Protokoll:
4013

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 4

  • date_rangeSitzungsnummer: 13

  • date_rangeDatum: 31. Januar 1962

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 19:10 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 13. Sitzung Bonn, den 31. Januar 1962 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Meyer 335 A Die Abg. Glombig und Busch treten in den Bundestag ein 350 B Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben im dritten Vierteljahr des Rechnungsjahres 1961 (Drucksache IV/140) . . . . . . . . 350 C Fragestunde (Drucksache IV/148) Frage des Abg. Dr. Mommer: Anstellungsverhältnis der Pressereferenten des Auswärtigen Dienstes Dr. Carstens, Staatssekretär . . . 335 D, 336 A, B, C Dr. Mommer (SPD) 336 A Ritzel (SPD) 336 B Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Kommission betr. Fragen der politischen Bildung Höcherl, Bundesminister 336 C, D, 337 A Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 336 C, D Dr. Schäfer (SPD) 336 D Dr. Frede (SPD) . . . . . . . 337 A Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Laufbahnen des Polizeivollzugsdienstes Höcherl, Bundesminister . . . 337 A, B Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 337 B Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Jubiläumszuwendungen an Beamte Höcherl, Bundesminister 337 C, D, 338 A Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 337 C, D Brück (CDU/CSU) 337 D Ritzel (SPD) . . . . . . . . 338 A Fragen des Abg. Dr. Dollinger: Steuerliche Selbstveranlagung Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . 338 B, D, 339 A Dr. Besold (CDU/CSU) . . . . . 338 C Dr. Koch (SPD) 338 D Fragen des Abg. Dr. Stecker: Kursmünzen Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . 339 A, B Gewandt (CDU/CSU) 339 B Frage des Abg. Dröscher: Grundsteuervergünstigung für Wohnungen von Angehörigen der Stationierungsstreitkräfte Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . 339 C, D, 340 A, B, C, D, 341 A Dröscher (SPD) 339 D Wittrock (SPD) . . . . . . . 340 A Dr. Brecht (SPD) 340 B, C Schmitt-Vockenhausen (SPD) . 340 D, 341 A II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 Frage des Abg. Dr. Mommer: Entschädigung für in den Vereinigten Staaten beschlagnahmtes deutsches Privatvermögen Dr. Hettlage, Staatssekretär 341 A, B, C, D, 342 C Dr. Mommer (SPD) 341 B Ritzel (SPD) . . . . . . . . 341 C Dr. Kohut (FDP) . . . . 341 D, 342 A Dr. Carstens, Staatssekretär . . 342 A, B Dr. Schäfer (SPD) 342 B Jahn (SPD) 342 C Frage des Abg. Dröscher: Randgemeinden der Truppenübungsplätze Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . . 342 D, 343 A, B Dröscher (SPD) 343 A, B Frage des Abg. Blumenfeld: Indonesische Staatsgesellschaften und deutscher Außenhandel Dr. Westrick, Staatssekretär . . . 343 C, 344 A Blumenfeld (CDU/CSU) 343 D, 344 A Fragen des Abg. Murr: Vereinbarungen in Brüssel über Tabak und Hopfen Schwarz, Bundesminister . . . . . 344 B Murr (FDP) . . . . . . . . 344 C Frage des Abg. Sander: Schutzimpfung gegen die Maul- und Klauenseuche Schwarz, Bundesminister . 344 D: 345 A Sander (FDP) . . . . . . . . . 344 D Frage des Abg. Müller (Worms): Angestelltenrente des Rentners Hirsch aus Osthofen Dr. Claussen, Staatssekretär . . 345 B, C Matthöfer (SPD) 345 C Frage des Abg. Schmidt (Kempten) : Stellenangebote deutscher Firmen in österreichischen Zeitungen Dr. Claussen, Staatssekretär . . 345 D, 346 A, B Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . 346 A Dr. Kohut (FDP) 346 B Frage des Abg. Ritzel: Schutz für Taxifahrer Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 346 B, C, D Ritzel (SPD) . . . . . . . . 346 C, D Memmel (CDU/CSU) 346 D Frage des Abg. Felder: Bau der Großschiffahrtsstraße RheinMain—Donau Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 347 A, B, C Felder (SPD) . . . . . . . . 347 B Bauer (Würzburg) (SPD) . . . . . 347 C Frage des Abg. Felder: Kanalbau Nürnberg-Regensburg Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 347 D Frage des Abg. Felder: Autobahn Frankfurt—Nürnberg Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 348 A, B Felder (SPD) . . . . . . . . . 348 B Frage des Abg. Schmidt (Kempten) : Überbreite landwirtschaftliche Maschinen im Straßenverkehr Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 348 B, C, D Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . 348 C, D Fragen des Abg. Dr. Kohut: Gepäckabfertigung und Fahrkartenverkauf am Bahnhof Langen (Hessen) Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 348 D, 349 A Frage des Abg. Ritzel: Fernsprechanschlüsse in den Rasthäusern an den Bundesautobahnen Stücklen, Bundesminister . . . . 349 C Ritzel (SPD) . . . . . . . . 349 C, D Frage des Abg. Ritzel: Depots mit Blutplasma in Autobahnraststätten Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister .......... 349 D Frage des Abg. Gewandt: Verkauf von Arzneimitteln im freien Verkehr Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister . . . . . . . . . 350 A, B Gewandt (CDU/CSU) . . . . . . 350 B Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 III Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. von Brentano (CDU/CSU) . . 350 C Birkelbach (SPD) 354 B Freiherr von Kühlmann-Stumm (FDP) 360 D Struve (CDU/CSU) 366 C Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) . . 371 C Ertl (FDP) 376 C Bauer (Wasserburg) (CDU/CSU) . 381 C Frau Strobel (SPD) 384 C Mauk (FDP) . . . . . . . . 391 B Lücker (München) (CDU/CSU) . . 394 A Schwarz, Bundesminister 399 C Antrag betr. Vorlage eines Berichtes wegen Belastung mit lohnbezogenen Abgaben (CDU/CSU, FDP), (Drucksache IV/134) Dr. Dahlgrün (FDP) 402 B Burgemeister (CDU/CSU) . . . 403 A Lange (Essen) (SPD) 403 C Nächste Sitzung 404 C Anlagen 405 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 335 13. Sitzung Bonn, den 31. Januar 1962 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albertz 31. 1. Altmaier 1. 2. Dr. Atzenroth 31. 1 Dr. Birrenbach 3. 2. Fürst vom Bismarck 3. 2. Dr. Bucerius 3. 2. Dr. Burgbacher 31. 1. van Delden 1.2. Dr. Dittrich 31. 1. Dr. Dollinger 31. 1. Ehnes 1. 2. Eichelbaum 6. 2. Eisenmann 31. 1. Erler 31. 1. Dr. Franz 31. 1. Gaßmann 2. 2. Frau Geisendörfer 3. 2. Gedat 15. 2. Hellenbrock 3. 2. Hesemann 31. 1. Höfler 31. 1. Illerhaus 31. 1. Jacobs 1. 2. Frau Kettig 1. 2. Dr. Klein (Berlin) 14. 2. Dr. Kliesing (Honnef) 4. 2. Frau Krappe 1. 2. Kraus 1. 2. Leber 31. 1. Dr. Löbe 2. 2. Lohmar 1. 2. Dr. Mälzig 31. 1. Maier (Mannheim) 14. 2. Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 31. 1. Merten 31. 1. Michels 2. 2. Müller (Worms) 4. 2. Neumann (Berlin) 31. 1. Rademacher 31. 1. Rasier 1. 2. Reitzner 31. 1. Dr. Schellenberg 31. 1. Scheuren 34. 1. Schmidt (Braunschweig) 2. 2. Dr. Schneider 31. 1. Schütz 31. 1. Schulhoff 3.2. SühLer 31. 1. Striebeck 18. 2. Wagner 31. 1. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 31. 1. Wehner 31. 1. Werner 15. 2. Wieninger 1. 2. b) Urlaubsanträge Frau Dr. Elsner 10.2. Horn 18.2. Oetzel 16.2. Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Umdruck 20 Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD, FDP zur Erklärung der Bundesregierung vom 24. Januar 1962 betr. EWG Der Bundestag wolle beischließen: Der Bundestag hat die Erklärung der Bundesregierung vom 24. Januar 1962 über die Beschlüsse des Ministerrats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 13./14. Januar 1962 zur Kenntnis genommen. Er spricht der deutschen Verhandlungsdelegation, unter Führung von Bundesminister Schwarz, Dank und Anerkennung für ihren unermüdlichen Einsatz in den überaus schwierigen Verhandlungen aus. Der Bundestag ist sich bewußt, daß die deutsche Landwirtschaft vor großen Aufgaben und Schwierigkeiten steht. Er erwartet, daß ihm die Bundesregierung möglichst bald die Gesetzentwürfe vorlegt, die für eine termingerechte Anpassung der in der Bundesrepublik geltenden Gesetze und Verordnungen an die Brüsseler Beschlüsse notwendig sind. In diesen Gesetzentwürfen sund alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die berechtigten Interessen der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft und der Verbraucher zu berücksichtigen; dies gilt insbesondere im Hinblick auf die bäuerlichen Familienbetriebe und die marktfernen Gebiete. Der Bundestag erwartet, daß die Bundesregierung ihm außerdem Vorschläge für die im Sinne des Landwirtschaftsgesetzes notwendigen Ausgleichsmaßnahmen für Einkommensminderungen vorlegt, die sich aus. der Durchführung der Brüsseler Beschlüsse ergeben. Der Bundestag ist der Auffassung, daß die Brüsseler Beschlüsse nunmehr dazu zwingen, gemeinsam eine agrarpolitische Konzeption zu entwickeln, die die Lebensfähigkeit der deutschen Landwirtschaft auch im gemeinsamen europäischen Markt gewährleistet, mit den in Brüssel gefaßten Beschlüssen vereinbar ist, die Interessen der Verbraucher wahrt und zugleich finanzpolitisch tragbar ist. Für dieses Vorhaben ist Eile geboten. Die deutsche Landwirtschaft kann erwarten, daß spätestens bei der Diskussion über den neuen Grünen Bericht und den Grünen Plan die Umrisse dieser agrarpolitischen Konzeption sichtbar werden. Der Bundestag erwartet, daß die Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die ihr übertragenen Zuständigkeiten in echter gemeinschaftlicher Solidarität handhabt. Diese Verantwortung wiegt um so schwerer, solange das Europäische Parlament noch kenne den nationalen Parlamenten entsprechenden legislativen Funktionen ausübt, während die nationalen Parlamente ihre Zuständigkeiten schrittweise verlieren. Bonn, den 31. Januar 1962 Dr. von Brentano und Fraktion Ollenhauer und Fraktion Dr. Bucher und Fraktion
Gesamtes Protokol
Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401300000
Die Sitzung 'ist eröffnet.

Meine Damen und Herren,

(die Abgeordneten erheben sich)

am 29. Januar 1962 verstarb nach langer schwerer Krankheit unser Kollege Phillipp Meyer aus Oppertshofen. Er wird heute in Oppertshofen beigesetzt.
Herr Kollege Phillipp Meyer wurde am 29. März 1896 in Auhausen in Mittelfranken geboren. Er erlernte das Müllerhandwerk, war im ersten Weltkrieg Soldat und übernahm später den Betrieb einer Mühle und die Bewirtschaftung eines Bauernhofes.
Er war Kreishandwerksmeister, Vorstandsmitglied des Bayerischen Müllerbundes und Kreisvorstandsmitglied des Bayerischen Bauernverbandes. Er war Mitglied der Landessynode der Evangelischen Kirche in Bayern. Nach dem zweiten Weltkrieg schloß er sich der Christlich-Sozialen Union an. Dem Deutschen Bundestag gehörte er seit 1953 an. Er vertrat den Wahlkreis Donauwörth. Er war Mitglied des Ausschusses für Mittelstandsfragen und des Ausschusses für Heimatvertriebene.
Ich spreche der Fraktion der CDU/CSU und den Angehörigen des verstorbenen Kollegen unser herzliches Beileid aus. Wir werden dem Verstorbenen ein dauerndes ehrendes Gedenken bewahren. — Meine Damen und Herren, Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von den Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, zu der in der Fragestunde der 12. Sitzung des Deutschen Bundestages am 24. Januar 1962 gestellten Frage des Abgeordneten Dr. Böhm (Frankfurt) Nr. III/2 ist inzwischen die schriftliche Antwort des Herrn Staatssekretärs Dr. Hettlage vom 24. Januar 1962 eingegangen. Sie lautet:
Es trifft zu, daß das Bundesverwaltungsamt bis zum Ende des Jahres 1961 erst einen Bescheid über die Entschädigung von Nationalgeschädigten erlassen hat. Die Gründe hierfür liegen auf personellem rund sachlichem Gebiet.
Die zuständige Abteilung des Bundesverwaltungsamts mußte im Laufe des vorigen Jahres völlig neu aufgebaut werden. Da alle fachkundigen Kräfte bei den Ländern, die das Bundesentschädigungsgesetz durchführen, fest angestellt sind, bedurfte es langwieriger Verhandlungen, um geeignetes Personal für die neue Wiedergutmachungsbehörde zu gewinnen.
In sachlicher Hinsicht hat sich die bereits von den Ländern gemachte Erfahrung bestätigt, daß gerade der Aufbau von Wiedergutmachungsbehörden mti besonderen Anlaufschwierigkeiten
verbunden ist. Bei dem Bundesverwaltungsamt wurden in kurzer Zeit Tausende mehr oder weniger substantiierter Anträge aus allen Teilen der Welt eingebracht, die erfaßt und gesichtet werden mußten. Da ausreichende Beweisunterlagen meist fehlen, ist es zunächst notwendig, die erforderlichen Ermittlungen anzustellen. Die Hauptschwierigkeit besteht jedoch darin, daß die Feststellung eines Gesundheitsschadens im Sinne dse Art. 1 des Abkommens vom 5. 10. 1960 nur auf Grund eines ärztlichen Gutachtens erfolgen kann. Die meisten Antragsteller haben ihren Wohnsitz im Ausland, so daß die ärztliche Untersuchung durch die Vertrauensärzte der deutschen Auslandsvertretungen vorgenommen werden muß. Hierdurch entsteht ein Zeitverlust, der leider nicht vermieden werden kann. Die geschilderte Ermittlungsarbeit sowie die Anforderung der vertrauensärztlichen Gutachten ist vom Bundesverwaltungsamt in der Zwischenzeit aufgenommen worden. Die zuständigen Bundesressorts werden alle Anstrengungen unternehmen, um auf dieser Grundlage eine beschleunigte Abwicklung der Anträge sicherzustellen.
Wir treten in die Tagesordnung ein und beginnen mit der
Fragestunde (Drucksache IV/148).
Ich rufe zunächst die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer auf, die den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts betrifft:
Weiß die Bundesregierung von der Gefahr, daß manche der Pressereferenten in den diplomatischen Vertretungen der Bundesrepublik wegen der Unsicherheit in ihrem Anstellungsverhältnis wieder aus dem Bundesdienst ausscheiden möchten?
Herr Staatssekretär, bitte!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401300100
Ich darf die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer wie folgt beantworten.
Die Pressereferenten des Auswärtigen Dienstes werden zur Zeit mit einem auf drei Jahre befristeten Vertrag angestellt. Die Befristung der Verträge ist im Jahre 1959 eingeführt worden, nachdem erstmals eine größere Zahl von Stellen für den Ausbau der Öffentlichkeitsarbeit im Ausland bewilligt worden war, von denen ein großer Teil auf Missionen in tropischen Ländern entfällt. Die Befristung — ursprünglich ein Jahr, später drei Jahre — entspricht den Bedürfnissen des Dienstes. Sie gibt die Möglichkeit, die weitere Entwicklung der Öffentlichkeitsarbeit abzuwarten; sie erlaubt insbesondere auch, sich von Mitarbeitern zu trennen, die sich für ein dauerndes Dienstverhältnis als nicht geeignet erweisen.
Es ist vorgesehen, nach Ablauf der Vertragsdauer das Dienstverhältnis auf unbestimmte Zeit zu verlängern, sofern nicht besondere Umstände im Einzelfall dem entgegenstehen. Das Auswärtige Amt hat bisher nur in wenigen Ausnahmefällen davon Gebrauch gemacht, das Dienstverhältnis nach Ablauf der Vertragsdauer nicht zu verlängern. Bisher ist noch kein Pressereferent wegen der Unsicherheit in seinem Arbeitsverhältnis wieder aus dem Bundesdienst ausgeschieden.




Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401300200
Herr Abgeordneter Mommer, eine Zusatzfrage!

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0401300300
Herr Staatssekretär, ist Ihnen nicht bekannt, daß trotz der Versicherung, die Sie abgeben, Unruhe bei manchen dieser Referenten deswegen besteht, weil die kurze Zeit zwar den Bedürfnissen des Dienstes entspricht, die Referenten aber sich in einer gewissen Unsicherheit darüber befinden, ob nun das Dienstverhältnis verlängert wird oder nicht, und daß sie deswegen geneigt sind, in ihre frühere Stelle zurückzukehren, daß sie jedenfalls diesen Gedanken erwägen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401300400
Herr Abgeordneter, den Pressereferenten ist bekannt, daß in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle das Dienstverhältnis in ein dauerndes Dienstverhältnis umgewandelt werden wird, und in den wenigen Fällen, in denen das nicht beabsichtigt ist, ist das auch den Betreffenden bekannt.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401300500
Eine weitere Zusatzfrage!

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0401300600
Darf ich weiter fragen, ob Sie in der Lage sind, wenigstens, sagen wir, nach einem Jahr des Dienstverhältnisses den Betreffenden schon zu sagen, wie es sich voraussichtlich entwickeln wird?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401300700
Ich möchte glauben, daß vielleicht nach Ablauf eines Jahres eine solche Entscheidung schwer zu fällen sein wird. Ganz sicher aber wird sie rechtzeitig vor Ablauf der Dreijahresfrist getroffen werden können, so daß dem Betreffenden in jedem Fall die Möglichkeit bleibt, sich auf eine Fortsetzung oder auf eine andere Tätigkeit einzustellen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401300800
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ritzel!

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0401300900
Darf ich fragen, Herr Staatssekretär, welche etwa unterschiedlichen Erfahrungen das Auswärtige Amt in bezug auf die Wirksamkeit der beamteten und der lediglich angestellten Vertreter dieser Art gemacht hat?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401301000
Ich glaube sagen zu können, Herr Abgeordneter, daß sich aus der Tatsache, daß einige Pressereferenten im Beamten- und andere im Angestelltenverhältnis stehen, keine unterschiedlichen Erfahrungen ergeben haben.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401301100
Herr Abgeordneter Ritzel zu einer weiteren Frage!

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0401301200
Wie hoch schätzen Sie, Herr Staatssekretär, den Prozentsatz derjenigen Angestellten, die sich als ungeeignet erwiesen haben?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401301300
Es handelt sich um einige wenige Ausnahmefälle, Herrr Abgeordneter, so daß ich den Prozentsatz kaum angeben kann.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401301400
Danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nun zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers' des Innern, zunächst zur Frage II/1 — des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen —:
Wie oft ist die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission zur Beratung in Fragen der politischen Bildung der deutschen Jugend bisher zusammengetreten?
Bitte, Herr Minister.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401301500
Ich darf die Frage wie folgt beantworten. Die Kommission zur Beratung der Bundesregierung in Fragen der politischen Bildung — und zwar nicht nur der politischen Bildung der Jugend — hat bisher insgesamt sechs Sitzungen abgehalten. Einer konstituierenden Sitzung im Dezember 1960 folgten zwei Arbeitssitzungen der Kommission sowie drei Sitzungen der inzwischen gebildeten Unterkommissionen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401301600
Eine Zusatzfrage!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0401301700
In welcher Form werden die Arbeitsergebnisse der Kommission der Öffentlichkeit mitgeteilt?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401301800
Die Arbeitsergebnisse der Kommission werden nicht der Öffentlichkeit mitgeteilt. Es handelt sich um ein unabhängiges Professorenkollegium, das sich seine Aufgaben selbständig stellt und das den Bericht nur an das Bundesinnenministerium zu geben hat. Der Abschlußbericht ist bisher noch nicht erstattet worden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401301900
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0401302000
In welcher Form werden dann der Bundestag bzw auch die Länder, die an diesen Arbeitsergebnissen sehr interessiert sind, von Ihnen Nachricht erhalten?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401302100
In jeder gewünschten Form.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401302200
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer!

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0401302300
Bis wann kann damit gerechnet werden, Herr Minister, daß der Bundestag oder die Länder von einem gewissen Abschlußergebnis dieser Arbeiten unterichtet werden?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401302400
Herr Kollege, ich habe schon darauf hingewiesen, daß es sich



Bundesinnenminister Höcherl
um eine autonome Einrichtung handelt. Ich habe die Herren in den nächsten Tagen bei mir und werde, weil offenbar großes Interesse besteht, darauf dringen — ohne Verletzung dieser Autonomie —, daß mir möglichst bald ein Abschlußbericht vorgelegt wird.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401302500
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Frede.

Dr. Günter Frede (SPD):
Rede ID: ID0401302600
Herr Minister, kann man erfahren, welche besondere Aufgabe die Unterkommission hat?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401302700
Das Kollegium hat sich bisher vor allem mit der Tätigkeit der Bundeszentrale für Heimatdienst und des Instituts für Zeitgeschichte befaßt. Es stellt sich, wie gesagt, selbst die Themen, ohne daß ich eine Möglichkeit hätte, außer mit Anregungen verbindlich darauf einzuwirken.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401302800
Wir kommen zur Frage II/2 — des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen —:
Wann wird die Bundesregierung die Rechtsverordnung gemäß § 3 Abs. 2 des Bundespolizeibeamtengesetzes vom 19. Juli 1960 mit den näheren Bestimmungen über die Laufbahnen des Polizeivollzugsdienstes erlassen?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401302900
Ich darf die Frage wie folgt beantworten:
Auf Grund des § 3 Abs. 2 des Bundespolizeibeamtengesetzes vom 19. Juli 1960 muß die Bundesregierung zwei Rechtsverordnungen erlassen: 1. für die Laufbahnen des Polizeivollzugsdienstes im Bundesgrenzschutz und im Bundesministerium des Innern und 2. für die Laufbahnen des Polizeivollzugsdienstes im Bundeskriminalamt, im Bundesministerium des Innern und in der Verwaltung des Deutschen Bundestages.
Die Vorbereitungen der Verordnungen stehen vor dem Abschluß. Beide Verordnungen werden den Spitzenorganisationen der Gewerkschaften auf Grund des § 94 des Bundesbeamtengesetzes in Kürze zugehen. Sobald sie mit den Gewerkschaften erörtert worden sind, können die Verordnungen erlassen werden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401303000
Eine Zusatzfrage!
Schmitt-Vockenhausen (SPD:) Glauben Sie nicht, Herr Minister, daß bei allem Verständnis für die Schwierigkeiten des Vorbereitungsganges doch eine gewisse Beschleunigung bei diesen beiden Verordnungen notwendig wäre?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401303100
Herr Kollege, ich habe schon mitgeteilt, daß sie unmittelbar vor dem Abschluß stehen. Ich nehme an, daß die Gewerkschaften sehr rasch auf den Vorschlag antworten werden. Es war schwierig, mit anderen Häusern zu einer Verständigung zu gelangen, weil ja wesentliche finanzielle Interessen berührt sind.
An uns liegt es also nicht. Wenn die Anhörung erfolgt ist, können die Verordnungen, wie ich annehme, noch im März erlassen werden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401303200
Wir kommen zur Frage II/3 — des Herrn Abgeordneten SchmittVockenhausen —:
Wann wird die Bundesregierung die Rechtsverordnung über die Jubiläumszuwendungen erlassen, die Beamten gemäß § 80 a des Bundesbeamtengesetzes bei Dienstjubiläen gewährt werden können?
Bitte, Herr Minister!

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401303300
Die Verordnung über die Gewährung von Jubiläumszuwendungen an Beamte und Richter des Bundes wird voraussichtlich im Laufe der nächsten Wochen erlassen. Sie soll rückwirkend auf den 1. Oktober 1961 in Kraft gesetzt werden. Der Entwurf der Verordnung ist bereits mit den Spitzenorganisationen der Gewerkschaften besprochen worden. Über wenige noch offene Fragen soll in einer Ressortbesprechung Anfang Februar Einigung erzielt werden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401303400
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0401303500
Bedauern Sie nicht mit mir, Herr Minister, daß es nicht möglich war, diese Verordnung wenigstens zum 1. Januar zu verkünden?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401303600
Ja, ich bedaure es mit Ihnen. Aber es sind noch zwei entscheidende Fragen offen, die gelöst werden müssen. Sie sind auch nicht ohne finanzielle Auswirkungen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401303700
Eine weitere Zusatzfrage!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0401303800
Nachdem bei der Verabschiedung der Novelle im letzten Jahr dem Ministerium aber der Grundsatz klar war, frage ich, Herr Minister: Wäre es nicht richtiger gewesen, die Vorarbeiten so zu beschleunigen, daß die Beamtenschaft nicht erst auf sehr lange Zeit rückwirkend von dieser Verordnung Kenntnis erhält?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401303900
Herr Kollege, wir haben im allgemeinen den Grundsatz, möglichts wenig rückwirkend zu bestimmen. Wenn wir hier eine Ausnahme machen, sündigen wir eigentlich gegen diesen Grundsatz. Ich glaube aber, es ist eine mittlere Linie, wenn wir den Zeitraum für die Rückwirkung vorsehen, den ich Ihnen mitgeteilt habe.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401304000
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Brück!

Valentin Brück (CDU):
Rede ID: ID0401304100
Herr Bundesminister, darf ich Sie in diesem Zusammenhang fragen, ob daran gedacht ist, nunmehr auch die neuen Unterstützungsrichtlinien bald bekanntzugeben? Oder sind noch



Brück
umfangreiche Überlegungen anzustellen, so daß sich auch diese Bekanntgabe noch verzögert?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401304200
Es sind in diesem Falle umfangreiche Überlegungen angestellt worden. Die Richtlinien sind in Bearbeitung und werden demnächst verkündet.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401304300
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ritzel!

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0401304400
Herr Minister, wie verhält es sich mit der Bewertung der Tatsache, daß die Frist für das Inkrafttreten im Gesetz selbst festgelegt ist?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401304500
Ich kann auf die Frage im Augenblick keine Antwort geben. Ich darf Sie bitten, die Antwort schriftlich entgegenzunehmen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401304600
Wir kommen nunmehr zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Ich rufe auf die Frage III/1 — des Herrn Abgeordneten Dr. Dollinger, der von Herrn Abgeordneten Dr. Besold vertreten wird —:
Welche Erfahrungen hat der Herr Bundesfinanzminister mit der seinerzeit im Bereich der Oberfinanzdirektion Hannover versuchsweise durchgeführten steuerlichen Selbstveranlagung gemacht?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401304700
Herr Abgeordneter, ich bitte, Ihre beiden Fragen zusammen beantworten zu dürfen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401304800
Dann rufe ich auch auf die Frage III/2 — des Herrn Abgeordneten Dr. Dollinger —:
Gedenkt Ader Herr Bundesfinanzminister aus den Erfahrungen, die bei der im Bereich der Oberfinanzdirektion Hannover versuchsweise durchgeführten steuerlichen Selbstveranlagung gemacht worden sind, Folgerungen zu ziehen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401304900
Es wird nach den Erfahrungen mit der Selbstberechnung der Einkommensteuer bei zwei Versuchsfinanzämtern im Lande Niedersachsen gefragt; es sind die Finanzämter in Celle und in Stadthagen. Endgültige Feststellungen über die Bewährung einer Selbstberechnung der Einkommensteuer können wir Ihnen noch nicht übermitteln, weil die Veranlagung des Jahres 1960 abgewartet werden soll, die bei diesen Finanzämtern etwa im Februar/März dieses Jahres endgültig abgeschlossen sein soll.
Wir haben diese Versuche im Einvernehmen mit dem Land Niedersachsen in der Hoffnung gefördert, daß dadurch ein Beitrag zu einer Vereinfachung der Steuererhebung geleistet werden könnte. Die Stellungnahme der Steuerpflichtigen ist verständlicherweise unterschiedlich. Die Stellungnahme der steuerberatenden Berufe ist nach unseren Eindrücken überwiegend negativ und die Stellungnahme der Finanzämter ist überwiegend positiv. Wir werden
zu gegebener Zeit dem Finanzausschuß des Bundestages über die endgültigen Erfahrungen mit diesen Versuchen berichten.
Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Versuche einer Selbstberechnung der Steuer — man muß von der Selbstberechnung sprechen; „Selbstveranlagung" wäre das falsche Wort — durch den Ausbau des elektronischen Rechnens und Arbeitens überholt werden. Auch auf diesem Gebiete sind Versuche eingeleitet. Wenn die Steuer elektronisch errechnet werden kann, wäre eine Berechnung durch den Steuerpflichtigen selbst nicht mehr erforderlich. Wann man auf diesem Gebiet zu gewissen Erfahrungen kommt, steht noch aus. Bei der Kompliziertheit unseres Steuerrechts ist es selbst bei elektronischen Maschinen nicht ganz einfach, ein einwandfreies Verfahren zu entwickeln.
Ich möchte diese Antwort in der Fragestunde dazu benutzen, zu versichern, daß die Bundesfinanzverwaltung im engen Einvernehmen mit den Länderfinanzverwaltungen alles Mögliche tut, um den Fortschritt der modernen Technik auch dem Steuerwesen und der Steuertechnik nutzbar zu machen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401305000
Eine Zusatzfrage.

Dr. Anton Besold (CSU):
Rede ID: ID0401305100
Sind ähnliche Versuche, wie sie jetzt unternommen worden sind, auch im Bereich anderer Oberfinzdirektionen noch vorgesehen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401305200
Nach meinem Wissen sind sie in Hessen vorgesehen. Wie weit die Arbeit fortgeschritten ist, kann ich Ihnen nicht sagen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401305300
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Koch.

Dr. Gerhard Koch (SPD):
Rede ID: ID0401305400
Herr Staatssekretär, würde die endgültige Einführung der Selbstberechnung durch den Steuerpflichtigen nicht voraussetzen, daß wesentliche Vorschriften der Abgabenordnung — etwa §§ 170, 204 — geändert werden müßten?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401305500
Eine allgemeine Selbstberechnung der Steuer bei den veranlagungspflichtigen Einkommensteuerpflichtigen würde Anpassungen im Text der Abgabenordnung und einiger anderer Gesetze erfordern.

Dr. Gerhard Koch (SPD):
Rede ID: ID0401305600
Noch reine Frage, Herr Staatssekretär. Ich habe einer Mitteilung des Düsseldorfer „Handelsblattes" entnommen, daß vor einigen Monaten in Ihrem Hause von Ihren Herren ein Bericht über weitgehende Vereinfachungsmöglichkeiten bei der Steuer fertiggestellt worden ist. Das „Handelsblatt" fügte hinzu, es sei offenbar nicht beabsichtigt, diesen Bericht der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Stimmt das in dieser Form?




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401305700
Es handelt sich um eine Aufzeichnung der Arbeitsergebnisse des bekannten Ausschusses für Steuervereinfachung zum Ende der vergangenen Wahlperiode. Damit die bis dahin geleisteten Arbeiten nicht wirkungslos blieben und in der neuen Legislaturperiode gegebenenfalls nicht wieder von vorn begonnen werden müßten, ist eine Zwischenaufzeichnung des Arbeitsergebnisses gemacht worden. Es handelt sich also nicht um eine Denkschrift, die zur öffentlichen Diskussion gestellt werden sollte.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401305800
Frage 3 — des Herrn Abgeordneten Dr. Stecker, der von Herrn Abgeordneten Gewandt vertreten wird —:
Wann gedenkt die Bundesregierung die Übung, bei besonderen Anlässen Kursmünzen als Gedenkmünzen auszugeben, wiederaufzunehmen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401305900
Ich bitte, die Fragen 3 und 4 zusammen beantworten zu dürfen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401306000
Frage 4 — des Herrn Abgeordneten Dr. Stecker —:
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, die jetzigen Kursmünzen zu 5 DM, die von vielen Münzfreunden als nicht schön empfunden werden, durch Münzen mit einem anderen Prägebild und die Nickelstücke zu i und 2 DM durch neue Emissionen in Silber zu ersetzen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401306100
Herr Abgeordneter Dr. Stecker fragt nach der Ausprägung von Gedenkmünzen im Kurswert von 5 DM. Zur Zeit sind bei uns etwa 100 Millionen Stück Fünfmarkstücke im Umlauf. Von diesen 100 Millionen Stück sind nur 4 Millionen Stück Gedenkmünzen, die aus verschiedenen Anlässen jeweils mit 1 Million Stück geprägt worden sind. In den letzten Jahren ist das Prägen von besonderen Gedenkmünzen nicht in dem Maße wie in früheren Jahren gepflegt worden. Der Grund liegt zum Teil darin, daß die Münzstätten übermäßig belastet sind. Wir haben einen ausgesprochenen Kleingeldmangel, insbesondere bei den Münzen, die für die Automaten geeignet sind — mehr als früher. Sobald die Münzstätten wieder zu einer normalen Beschäftigungslage zurückkommen, soll auch die Gepflogenheit der Ausprägung -von Gedenkmünzen aus besonderen Anlässen wieder aufgenommen werden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401306200
Eine Zusatzfrage.

Heinrich Gewandt (CDU):
Rede ID: ID0401306300
Darf ich eine Zusatzfrage stellen, Herr Staatssekretär. Ist dann auch beabsichtigt, die Zweimarkmünzen eventuell anders zu prägen? Sie wissen, daß es noch heute im täglichen Verkehr mit den Münzen sehr häufig Verwechslungen zwischen Fünf- und Zweimarkstücken gibt.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401306400
Herr Abgeordneter, das Zweimarkstück ist eine unglückliche Erfindung. Schon seine heutige Form ist ein Verbesserungsversuch. Aber auch die heutige Form genügt offenbar
nicht den Bedürfnissen des Zahlungsverkehrs nach hinreichender Unterscheidbarkeit. Vorläufig ist nicht beabsichtigt, ein neues Zweimarkstück zu prägen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401306500
Frage 5 — des Herrn Abgeordneten Dröscher —:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung ihre nachgeordneten Stellen angewiesen hat, auch für die zur Unterbringung alliierter Truppenangehöriger erbauten zahlreichen Mietwohnungen die seinerzeit für Wohnungen des .sozialen Wohnungsbaues" gesetzlich geschaffene Grundsteuervergünstigung in Anspruch zu nehmen, und dadurch den betroffenen Gemeinden auf die Dauer von 10 Jahren erhebliche Ausfälle entstehen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401306600
Herr Abgeordneter Dröscher, die Wohnungen von Angehörigen der Stationierungsstreitkräfte sind insoweit von der Grundsteuer befreit, wie Wohnungen nach dem Ersten und Zweiten Wohnungsbaugesetz allgemein von der Grundsteuer befreit sind. Anders ausgedrückt: die Benutzung der Wohnungen durch Angehörige der Stationierungsstreitkräfte ist kein Grund, der die Grundsteuerfreiheit beeinträchtigt.
Es war in den vergangenen Jahren vorübergehend streitig, ob die Grundsätze des Ersten und Zweiten Wohnungsbaugesetzes über die Grundsteuerbefreiung auch auf Wohnungen von Angehörigen der Stationierungsstreitkräfte angewendet werden müßten.
Durch höchstrichterliche Entscheidungen, insbesondere durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juli 1961, ist bestätigt worden, daß die Grundsteuerbefreiung unter den Voraussetzungen des Ersten und des Zweiten Wohnungsbaugesetzes auch für Wohnungen von Angehörigen der Stationierungsstreitkräfte zu gewähren ist.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401306700
Eine Zusatzfrage?

Wilhelm Dröscher (SPD):
Rede ID: ID0401306800
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, wie hoch die Ausfälle sind, die den Gemeinden in der Bundesrepublik durch die Anwendung dieser Bestimmungen auf Wohnungen von Angehörigen der Stationierungsstreitkräfte entstanden sind?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401306900
Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, Herr Abgeordneter. Die Auswirkungen sind bei den einzelnen Gemeinden naturgemäß sehr unterschiedlich je nach der Anzahl solcher Wohnungen in der Gemeinde.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401307000
Eine weitere Zusatzfrage!

Wilhelm Dröscher (SPD):
Rede ID: ID0401307100
Warum, Herr Staatssekretär, ist bisher keine Absicht erkennbar geworden, gesetzgeberisch initiativ zu werden und diese Bestimmungen, die von den Gemeinden doch als ungerecht empfunden werden, abzuändern?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401307200
Diese Bestimmungen werden von den Gemeinden vielleicht als ungerecht oder unbillig empfunden. Diese Grundsteuerbe-



Staatssekretär Dr. Hettlage
freiung ergibt sich aber aus den internationalen Abmachungen über die Unterbringung der Stationierungsstreitkräfte im Zusammenhang mit dem deutschen allgemeinen Grundsteuerrecht.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401307300
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wittrock!

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0401307400
Herr Staatssekretär, ist die Bundesvermögensstelle angehalten worden, die Unterlagen über die Belegungsdichte und die Größe der Wohnungen — bezogen auf den Stichtag — den zuständigen Behörden schnellstens und genauestens zur Verfügung zu stellen, weil sich ja daraus die entscheidende Feststellung ergibt, ob die jeweiligen Wohnungen unter die Bestimmungen über die Grundsteuerbefreiung fallen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401307500
Herr Abgeordneter, ich habe keinen Grund zu der Annahme, daß die Zusammenarbeit zwischen der Bundesbau- und -vermögensverwaltung als der Eigentümerin der Wohnungen und den einzelnen Gemeinden, in denen die Wohnungen liegen, nicht eng genug sei.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401307600
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wittrock!

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0401307700
Abgesehen von der Bemerkung, daß meine Frage erkennen läßt, daß vielleicht doch ein Anlaß zu dieser Frage besteht, darf ich eine weitere Zusatzfrage vorbringen. Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß bezüglich der Wohnungen für die Angehörigen wirtschaftlicher Betriebe der Stationierungsstreitkräfte — beispielsweise ist AFFEX ein solcher wirtschaftlicher Betrieb — sehr erhebliche Schwierigkeiten bestehen, die Unterlagen zu erhalten — jedenfalls ist mir das bezüglich der amerikanischen Stationierungsmacht in Wiesbaden bekannt —, weil die Stationierungsstreitkräfte auf dem Standpunkt stehen, diese Wohnungen seien grundsteuerfrei?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401307800
Derartige Beobachtungen haben wir nicht gemacht. Wenn Sie einen bestimmten Anlaß haben, Herr Abgeordneter, werden wir ihn gerne aufklären.

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0401307900
Betrachten Sie die Frage bitte als Anlaß.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401308000
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Brecht!

Dr. Julius Brecht (SPD):
Rede ID: ID0401308100
Herr Staatssekretär, sind die Bestimmungen über die Grundsteuerbefreiung auf 10 Jahre nicht deshalb ins Gesetz hineingenommen worden, weil man erreichen wollte, daß die Mieter eine entsprechend billigere Miete haben, während doch in diesem Falle gar keine billigeren Mieten
herauskommen, sondern lediglich der Bund zu Lasten der Gemeinden den Vorteil hat?

(Zustimmung bei der SPD.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401308200
Herr Abgeordneter Dr. Brecht, die Grundsteuerbefreiung trägt selbstverständlich auch zu einer ermäßigten Miete bei. Das ist die Absicht des Ersten und des Zweiten Wohnungsbaugesetzes gewesen. Aber nach den klaren Feststellungen, die anläßlich der Beratung dieser Gesetze getroffen worden sind, sollte die Grundsteuerbefreiung nach dem Ersten und auch nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz auch für Wohnungen der Stationierungsstreitkräfte gegeben werden. Es liegt im verantwortlichen Ermessen der Stationierungsstreitkräfte, ob und inwieweit die Grundsteuerbefreiung zu einer Mietminderung beiträgt.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401308300
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Brecht!

Dr. Julius Brecht (SPD):
Rede ID: ID0401308400
Glauben Sie wirklich, Herr Staatssekretär, daß man die Wohnungen für die Stationierungsstreitkräfte als solche Wohnungen bezeichnen kann, die nach § 1 des Wohnungsbaugesetzes nach Größe, Ausstattung und Miete für die breiten Schichten des Volkes bestimmt sind?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401308500
Herr Abgeordneter, der Gesetzgeber selber hat Ihre Frage dadurch beantwortet, daß er diese Wohnungen von der Grundsteuer befreite, wenn sie nach Größe, Ausstattung und Wert den allgemeinen Richtlinien entsprechen.

(Abg. Dr. Brecht: Das steht aber gar nicht im Gesetz!)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401308600
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0401308700
Herr Staatssekretär, ist das Finanzministerium bereit, den Gemeinden in irgendeiner Form einen Ausgleich für den Grundsteuerausfall zu geben, der sich gerade durch diese sehr extensive Interpretation der Bestimmung über die Grundsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau ergibt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401308800
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen, es handelt sich hier um eine reine Rechtsfrage. Es wäre unbillig, demjenigen die Grundsteuer zu erlassen, der sie nach gerichtlichem Urteil zu zahlen hat. Das verbietet auch der Respekt vor der dritten Gewalt.

(Lachen bei der SPD.)

Auf der anderen Seite sind mir Fälle bekannt — ich denke beispielsweise an eine bestimmte Gemeinde im Hunsrück —, in denen der Grundsteuerausfall eine besondere Bedeutung für die finanzielle Leistungsfähigkeit der Gemeinden hat. In solchen Fäl-



Staatssekretär Dr. Hettlage
len kann im Einzelfall nach den allgemeinen Grundsätzen des Abgabenrechts geholfen werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0401308900
Können Sie uns, nachdem Sie die Notwendigkeit anerkannt haben, sagen, in welchem Umfange geholfen worden ist?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401309000
In welchem Umfange geholfen worden ist, vermag ich nicht zu sagen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401309100
Frage III/6 — des Herrn Abgeordneten Mommer —:
Wann ist von seiten der Bundesregierung mit der Vorlage eines Gesetzes zu rechnen, das eine Entschädigung des in den Vereinigten Staaten während des zweiten Weltkrieges beschlagnahmten deutschen Privatvermögens vorsieht?
Herr Staatssekretär!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401309200
Herr Abgeordneter Mommer, die Regelung der Reparationsschäden ist im § 3 Abs. 1 Nr. 2 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes einem besonderen Gesetz vorbehalten. Zu diesen Reparationsschäden gehören auch die Schäden, die durch den Verlust deutschen Vermögens in den Vereinigten Staaten im Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg entstanden sind. Der Referentenentwurf für ein solches Reparationsschädenschlußgesetz ist im Bundesfinanzministerium fertiggestellt und wird zur Zeit mit den beteiligten Ressorts erörtert. Da über die Grundfragen dieses Gesetzentwurfs zwischen den beteiligten Bundesministerien Einvernehmen besteht und nur noch technische und Formulierungsfragen erörtert werden, rechne ich damit, daß der Gesetzentwurf noch vor den Sommerferien im Hohen Hause eingebracht werden kann.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401309300
Eine Zusazfrage, Herr. Abgeordneter Mommer!

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0401309400
Darf ich fragen, ob die Bundesregierung damit alle Hoffnungen begraben hat, daß die beschlagnahmten Vermögen in den Vereinigten Staaten wieder freigegeben werden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401309500
Die Einbringung dieses Gesetzentwurfs, der neben den Reparationsschäden noch sonstige Kriegsschäden umfaßt, hat nichts zu tun mit der Auffassung der Bundesregierung hinsichtlich ihrer Rechtsansprüche oder ihrer Wünsche um Freigabe des deutschen Vermögens in den Vereinigten Staaten.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0401309600
Herr Staatssekretär, habe ich richtig verstanden, daß Sie ankündigten, daß nach dem Gesetz doch eine Entschädigung den Geschädigten der in den Vereinigten Staaten beschlagnahmten Vermögen gezahlt werden soll?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401309700
Ja!

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401309800
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ritzel!

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0401309900
Herr Staatssekretär, ist in dem geplanten Gesetz vorgesehen, -daß — schon aus finanzpolitischen Gründen — vor allem der Kreis der Geschädigten vorzugsweise berücksichtigt werden soll, der zu den sogenannten kleinen Leuten gehört? Ich erinnere an die großen Verluste, die zahlreiche deutsche Dienstmädchen erlitten haben.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401310000
Herr Abgeordneter, nach dem jetzigen Stand der Beratungen ist eine Gruppenbildung der Geschädigten nach der Dringlichkeit ihrer Ansprüche nicht vorgesehen. Die Rechtsansprüche auf Entschädigung, die das Gesetz gewähren will, sind grundsätzlich für alle gleichwertig, denen diese Ansprüche zustehen. Für einen bestimmten Personenkreis — nämlich für die älteren Betroffenen — haben wir, wie Ihnen bekannt ist, vorweg schon eine Regelung getroffen, nach der unverzinsliche Darlehen als Vorschüsse auf Entschädigungen nach der künftigen gesetzlichen Regelung gegeben werden können, damit diesen Personen im hohen Alter oder in bedrängter Lebenslage infolge der späten Gesetzgebung keine Nachteile entstehen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401310100
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Ritzel!

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0401310200
Herr Staatssekretär, denkt die Bundesregierung daran, bei Gelegenheit von später noch kommenden Finanzverhandlungen mit den Vereinigten Staaten — Finanzverhandlungen aus anderem Anlaß — eine Regelung herbeizuführen, die eine endgültige Beilegung dieser bis jetzt unerledigten Ansprüche der Bundesrepublik enthält?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401310300
Herr Abgeordneter, Ihre Frage fällt in den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Ich kann sie aus eigener Beobachtung nicht hinreichend beantworten.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401310400
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut!

Dr. Oswald Adolph Kohut (FDP):
Rede ID: ID0401310500
Wird von der deutschen Bundesregierung überhaupt ernsthaft mit der Regierung der Vereinigten Staaten über die Rückgabe des beschlagnahmten Vermögens in Amerika verhandelt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401310600
Auch diese Frage, Herr Abgeordneter, gehört in den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Nach meiner Unterrichtung wird ernsthaft verhandelt.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401310700
Ist das Auswärtige Amt zu einer Antwort bereit? — Sind Sie nicht gewillt?

(Abg. Dr. Schäfer: Warum soll denn das Auswärtige Amt nicht antworten? Wir fragen doch die Bundesregierung!)

Herr Staatssekreär wollen Sie die Frage des Herrn Abgeordneten Kohut beantworten?




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401310800
Herr Präsident, ich bin gern bereit, die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut zu beantworten. Ich kann sagen, daß die Bundesregierung in der Tat Gespräche über die Frage der Rückgabe des deutschen Vermögens in den Vereinigten Staaten wiederaufgenommen hat und daß sie beabsichtigt, diese Gespräche in den kommenden Monaten mit Nachdruck fortzusetzen.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Das hören wir schon seit acht Jahren!)


Dr. Oswald Adolph Kohut (FDP):
Rede ID: ID0401310900
Darf ich fragen, wann die Gespräche wiederaufgenommen worden sind? Waren sie überhaupt unterbrochen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401311000
Es tut mir leid, Herr Abgeordneter, ich habe die Frage nicht verstanden.

Dr. Oswald Adolph Kohut (FDP):
Rede ID: ID0401311100
Sie sagten, die Gespräche seien wiederaufgenommen worden. Darf ich fragen, wann die Gespräche wiederaufgenommen worden sind und ob sie überhaupt unterbrochen waren?

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Vor allem, in welcher Form?)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401311200
Die Gespräche sind Anfang dieses Jahres wiederaufgenommen worden, nachdem in ihnen zuvor eine Pause eingetreten war.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401311300
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer!

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0401311400
Herr Staatssekretär, besteht das Angebot der Vereinigten Staaten, deutsche Vermögenswerte bis zu 10 000 Dollar vollkommen freizugeben, nach wie vor, und welche Stellungnahme nimmt die Bundesregierung heute dazu ein?

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Im Interesse der Großen!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401311500
Herr Abgeordneter, es handelt sich hier um einen, wie Sie wissen, sehr schwierigen und zugleich heiklen Komplex unserer Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Ich glaube, ich würde dem von uns gemeinsam verfolgten Ziel keinen guten Dienst erweisen, wenn ich die Einzelheiten der Pläne der Bundesregierung auf diesem Gebiet darlegte.

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0401311600
Darf ich dann darum bitten, mir diese Frage schriftlich zu beantworten?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401311700
Ich bin damit einverstanden, Herr Abgeordneter.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401311800
Herr Abgeordneter Jahn, eine Zusatzfrage!

Gerhard Jahn (SPD):
Rede ID: ID0401311900
Ich wüßte gern — ich weiß nicht, welcher der Herren Staatssekretäre bereit ist, diese Frage zu beantworten —, welche Ergebnisse die gewiß unternommenen Bemühungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers bei seinem kürzlichen Besuch in den Vereinigten Staaten gehabt haben.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Kaffeesteuer! — Heiterkeit.)

Ich sehe mit Interesse die Beratungen auf der Regierungsbank. Aber vielleicht kann sich einer der betroffenen Herren Staatssekretäre entschließen, die Frage zu beantworten.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401312000
Ist die Regierung gewillt, die Frage zu beantworten? —

(Zuruf von der Regierungsbank: Schriftlich!)

Es erfolgt keine Antwort. Eine weitere Frage! Oder soll erklärt werden, daß eine schriftliche Antwort .erfolgt? — Es erfolgt keine Antwort!
Herr Abgeordneter Jahn, eine weitere Frage!

Gerhard Jahn (SPD):
Rede ID: ID0401312100
Ich habe noch eine Frage an den Herrn Staatssekretär im Bundesfinanzministerium: Wie viele der betroffenen Inhaber von Vermögen in den Vereinigten Staaten von Amerika sind eigentlich in den vergangenen 17 Jahren gestorben?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401312200
Herr Abgeordneter, ich würde Ihre Frage gern beantworten. Ich überlege aber, ob sie überhaupt beantwortet werden kann.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401312300
Ich rufe auf die Frage III/7 — des Abgeordneten Dröscher —:
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, den Randgemeinden der Truppenübungsplätze einen finanziellen Ausgleich für die ständigen Mehrkosten der Selbstverwaltung zu verschaffen, die sich aus der laufenden militärischen Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtungen, der häufig wiederkehrenden Bearbeitung von Schadenersatzanträgen und ähnlicher ungewöhnlicher Belastung dieser Gemeinden ergeben?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401312400
Ich beantworte die Frage des Herrn Abgeordneten Dröscher nach einem etwaigen finanziellen Beitrag des Bundes zu den Verwaltungskosten der Gemeinden am Rande von großen Übungsplätzen. Herr Abgeordneter, Grundlage für etwaige Finanzleistungen und Finanzhilfen des Bundes an Gemeinden, die durch Maßnahmen des Bundes übermäßig belastet sind, wäre der Art. 106 Abs. 7 des Grundgesetzes. Ich brauche ihn nicht zu verlesen. Danach würde eine Bundesfinanzhilfe nur dann an einzelne übermäßig belastete Gemeinden in Frage kommen, wenn die Mehrausgaben unmittelbar durch die Bundeswehreinrichtungen verursacht sind und wenn diese Mehrausgaben der einzelnen Gemeinde nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit nicht zugemutet werden können. Diese Voraussetzungen müssen nach dem Wortlaut des Art. 106 Abs. 7 vorliegen.
Für gewisse Folgeeinrichtungen der Gemeinden, insbesondere bei Straßenbauten, Kanalisation, Beleuchtung, vielleicht sogar Schulwesen und derglei-



Staatssekretär Dr. Hettlage
Chen, gibt der Bund heute schon Finanzhilfen. Sie sind im Bundeshaushaltsplan bei Kapitel 1412 in Titel 570 und 571 veranschlagt. Bisher sind daraus nach meinem Wissen keine laufenden Verwaltungskosten einer einzelnen Gemeinde ersetzt worden, weil in der Regel davon ausgegangen werden kann, daß solche Mehrbelastungen an laufenden Verwaltungskosten im Polizeibereich oder wo sonst von der Gemeinde selbst aufgebracht werden können; denn die Gemeinden haben nicht nur Nachteile aus solchen Bundeswehreinrichtungen, daraus entstehen regelmäßig auch gewisse Vorteile. Wenn in einem außerordentlichen Fall tatsächlich die finanzielle Leistungsfähigkeit der Gemeinde schon nur durch ihren Verwaltungsmehraufwand beeinträchtigt werden sollte, dann würde ausnahmsweise aus den erwähnten Bundesmitteln geholfen werden können.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401312500
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dröscher.

Wilhelm Dröscher (SPD):
Rede ID: ID0401312600
Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Staatssekretär, daß es nach Ihrer Meinung dabei bleiben soll, daß es im Normalfall den steuerzahlenden Bürgern der Truppenübugsplatz-Randgemeinden überlassen bleibt, die laufenden Mehrkosten, die durch die Nähe des Truppenübungsplatzes oder die ständige Berührung entstehen, aus ihren Steuermitteln gewissermaßen als zusätzlichen Verteidigungsbeitrag zu zahlen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401312700
Herr Abgeordneter, in der Regel werden diese laufenden Mehrkosten der Gemeinde zugemutet werden können. Nur wenn dies ausnahmsweise nicht der Fall sein sollte, könnte ihr geholfen werden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401312800
Eine weitere Frage!

Wilhelm Dröscher (SPD):
Rede ID: ID0401312900
Darf ich in diesem Zusammenhang fragen, ob die Absicht besteht — das reicht in dieses Gebiet hinein —, eine Art Verwaltungskostenbeitrag für Arbeitsplätze bei Dienststellen der Verteidigungsverwaltung in diesen Gemeinden zu zahlen, ähnlich wie das Bundespost und Bundesbahn tun, um somit den betroffenen Gemeinden, deren Bürger ja für die Produktion ausfallen und keine Gewerbesteuer bringen, zu helfen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401313000
Herr Abgeordneter, ein solcher Plan besteht nicht. Wohl ist, wie Sie sich erinnern werden, am Ende der vergangenen Wahlperiode ein Gesetzentwurf über die Zahlung von Verwaltungskostenzuschüssen für bestimmte Betriebe der Bundeswehr und der Stationierungsmächte vorgesehen gewesen. Dieser Gesetzentwurf ist aber nicht mehr verabschiedet worden. Auch ist dieser Gesetzentwurf nicht in erster Linie durch den Mehraufwand an Verwaltungskosten gerechtfertigt worden, sondern wegen der Befreiung von der Gewerbesteuer. Dafür sollte ein Ausgleich gegeben werden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401313100
Danke sehr, Herr Staatssekretär.
Ich rufe auf die Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Es ist die Frage des Herrn Abgeordneten Blumenfeld:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die indonesische Regierung versucht, den Ein- und Verkauf von Waren in der Bundesrepublik ausschließlich auf deutschem Boden tätigen Staatsgesellschaften (Usindo, Central Trading Company CTC, Dharma-Niaga GmbH) zu übertragen und damit Jahrzehnte alte deutsche Außenhandelsinteressen zu schädigen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. Westrick: Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft: Die Bundesregierung ist über die Tätigkeit der in Ihrer Anfrage, Herr Abgeordneter, genannten indonesischen Staatsgesellschaften unterrichtet. Tendenzen dieser Gesellschaften, die deutschen Exporteure und Importeure auszuschalten, sind sowohl mit der indonesischen Botschaft als auch in den jüngsten Verhandlungen einer deutschen Regierungsdelegation mit der indonesischen Regierung in Djakarta erörtert worden. Ein Vertreter des deutschen Außenhandels war bei diesen Besprechungen beteiligt.
Die Bundesregierung hat keinen Zweifel darüber gelassen, daß sie eine Ausschaltung des deutschen Ein- und Ausfuhrhandels nicht hinnehmen kann. In dem gemeinsamen Protokoll über die Verhandlungen in Djakarta hat die indonesische Regierung zugesichert, daß die genannten Gesellschaften in keiner Weise gegen die in der Bundesrepublik geltenden Regelungen für den Handel und die üblichen Handelsformen verstoßen werden. Ferner hat der Generaldirektor der indonesischen Staatshandelsgesellschaften in einem Schreiben an die deutsche Delegation erklärt, daß die Gesellschaften angewiesen sind, ihre Geschäftstätigkeit im Ausland, also auch in der Bundesrepublik, nach den internationalen Handelspraktiken und den Gepflogenheiten und Bestimmungen des betreffenden Landes auszurichten. In dem Schlußprotokoll über diese Verhandlung ist auf den soeben genannten Brief Bezug genommen worden.
Die Bundesregierung erwartet, daß die indonesischen Staatshandelsgesellschaften die Geschäftstätigkeit der deutschen Exporteure und Importeure künftig nicht mehr beeinträchtigen werden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401313200
Herr Abgeordneter Blumenfeld.

Erik Bernhard Blumenfeld (CDU):
Rede ID: ID0401313300
Herr Staatssekretär, darf ich mir die Frage erlauben, ob der Passus in dem Brief des General Management Board, der dem deutschen Delegationsführer während der Verhandlungen in Djakarta übergeben wurde und in dem es heißt, daß, wo auch immer, Direktbeziehungen zwischen den staatlichen Einkaufsgesellschaften Indonesiens und den Herstellern nach geltendem Landesrecht zulässig sind und daß die Agenturen der staatlichen Handelsgesellschaften Indonesiens diese Direktbeziehungen pflegen bzw. aufrechterhalten werden, nicht in einem gewissen Gegensatz zu den mündlich abgegebenen und zweifelsohne nicht



Blumenfeld
völlig verbindlichen Erklärungen während der Verhandlungen in Djakarta steht?
Dr. Westrick: Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft: Herr Abgeordneter, ich glaube nicht, daß daraus ein Gegensatz zu konstruieren ist. Ich leugne nicht, daß die ganze Wirtschaftsgesetzgebung in Indonesien einen restriktiven und in die Richtung auf Nationalisierung laufenden Trend zeigt. Aber die Zusicherung, die in dem von Ihnen soeben angezogenen Brief gegeben ist, ist in einem der Schlußabsätze dieses Briefes so umfassend formuliert, daß ich meine: wir haben hinsichtlich der Sicherung der Betätigung deutscher Exporteure und Importeure erreicht, was in diesen Verhandlungen erreicht werden konnte.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401313400
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Blumenfeld.

Erik Bernhard Blumenfeld (CDU):
Rede ID: ID0401313500
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, die Entwicklung auch in Zukunft in derselben Weise zu beobachten, um insbesondere einem etwa möglichen Strukturwandel in den Beziehungen zwischen den deutschen Herstellern und diesen Entwicklungsländern vorzubeugen, um keine Einseitigkeit aufkommen zu lassen und vor allen Dingen um auch den mittelständischen Herstellern in Deutschland ihre Wettbewerbschance zu erhalten?
Dr. Westrick: Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft: Die Bundesregierung ist entschlossen, ihre besondere Aufmerksamkeit der Pflege dieser Geschäftsbeziehungen zu widmen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401313600
Ich danke, Herr Staatssekretär.
Ich rufe auf die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich nehme an, daß die Fragen V/1 und V/2 zusammen beantwortet werden. Ich rufe daher auf die Fragen V/1 und V/2 — des Herrn Abgeordneten Murr —:
Welche Vereinbarungen sind bei den Brüsseler Verhandlungen über Tabak und Hopfen getroffen worden?
Sollen Tabak und Hopfen in das Abschreibungssystem einbezogen werden?
In der Drucksache IV/148 hat sich in die Frage V/2 ein Fehler eingeschlichen. Das Wort „Abschreibungssystem" muß durch das Wort „Abschöpfungssystem" ersetzt werden. — Herr Minister!

Werner Schwarz (CDU):
Rede ID: ID0401313700
Herr Präsident, ich bitte die Fragen V/1 und V/2 zusammen beantworten zu dürfen.
Bei den Brüsseler Verhandlungen sind für Tabak und Hopfen keine Vereinbarungen getroffen worden. Es ist nicht bekannt, ob die Europäische Kommission beabsichtigt, auch für Tabak und Hopfen marktordnende Maßnahmen zu treffen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401313800
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Murr.

Leonhard Murr (FDP):
Rede ID: ID0401313900
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß der Anbau von Tabak und Hopfen gerade für kleinbäuerliche Betriebe eine Existenzfrage ist und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diese kleinen Existenzen vor dem Ruin zu schützen?

Werner Schwarz (CDU):
Rede ID: ID0401314000
Herr Kollege Murr, der Bundesregierung, insonderheit dem Landwirtschaftsministerium, ist völlig klar, daß es sich hier um Produkte handelt, die für die Ertragslage gewisser Kleinbetriebe ausschlaggebend sind. Auf dem Gebiete des Tabakbaus ist, wie Ihnen bekannt sein dürfte gerade eine Regelung hinsichtlich Flächensubventionen getroffen worden, die die Schwierigkeiten ausgleichen soll, welche auf dem Gebiete des Tabakbaus entstanden sind. Auf dem Gebiete des Hopfenbaus sind die Preise, soweit ich im Bilde bin, in diesem Jahr durchaus ausreichend.

Leonhard Murr (FDP):
Rede ID: ID0401314100
Danke schön.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401314200
Keine weitere Frage.
Wir kommen zur Frage V/3 des Abgeordneten Sander:
Ist die Bundesregierung angesichts der gefährlichen Zunahme der Maul- und Klauenseuche in den Nachbarländern und in der Bundesrepublik bereit, sofort im Interesse umfassender Abwehr- und Vorbeugungsmaßnahmen die Kosten der Schutzimpfung zur Hälfte aus Bundesmitteln zu erstatten und mit den Ländern eine Vereinbarung mit dem Ziel der Übernahme der Restkosten herbeizuführen?
Bitte, Herr Minister.

Werner Schwarz (CDU):
Rede ID: ID0401314300
Ich darf die Frage wie folgt beantworten: Die Bekämpfung der Tierseuchen fällt nach Art. 74 des Grundgesetzes und nach den Vorschriften des Viehseuchengesetzes vom 26. Juni 1909 in den Zuständigkeitsbereich der Länder, die damit auch für die Regelung des Verfahrens und die Aufbringung der entstehenden Kosten verantwortlich sind. Hiernach ist der Bund nicht in der Lage, von sich aus eine allgemeine Schutzimpfung gegen die Maul- und Klauenseuche anzuordnen; hierzu sind nur die Länder berechtigt, die — wie ausgeführt — für die Kosten aufzukommen haben. Wegen der übergebietlichen Bedeutung der Maul- und Klauenseuche sind im Bundeshaushaltsplan jedoch seit Jahren Mittel zur Unterstützung von den Ländern angeordneter Schutzimpfungen gegen diese Seuche enthalten. Im Haushaltsjahr 1962 sind im Entwurf für den Einzelplan 10 Kap. 10 02 Tit. 615 d 2 100 000 DM für diesen Zweck vorgesehen. Die Mittel sind als Zuschuß in Höhe von 25 % zu den von den Ländern aufgebrachten Kosten bei der Durchführung von Schutzimpfungen gegen die Maul- und Klauenseuche bestimmt.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401314400
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sander!


Heinrich Sander (FDP):
Rede ID: ID0401314500
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß bei starker Ausweitung dieser Seuche die von



Sander
der Bundesregierung zur Verfügung gestellten Mittel in Höhe von 2,1 Millionen DM nicht ausreichen?
Darf ich gleich eine weitere Frage an Sie richten: Ist die Bundesregierung bereit, bei einem stärkeren Seuchengang höhere Mittel frühzeitig zur Verfügung zu stellen?

Werner Schwarz (CDU):
Rede ID: ID0401314600
Herr Kollege Sander, bei stärkerem Seuchengang ist die Bundesregierung zunächst nicht bereit einzugreifen. Sie kann es nicht aus den soeben dargelegten Gründen. Sollten sich aber Katastrophenfälle einstellen, wird die Bundesregierung prüfen, inwieweit sie in der Lage ist, hier weitere Mittel zu geben.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401314700
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Wir kommen dann zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zunächst Frage VI/1 des Abgeordneten Müller (Worms) :
Ist der Bundesregierung der Fall des 83jährigen Rentners Heinrich Hirsch aus Osthofen bekannt, auf dessen Angestelltenrente — Geschäftszeichen IV 5839 H 49 — Beiträge für eine 22jährige Versicherungszeit nicht angerechnet worden sind, weil der Versicherungsträger darauf besteht, daß die Anrechnung dieser Beiträge nach einer formalen Vorschrift des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (Artikel 2 § 43) bis zum 31. Dezember 1958 hätte zum zweiten Male beantragt werden müssen?
Herr Abgeordneter Müller (Worms) wird vertreten von Herrn Abgeordneten Matthöfer.
Bitte, Herr Staatssekretär.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401314800
Ich darf die Frage wie folgt beantworten: In dem Fall des Rentners Hirsch ist es ohne Bedeutung, daß dieser verspätet, nämlich nach dem 31. Dezember 1958, die Überprüfung seiner Rente beantragt hat. Der Rentner würde auch bei rechtzeitigem Antrag nicht mehr an Rente erhalten können, als er jetzt bezieht,
Die seit dem 1. April 1949 laufende Rente wurde nach dem Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz zum 1. Januar 1957 pauschal umgestellt. Dabei stellte sich heraus, daß die Vervielfältigung des bisherigen Steigerungsbetrages mit dem in der Anlage zum Gesetz bestimmten Faktor eine niedrigere Rente ergab, als sie vor dem 1. Januar 1957 bezogen wurde. Deswegen wurde dem Rentner die alte höhere Rente belassen, die durch den vorgeschriebenen Sonderzuschuß von 21 DM monatlich erhöht wurde. Die Rentensteigerung aus der nicht anrechenbaren Versicherungszeit — es sind etwa acht Jahre, Herr Abgeordneter, nicht 22 Jahre — würde zusammen mit dem Steigerungsbetrag aus der angerechneten Versicherungszeit den heute ausgezahlten Rentenbetrag nicht erreichen. Infolgedessen hat der Rentner Hirsch infolge des Versäumnisses der Antragstellung vor dem 1. Januar 1959 keine Nachteile erlitten.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401314900
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Matthöfer!

Hans Matthöfer (SPD):
Rede ID: ID0401315000
Wenn das in diesem Fall richtig ist, Herr Staatssekretär, ist dann die Bundesregierung nicht trotzdem der Auffassung, daß die Härten, die sich in anderen Fällen aus der Beibehaltung der Fristbestimmung ergeben, ungleich schwerer wiegen als die doch verhältnismäßig geringe Mehrarbeit und Mehrbelastung, die für die Rentenversicherungsträger entsteht, und könnte sich deshalb die Bundesregierung, die bis jetzt auf der Beibehaltung der Antragsfrist besteht, nicht doch dazu entschließen, eine entsprechende Novellierung der Rentengesetzgebung zu befürworten?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401315100
Dazu, Herr Abgeordneter, kann ich auf die Antwort verweisen, die ich in der vorigen Fragestunde erteilt habe. Zur Zeit ist nicht beabsichtigt, diese Bestimmung zu ändern.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401315200
Zu einer weiteren Frage Herr Abgeordneter Matthöfer.

Hans Matthöfer (SPD):
Rede ID: ID0401315300
Meine Frage ging dahin, ob sich die Bundesregierung zur Zeit überhaupt dazu entschließen kann, eine entsprechende Novellierung zu befürworten.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401315400
Wir werden ja sowieso zu bestimmten Fragen der Rentengesetzgebung Änderungsvorlagen einbringen müssen. Ich nehme an, daß im Zuge dieser Neuordnung und Ausgleichung verschiedener Mängel, die das Gesetz hat, auch eine solche Frage berücksichtigt werden kann, obwohl ihre praktische Bedeutung nicht besonders hoch zu veranschlagen ist.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401315500
Frage VI/2 — des Herrn Abgeordneten Schmidt (Kempten) —:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß österreichische Zeitungen Abdrucke von Stellenangeboten deutscher Firmen von einer Genehmigung des zuständigen Landesarbeitsamts abhängig machen müssen, um eine gerichtliche Bestrafung zu vermeiden?
Herr Staatssekretär!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401315600
Der Österreichische Oberste Gerichtshof hat in einer Entscheidung vom 12. September 1960 festgestellt, daß die am 20. Mai 1938 in Osterreich eingeführte reichsdeutsche Verordnung über Vermittlung, Anwerbung und Verpflichtung von Arbeitnehmern nach dem Ausland vom 28. Juni 1935 formell und materiell als österreichisches Recht weiterbesteht. Diese Verordnung und die dazu erlassene Anordnung vom 8. Januar 1936 bestimmen unter anderem, daß die Vermittlung und Anwerbung von Arbeitnehmern nach dem Ausland durch Stellenangebote in Zeitungen, Zeitschriften und Stellenlisten der Genehmigung des zuständigen Landesarbeitsamts bedarf. Zuwiderhandlungen gegen diese Bestimmungen sind unter Strafe gestellt.
Der Bundesregierung, Herr Abgeordneter, ist bekannt, daß das österreichische Bundesministerium



Staatssekretär Dr. Claussen
für soziale Verwaltung die österreichischen Landesarbeitsämter im Hinblick auf die angespannte Arbeitsmarktlage in Osterreich angewiesen hat, ihre Zustimmung zur Veröffentlichung von Stellenangeboten in Zeitungen usw. nur noch zu erteilen, wenn nach eingehender Prüfung der Arbeitsmarktlage feststeht, daß durch die Abwanderung der gesuchten Arbeitskräfte der österreichischen Wirtschaft kein Schaden zugefügt wird.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401315700
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schmidt.

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0401315800
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung schon einmal versucht, in dieser Hinsicht zu intervenieren, um hier ein Grundrecht des freien Arbeitsplatzwechsels, das auch in Osterreich gilt, zu verteidigen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401315900
Nein, dieselbe Bestimmung gilt ja auch in Deutschland noch weiter.

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0401316000
Sie wird aber nicht angewandt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401316100
Wenn auf Grund von Stellengesuchen Arbeitskräfte ins Ausland vermittelt werden sollen, muß nach dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung die vorherige Zustimmung der Bundesanstalt vorliegen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401316200
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut.

Dr. Oswald Adolph Kohut (FDP):
Rede ID: ID0401316300
Herr Staatssekretär, halten Sie das staatliche Arbeitsvermittlungsmonopol noch für zeitgemäß?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401316400
Ja.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401316500
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr.
Frage VII/1 — des Abgeordneten Ritzel —:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Taxifahrer in der Bundesrepublik gegen Überfälle besser als bisher zu schützen?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0401316600
Ein voll wirksamer Schutz für den Taxifahrer ist bisher leider noch nicht entwickelt worden. Mit Verordnung vom 7. Juli 1960 ist vorgeschrieben, daß Taxen mit vier Türen ausgestattet sein müssen. Hiermit ist die Voraussetzung für den Einbau einer Trennwand geschaffen worden. Von weiteren gesetzlichen Maßnahmen auf diesem Gebiet wurde bisher abgesehen, da die Verhältnisse nach den Standorten und dem Einsatz der Droschken durchaus verschieden liegen, die in Frage kommenden Schutzeinrichtungen in ihrer Wirkung sehr unterschiedlich beurteilt werden und es jedem Droschken-halter freisteht, die ihm notwendig und geeignet erscheinenden Einrichtungen zum Schutze des Taxifahrers zu verwenden.
Da bei der Häufung der Überfälle in letzter Zeit jedoch befürchtet werden muß, daß die Taxifahrer mangels eines entsprechenden Schutzes aus Furcht vor einem Überfall durch ihre Fahrgäste in der sicheren Führung ihres Fahrzeuges beeinträchtigt werden, wird bei uns zur Zeit geprüft, ob der Einbau einer geeigneten Schutzeinrichtung, etwa einer Trennwand, aus Gründen der Verkehrssicherheit für alle Droschken vorgeschrieben werden soll. Natürlich verteuert das die Beschaffung und erschwert eine spätere anderweitige Verwendung der Fahrzeuge.

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0401316700
Denken Sie daran, Herr Bundesminister, die Einrichtung einer Trennwand nicht nur fakultativ zu ermöglichen, sondern obligatorisch anzuordnen?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0401316800
Das wird, wie ich soeben sagte, Herr Kollege Ritzel, noch einmal geprüft. Die Taxibesitzer selbst sind nicht für die obligatorische Einführung einer solchen Trennwand, weil dadurch erhebliche Kosten entstehen und die Trennwand gewisse Schwierigkeiten bereitet, wenn beispielsweise der dritte Platz von Fahrgästen mit in Anspruch genommen werden soll.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401316900
Eine weitere Frage des Abgeordneten Ritzel.

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0401317000
Stehen Sie, Herr Bundesverkehrsminister, mit den zuständigen Länderministerien wegen der Abwendung der den Taxifahrern ständig drohenden und ständig steigenden Gefahren in enger Zusammenarbeit?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0401317100
Ja, Herr Kollege, das wird mit den Herren dauernd besprochen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401317200
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Memmel.

Linus Memmel (CSU):
Rede ID: ID0401317300
Herr Bundesminister, glauben Sie nicht, daß allein die Tatsache einer Debatte in diesem Hause über die Todesstrafe auch eine heilsame Wirkung haben würde?

(Zurufe von der SPD: Hu!)


Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0401317400
Ich glaube kaum, daß eine Debatte über die Todesstrafe jemanden, der bereit ist, wegen weniger Mark einen Menschen zu überfallen, daran hindern könnte.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten in der Mitte.)





Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401317500
Ich rufe auf die Frage VII/2 — des Abgeordneten Felder —:
Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, nähere Auskunft über die wiederholten Verzögerungen zu geben, die eine Einhaltung der fest zugesagten Termine beim Bau der Großschiffahrtsstraße Rhein—Main—Donau vereiteln?
Bitte, Herr Bundesminister.

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0401317600
Bei einem Bauobjekt derartigen Umfanges, das vor 40 Jahren begonnen wurde und dessen Durchführung sich sicher über mehr als 50 Jahre erstrecken wird, können Termine auch für Teilabschnitte nur für Zeiträume, nicht aber für feste Daten in Aussicht genommen werden. Verbindlich zusagen lassen sie sich überhaupt nicht.
Zahlreiche Faktoren politischer, technischer, klimatisch-jahreszeitlicher, rechtlicher und finanzieller Art wirken bei einem derart langfristigen Bauobjekt auf den Ablauf des genannten Baugeschehens wie auf das seiner Teilabschnitte ein. Auf die besondere Abhängigkeit der Wasserbauten von Witterungseinflüssen und auf die Tatsache, daß die Bauarbeiten im Fluß unter Aufrechterhaltung der bisherigen Schiffahrt ausgeführt werden müssen, mache ich besonders aufmerksam. Es war z. B. geplant, den vollschiffigen Ausbau des Mains bis Bamberg bis zur Jahreswende 1961/62 fertigzustellen. Da jedoch die Ausbaggerungen des Flußbettes teils durch Niedrigwasser, teils durch Hochwasser, teils durch eine ungünstige Beschaffenheit der auszubaggernden Flußsohle sich verzögerten, wird die Großschifffahrt erst Mitte 62, also einige Monate später als erwartet, den neuen Hafen Bamberg vollschiffig anfahren können.
Mit den Arbeiten auf der Kanalstrecke Bamberg-Nürnberg wurde 1959 begonnen. Bisher wickelten sich die Bauarbeiten auf dieser Strecke planmäßig ab. Inzwischen hat sich aber herausgestellt, daß die ordnungsmäßige Durchführung der Planfeststellungsverfahren, die ja gerade bei Wasserbauvorhaben vor Aufnahme der Durchführungsarbeiten abgeschlossen sein sollen, mehr Zeit erfordert, als eingeplant war. Es ist beabsichtigt, den Arbeitsablauf so durchzuführen, daß der Hafen Nürnberg spätestens bis Ende 1969 erreicht wird, wenn keine zur Zeit unvorhersehbaren rechtlichen und technischen Schwierigkeiten eintreten, wenn die Darlehen des Bundes und des Landes ab 1963 in der erforderlichen Höhe zur Verfügung gestellt und rechtzeitig und ohne unter globale Kürzungen zu fallen bedient werden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401317700
Herr Abgeordneter Felder zu einer Zusatzfrage.

Josef Felder (SPD):
Rede ID: ID0401317800
Herr Minister, ist Ihnen das Exposé des Herrn Oberbürgermeisters von Nürnberg zu diesem Fragenkomplex bekannt, und sind Sie auch bereit, nach entsprechendem Studium eingehend dazu Stellung zu nehmen?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0401317900
Das Exposé ides Herrn Oberbürgermeisters Urschlechter ist mir sehr wohl bekannt. Aber ich
sehe nicht ein, warum wir auf dieses Exposé hin nun noch wieder mit einer Gegendenkschrift arbeiten sollen. Ich glaube, wir arbeiten lieber an dem Abschnitt des Kanals.

(Beifall in der Mitte.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401318000
Zu einer weiteren Frage Herr Abgeordneter Bauer.

Hannsheinz Bauer (SPD):
Rede ID: ID0401318100
Herr Bundesminister, ist Ihnen die Äußerung bekanntgeworden, die in der vorigen Woche im Wirtschaftsteil der „Süddeutschen Zeitung" enthalten war und die offensichtlich auf eine Äußerung des Herrn bayerischen Staatsministers für Wirtschaft zurückgeht, daß die Erreichung der Donau, die also die Endphase der Kanalisierung darstellt, für das Jahr 1975 zu erwarten ist?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0401318200
Das ist mir sehr wohl bekannt. Aber Sie wissen, Herr Kollege Bauer, daß wir in allen solchen Dingen, wie schon gesagt, nur schätzen können. Wir können solche Aussagen nicht mit Sicherheit machen. Ich habe ja schon darauf hingewiesen, welche Gründe eine solche Arbeit erschweren können. Das spielt ganz besonders für die Strecken eine Rolle, die zur Zeit noch nicht in Bau sind.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401318300
Ich rufe auf die Frage VII/3 des Abgeordneten Felder —:
Teilt der Herr Bundesverkehrsminister die von Herrn Oberbürgermeister Dr. Andreas Urschlechter, Nürnberg, publizierte Auffassung des Deutschen Kanal- und Schiffahrtvereins, daß „angesichts der sich abzeichnenden politischen sind wirtschaftlichen Entwicklung im gesamten europäischen Raum heute nachhaltiger denn je die unverzügliche Inangriffnahme des Kanalbau-Abschnitts Nürnberg—Regensburg gefordert werden muß"?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0401318400
Es ist wirtschaftlich zweckmäßig, ein Bauobjekt dieses Umfanges, das, wie die Rhein-MainDonau-Großschiffahrtsstraße, eine Streckenlänge von 764 km hat, seit fast 40 Jahren in Ausführung begriffen ist und sich sicher über mehr als fünf Jahrzehnte Gesamtbauzeit erstrecken wird, in Abschnitten in der Weise auszuführen, daß jedes fertiggestellte Teilstück günstige wirtschaftliche Auswirkungen hat. Nach Fertigstellung der Main-Kanalisierung von Würzburg bis Bamberg, die in den Jahren 1948 bis 1962 erfolgte, werden jetzt die Arbeiten auf die Durchführung der Kanalstrecke von Bamberg bis Nürnberg konzentriert, mit denen 1959 begonnen wurde und die hoffentlich bis 1969 durchgeführt sein werden.
Der Bau der Kanalverbindung zwischen Nürnberg und der Donau und der Ausbau der Donau im Raume Regensburg, zwei weitere Abschnitte des großen Werkes, sind vorbereitet. Der Baubeginn dieser Strecken hängt davon ab, von wann ab dazu die erforderlichen finanziellen Mittel — sowohl seitens der Rhein-Donau-AG wie auch Darlehen des Bundes und des Landes — zur Verfügung stehen werden. Wenn die Mittel für die Investitionen zum Ausbau unserer Wasserstraßen nicht entscheidend erhöht werden können, dürfte es erst am Ende der Bauzeit der Strecke Bamberg—Nürnberg möglich sein, mit dem Bau zwischen Nürnberg und Regens-



Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm
burg zu beginnen. Dagegen wird es sich vielleicht und hoffentlich ermöglichen lassen, mit dem Bau der erforderlichen weiteren Staustufen in der Donau östlich und westlich Regensburg früher zu beginnen. Das trifft vor allem für die Arbeiten östlich Regensburg zu, die nach Beendigung der Niedrigwasserregulierung der Donau aufgenommen werden sollten.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401318500
Keine Zusatzfrage.
Dann die Frage VII/4 — des Herrn Abgeordneten Felder —:
Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, alle Maßnahmen zu treffen, die die zugesicherte Fertigstellung der Autobahn Frankfurt—Nürnberg bis 1964 garantieren?
Bitte, Herr Minister!

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0401318600
Herr Kollege, es besteht kein Grund zu Befürchtungen, daß die für den Weiterbau der Bundesautobahn Frankfurt—Nürnberg festgelegten Termine nicht eingehalten werden könnten. Es ist Vorsorge getroffen, daß diese Autobahnverbindung in ganzer Länge noch vor Jahresende 1964 dem Verkehr zur Verfügung stehen wird. Von dem guten Fortschreiten der technisch besonders schwierigen Arbeiten bei der Umgehung Würzburg habe ich mich vor wenigen Tagen überzeugt. Alle großen Bauwerke auf der ganzen Strecke sind im Bau und gut gefördert. Bis zum Herbst dürfte sich die gesamte Strecke auch im Erdbau in Ausführung befinden. Der Abschnitt östlich Höchstadt/Aisch wird bis Juli fertigestellt, und zwar zweibahnig. Auch weitere Abschnitte werden noch vor Ende 1964 übergeben werden. So wird die Südumgehung Würzburg wohl schon bis Ende nächsten Jahres betriebsbereit sein.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401318700
Eine Zusatzfrage?

Josef Felder (SPD):
Rede ID: ID0401318800
Herr Minister, ist es also nicht richtig, daß die im Jahre 1961 gestellten Bautermine nur deshalb nicht eingehalten werden konnten, weil — nach Mitteilungen — 8 Millionen DM fehlten und Sie damals dringend gebeten wurden, die fehlenden 8 Millionen DM bereitzustellen?
Dr.-Ing. Seebohm: Die Bereitstellung von Geld ist nicht Angelegenheit des Bundesministers für Verkehr, sondern des Bundesministers der Finanzen, der dazu der Genehmigung dieses Hohen Hauses bedarf.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401318900
Frage VII/5 — des Herrn Abgeordneten Schmidt (Kempten) —:
Trifft es zu, daß im Rahmen einer Verschärfung der Straßenverkehrsordnung das Befahren öffentlicher Straßen mit überbreiten landwirtschaftlichen Maschinen von einer Ausnahmegenehmigung abhängig gemacht werden soll bzw. in Einzelfällen hierzu eine Polizeieskorte benötigt wird?
Bitte, Herr Minister!

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0401319000
Seit dem 1. Juli 1961 gilt für die Breite land- oder forstwirtschaftlicher Arbeitsgeräte im Straßenverkehr ein Grenzwert von 3 m, soweit diese Geräte nach dem 1. Juli 1961 in Verkehr gekommen sind. Sind die neuen Fahrzeuge breiter als dieser Grenzwert, dann bedarf es zu ihrem Verkehr auf öffentlichen Straßen einer Ausnahmegenehmigung. Die Verwendung überbreiter Fahrzeuge kann schon seit Jahren von Bedingungen abhängig gemacht werden, soweit dies zum Schutz öffentlicher Interessen des Verkehrs nötig ist. Dazu kann sogar die Begleitung durch ein Polizeifahrzeug gehören, doch kommt dies bei land- und forstwirtschaftlichen Arbeitsgeräten kaum in Frage.
Arbeitsgeräte, die vor dem 1. Juli 1961 bereits im Verkehr waren, unterliegen der neuen Vorschrift über den Grenzwert von 3 m nicht, doch müssen bei ungewöhnlich großer Breite die zur Sicherung des Straßenverkehrs erforderlichen Maßnahmen getroffen werden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401319100
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt (Kempten) !

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0401319200
Herr Minister, wie ist eine derartige Verordnung, die eine Belastung darstellt, mit der notwendigen und immer geforderten Rationalisierung und Technisierung der Landwirtschaft zu vereinbaren?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0401319300
Herr Kollege Schmidt, es ist doch so: selbst wenn Sie eine Maschine entwickeln, die für die Rationalisierung sehr zweckmäßig ist und die breiter ist als die Straße, kann sie auf der Straße überhaupt nicht befördert werden. Infolgedessen muß man sich doch an die normalen Abmessungen halten, und es ist durchaus möglich, die landwirtschaftlichen Maschinen in diesen Grenzwertbreiten herzustellen. Darüber ist mit den Firmen sehr eingehend gesprochen worden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401319400
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Schmidt!

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0401319500
Herr Minister, wird die neuerdings erforderliche Ausnahmegenehmigung von einer Gebührenpflicht begleitet sein?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0401319600
Ich glaube nicht, daß es eine gebührenpflichtige Ausnahmegenehmigung ist.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401319700
Ich rufe auf die Frage 6 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut —:
Billigt der Herr Bundesverkehrsminister die Verfügung der Deutschen Bundesbahn, daß ab 1. Januar 1952 am Bahnhof der Industriestadt Langen (Hessen) in der Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr kein Expreßgut und Reisegepäck abgefertigt wird?
Bitte, Herr Minister!

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0401319800
Im Hinblick auf den engen sachlichen Zusammenhang bitte ich, damit einverstanden zu sein, daß ich die Fragen 6 und 7 des Herrn Kollegen Kohut
gemeinsam beantworte.




Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401319900
Dann rufe ich auch die Frage 7 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut — auf:
Ist dem Herrn Bundesverkehrsminister bekannt, daß am Bahnhof von Langen, einer Stadt mit 22 000 Einwohnern, in der Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr kein Fahrkartenverkauf stattfindet und der Wartesaal geschlossen bleibt, obwohl in diesen Nachtstunden 18 Züge aus beiden Richtungen in Langen halten?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0401320000
Die Deutsche Bundesbahn hat mir dazu folgendes berichtet. Reisegepäck ist im Bahnhof Langen schon seit längerer Zeit nachts überhaupt nicht mehr aufgeliefert worden. Der Expreßgutversand beschränkte sich durchschnittlich auf 1 bis 2 Stück. Bei dieser Sachlage entspricht die Schließung des Gepäck- und Expreßgutschalters zur Nacht auf diesem Bahnhof wie auch auf vielen anderen Bahnhöfen den Erfordernissen der Rationalisierung, die der Deutschen Bundesbahn durch die Beschlüsse des 3. Deutschen Bundestages zur Pflicht gemacht worden ist. Expreßgut kann nachts an den Packwagen der Züge jederzeit aufgeliefert werden.
Es ist richtig, daß in Langen zwischen 22 Uhr abends und 6 Uhr morgens keine Fahrkarten ausgegeben werden, abgesehen von den Montagen, an denen die Berufstätigen ihre Wochenkarten kaufen. Montags ist der Fahrkartenschalter bereits ab 4.45 Uhr geöffnet. Die nächtlichen Zugbenutzer sind fast ausschließlich Zeitkarteninhaber. Für die wenigen sonstigen Reisenden besteht jederzeit und ohne Benachteiligung die Möglichkeit, ihre Fahrausweise im Zug zu lösen. Der Warteraum auf dem Bahnhof Langen ist regelmäßig auch nachts geöffnet. Er war nur am 2. und 3. Januar nicht geöffnet.
Die Rationalisierungsmaßnahmen der Bundesbahn werden in gleicher Weise auch auf vielen anderen Bahnhöfen durchgeführt. Die Bundesbahn führt nach dem Bundesbahngesetz ihren Betrieb selbständig und bedarf bei ihren organisatorischen Maßnahmen nur in seltenen, im Gesetz besonders bezeichneten Fällen, z. B. bei der Auflösung großer Dienststellen oder der Stillegung von Strecken, einer Genehmigung der Aufsichtsbehörde. Maßnahmen wie beim Bahnhof Langen trifft sie also in eigener Zuständigkeit.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401320100
Eine Zusatzfrage? — Die Fragestunde ist an sich abgelaufen, aber auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung werden wir heute — ohne Präjudiz — noch die restlichen Fragen erledigen, weil wir wahrscheinlich erst in 14 Tagen wieder eine Fragestunde haben werden.
Ist die Frage 7 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut — schon erledigt?

(Abg. Dr. Kohut: Ja!)

— Sie ist erledigt. Ich danke dem Herrn Minister.
Wir kommen jetzt zu der Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen — einer Frage des Herrn Abgeordneten Ritzel —:
Sind die Sprechstellen in den Rasthäusern an den Bundesautobahnen Privatanschlüsse der Pächter oder öffentliche Sprechstellen?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0401320200
Die Fernsprechanschlüsse in den Rasthäusern an den Bundesautobahnen sind im. allgemeinen Privatanschlüsse des Pächters. In Einzelfällen gibt es zusätzlich noch bei den Pächtern errichtete öffentliche Sprechstellen, die entweder mit einem gewöhnlichen Apparat oder mit einem Münzfernsprecher ausgerüstet sind. Darüber hinaus sind vereinzelt auf dem 'Gelände der Rasthäuser auch öffentliche Sprechstellen mit Münzfernsprechern in Fernsprechhäuschen der Deutschen Bundespost vorhanden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401320300
Eine Zusatzfrage!

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0401320400
Herr Bundespostminister, sind Sie trotz Ihrer Bemühungen, wirksamen Dienst am Kunden der Bundespost zu leisten, nicht bereit, die öffentlichen Fernsprechstellen so zu vermehren, daß den Widerwärtigkeiten und der Verteuerung von Gesprächen durch die Benutzung von privaten Fernsprechstellen an den Autobahnraststätten begegnet wird?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0401320500
Herr Kollege, ich bin sehr gern bereit, diesen Kundendienst auszuweiten. Ich habe dabei nur das Bedenken, daß bei der heutigen Situation im Selbstwählferndienst nur ungefähr 85 % der Gespräche im Bundesdurchschnitt selbst angewählt werden können, so daß der übrige Teil noch angemeldet werden muß. Wenn ein öffentlicher Münzfernsprecher vorhanden ist, sind die Schwierigkeiten bei der Bedienung solcher Gespräche immer außerordentlich groß. Sobald wir also einen noch höheren Grad des Selbstwählferndienstes erreicht haben, werden wir auch den Ausbau weiter forcieren.

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0401320600
Danke sehr.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401320700
Ich danke dem Herrn Minister.
Wir kommen jetzt zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen, zunächst zur Frage IX/1 — des Herrn Abgeordneten Ritzel —:
Ist die Bundesregierung bereit, zur Rettung verletzter Verkehrsteilnehmer in sorgfältig ausgewählten Raststätten an deutschen Autobahnen Depots mit Blutplasma zu errichten?
Bitte, Frau Ministerin.

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (CDU):
Rede ID: ID0401320800
Die Bundesregierung beabsichtigt, neben den bestehenden Depots der Blutspendedienste alle Unfallkrankenwagen mit Blutplasma und Blutersatzstoffen auszustatten. Daneben haben in Übereinstimmung mit den österreichischen Bestrebungen die beteiligten Ressorts gemeinsam mit den in der Unfallhilfe tätigen Organisationen eine Prüfung eingeleitet, ob und in welchem Umfang nach medizinischer Auffassung die Auslagerung von Blutplasma zur Sicherung einer schnellen Versorgung von Unfallverletzten erweitert werden kann.



Bundesminister Frau Dr. Schwarzhaupt
Weiter ist mit dem Deutschen Roten Kreuz und der Kraftfahrervereinigung deutscher Ärzte vereinbart worden, in einem begrenzten Bezirk des Bundesgebietes probeweise 600 Arztunfallkoffer auszugeben, die u. a. auch Blutersatzmittel enthalten.
Sollten die Erfahrungen mit diesen Arztunfallkoffern und die Stellungnahme der Organisationen, die zuständig sind, ergeben, daß eine weitere Streuung von Blutplasmadepots zweckmäßig und notwendig ist, so werden dafür in erster Linie die Nebenbetriebe der Bundesautobahnen — das sind Raststätten und Tankstellen —, Straßenmeistereien und die Unfallhilfestellen in Anspruch genommen werden. Entsprechende Maßnahmen werden dann von der Bundesregierung eingeleitet werden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401320900
Ich rufe auf die Frage IX/2 — des Herrn Abgeordneten Gewandt —:
Wann beabsichtigt die Bundesregierung die Rechtsverordnungen über den Verkauf von Arzneimitteln im freien Verkehr nach den Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes zu erlassen?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (CDU):
Rede ID: ID0401321000
Die Vorarbeiten für die Regelung des Verkaufs von Arzneimitteln im freien Verkehr durch Rechtsverordnung nach den §§ 30 und 32 des Arzneimittelgesetzes sind im Gange. Ich erwarte, daß die Verordnungen nach der Sommerpause dem Bundesrat zur Zustimmung vorgelegt werden können.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401321100
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gewandt!

Heinrich Gewandt (CDU):
Rede ID: ID0401321200
Ist Ihnen bekannt, Frau Ministerin, daß in den einschlägigen Kreisen des Handels und der Industrie durch das Fehlen der Rechtsverordnung eine große Unsicherheit entstanden ist, und sehen Sie keine Möglichkeit, die von Ihnen genannte Frist etwas zu verkürzen?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (CDU):
Rede ID: ID0401321300
Herr Kollege, ich weiß, daß diese Verordnungen dringend erwartet werden. Wir brauchen aber eine gewisse Zeit. Wir brauchten zuerst ein Gutachten des Bundesgesundheitsamtes, das Ende vorigen Jahres eingegangen ist. Ferner ist die Anhörung des Beirates notwendig, der nach § 33 des Arzneimittelgesetzes gebildet werden muß, inzwischen gebildet worden ist und auch demnächst zusammentritt Wir brauchen schließlich die Stellungnahmen der beteiligten Wirtschaftskreise. Aber wir werden die Fertigstellung der Verordnung beschleunigen, sosehr es möglich ist.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401321400
Damit ,ist die Fragestunde beendet.
Als Nachfolger für die am 25. bzw. 26. Januar ausgeschiedenen Abgeordneten Schmidt (Hamburg) und Frau Keilhack sind die Abgeordneten Glombig und Busch in den Bundestag eingetreten. Ich begrüße sie in unserer Mitte und wünsche ihnen eine gute Zusammenarbeit.

(Beifall.)

Es ist eingegangen: Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben im dritten Vierteljahr des Rechnungsjahres 1961, Drucksache IV/140. Ist das Haus mit der Überweisung der Vorlage an den Haushaltsausschuß einverstanden. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.

Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung.
Es ist eine Vereinbarung dahin zustande gekommen, daß zunächst die allgemein-politischen Fragen in Anknüpfung an die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers, dann die spezifischen agrarpolitischen Fragen in Zusammenhang mit der Erklärung des Herrn Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten behandelt werden sollen.
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. von Brentano.

Dr. Heinrich von Brentano (CDU):
Rede ID: ID0401321500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Sitzung vom 17. Januar hat der Herr Bundeskanzler eine erste Erklärung zu den Brüsseler Beschlüssen abgegeben. Er hat in dieser Erklärung auf die politische Bedeutung der Entwicklung hingewiesen, die mit den Beschlüssen von Brüssel ihren Fortgang genommen hatte, und er hat davon gesprochen, daß häufig der Mangel an Initiative in der westlichen Welt beklagt werde, daß aber gerade hier im europäischen Bereich eine echte Initiative sichtbar werde, daß hier eine im echten Sinne des Wortes revolutionäre Entwicklung eingeleitet worden sei.
Meine Damen und Herren, wenn wir die Ergebnisse von Brüssel betrachten, dann sollten wir diese Überlegungen in den Vordergrund stellen und uns klarmachen, was in den vergangenen Jahren auf dem Gebiete der europäischen Politik geschehen ist; denn nur dann kommen wir auch zu einer gerechten Würdigung dieser letzten Entscheidungen, zu deren sachlichem Inhalt andere Freunde aus meiner Fraktion, meine Kollegen Struve und Bauer, noch Stellung nehmen werden.
Wenn wir von diesen Entscheidungen in Brüssel sprechen, dann, glaube ich, erinnern wir uns alle der ersten Entscheidung, die wir hier in diesem Hause getroffen haben, der ersten Diskussionen, die mit der Vorlage des sogenannten SchumanPlanes ihren Anfang nahmen. Ich möchte heute daran erinnern, was damals der Redner meiner Fraktion, der Abgeordnete Dr. Henle, gesagt hat; denn es gilt, wie ich glaube, noch heute unverändert, wie es damals, am 12. Juli 1951, galt. Er sagte, nachdem er das Für und Wider dieses Vertragswerks behandelt hatte, es stelle sich heraus, daß wir letztlich vor einem völkerpsychologischen Problem stünden, für dessen Beurteilung wir nur die Erfahrungen der Vergangenheit besäßen; und er fuhr dann fort:
Das ... bringt wiederum die Gefahr mit sich,
daß wir nach einem halben Säkulum, in dem im
alten Europa mehr Verblendung als Verstand
zu regieren schien, einer Skepsis anheimfallen,



Dr. von Brentano
die vor jedwedem kühnen Versuch und Wagnis, wie es der Schumanplan darstellt, zurückschreckt. Skepsis aber bedeutet Mißtrauen; Versuch und Wagnis hingegen sind in ihrem Gelingen durch das Vertrauen in den Erfolg des Unternehmens bedingt. Damit wird klar, daß das Ja oder Nein zum Schumanplan stärkstens dadurch bestimmt ist, ob wir unser Vertrauen bewahrt haben in die Kräfte und in den gesunden Geist der westeuropäischen Völker, ob wir es durch die Katastrophen der jüngsten Vergangenheit hindurchgerettet haben oder ob wir angesichts der trüben Erfahrungen der Vergangenheit lieber resignieren wollen.
Er hat dann für die Freunde meiner Fraktion ein klares und eindeutiges Ja zu der Vorlage ausgesprochen; einer Vorlage, die — ich darf daran erinnern, meine Damen und Herren — damals sehr umstritten war und die von großen Teilen auch der Mitglieder dieses Hohen Hauses leidenschaftlich bekämpft wurde.
Ich selbst habe dann bei der dritten Lesung dieses Vertragswerkes gesprochen. Ich habe darauf hingewiesen, daß wir den Schuman-Plan als eine erste Entscheidung, eine erste Etappe bei der Errichtung dieses europäischen Gebäudes betrachten.
Die Entwicklung hat denen, die so dachten — die man damals utopischen oder illusionären Denkens bezichtigt hat — recht gegeben.
Wir haben dann im Juni 1957 über die Verträge von Rom diskutiert, polemisch und kontrovers diskutiert über das Für und Wider sowohl in der institutionellen Anlage der Verträge wie auch im materiellen Inhalt. Ich habe damals als Außenminister die Vorlage vertreten und darauf hingewiesen, daß wir auch in der Vorlage dieser Römischen Verträge nicht den Abschluß der europäischen Entwicklung erblickten, sondern der Meinung waren, daß auch die Römischen Verträge eine Etappe auf dem Wege zur europäischen Zusammenarbeit darstellen sollten, daß wir aber auch der Überzeugung waren, daß dieser wirtschaftliche Zusammenschluß im Gemeinsamen Markt Tatsachen schaffen werde, die diese politische Entwicklung mit Zwangsläufigkeit nach sich ziehen müßten.
Wir stehen jetzt nach dem Ergebnis der Brüsseler Beratungen in der Tat vor einer neuen Etappe; denn der einstimmige Beschluß vom 14. Januar, den der Rat der EWG ,gefaßt hat, bedeutet den Übergang zur zweiten Stufe bei der Errichtung des Gemeinsamen Marktes. Diese Entscheidung ist von größter politischer Bedeutung, nicht nur für die Weiterentwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, sondern überhaupt für den Einigungsprozeß Europas und damit für die Stellung Europas in der Welt.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten uns darüber klar sein, daß die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Staaten, die mit der Zusammenarbeit der Sechs begonnen hat — wir wurden manchmal darum gescholten, daß wir mit der Errichtung dieses kleinen oder kleinsten Europas begonnen haben, und wir wurden manchmal auch mit dem Hinweis darauf gewarnt, daß das eine
Spaltung Europas bedeuten werde, die auch politische Konsequenzen haben müsse —, daß die Entscheidungen, die wir in der europäischen Zusammenarbeit getroffen haben, an außenpolitischer Bedeutung nicht hinter denen zurückstehen, die etwa im Bereich der atlantischen Zusammenarbeit getroffen worden sind.
Das atlantische Bündnis ist im Jahre 1949 in der Abwehr gegen eine drohende Gefahr gegründet worden; aber auch das atlantische Bündnis hat, wenn wir die Artikel 1 bis 4 des Vertrages lesen, nicht in erster Linie den Inhalt, ,die Verteidigung zu organisieren, sondern den, die Voraussetzungen für eine gemeinsame Verteidigung zu schaffen. Die Artikel 1 bis 4 des atlantischen Vertrags — und ich erinnere daran, weil das manchmal in Vergessenheit zu geraten droht — beschäftigen sich mit der Notwendigkeit der politischen und der ökonomischen Zusammenarbeit im Bereich der nordatlantischen Gemeinschaft.
Ich glaube, diese Erkenntnis ist sehr verständlich; denn wie kann man eine gemeinsame Abwehrfront errichten, wie kann man eine gemeinsame Verteidigung organisieren, wenn man nicht über die Grundlagen des politischen Denkens eine Einigung herbeiführt! Wir haben in dem Bündnissystem der Nato immer wieder diese Notwendigkeit erkannt. Wir haben uns immer wieder mit dem Problem beschäftigt: Wie können wir diese Artikel 1 bis 4 des Nato-Vertrags verwirklichen, was können wir tun, um im Wege der Konsultation und der Kooperation unsere Außenpolitik mehr als seither zusammenzuführen? Denn hinter der gemeinsamen Verteidigung muß — ich glaube, das sieht jeder — auch ein gemeinsamer politischer Wille stehen. Es ist undenkbar, daß eine Verteidigung organisiert wird, wenn die Außenpolitik der Länder, die sie organisieren, nicht in ihren wesentlichen Voraussetzungen und in ihren wesentlichen Richtungen übereinstimmt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Und hier sehe ich, meine Damen und Herren, die große Bedeutung der europäischen Zusammenarbeit; denn wir haben in einem leichter überschaubaren Raum, in einem Raum, der sehr viel mehr unserer unmittelbaren Verantwortung unterliegt, versucht, die Voraussetzungen zu schaffen, einen gemeinsamen politischen Willen zu entwickeln, auch wenn wir dazu Umwege gehen mußten, die jeder von uns nicht gern gegangen ist.
Wir haben die Rückschläge eingesteckt, von denen wir alle wissen. Wir haben nicht die Europäische Verteidigungsgemeinschaft verwirklichen können. Ich glaube, diejenigen, die damals die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu Fall gebracht haben, würden heute anders denken und wären glücklich, wenn sie damals diese kühne europäische Konzeption nicht sabotiert, sondern realisiert hätten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir sind auch nicht — das hing mit dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zusammen — in der politischen Integration dahin gekommen, wohin wir kommen wollten. Ich kann darüber



Dr. von Brentano
sprechen, denn ich habe damals die Verhandlungen geführt, die der Kommission aufgetragen waren, die eine politische Ordnung für Europa vorbereiten sollte.
Diese Rückschläge haben das Tempo verlangsamt und haben dazu geführt, daß wir uns den eigentlichen politischen Zielen mehr oder weniger auf Umwegen nähern mußten. Heute haben wir jedoch Grund und Anlaß, zu sagen, daß der Zusammenschluß der Sechs eine politische Wirklichkeit geworden ist, die von niemand in der Welt bestritten werden kann. Er ist eine politische Wirklichkeit geworden auch im Verhältnis zu unseren Verbündeten in der freien Welt und in unserem Verhältnis zu unseren politischen Gegnern in der unfreien Welt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Denn er verrät — das ist das Wichtige — das Vertrauen der europäischen Völker, die Überzeugung dieser europäischen Nationen, daß die Zukunft in ihrer Hand liegt, daß es ihre Aufgabe ist, durch eine enge freundschaftliche Zusammenarbeit auf allen Gebieten dem europäischen Kontinent ein neues Gesicht und ein eigenes Gewicht zu geben.
Ich sagte, daß wir mit den Beschlüssen vom 14. Januar einen weiteren Schritt nach vorne getan haben, und ich möchte dazu noch einige kurze Bemerkungen machen. In Zukunft können nun im Raum der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zahlreiche Entscheidungen im Rat mit qualifizierter Stimmenmehrheit getroffen werden. Das ist eine Entwicklung, die wir angestrebt haben. Denn damit wird der übernationale, föderale oder konföderale Charakter der Gemeinschaft wesentlich stärker in Erscheinung treten. In Zukunft wird es ausgeschlossen sein, daß das Veto eines einzigen Mitglieds die Entwicklung der Gemeinschaft in bedeutenden Bereichen des Vertrages hemmen könnte. Die Gemeinschaft erhält dadurch einen neuen Antrieb für eine schnellere Verwirklichung ihrer Ziele. Die Bestrebungen zur Herstellung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes, die Verschmelzung der Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten und die Bildung der erhofften Wirtschaftsunion werden dadurch zweifelsfrei gefördert.
Aber mit dem Übergang in die zweite Stufe tritt die Gemeinschaft auch aus dem Stadium der noch unfertigen Zollunion heraus; sie tritt aus dem Stadium der Beseitigung der Handelshemmnisse — als einer negativen, aber wichtigen Aufgabe — in die Phase der Verwirklichung der Politik auf allen übrigen Gebieten. Wir sehen, daß diese Entwicklung auch in der Welt nicht unbeobachtet geblieben ist. Diejenigen, die seinerzeit für die Fortsetzung dieser europäischen Politik gewesen sind, haben recht behalten. Ich habe es damals so formuliert und möchte das wiederholen: wir können die Verwirklichung unserer europäischen Ziele nicht davon abhängig machen, ob wir den letzten Zweifler überzeugen. Wir müssen mit denen beginnen, die dazu bereit sind, und mit den Methoden, die sich dazu anbieten, und in den Bereichen, die sich dazu eignen.
Es gibt keine bessere Rechtfertigung für die Richtigkeit dieser Politik als die Entscheidung der britischen Regierung vom vergangenen Sommer, die dahin ging, daß sich Großbritannien allen drei europäischen Gemeinschaften mit vollen Rechten und Pflichten anschließen will. Ich möchte hier für meine Fraktion mit großem Nachdruck sagen, daß wir diese Entscheidung der britischen Regierung für eine historische halten und daß wir unsere Regierung und die Regierungen der übrigen Mitgliedstaaten dringend bitten, alles und jedes zu tun, damit diese Entscheidung auch Wirklichkeit wird, damit Großbritannien dieser europäischen Gemeinschaft als siebentes Mitglied mit vollen Rechten und Pflichten beitreten wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der SPD.)

Die Begründung, die damals der britische Lordsiegelbewahrer Heath im englischen Unterhaus gegeben hat, war eine überzeugende Rechtfertigung unserer Politik. Er sprach davon, daß sich im europäischen Bereich eine unerwartete Entwicklung vollzogen habe. Man habe es nicht für möglich gehalten, daß der Zusammenschluß der Sechs diese Form annehmen werde, und Großbritannien stehe nun vor der Frage, ob es sich an dieser Entwicklung beteiligen solle oder nicht. Er verwies darauf — und wenn das aus diesem Munde gesagt wird, können wir es, glaube ich, auch mit großer Befriedigung zitieren —, daß auf dem europäischen Kontinent eine Entwicklung begonnen habe, die dazu führe, daß hier ein Wirtschaftsraum mit einer Produktionskapazität, mit einer Kapazität an Menschen, an wissenschaftlicher Erfahrung, an Kultur und Tradition entstehe, der nur zu vergleichen sei etwa mit dem Wirtschaftsraum des Ostblocks oder dem Wirtschaftsraum der Vereinigten Staaten von Amerika.
Er führte weiter aus — und auch das möchte ich unterstreichen, weil ich darin wirklich eine entscheidende Wendung der britischen Politik sehe —, auch früher habe Großbritannien bilaterale Verträge mit kontinentaleuropäischen Staaten geschlossen. Aber diese Verträge seien in erster Linie bestimmt gewesen, einer echten oder vermuteten militärischen Gefahr zu begegnen. Diese Voraussetzungen seien heute für Europa nicht mehr gültig. Es gebe keine Gefahr mehr für einen europäischen Staat durch einen anderen europäischen Staat. Wir wissen es ja alle: es gibt nur eine Gefahr für die freie Welt Europas; sie liegt nicht in Europa, sondern am Rande Europas.
Ich sehe in dieser Entwicklung, in dem Beitritt Großbritanniens, der ja auch Beitrittsverhandlungen mit einigen skandinavischen Ländern zur Folge haben wird, mit Dänemark und voraussichtlich mit Norwegen, tatsächlich die Fortsetzung dieser von uns begonnenen europäischen Politik. Denn wir haben immer wieder unterstrichen — und das soll auch heute hier gesagt werden —, daß wir nicht einen geschlossenen Raum der Sechs schaffen, daß wir nicht etwa in die Fehler einer vergangenen Autarkiepolitik zurückfallen wollten, indem wir ein neues Autarkiedenken im erweiterten Raum schaffen oder zulassen wollten, sondern daß diese Gemeinschaft der Sechs denen, die sich ihren politischen Zielen anschließen wollen, offenstehen solle und offenstehen müsse.

(Beifall bei der CDU/CSU.)




Dr. von Brentano
Meine Damen und Herren, wenn ich von dieser Entwicklung spreche und sage, daß die Entscheidung der britischen Regierung eine überzeugende Rechtfertigung war, möchte ich aber ebenso nachdrücklich auf das verweisen, was vor wenigen Tagen der amerikanische Präsident Kennedy in seiner Botschaft an die Nation gesagt hat. Wir wissen — und ich glaube, es ist ermutigend für uns alle —, daß die amerikanische Administration unter dem Präsidenten Eisenhower und unter dem Präsidenten Kennedy diese Politik des europäischen Zusammenschlusses mit allen Mitteln zu fördern bereit ist, obwohl man drüben wohl weiß, daß dieser weitere europäische Zusammenschluß auch nachteilige Folgen für die Wirtschaft der Vereinigten Staaten haben muß. Denn objektiv diskriminierende Wirkungen gehen selbstverständlich von einem solchen Zusammenschluß, von der Schaffung einer solchen großen Wirtschaftsgemeinschaft aus. Trotzdem — das hat Präsident Kennedy ausdrücklich unterstrichen — wünscht man auch drüben, daß die europäische Einigung fortgesetzt wird. Man ist sich auch in den Vereinigten Staaten darüber im klaren — ich sagte es eingangs —, daß es gerade für die Zusammenarbeit der freien Welt von unschätzbarem Wert ist, wenn — so hat sich einer der Mitarbeiter des Präsidenten ausgedrückt — in Europa nicht mehrere Juniorpartner, sondern wenn eine volle europäische Kraft an der Seite der Vereinigten Staaten steht. Das soll unser Ziel sein, meine Damen und Herren. Damit tragen wir auch zu der wesentlichen und entscheidenden Stärkung der Atlantischen Gemeinschaft bei. Wenn die Vorstellung einer atlantischen Union einmal Wirklichkeit werden sollte, dann nur unter der Voraussetzung, daß zunächst die europäische Union geschaffen wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich bin nun weit davon entfernt, heute zu sagen, daß wir uns mit dem Erreichten abfinden und zufrieden sind. Im vergangenen Jahr hat die Konferenz der Regierungschefs in Bad Godesberg getagt. Dort sind Entschlüsse gefaßt worden, auf deren Verwirklichung wir heute noch warten. Wir wissen, daß darüber Verhandlungen im Gange sind. Ich möchte jedoch für meine politischen Freunde sehr klar ankündigen, daß wir die Bundesregierung bitten werden, die Verhandlungen mit dem Ziele zu führen, daß die Ankündigung von Bad Godesberg raschestens verwirklicht wird. Dieses Ziel ist, die Voraussetzungen für eine gemeinsame Außenpolitik unter den sechs Staaten, für eine gemeinsame Verteidigungspolitik zur Stärkung der NATO und im Rahmen der NATO und für den unerläßlichen Zusammenschluß auf dem Gebiete der Wissenschaft und Kultur zu schaffen. Wir können und wollen unsere Arbeit nicht nur auf den wirtschaftlichen und auch nicht nur auf den politischen Bereich begrenzen. Selbstverständlich müssen auch die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß die Gesetzgebung im Bereiche der Gemeinschaft ständig und konsequent harmonisiert wird. Bei der Äußerung dieser Wünsche sage ich gleich: wir wollen, daß diese Wünsche erfüllt werden, aber nicht auf Kosten der bestehenden Gemeinschaft. Was wir haben, darf in der Substanz und in der institutionellen Ordnung nicht verändert werden, es sei denn, es würde verbessert.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Hier möchte ich ein besonderes Wort zu den Aufgaben des Europäischen Parlaments sagen. Gerade jetzt, wo die Europäische Gemeinschaft in die zweite Stufe tritt, wo also auch auf dem Gebiete der gemeinsamen Handelspolitik, der gemeinsamen Zollpolitik, der gemeinsamen Preispolitik, einer gemeinsamen Kartellpolitik, um nur einige Beispiele zu nennen, Entscheidungen auf uns zukommen, die getroffen werden müssen, wenn wir unser Ziel erreichen wollen, scheint es meinen politischen Freunden und mir absolut notwendig zu sein, daß wir alles tun, um von uns aus die Stellung des Europäischen Parlaments zu stärken.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir brauchen, wenn wir diese Aufgaben erfüllen wollen, eine demokratische und damit parlamentarische Mitarbeit. Das Europäische Parlament hat auch heute schon eine Stellung, die stärker ist, als im Vertrag vorgesehen war. Diese Entwicklung hatte ich seinerzeit schon angekündigt, und sie ist auch eingetreten. Es ist eine Eigengesetzlichkeit, die einem Parlament innewohnt und innewohnen muß, daß sich die Zuständigkeitsgrenzen zwangsläufig ausdehnen.
Aber ich möchte auch dazu sagen: uns genügt das, was heute an Zuständigkeit besteht, nicht. Wir hoffen und wünschen, daß sich die Regierungen darüber unterhalten — nicht von heute auf morgen —, wie das Europäische Parlament die echten Aufgaben eines Parlaments erhalten kann, also eine echte Kontrollbefugnis und eine echte Initiativbefugnis. Daß die Möglichkeit einer echten Legislative heute noch nicht besteht, sollten wohl auch diejenigen einsehen, die ungeduldig sind wie ich und andere. Diese Zuständigkeiten des Parlaments zu erweitern und zu ergänzen, scheint mir eine Aufgabe zu sein, die in der nächsten Zukunft ebenfalls angepackt und gelöst werden muß; denn wir wissen und haben es auch wissend so entschieden, daß wir Zuständigkeiten, die an sich in die nationalstaatlichen Parlamente — auch in dieses Hohe Haus — gehören, an den Ministerrat und an die Kommission in Brüssel abgegeben haben.
Beide Institutionen haben unser volles Vertrauen. Ich glaube aber, es wäre für beide Institutionen auch eine Erleichterung ihrer Arbeit und ihrer Verantwortung, wenn sie ihre Entscheidungen treffen könnten in enger Zusammenarbeit mit einem in seinen Zuständigkeiten nicht beschränkten Parlament.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind die Wünsche, die ich heute für meine Fraktion anmelde. Ich habe keinen Zweifel, daß die Bundesregierung mit uns in der Beurteilung dieser Notwendigkeit übereinstimmt. Wir sind uns nämlich im klaren, daß wir das Erreichte nur bewahren können, wenn wir es ständig und konsequent fortentwickeln.
Ich habe schon einige Gebiete genannt, auf denen diese Fortentwicklung nötig sein wird, und ich möchte wiederholen: diese zweite Phase des Gemeinsamen Marktes wird nur dann die erwarteten



Dr. von Brentano
Erfolge bringen, wenn wir in dieser zweiten Phase stärker als bisher zu einer übereinstimmenden Gesetzgebung und auch zu einer übereinstimmenden Verwaltungspraxis kommen. Ich darf daran erinnern, daß wir eine gemeinsame Wirtschaftspolitik in dem großen Raum der Europäischen Gemeinschaft auf die Dauer schlechthin nicht führen können, wenn nicht in den Grundsätzen des handelspolitischen Denkens auch zwischen den Mitgliedstaaten eine Übereinstimmung erreicht wird. Wir können eine echte Wirtschaftspolitik in diesem Raum auf die Dauer auch dann nicht führen, wenn nicht die Steuergesetzgebung der einzelnen Staaten in diesem Bereich langsam, aber konsequent einander angepaßt wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien sowie bei Abgeordneten der SPD.)

Sonst schaffen wir nämlich Steuerbedingungen und Steuergefälle, die einen echten Wettbewerb behindern.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Es ist unser gemeinsames Ziel, in diesem Gemeinsamen Markt nicht etwa Oasen zu schaffen oder Oasen zu erhalten, vielmehr ist es unser Bestreben, in diesem Gemeinsamen Markt, fernab von jedem Autarkiedenken, die Voraussetzungen für eine echte soziale Marktwirtschaft zu schaffen, wie wir sie auch in der Bundesrepublik wünschen und anerkennen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401321600
Das Wort hat der Abgeordnete Birkelbach.

Willi Birkelbach (SPD):
Rede ID: ID0401321700
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion wertet den Beschluß des Ministerrats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, den Übergang zur zweiten Stufe des Gemeinsamen Marktes zu vollziehen, als einen wichtigen Beitrag zur europäischen Einigung. Sie glaubt, daß damit der Weg frei ist für eine weitere günstige Entwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Wir wissen, daß diesem Beschluß, zur zweiten Stufe überzugehen, eine Einigung auf gewisse Grundlagen einer gemeinsamen Agrarpolitik vorausging und daß in diesem Zusammenhang gewisse Verordnungen im Ministerrat verabschiedet worden sind.
Wir glauben sagen zu müssen, daß wir die materielle Vorbereitung der Verhandlungen auf diesem speziellen Gebiet keinesfalls als befriedigend bezeichnen können; denn allen Sachverständigen war seit Monaten, ja viel länger, klar, um was es gehen würde. Wir hatten überall genügend Debatten, so daß man erkennen konnte, wo die politischen Kernpunkte liegen würden. Es war daher kein Grund vorhanden, in einen derartigen Zeitdruck zu geraten, daß man am 31. Dezember die Uhr in dem betreffenden Saal für vierzehn Tage anhalten mußte, um zu erreichen, daß das Werk noch im alten Jahr verabschiedet wurde. Wir glauben, daß hierfür sicher keine Veranlassung bestand. Die jetzt vorliegenden Verordnungstexte zeigen außerdem, daß rein gesetzestechnisch die Beteiligten in einer Weise überfordert und überlastet waren, daß man wirklich nicht glauben konnte, das Verhandlungsthema hätte in der noch verfügbaren Zeit unmittelbar gestaltet werden können. Gewisse Verordnungen sind verabschiedet worden. An der Kompliziertheit der Texte sehen wir, welche Mühe die Verfasser sich gegeben haben, und ich stehe nicht an, denjenigen, die unmittelbar an diesen Verhandlungen, speziell in der letzten Etappe, beteiligt waren, unsere Anerkennung auch für die physische Leistung auszusprechen, die sie dort erbrachten.

(Beifall.)

Diese Anerkennung schließt sicher nicht die Akzeptierung des gesamten Inhalts ein. Über den konkreten Inhalt des Verhandlungsergebnisses werden andere, Berufenere sprechen, soweit es um die Agrarpolitik geht.
Ich will nur folgendes noch einmal betonen: Die Beteiligten sind deshalb unter diesen Zeitdruck geraten, weil im Jahr der Bundestagswahlen bestimmte Überlegungen auf der Mehrheitsseite vorher, vor den Wahlen, nicht so weit vorangetrieben werden konnten, daß man in bezug auf bestimmte Wählerschichten ein politisches Risiko hätte daraus ableiten können.

(Beifall bei der SPD.)

Ich will das nicht näher darlegen. Ich will nur darauf hinweisen, daß dann nach der Wahl ein vorsichtiger, ein unruhiger möglicher Koalitionspartner auch wieder nicht zuließ, daß man sehr rasch die Klarheit fand, die eigentlich schon vor den Verhandlungen hätte bestehen müssen.

(Erneuter Beifall bei der SPD.)

Dabei müssen wir in Rechnung stellen, daß die französische Regierung nicht so ganz unrecht hatte, als sie zum Ausdruck brachte, daß man mit Grundsatzbeschlüssen allein in Fragen der Agrarpolitik nicht sehr viel weiter kommen würde, daß man Texte haben müsse. Wahrscheinlich vertrat sie deswegen diese Anschauung, weil sie glaubte, daß ohne Texte die Herausbildung der Grundlagen einer gemeinsamen Agrarpolitik auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben würde.
Ich sage, man kann diese Einstellung nicht ganz verurteilen, zumal selbst nach dem Abschluß der Verhandlungen zum Beispiel aus Pressemeldungen zu erkennen war, daß man da und dort sagte: Aber das alles muß ja jetzt erst durch die nationalen Parlamente ratifiziert werden. Daraus klang so ein wenig die Neigung, daß das Verhandlungsergebnis einer nachträglichen Revision zu unterziehen sei.
Meine Damen und Herren, davon kann nicht die Rede sein. Ich glaube, der Herr Bundeswirtschaftsminister hat mit vollem Recht festgestellt, daß die Verordnungen des Ministerrats europäisches Recht geworden sind und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gelten, daß sie das nationale Recht außer Kraft setzen, soweit es mit ihnen nicht vereinbar ist. Das ist eine wichtige Erkenntnis, eine wichtige Feststellung, weil wir nunmehr auf dieser Grundlage auch im internationalen Rahmen wissen, daß es da bestimmte Verpflichtungen und Konsequenzen gibt.



Birkelbach
Aber ich möchte nun die politische Bedeutung dieses Übergangs zur zweiten Stufe noch ein wenig würdigen. Ich sagte schon, den agrarpolitischen Teil werden andere, berufenere Sachverständige im Namen meiner Fraktion hier behandeln.
Wir glauben, daß ein Nichtvollziehen dieses Beschlusses das ganze Unternehmen des Zusammenwachsens Europas außerordentlich geschwächt hätte, daß es das Vertrauen in die Zukunft einer solchen Gemeinschaft gefährdet hätte. Aus diesem Grunde war dieser Beschluß politisch notwendig.

(Beifall bei allen Fraktionen.)

Wir haben außerdem nicht zu erwarten, daß wir wieder in die gleiche Situation, wie sie jetzt gegeben war, hineinkommen, in die Situation, in der eine einzige nationale Regierung die Macht hätte, den Übergang zur dritten Stufe oder den Abschluß der Übergangszeit zu blockieren. Hier ist nach dem Vertrag ein neues Stadium erreicht, das auch politisch unter besonderen Gesichtspunkten gewürdigt werden muß.
Wir müssen damit rechnen, daß diese Automatik, die nun einfach für die Zukunft gegeben ist, auch die Unternehmer, alle Interessierten insofern vor klare Daten stellt. Sie wissen jetzt, daß es eigentlich ein richtiges Scheitern wäre, wenn sich der Zeitraum bis zum Übergang zur dritten Stufe noch verlängern oder irgendwie verändern würde, es sei denn, er würde abgekürzt.
Wir glauben also, daß wir deswegen gewisse Konsequenzen auch in den Wirtschaftsentscheidungen schon erkennen können. Wir müssen das um so mehr erkennen, als, wie Herr Kollege von Brentano auch darlegte, in den kommenden Jahren der Ministerrat eine verstärkte Möglichkeit hat, zur Not mit Mehrheit zu entscheiden. Das braucht nicht immer zu bedeuten, daß die Mehrheitsentscheidung auch herbeigeführt wird. Aber allein die Möglichkeit, daß zur Not mit Mehrheit entschieden wird, gibt der ganzen Angelegenheit eine neue politische Kontur.
Die Sozialdemokraten haben immer die Auffassung vertreten, daß es mit dem Abbau von Handelsbeschränkungen, mit der Beseitigung von Hemmnissen an der Grenze für den Wirtschafts- und Personenverkehr allein nicht getan ist. Wir wissen, daß eine solche Automatik, ein solches ständiges Abbauen der Grenzhindernisse einen besonderen Nutzen hat. Aber wir glauben, daß dies ergänzt werden muß durch eine Gemeinschaftspolitik, ein konstruktives Arbeiten sowohl der Organe der Gemeinschaft wie auch der für gewisse Bereiche ja immer verantwortlichen nationalen Regierungen.

(Beifall bei der SPD.)

Diese zwei Seiten haben wir deswegen zu beachten, weil, wie wir glauben, z. B. eine ganze Reihe von nationalen wirtschaftspolitischen Möglichkeiten den Regierungen gar nicht mehr verblieben sind. Nehmen Sie einmal das ganze Gebiet der Zollpolitik als Teil der Konjunkturpolitik! Das ist nicht mehr da, und es kann nicht sein, daß das einfach verschwunden ist. Wir wollten nicht einen großen
Laissez-faire-Raum entstehen lassen, in dem für das wirtschaftliche Geschehen niemand wirklich unmittelbar verantwortlich ist. Wir wollten wissen, wo die Verantwortung dann sein würde. Wir wissen, daß sich das nur schrittweise herausbilden kann.
Deswegen fordern wir in einem solchen Großraum handlungsfähige Gemeinschaftsorgane. Diese Organe können nur handlungsfähig sein, wenn es unter den Partnerstaaten eine gewisse Übereinstimmung in der wirtschaftspolitischen Grundlinie gibt.
Wir müssen daher, glaube ich, sagen, daß die Brüsseler Entscheidungen Anlaß zur bewußteren Gestaltung der Gemeinschaftspolitik sein müssen. Denn hier — wir wollen das noch einmal gesondert betrachten — ist nun für viele Staatsbürger in allen Ländern erkennbar geworden, daß es eine unmittelbare Rechtssetzungs- und Entscheidungsbefugnis gibt, eine Befugnis, die auch in unser eigenes Leben hineinwirkt, ohne daß wir im nationalen Bereich die Stelle suchen können, wo die Verantwortung dafür liegt.
Durch die Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat kann es sogar dahin kommen, daß ein nationaler Minister vor sein nationales Parlament tritt und sagt: „Sie können mich im nationalen Bereich ja gar nicht zur Verantwortung ziehen, im übernationalen Bereich sowieso nicht; denn ich bin bei der Abstimmung im Ministerrat unterlegen."

Daraus muß eine Konsequenz gezogen werden. Sie kann nur darin bestehen, daß dieses Entweichen aus dem nationalen System der parlamentarischen Kontrolle auf der Gemeinschaftsebene ausgeglichen wird.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der Mitte.)

Wir haben dabei sicher nicht die Vorstellung, daß man alles in einem Zug vollenden könne. Darin stimme ich mit Ihnen völlig überein, Herr Kollege von Brentano: es wäre ein wenig vermessen, zu glauben, daß man nur diese Gesetzgebungs- und Kontrollbefugnis unmittelbar diesem Parlament zu übertragen brauche. Aber sollten wir nicht klarere Vorstellungen von den möglichen unmittelbaren Schritten haben, die auch jetzt schon gegangen werden können? Und sollten wir sie nicht ständig vorbringen, damit es nicht so aussieht, als müsse man sich erst an das andere gewöhnen?

(Beifall bei ,der SPD.)

Ich glaube, daß wir dabei heute sowohl in diesem politischen Bereich in bezug auf die Entscheidungen wie im rein wirtschaftlichen Bereich nicht von der Vorstellung ausgehen können, man könne einen hochfliegenden europäischen Verfassungsentwurf verabschieden und dann .das Ganze in einem Zug unter einen Hut bringen und ein völkerrechtlich handlungsfähiges Subjekt in Form dieser Gemeinschaft auf allen Gebieten vor sich finden. Diesem Gedankengang hängt heute niemand mehr nach, kann auch niemand mehr nachhängen, wenn er gesehen hat, welche Interessenkonflikte auf ganz bestimmten Teilgebieten in dem Augenblick entstehen, in dem die Frage aufgeworfen wird: Wo



Birkelbach
werden denn in Zukunft die Entscheidungen fallen? Da, wo wir gewohnt sind hinzublicken, wo wir Beziehungen haben, da, wo wir wissen, wer sie fällen wird? Oder auf einer Ebene, wo nicht nur die Konkurrenten aus anderen Ländern ihre Beziehungen haben, sondern wo unter Umständen auch im Gesamtgefüge wirtschaftlichen Geschehens die Dringlichkeit der eigenen Vorhaben — z. B. bei Interessenverbänden — nicht so eingeordnet wird, wie das im nationalen Rahmen vielleicht bisher zufriedenstellend der Fall war?
Was will ich damit sagen? Ich glaube, die Art und Weise, wie die agrarpolitischen Beschlüsse zustande kamen, zeigt eine Methode, die es gestattet, weitere Fortschritte zu machen, ohne bei jedem Fortschritt die geschlossene Phalanx der nationalen und internationalen Interessengruppen und -verbände als Hemmis überwinden zu müssen.

(Beifall bei der SPD.)

Auf diese Art und Weise mutet man ihnen auch nur ein gewisses begrenztes Risiko zu. Man kann dann ungefähr überschauen, wie es laufen soll. Man wird dadurch wissen können, mit wem man das Ganze auch in .der Gemeinschaft besprechen kann, wie man das ausrechnen kann, wohin die Entwicklung gehen wird, wie die jeweiligen Interessen wahrgenommen werden. Denn es ist ja nicht so, daß man die Interessenverbände mit ihren Anliegen und Ansprüchen von vornherein als illegitim ansähe. Im Gegenteil, wer die Verantwortung für die Fortführung gewisser Unternehmen usw. hat, hat auch die Pflicht, dafür zu sorgen, daß nicht durch irgendwelche politischen Beschlüsse plötzlich die Grundlage für sein Handeln gefährdet wird und er dann die Verantwortung gar nicht tragen kann.
In diesem Sinne also ist unsere Vorstellung die, daß man ganz bestimmte Teilbereiche unseres wirtschaftlichen und politischen Geschehens so anvisieren muß, daß ähnliche Schritte vollziehbar werden, wie wir sie bei der Gestaltung der gemeinsamen Agrarpolitik erlebt haben. Ich verweise dabei auch auf die Steuerpolitik, auf die Währungs- und Konjunkturpolitik, auf die Energiepolitik, auf die Verkehrspolitik. Hier zeigt es sich, daß man nicht das Ganze sich selber überlassen kann. Hier muß man Grundlinien finden, ,die sich in einen Gesamtbau einordnen. Das kann nach meiner Auffassung nur geschehen, wenn hier die Gemeinschaft selber gewisse zusätzliche Zuständigkeiten bekommt.
Nach dem Übergang in die zweite Stufe ist es gar nicht mehr länger die Frage, ob man solche politischen Maßnahmen in Betracht zieht, sondern es geht nur noch um die Modalitäten, nicht mehr um das Ob. Denn auch den Unternehmern, selbst denjenigen, deren Markt von Zöllen usw. beeinflußt wird, ist doch in der Zwischenzeit klar geworden, daß man zwar Zollsenkungen von 10, 20 und 40 % — wo wir jetzt angelangt sind — unter Umständen verkraften kann, wenn da noch sehr viel Luft dazwischen war, wenn das sozusagen nicht unmittelbar die harte Konkurrenz aus dem anderen Land auf den eigenen Markt brachte. Jetzt aber ist die Tatsache zu verzeichnen, daß die weiteren Zollsenkungen sehr empfindlich alle übrigen Wettbewerbs-vor- und -nachteile in Erscheinung treten lassen würden, die noch in unseren Volkswirtschaften bestehen.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die steuerlichen Maßnahmen. Ich brauche hier nur das Wort Stahl in die Debatte zu werfen, um jedem Sachverständigen klarzumachen, was ich meine. Ein anderes Steuer- und Rückvergütungssystem in Frankreich kann zu besonderen Schwierigkeiten im Bereich z. B. des Stahlmarktes in der Bundesrepublik führen. Wir wissen, daß das Ganze nicht für einen Teilbereich, allein und losgelöst von der übrigen Volkswirtschaft einer Lösung zugeführt werden kann. Andere Industrien machen sich schon Gedanken darüber, wie die Abschreibungsmöglichkeiten im Steuerrecht anderer Länder 'hier ihre eigene Position gefährden können, wenn dem nicht bei uns etwas Entsprechendes zur Seite gesetzt wird. Ich habe bewußt das Wort „dagegengesetzt wird" unterdrückt, weil ich nicht hoffen möchte, daß wir nun anstelle der Zölle zu einem undurchsichtigen System nationaler Ausgleichsmaßnahmen kommen, mit denen in kaschierter Form versucht wird, die Vorteile doch wieder irgendwie auszugleichen, und die eine Riesenverwaltung benötigen würden, ohne daß jemand klar sehen könnte, wohin das geht.

(Beifall bei der SPD.)

Das wäre die andere Gefahr. Deswegen also diese Forderung nach Rechtsangleichung.
Ich muß dabei noch einen anderen Faktor erwähnen, weil der Zeitablauf hier von entscheidender Bedeutung sein kann. Wenn auf dem Gebiet der steuerlichen und damit zusammenhängenden Bestimmungen nicht Fortschritte erzielt werden, kann ungewollt eine internationale Konzentrationstendenz größten Ausmaßes begünstigt werden. Es könnte die Situation eintreten, daß ein national organisiertes Unternehmen praktisch deswegen nicht konkurrieren kann, weil ein international organisiertes Unternehmen die Gewinnspannen durch Verrechnungspreise usw. so verändern kann, daß jeweils im steuerlich günstigsten Land die Überschüsse anfallen.
Das Ganze sind recht komplizierte Gedankengänge, die ich hier nur andeute, um zu zeigen, daß es nicht mehr eine Angelegenheit ist, die man einfach vor sich herschieben kann. Denn jeder weiß, daß jedes Unternehmen von einiger Bedeutung heute bereits darauf angewiesen ist, sich auf die Endstufe des Gemeinsamen Marktes einzustellen. Man kann nicht nur von heute auf morgen disponieren. Man muß ungefähr wissen, wohin es gehen wird. Aller Kundendienst, die Werbung und andere Betätigungen müssen nunmehr an der Überlegung orientiert werden, daß eine Entwicklung in Gang gekommen ist, die man beachten muß. Ich habe versucht, in diesem Zusammenhang eine Reihe von Überlegungen anzustellen, die vielleicht für Unternehmer, für Wirtschaftspolitiker interessant sein können.
Aber Sie werden mir gestatten, daß ich auch einige Überlegungen anführe, die mehr in den Blick-



Birkelbach
winkel der einfachen Leute, der Bevölkerung fallen und die zeigen, was das Ganze auf sich hat, was diese Veränderung unserer Verfassungswirklichkeit, die sich vollzieht, für das Leben der einfachen Leute in Deutschland und in Europa bedeuten kann. Dabei möchte ich davon ausgehen, daß wir diese Debatte natürlich sehr stark unter agrarpolitischen Vorzeichen führen werden. Die Presseüberschriften und was es sonst gab, lassen ja erkennen, daß da im Hintergrund eine Preissteigerungstendenz besteht. Wenn nun die Bevölkerung in unserem Land die EWG gleichsetzen würde mit dem Teurerwerden aller Waren, dann wäre das ein politischer Mißerfolg.

(Beifall bei der SPD.)

Der muß nach unserer Auffassung vermieden werden. Wir wollen nicht, daß ein solcher Eindruck entsteht. Wir sind uns dabei darüber klar, daß die Argumentation nicht ganz einfach ist. Vielleicht haben wir in der öffentlichen Diskussion in den letzten Monaten und Jahren einen Fehler gemacht — ich meine: wir alle miteinander —, indem wir alles in der Diskussion im agrarpolitischen Bereich auf den sogenannten Getreidepreis abstellten. Dabei weiß jeder, der praktisch damit etwas zu tun hat, daß selbst eine Senkung des Getreidepreises gar nicht ohne weiteres zu einer Senkung des Brotpreises führen würde, weil der Anteil der Erzeugerkosten unmittelbar an diesem Endprodukt längst nicht dem entspricht, was nachher wirklich durchschlagend helfen würde.

(Beifall bei der SPD.)

Ich glaube also, es ist wichtig, daß wir uns bei einer solchen Überlegung nicht irgendwelchen Emotionen hingeben, sondern wir müssen klar durchrechnen, was sich hier vollzieht und was sich da alles ergibt.
Ich glaube, was da an Preiserhöhungswünschen von gewissen Seiten vorgebracht wird und zusätzlich bekanntgeworden ist, stellt einen Bärendienst an der Idee der Einigung Europas dar, da dieser Zeitpunkt gerade so ungünstig gewählt worden ist.

(Beifall bei der SPD.)

Ich glaube, es wäre notwendig, in der Bevölkerung das ein wenig auseinanderhalten zu lassen.
Aber wenn wir noch einmal zurückdenken an alles das, was im Hintergrund auf uns zukommt, dann müssen wir sagen: wenn der Gemeinsame Markt einen Sinn haben soll, dann muß sich auch für die Landwirtschaft allmählich das Prinzip durchsetzen — und es wird sich in diesem Bereich durchsetzen —, wenn Wettbewerbsverfälschungen und alles das herausgenommen werden, daß die Produktion zum besten Wirt wandert, zu den besseren Böden und zum besseren Klima. Wenn das der Fall sein würde, dann ist tendenziell wenigstens eine Veränderung in den volkswirtschaftlichen Größenordnungen und damit eine Möglichkeit zur Verbesserung der Lebens- und sonstigen Bedingungen aufgezeigt.
Dabei haben wir nicht zu leugnen, daß sich auf kurze Sicht gewisse Tendenzen zeigen werden. In bezug auf Geflügel wird es neue Situationen geben; das alles werden die Agrarpolitiker noch ein wenig näher beleuchten, vielleicht auch unter dem Gesichtspunkt, ob die europäischen Regelungen, die verabredet sind, Maßnahmen noch zulassen — und wir glauben, daß sie sie zulassen würden —, die die deutsche Regierung ergreifen kann, um nicht ohne weiteres den Verbraucher nur mit den ungünstigen Seiten in Berührung kommen zu lassen.

(Zustimmung bei der SPD.)

Wir glauben also, daß da zusätzliche Möglichkeiten gegeben sind. Die Bundesregierung wird danach noch gefragt werden.
Abgesehen von diesen agrarpolitischen Betrachtungen sollten wir die Einsicht festhalten, daß nach Auffassung aller Sachverständigen ein solcher größerer Markt auch eine günstige Wirkung auf das Wirtschaftswachstum und damit auf die Chancen hat, das Volkseinkommen rascher zu vergrößern. Nach den Zahlen, die darüber vorliegen, ist z. B. das Wachstum des Bruttosozialprodukts pro Kopf der Bevölkerung in der Gemeinschaft in den letzten Jahren durchschnittlich doppelt so hoch gewesen wie im Vereinigten Königreich von Großbritannien. Es ist wesentlich, daß ein solcher Punkt eine besondere Beleuchtung erfährt, weil wir nur von dorther die Begründung für die politischen Maßnahmen finden können. Denn es handelt sich nicht um das Ergebnis eines Zufalls. Vielmehr müssen wir den ganzen großen Wirtschaftsraum als einen Faktor der Konjunkturstabilisierung, des Ausgleichs von Spannungen usw. gut nutzen und dafür auch die entsprechenden politischen Vorkehrungen treffen.
Wir wissen z. B., daß verstärkte Importe durchaus einen Preisdruck auslösen können. Wir wissen, daß eine gewisse Entspannung bei Übernachfrage herbeigeführt werden kann, wenn eben die Grenzen offen sind. Alles das ist nach unserer Auffassung möglich. Es fragt sich, ob eine Politik betrieben wird, die die Auswirkungen auch bis zu den einfachen Leuten durchschlagen läßt, oder ob das Ganze in Vorstadien abgefangen wird.
Wir müssen uns der Folgewirkungen bewußt sein. Wir haben in Deutschland in den letzten 10 Jahren eine so nachhaltige Veränderung unserer Arbeitskräftestruktur erlebt, daß wir wissen müssen: eine Arbeitsplatzsicherung und eine Beschäftigungspolitik mit nationalen Mitteln ist überhaupt nur noch in einem sehr begrenzten Umfang möglich. Aus der internationalen Verflechtung unserer Wirtschaft heraus müssen wir uns darüber klar sein, was ein solcher Großraum dann auch an Verantwortung mit sich bringt.
Vielleicht darf ich in diesem Zusammenhang, damit deutlich wird, welche Bedeutung gerade den jetzt von außen her auf die Arbeitsplatzsicherung wirkenden Faktoren zukommt, zwei Zahlen nennen. Die Ausfuhr des Deutschen Reiches ist für das Jahr 1936 auf das Gebiet der Bundesrepublik umgerechnet worden. Der Index wurde damals volumenmäßig mit 100 bezeichnet. Für 1950 wird dieser Index mit 89 angegeben, 1959 beläuft er sich auf 342. Mit anderen Worten: wir haben eine übermäßige Steigerung unseres Exports, eine größere Exportorientierung unserer Wirtschaft zu verzeichnen. Daraus ergibt sich eine Umgruppierung der Arbeitskräfte, die gar nicht beliebig gesteuert wer-



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den kann, sondern sehr stark davon abhängig ist, daß der internationale Wirtschaftsverkehr funktioniert, und da verlangt ein solcher Großraum eine besondere Verantwortung.
Ich darf, um gerade für die einfachen Leute zu zeigen, um was es geht, noch eine andere Tatsache unterstreichen. In dem Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft sind Bestimmungen enthalten, die man als einen Ansatzpunkt für eine Sicherung des Arbeitseinkommens auf lange Sicht interpretieren kann. Das ist insofern wichtig, als wir natürlich mit Veränderungen rechnen müssen, die ein solcher Großmarkt auslöst, mit Veränderungen, die zu Umstellungen bei einzelnen Betrieben führen können. Wenn von vornherein Übereinstimmung darüber besteht, daß die Arbeitnehmer durch solche Umstellungen nicht mit einer Einkommensminderung belastet werden dürfen, so ergibt sich als Schlußfolgerung, daß man ein Recht der arbeitenden Bevölkerung auf eine langfristige Sicherung ihres Einkommens anerkennt.
Ich habe das hervorgehoben, weil es dabei nicht nur um die Sache der Arbeitnehmer geht. In bestimmten Gebieten, wo sich Veränderungen vollziehen, kann auch der örtliche Handel oder das örtliche Handwerk sehr stark daran interessiert sein, daß die Umstellungsmaßnahmen nicht die Gefahr von Einkommensminderungen heraufbeschwören, weil sich daraus Kettenreaktionen ergeben können, und weil daraus mehr Unheil entstehen kann als aus der Tatsache, daß nur ein bißchen weniger gekauft würde.
Ich habe diese Dinge herausgestellt, um einer Diskussion vorzubeugen, die sich nur an dem Agrarpreis orientiert, wie wir das in der Öffentlichkeit beobachten konnten. Wenn wir von solchen möglichen günstigen Auswirkungen sprechen, müssen wir auch immer den Gesichtspunkt beachten, wie wir sicherstellen können, daß die nunmehr von staatlicher Seite nicht mehr möglichen Handelsbeschränkungen nicht auf dem Wege über private Marktgebietsaufteilungen und Preisabsprachen sozusagen von den Interessentenverbänden, von den Kartellen wahrgenommen werden. Wie können wir das erreichen?
Wir glauben, daß dafür die parlamentarische Kontrolle von ganz besonderer Bedeutung ist.

(Beifall bei der SPD.)

Wenn die Verfassungswirklichkeit sich ändert, wenn diese Mehrheitsbeschlüsse möglich sind, dann ist nicht sichergestellt, daß bei der Vorbereitung solcher Beschlüsse und im Endstadium, wenn man an die Entscheidung kommt, die Bevölkerung überhaupt die Gewißheit hat, daß alle Interessenten berücksichtigt worden sind, dann ist nicht sichergestellt, daß es in der Öffentlichkeit eine wirkliche Auseinandersetzung gegeben hat. Darin sehen wir zum großen Teil die Funktion auch des Bundestages bei gesetzgeberischen Maßnahmen. Nicht nur die Diskussion der Parlamentarier untereinander ist wichtig, sondern es ist auch wichtig, daß während des Gesetzgebungsganges, nach der ersten Lesung oder schon vorher, in der Tagespresse und in der
Fachpresse so viele Diskussionsbeiträge geliefert werden, daß die verantwortlichen politischen Kräfte sich einen Überblick verschaffen können über das, was vielleicht nicht berücksichtigt ist oder was vielleicht als eine Art Überrumpelung möglich sein könnte.

(Beifall bei der SPD.)

Diese Begründung für die Einschaltung eines parlamentarischen Organs kann nicht übersehen werden, und in demokratischen Ländern kann man darüber einfach nicht hinweggehen.
Wir können allerdings nicht damit rechnen, daß der Vertrag in dieser Richtung sehr rasch geändert wird. Unser Vorschlag geht daher in die Richtung, eine Gepflogenheit zu entwickeln, wonach der Ministerrat keine Entscheidung tnifft ohne Rücksicht auf die Meinung des Parlaments, das vorher beraten hat.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Das bedeutet nicht eine Bindung an den Beschluß des Parlaments. Man könnte durchaus vorsehen, daß im Falle schwerwiegender Bedenken eine Art Vermittlungsaktion dazwischengeschaltet wird, daß dann das Parlament noch einmal Gelegenheit zu einer speziellen Stellungnahme bekommt. Das wäre ein Verfahren, das mit den Verträgen nach unserer Auffassung vereinbar wäre. Man müßte nur eine Gepflogenheit und die Zustimmung der Regierungen zu dieser Gepflogenheit haben. Der Druck sollte nach unserer Auffassung in diese Richtung gehen.
Das bedeutet auf der anderen Seite — Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich muß es ganz offen sagen — auch gewisse Veränderungen in der Arbeitsweise eines solchen Parlaments. Wir haben manchmal in den nationalen Parlamenten, aber auch in der Beratenden Versammlung des Europarates und im Europäischen Parlament die Meinung vertreten hören: Schicken wir die Europa-Schwärmer und die Lyriker nach Europa, da können sie nicht schaden; hier zu Hause, wo die Arbeit getan wird, braucht man ernsthafte Leute. Diese Haltung gab es zeitweise. Aber nun zeigt es sich, daß dort Entscheidungen fallen, daß dort etwas geschieht. Es wäre daher zu untersuchen, wie wir die Arbeit dort so organisieren können, daß nicht zum Schluß wieder die Gewohnheit Platz greift, Resolutionen zu verabschieden, die man dort in der Fachsprache „weiße Neger" nennt. Das sind Resolutionen, die einstimmig angenommen werden und in die jeder nachträglich das hineinliest, was er hineinlesen wollte, so daß sie einander widersprechende Auffassungen in sich vereinen. Hier liegt es also an den Parlamentariern selbst, ihre .eigene Ernsthaftigkeit zu beweisen und nicht z. B. Zufallsmehrheiten in Kauf zu nehmen.
Das ist nur zu erreichen, wenn ein solches Parlament in wachsendem Maße eine echte politische Struktur bekommt, wenn die politischen Gruppierungen die Verantwortung für das übernehmen, was dort geschieht. Die Kollegen, die mit mir in diesen Gremien sind, wissen, was das für die großen Individualisten speziell aus dein Süden bedeutet. Wir müssen gleichwohl unseren Einfluß geltend machen, daß wenigstens eine gewisse Übereinstim-



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mung und Ausrichtung entsteht. Ich glaube, daß dabei — das sei in aller Zurückhaltung und Bescheidenheit gesagt — auch wir Sozialisten in diesem Parlament in der Gruppierung der Abgeordneten aus den sozialistischen Parteien der sechs Länder eine gewisse praktische Arbeit in der Vergangenheit schon haben leisten können. Wir haben immer systematisch versucht, unseren 'Standpunkt so weit anzunähern, daß wir möglichst gemeinsam auftreten konnten, und wir haben es dabei sehr oft erlebt, daß das Lösungen waren, die allgemein als der Ausfluß einer gewissen Gemeinschaftswilligkeit, einer Gemeinschaftssolidarität betrachtet werden konnten.
Ich will hier nicht kontroverse Diskussionen heraufbeschwören; aber ich muß sagen, daß es dabei nicht immer so abgegangen ist, daß alle anderen Gruppierungen auch in der Lage waren, ähnliche Wege zu gehen. Vielleicht lag das daran, daß wenigstens manche zu inkohärenten Elemente in ihrem Schoß noch vereinen, als daß das Ganze richtig funktionieren könnte. Ich glaube also, wir müssen das Augenmerk der Öffentlichkeit auf die Notwendigkeit richten, daß auf europäischer Ebene politische Gruppierungen unmittelbar in die Verantwortung einzubeziehen sind.

(Beifall bei .der SPD.)

Im anderen Falle erleben Sie, daß bestimmte Kräfte auf der europäischen Ebene etwas anderes vertreten als zu Hause bzw. daß sie eine Arbeitsteilung mit anderen haben, die das dann besorgen. Diese Art Lähmung der parlamentarischen Entwicklung möchten wir nicht eintreten lassen. Deswegen war es, glaube ich, recht gut, ein paar Ansatzpunkte für Methoden zur demokratischen Bewältigung der sich vollziehenden Zuständigkeitsverlagerungen aufzuzeigen.
Wenn wir diese pragmatische Methode hier so betont haben — in der Zielrichtung aber ganz klar —, dann möchte ich hier nur ein kurzes Wort über all die Dinge sagen, die Herr Kollege von Brentano über vergangene Zeiten angeführt hat. Wir wollen auf eine Polemik hier nicht eingehen, keine neue Diskussion hervorrufen. Aber wir müssen uns doch immer vor Augen halten — und das tun wir als Sozialdemokraten —, daß es in der deutschen Politik Situationen gab, wo wir z. B. der Auffassung waren, daß die Ergründung von Möglichkeiten der Wiedervereinigung unter Umständen einen gewissen Vorrang vor Festlegungen, die von vornherein in eine bestimmte Richtung gehen würden, hätte haben müssen.

(Beifall bei der SPD.)

Wir glauben heute, daß die Entwicklung so weit gegangen ist, daß wir, wenn wir unser Ziel festhalten, andererseits alles tun müssen, damit hier im Westen, in der Bundesrepublik, in Europa wirtschaftliche und soziale Verhältnisse herrschen, die eindeutig beweisen, daß dieses Europa nicht als dekadent, als auseinanderfallend bezeichnet werden kann, sondern als eine Kraft, die sich auch in der Lebensweise und der Lebensart ihrer Menschen dokumentiert.

(Beifall bei der SPD.)

Das ist die Überlegung, die hier anzuschließen wäre.
Sie werden mir vielleicht vorwerfen können, daß ich mich etwas zu stark mit wirtschaftlichen und sonstigen Fragen befaßt und die politische Entwicklung, so wie sie da und dort manchmal speziell verstanden wird, ein wenig vernachlässigt hätte. Nun, wir sehen dieses Sichherausbilden einer europäischen Union in erster Linie in Ausbau und Festigung der bestehenden Gemeinschaften — ich sage: in erster Linie — und nicht so sehr darin, absolut neue Institutionen in Gang zu bringen. Gewiß dürfen wir bei all diesen Überlegungen über der inneren Festigung den Blick nach draußen nicht vergessen. Wir müssen dabei die gesamteuropäische Verantwortung dieser Gemeinschaft als Gemeinschaft betonen. Ich glaube, es war nur ein rascher Zungenschlag, der nicht ganz .auf das hinlief, was die Gedanken sagen wollten, wenn Herr von Brentano hier davon sprach, daß man Gefahren nur von außerhalb Europas zu erwarten habe. Wir würden meinen, daß unter Europa nicht nur Westeuropa zu verstehen ist, sondern auch der Teil, der heute nicht absolut frei seine Meinung verkünden kann. Wir müssen, wenn wir den Begriff „Europa" gebrauchen, immer auch an das denken.

(Beifall bei der SPD und bei der FDP.)

Ich glaube, daß das eine Seite der gesamteuropäischen Verantwortung ist.
Die andere Seite der gesamteuropäischen Verantwortung hat etwas damit zu tun, daß wir diejenigen aufnehmen, die in diese nach dem Vertrag offene Gemeinschaft eintreten wollen; allerdings unter der Voraussetzung, daß sie nicht das Wesen der Gemeinschaft als solcher zu verändern beabsichtigen. Niemand kann das unterstellen. Die Beitrittsgesuche, die Gesuche um Verhandlungen über den Beitritt z. B. Großbritanniens, Dänemarks und Irlands sind eindeutig so gehalten, und auch die begleitenden politischen Erklärungen gehen eindeutig in die Richtung, daß man eine politische Stärkung akzeptiert und daran mitarbeiten will.
Wir Sozialdemokraten würden großen Wert darauf legen, daß diese Verhandlungen zügig geführt werden, und würden es begrüßen, wenn sie dazu führten, daß wir möglichst bald diese anderen Staaten in unserer Mitte begrüßen können. Wir versprechen uns u. a. eine Stärkung der demokratischen Grundlagen unserer Gemeinschaft und in den europäischen Ländern überhaupt durch das Hinzutreten von Ländern mit solch starker demokratischer Tradition wie Großbritannien, Norwegen, Dänemark und vielleicht auch Irland.

(Beifall bei der SPD.)

Ich glaube, daß .die Betonung des Willens zur Aufnahme derjenigen, die Mitglied werden wollen, die gleiche Betrachtungsweise für die spezielle Lage derjenigen Länder auslösen sollte, die sich nicht in der Lage sehen, unmittelbar um Beitritt zu ersuchen, sondern die ein enges Verhältnis in Gestalt einer Assoziierung mit diesem Markt anstreben. Wir möchten dieses Verhältnis so eng wie irgend möglich gestalten und glauben, daß die besondere gesamteuropäische Verantwortung es die-



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ser Gemeinschaft nicht gestattet, sich an Entwicklungen desinteressiert zu zeigen, die sonst in Gang kämen. Ich glaube, daß es notwendig war, diesen Gedankengang noch einmal zu betonen.
Wir haben das Ganze als einen Wachstumsprozeß zu betrachten, den wir fördern möchten, und wissen sehr gut, daß sich — neben dem wirtschaftlichen Bereich — auch die Frage nach einer allmählichen Herausbildung der Voraussetzungen, wie es Herr Kollege von Brentano genannt hat, für eine gemeinsame Außenpolitik und vielleicht auch für eine gemeinsame Politik auf dem Gebiete der kulturellen Beziehungen der Mitgliedstaaten stellt.
Mit großem Interesse verfolgen wir die Regierungsverhandlungen im Anschluß an die Verlautbarung, die im Sommer vergangenen Jahres von den Regierungs- bzw. Staatschefs in Bonn bzw. Godesberg herausgegeben wurde und die darauf hinauslief, die politische Zusammenarbeit auf diesen Gebieten zu institutionalisieren, ihr eine feste Form zu geben. Unsere Meinung dazu ist, daß regelmäßige Zusammenkünfte der Staats- und Regierungschefs oder der Außenminister durchaus nützlich sein können; aber Voraussetzung ist, daß etwas Zusätzliches, Ergänzendes zu den Gemeinschaften geschaffen wird. Keinesfalls kann es sich darum handeln, die neue Einrichtung, die zwangsläufig zunächst mehr die Konsultation, die Koordinierung zur Aufgabe haben wird, zu einer Einrichtung zu machen, die den bestehenden Gemeinschaften übergeordnet wäre.

(Beifall bei der SPD.)

Eine solche Tendenz, die vielleicht hier und dort vertreten wird, würde in Wirklichkeit dazu führen, daß sich das Ganze auf eine Form der Zusammenarbeit der Regierungen mit jederzeitigem Einspruchsrecht zurückentwickelt und daß es nicht zu einer wirklichen Verzahnung nicht nur der Volkswirtschaften, sondern überhaupt der Interessen der Völker kommt.
Wir wollen keine Rückentwicklung zum Prinzip der Einstimmigkeit mit einem lähmenden Veto. Wir möchten die Weiterentwicklung zu einer demokratischen Vorform einer europäischen Regierung.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU/CSU.)

Das setzt voraus, daß die Verantwortung auf wirtschaftlichem Gebiet in zunehmendem Maße auf Gemeinschaftsorgane übergeht, die, wie ich sagte, von einem Gemeinschaftsparlament kontrolliert werden müssen. Ich glaube, daß die Entwicklung zur Mehrheitsentscheidung im Ministerrat die rechte Richtung aufweist.
Sosehr wir auf der einen Seite die Notwendigkeit anerkennen, zusätzliche Farmen der politischen Zusammenarbeit zu entwickeln, d. h. die Politische Union vorzubereiten, so skeptisch sind wir in bezug auf die Fortschritte, die auf kürzere Sicht zu erzielen sind. Über Konsultationen hinaus wird man gegenwärtig auf außenpolitisches Gebiet kaum kommen können. Ich habe im Augenblick die Rückwirkungen
auf die Zusammenarbeit in der NATO und auf die Fühlungnahme z. B. mit Großbritannien bewußt außer acht gelassen. Wie unsere Einstellung dazu ist, ist in früheren Debatten im einzelnen dargelegt worden. Nach unserer Auffassung wäre eis daher richtig, wenn sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Regierungen in erster Linie auf die nächsten Schritte konzentrieren würde, die im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft getan werden müssen. Zwar sieht es so aus, als ob damit einer vielleicht nicht gerechtfertigten Betonung wirtschaftlicher Fragen das Wort geredet würde, wenn wir z. B. sprechen von den Zusammenhängen zwischen der Errichtung des Gemeinsamen Marktes und der Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung, der Sicherung der Beschäftigung, den Konsequenzen politischer Art aus dem Abbau der Handelsbeschränkungen und der Einführung eines gemeinsamen Zolltarifs. Wir glauben jedoch, daß die sich vollziehende Verzahnung der Volkswirtschaften und der daraus folgende Zwang, den wirtschaftlichen Großraum handlungsfähig zu machen, das heißt Gemeinschaftsorgane mit eigenen Zuständigkeiten auszustatten, die einer öffentlichen Kontrolle unterliegen, und der Zwang, die Zusammenarbeit der Regierungen zu fördern, über dass Wirtschaftliche hinaus führen werden. Der Erfolg der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft berechtigt zu der Hoffnung, daß sich Europa auf seine Möglichkeiten und auf seine Kraft besinnt. Wir sind sicher, daß das der Fall sein wird, wenn die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft mehr wird als ein wirtschaftlicher Großraum mit freiem Feld für die Geschäftemacher, Lobbysten und Bürokraten. Diese Wirtschaftsgemeinschaft muß ausgebaut werden zu einer wirklichen Gemeinschaft und damit zum bewußt bejahten Sinnbild einer unverbrüchlichen Solidarität der Völker Europas.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei Abgeordneten in der Mitte.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0401321800
Das Wort hat der Abgeordnete von Kühlmann-Stumm.

Freiherr Knut von Kühlmann-Stumm (FDP):
Rede ID: ID0401321900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verlauf dieser Debatte gibt mir die Ehre, hier über Außenpolitik zu sprechen, obwohl ich in meiner Fraktion speziell wirtschaftliche, finanzielle und agrarpolitische Fragen bearbeite.
Die europäische Idee hat seit dem Grafen Coudenhove-Kalergi ihre große Anziehungskraft nicht verloren. Nach dem Kriege hat Winston Churchill die europäischen Völker aufgerufen, sich zusammenzuschließen; dieser Zusammenschluß sollte eine Alternative zu den ungeheuren Gefahren sein, die uns aus dem Osten drohen. Die beteiligten Länder haben vor einigen Jahren mit dem Vertrag von Rom die wohl dynamischste und aktuellste Farm der europäischen Gemeinschaften gefunden. Die Freien Demokraten bekennen sich in vollem Umfange zu dem Inhalt dieses Vertrages, obwohl sie seinerzeit, als der Vertrag abgeschlossen wurde, grundsätzliche Bedenken geäußert haben.



Freiherr von Kühlmann-Stumm
Die OEEC war eine Gemeinschaft von 17 Staaten, die außerordentlich erfolgreich arbeitete und die wesentlich dazu beigetragen hat, daß sich der Wiederaufbau unserer Bundesrepublik so günstig entwickelte. Wir hatten den Wunsch, daß neben dem Sechser-Europa eine große Freihandelszone geschaffen werde, damit die gute Grundlage, die die OEEC geboten hatte, auch für die Zukunft ausgewertet werde. Das ist damals nicht gelungen.
Wir stellen fest, daß die wirtschaftliche Dynamik der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft so gewaltig, so beeindruckend und so attraktiv ist, daß sich zahlreiche Länder der westlichen Welt dieser Gemeinschaft anschließen wollen; sie haben teils den direkten Beitritt beantragt, teils wünschen sie eine Assoziierung. Diese Bestrebungen sollten mit allen Mitteln unterstützt werden. Man sollte die weitere wirtschaftliche Dynamik sorgfältig beobachten, um zu erkennen, wie für diese Länder — ich denke besonders an Großbritannien und Dänemark — die Voraussetzungen geschaffen werden können, die notwendig sind, damit sie den Gemeinschaften beitreten können.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat vor einigen Tagen vor der Auslandspresse eine Erklärung abgegeben. Er hat den Wunsch ausgesprochen, nunmehr intensiv die politische Konzeption der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu erarbeiten. Denn diese politische Konzeption ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß die Verhandlungen mit den anderen Staaten, die jetzt nicht dem Sechser-Europa angehören, geführt werden können.
Auch ein anderer großer Verfechter der sozialen Marktwirtschaft, Herr Professor Röpke aus Genf, hat vor einiger Zeit in einem Vortrag in Hannover energisch gefordert, die wirtschaftliche Beschleunigung, die wirtschaftliche Dynamik etwas einzudämmen und eine behutsamere Behandlung dieser Fragen Platz greifen zu lassen, damit man sich zunächst über die politische Konzeption Klarheit verschaffen könne.
Hier liegen zwei Aussagen von sehr beachtlichem Gewicht vor, und man sollte diesen Anregungen meines Erachtens Folge leisten.
Wir sind überzeugt, daß wir es, wenn diese Voraussetzung erarbeitet worden ist und man in der Frage der weiteren wirtschaftlichen Dynamik der Sechs behutsam vorgeht, in absehbarer Zeit erleben werden, daß eine große Anzahl von anderen Staaten, die sich jetzt außerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zum Teil wieder zu Blöcken zusammengeschlossen haben, endgültig ihren Beitritt vollziehen. Wir hoffen, daß die verantwortlichen Stellen alles dazu beitragen werden, was ihnen möglich ist, um die Verhandlungen über den Beitritt bzw. die Assoziierung dieser Staaten beschleunigt vonstatten gehen zu lassen.
Das Ziel — auch das außenpolitische Ziel — aller dieser Bestrebungen muß eine möglichst große Gemeinschaft sein. Wir wünschten, daß es die 17 Nationen werden, die einst in der OEEC zusammengeschlossen waren.
Es gibt eine sehr enge Wechselwirkung zwischen wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten. Man hat bei dem Vertrag von Rom den wirtschaftlichen Weg gewählt, weil man glaubte, die wirtschaftliche Dynamik werde so beeindruckend sein, daß sie letzten Endes auch zu einer politischen Einigung führen könne.
Das letzte Hindernis, das sich einer solchen wirtschaftlichen Einigung entgegenstellte, war die Agrarpolitik, die in diesem Sechser-Europa Zug um Zug koordiniert werden sollte. Erst als der einstimmige Beschluß vorlag, nach Schaffung der notwendigen Voraussetzungen auch auf dem Gebiete der Agrarpolitik in die zweite Stufe einzutreten, war diese Europäische Wirtschaftsgemeinschaft wirklich erfolgreich und attraktiv. Alle Bedenken und alle Kritik, die an diesen Agrarverhandlungen geübt worden war, wurden schließlich Lügen gestraft, weil man sich eben doch, wenn auch mit einer kurzen Verzögerung, auf eine gemeinsame Agrarpolitik geeinigt hat. Es wird mir nachher noch obliegen, zu dieser Frage etwas zu sagen. Sie kann als der letzte entscheidende Schritt auf dem Wege zur zweiten Stufe angesehen werden.
In den Verträgen von Rom war eine so weitgehende Einigung auf dem Gebiete der Landwirtschaft nicht vorgesehen. Auch hier ist wieder die wechselseitige Wirkung zwischen Wirtschaftspolitik und Außenpolitik zu erkennen. Die Franzosen haben in einer sehr wohlabgewogenen Erklärung verlangt, die zweite Stufe nur dann zu beschließen, wenn auch in der Agrarpolitik eine weitgehende Einigung erzielt worden sei. Ich glaube, wir müssen den Franzosen letzten Endes für diese eindeutige Haltung dankbar sein. Denn das Problem wird nicht dadurch besser gelöst, daß man seine Erörterung hinausschiebt. Vielmehr sollte man dieser Entwicklung getrost ins Auge sehen. Je früher man mit der gemeinsamen Agrarpolitik beginnt, desto besser kann man sich innerhalb der vorgesehenen Übergangszeit auf sie einstellen.
Auch andere wichtige Entscheidungen sind in der nächsten Zeit notwendig, wenn wir die mit dem Eintritt in die zweite Stufe gefundene Gemeinschaft erhalten wollen. Wir haben auch hier Ausführungen namhafter Persönlichkeiten zu verzeichnen, die im Zusammenhang mit dem Schritt in die zweite Stufe erfolgt sind. Ich darf zunächst auf die Amerikaner eingehen, die die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in einer ganz energischen Formgefördert haben, die immer das politische Moment bei der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Auge hatten. Jetzt plötzlich erkennen sie, daß sich in diesem Sechser-Europa eine gewisse Selbstversorgung abzeichnet und daß sie damit rechnen müssen, Waren nicht mehr in dem bisherigen Umfang in den Raum der Sechs hineinliefern zu können.
Die amerikanische Landwirtschaft befindet sich in einer katastrophalen Situation. Sie leidet seit Jahren unter einer Überproduktion größten Ausmaßes. Die Amerikaner haben die höchsten Agrarsubventionen der westlichen Welt. Ich darf dabei darauf hinweisen, daß alle Länder der westlichen Welt ihre Landwirtschaften in dieser oder jener



Freiherr von Kühlmann-Stumm
Form subventionieren, wobei das Ausmaß der Subventionen sehr oft nicht in vollem Umfange zu erkennen ist.
Die Amerikaner haben auch in Brüssel bereits Teilerfolge auf dem Gebiete des Zolls zu verzeichnen. Für einige Waren wurde eine beiderseitige 20 %ige Zollsenkung vereinbart. Aber die Amerikaner wollen natürlich mehr. Sie wollen ihre Produkte in vollem Umfang in das Gebiet der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft liefern. Sie stellen aber mit Schrecken fest, daß das nach der bisherigen Konzeption nur sehr schwer möglich sein wird. In den jüngsten Abmachungen hat man an einer Fülle von diskriminierenden Maßnahmen festgehalten. Besonders auf dem Gebiete der Landwirtschaft werden sich diese Maßnahmen in aller Kürze in noch größerem Umfange auswirken. Ich spreche hier nicht nur vom Zoll, ich spreche auch von den Präferenzen, die gegenüber Drittländern eingegangen worden sind, und ich spreche davon, daß die Franzosen gerade in der Tatsache, daß um die Sechs ein Außenzolltarif herumgelegt wird, die große Chance für ihre Landwirtschaft und ihre Wirtschaftspolitik sehen.
So glaube ich, daß in sehr kurzer Frist erneute Verhandlungen zwischen den Amerikanern und der EWG stattfinden werden. Es wird sich dann wieder um wirklich politische Fragen handeln. Die Amerikaner werden einfach nicht zulassen, daß ihnen auf die Dauer dieser große, dynamische und in seinem Ausmaß ständig wachsende Markt verschlossen wird. Ich glaube, daß hier die erste Bewährungsprobe der Gemeinschaft zu erwarten ist, und bin überzeugt, daß die Kommission und letzten Endes auch der Rat den Wünschen der Amerikaner nicht die kalte Schulter zeigen werden, wie wir das schon in den Anfängen feststellen konnten. Die Amerikaner haben auch ein völlig neues Außenhandelsprogramm vorgelegt. Sie haben angeboten, ihre Einfuhrpolitik zu revidieren. Sie haben lange in Genf bei der sogenannten Dillon-Runde darum gerungen. Der amerikanische Präsident wird nun versuchen, in seinem eigenen Lande die Widerstände auszuräumen, um letzten Endes zu erreichen, daß die Einfuhrzölle in Amerika in maßgeblichem Umfang abgebaut werden. Das kann aber nur geschehen, wenn auch die Europäische Gemeinschaft ihre diskriminierenden Maßnahmen Schritt für Schritt beseitigt.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister, der ja in Amerika gewesen ist, hat dem amerikanischen Präsidenten nahegelegt, auf diesem Wege zügig voranzugehen, wobei er sich vielleicht nicht in vollem Umfange darüber im klaren war, was das für die Agrarpolitik der Bundesregierung und für die Agrarwirtschaft des Bundesgebietes bedeuten wird!
Die Amerikaner haben auch eine völlig neue Landwirtschaftspolitik im Auge. Sie gehen heute schon so weit, daß sie den Nichtanbau von landwirtschaftlichen Nutzflächen sehr hoch prämieren. Sie wollen unter allen Umständen die Überproduktion eindämmen. Sie wollen verhindern, daß jährlich riesige Beträge an Steuergeldern für die Bevorratung verbraucht werden müssen. Sie wollen versuchen, ihre landwirtschaftlichen Überschüsse mit Hilfe einer liberalen Einfuhrpolitik in andere Länder abzusetzen. Dabei ist interessant, daß die Amerikaner im Rahmen der Entwicklungshilfe bezüglich der Nahrungsmittelhilfe schon eigene Wege gegangen sind. Wenn man von einer Getreideüberproduktion im späteren europäischen Raum vielleicht einmal spricht, sollte man sich die Erfahrungen zunutze machen, die die Amerikaner bisher auf diesem Gebiete besitzen.
Das aktuellste Problem für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ist die Einbeziehung Englands. Herr von Brentano hat schon gesagt, daß dieser Entschluß der Briten, sich der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft anzuschließen, wohl als historisch zu bezeichnen ist. Es ist vielleicht der wichtigste Schritt, den die Engländer nach dem Kriege getan haben. Sie geben dabei viel auf, sie wollen aber auch etwas von ihren eigenen Gedanken in diese Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hineinbringen. Sie wollen Verschiedenes von dem, was sie an Erfahrungen gesammelt haben, auch erhalten wissen. Die Engländer haben, durch schlechte Erfahrungen gewitzigt, unter großer Belastung der öffentlichen Hand und der Steuerzahler eine eigene landwirtschaftliche Produktion aufgebaut. Die Engländer produzieren heute etwa 50% ihres Bedarfs im eigenen Land, wir in der Bundesrepublik etwa 75 %. Die Engländer haben ein eigenes System entwickelt, wonach sie sämtliche landwirtschaftlichen Güter zu Weltmarktpreisen einführen und dem Verbraucher somit die Möglichkeit geben, billige Nahrungsmittel zu kaufen. Sie subventionieren ihre eigene Landwirtschaft. Sie zahlen den in England lebenden Bauern die Differenz zwischen den Weltmarktpreisen und den in England entstehenden kostendeckenden Preisen und geben dafür ebenfalls erhebliche Beträge aus.
Sie werden natürlich, wenn sie der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beitreten, die Verbraucherfrage besonders in den Vordergrund stellen; denn sie wollen ihren Beitritt ja nicht mit einem höheren Niveau der Lebenshaltungskosten und mit teureren Nahrungsgütern bezahlen. Sie haben auch noch andere sehr entscheidende Wünsche, die man bei den Commonwealth-Ländern suchen muß. Diese Länder, besonders Neuseeland, Australien und Kanada, genießen starke und nachdrückliche Präferenzen bei der Lieferung ihrer Produkte nach Großbritannien. Diese Präferenzen zu erhalten, wird ein Hauptanliegen der Engländer bei den Verhandlungen über den Eintritt in die EWG sein. Hier ergeben sich wiederum Schwierigkeiten. Wenn man nämlich den englischen Wünschen nachgeben will, wird die zwangsläufige Folge sein, daß eben auch diese Waren in den Raum der EWG hineinfließen werden. Da die Bundesrepublik das einzige Land der EWG ist, das einen landwirtschaftlichen Importmarkt zu verzeichnen hat, d. h. das einzige Land, dessen eigene Produktion die Nachfrage nicht deckt, sondern eine erhebliche Menge von landwirtschaftlichen Produkten im Wert von insgesamt etwa 10 Milliarden DM pro Jahr einführen muß, wird sich der Beitritt Englands entscheidend für die deutsche Landwirtschaft bemerkbar machen.
Es ist daher unvermeidlich, daß sich sowohl die amerikanischen Bestrebungen als auch die Bestre-



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bungen der Engländer und der Commonwealth-Länder ausschließlich auf den Agrarmarkt der Bundesrepublik auswirken werden. Es ist sehr fraglich und es würde eigentlich jeder politischen Logik widersprechen, wenn nicht genau wie bei dem Abschluß der Agrarverhandlungen in Brüssel so auch bei den Verhandlungen mit Amerika und England von beiden Seiten Konzessionen gemacht würden. Ohne gegenseitiges Nachgeben wird eine Vereinbarung über diese Fragen besonders aber auf dem Gebiet der Agrarmärkte nicht zu erreichen sein.
Es ist mir nicht bekannt, ob die Engländer die Absicht haben, auf der Beibehaltung ihres Systems zu bestehen. Dieses System ist sehr attraktiv, und Sie wissen, daß verschiedene deutsche Agrarpolitiker den Wunsch geäußert haben, es auf die deutschen Verhältnisse zu übertragen. Ich glaube, daß diese Diskussion nach dem Abschluß der Agrarverhandlungen in Brüssel beendet ist und daß wir uns hierüber keinen Gedanken mehr zu machen brauchen, es sei denn, die Engländer bestehen darauf, die Frage der Überleitung ihres Systems nach Europa bei den Verhandlungen noch einmal aufzuwerfen.
Es gibt aber noch weiter Länder auf dieser Welt, die der Frage, ob es ihnen in der Zukunft möglich sein wird, Nahrungsgüter in die EWG hineinzuliefern, eine große, eine entscheidende Bedeutung beimessen. Ich denke in erster Linie an Dänemark. Es ist bekannt, daß nur auf Grund der Zollmaßnahmen, die wir zum 1. Januar 1962 beschlossen haben, dänische Butter derzeit hier nicht abzusetzen ist. Für viele andere dänische Waren gilt das gleiche. Sie erinnern sich an das sehr interessante Gespräch der Journalisten am Fernsehschirm, wo sich der dänische Vertreter sehr energisch dagegen verwahrte, daß man in Brüssel zu endgültigen Beschlüssen gekommen ist, ohne die Dänen in diese Verträge einzubeziehen.
Die deutschen Bauern haben diese Dinge sehr aufmerksam verfolgt, und es ist ganz selbstverständlich, daß auch die Dänen anstreben werden, möglichst bald an die EWG angeschlossen zu werden, um ihrerseits nun wieder ihre Agrarprodukte in den Raum der EWG, besonders aber in die Bundesrepublik, liefern zu können.
Dänemark produziert in der Hauptsache Veredelungsgüter. Auf diesem Gebiet hat die EWG bereits einen Selbstversorgungsgrad von über 100 % erreicht. Die jährliche Steigerung wird dadurch aufgefangen, daß sich die Einkommensverhältnisse im EWG-Raum laufend verbessern, wodurch die Möglichkeit gegeben ist, die Mehrproduktion auch abzusetzen. Wenn sich die Dänen diesem europäischen Markt anschließen und dieselben Vorzüge genießen, die jetzt den Sechs zugestanden sind, so wird sich das Volumen der Veredelungsprodukte in diesem Raum auf 110 % steigern, und es ist deswegen, glaube ich, müßig, die deutschen Bauern immer wieder anzuregen, noch mehr Veredelungsgüter herzustellen; denn bekanntlich bricht ein Markt in dem Moment zusammen, wo das Angebot die Nachfrage wesentlich übersteigt und der Markt nicht mehr in der Lage ist, die produzierte Ware aufzunehmen.
Eine große Aufmerksamkeit sollten wir, glaube ich, auch den südamerikanischen Staaten widmen, die ja davon leben, landwirtschaftliche Güter zu exportieren. Wenn sie ihre eigene Industrie und ihre eigene Wirtschaft aufbauen, wenn sie die hierzu nötigen Devisen gewinnen wollen, ist das nur durch einen intensiven Export von landwirtschaftlichen Gütern möglich, wobei sie natürlich besonders an die europäischen Länder denken. Sie haben ja erfahren, daß gerade aus der südamerikanischen Ecke besonders kritische Stimmen zu den Brüsseler Agrarbeschlüssen zu hören sind. Ich glaube, auch die Nordamerikaner werden die südamerikanischen Wünsche sehr stark unterstützen. Wir müssen also damit rechnen, daß auch von dieser Seite Wünsche an die EWG gerichtet werden.
Ferner denke ich an die Entwicklungsländer überhaupt. Diese Länder bekommen ja nicht nur von der Bundesrepublik, sondern auch von anderen westlichen Ländern ganz erhebliche Mittel zur Verfügung gestellt, mit denen sie ihre Entwicklung steigern, ihre Industrie aufbauen, aber auch ihre eigene Landwirtschaft fördern sollen. Die Länder sind nicht in der Lage, die gegebenen Gelder fristgemäß zurückzahlen, wenn sie nicht in die Lage versetzt werden, ihre Produkte — und das sind überwiegend Agrarprodukte — in die Länder abzusetzen, von denen sie nun einmal die Kredite und die Hilfsmittel erhalten haben. Wir haben bei der Kaffeesteuer über diese Frage diskutiert. Sie gehört nicht direkt hierher. Es gibt aber andere Ernährungsgüter, die für den Export der Entwicklungsländer eine entscheidende Rolle spielen.
Den Entwicklungsländern wird es am schwersten fallen, die Zollmauern zu überspringen. Die Amerikaner können das, die Engländer durch Vertragsbeitritt vielleicht auch.
Aber wir haben auch deutsche Stimmen gehört — und zwar sehr gewichtige —, die die agrarpolitischen Beschlüsse von Brüssel einer kritischen Betrachtung unterzogen haben. Der Präsident des Groß- und Außenhandelsverbandes hat sich vor kurzem in Bonn dahin gehend geäußert, daß er in dem angestrebten Konzept der Selbstversorgung auf agrarischem Gebiet in der EWG eine große Gefahr auch für die deutsche Ernährungswirtschaft sieht. Wir exportieren etwa zwei Drittel unserer Wirtschaftsgüter in sogenannte Drittländer. Diese werden natürlich in dem Umfang weniger deutsche Waren abnehmen, wie wir Agrarprodukte von ihnen zu übernehmen nicht bereit sind.
Wenn nun schon bei wichtigen Grundnahrungsmitteln die Unterschiede erheblich sind — wie es z. B. jetzt beim Vergleich dänischer Butter mit Butter aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist —, besteht die Gefahr, daß die Handelsströme umgeleitet werden und wir einen großen Teil unseres Exports an die Drittländer verlieren. Das ist die andere, hier sehr wichtige Frage.
In diesem Zusammenhang sollte man ganz offen auch ein Wort über die Handels- und Zahlungsbilanzen sagen. Die Amerikaner haben große Sorgen mit ihrer Handelsbilanz. Dasselbe gilt für die Engländer,

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die auf dem Gebiet der Wirtschaft bereits sehr schwere Zeiten hinter sich haben. Auch bei den Franzosen zeichnet sich eine rückläufige Ausfuhr ab. Bei uns ist diese Entwicklung noch nicht zu verspüren. Aber wir müssen damit rechnen, daß bei sich laufend steigernden Kosten die aktive Handelsbilanz auch bei uns eine gewisse Beeinträchtigung erfahren wird.
Nachdem wir in der Bundesrepublik zur Zeit im Gegenwert von etwa 10 Milliarden DM Nahrungsgüter einführen, sollte man sehr sorgfältig prüfen, inwieweit man von einer starken Eigenproduktion auf dem Gebiete der Landwirtschaft abgehen sollte. Meine Fraktion ist der Auffassung, daß man diesen Weg nicht beschreiten sollte. Maßgebliche Stimmen haben erklärt, es müßten noch 1 Million Menschen aus der Landwirtschaft in andere Berufe abwandern; der Rest, der dann in der Landwirtschaft verbleibe, solle die Fläche, die frei werde, bearbeiten und werde dann ein größeres Einkommen haben. Auch hier möchte ich nachdrücklich Bedenken anmelden. In manchen anderen Staaten, wo ähnliche Tendenzen bestanden, sind Schwierigkeiten aufgetreten, und die Entwicklung ist zum Teil umgekehrt gelaufen. Es ist eben nicht gelungen, bei der Abwanderung von Menschen aus der Landwirtschaft dieselbe Produktion zu erhalten. Ich möchte auf diese Dinge nicht im einzelnen eingehen, denn die Fachfragen werden ja in der weiteren Debatte besprochen. Ich möchte nur zu einigen grundsätzlichen Fragen des Vertrages Stellung nehmen.
Der Agrarvertrag von Brüssel hat meiner Ansicht nach drei wichtige Kristallisationspunkte, und diese sollten hier herausgestellt werden. Ich darf zunächst darauf hinweisen, daß in dem Konkurrenzunternehmen der EWG, der EFTA, das in seiner Entwicklung keineswegs glücklich gewesen ist und das im Gegensatz zur EWG nur sehr wenig attraktiv war, über die Landwirtschaft überhaupt nicht gesprochen worden ist. Die Agrarpolitik. in der EFTA war völlig ausgeklammert. Ich darf auch darauf hinweisen, daß es den drei Benelux-Ländern Holland, Belgien und Luxemburg in fünfzehn Jahren nicht gelungen ist, eine gemeinsame Agrarpolitik zu finden. Man kann daraus ermessen, welch großen Erfolg es für die Verhandlungskommissionen bedeutet, daß sie es erreicht haben, in so kurzer Frist — wenn auch unter großem Zeitdruck — in Brüssel eine gemeinsame agrarpolitische Konzeption zu erarbeiten. Auch unsere Fraktion schließt sich den anerkennenden Worten an, die hier über unsere deutsche Verhandlungskommission gesprochen worden sind. Im Rahmen des Möglichen ist Erhebliches geleistet worden. Ich glaube auch, daß den Richtlinien, die der Kommission vom Kabinett mitgegeben worden waren, in vielen Punkten entsprochen werden konnte. Natürlich stand der Kompromiß über all diesen Fragen, und bei einem Kompromiß kann eben nicht alles erreicht werden.
Auf einem wichtigen Gebiet ist aber, Gott sei Dank, möchte ich sagen, noch alles offen. Es ist von den Investitionen und von der Strukturverbesserung in der Landwirtschaft gesprochen worden, von den großen Anstrengungen, die die Landwirtschaft in den nächsten Jahren zu unternehmen hat. Ich möchte
darauf hinweisen, daß für jede wirtschaftliche Investition, für jede wirtschaftliche Planung der Preis entscheidend ist. In der Landwirtschaft ist das Preisgefüge nun einmal im Getreidepreis verankert. Der Getreidepreis ist der Angelpunkt der gemeinschaftlichen Landwirtschaftspolitik überhaupt. Über den Getreidepreis ist in dem Bericht von Herrn Minister Schwarz ja gesagt, daß er erst in absehbarer Zeit gefunden werden soll und daß dieser Getreidepreis an den jetzigen deutschen Getreidepreis angelehnt werden wird.
Wir haben in der Vergangenheit aus berufenem Munde gehört, daß sich auch in Bereichen, von denen wir bisher nicht annehmen konnten, daß sich bei ihnen diese Erkenntnis durchsetzte, eine Tendenz bemerkbar macht, die uns hoffen läßt, daß wir mit dem jetzigen deutschen Erzeugerpreisniveau durchkommen werden. Ich glaube auch — und das ist vorhin schon gesagt worden —, daß eine Senkung des Getreidepreises beim Erzeuger keine großen Auswirkungen haben würde. Denn wir haben in der Vergangenheit erlebt, daß in der Bundesrepublik die Erzeugerpreise relativ stabil, ja zum Teil sogar rückläufig gewesen sind und daß sich trotzdem die Verbraucherpreise auf Grund der laufenden Kostensteigerungen langsam, aber stetig nach oben entwickelt haben. Wir hoffen also, daß der Getreidepreis in einer für Deutschland erträglichen Form ausgehandelt wird. Wir glauben auch, daß es auf die Dauer nicht möglich sein wird, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nur Aufgaben der Veredelungsproduktion zufallen zu lassen, sondern daß es notwendig sein wird, einen großen Teil der Bodenproduktion auch im Raum der EWG weiterzuführen.
Die zweite Frage ist die des Überganges. Es ist kein Zweifel, daß ein großer Erfolg unserer Kommission darin zu sehen Ist, daß es ihr gelungen ist, die Übergangszeit auf siebeneinhalb Jahre festzusetzen. Siebeneinhalb Jahre sind für sine landwirtschaftliche Entwicklung nur eine sehr kurze Zeit, aber wir wollen froh sein, daß der Landwirtschaft wenigstens diese Übergangsfrist gegeben wird. Allerdings müssen wir uns vom ersten Tage an energisch auf die Fragen vorbereiten, die auf die Landwirtschaft zukommen, wenn diese Übergangsfrist einmal beendet sein wird.

Die dritte Frage, die am ernstesten überprüft werden muß, ist die Frage der Schutzklauseln. Als die Montanunion und der Vertrag über Kohle und Stahl in diesem Hause verhandelt wurden, hat ein Abgeordneter erklärt, es könne doch einmal der Moment eintreten, in dem zuviel Kohle in dem Raum der Montanunion vorhanden sei. Das wurde damals verneint. Es wurde erklärt, das sei eine Utopie, es werde in den nächsten fünfzig Jahren immer Kohlemangel herrschen. Die Entwicklung hat sehr schnell einen anderen Weg genommen. Wir stellen heute fest, daß es kaum möglich erscheint, das Überschuß-problem bei der Kohle zu lösen. Die Bundesregierung und die Verbände haben verschiedene Vorschläge gemacht. Aber es scheint sich zunächst keine Möglichkeit anzubahnen, dieses Dilemmas Herr zu werden. Wir hoffen, daß die Bundesregierung sehr bald ein grundsätzliches Konzept zu der Frage der Energiepolitik entwickeln wird.



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Ebenso sollte man auf dem Gebiet der Landwirtschaft nicht die augenblickliche Situation als Ausgangspunkt nehmen. Wir wissen alle nicht, was in siebeneinhalb Jahren in der Bundesrepublik und im Raum der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sein wird. Wir wissen nicht, wie sich die Dinge entwickeln. Die Wirtschaftsprobleme sind auch hier sehr eng mit den außenpolitischen verknüpft. Die Schutzklauseln, die eingeführt warden sind, scheinen mir nicht genügend wirksam zu sein. Die Bürokratie, die dabei in Gang gesetzt werden muß, ist zu kompliziert und zu schwerfällig. Ich glaube, daß diese Schutzklauseln in der Praxis nicht erfolgreichsein werden.
Wenn die Bundesregierung schon selbst 'erkennt, daß nach ihren Erfahrungen das Abschöpfungssystem nicht ausreicht, um Störungen des Marktes zu beseitigen, wie sie gelegentlich auftreten, dann sollte man doch versuchen, das System der Schutzklauseln zu verbessern, zu konkretisieren, — wobei natürlich am Ende immer der Beschluß des Ministerrats steht. Der Ministerrat wird mit Mehrheit beschließen, so daß man sich ausrechnen kann, wie die Wünsche der Bundesrepublik, die das einzige Einfuhrland der EWG ist, in diesem Ministerrat behandelt werden. Ein wirksamer Schutz der Bundesrepublik ist so nicht gegeben.
Ich möchte noch ein Wort zur Finanzbelastung sagen. Diese Belastung ist in ihrer Größenordnung völlig offen. Niemand weiß, welche Summen von den Ländern der Gemeinschaft in den Fonds einbezahlt werden müssen. Für die Verteilung des
Fonds ist ein Schlüssel gefunden worden, der für die Bundesrepublik meines Erachtens tragbar ist. Aber niemand weiß, welche Mittel z. B. notwendig sein werden, um die Exportvergütungen zu bezahlen, welche Mittel notwendig sein werden, um die Strukturmaßnahmen der Gemeinschaft zu fördern und zu unterstützen, und schließlich welche Mittel notwendig sein werden, um andere Maßnahmen, die für diesen Fonds vorgesehen sind, zu treffen.
Ich bin nicht sicher, mit welcher Größenordnung wir in Zukunft zu rechnen haben. Diese Frage ist sehr wichtig; denn wir befinden uns ja in einer Haushaltslage, die keineswegs einfach erscheint. Sie macht unserem Herrn Finanzminister große Sorgen.
Auf der anderen Seite stellen wir fest, daß die Mittel für den Grünen Plan, nämlich für die Überführung der deutschen Landwirtschaft in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, jährlich größer werden, so daß für die Steuerzahler und die öffentliche Hand, zumindest während der Übergangszeit, ohne Zweifel eine doppelte Belastung entstehen wird, die in ihrer Größenordnung nicht zu übersehen ist. Ich hoffe, daß sehr bald die genauen Unterlagen über das in Brüssel Vereinbarte vorliegen werden, damit man erkennen kann, welche Lasten in Zukunft für die Bundesrepublik ins Auge gefaßt werden müssen.
In der Regierungserklärung ist mehrfach von der Tatsache gesprochen worden, daß auch für die Verbraucher im Zuge der weiteren Entwicklung eine Erleichterung geschaffen werden soll. Ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, daß sehr prominente
Sprecher der Bundesregierung anerkannt haben, die Landwirtschaft sei in den letzten zwei Jahren der einzige Stabilisierungsfaktor der deutschen Wirtschaft gewesen. Trotzdem konnte nicht verhindert werden, daß die Lebensmittelpreise beim Verbraucher laufend anstiegen. Ich glaube, das wird auch in der EWG so bleiben, wenn wir nicht lernen maßzuhalten. Man kann eine Marschkolonne nicht bei der Feldküche aufhalten, und es nützt gar nichts, daß die Landwirtschaft stillhält — was sie seit Jahren tut —, wenn auf der anderen Seite durch kostensteigernde Faktoren auf dem Gebiet der Sozialpolitik, der Lohnpolitik usw. eben die Spitze davonläuft. Dadurch entsteht für die Landwirtschaft eine sehr schwerwiegende Wechselwirkung, indem nämlich nicht nur der Abstand ihres Lohnes von dem Lohn der vergleichbaren gewerblichen Industrie immer größer wird, sondern auch die Produkte, die die Landwirtschaft einkaufen muß, weil sie sie benötigt, um ihre Erzeugnisse zu erstellen, durch die Kostensteigerung immer teurer werden. Die Landwirtschaft wird also durch diese Entwicklung in zwei Fällen sehr maßgeblich beeinflußt.
Die Verbraucher werden nur dann einen Vorteil von der Entwicklung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft haben, wenn es gelingt, die gesamte Kostenstruktur maßvoll zu gestalten. Laufen die Kosten weiterhin in einem solchen Umfang den Erzeugerpreisen der Landwirtschaft davon, so werden allerdings die Verbraucher nur einen geringen Anteil haben und vielleicht erst nach der endgültigen Übergangsphase wirklich zu einer spürbaren Erleichterung gelangen.
Für die Bauern, die jetzt mit großer Sorge auf die Entwicklung innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft blicken, entstehen entscheidende Fragen, die ich schon in den drei Punkten angesprochen habe. Die Bauern sind aber insofern zuversichtlich, als sie die Gewißheit haben, daß die Bundesregierung alles daransetzen wird, um die Nachteile und die Preiseinbußen, die ihnen während der Übergangszeit entstehen, auszugleichen. Das ist für die Bauern eine sehr wichtige Erkenntnis, weil sie nämlich davon überzeugt sind, daß das, was in dieser Frage versprochen worden ist, auch in der Zukunft gehalten werden wird.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal das Landwirtschaftsgesetz ansprechen. Es ist, wie die Bundesregierung selbst erklärt hat, ein wesentlicher Bestandteil der europäischen Beschlüsse. Sinn des Landwirtschaftgesetzes war es, die Einkommensstruktur der Landwirtschaft an die der vergleichbaren gewerblichen Wirtschaft heranzuführen. Dasselbe Ziel haben auch die Paragraphen des Vertrages von Brüssel.
In der Zwischenzeit und in der Übergangszeit werden vielleicht Fragen auftauchen, die die Bauern in ganz erheblichen Rückstand bringen könnten und die Einbußen an ihrem Einkommen nach sich ziehen. Wir sind aber davon überzeugt, daß die Bundesregierung alles tun wird, diese Einkommenseinbußen auszugleichen. In der Erklärung des Bundesernährungsministers sind Anhaltspunkte dafür vorhanden. Wir hoffen, daß die Zusagen, die einmal



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gemacht worden sind, in vollem Umfange eingehalten werden. Denn neben der großen Zahl der Werktätigen waren es die Bauern, die nach dem Kriege dazu beigetragen haben, die große wirtschaftliche Expansion und die gute Entwicklung unserer Wirtschaft zu tragen, die geradezu die Voraussetzungen für den großen Erfolg geschaffen haben. Sie haben nach dieser Entwicklung stillgehalten, sie haben nicht an den Preisen manipuliert. Sie haben in sehr geringem Umfange an den Einkommenssteigerungen der übrigen Wirtschaft teilgenommen. Dem sollte man Rechnung tragen.
Ich hoffe, daß das Ziel des Vertrages von Rom letzten Endes mit dem Ziel des Landwirtschaftsgesetzes in Übereinstimmung gebracht werden kann. Dabei darf ich noch einmal darauf hinweisen, daß mit Subventionen allein keiner Landwirtschaft geholfen werden kann, sondern daß eine gesunde Synthese zwischen Preis- und Subventionspolitik gefunden werden sollte.
Auch aus dieser Sicht sind einige Vorschläge gemacht worden. Ich kann Ihnen sagen, daß jedes Preisproblem der Landwirtschaft mit dem Qualitätsproblem verbunden ist. Ich glaube, jeder deutsche Verbraucher wird ohne weiteres bereit sein, einen höheren Preis für landwirtschaftliche Produkte zu zahlen, wenn man ihm eine bessere Qualität anzubieten in der Lage ist. Darüber besteht kein Zweifel, wenn man die Erfahrungen des letzten Jahres in vollem Umfange berücksichtigt.
Ich möchte nicht weiter auf Einzelheiten eingehen, sondern zum Schluß nur noch einmal sagen, daß auch meine Fraktion den Wunsch hätte, zu sehen, daß das Europäische Parlament in seinen Möglichkeiten und in seinen Kompetenzen gestärkt werden könnte. Aber auch das Parlament der Bundesrepublik sollte bei den Fragen, die jetzt in 'Brüssel verhandelt worden sind, und bei den Ausführungsbestimmungen, die sich im Zusammenhang mit diesen Fragen ergeben, nicht ausgeschlossen sein. Die Bundesregierung hat in ihren Erklärungen einige Andeutungen gemacht, wonach sie für gewisse Übergangsbestimmungen Vollmachten wünscht. Bei diesen schwerwiegenden Fragen, von denen die Existenz so vieler Menschen abhängt, sollte man 'zunächst die letzte Instanz doch bei den nationalen Parlamenten belassen, ebenso wie man in Zukunft alles daran setzen sollte, die demokratische Kraft des Europäischen Parlaments zu fördern und zu steigern. Hier ist ja mit Recht der Gedanke angeklungen, daß man im Laufe der Zeit von den nationalen Parlamenten zu einer europäischen Regierung und zu einem Europäischen Parlament langsam überleiten müsse.
Ich hoffe, daß unser Wunsch, den wir seinerzeit bei der Gründung des Vertrages von Rom deutlich ausgesprochen haben, der Wunsch nach einem größeren Europa und nach einer Einbeziehung der westlichen Welt in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft erfüllt wird und daß es gelingt, alle die Vorstellungen, die im Vertrag von Rom niedergelegt sind, zu verwirklichen. Ich versichere im Namen der Fraktion, daß die Freien Demokraten an allen diesen Fragen energisch mitarbeiten werden,
um letzten Endes auch auf dem politischen Weg zum Ziel zu kommen und diesem neuen Europa, das sich so dynamisch zeigt und das mit dem Übergang zur zweiten Stufe einen so wichtigen Schritt vorwärts getan hat, weiterhin zum Erfolg zu verhelfen. Denn letzten Endes sind wir uns alle bewußt, daß die Nationalstaaten allein nicht mehr in der Lage sein werden, die Dinge zu meistern. Deswegen hoffe ich, daß dieser dynamischen Wirtschaftskonzeption sehr bald auch eine politische folgen wird, die dann die Möglichkeit gibt, dieses Europa so weit auszudehnen, wie wir freien Demokraten es immer gewünscht haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0401322000
Das Wort hat der Abgeordnete Struve.

Detlef Struve (CDU):
Rede ID: ID0401322100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verlauf der Debatte zeigt, wie stark auch die europäische Agrarpolitik unter dem Gebot der politischen Notwendigkeit steht.
Der Herr Kollege von der SPD ist neben einer politischen Würdigung vor allen Dingen auch auf die vorbereitenden Arbeiten der Bundesregierung eingegangen. Ich erachte es nicht als meine Aufgabe, diese kritischen Bemerkungen zu widerlegen. Aber ich glaube, Herr Kollege, wir werden den Dingen doch wohl nur dann gerecht, wenn wir festhalten, daß die ganzen Arbeiten im Ministerrat zusätzlich auch dadurch belastet wurden, daß immer neue Probleme von seiten der Partnerländer auf den Tisch gelegt wurden und zum Teil neue Verordnungen in die Beratungen hineinkamen, so daß zeitweise durchaus der Eindruck entstand, daß die einzelnen Delegationen und insbesondere auch die deutschen Delegationen überfordert seien.
Ich meine, daß die Leistung unserer deutschen Delegation — wie das auch hier schon von den Sprechern zum Ausdruck gebracht worden ist — anerkannt werden muß; ich glaube, sie hat unter der Führung unseres Bundesministers Schwarz den deutschen Standpunkt gut verteidigt und gut vertreten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Öffentlichkeit, weit über die Grenzen Deutschlands hinaus, hat es miterlebt, wie Sie, Herr Bundesminister, sich Ihrer schwierigen Aufgabe entledigt haben. Ihr Name wird mit einem bedeutsamen Stück deutscher Geschichte verbunden sein — mit einem bedeutsamen Stück europäischer Geschichte dürfen wir hinzufügen. Ich darf Ihnen deshalb auch im Namen unserer politischen Freunde dafür Dank und Anerkennung sagen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Römischen Verträge, meine Damen und Herren, gingen von der Überzeugung aus, daß das soziale Gleichgewicht und die politische Stabilität sich nur erreichen und erhalten lassen, wenn in größerem Raum ausreichende Absatzmöglichkeiten für die wachsende Produktion zur Verfügung stehen. Diese Ziele sind umfassend. Ihre Verwirklichung darf keinen Wirtschaftszweig und keine Land-



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schaft ausschließen, wenn nicht Unruheherde entstehen sollen, die das gemeinsame Werk dann gefährden würden.
Es ist unsere Pflicht, mit diesem Maßstab sehr sorgfältig und sehr kritisch zu messen, was in Brüssel beschlossen worden ist. Dabei kann es allerdings weniger um den Inhalt als vielmehr um die Auswirkung dieser Beschlüsse gehen, sofern wir uns der Meinung des Herrn Ministers anschließen, das in Brüssel europäisches Recht gesetzt wurde; und ich glaube, diese Meinung gilt.
Das aber bedeutet, daß wir uns heute nicht mehr über das Für und Wider des Abschöpfungssystems, über das System der Getreiderichtpreise oder auch darüber, ob die Schutzklausel besser anders ausgesehen hätte, zu unterhalten haben. Diese Themen sind im Grundsatz entschieden. Aber die Durchführungsbestimmungen und die praktische Handhabung stehen aus. Schon diese Tatsache gibt unserer heutigen Diskussion ihre besondere Bedeutung. Meine Herren Vorredner haben schon auf diesen Umstand hingewiesen. Ich glaube, wir alle müssen dazu beitragen, daß die Ausführung der Brüsseler Beschlüsse von Anfang an auf den guten Willen derjenigen Rücksicht nimmt, ohne die das Werk nicht gelingen kann; eine übersteigerte Theorie könnte viel Unheil anrichten.
Die Kommission sollte die Auswirkungen der Verordnungen in den einzelnen Partnerländern sehr sorgfältig verfolgen. Natürlich kann man innerhalb und außerhalb der Landwirtschaft verschiedener Meinung sein, z. B. ob die natürlichen Produktionsbedingungen und der günstige Standort allein die Erzeugung bestimmen.
Ich war doch etwas überrascht, daß der Herr Kollege von der SPD in diesem Zusammenhang so selbstverständlich nur noch dem besseren Standort, dem besseren Klima, dem besseren Boden und in Verbindung damit dem besseren Wert die Chance gibt.
Meine Damen und Herren, das ist ohne Zweifel ein Geist, der in den Verordnungen und auch in den Römischen Verträgen einen sehr starken Niederschlag gefunden hat. Aber ich darf doch auch darauf hinweisen, daß neben diesen wirtschaftlichen Zielen die Erhaltung des bäuerlichen Familienbetriebes ein erklärtes Ziel der europäischen Agrarpolitik ist. Meine politischen Freunde stehen zu dieser Ansicht.

(Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Birkelbach: Da müßt Ihr aber eine andere Subventionspolitik treiben!)

Sie sind der Auffassung, daß wir den Weg zu suchen haben, auf dem ihm seine Existenzgrundlage gesichert ist. Das schließt nicht aus — und in diesem Punkt sind wir uns einig —, daß auch innerhalb der Landwirtschaft bei gleichen Wettbewerbsvoraussetzungen am Ende die Leistung in Europa entscheiden wird und soll.
Ich meine aber, wir sollten dieses Problem sehr ernst und bis zum Ende durchdenken. Täuschen wir uns nicht: wirtschaftliche Überlegungen allein führen zwangsläufig zur Farm, einer Entwicklung, die meine politischen Freunde nicht wollen.

(Beifall in der Mitte.)

Wir sind der Auffassung, daß man hier nicht allein nach ökonomischen Gesichtspunkten entscheiden kann und daß die Rechnung fehlerhaft sein muß, wenn man sie ohne den Menschen macht. Gerade die menschliche Seite sollte auch bei diesem Agrarproblem nicht zu kurz kommen, weil sonst die Folgen unübersehbar wären und nach meiner Überzeugung auch das ganze europäische Gebäude auf schwachen Füßen stünde.

(Zustimmung in der Mitte.)

Ich glaube, daß unser Bundesminister auch diese Problematik im Auge hatte, als er feststellte, daß am Ende der Übergangszeit auch .der Landwirtschaft Vorteile erwachsen werden. Das beinhaltet, daß wir während der Übergangszeit, also während der nächsten 7 1/2 Jahre, noch eine ungeheure Arbeit vor uns haben, daß vor allen Dingen die praktische Landwirtschaft noch einen schweren Weg vor sich hat. Wenn diese Wirtschaftsgemeinschaft einmal vollständig verwirklicht sein wird, dann muß doch als Resultat dieses Werkes der Freiheit — darüber dürfte auch in diesem Hohen Hause Einigkeit bestehen — eine breite Schicht selbständiger bäuerlicher Betriebe erhalten bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Weg bis dahin ist jedoch sehr schwer. Täuschen wir uns nicht: es kommen große Umstellungen auf uns zu. Der Herr Minister hat schon davon gesprochen. Ich glaube, daß die Umstellungen, die uns bevorstehen, noch schwieriger zu bewerkstelligen sein werden als die, die wir schon hinter uns haben.
Seit 1950 sind aus der Landwirtschaft von 3,7 Millionen Menschen 1,2 Millionen ausgeschieden; das sind etwa 30 % der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung. In Gebieten mit günstiger Agrarstruktur liegt .der Prozentsatz noch höher; wegen des höheren Technisierungsgrades sind dort über 40 % der Arbeitskräfte freigesetzt worden. Zu gleicher Zeit ist die Produktion in der Landwirtschaft um über 40 % gestiegen; zu gleicher Zeit — diese Zahlen stammen von wissenschaftlichen Instituten und vom Bundeswirtschaftsministerium — ist die Produktivität in der Landwirtschaft um über 100 % gestiegen. Diese Ziffern müssen einmal herausgestellt werden, um zu zeigen, daß die Landwirtschaft nicht der Bremser bei den EWG-Verhandlungen war, daß die Landwirtschaft in der Bundesrepublik nicht rückständig ist, sondern daß sie sich, wie der Entwicklungsprozeß der letzten zehn Jahre zeigt, vollgültig neben alle anderen Wirtschaftszweige stellen kann.

(Beifall bei der ,CDU/CSU.)

Die Produktions-, Absatz- und Arbeitsverhältnisse haben sich also verändert; die Arbeitsverhältnisse werden sich noch weiter verändern. Das Vertragswerk wird noch einschneidendere Maßnahmen bringen. Die Landwirtschaft wird, man kann sagen, in eine noch schärfere Konkurrenz hineingeraten. Die



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moderne industrielle Entwicklung, die wir in den letzten Jahrzehnten durchgemacht haben, wird an Tempo, aber auch an Intensität zunehmen. Wir würden uns gegenüber der arbeitenden bäuerlichen Bevölkerung ins Unrecht setzen, wenn wir heute diese Dinge nicht ganz klar herausstellten.
In wenigen Wochen werden wir von der Bundesregierung wieder einen Grünen Bericht erstattet bekommen; wir werden über seine Aussagen diskutieren. Wir wissen jedoch heute schon: das seit Jahren bekannte Bild wird sich kaum stark verändert haben. Die Fähigkeit der Landwirtschaft zur Bildung von Eigenkapital ist nach wie vor zurückgeblieben. Die Mittel für unsere Institutionen aus Eigen- und Fremdkapital stehen in einem schlechten Verhältnis zu den Erfordernissen. Der europäische Markt — das müssen wir mit aller Deutlichkeit sagen — wird die Investitionsforderungen der deutschen Landwirtschaft noch erheblich steigern. Darum ist es mit eine der ersten Fragen, die uns in diesem Zusammenhang beschäftigen müssen, welche Auswirkungen die Brüsseler Beschlüsse auf die Finanzkraft unserer Landwirtschaft haben werden. Wird diese Finanzkraft stark beeinträchtigt, oder wird das nicht der Fall sein? Greifbare Tatsachen stehen uns eigentlich nur in einer Hinsicht zur Verfügung. Das mit dem 1. Juli dieses Jahres beginnende Getreidewirtschaftsjahr wird uns den Getreiderichtpreis bringen. Dieser bricht kraft Brüsseler Verordnung deutsches Recht, und wir werden unser Getreidepreisgesetz ohne Zweifel an diese Verordnung anpassen müssten.
Bei allen übrigen Produkten sind wir vorläufig auf Vermutungen und auf Schätzungen angewiesen. Der Trend ist jedoch offensichtlich. Die Hartnäckigkeit der Brüsseler Verhandlungen ist nach meiner Überzeugung weitgehend mit dem Wunsch der Partner zu erklären, ihre von Jahr zu Jahr steigenden Überschüsse im agrarischen Bereich verstärkt auf dem deutschen Markt unterzubringen. Die hier schon ausgesprochene Sorge, ob die Schutzklauseln in dieser Beziehung ausreichen werden, ist auch unsere Sorge. Es wird nicht einfach sein, das nach meiner Überzeugung unbedingt erforderliche Aufrechterhalten des deutschen Erzeugerpreisniveaus erfolgreich zu verteidigen. Nicht zuletzt aus diesen Gründen bangt die deutsche Landwirtschaft um eine europäische Entwicklung. Darum ist es nötig, daß wir ihr von Anfang an die Gewißheit geben, daß wir sie in dieser Lage nicht im Stich lassen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Schon anläßlich der neuen Getreidemarktregelung wird sich das Hohe Haus mit diesem besonderen Problem beschäftigen. Wir wissen, daß die neue Regelung einen entscheidenden Wechsel gegenüber der bisherigen Situation darstellt. Während sich die Preisbildung bisher auf der Grundlage des garantierten Erzeugermindestpreises vollzog, müssen die Getreidepreise bekanntlich vom 1. Juli dieses Jahres an im ganzen Bundesgebiet an den Preis, der sich im größten Verbrauchsgebiet, also praktisch im Ruhrgebiet, bildet, angepaßt werden. Das ist sehr viel mehr als nur ein Wechsel im äußeren System. Die Produktionsvoraussetzungen werden sich dadurch völlig ändern. Nach der neuen Preisregelung sinkt nämlich der Erzeugerpreis des Brotgetreides
mit der Entfernung von dem preisbestimmenden Preiszentrum, dem sogenannten Paritätspunkt, und der Preis des Futtergetreides steigt mit der Entfernung von diesem preisbestimmenden Ort.
Ich glaube, daß der Herr Bundesminister vor allem an diese Widersprüche dachte, als er von den kommenden Schwierigkeiten insbesondere für die marktfernen Gebiete sprach. Ohne Zweifel werden diese beim Brotgetreide in Zukunft weniger erzielen als bisher, und die Kosten .der Veredelung werden höher sein, als es im Augenblick der Fall ist.
Nun muß anerkannt werden, daß die Bundesregierung diese bedenklichen Folgen nicht nur angesprochen, sondern Frachtbeihilfen des Bundes in Aussicht gestellt hat, die den Ausfall mildern sollen. Aber ein Rest zu Lasten der Landwirtschaft wird unter allen Umständen bleiben. Dieser Rest kann unter dem Druck der hohen Kosten sehr leicht zu einer größeren Produktionsmenge führen. Schon dies allein bedeutet mit Sicherheit eine steigende Produktion in der ganzen Veredelungswirtschaft. Aber auch diese größere Menge wird den Ausgleich für den Erlösausfall im Getreidebereich nicht bringen, wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt. Damit muß man leider rechnen, wenn unsere Partner in Zukunft auf Grund des Fortfalls der mengenmäßigen Beschränkung bei der Einfuhr allzu stark in den deutschen Markt eindringen. Wir wissen, daß Zölle und Einfuhrbeschränkungen fallen. Es ist wohl entscheidend, daß in diesem Zusammenhang die Dinge nicht allein aus der agrarischen Sicht und vom Agrarpreis her behandelt werden. Von unserem Herrn Fraktionsvorsitzenden wurde schon angedeutet, daß man überall, nicht nur in der Agrarpolitik, sondern auch in der Wirtschafts-, Verkehrs-, Finanz- und Steuerpolitik zu einer Harmonisierung kommen muß. Mit anderen Worten: man muß in einen wirklichen Wettbewerb eintreten. Diesen echten Wettbewerb wird auch die deutsche Landwirtschaft in ihre Rechnung einbeziehen.
In diesem Zusammenhang darf ich mir ein Wort an die Verbraucher erlauben. Auch von ihren Interessen war heute schon die Rede. Wir wissen, daß sich der zuständige Minister nicht nur um die Fragen der Landwirtschaft, sondern auch um. die der Ernährung zu kümmern hat. Wir als große Fraktion innerhalb der CDU/CSU wissen aber auch, daß jede einseitige Betrachtung den Weg in ein geeintes Europa erschweren müßte. Wir sind deshalb nicht minder an einem gerechten Ausgleich interessiert. Im gewerblichen Sektor wird das vielseitige Angebot ohne Zweifel noch größer, noch vielfältiger und — davon sind wir überzeugt — in manchen Bereichen noch preisgünstiger ausfallen. Auch das Angebot an Nahrungsmitteln wird größer und vielfältiger sein. Die Qualitäten werden besser sein, die Sortierungen noch sorgfältiger. Man darf aber nicht vergessen, in welcher Lage wir uns befinden. Man darf deshalb nicht erwarten, daß in diesem Augenblick zusätzlich auch noch große Preissenkungen für die Verbraucher 'eintreten können.
In diesem Zusammenhang war schon einmal vom Getreidepreis und seinen Auswirkungen die Rede. Ich darf auf diesen Punkt zurückkommen. Wir alle



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miteinander sollten nicht vergessen, daß wir noch eine Übergangszeit von siebeneinhalb Jahren vor uns haben. In dieser Übergangszeit müssen wir vor allen Dingen die wirtschaftliche Produktionskraft unserer Landwirtschaft entwickeln. Diese Entwicklung — ich darf darauf zum Schluß zurückkommen — muß mit einer besonderen Intensität vorangetrieben werden. Am Ende der Übergangszeit aber — wir zweifeln nicht daran — werden sich gemäß den Vermutungen, die unser Bundesminister Schwarz zum Ausdruck brachte, für alle am Wirtschaftsprozeß interessierten Gruppen Vorteile ergeben. Wie ich schon andeutete, mag es feststehen, daß dieses Ziel in gewissen Zweigen der gewerblichen Wirtschaft schneller erreicht wird. Das hängt damit zusammen, daß der Umstellungsprozeß hier sehr viel schneller vor sich geht und eine gesteigerte Nachfrage infolgedessen sehr viel schneller befriedigt werden kann. Umgekehrt folgen bei einem gewissen Nachlassen der Nachfrage auch sehr schnell Produktionseinschränkungen. Die Landwirtschaft hat es hier sehr viel schwerer, und sie braucht dringend die ihr nunmehr bewilligte achtjährige Übergangszeit.
Ich glaube, wir sollten uns in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß dieses ganze Werk der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft doch kein Produkt einseitiger Tagespolitik ist und — hier darf ich sinngemäß auf die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers zurückkommen — daß es in erster Linie eine politische Tat erster Ordnung zunächst für die sechs Mitgliedsländer ist. Wir alle wissen aber, daß mit dieser Einigung im Herzen Europas das europäische Werk nicht vollendet ist. Ich unterstreiche nachdrücklichst die Ausführungen meines Fraktionskollegen von Brentano, daß diese Gemeinschaft größer werden muß. Wir wissen auch, daß diese Einigung uns und allen mit uns verbündeten Völkern die Freiheit erhält. Diese Tatsache sollte nach meinem Dafürhalten jede überspitzte und einseitige Betrachtungsweise irgendeiner Gruppe, irgendeines Standes — auch der Landwirtschaft — ausschließen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte hinzufügen, daß eine gewisse Unsicherheit in der Landwirtschaft nun nicht etwa einer negativen Einstellung zu diesem sich vereinenden Europa gleichzusetzen ist. Gewiß spielen auch rein persönliche Sorgen eine Rolle. Diese Sorgen gelten etwa dem, was am Jahresschluß unter dem Strich steht, vielmehr gelten sie der bangen Frage, ob in diesem größeren Raum nicht allzu einseitig die standortbegünstigte Konkurrenz oder das günstige Klima einen Vorsprung erhält. Auch gewisse kapitalistische Zusammenballungen schon innerhalb der Erzeugungsstufe in der Landwirtschaft lassen uns aufhorchen und bergen eine Gefahr für die Existenz des bäuerlichen Familienbetriebes in sich.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Endgültig beantworten kann diese Frage bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge wohl kaum jemand. Wir müssen diese Frage aber ernst nehmen. Sie muß uns Veranlassung geben, die jetzt begonnene Entwicklung behutsam und sorgfältig, wie das auch in der Regierungserklärung zum Ausdruck kommt,
weiter voranzubringen. Auf alle Fälle ergibt sich daraus eine besonders große Verantwortung für die Kommission. Bei ihr liegt die Entscheidung darüber, was praktisch in der Zukunft geschehen soll. Wir brauchen nur an den Mechanismus der hier schon besprochenen Schutzklausel zu denken; er erfordert lebensnahe, unmittelbare Kenntnisse des praktischen Geschehens, wenn Ungerechtigkeiten und Fehlentscheidungen vermieden werden sollen. Daher scheint der Wunsch berechtigt, daß die Kommission sich nicht isolieren möge. Übertriebene Bürokratie müßte unheilvolle Wirkungen haben.
Ohne auf Einzelheiten einzugehen, möchte ich die berechtigten Belange der großen Zahl intensiver Obst- und Gemüseanbauer ansprechen. Die einsetzende Neuordnung muß praxisnah erfolgen. Trotz weitgehend günstiger Boden- und guter Klimaverhältnisse sind Umstellungen hier kaum möglich, weil auf kleinen Flächen intensiver Ackerbau — für viele Familien möchte man sogar sagen: regelrechter gärtnerischer Anbau — betrieben wird. Diese Bauern müssen wir schützen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Weiterhin erscheint es mir notwendig zu sein, die Frage des zukünftigen europäischen Getreidepreises noch einmal sehr gründlich zu durchdenken, nachdem die grundsätzlichen Entscheidungen getroffen sind. Eine übersteigerte Eile dürfte nun nicht mehr angebracht sein. Statt dessen ist es wichtiger, erst einmal Erfahrungen zu sammeln, die den Streit um den Getreidepreis von dem Beigeschmack des allzu Theoretischen befreien.
Ich treffe diese Feststellung nicht in der Furcht davor, daß die Bundesregierung ihren erfreulich klaren Standpunkt in dieser Frage aufgeben könnte. Sie wird — so sind wir überzeugt — das niemals im Ernst erwägen. Meine politischen Freunde stehen in diesem Fragenkomplex jedenfalls eindeutig zu den Äußerungen unserer politischen Freunde im Europäischen Parlament, und wir sind der Überzeugung, daß auch unsere Partner alle diese Dinge auf Grund der jetzt getroffenen Entscheidungen noch einmal durchdenken müssen; denn — auch das wurde hier schon angeführt — die Meinungen, die in der Bundesrepublik eigentlich sehr eindeutig in eine andere Richtung liefen, werden in zunehmendem Maße revidiert. Das gilt nicht nur im Bereich der einzelnen großen wirtschaftlichen Organisationen, es gilt auch im Bereich der Wissenschaft und auch, wie es scheint, in zunehmendem Maße bei den Parteien, die in dieser Frage in der Vergangenheit etwas anderer oder gar entgegengesetzter Auffassung waren. Es scheint, daß auch bei den anderen Parteien neue Überlegungen in dieser Frage angestellt werden.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Der europäische Weg ist beschritten, und er muß mit aller Konsequenz, um unserer freien Existenz willen, weitergegangen werden. Diese unerschütterliche Überzeugung schließt nicht aus, daß dort geholfen werden muß, wo sich auf diesem Wege nicht vertretbare Schäden ergeben. Ich glaube, wenn auch die deutschen Bauern in ihren berufsständischen Organisa-



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tionen so geschlossen zu diesem geeinten und kommenden Europa stehen, dann tun sie das einmal, weil sie wissen, daß die Freiheit nicht teilbar ist. Sie werden aber auch in ihre Überlegungen einbeziehen, daß die Übergangszeit der Landwirtschaft in der Bundesrepublik Ertragseinbußen bringt. Ja, ich glaube, wir können festhalten: Die deutsche Landwirtschaft wird auch dann Ertragseinbußen erleiden, wenn wir unsere Partner davon überzeugen, daß der derzeitige Getreidepreis in Deutschland auch europäischer Getreidepreis wird.
In diesem Zusammenhang müssen wir noch einmal auf die großen und sich steigernden Investitionen zu sprechen kommen, die uns einmal in der Landwirtschaft, also in der Erzeugerstufe, begegnen. Sie werden aber nicht minder in der Be- und Verarbeitungsstufe, sie werden in dem ganzen Fragenkomplex der Vermarktung auf uns zukommen. Ich glaube, der sich schon zeigende Wandel wird auch hier durch die europäische Entwicklung in ein schnelleres Tempo hineinkommen. Vor allen Dingen in den marktfernen Gebieten werden sich große zusätzliche finanzielle Anforderungen stellen.
In dieser Gegensätzlichkeit liegt ohne Zweifel eine gewisse Gefahr für die Erhaltung der selbständigen Betriebe, weil hier unter Umständen eine finanzielle Belastung entsteht, die einfach .den tragbaren Rahmen sprengt. Niemand aber in diesem Hohen Hause wird den auf Eigentum begründeten Berufsständen die Hilfe versagen.
Ich glaube vor allen Dingen, daß sich die zukünftige Agrarpolitik der Bundesregierung in der Übergangszeit ganz besonders der Probleme des Ausgleichs annehmen muß. Dazu gehört auch, der Einfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus Drittländern vermehrte Aufmerksamkeit zu schenken. Es ist nicht denkbar, daß sich die gewohnten Warenströme in der neuen Situation weiterhin auf der bisherigen Höhe halten. Einschränkungen dort, wo sie möglich und vertretbar sind, müssen uns helfen, die agrarpolitische Aufgabe zu meistern.
Das Schwergewicht der zukünftigen Agrarpolitik ist nach Ansicht meiner politischen Freunde besonders bei anderen Maßnahmen zu sehen. Dabei dürfte es im Hinblick auf die zu erwartende Marktsituation vor allem darauf ankommen, das Kostengefüge in der Landwirtschaft zu verbessern. Diese Aufgabenstellung ist für uns nicht neu.
Wir haben im Sinne des Landwirtschaftsgesetzes, zu dessen Gültigkeit auch für ,die Zukunft sich der Herr Bundesernährungsminister in der Regierungserklärung erfreulicherweise erneut ausdrücklich bekannt hat, der Aufwandsseite in der landwirtschaftlichen Betriebsrechnung schon seit langem unsere besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die Strukturmaßnahmen standen dabei an erster Stelle. Auf diesem Wege ist zweifelsohne auch schon Bedeutsames erreicht. Aber die neue Situation erfordert gebieterisch ein größeres Tempo. Die gesetzliche Förderung der Strukturverbesserung muß wesentlich erweitert werden. Darüber hinaus müssen die Zins- und die Tilgungsbedingungen für den großen
Kapitalaufwand, der dem einzelnen trotzdem verbleibt, günstiger gestaltet werden. Das landwirtschaftliche Strukturprogramm muß von einem den ganzen ländlichen Raum erfassenden Investitionsprogramm ergänzt werden.
In der Regierungserklärung sind beim Zusammentritt des Hohen Hauses in diesem Zusammenhang wertvolle Hinweise gegeben worden, in denen von dem ländlichen Wohnungsbau die Rede war, ebenso in bezug auf die Frage der Steuerverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Die Landgemeinden, vor allen Dingen die sogenannten Haufendörfer, werden sich völlig verändern. Die Dorfsanierung oder, sagen wir: die Dorferneuerung muß vorangetrieben werden. Dabei wollen wir nicht vergessen, daß zu der Landwirtschaft das ganze mittelständische Gewerbe, besonders das Ernährungshandwerk, die Ernährungsindustrie, gehört. Gerade diese Zweige werden durch den Wandel in der Vermarktung landwirtschaftlicher Veredelungsprodukte besonders stark in eine Umstellung hineingezwungen. Es gilt hier, das Eigentum von Bauern und Mittelständlern zu verteidigen. Wir wollen im Dorf aber auch neues Eigentum für unsere Arbeiter und Angestellten begründen. Wir sind daher der Auffassung, daß diese Dinge verstärkt im ganzen Bereich zum Durchbruch kommen müssen.
Für die Landwirtschaft sind Grundsteuer und Lastenausgleich große Belastungen, die auf der Kostenseite ein bedeutendes Gewicht haben. In diesen Zusammenhang gehört auch die Neufestsetzung der Einheitswerte. Wenn sie kommt, so darf sie unter gar keinen Umständen zusätzliche steuerliche Belastungen für die Landwirtschaft zur Folge haben. Die Bundesregierung, aber auch das Hohe Haus werden darüber hinaus bei der Gesetzgebung nicht zuletzt auch im sozialen Bereich prüfen müssen, ob weitere Belastungen der Landwirtschaft vertretbar sind.
Wir von der CDU/CSU unterstreichen die Kostenseite so stark, weil zur Zeit über den Preis, von jahreszeitlich bedingten Schwankungen abgesehen, mit Ausnahme der Trinkmilch keine wesentlichen Mehreinnahmen zu erzielen sind. Unsere Fraktion befürwortet eine Erhöhung des Trinkmilchpreises um 6 Pf einschließlich der Handelsspanne. Bekanntlich sind seit 1956 die Erzeugungskosten und die Kosten in der Molkereistufe um über 31/2 Pf je Kilogramm gestiegen. Die Handelsspanne wird in Zusammenhang mit einer Trinkmilchpreiserhöhung mit angehoben werden müssen. Den dann für den Erzeuger verbleibenden Mehrpreis sollte das Hohe Haus eigentlich geschlossen befürworten. Der Landwirtschaft sind nämlich große Kosten durch die Sanierung der Tierbestände entstanden. Die Qualität der Milch wurde und wird laufend verbessert. Durch amtliche und berufsständische Kontrollen bei Milchvieh, aber auch in der Molkereistufe ist sichergestellt, daß der Verbraucher stets ein hochwertiges Nahrungsmittel bester Qualität geliefert bekommt. Wenn ich mir dann noch den Hinweis erlauben darf, daß innerhalb der EWG der deutsche Trinkmilchpreis am niedrigsten ist, so glaube ich ausreichend begründet zu haben, daß der Mehrerlös,



Struve
den die deutsche Landwirtschaft durch eine solche Trinkmilchpreiserhöhung erzielen würde und der auf 140 Milionen DM jährlich zu veranschlagen ist, durchaus zu vertreten ist.
Die Ertrags- und die Aufwandsseite der Landwirtschaft sind uns durch das Landwirtschaftsgesetz geläufig. Die Grundgedanken dieses Gesetzes finden wir auch im Vertrag von Rom. Ich darf darauf hinweisen, daß in allen Ländern der westlichen Welt erhebliche zusätzliche Ausgleichszahlungen an die Landwirtschaft geleistet werden. Weder im EWG-Raum noch im größeren Raum des geeinten Europa wird auf diese Ausgleichszahlungen verzichtet werden können. Über die Form müssen wir unter uns, aber auch mit unseren Partnern sprechen. Meine politischen Freunde glauben, daß diese Hilfen nach Möglichkeit keinen produktionsfördernden Charakter haben sollten.
Ich komme auf meine einleitenden Bemerkungen zurück, daß die Ziele der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft keinen Wirtschaftszweig und keine Landschaft ausschließen dürfen, wenn das große Werk gelingen soll. Bedenken wir doch, daß hinter der EWG die gebieterische Notwendigkeit steht, die Widerstandskraft gegen den angreifenden Osten so stark wie möglich zu machen. Die Bereiche unseres gequälten Vaterlandes, in denen Freiheit und Unfreiheit am unmittelbarsten aufeinanderstoßen, sind vorwiegend agrarisch genutzte Gebiete, von der Flensburger Förde bis zu den Alpen. Hier müssen die Kräfte des Widerstandes am stärksten und am überzeugendsten sein, wenn die europäischen Erwartungen sich voll und ganz erfüllen sollen. Gesunde Familien müssen auf eigenem Grund und Boden in würdigen wirtschaftlichen Verhältnissen ihre Kraft entfalten und über die Mauer hinweg Vertrauen und Hoffnung ausstrahlen. Sie müssen lebendiges Zeugnis ablegen für die innere Ordnung und die soziale Ausgeglichenheit im freien Teil unseres Vaterlandes.
Darum darf es auch in den schwierigen Übergangsjahren bis 1970 keine wirtschaftlichen Schwächeerscheinungen geben, die sich vermeiden lassen. Die eigene unmittelbare Verantwortung für die Anpassung an die sich verändernden Verhältnisse kann und darf auch in der Landwirtschaft niemandem abgenommen werden. Aber ich füge hinzu: die Landwirtschaft wird es in diesem Umstellungsprozeß am schwersten haben. Darum kann sie bei der vor ihr liegenden großen Aufgabe die helfende Hand des Staates nicht entbehren. Jeder einzelne von uns sollte daran mitwirken, oder wir belasten das lebensnotwendige Werk der europäischen Vereinigung mit unübersehbaren Schwierigkeiten, bevor das Werk überhaupt seine Wirkung getan hat. Meine politischen Freunde sind entschlossen, die besonders aus dem Vertragswerk entstehenden Probleme anzupacken und zu lösen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0401322200
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Nach der
Pause spricht als erster Redner der Abgeordnete Dr. Schmidt (Gellersen).
Ich unterbreche die Sitzung.

(Unterbrechung der Sitzung von 13.03 Uhr bis 15.01 Uhr.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0401322300
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir fahren fort in der Aussprache rüber die Regierungserklärung. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt (Gellersen).

Dr. R. Martin Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0401322400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einige Bemerkungen des im Augenblick noch nicht anwesenden Kollegen Struve veranlassen mich, noch einmal 'in die Zeit der Verhandlungswochen und -monate von Anfang Oktober bis Anfang Januar zurückzublenden. In dieser Zeit hat es sich gezeigt, daß wir in Brüssel einige sehr düstere Tage erlebten. Unsere Bundesregierung war oft in einer Defensive, wie man sie sich kaum vorstellen kann. Ihr Stand war sicherlich nicht leicht. Herr Kollege Struve — aber ich sehe ihn noch nicht, und die Regierung ist auch nicht vertreten —

(Abg. Dr. Dr. h. c. Dresbach: Herr Schmidt, mein Nachbar wiegt verschiedene auf! — Heiterkeit.)

— Ich nehme das zur Kenntnis. Vielleicht kann Herr Pferdmenges dort oben (zur Regierungsbank) Platz nehmen.
Es ist wohl sicher so, daß der Herr Bundesernährungsminister die Lasten der deutschen Delegation in Brüssel allein zu tragen gehabt hat. Aber zur deutschen Delegation, zum Ministerrat gehört ja nicht nur der Ernährungsminister, dazu gehören auch der Finanzminister, der Wirtschaftsminister und nicht zuletzt auch der Außenminister.

(Zuruf von der SPD: Alle weg!)

— Alle weg! Sie waren auch in Brüssel weg, und das ist das Schlimme, meine Damen und Herren. Die Bedrängnis der deutschen Bundesregierung in Brüssel war nicht ohne Grund. Wenn man nämlich die Probleme monatelang vor sich herschiebt und immer auf den 17. September, auf den Wahltermin schaut, dann kommt man eben in eine Bedrängnis.
Aber dafür hat der Herr Bundeskanzler unseren großen Nachbarn hoffnungsvolle Trostworte zugesprochen. Erinnern Sie sich daran: damals war von den sogenannten Zusagen die Rede, von den Zusagen, die nachher im Januar und Dezember eingelöst warden sind.

(Beifall bei der SPD. — Bundesminister Schwarz betritt den Sitzungssaal.)

— Herr Bundesminister Schwarz, Sie waren in Brüssel der einzige, Sie sind auch im Augenblick der einzige. Ich freue mich aber über Ihre Anwesenheit. — Ich erinnere mich auch an das sehr interessante Frage- und Anwortspiel zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes auf dem Deutschen Bauerntag in



Schmidt (Gellersen)

Ravensburg. Damals haben viele, auch unter uns Europäern in allen Reihen, mit Recht behauptet, die Regierung habe zumindest im Jahre 1961 keine aktive Europapolitik betrieben, Herr Kollege Lücker.
Da ergibt sich für uns schon die erste Frage an den Herrn Bundesernährungsminister.

(Zuruf des Bundesministers Schwarz.)

— Es kommen sehr viele Fragen. Haben Sie keine Sorge! Sie bekommen ein ganzes Bündel Fragen.

(Zuruf von der der CDU/CSU: Wer wird so neugierig sein?!)

— Wir müssen neugierig sein, dafür sind wir doch Opposition.
Die erste Frage lautet, ob dieses Tempo und diese Arbeitsweise in den nächsten vier Jahren fortgesetzt werden, nachdem man jetzt die erste Hürde genommen hat. Jedenfalls, da stimme ich mit Herrn Struve überein — ah, jetzt ist er da —, mit Ihnen überein, Herr Struve, daß man die Verantwortung dafür nicht den Bauern aufbürden kann. Wenn sich da Mängel herausgestellt haben, dann geht das einzig und allein zu Lasten der Bundesregierung, die das Notwendige einfach nicht getan hat. Nun, ich habe Verständnis dafür. Auch in der Bundesregierung gab es in der Europa-Frage zwei Seelen. Das will ich gar nicht weiter ausspinnen; das ist so. Vielleicht wird es auch in Zukunft so sein; das wissen wir noch nicht. Jedenfalls, es war so. Wir haben uns, Herr Kollege Struve, über diese politische Situation unter den europäischen Parlamentariern oft unterhalten, und wir waren gemeinsam oft verärgert, wenn es gegenüber der Landwirtschaft hieß: „Es bleibt ja alles beim alten, es wird sich gar nichts ändern; euch passiert ja auch gar nichts." Sehen Sie, die amtliche Bundesrepublik hat vieles von dem, was heute Wirklichkeit geworden ist und was man damals bereits wußte, monatelang totgeschwiegen, und das müssen wir ihr ankreiden.
Es gibt vielleicht auch Gründe dafür. Man weiß, daß im Hause des Bundesernährungsministers jahrelang zwei Konzeptionen um die Vormacht, um die Bestimmung des Kurses gerungen haben. Der Tatbestand ist aber, das läßt sich nicht abstreiten, daß in dieser Zeit der ersten Phase nicht das getan worden ist, was für unsere Landwirtschaft erforderlich gewesen wäre. Während unsere fünf Partner sich zielbewußt und planmäßig darauf eingestellt, ja ihre ganze Agrarpolitik darauf abgestellt haben, haben wir zwar in der Bundesrepublik nicht geschlafen — das wahrhaftig nicht —, aber wir haben uns sehr abwartend verhalten; zum mindesten die Bundesregierung hat sich sehr abwartend verhalten. Natürlich haben wir in den Strukturfragen hier einiges getan und in steigendem Maße getan; aber wir haben z. B. die so elementaren Marktfragen überhaupt nicht beackert, obwohl es an Mahnungen nicht gefehlt hat.
Über das Gesamtergebnis hat mein Fraktionskollege Birkelbach bereits sein Urteil abgegeben. Die Brüsseler Beschlüsse nehmen wir mit Befriedigung zur Kenntnis. Es wäre aber verfrüht, in ein Freudengeschrei auszubrechen. Es wird nämlich in den nächsten Monaten und Jahren noch einige sehr, sehr harte Nüsse zu knacken geben.
Es wäre auch sinnlos, meine Damen und Herren, nach „Siegern" und „Besiegten" Ausschau zu halten und darum zu rechten. Es wäre genauso die Frage überflüssig, ja müßig, wer von den Mitgliedstaaten nun die meisten Opfer gebracht habe. Das mögen die Historiker erörtern; dafür haben wir im Augenblick keine Zeit oder sollten wir zum mindesten im Augenblick keine Zeit haben.
Die Brüsseler Beschlüsse sind ein mehr oder weniger guter Kompromiß. Natürlich gibt es dabei auch Schönheitsfehler. Ich möchte aber für mich und meine Freunde ausdrücklich sagen, daß diese Beschlüsse ein brauchbarer Kompromiß sind. Damit kann man schon etwas anfangen. Daß von den elf Verhandlungspunkten der Bundesregierung nicht allzu viel übrig geblieben ist, diese Bemerkung darf ich wohl nur zur Ergänzung hinzufügen, damit man auch das nicht ganz vergißt.
Durch die Beschlüsse — und das ist das Entscheidende, meine Damen und Herren, — werden die nationalen Regelungen auf wichtigen Agrarmärkten durch gemeinsame europäische Regelungen abgelöst. Wir werden noch in diesem Jahr auf vier weiteren Märkten Beschlüsse zu Gesicht bekommen.
Diese Beschlüsse sind sicher nicht der Weisheit letzter Schluß. Aber jeder von uns und jeder Landwirt in der Bundesrepublik muß sich darüber klar sein, daß wir in eine völlig neue Phase der Agrarpolitik eingetreten sind. Wir stehen an einem neuen Anfang. Vielleicht begreift heute auch der letzte, daß die Römischen Verträge eben eine Realität sind.
Ich möchte auf die einzelnen Bestimmungen der Verordnungen und Entscheidungen nicht eingehen, möchte auf eine letzte Durchleuchtung verzichten und nur einige Kernfragen berühren.
Als erstes darf ich dazu sagen, daß wir die unterschiedliche Lösung — einerseits eine Marktordnung, andererseits nur eine Koordinierung der Wettbewerbsbedingungen — für gut halten. Diese Elastizität 'in der Wahl der Mittel zeugt davon, daß die Materie sachlich und nüchtern beurteilt worden ist.
Von dem bisherigen System der Bundesrepublik, also von dem Standpunkt aus, den wir bisher eingenommen haben, kann man die Marktordnung für Getreide als etwas lockerer bezeichnen, während die Marktregelungen für die drei Veredelungsprodukte — Schweinefleisch, Eier und Geflügelfleisch — meines Erachtens besser, vernünftiger sind als das, was wir in der Bundesrepublik haben. Wenn ich das Ganze abwäge, möchte ich sagen, daß sich die Belange des Marktes und die Belange der Ordnung die Waage halten.
Aus den Verhandlungen der Bundesregierung in Brüssel konnte man den Eindruck gewinnen, daß die Bundesregierung nur dem Getreideproblem eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet habe. Jedenfalls hat es, Herr Minister, keinen guten Eindruck in der Landwirtschaft und auch bei der Verbraucherschaft hinterlassen, daß Sie sich zum Grundsatzbeschluß einer Milchmarktordnung doch zu sehr ha-



Schmidt (Gellersen)

ben drängen lassen und nicht eine eigene Initiative entwickelt haben.
Die Meinung meiner Freunde ist: die Ordnung auf den Märkten für Veredelungsprodukte darf nicht schlechter sein als die Ordnung beim Getreide. Wir wünschen, daß hier nicht mit zweierlei Maß gemessen wird.
Lassen Sie mich zu einem anderen, sehr delikaten Problem Stellung nehmen, das in der Landwirtschaft sehr viel Staub aufgewirbelt hat: den Fragen des Richtpreises. Der Richtpreis ist für die Bundesrepublik neu. Wir kennen den Von-bis-Preis. In den Auseinandersetzungen über den Richtpreis ist es nicht immer gerade sehr elegant und sehr gentlemanlike zugegangen.
Wir erkennen ausdrücklich an, daß es dem Bundesernährungsminister geglückt ist, auch für den Roggen den Grundrichtpreis festzusetzen. Wir haben also im Grunde genommen keine Einwendungen gegen das Prinzip; aber es ergibt sich ,ein Fragenkomplex, der nicht so leicht abgetan werden kann, wie es hier oft geschieht; ich meine den Komplex der abgeleiteten Richtpreispunkte. Diese Richtpreispunkte werden dann gebildet, wenn in einem vom Grundrichtpreispunkt entfernten Ort der dortige Marktpreis den Grundrichtpreis um einen bestimmten Prozentsatz unterschreitet. In dieser Getreideverordnung ist von einem Preis die Rede — ich zitiere wörtlich —, der auf Grund der natürlichen Bedingungen der Marktpreisbildung entsteht. Da ist vor Monaten irgendein Mann auf die fatale Idee gekommen, die Behauptung aufzustellen, daß dieser natürlich gebildete Preis dem Frachtkostengefälle zum Hauptrichtpreis entsprechen müsse. Von dieser Behauptung ist eine Lawine von falschen Berechnungen über Preishöhe und Einkommensverluste in den Grenzgebieten usw. ausgegangen, und ich meine, damit hat man die Pferde scheu und wild gemacht. Leider hat sich auch der Herr Bundesminister in seiner Regierungserklärung ein bißchen davon anstecken lassen.
Warum ist diese Betrachtungsweise falsch? Erstens haben wir in der Bundesrepublik nicht nur einen zentralen Verbrauchs- und Zuschußpunkt, sondern wir haben mehrere solcher Verbrauchsgebiete. Zweitens hat in unserem eng besiedelten Raum die Thünensche Theorie doch nur einen sehr begrenzten Wert. Wenn man die ganze EWG betrachtet, ist das anders. Aber wenn man die Bundesrepublik sieht — und die müssen wir im Augenblick bei der Übergangsphase sehen —, ist diese Betrachtungsweise falsch. Drittens bei einem Vergleich der Marktpreise vor und nach dem ersten Weltkrieg, als wir eine freie Preisbildung hatten, als es keinerlei Marktordnungen gab, zeigt sich, daß die Unterschiede zwischen den Getreidepreisen in Breslau, in Berlin, in Mannheim und in Hamburg verhältnismäßig gering waren. Das hat mit den Frachtkostenunterschieden überhaupt nichts zu tun, es sei denn, sie nähmen z. B. das Gebiet von Königsberg; da war es ein bißchen anders. Aber in dem engen Raum unserer heutigen Bundesrepublik gab es diese Unterschiede, von denen hier gesprochen worden ist, nicht. Im übrigen haben sich diese Erkenntnisse in unserer Marktordnung, in den Preisgebieten inzwischen ein wenig durchgesetzt.
In diesem Zusammenhang wird lebhaft über den Frachtenausgleich diskutiert, der aber doch nur dann in Frage kommt, wenn wirklich Getreideüberschüsse in die Verbrauchszentren transportiert werden. Da drängen sich einige Fragen auf, Herr Minister. In welcher Höhe werden diese Frachtenzuschüsse gewährt werden? Wer wird sie empfangen, und nach welchem Schlüssel werden sie verteilt? Haben Sie schon einen internationalen Frachtenvergleich für die übrigen Veredelungsprodukte in der Hand? Haben wir auch bei diesen Produkten die höchsten Frachtsätze in der Gemeinschaft, wie es bei Getreide der Fall ist, oder ist es da anders?
In der Erörterung über das Richtpreissystem ist auch immer wieder die Rede von den „toten Winkeln". In der Diskussion darüber wurden diese toten Winkel in den Vordergrund der Betrachtungen gestellt. Ich will das Problem nicht verkleinern. Die toten Winkel gibt es schon seit eh und je; es gab sie vor dem ersten Weltkrieg und es gab sie nach dem ersten Weltkrieg, als noch keine Marktordnung vorhanden war. Es gab sie auch im Dritten Reich, und auch wir kennen sie in unserer jetzigen bundesstaatlichen Marktordnung. Wir lösen das Problem der toten Winkel auch mit Hilfe von Frachtenzuschüssen. Da es nicht neu ist, sollte man daraus keine zusätzlichen Ansprüche herleiten.
Nun noch eine Bemerkung, vielmehr eine Richtigstellung. Es wird landauf und landab behauptet, daß der Getreidepreis der Eckpreis der deutschen Landwirtschaft sei. Auch Sie, Herr Bundesminister, haben in Ihrer Regierungserklärung von der besonderen Bedeutung des Getreidepreises für das gesamte Preis- und Einkommensgefüge gesprochen. Auch der Sprecher der FDP hat heute die Behauptung wiederholt, der Getreidepreis sei der Eckpreis der Landwirtschaft. Für mich und meine Freunde ist es ein Eckpreis, nicht der Eckpreis, und das ist ein gewaltiger Unterschied. Sie werden doch nicht behaupten wollen, daß z. B. der Milchpreis in einer Parallele zum Getreidepreis und auch zu anderen Preisen stehe. Jedenfalls würde ich dringend empfehlen, daß wir im Rahmen einer Debatte im Ausschuß auch einmal das Verhältnis der landwirtschaftlichen Preise zueinander und untereinander prüfen und deren gegenseitige Abhängigkeit untersuchen. Ich bin überzeugt, daß wir da einige hochinteressante Erkenntnisse gewinnen werden. Wir sollten uns natürlich nicht nur auf die letzten zehn Jahre beschränken, sondern wir sollten dabei auch auf die Zeit vor und nach dem ersten Weltkrieg zurückgehen, als es noch keinerlei Marktordnungen gab.
Nun ein letztes Wort zum Preisproblem. Wir sind uns, glaube ich, im ganzen Hause darin einig, daß die Angleichung der Getreidepreise eine Grundvoraussetzung für die Schaffung des europäischen Agrarmarktes ist. Da sind uns Termine gesetzt, und die deutsche Delegation hat diesen Terminen voll und ganz zugestimmt. Es gibt also gar kein Ausweichen mehr; die Fristen sind gesetzt.
Nun haben Herr Bundesminister Schwarz in seiner Regierungserklärung und Herr Struve heute vor-



Dr. Schmidt (Gellersen)

mittag davon gesprochen, daß der deutsche Getreidepreis in jedem Fall gehalten werden müsse. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das ganz offen sagen — ich bin genauso Landwirt wie Sie, Herr Struve —: Ich denke nicht daran, mich heute an dieser Diskussion zu beteiligen. Warum nicht? Weil man mit solchen Behauptungen draußen Hoffnungen erweckt, die sich eines schönen Tages als Illusion erweisen, und die Landwirte dann eine neue Enttäuschung erleben.

(Beifall bei der SPD.)

Ich möchte mich an diesem Rätselraten nicht beteiligen. Die Bundesregierung, Herr Minister Schwarz, hat sicher genaue Kenntnis von den Absichten und Möglichkeiten unserer Partner sowie ihren Sorgen wegen dieses Problems. Wir sollten uns doch nicht einbilden, daß nur wir dieses Problem haben. Alle Länder haben es! Hier habe ich nur zwei Wünsche an die Bundesregierung, die ich jetzt wohl anmelden darf.
Der erste Wunsch wäre der, daß die Bundesregierung der Landwirtschaft rechtzeitig die sich im Laufe der Diskussion der nächsten Monate herausbildenden Fakten ganz offen mitteilt.

(Abg. Bading: Da keine Wahlen sind, wird es ja auch der Fall sein!)

Ein zweiter Wunsch, Herr Minister! Im Augenblick wird ein Gutachten über die Auswirkung einer eventuellen Getreidepreissenkung auf das Einkommen der deutschen Landwirtschaft erstellt. Ich wäre dankbar, Herr Bundesminister, wenn dieses Gutachten nicht als eine „Geheime Kommandosache" behandelt würde und der Bundestag baldmöglichst davon erführe.

(Zustimmung bei der SPD.)

Über die übrigen Fragen, über die sehr wichtige Frage der Schutzklauseln und auch über die mit der Übergangszeit zusammenhängenden Fragen, möchte ich mich nicht näher auslassen. Eine Bemerkung vielleicht nur noch zur Übergangszeit! Auch das muß man der Landwirtschaft sagen, man darf es nicht verschweigen. Die Landwirtschaft muß wissen, daß es eben nur noch diese Zeit gibt, eine Maximalzeit, die eines schönen Tages auch sogar verkürzt werden kann. Es gibt keine Verlängerung mehr. Der .Endzeitpunkt ist also gesetzt.
Nun noch eine Bemerkung, die im Zusammenhang mit den Finanzierungsfragen steht, die aber so wichtig ist, daß man sie der deutschen Landwirtschaft ebenfalls zur Kenntnis bringen sollte. Wir haben im Zusammenhang mit diesen Marktregelungen die Möglichkeit, die Chancen des Exports nicht nur in dritte Länder, sondern auch in die Mitgliedstaaten zu nützen. Ich sehe nicht ein, Herr Kollege Struve, warum immer nur die anderen und nicht auch wir exportieren sollen. Hier wird also genau zu prüfen sein, wo und wie die Hebel angesetzt werden können. Sie wissen doch, daß die Ernährungsgüter der Bundesrepublik ihr Licht keineswegs unter den Scheffel zu stellen brauchen. 'Die Qualitäten sind durchaus konkurrenzfähig. Wir haben auch bereits einige Erfahrungen im Agrarexport,
und ich sehe nicht ein, warum wir diese Chance, die uns die Beschlüsse von Brüssel geben, nicht nützen sollten. Ich glaube sogar, wir müssen sie nützen; denn wir leisten ja auch einen beachtlichen Beitrag in den gemeinsamen Fonds.

(europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit wird die Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen sein. Ich möchte im Namen meiner Freunde sagen: wir halten es für gut, daß die Landwirtschaft und der Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen in die Wettbewerbsbestimmungen einbezogen worden sind. Wir freuen uns auch darüber, daß es gelungen ist, die landwirtschaftlichen Genossenschaften der ersten und zweiten Stufe genau wie im deutschen Kartellrecht aus diesen Bestimmungen herauszunehmen, und sind ebenso froh darüber, daß die nationalen Marktordnungen einstweilen, solange sie noch bestehen, nicht unter diese Bestimmungen fallen. Wir sind auch froh darüber und heißen es gut, daß durch die Brüsseler Beschlüsse die diskriminierenden Beihilfen — sprich Subventionen — verboten und abgeschafft werden sollen. Wer die Geschichte der Verordnung zu Artikel 42 kennt, weiß. daß alle Partner — (ich sage ausdrücklich: alle Partner! — viel verborgen haben und viel zu verbergen haben. Da gibt es einen Dschungel von Subventionen aller Art und überall, insbesondere auch im Agrarexport. Ich habe da als Berichterstatter für die Wettbewerbsfragen im Europäischen Parlament einmal hineinleuchten können. Ich kann schon sagen, da gibt es Meister der Tarnung. Die haben wir noch nicht, aber die gibt es im europäischen Raum. Wenn wir all das abstreifen, was es dort an diskriminierenden Subventionen gibt, werden wir allesamt auch erkennen müssen, daß die Fähigkeiten, preislich besser und billiger zu produzieren, in der Gemeinschaft gar nicht einmal so unterschiedlich sind. Dann werden wir auch erkennen können, daß viele Waren aus der Gemeinschaft durch erhebliche Subventionen verbilligt wurden. Die Bundesrepublik macht dabei keine Ausnahme. Sünder gibts auf allen Bänken der Gemeinschaft. Nur das Sündenregister ist mehr oder weniger dick. Meine Freunde und (ich persönlich halten die Herstellung fairer Wettbewerbsverhältnisse für ein ernstes Gebot der Europäischen Gemeinschaft. Wenn es uns gelingt, die Wettbewerbsverhältnisse zu klären und offen zu gestalten, fairer zu machen, damn dürfte vieles auch für uns einfacher sein. Ich möchte der Bundesregierung dringend raten, nicht nur bei der Aufstellung des jetzt vorgeschniebenen Inventars aktiv mitzuwirken, sondern noch mehr — mehr als bisher — darum auf der europäischen Ebene bemüht zu bleiben. Ich habe den Eindruck, daß die Bundesregierung bei der Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit nicht das letzte in Europa getan hat. Es wäre mehr zu tun. Ich kenne zwar die Geschichte des Artikels 42, aber hier müssen einige Versäumnisse gutgemacht werden. Was helfen uns die schönen Artikel über die Beseitigung der diskrirminierenden Subventionen in den Marktordnungen auf dem Papier! Was helfen sie uns, wenn dahinter nicht der Wille steht, diese Vorschriften auch durchzusetzen! Die Bundesregierung wird einen Dr. Schmidt wesentlichen Beitrag dazu leisten müssen, daß hie klare Verhältnisse geschaffen werden. Ich gebe zu, daß die Kommission dabei vor einer außerordentlich delikaten und schwierigen Aufgabe steht. Die Auswirkungen der Beschlüsse von Brüssel auf die einzelnen Produktionszweige und auf das Erzeugerpreisgefüge kann man im Augenblick noch nicht übersehen. Darin stimmen wir alle überein. Wir werden im Hause auch darin übereinstimmen, daß Korrekturen nach der einen oder anderen Seite wahrscheinlich, vielleicht in dem einen oder anderen Falle sogar nützlich sein werden. Herr Struve, wir sollten nicht die Feststellung vergessen — das habe ich in Ihren Ausführungen trotz Ihrer Klagen vermißt —, daß die Marktposition der deutschen Landwirtschaft gar nicht einmal so schlecht ist. Sie ist recht günstig. Ich habe nur bedauert, daß Sie so große Sorgen vor der Konkurrenzkraft unserer Partner haben. Es hängt von uns ab, ob wir unsere eigene Landwirtschaft so konkurrenzfähig machen, daß sie .die Gefahren gut übersteht. Wie gesagt, insofern teile ich Ihre Auffassungen nicht, daß wir große Sorgen haben müßten. Lassen Sie mich zur Erörterung der Frage schreiten, was für die nächsten Jahre zu tun bleibt. Bevor man diese Frage beantwortet, muß man die Lage kennen. Ich darf sie noch einmal in wenigen Punkten zusammenfassen. Erstens. Wir müssen uns darüber klar sein —und die ganze Landwirtschaft muß das —, daß die Automatik des Vertrages unaufhaltsam ist. Zweitens. Wir haben Jahre der konzentrierten Vorbereitung unserer Landwirtschaft in jeder Richtung versäumt. Eine dritte Feststellung: Für die deutsche Landwirtschaft ist die Entwicklung des europäischen Agrarmarktes schon eine Herausforderung, aber sie ist auch eine große Chance. Ich gebe zu, daß diese Entwicklung zum europäischen Agrarmarkt kein Morgenspaziergang ist; das wird eine harte Sache werden. Ich sehe aber nicht ein, daß unsere Bauern weicher sein sollen als die Franzosen und die Holländer. Sie sind sicher genauso hart im Geben wie im Nehmen, und sie vertragen schon einen ganz schönen Schlag und werden auch wieder zurückschlagen, wenn die anderen das tun sollten. Eine vierte Feststellung: Die Verordnungen und Beschlüsse von Brüssel sind nur ein Anfang. Die agrarpolitische Diskussion fängt gerade erst an. Dabei müssen wir natürlich feststellen, daß die Entwicklung zu dieser gemeinsamen Agrarpolitik nicht mehr in unserer Hand liegt. Wir sind nur ein Partner unter sechs anderen. Daraus ergeben sich natürlich auch einige Konsequenzen. Wenn man von diesen Fakten ausgeht, die ich gerade dargestellt habe, und wenn man das Ziel vor Augen hat, unsere Landwirtschaft gut gerüstet in diesen Konkurrenzkampf zu schicken, dann dürfte auch die Frage nach dem Tun von Morgen und Übermorgen nicht schwer zu beantworten sein. Ich habe, Herr Bundesminister, in Ihrer Regierungserklärung leider zu wenig über das Morgen gefunden. Sie haben die Tatbestände sachlich dargestellt, aber es fehlte der Hinweis auf das Morgen und Übermorgen, und dazu lassen Sie mich einige Anmerkungen machen und auch einige Fragen stellen. Die erste Anmerkung. Es dürfte notwendig sein, daß wir unsere Bauern unverzüglich über die Tatbestände aufklären. Sie stecken in einer fürchterlichen Ungewißheit. Sie wollen wissen, woran sie sind. Sie wollen über ihre Lage Klarheit haben, und sie wollen das ungeschminkte Bild erfahren. Ich habe anzumerken, daß die Publizität, Herr Bundesminister, in den letzten Jahren sehr, sehr mangelhaft war, und ich möchte einen Appell an Sie richten, in dieser Publizität etwas aktiver zu sein, gerade auch im Interesse unserer Landwirte. Eine zweite Anmerkung. Ich habe die Hoffnung, daß die Bundesregierung in den kommenden vier Jahren aktiver sein wird als in den letzten vier Jahren. — Ich habe die Hoffnung. Warum sollte ich die Hoffnung nicht haben? Vielleicht kommt es noch; ich erwarte es ja nicht. Ich gebe jedenfalls der Hoffnung Ausdruck, daß die Bundesregierung gegenüber unserer Landwirtschaft bezüglich der europäischen Probleme aktiver sein wird als bisher. Ich möchte nicht, daß die anstehenden Probleme „schwebend unwirksam" gehalten werden wie in der letzten Zeit. Ich möchte auch nicht, daß man mit einem scheelen Auge nach England und nach Dänemark — ganz gleich, aus welchen Gründen — sieht und dabei die eigenen Aufgaben im Innern vernachlässigt. Ich möchte auch nicht, daß man sich auf die auch in der zweiten Stufe notwendige Einstimmigkeit der Ministerratsbeschlüsse in agrarpolitischen Fragen verläßt und womöglich sogar noch Abwehrfronten aufbaut. Vielmehr sollte man in der Überzeugung an die Arbeit gehen, daß keine Zeit mehr zu verlieren ist. Es wäre vielleicht gut, wenn Sie jedem Referenten Ihres Hauses empfählen, einen europäischen Terminkalender auf den Schreibtisch zu stellen. Das könnte nützlich sein. Drittens. Ihr Haus sollte in Anbetracht der gegenwärtigen Lage sofort in eine Bestandsaufnahme des wirtschaftlichen und agrarpolitischen Standorts der deutschen Landwirtschaft eintreten, wobei es sicher gut wäre, wenn Sie bei dieser Bestandsaufnahme nicht nur die Länder, sondern auch den Berufsstand beteiligten; denn nur dann, wenn Sie eine solche Bestandsaufnahme betreiben, werden Sie daraus konstruktive Pläne entwickeln können. Es braucht nicht so weit zu gehen, wie eine sehr seriöse Zeitung neulich schrieb, daß Sie einen „Mobilmachungsplan" aufstellen. Das wäre zu kriegerisch. Aber einen Plan müssen Sie aufstellen, und aus diesem Plan müssen die Absichten klar erkennbar sein. Viertens. In diesem Zusammenhange wäre die Frage zu beantworten: Wie ist die Entwicklung der deutschen Landwirtschaft einzuschätzen und in welchen Größenordnungen wird dieser Umstellungsprozeß in der europäischen Agrarpolitik vor sich gehen? Dr. Schmidt Der fünfte Fragenkomplex: Welche Aufgaben stellen sich nicht nur für die deutsche Produktion, sondern auch gerade im Hinblick auf den Markt? Jeder kann es sich doch an den fünf Fingern abzählen, daß mehr oder weniger umfangreiche und bedeutungsvolle Anpassungen und Umstellungen erfolgen werden. Sie haben leider in der Regierungserklärung, Herr Bundesminister, darüber keine Bemerkung gemacht, ob die Bundesregierung bei diesem Umstellungsund Anpassungsprozeß helfen wird. Das hat mich sehr überrascht, und ich würde wünschen und hoffen, daß Sie sich dazu erklären. Sechstens. Wäre es nicht angebracht, in Anbetracht dieser .europäischen Entwicklung, die die von mir bereits dargelegten Kennzeichen trägt, auch die ländliche Sozialpolitik ein wenig größer zu schreiben und nach vorne zu rücken? Halten Sie es nicht für an der Zeit, einen ländlichen Sozialplan, wie ihn andere Länder längst haben, auszuarbeiten und in Gang zu setzen? Sind wir u. a. den alten Menschen auf dem Lande — den alten Bauern und ihren Ehefrauen — nicht auch etwas mehr schuldig als bisher? Dieser Sozialkomplex kommt doch auf uns zu, und wir können uns doch nicht darum herumdrücken. Sie müssen also auch in der kommenden Zeit einen solchen Sozialplan entwickeln. Dann ein siebenter Fragenkomplex: Sollten wir uns nicht auch mehr als bisher um die sogenannten Regionalpläne kümmern? Dabei haben doch die Länder und auch der Bund einen erheblichen Spielraum, der nicht durch Brüsseler Beschlüsse eingeengt wird. Sogar der europäische Fonds und andere Mittel könnten uns dabei sehr nützlich sein. Ich würde also empfehlen, auch auf diesem Gebiet einige Initiativen zu ergreifen. Damit möchte ich mit meinem Fragenbündel aufhören. Ich erwarte, Herr Bundesminister, im Augenblick nicht eine Beantwortung von Ihnen. Sie sollten aber wissen, daß wir im Laufe der nächsten Wochen und Monate auf diese Fragen immer wieder und bei jeder Gelegenheit zurückkommen werden. Sie haben ja, was den Vollzug der Brüsseler Beschlüsse angeht, in Ihrer Regierungserklärung von einer Ermächtigung gesprochen. Ich möchte im Namen meiner Freunde sagen, daß wir Ihrem Haus die Ermächtigung zur Ausfüllung dieses Rahmens nicht zu geben in der Lage sind. Lassen Sie mich zum Schluß folgendes sagen, meine Damen und Herren. Wir alle stehen sicher vor einer großen Aufgabe, und ich meine, daß alle politischen Kräfte dabei zur Mitarbeit aufzurufen sind. Wir sollten an dieser Entwicklung der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik konstruktiv mitarbeiten und nicht abseits stehen. Wir sollten die Landwirtschaft in die Lage versetzen, sich zu behaupten. Andere Länder, Herr Bundesminister, rüsten gewaltig zum Kampf. Ich habe mir eine Rundfunkrede des Landwirtschaftsministers Frankreichs, des Herrn Pisani, vorlegen lassen. Herr Pisani rief seinem Haus und seinen Bauern zu: „Also nunmehr mit Volldampf voraus!" Meine Damen und Herren, wir müssen also — um das noch einmal zu sagen — die Landwirtschaft in die Lage versetzen, sich zu behaupten. Wir Sozialdemokraten sind bereit, dazu alle notwendigen Hilfen zu gewähren. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ertl. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Übergang in die zweite Phase der europäischen Politik wurde in einer Monstertagung geschaffen. Lassen Sie mich einen kurzen Ausflug in das Gebiet des Sports machen. Man kann vielleicht sagen: in einem spannenden Finish haben sie es in Brüssel geschafft. Um beim Sport zu bleiben, ich muß auch darauf hinweisen, daß nach einem Finish oft schnell die Erschöpfung kommt. Wir alle hoffen, daß es für die deutsche Landwirtschaft infolge der Brüsseler Beschlüsse nicht auch zu einer Erschöpfung kommt, sondern daß sie zu einem glücklichen Ziel gelangt, wenn zielstrebig weitergearbeitet wird. Wir haben eine Vielfalt von Verordnungen leider Gottes immer noch nicht konkret vor uns liegen. Bei der heutigen Debatte können wir uns nur auf das verlassen, was wir bisher gehört haben und worüber wir uns aus Informationsdiensten zusätzlich unterrichten konnten. Wenn man Berichten glauben darf, daß in Brüssel derzeit immer noch Redaktionskomitees an der endgültigen Formulierung arbeiten, dann, glaube ich, muß man sagen: hoffentlich redigieren die auch richtig! Wir wollen nicht bereits in Kürze gezwungen sein, festzustellen: So wie die Texte jetzt lauten, waren sie im Ursprung vielleicht gar nicht gedacht. Das ist die Gefahr gewisser hektischer Verhandlungen, und daraus sollten wir lernen. Vorredner haben bereits vor mir festgestellt, daß es keine gute Sache ist, die in Nachtsitzungen geboren wurde. Ich habe mir sagen lassen — ich bin Neuling in diesem Hause —, daß das Hohe Haus von dem Brauch der Nachtsitzungen, von dem Übel der Nachtsitzungen abgekommen ist, weil man gemerkt hat, daß der Geist zu später Stunde oft nicht mehr so klar ist, wie er sein sollte. Wenn schon so wichtige Beschlüsse gefaßt werden, muß man sie mit klarem Geist fassen. Um so mehr bewundern wir jene — und wir zollen ihnen Anerkennung —, die hier verhandelt haben. Sie haben zweifelsohne das Bestmögliche gewollt und versucht. Das anerkennen wir. Was im Endeffekt herauskommt, werden wir in der Zukunft in diesem Hohen Hause sehr oft zu besprechen haben. Die Landwirtschaft bewegt heute eine bange Frage: Wie werden sich die Maßnahmen für uns alle auswirken? Wird es besser werden? Wird es schlechter werden? Was kommt auf uns zu? Vielleicht haben wir in der Vergangenheit die Verhandlungen nicht mit der letzten Konsequenz und Rücksichtnahme, wie sie die Entwicklung in Deutschland fordert, geführt. Vielleicht haben wir uns zu sehr immer auf das Morgen verlassen, ohne den gegenwärtigen Standpunkt zu berücksichtigen. Ich halte Ertl es deshalb für erfreulich, daß wenigstens in der Schlußphase von der deutschen Verhandlungsdelegation mit der nötigen Sorgfalt und in der bestmöglichen Art versucht worden ist, die wichtigen Belange unserer Landwirtschaft zu vertreten. Die Hoffnungen auf einen europäischen Vertrag und die Hoffnungen auf die EWG sind letzten Endes von einem hohen Ziel getragen, nämlich dem Ziel europäischer Völkerverständigung und wirtschaftlicher Zusammenarbeit weit über die Grenzen hinaus. Wir wollen dabei aber nicht vergessen, daß es in der Zielsetzung des Vertrages heißt: a)





(Zuruf von der SPD.)


(Sehr wahr! bei der SPD.)





(Beifall bei der SPD.)

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0401322500
Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0401322600



b) auf diese Weise der landwirtschaftlichen Bevölkerung, insbesondere durch Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens der in der Landwirtschaft tätigen Personen, eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten.
„Durch Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens", so wurde es in Art. 39 des EWG-Vertrages festgelegt. Das ist eine Forderung, der sich alle Vertragspartner verpflichtet haben und die — das wurde in der Debatte schon betont — weitgehend mit der Zielsetzung des Landwirtschaftsgesetzes übereinstimmt.
Mit aller Deutlichkeit muß hier ausgesprochen werden: wir erwarten, daß die EWG-Kommission in Brüssel keine Maßnahmen beschließt, die uns in der Bundesrepublik und unserer Landwirtschaft Belastungen zumuten, die im Gegensatz zu dem Art. 39 stehen, die nicht dazu beitragen, das Pro-Kopf-Einkommen zu erhöhen.
Wir haben mit Freude vernommen, daß erst im letzten Jahr bei der Sozialtagung der EWG in Rom erneut ein Bekenntnis zum bäuerlichen Familienbetrieb abgelegt worden ist und daß erneut betont worden ist, daß bei der fortschreitenden Entwicklung in Europa auch der bäuerliche Familienbetrieb seinen Platz im freiheitlichen Staat haben müsse und daß es darum gehe, den Lebensstandard der in der bäuerlichen Familie tätigen Menschen dem der übrigen Bevölkerung anzupassen. Das sind hohe Ziele, die man sich in Rom gesetzt hat. Wir dürfen diese hohen Ziele nicht aus politischen Gründen verwässern. Hier besteht nach wie vor eine wichtige Verpflichtung.
Wir müssen bedenken, daß durch den Eintritt in die zweite Phase unsere bisherige Agrarpolitik an einem gewissen Endpunkt angelangt ist. Wir werden uns sehr bald darüber zu unterhalten haben, welche Auswirkungen auf den Agrarrechtssektor auf uns zukommen. Wir haben bereits von Herrn Bundesminister Schwarz gehört, daß es sehr bald notwendig sein werde, unsere bisherigen Marktordnungsgesetze der neuen Situation und den Beschlüssen von Brüssel anzupassen. Damit nehmen wir Abschied von einer fruchtbaren Phase der Agrarpolitik.
Wenn man die vorläufigen Entwürfe für die Marktordnungen liest, dann wünscht man sich nur, daß sie eine ähnliche Funktion ausüben und eine ähnlich fruchtbare Wirkung haben werden, wie es z. B. das Marktordnungsgesetz für Getreide und für Zucker bei seiner bisherigen Anwendung in der Bundesrepublik gehabt hat. Es war eine konstruktive Phase in der deutschen Bundesrepublik, als diese Marktordnungsgesetze geschaffen worden sind. Wir können nur hoffen, daß die konstruktive Arbeit — zum Wohle von Erzeugern und von Verbrauchern — in der EWG fortgesetzt wird.
Aber wenn man diese Vielfalt und diese großen Möglichkeiten für die Festsetzung von Preisen sieht, die bei den Marktordnungen gegeben sind, dann — das muß ich Ihnen offen und ehrlich gestehen — möchte einem oft angst werden vor der Phantasie, die bei der Abfassung dieser Verordnungen mitgewirkt hat. Eine einfachere Form würde vielleicht mehr Möglichkeiten für die praktische Handhabung bieten. Hier wäre eine gewisse Reduzierung auf das normal Notwendige erforderlich.
Wir werden uns sehr bald darüber zu unterhalten haben, wieweit die Gesetze auf dem Getreidesektor — Getreidegesetz und Getreidepreisgesetz — außer Kraft gesetzt bzw. variiert werden müssen. Die Brüsseler Beschlüsse sind für uns bindend. Wir müssen uns überlegen, wie wir unsere gesamte agrarpolitische Lage diesen Beschlüssen anpassen können.
Lassen Sie mich hier einen Blick in die Vergangenheit werfen, in die Jahre 1948, 1949, 1950. Schon einmal mußte die deutsche Landwirtschaft Tribut für eine bestimmte Ordnung bei uns — nämlich für den Schritt in die freie Marktwirtschaft — zahlen. In einer Zeit, zu der alle übrigen Wirtschaftspartner freie Preise bekamen, hat man ihr zugemutet, noch. zwei Jahre mit Zwangspreisen zu wirtschaften; das stellte die Starthilfe für unser vielbesungenes Wirtschaftswunder dar. Es wäre kein guter Start in dieses neue Europa, wenn wir wiederum die Starthilfe zahlen müßten. Denn diese würde langsam an die Substanz unserer bäuerlichen Betriebe gehen. Das wollen wir im Interesse der Gesunderhaltung unseres Volkes und einer gesunden Gesellschaftsstruktur vermeiden.

(Beifall bei der FDP.)

Die Beschlüsse von Brüssel sind vorwiegend politischer Art. Sie sind zunächst nicht so sehr aus der Sicht des Bäuerlichen oder des Wirtschaftlichen gefaßt worden. Man will über die Wirtschaft zur politischen Lösung kommen. Es wird einmal für die Historiker eine Preisfrage werden, ob es klug ist, wirtschaftliche Lösungen unter politischen Aspekten zu suchen, oder ob es nicht besser wäre, über die wirtschaftlichen Lösungen zu einer gesunden und vernünftigen Politik zu kommen. Aber wir können heute darüber nicht urteilen. Wenn wir heute die politische Lösung schon akzeptieren müssen, dann müssen wir dafür sorgen, daß nicht einer allein die Zeche zu zahlen hat, sondern daß sich die Folgen für alle Partner gleichermaßen auswirken.

(Beifall bei der FDP.)




Ertl
Damit komme ich zu dem wichtigsten Punkt, der in dieser Debatte angesprochen worden ist, nämlich zu dem Problem der Preise. Es wurde bereits betont, daß von den elf Punkten des 27. November nicht alles verwirklicht werden konnte. Wir haben auch geglaubt, daß der Vertragstext — Art. 44 — erhalten bleibt, d. h. daß man sich auf der Basis von Mindestpreisen einigt. Das ist nun in der Tat nicht geschehen. Wir haben den Richtpreis bekommen. Der Herr Kollege Schmidt hat nicht zu Unrecht davor gewarnt, zu sagen: Es wird bei dem deutschen Getreidepreis bleiben. Ich glaube aber, wir, das Parlament, haben die Pflicht, dem Herrn Bundesminister zu sagen: wir wissen um die Funktion des Getreidepreises und um die Notwendigkeit, den deutschen Getreidepreis zu halten, und wir haben starke Hoffnung, daß er in diesem Punkte die Wünsche und die Notwendigkeiten berücksichtigt.
Herr Kollege Schmidt hat in der Debatte erklärt, der Getreidepreis allein mache es nicht. Ohne Zweifel macht er es allein nicht. Aber unsere Veredelungswirtschaft baut nicht auf dem Hinzukauf von ausländischem Futtergetreide auf, sondern unsere Veredelungswirtschaft hat eine wirtschaftseigene Basis. Das heißt, von dem eigenen Futtergetreidepreis hängt wahrscheinlich letzten Endes auch der Preis der Veredelungsprodukte ab.
In diesem Zusammenhang hat der Brotgetreidepreis wie der Futtergetreidepreis eine Schlüsselfunktion für die gesamte Agrarpolitik. Das muß man sehr klar sehen. Da bestehen echte Produktionsunterschiede zwischen den Verhältnissen in der Bundesrepublik und den Verhältnissen meinetwegen in Holland. Wir müssen auf unsere Veredelungswirtschaft, aber auch auf unsere Futtergetreideerzeugerbetriebe in schlechten Bodenlagen Rücksicht nehmen. So ist der Brotgetreidepreis wirklich ein Schlüsselpreis. Bei der Behandlung von Preismaßnahmen in der Landwirtschaft hat sich in der Vergangenheit immer wieder herausgestellt: es nutzen keine Preisinseln — wir erleben das immer wieder —, es gibt nur ein gleiches Niveau nach oben oder nach unten. Ich muß Ihnen ganz offen und ehrlich sagen: ich fürchte, wenn es zu einem Einbruch beim deutschen Brotgetreidepreis kommt, dann werden die anderen Preise nachziehen bis in die Veredelungswirtschaft. Ob das dann dem Verbraucher im Endeffekt zugute kommt, ist eine Frage für sich. Sie brauchen sich nur die Wirtschaftsstatistik anzuschauen: die Erzeugerpreise sind seit zehn Jahren stabil geblieben, aber die Verbraucherpreise nicht in diesem Umfang. Sie wissen, wie sich diese Dinge verändert haben. Das zur Frage des Brotgetreidepreises!
Wir wären glücklicher gewesen, wenn es zu Mindestpreisen gekommen wäre. Aber diese Dinge sind nun einmal nicht mehr geschafft worden. Wir müssen es nun so versuchen, wenn es uns nicht gelingt, auf andere Weise den jetzigen Getreidepreis zu erhalten.
Bei den jetzigen Beschlüssen im Rahmen der EWG steht von der Absatz- und Vermarktungsseite her ein gewisses Mißtrauen im Vordergrund. Die Bundesrepublik ist — der Herr Bundesminister hat schon in seiner Erklärung sehr deutlich darauf hingewiesen — das einzige Importland; die anderen sind Exportländer. Da gibt es natürlich Schwierigkeiten, insbesondere im Hinblick auf die Drittländer, die sich auf Grund unserer Handelsbeziehungen ja auch an unserem Markt beteiligen wollen. Aus diesem Grunde sehen wir es als eine dringliche Aufgabe an — mein Vorredner Herr von Kühlmann-Stumm hat das bereits betont —, bald von dem Sechser-Europa zu einem größeren Europa unter Einbeziehung von England, Dänemark, Osterreich, der Schweiz usw. zu kommen, damit sich die Marktverhältnisse wiederum etwas erweitern. Mit einer gewissen Angst sehen wir auf eventuelle Bestrebungen nach einer Autarkie der nach Präferenzen. Sie zielen letzten Endes darauf ab, daß unser Markt alles aufnehmen und die übrigen Länder bei uns abladen sollen. Angesichts unserer Produktionsmöglichkeiten entstehen natürlich große Schwierigkeiten.
Wir haben mit Freude vernommen — das fällt mir gerade noch ein —, daß Herr Professor Baade zum Getreidepreis erklärt hat, auf Grund seiner Studien müsse er heute die Meinung vertreten: es macht gar nichts, wenn die Produktion im europäischen Raum durch einen höheren Getreidepreis gesteigert wird; denn angesichts der Welternährungslage ist es ohnehin so, daß wir uns über kurz oder lang in einer sehr schwierigen Ernährungssituation befinden werden. Vielleicht ergeben sich gewisse Hoffnungen im Hinblick auf die Entwicklungshilfe. Vielleicht lassen sich dadurch gewisse Marktregulierungen einbauen.
Alles in allem: das Funktionieren der EWG und der kommenden Verordnungen hängt nicht zuletzt davon ab, ob man es ehrlich untereinander meint. Dieses Ehrlich-untereinander-Meinen setzt eine echte europäische Solidarität voraus.
Gestatten Sie mir, daß ich auch noch da manchen Zweifel anmelde. Ich lese z. B. in der „Neuen Zürcher Zeitung" von einem Presseinterview des französischen Ernährungsministers Pisani. Er hat ungefähr folgendes gesagt: Die gemeinsame Agrarpolitik bietet der französischen Landwirtschaft die Möglichkeit, ihre gesamte Erzeugung innerhalb des Gemeinsamen Marktes zu den höheren französischen Inlandspreisen abzusetzen; daraus wird sich eine Hebung des landwirtschaftlichen Einkommens ergeben, ohne daß die französischen Konsumentenpreise steigen werden; gleichzeitig wird dadurch der französische Staatshaushalt enlastet. Das heißt doch, daß man in Zukunft gewisse französische Hilfsmaßnahmen mit unserer Hilfe mitfinanzieren will. Ob das nun von einem echten europäischen Geist zeugt, möchte ich bezweifeln. Vielleicht wird aber die Übung und das Zueinander manches bessern. Wir werden uns hoffentlich in manchen Dingen noch besser verstehen.
Noch ein Wort zur Umstellung auf die Veredlungswirtschaft. Sie wird so als das Generalrezept im Zuge der EWG empfohlen. Ich komme aus einem Gebiet, wo man von Natur aus zur Veredlungswirtschaft gezwungen ist. Auf Grund des Klimas, der Bodenverhältnisse, der Hanglagen usw. können die Bauern in den bayerischen Bergen nur Veredlungswirtschaft treiben. Wir waren glücklich darüber, daß sich ein Teil unserer Hackfrucht- und Ge-



Ertl
treidebaubetriebe infolge der Entwicklung und der Preissituation der letzten Jahre — ich denke insbesondere an die Zuckerrübenpreise, die Hackfruchtpreise, aber auch an die Getreidepreise — aus der Milchwirtschaft herausgezogen und mehr auf die Mastproduktion umgestellt hat. Sollte diese Entwicklung zurückgeschraubt werden, so würde das bedeuten, daß das innere Produktionsgefälle — ich möchte es einmal mit dem so beliebten Wort „Wettbewerbsverzerrung" aussprechen — innerhalb Deutschlands noch einmal verstärkt wird, und dann würden vielleicht gerade die von Natur aus benachteiligten Betriebe erst recht die europäische Rechnung bezahlen. Das muß für die Zukunft verhindert werden. Daher kommt wieder der ganze Komplex Getreidepreis — Veredelungswirtschaft. Es gibt hier keine Patentrezepte. Aber vielleicht werden wir hier Wege suchen und finden. Es bieten sich auch gewisse Möglichkeiten an. Wir hören von horizontaler Integration und von vertikaler Integration. Soweit solche Möglichkeiten dazu angetan sind, Qualität und Absatz zu verbessern, werden wir alle sie wohl vollauf unterstützen.
Wir sind der Meinung, daß es vor allem das Recht der Bauern ist, durch Zusammenschlüsse bessere Produktions- und Absatzmöglichkeiten auszunutzen. Allerdings haben wir da ein Fragezeichen anzubringen, wenn die vertikale Integration — um sie geht es ganz besonders — letzten Endes nur dahin führen sollte, daß der Bauer nur noch ein Vertragsarbeiter für irgendein Unternehmen wird. Das wäre verkehrte Gesellschafts- und Sozialpolitik.

(Beifall bei der FDP.)

Das gilt auch für die Konzentration, von der Sie gesprochen haben, Herr Kollege Schmidt. Wir haben in den übrigen wirtschaftlichen Bereichen schon genug Konzentration. Wir sind sehr froh und haben mit großer Freude vernommen, daß die Bundesregierung immer wieder erklärt, wie sehr es in der jetzt so gespannten Situation darum geht, möglichst viele Einzeleigentümer in unserem Volke zu erhalten. Wir wissen auch nicht, wie sich die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf die Dauer gestalten. Die vielschichtige Landwirtschaft ist immer noch ein Stabilisator in unserem ganzen Volkskörper, und das soll so bleiben.
Es wurde verschiedentlich darauf hingewiesen, daß es vielleicht in Zukunft notwendig ist, Preisziele zu nennen. Wir sind der Meinung, daß es sehr notwendig ist, einmal genau festzustellen, welche Erfordernisse für eine echte Kostendeckung nach der jetzigen Wirtschaftslage bestehen. Diese Frage muß einmal von der Wissenschaft angepackt werden.
Ich darf diesbezüglich eines einmal sehr deutlich sagen. Wir haben auch in puncto Strukturwandel oft eine gewisse breite Auslegung. Im europäischen Vertrag und in den Brüsseler Beschlüssen wird immer wieder auf die Notwendigkeit des Strukturwandels hingewiesen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Wir wissen alle, daß unsere Landwirtschaft infolge von Erbteilungen und aus anderen Gründen oft sehr schwierige innere Wirtschaftsverhältnisse hat. Soweit diese inneren Wirtschaftsverhältnisse verbessert werden müssen, werden wir immer ja
sagen, ein Ja zur Flurbereinigung, Arrondierung und Aufstockung. Wer aber glaubt, daß sich das wirtschaftliche und soziale Gefälle zwischen Landwirtschaft und der übrigen Wirtschaft allein auf dem Wege des Strukturwandels beseitigen läßt, der hat die letzte Entwicklung nicht scharf durchdacht.

(Beifall bei der FDP.)

Das ist eine Erkenntnis, die aus dem letzten Grünen Bericht sehr deutlich hervorgeht. 6 % der Betriebe haben die Kostendeckung erreicht, 94 % haben trotz verschärfter Strukturmaßnahmen und trotz Flurbereinigung den Anschluß nicht erreicht. Warum? Weil man das Preis- und das wirtschaftliche Gefälle nicht dadurch beseitigen kann, daß man unbedingt sagt, die Betriebe müßten größer oder kleiner werden oder arrondiert oder flurbereinigt werden.
Selbstverständlich steigt die innere Wirtschaftlichkeit. Wenn wir heute noch feststellen können, daß wir eine gut funktionierende Landwirtschaft haben, so gerade deshalb, weil sie jener Produktionszweig ist, der durch mehr Produktion, durch bessere Erzeugung und vielleicht auch durch Verbesserung der Qualität das Preisgefälle immer wieder zu überwinden versucht. Man darf auch nicht vergessen, daß die Familienbetriebe noch bereit sind, gewisse Opfer zur Erhaltung des bäuerlichen Besitzes zu bringen.

(Beifall bei der FDP.)

Da wir aber schon bei dem Strukturwandel sind und zu den Folgender jetzigen Brüsseler Beschlüsse kommen, müssen wir unbedingt daran denken, daß nach wie vor eine große Rationalisierungslücke und Modernisierungslücke besteht. Wir haben also, Herr Kollege Struve hat es bereits angeführt, für die Zukunft einen erheblichen Bedarf an Kreditmitteln zur Rationalisierung und Modernisierung unserer landwirtschaftlichen Betriebe. Ich möchte daran erinnern, daß wir Freien Demokraten bereits im Jahre 1958 einen Antrag zur Investitionshilfe eingebracht haben. Wir werden uns vielleicht bald einmal im Ernährungsausschuß über dieses Problem unterhalten müssen; denn auch auf der Kreditbasis ist heute noch keine Konkurrenzfähigkeit gegeben.
Es wird immer so sehr von der Preisangleichung, sehr wenig von der Kostenangleichung gesprochen. Dabei gibt es natürlich immer noch ein Kostengefälle. Ich möchte auf die Wettbewerbsverzerrung im einzelnen noch gar nicht eingehen. Denken Sie daran: als einziger Partner mußten die deutschen Landwirte Lastenausgleich zahlen; auch eine finanzielle Belastung! Das soll nicht heißen, daß wir gegen den Lastenausgleich sind. Aber er belastete die Produktion unserer landwirtschaftlichen Betriebe, insbesondere belastete er die Kapitalbildung.
Alle unsere Partnerstaaten haben zur Zeit Agrarschutzmaßnahmen; es wurde bereits in der Debatte gesagt. Lassen Sie mich einige Zahlen nennen von maßgeblichen Wirtschaftspartnern, mit denen wir, sei es im Zuge der EWG, sei es als Drittländern, einen Austausch haben. Die Vereinigten Staaten haben heute eine Subvention pro in der Landwirtschaft tätige Person von 2375 DM, Großbritannien, das



Ertl
vielleicht in Zukunft einmal unser Partner wird, gibt
gar pro Person 2980 DM aus, Holland — das so viel
gepriesene Holland — 1320 DM, Deutschland 760 DM.
Es ist nun nicht so, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß nur die Landwirtschaft in Deutschland in einem „Subventionsglashaus" sitzt. Auf diesem Sektor ist zur Angleichung bzw. zum Ausgleich .einzelstaatlicher Maßnahmen noch sehr viel zu tun. Herr Kollege Schmidt hat schon darauf hingewiesen, mit welcher Schläue verschiedene Partner ihre einzelstaatlichen Hilfsmaßnahmen verschleiern. Hier ist noch sehr viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Wir wünschen Ihnen, Herr Minister, sehr viel Spione bei der Erstellung des Katalogs, damit wir endlich einmal die Karten auf dem Tisch liegen haben. Wir erwarten von unseren Partnern, wenn sie es ehrlich meinen, daß sie auch ihre Karten auf den Tisch legen. Wir haben es auch getan.
Es wurde in diesem Zusammenhang betont, daß nur die Exportsubventionen in Zukunft wegfallen. Wir müssen auf lange Sicht die Kosten insgesamt angleichen.
Ich darf noch auf die Treibstoffbeihilfen bzw. die Treibstoffkosten hinweisen. Der deutsche Landwirt zahlt 27 Pfennig, der holländische meines Wissens 18, der italienische gar nur 15 Pfennig.
Ich will nicht im einzelnen darlegen, welche Belastungen die deutsche Landwirtschaft für Anschaffungen von Maschinen, von Gebäuden zu tragen hat. Auch diese Lasten, die sich oft sehr erheblich auswirken — Sie kennen die Zahlen aus dem Grünen Plan und dem Grünen Bericht —, sind ein Kostenfaktor unserer landwirtschaftlichen Produktion. Sie sind aber auch, das darf ich hier einma ganz allgemein sagen, ein Beitrag für die gesamte deutsche Volkswirtschaft. Bedenken Sie, was passieren würde, wenn unsere Landwirtschaft als Käufer aus dem Binnenmarkt ausschiede. Das würde für sehr viele Industrie- und Gewerbezweige zu erheblichen Schwierigkeiten führen. Auch daran muß man in Zukunft denken.
Um so wichtiger ist wiederum, daß wir in Zukunft durch eine Investitionshilfe dafür Sorge tragen, daß die Landwirtschaft die Möglichkeit hat, mit entsprechenden Krediten baldmöglichst ihre Rationalisierungsmaßnahmen durchzuführen.
Auch die Frachten sind ein Kostenfaktor; und leider Gottes sind auch die Frachten in der Bundesrepublik am höchsten. Wir kommen also nicht darum herum, die Frachttarife für Getreide zu senken. Wir werden gerade diese Maßnahmen sehr genau im Auge behalten müssen, wenn nicht wieder die marktfernen Gebiete, die ja sowieso von Natur aus benachteiligt sind, besonders in Mitleidenschaft gezogen werden sollen.
Ein Wort zu den Regionalprogrammen. Auch wir Freien Demokraten sind der Meinung, daß gerade in Zukunft Regionalprogramme besonders wichtig sind. Ich brauche es Ihnen nicht zu sagen: gerade wir in Bayern haben diesbezüglich natürlich ganz besondere Wünsche, weil ein Großteil der marktfernen Gebiete bei uns liegt. Es ist deshalb sehr notwendig, daß wir in Zukunft Regionalprogramme
besonders unterstützen. Das ist im übrigen bereits in Artikel 42 des EWG-Vertrags berücksichtigt. Wir brauchen vielleicht Mittel zur Förderung der Veredlungswirtschaft, wenn es sich darum handelt, meinetwegen Schweinemastringe oder ähnliches zu schaffen, und wir werden nicht darum herumkommen, wenn wir einen schnellen Fortschritt unserer Landwirtschaft wünschen, die Beratungen für diese Schwerpunkte zu intensivieren. Übrigens haben andere Partnerstaaten etwas Ähnliches gemacht.
Gestatten Sie mir noch ein Wort zum Grenzertrag. Es wurde immer wieder betont — meines Wissens war Präsident Mansholt der erste, der vor Jahren darauf hingewiesen hat —, daß sich hier eben gewisse Notwendigkeiten ergeben. Sie wissen, daß es noch immer das Problem der Abwanderung von 1 Million Arbeitskräften und der Herausstellung des größeren Betriebs gibt. Professor Hofstee sprach in Bad Tölz auf der agrarsozialen Tagung vom 30-ha-Betrieb. Außerdem kommt immer wieder die Frage der Aufforstung von sogenannten Grenzertragsböden auf. Es wäre wünschenswert, einmal genau zu erfahren, was alles Grenzertragsböden sind. Denken wir doch daran, daß die Landwirtschaft letzten Endes etwas organisch Ganzes ist, das in die Landschaft hineinpaßt.
Weil ich gerade aus einem Gebiet komme, in dem noch Bergbauern leben, muß ich Sie alle fragen, die Sie doch so gerne in den bayerischen Bergen Ihren Urlaub verbringen: Könnten Sie sich dieses bayerische Bergland ohne unsere Dörfer, ohne unsere Bauern, ja ohne die Kühe in Oberammergau vorstellen?

(Heiterkeit.)

Ich glaube, das wäre für uns alle bitter.

(Anhaltende Heiterkeit.)

Sie wollen das für Ihren Urlaub genießen; wir wollen, daß die Menschen anständig leben können.

(Abg. Dr. Schmidt — Herr Schmidt, hier begegnen wir einander auf der sozialen Ebene; wir sehen das zum beiderseitigen Nutzen aus sozialpolitischer Sicht. Man sollte sich daher mit Vorsicht mit solchen Problemen befassen. — Er kennt es. Ich nehme an, daß er von seinem Berg auch des öfteren auf eine Kuh herunterschaut. Notfalls werde ich es ihm einmal zeigen. Ich bin nämlich in seiner Nachbarschaft. Wir werden für dieses Gebiet sicherlich eine besondere Beratung brauchen. Lassen Sie mich sagen: wir sollten es nicht so leicht nehmen. Ich darf zurückkehren zu dem großen Problem, in das diese Frage gehört, nämlich zu der Auseinandersetzung um den freiheitlichbäuerlichen Betrieb mit dem Schwerpunkt als Familienbetrieb und der Tendenz zur Farm und — als Alternative — die Kolchose. Wir müssen dabei immer wieder bedenken, daß der bäuerliche Betrieb ein gesellschaftspolitischer Faktor ist, den wir auf die Dauer erhalErtl ten wollen, und zwar in einer Breitenschichtung und nicht als ganz spezialisierten Betriebstyp. — Ich sage nur, gnädige Frau, daß gewisse Tendenzen dazu da sind. Ich habe Professor Hofstee zitiert. Sie hätten nach Bad Tölz fahren müssen. Es wurde in der Debatte noch vom Milchpreis gesprochen. Wir wissensselbstverständlich, Herr Struve, daß der Erzeugerpreis in keiner Weise dem jetzigen Preisund Lohnniveau in der übrigen Wirtschaft angepaßt ist. Es geht vorwiegend darum, den Erzeugerpreis zu heben, in ein richtiges Verhältnis zu derzeitigen wirtschaftlichen Belastungen zu bringen und alle Maßnahmen auf den Erzeugerpreis abzustimmen. — Sie müssen unsere Anträge und unsere Erklärungen lesen, Herr Schmidt, dann werden Sie das sehr genau daraus ersehen können. Wenn wir aber dem Verbraucher da oder dort ein Opfer zumuten, dann müssen wir auch alles für eine Qualitätsverbesserung tun. Wir unterstützen daher alle Maßnahmen für eine Qualitätsverbesserung. Gerade auf dem Milchsektor scheint es notwendig, zu Qualitätsverbesserungen zu kommen. Dann werden wir sicherlich auch das Verständnis der Verbraucher finden. Dazu eine ganz allgemeine Bemerkung. Wir sollten uns hüten, Erzeuger und Verbraucher ständig gegeneinander auszuspielen, sondern wir sollten beiden Teilen Gerechtigkeit angedeihen lassen. Ich komme zum Schluß. Wenn sich die EWG und die Brüsseler Beschlüsse als ein guter Anfang herausstellen sollten, und wenn es gelingt, gewisse Tendenzen, die vielleicht einmal vorhanden waren, zu beseitigen, dann können wir aus der jetzigen Situation heraus eine glückliche Zukunft für unsere Landwirtschaft erreichen. Wir sollten uns aber hüten, nur aus einer fortschreitenden Industrialisierung eine Art Fortschrittsgläubigkeit zu entwickeln. Ich darf zum Schluß zitieren, was Friedrich Naumann vor ungefähr 30 Jahren einmal zu dem Verhältnis zwischen Landwirtschaft und fortschreitender Industrialisierung am Beispiel Englands gesagt hat: Ein siegreicher Industrialismus wird aus wirtschaftlichen und nationalen Gründen Bauernschutzpolitik treiben müssen, wenn er unser Volk nicht in die höchst bedenkliche Lage bringen will, in der jetzt England ist, wo einer industriellen und finanziellen Hochkonjunktur der Bauernuntergrund fehlt. Wenn es sich um Bauernschutz handelt, müßte selbst eine industrielle Demokratie in weitsichtigem Interesse Opfer bringen. Das, glaube ich, müßten wir bei der Entwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft berücksichtigen. Wenn das genügend berücksichtigt wird, werden wir sicherlich in Zukunft eine gute Agrarpolitik treiben können. Es wurde bereits betont, daß die Bundesregierung um eine Ermächtigung nachgesucht hat, weil es sich hier um eine sehr schwierige Materie handle. Auch wir glauben, daß es unmöglich ist, die kommenden Beschlüsse ohne das Parlament zu fassen. Wir bitten deshalb darum, daß wir in Zukunft über alle diese Auswirkungen mit aller Klarheit informiert werden und daß das letzte Wort in einer Materie von so weittragender Wirkung beim Parlament bleibt. Lassen Sie mich noch einmal betonen: Wir sagen ja zu Europa. Wir hoffen, daß es eingrößeres Europa wird; nicht das Europa der Sechs, sondern ein Europa aller freiheitlichen Staaten. Wir sagen um so lieber ja zu Europa, wenn es nicht auf einer dezimierten deutschen Landwirtschaft aufgebaut wird. (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


(Zuruf von der SPD: Ich empfehle, das Manuskript Herrn Erhard zu schicken!)





(Zuruf der Abg. Frau Strobel.)


(Zuruf des Abg. Dr. Schmidt [Gellersen].)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0401322700
Das Wort hat der Abgeordnete Bauer (Wasserburg).

Josef Bauer (CSU):
Rede ID: ID0401322800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie, daß ich im Anschluß an das, was mein Kollege Struve heute vormittag in einer wirtschaftlichen und besonders landwirtschaftlichen Gesamtschau in bezug auf die Beschlüsse des 14. Januar gesagt hat, in der zweiten Runde über ein paarspezielle Gesichtspunkte spreche, die einige Bundesländer und Gebiete ganz besonders berühren werden, deren bisherige Ausgangsposition schon im Rahmen unserer nationalen Agrarpolitik stets schwieriger war als für den Durchschnitt unserer deutschen Landwirtschaft. Sie alle kennen aus früheren Debatten und Beschlüssen dieses Hohen Hauses den Begriff des Zonenrandgebietes und seit zwei Jahren aus dem Grünen Plan nunmehr auch den Begriff der von Natur aus besonders benachteiligten Gebiete. Das sind Räume, die auf Grund ihrer Grenzlage entlang des Eisernen Vorhangs oder, wie ich schon sagte, auf Grund standortbedingter Verhältnisse von Natur aus besonders benachteiligt sind. Die Gesamtbevölkerung— ich betone ausdrücklich: die Gesamtbevölkerung in diesen Gebieten, nicht nur die Menschen in der Landwirtschaft — hat sich bisher auf Grund der erfreulicherweise meist einstimmigen Beschlüsse dieses Hauses einer 'besonderen Vorsorge und Unterstützung erfreuen dürfen.
In diesen Gebieten kommt zu den grenzpolitischen bzw. standortbedingten Nachteilen, soweit das bisher schon auf Grund der jetzt erkennbaren EWG-Agrarmarktordnung zu ersehen ist, eine dritte, neue Sorge, nämlich eine zusätzliche Marktferne. Sie verstärkt die Wettbewerbsnachteile in diesen Zonenrand- und von Natur aus benachteiligten Gebieten. Die Marktferne vergrößert den bisher hierunter verstandenen Bereich.
Während die sich nun abzeichnende — ich gebrauche einmal dieses Wort — Wirtschaftsachse Ruhr-Rhein-Rhone mindestens für einen Teil des südwest- und westdeutschen Raumes durch eine größere Marktnähe sicherlich neue Chancen schaffen wird, bleibt z. B. für den südostbayerischen Raum, aus dem ich komme, das oberitalienische Industriegebiet etwa des Raumes Mailand-Turin genauso weit entfernt, wie für diese Bereiche bisher etwa das Ruhrgebiet entfernt lag.



Bauer (Wasserburg)

Für .die hier angesprochenen marktfernen Wirtschaftsgebiete, die weitgehend mit den Zonenrand- und Förderungsgebieten identisch sind, entstehen ab 1. Juli mit Inkrafttreten der jetzt vor uns liegenden Verordnungen dieses Jahres zusätzliche unmittelbare Wirkungen, die es auszugleichen gilt. Herr Kollege Schmidt, Sie sprachen zwar davon, daß es schon immer, auch vor dem ersten Weltkrieg, tote Winkel gegeben habe. Ich möchte aber doch hinzufügen: zwar gab es vor dem ersten Weltkrieg auch schon tote Winkel, die Zonenrandgebiete kennen wir aber erst als Folge des zweiten Weltkrieges, und infolge dieser neuen Entwicklung — einer erfreulichen Entwicklung; ich betone das ausdrücklich — werden diese Bereiche gegen den Osten zu im Rahmen der sechs Länder nun einmal wirtschaftliche Randgebiete. Hier werden Sie mir sicher zustimmen.
Die auf diese Gebiete akut zukommenden besonderen Nachteile bestehen zunächst einmal in dem Getreiderichtpreissystem. Ich spreche mich gar nicht gegen dieses Getreiderichtpreissystem aus. In seiner wirtschaftlichen Funktion wird es zweifellos richtig sein. Sie wissen, es soll bekanntlich für ein Gebiet etwa im Raume Straubing-Passau einen Preisabschlag von 5 bis 6 DM je Doppelzentner bringen. Herr Minister, ich .darf hier ausdrücklich sagen, wir sind Ihnen sehr dankbar dafür, daß Sie bei Ihren Verhandlungen diese unmittelbaren Wirkungen mindestens zunächst für die Übergangszeit erheblich vermindern konnten, indem Sie zusätzliche Paritätspunkte herausholten, indem Sie die Möglichkeit eines zusätzlichen Frachtausgleichs und vielleicht auch für die Übergangszeit noch gewisser zusätzlicher Zahlungen schufen.
Ich möchte aber gleich hinzufügen: über die Übergangszeit hinaus bleibt von diesen Hilfen effektiv wahrscheinlich nur die Frachtangleichung bestehen. Deshalb halten wir die hier von der Bundesbahn zur Zeit angebotene Frachtermäßigung von 25 % einfach für unzureichend. Wir sind der Meinung, daß die Bundesbahn auf diesem Sektor ebenso wie kürzlich auf einem ganz anderen Gebiet — ich will es der Konkurrenz halber hier gar nicht ansprechen — durchaus mindestens 50 % gewähren könnte. Auf jeden Fall, Herr Minister, sollten wir bei der Angleichung der Frachten wenigstens so weit gehen, wie wir uns im Rahmen der Harmonisierung der künftigen EWG-Frachttarife bewegen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, ich beschränke mich hinsichtlich der unmittelbaren Wirkungen jetzt bewußt auf diesen zunächst klar erkennbaren Teilbereich, obwohl sich hier auch andere Entwicklungen ebenso deutlich abzeichnen. Ich brauche nur darauf zu verweisen, daß in den gleichen Gebieten, in denen wir vermutlich die niedrigsten Erzeugerpreise für Brotgetreide haben werden, gleichzeitig die höchsten Preise für das zugekaufte Futtergetreide gezahlt werden müssen. Wie sich das letztlich auswirken wird, weiß niemand. Ich stelle das zunächst nur einmal fest.
Die Menschen, die in diesen Räumen wirtschaften und leben, können von sich aus weder die Grenzen
am Eisernen Vorhang noch die natürlichen Standortnachteile, geschweige denn die Marktferne durch noch so große eigene Anstrengungen beseitigen. Das ist der Kern meines Anliegens, dessentwegen ich mich hier zu Wort gemeldet habe. Soweit es sich also um die Überwindung unverschuldeter Nachteile handelt, haben wir den Betroffenen doch bisher schon geholfen. Ich meine, wir werden es in der Zukunft vermehrt tun müssen.

(Abg. Struve: Sehr richtig!)

In diesen Räumen ist das übrigens nicht nur eine Angelegenheit etwa ausschließlich der Landwirtschaft und der darin arbeitenden Menschen, sondern — ich sage es noch einmal — es handelt sich um die Entwicklung und Bewahrung der Gesamtwirtschaft und um die Gesamtbevölkerung in diesem Bereich. Diese Gebiete werden im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft noch mehr zu sogenannten wirtschaftlichen Randgebieten werden. Es liegt deshalb im wohlverstandenen Interesse des Gesamtvolkes der sechs EWG-Länder, wenn alles geschieht, um einen Abwanderungssog von diesen Räumen fernzuhalten. Die Bundesregierung hat zusammen mit den Ländern bisher schon sehr viel auf diesem Gebiet getan. Ich darf nur an das ganze Programm für die Zonenrandgebiete erinnern. Ich darf nur an den letzten Grünen Plan erinnern, in dem wir die benachteiligten Gebiete günstiger gestellt haben. So wird es uns wohl auch gelingen, die hier vielleicht zusätzlich auf uns zukommenden Nachteile auszugleichen. Lassen Sie es mich einmal auch von dieser Tribüne aus deutlich sagen: es geht dabei nicht darum, Räume oder etwa vorsintflutliche Wirtschaftsformen, wie man so sagt, zu konservieren. Es ist nicht so, als ob jetzt erst einmal ein frischer Wind in diese Gebiete käme oder man gar eine rückständige Bevölkerung in musealen Zuständen erhalten wollte. Den so denkenden Mitbürgern empfehle ich doch einmal, zu uns zu kommen und in diesen Gebieten ihren Urlaub zu verbringen. Sie sind uns sicherlich willkommene Gäste. Ich bin der Überzeugung, sie kehren als unsere Bundesgenossen für die Durchsetzung dieses Anliegens wieder in ihre Heimat zurück.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Da heute hauptsächlich von agrarpolitischen Fragen gesprochen werden soll, lassen Sie mich noch ein paar Gedanken vortragen, die uns angesichts der vor uns stehenden Situation ganz besonders bewegen. Herr Minister, wird es gelingen, die zweifellos notwendig werdende Aufgabenteilung innerhalb der europäischen Landwirtschaft so zu beeinflussen, daß sie eine sinnvolle Entwicklung nimmt? Das ist die erste Frage, die ich stellen möchte. Zweitens. Wird es gelingen, den Mehrheitsbeschluß zu verwirklichen, den das Europäische Parlament erfreulicherweise gefaßt hat — ich möchte unseren europäischen Freunden ganz besonders herzlich dafür danken —, daß nämlich das deutsche Getreidepreisniveau, also das Getreidepreisniveau jenes Landes, in das bisher die Haupteinfuhren gegangen sind, auch künftig in der Europäischen Gemeinschaft Grundlage der Verhandlung und Basis für eine künftige Preisregelung sein wird? Das ist



Bauer (Wasserburg)

eine Zentralfrage. Ich sehe den Baron Kühlmann im Moment nicht. Ich muß gestehen, ich war doch etwas erschrocken, als er heute davon sprach, daß er hoffe, es würde im Zusammenhang mit dem künftigen europäischen Getreidepreis zu einer tragbaren Lösung kommen. Wir sollten uns hier doch auf den Standpunkt stellen, daß wir nicht etwa hinter unsere Kollegen von Straßburg zurücktreten, sondern sie nur in ihrem Bestreben bestärken können, daß es möglichst auch bei den künftigen Beratungen bei diesem Beschluß bleibt.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der FDP.)

Herr Minister, die Antworten auf diese Fragen sind für die gesamte Landwirtschaft von lebenswichtiger Bedeutung, weil sie nach unserer Meinung die Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung des Verhältnisses zwischen der Boden- und der Veredelungsproduktion sind. Ich hätte eigentlich auch noch etwas nach der linken Seite sagen müssen. Herr Kollege Schmidt, ich weiß nicht, wohin wir uns endgültig bewegen werden, etwa auf der Linie zwischen Kühlmannn-Stumm bis hin zu Professor Baade, oder ob Sie sich nicht vielleicht doch früher oder später in irgendeiner Form dem Mehrheitsbeschluß im Europäischen Parlament anschließen werden.

(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Vielleicht kommen Sie auch in meine Nähe!)

— Vielleicht. Ich lese das Protokoll noch ganz genau nach, Herr Dr. Schmidt. Sie kennen ja meine Schwächen und Sympathien für Sie.
Ich möchte gerade auf Grund der um den Jahreswechsel, in den letzten Dezember- und ersten Januarwochen gemachten Erfahrungen noch einmal nachhaltig — das sage ich bewußt in die Richtung der Regierungsbank — zum Ausdruck bringen, daß die von uns hier vertretene Auffassung in den nächsten Monaten von der Sache her weiter entscheidend untermauert werden muß und daß in vorbereitenden Gesprächen, die nach meiner Ansicht schon jetzt zu beginnen haben, dafür gesorgt werden muß, daß für dieses Zentralproblem unserer Agrarpolitik ein gutes Verhandlungsklima geschaffen wird, was sicherlich eine gute Voraussetzung für die späteren Verhandlungen sein wird.
Nun ein zweites. Ich glaube, wir brauchen die volle Übergangszeit von 71/2 bzw. 8 Jahren, und ich bin sehr dankbar, daß mir das von allen Seiten bestätigt wurde. Herr Minister, von den „goldenen Äpfeln", die Sie uns von Brüssel mit nach Hause gebracht haben, halte ich einen für den schönsten. Ich meine die Tatsache, daß Sie in dieser Frage hart geblieben sind, und die deutsche Landwirtschaft wird Ihnen dies zu danken wissen. Im übrigen hat sich ja erfreulicherweise die Bundesregierung in der Zwischenzeit auch in der Regierungserklärung für eine behutsame Überführung der deutschen Landwirtschaft in den Gemeinsamen Markt ausgesprochen. Wenn das so geschehen soll, sind die 71/2 bzw. 8 Jahre einfach eine Minimalforderung.
Die behutsame und, wie ich hoffe, glückliche Eingliederung unserer Landwirtschaft in den Gemeinsamen Markt wird, wie schon von meinen Herren Vorrednern verschiedentlich gesagt worden ist, nur möglich sein, wenn wir die Strukturmaßnahmen jeder Art entsprechend beschleunigen. Ich weiß, daß dieser Satz leichter ausgesprochen als in die Tat umgesetzt ist. Wir müssen auf der andern Seite durch gezielte Maßnahmen dafür sorgen, daß die Disparität innerhalb unserer Landwirtschaft im Laufe dieser Jahre geringer wird. Denn wenn wir den Abbau von Wettbewerbsverzerrungen bei den anderen verlangen, tun wir gut daran, meine ich, wenn wir im eigenen Hause ebenso gründlich dafür sorgen, daß uns nicht der gleiche Vorwurf gemacht werden kann.

(Zustimmung bei der SPD.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich über ihren Beifall. Erinnern Sie sich bitte an die letzten Debatten über die Grünen Pläne, Frau Kollegin Strobel, wo wir bereits das gleiche ausgesprochen haben. Wir würden uns sehr freuen, wenn wir bei den kommenden Debatten über den Grünen Plan auch Ihre Unterstützung fänden.
Ich sprach von den Wettbewerbsverzerrungen —
beinahe hätte ich gesagt: von der Disparität — innerhalb unseres Marktes und innerhalb unserer Wirtschaft. Herr Minister, ich kann gar nicht genug unterstreichen, was uns in Brüssel widerfahren ist. Sie haben den seinerzeit von Ihnen so kräftig geltend gemachten Widerstand gegen die Beschleunigung aufgegeben und haben die Beseitigung der Wettbewerbsverzerrungen als Aufhänger benutzt. Nun hat man uns dafür das Abschöpfungssystem beschert. Dagegen habe ich im Prinzip —Herr Kollege Lücker lacht mich an — gar nichts einzuwenden. Ich setze nur voraus, daß es wirklich von allen Seiten ganz ehrlich und ernst gemeint ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich setze weiter voraus, daß der Abbau der Abschöpfung auf der einen Seite und die allmähliche Beseitigung der Wettbewerbsverzerrungen auf der anderen Seite etwa gleichzeitig vor sich gehen. Das wird vielleicht die schwierigste Aufgabe sein. Dabei dürfen wir die Regierung und die Minister nicht allein lassen. Vor allen Dingen ist auch unsere Wirtschaft aufgerufen, hier zu helfen. Diesen Appell möchte ich von dieser Stelle ausdrücklich ausgesprochen haben.
Die von Ihnen, Herr Minister, schon erreichten guten Anfänge, z. B. das Verbot der Exportsubventionen, geben uns die Hoffnung, daß wir auch mit diesem Problem fertig werden können.
Meine Damen und Herren, wir begrüßen alle Hilfen, die den bäuerlichen Familienbetrieb in irgendeiner Form stärken, und wir sind besonders froh darüber — ich glaube, das ist heute auch schon angesprochen worden —, daß das Leitbild des bäuerlichen Familienbetriebes, wie es im Landwirtschaftsgesetz seinen Niederschlag gefunden hat, stich auch, Herr Schmidt, in gewisser Weise im Vertrag von Rom wiederfindet. Vielleicht ist es für Sie zu wenig deutlich erkennbar; aber ich würde Ihnen



Bauer (Wasserburg)

ganz gerne bei Gelegenheit die geradezu übereinstimmenden Zielsetzungen zwischen den beiden — —

(Abg. Frau Strobel: Diese Betonung des Familienbetriebs steht in den sozialdemokratischen Agrarrichtlinien!)

— Wunderbar, sehen Sie, wir kommen uns immer näher. Das ist prachtvoll.

(Heiterkeit.)

Ich bin also wirklich glücklich, wenn ich noch ein drittes hinzufügen darf: Wenn dieses Leitbild vom bäuerlichen Familienbetrieb nun auch noch in den sozialdemokratischen Leitlinien zur Landwirtschaftspolitik steht, dann kann uns ja gar nichts mehr passieren.

(Heiterkeit. — Beifall bei der CDU/CSU.)

Besonders dankbar erkennen wir an, daß in den beiden letzten Grünen Plänen der Weg zur Gerechtigkeit innerhalb der Landwirtschaft deutlich beschritten worden ist. Wir möchten Sie bitten, Herr Minister, dafür zu sorgen, daß der kommende Grüne Plan diesen Trend verstärkt aufweist und daß der in dem kommenden Grünen Plan erscheinende Bereich der benachteiligten Gebiete um den Bereich der marktfernen Gebiete erweitert wird und daß die Begünstigungen, die bisher innerhalb des Grünen Plans den benachteiligten Gebieten gewährt worden sind, sich möglichst noch wirkungsvoller abheben werden, als es bisher der Fall war.
Ob die paar hier im Augenblick angesprochenen agrarpolitischen Maßnahmen als Ausgleich für diese
Gebiete ausreichen, vermag wohl im Augenblick kaum jemand zu sagen. Notwendig wird aber sein, bald zu klären, welche EWG-konformen Förderungsmaßnahmen — konformen, sage ich ausdrücklich — für unsere Land- und Ernährungswirtschaft während der Übergangszeit und auch nach dieser Zeit überhaupt noch möglich sind.
Ich weiß, daß solche Forderungen, wie ich sie hier aufgestellt habe, zunächst den Anschein einer vielleicht zu einseitigen Bevorzugung und Stützung der Landwirtschaft in diesen Gebieten hervorrufen könnten. Aber die Erhaltung der Landwirtschaft in diesen Gebieten und damit ganz allgemein gesprochen eine gut gestreute landwirtschaftliche Produktion ist nach meiner Ansicht ein wesentlicher Beitrag zur Sicherung der Ernährung der Gesamtbevölkerung und kommt auf diese Weise allen irgendwie zugute.
Ein zweites: Die Entwicklung einer rationellen landwirtschaftlichen Produktion kommt letzten Endes in irgendeiner Form der Gesamtwirtschaft und damit allen Menschen in der Bundesrepublik zugute.
Und ein letztes: Wenn sich verbunden mit diesen Überlegungen noch der Qualitätsgedanke soweit wie möglich in die Förderungskriterien einbauen läßt, dann tun wir ganz bestimmt auch den Verbrauchern einen besonderen Dienst. Frau Strobel, das sage ich nachdrücklich an Ihre Adresse.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine Schlußfeststellung treffen. Ich hoffe, daß ich die mir zugemessene Zeit nicht allzusehr überschritten habe;
aber einige eindeutige Feststellungen möchte ich doch zum Schluß treffen.
Die Bevölkerung in den meisten hier angesprochenen Gebieten lebt in Grenzbezirken, der größte Teil dieser Menschen seit 1945 an der Zonengrenze. Diese Menschen haben in den letzten 16 Jahren deutlicher, als man eis weiter westlich oft feststellen kann, zu spüren bekommen, wie grauenvoll der Abgrund menschlichen Leides innerhalb des kommunistischen Machtbereichs ist. Sie wissen um die Notwendigkeit der gemeinsamen Anstrengung, Europa zur wirtschaftlichen und politischen Kraft zu entwickeln, um uns allen Frieden und Freiheit zu erhalten. Sie möchten ein Bestandteil, ein Teil dieser Kraft sein. Sie erwarten lediglich, daß die Gesamtheit unseres Volkes das Ausmaß ihres zwangsläufig vielleicht größeren Beitrags zu Europa anerkennt und die wachsende wirtschaftliche Kraft Europas stark genug sein möge, ihnen unverschuldete Nach-toile ausgleichen zu helfen, um sie ihren angestammten Lebensräumen wettbewerbs- und lebensfähig zu erhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0401322900
Das Wort hat Frau Abgeordnete Strobel.

Käte Strobel (SPD):
Rede ID: ID0401323000
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten haben schon seit Jahr und Tag betont, daß eine gemeinsame europäische Agrarpolitik notwendig ist, weil die Agrarprobleme im nationalen Rahmen überhaupt nicht mehr zu lösen sind. Bei Gelegenheit der heutigen Debatte bin ich geneigt, daran zu erinnern, daß es der holländische Sozialdemokrat Mansholt war, der, lange bevor die EWG entstanden ist, den ersten europäischen Agrarplan vorgelegt hat. Heute ist es für uns alle offensichtlich, daß es falsch war, in der Bundesrepublik den Eindruck zu erwecken — wie das teilweise noch im letzten Wahlkampf geschah —, man könne das deutsche Getreidepreissystem und das gewohnte deutsche System der Preissteuerung und Preisgarantie in den Gemeinsamen Markt hinüberretten.
Ich glaube, heute ist es auch offensichtlich, daß es falsch war, die agrarpolitische Konzeption der EWG-Kommission, die, wie heute bereits gesagt wurde, vom Europäischen Parlament weitgehend gebilligt worden ist, auf vielen Bauernveranstaltungen immer als ein drohendes Unheil für die deutsche Landwirtschaft darzustellen.
Es war nach unserer Meinung auch unverantwortlich, die deutsche Landwirtschaft nicht von Anfang an — immerhin sind die Römischen Verträge im März 1957 von der Bundesregierung unterschrieben worden — mit den Konsequenzen des größeren Markts vertraut zu machen.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Herr Struve hat heute gesagt: Die Landwirtschaft braucht die acht Jahre Übergangsfrist, die ihr jetzt noch gegeben sind, unbedingt und vollständig. Herr Struve, leider sind bereits vier Jahre vergangen,



Frau Strobel
ohne daß das, was hätte geschehen können und müssen, nachhaltig in Angriff genommen worden ist.

(Zustimmung bei der SPD. — Abg. Struve: Das kann man nicht sagen!)

— Das muß man leider feststellen. Ich empfehle, einmal die Debatten um den Grünen Plan nachzulesen, in denen die Anstrengungen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion deutlich werden, durch eine Verstärkung der strukturpolitischen Maßnahmen in dieser Beziehung bessere Voraussetzungen zu schaffen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sicher nicht allein!)

— Sicherlich nicht allein, aber es ist ein wesentlicher Teil davon.
Wir Sozialdemokraten — und zwar nicht nur wir deutschen, sondern die gesamte sozialistische Fraktion der Europäischen Parlaments — haben uns auch von vornherein für eine gemeinsame Marktordnung in der EWG ausgesprochen. Wir waren der Meinung, daß es notwendig ist, sich dann auch gleich darauf einzustellen.
Heute ist es offensichtlich: der größere Markt bedeutet, daß die Standortvor- und nachteile erkennbarer werden. Der größere Markt bedeutet auch, daß eine sinnvolle Arbeitsteilung unausbleiblich ist. Der größere Markt wird dazu führen, daß die Wettbewerbsfähigkeit und die Leistungsfähigkeit, vor allen Dingen auch in der Qualität, den Marktanteil bestimmen. Es wäre nicht gut, wenn man die deutsche Landwirtschaft immer wieder von diesen Konsequenzen abzulenken versuchte. Deshalb haben wir immer die Bedeutung der Strukturpolitik unter dem Gesichtspunkt des Strukturwandels betont.
Hier möchte ich, gerade im Zusammenhang mit dem, was die Kollegen Ertl und Bauer gesagt haben, betonen: Natürlich möchten wir die grünen Wiesen und die weidenden Kühe absolut nicht missen. Es ist immer ein besonderes Anliegen der hessischen Sozialdemokraten gewesen, in der Landwirtschaftspolitik der hessischen, sozialdemokratisch geführten Regierung besonders die Landschaftspflege zu betreiben.

(Sehr richtig!. bei der SPD.)

Es waren, wenn ich mich recht erinnere, auch die Vertreter der hessischen Regierung, die sich im Bundesrat insbesondere für die Berücksichtigung der Höhenlagen im Grünen Plan eingesetzt haben.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Ich möchte auch darauf hinweisen, daß es unser Anliegen war — ich habe nicht recht verstanden, gegen wen hier polemisiert worden ist —, gerade die benachteiligten Gebiete innerhalb der Bundesrepublik und auch innerhalb der EWG durch eine vernünftige Regional- und Strukturpolitik am allgemeinen Wirtschaftsaufschwung zu beteiligen.
Ich möchte meinen, Herr Struve, Sie haben den Kollegen Birkelbach falsch verstanden, denn Sie haben ihn falsch interpretiert. Oder sollte Ihre Kritik an seiner Aussage bedeuten, daß Sie einer sinnvollen Arbeitsteilung in der EWG eine Absage erteilen wollen? Die Erhaltung und Schaffung leistungsfähiger bäuerlicher Familienbetriebe ist ein wesentlicher Bestandteil sozialdemokratischer Agrarpolitik und nicht die Schaffung von Großfarmen, wie Sie das in etwa ausgelegt haben.

(Abg. Struve: Steht aber eindeutig in Widerspruch! — Gegenruf von der SPD: Wozu denn in Widerspruch?)

— Dann bitte ich Sie, die Rede von Herrn Birkelbach noch einmal nachzulesen.
Das ist auch die Grundlage der EWG-Konzeption, und es ist insbesondere die Grundlage der sozialdemokratischen Agrarpolitik in Hessen. Ich bitte Sie einmal Ihren Kollegen Bauernverbandspräsidenten von Hessen zu fragen, wie die hessischen Bauern die hessische Agrarpolitik beurteilen.

(Beifall bei der SPD.)

Ich meine allerdings, daß in einem gewissen Widerspruch zu Ihrer Betonung Ihr Festhalten an globalen Subventionen bei Ihrer praktischen Politik steht.

(Erneuter Beifall bei der SPD.)

Es liegt nicht gerade im Interesse der Familienbetriebe, wenn die Subventionen so gestaltet werden, daß es bei den Großen regnet und bei den Familienbetrieben nur noch tröpfelt.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Es ist unser Bemühen — es kommt jedes Jahr in unseren Anträgen zum Grünen Plan zum Ausdruck; ich erinnere Sie an unseren Antrag zum Grünen Plan auf Staffelung der Milchsubvention —, daß die Subventionen gezielt und so gegeben werden, daß sie in erster Linie den wirtschaftlichen Ertrag der Familienbetriebe verbessern.

(Abg. Struve: Dann müssen Sie auch noch die drei Pfennig Milchsubvention von dem Verbraucher zahlen lassen!)

— Herr Struve, auf die Frage des Milchpreises komme ich nachher noch zu sprechen. Im übrigen bitte ich Sie, doch einmal Ihre eigenen Worte nachzulesen. Sie kritisieren, daß Herr Birkelbach gesagt hat, eine gewisse Umstellung und Umorientierung sei als Folge des Gemeinsamen Marktes notwendig. Auch Sie, Herr Struve, sprachen von Umstellung. Herr Minister Schwarz hat in seiner Regierungserklärung über die Brüsseler Beschlüsse von einer unausbleiblichen Umorientierung gesprochen.
Ich meine, man kann die Konsequenzen des Gemeinsamen Marktes heute einfach nicht mehr leugnen. Die Würfel sind in Brüssel gefallen. Es ist realistischer und politisch und menschlich klüger, sich darauf einzustellen. Nun ist aber nicht nur die Landwirtschaft und nicht nur ein Teil der Redner, die heute hier gesprochen haben, immer noch von einer gewissen Skepsis gegenüber den Brüsseler Beschlüssen erfüllt. Man ist noch lange nicht davon überzeugt, daß das Neue besser ist oder in seiner Wirkung besser sein kann als das Alte. Das hängt wohl ein bißchen damit zusammen, daß auch schlechte Ge-



Frau Strobel
wohnheiten liebgewordene Gewohnheiten sind, von denen man sich ungern trennt.

(Heiterkeit.)

Ich bin allerdings überzeugt, das trifft nicht nur auf die Landwirtschaft zu. Das trifft, scheint mir, auch ein bißchen auf die Verwaltung zu. Denn wenn ich Äußerungen verschiedener Persönlichkeiten des Bundesernährungsministeriums nachlese, ist auch da eine gewisse Skepsis herauszulesen: man fühlt sich nicht besonders wohl, daß man jetzt den alten Anzug ablegen soll, in den man so gern hineingeschlüpft, und den neuen anziehen soll, der vielleicht ein bißchen unbequemer ist.
Aber ich darf auch einmal daran erinnern, daß von dieser Tribüne aus — und nicht nur von hier, sondern von all den großen Organisationen der Wirtschaft und des Handels, die heute die Brüsseler Beschlüsse so sehr kritisieren — sehr viel Kritik an der bisherigen deutschen Marktordnung geübt worden ist. Es gab ja in diesem Hause lange Zeit einen Ausschuß, bestehend aus Teilen des Außenhandels-, des Wirtschafts- und des Ernährungsausschusses, der sich mit dieser Kritik an der Marktordnung befaßt hat. Ich kann mich entsinnen, daß damals oft die Rede davon war, die Marktordnung nehme dem Handel zu viele Aufgaben ab, daß oft von den vielen Nachteilen die Rede war, die unser System der Einfuhrausschreibungen mit sich bringe, und daß hier oft kritisiert worden ist — in diesem Falle vor allem von uns —, daß Unklarheiten über das Preisziel bei der Marktintervention bestehen. Mehrere Landwirtschaftsminister, die ich in diesem Hause erlebt habe, haben sich geweigert, uns das Preisziel zu nennen, mit der Begründung, sie müßten auf dem schmalen Grat zwischen Landwirtschaft und Verbraucher wandern und würden je nachdem, was sie sagten, von der einen oder von der anderen Seite Prügel bekommen.

(Heiterkeit.)

Ich möchte daran nur deswegen erinnern, weil ich der Meinung bin, daß die Steuerung allein durch die Abschöpfung, wie sie in der Brüsseler Konzeption enthalten ist, mindestens bei den Veredelungsprodukten einfacher und elastischer ist als unsere bisherige Marktordnung. Es kommt nur darauf an, sich umzugewöhnen. Wenn man es einmal gewohnt ist, wird man merken, daß es wesentlich einfacher ist. Ich bin auch der Meinung, daß beim Getreide die Tatsache, daß es nur eine Einfuhranmeldung — mit Kaution für die Abschöpfung — gibt, ein durchaus praktikables System darstellt, das dem Handel seine Verantwortung und Funktion zurückgibt.
Hier ist wiederholt von der Wirkung der Richtpreise gesprochen worden. Es steht fest, daß die Einführung der Richtpreise in der Bundesrepublik zunächst eine geringe Senkung der Getreidepreise im Durchschnitt bedeutet, daß aber ein Ausgleich möglich ist und daß die Auswirkungen unterschiedlich sind. Deshalb bin ich der Meinung, daß die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit dem Landwirtschaftsausschuß und, da es sich zum Teil um Frachtprobleme handelt, auch mit dem Verkehrsausschuß sehr eingehend prüfen muß, wie sich eine Frachtermäßigung tatsächlich auswirkt. Denn im Grunde
genommen kann es durchaus Nachteile geben, wenn man es schematisch macht, allein durch die rein schematische Maßnahme und auch durch die Tatsache, daß wir bei der Frachtkostensenkung nicht diskriminieren dürfen; sie muß dem französischen Erzeuger und Lieferanten genauso zugute kommen wie dem deutschen. Ich möchte nur darauf aufmerksam gemacht haben, damit man nicht vom Regen in die Traufe kommt. Ich halte die Frachtkostensenkung für absolut notwendig, bin aber der Meinung, geprüft werden muß das Wie.
Vor allen Dingen möchte ich von der Bundesregierung wissen, wann sie in der Lage ist, die tatsächlichen Veränderungen, die sich durch die Einführung des Richtpreises ergeben, im einzelnen bekanntzugeben. Warum? Wir erleben nun, seitdem ,die Brüsseler Beschlüsse bekannter werden, jeden Tag die Ankündigung neuer Preiserhöhungen. Ich habe ein bißchen den Eindruck, daß es in der Bundesrepublik Kreise gibt, die unter dem Deckmantel, die EWG sei daran schuld, Preiserhöhungen vornehmen, die sich keinesfalls aus der gemeinsamen agrarpolitischen Konzeption verantworten lassen bzw. ergeben müssen.

(Beifall bei der SPD.)

Wenn z. B. behauptet wird, daß vom Brotpreis bis zum Puddingpulver auf Grund der Einführung der Richtpreise und ihrer Auswirkungen eine Preiserhöhung notwendig sei, so möchte ich meinen: es ist höchste Zeit, daß ,die Bundesregierung in aller Öffentlichkeit deutlich macht, daß das nicht der Fall ist.

(Erneuter Beifall bei der SPD.)

Je früher das geschieht, um so besser. Meine Frage lautet also: Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um Preiserhöhungen zu verhindern, die unter dem Vorwand, die EWG bringe sie, beabsichtigt sind? Das scheint mir eine ihrer wesentlichsten Aufgaben zu sein.

(Zustimmung bei der SPD.)

Heute wird z. B. in der Presse eine solche Preiserhöhung mit der Behauptung begründet, daß die Bundesregierung bisher den Hartweizen subventioniert habe, daß diese Subventionierung wegfalle und daß dadurch eine Preiserhöhung für Mehl aus besonders guter Qualität unvermeidlich sei. Nun, ich habe schon darauf hingewiesen, daß Frachtkostenverbilligungen, wie sie die Bundesregierung offensichtlich beabsichtigt, nicht nur für deutsches Getreide, sondern auch für das eingeführte Getreide gegeben werden müssen, weil eine Diskriminierung weder in der EWG noch im GATT erlaubt ist. Insofern scheint mir die Begründung für die Preiserhöhung an den Haaren herbeigezogen zu sein.
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie, Herr Struve, bitten, das, was Herr Birkelbach bezüglich des Niederschlags der Veränderungen im Getreidepreis beim Brotpreis gesagt hat,. noch einmal nachzulesen. Herr Birkelbach hat nämlich genau das Gegenteil von dem gesagt, was Sie meinten aus seinen Änderungen heraushören zu müssen.

(Hört! Hört! bei der SPD.)




Frau Strobel
Herr Bauer hat eben, wenn ich mich nicht irre — oder war es Herr Ertl? —, darauf hingewiesen, daß geringfügige Verschiebungen im Getreidepreis sich keinesfalls sofort im Brotpreis niederschlagen.
Im deutschen Volk gibt es, insbesondere unter den jungen Menschen, eine große ideell und politisch bestimmte Bereitschaft, ja geradezu eine Ungeduld, für die Verwirklichung der europäischen Gemeinschaft. Die Beratungen in Brüssel sind manchmal als ein unangenehmes Feilschen um wirtschaftliche Vorteile in einer Situation, in der eine politische Notwendigkeit bestand, aufgefaßt worden. Der Brüsseler Beschluß wurde einmütig begrüßt. Wenn aber nun Preiserhöhungen — die als Folge der Integrationspolitik empfunden werden — in erheblichem Ausmaß entstünden, würde die Integrationsbereitschaft des deutschen Volkes dadurch negativ beeinflußt werden, und das kann keiner wollen. Aus diesem Grunde ist die Verantwortung der Bundesregierung für die Verhinderung solcher Preiserhöhungen außerordentlich groß.
Immer noch gehen die Prognosen und auch die Kommentare darüber, was die Brüsseler Beschlüsse im 'einzelnen bedeuten, auseinander. Um so bedauerlicher ist es — diese Kritik muß ich leider anbringen
daß die Regierungserklärung in dieser Beziehung keinerlei Klarheit geschaffen hat. Ehrlicherweise möchte ich sagen: das lag meiner Meinung nach daran, daß sie etwas zu früh 'erfolgte. Denn wenn der Minister eine Regierungserklärung abgibt und gleichzeitig sagen muß, daß man die Auswirkungen der Beschlüsse noch nicht überschauen könne, so ist das eben doch eine Ursache dafür, daß sich die Äußerungen, die dann draußen folgen, zum Teil im spekulativen Raum bewegen. Herr Minister Schwarz hat in seiner Rede in der vorigen Woche gesagt, daß insbesondere von der deutschen Delegation auf die Belange der Verbraucher besonders Rücksicht genommen worden sei und daß die Verbraucher auf lange Sicht mit einer günstigeren Versorgung rechnen könnten. Herr Minister, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sagten, wo, bei welchen Ernährungsprodukten die Verbraucher auf lange Sicht mit einer günstigeren Versorgung rechnen können.
Ich möchte einmal die jetzt verabschiedeten Verordnungen, die insbesondere den Verbraucher wegen der großen Publizität, die die möglichen Preiserhöhungen haben, interessieren, ein bißchen unter die Lupe nehmen, weil ich der Meinung bin, die Bundesregierung könnte schon jetzt den Verbrauchern versprechen, daß sie keine Preiserhöhungen zu 'befürchten haben.
Eier und Geflügel waren bisher in der Bundesrepublik liberalisiert, jetzt sind sie in die europäische Marktordnung einbezogen. Ziel dieser Einbeziehung ist, allen Erzeugern in der Gemeinschaft gleiche Chancen auf dem Gemeinsamen Markt zu geben, auch dann, wenn sie, wie die deutschen Erzeuger, höhere Produktionskosten haben. Zu diesem Zweck werden die Unterschiede in den Produktionskosten abgeschöpft. Bisher wurde nur ein Zoll erhoben. Jetzt wird der Futterkostenunterschied plus Zoll abgeschöpft. Gegenüber Drittländern kommt zu
dieser Abschöpfung noch ein steigender Betrag von 2 % im ersten Jahr bis 7% im letzten Jahr. Das bedeutet natürlich gegenüber den Preisen der Einfuhren aus Amerika eine wesentlich stärkere Belastung.

(Abg. Bauknecht: Diese Preise haben uns aber völlig ruiniert!)

— Ich komme noch auf einige Punkte in diesem Zusammenhang, Herr Bauknecht.
Im Ernährungsausschuß ist im Zusammenhang mit der Behandlung des Geflügelgesetzes, das wir letzthin verabschiedet haben, errechnet worden, daß in etwa eine Prämie von 60 Pf pro Kilo Geflügelfleisch nötig ist, um die Futterkostenunterschiede auszugleichen. Das würde also schon einmal 60 Pf mehr bedeuten.
Nun gibt es in diesen Verordnungen für Eier und Geflügel — da ist es ähnlich — einen Art. 5. Herr Minister, ich möchte diesen Artikel 5 auch Ihnen gerne wörtlich vorlesen. Es heißt dort:
Die Kommission kann einen Mitgliedstaat auf seinen Antrag ermächtigen, die Abschöpfungsbeträge, die sich nach Artikel 3 und 4 ergeben, herabzusetzen.
In diesem Falle könnte die Abschöpfung bis auf den niedrigsten Abschöpfungsbetrag gegenüber Drittländern, der innerhalb der Gemeinschaft angewandt wird, herabgesetzt werden.
Meine Frage an die Bundesregierung ist, ob sie beabsichtigt — da sie doch immer an den Verbraucher gedacht hat, wie Herr Minister Schwarz in der Pressekonferenz gesagt hat und wie es auch in seiner Erklärung steht —, diesen Art. 5 in Anspruch zu nehmen, um die von der Presse vielfach angekündigten und ausgerechneten Preissteigerungen bei Geflügel und Eiern von den Verbrauchern abzuwenden. Ich frage zunächst nur einmal.
Ich möchte in diesem Zusammenhang eine andere Frage stellen. Es gibt Situationen, in denen man eine Einkommensminderung oder Ausgabensteigerung — beides wirkt sich ja für den jeweils Betroffenen in etwa gleich aus — nicht vermeiden kann. Die Bundesregierung und eigentlich alle Parteien des Bundestages sind sich darüber einig, daß Einkommensminderungen, die bei der Landwirtschaft durch die Einführung des Richtpreissystems entstehen, durch Ausgleichszahlungen aufgefangen werden sollen, und man hat sich in Brüssel dafür auch die Erlaubnis geben lassen. Ich bin der Meinung, daß die Bundesregierung allen Anlaß hätte, in der gegenwärtigen Situation auch zu prüfen, wieweit sie eventuelle Ausgabensteigerungen für die Verbraucher auf anderen Gebieten ausgleichen könnte. Ich meine allerdings, sie hat sich solchen Überlegungen bisher sehr verschlossen. Wenn ich an die Debatte über die Kaffee- und Teesteuer denke, muß ich mindestens feststellen, daß die Bundesregierung zum Ausdruck gebracht hat, daß sie noch keine Möglichkeit sehe, auf diesem Gebiet die Verbraucher zu entlasten. Wenn sie eine solche Möglichkeit nicht sieht, dann sollte sie mindestens die Möglichkeit benutzen, neue Belastungen zu vermeiden.



Frau Strobel
Darf ich in diesem Zusammenhang sagen — weil ich mir durchaus bewußt bin, was das in bezug auf die besseren Chancen für die deutschen Bauern bedeutet —: wir Sozialdemokraten haben immer die Meinung vertreten, daß eine Verbesserung des Einkommens der Bauern nicht allein über den Preis, sondern auch über den größeren Marktanteil, nicht allein auf der Basis der Bodenproduktion — hier gibt es bestimmt noch eine echte Meinungsverschiedenheit unter uns —, sondern insbesondere auch der Möglichkeit durch eigene Arbeit und Initiative eröffnet werden muß. Wenn Herr Minister Schwarz von der Notwendigkeit der Neuorientierung der Produktion gesprochen hat, dann könnte das in diese Richtung gehen. Ich wäre dankbar, wenn Herr Minister Schwarz sagen würde, welche Richtung der Neuorientierung er sieht.
In diesem Zusammenhang — notwendige Neuorientierung —, meine ich, ist es wirklich höchste Zeit, daß die Bundesregierung für eine redliche vorausschauende Beratung der Bauern darüber sorgt, wie ihre Chancen im Konsum sind, wie sich eine steigende Produktivität und bessere Qualität für ihre Einkommen auswirken kann, wie die Chancen der Vermarktung für sie sind und wo noch neue Einkommensquellen eröffnet werden können.
Ich möchte noch zu einer Verordnung, die bis heute hier wenig angesprochen worden ist, zu der Obst- und Gemüseverordnung, ein Wort sagen, und zwar auch deswegen, weil immer wieder behauptet wird, auch bei Obst und Gemüse seien auf Grund der europäischen Marktordnung Preissteigerungen für die Verbraucher zu erwarten. Ich bin der Meinung, daß die Verordnung über Obst und Gemüse, die eine schrittweise Liberalisierung, strengere Qualitätsvorschriften und strengere Qualitätskontrollen bringt, die deutschen Bauern zu einer viel stärkeren Anstrengung in ihrer Wettbewerbsfähigkeit bei Qualität und Sortierung zwingen wird; ich sehe aber keine Notwendigkeit, daraus irgendwelche Preiserhöhungen für die deutschen Verbraucher abzuleiten; vielleicht mit einer Ausnahme, aber das hängt überhaupt nicht mit der Marktordnung zusammen. Auch hier bitte ich um eine Äußerung der Bundesregierung in der Öffentlichkeit, nicht nur hier. Wir haben, bevor die Brüsseler Beschlüsse gefaßt wurden, in den Zeitungen immer lesen können, die deutschen Verbraucher müßten damit rechnen, daß demnächst die Orangen wesentlich teurer würden, und zwar deshalb, weil der Außenzoll von 10 auf 12 % gestiegen sei. Wir haben uns im Außenhandelsausschuß darüber unterhalten und haben von dem Vertreter der Bundesregierung gehört, daß die 2 % Zollsteigerung wirklich keine Preissteigerung bringen müssen, sondern vom Handel aufgefangen werden können.

(Abg. Bauer [Wasserburg] : Sie bringt auch keine!)

— Herr Bauer, ich meine ja, daß es richtig wäre, wenn die Bundesregierung eine solche Erklärung nicht nur im Außenhandelsausschuß, sondern in der Öffentlichkeit abgäbe,

(Beifall bei der SPD)


bevor die Importeure die Preise für die Orangen erhöhen.

(Abg. Bauer [Wasserburg]: Das würde ja eine totale Preisbindung bedeuten, wenn die Bundesregierung etwas derartiges erklären sollte!)

— Aber nein, Herr Bauer. Die Bundesregierung kann durchaus ihre Beurteilung der Wirkung einer geringfügigen Zollerhöhung in der Öffentlichkeit bekanntgeben. Wozu ist sie eigentlich da, wenn sie solche Mitteilungen nicht machen kann?

(Beifall bei der SPD. — Abg. Bauer [Wasserburg] : Dann kann man die Radieschen auch noch bringen!)

— Aber Herr Bauer, was soll das!

(Abg. Bauer [Wasserburg] : Sie können es doch nicht auf die Orangen abstellen! — Zuruf von der SPD: Das ist ein Beispiel!)

— Ich glaube, es ist sinnlos, hier darüber zu streiten, wenn man nicht der Meinung ist: „Na ja, also laßt doch kleine Preiserhöhungen eintreten, die Verbraucher werden das schon verkraften." Ich bin nicht dieser Meinung. Deshalb lege ich Wert darauf, daß die Bundesregierung zu solchen Ankündigungen von Preiserhöhungen eindeutige Erklärungen abgibt.
Man muß in diesem Zusammenhang auch einmal wissen, wie hoch eigentlich der Einfuhranteil bei den Citrusfrüchten aus Drittländern und wie hoch der Anteil aus Gemeinschaftsländern ist. Mich würde auch interessieren, ob die Bundesregierung ein Zollkontingent für Orangen beantragt hat, um diese Zollerhöhung vom deutschen Verbraucher abzuwenden.
Ich möchte außerdem sagen: mir scheint, daß auch die Weinverordnung keinerlei Veranlassung gibt, den Preis von Wein für den Verbraucher zu erhöhen oder eine solche Erhöhung anzukündigen.
Mir liegt sehr daran, daß diese Dinge hier ausgesprochen werden, weil ich der Meinung bin, daß man der europäischen Einigung einen Bärendienst erweist, wenn man nicht alle diese Versuche, zu Preiserhöhungen unter dem Vorwand zu kommen, die EWG bringe das, energisch zurückweist. Ich sage das auch nicht, um schwarz zu malen,

(Heiterkeit.)

sondern deswegen, weil uns in der gemeinsamen Agrarpolitik noch einiges bevorsteht.
Wir reden heute über gefaßte Beschlüsse und ihre Auswirkungen, wissen aber alle, daß es in der EWG auf dem Gebiete der Agrarpolitik noch eine Reihe von Verordnungen geben wird, die ebenfalls ihre Auswirkungen haben werden. Weil es mir wichtig erscheint, die Meinung der Regierung zu hören, bevor sie in Brüssel abstimmen muß, möchte ich heute schon zwei Dinge ansprechen.
In der EWG-Kommission wird zur Zeit eine Verordnung über eine gemeinsame Politik auf dem Fettmarkt beraten. Dazu liegt eine dicke Denkschrift der EWG-Kommission vor. Wenn der Vorschlag,



Frau Strobel
der in dieser Denkschrift enthalten ist, Wirklichkeit wird, dann wird auf Fette und Öle eine Umlage erhoben, die sehr unangenehme Auswirkungen für den Margarinepreis hat. Zu dieser Denkschrift der EWG-Kommission hat sich bereits der Berichterstatter des Landwirtschaftsausschusses des Europäischen Parlaments geäußert. In seiner Äußerung kann man lesen, daß an eine Umlage auf eine Menge von zwei Millionen t Fette und Öle gedacht ist und daß ein Betrag von 200 Millionen Gulden aufgebracht werden soll, was eine Umlage von 0,10 Gulden auf jedes Kilo Öl und Fett in der Gemeinschaft bedeuten würde. Das wäre praktisch eine Preiserhöhung um 11 Pf pro Kilo Öl oder Fett. Darüber berät man zur Zeit. Ich meine, es ist jetzt notwendig, daß die Bundesregierung von diesem Hause darauf festgelegt wird, daß sie einer solchen Konzeption nicht zustimmt.

(Zustimmung bei der SPD.)

Wenn es in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft notwendig ist, den Olivenanbau in Italien zu stützen, wenn es notwendig ist, den Erdnußanbau in bestimmten überseeischen Gebieten zu stabilisieren, wenn es notwendig ist — ich sage das immer als Frage —, den Rapsanbau in der Bundesrepublik — mehr aus Fruchtwechselgründen, wenn ich das richtig verstehe — zu erhalten, dann muß man sich etwas anderes einfallen lassen als eine Steuer auf die Margarine, und auf etwas anderes kommt es nicht hinaus.

(Beifall bei der SPD.)

Deshalb möchte ich das hier frühzeitig ausgesprochen haben und wünsche, daß die Bundesregierung klar und deutlich erklärt, wie sie zu diesem Vorschlag der EWG-Kommission steht.
Darf ich in diesem Zusammenhang etwas zu der von der CDU/CSU-Fraktion beantragten Milchpreiserhöhung sagen. Es tut mir leid, daß Herr Struve im Augenblick nicht da ist;

(Zurufe: Er ist im Saal!)

aber ich muß es jetzt sagen, bevor ich zum Schluß komme. Die CDU/CSU-Fraktion hat eine Erhöhung des Verbrauchermilchpreises um 6 Pf beantragt, in erster Linie mit der Begründung, daß davon unbedingt 1 Pf bei den Erzeugern ankommen müsse. Die CDU/CSU beantragt dazu noch eine Erhöhung der Milchprämie um 1 Pf, so daß die Bauern praktisch über eine Verbraucherpreiserhöhung um 6 Pf und eine Erhöhung der Prämie 2 Pf pro Liter mehr bekommen würden. Herr Struve, Sie haben gesagt: „Hoffentlich sind wir uns in diesem Hause alle darüber einig, daß wenigstens diese 2 Pf beim Erzeuger ankommen müssen." Darüber sind wir uns einig, Herr Struve.

(Zuruf von der Mitte: Großartig!)

Wir sind aber der Meinung, daß die Erhöhung des Verbrauchermilchpreises um 6 Pf absolut keine Garantie dafür bietet, daß diese 2 Pf beim Erzeuger wirklich ankommen.

(Beifall bei der SPD.)

Ich meine, daß es aus diesem Grunde viel richtiger wäre, die Milchprämie

(Abg. Struve meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— darf ich den Satz zu Ende sprechen — um 2 Pf zu erhöhen, sie so zu staffeln, wie wir das bereits im vorigen Jahr beantragt haben. Dann wird nämlich die Erhöhung um 2 Pf insbesondere auch bei den Familienbetrieben ankommen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401323100
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Struve.

Detlef Struve (CDU):
Rede ID: ID0401323200
Frau Strobel, sind Sie nicht der Auffassung, daß diese Darstellung bei dem Verbraucher Verwirrung auslösen könnte?

(Zurufe von der SPD: Im Gegenteil!)


Käte Strobel (SPD):
Rede ID: ID0401323300
Wieso denn, Herr Struve? Diese Darstellung zeigt eindeutig, daß wir eine Milchpreiserhöhung für den Verbraucher wegen vieler unerwünschter Auswirkungen ablehnen,

(Beifall bei der SPD)

daß wir es für nötig halten, den Bauern, insbesondere in den kleinen und mittleren Betrieben, 2 Pf mehr für die Milch zu geben, und daß wir eine Lösung, die garantiert, daß die 2 Pf wirklich bei dem Bauern ankommen, in der Erhöhung der Milchprämie sehen.

(Erneuter Beifall bei der SPD.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401323400
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Struve.

Detlef Struve (CDU):
Rede ID: ID0401323500
Frau Strobel, sind Sie nicht der Auffassung, daß bei einer Erhöhung der Preise für Trinkmilch um 6 Pf einschließlich der Spannen, auf den trinkmilchliefernden Bauern oder die trinkmilchliefernde Meierei bezogen, annähernd 5 Pf bei diesen ankommen und höchstens 1 Pf beim Handel verbleibt?

Käte Strobel (SPD):
Rede ID: ID0401323600
Aber Herr Struve, das ist mir eine völlig neue Rechnung. Bekanntlich beträgt der Trinkmilchanteil ein Viertel des gesamten Milchanteils. Ich habe bisher angenommen, daß Sie nicht nur den Bauern, die das Glück haben, Trinkmilch zu verkaufen, eine Milchpreiserhöhung geben wollten, sondern auch den Bauern, die die Werkmilch zur Verfügung stellen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Struve: Deshalb auch die Verbindung mit dem Ausgleich, deshalb die Gesetzesänderung!)

Da von 6 Pf — wenn man für alle Milcherzeuger 2 Pf oder in diesem Fall 1 Pf über die Preiserhöhung mehr haben will — 4 Pf nötig sind, um 1 Pf pro Liter beim Bauern ankommen zu lassen, erscheint uns das so nicht richtig und auch als keine sinnvolle Lösung. Im übrigen werden wir unseren diesbezüglichen Antrag bei den Beratungen über den Grünen



Frau Strobel
Plan vorlegen, auch Ihrer wird dann ja wohl im Wortlaut vorliegen; dann wollen wir einmal die beiden miteinander vergleichen. Ich glaube, auch Sie werden dann, wenn Sie daran denken, daß der Milchauszahlungspreis ja bei den Meiereien unterschiedlich ist, zu der Auffassung kommen, daß es absolut keine Garantie dafür gibt, daß jede Preiserhöhung beim Bauern ankommt. Wenn Sie daran denken, daß die Milch dadurch, daß sie häufig nicht mehr lose, sondern abgepackt gekauft wird, und daß es dabei zu einer zusätzlichen Preiserhöhung kommen kann, werden Sie sich von uns hoffentlich doch noch überzeugen lassen, daß es im Interesse der Bauern liegt, die 2 Pf über die Subvention mehr zu geben, und daß es im Interesse des Milchverbrauchers und der vielen Familien mit Kindern liegt, diese 2 Pf, die der Bauer mehr bekommen soll, nicht durch eine Erhöhung des Milchpreises für den Verbraucher um 6 Pf zu finanzieren.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Struve: Frau Strobel, wir werden Sie bestimmt im Ausschuß davon überzeugen, daß unsere Vorschläge richtig sind!)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401323700
Eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bauer (Wasserburg).

Josef Bauer (CSU):
Rede ID: ID0401323800
Darf ich Sie etwas fragen, Frau Strobel? Sie haben eben davon gesprochen, daß die Erhöhung des Milchpreises uni 6 Pf ganz besonders die kinderreichen Familien treffen würde. Wissen Sie umgekehrt auch, daß die Erhöhung des Milchpreises, in diesem Fall auch die Erhöhung des Erzeugerpreises, sehr oft in erster Linie auch kinderreichen Bäuerinnen zugute kommen wird? Haben Sie das .auch bedacht?

(Lachen und Zurufe bei der SPD.)


Käte Strobel (SPD):
Rede ID: ID0401323900
Aber Herr Bauer, Sie stellen die Dinge völlig auf den Kopf!

(Abg. Bauer [Wasserburg] : Das sind die ganz kleinen Leute, denen es zugute kommt!)

— Nein, Sie stellen die Dinge einfach auf den Kopf.

(Abg. Bauer [Wasserburg] : Die sind viel ärmer als die anderen, die Sie in Schutz nehmen! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

— Herr Kollege Bauer, darf ich jetzt einmal aussprechen! Ich habe klar und deutlich gesagt, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion der Meinung ist, daß eine Erhöhung des Erzeugerpreises um 2 Pf insbesondere für die kleinen und mittleren Betriebe bei Milch notwendig ist und durch die Prämie erreicht werden muß.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Insofern ist Ihr Argument, daß die kinderreiche Bäuerin von uns um die 2 Pf gebracht werden soll, fehl am Platze. Entweder ist der Groschen bei Ihnen noch nicht gefallen,

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD — Abg. Bading: Die 6 Pfennig sind noch nicht gefallen! — anhaltende Heiterkeit bei der SPD)

oder Sie vermögen meiner Rechnung noch nicht zu l folgen.

(Abg. Struve: Wir wollen gegenüber Damen nicht unhöflich sein!)

Wir sind der Meinung: die kinderreiche Bäuerin soll die 2 Pf pro Liter mehr bekommen, aber die kinderreiche Verbraucherin soll nicht 6 Pf pro Liter dafür mehr bezahlen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, ich habe einen Weg aufgezeigt, wie wir das zu lösen gedenken.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Nun möchte ich gern wieder zur europäischen Agrarpolitik zurückkehren. Ich habe dazu nur noch wenige Bemerkungen zu machen. Wir werden ja bei der Erörterung des Grünen Plans noch reichlich Gelegenheit haben, eine Milchpreisdebatte zu führen.
Ich möchte gern noch von der Bundesregierung wissen, ob sie 'bereits irgendwelche Berechnungen darüber angestellt hat — und zu welchem Ergebnis sie dabei gekommen ist —, wie sich die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik unter Berücksichtigung des deutschen Anteils haushaltsmäßig in der Bundesrepublik niederschlagen wird. Ich weiß, daß man das nicht sofort beantworten kann. Aber ich glaube doch, daß es nötig wäre, bald solche Aufklärungen zu geben.
In den Verordnungen der EWG ist, nachdem sich das Europäische Parlament damit befaßt hatte, ein sogenannter Verwaltungsausschuß installiert worden. Nun, das ist beschlossen und nicht mehr rückgängig zu machen, obwohl sich das Europäische Parlament sehr hart dagegen ausgesprochen hat. Auch die Bundesregierung wird in diesem Verwaltungsausschuß vertreten sein. Ich halte den Verwaltungsausschuß für einen Fremdkörper in dem ganzen Konzept. Er beeinträchtigt die Handlungsfähigkeit der Kommission. Aber jetzt kommt es in erster Linie darauf an, daß die Beschlüsse in diesem Verwaltungsausschuß mit qualifizierter Mehrheit gefaßt werden.
Mich interessiert nun die Frage: Wem ist dieser Verwaltungsausschuß eigentlich verantwortlich?

(Sehr richtig! bei der FDP.)

Er setzt sich aus Vertretern der verschiedenen Regierungen zusammen. Ein Mehrheitsbeschluß kann so oder so zustande kommen. Die Kommission ist dem Europäischen Parlament für ihre Beschlüsse verantwortlich. Wie wirkt es sich nun aus, wenn der Verwaltungsausschuß einen Beschluß bzw. eine Anordnung der Kommission mit Mehrheit nicht genehmigt und wenn dadurch große Marktschäden entstehen? Wer kann dann dafür zur Verantwortung gezogen werden? Man müßte eine Reihe von Beispielen anführen. Mich interessiert, wie sich die Bundesregierung bei der Installierung dieses Verwaltungsausschusses verhalten hat und wie sie seine Handhabung beurteilt.

(Zuruf von der CDU/CSU.)




Frau Strobel
Ich möchte noch etwas zu der Bemerkung meines Kollegen Schmidt bezüglich der von der Bundesregierung erbetenen Ermächtigung sagen, die Gesetze der Bundesrepublik an die Verordnungen der EWG anzugleichen. Uns allen ist bekannt, daß diese Verordnungen unmittelbar geltendes Recht in der Gemeinschaft sind. Der Ausdruck „Ermächtigung", den Herr Bundesminister Schwarz gewählt hat, ist wohl falsch. Ich meine, Herr Minister — das kommt auch in einer Entschließung zum Ausdruck, die nachher noch eingebracht werden wird —, daß die Änderungen, die sich durch diese Verordnungen in der gemeinsamen Agrarpolitik, insbesondere auch in der Bundesrepublik, in der Marktordnung ergeben, so kompliziert sind, in ihren Auswirkungen so wichtig sind, daß das Parlament die Änderungen der deutschen Gesetze in allen einzelnen Phasen, auch im Zustandekommen, kennen muß.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Aus diesem Grunde möchten wir, daß die Änderung dieser Gesetze und Verordnungen nicht ohne Mitwirkung des Parlaments geschieht.

(Abg. Mauk: Sehr richtig!)

Darüber abstimmen oder eine solche Verordnung ablehnen, wie ich das aus den Äußerungen von Herrn Ertl herausgelesen habe, können wir allerdings nicht mehr.

(Zuruf von der FDP.)

Da habe ich Sie vielleicht mißverstanden.

(Abg. Ertl: Sie haben mich mißverstanden!)

Abschließend möchte ich noch sagen: wir sind der Meinung und haben das auch bereits in der EWG immer betont, daß sich aus dieser gemeinsamen Agrarpolitik die Notwendigkeit einer gemeinsamen Handelspolitik in der EWG absolut ergibt, ja, daß sie geradezu eine unausbleibliche Folge ist. Wir sind überzeugt, daß, je größer die Gemeinschaft wird, sie um so mehr dazu veranlaßt sein wird, ihren gemeinsamen Außenzoll neu zu überprüfen und unter Umständen zu senken und daß sie ihre handelspolitischen Beziehungen mit ihren Partnern in der Welt weltoffen gestalten muß. In diesem Zusammenhang möchte ich besonders betonen, daß wir die Initiative des amerikanischen Präsidenten Kennedy, die amerikanische Außenhandelspolitik liberaler zu gestalten, durchaus begrüßen und daß wir der Meinung sind, daß es die Dynamik der EWG erlauben wird, gleichzuziehen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401324000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mauk.

Adolf Mauk (FDP):
Rede ID: ID0401324100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Debatte ist jetzt auch so viel über Dinge gesprochen worden, die noch einmal in zwei, drei Wochen, wenn wir den Grünen Bericht und den Grünen Plan zu besprechen haben, besprochen werden müssen. Ich will deshalb zu dieser vorgerückten Stunde auf einige Dinge nicht eingehen, obwohl es notwendig wäre, auch unseren Standpunkt dazu darzulegen.
Ich möchte eingangs meiner Ausführungen zur europäischen Agrarpolitik feststellen, daß mit den Beschlüssen am 14. Januar ein Schritt nicht nur für die Landwirtschaft, sondern auch für die gesamte Wirtschaft und für die Politik getan worden ist, ein Schritt auf die zukünftige Politik Europas hin, aus der es kein Zurück mehr gibt. Den Übergang zur zweiten Stufe, der gleichzeitig beschlossen worden ist, haben wir zur Kenntnis zu nehmen. Auf ihn haben wir uns in allen unseren Überlegungen einzurichten.
In der von Herrn Bundesminister Schwarz vorgetragenen Regierungserklärung wird bei der Darstellung, wie es zu den Brüsseler Vereinbarungen kam, folgerichtig davon ausgegangen, daß das vom Bundestag verabschiedete Landwirtschaftsgesetz praktisch als Ausgangspunkt für die Entwicklung zu einer gemeinsamen EWG-Agrarpolitik zu bewerten ist. Diese Darstellung ist richtig. Mit dem Landwirtschaftsgesetz ist die Bundesregierung nämlich die Verpflichtung zur wirtschaftlichen Festigung der landwirtschaftlichen Betriebe und zur sozialen Gleichstellung der landwirtschaftlichen Bevölkerung mit vergleichbaren Berufsgruppen eingegangen, eine Verpflichtung, die unseres Erachtens auf die im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft zu entwickelnde Agrarpolitik zu übertragen ist.
Bei der Unterzeichnung des Vertrages im Mai 1957 hatte man auch deutscherseits sehr wohl erkannt, daß die Übernahme der in unserem Landwirtschaftsgesetz festgelegten Ziele in die LandwirtschaftsSonderbestimmungen des EWG-Vertrages mit die wesentliche Voraussetzung dafür ist, die Landwirtschaft als einen integrierenden Bestandteil in den landwirtschaftlichen Zusammenschluß der sechs Länder einzubeziehen. Aus diesen Gründen deckt sich nicht nur der Wortlaut des Art. 39 des Römischen Vertrages nahezu mit dem des Landwirtschaftsgesetzes, vielmehr gibt auch Art. 42 des Vertrages die Gewähr dafür, daß der Grüne Plan als Folgemaßnahme unseres Landwirtschaftsgesetzes auch in Zukunft und im Rahmen einer gemeinsamen Agrarpolitik in irgendeiner Form fortgesetzt werden kann.
Bei einer Betrachtung der historischen Entwicklung einer gemeinsamen Agrarpolitik muß .dieser Sachverhalt, wie er sich im Jahre 1957 bei Unterzeichnung des EWG-Vertrages abzeichnete, unterstrichen werden. Für unsere Landwirtschaft waren diese Zusicherungen überhaupt erste Voraussetzungen dafür, daß sie sich zu einer Einbeziehung der Agrarerzeugnisse in den wirtschaftlichen Integrationsprozeß bereiterklären konnte.
Die zweite Etappe in der Entwicklung zu einer gemeinsamen Agrarpolitik war die auf Grund des Art. 43 des Vertrages in Stresa durchgeführte Konferenz der Landwirtschaftsminister. Es erscheint richtig, daß ich sowohl aus der Eröffnungsrede des Präsidenten Hallstein als auch aus der in Stresa gefaßten Schlußresolution einige bedeutsame Folgerungen zitiere. Sie werden nämlich, meine Damen und Herren, mit Erschrecken erkennen müssen, wie wenig von diesen für die gesamte Landwirtschaft der Gemeinschaft bedeutungsvollen Prinzipien in die im Januar vom Ministerrat der EWG gefaßten Beschlüsse übernommen wurden.



Mauk
Präsident Hallstein sagte damals — und diese Worte waren im Jahre 1958 von der gesamten deutschen Landwirtschaft gewissermaßen als ein verbindliches Versprechen empfunden worden — unter anderem, daß das Ziel einer langfristigen Wirtschaftspolitik sein muß, einen vernünftigen, wirtschaftlich und politisch sinnvollen Kompromiß zu finden zwischen dem Wunsch, die Preise für den Verbraucher niedrig zu halten, und der Notwendigkeit, die Arbeit der Bauern gerecht zu entlohnen; daß die gemeinsame Landwirtschaftspolitik nicht ein Produkt abstrakter nationalökonomischer Spekulationen sein kann, sondern vielmehr von der augenblicklichen Situation und den sich in ihr abzeichnenden Möglichkeiten und Gefahren ausgehen muß; daß der dynamischen Industrieentwicklung ein ähnlich dynamisches Vorwärtsschreiten auf dem Agrargebiet an die Seite zu stellen ist und daß sich die gemeinsame Agrarpolitik auch der Probleme der ökonomischen und sozialen Disparität zwischen Landwirtschaft und Industrie annehmen muß.
Es würde zu weit führen, wenn ich auch noch auf die Schlußresolution einginge; ich glaube, die meisten von Ihnen haben sie noch in Erinnerung. Man sollte jedoch meinen, daß eine derart verbindliche Erklärung der sechs Regierungen in bezug auf die Landwirtschaftspolitik auch heute noch für die Kommission und den Ministerrat verbindlich sein sollte.
Leider ist das Brüsseler Ergebnis dann, wenn man sich dieser in Stresa gefaßten Schlußresolution erinnert, entmutigend. Der deutschen Regierungsdelegation unter der Leitung von Bundesminister Schwarz kann nicht der Vorwurf einer mangelnden Vertretung der Belange und Interessen der deutschen Landwirtschaft gemacht werden. Im Gegenteil, jeder, der die rund acht Wochen dauernden Verhandlungen von November bis Mitte Januar verfolgte, muß den fast übermenschlichen Leistungen des Ministers und seiner Mitarbeiter Dank und Anerkennung zollen. Es ist mir ein Bedürfnis, dies namens meiner Fraktion vor dem Hohen Hause auszusprechen. Ich freue mich, darauf hinweisen zu können, daß auch meine Fraktion durch gewisse Beschlüsse Herrn Minister Schwarz dabei unterstützen konnte.
Bezeichnend aber, meine Damen und Herren, für den Geist der Brüsseler Verhandlungen scheint der Satz in der Regierungserklärung zu sein, daß die besondere Situation der Bundesrepublik als größtes Importland für Agrarerzeugnisse der Gemeinschaft zur Folge hatte, daß die Wünsche der Partnerstaaten, die alle auf irgendeinem Gebiet Exportinteressen haben, sich sehr stark auf die Möglichkeit des Zugangs zum deutschen Markt ausrichteten. Diese Formulierung in der Regierungserklärung scheint mir sehr gemäßigt zu sein; denn man muß zu der Überzeugung kommen, daß die am deutschen Verbrauchermarkt interessierten Partnerländer unter Ausnutzung der politischen Konsequenzen eines Scheiterns der EWG-Agrarverhandlungen Zugeständnisse und Verzichte von der Bundesregierung gefordert haben, die nicht mit dem Sinn und den Bestimmungen des Römischen Vertrages vereinbar sind.
Wenn sich die Bundesregierung trotzdem zu einem Verzicht auf bestimmte Vertragsrechte bereit erklärt hat oder bereit erklären mußte, dann muß sie letztlich auch die volle Verantwortung für einen solchen Verzicht übernehmen, d. h. sie muß im Rahmen der nationalen Landwirtschaftspolitik Maßnahmen ergreifen, die die der Landwirtschaft durch diesen Verzicht entstehenden Härten und Schwierigkeiten nicht nur mildern, sondern auch kompensieren. Vor allem möchte ich auf die Möglichkeiten des Art. 44 des EWG-Vertrages hinweisen. Wenn z. B. jetzt dem Obst- und Gemüsebau im Zuge der Verwirklichung der Gemeinsamen Markt-Organisation für Obst und Gemüse die Anwendung von Art. 44, also die Handhabung von Mindestpreisen — das einzige im Vertrag vorgesehene Instrument —, nicht mehr gestattet sein soll, dann ist ein solcher Beschluß des Ministerrates eine Vertragsänderung, für die auch die an die Stelle von Art. 44 gesetzte Schutzklausel nie ein auch nur annähernd gleichwertiger Ersatz sein wird.
Ähnlich verhält es sich bei den sogenannten Schutzklauseln für die anderen Produkte, vielleicht mit Ausnahme von Wein.
Man muß sich deshalb wirklich fragen, warum man eigentlich auf die Anwendung bewährter Systeme verzichtet hat, um so mehr, als die Bundesrepublik in den ersten vier Jahren alle Vertragsverpflichtungen auch auf dem Gebiet der Agrarpolitik voll erfüllt hat, dem Übergang zur zweiten Phase also nichts im Wege gestanden hätte.
An Hand der Regierungserklärung ist es nicht leicht, zu den in Brüssel beschlossenen Verordnungen abschließend Stellung zu nehmen, zumal der endgültige Wortlaut noch nicht zu erhalten ist. Eines kann jedoch festgestellt werden: daß fast alle Verordnungen auf eine Erweiterung der Exportgeschäfte der Partnerländer zugeschnitten sind, da diese Verordnungen nahezu ausschließlich die Voraussetzungen für eine uneingeschränkte Belieferung der west- deutschen Märkte für Agrarerzeugnisse schaffen sollen. Ein solches Urteil wird durch die Tatsachen bestärkt, daß man bei der Formulierung der gemeinsamen Marktordnungen sehr wohl darum bemüht gewesen war, daß die Exporteure — wie es in einem Fall wörtlich heißt — „in Fällen einer eventuellen Anwendung von Schutzmaßnahmen keinen Schaden erleiden". Man vermißt jedoch irgendeinen Hinweis darüber, daß auch Sorge dafür getragen werden soll, daß den Erzeugern von Agrarprodukten besondere Härten erspart bleiben sollen.
Ohne hier auf den Inhalt der einzelnen Verordnungen weiter einzugehen, muß jedoch noch gesagt werden, daß es der deutschen Verhandlungsdelegation z. B. in der Frage der Annäherung des 'Getreidepreises gelungen ist — und ich freue mich darüber, Frau Kollegin Strobel, daß wir da noch etwas Zeit haben —; die Getreidepreise zunächst unverändert zu lassen. Dabei muß aber bedacht werden, daß mit dem Übergang zur zweiten Stufe die Europäische Kommission und ihre Organe insofern Stärkung erfuhren, als die Beschlüsse fortan nicht mehr in allen Fällen der Einstimmigkeit des Rates



Mauk
bedürfen, sondern mit qualifizierter Mehrheit gefaßt werden können. Darin liegt, wie unbestritten ist, eine gewisse Gefahr bezüglich der in der Zukunft noch zu fassenden Beschlüsse.
Ebenso muß bei dem Vergleich der Brüsseler Beschlüsse mit den am 30. Juni 1960 — das ist also noch gar nicht so sehr lange her — von der Kommission vorgelegten Vorschlägen festgestellt werden, daß von dem Versuch, eine konstruktive und auch auf dein landwirtschaftlichen Einzelbetrieb ausgerichtete EWG-Agrarpolitik zu entwickeln, wenig übriggeblieben ist. Main vermißt in den vom Ministerrat beschlossenen Marktordnungen z. B. auch die vorgesehene Regelung über ein Mitspracherecht des Berufsstandes bzw. der beteiligten Wirtschaftsgruppen. Von der Bildung sogenannter „beratender Ausschüsse" ist in keiner der verabschiedeten Verordnungen, soweit ich feststellen konnte, mehr die Rede.
Bei Betrachtung des Ergebnisses der Brüsseler Agrarverhandlungen zeigt sich auch deutlich, daß die Große Anfrage, welche meine Fraktion im vergangenen Juni eingebracht hat, ihre volle Berechtigung hatte, ja, eine zwingende Notwendigkeit war. Obwohl es reizvoll wäre, auf einige Einzelheiten der Antwort der damaligen Bundesregierung einzugehen, auch auf einige Ausführungen, die in diesem Hause während der Aussprache am 30. Juni, also am letzten Tag der vergangenen Legislaturperiode — wie Sie sich erinnern können —, gemacht wurden, werde ich mir dies heute angesichts der vorgerückten Stunde ersparen.
Das Ergebnis der Brüsseler Agrarverhandlungen muß aber entscheidend für die Konsequenzen sein, die die Bundesregierung im Hinblick auf die nationale Landwirtschaftspolitik für die Zukunft zu ziehen hat. Da gebe ich Ihnen, Frau Strobel — und ich weiß nicht, wer von Ihnen es noch gesagt hat —, recht, daß der Zukunft sowohl in der Regierungserklärung als auch in der heutigen Diskussion bisher verhältnismäßig wenig Raum gewidmet worden ist. Die Bundesregierung wird dafür Sorge zu tragen haben, daß die landwirtschaftlichen Betriebe mit den sich verschärfenden Schwierigkeiten, die sich als Folge der Brüsseler Beschlüsse zwangsläufig einstellen werden — wir können das nicht hinwegdiskutieren —, fertig werden können. Mit der bisherigen Konzeption der bundesdeutschen Agrarpolitik — das ist die Auffassung der Freien Demokraten —, werden wir dieses Ziel nicht erreichen. Wir brauchen deshalb eine neue Konzeption für die künftige Landwirtschaftspolitik, die sich mit den Brüsseler Beschlüssen verträgt, die auf die Notwendigkeiten der wirtschaftlichen und sozialen Festigung unserer landwirtschaftlichen Betriebe und der landwirtschaftlichen Bevölkerung ausgerichtet ist, die die Interessen der Verbraucher wahrt und die die Belastungsmöglichkeiten der deutschen Steuerzahler berücksichtigt. Heute schon auf Einzelheiten einzugehen, würde den Rahmen dieser Aussprache sprengen. Wir haben ja noch im Februar die Aussprache zu dem Grünen Bericht und zu dem Grünen Plan. Dabei werden wir genügend Gelegenheit zu solchen Ausführungen haben.
Nur zu einer Sache, die von vielen, selbst von Wissenschaftlern, als das Allheilmittel angesehen wird, möchte ich noch kurz Stellung nehmen, nämlich zur notwendigen Strukturverbesserung. Auch wir Freien Demokraten halten eine Strukturverbesserung für zwingend notwendig; wir sind der Auffassung, daß sie noch wesentlich rascher als bisher durchgeführt werden muß, ja, daß sie so durchgeführt werden sollte, daß sie bis -zum Ende der Übergangszeit, also bis zum 31. Dezember 1969, im wesentlichen abgeschlossen ist. Ich halte es jedoch für meine Pflicht, Neugierige darauf hinzuweisen, daß damit allein die Agrarprobleme nicht gelöst werden können. Wenn das nämlich so wäre, dann dürfte es z. B. in England, wo das Strukturproblem angeblich gelöst ist, oder gar in den Vereinigten Staaten, wo es im Vergleich zu uns längst gelöst ist, keine Agrarprobleme geben. Wir wissen, daß gerade in diesen beiden Industrieländern die größten Probleme aufgetreten sind und die höchsten Zuschüsse pro Kopf der Bevölkerung zur Erhaltung der Landwirtschaft gegeben werden müssen.
Die Brüsseler Beschlüsse — darauf hat auch die Frau Kollegin Strobel hingewiesen — werden auch auf der jetzigen EWG-Ebene noch nicht die Bereinigung der Agrarprobleme bringen. Im Gegenteil; ich möchte fast sagen, daß wir hier auf der europäischen Ebene erst an einem Anfang stehen. Viele Verordnungen, Beschlüsse usw., die sich auf -das Gebiet der sechs EWG-Staaten beziehen, werden noch auf uns zukommen. Dann werden die überseeischen Besitzungen der Partnerstaaten dazukommen; die sich hier ergebenden Probleme müssen ebenfalls gelöst werden. England, Dänemark und andere Länder haben Anträge auf Aufnahme gestellt. Was da alles noch auf uns zukommt — ich denke z. B. auch an tropische Agrarerzeugnisse —, ist heute noch nicht zu übersehen.
Man kann noch nicht endgültig sagen, welchen Weg wir zu gehen haben. Die Freien Demokraten sind der Auffassung, daß die Brüsseler Beschlüsse die Bundesregierung und den Bundestag dazu zwingen, gemeinsam den richtigen und notwendigen Weg zu suchen und zu gehen. Nachdem es möglich war, daß sich heute alle drei Fraktionen des Hohen Hauses auf einen gemeinsamen Text einer Entschließung geeinigt haben, in der auch einige der von mir angesprochenen Gesichtspunkte enthalten sind, und nach dem Verlauf der heutigen Debatte, die, wenn auch einige Meinungsverschiedenheiten aufgetreten sind, im allgemeinen sehr positiv gewesen ist, habe ich die große Hoffnung, daß wir bald gemeinsam eine neue agrarpolitische Konzeption entwickeln werden. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Ich möchte hier an die Worte des Kollegen Dr. Schmidt (Gellersen) anschließen: Es ist wirklich allerhöchste Zeit! Ziehen wir die Konsequenzen aus den Brüsseler Beschlüssen, und sorgen wir dafür, daß es trotzdem auch in Zukunft eine lebensfähige, gesunde deutsche Landwirtschaft gibt.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401324200
Das Wort hat Herr Abgeordneter Lücker.




Hans August Lücker (CSU):
Rede ID: ID0401324300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war natürlich heute außerordentlich reizvoll, einmal der Debatte zu folgen, aber es ist natürlich auch reizvoll, hier noch etwas zu sagen, und zwar deswegen reizvoll, weil man selbst, wenn auch nicht auf der Regierungsebene, aber als Mitglied dieses Hohen Hauses, im Europäischen Parlament zu denen gehört hat, die — um mit dem französischen Landwirtschaftsminister Pisani zu sprechen — dazu verurteilt waren, eine Verständigung zu erreichen und dem Bemühen um eine gemeinsame europäische Agrarpolitik einen Erfolg zu bescheren.
In den letzten Tagen ist bei uns, aber auch in den anderen Ländern der Gemeinschaft im Zusammenhang mit den Beschlüssen des Ministerrats von Brüssel sehr häufig die Vokabel gebraucht worden, daß das Ergebnis dieser Mammutkonferenz einen großen Sieg für Europa darstelle, daß es ein großer Erfolg sei. Ist das richtig? Auch heute ist in der Diskussion von fast allen Rednern, die darauf zu sprechen gekommen sind, zum Ausdruck gebracht worden, daß wir tatsächlich große Hoffnungen auf die weitere Zukunft Europas und damit auch unseres eigenen Landes und unseres eigenen Volkes setzten.
Aber in diesem Zusammenhang wird häufig — so wie heute, und das wird vielleicht auch noch morgen so sein — die Frage angeschnitten: Ist dieser Sieg für Europa auf dem Rücken der Landwirtschaft, auf dem Rücken der Bauern, auch der deutschen Bauern erkämpft worden? Wir sollten heute in dieser europäischen Debatte auch auf diese Frage eine redliche Antwort geben. Denn wir alle wissen, daß insbesondere in den landwirtschaftlichen Bevölkerungskreisen auch in unserem Lande eine gewisse Unruhe herrscht, und wir wissen, daß eine der Quellen für diese Unruhe zweifellos in der Gefahr gesehen wird, die mit der Verwirklichung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf unsere Bauern zukommt. Es ist menschlich verständlich, daß diese Furcht im Einzelnen um so größer ist, je unbekannter das Ausmaß oder die Wirkung dessen ist, was mit den Brüsseler Beschlüssen verbunden ist. Diese Furcht scheint mir eine Quelle für die Unruhe unserer Bauern zu sein; ich werde in einem anderen Zusammenhang noch auf eine zweite zu sprechen kommen.
Wenn wir dazu Stellung nehmen wollen, ist folgendes zu sagen. Man kann schon an der Härte und an der Dauer der Verhandlungen in Brüssel ablesen, daß von allen Beteiligten ein Höchstmaß an Verantwortung gezeigt worden ist. Schon aus dieser Sicht verbietet es sich, zu sagen, es sei leichtfertig etwa auf dem Rücken der Bauern oder irgendeines Volkes oder eines Berufsstandes eine Lösung angestrebt worden. Wir wissen von den Verhandlungen, daß sie bis zur physischen Erschöpfung einiger ihrer Teilnehmer geführt haben. Ich glaube, daß es in diesem Zusammenhang auch angebracht ist, unserem Minister Schwarz — wie es auch in der Entschließung aller Fraktionen dieses Hauses heute glücklicherweise zum Ausdruck gekommen ist — für diese Leistung den Dank zu sagen, und Herr Minister Schwarz wird sicherlich Verständnis dafür haben, wenn wir diesen Dank auch auf seine Delegationsmitglieder, insbesondere auf die Herren Staatssekretäre Müller-Armack und Lahr, ausdehnen wollen, aber auch auf seine anderen Mitarbeiter.

(Allseitiger Beifall.)

Wenn wir schon von jener Unruhe in der Landwirtschaft sprechen, so möchte ich noch einmal auf eine ganz konkrete Tatsache hinweisen, nicht als ob das heute nicht schon das eine oder andere Mal geschehen wäre, sondern weil mir das besonders wichtig erscheint. Ich bin Herrn Minister Schwarz für die Feststellung in der Regierungserklärung außerordentlich dankbar, mit der er in ganz eindeutiger, unmißverständlicher Form zum Ausdruck gebracht hat, daß der Geist und die Zielsetzung des deutschen Landwirtschaftsgesetzes auch in die agrarpolitische Konzeption der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in vollem Umfang Eingang gefunden haben.
Das hört sich heute vielleicht selbstverständlich, vielleicht etwas zu selbstverständlich an. Aber alle Beteiligten wissen, daß es nach dem Abschluß des Vertrages von Rom und schon bei seiner Vorbereitung sehr großer geistiger und politischer Anstrengungen bedurft hat, um diesen Geist und diese Zielsetzung auch für die gemeinsame europäische Agrarpolitik verbindlich zu machen. Wenn wir heute in der agrarpolitischen Diskussion in unserem Lande immer wieder das Landwirtschaftsgesetz als die Basis und die Zielsetzung unserer Agrarpolitik zitieren, wenn wir uns darauf immer wieder, ich möchte einmal sagen, wie auf einen Zufluchtsort zurückziehen und wenn dieser Geist und diese Zielsetzung des deutschen Landwirtschaftsgesetzes in die EWG Eingang gefunden haben, so kann man wohl sagen: es ist um die Konzeption der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik nicht so schlecht bestellt, wie das mitunter draußen im Lande dargestellt wird.
Das ist kein Zufall. Das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern dahinter steckt natürlich auch ein gewaltiges Stück Anstrengung und Arbeit. Diese Arbeit war notwendig, und wir sind überzeugt, daß sie außer der deutschen Landwirtschaft auch der gesamten europäischen Landwirtschaft in der Zukunft zugute kommen wird.
Aber eines wissen wir: Mit diesen Entschlüssen von Brüssel ist der Rubikon überschritten worden, jenseits dessen es auf dem Wege in den gemeinsamen europäischen Markt kein Zurück mehr gibt. Ich möchte hier — nicht als Beruhigung, sondern als eine schlichte Feststellung — doch sagen, daß das Ergebnis von Brüssel ein Kompromiß ist, bei dem alle Partner von ihren Ausgangspositionen aus gewisse Zugeständnisse gemacht haben, wie das gar nicht anders erwartet werden konnte, aber es ist ein Kompromiß, das, wenn wir alles Für und Gegen redlich abwägen, eine neue Konzeption für eine gemeinsame Agrarpolitik unserer Gemeinschaft darstellt, die von allen akzeptiert werden konnte — oder soll ich sagen: die noch von allen akzeptiert werden konnte? Es ist wohl das Beste an den Brüsseler Entscheidungen, daß es weder Besiegte noch Sieger gibt, sondern das im Gesamtzusammenhang der politischen und wirtschaftlichen Probleme ein Kompromiß, ein Ergebnis gefunden werden konnte, das sich sicherlich noch nicht in allen Einzelheiten,



Lücker (München)

in Heller und Pfennig für die Zukunft darstellen läßt, aber von dem wir auch hoffen dürfen, daß es geeignet ist, einen wirklich guten gemeinsamen Weg in eine gemeinsame europäische Zukunft zu finden. Das war nicht einfach, das war eine erhebliche Aufgabe und Anstrengung.
Ich glaube, es ist gut, auch in diesem Hause einmal auszusprechen, daß es bisher in der internationalen Geschichte nicht einen einzigen Fall gibt, in dem es gelungen wäre, die Agrarpolitiken mehrerer Länder durch einen freiheitlich zustandegekommenen Beschluß auf eine gemeinsame Agrarpolitik zu vereinen. Wir haben sogar in den letzten Jahren genügend Beispiele dafür. Ich brauche nur an den Abschluß des Vertrages der EFTA-Länder zu erinnern, die wegen dieser Schwierigkeiten die Landwirtschaft aus ihrer Konzeption ausgeklammert hatten. Ich darf nur als Modell daran erinnern, daß sogar die Benelux-Länder in ihrem Vertrag nach dem zweiten Weltkrieg das Landwirtschaftsproblem ebenfalls nicht im Sinne einer gemeinsamen Konzeption lösen konnten. Ich treffe diese Feststellungen nur, um deutlich zu machen, um welches Anliegen es sich hier gehandelt hat und daß allein die Tatsache der Bewältigung dieses Anliegens uns in diesem Sinne eine Hoffnung für die Zukunft sein kann.
Was resultiert daraus? Es wurde heute schon verschiedentlich angedeutet, und ich möchte es von mir aus noch einmal unterstreichen: Mit diesem Entschluß ist zweifellos eine große politische und wirtschaftliche Dynamik für Europa, für unsere Wirtschaftsgemeinschaft ausgelöst worden. Ich will mich nicht allzusehr damit beschäftigen. Aber der Hinweis darauf, daß Großbritannien und einige andere EFTA-Länder ihren Beitritt angemeldet haben, und die jüngste Botschaft des amerikanischen Präsidenten an den Kongreß insbesondere auch über die Notwendigkeit einer engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der neuentstehenden Großmacht Europa, wie er sich ausdrückte, demonstrieren, welcher Dynamismus von diesem europäischen Einigungswerk ausgeht und welche Aufgaben damit weit über Europa hinaus in der gesamten Welt gegeben sind. Der amerikanische Präsident sprach sicherlich in einem sehr positiven Sinne das Wort von der Herausforderung, die diese Europäische Wirtschaftsgemeinschaft auch für die große Wirtschaftskraft und -macht der USA darstellen werde.
Ich glaube, wir dürfen ganz allgemein hoffen, daß mit diesem Beschluß in Brüssel, der ja nicht als etwas Isoliertes angesehen werden darf, sondern nur als eine sehr wichtige Etappe auf dem Wege zu diesem europäischen Gebilde, das viele heute schon als die Vereinigten Staaten von Europa von morgen ansprechen, ein Dynamismus wirtschaftlicher Art im Innern ausgelöst wird.
Ich will mich hier nicht an Zahlen begeistern, die heute von Leuten, die zweifellos sehr viel davon verstehen, angeboten werden, Zahlen über die wahrscheinlichen Zuwachsraten des Sozialprodukts innerhalb der Gemeinschaft. Man braucht sich aber nur einmal die Entwicklung der letzten Jahre zu vergegenwärtigen und dann zu versuchen, ohne
irgendwie in illusionäre Visionen abgleiten zu wollen, sich an durchaus gegebenen konkreten Entwicklungsmöglichkeiten zu orientieren. Dann wird man zu dem Ergebnis kommen, daß mit diesem Dynamismus auch im Innnern der Gemeinschaft eine große wirtschaftliche Expansion einhergehen wird.
Von dieser Feststellung aus möchte ich wieder auf die Probleme der Landwirtschaft zu sprechen kommen, um die es in dieser Debatte ja in erster Linie geht. Wenn diese Prognosen in ihrer Tendenz stimmen — und ich glaube, wir haben keinen Anlaß, daran zu zweifeln, daß sie in der Tendenz richtig sind, wenn man auch über das zahlenmäßige Ausmaß streiten mag —, dann werden wir zugestehen müssen, daß in dieser wirtschaftlichen Gesamtexpansion auch noch Raum und Platz für einen wachsenden Absatz landwirtschaftlicher Produkte sein wird, wobei selbstverständlich nach aller Erfahrung ein Übergang, ein teilweiser Wechsel vom Verzehr von Bodenprodukten zu einem wachsenden Verzehr von Veredelungsprodukten stattfinden wird.
Das scheint mir eine der wichtigsten Schicksalsfragen für die Zukunft auch unserer Landwirtschaft zu sein: Welche Landwirtschaft wird diesen wachsenden Marktanteil für sich gewinnen können? Wer ist es, der sich insbesondere im Hinblick auf diese Möglichkeiten der Zukunft stärker am Markt einschalten kann?
Natürlich spielen in diesem Zusammenhang die Fragen des Wettbewerbs eine ungeheure Rolle. Es ist zweifellos das Verdienst unserer deutschen Verhandlungsdelegation, daß in Brüssel eindeutig entschieden wurde, daß für die Veredelungsprodukte bereits vom 1. Juli dieses Jahres an, an dem die ersten Verordnungen in Kraft treten sollen, die wettbewerbsverzerrenden Ausfuhrsubventionen verboten sind.

Josef Bauer (CSU):
Rede ID: ID0401324400
Wie wird denn der Wettbewerb nach dem 1. Juli 1962 ausschauen? Ich wiege mich natürlich nicht in der illusionären Hoffnung, daß mit diesem Datum alle zu Engeln werden oder sich vom Saulus zum Paulus entwickeln werden. Aber eines scheint mir doch etwas beruhigend zu sein, nämlich die Tatsache, daß, wer gegen dieses Gebot verstößt, vor den europäischen Kadi, vor den Europäischen Gerichtshof zitiert werden kann. Und es ist ja nicht so, als ob man so gar nichts von dem wüßte, was auf diesem Gebiet geschieht. Ich bin überzeugt, daß außer mir sehr viele in ihren Dossiers die Unterlagen darüber haben, was in den einzelnen Ländern an wettbewerbsverzerrenden Maßnahmen vorhanden ist, und ich bin überzeugt, daß in Zukunft die liebe Konkurrenz uns sehr schnell auf die Sprünge helfen wird, uns das noch sagen wird, was wir nicht von vornherein wissen sollten. Natürlich wird es immer wieder ein Gegenstand unserer Aufmerksamkeit und unserer Bemühungen sein, dafür zu sorgen, daß diese wettbewerbsverzerrenden Maßnahmen in dem Geiste und in dem Rhythmus abgebaut werden, wie es in den Beschlüssen von Brüssel vorgesehen ist und wie es dort entschieden worden ist.



Lücker (München)

In diesem Zusammenhang ist mir in der heutigen Debatte eines aufgefallen, und auch dazu, meine ich, sollten wir noch etwas sagen. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß es spätestens nach dem Ende der Übergangszeit zwischen den sechs Partnern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft keine handelspolitischen Probleme mehr geben wird. Nach der Beendigung der Übergangszeit haben wir einen Binnenmarkt, das heißt einen gemeinsamen Markt mit den Bedingungen eines Binnenmarktes. Es gibt dann zwischen den Sechs keine Zollgrenze mehr, es gibt dann keine handelspolitischen Maßnahmen mehr; die haben wir dann lediglich noch gegenüber den Drittländern.
Was heißt das aber? Das heißt doch, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß, wenn diese Übergangszeit beendet sein wird, die Leistung über den Marktanteil entscheidet, den der Einzelne oder den die betroffenen Landwirtschaften haben werden. Deswegen meine ich, daß wir die Übergangszeit gut nutzen sollten. Wir werden nachher in einem Wettbewerb mit den Landwirtschaften der Partnerländer stehen, genauso wie heute in der Bundesrepublik z. B. die niedersächsische Landwirtschaft mit der bayerischen Landwirtschaft konkurrieren muß. Diesen größeren Wettbewerb mit einem gemeinsamen Schutz nach außen werden wir haben. Entscheiden darüber, wer sich dann durchsetzt, wird neben gewissen Marktvorteilen und -nachteilen im wesentlichen die Leistung. Es scheint mir wichtig zu sein, darauf hinzuweisen.
Gewiß, es werden mit der Verwirklichung dieses Marktes Nachteile, Schwierigkeiten im Anpassungsprozeß verbunden sein; aber diesem Markt werden mit all dem, was ich hier nur kurz andeuten wollte, auch gewisse Chancen eröffnet. Es kommt darauf an, unsere Kräfte zu mobilisieren, um in möglichst großem Umfang diese Chancen für unsere Landwirtschaft zu nützen.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch ein Wort zu jener zweiten Quelle ,der Unruhe sagen, die zu der ersten hinzutritt, von der ich gesprochen habe: sie liegt in den unterschiedlichen Auswirkungen des allgemeinen Wachstumsprozesses unserer Wirtschaft auf Industrie und Gewerbe einerseits und die Landwirtschaft andererseits. Die Auswirkungen dieses Wachstumsprozesses unserer Wirtschaft, die uns in den letzten Jahren zweifellos schon größere Schwierigkeiten bereitet haben, werden uns auch in Zukunft Schwierigkeiten machen, solange eben die Wirtschaftsexpansion dauert. Ich weiß nicht, ob viel Fantasie dazu gehört, folgendes vorauszusagen. Sicherlich wird keiner von uns den Mut haben, etwa zu sagen, daß die Anpassung der deutschen Landwirtschaft an die EWG größere Schwierigkeiten als die mit sich bringen wird, die aus dem unterschiedlichen Wachstumsprozeß von Landwirtschaft und Industrie entstehen und die uns heute schon beschäftigen und die uns morgen beschäftigen werden. Nach meiner persönlichen Auffassung werden uns diese Schwierigkeiten in Zukunft mehr Sorge machen als die landwirtschaftlichen Schwierigkeiten, die sich aus dem Zusammenschluß in der EWG ergeben werden. Die Schwierigkeiten müssen wir dann in der EWG gemeinsam lösen; denn dieses Problem wird alle Länder, alle Teile, alle Branchen in der EWG beschäftigen. Trotzdem ist es, glaube ich, richtig, die Übergangszeit zu nützen. Wir haben noch die Übergangszeit bis zum Jahre 1970 und sollten sie nützen, sowohl von der Landwirtschaft her als auch in unserer agrarpolitischen Tätigkeit in Europa und hier in Bonn. Daß die deutsche Landwirtschaft Umstellungen wird vornehmen müssen, daß sie sich wird umorientieren müssen in der Produktion und in der Vermarktung, diese Aufgabe ist Gott sei Dank erkannt.
Ich gehe nicht so weit wie der Kollege Birkelbach, der heute früh meinte — vielleicht war es etwas mißverständlich —, das es zu einer lawinenartigen Verschiebung, möchte ich einmal sagen, zu den besten Klimaten und zu den besten Böden komme. Aber es werden sich in diesem Markt neue Daten, neue Bedingungen stellen. Da ist es notwendig, daß die Produktion, um am marktgünstigsten zu sein, dorthin kommt, wohin sie gehört. Wir werden alle Anstrengungen machen müssen, um auch in der Vermarktung unserer Produkte mit standardisiertem Angebot, mit großen Mengen und in kontinuierlicher Darbietung antreten zu können. Daß das Aufgaben sind, die die Landwirtschaft nicht allein lösen kann, sondern daß sie unserer Hilfe bedarf, ist, glaube ich, erkannt worden.
Frau Kollegin Strobel, Ihre Äußerung, daß in den letzten vier Jahren seit Inkrafttreten des Vertrages von Rom in dieser Richtung gar nichts getan worden sei, schien mir etwas sehr hart zu sein; das kann in diesem Umfange sicherlich nicht gesagt werden. Ich darf hier doch ehrlich sagen, was wir bereits damals dachten, als wir das Landwirtschaftsgesetz verabschiedeten. Das Landwirtschaftsgesetz stand schon unter dem Stern, daß wir wahrscheinlich in die Entwicklung eines größeren europäischen Marktes eintreten müßten.
Die Gestaltung der Grünen Pläne seit 1956 zeigt, daß die Aufgabe erkannt worden ist. Es bleibt die Frage: ist es nicht vielleicht wünschenswert, daß noch mehr geschehen wäre? Gut, darüber kann man streiten, und darüber sollte man auch in diesem Parlament reden. Aber dabei geht es immer auch um die Mittel, die eingesetzt werden können, und in diesem Falle tut man sich natürlich auf den Bänken der Opposition etwas leichter als auf den Bänken derer, die die Regierungsverantwortung tragen, weil sie ja auch mit dem Haushalt insgesamt zurecht kommen müssen, um alle Aufgaben, die sich uns stellen, lösen zu können.
Zweifellos handelt es sich bei diesem Anpassungsprozeß um eine gigantische Aufgabe. Es ist gut, daß diese Aufgabe heute in der gemeinsamen Entschließung aller drei Fraktionen auch noch einmal besonders herausgestellt worden ist.
Nun darf ich auf ein anderes Problem eingehen, das heute in der Debatte schon berührt worden ist. Es macht natürlich auch uns Sorgen, daß wir im Zuge der Entwicklung im Gemeinsamen Markt Zuständigkeiten an die europäische Exekutivkommis-



Lücker (München)

sion abgeben, ohne daß eine adäquate Stärkung der legislativen Vollmachten des Europäischen Parlaments gegeben ist. Es ist der Anstrengungen insbesondere auch in Straßburg wert, sich einmal Gedanken darüber zu machen, was hier verbessert werden könnte. Was könnte das Europäische Parlament in diesen Fragen tun? Es kann natürlich nicht in erster Linie mit institutioneller Macht vorgehen, obschon auch insofern einiges gegeben ist. Wir haben unsere Aufgabe im Europäischen Parlament im wesentlichen vielmehr darin gesehen, politisch das Feld abzustecken, innerhalb dessen Lösungen für eine gemeinsame Agrarpolitik gefunden werden könnten. Es half uns dabei nicht mehr als die Kraft der Argumente und die Gemeinsamkeit des ehrlichen, redlichen politischen Wollens.
Heute beurteile ich die Ergebnisse, die in der politischen Diskussion im Europäischen Parlament erzielt worden sind, so, daß sie tatsächlich genau das Feld abgesteckt haben, innerhalb dessen die Beschlüsse des Ministerrats vom 43.114. Januar liegen. Ich kenne keinen Beschluß, der außerhalb dieses Feldes läge. Das zeigt, daß bei redlichem Angehen der Probleme Möglichkeiten, sich zu verständigen — wenn auch in harter und langer Diskussion —, gegeben sind. Das sollte auch für die Zukunft — denn es steht ja noch einiges bevor — im Auge behalten werden. Dabei wäre es sicherlich zu begrüßen, wenn auch ohne Änderung des Vertrages von Rom, wie der Kollege Birkelbach heute früh sagte, Wege gefunden werden könnten, diese Zusammenarbeit enger und intensiver zu gestalten und wirklich fruchtbar zu machen.
Wir sind uns natürlich bewußt, daß mit den Brüsseler Beschlüssen die Kompetenzen der EWG-Kommission sehr gestärkt worden sind, und wir wissen, daß mit den Brüsseler Beschlüssen kein Endpunkt erreicht worden ist, sondern daß bereits in den nächsten Monaten weitere bedeutende Entscheidungen zu fällen sind. Ich will hier nur an die Marktverordnungen erinnern, die noch für einige bestimmte Gebiete erlassen werden müssen.
Folgendes erscheint mir aber noch wichtiger. Wir wissen, daß in diesem Jahre nicht nur sehr bedeutungsvolle Entscheidungen hinsichtlich der zukünftigen Preispolitik innerhalb der EWG, hinsichtlich des zukünftigen Agrarpreisniveaus in Europa getroffen werden müssen, sondern daß in diesem Jahre auch sehr wichtige Entscheidungen im Zusammenhang mit den Verhandlungen über den Beitritt Englands zur EWG fallen. Das sind ungeheuer wichtige Aufgaben. Sie machen deutlich, daß hier ein Zusammenspiel notwendig ist, das die Erzielung möglichst guter Lösungen für alle gewährleistet.
Ich nannte die Frage des Preisniveaus. Hier möchte ich insbesondere meinen Kollegen Bauer beruhigen, der das dankenswerterweise noch einmal aufgegriffen hat. Ich darf ihm und allen Kollegen sagen, daß meine politischen Freunde aus diesem Hause im Europäischen Parlament gar keinen Anlaß sehen und nicht daran denken, in dieiser Frage des Preisniveaus in Zukunft etwa einen anderen Standpunkt als den einzunehmen, den sie eingenommen haben, den sie — ich sage das hier
mit dem Ausdruck des Dankes — geschlossen eingenommen haben, als wir im Oktober 1960 jene Entschließung verabschiedeten. Wenn ich mich recht erinnere, ist bisher von keiner Institution in dieser Deutlichkeit gesagt worden, daß das zukünftige europäische Agrarpreisniveau sich an dem gegenwärtigen deutschen Agrarpreisniveau orientieren solle.
Ich habe den Eindruck, daß die Entwicklung, die mittlerweile stattgefunden hat, uns keinen Anlaß gegeben hat, von dieser Forderung etwa abzugehen. Im Gegenteil, diese Entwicklung berechtigt uns, glaube ich, nur noch mehr, an dieser Forderung festzuhalten. Ich bin sehr erfreut darüber, daß auch Persönlichkeiten dieses Hauses in jüngster Zeit ihren Standpunkt in dieser Richtung geändert haben.
Man malt in diesem Zusammenhang immer wieder das Schreckgespenst einer möglichen Überproduktion landwirtschaftlicher Güter innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft an die Wand. Die Argumente, die bisher hierfür angeführt worden sind, haben meine Freunde und mich nicht überzeugen können. Ich darf vielleicht einmal von den Problemen innerhalb unserer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft absehen und auf die jüngsten Untersuchungen der FAO verweisen. Aus ihnen geht hervor, daß im Jahre 2000 — das ist nicht mehr sehr weit entfernt; das betrifft die Welt, in der vielleicht noch einige von uns, sicherlich aber bereits unsere Kinder leben werden — der Ernährungszustand in der Welt selbst dann noch ebenso unbefriedigend und schlecht wie heute sein wird, wenn wir bis dahin die Bodenproduktion in der Welt um 100 % und die agrarische Veredelungsproduktion um 200 % erhöht haben werden. Heute entfallen auf einen Satten in der Welt ein ganz Hungriger und ein halb Hungriger, d. h. auf einen Satten lentfallen praktisch zwei, die sich nicht satt essen können. Dieser Zustand wird nach allen Prognosen im Jahre 2000 selbst dann herrschen, wenn wir unsere Produktion in der angegebenen Weise erhöhen.
Hier liegt eine gigantische Aufgabe vor uns, über deren politische und allgemeine Bedeutung ich nicht zu sprechen brauche. Ich will mich hier auch nicht in irgendwelche Euphorien verlieren. Aber eines scheint mir doch sicher zu sein: wenn die westliche Welt keine Möglichkeiten findet, dieses Problem einigermaßen zufriedenstellend zu lösen, wäre das nicht nur eine Kapitulation vor dem menschlichen und humanitären Geist, sondern gleichzeitig eine Kapitulation vor der politischen Verantwortung, die wir für unsere Zukunft alle tragen.
Dieser Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die sich anschickt, ein entscheidender wirtschaftlicher und politischer Faktor in der Welt zu werden, und damit allen an ihr Beteiligten sind also auch auf diesem Sektor große Aufgaben gestellt. Auch aus diesem Grunde möchte ich darum bitten, diese Frage nicht zu gering zu erachten.
Dem Kollegen Schmidt, der in diesem Zusammenhang noch einmal das Verhältnis der Preise auf dem Gebiete der Bodenproduktion zu denen auf dem Gebiete der Getreide- und Veredelungsproduktion



Lücker (München)

angesprochen hat, möchte ich sagen: wir sehen den Getreidepreis wirklich nicht als einen, wie er sagte, sondern als d e n Eckpreis unserer gesamten landwirtschaftlichen Produktion an, die in Boden- und Veredelungsproduktion immer eine Verbundproduktion bleiben wird. Von diesem Getreidepreis hängen mittelbar oder unmittelbar 80 und mehr Prozent sämtlicher Einnahmen der Landwirtschaft ab. Deswegen haben wir in dieser Entschließung in Straßburg an den Brotgetreidepreis den Futtergetreidepreis mit der Bestimmung angehängt, daß dieser Futtergetreidepreis innerhalb der EWG in einer einheitlichen, gleichen Relation zum Brotgetreidepreis stehen muß.
Es ist richtig, und wir alle wissen es, daß in der allgemeinen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung — mit und ohne EWG — alle Industriestaaten aufgerufen sind, etwas für ihre Landwirtschaft zu tun. Wir befinden uns in einem Zustand, in dem die hochindustrialisierten Volkswirtschaften und Nationen der westlichen Welt gleichzeitig eine große landwirtschaftliche Produktion haben und Überschüsse erzielen, während dort, wo die Menschen Hunger leiden, im wesentlichen nur Agrarprodukte erzeugt werden.
Alle Industrienationen tun gegenwärtig noch etwas für ihre Landwirtschaft. Herr Kollege Ertl hat Professor Naumann zitiert. Was dieser vor 30 Jahren ausgesprochen hat, ist sehr richtig. Ich möchte aber hinzufügen, daß es keine Industrienation in der westlichen Welt gibt, die nicht im Sinne der Feststellungen von Naumann handelt. Wo gibt es im Westen eine Industrienation, die für ihre Landwirtschaft nichts tut? Es wird von der USA bis zur Bundesrepublik etwas für die Landwirtschaft getan.
Die Diskussion wird doch auch in unserem Kreise nur darüber geführt, ob die einen mehr tun als die anderen und ob wir, nicht noch mehr tun sollten, um genau soviel zu tun, wie andere Nationen schon für ihre Landwirtschaft tun. Dieses Problem wird sich der Gemeinschaft der EWG genauso stellen, wie es sich uns in den letzten Jahren gestellt hat. Sein Umfang wird sich von Jahr zu Jahr erweitern.
Ich will nicht der Debatte vorgreifen, die hier in wenigen Wochen stattfinden wird, wenn die Bundesregierung den Bericht über die Lage der Landwirtschaft und den Grünen Plan vorlegen wird. Das wird dann erneut Gelegenheit geben, auf diese Probleme einzugehen.
Zum Schluß dieser Gedanken möchte ich jedenfalls folgendes sagen. Wir sollten auch in dieser Frage bei dem Standpunkt bleiben, den wir bisher vertreten haben. Wir sollten uns davor hüten, ein Verhängnis für die Landwirtschaft dadurch heraufzubeschwören, daß wir innerhalb unserer Gemeinschaft eine der Landwirtschaft nicht gerecht werdende Preispolitik betreiben.
Ich möchte in diesem Zusammenhang wenigstens noch ein Wort zu den Ausführungen meiner Kollegin Strobel in bezug auf den Verbraucher sagen. Auch wir wollen diese Dinge natürlich im Auge behalten, und Sie wissen, Frau Kollegin Strobel, daß
sie bei jeder Diskussion in Brüssel und in Straßburg im Vordergrund standen. Darf ich mir aber doch eine schlichte Frage erlauben: glauben Sie, daß unsere deutschen Verbraucher durch unser Agrarpreisniveau überfordert sind?

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Glauben Sie das bei redlicher Einschätzung der Lage? Glauben Sie angesichts der allgemeinen Wohlstandsentwicklung in unserem Volke, daß ausgerechnet die Agrarpreise, die ja das Einkommen der Landbevölkerung, und 'zwar der Bauern und der Landarbeiter, darstellen, zu hoch sind? Haben Sie Sorge, Frau Kollegin Strobel, daß es in der EWG anders sein wird?

(Abg. Frau Strobel: Herr Lücker, es geht darum, Preiserhöhungen zu vermeiden!)

— Frau Kollegin Strobel, wir haben eine Wirtschaft, die expandiert und in der auch Lohnerhöhungen stattfinden,

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

von denen man nicht immer sagen kann, daß sie sich in jedem Falle an die allgemein anerkannten und gültigen Grundsätze des allgemeinen Produktivitätszuwachses halten. Aber ich will hier nicht polemisieren. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Sie wissen, daß ich mich häufig genug dazu bekannt habe, daß in einer expandierenden Wirtschaft auch die Löhne expandieren müssen. Das ist für mich eine Frage des Maßes. Wenn ich das sage, glaube ich, darf man auch nicht mit einer einseitig orientierten Sonde immer auf den Zweig der Wirtschaft hinweisen, dessen Einkommensgestaltung, auch unter Zugrundelegung einer guten Produktivitätsleistung pro Arbeitskraft, wie das ja in den Grünen Berichten geschieht, so aussieht, daß man nicht sagen kann, hier sei bisher etwa zuviel geschehen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich bin anderer Meinung. Es besteht wohl auch kein Anlaß, anzunehmen, daß das innerhalb der EWG anders sein wird.
Ich will nur eine einzige Zahl nennen. Wir können heute feststellen, daß im Laufe des letzten Jahrzehnts der Anteil, den die Verbraucher für die Ernährung ausgeben, von etwas über 46 % auf unter 37 % gesunken ist.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Schon angesichts dieser beiden Zahlen darf man also nicht den Eindruck erwecken, als ob, wenn hier und dort einmal der Preis für ein landwirtschaftliches Produkt erhöht wird, damit bereits das soziale Gefälle zuungunsten der Verbraucher verändert oder auseinandergezogen würde. Ich darf vielmehr mit voller Überzeugung sagen, daß wir vor der Aufgabe stehen, das soziale Gefälle zugunsten der Landwirtschaft etwas einzuebnen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401324500
Herr Lücker, gestatten Sie eine Frage der Frau Kollegin Strobel?




Käte Strobel (SPD):
Rede ID: ID0401324600
Herr Lücker, sollten Ihre Bemerkungen vorhin bedeuten, daß die verschiedentlich angekündigten Preiserhöhungen für Brot, für Backwaren, für Getreidemahlprodukte, für Obst und Gemüse, für Geflügel, Eier usw. im Rahmen dieser Verordnung von Ihnen für berechtigt gehalten werden?

Hans August Lücker (CSU):
Rede ID: ID0401324700
Das möchte ich nicht summarisch beantworten. Ich will nicht sagen, daß alles, was ich heute genauso wie Sie in der Zeitung an Preiserhöhungen angekündigt finde, berechtigt ist. Wenn Sie aber zum Beispiel fragen, ob es unberechtigt sei, der Landwirtschaft für Geflügel und Eier einen etwas höheren Preis zukommen zu lassen, weil diese Verordnung das vielleicht ermöglicht, dann möchte ich zu diesem speziellen Punkt sagen, daß diese Erhöhung bei Eiern und Geflügel wahrscheinlich durchaus verkraftet werden kann und in einem gewissen Maß auch berechtigt ist. Damit will ich aber nicht summarisch sagen, daß alle Preiserhöhungen berechtigt sind, die heute in den Zeitungen angekündigt werden.
Mir geht es darum, mit einer Bemerkung einer Tendenz entgegenzutreten, die vielleicht doch zu Mißverständnissen in diesem Hohen Hause geführt hätte, wenn das unwidersprochen geblieben und wenn man nicht darauf eingegangen wäre. Es geht hier darum, unter dem Begriff „mehr Gerechtigkeit" — er wird ja heute bei verschiedenen Anlässen immer sehr groß herausgestellt — auch der Landwirtschaft in dieser Frage etwas mehr Gerechtigkeit zukommen zu lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das waren einige Überlegungen, die ich am Schluß dieser zweifellos fruchtbaren und alles in allem auch nach meiner Auffassung sehr guten Debatte anfügen wollte. Ich tue das als jemand, der, wenn auch in bescheidenem Rahmen, mit dazu beitragen mußte, eine Verständigung in bezug auf eine gemeinsame Agrarpolitik zu erreichen.
Herr Präsident, wenn Sie gestatten, darf ich abschließend noch ein Wort zu dem gemeinsamen Entschließungsantrag sagen, den alle Fraktionen dieses Hauses, die CDU/CSU, die SPD und die FDP, vorlegen. Ich glaube, auf eine materielle Begründung dieses Antrags verzichten zu können. Ich möchte nur meiner Befriedigung und sicherlich damit auch der Befriedigung aller Fraktionen Ausdruck geben, daß es gelungen ist, am Schluß dieser ersten ausschließlichen Debatte, wenn ich so sagen darf, zur europäischen Agrarpolitik eine Entschließung zu verabschieden, die zu diesen Problemen Stellung nimmt, und zwar als eine gemeinsame Stellungnahme dieses Hauses. Ich bin sicher, daß eine solche Entschließung für die Verhandlungen auf der Regierungsebene, aber sicherlich auch auf der parlamentarischpolitischen Ebene ihre Dienste tun wird.
Ich möchte Ihnen im Namen der drei Fraktionen empfehlen, dieser Entschließung zuzustimmen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401324800
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Werner Schwarz (CDU):
Rede ID: ID0401324900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer fast siebenstündigen Debatte hat sich das Hohe Haus mit der Erklärung der Bundesregierung beschäftigt, die anläßlich des Ergebnisses von Brüssel vor wenigen Tagen hier abgegeben worden ist. Die Länge der Debatte macht deutlich, wie außerordentlich wichtig dem Hohen Hause diese Ergebnisse von Brüssel schienen. Ich darf wirklich voller Dankbarkeit feststellen, daß die ganze Diskussion in einer so sachlichen und vor allen Dingen auch in einer der deutschen Delegation gegenüber so wohlwollenden und freundlichen Haltung geführt wurde.
Meine Damen und Herren, wir haben in den 7 Stunden zuweilen einen kleinen Spaziergang in die bevorstehende Debatte zum Grünen Bericht und zum Grünen Plan gemacht, und wir haben vielleicht auch die Abwesenheit meines Kollegen Dr. Starke ausgenutzt, um sehr munter über Milchsubventionen zu sprechen, wobei ein Pfennig immerhin 160 Millionen DM kostet. Ich möchte doch anregen, diese Subventionspläne dann, wenn Herr Dr. Starke anwesend ist, mit der nötigen Vorsicht zu äußern; denn er dürfte sein Wohlwollen nicht so ohne weiteres auf diejenigen ausschütten, die sich mit diesem Plan der Subventionierung in Höhe von 2 Pf beschäftigen.

(Sehr richtig! in der Mitte. — Zurufe von der SPD.)

Besonders wichtig war, daß wir die Debatte von vornherein unter außenpolitische Aspekte stellten und daß wir die Außenpolitik, d. h. die Grundlagen unseres Daseins schlechthin, in den Mittelpunkt der Erörterungen stellten. Ich glaube, daß deswegen auch von vornherein das richtige Klima aufkam; denn wir alle wollen ja doch mit unseren auf den Gemeinsamen Markt gerichteten Bestrebungen nichts anderes als dieser großen Aufgabe dienen: Europa den Frieden erhalten und durch eine Einigung so stark machen, daß es den Stürmen der Zeit trotzen kann.
Bei diesen Betrachtungen außenpolitischer Art und auch später ist es zu einer gewissen Kritik gekommen, daß unser Auswärtiges Amt während der Brüsseler Verhandlungen nicht immer zur Stelle gewesen sei, zumindest nicht sichtbar in Gestalt meines Kollegen Dr. Schröder. Hierzu darf ich nur sagen, daß Herr Dr. Schröder in jenen Tagen sehr stark in Anspruch genommen war. Ich erinnere an den Besuch des englischen Ministerpräsidenten Macmillan; ich erinnere daran, daß er wiederholt hier vor dem Auswärtigen Ausschuß erscheinen mußte, daß ihn andere schwerwiegende Pflichten davon abgehalten haben, an mehr als zwei Tagen in Brüssel zu weilen. Während des letzten Teils der Brüsseler Verhandlungen nahm der Besuch des Herrn Bundespräsidenten in Afrika, an dem Herr Dr. Schröder teilnahm, ihn weitgehend in Anspruch.



Bundesminister Schwarz
Ich möchte überhaupt bei dieser Gelegenheit eines klarstellen: auf Grund von solchen Feststellungen über zeitweilige An- und Abwesenheit eines Ministers kann man die Lage nicht beurteilen; denn stets waren sehr tüchtige Staatssekretäre zur Stelle. Ich gedenke hier in großer Dankbarkeit auch der Mitwirkung von Herrn Staatssekretär Lahr, der genau wie alle anderen Mitarbeiter der deutschen Delegation bestrebt war, am gleichen Strang zu ziehen.
Ich darf weiter darauf hinweisen, daß das Bundeswirtschaftsministerium durch das Präsidium außergewöhnlich in Anspruch genommen war und daß hier Ablösungen vorgenommen werden mußten, weil derjenige, der die Verhandlung zu leiten hatte, natürlich ganz besonders in Anspruch genommen war und dabei körperlich einen besonderen Tribut zu zahlen hatte.
Meine Damen und Herren, aus der Fülle der Fragen und aus der Fülle der Kritik, die hier anklangen, kann ich nur wenige Dinge herausgreifen. Es ist nicht möglich, das im einzelnen zu behandeln; die Zeit würde uns sonst allzusehr davoneilen. Aber gegen einige Ausführungen möchte ich mich doch verwahren. Erlauben Sie mir deswegen, daß ich einige Sätze zu diesem und jenem Punkt sage.
Uns ist der Vorwurf gemacht worden, wir hätten in den letzten vier Jahren nichts getan. Teils bezog er sich darauf, daß diese Zeitspanne überhaupt mehr oder weniger nutzlos vertan worden sei. Zum Teil konzentrierte sich der Vorwurf aber auch darauf, daß die Brüsseler Verhandlungen in einem Tempo und unter einem Zeitdruck hätten geführt werden müssen, die 'es uns nicht erlaubt hätten, die nötige Sorgfalt walten zu lassen, und daß wir uns letzten Endes eher diesen Dingen hätten zuwenden sollen.
Zum ersteren darf ich nur folgendes sagen: wer in den letzten vier Jahren nicht die Augen verschlossen hat, kann doch unmöglich an den außergewöhnlichen Fortschritten vorbeigehen, die wir auf dem landwirtschaftlichen Sektor gemacht haben, sei es, was die Produktivität anbelangt, sei es, was die Qualität der Ware anbelangt — und viele andere Dinge kommen weiter hinzu —. Daran kann doch keiner vorbeigehen!

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Wir müssen immer wieder feststellen, daß — teils zu unserem Leidwesen, teils aus ökonomischen Gründen — die Zahl der Menschen in der Landwirtschaft von Jahr zu Jahr abnimmt, die verbleibenden Menschen aber dennoch mehr erzeugen. Wir sehen, wie sich die Märkte mit Waren füllen, die wir vor etlichen Jahren wirklich noch nicht kannten. Wir sehen, wie die Qualität der Rinder sowohl bezüglich des Fleischbesatzes als auch bezüglich des Fehlens von Fett — nicht etwa allein auf Grund einer Mast, sondern infolge einer völlig neuen Art, über Zuchtmaßnahmen das Rindfleisch zu verbessern — sich gesteigert haben. Denken Sie an die Schweine! Denken Sie an all die vielen Erfolge, die wir auf diesen Gebieten haben! Letzten Endes ist ja auch die Qualitätsverbesserung bei Getreide —
ich denke an die vielen Qualitäts-Abzüge — nichts anderes als ein Fortschritt in der Richtung, konkurrenzfähig zu sein.
All dies müssen wir zusammen sehen. Es ist nicht so, daß die Leistung der Landwirtschaft, aber auch die Tätigkeit der Bundesregierung auf diesem Gebiet, insonderheit meines Ressorts, etwa nicht den Anforderungen entsprochen hätte, die man berechtigterweise stellen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich darf weiter darauf hinweisen, daß der zweite Vorwurf, wir hätten Zeit ungenutzt verstreichen lassen, wirklich nicht zu Recht erhoben wird. Meine Damen und Herren, die Dokumente, die Verordnungsentwürfe sind uns von seiten der Kommission zum Teil im Laufe des Juni, zum Teil aber erst im Laufe des Septemberzugänglich gemacht worden. Vorher bestand für uns also, da wir nicht wußten, in welcher Richtung sich die Vorschläge der Kommission entwickeln würden, keine Möglichkeit, daran zu arbeiten.
Es ist aber letztlich so gewesen, daß mein Haus, das Landwirtschaftsministerium, während dieser Zeit nicht geruht hat. Es hat die Dinge vielmehr vorbereitet, das Material lag im. Schreibtisch. Als dann die Vorschläge kamen und wir im Laufe der Monate September/Oktober den Dingen nähertreten konnten, hatten wir durchaus ausgearbeitete Vorschläge. Sie dürfen nicht glauben, daß die Möglichkeiten, die wir nachher vom November an nutzen mußten, um zu einem Ergebnis zu kommen, in Brüssel vorhanden gewesen wären, wenn nicht vorher gearbeitet worden wäre. Ich möchte deswegen hier sehr klar zum Ausdruck bringen, daß es sich meine Mitarbeiter niemals haben verdrießen lassen, die Dinge sehr vorzeitig vorzubereiten, auch wenn es nach außen hin nicht sichtbar wurde. Lediglich die etwas unglückliche Angelegenheit, daß die neue Bundesregierung sich erst am 14. November konstituierte und erst damit ein verantwortlicher Minister für die Verhandlungen da war, hat uns in diesen, wie ich gern zugebe, Zeitdruck gebracht. Es ist jedoch nicht nötig, in diesem Augenblick wegen all dieser Dinge nachträglich noch Tränen zu vergießen. Wir sollten jetzt vielmehr auf dem Boden des Vorhandenen weiterarbeiten und unter keinen Umständen ruhen.
Es ist hier gesagt worden — hier möchte ich etwas richtigstellen —, daß die elf Punkte, deren Beachtung mir das Kabinett auferlegt hatte, schwer vernachlässigt worden seien. Es wurde wörtlich gesagt, es sei davon sozusagen nichts übrig geblieben. Ich möchte hier mit aller Deutlichkeit feststellen, daß nur ein einziger Punkt nicht erfüllt wurde, nämlich die Erhaltung der Kontingente. Statt der Kontingente wurden aber Ersatzlösungen gefunden, von denen alle Experten der Auffassung waren — nach dem, was hier heute vorgetragen wurde, geht wohl auch die Meinung des Hohen Hauses in diese Richtung —, daß sie brauchbar seien. Deshalb glaube ich das, was hier geschehen ist, vertreten zu können. Unsere Partner wollten Kontingente — weder beim Getreide noch bei den Schweinen — unter kei-



Bundesminister Schwarz
nen Umständen haben. Sie waren auf Grund der Auswirkungen des Abschöpfungssystems der Auffassung, daß es genügen würde, wenn dazu Schutzklauseln und andere Dinge vorgesehen würden. Man sollte also diesen einzigen Punkt nicht herausstreichen und nicht einem Bundesminister unterstellen, er hätte sich nicht an einen Kabinettsbeschluß gehalten. Wenn er das getan hätte, dann wäre das so schwerwiegend, daß er heute nicht vor Ihnen stehen könnte.
Die Frage der Wettbewerbsverzerrungen ist hinreichend behandelt worden. Dazu steht in dem Kabinettsbeschluß lediglich, wir hätten ihre Beseitigung zu verlangen.
Ich glaube, daß wir hier auch einiges Positive und einigen Erfolg aufzuweisen haben. Wir sind ein ganzes Stück vorangekommen. Ich möchte jedoch keinen Zweifel daran lassen, daß der größere Teil und sicher auch der schwierigere Teil des Weges noch vor uns liegt.
Frau Kollegin Strobel hat gefragt, wann das Bundesernährungsministerium die Auswirkungen der EWG-Beschlüsse von Brüssel im einzelnen bekanntgeben könne; die Landwirtschaft wie auch unsere Verbraucher hätten doch ein Recht darauf, davon zu erfahren. Vor allen Dingen müsse das deshalb geschehen — es war bestimmt richtig, es so zu formulieren —, damit man eine Plattform bekomme, von der aus man nun eine Agrarpolitik betreiben könne, damit man Folgerungen ziehen und man dieses oder jenes regionale Problem einbeziehen könne. — Die Dinge liegen deswegen so schwierig, weil die Verordnungen nur den Rahmen darstellen. Der Inhalt
— die Zahlen, insbesondere die Höhe der Abschöpfungen, die Festsetzung der Grundrichtpreise usw.
— fehlt aber noch. Dieser Inhalt muß nun im Einvernehmen zwischen Rat, Kommission und nationalen Regierungen — teils in dieser, teils in jener Hinsicht, endgültig gestaltet werden. Erst wenn wir das haben, haben wir eine rechnerische Grundlage. Sie läßt natürlich wegen ihrer Auswirkungen noch vielerlei Spielraum offen und gibt noch Anlaß zu Zweifeln. Deswegen war es wohl richtig, wenn wir bisher über diese Dinge noch nicht mehr gesagt haben; denn man soll mit Zahlen ganz besonders vorsichtig sein. Wir werden zu .gegebener Zeit das nachholen können, was bisher nicht möglich war.
Frau Kollegin Strobel hat die Abschöpfungen als ein Mittel begrüßt, das in der Zukunft bei der konformen Gestaltung der verschiedenen Marktordnungen allgemeine Gültigkeit haben werde. Ich bedaure, daß sie nur in einem Punkt die Abschöpfungen, die auf der einen Seite gelobt worden sind, mißbilligt, nämlich dort, wo sie zuungunsten der Verbraucher ausgelegt werden können: bei Eiern und Geflügel. Zu Art. 5, der hier zitiert wurde, darf ich die Versicherung abgeben, daß wir an ihn gedacht haben, Frau Kollegin Strobel. Wir haben im Hinblick auf die Frage „Abschöpfung Eier und Geflügel" einen Passus eingebaut, der uns berechtigt, Regelungen schrittweise abzubauen, die bisher bestehen, um den Erzeugern ihren Preis zukommen zu lassen. Wir haben es also in das Ermessen des Hohen Hauses gestellt, über das Gesetz zur Förderung der deutschen Eierwirtschaft zu befinden und es im Zuge der Notwendigkeiten zu ändern, um von dem derzeitigen Zustand der Förderung auf die Möglichkeiten überzugehen, die die Abschöpfungsregelung bietet. Ich glaube, damit ist dem Wunsch aller Genüge getan, und wir werden hier zur gegebenen Zeit über das, was zu veranlassen ist, noch zu sprechen haben.
Hiermit hängen viele andere Fragen zusammen, die den Verbraucher angehen. Ich möchte jetzt nicht Prognosen stellen, wie sich der Markt für die Verbraucher entwickeln wird, — obschon die Fragen in dieser Richtung für alle Gebiete sehr oft anklangen. Man kann die Frage nach den Auswirkungen des Gemeinsamen Marktes nicht allein in bezug auf das Lebensmittelgebiet stellen, sondern man muß die Auswirkungen in ihrer ganzen Breite sehen. Die ganze Breite umfaßt sämtliche Lebensbedürfnisse unserer Bevölkerung wie der Bevölkerung der anderen fünf Partnerländer. Das Ziel ist, in der unterschiedlichen Belieferung nach Menge und nach Güte zu einem Ausgleich zu kommen; natürlich wird es auf Grund des größeren Angebots bessere Qualitäten geben als bisher. Daß in diesem größeren Angebot auch die Möglichkeiten einer Preissenkung liegen, ist doch wohl sicher. Wir werden sicher nichts bekommen, was unseren Verbrauchern, auf Sicht gesehen, Schwierigkeiten machen könnte.
Daß in der Zeit des Überganges von unserer Marktordnung, wie wir sie heute haben, in die zukünftige Form aber diese oder jene Sache einmal eintreten kann, die vielleicht nicht immer von diesem oder jenem Partner freundlich aufgenommen wird — hier sind es die Verbraucher, dort sind es die Erzeuger —, mag mit der Schwierigkeit zu erklären sein, in der wir uns nun einmal befinden, wenn wir eine Ordnung aufgeben und dafür etwas Neues hinsetzen. Ich glaube, mit allseitigem gutem Willen, allseitigem Verständnis und allseitiger Bereitschaft, mitzuwirken, um das möglichst reibungslos zu vollziehen, werden wir auch über diese Klippe kommen.
Ich möchte mich auf diese wenigen Bemerkungen beschränken. Ich möchte nicht davon sprechen, daß man uns auch den Vorwurf gemacht hat, wir hätten nichts für den Markt getan in Form einer Leistung, wie die anderen Länder sie vollbracht haben. Es ist natürlich sehr einfach, als Exportland ein Nadelöhr einzurichten, durch das die zu exportierende Ware geht, und alle Organisationsformen in Gang zu setzen, damit die Ware nachher in besten Qualitäten in das Exportland eindringt, um dort die Märkte zu erobern. Den Organisationen haben wir nur den Willen entgegenzusetzen, unseren gesamten Markt in der gesamten Breite auf solche Qualitäten zu bringen, die diesem Ansturm von Extraklassen entsprechen. Das ist aber zweierlei. Ich möchte Sie bitten, falls Sie irgendwelche Zweifel an der Güte der Waren haben, die auf deutschen Märkten augenblicklich angeboten werden, doch auch einmal einen Blick auf die Binnenmärkte jener Länder zu werfen, die eben diese guten Exportqualitäten haben. Sie werden sehen, daß die Qualitäten auf den dortigen



Bundesminister Schwarz
Märkten — vorsichtig ausgedrückt — um keinen Deut besser sind als bei uns, im Gegenteil.

(Zuruf von der SPD: Na, na!)

Vor uns liegt eine große Aufgabe. Selbstverständlich wollen wir die nächsten Jahre weiter nutzen und müßten sie, das gebe ich gern zu, auch noch intensiver nutzen. Die Bundesregierung ist mehrmals aufgefordert worden, aktiv zu werden und die Richtung aufzuweisen. Das wollen wir gern tun. Ich bin aber auch sehr dankbar, daß Kollege Mauk nicht von der Bundesregierung sprach, sondern sagte: „W i r wollen ...". Da scheint mir die beste Lösung zu liegen. Wir alle gemeinsam wollen an diesem großen Werk mitarbeiten, unsere Landwirtschaft instand zu setzen, zum Wohle ihrer selbst und zum Wohle unserer Verbraucher jene Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig sind, um in einem fairen Konkurrenzkampf in der Zukunft bestehen zu können.
Zu dem „wir" gehört aber nicht nur das Hohe Haus mit seinen verschiedenen Ausschüssen, gehört nicht nur die Bundesregierung, sondern zu dem „wir" gehört auch die Landwirtschaft selbst mit ihren aktiven Kräften, gehören alle jene Institutionen und Organisationen, die die Landwirtschaft ja wirklich in vorbildlicher Weise hat. Sie alle müssen mitarbeiten. An sie alle richte ich diesen Appell, in gemeinsamer Arbeit an diesen Dingen zusammen zu schaffen. Wenn wir das mit Mut und Zuversicht tun, habe ich keine Sorge, daß unsere Landwirtschaft nicht nur den Übergang, sondern eines Tages nach dem Übergang auch den Kampf um die Märkte wird bestehen können.

(Allseitiger Beifall.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0401325000
Die Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung ist geschlossen.
Ich stelle zur Abstimmung den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Umdruck 20 *). Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, FDP betr. Vorlage eines Berichtes wegen Belastung mit lohnbezogenen Abgaben (Drucksache IV/134).
Zur Begründung hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Dahlgrün.

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0401325100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anläßlich der Debatte zur ersten Lesung des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes hat mein Fraktionskollege Ollesch am 18. Januar 1962 bereits den jetzt zur Behandlung stehenden Antrag Drucksache IV/134 angekündigt, in dem wir die Bundesregierung auffordern, bis zum 30. Juni
*) Siehe Anlage 2.
1962 einen Bericht über die Möglichkeiten eines Ausgleichs der gegenwärtigen Belastungen durch lohnbezogene Abgaben vorzulegen.
Erlauben Sie mir, diesen Antrag kurz zu begründen und dabei an die Arbeit des 3. Deutschen Bundestages anzuknüpfen. Sie kennen den von der Bundesregierung im Juli 1960 vorgelegten Bericht über die Lage der Mittelschichten, Drucksache 2012, in dem eine große Fülle von Material enthalten ist. Dazu hat die Bundesregierung in den überlasteten und überschatteten letzten acht Wochen des 3. Deutschen Bundestages zwei weitere interessante Berichte, Drucksachen 2723 und 2757, vorgelegt, die meiner Ansicht nach nicht die Beachtung gefunden haben, die sie wegen der Fülle des auch darin enthaltenen Materials verdienen.
Im Einvernehmen mit der Fraktion der CDU/CSU beabsichtigen wir nun, mit dem Antrag Drucksache 134 auf dieses Material aus dem 3. Deutschen Bundestag aufmerksam zu machen und zu veranlassen, daß daran weitergearbeitet wird. Bei der Betrachtung des Problems stößt man sehr bald auf die Tatsache, daß die lohnbezogenen, insbesondere sozialen Abgaben in den Lohnkosten eingeschlossen sind, wodurch arbeitsintensive mittelständische Betriebe und dabei insbesondere Handwerksbetriebe am härtesten betroffen werden.
Dabei dürfen wir aber nicht überstehen — das ist in den beiden von mir zitierten Drucksachen der Bundesregierung klar und deutlich ausgesprochen worden —, daß das Problem mit anderer Größenordnung, jedoch in voller Schärfe auch in größeren und in Großbetrieben auftritt. Ich glaube, daß ich dazu keine Ausführungen zu machen brauche. Wir haben deshalb ,den Antrag Drucksache IV/134 nicht auf den Mittelstand allein abgestellt, sondern wir wünschen uns einen Bericht über die Auswirkungen der Änderungsmöglichkeiten über die ganze Breite der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, wobei man vielleicht einzelne Wirtschaftszweige beispielsweise besonders herausstellen könnte, bei denen besonders große Härten sichtbar werden.
Wir haben den Eindruck — auch das darf ich hier einmal offen sagen —, daß der Interministerielle Arbeitskreis, dessen Arbeitsextrakt in der Drucksache 2723 — Lohnbezogene Abgaben — enthalten ist, die auftretenden Schwierigkeiten möglicherweise allzu pessimistisch sieht und die Härten allzuleicht als naturgegeben hinnimmt, ohne etwas vorzuschlagen, was man dagegen tun soll. Da heißt es zum Beispiel in der Ziffer 13 am Schluß zu der Frage, welche Folgen eventuelle Änderungen der Bemessungsgrundlage für das Wachstum des Sozialprodukts haben könnten, ,daß diese Frage der Hinnahme von Verzögerungen beim Wachstum des Sozialprodukts im Interesse solcher gesellschaftspolitischen Ziele mit dem Gutachten nicht beantwortet werden könne.
Unsere Meinung ist, entgegen der meiner Ansicht nach in der Drucksache erkennbaren Auffassung des Interministeriellen Arbeitskreises, daß die Frage trotzdem geprüft werden muß und daß soweit wie möglich eine Beantwortung vorbereitet werden



Dr. Dahlgrün
sollte, und zwar durch konkretes Zahlenmaterial zu den Behauptungen und Angaben in der Drucksache 2723 des dritten Bundestages. Dieses Zahlenmaterial wollen wir mit dem Antrag Drucksache IV/134 beschaffen.
Da es sich also letzten Endes nur um die Ausgestaltung, die Weiterbearbeitung und die Auswertung vorliegender Berichte der Bundesregierung bei, ich glaube, unstreitig erkannten Zielen handelt, glaube ich mir den Vorschlag erlauben zu können, daß wir in diesem Falle zur möglichsten Beschleunigung der Arbeit auf die Verweisung in einen Ausschuß verzichten. Ich bitte Sie darum, den Antrag IV/134 sofort heute hier anzunehmen, damit die Arbeit aufgenommen werden kann.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0401325200
Das Wort hat der Abgeordnete Burgemeister.

Alfred Burgemeister (CDU):
Rede ID: ID0401325300
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der soeben von Herrn Kollegen Dr. Dahlgrün begründete Antrag ist ein Antrag der Koalitionsparteien. Die CDU/CSU-Fraktion hat sich bereit erklärt, diesem Anliegen der FDP-Fraktion zuzustimmen, obwohl im vorhergehenden Bundestage zu dieser Frage bereits mehrere Vorlagen dem Hause vorgelegt wurden. Wir sind uns darüber klar, daß mit den verschiedenen Gutachten und mit den verschiedenen Denkschriften, die in dieser Frage bereits ausgearbeitet wurden, der Anschein erweckt worden ist, als ob die Dinge unabänderlich wären und als ob es keine Wege gäbe, eine Änderung dieses Zustandes zu erreichen. In allen vorgelegten Gutachten und Denkschriften, die in dieser Frage erstellt worden sind, und in allen Ausschüssen, die sich bisher mit dieser Frage befaßt haben, ist man aber — zumindest in ziemlicher Übereinstimmung — der Meinung gewesen, daß diese lohnbezogenen Abgaben sich besonders schwerwiegend im Bereich der mittleren und kleineren Betriebe auswirken. Wenn wir davon ausgehen können, daß es so ist, dann, so meinen wir, sollten wir nicht unter dem Eindruck dieser Vorlagen, die uns gemacht worden sind, ruhen, sondern wir sollten immer wieder bestrebt sein, neue Ansatzpunkte zu finden und neue Wege aufzuspüren, um das erkannte Übel wirksam bekämpfen zu können.
Aus diesem Grunde sind wir bereit gewesen, dem Anliegen der FDP-Fraktion zuzustimmen, obwohl, wie gesagt, im zweiten und dritten Bundestag dazu bereits mehrfach gesprochen worden ist. Wir sind der Meinung, daß mit der Aufforderung an die Bundesregierung, sich erneut zu diesem Problem 'zu äußern, auch für die Bundesregierung neue Ansatzpunkte gegeben werden, die vorliegenden Gutachten noch einmal durchzuarbeiten und dabei auch von ihrer Seite zu versuchen, neue Ansatzpunkte zu finden.
Da eine Überweisung dieser Vorlage an einen Ausschuß in der Tat nur formale Bedeutung haben würde, sind auch wir der Meinung, daß wir hier von dem abgekürzten Verfahren Gebrauch machen sollten. Ich schlage Ihnen, meine Damen und Herren, ebenfalls vor, hier und heute dieser Vorlage bereits zuzustimmen und sie direkt der Bundesregierung zur Erledigung zu überweisen.

(Beifall bei .den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0401325400
Das Wort hat der Abgeordnete Lange.

Erwin Lange (SPD):
Rede ID: ID0401325500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren. Wir stimmen dem vorgeschlagenen Verfahren zu, sind also damit einverstanden, daß hier heute entschieden wird.
Ich darf aber auf eines hinweisen. Wir haben am 16. Juni 1961, in der sogenannten Mittelstandsdebatte des vergangenen Jahres, ausdrücklich hier in diesem Hause alle miteinander festgestellt, daß die Bundesregierung an diesem Problem weiterarbeiten sollte, ohne daß sie dazu eines besonderen Anstoßes bedürfe. Ich verweise nochmals auf das, was im ursprünglichen Antrag — Drucksache 712 — in der 3. Legislaturperiode zu diesem Problem gesagt worden ist. Nachdem wir einige Punkte aufgezählt hatten, die in dem Bericht enthalten sein müßten — zur besonderen Charakterisierung der Situation der Selbständigen und ihrer Betriebe und Unternehmen —, heißt es dort:
In jedem Falle sollen in dem Bericht die Verhältnisse der genannten Gruppen und ihrer Unternehmen verglichen werden mit den Verhältnissen der übrigen Bevölkerungsgruppen und der Großunternehmen der einzelnen Wirtschaftszweige.
Und dann kommt das Entscheidende — das geht nämlich über das hinaus, was Sie hier beantragt haben —:
Dabei ist zu prüfen, ob und wie der heutige ausschließlich auf den Löhnen und Gehältern beruhende Schlüssel der sozialen Lasten zugunsten der arbeitsintensiven Unternehmen geändert werden kann.
Damit war völlig klar, daß es sich um Arbeitsintensität über alle Wirtschaftszweige hinweg handelte und nicht nur speziell auf kleine und mittlere Betriebe beschränkt.
Ich würde nur eines noch hinzufügen wollen. Mit dieser Ergänzung, wie wir es auch damals am 16. Juni 1961 gesagt haben, sollte auch der Antrag der beiden Koalitionsparteien verstanden werden, und in dieser Richtung sollte sich dann das Arbeitsministerium — oder besser gesagt: die Regierung — um die Klärung des Problems bemühen. Wir sollten nämlich vermeiden, daß wiederum der Eindruck entsteht — das ist an die Adresse der Koalitionsparteien gerichtet —, als ob man hier wieder mit verteilten Rollen Regierung und Koalition spielen und der Öffentlichkeit gegenüber nur ein Alibi haben wolle. Die Regierung hätte ja arbeiten können, wenn sie ihre Regierungserklärung in bezug auf weitere Förderung der Selbständigen ernst meint. Lassen Sie sich also nicht wieder in diese Situation



Lange (Essen)

hineinbringen, daß wir Ihnen das wieder einmal sagen müssen.

(Abg. Burgemeister: Wir wollen uns selbst anregen!)

— Ach, Sie wollen sich selbst anregen. Das 1st eine saubere Sache. Aber hier kommt es darauf an: keine weiße Salbe und kein Sand-in-die-Augen-Streuen. Die Koalition stellt die Regierung. Oder müssen wir anders herum annehmen, daß in dieser Legislaturperiode die Koalition auch mal die Rolle des Parlaments und die Aufgabe des Parlaments gegenüber der Regierung im besonderen wahrnehmen möchte

(Abg. Burgemeister: Nicht nur jetzt!)

oder mit wahrnehmen möchte? Dann würden wir das außerordentlich begrüßen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0401325600
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr begehrt.
Ein Antrag auf Ausschußüberweisung ist meines Wissens jetzt nicht mehr gestellt. Wir können also über den Antrag Drucksache IV/134 abstimmen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wischt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende einer umfangreichen Sitzung.
Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 14. Februar 1962, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.