Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben diese Große Anfrage eingebracht, weil uns die steigende Bedeutung einer oft und aus unterschiedlichsten Gründen unzulänglich bewältigten Aufgabe Sorge macht. Es ist nicht so, daß wir die Schwierigkeiten auf dem Gebiet der auswärtigen Kulturarbeit nicht kennen würden, und es ist nicht so, daß wir dem Geleisteten nicht Anerkennung zollen würden. Aber ich denke, daß die Laudatio über die Verdienste von Ihrer Seite her kommen wird und daß wir am Schluß der Debatte sehen können, in welchem Umfang wir ihr beizupflichten vermögen.
Die Frage nach der Konzeption der auswärtigen Kulturarbeit umschließt auch den Wert, den man ihr innerhalb der auswärtigen Politik beimißt: ob man die auswärtige Kulturarbeit als ein Ornament, einen Blinddarm innerhalb des ganzen Gefüges unseres Amtes betrachtet, oder ob man sie als wesentliches Element der Politik betrachtet. Ferner ist da die Frage der Methode wichtig, die eng mit der Rolle verknüpft ist, die man unserer Sprache als wichtigstem Medium unserer Kulturarbeit beimißt. Hier ist vieles unklar. Ich darf Sie beispielsweise an die Denkschrift erinnern, die der Deutsche Industrie- und Handelstag im Frühjahr dieses Jahres den Mitglie-
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dern dieses Hauses zugesandt hat und worin er auf die Folgen hinweist, die z. B. innerhalb unserer europäischen Gremien dadurch entstehen, daß man zweifellos nicht eine mehrsprachige Administration anstrebt. Wir müssen die Bundesregierung fragen, welche Rolle sie der deutschen Sprache innerhalb Europas zumißt und welche Akzente sie hier zu setzen versucht, weil das ein außerordentlich wichtiger Punkt innerhalb der auswärtigen Kulturarbeit, soweit sie in Europa geleistet wird, ist.
Schließlich die Kernfrage nach dem Inhalt: Soll Kulturarbeit Vermittlung von Spitzenprodukten für eine intellektuelle Elite sein oder soll sie mehr sein? Kulturarbeit — so sehen wir es — ist eigentlich die unablässige Einwirkung von Menschen auf ihre Umwelt. Es ist sicher, daß wir auf dem Gebiet unserer auswärtigen Kulturarbeit diese Breite nicht haben. Aber darauf möchte ich im einzelnen noch zu sprechen kommen.
Unsere Kulturarbeit hat eine Neigung zum Esoterischen. Ich frage mich manchmal, ob man Konzerten oder literarischen Abenden, die man in manchen Ländern nahezu ausschließlich für die deutsche Kolonie oder das diplomatische Korps veranstaltet, als Medium der Kulturarbeit nicht eine viel zu große Bedeutung beimißt. Wir leben in einer sehr differenzierten Welt, und selbst das akzeptierte Bild unserer Kulturarbeit, daß wir sozusagen die Selbstdarstellung deutscher Kultur als Leitbild vor uns haben sollen, wird heute auch mitunter fragwürdig, wenn ich an die vielen Länder denke, in denen die
Leute, die dort wohnen, einfach nicht das intellektuelle Interesse haben, sich für unsere Probleme und unsere kulturellen Probleme zu interessieren, weil die Voraussetzungen dort nicht erfüllt sind. Hier wird man darangehen müssen, nach besseren und politisch wirkungsvolleren Methoden zu suchen.
Wir übersehen ferner nicht, daß mancher Akzent unserer auswärtigen Kulturarbeit durch die nicht zu unterschätzende Aktivität der Zone und ihrer auswärtigen Missionen gesetzt wird. Aber gerade diese Tätigkeit trifft bei uns auf eine verwundbare Stelle. Die in einem Grundsatzerlaß vorgeschriebene politische Abstinenz für die die Kulturarbeit tragenden Goethe-Institute, die ich als Prinzip für Unsinn halte und die nur im Einzelfall berechtigt sein mag, setzt hier unseren Wirkungsmöglichkeiten nicht unbeträchtliche Grenzen. So verschweigt die deutsche Kulturpolitik die Existenz weiter Bereiche unseres Lebens und unserer Geschichte, und so nimmt es nicht wunder, daß beispielsweise, von ganz verschwindenden Ausnahmen abgesehen, niemand daran gedacht hat, im Rahmen dieser auswärtigen Kulturarbeit etwa des hundertjährigen Gründungstages der deutschen Arbeiterbewegung zu gedenken und sie für das deutsche Ansehen in vielen Ländern, in denen das Bild Deutschlands gerade von dieser Seite her nicht bekannt ist, nutzbar zu machen. Als ich diese Frage einem der Kulturattachés in einem unserer wichtigsten Nachbarländer vorgelegt habe, in dem das gerade infolge der starken politischen Linken dort sicherlich eine nützliche Angelegenheit gewesen wäre, hat er gesagt, das sei selbstverständlich eine gute Idee; aber von selber ist er nicht darauf gekommen. Ich finde es jedenfalls schade, daß wir Lassalle, Bebel und den ganzen entscheidenden Beitrag der deutschen Arbeiterbewegung zur sozialen Revolution des 19. und 20. Jahrhunderts den anderen überlassen, und das gerade in Ländern, in denen dieser Beitrag für die eigene staatliche Ausformung von ungeheurer Bedeutung ist. Das hat auch in manchen Kleinigkeiten seine Auswirkung. Ich kann mich entsinnen, vor längerer Zeit einmal einen Werbefilm für die auswärtige Kulturarbeit gesehen zu haben, in dem — man könnte viel daran kritisieren, aber ich möchte jetzt nur auf diese einzige Kleinigkeit zu sprechen kommen — u. a. auch die Stadt Trier mit all ihren historischen römischen Baudenkmälern gezeigt wurde; aber auf die Idee, das Geburtshaus von Karl Marx zu zeigen, das gerade in seiner Werbewirkung für eine historische Figur, die von den anderen für sich beansprucht wird, von Wert ist, ist niemand gekommen. Das könnte für die Bundesrepublik eine Angelegenheit von positiver Bedeutung sein, und wir sollten das nicht anderen überlassen.
Meine Damen und Herren, wir kennen die Schwierigkeiten in unseren kulturellen Beziehungen zur Sowjetunion. Trotzdem scheint mir die Bundesrepublik nicht allzu viel Phantasie an Lösungen für die festgefahrene Situation verschwendet zu haben, die uns wohlbekannt ist. Ich sage das nur, weil eine Reihe von unterschiedlichsten Faktoren, von Max Gregers Tanzkapelle angefangen über Bernhard Wickis in Rußland ungewöhnlich erfolgreichen Film „Die Brücke" bis zu einem Besuch deutscher Schriftsteller in sehr nachhaltiger Weise auf eine Korrektur des sowjetischen Bildes der Bundesrepublik hingewirkt haben; ich glaube, eine Korrektur, die wohl auch zu den Zielen unserer auswärtigen Politik gehört.
Noch ein Satz zu unseren kulturellen Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten. Sie sind ein Teil Europas, und ein Abbau administrativer Hindernisse gegenüber einer intensiveren Pflege kultureller Beziehungen würde auch da auf ganz natürliche Weise dem Zerrbild entgegenwirken, das politische Propaganda vor uns errichtet hat.
Hätte die Bundesrepublik in all diesen entscheidenden Fragen ein Konzept und lebte sie weniger aus einer Kombination von etwas zuviel Kulturroutine und leider wenig genialen Improvisationen, so hätten wir die simple Frage nach dem Konzept der kulturpolitischen Arbeit im Ausland nicht zu stellen brauchen.
Zweitens wird nach den Beiträgen gefragt, die die Bundesrepublik zur Kulturarbeit im Rahmen der europäischen Institutionen leistet. Da möchte ich die Frage an Sie richten, Herr Minister, inwieweit die Bundesregierung sich die Empfehlungen des Europarats vom 16. September dieses Jahres zu Herzen genommen hat und inwieweit sie wirklich darangeht, sich in etwa positiv der Idee einer gemeinsamen Darstellung Europas auf den anderen Kontinenten anzuschließen, einem Postulat, das, wie ich mit großer Freude bemerkt habe, auch von den Kollegen der CDU in den europäischen Gremien befürwortet worden ist. Ferner erhebt sich die Frage, in-
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wieweit die Bundesregierung die Empfehlungen des Europaparlaments zur kulturellen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zu befolgen gedenkt und daran mitwirken will, daß gemeinsame Einrichtungen, die dazu nötig sind, geschaffen werden.
Wir möchten auch gerne wissen, worin die deutsche Mitarbeit im Rat für kulturelle Zusammenarbeit sozusagen ihr Arbeitsziel sieht. Wir wissen, daß dieses Gremium umgebaut werden soll, weil es die Erwartungen nicht ganz erfüllt hat, die man in es gesetzt hat. Ich muß sagen: einem Gremium, das fast ausschließlich aus Beamten besteht — ich habe nichts gegen Beamte; aber sie sind an Weisungen gebunden —, fällt es schwer, progressive Ideen zu entwickeln und einen Schritt nach vorn zu tun. Aber uns interessiert, welche Haltung die Bundesregierung hier einnimmt und ob sie glaubt, daß eine derartige Institution alle die ihr übertragenen Aufgaben mit einem Budget von 2 Millionen Neuen Franken erfüllen kann.
Angesichts des Ranges, der ganz offensichtlich nach außen diesem Beitrag zur europäischen Kulturarbeit beigemessen wird, muß man schließlich fragen, ob dort wirklich eine ernsthafte Mitarbeit erfolgt oder ob man einfach in diesen Gremien mitwirkt, weil man eben drin ist. Die Frage nach einem gemeinsamen Europa stellt sich auch in der Frage unserer zwischenstaatlichen kulturellen Beziehungen. Der Begriff der gemeinsamen abendländischen Kultur wird oft verwendet. Wenn man ihn aber gebraucht, soll man ihn nicht bloß als Floskel benutzen, sondern dann soll man damit in seiner Politik auch zeigen, daß man ernsthaft um eine Verwirklichung einer gemeinsamen Kulturpolitik bemüht ist.
Ich komme zur dritten Frage. Die deutschen Kulturinstitute sind das Hauptmedium unserer Kulturarbeit geworden. Kürzlich haben wir in Algier das 100. Goethe-Institut eröffnet. Seit einer Reihe von Jahren stellt sich aber für diese große Zahl von Kulturinstituten, die heute im wesentlichen sehr selbständig ihre Aufgabe wahrnehmen, das Problem der geeigneten zentralen Führung und in diesem Zusammenhang auch des Programmdirektors.
Mit Wahl von Botschafter Pfeiffer zum Präsidenten dieser Institution ist gewiß gegenüber dem vorher herrschenden Interregnum ein Fortschritt erzielt worden. Jedoch muß ich die Frage stellen, ob nicht auch hier das gilt, was ich vorhin für das allgemeine Konzept gesagt habe, nämlich ob man nicht daran denken muß, für diese Aufgabe Persönlichkeiten zu gewinnen, die selber schöpferische Ideen zu unserer kulturellen Wirksamkeit im Ausland beitragen können. Ich weiß, daß es da Hindernisse hinsichtlich der Bezahlung und der Möglichkeit gibt, gute Kräfte zu gewinnen. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Die Frage ist lediglich, welche Bedeutung man diesen Aufgaben zumißt. Dann wird man auch Wege finden, auch die materiellen Wege, um die für Führungsaufgaben in solchen Gremien geeigneten Persönlichkeiten zu finden. Natürlich ist die Lösung der Personalfrage nicht einfach. Allein im Jahre 1962 sind 30 derartige neue Institute eröffnet worden. Man kann dem Auswärtigen Amt und dem Goethe-Institut nur gratulieren, wenn es ihm gelungen sein sollte, in einem einzigen Jahr 30 gute Leute für diese neu eröffneten Institute zu finden. Gerade das ist ein Moment, das mich sehr hoffnungsfreudig macht, daß auch dort, wo die Vorstellungen über die Besetzung mit geeigneten Persönlichkeiten noch nicht verwirklicht werden können, eine Verwirklichung möglich ist.
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß der Grundsatzerlaß „keine Politik an den GoetheInstituten" ihre Wirkungsmöglichkeiten stark beeinträchtigt, wenn Sie Politik in einem weiteren Sinne nehmen, wie er etwa von den Organisationen verstanden wird, die sich in unseren Nachbarstaaten oder in anderen Staaten mit der kulturellen Arbeit beschäftigen, z. B. vom British Council.
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie, Herr Minister, daran erinnern, daß, wenn man die Ausleihlisten unserer Goethe-Institute nachprüft, die politische Literatur immer noch vor der anderen führt und daß Marx noch immer an der Spitze aller Autoren vor Goethe rangiert. Das möge nur ein Fingerzeig für das Interesse sein, das das Leserpublikum in diesen überwiegend in Entwicklungsländern gelegenen Leseinstituten hat.
Zu viele dieser Institute führen, so möchte ich sagen, ein rein einem ästhetischen Programm verhaftetes Dasein. Das sollte man wohl schon im Hinblick auf die Tätigkeit der auswärtigen Missionen der Zone, wie ich vorhin gesagt habe, ändern.
Die Haupttätigkeit der Institute ist die Vermittlung der deutschen Sprache. Hier werden wir Jahr für Jahr mit der Tatsache konfrontiert, daß erfreulicherweise die Zahl derjenigen, die Deutsch lernen wollen, ansteigt. Ja, man muß direkt staunen, welche Mengen da in unsere Kurse strömen. Aber aus dieser Tatsache ergibt sich nach meiner Ansicht eine Reihe von außerordentlich wichtigen Fragen. Zunächst einmal soll man sich durch die Zahlen nicht blenden lassen. Wer Gelegenheit hat, mit den Leitern solcher Kulturinstitute zu sprechen, und den Dingen auf den Grund geht, wird feststellen, daß im Endeffekt die Zahl derjenigen, die wirklich bemüht sind, Deutsch soweit zu lernen, daß sie es als Sprache benutzen können, sehr gering ist. Das zweite: wenn man diesen Zweig des Unterrichts der deutschen Sprache so sehr ausdehnt, muß man sich auch die Frage stellen, was man später einmal mit den Leuten anfangen will, die die deutsche Sprache erlernt haben. Hier fehlt die Fortsetzung. Es fehlt ein Fortsetzungsprogramm. Es fehlt an Möglichkeiten, die Leute, die wirklich Deutsch gelernt haben, weiter für die Arbeit unserer Kulturinstitute zu interessieren. Es mag sein, daß hier zuweilen ein materieller Mangel mitspielt, aber im großen und ganzen ist für diesen Fall nichts vorgesehen. Es erscheint mir auch als ein Mangel unseres Besucherprogramms, daß etwaige besonders gute Absolventen der Kurse an unseren Goethe-Instituten, die es in der Tat bis zu einer Art Diplom gebracht haben, dann nicht auch als Ansporn und um sie zur Mitarbeit zu gewinnen, in das Besucherprogramm oder in die verschiedenen Besucherprogramme der Bundesregierung einbezogen werden.
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Lassen Sie mich zum Problem der Goethe-Institute noch eines sagen. Alle diese Goethe-Institute besitzen Bibliotheken, und das ist mit einer der Hauptzwecke ihres Daseins. Aber was nützt es, daß wir in solchen Ländern Hunderte oder Tausende von deutschen Büchern haben, wenn sie trotz des Deutschunterrichts praktisch nur von einem Minimum der Besucher gelesen werden! Es erscheint absolut notwendig, daß die Bemühungen, mehr englische und französische Übersetzungen deutscher Literatur und deutscher Fachliteratur in diese Bibliotheken einzustellen, verstärkt werden.
Dann noch eines. Ein Teil des Bildes, das man sich von uns als Kulturnation im Ausland macht, beruht auf einer Reihe von technischen Leistungen. In kaum einem dieser Goethe-Institute finden Sie aber eine technische Bibliothek, die diese Leistungen in etwa repräsentiert. Dieser Mangel ist mir nicht bloß von Leitern, sondern auch von vielen Besuchern dieser Bibliotheken vorgehalten worden.
Uns stehen für den Ausbau dieser Institute nur beschränkte Mittel zur Verfügung. Da muß man allen Ernstes fragen, ob nicht manchmal ein etwas vorsichtigeres Taktieren am Platz wäre; denn wenn man an manchen Orten in den Entwicklungsländern prüft, wer von den Einheimischen die Veranstaltungen dieser Institute besucht — vielleicht ist es das Konzept, daß man in die Zukunft gebaut hat —, dann stellt man fest, daß im Jahresdurchschnitt, nur auf die einheimischen Besucher abgehoben, manchmal nicht mehr als 10, 15 oder 20 Leute kommen.
Auch an eine Verlagerung der Gewichte muß gedacht werden. Schauen Sie, da gibt es verhältnismäßig kleine Zweit- und Drittorte in afrikanischen Ländern, die heute bereits über ein Goethe-Institut verfügen. In der größten Stadt Indiens, in Bombay, mit über 6 Millionen Einwohnern, die auch für das geistige Leben Indiens von großer Bedeutung ist, haben wir kein Kulturinstitut. Ich kenne die dornenvolle Vorgeschichte, warum wir dort keines haben. Aber auch hier ist es eine Frage des guten Willens und die Frage gewesen, wie man einen guten Weg findet, dieses Problem zu bewältigen.
Unsere vierte Frage beschäftigt sich mit den deutschen Schulen im Ausland. Sie sind ein Kernstück unserer Kulturarbeit und zugleich eines der problematischsten. Die Schwierigkeiten auf diesem Gebiet reißen nicht ab. Schwierigkeiten bereiten die nach 1945 geschaffenen Schulträgerschaften. Sie waren, genauer gesagt, oft mehr hinderlich als förderliche Schulvereine. Sie waren ursprünglich einmal dazu gedacht, einen Teil der Mittel für diese Schulen aufzubringen, was sich im Laufe der Jahre jedoch größtenteils als Illusion herausgestellt hat.
Da sind die ungelösten Verwaltungsfragen.
Seit Jahren haben wir nur eine Handvoll Leute — darunter nur vier Herren des höheren Dienstes, die meist Juristen und keine Pädagogen sind —, die praktisch die Arbeit in über 350 Schulen beobachten und leiten sollen. Das ist ein unmöglicher Zustand. Das kann man mit einer solchen Equipe nicht machen. Es kann einen nicht wunder nehmen, daß zwei Drittel der Schulen daher — genau betrachtet — ein vom Amt und seinen Diensten völlig unkontrolliertes Dasein führen.
Für ihre Leistung und für ihr Ansehen gibt es keine objektiven Beurteilungsunterlagen. So konnte es beispielsweise vorkommen — ich möchte Sie an dieses Ereignis nur erinnern —, daß vor zwei Jahren in einer unserer Renommierschulen, nämlich der neuen Schule in Madrid, beim Abitur 95 % der Schüler durchgefallen sind, weil man festgestellt hat, daß trotz Neubaus und aller möglichen Bestrebungen in dem Wirken dieser Schule einfach die Möglichkeiten für den Unterricht, wie sie bei uns angesehen werden, nicht mehr vorhanden waren und daß man sich auch andere Ziele gesetzt hat.
Bei manchen dieser Schulen muß man sich fragen, ob es noch deutsche Schulen sind oder ob wir sie nicht besser unter der Rubrik „Bildungshilfe" einem neuen Status zuführen sollten. Nur eine Handvoll der Auslandsschulen führt zum Abitur. Ich möchte Sie fragen, ob das im Interesse unserer Hochschulpolitik liegt, wo wir zusätzlich eine Menge Geld ausgeben, um Bewerber aus anderen Ländern — ich denke hier besonders an die Entwicklungsländer — in Deutschland zusätzliche Deutschkurse absolvieren zu lassen. Irgendwo erscheint es mir persönlich auch geradezu widersinnig, wenn eine der berühmtesten dieser Schulen, unsere Humboldt-Schule in Mexiko, praktisch ein Jahr vor dem Abitur aufhört. Das ist eine Art Fehlplanung, die der baldigsten Korrektur bedarf.
Fachleute bemängeln außerdem das veraltete Erziehungsziel vieler deutscher Schulen besonders in den Entwicklungsländern, und sie fragen, wo denn eine neue deutsche Modellschule bleibe, die auf die moderne Industriegesellschaft vorbereite und die nach der Grundstufe Aufbauzüge für die kaufmännisch, die technisch, die landwirtschaftlich und die wissenschaftlich Interessierten und Begabten enthalte.
Auf Prestigeschulen, die schlechter als die Schulen des Gastlandes sind, sollten wir verzichten. Das ganze Problem bedarf eines sorgfältigen Studiums, einer politischen Klärung und einer neuen organisatorischen Lösung. Der jetzige Zustand ist unbefriedigend und verleitet, materiell gesehen, zu Fehlinvestitionen und zur Verschwendung von Geld.
In diesem Zusammenhang bleibt die Beteiligung an internationalen oder europäischen Schulvorhaben für die Beschulung deutscher Kinder zu prüfen. Ich möchte hier fragen, inwieweit die Schulabteilung des Auswärtigen Amts der Empfehlung des Kulturpolitischen Beirats des Auswärtigen Amts vom 24. Oktober 1961 nachgekommen ist, möglichst deutsche Lehrer für solche internationalen Schulen bereitzustellen.
— Darüber müßte man sich auch noch unterhalten.
Eine Nebenbemerkung. Es ist sehr schön, daß wir eine große und mittlerweile voll ausgebaute deutsche Schule in Paris haben. Aber ich muß fragen, warum man sich eigentlich keine Sorgen über die
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Schulverhältnisse von 400 deutschen Bergarbeiterkindern in Nordfrankreich macht. Ich habe bisher noch nicht gehört, daß deutscherseits irgendwo ein schulisches Zentrum für diese Kinder in Aussicht genommen worden ist.
Lassen Sie mich auch noch ein Wort zu den Gewerbeschulen sagen, die in vieler Hinsicht ein bedeutender Pluspunkt unserer auswärtigen Kulturarbeit sind. 22 davon sind in Betrieb. Die Errichtung von 44 solcher Schulen hat die Bundesregierung bindend zugesagt. Aber da bereits im abgelaufenen Jahr vorübergehend vier der schon in Betrieb befindlichen Schulen ohne Leiter waren, weil es den Ländern nicht möglich war, für Ersatz zu sorgen, frage ich mich, ob sich die Bundesregierung bei der Zusage für diese 44 Gewerbeschulen auch Gedanken darüber gemacht hat, wo sie die Gewerbelehrer für diese 44 Schulen herbekommt. Sie können praktisch nur aus dem Reservoir der Länder geschöpft werden, wo sie selbst eine Mangelware sind. Ein breit gestreutes Programm erscheint mir bei der Kürze der Zeit, in der es durchgeführt werden soll, als eine Verzettelung der zur Verfügung stehenden Kräfte.
Ganz abgesehen davon sollte die Bundesregierung ihre Autorität dafür einsetzen, daß die wirklich entnervende Zersplitterung der Zuständigkeiten im Dienstverkehr der bereits bestehenden Schulen mit deutschen Stellen in irgendeiner Form bereinigt wird. Wenn die Leiter dieser Schulen irgendwelche Anliegen haben, so müssen sie sich meistens erst I an fünf Stellen wenden, bevor sich eine dieser Stellen als zuständig erklärt.
Noch eine kurze Bemerkung zu den Lehrern an unseren Auslandschulen. Die Auswahl dieser Lehrer — manche Zwischenfälle und die viele, viele Arbeit, die das Amt damit hat, auch das Bundesverwaltungsamt, führen dazu, daß die Schulabteilung im Auswärtigen Amt mit der ihr übertragenen Aufgabe nicht fertig wird — ist nach wie vor problematisch. Das kann unter den gegenwärtigen Umständen, die ja nicht zu ändern sind, auch nicht anders sein. Aber auch hier vermisse ich eine Initiative, um gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz zu einer besseren Lösung dieses Problems zu kommen.
Schließlich bleibt noch das Problem der Entsendung von deutschen Lehrern an nichtdeutsche Schulen beispielsweise in Entwicklungsländern. Mein Freund Wischnewski hat kürzlich die Öffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht, daß die Bundesrepublik offensichtlich nicht in der Lage war, der Regierung der Republik Algerien neun von ihr erbetene Schullehrer zu schicken. Diese seine Bekanntmachung in der Öffentlichkeit hat eine Stellungnahme der Ständigen Konferenz der Kultusminister gezeitigt, die mich eigentlich überrascht hat. Der Vertreter der Konferenz schreibt hier — wenn ich das eben verlesen darf —:
Ich darf Ihnen hierzu mitteilen, daß den Kultusministern der Länder von der algerischen Bitte nichts bekanntgeworden ist. Die Kultusminister haben wiederholt dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit die grundsätzliche Bereitschaft erklärt, Fachkräfte für eine Tätigkeit in Entwicklungsländern zu beurlauben.
Mir scheint, daß hier irgendwo Sand im Getriebe ist und daß dieser Sand mit einem geeigneten Scheuermittel alsbald entfernt werden sollte.
Der schwächste Punkt unserer Kulturpolitik liegt in dem Thema, das wir unter Punkt 6 angeschnitten haben: die Entsendung von Hochschullehrern und Lektoren ins Ausland und die Beziehungen zwischen deutschen und ausländischen Universitäten. Die ungeheure Nachfrage nach Lektoren und Hochschullehrern hat in all den vergangenen Jahren niemals befriedigt werden können. Die Schwierigkeiten sind nicht zu übersehen. Beamtete Hochschullehrer gehen ungern aus der Bundesrepublik heraus, weil noch immer — obwohl eine Reihe von Universitäten dankenswerterweise entsprechende Leerstellen geschaffen haben — diese Frage nicht in einer Weise geregelt ist, die es für Hochschullehrer attraktiv macht, ins Ausland zu gehen. Diejenigen Hochschullehrer die von sich aus und durch Verträge mit fremden Regierungen auf sich allein gestellt draußen arbeiten, werden nach wie vor in einer unzureichenden Weise durch die Bundesrepublik gefördert. Ich will gern zugeben, daß seit der Errichtung der Vermittlungsstelle für Wissenschaftler im Ausland einiges geschehen ist und sich manches gebessert hat. Aber im großen und ganzen, so muß man sagen, ist dieses Problem ungelöst.
Ich habe kürzlich mit dem Rektor einer Technischen Hochschule eines sehr, sehr großen Entwicklungslandes gesprochen. Dieser Mann hat einen Monat hindurch sämtliche deutsche Universitäten und Technischen Hochschulen besucht, um zwei Lehrkräfte für seine eigene Universität zu erhalten. Er ist mit leeren Händen wieder nach Hause gefahren. Das verwundert mich auch gar nicht. Denn in den Hochschulen selbst sind ja keine Möglichkeiten für eine solche Entsendung vorhanden. Aber ich würde sagen: wenn schon ein solcher Mann nach Deutschland kommt, wäre es wohl die Pflicht des Auswärtigen Amtes, ihn auch mit jenen Stellen in Kontakt zu bringen, mit denen er vielleicht positivere Gespräche in dieser Sache führen kann.
Universitätspartnerschaften, wie sie in den vergangenen Jahren eingeleitet worden sind, sind sicherlich eine gute Sache. Auch die Versprechungen und die Zusagen, die die Bundesrepublik anderen Ländern zum Mitaufbau an ihren Universitäten gegeben hat, bleiben genau wie in unserem eigenen Lande, wo ja auch die Universitäten aus ihren Nähten platzen, eine problematische Aufgabe deswegen, weil es sich immer schon nach wenigen Jahren herauszustellen pflegt, daß die Bundesrepublik den aus solchen Partnerschaften oder Zusagen erwachsenen Verpflichtungen materiell nicht mehr gewachsen ist.
Selbstverständlich will dann eine solche Universität
neue Institute haben, mehr Professoren, sie wächst
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heraus, und das führt allerdings nachher in materielle Kategorien, die wahrscheinlich von uns allein nicht mehr zu bewältigen sind. Man muß daher fragen, ob es auch gerade bei den Unversitätspartnerschaften nicht besser wäre, ein bißchen mehr auf die europäische und internationale Zusammenarbeit zuzusteuern, um weitere finanzkräftige Partner beim Aufbau solcher Universitäten zu haben.
In diesem Bereich ist ferner das Problem der Lektoren, der Germanisten an den auswärtigen Universitäten und besonders in den Entwicklungsländern völlig ungelöst. Sie alle, meine Damen und Herren, haben wahrscheinlich die Denkschrift von Professor Lennartz vom DAAD erhalten, der darauf hinweist, daß er mit den ihm in diesem Jahr bewilligten Haushaltsmitteln, obwohl das Auswärtige Amt die Berechtigung seiner Forderung erkenne, nicht auskommen könne. Ich möchte darauf hinweisen, daß gerade auf diesem Gebiet der Entsendung von Lektoren und Professoren künftig mehr getan werden muß. Dies ist mindestens so wichtig wie die Errichtung von neuen Goethe-Instituten; denn wie die Erfahrungen gezeigt haben, kommen Lektoren oder besonders Professoren häufig in die Situation, Berater fremder Administrationen und Minister zu sein und in eine Tätigkeit zu gelangen, in der sie für die auswärtige Politik und auch die auswärtigen Kulturbeziehungen der Bundesrepublik in einem ungeheuren Maße nützlich sein können.
Ich möchte Ihnen, Herr Minister, um aus diesen Schwierigkeiten herauszukommen, eine Anregung geben. Die Probleme liegen ja hauptsächlich darin, daß es für die einzelnen Universitäten, die wir nicht beeinflussen können, offensichtlich so sehr, sehr schwierig ist, Leute zu entsenden, wegen der Leerstellen, wegen der Frage, was nachher mit den Leuten geschieht, wenn sie wieder zurückkommen. Sie glauben, daß sie dann irgendwie in ihrem Fortkommen behindert sind. Wäre es nicht möglich, einmal mit einem dazu geeigneten oder bereiten Bundesland zu sprechen, ob es vielleicht bereit ist, eine Universität zu errichten, die praktisch nur aus einer Verwaltung besteht und in der alle diejenigen Hochschullehrer beheimatet sein könnten, die länger als zwei, drei Jahre — und das ist ja auch sehr wichtig; manche sind fünf, zehn oder 15 Jahre draußen — solche Aufgaben im Interesse der Bundesrepublik übernehmen? Ich weiß nicht, ob eine solche Idee an den bestehenden Schwierigkeiten scheitert. Zumindest scheint sie mir ein praktischer Lösungsvorschlag zu sein, dem man vielleicht nachgehen könnte.
Unsere Frage Nr. 7 beschäftigt sich damit, ob die Bundesregierung Möglichkeiten sieht, bei dem Studium von Studenten aus anderen Ländern aufgetretenen Mängeln besser entgegenzuwirken als bisher. Das Problem der Auslandstudenten ist in diesen Tagen durch eine Denkschrift der Kultusministerkonferenz neu aktuell geworden, die zu meinem großen Erstaunen der Bundesrepublik vorschlägt, mehr für das Ausländerstudium zu tun bzw. eine größere Zahl von ausländischen Studenten nach Deutschland hereinzuziehen. Ich bin froh, daß die Westdeutsche Rektorenkonferenz eine sachliche Erwiderung darauf gegeben hat. Ich will die bekannte Liste der Mißstände hier nicht repetieren. Aber ich möchte Sie an ein Wort Ihres Vorgängers erinnern, Herr Minister, der gesagt hat, daß alle auswärtige Kulturarbeit sinnlos wird, wenn wir Studenten, Besuchern und Praktikanten nicht unser Leben sinnfällig machen können und sie enttäuscht in ihre Heimatländer zurückfahren lassen. Wenn auch Ihr Amt in diesem Fall nur der Briefkasten ist, es dürfte Ihnen in diesem Zusammenhang nicht gleichgültig sein, was die Studenten und Praktikanten in unserem Lande an persönlichen Erlebnissen haben, und in diesem Zusammenhang auch nicht, was die Allgemeinheit über das Leben in diesen Ländern weiß und was Volksschüler in der Bundesrepublik über Afrika, Asien und Lateinamerika erfahren.
Eine in dankenswerter Weise auf Initiative der UNESCO durchgeführte Bestandsaufnahme über Unterrichtswerke in der Bundesrepublik enthüllt, daß Bildungshilfe im eigenen Land auf diesem Gebiet dringend geboten erscheint. In diesen Büchern enthüllt sich ein europazentrisches Geschichtsbild. Den Schülern wird nicht vermittelt, daß eine vierhundertjährige Hegemonie Europas durch eine pluralistische Völkergemeinschaft abgelöst worden ist. Ich bin daher einem Beamten der Bundesregierung dankbar, der die Herausgabe eines ausgezeichneten Modellunterrichtsbuches veranlaßt hat, das, wie mir scheint, eine passende Weihnachtsgabe des Außenministers für seine Kollegen für Kultur und Erziehung in den Ländern sein würde.
Aber zurück zu den Studenten. Ich weiß, daß nicht übermäßig viel geschieht, um eine gelegentlich oberflächliche Begeisterung für unsere Formen, zu leben und Politik zu machen, zu vertiefen. Trotzdem sollten wir alles tun, um den Sinn dieser Studenten für ein freiheitliches Weltbild zu wecken. Statt dessen aber werden unsere akademischen Besucher in der Bundesrepublik häufig mit einer doppelbödigen akademischen Freiheit konfrontiert. Das Recht der freien Meinungsäußerung ist vielen Studenten verwehrt, und mit Recht beklagt sich die Vereinigung der afro-asiatischen Studenten, daß die Anerkennung ihrer Gruppen und Vereine an vielen Universitäten von der schriftlichen Verpflichtung abhängt, keine politischen Diskussionen zu veranstalten. Ist denn die Bundesregierung Erfüllungsgehilfe der politischen Doktrinen ausländischer Staaten? Das kann ich nicht glauben.
In dieses Gebiet, meine Damen und Herren, gehört es auch, daß wir uns etwas härter zeigen sollten, wenn nach einem jeweiligen Regierungswechsel in irgendeinem fernen Land die neue Regierung plötzlich darauf besteht, daß ein großer Teil der bei uns studierenden Landsleute von ihnen zurückgerufen wird, Menschen, in die die Steuerzahler der Bundesrepublik viele Tausende von Mark investiert haben, nur weil ihnen die Richtung dieser Leute im Augenblick nicht paßt, und daß sie ver-
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suchen — und wir das zulassen —, die Rückkehr durch Paßentziehungen und durch Denunziation etwa in der Richtung, es handele sich überwiegend um Kommunisten und dergleichen, zu erzwingen.
Mir scheint im großen und ganzen, daß in der Frage der ausländischen Studenten bei uns eine bescheidene Änderung der politischen Richtung geboten ist, insbesondere was die Vergabe von Stipendien betrifft, wenn mir auch klar ist, daß wir damit nur einen sehr kleinen Teil erreichen; denn praktisch sind nur 15% aller auswärtigen Studierenden Stipendienstudenten. Aber ich möchte doch folgendes bemerken. In Afrika und in Asien, besonders aber in Afrika, gibt es erstklassige Universitäten und Technische Hochschulen mit viel freier Kapazität, da die afrikanischen Eltern in der Regel zu arm sind, um ihre Kinder studieren zu lassen. Die von der UNESCO in diesem Herbst veranstaltete Konferenz über die Entwicklung des Erziehungswesens in Afrika hat empfohlen, Stipendien nur noch den Ländern anzubieten, die keine eigenen Universitäten haben. Die afrikanische Rektorenkonferenz im Oktober dieses Jahres ist sogar noch weiter gegangen und hat gemeint, daß das ganze Undergraduate-Studium an afrikanische Universitäten verlegt werden sollte.
Ein zweites Moment ist — ich habe mich auf mehreren Reisen selber davon überzeugen können, insbesondere in Asien -, daß viele in der Bundesrepublik ausgebildete Fachkräfte in ihrem Heimatland keine ihrer Ausbildung entsprechende Stellung
finden. Es scheint mir, daß auf diesem ganzen Gebiet in Zukunft eine etwas sorgfältigere Planung Platz greifen müßte.
Unsere nächste Frage bezieht sich auf die organisatorischen und personellen Voraussetzungen der Kulturabteilung des Auswärtigen Amts. Noch immer gilt diese Abteilung zuwenig in Ihrem Haus, Herr Minister. Man könnte auch hier die grundsätzliche Frage, die öfters diskutiert worden ist, anknüpfen, ob die Arbeit dieser Abteilung überhaupt in Ihr Haus gehört. Wir sind der Meinung, daß sich hier nun einmal eine Tradition eingebürgert hat. Einiges wird in Ihrem Hause gemacht. Die Kulturarbeit draußen ist ein untrennbarer Bestandteil der Außenpolitik, und deswegen kann das Leiten und Planen nicht aus dem Ministerium herausverlegt werden. Aber es gibt eine Diskrepanz zwischen den 172 Millionen DM, die in dieser Abteilung verplant werden, und der Zahl der Verwalter, die damit beschäftigt sind. Eines der größten Probleme dieser Abteilung ist, ,daß die Mitarbeiter vor Verwaltungsarbeit kaum noch zum Planen und Nachdenken kommen. Die Klage über unbeantwortete oder viel zu spät beantwortete Post reißt nicht ab. Entscheidungen, die von außen angefordert worden sind, kommen oft so spät, daß sie durch den Gang der Ereignisse überholt sind.
Glücklicherweise kann man feststellen, daß wenigstens auf dem Gebiet der Zusammenarbeit mit der Kultusministerkonferenz sich einige positive Nuancen abzeichnen. Aber diese Konferenz kann ja immer nur Empfehlungen aussprechen. Eigentlich brauchte das Auswärtige Amt ein noch intensiveres Verbindungsmedium zu den Länderhauptstädten und den Entscheidungen auf kulturellem Gebiet, die dort gefällt werden. Das legt mir die Fragenahe, warum eigentlich der Herr Minister für Bundesratsangelegenheiten, von dem ich glaube, daß er in seiner Tätigkeit nicht durch übermäßige Arbeitsfülle verhindert ist, sich nicht angelegentlicher um dieses Gebiet und um Maßnahmen auf diesem Gebiet kümmert, auf dem er mir in hohem Maße zuständig zu sein scheint. Hier könnte er bei den auftretenden Schwierigkeiten dem Auswärtigen Amt eine Menge von Ungelegenheiten im Verkehr mit der Kultusministerkonferenz, den Bundesländern oder dem Bundesrat abnehmen.
Kulturarbeit hat heute - darüber gibt es gar keinen Zweifel mehr — in Europa eine ,andere Zielsetzung als in Afrika, in Asien eine andere als in Amerika. Sie können unsere wichtigsten Verbündeten, z. B. die USA, in dieser Hinsicht nicht behandeln wie irgendein ähnlich großes Land in Asien. Die Aufgabenstellung ist eine andere. Dieser Diversität der Aufgabe ist aber die Organisation der Kulturarbeit nicht gewachsen. Sie bedarf einer grundsätzlichen Reform, in der sich in gewisser Weise auch die Neuorganisation des Amtes widerspiegelt. Sie bräuchte eine Europaabteilung, eine Afrikaabteilung, eine Asienabteilung, und sie müßte das Referat, das sich mit unseren Kulturbeziehungen zu internationalen Organisationen befaßt, von vielen anderen Aufgaben entlasten. Allein die unzulänglichen organisatorischen und personellen Voraussetzungen dieser Abteilung bewirken, daß die Kulturbeziehungen weit hinter den wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit anderen Ländern zurückgeblieben sind.
Noch ein Wort über das Verhältnis der Abteilung zu den Organisationen, mit denen sie zusammenarbeitet und in die sie einen Teil ihrer Aufgaben hineingelegt hat, wie das Goethe-Institut, den Akademischen Austauschdienst, die Humboldt-Stiftung und andere. Diese Organisationen arbeiten heute an unseren auswärtigen Missionen selbständig, und ein direktes Weisungsrecht des beauftragten Kulturreferenten ihnen gegenüber besteht nicht. Die Zusammenarbeit klappt überall da, wo das menschliche Verhältnis harmonisch ist. Aber wie Sie selbst wissen, kann das menschliche Verhältnis nicht immer harmonisch sein, und ich finde, man muß auch für solche Fälle Vorsorge treffen. Ich würde einer Regelung des Verhältnisses zu diesen Organisationen den Vorzug geben, die auch der Möglichkeit Rechnung trägt, daß das persönliche Verhältnis zwischen dem Kulturreferenten und den Leitern dieser Institute kein besonders herzliches ist — das kommt vor — und daß dort etwas gänzlich anderes gemacht wird, als was sich der Kulturreferent für die politische und kulturpolitische Arbeit in dem betreffenden Lande vorstellt.
In manchen Ländern ist es heute so, daß die Funktion des Kulturreferenten praktisch auf die eines Verwaltungsmannes abgesunken ist. Da könnten Sie an seine Stelle auch einen Konsularsekretär setzen; der könnte das nämlich auch machen. Ich
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glaube nicht, daß eine solche Lösung im Interesse der Bundesrepublik liegt.
Noch ein Wort über die Zusammenarbeit mit den nachfolgenden Organisationen, die Kulturarbeit machen. Es scheint mir nicht sehr sinnvoll zu sein, daß hier die Bestimmung vorherrscht, daß die Verwaltungskosten bei den ständigen Zuschüssen, die dort geleistet werden, nur 7 % über den Personalkosten liegen dürfen. In der Kulturarbeit sind solche bindenden Vorschriften, die eigentlich geradezu einer Aufblähung des Personalapparates das Wort reden, meiner Ansicht nach etwas unsinnig.
— Das ist eine haushaltstechnische Anordnung, die vom Auswärtigen Amt und seinen Inspektoren den nachgeordneten Organisationen auferlegt ist.
Lassen Sie mich nun etwas zu der Frage 9 sagen, also zu der Frage, welche Erfahrungen die Bundesregierung mit Kulturreferenten gemacht hat, die keine Laufbahnbeamten sind. Heute halten sich im Amt selber diejenigen, die nur Angestellte und Spezialisten sind, und Beamte etwa die Waage. Aber ich möchte sagen, im Amt fehlt ein bißchen die Neigung, besonders qualifizierte Köpfe für die Aufgabe des Kulturreferenten heranzuziehen und heranzubilden. Es scheint eine Politik zu sein, daß man diese Aufgaben überwiegend Beamten übertragen will, die aus dem eigentlichen allgemeinen Dienst stammen, und wir müssen unsere große Skepsis anmelden, ob eine solche Politik die richtige ist. Jedenfalls, die Parade, die wir nach der Tagung I der Kulturreferenten in Maria-Eich gesehen haben, hat doch sehr deutlich gezeigt, daß zumindest das Amt für seine kulturelle Auslandsarbeit noch ganz gut eine Reihe von exquisiten Köpfen gebrauchen kann.
Das alles aber hängt doch wohl eng mit der allgemeinen Personalpolitik des Auswärtigen Amts zusammen. Ich möchte nicht in den Verruf kommen oder sozusagen der Mißdeutung ausgesetzt werden, daß ich das, was ich jetzt sage, etwa deshalb sage, weil ich, da ich irgendwo nicht richtig behandelt worden sei, verschnupft sei. Das ist unter gar keinen Umständen der Fall. Ein Botschafter einer unserer größeren Missionen hat neulich bei Antritt seines Amts seinen Mitarbeitern gesagt, er halte die Betreuung von Ministern und Abgeordneten für eine der wichtigsten Aufgaben einer Botschaft, weil die Botschaft sozusagen nach dieser Betreuung beurteilt werde. Das ist ein sehr weiser Satz, Herr Minister. Ich kann Ihnen für die Betreuung, die man an. unseren auswärtigen Missionen erfährt, für die Gastfreundschaft und die Hilfe, die einem dort gewährt werden, nur das Zeugnis 1 a ausstellen.
Ein kluger Mann aus Ihrem Amt hat einmal gesagt, daß die Personalpolitik unter Ihrem Vorgänger aus drei Komponenten zusammengesetzt gewesen sei, nämlich aus den Wünschen des ehemaligen Bundeskanzlers Dr. Adenauer und seines Staatssekretärs, aus den Vorurteilen des damaligen Außenministers und aus den Pressionen von Gruppen, die von außen her in das Amt hineingewirkt haben.
Heute höre ich, daß Sie die Personalpolitik erfolgreich gegen die Lobbyisten von außen abgeschirmt hätten. Wenn dem so ist, wäre das ein Verdienst. Aber wir kommen an der Tatsache nicht vorbei, daß der Chef Ihrer Personalabteilung — nunmehr sozusagen in der dritten Generation — kein Mann aus dem auswärtigen Dienst ist, auch kein Mann, der jemals im Ausland war.
Man muß in diesem Zusammenhang mal fragen: Wieso gilt eigentlich die Regelung bei der Einstellung in den auswärtigen Dienst, daß die Eingestellten mindestens eine Fremdsprache beherrschen müssen, für die Personalreferenten aber nicht? Die einzige „Fremdsprache" von der ich glaube, daß Herr Raab sie beherrscht, ist Rheinisch.
An den auftretenden Unzulänglichkeiten bei der Besetzung ausländischer Missionen sind meines Erachtens eine Reihe von Faktoren schuld, erstens einmal, daß, Herr Minister, Fehlentscheidungen in Ihrem Amt offenbar aus Gründen der Autorität Ihres Personalchefs grundsätzlich nicht rückgängig gemacht werden, und dann, daß in dem Kollegium, in dem Sie jetzt Ihre personalpolitischen Entscheidungen treffen, einer der Hauptakteure — eben der Personalreferent — den auswärtigen Dienst aus eigener Erfahrung nicht kennt. Und keiner Ihrer beiden Staatssekretäre, denen man viel Lob zollen muß, hat überhaupt jemals irgendeine Zeit auf einer auswärtigen Mission verbracht. Offenbar werden bei solchen Ernennungen auch Konsultationen mit erfahrenen Referenten nur im Ausnahmefall gepflogen.
Der nächste Faktor ist wohl die Illusion vom sogenannten allgemeinen Dienst, d. h. die Vorstellung, daß jeder im auswärtigen Dienst grundsätzlich für jedes Amt geeignet sein muß. Dieses Prinzip ist ohnehin durchbrochen durch die zahlreichen klimatisch schwierigen Positionen, auf die man eine Reihe von Herren Ihres Hauses aus gesundheitlichen Gründen nicht schicken kann. Inzwischen müßte sich aber bei Ihnen doch auch herumgesprochen haben, daß ein Mann, der vielleicht in Den Haag oder in Teheran sehr gut ist, möglicherweise — es ist ein Beispiel — in Delhi versagt oder in Djakarta sogar fehl am Platz ist. Die Aufgabenstellung des Amtes und das Handwerk der Diplomatie haben sich verändert, was freilich viele nicht wahrhaben wollen; sonst könnte es einem nicht passieren, daß ein Botschafter in einem Lande, in dem die meisten Führer der zu der Regierung in Opposition stehenden Gruppen nicht in der Lage sind, irgendeine der europäischen Sprachen zu sprechen, in dem man nicht einmal die Aufschrift auf einem Omnibus lesen kann, wenn man durch die Straßen der Hauptstadt geht, erklärt, er glaube, daß die Beherrschung der Landessprache für Herren seiner Mission eine überflüssige Angelegenheit sei; das sei keine Frage, die für seine Berichte und überhaupt für die Beziehungen der Botschaft zu diesem betreffenden Land eine bedeutsame Rolle spiele.
Das Potential des Amtes an in seltenen Sprachen erfahrenen Herren, Herr Minister, wird überhaupt
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. Dezember 1963 4721
Kahn-Ackermann
gelegentlich recht kurios eingesetzt. Ich habe mir sagen lassen, daß beispielsweise in diesem Jahr — ich weiß nicht, ob es wahr ist; vielleicht dementieren Sie es — drei Herren des höheren Dienstes nach Moskau hätten versetzt werden sollen, die weder russisch sprachen, noch irgendeine Vorkenntnis von diesem Land hatten. Ich kann verstehen, daß ein junger Mann auch mal nach Moskau muß, um das Land kennenzulernen und auch die Sprache zu lernen. Wenn aber das zuträfe, daß gleich ein solcher Massennachschub geplant war, wäre das doch etwas eigenartig.
Ich entsinne mich an meinen Besuch in Hongkonk, wo mir erzählt wurde, daß ein großer Mangel an chinesisch sprechenden Herren bestehe, die zur Auswertung der Presse usw. benötigt würden, während man drei oder vier gar nicht so weit entfernt liegende Orte nennen könne, in denen zur gleichen Zeit chinesisch sprechende Herren in absolut untergeordneten Positionen tätig seien. Ich glaube also, daß hier eine gewisse Rationalisierung in der Arbeit von Wert wäre.
Mangelnde Sprachkenntnisse führen natürlich zur Verwendung von einheimischen Kräften. Da muß es manchmal überraschen, wenn man erfährt, daß solche als V-Leute aus den Bürgern des Gastlandes rekrutierte Personen, die sich im Dienst oder im Nachfolgedienst unserer Missionen befinden, häufig eher über bevorstehende personalpolitische Veränderungen an der Mission unterrichtet sind, von der sie verwendet werden, als der Geschäftsträger, der Generalkonsul oder der Botschafter. Das weist doch immerhin darauf hin, daß solche Leute noch direkte Drähte zu Ihrem Amt haben und von dort eben schneller bedient werden als der eigentliche Missionschef.
Das merkwürdige System, nach dem offenbar seit Jahren gelegentlich Missionschefs ausgesucht werden, zeitigt auch andere Folgen. Ich muß sagen, ich persönlich empfinde es nicht gerade sehr angenehm, wenn man bei dem Besuch einer Botschaft schon bald von einem jüngeren Herrn im konsularischen Dienst erfährt
— das hat alles etwas damit zu tun, denn es handelt sich um Fragen der Personalpolitik, und ich glaube, wir sollten diese Angelegenheit hier einmal berühren, denn es geht hier um die Verwendung von Spezialisten, und Spezialisten sind in diesem Falle auch die Leute, die in der Kulturpolitik tätig sein sollen —,
daß etwa der Botschafter nichts tauge, und wenn einem diese Tatsache nachher von Herren des höheren Dienstes bestätigt wird. Das finde ich etwas eigenartig.
Es gibt noch viel Interessanteres. Herr Minister, ich habe mir sagen lassen, daß es eine diplomatische Mission gibt, die auf Anweisung aus dem Amt von dem zuständigen Geschäftsträger überhaupt gar nicht betreten werden darf, weil man Angst
habe, er sei dort der auf ihn harrenden delikaten Aufgabe nicht gewachsen. Und schließlich die offenbare Folge dieser Personalpolitik: daß ein Teil der Botschaften eines ganzen Kontinents von Herren geleitet wird, die ihrer Aufgabe nicht gewachsen und nicht fähig sind. Um jedem Mißverständnis vorzubeugen, Herr Minister: das ist nicht meine Meinung, sondern das ist die Meinung eines Ihrer trefflichen Herren, der es als der für diesen Kontinent zuständige Referent eigentlich wissen müßte.
Ich bin kein Fürsprecher des Proporzes; im diplomatischen Dienst schon gar nicht. Aber bei der riesigen Zahl unserer auswärtigen Vertretungen fällt es doch auf, daß über einigen recht offen die Fahne der Regierungspartei flattert, während von der Opposition zur Zeit nur noch e i n Herr vorhanden ist. Ich wäre sehr froh, wenn Sie mich eines Besseren belehren würden. Ich will gar nicht Kritik daran üben, aber ich möchte sagen, es ist ein bißchen vielleicht ein Symptom, das durch eine Entwicklung hervorgerufen worden ist, die nicht so ganz mit dem Charakter des Auswärtigen Dienstes übereinstimmt. Mein Freund Wischnewski hat schon vor geraumer Zeit darauf hingewiesen, daß Botschaft nicht gleich Botschaft ist und daß die Hilfsreferenten, die unter afrikanischer Sonne ihre Beglaubigungsschreiben überreichen, vielleicht nicht in Ihren Augen, Herr Minister, aber doch in den Augen der Bürokratie und des Amtes weiter Hilfsreferenten bleiben. Das führt zu der direkten Überlegung, ob nicht das traditionelle Bewertungsschema unserer Auslandsvertretungen vielleicht einem revolutionären Akt unterworfen werden sollte, der die tatsächliche Bedeutung des Platzes dem Rang des Botschafters angleicht.