwachsen der Aufgaben hat teilweise zu erheblichen Belastungen der Bediensteten in der Kulturabteilung geführt. Dennoch konnten die gestellten Aufgaben bewältigt werden.
Die Bundesregierung wird dieser Frage weiterhin ihre besondere Aufmerksamkeit zuwenden.
Vergleichbare Staaten wie Frankreich und Italien schaffen sich die für ihre Kulturpolitik erforderlichen organisatorischen und personellen Voraussetzungen durch langjährige Abordnung entsprechender Fachbeamten aus den Erziehungs- bzw. Kultusministerien. Großbritannien und die Vereinigten Staaten von Amerika haben sich durch die Schaffung eigener Organisationen wie des British Council und des USIS geholfen.
Auch die Bundesregierung ist bemüht, im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Möglichkeiten ähnliche Wege zu beschreiten. Sie will in ihrem Haushaltsplan für 1964 die Voraussetzungen schaffen, um z. B. für das Auslandsschulwesen abgeordnete Fachkräfte der Länder gewinnen zu können. Sodann hat sie seit einigen Jahren die Durchführung gewisser Aufgaben anderen, zum Teil seit Jahrzehnten bestehenden Organisationen, wie dem Akademischen Austauschdienst und dem Goethe-Institut, übertragen. Darüber hinaus sind Überlegungen im Gange, das Auswärtige Amt weiter von routinemäßigen Verwaltungsaufgaben im Bereich des Auslandsschulwesens durch Übertragung von Aufgaben auf andere, dafür geeignete Bundeseinrichtungen zu entlasten, wie ich schon zu der voraufgehenden Frage gesagt habe.
Zur Frage 9. Die Bundesregierung hat im Auswärtigen Amt mit Mitarbeitern, die nicht Laufbahnbeamte waren, gate wie schlechte Erfahrungen gemacht. Das große Fachwissen vieler Nichtlaufbahnbeamten hat sich als belebendes und anregendes Element erwiesen. Die ihm nicht seltengepaarte Unkenntnis der für eine geordnete Verwaltung unerläßlichen Grundbegriffe und Gepflogenheiten hat sich zuwielen als Hemmnis ausgewirkt.
Für die Verwendbarkeit in der auswärtigen Kulturarbeit ist aus der Unterscheidung zwischen Nichtlaufbahn- und Laufbahnbeamten schwerlich ein Maßstab zu gewinnen. Die Ausbildung und die Tätigkeit in der Kulturabteilung des Auswärtigen Amts gehört zum Werdegang der Laufbahnbeamten. Im Prinzip sollen künftig zu Leitern von Auslandsvertretungen nur solche Beamten bestellt werden, die sich mit der Kulturarbeit befaßt haben. Aber ich sage noch einmal: im Prinzip. Das wird nicht ganz leicht durchzuführen sein. In Bereichen, die ein besonderes Maß an Spezialwissen erfordern, wird die Bundesregierung auch in Zukunft geeignete Persönlichkeiten, die nicht Laufbahnbeamte sind, für die Kulturarbeit des Auswärtigen Amts heranziehen.
Zur Frage 10. Kulturabkommen können bei der Konstruktion des Grundgesetzes nicht mehr sein als Rahmenabkommen. Die Bundesregierung hat seit 1953 mit 18 Staaten Kulturabkommen geschlossen, darunter mit Frankreich, Großbritannien, Italien und sieben weiteren europäischen Staaten, den Vereinigten Staaten, zwei südamerikanischen, drei asiatischen und zwei afrikanischen Staaten. Mit 16 weiteren Staaten in Südamerika, Asien und Afrika steht sie in Verhandlungen, die zum Teil kurz vor dem Abschluß stehen.
Alle von der Bundesrepublik abgeschlossenen Kulturabkommen sehen die Errichtung von Ständigen Gemischten Ausschüssen vor, die mit einer gleichen Anzahl deutscher und ausländischer Persönlichkeiten besetzt sind. Die Bundesregierung entsendet in diese Ausschüsse Vertreter des Auswärtigen Amts, des Bundesministeriums des Innern, der Ständigen Konferenz der Kultusminister und der freien Wissenschaft.
Aufgabe dieser gemeinhin mit ein- bis zweijährigem Abstand zusammentretenden Ausschüsse ist die Beratung konkreter Austauschvorhaben, die in den Rahmen der Kulturabkommen passen. Die von den Ausschüssen angenommenen Entschließungen haben den Charakter von Empfehlungen an die beiderseitigen Regierungen. Sie werden über die Kulturabteilung des Auswärtigen Amts den zuständigen innerdeutschen Stellen mit der Bitte um Durchführung zugeleitet. Die Bundesregierung besitzt keine verfassungsrechtliche Handhabe, um die Verwirklichung dieser Empfehlungen zu erzwingen.
Zur Frage 11. Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß die multilaterale Zusammenarbeit bei der Lösung der Aufgaben, die den technisch fortgeschrittenen Staaten auf dem Gebiete der Wissenschaft, Erziehung und Kultur im Verhältnis zueinander und gegenüber den Entwicklungsländern zufallen, mit den Jahren zunehmen und an Gewicht gewinnen wird. Sie glaubt, daß manche kulturpolitischen Ziele sich durch internationale Zusammenarbeit leichter und besser erreichen lassen als durch bilaterale Maßnahmen. Die Bedeutung, die sie den internatio-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4729
Bundesminister Dr. Schröder
nalen Organisationen, besonders der UNESCO, aber auch den Wissenschaftsausschüssen der OECD und der NATO beimißt, zeigt sich in der Verwendung eines beträchtlichen Teils der im Bundeshaushalt an verschiedenen Stellen bereitgestellten Mittel für kulturpolitische Aufgaben multilateraler Art.
Die ernste, eifrige und selbstlose deutsche Mitarbeit in den internationalen Organisationen ist zugleich eine Widerlegung der immer wieder versuchten Verdächtigung eines angeblichen Faschismus oder Neo-Kolonialismus. Die deutsche Anteilnahme an den Problemen anderer Länder erweckt deren Sympathie für unsere Sorgen, vor allem für die Teilung unseres Vaterlandes.
Das Weisungsrecht für die deutschen Vertreter in der UNESCO und der NATO liegt beim Auswärtigen Amt, für die Vertreter in der OECD beim Bundesminister für Wirtschaft. Die Weisungen werden in interministeriellen Besprechungen erarbeitet. An diesen Besprechungen nehmen auch Vertreter der Länder sowie der fachlich betroffenen nichtamtlichen Organisationen teil. Die Zusammenarbeit der Beteiligten hat sich im Laufe der Jahre. eingespielt.
Im Europarat, im Sekretariat der OECD und im Wissenschaftsausschuß der NATO ist die Bundesrepublik stets angemessen vertreten gewesen. Unzureichend war bisher der deutsche Anteil im Generalsekretariat der UNESCO. Zum Teil lag es an der in bezug auf Sprachkenntnisse mangelnden Qualifikation deutscher Bewerber bei den UNESCO-Stellenausschreibungen. Dank der sorgfältigen Arbeit der mit UNESCO-Aufgaben in der Bundesrepublik befaßten Stellen können seit etwa zwei Jahren dem UNESCO-Generalsekretariat deutsche Bewerber von internationalem Format vorgeschlagen werden. Gegenwärtig sind mehr als 30 deutsche Experten für die UNESCO im sogenannten Field Service — fachliche Hilfe in Entwicklungsländern — tätig. Im Generalsekretariat arbeiten 14 Deutsche. Wir bleidabei unter unserer Quote, die zwischen 15 und 25 Angestellten liegt.
Das Bemühen der Bundesregierung, in den Sekretariaten der internationalen staatlichen Organisationen zahlreich und gut vertreten zu sein, wird häufig erschwert durch die mangelnde Bereitschaft hochqualifizierter und sprachlich versierter Fachkräfte, ihre Stellungen in Deutschland ohne eine Stellengarantie im Falle der Rückkehr aufzugeben. Eine solche Garantie vermag die Bundesregierung für Nicht-Bundesbedienstete nicht zu bieten; sie obläge vielmehr — durch Bereitstellung von Leerstellen — denjenigen Stellen, von denen diese Fachkräfte kommen, also vornehmlich den Ländern.
Schließlich zur Frage 12. Zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit sind Grundsätze für eine Abgrenzung der Zuständigkeiten im Bereich der Bildungshilfe ausgearbeitet worden. Nach ihnen soll das Auswärtige Amt im Hinblick auf die Entwicklungsländer für solche Maßnahmen der auswärtigen Kulturpolitik zuständig sein, wie sie auch zwischen entwickelten Ländern üblich sind. Maßnahmen, die als Bildungshilfe zur Förderung von
Entwicklungsländern beitragen, sollen hingegen in die Zuständigkeit des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit fallen. Obwohl die Abgrenzung der Aufgaben im einzelnen noch nicht abgeschlossen ist, sind beide Ministerien übereingekommen, Grenzfälle pragmatisch zu regeln. Nach der erfolgten Neubildung des Kabinetts wird sich die Bundesregierung nunmehr beschleunigt um eine endgültige Regelung der Zuständigkeit bemühen. Sie wissen ja, daß Zuständigkeitsfragen nicht immer ganz einfach sind; aber die Frage wird schon gelöst werden.
Entschuldigen Sie bitte, daß ich durch diese Antwort mit Rücksicht auf die begrenzte Zeit etwas durchgehastet bin. Ich möchte aber zum Schluß noch einmal sagen: ich bin dankbar dafür, daß ich dies hier habe ausführen können. Zahlreiche weitere Fragen und Anregungen des Herrn Kollegen KahnAckermann sollten nach meiner Meinung im Auswärtigen Ausschuß oder sonst in einer geeigneten Zusammensetzung weiter behandelt werden. Die Nichtbeantwortung der Fragen aus dem Stegreif ist nicht ein. Zeichen mangelnden Interesses; ich bin vielmehr aufrichtig dankbar, daß ich die Möglichkeit hatte, wenigstens einen Teil des Hohen Hauses für diese Fragen heute am späten Nachmittag zu interessieren.
Das Haus hat die Antwort der Bundesregierung entgegengenommen. Gemäß § 106 der Geschäftsordnung frage ich, ob eine Aussprache gewünscht wird. Wer das wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Es müssen 30 Mitglieder des Hauses sein. — Jetzt sind es mehr als 30 Mitglieder des Hauses. Meine Damen und Herren, wir werden in die Aussprache eintreten. Es ist mir jedoch mitgeteilt worden, daß eine interfraktionelle Vereinbarung dahin bestehe, an dieser Stelle zu unterbrechen und die Punkte 37 und 38 der Tagesordnung mit Rücksicht auf die Berichterstatter vorzuziehen. Wird hiergegen eine Einwendung erhoben? — Das ist nicht der Fall. Dann rufe ich Punkt 37 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschuses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung — Immunitätsangelegenheiten —
betr. Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen die Abgeordneten Jahn und Merten gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 10. Mai 1963 .
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Zoglmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf Ersuchen des Generalbundesanwalts hat der Herr Bundesminister der Justiz mit einem Schreiben vom 10. Mai 1963 den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages gebeten, die Genehmigung des Hohen Hauses zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen die Abgeordneten Jahn und Merten zu erteilen.
4730 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Zoglmann
Nach dem Bericht des Generalbundesanwalts besteht gegen die beiden Abgeordneten der Verdacht des Verrats von Staatsgeheinmnissen und des Vertrauensbruches im Sinne der §§ 99 Abs. 1 und 353 c des Strafgesetzbuches.
Der Generalbundesanwalt sieht den Verdacht einmal darin begründet, daß der Abgeordnete Merten dem Abgeordneten Jahn das Protokoll der 14. Sitzung des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages übergab und der Abgeordnete Jahn eine Photokopie dieses Protokolls dem Spiegelredakteur Schmelz übermittelte. Dieser Sachverhalt wird von den beiden Abgeordneten nicht bestritten.
Der Generalbundesanwalt begründet den Verdacht strafbarer Handlungen weiter damit, daß auch von dem Protkoll der 19. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung des Deutschen Bundestages eine Photokopie beim Spiegelredakteur Schmelz gefunden wurde.
Auch diese Photokopie wurde, wie das Protokoll der 14. Sitzung, von einer Ausfertigung erstellt, die dem Abgeordneten Merten laut Quittung ausgehändigt worden war.
Der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung hat sich in mehreren Sitzungen mit dem Ersuchen des Generalbundesanwalts befaßt. Er kam nach Übersendung der Akten und des Gutachtens des Bundeskriminalamtes vom 29. November 1963 einstimmig zu dem Ergebnis, dem Bundestag den in der Drucksache IV/1723 enthaltenen Antrag zur Annahme zu empfehlen. In dem Gutachten des Bundeskriminalamtes wurde entgegen bisheriger Auffassung festgestellt, daß die beiden Photokopien mit verschiedenen Vervielfältigungsgeräten und auch verschiedenen Papieren hergestellt wurden.
Das Ersuchen des Generalbundesanwalts, die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Jahn auch bezüglich des Vorgangs um das Protokoll der 19. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung zu erteilen, wurde daher mit Mehrheit im Immunitätsausschuß abgelehnt. Diese Mehrheit ließ sich dabei von der Auffassung leiten, daß auf Grund der bisherigen Feststellungen der Verdacht einer strafbaren Handlung des Abgeordneten Jahn im Zusammenhang mit dem Protokoll der 19. Sitzung des Verteidigungsausschusses nicht begründet ist.
Ich bitte Sie, dem Ihnen zugeleiteten Antrag auf Drucksache IV/1723 Ihre Zustimmung zu erteilen.
Werden Erklärungen abgegeben? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache IV/1723. Wer zustimmen will, gebe bitte ein Zeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung — Immunitätsangelegenheiten —
betr. Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Dr. h. c. Strauß gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 28. November 1963 .
Das Wort hat der Abgeordnete Ritzel als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Schreiben vom 28. November 1963 hat der Bundesminister der Justiz dem Bundestagspräsidenten das Ersuchen auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Bundestagsabgeordneten Dr. h. c. Strauß übermittelt. Der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung hat sich in seiner Sitzung vom 5. Dezember 1963 mit dem Ersuchen befaßt und einstimmig beschlossen, dem Bundestag zu empfehlen, die Genehmigung zu erteilen.
Gegenstand der Beschuldigung ist die Mitwirkung des Abgeordneten Dr. h. c. Strauß bei der Festnahme des Redakteurs der Zeitschrift „Der Spiegel", Konrad Ahlers, durch spanische Behörden am 27. Oktober 1963 gegen 3 Uhr in Torremolinos bei Malaga. Wegen dieser Mitwirkung waren bei der zuständigen Staatsanwaltschaft in Bonn elf Strafanzeigen gegen den Abgeordneten Dr. h. c. Strauß eingegangen, in denen im wesentlichen der Vorwurf der Freiheitsberaubung im Amt, der Amtsanmaßung und der falschen Anschuldigung erhoben wurde. Die zuständige Staatsanwaltschaft ist nach den vorliegenden Erkenntnissen zu dem Ergebnis gekommen, daß als Straftatbestand die Amtsanmaßung — Vergehen gegen § 132 StGB, zweite Alternative: „unbefugt eine Handlung vornimmt, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf" — in Betracht käme. Dagegen lägen bisher keine zureichenden Anhaltspunkte dafür vor, daß sich der Abgeordnete Dr. h. c. Strauß einer Freiheitsberaubung im Amt — Verbrechen gegen § 341 StGB — oder einer einfachen Freiheitsberaubung — Vergehen gegen § 239 StGB — schuldig gemacht haben könnte. Weitere von den Anzeigenden aufgeführte Straftatbestände scheiden nach Auffassung der Staatsanwaltschaft mangels Vorliegens objektiver Tatbestandsmerkmale aus.
Der Ausschuß empfiehlt dem Bundestag, den in Drucksache IV/1724 enthaltenen Antrag anzunehmen.
Wenn das Wort nicht gewünscht wird, stimmen wir über diesen Antrag ab. Wer zustimmt, gebe bitte ein Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich eröffne nunmehr die Aussprache über die Antwort der Bundesregierung auf die
Große Anfrage der Fraktion der SPD
betr. auswärtige Kulturpolitik.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Huys.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4731
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird heute von niemandem mehr bestritten, daß der Kulturpolitik eine hohe, sich immer mehr steigernde Bedeutung zukommt. Nicht nur innenpolitisch, sondern insbesondere außenpolitisch ist die Kulturarbeit neben dem wirtschaftlichen und dem militärischen Bereich ein wichtiger Faktor. Welch bedeutsames Politikum Kulturabkommen geworden sind, brauche ich hier nicht zu betonen, die jüngsten Ereignisse im Falle des Amerikaners Barghorn zeigen das und haben das sehr deutlich gemacht. Die Kulturpolitik stellt heute — wie Herr Dr. Sattler sagt — gleichsam eine „dritte Bühne" dar, auf der sich in zunehmendem Maße politische Entscheidungen abspielen. Diese Tatsache soll uns allerdings nicht dazu verführen, unsere Kultur zu propagandistischen Zwecken zu mißbrauchen, um unser politisches Prestige zu heben, das wäre grundfalsch, aber sie hilft, das erschütterte Vertrauen in uns wiederherzustellen, das zum Teil wiedererstandene Ansehen zu festigen, und vor allem, den Anspruch der Bundesregierung, für ganz Deutschland zu sprechen, wirkungsvoll zu demonstrieren.
Die Zusammenfassung der Bundesregierung zu Punkt 1 der Anfrage kann also voll und ganz unterstützt werden.
Ich möchte nur zu den Fragen 4 und 5 sprechen, zumal ich glaube, daß in die Anfrage sehr viel gepackt ist, aber zu den anderen Fragen werden meine Kollegen Professor Friedensburg und Dr. Martin sprechen.
Vielleicht hat die Presse Ihre Anfrage überschätzt, indem sie — wie ein Artikel der heutigen Abendzeitung vermuten läßt — angenommen hat, wir würden vielleicht über Jazz oder Mozart diskutieren. Jedenfalls hat sie sicherlich nicht angenommen, daß ein großer Teil der Ausführungen der Personalpolitik des Auswärtigen Amtes gelten würde, bei der Meinungen von Beamten des Auswärtigen Amtes preisgegeben würden. Ich halte es auch nicht für fair, Herr Kahn-Ackermann, wenn ein Angriff auf die Person des Vorgängers des Herrn Außenministers gestartet wird, der sich nicht verteidigen kann, weil er krank ist.
Ich möchte jetzt also speziell auf die deutschen Schulen im Ausland zu sprechen kommen, auf ihre Bedeutung und Aufgabe innerhalb dieser Konzeption, zumal ich glaube, daß einige allgemeine Gedanken ausgesprochen werden müßten, obwohl ich weiß, daß die Verhältnisse in den einzelnen Ländern sehr differenziert sind und jeder Einzelfall anders liegt.
Der Herr Außenminister hat dargelegt, wie die augenblickliche Lage des Auslandsschulwesens ist, und hat darauf hingewiesen, warum die Zuschüsse aus Bundesmitteln gerade für diesen Bereich der Kulturpolitik so hoch sein müssen. Er zog daraus den vorsichtigen Schluß, daß die Finanzlast, die der Bund jetzt, im Gegensatz zu den Zeiten vor dem Krieg, für die Auslandsschulen zu tragen gezwungen ist, der „Errichtung neuer deutscher Schulen im
Ausland Grenzen" setzt „und zu sorgfältiger Planung und zu eingehenden Überlegungen" zwingt, „ob und wann ein Schulbau zweckmäßig sei".
An dieser Stelle scheint es mir notwendig zu sein, die Arbeit der deutschen Schule im Ausland und ihre Ausstrahlungskraft kurz zu betrachten, die Frage aufzuwerfen, ob nicht gerade die Arbeit der deutschen Schulen eine ganz besonders wichtige unter allen anderen Möglichkeiten der kulturellen Einflußnahme unter dem Blickwinkel der allgemeinen Konzeption der Bundesregierung ist. Von der Beantwortung dieser Frage wird es weitgehend abhängen, ob die soeben erwähnte Formulierung der Bundesregierung dies deutlich genug zum Ausdruck gebracht hat.
Über die Bedeutung der deutschen Auslandschulen für die deutsche Auslandskulturpolitik sind sich die Experten nicht ganz einig. Es wird im allgemeinen anerkannt, daß die deutschen Auslandsschulen — ich meine hier die Schulen alter Form, die Deutsch als Unterrichtssprache haben — durch die Vermittlung der Sprache trotz Film, Funk und Fernsehen nach wie vor die stärksten kulturellen Mittler sind, weil jeder, der in seiner Jugend irgendwo in der Welt an einer deutschen Schule Deutsch gelernt hat, eine innere Bindung zu unserem Land behalten wird; aber es wird bezweifelt, daß es notwendig ist, deswegen die große Aufgabe, die der Bau und die laufenden Unterhaltungskosten einer Schule, ihre Ausstattung, ihr Lehrerkollegium mit sich bringen, auf sich zu nehmen. Die Tatsache, daß nach dem zweiten Weltkrieg ein entscheidender Strukturwandel im deutschen Auslandsschulwesen eingetreten ist — die mannigfachen Gründe dafür brauchen hier nicht erörtert zu werden —, weswegen jetzt u. a. die sogenannte „Begegnungsschule" als neuer deutscher Schultyp entwickelt wird, scheint diesen Zweifeln recht zu geben. In diesen Schulen soll das deutsche kulturelle Erbe als bedeutsame Bereicherung für das geistige Leben des jeweiligen Landes eingebracht und nicht mehr nur wie vor dem Kriege das Ziel verfolgt werden, Deutsche im Sinne nationaler Volkstums- und Minderheitspolitik zu erziehen. Allerdings müssen die Mindestanforderungen hinsichtlich des deutschen Charakters einer solchen Schule klar sein. Der kulturpolitische Aspekt macht manche Schulen förderungswürdig, obwohl sie vom Pädagogischen her vielfach nicht so förderungswürdig zu sein scheinen.
Herr Kahn-Ackermann ist vorhin schon darauf eingegangen. Er meinte, sehr viele Schulen hätten ein veraltetes Erziehungsziel. Herr Kahn-Ackermann, es gibt sehr viele junge Leute — alle drei Jahre wechseln sie in einem Turnus —, die die moderne Auffassung auch vom Erziehungsziel mitbringen, so daß ich Ihnen nicht ganz abnehme, daß sie veraltete Erziehungsziele haben. Etwas allerdings werden sie von dem jeweiligen Erziehungsziel der Staaten beeinflußt, in denen unsere Schulen errichtet werden.
Um die Relation der deutschen zu den ausländischen Schülern ausgewogen zu halten und um die deutschen Kinder eines größeren Raumes erfassen zu können, müßten Internate in Verbindung mit
4732 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Huys
den Schulen gebaut werden, wie sie z. B. in Oscorno, Temuco und u. a. auch in Athen vorgesehen sind. Man könnte sie vergleichen mit den Bestrebungen in unseren ländlichen Kreisen, „Mittelpunktschulen" zu schaffen.
Ich möchte hier ein paar Gedanken äußern, die, so scheint es mir, bedacht werden müssen, ehe man die Maßstäbe festlegt, die für die Gründung und Erhaltung von deutschen Schulen im Ausland in Zukunft bestimmend sein werden. Ich stütze mich dabei auf Erhebungen, die das Auswärtige Amt 1960 in dieser Richtung gemacht hat, auf Erfahrungsberichte verschiedener Persönlichkeiten oder Institutionen wie auch auf meine eigenen Erkenntnisse, die ich hinsichtlich dieses Problems auf meiner Reise nach Athen, Istanbul und Kairo gewinnen konnte.
Folgende Gründe sprechen dafür, daß das deutsche Auslandsschulwesen unterstützt, gefördert und erweitert wird.
Abgesehen von dem Wert, den die deutsche Auslandsschule für die im Ausland lebenden deutschen Familien und ihre Kinder hat, vermitteln die deutschen Auslandsschulen Sprachkenntnisse an Kinder und Jugendliche fremder Völker. Ihre Wirkung ist darum breit und nachhaltig und daher von kulturellem Wert; solche Sprachkenntnisse sind das Fundament für die Beziehungen, die Angehörige fremder Staaten zu Deutschland knüpfen, sei es nun auf kulturellen, wirtschaftlichen oder sonstigen Gebieten. Ohne die Kenntnis der deutschen Sprache ist kein Studium an deutschen Universitäten möglich.
Es ist sehr wichtig, daß gerade Kinder die deutsche Sprache erlernen und nicht erst die Erwachsenen; denn Kinder wachsen unmittelbarer, aber auch nachhaltiger in einen fremden Kulturkreis hinein und werden von ihm geformt. Darüber hinaus dienen die deutschen Auslandsschulen aber auch der Erwachsenenbildung.
Die deutschen Auslandsschulen sind überall, wo sie existieren, Mittelpunkte des kulturellen Lebens für die Deutschen in diesem Lande; sie sind Brücke zur Heimat, aber darüber hinaus sind sie auch Verbindung und Anregung für Fremde, sie sind „Botschafter Deutschlands" und stellen den ständigen Kontakt her zu den kommenden gebildeten Schichten ihres Gastlandes.
Die völkerverbindende Aufgabe der deutschen Auslandsschule kann gar nicht genug hervorgehoben werden. Kinder der verschiedenen Nationen lernen einander kennen und verstehen. Ein tolerantes, mitmenschliches Verhalten wird ihnen selbstverständlich.
Der Erfahrungsaustausch der Lehrer untereinander wird ungemein stark befruchtet, der Horizont geweitet, Abkapselung vermieden, Wechselbeziehungen werden hergestellt, alles Faktoren, die der politischen Bildung förderlich sind.
Deutsche Auslandsschulen tragen wesentlich zur Entwicklungshilfe bei, wenn sie im richtigen Sinne, nämlich als Bildungshilfe, verstanden werden. Nur so wird es möglich, daß auch der technische und wirtschaftliche Bereich der Entwicklungshilfe wirksam wird. Eine Koordinierung der Mittel für die Schulen im Ausland und der Entwicklungshilfe müßte man vornehmen, um etwas großzügiger in Einzelfällen vorgehen zu können.
Das vom Ausland geäußerte Interesse an der deutschen Sprache, ja, an der Bundesrepublik schlechthin, würde einen entscheidenden Rückschlag erleiden, wenn die deutschen Auslandsschulen weniger unterstützt würden. Dadurch würde unter Umständen der Weg für andere, sehr unerwünschte Einflüsse freigemacht. Das Aufgeben einer kostspieligen, vielleicht wenig rentablen deutschen Schule oder der Verzicht auf eine noch zu gründende, von dem fremden Staat gewünschte Schule würde zweifellos die SBZ auf den Plan rufen, die dann nicht zögern würde, als die maßgebliche Vertreterin deutscher Kultur aufzutreten.
In der Intensität ist eine deutsche Schule, das heißt also eine deutsche Schule, in der Deutsch die Unterrichtssprache ist und nicht wie in der sogenannten „Begegnungsschule" eine Sprache unter anderen, die so gelehrt wird wie bei uns Englisch oder Französisch, dem neuen Typ überlegen. Mit der Unterrichtssprache dringt eben doch auch deutsche Art ein, mit dem Wissensstoff wird deutsches Leben lebendig und verständlich. Es ist eben etwas anderes, ob ich die deutsche Sprache wie ein Dolmetscher sprechen kann oder ob ich in ihre Gehalte eingedrungen bin. Zweifellos ist die kulturelle Wirkung einer Schule geringer, die nur Lektorate oder Lehrerstellen für Deutsch hat, im übrigen aber einem internationalen Institut als einer eigenständigen Einrichtung angegliedert ist, die selbstverständlich ihre Tore auch weit für die Kinder des Gastvolkes öffnen soll. Das hat nichts mit Kulturpropaganda zu tun, aber sehr viel mit einem Versuch, die eigene Kultur als Verständigungsmittel für das eigene Leben in Gesellschaft und Staat wirken zu lassen. Nur wirkliches Kennenlernen kann zum Verständnis des anderen führen, und ein solches Kennenlernen vermittelt die deutsche Schule im Ausland stärker als jede andere Institution.
So muß z. B. nicht nur in Athen, Istanbul und Kairo, sondern auch in vielen anderen Ländern Tausenden von ausländischen Kindern die Aufnahme verweigert werden, weil die Kapazität der Schulen es nicht zuläßt. Das geht u. a. auch daraus hervor, daß trotz schlechter Schulgebäude die tonangebenden Schichten der jeweiligen Länder versuchen, ihre Kinder in der deutschen Schule erziehen zu lassen.
Wir sollten es uns also sehr überlegen, ob wir es uns leisten können, den deutschen Auslandsschulen gegenüber geizig zu sein. Eine Kürzung der Mittel oder gar ein Abbau der Schulen, wie er gelegentlich zugunsten der Errichtung allgemeiner Kulturinstitute gefordert wird und wie es vorhin eigentlich auch Herr Kollege Kahn-Ackermann ausgeführt hat, daß das Hauptmedium der Kultur eben diese allgemeinen Kulturinstitute seien, würde eine der wichtigsten Kommunikationsstellen für unsere kulturellen Bestrebungen einengen oder schädigen. Die Folgen würden sich — wie immer im kulturellen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4733
Dr. Huys
Sektor — allerdings erst in späteren Jahren 'zeigen, dann aber sicherlich empfindlich und sehr negativ. Es ist ja beliebt, notwendige Sparmaßnahmen immer auf dem kulturellen Sektor vorzunehmen, weil hier im allgemeinen der geringste Widerstand zu befürchten ist. Man vergleiche dies beim Honnefer Modell im neuen Haushaltsplan. Daß der Schaden einmal in nicht allzu ferner Zeit sichtbar wird, darüber sind sich allerdings alle einig. Treiben wir also nicht eine Politik „nach uns die Sintflut", sondern suchen wir nach Maßnahmen, die helfen, aus der finanziellen Enge herauszukommen, ohne daß wir so anerkannt wichtige Kulturzentren wie die deutschen Schulen im Ausland aufgeben oder mangelhaft fördern.
Im Memorandum des Auswärtigen Amtes vom 14. September 1962 wird festgestellt, daß es erstaunlich sei, wie stark das Motiv, ihren Kindern deutsche Erziehungsmethoden zugute kommen zu lassen, die nicht deutschstämmigen Eltern auch in solchen Ländern bewegt, in denen die alten deutschen Schulen nach dem letzten Krieg durch Landesgesetze eingeengt sind und einen Teil ihres ursprünglichen Charakters verloren haben. Ja, es kann hinzugefügt werden, daß auch bauliche Unzulänglichkeiten die Eltern nicht abschrecken, ihre Kinder in diese Schulen zu schicken. Das Auswärtige Amt folgerte damals mit Recht daraus, daß uns hier eine Möglichkeit gegeben ist, für die Grundsätze der freien Welt zu wirken, auf die nicht verzichtet werden sollte. Es würde von den Gastländern nicht verstanden werden, wenn die Unterstützungen durch die Bundesrepublik nur deshalb eingeschränkt würden, weil nicht alle Vorbedingungen erfüllt sind, die nach deutschen pädagogischen Vorstellungen erfüllt sein müßten. Hier ist aus weltweiten Gründen jeder kleinliche Maßstab abzulehnen. Ich möchte mich der Feststellung des Auswärtigen Amtes anschließen und diese hier ins Gedächtnis zurückrufen, die lautet:
Soweit ein angemessenes Verhältnis zwischen deutschen und nichtdeutschen Schülern erhalten bleibt — dd. h. also die Zahlen der deutschen Schüler den ausländischen gegenüber nicht zu klein wird — und die Vermittlung deutscher Sprachkenntnisse und sonstiger kultureller Werte nach deutschen pädagogischen Methoden nicht zu weit an den Rand des schulischen Lebens gedrängt wird, sollte die Chance nicht gering geachtet werden, die in diesem Beitrag zur Verständigung der Völker abseits von allen Hintergedanken aggressiver Kulturpolitik vergangener Zeiten liegt. Intensität und Tiefenwirkung einer durch Jahre hindurch in täglichem Kontakt praktizierten Begegnung von Angehörigen verschiedener Kulturen ist in ihrem Einfluß auf die Förderung des gegenseitigen Verständnisses der Nationen nicht zu unterschätzen. Die geschaffenen Bindungen und menschlichen Beziehungen tragen oftmals ihre politischen Zinsen.
Wenn dieses von Schulen gesagt wurde, die nur noch zum Teil den alten Charakter haben, um wieviel mehr gilt das von den eigentlichen deutschen Auslandsschulen! Das möchte ich hier betonen. Begabte ausländische Schüler der deutschen Schulen im Ausland sollten mehr als bisher Stipendien für ein Studium in Deutschland erhalten, zumal sie sich schneller auf den deutschen Hochschulen zurechtfinden, wenn sie an deutschen Auslandsschulen ihre Reifeprüfung abgelegt haben.
Hier mag auch die neue Form der sogenannten Expertenschule ihren Ort haben. Sie ist notwendig, weil hier die Kinder deutscher Eltern unterrichtet werden, die technische, wirtschaftliche oder sonstige staatliche Aufträge ausführen. Warum sollen aus diesen Schulen, die zunächst sehr zweckgebunden sind, nicht wie in früherer Zeit langsam Kulturzentren erwachsen, auch wenn der Aufenthalt der Deutschen dort nur vorübergehend geplant war!
Auf jeden Fall sollte gewarnt werden vor einem Abbau deutscher Schulen aus rein finanziellen Gründen. Der Verlust könnte sehr groß, ja, irreparabel sein.
Mir scheint, daß die Frage nach den Lehrern, die an deutsche Auslandsschulen zu gehen bereit sind, bedeutungsvoller als die finanzielle ist. In der Bundesrepublik Deutschland selbst herrscht akuter Lehrermangel. Dennoch sollte es eigentlich möglich sein, daß von den 180 000 Lehrern, die es in der Bundesrepublik gibt, jährlich 100 bis 200 an deutsche Auslandsschulen abgegeben werden. Daher sollte man vielleicht die Anregung von Präsident Dr. Löffler, Stuttgart, aufgreifen, der vorschlug, junge deutschstämmige Menschen im Ausland für den Dienst an den von deutschen Schulvereinen getragenen Schulen an bestehenden oder noch zu gründenden Lehrerseminaren auszubilden.
Auch die rechtliche Stellung des Lehrers im Ausland ist trotz der Verträge oft so wenig erfreulich und unsicher, daß viele allein deswegen vor dem „Abenteuer" zurückschrecken.
Bei der Suche nach einer Lösung des Problems der deutschen Auslandsschulen muß also neben der finanziellen Seite sehr akzentuiert auch die personelle einbezogen werden. Mir scheint, daß die Lösung dieser Frage nicht nur durch grundsätzliche Erwägungen, von denen eben die Rede war, gefunden werden kann, sondern wesentlich auch von der organisatorischen Seite her angefaßt werden muß.
Ob für das deutsche Auslandschulwesen eine Zentralstelle errichtet werden sollte oder nicht, muß ernsthaft überlegt werden, ebenso, welche Rechtsform man ihr geben soll. Jedenfalls erscheint es auch mir notwendig, daß das Auswärtige Amt u. a. von den administrativen Aufgaben entlastet wird, damit es sich den Grundprinzipien dieser Arbeit besser zuwenden kann. Diese eventuell zu schaffende Verwaltungsstelle müßte mit weit mehr pädagogischem Fachpersonal ausgestattet werden, zumal es mit zwei Pädagogen im Auswärtigen Amt nicht getan ist. Diese wurden auch erst zum 1. Januar 1964 angefordert. Es sind ein Studienrat und 'ein Volksschullehrer angefordert. Aber damit ist es bei 1200 Lehrern im Ausland, 137 Schulen und 300 weiteren Schulen, die das Auswärtige Amt teilweise zu betreuen hat, und einem Etat von 50 Millionen DM nicht getan; denn außer auf Planungs- und
4734 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Huys
Lenkungsaufgaben für Neugründungen, Ausbau oder Schließung von Auslandsschulen unter kulturpolitischen oder pädagogischen Gesichtspunkten kommt es meines Erachtens besonders auf die pädagogische Betreuung der Schulen an.
Sicherlich ist die Erarbeitung von Grundsätzen der Methodik oder Didaktik für Auslandsschulen wesentlich. Darüber hinaus jedoch scheint mir nach meinen Unterhaltungen mit zurückgekehrten Auslandslehrern der pädagogische Kontakt mit den Lehrern aller Schulsparten außerordentlich wichtig zu sein. Eine große Zahl von Auslandsschulen haben nämlich Kindergarten, Volks-, Mittel- und höhere Schule sozusagen in einer Einheit zusammengefaßt. Im allgemeinen scheint es bisher so zu sein, daß ein Oberschulrat oder Oberstudiendirektor anläßlich einer Inspektionsreise oder der Abnahme einer Prüfung — im übrigen ist es nicht so, wie Herr Kahn-Ackermann vorhin gesagt hat, daß zwei Drittel ohne Prüfungen und ohne Kontrolle sind; das sind nur 47 von 137 Schulen — auftauchen, die Schulen aufsuchen und nun pädagogisch beraten. Dabei kommen meines Erachtens die Volks- und die Mittelschullehrer zu kurz. Ein Oberstudiendirektor ist nämlich kein Fachpädagoge für Volks- und Mittelschulen. Aber auch diese Lehrer wünschen innerhalb von fünf oder sechs Jahren Auslandsaufenthalt eine fachliche Beratung. Dieser Wunsch müßte bei dem Stellenplan einer zu gründenden Zentralstelle für auslandsdeutsche Schulen berücksichtigt werden.
Die Fluktuation des Personals des Schulreferates im Auswärtigen Amt ist in der Antwort der Bundesregierung als ein Hindernis für eine kontinuierliche Arbeit herausgestellt worden. Das gilt aber auch für die Lehrer an den Auslandsschulen. Man sollte trotz der vereinbarten Richtlinien von 1962 nochmals überlegen, ob man nicht längerfristige Verträge wenigstens für Leiter und Stammpersonal in jeder Schulsparte und Fakultät abschließen sollte. Das ist ein Wunsch, der uns auf der Besichtigungsreise öfter vorgetragen wurde.
Lassen Sie mich zum Schluß noch etwas sagen, was mir auf meiner Reise aufgefallen ist. Durchweg werden Schulen von 500 bis 1000 Schülern von Oberstudienräten und Grundschulen mittlerer Schülerzahl von Volksschullehrern geleitet, die eigentlich Oberstudiendirektoren bzw. Rektoren oder Hauptlehrer sein müßten. Nach meinen langjährigen Erfahrungen als Ratsherr im Personalausschuß meiner Heimatstadt würde ein Personalrat das zum ständigen Klagepunkt in jeder Sitzung machen, daß nämlich ein Mann eine Tätigkeit ausübt, die sowohl dem Gehalt wie dem Rang nach bessergestellt sein müßte. Solche Anhebungen kämen sowohl dem Ansehen der Schule als auch innerhalb der Gesellschaft dem „kleinen Botschafter Deutschlands" zugute. Im übrigen wäre hier eine echte Gelegenheit für Bund und Länder, dem bei der Behandlung der L-Besoldung viel beklagten Mangel an Beförderungsstellen für Lehrer ein ganz klein wenig abzuhelfen.
Ich möchte meine Ausführungen dahin zusammenfassen:
Erstens. Die kulturelle Wirksamkeit der deutschen Auslandsschulen ist so groß, daß sie mit allen Mitteln unterstützt werden sollte. Jeder enge Maßstab, ihre Förderungswürdigkeit betreffend, muß abgelehnt werden. Wir dürfen uns nicht dem Vorwurf aussetzen, irgendwo in der Welt eine Chance für die Repräsentanz unserer Bundesrepublik verpaßt zu haben.
Zweitens. Die Bedeutung und die Intensität der kulturellen Arbeit der deutschen Auslandslehrer und -schulen erfordert eine baldige Entscheidung in Verbindung mit den Ländern über eine Zentralstelle für auslandsdeutsche Schulen, eine bessere personelle Ausstattung des Schulreferates im Auswärtigen Amt und eine bessere pädagogische Durchdringung dieser Arbeit.
Ich bin mir bewußt, an wen ich mich ganz besonders zu wenden habe. Daher möchte ich mit dem türkischen Sprichwort, das uns die deutschen Lehrer in Istanbul für die Beseitigung ihrer Nöte mit auf den Weg nach Bonn gegeben haben, meine Ausführungen schließen. Das schöne und beherzigenswerte türkische Sprichwort, lieber Haushaltsausschuß, lautet: „Meine Sorge an Dein Herz."
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Dr. Schmid.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, daß der Herr Minister unsere Beratung verlassen mußte, sicher aus triftigen Gründen. Ich hätte ihm gern einige Komplimente gemacht über seine Ausführungen — es hätte ihn vielleicht gefreut, wenn er sie selbst hätte anhören können —, wie ich gleichermaßen meinen Vorrednern Komplimente machen möchte, deren Fachwissen das meine weit übersteigt und vor deren Realismus ich mich fast ein wenig glaube schämen zu müssen. Denn ich werde von solch praktischen und handfesten Dingen nicht viel sprechen können. Aber ich hatte mich auf diese Debatte so gefreut, daß ich, obwohl ich sachlich dem schon Gesagten nicht viel hinzuzufügen habe, auf die Freude nicht verzichten möchte, hier vor diesem Hause sprechen zu dürfen.
Wenn ich das Wort „Kulturpolitik" höre, beschleicht mich fast immer ein Unbehagen, verband sich doch mit diesem Wort vor noch nicht langer Zeit die Vorstellung, eine spezielle Vorstellung, gelegentlich auch eine akademisch geäußerte Vorstellung, der Staat könne Kultur machen und habe sie zu machen. Wenn ich gar von „Kulturpolitik im Ausland" reden höre, da steigen vor mir so Gespenster auf, die mit dem Finger nach außen zeigen und verkünden: Wir müssen doch denen draußen unsere Kultur bringen; denn „Am deutschen Wesen soll einmal die Welt genesen". Es ist gar nicht lange her, daß diese Gespenster noch recht lebendige Menschen gewesen sind. — Sie lächeln mir zu, Herr Kollege Friedensburg, Sie scheinen meine Meinungen, meine Befürchtungen und meine Gespensterangst zu teilen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4735
Dr. Schmid
Ich weiß, daß in diesem Saal niemand so denkt, und ich sage das wirklich, wie ich es meine. Aber vielleicht ist es nicht schlecht, sich zu erinnern, daß die Zeiten nicht sehr fern sind, in denen in Deutschland viele so gedacht haben, in denen es geradezu als ein Schibboleth für gutes Deutschtum galt, so zu denken und so zu sprechen. Was uns das gekostet hat, im Innern und außen, ich glaube, das wissen wir heute alle. Denn sehr vieles von dem, was in dieser Welt an Schrecklichem in unserem Namen geschehen ist und geschehen konnte, ist mit durch diese Art des Verabsolutierens des Staates und gerade des Staates in bezug auf Geistiges möglich geworden, nicht geschehen, aber möglich geworden.
Der Staat kann keine Kultur machen. Er kann bestimmte Lagen auf dem Felde der Kunst, der Wissenschaft als politische Potentiale in Ansatz bringen, wenn ich so sagen darf. Aber Kultur wird gelebt, wird nicht gemacht. Sie wird im Mutterschoß des Volkes gelebt von vielen einzelnen, die sich in dem Wissen zur Gemeinschaft verbunden fühlen, daß sie identische Menschheitswerte auf gleiche Weise, auf gemeinsame Weise lieben und entschlossen sind, sie auf dem ihnen zugeordneten Boden zu verwirklichen.
Wenn Fichte recht hatte, wird aus. diesem Willen heraus ein Volk zur Nation und damit geschichtsmächtig und, ich glaube, damit auch etwas, das eine lebendige Kultur hervorzubringen vermag, die niemand zu machen braucht und die niemand machen kann.
Wenn ich das Wort Politik so häufig in Verbindung mit anderen Worten höre — Kulturpolitik, Sozialpolitik, Außenpolitik —, dann habe ich gelegentlich die Sorge, daß man aus diesen Wortverbindungen heraus eines vergessen könnte, nämlich: daß all diese Dinge nicht besondere Arten der Politik sind, sondern einfach Modalitäten des einen Wortes, des einen Begriffes, den man Politik heißt. Politik ist nichts anderes als die Bestimmung der Lebensordnungen des Volkes im Staate und die Bestimmung der Stellung des Volkes im Koordinatensystem, in dem alle Staaten dieser Welt verflochten sind.
Innen- und Außenpolitik, Kulturpolitik, Sozialpolitik, alle diese Wortverbindungen bedingen sich, der Substanz nach, gegenseitig. Das Innere des Staates bestimmt die Möglichkeiten des Staates, nach außen zu wirken. Sie kennen vielleicht alle — um von den Finanzen zu sprechen, von denen heute erfreulicherweise wenig gesprochen worden ist — das Wort eines bekannten und berühmten französischen Außenministers: Macht mir gute Finanzen, und ich mache euch eine gute Außenpolitik. Oder das Wort, das unsere Schulmeister mit Recht gern im Munde führten: daß Königgrätz gewonnen worden sei durch die deutschen Schulmeister. Da haben Sie beides, nicht wahr: daß das Innere die Möglichkeit, nach außen und außen zu wirken, bedingt.
Umgekehrt schafft die Außenpolitik, das, was man dort erreicht, um die Stellung seines Staates zu begründen im Kontext der Weltpolitik, den Raum für das, was wir im Inneren zu leisten, zu
tun, zu formen, zu bilden vermögen. Das Wort Rankes vom Primat der Außenpolitik hat nur diesen einen Sinn.
So kann in der Tat auch der Stand der Kultur in einem Volk ein außenpolitischer Faktor sein, ein Potential, wie man so gerne sagt, wobei ich unter „Kultur" ganz schlicht verstehe: In welchen Formen, mit der Verkörperung welcher Werte, mit welchem Grad der Fruchtbarkeit für uns selber und für andere verwirklichen wir, vergegenwärtigen wir unsere schöpferischen Kräfte? Dabei meine ich das Wort „vergegenwärtigen" in dem Sinne, in dem man oft das Fremdwort gebraucht: ver-repräsentieren wir uns in unseren schöpferischen Kräften? Der Grad einer solchen Kultur kann recht bestimmend sein für die Reichweite des politischen Armes eines Staates.
Was der Stand einer Kultur, ihre spezifische Art, in anderen für Gefühle weckt, Sympathien, Antipathien, kann positive oder negative Dispositionen oder Trends schaffen, die so mächtig wirken können wie das, was man gelegentlich die materiellen Interessen der Staaten nennt. Denn eines ist nicht zu vergessen: daß, was wir für unser Interesse halten, glauben ansehen zu müssen, uns sehr häufig im Lichte unserer Sympathien oder Antipathien bewußt wird oder überhaupt erst in diesem Lichte Gestalt gewinnt.
Beispiel: Was bedeutet es für die Reichweite, die politische Reichweite Großbritanniens, daß die Welt gefunden hat, daß das, was sie „british way of life" nennt, eine Sache ist, die den Menschen zu steigern vermag! Was bedeutet es für die Reichweite Frankreichs, die politische Reichweite Frankreichs, daß Frankreichs Hauptstadt Paris heißt, in der ganzen Welt geliebt, auch dort, wo man weiß, wie hart diese Stadt sein kann, wie grausam sie sein kann, als die Stadt der Künste, als die Stadt des guten Geschmacks, die Stadt des „savoir vivre", der Lebensart, und auch der „douceur de vivre", der Süßigkeit des Lebens! Denken wir an Rom, die Bedeutung Roms für Italien! Ich will niemanden kränken und werde sicher niemanden kränken, wenn ich sage, daß der Grund, weswegen vor dem ersten Weltkrieg Italien mit seinen relativ schwachen militärischen Kräften — die zählten doch damals besonders viel — in den Kreis der Großmächte aufgenommen wurde, dem Respekt zu verdanken ist, den man glaubte einem Volke nicht verwehren zu können, das der Welt so unendlich viel gegeben hat im Felde von Kunst und Wissenschaft. Ein großer englischer Historiker hat vor dem ersten Weltkrieg Italien einmal eine „Respektsgroßmacht" genannt, und ich glaube, dieses Wort ist gut und ehrenvoll für Italien.
Ich spreche von Deutschland. Was hat es alles für die Möglichkeiten, hinauszuwirken über unsere Grenzen hinaus, in der Zeit, als wir noch kein Deutsches Reich waren, bedeutet, daß uns die Welt sah nach dem, was das Buch der Madame de Staël, das Buch über Deutschland, von uns gezeichnet hat! Wir waren damals vielleicht einer echten Großmacht näher als später in der Zeit, wo man glaubte, Blut und Eisen seien die hauptsächlichsten Beweger der
4736 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Schmid
Geschichte. Ich weiß durchaus, was in der Geschichte dieses Volkes notwendig war und nicht zu umgehen war. Aber vielleicht haben wir in den Zeiten vorher, als wir noch das Deutschland der Madame de Staël waren und von der Welt so gesehen wurden, was kulturelle Wirkung anbetrifft und über diese hinaus Erhöhung unseres Ansehens in der Welt, mehr gehabt als nachher. Nun, das nur nebenbei.
Wenn dem aber so ist, brauchte man eigentlich, so glaube ich, Kultur nicht nach außen zu tragen, brauchte man sie nicht nach außen vorzuführen, sicher nicht. Ihre Wirkung auch für die Außenpolitik beginnt zu Hause. Abgesehen davon: Außen vorführen kann man nur, was man hat und was man ist. Trotzdem, ein Volk hat sich auch im Ausland darzustellen. Es kann nicht mehr damit rechnen, daß man es nur bei sich selber anschauen will. Es wird auch, von außen betrachtet, sehr häufig nicht so richtig gesehen, wie es gesehen werden müßte, um richtig beurteilt zu werden; denn zwischen diesem Innen und Außen stehen eben seit einigen Dingen, . die auf unser Schuldkonto zu schreiben sind, einige verzerrende Glaswände, die das Bild trüben, das man von uns haben sollte. Und da ist es schon gut, wenn wir nach außen gehen und zeigen, wie wir sind. Die Regierung hat die Aufgabe, dies möglich zu machen, dem einen Rahmen zu geben, auch einen institutionellen Rahmen zu geben, Ort und Zeit zu bestimmen, Mittel zur Verfügung zu stellen, Prioritäten aufzustellen, zu lenken und auszuwählen. Diese Dinge würde ich Kulturpolitik im Ausland nennen und nicht sehr viel mehr als das.
Jener Talleyrand, den man so gern zitiert, pflegte seinen Botschaftern eine einzige Instruktion mitzugeben: „Faites aimer la France." — „Eure Aufgabe besteht darin, in eurer Person und durch eure Tätigkeit Frankreich liebenswert zu machen." Das ist nicht nur ein Bonmot gewesen; das war, glaube ich, eine vortreffliche politische Instruktion an Diplomaten, die ins Ausland geschickt werden. Insoweit ist es eine Aufgabe von uns allen, wenn wir ins Ausland gehen, uns so aufzuführen, so zu sprechen und so darzustellen, daß in unserer Person und durch uns das Volk, das Land, dem wir angehören, liebenswert erscheint. Aber trotzdem gibt es hier einige besondere Fachprobleme, möchte ich sagen, eine Spezialisierung des Problems; das betrifft eben die Außenpolitik als solche.
Wie kann man und mit welchen Mitteln die Menschen draußen immer wieder davon überzeugen, daß Deutschland ein Land ist, das liebenswert ist, mit dem auch in andere als kommerzielle Beziehungen, als Beziehungen der Techniker untereinander zu treten einen Sinn haben könnte, ein Land, durch dessen Kontakt man vielleicht selber eine Steigerung erfahren könnte, so wie sehr viele glauben, es zu erleben, wenn sie eben an Frankreich denken? Ich denke an das Wort eines großen Amerikaners, eines der Stifter Amerikas: „Jeder hat zwei Vaterländer, seines und Frankreich." Auch das ist nicht einfach als Bonmot abzutun. Dieses Wort bringt wirklich einiges, recht vieles, zum Ausdruck, das sich in dieser Welt politisch recht real und recht konkret ausgewirkt hat.
Eines sollten wir von vornherein ausschließen, wenn wir an Kulturpolitik im Ausland denken, etwas, von dem manche früher geglaubt haben, das sei ihr Hauptzweck: den Versuch, eine Irredenta zu schaffen oder Irredenta zu organisieren oder von außen her eine Irredenta halten zu wollen. Und das zweite: Wir sollten alles vermeiden, was da aussehen könnte, als wollten wir eine Art von Bindestrich-Politik betreiben, Bindestrich-Amerikaner, Bindestrich-Italiener, Bindestrich-undsoweiterLeute schaffen. Wir dürfen durch unsere kulturpolitischen Bemühungen keine Deutsche schaffen wollen.
Wer an dem teilnimmt, was wir zu bieten imstande sind, soll dadurch ein besserer Bürger seines Landes werden können. Und was haben wir denn zu bieten? Wir haben sehr viel zu bieten. Freilich werden viele von uns der Meinung sein, daß das, was andere von uns glauben mit Vorzug bieten zu sollen, nicht das Richtige ist. Jeder von uns hat seine Vorlieben, jeder von uns hat seine Kriterien, seine Kategorien. Das ist gut so. Aber wir sollten vielleicht an ein Wort denken, das ein großer Franzose, Jean Jaurès, um die Jahrhundertwende ausgesprochen hat. Als in der französischen Linken Stimmen laut wurden, es ginge doch nicht an, daß man Versailles feiere, das doch von dem Tyrannen Ludwig XIV. unter Ausbeutung von Hunderttausenden braver Menschen erbaut worden sei, sagte er: „Tout ce qui est national, est nôtre". Alles, was zur Bildung unserer Nation geführt hat, gehört uns allen gemeinsam und allen zusammen.
Daran sollten wir denken, wenn wir uns fragen: Wie soll denn dieses Deutschland nach außen hin vergegenwärtigt werden? Und da meine ich, daß es für einen Sozialdemokraten durchaus wohlgetan ist, etwa Friedrich den Großen zu rühmen, wie es Ihnen gut anstände, etwa einige der großen Männer der deutschen Arbeiterbewegung zu rühmen. Denn wenn dieses Deutschland das ist, was es heute ist, ist es auch diesen Menschen zu verdanken, daß es so ist, wie es ist. Ich glaube, wenn wir so denken, dann wird manches nicht mehr passieren, was früher häufig passiert ist und was heute leider Gottes manchmal noch passiert ist.
Ich sagte, wir haben viel zu bieten. Was sollen wir bieten? In was sollen wir uns darstellen? Nun, ein Volk ist etwas sehr Komplexes, ich möchte sagen, in all dem, in dem wir schöpferisch geworden sind. Das ist zunächst einmal die Kunst. Warum wollen wir nicht das schöpferische Vermögen unseres Volkes zeigen — wir können das und können dabei manchen Wettbewerb bestehen —, die Wissenschaft zeigen, was darin an geistiger Disziplin steckt, nicht nur an sogenannten Leistungen und Erfolgen — das ist vielleicht nicht einmal so sehr das Entscheidende —, die Bildung, die Weite, die Tiefe, den Reichtum dessen, was wir Deutschen — muß ich sagen: einst? — an Bildung hatten, an Bildung zu verkörpern imstande waren, auch an Universalität, an Weltläufigkeit und an Weltgehalt? Ich glaube, daß es draußen manche gibt, die gern daran teilnehmen würden.
Wir haben auf einem ganz anderen Gebiet Zeugnisse der Gediegenheit und der Redlichkeit unseres
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4737
Dr. Schmid
Arbeitens vom kleinen Werkstück bis zum größten hin zu bieten. Auch das ist etwas, in dem ein Volk sich darstellt.
Und last not least der Sport. Ich meine das wirklich so: der Sport, der vielverlästerte. Ich sage das trotz der Sportbeilagen mancher Zeitungen, die zu lesen nicht immer Freude bereitet. Aber ich sehe im Sport auch einen Ort, an dem ein Volk sich vergegenwärtigt, an dem ein Volk sein schöpferisches Vermögen darzustellen vermag. Ich werde darüber noch einiges zu sagen haben.
Gehen wir zurück zur Kunst, zur Musik. Wo nach diesem zweiten Krieg, nach all dem Schrecklichen, was damals geschehen ist, wir unsere Musik nach außen getragen haben, da schien auf einmal vergessen zu sein, was an Bösem an unserem Namen hing, da wurden die Leute aufgeschlossen, da konnte man wieder mit ihnen sprechen, wenn man den Versuch dazu in der gebotenen Bescheidenheit und Scham machte. Da ist es nicht bloß die große symphonische Musik und die Kammermusik; auch die moderne Musik sollten wir draußen hören lassen. Denn auch hier haben wir Deutsche, glaube ich, besondere Schöpferkraft bewiesen, die draußen anerkannt wird. Und wenn ich von uns Deutschen spreche, mögen mir das unsere österreichischen Freunde nicht verübeln: in diesen kulturellen Dingen sind wir doch immer noch etwas, das zusammengehört.
Denken wir, wenn wir von der Musik sprechen, auch an das deutsche Lied, nicht bloß an die großen Opern. Vergessen wir nicht, daß die Franzosen daraus ein französisches Wort gemacht haben — le lied —; damit bezeichnen sie gerade diese spezifische Art von Musik, die von uns in Deutschland, sagen wir von Beethoven über Schubert, Wolf und Brahms, der Welt geschenkt worden ist.
Das Theater! Wo wir mit Theater hingekommen sind, war es genauso. Auch dort wurde neidlos anerkannt, daß wir Deutsche hier etwas zu bieten haben, etwas, das das Urteil über uns vielleicht verändern müßte. Ich habe jüngst in einer großen Pariser Zeitung gelesen, in der von einer deutschen Theateraufführung die Rede war und wo der Schlußsatz war: Vielleicht sollten wir doch über die Deutschen anders denken, als man das bisher landauf, landab glaubte tun zu sollen.
Auch da möchte ich etwas sagen, was wohl nicht jedem gefallen wird: man soll nicht gleich laut aufschreien, wenn ein deutsches Theater 'im Ausland Bert Brecht spielt. Sehen Sie, dieser Bert Brecht ist ein großer deutscher 'Dichter, ein Mann mit einer sehr verhängnisvollen politischen Leidenschaft — sicher, war er! Aber es war ein wirklicher Dichter, einer der wenigen echten Dichter, die wir in den letzten Jahrzehnten gehabt haben. Und so sieht man ihn auch draußen. Man schreibt diesen Mann nicht auf das Konto Kommunismus, sondern auf das Konto deutsche Leistung. Ich glaube, wir sollten den Mut haben, das als eine solche Leistung gelten zu lassen. Ich möchte sagen, auch in diesen Dingen gibt es weder ein ideologisch gespaltenes noch ein politisch gespaltenes Deutschland, sondern da gibt es eben Deutschland.
Wir können unsere deutschen Maler, unsere deutschen Bildhauer getrost draußen ausstellen. Wir sollten es vielleicht häufiger tun, als wir es machen. Ich habe es selbst erlebt, wie 'das in Paris gewirkt hat, als man als eine der ersten deutschen Ausstellungen eine große Ausstellung der sogenannten deutschen Primitiven gemacht hat, also der Künstler vor der Renaissance. Das war eine Offenbarung für die Franzosen. Sie hatten nicht gedacht, daß so etwas im finsteren Deutschland jenseits der Wälder möglich gewesen sein könnte. Und die Ausstellung der deutschen Expressionisten, die jüngst in Paris gewesen ist, hat genauso gewirkt. Es schlägt für uns zu Buche, wenn ein so begabtes und im Felde der Kunst so schöpferisches, so reiches Volk wie die Franzosen sagt: Auch die Deutschen sind keine Bettelmänner auf diesem Feld, auch die Deutschen haben aus eigenem etwas gebracht und nicht nur als unsere Schüler und gar als unsere Kopisten.
Aber 'bei allen diesen Dingen gebe man immer nur die erste Qualität nach draußen! Non multa, sed multum, lieber einige Dinge weniger, einige Aufführungen weniger, kleinere Ausstellungen, weniger, aber dafür wirklich das Beste, Dinge, die sich mit dem Besten draußen vergleichen lassen.
Es wurde von meinem Freund Kahn-Ackermann von den Gesprächen mit Dichtern aus der Sowjetzone gesprochen, die stattgefunden haben, von denen, wie er meinte, nicht genug Notiz genommen worden sei. Ich glaube, er hat recht. Wir sollten auch solche Dinge tun, hier und draußen. Ich glaube, wir sollten den Dialog ruhig wagen. Denn es gibt eine Reihe von Ländern — Italien, Frankreich —, in denen — leider Gottes, wenn Sie wollen — ein großer Teil der Intelligenzia der Meinung ist, man müsse nach Osten schauen, wenn man zeitgenössisch, lebendig kulturell schöpferisch werden wolle. Wenn wir den Leuten zeigen, daß man gar nicht so weit dort hinüberzuschauen braucht, sondern daß man auch im Gespräch mit uns auf Dinge stoßen kann, die ganz und gar aus dieser Zeit sind und vielleicht sogar in die Zukunft weisen, könnte das, meine ich, auch politisch zu Buche schlagen. Es gibt in Rom eine Institution der Zonenregierung, das Centro Thomas Mann — Zentrum Thomas Mann —, von dem nun wirklich wie von einem Magneten diese ganze Intelligenzia Roms angezogen wird. Die Leute — ich habe mit ihnen gesprochen — sind tatsächlich der Meinung, daß von den Deutschen nur von dort her, von Pankow her irgend etwas Neues, etwas nach Gerhardt Hauptmann, wenn nicht gar nach Goethe, zu erwarten sei.
Ich meine, wir sollten diesen Dialog ruhig wagen, sollten dieses Gespräch führen. Ich hoffe, daß wir uns behaupten können. Sollten wir uns dabei nicht behaupten können, werden wir vielleicht auch daraus etwas lernen, nämlich lernen, daß es so mit unseren Bemühungen um uns selbst nicht weitergehen kann.
Nun, die Wissenschaft! In der Wissenschaft bleibt man zu Hause. Aber man sollte doch die Möglichkeit schaffen, daß man unser deutsches wissenschaftliches Bemühen von draußen her kennenlernt, besser kennenlernt, als es heute der Fall ist. Wir dürfen
4738 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Schmid
doch nicht vergessen, welches politische Potential, welcher Sympathiekredit uns durch die großartigen Leistungen der deutschen Wissenschaft im 19. Jahrhundert und im ersten Drittel dieses Jahrhunderts zugewachsen ist. Es hat etwas für uns bedeutet — auch politisch —, was das Urteil der französischen Oberschicht z. B. über die Deutschen anbetrifft, daß die französischen Universitäten am Ende des 19. Jahrhunderts glaubten, sich ,auf dem Modell der Deutschen — gerade auf dem Gebiet der Naturwissenschaften und auch gewisser Geisteswissenschaften — reformieren zu sollen. Man studierte früher in Deutschland, wenn man glaubte, die Wissenschaft ernst nehmen zu sollen. Wie ist es heute? Heute studiert man in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Großbritannien, in Frankreich, in Rußland! Man studiert auch in Deutschland, aber längst nicht mehr mit diesem absoluten Wertakzent, den man früher diesem Studium gegeben hat.
Ich glaube, wir sollten hier einiges tun, um abzuhelfen; nicht um Kultur zu machen, wie gesagt, aber um Raum zu schaffen, um Mittel zu geben.
Stiftungen könnten hier viel helfen; Stipendien könnten viel helfen, nach innen und nach außen. Wir könnten mit diesen Stipendien Ausländer zu uns bekommen, und vielleicht würden wir bessere bekommen, und vielleicht würden wir sie leichter bekommen, wenn diese Dinge nicht unmittelbar vom Staat in die Hand genommen würden. Es müßte so sein wie in Amerika; ich denke an die Ford Foundation. Die Thyssenstiftung, die Duisbergstiftung sind solche Stiftungen. Aber ich glaube, es sollten mehr sein und sie sollten mehr Mittel haben.
Noch wichtiger wäre, daß deutsche Gelehrte an ausländische Forschungsanstalten oder an Universitäten gehen, nicht nur um Entwicklungshilfe zu leisten — natürlich ist das wichtig, vordringlich wichtig; ich brauche darüber kein Wort zu verlieren, daß das meine Meinung ist —, sondern man sollte diesen Menschen die Möglichkeit geben, langfristig ins Ausland zu gehen, nicht als „verlorener Haufen", der vergessen wird, wenn er ein paar Jahre draußen war; sie sollen mit einer Equipe, mit einer Mannschaft hingehen, damit sie über das hinaus wirken können, was sie als einzelne gerade noch tun könnten.
Wir sollten dabei nicht nur an die Naturwissenschaften und an die Medizin denken; wir sollten auch z. B. an die Philosophie denken. Vergessen wir doch nicht, daß wir Deutschen in der Welt doch schlechthin als das Volk der Philosophie der Moderne galten. Auch das hat uns einen Sympathiekredit gegeben, den wir nicht geringschätzen können. Ich glaube wirklich, wir sollten auch daran denken.
Nun kommen manche, heben den Finger und sagen: Aber, wir sind doch ein föderalistischer Staat, all diese Dinge, die Du da präkonisierst, stören unsere föderalistische Struktur und passen nicht. Ich will dazu ein ganz freies und offenes Wort sagen. Diese Dinge — Kulturpolitik im Ausland — haben nichts mit der inneren Kulturhoheit der Länder zu tun, das ist deutsche Außenpolitik,
und Außenpolitik gehört zur Kompetenz des Bundes; ganz schlicht!
— Ich weiß es, und ich erlaube mir, meine Meinung dazu zu sagen. Oder glauben Sie wirklich, daß die Frage, wie eine deutsche Schule in Mexiko oder in Bangkok aussehen soll, etwas ist, was die Kulturhoheit Hamburgs oder Hessens oder Bayerns interessieren könnte, wenn man nicht nur an Ämterpatronage denkt?
— Haben sie schon gefragt, wenn sie das tun, wie sie es können? Ich glaube, das sind Dinge, die in der Bundeskompetenz liegen, und hier sollte der Bund seine Kompetenz in Anspruch nehmen.
Er kann es auf den verschiedensten Gebieten, auf die verschiedenste Weise. Ich sprach schon von den Stiftungen; es wären auch noch andere Dinge zu nennen. Sie haben schon viele Details gehört, und ich will nicht weiter bei diesen Details verweilen.
Nur soviel möchte ich hier sagen: Warum soll der Bund nicht eine Bundeslaufbahn für Lehrer an deutschen Auslandsschulen und für Leiter deutscher Kulturinstitute im Ausland schaffen,
eine Bundeslaufbahn, wie die Franzosen eine nationale Laufbahn für diese Zwecke geschaffen haben? Dort riskiert eine Schule nicht, daß man nach drei Jahren den Lehrer abberuft, weil es an der Zeit ist, daß er wieder nach Hause kommt; dort kommt der Mann von Stockholm nach Kopenhagen, und dann wird er vielleicht nach Warschau versetzt. Kurz und gut, dort können Erfahrungen weiter verwertet werden, und es kann etwas wie ein Korpsgeist geschaffen werden, was der Sache nicht schadet. Ich meine, wir sollten das wagen. Wer macht mit von denen, die Beifall geklatscht haben, falls man im Bundestag einen entsprechenden Antrag für ein solches Gesetz einbringt? Ich frage: wer von Ihnen macht mit?
— Ausgezeichnet! Wir sprechen uns wieder.
— Das Grundgesetz ist interpretationsfähig. Darf ich Ihnen ein kleines Beispiel erzählen, wie man interpretieren kann, wenn man es mit seinem Staat ernst meint: In der Verfassung der Vereinigten Staaten steht kein Wort, daß die Union berechtigt sei, direkte Steuern zu erheben. Aber es steht darin, daß die Union verpflichtet ist, eine Flotte zu bauen. Nun, was sie an Einnahmen bekam, das reichte nicht aus.
— Da würde ich widerraten. Aber ein großartiger Richter, der Richter Marshall vom obersten Bundesgericht, hat vor rund 120 Jahren ein Urteil gefällt,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4739
Dr. Schmid
das dahingeht: Wenn die Verfassung der Union die Verpflichtung auferlegt, eine Flotte zu unterhalten, dann muß die Union auch die Möglichkeit haben, sich das Geld dazu zu verschaffen, diese Flotte zu bezahlen; also kann sie direkte Steuern erheben, wenn sie auf andere Weise nicht zu Geld kommt. — Das ist, glaube ich, schöpferische Jurisprudenz, durch die die Verfassung nicht verdreht und verkehrt wird, sondern durch die die Verfassung im Sinne ihrer Schöpfer interpretiert wird.
Ein Weiteres — ich habe auch davon schon gesprochen —, mit dem wir uns im Ausland darstellen können, ist unser technisches Können. Deutschland als das Land des Made in Germany von einst ist etwas, das sich, glaube ich, draußen vorstellen kann, und das ist etwas, das auf die Vorstellungen rückwirkt, die man von Deutschen überhaupt hat: Deutschland als das Land der Qualität. Nur sollten wir um Gottes willen nicht glauben, wir seien die einzigen, die technisch etwas können und die Qualität zu schaffen vermögen. Wir sind durchaus nicht die einzigen; bei weitem nicht! Aber wir gehören auch zu denen, die das können, und wir sollten das zeigen. Wir sollten Ausstellungen, technische Leistungen zeigen; wir sollten das vielleicht mehr als heute draußen zeigen. Wir sollten es nicht nur auf Messen zeigen, wo wir hoffen können, daß uns etwas abgekauft wird; wir sollten es auch so zeigen, ohne Hoffnung, daß es gekauft wird. Ich habe in Island erlebt, daß mir Isländer sagten: „Die Sowjetzone bringt dauernd Ausstellungen technischer Art." Die glauben allmählich, die sind die einzigen, die so etwas können. „Ihr tut das nicht, weil es etwa 80 000 Mark kostet. Das Geld bringt man nicht auf." Ich habe an das Auswärtige Amt berichtet; mir wurde gesagt: „Leider ist es so; aber das Geld ist eben nicht aufzubringen." Ich glaube, daß Geld, das auf diese Weise ausgegeben würde, gut angelegtes Geld wäre.
Nun, Deutschland, das Land der guten Leistung, sollte nicht selbstgefällig werden auf Grund dieses Wissens um seine Leistungsfähigkeit, man sollte das nicht dazu benutzen, auch dem Ausland gegenüber seine Schätzung der Technik zu überwerten. Es ist nicht gut, wenn man glaubt, am Deutschen die Fähigkeit zum Roboterdasein nach außen hin anpreisen zu sollen; auch das geschieht ja manchmal.
Ich sprach vom Sport. Auch dieser schafft unter Umständen politische Geltung. Denken Sie daran, welchen Zuwachs an politischem Kredit und Potential das kleine Finnland erhalten hat, als seine Läufer auf Olympischen Spielen Sieg um Sieg nach Hause brachten. Wir haben in Amerika zum erstenmal wieder in breiten Massen Resonanz gefunden als Germans, als die Boxweltmeisterschaft an einen Deutschen fiel, an jenen Schmeling. Nun, denken Sie von mir, wie Sie wollen, nachdem ich das gesagt habe. Ich sage das, weil es meine Meinung ist, daß ein Volk sich auch auf diese Weise nicht nur in Erinnerung bringen kann, sondern etwas auszumachen vermag. Man soll dabei nicht nur zeigen, daß man im Wettkampf siegen kann, man soll dabei zeigen, w i e man siegen kann — das scheint mir das Wichtige zu sein —, und wir sollten dabei nicht nur Starleistungen vorführen, sondern wir sollten Mannschaftsleistungen vorführen. Wie haben die Russen davon profitiert, daß sie mit ihren Mannschaften bei fast allen großen internationalen sportlichen Wettbewerben immer mehr an die Spitze gekommen sind!
— Ja, ich weiß es. Nun, da gab es früher schon Kontroversen. Wenn man etwa sagte: „Die Kavallerieoffiziere sind doch keine Amateure, wenn die bei den Olympischen Spielen mitreiten; das ist ihr Beruf, dafür werden sie bezahlt", hat man trotzdem mit Recht gesagt: „Es sind Amateure." Was Sie hier gegen den Postangestellten oder Eisenbahner einwenden, der viel frei bekommt, um trainieren zu können, das konnte man auch von anderen sagen. — Ich brauche hier nicht zu sagen, daß mir der reine Amateur der liebste Sportler ist.
Wie gesagt: nicht in erster Linie mit jedem Mittel siegen wollen, sondern zeigen, wie man auch. auf dem grünen Rasen das Humane zu verwirklichen vermag. Ich glaube, das kann man zeigen, und das hat man schon gezeigt.
Meine Damen und Herren, ich habe Sie wohl schon zu lange aufgehalten. Ich weiß, das alles kostet Geld, sicher viel Geld, wahrscheinlich mehr Geld, als wir heute dafür ausgeben können. Aber ich glaube, das zahlt sich aus, diese Investitionen lohnen sich. Vielleicht können wir eines Tages das Geld, das wir für bestimmte Dinge heute aufwenden und aufwenden müssen, nur noch aufwenden, weil uns der Ruf, den wir uns im Ausland zu verschaffen vermocht haben, uns eine Stellung gegeben hat, die uns diese Möglichkeiten erlaubt. Umgekehrtes könnte bedeuten, daß wir das eines Tages nicht mehr könnten.
Das alles stellt Fragen nach der Organisation. Die will ich hier nicht erörtern. Das alles erfordert Phantasie, Mut zu Neuerungen. Wir brauchen nicht immer in den alten Formen zu handeln, so sehr sie sich auch bewährt haben mögen. Es gibt andere Formen, die der Zeit angepaßter sein mögen. Mir schwebt immer etwas vor wie das British Council, diese großartige Organisation, die praktisch all das in Händen hat, was man Kulturpolitik im Ausland nennt, oder gewisse Stiftungen, wie die Ford Foundation und anderes. Und wenn hier unsere Landesregierungen sagen sollten, daß man damit den Föderalismus aushöhle, — nun, die Max-Planck-Gesellschaft z. B. hat doch den Föderalismus nicht ausgehöhlt, obwohl sie ihn auf manchen Gebieten völlig überflüssig gemacht hat. Man sollte diese Dinge einmal in allgemeinerem Zusammenhang und ex professo erörtern. Ich bin für die Zusage des Herrn Außenministers dankbar, daß er dies besorgen will. Der Auswärtige Ausschuß ist sicher der rechte Ort dafür.
Aber man sollte diese Dinge vielleicht noch in einem anderen Zusammenhang erörtern; denn hier geht es doch um recht Diffiziles, um recht Komplexes. Wir können uns das ein anderes Mal über-
4740 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Schmid
legen. Heute ist dafür nicht die Zeit und nicht der Ort.
Zunächst geht es darum, daß man das Vorhandene richtig koordiniert und richtig aufbaut. Dann geht es darum, daß man die rechtlichen Voraussetzungen für angepaßtere Formen schafft und daß man da und dort versucht, auf ein anderes Geleise überzuwechseln von dem alten, das zu ausgefahren sein mag.
Einige Vorschläge, was da geschehen könnte, sind in dem Resolutionsentwurf Umdruck 3701 enthalten, der Ihnen vorgelegt worden ist. Ich will die Punkte nicht im einzelnen durchgehen und begründen. Ich bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen. Ich glaube, es ist ein Antrag, dem jeder in diesem Hause zustimmen kann.
Alles, was heute an organisatorischen Maßnahmen vorgeschlagen worden ist, ist wichtig, und sicher ist manches davon vortrefflich. Aber das Entscheidende liegt ganz woanders. Die entscheidende Frage scheint mir zu sein, ob wir in Deutschland selbst uns selber in einer Weise darzustellen vermögen, die uns bei Menschen anderer Länder anziehender erscheinen läßt. Es wird viel gewonnen sein, wenn man den Verkehr mit uns nicht nur deswegen glaubt suchen zu müssen, weil man es für Handelszwecke glaubt nötig zu haben oder weil man deutsche Techniker braucht. Das ist zwar gut und wichtig, und so etwas kann man weiterbauen; aber nur wenn wir dazu kommen, auch aus allgemeineren, aus schlechthin humanen Gründen heraus den anderen anziehend zu erscheinen, wird auf die Dauer politischen Nutzen bringen, was wir von uns im Ausland zeigen. Wie gesagt: Kultur beginnt zu Hause zu wirken, und Kulturpolitik hat in erster Linie zu Hause zu beginnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hellige.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich als vierter Sprecher in einer Debatte, die einer so breit angelegten und mit Material wohlgefüllten Begründung folgt, mich sehr konzentriert halte und nur die Punkte erörtere, die mir besonders wesentlich erscheinen, und gestatten Sie mir ferner, daß ich nach den tiefen Grundtönen unseres Themas, die mein Vorredner so meisterlich anzuschlagen wußte, die Diskussion wieder auf die Erörterung der konkreten Zustände und Maßnahmen herabführe.
Auswärtige Kulturpolitik ist in unseren Tagen eine problematische Aufgabe. Längst dahin sind die Jahre, in denen man unter Kulturpolitik Kulturpropaganda verstehen durfte, die Zeiten, Herr
`) Siehe Anlage 15
Kollege Schmid, in denen nicht nur unser Volk
glaubte, an seinem Wesen müsse die Welt genesen.
Zwei Weltkriege haben das weiße Imperium zerschlagen und die Werte in Frage gestellt, auf denen es gegründet war. Ein Teil der weißen Völker ist dem Kommunismus erlegen. In jungen Nationen, oft Nationen ohne eigene Geschichte, feiert der Nationalismus, den zu überwinden wir bemüht sind, Triumphe. Wohin ihr Weg führen wird, kann noch niemand voraussehen. In vielen Teilen der Welt entstehen Stahlwerke neben Hütten und ehrwürdigen Tempeln. Alte Kulturen sehen sich mit den Realitäten des 20. Jahrhunderts konfrontiert.
In dieser Zeit des Kulturwandels, der allgemeinen Unsicherheit kann auswärtige Kulturpolitik nur bedeuten: das Gespräch suchen.
Sind wir darauf vorbereitet? Meine Damen und Herren, wir haben wenig Grund, zufrieden zu sein. Zwei Weltkriege haben dazu geführt, daß die Kenntnis der deutschen Sprache, des wesentlichen Zugangsmittels zu unseren kulturellen Leistungen, überall in der Welt stark abgenommen hat. Vor dem letzten Kriege gab es in Europa 50 deutsche Schulen mit fast 10 000 Schülern, in Afrika 22 Schulen mit 1650 Kindern, in Südamerika 175 Schulen mit über 17 000 Besuchern. In dieser Zahl sind die nicht genau zu erfassenden Siedlerschulen nicht enthalten. In den deutsch besiedelten Gebieten des Balkans bestanden zahlreiche Schulen. Was davon geblieben ist, ist schwer zu beurteilen. Aber auch in den Ländern, in denen wir heute wieder arbeiten können, hatte die deutsche Auslandsschule schwere Rückschläge zu überwinden. Die Lehrer waren vertrieben, die Gebäude beschlagnahmt, die Lehrmittel verlorengegangen.
Vieles ist inzwischen geschehen. Es gibt wieder 132 Auslandsschulen. Die Lehrer stellen unsere Länder. Das Auswärtige Amt vermittelt sie. Die Verträge werden auf drei Jahre abgeschlossen. Noch vor kurzem waren es fünf Jahre. Wenn man berücksichtigt, daß mindestens ein Jahr für die Eingewöhnung benötigt wird, erscheint diese Zeit recht kurz. Sicher wird mancher Lehrer gerne bald zurückkehren. Andere werden, wenn ihnen die Verhältnisse zusagen, eine Verlängerung wünschen. Trotz des Lehrermangels in der Heimat sollte man ihnen entgegenkommen. Nur so kann die Kontinuität gesichert werden. Beförderungsmöglichkeiten sollten in höherem Maße vorgesehen werden. Aber Auslandserfahrung wird bei uns noch zu wenig gewertet.
Die Lehrmittelversorgung ist nach den Berichten, die ich erhielt, meist ausreichend. Die Schulen, die Internate sind aber oft noch recht dürftig. Daher sind Baubeihilfen erwünscht und nötig.
Die Lage des deutschen Lehrers und Schulleiters im Ausland ist oft nicht einfach — hier stimme ich mit Ihnen überein, Herr Kollege Huys —, er ist beurlaubter Beamter eines Bundeslandes. Das sichert seine Wiederverwendung in der Heimat. Andererseits aber ist er Angestellter eines Schulvereins.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1063 4741
Dr. Hellige
Die Vorstände dieser Vereine sind mitunter recht heterogen zusammengesetzt. Je nach der Einwanderungszeit des Vorstandsmitgliedes oder seiner Vorfahren herrschen große Meinungsverschiedenheiten über den Sinn einer deutschen Schule und die Art, wie sie arbeiten sollte. Die Vorschriften der örtlichen Schulbehörden sind zu beachten. Mitunter ist die deutsche Sprache nicht einmal im Unterricht zugelassen und der Unterricht darin muß außerhalb der Pflichtstunden erteilt werden.
Nicht überall sind die Verhältnisse so günstig wie beispielsweise bei der deutschen Schule in Benguela, wo die portugiesische Verwaltung die Absolvierung des vierklassigen Volksschulprogramms nach dem Lehrplan des Landes vorschreibt, danach aber der Schule völlig freie Hand in der Gestaltung ihres Lehrplanes läßt. Auch in Ägypten ist es gelungen, den deutschen Charakter der drei weiterführenden Schulen mit deutschem Lehrplan und deutscher Unterrichtssprache zu erhalten.
So günstig wie in diesen beiden Beispielen liegen die Verhältnisse nicht überall. Man wird die Frage stellen müssen, ob alle Schulen, die das Auswärtige Amt unterstützt, noch als deutsche Schulen anerkannt werden können und ob sich ihre Erhaltung lohnt.
Die Frage der verwaltungsmäßigen Betreuung der Auslandsschulen ist schon vom Kollegen KahnAckermann angeschnitten worden. Auch wir halten sie nicht für gelöst. Die Schulabteilung des Auswärtigen Amts ist bei ihrer schwachen Personalausstattung nicht in der Lage, diese Aufgabe zu übernehmen. Ein Ministerium sollte sich auch darauf beschränken, Leitsätze zu entwickeln und die oberste Aufsicht zu führen. Die Erledigung der laufenden Verwaltungsgeschäfte gehört in die Hände einer untergeordneten Stelle. Sie sollte bald geschaffen werden. Das Auswärtige Amt sollte sich um den Abschluß von Schul- und Kulturabkommen auch weiterhin bemühen, die unseren Schulen freie Unterrichtsentfaltung in deutscher Sprache sichern.
Den Auslandsschulen fällt eine doppelte Aufgabe zu. Sie sollen den Kindern deutscher oder deutschsprachiger Familien eine Erziehung vermitteln, die der in der Heimat ähnlich oder gleichwertig ist. Zugleich sollen die Schulen der Jugend des Gastlandes — sie stellt in vielen Fällen die Mehrzahl der Schüler — eine tief gegründete Begegnung mit der deutschen Kultur ermöglichen. Sie soll das leisten, ohne diese Schüler ihrer eigenen Umgebung zu entfremden. Die deutsche Schule wird daher stets nur einen sehr kleinen Kreis der an unseren Kulturwerten interessierten Bürger des Landes erfassen können.
Sehr viel weiter ist der Personenkreis, an den sich die Kulturinstitute wenden. Sie arbeiten nach den Methoden und Erfahrungen der Erwachsenenbildung. Ihr Programm ist sehr weit gespannt. Der Schwerpunkt wird immer in der Vermittlung deutscher Sprachkenntnisse liegen müssen.
In den letzten drei Jahren ist diese Materie zunehmend dem Goethe-Institut übertragen worden. Wir verkennen nicht den Vorteil dieser Lösung. Das Institut ist nicht an die etwas unbeweglichen Vorschriften einer Behörde gebunden. Es tut sich leichter im Auffinden geeigneter Persönlichkeiten; es kann Verträge leichter schließen und sie leichter lösen. Der Leiter einer Zweigstelle untersteht nicht dem Botschafter. Er hat größere Freiheit in der Arbeit.
Aber dieser Vorteil wird mit Nachteilen erkauft. Die Leiter der Goethe-Institute genießen keinen diplomatischen Status. Das mindert ihr Ansehen und nimmt ihnen die mannigfachen Vorteile, die der Diplomat genießt. Wir haben darüber Klagen gehört, berechtigte Klagen, wie wir glauben. Die Zusammenarbeit zwischen Botschaften und Goethe-Institut mag in der Regel gut sein: Wir kennen aber auch einen Fall, wo nach dem Urteil von hochstehenden Persönlichkeiten des Empfangslandes Botschaft und Goethe-Institut gegeneinanderarbeiten. Das liegt natürlich im Menschlichen — hier stimme ich Herrn Kahn-Ackermann voll zu —, nicht in der Institution.
Solche Risiken ließen sich vermeiden, wenn man dem Botschafter Weisungsbefugnisse zuerkennt. Das würde voraussetzen, daß die Botschafter eine Affinität zur Kulturarbeit haben. Man könnte sie vielleicht fördern, wenn man diese Probleme bei der Attaché-Ausbildung etwas stärker behandelte.
Aber wichtiger ist ein anderes Bedenken gegen die Übertragung der Kulturinstitute an das GoetheInstitut. Ich glaube, hier bin ich mit meinem Herrn Vorredner nicht einer Meinung. Wir sehen mit Sorge, wie der Staat mehr und mehr Teile seiner Zuständigkeit an Gremien abtritt, die dem Parlament nicht verantwortlich sind, wie er sich mehr und mehr in die Rolle des Geldgebers zurückzieht. Die Pflege der Kultur ist in unserem Vaterland stets eine Hauptaufgabe des Staates gewesen. Noch nie hat sich in der deutschen Geschichte der Neuzeit ein Staat die Führung der Kulturpolitik aus der Hand nehmen lassen. In dieser Auffassung darf ich mich auf einen großen Liberalen berufen, auf meinen verehrten Lehrer Carl Heinrich Becker, der als preußischer Kultusminister diesen Standpunkt stets mit Nachdruck vertreten hat.
— So lange ist das noch nicht her, Herr Kollege Martin.
Wir kennen aus den Ausschußberatungen auch den Anlaß zur Übertragung der Institute auf das Goethe-Institut. Dem Auswärtigen Amt sind die Stellen nicht bewilligt worden, die zur Durchführung dieser Aufgaben nötig gewesen wären. Da sich die Aufgaben nicht einsparen lassen, lassen sich auch die Kosten nicht einsparen. Also verschiebt man die Ausgaben vom Personaletat auf den Sachetat. Ob dabei Geld gespart wird?
Wenn ich auch mit der Organisationsform dieser Arbeit nicht ganz glücklich bin, — von der Arbeit des Goethe-Instituts selbst habe ich ein positives Bild gewonnen. Die Unterrichtsmethoden sind modern. Der Unterrichtserfolg ist beachtlich. Ich habe zusammen mit dem Kollegen Dr. Frede im Frühjahr einem Unterricht im deutschen Goethe-Institut in Delhi beigewohnt, und ich glaube, Herr Frede, wir
4742 Deutscher, Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Hellige
waren beide davon beeindruckt, wie sehr Inder, die dort seit anderthalb Jahren unterrichtet wurden, der deutschen Sprache schon mächtig waren.
Natürlich lassen sich auch in diesen Dingen nicht alle Wünsche erfüllen. Die Mittel sind beschränkt. Aber es gibt auch eindrucksvolle Zahlen. Nehmen wir als Beispiel das größte Goethe-Institut, das es gibt, Kairo: 20 deutsche Dozenten, 64 vom GoetheInstitut ausgebildete einheimische Lehrkräfte, 30 weitere akademisch gebildete einheimische Deutschlehrer. Rund 10 000 Schüler werden von ihnen in unserer Sprache unterrichtet. Das sind doch recht erfreuliche Daten in einer Zeit, in der die einstmalige Weltbedeutung der deutschen Sprache verschwunden ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehen Sie, Herr Staatssekretär, in der Übernahme der Leitung des Goethe-Instituts durch einen erfahrenen Botschafter — die wir sehr begrüßen - eine ausreichende Sicherung für die Zusammenarbeit Ihres Hauses mit dem Institut? Und zum zweiten: Welche Möglichkeit werden die Mitglieder dieses Parlaments haben, um Einblick in die Arbeit des Instituts zu erhalten und ihrer Pflicht zur Kontrolle über die Verwendung öffentlicher Mittel zu genügen?
Nun, meine Damen und Herren, das Ansehen der geistigen Leistung unseres Volkes in der Welt beruht zum nicht geringen Teil auf der Tätigkeit deutscher Gelehrter an fremden Hochschulen. Wir haben schon im vergangenen Jahre Gelegenheit genommen, auf die schweren Rückschläge zu verweisen, die ihre Arbeit durch zwei Weltkriege und die Zeit der Diktatur erlitten hat. Inzwischen hat sich die Lage gebessert. Die Länder und die Hochschulen selbst, der Deutsche Akademische Austauschdienst und die Vermittlungsstelle für deutsche Wissenschaftler im Ausland sind mit Erfolg tätig. Wir kennen die Schwierigkeiten: Es liegt nicht in der Tradition unseres Volkes, in weltweiten Maßstäben zu leben. Wir sind ein Kontinentalstaat, in der Vergangenheit meist eigenen Problemen zugewandt. In Frankreich und in England gilt Auslandserfahrung seit langem geradezu als Vorbedingung für leitende Stellen im Staat und in der Wissenschaft. Auch der deutsche Student sah noch im 18. Jahrhundert in einer „Bildungsreise" einen notwendigen Teil der eruditio aulica. Seit dem Biedermeier bleiben wir im Lande und nähren uns redlich. Ich kenne noch Ordinarien der Orientalistik, meines Fachs, Persönlichkeiten von hohem wissenschaftlichem Rang, die nie im Orient waren.
Heute hat sich vieles gewandelt. Aber ein Rest ist geblieben. Längere Auslandstätigkeit hindert einen künftigen Universitätslehrer mehr, als sie ihn fördert. Wer klug ist, verschwindet nicht aus den Augen der älteren Kollegen, wenn er mit einem Rufe rechnen will. Dazu kommt, daß wissenschaftliche Kräfte bei uns selbst knapp sind. Wir können kaum den heimischen Bedarf decken. Die Altersversorgung für Wissenschaftler im Ausland ist noch mmer ungeregelt. Soll man es da dem Nachwuchs verübeln, wenn er den sicheren Weg wählt? Dem
muß entgegengewirkt werden. Wir müssen einen stärkeren finanziellen Anreiz für die Arbeit im Ausland, vor allem in Übersee, geben. Wir sollten uns. bemühen, Gelehrte, die emigriert sind und reiche Auslandserfahrung haben, für diese Arbeiten zu gewinnen. Wir müssen ihre Zukunft sichern. Wir sollten vor allem darauf sehen, unseren Nachwuchs möglichst früh ins Ausland auf die Hochschulen der jungen Staaten zu schicken. Natürlich hat man dort lieber Professoren mit bedeutendem Namen. Die können wir allenfalls für kurze Zeit entbehren. Man sollte daher junge, nicht habilitierte Kräfte als Dozenten an die Hochschulen der Entwicklungsländer schicken. Ein Studienassessor, der noch keine schulpflichtigen Kinder hat und der den klimatischen Schwierigkeiten leichter begegnen kann als ein älterer Herr, wird in vielen Fällen als Dozent gute Dienste leisten. Seine Zukunft läßt sich auch leichter sichern. Wir wissen, daß solche Herren mit gutem Erfolg entsandt worden sind. Es werden sich weitere finden.
Einige Hochschulen haben die Auslandsarbeit durch Übernahme von Patenschaften gefördert. Wir halten das für einen guten Weg. Wir hoffen, daß er weiterhin beschritten wird. Gern hätten wir Zahlen und Berichte über die dabei gemachten Erfahrungen. Von der Vermittlungsstelle erhielten wir ansprechende Resultate.
Lassen Sie mich nun einige ihrer Zahlen vom neuesten Stand mit Angaben der Westdeutschen Rektorenkonferenz aus dem Jahre 1960 vergleichen. In Ägypten waren 1960 zwei deutsche Wissenschaftler tätig, heute sind es acht. In Afghanistan 1960 zwei, heute 17; darin zeigen sich die Erfolge der Patenschaften, die Köln und Aachen für die Universität in Kabul übernommen haben. Irak: früher fünf, jetzt nur noch zwei. Iran: drei, gleichbleibend. In Lybien 1960 einer, jetzt drei. In Äthiopien einer, jetzt zwei. In Japan zwei, jetzt vier. In Indien einer, jetzt 14. Das sind erfreuliche Steigerungen, wenn auch viele Wünsche offenbleiben.
Im vergangenen Jahre beklagten wir, daß in dem gesamten Gebiet des westlichen Islam kein Vertreter der deutschen Wissenschaft tätig ist. Das ist auch heute noch der Fall. Wir dürfen also nicht auf dem Erreichten ausruhen. Wir sollten uns bemühen, diese für unser Ansehen in der Welt wesentliche Arbeit durch Gewährung höherer Mittel zu fördern. Von den 578 Wissenschaftlern im Ausland außerhalb der USA arbeiten drei Fünftel in Staaten europäischer Kultur. Die Entwicklungsländer Afrikas und Asiens sind noch immer sehr schwach versehen.
Es gibt noch einen anderen Weg, die künftigen Akademiker des Auslandes mit Methodik und Ergebnissen unserer Wissenschaft vertraut zu machen: die Ausbildung ausländischer Studenten an unseren Hochschulen. Sie kennen die Schwierigkeiten, denen vor allem die Studenten der Entwicklungsländer gegenüberstehen; sie stellen ja die Hälfte unserer Kommilitonen aus dem Ausland —: die Verpflanzung in eine klimatisch und kulturell völlig andersgeartete Landschaft, daraus resultierende Schwierigkeiten in der Anpassung, später oft
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4743
Dr. Hellige
größere Schwierigkeiten in der Rückgewöhnung. Mangelndes Verständnis unserer Mitbürger für ihr Anderssein. Das Gefühl der Verlassenheit, das jeden Studienanfänger befällt, der aus der Geborgenheit des Elternhauses die Musenstadt bezieht, durch die kulturell und sprachlich fremde Umgebung noch erheblich gesteigert. Der erschwerte Anschluß an die Kommilitonen, an ihre Gruppen. Vor allem aber oft mangelhafte Beherrschung der deutschen Sprache und damit Schwierigkeiten, dem akademischen Unterricht zu folgen. Der ausländische Student aus Ländern europäischer Kultur hat es viel leichter. Für ihn ergeben sich Schwierigkeiten meist nur aus der Sprache.
Der farbige Student muß schon überdurchschnittlich begabt sein, wenn er ein Studium, das seinen deutschen Kommilitonen das Letzte abverlangt, mit Erfolg beenden will. Das erklärt so manche Fehlschläge. Die Studiendauer verlängert sich oft erheblich, und dennoch erreichen viele ihr Ziel nicht. Das können wir nicht wünschen. Ein bei uns ausgebildeter Akademiker wird in der Regel ein wertvoller Freund unseres Landes. Ich kenne viele Herren in Übersee, die sich mit großer Herzlichkeit ihren alten deutschen Hochschulen verbunden wissen. Ein erfolgloses Studium schafft leicht Ressentiments.
Unsere Hochschulen tun viel zur Betreuung ihrer ausländischen Studenten: Studienkollegs, Tutoren, Wohnheimplätze, die sie in überschaubare Gruppen einführen und ihnen Rat und Hilfe älterer Kommilitonen sichern, Auslandsämter, Foren internationaler Begegnung. Man könnte die Liste fortsetzen. Die Schwierigkeiten lassen sich nie ganz ausräumen.
Wir sollten uns die Frage stellen, ob es zweckdienlich ist, eine größtmögliche Zahl von Studienanfängern aus den Entwicklungsländern an unsere Hochschulen zu ziehen. Mit diesen Zweifeln sehe ich mich in einer guten Gesellschaft: der afrikanischen Rektorenkonferenz, der Westdeutschen Rektorenkonferenz und des Auswärtigen Amtes. Um Fehlschlägen vorzubeugen, sollte man die Zulassungsbedingungen streng handhaben. Man sollte Vorbildung und Sprachkenntnisse genau prüfen. Man tut ein gutes Werk an einem jungen Menschen, wenn man ihn vor falschen Entschlüssen bewahrt. Die Aufgenommenen aber sollte man mit allen Mitteln fördern. Ich stimme der Westdeutschen Rektorenkonferenz zu, wenn sie meint, das Studium im Ausland sei nicht für alle Studenten aus den Entwicklungsländern besser als das Studium im Heimatland. Denn auch in ihrer Heimat können wir ihnen durch Entsendung von Dozenten helfen. Dadurch, so meinen wir, läßt sich mit dem Einsatz gleicher Mittel das Vielfache erreichen. Unsere Stipendien sollten wir an Hochbegabte, vor allem aber an junge Akademiker mit abgeschlossener Hochschulbildung und an akademische Lehrer dieser Länder vergeben. Eine enge Verbindung zwischen den Hochschulen hüben und drüben halten wir für besonders nötig und erfolgversprechend. Dafür sollte man vermehrt Mittel bereitstellen.
Wir bedauern daher, daß die Kürzungen im Kulturetat des Auswärtigen Amts den Deutschen Akademischen Austauschdienst zwingen werden, sein
Lektorenprogramm einzuschränken. Das erscheint uns Sparsamkeit am falschen Orte.
Die Förderung der deutschen Sprache im Ausland verdient unsere volle Aufmerksamkeit. Ihre Kenntnis erschließt den Zugang zu unseren kulturellen Werten. Ihre Kenntnis kommt auch — davon bin ich überzeugt — unserer Wirtschaft zugute.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Martin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mein Konzept auf meinem Platz gelassen. Das ist die einzige Chance, wie man sich heute in dieser späten Stunde noch Freunde erwerben kann.
Ich glaube, es gibt zwei Möglichkeiten, eine kulturpolitische Diskussion zu verfehlen. Die erste ist, daß man zu fachmännisch ist.
Die zweite ist, den Versuch zu machen, Kultur zu definieren. Beides führt in Schwierigkeiten, wie wir heute, glaube ich, gesehen haben.
Ich werde beide Versuche, meine Damen und Herren, nicht unternehmen.
Ich kann mir das hinsichtlich der Definition auch leisten. Am 11. vorigen Monats hat André Malraux im Kabinett in Paris einen großen Erfolg erzielt, als er den anwesenden Kollegen sagte, er sei der einzige Mensch, der nichts von Kultur verstehe. Dennoch hielt er im Parlament eine hinreißende Rede über den Begriff der Kultur. Wenn man diese Rede ins Deutsche übersetzt, ist sie schon etwas weniger überzeugend. Was er sagte, ist ungemein interessant, und das französische Parlament hatte eine große Stunde. Uns ist es, glaube ich, nicht gelungen. Wir müssen uns ernstlich überlegen, wie wir die Debatte in Zukunft führen wollen, wenn wir der Kultur und der Politik einen Dienst erweisen wollen. Meine Damen und Herren, ich sage das an uns alle; denn wir haben die Debatte ja vorbereitet.
Was steckt denn an politischen Entscheidungen in der Anfrage? Es ist hier angeschnitten worden, Carlo Schmid hat es erläutert: Es gibt ein Unbehagen, wenn man daran denkt, Kultur und Politik zusammenzuspannen. Das haben alle Leute, die sich damit beschäftigen, die Engländer, Amerikaner und Franzosen. Das drückt sich bereits in der Terminologie aus. Sie reden bald von „Cultural Diplomacy", bald von „Exchange", weil sie nicht die Courage haben, zu sagen: Es ist Politik. Aber es ist in der Tat Politik. Es geht für' den Deutschen Bundestag allein um Organisation und Finanzierung; denn wir machen nicht die Kultur. Da stimme ich Herrn Carlo Schmid zu 50'0/o zu und widerspreche mit den anderen 50 % meinem hochverehrten Herrn Kollegen Hellige. So
4744 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Martin
einfach liegen die Dinge nicht. Ich muß jetzt doch darauf antworten.
Es ist so, wie Carlo Schmid gesagt hat: Kultur ist ein politisches Potential. Aber der Witz ist der, daß sie nicht zu haben ist, nicht disponiert werden kann. Man kann nicht mit ihr umgehen, sie ist nicht machbar, sondern sie wird von anderen zur Verfügung gestellt. Darauf muß der Staat Rücksicht nehmen. Der Staat ist das Subjekt der kulturellen Außenpolitik, aber nicht das Subjekt der Kultur, und das muß er organisatorisch deutlich machen.
— Moment, Herr Kollege, sonst dauert es wieder zu lange. — Das hat die Bundesregierung dadurch getan, daß sie ein gutes und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen staatlicher Initiative und kultureller Betätigung geschaffen hat. Das haben wir heute. Es gibt im Prinzip zwei Modelle der Kulturpolitik im Ausland. Das eine ist das französische: Der Staat ist der Träger der Initiative und der Exekutive. Das andere ist das System des „British Council". Ferner gibt es das gemischte System, wie wir es haben. Ich will das jetzt nicht begründen; ich habe es oft getan. Ich glaube, daß wir mit der jetzigen Lösung im großen und ganzen richtig gefahren sind, wenngleich die endgültige juristische Form noch nicht gefunden ist.
Ich will eine Bemerkung machen. Die Kulturpolitik, wie wir sie jetzt mit Ausgaben von über 170 Millionen DM vor uns haben, ist eine sehr gute Leistung. In ein paar Jahren ist viel aufgebaut worden. Aber es zeigt sich jetzt folgendes: Wer die Entwicklung des Haushaltsplans genau beobachtet, der sieht, daß die Herren, die die Kulturpolitik zu machen haben, immer schwerer manöverieren können. Wenn man kulturpolitisch investiert, dann muß man damit rechnen, daß man 25 % dieses Betrages laufend braucht, um das Geschaffene in Gang zu halten. Wir haben sehr stark investiert, und jetzt stoßen wir an die Grenze. Meine Forderung und die meiner Freunde ist: das Geschaffene erhalten und weiter entwickeln. Wir wollen keine Prioritäten und keine Extravaganzen für die Kultur. Fürchten Sie bitte nicht, daß ich jetzt etwa sage: hier liegt die Priorität, und Helmut Becker unterstreichend weiter sage: der Primat der Außenpolitik ist abgelöst worden durch den Primat der Kulturpolitik. So nicht! Aber wenn wir uns darauf einigen, daß wir in jedem Jahr im Rahmen des Zuwachses des Sozialprodukts den Haushalt aufstocken, dann bin ich zufrieden. Das wären etwa 8, 9, 10 Millionen. Das müssen die Haushaltsleute uns garantieren. Sonst ist das Reden über die Bedeutung der Kultur in der Außenpolitik eben ganz schlicht Gerede. — Das ist der zweite Punkt.
Und der dritte Punkt: Kulturpolitik ist immer eine Sache von Menschen, die sie machen. Ihr Erfolg entscheidet sich entsprechend dem Rang der Kulturbeamten. Das sind also unsere Leute, die draußen eingesetzt werden. Ich bin der Überzeugung, daß das System der Ausbildung der Diplomaten falsch ist und korrigiert werden muß. Wir brauchen eine spezielle Ausbildung von Kulturdiplomaten. Wenn wir das nicht schaffen, meine Damen und Herren, wird die Sache nichts.
Ich will dazu eine Geschichte erzählen. Herr Sattler hat vor einiger Zeit seine Leute zusammengerufen und gefragt: „Wer von Ihnen will eigentlich in diesem Geschäft bleiben?" Da haben zwei Dritte] gesagt: „Wir nicht!"
Das eine Drittel, das übrigblieb, waren Leute, die aus Altersgründen, oder weil sie nicht mehr vor den Bundespersonalausschuß wollten, sagten: „Ich nicht mehr. Ich bleibe lieber bei der Kultur."
Ja, meine Damen und Herren, so geht das nicht. Wenn es wahr ist, daß es eine ernste Arbeit für unser Land ist, dann ist das eine Lebensaufgabe, dann ist das die Aufgabe eines hochspezialisierten Beamten, der das zu seiner Lebensaufgabe machen muß. Sie kriegen die Leute natürlich nicht, wenn Sie Ihnen nicht laufbahnmäßig das Entsprechende anbieten. Mit anderen Worten, der Vorschlag müßte lauten, daß Sie einen Teil der Stellen im auswärtigen Dienst für Kulturdiplomaten blockieren, damit sie ihre Laufbahn durchhalten. Ich bin gern bereit, das am anderen Ort ausführlicher darzustellen. Ich möchte mich heute auf das Gesagte beschränken. Es ist ein wesentlicher Punkt, den wir klären müssen.
Ich glaube, wir sollten im ganzen Hause dankbar dafür sein, daß etwa seit 1957 ein frischer Elan in die auswärtige Kulturpolitik gekommen ist. Es ist in diesem Hause von den Haushaltsleuten, vom Auswärtigen Amt sehr viel getan worden. Herr Kahn-Ackermann, ich habe auch Sorgen. Kritik, selbstverständlich; aber nehmt alles nur in allem. Meine Damen und Herren, es ist eine runde Arbeit geleistet worden. Das Geld ist nicht umsonst ausgegeben worden.
Deshalb, meine Damen und Herren, sollten wir auf diesem Wege fortfahren, die Organisation und die Finanzierung der auswärtigen Kulturpolitik — und das ist die Aufgabe in dieser Stunde — endgültig festzulegen. Über die Größe, über die Grenze, über den nötigen Finanzbedarf sollte dann im Prinzip nicht mehr jährlich diskutiert werden, sondern dieser Betrag sollte als ständige Reserve der Außenpolitik auch zur Verfügung stehen.
Das war es, was ich sagen wollte. Ich hoffe, meine Ausführungen sind kurz genug gewesen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Friedensburg als letzter Redner in der Debatte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ehe ich den Auftrag meiner Freunde erfülle und noch einige wenige Worte zur europäischen Kulturpolitik sage, habe ich, glaube ich, in Ihrer aller Namen dem Auswärtigen Amt für die großartige Leistung zu dan-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4745
Dr. Dr. h. c. Friedensburg
ken, die aus dem Bericht des Herrn Außenministers hervorgegangen ist.
Da ist uns nicht nur in den Zahlen und in den Grundsätzen etwas Wichtiges gesagt worden, sondern jeder, der im Ausland reist, weiß, daß wirklich ein Erfolg erzielt worden ist. Ich persönlich habe das Glück oder Unglück, gerade auch als Wissenschaftler sehr oft draußen zu sein, und ich kann nur sagen: es hat sich draußen ein Klima entwickelt, das wir vor achtzehn Jahren einfach nicht für möglich gehalten haben. Als wir 1945 in Berlin zusammensaßen, nachdem sich der erste Staub der Ruinen und der Rauch der Brände verzogen hatten, waren wir der Ansicht, wir könnten zu unseren Lebzeiten nicht mehr ins Ausland reisen, man könne sich nach dem, was angerichtet worden ist, nicht mehr im Ausland sehen lassen. Wir wissen heute, daß es sehr viele Länder gibt — ich möchte sagen, es ist die Mehrzahl —, wo der Deutsche der angesehenste und beliebteste Gast von allen ist. Das liegt an manchen anderen Dingen, liegt aber auch daran, daß hier eine sehr gute und vernünftige Kulturpolitik gemacht worden ist. Ich verstehe gar nicht, warum wir immer Angst haben sollten vor Begriffen, die die ganze Welt unbefangen benutzt, während wir einen Schreck bekommen, wenn wir das Wort „Kulturpolitik" nur in den Mund nehmen.
Nun muß ich aber meinem verehrten Freund und Kollegen — so darf ich wohl sagen — Schmid, der leider nicht hier ist, etwas zu seinem Versuch sagen, den Paavo Nurmi und den Max Schmeling als Kulturträger ihrer Länder hinzustellen. Ich erinnere ihn daran — und gerade da er die düsteren Schatten der Vergangenheit heraufbeschworen hat, muß das, glaube ich, ausgesprochen werden —, daß der Rauch der Brände, die die „entartete" Kunst und die „entarteten" Bücher vernichtet hatten, noch nicht verzogen war, als in der Berliner Olympiade Deutschland die größten sportlichen Triumphe errang, die es jemals gegeben hat. Ich warne also dringend davor, zuglauben, daß sportliche Leistung und wirkliche Kultur ohne weiteres gleichgestellt werden können. Wir freuen uns über jeden sportlichen Erfolg, den unsere jungen Leute draußen erringen. Aber bilden wir uns um Gottes willen nicht ein, daß das mit geistiger Kultur und kultureller Leistung zu tun hat.
Dann noch eins, und da muß ich mich an den Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion, Herrn KahnAckermann, wenden. Ich meine seine Bemerkung über Südafrika. Herr Kollege Kahn-Ackermann, ist das nicht ein gräßlicher Rückfall in eine überwundene Zeit, in eine anmaßende Haltung, wenn wir Kulturverträge mit einem Staat schließen, weil er uns zufällig in seiner Politik gefällt, und mit einem anderen nicht, weil er uns nicht gefällt? Es ließe sich über Südafrika 'manches sagen. Auch ich bin mit manchem nicht einverstanden. Aber es wäre eine unverzeihliche Verfehlung, wenn wir unsere Kulturbeziehungen danach richten wollten, ganz abgesehen davon, daß es wohl kein Land gibt, das in bezug auf die Rückgabe deutschen Eigentums so
großzügig gewesen ist, wo der Deutsche so freundschaftlich aufgenommen wird wie in in Südafrika.
In derselben Minute — und daran erkennen Sie Ihre Inkonsequenz —, in der Sie eine Intensivierung der 'kulturellen Beziehungen zu den Ostblockstaaten verlangen, also zu Staaten, wo Sie an den Rabbiner in Kischinew oder Odessa auch nicht mit deutscher Kulturpropaganda herankommen, möchten Sie womöglich die kulturellen Beziehungen zu einem Lande absperren, in dem es dem Bantu in Transkei tausendmal besser geht als dem Rabbiner in Odessa.
Es ist hier nicht der Ort und nicht die Zeit, diese Dinge zu vertiefen. Aber ich warne dringend vor aller Engherzigkeit und vor aller Anmaßung, die uns 'Deutschen weiß Gott nicht gut anstehen.
Ich habe nun noch einige Bitten an das Auswärtige Amt, die sich auf die europäische Politik beziehen. Wir haben in dieser Stunde leider nicht die Muße, die Fragen ausführlich zu besprechen; aber zwei wichtige Fragen möchte ich anschneiden. Das eine ist: unsere Regierung möge bei der Zusammenarbeit mit den anderen europäischen Ländern in den europäischen Gremien dafür sorgen, daß man sich nicht mit einem europäischen Etikett begnügt, hinter dem ein nationales Institut bleibt, das im Grunde den europäischen Namen nicht verdient.
Ich muß als Mitglied des Forschungs- und Kulturausschusses des Europäischen Parlaments vor allem noch einmal auf die Frage der Europäischen Universität zurückkommen, obwohl ich sie heute morgen in der Fragestunde schon einmal angesprochen habe. Herr Staatssekretär, ich bitte doch davon Kenntnis zu nehmen, daß das gesamte Europäische Parlament in allen Nationalitäten und in allen Parteien tief enttäuscht gewesen ist von dem, was sich auf dem Gebiet der Europäischen Universität getan hat. Wir sahen hier endlich einmal eine wahrhaft europäische Institution entstehen, und als wir glücklich so weit waren — wir kauften das Grundstück in Florenz —, daß sie Wirklichkeit werden sollte, da kam gar nicht weit von hier in Godesberg ein Vertrag zustande, nach dem eine italienische Staatsuniversität geschaffen werden sollte, die ein mühsam angeklebtes europäisches Etikett tragen sollte. Wir sind damit nicht zufrieden. Wir wollen das hinnehmen; es ist immer noch besser als gar nichts. Aber bitte nehmen Sie zur Kenntnis, daß wir nicht glauben, daß die Verpflichtung aller. beteiligten Regierungen aus dem Euratom-Vertrage erfüllt ist, wenn jetzt in Florenz eine italienische Staatsuniversität errichtet wird, die noch dazu in zahlreichen Bestimmungen keineswegs dem Bild entspricht, das wir uns von einer autonomen, nur der Wissenschaft und dem europäischen Gedanken ergebenen Europäischen Universität machen.
Dann, meine verehrten Kollegen, noch ein letztes! Ich möchte, daß wir uns gerade auch in der europäischen Kulturpolitik der entscheidenden Grund-
4746 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Dr. Dr. h. c. Friedensburg
lagen des Abendlandes bewußt werden. Diese entscheidenden Grundlagen sind Christentum und Humanismus. Es ist ein Jammer, wie wenig diese entscheidenden Grundlagen in der europäischen Arbeit tasächlich zum Ausdruck kommen.
Es ist nicht der Volkswagen, und es sind nicht die Ausstellungen, sondern es sind diese Grundlagen, die uns wirklich zusammenfassen und die uns auch befähigen werden, die anderen europäischen Völker einmal zu uns heranzuziehen und uns nicht zu begnügen mit der vorläufigen Interessengemeinschaft, die die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die anderen europäischen Organisationen heute noch darstellen.
Nur wenn wir diese Ideen verwirklichen, haben wir auch den guten, festen Boden, auf dem wir eine wirkliche Kulturpolitik treiben können. Denn Kulturpolitik ist eine geistige Leistung, und geistige Leistung ist nicht möglich, ohne daß man einen Boden der Wahrhaftigkeit, der Ehrlichkeit, des Anstandes und der humanistischen Weltanschauung besitzt, auf dem man die Arbeit aufbaut.
Wir haben die dringende Bitte, daß das Auswärtige Amt seinen Einfluß geltend macht, soweit dieser Einfluß reicht. Wir wissen, daß da Schwierigkeiten bestehen. Wir haben den dringenden Wunsch, daß die Kulturpolitik auf europäischem Gebiete — und insofern freue ich mich, daß unsere sozialdemokratischen Kollegen gerade auch diesen Punkt angeschnitten haben — wirklich europäisch ist, dann aber abendländisch, im abendländischen Geiste.
Das Wort hat Herr Staatssekretär Lahr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn Sie mir erlauben, in Vertretung des Bundesaußenministers zum Abschluß dieser Diskussion einige Worte zu sagen, so seien mir folgende Bermerkungen gestattet. Durch das, was der Herr Abgeordnete Kahn-Ackermann einleitend und dann der Herr Bundesaußenminister gesagt haben und was in der anschließenden Diskussion zum Ausdruck gebracht worden ist, zieht sich wie ein roter Faden, daß unsere Kulturpolitik mit einigen strukturellen Mängeln behaftet ist, Mängeln, die teils überhaupt nicht und teils nur schwer zu beseitigen sind.
Wenn ich die Arbeit des Auswärtigen Amts auf dem Gebiete der Kultur mit der Kulturarbeit, sagen wir, des Quai d'Orsay oder des Foreign Office vergleiche, muß ich sagen, daß wir vor zwei ganz speziellen Schwierigkeiten stehen. Die eine ist der föderative Aufbau der Bundesrepublik. Die Zusammenarbeit mit den Ländern ist gut. Ich habe absolut keinen Anlaß, mich zu beklagen. Aber selbst bei einem großen Maß von gutem Willen, das zweifellos überall vorhanden ist, bleibt es eben doch überaus mühselig, ein Einvernehmen zwischen dem Bund auf
der einen Seite und den 11 Ländern auf der anderen Seite herzustellen, während sich die französischen und die englischen Diplomaten nur mit ihren Kollegen aus dem Kultusministerium der gleichen Regierung zu unterhalten brauchen. Wir sind nicht in der Lage, mit dem Ausland irgendwelche Arrangements zu treffen, ohne uns vorher vergewissert zu haben, daß die 11 Länder mitmachen. Wir haben auf vielen Gebieten keinen unmittelbaren Einfluß auf die Durchführung dessen, was wir mit dem Ausland vereinbaren.
Der zweite Mangel ist, daß wir im Laufe der letzten 50 Jahre zweimal von neuem anfangen mußten. Das ist ein sehr schweres Handicap. Die große Stärke der französischen und der englischen Kulturpolitik liegt darin, daß sie sich auf Stützpunkte im Auslande verlassen können, die seit Generationen dort bestehen und im Kulturleben dieser Länder ihren festen Platz haben. Die gleiche Kontinuität ist in den inneren Verwaltungen, d. h. in den Außenministerien und in den Kultusministerien, vorhanden. Beides fehlt bei uns.
Dann das Geld! Die Bundesregierung ist dem Parlament sehr dankbar für die beträchtlichen Steigerungen, die der Kulturetat des Auswärtigen Amtes in den letzten Jahren erfahren hat. Aber ich darf ganz offen sagen: wenn wir die vielen guten Anregungen, die wir heute abend erfahren haben, verwirklichen sollen, so gehört dazu noch eine ganze Menge mehr Geld.
Ich habe mich gefreut, in der Aussprache etwas nicht zu hören, daß nämlich das Auswärtige Amt von dem Geld, das es von Ihnen bekommen hat, nicht den richtigen Gebrauch gemacht hätte. Wir sind der Auffassung, daß wir es im allgemeinen gut angewandt haben. Es ist außerordentlich schwierig, eine Maßnahme, die man einmal getroffen hat — die Maßnahmen werden ja alle auf längere Zeit getroffen —, etwa rückgängig zu machen, um sie durch andere Maßnahmen zu ersetzen; das geht praktisch nicht. Aber ich wüßte auch gar nicht, welche der bisher getroffenen Maßnahmen wir nun stoppen sollten; denn sie erscheinen mir im großen und ganzen alle recht gut.
Der dritte Mangel sind die Menschen; darüber brauche ich hier nicht mehr zu sprechen.
Das Auswärtige Amt hat in der Diskussion teils Lob, teils Kritik, teils gute Ratschläge empfangen. Für das Lob bedanke ich mich. Was die Kritik angeht, so fehlt es einfach an der Zeit, auf die vielen Punkte, an denen die Kritik angesetzt hat, einzugehen. Aber ich muß sagen; selbst wenn die Zeit da wäre, würde ich es wahrscheinlich gar nicht tun; den ich sehe, es war eine sehr wohlwollende, eine freundschaftliche Kritik, und als solche nehme ich sie an.
Ich sagte eben schon: wir haben wieder angefangen, sind also in gewissem Sinne Anfänger. Wir wissen genau, daß wir noch eine Menge dazuzulernen haben. In diesem Sinne wollen wir das, was wir hier gehört haben, beherzigen.
Es sind ferner eine ganze Reihe von Ratschlägen gegeben worden, teils sehr gute, teils gute. Ich
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4747
Staatssekretär Lahr
glaube, auch hierauf kann ich jetzt im einzelnen nicht eingehen. Das sollte in dem zuständigen Ausschuß und in einer systematischen Weise geschehen. Ich meine, wir sollten alle Gedanken, die heute abend geäußert worden sind, dort in aller Ruhe durchgehen; dann wird diese Aussprache ihre nachhaltige Wirkung haben.
Dasselbe gilt für die Fragen, die einige Herren Abgeordnete an mich gerichtet haben. In einem Punkte, Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann, muß ich Ihnen entschieden widersprechen, nämlich Ihrer Bemerkung, daß die Kulturpolitik im Auswärtigen Amt nicht richtig bewertet würde, daß sie dort so etwas wie ein Stiefkind sei. Das ist einfach nicht richtig. Es mag sein, daß unter Angehörigen des Auswärtigen Amtes der älteren Generation hie und da eine solche Ansicht vertreten worden ist; aber das zu verallgemeinern, ist nicht berechtigt.
Wir sehen ganz klar, daß sich in der Wirkungsweise des auswärtigen Dienstes in den letzten Jahren — man kann auch sagen, Jahrzehnten — Veränderungen ergeben haben. Während früher, sagen wir, die reine Politik im Vordergrund stand, sind heute andere Gebiete dazugekommen und haben sich sehr stark in den Vordergrund gerückt; das ist die Handelspolitik, das ist die Entwicklungspolitik, und das ist auch die Kulturpolitik. In einem jungen Entwicklungsland ist die Tätigkeit des deutschen Missionschefs im wesentlichen nicht die, sich mit bilateralen politischen Fragen — sie existieren meist gar nicht — oder mit den Fragen der großen Weltpolitik zu befassen; daran sind diese Länder meist gar nicht interessiert, denn sie sind mit ihren eigenen Dingen befaßt. Dort muß sich der Missionschef auf das konzentrieren, was die Leute interessiert: Fragen der Entwicklungshilfe, der Handelspolitik und in zunehmendem Maße auch der Kulurpolitik. Bei alten Ländern wie in Südamerika kann man sagen, daß das Hauptarbeitsgebiet die Handelspolitik und die Kulturpolitik ist. Auf dem Gebiet der Kulturpolitik haben wir vieles zu bieten, anderes als die Engländer oder Franzosen; aber ich möchte sagen: doch Gleichwertiges. Es gehört zu den erfreulichen Feststellungen bei der Betätigung auf diesem Gebiet, wenn man im Gespräch mit den Ausländern in den Ländern, in denen wir Kulturpolitik betreiben, das Echo erfährt. Es gibt hier wirklich eine Welle der Sympathie, der Anerkennung, ich kann auch sagen: der Bewunderung, die uns da entgegenschlägt.
Ich darf schließen, indem ich die verschiedenen Tätigkeitsgebiete des Auswärtigen Amtes und ihre Wirkungsweise auf eine kurze Formel bringe: mit der Bündnispolitik schafft man sich Bundesgenossen, mit der Handelspolitik Geschäftspartner und mit der Kulturpolitik Freunde; so sehen wir die Kulturpolitik, und so handhaben wir sie.
Es liegt vor der Antrag der SPD-Fraktion auf Umdruck 370. Vorgesehen ist die Überweisung an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten — federführend — und
an den Ausschuß für Kulturpolitik und Publizistik — mitberatend —. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 27 auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Gesundheitswesen über den Antrag der Abgeordneten Struve, Glüsing (Dithmarschen), Tobaben, Kuntscher, Hermsdorf, Dr. Schmidt (Gellersen), Dr. Tamblé, Peters (Poppenbüll), Dr. Miessner und Genossen betreffend Konservierungsmittel für Fischwaren (Drucksachen IV/1622, IV/1730).
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Pannhoff als Berichterstatterin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Klarstellung und um Mißverständnisse zu verhindern, halte ich es für notwendig, einen Satz meines Schriftlichen Berichtes anders zu formulieren. Es handelt sich um den Satz auf der Rückseite des Berichts in der linken Seite, viertletzte Zeile, der mit den Worten beginnt: „Auf ausdrückliche Befragung . . .". Diesen Satz möchte ich folgendermaßen umformulieren:
Auf ausdrückliche Befragung antworteten die Sachverständigen, die sich experimentell mit Hexamethylentetramin befaßt hatten, daß sie keine ernstlichen Bedenken gegen die Zulassung von Hexamethylentetramin für die Dauer von zwei Jahren hätten.
Ich bitte das Hohe Haus, dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen.
Ich danke der Frau Berichterstatterin.
Wir stimmen ab über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache IV/1730. Wer zustimmt, gebe bitte ein Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — ich bitte, die Abstimmung durch Erheben zu wiederholen. Wer zustimmt, erhebe sich. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich rufe den Punkt 28 auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Entwurf einer Entscheidung über die vorherige Prüfung und Beratung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten der EWG auf dem Gebiet des Verkehrs (Drucksachen IV/34, zu IV/34, IV/1668).
Ich danke dem Herrn Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Haage, für seinen Schriftlichen Bericht.
Wir stimmen über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache 1668 ab. Ich nehme an, daß gegen den Antrag keine Bedenken bestehen. — Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe Punkt 30 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit über den
4748 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963
Vizepräsident Dr. Dehler
von der Bundesregierung zur Kenntnisnahme vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Verordnung des Rats zur Änderung des Artikels 13 der Verordnung Nr. 3 und des Artikels 11 der Verordnung Nr. 4 (Drucksachen IV/1669, IV/1727).
Es liegt vor der Bericht des Herrn Abgeordneten Franzen. Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Es liegt vor der Antrag des Ausschusses auf Drucksache 1727. Ich nehme an, daß keine Bedenken bestehen. — Keine Bedenken. Der Antrag ist angenommen.
Punkt 31 der Tagesordnung:
Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten Dritten Verordnung über die Verringerung von Abschöpfungssätzen bei der Einfuhr von Eiprodukten .
Beratung findet nicht statt. Es ist vorgesehen Überweisung an den Außenhandelsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Ernährung, landwirtschaft und Forsten — mitberatend —. — Ich stelle Einverständnis fest.
Ich rufe Punkt 32 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses über die von der Bundesregierung vorgelegte Dreiundzwanzigste, Vierundzwanzigste und Fünfundzwanzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Drucksachen IV/1600, IV/ 1635, IV/ 1636, IV/1719),
b) Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses über die von der Bundesregierung vorgelegte Sechsundzwanzigste, Siebenundzwanzigste und Dreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Drucksachen IV/1637, IV/1638, IV/1662, IV/1718).
Es liegen vor die Berichte der Herren Kollegen Margulies und Müller . Ich danke den Berichterstattern. Auf das Wort wird verzichtet. Eine Aussprache wird nicht gewünscht.
Der Ausschuß schlägt Ihnen vor, den aufgerufenen Verordnungen unverändert zuzustimmen. Wer das tun will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Gegenstimmen. Keine Enthaltungen; ich stelle die einstimmige Annahme fest.
Unter der Voraussetzung, daß keine Debatte gewünscht wird; rufe ich auf Punkt 33:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses über die von der Bundesregierung vorgelegte Verordnung über die Senkung von Abschöpfungssätzen bei der Einfuhr von geschlachteten Hühnern nach Berlin (Drucksachen IV/1617, IV.1728).
Es liegt der Antrag des Ausschusses vor, der Verordnung unverändert zuzustimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Es liegt dann der Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Reinhard, Struve, Bauknecht, Dr. Siemer, Ehnes und Genossen auf Umdruck 376 vor. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Bei zwei Gegenstimmen ist der Entschließungsantrag gebilligt.
Punkt 34 der Tagesordnung:
Beratung des Berichts des Außenhandelsausschusses über die von der Bundesregierung erlassene Zweiundzwanzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Verlängerung der Zollaussetzung für Melasse) (Drucksachen IV/1601, IV/1720).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Birrenbach. Ich danke ihm für seinen Bericht. — Das Haus soll von dem Bericht Kenntnis nehmen. - Das ist geschehen.
Punkt 35 der Tagesordnung:
Beratung der Übersicht 18 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht (Drucksache IV/1686).
Ich nehme an, daß dem Antrag des Ausschusses, von einer Äußerung zu diesen Streitsachen abzusehen, zugestimmt wird. — Ich stelle das fest; der Antrag ist angenommen.
Punkt 36 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Schmidt , Frehsee, Seither, Saxowski und Genossen
betr. Sonderregelung für die Zulassung von Mähdreschern im Straßenverkehr .
Der Antrag soll dem Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen überwiesen werden. — Es ist so beschlossen.
Die Punkte 29 und 39 sollen am Freitag behandelt werden.
Damit sind wir für heute am Ende. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
Ich berufe die nächste Sitzung ein auf morgen, Donnerstag, den 12. Dezember, 14 Uhr.
Ich schließe die heutige Sitzung.