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ID0401321600

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 13. Sitzung Bonn, den 31. Januar 1962 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Meyer 335 A Die Abg. Glombig und Busch treten in den Bundestag ein 350 B Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben im dritten Vierteljahr des Rechnungsjahres 1961 (Drucksache IV/140) . . . . . . . . 350 C Fragestunde (Drucksache IV/148) Frage des Abg. Dr. Mommer: Anstellungsverhältnis der Pressereferenten des Auswärtigen Dienstes Dr. Carstens, Staatssekretär . . . 335 D, 336 A, B, C Dr. Mommer (SPD) 336 A Ritzel (SPD) 336 B Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Kommission betr. Fragen der politischen Bildung Höcherl, Bundesminister 336 C, D, 337 A Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 336 C, D Dr. Schäfer (SPD) 336 D Dr. Frede (SPD) . . . . . . . 337 A Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Laufbahnen des Polizeivollzugsdienstes Höcherl, Bundesminister . . . 337 A, B Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 337 B Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Jubiläumszuwendungen an Beamte Höcherl, Bundesminister 337 C, D, 338 A Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 337 C, D Brück (CDU/CSU) 337 D Ritzel (SPD) . . . . . . . . 338 A Fragen des Abg. Dr. Dollinger: Steuerliche Selbstveranlagung Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . 338 B, D, 339 A Dr. Besold (CDU/CSU) . . . . . 338 C Dr. Koch (SPD) 338 D Fragen des Abg. Dr. Stecker: Kursmünzen Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . 339 A, B Gewandt (CDU/CSU) 339 B Frage des Abg. Dröscher: Grundsteuervergünstigung für Wohnungen von Angehörigen der Stationierungsstreitkräfte Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . 339 C, D, 340 A, B, C, D, 341 A Dröscher (SPD) 339 D Wittrock (SPD) . . . . . . . 340 A Dr. Brecht (SPD) 340 B, C Schmitt-Vockenhausen (SPD) . 340 D, 341 A II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 Frage des Abg. Dr. Mommer: Entschädigung für in den Vereinigten Staaten beschlagnahmtes deutsches Privatvermögen Dr. Hettlage, Staatssekretär 341 A, B, C, D, 342 C Dr. Mommer (SPD) 341 B Ritzel (SPD) . . . . . . . . 341 C Dr. Kohut (FDP) . . . . 341 D, 342 A Dr. Carstens, Staatssekretär . . 342 A, B Dr. Schäfer (SPD) 342 B Jahn (SPD) 342 C Frage des Abg. Dröscher: Randgemeinden der Truppenübungsplätze Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . . 342 D, 343 A, B Dröscher (SPD) 343 A, B Frage des Abg. Blumenfeld: Indonesische Staatsgesellschaften und deutscher Außenhandel Dr. Westrick, Staatssekretär . . . 343 C, 344 A Blumenfeld (CDU/CSU) 343 D, 344 A Fragen des Abg. Murr: Vereinbarungen in Brüssel über Tabak und Hopfen Schwarz, Bundesminister . . . . . 344 B Murr (FDP) . . . . . . . . 344 C Frage des Abg. Sander: Schutzimpfung gegen die Maul- und Klauenseuche Schwarz, Bundesminister . 344 D: 345 A Sander (FDP) . . . . . . . . . 344 D Frage des Abg. Müller (Worms): Angestelltenrente des Rentners Hirsch aus Osthofen Dr. Claussen, Staatssekretär . . 345 B, C Matthöfer (SPD) 345 C Frage des Abg. Schmidt (Kempten) : Stellenangebote deutscher Firmen in österreichischen Zeitungen Dr. Claussen, Staatssekretär . . 345 D, 346 A, B Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . 346 A Dr. Kohut (FDP) 346 B Frage des Abg. Ritzel: Schutz für Taxifahrer Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 346 B, C, D Ritzel (SPD) . . . . . . . . 346 C, D Memmel (CDU/CSU) 346 D Frage des Abg. Felder: Bau der Großschiffahrtsstraße RheinMain—Donau Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 347 A, B, C Felder (SPD) . . . . . . . . 347 B Bauer (Würzburg) (SPD) . . . . . 347 C Frage des Abg. Felder: Kanalbau Nürnberg-Regensburg Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 347 D Frage des Abg. Felder: Autobahn Frankfurt—Nürnberg Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 348 A, B Felder (SPD) . . . . . . . . . 348 B Frage des Abg. Schmidt (Kempten) : Überbreite landwirtschaftliche Maschinen im Straßenverkehr Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 348 B, C, D Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . 348 C, D Fragen des Abg. Dr. Kohut: Gepäckabfertigung und Fahrkartenverkauf am Bahnhof Langen (Hessen) Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 348 D, 349 A Frage des Abg. Ritzel: Fernsprechanschlüsse in den Rasthäusern an den Bundesautobahnen Stücklen, Bundesminister . . . . 349 C Ritzel (SPD) . . . . . . . . 349 C, D Frage des Abg. Ritzel: Depots mit Blutplasma in Autobahnraststätten Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister .......... 349 D Frage des Abg. Gewandt: Verkauf von Arzneimitteln im freien Verkehr Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister . . . . . . . . . 350 A, B Gewandt (CDU/CSU) . . . . . . 350 B Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 III Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. von Brentano (CDU/CSU) . . 350 C Birkelbach (SPD) 354 B Freiherr von Kühlmann-Stumm (FDP) 360 D Struve (CDU/CSU) 366 C Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) . . 371 C Ertl (FDP) 376 C Bauer (Wasserburg) (CDU/CSU) . 381 C Frau Strobel (SPD) 384 C Mauk (FDP) . . . . . . . . 391 B Lücker (München) (CDU/CSU) . . 394 A Schwarz, Bundesminister 399 C Antrag betr. Vorlage eines Berichtes wegen Belastung mit lohnbezogenen Abgaben (CDU/CSU, FDP), (Drucksache IV/134) Dr. Dahlgrün (FDP) 402 B Burgemeister (CDU/CSU) . . . 403 A Lange (Essen) (SPD) 403 C Nächste Sitzung 404 C Anlagen 405 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 335 13. Sitzung Bonn, den 31. Januar 1962 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albertz 31. 1. Altmaier 1. 2. Dr. Atzenroth 31. 1 Dr. Birrenbach 3. 2. Fürst vom Bismarck 3. 2. Dr. Bucerius 3. 2. Dr. Burgbacher 31. 1. van Delden 1.2. Dr. Dittrich 31. 1. Dr. Dollinger 31. 1. Ehnes 1. 2. Eichelbaum 6. 2. Eisenmann 31. 1. Erler 31. 1. Dr. Franz 31. 1. Gaßmann 2. 2. Frau Geisendörfer 3. 2. Gedat 15. 2. Hellenbrock 3. 2. Hesemann 31. 1. Höfler 31. 1. Illerhaus 31. 1. Jacobs 1. 2. Frau Kettig 1. 2. Dr. Klein (Berlin) 14. 2. Dr. Kliesing (Honnef) 4. 2. Frau Krappe 1. 2. Kraus 1. 2. Leber 31. 1. Dr. Löbe 2. 2. Lohmar 1. 2. Dr. Mälzig 31. 1. Maier (Mannheim) 14. 2. Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 31. 1. Merten 31. 1. Michels 2. 2. Müller (Worms) 4. 2. Neumann (Berlin) 31. 1. Rademacher 31. 1. Rasier 1. 2. Reitzner 31. 1. Dr. Schellenberg 31. 1. Scheuren 34. 1. Schmidt (Braunschweig) 2. 2. Dr. Schneider 31. 1. Schütz 31. 1. Schulhoff 3.2. SühLer 31. 1. Striebeck 18. 2. Wagner 31. 1. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 31. 1. Wehner 31. 1. Werner 15. 2. Wieninger 1. 2. b) Urlaubsanträge Frau Dr. Elsner 10.2. Horn 18.2. Oetzel 16.2. Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Umdruck 20 Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD, FDP zur Erklärung der Bundesregierung vom 24. Januar 1962 betr. EWG Der Bundestag wolle beischließen: Der Bundestag hat die Erklärung der Bundesregierung vom 24. Januar 1962 über die Beschlüsse des Ministerrats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 13./14. Januar 1962 zur Kenntnis genommen. Er spricht der deutschen Verhandlungsdelegation, unter Führung von Bundesminister Schwarz, Dank und Anerkennung für ihren unermüdlichen Einsatz in den überaus schwierigen Verhandlungen aus. Der Bundestag ist sich bewußt, daß die deutsche Landwirtschaft vor großen Aufgaben und Schwierigkeiten steht. Er erwartet, daß ihm die Bundesregierung möglichst bald die Gesetzentwürfe vorlegt, die für eine termingerechte Anpassung der in der Bundesrepublik geltenden Gesetze und Verordnungen an die Brüsseler Beschlüsse notwendig sind. In diesen Gesetzentwürfen sund alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die berechtigten Interessen der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft und der Verbraucher zu berücksichtigen; dies gilt insbesondere im Hinblick auf die bäuerlichen Familienbetriebe und die marktfernen Gebiete. Der Bundestag erwartet, daß die Bundesregierung ihm außerdem Vorschläge für die im Sinne des Landwirtschaftsgesetzes notwendigen Ausgleichsmaßnahmen für Einkommensminderungen vorlegt, die sich aus. der Durchführung der Brüsseler Beschlüsse ergeben. Der Bundestag ist der Auffassung, daß die Brüsseler Beschlüsse nunmehr dazu zwingen, gemeinsam eine agrarpolitische Konzeption zu entwickeln, die die Lebensfähigkeit der deutschen Landwirtschaft auch im gemeinsamen europäischen Markt gewährleistet, mit den in Brüssel gefaßten Beschlüssen vereinbar ist, die Interessen der Verbraucher wahrt und zugleich finanzpolitisch tragbar ist. Für dieses Vorhaben ist Eile geboten. Die deutsche Landwirtschaft kann erwarten, daß spätestens bei der Diskussion über den neuen Grünen Bericht und den Grünen Plan die Umrisse dieser agrarpolitischen Konzeption sichtbar werden. Der Bundestag erwartet, daß die Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die ihr übertragenen Zuständigkeiten in echter gemeinschaftlicher Solidarität handhabt. Diese Verantwortung wiegt um so schwerer, solange das Europäische Parlament noch kenne den nationalen Parlamenten entsprechenden legislativen Funktionen ausübt, während die nationalen Parlamente ihre Zuständigkeiten schrittweise verlieren. Bonn, den 31. Januar 1962 Dr. von Brentano und Fraktion Ollenhauer und Fraktion Dr. Bucher und Fraktion
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heinrich von Brentano


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Sitzung vom 17. Januar hat der Herr Bundeskanzler eine erste Erklärung zu den Brüsseler Beschlüssen abgegeben. Er hat in dieser Erklärung auf die politische Bedeutung der Entwicklung hingewiesen, die mit den Beschlüssen von Brüssel ihren Fortgang genommen hatte, und er hat davon gesprochen, daß häufig der Mangel an Initiative in der westlichen Welt beklagt werde, daß aber gerade hier im europäischen Bereich eine echte Initiative sichtbar werde, daß hier eine im echten Sinne des Wortes revolutionäre Entwicklung eingeleitet worden sei.
    Meine Damen und Herren, wenn wir die Ergebnisse von Brüssel betrachten, dann sollten wir diese Überlegungen in den Vordergrund stellen und uns klarmachen, was in den vergangenen Jahren auf dem Gebiete der europäischen Politik geschehen ist; denn nur dann kommen wir auch zu einer gerechten Würdigung dieser letzten Entscheidungen, zu deren sachlichem Inhalt andere Freunde aus meiner Fraktion, meine Kollegen Struve und Bauer, noch Stellung nehmen werden.
    Wenn wir von diesen Entscheidungen in Brüssel sprechen, dann, glaube ich, erinnern wir uns alle der ersten Entscheidung, die wir hier in diesem Hause getroffen haben, der ersten Diskussionen, die mit der Vorlage des sogenannten SchumanPlanes ihren Anfang nahmen. Ich möchte heute daran erinnern, was damals der Redner meiner Fraktion, der Abgeordnete Dr. Henle, gesagt hat; denn es gilt, wie ich glaube, noch heute unverändert, wie es damals, am 12. Juli 1951, galt. Er sagte, nachdem er das Für und Wider dieses Vertragswerks behandelt hatte, es stelle sich heraus, daß wir letztlich vor einem völkerpsychologischen Problem stünden, für dessen Beurteilung wir nur die Erfahrungen der Vergangenheit besäßen; und er fuhr dann fort:
    Das ... bringt wiederum die Gefahr mit sich,
    daß wir nach einem halben Säkulum, in dem im
    alten Europa mehr Verblendung als Verstand
    zu regieren schien, einer Skepsis anheimfallen,



    Dr. von Brentano
    die vor jedwedem kühnen Versuch und Wagnis, wie es der Schumanplan darstellt, zurückschreckt. Skepsis aber bedeutet Mißtrauen; Versuch und Wagnis hingegen sind in ihrem Gelingen durch das Vertrauen in den Erfolg des Unternehmens bedingt. Damit wird klar, daß das Ja oder Nein zum Schumanplan stärkstens dadurch bestimmt ist, ob wir unser Vertrauen bewahrt haben in die Kräfte und in den gesunden Geist der westeuropäischen Völker, ob wir es durch die Katastrophen der jüngsten Vergangenheit hindurchgerettet haben oder ob wir angesichts der trüben Erfahrungen der Vergangenheit lieber resignieren wollen.
    Er hat dann für die Freunde meiner Fraktion ein klares und eindeutiges Ja zu der Vorlage ausgesprochen; einer Vorlage, die — ich darf daran erinnern, meine Damen und Herren — damals sehr umstritten war und die von großen Teilen auch der Mitglieder dieses Hohen Hauses leidenschaftlich bekämpft wurde.
    Ich selbst habe dann bei der dritten Lesung dieses Vertragswerkes gesprochen. Ich habe darauf hingewiesen, daß wir den Schuman-Plan als eine erste Entscheidung, eine erste Etappe bei der Errichtung dieses europäischen Gebäudes betrachten.
    Die Entwicklung hat denen, die so dachten — die man damals utopischen oder illusionären Denkens bezichtigt hat — recht gegeben.
    Wir haben dann im Juni 1957 über die Verträge von Rom diskutiert, polemisch und kontrovers diskutiert über das Für und Wider sowohl in der institutionellen Anlage der Verträge wie auch im materiellen Inhalt. Ich habe damals als Außenminister die Vorlage vertreten und darauf hingewiesen, daß wir auch in der Vorlage dieser Römischen Verträge nicht den Abschluß der europäischen Entwicklung erblickten, sondern der Meinung waren, daß auch die Römischen Verträge eine Etappe auf dem Wege zur europäischen Zusammenarbeit darstellen sollten, daß wir aber auch der Überzeugung waren, daß dieser wirtschaftliche Zusammenschluß im Gemeinsamen Markt Tatsachen schaffen werde, die diese politische Entwicklung mit Zwangsläufigkeit nach sich ziehen müßten.
    Wir stehen jetzt nach dem Ergebnis der Brüsseler Beratungen in der Tat vor einer neuen Etappe; denn der einstimmige Beschluß vom 14. Januar, den der Rat der EWG ,gefaßt hat, bedeutet den Übergang zur zweiten Stufe bei der Errichtung des Gemeinsamen Marktes. Diese Entscheidung ist von größter politischer Bedeutung, nicht nur für die Weiterentwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, sondern überhaupt für den Einigungsprozeß Europas und damit für die Stellung Europas in der Welt.
    Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten uns darüber klar sein, daß die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Staaten, die mit der Zusammenarbeit der Sechs begonnen hat — wir wurden manchmal darum gescholten, daß wir mit der Errichtung dieses kleinen oder kleinsten Europas begonnen haben, und wir wurden manchmal auch mit dem Hinweis darauf gewarnt, daß das eine
    Spaltung Europas bedeuten werde, die auch politische Konsequenzen haben müsse —, daß die Entscheidungen, die wir in der europäischen Zusammenarbeit getroffen haben, an außenpolitischer Bedeutung nicht hinter denen zurückstehen, die etwa im Bereich der atlantischen Zusammenarbeit getroffen worden sind.
    Das atlantische Bündnis ist im Jahre 1949 in der Abwehr gegen eine drohende Gefahr gegründet worden; aber auch das atlantische Bündnis hat, wenn wir die Artikel 1 bis 4 des Vertrages lesen, nicht in erster Linie den Inhalt, ,die Verteidigung zu organisieren, sondern den, die Voraussetzungen für eine gemeinsame Verteidigung zu schaffen. Die Artikel 1 bis 4 des atlantischen Vertrags — und ich erinnere daran, weil das manchmal in Vergessenheit zu geraten droht — beschäftigen sich mit der Notwendigkeit der politischen und der ökonomischen Zusammenarbeit im Bereich der nordatlantischen Gemeinschaft.
    Ich glaube, diese Erkenntnis ist sehr verständlich; denn wie kann man eine gemeinsame Abwehrfront errichten, wie kann man eine gemeinsame Verteidigung organisieren, wenn man nicht über die Grundlagen des politischen Denkens eine Einigung herbeiführt! Wir haben in dem Bündnissystem der Nato immer wieder diese Notwendigkeit erkannt. Wir haben uns immer wieder mit dem Problem beschäftigt: Wie können wir diese Artikel 1 bis 4 des Nato-Vertrags verwirklichen, was können wir tun, um im Wege der Konsultation und der Kooperation unsere Außenpolitik mehr als seither zusammenzuführen? Denn hinter der gemeinsamen Verteidigung muß — ich glaube, das sieht jeder — auch ein gemeinsamer politischer Wille stehen. Es ist undenkbar, daß eine Verteidigung organisiert wird, wenn die Außenpolitik der Länder, die sie organisieren, nicht in ihren wesentlichen Voraussetzungen und in ihren wesentlichen Richtungen übereinstimmt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Und hier sehe ich, meine Damen und Herren, die große Bedeutung der europäischen Zusammenarbeit; denn wir haben in einem leichter überschaubaren Raum, in einem Raum, der sehr viel mehr unserer unmittelbaren Verantwortung unterliegt, versucht, die Voraussetzungen zu schaffen, einen gemeinsamen politischen Willen zu entwickeln, auch wenn wir dazu Umwege gehen mußten, die jeder von uns nicht gern gegangen ist.
    Wir haben die Rückschläge eingesteckt, von denen wir alle wissen. Wir haben nicht die Europäische Verteidigungsgemeinschaft verwirklichen können. Ich glaube, diejenigen, die damals die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu Fall gebracht haben, würden heute anders denken und wären glücklich, wenn sie damals diese kühne europäische Konzeption nicht sabotiert, sondern realisiert hätten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir sind auch nicht — das hing mit dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zusammen — in der politischen Integration dahin gekommen, wohin wir kommen wollten. Ich kann darüber



    Dr. von Brentano
    sprechen, denn ich habe damals die Verhandlungen geführt, die der Kommission aufgetragen waren, die eine politische Ordnung für Europa vorbereiten sollte.
    Diese Rückschläge haben das Tempo verlangsamt und haben dazu geführt, daß wir uns den eigentlichen politischen Zielen mehr oder weniger auf Umwegen nähern mußten. Heute haben wir jedoch Grund und Anlaß, zu sagen, daß der Zusammenschluß der Sechs eine politische Wirklichkeit geworden ist, die von niemand in der Welt bestritten werden kann. Er ist eine politische Wirklichkeit geworden auch im Verhältnis zu unseren Verbündeten in der freien Welt und in unserem Verhältnis zu unseren politischen Gegnern in der unfreien Welt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Denn er verrät — das ist das Wichtige — das Vertrauen der europäischen Völker, die Überzeugung dieser europäischen Nationen, daß die Zukunft in ihrer Hand liegt, daß es ihre Aufgabe ist, durch eine enge freundschaftliche Zusammenarbeit auf allen Gebieten dem europäischen Kontinent ein neues Gesicht und ein eigenes Gewicht zu geben.
    Ich sagte, daß wir mit den Beschlüssen vom 14. Januar einen weiteren Schritt nach vorne getan haben, und ich möchte dazu noch einige kurze Bemerkungen machen. In Zukunft können nun im Raum der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zahlreiche Entscheidungen im Rat mit qualifizierter Stimmenmehrheit getroffen werden. Das ist eine Entwicklung, die wir angestrebt haben. Denn damit wird der übernationale, föderale oder konföderale Charakter der Gemeinschaft wesentlich stärker in Erscheinung treten. In Zukunft wird es ausgeschlossen sein, daß das Veto eines einzigen Mitglieds die Entwicklung der Gemeinschaft in bedeutenden Bereichen des Vertrages hemmen könnte. Die Gemeinschaft erhält dadurch einen neuen Antrieb für eine schnellere Verwirklichung ihrer Ziele. Die Bestrebungen zur Herstellung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes, die Verschmelzung der Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten und die Bildung der erhofften Wirtschaftsunion werden dadurch zweifelsfrei gefördert.
    Aber mit dem Übergang in die zweite Stufe tritt die Gemeinschaft auch aus dem Stadium der noch unfertigen Zollunion heraus; sie tritt aus dem Stadium der Beseitigung der Handelshemmnisse — als einer negativen, aber wichtigen Aufgabe — in die Phase der Verwirklichung der Politik auf allen übrigen Gebieten. Wir sehen, daß diese Entwicklung auch in der Welt nicht unbeobachtet geblieben ist. Diejenigen, die seinerzeit für die Fortsetzung dieser europäischen Politik gewesen sind, haben recht behalten. Ich habe es damals so formuliert und möchte das wiederholen: wir können die Verwirklichung unserer europäischen Ziele nicht davon abhängig machen, ob wir den letzten Zweifler überzeugen. Wir müssen mit denen beginnen, die dazu bereit sind, und mit den Methoden, die sich dazu anbieten, und in den Bereichen, die sich dazu eignen.
    Es gibt keine bessere Rechtfertigung für die Richtigkeit dieser Politik als die Entscheidung der britischen Regierung vom vergangenen Sommer, die dahin ging, daß sich Großbritannien allen drei europäischen Gemeinschaften mit vollen Rechten und Pflichten anschließen will. Ich möchte hier für meine Fraktion mit großem Nachdruck sagen, daß wir diese Entscheidung der britischen Regierung für eine historische halten und daß wir unsere Regierung und die Regierungen der übrigen Mitgliedstaaten dringend bitten, alles und jedes zu tun, damit diese Entscheidung auch Wirklichkeit wird, damit Großbritannien dieser europäischen Gemeinschaft als siebentes Mitglied mit vollen Rechten und Pflichten beitreten wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der SPD.)

    Die Begründung, die damals der britische Lordsiegelbewahrer Heath im englischen Unterhaus gegeben hat, war eine überzeugende Rechtfertigung unserer Politik. Er sprach davon, daß sich im europäischen Bereich eine unerwartete Entwicklung vollzogen habe. Man habe es nicht für möglich gehalten, daß der Zusammenschluß der Sechs diese Form annehmen werde, und Großbritannien stehe nun vor der Frage, ob es sich an dieser Entwicklung beteiligen solle oder nicht. Er verwies darauf — und wenn das aus diesem Munde gesagt wird, können wir es, glaube ich, auch mit großer Befriedigung zitieren —, daß auf dem europäischen Kontinent eine Entwicklung begonnen habe, die dazu führe, daß hier ein Wirtschaftsraum mit einer Produktionskapazität, mit einer Kapazität an Menschen, an wissenschaftlicher Erfahrung, an Kultur und Tradition entstehe, der nur zu vergleichen sei etwa mit dem Wirtschaftsraum des Ostblocks oder dem Wirtschaftsraum der Vereinigten Staaten von Amerika.
    Er führte weiter aus — und auch das möchte ich unterstreichen, weil ich darin wirklich eine entscheidende Wendung der britischen Politik sehe —, auch früher habe Großbritannien bilaterale Verträge mit kontinentaleuropäischen Staaten geschlossen. Aber diese Verträge seien in erster Linie bestimmt gewesen, einer echten oder vermuteten militärischen Gefahr zu begegnen. Diese Voraussetzungen seien heute für Europa nicht mehr gültig. Es gebe keine Gefahr mehr für einen europäischen Staat durch einen anderen europäischen Staat. Wir wissen es ja alle: es gibt nur eine Gefahr für die freie Welt Europas; sie liegt nicht in Europa, sondern am Rande Europas.
    Ich sehe in dieser Entwicklung, in dem Beitritt Großbritanniens, der ja auch Beitrittsverhandlungen mit einigen skandinavischen Ländern zur Folge haben wird, mit Dänemark und voraussichtlich mit Norwegen, tatsächlich die Fortsetzung dieser von uns begonnenen europäischen Politik. Denn wir haben immer wieder unterstrichen — und das soll auch heute hier gesagt werden —, daß wir nicht einen geschlossenen Raum der Sechs schaffen, daß wir nicht etwa in die Fehler einer vergangenen Autarkiepolitik zurückfallen wollten, indem wir ein neues Autarkiedenken im erweiterten Raum schaffen oder zulassen wollten, sondern daß diese Gemeinschaft der Sechs denen, die sich ihren politischen Zielen anschließen wollen, offenstehen solle und offenstehen müsse.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)




    Dr. von Brentano
    Meine Damen und Herren, wenn ich von dieser Entwicklung spreche und sage, daß die Entscheidung der britischen Regierung eine überzeugende Rechtfertigung war, möchte ich aber ebenso nachdrücklich auf das verweisen, was vor wenigen Tagen der amerikanische Präsident Kennedy in seiner Botschaft an die Nation gesagt hat. Wir wissen — und ich glaube, es ist ermutigend für uns alle —, daß die amerikanische Administration unter dem Präsidenten Eisenhower und unter dem Präsidenten Kennedy diese Politik des europäischen Zusammenschlusses mit allen Mitteln zu fördern bereit ist, obwohl man drüben wohl weiß, daß dieser weitere europäische Zusammenschluß auch nachteilige Folgen für die Wirtschaft der Vereinigten Staaten haben muß. Denn objektiv diskriminierende Wirkungen gehen selbstverständlich von einem solchen Zusammenschluß, von der Schaffung einer solchen großen Wirtschaftsgemeinschaft aus. Trotzdem — das hat Präsident Kennedy ausdrücklich unterstrichen — wünscht man auch drüben, daß die europäische Einigung fortgesetzt wird. Man ist sich auch in den Vereinigten Staaten darüber im klaren — ich sagte es eingangs —, daß es gerade für die Zusammenarbeit der freien Welt von unschätzbarem Wert ist, wenn — so hat sich einer der Mitarbeiter des Präsidenten ausgedrückt — in Europa nicht mehrere Juniorpartner, sondern wenn eine volle europäische Kraft an der Seite der Vereinigten Staaten steht. Das soll unser Ziel sein, meine Damen und Herren. Damit tragen wir auch zu der wesentlichen und entscheidenden Stärkung der Atlantischen Gemeinschaft bei. Wenn die Vorstellung einer atlantischen Union einmal Wirklichkeit werden sollte, dann nur unter der Voraussetzung, daß zunächst die europäische Union geschaffen wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich bin nun weit davon entfernt, heute zu sagen, daß wir uns mit dem Erreichten abfinden und zufrieden sind. Im vergangenen Jahr hat die Konferenz der Regierungschefs in Bad Godesberg getagt. Dort sind Entschlüsse gefaßt worden, auf deren Verwirklichung wir heute noch warten. Wir wissen, daß darüber Verhandlungen im Gange sind. Ich möchte jedoch für meine politischen Freunde sehr klar ankündigen, daß wir die Bundesregierung bitten werden, die Verhandlungen mit dem Ziele zu führen, daß die Ankündigung von Bad Godesberg raschestens verwirklicht wird. Dieses Ziel ist, die Voraussetzungen für eine gemeinsame Außenpolitik unter den sechs Staaten, für eine gemeinsame Verteidigungspolitik zur Stärkung der NATO und im Rahmen der NATO und für den unerläßlichen Zusammenschluß auf dem Gebiete der Wissenschaft und Kultur zu schaffen. Wir können und wollen unsere Arbeit nicht nur auf den wirtschaftlichen und auch nicht nur auf den politischen Bereich begrenzen. Selbstverständlich müssen auch die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß die Gesetzgebung im Bereiche der Gemeinschaft ständig und konsequent harmonisiert wird. Bei der Äußerung dieser Wünsche sage ich gleich: wir wollen, daß diese Wünsche erfüllt werden, aber nicht auf Kosten der bestehenden Gemeinschaft. Was wir haben, darf in der Substanz und in der institutionellen Ordnung nicht verändert werden, es sei denn, es würde verbessert.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Hier möchte ich ein besonderes Wort zu den Aufgaben des Europäischen Parlaments sagen. Gerade jetzt, wo die Europäische Gemeinschaft in die zweite Stufe tritt, wo also auch auf dem Gebiete der gemeinsamen Handelspolitik, der gemeinsamen Zollpolitik, der gemeinsamen Preispolitik, einer gemeinsamen Kartellpolitik, um nur einige Beispiele zu nennen, Entscheidungen auf uns zukommen, die getroffen werden müssen, wenn wir unser Ziel erreichen wollen, scheint es meinen politischen Freunden und mir absolut notwendig zu sein, daß wir alles tun, um von uns aus die Stellung des Europäischen Parlaments zu stärken.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir brauchen, wenn wir diese Aufgaben erfüllen wollen, eine demokratische und damit parlamentarische Mitarbeit. Das Europäische Parlament hat auch heute schon eine Stellung, die stärker ist, als im Vertrag vorgesehen war. Diese Entwicklung hatte ich seinerzeit schon angekündigt, und sie ist auch eingetreten. Es ist eine Eigengesetzlichkeit, die einem Parlament innewohnt und innewohnen muß, daß sich die Zuständigkeitsgrenzen zwangsläufig ausdehnen.
    Aber ich möchte auch dazu sagen: uns genügt das, was heute an Zuständigkeit besteht, nicht. Wir hoffen und wünschen, daß sich die Regierungen darüber unterhalten — nicht von heute auf morgen —, wie das Europäische Parlament die echten Aufgaben eines Parlaments erhalten kann, also eine echte Kontrollbefugnis und eine echte Initiativbefugnis. Daß die Möglichkeit einer echten Legislative heute noch nicht besteht, sollten wohl auch diejenigen einsehen, die ungeduldig sind wie ich und andere. Diese Zuständigkeiten des Parlaments zu erweitern und zu ergänzen, scheint mir eine Aufgabe zu sein, die in der nächsten Zukunft ebenfalls angepackt und gelöst werden muß; denn wir wissen und haben es auch wissend so entschieden, daß wir Zuständigkeiten, die an sich in die nationalstaatlichen Parlamente — auch in dieses Hohe Haus — gehören, an den Ministerrat und an die Kommission in Brüssel abgegeben haben.
    Beide Institutionen haben unser volles Vertrauen. Ich glaube aber, es wäre für beide Institutionen auch eine Erleichterung ihrer Arbeit und ihrer Verantwortung, wenn sie ihre Entscheidungen treffen könnten in enger Zusammenarbeit mit einem in seinen Zuständigkeiten nicht beschränkten Parlament.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind die Wünsche, die ich heute für meine Fraktion anmelde. Ich habe keinen Zweifel, daß die Bundesregierung mit uns in der Beurteilung dieser Notwendigkeit übereinstimmt. Wir sind uns nämlich im klaren, daß wir das Erreichte nur bewahren können, wenn wir es ständig und konsequent fortentwickeln.
    Ich habe schon einige Gebiete genannt, auf denen diese Fortentwicklung nötig sein wird, und ich möchte wiederholen: diese zweite Phase des Gemeinsamen Marktes wird nur dann die erwarteten



    Dr. von Brentano
    Erfolge bringen, wenn wir in dieser zweiten Phase stärker als bisher zu einer übereinstimmenden Gesetzgebung und auch zu einer übereinstimmenden Verwaltungspraxis kommen. Ich darf daran erinnern, daß wir eine gemeinsame Wirtschaftspolitik in dem großen Raum der Europäischen Gemeinschaft auf die Dauer schlechthin nicht führen können, wenn nicht in den Grundsätzen des handelspolitischen Denkens auch zwischen den Mitgliedstaaten eine Übereinstimmung erreicht wird. Wir können eine echte Wirtschaftspolitik in diesem Raum auf die Dauer auch dann nicht führen, wenn nicht die Steuergesetzgebung der einzelnen Staaten in diesem Bereich langsam, aber konsequent einander angepaßt wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien sowie bei Abgeordneten der SPD.)

    Sonst schaffen wir nämlich Steuerbedingungen und Steuergefälle, die einen echten Wettbewerb behindern.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Es ist unser gemeinsames Ziel, in diesem Gemeinsamen Markt nicht etwa Oasen zu schaffen oder Oasen zu erhalten, vielmehr ist es unser Bestreben, in diesem Gemeinsamen Markt, fernab von jedem Autarkiedenken, die Voraussetzungen für eine echte soziale Marktwirtschaft zu schaffen, wie wir sie auch in der Bundesrepublik wünschen und anerkennen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Thomas Dehler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Birkelbach.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Willi Birkelbach


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion wertet den Beschluß des Ministerrats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, den Übergang zur zweiten Stufe des Gemeinsamen Marktes zu vollziehen, als einen wichtigen Beitrag zur europäischen Einigung. Sie glaubt, daß damit der Weg frei ist für eine weitere günstige Entwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Wir wissen, daß diesem Beschluß, zur zweiten Stufe überzugehen, eine Einigung auf gewisse Grundlagen einer gemeinsamen Agrarpolitik vorausging und daß in diesem Zusammenhang gewisse Verordnungen im Ministerrat verabschiedet worden sind.
    Wir glauben sagen zu müssen, daß wir die materielle Vorbereitung der Verhandlungen auf diesem speziellen Gebiet keinesfalls als befriedigend bezeichnen können; denn allen Sachverständigen war seit Monaten, ja viel länger, klar, um was es gehen würde. Wir hatten überall genügend Debatten, so daß man erkennen konnte, wo die politischen Kernpunkte liegen würden. Es war daher kein Grund vorhanden, in einen derartigen Zeitdruck zu geraten, daß man am 31. Dezember die Uhr in dem betreffenden Saal für vierzehn Tage anhalten mußte, um zu erreichen, daß das Werk noch im alten Jahr verabschiedet wurde. Wir glauben, daß hierfür sicher keine Veranlassung bestand. Die jetzt vorliegenden Verordnungstexte zeigen außerdem, daß rein gesetzestechnisch die Beteiligten in einer Weise überfordert und überlastet waren, daß man wirklich nicht glauben konnte, das Verhandlungsthema hätte in der noch verfügbaren Zeit unmittelbar gestaltet werden können. Gewisse Verordnungen sind verabschiedet worden. An der Kompliziertheit der Texte sehen wir, welche Mühe die Verfasser sich gegeben haben, und ich stehe nicht an, denjenigen, die unmittelbar an diesen Verhandlungen, speziell in der letzten Etappe, beteiligt waren, unsere Anerkennung auch für die physische Leistung auszusprechen, die sie dort erbrachten.

    (Beifall.)

    Diese Anerkennung schließt sicher nicht die Akzeptierung des gesamten Inhalts ein. Über den konkreten Inhalt des Verhandlungsergebnisses werden andere, Berufenere sprechen, soweit es um die Agrarpolitik geht.
    Ich will nur folgendes noch einmal betonen: Die Beteiligten sind deshalb unter diesen Zeitdruck geraten, weil im Jahr der Bundestagswahlen bestimmte Überlegungen auf der Mehrheitsseite vorher, vor den Wahlen, nicht so weit vorangetrieben werden konnten, daß man in bezug auf bestimmte Wählerschichten ein politisches Risiko hätte daraus ableiten können.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich will das nicht näher darlegen. Ich will nur darauf hinweisen, daß dann nach der Wahl ein vorsichtiger, ein unruhiger möglicher Koalitionspartner auch wieder nicht zuließ, daß man sehr rasch die Klarheit fand, die eigentlich schon vor den Verhandlungen hätte bestehen müssen.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Dabei müssen wir in Rechnung stellen, daß die französische Regierung nicht so ganz unrecht hatte, als sie zum Ausdruck brachte, daß man mit Grundsatzbeschlüssen allein in Fragen der Agrarpolitik nicht sehr viel weiter kommen würde, daß man Texte haben müsse. Wahrscheinlich vertrat sie deswegen diese Anschauung, weil sie glaubte, daß ohne Texte die Herausbildung der Grundlagen einer gemeinsamen Agrarpolitik auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben würde.
    Ich sage, man kann diese Einstellung nicht ganz verurteilen, zumal selbst nach dem Abschluß der Verhandlungen zum Beispiel aus Pressemeldungen zu erkennen war, daß man da und dort sagte: Aber das alles muß ja jetzt erst durch die nationalen Parlamente ratifiziert werden. Daraus klang so ein wenig die Neigung, daß das Verhandlungsergebnis einer nachträglichen Revision zu unterziehen sei.
    Meine Damen und Herren, davon kann nicht die Rede sein. Ich glaube, der Herr Bundeswirtschaftsminister hat mit vollem Recht festgestellt, daß die Verordnungen des Ministerrats europäisches Recht geworden sind und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gelten, daß sie das nationale Recht außer Kraft setzen, soweit es mit ihnen nicht vereinbar ist. Das ist eine wichtige Erkenntnis, eine wichtige Feststellung, weil wir nunmehr auf dieser Grundlage auch im internationalen Rahmen wissen, daß es da bestimmte Verpflichtungen und Konsequenzen gibt.



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    Aber ich möchte nun die politische Bedeutung dieses Übergangs zur zweiten Stufe noch ein wenig würdigen. Ich sagte schon, den agrarpolitischen Teil werden andere, berufenere Sachverständige im Namen meiner Fraktion hier behandeln.
    Wir glauben, daß ein Nichtvollziehen dieses Beschlusses das ganze Unternehmen des Zusammenwachsens Europas außerordentlich geschwächt hätte, daß es das Vertrauen in die Zukunft einer solchen Gemeinschaft gefährdet hätte. Aus diesem Grunde war dieser Beschluß politisch notwendig.

    (Beifall bei allen Fraktionen.)

    Wir haben außerdem nicht zu erwarten, daß wir wieder in die gleiche Situation, wie sie jetzt gegeben war, hineinkommen, in die Situation, in der eine einzige nationale Regierung die Macht hätte, den Übergang zur dritten Stufe oder den Abschluß der Übergangszeit zu blockieren. Hier ist nach dem Vertrag ein neues Stadium erreicht, das auch politisch unter besonderen Gesichtspunkten gewürdigt werden muß.
    Wir müssen damit rechnen, daß diese Automatik, die nun einfach für die Zukunft gegeben ist, auch die Unternehmer, alle Interessierten insofern vor klare Daten stellt. Sie wissen jetzt, daß es eigentlich ein richtiges Scheitern wäre, wenn sich der Zeitraum bis zum Übergang zur dritten Stufe noch verlängern oder irgendwie verändern würde, es sei denn, er würde abgekürzt.
    Wir glauben also, daß wir deswegen gewisse Konsequenzen auch in den Wirtschaftsentscheidungen schon erkennen können. Wir müssen das um so mehr erkennen, als, wie Herr Kollege von Brentano auch darlegte, in den kommenden Jahren der Ministerrat eine verstärkte Möglichkeit hat, zur Not mit Mehrheit zu entscheiden. Das braucht nicht immer zu bedeuten, daß die Mehrheitsentscheidung auch herbeigeführt wird. Aber allein die Möglichkeit, daß zur Not mit Mehrheit entschieden wird, gibt der ganzen Angelegenheit eine neue politische Kontur.
    Die Sozialdemokraten haben immer die Auffassung vertreten, daß es mit dem Abbau von Handelsbeschränkungen, mit der Beseitigung von Hemmnissen an der Grenze für den Wirtschafts- und Personenverkehr allein nicht getan ist. Wir wissen, daß eine solche Automatik, ein solches ständiges Abbauen der Grenzhindernisse einen besonderen Nutzen hat. Aber wir glauben, daß dies ergänzt werden muß durch eine Gemeinschaftspolitik, ein konstruktives Arbeiten sowohl der Organe der Gemeinschaft wie auch der für gewisse Bereiche ja immer verantwortlichen nationalen Regierungen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Diese zwei Seiten haben wir deswegen zu beachten, weil, wie wir glauben, z. B. eine ganze Reihe von nationalen wirtschaftspolitischen Möglichkeiten den Regierungen gar nicht mehr verblieben sind. Nehmen Sie einmal das ganze Gebiet der Zollpolitik als Teil der Konjunkturpolitik! Das ist nicht mehr da, und es kann nicht sein, daß das einfach verschwunden ist. Wir wollten nicht einen großen
    Laissez-faire-Raum entstehen lassen, in dem für das wirtschaftliche Geschehen niemand wirklich unmittelbar verantwortlich ist. Wir wollten wissen, wo die Verantwortung dann sein würde. Wir wissen, daß sich das nur schrittweise herausbilden kann.
    Deswegen fordern wir in einem solchen Großraum handlungsfähige Gemeinschaftsorgane. Diese Organe können nur handlungsfähig sein, wenn es unter den Partnerstaaten eine gewisse Übereinstimmung in der wirtschaftspolitischen Grundlinie gibt.
    Wir müssen daher, glaube ich, sagen, daß die Brüsseler Entscheidungen Anlaß zur bewußteren Gestaltung der Gemeinschaftspolitik sein müssen. Denn hier — wir wollen das noch einmal gesondert betrachten — ist nun für viele Staatsbürger in allen Ländern erkennbar geworden, daß es eine unmittelbare Rechtssetzungs- und Entscheidungsbefugnis gibt, eine Befugnis, die auch in unser eigenes Leben hineinwirkt, ohne daß wir im nationalen Bereich die Stelle suchen können, wo die Verantwortung dafür liegt.
    Durch die Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat kann es sogar dahin kommen, daß ein nationaler Minister vor sein nationales Parlament tritt und sagt: „Sie können mich im nationalen Bereich ja gar nicht zur Verantwortung ziehen, im übernationalen Bereich sowieso nicht; denn ich bin bei der Abstimmung im Ministerrat unterlegen."

    Daraus muß eine Konsequenz gezogen werden. Sie kann nur darin bestehen, daß dieses Entweichen aus dem nationalen System der parlamentarischen Kontrolle auf der Gemeinschaftsebene ausgeglichen wird.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der Mitte.)

    Wir haben dabei sicher nicht die Vorstellung, daß man alles in einem Zug vollenden könne. Darin stimme ich mit Ihnen völlig überein, Herr Kollege von Brentano: es wäre ein wenig vermessen, zu glauben, daß man nur diese Gesetzgebungs- und Kontrollbefugnis unmittelbar diesem Parlament zu übertragen brauche. Aber sollten wir nicht klarere Vorstellungen von den möglichen unmittelbaren Schritten haben, die auch jetzt schon gegangen werden können? Und sollten wir sie nicht ständig vorbringen, damit es nicht so aussieht, als müsse man sich erst an das andere gewöhnen?

    (Beifall bei ,der SPD.)

    Ich glaube, daß wir dabei heute sowohl in diesem politischen Bereich in bezug auf die Entscheidungen wie im rein wirtschaftlichen Bereich nicht von der Vorstellung ausgehen können, man könne einen hochfliegenden europäischen Verfassungsentwurf verabschieden und dann .das Ganze in einem Zug unter einen Hut bringen und ein völkerrechtlich handlungsfähiges Subjekt in Form dieser Gemeinschaft auf allen Gebieten vor sich finden. Diesem Gedankengang hängt heute niemand mehr nach, kann auch niemand mehr nachhängen, wenn er gesehen hat, welche Interessenkonflikte auf ganz bestimmten Teilgebieten in dem Augenblick entstehen, in dem die Frage aufgeworfen wird: Wo



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    werden denn in Zukunft die Entscheidungen fallen? Da, wo wir gewohnt sind hinzublicken, wo wir Beziehungen haben, da, wo wir wissen, wer sie fällen wird? Oder auf einer Ebene, wo nicht nur die Konkurrenten aus anderen Ländern ihre Beziehungen haben, sondern wo unter Umständen auch im Gesamtgefüge wirtschaftlichen Geschehens die Dringlichkeit der eigenen Vorhaben — z. B. bei Interessenverbänden — nicht so eingeordnet wird, wie das im nationalen Rahmen vielleicht bisher zufriedenstellend der Fall war?
    Was will ich damit sagen? Ich glaube, die Art und Weise, wie die agrarpolitischen Beschlüsse zustande kamen, zeigt eine Methode, die es gestattet, weitere Fortschritte zu machen, ohne bei jedem Fortschritt die geschlossene Phalanx der nationalen und internationalen Interessengruppen und -verbände als Hemmis überwinden zu müssen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Auf diese Art und Weise mutet man ihnen auch nur ein gewisses begrenztes Risiko zu. Man kann dann ungefähr überschauen, wie es laufen soll. Man wird dadurch wissen können, mit wem man das Ganze auch in .der Gemeinschaft besprechen kann, wie man das ausrechnen kann, wohin die Entwicklung gehen wird, wie die jeweiligen Interessen wahrgenommen werden. Denn es ist ja nicht so, daß man die Interessenverbände mit ihren Anliegen und Ansprüchen von vornherein als illegitim ansähe. Im Gegenteil, wer die Verantwortung für die Fortführung gewisser Unternehmen usw. hat, hat auch die Pflicht, dafür zu sorgen, daß nicht durch irgendwelche politischen Beschlüsse plötzlich die Grundlage für sein Handeln gefährdet wird und er dann die Verantwortung gar nicht tragen kann.
    In diesem Sinne also ist unsere Vorstellung die, daß man ganz bestimmte Teilbereiche unseres wirtschaftlichen und politischen Geschehens so anvisieren muß, daß ähnliche Schritte vollziehbar werden, wie wir sie bei der Gestaltung der gemeinsamen Agrarpolitik erlebt haben. Ich verweise dabei auch auf die Steuerpolitik, auf die Währungs- und Konjunkturpolitik, auf die Energiepolitik, auf die Verkehrspolitik. Hier zeigt es sich, daß man nicht das Ganze sich selber überlassen kann. Hier muß man Grundlinien finden, ,die sich in einen Gesamtbau einordnen. Das kann nach meiner Auffassung nur geschehen, wenn hier die Gemeinschaft selber gewisse zusätzliche Zuständigkeiten bekommt.
    Nach dem Übergang in die zweite Stufe ist es gar nicht mehr länger die Frage, ob man solche politischen Maßnahmen in Betracht zieht, sondern es geht nur noch um die Modalitäten, nicht mehr um das Ob. Denn auch den Unternehmern, selbst denjenigen, deren Markt von Zöllen usw. beeinflußt wird, ist doch in der Zwischenzeit klar geworden, daß man zwar Zollsenkungen von 10, 20 und 40 % — wo wir jetzt angelangt sind — unter Umständen verkraften kann, wenn da noch sehr viel Luft dazwischen war, wenn das sozusagen nicht unmittelbar die harte Konkurrenz aus dem anderen Land auf den eigenen Markt brachte. Jetzt aber ist die Tatsache zu verzeichnen, daß die weiteren Zollsenkungen sehr empfindlich alle übrigen Wettbewerbs-vor- und -nachteile in Erscheinung treten lassen würden, die noch in unseren Volkswirtschaften bestehen.
    Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die steuerlichen Maßnahmen. Ich brauche hier nur das Wort Stahl in die Debatte zu werfen, um jedem Sachverständigen klarzumachen, was ich meine. Ein anderes Steuer- und Rückvergütungssystem in Frankreich kann zu besonderen Schwierigkeiten im Bereich z. B. des Stahlmarktes in der Bundesrepublik führen. Wir wissen, daß das Ganze nicht für einen Teilbereich, allein und losgelöst von der übrigen Volkswirtschaft einer Lösung zugeführt werden kann. Andere Industrien machen sich schon Gedanken darüber, wie die Abschreibungsmöglichkeiten im Steuerrecht anderer Länder 'hier ihre eigene Position gefährden können, wenn dem nicht bei uns etwas Entsprechendes zur Seite gesetzt wird. Ich habe bewußt das Wort „dagegengesetzt wird" unterdrückt, weil ich nicht hoffen möchte, daß wir nun anstelle der Zölle zu einem undurchsichtigen System nationaler Ausgleichsmaßnahmen kommen, mit denen in kaschierter Form versucht wird, die Vorteile doch wieder irgendwie auszugleichen, und die eine Riesenverwaltung benötigen würden, ohne daß jemand klar sehen könnte, wohin das geht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das wäre die andere Gefahr. Deswegen also diese Forderung nach Rechtsangleichung.
    Ich muß dabei noch einen anderen Faktor erwähnen, weil der Zeitablauf hier von entscheidender Bedeutung sein kann. Wenn auf dem Gebiet der steuerlichen und damit zusammenhängenden Bestimmungen nicht Fortschritte erzielt werden, kann ungewollt eine internationale Konzentrationstendenz größten Ausmaßes begünstigt werden. Es könnte die Situation eintreten, daß ein national organisiertes Unternehmen praktisch deswegen nicht konkurrieren kann, weil ein international organisiertes Unternehmen die Gewinnspannen durch Verrechnungspreise usw. so verändern kann, daß jeweils im steuerlich günstigsten Land die Überschüsse anfallen.
    Das Ganze sind recht komplizierte Gedankengänge, die ich hier nur andeute, um zu zeigen, daß es nicht mehr eine Angelegenheit ist, die man einfach vor sich herschieben kann. Denn jeder weiß, daß jedes Unternehmen von einiger Bedeutung heute bereits darauf angewiesen ist, sich auf die Endstufe des Gemeinsamen Marktes einzustellen. Man kann nicht nur von heute auf morgen disponieren. Man muß ungefähr wissen, wohin es gehen wird. Aller Kundendienst, die Werbung und andere Betätigungen müssen nunmehr an der Überlegung orientiert werden, daß eine Entwicklung in Gang gekommen ist, die man beachten muß. Ich habe versucht, in diesem Zusammenhang eine Reihe von Überlegungen anzustellen, die vielleicht für Unternehmer, für Wirtschaftspolitiker interessant sein können.
    Aber Sie werden mir gestatten, daß ich auch einige Überlegungen anführe, die mehr in den Blick-



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    winkel der einfachen Leute, der Bevölkerung fallen und die zeigen, was das Ganze auf sich hat, was diese Veränderung unserer Verfassungswirklichkeit, die sich vollzieht, für das Leben der einfachen Leute in Deutschland und in Europa bedeuten kann. Dabei möchte ich davon ausgehen, daß wir diese Debatte natürlich sehr stark unter agrarpolitischen Vorzeichen führen werden. Die Presseüberschriften und was es sonst gab, lassen ja erkennen, daß da im Hintergrund eine Preissteigerungstendenz besteht. Wenn nun die Bevölkerung in unserem Land die EWG gleichsetzen würde mit dem Teurerwerden aller Waren, dann wäre das ein politischer Mißerfolg.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der muß nach unserer Auffassung vermieden werden. Wir wollen nicht, daß ein solcher Eindruck entsteht. Wir sind uns dabei darüber klar, daß die Argumentation nicht ganz einfach ist. Vielleicht haben wir in der öffentlichen Diskussion in den letzten Monaten und Jahren einen Fehler gemacht — ich meine: wir alle miteinander —, indem wir alles in der Diskussion im agrarpolitischen Bereich auf den sogenannten Getreidepreis abstellten. Dabei weiß jeder, der praktisch damit etwas zu tun hat, daß selbst eine Senkung des Getreidepreises gar nicht ohne weiteres zu einer Senkung des Brotpreises führen würde, weil der Anteil der Erzeugerkosten unmittelbar an diesem Endprodukt längst nicht dem entspricht, was nachher wirklich durchschlagend helfen würde.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich glaube also, es ist wichtig, daß wir uns bei einer solchen Überlegung nicht irgendwelchen Emotionen hingeben, sondern wir müssen klar durchrechnen, was sich hier vollzieht und was sich da alles ergibt.
    Ich glaube, was da an Preiserhöhungswünschen von gewissen Seiten vorgebracht wird und zusätzlich bekanntgeworden ist, stellt einen Bärendienst an der Idee der Einigung Europas dar, da dieser Zeitpunkt gerade so ungünstig gewählt worden ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich glaube, es wäre notwendig, in der Bevölkerung das ein wenig auseinanderhalten zu lassen.
    Aber wenn wir noch einmal zurückdenken an alles das, was im Hintergrund auf uns zukommt, dann müssen wir sagen: wenn der Gemeinsame Markt einen Sinn haben soll, dann muß sich auch für die Landwirtschaft allmählich das Prinzip durchsetzen — und es wird sich in diesem Bereich durchsetzen —, wenn Wettbewerbsverfälschungen und alles das herausgenommen werden, daß die Produktion zum besten Wirt wandert, zu den besseren Böden und zum besseren Klima. Wenn das der Fall sein würde, dann ist tendenziell wenigstens eine Veränderung in den volkswirtschaftlichen Größenordnungen und damit eine Möglichkeit zur Verbesserung der Lebens- und sonstigen Bedingungen aufgezeigt.
    Dabei haben wir nicht zu leugnen, daß sich auf kurze Sicht gewisse Tendenzen zeigen werden. In bezug auf Geflügel wird es neue Situationen geben; das alles werden die Agrarpolitiker noch ein wenig näher beleuchten, vielleicht auch unter dem Gesichtspunkt, ob die europäischen Regelungen, die verabredet sind, Maßnahmen noch zulassen — und wir glauben, daß sie sie zulassen würden —, die die deutsche Regierung ergreifen kann, um nicht ohne weiteres den Verbraucher nur mit den ungünstigen Seiten in Berührung kommen zu lassen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Wir glauben also, daß da zusätzliche Möglichkeiten gegeben sind. Die Bundesregierung wird danach noch gefragt werden.
    Abgesehen von diesen agrarpolitischen Betrachtungen sollten wir die Einsicht festhalten, daß nach Auffassung aller Sachverständigen ein solcher größerer Markt auch eine günstige Wirkung auf das Wirtschaftswachstum und damit auf die Chancen hat, das Volkseinkommen rascher zu vergrößern. Nach den Zahlen, die darüber vorliegen, ist z. B. das Wachstum des Bruttosozialprodukts pro Kopf der Bevölkerung in der Gemeinschaft in den letzten Jahren durchschnittlich doppelt so hoch gewesen wie im Vereinigten Königreich von Großbritannien. Es ist wesentlich, daß ein solcher Punkt eine besondere Beleuchtung erfährt, weil wir nur von dorther die Begründung für die politischen Maßnahmen finden können. Denn es handelt sich nicht um das Ergebnis eines Zufalls. Vielmehr müssen wir den ganzen großen Wirtschaftsraum als einen Faktor der Konjunkturstabilisierung, des Ausgleichs von Spannungen usw. gut nutzen und dafür auch die entsprechenden politischen Vorkehrungen treffen.
    Wir wissen z. B., daß verstärkte Importe durchaus einen Preisdruck auslösen können. Wir wissen, daß eine gewisse Entspannung bei Übernachfrage herbeigeführt werden kann, wenn eben die Grenzen offen sind. Alles das ist nach unserer Auffassung möglich. Es fragt sich, ob eine Politik betrieben wird, die die Auswirkungen auch bis zu den einfachen Leuten durchschlagen läßt, oder ob das Ganze in Vorstadien abgefangen wird.
    Wir müssen uns der Folgewirkungen bewußt sein. Wir haben in Deutschland in den letzten 10 Jahren eine so nachhaltige Veränderung unserer Arbeitskräftestruktur erlebt, daß wir wissen müssen: eine Arbeitsplatzsicherung und eine Beschäftigungspolitik mit nationalen Mitteln ist überhaupt nur noch in einem sehr begrenzten Umfang möglich. Aus der internationalen Verflechtung unserer Wirtschaft heraus müssen wir uns darüber klar sein, was ein solcher Großraum dann auch an Verantwortung mit sich bringt.
    Vielleicht darf ich in diesem Zusammenhang, damit deutlich wird, welche Bedeutung gerade den jetzt von außen her auf die Arbeitsplatzsicherung wirkenden Faktoren zukommt, zwei Zahlen nennen. Die Ausfuhr des Deutschen Reiches ist für das Jahr 1936 auf das Gebiet der Bundesrepublik umgerechnet worden. Der Index wurde damals volumenmäßig mit 100 bezeichnet. Für 1950 wird dieser Index mit 89 angegeben, 1959 beläuft er sich auf 342. Mit anderen Worten: wir haben eine übermäßige Steigerung unseres Exports, eine größere Exportorientierung unserer Wirtschaft zu verzeichnen. Daraus ergibt sich eine Umgruppierung der Arbeitskräfte, die gar nicht beliebig gesteuert wer-



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    den kann, sondern sehr stark davon abhängig ist, daß der internationale Wirtschaftsverkehr funktioniert, und da verlangt ein solcher Großraum eine besondere Verantwortung.
    Ich darf, um gerade für die einfachen Leute zu zeigen, um was es geht, noch eine andere Tatsache unterstreichen. In dem Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft sind Bestimmungen enthalten, die man als einen Ansatzpunkt für eine Sicherung des Arbeitseinkommens auf lange Sicht interpretieren kann. Das ist insofern wichtig, als wir natürlich mit Veränderungen rechnen müssen, die ein solcher Großmarkt auslöst, mit Veränderungen, die zu Umstellungen bei einzelnen Betrieben führen können. Wenn von vornherein Übereinstimmung darüber besteht, daß die Arbeitnehmer durch solche Umstellungen nicht mit einer Einkommensminderung belastet werden dürfen, so ergibt sich als Schlußfolgerung, daß man ein Recht der arbeitenden Bevölkerung auf eine langfristige Sicherung ihres Einkommens anerkennt.
    Ich habe das hervorgehoben, weil es dabei nicht nur um die Sache der Arbeitnehmer geht. In bestimmten Gebieten, wo sich Veränderungen vollziehen, kann auch der örtliche Handel oder das örtliche Handwerk sehr stark daran interessiert sein, daß die Umstellungsmaßnahmen nicht die Gefahr von Einkommensminderungen heraufbeschwören, weil sich daraus Kettenreaktionen ergeben können, und weil daraus mehr Unheil entstehen kann als aus der Tatsache, daß nur ein bißchen weniger gekauft würde.
    Ich habe diese Dinge herausgestellt, um einer Diskussion vorzubeugen, die sich nur an dem Agrarpreis orientiert, wie wir das in der Öffentlichkeit beobachten konnten. Wenn wir von solchen möglichen günstigen Auswirkungen sprechen, müssen wir auch immer den Gesichtspunkt beachten, wie wir sicherstellen können, daß die nunmehr von staatlicher Seite nicht mehr möglichen Handelsbeschränkungen nicht auf dem Wege über private Marktgebietsaufteilungen und Preisabsprachen sozusagen von den Interessentenverbänden, von den Kartellen wahrgenommen werden. Wie können wir das erreichen?
    Wir glauben, daß dafür die parlamentarische Kontrolle von ganz besonderer Bedeutung ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn die Verfassungswirklichkeit sich ändert, wenn diese Mehrheitsbeschlüsse möglich sind, dann ist nicht sichergestellt, daß bei der Vorbereitung solcher Beschlüsse und im Endstadium, wenn man an die Entscheidung kommt, die Bevölkerung überhaupt die Gewißheit hat, daß alle Interessenten berücksichtigt worden sind, dann ist nicht sichergestellt, daß es in der Öffentlichkeit eine wirkliche Auseinandersetzung gegeben hat. Darin sehen wir zum großen Teil die Funktion auch des Bundestages bei gesetzgeberischen Maßnahmen. Nicht nur die Diskussion der Parlamentarier untereinander ist wichtig, sondern es ist auch wichtig, daß während des Gesetzgebungsganges, nach der ersten Lesung oder schon vorher, in der Tagespresse und in der
    Fachpresse so viele Diskussionsbeiträge geliefert werden, daß die verantwortlichen politischen Kräfte sich einen Überblick verschaffen können über das, was vielleicht nicht berücksichtigt ist oder was vielleicht als eine Art Überrumpelung möglich sein könnte.

    (Beifall bei der SPD.)

    Diese Begründung für die Einschaltung eines parlamentarischen Organs kann nicht übersehen werden, und in demokratischen Ländern kann man darüber einfach nicht hinweggehen.
    Wir können allerdings nicht damit rechnen, daß der Vertrag in dieser Richtung sehr rasch geändert wird. Unser Vorschlag geht daher in die Richtung, eine Gepflogenheit zu entwickeln, wonach der Ministerrat keine Entscheidung tnifft ohne Rücksicht auf die Meinung des Parlaments, das vorher beraten hat.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Das bedeutet nicht eine Bindung an den Beschluß des Parlaments. Man könnte durchaus vorsehen, daß im Falle schwerwiegender Bedenken eine Art Vermittlungsaktion dazwischengeschaltet wird, daß dann das Parlament noch einmal Gelegenheit zu einer speziellen Stellungnahme bekommt. Das wäre ein Verfahren, das mit den Verträgen nach unserer Auffassung vereinbar wäre. Man müßte nur eine Gepflogenheit und die Zustimmung der Regierungen zu dieser Gepflogenheit haben. Der Druck sollte nach unserer Auffassung in diese Richtung gehen.
    Das bedeutet auf der anderen Seite — Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich muß es ganz offen sagen — auch gewisse Veränderungen in der Arbeitsweise eines solchen Parlaments. Wir haben manchmal in den nationalen Parlamenten, aber auch in der Beratenden Versammlung des Europarates und im Europäischen Parlament die Meinung vertreten hören: Schicken wir die Europa-Schwärmer und die Lyriker nach Europa, da können sie nicht schaden; hier zu Hause, wo die Arbeit getan wird, braucht man ernsthafte Leute. Diese Haltung gab es zeitweise. Aber nun zeigt es sich, daß dort Entscheidungen fallen, daß dort etwas geschieht. Es wäre daher zu untersuchen, wie wir die Arbeit dort so organisieren können, daß nicht zum Schluß wieder die Gewohnheit Platz greift, Resolutionen zu verabschieden, die man dort in der Fachsprache „weiße Neger" nennt. Das sind Resolutionen, die einstimmig angenommen werden und in die jeder nachträglich das hineinliest, was er hineinlesen wollte, so daß sie einander widersprechende Auffassungen in sich vereinen. Hier liegt es also an den Parlamentariern selbst, ihre .eigene Ernsthaftigkeit zu beweisen und nicht z. B. Zufallsmehrheiten in Kauf zu nehmen.
    Das ist nur zu erreichen, wenn ein solches Parlament in wachsendem Maße eine echte politische Struktur bekommt, wenn die politischen Gruppierungen die Verantwortung für das übernehmen, was dort geschieht. Die Kollegen, die mit mir in diesen Gremien sind, wissen, was das für die großen Individualisten speziell aus dein Süden bedeutet. Wir müssen gleichwohl unseren Einfluß geltend machen, daß wenigstens eine gewisse Übereinstim-



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    mung und Ausrichtung entsteht. Ich glaube, daß dabei — das sei in aller Zurückhaltung und Bescheidenheit gesagt — auch wir Sozialisten in diesem Parlament in der Gruppierung der Abgeordneten aus den sozialistischen Parteien der sechs Länder eine gewisse praktische Arbeit in der Vergangenheit schon haben leisten können. Wir haben immer systematisch versucht, unseren 'Standpunkt so weit anzunähern, daß wir möglichst gemeinsam auftreten konnten, und wir haben es dabei sehr oft erlebt, daß das Lösungen waren, die allgemein als der Ausfluß einer gewissen Gemeinschaftswilligkeit, einer Gemeinschaftssolidarität betrachtet werden konnten.
    Ich will hier nicht kontroverse Diskussionen heraufbeschwören; aber ich muß sagen, daß es dabei nicht immer so abgegangen ist, daß alle anderen Gruppierungen auch in der Lage waren, ähnliche Wege zu gehen. Vielleicht lag das daran, daß wenigstens manche zu inkohärenten Elemente in ihrem Schoß noch vereinen, als daß das Ganze richtig funktionieren könnte. Ich glaube also, wir müssen das Augenmerk der Öffentlichkeit auf die Notwendigkeit richten, daß auf europäischer Ebene politische Gruppierungen unmittelbar in die Verantwortung einzubeziehen sind.

    (Beifall bei .der SPD.)

    Im anderen Falle erleben Sie, daß bestimmte Kräfte auf der europäischen Ebene etwas anderes vertreten als zu Hause bzw. daß sie eine Arbeitsteilung mit anderen haben, die das dann besorgen. Diese Art Lähmung der parlamentarischen Entwicklung möchten wir nicht eintreten lassen. Deswegen war es, glaube ich, recht gut, ein paar Ansatzpunkte für Methoden zur demokratischen Bewältigung der sich vollziehenden Zuständigkeitsverlagerungen aufzuzeigen.
    Wenn wir diese pragmatische Methode hier so betont haben — in der Zielrichtung aber ganz klar —, dann möchte ich hier nur ein kurzes Wort über all die Dinge sagen, die Herr Kollege von Brentano über vergangene Zeiten angeführt hat. Wir wollen auf eine Polemik hier nicht eingehen, keine neue Diskussion hervorrufen. Aber wir müssen uns doch immer vor Augen halten — und das tun wir als Sozialdemokraten —, daß es in der deutschen Politik Situationen gab, wo wir z. B. der Auffassung waren, daß die Ergründung von Möglichkeiten der Wiedervereinigung unter Umständen einen gewissen Vorrang vor Festlegungen, die von vornherein in eine bestimmte Richtung gehen würden, hätte haben müssen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir glauben heute, daß die Entwicklung so weit gegangen ist, daß wir, wenn wir unser Ziel festhalten, andererseits alles tun müssen, damit hier im Westen, in der Bundesrepublik, in Europa wirtschaftliche und soziale Verhältnisse herrschen, die eindeutig beweisen, daß dieses Europa nicht als dekadent, als auseinanderfallend bezeichnet werden kann, sondern als eine Kraft, die sich auch in der Lebensweise und der Lebensart ihrer Menschen dokumentiert.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das ist die Überlegung, die hier anzuschließen wäre.
    Sie werden mir vielleicht vorwerfen können, daß ich mich etwas zu stark mit wirtschaftlichen und sonstigen Fragen befaßt und die politische Entwicklung, so wie sie da und dort manchmal speziell verstanden wird, ein wenig vernachlässigt hätte. Nun, wir sehen dieses Sichherausbilden einer europäischen Union in erster Linie in Ausbau und Festigung der bestehenden Gemeinschaften — ich sage: in erster Linie — und nicht so sehr darin, absolut neue Institutionen in Gang zu bringen. Gewiß dürfen wir bei all diesen Überlegungen über der inneren Festigung den Blick nach draußen nicht vergessen. Wir müssen dabei die gesamteuropäische Verantwortung dieser Gemeinschaft als Gemeinschaft betonen. Ich glaube, es war nur ein rascher Zungenschlag, der nicht ganz .auf das hinlief, was die Gedanken sagen wollten, wenn Herr von Brentano hier davon sprach, daß man Gefahren nur von außerhalb Europas zu erwarten habe. Wir würden meinen, daß unter Europa nicht nur Westeuropa zu verstehen ist, sondern auch der Teil, der heute nicht absolut frei seine Meinung verkünden kann. Wir müssen, wenn wir den Begriff „Europa" gebrauchen, immer auch an das denken.

    (Beifall bei der SPD und bei der FDP.)

    Ich glaube, daß das eine Seite der gesamteuropäischen Verantwortung ist.
    Die andere Seite der gesamteuropäischen Verantwortung hat etwas damit zu tun, daß wir diejenigen aufnehmen, die in diese nach dem Vertrag offene Gemeinschaft eintreten wollen; allerdings unter der Voraussetzung, daß sie nicht das Wesen der Gemeinschaft als solcher zu verändern beabsichtigen. Niemand kann das unterstellen. Die Beitrittsgesuche, die Gesuche um Verhandlungen über den Beitritt z. B. Großbritanniens, Dänemarks und Irlands sind eindeutig so gehalten, und auch die begleitenden politischen Erklärungen gehen eindeutig in die Richtung, daß man eine politische Stärkung akzeptiert und daran mitarbeiten will.
    Wir Sozialdemokraten würden großen Wert darauf legen, daß diese Verhandlungen zügig geführt werden, und würden es begrüßen, wenn sie dazu führten, daß wir möglichst bald diese anderen Staaten in unserer Mitte begrüßen können. Wir versprechen uns u. a. eine Stärkung der demokratischen Grundlagen unserer Gemeinschaft und in den europäischen Ländern überhaupt durch das Hinzutreten von Ländern mit solch starker demokratischer Tradition wie Großbritannien, Norwegen, Dänemark und vielleicht auch Irland.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich glaube, daß .die Betonung des Willens zur Aufnahme derjenigen, die Mitglied werden wollen, die gleiche Betrachtungsweise für die spezielle Lage derjenigen Länder auslösen sollte, die sich nicht in der Lage sehen, unmittelbar um Beitritt zu ersuchen, sondern die ein enges Verhältnis in Gestalt einer Assoziierung mit diesem Markt anstreben. Wir möchten dieses Verhältnis so eng wie irgend möglich gestalten und glauben, daß die besondere gesamteuropäische Verantwortung es die-



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    ser Gemeinschaft nicht gestattet, sich an Entwicklungen desinteressiert zu zeigen, die sonst in Gang kämen. Ich glaube, daß es notwendig war, diesen Gedankengang noch einmal zu betonen.
    Wir haben das Ganze als einen Wachstumsprozeß zu betrachten, den wir fördern möchten, und wissen sehr gut, daß sich — neben dem wirtschaftlichen Bereich — auch die Frage nach einer allmählichen Herausbildung der Voraussetzungen, wie es Herr Kollege von Brentano genannt hat, für eine gemeinsame Außenpolitik und vielleicht auch für eine gemeinsame Politik auf dem Gebiete der kulturellen Beziehungen der Mitgliedstaaten stellt.
    Mit großem Interesse verfolgen wir die Regierungsverhandlungen im Anschluß an die Verlautbarung, die im Sommer vergangenen Jahres von den Regierungs- bzw. Staatschefs in Bonn bzw. Godesberg herausgegeben wurde und die darauf hinauslief, die politische Zusammenarbeit auf diesen Gebieten zu institutionalisieren, ihr eine feste Form zu geben. Unsere Meinung dazu ist, daß regelmäßige Zusammenkünfte der Staats- und Regierungschefs oder der Außenminister durchaus nützlich sein können; aber Voraussetzung ist, daß etwas Zusätzliches, Ergänzendes zu den Gemeinschaften geschaffen wird. Keinesfalls kann es sich darum handeln, die neue Einrichtung, die zwangsläufig zunächst mehr die Konsultation, die Koordinierung zur Aufgabe haben wird, zu einer Einrichtung zu machen, die den bestehenden Gemeinschaften übergeordnet wäre.

    (Beifall bei der SPD.)

    Eine solche Tendenz, die vielleicht hier und dort vertreten wird, würde in Wirklichkeit dazu führen, daß sich das Ganze auf eine Form der Zusammenarbeit der Regierungen mit jederzeitigem Einspruchsrecht zurückentwickelt und daß es nicht zu einer wirklichen Verzahnung nicht nur der Volkswirtschaften, sondern überhaupt der Interessen der Völker kommt.
    Wir wollen keine Rückentwicklung zum Prinzip der Einstimmigkeit mit einem lähmenden Veto. Wir möchten die Weiterentwicklung zu einer demokratischen Vorform einer europäischen Regierung.

    (Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU/CSU.)

    Das setzt voraus, daß die Verantwortung auf wirtschaftlichem Gebiet in zunehmendem Maße auf Gemeinschaftsorgane übergeht, die, wie ich sagte, von einem Gemeinschaftsparlament kontrolliert werden müssen. Ich glaube, daß die Entwicklung zur Mehrheitsentscheidung im Ministerrat die rechte Richtung aufweist.
    Sosehr wir auf der einen Seite die Notwendigkeit anerkennen, zusätzliche Farmen der politischen Zusammenarbeit zu entwickeln, d. h. die Politische Union vorzubereiten, so skeptisch sind wir in bezug auf die Fortschritte, die auf kürzere Sicht zu erzielen sind. Über Konsultationen hinaus wird man gegenwärtig auf außenpolitisches Gebiet kaum kommen können. Ich habe im Augenblick die Rückwirkungen
    auf die Zusammenarbeit in der NATO und auf die Fühlungnahme z. B. mit Großbritannien bewußt außer acht gelassen. Wie unsere Einstellung dazu ist, ist in früheren Debatten im einzelnen dargelegt worden. Nach unserer Auffassung wäre eis daher richtig, wenn sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Regierungen in erster Linie auf die nächsten Schritte konzentrieren würde, die im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft getan werden müssen. Zwar sieht es so aus, als ob damit einer vielleicht nicht gerechtfertigten Betonung wirtschaftlicher Fragen das Wort geredet würde, wenn wir z. B. sprechen von den Zusammenhängen zwischen der Errichtung des Gemeinsamen Marktes und der Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung, der Sicherung der Beschäftigung, den Konsequenzen politischer Art aus dem Abbau der Handelsbeschränkungen und der Einführung eines gemeinsamen Zolltarifs. Wir glauben jedoch, daß die sich vollziehende Verzahnung der Volkswirtschaften und der daraus folgende Zwang, den wirtschaftlichen Großraum handlungsfähig zu machen, das heißt Gemeinschaftsorgane mit eigenen Zuständigkeiten auszustatten, die einer öffentlichen Kontrolle unterliegen, und der Zwang, die Zusammenarbeit der Regierungen zu fördern, über dass Wirtschaftliche hinaus führen werden. Der Erfolg der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft berechtigt zu der Hoffnung, daß sich Europa auf seine Möglichkeiten und auf seine Kraft besinnt. Wir sind sicher, daß das der Fall sein wird, wenn die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft mehr wird als ein wirtschaftlicher Großraum mit freiem Feld für die Geschäftemacher, Lobbysten und Bürokraten. Diese Wirtschaftsgemeinschaft muß ausgebaut werden zu einer wirklichen Gemeinschaft und damit zum bewußt bejahten Sinnbild einer unverbrüchlichen Solidarität der Völker Europas.

    (Beifall bei der SPD und vereinzelt bei Abgeordneten in der Mitte.)