Protokoll:
4042

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 4

  • date_rangeSitzungsnummer: 42

  • date_rangeDatum: 24. Oktober 1962

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:03 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 18:41 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 42. Sitzung Bonn, den 24. Oktober 1962 Inhalt: Abg. Even (Köln) — Wahlmann gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht 1791 A Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben für das zweite Vierteljahr des Rechnungsjahres 1962 (Drucksache IV/666) 1791 A Fragestunde (Drucksachen IV/671, IV/672) Frage des Abg. Dr. Kohut: Untersuchungsbericht betr. Staatssekretär Globke Höcherl, Bundesminister 1791 D, 1792 A, B, C Dr. Kohut (FDP) . . . . 1791 D, 1792 A Wittrock (SPD) 1792 A, B Jahn (SPD) 1392 B, C Frage des Abg. Dr. Kohut: Staatssekretär Globke und die Ausarbeitung nationalsozialistischer Gesetze Höcherl, Bundesminister . . . 1792 C, D, 1793 A, B, C, D, 1794 A, B Dr. Kohut (FDP) . . . . . . . . 1792 D Dr. Mommer (SPD) . . . . 1793 A, C Erler (SPD) 1793 A Jahn (SPD) ' 1793 B, C Spies (CDU/CSU) . . . . . . 1793 D Bauer (Würzburg) (SPD) . . . . 1793 D Wittrock (SPD) 1794 A Frage des Abg. Dr. Kohut: Wiedergabe von Äußerungen des Bundeskanzlers in der „Frankfurter Rundschau" Höcherl, Bundesminister . . 1794 B, C, D Dr. Kohut (FDP) 1794 C, D Vizepräsident Dr. Schmid . . . 1794 D Frage der Abg. Frau Dr. Diemer-Nicolaus: Reise- und Umzugsvergütung für Beamtinnen mit eigenem Hausstand Höcherl, Bundesminister . . . 1795 A, B Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . . 1795 A Frage des Abg. Lohmar: Kommission zur Beratung der Bundesregierung in Fragen der politischen Bildung Höcherl, Bundesminister . . . 1795 B, C Lohmar (SPD) 1795 C Frage des Abg. Dröscher: Luftschutzräume in neuen Krankenhäusern Höcherl, Bundesminister 1795 C, D, 1796 A Dröscher (SPD) . . . . . . . . 1795 D Frau Dr. Hubert (SPD) . . 1795 D, 1796 A II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1962 Frage des Abg. Wittrock: Mißstände bei Teilzahlungskäufen Dr. Stammberger, Bundesminister . . . . 1796 A, B, C Wittrock (SPD) 1796 B, C Frage des Abg. Wittrock: Verwendung von Kugelschreibern bei notariellen Urkunden Dr. Stammberger, Bundesminister . 1796 D 1797 B, C Wittrock (SPD) 1797 B, C Frage der Abg. Frau Dr. Hubert: Ratifizierung der Europäischen Sozialcharta Blank, Bundesminister 1797 C, 1798 A Frau Dr. Hubert (SPD) 1797 D, 1798 A Börner (SPD) . . . . . . . . . 1798 B Frage des Abg. Wegener: Soldaten-Freizeitheim in Augustdorf Strauß, Bundesminister 1798 B, D, 1799 A Wegener (SPD) 1798 C, D Welslau (SPD) . . . . 1798 D, 1799 A Frage des Abg. Bauer (Würzburg) : Flugzeugabstürze bei der Bundeswehr Strauß, Bundesminister . . . 1799 A, B Bauer (Würzburg) (SPD) . . . . 1799 B Frage des Abg. Cramer: Bedarf an Fernsprecheinrichtungen Stücklen, Bundesminister . 1799 C, D Cramer (SPD) • 1799 C, D Frage des Abg. Metzger: Verkauf eines Kasernengrundstücks in Darmstadt Lenz, Bundesminister . . 1800 A, B, C, D, 1801 A, B Metzger (SPD)' 1800 B Ritzel (SPD) 1800 C, D Dr. Schäfer (SPD) . . 1800 D, 1801 A, B Schwabe (SPD) 1801 B Frage des Abg. Sänger: Entschädigung an jugoslawische Opfer von medizinischen Versuchen Dr. Hettlage, Staatssekretär . 1801 C, D Sänger (SPD) 1801 D Fragen des Abg. Fritsch: Tragen von Überschnallkoppeln und langen Hosen im Bundesgrenzzolldienst Dr. Hettlage, Staatssekretär 1802 A, B, C, D, 1803 A Fritsch (SPD) 1802 B, C, D Ritzel (SPD) . . . . . . . . 1803 A Fragen des Abg. Hilbert: Entschädigung der sogenannten F.- u. E.-Hiebe Dr. Hettlage, Staatssekretär 1803 A, C, D Hilbert (CDU/CSU) . . . . . 1803 B, C Dröscher (SPD) 1803 D Frage der Abg. Frau Dr. Elsner: Verfälschte italienische Dessertweine Dr. Hettlage, Staatssekretär . . 1804 A Frau Dr. Elsner (SPD) 1804 A Frage des Abg. Seuffert: Kücheneinrichtungen bei Bauzügen der Bundesbahn Dr. Hettlage, Staatssekretär . . 1804 C, D Seuffert (SPD) . . . . . . . 1804 C, D Antrag der Fraktion der SPD betr. Trinkmilch (Drucksache IV/409) 1805 A Bericht des Petitionsausschusses über seine Tätigkeit; verbunden mit der Sammelübersicht 10 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen und systematische Ubersicht über vom 17. Oktober 1961 bis 30. September 1962 eingegangene Petitionen (Drucksache IV/653) . . Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven) (FDP) 1805 B Vizepräsident Dr. Schmid . . . . 1808 B Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Leistungsrechts der Kindergeldgesetze (Kindergeldverbesserungsgesetz) (SPD) (Drucksache IV/468) — Erste Beratung — Frau Korspeter (SPD) 1808 C Winkelheide (CDU/CSU) . . . 1810 A Killat (SPD) . . . . . . . . . 1811 A Blank, Bundesminister . . . . . 1813 C Dr. Danz (FDP) . . . . . . . 1814 B Dr. Schellenberg (SPD) . 1815 C, 1816 D Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1962 III Antrag der Fraktion der SPD betr. Zweites Neuordnungsgesetz zur Kriegsopferversorgung (Drucksache IV/469 [neu]) Bazille (SPD) 1817 B, 1831 A Frau Dr. Probst (CDU/CSU) 1819 D, 1835 A Dr. Rutschke (FDP) 1820 B Blank, Bundesminister . 1821 A, 1828 B Glombig (SPD) . . . . 1823 B Dr. Schellenberg (SPD) . 1826 C, 1834 A Maucher (CDU/CSU) 1830 A Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Mutterschutzgesetzes (SPD) (Drucksache IV/562) — Erste Beratung — Frau Rudoll (SPD) 1835 B Dr. Jungmann (CDU/CSU) . . . 1837 A Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . 1837 D Dr. Schmidt (Offenbach) (SPD) . . 1840 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes (Drucksache IV/625) — Erste Beratung —; in Verbindung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 75 GG) (Drucksache IV/633) — Erste Beratung — und dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes (Abg. Dr. Miessner, Brück, Dorn, Wagner, Ertl, Hübner, Mertes, Dr. Bieringer u. Gen. (Drucksache IV/673) — Erste Beratung — Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . 1829 D 1841 C Höcherl, Bundesminister 1841 C Brück (CDU/CSU) 1844 D Gscheidle (SPD) . . . . . . . 1847 A Dr. Miessner (FDP) 1853 A Dr. Anders, Staatssekretär 1854 A, 1861 B Dorn (FDP) 1855 B Dr. Kübler (SPD) 1856 B Wagner (CDU/CSU) 1857 B Wittrock (SPD) . . . . . . . 1859 A Dr. Süsterhenn (CDU/CSU) . . . 1859 C Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 1861 A Nächste Sitzung 1861 D Anlage 1863 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1962 1791 42. Sitzung Bonn, den 24. Oktober 1962 Stenographischer Bericht Beginn: 9.03 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigungen Es ist zu lesen: 36. Sitzung Seite 1557 A Zeile 12 statt „eingefügten" : eingeführten; 38. Sitzung Seite 1592 A Zeile 10 von unten statt „Abtransport" : Antransport; 40. Sitzung Seite ,1710 A Zeile 8 von unten statt „ ,Anderswoher' ist nicht so ganz" : Wann die Bundestierärzteord-; Seite 1740 C Zeile 17 statt „gebracht werden kann mit dem, was Sie" : zu Chruschtschows Koexistenz zu bringen. Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albertz 3. 11. Arendt (Wattenscheid) 27. 10. Dr. Arndt (Berlin) 26. 10. Dr. Barzel 26. 10. Bauer (Wasserburg) 26. 10. Bergmann 26. 10. Blumenfeld 26. 10. von Bodelschwingh 26. 10. Dr. Burgbacher 24. 10. Even (Köln) 24. 10. Figgen 26. 10. Dr. Dr. h. c. Friedensburg 28. 11. Dr. Furler 24. 10. Geiger 26. 10. Dr. Gradl 26. 10. Haage (München) 26. 10. Dr. Harm (Hamburg) 1. 11. Katzer 24. 10. Koenen (Lippstadt) 27. 10. Dr. Kreyssig 24. 10. Kriedemann 26. 10. Kühn (Bonn) 31. 12. Kuntscher 31. 10. Leber 26. 1,0. Lermer 26. 10. Dr. Löbe 24. 10. Dr. Löhr 24. 10. Lücker (München) 25. 10. Majonica 26. 10. Dr. Mälzig 26. 10. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Mauk 26. 10. Memmel 26. 10. Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 24. 10. Michels 26. 10. Mick 24. 10. Müller (Remscheid) 27. 10. Oetzel 31.10. Ollenhauer 26. 10. Rademacher 31. 10. Ramms 24. 10. Ravens 24. 10. Richarts 24. 10. Schulhoff 24. 10. Stein 24. 10. Storch 26. 10. Frau Strobel 25. 10. Wacher 26. 10. Dr. Wahl 15. 11. Wehking 3. 11. Wehner 24. 10. Werner 27. 10. Wittmer-Eigenbrodt 31. 10. b) Urlaubsanträge Auge 19. 11. Frau Berger-Heise 5. 11. Blachstein 5. 11. Dr. Bucher 5. 11. Dr. Dehler 5. 11. Dr. Deist 6. 11. Deringer 5. 11. Kalbitzer 5. 11. Dr. Kopf 5. 11. Kühn (Köln) 5. 11.
Gesamtes Protokol
Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404200000
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich habe zunächst einiges bekanntzugeben.
Gemäß § 6 Abs. 3 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht rückt der Abgeordnete Even (Köln) aus der Reihe der nicht mehr Gewählten für den verstorbenen Abgeordneten Dr. h. c. Pferdmenges als Wahlmann nach.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat am 26. Oktober 1962 gemäß § 33 Abs. 1 der Reichshaushaltsordnung die Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben im Betrage von 10 000 DM und darüber für das 2. Vierteljahr des Rechnungsjahres 1962 — Drucksache IV/666 — übersandt. Sie ist nach einer interfraktionellen Vereinbarung dem Haushaltsausschuß Eu überweisen. Ist das Haus einverstanden? — Das ist der Fall; die Überweisung ist beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Verkehr .hat unter dem 12. Oktober 1962 im Nachgang zu seinem Schreiben vom 28. September — Drucksachen IV/644, IV/618 — die beiden sich ergänzenden Berichte über den Nord-Süd-Kanal übersandt. Sein Schreiben ist als zu Drucksache IV/644 verteilt.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Vorschlag der Kommission für einen Verordnungsentwurf über die Aussetzung der Anwendung von Artikel 85 EWGV sowie der zu seiner Durchführung bereits getroffenen oder zu treffenden Maßnahmen auf Beförderungen .im Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffahrtsverkehr, eine Stellungnahme der Kommission für den Rat in Form eines Verordnungsentwurfs zur Aussetzung der Anwendung der Artikel 85 bis 94 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf die Seeschiffahrt und Luftfahrt und eine Aufzeichnung des Bundesministeriums für Verkehr zu diesen Vorschlägen — Drucksache IV/665 — an den Wirtschaftsausschuß — federführend — und den Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen mit der Bitte um Berichterstattung an das Plenum bis zum 26. 10. 62
Verordnung Nr. 124 des Rats über die Festsetzung der Abschöpfungsbeträge ,gegenüber dritten Ländern für geschlachtete Schweine und für lebende Schweine
Verordnung Nr. 125 der Kommission über die Festlegung der Abschöpfungsbeträge gegenüber dritten Ländern für Eier in der Schale von Haugeflügel, geschlachtetes Hausgeflügel und lebendes Hausgeflügel mit einem Gewicht von höchstens 185 Gramm
Verordnung Nr. 126 der Kommission über die Anpassung und Festsetzung der Einschleusungspreise für Eier von Hausgeflügel, geschlachtetes Hausgeflügel und lebendes Hausgeflügel mit einem Gewicht über 185 Gramm
Verordnung Nr. 127 der Kommission über die Anpassung
und Festsetzung der Einschleusungspreise für lebende und
geschlachtete Schweine für die Zeit vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 1962 — Drucksache IV/664 — an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — und an den Außenhandelsausschuß.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Verordnungen überwiesen:
Vierunddreißigste Verordnung zur Anderung des Deutschen Zolltarifs 1962 (Angleichungszölle für Fondantmasse, Kekse und Waffeln) — Drucksache 1V/662 — an den Außenhandelsausschuß
Sechste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz — vom 27. September 1962, am 29. September 1962 im Bundesanzeiger Nr. 186 S. 1 veröffentlicht
Dritte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung vom 3. Oktober 1962, am 6. Oktober 1962 im Bundesgesetzblatt Teil I Nr. 43 S. 659 veröffentlicht
Dritte Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage zur Außenwirtschaftsverordnung — vom 27. September 1962, am 6. Oktober 1962 im Bundesanzeiger Nr. 191 S. 1 veröffentlicht — Drucksache IV/668 —, an den Außenhandelsausschuß federführend und den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Punkt 1 der Tagesordnung:
Fragestunde (Drucksachen IV/671, IV/672)

Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes, Frage I/1 — des Abgeordneten Dr. Kohut —:
Welche Folgerung wird die Bundesregierung aus der im Untersuchungsbericht der „Internationalen Organisation der Widerstandskämpfer" in Brüssel enthaltenen Behauptung ziehen, daß der derzeitige Staatssekretär Globke an der deutschen Widerstandsbewegung gegen Hitler nicht beteiligt gewesen ist?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404200100
Herr Präsident, ich werde diese Frage beantworten.
Die Antwort lautet folgendermaßen: Der Bericht der von Ihnen genannten privaten Vereinigung ist sehr lückenhaft. Er steht in einer ganzen Reihe von Punkten im Widerspruch zu rechtskräftigen Gerichtsurteilen. Er eignet sich schon deshalb nicht dazu, daß die Bundesregierung Konsequenzen daraus zieht.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404200200
Eine Zusatzfrage.

Dr. Oswald Adolph Kohut (FDP):
Rede ID: ID0404200300
Herr Minister, hat sich die Bundesregierung jemals die Mühe gemacht, das Aktenstudium im Fall Globke eingehend zu betreiben?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404200400
Das ist schon so oft geschehen, Herr Kohut, daß es hier nicht mehr wiederholt zu werden braucht.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404200500
Zweite und letzte Zusatzfrage.




Dr. Oswald Adolph Kohut (FDP):
Rede ID: ID0404200600
Ist denn der Regierung nicht aufgefallen, daß sich Herr Staatssekretär Globke des größten Wohlwollens des Herrn Freisler erfreute und dieser seinen Kommentar ganz besonders lobte?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404200700
Ich nehme an, daß Sie Gelegenheit haben werden, diese Behauptung näher zu begründen.

(Zurufe von der SPD: Was soll das heißen?)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404200800
Eine weitere Zusatzfrage zu Frage 1.

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0404200900
Herr Minister, ist der Bundesregierung bekannt, daß z. B. in die Vereinigten Staaten reisende Abgeordnete — ich selbst hatte die Ehre, zu einer solchen Gruppe zu gehören — gelegentlich bei Fragen über die Situation in Deutschland von durchaus wohlmeinenden Gesprächspartnern auch nach der Person des Staatssekretärs Globke gefragt werden, wobei aus diesen Fragen ein gewisses Maß an Besorgnis dieser Gesprächspartner zu entnehmen ist?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404201000
Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß die Abgeordneten, denen solche Fragen gestellt werden, eine eingehende Information über die wirklichen Verhältnisse erteilen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404201100
Frage 1 ist beantwortet.

(Zurufe von der SPD: Das ist keine Beantwortung!)

Frage 2. — Bitte, Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0404201200
Herr Minister, sind Sie der Auffassung, daß die Bundesregierung bisher eine eingehende und objektive Information gegeben hat?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404201300
Hier wie in allen anderen Fällen auch.

(Lachen bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404201400
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jahn.

Gerhard Jahn (SPD):
Rede ID: ID0404201500
Können Sie verraten, Herr Minister, wo, wann, bei welcher Gelegenheit und in welcher Form diese Information gegeben worden ist?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404201600
Herr Abgeordneter, das braucht nicht in einer feierlichen Form zu geschehen, sondern es genügt durchaus, wenn Sie das alles zusammennehmen, was fortgesetzt in diesen Fällen erklärt worden ist.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404201700
Noch eine Zusatzfrage.

Gerhard Jahn (SPD):
Rede ID: ID0404201800
In welcher unfeierlichen Form sind diese Fortsetzungsberichte erschienen, wo und bei welcher Gelegenheit?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404201900
Ich bin gern bereit, eine Zusammenstellung zu machen und sie Ihnen zu vermitteln.

(Zuruf von der SPD: Die wird spannend!)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404202000
Ich habe den Eindruck, daß Frage 1 nunmehr erschöpfend erledigt ist.
Frage 2 — des Abgeordneten Dr. Kohut —:
Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung aus der Tatsache ziehen, daß der derzeitige Staatssekretär Globke am Entwurf des Textes des nationalsozialistischen Gesetzes über den Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. September 1935 und des Gesetzes über den Schutz der Gesunderhaltung des rassischen Erbes aus dem gleichen Jahr mit beteiligt gewesen ist?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404202100
Ein Gesetz über den Schutz der Gesunderhaltung des rassischen Erbes hat es nie gegeben. Staatssekretär Dr. Globke kann schon deswegen nicht an einem solchen Gesetz mitgewirkt haben. Durch mehrere gerichtliche Entscheidungen ist rechtskräftig festgestellt, daß Staatssekretär Dr. Globke am Entwurf des Textes des Gesetzes über den Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. September 1935 nicht mitgewirkt hat.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404202200
Eine Zusatzfrage.

Dr. Oswald Adolph Kohut (FDP):
Rede ID: ID0404202300
Wie kommt es, Herr Minister, daß die Bundesregierung völlig falsch informiert ist?

(Heiterkeit.)


Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404202400
Ich muß das bestreiten, Herr Kohut. Aber es ist schon öfter vorgekommen, daß bei solchen Fragestellungen sich unzulängliche Informationen beim Fragesteller herausgestellt haben.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404202500
Letzte Zusatzfrage.

Dr. Oswald Adolph Kohut (FDP):
Rede ID: ID0404202600
Beruhen die vielen klerikalen Persilscheine, die für Herrn Globke ausgestellt worden sind,

(Zurufe von der CDU/CSU)

darauf, daß er tatsächlich bei Ehescheidungen aus rassischen Gründen gelegentlich dagegen war?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404202700
Mir ist kein derartiger Fall bekannt; aber es ist der Bundesregierung bekannt, daß Staatssekretär Globke in einer sehr schwierigen Zeit und mit außerordentlicher Geschicklichkeit den Widerstandskreisen nahegestanden ist

(Lachen bei der SPD)




Bundesinnenminister Höcherl
nahegestanden ist und dort unter schwierigsten Umständen — über die sich nur diejenigen erheitern können, die von diesen Dingen nichts wissen —Gutes gestiftet hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404202800
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mommer!

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0404202900
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß in einer Filmfolge im Deutschen Fernsehen der Name Globke auf dem Kommentar zu den Nürnberger Gesetzen gezeigt wurde, und ist Ihnen bewußt, welche Belastung so etwas für die Bundesrepublik Deutschland bedeutet?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404203000
Mir ist bekannt, daß ein derartiger Film im Fernsehen veröffentlicht worden ist. Mir ist aber ferner auch bekannt, daß der Kommentar von Herrn Globke die unter schwierigsten Umständen möglichen Erleichterungen niedergelegt hat.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404203100
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Erler!

Fritz Erler (SPD):
Rede ID: ID0404203200
Darf ich, Herr Minister, als jemand, von dem Sie wohl nicht sagen können, daß er von den Geschehnissen im Dritten Reich und dem Widerstand gegen Hitler nichts wisse, folgende Frage stellen: Ist Ihnen der Bericht bekannt, den eine Juristenkommission der nichtkommunistischen Widerstandsorganisationen aus westlichen Ländern über Herrn Staatssekretär Globke zusammengestellt hat und in dem ausdrücklich niedergelegt worden ist, daß er nicht als zum Widerstand gehörig bezeichnet werden könne?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404203300
Es gibt angesehene Zeugen, die genau das Gegenteil bestätigen, und ich möchte diesen angesehenen deutschen Zeugen den Vorzug geben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404203400
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jahn!

Gerhard Jahn (SPD):
Rede ID: ID0404203500
Ist die Bundesregierung bereit, Herr Minister, nach diesen sehr langen und ausführlichen Diskussionen der letzten vier Jahre in der Öffentlichkeit jetzt eine umfassende, vollständige und erschöpfende Dokumentation aller der Unterlagen vorzulegen, auf die Sie Ihre Behauptung stützen, daß Herr Globke dem Widerstand nahegestanden habe und daß er sich an den Unrechtstaten der Nationalsozialisten nicht beteiligt habe?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404203600
Soweit ich im Bilde bin, hat Herr Staatssekretär Globke kein Interesse daran, sich solcher Dinge zu berühmen, sondern er hat wie wir alle zusammen ein großes Interesse daran, in so ernsten und schwierigen Zeiten alle Kräfte zusammenzufassen und den inneren Streit zu lassen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404203700
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jahn!

Gerhard Jahn (SPD):
Rede ID: ID0404203800
Meine Frage ist nicht beantwortet. Ich hatte danach gefragt, ob die Bundesregierung bereit sei, eine umfassende Dokumentation für ihre immer wiederholten Behauptungen vorzulegen.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404203900
Sie werden die Informationen erhalten, die Sie wünschen.

(Abg. Dr. Schäfer: Das ist doch keine Antwort!)

— Das ist eine Antwort, jawohl, und eine zutreffende.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404204000
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mommer!

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0404204100
Herr Minister, können Sie dem Hause einmal sagen, welche besonderen Qualitäten Herr Staatssekretär Globke hat, die es aufwiegen, daß er das größte Kapital für die kommunistische Propaganda gegen die Bundesrepublik Deutschland in der ganzen Welt ist?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404204200
Herr Kollege, die Qualitäten aus einer zehnjährigen Arbeit unter so schwierigen Umständen werden Sie wohl selbst, wenn Sie objektiv urteilen, genau so gut abschätzen können wie ich. Zweitens ist durch Gerichtsurteile und wiederholte Erklärungen all das widerlegt, was dort behauptet wird. Ich möchte dringend raten, die Behauptungen nicht zu übernehmen, sondern den Urteilen deutscher Gerichte zu folgen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404204300
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spies!

Josef Spies (CSU):
Rede ID: ID0404204400
Herr Bundesminister — um auf die Frage des Herrn Abgeordneten Kohut zurückzukommen —, glauben Sie nicht, daß Herr Kohut falsch informiert war?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404204500
Könnte ich mir vorstellen.

(Lachen bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404204600
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bauer!

Hannsheinz Bauer (SPD):
Rede ID: ID0404204700
Darf ich, Herr Bundesminister, die Frage an Sie richten, warum die Bundesregierung genauso wie die bayerische Staatsregierung von dem im Zusammenhang mit dem Würzburger Verwaltungsgerichtspräsidenten Dr. Schiedermayer veröffentlichten neuen Material anscheinend nicht Kenntnis nehmen will, nach dem Herr Dr. Globke im damaligen Reichsministerium des Innern als Referatsleiter für die Rassengesetzgebung verzeichnet ist?
1794 Deutscher -Bundestag — 4. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1962

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404204800
Herr Kollege Bauer, die bayerische Staatsregierung steht 'hier nicht zur Debatte. Was Herr Dr. Schiedermayer veröffentlicht hat, weiß ich nicht. Aber diese Dinge sind so genau geklärt — vor allem in Gerichtsurteilen —, daß etwas Neues auch von Herrn Schiedermayer nicht dazukommen kann.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404204900
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wittrock!

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0404205000
Herr Minister, würden Sie wenigstens die von Ihnen erwähnten und angeblich Herrn Globke entlastenden Gerichtsurteile bekanntgeben?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404205100
Die können bekanntgegeben werden; die können Sie einsehen.

(Widerspruch bei der SPD.)


Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0404205200
Sind Sie nicht der Auffassung, daß die Öffentlichkeit -- auch im Hinblick auf diese Fragestunde — ein nachhaltiges Interesse daran haben muß, daß die Bundesregierung verpflichtet ist, hier im Interesse der Bundesrepublik Klarheit zu schaffen?

(Beifall bei der SPD.)


Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404205300
Die Dinge sind so oft und so gründlich erklärt worden —

(Zurufe von der SPD: Wo denn?)

— An allen möglichen Stellen. Sie müssen eben genauso — —

(Zuruf von der SPD: Die Öffentlichkeit muß es wissen!)

Sie müssen sich eben bemühen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404205400
Meine Damen und Herren, —

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404205500
Man muß bei den Fragestellern voraussetzen, daß sie nicht nur angeblich belastende, sondern auch andere entlastende Dinge zur Kenntnis nehmen, auch wenn ihnen das unangenehm ist.

(Beifall in der Mitte.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404205600
Die Frage ist erledigt.
Ich rufe auf die Frage I/3 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut —:
Handelt es sich bei den in der „Frankfurter Rundschau" vom 22. September 1962 auf Seite 56 wiedergegebenen Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers um die Wiedergabe von wortgetreuen oder sinngemäßen Zitaten?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404205700
Der Herr Bundeskanzler hat bis in .die letzte Zeit hinein durch Wort und Tat zur Berlin-Frage Stellung genommen. Seine Politik für Berlin und seine Einstellung in dieser Frage ist dem deutschen Volk und dem Deutschen Bundestag hinreichend bekannt. Der Herr
Bundeskanzler sieht deshalb keine Veranlassung, zu den in der „Frankfurter Rundschau" vom 22. September 1962 zitierten angeblichen Äußerungen aus weit zurückliegender Zeit — in der er noch Ihr Parteifreund war, Herr Kohut —, die zum Teil unzutreffend wiedergegeben und aus dem Zusammenhang gerissen sind, im einzelnen Stellung zu nehmen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404205800
Eine Zusatzfrage!

Dr. Oswald Adolph Kohut (FDP):
Rede ID: ID0404205900
Herr Minister, beruht nicht auf dieser Gesinnung meines angeblichen kurzweiligen Parteifreundes Adenauer, die in der „Frankfurter Rundschau" in verschiedenen Zitaten wiedergegeben worden ist, das auch von amerikanischer Seite oft monierte Fehlen von konstruktiven Vorschlägen der Bundesrepublik zur Deutschlandfrage?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404206000
Herr Kollege Kohut, es hat wohl keinen überzeugenderen Ausdruck für die Berlin-Politik des Bundeskanzlers gegeben als gerade in diesen Tagen, und ich glaube nicht, daß es ein westliches Parlament gibt, in dem in einer solchen Stunde solche Fragen gestellt werden. (Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404206100
Eine zweite Zusatzfrage!

Dr. Oswald Adolph Kohut (FDP):
Rede ID: ID0404206200
Da ich und viele meiner Mitbürger sich in ihrer Haut wohler fühlen würden, wenn wir ein befriedigendes Verhältnis zum Osten hergestellt hätten, darf ich fragen, ob sich der Herr Bundeskanzler durch mangelnde Aktivität in der Ostpolitik nicht eines grundgesetzwidrigen Verhaltens schuldig gemacht hat.

(Oh-Rufe von der Mitte.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404206300
Ich lasse diese Frage nicht zu. Hier wird ein Werturteil verlangt, und der Herr Minister ist nicht verpflichtet, Werturteile abzugeben. Er hat nur über Tatsachen zu
berichten. (Anhaltende Unruhe.)


Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404206400
Ich wäre aber auch bereit, ein Werturteil abzugeben.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404206500
Wenn Sie das wollen, so will ich Sie nicht daran hindern.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404206600
Ich bin der Meinung, daß eine solche Frage nicht zulässig ist, Wäre aber bereit, ein Werturteil abzugeben, und zwar in der Form, .daß genau das Gegenteil richtig
ist. (Beifall in der Mitte.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404206700
Ich bitte, nicht mißverstanden zu werden: Die Regierung hat zu antworten auf Fragen über bestimmte Tatbestände.

(Abg. Schwabe: Das haben wir heute vermißt!)




Vizepräsident Dr. Schmid
Sie kann nicht gefragt werden, wie sie etwas beurteilt oder bewertet. Der Minister kann nicht gefragt werden, welche Schlußfolgerungen aus dem und dem zu ziehen sind. Ich glaube, wir sollten uns darüber klar sein, daß das nicht geht.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Ich rufe zunächst auf die Frage II/1 — der Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus —:
Wann erfolgt eine Neuregelung der Reise- und Umzugsvergütung für Beamte in der Weise, daß auch die Beamtinnen mit eigenem Hausstand die gleiche Vergütung wie die Beamten erhalten?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404206800
Verehrte Frau Kollegin, die neue Regelung der Reise- und Umzugskostenvergütung ist sehr weit gediehen. Ich kann Ihnen mitteilen, daß spätestens in drei, vier Wochen die Vorlage im Kabinett verabschiedet werden kann.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404206900
Eine Zusatzfrage!

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (FDP):
Rede ID: ID0404207000
Herr Minister, wird darin die Benachteiligung behoben, die zur Zeit für Beamtinnen besteht? Ich darf das präzisieren: Mir wurde berichtet, daß bisher Beamtinnen, auch wenn sie einen eigenen Hausstand hatten, nur etwa die Hälfte der Umzugskostenvergütung erhielten, die Beamte erhalten.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404207100
Sehr verehrte Frau Kollegin, wir wollen in diesen beiden Gesetzentwürfen keine unterschiedliche Vergütung für Beamte und Beamtinnen mit eigenem Hausstand zulassen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404207200
Frage II/2 — des Herrn Abgeordneten Lohmar —:
Bis wann ist damit zu rechnen, daß der in der Fragestunde vom 31. Januar 1962 vom Herrn Bundesinnenminister angekündigte Abschlußbericht der Kommission zur Beratung der Bundesregierung in Fragen der politischen Bildung den Abgeordneten des Deutschen Bundestages zur Kenntnis gebracht wird?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404207300
Die Kornmission hat bisher noch keinen abschließenden Gesamtbericht erstattet. Es ist ihr bis jetzt nur möglich gewesen, sich mit Teilgebieten der politischen Bildung zu befassen. Dabei handelt es sich um die Bildungsarbeit der Bundeszentrale für Heimatdienst, des Instituts für Zeitgeschichte und der Bundeswehr sowie um die politische Bildung im Rahmen des Bundesjugendplanes. Ob und welche weiteren Teilgebiete die Kommission in der bisherigen Weise behandeln wird, bedarf noch der Klärung und der gegenseitigen Absprache. Ich darf hier noch zusätzlich bemerken, daß es außerordentlich schwierig ist, die sehr überlasteten Herren, die in vielen anderen wichtigen Funktionen tätig sind, nun zu dieser Arbeit zu vereinigen. Wir bemühen uns fortgesetzt im besten Einvernehmen mit den Kommissionsmitgliedern darum.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404207400
Eine Zusatzfrage!

Dr. Ulrich Lohmar (SPD):
Rede ID: ID0404207500
Herr Minister, meinen Sie nicht, daß es sinnvoll wäre, wenigstens die vorliegenden Teilberichte den zuständigen Ausschüssen des Parlaments zugänglich zu machen?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404207600
Das soll gern geschehen.

(Abg. Lohmar: Danke!)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404207700
Ich rufe nun aus Drucksache IV/672 die Frage III — des Abgeordneten Dröscher — auf:
Wird seitens der Bundesregierung — evtl. durch Bereitstellung entsprechender Bundesmittel — darauf hingewirkt, daß die zur Zeit im Bau befindlichen neuen Krankenhäuser ausreichende Luftschutzräume erhalten?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404207800
Für die Errichtung von Schutzräumen bei Krankenhausneubauten stehen Bundesmittel nicht zur Verfügung. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Kosten solcher Schutzräume grundsätzlich von den Bauherren zu tragen sind. Ich darf darauf hinweisen, daß z. B. Nordrhein-Westfalen die Bezuschussung von Krankenhausneubauten und ähnlichen Vorhaben aus Landesmitteln davon abhängig macht, daß im Zuge der Baumaßnahmen auch ausreichende Schutzräume geschaffen werden. Der Herr Bundesminister für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung hat die hierzu erforderlichen technischen Richtlinien erlassen. Gesetzlich wird dieser Komplex in dem künftigen Schutzbaugesetz geregelt werden, dessen Entwurf ich dem Bundeskabinett in wenigen Tagen vorzulegen beabsichtige.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404207900
Zusatzfrage?

Wilhelm Dröscher (SPD):
Rede ID: ID0404208000
Herr Bundesminister, können Sie ungefähre Zahlen angeben, bei wieviel Prozent der Krankenhausneubauten in den letzten Jahren Schutzräume vorgesehen worden sind?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404208100
Das kann ich leider nicht. Ich werde aber gern eine Erhebung durchführen lassen und Ihnen deren Ergebnis schriftlich mitteilen.

Wilhelm Dröscher (SPD):
Rede ID: ID0404208200
Würden Sie mit mir übereinstimmen, daß, wenn in fast keinem neuerbauten Krankenhaus solche Schutzräume vorgesehen sind, das ein entscheidendes Versäumnis ist und daß alles geschehen muß — eventuell durch Zurverfügungstellung von Bundesmitteln —, um hier zu helfen?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404208300
Die Regelung, die wir im Schutzbaugesetz vorsehen, wird, glaube ich, auch Sie befriedigen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404208400
Frau Dr. Hubert zu einer Zusatzfrage!

Dr. Elinor Hubert (SPD):
Rede ID: ID0404208500
Herr Minister, ist in diesen Vorschriften für den Krankenhausbau auch der Bau von Operations- und Behandlungsbunkern, die einen wichtigen Bestandteil des allgemeinen Bevölkerungsschutzes bilden, vorgesehen?




Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404208600
Das ist bei sogenannten Ausweichkrankenhäusern vorgesehen.

Dr. Elinor Hubert (SPD):
Rede ID: ID0404208700
Sind Sie der Meinung, daß das genügt?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404208800
Das genügt nicht. Aber wir werden uns etwas bescheiden müssen, weil wir auf diesem Gebiet außerordentlich viel nachzuholen haben.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404208900
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Ich rufe auf die Frage III/1 — des Abgeordneten Wittrock —:
In welchem Maße teilt die Bundesregierung die in der Öffentlichkeit gelegentlich geäußerte Auffassung, das Abzahlungsgesetz aus dem Jahre 1894 sei reformbedürftig, und zwar dahingehend, bei Ratenzahlungsverträgen den Käufer vor Übervorteilungen zu schützen?

Dr. Wolfgang Stammberger (SPD):
Rede ID: ID0404209000
Die Frage, ob auf dem Gebiete des Teilzahlungswesens Mißstände hervorgetreten sind, die gesetzgeberische Maßnahmen zum Schutze des Teilzahlungskäufers gegen Übervorteilung erfordern, wird von der Bundesregierung zur Zeit erneut geprüft. Etwa seit Ende 1960 mehren sich die Beschwerden von Privatpersonen über angeblich rücksichtsloses und verantwortungsloses Vorgehen der Händler und Vertreter beim Abschluß von Teilzahlungsgeschäften im Reisegewerbe. Gerügt wird namentlich, daß der Käufer durch undeutliche Formulierung der Bestellscheine und durch mißverständliche oder sogar bewußt unwahre Angaben der Vertreter oft im unklaren darüber gelassen wird, daß er durch seine Unterschrift eine rechtliche Verpflichtung übernimmt. Besonders nachteilig wirkt sich für ihn im Streitfalle die üblicherweise im Bestellschein enthaltene Gerichtsstandvereinbarung aus.
Im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft beabsichtige ich, durch eine Anfrage bei den Landesjustizverwaltungen mich über das Ausmaß der behaupteten Mißstände unterrichten zu lassen und die Landesjustizverwaltungen nach Anhörung der Gerichte um Stellungnahme zu der Frage zu bitten, ob zur Verhütung der gerügten Mißstände gesetzliche Maßnahmen erforderlich erscheinen. Der Bundesminister für Wirtschaft hat sich vorbehalten, ergänzend entsprechende Erhebungen bei den Wirtschaftsressorts der Länder und den Industrie- und Handelskammern durchzuführen.
Erst nach Eingang der erbetenen Stellungnahmen wird sich abschließend beurteilen lassen, ob und gegebenenfalls welche gesetzgeberischen Maßnahmen zum Schutze der Teilzahlungskäufer gegen Übervorteilung zu treffen sind.
Ich bin gern bereit, Sie dann zu unterrichten.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404209100
Zusatzfrage?

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0404209200
Herr Minister, wird die Bundesregierung auch im Hinblick darauf, daß es sich zum Teil um durchaus offenkundige Tatbestände handelt, und weiterhin im Hinblick darauf, daß die Bundesregierung selber — ebenso wie das Haus — den Gedanken des Kunden- und Verbraucherschutzes nachhaltig bejaht, die hier in Betracht kommenden Arbeiten soweit wie möglich beschleunigen, und zwar im Interesse des deutschen Verbrauchers?

Dr. Wolfgang Stammberger (SPD):
Rede ID: ID0404209300
Ja, Herr Kollege, wir sind bereit, das zu tun. Aber, wie gesagt, ich muß erst warten, welche Erfahrungsberichte ich von den Landesjustizverwaltungen bekomme.

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0404209400
Berücksichtigt die Bundesregierung bei ihren Überlegungen die Tatsache, daß in Österreich — also doch immerhin in einem verwandten Rechtskreis — die Arbeiten bereits zu einem konkreten Ergebnis geführt haben, so daß, wenn ich mich recht erinnere, im Dezember 1961 ein entsprechendes Gesetz — „Ratengesetz" nennt es sich dort — verkündet werden konnte?

Dr. Wolfgang Stammberger (SPD):
Rede ID: ID0404209500
Herr Kollege, das österreichische Gesetz über das Abzahlungsgeschäft ist vom 15. Dezember 1961, entspricht also durchaus dem, was Sie gesagt haben. Ebenso liegt in der Schweiz der „Gesetzentwurf über den Abzahlungs- und Vorauszahlungsvertrag" bereits vor, über den dort beraten wird. Selbstverständlich prüfen wir gerade im Zusammenhang mit den Bestrebungen, zu einer Rechtsvereinheitlichung in Europa zu kommen, auch die dort gemachten Erfahrungen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404209600
Frage III/2 — des Abgeordneten Wittrock — lautet:
Hält der Herr Bundesjustizminister den § 24 der Dienstordnung für Notare vom 5. Juni 1937 noch für zeitgemäß, obgleich diese Vorschrift für notarielle Urkunden nur die Verwendung von schwarzer Tinte oder von Schreibmaschinenschrift zuläßt und somit die Verwendung der heute weitgehend gebräuchlichen Kugelschreiber oder Tintenkulis ausschließt?

Dr. Wolfgang Stammberger (SPD):
Rede ID: ID0404209700
Die Dienstordnung für Notare, auf die Sie, Herr Kollege Wittrock, sich beziehen, ist bereits seit dem 1. April 1961 nicht mehr in Kraft. Sie ist durch eine neue Dienstordnung für Notare ersetzt worden, die, weil sie lediglich Verwaltungsvorschriften enthält, nicht vom Bund, sondern von den Landesjustizverwaltungen bundeseinheitlich erlassen worden ist.
Obwohl daher Ihre Frage besser an die Landesjustizverwaltungen zu richten wäre, möchte ich dazu doch folgendes sagen, weil nämlich einiges Aktuelle auf dem Gebiete inzwischen geschehen ist. Nach § 25 Abs. 1 der neuen Dienstordnung für Notare können notarielle Urkunden handschriftlich mit haltbarer schwarzer oder blauer Tinte, mit Schreibmaschine oder im Druckverfahren mit lichtechtem Farbstoff hergestellt werden. Die Verwendung von Kugelschreibern ist daher unzulässig.
Dagegen ist die Benutzung von Tintenkulis, nach der Sie auch fragen, die ja bekanntlich, wie schon der Name sagt, mit Tinte gefüllt werden, grundsätzlich zulässig, wenn haltbare schwarze oder blaue Tinte verwendet wird.



Bundesjustizminister Dr. Stammberger
Die Frage, ob auch Kugelschreiber zur Herstellung von notariellen Urkunden verwendet werden können, ist vor Erlaß der neuen Dienstordnung von den Landesjustizverwaltungen gemeinsam mit der Standesorganisation der Notare geprüft worden. Dabei kam es nicht darauf an, festzustellen, ob das Verbot der Verwendung von Kugelschreibern noch „zeitgemäß" ist, wie Sie es ausdrücken, sondern lediglich darauf, ob bei der Benutzung von Kugelschreibern die für die Urkunden erforderliche Sicherheit gegen äußere Einflüsse und ein hinreichender Schutz gegen Fälschungen gegeben ist.
Auf Grund eines Gutachtens eines staatlichen Materialprüfungsamtes, und zwar des Amtes in Hannover, wonach bei Verwendung der handelsüblichen Kugelschreiberminen nicht die für Urkunden geforderte Haltbarkeit der Niederschrift gewährleistet und auch der Schutz gegen Fälschungen nicht so stark sei wie bei der Verwendung von haltbarer dunkler Tinte, ist die Benutzung von Kugelschreibern bei der Herstellung notarieller Urkunden für unzulässig erklärt worden.
Nachdem sich aber bei der Flutkatastrophe von 1962 in Norddeutschland gezeigt hat, daß bei Schriftstücken, die mit Tinte hergestellt waren, infolge der Einwirkung des Wassers die Tinte zerlaufen, Kugelschreiberschrift dagegen unverändert geblieben ist,

(Heiterkeit)

prüfen die Landesjustizverwaltungen und die Notarkammern zur Zeit erneut, ob das Verbot der Verwendung von Kugelschreibern bei der Herstellung von notariellen Urkunden noch gerechtfertigt ist. Das Ergebnis der Prüfung bleibt abzuwarten. Wir sind, wie gesagt, im Grunde nicht zuständig.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404209800
Eine Zusatzfrage?

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0404209900
Herr Minister, im Hinblick auf die Tatsache, daß die Dienstordnung von 1961 ja eine bundeseinheitliche Dienstordnung ist, die übrigens materiell die 1937er Dienstordnung in diesem Punkte jedenfalls nicht geändert hat, möchte ich fragen, ob erwartet werden darf, daß die Bundesregierung zur Sicherstellung eines bundeseinheitlichen Rechtes etwa über die Justizministerkonferenz auf eine erneute Überprüfung und Verbesserung der bestehenden Vorschriften hinwirkt.

Dr. Wolfgang Stammberger (SPD):
Rede ID: ID0404210000
Herr Kollege, ich bin gern bereit, Ihrer Anregung zu folgen. Wir haben das auch vor. Ich darf aber beispielsweise darauf hinweisen, daß sich die Ihnen regional und auch politisch nahestehende hessische Landesregierung bereits ablehnend geäußert hat. Sie hat erklärt: Flutkatastrophen sind Gott sei Dank eine Seltenheit, während die Gefahr von Fälschungen, die auf Grund dieses staatlichen Gutachtens durchaus im Bereich des Möglichen liegen, bei der Verwendung von Kugelschreibern leider keine Seltenheit ist.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404210100
Eine Zusatzfrage.

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0404210200
Sind Sie nicht der Auffassung, daß es hier nicht um solche Ausnahmetatbestände geht, sondern um die Anerkennung eines verkehrsüblichen Schreibmittels und um nichts anderes?

Dr. Wolfgang Stammberger (SPD):
Rede ID: ID0404210300
Herr Kollege, ich verstehe Ihre Bedenken durchaus. Wir sind bereit, sie zu prüfen, sobald uns alle Landesjustizverwaltungen ihre Stellungnahme mitgeteilt haben. Das ist bisher erst von zwei oder drei Landesjustizverwaltungen geschehen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404210400
Wir kommen zu der Frage IV aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung — Frau Abgeordnete Dr. Hubert —:
Welches ist der gegenwärtige Stand des Ratifizierungsverfahrens für die Europäische Sozialcharta, die laut Beschluß des Deutschen Bundestages vom 14. Februar 1962 den gesetzgebenden Körperschaften beschleunigt zur Verabschiedung vorgelegt werden soll?

Theodor Blank (CDU):
Rede ID: ID0404210500
Um dem Wunsch des Bundestages nach schneller Verabschiedung der Europäischen Sozialcharta zu entsprechen, ist die Bundesregierung bemüht gewesen, die umfangreichen Prüfungen, die der Ratifizierung dieses grundlegenden Vertragswerkes vorausgehen müssen, möglichst zu beschleunigen. Diese Prüfungen sind bei der Sozialcharta besonders schwierig, weil hier die Regierungen — im Gegensatz zu den meisten anderen internationalen Verträgen — eine Auswahl unter den Bestimmungen, die sie ratifizieren wollen, treffen können. Dieser Umstand gebietet eine besonders eingehende und sorgfältige Prüfung der einzelnen Artikel der Charta.
Hinzu kommt, daß der Entwurf des Zustimmungsgesetzes sowohl den Ländern, deren Zuständigkeit von Teilen der Sozialcharta berührt wird, als auch den Sozialpartnern, die bei der Ausarbeitung der Charta im internationalen Bereich mitgewirkt haben und deren Interessen von ihr beeinflußt werden, zur Stellungnahme überlassen werden muß. Die Bundesregierung muß außerdem ihre bei der Ratifizierung einzunehmende Haltung mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft abstimmen. Sie hat zu all dem auch noch Besprechungen mit der österreichischen Regierung eingeleitet, bei denen ein einheitlicher deutscher Wortlaut der Charta festgelegt werden soll.
In ihrem eigenen Bereich sind die Arbeiten an dem Zustimmungsgesetz fortgeschritten. Wenn auch die übrigen erwähnten Voraussetzungen gegeben sind, wird die Bundesregierung den Gesetzentwurf unverzüglich einbringen. Ich bemühe mich jedenfalls, es so schnell wie möglich zu tun.

Dr. Elinor Hubert (SPD):
Rede ID: ID0404210600
Eine Zusatzfrage: Herr Minister, Sie haben also die Absicht, noch weiter mit Osterreich zu verhandeln, das diese Charta ja noch gar nicht unterzeichnet hat? Zum anderen frage ich Sie: Sind denn die Diskussionen mit den Ländern und mit allen Ressorts nicht schon durchgeführt worden, ehe die Bundesregierung diese Charta überhaupt unterzeichnet hat?




Theodor Blank (CDU):
Rede ID: ID0404210700
Wir sind ständig im Gespräch, Frau Kollegin. Aber wie ich eben schon sagte — das muß ich wiederholen —, sind alle diese Besprechungen, Überlegungen und Beratungen noch nicht so weit zum Abschluß gelangt, daß wir Ihnen schon einen Gesetzentwurf vorlegen könnten. Ich glaube, die Sache rechtfertigt es auch, hier sehr sorgfältig vorzugehen und alle diese Stimmen zu berücksichtigen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404210800
Eine Zusatzfrage.

Dr. Elinor Hubert (SPD):
Rede ID: ID0404210900
Muß ich Sie also so verstehen, daß Sie, obgleich diese Charta in Straßburg von allen Parteien dieses Hauses angenommen worden ist, nicht die Absicht haben, uns die Annahme aller Artikel des zweiten Teils zu empfehlen?

Theodor Blank (CDU):
Rede ID: ID0404211000
Frau Kollegin, das wird davon abhängen, unter welchem Eindruck die Bundesregierung steht, wenn sie alle die Beteiligten, die ich eben genannt habe, gehört hat und wenn ein Beratungsergebnis vorliegt. Jedenfalls erlaubt uns die Charta ausdrücklich, daß wir die Bestimmungen ratifizieren, die wir für richtig, nützlich und notwendig halten. Aber das letzte Wort darüber spricht doch sicher der Deutsche Bundestag.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404211100
Abgeordneter Börner zu einer Zusatzfrage.

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0404211200
Herr Minister, darf ich Ihre Antwort so verstehen, daß die Bundesregierung nicht die Absicht hat, die ganze Charta, die für die Weiterführung der europäischen Sozialpolitik von besonderer Bedeutung ist, dem Deutschen Bundestag zur Annahme zu empfehlen?

Theodor Blank (CDU):
Rede ID: ID0404211300
Herr Kollege, ich bitte, meine Antwort so zu verstehen, wie ich sie eben gegeben habe: Das kann ich erst sagen, wenn die Beratungen zum Abschluß gekommen sind, weil uns ja die Charta dieses Recht gibt.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404211400
Die Frage ist erledigt.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung, zuerst zur Frage V%1 — Abgeordneter Wegener —:
Ist dem Herrn Bundesverteidigungsminister bekannt, daß die seit Jahren laufenden Planungen für den Bau eines Soldaten-Freizeitheimes in Augustdorf, einem der größten Standorte der Bundesrepublik, trotz intensiver Bemühungen des vorgesehenen Heimträgers bisher nicht zum Abschluß gebracht wurden und deshalb mit der Errichtung noch nicht begonnen wenden konnte?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0404211500
Dem Bundesminister der Verteidigung ist die Situation bezüglich des Soldaten-Freizeitheimes in Augustdorf bekannt. Die Planung wurde erschwert durch die naturgemäß zunächst noch nicht ausgereiften Vorstellungen der Trägerverbände über die bauliche Gestaltung der Heime. Außerdem war es im Falle Augustdorf notwendig, auf dem gleichen Baugelände durch die Standortkommandantur und die Standortverwaltung , unterzubringen. Der Raumbedarf für diese Gebäude mußte zunächst erarbeitet, ferner mußten Gesichtspunkte einer wirtschaftlichen und städtebaulichen Gesamtplanung beachtet werden. Beides hatte Änderungen und damit Verzögerungen zur Folge.
Die Planung liegt unter Aufsicht des mit NATO-Baumaßnahmen besonders stark beschäftigten Finanzbauamtes Paderborn in der Hand eines freien Architekten. Die von diesem erarbeiteten Entwürfe wurden im Juli 1962 mit dem Trägerverband abgestimmt. Änderungen, z. B. eine Verkleinerung des Saales um etwa 200 qm gegenüber den ursprünglichen Bauwünschen, lassen sich nicht vermeiden.
Der Architekt hat jetzt bei Vorlage seines Vorentwurfs eine Verminderung der Verkehrsfläche angeregt. Es ist beabsichtigt, mit dem Bau des Heimes im Sommer 1963 zu beginnen, falls nicht neue besondere Schwierigkeiten auftreten.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404211600
Eine Zusatzfrage!

Heinz Wegener (SPD):
Rede ID: ID0404211700
Herr Minister, sehen Sie und Ihr Haus die Schwierigkeiten, die sich aus dem Nichtvorhandensein dieser Einrichtung ergeben, vor allen Dingen auf dem Gebiet der jugendpflegerischen Betreuung, Schwierigkeiten, die nicht zuletzt schon durch die räumliche Abgeschiedenheit dieses Standortes gegeben sind?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0404211800
Uns sind die Schwierigkeiten in diesem Falle wie in einigen wenigen ähnlich gelagerten Fällen wohlbekannt.

Heinz Wegener (SPD):
Rede ID: ID0404211900
Herr Minister, fallen Bauten dieser Art generell auch unter den Bundesbaustopp, und, wenn ja, halten Sie es für richtig, daß dann davon auch Planungen betroffen sind, die, wie in diesem Falle in Augustdorf, schon seit Jahren angestellt sind?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0404212000
Es gibt neben dem sogenannten Gesetz über den Bundesbaustopp auch eine 20%ige Kürzung aller Bauvorhaben der öffentlichen Hand im Bundeshaushalt. Wir haben von diesem Gesetz in Abstimmung mit dem Bundesminister der Finanzen zunächst nur solche Bauten ausgenommen, deren Interesse für die Landesverteidigung von besonderer Bedeutung ist. Wir sind aber auch in diesem Falle mit dem Bundesminister der Finanzen einig, daß im Sommer 1963 mit diesem Bau begonnen werden soll,

(Abg. Wegener: Danke schön!)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404212100
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Welslau.

Heinrich Welslau (SPD):
Rede ID: ID0404212200
Herr Minister, trifft es zu, daß in Augustdorf die Soldaten, die in der Grundausbildung stehen, über die im Dienstplan festgesetzte



Welslau
Zeit hinaus in den Abendstunden beschäftigt werden und daß man von daher bisher keine Initiative ergriffen hat, um ein Freizeitheim aufzubauen?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0404212300
Wenn die Frage nicht vorher eingereicht wird, bin ich nicht in der Lage, eine sachgemäße und zutreffende Antwort zu ,geben.

Heinrich Welslau (SPD):
Rede ID: ID0404212400
Darf ich eine schriftliche Antwort haben, Herr Minister?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0404212500
Selbstverständlich.

Heinrich Welslau (SPD):
Rede ID: ID0404212600
Danke.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404212700
Ich rufe auf die Frage V/2 — des Abgeordneten Bauer (Würzburg) —:
Wie viele Menschenleben und wieviel Flugzeuge gingen seit Wiedererstehen der Luftwaffe innerhalb der deutschen Bundeswehr durch Absturz verloren?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0404212800
Ich kann nichts anderes erklären als das, was ich in meinem Schreiben vom 9. Juli 1962 angeboten habe, nämlich, daß ich bereit bin, die erbetene Auskunft in der nächsten Sitzung des Verteidigungsausschusses zu geben. Bei der nächsten Sitzung des Verteidigungsausschusses nach meinem Schreiben vom 9. Juli 1962, bei der wir für die Antwort vorbereitet waren, nämlich der Sitzung vom 27. Juli, waren Sie, Herr Abgeordneter, nicht anwesend, so daß die erbetene Auskunft nicht erteilt werden konnte.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404212900
Eine Zusatzfrage!

Hannsheinz Bauer (SPD):
Rede ID: ID0404213000
Kann ich, Herr Bundesminister, von Ihnen die Zusage bekommen, daß die Frage zumindest noch in diesem Jahr beantwortet wird, und würden Sie im Verteidigungsausschuß auch die Antwort auf die Fragen geben, wie hoch die Summe sich beläuft, die als Schaden in diesem Zusammenhang entstanden ist, und ob die Absturzquote bei den anderen NATO-Mächten ähnlich hoch liegt?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0404213100

(besteht. Wenn der Verteidigungsausschuß sich noch in diesem Jahre zu einer Sitzung zusammenfindet und Sie, Herr Kollege, anwesend sind, kann Ihr Anliegen ungehindert befriedigt werden. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post-und Fernmeldewesen. Ich rufe auf die Frage des Herrn Abgeordneten Cramer: Ist die Bundesregierung bereit, zur Deckung des Bedarfs an Fernsprecheinrichtungen in der Bundesrepublik Aufträge zur Lieferung von Ämtern und Anschlußgeräten an ausländische Firmen zu erteilen? Auf eine entsprechende Frage des Herrn Abgeordneten Bading habe ich im April dieses Jahres bereits ausgeführt, daß die Deutsche Bundespost (bereit ist, Aufträge zur Lieferung von Material, insbesondere von Kabeln, für die Erstellung von Fernsprechanschlüssen an ausländische Firmen zu erteilen, sofern die Kapazität der deutschen Fernmeldeindustrie nicht ausreicht. Es ist auch darauf hinzuweisen, daß bei komplizierten fernmeldetechnischen Geräten wie z. B. Vermittlungsund Sprechstelleneinrichtungen ein Ausweichen auf die ausländische Industrie nicht möglich ist, weil die ausländischen Geräte dem deutschen System nicht entsprechen und eine dann unvermeidbare Vielfalt der Typen den Betrieb stark belasten und die Kosten erhöhen würde. Zusatzfrage! Herr Minister, wenn es richtig ist, was Sie kürzlich in Göttingen gesagt haben, daß nämlich der Engpaß auch in zehn Jahren noch nicht überwunden ist, ist es dann nicht angebracht und ratsam, vor allen Dingen im Rahmen 'der EWG, auf eine Typisierung der Geräte hinzuarbeiten, damit wir eben die ausländische Industrie mit einschalten können? Herr Kollege Cramer, ich weiß nicht, auf welche Mitteilung Sie sich berufen, wenn Sie von dem Engpaß innerhalb der nächsten zehn Jahre sprechen. Es kommt ganz darauf an, wie hoch die Mittel sind, die die 'Deutsche Bundespost für Investitionsaufgaben auf dem Fernmeldesektor zur Verfügung hat. Danach richtet sich der Zeitraum a)

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404213200
Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0404213300
Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404213400
Johann Cramer (SPD):
Rede ID: ID0404213500
Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0404213600

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404213700
Zusatzfrage!

Johann Cramer (SPD):
Rede ID: ID0404213800
Herr Minister, ich habe mich auf die Pressemitteilung 'Ihres Ministeriums vom 28. September bezogen. Aber noch eine letzte Zusatzfrage: Ist es richtig, daß die Kapazität der Industrie und auch der Deutschen Bundespost bis zum Jahre 1958 ausgereicht hätte, den vollen Bedarf zu decken, und daß ,es nur an der Zurverfügungstellung der Mittel gemangelt hat?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0404213900
Es ist durchaus möglich, daß die Fernmeldeindustrie 'bis zum Jahre 1957/58 noch aufnahmefähig gewesen wäre. Aber zu diesem Zeitpunkt — Herr Kollege Cramer, Sie waren ja damals wie heute in dem Bundestagsausschuß und wissen das — hatte die Deutsche Bundespost nicht genügend Mittel zur Verfügung.




Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404214000
Die Frage zu VII wird im Einverständnis mit dem Fragesteller erst nach dem 4. November aufgerufen.
Ich rufe auf aus dem Geschäftsbereich des Bundesschatzministers die Frage VIII — des Abgeordneten Metzger —:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß die Bundesvermögensverwaltung Frankfurt (Main), Ortsverwaltung Darmstadt, beabsichtigt, ein 1500 qm großes Kasernengrundstück zu mindestens 60 DM je qm zu verkaufen, wozu 28 000 DM Abrißkosten für die Kaserne kommen, während der Bund noch im September 1958 ein Nachbargrundstück 7.11 9 DM je qm verkauft hat, was eine Steigerung um 800 % in 4 Jahren bedeutet?
Lenz, Bundesschatzminister: Herr Abgeordneter Metzger, bei dem Gelände der ehemaligen Train-Kaserne in Darmstadt wurde zuerst, wie üblich, geprüft, ob ein Verwaltungsbedarf des Bundes besteht oder nicht. Das Gelände war zunächst für die Bundeswehr freigemacht worden. Die Bundeswehr hat dieses Gelände dann nicht gebraucht. Andererseits war eine schnelle Veräußerung dieses Geländes geboten. Die Aufbauten waren schlecht und einsturzgefährdet. Um eine schnelle Veräußerung zu ermöglichen, hat die Bundesvermögensstelle in Frankfurt dieses Gelände ausgeschrieben — ein Verfahren, das ganz sicher nicht zu beanstanden ist. Die Ausschreibung ergab ein Höchstangebot von 75 000 DM, also — wie Sie richtig bemerken — rund 58 DM für den Quadratmeter. Der Verkauf des Grundstücks ist aber unterblieben, weil sich in der Zwischenzeit herausgestellt hat, daß das Technische Hilfswerk dort einen Neubau für seine Zwecke errichten will. Aus diesem Grunde hat der Schatzminister davon abgesehen, zu prüfen, ob dieses Angebot von 75 000 DM spekulativ gewesen ist oder nicht.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404214100
Zusatzfrage!

Ludwig Metzger (SPD):
Rede ID: ID0404214200
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß sich die Firma Habra als dritte Bewerberin um das Grundstück bemüht hat und daß der zuständige Beamte einem Angestellten der Firma Habra erklärt hat, es lägen zwei Angebote zu 50 und 60 DM je Quadratmeter vor; jetzt müsse dieses Angebot der Firma Habra erst den anderen bekanntgemacht werden, damit diese die Möglichkeit hätten, höhere Angebote zu machen?
Lenz, Bundesschatzminister: Herr Abgeordneter Metzger, diese Tatsache ist mir bekannt. Sie ist mir von dem Oberbürgermeister von Darmstadt mitgeteilt worden. Ich lasse das eingehend prüfen. Aber da nun der Verkauf an die Firma, die 75 000 DM geboten hat, nicht zustande gekommen ist, habe ich zunächst nicht geprüft, ob es sich um einen spekulativen Preis handelt.

Ludwig Metzger (SPD):
Rede ID: ID0404214300
Herr Minister, sind Sie nicht der Meinung, daß Sie die Verpflichtung haben, Ihre Beamten daraufhin zu überprüfen, ob sie Wucherpreise verlangen, einerlei, ob das Geschäft zustande gekommen ist oder nicht? Denn die Haltung des Beamten — und es ist ja möglich, daß andere Beamte genauso handeln — ist doch von entscheidender Bedeutung.
Lenz, Bundesschatzminister: Ich habe meine Beamten eindringlich darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung niemals in den Verdacht kommen dürfe, für ihre Grundstücke spekulative Preise zu verlangen.

Ludwig Metzger (SPD):
Rede ID: ID0404214400
Darf ich bitten, über das Ergebnis Ihrer Untersuchung unterrichtet zu werden?
Lenz, Bundesschatzminister: Ich will das gerne tun, Herr Abgeordneter.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404214500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ritzel.

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0404214600
Ist Ihnen bekannt, Herr Bundesschatzminister, daß ein Bundesministerium Land zu Preisen anbietet, die sogar über die gestellten Forderungen hinausgehen, und daß damit der deutsche Boden in einer moralisch und wirtschaftlich absolut unzulässigen Weise zum Gegenstand eines Preiswuchers gemacht wird, der in diesem Falle von der Regierung zu verantworten sein dürfte?
Lenz, Bundesschatzminister: Herr Abgeordneter Ritzel, diese Andeutung allein genügt mir nicht, um die Frage zu bejahen. Der Ihrer Frage zugrunde liegende Tatbestand ist mir nicht bekannt.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404214700
Zusatzfrage!

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0404214800
Würden Sie bereit sein, Herr Bundesschatzminister, Ihren Kollegen vom Bundesverteidigungsministerium um die Unterlagen zu ersuchen, damit aus den Akten des Bundesverteidigungsministers für das Jahr 1961 der Beweis für das, was ich soeben hier sagte, erbracht werden kann?
Lenz, Bundesschatzminister: Natürlich, Herr Abgeordneter.

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0404214900
Danke.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404215000
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer.

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0404215100
Herr Minister, Sie sagten, daß die Beamten angewiesen sind, keine spekulativen Preise zu verlangen. Ist auch dafür Vorsorge getroffen, daß keine spekulativen Preise gezahlt werden, und ist Ihr Haus, Ihr Ministerium in der Lage, zu überwachen, daß das Verteidigungsministerium — um die Frage meines Kollegen Ritzel zu präzisieren — sich an solche Richtlinien dann hält?
Lenz, Bundesschatzminister: So ohne weiteres nicht, Herr Abgeordneter Schäfer; denn Sie wissen, daß die Liegenschaftsabteilungen und Bauabteilungen, die die Verteidigung betreffen, vor einem Jahr aus dem Schatzministerium in das Verteidigungsministerium überführt worden sind.

(Abg. Dr. Schäfer: Sehr kostspielig!)




Bundesschatzminister Lenz
— Ich teile mit, was ist. Das andere, was Sie fragen, Herr Abgeordneter Dr. Schäfer, ist etwa so zu beantworten: Wenn ich ein Grundstück ausschreibe, dann ist zunächst nicht ohne weiteres zu prüfen, ob der Preis angemessen ist oder nicht. Wenn dagegen der Bund ein Grundstück anbietet oder kauft, dann läßt er natürlich durch seine Schätzer — was ein sehr zeitraubendes Verfahren ist — genau prüfen, ob die Wertermittlung etwa dem Verkehrswert — wie es die Haushaltsordnung vorschreibt — entspricht oder nicht.

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0404215200
Herr Minister, muß ich den ersten Teil Ihrer Antwort so auffassen, daß die Ministerien unabhängig voneinander Bodenpolitik treiben, oder ist vielleicht der Vertreter des Finanzministeriums in der Lage, uns hier Auskunft darüber zu geben, ob es eine Stelle gibt, die darüber wacht, daß keine Spekulationspreise bezahlt werden?
Lenz, Bundesschatzminister: An sich ist hier das Ressort des Schatzministers zuständig. Darüber ist gar kein Zweifel. Er verwaltet das Vermögen des Bundes. Ich sage Ihnen ja nur, daß der Verteidigungsteil aus diesem Komplex herausgelöst worden ist. Es besteht aber gar keine Veranlassung, anzunehmen, daß nun zwischen den beiden Ressorts aus irgendeinem Grunde verschiedene Auffassungen über die Wertermittlung bestehen, weil die entscheidende Funktion in diesem ganzen Komplex Boden und Bau zunächst einmal die Oberfinanzpräsideuten haben.

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0404215300
Das widerspricht allerdings dem Vortrag des Staatssekretärs des Verteidigungsministeriums im Haushaltsausschuß.

(Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404215400
Herr Abgeordneter Schwabe!

Wolfgang Schwabe (SPD):
Rede ID: ID0404215500
Gibt es eine Möglichkeit, Herr Minister, daß Ihr Haus sich über derartige Angebote eines anderen Ministeriums — in diesem Fall des Verteidigungsministeriums — informieren läßt und eine Abstimmung versucht?
Lenz, Bundesschatzminister: Herr Abgeordneter Schwabe, diesen Gedanken, einen Gleichklang zwischen beiden Ministerien in dieser sehr heiklen Frage herbeizuführen, will ich gerne aufnehmen.

(Abg. Dr. Schäfer: Ist der Gedanke neu?)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404215600
Keine weiteren Fragen.
Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zunächst Frage IX/1 — des Abgeordneten Sänger: —
Aus welchen Gründen gewährt die Bundesregierung an Jugoslawen, die Opfer von sogenannten medizinischen Versuchen durch die Regierung der Nationalsozialisten geworden waren, nur im Durchschnitt 5000 bis 6000 DM Entschädigung, während die Opfer dieser Verbrechen in anderen Ländern weit höhere Entschädigungen erhalten?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0404215700
Herr Abgeordneter Sänger, im April 1961 ist zwischen dem Staatssekretariat für Finanzangelegenheiten der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien und dem deutschen Bundesministerium der Finanzen eine Vereinbarung getroffen worden, nach der die Bundesregierung an Jugoslawien einen Festbetrag von 1 750 000 DM zugunsten jugoslawischer Opfer von Menschenversuchen zahlt. Dieser Vereinbarung war eine Zahlung von weiteren 133 000 DM vorausgegangen. Insgesamt sind also rund 1,9 Millionen DM gezahlt worden.
Eine bestimmte Zahl von Fällen, für die diese Entschädigung gewährt werden soll, ist in dem Abkommen nicht vorgesehen. Die jugoslawische Regierung hat Gewicht darauf gelegt, diese Beträge nach eigenem Ermessen verteilen zu können. Wir wissen also beispielsweise auch nicht, nach welchen Grundsätzen und vor allen Dingen in welchem Ausmaß im. Einzelfall Entschädigungen gezahlt worden sind. Einen Durchschnittsbetrag können wir infolgedessen auch nicht nennen. Bei der Zahlung von 1,9 Millionen DM ist die deutsche Seite davon ausgegangen, daß damit durchschnittlich ein Betrag an der Obergrenze der Beträge gezahlt werden kann, .die in anderen Ländern zugrunde gelegt werden.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404215800
Zusatzfrage!

Fritz Sänger (SPD):
Rede ID: ID0404215900
Herr Staatssekretär, ist es nicht richtig, daß bei den Vorverhandlungen vor Abschluß des Vertrages etwa 40 bis 45 Klagen von Opfern in Deutschland anhängig waren, die zurückgezogen werden mußten, ehe der Vertrag unterschrieben wurde, so daß anzunehmen ist, daß die Zahl, durch die geteilt werden mußte, doch bekanntgeworden sein muß?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0404216000
Damals sind bestimmte Schätzungen angestellt worden, die aber nur als Begründung, als Motiv gedient haben. Sie sind nicht Gegenstand der Vereinbarung gewesen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404216100
Letzte Zusatzfrage!

Fritz Sänger (SPD):
Rede ID: ID0404216200
Ist Ihnen oder Ihrem Hause bekannt, Herr Staatssekretär, daß erfreulicherweise an entsprechende Opferfälle in Polen und Ungarn 30 000 DM und nicht nur 5000 oder 6000 DM gezahlt wurden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0404216300
Herr Abgeordneter, wir haben, um dieses unerfreuliche Kapitel auch für Ungarn und Polen möglichst abzuschließen, über das Internationale Rote Kreuz den nationalen Roten Kreuzen dieser Länder Pauschbeträge zur Verfügung gestellt. Auch dort wissen wir nicht, wie groß die Zahl der Fälle ist. Wir sind aber ungefähr darüber unterrichtet, daß in diesen Ländern die Zahl der Fälle tatsächlich geringer gewesen ist, als man angenommen hatte.




Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404216400
Die Frage ist beantwortet.
Der Abgeordnete Fritsch hat drei Fragen gestellt, die sich alle mehr oder weniger mit Bekleidungsangelegenheiten und den Auswirkungen bestimmter Bekleidungsstücke der Bundesgrenzzollbeamten auf die Gesundheit befassen. Wir können wohl alle drei Fragen zusammen beantworten. Ich rufe also auf die Fragen IX/2 bis IX/4 — des Abgeordneten Fritsch —:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch das angeordnete Tragen des Überschnallkoppels bei den Beamten des Bundesgrenzzolldienstes in zunehmendem Maße Magenbeschwerden, Rückgratschmerzen und ähnliche Erscheinungen auftreten?
Ist die Bundesregierung bereit, zur Vermeidung von Krankheitserscheinungen den Beamten des Bundesgrenzzolldienstes das wahlweise Tragen eines dienstlich zu liefernden Unterschnallkoppels — wie dies bereits bei der bayerischen Grenzpolizei eingeführt ist — zu gestatten?
Ist die Bundesregierung bereit, den Beamten des Bundesgrenzzolldienstes im Grenzaufsichtsdienst das Tragen langer Hosen in der Zeit vom 1. Mai bis 30. September unter Berücksichtigung der Tatsache, daß Keil-, Kniebund- und Stiefelhosen während der warmen Jahreszeit ungeeignet sind, zu gestatten und insofern die Bekleidungsvorschrift des Jahres 1956 zu ändern?
Bitte, Herr Staatssekretär.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0404216500
Ich werde alle drei Fragen zusammen beantworten. Herr Abgeordneter, daß das Tragen von Überschnallkoppeln zu Gesundheitsschäden führt, haben wir beim Zoll nicht festgestellt.

(Heiterkeit.)

Wir halten es im allgemeinen auch für unwahrscheinlich, weil sowohl bei der Polizei als auch bei der Bundeswehr Überschnallkoppel getragen werden. Im übrigen gehören die Zollbeamten des Grenzvollzugsdienstes, die ein Überschnallkoppel zu tragen haben, im allgemeinen noch Jahrgängen an, bei denen das Überschnallkoppel mit der natürlichen Körperform harmoniert.

(Heiterkeit und Beifall.) Vizepräsident Dr. Schmid: Zusatzfrage!


Walter Fritsch (SPD):
Rede ID: ID0404216600
Herr Staatssekretär, sind gezielte ärztliche Feststellungen nach der Richtung getroffen worden, daß, wie Sie es ausdrücken, keine körperlichen Leiden durch das Tragen von Überschnallkoppeln verursacht worden sind?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0404216700
Herr Abgeordneter, wir haben durch eine Rückfrage festgestellt, daß sich an einer Stelle, wenn ich recht unterrichtet bin, jemand gemeldet hat, bei dem sich Magenbeschwerden durch das Überschnallkoppel geäußert haben, daß im übrigen aber ernste Gesundheitsschäden nicht aufgetreten sind. Um ein übriges zu tun — verzeihen Sie, wenn ich in das Detail gehen muß —, haben die Hauptzollämter veranlaßt, daß durch entsprechende Einrichtungen am Rock das Tragen des Überschnallkoppels leichter gemacht wird.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404216800
Noch eine Zusatzfrage!

Walter Fritsch (SPD):
Rede ID: ID0404216900
Herr Staatssekretär, da sich meine Anfrage auf sehr zahlreiche Beschwerden der von mir dargestellten Art bezieht, stelle ich die Frage, ob Sie bereit wären, mit den Personalvertretungskörperschaften des Bundesgrenzzolldienstes diese Frage doch noch einmal durchzusprechen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0404217000
Das werden wir gerne tun.
Darf ich Ihre weiteren Fragen beantworten? — Sie fragen in Ihrer anschließenden Frage danach, ob die Hose als lange Hose im Zolldienst getragen werden kann. Wir haben schon im Jahre 1956 die Hauptzollämter ermächtigt, in geeigneter Form nach eigenem Ermessen das Tragen der langen Hose im Grenzaufsichtsdienst 'zuzulassen. In Dienstaufsichtsbesprechungen ist wiederholt darauf hingewiesen worden, daß man dabei nicht kleinlich sein solle. Ob Keil-, Kniebund- oder Stiefelhosen als Dienstbekleidung in der warmen Jahreszeit geeignet oder ungeeignet sind, mögen die Herren Vorsteher der Dienststellen selbst entscheiden.

(Zurufe und Heiterkeit.)


Walter Fritsch (SPD):
Rede ID: ID0404217100
Ist Ihnen bekannt, daß von dieser Ermächtigung im Gebiet zwischen Passau und Cham nur in einem einzigen Falle Gebrauch gemacht worden ist?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0404217200
Das ist mir natürlich nicht bekannt, Herr Abgeordneter. Aber wir hoffen, das Unsrige getan zu haben, damit die Dienststellenvorsteher in einer vernünftigen Form solche technischen Fragen der Praxis regeln.

(Beifall in der Mitte.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404217300
Noch eine Zusatzfrage?

Walter Fritsch (SPD):
Rede ID: ID0404217400
Herr Staatssekretär, sind Ihnen die Gründe bekannt, 'die z. B. die bayerische Grenzpolizei veranlaßte, in dieser Frage eine generelle, den Wünschen der Beamten entsprechende Regelung .einzuführen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0404217500
Mir ist bekannt, daß bei der bayerischen Grenzpolizei für das Tragen der Pistole ein Unterschnallgurt oder ein Schultergurt zugelassen ist. Das ist auch für den Zoll geprüft worden. Da aber der Zöllner außer seiner Waffe auch noch eine Stahlrute und eine Stableuchte zu tragen hat,

(Zurufe und Heiterkeit)

sind diese Einzelheiten, wie mir scheint, technischen Besprechungen zu überlassen. Ich würde es begrüßen, wenn der Verband der 'Zollbeamten und andere Berufsvertretungen dem Finanzministerium dabei ihre Unterstützung gäben.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404217600
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ritzel.




Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0404217700
Herr Staatssekretär, würde das Bundesfinanzministerium entgegenkommenderweise wenigstens für die bayerischen Zöllner das Tragen von Seppelhosen gestatten?

(Große Heiterkeit.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0404217800
Herr Abgeordneter, selbst in Bayern ist die Seppelhose keine Diensthose.

(Anhaltende Heiterkeit.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404217900
Herr Abgeordneter Hilbert, sind Sie damit einverstanden, daß Ihre beiden Fragen IX/5 und IX/6 zusammen beantwortet werden? — Dann rufe ich beide Fragen auf:
Gedenkt die Bundesregierung in absehbarer Zeit einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Entschädigung der sogenannten F.- u. E.-Hiebe in der früheren französischen Besatzungszone regeln soll?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in einem Musterprozeß bezüglich der Entschädigung der F.- u. E-Hiebe der Bundesgerichtshof entschieden hat, daß diese F.- u. E.-Hiebe nicht nach den Grundsätzen des Lastenausgleichs, sondern mach den Enteignungsgrundsätzen gemäß Artikel 14 GG entschädigt werden müssen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0404218000
Herr Abgeordneter Hilbert, ich beantworte Ihre beiden Fragen zusammen.
Der Bundesgerichtshof hat in zwei Prozessen die Besatzungshiebe in Forsten der französischen Besatzungszone dem Grunde nach als entschädigungsberechtigt nach 'Enteignungsgrundsätzen anerkannt. Allerdings hat der Bundesgerichtshof hinzugesetzt, daß der allgemeine Klagestopp aus dem § 3 des Kriegsfolgengesetzes auch hier gilt und daß eine besondere gesetzliche Regelung vorbehalten ist. Diese beiden Urteile des Bundesgerichtshofs werden damit begründet, daß deutsche Behörden bei der Feststellung derjenigen Forste mitgewirkt haben, in denen solche Besatzungshiebe durchgeführt worden sind.
Diese Ansprüche gelten nach der Auffassung der Bundesregierung als Reparationsschäden und sollen mit allen anderen gleichartigen Reparations- und Restitutionsschäden in einem besonderen Gesetz geregelt werden. Dieses Gesetz ist als Referentenentwurf seit einiger Zeit fertiggestellt und den Länderregierungen zugeleitet 'worden, damit sie wie üblich dazu Stellung nehmen. Wir hoffen, daß mit dieser Stellungnahme der Länderregierungen das Vorverfahren abgeschlossen ist und die Bundesregierung alsbald einen entsprechenden Gesetzentwurf einbringen kann.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404218100
Noch Zusatzfragen?

Anton Hilbert (CDU):
Rede ID: ID0404218200
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß bei einer Entschädigungsregelung die allgemeinen Leistungen nach dem Kriege nach dem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe nun in einen Topf mit den E.- und F.-Hieben geworfen werden können? Glauben Sie nicht vielmehr, daß hier der Bundesgerichtshof bereits eine Bindung für den Gesetzgeber geschaffen hat, die Entschädigung nach Artikel 14 GG zu regeln?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0404218300
Herr Abgeordneter, es ist richtig, daß die beiden Urteile des Bundesgerichtshofs eine Entschädigung wegen Enteignung nach Art. 14 des Grundgesetzes zusprechen. Es gibt aber noch andere, abweichende obergerichtliche Urteile. Wir vermuten, daß sich der Bundesgerichtshof nochmals mit dieser Frage zu befassen hat.
Auf der anderen Seite, Herr Abgeordneter, muß festgehalten werden, daß die Art der Mitwirkung der deutschen Behörden bei diesen Besatzungseinschlägen in den Forsten nach unserer Auffassung keine besondere ursächliche Bedeutung hat, die einen selbständigen Entschädigungsanspruch begründet. Der entscheidende Rechtsgrund für die Entschädigung ist vielmehr in dem Befehl der Besatzungsmacht zu sehen. Deshalb unterscheiden sich derartige Ansprüche nach unserer Auffassung nicht von anderen Reparations- oder Restitutionsschäden.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404218400
Noch eine Zusatzfrage.

Anton Hilbert (CDU):
Rede ID: ID0404218500
Herr Staatssekretär, nach Ihren eben gemachten Ausführungen anerkennt die Bundesregierung, ,daß deutsche Behörden bei den sogenannten Reparationshieben im deutschen Forst nicht mitgewirkt haben.

(Staatssekretär Dr. Hettlage: Nicht entscheidend mitgewirkt haben!)

— Nicht entscheidend mitgewirkt haben. Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Ausführung der Besatzungsbefehle damals ausschließlich von deutschen Behörden vorgenommen worden ist?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0404218600
Ja, Herr Abgeordneter, auf Befehl der Besatzungsmächte.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404218700
Abgeordneter Dröscher.

Wilhelm Dröscher (SPD):
Rede ID: ID0404218800
Herr Staatssekretär, mußte ich Ihre Ausführungen vorhin so verstehen, daß die Bundesregierung annimmt, bei der Neubefassung der Obergerichte könnte eine andere, für die Gemeinden und die übrigen Waldbesitzer vielleicht ungünstigere Stellungnahme herauskommen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0404218900
Herr Abgeordneter, weil abweichende obergerichtliche Urteile vorliegen, nehmen wir an, daß die Angelegenheit noch einmal zum Bundesgerichtshof kommen und dabei möglicherweise anders beurteilt werden wird.

Wilhelm Dröscher (SPD):
Rede ID: ID0404219000
Herr Staatssekretär, haben Sie eine Vorstellung von dem zahlenmäßigen Gesamtumfang der in Frage stehenden F.- u. E.-Hiebe?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0404219100
Ich bedauere, Ihre Frage nicht beantworten zu können, Herr Abgeordneter.




Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404219200
Frage IX/7 — der Frau Abgeordneten Dr. Elsner —:
Hat das Bundesfinanzministerium dem Hamburger Hauptzollamt Hamburg-Kehrwieder über die Oberfinanzdirektion Hamburg die Anweisung gegeben, als verfälscht erkannte italienische Dessertweine zur Herstellung von Wermutwein freizugeben und in einem anderen Falle sogar zum freien Verkehr abfertigen zu lassen, nachdem dafür die Monopolabgabe gezahlt wurde?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0404219300
Frau Dr. Elsner, das Bundesfinanzministerium hat weder an die Oberfinanzdirektion Hamburg noch an andere Dienststellen die Weisung gegeben, daß als verfälscht erkannte italienische Dessertweine zur Herstellung von Wermutwein freigegeben oder gegen Entrichtung des Monopolausgleichs zum freien Verkehr abgefertigt werden dürfen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404219400
Eine Zusatzfrage.

Dr. Ilse Elsner (SPD):
Rede ID: ID0404219500
Ist das Finanzministerium nicht auch der Meinung, daß diese Weine hätten zurückgeschickt werden müssen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0404219600
Frau Abgeordnete, wir haben seit Jahren die Auffassung vertreten, daß diese italienischen Wermutweine, die mit meist recht billigem und minderwertigem Sprit im Weingeistgehalt angereichert worden sind, nicht in Deutschland verwendet werden sollten. Wir haben infolgedessen auch die Auffassung vertreten, daß dieser Alkoholzusatz nach dem Branntweinmonopolgesetz dem Monopolausgleich unterliegt. Nur im Hinblick auf Musterprozesse, die beim Bundesfinanzhof schweben, haben wir diese Auffassung den nachgeordneten Dienststellen bisher nicht bindend vorschreiben können.
Für einen Sonderfall ist allerdings durch einen Erlaß vom August 1961 eine Regelung getroffen worden. Dieser Sonderfall betrifft die Verwertung von aufgespriteten Weinen, die an sich zur Herstellung von Wermutweinen bestimmt waren, zur Herstellung von Spirituosen. Wenn dergleichen aufgespritete Weine nicht zur Herstellung von Wermut, sondern zur Herstellung von Spirituosen verwendet werden, dann unterliegen sie nach einem Erlaß vom 16. August 1961 im Hinblick auf diese zweckentfremdende Verwendung dem Monopolausgleich. Dieser Monopolausgleich ist so hoch, daß damit das wirtschaftliche Interesse entfällt und eine Verwertung zur Spirituosenherstellung nach unserer Erwartung ausgeschlossen ist.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404219700
Als letzte Frage eine Frage des Abgeordneten Seuffert auf Drucksache IV/672:
Hält es die Bundesregierung für eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen im Sinne des § 2 des Umsatzsteuergesetzes, wenn bed Bauzügen der Deutschen Bundesbahn, bei denen zur Herstellung der Verpflegung der Bauzugsangehörigen Einrichtung und Personal lt. Tarifvertrag von der Bundesbahn zur Verfügung gestellt werden, die von den an der Verpflegung teilnehmenden zur Verfügung gestellten Beträge zum Einkauf von Lebensmitteln verwendet werden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0404219800
Herr Abgeordneter Seuffert, die Küchengemeinschaften bei Bauzügen der Bundesbahn gelten nach der ständigen Gesetzesauslegung des Bundesfinanzministeriums als Unternehmen, die eine gewerbliche und berufliche Tätigkeit im Sinne des Umsatzsteuergesetzes ausüben, und werden zur Umsatzsteuer herangezogen. Diese Auffassung des Bundesfinanzministeriums ist durch zwei Urteile des Bundesfinanzhofes vom 29. November 1955 und vom 4. Juli 1956 bestätigt worden.

Walter Seuffert (SPD):
Rede ID: ID0404219900
Herr Staatssekretär, wollen Sie trotz wenig überzeugender Urteile des Bundesfinanzhofes nicht zugeben, daß es keine Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen ist, wenn Leute wie die Bauzugsangehörigen der Bundesbahn ihre Verpflegung gemeinsam beschaffen, ohne daß selbstverständlich irgend jemand sonst an dieser Verpflegung den Umständen nach teilnehmen kann und ohne daß der allgemeine wirtschaftliche Verkehr, an dem ein Unternehmen im Sinne des Umsatzsteuergesetzes doch teilnehmen sollte, irgendwie davon berührt wird?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0404220000
Herr Abgeordneter, ich gebe Ihnen zu, daß das eine Auslegungs-, zum Teil auch eine Auffassungsfrage ist. Aber nach den Tatbestandsmerkmalen des Umsatzsteuergesetzes würden diese Küchengemeinschaften als selbständige bürgerlich-rechtliche zwangslose Vereinigungen anzusehen sein, die gemeinsam einen gewerblichen Zweck erfüllen, nämlich einen Kantinenbetrieb. Wir haben auch geprüft, ob nicht aus Billigkeitsgründen, etwa aus sozialen Billigkeitsgründen, diese Küchengemeinschaften von der Umsatzsteuer befreit werden sollten. Wir haben das verneint, weil eine ungleiche Behandlung gegenüber anderen gleichartigen gewerblichen Einrichtungen unerwünscht scheint. Ein verpachtetes gewerbliches Kasino oder eine ähnliche Einrichtung unterliegt unstreitig der Umsatzsteuer, und es erschien uns unzweckmäßig, für die lockeren Selbsthilfe-Küchengemeinschaften der Bundesbahn eine andere Regelung zuzulassen.

Walter Seuffert (SPD):
Rede ID: ID0404220100
Herr Staatssekretär, wollen Sie nicht zugeben, daß zwischen einer Kantine und ähnlichem und der Verpflegungsgemeinschaft eines Bauzuges, die ja nur durch die örtlichen Verhältnisse des Bauzuges zustande kommt, ein wesentlicher Unterschied besteht in bezug auf die Beteiligung am wirtschaftlichen Verkehr, die Unternehmungseigenschaft und die Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, die hier gar nicht vorliegen, weil ja nur Geld verwandt wird, das zum Einkauf von Waren übergeben wird? Wollen Sie nicht zugeben, daß da wesentliche Unterschiede bestehen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0404220200
Ich gebe zu, es sind Unterschiede. Aber es kommt auf den Grad an, in dem solche Küchengemeinschaften nach außen und nach innen auftreten. Sie treten nach außen als einheitliche Einkäufer auf, und sie treten im Innenverhält-



Staatssekretär Dr. Hettlage
nis als Lieferer von bestimmten Verpflegungsleistungen auf. Mit diesen — ich gebe zu, juristischformalen — Tatbestandsmerkmalen des Umsatzsteuergesetzes hat auch der Bundesfinanzhof die Umsatzsteuerpflicht begründet.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404220300
Die Frage ist erledigt. Damit ist die Fragestunde beendet.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie bitten, mir zu gestatten, zunächst Punkt 25 vorzuziehen:
Beratung des Antrags der Fraktion der FDP
betr. Trinkmilch (Drucksache IV/409).
Die Sache ist dringend. Die Fraktion hat auf Begründung verzichtet. Die Fraktionen haben auf Debatte verzichtet. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und den Wirtschaftsausschuß zu überweisen. Ist das Haus einverstanden? — Dann ist so beschlossen und dieser Punkt 25 behandelt und erledigt.
Punkt 2 der Tagesordnung:
a) Mündlicher Bericht des Ausschusses für Petitionen (2. Ausschuß) über seine Tätigkeit gemäß § 113 Abs. 1 der Geschäftsordnung
b) Beratung der Sammelübersicht 10 des Ausschusses für Petitionen (2. Ausschuß) über Anträge von Ausschüssen des DeutschenBundestages zu Petitionen und systematische Ubersicht über ,die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 17. Oktober 1961 bis 30. September,1962 eingegangenen Petitionen (Drucksache IV/653).
Ich erteile das Wort der Berichterstatterin, Frau Abg. Dr. Flitz (Wilhelmshaven) .

Dr. Hedi Flitz (FDP):
Rede ID: ID0404220400
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich habe die Ehre, Ihnen gemäß § 113 Abs. 1 der Geschäftsordnung über die Tätigkeit des Ausschusses für Petitionen in der Zeit vom 17. Oktober 1961 bis 30. September 1962 zu berichten.
Gestatten Sie mir zunächst die persönliche Bemerkung, daß ich mich der mir gestellten Aufgabe um so lieber unterziehe, als ich als Neuling in der Arbeit des Petitionsausschusses von diesem Aufgabengebiet des Bundestages sehr beeindruckt bin. Ich gestehe, daß ich trotz einer guten staatsbürgerlichen Vorbildung in der Tat keine Vorstellung von dem Arbeitsumfang und — auch das gestehe ich ehrlich — von der Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit hatte, mit der die Petitionen bearbeitet werden.

(Beifall.)

Ich habe seitdem jede Gelegenheit benutzt, in der Öffentlichkeit auf diese Tatsache hinzuweisen.
Nach diesen einleitenden Bemerkungen zum Bericht! Zunächst darf ich darauf hinweisen, daß von den 2175 in der dritten Wahlperiode nicht mehr erledigten Eingaben im Berichtszeitraum 1285 abschließend behandelt werden konnten. Es war nicht möglich, die restlichen 890 Petitionen zu erledigen, weil die um Stellungnahme ersuchte Bundesregierung in diesen Fallen umfangreiche Erhebungen anzustellen hatte und noch anzustellen hat, bis die betreffenden Eingaben zur Berichterstattung und Beschlußfassung reif sind. Im gleichen Zeitraum sind 6173 neue Einzelpetitionen eingegangen und 3806 erledigt worden.
Die in diesen Zahlen zum Ausdruck kommende umfassende Arbeitsleistung ist von den Ausschußmitgliedern und nicht zuletzt von den Verwaltungsangehörigen des Büros für Petitionen vollbracht worden und wird wegen der gleichbleibend starken Belastung dieses Ausschusses immer wieder zu erbringen sein. Dafür sei allen Beteiligten an dieser Stelle einmal ausdrücklich gedankt.

(Beifall.)

Es darf bei dieser Gelegenheit aber auch nicht unerwähnt bleiben, daß der Petitionsausschuß der Öffentlichkeit gegenüber ein Schaufenster für die Arbeiten dieses Flohen Hauses ist und daß diese Arbeit gut und schnell vor sich gehen muß. Dies muß bei der Personalausstattung des Petitionsbüros gebührend berücksichtigt werden.

(Beifall bei der SPD.)

Leider hatte ,der Ausschuß in dieser Hinsicht in der Vergangenheit insbesondere hinsichtlich der Zahl und Qualität der Sachbearbeiter und Schreibkräfte mehrmals Anlaß zu berechtigter Klage. Wir erwarten und haben Grund zu der Hoffnung, daß sich die Personalverhältnisse in nächster Zeit bessern.
Es sollte aber auch in den Fraktionen erwogen werden, zur Beschleunigung des Petitionsverfahrens und zur Entlastung der jetzigen 27 Ausschußmitglieder die Zahl der Mitglieder zu erhöhen.
Von den im Berichtszeitraum erledigten 3806 Eingaben der vierten Wahlperiode mußten 1919, also etwa die Hälfte, an die Volksvertretungen der Länder überwiesen werden. Die sehr hohe Zahl dieser Abgaben zeigt, daß die Bedeutung der Länder in der föderativen Gliederung der Bundesrepublik offenbar in weiten Kreisen des Volkes noch nicht richtig gesehen wird, ein Mangel, der in Zukunft durch die aufklärende staatsbürgerliche Bildung der jungen Generation sicher einmal behoben sein wird.
Eine beträchtliche Zahl von Petenten wenden sich zur Zeit jedoch mit ihren Beschwerden gegen das Handeln der Landesregierungen, wie gesagt, an den Bundestag und nicht an die zuständigen Volksvertretungen der Länder. Die Verweisungen wegen Unzuständigkeit sind natürlich nicht sonderlich populär. Mancher Petent wird es für eine unnötige Formalität halten, wenn es der Deutsche Bundestag in diesen Fällen ablehnt, sich mit der Eingabe zu befassen, zumal Abgaben an Volksvertretungen der Länder auch Zeitverluste in der Bearbeitung der Eingaben bedeuten. Auf die Zuständigkeiten von Bund und Ländern müßte in der Öffentlichkeit vielleicht doch noch öfter hingewiesen werden.
Nach der systematischen Übersieht am Ende der Ihnen vorliegenden Drucksache IV/653, Seite 14, war die sachliche Behandlung in 440 weiteren Fällen, das sind 11,6 % aller Eingaben, unmöglich, da entweder Eingriffe in schwebende Gerichtsverfahren



Frau Dr. Flitz
oder die Aufhebung und Abänderung von Urteilen begehrt wurde. Eine sachliche Bearbeitung hätte gegen die Grundsätze der Gewaltentrennung und der Unabhängigkeit der Richter verstoßen.
Nun werden Sie, meine Herren und Damen, wissen wollen, worum es den Petenten bei den in dieser Wahlperiode bis zum 30. September 1962 eingegangenen Eingaben ging, welche Anliegen es waren.
Die Petitionen betrafen alle öffentlichen und privaten Lebensbereiche, oft in letzter Verzweiflung vorgetragene persönliche Sorgen und Nöte. Wenn man einmal fünf Stunden hintereinander, wie ich kürzlich, Petitionen bearbeitet hat, dann kommt einem angesichts der erschütternden Härtefälle der Gedanke, daß es eine bundesrepublikanische Wirtschaftswunderwelt geben soll, geradezu absurd vor.

(Beifall bei der SPD.)

Ich gestehe, daß ich sogar Verständnis für die Verbitterten, besonders für die um ihren Lebensabend Betrogenen hatte, die den Fluch des Himmels auf uns Gesetzgeber herabwünschten.
Rein egoistische Beweggründe sind sehr schnell zu erkennen, so z. B. wenn der Besitzer einer chemischen Fabrik Anstoß nimmt an der Pflicht zur Kenntlichmachung der Fremdstoffe auf den Speisekarten auf Grund des Lebensmittelgesetzes, indem er folgendes schreibt:
Wir beantragen, daß der Bundestag Schritte
unternehmen möchte, die Speisekarten unserer
Gaststätten und Hotels von diesen diktaturbürokratischen Verunreinigungen zu säubern.

(Heiterkeit.)

Bitte tragen Sie dazu bei, daß wir uns als Geschäftsleute gegenüber Angehörigen von Kulturnationen nicht wegen dieser barbarischgermanischen Plumpheiten auf unseren Speisekarten zu schämen brauchen.

(Erneute Heiterkeit.)

Es geht den Petenten bei ihren Eingaben aber nicht immer nur um persönliche Anliegen. Viele weisen auf Lücken im Gesetz hin, schlagen Änderungen oder Verbesserungen vor oder geben durch ihr Material wertvolle Anregungen für die Arbeit der Ausschüsse und damit für eine eventuelle Gesetzgebung — ein löblicher Beweis staatsbürgerlicher Mitverantwortung. Ich denke u. a. an den Vorschlag, Fristen und Termine, die von allgemeinem Interesse sind, häufiger in Presse, Rundfunk und Fernsehen zu erwähnen.
Die dem Hohen Hause vorgelegte systematische Übersicht in Drucksache IV/653, Seite 13, gibt Ihnen eine Aufgliederung der einzelnen Sachgebiete. Ich darf dazu folgende Erläuterungen geben:
Mit über 16 % liegen die Beschwerden auf dem Gebiet der Sozialversicherung weit an der Spitze.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Es folgen mit 12,6 % Eingaben, die sich mit dem
Lastenausgleich befassen, und mit über 9 % Petitionen auf den Gebieten der Kriegsopferversorgung,
der Kriegsgefangenenentschädigung und des Heimkehrerrechts.

(Zurufe von der SPD.)

Diese Reihenfolge der Aufgliederung entspricht übrigens derjenigen in der 3. Wahlperiode, wenn man die Eingaben zur Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen und die zur Ächtung der Atomwaffen unberücksichtigt läßt.
Aus der Tatsache, daß es in der überwiegenden Zahl der 603 Eingaben aus dem Sektor des öffentlichen Dienstes — fast 10 °/o aller Eingaben — um Entschädigungsleistungen nach dem Gesetz zu Artikel 131 geht und daß noch 394 Beschwerden in Wiedergutmachungs- und Vertriebenensachen hinzukommen, ergibt sich, daß sich 54 % aller Fälle mit Beschwerden gegen das Handeln der Leistungsverwaltung im weitesten Sinne richten. Man sollte, meine ich, daraus nicht schließen, daß die betreffenden Verwaltungszweige schlechter arbeiteten als die der klassischen Verwaltung. Sie alle wissen, meine Herren und Damen, daß die Gesetze, mit denen beispielsweise die Sozialversicherungsverwaltung oder die Lastenausgleichsbehörden befaßt sind, alles andere als übersichtlich und leicht zu handhaben sind. Gerade aus diesem Grunde wäre es aber falsch, die Menschen, die sich mit Eingaben aus diesen Gebieten an den Bundestag wenden, alle z. B. als Rentenneurotiker zu bezeichnen. Es ist doch nicht verwunderlich, daß sich Bittsteller falsche oder übertriebene Hoffnungen auf Entschädigungsleistungen machen und in ihrer Enttäuschung alle Wege beschreiten, um zu ihrem vermeintlichen Recht zu kommen, wenn es schon den Beamten der betreffenden Verwaltungszweige häufig nicht leicht fällt, die richtige Entscheidung zu treffen.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Petitionen verworrenen, beleidigenden oder gar erpresserischen Inhalts zu sprechen kommen. Sie werden sich daran erinnern, daß in der Vergangenheit im Schnitt ungefähr 2 % aller Eingaben aus diesen Gründen unbehandelbar waren; im Berichtszeitraum waren es nur 0,8 %.
Ich hebe diese Zahl hervor, weil in der Öffentlichkeit, so scheint mir, der Eindruck besteht, daß es der Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages und die Eingabenausschüsse der Landtage vorwiegend mit unverbesserlichen Querulanten und Spintisierern zu tun hätten. Die skurrilen und grotesken Anliegen stehen auf Grund der Statistik in keinem Verhältnis zur Häufigkeit ihrer Erwähnung. Wir wären der Presse dankbar, wenn sie künftig mehr darauf hinwiese, daß es bei den Petitionen nur in einem verschwindend geringen Prozentsatz um lächerliche, überwiegend aber um sehr ernste Dinge, nämlich um Menschenschicksale geht.

(Beifall.)

Erst der kann ermessen, wieviel Not und Leid hinter den oft unbeholfenen Zeilen der Bittsteller steht, der einmal den Posteingang unseres Ausschusses auch nur an einem einzigen Tage mit offenen Augen und ebensolchem Herzen durchstudiert hat. Die Presse ist hierzu herzlich eingeladen.



Frau Dr. Flitz
Gestatten Sie, meine Herren und Damen, daß ich nun auf einige Anliegen zu sprechen komme, mit denen sich der Ausschuß immer wieder befassen muß. Da ist zunächst einmal das Problem der vor der Währungsreform abgeschlossenen Lebens- und Rentenversicherungsverträge mit dem Wunsche der Versicherten, möglichst eine hundertprozentige Aufwertung der Reichsmark-Versicherungen durchzuführen. Wie Sie wissen, ist jener Komplex in diesem Hohen Hause bereits mehrfach erörtert worden. Gleichwohl scheint es mir gerechtfertigt, noch einmal darauf hinzuweisen; denn die Abwertung der vor der Währungsreform abgeschlossenen Lebens- und Rentenversicherungen bedeutet insbesondere für die älteren nicht mehr arbeitsfähigen Personen eine große Härte, besonders dann, wenn die Alterssicherung nahezu allein in der abgeschlossenen Versicherung bestand. Die Lebens- und Rentenversicherten verstehen einfach nicht, daß sie eine so ungleich ungünstigere Behandlung erfahren als etwa die Sozialversicherten. Bundestag und Bundesregierung sollten daher die in den vergangenen Jahren vielfach behandelte Frage, wie diese Härten der Währungsreform gemildert werden können, erneut überprüfen.

(Beifall bei der FDP.)

In zahlreichen Eingaben zu den Kriegsfolgengesetzen im weiteren Sinne wird immer die sogenannte Stichtagsregelung kritisiert. Sie wissen, daß diese Kriegfolgengesetze Leistungen grundsätzlich nur den Personen zuerkennen, die am 31. Dezember 1952 ihren dauernden Wohnsitz im Geltungsbereich des Grundgesetzes hatten. Durch diese Regelung fühlen sich die nach diesem Stichtag aus der sowjetischen Besatzungszone in die Bundesrepublik Gekommenen und nicht als politische Flüchtlinge Anerkannten ungerecht behandelt. Aus meiner Tätigkeit im Ausschuß kann ich berichten, daß die Stichtagsregelung von den Betroffenen als große Härte und Unbilligkeit empfunden wird. Der Ausschuß ist sich dessen bewußt, daß die Maßnahmen zur Beseitigung des Stichtages gerechterweise alle in Frage kommenden Gesetze umfassen müssen und daß wegen dieser Tragweite und ihren finanziellen und politischen Auswirkungen eingehende Prüfungen und Erörterungen notwendig sind. Es muß jedoch die Aufgabe dieses Hohen Hauses und der Bundesregierung sein, diesen Fragenkomplex baldmöglichst einer befriedigenden Lösung zuzuführen.
Ein weiterer kritischer Punkt ist die schleppende Behandlung des in Aussicht gestellten, soeben in der Fragestunde auch behandelten Gesetzes zur Entschädigung von Reparations-, Restitutions- und Rückerstattungsschäden. Ich glaube, man wird es in der Öffentlichkeit verstehen, wenn hier nicht allen Wünschen der Geschädigten entsprochen werden kann. Wenig Verständnis hat man aber dafür, daß die nach dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz — § 3 Abs. 1 Ziffer 2 — vorgesehene gesetzliche Regelung auf die lange Bank geschoben wird und daß sich der betroffene Personenkreis noch auf unabsehbare Zeit mit der völlig unzureichenden Ersatzlösung von kleinen Darlehen abfinden soll.
Mehrere Petitionen zum Lastenausgleich gaben Veranlassung, sich mit der Pflegezulage zur Unterhaltshilfe zu befassen. Wahrend die Unterhaltshilfe durch das 14. Änderungsgesetz zum Lastenausgleichsgesetz von 140 DM auf 455 DM angehoben wurde, unterblieb die Anhebung der Pflegezulage von 20 DM bzw. 50 DM, die denjenigen pflegebedürftigen Empfängern von Unterhaltshilfe zusteht, denen Aufwendungen durch Halten einer Pflegeperson erwachsen. Der Ausschuß vertrat entgegen der Ansicht .der Bundesregierung die Meinung, daß wegen der gestiegenen Pflegekosten konsequenterweise die Pflegezulage entsprechend angehoben werden müßte.

(Beifall bei der .SPD.)

Die Bundesregierung hat sich diesem Standpunkt inzwischen angeschlossen, nachdem ihr die einschlägigen Petitionen zur Erwägung überwiesen worden waren, und dem Plenum des Bundestages eine Erhöhung der Pflegezulage in Höhe von 50 DM auf 65 DM monatlich vorgeschlagen. Die Beschlußfassung des Plenums steht im Rahmen des Entwurfs eines 16. Änderungsgesetzes zum Lastenausgleichsgesetz für die nächste Zeit bevor.
Zum Abschluß der angeführten Beispiele von Petitionen möchte ich Ihnen, meine Herren und Damen, stichwortartig einige Schwerpunkte der von den Einsendern geübten Kritik anführen, die wir bei unserer Gesetzgebungsarbeit als Anregungen berücksichtigen sollten.
Immer wieder wird die Anrechnung der vor dem 1. Januar 1924 geleisteten Sozialversicherungsbeiträge auf die Wartezeit — ohne die in § 1249 der Reichsversicherungsordnung genannte Voraussetzung 'der Entrichtung mindestens eines Beitrages zwischen dem 1. Januar 1924 und dem 30. November 1948 — begehrt.
Nicht verstanden wird die unterschiedliche Anrechnung von Kriegsdienstzeiten im Beamtenrecht und in der Sozialversicherung.
Ein größerer Kreis von Petenten wünscht die Zuerkennung eines Hinterbliebenenrentenanspruchs auch an andere mit den Versicherten in häuslicher Gemeinschaft lebende nahe Angehörige als an die in den §§ 41 'bis 44 des Angestelltenversicherungsgesetzes genannten Hinterbliebenen, z. B. an Geschwister.
Vorgenommen werden sollte eine Überprüfung der Frage der Höchstbegrenzung der Versicherungsrenten mit dem Ziel einer günstigeren Bewertung der Ibis zum 30. Juni 1942 entrichteten und sich im Einzelfall nicht voll rentensteigernd auswirkenden Überversicherungsbeiträge.
In Anliegen zur gesetzlichen Rentenversicherung wird die Einführung einer Mindestrente häufig vorgeschlagen; in vielen anderen erbittet man, daß die Anpassung der Renten nicht prozentual erfolgen soll, sondern in der Form, daß die hohen Renten weniger, die niedrigen aber mehr erhöht werden, wobei immer wieder auf die steigenden Lebenshaltungskosten hingewiesen wird.



Frau Dr. Flitz
Ein weiterer Kreis von Petenten kritisiert die Fassung des § 42 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes, der sich für jene Versicherten zum Nachteil ausgewirkt hat, die von der Möglichkeit der Nachentrichtung von Beiträgen für die Zeit vor dem 1. Januar 1957 erst nach diesem Stichtag Gebrauch gemacht halben.
Abschließend, meine Herren und Damen, ein erfreulicher Hinweis: etwas über 5 % der in der vierten Wahlperiode und etwa 15 % der in der dritten Wahlperiode sachlich 'behandelten Petitionen um Abhilfe persönlicher Beschwerden konnten positiv erledigt werden.

(Beifall.)

Das heißt: dem Anliegen der Einsender wurde voll entsprochen. In einer größeren Zahl von Fällen konnte darüber hinaus teilweise geholfen werden. Jeder einzelne positiv erledigte Fall beweist die Notwendigkeit des Vorhandenseins und der Arbeit des Petitionsausschusses. Deshalb ist die verhältnismäßig kleine Zahl dieser Fälle nicht gleichzusetzen mit der Bedeutung des Petitionsrechts. Wesentlich ist, daß die Volksvertretung das Tun und Lassen der Verwaltung Überwacht, daß sich Bundestag und Exekutive dessen bewußt sind und daß dem einzelnen das Gefühl vermittelt wird, der Staat und seine Organe sind für ihn da.
Daß dieses Vertrauen zu unserem Parlament und damit 211 unserer Demokratie vorhanden list, meine Herren und Damen, glaube ich aus .den Ihnen mit diesem Bericht ,gegebenen Zahlen und aus der Gesamtzahl der dem Deutschen Bundestag zugegangenen Petitionen schließen zu dürfen.
Ich .danke für Ihre Aufmerksamkeit und bitte, die in 'der Drucksache IV/653 — Sammelübersicht 10 — enthaltenen Anträge zu Petitionen annehmen zu wollen.

(Allseitiger Beifall.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404220500
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir haben allen Anlaß, der Frau Berichterstatterin für diesen Bericht besonders zu danken.

(Erneuter allseitiger Beifall.)

Ich wünsche, daß dieser Bericht in der breitesten Öffentlichkeit bekanntwerden möge, und auch, daß Regierung und Parlament einige Konsequenzen aus dem Vorgetragenen ziehen.

(Abg. Dr. Schellenberg: Sehr gut!)

Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses; Sie haben ihn vorliegen: Drucksache IV/653. Wer dem Antrag, der den Vorschlag auf Annahme enthält, zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Punkt 3 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Verbesserung des Leistungsrechts der Kindergeldgesetze (Kindergeldverbesserungsgesetz) (Drucksache IV/468).
Die Vorlage hat den Namen „Kindergeldverbesserungsgesetz" bekommen. Wer begründet? — Zur Begründung hat das Wort Frau Abgeordnete Korspeter.

Lisa Korspeter (SPD):
Rede ID: ID0404220600
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die SPD-Bundestagsfraktion hat am 13. Juni dieses Jahres einen Gesetzentwurf zur Verbesserung des Leistungsrechts der Kindergeldgesetze eingereicht, der leider erst heute zur ersten Lesung auf der Tagesordnung steht. Wir bedauern außerordentlich — ich muß das heute in diesem Zusammenhang noch einmal sagen —, daß dieser Gesetzentwurf erst heute beraten wird und daß unsere beiden Versuche, ihn zur Beratung am 15. und am 27. Juni auf die Tagesordnung zu setzen, am Widerstand der Mehrheit dieses Hauses gescheitert sind. Die Ablehnungsgründe, meine Herren und Damen, waren damals nicht stichhaltig und deshalb auch nicht überzeugend. Unseren Wunsch, diesen Gesetzentwurf wegen seiner Dringlichkeit noch im Juni zu beraten, von seiten der CDU — und zwar durch Herrn von Brentano — als eine agitatorische Absicht meiner Fraktion hinzustellen, verdient noch heute unsere schärfste Zurückweisung.

(Beifall bei der SPD.)

Allerdings — da sind wir sicher — können wir es getrost der Beurteilung der ungefähr 350 000 Familien, denen seit dem 1. Juli das Kindergeld für das Zweitkind entzogen wurde, überlassen, ob unsere ernsthaften Bemühungen um eine Verbesserung des Kindergeldes auf einer agitatorischen Absicht beruhen. Ich glaube, wir können dabei bestehen.
Bei den Vorschlägen unseres Gesetzentwurfs handelt es sich um Sofortmaßnahmen, die eine nachträgliche Anpassung des Kindesgeldes an die wirtschaftliche Entwicklung darstellen. Ich möchte in diesem Zusammenhang allerdings darauf hinweisen, daß dieses sogenannte Vorschaltgesetz eine umfassende Kindergeldreform nicht überflüssig macht. Im Gegenteil, wir halten diese umfassende Kindergeldreform nach wie vor für dringend erforderlich. Sie ist unseres Erachtens mit eine der wichtigsten sozial- und familienpolitischen Aufgaben der Gegenwart. Ich möchte diese Notwendigkeit ganz besonders auch damit begründen, daß unser Familienlastenausgleich einer der rückständigsten unter denen unserer Nachbarn ist, insbesondere auch der Länder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Es läßt sich nicht länger vertreten, daß unsere Leistungen weiterhin erheblich hinter denen der anderen Länder der EWG hinterherhinken.
Dabei beziehe ich mich auf einen Vergleich der materiellen Leistungen zugunsten der Familien in neun europäischen Ländern, der von den deutschen Familienverbänden in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Familien- und Jugendfragen erstellt wurde. Meine Damen und Herren, ich beziehe mich weiterhin auf einen Artikel Minister Wuermelings in der Zeitung der deutschen Familienverbände, in dem er auf die beschämenden Ergebnisse für die



Frau Korspeter
Bundesrepublik anläßlich einer Studienkonferenz der europäischen Familienminister hinweist.
Dieser Gesetzentwurf hat deshalb seine Berechtigung, weil man nach all dem, was man heute sagen kann, bezweifeln muß, ob in diesem Jahr — oder sogar erst im nächsten Jahr — die Härten des Kindergeldes beseitigt werden sollen, und weil man auch nicht weiß, wann die Regierung einen Entwurf zur Reform des Kindergeldrechts vorlegt. Die CDU/ CSU-Fraktion hat nach Presseäußerungen zwar beschlossen, Verbesserungen vorzuschlagen, aber die Frage bleibt offen, wann es eigentlich geschehen soll. Die Mitteilungen Minister Starkes auf der Pressekonferenz am 4. Oktober, etwaige Steuermehreinnahmen müßten zur Deckung der Ausgaben, die aus dem Sozialpaket entstehen, verwendet werden, bestätigen unsere Befürchtungen, aber , meine Damen und Herren, noch mehr die Tatsache, daß im Haushalt 1963 keine Mittel für die Reform des Kingeldrechts eingesetzt sind. Im Gegenteil, wir haben aus dem Haushalt 1963 entnehmen können, daß in ihm im Gegensatz zu 528 Millionen DM im Haushalt 1962 nur noch 424 Millionen DM eingesetzt sind, also 104 Millionen DM weniger als im vergangenen Jahr. Ich glaube, das zeigt die Situation, und deshalb kann niemand die Berechtigung unseres Gesetzentwurfs anzweifeln.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Unsere Vorschläge betreffen eine Leistungsverbesserung hinsichtlich der Zahlung von Kindergeld sowohl für Zweitkinder als auch für dritte und weitere Kinder. Bei der Verabschiedung des Kindergeldkassengesetzes im Juli 1961, durch das die Zweitkinder erstmalig in die Kindergeldregelung einbezogen wurden, wurde für den Bezug dieses Kindergeldes eine Einkommensgrenze von 600 DM monatlich festgelegt. Nach den gesetzlichen Vorschriften ist vom 1. Juli dieses Jahres an für die Kindergeldgewährung für Zweitkinder nicht mehr das Familieneinkommen des Jahres 1960, sondern das des Jahres 1961 zugrunde zu legen. Auf Grund der Einkommensentwicklung verloren dadurch mit Wirkung vom 1. Juli 1962 schätzungsweise 350 000 Familien das Kindergeld für ihre Zweitkinder.

(Hört! Hört! bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Wer also — um ein Beispiel zu nennen — im Jahre 1961 bei 600 DM Einkommen eine 5%ige Lohn- oder Gehaltserhöhung erhalten und damit die Einkommensgrenze von 600 DM überschritten hat, hat das Kindergeld von 25 DM verloren. Ist also nur durch eine unwesentliche Lohn- oder Gehaltsaufbesserung, die kaum die gestiegenen Lebenshaltungskosten auffangen kann, die Einkommensgrenze überschritten, so hat diese Aufbesserung infolge Ides Wegfalls des Zweitkindergeldes sogar zu einer Schlechterstellung der Familie geführt.
Wie können wir, meine Damen und Herren, mit einer solchen Regelung noch Verständnis bei den Betroffenen für unsere Sozialpolitik erwarten? Wie kann der Bundesarbeitsminister Verständnis erwarten, wenn er bei der Beantwortung unserer Großen Anfrage am 15. Juni 1962 zwar erklärt, daß er einen
Gesetzentwurf vorlegen wird, der auch eine Erhöhung der Einkommensgrenze vorsehen soll, wenn er aber tatenlos zusieht, wenn ein paar Wochen später Hunderttausenden von Familien das Zweitkindergeld entzogen wird? Müssen die Menschen draußen nicht glauben, daß die Bundesregierung die Orientierung in der Familienpolitik verloren hat? Denn diese Regelung betrifft gerade diejenigen, die nicht zu den gesegneten Einkommensschichten gehören. Für diese Schichten sind eben 25 DM monatlich eine ganze Menge Geld.

(Beifall bei der SPD.)

Eine unserer großen Tageszeitungen — ich darf das hier einmal zur Kenntnis geben — hat diese Haltung der Regierung als ein „ungutes Spiel mit dem Kindergeld" bezeichnet. Sie schrieb:
Es ist ein ungutes Spiel, wenn man ihnen — nämlich den Familien —
die 25 DM wegnimmt, nicht aus Grundsatz für immer, sondern aus Taktik auf Zeit.
Um diesem unguten Spiel ein Ende zu bereiten, fordern wir in unserem Gesetzentwurf, daß die Einkommensgrenze von 600 DM monatlich mit Wirkung vom 1. Juli 1962 auf 750 DM monatlich heraufgesetzt wird, um wenigstens den Familien das Kindergeld für die Zweitkinder zu erhalten, deren Einkommen seit 1960 über die Grenze von 600 DM monatlich hinausgegangen ist. Lassen Sie mich noch einmal mit allem Nachdruck sagen, daß unser grundsätzlicher Standpunkt, daß Einkommensgrenzen bei der Kindergeldgewährung beseitigt werden sollten, mit diesem Vorschlag keineswegs aufgegeben ist. Darüber werden wir uns bei der Kindergeldreform im Parlament zu unterhalten haben. In keinem anderen Nachbarland gibt es für den Bezug des Kindergeldes überhaupt eine Einkommensgrenze.
Ferner soll zur Anpassung des Kindergeldes an die wirtschaftliche Entwicklung das Kindergeld für Zweitkinder von 25 DM auf 30 DM und das Kindergeld für Dritt- und Mehrkinder auf 50 DM erhöht werden. Meine Damen und Herren, ich darf darauf aufmerksam machen, daß die Höhe des Kindergeldes für Dritt- und Mehrkinder bereits im März 1959 festgesetzt wurde, während das Sozialprodukt seitdem um rund 30 % gestiegen ist. Wir halten deshalb unseren Vorschlag, eine Erhöhung um 10 DM vorzunehmen, nicht für unbillig, sondern für durchaus berechtigt.
Durch unsere beiden Forderungen, die Einkommensgrenze auszuweiten und das Kindergeld zu erhöhen, wird es gegenüber den ursprünglichen Plänen der Bundesregierung keine Erhöhung der Bundesmittel geben. Bei der Verabschiedung ides Kindergeldkassengesetzes im Juli 1961 hat die Bundesregierung erklärt, daß für 1 870 000 Zweitkinder Kindergeld gezahlt wird. Tatsächlich wurde aber Ende Juli 1962 nur für 1 530 000 Zweitkinder gezahlt, und mit Wirkung vom 1. Juli sind schätzungsweise weitere 350 000 Familien aus dem Kreis derer herausgefallen, die bisher Zweitkindergeld erhielten. Das bedeutet, daß wir heute nur noch für rund 1 200 000 Familien Kindergeld zahlen.



Frau Korspeter
Was die Aufbringung der Mittel für die Gewährung von Kindergeld für Dritt- und Mehrkinder betrifft, so ist festzustellen, daß im Zusammenhang mit der Entwicklung des Sozialprodukts und der Löhne und Gehälter der prozentuale Anteil, der von der Wirtschaft für das Kindergeld aufgebracht wird, gesunken ist. Wir sind der Meinung, daß die Kindergeldleistung bis zur grundsätzlichen Reform nicht hinter der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zurückbleiben sollte.

(Beifall bei ,der SPD.)

Zum Schluß lassen Sie mich noch einmal darauf hinweisen, daß es sich bei unseren Vorschlägen in diesem Gesetzentwurf nur um vordringliche Maßnahmen handelt, die möglichst bald getroffen werden sollen. Ich bitte Sie, unseren Gesetzentwurf dem Sozialpolitischen Ausschuß — federführend — und dem Haushaltsausschuß — mitberatend - zu überweisen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404220700
Sie haben den Ausschuß für Arbeit absichtlich nicht genannt, Frau Abgeordnete Korspeter?

(Abg. Frau Korspeter: Ja!)

Das Wort hat der Abgeordnete Winkelheide.

Bernhard Winkelheide (CDU):
Rede ID: ID0404220800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben den Antrag und die Begründung der SPD-Fraktion gehört. Es geht hier um zwei Probleme. Einmal sollen die Sätze nach dem Kindergeldkassengesetz, das wir im Jahre 1961 verabschiedet haben, von 25 auf 30 DM heraufgesetzt werden. Das geht zu Lasten des Bundeshaushalts. Die Heraufsetzung der Beträge nach dem Kindergeldgesetz von 40 auf 50 DM geht zu Lasten der Familienausgleichskassen.
Ich meine, wir sollten heute die Kindergelddebatte nicht vorwegnehmen, weil der Herr Minister für Arbeit und Sozialordnung am 15. Juni 1962 angekündigt hat, daß das Überleitungsgesetz und das Gesetz zur Neuregelung der Kindergeldgesetze in dem Sozialpaket enthalten sind. Damit bekommen wir eine grundsätzliche Debatte.
Wir sind nicht gegen Verbesserungen, sondern wir sehen die Lage der Familie genau wie Sie und sind dafür, daß Verbesserungen eingebaut werden.

(Abg. Büttner: Wann sollen sie denn kommen, Herr Winkelheide?)

Aber die Verbesserungen müssen auch finanziell irgendwie tragbar sein, und irgendwie muß das Geld für solche Verbesserungen auch aufgebracht werden.
Herr Professor Schellenberg, ich darf Sie auf folgendes hinweisen: Die Rechnung, das Kindergeld sei für 1,8 Millionen Kinder berechnet worden, es hätten sich aber nur 1,6 Millionen Bezieher von Kindergeld gemeldet, ist falsch. Nach meinen Erkundigungen besteht keine solche Spanne. Im Haushalt sind 491 Millionen DM eingesetzt, und bis Ende August waren 391 Millionen ausgezahlt. Bis Ende des Jahres haben wir noch einige Monate vor uns — von August an —, so daß dieser Haushaltsansatz vielleicht überschritten wird. Möglicherweise hängt es mit der in diesem Gesetz gegenüber dem ersten Kindergeldgesetz veränderten Technik der Antragsfrist zusammen, die jetzt länger ist. Die Regierung wird wohl gleich eine Erklärung dazu abgeben. Nach meinen Erkundigungen ist ,die Sachlage so, wie ich sie geschildert habe, und daher muß, wenn hier erhöht wird, ein neuer Ansatz im Haushalt für 1962 gefunden werden.
Dann ist vielfach gesagt worden, man könne von 40 auf 50 DM gehen. — Bitte schön, Herr Professor!

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0404220900
Herr Kollege Winkelheide, da Ihnen doch bekannt ist, daß im neuen Haushalt rund 100 Millionen DM weniger für Kindergeld angesetzt sind als im Haushalt 1962, frage ich Sie: von welchem Zeitpunkt an soll nach Ihrer Meinung eine Angleichung der Kindergeldleistungen an die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung erfolgen?

Bernhard Winkelheide (CDU):
Rede ID: ID0404221000
Über den neuen Haushalt 1963, Herr Professor, wissen Sie sicherlich mehr als ich. Ich habe den neuen Haushalt noch nicht gesehen; er ist im Parlament auch noch nicht eingebracht.

(Abg. Büttner: Warum erwähnen Sie ihn denn dann, Herr Winkelheide?)

— Ich erwähne ihn ja gar nicht.

(Abg. Büttner: Doch!)

— Nein. Ich habe gesagt, im Haushalt 1962 sind 491 Millionen DM angesetzt. Bis August sind 391 Millionen DM zur Auszahlung gekommen, so daß, wenn all die Anträge, die hinterher noch eingegangen sind, bearbeitet werden, der Ansatz für 1962 sogar überschritten wird, also bei diesem Haushaltsansatz keine Möglichkeit mehr besteht, einen Betrag zu erhöhen.
Andererseits haben Sie beklagt, daß durch das Bestehen der Einkommensgrenze 300 000 herausgewachsen sind.

(Abg. Büttner: 350 000!)

— Die Zahl stimmt nicht. Ich habe mich erkundigt. Es sind noch keine 300 000. Andererseits sollten wir aber auch einmal objektiv sehen, daß sich hier dank der wirtschaftlichen Situation eine gute Lohnbewegung vollzogen hat. Diejenigen, die kein Kindergeld mehr beziehen, weil sie über 600 DM verdienen, haben dafür die Steuerfreiheit bekommen.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Wir vergessen immer wieder, daß es neben dem
sichtbaren Kindergeld ein unsichtbares Kindergeld
in Form der Freibeträge unserer Steuergesetze gibt.
Noch ein Zweites! Es wird immer behauptet, bei den Familienausgleichskassen sei eine Rücklage vorhanden, die es erlauben würde, von 40 auf 50 DM heraufzugehen. Ich habe mich erkundigt und festgestellt, daß da keine große Rücklage vorhanden ist. Bei einer Erhöhung des Satzes von 40 auf 50 DM würden über 100 Millionen DM benötigt, und die Rücklagen unserer Familienausgleichskassen be-



Winkelheide
laufen sich auf 10 bis 11 Millionen DM. Es ist also
kein Geld für eine solche Heraufsetzung vorhanden.
Wir sind der Meinung, daß dieser Antrag dem Arbeitsausschuß, dem Sozialpolitischen Ausschuß und dem Haushaltsausschuß überwiesen werden sollte, vielleicht auch dem Familienausschuß, damit wir sachlich beraten können. In der nächsten Zeit wird ja das Sozialpaket hier entfaltet werden, in dem auch die Neuordnung des Kindergeldgesetzes enthalten ist. Bei dieser Gelegenheit werden wir dann die Grundsatzdebatte führen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0404221100
Das Wort hat der Abgeordnete Killat.

Arthur Killat (SPD):
Rede ID: ID0404221200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Winkelheide hat in der Stellungahme zu unserem Gesetzentwurf darauf verwiesen, daß wir auf das „Sozialpaket" warten sollten. Als ich das hörte, stellte ich mir vor, wie es den Familien, den 350 000 Familien — ich nenne bewußt diese Zahl, weil die Auskünfte, die wir von der Bundesanstalt bekommen haben, von 340 000 bis 350 000 Familien sprechen — geht, die seit dem 1. August dieses Jahres das Zweitkindergeld nicht mehr bekommen.

(Abg. Ruf: Denen geht es nicht schlechter! — Abg. Schütz: Warum bekommen die das Zweitkindergeld nicht mehr?)

— Ich komme noch darauf, Herr Kollege Schütz. Diese Familien sollen damit getröstet werden, daß sie ein Paket erhalten sollen — ich komme mir fast wie in einer Vorweihnachtsstimmung vor —, daß Sie hier ein Paket unterbreiten werden, das den Familien, insbesondere den davon betroffenen kinderreichen Familien, einen großen Ausgleich, große Zuwendungen bringen soll.
Ich hatte erwartet und wir haben erwartet, daß Sie zum mindesten bis zur endgültigen Regelung der Kindergeldfrage unserem Vorschaltgesetz zustimmen, einem Vorschaltgesetz, mit dem doch weiter nichts beabsichtigt ist, als die Familien, denen man das Kindergeld jetzt entzogen hat, wiederum in den Genuß des Zweitkindergeldes zu bringen. Neben diesen 350 000 Familien sollen nicht auch diejenigen Familien, die schon im nächsten Jahre nach dem Stichtag 1. April — es werden wiederum etwa 300- bis 350 000 Familien sein — hiervon betroffen wären, noch das Zweitkindergeld verlieren, indem in der Zwischenzeit nicht eine entsprechende Anhebung der Einkommensgrenze erfolgt. Mit den Familien, die ab April 1963 nach Überschreiten der Einkommensgrenze ausfallen, würde die Hälfte aller deutschen Familien, die heute Zweitkindergeld erhalten, kein Kindergeld mehr bekommen.

(Abg. Schütz: Welch gute Lohnentwicklung! — Abg. Stingl: Gut, daß die Löhne so gestiegen sind! — Zuruf von der SPD: Und die Preise?! — Abg. Büttner: Welche Entwicklung des Mietwuchers!)

Nun, Herr Kollege, ich darf auf die gute Lohnentwicklung eingehen. Sie haben oder, ich darf sagen,
wir haben das Glück, einen Familienminister zu besitzen, der uns in diesem Punkt sehr stichhaltige Aufklärung gegeben hat. Der Herr Familienminister Dr. Wuermeling selber hat in einem Artikel, der „Bild"-Format hat — „SOS für die Familie" — dargelegt,

(Zuruf von der SPD: Ja draußen!)

wie die Lebenshaltungskosten, wie der Lebenshaltungsindex die Familien und ganz besonders die Familien mit Kindern belastet. Nach statistischen Erhebungen ist für das vergangene Jahr eine Lohn- und Gehaltssteigerung von etwa 9 % festzustellen. Der nominelle Steigerungsbetrag wird zum größten Teil durch eine Erhöhung des Preisindexes für die Lebenshaltung einer mittleren Verbraucherfamilie in Höhe von 4,2 % aufgesogen. Dazu hat der Herr Familienminister noch besonders festgestellt, daß im vergangenen Jahr — von Mai 1961 bis Mai 1962 — der Preisindex für die einfache Lebenshaltung eines Kindes nicht nur um 4,2 %, sondern sogar um 8 % gestiegen ist. Diese Lohn- und Gehaltserhöhung von im Schnitt 9 %, wie ich unterstelle, wird bei Familien mit Kindern, insbesondere bei kinderreichen Familien, von der inzwischen eingetretenen Preiserhöhung mehr als aufgesogen.

(Beifall bei der SPD)

Wie käme sonst der Herr Familienminister in diesem aufsehenerregenden Artikel, der auch in einer großen Wochenzeitschrift einen Niederschlag gefunden hat, zu der Bemerkung, daß nach den von ihm festgestellten Tatsachen in der Bundesrepublik praktisch bereits in breiter Front ein Abbau des Familienausgleiches stattfinde?! Er weist darauf hin, daß der Familienlastenausgleich in anderen EWG-Ländern höher liege, daß er in Frankreich 35 % der Ausgaben für die soziale Sicherheit, in Italien 25 %, in Belgien 20 % ausmache, während er in der Bundesrepublik nur 2,7 % betrage. Er weist weiter nach, daß in der privaten Wirtschaft die durchschnittliche Bruttomonatssumme bei männlichen kinderlosen Industriearbeitern vom Frühjahr 1959 bis zum Jahre 1962 um 34 % gestiegen sei, dagegen bei Familien mit bis zu drei Kindern um 31 % und bei Familien mit bis zu fünf Kindern nur um 27 %. Und nun kommen Sie, Herr Kollege Schütz, und behaupten, beim Überschreiten einer Einkommensgrenze von 600 DM monatlich liege ein so eminenter Zuwachs an Einkommen vor,

(Abg. Schütz: Ein eminenter? Wer hat denn das gesagt?)

daß diese Familien kein Kindergeld mehr brauchten.

(Abg. Schütz: Das hat niemand gesagt!)

Der Herr Bundesarbeitsminister — und er ist ja eigentlich der dafür zuständige Minister — hat bei der Beantwortung unserer Großen Anfrage in diesem Hause erklärt, daß auch Sie, meine Damen und Herren, beabsichtigten, die Einkommensgrenze für das Zweitkindergeld zu erhöhen und allgemein eine Leistungsverbesserung beim Kindergeld vorzunehmen. Was für eine Politik ist das, wenn Sie auf der einen Seite bereit sind — und das pfeifen ja die Spatzen von den Dächern —, morgen oder über-



Killat
morgen die Einkommensgrenze etwa auf 750 DM monatlich hinaufzusetzen und das Kindergeld in bestimmten Beträgen zu erhöhen, wenn Sie aber auf der anderen Seite in der Zwischenzeit Hunderttausenden von Familien — bis zum Sommer des nächsten Jahres werden es fast 700 000 Familien sein —das Kindergeld entziehen, um es ihnen dann vielleicht ein halbes Jahr oder ein Jahr später wieder zuzuwenden?

(Beifall bei der SPD. — Abg. Frau Döhring [Stuttgart] : Familienpolitik!)

Ich darf noch darauf hinweisen, daß hei einem geringfügigen Überschreiten der Einkommensgrenze von 600 DM große Ungerechtigkeiten eintreten. Ja, die Angestellten verlieren sogar, wenn ihr Monatseinkommen 660 DM überschreitet, nicht nur die 25 DM Kindergeld aus dem Zweitkindergeldgesetz, sondern auch noch etwa 25 Ibis 30 DM Arbeitgeberanteil am Beitrag zur Krankenversicherung. Das heißt, diese Abzüge sind höher als die nominelle Lohn- oder Gehaltserhöhung.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Ich glaube, daß eine solche Familienpolitik, wie Sie von Ihnen ständig betrieben wird, von niemandem hingenommen werden kann, zumal — darauf darf ich doch aufmerksam machen, meine Damen und Herren, — nach dem Grundgesetz „Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen". Wie der „besondere Schutz" aussieht, das habe ich Ihnen darzulegen versucht, und das hat Ihnen Ihr Familienminister ins Stammbuch geschrieben.
Ich darf noch auf etwas aufmerksam machen. Ich glaube, gerade bei den jungen Familien mit Zweitkindern kommt ein höheres Einkommen oft nur dadurch .zustande, daß die Ehefrau mitarbeiten geht, um 'Anschaffungen des gehobenen Bedarfs für den Aufbau der Familie machen zu können, vielleicht überhaupt nur, um die Mittel für eine Wohnung — als Mietvorauszahlung — anzusparen. Diesen Familien schaden Sie durch die Begrenzung auf ein so niedriges Einkommen außerordentlich. Außerdem entziehen Sie der Familie durch notwendige Erwerbsarbeit die Mutter, die doch dort eine große Erziehungsaufgabe hat.

(Beifall bei der SPD.)

Wenn man einmal überlegt, welche Politik hier von Mitgliedern des Kabinetts betrieben wird, kommt man zu sehr eigenartigen Schlüssen. Seit Jahr und Tag geht der Herr Familienminister durch das Land, spricht über den Rundfunk oder gibt es uns sogar schriftlich und predigt, daß in der Bundesrepublik der Familienlastenausgleich ungenügend ist und daß wir in dieser Beziehung unter den EWG-Staaten an letzter Stelle stehen. Dieser gleiche Familienminister ist aber nicht in der Lage oder bereit — ich weiß nicht, wie es in einer solchen Kabinettsitzung aussieht —, seine Erkenntnisse über die Notwendigkeit des Familienlastenausgleichs im Kabinett durchzusetzen. Man kann manchmal den Eindruck gewinnen, daß der Herr Familienminister die Dinge sehr lautstark und sogar richtig anspricht, daß aber der zuständige Arbeitsminister schwerhörig und das Kabinett sogar taub ist.

(Beifall bei der SPD.)

Ich will nicht unterstellen, daß Sie hier eine „Politik mit doppeltem Boden" betreiben, daß der eine draußen die Schelle der Werbung und Agitation läutet, während hier innen in der Regierung, im Kabinett und wahrscheinlich auch in diesem Hause nichts Konkretes und Beweiskräftiges dazu gesagt wird. Wir sind aber auf die Dauer nicht bereit, dieses Spiel hinzunehmen.
Vielleicht gestatten Sie mir, noch kurz auf das Sozialpaket einzugehen, das nach Ihren Vorstellungen Regelungen bringen soll, die eine Verbesserung des Familienlastenausgleichs darstellen. Nun, wir sind darüber schon unterrichtet. Aber genau das Gegenteil wird eintreten. Es geht nicht nur aus einem Referentenentwurf des zuständigen Hauses hervor, sondern es ist durch DPA-Meldung der Öffentlichkeit bekanntgeworden, daß Sie mit dem Sozialpaket die Familien noch zusätzlich außerordentlich belasten werden, insbesondere Familien mit Kindern.

(Beifall bei der SPD.)

Sie haben doch mit dem Sozialpaket vor, nicht nur jeden Versicherten, wie es in der Vergangenheit in Ihrem Reformvorschlag vorgesehen war, sondern zusätzlich auch jedes einzelne Familienmitglied mit einem Zusatzbeitrag in Höhe von 25 % der Arzt- und Zahnarztkosten und in Höhe von 15 % der Krankenhauskosten zu belegen. Sie haben doch vor, die Familien und jeden einzelnen Familienangehörigen zusätzlich bei der Verschreibung und bei dem Bezug von Medizin, von Heil- und Hilfsmitteln in Höhe von 10 bis 30 % der Kosten zu belasten. Ich wundere mich deshalb, wieso der Herr Kollege Winkelheide die deutschen Familien auf dieses „Wunderpaket" zu vertrösten wagt. Ich glaube, es werden manchem dabei noch die Augen übergehen. Aber Herr Kollege Winkelheide, ich darf Sie beim Wort nehmen. Sie haben in der Debatte des vergangenen Jahres, als wir das Zweitkindergeld-Gesetz verabschiedeten, und zwar im April bei der ersten Lesung und nachher im Juni bei der Verabschiedung, sehr warm an das Haus appelliert, Sie haben ausgeführt: „Wir sollten uns im Ausschuß so schnell, wie es eben geht, darum bemühen. Wegen der Bedeutung dieses Gesetzes appelliere ich an alle." Sie erklärten dann: „Das ist kein Wahlschlager. Lesen Sie in den Zeitungen nach. Es hängt nur mit dem Ablauf der Legislaturperiode zusammen." Und dann haben Sie das Haus aufgefordert, recht bald, recht bald zum Segen der Familie, die seinerzeitige Vorlage zu verabschieden, damit wirklich Gerechtigkeit widerfährt und die Gerechtigkeit in dieser Welt den Familien zuteil wird. Ich frage Sie: weshalb sind Sie heute nicht bereit, diese gleiche Gerechtigkeit den 350 000 Familien gegenüber zu üben, denen Sie mit Ihrer zu gering festgelegten Einkommensgrenze nun das Kindergeld entzogen haben?

(Zuruf des Abg. Schütz.)

Warum sind Sie überhaupt nicht bereit, den Familienlastenausgleich vorrangig zu behandeln?



Killat
Meine Damen und Herren, der Hinweis auf das Sozialpaket macht uns außerordentlich stutzig, und wir glauben noch nicht, daß dieses Sozialpaket in der von Ihnen vorgesehenen und vorgeschlagenen Form hier verabschiedet werden wird. Es wäre auch ein Unglück für die deutsche Sozialversicherung und Sozialpolitik schlechthin.

(Abg. Ruf: Warten Sie ab!)

Der Herr Bundeskanzler hat bei der Eröffnung des Kongresses des Deutschen Gewerkschaftsbundes am vergangenen Montag zu Fragen der Sozialpolitik u. a. erklärt, die Bundesregierung werde demnächst das Sozialpaket der Öffentlichkeit und dem Parlament unterbreiten. Er hat aber gleichzeitig darauf hingewiesen, daß das Sozialpaket eine Einheit sei

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

und daß, wenn in der einen oder anderen Frage hier das Paket nicht in der vorgesehenen Form verabschiedet werde, das ganze Paket gefährdet sei.

(Abg. Ruf: Da hat er recht!)

Meine Damen und Herren, wir glauben noch an soziale Gerechtigkeit. Wir glauben noch, daß auch in Ihrem Kreis Vertreter der Familien, Vertreter der arbeitenden Menschen nicht bereit sein werden, all das mit zu tragen und zu beschließen, was in diesem Paket enthalten ist.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Schütz: Warten Sie ab! Warten Sie ab!)

Weil wir das wissen und weil der Herr Bundeskanzler auf die Zusammenhänge aufmerksam gemacht hat, haben wir die Befürchtung, daß dieses Paket unter Umständen nicht verabschiedet wird und wiederum vier Jahre ungenutzt in diesem Hause vergangen sind, ohne daß den deutschen Familien ausreichend geholfen worden ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das hängt auch von Ihnen ab!)

Nun, meine Damen und Herren, wir haben hier keinen Wahlschlager vorgelegt. Wir haben ein Vorschaltgesetz bewußt auf die drei Punkte beschränkt: Anhebung der Einkommensgrenze mit der allgemeinen Lohn- und Gehaltsentwicklung auf 750 DM,

(Abg. Ruf: Wissen Sie, was das kostet? — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das spielt bei der SPD doch keine Rolle, Herr Ruf!)

Erhöhung des Kindergeldes für Zweitkinder auf 30 DM und für die übrigen Kinder von 40 DM auf 50 DM.
Meine Damen und Herren, mit diesem Vorschlag ist Ihnen die Möglichkeit gegeben, ohne in die Gesamtproblematik einzutreten, schnell zu helfen und sozial gerecht zu helfen. Allerdings meinen wir auch, daß Sie sich jetzt bekennen und jetzt entscheiden müssen. Wir werden nicht mehr unwidersprochen zulassen, daß Sie mit einem Sozialpaket hausieren gehen

(Abg. Schütz: Was heißt denn hier: „zulassen" ?)

und mit diesem Sozialpaket draußen in der Öffentlichkeit Propaganda betreiben, so wie es der Herr Familienminister generell mit dem Kindergeldgesetz tut; aber am Ende geschieht nichts oder nichts Durchgreifendes, was im Sinne unserer deutschen Familien und unseren Familien mit Kindern notwendig wäre.
Deshalb, meine Damen und Herren, erwarten wir und hoffen wir, daß Sie dieses Vorschaltgesetz der SPD-Fraktion im Ausschuß beschleunigt beraten, damit Gerechtigkeit wird und damit auch die Zweitkinderfamilien, die ihr Kindergeld jetzt verloren haben, in Kürze das Kindergeld wieder ausgezahlt bekommen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0404221300
Das Wort hat der Bundesminister Blank.

Theodor Blank (CDU):
Rede ID: ID0404221400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir nur ein paar kurze Bemerkungen! Mein Herr Vorredner schloß damit, daß er sagte, mit diesem Entwurf sei die Möglichkeit gegeben, schnell zu helfen, ohne in die Gesamtproblematik einzusteigen. Er war weiter der Meinung, daß man jetzt und an dieser Stelle zeigen könne, was sozial richtig und notwendig sei.
Diese Betrachtungsweise kann ich mir nicht zu eigen machen. Ich kann nämlich an der Gesamtproblematik nicht vorübergehen. Diese Gesamtproblematik — das werden wir heute morgen ja noch weiter erleben; es stehen noch andere Wünsche auf der Tagesordnung — besteht darin, daß wir eine ganze Reihe von sozialpolitischen Wünschen haben, über deren Wert, Dringlichkeit und vor allen Dingen Bewertung gegeneinander ich mich hier im Augenblick gar nicht äußern will, die wir aber im Zusammenhang sehen müssen und die man nicht so behandeln kann, sehr verehrter Herr Kollege, daß man sagt: Jetzt und in diesem Augenblick dies -ohne Betrachtung des Gesamten —, das andere dann beim nächsten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer wagt denn — ich jedenfalls nicht — so ohne weiteres zu sagen: Dies ist jetzt das soziale Anliegen — wie man heute so schön sagt — Nr. 1, also dies oder jenes hat nun die Priorität? Ich will in diesen Streit gar nicht eingreifen. Ich will dem Hohen Hause nur wiederholen, was ich anläßlich der Beantwortung der Großen Anfrage der SPD gesagt habe. Ich habe damals bezüglich des Kindergeldes gesagt, daß die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegen wird, der die Finanzierung des gesamten Kindergeldes aus allgemeinen Haushaltsmitteln des Bundes vorsehen würde. Meine Herren, ich darf Sie daran erinnern, daß Sie in diesem Hause immer die energischsten Streiter dafür waren, daß die notwendigen Mittel für das Kindergeld aus dem Budget genommen werden sollten.

(Zuruf von der SPD: Nach wie vor!)

— Ich weiß es und ich tadle ja gar nicht deswegen.
Wir haben es also budgetär zunächst einmal mit



Bundesminister Blank
dieser Summe zu tun. Ich will jetzt Ihren Antrag gar nicht im einzelnen auf seine finanziellen Auswirkungen abschätzen; es ist leicht zu errechnen. Wenn die Regierung einen Entwurf einbringt, haben wir es natürlich auch noch mit einer Summe zu tun; denn auch wir können es nicht ohne Geld. Wir kennen die Wünsche der Kriegsopfer, die erhebliche Anforderungen an den Bundesetat stellen würden, wenn man ihnen gerecht werden wollte. Wir wissen, was in dem Bereich sozialer Leistungen aus dem ganzen Komplex des Kriegsfolgengesetzes auf uns zukommt. Deshalb muß ich — und das bitte ich mir so ernst abzunehmen, wie ich es sage — das Ganze als ein Ganzes sehen; denn nur dann kann ein Höchstmaß an sozialer Gerechtigkeit verwirklicht werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Was ich jetzt sage, sage ich nicht im Sinne des Vorwurfs, sondern ich habe Verständnis dafür, daß jemand, der in seiner politischen Arbeit sich der Sozialprobleme einer bestimmten Schicht oder Gruppe besonders annimmt, dann auch eine besondere Liebe für die Angelegenheit hat und von der Dringlichkeit seiner Anliegen überzeugt ist. Aber es ist dem ganzen deutschen Volke und es ist all den Gruppen, denen wir soziale Zuwendungen geben müssen, wenig damit gedient, wenn nun die Vertreter einer Gruppe sagen: Hier und heute und in diesem Umfang nehmen wir das uns notwendig Erscheinende in Anspruch. Dann verbleibt — na, wem? — den anderen der bittere Rest.

(Abg. Ruf: Wer am meisten schreit, bekommt am meisten!)

Ich sehe diese Sozialfragen im Zusammenhang. Ich bin weit davon entfernt, wenn uns die Verhältnisse, die sich aus der wirtschaftlichen und aus der weltpolitischen Entwicklung ergeben — darüber brauche ich heute kein Wort zu verlieren —, zwingen, in Zukunft mit schärferen Maßstäben als bisher zu messen — wenn wir also gezwungen sind, auch in der öffentlichen Haushaltsgebarung Sparmaßnahmen einschneidender Art zu ergreifen —, nunmehr etwa zu sagen: das muß in erster Linie darin seinen Niederschlag finden, daß man die Sozialleistungen als eine quantité négligeable ansieht. Aber auch die Sozialleistungen können nicht an der soeben kurz skizzierten Situation vorübergehen.

(Zustimmung in 'der Mitte.)

Damit das mit höchster Gerechtigkeit und unter Abwägung aller berechtigten Interessen geschieht, hat die Bundesregierung — und ich hoffe .darin, und nur darin zunächst, die Unterstützung des ganzen Hauses zu finden — ein Interesse daran, Ihnen das Ganze zu präsentieren, damit Sie das Ganze wägen und beurteilen können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0404221500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Danz.

Dr. Werner Danz (FDP):
Rede ID: ID0404221600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf für die FDP-Fraktion gleich eingangs erklären: bezüglich der Neureglung der Kindergeldgesetze ist für uns nach wie vor vorrangig die Beseitigung der Zweigleisigkeit im derzeitigen Aufbringungs- und Zahlungssystem. d. h. die Vereinheitlichung und damit die Vereinfachung der Kindergeldgesetzgebung.

(Zustimmung in der Mitte.)

Der heute zur Aussprache anstehende SPD-Antrag eines Kindergeldverbesserungsgesetzes kommt diesem unserem wohl gemeinsamen Anliegen nicht nur nicht entgegen, sondern scheint uns im Augenblick eher den doch zweifellos von allen drei Fraktionen dieses Hohen Hauses angestrebten Systemwandel in der Kindergeldgesetzgebung zu erschweren.

(Abg. Frau Döhring Da wir uns mit der bevorstehenden Einbringung eines Kindergeld-Neuregelungsgesetzes auf dem besten Wege zu einer grundsätzlichen Änderung des Systems, zu einer grundlegenden Kindergeldreform befinden, ist unseres Erachtens der Sache mit Halblösungen, als welche wir ,die von Ihnen geforderten Sofortmaßnahmen betrachten müssen, nicht gedient. (Abg. Frau Korspeter: Das ist doch völlig falsch gesehen! — Weiterer Zuruf von der SPD: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Frau Korspeter sprach davon, daß bei uns der rückständigste Familienlastenausgleich im EWG-Raum herrsche. Der Familienlastenausgleich läßt sich eben gerechterweise nur im Zusammenhang mit allen übrigen in der Bundesrepublik gewährten Sozialleistungen betrachten.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Hier rangieren wir keineswegs am Ende, im Gegenteil.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Bezüglich des Familienlastenausgleichs darf man beim Vergleich mit anderen europäischen Staaten auch nicht — Herr Kollege Winkelheide hat das bereits erwähnt — die erheblichen Steuervergünstigungen und Steuerbefreiungen vergessen.
Ich lasse Ihre Behauptung, Frau Korspeter, dahingestellt, daß durch Ihren Gesetzentwurf dem Bund keine höheren Ausgaben entstehen. — Gut! Wir von der Freien Demokratischen Partei fühlen uns jedoch außerstande, uns auf eine Lösung einzulassen, bei der mit der Erhöhung des Kindergeldes für die Dritt- und Mehrkinder im Zusammenhang mit der derzeitigen Aufbringung gerade denen eine weitere Mehrbelastung aufgebürdet wird, denen wir nach einmütiger Aussage dieses Hohen Hauses Entlastung bringen müssen und wollen.

(Beifall bei der FDP.)

Das von Ihnen gewünschte Kindergeldverbesserungsgesetz würde eine erhebliche Beitragserhöhung bei den Familienlastenausgleichskassen zur Folge haben und damit eine weitere Belastung der beruflich Selbständigen, der Mittelschichten und der mittelständischen Wirtschaft bringen.

(Abg. Büttner: Wer sagt das denn?)




Dr. Danz
— Das ist ja schon an Hand von Zahlen hier dargelegt worden. Wir würden die dem Mittelstand und den Mittelschichten von uns allen gegebenen Versprechungen nicht nur nicht einlösen, sondern ihnen im Gegenteil neue Lasten aufbürden.
Wir kämpfen seit 1954 für eine gerechte Lösung in der Kindergeldgesetzgebung, die wir darin erblikken, daß ein ohnehin sich im Wirtschaftsprozeß schwer tuender Personenkreis nicht einseitig belastet wird, sondern daß der notwendige Familienlastenausgleich von der Allgemeinheit getragen wird, mit anderen Worten, die Mittel für das Kindergeld aus Steuermitteln aufgebracht werden. Die nach dem SPD-Antrag vorweg anzubringenden Verbesserungen beim Kindergeld könnten dessen Übernahme auf den Haushalt weiter hinausschieben.
Die Regierungsparteien und die Opposition sollten im übrigen bei der derzeitigen Situation unserer Volkswirtschaft gemeinsam Überlegungen anstellen, wie bei der angespannten Haushaltslage des Bundes die für zusätzliche soziale Leistungen zur Verfügung stehende Summe aufzuteilen ist. Hier kann ich den Herrn Bundesarbeitsminister voll unterstützen. Wenn Einigkeit darüber besteht, daß man das bisher gewährte Kindergeld auf die Staatskasse übernehmen sollte, dann sollte man im Rahmen einer Diskussion um die Heraufsetzung der Einkommensgrenze und die Erhöhung des Kindergeldes eine Abstimmung vornehmen mit den vielen anderen noch notwendigen und wichtigen sozialen Aufgaben und Verbesserungen in der gesamten Sozialgesetzgebung. Ich darf hier z. B. die Kriegsopferversorgung, die Kriegsgefangenenentschädigung und die ganze Flüchtlingsgesetzgebung anführen.
Auch die Opposition wird zugeben müssen, daß man nicht alles gleichzeitig machen kann und daß man die sozialpolitischen Vorhaben in eine Rangordnung bringen muß. Dabei können wir uns im einzelnen darüber auseinandersetzen, was an der Spitze zu stehen und was erst an zweiter Stelle zu rangieren hat. Wenn die SPD sagt, daß man das Kindergeld den wirtschaftlichen Verhältnissen anpassen müsse, dann muß hier zusätzlich erwähnt werden, daß wir alle unsere sozialpolitischen Vorhaben der derzeitigen Situation in der Wirtschaft anpassen müssen.
Die SPD ist uns eine Erklärung schuldig geblieben, wie sie die Kindergeldverbesserung finanziell zu decken gedenkt, und zwar im Rahmen der allgemeinen Sozialgesetzgebung. Ich will mich hier gar nicht auf die genauere Summe festlegen. Wenn ich aber einmal nur grob zusammenrechne, welche Mehraufwendungen allein die jüngsten Anträge der SPD zur Folge hätten, dann weiß ich nicht, woher die Mittel kommen sollen. Auch die SPD sollte sich darüber im klaren sein, daß durch Überforderungen an den Staat zuletzt immer der Verbraucher, also praktisch jeder einzelne Staatsbürger, getroffen wird, indem er entweder über die Steuern oder über höhere Beitragszahlungen zur Kasse gerufen wird.
Abschließend darf ich für meine Fraktion erklären, daß wir bereit sind, die Möglichkeiten für Verbesserungen im Kindergeld — insbesondere bezüglich der Einkommensbegrenzung — eingehend zu überprüfen. Wir sind deshalb für Ausschußüberweisung des SPD-Antrages.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0404221700
Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

(Abg. Dr. Schellenberg: Doch! Ich habe mich gemeldet!)

— Bitte sehr, Herr Abgeordneter Schellenberg!

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0404221800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesarbeitsminister hat davon gesprochen, man müsse sozialpolitisch das Ganze sehen. Meine Damen und Herren, wem sagt man das? Wir waren es doch, die im Februar 1952 eine unabhängige soziale Studienkommission gefordert haben, und Sie waren es doch, die eine solche Gesamtschau damals abgelehnt haben.

(Sehr wahr! bei der SPD. — Zuruf des Abg. Schütz.)

Ich will jetzt nicht, jedenfalls nicht an dieser Stelle, vom Sozialpaket sprechen. Werden Sie sich erst einmal selber darüber einig! Dann werden wir in diesem Hause im einzelnen darüber reden.
Aber der Kollege von der FDP hat von der Rangordnung der Maßnahmen gesprochen. In der Tat sind wir der Auffassung, daß das, was durch unseren Gesetzentwurf erreicht werden soll, in der Rangordnung eine besondere Dringlichkeitsstufe haben muß. Es geht hier nicht um einen Systemwandel in der Aufbringung der Mittel für das Kindergeld. Darum bemühen wir uns seit dem Jahr 1955 zusammen mit Ihnen von der FDP.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Wir wissen, daß das eine wichtige Aufgabe ist. Aber gegenüber einem solchen Systemwandel — es liegt in der Natur der Sache, daß er einige Zeit erfordert — muß erst einmal das Allernotwendigste geschehen. Es gilt, zu verhindern, daß die Familien mit Kindern weiter hinter der wirtschaftlichen Entwicklung zurückbleiben. Das ist der entscheidende Punkt, um den es heute geht.

(Beifall bei der SPD.)

Es kann doch niemand bestreiten — und das hat auch der Herr Bundesarbeitsminister nicht bestritten —: durch den Entzug von Kindergeld für über 300 000 Familien mit zwei Kindern ist etwas sehr Betrübliches eingetreten. Nun kommen Sie, meine Damen und Herren, doch nicht mit dem Einwand, den ich vorhin gehört habe, es sei doch etwas Erfreuliches in dieser Einkommensentwicklung, die die Grenze von 600 DM gerade überstiegen hat. Da muß ich Ihnen vorlesen, was der Herr Bundesfamilienminister zur Einkommensgrenze gesagt hat. Ich wundere mich eigentlich, daß der Herr Bundesfamilenminister, der sich in der Öffentlichkeit dankenswerterweise oft zu diesem Problem äußert, bisher geschwiegen hat. Der Herr Bundesfamilienminister — —

(Abg. Schütz: Dem wollten Sie doch das Gehalt streichen!?)




Dr. Schellenberg
- Wir dem Herrn Bundesfamilienminister? Ich darf Ihnen sagen, daß wir in den letzten Jahren im Zusammenhang mit der Gestaltung der Familien- und Jugendpolitik unsere Stellung zum Bundesministerium für Familien- und Jugendfragen sehr präzisiert und daß wir alle positiven Maßnahmen des Ministeriums unterstützt haben und weiterhin unterstützen werden.

(Abg. Arndgen: Herzlichen Dank! — Abg. Schütz: Sie haben also Ihre Ansicht revidiert, Sie werden ihm das Gehalt nicht mehr streichen wollen?)

— Herr Kollege Schütz, ich habe dieses Protokoll nicht hier, aber ich habe einen Antrag auf Streichung des Gehalts eines anderen Ministers noch im Gedächtnis.

(Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Schütz: Demnächst werden Sie ihm das auch nicht mehr streichen!)

— Das wird von seinen Leistungen abhängen.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Es kommt darauf an, daß der Herr Bundesfamilienminister in der Öffentlichkeit zwei Erklärungen abgegeben hat. Die erste betraf den Problemkreis der Anpassung des Kindergeldes an die wirtschaftliche Entwicklung unter Berücksichtigung der Einkommensgrenze von 600 DM. Da hat der Bundesfamilienminister erklärt: „Jede Einkommensgrenze" — „jede" sagte er sogar; wir wollen jetzt vorläufig nur von 600 auf 750 DM erhöhen — „auf diesem Gebiet wirkt diffamierend für alle, die das Unterschreiten der Grenze nachweisen müssen. Die Familie kommt in den Geruch hilfsbedürftiger Almosenempfänger." Diese Erklärung können wir doch voll und ganz unterstreichen.
Ein zweites hat der Bundesfamilienminister in der Öffentlichkeit erklärt — ich zitiere —: „daß wir uns in der Bundesrepublik praktisch bereits in breiter Front im Stadium des Abbaus des Familienausgleichs befinden, obschon dieser ohnehin immer noch der rückständigste unter denen unserer Nachbarländer, insbesondere der EWG, ist." Bei einer solchen Erklärung des Herrn Bundesfamilienministers kann man doch nicht die Notwendigkeit von Sofortmaßnahmen abstreiten.
Was Sie tun wollen, die Verkopplung mit dem Sozialpaket — —

(Abg. Schütz: Das Ganze sehen! Das Ganze sehen!)

— Herr Kollege Schütz, was das Das-Ganze-Sehen betrifft, so haben Sie dabei sehr wichtige Dinge vergessen. Sie hatten die Kriegsopfer vergessen, und Sie hatten auch eine Verbesserung der Leistungen des Familienlastenausgleichs vergessen.

(Abg. Schütz: O nein! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Meine Damen und Herren, darüber werden wir uns unterhalten, wenn wir zum Sozialpaket kommen.

(Abg. Ruf: Lesen Sie mal die Erklärung der Regierung vom 16. Juni nach! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Was Sie jetzt wollen, ist ein Hinausschieben bis zum Inkrafttreten des sogenannten Sozialpakets, das bedeutet praktisch, daß weder für 1962 noch für 1963

(Zuruf von der SPD: Nicht einmal für 1964!)

irgend etwas zugunsten der Familie geschieht. Das ist der wirtschaftliche und soziale Inhalt.

(Abg. Maucher: Das liegt an Ihnen als dem Vorsitzenden des Sozialpolitischen Ausschusses! — Gegenruf von der SPD: Ach, du lieber Gott!)

— Herr Kollege, machen Sie doch keinen Witz! Legen Sie uns erst einmal Ihre Gesetzentwürfe vor! Wir legen Ihnen heute Initiativen vor. Sie können am nächsten Donnerstag mit uns im Sozialpolitischen Ausschuß über unseren Entwurf für die Kindergeldverbesserungen entscheiden. Dann können wir am nächsten Sitzungstag hier einen Beschluß über die Anhebung des Kindergeldes an die wirtschaftliche Entwicklung treffen.

(Beifall bei der SPD.)

Es kommt jetzt darauf an — das ist die Entscheidung, um die es heute geht —, zu trennen zwischen einerseits dem notwendigen Systemwandel — über den werden wir uns auseinandersetzen, wenn Ihre Entwürfe vorliegen, deren Beratung dann, was sich aus der Natur der Sache ergibt, einige Zeit erfordern dürfte — und andererseits den dringenden Maßnahmen, die bezwecken, daß die Familie nicht weiter hinter der wirtschaftlichen Entwicklung zurückbleibt. Diesem Ziel dient unser Gesetzentwurf.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0404221900
Liegen weitere Wortmeldungen vor? — Das ist nicht der Fall. Dann kann ich die Aussprache schließen.
Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik — federführend — vor.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ausschuß für Arbeit federführend! — Vereinzelter Widerspruch in der Mitte:)

— Es ist also streitig, wie ich sehe. Jedenfalls wird überwiesen an den Ausschuß für Sozialpolitik, den Ausschuß für Arbeit und den Haushaltsausschuß.

(Abg. Arndgen: Ausschuß für Arbeit federführend!)

— Sie müssen das dann beantragen.

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0404222000
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin selbstverständlich der Auffassung, daß alle betroffenen Ausschüsse in dieser oder jenen Form beteiligt werden sollten. Aber bei diesem Gesetz — vielleicht nicht bei einem späteren — geht es faktisch um eine Angelegenheit, die bisher aus gutem Grund allein der Ausschuß für Sozialpolitik bearbeitet hat. Ich habe eine Liste vorliegen, wonach sich der Sozialpolitische Ausschuß vierzehnmal mit verschiedenen Initiatitven des Kindergeldrechts allein beschäftigt hat.
Wenn das sogenannte Sozialpaket einen Systemwandel bringen sollte, dann wird man sich darüber unterhalten, wie das erledigt werden soll. Aber jetzt



Dr. Schellenberg
handelt es sich der Sache nach um eine Angelegenheit, die in den Sozialpolitischen Ausschuß und selbstverständlich, Herr Präsident, in den Haushaltsausschuß gehört, da der Haushalt des Bundes berührt wird. Ich bitte Sie deshalb, sich nicht durch Mitüberweisung an den Ausschuß für Arbeit etwa dem Verdacht auszusetzen, daß länger beraten werden soll, als es unbedingt notwendig ist.

(Abg. Schütz: Der Verdacht besteht manchmal auf beiden Seiten!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0404222100
Wird hierzu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann lasse ich zunächst einmal darüber abstimmen, ab der Ausschuß für Sozialpolitik federführend betraut werden soll. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich bitte um Wiederholung. Wer für Überweisung an den .Ausschuß für Sozialpolitik als federführenden Ausschuß ist, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Jetzt ist es klar: das erste ist die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Dann stelle ich lest, daß das Haus darin einig ist, daß der Haushaltsausschuß mitberatend sein soll.

(Zuruf von der CDU/CSU: Arbeitsausschuß!)

— Es dann noch der Antrag gestellt worden, den Entwurf auch dem Ausschuß für Arbeit zur Mitberatung zu überweisen. Oder wird der Antrag nicht aufrechterhalten?

(Zuruf von .der CDU/CSU: Wird aufrechterhalten!)

— Er wird aufrechterhalten. Wer dafür ist, den Ausschuß für Arbeit mitberatend beizuziehen, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
betr. Zweites Neuordnungsgesetz zur Kriegsopferversorgung (Drucksache IV/469 [neu])

Wer will den Antrag )begründen? — Herr Abgeordneter Bazille.

Helmut Bazille (SPD):
Rede ID: ID0404222200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn jemand in der Bundesrepublik Deutschland das Recht hat, das erste Jahr der 4. Wahlperiode des Deutschen Bundestages als ein verlorenes Jahr zu empfinden, dann sind es die deutschen Kriegsopfer. Obgleich alle Parteien vor den Wahlen zu diesem 4. Deutschen Bundestag erklärt hatten, daß sie bereit seien, vordringlich die begonnene Neuordnung der Kriegsopferversorgung im 4. Deutschen Bundestag fortzusetzen, war es lediglich die sozialdemokratische Fraktion, die dieses Wort eingelöst und verschiedene Initiativen ergriffen hat.
Eine dieser Initiativen fand ihren Niederschlag in der Drucksache IV/469. Ich habe die Ehre, diesen Antrag zu begründen. Durch ihn sollte die Bundesregierung ersucht werden, den Entwurf eines Zweiten Neuordnungsgesetzes zur Kriegsopferversorgung bis zum 30. September vorzulegen. Nun, Siewerden verstehen, daß meine Fraktion erbittert und ungehalten darüber ist, daß unser Antrag erst heute auf der Tagesordnung des Hauses steht, nachdem der Termin, der dem Anliegen der Frakttion entspricht, in der Zwischenzeit bereits um mehrere Wochen überschritten ist und damit überhaupt keine Möglichkeit mehr besteht, ihn einzuhalten. Dabei hat meine Fraktion diesen Entwurf so rechtzeitig vor den Sommerferien eingebracht, daß durchaus eine Möglichkeit bestanden hätte, ihn zu beraten.
Es ist in diesem Zusammenhang interessant, darauf hinzuweisen, daß Herr Kollege Arndgen bereits in der dritten Sitzung des Kriegsopferausschusses am 21. Februar 1962 in Gegenwart der Herren Bundesminister der Finanzen und für Arbeit und Sozialordnung einen Entschließungsantrag der Koalition vorgelegt hat, durch den die Bundesregierung ersucht werden sollte, Vorschläge für die Weiterentwicklung des Rechts der Kriegsopferversorgung auszuarbeiten und den gesetzgebenden Körperschaften zuzuleiten.
In der Weiterverfolgung dieses Entschließungsantrags wurde dann in der Sitzung des Ausschusses am 20. Juni einstimmig der Beschluß gefaßt, daß die Bundesregierung gebeten werden solle, so bald als möglich den Entwurf eines Zweiten Neuordungsgesetzes in der Kriegsopferversorgung vorzulegen. Am 13. Juni, wie gesagt, hatte die sozialdemokratische Fraktion diese Vorlage eingebracht. Völlig überraschend und im krassen Widerspruch zum Verhalten ihrer Vertreter im Ausschuß haben die Koalitionsfraktionen es dann abgelehnt, sie noch vor den Ferien auf die Tagesordnung zu nehmen und termingerecht zu verabschieden.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Da kann man nur noch mit Adolf Müllner fragen:
Erkläret mir, Graf Oerindur,
diesen Zwiespalt der Natur.
Und es ist kein Zufall, daß dieses vom Volksmund übernommene und abgewandelte Zitat dem Schicksalsdrama „Die Schuld" entstammt; denn durch dieses makabre Spiel mit dem Schicksal von Millionen beginnen in der Tat Regierung und Regierungskoalition Schuld auf sich zu laden.
Es wurde in der Regierungserklärung, die der Bildung dieser Koalitionsregierung folgte, seinerzeit schon nur mit einigen wenigen Sätzen der Kriegsopferversorgung gedacht. Damals enthielt die Ankündigung u. a. die Feststellung, daß die Heilbehandlung verbessert und den fortschreitenden Erkenntnissen der Medizin angepaßt werden soll. Nun, nach mehr als einem Jahr sind solchen Ankündigungen keinerlei Taten gefolgt.
Ich will nur wenige Beispiele anführen, die sichtbar machen, welcher Versäumnisse sich die Bundesregierung auf diesem Gebiet schuldig gemacht hat. So sind drei Jahre nach dem Iller-Unglück die bedauernswerten Eltern der damals tragisch ums Leben gekommenen Bundeswehrsoldaten noch immer



Bazille
ohne Versorgung, ohne Versorgung deshalb, weil die umstrittene Voraussetzung der Ernährereigenschaft noch immer im Bundesversorgungsgesetz verankert ist. Oder: auf dem Gebiete der Erkennung und Erfassung der Spätschäden, die sich in der Folge jahrelanger Kriegsgefangenschaft eingestellt haben, hat der Verband der Heimkehrer durch einen ärztlichen Beirat und durch nahezu 2000 ehrenamtliche Helfer zunächst einmal Feststellungen darüber treffen müssen, welche kausalen Verflechtungen zwischen den außergewöhnlichen Belastungen in der Gefangenschaft und späteren Gesundheitsstörungen bestehen. Die Arbeiten dieses Verbandes, der sich damit sehr verdient gemacht hat, haben internationale Anerkennung gefunden. Die Bundesregierung selbst hat bis jetzt keinen nennenswerten Beitrag geleistet, um diese Probleme wissenschaftlich zu klären, obgleich entsprechende Forderungen der Heimkehrer schon jahrelang bestehen.
Um noch ein anderes Gebiet aus der Kriegsopferversorgung aufzugreifen, möchte ich das Problem des Phantomschmerzes der Amputierten nennen. Der Kriegsopfer-Ausschuß war erst vor wenigen Tagen in Berlin und hat dort Gelegenheit gehabt, das Landesversorgungsamt zu besichtigen. Dort wurde bei der Besichtigung einer Gehschule gesagt, daß rund 50 % derjenigen, die die Gehschule in Anspruch nehmen, unter Phantomschmerzen leiden. Es ist wissenschaftliche noch keineswegs einwandfrei geklärt, wo der Phantomschmerz, die Geißel der Amputierten, seinen Sitz hat, welches seine letzten Ursachen sind. Auch hier ist es die Bundesregierung den Kriegsopfern schuldig geblieben, eine entsprechende Forschung in die Wege zu leiten.
Ich will diese Dinge, soweit sie die Heilbehandlung betreffen, nicht vertiefen. Aber es scheint mir notwendig, darauf hinzuweisen, daß diejenigen gesetzlichen Leistungen, die der Herr Bundesminister für Arbeit so besonders ins Herz geschlossen hat, nämlich die Ausgleichsrenten — die ja nur diejenigen Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen bekommen können, die über besonders niedrige Einkommen aller Art verfügen —, in der Praxis das Ergebnis einer Dynamisierung nach unten haben. Das heißt, wer als Kriegsopfer Empfänger der Ausgleichsrente ist, ist vom sozialen Fortschritt ausgeschlossen; denn jede Leistungserhöhung, die entweder eintritt, weil sich Lohnbezüge verbessern oder weil sich gesetzliche Rentenbezüge verändern, führt automatisch zu einer Absenkung der Ausgleichsrente des Betreffenden in der Kriegsopfersorgung, so daß er stets in der Gesamtheit dessen, was ihm zum Lebensunterhalt zur Verfügung steht, auf dem gleichen Stande festgehalten wird.
Das wäre schon dann ein bedauerlicher Tatbestand, wenn dadurch die Kriegsopfer lediglich von der Teilhabe an der noch immer vorhandenen Fortentwicklung des Sozialprodukts ausgeschlossen wären. Aber es wird in seiner sozialen Ungerechtigkeit geradezu unerträglich, wenn man weiß, daß ja in der gleichen Zeit, in der sich das Sozialprodukt fortentwickelt hat, auch die Preise gestiegen sind, so daß die Einfrierung des Einkommens für diese Menschen eben nicht nur den Verzicht auf die Teilhabe am sozialen Fortschritt bedeutet, sondern eine fortschreitende Minderung ihrer Möglichkeiten, innerhalb dieser staatlichen Ordnung so zu leben, wie das allen übrigen Staatsbürgern vergönnt ist. Hier hat die Bundesregierung einem Prozeß tatenlos zugesehen, der die Kriegsopfer berechtigt, sich innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung der Bundesrepublik als Stiefkinder der Nation zu fühlen.
Alle diese Zusammenhänge sind mindestens den Sachverständigen der Koalition durchaus bekannt; denn es wurde bei den verschiedensten Tagungen von Kriegsopferverbänden und Vorsprachen von Bevollmächtigten dieser Organisationen beteuert, daß man diese Fragen selbstverständlich im Auge habe. Ja, es ging sogar so weit, daß die Sprecher der Koalitionsfraktionen seinerzeit in der Aussprache über die zweite Regierungserklärung, die Bundeskanzler Adenauer nach den Ferien hier abgab, festgestellt haben, daß es bedauerlich sei, daß sich der Kanzler nicht über die Frage der Kriegsopferversorgung geäußert habe. — Ja nun, meine Damen und Herren, mit dem Bedauern darüber, daß die Regierung nichts tut, ist den Kriegsopfern nicht geholfen.
Die Kriegsopfer erwarten, daß nun in der Gesetzgebung diesen Ankündigungen, die ja sehr weit zurückreichen, zurückreichen bis in die Zeit der Wahlen zu diesem 4. Deutschen Bundestag, nun irgendwelche Taten folgen. Wie sieht es nun aber mit diesen Taten aus? Der Ausschuß berät seit Monaten eine Vorlage der sozialdemokratischen Fraktion, mit der wenigstens die Grundrenten in bescheidenem Umfang den gestiegenen Lebenshaltungskosten angepaßt werden sollten. Aus Anlaß dieser Beratungen hatte die Koalition geglaubt, es sei notwendig, die Bundesregierung zu bitten, baldmöglichst mit ihrem Entwurf eines Zweiten Neuordnungsgesetzes in Erscheinung zu treten. Es kam zu einem einstimmigen Beschluß des Ausschusses.
Was tat nun der Herr Bundesminister für Arbeit, als ich ihm im Namen des Auschusses diesen Beschluß zur Kenntnis brachte? Er wandte sich an 'den Herrn Präsidenten des Bundestages mit einem Schreiben vom 2. Juli, das ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten im Wortlaut zitieren darf. Er schreibt:
Sehr geehrter Herr Präsident!
Als. Anlage übersende ich Ihnen .die Ablichtung eines Schreibens, das mir vom Vorsitzenden des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen, Herrn Abgeordneten Bazille, zugegangen ist. Im Hinblick auf § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages und Ihre Ausführungen in der 164. Sitzung des 3. Deutschen Bundestages am 28. Juni 1961 wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die gefaßten Beschlüsse des Ausschusses auf ihre Rechtswirksamkeit hin überprüfen und mir Ihre Entscheidung mitteilen würden.
So also der Bundesminister für Arbeit im Verkehr mit den Damen und Herren seiner eigenen Fraktion, die die Auffassung dieser Fraktion — so muß man wenigstens annehmen — im Ausschuß vertreten;



Bazille
denn es kann ja niemand glauben, daß etwa die Vertreter dieser Fraktion in den Ausschüssen ohne Verbindung mit ihrer Fraktion dort politisch agieren.
War schon diese Anfrage des Ministers äußerst merkwürdig, dann war noch merkwürdiger, was geschah, nachdem der Präsident, übrigens völlig zu Recht, festgestellt hatte, daß ein Ausschuß kein Initiativrecht hat. Das wußte ,der Ausschuß seinerzeit, als er diesen Beschluß faßte. Er hat ja die Bundesregierung auch nicht ersucht, wie es das Plenum des Bundestages mit Rechtswirksamkeit tun könnte, sondern er hat lediglich gebeten, hat also lediglich eine Willensbekundung abgegeben, daß die Regierung schnellstmöglich das Gesetz vorlegen möge.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat sich geweigert, sich überhaupt zu äußern, weil er der Meinung war, ,daß der Ausschuß seine Kompetenz überschritten habe. Nun, Herr Bundesminister für Arbeit, hier ging es nicht um die Kompetenz des Ausschusses, sondern hier geht es um das Schicksal der deutschen Kriegsopfer.

(Abg. Müller [Berlin] : Sie brauchen die ganze Sache nicht gleich zu dramatisieren! — Zuruf von der SPD: Für Sie ist ,das nicht dramatisch, für andere schon!)

Dieses Spiel, einerseits im Ausschuß eine Regierungsvorlage zu forcieren und andererseits im Plenum einen Antrag abzulehnen, der von 'der Regierung die Vorlage dieses Gesetzentwurfes verlangt, ist nicht nur höchst unerfreulich, sondern, ich möchte sogar sagen, des Hohen Hauses unwürdig. Man kann nicht im Ausschuß eine Haltung einehmen, die im krassen Widerspruch zu 'dem steht, was man nachher im Plenum beschließt. Eine solche Arbeitsweise ist schlechterdings mit den Pflichten des Parlaments unvereinbar.
Ich habe schon darauf 'hingewiesen, daß wir ursprünglich beantragt hatten, die Bundesregierung möge den Entwurf eines Zweiten Neuordnungsgesetzes in der Kriegsopferversorgung dem Hohen Hause bis zum 30. September vorlegen. Dieser Termin ist 'gegenstandslos, 'weil der 30. September verstrichen ist rund durch das Verhalten der Mehrheit des Hauses der Antrag nicht beraten worden ist. Wir hatten nun zu überlegen, welches neue Datum wir dem Hause vorschlagen 'sollen. Dabei mußten wir prüfen, was die Bundesregierung selbst hierzu gesagt hat. Und nun darf ich — wieder mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — zitieren, was der Herr Bundesminister für Arbeit am 21. Februar 19,62 im Ausschuß auf eine Frage meines Kollegen Bals erklärte: „Im Arbeitsministerium weiß man zu jeder Zeit, was man 'auf diesem Gebiet will." Es ist also anzunehmen, daß der Bundesminister für Arbeit einen entsprechenden Entwurf durchaus schon, wie man so sagt, „in der Schublade hat" und daß es offenbar lediglich noch ran der Uneinigkeit im Koalitionsausschuß hängt, wenn es bis jetzt nicht zu einer Vorlage gekommen ist. In den letzten Tagen war in der Presse zu lesen und im Rundfunk zu hören, 'daß sich der Koalitionsausschuß mit der Frage befassen werde, ob und was für die Kriegsopfer ,geschehen solle. Nach Idem letzten Stand von heute morgen war es so, daß offenbar immer noch keine Einigung erzielt wurde. Vielleicht hören wir jetzt dazu mehr. Jedenfalls, der Bundesminister für Arbeit ist seinen Auskünften nach, die er bereits vor rund einem halben Jahr gegeben hat, durchaus in der Lage, jederzeit einen Entwurf vorzulegen. Wir glauben deshalb, die Bundesregierung nicht zu überfordern, wenn wir das Datum in unserem Antrag dahin ändern, daß es heißt: „bis zum 30. November".
Nach all dem, was draußen in ,der Öffentlichkeit von Vertretern ,der Koalition und auch hier im Hause aus Anlaß .der Aussprache über die Regierungserklärung von Herrn Dr. Mende und von Herrn Dr. von Brentano zur Kriegsopferversorgung gesagt worden ist, möchten wir annehmen, die Auffassung des Bundestages gehe dahin, daß noch in diesem Jahr dem Hohen Hause von der Bundesregierung eine Vorlage unterbreitet werden soll und daß die erhöhten Leistungen in der Kriegsopferversorgung mit Wirkung vom 1. Januar 1963 in Kraft gesetzt werden sollten.
Meine Damen und Herren, der Antrag, der Ihnen vorliegt und den ich in der Weise geändert habe, daß der Termin der 30. November sein soll, gibt Ihnen Gelegenheit, unter Beweis zu stellen, ob Sie für die Kriegsopfer endlich die versprochene und längst fällige Anpassung ihrer Leistungen tatsächlich vornehmen wollen oder nicht.

(Beifall bei ,der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0404222300
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Probst.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0404222400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen es, daß die sozialdemokratische Fraktion in dem vorliegenden Antrag Drucksache IV/469 die Bundesregierung auffordert, alsbald den Entwurf eines Zweiten Neuordnungsgesetzes zur Kriegsopferversorgung vorzulegen. Die Zielsetzung, daß die Bundesregierung initiativ werden solle, entspricht ganz dem, was Herr Kollege Arndgen im Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen schon vor einiger Zeit angeregt hat.
Es hat in diesem Hause immer Übereinstimmung darüber bestanden, daß die Vorlage eines Gesetzentwurfs durch die Bundesregierung einer Initiative aus den Reihen dieses Hauses schon deshalb vorzuziehen ist, weil damit gleichzeitig die Stellungnahme des Bundesrates dem Hohen Hause bekannt wird. Ein Zusammenwirken der drei Gremien — Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag — stellt zweifellos die optimale Form der Gesetzgebungsvorgänge dar. Der Bundestagsausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen hat sich in seiner letzten Sitzung vor den Parlamentsferien einmütig für eine alsbaldige Initiative der Bundesregierung ausgesprochen.
Meine politischen Freunde und ich sind der Auffassung, daß eine gerechte Anpassung der Kriegsopferversorgung an das veränderte Wirtschafts- und Sozialgefüge keinen Aufschub duldet. Ich möchte deutlich sagen: die Kriegsopferversorgung hat mit dem sogenannten Sozialpaket nichts zu tun, weder



Frau Dr. Probst
zeitlich noch inhaltlich. Die Fraktion der CDU/CSU ist aber der Meinung, daß der Bundesregierung und dem Bundesrat die Frist bleiben muß, die allein schon notwendig ist, um den technischen Ablauf der Gesetzgebungsinitiative zu ermöglichen. Die Fraktion der CDU/CSU beantragt daher ebenfalls, im Antrag Drucksache IV/469 das Datum „30. September" in das Datum „30. November" zu ändern.

(Beifall bei der SPD und der FDP.)

Die Fraktion der CDU/CSU erwartet, daß die Vorlage der Bundesregierung die Erfahrungen berücksichtigt, die sich aus der Durchführung des Ersten Neuordnungsgesetzes und insbesondere der Rechtsverordnungen ergeben. Die CDU/CSU-Fraktion erwartet, daß die Vorlage den Rechtsanspruch der Kriegsopfer stärkt und dabei ihrem Leistungwillen Rechnung trägt. Die Relation der Leistungen innerhalb des Gesetzes muß verbessert, das Verhältnis der Kriegsopferversorgung zu den übrigen Sozialgesetzen gerecht abgestimmt werden. Die Kriegsopfer haben Anspruch auf den ihnen zustehenden Anteil an den Erhöhungen der Leistungen der Sozialversicherung. Den Kriegsbeschädigten ist ein ausreichender Berufsschadenausgleich zu gewähren, der individueller zu gestalten ist. Die orthopädische Versorgung muß modernisiert werden. Die Schwerbeschädigtenzulage und die Pflegezulage bedürfen einer Individualisierung und einer Anpassung. Die CDU/CSU-Fraktion ist überzeugt, daß der Ausweitung und Verbesserung der Witwenversorgung Vorrang gebührt. Der Ausgleich für Einkommensverlust der vaterlos gewordenen Familie ist individueller zu gestalten und losgelöst von der Ausgleichsrente zu gewähren. Die Elternversorgung bedarf einer Weiterentwicklung, insbesondere im Hinblick auf die Ernährereigenschaft, die Freibeträge und die Höhe der Rente insbesondere für die Eltern, die ihre einzigen, letzten oder alle Kinder verloren haben.
Die CDU/CSU-Fraktion behält sich vor, im Ausschuß entsprechende Anträge zu stellen.

(Lachen bei der SPD.)

— Meine Damen und Herrn, ich kann dieses Lachen nicht begreifen. Ich glaube, das ist der normale Vorgang. Wir haben unsere Grundgedanken der Bundesregierung unterbreitet,

(Zurufe von der SPD: Viel zu spät!)

und darüber hinaus behalten wir uns mit Ihnen zusammen das parlamentarische Recht vor, im Ausschuß Anträge zu stellen.
Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Antrag Drucksache IV/469 mit der Maßgabe der Änderung des Datums in den 30. November dieses Jahres zu.

(Allseitiger Beifall.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0404222500
Das Wort hat der Abgeordnete Rutschke.

Dr. Wolfgang Rutschke (FDP):
Rede ID: ID0404222600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stimme dem Antrag des Kollegen Bazille und der Frau Kollegin
Dr. Probst auch im Namen der FDP-Fraktion zu. Wir akzeptieren die Änderung des Datums in „30. November" und wünschen, daß der Herr Bundesarbeitsminister den gesetzgebenden Körperschaften zu diesem Zeitpunkt einen entsprechenden Entwurf zuleitet. Wir sind gleichfalls der Meinung, daß die von der Kollegin Frau Dr. Probst angesprochenen Probleme in diesem Entwurf bereits im einzelnen berücksichtigt werden sollten, um eine Wiederholung dessen zu vermeiden, was wir hier schon einmal gerade in Fragen der Kriegsopferversorgung erlebt haben.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, es ist auch ein Wort an die Kollegen der SPD notwendig. Wir haben vorhin Fragen des Familienlastenausgleichs besprochen. Herr Kollege Killat und Herr Kollege Schellenberg haben festgestellt, daß der Familienlastenausgleich vorrangig sei. Soeben hat Herr Kollege Bazille gesagt, daß die Kriegsopferversorgung vorrangig sei; und dem stimme ich durchaus zu.

(Zuruf von der SPD: Es können auch zwei Dinge vorrangig sein!)

Und draußen, in den Wahlkämpfen, oder wo sonst es auch ist, sagen Sie dann, die Unfallversicherung sei natürlich auch vorrangig. Jetzt müssen Sie einmal den Mut aufbringen, zu sagen, was denn in diesen Fragen nachrangig ist. Das müssen Sie sagen; denn Sie wissen ganz genau, daß, wenn Sie hier die eine Sache vorziehen, nicht alles gleichzeitig zu erledigen ist.

(Zuruf von der SPD: Heute vor einem Jahr haben Sie anders gesprochen!)

— Nein, ich habe nie anders gesprochen, Herr Kollege Bals. Ich habe von jeher die Frage der Kriegsopferversorgung als die vorrangigste Frage bezeichnet. Wir haben auch in der Fraktion sowie auf unserem Bundesparteitag in diesem Jahr einstimmig den Beschluß gefaßt, daß wir die Fragen der Kriegsfolgelasten, insbesondere der Kriegsopferversorgung, innerhalb der Sozialpolitik als vorrangig betrachten; und danach handeln wir.

(Beifall bei der FDP.)

Und nun möchte ich Ihnen einmal sagen: wenn Sie alles für vorrangig erklären, dann ist ja kein Unterschied mehr vorhanden.

(Zuruf von der SPD: „Alles"?)

Irgendwie muß ja dann etwas nachrangig sein. Haben Sie auch den Mut, zu sagen, was auf dem Gebiet der Sozialpolitik dann nachrangig sein soll; sonst, verehrter Herr Kollege Bazille, wird Amadeus Gottfried Adolf Müllner mit Ihnen sprechen: „Erkläret mir, Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der Natur!" Genau das wird er Sie auch in diesem Fall fragen.

(Beifall bei der FDP.)

Meine verehrten Damen und Herren! Wir sind der Meinung, daß die Frage der Kriegsopferversorgung ein Problem ist, das vorrangig gelöst werden muß. Es geht nicht an, daß gerade die Kriegsopfer am Schluß der Reihe von sozialpolitischen Forderungen stehen. Wir wollen einen Entschädigungsan-



Dr. Rutschke
spruch haben. Nun, das haben wir auch im vorigen Bundestag erklärt; wir stehen dazu, und wir werden alles tun, um diese Frage nach vorn zu bringen.

(Anhaltende Zurufe. — Glocke des Präsidenten. — Abg. Schmitt-Vockenhausen: Das ist der Unterschied zwischen uns: bei Ihnen ist Sozialpolitik letztrangig, bei uns vorrangig! — Abg. Maier [Mannheim], Welch maßlose Entstellung!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0404222700
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

(Zuruf von der CDU/CSU [zur SPD] : Die Maßlosigkeit! — Abg. Schmitt-Vockenhausen: Sozialpolitik und „maßlos" ! Herr Maier, wie können Sie 'als Mitglied der Sozialausschüsse der CDU so etwas sagen?!)

— Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen, ich möchte auch Sie um die Liebenswürdigkeit bitten, dem Herrn Minister zuzuhören.

Theodor Blank (CDU):
Rede ID: ID0404222800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor einer Stunde habe ich hier das Wort genommen und von dem in der Sache liegenden Zusammenhang gesprochen. Wie recht ich damit hatte, beweist die Behandlung dieses Tagesordnungspunktes.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, ich muß jetzt doch Gelegenheit nehmen, einmal etwas über die Kriegsopferversorgung, ihre Entwicklung und ihren Umfang zu sagen. Bevor ich das tue, möchte ich aber auf einen Vorwurf, den mir Herr Bazille gemacht hat, antworten. Ich bitte den Herr Präsidenten, mir zu gestatten, daß ich meinerseits etwas aus dem Antwortschreiben zitiere, das der Herr Präsident des Deutschen Bundestages auf mein Schreiben hin dem Herrn Bazille als Ausschußvorsitzenden geschrieben hat. Gestatten Sie, Herr Präsident? — Ich habe mich, wie eben gesagt, beim Herrn Präsidenten darüber beschwert, daß der Ausschuß sozusagen selbständig, wie ein Parlament, Beschlüsse faßt, die Regierung zu diesem oder jenem auffordert. Daraufhin hat Ihnen der Herr Präsident mitgeteilt:
1. Ein Ausschuß hat nicht das Recht, die Bundesregierung um Vorlage eines Gesetzentwurfs zu bitten.
2. Der Ausschuß war auch nicht berechtigt, auf Grund des Berichtes der Bundesregierung in Drucksache IV/446 die Regierung um Bericht zu ersuchen, welche Folgerungen sie in der Gesetzgebung aus dem Ergebnis 'des Berichts ziehen will. Ein solcher Beschluß steht nur dem Bundestag selbst zu. Der Ausschuß kann zur Zeit nicht einmal dem Plenum des Bundestages einen solchen Beschluß empfehlen, da ihm diese Drucksache nicht überwiesen ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn es Sie interessiert: ich habe das Protokoll der 56. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 31. März 1950 zur Hand genommen, in der ein so hervorragender Verfassungsjurist und Kenner des parlamentarischen Lebens wie der von mir hochgeschätzte Dr. Arndt sich zu dieser Frage geäußert hat. Wenn es mir gestattet 'ist, möchte ich auch hier darauf hinweisen — aber nicht die Worte wiederholen, die Herr Dr. Arndt damals gebraucht hat —, daß es in diesem Hause stets unbestritten gewesen ist, daß ein Ausschuß nichts anderes tun kann, als sich mit einer ihm vom Plenum Überwiesenen Vorlage zu beschäftigen. Nur um diese parlamentarische Ordnung ging 'es mir.
Nun ein wenig zu der Entwicklung der gesamten Kriegsopferversorgung. Sie haben hier einen Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, wonach die Bundesregierung ersucht werden soll, bis zum 30. November einen Gesetzentwurf bestimmter Art vorzulegen. Meine Damen und Herren, ich möchte Sie bitten — wenngleich ich überzeugt bin, daß Sie mir doch nicht folgen werden —, dieses Datum aus Ihrem Antrag zu entfernen. Es wäre unredlich von mir, hier so zu tun, als ob es möglich wäre, 'bis zu diesem Zeitpunkt einen 'soeben 'beschriebenen Gesetzentwurf vorzulegen.

(Abg. Stingl: Herr Minister, das geht technisch nicht, wegen des Bundesrates!)

— Herr 'Kollege Stingl, das ist es ja, was ich meine. Aber es geht auch deshalb nicht, weil wir, wie ich schon in meiner ersten Rede heute morgen gesagt habe, die Dinge in Zusammenhang sehen müssen. Ich darf Ihnen einmal einen Überblick über die Entwicklung geben, und ich stelle ihnen das Material später gerne zur Verfügung. Ich werde Ihre Geduld nicht lange in Anspruch nehmen, aber leider einige Zahlen verwenden müssen.
Im Jahre 1950 hatten wir — ich runde ab — rund 4 Millionen Anspruchsberechtigte in der Kriegsopferversorgung. Für sie haben wir damals insgesamt 2,230 Milliarden DM aufgewandt. Im Jahre 1962 — wir können die Zahl schon übersehen, obwohl es nur Haushaltsansätze sind — ist die Zahl der Berechtigten um 1 Million auf rund 3 Millionen gesunken. Der Rückgang ist aber nicht ein Rückgang der Beschädigten an sich, sondern im wesentlichen das natürliche Herauswachsen der Kriegsopferwaisen aus der Versorgung. Für diese Anspruchsberechtigten wenden wir im Jahre 1962 rund 4 Milliarden DM auf. Wenn wir noch hinzunehmen, was für die Kriegsopferfürsorge aufgewandt wird, dann haben wir — ich nenne die Zahl deshalb, weil ich sie gleich in einen interessanten Vergleich stellen werde — für die Kriegsopferversorgung von 1950 bis zum Ende dieses Jahres insgesamt rund 44 600 Millionen DM aufgewandt.

(Abg. Stingl: Das kann sich sehen lassen!)

Nun gibt es noch eine ganze Reihe anderer Menschen, die in diesem Kriege sehr großes Leid über sich ergehen lassen mußten, die sehr große Verluste an Gesundheit, an Eigentum, die den Tod von Verwandten und Familienangehörigen zu beklagen hatten. Kurzum, wer wagt denn überhaupt im Hinblick auf das grauenvolle Kriegsgeschehen und seine Folgen nunmehr, ich hätte beinahe gesagt: mit einem Millimetermaß, messen zu wollen, wo im einzelnen



Bundesminister Blank
die größte Not, das härteste Schicksal aus diesem Kriegsgeschehen hervorgegangen ist?
Aber es gibt noch einen anderen Personenkreis, nämlich diejenigen, die aus der Soforthilfe und aus dem Lastenausgleichsfonds Geld bekamen: die Flüchtlinge, die Heimatvertriebenen und die Kriegssachgeschädigten. Dabei handelt es sich im Schnitt um etwa 3 1/2 Millionen Anspruchsberechtigter. Ich kann es leider nur in Zahlen ausdrücken. Wir haben in der gleichen Zeit für diese — bitte beachten Sie die Zahlen; sie sind interessant — 44,3 Milliarden DM ausgegeben, wenn wir auch hier wieder den Ansatz für 1962, der als Ist-Zahl schon überschaubar ist, einsetzen. Sie sehen, daß beide Zahlen praktisch identisch sind.
Wir haben es aber noch mit einem anderen Problem zu tun. Im Bereich unserer sozialen Fürsorge, die uns als Folge des Krieges auferlegt ist, gibt es einige Millionen Altersrentner, darunter viele Frührentner. Wer maßt sich an, hier zu entscheiden, ob und inwieweit nicht bei dieser Frühinvalidität auch wieder das grauenvolle Erleben des Krieges die Ursache für den vorzeitigen Verschleiß ist?

(Zustimmung in der Mitte.)

Deshalb und weil die Versichertengemeinschaft finanziell gar nicht stark genug ist, um die Mittel für diesen Personenkreis aufzubringen, haben wir Zuschüsse geben müssen. Bitte hören Sie sich einmal die Zahlen an. Wir haben insgesamt — wiederum von 1950 bis 1962 — an Bundeszuschüssen für diese Versicherungszweige 42,3 Milliarden DM geleistet. Dabei handelt es sich im Schnitt um einen Personenkreis von 8 Millionen Anspruchsberechtigter.
Halten Sie sich bitte einmal nur vor Augen — hier stehen Größenordnungen im Raum, die man vergleichen kann —, daß wir für diese drei Bereiche im Sozialen jeweils über 40 Milliarden, insgesamt — ich runde ab — 130 Milliarden DM aufgewandt haben.
Das stellt dem deutschen Volke für seinen Willen, soziale Schaden und Kriegsschäden zu beheben, ein ehrenvolles Zeugnis aus.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aber auch dieses Parlament — und damit meine ich alle Fraktionen — kann stolz darauf sein, aus diesem Zahlendokument zu ersehen, daß es sich allzeit derjenigen, denen wir soziale Hilfe zuteil werden lassen müssen, gleichermaßen in möglichster Gerechtigkeit angenommen hat.
Ich hatte mich mit Absicht beim ersten Tagesordnungspunkt zu Wort gemeldet, weil ich kommen sah, daß sich hier ein solcher Streit ergeben würde. Wo liegt die Priorität gegenüber dieser ungeheuren Belastung, die auf uns liegt, die wir tragen müssen und für deren Fortentwicklung ich mich leidenschaftlich einsetze? Ich wollte Ihnen zeigen, daß man unweigerlich in die Irre geht, wenn man versucht — mag auch das Herz ganz bei der Sache sein, wie ich heute morgen sagte —, einen Teilbereich herauszuziehen und unter dem Gesichtswinkel der Priorität zu behandeln.
Wie leicht könnte ich das ausweiten. Soll ich sprechen über die Belastungen, die sich aus der Berlin-Krise ergaben? Sie sind gewachsen, und sie sind doch auch Folgen dieses grauenhaften Krieges und seines Ausgangs.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Wir wissen doch gar nicht — das darf ich heute in dieser Stunde einmal mit Ernst sagen —, vor welche Notwendigkeiten wir morgen oder übermorgen gestellt werden. Wer wagt denn, jetzt eine Wertung zu treffen und zu sagen: Da oder dort liegt die Priorität?

(Zuruf des Abg. Dr. Rutschke.)

— Herr Kollege Rutschke, was sich in Berlin tut, ist doch im Grunde genommen, wenn die Formulierung erlaubt ist, Fortsetzung des Krieges. Dort sind doch die Menschen in der Situation, aus der wir Gott sei Dank wieder herausgekommen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn man das sieht — nur das wollte ich hier dartun —, dann, bitte, versuchen wir doch nicht einen Prioritätenstreit aufzuziehen. Er dient dem Parlament und uns allen nicht. Versuchen wir vielmehr, wie ich es tue, die Dinge in ihrem Zusammenhang zu sehen. Deshalb wäre ich unredlich — auch wenn meine eigene Fraktion es so beschlossen haben sollte —,

(Zuruf von der SPD: Hat!)

wenn ich jetzt erklären wollte: „Na ja, wir werden bis dahin — —". Ich habe erklärt, daß die Bundesregierung in ihrem Gesamtanliegen, nach Maßgabe des Möglichen allen so gut wie möglich zu helfen, auch den Kriegsopfern dabei den Rang zuerkennen wird, der ihnen gebührt. Ich bin sehr froh darüber
— es hat lange gedauert, bis sich meine Anschauungen Bahn gebrochen haben —, daß meine sehr verehrte Frau Kollegin Dr. Probst von der notwendigen Verbesserung der Witwenversorgung und von der notwendigen Verbesserung der Elternversorgung gesprochen hat.

(Abg. Frau Dr. Probst: Das habe ich doch immer vertreten, Herr Minister!)

— Ich bin Ihnen ja sehr dankbar dafür, Frau Kollegin, und wenn wir beide dafür zusammen streiten, wird das den Kriegerwitwen und den alten Eltern zum Vorteil gereichen, für die das Problem um so härter wird, je weiter wir uns zeitlich gesehen von dem Kriegsgeschehen und dem Kriegsende entfernen.
Nun darf ich Sie herzlich bitten: versuchen Sie nicht — ich sage das auch im Interesse der Betroffenen —, durch Einzelanträge etwas zu erreichen, was scheitern muß. Helfen Sie uns. Ich hoffe, in aller Kürze Ihnen eine Anzahl von Gesetzen vorlegen zu können, die das Ganze sehen und die sich bemühen, das zu tun, was im Rahmen des Möglichen geschehen kann.

(Zuruf von der 'SPD: 12 Jahre Zeit gehabt!)




Bundesminister Blank
— Was in den 12 Jahren an Leistungen erbracht worden ist, habe ich soeben an Hand sehr eindringlicher Zahlen dargelegt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Da diese Gesetze im wesentlichen einstimmig verabschiedet worden sind, entfällt Gott sei Dank hier einmal der Anlaß, sich gegenseitig zu kritisieren.

(Abg. Höhmann [Hessisch Lichtenau] : Gegen Herrn Blank! Sie haben beim ersten Neuordnungsgesetz auf der Tribüne gestanden und haben behauptet, Sie stünden noch zum alten Entwurf!)

— Entschuldigen Sie, der Herr Blank ist in diesem Saale, wenn es um Abstimmungen geht, einer der Abgeordneten. Er nimmt für sich in Anspruch, als Minister für Arbeit und Sozialordnung, soweit das überhaupt in den Kräften eines Menschen liegt, immer das Ganze gesehen zu haben, und zwar nach dem Richtmaß sozialer Gerechtigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Deshalb, meine Damen und Herren, bitte ich Sie
— ich kann 'Sie ja nur bitten —, aus diesem Antrag das Datum herauszunehmen. Denn ich wäre unredlich, wenn ich erklären würde, diesem. Ersuchen könne man so Rechnung tragen. Ich brauche das Ganze, die Gesamtüberschau und die Verteilung der Mittel nach den Maßstäben sozialer Gerechtigkeit. Dabei bitte ich Sie um Ihre Mitarbeit bei der Beratung der Gesetze, die ich in Kürze namens der Regierung glaube dem Hohen Hause vorlegen zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0404222900
Das Wort hat der Abgeordnete Glombig.

Eugen Glombig (SPD):
Rede ID: ID0404223000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus den Ausführungen der Sprecherin der christlich-demokratischen Unionsfraktion ist zu entnehmen, daß auch Sie sich dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion anschließen, die Bundesregierung zu ersuchen, bis zum 30. November dieses Jahres den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Neuordnung der Kriegsopferversorgung vorzulegen. Ich glaube, daß diese Tatsache ein Erfolg unseres Antrages ist, der nicht unterschätzt werden darf. Denn die Äußerungen von Regierungsseite, die wir zumindest seit Ende vorigen Jahres über eine solche zweite Neuordnung bzw. über eine Überbrückungshilfe hörten, waren ja recht wenig ermutigend, waren recht wenig positiv, so daß wir heute mit großer Freude konstatieren, daß Sie nunmehr doch dieses Anliegen mit unterstützen.
Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang von einer gewissen Last befreien, vor allem Sie, Herr Bundesarbeitsminister. Es ist von uns versäumt worden, zu sagen, daß in diesem Zusammenhang der Antrag auf der Drucksache IV/469 insofern zu ändern ist, als es heißen muß:

(den gesetzgebenden Körperschaften bis zum 30. November dieses Jahres den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vorzulegen. Das schließt wohl ein, daß für die Wahrung dieser Frist auch die Vorlage beim Bundesrat genügt. Herr Bundesminister Blank hat hier etwas von Unredlichkeit im Hinblick auf diesen Termin gesagt. Ich glaube, auch im Interesse der CDU/CSU-Fraktion zu sprechen, wenn ich sage: dieser Verdacht auf Unredlichkeit muß zurückgewiesen werden, und zwar deswegen zurückgewiesen wenden — —(Abg.Stingl: Herr Glombig, er hat gesagt, er, der Minister, wäre unredlich, wenn er zustimmte!)


(Beifall bei der SPD)

— Nein, er hat gesagt, es wäre unredlich,

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

diesen Antrag „bis zum 30. November" zu befristen.

(Anhaltende Unruhe.)

Für viel unredlicher halte ich, daß bereits im Februar dieses Jahres Herr Minister Blank vor dem Kriegsopferausschuß gesagt hat, er sei quasi jeden Augenblick in der Lage, eine Konzeption für eine zweite Neuordnung vorzulegen, obwohl er das bisher nicht getan hat.

(Abg. Stingl: Ja, sicher!)

Wir haben im Juni dieses Jahres einen Antrag gestellt, bis zum 30. September einen solchen Gesetzentwurf vorzulegen. Sie haben es verhindert, daß dieser Antrag auf die Tagesordnung kam. Ira Kriegsopferausschuß ist auf Initiative der Regierungskoalition der Antrag eingebracht worden, die Bundesregierung zu ersuchen, baldmöglichst einen Gesetzentwurf vorzulegen. Der SPD-Antrag, der nun bereits seit Juni schmort — so lange hat es gedauert, bis er 'hier behandelt worden ist —, kann doch für Herrn Bundesminister Blank nicht überraschend gekommen sein. Er hat doch gewußt, was auf ihn zukommt. Wir hätten eigentlich alle erwarten müssen, daß Herr Bundesminister Blank zusammen mit seinem Hause die notwendigen Vorarbeiten trifft, um kurzfristig einen solchen Gesetzentwurf hier vorlegen zu können. Man kann sich doch heute nicht damit herausreden: „Das ist für uns völlig neu; dieser Termin — 30. November — ist für uns überhaupt nicht akzeptabel." Meine Damen und Herren, ,das geht doch an den Dingen vorbei, und zwar deshalb, weil der eigentliche 'Grund der Misere der ist, daß man sich innerhalb der Koalition bis heute nicht darüber einig geworden ist, was man will, weder einig geworden ist hinsichtlich der Überbrückungshilfe für Kriegsopfer für das Jahr 1962 noch hinsichtlich einer Konzeption für ein zweites Neuordnungsgesetz.
In der Zwischenzeit sind sehr viele Reden von Vertretern der Bundesregierung gehalten worden, vor allem von Herrn Bundesminister Blank und Herrn Bundesminister Starke, aber auch von anderen Vertretern der Regierungskoalition. Es ist in diesen Reden immer wieder auf die Notwendigkeit der baldigen Verabschiedung eines solchen Gesetz-



Glombig
entwurfs hingewiesen worden. Aber geschehen —geschehen! — ist bis jetzt anscheinend nichts. Meine Damen und Herren, das ist so erstaunlich, daß es den Kriegsopfern, so meine ich, mit aller Deutlichkeit gesagt werden muß.
Ich bin über die Wandlung in der Auffassung der CDU/CSU darüber, was jetzt zu geschehen hat, sehr glücklich, vor allem deswegen, weil sich das Präsidium der CDU noch am 19. Oktober 1962 in Bonn in seiner ersten Sitzung nach der Sommerpause gegen eine Erhöhung der Kriegsopferrenten noch im Jahre 1962 ausgesprochen hat, auf Grund dieses Antrags auf Vorlage eines zweiten Neuordnungsgesetzes jedoch auch die Frage irgendwie geklärt werden muß, ob noch 1962 eine Überbrückung vorgenommen werden soll.
In dieser CDU-Präsidiumssitzung ist allerdings zum Ausdruck gekommen, daß bei der derzeitigen Haushaltslage des Bundes weitere Belastungen für das Jahr 1962 nicht zu verantworten seien. Inzwischen haben wir aber gehört, daß Herr Bundesminister Starke meint, für die Bundesbeamten doch noch im Jahre 1962 etwas tun zu können.

(Zuruf von der FDP: Das meinen Sie ja auch!)

— Wir haben das selbstverständlich immer gefordert. —
Es ist aber dann doch diese Meinung in etwa wieder korrigiert worden. Denn nun hieß es wieder: Im Haushalt 1962 ist nichts mehr drin. Wir haben dieses Spiel immer wieder erlebt, nicht nur bei den Bundesbeamten, sondern vor allen Dingen auch bei den Kriegsopfern, daß dann, wenn es ums Ganze ging, mit einem Male Geld da war. Es ist unsere große Hoffnung, daß auch diesmal wieder, Geld für die Kriegsopfer da sein wird. Wir werden es Ihnen jedenfalls zu beweisen haben, und das werden wir auch gern tun.
Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Herr Dr. von Brentano, der an der Sitzung des CDU-Führungsgremiums teilnahm, erklärte, die CDU werde sich stets für eine gerechte Besoldung der Beamten und für eine entsprechende Regelung bei den Kriegsopfern einsetzen. Diese Erklärungen sind ja auch von Herrn Dr. Mende und von Herrn Bundesminister Starke sinngemäß abgegeben worden. Wir werden diese Herren an diese Erklärungen immer wieder und mit allem Nachdruck erinnern, meine Damen und Herren.
Herr Bundesminister Blank allerdings vertritt da eine andere Auffassung. Er hat das soeben auch noch einmal mit aller Deutlichkeit ausgesprochen. Er sprach am Freitag voriger Woche in München vor dem Wirtschaftsbeirat der CSU. Nach einem Bericht der Tageszeitung „Die Welt" erklärte Herr Minister Blank dabei zur Kriegsopferversorgung — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —: „Wir haben in der Vergangenheit durch zuviel Schematismus schwere Schuld auf uns geladen." Am schlechtesten gestellt seien Witwen, die ihre Männer und Eltern, die ihre Söhne verloren haben. Das letztere wird nicht bestritten. Jedoch richtete in diesem Zusammenhang der Minister eine „Mahnung" an die Verbände. Er sagte, an der Eigensucht der
Verbände und ihrer Verbandskapitäne dürfe das Erreichte nicht zerbrechen. Soweit „Die Welt". — Als wenn an den Verbänden und ihren „Verbandskapitänen" — wenn ich einmal diese Äußerung so wiedergeben darf — das Erreichte zerbrechen könnte! Meine Damen und Herren, das ist doch ein Wahnwitz! Sie wissen ja, daß diese Verbände nicht das Erreichte schmälern wollen, sondern sich mit ganzem Nachdruck dafür einsetzen, daß dieses Erreichte weiter ausgebaut wird, weil es einfach nicht ausreicht.

(Beifall bei der SPD.)

Jede andere Darstellung geht an der Sache völlig vorbei.
Meine Damen und Herren, diese Darstellung ist auch dann unrichtig, wenn Herr Bundesminister Blank uns in sehr eindrucksvoller Weise — das gebe ich zu — noch einmal daran erinnert hat, daß im Jahre 1950 bei vier Millionen Kriegsopfern 2,2 Milliarden DM und im Jahre 1962 bei drei Millionen Kriegsopfern 4 Milliarden DM aufgebracht worden sind. Er hat nämlich vergessen zu sagen, daß seit dem Jahre 1950 das Haushaltsvolumen ebenfalls gestiegen ist, und zwar von 18 Milliarden DM im Jahre 1950 auf 54 Milliarden DM im Jahre 1962.

(Abg. Schütz: Der Haushalt ist aber ein schlechter Ausgangspunkt!)

Auch wenn man die Mehrbelastungen, die auf den Bund zugekommen sind, in Rechnung stellt, sind die Kriegsopfer im Verhältnis zum Gesamtvolumen des Haushalts zu schlecht weggekommen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Ich meine, das beweisen diese Zahlen doch eindeutig.

( Zustimmung bei der SPD.)

Herr Bundesminister Blank hat gesagt, für die Kriegsopferversorgung seien seit dem Jahre 1950 bis jetzt 44 Milliarden DM ausgegeben worden. Um diesen Betrag richtig würdigen zu können, müßte einmal die Frage beantwortet werden, wieviel Rentenabfindungen, d. h. Abfindungen von Kriegsopfern für einen Zeitraum von zehn Jahren, in diesen 44 Milliarden DM enthalten sind. Denn diese Kriegsopfer fallen doch für die laufenden Leistungen erst einmal fort.

(Abg. Arndgen: Ein großer Teil bekommt die Rente schon wieder!)

— Ein großer Teil, aber nicht der größte, Herr Arndgen!
Weiter meine ich, daß man die Kriegsopferversorgung nicht in der Weise, wie es Herr Bundesminister Blank getan hat, mit dem Lastenausgleich vergleichen kann.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Beim Lastenausgleich geht es in erster Linie um Vermögensschäden, um Sachschäden.

(Abg. Schütz: Um Existenzschäden!)

Bei den Kriegsopfern geht es aber in erster Linie um die Wiedergutmachung von Schäden an Leib und Leben.

(Beifall bei der SPD.)




Glombig
Meinen Sie, daß Sie das ohne weiteres mit' dem Lastenausgleich gleichsetzen können?

(Erneuter Beifall bei der SPD.)

Meinen Sie, daß mit diesen bescheidenen Mitteln — im Gegensatz zum Lastenausgleich, wo materiell etwas wiedergutgemacht werden kann —

(Widerspruch in der Mitte)

die Schäden an Leib und Leben so wiedergutgemacht werden könnten, wie es erforderlich wäre?

(Abg. Stingl: Was Soforthilfe und Unterhaltshilfe ist, haben Sie wohl noch nie gehört?!)

Meine Damen und Herren, das beweist doch nur, daß für die Kriegsopferversorgung viel, aber nicht genug getan worden ist

(Beifall bei der SPD)

und daß wir für die Kriegsopferversorgung nunmehr mehr tun müssen.
Ich frage Sie: wann wollen Sie denn für die Kriegsopferversorgung mehr tun, wenn nicht jetzt, zu diesem Zeitpunkt? Das hätte schon längst — —

(Zuruf von der CDU/CSU.) — Mit der Vorlage, sagen Sie?


(Abg. Stingl: Vorrangig ist das!)

— Vorrangig ist das? Das hätten Sie schon längst tun müssen! Es ist doch völlig unmöglich, Herr Stingl, das hat uns doch Frau Dr. Probst hier heute ebenfalls erklärt, daß Kriegsopferversorgung als ein Teil Ihres Sozialpaketes oder, besser gesagt, Ihres Sozialpäckchens angesehen wird.

(Heiterkeit bei der SPD.)

Die Kriegsopferversorgung müssen Sie außerhalb des Sozialpaketes sehen. Sie möchten sie gern mit in dieses Sozialpaket hineinnehmen und auf diesem Wege des Lastenausgleichs zwischen Arbeitnehmern und Staat und dann vielleicht auch noch zwischen Kriegsopfern und Arbeitnehmern und Staat die Dinge durcheinanderbringen. Wir müssen — und dann erscheint die Priorität der Kriegsopferversorgung in einem ganz anderen Lichte — die Kriegsopferversorgung außerhalb Ihres Sozialpaketes sehen. Diese Art der Priorität hätte längst herausgestellt werden können. Es hätte uns längst einmal von der Bundesregierung gesagt werden können, wie sie sich eine gerechte Versorgung vorstellt. Eine solche Konzeption haben wir bis heute nicht gehört, und diese Konzeption können wir auch sicherlich im Rahmen Ihres Sozialpakets nicht erwarten. Ich glaube, die kühnsten Träume gehen nicht so weit, daß wir annehmen dürfen, im Rahmen des Sozialpaketes darüber etwas Konkreteres hören zu können. Aber wir müssen ein ehrliches Gespräch darüber führen, was auf der einen Seite den Kriegsopfern wirklich zusteht und was Sie auf der anderen Seite zu geben bereit und in der Lage sind. Ein Gespräch von diesem Ausgangspunkt her ist im Bereich der Kriegsopferversorgung bis heute nicht geführt worden, und das ist das große Versäumnis
dieser Bundesregierung. Das ist das, was noch aussteht und was noch zu erledigen ist.
Herr Bundesminister Blank hat von den ernsten Zeiten gesprochen. Es ist wahr, wir leben in ernsten Zeiten. Wir leben im Mittelpunkt ernster weltweiter Auseinandersetzungen. Aber bei diesen weltweiten Auseinandersetzungen geht es um die Abwehr der kommunistischen, der bolschewistischen Gefahr. Dabei handelt es sich nicht nur um die Frage der äußeren Sicherheit, sondern auch um die Frage der inneren Sicherheit. Diese Frage ist — wenn es um die soziale Sicherheit geht — auch im Hinblick auf unsere Landesverteidigung außerordentlich interessant, wenn wir berücksichtigen, daß auch die jungen Soldaten der Bundeswehr nach den Richtlinien dieses Bundesversorgungsgesetzes zu versorgen sind. Das kann man nicht ausschalten.
Lassen Sie mich mit freundlicher Genehmigung des Herrn Präsidenten einen Redner des VdK-
Kriegsopfer-Kongresses,

(anhaltende Unruhe in der Mitte)

der in der vorigen Woche stattgefunden hat, zitieren.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0404223100
Ich möchte doch um Aufmerksamkeit bitten.

Eugen Glombig (SPD):
Rede ID: ID0404223200
Es heißt dort:
Wie mag es unseren jungen Soldaten zumute sein, wenn sie hören, wie das Opfer an Leben und Gesundheit ihrer alten Kameraden des Ersten und Zweiten Weltkrieges bemessen wird und was sie zu erwarten haben,

(Zuruf von der CDU/CSU: Wollen Sie den Angriffskrieg abwarten?)

wenn ihnen im Verfolg des Aufopferungsanspruchs von seiten des Staates das gleiche Schicksal beschieden sein sollte? Es ist die Frage zu stellen: soll das Unrecht, das bisher die Opfer der beiden Weltkriege betraf, auch auf die jungen Soldaten der Bundeswehr übertragen werden?
Ich habe mitunter den Eindruck, daß diese jungen Soldaten gar nicht wissen, was bei einem Unfall — bereits im Rahmen ihrer Wehrdienstpflicht — auf sie zukommt. Das Iller-Unglück hat uns das ja mit aller Deutlichkeit gezeigt. Wir können hier nicht unterscheiden zwischen Opfern eines Angriffskrieges und möglichen Opfern eines Defensivkrieges, hier geht es vielmehr allein um die Frage der gerechten Behandlung aller Kriegsopfer.
Ich möchte deshalb sehr darum bitten, daß bei der Vorlage des Entwurfs eines Zweiten Neuordnungsgesetzes die Blanksche Konzeption nicht wieder so zum Durchbruch kommt wie bei dem ersten Entwurf zum Ersten Neuordnungsgesetz, daß nämlich .das Schwergewicht allein auf die Ausgleichsrente mit ihrer Bedürftigkeitsprüfung gelegt wird, und 'daß in diesem Zusammenhang nicht wieder von der Vergeudung von Millionen gesprochen wird; denn das hat Herr Bundesminister Blank damals getan.



Glombig
Herr Vizekanzler Erhard hat in der Regierungserklärung vorn 29. November 1961 gesagt: „Die Sorge für die Kriegsopfer wird uns auch weiterhin ein wichtiges Anliegen sein." Wir müssen die Bundesregierung beim Wort nehmen; denn die Erledigung dieses wichtigen Anliegens hat bisher zu lange auf sich warten lassen. Herr Vizekanzler Erhard hat damals aber auch gesagt: „Wir werden uns insbesondere bemühen, den Kriegsopfern eine Heilbehandlung zu ermöglichen, die dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht." Meine Damen und Herren, wenn das die einzige Verbesserung im Zweiten Neuordnungsgesetz sein soll, so wie es sich die Bundesregierung vorstellt, dann ist das wirklich nicht ausreichend; denn das halte ich für eine Selbstverständlichkeit, über 'die wir nicht zu sprechen brauchen.

(Abg. Dorn: Dann brauchen Sie so etwas nicht zu unterstellen!)

— Es steht ja im Raum, wie immer so schön gesagt wird, und weil es im Raum steht, können wir es ruhig ansprechen. Es ist ein Bestandteil der Regierungserklärung. Sie haben sich doch in der Aussprache über die Regierungserklärung gegen diesen Punkt damals nicht ausgesprochen. Das können Sie vielleicht heute noch tun.

(Abg. Dorn: Wir haben viel Konkreteres und Besseres dazu gesagt!)

— Das können Sie auch heute noch tun.

(Abg. Zoglmann: Schlechter als bei einer Wahlversammlung!)

— So gut, wie man es eben kann. Sie haben jetzt die Möglichkeit, es besser zu machen.

(Anhaltende Zurufe von der Mitte und rechts.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0404223300
Meine Damen und Herren, ich bitte doch um Ruhe für den Redner. Sie können sich anschließend zum Wort melden; es liegen sowieso noch eine Reihe von Wortmeldungen vor.

Eugen Glombig (SPD):
Rede ID: ID0404223400
Meine Damen und Herren, ich habe heute morgen in der „Welt" gelesen, daß eine Gruppe von CDU/CSU-Abgeordneten dabei sei, einen Gesetzentwurf für die zweite Neuordnung auszuarbeiten, und bemüht sei, die erforderliche Anzahl von Unterschriften für diesen Gesetzentwurf zu bekommen. Die Ausführungen von Frau Dr. Probst, die ich bis auf ganz kleine Vorbehalte unterstreiche, haben aber — so schien es mir — auf der CDU/CSU-Seite des Hohen Hauses keinen ausreichenden Widerhall gefunden, so daß man annehmen könnte, daß die Bemühungen von Frau Dr. Probst nicht auf sehr große Gegenliebe von seiten der CDU/CSU-Fraktion stoßen.
Meine Damen und Herren, wir sind zur Gemeinsamkeit in der Kriegsopferversorgung bereit, aber zu einer echten Gemeinsamkeit, bei der sich echte Kompromisse ergeben müssen. Wir werden die Bemühungen von Frau Dr. Probst in jeder Weise unterstützen, meinen aber, daß, wenn diese Bemühungen von seiten ihrer eigenen Fraktion nicht ausreichend unterstützt werden, wir als sozialdemokratische Fraktion nicht daran gehindert werden können, unabhängig davon initiativ zu werden, wenn die Vorlage der Bundesregierung schlecht ausfällt.
Ich möchte im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion der Erwartung Ausdruck geben, daß es zu dieser Gemeinsamkeit im Sinne eines echten Kompromisses kommen möge.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0404223500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0404223600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenige Bemerkungen zu dem, was der Herr Bundesarbeitsminister gesagt hat. Ich muß ihm juristisch Recht geben bezüglich seines Verfahrens gegenüber dem Kriegsopferausschuß und Anrufung des Präsidenten. Dazu bin ich schon als Vorsitzender eines anderen Ausschusses verpflichtet. Herr Minister, Sie wären aber sicher nicht in einen Konflikt mit der Geschäftsordnung geraten, wenn Sie nach Wegen gesucht hätten, um dem Anliegen zu entsprechen, um das es sich handelt, wenn Sie beispielsweise von der Bundesregierung aus eine Initiative für ein zweites Neuordnungsgesetz ergriffen und damit die Gesetzgebung in dieser Hinsicht in Gang gebracht hätten.
Der Herr Bundesarbeitsminister und auch der Herr Kollege Rutschke haben Zahlen über den Aufwand genannt. Ich möchte dazu nur ganz wenige Bemerkungen machen. Von meiner Fraktion wird beanstandet, daß der Anteil an Aufwendungen für die Kriegsopfer in den letzten Jahren rückgängig ist. Der Aufwand für Rentenleistungen in Höhe von 3,9 Milliarden im Jahre 1961 ist auf 3,6 Milliarden im Haushaltsplan für 1963 zurückgegangen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0404223700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0404223800
Ja, bitte!

Siegfried Zoglmann (CSU):
Rede ID: ID0404223900
Herr Kollege Schellenberg, wollen Sie damit sagen, daß die Kriegsopferversorgung verschlechtert worden ist? Oder ist das nicht ein Ausdruck dessen, daß die Kriegsopferversorgung in ihrem ganzen Zuschnitt im Aufwand zurückgeht aus Gründen, die Ihnen und mir gemeinsam bekannt sind?

(Zuruf von der SPD: Nein, daß die Kameraden gestorben sind, das ist es!)

Sie können doch nicht so argumentieren!

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0404224000
Ich habe einmal, was Sie vielleicht nicht getan haben, die Ausgaben für die Kriegsopferversorgung seit Bestehen der Bundesrepublik zur Entwicklung des Bruttosozialprodukts in Beziehung gesetzt. Seit Bestehen der Bundesrepublik ist der Anteil für Leistungen der Kriegs-



Dr. Schellenberg
opferversorgung, in Relation zum Bruttosozialprodukt, um die Hälfte zurückgegangen.

(Zurufe.)

— Aber, Herr Kollege, Sie brauchen mir doch nicht zu sagen, ich wisse nicht, daß dafür z. B. der Rückgang der Zahl der Waisen von gewissem Einfluß war.

(Abg. Zoglmann: So kann doch ein Professor nicht reden!)

Aber es gibt noch schwerwiegendere Gründe, von denen ich hoffe, ,daß wir sie gemeinsam für bedenklich halten, nämlich die Prinzipien der Einkommensoder Bedürftigkeitsprüfung, beispielsweise bei den Elternrenten. Das sind Faktoren, die sozialpolitisch sehr zu bedauern sind. Darin sind wir uns doch hoffentlich einig. Diese Tatbestände sind auch der Gegenstand des ,Anliegens unseres Antrages.
Wir 'haben im einzelnen wenig darüber gesagt, was in dem Zweiten Neuordnungsgesetz im einzelnen stehen soll. Wir haben keinen Gesetzentwurf eingebracht, sondern wir haben heute ein Zweites Neuordnungsgesetz von der Regierung gefordert und haben die Mißstände, die bisher aufgetreten sind, durch unsere Sprecher beanstandet.
Nun muß versucht werden, dieses Anliegen in einen sinnvollen Gesamtzusammenhang der Sozialpolitik zu bringen.
Ich möchte noch etwas zu Ihnen, sehr geehrter Herr Kollege Rutschke, sagen. Sie haben vorhin — und auch Herr Kollege Stingl durch einen Zwischenruf — auf die finanziellen Probleme von Kindergeld und Kriegsopferversorgung hingewiesen. Bei der Kindergeldregelung geht unsere Beanstandung in gleicher Weise dahin, daß der Aufwand für die Leistungen an Kindergeld sogar in absoluter Höhe ebenso wie der 'für 'die Kriegsopferversorgung zurückgeht. Diesen Tatbestand müssen wir beanstanden.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat Gesamtzahlen des Sozialaufwandes 'genannt. Meine Damen und Herren, wir haben hier im Hause durch unsere Initiative doch erheblichen Anteil an der Entwicklung der Sozialausgaben. Wir wollen heute nicht im einzelnen vorrechnen, von wem die Initiativen gekommen sired. Das ist Ihnen und der Öffentlichkeit gut bekannt.
Wenn man 'Zahlen über den Sozialaufwand nennt, Herr Bundesarbeitsminister, dann muß man auch sagen, daß in den letzten Jahren, und zwar seit 1958, der Anteil aller Sozialleistungen des Bundes, der Länder, der 'Gemeinden rund der Sozialversicherung, gemessen am Sozialprodukt, rückgängig ist. Das ist ein Tatbestand, an dem man nicht vorübergehen kann.

(Abg. Stingl: Herr Schellenberg, wir haben keine Leistungen für Arbeitslose! Alle stehen in Arbeit!)

— Aber, lieber Herr Kollege Stingl, ich habe gesagt, seit 1958!

(Abg. Schatz: Sagen Sie doch: von 1950! Gerade das Jahr! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Derjenige, der sich mit dem Zahlenwerk des Bundeshaushalts beschäftigt und mit dem Bericht, der über die Finanzlage der Bundesrepublik gegeben wird, wird bestätigt finden, daß seit 1958 der Anteil der Sozialleistungen im weitesten Sinne einschließlich der Eigenleistung durch Beiträge, gemessen am Sozialprodukt, rückgängig ist. Das ist ein Tatbestand. Ich meine, wer Gesamtzahlen nennt, muß auch das erwähnen.

(bei sozialen Leistungen gesprochen. Herr Kollege Rutschke, Sie haben das Wort vielleicht nur aus einem Versehen gebraucht. Ich will das unterstellen. Ein solcher Begriff der Nachrangigkeit bei sozialen Leistungen, meine Damen und Herren, widerspricht dem Sozialrechtscharakter des Grundgesetzes; darüber sollten wir uns (doch einig sein. Gestatten Sie eine Zwischenfrage? Ja, natürlich. Herr Kollege Dr. Schellenberg, es ist doch wohl eine Frage der Logik: wenn man etwas als vorrangig bezeichnet, muß etwas anderes zurücktreten, dann also zwangsläufig nachrangig gegenüber dem Vorrangigen sein? Welchen Aufgaben wir Sozialdemokraten eine besondere Dringlichkeit zumessen, können Sie jederzeit aus den Initiativen entnehmen, die wir hier im Hause ergriffen haben, (Beifall bei der SPD — Zurufe von der Mitte und von rechts)


(Zurufe von der FDP)


(Beifall bei der SPD)

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0404224100
Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0404224200
Dr. Wolfgang Rutschke (FDP):
Rede ID: ID0404224300

(Zuruf von der Mitte.)

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0404224400
und darüber haben wir im einzelnen noch zu sprechen. Wenn wir Ihr sogenanntes Paket vornehmen, werden wir sehen, inwieweit dort den sozialpolitisch dringendsten Fragen ein Vorrang eingeräumt worden ist.

(Abg. Zoglmann: Herr Kollege Schellenberg, gestatten Sie eine Frage?)

— Ja, bitte.

Siegfried Zoglmann (CSU):
Rede ID: ID0404224500
Herr Kollege Schellenberg, wie bringen Sie das, was Sie jetzt gesagt haben, in Einklang mit dem, was Ihr Herr Vorredner gesagt



Zoglmann
hat, der eben kritisierte, daß im Bundestag eine von Ihnen als vorrangig bezeichnete Vorlage zur Erhöhung der Beamtengehälter in Aussicht steht?

(Zuruf von der SPD: Sie müssen richtig zuhören!)


Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0404224600
Aber, ich habe gerade, Herr Kollege Zoglmann, mit besonderem Nachdruck gesagt, es sei im Bereich der sozialen Leistung ein unbestreitbarer Tatbestand, daß der Anteil der sozialen Leistungen am Sozialprodukt zurückgegangen ist. Darin sehen wir eine Entwicklung, gegen die wir mit allen politischen Mitteln anzugehen versuchen. Ich habe ferner gesagt, daß wir das, was wir als besonders vordringlich empfinden, zum Gegenstand von Initiativen gemacht haben. Das werden wir auch in Zukunft tun.

(Beifall bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein kurzes Wort zu dem sagen, was der Herr Bundesarbeitsminister am Schluß erwähnte. Er hat im Zusammenhang mit sozialpolitischen Vorhaben, wenn ich ihn recht verstanden habe, auch von Berlin gesprochen. Ich meine, das sollte man in diesem Zusammenhang nicht tun. Ich darf das als Berliner Abgeordneter sagen. Gerade in dieser Stunde sollten wir es deshalb nicht tun, weil wir uns in dem Kampf um die Freiheit Berlins einig sind. Wir sollten Berlin heute nicht in irgendeine, vielleicht nur ungewollte Beziehung zu den innerpolitischen Streitfragen bringen, sondern die Gemeinsamkeit in dieser Hinsicht besonders betonen. Als Berliner darf ich auch sagen, daß wir gerade in Berlin mit besonderer Deutlichkeit immer erfahren — ich hoffe, meine Berliner und alle andere Kollegen stimmen mir zu —, daß Freiheit und soziale Gerechtigkeit untrennbar sind.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0404224700
Das Wort hat Herr Bundesminister Blank.

Theodor Blank (CDU):
Rede ID: ID0404224800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein paar kurze Bemerkungen; ich hoffe, Herr Kollege Schellenberg, es wird mir in gleicher Konzilianz gelingen wie Ihnen jetzt.
Ich bin doch gar nicht in einen Konflikt mit der Geschäftsordnung geraten.

(Abg. Dr. Schellenberg: Nein, das habe ich Ihnen bestätigt, Herr Minister!)

— So, danke schön. Ich glaube, in Ihrem Ausschuß würde ich auch gar nicht in die Notwendigkeit kommen, einen solchen Brief an den Präsidenten zu schreiben. Ich wollte nur, wie ich hier gesagt habe, die parlamentarische Ordnung klarstellen. Dann sind wir soweit einig.
Nun, Herr Kollege Schellenberg, eines war interessant, und darüber haben wir uns hier schon einmal unterhalten: Sie stellen fest, daß der Anteil der sozialen Leistungen, sowohl was das Gesamtvolumen des Bundeshaushalts betrifft, als auch was das Sozialprodukt betrifft, rückläufig ist. Das bestreite ich nicht.
Bevor ich mich aber mit diesem Ihrem Vorwurf beschäftige, möchte ich einen Zwischenruf, der von Ihrer Seite kam und den ich genau aufgenommen habe, einmal richtig beleuchten. Als davon gesprochen wurde, daß die Leistungen zurückgegangen seien, kam der Zwischenruf: Jawohl, gestorben! Das zwingt mich, noch einmal zu meiner Tabelle zu greifen. Wir hatten im Jahre 1950 1 512 000 Beschädigte. Wir haben im Jahre 1962 1 414 000 Beschädigte. Diese beiden Zahlen zeigen, daß wir erfreulicherweise in der Lage gewesen sind, durch unsere Kuren und alles Mögliche die Sterblichkeitsziffer der Beschädigten nicht um ein Jota über die allgemeine Sterblichkeitsziffer wachsen zu lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP.)

Eine weitere Zahl. Solche bösen Zwischenrufe will ich gleich richtigstellen.

(Abg. Bals meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Sie können mich gleich fragen; lassen Sie mich das erst richtigstellen. Wir hatten 1950 889 000 Witwen, 1952 1 124 000. Das erklärt sich daraus, daß erst langsam die Kriegsschicksale der Nichtzurückgekehrten geklärt wurden. Wir haben gegenwärtig 1 179 000. Das ist ein leichter Anstieg, der sich ebenfalls daraus erklärt, daß auch heute noch Kriegsbeschädigte sterben. Wir haben bei den Waisen einen Abgang von 1 335 000 im Jahre 1950 auf 250 000 im Jahre 1962. Das ist der natürliche Vorgang des Herauswachsens aus der Versorgung.
Ich bin einfach verpflichtet, diese Zahlen hier an Ort und Stelle zu sagen, weil der Einwurf meiner Ansicht nach ein böser war. Jetzt stehe ich Ihnen zur Verfügung.

Hans Bals (SPD):
Rede ID: ID0404224900
Würden Sie auch die Zahl der Neuzugänge seit 1950 sagen?

Theodor Blank (CDU):
Rede ID: ID0404225000
Ja, selbstverständlich. Ich kann Ihnen die Zahlen von Jahr zu Jahr nennen: 1 512 000, 1 538 000, 1 553 000. Die Zahlen ändern sich ständig. Denn natürlich treten immer wieder Neuzugänge ein, wenn Spätschäden erkannt und als solche auch honoriert werden. — Ich wollte nur — und dabei bleibe ich — auf diesen bösen Einwurf entgegnen, der auch noch in anderen Variationen manchmal in der Öffentlichkeit vorgebracht wird.
Aber nun zurück zu meinem Freund Kollegen Schellenberg. Der Anteil ist rückläufig. Ja, aber, Herr Kollege Schellenberg, das ist doch das Ziel aller Sozialpolitik!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP.)

Es ist doch das Ziel einer vernünftigen Politik, Lebensverhältnisse zu schaffen, die im Idealfall — den wir natürlich nie erreichen werden — überhaupt niemanden in die Lage versetzen, soziale Leistungen entgegenzunehmen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)




Bundesminister Blank
Ich weiß auch, daß das Sozialpaket der SPD ganz zweifellos größer sein würde als das, das die Regierung vorlegt. Ja, die Frankierung brauchten sie natürlich auch nicht zu bezahlen, meine Damen und Herren.

(Abg. Bals: Deshalb lassen Sie es als Muster ohne Wert gehen?)

— Da habe ich meine Befürchtungen, daß es auch als Muster ohne Wert heute nicht franko zu senden wäre. Sonst müßten Sie nachher noch Strafporto zahlen, und davor möchte ich Sie bewahren.

(Abg. Bals: Wir würden die Annahme verweigern, wenn es so wäre!)

— Ich nicht. Sehen Sie, ich bin wieder nicht so unbescheiden. Was ein Volk aus seinem Erarbeiteten im Wege einer Umverteilung der Einkommen an diejenigen gibt, die zu kurz gekommen sind, das, meine Damen und Herren, wäre ich bereit ernsthaft und mit Anerkennung entgegenzunehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Schellenberg hat ein Wort gesagt, für das ich ihm dankbar bin. Er hat gesagt: Nun ja, selbstverständlich seien das große Leistungen, und die Zahlen, die ich gegeben hätte, seien auch nicht falsch, und man habe ja doch bei diesen Zahlen, bei diesen Leistungen im wesentlichen zusammengewirkt. Das will ich dankbar anerkennen, und insofern, meine Damen und Herren, können wir also, wie ich heute morgen schon sagte, alle miteinander auf das Erreichte einigermaßen stolz sein.
Aber, Herr Kollege Schellenberg, daß der Anteil der Soziallasten am gesamten Sozialprodukt zurückgegangen ist — unbestritten! —, betrachte ich nicht als einen Rückschritt, sondern als einen Fortschritt

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

und als ein Ziel unserer Sozial- und Wirtschaftspolitik.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nun aber zum letzten, Herr Kollege Schellenberg. Sie haben dann gesagt, in Anbetracht des Ernstes der Stunde hätte ich nicht von Berlin sprechen dürfen. Aber warum denn nicht?

(Zuruf von der SPD: Nicht in diesem Zusammenhang!)

— Auch in diesem Zusammenhang! Denn hier ist heute morgen so viel von Prioritäten gesprochen worden; und ich habe versucht, darzustellen — wenn überhaupt die Darstellungskunst da nicht grundsätzlich versagt —, wie Leid, Not und Elend die verschiedensten Gruppen des deutschen Volkes durch den Krieg und seinen Ausgang betroffen haben. Ich habe dabei gesagt — und dieses Wort wiederhole ich —, daß die Berliner dabei das Unglück haben, sich sozusagen immer noch in diesem Krieg unmittelbar zu befinden,

(Zuruf von der SPD: Was soll's in diesem Zusammenhang?)

und daß wir deshalb gar nicht absehen können,
welche materiellen, unabweisbaren Forderungen auf
uns zukommen können. Deshalb durfte ich in diesem Zusammenhang sagen, Herr Schellenberg — und ich wiederhole es —: Wer will denn da überhaupt eine sogenannte Wertungstabelle aufstellen, um zu sagen, hier oder dort liege die Priorität?

(Beifall bei der CDU/CSU.) Und ich konnte nur eines — —


(Zuruf von der SPD: Machen wir gar nichts!)

— Sehen Sie: „Machen wir gar nichts" — das ist die Schlußfolgerung, die Sie daraus ziehen. Ich ziehe eine andere, die ich mich immer wieder bemühe, klarzumachen: daß man das Ganze im Zusammenhang sehen muß

(Beifall bei der CDU/CSU)

und daß wir keinem helfen, wenn wir glauben, wir könnten für eine Gruppe hier und heute sozusagen im Vorgriff etwas tun. Denn das Ganze steht in einem unlösbaren Zusammenhang, weil wir sowohl die Notwendigkeiten als auch die finanziellen Möglichkeiten als auch die Tatsache, daß wir alle nicht wissen können, was sich jeden Tag noch ereignen kann, berücksichtigen müssen. Ich nehme es niemandem übel, wenn er für die Gruppe, für die er hier spricht — und ich halte ja sein Anliegen für berechtigt —, den Vorrang annimmt. Aber Herr Kollege Rutschke hat Ihnen — meiner Meinung nach ganz zutreffend — in einem Zwischenruf gesagt, wenn einer sage, was vorrangig sei, müsse er auch sagen, was denn nachrangig sei. Denn, meine Damen und Herren, daß das Ganze nur aus Vorrangigkeiten besteht — das allerdings geht über meinen Grips hinaus.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0404225100
Wir treten in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung von 13.10 bis 15.01 Uhr.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0404225200
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich frage mich, ob wir bei dieser Besetzung des Hauses überhaupt einen so wichtigen Beschluß fassen können wie den, den wir jetzt gleich fassen müssen! Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird die heutige Tagesordnung nämlich ergänzt um die
erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Miessner und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes.
Ich unterstelle, daß dieser Entwurf entweder im Zusammenhang mit dem Tagesordnungspunkt 6 a und
b oder im Anschluß daran behandelt werden soll.

(Abg. Rasner: Ohne Aussprache! — Abg. Dr. Mommer: Herr Präsident, es besteht Einvernehmen darüber, daß dieser Entwurf auf die Tagesordnung gesetzt und sofort überwiesen wird!)




Präsident D. Dr. Gerstenmaier
— Ich sage es ja. Aber ich muß trotzdem fragen. Wenn fünf Abgeordnete widersprechen, wird nämlich nichts daraus. Aber es widersprechen keine fünf; ich höre keinen Widerspruch. Damit wird dieser Punkt auf die Tagesordnung gesetzt, und zwar, ich würde sagen: als Punkt 6 c. — Das Haus ist damit einverstanden.
Wir fahren fort in der Aussprache zu Punkt 4 der Tagesordnung. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Maucher.

Eugen Maucher (CDU):
Rede ID: ID0404225300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute schon ziemlich reichhaltig über den einen Tagesordnungspunkt, nämlich 'den Antrag, die Regierung zu beauftragen, baldmöglichst einen Gesetzentwurf zur Kriegsopferversorgung vorzulegen, diskutiert. Sie haben den Widerspruch zwischen dem Antrag der Sozialdemokratie und den Ausführungen aus unserer Fraktion und des Ministers in der Aussprache festgestellt. Ich darf hier die erfreuliche Mitteilung machen, daß in dieser Frage ein gangbarer Kompromiß gefunden worden ist, nämlich die Worte „dem Bundestag" zu streichen und den Termin 30. November zu belassen. Ich glaube, diese Lösung ist sehr sinnvoll, weil es einfach technisch gar nicht möglich wäre, einen solchen Auftrag auszuführen. Aus diesem Grunde ist es sehr wertvoll, daß wir auf dieser Grundlage eine Einigung erzielt haben.
Nun zu 'den verschiedenen Fragen, die heute angeschnitten worden sind. Ich möchte nicht, daß der Eindruck entsteht, die CDU/CSU-Fraktion sei in der Frage 'der Kriegsopferversorgung in irgendeiner Weise nachlässig gewesen oder habe etwas versäumt. Es ist kein Geheimnis — das weiß jeder —, daß ein wesentlicher Unterschied besteht zwischen denen, die in der Regierungsverantwortung sind, und der Opposition. Das muß man auch bei der Beurteilung dieser Frage respektieren.
Wenn aber dieser oder jener Vorschlag gemacht, dieses oder jenes 'wohlwollende Wort für die Kriegsopferversorgung gesprochen wird, muß man gerechterweise auch hinzufügen, auf was man auf einem anderen Gebiet zu verzichten bereit ist. Ich erinnere z. B. an die 'Diskussion über die Kaffee- und Teesteuer, die vielleicht noch einmal aufgenommen werden wird. Das ist eine Frage, wo man durchaus sagen kann, daß )die Kriegsopfer hier den Vorrang haben. Das möchte ich ganz 'deutlich herausstellen.
Wir haben bereits Anfang dieses Jahres den Antrag der Oppositon behandelt. Damals wurde eine Entschließung eingebracht, in der praktisch vorgeschlagen wurde, die Regierung zu beauftragen, baldmöglichst einen Gesetzentwurf vorzulegen. Wenn wir uns damals geeinigt und die Entschließung sofort verabschiedet hätten, brauchten wir heute über dieses Problem nicht mehr zu diskutieren.

(Abg. Börner: „Baldmöglichst" wäre nicht in diesem Jahr gewesen, hat der Arbeitsminister gesagt!)

— Ich habe damals im Ausschuß dem Arbeitsminister und dem Finanzminister die Frage gestellt, und
es muß zu ihrer Ehre gesagt werden — das ist auch im Protokoll niedergelegt —, daß sie das damals absolut bejaht haben.
Meine verehrten Damen und Herren, ich darf wohl sagen, daß unsere Fraktion das Problem der Kriegsopferversorgung sehr ernst nimmt und daß wir absolut nichts unversucht lassen, um hier zu einer bestmöglichen Lösung zu gelangen. Es ist z. B. von Herrn Schellenberg gesagt worden, daß die Initiative in dieser Frage in den letzten Jahren nur von der SPD ausgegangen sei. Das muß ich richtigstellen. Ich glaube, daß wir uns in dieser Frage durchaus die Waage halten können und daß die Initiativen in den letzten Jahren auch von der Fraktion der CDU/CSU erfolgt sind.
Zu der Frage, die ebenfalls hier eindeutig angesprochen worden ist, ob man nämlich den einen gegen den anderen —, eine Gruppe gegen die andere in der Frage des Sozialpakets ausspielen will, so bin ich der Meinung, daß das nicht im Sinne der Kriegsopfer liegt. Vielmehr sollten wir die Dinge in aller Nüchternheit und in aller Klarheit sehen und feststellen, was notwendig ist.
Es ist weiter gesagt worden, der Herr Bundesarbeitsminister wolle in der Frage der Kriegsopferversorgung nicht das Nötige tun. Wir müssen aber auch sehen, daß der Herr Bundesarbeitsminister natürlich nur im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten handeln kann, die ihm gegeben sind. Deshalb müssen wir in diesem Zusammenhang auch die Bitte an den Bundesfinanzminister richten, daß er den Bundesarbeitsminister bei seinen Bemühungen um eine Weiterentwicklung der Kriegsopferversorgung entsprechend unterstützt.

(Beifall in der Mitte.)

Wenn hierbei alle Teile entsprechend zusammenwirken, wird es — wie Frau Dr. Probst bereits in aller Deutlichkeit dargelegt hat — möglich sein, weiterzukommen. Herr Kollege Glombig hat herausgestellt, Sie seien weiterhin zu einer Gemeinsamkeit bereit. Ich möchte das 'deshalb ganz besonders unterstreichen, weil bei jeder parteipolitischen Auseinandersetzung um diese Frage der Erfolg nicht bei der einen oder anderen Partei läge, sondern der Nachteil bei den Kriegsopfern. Es ist deshalb unser Bemühen, diese Gemeinsamkeit in der Frage der Kriegsopferversorgung auch weiterhin aufrechtzuerhalten.
Nun ein Wort zu dem, was über die Leistungen für die Kriegsopfer in den letzten Jahrzehnten gesagt worden ist. Dazu kann man doch nur eines feststellen: es ist das Ergebnis der Bemühungen aller Parteien in gleichem Maße gewesen, und man kann hier nicht sagen — wie es teilweise durchgeklungen ist —, daß in den letzten Jahren der gute Wille gefehlt habe. Was die Verbände angeht, so kann unsere Stellungnahme auch nicht so ausgelegt werden, als ob von unserer Seite in dieser Hinsicht ein abwertendes Urteil abgegeben werden sollte.

(Abg. Bals: Aber Herr Kollege Maucher, alle Vorschläge kamen 'doch aus dem Parlament und nicht von der Regierung! Das ist auch festzustellen!)




Maucher
— Ja, ich habe aber doch gar nicht bestritten, daß sie aus dem Parlament gekommen sind; aber der Kollege Schellenberg hat hier gesagt, die Initiativen seien stets von der Opposition gekommen. Wenn wir einmal prüfen, woher die Initiativen wirklich kamen — —

(Abg. Bals: Aber es wäre Aufgabe der Regierung gewesen; sie hat nichts getan!)

— Wir können darüber diskutieren, ob sie von der Regierung oder vom Parlament kommen. Jedenfalls steht fest, daß sich Parlament und Regierung in der Vergangenheit gemeinsam bemüht haben, zu einer entsprechenden Lösung zu kommen. Ich habe diese Ausführungen nur deshalb gemacht, weil hier der Vorwurf durchklang, wir hätten etwas versäumt oder etwas vernachlässigt. Diesen Vorwurf kann man der CDU/CSU-Fraktion unter keinen Umständen machen. Hinsichtlich. der Weiterentwicklung der Kriegsopferversorgung werden wir uns, sobald der Entwurf der Regierung vorliegt, eingehend und ernsthaft damit befassen, um zu befriedigenden Regelungen auf diesem Gebiet zu kommen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0404225400
Das Wort hat der Abgeordnete Bazille.

Helmut Bazille (SPD):
Rede ID: ID0404225500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst ein paar Worte zu dem, was der verehrte Kollege Maucher hier gesagt hat. Lieber Kollege Maucher, ich habe Verständnis dafür, daß Sie als Mitglied der Koalition versuchen, eine Art Mohrenwäsche hier anzustellen. Aber Sie können den Tatbestand nicht aus der Welt schaffen, daß der Entschließungsantrag, der, wie Sie richtig gesagt haben, von Ihnen eingebracht worden ist, nicht deshalb gescheitert ist, weil wir ihm nicht zugestimmt haben — wir haben ihm ja zugestimmt —, sondern daß er deshalb nicht zur weiteren Verhandlung kam, weil Ihr Minister beim Herrn Präsidenten Einspruch erhoben und festgestellt hat, daß der Ausschuß kein Recht habe, eine solche Entschließung zu beraten, weil sie ihm nicht vom Plenum vorgelegt worden sei.
Nun muß ich als Vorsitzender des Auschusses objektiv sein und hinzufügen, daß der Ausschuß gebeten hat, daß einmal vom Geschäftsordnungsausschuß geprüft wird, ob ein solches Initiativrecht des Auschusses besteht oder nicht. Also insoweit ist hier noch etwas — ich möchte einmal sagen — ungeklärt. Ob der für die Kriegsopferversorgung zuständige Minister der Beratung aus der Sorge um die Geschäftsordnung in den Arm gefallen ist und ob man diese Sorge um die Geschäftsordnung hier unterstellen kann oder ob man der Meinung sein muß, daß er in Wahrheit in absehbarer Zeit diesen Entwurf nicht vorlegen wollte, das ist eine Bewertungsfrage. Sie können uns als Opposition nicht übelnehmen, wenn wir ihm diese Sorge um die Geschäftsordnung nicht ohne weiteres abnehmen, sondern mehr der Auffassung zuneigen, er habe eben Zeit gewinnen wollen, weil er diesen Entwurf nicht vorlegen wollte.
Unsere Auffassung wurde heute morgen durch einiges von dem bekräftigt, was der Herr Minister in der Sache gesagt hat. Ich bin leider gezwungen, mich mit diesen Argumenten auseinanderzusetzen, weil sie nicht unwidersprochen im Raum stehen bleiben können. Der Herr Bundesminister hat die These aufgestellt, daß es im Grunde genommen erfreulich sei und den Zielen der Sozialpolitik der Bundesregierung entspreche, wenn der Aufwand für Sozialleistungen im allgemeinen und für die Kriegsopfer im besonderen im Verhältnis zum Sozialprodukt zurückgehe.

(Abg. Arndgen: Das ist eine Verdrehung! — Abg. Schütz: So hat er das nicht gesagt!)

— Lesen Sie das Protokoll nach, dann werden Sie feststellen, daß genau in diesem Sinne hier ausgeführt worden ist, es entspreche den Zielen der Bundesregierung, einen rückläufigen Sozialaufwand anzustreben,

(Abg. Arndgen: Durch Verbesserung der Situation für jeden einzelnen!)

Herr Kollege Arndgen, und daß das in den Zusammenhang mit .der Kriegsopferversorgung gebracht worden ist.

(Abg. Arndgen: Na, na!)

Dazu muß festgestellt werden, daß mindestens in bezug auf die Kriegsopferversorgung für die Beurteilung des geltenden Rechts die Leistungen im Einzelfall maßgebend sind. Zugegeben: es handelt sich hier um ein Massenschicksal, von dem mehrere Millionen Menschen betroffen sind, und die Aufwendungen, die hierfür notwendig sind, schlagen außerordentlich hoch zu Buch. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß wir nicht befriedigt sein können, wenn uns der Minister hier eine Art Erfolgsbericht über die Entwicklung des Aufwandes auf diesem Gebiet in den letzten Jahren als Antwort auf die Frage gibt, wie es denn in der Kriegsopferversorgung weitergehen soll. Das bekommt man eben nur in den Griff, wenn man sich tatsächlich das Einzelschicksal vor Augen hält, das hinter diesen Zahlen steht.
Hier will ich nur ein Beispiel herausgreifen, das in der öffentlichen Diskussion deutlich macht, daß die Kriegsopferversorgung eben nicht befriedigend geregelt ist und daß es nicht die „bösen Verbandskapitäne" sind, die nicht maßhalten können, die nicht genug bekommen können, sondern daß in Wahrheit die Tatbestände als solche einer sachlichen Kritik nicht standhalten.
Wenn heute ein Soldat der Bundeswehr in Ausübung seiner Wehrpflicht als junger gesunder Mensch, der das Leben noch vor sich hat, etwa bei der Explosion eines Sprengkörpers eine Schädigung erleidet, welche die völlige Tonlosigkeit der Stimme zur Folge hat, dann erhält er nach dem geltenden Recht der Kriegsopferversorgung eine monatliche Rente von 35 DM. Wenn er eine Hand verliert, erhält er 65 DM; wenn er einen Fuß verliert, zwischen 45 und 65 DM. Der Verlust eines Auges wird mit 35 DM bewertet.
Ich will keinen Vergleich mit anderen Rechtsgebieten anstellen, etwa mit der gesetzlichen Unfall-



Bazille
versicherung oder mit dem Bundesentschädigungsgesetz, weil solche Vergleiche unter Umständen gefährlich sind, da nicht alle Rechtsnormen völlig vergleichbar sind. Immerhin kann doch kein Zweifel darüber bestehen, daß die Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes — das ja das sozialrechtliche Pendant der allgemeinen Wehrpflicht ist und deshalb nicht nur unter sozialpolitischen Gesichtspunkten, sondern auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten gesehen werden muß — so lange fortentwickelt werden müssen, bis im Einzelfall befriedigende Ergebnisse vorliegen. Ich glaube, daß ich mich darin mit der Mehrheit des Hauses — erfreulicherweise — in Übereinstimmung befinde.
Ich muß deshalb an den Herrn Bundesminister für Arbeit die Frage richten, ob er angesichts dieser beschämend niedrigen Leistungen, wie sie im Einzelfall leider noch im Bundesversorgungsrecht gesetzlich verankert sind, guten Gewissens davon reden kann, daß ein rückläufiger Rentenaufwand als ein Erfolg oder als ein Ziel der Politik der Bundesregierung bezeichnet werden könne.

(Abg. Schütz: „Rentenaufwand" hat niemand gesagt!)

Hier kann es doch nur eine Aufgabe geben, nämlich die, den Rückgang der Zahl der Versorgungsberechtigten und das dadurch eintretende Sinken des Rentenaufwandes in der Versorgung zum Anlaß zu nehmen, in verhältnismäßig kurzen zeitlichen Intervallen das Leistungsrecht so lange kontinuierlich zu heben, bis für jeden einzelnen Versorgungsfall ein befriedigendes Ergebnis erzielt ist.
Sodann will ich noch ein Wort zu dem sagen, was Herr Kollege Rutschke, ich möchte beinahe behaupten, als eine Art Wortspielerei mit der Frage der Vorrangigkeit hier angeschnitten hat. Herr Kollege Rutschke, es geht nicht darum, hier im Hause festzulegen, was man, wenn die Kriegsopferversorgung vorrangig sei, als nachrangig empfindet. Die Kriegsopfer kennen doch die Zusage, die Ihre Fraktion und die CDU gegeben haben, daß ihr Anliegen so lange als vorrangig behandelt werden soll, bis gerechte Lösungen erzielt sind, und daß das für die zeitliche Behandlung im Rahmen der Gesamtarbeit der Bundesregierung und des Bundestages gelte.

(Abg. Dr. Rutschke: Aber auch die finanzielle!)

— Die Kriegsopfer würden doch niemals für sich in Anspruch nehmen, daß sie finanziell den Vorrang vor allen anderen öffentlichen Aufgaben haben.

(Abg. Dr. Rutschke: Nein, aber auf sozialem Gebiet!)

— Nein, auch nicht auf sozialem Gebiet, Herr Kollege Rutschke. Auf sozialem Gebiet kann es für den Gesetzgeber doch nur eines geben: in Erfüllung seiner Pflicht gegenüber dem Grundgesetz die Normen der sozialen Rechtsstaatlichkeit immer wieder an die einzelnen Gesetze anzulegen und festzustellen, ob sie erfüllt sind oder ob sie nicht erfüllt sind. Wenn der Gesetzgeber im Einzelfall feststellt
— wie etwa heute morgen in der Debatte um das Kindergeld —, daß diese Normen nicht erfüllt sind, dann wird er initiativ werden müssen. Das kann
aber doch nicht bedeuten, daß nun, weil auf einem Gebiet eine gewisse Vorrangigkeit in der zeitlichen Behandlung durch den Gesetzgeber übereinstimmend festgesetllt wird, andere Sachgebiete gewissermaßen nachrangigen Charakter bekommen sollen. So, Herr Kollege Rutschke, könnten wir Sozialdemokraten den Begriff „Vorrang" in der Behandlung der Kriegsopferversorgung jedenfalls nicht definieren.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0404225600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Wolfgang Rutschke (FDP):
Rede ID: ID0404225700
Herr Kollege Bazille, die Kriegsopferversorgung ist doch auch ein finanzielles Problem. Wenn Sie nun einen bestimmten Betrag aus dem Bundeshaushalt für soziale Leistungen zur Verfügung und die Auswahl haben, was eher erledigt werden soll — z. B. die Kriegsopferversorgung oder die Erhöhung des Kindergeldes; Sie sagen, daß die Kriegsopferversorgung vorrangig sei —, dann müssen Sie doch eine Entscheidung dazu treffen. Dann können Sie doch nicht sagen: Das eine ist vorrangig und das andere ist auch vorrangig. Der Haushaltsetat des Bundes ist doch nicht unerschöpflich.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0404225800
Ich muß die Frage hören, Herr Dr. Rutschke, wenn Sie schon das Wort zu einer Zwischenfrage haben. Wir können natürlich auch die Geschäftsordnung ein bißchen ändern; dann wird die Debatte noch munterer. Ich habe auch nichts dagegen. Aber solange wir darüber nicht übereingekommen sind, muß ich darauf bestehen, daß eben nur gefragt wird. Wollen Sie jetzt fragen?

Dr. Wolfgang Rutschke (FDP):
Rede ID: ID0404225900
Herr Präsident, ich habe die Frage gestellt, was auf sozialpolitischem Gebiet bei einem beschränkten Umfang von Mitteln, die zur Verfügung stehen, vorrangig sein ,soll. Was sagen Sie dazu, Herr Kollege Bazille?

Helmut Bazille (SPD):
Rede ID: ID0404226000
Herr Kollege Rutschke, die Fragestellung allein offenbart den Unterschied in der Auffassung zwischen Ihnen und uns. Wir sind der Meinung, daß die sozialen Notwendigkeiten in der Bundesrepublik,

(Zuruf des Abg. Bals. — Abg. Schütz [München] : Die Opposition ist sich immer gleich, Herr Kollege Bals! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU und Gegenrufe von der SPD.)

— daß die sozialen Notwendigkeiten in der Bundesgesetzgebung — —

(Fortgesetzte Rufe und Gegenrufe.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0404226100
Meine Damen und Herren, glauben Sie: ich habe gar nichts gegen eine lebhafte Diskussion. Vielleicht finden sich dann die besonders Interessierten in den ersten Reihen ein. Vielleicht kann man es dann riskieren, so hin und her zu diskutieren. Aber schließlich und endlich muß ich diesem Redner das Wort ermöglichen. — Also bitte, fahren Sie fort!




Helmut Bazille (SPD):
Rede ID: ID0404226200
Ich darf wiederholen, Herr Kollege Rutschke: wir können mit Ihnen nicht darin übereinstimmen, daß die sozialen Notwendigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Gesamthaushalts so festgelegt werden, daß man sagt: Vorrangig ist etwa die Kriegsopferversorgung, vorrangig ist dann etwa das Kindergeld; wenn damit die Mittel, die zur Verfügung stehen, erschöpft sind, 'ist die gesamte sozialpolitische Initiative eben praktisch erledigt, weil der Haushalt für weitere Maßnahmen keinen Spielraum mehr hat. Vielmehr müssen wir davon ausgehen, daß unsere Volkswirtschaft im ganzen auf ihre Belastungsfähigkeit geprüft wird. Von dorther muß festgestellt werden, ob die Lasten, die unserem Volk in dieser Zeit auferlegt sind, auf alle Schultern gerecht verteilt sind.
Hier kann sich natürlich unter Umständen die Frage stellen, ob man unter dem gegenwärtig geltenden Steuerrecht alle sozialen Verpflichtungen erfüllen kann oder nicht.

(Sehr richtig! bei der SPD und der CDU/ CSU.)

Hier wird sich wahrscheinlich erweisen, daß alle die Verpflichtungen, die auf uns zukommen, mit dem gegenwärtigen Steueraufkommen eben nicht befriedigend erfüllt werden können, daß der Bundesfinanzminister seine Zusage, unter keinen Umständen steuerliche Veränderungen eintreten zu lassen, nicht wird halten können.
Aber, meine Damen und Herren, Sie werden ja in kurzer Zeit, wenn das Sozialpaket einmal aufgeschnürt ist, und wenn Sie sich darüber verständigt haben werden, was darin alles stecken soll, sehr schnell sehen, ob Sie hier die Zusage Ihres Finanzministers, unter keinen Umständen an den Steuern Veränderungen eintreten zu lassen, erfüllen können. Jedenfalls sind wir nicht bereit, Ihnen darin zu folgen, daß man etwa sagt: Die Prioritäten werden festgelegt, und wenn das Geld, das zur Verfügung steht, verausgabt ist, haben alle anderen das Nachsehen. Eine solche Definition der Vorrangigkeit der Versorgung der Kriegsopfer könnte von uns unter keinen Umständen gutgeheißen werden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0404226300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Helmut Bazille (SPD):
Rede ID: ID0404226400
Bitte!

Siegfried Zoglmann (CSU):
Rede ID: ID0404226500
Herr Hollege Bazille, soll das heißen, daß Sie für Steuererhöhungen plädieren?

(Sehr gut! in der Mitte.)


Helmut Bazille (SPD):
Rede ID: ID0404226600
Das soll heißen — ich beantworte Ihnen diese Frage ganz klar —, daß wir Sozialdemokraten sehr ernsthaft prüfen, ob die Vorstellungen, die wir in der Kriegsopferversorgung haben, mit dem gegenwärtigen finanziellen Gesamtaufkommen und den allgemeinen politischen Notwendigkeiten unserer Zeit so in Einklang gebracht werden können, daß es bei dem gegenwärtigen Steueraufkommen bleiben kann, oder ob es notwendig ist, unter Umständen bestimmten Gruppen in unserem Volk, die am Wirtschaftswunder in den letzten zehn
Jahren wesentlich besser beteiligt waren als die Kriegsopfer, eben zusätzliche Lasten aufzuerlegen, um zu erreichen, daß auch die Kriegsopfer am sozialen Fortschritt teilhaben können. Es würde von unserer Seite her jedenfalls als unerträglich angesehen werden, wenn man sagte: Für die Kriegsopfer ist das Maß des Möglichen erreicht, sie müssen jetzt durch Verzichte auf eine Anpassung ihrer Versorgung an das gestiegene Sozialprodukt mit dem Maßhalten den Anfang machen. Das ist eine These, die wir uns unter keinen Umständen zu eigen machen werden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0404226700
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Helmut Bazille (SPD):
Rede ID: ID0404226800
Bitte schön!

Siegfried Zoglmann (CSU):
Rede ID: ID0404226900
Herr Kollege Bazille, ich bewundere die Ausführlichkeit Ihrer Beantwortung, wäre Ihnen aber dankbar, wenn Sie mir ganz klar und präzise sagten, ob Sie für Steuererhöhungen sind oder nicht.

(Lachen und Zurufe von der SPD. — Abg. Schmitt-Vockenhausen: Sind S i e denn dafür? Sie müssen doch diese Frage beantworten und zunächst hier den Etat zur Prüfung vorlegen.)


Helmut Bazille (SPD):
Rede ID: ID0404227000
Herr Kollege Zoglmann, ich habe Ihnen doch 'diese Frage ganz klar beantwortet.

(Zuruf von der SPD: Mit Ja!)

Wir werden prüfen, wenn der neue Bundeshaushalt vorliegt — wir haben ihn ja noch nicht —, ob das, was von der Bundesregierung eingeplant ist, was als geschätztes Steueraufkommen für das Haushaltsjahr 1963 zur Verfügung stehen wird, mit dem, was wir an sozialen Notwendigkeiten bejahen — dazu gehört die Kriegsopferversorgung —, und dem, was an anderen politischen Aufgaben von der Bundesrepublik erfüllt werden muß, in Einklang gebracht werden kann. Wenn nicht, werden wir uns nicht dafür entscheiden, den Kriegsopfern weitere Verzichte zuzumuten, sondern 'dann werden wir uns dafür entscheiden, dem leistungsfähigsten Steuerzahler zuzumuten, daß er höhere Leistungen erbringt, damit die soziale Gerechtigkeit in diesem Staate hergestellt wird. Ich glaube, diese Frage ist doch ganz eindeutig beantwortet.
Nun darf ich dem Kollegen Maucher noch sagen: wir haben uns darüber gefreut, daß Sie dieser Abwandlung unseres Antrages auf Streichung der Worte „dem Bundestag" zugestimmt haben. Und Herr Blank, insofern muß ich Ihnen recht geben — warum sollen Sie nicht auch einmal recht haben? —, daß diese Kombination von „dem Bundestag" und „30. November" tatsächlich nicht einzuhalten wäre, da Sie sich ja nicht über die Möglichkeiten hinwegsetzen können, die dem Bundesrat zur Mitwirkung an der Gesetzgebung gegeben sind.. Ihr Einwand ist also chemisch rein von dem Verdacht, es könne sich um eine Verzögerungsabsicht handeln.

(Beifall bei der SPD. — Bundesarbeitsminister Blank: Vielen Dank, Herr Kollege!)





Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0404227100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. ,Schellenberg.

(Abg. Schütz: Er muß das letzte Wort haben! Sonst gefällt es ihm nicht!)


Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0404227200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur noch einige Bemerkungen zu den grundsätzlichen Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers machen, mit denen er hier geschlossen hat. Der Herr Bundesarbeitsminister hat dabei erklärt, der Rückgang der Sozialausgaben sei im Grunde genommen das Ziel der Sozialpolitik. In dieser Hinsicht muß ich sagen: für einige Aufgaben ist das richtig, beispielsweise für die Leistungen der Arbeitslosenhilfe; hier gibt es gar keine Meinungsverschiedenheiten. Aber ein Gesamturteil läßt sich nur gewinnen, wenn der Sozialaufwand in Beziehung gesetzt wird zu den sozialen Aufgaben, die zu meistern sind.
Dazu wenige Bemerkungen. Erstens! Wir haben heute morgen von der Frau Berichterstatterin des Petitionsausschusses einen nicht nur sehr anschaulichen, sondern, ich meine, uns alle bewegenden Bericht erhalten über die Sorgen, die viele Menschen in unserem Volke noch haben. Daraus ergibt sich als politische Konsequenz für unser Handeln, daß noch mehr getan werden muß, um die Härten und Ungerechtigkeiten, die aus diesen Petitionen erkennbar geworden sind, zu beseitigen. Im Grunde genommen gilt es dafür zu sorgen, daß alle Alten und Arbeitsunfähigen auch an der wirtschaftlichen Entwicklung, für die sie durch ihre Arbeit die Voraussetzungen geschaffen haben, teilnehmen können.
Zweitens! Ich meine, die Diskussion hat gezeigt — und das ist eigentlich auch von den Sprechern der Regierungsparteien nicht bestritten worden —, daß noch mehr getan werden muß, um allen Opfern des Krieges größere Gerechtigkeit als bisher zu erweisen. Darauf haben sie durch ihr Opfer einen Anspruch.
Drittens, was wir heute auch behandelt haben: es muß die Familie noch mehr als bisher auch wirtschaftlich in den Stand gesetzt werden, ihre hohe sittliche Aufgabe für unser Volk zu erfüllen.
Lassen Sie mich viertens noch etwas anderes hinsichtlich der weiteren Gestaltung der Sozialpolitik sagen. Es muß noch mehr als bisher getan werden, um a 11 e n jungen Menschen die Chance zur beruflichen Ausbildung und beruflichen Weiterbildung zu bieten.

(Beifall bei der SPD.)

Auch das ist eine Aufgabe ,der 'Sozialpolitik; wir sagen: eine Gemeinschaftsaufgabe.
Fünftens! Es muß auch noch mehr für die Erhaltung der Gesundheit unseres Volkes getan werden. Das wurde heute nur am Rande erwähnt. Aber wir haben in bezug auf das, was wir über die Pläne für das sogenannte Sozialpaket wissen, Sorgen. Die müssen wir gerade im Hinblick auf die Familie und die älteren Menschen aussprechen.
Natürlich wissen wir — niemand von uns bestreitet es —, daß diese sozialen Aufgaben in ihren finanziellen Zusammenhängen überlegt und bedacht werden müssen. Darauf wird bei der Haushaltsdebatte von unseren Sprechern noch näher eingegangen werden.
Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung — sicherlich ist das ein prinzipieller Unterschied zwischen Ihnen und uns —, daß insgesamt zu den von mir kurz skizzierten Aufgaben der Sozialpolitik noch mehr geschehen muß, um den sozialen Auftrag des Grundgesetzes zu erfüllen.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch eine Berner-kung insbesondere an den Herrn ,Bundesarbeitsminister richten. Diese krisen- und spannungsgeladene Zeit, diese Tage und Stunden bringen zwangsläufig große Belastungen in jeder Hinsicht für unser ganzes Volk mit sich. Aber wir sollten — das ist unsere Auffassung — auch über alle Sorgen dieser Tage hinaus an die Gestaltung des inneren Lebens unseres Volkes für heute und die Zukunft denken. Das ist der Gegenstand besonders der sozialpolitischen Anliegen. Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, es bliebe nicht ohne bedenkliche Folgen, wenn wir dieser Verpflichtung für die soziale Ausgestaltung der Bundesrepublik nicht den gebührenden Rang beimessen würden.

(Beifall 'bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0404227300
Keine weiteren Wortmeldungen. Meine Damen und Herren, wenn ich recht verstehe, ist hier Überweisung an den Ausschuß Für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen vorgeschlagen.

(Lebhafter Widerspruch.)

— Was denn? Ich habe 'hier den Antrag, über den wir jetzt sprechen.

(Zuruf von der SPD: Ein Antrag auf Annahme!)

— Ich will Ihnen etwas sagen. Ich habe leider wegen einer Flugzeugpanne die Ältestenratssitzung nicht leiten können. — Nein, nicht abgestürzt!

(Heiterkeit.)

Infolgedessen weiß ich nicht, was darüber vereinbart ist. In meiner Vorlage heißt es hier: „Überweisung an Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen". Aber Sie sind jederzeit frei, das zu ändern. Sie wollen abstimmen?

(Zustimmung.)

— Dann muß ich zunächst über die Änderungsanträge abstimmen lassen.

(Erneute Zustimmung.)

Hier ist zunächst einmal ein Änderungsantrag der CDU/CSU notiert, wonach „30. September" in „30. November" geändert werden soll.

(Zuruf von der SPD: Das ist auch unser Antrag!)

— Das ist auch Ihr Antrag. Damit ist also das ganze Haus einverstanden?

(Zustimmung.) — Es ist so beschlossen.




Präsident D. Dr. Gerstenmaler
Jetzt frage ich, ob ich den Vorschlag des Herrn Abgeordneten Glombig als einen Antrag verstehen soll, nämlich statt „dem Bundestag" „den gesetzgebenden Körperschaften" zu schreiben.

(Abg. Glombig: Ja!)

Muß ich darüber abstimmen lassen, oder wird kein Widerspruch erhoben? — Statt „dem Bundestag" soll gelesen werden „den gesetzgebenden Körperschaften". — Frau Abgeordnete Probst!

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0404227400
Herr Kollege Maucher hatte vorgeschlagen, nur die zwei Worte „dem Bundestag" zu streichen. So waren wir verblieben. Wenn ich mich recht entsinne, ist das von Herrn Kollegen Bazille wiederholt worden. Das war die Vereinbarung.

(Zuruf von der SPD: Das können wir so lassen!)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0404227500
Sind Sie mit dieser Streichung einverstanden? Kann man sich darauf einigen?

(Zustimmung.)

— Gut, dann werden die Worte „dem Bundestag" gestrichen. Dann brauchen wir „die gesetzgebenden Körperschaften" hier weiter nicht. Das ist also auch beschlossen.
Nun stelle ich den Antrag in der so geänderten Fassung zur Abstimmung. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zwei Gegenstimmen ist dieser Antrag in der sich auf Grund der Änderungen ergebenden Fassung angenommen.
Wir kommen dann zu Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Mutterschutzgesetzes (Drucksache IV/562).
Ich frage die antragstellende Fraktion, ob sie das Wort zur Begründung wünscht. — Bitte sehr, Frau Kollegin Rudoll.

Margarete Rudoll (SPD):
Rede ID: ID0404227600
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich habe die Ehre, im Auftrage meiner Fraktion den Ihnen vorliegenden „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Mutterschutzgesetzes" zu begründen. Es handelt sich um die Drucksache IV/562.
Was hat die sozialdemokratische Fraktion bewogen, Ihnen diese Novelle zu präsentieren? In der Bundesrepublik ist die Mütter- und Säuglingssterblichkeit gemessen an anderen Industriestaaten, immer noch verhältnismäßig hoch. Nach der aus dem Statistischen Jahrbuch des Bundes entnommenen Skala stehen wir immer noch an der Spitze der Industriestaaten. Immerhin starben im Jahre 1960 in der Bundesrepublik 1000 Mütter im Wochenbett, bei rund 950 000 Geburten in diesem Zeitraum. Nicht einbegriffen sind die Mütter, deren Gesundheitszustand durch die Schwangerschaft derart anfällig war, daß sie infolge anderer Krankheiten verstarben. Die Zahl dieser Mütter läßt sich nicht genau feststellen und ist in den Angaben auch nicht enthalten. Trotz aller medizinischen Fortschritte und hygienischen Verbesserungen starben 1959 im ersten Lebensjahr 31 903 Säuglinge. Dazu kommen 14 639 Totgeburten. Das sind insgesamt 46 542 Säuglinge, die in einem Jahre zu Tode kamen.
Bedenken Sie, welches ungeheure menschliche Leid hinter diesen nackten Zahlen steckt! Allein dadurch wird wohl schon deutlich, daß hier etwas getan werden muß. Es müßte Anlaß sein, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, diese hohe Sterbequote von Müttern und Kindern auf ein Mindestmaß .zu reduzieren und alles dazu Geeignete zu versuchen.
Wir finden Hilfe bei namhaften Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Medizin. Ich darf daran erinnern, daß vor ,dem Ärztekongreß im Mai 191611 in Wiesbaden Professor Dr. Kirchhoff in einem Referat Ausführungen über die „Belastung der berufstätigen Frau und die damit verbundenen gesundheitlichen Gefahren" gemacht hat. Er hat darauf hingewiesen, daß die Zahl der Frühgeburten bei erwerbstätigen Müttern besonders hoch ist. Während der Prozentsatz an Frühgeburten normalerweise zwischen 6 und 8 % liegt, beträgt er bei den erwerbstätigen Müttern und Frauen 13 bis 15 %, ja, er steigt sogar bis 17 % je nach .der Schwere der Arbeit und der Möglichkeit oder auch Unmöglichkeit, sich auszuruhen und zu schonen. Weitere Untersuchungen von Prof. Dr. Kirchhoff sagen uns, daß 60 % der Mütter mit Frühgeburten bis zum achten Schwangerschaftsmonat gearbeitet haben.
Diese Auslassungen und Untersuchungsergebnisse sind in der jüngsten Zeit auf dem Internationalen Kongreß für prophylaktische Medizin und Sozialhygiene bestätigt worden, der vom 2. bis 5. Oktober dieses Jahres stattgefunden hat. Dort referierte Professor Justatz aus Heidelberg über eine sozialhygienische Untersuchung über „Niederkunft und Mutterschaft" von Textilarbeiterinnen.. Er stellt fest, daß sich neben 78 % Normalgeburten 22 % Geburten mit Störungen ergeben. Einzelheiten darüber möchte ich hier nicht entwickeln. Ich will mir ihre Aufzählung ersparen, weil eine Reihe von Medizinern und anderen Wissenschaftlern diese Untersuchungsergebnisse bestätigt haben. Ich nehme zudem an, daß sie den Herren und Damen dieses Hauses bekannt sind. Es sei mir jedoch der Hinweis gestattet, daß alle Persönlichkeiten, die ich vorhin erwähnt habe, Empfehlungen gegeben haben, was getan werden muß und kann, um die Mütter- und Säuglingssterblichkeit zu unterbinden bzw. ihr entgegenzuwirken.
Sie können einwenden, daß das, was ich bis jetzt ausgeführt habe, nur die erwerbstätige Frau betrifft. Das ist richtig. Allerdings muß zugestanden werden, daß die Gefahr für die Gesundheit der erwerbstätigen Frauen auch nach Aussagen dieser Persönlichkeiten besonders groß ist.
Die SPD ist der Meinung, daß der Schutz von Mutter und Kind neben der gesundheitspolitischen und sozialpolitischen auch eine enorme gesellschaftspolitische Bedeutung hat. Darum ist es das Anliegen
1836 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 42, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1962
Frau Rudoll
meiner Fraktion, neben der Hilfe und Verbesserung des Mutterschutzgesetzes für die erwerbstätige Frau allen Müttern die notwendige Hilfe zuteil werden zu lassen. Es gibt dabei sicherlich keine Meinungsverschiedenheit in diesem Hause darüber, daß Mutter und Kind des besonderen Schutzes der Gemeinschaft bedürfen. Hier darf ich daran erinnern, daß am 12. Dezember 1951 anläßlich der Verabschiedung des bestehenden Mutterschutzgesetzes vom Bundestag ein einstimmiger Beschluß gefaßt wurde. Es heißt da:
Der Bundestag gibt der Erwartung Ausdruck, daß der vom Bundesinnenministerium vorbereitete Gesetzentwurf zum Schutz von Mutter und Kind eine über den derzeitigen Stand hinausgehende Fürsorge für solche werdenden Mütter vorsieht, die im Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter nicht erfaßt werden.
Das war, so sollte man meinen, ein Auftrag des Hohen Hauses an die Bundesregierung; leider wurde er bis heute nicht ausgeführt. Das ist über 10 Jahre her. Unsere Hoffnung, daß sowohl der Bundesarbeitsminister als auch neuerdings die Frau Bundesgesundheitsministerin hier eine Initiative entwikkeln würden, hat sich leider nicht erfüllt. Auch dem Familienminister hätte es gut angestanden, hier Initiative zu entwickeln.

(Abg. Frau Döhring [Stuttgart] : Sehr richtig!)

Es ging leider über Reden und Ankündigungen gesetzlicher Maßnahmen nicht hinaus. Obwohl in der Öffentlichkeit in Anbetracht des traurigen Rekords der Mutter- und Säuglingssterblichkeit in der Bundesrepublik Persönlichkeiten, Institutionen und Organisationen, die sachverständig sind, Vorschläge zur Abhilfe gemacht haben, ist bisher nichts geschehen.
Die Tatsache, daß Hilfe dringend notwendig ist, hat meine Fraktion veranlaßt, Ihnen heute diesen Entwurf vorzulegen. Das geltende Mutterschutzgesetz besteht über 10 Jahre. Die praktische Erfahrung hat gezeigt, daß der dort verankerte Schutz für die erwerbstätige Schwangere und Mutter nicht mehr ausreichend Nicht nur bedürfen die betrieblichen und arbeitsrechtlichen Bestimmungen einer Anpassung an die Entwicklung, sondern auch neue medizinische Erkenntnisse und Erfordernisse machen eine Ergänzung des Mutterschutzgesetzes von 1952 notwendig. Darüber hinaus sollen alle Mütter, nicht nur die erwerbstätigen Mütter und Schwangeren, in die Mutterschaftshilfe einbezogen werden. Näheres über die Mutterschaftshilfe, die in dem Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion vorgesehen ist, wird mein Kollege Dr. Horst Schmidt vortragen, der als Mediziner berufen ist, einiges dazu zu sagen. Die Einbeziehung aller Mütter in die Mutterschaftshilfe entspricht — ich muß es noch einmal sagen — dem Artikel 6 des Grundgesetzes, das jeder Mutter den Anspruch auf Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft gibt.
Die Schutzfristen für erwerbstätige Frauen vor und nach der Entbindung sollen nach unserem Entwurf von 6 auf 10 Wochen erhöht werden. Das entspricht den Empfehlungen, die von Wissenschaftlern und Gynäkologen mit Rang und Namen unterbreitet wurden.
Da Komplikationen und gesundheitliche Gefahren bei den erwerbstätigen Müttern besonders groß sind, sieht unser Entwurf ein absolutes Beschäftigungsverbot während der Schutzfristen vor. Ihnen ist sicherlich bekannt, daß es bisher im Ermessen der Schwangeren war, ob sie von diesem Recht Gebrauch machte oder nicht. Wir wollen im Interesse der betroffenen Frau dieses absolute Beschäftigungsverbot während der Schutzfristen.
Auch das Verbot der Beschäftigung von Schwangeren mit Akkord- und ähnlichen Arbeiten, die unter Zeitdruck erfolgen, ist in unserem. Entwurf enthalten. Nur der Arzt kann nach unserer Meinung ermessen, welche Gefahren für die Gesundheit der Schwangeren hier bestehen. Bisher war es so, daß die Entscheidung weitgehend bei der Schwangeren lag, und sie hat oft in Unkenntnis ihres eigentlichen Zustandes etwas getan, was ihrer Gesundheit durchaus nicht förderlich war.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Da die wirtschaftliche Sicherung der erwerbstätigen Frau während der Schwangerschaft und der Schutzfristen im bestehenden Mutterschutzrecht gewährleistet ist, sind, geboren aus der Praktizierung des bisherigen Gesetzes während der letzten 10 Jahre, einige notwendige Klarstellungen und Angleichungen an die Entwicklung notwendig. Sie sind in unserem Vorschlag enthalten.
Jetzt muß ich einen Vorschlag ansprechen, den wir sehr gern in diese Novelle zum Mutterschutzgesetz eingebaut hätten, nämlich zur Pflege des rechten Verhältnisses zwischen Mutter und Kind den Müttern nach den Schutzfristen einen Sonderurlaub oder, wenn Sie so wollen, Karenzurlaub zuzubilligen. Hier gibt es einige Erfahrungen aus anderen Ländern. Aber wir haben von der Hereinnahme dieses Passus in diese Novelle abgesehen, um zunächst einmal Erfahrungen mit diesem verbesserten und ergänzten Gesetz zu machen. Weiterhin wollten wir die dringend notwendigen Verbesserungen, die unser Entwurf vorsieht, nicht dadurch hinauszögern, daß wir diesen Sonderurlaub hineinbrachten, weil uns klar war, daß hier noch einige Informationen vonnöten waren. Das heißt nicht, daß wir nicht später einmal zu gegebener Zeit, wenn wir Erfahrungen gesammelt haben, entsprechende Vorschläge unterbreiten werden.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist der Auffassung, daß Leistungen für den Mutterschutz aus öffentlichen Mitteln erfolgen müßten, da es sich, abgesehen von dem gesundheitspolitischen Problem, um eine sozial- und gesellschaftspolitische Aufgabe handelt. Wir schlagen als Übergangslösung vor, daß die Leistungen, die nach dem bisherigen Mutterschutzrecht gewährt werden, auch weiterhin bis zur Neuregelung der Krankenversicherung von den bisherigen Leistungsträgern gewährt werden und daß darüber hinaus die Mehrleistungen vom Bund zu tragen sind. Wir hoffen, daß das eine gute Lösung ist und daß sie prakti-



Frau Rudoll
kabel ist. Sie wird wenigstens von uns so empfunden.
Zum Schluß darf ich daran erinnern, daß die Notwendigkeit einer Reform des Mutterschutzes in diesem Hause wohl kaum streitig sein dürfte. Ich darf hier an Hinweise aus dem Bundesarbeitsministerium erinnern, die auf eine baldige Vorlage eines Mutterschutzgesetzes abstellten, und an eine Äußerung von Frau Dr. Schwarzhaupt auf der Frauenkonferenz des Deutschen Gewerkschaftsbundes, in der ebenfalls solche Vorschläge anklangen. Auch gelegentliche Äußerungen von Abgeordneten der Regierungsparteien können uns hoffen lassen, daß diese weitgehend unserem Wunsche auf Verbesserung des Mutterschutzes zustimmen werden.
Ich darf Sie herzlich bitten, der Ausschußüberweisung zuzustimmen, damit recht bald eine Lösung gefunden und ein Gesetz erlassen wird, das die Gefahren für Mutter und Kind auf ein Mindestmaß beschränkt. Wir dienen mit einem solchen Gesetz der Zukunft unseres Volkes; und damit dürfte eigentlich das Zeichen gegeben sein, daß hier etwas unternommen werden sollte.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0404227700
Sie haben die Begründung dieses Initiativgesetzentwurfs gehört. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Jungmann.

Dr. Gerhard Jungmann (CDU):
Rede ID: ID0404227800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gedanke, die bisher rein arbeitsrechtliche, also nur auf die erwerbstätige Frau beschränkte Mutterschutzgesetzgebung zu einer Gesetzgebung zum Schutz der Mutter auszudehnen, ist in der Tat, da muß ich der Frau Vorrednerin recht geben, von vielen Seiten erörtert und auch in unserer Fraktion sicherlich nicht in ablehnendem Sinne schon oft diskutiert worden. Diese Tatsache bedeutet aber keineswegs, daß wir uns deswegen schon im voraus mit der Vorstellung einverstanden erklären könnten, die in den letzten Worten der Frau Vorrednerin zum Ausdruck kam, daß für den Schutz der Mutter in diesem weiten Umfange niemand anders in Frage kommen könne als eben der Staat. Es gibt eine ganze Menge Überlegungen, die hier noch anzustellen sind, von mir jetzt aber wohl nicht vorgetragen werden sollten. Ich möchte überhaupt der Versuchung entgehen, hier Einzelheiten auszuführen, weil ich der Meinung bin, daß das im Ausschuß zu geschehen hat. Auf einige Tatsachen aber möchte ich doch wenigstens der Ordnung wegen hinweisen.
Vor allen Dingen möchte ich sagen: es trifft nicht zu, daß die Bundesregierung und die Koalition aus den „makabren Zahlen der Statistik" — nun, ganz so makaber sind sie nicht, sie haben sich in den letzten Jahren bedeutend gebessert; aber auch davon will ich nicht sprechen - keinerlei Konsequenzen gezogen hätten. Die Frau Vorrednerin übersieht dabei völlig, daß in dem Entwurf zur Krankenversicherungs-Neuregelung, der schon im vorigen Bundestag hier zu Debatte gestanden hat, ein großer Teil der von Ihnen vorgeschlagenen Regelungen bereits enthalten war, also insoweit die Konsequenzen schon gezogen worden sind. Es wird Ihnen auch nicht entgangen sein, Frau Kollegin — da ja Ihre Fraktion den Referentenentwurf bereits veröffentlicht hat, den wir noch nicht kennen, den wir aber aus Ihren Veröffentlichungen zur Kenntnis genommen haben —,

(Heiterkeit)

daß in dem Referentenentwurf sehr weitgehende wörtliche Übereinstimmungen mit Ihrem Gesetzentwurf vorhanden sind.
Sie sehen also, daß in der Tat eine gewisse Übereinstimmung im Sachlichen besteht und daß es ungerechtfertigt ist, den Vorwurf zu erheben - der hier nicht unwidersprochen hingenommen werden kann —, daß von seiten der Regierung und von seiten der Koalition diesem Sachverhalt nicht Rechnung getragen woren sei. Die Formulierungen stimmen übrigens nicht nur wörtlich überein. Ich kann Ihnen sagen, daß dieser Referentenentwurf — vielleicht der Regierungsentwurf noch mehr - in einzelnen Punkten sogar weitergeht als Ihr eigener Antrag, in anderen Punkten allerdings auch weniger weit.
Ich bin mit meiner Frau Vorrednerin der Meinung, daß sich 'die Materie, die wir hier besprechen, wohl dazu eignet, mit sachlichem Eifer und im Interesse 'der Sache behandelt zu werden, daß sie sich aber sicherlich nicht zu politischen Polemiken eignet, wozu ich auch gar keine Lust und Neigung habe.
Deshalb darf ich im Namen meiner Fraktion erklären: wir sind damit einverstanden, daß dieser Gesetzentwurf dem Ausschuß für Arbeit als federführendem Ausschuß und dem Ausschuß für Gesundheitswesen und dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung zugeleitet wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0404227900
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (FDP):
Rede ID: ID0404228000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der Begründung des Mutterschutzgesetzes sind von der Kollegin Rudoll sehr schöne Worte gesagt worden. Es ist auf die gesellschaftspolitische Bedeutung der Familie und darauf hingewiesen worden, wie schwer oft die Situation besonders für die erwerbstätigen Frauen und Mütter ist. Frau Kollegin, ich darf Ihnen sagen: wenn man selbst Kinder hat, dann kann man sehr gut diese Belastungen mitempfinden. Eine Belastung liegt nicht nur bei den erwerbstätigen Frauen vor, sondern — auch das muß mit aller Offenheit einmal gesagt werden — ganz besonders auch bei den Nur-Hausfrauen, die Kinder haben, keine Hilfe haben und bis zum letzten Tag in vollem Umfange für ihre Familie sorgen müssen. Vergessen Sie auch nicht die Landfrauen, die insofern — —

(Abg. Frau Döring 'Stuttgart]: Das haben wir schon 1951 gesagt!)




Frau Dr. Diemer-Nicolaus
— Es freut mich, daß Sie es damals schon gesagt haben. Aber Sie erlauben doch, daß ich das auch von mir aus sage. Wir Frauen stimmen hier überein, daß wir die Belastung in vollem Umfang sehen.
Sie glauben nun, daß Sie mit Ihrem Gesetz den Schlüssel gefunden haben, um tatsächlich eine endgültige Verbesserung dieser Verhältnisse herbeizuführen.

(Zuruf von der SPD: Keine endgültige!)

— Aber auf alle Fälle eine ganz weitgehende Verbesserung zunächst. Gerade weil ich die Lage der Frauen kenne und Ihr Anliegen schätze, habe ich bei der Begründung etwas vermißt, was heute, als hier andere Sozialgesetze beraten wurden, immer angeklungen ist, nämlich die Frage, was nun tatsächlich für Aufwendungen entstehen, wenn Ihr Gesetz in der von Ihnen vorgeschlagenen Weise durchgeführt wird.
Zum Schluß wurde gesagt, zunächst sollten die Aufwendungen für die erwerbstätigen Frauen wie bisher von den Krankenversicherungen getragen werden, und nur für die nicht-erwerbstätigen Frauen solle der Bund eintreten. Im Laufe dieser Sozialdebatte habe ich mir allerdings verschiedene Aussprüche notiert, und zwar gerade natürlich — das dürfen Sie mir nicht übelnehmen — — von den Herren Vorrednern von der SPD. Einer von ihnen — ich habe mir leider nicht den Namen gemerkt — sagte: Wenn wir bisher die Forderung erhoben haben, war nachher auch das Geld da. Herr Professor Schellenberg hat heute nachmittag wesentlich vorsichtiger formuliert, indem er sagte: Wenn wir die soziale Aufgabe,' die im Grundgesetz gestellt ist, lösen wollen, dann muß sehr genau überlegt werden, ob das bisherige Steueraufkommen für all diese Aufgaben ausreicht. In den Ausführungen von Herrn Kollegen Bazille ist angeklungen, daß von seiten der SPD doch ernstlich mit dem Gedanken gespielt wird, gegebenenfalls Steuererhöhungen zu verlangen, um alle Sozialgesetze zu finanzieren, auch diejenigen, die heute zur Diskussion stehen.

(Zuruf von der SPD: Für bestimmte Gruppen!)

Wenn ich mir überlege, was heutzutage aus dem Haushalt, was von den Krankenversicherungen und den anderen Sozialversicherungsträgern an sozialen Leistungen erbracht wird, und wenn ich das zum Gesamtvolumen unseres Haushalts, zum Gesamtvolumen des Sozialproduktes in Beziehung setze und auch international vergleiche, dann muß ich feststellen, daß bei uns im Bund Steuern plus Sozialbelastung am höchsten sind. Ich nenne diese beiden Dinge zusammen, denn ich kann sie nicht getrennt sehen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0404228100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Schellenberg?

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0404228200
Frau Kollegin, darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß in diese Sozialaufwendungen bei uns auch sämtliche Kriegsfolgelasten mit einbezogen sind?

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (FDP):
Rede ID: ID0404228300
Sicher, Herr Kollege Schellenberg, aber das ist ja eine soziale Leistung, für deren Verbesserung Sie heute morgen und gerade vorhin noch gekämpft haben. Sie können diese sozialen Leistungen, die bei uns als Kriegsfolgen vorhanden sind, nicht deshalb eliminieren, weil andere Länder, z. B. Schweden, derartige Kriegsfolgeleistungen nicht aufzubringen haben. Ich habe doch — da ich jetzt schon Schweden genannt habe — den Eindruck, daß bei Ihrem Gesetzentwurf auch bei dem Gedanken, jeder Frau eine derartige soziale Leistung zu gewähren, das schwedische Modell etwas Pate gestanden hat.
Ich möchte auch einmal auf folgendes hinweisen. Man kann natürlich die sozialen Zuwendungen, ob Kindergeld. oder Mutterschutz für alle, auf zweierlei Weise gewähren. Man kann Direktleistungen in Form von Kindergeldzahlungen gewähren, man kann Geld für die Mütter zahlen. Man kann aber auch durch erhebliche Freibeträge im Einkommensteuersystem Sozialleistungen erbringen. Es wird manchmal gesagt, wir schneiden als Deutsche im internationalen Vergleich schlecht ab, weil bei uns die direkt gezahlten Beträge nicht so hoch sind wie in anderen Ländern. Man darf aber nicht nur die direkten Zahlungen sehen, sondern muß auch berücksichtigen, daß wir gerade bei der Steuerreform 1958 — und zwar unter sehr starker Beteiligung gerade auch der Vertreter der SPD im Finanzausschuß — die Freibeträge für Kinder und Verheiratete mit Rücksicht auf die Familie, die sittlichen Verpflichtungen und die Aufgaben der Familie, die von Ihnen aufgeführt worden sind, außerordentlich erhöht haben. Man muß beides zusammen sehen, und man darf nicht sowohl hohe Steuerfreibeträge als auch gleich hohe Barleistungen wie in anderen Ländern fordern, z. B. in Schweden, wo es — wenn ich richtig in Erinnerung habe — diese Freibeträge bei der Einkommensteuer nicht gibt, dafür aber mehr Barleistungen gewährt werden. Die Frage besteht darin, ob wir das eine oder das andere System nehmen wollen, nicht aber beides zusammen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0404228400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Dr. Hubert?

Dr. Elinor Hubert (SPD):
Rede ID: ID0404228500
Frau Kollegin, Sie bringen in diese Sache die Frage des .Finanzproblems hinein. Ist Ihnen. nicht klar, daß gerade bei den Frauen die Frühinvalidität eine ganz besondere Rolle spielt und daß diese Frühinvalidität ja auch durch .die besonderen Belastungen verursacht wird, die die Frau vor und nach der Geburt hat? Ist Ihnen damit nicht klar, daß es wirklich nicht passend ist, Finanz- und Steuerfragen in dieses gesundheitspolitische Problem hineinzubringen?

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (FDP):
Rede ID: ID0404228600
Frau Kollegin, mir ist die Frühinvalidität der Frauen durchaus bekannt, und ich habe ja gleich am Anfang betont, daß es unser gemeinsames Anliegen ist, die Verhältnisse zu verbessern. Aber Sie wollen den Mutterschutz ja nicht nur für die sozialversicherten Frauen, Sie wollen ihn auf alle Frauen ausdehnen.



Frau Dr. Diemer-Nicolaus
Heute morgen wurde mit Recht gesagt, man dürfe die 'Dinge nicht für sich allein sehen. Wenn Sie keine Steuererhöhungen wollen und wenn Sie an dem festhalten wollen, was wir bisher für richtig erachtet haben — nämlich im Interesse der Allgemeinheit nicht über die jetzt schon bestehenden Belastungen hinauszugehen —, dann müssen wir auch bei allen Sozialgesetzen — ob es nun das Kriegsopfergesetz, das Kindergeldgesetz oder das Mutterschutzgesetz ist — sehen, 'wie weit die Mittel reichen und wie wir sie verteilen können; denn 'wir haben sie nur einmal zur Verfügung. Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich es ganz simpel ausdrücke: man kann den Kuchen nur einmal verteilen.
Ich möchte noch etwas zur Höhe unserer sozialen Leistungen sagen. In diesem Zusammenhang darf ich erwähnen, daß mir der Bericht zu denken gab, den Frau Dr. Flitz 'heute morgen erstattete. Sie sagte, wenn man im Petitionsausschuß mitarbeite, kämen einem manchmal große Bedenken wegen unseres sogenannten Wirtschaftswunders. Wenn solche Verhältnisse vorliegen, muß ich mich, besonders wenn .ich mir die Höhe der gesamten sozialen Leistungen ansehe, fragen, ob das, was wir zur Verfügung haben, tatsächlich gerecht verteilt ist und ob denjenigen, die es am nötigsten haben, in ausreichendem Umfange geholfen wird.
In Ihrem Gesetzentwurf sprechen Sie von „allen Müttern". Die vorgesehenen Leistungen sollen unabhängig vom Einkommen der Frau und vom Einkommen des Ehegatten sein. Meine Herren Kollegen, nehmen Sie mir es nicht übel, wenn ich Sie jetzt einmal persönlich anspreche. Was in diesem Gesetzentwurf vorgesehen ist, würde bedeuten, daß, wenn Ihre Frau ein Kind bekäme, sie aus öffentlichen Mitteln ein Mutterschaftsgeld erhalten würde. Hätten Sie da kein schlechtes Gewissen, wenn Sie sich dabei überlegen, daß die öffentlichen Mittel auch aus den Steuergroschen derjenigen bestehen, die sehr viel weniger verdienen?

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0404228700
Eine Zwischenfrage? — Frau Abgeordnete Rudoll!

Margarete Rudoll (SPD):
Rede ID: ID0404228800
Frau Kollegin, ist Ihnen entgangen, daß nur der Abschnitt „Mutterschaftshilfe" für alle Mütter gilt und daß es sich dabei um die ärztliche Betreuung -und Beratung der Schwangeren handelt? Es denkt niemand daran, allen Frauen wie den erwerbstätigen Müttern ein Mutterschaftsgeld zu geben.

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (FDP):
Rede ID: ID0404228900
Ich danke für diese Aufklärung. Was ich gesagt habe, trifft dann nicht für das Geld, aber für die ärztliche Leistung und all die anderen Leistungen zu. Wenn das keine besonderen Aufwendungen wären, brauchten Sie nicht vorzusehen, daß der Bund den Krankenkassen die Kosten zu erstatten hat.

(Zurufe von der SPD.)

Wenn wir den Sinn des sozialen Rechtsstaates richtig verstehen, dann müssen wir die sozialen Hilfen,
nachdem uns die Mittel nur einmal zur Verfügung stehen, denen zugute kommen lassen, die diese Unterstützung am nötigsten haben.

(Beifall bei der FDP.)

Behaupten Sie jetzt bitte nicht, so etwas wäre sozialreaktionär. Sagen Sie bitte nicht: das sind eben die Liberalen, die haben kein soziales Verständnis.
Ich darf Ihnen folgendes berichten. Als ich im Gemeinderat war, habe ich mich zuerst in der Sozialabteilung betätigt. Im Landtag habe ich zuerst im Sozialausschuß mitgewirkt. Dann bin ich aber jedes Mal von da in die Finanzabteilung gegangen, und zwar aus folgendem Grunde. Ich tat das nicht, weil ich weniger soziales Empfinden hätte, sondern deshalb, weil ich mir sagte: wenn wir eine gesunde Sozialpolitik betreiben wollen, dannn brauchen wir gesunde Finanzen; wir müssen vor allem sehen, daß die Mittel, die vorhanden sind, nach richtigen sozialen Maßstäben verteilt werden. Was ich hier sage, klingt vielleicht wesentlich nüchterner und nicht so freundlich, wie wenn man nur von den Aufgaben der Mutter und von ihrer Bedeutung in unserem Staate spricht. Wenn man aber so vorgeht, wie ich es tue, dann kann man insgesamt gesehen mehr und gerechtere Sozialleistungen erbringen, als es sonst der Fall ist, wenn die Sozialbedürftigkeit nicht entsprechend berücksichtigt wird.
Dann ein Wort zu unserer sozialen Haltung. Das Müttergenesungswerk ist eine Institution, die sich bei uns derart als ein soziales Musterbeispiel, als eine soziale Tat im Bewußtsein der gesamten deutschen Bevölkerung verankert hat, daß von allen Seiten alles getan wird, um dieses Werk immer weiter auszubauen und damit den Müttern eine ganz wesentliche Stütze und Stärke zu geben. Wenn Sie das Müttergenesungswerk schätzen, dann denken Sie bitte daran, daß es doch die Tat einer liberalen Frau war, Frau Elly Heuss-Knapp, die — nachdem sie in Bonn war — auf Grund ihrer liberalsozialen Einstellung es mit als die wichtigste Aufgabe angesehen hatte, daß in dieser Weise für die Mütter gesorgt wird.
Ich möchte noch folgendes sagen, um auch das ganz klarzustellen. Wir Freien Demokraten sind der Auffassung — auch darin stimme ich mit 'den Vorrednern überein —, daß Ihr Gesetzentwurf uns ein willkommener Anlaß ist, die bisherigen Mutterschutzbestimmungen zu überprüfen. Ich stimme mit Ihnen auch darin überein, daß sowohl die arbeitsrechtlichen als auch die neuen medizinischen Erkenntnisse voll verwertet werden müssen. Ich habe — genau wie Sie, Frau Kollegin — die Vorträge von Professor Kirchhoff auf der Tagung mit größtem Interesse und auch mit großer Sorge verfolgt. Wir sollten zusammen mit den entsprechenden Sachverständigen dahin wirken, daß bei dem Mutterschutzgesetz diejenigen Reformen vorgenommen werden, die jetzt nach 10 Jahren auf Grund der Weiterentwicklung der Medizin, auf Grund der Erkenntnisse, die man in der Zwischenzeit gewonnen hat, einfach notwendig sind.

(Abg. Frau Korspeter: Also doch! — Heiterkeit bei der SPD.)




Frau Dr. Diemer-Nicolaus
— Sie halten die von Ihnen vorgeschlagenen Änderungen für die einzig richtigen und notwendigen. Aber ob das der Weisheit letzter Schluß ist, werden wahrscheinlich erst die Ausschußberatungen ergeben.

(Zuruf von der SPD: Das sagt Ihnen Herr Minister Starke!)

Ich darf noch wie Herr Dr. Jungmann darauf hinweisen, daß in dem Sozialpaket, im Entwurf der Krankenversicherungsreform auch die Frage des Mutterschutzes angeschnitten ist. Ich halte es für richtig, daß dieses Gesetz jetzt nicht isoliert von den anderen Sozialgesetzen behandelt wird, daß man nicht nur das Problem sieht, das Ihnen jetzt am stärksten am Herzen liegt; vielmehr müssen wir die gesamten sozialen Probleme sehen und zu einer Harmonisierung unserer Gesamtleistung auf sozialem Gebiet kommen.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0404229000
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt (Offenbach).

Dr. Horst Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0404229100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst einige Worte der Erwiderung auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Jungmann. Herr Kollege Jungmann, Sie haben gesagt, daß sich in den letzten Jahren die Zahlen der Mütter- und Säuglingssterblichkeit in der Bundesrepublik gebessert hätten. Ich muß Ihnen da recht geben, ich muß Ihnen aber gleichzeitig dazu sagen, daß sich auch in anderen Ländern, die in der Bekämpfung der Mütter- und Säuglingssterblichkeit weit vor uns stehen, die Zahlen in gleichem Maß gebessert haben und daß der Abstand nach wie vor derselbe ist. Das ist das uns bedrückende Moment.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Zum zweiten haben Sie ausgeführt, daß ein Großteil der Vorschläge, die wir in unseren Gesetzentwurf hineingebracht haben, schon vor drei Jahren in der Vorlage der Bundesregierung bei der gesetzlichen Krankenversicherung vorhanden gewesen sei und daß auch in der neuen Vorlage, die noch gar keine Vorlage ist, ebenfalls verbesserte Maßnahmen festgelegt seien. Sie haben aber dabei vergessen, daß unser Vorschlag viel weiter geht, weil er nicht nur die berufstätige Mutter, sondern alle Mütter umfaßt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Familienhilfe!)

Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten Sie selber zitieren, der Sie am 23. Mai 1962 — Sie wissen das selbst — ausgeführt haben, daß der Schutz der Mutterschaft deshalb auch in dieser Legislaturperiode zu den vordringlichsten Aufgaben der Gesundheits- und Sozialpolitik gehöre. Es heißt dann weiter:
Er wird sich über die arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen hinaus und über die Bestimmungen über die finanzielle Sicherung hinaus auch auf den gesundheitlichen Schutz der Mutter — der nichterwerbstätigen wie der erwerbstätigen Mütter — erstrecken müssen.
Sie sagen weiter, der Schutz der Mutterschaft sollte in einem einheitlichen Gesetz geregelt werden. Ich bin sicher, daß wir, wenn wir diese Dinge betrachten, uns in den Gesprächen in den Ausschüssen näherkommen werden. Im übrigen ist es nicht entscheidend, wann und wo Irgendwelche Vorlagen eingebracht werden, sondern wann diese Vorlagen hier im Parlament zur Sprache gebracht werden.

(Beifall bei der SPD.)

Ich möchte einige ganz kurze Ergänzungen aus ärztlicher. Sicht zu den Ausführungen meiner Kollegin Rudoll machen. Wir haben gehört, daß das Mutterschutzgesetz vom 24. Januar 1952 inzwischen nicht mehr den heutigen Erfordernissen entspricht. Wie auf allen Gebieten hat sich auch die medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnis weiterentwickelt und auch ihre Schlüsse aus der besonderen Situation der berufstätigen werdenden Mütter gezogen. Auf der anderen Seite aber müssen wir feststellen, daß die Doppelbelastung der berufstätigen Frau und Mutter in diesem Zeitraum durch Arbeitskräftemangel und zunehmende belastende Umwelteinflüsse der Zivilisation diese Situation eher noch verschlechtert hat. Von maßgeblicher wissenschaftlicher Seite ist oft genug darauf hingewiesen worden. Ich brauche hier nicht näher darauf einzugehen. Die sehr hohen Zahlen der Mütter- und Säuglingssterblichkeit sind schon genannt worden.
Im Hinblick auf all diese Tatsachen erscheint es uns als eine wichtige staatspolitische Aufgabe, alles nur Mögliche so bald wie möglich zu tun, um die werdenden Mütter und deren neugeborene Kinder besser schützen zu können. Aus diesem Grunde haben wir diesen Gesetzentwurf vorgelegt. Wir beantragen in der Vorlage die Verlängerung der Schutzfristen von 6 auf 10 Wochen vor und nach der Entbindung. Wir wissen uns dabei nicht nur mit den Forderungen namhafter Fachmediziner und der Ärzteschaft, sondern auch — das ist ebenfalls gesagt worden — mit maßgeblichen Politikern der CDU einig. Die Verlängerung der Schutzfristen 'ist in der Tat unumgänglich geworden, nachdem wissenschaftliche Untersuchungen ergeben haben, daß zu lange und zu schwere Arbeitsbelastung der werdenden Mütter die Neigung zu Fehl- und Frühgeburten vergrößert.
Genauso wesentlich ist auch eine Verlängerung der Schutzfristen nach der Entbindung, damit die Mutter nicht zu früh in den sie dann besonders belastenden Arbeitsprozeß zurückgelangt. Im übrigen können wir auch im Hinblick auf das Kind über jeden Tag mehr froh sein, der voll und ganz der Mutter und dem Kind zur gegenseitigen Verfügung steht.
Das zweite Problem ist die Einführung kostenfreier Vorsorgeuntersuchungen 'für die werdenden Mütter, wie wir sie in § 9 a Abs. 1 beantragt haben. Nur wenn es gelingt, daß die werdende Mutter so früh wie möglich zu ihrem Arzt geht, wird es auch möglich sein, Schwangerschaftskomplikationen so rechtzeitig wie möglich zu erfassen und einer schnellen Behandlung und Beseitigung zuzuführen.
Dabei wird in den Ausschußberatungen der Weg zu überlegen sein, wie die schwangeren Frauen



Dr. Schmidt (Offenbach)

noch besser aufgeklärt werden können und wie man die oft bestehende Scheu vor dem Gang zum Arzt, solange noch keine Beschwerden bestehen, überwinden helfen kann. Ich möchte an dieser Stelle an das in Amerika bestehende System der Prenatal Clinics erinnern, das nahezu alle werdenden Mütter umfaßt, in dem Haus- und Krankenhausärzte mit dem öffentlichen Gesundheitsdienst eng zusammenarbeiten, wobei der letztere nur etwa 10 % der werdenden Mütter betreut.
Jedenfalls wird eine intensive Vorsorge der werdenden Mütter in gesundheitlicher Hinsicht nach den jeweils neuesten Erkenntnissen der Medizin in hygienischer Hinsicht mit entsprechenden Hinweisen für die Lebensführung während der Schwangerschaft" und schließlich in psychologischer Hinsicht mit besonderen Ratschlägen für das Verhalten vor und während der Geburt notwendig sein. All diese Dinge helfen mit, unsere hohe Mütter- und Säuglingssterblichkeit zielstrebig abzubauen.
Ein Wort noch zur Klinikentbindung. Wir sind der Auffassung, daß jede werdende Mutter ein Anrecht auf Entbindung in der Klinik hat, wobei selbstverständlich ihr selbst die entsprechende Entscheidungsfreiheit verbleibt. Der jetzige Zustand, der lediglich bei Erwartung von Komplikationen eine Kostenübernahme für die Klinikentbindung erlaubt, ist nicht mehr zeitgerecht, da sehr oft ungünstige Verwandtenhilfe, fehlende Wohnungsmöglichkeiten, die Hetze des Berufslebens, persönliche Hemmungen eine kunstgerechte häusliche Entbindung zumindest erschweren.
Demgegenüber — das darf ich noch sagen — bietet die Krankenhausentbindung alle Vorteile für Mutter und Kind, höchstmöglichen Gesundheitsschutz bei der Entbindung, einwandfreie hygienische Verhältnisse und größtmögliche Pflege in den ersten Tagen nach der Entbindung. In den USA werden beispielsweise mehr als 95 % aller Entbindungen in den Kliniken durchgeführt, und auch wir sollten im Interesse unserer Mütter und Kinder diesen Weg fördern.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten haben diesen Gesetzentwurf eingebracht, um den gesetzlichen Schutz von Mutter und Kind in zeitgerechter und verantwortungsbewußter Weise zu verbessern. Wir halben eine Bestandsaufnahme dessen gemacht, was dabei berücksichtigt werden muß, und wir sind der Auffassung, daß das Geld, das für die gesundheitliche Vorsorge ausgegeben wird, besser angelegt ist als Geld, das man hinterher für Krankheiten und Frühinvalidität ausgibt.

(Beifall bei der SPD.)

Wir bitten — das darf ich abschließend sagen — um Ihre Mitarbeit bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0404229200
Keine weiteren Wortmeldungen. Die Beratung in erster Lesung ist geschlossen. Vorgesehen ist Überweisung an den
Ausschuß für Arbeit — federführend — sowie an den Ausschuß für Gesundheitswesen und den Haushaltsausschuß zur Mitberatung. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf den Punkt 6 der Tagesordnung:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes (Drucksache IV/625),
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 75 GG) (Drucksache IV/633),
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Miessner, Brück, Dorn, Wagner, Ertl, Hübner, Mertes, Dr. Bieringer und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes (Drucksache IV/673).
Das Wort zur Einbringung der beiden ersten Entwürfe hat der Herr Bundesminister des Innern.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0404229300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die besoldungspolitische Diskussion hat in der letzten Zeit sehr hohe Wellen geschlagen. Nach Temperament und Neigung würde ich ganz gern in diesen Ton einstimmen und eine sehr intensive Diskussion mit Ihnen führen, wenn mich nicht einige Gründe naheliegender Art heute daran hinderten, so daß ich mich etwas kürzer fassen muß. Es war geradezu ein Jahrmarkt des Pluralismus, wenn man das so sagen darf. Aber ich muß von diesen hohen Erörterungen, die in der Öffentlichkeit geführt worden sind, zurückführen auf den nüchternen Text der beiden Vorlagen und auf die Wohltaten, die sich in diesen beiden Vorlagen niederschlagen.
Sie wissen, worum es sich handelt. Die beiden Vorlagen sind ja schon geraume Zeit in Ihren Händen, so daß ich davon ausgehen kann, daß Sie sich völlig mit ihnen vertraut gemacht haben und ich den Inhalt nicht zu wiederholen brauche. Es handelt sich schlicht und einfach um ein Anliegen, das ein Anliegen des ganzen Hauses und aller sein müßte, die sich mit dem öffentlichen Dienst befassen und sich darüber Gedanken machen. Es geht darum, die verlorengegangene Einheitlichkeit der Besoldung zwischen dem Bund, den Ländern, den Gemeinden und den übrigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften wiederherzustellen, soweit das überhaupt noch möglich ist.
Sie wissen, daß das Besoldungsgesetz vom Jahre 1957 solche Anstrengungen unternommen hat und daß der Art. 75 des Grundgesetzes ebenfalls solche Ansätze vorsieht. Leider hat dieser Art. 75 des Grundgesetzes in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht ganz die Gnade gefunden, die wir erwartet hätten, um ein einheitliches Besoldungsrecht vorlegen zu können. Es hat sich etwas ausgewirkt, was Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, mir bestimmt bestätigen werden. Die



Bundesinnenminister Höcherl
hervorragende Wirtschaftspolitik, die wir seit zehn Jahren führen, hat natürlich zu einem gewissen Wohlstand geführt, der sich den verschiedenen Breitengraden entsprechend — auch in der Besoldungspolitik niedergeschlagen hat, so daß wir eine ganz differenzierte Entwicklung zu verzeichnen haben, sowohl im Gefüge als auch in den Höchst- und Mindestbeträgen.
Ich will nun keine Berufsgruppen oder Beamtengruppen herausgreifen, die vielleicht äußerer oder innerer Anlaß dafür waren, das einheitliche Gefüge zu zerstören. Auf jeden Fall müssen wir feststellen, daß die Einheit verlorengegangen ist, und ich bin der Meinung, wir sollten für die gleiche Dienstleistung, vor allem auch angesichts der Tatsache, daß sehr viele Länder- und Bundesbeamte nebeneinander in einem Raum an zwei Tischen arbeiten, auch eine Einheitlichkeit der Besoldungsregelung, im Gefüge sowohl wie in den Höchst- und Mindestbeträgen, vorsehen und irgendwie ihren Niederschlag finden lassen. Wir wollen den verlorenen Sohn der Einheitlichkeit und Einheit wieder zurückführen. Das ist der Sinn dieser beiden Vorlagen.
Dies muß sich in zwei Schritten vollziehen, einmal dadurch, daß wir ein gewisses gemeinsames Niveau und eine gemeinsame Linie zwischen den verschiedenen Entwicklungen in den einzelnen Ländern suchen. Das kann nicht die höchste Linie sein und darf nicht die höchste Taxe sein. Das war der Vorwurf, der gelegentlich erhoben worden ist. Es wäre furchtbar einfach, wenn man alles nach oben orientierte und sich bei Höchstpreisen einigte. Meine Damen und Herren, wenn man sich bei Höchstpreisen einigen will, muß man auch die Steuerkraft genauso oder ähnlich gestalten. Das können wir nicht. Wir müssen vielmehr eine mittlere Linie finden, die sowieso nach den Gesetzen des Goldenen Schnitts immer mehr gerechtfertigt ist als der Versuch, alles nach oben hin zu vereinen. Das ist das eine.
Zweitens müssen wir den Art. 75 des Grundgesetzes etwas anders fassen, um der Rechtsprechung gerecht zu werden, die wir selbstverständlich achten, und wir wollen Ihnen eine Formulierung vorschlagen, die eine sehr weitgehende Konzession des Bundes darstellt, eine Formulierung, in der sich Länder und Bund gemeinsam und gegenseitig binden, in Zukunft in der Besoldungspolitik dem Gefüge und den Höchst- und Mindestbeträgen nach aufeinander Rücksicht zu nehmen.
Da hat es nun Leute gegeben — ich möchte sie als unbekannte Föderalisten bezeichnen, als Menschen, die noch niemals auf diesem Gebiet tätig waren —, die erklärt haben: Was geschieht hier den Ländern für ein Unrecht! Man will ihnen Hoheitsrechte nehmen! Meine Damen und Herren, ein kurzer Rückblick auf die Entstehungsgeschichte dieser beiden Gesetze wird Sie sofort belehren, daß die eigentlich Betroffenen, die so sehr bedauert werden von Leuten, die wie gesagt im praktischen Föderalismus recht wenig Erfahrung haben, die eigentlich Betroffenen, die Länder nämlich, zusammen mit dem Bund in einer gemeinsamen Kommission in sehr gründlicher Arbeit diese beiden Gesetzentwürfe mit erarbeitet haben und daß wir selbst im Bundesrat nur eine einzige Gegenstimme — ich will das Land gar nicht nennen; Sie können es nachschlagen; es ist nicht das ärmste Land — gehabt haben. Die Unterschiede sind durchaus verständlich, es muß sie auch geben, und zwar aus wirtschaftlichen und wettbewerblichen Gesichtspunkten. Aber immerhin, die Länder haben zugestimmt, überwältigend zugestimmt. Dabei möchte ich sagen: die Lobbyisten —so will ich sie nicht nennen, „Interessenverbände" auch nicht, das sind alles Abwertungen; es liegt aber ungefähr in der Ecke —, die sich damit befassen und sagen, damit geschehe den Ländern Unrecht, sollten eines bedenken: man sollte sich nicht um fremdes Unrecht kümmern,

(Widerspruch bei der SPD)

wenn derjenige, der selbst betroffen ist, meint, es sei ihm gar kein Unrecht geschehen. Natürlich müssen wir uns um fremdes Unrecht kümmern. Aber wenn wir uns um das Unrecht, das uns gelegentlich von Ihrer Seite angetan wird, so intensiv kümmern wollten, wie Sie das gelegentlich bei uns machen, hätten wir nichts anderes zu tun als zu polemisieren. Aber uns drängt ja die praktische Arbeit, wie Sie wissen.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Immerhin ein Eingeständnis, daß Sie ständig polemisieren!)

— „Müßten wir" habe ich gesagt, Herr SchmittVockenhausen!
Ich bitte Sie dringend, meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Gesetzentwürfe wohlwollend aufzunehmen und sehr entschieden zu beraten. Das ist die Voraussetzung für eine Einheitlichkeit.
Aber ich muß bei dieser Gelegenheit noch auf etwas anderes hinweisen. Die öffentliche Diskussion hat den Eindruck erweckt — und es ist auch geradezu expressis verbis ausgesprochen worden —, wir seien die Stiefväter der Bundesbeamten. „Herzlosigkeit" und ähnliche Ausdrücke wurde gefunden. In dieser atomistischen Beratung — Sie wissen doch, welch schlechtes Verhältnis wir zu diesem ganzen Begriff haben wird in der Diskussion ein Vorfall herausgegriffen, z. B. das Überbrückungsgeld, wird magisch beleuchtet mit sehr gewandten Formulierungen eben aus diesem Bereich, den ich vorhin angesprochen habe, und das ist die Besoldungspolitik.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Sie beleuchten das doch fast jede Woche mit anderem Aspekt!)

— Wer? Ich?

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Nein, Ihre Kollegen aus anderen Fraktionen und der Finanzminister!)

— Nein, nein. — Das wird nun herausgehoben, und das ist der Mittelpunkt der ganzen Besoldungspolitik, meine Damen und Herren. Der Bund hat es etwas schwerer als die Länder und die Gemeinden.
Ich darf vielleicht ein Beispiel herausgreifen, das Sie interessieren wird. Wir hatten damals den in-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bunn, Mittwoch, den 24. Oktober 1962 1843
Bundesinnenminister Höcherl
teressanten Kampf um die Weihnachtszuwendungen. Das ist auch etwas, das gar nicht so sehr in die klassischen Grundsätze des Besoldungsrechts paßt. Da waren die Gemeinden natürlich vorausgeeilt, dieselben Gemeinden, die sehr oft bei uns, hier an diesem Tisch, ihre Finanznot beklagen. Das paßt alles nicht so richtig zusammen. Die Gemeinden haben nur einen bestimmten Personenkreis zu betreuen, z. B. auch die Fürsorgeempfänger. Die hat man beim Weihnachtsgeld vergessen. Den Beamten hat man es gegeben. Die Länder haben überhaupt keine zusätzlichen Personenkreise zu betreuen; sie können sich konzentrieren.
Wir vom Bund haben nicht nur Besoldungspolitik zu machen und darauf zu sehen, daß eine Einheitlichkeit zustande kommt, sondern wir müssen links und rechts sehen, was sich im sozialen und sonstigen Bereich noch alles anschließt, und wir müssen auf die Relationen achten. Deshalb haben wir es schwerer.
Am allerschwersten hat es die Regierungskoalition, weil sie gleichzeitig das Geld dafür beschaffen muß, während Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sich doch immer darauf beschränken, in den großen Wettbewerb der Forderungen einzutreten und zu erklären: Das Geld zu beschaffen ist selbstverständlich Aufgabe der Regierungskoalition: — Ich will Ihnen einmal etwas sagen. Wenn Sie in ganz ferner Zeit — es wird sehr lange dauern, wenn Sie nämlich so fortfahren — einmal in die Regierung kommen sollten, dann werden Sie an die schönen Zeiten der Opposition zurückdenken, wie Sie von der guten Tante CDU/CSU gut behandelt worden sind.

(Große Heiterkeit. — Beifall bei der CDU/ CSU — Abg. Schmitt-Vockenhausen: Wir werden dafür sorgen, daß Sie schöne Zeiten kriegen!)

Um nun aber mit einem ganz kleinen Beitrag nachzuweisen, daß wir keine Stiefväter waren, sondern daß wir sehr wohl unsere Pflichten wahrgenommen haben, die auch in einem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts niedergelegt sind, möchte ich folgendes ausführen. Unsere Pflichten sind dort übrigens durchaus nicht so festgelegt, wie der Beschluß immer zitiert wird. Es ist eine alte Juristenweisheit, daß man den zweiten Absatz eines Textes ebenfalls lesen muß, nicht nur den ersten, weil im ersten oft etwas ganz anderes steht. Im zweiten Absatz dieses Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts steht nun, daß man sich auf die finanzielle Ordnung zu besinnen hat. Die finanzielle Ordnung wird unterschlagen, wenn dieser Text zitiert wind, und das, was im ersten Absatz steht, wird in den Vordergrund geschoben. Ich habe zwar Verständis dafür, daß es beim Disputieren und in der Diskussion in der Art gehandhabt wird. In der Verantwortung geht es nicht ganz so. Dann muß die Sache etwas ernsthafter angefaßt werden.
Es ist doch ganz interessant, daß selbst diese sehr geschmähte Harmonisierungsnovelle den Bund 190 Millionen DM kostet. — Ich habe mich dieses Ausdrucks „Harmonisierungsnovelle" bedient; er paßt sehr gut zu unserer europäischen Politik, wo ebenfalls gemeinsame Wege gesucht werden, die wir mit dem Begriff der Harmonisierung ansprechen. — Selbst diese sehr bescheidene Novelle kostet also den Bund rund 190 Millionen DM, und wenn man die Versorgungsempfänger einbeziehen wollte, fast noch einmal denselben Betrag. Das ist also ganz und gar keine Kleinigkeit, wenn Sie auch einmal den Steuerzahler etwas zu Rate ziehen, der immer die Ehre hat, unsere Beschlüsse mit seiner Arbeit und aus seiner Tasche zu bezahlen. Das wird dabei immer wieder vergessen. Hier wird geradezu ein fiktives Dasein von Geld vorausgesetzt, indem man meint, der Staat habe ja eine gefüllte Kasse; aber wie diese Kasse gefüllt wird, wieviel Schweiß und Arbeit damit verbunden ist, wird nicht zur Kenntnis genommen. Hier müssen Sie etwas gründlicher werden, meine Damen und Herren von der Opposition.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Sie wollen doch auch ein angemessenes Gehalt!)

— Ich bin zufrieden, weil ich ein bescheidener Mensch bin.

(Große Heiterkeit. — Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Matzner: Da wäre ich auch bescheiden!)

Ich darf Ihnen aber ein kleines Tableau vorhalten und darf Ihnen sagen, was alles gegeben worden ist. Wir haben z. B. in den Jahren 1960/61 kurz hintereinander 7 und 8 % gegeben, auch mit gewissen Schwerpunkten in dem unteren Bereich, der uns ja besonders am Herzen liegt. Dann gab es eine Kühlthau-Novelle, meine Damen und Herren, die erhebliche Gelder gekostet hat.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Die Verbesserungen haben wir der Bundesregierung entrissen und im Bundestag gemeinsam beschlossen!)

— Gemeinsam beschlossen?

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Vergessen Sie den Kampf vorher nicht!)

— Ja, gut, Sie sollen sie doch bloß in die Bilanz aufnehmen. Ich habe gar nichts dagegen, ich bin durchaus bereit anzuerkennen, daß Sie einen großen Eifer auf diesem Gebiet entfalten, der nur nicht so ganz zweckmäßig und sachlich begründet ist.

(Abg. Matzner: Das können Sie nicht sagen! — Weitere Zurufe von der SPD.)

— Immerhin gebe ich zu, daß Sie dort einen großen Eifer entfalten, gelegentlich einen Übereifer, wo Sie nicht für die finanzielle Regelung sorgen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Matzner: Darum haben wir uns immer gekümmert!)

Dann speisen sich die Einkünfte der Beamten nicht nur aus Grundgehalt und Ortszuschlägen, sondern aus vielen anderen Quellen, die einfach unter den Tisch fallen. Ich darf z. B. das Ortsklassenverzeichnis herausgreifen, das laufend von uns verbessert wird. In den letzten Jahren sind allein über 750 Ortschaften höher eingestuft worden, das heißt, daß sofort mehr in die Tasche des einzelnen fließt.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Aber nach unten ebenfalls!)




Bundesinnenminister Höcherl
Was sich auf dem Sektor des Stellenplans, des Stellenkegels und der Dienstpostenbewertung von den Gemeinden ganz spezifisch mit Schwerpunkt über das Land Ibis hinauf zum Bund abgespielt hat, bringt ebenfalls Vorteile.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Sie dürfen doch nicht bei der Stellenbewertung die Verhältnisse im Bundeskanzleramt mit der Post vergleichen!)

— Auf die von Ihnen angesprochene Post werde ich noch mit dem neuesten Vorschlag kommen, der bereits am 4. Oktober vom Kabinett verabschiedet wurde und der übermorgen den Bundesrat passieren und dann Sie erreichen wird. Ich will ihn ganz kurz in die Debatte einbeziehen, damit wir uns die erste Lesung sparen können und damfit Sie sich, Herr Schmitt-Vockenhausen, mit Verve auf die Beratungen stürzen können und in zügiger Beratung die Korrektheit der 'finanziellen Ordnung nachweisen können. Dazu werden Sie Gelegenheit haben.
Ich darf noch darauf hinweisen, daß nicht nur in diesem Zweig Steigerungen eingetreten sind, sondern auch bei den Tage- und Übernachtungsgeldern, den Jubiläumszuwendungen, den Beihilfen, ein Vorgang, der allein im Bundesbereich an zusätzlichen Leistungen bei Krankheits- und Todesfällen usw. und an Schulbeihilfen 60 Millionen DM und bei der Bundespost über 90 Millionen DM in einem Jahr ausmacht. Ich weiß nicht, ob die Öffentlichkeit mit diesen Dingen so vertraut ist, wie das notwendig wäre. Wenn man das alles zusammenzählen würde, würde das ein ganz erkleckliches Gesamtpaket ergeben.
Und jetzt darf ich auf folgendes hinweisen. Die Bundesregierung war nicht, wie Sie meinen, säumig. Die Bundesregierung hat bereits, wie ich schon erwähnen durfte, am 4. Oktober ein neues Besoldungserhöhungsgesetz verabschiedet. Dieses enthält nicht die sterile Lösung einer Erhöhung von 6 % des Grundgehalts ohne Rücksicht auf Familie, ohne Rücksicht auf den sozialen Status des einzelnen und darauf, welcher Einkommensgruppe er angehört.

(Zuruf von der SPD: Endlich! — Weitere Zurufe von der SPD.)

— Das haben Sie nicht immer gesagt, sondern wir haben das zum erstenmal vertreten.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Wenn Sie sich früher um die Dinge gekümmert hätten, hätten Sie das nicht gesagt!)

— Das haben Sie nicht in dem Maße gesagt, Herr Schmitt-Vockenhausen, aber ich will es Ihnen jetzt vortragen. Sie haben es noch nicht genau studiert, weil der Entwurf erst beim Bundesrat ist. Ich möchte Ihnen kurz sagen, was in Aim steht.
Das neue Besoldungserhöhungsgesetz hat zwei Schwerpunkte. Der erste Schwerpunkt liegt im Bereich des einfachen und mittleren Dienstes. Wegen der automatischen Verzahnung Mit Tarifverträgen, die wir soeben abgeschlossen haben und nicht von uns aus ändern können, bis hinunter in den Bereich der Gemeinden, wird diese Lösung in zwei Phasen vollzogen werden müssen. In der ersten Phase werden durch die Anhebung des Spannungsverhältnisses von 120 % auf 130 % im kleinen Bereich Verbesserungen erzielt. Mit dem Eintreten der zweiten Phase 'werden der berühmte Postbeamte und der berühmte Bahnbeamte, von dem Sie sprechen und den auch wir in unser Herz geschlossen haben, zum erstenmal 60, 70, 80 DM und mehr bekommen. Der Familienvater, der bisher in den Tarifverträgen, wo es stur nach Parallelverschiebungen geht, auf die Seite geschoben wird, wird bei uns so behandelt, daß er im Endergebnis zahlenmäßig und im Prozentsatz genauso dasteht wie der Unverheiratete und der Junggeselle. Diese Lösung schlagen wir Ihnen vor.
Das ganze Paket insgesamt macht einen Betrag aus, mit dem wir uns sehen lassen können. Die Beamtenbesoldung ist niemals in dem täglichen Zickzack der Diskussion, der gelegentlich demagogischen Diskussion

(Zuruf von der SPD: Besonders heute!)

entwickelt worden, sondern sie ist in großen Zügen genauso entwickelt, wie das 1960 und 1961 der Fall war und wie das 1962 geschehen soll. Ich darf Ihnen zum Schluß diese beiden Novellen und das, was wir vorhaben — das gesamte Tableau bitte ich zu berücksichtigen , sehr zu einer zügigen Beratung anempfehlen. Ich darf feststellen: Der Bund war nicht ein Stiefvater der Beamten, sondern, wenn ich es vielleicht in eine kurze Formel bringen darf, ein guter Onkel der Beamten.

(Beifall und Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0404229400
Meine Damen und Herren, Sie haben die Einbringung der beiden Vorlagen gehört. Ich eröffne die Beratung. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brück.

Valentin Brück (CDU):
Rede ID: ID0404229500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist für mich nicht so ganz einfach als Kölner — ich bin zwar nur ein „Imi" —, nach einem so temperamentvollen Bayern zu sprechen; aber gestatten Sie mir trotzdem, daß ich in dieser Aussprache um Ihr Verständnis bitte, wenn ich auch Dinge einbeziehe, die in einem größeren Zusammenhang gesehen und realisiert werden müssen.
Hierdurch will ich sofort deutlich machen, daß der öffentliche Dienst, insbesondere das Beamtentum, in seiner Vielschichtigkeit nur in Verbindung mit der Gesamtheit aller Wünsche und berechtigten Anliegen gesehen werden kann.

(Zuruf des Abg. Schmitt-Vockenhausen.)

— Wie bitte?

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Entschuldigen Sie, Herr Kollege, es geht um den Innenminister. Wenn man schon nach einer solchen Rede weggeht, muß man mindestens sagen, daß man weggeht! Das ist eine Frage des Takts! — Unruhe.)

— Ich möchte mich hier nicht einschalten, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen.



Brück
Ich glaube, wir sollten uns doch, wie es auch der Herr Bundesinnenminister getan hat, noch einmal kurz mit dem beschäftigen, was gestern war und geschehen ist, bevor wir das betrachten, was heute ist und morgen sein soll. Da muß ich einmal ganz offen folgendes sagen, und wahrscheinlich werden Sie mir da alle zustimmen. Hätte im Jahre 1945, als unser Vaterland in Scherben lag, jemand auch nur im entferntesten daran zu glauben gewagt, daß der öffentliche Dienst und hier im besonderen das Beamtentum wieder dieses gute Fundament sowohl in ideeller wie in materieller Hinsicht erhalten würde? Inzwischen ist es allgemeiner Grundsatz geworden: was einst Berufsbeamtentum war und jetzt wieder ist,

(Abg. Wittrock: Warum regen Sie sich denn auf?)

muß für alle Zukunft Berufsbeamtentum bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU — Erneuter Zuruf des Abg. Wittrock.)

— Jetzt möchte ich einmal etwas sagen. Der Kollege Schmitt-Vockenhausen hat um eine sachliche Darstellung gebeten, und darum bemühe ich mich. Wenn wir uns darüber verständigen könnten, Herr Kollege Wittrock, daß wir in dieser Frage ganz sachlich miteinander sprechen wollen, wäre ich Ihnen sehr dankbar.

(Abg. Wittrock: Dagegen habe ich doch nichts! Sie sollten sich nicht so erregen! — Abg. Matzner: Der Minister hat es nicht getan!)

— Herr Kollege Matzner, ich habe jetzt meinen Standpunkt darzulegen, und ich bemühe mich, in dieser Frage die Dinge sachlich und real zu sehen.
Auf Grund dieser Überlegung sind die entsprechenden Gesetze in der Vergangenheit entworfen, beraten und verabschiedet worden. Ich darf nur auf die Standardgesetze hinweisen: das Bundesbeamtengesetz, das Personalvertretungsgesetz, das Wiedergutmachungsgesetz mit 6 Novellen, das Gesetz zu Artikel 131 des Grundgesetzes mit 3 Novellen, das Bundesbesoldungsgesetz, das eben schon angesprochen worden ist, mit zwei Erhöhungsgesetzen, das Beamtenrechtsrahmengesetz, das Soldatenversorgungsgesetz mit ergänzenden Gesetzen sowie das eben vom Herrn Innenminister angesprochene Gesetz zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften im vorigen Jahr, wozu Herr Matzner sagte: Das haben wir hier gemeinsam der Regierung entrissen.
Darf ich hier eine Bemerkung einfügen? In diesem Entwurf stand auch etwas, was nicht ganz so angenehm war; es sollte etwas revidiert werden.

(Abg. Matzner: Das war die Ursache der Novelle!)

— Herr Kollege Matzner, ich will das nur mal sagen. Wir sind uns wahrscheinlich darüber im klaren, daß diese Frage geregelt werden muß. Ich will von dem, was jeder hat, vom sogenannten Besitzstand, gar nicht sprechen. Ich meine aber, wir müßten diese Dinge zukunftgestaltend recht bald regeln. geln.

(Abg. Matzner: Aber im großen Rahmen!)

— Im großen Rahmen, Herr Kollege Matzner, damit diese Dinge aus der Welt kommen.
Daneben sind noch eine ganze Reihe von Gesetzen und Änderungsgesetzen erlassen worden, die alle mehr oder weniger finanzielle Auswirkungen hatten und in der Zukunft haben werden. In unserem Vaterland, an dessen mühsamem Wiederaufbau der öffentliche Dienst neben den anderen Schichten unseres Volkes in ganz besonderer Weise mitgeholfen hat, sind immer noch Spuren dieser im Jahre 1945 vorhanden gewesenen Konkursmasse sichtbar. Einige wenige Zahlen beweisen das sehr deutlich. Einschließlich Soldaten und Richtern sind zur Zeit im gesamten Bundesgebiet zirka 780 000 aktive Beamte beschäftigt. Dagegen werden an 828 000 Versorgungsempfänger Ruhegehälter, Hinterbliebenen- oder Übergangsbezüge gezahlt. Bei den Ländern sind 529 000 Beamte beschäftigt. Hier sind nur 295 000 Versorgungsempfänger vorhanden. Aus diesen vier Zahlen ist deutlich erkennbar, welche Kriegsfolgelasten allein auf diesem Sektor für den Bund und damit für den Bundeshaushalt vorhanden sind.
Wir von der CDU sind stolz darauf, daß auch der öffentliche Dienst angemessen an der wirtschaftlichen Entwicklung beteiligt worden ist, wenn auch dann und wann vorübergehend im öffentlichen Dienst eine gewisse Unzufriedenheit festzustellen war. Aber in diesem Zusammenhang möchte ich doch sagen: Welcher Stand in unserem Volke wird immer voll und ganz für alle Zeiten zufrieden sein? Das gilt auch für den öffentlichen Dienst.
Das bedeutet keinesfalls, daß wir mit dem Erreichten für alle Zukunft zufrieden sein wollen; im Gegenteil, wir sind uns unserer Verpflichtung gegenüber dem öffentlichen Dienst voll und ganz bewußt und werden uns im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten immer für berechtigte Wünsche — ich betone ganz besonders die Worte ;,finanziell möglich" und „berechtigt" — mit ganzer Kraft einsetzen.
So begrüßen wir auch die Vorlage eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes und den Entwurf eines Dritten Besoldungsgesetzes, das dem Bundesrat zugeleitet worden ist. Beide Gesetzentwürfe muß man hinsichtlich ihrer materiellen Auswirkungen im Zusammenhang sehen.
In der Plenarsitzung vom 27. Juni 1962 hat unser Fraktionsvorsitzender, Herr Dr. von Brentano, für die Koalitionsparteien unter anderem erklärt:
Die beiden Fraktionen werden nach Wiederzusammentritt des Bundestages unverzüglich die Beratungen über die Anpassung aufnehmen.
— Im Zusammenhang damit ist natürlich die Besoldungssituation gemeint —
Hierbei ist die schwierige Situation der unteren Einkommensgruppen im öffentlichen Dienst besonders zu berücksichtigen.
Herr Dr. von Brentano hat sofort nach dieser Plenarsitzung die entsprechenden Weisungen gegeben, da-



Brück
mit die erforderlichen Überlegungen und Ausarbeitungen während der Sommerferien in Angriff genommen wurden. Ich möchte heute und an dieser Stelle Herrn Dr. von Brentano auch im Namen meiner Kollegen für diesen Auftrag danken. Denn wir stellen nunmehr mit Befriedigung fest, daß die Bundesregierung im Dritten Besoldungserhöhungsgesetz unseren Vorstellungen gefolgt ist.

(Zuruf des Abg. Schmitt-Vockenhausen.)

— Es braucht gar nicht geklascht zu werden, Herr Schmitt, ich stelle rein sachlich fest.
Der Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes läßt sicherlich noch einige Überlegungen offen. So möchte ich nur auf das Problem der strukturellen Überleitung und die Frage der Stellenzulage hinweisen. Auf das Problem der strukturellen Überleitung wird mein Kollege Wagner von der CSU näher eingehen. Lassen Sie mich aber bitte zu der letzten Frage etwas sagen, nachdem auch der Herr Innenminister das Problem, das in § 21 des Bundesbesoldungsgesetzes behandelt ist — die Stellenzulage — vorhin bereits angesprochen hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der Beratung des Bundesbesoldungsgesetzes im Jahre 1957 haben wir uns mit dieser Frage schon sehr eingehend beschäftigt, und alle Sachkenner werden wissen und zugeben, daß man mit dem § 21 des Bundesbesoldungsgesetzes das Problem nicht lösen kann, wenn nicht gegen alte Fundamente der Haushaltsordnung verstoßen werden soll — eine Frage, die unendlich schwierig ist. Wir haben ja hier gemeinsam eine Entschließung angenommen, in der die Bundesregierung aufgefordert worden ist, dieser Frage ihr besonderes Augenmerk zu widmen, und ich möchte auch heute wieder die Bitte an die Bundesregierung richten, sich dieser Frage noch einmal anzunehmen.
Ich stelle fest, daß in der Vergangenheit schon etwas geschehen ist. Beispielsweise hat der Amtsvorgänger des Herrn Bundesfinanzministers Dr. Starke, Herr Bundesminister a. D. Franz Etzel, sich vor zwei Jahren speziell des Zolls besonders angenommen; da ist eine erhebliche Verbesserung eingetreten. Ich bin aber der Meinung, bei den großen Verwaltungen, bei der Bahn, bei der Post, auch beim Zoll, sollte noch mehr geschehen, als bisher geschehen ist. Ich will um Gottes willen keine Ausweitung der Planstellen, bin aber der Meinung, es müßte wirklich noch einmal sehr ernsthaft geprüft werden, wie zu erreichen ist, daß die Leute nicht viele Jahre auf den höher bewerteten Posten sitzen, bevor sie in den Genuß der höheren Besoldung für ihre eigentliche Leistung kommen. Deshalb meine herzliche Bitte an die Bundesregierung, dieser Frage doch auch in der Zukunft ihr besonderes Augenmerk zu widmen.
Ich sage noch einmal: mit dem § 21, in dem die Stellenzulage vorgesehen ist, kann man dem Problem nicht gerecht werden. Ich bin sogar bereit, der Bundesregierung zu empfehlen, bei der Bewertung der Dienstposten unbedingt mitzuwirken, damit diese Dinge in eine gute Harmonie kommen. Die Damen und Herren, die dabei waren, wissen, daß wir uns auch bei der Beratung des vorliegenden Gesetzes mit dieser Frage beschäftigen. Ich hätte aber gern, daß die Bundesregierung von sich aus schon etwas täte.
Ich bin nun der Meinung, daß — bei aller Kritik — das von der Bundesregierung vorgelegte Änderungsgesetz zum Bundesbesoldungsgesetz doch eine ganze Menge guter Dinge enthält; und die, glaube ich, sollten wir zunächst einmal sehen.
Zu der beabsichtigten Grundgesetzänderung wird mein Fraktionskollege Herr Professor Süsterhenn Stellung nehmen.
Zu dem Dritten Besoldungserhöhungsgesetz in Verbindung mit der Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes kann man doch wohl mit Nachdruck sagen, daß die Erhöhung mehr als 6 % beträgt und daß den unteren Einkommensgruppen eine merkliche Verbesserung zuteil wird. Der Herr Bundesinnenminister hat hier soeben Pauschalbeträge genannt. Im einzelnen möchte ich sagen, daß die Erhöhung der Grundgehälter im Endgehalt bei A 2 46,38 DM, bei A 3 60,82 DM, bei A 4 75,26 DM und bei A 5 80,58 DM beträgt. Daneben tritt, wie der Herr Bundesinnenminister hier bereits ausgeführt hat, am 1. April 1963 auch eine 6%ige Erhöhung des Ortszuschlages ein, in dem das Familienelement enthalten ist und eine Verbesserung, wenn auch in bescheidenem Rahmen, vorgenommen wird.
Wir begrüßen es ganz besonders, daß, wie im Dritten Besoldungserhöhungsgesetz erkennbar geworden ist, alle diese Verbesserungen in vollem Umfange den Versorgungsempfängern und den Hinterbliebenen zuteil werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte für die Christlich-Demokratische Union sagen, daß wir mit dem Blick auf gestern das Neue von morgen gern gestalten wollen und dabei nie vergessen, daß wir einzig und allein über die Gegenwart verfügen.
Lassen Sie mich mit einem Wort schließen, das ich vor wenigen Tagen in einer führenden deutschen Zeitung gelesen habe und dessen sich Herr Professor Dr. Karl Jaspers in Basel bedient hat. Dieses Wort lautet:
Denn leicht und schnell ist der Gedanke, schwer aber ist und unendliche Geduld fordert der Umgang mit der Wirklichkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0404229600
Meine Damen und Herren, wir wollen mit Rücksicht auf die Einladung des Herrn Bundespräsidenten heute um 18.30 Uhr schließen. Ich habe bis jetzt sieben weitere Wortmeldungen zu diesem Punkt. Ich glaube, zwei weitere sind noch dazu angekündigt, also neun. Ich bitte die Damen und Herren, sich an eine Bestimmung der Geschäftsordnung zu erinnern, wonach in der ersten Lesung nur die wesentlichen Grundzüge der Vorlage zu diskutieren sind. Halten Sie sich daran, dann werden wir pünktlich um 18.30 Uhr fertig.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Wenn sich die Regierung daran gehalten hätte!)

Deutscher Bundesteig — 4. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1962 1847
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gscheidle.

(Vorsitz: Vizepräsident Schoettle.)


Kurt Gscheidle (SPD):
Rede ID: ID0404229700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß die letzten Worte des Abgeordneten Brück nicht das Ohr des Bundesinnenministers erreicht haben.

(Beifall bei der SPD.)

Der Bundesinnenminister hat — das muß ich bei aller Bemühung um Sachlichkeit sagen — soeben bei seiner Berichterstattung einige Bemerkungen gemacht und Feststellungen getroffen, die, so möchte ich annehmen, auf falscher Information beruhen.

(Abg. Matzner: Sehr richtig!)

Ich bestätige dem Herrn Abgeordneten Brück sehr gerne, daß er sich um Sachlichkeit bemüht hat. Ich will es trotz der Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers auch tun.
Die Initiativen der Bundesregierung auf besoldungsrechtlichem Gebiet kann man aus der Erfahrung der letzten 13 Jahre wohl umschreiben mit sehr zögernd, unzureichend und ohne Gesamtkonzeption. Wenn der Herr Innenminister demgegenüber von einer Wohltat gesprochen hat, dann ist der Wunsch der Vertreter der Regierung und auch der Koalitionsparteien sicherlich berechtigt, diesen Vorwurf etwas näher begründet zu erhalten.
Der heutigen Beratung liegen zwei Gesetzentwürfe der Bundesregierung zugrunde, einmal der Gesetzentwurf zur Änderung des Art. 75 des Grundgesetzes und zum anderen die sogenannte Harmonisierungsnovelle. Nach der Begründung der Harmonisierungsnovelle glaubt die Bundesregierung, daß diese Novelle wegen der damit zusammenhängenden Beratungen nicht vor dem 1. April in Kraft treten kann. Selbst derjenige, der keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vorlage zu Art. 75 hat, wird aber hinsichtlich der Bestimmung in der Harmonisierungsnovelle, nach der die Bezüge der Lehrer gebunden werden sollen, Bedenken haben. Ohne Zweifel ist also die später zu behandelnde Vorlage zu Art. 75, die nach der Geschäftsordnung heute später zu behandeln ist, Voraussetzung dafür, daß die Harmonisierungsnovelle in diesem Punkt in Kraft treten kann.
Der Herr Bundesinnenminister hat ferner — und der Herr Abgeordnete Brück hat es ebenfalls getan — auf das Dritte Besoldungsänderungsgesetz hingewiesen. Dieses Dritte Besoldungsänderungsgesetz soll am 1. Januar in Kraft treten. Es liegt aber diesem Bundestag noch gar nicht vor, sondern liegt zur Zeit beim Bundesrat. Es muß jedoch, damit die Dinge verständlich dargestellt werden können, mit einbezogen werden.
Ich möchte mit dieser kurzen Darstellung nur darauf hinweisen, daß mir schon in dieser zeitlich unterschiedlichen Vorlage der Dinge ein nicht ausgereiftes Konzept vorzuliegen scheint.
Zwischendurch möchte ich mir die Bemerkung erlauben, daß das Tätigwerden von Abgeordneten der Koalitionsparteien, das unter Buchstabe c zu behandeln ist, wiederum zeigt, daß gerade jene Andeutungen, die der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU gemacht hat und auf die Herr Brück Bezug genommen hat, nicht verwirklicht wurden,

(Beifall bei der SPD)

sondern daß es einigen Abgeordneten der Regierungsparteien überlassen blieb, diese Initiative
selbst zu entwickeln. Wir sind dafür recht dankbar.
Ich komme nun 'im einzelnen zu den vorliegenden Gesetzentwürfen, und Sie werden mir entsprechend meiner Einleitung gestatten, zunächst einmal den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Art. 75 des Grundgesetzes zu behandeln. In den vergangenen Jahren ist tatsächlich eine unterschiedliche Entwicklung der Besoldung eingetreten. Das Ziel dieses Entwurfs soll sein, dieser Entwicklung zu begegnen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die augenblickliche verfassungsmäßige Ermächtigung nicht ausreicht, dieses Ziel zu erreichen. Sie macht deshalb einen entsprechenden Vorschlag.
Die in der Begründung genannten Unzuträglichkeiten sind so umschrieben, daß die Tatsache, daß Bundes- und Landesbeamte mit unterschiedlicher Besoldung arbeiten, zu Unzuträglichkeiten führen müssen, daß zweitens die Uneinheitlichkeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden einen Sog erzeugt, und zwar dort, wo die höhere Bezahlung ist, und daß drittens Übertritte von einem Dienstherrn zum anderen auf Grund dieser Tatsache erschwert werden. Dem ist zuzustimmen. Es ist auch der Auffassung im Grunde zuzustimmen, daß es wünschenswert wäre, ein einheitliches Besoldungsrecht zu schaffen. Angesichts der Einheitlichkeit dieser Auffassung ist deshalb von mir in erster Lesung für meine Fraktion nur die Frage zu stellen: wird denn die Vorlage diesem Ziel gerecht, ist der vorgeschlagene Weg geeignet, dieses Ziel zu erreichen? Lassen Sie mich unter Beachtung dieser zwei Gesichtspunkte das Ergebnis in kurzen Worten — entsprechend 'der Empfehlung des Herrn Bundestagspräsidenten — darstellen.
Zunächst einmal haben wir verfassungspolitisch die allergrößten Bedenken, wenn wegen Tagesprobleme die Verfassung geändert werden soll.
'(Sehr richtig! bei 'der SPD.)

Ich darf vielleicht in dem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die amerikanische Verfassung, die immerhin 175 Jahre alt ist, nur 23mal geändert wurde, während unser Grundgesetz in dieser kurzen Zeit schon 13mal geändert worden ist.

(Abg. Schmücker: Unterschiedliche Entstehungsgeschichte!)

— Sie werden mir zugeben, Herr Abgeordneter, daß die Zeitentwicklung, die es überall notwendig machen wird, die Verfassung zu ändern, in einem Zeitraum von 175 Jahren anders zu veranschlagen ist als in einem Zeitraum von 13 Jahren.

(Abg. Schmücker: Die Amerikaner haben ihre Verfassung völlig frei selbst gemacht! Sie wissen, unter welchen Umständen unser Grundgesetz entstanden ist!)

1848 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Mittwoch, ,den 24. Oktober 1962
Gscheidle
— Glauben Sie, daß die Amerikaner beispielsweise aus einem solchen Grund ihre Verfassung ändern würden? Sie sollten überzeugt sein, daß sie es nicht täten.

(Beifall bei der SPD. — Zuruf des Abg. Schmücker.)

— Richtig! Ich komme noch darauf, daß das aus verfassungssystematischen Gründen höchst fragwürdig ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber Sie wissen, daß die Mitglieder des Obersten Gerichtshofes sehr viel elastischer auf neue Gedanken eingehen!)

— Wenn Sie mir gestatten, meinen Gedankengang fortzuführen, werde ich an einen Punkt kommen, wo, wie ich annehme, Ihre Frage erschöpfend behandelt werden wird.
Zunächst stehen wir aus verfassungspolitischen Gründen jeder Grundgesetzänderung mit sehr großen Vorbehalten gegenüber, zumal Sie mir zugeben müssen, daß sich nach Berichten der Tagespresse Andeutungen häufen, wonach es immer dann, wenn irgend jemand bei seinem Bemühen, eine gesetzliche Regelung zu erreichen, mit der Verfassung in Konflikt kommt, heißt: Dann ändern wir halt die Verfassung.
Die weiteren Bedenken, die wir anzumelden haben, sind verfassungsrechtlicher Art. Ich darf, um Ihnen zu zeigen, daß solche Überlegungen nicht an parteipolitische Standpunkte gebunden sind, auf die Beratungen im Bundesrat hinweisen, wo der Vertreter des Landes Nordrhein-Westfalen unter Hinweis auf Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes solche Bedenken vorgetragen hat. Sie erscheinen uns zumindest erwägenswert.
Das dritte Bedenken ist verfassungssystematischer Art und deckt sich, glaube ich, mit dem Einwurf des Herrn Abgeordneten Dorn, den ich hoffentlich richtig verstanden habe. Es geht hier nicht nur darum, wie der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein angedeutet hat, die Änderung eventuell nicht in Art. 75, sondern in Art. 74 vorzunehmen, sondern es ,geht auch darum, ob man überhaupt die Festlegung von Höchst- und Mindestbeträgen in der Verfassung angesichts des Aufbaues, den unsere Verfassung hat, vornehmen soll. Hinzu kommt aber auch noch das verfassungssystematische Bedenken, ob diese Konkurrenzregelung, bei der der Bund eine erweiterte Zuständigkeit erhält, er jedoch die Länder noch mitreden läßt, in Art. 75 paßt, weil eine solche Regelung zumindest an dieser Stelle neu ist und sich erst in Art. 105 Abs. 3 wiederfindet.
Unbeschadet solcher rechtlichen Überlegungen zum Entwurf scheint es mir aber geradezu von größter Bedeutung zu sein, zu überlegen, ob man überhaupt durch die Erweiterung der Zuständigkeit des Bundes auf besoldungsrechtlichem Gebiet das Ziel erreichen kann. Es ist nämlich jederzeit noch möglich, über das Haushaltsrecht, über den Stellenplan etwas zu ändern. Es ist also die Frage: ist es möglich, wenn ,wir im Bundesgebiet einheitlich für Bund und Länder die Bezüge eines Oberinspektors durch Mindest- und Höchstbetrage festlegen, das erstrebte
Ziel zu erreichen, solange die gesetzgebenden Körperschaften jederzeit in der Lage sind, soviel Oberinspektor- und Amtmannstellen zu schaffen, wie sie lustig sind?

(Zuruf von der CDU/CSU: Das Bessere ist der Feind des Guten!)

— Ich verstehe Ihren Zwischenruf nicht ganz, aber vielleicht begründen Sie anschließend, daß Sie solche Bedenken nicht sehen; dafür wäre ich Ihnen recht dankbar.
Ich darf Sie recht herzlich bitten, sich einmal die Stellenpläne von Bayern, Rheinland-Pfalz usw. zu betrachten. Dann werden Sie sehen, wie die Verhältnisse auseinander gehen. Es ist nicht ohne Interesse, festzustellen, daß nicht nur in der Frage einer gleichmäßigen Besoldung in Bund und Ländern, jene Länder, wo Sie, meine Damen und Herren von der CDU, in der Regierung stehen, ausgebrochen sind, sondern daß auch hinsichtlich der Stellenpläne die Länder ausbrechen, die Sie — parteimäßig gesehen — verantwortlich regieren. Das ist immerhin auch ein Hinweis, dem Sie einmal nachgehen könnten.
Ich darf versuchen, an einem einleuchtenderen Beispiel 2u zeigen, was ich meine. Im Bundeskanzleramt wurden 1953 zwei Damen als Angestellte beschäftigt. Sie wurden 1954 ins Beamtenverhältnis des mittleren Dienstes übernommen. 1955 wurden diese Damen mit Genehmigung des Bundespersonalausschusses in den gehobenen Dienst übergeleitet. Innerhalb des ,gehobenen Dienstes wurden sie mit Sondergenehmigung bis zur Amtsrätin befördert. Im Augenblick liegt dem Bundespersonalausschuß der Antrag vor, sie in den höheren Dienst zu übernehmen.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Maßhalten! — Heiterkeit bei der SPD.)

Damit will ich gar nichts gegen die Damen sagen; das wäre absolut unangebracht. Ich will nur folgendes zum Ausdruck bringen: Sie können mit dem Festhalten an Mindest- und Höchstbeträgen innerhalb einer Besoldungsgruppe nicht verhindern, daß sich jemand auf anderem Wege hilft vorwärtszukommen. Das ist immerhin ein, möchte ich meinen, beachtlicher Einwand gegen die Wirkung der Gesetzesvorlage, die jetzt vorliegt.
Es ergibt sich aber auch noch eine andere Frage, und ich nenne sie ganz bewußt an letzter Stelle: Inwieweit ist denn der Bund aktiv legitimiert, nunmehr eine solche zwingende Vorschrift für die Besoldung beim Bund und den Ländern zu schaffen? Der Herr Bundesinnenminister hat sich sehr darum bemüht, mit einer rückblickenden Darstellung vorzutragen, wieviel denn nun für die Beamten getan wurde. Auch der Herr Abgeordnete Brück hat das getan. Es wurde viel getan; wer wollte das leugnen? Die Frage ist nur — und hier hatte der Herr Innenminister Schwierigkeiten zu differenzieren —, was auf Grund der Initiative der Bundesregierung auf diesem Gebiet geschehen ist und was von diesem Parlament getan wurde. Wenn Sie die Dinge einmal nachlesen — Sie können, wenn Sie zu anderen Ergebnissen kommen, auf mich zurückkommen —, werden Sie feststellen, daß der Bund nur einmal —



Gscheidle
nämlich 1961 bei den 8 % — die Initiative ergriffen hat; alles andere ging auf Initiativen aus dem Parlament zurück oder war die zwangsläufige Folge eines Vorgehens der Länder.
Nun ist natürlich die Frage, die draußen diskutiert wird, die, inwieweit denn nun das bewegende Motiv in diesem Aktivwerden der Bundesregierung zu sehen ist. Handelt es sich nur darum, daß der bisher als Bremser Beschäftigte Lokomotivführer werden will? Aus all diesen Gründen haben wir größte Bedenken, ob dieser Entwurf geeignet ist und ob die vorgeschlagenen Wege bei einer verfassungsrechtlichen, verfassungssystematischen oder verfassungspolitischen Überprüfung in den Beratungen des Ausschusses unsere Zustimmung erhalten können.
Nun zu der sogenannten Harmonisierungsnovelle. Diese Harmonisierungsnovelle — das darf ich vorwegnehmen, und Sie werden mir nicht widersprechen können — hat das Ziel der Harmonisierung nicht erreicht. Sie können deshalb nicht widersprechen, weil das dritte Besoldungsänderungsgesetz deutlich beweist, daß dieses Ziel nicht erreicht wurde.

(Beifall bei der SPD.)

Ich will Sie nur auf zwei wesentliche Dinge hinweisen. Einmal geht die Harmonisierungsnovelle davon aus, das Spannungsverhältnis zwischen dem einfachen und mittleren Dienst von jetzt 100 zu 120 auf 100 zu 125 zu verbessern.

(Zuruf von der Mitte: 130!)

— Auf 125! Wenn das nach Meinung der Bundesregierung ausreichend gewesen wäre, dann hätte sie nicht im dritten Besoldungsänderungsgesetz durch die dort vorgesehenen Zulagen eine Änderung von 100 auf 130 vorsehen müssen. Sehen Sie: das bezeichne ich als wenig durchdacht, als schlecht konzipiert. Wenn eine Gesetzesvorlage, die wir heute behandeln, uns, den Abgeordneten dieses Bundestages — ich nehme doch an: allen Abgeordneten des Bundestages, weil Beamtenbesoldung nicht ein ausgezeichnetes Mittel der Parteiagitation sein sollte —, vorgelegt wird, dann ist es eine schlechte Sache, wenn man diesen Entwurf mit einem Gesetz begründen muß, das hier noch gar nicht zur Beratung vorliegt, und darauf hinweist: Das wird noch besser gemacht mit einem Entwurf, der im Augenblick beim Bundesrat schlummert.
Es gibt noch einen zweiten Punkt. Ich halbe mich sehr gefreut, daß der Herr Abgeordnete Brück darauf eingegangen ist, daß ein Ziel, zumindest ein Punkt der Beratungen im Innenausschuß die strukturelle Überleitung sein sollte, mit der der Nichtfachmann nichts anzufangen weiß, bei der es aber darum geht — um ein Beispiel zu nehmen —, daß ein Briefträger, dessen Arbeitsinhalt sich seit Jahrzehnten nicht verändert hat, das gleiche Ruhegehalt erhalten soll, gleichgültig, ob er nun vor 1957 oder nach 1957 in den Ruhestand getreten ist. Das ist dabei das Problem. Ich freue mich, daß wir uns hier bemühen wollen. Obwohl aus einigen Debatten dieses Plenums hervorging, die Dinge müßten überprüft werden, weiß ich nicht, ob die Bundesregierung diese Überprüfung vorgenommen hat. Die Harmonisierungsnovelle sagt dazu eben gar nichts aus.
Aber etwas ist wiederum eigenartig: wir haben im Augenblick drei unterschiedliche Ruhestandsgruppen. Wir haben jene, die nach dem Besoldungsrecht 1920 pensioniert wurden, jene, die nach 1927 bis zum 1. April 1957 pensioniert wurden, und jene nach dem 1. April 1957. Wäre die Harmonisierungsnovelle hier allein zu behandeln, würden wir dazu noch eine vierte Gruppe erhalten, nämlich, jene Ruhestandsbeamten, die nach dem Inkrafttreten dieser Harmonisierungsnovelle in den Ruhestand treten. Denn nach dem Entwurf, dd. h. nach der Meinung der Regierung, soll denen wiederum die Veränderung im Spannungsgefüge vorenthalten werden, jene fünf Punkte oder nach dem dritten Besoldungsänderungsgesetz 10 Punkte. Nur wenn man den hier nicht zur Beratung stehenden Gesetzentwurf — nämlich den, der beim Bundesrat liegt — auch noch kennt, weiß man, daß dort wieder vorgesehen ist, jene Pauschalzulage bei der Berechnung der Ruhestandsbezüge zugrunde zu legen.

(Abg. Dr. Miessner: Sehr richtig!)

Sie werden mir zugestehen, daß man bei ganz nüchterner und sachlicher Darstellung dieser Dinge zu dem Schluß kommt, daß es hier irgendwie am Konzept gefehlt hat. Das ist doch eine Feststellung, die Sie — vielleicht nicht hier öffentlich, aber bei eigener Prüfung der Dinge — bestätigen müssen.
Ich darf also zusammenfassen, daß durch das, was bei der Harmonisierungsnovelle und dem dritten Besoldungsänderungsgesetz vorgesehen ist, zusammen durchaus die Bezüge der Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg wieder eingeholt werden; das sei zugestanden. Nur diese Harmonisierungsnovelle allein, die hier vorliegt, erreicht dieses Ziel nicht. Wir gehen also davon aus, daß unter Einbeziehung dieses Gesetzentwurfs das Ziel erreicht wird.
Nun wurde im Zusammenhang mit der Änderung des Ortszuschlages vorgetragen, wie fortschrittlich die Bundesregierung doch sei, weil sie diesmal nicht nur die 6 % auf den Ortszuschlag gelegt habe, sondern steigernd pro Kind in der Berechnung des Ortszuschlages noch einmal 6 %. Wer wollte das leugnen? Das ist tatsächlich ein entscheidender Fortschritt. Aber ich frage die Bundesregierung — ich würde gern Herrn Bundesinnenminister Höcherl fragen, wenn er noch hier wäre —: was hat denn die Bundesregierung bislang gehindert, eine solche familiengerechte oder sozial gerechtere Lösung im öffentlichen Dienst zu finden? Herr Bundesinnenminister Höcherl hat auf einen Einwand, der von meiner Fraktion kam, geantwortet: Ja, in der Tarifpolitik, die Gewerkschaften! Ich nehme .an, er bezieht sich auf die gleiche Quelle, auf die sich der Bundespressechef von Hase bezogen hat — am 4. Oktober —, der gesagt hat: Die Gewerkschaften haben das verhindert, und gegen ihren Widerstand werden wir eine solche Politik des familiengerechten Lohnes fortsetzen. Hier beziehen sich alle auf eine Quelle, die unwahr ist; denn ich darf Ihnen aus der Kenntnis, aus dem eigenen Führen der Verhandlungen versichern: diese Forderungen wurden ge-



Gscheidle
stellt und jeweils abgelehnt. Es wurde abgelehnt die Erhöhung des Kinderzuschlags, es wurde abgelehnt die Gewährung einer Sockelzulage im öffentlichen Dienst des Bundes. Ich kann Ihnen sofort anschließend gern das Originalprotokoll zur Einsicht vorlegen. Es wurde abgelehnt die Differenzierung der Sockelzulagen. Ja, ich frage mich — und ich werde Gelegenheit nehmen, in der Fragestunde die Frage an den Herrn Bundespressechef zu richten —: Ist es denn möglich, daß eine so große Zahl von Repräsentanten dieses Staates auf Grund einer falschen Darstellung solche Dinge immer wieder in der Öffentlichkeit verbreitet und damit agitiert, obwohl ein Einblick in die Originalakten sofort bestätigen würde, daß das eine falsche Argumentation ist?

(Beifall bei der SPD.)

Die Harmonisierungsnovelle bringt in diesem Spannungsverhältnis neben den Verbesserungen beim Ortszuschlag auch noch eine ganze Reihe von Regelungen durch Verbesserung der Formulierungen, die der größeren Rechtssicherheit dienen. Es ist leider nicht — ich darf mich an das halten, was empfohlen wurde: nur die Grundsätze — eine verbesserte Berechnung des BDA vorgesehen, wie sie beispielsweise in einzelnen Ländern besteht. Nicht vorgesehen ist der Wegfall der beiden Vorschaltstufen, was ursprünglich eine Begründung nur im Auffangen des ehemaligen Diätariats hatte. Es ist auch nicht vorgesehen, beim Ortszuschlag den Tarif Klasse IV in Wegfall zu bringen. Weiter ist nicht vorgesehen, die Ortsklasse B wegfallen zu lassen. Ich darf Ihnen gerade dazu sagen, daß nach einem Auftrag der Bundesregierung an die Länder, die Dinge zu prüfen — insbesondere nach dem Vorgehen der Saar bezüglich einer einheitlichen Einführung einer Gebietsklasse S —, hier besonders ein Ansatzpunkt wäre, etwas zu tun.
Nun hat der Herr Abgeordnete Brück auch auf die vorgesehene Streichung des § 21 Abs. 2 hingewiesen und einige bemerkenswerte Ausführungen dazu gemacht, die mich hoffen lassen, daß wir im Innenausschuß hier zu einer gemeinsamen Basis der Arbeit kommen können. Es ist in der Tat unerträglich, daß die Streichung einer Bestimmung damit begründet wird: Die Erfahrungen, die wir gemacht haben, geben uns die Veranlassung, das zu streichen; es hat sich nicht so ausgewirkt, wie wir es wollten. Der Wille des Gesetzgebers in § 21 Abs. 2 ist eindeutig und klar. Wenn sich der Bundestag in diesem Willen nicht einig gewesen wäre, dann hätte er nicht in zwei nachfolgenden Entschließungen die Verkehrsverwaltungen Bahn und Post aufgefordert, in der Gestaltung ihrer Stellenpläne dafür Sorge zu tragen, daß dieser Stellenpuffer abgebaut wird.

(Beifall bei der SPD.)

Nun wird man — und das tut die Bundesregierung in der Begründung ihres Entwurfs — darauf hinweisen können, daß in den letzten Jahren einige Male durch Stellenvermehrung versucht wurde, diesen Stellenpuffer abzubauen. Das wünschenswerte Ergebnis ist aber nicht eingetreten, weil infolge der Verkehrssteigerungen das Mehr an Personal sich in gleichem Umfang gehalten hat wie das Mehr an Stellen.
Ich darf versuchen, Ihnen dazu einige einprägsame Zahlen zu nennen, und zwar wiederum aus dem Bereich der Bundespost. Bei der Bundespost sind 22,2 v. H. der Postinspektoren auf Dienstposten für Oberpostinspektoren beschäftigt, ohne daß sie wegen der jetzigen Fassung die Möglichkeit erhalten, den Zwischenbetrag zu bekommen.

(Abg. Brück: Herr Gscheidle, wann etwa werden die Leute zum Oberinspektor befördert?)

— Sie meinen die Frage der Regelbeförderung. Sie dauert im Augenblick ungefähr sieben Jahre. —14,9 v. H. der Oberpostinspektoren werden auf Dienstpostén der Amtmänner beschäftigt, und 21,4 v. H. der Amtmänner sind auf Dienstposten von Oberamtmännern beschäftigt.
Sehen Sie, Herr Abgeordneter Brück — ich entnehme es Ihrer Frage —, selbst wenn der Zustand der wäre, daß infolge einer günstigen Altersstruktur die Beförderungsverhältnisse ausnehmend gut sind und man sich deshalb einen Puffer gestatten könnte, dann bleibt doch die Frage der inneren Ungerechtigkeit bestehen. Der Betroffene sagt nämlich: Ich muß die höherwertige Tätigkeit ohne eine entsprechende Besoldung teilweise über acht und zehn Jahre wahrnehmen, ein anderer muß das nicht und verdient dasselbe. Das ist etwas, was Sie als Kenner des öffentlichen Dienstes wissen. Das führt im Betrieb zu Spannungen. Hier müssen wir uns wirklich bemühen, zu vernünftigen Regelungen zu kommen. § 21 Abs. 2 in der jetzigen Form ist nicht geeignet. Wir werden hier im Ausschuß versuchen müssen, entsprechende Regelungen zu finden. Den Weg, § 21 Abs. 2 einfach zu streichen, halte ich allerdings für absolut ungeeignet und für nicht gangbar. Entweder muß man § 21 Abs. 2 entsprechend verbessern, oder man muß in der Frage der Gestaltung der Stellenpläne durch Einbau des Stellenpuffers — darüber wird man reden können — die Deckung der Dienstposten verlangen müssen.
Ein Kernstück der Begründung der Harmonisierungsnovelle ist die Frage der Lehrerbesoldung. Die Bundesregierung vertritt die Ansicht, daß die Besoldungseinheit im. Bundesgebiet durch die Entwicklung der Besoldung der Lehrer empfindlich gestört worden ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier darf ich darauf hinweisen, daß der Deutsche Bundestag im Jahre 1957 einen Antrag der SPD-Fraktion, den Ländern im rahmenrechtlichen Teil des Bundesbesoldungsgesetzes die Möglichkeit für eine Lehrerbesoldung zu eröffnen, mit der Mehrheit von nur 180 gegen 164 Stimmen abgelehnt hat. Wenn Sie die Begründung für diesen Antrag nachlesen, werden Sie mir zugeben: wäre man diesem Antrag gefolgt, dann wäre das nicht eingetreten, womit man jetzt die Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes, ja sogar die Änderung des Grundgesetzes begründet.
Wir sind der Meinung, daß die von der Bundesregierung vorgeschlagene Regelung hier nicht hilft. Auch die beabsichtigte Erweiterung der Rahmenkompetenz des Bundes durch die Änderung des Art. 75 des Grundgesetzes könnte daran nichts än-



Gscheidle
dernm. Eine Festlegung der Lehrerbesoldung greift auch in die Lehrerbildung und die Schulorganisation ein.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Diese Sachbereiche sind wesentliche Bestandteile der Kulturhoheit der Länder. Über einen Eingriff in diese Kulturhoheit ist zumindest sorgfältig zu beraten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist so etwas ein Schlagwort!)

— Das ist ein Schlagwort? Sind Sie der Meinung, daß das Niveau der Volksschulbildung in der Bundesrepublik gleich ist? Sind sie der Meinung, daß die Vorbildung der Lehrer im Bundesgebiet gleich ist? Sind Sie nicht auch der Meinung, daß Vorbildung und Aufgabenstellung die Besoldung eines Beamten bestimmen sollten?

(Beifall bei der SPD.)

Wenn also ungleiche Voraussetzungen gegeben sind — und Sie versuchen nach den Worten des Herrn Innenministers vermutlich, in einem sogenannten Goldenen Schnitt das Mittelmaß zu finden —, dann reduzieren Sie einfach die Kulturpolitik im Wege des Goldenen Schnittes auf das Mittelmaß.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0404229800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Kurt Gscheidle (SPD):
Rede ID: ID0404229900
Bitte schön!

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0404230000
Bitte, Herr Abgeordneter!

Dr. Adolf Bieringer (CDU):
Rede ID: ID0404230100
Kollege Gscheidle, ist Ihnen bekannt, daß die Lehrer von einem Bundesland ins andere versetzt werden können und daß sie wohl in der Lage sein müssen, dann die gleichen Aufgaben zu erfüllen?

Kurt Gscheidle (SPD):
Rede ID: ID0404230200
Ein Landesbeamter kann nicht ohne seine Zustimmung in ein anderes Land versetzt werden, nur mit seiner Zustimmung.

(Abg. Dr. Bieringer: Mit seiner Zustimmung, ja!)

Damit ist aber doch der wesentliche Kern Ihrer Frage entkräftet. Wenn der Beamte dem zustimmt, daß er in ein Land mit schlechterer Besoldung versetzt wird, dann ist das seine Sache.

(Beifall bei der SPD.)

In dieser Harmonisierungsnovelle ist nicht vorgesehen, daß den Beamten und den Ruhestandsbeamten ein Weihnachtsgeld gezahlt wird. Die Begründung besagt dazu in einem lapidaren Satz, daß — auf diese Worte kommt es an; das andere will ich weglassen — nach nochmaliger eingehender Prüfung eine solche Bestimmung nicht aufgenommen wurde. Sie werden mir zugeben: wenn eine Bundesregierung vom Bundestag wiederholt beauftragt wurde, die Dinge zu prüfen — und sie hat die Zusicherung abgegeben zu prüfen —, sollte sie es sich in der Begründung nicht so leicht machen, sondern dann sollte sie die für sie entscheidenden beamtenrechtlichen oder sonstigen Bedenken zu Papier bringen, damit wir sie prüfen können. Wir werden bei unserer Einstellung bleiben, daß es mit dem Beamtenrecht durchaus vereinbar ist, an die Beamten ein Weihnachtsgeld zu zahlen.
Ein großer Teil der Novelle betrifft die Auslandsbezüge. Hier haben wir Bedenken gegen eine differenzierte Erhöhung der Auslandszulage. Wir sind der 'Meinung, hier muß auch 'berücksichtigt werden, daß im Ausland die Familienangehörigen in viel stärkerem Maße als bei Inlandsbeamten in die Verantwortung und die Tätigkeit des Beamten mit einbezogen sind. Wir sind der Meinung, daß die allgemeine Entwicklung und die besondere 'Entwicklung im Ausland bei der Gestaltung der Zulagen nicht unberücksichtigt bleiben können. Wir anerkennen, daß einige Verbesserungen drin sind. Es ist aber gerade in der Frage der Gestaltung beim Heimaturlaub, um auf einen Punkt hinzuweisen, im Ausschuß sehr abzuwägen, ob die vorgesehenen Verbesserungen und die vorgesehenen Verschlechterungen miteinander in Einklang gebracht werden können.
Zum Schluß ist noch auf Änderungen in der Besoldungsordnung B hinzuweisen. Bei der Vielzahl von Änderungen in der Besoldungsordnung B hat man fast den Eindruck, als ob es das Ziel dieser Harmonisierungsnovelle wäre, Höherstufungen insbesondere in der Besoldungsordnung B vorzunehmen. Ich entnehme Ihrem Lächeln Zustimmung. Demgegenüber nehmen sich doch die Veränderungen im einfachen Dienst sehr bescheiden aus, und ich meine, daß hier noch einige Wünsche anzumelden sind.
Es ist von mir aus abschließend, unter Einbeziehung vielleicht, wenn Sie das gestatten, auch dieser Ihrer Initiative, die ich sehr begrüße, die Frage der insgesamt in all den behandelten Vorschlägen auf die Beamten zukommenden materiellen Verbesserungen tu sehen. Ich darf noch einmal die Feststellung treffen: das Ziel, das die Harmonisierungsnovelle an und für sich hatte, wird in der Harmonisierungsnovelle allein nicht erreicht, wohl aber im Zusammenhang mit dem dritten Besoldungsanpassungsgesetz, wenn man die Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg als Ziel annimmt. Die Frage ist nur, ob der in Aussicht genommene Zeitpunkt, der 1. Januar 1963, mit diesen Auswirkungen noch in Einklang steht.
Ich möchte es Ihnen ersparen, statistische Daten zu hören, die nicht wir oder die Beamtenverbände erarbeitet haben, sondern die von Wiesbaden kommen. Sie werden, wo immer Sie den Vergleich ziehen — bei der Produktivitäts-Zuwachsrate, bei der allgemeinen Steigerung des Lohnniveaus oder wo immer Sie einen Vergleich ziehen —, feststellen, daß hier die vorgesehenen Regelungen wesentlich zurückbleiben. Man kommt bei der Betrachtung dieser Dinge zu einem Ergebnis, das man rückschauend auch für die letzten zwölf Jahre immer wieder feststellen muß, daß nämlich — und das hat, ich glaube, Herr Brück 'hier als seine Meinung vorgetragen — das, was zu tun sei, entscheidend abhänge von dem, was finanziell möglich sei. Ich glaube, es ist bei



Gscheidle
einem gewissen Wahrheitsgehalt doch eine bedenkliche Sache, die Frage, was gerecht und was notwendig ist, immer nur davon abhängig zu machen, was noch an Mitteln im Haushalt ist. Es ist auch eine Frage, Herr Brück: wie verteilt man das Geld, das man hat, wie sind hier die Werte zu setzen? Haushaltspolitik ist das beste Spiegelbild des politischen Wollens der die Regierung tragenden Parteien. Da ist nun einmal nichts zu machen.

(Beifall bei der SPD.)

Ich möchte nun nicht in eine Diskussion über eine Vorrangigkeit kommen. Ich will auch gar nicht behaupten, daß die hier genannten Beträge falsch seien oder daß sie nicht beachtlich seien. Sie sind sogar gewaltig. Aber bei einer solchen Betrachtung kommen Sie nicht daran vorbei, sich einmal von diesen Gesamtbetrachtungen zu lösen und sich einiges in Ihr Gedächtnis zurückzurufen oder rufen zu lassen, was in der öffentlichen Diskussion untergegangen ist.
Wenn man vom Beamten spricht; muß man daran denken, daß im Bund fast die Hälfte der Beamten dem einfachen Dienst angehört. Wenn ich die Besoldungsgruppe A 5 der Assistenten hinzunehme, ist es mindestens die Hälfte. Ich nehme einmal die Gruppe A 2, die im Anfangsgehalt 420 DM hat. Ich habe die Pfennige weggelassen. Im Höchstbetrag — bei A 5 — können die Beamten 620 DM brutto verdienen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer immer den Mut aufbringt, einem Familienvater bei dieser Einkommenshöhe Maßhalten zu empfehlen, wie wenig Hemmungen darf der gleiche Mann haben, den sogenannten Großverdienern größere Lasten zuzumuten!

(Beifall bei der SPD.)

Eines darf ich Ihnen hier auch versichern. Sie dürfen bei den Beamten wirklich davon ausgehen, daß sie bereit sind, wenn zu Opfern aufgerufen wird, wenn dieser Appell zum Maßhalten eine ernstgemeinte Sache ist, ihren Beitrag zu leisten. Sie werden überrascht sein — Sie kennen den öffentlichen Dienst vermutlich so gut wie ich — die Beamten würden an der Spitze stehen in dieser Bereitschaft. Aber eines ist eine unerläßliche Voraussetzung, wenn Sie an diesen Ärmsten appellieren, daß er nämlich das absolut sichere Gefühl hat: In dem gleichen Maße, wie ich als Kleiner belastet werde, werden auch die Großen belastet. Dann hätten wir ein wesentliches Spannungsmoment, das im Augenblick im öffentlichen Dienst besteht, beseitigt.
Ich kann Ihre Initiative, die Sie gestern entwickelt haben und die zu dem Antrag geführt hat, den wir hier noch zu behandeln haben, nicht anders verstehen, als daß Sie selbst fühlen, daß es nicht geht, einem Staatssekretär in den Ländern oder den höheren Beamten der Länder am 1. Juli 6 % zu geben, aber den einfachen Beamten des Bundes diese 6 % mit Hinweis auf die Haushaltslage vorzuenthalten.

(Beifall bei der SPD.)

Ich kann das nicht besser ausdrücken, als es ein Abgeordneter der CDU-Fraktion brieflich getan hat: Das wäre nichts anderes als die Verbrämung eines schlichten Unrechts. Ich meine, hier könnten wir uns in der Beratung dessen, was nötig ist, treffen. Ich bin überzeugt, daß wir auch im Ausschuß noch einige Berührungspunkte haben.
Es gibt viele Dinge, die wir vermissen. Ich darf sie stichwortartig zum Schluß anführen. Wir finden neben dem Weiterbestehen der Tarifklasse IV noch das Weiterbestehen der Ortsklasse B. Wir finden nicht die Aufnahme des Weihnachtsgeldes. Wir finden nicht die strukturelle Überleitung. Wir finden nicht eine der Regierungserklärung entsprechende Anhebung des einfachen und mittleren Dienstes. Sie könnte entweder durch eine Verbesserung des Spannungsverhältnisses von 100 zu 140 erreicht werden, oder dadurch, daß man den Wegfall der Tarifklasse IV beschließt. Das kommt auch dem einfachen Beamten zugute. Hier müssen wir uns etwas überlegen; aber ich meine, Ansatzpunkte für eine Einigung wären zu sehen.
Eine Technikerzulage ist nicht vorgesehen. Darüber wurde schon oft geredet, auch in der Öffentlichkeit. Auch darüber werden wir uns Gedanken machen müssen.
Zum Abschluß meiner Ausführungen darf ich auf eine Bemerkung des Herrn von Brentano vor den Parlamentsferien eingehen. Herr von Brentano warf uns vor, daß wir in der Frage des Beamtenrechts und der Beamtenbesoldung aus parteipolitischen Gründen agitieren. Ich meine, diese Feststellung des Herrn von Brentano war sicher für ihn selbst sehr peinlich; denn vier Tage später hat sein Parteifreund Ministerpräsendent Meyers ganz offenkundig aus solchen Überlegungen die Beamtenbesoldung in Nordrhein-Westfalen erhöht.

(Sehr wahr! bei der SPD. — Abg. Dorn: Sie haben aber doch im Landtag zugestimmt!)

— Aber sicher. Es handelt sich um die Initiative, Herr Dorn, nur um die Initiative, um den Zeitpunkt. Es handelt sich darum, ob es richtig ist, das vier Tage vor den Landtagswahlen zu tun. Das ist eine Frage. Es ist eine Frage des Stils.

(Abg. Dorn: Ihre Fraktion hat mit zugestimmt!)

— Herr Dorn, sollen wir nur deshalb, weil nun der notwendig zu findende Freund — wenn Sie diese Bemerkung gestatten — nicht anders will als kurz vor den Landtagswahlen, dann nein sagen? Wir hätten es gern vorher gemacht; aber der Zeitpunkt war dann auch für uns am allergünstigsten.

(Zuruf von der Mitte: Art. 75!)

— Da habe ich mich wirklich bemüht, Ihnen zu zeigen, daß es auch für Sie ernstzunehmende Einwände gibt, diesen Weg zu beschreiten. Wenn Sie uns im Ausschuß überzeugen — wir sind den Argumenten offen —, wir sind keine Dogmatiker in dieser Frage, wir werden sachlichen Überzeugungen immer zugänglich sein. Aber zunächst sind hier vier sehr beachtliche Einwände vorgetragen worden.
Sie dürfen damit rechnen, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion mit ihren Mitgliedern im Innenausschuß alles versuchen wird, um das, was in den einzelnen Gesetzentwürfen auseinanderge-



Gscheidle
laufen ist, in den Beratungen wieder zusammenfassen. Sie dürfen mit unserer vollen Arbeitsintensität rechnen, in der wir versuchen werden, zum 1. Januar diese Dinge zu bereinigen. Sie dürfen entsprechend unserem Antrag auf eine volle Unterstützung von unserer Seite bei Ihrem Bemühen, eine Regelung für 1962 zu finden, rechnen. Zunächst werden wir aber versuchen, Sie davon zu überzeugen, daß die Höhe unseres Antrags gerechtfertigt ist. Sie werden davon ausgehen dürfen, daß für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion die sogenannte soziale Gerechtigkeit in der Behandlung besoldungsrechtlicher Fragen nicht ein Schlagwort ist, das wir nur auf Plakate schreiben. Soziale Gerechtigkeit ist für uns tatsächlich in unserer parlamentarischen Arbeit Inhalt unseres Handelns.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0404230300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Miessner.

Dr. Herwart Miessner (FDP):
Rede ID: ID0404230400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf den in die Tagesordnung unter Punkt 6 c eingefügten Antrag auf Drucksache IV/673 zu sprechen kommen und namens der Antragsteller Dr. Miessner, Brück, Dorn, Wagner und Genossen Überweisung an den Innenausschuß und gleichzeitig gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß beantragen. Zwischen den Fraktionen ist vereinbart worden, diesen Antrag nicht zu begründen, ihn also ohne Debatte zu überweisen. Ich will mich strikt daran halten. Ich darf dem Hause lediglich dafür Dank sagen, daß es heute diese schnelle Behandlung durch die Einfügung in die Tagesordnung ermöglicht hat.
Der Regierungsentwurf zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes ist von dem zuständigen Bundesinnenminister mit dem wohlklingenden Ausdruck „Harmonisierungsnovelle" belegt worden. Diese Bezeichnung weist zweifellos darauf hin, daß etwas in Unordnung geraten war, was nun wieder in Ordnung gebracht werden soll. Hier den Gleichklang mit den Ländern herzustellen, ist auf jeden Fall ein sehr positives Bemühen. Insofern begrüßt die Fraktion der Freien Demokraten vorbehaltlos diesen Regierungsentwurf. In der Tat, auf dem Gebiet der Besoldung ist vieles in Unordnung geraten, was dringend einer Harmonisierung bedarf. Man vergegenwärtige sich z. B., daß ein Inspektor des Bundes viel geringere Bezüge erhält als der Inspektor eines großen Landes, und dieser wiederum ganz andere Bezüge als die Inspektoren der übrigen Bundesländer.
Aber auch in sehr grundsätzlichen Fragen ist das Besoldungsrecht im Bund und in den Ländern auseinandergelaufen. So sind z. B. die strukturellen Verbesserungen, die seit dem 1. April 1957 eingetreten sind, in allen Ländern auch den Versorgungsempfängern, die vor diesem Stichtag in den Ruhestand getreten sind, gewährt worden, beim Bund dagegen nicht. Dieses Problem ist beim Bund eben immer noch nicht gelöst. Meine beiden Kollegen, die vor mir sprachen, haben dieses Problem ja auch schon angesprochen. Nach Ansicht meiner Fraktion hätte diese Frage doch wohl unbedingt ein Punkt der Harmonisierungsnovelle sein sollen, wenn diese Novelle ihren Namen zu Recht tragen soll. Ein bedenklicher Mangel ist deshalb, daß sich die jetzt in dieser Novelle vorgesehenen Harmonisierungszuschläge von im Durchschnitt 3 % des gesamten Besoldungsaufwandes auf die Pensionäre allgemein nicht mit erstrecken. Herr Gscheidle hat mit Recht darauf hingewiesen, daß dadurch im Grunde das Gegenteil einer Harmonisierung eintritt; denn wir bekommen nach 'dieser Vorlage noch eine weitere Gruppe von Beamten, die sich in ihren Bezügen sehr wesentlich von den Länderbeamten unterscheidet. Meine Damen und Herren, das kann nun wahrlich nicht der Sinn einer Novelle sein, die man als Harmonisierungsnovelle bezeichnet, wenn im Ergebnis dieser Vorlage die Bezüge schließlich noch weiter auseinanderlaufen als bisher. Lassen Sie mich daher für meine Fraktion ganz klar und deutlich sagen, daß eine Harmonisierung unter Ausschluß der Pensionäre für uns nicht in Frage kommt. Die FDP hat übrigens gerade in dieser Frage auf die einheitliche Behandlung von aktiven Beamten und Pensionären in den ganzen Jahren seit dem 1. Bundestag stets besonderes Gewicht gelegt.
Soviel zur grundsätzlichen Seite der Regierungsvorlage. Wieweit im einzelnen die vorgeschlagenen Harmonisierungszuschläge etwa noch änderungsbedürftig sind, wollen wir der Beratung im Innenausschuß überlassen. Es sei hier nur angedeutet, daß man natürlich geteilter Meinung darüber sein kann, auf welchen gemeinsamen Nenner nachher harmonisiert werden soll; denn, wie ich schon sagte, sind ja auch die gegenwärtigen Landesregelungen nicht einheitlich.
Dies wäre zur Frage der reinen Harmonisierung zu sagen. Naturgemäß drängt sich aber in diesem Zusammenhang noch die Frage auf, ob man nicht gleichzeitig andere Änderungen vornehmen sollte, die gewissermaßen in der Luft liegen. Die FDP wünscht, daß die Besoldung insgesamt familiengerechter gestaltet wird. Meine Partei hat wiederholt den Vorschlag gemacht, den Ortszuschlag für die unteren Gehaltsgruppen der Beamten zu verbessern. Dies könnte am einfachsten durch Streichung der Tarifklasse IV des Ortszuschlages geschehen, wodurch den Angehörigen des einfachen und mittleren Dienstes bis zum Sekretär einschließlich eine zusätzliche Verbesserung von monatlich etwa 14 DM zukäme. Aber auch über den Fortfall der heute sicher nicht mehr zeitgemäßen Ortsklasse B sollte man sich bei dieser Gelegenheit unterhalten; denn von einer solchen Verbesserung würden vor allem wiederum gerade die Beamten des einfachen und mittleren Dienstes in den kleineren Orten profitieren, was durchaus in unserem Sinne läge.
Selbstverständlich gibt es auch noch andere Möglichkeiten, die Bezüge des einfachen und mittleren Dienstes stärker anzuheben, so z. B. durch Änderung des Spannungsverhältnisses vom einfachen zum mittleren Dienst, das gegenwärtig bei 100 zu 120 liegt. Diesen Weg sieht ja nun bekanntlich auch der Entwurf des Dritten Besoldungsänderungsgesetzes vor, von dem schon mein Vorredner gesprochen



Dr. Miessner
hat. Der Entwurf legt ein Spannungsverhältnis zwischen A 1 und A 5 von 100 zu 125 bzw. 130 zugrunde. Wir begrüßen das sehr. Mehr möchte ich an dieser Stelle über das Dritte Besoldungsänderungsgesetz nicht sagen, da es ja nicht in erster Linie Gegenstand der heutigen Verhandlung ist.
Was die zeitliche Behandlung dieser Gesetze anlangt, so wünschen wir auf jeden Fall, daß das Dritte Besoldungserhöhungsgesetz, das, wie gesagt, erst im Anmarsch ist, pünktlich zum 1. Januar 1963 in Kraft tritt, damit die hinter der allgemeinen Einkommensentwicklung erheblich zurückgebliebenen Beamtengehälter endlich verbessert werden.
Die staatsrechtlich und beamtenpolitisch sehr schwierige und wohl auch strittige Materie der Grundgesetzänderung, die im Zusammenhang mit der Harmonisierungsnovelle von der Bundesregierung vorgeschlagen wird, habe ich aus meinen Betrachtungen ausgeklammert. Hierüber wird mein Fraktionskollege Dorn anschließend die Meinung der FDP-Fraktion vortragen.

(Beifall bei der FDP.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0404230500
Meine Damen und Herren, darf ich noch einmal auf unsere gemeinsame Absicht aufmerksam machen, heute um 18 Uhr 30 die Beratungen abzuschließen.
Das Wort hat der Herr Staatssekretär Dr. Anders.

Artur Anders (SPD):
Rede ID: ID0404230600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich beabsichtige nicht, auf Einzelheiten einzugehen. Dazu wird in den Ausschüssen noch genügend Gelegenheit sein. Ich muß aber zu einigen Ausführungen des Herrn Abgeordneten Gscheidle Stellung nehmen, damit sie nicht im Raume stehenbleiben. Zunächst einmal ist es nicht richtig, daß die Frage der Regelung des Spannungsverhältnisses der Lehrer voraussetzte, daß die Ergänzung zu Artikel 75 des Grundgesetzes die gesetzgebenden Körperschaften passiert hat. Die Frage des Spannungsverhältnisses der Lehrer kann vielmehr schon nach der jetzigen Fassung des Artikels 75 des Grundgesetzes geregelt werden. Die Erweiterung besteht ja nur darin, daß, abgesehen vom Spannungsverhältnis und von dem Besoldungsgefüge auch Mindest- und Höchstbeträge geregelt werden können, was nach dem erwähnten Urteil des Bundesverfassungsgerichts bisher nicht möglich war. Diese Vorschrift über die Lehrer hängt also, wie gesagt, nicht von dem Schicksal der Novelle zu Art. 75 ab.
Zur Frage der Stellenpläne: Es ist selbstverständlich, daß man mit der Ergänzung des Art. 75 die Verbesserung der Stellenpläne, die Verbesserung des Stellenkegels nicht einfangen kann. Aber ich sehe nicht ein, warum man nicht das eine tun sollte, wenn man das andere nicht erreichen kann. Man sollte sich wenigstens bemühen, die Besoldung einzufangen, auch wenn das bei den Stellenplänen nicht geht.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Das Ausweichen in die Höhergruppierung bei den Gemeinden und den Ländern war doch in der Vergangenheit die Folge unterbliebener Gehaltsverbesserungen!)

Drittens: Im Zusammenhang mit der Erörterung der Frage der Stellenpläne hat der Herr Abgeordnete Gscheidle den Fall von zwei Damen zitiert, die angeblich zunächst in den mittleren Dienst, dann in den gehobenen Dienst und jetzt in den höheren Dienst aufgestiegen sind. Da ich diese beiden Damen als Vorsitzender des Bundespersonalausschusses seinerzeit selbst geprüft hatte, ist mir dieser Fall bekannt. Die Damen sind seinerzeit für den gehobenen Dienst geprüft worden. Der Ausschuß, in dem eine ganze Reihe von bewährten Laufbahnbeamten des gehobenen Dienstes saßen, hat sogar einmütig empfohlen, daß diese Damen nicht als Inspektorinnen übernommen werden, sondern als Oberinspektorinnen. Es ist also nicht richtig, daß die Betreffenden in diesem Falle erst in den mittleren Dienst eingetreten und dann in den gehobenen und in den höheren Dienst übergegangen sind.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0404230700
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gscheidle?

Artur Anders (SPD):
Rede ID: ID0404230800
Bitte.

Kurt Gscheidle (SPD):
Rede ID: ID0404230900
Herr Staatssekretär, ist es nicht verständlich geworden, daß es mir darum geht zu zeigen, wie man durch die Hebung von Stellen umgehen kann, was man durch die Bestimmungen des Rahmengesetzes in Ihrer Vorlage erreichen will, und daß es keinesfalls darum ging, auf die Qualifikation der Damen Bezug zu nehmen?

Artur Anders (SPD):
Rede ID: ID0404231000
Immerhin, wenn Sie solche Beispiele geben, müssen die Beispiele auch richtig sein,

(Zurufe von der SPD: Die sind auch richtig!) und dafür war dieses Beispiel nicht richtig.


(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Herr Dr. Anders, um die Stellenpläne geht es doch, und da sind diese Beispiele richtig!)

Der Herr Abgeordnete Gscheidle hat weiter die Frage aufgeworfen, warum die Harmonisierungsnovelle nicht gleich das enthalten habe, was nachher im Dritten Besoldungserhöhungsgesetz enthalten sei. Ich darf feststellen, daß die Harmonisierungsnovelle am 20. Juni eingereicht worden ist, zu einer Zeit, als in den Ländern noch nicht die Besoldungserhöhung von 6 % beschlossen war. Das Dritte Besoldungserhöhungsgesetz ist also eine echte Ergänzung der Harmonisierungsnovelle. Ich habe mit Freude gehört, daß Sie das Ganze als ein unteilbares Etwas betrachten und meinen, daß man über diese beiden Dinge nur gemeinsam urteilen könne.

(Zuruf von der SPD: Sie lassen sich also von den Ländern treiben!)

Zur Frage der Verbesserung der Ortszuschläge möchte ich folgendes feststellen. Aus Ihren Ausführungen ergab sich, daß man in diesem Besoldungserhöhungsgesetz erstmals in Aussicht genommen habe, die Ortszuschläge familiengerechter zu gestal-



Dr. Anders
ten. Ich darf darauf hinweisen, daß das bereits im Ersten und Zweiten Besoldungserhöhungsgesetz in derselben Weise geschehen ist. Man hat das, was an sich beim Kinderzuschlag hätte zugrunde gelegt werden sollen, auf die Ortszuschläge aufgestockt. Man hat also bereits damals dasselbe System eingeführt, das jetzt gefordert wird.
Sie erwähnten noch, daß die Hereinnahme der Lehrer in die Harmonisierungsnovelle irgendwie in die Kulturhoheit der Länder eingreife. Dazu ist nur zu bemerken: Der Art. 75 ist absolut und allgemein. Es steht kein Wort davon drin, daß etwa alle Beamten, die im kulturellen Bereich beschäftigt sind, nicht von der Rahmengesetzgebung des Bundes betroffen werden könnten. Ich darf darauf hinweisen, daß wir im Beamtenrechtsrahmengesetz, das das Hohe Haus vor einigen Jahren verabschiedet hat, auch die Frage der Hochschullehrer geregelt haben und daß auch die Länder ganz überwiegend der Auffassung waren, daß das ganz selbstverständlich im Rahmen des Art. 75 liege.
Zum Abschluß folgendes. Sie sind auf die Besoldungsordnung B eingegangen. Da bin ich nun sehr enttäuscht. Ich dachte, wir kriegten ein großes Lob. Denn wir haben in die Besoldungsordnung B, abgesehen von den Hebungen der wissenschaftlichen Stellen, die mit Rücksicht auf die Hochschullehrerbesoldung erfolgt sind, nur Dinge aufgenommen, die bereits durch Bundespräsident und Haushaltsausschuß so festgesetzt worden sind. Wir haben alle anderen Wünche rücksichtslos abgelehnt, und Sie werden aus Ihren eigenen Papieren ersehen können, was für Wünsche da im Raum stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0404231100
Das Wort hat der Abgeordnete Dorn.

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0404231200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Demokraten darf ich zu der Regierungsvorlage zur Änderung des Art. 75 einige Worte sagen.
Wir sind der Auffassung, daß diese Regierungsvorlage an den Ausschuß überwiesen werden sollte, und wir werden uns im Ausschuß für ihre Annahme aussprechen.
Herr Kollege Gscheidle hat sich in einer Reihe von Argumenten mit der Frage auseinandergesetzt, ob diese Regierungsvorlage a) zweckmäßig, b) rechtlich in Ordnung sei und ob damit das angestrebte Ziel effektiv erreicht werden könne.
Ich teile in einem Punkte eine Sorge mit Ihnen, Herr Kollege Gscheidle. Wenn nämlich die bisher gemachten Erfahrungen mit der Initiative des Bundes allein ein Anreiz sein sollten, nunmehr mit Freude der Änderung des Art. 75 zuzustimmen, so hatten wir auch in einer Reihe von Diskussionen, die wir in der Vergangenheit geführt haben, einige Sorgen. Ich bin aber fest davon überzeugt, daß, wenn der Bund nun in dem von ihm selbst angestrebten Sinne eine Änderung des Art. 75 durchführen wird und wir alle gemeinsam als Abgeordnete in diesem Hause dann auch von dem Initiativrecht zur Einbringung von Vorlagen und Anträgen Gebrauch machen und allesamt unser Gewicht entsprechend einsetzen, auch die besondere Verpflichtung, die der Bund durch eine solche Änderung des Artikels 75 übernimmt, im Endergebnis für die Betroffenen eine effektiv gute Lösung bedeuten kann.
Es ist in den vergangenen Wochen oft darüber gesprochen worden, ob nicht die Frage der Beamtenbesoldung in eine Diskussion hineingeraten ist, in der man eventuell mit Streik- und ähnlichen Drohurigen nunmehr den Vertretern der Bundesregierung oder des Deutschen Bundestages einiges zu sagen hätte. Ich bin fest davon überzeugt, daß ein großer Teil auch der Abgeordneten in diesem Hause nicht dafür ist, den Beamten das Streikrecht einzuräumen. Auch ich bin nicht dafür. Aber ich bin dafür, daß der Bund und die anderen Dienstherren sich ihrer besonderen Fürsorgepflicht zu einer Zeit erinnern,

(Sehr richtig! bei der SPD)

in der von Streik noch keine Diskussion sein kann.

(Beifall bei der FDP. — Abg. Matzner: Rechtzeitig!)

Deswegen freue ich mich, daß in einer Reihe von Diskussionsbeiträgen von Sprechern, die vor mir hier gestanden haben, doch. eine erhebliche Anzahl von Annäherungen und Übereinstimmungen in einer Reihe von Punkten festgestellt worden sind.
Lassen Sie mich nun noch einiges zu dem sagen, Herr Kollege Gscheidle, was Sie an besonderen Bedenken wegen der Änderung des Art. 75 vorgetragen haben. Der Herr Staatssekretär ist auf einige Fragen schon eingegangen. Ich will nur einen ganz besonderen Fall herausgreifen. Sie haben gesagt, daß wir wegen tagespolitischer Notwendigkeiten hier die Regierung unterstützen würden, um den Artikel zu ändern. Sie haben zwei Vergleiche gezogen: einmal den Vergleich zur amerikanischen Verfassung und zum anderen den Vergleich zu den Entwicklungen der Stellenpläne in den Ländern Bayern und Rheinland-Pfalz. Ich glaube, beide Vergleiche können wir hier nicht anziehen. Erstens einmal müssen wir davon ausgehen, daß bei der Schaffung der amerikanischen Verfassung ein völlig anderer Weg beschritten worden ist als bei der Schaffung des Grundgesetzes und der Länderverfassungen in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Kriege. In Amerika hat man zuerst einmal die Verfassung geschaffen und dann von dieser Verfassung ausgehend die entsprechenden Ländergesetze ausgeführt. Hier hatten wir bereits die Länderverfassungen, bevor unsere Vorgänger in diesem Hohen Hause dazu übergehen konnten, das Grundgesetz nun zu effektuieren. Ich meine, das war ein großes Erschwernis im Vergleich zu der Situation in Amerika. In Amerika ist es im Endergebnis ja auch so, daß — von der Verfassung ausgehend — die Länder sehr oft gezwungen worden sind, ihre Bestimmungen der amerikanischen Verfassung anzupassen.
Das Zweite ist folgendes. Wenn wir die Stellenplanregelung der Länder und des Bundes vergleichen wollen und Sie meinen, wir könnten an den Beispielen Bayerns und Rheinland-Pfalz absehen, daß wir Bedenken gegen die Änderung des Art. 75



Dorn
haben müßten, dann kann ich Ihnen dazu folgendes sagen: Im Lande Nordrhein-Westfalen haben wir ein Landesbeamtengesetz, und das erfaßt nicht nur die Landesbeamten, sondern auch die Komunalbeamten. Aber die Stellenpläne bei den. Gemeinden, Kreisen, Regierungspräsidien und im Lande sind so unterschiedlich, daß wir trotz eines gemeinsamen Landesbesoldungs- und beamtengesetzes mit unterschiedlichen Stellenplänen arbeiten.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Das bestätigt aber doch unsere Argumente!)

— Aber Herr Kollege Schmitt, das bestätigt nur das Argument, daß das vorhanden ist. Das bestätigt aber nicht das Argument, daß das der Änderung des Art. 75 entgegensteht.

(Abg. Matzner: Das wird noch schlimmer werden!)

— Nein, Herr Kollege Matzner. Selbst wenn es noch schlimmer würde, könnten wir es ja auch auf Grund der jetzigen Regelung und der Fassung des Art. 75 gar nicht verhindern. Das ist vielmehr ein Problemkreis, der mit der Änderung des Art. 75 überhaupt nicht in Einklang gebracht werden kann. Hier geht es um zwei völlig verschiedene Tatbestände, und hier können wir weder in die Hoheitsrechte der Länderparlamente noch in die Rechte der Kommunalparlamente von Bundesseite aus eingreifen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes sagen. Der Kollege Gscheidle hat eine Reihe von Argumenten angeführt. Wir werden uns mit diesen Argumenten im Ausschuß befassen und werden prüfen, inwieweit man ihnen nachkommen sollte oder was an sachlichen Gegenargumenten von uns dazu vorgetragen werden kann. Sie haben zum Schluß kein Nein zu der Änderung des Art. 75 des Grundgesetzes gesagt, sondern Sie haben nur eine Reihe von Bedenken vorgetragen. Ich fasse das als eine gute Ausgangsposition für eine Sachdiskussion im Ausschuß auf. Wir Freien Demokraten sehen dieser Sachdiskussion mit einem guten Gewissen entgegen.

(Beifall bei der FDP.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0404231300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kübler.

Dr. Paul Kübler (SPD):
Rede ID: ID0404231400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Abschnitt 27 der Drucksache IV/625 wird verlangt, daß § 54 des Bundesbesoldungsgesetzes einen Einschub erhält, der festlegt, daß das Endgrundgehalt eines Lehrers 250 % und das Endgrundgehalt eines Mittelschullehrers 279 % des Endgrundgehaltes von A 1 nicht übersteigen soll. Diese Begrenzung gilt nicht für herausgehobene Lehrer wie Rektor, Schulleiter usw. Hier wird also eine Harmonisierung oder, wie der Herr Bundesinnenminister sagte, die verlorengegangene Einheitlichkeit der Besoldung wiederherzustellen versucht. Aber auf diesem Gebiet ist mehr verlorengegangen als nur die Einheitlichkeit der Besoldung. Hier ist die Einheitlichkeit der pädagogischen Ziele nicht mehr da. Ich kann das am besten zeigen, wenn ich auf die Ausbildungsvorschriften der Länder für die Lehrer hinweise, Wir haben hier eine Skala vom
Universitätsstudium über Hochschulbildung mit und ohne Promotionsrecht bis zu pädagogischen Akademien und bis herunter zu Institutionen, die etwa dem Rang einer Fachschule entsprechen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das sehen Sie auch innerhalb eines Landes!)

— Innerhalb eines Landes?

(Zuruf von der CDU/CSU: Da haben Sie verschiedene Lehrer mit verschiedener Ausbildung!)

— Wir haben innerhalb der Länder verschiedene Ausbildung: Studienräte, Mittelschullehrer — das gibt es in einzelnen Ländern — und Volksschullehrer.

(Zuruf von der CDU/CSU: Unter den Volksschullehrern!)

Ich spreche hier von der Verschiedenartigkeit der Ausbildung der Volksschullehrer.
Wir müssen bei einer Harmonisierung nicht das pädagogische Mittelmaß suchen. Es wäre also verkehrt, den Gedanken des Mittelmaßes im Besoldungsrecht auf die pädagogischen Zielsetzungen und Absichten übertragen zu wollen. Wir brauchen für die Zukunft die Beweglichkeit in der gesamten Pädagogik; denn alle Pädagogik ist ja Zielsetzung für die Zukunft. Es handelt sich nicht nur darum, daß die Schüler, die wir heute in der Schule haben, im Jahre 2000 auf der Höhe ihres Berufslebens stehen, sondern der junge Mann und das junge Mädchen, das durch unsere Besoldungspolitik heute zum Lehrerberuf kommt, wird noch Menschen unterrichten, die in genau hundert Jahren, im Jahre 2065, noch im Berufsleben stehen. Wir müssen also für diese Zukunft die besten Möglichkeiten einplanen. Wir sind uns ja hier im Hause alle einig, daß das wertvollste Gut unseres Volkes unsere Arbeitskraft ist, und wir sind uns auch alle darin einig, daß wir mit diesem wertvollsten Gut wuchern müssen. Aber wir können nicht dadurch in der Zukunft 'wuchern, daß wir die Arbeitszeit verlängern, sondern nur dadurch, daß wir das 'Produkt aus dieser Arbeitskraft, den Nutzeffekt dieser Arbeitskraft, durch 'bessere Vorbildung und Ausbildung steigern. Bessere Ausbildung heißt heute leider nun einmal längere Ausbildung, längere Ausbildungszeit, und einige Länder sind ja schon zum 9. Schuljahr gekommen. Wir müssen die Möglichkeiten bei der Lehrervorbildung ins Auge fassen, die Möglichkeiten des 10. Schuljahres, und für die für das 10. Schuljahr vorgebildeten Lehrer können wir nicht das pädagogische Mittelmaß von heute zum Maßstab nehmen; denn in der Zukunft soll ja nicht das Leitbild der 16 Stunden arbeitende ungebildete Kuli sein, sondern der gute, ausgebildete und die Dinge überschauende Facharbeiter,

(Zuruf von der Mitte: der gebildete!)

— der gebildete Facharbeiter, danke schön für das Stichwort! Diese Startbedingungen für die Zukunft erfüllen einzelne Länder schon durch das Hochschulstudium ihrer Lehrer, die nach einzelnen Ländergesetzen bereits die Laufbahnvorschriften des höheren Dienstes erfüllen. Eine Bindung an 250 % würde



Dr. Kübler
die Laufbahnvorschriften des höheren Dienstes vollkommen illusorisch machen.
Ein weiterer Punkt kommt hier dazu. Die Lehrer sind keine Laufbahnbeamten. Sie haben nicht die Möglichkeit, von der Schreibkraft durch vielfältigste und gewissenhafteste Prüfungen bis zur Regierungsrätin aufzusteigen. Auch der Normalfall der Laufbahnbeamten erfaßt ungefähr vier oder fünf Besoldungsstufen, während 85 % aller Volksschullehrer in der Eingangsstufe bleiben oder in den einzelnen Ländern eine Halbstufe höher kommen. Nur 10 % der Volksschullehrer kommen um eine Stufe höher, und nur knapp 5 % aller Volksschullehrer kommen nach meist langen, erfolgreichen Berufsjahren zu einer Verbesserung von anderthalb Stufen. Wir haben hier eine Bindung der Lehrergehälter an die Verwaltungslaufbahn, die einfach dem Lehrerberuf nicht entspricht und die trotz aller Formulierungen über neue Stellenbewertungen den Ländern eigentlich die Möglichkeiten einer intensiven, zukunftweisenden Kulturpolitik einschränkt. Ich betone noch einmal, die Harmonisierung ist wünschenswert; aber der vorgelegte Entwurf mit dieser Bindung der Lehrergehälter an 250 % bedeutet eine Nivellierung, und es wäre eigentlich sehr zu bedauern, wenn wir durch diesen Entwurf zu einer Gleichschaltung der Länder auf ein politisches Mittelmaß kämen.

(Beifall bei der SPD.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0404231500
Das Wort hat der Abgeordnete Wagner.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0404231600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir registrieren seit Monaten Unruhe im öffentlichen Dienst, und da und dort ist der Mißmut in der Behauptung zum Ausdruck gekommen, die Bundesregierung habe ihre Fürsorgepflicht gegenüber den Bundesbeamten verletzt. Nicht in diesem Wortlaut, aber doch im Unterton ist auch heute in der Debatte dieser Vorwurf dann und wann wieder erhoben worden.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Der von Ihnen unterschriebene Antrag war praktisch seine Bestätigung!)

Es liegt nicht nur im Interesse der CSU als einer Partei in der Regierungskoalition, diesen Vorwurf auf seinen Wertgehalt hin zu prüfen. Es liegt, glaube ich, insbesondere im Interesse des notwendigen Vertrauensverhältnisses zwischen Regierung und öffentlichem Dienst, daß wir einmal eine eindeutige Klärung auf diesem Gebiet herbeiführen.
Ihnen allen sind sicherlich noch die Schwierigkeiten, die mit dem Ausgleich des Bundeshaushalts 1962 verbunden waren, in frischer Erinnerung, und die ersten Beratungen zum Haushalt 1963 lassen bis jetzt keine wesentliche Entspannung erkennen. Die Entwicklung zwingt uns doch, auf allen Gebieten der Ausgaben sehr sorgfältig deren Notwendigkeit und den Zeitpunkt zu prüfen. Wir werden bei den Ausgaben des Bundes immer mehr zu Rangfolgen und Dringlichkeitsstufen gelangen müssen.
In dieser Sicht ist es wesentlich, auch einmal die Stellung des öffentlichen Dienstes zum Staat und in unserem Staat zu klären. Die Leistungen des öffentlichen Dienstes für den einzelnen brauchen nicht besonders erwähnt zu werden: alltäglich kommen wir in der Berührung mit Bahn und Post in den Genuß dieser Leistungen. Eine wesentliche Aufgabe des öffentlichen Dienstes ist es, die vielfältig gewordenen Gebiete unseres gesamten Wirtschaftslebens aufeinander abzustimmen und miteinander zu koordinieren. Auf eine ganz einfache Formel gebracht, kann man sagen: Ordnung im Staate ohne einen funktionierenden öffentlichen Dienst ist undenkbar.
Allein aus dieser Sicht wird klar, daß Regierung und Bundestag der Entwicklung in diesem Bereich immer eine besondere Aufmerksamkeit schenken müssen. Der von der CSU mit angeregte Sachverständigenrat soll gerade bei einer sachkundigen Prüfung dieser Entwicklung mithelfen. Es liegt im Interesse der gesamten Öffentlichkeit, das Berufsbeamtentum in seinem Bestand zu erhalten und dafür zu sorgen, daß der Beamtenschaft ein gerechter Anteil an der sozialen Entwicklung zuteil wird. Diese Verpflichtung wird noch gewichtiger, wenn wir uns auch daran erinnern, daß die Beamtenschaft nicht wie andere Gruppen die Möglichkeit hat, ihre Forderungen mit wirtschaftlichen Kampfmaßnahmen durchzusetzen oder ihnen auf diesem Wege Nachdruck zu verleihen.

(Sehr gut! bei der FDP.)

Die CSU erkennt ausdrücklich an, daß die überwältigende Mehrheit der Bundesbeamten ihre Aufgabe auch in den Monaten vorbildlich erfüllt hat, in denen wir den Beamten Geduld in bezug auf die Erfüllung ihrer Wünsche und finanziellen Forderungen zumuten mußten. Diese Geduld war deshalb erforderlich, weil es für die Regierung und für die Regierungskoalition nur die Möglichkeit geben konnte, einen haushaltsgerechten Weg zu suchen. Die Schwierigkeit dieses Unterfangens wird Ihnen an einer einzigen Zahl deutlich. Der Herr Bundesinnenminister hat vorhin gesagt, daß die angekündigten Gesetze, wenn sie zum 1. April in Kraft treten, insgesamt einen Aufwand von 1026 Millionen DM erfordern. Auch die Fraktion der SPD hat in der Vergangenheit keinen anderen Weg als den, im Rahmen des Haushalts Möglichkeiten zu suchen, aufweisen können. Auch ihr Antrag, den sie zur Überbrückung eingereicht hat, beginnt mit den Worten: Die Regierung wird beauftragt, das und das zu tun.
Die Konzeption der Bundesregierung ist nun bekannt. Das Gesetz zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes und das Gesetz zur Änderung des Art. 75 des Grundgesetzes liegen diesem Hohen Hause bereits zur Beratung vor. Das 3. Besoldungserhöhungsgesetz ist dem Bundesrat zugeleitet. In gemeinsamer Beratung haben Mitglieder der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP versucht, einen Weg aufzuzeigen, wie noch für das Jahr 1962 eine befriedigende Lösung in der Besoldungsfrage erreicht werden kann. Ich habe mit Ihnen gemeinsam die Auffassung, daß die angestrebte Harmonisierung nur erreicht werden kann, wenn wir alle diese



Wagner
Vorlagen in ihrem Zusammenhang sehen und als etwas Geschlossenes betrachten.
Diese Vorlagen haben, glaube ich, eine gemeinsame Grundtendenz. Sie wollen erstens die Bundesbeamten an der sozialen Entwicklung in gerechtem Maße beteiligen. Die Bezüge der Beamten im öffentlichen Dienst werden, wenn wir alle Maßnahmen zusammenfassen, in jedem Falle um wenigstens 7 1/2 % verbessert werden. Für die Beamten des einfachen und mittleren Dienstes — das sind beim Bund mehr als 90 % — bringen die Verbesserungen beim Ortszuschlag, die besonderen Leistungen für die Mehrkinderfamilie und die beabsichtigte Veränderung des Spannungsverhältnisses zwischen den Besoldungsgruppen A 1 und A 5 noch weitere bemerkenswerte Leistungen.
In diesem Zusammenhang wird der Bundesregierung und dem Bundestag — falls er dem Vorschlag zustimmt, das Spannungsverhältnis von bisher 120 auf 130 zu verändern — der Vorwurf gemacht, sie würden damit einer Nivellierung, einer Einebnung der Besoldungsgruppen Vorschub leisten. Meine Damen und Herren, die Besoldungsverbesserungen in den letzten Jahren waren immer lineare Verbesserungen. In Prozentsätzen ausgedrückt, ist natürlich das Spannungsverhältnis zwischen einfachem, mittlerem, gehobenem und höherem Dienst gleichgeblieben. Aber wenn Sie das in Markbeträge umsetzen, erkennen Sie, daß sich die Schere zwischen einfachem und höherem Dienst doch sehr, sehr weit geöffnet hat.
Die CSU begrüßt deshalb aus ihrer sozialen Verpflichtung heraus den Vorschlag des Herrn Bundesinnenministers Höcherl, und wir folgen der Bundesregierung gern auf dem Wege, Gesichtspunkte der Familie und soziale Überlegungen noch mehr als bisher auch in den Besoldungsordnungen zur Geltung zu bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich würde diese Ausführungen nicht machen, wenn ich nicht zugleich die Überzeugung hätte, daß das verbleibende Spannungsverhältnis aber auch noch der besonders hohen Verantwortung des höheren Dienstes Rechnung trägt.
Zweitens wollen die vorgelegten Gesetzentwürfe die Einheit des Besoldungsgefüges in Bund, Ländern und auch Gemeinden wiederherstellen. Viel Mißmut ist hier durch das Auseinanderklaffen der Besoldungen in den letzten Monaten entstanden. Für manchen Beamten war die Ungleichheit Anlaß, entweder in ein Bundesland abzuwandern, in dem günstigere Bedingungen vorhanden waren, oder gar den öffentlichen Dienst zu verlassen und seine künftige Tätigkeit in der freien Wirtschaft zu suchen. Ich meine, es muß deshalb in unser aller Interesse und im Gesamtinteresse des öffentlichen Dienstes liegen, daß wir diese Besoldungseinheit zwischen Bund und Ländern wiederherstellen. Wir sollten jeden Schritt in dieser Richtung unterstützen.
Wir sollten hier nicht dogmatisch nur einen einzigen Weg für den möglichen halten. Wir sind gerne bereit, auch andere Vorschläge zu diskutieren. Aber wir sollten, glaube ich, alle zu dem Grundsatz ja sagen, diese Besoldungseinheit wieder zu schaffen. Sicherlich lassen die Vorschläge noch manches Problem im Bereich des öffentlichen Dienstes offen, und nicht jeder Vorschlag ist unumstritten.
Ich möchte nur noch zwei Dinge ansprechen. Des öfteren ist bereits erwähnt worden, daß die Frage des Weihnachtsgeldes und die Frage der strukturellen Überleitung mit der vorgelegten Harmonisierungsnovelle keine endgültige Regelung finden. Die Länder haben zu diesen beiden Fragen fast überall gesetzliche Regelungen geschaffen. Wir haben uns bei der Debatte um Anträge der SPD- Fraktion im vergangenen Jahr und im Frühjahr auf den Standpunkt gestellt, daß diese Probleme im Zusammenhang mit der Harmonisierungsnovelle angesprochen werden müssen. Wir stehen nach wie vor zu diesem Wort, auch wenn sich durch die Einbeziehung der Versorgungsempfänger in die vorgelegten Gesetze nun die Härte beispielsweise in der Frage der Stellenüberleitung nicht mehr so kantig zeigt wie bisher.
Auch ich bin der Meinung, daß in dem Vorschlag der Bundesregierung das eine oder andere Problem sicherlich Anlaß zu ausgedehnter Diskussion sein wird. Eines mag für viele stehen: Es ist das Problem der Lehrerbesoldung, die Frage, ob die Lehrerbesoldung nun auch in der Bundesbesoldungsordnung einen festen Platz erhalten soll. Wir werden hier eingehend die Frage prüfen müssen, ob dafür die Zeit reif geworden ist. Daß die Lehrerbesoldung da und dort Unordnung in das bisherige Gefüge brachte, ist ja kein Zufall. Das hängt damit zusammen, daß in den Ländern neue Wege für die Ausbildung gesucht wurden und ein ganz anderes Maß von Anforderungen an die Ausbildung gestellt wurde. Hinzu kommt, daß dem Lehrer in der Nachkriegszeit eine wesentlich größere Aufgabe im Bereich der gesamten Erziehung zugewiesen wurde, als das früher der Fall war, wo die Familie noch in größerem Umfang als heute dafür tätig sein konnte.
Der Lehrerstand sucht sich also seinen Platz im gesellschaftlichen Gefüge, und das hat naturnotwendig Auswirkungen auch in der Besoldung. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß wir diese Frage ernsthaft prüfen müssen.
Alles in allem meine ich doch, daß der von der Regierung gemachte Vorschlag ein guter Schritt vorwärts ist in dem Bemühen, dem Bundesbeamten einen gerechten Anteil an der sozialen Entwicklung zu gewähren. Die Besoldungsentwicklung wird mit diesem Gesetz keinen endgültigen Abschluß finden, sie wird weitergehen. Ich habe die Auffassung, daß die Bundesregierung doch einen guten Weg in die Zukunft weist, insbesondere mit dem Vorschlag, nun Gesichtspunkte der Familie und soziale Erwägungen mehr als bisher in den Vordergrund zu rücken.
Wir wollen versuchen, nun so rasch wie möglich die Beratung voranzutreiben, um diese Gesetze so schnell wie möglich Wirklichkeit werden zu lassen. Ich nehme an, daß wir damit dem gesamten öffentlichen Dienst den besten Dienst erweisen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)





Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0404231700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wittrock.

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0404231800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Debatte wurde die Erwartung ausgesprochen, daß die von dem Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion, dem Kollegen Gscheidle, vorgetragenen Bedenken gegen diese Grundgesetzänderung überwindbar seien, daß man sie gewissermaßen a priori abhandeln könnte. Die zeitliche Beschränkung, die mir der Herr Präsident auferlegt hat und der ich mich mit dem Blick auf die Uhr auch freiwillig unterwerfe, verbietet, auf diese Gesichtspunkte im einzelnen einzugehen. Ein wesentlicher Teil ist hier vorgetragen worden. Aber wir werden uns im Ausschuß über all das unterhalten.
Ich möchte nur das eine sagen: es spricht sehr vieles dafür, daß, wenn es zu der Abwägung kommt, die negativen Gesichtspunkte überwiegen.

(Beifall bei der SPD.)

Das sei in diesem Stadium bereits mit aller Klarheit und Deutlichkeit gesagt.
Ich möchte in der gebotenen Kürze noch zu einer ganz grundsätzlichen Frage eine Bemerkung machen. Es ist eigentlich mehr eine allgemeine verfassungspolitsiche Frage. Von dem Kollegen Gscheidle wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Zahl der Grundgesetzänderungen heute schon eine respektable Höhe erreicht hat. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat stets die Auffassung vertreten: Das Grundgesetz ist ein Gesetz besonderen Ranges, und eine Verfassungsänderung ist eine staatspolitische Grundsatzentscheidung, die man nicht alle Tage treffen kann, sondern von der nur sparsamster Gebrauch zu machen ist.
Wir haben in der letzten Wahlperiode von dieser Stelle aus der Erwartung Ausdruck gegeben, daß eine Grundgesetzänderung nach Fühlungsnahme zwischen der Regierung und den Fraktionen des Hauses gewissermaßen als ein einmaliger Akt des Verfassungsgesetzgebers vollzogen würde. In der letzten Wahlperiode hat es acht Vorschläge zur Änderung von Artikeln des Grundgesetzes gegeben, Änderungsvorschläge, die von der Regierung vorgetragen wurden. Fünf davon haben die Zustimmung des Verfassungsgesetzgebers gefunden.
Wir glauben, es ist eine schlechte Praxis, daß man Grundgesetzänderungen gewissermaßen am laufenden Bande daherkleckert. Es entspricht nicht dem Range des Grundgesetzes, wenn man so verfährt. Es entspricht nicht der Würde des Grundgesetzes. Das Grundgesetz ist nicht ein Leistungsgesetz, vergleichbar mit dem Lastenausgleichsgesetz oder irgendeinem anderen Leistungsgesetz.
Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß es insbesondere der Grundsatz der Unverbrüchlichkeit der verfassungsrechtlichen Normentscheidung, der staatspolitischen Normentscheidung, auf der die Verfassung beruht, verbietet, Grundgesetzänderungen nach der Methode durchsetzen zu wollen, die auch an diesem Beispiel gezeigt wird.
Ich habe diese Gelegenheit des ersten Versuches einer Gesetzesinitiative ergreifen wollen, um Sie auf diesen Punkt hinzuweisen. Ich glaube, daß das Gewicht der parlamentarischen Opposition hier in diesem Hause Sie dazu verpflichten sollte, derartige Erwägungen zu beachten, wenn Sie die Initiative für eine Verfassungsänderung ergreifen wollen. Ein rechtzeitiges, ein frühzeitiges Gespräch hierüber, die Förderung einer Initiative aus der Gesamtheit des Hauses, um so zu gewährleisten, daß man nicht eine Gesetzesinitiative ins Blaue ausübt, dienen dem gesamten Hause und entsprechen der Würde unserer Verfassung.

(Beifall bei der SPD.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0404231900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Süsterhenn.

Dr. Adolf Süsterhenn (CDU):
Rede ID: ID0404232000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will in der mir auferlegten und von mir auch freiwillig geübten Kürze nur noch einige Bemerkungen zur Frage der verfassungspolitischen Zweckmäßigkeit und der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Regierungsentwurfs für die Änderung des Art. 75 des Grundgesetzes machen.
Ich stimme mit meinem Herrn Vorredner durchaus darin überein, daß man Verfassungen nicht am laufenden Bande ändern soll, daß man Verfassungen insbesondere nicht durch verfassungdurchbrechende Gesetze ändern soll, wie das in der Zeit der Weimarer Verfassung am laufenden Bande geschehen ist. Aber ich glaube, daß wir dafür in das Grundgesetz vorsorglich schon gewisse Bestimmungen eingebaut haben, die diese selbstverständliche Verfassungsdurchbrechung unmöglich machen und auch jeweils eine besondere textliche Änderung in der Verfassung ausdrücklich vorschreiben.
Auf der anderen Seite sollte man aber, soweit es nicht um die Grundsätze der Verfassung, insbesondere um die Grundsätze geht, die in den Artikeln 1 bis 20 des Grundgesetzes enthalten sind, die also das Wesen unseres freiheitlichen Rechtsstaates und seiner freiheitlichen Lebensordnung ausmachen, in rein organisatorischen Fragen aus einer Verfassung und hier aus dem Grundgesetz letzten Endes auch kein unantastbares Tabu machen. Denn letzten Endes soll ja doch das Grundgesetz und sollen insbesondere die organisatorischen Bestimmungen des Grundgesetzes dem Wohle des Volkes dienen. Diese Bestimmungen sind daher, soweit es nach der Überzeugung der im Grundgesetz vorgesehenen Zweidrittelmehrheit dem Wohle des Volkes dient, ausdrücklich zur Disposition der Zweidrittelmehrheit des Bundestages und des Bundesrates gestellt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Man sollte sich auf der einen Seite davor hüten, leichtfertig und unnötig Verfassungsänderungen vorzunehmen. Aber wo nach übereinstimmender Auffassung vernünftige Gründe für eine solche Verfassungsänderung sprechen, sollte man sich auf der anderen Seite, soweit es sich um organisatorische Fragen handelt, nicht einfach wegen eines Wort-



Dr. Süsterhenn
Lauts eines Gesetzestextes von den notwendigen Entscheidungen abhalten lassen, die man für richtig hält.
Die Bedenken, die der Herr Kollege Gscheidle gegen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der vorgesehenen Änderung des Art. 75 des Grundgesetzes vorgetragen hat, unterschieden sich sowohl im Inhalt wie vor allen Dingen in der Tonart äußerst wohltuend von den Bedenken, die sämtlichen Mitgliedern dieses Hohen Hauses in dem Schreiben des DGB und in dem Schreiben der AGDL, der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lehrerverbände, zugestellt worden sind. In diesen Schreiben wurde der Bundesregierung in sehr massiver Weise vorgeworfen, daß die von ihr beantragte Grundgesetzänderung mit dem Wesen des Grundgesetzes, insbesondere mit dem Art. 79 Abs. 3, unvereinbar sei und darüber hinaus auch gegen das sozialstaatliche Prinzip, das in Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes verankert sei, verstoße.
Meine Damen und Herren, in dieser massiven Form hat sich hier weder Herr Kollege Wittrock noch Herr Kollege Gscheidle geäußert. Herr Kollege Gscheidle hat wohl darauf hingewiesen, daß die verfassungsrechtlichen Bedenken im Bundesrat auch von dem Vertreter des Landes NordrheinWestfalen vorgetragen worden seien. Jawohl, das ist richtig. Er hätte aber der Vollständigkeit halber auch darauf hinweisen müssen, daß sämtliche anderen Länder folgende Auffassung vertreten haben, die Justizminister Westenberger in der Sitzung des Bundesrates vom 12. Juli 1962 als Berichterstatter des Rechtsausschusses des Bundesrates wie folgt zum Ausdruck gebracht hat.
Nach Auffassung des Rechtsausschusses bestehen gegen den Entwurf keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen oder verfassungspolititischen Bedenken. Die Eigenstaatlichkeit der Länder wird nicht angetastet. Die Einführung einer besonderen Rahmenkompetenz beeinträchtigt nicht den föderativen Aufbau der Bundesrepublik.
Um Wiederholungen zu vermeiden, möchte ich lediglich sagen, daß das, was da im Auftrag des Rechtsausschusses des Bundesrates erklärt worden ist, durchaus mit dem in Einklang steht, was alle maßgebenden Kommentatoren zu der Frage der Möglichkeit einer Änderung der Bestimmungen der Art. 73 bis 75 des Grundgesetzes sagen, daß nämlich derartige Änderungen nicht gegen den föderativen Aufbau, wie er in Art. 79 des Grundgesetzes garantiert ist, verstoßen.
Infolgedessen glaube ich, daß es im Wege weiterer Gespräche im Innenausschuß durchaus möglich sein wird, auch in dieser Frage, wenn man die Vereinheitlichung als solche will und als notwendig bejaht, zu einer Abstimmung, wenn nicht gar zu einer Übereinstimmung der Auffassungen zu gelangen.
Auch ich bin natürlich an der Frage interessiert. Es ist zweifellos eine Frage, die sich jeder Gesetzgeber vorlegen muß und die Herr Kollege Gscheidle deshalb mit Recht aufgeworfen hat: Kann man mit dem vorgesehenen Gesetz überhaupt den beabsichtigten Zweck erreichen? Ich gebe durchaus zu, daß eine völlig und absolute Vereinheitlichung auf diesem Wege wegen der bestehenden Bedenken — siehe Stellenkegel; ich will das nur stichwortartig andeuten — nicht erreicht werden kann. Aber es kann jedenfalls eine wesentliche Verbesserung des gegenwärtigen Zustandes herbeigeführt werden.
Außerdem dürfen wir natürlich nicht immer die extremsten Ausnahmefälle ins Auge fassen. Ich bin von dem loyalen und bundestreuen Verhalten sämtlicher Länder überzeugt. Ich bin überzeugt, daß jetzt nicht irgendein Land hingehen wird und sämtliche Funktionen, die bisher durch Oberinspektoren ausgeübt worden sind, in Zukunft Oberregierungsräten übertragen wird, um auf diesem Wege der Maßnahme der Besoldungsvereinheitlichung, die hier geplant ist, in den Rücken zu fallen. Wir dürfen auch nicht vergessen, daß gerade die Initiative zur Änderung des Art. 75 des Grundgesetzes gar nicht von der Bundesregierung ergriffen worden ist. Es handelt sich um einen Initiativantrag des Bundesrates aus dem Jahre 1957.

(Hört! Hört!)

Ohne irgendwie den Vertretern der Bundesregierung mangelnde Originalität in der Formulierung ihrer Begründungen vorwerfen zu wollen, muß ich jedoch feststellen, Herr Staatssekretär Anders, daß die Begründung des damaligen Initiativantrags des Bundesrates nahezu wörtlich von der Bundesregierung übernommen worden ist. Aber Sie sehen, daß es sich hier gar nicht darum handelt, gegen böswillige Länder zu operieren, sondern hier sehen wir den vorbildlichen Fall eines positiven Zusammenarbeitens zwischen Bund und Ländern, wie es von allen Seiten dieses Hauses und auch von der Bundesregierung und von den Ländern immer wieder gefordert worden ist.
Wenn wir eine Regelung treffen, wonach die Länder nicht ohne den Bund und der Bund nicht ohne die Länder in dem durch das Gesetz bzw. durch die Verfassungsänderung vorgesehenen Rahmen ihre Entscheidungen in Besoldungsfragen bezüglich des Besoldungsgefüges treffen können, dann entsprechen wir damit auch der Grundhaltung unseres Grundgesetzes. Wir haben nicht das Dual system of government, die völlige Trennung zwischen Bund und Ländern in der Gesetzgebung und Verwaltung, sondern wir haben ein verklammertes föderalistisches System, und hier soll gerade auf diesem so wichtigen Gebiet diese Verklammerung realisiert werden.

(Abg. Wittrock: Ich habe nicht so kurz geredet, damit Sie so lange reden!)

— Herr Kollege, ich mache Schluß und gestatte Ihnen dadurch, noch einmal das Wort zu ergreifen, wenn Sie wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Nein, wir haben Rücksicht genommen!)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0404232100
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen.




Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0404232200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte das Wort ergreifen, weil heute Herr Staatssekretär Dr. Anders wohl zum letztenmal für die Bundesregierung von dieser Stelle aus gesprochen hat. Herr Staatssekretär Dr. Anders scheidet nach einem erfüllten Beamtenleben, in dem er seit 1920 im öffentlichen Dienst und seit 1949 im Bundesinnenministerium an verantwortlicher Stelle war, mit dem Ende dieses Monats aus.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in den vielen Jahren der Zusammenarbeit Herrn Staatssekretär Dr. Anders auch bei Meinungsverschiedenheiten kennen und schätzen gelernt. Es war eine gute Zusammenarbeit, getragen von dem tiefen Respekt des Staatssekretärs vor diesem Hause.

(Beifall bei allen Parteien.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, ich darf in Ihrer aller Namen Ihnen, Herr Staatssekretär, nach diesem erfüllten Beamtenleben herzlich danken und Ihnen alles Gute auch für die Zukunft wünschen.

(Lebhafter Beifall.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0404232300
Herr Staatssekretär Anders.

Artur Anders (SPD):
Rede ID: ID0404232400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf dem Herrn Abgeordneten SchmittVockenhausen sehr herzlich für die freundlichen Worte danken. Es trifft zu, daß ich seit 1949 hier in der Bundesverwaltung bin. Es waren nicht immer ganz leichte Zeiten; aber ich glaube, ich bin ganz gut mit Ihnen allen ausgekommen, und ich habe gerne mit Ihnen zusammengearbeitet. Ich habe erst vor kurzem einen Brief eines früheren Abgeordneten des Beamtenrechtsausschusses bekommen, der mit „Angehöriger Ihrer getreuesten Opposition" unterschrieben war.

(Heiterkeit.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf dem Hohen Hause für seine weitere Arbeit alles Gute wünschen. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei allen Parteien.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0404232500
Meine Damen und Herren! Damit ist die Aussprache in der ersten Beratung der drei Gesetzentwürfe abgeschlossen, die unter Punkt 6 der Tagesordnung zusammengefaßt waren.
Wir haben nun noch über die weitere Behandlung zu beschließen. Für den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung ides (Bundesbesoldungsgesetzes — Drucksache IV/625 — ist Überweisung an den Ausschuß für Inneres als federführenden Ausschuß und an den Haushaltsausschuß vorgeschlagen. — Diesem Vorschlag wird nicht widersprochen. Damit ist die Überweisung in diesem Sinne beschlossen.
Zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes — Drucksache IV/635 — ist die Überweisung an den Rechtsausschuß als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Inneres als mitberatenden Ausschuß vorgeschlagen. Werden diese Vorschläge akzeptiert? — Es ist so beschlossen.
Für den Antrag der Abgeordneten Dr. Miessner, Brück, Dorn, Wagner, Ertl, Hübner, Mertes, Dr. Bieringer und Genossen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Besoldungsgesetzes — Drucksache IV/673 — wird Überweisung an den Ausschuß für Inneres und nach § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß vorgeschlagen. Wird diesen Vorschlägen widersprochen? — Das ist nicht der Fall; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der heutigen Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung auf Donnerstag, den 25. Oktober, 14 Uhr 30, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.