Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren! Ich habe zuerst eine Reihe von Glückwünschen zum Geburtstag auszusprechen, vor allem zum 72. Geburtstag am 25. Mai Herrn Vizepräsidenten Dr. Becker, dem wir insbesondere recht baldige Genesung wünschen,
sodann zum 65. Geburtstag am 27. Mai Herrn Kollegen Bausch,
zum 75. Geburtstag am 6. Juni Herrn Kollegen Kirchhoff
sowie zum Geburtstag heute der Frau Kollegin Wolff .
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat werden die von dem Herrn Bundesminister der Finanzen auf Grund des § 33 Abs. 1 der Reichshaushaltsordnung übersandten Zusammenstellungen über die über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben dem Haushaltsausschuß überwiesen. Eingegangen ist die Zusammenstellung über die über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben für das dritte Vierteljahr des Rechnungsjahres 1959, Drucksache 1849. Ich nehme an, daß das Haus mit der Überweisung dieser Vorlage an den Haushaltsausschuß einverstanden ist. — Kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 10. Juni 1960 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts
Zwölftes Gesetz zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes
Gesetz zu dem deutsch-schweizerischen Abkommen vom 5. Februar 1958 über den Grenz- und Durchgangsverkehr Fünftes StrafrechtsänderungsgesetzSechstes StrafrechtsänderungsgesetzZweites Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen dir Personen, die aus politischen Gründen in Gebieten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland und Berlins in Gewahrsam genommen wurden (2. ÄndG HHG)Gesetz über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet- und Wohnrecht
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6792 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960 6793
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6794 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
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6796 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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um solche Schuldige, die bei uns meist auch durch Gerichte bereits verfolgt werden, zu ermitteln und der deutschen Gerichtsbarkeit zuzuführen, soweit Auslieferungsanträge überhaupt möglich sind. Wenn sich Beschuldigte, wie es hier der Fall gewesen ist, unter falschem Namen im Ausland aufhalten, so läßt sich nie vermeiden, daß ihr Aufenthalt zeitweise unbekannt bleibt.
Eine Zusatzfrage!
Darf ich noch fragen, was zu dem „alles" gehört, das die Bundesregierung unternimmt, um den Verbrechern auf die Spur zu kommen.
Die Bundesregierung unternimmt alles ihr Mögliche, um den Verbrechern auf die Spur zu kommen.
Ich komme zur Frage des Abgeordneten Dr.' Menzel betreffend Auslieferung des ehemaligen Beamten des Auswärtigen Amtes Dr. Klingenfuß:
Trifft es zu, daß die Argentinische Regierung 1958 ein Ersuchen der deutschen Bundesregierung auf Auslieferung des ehemaligen Beamten des Auswärtigen Amts, Dr. Klingenfuß, abgelehnt hat, obwohl Klingenfuß in dem dringenden Tatverdacht steht, an der Verfolgung und Ermordung zahlreicher Juden mitschuldig gewesen zu sein?
Wie lautet der ablehnende Bescheid der Argentinischen Regierung?
Herr Bundesminister, bitte!
Auf Anregung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 11. Oktober 1952 hat die Bundesregierung mit Schreiben an die Argentinische Botschaft vom 20. Oktober 1952 die argentinische Regierung gebeten, Dr. Klingenfuß zur Strafverfolgung wegen Beihilfe zur schriftlichen Aufforderung zur Teil-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960 6797
Bundesminister Schäffernahme an 10 000 Verbrechen der Freiheitsberaubung gemäß § 239 Abs. 1 und 2, §§ 49 a, 49 StGB auszuliefern. Hiervon erhielt Klingenfuß am 6. November 1952 durch die Zeitung Kenntnis. Er begab sich daraufhin am 7. November 1952 zu der Deutschen Botschaft in Buenos Aires, wo er erklärte, daß er einer amtlichen Aufforderung, sich zu stellen, jederzeit Folge leisten würde; da er keinerlei Vermögen besitze, möge man ihm die Reise nach Deutschland finanziell ermöglichen. Hierauf erließ das Landgericht Nürnberg-Fürth am 18. Dezember 1952 den Beschluß:Der Angeklagte Dr. Klingenfuß wird nicht in Untersuchungshaft genommen werden, wenn er sich zu der noch anzuberaumenden Hauptverhandlung oder zu einem anderen Termin, zu dem er vorgeladen wird, in den Bereich der Bundesrepublik Deutschland begibt.Dementsprechend wurde die argentinische Regierung gebeten, die Entscheidung über das deutsche Auslieferungsersuchen zurückzustellen. Dennoch wurden der Bundesregierung im April 1953 die Anlagen zu dem deutschen Ersuchen um Auslieferung des Dr. Klingenfuß zurückgesandt. Beigelegt war ein Schreiben vom 24. März 1953, das in deutscher Übersetzung folgenden Wortlaut hat:Der Generalstaatsanwalt der Nation Auswärtige AngelegenheitenHerr Minister,der Tatbestand, der, wie aus dem auf Blatt 13 übersetzten Haftbefehl hervorgeht, Anlaß zu einem Verfahren gegen Karl Klingenfuß bei dem Gericht Nürnberg-Fürth gab, stellt nach dem argentinischen Strafgesetz keine strafbare Handlung dar.
Es handelt sich tatsächlich um eine vermutete unvollkommene Anstiftung, da die Tat, auf die sie sich bezog, nicht einmal in den ersten Anfängen ausgeführt wurde.Unter diesen Umständen und in Anwendung des in Artikel 2 des Gesetzes 1612 festgelegten Grundsatzes vertrete ich, ohne darauf einzugehen, ob die formalen Voraussetzungen erfüllt sind, die Ansicht, daß dem Auslieferungsersuchen nicht stattzugeben ist.Buenos Aires, den 24. März 1953Folgt Unterschrift.
Eine Zusatzfrage? — Herr Abgeordneter Dr. Menzel!
Herr Bundesjustizminister, ist nach dieser Begründung dec argentinischen Regierung weiteres durch die Strafverfolgungsbehörden unternommen worden, um nunmehr die Vorwürfe gegen Klingenfuß so zu substantiieren, daß die argentinische Regierung, falls ihr diese substantiierten Beschuldigungen mitgeteilt werden, zu einer Auslieferung bereit sein müßte?
Gehört nicht Argentinien zu den Staaten, die vor Kriegsende erklärt haben, sie würden nach Kriegsende keinerlei Naziverbrecher aufnehmen? Und ist die argentinische Regierung auf diese Ihre damalige Erklärung hingewiesen worden, als man das Auslieferungsbegehren stellte?
Mir ist nicht bekannt, daß die argentinische Regierung je erklärt hätte, daß sie sich grundsätzlich weigert, Kriegsverbrecher auszuliefern. Im Gegenteil, ich muß annehmen, daß die argentinische Regierung bei der heutigen Lage bereit wäre, nunmehr wieder neu in Verhandlungen über die Auslieferung von Kriegsverbrechern einzutreten. Zur Zeit besteht ein Vertrag nicht.
Was nun die Sache Klingenfuß selbst anlangt, so darf ich darauf verweisen, daß diese Sache zunächst in bayerischer Zuständigkeit läuft; sie läuft vor dem Landgericht Nürnberg. Mit Rücksicht auf den Beschluß des Landgerichts Nürnberg vom Jahre 1952 wurde Klingenfuß auf Veranlassung des Bayerischen Staatsministers der Justiz davon unterrichtet, daß das Bayerische Staatsministerium der Justiz zur Übernahme der Kosten für die Überfahrt des Verfolgten nach Deutschland bereit sei, daß er seine Reise aber vor Anberaumung einer Hauptverhandlung durch das Landgericht Nürnberg-Fürth nicht antreten solle.
In den Jahren 1957/58 hat dann die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Bamberg mehrmals versucht, das Verfahren gegen Dr. Klingenfuß unabhängig von dem Verfahren gegen Rademacher, dem Dr. Klingenfuß Beihilfe geleistet haben soll, durchzuführen.
Die zuständigen Justizbehörden haben aber nach wie vor erhebliche prozessuale Bedenken gegen die selbständige Durchführung des Strafverfahrens gegen Dr. Klingenfuß. Ich brauche nicht zu erwähnen, daß dem Bundesjustizminister ein Weisungsrecht gegenüber bayerischen Justizbehörden nicht zusteht.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Bundesjustizminister: Sind Sie nicht — unabhängig von einem fehlenden Weisungsrecht — auf Grund der Richtlinien der Politik der Bundesregierung bereit, der bayerischen Regierung, insbesondere dem Herrn bayerischen Justizminister, doch zu empfehlen, die Ermittlungen in Sachen Klingenfuß so voranzutreiben, daß die argentinische Regierung nicht mehr diesen billigen Vorwand wie 1953 benutzen kann? Und wären Sie bereit, ein erneutes Auslieferungsbegehren an Argentinien zu stellen?
Selbstverständlich bin ich bereit, mit dem bayerischen Justizminister wegen dieser Frage Fühlung zu nehmen.
Und warum ist das nicht geschehen?
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6798 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
Herr Abgeordneter Dr. Menzel, diese Zusatzfrage kann ich geschäftsordnungsmäßig nicht mehr zulassen. Das ist Ihnen bekannt.
— Meine Damen und Herren, es steht Ihnen ja frei, in der nächsten Fragestunde eine neue Frage einzubringen.
Meine Damen und Herren, ich habe die Ehre, einen hohen Gast zu begrüßen, den Präsidenten des Storting, des norwegischen Parlaments, Herrn Niels Langhelle.
Ich heiße ihn mit seiner Frau Gemahlin im Deutschen Bundestag herzlich willkommen.
Wir kommen zur Frage des Abgeordneten Wienand betreffend Verfahren wegen Verdachts der Bestechung gegen Beamte:
Wie viele Verfahren wegen Verdachts der Bestechung gegen Beamte sind bereits bei der Staatsanwaltschaft Bonn eingeleitet?
Wie viele Verfahren sind aus nach § 108 StPO sichergestelltem Material noch zu erwarten?
Da aus der Presse bekanntgeworden ist, daß im Bereiche der Staatsanwaltschaften Bonn, Wuppertal, Dortmund, Duisburg und Bielefeld gleichartige Verfahren durchgeführt werden, frage ich die Bundesregierung, wodurch gewährleistet ist, daß die Ermittlungen der Staatsanwaltschaften nicht nebeneinander, sondern koordiniert und entsprechend ausgewertet werden.
Herr Bundesminister, bitte!
Die Anfrage betrifft ausschließlich Strafverfahren aus dem Lande Nordrhein-Westfalen, so daß für die Beantwortung der Herr Justizminister dieses Landes zugständig l wäre. Er hat mir jedoch auf meine Bitte Zahlenmaterial hierfür mitgeteilt. Hierdurch bin ich in der Lage, die Anfrage wie folgt zu beantworten.
Frage 1: Die folgenden Zahlen beziehen sich auf die bei der Staatsanwaltschaft Bonn in der Zeit vom 1. Januar 1958 bis 28. April 1960 gegen Bundes-, Landes- oder Gemeindebeamte wegen Verdachts der Bestechlichkeit anhängig gewordenen Strafverfahren. Ich lasse diejenigen Fälle beiseite, die bei der Staatsanwaltschaft Bonn lediglich durchgelaufen und von ihr aus Zuständigkeitsgründen an andere Staatsanwaltschaften abgegeben worden sind. Hiernach ergibt sich folgender Stand: a) Bei der Staatsanwaltschaft Bonn wurden in dem genannten Zeitraum abschließend bearbeitet 684 Verfahren. Hiervon kamen zur Einstellung 650 Verfahren. Anklage wurde erhoben gegen 34 Beamte. b) Der Stand der 34 Verfahren ist zur Zeit folgender: Verurteilt wurden 22 Beamte . Freigesprochen wurde ein Beamter (nicht rechtskräftig). Die Eröffnung des Hauptverfahrens wurde' abgelehnt für zwei Beamte (nicht rechtskräftig), beschlossen gegen vier Beamte. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens ist noch nichtentschieden gegenüber 5 Beamten.
Eine weitere Zahl von Fällen wird gegenwärtig bei der Staatsanwaltschaft Bonn geprüft. Zur Zeit läßt sich nicht sagen, in wieviel Fällen Anklage erhoben werden wird.
Frage 2: Über das Ausmaß und die Entwicklung der nach § 108 der Strafprozeßordnung noch anfallenden Verfahren lassen sich zur Zeit auch keine annähernden Angaben machen.
Frage 3: Für die Koordinierung zusammenhängender Strafverfahren haben die Staatsanwaltschaften nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung und der Richtlinien für das Strafverfahren zu sorgen.
Erledigt. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft, Frage des Abgeordneten Dr. Friedensburg betreffend Hilfe für die Betriebe des Metallerzbergbaus:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bisher ergriffen bzw. gedenkt sie zu ergreifen, um dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Hilfe für die Betriebe des Metallerzbergbaus vom 14. Januar 1958 — Drucksache 134 — nachzukommen?
Welche Maßnahmen hält die Bundesregierung. überhaupt für notwendig und geeignet, um die Gefährdung des deutschen Metallerzbergbaus, insbesondere die Existenzgefährdung der in ihm beschäftigten Personen, zu verhindern, und welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung, um die Auswirkungen der unberechenbaren Schwankungen der Metallpreise im Metallerzbergbau auszugleichen?
Das Wort hat der Herr Bundesminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantworte die Frage wie folgt: Die Bundesregierung hat dem Metallerzbergbau bereits durch mehrere Maßnahmen Erleichterungen und Hilfen gewährt. Die Belastung der silikosegefährdeten Erzgruben aus ,der Bergbauberufsgenossenschaft konnte auf Veranlassung 'der beteiligten Bundesressorts durch Festsetzung neuer Gefahrentarife in den Jahren 1957 bis 1959 um rund 9 Millionen DM gesenkt werden; davon entfallen rund 40 %, d. h. , 3,6 Millionen DM, auf Betriebe des Metallerzbergbaus.Auf steuerlichem Gebiet sind Richtlinien über die Bewertung von Aufwendungen zur Untersuchung von Kohle- und Erzvorkommen erarbeitet worden, die auch dem Metallerzbergbau Erleichterungen bringen. Für bestimmte Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens kann der Metallerzbergbau die Bewertungsfreiheit nach § 51 Abs. 1 Ziffer 2 Buchstabe n des Einkommensteuergesetzes in Verbindung mit § 81 der Einkommensteuerdurchführungsverordnung in Anspruch nehmen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß auch den unter Tage beschäftigten Arbeitnehmern des Metallerzbergbaus Bergmannsprämien gezahlt werden.Über weitere Maßnahmen sind die von der Bundesregierung veranlaßten Untersuchungen noch nicht abgeschlossen. Die Bundesregierung selbst kann zwar im Verwaltungswege steuerliche Sonderregelungen für den Metallerzbergbau nicht treffen, weil die Verwaltung der Steuern vom Einkommen und vom Ertrag nach dem Grundgesetz den Ländern obliegt. Die beteiligten Bundesressorts haben hierüber jedoch zusammen mit den beteiligten Ländern Untersuchungen angestellt. Die Länder haben auch bereits ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt, weitere Maßnahmen zu treffen, die den besonderen Bedingungen dieses Wirtschaftszweiges Rechnung tragen. Die Unternehmen sind aufgefordert worden, näheres Material über ihre Verhältnisse und über Art und Umfang der etwa für erforderlich gehaltenen Billigkeitsmaßnahmen zur Verfügung zu stel-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960 6799
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhardlen. Es ist vorgesehen, daß die eingeleiteten Untersuchungen fortgesetzt und möglichst bald abgeschlossen werden, sobald das Material vorliegt.Unabhängig von diesen steuerlichen Maßnahmen wird ferner noch geprüft, ob in Einzelfällen Finanzierungshilfen durch Übernahme von Bundesbürgschaften gewährt werden können.Bei den Bemühungen, die die UN-Konferenzen über Blei und Zink zum Ausgleich der Notierungsschwankungen auf internationaler Ebene unternommen haben, hat die Bundesregierung, die auch Mitglied der Internationalen Studiengruppe für Blei und Zink ist, im Interesse des einheimischen Metallerzbergbaus mitgewirkt. Die seit eineinhalb Jahren festgestellte Festigung der Weltmarktpreise für Blei und Zink ist zum wesentlichen Teil auf den Einfluß dieser Organisationen und ihrer weltweiten Zusammenarbeit zurückzuführen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter?
Danke, die Auskunft befriedigt mich.
Wir kommen zur Frage des Abg. Schneider — er wird vertreten, wie ich sehe — betreffend Schutz der deutschen Verkehrsteilnehmer bei durch ausländische Kraftfahrzeuge in der Bundesrepublik verursachten Schäden:
Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um die deutschen Verkehrsteilnehmer angesichts der durch ausländische Kraftfahrzeuge in der Bundesrepublik verursachten Schäden vor der Willkür der ausländischen Versicherungen zu schützen, die ihren Verpflichtungen bei Schadensfällen häufig nicht nachkommen?
Herr Bundesminister!
1. Für Schäden, die durch ausländische Kraftfahrzeuge in der Bundesrepublik verursacht werden, besteht folgende Sach- und Rechtslage: Nach dem Ausländerpflichtversicherungsgesetz müssen alle Kraftfahrzeughalter bei der Einreise durch eine Versicherungsbescheinigung nachweisen, daß sie eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen haben, die den innerdeutschen Mindestversicherungssummen und den innerdeutschen allgemeinen Versicherungsbedingungen entspricht.
2. Der Nachweis der Versicherung kann nur durch die Vorlage der sogenannten Grünen Internationalen Versicherungskarte oder durch die Einlösung eines Grenzversicherungsscheines beim Grenzübertritt erbracht werden.
3. Der inländische Geschädigte muß sich bei Schadenseintritt alle wesentlichen Daten der Grünen Karte oder der Grenzpolice merken. Dazu gehören: Name und Anschrift des Schädigers, Nummer der Grünen Karte mit Länderbuchstaben oder Nummer der Grenzpolice, möglichst auch Name der ausländischen Gesellschaft, die die Grüne Karte ausgegeben hat. Im Falle der Grünen Karte muß der Geschädigte sich unter Mitteilung dieser Daten an den Verband der Haftpflicht-, Unfall- und Kraftverkehrsversicherer — HUK-Verband — in Hamburg wenden, der alsdann für die Regulierung seines Schadens Sorge trägt. Bei einer Grenzpolice genügt ebenfalls die Anmeldung des Anspruchs unter Mitteilung der angeführten Daten beim HUK-Verband oder bei einem der diese Grenzpolice tragenden 18 Versicherungsunternehmen.
4. Die Bundesregierung hat somit durch das Ausländerpflichtversicherungsgesetz in Verbindung mit der Anerkennung der Grünen Karte und der Schaffung der Grenzpolice bewirkt, daß das deutsche Verkehrsopfer bei der Verfolgung seiner Schadensersatzansprüche gegenüber einem ausländischen Schädiger so gestellt wird, als ob ein deutscher Haftpflichtversicherer hinter dem Schädiger stünde. Ihr ist nicht bekannt, daß im Rahmen dieses Systems Verkehrsopfer ausländischer Schädiger nicht hinreichend befriedigt worden sind.
Die Frage ist erledigt.
Wir kommen zur Frage des Abgeordneten Börner betreffend Lage des nordhessischen Braunkohlebergbaues:
Ist der Bundesregierung die schwierige Lage des nordhessischen Braunkohlenbergbaus bekannt?
Ist die Bundesregierung bereit, aus dem Aufkommen der Heizölsteuer auch für die Betriebe des Braunkohlenbergbaus in Nordhessen eine Frachthilfe für Kohlentransporte zu gewähren, um damit die Benachteiligung dieses Wirtschaftszweiges durch die Zonengrenzziehung zu einem Teil auszugleichen?
Bitte, Herr Bundesminister.
Die Bundesregierung hat die Frage, ob die nach der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 9. März 1960 aus dem Aufkommen der Heizölsteuer zu leistende Frachthilfe auch für Transporte von Braunkohlen und Braunkohlenerzeugnissen gewährt werden könne, eingehend geprüft. Sie hat dabei insbesondere auch die — ihr bekannte — schwierige Lage des nordhessischen Braunkohlenbergbaus in den Kreis der Betrachtungen gezogen.Diese Prüfung hat leider ergeben, daß die Frachthilfe auf Braunkohlen und Braunkohlenerzeugnisse nicht erstreckt werden kann, und zwar aus folgenden Gründen:1. Entgegen der Regierungsvorlage sind die Steuersätze für schweres und mittelschweres Heizöl von 30 DM/t auf 25 DM/t und für leichtes Heizöl von 30 DM/t auf 10 DM/t herabgesetzt worden. Dadurch werden sich die aus dem Heizölsteueraufkommen erwarteten Mittel verringern. Eine Einbeziehung der gesamten Braunkohle in die aus dem Heizölsteueraufkommen zu finanzierende Frachthilfe ist unter diesen Umständen nicht möglich. Sie würde jährlich einen finanziellen Aufwand von etwa 25 Millionen DM erfordern. Andererseits kann der für soziale Leistungen aus dem Heizölsteueraufkommen zu bestreitende Betrag selbstverständlich nicht gekürzt werden.Leider ist es auch nicht möglich, für die nordhessische Braunkohle eine Sonderregelung vorzusehen,
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6800 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhardweil dadurch eine Berufungsmöglichkeit für die anderen Braunkohlenreviere — so auch für das bedeutende rheinische Braunkohlenrevier — geschaffen würde, die an die Bundesregierung ebenfalls mit der Forderung um Einbeziehung in die Frachthilfe herangetreten sind.2. Selbst wenn die erforderlichen Mittel aus dem Heizölsteueraufkommen zur Verfügung ständen, wäre die Bundesregierung aus rechtlichen Gründen nicht in der Lage, die Frachthilfe auf Braunkohle und Braunkohlenerzeugnisse auszudehnen. Gemäß Artikel 4 des Mineralölsteueränderungsgesetzes dient das Aufkommen aus der Besteuerung der Heizöle für Maßnahmen zur Anpassung des Steinkohlenbergbaus an die veränderte Lage auf dem Energiemarkt. Der einleitende Satz der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 9. März 1960 wiederholt diese Zweckbestimmung.Die Bundesregierung würde daher dem Gesetz zuwiderhandeln, wenn sie die Mittel aus dem Heizölsteueraufkommen auch zugunsten des Braunkohlenbergbaus einsetzen würde.Ich möchte jedoch nochmals betonen, daß die Bundesregierung die besondere Lage .des nordhessischen Braunkohlenbergbaus nicht verkennt und daß sie sich bemühen wird, dieser Lage bei anderen Gelegenheiten soweit als möglich Rechnung zu tragen.
Eine Zusatzfrage? Abgeordneter Börner, bitte.
Herr Minister, sind Sie sich darüber im klaren, daß die Standortbedingungen der rheinischen Braunkohlenindustrie, von der Sie eine Berufungsmöglichkeit fürchten, keinesfalls mit denen der nordhessischen Braunkohlenindustrie verglichen werden können, und ist sich die Bundesregierung der Tatsache bewußt, daß bei dieser Interpretation des Gesetzes eine weitgehende Verschiebung auf dem Energiemarkt eintreten wird, daß nämlich der Verbraucher von der Braunkohle nicht zur Steinkohle, die durch das Gesetz gestützt werden soll, sondern zum 01 abwandern wird?
Eine Lösung der Probleme der Braunkohle kann nach meiner Auffassung auf keinen Fall mit Hilfe des Heizölsteueraufkommens gefunden werden. Wenn die Notwendigkeit besteht, die Existenzgrundlagen für die Braunkohle zu festigen, dann muß das auf andere Weise geschehen.
Eine weitere Zusatzfrage!
Welche konkreten Vorstellungen hat die Bundesregierung hinsichtlich der Hilfen, die den betroffenen Zonengrenzbetrieben des Braunkohlebergbaus gewährt werden können?
Die Bundesregierung hat noch keine konkreten Vorstellungen.
Wir kommen zur Frage des Abgeordneten Jahn betreffend Wettbewerbsfähigkeit der Industrie im Lahn-DillGebiet:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie im Lahn-DillGebiet nach dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaft vom 10. Mai 1960 zu ergreifen?
Herr Bundesminister, bitte!
Der Anfrage des Herrn Abgeordneten Jahn liegt zugrunde, daß unter anderem der für das LahnDill-Gebiet geltende Kohle-Ausnahmetarif 6 B 30 bzw. die Erz-Ausnahmetarife 7 B 3 und 7 S 2 der Deutschen Bundesbahn stufenweise angehoben werden müssen. Die entsprechende Entscheidung der Hohen Behörde ist durch Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 10. Mai 1960 bestätigt worden.
Der Fortfall der Frachtvergünstigungen bedeutet für die unmittelbar betroffenen Unternehmen der Eisenerzeugung und des Eisenerzbergbaus eine Verschlechterung ihrer Ertrags- und Wettbewerbslage; sie sind durch größere Transportwege beim Bezug und bei der Lieferung insbesondere von Rohstoffen gegenüber günstiger gelegenen Gebieten benachteiligt.
Inwieweit die Unternehmen des Lahn-Dill-Gebietes in der Lage sein werden, durch eigene Anpassungsmaßnahmen und unterstützt durch die günstige konjunkturelle Lage die Nachteile aus der Anhebung der Ausnahmetarife zu verringern, läßt sich in diesem Augenblick noch nicht beurteilen.
Eine Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, wäre die Bundesregierung für den Fall, daß die Unternehmen die notwendigen Maßnahmen aus eigener Kraft nicht verwirklichen können, bereit, die erforderlichen Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen einzuleiten?
Diese Frage läßt sich erst nach Untersuchung der Struktur, der sonstigen Bedingungen, der allgemeinen Wirtschafts- und der besonderen Unternehmenslage beantworten. Grundsätzlich ist die Bundesregierung dazu bereit.
Eine weitere Frage!
Bestehen bei der Bundesregierung überhaupt irgendwelche Vorstellungen darüber, welche Maßnahmen gegebenenfalls in Frage kommen könnten?
Nein! Die Entscheidung ist noch jüngeren Datums. Wir müssen erst die veränderte Situation untersuchen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960 6801
Wir kommen zu einer weiteren Frage des Herrn Abgeordneten Jahn betreffend Auswirkungen des Urteils des Gerichtshofes, das soeben erwähnt wurde, auf die deutsche Wirtschaft:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Auswirkungen des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaft vom 10. Mai 1960 auf die Wirtschaft, insbesondere die Eisenindustrie im Lahn-Dill-Gebiet?
Bitte, Herr Bundesminister.
Die Auswirkungen, die durch stufenweise Anhebung der Kohle- und Erz-Ausnahmetarife auf Grund des Urteils des Europäischen Gerichtshofes eintreten, sowie etwa notwendige Gegenmaßnahmen werden zur Zeit von der Bundesregierung geprüft. Dabei spielt die Überlegung eint. Rolle, ob und welche tarifarischen Maßnahmen 1.r Kohle und Eisenerz getroffen werden können, die nach den Vorschriften des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zulässig und geeignet sind, auch der Lage des LahnDill-Gebietes Rechnung zu tragen. Wegen der kurzen seit dem Urteil des Gerichtshofes verstrichenen Zeit sind die erwähnten Tarifüberlegungen noch nicht abgeschlossen.
Eine Zusatzfrage!
Herr Minister, da Sie wiederholt darauf hingewiesen haben, daß die Bundesregierung noch keine ausführlichen Überlegungen habe anstellen können, weil die Entscheidung sehr jungen Datums sei, möchte ich fragen, ob es stimmt, daß die Hessische Landesregierung bereits seit mehrereren Jahren wegen dieses Fragenkomplexes mit der Bundesregierung verhandelt, und wie die Stellungnahme der Bundesregierung zu den entsprechenden Vorstößen der Hessischen Landesregierung gewesen ist.
Ich bin über die Verhandlungen im einzelnen nicht unterrichtet und darf mir vorbehalten, Ihnen diese Frage schriftlich zu beantworten.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts, und zwar zunächst zur Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer betreffend Verhalten des deutschen Generalkonsuls in Istanbul gegenüber Bildern deutscher Kaiser, Reichs- und Bundespräsidenten:
Wie hätte sich nach Meinung der Bundesregierung der deutsche Generalkonsul in Istanbul bei einer Besprechung der Außenminister der drei Westmächte und der Bundesrepublik in seinen Räumen am 1. Mai 1960 verhalten müssen:
Hat sich der Generalkonsul richtig verhalten, als er das Bild Wilhelms II. im Kurierzimmer vorübergehend abstellte . und das Wilhelms I. an seinem Platz beließ?
Hätte er beide Bilder den Blicken der Außenminister der verbündeten Staaten entziehen sollen?
Hätte neben dem Bildnis Kaiser Wilhelms I. auch das Kaiser Wilhelms II. hängenbleiben sollen?
Weiß die Bundesregierung, ob auch die Bilder von Reichs- und Bundespräsidenten das Generalkonsulat zieren?
Das Wort hat der Herr Bundesaußenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die Anfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer erwidere ich folgendes:
Erstens. Ein großes Ölbild Kaiser Wilhelms I. hängt seit Jahrzehnten in einem Sitzungssaal der früheren Botschaft, des jetzigen Generalkonsulats, in Istanbul. Es erinnert daran, daß das Grundstück, auf dem seinerzeit die Botschaft errichtet worden ist, von Sultan Abdul Hamid dem deutschen Kaiser Wilhelm I. geschenkt worden ist. Wenn Herr Abgeordneter Dr. Mommer die Frage stellt, ob der Generalkonsul dieses Bild den Blicken der Außenminister der verbündeten Staaten hätte entziehen sollen, so beantworte ich diese Frage mit Nein.
Zweitens. Ein Bild Kaiser Wilhelms II. war niemals in den Räumen des Generalkonsulats aufgehängt. Vor einigen Monaten wurde bei Aufräumungsarbeiten in einer Kiste ein Ölbild gefunden, das Kaiser Wilhelm II. in der Uniform eines Feldmarschalls der alten türkischen Armee zeigt.
Das Bild stammt aus dem Jahre 1918. Es ist, wie ich selber feststellen konnte, ungewöhnlich scheußlich.
Wenn der Herr Abgeordnete Dr. Mommer die Frage stellt, ob neben dem Bildnis Kaiser Wilhelms I. auch das Bild Kaiser Wilhelms II. hätte hängenbleiben sollen, so antworte ich darauf: es konnte nicht hängenbleiben, weil es nie gehangen hat.
Um eine mögliche Zusatzfrage schon zu beantworten, stelle ich fest, daß die Qualität dieses Bildes jede Diskussion darüber ausschließt, ob es angebracht werden soll oder nicht.
Drittens. Es ist selbstverständlich, daß das Bild des Herrn Bundespräsidenten im Dienstzimmer des Generalkonsuls und auch im Warteraum angebracht ist. Bildnisse früherer Reichspräsidenten sind nicht vorhanden.
Herr Abgeordneter Mommer, Sie sind noch nicht befriedigt? — Eine Zusatzfrage!
Ich darf vielleicht — abweichend von der Regel, Herr Präsident — eine kleine Bemerkung machen und sagen, daß der Herr Außenminister meine Frage in dem Geiste beantwortet hat, in dem ich sie gestellt hatte.
Aber jetzt wird es ernst, Herr Außenminister: ist es richtig, daß das Amt eine Anordnung an unsere diplomatischen Dienststellen gegeben hat, das Bild des Altbundespräsidenten in den Amtsräumen ab-
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6802 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
Dr. Mommerzuhängen und nur das Bild des amtierenden Bundespräsidenten in den Diensträumen an den Wänden zu lassen?
Herr Kollege Mommer, ich bin überfragt. Ich habe eine solche Anweisung nicht gegeben. Ich hätte sie auch nicht gegeben, und wenn sie gegeben worden sein sollte, werde ich dafür sorgen, daß sie alsbald revidiert wird.
Damit kommen wir zur nächsten Frage. Es ist die Frage des Abgeordneten Dr. Bucher betreffend die Autonomie von Südtirol:
Ist die Bundesregierung bereit, die ihr befreundete Regierung Italiens dahin zu informieren, daß es in der Bundesrepublik einen ausgezeichneten Widerhall finden würde, wenn von seiten der italienischen Regierung den berechtigten Wünschen der Südtiroler bezüglich der praktischen Verwirklichung der ihnen vertraglich zugesicherten Autonomie Rechnung getragen würde?
Herr Bundesminister, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die Anfrage des Kollegen Dr. Bucher erwidere ich folgendes. Nach Auffassung der Bundesregierung ist die Behandlung der Südtirol-Frage Osterreich und Italien als den Unterzeichnerstaaten des Gruber-de Gasperi-Abkommens vom September 1946 vorbehalten. Eine deutsche Initiative, auch in der von Ihnen vorgeschlagenen Form, in dieser Richtung würde als Einmischung in die Angelegenheiten dieser Länder aufgefaßt werden.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Bucher!
Ist die Bundesregierung nicht der Ansicht, daß die Autonomie, die den Südtirolern in dem Abkommen von 1946 zugestanden worden ist, ihnen doch zugleich gewisse Grundrechte verbürgt unid daß deshalb die angeschnittene Frage über ein rein italienisch-österreichisches Problem hinausgeht?
Sieht die Bundesregierung — um damit gleich die zweite Zusatzfrage zu verbinden — nicht ein Möglichkeit, etwa bei Gelegenheit der Ferienaufenthalte des Herrn Bundeskanzlers, bei denen er ja mit dem italienischen Regierungschef zusammenzutreffen pflegt, einmal auf diese Dinge hinzuweisen. — also nicht in Form einer diplomatischen Note, sondern auf elegantere Art?
Auf die erste Frage, Herr Kollege Bucher, möchte ich folgendes antworten. Die Interpretation des Abkommens, die Sie geben, mag richtig sein. Aber darüber zu entscheiden, wie das Abkommen zu interpretieren ist, ist, glaube ich, Sache irgendeiner zuständigen Stelle, sei es — Sie wissen, daß darüber diskutiert wird —, daß eventuell die Haager Cour damit beschäftigt wird oder daß sich die UNO damit beschäftigt. Ich glaube, es wäre nicht richtig, daß wir eine Interpretation in einer Sache gäben, an der Deutschland nicht unmittelbar beteiligt ist.
Auf die zweite Frage möchte ich antworten: über die persönlichen Gespräche, die in diesen Fällen geführt werden, möchte ich hier im Plenum keine Auskunft geben.
Wir kommen zu einer weiteren Frage des Abgeordneten Dr. Bucher. Sie betrifft Äußerungen des amerikanischen Publizisten William Schlamm über Staatssekretär van Scherpenberg:
Was sagt die Bundesregierung dazu, daß der austro-amerikanische Publizist William S. Schlamm mit Bezug auf die Auskunft, die der Herr Staatssekretär im Auswärtigen Amt in der Fragestunde des Bundestages am 17. Februar 1960 dem Abgeordneten Lohmar erteilt hat,
1. am 6. April 1960 in Wuppertal vor Pressevertretern gesagt hat: ,,Ach, der gute Herr van Scherpenberg, der hat ja keine Ahnung", . .,,Wollen wir abwarten, ob Herr van Scherpenberg die Ansicht der Bundesregiernug vertritt .. . Herr van Scherpenberg vertritt nicht die Politik der Bundesregierung . . . Eine solche Äußerung, wie die des Herrn van Scherpenberg wird sich in der deutschen Politik nicht wiederholen. Sie werden es sehen!",
2. am 12. Mai 1960 in Bonn bei einer Studentenversammlung in der Mensa auf eine Frage des Bundestagsabgeordneten Nellen gesagt hat: „Ich habe das Gefühl, daß der Staatssekretär nicht genau wußte, wovon er sprach, und daß er mit dem, was er sagte, nicht in allen Punkten die Meinung der Regierung vertrat!",
3. anschließend an diese Feststellung erklärt hat, er habe in einer persönlichen Unterhaltung mit dem Herrn Staatssekretär van Scherpenberg festgestellt, daß dieser ganz andere Auffassungen gegenüber seinen Thesen vertrete?
Bitte, Herr Bundesminister!
Auf die Anfrage des Kollegen Bucher möchte ich folgendes antworten:Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amtes hat auf die Frage des Herrn Abgeordneten Lohmar am 17. Februar 1960 vor diesem Hohen Hause folgendes erwidert:Zur Frage der Wiedervereinigung mit der sowjetisch besetzten Zone und zur Frage der deutschen Ostgebiete hat die Bundesregierung immer wieder erklärt, daß sie ihre Ziele niemals mit Mitteln der Gewalt, sondern ausschließlich auf dem Wege einer friedlichen Verständigung verwirklichen will.Und er stellte fest, daß es beleidigend sei, der Bundesregierung zu unterstellen, daß sie eine andere Auffassung haben könnte.Zu Ihrer Frage, Herr Kollege Bucher, was die Bundesregierung zu Äußerungen sage, die der Publizist über diese Antwort in der Öffentlichkeit gemacht habe:Wenn Herr Schlamm behauptet, daß Herr Staatssekretär van Scherpenberg in einer persönlichen Unterhaltung mit ihm eine andere Auffassung gegenüber seinen Thesen vertreten habe, so stelle ich fest, daß diese Angabe nicht wahr ist. Herr Staatssekretär van Scherpenberg hat Herrn Schlamm niemals gesehen, geschweige denn gesprochen.
Als Antwort auf die beiden anderen Punkte Ihrer Anfrage scheint es mir genügend, wenn ich zitiere, was der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 24. Mai gesagt hat:
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960 6803
Bundesaußenminister Dr. von BrentanoIn voller Übereinstimmung mit dem Kommuniqué des NATO-Rats erklärt auch die Bundesregierung, daß alle offenen Fragen nicht durch die Anwendung oder Androhung von Gewalt, sondern durch friedliche Mittel auf dem Verhandlungswege geregelt werden sollen, und sie erklärt auch ihrerseits, daß sie bereit ist, in Zukunft derartige Verhandlungen zu fördern.
Wir kommen zur Frage des Abgeordneten Erler betreffend Verweigerung der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis in Griechenland für deutsche Staatsangehörige:
Wie viele Fälle sind dem Auswärtigen Amt bekannt, in denen die griechischen Behörden deutschen Staatsangehörigen, die bei Tochter- oder Vertreterfirmen deutscher Unternehmen tätig sind, die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis in Griechenland verweigert haben?
Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um die griechische Regierung zu einer wohlwollenderen Behandlung der im gemeinsamen deutsch-griechischen Interesse liegenden Tätigkeit deutscher Staatsangehöriger bei solchen Firmen zu veranlassen?
Bitte, Herr Minister!
Auf die Frage des Herrn Kollegen Erler gebe ich folgende Antwort:
Die Anzahl der Fälle, in denen die griechischen Behörden deutschen Staatsangehörigen, die bei Tochter- und Vertreterfirmen deutscher Unternehmen tätig sind, die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis in Griechenland verweigert haben, ist nach unseren Feststellungen gering. Die genaue Zahl ist weder dem Auswärtigen Amt noch dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung noch der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung bekannt.
Um den gesamten Fragenkomplex zu einer befriedigenden Lösung zu führen, hat das Auswärtige Amt bereits vor Jahren der griechischen Regierung den Abschluß eines Niederlassungsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland vorgeschlagen. Seit dem 17. März 1959 wurden wegen des Abschlusses dieses Vertrages zwischen den beiden Staaten Verhandlungen geführt. Am 18. März 1960 wurde der genannte Vertrag in Bonn unterzeichnet. Er ist jedoch noch nicht ratifiziert. Ferner wurde am 30. März 1960 eine Regierungsvereinbarung über die Anwerbung und Vermittlung von griechischen Arbeitnehmern nach der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen.
Auf Grund dieser vertraglichen Abmachungen hofft die Bundesregierung sichergestellt zu haben, daß deutschen Arbeitnehmern in Griechenland zukünftig keine unzumutbaren Schwierigkeiten bei der Erteilung bzw. Verlängerung der Arbeitsbewilligung mehr erwachsen.
Eine Zusatzfrage? — Herr Abgeordneter Erler!
Darf ich fragen, Herr Minister, welche Hindernisse der Ratifizierung des Niederlassungsvertrages im Wege stehen und ob bis zur
Ausräumung dieser Hindernisse jetzt schon mit der griechischen Regierung darüber gesprochen werden kann, die Behinderungen deutscher Staatsbürger bei der Aufnahme ihrer Tätigkeit in Griechenland einzustellen?
Auf die zweite Frage kann ich antworten, daß wir das schon getan haben, daß wir selbstverständlich schon vorstellig geworden sind und daß in der letzten Zeit auch keine Klagen mehr gekommen sind.
Auf die erste Frage, muß ich Ihnen gestehen, vermag ich im Augenblick eine Antwort nicht zu geben, welche Gründe die Ratifizierung bisher verhindert haben. Ich nehme an, daß es einfach eine Frage der Zeit ist — ich sagte, das Abkommen ist vom 30. März — und daß es deswegen noch nicht eingereicht worden ist. Ich werde mich aber um die Sache kümmern und Ihnen schriftlich antworten.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern, zunächst zur Frage des Abgeordneten Dr. Miessner betreffend Besoldungsregelung im öffentlichen Dienst.
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die durch die Besoldungsneuregelung hervorgerufene offensichtliche Benachteiligung der Bundesbeamten gegenüber den Beamten der Länder und Gemeinden zu beseitigen, die entweder die Gehaltsanhebung bereits zu einem früheren Zeitpunkt erhalten haben oder die gezahlten Vorschüsse als nicht anrechenbare Teuerungszulagen nicht zurückzuzahlen brauchen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antwort lautet: Die Bundesregierung bedauert, daß bezüglich des Zeitpunktes des Inkrafttretens der Besoldungserhöhung Verschiedenheiten zwischen Bund und Ländern bestehen. Daran läßt sich, so unerwünscht der Zustand ist, nichts ändern. Für die Bundesbediensteten ist die vom Bundesgesetzgeber getroffene Entscheidung maßgebend.
Eine Zusatzfrage.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß wegen dieser Zurücksetzung der Bundesbeamten besonders bei Bahn und Post größte Unruhe entstanden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Davon ist mir nichts bekannt. Ich kann im übrigen nur nochmals darauf verweisen, daß die Angelegenheit durch die Entscheidung des Bundestages, die nach eingehender Debatte getroffen worden ist, abgeschlossen sein dürfte. Ich glaube, Herr. Abgeordneter, man sollte diese ganze Besoldungsangelegenheit, die seinerzeit erstmals vor diesem Hohen Hause im Rahmen einer Fragestunde zwischen uns erörtert worden ist, auf sich beruhen lassen.
Danke sehr.
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6804 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
Meine Damen und Herren! Die für die Fragestunde vorgesehene Zeit ist abgelaufen. Die weiteren Fragen wenden in der Fragestunde am 24. Juni beantwortet werden.
Die nächste Fragestunde ist dann am 1. Juli. Sperrfrist für eingehende Fragen: Freitag, der 24. Juni, 15 Uhr.
Ich komme zu Punkt 2 ,der Tagesordnung:
Beratung der Sammelübersicht 21 des Ausschusses für Petitionen über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen (Drucksache 1891).
Wird hierzu das Wart gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich nehme an, daß das Hohe Haus dem Antrag des Ausschusses zustimmt. — Das ist der Fall; es ist so beschlossen.
Ich komme zu Punkt 3 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Wirtschaftsbeziehungen zum Ausland, insbesondere zu den Entwicklungsländern .
Das Wort hat der Herr Vizekanzler.
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6806 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
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Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Kalbitzer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Sozialdemokraten haben um die Aussprache schon in der ersten Lesung gebeten, weil sie glauben, daß das nützlich ist. Schon die einleitenden Worte des Herrn Wirtschaftsministers haben gezeigt, daß es nützlich ist, die Gelegenheit zu einer gründlichen Aussprache über die politischen Fragen, die wir gegenüber den Entwicklungsländern zu lösen haben, und über die Gesamtpolitik diesem größeren Teil der Welt gegenüber zu benutzen.Schon zu Anfang möchte ich sagen, daß, so interessant und so positiv einzelne Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers von mir bewertet werden, ich es aufs tiefste bedauern muß, daß von seiten der Regierung nicht der Vertreter der Bundesregierung hier anwesend ist, den das nach unserer Meinung in erster Linie angeht, nämlich der Herr Bundesaußenminister. Wenn Sie, Herr Profes-
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6808 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
Kalbitzersor Erhard, hier als Vizekanzler gesprochen hätten, würde ich das als glücklich akzeptieren. Da Sie aber nur als Wirtschaftsminister gesprochen haben, muß ich sagen, daß das Problem von vornherein nicht in seiner Gänze ins Auge gefaßt worden ist.
Die Frage der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ist ein wichtiger Aspekt der Gesamtfrage, aber sie ist nicht der Aspekt schlechthin. Ich werde auf die Notwendigkeit der Konzentration dieser Arbeit auch von seiten der Bundesregierung noch weiter eingehen.Weil es sich hier aber um eine grundsätzliche Aussprache handelt, möchte ich zum Problem selber noch etwas ergänzen. Die Bevölkerung unserer Erde hat sich im 20. Jahrhundert bis jetzt ungefähr verdoppelt. Die Technik, der Fortschritt, hat den Wohlstand in dem Teil der Welt, der industrialisiert ist, in unerhörtem Maße gesteigert. Aber das bedeutet nicht, daß Technik, Industrie und Wohlstand etwa der ganzen Menschheit zugute gekommen sind. Im Gegenteil, der Durchschnitt der Erdbevölkerung ist heute in einer elenderen Lage als vor 60 Jahren. Im Durchschnitt der Erdbevölkerung haben die Menschen heute weniger Kalorien zu essen als vor zwei Generationen. Die Schaffung von Arbeitsplätzen im Weltmaßstab ist hinter der Bevölkerungsvermehrung zurückgeblieben, und die Wohlstandssteigerung in den Industriestaaten hat im Weltdurchschnitt nicht die Verelendung in dem größeren Teil der Erde, Asien, Afrika und Lateinamerika, überflügeln können.Diese völlige Verkehrung der Gewichte bedeutet für unsere heutige Generation, für die mittlere Generation, daß wir noch eine totale Veränderung der Weltpolitik und der menschlichen Gesellschaft als Ganzes erleben. Die Entwicklungsländer als der zahlenmäßig weit überwiegende Teil der Menschheit werden zu einer eigenen weltpolitischen Kraft wenden, weniger durch ihre in herkömmlicher Art gesehene militärische Stärke als vielmehr durch die unerhörte Masse. Hier wird sich in der Politik zeigen, daß die Quantität in eine Qualität umschlägt und daß das moralische Recht dieser Menschen, die ohne ihr eigenes Verschulden im Elend leben, zu einer weltpolitischen Kraft wird. Es ist unsere Aufgabe als Deutsche, auf dieses moralische Recht der Menschenmassen einzugehen und alles zu tun, sie aus idem — wie man es schon genannt hat — Teufelskreis des Elends herauszuführen.Diese Entwicklung in weiten Teilen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas findet natürlich auch ein erweitertes Betätigungsfeld für die Austragung der augenblicklich unsere Politik beherrschenden ostwestlichen Gegensätze. Dabei wird in der deutschen Öffentlichkeit ein Faktor sehr leicht verkannt. Es ist nicht so, daß heute die Sowjetunion und der Ostblock in der Frage der Entwicklungspolitik etwas mehr täten oder weiter wären oder eine längere, ältere Konzeption hätten als der Westen. Im Gegenteil, das erste Land, das sich mit Entwicklungspolitik wirklich fundiert befaßt hat, waren die Vereinigten Staaten ,als das industriell am weitesten entwickelteLand. Seit dem zweiten Weltkrieg haben sie als erste den ökonomischen und politischen Problemen der Entwicklungsländer Aufmerksamkeit gewidmet. Die Sowjetunion ist an dieses Problem erst sehr viel später herangetreten, und zwar nach dem Tode Stalins, etwa im Jahre 1954. Erst dann hat sie die eigene Rolle der Entwicklungsländer in der Weltpolitik erkannt. Sie hat )allerdings aus dieser Erkenntnis schnell und gründlich politische Schlußfolgerungen .gezogen. Im Gegensatz dazu haben die Vereinigten Staaten von Amerika in den letzten Jahren ihre Politik gegenüber den Entwicklungsländern offenbar nicht von dem Geist der wirtschaftlich und gesellschaftlich fortschrittlichen Entwicklung dieser Massen leiten lassen, sondern sie haben in weiten Teilen der Welt, besonders in Asien, ihre Politik gegen die sozial fortschrittlichen Elemente gemacht, und es hat deshalb in diesen Teilen Asiens in der letzten Zeit schwere Rückschläge für die westliche Politik gegeben.Die Politik der Bundesrepublik in dieser Frage stammt etwa aus dem Jahre 1955, als wir Sozialdemokraten als erste den Vorschlag machten, 50 Millionen DM für technische Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern zur Verfügung zu stellen. Damals war die Regierung noch nicht so weit, das Problem anzufassen. Das Parlament hat damals den fortschrittlicheren Part gespielt. Das Parlament hat die Bundesregierung gepreßt, in dieser Richtung etwas zu tun, und ich hoffe, daß .das Parlament auch weiterhin diese Rolle spielen und in der Frage der Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern alles mögliche tun wird, was wir zu tun nur in der Lage sind.Nun lassen Sie mich zu der vorliegenden Drucksache 1597 kommen. Schon auf der ersten Seite scheint mir der Fehler zu liegen, den ich eingangs moniert habe, daß nämlich das Auswärtige Amt bei diesem Gesetzentwurf gar nicht genannt wird, geschweige denn, daß es etwa die Federführung hätte. Wir sind grundsätzlich der Meinung, daß die Frage der Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern eine Frage der Außenpolitik und deshalb des Auswärtigen Amtes ist. Dais bedeutet in gar keiner Weise, daß wir etwa dem einen Ministerium eine höhere Qualifikation als einem anderen zuerkennen. Wenn man zu dem Schluß käme — ich spreche im Konjunktiv —, daß das Auswärtige Amt im Augenblick für diese Arbeit absolut ungeeignet sei, so müßte nach unserer Meinung das Auswärtige Amt eben so weit aufgebaut werden, daß es dazu in der Lage ist. Man kann aber diese Frage der Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern nicht dem Wirtschaftsministerium überlassen, weil — und darauf hat der Herr Bundeswirtschaftsminister ja dankenswerterweise hingewiesen — kulturelle und gesamtpolitische Fragen wesentliche Rollen spielen.
Die Entwicklungspolitik wird augenblicklich in der Bundesregierung — soweit wir haben in Erfahrung bringen können — von wahrhaftig allen Ministerien bis auf ein einziges behandelt. Mit Ausnahme des Justizministeriums sind augenblicklich
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Kalbitzeralle Bundesministerien mit Entwicklungspolitik befaßt. Ja, es ist, soweit ich informiert bin, vor einiger Zeit vorgekommen, daß sich der Herr Staatssekretär des Ministeriums für Zusammenarbeit mit dem Bundesrat eine Rede über Entwicklungspolitik hat konzipieren lassen. Nun, wenn das dessen persönliche Sorge wäre, — in allen Ehren; aber wenn er das als eine in sein Amt reichende politische Aufgabe ansieht, ist es mir ein Indiz dafür, daß die Frage der Entwicklungspolitik in dieser Bundesregierung überhaupt nicht koordiniert ist, daß dort keine Führung und keine Spitze vorhanden ist.Aber auch innerhalb des Auswärtigen Amtes, das nach unserer Meinung die Leitung dieser Politik haben müßte, werden so gut wie alle Abteilungen mit diesen Fragen befaßt. Soweit man aus den gegebenen Übersichten ersehen kann, ist nur in einer Abteilung, der handelspolitischen Abteilung, eine Unterabteilung wirklich ausschließlich mit diesem Thema befaßt. Der Leiter dieser Unterabteilung, ein Mann, der sich alle Mühe gibt, wie ich glaube und hoffen will, hat kraft Amtes, kraft seiner Position in der Beamtenhierarchie gar nicht die Möglichkeit, auch nur eine andere Abteilung des eigenen Ministeriums, geschweige denn ein anderes Ministerium in irgendeiner dieser Fragen, die ihm zur Bearbeitung zugewiesen werden, anzuweisen, so daß vielleicht zwar eine übermäßige Arbeitskraft für die Lösung dieser Fragen eingesetzt wird, aber diese Arbeitsleistungen sich nicht nur quer durch das ganze Auswärtige Amt, sondern quer durch die gesamte Bundesregierung erstrecken. Das hat zur Folge, das zum Schluß niemand weiß, was der andere tut. Ein langfristiges Konzept für die Entwicklungspolitik besteht also zur Zeit offensichtlich nicht.Wir haben in diesen Ländern selbstverständlich diplomatische Vertretungen, die offiziell mit diesen Arbeiten befaßt sind. Hier besteht also wenigstens der Teil eines Apparates, der für die Entwicklungspolitik eingesetzt werden muß. Auf Grund einiger Erfahrung müssen wir allerdings sagen — ich will das nicht generalisieren —, daß die Beamten des Auswärtigen Dienstes in Afrika, Asien und Lateinamerika für diese Aufgaben zum großen Teil einfach nicht vorbereitet sind. Es ist gesagt worden, sie seien dazu nicht geeignet. Ich möchte mich diesem Urteil nicht anschließen; man kann das nämlich so lange noch nicht behaupten, solange den Beamten diese Aufgaben wirklich noch nicht gestellt worden sind. Soweit wir sehen, hat der Auswärtige Dienst in dem größeren Teil der Welt mehr Aktivität in der Veranstaltung von Parties mit europäischen oder nordamerikanischen Diplomaten entfaltet als in der menschlichen und politischen Begegnung und Zusammenarbeit mit den Vertretern der Völker, zu denen die Beamten entsandt sind. Gerade darauf kommt es aber für unsere Diplomatie entscheidend an.Lassen Sie mich nun zu den einzelnen Paragraphen der Drucksache kommen. Als erstes fällt mir auf, daß die Höchsbeträge für Exportförderung, wie sie bisher vom Parlament immer festgelegt wurden, nicht mehr in dem Gesetzentwurf eingesetzt sind und daß außerdem die Pflicht zur Berichterstattung über den Stand der Exportkredite jetzt fehlt. Wenn der Gesetzentwurf in dieser Form durchkäme, wäre eine Übersicht über die Vorgänge noch weniger als bisher möglich. Das müßte als erstes wieder in das Gesetz hinein, was man auch sonst zu dem Entwurf sagen mag.Zur Exportförderung muß im übrigen einiges etwas pointierter gesagt werden, als es der Wirtschaftsminister gesagt hat. Dadurch, daß man die Exportförderung, die die Bundesrepublik wie alle anderen Industriestaaten schon seit zehn Jahren betreibt, umfirmiert, daß man ihr ein anderes Etikett aufklebt, wird sie noch keine Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern. Natürlich haben die Entwicklungsländer von den Exportkrediten im ersten Augenblick einen Vorteil gehabt. Deshalb haben sie die Exportkredite ja auch schnell in Anspruch genommen. Aber auf lange Sicht sind die Exportförderungskredite ein ungeeignetes Mittel für die Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern. Die Exportförderungskredite, wie wir sie bisher hatten, waren, wie schon erwähnt wurde, auf vier oder fünf Jahre begrenzt; aber die Waren, die damit geliefert wurden, waren ganze Fabriken oder sonstige langfristige Investitionsanlagen, die erst nach zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahren richtig in Betrieb kommen und daher auf jeden Fall auch erst nach solch langen Fristen rentierlich und damit amortisierbar werden. Die bisherige Praxis war so, daß wir langfristige Investitionsmittel, zum Beispiel Elektrizitätswerke, große Anlagen verschiedenster Art, die auf vier, fünf Jahre kreditiert wurden, ins Ausland gaben. Die Länder, von denen wir sagen, sie seien Entwicklungsländer und daher wirtschaftlich nicht so auf dem Quivive wie wir selbst, dachten natürlich: Na, die Deutschen werden schon wissen, daß diese langfristigen Anlagen auch langfristig finanziert werden müssen. Nach vier oder fünf Jahren mußten sie dann erleben, daß die Deutschen das überhaupt nicht wußten, sondern recht naiv taten und diese langfristigen Investitionen kurzfristig bezahlt haben wollten. Daraus sind in der Vergangenheit eine ganze Reihe politischer Verärgerungen und Verstimmungen erwachsen. Deshalb kommt es ganz wesentlich darauf an, daß langfristige Investitionen durch langfristige Kapitalexporte unterstützt werden. Wir müssen diesen Ländern Kapitalien geben, die sie in den Stand setzen, das, was sie für ihre Industrialisierung brauchen, so zu amortisieren, wie es der Stand ihrer Entwicklung ermöglicht. Deshalb sollte in Zukunft die Betonung nicht auf der Exportförderung, sondern auf dem Kapitalexport in die Entwicklungsländer liegen. Das ist das, was dieser Teil der. Welt braucht, der sich erst aufbaut, der ökonomisch oft 100 oder 150 Jahre hinter uns herhinkt. Der Kapitalexport muß aber zu bestimmten Bedingungen vor sich gehen, auf die ich jetzt eingehen will.Gut und schön wäre es, wenn, wie in der Begründung des Gesetzentwurfes steht, die private Wirtschaft sich für diese Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern voll bereit fände. Auf deutsch hieße das, daß die private Wirtschaft pro Jahr etwa 2 Milliarden DM Kapital in die Entwicklungsländer6810 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn; Mittwoch, den 22. Juni 1960Kalbitzerexportieren müßte. Ich habe alle Achtung vor denjenigen hier im Hause, die glauben, daß die private Wirtschaft diese 2 Milliarden DM in diese Länder exportiert. Jeder, der das will, hat meine Sympathie und würde auch meine politische Unterstützung haben. Wenn ich die Dinge aber real betrachte, muß ich feststellen, daß eine solche Forderung, einen wesentlichen Teil des Kapitalexports in die Entwicklungsländer der privaten Wirtschaft zu überlassen, nichts anderes als reine Ideologie für den deutschen Hausgebrauch ist. Das läßt sich keinesfalls in die Wirklichkeit umsetzen. In der Realität muß nämlich zu einem wesentlichen Teil die öffentliche Hand die Voraussetzungen für diesen Kapitalexport schaffen. Wenn sich privates Kapital für diesen Kapitalexport, von dem Sie sprechen, findet, dann ist das sehr gut. Andernfalls muß das Kapital durch die öffentliche Hand zur Verfügung gestelltwerden.In unserer Warenbilanz haben wir seit zehn Jahren einen erheblichen Exportüberschuß. Gesamtwirtschaftlich gesehen ließen sich deshalb die Kapitalexporte in der von mir soeben genannten Höhe — 2 Milliarden DM — durchaus {ermöglichen. Es genügt alber nicht, daß ein Kapital von 2 Milliarden DM in diese Länder exportiert wird.Hier tauchen zwei Fragen auf, ,auf die auch der Herr Bundeswirtschaftsminister schon eingegangen ist. Die erste Frage ist: wer bürgt für die Risiken, die ganz zweifellos in diesen Kapitalexporten liegen? Schon hier muß der Bund so eintreten, wie er das bisher bei !den Exportkrediten getan hat. Die zweite Frage lautet: wie hoch sollen die Zinssätze sein?Der letzte Punkt ist leider sehr entscheidend. Die deutschen Zinssätze von etwa 7 % sind auf dem Weltmarkt bei der Konkurrenz billigerer westlicher Länder und bei der entscheidenden Konkurrenz der Sowjetunion und anderer Ostblockländer einfach unrealistisch. Wir können für das Exportkapital keine höhere Verzinsung als im Durchschnitt 2 bis 4 % — im Ausnahmefall 5 % — erwarten. Bei der Lage des heutigen Kapitalmarktes muß daher die öffentliche Hand die Zinsen künstlich auf einen solchen Weltdurchschnitt herunterschleusen. Andernfalls wird man der von Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister, so glänzend dargestellten Notwendigkeit, die für die deutsche Wirtschaft besteht, nicht gerecht. Wenn wir das wollen, was Sie dargestellt haben, dann müssen wir leider auch diesen harten Tatsachen ins Auge sehen.In dem Gesetzentwurf ist eine weitere Bedingung für die Kapitalexporte enthalten. Zwischen der Bundesrepublik und dem Empfängerland des Kapitals soll ein Vertrag über die Behandlung ausländischen Kapitals abgeschlossen werden. Selbstverstandlich sollte man derartige Verträge schließen. Ich möchte nur das Haus vor einem übermäßigen Optimismus in dieser Frage warnen. Ich möchte feststellen, daß ein solcher Vertrag über die Behandlung deutschen Kapitals irgendwo in der Welt nur so lange durchführbar, nur so lange durchsetzbar ist, wie sich dieses Land in einer stetigen Aufwärtsentwicklung befindet. Aber wir müssen natürlich realistisch mit politischen und wirtschaftlichen Rückschlägen rechnen und dürfen deshalb derartige Vertrage nicht etwa als eine wirkliche Sicherheit ansehen. Die Charta für das Kapital, wie sie von Herrn Abs schon vor Jahr und Tag vorgeschlagen worden ist, ist zwar gutgemeint, aber weltpolitisch gesehen nicht von besonderer Wirksamkeit.Der Gesetzentwurf, wie er uns heute vorliegt, wird nur als ein Instrument der Wirtschaftlichkeit aufgefaßt. Eine solche Auffassung ist zwar gut und schön. Aber sie ist zu eng, sie umfaßt nicht die gesamte Problematik. Nötig sind allgemeine Überlegungen über den Kapitalexport, auch über seine Zielrichtung und seine Ausmaße.Hierzu darf ich, um nicht nur meine Meinung zum besten zu geben, mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums zitieren. Der Wissenchaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums, dieses Gremium von Professoren, hat, veröffentlicht am 12. Februar 1960 im Bulletin, zu dieser Problematik als letztes folgendes gesagt:Der Beirat ist der Auffassung, daß die Bundesrepublik ihre bisherige Politik punktueller und zum Teil mehr oder weniger zufälliger Maßnahmen zur Entwicklungsförderung nicht fortsetzen sollte. Vielmehr bedarf es der Aufstellung eines längerfristigen Gesamtprogramms.Für dieses längerfristige Gesamtprogramm sprechen nach Ansicht des Gremiums der Professoren eine große Zahl von Notwendigkeiten, die von der Bundesregierung bisher leider mit Stillschweigen übergangen worden sind. Eine dieser Notwendigkeiten, die auch in dem Bericht erwähnt ist, möchte ich hier offen nennen.Wir haben seit vielen Jahren erhebliche Warenexportüberschüsse. Das galt im allgemeinen und gilt im Volk noch heute als ein besonders gutes wirtschaftliches Zeichen. Sicher haben wir uns bis zur Mitte der fünfziger Jahre über diese Exportüberschüsse nur freuen können. Aber dieses Glück wird eines Tages zu einem Elend, und in dieser Situation sind wir heute. Heute exportieren wir relativ zuviel. Wir sollten zwar immer mehr exportieren, aber der Export muß durch einen entsprechenden Import, durch einen entsprechenden Umfang an Einfuhren aus den Entwicklungsländern gedeckt werden. Mit anderen Worten: man muß den Entwicklungsländern mehr wirtschaftliche Chancen als bisher geben, damit sie das, was sie bei uns kaufen, was sie für ihren Aufbau dringend nötig haben, mit Waren bezahlen können.
Der Beirat, den ich vorhin zitiert habe, wie heute auch der Bundeswirtschaftsminister haben die Wörter „Wirtschaftshilfe" und „Entwicklungshilfe" reichlich oft gebraucht. Ich muß sagen, daß auch ich selber bis vor einiger Zeit die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern als eine „Hilfe" bezeichnet habe. Ich muß jetzt sagen — und sage das durchaus auch als Selbstkritik —, daß die Bezeichnung „Hilfe" für die Vorgänge, die wir heute diskutieren, im besten Falle ein frommer
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960 6811
KalbitzerSelbstbetrug ist. Es ist keine „Hilfe", wenn wir in Wirklichkeit ebenso aus eigenem Interesse wie im fremden Interesse handeln. Es schändet niemanden, wenn er aus eigenem Interesse wirtschaftliche Zusammenarbeit will. Nur darf man diese wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht mit der moralischen Qualität der „Hilfe" höher werten, als sie moralisch gesehen ist. Deshalb möchte ich vorschlagen, daß man in dieser Beziehung im allgemeinen Sprachgebrauch nicht mehr das Wort „Hilfe" verwendet, sondern von „Zusammenarbeit" dort spricht, wo es sich um eine solche handelt. Das ist bei mir keine Stilfrage. Bekanntlich haben die Entwicklungsländer für die Form, in der die Zusammenarbeit — die noch viele Schwierigkeiten bereitet — erfolgt, ein sehr feines Empfinden. Die Entwicklungsländer nehmen uns die Bezeichnung „Hilfe" dort nicht ab, wo es sich eben um handfeste beiderseitige Interessen handelt.
Es gibt Gebiete der Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern, wo das Wort „Hilfe" angebracht ist. Ich meine aber, wir sollten die Bezeichnung „Hilfe" auf die menschliche Bezirke beschränken, d.h. sie nur dort verwenden, wo es es sich darum handelt, daß Wissenschaftler, Techniker, Lehrer und andere Fachleute aus den Industrieländern, Europäer und Nordamerikaner, in die Entwicklungsgebiete gehen, wobei sie wirklich etwas Eigenes opfern und mitbringen, um in diesen Ländern dem wirtschaftlichen und dem gesellschaftlichen Aufbau zum Durchbruch zu verhelfen.In der Tat, es genügt nicht, daß man finanziell, mit Kapital hilft; hinzukommen muß — und das muß mehr als bisher von der deutschen Öffentlichkeit beachtet werden — die menschliche Zusammenarbeit mit diesen Ländern.
Es genügt nicht, daß wir nur als Techniker nach Indien oder in arabische Länder, oder wo sonst in der Welt große Projekte durchgeführt werden, gehen, uns dort nur als Fachleute betätigen, ohne menschliche Beziehungen zu der einheimischen Bevölkerung zu pflegen. Wir müssen die bisher rein technischen Beziehungen zu einer echten Begegnung auch im Menschlichen erweitern. Nur wenn es sich um solche Art der Zusammenarbeit handelt, darf man mit Recht von „Hilfe" sprechen.
Zusammenarbeit bedeutet natürlich nicht, daß wir Kredite und Kapitalien für die Entwicklungsländer gewissermaßen „blind" geben sollten; wir haben nicht nur ein Recht, sondern — auch im Interesse der empfangenden Länder selbst — die Pflicht, dauernd zu kontrollieren, daß dieser Kapitalstrom, der sich jetzt erst entwickeln muß, auch in die richtigen Kanäle des Aufbaues geleitet wird und sich nicht etwa in irgendwelche korrumpierten Seitenkanäle verflüchtigt. Die Kapitalien, die wir hergeben müssen, und die engere Zusammenarbeit, auf die wir es anlegen müssen, geben wir zur Entwicklung dieser Völker, und wir geben sie an die Regierungen dieser Völker, weil sie die legitimen Vertreter dieser Völker sind. Insofern muß die Zusammenarbeit natürlich über die Regierungen gehen. Das schließt nicht aus, daß private Initiative der Zusammenarbeit mehr als bisher Tatsache werden müßte.Aber auch wo es sich um Beziehungen von Regierung zu Regierung handelt, sollten wir die Beziehung zu einer Regierung, mit der wir diese Zusammenarbeit pflegen, nicht etwa im Interesse eines einzelnen dieser Staatsmänner oder etwa deshalb fördern, weil uns eine aktuelle Politik dieser speziellen Regierung besonders interessiert; vielmehr müssen wir stets den objektiven Zweck der Entwicklung im Auge behalten. Es darf deshalb z.B. nicht so sein, wie es vor einiger Zeit mit der Türkei gegangen ist. Ich war für die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Türkei in der Vergangenheit, bin es heute und hoffe es auch in Zukunft bleiben zu können. Aber der Herr Bundeskanzler hat, als ihn die Fachleute bereits in bezug auf das Schicksal der Regierung Menderes gewarnt haben, noch kurz vor deren Ende die Gewährung eines erheblichen Kredits an diese — inzwischen gestürzte und dem Vergessen anheimgegebene — Regierung befohlen, geradezu gegen die deutschen Dienststellen, die diese Kredite normalerweise zu übermitteln hatten; und das macht den Eindruck, als ob der deutsche Regierungschef nicht so sehr Interesse an der Zusammenarbeit mit der Türkei als speziell Interesse an der Zusammenarbeit mit Herrn Menderes gehabt habe. Es würde mich freuen, wenn ich in diesem Punkt falsch liegen sollte und wenn das dementiert werden könnte; aber ich möchte auf die Gefahren, die es in dieser Richtung immer wieder gibt, ausdrücklich hinweisen.
— Die Frage des Haushaltsrechts werden wir, denke ich, wenn die Sache in der Etatberatung zur Sprache kommt, natürlich nochmals aufrollen.Unsere Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern leidet noch unter einer anderen politischen Schwäche, nämlich darunter, daß sich die deutsche Bundesregierung in mehreren Fällen nicht im direkten Interesse und in direkten Beziehungen mit diesen zum großen Teil ja neu entstehenden, aus dem Kolonialismus sich befreienden Ländern zusammenfindet, sondern daß wir in den Beziehungen zu diesen neuen Ländern Rücksicht nehmen auf die Länder in Europa, die sich früher mit Unrecht Mutterländer genannt haben und sich heute noch anmaßen, in den jetzt :unabhängig gewordenen Ländern Vorrechte zu haben. Darunter haben z. B. unsere Beziehungen zu Ländern wie Guinea gelitten. Darunter leiden unsere Beziehungen zu Indonesien und Togo, worüber noch ein besonderes Wort zu sagen sein wird.Wir dürfen das Ziel unserer Bemühungen bei dieser Zusammenarbeit nicht aus dem Auge verlieren. Es gilt, die Freiheit der neu entstehenden, sich neu formierenden, neu in die Weltpolitik eintretenden Länder und Mächte zu entwickeln. Ohne eine Hebung ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lage kann es in diesem Teil der Welt auf die Dauer keine Freiheit geben. Hieraus ergibt sich das
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6812 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
Kalbitzerungeheure finanzielle Ausmaß unserer Verpflichtung. Das gilt für alle Teile der Welt. Ich möchte offen sagen, daß wir Sozialdemokraten uns freuen, daß die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der arabischen Welt, mit Indien und allen anderen Ländern Asiens sowie mit Lateinamerika ein Steinchen ist, um diesen Ländern ihre Freiheit und also ihren wirtschaftlichen Aufbau zu garantieren.Wir sollten auch klarmachen, daß wir mit unserer finanziellen, wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit keinerlei imperialistische Eroberungen oder auch, wie die moderne Methode wäre, indirekte Infiltrationen wollen. Wir wollen diese Zusammenarbeit, damit die Länder sich aus freien Stücken entscheiden können, welchen Weg sie und ihr Volk gehen wollen. Wir wollen nicht, wie es die Kommunisten und wie es die Sowjets wollen, etwa ideologisch-politische Eroberungen. Wir lehnen diesen Weg ab, weil wir glauben, daß jedes Volk, wenn es soviel wirtschaftliche Bewegungsfreiheit hat, daß es auch seine Politik selber bestimmen kann, der Freiheit die Chance geben wird.
Deshalb glauben wir, wir können mit der Bundesregierung den vorliegenden Gesetzentwurf zusammen umformen, damit er — nachdem das, was wir in den vergangenen fünf, sechs Jahren gemacht haben, nur Flickwerk oder „punktuelle Einzelmaßnahmen" waren — ein wirklicher Anfang, ein, wirklicher Start wird für eine Gesamtstruktur einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der gesamten Welt.
Das Wort hat der Abgeordnete Birrenbach.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ichglaube, alle Parteien dieses Hauses stimmen darin überein, daß die Hilfe für die unterentwickelten Länder eine der zentralen Aufgaben unserer Zeit ist. Von den 82 Mitgliedern der Vereinten Nationen gehören heute nahezu 60 zu den Entwicklungsländern. Daraus erhellt die eminent politische Bedeutung dieses Problems. Das jährliche Durchschnittseinkommen in den Entwicklungsländern liegt bei etwa 120 Dollar — in den südostasiatischen Ländern ist es noch niedriger — gegenüber einem durchschnittlichen Per-capita-Einkommen in den industrialisierten Ländern von 800 Dollar, ja von 2000 Dollar in den Vereinigten Staaten. Das ist ein ernstes Symptom. Die Entwicklung der letzten zehn Jahre ist trotz aller Hilfe — und die Hilfe ist sehr beträchtlich gewesen — eigentlich nur ernster geworden. Die Steigerung des Nettoeinkommens in der Zeit von 1950 bis 1957 betrug im Durchschnitt in Großbritannien, der Bundesrepublik und der Schweiz etwa 360 Dollar, während sie in den unterentwickelten Ländern 10 Dollar per capita und pro Jahr ausmachte. Die Kluft zwischen den Industrieländern und den Entwicklungsgebieten ist also größer, nicht kleiner geworden. Das rapide Wachstum der Bevölkerung bei verringerter Sterblichkeit und unausreichende Wachstumsquoten sind die Ursachen dieses erschreckenden Phänomens. Das sind alarmierende Zeichen, die uns alle in der westlichen Welt zum Handeln zwingen.In diesem Zusammenhang ist das Wort vom Klassenkampf der Völker gefallen. In den industriealisierten Ländern der westlichen Hemisphäre haben wir den Klassenkampf zum großen Teil im Verlauf des letzten Jahrhunderts überwunden. Es ist unsere Aufgabe, die geschichtliche Herausforderung anzunehmen und den Versuch zu machen, einen ähnlichen Ausgleich zwischen den Völkern der Not und den Völkern des Reichtums und des Wohlstandes zu finden. Die Revolutionierung der Verkehrsverhältnisse in der Welt gestattet heute nicht mehr, in Ländern und Kontinenten zu denken. Frieden und Wohlstand, in gewissen Grenzen, sind unteilbar. Wir alle sind Teile einer Welt. Das letzte Jahrhundert hat uns in dieser Hinsicht eine grausame Lehre erteilt, die wir nicht überhören sollten.Was uns alle, insbesondere uns alle in der Bundesrepublik, mit jenen Ländern verbindet, ist die Idee der Selbstbestimmung. In der Periode von 1940 bis 1950 haben 800 Millionen Menschen ihre Unabhängigkeit erhalten. Seit 1950 ist auch der größte Teil Afrikas unabhängig geworden. Alle diese neuen und freien Nationen werden Verständnis dafür haben, daß eine alte, historische Nation wie die deutsche für die von einem kolonialen Besatzungsregime unterdrückten 17 Millionen in der Ostzone das gleiche Recht der Selbstbestimmung in Anspruch nimmt. Das Streben nach Selbstbestimmung ist heute in der Welt eine der gewaltigsten Kräfte. Nur in und mit diesem Strom können wir immer wieder unser Anliegen geltend machen, das kein nationales, sondern ein europäisches und gleichzeitig ein eminent menschliches ist.Das Gefühl, daß es notwendig ist, den Entwicklungsländern zu helfen, wird aus Quellen gespeist, die nicht nur utilitaristischer Natur sind. Das sollten wir nicht übersehen. Die kulturellen und religiösen Grundlagen der westlichen Welt gestatten es ihr einfach nicht, dieser Entwicklung gegenüber passiv zu bleiben. Es ist daher eine der Grundvoraussetzungen für den Erfolg der Entwicklungshilfe überhaupt, daß sie ohne jede politische Bedingung gegeben wird.Man sollte aber auch nicht übersehen, daß die Hilfe nicht nur im Interesse der Empfangsländer, sondern ebenso im Interesse der Industriestaaten der westlichen Welt liegt. Die Erschließung von Absatzmärkten, Rohstoffquellen und die Industrialisierung fördern die Verflechtung dieser Länder in den Gesamtprozeß der Weltwirtschaft und kommen indirekt den gebenden Volkswirtschaften nach Überbrückung der Anlaufperiode wieder zugute. Wenn aber die Hilfe wirksam sein soll, muß sie im Zeichen echter Partnerschaft erfolgen. Beide, Empfänger und Geber, müssen an jenem Projekt zusammenarbeiten. Jeder hat dabei seinen Anteil zu übernehmen, so daß ,das Gesamtwerk, das später entsteht, ein Gemeinschaftswerk ist.
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Dr. BirrenbachDamit Sie sich ein Bild machen können, wie groß das Problem in Wirklichkeit ist, gestatten Sie mir, einige Zahlen zu nennen, die der Sonderfonds der Vereinten Nationen kürzlich publiziert hat. Das Gesamteinkommen der sogenannten Entwicklungsländer beläuft sich auf jährlich 120 Milliarden Dollar oder mehr als 500 Milliarden DM. Die jährliche Kapitalbildung in diesen Ländern betrug in den letzten Jahren ca. 9 Milliarden Dollar pro Jahr, von denen 6 Milliarden aus den Steuergeldern der Länder und 3 Milliarden aus der Auslandshilfe geflossen sind.Diese Hilfe ist, wie ich gezeigt habe, unzureichend gewesen. Um das Einkommen dieser Länder nur um 1 % zu erhöhen, bedürfte es nach den gleichen Berechnungen in den kommenden zehn Jahren eines Einsatzes von zusätzlichen 30 Milliarden Dollar.Bei dieser gewaltigen Größenordnung des Problems müssen wir die Aufgabe in ihrer gesamten Vielschichtigkeit sehen. Wir haben die personellen und materiellen Mittel aufzubringen, die zur Bewältigung dieser Aufgabe notwendig sind, und wir haben dafür Sorge zu tragen, daß die vorhandenen Mittel rationell eingesetzt werden.Dabei ergeben sich eine Reihe von grundsätzlichen Fragen. Man darf nicht übersehen, daß die Entwicklungsländer einerseits unter dem Bevölkerungsdruck und andererseits unter der Peitsche der Konkurrenz totalitärer Regimes die Entwicklung vom Agrarstaat mittelalterlicher Struktur zum modernen Industriestaat in einem Zeitraum durchzumachen versuchen, der ungleich dem ist, in dem die westlichen Länder den Prozeß ihrer Industrialisierung vollzogen haben. In der augenblicklichen politisch krisenhaften Entwicklung ist der Zeitfaktor nun einmal von entscheidender Bedeutung. Wenn man das Tempo übersteigert, wenn die Entwicklung unorganisch wird, kann sie niemals zu dem Ergebnis führen, das jene Völker erhoffen. Darum werden wir sie immer wieder darauf aufmerksam machen müssen, daß die großen westlichen Länder dieses Problem unter anderen Voraussetzungen in nahezu einem Jahrhundert gelöst haben und daß sie, die Entwicklungsländer, das gleiche Problem nicht in einem Jahrzehnt lösen können.Was die Entwicklungsländer von den hochindustrialisierten Ländern unterscheidet, ist — darauf muß man immer wieder hinweisen — die völlig andere Ausgangslage. Sowohl der politische als auch der wirtschaftliche Unterbau sind nicht vergleichbar. In den meisten Entwicklungsländern fehlen die Grundlagen einer staatlichen Struktur, die sich organisch von der Gemeinde bis zum Staat aufbaut, sowie ein ausgebildeter Beamtenstab auf allen Ebenen des öffentlichen Lebens. Es fehlt ein Erziehungssystem von den Grundschulen bis zu den Universitäten und Technischen Hochschulen. Es fehlen eine moderne Industriearbeiterschaft ebenso wie die Unternehmer und das erforderliche Industriekapital. Zudem müssen die für einen wirtschaftlichen Aufbau unentbehrlichen Infrastrukturen errichtet werden, die effektive Investitionen überhaupt erst möglich machen. Ich denke dabei an Straßen, Bahnen, Energiebetriebe, Bewässerungsanlagen, Staudämme, Krankenhäuser, Schulen, Universitäten, Technische Hochschulen usw. Die natürlichen Reichtümer dieser Länder sind zum Teil unbekannt, da bisherige geologische und landwirtschaftliche Untersuchungen noch unzureichend sind. Das ist die andere Seite des Problems, das ich Ihnen am Beginn meiner Rede an Hand statistischer Angaben aufgezeigt habe.Wie kann dieses Problem gelöst werden? Es gibt drei grundsätzliche Hilfestellungen, die die westliche Welt leisten kann. Die erste ist die Beratungshilfe, die über die rein technische Hilfestellung weit hinausgeht und das gesamte Gebiet umfaßt von der Beratung bei der Entwicklung staatlicher Institutionen bis zur Planung wirtschaftlicher Projekte und der Führung von Betrieben. Die zivilisatorische Leistung einiger Kolonialreiche — das möchte ich Herrn Kalbitzer antworten; etwa in Indien und Nordafrika — sollte dabei nicht vergessen werden. Dieser ersten Aufgabe nehmen sich nationale wie internationale Institutionen an. Ich denke dabei vor allem an die Sonderorganisationen der UNO, an die Landwirtschaftsorganisation, an die Weltgesundheitsorganisation, an die UNESCO, an die Internationale Arbeitsorganisation, an den Sonderfonds und andere. Die Bundesrepublik hat den Entwicklungsfonds des Auswärtigen Amts geschaffen, aus dem seit 1956 bereits 290 Millionen DM bereitgestellt und zum Teil schon verausgabt sind für technische Lehranstalten, Ingenieurschulen, Lehrwerkstätten, Gewerbeschulen, Musterfarmen und Musterbetriebe, für den Einsatz von Sachverständigen als Regierungsberater oder technische Sachverständige, für Stipendien, für Praktikanten der Bundesrepublik, für Projektierungen und Planungen. Für das Rumpfetatjahr 1960 sind weitere 52,5 Millionen DM angesetzt, die einen wichtigen Beitrag zur Lösung des überaus schwierigen Problems darstellen. Viel mehr noch wird in Zukunft geschehen müssen. Aber der Anfang ist gemacht.Auf diesem Gebiete verfügt die Bundesrepublik auf Grund ihres Wiederaufbaues über Erfahrungen, die in allen überseeischen Ländern geschätzt werden. Der Platz, den in diesem Rahmen die neugegründete Entwicklungsstiftung einnehmen kann, soll dabei nicht unerwähnt bleiben.Die zweite Aufgabe ist die finanzielle Hilfe, d. h. dazu beizutragen, die unzureichende Kapitalbildung der Entwicklungsländer so weit zu erhöhen, daß die dringendsten Investitionsaufgaben gelöst werden können. Diese Aufgaben stellen sich in den Entwicklungsländern aber in besonderer Form, einmal in dem Aufbau der sogenannten Infrastrukturen wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Natur, zum andern in den produktiven Investitionen, also dem Aufbau von wirtschaftlichen Betrieben, seien sie nun industrieller oder landwirtschaftlicher Natur. Der besondere Charakter dieser Investitionsformen verlangt eine besondere Art der Hilfe. Die Finanzierung von Infrastrukturprojekten kann der Natur der Sache nach nur langfristiger Art sein. Die Bedingungen über Amortisation und die Verzinsung solcher Kredite müssen, damit das Budget und die Zahlungsbilanzen dieser Länder nicht in völlige Un-
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6814 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
Dr. Birrenbachordnung geraten, sehr großzügig sein. Dem Einsatz der privaten Industrie sind dabei natürlich Grenzen gesetzt. Wenn irgendwo, so ist hier eine öffentliche Hilfe notwendig.Im Verlauf der vergangenen Jahre hat sich immer gezeigt, daß reine Schenkungen in den Empfängerländern nicht das Echo finden, das man in den Geberländern erwartet hat. Insbesondere die Vereinigten Staaten haben in dieser Richtung einige Erfahrungen gemacht, die man sich zunutze machen sollte. Eindeutig unentgeltliche Leistungen sind sinnvoll auf den Sektoren der Beratungs- und der Kapitalhilfe für gewisse Infrastrukturen insbesondere kultureller und sozialer Art. Es können sich aber auch Sonderprojekte ergeben, wie idas von dem Bundeswirtschaftsminister erwähnte Indus-Projekt.Bei den produktiven Investitionen soll rund muß die Privatindustrie einen entscheidenden Beitrag leisten, da niemand qualifizierter ist als sie, unter vollkommener Anpassung an die Verhältnisse des Landes die dortigen Entwicklungsaufgaben zu meistern. Bei den außerordentlichen Risiken wirtschaftspolitischer Natur in diesen Ländern bedeuten die Exportgarantien der Staaten eine unentbehrliche Unterstützung der privaten Industrie. Darüber hinaus ist es aber erforderlich, daß die Privatindustrie sich in den unterentwickelten Ländern selbst mit eigenen und direkten Kapitalinvestitionen engagiert, für die idas Haushaltsgesetz des Jahres 1959 erstmals in Art. 18, idas neue Haushaltsgesetz für das Jahr 1960 in Art. 23 die Basis für eine Garantie geschaffen haben. Ich glaube, daß Herr Kalbitzer unrecht hat, wenn er meint, daß auf diesem Wege eine Hilfe nicht denkbar sei. Allein die Tatsache, daß über Investitionen der Privatindustrie Musterbetriebe, Pilot plants, Musterfarmen gegründet werden, ist von viel größerer Bedeutung als der monetäre Umfang der Projekte.Welche der Aufgaben, die sich hier bieten, auf nationaler, regionaler oder universaler Basis gelöst werden muß, hängt von idem Typ der Hilfe, dem Charakter der Empfängerländer und schließlich von der Art und Größe dieser Länder, zum Teil aber auch von dem Grad ihrer politischen Gefährdung ab. Es ist hier nicht der Ort, im einzelnen auf dieses Problem einzugehen, darauf, ob im Einzelfall die übernationale der nationalen Hilfe oder unigekehrt vorzuziehen ist. Aber eines ist entscheidend: Diese Hilfen können das gewaltige Problem nur lösen, wenn sie koordiniert zum Einsatz gelangen, wenn dieser Einsatz einerseits auf einer eindeutigen Planung der Ressourcen der zu entwickelnden Länder beruht und andererseits auf Grund der Möglichkeiten erfolgt, die den Industrieländern zur Verfügung stehen. Wenn idas nicht geschieht, ist die Hilfe umsonst. Nicht nur das; eine unzureichende Hilfe in diesem Sinne könnte politische Konsequenzen haben, die unübersehbar sind. Gerade hier ist große Vorsicht am Platze, und nichts wäre gefährlicher, als gewissermaßen das Füllhorn der Gaben uneingeschränkt über diese Länder auszugießen. Jedes Projekt muß einzeln geprüft werden, und wenn es der Prüfung standhält, dann müssen die notwendigen Mittel für seine Finanzierung gefunden werden. Jeder andere Weg ist gefährlich, gefährlich angesichts der Größe ides Problems und gefährlich angesichts der Knappheit der zur Verfügung stehenden Mittel.Bei diesen Projekten muß man daran denken, daß die Entwicklungsländer in erster Linie jene wirtschaftlichen Möglichkeiten ausbauen und industriell verwerten sollten, die ihnen die Natur geschenkt hat. Nahezu alle diese Länder sind Agrarländer. Es ist bekannt, daß, wenn sich ein Agrarland unorganisch schnell industrialisiert, nicht nur die Exporte leiden — weil die Landwirtschaft weniger Erträge abgibt —, sondern auch Zahlungsbilanzdefizite eintreten, die später das Aufbauproblem nahezu unlösbar machen. Darum ist es besser, auf Grund der Gegebenheiten unter Berücksichtigung der Standortverhältnisse organisch eine Industrie aufzubauen, Kaufkraft zu schaffen und so langsam eine Arbeiterschaft, einen Mittelstand heranzubilden, der in der Lage ist, später jene Schicht zu ersetzen, die in den industrialisierten Ländern den Aufbau der Industrie vollzogen hat. Auch hier gibt es keine Wunder. Daß in jenen Ländern, wo keine derartige Mittelschicht besteht, in der Anfangsentwicklung der Staat eine sehr entscheidende Rolle spielen wird, wer wollte das leugnen? Aber entscheidend ist nicht diese Tatsache. Entscheidend ist, wohin die Planung führt, ob die Planung zur reinen Staatswirtschaft geht oder ob sie darauf abgestellt ist, die natürlichen Produktivkräfte der Länder zu entwickeln und so den organischen Aufbau einer neuen Gesellschaft möglich zu machen.An Institutionen für diese Koordination fehlt es nicht. Ich glaube, daß in diesem Rahmen der OECD eine ganz besondere Rolle zukommt.Angesichts der Größenordnung des Problems muß man dem Gedanken nähertreten, daß man nicht allen gleichzeitig helfen kann. Wer allen hilft, hilft keinem. Darum drängt sich der Gedanke einer gewissen Schwerpunktbildung immer mehr auf. Das bedeutet nicht, daß einzelne Länder von der Hilfe ausgeschlossen werden sollen und die andern Länder für alle Zeit bevorzugt werden. Im Gegenteil! Aber eine gewisse Sequenz ist hier notwendig. Sie ist vielleicht schmerzlich, aber sie ist das Gebot der Stunde; denn —. ich sage es noch einmal — nichts wäre schlimmer als eine nicht ausreichende Industrialisierung, ohne daß die notwendigen volkswirtschaftlichen Grundlagen dafür gegeben sind.Der Einsatz sollte schwerpunktmäßig erfolgen, und zwar sollten diese Schwerpunkte in Gemeinschaft mit der ganzen westlichen Welt ausgewählt werden. Die westliche Welt wird aber nicht wie die Sowjets daran denken, nach rein politisch-strategischen Gesichtspunkten und unter politischen Bedingungen Hilfe zu bringen. Manchmal sieht es so aus, als sei die Hilfe des Ostblocks spektakulärer als die des Westens. Das liegt aber ganz einfach daran, daß die Sowjetunion ihren Einsatz an politischen Brennpunkten und oft unter ganz dramatischen Umständen vornimmt. Wenn Sie die realen Zahlen vergleichen, dann können Sie sehen, daß der Westen keinen Grund hat, sich zu schämen.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni' 1960 6815Dr. BirrenbachÜberlegen Sie, daß die Vereinigten Staaten allein in den Jahren nach 1945 über 26 Milliarden Dollar — das sind also mehr als 100 Milliarden DM — den Entwicklungsländern zur Verfügung gestellt haben. Demgegenüber beträgt die Hilfe der Sowjetunion ganze 2,9 Milliarden Dollar! Über den Colombo-Plan allein sind mehr als 1,8 Milliarden Pfund — ich wiederhole: Pfund! — an Entwicklungsländer geflossen. Die Leistungen Frankreichs allein in Nordafrika beliefen sich — aus staatlichen Quellen — in den letzten Jahren auf über 21/2 Milliarden DM pro Jahr. Nach einer Übersicht des Bundesfinanzministeriums belief sich die deutsche Entwicklungshilfe im Jahre 1959 auf 3,45 Milliarden DM, im Jahre 1958 auf 2,3 Milliarden DM und im Jahre 1957 auf 2,1 Milliarden DM. Diese Beträge sind sicherlich nicht ausreichend, um das gewaltige, vor uns stehende Problem zu lösen, aber immerhin stellen sie eine Leistung dar, die sich, umgerechnet auf das Bruttosozialprodukt, sehen lassen kann.Im Zusammenhang mit diesen Hilfstransaktionen stehen die beiden Gesetze, über die der Bundestag heute berät. Zunächst das Gesetz zur Förderung der Wirtschaftsbeziehungen zum Ausland, insbesondere zu den Entwicklungsländern. Der Kollege Kalbitzer hat hier eine Kritik zum Ausdruck gebracht und gesagt, daß hierfür das Auswärtige Amt federführend sein müsse. Ich spreche hier als Mitglied des Auswärtigen Ausschusses. Jede wirtschaftliche Transaktion ist ein Ausfluß der Wirtschaftspolitik. Das ist selbstverständlich. Löste man sie daraus heraus, so würde man, wie ich glaube, in den organischen Fluß der Wirtschaftspolitik Lücken reißen, die nicht zu verantworten sind. Etwas anderes ist, daß das Auswärtige Amt bei der Planung der Hilfe für die unterentwickelten Länder ein wichtiges, sehr wichtiges Wort mitzureden hat, gerade allein auch deswegen, weil die Auseinandersetzung um die unverpflichtete Welt heute zu den zentralen Aufgaben der Außenpolitik gehört. Das Zusammenwirken der beiden Ressorts unter Federführung des Wirtschaftsministeriums sollte das Optimum an Ergebnissen zur Folge haben.Das Gesetz, um das es hier geht, faßt alle bereits bestehenden Förderungsmaßnahmen, und zwar in Form von Bürgschaften und Garantien des Bundes zur gesamten und teilweisen Abdeckung des politischen und wirtschaftlichen Risikos bei Exporten, bei Krediten an Auslandsschuldner, Kapitalanleihen Privater im Ausland und Umschuldungen in einem Rahmenwerk zusammen. Die Erfahrungen, die man in dem Jahrzehnt seit 1949 gemacht hat, haben in diesem Gesetz ihren Niederschlag gefunden. Die Bundesregierung geht bei diesem Gesetz davon aus, daß grundsätzlich und primär die Privatindustrie die Wirtschaftshilfe in den Entwicklungsländern zu leisten hat. Das ist bei den produktiven Investitionen sicherlich richtig. Inzwischen hat sich bei der Entwicklung der Hermes-Garantien aber, was Herrn Kalbitzer entgangen zu sein scheint, ein grundsätzlicher Wandel der Motivierung vollzogen. Das Schwergewicht liegt heute nicht mehr, wie in der Vergangenheit, bei der Förderung der deutschen Ausfuhr, sondern ganz vorrangig, d. h. zu 90 %, wie der Bundeswirtschaftsminister vorhin erklärt hat, bei der Hilfe zugunsten der Entwicklungsländer.
Herr Abgeordneter Birrenbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kalbitzer?
Bitte schön!
Herr Kollege Birrenbach, könnten Sie mir einmal erklären, womit Sie diese Umetikettierung in der Sache begründen? Sie geben demselben Vorgang einen anderen Namen — das habe ich schon selber festgestellt —, aber was ist in der Sache anders?
Herr Kollege Kalbitzer, wenn es sich um eine Namensänderung handelt, hätte ich das — dessen können Sie sicher sein — hier bestimmt nicht vorgetragen. Wenn aber 90 Prozent der Projekte heute reine Entwicklungsprojekte sind, so bedeutet das, daß ihr Charakter ein ganz anderer ist als der jener Projekte, die in der Zeit bis vor etwa zwei oder drei Jahren als Exportförderungsprojekte galten. Ein Projekt dieser Art bedingt heute viel längere Laufzeiten. Mittelfristige Kredite sind für die Entwicklungsländer nicht mehr praktisch, und zwar wegen der übermäßigen Belastung der Zahlungsbilanzen. Man muß weiter an eine Verringerung der Zinsbelastung denken. Das gibt dem Projekt an sich schon einen ganz anderen Aspekt. Aber nicht nur das. Vergleichen Sie einen Export in ein Entwicklungsland wie etwa Irak oder Persien mit Projekten, wie sie von Hermes in den vergangenen Jahren bedient worden sind! Für einen Kenner der Materie ist der Unterschied zwischen heute und damals derart, daß es sich erübrigt, überhaupt darauf einzugehen.
Es scheint aber noch eine Frage gestellt zu werden.
Herr Kollege, ich bin natürlich keineswegs ein „Kenner der Materie". Aber mir ist das immer noch nicht klargeworden. Was war denn vor fünf oder acht Jahren der Hauptexportartikel? Das waren, soweit ich als Laie informiert bin, immer schon Exporte in Entwicklungsländer. Oder war das früher ganz anders?
Herr Kollege Kalbitzer, ich darf Ihnen darauf antworten. Erstens ist der Prozentsatz in der Aufteilung Entwicklungsländer — Nichtentwicklungsländer ein anderer. Zweitens ist der Charakter der Operation ein anderer. Die Projekte, die früher von Hermes abgelehnt worden wären, werden heute akzeptiert. Warum? Weil ein staatliches Interesse an der Entwicklung dieser Länder und an diesen Projekten besteht. Wenn Sie darin keinen fundamentalen Unterschied sehen, so bedaure ich das.
— Die Tatsache stimmt. Sonst hätte ich sie nicht vorgetragen.
6816 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960Dr. Birrenbach— Entschuldigen Sie, Herr Kollege! Wenn Herr Kalbitzer sich auf seine Eigenschaft als Laie beruft und eine Behauptung vorträgt, die er nicht zu beweisen vermag, dann ist die Replik, die Sie hier gegeben haben, sicherlich nicht sehr überzeugend.Die Gewährleistungen — um fortzufahren — erstrecken sich heute im Gegensatz zu früher auch auf Finanzierungskredite und Kapitalinvestierungen Privater. Das Problem der Finanzkredite nicht privater, sondern öffentlicher Art wird aber in den kommenden Jahren immer stärkere Bedeutung gewinnen. Ein großer Teil der Infrastrukturinvestierungen kann weder durch die private Industrie noch über Warenlieferungen sichergestellt werden. Dazu bedarf es staatlicher Hilfen finanzieller Natur, die — ich zitiere Herrn Bundeswirtschaftsminister Erhard — der Lage der Sache nach nur aus dem Etat oder aus dem ERP-Vermögen kommen können.Das Gesetz, das hier geschaffen ist, stellt — das möchte ich ebenfalls Herrn Kalbitzer sagen — einen Dauerrahmen dar. Es ist eine institutionelle Einrichtung geworden, die alljährlich durch das Etatgesetz konkreten Inhalt erfährt. Es besteht gar keine Notwendigkeit, wegen des 90prozentigen Hilfscharakters zugunsten der Entwicklungsländer diese unwesentlichen 10 Prozent aus dem Gesetz herauszunehmen, da es sich praktisch um eine mehr oder minder gleichgeordnete wirtschaftliche Funktion handelt. Wenn aber die Bedingungen einerseits und die Motive andererseits andere sind, so scheiden sich Entwicklungsprojekte und die übrige reine Exportförderung ganz eindeutig.Die Bundesregierung hat bei ihrer Planung der Hilfe für unterentwickelte Länder dem Hermes-Garantiesystem immer eine besondere Bedeutung gegeben, und gibt sie ihm heute mehr denn je. Warum? Der private Kapitalmarkt in der Bundesrepublik reicht einfach nicht aus, um der Privatindustrie die Möglichkeit zu geben, Exporte mit langen Zahlungsfristen über fünf Jahre oder direkte Kapitalinvestitionen zu ermöglichen. Die wesentlich günstigere Situation auf dem Geldmarkt, verbunden mit den Garantien der Hermes, macht es der Exportindustrie möglich, Vorhaben zu finanzieren, die ohne eine derartige Stützung überhaupt nicht denkbar wären.Aber über die sachlichen Änderungen hinaus ist der Hermesplafond wesentlich erhöht worden, letztlich im Etatgesetz des Jahres 1960. Der Plafond für Garantien und Bürgschaften für Exporte ist von 9,5 Milliarden auf 12 Milliarden und der Plafond für Gewährleistungen für Finanzierungskredite, Kapitalanlagen und Umschuldungen ist von 2 auf 5 Milliarden heraufgesetzt worden.Um nun den besonderen Notwendigkeiten der Hilfe für die Entwicklungsländer gerecht zu werden, werden die Export- und eventuell Finanzkredite, worauf ich schon hingewiesen habe, auf der einen Seite wesentlich längerfristig, auf der anderen Seite mit besseren und günstigeren Zinsen ausgestattet sein müssen als bisher. Die Bundesregierung hat daher langfristige Finanzierungsmöglichkeiten über die Kreditanstalt für Wiederaufbau aus Mitteln desERP-Fonds eingeräumt, die gleichzeitig auch eine Ermäßigung der Zinsen gestatten.Aber auch in der Methode hat sich ein Wechsel vollzogen. Früher, Herr Kalbitzer, war es die Privatindustrie oder waren es eventuell ausländische Kunden, die sich an die Hermes wandten und um Garantien aus dem Hermes-Plafond baten. Heute handelt es sich um Verhandlungen zwischen den Wirtschaftsministern des Geber- und Empfängerlandes und um die Festsetzung eines Rahmens, der dann später durch Operationen in Ausrüstungsgütern ausgefüllt wird. Das ist etwas völlig anderes, und jedes dieser Länder hat das klare Empfinden, daß es sich hier um einen echten Warenkredit zum Wiederaufbau oder zum weiteren Ausbau seiner Industrie und Wirtschaft handelt.Die aus diesem Gesetz resultierende Hilfe gilt, um sie in den Rahmen des von mir dargelegten Hilfsprogramms zu stellen, vornehmlich produktiven Investitionen, aber darüber hinaus in einem kleinen Umfang auch Infrastrukturprojekten in Form von Zusatzlieferungen zu reinen Infrastrukturvorhaben oder Projekten wie .der Errichtung von Elektrizitäts- und Gaswerken und ähnlichen Vorhaben, die gewissermaßen auf der Grenze zwischen Infrastruktur und produktiven Investitionen liegen.Die durch dieses Gesetz und § 23 des Etatgesetzes erleichterten Privatinvestitionen werden endlich durch den Abschluß von Doppelbesteuerungsabkommen und insbesondere von Investitionsschutzabreden mit den Entwicklungsländern gefördert.Das zweite Gesetz, das dem Bundestag heute zur Beschlußfassung vorliegt, ist das Gesetz betreffend das Abkommen über die Internationale Entwicklungsorganisation. Der Zweck der sogenannten IDA ist der, eine Lücke in dem Tätigkeitsbereich der bestehenden internationalen Organisationen, die sich mit der Entwicklungshilfe befassen, insbesondere der Weltbank, zu schließen. Während die Weltbank, im wesentlichen mit Fremdmitteln finanziert, an ihre Operationen streng bankmäßige Maßstäbe anlegt, die sich an die Konditionen ihrer eigenen Emissionen auf den internationalen Kapitalmärkten notwendigerweise anlehnen müssen, soll die IDA, die sich nahezu ausschließlich oder jedenfalls vornehmlich aus eigenen Mitteln finanziert, ihre Hilfe unter flexibleren und die Zahlungsbilanz der Empfangsländer weniger belastenden Bedingungen zur Verfügung stellen.Gedacht ist hierbei einerseits an die Erstreckung der Laufdauer der Kredite, an mehr Freijahre, an niedrigere Zinsen und insbesondere an den Verzicht auf staatliche Garantien und andererseits — und das ist das Bemerkenswerte und Charakteristische dieses Abkommens — an die Rückzahlung von in harter Währung gegebenen Krediten in weicher, nicht konvertierbarer Landeswährung. Darüber hinaus sollen die Mittel aus der IDA nicht an die Voraussetzung unmittelbarer Produktivität, wie sie die Weltbankstatuten stipulieren, gebunden sein. Beide Institute — die Weltbank und die IDA — fördern Investitionen vornehmlich auf dem Infrastruktursektor, wobei jedoch die IDA ermächtigt ist, auch
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Dr. Birrenbachsoziale und kulturelle Vorhaben wie Krankenhäuser und Schulen in ihr Programm einzubeziehen.Bemerkenswert ist in diesem Abkommen das Finanzierungssystem der Bank, das neben Erst- und nachträglichen Einzel- und allgemeinen Zusatzzeichnungen Ergänzungszeichnungen der Mitglieder vorsieht. Einer besonderen Würdigung bedarf in diesem Zusammenhang das Instrument derjenigen Ergänzungszeichnungen, welche ohne Rücksicht auf die Stimmverteilung in harter oder weicher Währung auf Grund besonders von der Bank auszuhandelnder Bedingungen vorgenommen werden können. Daß die Verwendung weicher Währung nicht unbedenklich ist und gewisse Gefahren für die Aufrechterhaltung des Kapitalbestandes der Institution in sich birgt, wer würde das leugnen? Darüber hinaus ist auch die Möglichkeit gewisser welthandelsmäßiger Verzerrungen nicht von der Hand zu weisen. Immerhin bedeutet die Beanspruchung der Zahlungsbilanzen der Empfängerländer mit konvertiblen Amortisations- und Zinsverpflichtungen eine so ernste Belastung, daß man sich zu diesem Ausweg entschlossen hat.Bei den Vereinigten Staaten haben wohl noch zwei Erwägungen eine wesentliche Rolle gespielt, einmal die, ihre Leistungen über den Development Loan Fonds auf breitere Schultern zu verlagern, zum anderen die, die in weichen Währungen angesammelten Gegenwertmittel aus amerikanischen Unterstützungsaktionen im Rahmen der Entwicklungshilfe erneut zu verwenden. Die Zukunft wird lehren, in welchem Umfang internationale Hilfsaktionen zugunsten der Entwicklungsländer in diesem Rahmen durchgeführt werden können. — Ich glaube, auf die Konstruktion der Institution brauche ich hier nicht im einzelnen einzugehen.Die dritte Aufgabe der Geberländer — dies wird leider sehr oft vergessen; dabei ist sie beinahe entscheidend — liegt auf dem kommerziellen Sektor. Bei allen Maßnahmen finanzieller Art zugunsten der Entwicklungsländer darf man nie aus dem Auge verlieren, daß diesen Ländern auf die Dauer wirksam nur geholfen werden kann, wenn wir unsere Märkte ihren Erzeugnissen öffnen. Das Motto muß sein: Trade, not aid! Nicht nur der Kapitaldienst wird gefährdet und nicht nur der Zinsendienst kann in Gefahr kommen, sondern die normale organische Entwicklung dieser Länder wird in Frage gestellt, wenn es nicht zu einer ebenso normalen Abnahme ihrer Erzeugnisse kommt. Und wer anders sollten die Abnehmer für die Güter dieser Länder sein als die großen Industriestaaten? Denn es ist eine bekannte Tatsache, daß der Austausch zwischen den Entwicklungsländern, sei es in Südostasien, sei es in Lateinamerika, sei es im Mittleren Osten, auf Grund der heute bestehenden Struktur praktisch kaum 10 Prozent ihres Exports erreicht.Das ist ein sehr ernstes Problem, das man nicht außer acht lassen darf. Es ist eine entscheidende Frage, diese Länder — oder wenigstens einen großen Teil von ihnen — aus ihren bisherigen Monokulturen herauszubringen. Diese Abhängigkeit ist so groß, daß allein in den beiden letzten Jahren die Verluste durch den Rückgang der Rohstoffpreise die gesamte finanzielle Hilfe zugunsten dieser Länder in diesem Zeitraum um ein Mehrfaches übertroffen haben. Von 1953 bis 1957 sind die Exporte der Industrieländer nach den Entwicklungsländern um 7,2 Milliarden Dollar gestiegen, während die Exporte der Entwicklungsländer nach den Industrieländern praktisch nur um 3 Milliarden Dollar gestiegen sind. Hier hat sich eine neue Schere aufgetan, die die Differenz zwischen Elend und Reichtum nur noch vergrößert hat. Langfristig ist dieser Situation nur durch Industrialisierung abzuhelfen; zumindest muß eine verstärkte Differenzierung der Wirtschaftsstruktur erfolgen.Was kann nun geschehen, um dieses Dilemma zu überwinden, in dem sich die Mehrzahl der Entwicklungsländer befindet? Zunächst gilt es, die Schwankungen der Wirtschaftskonjunktur in den Industrieländern noch mehr als bisher zu mildern; denn sowohl die Rezession als auch der Boom wirken sich nachteilig auf die Zahlungsbilanzen der Entwicklungsländer aus. Weiterhin müssen die Industrieländer den Entwicklungsländern bei der Stabilisierung der Rohstoffpreise auch direkt helfen, und zwar einmal dadurch, daß sie sich bemühen, im Rahmen des Möglichen die Bezüge von Rohstoffen langfristiger über die Unternehmungen planen zu lassen, wie das bei Erz, Kohle, Öl und gewissen Nichteisenmetallprodukten schon möglich ist. Ferner muß dieses Ziel über internationale Warenabkommen angestrebt werden.Dazu ein besonderes Wort. Sicherlich ist es richtig, daß die internationalen Warenabkommen der letzten 20 Jahre nicht zufriedenstellend gewirkt haben. Aber wir sollten hier nicht nach perfekten und totalen Lösungen suchen; wir sollten vielmehr Erleichterungen für die Länder anstreben, denen wir zu helfen haben. Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß heute in dieser Beziehung doch ganz andere Verhältnisse als etwa in der Weimarer Zeit herrschen. Der Rohstoffbedarf der Vereinigten Staaten hat einen Umfang von 2,6 Milliarden Dollar, der der EWG von morgen wird sich auf 4,7 Milliarden Dollar belaufen, und Großbritannien hat einen Bedarf von 1,7 Milliarden Dollar. Das ergibt einen Betrag von mehr als 9 Milliarden Dollar. Nimmt man noch Kanada hinzu, dann kommt man auf eine Summe, die zwischen 9 und 10 Milliarden Dollar liegt. Ein solcher Nachfrageblock sollte eigentlich in der Lage sein, die Erzeugerländer zu veranlassen, bei der Produktion und beim Export Bindungen einzugehen, die wirklich gehalten werden können. Wenn das nicht erreicht werden kann, dann sollte mit gewissen buffer-funds die Möglichkeit geschaffen werden, marginale Mengen anzukaufen, wenn die Preise mehr als notwendig gesunken sind, oder zu verkaufen, wenn die Preise zu hoch sind. Solche Möglichkeiten sollte gerade die Konstruktion der neuen OECD bieten. Ich hoffe, daß diese Organisation gerade auf diesem Sektor eine entscheidende Erleichterung der Lage der unterentwickelten Länder bringen wird.Ganz besonders wichtig ist, daß die Industrieländer — ich spreche jetzt einige unangenehme
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Dr. BirrenbachWahrheiten aus; was ich ausführe, sage ich für meine Person — ihre noch verbliebenen mengenmäßigen Beschränkungen der Einfuhr — insbesondere für Nahrungsmittel, industrielle Rohstoffe und bestimmte industrielle Konsumgüter — neu überprüfen. Vielleicht würde sogar — das ist jetzt ganz ketzerisch — schon ein Umbau der verschiedenen agrarprotektionistischen Systeme in der westlichen Welt genügen. Ich meine hier den Umbau von der indirekten Subvention in Gestalt überhöhter Preise zur direkten Subvention. Durch künstlich überhöhte Preise wird nämlich die Produktion übermäßig ausgeweitet und gleichzeitig auch der Verbrauch abgeschreckt.Schließlich müßte auch die Höhe der Finanzzölle in den Industrieländern im Hinblick darauf überprüft werden, wieweit dadurch der Export bestimmter Entwicklungsländer in die westlichen Industrieländer gehemmt wird. Ich denke hier an Tee, Kaffee, Kakao und Tabak.Welch große Wirkung ein relativ geringer Abbau des landwirtschaftlichen Schutzes und eine leichte Steigerung des Verbrauchs durch Preissenkung auf den Welthandel und die Zahlungsbilanzen der Entwicklungsländer haben könnten, das zeigt eine interessante Berechnung des Haberler-Reports. Danach würden die Nettoeinfuhren der USA und Westeuropas an landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus dritten Ländern von 4,5 auf 5,3 Milliarden, also um beinahe eine Milliarde Dollar oder um 20 % ihres Umfanges wachsen, wenn es möglich wäre, die heimische Agrarproduktion dieser beiden Räume um nur 1 % zu reduzieren und den heimischen Verbrauch um ebenfalls 1 % zu steigern.Ähnliches gilt für das Gebiet der gewerblichen Zölle. Es zeigt eine völlige Verkennung des Wesens der internationalen Arbeitsteilung, daß die betroffenen Industrien in den Industrieländern immer wieder auf die Gefahr der sogenannten Niedrigpreis-Importe hinweisen. Sicherlich, soweit es sich um echtes Dumping handelt, ist gegen diese Kritik nichts einzuwenden. Aber die bloße Tatsache, daß bestimmte Entwicklungsländer in der Lage sind, auf Grund außerordentlich niedriger Löhne auch besonders billig industrielle Güter anzubieten und zu liefern, rechtfertigt noch nicht die Forderung nach einem entsprechenden Importschutz. Das ist sicherlich eine ketzerische Bemerkung. Aber nachdem ich dargelegt habe, von wie fundamentaler Bedeutung das Problem der unterentwickelten Länder in jeder Beziehung, in außenpolitischer, wirtschaftspolitischer und menschlicher Hinsicht, ist, sollte man diese Frage eingehend und sorgfältig prüfen.Ich komme zum Schluß. Das Problem ist ungeheuer groß. Die Hilfe, die man bieten kann, steht im Augenblick in keinem Verhältnis zu den Erfordernissen. Der Zeitdruck ist außerordentlich. Wenn Sie sich all das vor Augen halten, können Sie sich vorstellen, daß die westlichen Länder in der sogenannten koexistentiellen Konkurrenz mit dem Ostblock praktisch nur dann die Schlacht um die unterentwickelten Länder entscheidend gewinnen können — ohne daß dies das einzige und ursprünglicheMotiv ist —, wenn der Einsatz einerseits koordiniert und total ist und andererseits auch wirklich Opfer bedingt. Denn ohne Opfer wird es nicht möglich sein, dieser Aufgabe, die von geschichtlicher Größe ist, gerecht zu werden.
* Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich konnte zu Beginn der Debatte nicht anwesend sein, weil wir mittwochs Kabinettssitzung haben und eine Vorlage von mir persönlich im Kabinett vertreten werden mußte. Aber ich benutze gern die Gelegenheit, noch ein paar Bemerkungen zu dem Thema zu machen, das hier behandelt wird, ohne daß ich Gesagtes wiederholen möchte.Wenn wir über die Entwicklungshilfe sprechen, müssen wir uns zunächst über gewisse Grundsätze der Entwicklungshilfe klar sein. Es scheint mir, daß etwa folgende Grundsätze gültig sein sollten.Erstens. Die Entwicklungshilfe soll nicht unter politischen Bedingungen gegeben werden, da die Entwicklungsländer sich politisch nicht binden lassen wollen.Zweitens. Die Annahme sowjetischer Hilfe durch ein Entwicklungsland soll für den Westen kein Anlaß sein, seine Hilfe zu versagen. Vielleicht müssen wir von Fall zu Fall die Frage prüfen, wie wir das richtige Verhältnis finden für Förderungsmaßnahmen gegenüber Ländern, die sich mehr zum Westen bekennen, und gegenüber Ländern, die sich mehr zum Osten zu orientieren scheinen.Drittens. Die Entwicklungshilfe soll helfen, damit sich die Entwicklungsländer selber helfen können. Auch sollen die Förderungsmaßnahmen elastisch sein, d. h. ebenfalls unter Berücksichtigung politischer und psychologischer Gesichtspunkte sowie unter Anpassung an die gegebenen Verhältnisse durchgeführt werden. Dabei sollte die Zusammenarbeit, wie ich glaube, immer im Sinne einer echten Partnerschaft erfolgen. Niemals darf es dahin kommen, daß die Entwicklungshilfe als ein Almosen verstanden wird, als eine Hilfe an den weniger begüterten Bruder. Gerade durch die Schaffung dieses Partnerschaftsverhältnisses müssen wir dem Selbstbewußtsein auch der jungen Länder Rechnung tragen.Wir haben nun für diese Entwicklungshilfe eine Reihe von Systemen. Sie sind hier aufgezeigt worden. Ich will sie nicht wiederholen, möchte nur einiges hervorheben.Wir haben wirtschaftspolitische Maßnahmen. Es ist schon gesagt worden: diese wirtschaftspolitischen Maßnahmen bestehen einmal in der Förderung der dortigen Wirtschaft; aber sie müssenich glaube, darauf hat auch mein Kollege Erhard schon hingewiesen - ganz besonders darin bestehen, daß wir mithelfen, die Wirtschaft des Empfangslandes so auszubauen, daß sie einmal eine eigene Konsumgüterindustrie für den Bedarf dieses
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Bundesaußenminister Dr. von BrentanoLandes erstellen kann. Zum zweiten aber müssen wir auch dadurch Hilfestellung leisten, daß wir das, was diese Länder produzieren, abnehmen. Sonst werden wir nämlich eine wirksame Entwicklungshilfe auf die Dauer gar nicht geben können. Wir sehen es ja jetzt schon im Verhältnis zu einigen Ländern, daß der Ausfuhrüberschuß der Bundesrepublik einer Ausbreitung der Wirtschaftshilfe hindernd im Wege steht. Das stellt auch die Frage — auch sie ist schon behandelt worden; ich weiß, sie ist sehr vielschichtig und kompliziert —, ob wir insbesondere bei Ländern, deren Wirtschaft auf sogenannten Monokulturen beruht, nicht doch einmal prüfen sollten, ob wir — unter Zurückstellung gewisser praktischer, gewisser grundsätzlicher Bedenken — irgendwelche Absatzvereinbarungen treffen, vielleicht auch gewisse — wenn auch zeitlich begrenzte — Preisfixierungen vornehmen können. Es ist eine schwierige Frage. Ich darf sagen, daß wir auch im Ministerrat der EWG vor kurzem über diese Dinge gesprochen haben. Insbesondere der belgische Außenminister Wigny hat sich mit dieser Frage beschäftigt. Wenn wir uns klarmachen, daß unter Umständen alles, was an Entwicklungshilfe im wahrsten Sinne mit viel Aufwand und unter Opfern gegeben wird, unter Umständen durch den Preiszusammenbruch auf dem Rohstoffmarkt wieder beeinträchtigt werden kann, müssen wir sehen, daß wir in die Gefahr kommen, uns in einem Circulus vitiosus zu bewegen. Wir müssen also versuchen, diese Dinge, soweit es in unserer Macht steht, abzufangen. Vielleicht gibt es doch Möglichkeiten — natürlich nicht auf bilateralem Wege, aber in der Koordinierung mit anderen, auf multilateralem Wege —, in gewissen Bereichen einmal für gewisse Zeiten gewisse Preise zu garantieren oder zu fixieren, um eine solche rückläufige Entwicklung zu verhindern.Das stellt uns auch vor die Frage: Was sollen wir tun, sollen wir bilateral oder multilateral helfen?Selbstverständlich kann man die Frage bilateraler oder multilateraler Hilfe nicht im Sinne eines Entweder-Oder beantworten. Die bilaterale Form der Entwicklungshilfe kommt z. B. für die technische Hilfeleistung in Frage. Bei solchen Förderungsmaßnahmen kommt es ja vor allem auf den Kontakt an — bei den technischen Lehranstalten auf den Kontakt von Lehrenden und Lernenden —, und hier muß elastisch und möglichst unbürokratisch gearbeitet werden. Multilaterale Förderungsmaßnahmen aber sind dann nötig, wenn. anonyme Hilfe, also vor allem Kapitalhilfe, zur Verfügung gestellt wird. Mir scheint, es gibt Aufgaben, die wir bilateral gar nicht lösen können. Große Projekte etwa der Infrastruktur in den Entwicklungsländern übersteigen zum mindesten auch die Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik, etwa die :Anlage von Straßen oder ähnlichem. Hier müssen wir eine Koordinierung mit anderen suchen; wir müssen mit anderen zusammenarbeiten, die die gleichen entwicklungspolitischen Ziele verfolgen.Meine Damen und Herren, es kommt ein Weiteres hinzu. Hier komme ich auf die — auch. von Herrn Kollegien Birrenbach angeschnittene — Frage der Zuständigkeit. Ich will sie ganz ohne Polemik behandeln. Es gibt hier gar keine Frage der Zuständigkeit im einen oder anderen Bereich. Ich möchte aber ganz klar sagen: So selbstverständlich es ist, daß die wirtschaftlichen Dinge im Wirtschaftsministerium ressortieren und auch behandelt werden, so selbstverständlich scheint mir zu sein, daß, wenn wir z. B. koordinierte Hilfe geben, wenn wir Schwerpunktbildungen untersuchen, das politische und außenpolitische Fragen sind, wie ich überhaupt der Meinung bin, daß diese Entwicklungspolitik nachgerade zu einem Toil der allgemeinen Politik geworden ist, die in irgendeiner Weise gleichrangig etwa neben unserer Ostpolitik unid neben unserer Europapolitik stehen muß.
Herr Bundesminister, gestatten Sie dazu eine Frage des Abgeordneten Kalbitzer?
Ja.
Herr Bundesaußenminister, könnten Sie mir freundlicherweise die Frage beantworten: Wer ist für die gesamte Entwicklungspolitik in der Bundesrepublik nun letztlich verantwortlich? Bleibt es so wie augenblicklich, daß von den gesamten Ministerien bis auf eins alle Teilverantwortlichkeiten haben, oder sind Sie bereit,. die Verantwortlichkeit zu konzentrieren? Denken Sie vielleicht an die Errichtung eines Entwicklungsamtes, selbstverständlich unter der Verantwortung der Bundesregierung, oder wie wollen Sie dieses Problem lösen, damit man endlich weiß, an wen man sich in den Gesamtfragen zu wenden hat, oder muß man sich weiterhin an alle Minister einzeln wenden?
Herr Kollege Kalbitzer, ich möchte die Frage heute noch nicht beantworten, weil wir sie noch nicht vorentschieden haben. Aber ich bin mit Ihnen der Meinung, daß wir eine Stelle haben müssen, bei der alle diese Aufgaben koordiniert wenden.
Wir haben in den letzten Jahren erlebt — ich sage das auch mit einem Vorwurf gegen mein eigenes Haus —, daß viele Dinge nebeneinander hergelaufen sind, daß vieles mehrgleisig geschehen ist. Das ist nicht gut. Eine Stelle muß für die Koordinierung dasein. Ich persönlich halte aus den Gründen, die ich schon angedeutet habe, die Frage der Entwicklungshilfe für so bedeutsam, daß ich für den neuen Haushalt den Haushaltsausschuß bitten werde, zu bewilligen, daß in meinem Hause eine eigene kleine Abteilung gebildet wind, die sich ausschließlich mit den Fragen der Entwicklungspolitik beschäftigt und die vielleicht diese Koordinierungsfunktion übernehmen könnte. Ich glaube, daß das eine gute und glückliche Lösung wäre.
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Bundesaußenminister Dr. von BrentanoMeine Damen und Herren, ,das hat nichts mit irgendeiner Beschränkung der Zuständigkeit anderer zu tun. Ich weiß sehr wohl, daß die wirtschaftlichen Dinge selbstverständlich im Wirtschaftsministerium ressortieren, und ich denke gar nicht daran, auch nur den Wunsch zu äußern, daß sie dort herausgenommen wenden. Das würde ja jedes andere Ministerium überwuchern. Wir brauchen auch die Zusammenarbeit mit dem Landwirtschaftsministerium, und wir brauchen die Zusammenarbeit mit allen Ressorts. Aber ich wiederhole: eine Koordinierung scheint mir nötig zu sein.Wie sehr hier auch politische Fragen angerührt werden, zeigt z. B. unser Programm der technischen Hilfeleistung. Hier haben wir vielleicht die besten Fortschritte gemacht. Ich darf darauf hinweisen, daß wir, nachdem ,der Bundestag seit Ende 1956 bis einschließlich 1960 insgesamt 290 Millionen DM für den Entwicklungsfonds des Auswärtigen Amtes bewilligt hat, in dieser Zeit an Projekten fertiggestellt und ausgebaut haben 31 Ausbildungsstätten in Entwicklungsländern — .das sind technische Lehnanstalten, Ingenieurschulen, Gewerbeschulen, Handwerksschulen, Industrielehrwerkstätten —, 14 Mustereinrichtungen — das sind Prototypen — Lehrwerkstätten, Musterfarmen, landwirtschaftliche Musterbetriebe auf genossenschaftlicher Basis —. Es wurden rund 500 Sachverständige als Gutachter und Berater der Regierungen oder für Teamarbeiten, z. B. geologische Missionen und meteorologische Dienste, ausgesandt. Es wurden rund 3000 Praktikanten in die Bundesrepublik hereingenommen und rund 900 Stipendien für ein vier- bis achtsemestriges Studium auf technisch-wirtschaftlichem Gebiet finanziert. Es wurden rund 30 volkswirtschaftliche Vorplanungen für große Infrastrukturarbeiten, für Dammbauten und für Hafenbauten durchgeführt, und es wurden rund 35 Projekte auf dem Gebiet des Gesundheitswesens finanziert.Meine Damen und Herren! Gemessen an der Größe der Aufgabe ist das natürlich nicht viel; aber gemessen an den Mitteln, die zur Verfügung standen, kann man, glaube ich, sagen, daß wir in allen Ländern bereits einen ausgesprochenen wirtschaftlichen und politischen Erfolg erzielt haben. Ich glaube, daß die Gelder sich ganz besonders gut verzinst haben; denn ich ersehe aus allen Berichten, die ich bekomme, oder aus persönlichen Eindrücken, die ich im Ausland gewinne, daß gerade diese Form der technischen Hilfeleistung ein ganz besonderes Echo findet; denn sie tut das, was mir wichtig zu sein scheint, sie trägt in diesen Ländern mit dazu bei, daß ein gewisser Stamm an Menschen heranwächst, der auch in der Lage ist, sich demnächst mit den komplizierten Arbeitsvorgängen einer modernen Industrie leichter vertraut zu machen. Darum geht es doch. Wir müssen dort Millionen von Menschen, die in ihrer technischen und bildungsmäßigen Entwicklung noch nicht den Stand erreicht haben wie wir, mit den komplizierten Arbeitsvorgängen der Gegenwart vertraut machen.Ich habe auch gewisse Grundsätze für die technische Hilfeleistung ausarbeiten lassen. Ich trage sie vor, um Ihnen zu sagen, wie wir glauben, daß man diese Probleme lösen soll. Die technische Hilfeleistung wird nur nach dem Grundsatz echter Partnerschaft durchgeführt, d. h., die Regierungen der Entwicklungsländer müssen sich an jedem Projekt, sei es auch mit einem kleinen Anteil, selbst beteiligen. Die Regierungen der Entwicklungsländer übernehmen meistens den Anteil, der dem Land keine Devisen kostet. Sie stellen etwa Grund und Boden zur Verfügung, eventuell auch Gebäude, während wir die technischen und maschinellen Einrichtungen sowie das Personal stellen. Die Förderungsmaßnahmen werden nur für unabhängige Entwicklungsländer durchgeführt, schon weil diese Länder ganz besonders dem Einfluß des Ostblocks ausgesetzt sind.Die Bundesregierung löst sich nach einer Reihe von Jahren von der Finanzierung dieser Projekte. Wenn beide Regierungen, die des Entwicklungslandes und die Bundesregierung, zu der Auffassung gekommen sind, daß die Projekte voll vom Entwicklungsland übernommen werden können, wird entweder die Finanzierung der deutschen Führungskräfte von der Regierung des Entwicklungslandes übernommen oder werden die deutschen Kräfte durch einheimische ersetzt.Förderungsmaßnahmen dieser Art werden nur auf Antrag der Regierungen der Entwicklungsländer getätigt. Wir schlagen sie also nicht etwa vor, wir bieten sie nicht an, sondern wir sind bereit, darüber zu sprechen, wenn man uns darum angeht. Die beiderseitigen Leistungen werden in den Regierungsvereinbarungen, in den Entwicklungsabkommen, in Notenwechseln oder in Protokollen ausdrücklich festgelegt.Ich wiederhole: ich habe den Eindruck, daß sich die Arbeit auf diesem Gebiet bisher bewährt hat. Im übrigen möchte ich das bisher Gesagte nicht wiederholen. Ich glaube, wir sind uns in großen Zügen völlig einig. Wir haben gestern ein langes Gespräch geführt, und ich kann sagen, daß auch im Kabinett über das, was geschehen soll und muß, volle Einigkeit besteht.Über die Größenordnungen sind wir uns natürlich noch nicht im klaren. Die Frage, wie wir die erforderlichen Mittel beschaffen, wird noch manche Überlegung kosten. Für die Bundesregierung kann ich sagen, daß wir uns — das hat auch mein Kollege Erhard schon erklärt — der Verpflichtung bewußt sind und daß wir das menschenmögliche tun werden, um sie auch zu erfüllen.Nur noch eine letzte Bemerkung. Herr Kollege Kalbitzer, Sie fragten nach der letzten Kreditgewährung an die Türkei. Ich darf Sie versichern, Herr Kollege, daß wir diese Kredite dem Land, nicht der Regierung gegeben haben. Es bestanden keine besonderen Beziehungen und Bindungen zu der damaligen Regierung, von der ich nichts Negatives zu sagen habe. Wir glaubten aber, dem Land in seiner wirtschaftlichen und politischen Situation helfen zu müssen. Damals war von einer innenpolitischen Krise in diesem Ausmaß überhaupt noch nichts bekannt. Ich glaube auch, daß die Hilfeleistung, die wir gegeben haben, von der jetzigen Re-Bundesaußenminister Dr. von Brentanogierung durchaus nicht mißverstanden worden ist. Im Gegenteil, man hat, wie schon gesagt worden ist, sehr viel Verständnis dafür gehabt, daß wir in einem kritischen Zeitpunkt noch einmal versucht haben, der Türkei zu helfen. Diese Hilfe ist nicht einer Regierung, sondern dem ganzen türkischen Volk zugute gekommen, und so soll es in Zukunft auch sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Scheel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Diskussion über die Frage der Entwicklungshilfe ist bisher sehr erfreulich verlaufen. Ich habe keinen Unterschied der Meinungen über die vorliegenden Gesetzentwürfe bei den Fraktionen des Hauses festgestellt. Offensichtlich sind wir einer Meinung. Auch die Polemik um die ressortmäßige Verteilung ist durch die Ausführungen des Bundesaußenministers sehr vernünftig beendet worden. Ich bin froh über die Offenheit, mit der die beiden anwesenden Minister über diese Frage mit uns gesprochen haben. Ich bin mit dem Bundesaußenminister der Meinung, daß für die Lösung dieses Problems überhaupt kein besonderes Ressort allein zuständig sein kann. Denn das Entwicklungsproblem erwächst aus einer der Konfliktsituationen, in denen wir leben und die eigentlich unsere ganze Politik bestimmen; sie sind der Politik übergeordnet. Wir sind es in diesem Hause bisher gewöhnt, uns stärker mit der anderen großen Konfliktsituation zu beschäftigen, nämlich mit dem OstWest-Konflikt. Aber ich glaube, das, was der Herr Bundeswirtschaftsminister heute morgen am Anfang gesagt hat, war richtig: wir werden uns in der Zukunft vermutlich mehr und mehr mit dem Konflikt zwischen den industrialisierten und den nicht industrialisierten Völkern oder zwischen den armen und den reichen Völkern befassen müssen.Wie ist dieses Problem entstanden? Meine Herren Vorredner, die hier so übereinstimmend über diese Frage gesprochen haben, haben ein fast lückenloses Bild gegeben. Es ist eben die durch die Industrialisierung entstandene soziale Frage — nun nicht im nationalen, sondern im weltweiten Rahmen —, die wir jetzt zu lösen haben. Die Industrialisierung hat nur einem Teil der Länder dieser Erde Vorteile gebracht. Einen anderen, und zwar den zahlenmäßig größeren Teil der Länder dieser Erde hat die Industrialisierungswelle des vorigen Jahrhunderts gar nicht berührt. So ist ein Teil der Nationen reicher geworden, während die anderen Nationen auf ihrem bisherigen Stand stehengeblieben sind.In den Industriestaaten — ich glaube, darüber sind wir uns jetzt im ganzen Hause einig; vor einigen Jahren war dies anscheinend noch nicht der Fall — ist die soziale Frage weitgehend gelöst. Wir haben kaum noch differenzierte Auffassungen über dieses Problem. Die soziale Frage hat sich aber in diesem weltweiten Rahmen neu gestellt. Die Kluft zwischen den reichen und den armen Nationen ist in den letzten Jahren nicht etwa geringer geworden, sondern der Abstand vergrößert sich mehr und mehr und ist alarmierend geworden. Das bringt uns dazu, uns mehr als bisher mit diesen Fragen zu befassen.Hinzu kommt das Bevölkerungsproblem, das Problem des Bevölkerungszuwachses, explosionsartigen Ausmaßes. Wir haben bisher — ich glaube, Herr Birrenbach hat schon darauf hingewiesen —50 000 Jahre gebraucht, um 2,7 Milliarden Menschen auf dieser Erde zu haben. Nach verhältnismäßig sorgfältigen Berechnungen wird sich diese Zahl in den nächsten 40 Jahren verdoppeln und in weiteren 30 Jahren noch einmal verdoppeln. Das heißt, in den nächsten 70 Jahren wird diese Einwohnerzahl vermutlich vervierfacht sein. Was das heißt, vermögen wir uns in vollem Umfang noch gar nicht vorzustellen.Daß uns das vor schwierige politische Aufgaben stellt, meine Damen und Herren, ist völlig klar. Diese ungeheure Bevölkerungsexplosion spielt sich nicht etwa in allen Nationen gleichmäßig ab, sondern im wesentlichen in den Nationen, die wir heute Entwicklungsländer nennen. Diese Länder stehen vor der Aufgabe, einer Entwicklung Herr zu werden, die durch die Hygiene und durch die Medizin entstanden ist. Wir haben ihnen aus humanitären Gründen das Penizillin gebracht, und nun stellen sie mit Recht an uns die Frage: Wer bringt uns die Arbeitsplätze, die wir brauchen, damit dieser Bevölkerungsüberschuß auch wirklich leben kann und nicht nur vegetieren muß?Es gibt bei uns viele Stimmen, die sagen: Was kümmert uns das? Afrika, Asien das ist alles sehr weit. Warum reißen wir diese Leute, die vielleicht da unter der Sonne liegen und denen es dabei doch gar nicht so schlecht geht — vielleicht sind sie glücklicher als wir; sie arbeiten nicht viel und haben keine Bedürfnisse, die sie unbedingt befriedigen wollen —, aus diesem Dasein heraus? — Meine Damen und Herren, diese Überlegung kommt zu spät. Denn wir haben diese Kontinente in den vergangenen Jahrhunderten in das einheitliche Machtsystem der Welt einbezogen, das Machtsystem, das wir, die Europäer, geschaffen haben, das System, das die jetzige Struktur der Welt begründet hat. Dieses System veranlaßt uns wegen der Interdependenz aller politischen Verhältnisse auf der Welt, uns mit allen politischen Fragen zu befassen; denn nichts geschieht auf dieser Erde, was nicht auch Reflexe bei uns auslöst. Daß die Fragen, die sich dadurch gestellt haben, sehr schwer zu lösen sind, wissen wir. Gleichzeitig mit diesen sozialen und wirtschaftlichen Fragen ist ja auch noch ein psychologisches Problem und ein politisches Problem gestellt.Diese Völker sind — zum Teil ausgelöst durch den zweiten Weltkrieg — in den letzten Jahren und Monaten selbständig, souverän geworden, oder sie werden es noch. Wir erleben das Zeitalter der Entkolonialisierung. Es geht darum, daß wir heute, nachdem die Beziehungen zwischen diesen asiatischen und afrikanischen Völkern bisher durch das Kolonialsystem geprägt worden sind, zu einer Neu-
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Scheelordnung der Beziehungen zwischen den industrialisierten Staaten und diesen neuen souveränen Völkern kommen.Das hat eine weitere politische Bedeutung. Wir sind uns in diesem Hause in vielen Diskussionen letztlich darüber einig geworden, glaube ich, daß der Satz von Clausewitz, der Krieg sei die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, im Zeitalter der Atombewaffnung seine Gültigkeit verloren hat. Wenn Sie wollen, gilt also seine Umkehrung: Die politischen Entscheidungen auf dieser Erde müssen alle im politischen Raume getroffen werden, auch die Entscheidungen in den Auseinandersetzungen zwischen den Großmächten. Weil das so ist, steigt natürlich der Einfluß der neuen souveränen Staaten, auch wenn sie wirtschaftlich noch keine große Bedeutung haben, im politischen Raum und nicht zuletzt in den internationalen Organisationen.Nehmen wir z. B. die UNO, in der viele politische Entscheidungen von weltweiter Bedeutung getroffen werden. Die UNO hat 82 Mitglieder. Von diesen 82 Mitgliedern — das muß man sich immer vor Augen halten — gehören nur 21 dem sogenannten westlichen Lager an. Neun gehören dem Sowjetblock an, und 52 der augenblicklich 82 Mitglieder gehören den afrikanischen und asiatischen Nationen an, die sich keinem der beiden großen Militärblöcke angeschlossen haben. Sie wissen, daß in diesem Jahre wieder eine ganze Anzahl neuer Nationen hinzutreten wird; denn die Entwicklung in Afrika ist ja in vollem Gange. In der Zukunft werden Sie in jedem Monat neue Mitglieder in die UNO bekommen. Alle werden den Block der 52 non-committed nations verstärken.Diese Tatsache hat in der jüngeren und jüngsten Vergangenheit zwischen den beiden großen Militärmächten dieser Erde, nämlich zwischen den Vereinigten Staaten und Rußland, einen Wettbewerb um diese Entwicklungsländer ausgelöst. Von den Rednern der beiden Fraktionen ist heute schon — deswegen will ich das nicht vertiefen — über diesen wirtschaftlichen Wettbewerb, diesen Ländern zu helfen, gesprochen worden. Ich darf nur noch die Entwicklung der jüngsten Zeit etwas verdeutlichen. Es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, anzunehmen, daß etwa Amerika und in seinem Gefolge die übrigen Westmächte bei allen jungen Staaten einen großen Vorsprung materieller Art in der gewährten Hilfe hätten. Wenn wir uns einmal die politisch-kritischen Punkte ansehen, müssen wir — zu unserem Erschrecken vielleicht — feststellen, daß die Russen in der Gewährung ihrer absolut viel kleineren Hilfssumme ungewöhnlich geschickt vorgegangen sind. Ich möchte mich auf einen Vergleich beziehen, den die New York Times vor einiger Zeit über die Gewährung von Entwicklungshilfe in 19 ausgesuchten Ländern in der Zeit von 1955 bis 1960 angestellt hat. Die „New York Times" stellt fest, daß die Vereinigten Staaten in dieser Zeit an diese 19 Länder 4,2 Milliarden Dollar wirtschaftliche Hilfe geleistet haben und die Russen in der gleichen Zeit 2,7 Milliarden Dollar. Daneben tritt noch eine militärische Hilfe, die in diesem Zusammenhang keine Rolle spielt.Wenn Sie aber die Hilfeleistungen der letzten fünf Jahre, nämlich von 1955 bis 1960, miteinander vergleichen, dann kommen Sie zu der überraschenden Feststellung, daß in einer ganzen Anzahl von Ländern dieser 19 die Russen absolut mehr Hilfe geleistet haben als die Amerikaner. Ich zähle Ihnen jetzt einmal diese Länder auf, und Sie werden daraus sofort politische Rückschlüsse ziehen können. In folgenden Ländern haben die Russen in den letzten fünf Jahren mehr geleistet als die Amerikaner: Kuba, Guinea, Ägypten und Syrien, also Vereinigte Arabische Republik, Äthiopien, Irak, Jemen, Afghanistan, Nepal, Ceylon und Indonesien. Daß diese Politik der Entwicklungshilfe für die Russen offensichtlich auch politische Früchte getragen hat, kann man nicht leugnen.Man darf sich durch diesen Tatbestand aber nicht dazu verleiten lassen, das ganze Problem der Entwicklungshilfe als ein Nebenproblem des Kalten Krieges zu betrachten. Das wäre völlig falsch. Denn in den Augen der Länder, über die wir jetzt reden, stellt sich die Konfliktsituation zwischen Ost und West völlig anders dar als bei uns. Natürlich ist schon rein geographisch das Verhältnis Ost-West in jenen Ländern weitgehend anders als bei uns. Aber auch geistig gesehen ist für sie dieses Verhältnis anders. Erinnern Sie sich bitte daran, daß für einen Inder der Bolschewismus nicht etwa ein geistiges Erzeugnis des Ostens, sondern ein geistiges Produkt des Westens ist. Das dürfen wir nicht vergessen, wenn wir uns in die Rolle dieser Länder hineindenken wollen. Sie betrachten ihre Umwelt anders als wir. Die einfachen Alternativen, wie wir sie hier vornehmlich in Wahlkämpfen anwenden, sind in diesen Ländern völlig unbekannt. Auch für uns geläufige Begriffe wie Besitz, Vermögen und Freiheit haben in diesen Ländern nur eine sehr relative Bedeutung. Denn was heißt für einen Menschen, der außer einem einzigen Kleidungsstück, einem transportablen Bett und vielleicht — eine Konzession an den Kapitalismus, geradezu ein Exzeß — einer Wasserpfeife nichts besitzt, Verteidigung des Eigentums, Verteidigung der individuellen Freiheit, die er eigentlich noch gar nicht recht kennengelernt hat?!Wir müssen uns also hüten, die ganze Frage unter dem Aspekt des Ost-West-Konflikts zu sehen. Sonst laufen wir mit tödlicher Sicherheit in die Irre. Was diese Länder suchen, ist Hilfe bei der Lösung ihrer eigenen politischen Aufgabe, und diese politische Aufgabe ist einfach die, ihren Völkern den Anschluß an das immer weiter steigende Lebensniveau der Industriemächte zu verschaffen. Um das zu erreichen, suchen sie zunächst einmal die geeigneten Ordnungsprinzipien. Sie suchen die Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, die geeignet ist, den Fortschritt, den sie haben müssen, so schnell wie möglich zu erreichen. Weil es auf dieser Welt mehrere Ordnungsprinzipien gibt, die ihnen bekannt sind, sind wir in einen Wettbewerb hineingedrängt, den wir bestehen müssen. Ich glaube, wir können ihn auch bestehen. Die Resignation, die man bei uns auf diesem Gebiet so häufig findet, ist meiner Auffassung nach völlig ungerechtfertigt. Die Form der Entwicklungshilfe, die wir — der freie
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ScheelWesten — begonnen haben, ist nämlich von den Sowjets übernommen worden. Sie haben nicht etwas Neues, etwas Eigenes geschaffen; im Gegenteil, sie haben ihre Entwicklungshilfe in der Methode sklavisch der unseren nachgebildet, nämlich in der Form des Kapitalexports. Es sei nur am Rande vermerkt, daß ein Kapitalexport für einen waschechten Kommunisten eigentlich eine Todsünde ist. Darüber will ich gar nicht reden. Aber selbst eine solche ideologische Todsünde nehmen sie in Kauf, wenn sie vordergründige politische Ziele verfolgen wollen. Wir sind nicht in der Verteidigung, sondern in diesem Punkte sind in der Tat die Kommunisten ideologisch und methodisch in die Verteidigung gedrängt worden. Es gilt nur, sie darin zu halten, sie unter Druck zu setzen.Allerdings, muß ich sagen, wenden sie unsere Methode mit viel Geschick an. Sie sind nämlich sehr elastisch in der Handhabung des Kapitalexportes, in der Gestaltung ihrer Zinsen, in den Vereinbarungen über die Rückzahlung. Sie erzählen ihren Partnern nicht, daß sie den niedrigen Zinssatz durch die elastische Vereinbarung über die Rückzahlung doppelt wieder wettmachen; denn dadurch, daß sie den meisten mit Monokulturen — wie soll ich sagen — belasteten Völkern die Rückzahlung durch langfristige Warenverträge erleichtern, entsteht für diese Länder nicht nur ein Vorteil, sondern auch ein Nachteil. Die Preise für die Waren werden ihnen diktiert. Dabei wird der niedrige Zinssatz vielfach kompensiert. Aber immerhin: vordergründig erscheint es sehr elastisch.Wir sind also in den Wettbewerb hineingedrängt. Ich meine, wir sollten ihn nicht nur wegen der Überzeugung von der Richtigkeit unserer Idee geradezu herausfordern, sondern auch aus einem anderen Grund. Hinter der ganzen Geschichte steckt eine merkwürdig wohltuende List der Idee. Für die Entwicklungsländer ist es nämlich im Grunde gleichgültig, ob sie Dollar, Mark, französische Franken oder Rubel bekommen. Alles das hat für sie die gleiche — notabene wohltuende — Wirkung, die Völker von Hunger, Not und Elend zu befreien, ihren Lebensstandard zu verbessern. Insoweit haben die Anstrengungen der Russen genau die gleiche Wirkung wie die Anstrengungen auf der Seite des Westens.Vergegenwärtigen wir uns einmal, was es heißt, durch materielle Zuschüsse, durch materielle Leistungen den Lebensstandard der Individuen in diesen Ländern zu heben. Wir können dann sogar gewisse Hoffnungen an dieses gesamte Projekt knüpfen. Jemand, dessen individueller Lebensstandard gehoben wird, gewinnt damit gleichzeitig auch ein größeres Maß individueller Freiheit. Sein persönlicher Freiheitsbereich wird ohne Zweifel erweitert. Derjenige, dessen persönlicher Freiheitsbereich erweitert wird, der also die Segnungen auch der materiellen Freiheit selber verspürt, wird bei den Entscheidungen, die er täglich zu treffen hat, in welche Richtung er die Gesellschaftsordnung seines eigenen Volkes entwickelt wissen will, sicher eher in die Richtung der Freiheit gehen wollen als jemand, der ihre Segnungen überhaupt nicht kennengelernt hat.
Insofern ist die Entwicklungshilfe, von welcher Seite sie auch immer gegeben wird, gleichermaßen positiv. Ich habe mich besonders gefreut über die Feststellung, die der Herr Bundesaußenminister soeben getroffen hat, es gehöre zu den Grundsätzen der Bundesregierung, Entwicklungshilfe auch dann nicht zu versagen, wenn das betreffende Land solche Hilfe von den Sowjets angenommen habe. Das scheint mir ein sehr vernünftiger und guter Grundsatz zu sein.Für uns hat das Problem Entwicklungshilfe zwei verschiedene Seiten. Zunächst einmal — ich habe es schon gesagt — ist es auch um der Sicherung unserer Kinder willen notwendig, die Kluft zwischen Arm und Reich zu schließen. Aber das Problem hat für uns speziell, die wir einen Staat liberaler Prägung haben, noch die zweite Seite, wie wir den jungen Völkern bei der Erreichung ihrer politischen Ziele unter Vermeidung des Zwanges für die Menschen in diesen Ländern — helfen können.Es ,gibt zwei Methoden, wirtschaftliche Fortschritte zu machen in einem Lande, das zunächst auf der Basis eines archaischen Zustandes seiner Märkte beginnen muß: die eine Methode, die die Chinesen anwenden, nämlich neben der freiwillig hergegebenen Sparquote den Zwang zu setzen, und eine Methode, 'wie wir sie kennen. Das Problem für die Regierungen dieser jungen Staaten ist ja, durch eine überproportionierte Investitionsquote einen schnelleren Fortschritt in der Hebung des Lebensstandards zu erreichen, als er unter normalen Umständen mäglich wäre. Die überproportionierte Investitionsquote kann man entweder durch Zwang schaffen, nämlich die normale, freiwillig hergegebene Sparquote durch Zwang erhöhen, oder aber man nimmt die freiwillig hergegebene Quote und muß dann den Rest von irgend jemandem bekommen.Diese Länder rufen also unsere Opferbereitschaft an; sie richten an uns ¡die Bitte, etwas zu geben, das es den Regierungen dieser Länder möglich macht, eine schnellere Wirtschaftsentwicklung zu erreichen, ohne auf die Menschen in diesen Ländern übermäßigen Zwang auszuüben. Das ist die Aufgabe, vor die wir Bürger Europas und der Industriestaaten gestellt sind, und das ist der Ruf, der an unsere Opferbereitschaft ergeht.Die beiden Gesetze, die vorgelegt worden sind — die erste Lesung des einen soll heute abgeschlossen werden —, sind ein Anfang, ein erster Schritt der Bundesregierung zu einer planmäßigen Entwicklungspolitik. Bisher — ich glaube, darüber bin ich mit den Mitgliedern der Bundesregierung völlig einig — gab es noch keine planmäßige Entwicklungspolitik, noch keine klare Linie auf diesem Gebiete. Wir sind zu der Frage der Entwicklungspolitik — das ist soeben in einer Diskussion zwischen Herrn Birrenbach und Herrn Kalbitzer mehrfach erwähnt worden — etwas durch die Hintertür
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Scheelgekommen, nämlich auf dem Wege über die Exportförderung.
— Ich mache keinen Vorwurf, daß es so ist; denn für uns ist das alles sehr neu. Aber das war der Weg, ,auf dem wir dazu gekommen sind. Zunächst einmal haben wkr im Interesse des Wiederaufbaus unserer .eigenen Wirtschaft Exportförderung betrieben. Wir haben es also einzelnen Gesellschaften ermöglicht, in die Entwicklungsländer, und zwar in steigendem Maße, vornehmlich große Anlagen zu liefern,. In dem Augenblick, wo sich herausstellte, daß die abnehmenden Länder nicht in der Lage waren, diese Anlagen zu bezahlen oder .sofort zu bezahlen, ist die Bundesregierung unter ,dem Druck der über Hermes gegebenen Bürgschaften und Garantien gezwungen gewesen, die nun notleidend gewordenen verhältnismäßig großen Posten zu konsolidieren. Das hat sie dann Entwicklungshilfe genannt.Zwischen dieser und einer politisch motivierten Entwicklungshilfe besteht nur ,ein ganz geringer Unterschied. Die politische Entwicklungshilfe setzt auf der Seite der politisch verantwortlichen Stellen eine aktive Handlung voraus. Das ist aber hier nicht der Fall gewesen. Hier lag ,das Aktive vielmehr zunächst bei der ,auf Aufträge bedachten deutschen Firma, die zur Ankurbelung der deutschen Wirtschaft ,diese Aktivität mit Recht an den Tag legte. Um es anders auszudrücken: Wir haben über die Exportförderung ganz über Nacht Milliardenbeträge vorgefunden, die wir im nachhinein als Entwicklungshilfe umdeklariert haben, obgleich das — das muß ich ganz klar sagen — ungerechtfertigt war. Umdeklarieren können wir Sie höchstens, wenn wir dais rein methodisch betrachten. Aber politisch war es keine Entwicklungshilfe. Wenn es politisch im Einzelfall Entwicklungshilfe gewesen ist, dann mehr oder weniger durch Zufall.Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat vollkommen klar gesagt, worin der Unterschied liegt. Er liegt darin, daß sich die Entwicklungshilfe streng nach den Bedürfnissen der Wirtschaft des Entwicklungslandes richten muß. Die von uns nachher umdeklarierten Exportförderungsmittel haben sich jedoch primär nach den Bedürfnissen der deutschen Wirtschaft gerichtet. Insofern ist das Gesetz, das uns jetzt vorliegt, in der Tat der Anfang einer gesunden und aktiven planmäßigen Entwicklungspolitik.Ich darf vielleicht bei der Gelegenheit etwas zu einer Bemerkung des Herrn Bundeswirtschaftsministers sagen, die er im Zusammenhang mit dem Hermes-Fonds gemacht hat. Er sagte, das sei doch eine großartige Angelegenheit, weil die Verluste praktisch gleich Null gewesen sind. — Herr Minister, das ist ja nun nicht so schwer. Wenn 300 Millionen notleidend werden und dann von der Bundesregierung langfristig konsolidiert werden — sagen wir einmal, auf die nächsten 30 Jahre; in vielen Ländern, ich glaube, ich bin mit Ihnen völlig einig, werden nach den 30 weitere 40 folgen —,
wenn ich also so konsolidiere und dann sage, ich habe überhaupt keine Verluste gehabt, dann ist das zumindest eine etwas polemische Darstellung der Entwicklung.
— Das ist zwar richtig, aber es ist eine etwas polemische Darstellung, wenn ich sage, es ist eine großartige Sache, hier habe ich nie Verluste gehabt, und in Wirklichkeit sind die Verluste vorher herausgenommen worden und stehen jetzt in einem anderen Titel, was wir ja verfolgen können. Deshalb kann ich nicht so betont die Großartigkeit dieser Einrichtung hier hervorheben.Es ist hier die Frage gestellt worden: Nach welchen Grundsätzen sollen wir nun, nachdem wir den Rahmen haben, der, glaube ich, alles abdeckt, Entwicklungshilfe betreiben? Lassen Sie mich zunächst sagen, was Entwicklungshilfe nicht sein kann. Ich glaube, das muß hier auch einmal sehr deutlich gesagt werden. Die Entwicklungshilfe ist auf gar keinen Fall eine karitative Angelegenheit, etwa das Stricken wollener Socken für arme Heiden. Es ist auch—und das ist sehr wichtig—keine militärpolitische Frage. Mit dieser Methode haben die Amerikaner bis in die jüngste Vergangenheit hinein sehr schlechte Erfahrungen gemacht, Damit will ich sagen, daß die militärpolitisch besonders wichtigen Länder in der Entwicklungshilfe nicht deswegen besonders bevorzugt werden sollten. Man sollte wirtschaftliche Entwicklungshilfe und militärische Stützungsmaßnahmen ganz klar auseinanderhalten, sonst geraten wir in die Irre.Es ist auch — das haben sowohl der Herr Bundeswirtschaftsminister als auch der Herr Bundesaußenminister Gott sei Dank sehr deutlich gesagt — keine Exportförderung für unsere eigene Wirtschaft. Das hat nichts damit zu tun. Es ist einfach die Möglichkeit, den Ländern, die aus politischen und sozialen Gründen eine schnellere Entwicklung in der Wirtschaft dringend brauchen, in der Beratung zu helfen, Herr Dr. Birrenbach ist in der Definition sehr präzise gewesen: nicht etwa nur in der technischen Hilfe, sondern in der umfassenden Beratung. Ich möchte ausdrücklich hinzufügen: Dazu gehört auch die ökonomische, fast möchte ich sagen, ökonomistische und die Finanzberatung, die bisher in vielen Fällen völlig gefehlt hat. Es ist also eine Hilfe auf der Basis der Beratung im umfassenden Sinne.Dann erwartet man von uns eine Kapitalhilfe. Ich will in dem Zusammenhang nicht weiter darauf eingehen, ob das verlorene Zuschüsse oder langfristige Kredite und Anleihen sein müssen. Ich bevorzuge das zuletzt Genannte; vielleicht komme ich nachher gerade darauf noch einmal zu sprechen. Aber im wesentlichen ist es natürlich eine Frage unserer Handelspolitik, und das ist erfreulicherweise von allen Fraktionen und von der Bundesregierung hier
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Scheelhervorgehoben worden. Ich bin in völliger Übereinstimmung mit dieser Auffassung. Es geht einfach darum, daß wir in der Tat auch auf lange Sicht die Wirtschaftsstruktur unseres eigenen Landes auf diese weltweite Evolution einrichten. Das ist nötig, und unsere eigene Wirtschaft muß sich auf diese Entwicklung einrichten, damit sie selber keinen Schaden erleidet. Im Spezialbereich, in der Landwirtschaft, ist es von großer Bedeutung. Ich glaube, die Kollegen, die in der EWG mitarbeiten, werden bisher vielleicht noch zuwenig die Auswirkung der Entwicklungshilfe auf die Herausbildung einer gemeinsamen Agrarpolitik in Europa beachtet haben.Lassen Sie mich ein einziges Beispiel aus meiner jüngsten Erfahrung nennen. Ich bin ja gestern erst aus Madagaskar und von der Insel Réunion zurückgekommen. Ich will diese kleine Insel Réunion nehmen. Diese Insel, die 350 000 Einwohner hat, produziert, von anderen kleinen Dingen abgesehen, nur Zucker. Sie kann nichts anderes produzieren als Zucker, weil es keine andere Pflanze gibt, die auf dieser Insel den jährlich regelmäßig auftretenden Taifunen Widerstand leistet. Die Insel kann also nur Zucker produzieren, sonst nichts. Wenn sie die 350 000 Einwohner erhalten will, muß sie ihre Zuckerproduktion absetzen können, und zwar in steigendem Maße absetzen können. Ergo muß sich, da diese Insel der EWG assoziiert ist, der Gemeinsame Markt in Europa mit diesem Phänomen auseinandersetzen und diesem Tatbestand bei der Ausarbeitung einer gemeinsamen Agrarpolitik in Europa in irgendeiner Form Rechnung tragen.Meine Damen und Herren, ich habe an einem Beispiel gezeigt, inwieweit in der Zukunft die Struktur unserer Gesamtwirtschaft dieser weltweiten Evolution Rechnung tragen muß. Das Entscheidende an dieser ganzen Frage ist aber nun, daß wir ein Verhältnis der Partnerschaft — auf völlig gleicher Ebene — zu den Völkern finden; denn das Kolonialzeitalter ist endgültig vorbei. Wir müssen die Zusammenarbeit mit diesen Menschen neu organisieren. Das ist schwierig. Schwierig ist schon der Versuch, die zivilisatorischen Errungenschaften, die doch auch das Produkt einer Kultur sind, auf andere Räume mit anderen Kulturen zu übertragen, ohne daß diese Räume den jahrhundertelangen Entwicklungsprozeß mitgemacht haben. Da gibt es natürlich Friktionen; das müssen wir dabei berücksichtigen.Und noch eines ist dabei zu berücksichtigen. Entwicklungshilfe im wirtschaftlichen Raum kann überhaupt nur dann positive Wirkungen haben, wenn sie Hand in Hand geht mit einer gesunden sozialen Evolution in diesen Gebieten, die in ihren sozialen Strukturen zum Teil sehr, sehr weit zurückliegen. Es ist einfach unmöglich, die technischen Errungenschaften unserer Zivilisation auf Länder zu übertragen, die in ihrer ganzen Sozialordnung noch dem Mittelalter angehören. Die Hilfen haben dann keinen positiven Effekt. Wir müssen es ganz offen aussprechen, daß solche sozialen Evolutionen mit unseren wirtschaftlichen Hilfen Hand in Hand gehen müssen. Sie müssen nebeneinander hergehen mit den nationalen Evolutionen und Revolutionen, die diese Länder jetzt alle durchmachen, um über das Stadium des Nationalismus — das ist einfach nicht zu umgehen — zur Kooperation mit gleichberechtigten Partnern aus dem Bereiche der hochindustrialisierten Mächte zu kommen.Unsere amerikanischen Freunde haben hier sehr viel aus der Vergangenheit gelernt. Sie werden sich daran erinnern, daß gerade in den ersten Jahren die Entwicklungshilfe der Amerikaner sehr konservierend war, sehr am alten hing, wenn ich einmal die Sozialstruktur der bedachten Länder betrachte. Das hat sich Gott sei Dank geändert. Das war auch notwendig. Sonst laufen uns die Russen, die sehr viel Geschick dafür haben, sich mit dynamischen Kräften in diesen Ländern zu verbinden, gerade auf diesem Gebiet davon.Wir müssen auch wissen, daß der Freiheitsbegriff, an dem wir so hängen, um deswillen wir das alles machen, in diesen Ländern im Augenblick noch nuanciert ist. Die nationale Freiheit, die kollektive Freiheit steht gegenwärtig eben noch vor der individuellen Freiheit. Das ist der Grund dafür, daß sich das alles noch auf einem verhältnismäßig schwankenden demokratischen Boden abspielt. Sie erleben die Entwicklung über Demokratien zu halbautoritären Gebilden einfach deshalb, weil die Dinge noch nicht organisch gewachsen sind. Wir müssen die Gefahren kennen und ihnen ins Auge sehen.Lassen Sie mich bitte an dieser Stelle folgendes einfügen. Es ist hier von Entwicklungshilfen die Rede. Ich verstehe das so, daß damit nicht allein die Kapitalhilfen gemeint sind, sondern das ganze Bukett der Entwicklungshilfen. Eine Entwicklungshilfe braucht auch nicht in jedem Falle eine Unterstützung zur Durchführung der Industrialisierung zu sein. Nicht bei allen Ländern, die unterentwickelt sind, ist es vordringlich, zu industrialisieren. Man muß hier zwischen sehr bevölkerten, überbevölkerten und weniger bevölkerten Ländern unterscheiden. . Sehr viele der weniger bevölkerten Länder müssen zunächst einmal ihre Landwirtschaft verbessern, dann — entsprechend den Bedürfnissen eines organisch wachsenden inneren Marktes — kleine Transformationsindustrien und kleine Konsumgüterindustrien gründen. So können sie zu einer organischen Aufwärtsentwicklung kommen. Es wäre völlig falsch, diesen Ländern künstliche Gebilde industrieller Natur von oben her aufpfropfen zu wollen. Das müssen wir ganz klar sehen.Die vorliegenden beiden Gesetzentwürfe schließen einige Lücken, die bisher bestanden. Herr Professor Erhard hat von den mondialen Einrichtungen gesprochen, die wir haben, um Kapitalhilfe zu leisten.Für die rein kapitalmäßigen Maßnahmen haben wir auf der Weltebene die Weltbank und die IFC. Jetzt soll die IDA hinzutreten. Es ist hier von einem der Kollegen begründet worden, warum das so ist. Im Hause besteht wohl Einmütigkeit darüber, dieser Organisation beizutreten.Ich möchte hier einmal fragen — der Herr Bundeswirtschaftsminister hat darüber nicht gesprochen —, welche Absichten bezüglich der Einschaltung des ERP-Vermögens in diese Entwicklungspolitik und6826 Deutscher Bundestag - 3. Wahlperiode — 118, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960Scheelbezüglich der Mobilisierung öffentlicher Mittel für diese Entwicklungspolitik bestehen. Das vorliegende Gesetz regelt diese Fragen nicht. Wir werden auf diese beiden Punkte noch zu sprechen kommen. Dabei muß ich sagen, daß die Mobilisierung öffentlicher Mittel limitiert ist. Die Mobilisierung des ERP-Fonds ist nicht allein von uns abhängig; sie kann nur in Übereinstimmung mit den Vereinigten Staaten von Amerika vorgenommen werden. Diese Tatsache gebietet es, daß wir hier erst Kontakt aufnehmen. Ich habe aber keine Befürchtungen, daß wir nicht Übereinstimmung erzielten. Auch die Bestrebungen der Vereinigten Staaten laufen in die gleiche Richtung wie unsere.Es gibt aber noch eine weitere Ebene, und darauf möchte ich kurz zu sprechen kommen. Wir haben auch die Verpflichtung, in regional begrenztem Rahmen Entwicklungspolitik zu betreiben. Man kann Entwicklungspolitik weder nur weltweit noch nur national — unter bilateralen Gesichtspunkten —treiben. Es gibt auch eine regionale Struktur- und Entwicklungspolitik. Ich verweise darauf, daß gerade die Amerikaner neben den weltweiten Institutionen, die unter starkem amerikanischen Einfluß stehen, für den gesamtamerikanischen Kontinent inneramerikanische Institutionen geschaffen haben.Hier stellt sich die Frage — Herr Birrenbach hat darauf hingewiesen —, ob es für uns nicht notwendig ist, gewisse Prioritäten zu schaffen. Wir müssen uns überlegen, ob wir nicht — gemeinsam mit unseren europäischen Partnerstaaten und Nachbarn — Europa, Afrika und den Vorderen Orient als Prioritätsraum zu betrachten haben. Ich will über diese Prioritäten jetzt nicht weiter sprechen. Die Frage könnte bei der außenpolitischen Debatte noch diskutiert werden. Ich möchte aber dazu — im Zusammenhang mit der Verpflichtung, die wir innerhalb der EWG haben — etwas ganz Konkretes sagen.Wenn wir über Entwicklungshilfen sprechen, dürfen wir nicht vergessen, daß wir in den EWG-Verträgen auch große Verpflichtungen materieller Art übernommen haben. Wir zahlen im Rahmen der EWG innerhalb von fünf Jahren nahezu 1 Milliarde DM als verlorenen Zuschuß. Diese Beträge werden von der EWG als Entwicklungshilfen eingesetzt. Wir müssen uns dafür interessieren, in welcher Form diese Summen verwendet werden. Ereignisse der jüngsten Zeit demonstrieren uns eine gewisse Schwierigkeit, die in der Verwendung der auch von uns mitaufgebrachten Mittel zu bestehen scheint.Sie alle haben in der Presse von dem Ausscheiden des in der EWG für diese Frage zuständigen Generaldirektors, eines deutschen Beamten — des Herrn Dr. Allardt —, gelesen und von der Tatsache, daß er durch einen Nachfolger ersetzt worden ist. Daran sind in der deutschen Presse vielfache politische Kombinationen geknüpft worden. Ich glaube, hier ist nicht der Platz, die politische Seite dieser Frage zu diskutieren. Wir werden in Kürze sicherlich Gelegenheit dazu haben. Aber ich möchte jetzt eine spezielle Seite dieses Problems anschneiden. Denn ich glaube, daß bei der Regelung der Nachfolgeschaft das Auswärtige Amt vielleicht nicht ganz die Delikatesse bewiesen hat, die angebracht gewesen wäre.Es handelt sich um zweierlei. Sie wissen, daß der bisherige Inhaber dieser Position, Herr Dr. Allardt, Botschafter der Bundesrepublik in Indonesien gewesen ist. Ich habe in Afrika aus der Presse plötzlich entnommen, daß sein Nachfolger ein Generalkonsul ist, der jetzt noch in Algier Dienst tut. Ich muß Ihnen offen gestehen: ich habe mich in dem Augenblick gefragt, ob es einen guten Eindruck auf die dem Gemeinsamen Markt assoziierten Länder macht, wenn das Niveau des verantwortlichen Beamten bei der Neubesetzung — wenn auch rein formal — nicht gewahrt wird, und ich frage weiter: halten Sie es für unsere sich entwickelnden Beziehungen zu Schwarzafrika für günstig, daß der amtierende Generalkonsul in Algier mit dieser Aufgabe betraut worden ist? Ich habe den Eindruck — das spreche ich ganz offen aus —, daß hierbei offensichtlich nicht die Zurückhaltung und die Delikatesse gewahrt worden sind, die man hätte erwarten können.
Ich möchte noch einen Punkt streifen, der heute nicht behandelt worden ist. Es handelt sich um die Auswirkung der Entwicklungshilfe auf unser Wirtschaftsgefüge, auf unser Währungsgefüge. Denn gerade das Beispiel der USA — es ist von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister Erhard erwähnt worden — zeigt doch, daß die Entwicklungshilfe natürlich auch eine Auswirkung auf unsere Währungssituation hat. In diesem Zusammenhang hat der Bundeswirtschaftsminister von dem Problem der Bindung der Kredite an Lieferungen aus dem hergebenden Lande gesprochen. Ich möchte sagen, Herr Minister: diese Frage sollte man nicht prinzipiell beantworten — da kann es keine prinzipielle Antwort geben —, sondern diese Frage kann man nur von Fall zu Fall beantworten. In der Tat gibt es dabei Möglichkeiten, unsere jeweilige Währungssituation positiv zu beeinflussen.Ich will damit sagen: wenn wir Devisenüberschüsse haben, wie es jetzt der Fall ist, wäre eine Bindungsklausel natürlich vollkommen abwegig. Im Gegenteil, so möchte ich fast sagen, sollte man sehr viel Freiheit in der Verwendung der Mittel lassen. Wenn wir aber einmal — was die Vereinigten Staaten jetzt erleben — einen zu starken Abfluß unserer Devisen haben, habe ich überhaupt keine Bedenken, eine solche Bindungsklausel in die Verträge aufzunehmen. Denn letzten Endes ist das, was die Staaten bekommen, in jedem Fall zu ihrem Nutzen.Ein zweites Problem, das nicht geklärt worden ist, betrifft die Frage: wieviel wollen wir denn aus Steuermitteln einmal leisten? Es ist auch nicht geklärt worden: wieviel kann denn unser Kapitalmarkt überhaupt leisten? Manchmal besteht die irrtümliche Auffassung, wir seien ein kapitalreiches Land. Das ist ein Irrtum. Wir haben ja keinen nennenswerten Kapitalüberschuß. Was wir haben, sind
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ScheelDevisenbestände. Das darf man nicht verwechseln. Wir sind kein Kapitalüberschußland.
— Unsere Investitionen, Herr Dr. Deist, sind ja doch nicht unberechtigt, sie sind doch nötig! Wir haben keinen Kapitalüberfluß, sondern sind ein Land, das manchmal — wenn ich die zurückliegende Zeit betrachte — nur mit Mühe seine notwendigen Investitionen finanziert. Es wäre auch falsch, wenn wir den Entwicklungsländern jetzt den Eindruck vermittelten, wir hätten Kapitalüberfluß. Unsere eigenen Kapitalquellen sind limitiert. Das heißt nicht, daß sie gleich Null seien. Aber sie sind limitiert, und, man muß sich darüber unterhalten, wieweit man den Kapitalmarkt in Anspruch nehmen kann und wie die Mittel aufgebracht werden sollen. Denn es besteht ja doch die Gefahr, Kredite auf einem Wege zu mobilisieren, auf dem unsere Währung in höchste Gefahr gebracht werden könnte.Ich möchte also gleich sagen: was immer wir an Kapitalhilfen aus öffentlichen Mitteln oder aus dem Kapitalmarkt geben, darf nur nach gesunden währungspolitischen Gesichtspunkten finanziert werden, nur so, daß die Stabilität unserer Währung auch nicht im geringsten beeinflußt wird. Das scheint mir der Grundsatz für den ganzen Komplex wirtschaftlicher Überlegungen bei der Entwicklungshilfe zu sein. — Ich wollte diese Frage am Schluß noch einmal erwähnen, weil es mir schien, daß sie in der Diskussion noch nicht ausreichend behandelt worden ist.Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im wohlverstandenen beiderseitigen Interesse — ich glaube, darüber sind wir uns alle einigmüssen wir den Entwicklungsländern schnell und wirkungsvoll helfen. Wir müssen die Überlegenheit unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung beweisen, eine Überlegenheit, von der wir ja überzeugt sind; denn wir haben sie im eigenen Lande gegen jede andere Wirtschaftsordnung verteidigt. Den Beweis für ihre Überlegenheit können wir aber, glaube ich, nur dann antreten, wenn wir auch das Maß an ideeller und materieller Opferbereitschaft zeigen, das nötig ist, um unseren Partnern auf der anderen Seite unseren festen Willen vor Augen zu führen.Unser Dilemma — leider! — ist nun — ich glaube, das ist von entscheidender Bedeutung —, daß es die private Wagnisbereitschaft in der Wirtschaft, die unsere eigene Industrialisierung im vorigen Jahrhundertgeschaffen hat, bei uns doch nicht mehr in idem Maße wie damals gibt. Der Ruf nach der Staatssicherheit ist auch in unserer Wirtschaft stärker und stärker geworden. Keiner will mehr ein Wagnis übernehmen. „Nur keine Experimente!", meine sehr geehrten Damen und Herren, ist ja das Schlagwort unserer Zeit.
Wie kann ich denn erwarten, daß Völker, die jetzt,nachdem sie unabhängig und frei geworden sind,neu ihre wirtschaftliche unid ihre politische Geschichte beginnen wollen, sich unsererGesellschaftsordnung zuwenden, wenn ich ihnen nicht ad oculus demonstriere, daß ich bei der Verbindung mit ihnen auch ein Wagnis einzugehen bereit bin?Ich sage daher: es kann der liberalen Idee — und Sie wissen, daß ich dieser Idee sehr anhänge -nicht widersprechen, wenn ich heute, weil die private Wagnisbereitschaft nicht ausreichend vorhanden ist, zusätzlich zu einer maßvollen Art der Zwangskapitalbildung komme, praktisch also durch den Staat Mittel auftreiben lasse, um sie in die Entwicklungsländer hineinzugeben, um dort Aufgaben zu erfüllen, .die erfüllt werden müssen. Nicht um Märkte zu erobern, wollen wir das tun und wollen wir Entwicklungspolitik treiben, sondern um Mitmenschen auf dieser Welt zu befreien — zu befreien: ein wahrhaft liberaler Grundsatz! — von Hunger, Not und Elend, ihnen Freiheit und Menschenwürde zu bringen. Hierzu muß der aus der liberalen Tradition kommende europäische Bürger Stellung nehmen; er kann dieser Frage nicht ausweichen. In den Ländern Asiens und Afrikas hat sich unsere Idee zu bewähren. Aber auf diesem Feld ist auch ihre Ausstrahlung in die Gesellschaft ides Ostens möglich. Wir haben nicht nur in den non-committed-Räumen, in den Räumen zwischen den Machtblöcken, unsere Bewährungsprobe zu bestehen, wir haben hier auch eine Gelegenheit, aggressiv mit unserer freiheitlichen Idee in die Gesellschaft des Ostens hineinzuwirken; denn idas ist die Nahtstelle, an der sich einmal die Entwicklung der gesamten Gesellschaftsordnung der Welt orientieren wird. Im Jahre 1950 hat Herr Toynbee in Chikago in einer Rede, die er über diese Fragen gehalten hat, folgendes gesagt:Der wird einmal das Gesicht der Welt bestimmen, dem es gelingt, die Völker Asiens und Afrikas zu seinen Freunden zu machen.Das heißt doch nichts anderes, als daß sich in den immer mehr sich annähernden Gesellschaftsordnungen auf dieser Welt derjenige durchsetzen wird, der den stärksten Einfluß hat, der in den Entwicklungsländern eine aktive, wirkungsvolle Entwicklungspolitik betreibt.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung wind jetzt die Sitzung von 13 bis 15 Uhr unterbrochen. Wir fahren danach mit dem gleichen Tagesordnungspunkt fort. Bisher liegen noch zwei Wortmeldungen, von Herrn Metzger unid Herrn Dr. Deist, vor.
Ich unterbreche die Sitzung.
Die unterbrochene Sitzung ist wiederaufgenommen.Wir fahren fort in der Aussprache zu Punkt 3 der Tagesordnung. Das Wort hat der Abgeordnete Metzger.
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6828 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Außenminister hat zur Frage der Handhabung der Entwicklungshilfe und der Art und Weise, in der sie geleistet werden soll, wie ich glaube, gute Dinge gesagt. Er hat auch zu der Frage Stellung genommen, ob bilaterale oder multilaterale Entwicklungshilfe. Er hat den richtigen Standpunkt vertreten, daß man in dieser Frage nicht dogmatisch sein darf, daß multilaterale Hilfe notwendig ist, daß aber auch bilaterale Hilfe je nach Lage des Falles nicht umgangen werden kann.Nun haben wir eine besondere Art multilateraler Hilfe, die durch die EWG gegeben wird, und ich glaube, wir haben Veranlassung, uns diese multilaterale Hilfe einmal etwas näher anzusehen.Bekanntlich hat die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft den Entwicklungsfonds geschaffen, der dazu dienen soll, den assoziierten überseeischen Gebieten soziale und wirtschaftliche Hilfe für Infrastrukturen zu leisten. Diese Hilfe wird in der Weise geboten, daß sowohl die Kommission als auch der Ministerrat tätig werden. Diese an sich multilaterale Hilfe — denn die in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vereinigten sechs Staaten sollen diese Hilfe ja den überseeischen Gebieten geben — ist, wenn man sie näher betrachtet, zwar auf dem Papier multilateral, in Wirklichkeit wirkt sie sich aber oft als bilaterale Hilfe aus.Das ist genau der Umstand, der zu dem Fall Allardt geführt hat. Dieser Fall hat ja in der letzten Zeit einiges Aufsehen erregt und einige Beunruhigung hervorgerufen. Herr Kollege Scheel hat vorhin schon auf ihn angespielt.Worum handelt es sich dabei? Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft soll die Hilfe aus dem Entwicklungsfonds geben, zu dem die Bundesrepublik genausoviel Geld gibt wie Frankreich und Italien, nämlich innerhalb von fünf Jahren beinahe eine Milliarde DM. Das ist zwar aufs Ganze gesehen noch kein sehr hoher Betrag. Es ist damit zu rechnen, daß, wenn von neuem über die Frage gesprochen wird, wenn die fünf Jahre abgelaufen sind, der Betrag erhöht wird, und ich halte das sogar für wünschenswert. Aber wie laufen die Dinge nun ab? Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft müßte diese Hilfe bieten. Die assoziierten Gebiete sind der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft direkt assoziiert. Als wir damals dem Vertrag zustimmten — ich habe früher schon einmal darauf verwiesen —, gingen wir davon aus, daß nicht etwa alte Kolonialpolitik der Heimatländer gegenüber den Ländern, zu denen sie besondere Beziehungen haben, fortgesetzt wird, sondern daß hier eine neue Gemeinschaft, eine neue juristische Person in objektiver Weise den überseeischen Gebieten gegenübertreten wird. Das Europäische Parlament hat immer wieder einstimmig verlangt, daß diese überseeischen Gebiete mehr und mehr als gleichberechtigte Partner in Erscheinung treten. Art. 131 des EWG-Vertrages spricht davon, daß es sich um überseeische Gebiete handelt, die in „besonderen Beziehungen" zu den Heimatländern stehen. Diese besonderen Beziehungen sind nichts anderes gewesen als eben die kolonialen Beziehungen. Unter Berufung auf diese Formulierung „besondere Beziehungen" wird von einigen Heimatländern, vor allen Dingen von Frankreich, geltend gemacht, diese assoziierten Gebiete könnten nur durch ihre Vermittlung betreut werden. Soweit die überseeischen Länder der Französischen Gemeinschaft in Frage kommen, nimmt Frankreich für sich in Anspruch, daß nicht die Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft unmittelbar mit diesen Ländern verhandelt, unmittelbar die Aufträge erteilen kann, unmittelbar die Kontrolle ausübt, sondern daß das über französische Stellen gehen muß. Hier hat, wie gesagt, der Konflikt eingesetzt.Hier hat es sich gezeigt, daß Frankreich nicht gewillt ist, darauf zu verzichten, weiterhin seine Hände im Spiel zu haben, weiterhin diese „besonderen Beziehungen", die ja nur ein Merkmal für die Assoziierung waren, zu pflegen, sie aufrechtzuerhalten und zu verlangen, daß nur die Länder assoziiert sein könnten, die auch in Zukunft solche besonderen Beziehungen haben. So kommt es, daß eine ganze Reihe sowohl sozialer als auch wirtschaftlicher Projekte, die von Ländern aus den überseeischen Gebieten vorgelegt worden sind, seit vielen Monaten da liegen, daß die Kommission nicht in der Lage ist, diese Projekte abzuschließen und die notwendigen Aufträge zu erteilen. Von den französischen Stellen werden alle möglichen Bedingungen gestellt. Es wird z. B. die Bedingung gestellt, daß die Unternehmungen, die bei diesen Objekten in den überseeischen Gebieten tätig werden, französische Unternehmungen sind. Wenn das nicht der Fall ist, wird verlangt, daß die Unternehmungen aus den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mindestens mit einem französischen Unternehmen assoziiert sind.Wir sehen also zwar multilaterale Entwicklungshilfe, aber in der Praxis, im Effekt ist es bilaterale Entwicklungshilfe. Frankreich tritt dann praktisch auch als der Geber in Erscheinung. Das hat sehr weittragende Folgen gehabt.Das haben wir zum erstenmal im Falle Guinea gesehen. Guinea hatte die Möglichkeit, sich bei der Volksabstimmung zu entscheiden, ob es zur Französischen Gemeinschaft gehören oder ob es souverän werden wollte. Frankreich selbst hatte Guinea diese Möglichkeit gegeben. Die Guinesen haben von der Möglichkeit, souverän zu werden, Gebrauch gemacht. Das Ergebnis: Frankreich hat sich sofort zurückgezogen und hat bis zum letzten Federhalter alles aus dem Land herausgeholt, was in dieses Land einmal von französischer Seite eingebracht worden war. Das hatte zur Folge, daß dieses Land Guinea in eine große Krise gekommen ist und daß es die Hilfe da genommen hat, wo es sie bekommen konnte. Auch hier hatte Frankreich darauf bestanden, daß besondere Beziehungen aufrechterhalten werden und daß ein Land, das diese besonderen Beziehungen nicht mehr wünscht, also souverän wird, dafür bestraft wird.Wir brauchen uns nur einmal die französische Presse selbst anzusehen. Darin wird auch einiges Kritische dazu gesagt. „Le Monde" z. B. hat in einem Artikel vom 27. Mai dieses Jahres gesagt, die guinesischen Führer, die für die Souveränität ge-Deutscher Bundestag —. 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960 6829Metzgerfochten hätten, hätten zu gleicher Zeit zum Ausdruck gebracht, daß die Souveränität keinen Bruch mit Frankreich bedeuten solle. Sie hatten also gar nicht die Absicht, mit Frankreich zu brechen, sondern wollten freundschaftliche Beziehungen unterhalten. Aber dann heißt es in dem Artikel weiter — es ist ein wenig verklausuliert ausgedrückt, aber es ist klar, was gemeint ist —: „Es fiel Frankreich natürlich sehr schwer, diejenigen seiner ehemaligen Besitzungen, die ihm die Treue bewahrt haben, und diejenigen, die sich von ihm trennten" — diejenigen, die nicht souverän werden wollten, haben die Treue bewahrt; das ist auch eine bezeichnende Einstellung —, „gleichzubehandeln. Es handelt sich hier mehr um Verletzungen des Ehrgefühls." Das ist eben das Bedenkliche, daß diese Dinge, die im Rahmen der Entwicklungshilfe der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft behandelt werden, vom Standpunkt des Ehrgefühls, vom Standpunkt des Prestiges beurteilt werden. Wenn man das tut, macht man notwendigerweise schwere politische Fehler. Diese Fehler sind bei Guinea gemacht worden, und sie werden weiterhin gemacht.Kamerun, das jetzt souverän geworden ist, hat seine Verbindungen zur EWG aufrechterhalten, aber auch unter der Bedingung, daß Frankreich weiterhin die Vermittlung übernimmt. Nun ist Togo souverän geworden, und Togo will diese französische Vermittlung nicht. Es geht jetzt um die Frage, in welcher Weise Togo assoziiert sein soll. Togo wünscht nämlich die Assoziierung. Was sagt man nun bei der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere bei der Kommission, die da völlig im französischen Fahrwasser schwimmt? Man sagt: Wenn die besonderen Beziehungen nicht bestehen, kann die Assoziierung, wie sie in Art. 131 des Vertrags vorgesehen ist, nicht aufrechterhalten werden; dann muß ein neuer Assoziierungsvertrag nach Art. 238 geschlossen werden, — ein Vertrag, der von jedem Land, nicht nur von überseeischen Gebieten, geschlossen werden kann. Aber was ist die Folge eines solchen neuen Vertrages? Ein Land, das einen solchen Vertrag schließt, geht der Rechte verlustig, die mit dem Entwicklungsfonds verbunden sind. Wenn es weiterhin Hilfe haben will, setzt es sich der Gefahr aus, daß man ihm Bedingungen stellt, und da ja im Ministerrat der EWG Beschlüsse nur einstimmig gefaßt werden können, kann bereits e i n Land seine Bedingungen geltend machen. Offenbar geht es jetzt auch bei Togo wieder darum. Togo möchte die Assoziierung und hat wohl den Antrag gestellt, einen neuen Assoziierungsvertrag zu schließen. Man hat in der Kommission der EWG offensichtlich Togo nicht darauf hingewiesen, daß es als souveräner Staat mit allen Freiheiten eines souveränen Partners assoziiert bleiben kann und daß dabei die Rechte aus dem Entwicklungsfonds aufrechterhalten werden können.Alles das sind Dinge, die im Schwange sind und die mit dazu geführt haben, daß der deutsche Botschafter Allardt, der Generaldirektor der Abteilung Überseeische Gebiete, seinen Rücktritt erklärt hat bzw. nach Bonn zurückkehren will. Nun hat die Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ein Dementi vorgelegt. Sie hat erklärt, innerhalb der Kommission gebe es überhaupt keine Meinungsverschiedenheiten, insbesondere keine politischen Gegensätze. Das hört sich ausgezeichnet an. Aber dieses Dementi beweist, daß man Herrn Allardt alleingelassen hat. Denn die Mitglieder der Kommission sind diejenigen, die so etwas wie die Regierung bilden; Herr Allardt ist zwar einer der höchsten Beamten, aber nicht Mitglied der Kommission. Wenn Herr Hallstein und andere sich mit der Kommission und ihrem Vorgehen solidarisch erklärt haben, haben sie Herrn Allardt, der eine möglichst beschleunigte Behandlung der Zuteilung aus dem Entwicklungsfonds und möglichst bald eine Verselbständigung der assoziierten Gebiete mit gleicher Partnerschaft erreichen wollte, alleingelassen. Das ist außerordentlich bedenklich. Ich begrüße alles das, was sowohl vom Herrn Wirtschaftsminister, als auch insbesondere das, was vorhin vom Herrn Außenminister in bezug auf die Entwicklungshilfe gesagt worden ist. Aber hier haben wir ein Beispiel, wie Theorie und Praxis aussehen können. Ich bin noch nicht geneigt, der deutschen Regierung Vorwürfe zu machen. Ich weiß nicht, welche Rolle sie dabei gespielt hat. Aber eines steht fest: hier liegen Probleme, um die sich der Ministerrat kümmern muß, um die sich also auch das deutsche Mitglied des Ministerrates kümmern muß. Hier muß auch einmal bei der Kommission nach dem Rechten gesehen werden.Leisten wir in der jetzt praktizierten Weise Entwicklungshilfe, erreichen wir das genaue Gegenteil von dem, was hier in schönen und guten Worten ausgeführt worden ist. Dann werden wir keine Freunde erwerben, dann werden wir notwendigerweise Mißtrauen säen. Wir müssen dazu beitragen, daß nicht, und wenn noch so versteckt, ein Neokolonialismus entsteht. Wir müssen dazu helfen, daß ein wirkliches Partnerschaftsverhältnis zwischen den europäischen und den überseeischen Ländern entsteht. Was im Augenblick geschieht, ist, wie gesagt, nicht dazu angetan, das zu erreichen.Ich glaube, wir haben gerade auch bei dieser Debatte Veranlassung, die Regierung sehr eindringlich auf diese Probleme hinzuweisen. Ich möchte mich dem anschließen, was Herr Scheel gesagt hat. Ich weiß nicht, ob die Regierung eine sehr glückliche Hand gehabt hat, als sie den Nachfolger für Herrn Allardt gewählt hat. Ich will gar nicht wiederholen, was Herr Scheel ausgeführt hat; es ist meines Erachtens überzeugend. Auch in der Art, wie man Personen auswählt, in der Art, wie man Personen solche heiklen und so außerordentlich diffizilen Aufgaben überträgt, zeigt sich, wie man Entwicklungshilfe leisten will. Auch da kann man die Regierung nur bitten: Überlegen Sie sich genau, was Sie tun, auch in personeller Beziehung! Helfen Sie, daß Leute wie Allardt, die in der Kommission ihren Mann stehen wollen, nicht allein gelassen werden! Helfen Sie, daß diese Leute ihre Aufgabe nach dem Buchstaben und nach dem Sinn des Vertrages wirklich erfüllen können! Bis jetzt ist Herr Allardt von der Kommission und auch vom Ministerrat allein gelassen worden; denn bis jetzt hat der Ministerrat nicht eingegriffen.
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6830 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
MetzgerBei der Entwicklungshilfe müssen wir an die praktischen Möglichkeiten denken, die bereits gegeben sind. Wir haben eine sehr wichtige praktische Möglichkeit in der EWG. Hoffentlich wird diese Möglichkeit in Zukunft so genutzt, daß das erreicht werden kann, was von der Regierungsbank und von allen Sprechern im Bundestag als das Ziel angegeben worden ist.
. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Deist.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Es ist, wenn ich recht sehe, das erstemal, daß sich dieser Bundestag an Hand einer Vorlage der Bundesregierung in größerem Umfange grundsätzlich mit den Problemen der Entwicklungspolitik auseinandersetzen kann. Wir haben in der Vergangenheit mehrere Interventionen vom Parlament aus, meist von seiten der Sozialdemokratie gehabt, die sich mit Entwicklungsproblemen befaßt haben. Dagegen haben wir bisher keine Gelegenheit gehabt und keine Gelegenheit genommen, dieses entscheidende, ich möchte sagen, weltpolitische Problem in aller Breite zu behandeln.Ich frage mich, ob das, was die Bundesregierung heute an Vorschlägen — ich scheue mich, zu sagen: an Konzept — einer Entwicklungspolitik vorgelegt hat, der Bedeutung einer solchen Aussprache entspricht. Ich frage mich insbesondere, ob nicht das lange Zögern, einmal vor der Öffentlichkeit die Grundlagen der Entwicklungspolitik der Bundesregierung darzulegen, allein schon ein negatives Urteil über die deutsche Aktivität auf diesem Gebiete rechtfertigt. Höre ich mir dann an, was uns heute bei der ersten Gelegenheit, die die Bundesregierung sich selbst zur Darlegung der Entwicklungspolitik geschaffen hat, der Herr Bundeswirtschaftsminister gesagt hat, dann kommt mich ein etwas sorgenvolles Gefühl an.Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat sehr zutreffend auf die Bedeutung der Probleme hingewiesen, die auf uns zukommen. Ich frage mich aber, ob es richtig ist, eine solche Darlegung mit der Bemerkung abzuschließen: Wir werden auch dafür Opfer bringen müssen, und über diese Opfer müssen wir uns demnächst einmal unterhalten. Wo ist eigentlich die Gelegenheit gegeben, zu sagen, welche Opfer und in welcher Form sie gebracht werden sollen und wie die großen Aufgaben der Entwicklungshilfe durchgeführt werden sollen, wenn nicht in dieser Debatte vor diesem Parlament? Und dann stehen wir doch auch 14 Tage vor der nächsten Tagung der Neuner-Gruppe für Entwicklungshilfe, die ja auch nicht ohne Vorbedacht in Deutschland stattfindet. Ich meine, die Bundesregierung muß in einer solchen Debatte, wenn sie auf die Bedeutung der Aufgaben und die Größe der Opfer, die verlangt werden, hinweist, wenigstens einiges darüber sagen, wie sie diese Opfer aufbringen will, wie sie die Kosten einer solchen Entwicklungshilfe bestreiten will.Ich habe dann den Vertreter der CDU/CSU-Fraktion aufmerksam angehört, der auch sehr deutlich auf die Bedeutung des Problems hingewiesen hat und der sogar von einem alarmierenden Zustand gesprochen hat. Er hat die Größe des Problems dargestellt, und zum Schluß ist auch nur das Bekenntnis zu Opfern übriggeblieben, wobei hinzugefügt worden ist, man müsse aber darauf achten, daß organisch und nicht zu überstürzt vorgegangen werde. Das ist alles richtig, aber das sind doch Anzeichen dafür, daß gewisse Hemmungen bestehen, Opfer auf sich zu nehmen, die in dieser weltpolitischen Situation erforderlich sind.Wenn ich dann noch den Herrn Kollegen Scheel zitieren darf, der mit seinen Worten meinte andeuten zu müssen, wir seien eigentlich ein kapitalarmes Land, und man solle sich hüten, allzu große Kapitalansprüche an uns zu stellen, dann ist das Bild abgerundet.Es ist doch eine gespenstische Situation zwischen der Darstellung der Größe des Problems, der Betonung, daß das deutsche Volk Opfer bringen muß, auf der einen Seite und dem Vakuum und den zurückhaltenden Bemerkungen auf der anderen Seite, wenn es darum geht, wie die Finanzierung dieser Aufgaben vor sich gehen soll.
Ich habe den Eindruck, daß gerade wegen der Art, wie diese Fragen auch von offizieller Seite bei uns in Deutschland behandelt werden, in ganz Deutschland oder in weiten Kreisen Deutschlands die Bedeutung dieses Problems und seine Tragweite überhaupt nicht erkannt werden.Darum möchte ich wenigstens einige Fakten nennen, um denen, die nicht bereit sind, zu sehen, welche Probleme hier auftauchen, zu Gemüte zu führen, was hier eigentlich vor sich geht. Meine Damen und Herren, ein paar Zahlen: In den Entwicklungsländern leben 2 Milliarden Menschen in unvorstellbarer Not und in unvorstellbarem Elend. Das heißt: Zwei Drittel der gesamten Bevölkerung der Erde hungern. Das sollte man sich einmal vor Augen halten. Darüber kann man nicht mit einigen Bemerkungen über die Bedeutung des Problems hinweggehen.Ein Zweites! Jährlich sterben nach den Feststellungen der UNO in der Welt 35 bis 40 Millionen Menschen an Unterernährung und ihren Folgen. Diese Zahl entspricht fast der derzeitigen Bevölkerung der Bundesrepublik.Als drittes darf ich hinzufügen, daß nach den Feststellungen der UNESCO 45 Prozent der Menschheit weder lesen noch schreiben können und daß diese überwiegend in den Entwicklungsländern wohnen. In so wichtigen, großen Ländern wie Indien und Indonesien müssen wir feststellen, daß nur 20 Prozent der Menschen lesen und schreiben können. Zu der Not, dem Elend und der Krankheit kommt also die Unwissenheit.Dazu kommt ferner ein Tatbestand, den man nicht deutlich genug unterstreichen kann: die Bevölke-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960 6831
Dr. Deistrungsentwicklung, die mit einer solchen Geschwindigkeit vor sich geht, daß die Sachverständigen von einer Bevölkerungsexplosion sprechen. Man muß sich einmal vergegenwärtigen, was es bedeutet, daß wir in Afrika und Asien heute eine Bevölkerung von 1,2 Milliarden Menschen zählen und daß diese Bevölkerung in 40 Jahren, bis zum Jahre 2000, auf 4,5 Milliarden angewachsen sein wird, d. h. um 150 % gestiegen sein wird, während in den europäischen Staaten und in den USA heute etwa 800 Millionen Menschen wohnen, die auf 1,2 Milliarden anwachsen werden, deren Zahl sich also nur um 50 % erhöhen wird. Daran sieht man den Explosivstoff, der in diesen Gebieten liegt. Daraus müßte man doch entnehmen, daß man eine solche Aufgabe in ihrer Problematik und ihren Konsequenzen, die sie von uns fordert, ganz anders behandeln müßte, als es zur Zeit geschieht.Lassen Sie mich auch über diese Aufgabe ein paar Worte sagen. Ein großer Teil dieser Länder lebte bis vor kurzem in feudalistischen Verhältnissen, ein Teil davon in geradezu archaischen Zuständen. Herr Kollege Birrenbach, Sie haben ein großes Wort gelassen ausgesprochen. Sie haben gesagt, diese Länder können nicht in zehn Jahren das durchführen, wozu andere Länder 100 Jahre gebraucht haben. Herr Kollege Birrenbach, diese Länder müssen in zehn Jahren das durchführen, wozu andere Länder 100 Jahre gebraucht haben, und der Industrialisierungsprozeß, der in den alten europäischen Staaten und in den USA einen Zeitraum von etwa 2- bis 300 Jahren erforderte, muß dort in 20 bis 30 Jahren durchgeführt werden.
Diese Länder haben keine Zeit.Man sollte. sich folgendes klarmachen: Diese Länder befanden sich jahrhundertelang in Not und Elend, und sie führen es — zu einem großen Teil mit Recht — auf die Kolonialzeit zurück. Die nationale Befreiung liegt bei allen diesen Ländern weniger als 15 Jahre zurück. Daran sieht man das Tempo der Entwicklung, das in den Entwicklungsländern Platz gegriffen hat. Alle diese großen Staaten wie Indonesien, Indien, Pakistan, auch China haben praktisch ihre Selbständigkeit erst in den letzten 15 Jahren erreicht. Sie haben vor Augen, wie der Wohlstand in den europäischen Staaten aussieht, und sie haben zum anderen vor Augen die ungeheuren Anstrengungen und verhältnismäßig großen Erfolge, die unter kommunistischen Vorzeichen im Zentrum Asiens, nämlich in China, vor sich gehen. Für diese Länder ist nationale Befreiung, ist Freiheit identisch mit der Verbesserung ihrer sozialen Verhältnisse. Die Entwicklung der gesamten Wirtschaft in einem Zeitraum von zwei bis drei Jahrzehnten ist eine ungeheure, ist eine gigantische Aufgabe.
Herr Abgeordneter Dr. Deist, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Birrenbach?
Gern.
Herr Kollege Deist, wollen Sie im Ernst behaupten, es sei den unterentwickelten Ländern oder den bedeutendsten unter ihnen möglich, in zehn Jahren den Prozeß aufzuholen, den wir im Westen auf Grund ganz anderer Voraussetzungen in ungefähr 100 Jahren durchgeführt haben?
Herr Kollege Birrenbach, ich bin im Ernst der Auffassung
— lassen Sie mich doch wenigstens meinen Satz zu Ende führen —, daß dieser Entwicklungsprozeß, der im Grunde genommen den ganzen Industrialisierungsprozeß zum Inhalt hat, für den wir 2- bis 300 Jahre gebraucht haben, in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten durchgeführt sein muß, wenn wir das Spiel in diesem Teil der Welt nicht verlieren wollen. Das ist eine harte Tatsache, über die man sich klar sein muß und über die man nicht hinwegkommt.Dann muß man sich darüber klar sein, daß es sich nicht nur um die Entwicklung der ganzen Wirtschaft handelt, sondern daß letzten Endes das gesamte Gesellschaftsgefüge in diesen Ländern umgewälzt wird. Seine religiösen Grundlagen, die Grundlagen des Gemeinschaftslebens werden zerstört; die ganze gesellschaftliche Ordnung droht aus den Fugen zu geraten. Meine Damen und Herren, glauben Sie wirklich, daß man mit europäischen Vorstellungen einer Marktwirtschaft, wie wir sie auf Grund einer zweihundert-, dreihundertjährigen Tradition und Geschichte zum Leidwesen sehr vieler Menschen, nicht zum Entzücken aller, durchführen, daß man mit europäischen Rezepten an jene Länder herankommen könnte? Es gibt für diese Länder und auch für die europäischen Staaten, die die Bedeutung dieses Prozesses einsehen, kein Zurück. Sie müssen sich darüber klar sein, was vor uns steht, wenn dieser Prozeß gewonnen werden soll.Dazu noch eine weitere Bemerkung, damit sich jeder über die Konsequenzen dieses Bekenntnisses zu einer aktiven Entwicklungspolitik klar ist. Vielleicht erschüttert den einen oder den anderen denn doch die Tatsache, daß es bisher in keinem der Entwicklungsländer möglich gewesen ist, die Nahrungsmittelproduktion entsprechend dem Wachstum der Bevölkerung zu steigern, mit einer einzigen Ausnahme, nämlich mit der Ausnahme des kommunistischen Chinas.Es besteht kein Zweifel darüber — ich glaube, Herr Kollege Birrenbach hat es auch unterstrichen —, daß wir zwar insgesamt in diesen Ländern eine Steigerung von Produktion und Verbrauch haben; aber wenn man die Steigerung auf die wachsende Bevölkerung umrechnet, ergibt sich, daß diese Länder auf der Stelle treten. Das heißt, der Abstand zwischen der Armut dieser Völker und dem Wohlstand der industrialisierten Länder wird nicht etwa verringert, sondern vergrößert sich ungeachtet der bisher geleisteten Entwicklungshilfen von Jahr zu Jahr. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es handelt sich dabei um 1,8 Milliarden Menschen.
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6832 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
Dr. DeistDas ist eine große Gefahr, und es ist eine gigantische Aufgabe.Ich möchte hier deutlich sagen, daß eine solche Situation und die Lösung dieses Problems Risiken in sich bergen, die einzugehen man bereit sein muß. Der indische Staatsmann Nehru hat hierzu für Indien gesagt, hier handele es sich um ein tremendous adventure, ein gewaltig gefährliches Abenteuer.Ich kann die Bemerkung nicht unterdrücken: mit unserer Parole „keine Experimente, kein Risiko! kann man einer solchen risikobehafteten Aufgabe überhaupt nicht gegenübertreten. Das ist eine Parole für Satte und Zufriedene, aber nicht für solche, die bereit sein müssen, die Opfer auf sich zu nehmen, die das gewaltige, risikobehaftete Werk der Entwicklung der zurückgebliebenen Länder fordert.
Man muß dabei bereit sein, auch auf einige Tabus zu verzichten und neue Wege zu gehen. Für mein Empfinden müßte am Anfang einer Darlegung der Entwicklungspolitik so etwas stehen wie ein Gesamtprogramm der Bundesregierung, so etwas wie ein Konzept, meinetwegen, auch wenn Sie es ungern hören, so etwas wie ein Plan der Entwicklungspolitik, damit man sieht, wohin denn diese Politik eigentlich führen soll.
— Meine Damen und Herren, Sie wollen ja hoffentlich nicht sagen, daß das, was der Herr Bundesaußenminister über die sehr allgemeinen Prinzipien der Entwicklungspolitik ausgeführt hat, ein Programm darstelle. Was wir wollen, ist nicht, daß die CDU darüber spricht; was wir wünschen und was das Parlament verlangen sollte — auch Sie, meine Damen und Herren — ist, daß die Bundesregierung ihr Konzept, ihr Programm für Entwicklungshilfe hier darlegt. Das ist weiß Gott nicht geschehen, obwohl der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums — mein Kollege Kalbitzer hat darauf hingewiesen — bereits in seinen Beratungen im Januar 1960 darauf hingewiesen hat, daß von den sporadischen, zufälligen Maßnahmen abgegangen und endlich so etwas wie ein Programm aufgestellt werden müßte.Dazu gehört, daß die planlose Entwicklung einer Entwicklungspolitik aus Gastgeschenken, die Minister bei Besuchen in jenen Ländern machen, endlich einmal aufhört. Dazu gehört auch, daß man sich über die Schwerpunkte dieser Entwicklungspolitik unterhält. Dazu gehört ferner, daß man eine Vorstellung darüber entwickelt — wenn man sie hat, muß man sie uns deutlich machen —, welche Bedeutung z. B. die Entwicklungspolitik in Indien hat; sie kann nicht nur eine deutsche Angelegenheit sein, sondern sie muß mit multilateralen Programmen abgestimmt sein. Dazu gehört aber auch, daß Überlegungen darüber angestellt werden, ob z. B. nicht ein Land wie Tunis in Nordafrika, das so vorbildlich dem Westen zugeneigt ist, ein besonderer Schwerpunkt deutscher Entwicklungspolitik sein sollte. Von alledem haben wir noch nicht das Mindeste gehört.
Gestatten Sie eine' Zwischenfrage?
Ja!
Herr Abgeordneter Birrenbach zu einer Zwischenfrage!
Herr Kollege Deist, ist Ihnen nicht bekannt, daß Indien an erster Stelle des Hermes-Plafonds steht und daß ein Betrag von ungefähr 1,5 Milliarden DM für Indien vorgesehen ist?
Herr Kollege Birrenbach, ich weiß nur eines: es hat sehr lange rgedauert, bis die Bundesregierung sich bereit gefunden hat, anzuerkennen, welche Bedeutung ,dem indischen Projekt zukommt. Im vergangenen Jahr ist dann über den merkwürdigen, durch unsere Finanzierungsmethode bedingten Weg der Umschuldung ein Betrag von etwa 160 Millionen DM bereitgestellt worden, zu denen dann noch etwa 62 Millionen DM, glaube ich, hinzugekommen sind; insgesamt waren es etwas über 200 Millionen DM. Ich weiß, daß im Augenblick über größere Summen verhandelt wird. Aber darauf kommt es hier nicht an. Hier kommt es auf das Konzept, auf die Vorstellungen über die Grundlagen einer Entwicklungspolitik an; sie wären von der Bundesregierung hier zu vertreten. Das ist nicht geschehen. Wir hanen darauf einten Anspruch. Wir können in jeder Zeitung in Deutschland lesen, wie die Verpflichtungen für MillionenBeträge, die wir den Entwicklungsländern zahlen sollen, praktisch zustande kommen: bei Gelegenheitsbesuchen werden Zusagen und Geschenke .gemacht, die keinem grundsätzlichen Programm entsprechen.Herr Kollege Scheel hat ,gesagt, in Deutschland stünde für diese Aufgaben zu wenig Kapital zur Verfügung. Wenn dem so wäre, dann könnten wir die Entwicklungsländer abschreiben, denn der Kapitalbetrag, der hier aufgebracht werden muß, ist enorm. Ich wundere mich sehr, daß weder von der Regierung noch von der Fraktion, der CEDU etwas über die Größenordnung dieses Kapitalbedarfs gesagt warden ist. Herr Kollege Scheel hat festgestellt, wir hätten nicht allzuviel Kapital. An anderer Stelle draußen hören wir, man könne sich zu einer bestimmten Größe der Industrialisierung nur durch Konsumverzicht, durch Sparen und Engerschnallen ,des Gürtels durchbeißen. Wer einmal in diesen Ländern gewesen ist, der weiß, wie wenig Raum da noch zum Engerschnallen des Gürtels vorhanden ist.Wie vollzieht sich eigentlich dieser Vorgang in den modernen industrialisierten Ländern? Die Entwicklung eines so großen Gebietes wie Kalifornien in .dien Vereinigten Staaten — es ist in den letzten Jahrzehnten entwickelt worden — ist natürlich nicht aus dem Kapitalaufkommen von Kalifornien, sondern aus dem Kapitalaufkommen jener entwikkelten Gebiete im Osten Nordamerikas durchgeführt worden. Das Kapital für die Entwicklung
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960 6833
Dr. DeistSüditaliens kommt auch nicht aus Süditalien, sondern aus anderen Bereichen, wo ,eben Kapital anfällt. Wenn wir uns ,einmal mit der Entwicklungspollitik in Deutschland befassen — besonders mit den zurückgebliebenen Gebieten wie Bayerischer Wald, Hunsrück, Eifel usw. —, dann stellen wir schnell fest, daß die rasche industrielle Entwicklung, die heute notwendig ist, eben nur durch Kapital von anderer Seite, aus anderen Gebieten bewirkt werden kann.Dazu scheinen mir einige Worte über das Problem der Finanzierung dieser Entwicklungshilfe notwendig.Wir haben nach den Feststellungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers im letzten Jahre an bilateralen Mitteln 500 Millionen DM, an multilateralen Mitteln gut 400 Millionen DM, das macht rund 900 Millionen DM, aufgewandt. Das sind die eigentlichen Entwicklungsleistungen. Die übrigen Dinge kann man wohl schwerlich als Entwicklungsleistungen rechnen. Dazu gehören insbesondere die durch die Exportversicherung, durch die HermesVersicherung kreditierten privaten Exportkredite.Meine Damen und Herren, dazu muß, glaube ich, einiges gesagt werden, zumal man in der übrigen Welt eine andere Vorstellung über die Bedeutung dieser Entwicklungshilfe durch Exportkreditabsicherung hat, als es bei uns der Fall ist. Es handelt sich dabei um einen Betrag von 1,3 Milliarden DM. Wir wissen — und das ist unbestritten —, daß diese Hilfe aus der Exportförderung der Hermes- Versicherung entwickelt worden ist. Es ist kein Zweifel und wird wohl von niemand bestritten, daß diese Exporte heute in großem Umfange auch in die Entwicklungsländer gehen. Die Frage ist aber doch: Geschieht das in erster Linie und gezielt unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten, oder geschieht es in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Förderung der Exportinteressen? Wenn ich den Herrn Bundeswirtschaftsminister recht verstanden habe, dann hat er auch zum Ausdruck gebracht, daß bei diesen Krediten in der Vergangenheit das Exportinteresse zu stark im Vordergrund gestanden habe und daß die politische Aufgabe der Entwicklungshilfe in Zukunft viel stärker im Vordergrund stehen müsse.Wer einmal kritisch gelesen hat oder sonst darüber unterrichtet worden ist, wie die Debatten in der Neunergruppe zur Entwicklungshilfe im März in Washington vor sich gegangen sind, der weiß, wie kritische Urteile darüber gefällt worden sind, daß wir diese Exportförderung als einen wesentlichen Bestandteil unserer Entwicklungshilfe anzubieten wagen.Das kann aber auch gar nicht anders sein. Private Unternehmen können ja nicht anders als nach Gesichtspunkten der Rentabilität und des Gewinnes vorgehen. Diese Gesellschaften waren gezwungen, die Finanzierung durch Lieferantenkredite, d. h. durch kurzfristige Kredite, innerhalb von fünf Jahren vorzunehmen, und sie waren gezwungen, normale Zinssätze zu verlangen. Das heißt, alles das, was essentiell, was wichtig für die Entwicklungshilfe ist, was zeigt, daß wir bereit sind, Opfer für die Entwicklungsländer zu bringen, fehlt doch im Grunde bei dieser Exportförderung.Der Effekt ist ja auch in bezug auf unseren Export phantastisch. 20 bis 25 % unseres gesamten Exports sind in den letzten Jahren in die Entwicklungsländer gegangen. Was diejenigen, die hier von einer großen Leistung sprechen, vielleicht noch bedenklicher stimmen sollte, ist, daß auch gut ein Viertel unserer Exportüberschüsse aus diesen Entwicklungsländern stammt. Jeder kann sich ausmalen, wie diese Länder einen Export in ihre Länder als Hilfe empfinden, die zu einem ständigen Außenhandelsdefizit gegenüber dem „helfenden" Lande kommen. Das ist kein Vorwurf; aber es sollte für uns doch Anlaß zu der Feststellung sein, daß wir diese Exportförderung nicht als ernsthafte Hilfe für die Entwicklungsländer in Anspruch nehmen können.Was geschieht hier, meine Damen und Herren? Wenn ich einmal von normalen Lieferungen absehe, stellt der wesentliche Teil dieses Exports einen Export langlebiger Kapitalgüter dar. Welches ist die normale Finanzierung für langlebige Kapitalgüter? Eine langfristige Finanzierung! Wenn man solche Exporte über Lieferantenkredite der deutschen Exporteure finanziert, so handelt es sich einfach nicht um eine angemessene Finanzierung. Denn diese private Finanzierung hat doch folgende Konsequenzen: Lieferantenkredite sind — ich sagte es schon — kurzfristige Kredite. Sie müssen abgesichert werden, weil das Risiko, das in diesen Ländern entsteht, billigerweise nicht von Privaten übernommen werden kann. Das heißt, sie müssen versichert werden, und wir haben die Berner Union, die prinzipiell nur eine Absicherung für fünf Jahre zuläßt. Und der Effekt: Das Risiko soweit ein solches vorhanden ist — trägt doch der Bund und niemand anders.Schließlich eine letzte Konsequenz. Im Grunde läßt sich die Auffassung, daß es sich hier um kurzfristige Lieferantenkredite handele, gar nicht durchhalten. Wir werden gezwungen, diese kurzfristigen Kredite immer wieder in längerfristige Kredite umzuschulden — mit all den Schwierigkeiten, die für die Verhandlungspartner, insbesondere auch für jene Länder, denen wir helfen wollen, damit verbunden sind, daß sie immer wieder neu über die Bedingungen eines verlängerten oder eines umgeschuldeten Kredits verhandeln sollen.Das Ergebnis ist, daß alles das, was bei der Finanzierung dieser Exporte geschieht, in Wirklichkeit langfristiger Kredit ist, dessen Risiko der Bund übernimmt. Praktisch sind es langfristige öffentliche Kredite in der Form kurzfristiger Lieferantenkredite.Meine Damen und Herren! Der entscheidende Gesichtspunkt für die Kapitalhilfe an die Entwicklungsländer muß sein — dessen sollte man sich bewußt sein —, daß es gar keine andere Methode zur Finanzierung großer Investitionsprojekte gibt, als in größerem Umfange langfristige Mittel zur Verfügung zu stellen.
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6834 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
Dr. DeistEiner der Herren Kollegen — ich glaube, Herr Birrenbach war es — meinte, mein Freund Kalbitzer habe private Kapitalinvestitionen praktisch wohl abgelehnt. Ich darf darauf hinweisen, daß das keineswegs der Fall ist. Soweit die Möglichkeit zu privaten Kapitalinvestitionen vorhanden ist, sollte alles getan werden, um sie zu fördern. Nur muß man sich über eines klar sein: Bei der Struktur der Wirtschaft der Entwicklungsländer, bei der Aufbaumethode, zu der sie gezwungen sind, bei der Tatsache, daß jedenfalls mittlere und kleinere Unternehmungen in Deutschland weder über genügende Kenntnis noch über genügende Verbindungen in jenen Ländern verfügen, ist der Rahmen für private Investitionen denkbar eng. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich vermag Ihre optimistische Auffassung, daß auf diesem Gebiet noch sehr viel getan werden könne, nicht zu teilen. Sehr viel ist es nicht.Da der Kapitalmarkt bei uns in Deutschland nicht funktioniert, bleibt gar nichts weiter übrig, als für diesen Zweck öffentliche Mittel in großem Umfange zur Verfügung zu stellen. Ich bin Herrn Kollegen Birrenbach dankbar, daß er diesen Gesichtspunkt in der heutigen Debatte vertreten hat. Ich meine, wir sollten von der Bundesregierung verlangen, daß sie uns nun sagt, ob sie derselben Meinung ist und wie sie diese Budgetmittel zur Verfügung stellen will.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es kann kein Zweifel darüber bestehen — und zwischen den Sachverständigen besteht er nicht —, daß dafür öffentliche Mittel in einer Größenordnung von zwei bis drei Milliarden DM im Jahre erforderlich sind, wenn wir unseren Aufgaben und unseren Verpflichtungen gegenüber den Entwicklungsländern wirklich gerecht werden wollen.Wenn ich mir dann überlege, was auf diesem Gebiet geschieht, so muß ich feststellen: Das einzige, was bisher beschlossen worden ist, ist, daß jährlich aus ERP-Mitteln etwa 200 Millionen DM zu einem Fonds angesammelt werden sollen, der nach fünf Jahren 1 Milliarde DM betragen wird. Ich begrüße es, daß wenigstens der Gedanke sich durchgesetzt hat, einen Entwicklungsfonds zu bilden, und begrüße es auch, daß die ERP-Hilfe dazu herangezogen wird. Gestatten Sie mir aber, meine Damen und Herren, zu dem ERP-Fonds eine grundsätzliche Bemerkung. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in seinen Schlußworten darauf hingewiesen, daß dieser Fonds aus Mitteln stammt, die uns die Vereinigten Staaten vor mehr als zehn Jahren als Entwicklungshilfe .zur Verfügung gestellt haben. Ist es nicht merkwürdig, daß wir uns als „Wirtschaftswunderland" mit einer so hochentwickelten Wirtschaft nicht schämen, die Rückflüsse und Erträge aus diesen Entwicklungsmitteln, die uns seinerzeit von den USA zur Verfügung gestellt worden sind, für unsere laufenden wirtschaftlichen Aufgaben zu verwenden, und noch nicht bereit sind, zu sagen: „Was uns seinerzeit großzügig zur Verfügung gestellt wurde, das brauchen wir heute nicht mehr. Unsere wirtschaftliche Entwicklung ist gut genug, unsere Aufgaben aus Eigenem decken zu können. Infolgedessen sind wir bereit, diese Mittel, die im Jahre 1,2 Milliarden Rückflüsse ausmachen, zurVerfügung zu stellen und nicht kleckerweise zu einem Fonds anwachsen zu lassen, sondern angesichts der Größe der Aufgabe, die uns bevorsteht, wirklich eine mutige Entscheidung zu treffen. " Ich weiß, daß aus dem ERP-Fonds zahlreiche wichtige Aufgaben erfüllt werden. Ich weiß insbesondere, daß daraus Aufgaben der Entwicklungshilfe mit erfüllt werden. Ich weiß insbesondere, daß aus diesem Fonds Entwicklungshilfe für mittlere und kleinere Unternehmungen geleistet wird, für die die bisherigen Finanzierungsmittel über Hermes in keiner Weise ausreichen. Wir werden sicherstellen müssen, daß diese Aufgaben ebenfalls erfüllt werden können, und zwar aus eigenen Mitteln. Wohin soll es denn führen, wenn ein Staat in einer solchen wirtschaftlichen Lage wie der unsrigen sagt: Ich kann aus eigenen Mitteln meine wichtigsten wirtschaftlichen Strukturaufgaben nicht lösen!? Darum meine ich, es wäre ein Gebot der Moral, wenn nicht gar der Anständigkeit, zu sagen: Nachdem wir durch amerikanische Hilfe aus den Schwierigkeiten herausgekommen sind, gehören diese uns gratis zur Verfügung gestellten Mittel heute jenen großen Entwicklungsaufgaben in der übrigen Welt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jaeger: Zu einer Zwischenfrage Herr Abgeordneter Dr. Fritz.
Obwohl Sie, Herr Dr. Deist, wahrscheinlich im Ahnen meiner Frage schon Wesentliches vorweggenommen haben, möchte ich Sie doch fragen, ob Ihnen nicht bekannt ist, daß wir im Wirtschaftsausschuß über die Verteilung der ERP-Mittel im Hinblick auf die Entwicklungshilfe und im Hinblick auf die Erfüllung innenpolitischer Aufgaben durchaus Einigkeit innerhalb aller Fraktionen erzielt hatten, ,daß also das, was Sie sagten, eigentlich das ganze Haus betrifft.
Herr Kollege, ich weiß das. Ich weiß, daß unsere Kollegen froh darüber waren, daß es möglich war, in Übereinstimmung miteinander wenigstens einen ,gewissen Teil dieser Mittel für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Davon bleibt aber unberührt, daß es eigentlich eine deutsche Aufgabe ist, also eine Aufgabe nicht nur meiner eigenen Fraktion, sondern auch der Mitglieder Ihrer Fraktion, diese als Entwicklungshilfe eines anderen großen Staates uns zugeflossenen Mittel nunmehr wieder ihrem eigentlichen Zweck, nämlich Entwicklungshilfe zu sein, in den Ländern, in denen das Geld so dringend gebraucht wird, zuzuführen.
Herr Abgeordneter Deist, gestatten Sie eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Fritz?
Ja, aber bitte nicht auf Kosten meiner Redezeit!
Wir haben keine Redezeitbeschränkung!
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960 6835
Sehr verehrter Kollege Deist, finden Sie es dann nicht sehr bedauerlich, daß Sie nicht Gelegenheit hatten, an jener Sitzung ides Wirtschaftsausschusses teilzunehmen und Ihre Gedanken dort schon zu äußern? Ich glaube kaum, daß wir dann so schnell mit der Beratung des ERP-Planes 1960 fertig ,geworden wären, und ich glaube kaum, daß wir, —
Herr Abgeordneter Dr. Fritz, ich bitte, bei der Frage zu bleiben!
— auch wenn Sie diese Meinung vertreten hätten, allgemeine Zustimmung ,auch von Ihrer Seite gefunden hätten!
Herr Kollege Fritz, mir scheint, daß eine Frage, die ,die Entwicklungshilfe betrifft und so global behandelt wenden muß, an dieser Stelle ihren Platz hat. Das ist keine Frage nur des ERP-Fonds. Darauf möchte ich entscheidenden Wert legen.
— Nein, so geht es nicht, Herr Kollege. Wenn man sich über dieses Problem unterhält, muß man zugleich das andere große Problem lösen: Woher sind die Mittel aufzubringen, die bisher aus dem ERP-Fonds für innerdeutsche Zwecke zugeflossen sind? Das Problem sollte hier behandelt werden.
— Herr Kollege, meine Frage ist, ob wir nicht hier und heute im Rahmen der großen Debatte über Entwicklungsfragen eine Antwort von der Bundesregierung hätten bekommen müssen und ob nicht diese Antwort hätte lauten müssen: Die Zuführung von 'jährlich 200 Millionen DM ist eine unzulängliche und in Wirklichkeit auch unwürdige Methode. Herr Kollege Fritz, ich glaube beinahe, mich in dieser Auffassung mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister einig zu wissen, dem es nicht gelungen ist, sich in dieser Frage insbesondere gegenüber seiner eigenen Fraktion durchzusetzen.
— Mein Vorschlag ist — das ergibt sich deutlich —, die Mittel des ERP-Fonds in vollem Umfang für die Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen und zu gleicher Zeit die weiter erforderlichen Mittel bereitzustellen. Dazu werde ich Ihnen gleich etwas sagen.
— Ich komme gleich darauf. Mein Vorschlag ist also, daß Sie zugleich die Mittel für die Aufgaben bereitstellen, bei denen die Deckung bisher aus dem ERP-Fonds erfolgte.Damit komme ich zu der zweiten Frage, der der Mitteldeckung. Herr Kollege Fritz, ich glaube, es ist keine gute Sache, daß Sie nunmehr versuchen, durch Querfragen von dem Dilemma abzulenken, in dem Sie sich befinden, weil Sie sich gestern abend nicht haben einigen können, wie man die großen Mittel aufbringen soll, die nach Ihrer eigenen Überzeugung für die Kapitalhilfe erforderlich sind. In Ihren Beratungen ist doch auch die Frage aufgeworfen worden, ob man nicht eine Ergänzungsabgabe für die wichtigen Aufgaben der Entwicklung aufbringen sollte. Ich glaube, ich gehe nicht fehl in der Annahme, daß Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, ein Anhänger dieses Gedankens sind. So eng sind ja die Türen und Fenster in diesem Hause nicht.In diesem Zusammenhang noch folgendes: Wir wissen doch, in welchem Umfang zur Zeit in der deutschen Wirtschaft, insbesondere in der Großwirtschaft, Gewinne gemacht werden. Wir wissen, daß ein Teil dieser Gewinne auch aus den Exportgeschäften stammt. Der Herr Bundeswirtschaftsminister und die Bundesregierung würden von der Sozialdemokratie jede Unterstützung finden, wenn sie sich endlich bereit fänden, die Gewinne der Großwirtschaft anzugreifen und für diese entscheidende Aufgabe zur Verfügung zu stellen.
Es wird höchste Zeit, daß Sie sich dazu durchringen; man kann nicht von Opfern sprechen, wenn man nicht zugleich bereit ist, zu sagen, aus welchen finanziellen Quellen man diese Opfer bringen will.
Ein drittes Problem, das der Realisierung des Bodensatzes der Mindestreserven, will ich nicht aufgreifen. Jedenfalls sind angesichts unserer guten Wirtschaftslage selbstverständlich auch bei uns in Deutschland Möglichkeiten zur Finanzierung dieser großen Aufgabe gegeben. Man muß aber bereitsein, mutige Lösungen zu finden, und darf nicht mit kleinen Mitteln arbeiten. Man muß bereit sein, das, was man in Worten anbietet, auch in der Tat zu leisten, nämlich Opfer.Wir begrüßen es, daß sich die Bundesregierung entschlossen hat, der Kreditanstalt für Wiederaufbau als einem zentralen öffentlichen Bankinstitut wesentliche Aufgaben der Entwicklungshilfe zu übertragen. Mir scheint eines wichtig zu sein: Ein solches Problem, wie es hier vor uns steht, kann nicht ohne entsprechende Institutionen und ohne organisatorische Vorbereitungen bewältigt werden. Wir stimmen dem Plan hinsichtlich der Kreditanstalt für Wiederaufbau zu. Ich möchte nur fragen: Warum hat man nicht den Mut gefunden, warum hat man nicht die Gelegenheit ergriffen, in dem Namen der Bank und bei den Aufgaben der Bank diese Aufgabe „Entwicklungshilfe" deutlicher hervorzuheben? Da spielen — das merkt man, wenn man den Text und die Begründung durchliest — noch viele Halbheiten und viele Vorbehalte eine Rolle. Ich möchte dringend darum bitten, daß wir ganz grundsätzlich und sehr entschieden darauf hinwirken, daß die Kreditanstalt für Wiederaufbau d i e öffentliche Entwicklungsbank für alle öffentlichen Entwicklungs-6836 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, deli 22. Juni 1960Dr. Deistmaßnahmen, langfristige Kredite und sonstige Finanzhilfsmaßnahmen, wird. Mir scheint, daß die Kreditanstalt für Wiederaufbau dafür eine geeignete Institution ist.Ich möchte noch einen Schritt weitergehen. Wir sprechen so viel von der Koordinierung aller öffentlichen Maßnahmen. Wir sprechen von der Koordinierung auf weltweiter Basis. Wir sprechen von der Koordinierung bei der OECD. Wir müssen eigentlich doch wohl mit der Koordinierung hier bei uns zu Hause anfangen. Ich begrüße es dankbar, daß von der Regierungsbank — soweit ich weiß, zum erstenmal — gesagt worden ist, es sei eine Stelle zur Koordinierung der Entwicklungspolitik erforderlich. Ich bedaure eigentlich, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister es sich bei der Begründung des Gesetzentwurfs hat entgehen lassen, über diesen entscheidenden Gesichtspunkt zu sprechen und einen solchen Vorschlag zur Diskussion zu stellen.Aber es kommt nicht nur auf die Koordinierung der politischen Entscheidungen an. Man muß auch eine organisatorische Einrichtung schaffen, die die praktischen Fragen der Entwicklungspolitik wirklich erfolgreich, lebendig und gründlich zu bearbeiten in der Lage ist. Als die USA den Marshall-Plan ins Leben riefen, war es selbstverständlich, daß sie eine Administration für ihn schufen und einen Administrator bestellten. Und als sie ihre Auslandshilfe ins Leben riefen, wurde ein Amt für Auslandshilfe geschaffen, das als autonome Regierungsstelle die Aufgabe hat, die gesamte amerikanische Auslandshilfe zu überwachen und zu leiten. Bei uns ist alles das eine Gelegenheitsarbeit für Minister und für fünfköpfige interministerielle Ausschüsse. Man muß sich dabei bewußt sein, welchen Partnern man, in all diesen Fragen der Entwicklungspolitik gegenübersteht.Ich habe mir erlaubt, anzudeuten, daß die wirtschaftliche Entwicklung für diese Länder eine staatliche Aufgabe ist, eine Aufgabe, die unter öffentlicher Verantwortung steht und deren Bewältigung ohne öffentliche Lenkung und Planung und ohne öffentliche Unternehmungen nicht möglich ist. Man kann darüber streiten, was bei uns in Deutschland und in welchem Umfang es erforderlich ist. Für diese Länder gibt es keinen anderen Weg. Diesen Ländern nun zu sagen: Ihr müßt mal sehen, wie ihr nun im Verkehr mit uns, mit unseren 'marktwirtschaftlichen Verhältnissen fertig werdet, — das ist keine Hilfe für jene Länder.Wir brauchen eine kleine aktionsfähige verantwortliche Institution, die in der Lage ist, ein wirkliches Entwicklungsprogramm in seinen Grundlagen zu erarbeiten, die die gesamte Entwicklungstätigkeit in Deutschland überwachen und koordinieren kann, die vor allen Dingen die zahlreichen freien Institutionen der Entwicklungshilfe, die es glücklicherweise bei uns in Deutschland gibt, koordiniert, fördert und die dafür sorgt, daß die Arbeiten dieser freien Institutionen gestützt werden. Das geschieht heute nur in einem sehr geringen Umfang. , Ich meine, meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie müßten sich dafür entscheiden, daß diese Koordinierung, diese Anregung der freien Tätigkeit, die Zusammenfassung dieser gesamten Verwaltungstätigkeit doch wohl eine Institution erfordert. Sie sollte nicht groß sein, sie sollte unbürokratisch arbeiten, sie sollte aber natürlich an die Richtlinien der Bundesregierung und an gewisse Weisungen gebunden sein.Wenn man nicht die finanziellen und die organisatorischen Voraussetzungen für eine Entwicklungshilfe schafft, wird ein wesentlicher Teil der großen und guten Bemühungen umsonst sein, wird vertan.Gestatten Sie mir nun noch einige Bemerkungen zur Personalpolitik des Auswärtigen Amts. Ich bedauere sehr, daß der Herr Bundesaußenminister auf diese Frage nicht eingegangen ist, obwohl mein Kollege Kalbitzer sie hier erörtert hat. Ich möchte, um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, vorweg sagen: Unsere Kritik — mein Freund Kalbitzer hat das bereits unterstrichen — richtet sich nicht gegen die in unserem Außendienst tätigen Menschen. Ich habe einige von diesen Ländern besucht und habe da sehr fähige Menschen gefunden. Ich habe auch viele gefunden, die von ihrer Aufgabe besessen sind. Ich möchte sagen, sie alle haben eigentlich einen bemerkenswert guten Willen, diese so schwere Arbeit in den Entwicklungsländern zu leisten.Aber der beste Mann taugt nicht sehr viel, wenn er am falschen Platze sitzt; ein guter Mann taugt nicht sehr viel, wenn er nicht genügend Mitarbeiter hat, und ein guter Bericht taugt nicht sehr viel, wenn er in der Zentrale nicht das genügende Gehör findet. Ich hoffe, ich brauche diese Sätze nicht durch Beweise zu untermauern; sie sind allzu bekannt. Darum richtet sich das, was ich sage, gegen die Personalpolitik des Amtes. Ich möchte nicht einmal sagen „gegen". Wir sollten uns darüber unterhalten, was auf dem Gebiete der Personalpolitik des Auswärtigen Amtes geschehen muß. Man sollte sich eines vergegenwärtigen: Das A und O der Politik dieser Entwicklungsländer ist Wirtschaftspolitik, nur Wirtschafts- und Sozialpolitik.Ich habe einmal Gelegenheit gehabt, im indischen Parlament die Parlamentsadresse des Präsidenten anzuhören, die dort nach englischem Muster jährlich einmal verlesen wird. 85 % dieser Parlamentsadressen des Präsidenten befaßten sich mit wirtschaftlicher Entwicklung, Fünfjahresplan, mit den Verhältnissen in den wirtschaftlich besonders ungünstig liegenden Gebieten. Das ist das Problem, das in diesen Ländern gelöst werden muß. Da muß man sagen, daß die >normale Ausbildung unserer Diplomaten nicht ausreicht und daß der normale, selbst hochbefähigte Diplomat nicht unter allen Umständen der richtige Repräsentant deutscher Interessen in diesen Ländern ist. Wenn es schon nicht zu umgehen ist, daß der Botschafter aus der Karrierediplomatie stammt, gegen die ich gar nichts sagen will, dann müßte wenigstens sein Stellvertreter ein Mann sein, der in diesen wirtschaftlichen und sozialen Fragen wirklich zu Hause ist.
Wenn ich mir dann die wirtschaftlichen Stäbe unserer diplomatischen Missionen und unserer kon-
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Dr. Deistsularischen Vertretungen in jenen Gebieten ansehe, stelle ich fest — das richtet sich wieder nicht gegen die Personen —, daß sie, verglichen mit der Größe der Aufgabe, quantitativ und qualitativ völlig unterbesetzt sind.Meine Damen und Herren, eine weitere Bemerkung, die nun allerdings an die Grundlagen. dieser Politik ,geht. In jenen Ländern wind eine Wirtschaftspolitik und eine Entwicklungspolitik betrieben, die ,,sich von den Prinzipien der Politik in den alten industriellen Ländern wesentlich unterscheiddet. Es handelt sich hier um die Länder, in denen sich heute junge, nachwachsende Schichten, zum Teil in revolutionären Prozessen, um ihre Freiheit mühen. Die Vertreter der deutschen Bundesrepublik in jenen Ländern müssen bereit unid in der Lage sein, mit diesen aufstrebenden Kräften Fühlunmg zu nehmen. Ich weiß, wie schwer die Aufgabe ist. Aber diese Kräfte snid die zukunftsträchtigen Kräfte in jenen Gebieten. Sie befinden sich manchmal in der Rebellion. Wir werden unsere Aufgabe nicht lösen, wenn unsere Repräsentanten in jenen Ländern nach ihrer Überzeugung, nach ihrer Haltung unid willensmäßig nicht bereit sind, die Fäden zu diesen aufstrebenden Kräften in den Entwicklungsländern zu knüpfen. Manche von ihnen sind nur allzu rgern bereit — und ich habe den Eindruck, sie werden darin von Bonn aus gestützt —, sich selbst dann auf die offiziellen Fäden zu den herrschenden 'Gruppen zu beschränken, wenn jedermann wissen muß, daß diese in ganz kurzer Frist nicht mehr die herrschenden Gruppen seinwerden.Nun ein zweites Problem, das ebenfalls die Besetzung 'dieses auswärtigen Dienstes berührt. Ich meine die Tatsache, daß in jenem Gebieten eine Wirtschaftspolitik getrieben wird, die man, wenn man nicht dogmatisch ist, als eine sozialistische Wirtschaftspolitik bezeichnen muß. Die, Entwicklungspolitik in jenen Ländern steht unter dem ratscheidenden Kriterium, daß die Gemeinschaft, der Staat als der Repräsentant des ganzen Volkes die Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung hat, daß er daher verpflichtet ist, diesen Prozeß zu planen unid zu lenken, und daß er verpflichtet ist, soweit die Privatinitiative nicht ausreicht, öffentliche Unternehmungen zu 'errichten. Es ist ja wohl nicht ganz unbekannt, daß sich .die Kongreßpartei in Indien ein Parteistatut gegeben hat, in 'dem vom „socialistic pattern of society", von der :sozialistischen Grundlage der Gesellschaft, die sie schaffen will, 'gesprochen wird. Wer 'diesen Prozeß verstehen will und bereit ist, 'an dieser Entwicklung mitzuarbeiten, 'der muß auf wirtschaftlichem Gebiet fortschrittlich gesinnt sein und muß begreifen, daß es in jenen Ländern vielfach keine andere Alternative gegenüber dem Kommunismus gibt als eine sozialistische Beweigung. Wer nicht wenigstens bereit ist, das zu begreifen und sich darauf einzustellen, der muß in diesen Ländern ibei der Vertretung des deutschen Volkes und bei 'der Lösung der Aufgabe, zur Entwicklung dieser Länder einen wesentlichen Beitrag zu leisten, fehlgehen.
Was wir auf personellem Gebiet leisten, kann nicht als ausreichend angesehen werden im Hinblick auf die 'Größe der Aufgabe, die vor unis steht. Der Herr Bundesaußenminister sollte einmal ernsthaft prüfen, ob es sich bei diesem Teil seiner Personalpolitik nicht um ein unterentwickeltes Gebiet das Auswärtigen Amts handelt.
Hier handelt es sich nicht um Hilfe, hier handelt es sich nicht um humanitäre Fragen, um Karitas; hier handelt es sich nicht nur um das Schicksal der Menschen in jenen Gebieten. Es handelt sich vielmehr um unser Schicksal. Herr 'Bundeswirtschaftsminister, ich möchte unterstreichen: Es ist unmöglich, daß in dieser 'engen Welt die Industrieländer als Inseln des Wohlstands 'in einem Meer von Elend und Armut lauf ;die Dauer bestehen.Man sollte sich bei dieser 'Gelegenheit an ein Wort des französischen Historikers Bainville erinnern, der einmal gesiagt hat: „In der Politik muß man die Konsequenzen dessen wollen, was man will." Auf diese Konsequenzen kommt es an, und diese 'Konsequenzen haben wir hier vermißt. Ich glaube, es war der Herr Bundesaußenminister, der gesagt hat: Wir werden unsere Entwicklungshilfe nicht davon 'abhängig machen, ob idie Entwicklungsländer auch sowjetische Hilfe erhalten. Nun, darüber braucht kein Streit zu bestehen. Ich finde, das ist, so Wie die Dinge sich entwickelt haben, eigentlich keiner besonderen Betonung wert. Etwas anderes scheint mir wichtiger 'zu sein, und ich bitte doch, einmal ernsthaft zu überprüfen, ob diese Behauptung richtig ist, Herr Bundeswirtschaftsminister: In vielen Fällen ist unsere Aktivität auf dem Gebiet der .Entwicklungspolitik im Grunde genommen Reaktion auf kommunistische Aktion unid nicht das Ergebnis einer eigenen großzügigen Initiative.
In Ägypten sind Wir doch wohl erst richtig 'aufgewacht, nachdem die Verhandlungen über den Assuan-Damm mit den Russen abgeschlossen waren. In Guinea sind wir munter geworden, nachdem ein Sowwjetzonenbotschafter in Aussicht stand. Ich habe
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Dr. Deistden Eindruck, daß wir auch in Indien die Größe der Aufgabe erst begriffen haben, als uns die Drohung aus dem kommunistischen China bewußt wurde. Vorher haben wir einige sehr häßliche Bemerkungen des Herrn Bundeskanzlers über ,den indischen Staatschef hören ,dürfen. Alles das ist viel zu sehr Reaktion, ausgelöst durch kommunistische Aktion, wobei wir auch den Zeitfaktor völlig übersehen.Es kommt nämlich darauf ,an, Ider Zusage möglichst kurzfristig ,auch wirkliche Hilfe folgen zu lassen und nicht nach ider Zusage einige Zeit zu warten, bis man mitteilt, daß eine Expedition bereitstehe, und dann wieder einige Zeit zu warten, bis etwas passiert ist, um dann zu sagen, die Expedition stehe ja schon so Mange bereit und könne herüberkommen. So läßt man sich viel Zeit zwischen der Inaussichtstellung von Hilfe und der effektiven Hilfe. Das ist die Folge der Tatsache, daß wir häufig erst auf kommunistische Aktionen reagieren.Die Entwicklungspolitik hat in der großen Auseinandersetzung zwischen dem Osten und dem Westen in einem ganz anderen Sinne ihren Platz. Ich habe mir erlaubt, auf das Bevölkerungswachstum hinzuweisen. Die Bevölkerung der westlichen Industrieländer, der freien Länder der Welt, wird von heute bis zum Jahr 2000 von 800 Millionen auf 1,2 Milliarden Menschen anwachsen. Jene Bevölkerung, die heute bereits im kommunistischen Einflußbereich lebt, wird von 1 Milliarde auf 21/2 Milliarden Menschen anwachsen. Jene Bevölkerung, die im Randgebiet des kommunistisch beherrschten Raumes lebt, wird gleichfalls von 1 Milliarde auf 2 bis 21/2 Milliarden Menschen anwachsen. Wenn das Ringen des Westens um die Entwicklungsländer nicht von Erfolg gekrönt und ein größerer Teil der bisher nicht gebundenen Menschen in der Welt für freiheitliche Entwicklung gewonnen wird, brauchen wir uns über den Ausgang der weltpolitischen Auseinandersetzung keine Sorge mehr zu machen.Es kommt darauf an, diese Auseinandersetzung zu bestehen, aber nicht mit Worten, sondern mit der Bereitschaft zu Opfern in der Tat, mit dem Mut zu neuen Wegen und zu neuen großzügigen Lösungen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich gebrauche solche Worte ungern; aber in diesen Gebieten vollzieht sich Weltgeschichte. In jenen Dörfern in Asien und Afrika entscheidet sich letzten Endes auch unser deutsches Schicksal, auch das Schicksal jener Menschen, die in der Ostzone noch nicht in Freiheit leben können.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin heute früh bei der Einbringung des Gesetzes von der fast selbstverständlichen Annahme ausgegangen, daß wir uns in allen Parteien über das sittliche Anliegen der Entwicklungshilfe völlig einig sind. Herr Dr. Deist, ich bedaure es aus diesem Grunde, daß Sie sich hier so gebärdeten, als hätten Sie die Entwicklungshilfe erfunden und müßten uns ein Kolleg über das halten, was Entwicklungshilfe ist.
Das wissen wir sehr gut.Sie sagten, ich hätte keine näheren Angaben über die Mittel gemacht. Nein, -das habe ich nicht getan, weil ich es nicht konnte. Aber ich habe deutlich gemacht: wir sind bereit und dabei, aus dem ERP-Fonds frei werdende Mittel in diesen Kanal zu leiten. Wir sind bereit, aus der Veräußerung bundeseigenen Vermögens die Entwicklungshilfe zu speisen. Sie haben mich auch nicht einmal falsch verstanden, wenn Sie glaubten, daß ich der Meinung sei, es müsse auch noch ein persönliches, ein menschliches Opfer dazukommen. Ein Opfer, das eine Ausgabe des Staatshaushalts auslöst, ist in letzter Konsequenz immer ein Opfer des Staatsbürgers. Anders kann der Staat seine Mittel nicht gewinnen. Im übrigen habe ich auch deshalb keine Angaben gemacht, weil das ganze Problem ohne Klarstellung der internationalen und multilateralen Zusammenarbeit nicht fest zu greifen und quantitativ zu bestimmen ist. Sie wissen zum Beispiel, daß im Augenblick der indische Finanzminister Desai in Deutschland weilt. Ich habe mich gestern mit ihm unterhalten. Da war von dem dritten Fünfjahresplan die Rede, dessen Konturen noch keineswegs fest sind. Trotzdem haben wir klar zum Ausdruck gebracht, daß wir willens sind, uns an diesem dritten Fünfjahresplan wieder zu beteiligen. Aber ehe nicht eine multilaterale Abstimmung darüber stattgefunden hat, läßt sich eine Schätzung überhaupt nicht anstellen.Ich sagte heute früh: Wir sind dabei, einen Fonds für Entwicklungshilfe aufzubauen. Wir müssen zum Teil Mittel des Haushalts verwenden, das ist zweifellos richtig. Wir können zu einem Teil aber auch Mittel des Kapitalmarktes verwenden, nämlich zu dem Teil, in dem wir echte Kredite aus diesem Entwicklungsfonds geben, die als gesichert gelten können.In jedem Falle aber bin ich mit Ihnen der Meinung, daß der Hinweis auf die vermeintliche, scheinbare oder tatsächliche Kapitalarmut in Deutschland kein Argument gegen die Entwicklungshilfe ist. Denn die Entwicklungshilfe wird nicht aus dem Kapital, sondern aus dem Arbeitsertrag geleistet. Ich glaube, nur so läßt sich ein Fonds aufbauen, der dann zum Teil revolvierend uns in die Lage versetzt, uns bilateral und multilateral an Hilfen zu beteiligen.Sie haben behauptet, die Bundesregierung habe kein Programm. Ich muß Ihnen widersprechen; denn ich bin meiner Sache ziemlich sicher, daß ich es gewesen bin, der als erster auf internationalem Felde die Forderung erhoben hat: Es geht so nicht weiter, es kann nicht jedes einzelne Land hinsichtlich seiner bilateralen Hilfe mit der Stange im Nebel herum-
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Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhardfahren, sondern es ist eine gegenseitige Abstimmung, eine gegenseitige Unterrichtung notwendig. Durch mein wiederholtes Drängen sind dann schließlich vom Podium der Weltbank aus die Pläne geboren worden, die eine Art Zusammenfassung vorsehen, eine Übersicht, inwieweit die einzelnen Länder schon verschuldet sind, was sie bekommen haben, wie ihre Zahlungsbilanzsituation sich in der Entwicklung wohl gestalten mag, wo die größten Dringlichkeiten vorherrschen, wo bereits andere Länder mit bilateralen oder anderen Hilfen eingetreten sind. Ich glaube, das ist eine ganz klare Konzeption, daß kein Land mehr für sich allein der Auffassung sein kann, es könne das Problem der Entwicklungshilfe lösen. Wir können es nur gemeinsam lösen, und deshalb müssen wir aufs engste zusammenarbeiten. Aus der Bilanz wird sich dann in der kommenden Entwicklung auch noch zeigen, wieviel wir geben müssen und wieviel wir geben können. Beides steht natürlich auch in einem inneren Zusammenhang.Im übrigen darf ich noch darauf hinweisen, daß wir ja nicht von einem Tag auf den anderen in die Lage versetzt worden sind, Entwicklungshilfe betreiben zu können. Das war vielmehr ein Prozeß der Reifung, der immer weiter fortschreitet. Ich bin mit Ihnen wohl der Meinung, daß Deutschland jetzt antreten muß. Wir sind aufgerufen; man fordert uns die Beteiligung an der Entwicklungshilfe ab.Aber wie zum Beispiel der Kapitalmarkt im Augenblick beschaffen ist, wissen Sie selbst. Der Kapitalmarkt funktioniert nicht nur in Deutschland nicht, weil wir ihn nicht ordnen können; denn der Kapialmarkt ist eben Ausfluß der konjunkturpolitischen Situation. Es ist nicht etwa die Schuld der Bundesregierung, wenn er weniger ergiebig geworden ist. Das alles sind doch Momente und Elemente, deren Berücksichtigung notwendig ist, um die Möglichkeiten einer Entwicklungshilfe beurteilen oder gar qualifizieren zu können.Wenn wir uns also ehrlich fragen, müssen wir zugestehen, daß wir erst mählich, und zwar in den letzten Jahren zunehmend, potentielle Kreditgeber für Entwicklungshilfen geworden sind oder in noch höherem Maße' werden müssen.Was die ERP-Mittel anlangt, so bin auch ich der Meinung, daß ein Land auf diesem Entwicklungsstand die Rückflüsse im großen und ganzen in die Kanäle der Entwicklungshilfe leiten sollte. Aber Ihre Zahlen stimmen nicht. Sie sagen, die Rückflüsse machen 1,2 Milliarden DM aus. Das war einmal der Fall, als wegen besonders billigen Zinsfußes ein Interesse bestand, die teureren ERP-Schulden abzulösen, d. h. sie umzuschulden. Im Augenblick machen die ordnungsgemäßen Rückflüsse aus dem ERP-Vermögen 550 bis 570 Millionen DM aus. Im übrigen wissen Sie auch, daß die Anforderungen an das ERP-Vermögen nach wie vor fortbestehen. Ich glaube, Sie werden nicht leugnen wollen, daß damit, daß rund 21/2 Milliarden DM an ERP-Mitteln in Berlin liegen, sicher auch einem besonderen nationalpolitischen Anliegen dieses ganzen Hohen Hauses entsprochen wird.
Nun komme ich noch einmal auf die Moral zurück. Es ist wirklich mißlich, wenn der Eindruck erweckt wird, es gebe hier hinsichtlich der Moral zwischen den Parteien dieses Hauses verschiedene Entwicklungsstufen,
die einen seien überentwickelt und die anderen seien in dieser Richtung unterentwickelt. Ich muß schon sagen: Wenn ich Ihre Anforderungen in so manchen Gesetzen betrachte, die immerhin Ausgaben aus dem Bundeshaushalt bedeuten, habe ich nicht immer den Eindruck, deß dabei in vornehmster Weise an die Entwicklungshin. lind an die Notwendigkeit eines Opfers über den Statshaushalt gedacht haben.
Sie sagten, die Gewinne sollen dazu herangezogen werden. — Die Gewinne werden im allgemeinen versteuert; aber ich bin selbstverständlich der Meinung, daß sie in dem entsprechenden Rahmen, wie er etwa dem Einkommen- oder dem Körperschaftsteuerrecht entspricht, herangezogen werden. Aber es klingt nicht überzeugend, wenn man von Opfern spricht, die man anderen zumutet, und sich selbst dabei heraushalten möchte. Ihre Ansprache hat das immerhin vermuten lassen. Es ist immer leicht, andere zum Zahlen aufzufordern, wenn man selber glaubt, sich heraushalten zu können. Ich meine selbstverständlich ficht Sie persönlich, sondern die potentiellen Wähler Ihrer Partei, so wie sie es glauben.Es ist auch nicht wahr, daß unsere Entwicklungshilfe nur als Aktion auf eine Reaktion zu verstehen ist. Wenn Sie sie in ihrer Streuung betrachten, wird das ziemlich deutlich. Im übrigen möchte ich sagen, daß es niemand der freien Welt verwehren könnte, entsprechend zu handeln, wenn sie die Freiheit da und dort bedroht sieht, wenn in irgendeinem Gebiet der Welt die Gefahr besteht, vom Kommunismus überwältigt zu werden.Wir drücken auch den Entwicklungsländern nicht unser System auf. Das ist selbstverständlich. Sie können schon glauben, daß ich nicht närrisch genug bin, anzunehmen, man könnte die Marktwirtschaft, wie wir sie in Deutschland entfaltet haben, als das Allheilmittel und das allein seligmachende Prinzip in den Entwicklungsländern anwenden, die gerade noch dabei sind, ihre Produktivkräfte in den Anfängen zu entwickeln. Ich bin durchaus aufgeschlossen genug, die freiheitlichen Kräfte in diesen Ländern zu erkennen, auch anzuerkennen. Ich bin aber nicht bereit, anzuerkennen, daß diese unter allen Umständen besser wissen, wie man es machen soll. Das ist ja auch der Gedanke der Partnerschaft, daß nicht einer den anderen für klüger hält, sondern daß man sich zusammentut und zusammenfindet, um gemeinsam zu beraten, was eben in diesen Fragen zu beraten ist.
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6840 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. ErhardMeine Damen und Herren, mir kam es darauf an, vor diesem Hohen Hause und, wenn Sie wollen, vor dem deutschen Volk zu sagen, daß die Entwicklungshilfe ein Anliegen aller deutschen Menschen und damit aller deutschen Parteien ist. Ich bedauere jeden falschen Ton, der hier gefallen ist und den Eindruck erwecken konnte, als ob wir in dieser Frage von einer unterschiedlichen Moral geleitet wären.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Fritz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben die Beratung der Gesetzentwürfe nur zum Anlaß genommen, um eine Diskussion über die gesamten Fragen der Entwicklungshilfe zu führen. Wir wußten durchaus, daß die Bedeutung dieser Gesetzentwürfe in keinem Verhältnis zu der Bedeutung der Entwicklungshilfe an sich steht. Ich glaube, daß deswegen Ihr Vorwurf nicht gerechtfertigt ist. Es hat ja die Zustimmung des ganzen Hauses gefunden, daß wir die erste Beratung des ersten Gesetzentwurfs — die zweite und dritte Beratung der. anderen, zweiten und dritten Gesetzentwürfe soll ja erst am Wochenende stattfinden — verbinden mit einer grundsätzlichen Aussprache über die Entwicklungshilfe, ohne daß wir uns im einzelnen an den Gegenstand der Gesetzentwürfe halten. Wir hatten alle das Gefühl, daß eine solche Diskussion unbedingt notwendig sei.Ich muß allerdings sagen: so schlecht sind die vorliegenden Vorschläge auch nicht, wie es nach der Diskussion heute manchmal geschienen hat. Wir haben diese Vorschläge teilweise miteinander ausgearbeitet und wollen nun gewiß damit nicht „hochstapeln" und die Vorschläge gewissermaßen als Endlösung des Problems der Entwicklungshilfe hinstellen; aber wir wollen auch nicht „tiefstapeln". Wir sollten den Vorschlägen vielmehr die ihnen zukommende Bedeutung beimessen.Ich möchte auf die Gesetzentwürfe nicht im einzelnen eingehen; vieles ist dazu gesagt worden. Ich darf Sie nur daran erinnern, daß das Abkommen über die internationale Entwicklungs-Organisation unsere Bereitschaft vorsieht, der Weltbank, bzw. einer Tochtergesellschaft, rund 50 Millionen Dollar für langfristige Kredite zur Verfügung zu stellen, die unter den normalen kommerziellen Bedingungen, also im Rahmen der normalen Weltbankfinanzierung, nicht gegeben werden können. Man kann doch nicht sagen, daß wir mit der Bekundung unserer Bereitschaft, 200 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, zeigen, daß wir nicht den Willen hätten — sogar multilateral — anonym —, eine Hilfe zu leisten.Ich denke an eine der letzten Sitzungen des Wirtschaftsausschusses, in der wir über das ERP-Sondervermögen sprachen. Wir standen da vor einer sehr schwierigen Aufgabe, nämlich vor der Aufgabe, zur Förderung der Entwicklungshilfe Kürzungen an anderen Stellen vorzunehmen. Es spricht für den guten Willen aller Parteien, die dort vertreten waren, die Entwicklungsländer zu unterstützen, daß wir die Kürzungen einstimmig — ohne lange Diskussionen — vornahmen. Ich finde es gefährlich, Herr Kollege Dr. Deist, daß Sie diese Frage angeschnitten haben. Ich wollte Sie durch meine Frage vorhin gar nicht bedrängen. Es könnte der Eindruck entstehen, als ob wir uns in Fragen des ERP-Fonds gegenseitig den Schwárzen Peter im entscheidenden Augenblick zuschieben wollten. Wir sollten verhüten, daß ein solcher Eindruck entsteht. Wir müssen zu gemeinsamen. Lösungen kommen, und werden in der kommenden Zeit wahrscheinlich manche schwere Entscheidung zu treffen haben. Deswegen sollten wir den Boden für eine Einigung über diesen Punkt schaffen und uns nicht hier in der Debatte darüber auseinandersetzen. Ihr Kollege Lange z. B. weiß, was passieren kann, wenn Gesetzentwürfe vorliegen, in denen verschiedene kleinste, kleine, mittelgroße und große Gruppen mit ihren Interessen Berücksichtigung finden wollen. Wenn wir uns darüber lange auseinandersetzen, bringen wir Beratungen kaum zu Ende und können nicht zu dem kommen, was eigentlich notwendig ist. Bei einer so wichtigen Angelegenheit wie dieser hier sollten wir uns nicht in diese Gefahr begeben.Herr Dr. Deist, wir haben doch schon gemeinsam den Willen gezeigt, Opfer zu bringen. Es ist für niemand von uns einfach, wenn wir plötzlich vor der Notwendigkeit stehen, Gelder für innenpolitische Aufgaben zu schmälern, deren Bedeutung wir durchaus anerkennen, sie den Entwicklungsmaßnahmen unterzuordnen, weil wir die Entwicklungshilfe fördern wollen. Ich möchte aber diese Frage nicht weiter behandeln; wir haben es ja vor der Sitzung so abgesprochen. Herr Dr. Deist hat gesagt, wir gäben heute nur Deklamationen ab — ich glaube, daß ich Sie so richtig verstanden habe —, es sei nicht zu verstehen, wenn wir von Opfer sprächen und nicht danach handelten und, entsprechend der Forderung, Opfer zu bringen, konkrete Vorschläge vorlegten.Ich bin der Meinung, daß von deutscher Seite schon manches in dieser Beziehung getan wurde. Wir haben aber neben der Förderung aller praktischen Maßnahmen für die Entwicklungshilfe gemeinsam die Aufgabe, unser Volk auf ein Opfer vorzubereiten. Oder wollen Sie, sehr verehrter Herr Kollege Dr. Deist, oder ein anderer hier im Saale vielleicht sagen, daß jedem Deutschen die Zahlen des Elends in der Welt, die heute mehrmals sehr eindrucksvoll vorgetragen worden sind, bekannt sind?Wer wollte behaupten, unsere Bürger würden ohne notwendige Aufklärung und ohne weiteres heute bereit sein, an Stelle eines Almosens ein richtiges Opfer zu geben? Wer kennt überhaupt — ich muß das in aller Deutlichkeit sagen — von unserer doch relativ satten Bevölkerung in der freien industrialisierten Welt — ich möchte das gar nicht auf die Bundesrepublik beschränkt wissen — die Zahlen der Not, die Sie selber hier heute genannt haben? Wer macht sich denn bei uns Gedanken über die
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Dr. Fritz
menschlichen Schicksale? Ich will gar nicht von den Zahlen, sondern nur von den Schicksalen der Menschen sprechen, die hinter diesen nüchternen Elendszahlen stehen, die heute hier genannt worden sind. Seien wir doch ehrlich: wie kalt und unbeteiligt wird heute im allgemeinen — nicht nur in unserem Volke — über diese Tatsachen hinweggegangen. Wer weiß denn — um politisch zu reden —, daß vielleicht morgen oder in zehn, zwanzig oder vierzig Jahren, wenn sich die Zahl der Bevölkerung der Erde verdoppelt hat, unser deutsches, unser europäisches, unser westliches Schicksal vielleicht in Afrika, Asien oder in Südamerika entschieden wird? Das ist doch noch niemand oder nur recht wenigen bei uns bewußt.Ich frage 'deshalb, wenn wir von Opfer sprechen — trotz des wirtschaftlichen Schwerpunktes dieser Diskussion über die Wirtschaftshilfe —: wird hier nicht eine gewaltige Erziehungsaufgabe sichtbar, und zwar wahrscheinlich für den gesamten freien Westen? Bei dieser Erziehungsaufgabe gilt es, vor allem auch den Blick unserer Jugend auf das Elend dieser Welt zu richten, denn diese Jugend muß morgen mit den Problemen fertig werden; sie hat morgen — vielleicht in einer schweren Zeit, die durch die Disharmonie auf der Erde heraufbeschworen wird — das Schicksal unseres Staates zu tragen.Wir reden, Herr Dr. Deist, vom Opfer. Wir müssen heute schon von den Opfern von morgen sprechen. Ich möchte einige kleine Beispiele nennen. Weiß ein deutscher Lehrling im tdritten Lehrjahr, daß er in einem Monat an Erziehungsbeihilfen so viel verdient, wie ein asiatischer Bauer ineinem Jahr hat, de,r davon seine Familie ernähren muß? Ist das unserer Jugend bewußt? Ich 'glaube, sicherlich nicht. Wissen denn unsere Jungen und Mädchen, die in einer relativ sorglosen Zeit leben, die ein relativ sorgloses Leben führen können, daß sie das Glück haben, zu jenem kleinen Teil der Erdbevölkerung — ich glaube, Sie nannten die Zahl ein Drittel — zu zählen, dem etwa vier Fünftel der Güter dieser Erde zur Verfügung stehen, und nicht zu jenem großen Teil von zwei Dritteln der Erdbevölkerung, der sich mit einem Fünftel der Güter dieser Erde begnügen muß? Weiß denn jeder von uns überhaupt, welches Glück er hatte, bei diesen reichen Völkern geboren zu werden, welche Lebenschance ihm von vornherein mit der Geburt gegeben war im Vergleich zu einem anderen, der nicht sicher ist, ob er morgen nicht schon vom Hunger hinweggerafft wird, der nicht weiß, ob sein Leben — die Zahlen der Lebenserwartung sind uns ja bekannt — über 25 oder 35 Jahre hinausgeht, der nicht weiß, ob er sein Leben in Arbeitslosigkeit beschließen muß?Wenn Sie aber, sehr verehrter Herr Kollege Kalbitzer, die Bundesregierung und das Parlament ansprechen, dann wind dadurch doch nur ein Teil angesprochen. Sie sollten das gesamte deutsche Volk ansprechen, das doch zum Teil ein sattes Volk •ist und das in den kommenden Jahren — idas müssen wir ganz offen sagen — in mancher Hinsicht wird umdenken müssen, ein Volk, von diem Bundesfinanzminister Etzel, allerdings in einemanderen Zusammenhang, letzthin sagte, er 'glaubte bald, wir seien besser in der Lage, Notzeiten zu bestehen als relativ gute Zeitläufte.
— Bitte sehr, Herr Kollege Kalbitzer!
Herr Kollege Dr. Fritz, wären Sie nicht bereit, einmal von der Höhe ides Opfers zu sprechen? Mein Kollege Deist und ich. halben Beträge genannt, 2 Milliarden DM im Jahr, die als Kapital aufgebracht werden müßten. Sind Sie der Meinung, daß diese Größenordnung richtig ist? Warum sprechen Sie nimmer nur so allgemein und kommen nicht zur Sache?
Ich bin durchaus der Meinung, daß diese Größenordnung richtig sein kann. Ich werde die Frage des Kapitalbedarfs nachher noch kurz streifen.
— Ich habe eigentlich nur eine Antwort auf das gegeben, was Sie gesagt haben, indem Sie der Bundesregierung und auch unserer Fraktion den Vorwurf machten, wir deklamierten nur und forderten nur ein Opfer ohne eigentliche Konsequenz. Ich glaube, so einfach sollte man es doch nicht sehen. Aber es wird sicher viele Möglichkeiten geben, die, Höhe des Opfers zu bestimmen, festzustellen, ob die Zahl stimmt, die Sie genannt haben und der ich vielleicht zuzustimmen bereit bin, und festzulegen, wie dieses Opfer im einzelnen aussehen soll. Ich glaube, wir werden in den kommenden Wochen und Monaten in unserem parlamentarischen Kreis genügend Gelegenheit haben, uns darüber zu unterhalten. Dort können alle die Vorschläge behandelt werden, die heute teilweise gemacht worden sind. Dann haben wir aber auch, glaube ich, die Verpflichtung, uns gemeinsam hinter die Vorschläge zu stellen. Es ist ja relativ einfach, hier zu sagen, wir müßten das und das machen. Aber die Verantwortung für die Durchführung erlegt doch auch der Opposition eine Bürde auf, gerade in diesem Falle, wo wir alle die Bereitschaft erklärt haben, gemeinsam die Entwicklungshilfe zu fördern und zu unterstützen.Es ist aber — um gleich ein konkretes Beispiel anzuführen, Herr Kollege Kalbitzer — gefährlich, wie im Falle der Türkei, eine Hilfeleistung an ein Land als Hilfeleistung an eine Regierung und damit an eine politische Richtung zu bezeichnen. Ich glaube, so haben Sie es angedeutet — glücklicherweise nur angedeutet, das gebe ich zu. Ich muß aber doch sagen, wir kommen durch solche Andeutungen in die Gefahr, fast in jedem Land mit einem Regierungswechsel, der immer zu erwarten ist, wenn die Regierung nicht ganz fest sitzt, unsere Hilfeleistung als eine innerpolitische Stützungsmaßnahme zu be-
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Dr. Fritz
trachten, und ich glaube, keiner in diesem Hause, auch Sie nicht, will unsere Hilfe in dieser generellen Deutung sehen. Wie gefährlich eine solche Andeutung sein kann, sehen wir doch an der Wirksamkeit der östlichen Propaganda gerade auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe. Können Sie sich vorstellen, wie durch Stimmen in der innerpolitischen Auseinandersetzung ein verheerender Erfolg, den wir beide nicht wollen, erzielt werden kann?Vorhin wurde sehr viel zu den Zahlen gesagt, die als Hilfeleistung des Bundes veröffentlicht worden sind. Zahlen trügen allerdings, das gebe ich Ihnen ohne weiteres zu, Herr Dr. Deist. Sie geben, wenn die Positionen nicht klar erkennbar sind, oft ein ungenaues Bild. Ich glaube jedoch, es geht nicht an, die Zahlen überhaupt in ihrem Wert anzuzweifeln und daran die Frage zu knüpfen: was haben wir denn überhaupt getan?Wir haben tatsächlich etwas getan. Wir haben einmal in unserer Wirtschaft private Leistungen zur Verfügung gestellt, und wir haben daneben auch staatliche Leistungen zur Verfügung gestellt. Wir müssen eben private Leistungen und staatliche Leistungen addieren. Wir haben auch das Recht, das zu tun; vor allem dann, wenn wir Vergleiche mit den östlichen Leistungen anstellen. Im Osten gibt es ja nur eine staatliche Leistung; da umfaßt die staatliche Leistung im Grunde genommen jeden Bereich. Wir können also durchaus auch die private Hilfeleistung an die Entwicklungsländer im Rahmen einer globalen Angabe nennen. Ich bin selbstverständlich Ihrer Meinung, daß in der Bewertung hier gewisse Unterschiede gemacht werden müssen.Daß aber` die privaten und die staatlichen Leistungen nicht genügen, dürfte aus der ganzen Diskussion klargeworden sein. Dem haben wir auch nicht widersprochen; wir brauchen das auch nicht näher zu diskutieren.Wir haben die vorliegenden Gesetzentwürfe auch nur als einen Anfang bezeichnet. Es ist von uns nicht bestritten worden — auch nicht in internen Sitzungen —, daß sie nur ein Anfang sind. Aber sie zeigen doch eines, das heute auch zur Diskussion steht: Sie zeigen die Aufgabenstellung allein schon im finanziellen Sektor. Es gibt daneben noch mehrere Aufgabenstellungen; ich möchte sie weglassen und jetzt nur vom finanziellen Sektor sprechen.Das erste Gesetz zeigt uns, daß wir eine finanzielle Hilfe als private Wirtschaftshilfe mit staatlichem Schutz geben sollen und ausbauen müssen.Das zweite Gesetz zeigt uns, daß wir die Aufgabe haben, eine multilaterale Hilfe des Staates anonym im Rahmen überstaatlicher Organisationen zu geben.Das dritte Gesetz zeigt uns, daß wir die Pflicht haben, eine direkte unmittelbare bilaterale Hilfe des Bundes an einzelne Länder zu gewähren.Das, Herr Kalbitzer, müssen wir miteinander verbinden.Ich glaube allerdings, ich hatte Sie zunächst mißverstanden. Sie hatten zuerst die Vorrangstellung der direkten staatlichen Hilfe demonstriert. ZumSchluß allerdings hatten Sie sich ergänzt und, glaube ich, doch auch der privaten Hilfe eine gewisse Bedeutung zugesprochen.
— Sie haben es aber sehr absolut gesagt; es wird sicherlich aus dem Protokoll hervorgehen. Sie haben zunächst der staatlichen direkten Hilfe eine absolute Vorrangstellung gegeben.
— Haben Sie gegeben — ich hatte es mir notiert —und erst später in Ihrer Rede auch die private Hilfe erwähnt. Ich habe es deshalb auch gesagt. Ich wollte Sie aber doch darauf aufmerksam machen, weil es doch so dargelegt worden ist.Wir sollten uns in den Ausschußberatungen — nicht hier — die Mühe machen, alle konkreten Möglichkeiten und alle Vorschläge einer Entwicklungshilfe systematisch zu prüfen, angefangen vom Vorschlag von Herrn Münnemann, dem ich zwar auch keine Realisierbarkeit zuerkenne, der aber doch geprüft werden sollte — warum nicht? — bis eben zum Zuschuß aus dem öffentlichen Haushalt, wie er in verschiedener Variation vorgeschlagen wurde, dann aber auch über die Aufbringung der Mittel. Zu leicht aber können wir uns das nicht machen, Herr Dr. Deist. Es ist sicher wirksam, hier — unter dem Beifall eines Teiles des Hauses — von den Gewinnen zu sprechen. Ich glaube aber, dieser Vorschlag bedarf doch einer strengen volkswirtschaftlichen Prüfung, die wir hier nicht vornehmen können. Und wenn wir von einem Opfer sprechen, wenn wir von dem Gedanken des Opfers ausgehen, dann müssen wir den Gedanken des Opfers auch an die Person knüpfen. An die Personen! Wir sollten in den Ausschüssen dann aber vielleicht auch das Zahlenspiel treiben, das heute getrieben worden ist, und uns überlegen, welche Gesamtsumme gefordert wird, was wir geben müssen, was uns zur Verfügung steht, was wir geben können, ohne gesamtwirtschaftlich eine Beeinträchtigung zu erzielen. Was nützt es, wenn wir die Kuh zu schlachten beginnen, von der wir Milch melken wollen! Dieser Ausdruck wurde in einem anderen Zusammenhang von einem Ihrer Kollegen mit Recht gebraucht.Wir streben — das hat, glaube ich, Herr Kollege Kalbitzer schon gesagt — mit unserer Wirtschaftshilfe auch nicht eine neue Form des Kolonialismus an, und wir verfolgen auch kein wirtschaftliches Hegemoniestreben. Das muß man mit aller Deutlichkeit sagen. Es hat dann aber wenig Sinn — was Herr Metzger vorhin ausführte —, jetzt eine Diskussion über die der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft assoziierten Gebiete zu veranstalten. Herr Scheel hatte dieses Problem zuvor recht vorsichtig behandelt. Ich hätte eigentlich gewünscht, daß es später zumindest mit derselben Vorsicht geschehen wäre. Es ist uns natürlich bekannt, daß im
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960 6843
Dr. Fritz
Hinblick auf die Verwendung der Mittel und die Planung manche deutschen Wünsche offen sind; ich halte es aber für unzweckmäßig, diese Mängel zum Gegenstand der jetzigen Debatte zu machen. Wir sollten unseren Kollegen im Europäischen Parlament, das dafür zuständig ist, die Einwirkung gerade in dieser Frage überlassen. Natürlich liegt da und dort auch der Schatten politischer Interessensphären. Wer wollte das bestreiten? Aber welche Evolution in dieser Welt geht reibungslos vor sich? Wir sollten uns im Urteil vielleicht etwas zurückhalten. Vielleicht können wir gerade dadurch, durch Vertrauen nämlich, manche Unstimmigkeit beseitigen. Deklamationen in diesem Hause jedenfalls verschärfen vielleicht gerade in dieser Sache die Situation unnötigerweise.Wir müssen allerdings einen häßlichen Satz zurückweisen, der vor einiger Zeit irgendwo im Ausland gefallen ist, daß nämlich die „Bibel" — „Mein Kampf" des Deutschen des Jahres 1960 — der Exportkatalog sei — nicht nur im Rahmen der Entwicklungshilfe. Das ist eine sehr häßliche Geschichte, und ich finde, sehr verehrter Herr Kollege Dr. Deist, wir müssen deshalb gerade im Hinblick auf solche Bemerkungen vorsichtig damit sein, unsere Exporthilfe in einer unnötigen Art und Weise anzugreifen. Auch unsere Exporte haben wesentlich zur Entwicklungshilfe beigetragen, wie wir hier anerkennen müssen, und zwar nicht nur die Waren, sondern auch die Leistungen.Es ist nun mit Recht gesagt worden, daß es notwendig ist, das Problem der Entwicklungshilfe als Konzeption unserer Politik zu durchdenken. Da kann man, glaube ich, der Kritik in ihren. Grundsätzen durchaus recht geben. Hier wurde die Frage der Koordination, der Organisation und der Zuständigkeitsverteilung berührt. Das Problem der Entwicklungshilfe hat sicherlich zwei Seiten; es hat eine politische Seite, und es hat eine wirtschaftliche Seite. Das außenpolitische Problem sehen wir insbesondere, wenn wir die sogenannte Rubeloffensive mit ihrem relativ geringen Einsatz und ihrer relativ großen Wirkung betrachten, wenn wir an die muntere Tätigkeit der sowjetzonalen Funktionäre in den Entwicklungsländern denken, auf die vorhin schon hingewiesen worden ist, und wenn wir das Wachstum der neuen Staaten betrachten, das z. B. in der UNO sichtbar wird.Das 'Entwicklungsproblem ist aber auch wesentlich ein ökonomisches Problem. Denken wir nur an die Fragen des Außenhandels, an unsere Finanzpolitik, den Kapitalmarkt, das Kreditsystem, die Konjunktursituation, die international zunehmende Verflechtung und mehr. Eis ist deshalb sehr natürlich, daß wir auch in der Zuständigkeit der Ressorts diese Vielfältigkeit des einen Problems feststellen müssen. An der Lösung der Frage der Entwicklungshilfe sind mit Recht sehr viele Ministerien beteiligt. Es bleibt daher nichts anderes übrig, als sie im Rahmen einer interministeriellen Koordination zu behandelin, unid wir können, glaube ich, auch sagen. daß sich diese Koordination innerhalb der Ministerien bis jetzt im wesentlichen zufriedenstellend vollzogen hat. Dabei wind eis schwer sein, eindeutig die Federführung festzustellen. Man sollte die Federführung in gutem Einvernehmen den drei Ministerien, die sich hauptsächlich damit zu befassen haben, geben je nach der Bedeutung und der Art ides einzelnen Problems, je nachdem, ob es sich um eine außenpolitische, wirtschaftspolitische oder um eine Frage handelt, die das Schatzministerium berührt.Die Koordination in der Regierung kann ,aber nur wirksam sein, wenn wir im Parlament eine geeignete Basis für eine Ausschußarbeit schaffen. Das gehört unbedingt dazu. Deshalb wollen wir auch — darüber sind wir uns wohl alle einig — den Unterausschuß für die Entwicklung fremder Länder beim Auswärtigen Ausschuß neu konstituieren. Wir wollen ihn etwas anders konstituieren als in der Vergangenheit. Wir wollen, daß in diesem Unterausschuß diejenigen Ausschüsse, die sich sachlich mit dem Problem der Entwicklungshilfe zu beschäftigen haben, vertreten sind, also nicht nur der. Auswärtige Ausschuß, sondern auch der Haushaltsausschuß, der Außenhandelsausschuß und der Wirtschaftsausschuß.
— Der Auswärtige Ausschuß ist souverän. Ich hoffe, daß der Herr Vorsitzende nach Anhörung -derjenigen, die ihr Einverständnis zu geben haben, die Frage für eine der nächsten Sitzungen als Punkt auf die Tagesordnung setzt und daß dann autonom die Bildung dieseis Ausschusses beschlossen werden wird. Damit wären Sie doch sicher einverstanden? Trotzdem sollte man die einzelnen Gesetze, be denen wir uns mit den Fragen der Entwicklungshilfe zu beschäftigen haben, so auf die regulären Ausschüsse verteilen, wie die Aufgaben anfallen. Ich habe Iden Auftrag, hier im Namen des Arbeitskreises II der CDU/CSU-Fraktion vorzuschlagen, daß bei dem Gesetz über die Förderung der Wirtschaftsbeziehungen zum ,Ausland, 'insbesondere zu den Entwicklungsländern, dem Wirtschaftsausschuß die ,Federführung gegeben wird.
— Sie wollten ja nachher widersprechen. (Abg. Dr. Löhr: Jetzt schon!)
— Ich nehme den Widerspruch entgegen. Ich habe nur den Auftrag, vorzuschlagen, das Gesetz an dien Wirtschaftsausschuß — federführend — und an den Außenhandelsausschuß — mitberatend — sowie an den Auswärtigen Ausschuß und ,den — der Wunsch ist auch geäußert worden — Haushaltsausschuß zu Überweisen. Die Begründung dafür, daß die Federführung beim Wirtschaftsausschuß liegen soll, darf ich mir wohl aus Zeitgründen ersparen. Nachdem Ihr Widerspruch erfolgt ist, werde ich vielleicht später 'Gelegenheit haben, die Begründung zu geben. Jetzt möchte ich lediglich erwähnen, daß die meisten Paragraphen ,dieses Gesetzes eigentlich doch in den Bereich der Wirtschaftspolitik fallen, vor allem die mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau im Zusammenhang stehenden Fragen, die, vorhin schon im Mittelpunkt einer Diskussion standen. Ich erinnere an die Ausführungen des Herrn Dr.
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6844 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
Dr. Fritz
Deist. Wir müssen uns im Wirtschaftsausschuß manches im Hinblick auf eine neue Fragestellung Überlegen, die gerade durch ,das Gesetz über diese Bankinstitution gegeben wird. Ich möchte jetzt schon, Herr Präsident, vorsorglich den Antrag stellen, wenn es auch sonst üblich ist, ihn am Ende des Referats zu stellen.Wir sollten noch etwas tun. Wir sollten als Parlament fordern, daß jährlich feine Art Gesamtbericht über die Entwicklungshilfe igegeben wird, ähnlich wie das Bundesschatzministerium, ich muß sagen, in einer vorbildlichen Weise, über das Erwerbsvermögen des Bundes in den vergangenen Jahren berichtet hat. Über das Wie kann man sich unterhalten. Manches wird fraglich sein. Ich weiß aber, daß der Haushaltsausschuß ,eine ähnliche Forderung gestellt hat, die dahin geht, zumindest im Rahmen der Vorbemerkungen zum Haushalt eine gewisse Aufschlüsselung zu geben. ;Das System unserer parlamentarischen Arbeit sollte darin bestehen, besonders deutlich zu machen, daß hinter der Arbeit der Ressorts der Wille des Parlaments steht, sowohl was die Koordination als auch was die Ordnung und Ausrichtung anlangt.Wenn wir diesen Anspruch hier erheben, braucht das keinen Eingriff in dieExekutive zu bedeuten. Aber die Exekutive muß ihre Arbeit wiederum der freien Wirtschaft anpassen. Wir sollten, wie gesagt, nicht unterschätzen, welche große Bedeutung die freie Wirtschaft auch in der Frage der Entwicklungshilfe besitzt. Dem hat auch die Regierung Rechnung ,getragen. In der Vorbemerkung der Begründung ihres Gesetzentwurfes heißt es nämlich:Entsprechend unserer Wirtschaftsordnung soll der deutsche Beitrag zum wirtschaftlichen Aufbau der Entwicklungsländer in erster Linie durch die deutsche Privatwirtschaft erfolgen.Im Zusammenhang mit dem Aufbau einer Entwicklungshilfe gibt es drei Hauptprobleme. Sie wurden teilweise detailliert dargestellt. Ich muß aber doch noch einmal auf sie zu sprechen kommen, um uns zumindest den Vorwurf zu ersparen, wir hätten keine Konzeption. Denn auch in diesen Bereichen einer systematischen Ordnung ist schon eine nationale Konzeption zu erblicken, abgesehen davon, daß unsere Konzeption ja auch im internationalen westlichen Rahmen gesehen werden muß. Die drei Hauptprobleme, von denen ich sprach, sind die Information, die Auswahl der geeigneten Leistungen und schließlich die Finanzierung.Es mag selbstverständlich klingen, ist es aber nicht: Bevor man eine Entwicklungshilfe beginnt, muß man sich informieren. Ehe man Geld, vor allem ehe man große Summen einsetzt, muß man sich durch eine Generalstudie über die Verhältnisse in dem betreffenden Land unterrichten. Letztes Ziel dieser Generalstudie ist die Beurteilung des in Frage stehenden Entwicklungsprojektes. Die Studie muß also die historische, soziologische, politische, ökonomische, geographische, geologische Situation des Landes umfassen. Vielleicht wäre das eine Aufgabe für unsere Auslandsmissionen. Uni aber die Überlastung zu vermeiden, die für diese dadurch sicherlich entstehen würde, müßte hier zumindest eine sinnvolle Zusammenarbeit mit allen jenen Informationsträgern erfolgen, die in der freien Wirtschaft zu finden sind.Gewiß bestehen hier auch Wünsche im Hinblick auf die Vorbereitung unseres auswärtigen Dienstes auf die schwierige Aufgabe, die in den Entwicklungsländern gestellt ist. Warum auch nicht? Bei aller Kritik, die heute geäußert worden ist, muß man doch darauf hinweisen, daß diese Aufgabe für unseren diplomatischen Dienst neu ist. Ich darf in diesem Zusammenhang nur an die Kritik an einem anderen Land erinnern, nämlich an die Kritik, die in dem Buch ,,Der häßliche Amerikaner" zum Ausdruck kommt. Andere Länder haben gerade in der Frage der Information den Mangel erkannt und entsprechende Sonderorgane geschaffen. Ich darf z. B. an den British Council erinnern.Nach der Information aber hat die Auswahl zu erfolgen, d. h. die Entscheidung unsererseits, welche Objekte unter Berücksichtigung der erhaltenen Informationen für uns politisch und wirtschaftlich interessant sind. Auch diese Auswahl sollte so erfolgen, daß eine Übereinstimmung zwischen Exekutive und freier Wirtschaft besteht; das muß nachdrücklich gesagt werden. Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß ein einseitig kommerzieller, wirtschaftlicher Verkaufsstandpunkt ebenso gefährlich ist wie eine einseitige politische Beurteilung. Ein vielleicht nicht rentables über die Entwicklungshilfe erstelltes Werk schafft uns Schuldner in den Entwicklungsländern, die uns zwangsläufig bald feindlich gesinnt sein werden. Wer zahlt gerne für etwas, was ihm nicht nützt?Nach der Auswahl der Objekte, die nach verschiedenen Grundsätzen zu erfolgen hat, ist ferner die Frage der Finanzierung für die einzelnen Objekte zu prüfen. Einen Teil dieses Problems erkennen wir in diesem ersten Gesetzentwurf. Von seiten der Wirtschaft kam teilweise eine recht harte Kritik. Allerdings liegt es nicht immer in unserem Ermessen, die Gründe dieser Kritik zu beseitigen. Ich denke nur an eine Einschränkung des Restrisikos. Hier sind wir ja teilweise von der Berner Union abhängig. Aber es gibt sicherlich Fälle, in denen der Bund aus politischen Gründen eine volle Dekung geben müßte.Die vorhin erwähnte Frage der Zinshöhe möchte ich ausklammern. Aber eines sei im Zusammenhang mit der außenpolitischen Situation doch noch gesagt. Wir sprechen heute soviel von der Rubeloffensive. Ich glaube, daß sich die westliche Welt im Hinblick auf die sogenannte Rubeloffensive etwas ins Bockshorn jagen läßt. Auch der Sowjetrusse muß rechnen. Ich glaube, man kann sogar sagen, er rechnet so gut wie wir. Er ist aber offenbar leider ein wesentlich besserer Propagandist, indem er überall Angebote hingibt, sie aber nur da realisiert, wo der politische Schwerpunkt für ihn besonders sichtbar wird. Zuletzt tut er weniger als wir, da wir jedes Angebot ehrlich mit dem Willen zur Realisierung vorher geprüft herausgeben.Aber so, wie der Russe den Ägyptern die Baumwolle und den Kubanern den Zucker abkauft und
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960 6845
Dr. Fritz
seine eigenen Lieferanten nachher unterbietet, ist die Konsequenz dieser sogenannten Hilfe im Endeffekt die Zerstörung des Partnermarktes. Wir sehen es eben als Aufgabe einer Entwicklungshilfe an, dem Partner seinen Markt aufzubauen, und wir wollen die ersten Kunden dieses Partners sein. Unsere Ehrlichkeit ist es aber wert, von unseren Partnern auch anerkannt zu werden. Trotz vieler Kritik, die erhoben worden ist, ist unsere Entwicklungshilfe der sachliche Nachweis für unsere Partnerschaft, die wir der emotionalen, nur auf Effekt berechneten Propaganda des Ostens entgegenstellen. Wir wollen in einer Front mit unseren westlichen Freunden unter gemeinsamen Opfern eine freie Welt ohne Not aufbauen.
Das Wort als vorletzter Redner der Debatte hat der Abgeordnete Dr. Deist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur einige kurze Bemerkungen zu der Intervention des Herrn Bundeswirtschaftsministers machen. Ich überlasse es anderen, zu beurteilen, ob es gut ist, die Rede eines Abgeordneten im Gegensatz zu den Reden anderer Abgeordneter als Kolleg zu bezeichnen. Es ist, glaube ich, bei einer solchen Gelegenheit unsere Aufgabe, die Grundlagen der Entwicklungspolitik, so wie sie die einzelne Partei sieht, darzulegen. Jeder kann sich an Hand des Protokolls davon überzeugen, in welchem Umfang die Ausführungen zum Beispiel der Kollegen Birrenbach und Fritz auch der Darlegung einer Vorstellung über die Entwicklungshilfe gedient haben, einer Darlegung, die der Bundeswirtschaftsminister glaubte, als Kolleg abtun zu können. Jedenfalls kann ich nicht anerkennen, daß es ein Privileg des Bundeswirtschaftsministers und der Koalitionsparteien sei, solche grundsätzlichen Erörterungen über die Grundlagen der Entwicklungspolitik zu machen, aber die Äußerungen der Opposition als Kolleg abzuwerten.Ein Zweites, Herr Bundeswirtschaftsminister. Ich bedauere sehr, daß Sie in meinen Ausführungen eine moralische Disqualifikation gesehen haben und daß Sie meinten, ich hätte versucht, unterschiedliche Moral festzustellen. Wer meine Ausführungen kritisch liest, wird unbeschadet der Deutlichkeit, in der ich manches ausgesprochen habe, diesen Willen zu einer moralischen Disqualifikation nicht herauslesen können. Jedenfalls hat mir das fern gelegen, zumal ich zutiefst der Auffassung bin, daß die Durchführung der Entwicklungshilfe eine wichtige gemeinsame Aufgabe aller Deutschen und aller Parteien in diesem Hause ist. Ist es richtig, meine Damen und Herren, daß Sie, wenn wir einige Fragen kritisch überprüfen, das immer gleich als gegen eine bestimmte Fraktion oder eine bestimmte Gruppe gerichtet ansehen?In einem Punkte habe ich mich mit den Rednern, mit dem Bundeswirtschaftsminister und den Rednern -der CDU-Fraktion, allerdings sehr kritisch auseinandergesetzt. Das war dort, wo ich den Vorwurf erhob, daß es bei der Betonung der Notwendigkeit der Opfer geblieben ist und über die Höhe der Opfer, über die Art, wie sie finanziert werden sollen, nichts gesagt wurde. Wenn das ein Vorwurf ist, dann ist er jedenfalls berechtigt. Und wenn das eine moralische Disqualifikation ist, dann liegt das am Tatbestand und nicht an demjenigen, der den Tatbestand ausgesprochen hat.Im übrigen muß ich betonen, daß wir ungeachtet dieser Reaktion des Herrn Bundeswirtschaftsministers haben feststellen können — das geht auch aus den Worten meines Vorredners hervor —, daß über bestimmte Punkte in weitem Umfang glücklicherweise gemeinsame Auffassungen bestehen. Es handelt sich hierbei um folgende Faktoren. Wir stimmen mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister darin überein, daß die ERP-Mittel in viel größerem Umfang, als aus ausländischer Investitionshilfe entstanden, den Notwendigkeiten der Investitionshilfe zugeführt werden müssen. Herr Kollege Fritz, Sie haben gemeint, man solle sich da nicht den Schwarzen Peter zuschieben. Ich darf darauf hinweisen, daß die Frage, ob die oder die Fraktion so oder so gestimmt habe, von Ihnen in die Debatte geworfen worden ist. Sollten wir nicht ungeachtet der Tatsache, wie die einzelne Fraktion gestimmt hat — mir kommt es gar nicht auf Rechthaberei an —, bekennen, daß diese Mittel nunmehr in größtem Umfang dieser anderen bedeutenden Entwicklungsaufgabe, die vor uns liegt, zufließen müssen?! Das sollten wir feststellen! Und diejenigen, die guten Willens sind, sollten diese meine Feststellung als eine Hilfe, als eine Unterstützung und nicht als eine unangemessene Kritik ansehen.Ungeachtet der Tatsache, daß es, wie wir zugeben und wie wir unterstreichen, gut ist, private Mittel in den Ländern zu investieren, hat bei der Größe der Aufgabe und ihrer politischen Bedeutung die Zurverfügungstellung öffentlicher Mittel eine entscheidende Rolle zu spielen. Ich freue mich, daß diese Feststellung auch von Ihrer Seite getroffen worden ist. Wir werden daraus Konsequenzen zu ziehen haben.Schließlich möchte ich feststellen, daß wir in einem weiteren Punkt jedenfalls mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister übereinstimmen, daß nämlich in Form einer Ergänzungsabgabe Opfer gebracht werden müssen. Über die Gestaltung wollen wir uns gern unterhalten. Ich hoffe, Sie stimmen mit mir darin überein, daß den größten Beitrag diejenigen leisten müssen, die wirtschaftlich am leistungsfähigsten sind. Das sollte in allen diesen Fragen unser Grundsatz sein. Sie sollten sich hier zu einer Entscheidung durchringen, damit es nicht bei einer persönlichen Meinungsäußerung des Herrn Bundeswirtschaftsministers bleibt. In dieser Frage müssen sehr bald Entscheidungen getroffen werden. Ich habe heute früh betont, daß Sie uns bei einem solchen Vorgehen auf Ihrer Seite finden werden. Es muß gelingen, diese riesigen Kapitalien aufzubringen, und wir müssen um der Sache willen bereit sein, dafür die erforderlichen Opfer zu bringen.
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6846 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
Dr. DeistHerr Kollege Fritz und Herr Bundeswirtschaftsminister, ich sehe es auch als eine Anerkennung der Richtigkeit meiner Darlegungen an, daß Sie gegenüber der Kritik, die mein Kollege Kalbitzer und ich an der Personalpolitik des Auswärtigen Amtes in den Entwicklungsländern geübt haben, keine Gegenkritik geltend gemacht haben. Ich habe auch ausdrücklich gesagt, daß es mir gar nicht darauf ankommt, Vorwürfe zu erheben. Hier ist eine Crux, die beseitigt werden muß, wenn wir die Aufgabe der Entwicklungshilfe lösen wollen. Wir sollten nicht so empfindlich sein. Wir werden sehr ernsthaft mit uns selber zu Gericht gehen müssen, und zwar in allen Schichten und in allen Parteien. Wir werden zu überlegen haben, welche Mängel in Deutschland bestehen und welche Fehler gemacht worden sind, damit wir den Entwicklungsländern so wirksam wie nur möglich helfen können. Ich unterstreiche, das ist eine gemeinsame Aufgabe. Wir sollten sie in kritischer Behandlung der Probleme durchstehen.
'
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nunmehr zur Frage der Ausschußüberweisung. Soweit ich es übersehe, ist unstrittig, daß der Außenhandelsausschuß, der Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten, der Wirtschaftsausschuß und der Haushaltsausschuß — letzterer nach § 96 der Geschäftsordnung — an der Beratung beteiligt werden. Strittig ist die Federführung. Ich schlage Ihnen also vor, zunächst zu beschließen, daß diese vier Ausschüsse beteiligt werden. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Dann komme ich zu der Frage der Federführung. Der Abgeordnete Fritz hat beantragt, daß der Wirtschaftsausschuß federführend wird. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Serres.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß namens des Außenhandelsausschusses dem soeben gestellten Antrag widersprechen. Ich stelle den Antrag, daß die Federführung für die Beratung des Gesetzentwurfs Drucksache 1597 dem Ausschuß für Außenhandelsfragen gegeben wird.
Ich darf zur Begründung kurz folgendes ausführen. Es handelt sich hier um eine Vorlage, die sich mit den Wirtschaftsbeziehungen zum -Ausland, und zwar zum gesamten Ausland befaßt. Der Titel des Gesetzentwurfes, der hier gewählt ist, mit dem Zusatz „insbesondere zu den Entwicklungsländern" ist in jeder Hinsicht irreführend. Es handelt sich um die Absicherung von Investitionen, die im gesamten Ausland vorgenommen werden.
Ich darf Sie in diesem Zusammenhang auf 'den § 3 des Gesetzes hinweisen, in dem acht Gesetze erwähnt sind, die in den bisherigen Legislaturperioden dieses Hohen Hauses verabschiedet worden sind und die sich mit derselben Materie befassen. Alle diese acht Gesetze in drei Legislaturperioden sind federführend durch den Ausschuß für Außenhandelsfragen behandelt worden. Diese Gesetze sollen nun außer Kraft gesetzt werden und durch die neue Vorlage in Drucksache 1597 ersetzt werden. Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Weshalb soll dann auf einmal die Federführung des Außenhandelsausschusses beseitigt und statt dessen die Federführung des Wirtschaftspolitischen Ausschusses eingeführt werden? Hierfür habe ich keine Erklärung.
Der Ältestenrat ist mit dieser Frage, zum Teil auch durch Anschriften meinerseits, befaßt worden. Der Ältestenrat hat sich sehr eingehend, wie ich mir habe berichten lassen, mit dieser Frage befaßt und noch gestern entschieden, daß die Federführung dem Ausschuß für Außenhandelsfragen zuzuweisen ist.
Es kommt noch hinzu — auch das möchte ich nicht zu sagen unterlassen —, daß ich bereits vor einer 'Reihe von Wochen Gelegenheit hatte, mit dem Herrn Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses zu sprechen, als wir erstmalig den Text dieser Vorlage zu Gesicht bekamen und die Frage der Federführung unter uns strittig geworden war. Soweit ich unterrichtet bin und wie man mir nachher auch gesagt hat, hat sich der Wirtschaftsausschuß schon im vornhinein mit dieser Frage befaßt und sich damals mit der Federführung des Außenhandelsausschusses einverstanden erklärt. Jedenfalls ist mir eine entsprechende Mitteilung durch den Herrn Ausschußvorsitzenden zugegangen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe selbstverständlich nichts dagegen, daß der Wirtschaftsausschuß in dieser Frage mitberatend ist.
Das ist bereits beschlossen!
Ich gebe zu, daß, soweit die 'Frage der Kreditgewährung und die Änderung des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau in dieser Verlage enthalten sind, gewissermaßen die frühere Zuständigkeit des Ausschusses für Geld und Kredit auf den Wirtschaftsausschuß übergangen ist. Ich sehe daher durchaus ein, daß der Wirtschaftsausschuß mitberatend an dieser Vorlage beteiligt sein sollte. Aber was den Hauptinhalt dieser Vorlage angeht, so kann nach meinem Dafürhalten kein Zweifel darüber bestehen, daß der Ausschuß für Außenhandelsfragen federführend sein sollte.
Das Wort zur Frage der Federführung hat der Abgeordnete Schmücker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Besetzung des Hauses darf ich wohl annehmen, daß der Zufall darüber entscheidet, welcher Ausschuß diese Vorlage federführend behandeln wird. Herr Kollege Dr. Serres, ich glaube, Sie müssen mich wohl etwas mißverstanden haben, wenn Sie meine Unterhaltung damals als Zusage in Ihrem Sinne aufgefaßt haben. Darf ich in aller Bescheidenheit darauf hinweisen,
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960 6847
Schmückerdaß sich die Maßnahmen, die durch dieses Gesetz getroffen werden, in der inneren Wirtschaft auswirken. Sie betreffen die innerdeutsche Wirtschaft. Ich glaube, daß darum der Wirtschaftsausschuß zuständig ist. Außerdem hat der ERP-Plan immer im Wirtschaftsausschuß zur Beratung gestanden, er war federführend. Das noch einzubringende FondsGesetz wird ebenfalls im Wirtschaftsausschuß beraten, auch das Gesetz über die internationale Entwicklungsorganisation.Ich vermag wirklich nicht einzusehen, warum die Vorlage, die sich doch im wesentlichen mit kreditpolitischen Maßnahmen befaßt, herausgenommen werden soll. Sie können doch nicht bestreiten, daß der Wirtschaftsausschuß die Zuständigkeit für Kreditpolitik hat. Hier ändern wir die Bestimmungen über ein Kreditinstitut. Das wollen Sie plötzlich, weil es möglicherweise im Hinblick auf Außenhandelsbeziehungen geschieht, im Außenhandelsausschuß beschließen. Dann müßten Sie alles, was in der inneren Wirtschaft im Hinblick auf die Außenwirtschaft geschieht, in Ihrem Ausschuß beraten. Sie sind aber dazu da, die typisch außenwirtschaftlichen Maßnahmen zu beraten.Ich wäre also sehr dankbar, wenn die — ich gebe zu — zufällige Mehrheit sich dem Vorschlag des Kollegen Fritz anschlösse.
Wird weiterhin das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Es ist schwierig zu sagen, worüber ich jetzt abstimmen lassen soll; aber da der Antrag, die Vorlage an den Wirtschaftsausschuß zu überweisen, zuerst gestellt wurde, lasse ich zuerst darüber abstimmen.
— Das stimmt. Aber Vereinbarungen im Ältestenrat sind nicht formelle Grundlage der Abstimmung.
— Das sind Vorschläge an das Plenum. Über sie ist noch nie abgestimmt worden, solange ich hier oben sitze. Der Präsident macht sich im allgemeinen die Vereinbarungen im Ältestenrat zu eigen und schlägt sie vor, wenn allgemeines Einverständnis erfolgt. Da aber kein allgemeines Einverständnis erfolgt, muß ich abstimmen lassen. Das tut mir auch leid; das andere wäre bequemer. Wer also dem Antrag des Abgeordneten Dr. Fritz, die Sache entgegen der Vereinbarung im Ältestenrat dem Wirtschaftsausschuß als federführendem Ausschuß zu überweisen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, wer für Überweisung an den Wirtschaftsausschuß ist, den bitte ich, sich zu erheben. — Das geht interfraktionell durch die Parteien. Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Sitzungsvorstand ist sich nicht einig; ich lasse auszählen. Wer für den Antrag Dr. Fritz ist, den Wirtschaftsausschuß zum federführenden Ausschußzu bestimmen, geht durch die Ja-Tür, wer dagegen ist, durch die Nein-Tür, die übrigen durch die Enthaltungs-Tür. Ich eröffne die Abstimmung durch Auszählung. —Ich gebe das Ergebnis bekannt. Es haben mit Ja gestimmt 119 Mitglieder des Hauses, mit Nein 160; enthalten hat sich ein Mitglied. Der Antrag des Abgeordneten Dr. Fritz ist abgelehnt. Daraus darf ich wohl den Schluß ziehen, daß das Haus beschließt, den Außenhandelsausschuß als federführend zu benennen? — Das ist der Fall.Meine Damen und Herren, der nächste Punkt der Tagesordnung wird erst am Freitag behandelt.Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. Juli 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet.— Ich schlage Überweisung an den Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten — federführend — und an den Ausschuß für Wiedergutmachung — mitberatend — vor. Widerspruch erfolgt nicht; das ist beschlossen.Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten Bauknecht, Bauer , Struve, Dr. Krone und Fraktion der CDU/CSU, den Abgeordneten Walter, Dr. Mende und Fraktion der FDP, den Abgeordneten Logemann, Schneider (Bremerhaven) und Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Milch- und Fettgesetzes (Drucksache 1928).Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet.— Ich schlage Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — und an den Rechtsausschuß — mitberatend— vor. Widerspruch erfolgt nicht; das ist beschloss en.Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten Gottesleben, Baldauf, Draeger, Ruland, Dr. Schneider , Wilhelm, Bach und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Einführung des deutschen Rechts auf dem Gebiete der Steuern, Zölle und Finanzmonopole im Saarland (Drucksache 1923).Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet.— Ich schlage Überweisung an den Finanzausschuß vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist beschlossen.Punkt 8 der Tagesordnung wird erst am Freitag behandelt.Damit komme ich zu Punkt 9 der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anderung der StraßenverkehrsZulassungs-Ordnung ;
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6848 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
Vizepräsident Dr. JaegerSchriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen (Drucksache 1845)
.
Berichterstatter ist der Abgeordnete Rösing. Wünschen Sie das Wort? — Nein; er verweist auf den Schriftlichen Bericht.Es ist etwas von einer Geschäftsordnungsdebatte gesagt worden.
— Das Wort hat der Abgeordnete Rösing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, den Punkt 9 der Tagesordnung vorläufig zurückzustellen.
Bis Freitag? Rösing : Nein, vorläufig.
Es ist also Zurückstellung beantragt. Dem Antrag wird sicherlich entsprochen? — Das ist der Fall.
Wir kommen zu Punkt 10 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen vom 17. April 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Italien, in ihren gegenseitigen Beziehungen das am 19. Juni 1951 in London unterzeichnete Abkommen zwischen den Nordatlantikvertragsstaaten über den Status ihrer Streitkräfte anzuwenden ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (Drucksache 1882)
.
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Metzger. Ist der Abgeordnete Metzger nicht im Saale? — Verzichtet das Haus auf einen Mündlichen Bericht? — Das ist der Fall.
Dann rufe ich in zweiter Beratung auf: Art. 1, — Art. 2, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Meine Damen und Herren, es ist sehr erfreulich, wenn das Wort nicht gewünscht wird; es geht dann schneller. Es wäre aber zweckmäßig, wenn auch zu Privatgesprächen das Wort nicht ergriffen würde, sondern Privatgespräche außerhalb des Saales geführt würden; dann wäre es nämlich stiller.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu Punkt 11 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs emeis Gesetzes über eine Fischereistatistik ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten . (Drucksache 1879)
.
Es liegt ein Schriftlicher Bericht vor; auf mündliche Begründung wird verzichtet. Somit können wir gleich zur zweiten Lesung kommen. Ich rufe ,auf die §§ 1,—2,-3,-4,-5,-6,-7,-8, — 9, — 10, — 11, — die Einleitung und die Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte sich um das Handzeichen. — Ich bitte tun die Gegenprobe. — Das ,erste war die Mehrheit; es ist so. beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich .eröffne die allgemeine ¡Aussprache. Wird das Wort in der allgemeinen Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wer dem Gesetzentwurf in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den, bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Schlachtgewichtsstatistik ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Drucksache 1878)
.
Ich danke denn Herrn Abgeordneten Bauereisen für den Schriftlichen Bericht; auf mündliche Berichterstattung wird verzichtet.
Wir kommen zur zweiten Beratung. Ich rufe die §§ 1,— 2,-3,-4,-5,-6,-7,-8,— die Einleitung und die Überschrift auf.
Der Herr Berichterstatter wünscht das Wort, um eine Berichtigung anzubringen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Regierungsvorlage — Drucksache 1625 — sind bei der Bestimmung des Begriffs „Schlachtgewicht" bei Schweinen versehentlich 'die Worte „die Füße" nicht aufgeführt
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960 6849
Bauereisenworden. In § 2 Abs. 2 müssen in der letzten Zeile hinter den Warten „des Kopfes" die Worte „ , der Füße" eingefügt werden.
Das Haus nimmt das zur Kenntnis und macht es zur Grundlage der Beschlußfassung.
Das Wort wird nicht weiter gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wer dem Gesetzentwurf in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Wir kommen zu Punkt 13 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Durchführung laufender Statistiken im Handwerk sowie im Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe (Drucksache 1547) ;
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 1828)
b) Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (Drucksachen 1781, zu 1781)
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Ich erteile zuerst dem Herrn Abgeordneten Müller das Wort zur Erstattung des Berichts des Haushaltsausschusses. — Ist der Herr Abgeordnete Müller (Ravensburg) nicht im Hause?
Verzichtet das Haus auf den Bericht? — Das ist der Fall.
Der Wirtschaftsausschuß hat einen Schriftlichen Bericht vorgelegt. Hier ist eine besondere Berichterstattung nicht erforderlich. Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Seume für den Schriftlichen Bericht.
Wir kommen zur zweiten Beratung. Ich rufe die §§ 1 und 2 auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den beiden Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe den § 3 und dazu den Umdruck 667 auf. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Diebäcker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich hier nicht um eine grundsätzliche Angelegenheit oder um ein
Problem, das man zu einem grundsätzlichen machen könnte. Ziel des Änderungsantrages auf Umdruck 667 ist es, zu § 3 Abs. 1 die Regierungsfassung wiederherzustellen. Die Annahme des Antrages würde bedeuten, daß das Hotel- und Gaststättengewerbe eine monatliche Statistik anzufertigen hätte statt einer vierteljährlichen Statistik, wie es vom Wirtschaftsausschuß vorgeschlagen war.
Meine Damen und Herren! Das Hotel- und Gaststättengewerbe ist der Auffassung, daß es zweckmäßig und sogar notwendig sei, eine monatliche Statistik zu erstellen, weil sonst die saisonalen Unterschiede, die hier sehr bedeutsam sind, nicht richtig zum Ausdruck kämen. Ich bin der Auffassung, daß man, wenn die Betroffenen selbst aus sehr sachlichen Gründen — im Interesse eines besseren Erkenntniswertes der Statistik - sich dieser Mehrarbeit unterziehen wollen, sie nicht daran hindern sollte, selbst wenn damit die endgültige Beschlußfassung über das Gesetz ein wenig verzögert würde. Wir sollten mehr auf die Qualität der Gesetze und nicht so sehr auf die Schnelligkeit der Gesetzgebungsarbeit abstellen.
Ich bitte Sie daher, dem Antrag auf Umdruck 667 zuzustimmen.
Wird hierzu das Wortgewünscht? — Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Seume!
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6850 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960 6851
— Es ist ja nur eine stille Hoffnung, Herr Kollege Schmitt!Welche Vorstellungen die CDU damals von der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gestaltung gehabt hat, ist im Ahlener Programm vom 3. Februar 1947 und in den Düsseldorfer Leitsätzen vom 15. Juli 1949 festgelegt. Und was die Sozialdemokratie damals gedacht hat? Nun, das hat Herr Professor Carlo Schmid in seiner führenden Rolle im Parlamentarischen Rat klar zum Ausdruck gebracht. Er sprach von den „Schranken", die man gegen den „ pseudo-liberalistischen Eigentumsbegriff" eben durch den Artikel 15 errichten müsse. Er warnte vor dem Glauben, daß man sich aus unheiligen Gründen in die Heiligkeit des Eigentums flüchten könne. Er bejahte die Möglichkeit der Sozialisierung, der, wie er es nannte, „strukturellen Änderung der Wirtschaftsverfassung" und sah gerade in dem Artikel 15 die Möglichkeit der Expropriation ganzer Gruppen von Wirtschaftszweigen, und zwar durch Gesetze mit unmittelbar rechtsgestaltender Kraft.In besonders interessanter Weise hat dann bei der Verabschiedung des Grundgesetzes der Herr Kollege Dr. Menzel dargelegt, was die Sozialdemokratie an Hoffnungen mit diesem Grundgesetz und mit seinem Artikel 15 verband. Er begrüßte, daß zum ersten Male in einer Verfassung die Begriffe „Gemeinwirtschaft" und „Gemeineigentum" verankert worden sind. — Meine verehrte Kollegin Frau Dr. Lüders geht hoch, wenn man von ,, Verankerung" spricht; sie weiß nämlich, daß das, was man „verankert", gewöhnlich ankerlos ist. — Dr. Menzel freute sich über die Einsicht in die Notwendigkeit, Schlüsselindustrien in das Gemeineigentum zu überführen. Seit Jahrzehnten, so sagte er, fordere die Sozialdemokratie die Sozialisierung. Das sei ein entscheidendes Ziel des Kampfes zur Befreiung der arbeitenden Menschen von den Ungerechtigkeiten der gesellschaftlichen Ordnung. Die Hoffnungen von
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6852 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
Dr. DehlerMillionen auf eine Sozialisierung seien gescheitert: vorher, nach 1918, durch den Widerstand der Deutschen und nach 1945 durch den Widerstand der Alliierten. Dann kommt der große Satz: „Nun können wir erneut hoffen!" Die Sozialdemokratie, so erklärte er, werde es daher als ihre vornehmste Pflicht betrachten, alsbald nach dem Zusammentritt des 1. Bundestages durch entsprechende Gesetzentwürfe an dieses große Werk der Sozialisierung heranzugehen, da es die Ära eines dauerhaften Friedens einleiten könne und werde. — Das sind die großen Hoffnungen, die Herr Kollege Dr. Menzel gerade mit dem Artikel 15 verbunden hat.Wir achten die Gesinnung, die hinter diesen Ausführungen steht. Aber Politik verlangt mehr als die gute Meinung, sie verlangt richtige Einsicht in die großen Zusammenhänge der Ordnung. des Staates, der Gesellschaft und der Wirtschaft: Nichts von dem, was Herr Professor Carlo Schmid oder was Herr Kollege Dr. Menzel erhofften, erwarteten, ankündigten, ist geschehen, nicht das Geringste. Kein Antrag nach Art. 15 des Grundgesetzes ist seit 1949 gestellt worden. Im 1. und 2. Bundestag hatte man einen besonderen Ausschuß bestellt, der sich „Ausschuß nach Art. 15 des Grundgesetzes" nannte. Niemals ist dieser Ausschuß zu einer sachlichen Arbeit gekommen.In der Rechtslehre wird nicht ohne Grund die Frage aufgeworfen, ob mit Artikel 15 eine Ermächtigung zur Sozialisierung von unbegrenzter Dauer erteilt worden ist oder ob nicht vielmehr die Chance ) der Sozialisierung nach dem Wesen dieser Bestimmung durch Zeitablauf konsumiert worden ist, ob der Art. 15 nicht an sich schon obsolet geworden ist. Nach meiner Überzeugung ist er auf jeden Fall geistig, wirtschaftlich und gesellschaftlich überholt und muß daher eliminiert, er muß aufgehoben werden.Man sage nicht: Der Art. 15 hat ja bisher nicht geschadet, er wird es auch weiterhin nicht tun; also rühre man nicht daran! Eine einfache Mehrheit des Bundestages kann durch ein einfaches Gesetz die Grundlage unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung auf Grund dieses Art. 15 ändern. Und wie leicht kann da ein Unheil geschehen! Meine Damen und Herren, stellen Sie sich vor, daß sich in einer schwachen Stunde die Anhänger des Ahlener Programms und die Anhänger des Godesberger Programms zu einer unholden Gemeinschaft verbinden! Das Unglück wäre nicht abzusehen.Meine Überzeugung: Der Art. 15, der die Möglichkeit der Sozialisierung festlegt, ist ein Fremdkörper in unserem Grundgesetz und gehört ausgeschaltet. Mit Recht spricht man davon, daß er den Eindruck einer strukturfremden Isoliertheit macht, schon wenn man ihn im Zusammenhang liest, nicht nur, weil er unorganisch in den Grundrechtsteil, in den Katalog der Freiheitsrechte, die doch vor allem dem Schutz des einzelnen, auch seiner wirtschaftlichen Sphäre, auch seines Eigentums, dienen, eingesprengt worden ist, sondern weil er mit den im Grundgesetz festgelegten Prinzipien der Marktwirtschaft, dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, auf Freizügigkeit, auf freie Berufsausübung, auf Vertragsfreiheit, auf den großen geschichtlichen Wert derGewerbefreiheit, auf die Freiheit des Wettbewerbs und gerade auf freies Eigentum unvereinbar ist.Das ist meine Meinung: Zum erstenmal in der Geschichte .ist in unserem Grundgesetz der Einklang zwischen Wirtschaftsordnung und Rechtsordnung verfassungsrechtlich festgelegt worden. Das ist in der Rechtslehre bestritten. Die' Mehrheit ist anderer Meinung. Aber es ist meine Überzeugung, daß unser Grundgesetz wirtschaftspolitisch nicht neutral ist, sondern daß es die Marktwirtschaft als Ordnungsprinzip festgelegt hat, und zwar mit Verfassungskraft.Ob das allen Mitgliedern des Parlamentarischen Rates bewußt war, ist fraglich. Aber der Geist des Rechtes, der liberale Geist weht, wo er mag. Diese meine Feststellung ist weit über ihren unmittelbaren Bereich hinaus bedeutsam. Damit ist der Satz vom Relativismus der Demokratie, also der Gedanke, daß die jeweilige Mehrheit, auch eine zufällige Mehrheit, bestimmen könne, was die richtige Ordnung von Staat und Wirtschaft sei, aufgegeben. Das Grundgesetz schafft hierfür ein eindeutiges Kriterium in Gestalt der an seine Spitze gestellten, in ihrem Kern, in ihrem Wesensgehalt nicht antastbaren Grund- und Freiheitsrechte, eben des Rechtsstaats, des Rechts auf allen Gebieten der Gemeinschaft, auch des Rechts in der Wirtschaft. Und hier, meine Damen und Herren, gibt es kein Ausweichen, keinen Neutralismus. Ein Wirtschaftssystem, das die Freiheitsrechte des einzelnen ausschaltet oder sie auch nur wesentlich einschränkt, wäre nicht nur wirtschaftlich falsch, es wäre verfassungswidrig.Hier klafft eben der Widerspruch des Art. 15 zu dem System unseres Grundgesetzes. Man kann den Art. 15 auch nicht etwa durch die sogenannte Sozialstaatsklausel stützen, also durch den Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat." Man kann ihn auch nicht durch Art. 28 Abs. 1 des Grundgesetzes stützen, der vom „sozialen Rechtsstaat" spricht. Damit ist kein verfassungsrechtlicher Leitsatz, sondern ein sozialethischer Appell ausgesprochen, also keinesfalls ein Recht des Staates geschaffen, in die auf die Freiheitsrechte gegründete Staats- und Wirtschaftsordnung gestaltend einzugreifen, die rechtsstaatlichen Prinzipien zu beeinträchtigen. Ich sage: Eigentum Grundlage unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, mit der großen Reichweite in alle Lebensgebiete. Eigentum ist ein Wesenszug des Lebens, ist Verbundenheit der Menschen mit den Dingen, die ihrem Leben dienen, ist mehr als Geldeswert. Eigentum ist ein Stück Wille, ein Stück Seele, ein Stück der Persönlichkeit.In Art. 17 der Deklaration der Menschenrechte der Vereinten Nationen wird das Eigentum als heilig und unverletzlich erklärt. Da hat man noch den Mut, das auszusprechen, mit Recht, meine ich, heilig rund unverletzlich; denn das Eigentum ist ein Stück der gerheimnisvollen Wirkkraft des Lebenis. Eigentum steht unter dem Zwang der Bewährung. Der Eigentümer kann sein Eigentum nur durch Leistrung bewahren. Das Eigentum bewegt sich zum „besten Wirt", nämlich zu dem, der seinen Besitz
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960 6853
Dr. Dehlermit dem größten Erfolg, das heißt mit der größten Leistung für die anderen bewirtschaftet.In Art. 14 Abs. 2, einem Teil der Eigentumsbestimmung, wird gesagt: „Eigentum verpflichtet. Sein ,Gebrauch soll zugleich dein Wohle der Allgemeinheit dienen." Richtig müßte es heißen: „Der Gebrauch des Eigentums dient nicht nur dein Eigentümer, sondern 'auch der Allgemeinheit"; und noch richtiger: „Es dient dem Eigentümer nur, wenn er vorher den anderen, der Allgemeinheit gedient hat." Mit dem Eigentum verbindet sich — ich sage es noch einmal — ein geheimnisvolles Gesetz: die List der Natur. Sie zwingt den Eigentümer — unabhängig von seinem sittlichen Wollen — zum Guten, zum Richtigen. Wer sein Eigentum nützen will, kann es nur dadurch, ,daß er es dazu einsetzt, die Bedürfnisse anderer zu befriedigen. Er wird nur belohnt und hat nur dann einen Genuß dieses Eigentums, wenn er diese Bedürfnisse richtig und gut befriedigt. So ist das Eigentum das große Stimulans der Wirtschaft. Fehlt es, dann verküminert die Wirtschaft.Sie kennen die andere Vorstellung, die grundsätzlich entgegengesetzte — ,sie ist vor allem von Karl Marx in eine wissenschaftliche Form gebracht worden —: der Glaube, daß alle Miseren unserer Welt, die geistige, die politische, die sittliche, natürlich dann auch die wirtschaftliche Misere, auf das Sondereigentum an den Produktionsmitteln zurückgeführt werden müssen unid daß vom Wegfall des persönlichen Eigentums an den Produktionsmitteln die Zeit des ewigen Glücks, das Ende jedweder Ausbeutung und Klassenherrschaft, ja sogar jeder staatlichen Macht erwartet werden könne. Der Staat, die Gemeinschaft, die Gesellschaft, sei es zentralistisch, sei es syndikalistisch-genossenschaftlich, sollen an Stelle des Privateigentümers über die wirtschaftlichen Grundlagen verfügen. Wenn man Marx näher anschaut und wirklich intensiver liest, weiß man, daß er viel weniger Marxist ist als die Marxisten, daß er etwas wußte von dem Wert des persönlich erworbenen, dies selbst erarbeiteten Eigentums, daß es die Grundlege aller persönlichen Freiheit unid Tätigkeit und Selbständigkeit ist. Das sind seine Sätze. Dann findet man seine scharfe Kritik an ,der utopischen Meinung des Gothaer Programms, daß die Vergesellschaftung der Produktionsmittel den Arbeitern ihren vollen Arbeitsertrag zukommen lassen werde.Ich will nicht in alle Einzelheiten dieser Vorstellungen, deren Residuum ja der Art. 15 des Grundgesetzes ist, eintreten. Das wäre abendfüllend, Herr Dr. Deist, oder Sache eines Kollegs. Nun, ich sage Ihnen meine Meinung schon so greifbar, daß Sie sich damit auseinandersetzen können. Ich meine, es ist nicht nur eine geistige, es ist auch eine politisch aktuelle Aufgabe hohen Ranges, daß 'die deutschen Menschen, daß sich auch ihre Vertreter über den Sinn des Eigentums, über seine Bedeutung für die geistige und wirtschaftliche Entwicklung Gedanken machen, daß sie wissen:, was diese Kräfte ein der Vergangenheit bedeutet haben und welche Bedeutung sie in der Zukunft haben werden. Die bolschewistische Welt ist geistig klar, sehr im Gegensatz zu der geistigen Unondnung der freien Welt in diesen Dingen. Für die bolschewistische Welt ist es auf Grund der Vorstellungen des dialektischen Materialismus ganz eindeutig. Nun — das Ist ja das Schlimme —, das ist eine gedachte, eine unwirkliche, eine mit totalem Zwang gemachte Welt, ein Mechanismus. Jeder Mechanismus ist leicht zu erkennen und zu erfiassen, während unsere Wirtschaft — ich versuchte es Ihnen schon zu sagen — ein Teil des Lebens mit dem Geheimnis des Lebens ist. Dort eine Welt ohne Eigentum, eine Welt der Planung, eine Welt, mit der Weltaverbesserer oderandere die Dinge nicht zum Guten gewendet haben.Die Tatsache ist nicht zu leugnen: Das persönliche Eigentum an den Produktionsmitteln, das, was Karl Marx als den Inbegriff des Kapitalismus bezeichnet hat, war die Ursache eines wirtschaftlichen Aufstiegs, hat die Lebenslage aller in einem erstaunlichen Maße gefördert. Wer den Aufstieg seit dem Beginn des vorigen Jahrhunderts in Deutschland bedenkt, die ständig zunehmende Versorgung einer ständig wachsenden Bevölkerung — nicht durch Sozialismus, nicht durch Gemeineigentum, nicht durch staatliche Planung, auch nicht durch gewerkschaftlichen Druck — und die wirtschaftliche Erholung seit dem Jahre 1948 — ohne Inanspruchnahme des Art. 15 des Grundgesetzes — bedenkt, einen Aufstieg, der nicht durch christlichen und nicht durch marxistischen Sozialismus, nicht durch Enteignung, nicht durch Sozialisierung, sondern durch die bewegenden, die wirkenden Kräfte des Eigentums, der Vertragsfreiheit, ,des Wettbewerbs, bewirkt worden ist, dem ist die Sinnlosigkeit des Art. 15 bewußt.Ich will Ihnen, Herr Deist, nur positiv sagen, was ich von der Wirksamkeit des Eigentums und des Marktes halte. Es gibt keine Marktwirtschaft ohne Eigentum. Ich meine, daß der Markt, dessen Geschehen nicht vom Grünen Tisch, sondern vom Preis gesteuert wird, die fruchtbarste Form der Wirtschaft ist, die es jemals gegeben hat. Der Markt hat ein Höchstmaß an Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse erreicht. Markt und freier Wettbewerb — was bedeutsam ist: nicht nur für die Konsumgüter, sondern auch für die Produktionsmittel —setzen eine große Anzahl von Marktpartnern voraus, die miteinander in Wettbewerb stehen. Das können sie nur, wenn sie Eigentümer sind. Nur dann gibt es ja überhaupt eine rationale Wirtschaftsrechnung, eine rationale, von den wirtschaftenden Menschen angestellte Wirtschaftslenkung durch die Automatik des Marktes. Wenn der Staat oder wenn irgendeine öffentliche Institution den politischen Besitz aller Produktionsmittel hat, also auch den Markt für die Produktionsmittel abschafft, ist die Möglichkeit beseitigt, die Produktionsmittel und Arbeitskräfte gemäß 'den zahllosen möglichen Situationen einzusetzen und ihre Kombination variabel zu gestalten. Es besteht dann nicht die Möglichkeit, rechnerisch das Beste zu ermitteln. Jede eigentumslose Planwirtschaft ist in Wirklichkeit am Ende eine planlose Wirtschaft, weil ihr die Möglichkeit, sich an einem Ergebnis zu orientieren, also den wirtschaftlichen Erfolg zu berechnen, fehlt.
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6854 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
Dr. DehlerEs wäre reizvoll, alle Einwendungen, die gegen diesen liberalen Standpunkt bestehen, im einzelnen zu erörtern. Man sagt, der Eigentumsbegriff habe sich gewandelt — nicht nur rechtspolitisch —, der Eigentumsbegriff sei verschieden, je nachdem, ob man ihn rechtlich, wirtschaftlich, politisch, ökonomisch oder gesellschaftspolitisch betrachte, es habe auf verschiedenen Kulturstufen kollektives Eigentum gegeben. Das germanische Recht habe im Gegensatz zu dem harten, unerbittlichen römischen Eigentumsrecht eine wärmere, soziale Note gehabt, habe mehr sozialethischen Gehalt gehabt. Man spricht gern bei jeder Gelegenheit von der sozial-. ethischen Bindung des Eigentums, von der Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Ich meine, hinter diesen Begriffen verbergen sich nicht zu Ende gedachte Vorstellungen. Man sagt, der Eigentümer dürfe sein Eigentum nur so gebrauchen, daß es nicht nur seinen Interessen, sondern auch dem Wohle der Allgemeinheit diene. Man weiß nichts von dem Geheimnis, das ich Ihnen 'darzulegen versucht habe, daß ein Erfolg ,des Eigentums gar nicht denkbar ist ohne den Einsatz des Eigentums über eine Leistung für die anderen. All diese Ausführungen sind am Ende nur Vorwand, um die Wirkkräfte der Marktwirtschaft, die Aufgabe des Eigentums einzuschränken.Ich darf noch einmal betonen: nach meiner Überzeugung ist die auf unbeschränktes Eigentum, auf Vertragsfreiheit gegründete und damit dem Wettbewerb im Markte unterstellte Wirtschaft ausnahmslos die wirksamste, die ertragreichste und deshalb auch die sozialste. Wer die Jahre seit 1948 erlebt hat und wem das nicht bewußt geworden ist, ich möchte meinen, dem ist nicht zu helfen. Ich halte es für einen verhängnisvollen Irrtum, daß man diese Grundlage der Wirtschaft aufzuweichen versucht, daß man glaubt, durch Verletzung des Eigentums könne man sozial wirken, durch die Beschränkung der Vertragsfreiheit könne man einen größeren wirtschaftlichen Erfolg erzielen. Dadurch, daß man die Funktionen der richtigen Wirtschaft und die Funktionen des richtigen Rechts einschränkt, erzielt man nicht soziale Wirkungen, sondern das Gegenteil. Eben im elementaren Recht, in der durch das persönliche Recht geordneten freien Wirtschaft liegt — verzeihen Sie mir das anspruchsvolle Wort — die Weisheit Gottes, das von ihm in seine Schöpfung gelegte Gesetz. Das Recht dieses Gesetzes ist viel vernünftiger als jeder Gesetzgeber. Dieser Markt ist viel vernünftiger als die klügste Bürokratie. Die auf Eigentum und Vertragsfreiheit begründete Wirtschaft ist wie ein Körper, ist wie ein Organismus mit Fermenten, die den Kreislauf und seine Funktionen steuern, ein Organismus, der auf Eingriffe wie jeder andere Körper allergisch, mit Störungen reagiert. Maßnahmen, die gegen das Recht verstoßen, verletzen immer auch das Gesetz der Wirtschaft. Wirtschaftswidrige Eingriffe verletzen immer auch das Recht.Sagen Sie nicht, daß es, wenn Beauftragte, wenn Manager tätig seien, an der Funktion des Eigentums fehle. Quod non! Denn auch er untersteht ja dem Gesetz des Eigentums. Er muß so handeln, als ob er Eigentümer wäre. Es schlägt auch nicht durch, wenn man behauptet, man müsse das Eigentum dort. aufheben, man müsse dort Gemeineigentum schaffen. — welch merkwürdige Wortbildung: „Gemeineigentum!" Eigentum ist ja etwas, was jemandem „eigen" ist, was eben nicht „gemein", nicht allgemein ist; die Sprache verrät immer auch den Inhalt. — Der Glaube, es gebe Unternehmungen, in denen „anonyme Besitzer" über das Eigentum verfügten und nicht mehr die eigentlichen Eigentümer und sie verlangten Überführung in Gemeineigentum, ist doch auch eine falsche Deutung der Praxis und rechtfertigt niemals den Schluß, das Eigentum aufzuheben; denn immer sucht sich doch der Wille der Eigentümer in jeder möglichen Form durchzusetzen. Kein Eigentümer — auch nicht der anonyme — nimmt hin, was seinem Eigentum schadet.Aber schauen Sie doch einmal das Gegenteil an, Herr Dr. Deist! Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir einen Fall mitteilten, wenn Sie mir einen einzigen Fall in der menschlichen Geschichte anführten, in dem Gemeineigentum, in dem die Aufhebung des persönlichen Eigentums — sowohl des persönlichen als auch des in Kapitalgesellschaften geschaffenen Eigentums — den Menschen genützt hat, wo öffentliches, wo Gemeineigentum, wo gesellschaftliches Eigentum — sei es nun verstaatlichtes, sei es syndikalistisches Eigentum — den Menchen genützt hat.
— Das waren rührende Zeiten.
Wenn Sie die lyrischen Zustände der Allmende auf unser hochzivilisiertes Zeitalter übertragen wollen, dann sind Sie um vier Jahrhunderte zu spät auf die Welt gekommen. Natürlich hat sich auch das Eigentum entwickelt. Die Allmende die gemeinsame Benutzung eines gemeinsamen Gegenstandes. Das hat doch nichts mit Sozialisierung, das hat nichts mit Vergesellschaftung der Produktionsmittel zu tun. Sie werden doch nicht aus den idyllischen Verhältnissen vor 400 Jahren Schlüsse auf die Gegenwart ziehen wollen.Was wir im liberalen Recht, was wir an Grund-und Freiheitsrechten in einem schmerzlichen Prozeß durch Jahrhunderte geschaffen haben, ist ein Höhepunkt der menschlichen Entwicklung. Die Grund-und Freiheitsrechte stellen die Spitze besten humanen europäischen Geistes dar. Sie können hier nehmen, was Sie wollen. Ob Sie von Vergesellschaftung, von Nationalisierung, von Vollbeschäftigung sprechen, es ist doch immer wieder das gleiche.Ich habe mir in Jugoslawien einmal die dortigen Versuche angesehen, eine andere Form des Eigentums zu schaffen, weil man erkannte, daß das staatliche Eigentum, der Staatskapitalismus vom Übel ist. Ich habe einige Werke besucht. Dort will man besondere, man kann sie „Sozialgemeinschaften" nennen, schaffen. Die Arbeiter sind Eigentümer ihres Betriebes. Es würde zu weit führen, Ihnen die Einzelheiten darzustellen. Sie werden doch nicht glauben, daß diese sehr gequälten Versuche Titos
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Dr. Dehlerzu einem wirtschaftlichen Erfolg führen. Jede Sicht der Dinge beweist das Gegenteil.All diese Versuche, daß nicht der einzelne und daß auch nicht die von den einzelnen gebildeten privaten Personal- und Kapitalgesellschaften Träger des Eigentum sind und über das Eigentum verfügen, sondern irgendwelche überindividuelle Gesamtheiten — sei es der Staat, sei es die Kommune, seien es die Kommunalverbände, seien es irgendwelche Stiftungen —, all diese Versuche sind also gescheitert.Am interessantesten ist hier das Experiment von Hessen. Ich habe Ihnen schon gesagt: in Hessen hat man sozialisiert. Herr Kollege Schmitt, Sie waren doch sicherlich an dem hessischen Experiment beteiligt. Deswegen werden Sie meine Ausführungen, was ich davon halte, brennend interessieren. Man hat damals — ich erzählte es Ihnen schon — mit der Verfassung vergesellschaftet, also Eigentum im Sinne des Art. 15 des Grundgesetzes geschaffen. Der Art. 40 der hessischen Verfassung sagt:Gemeineigentum ist Eigentum des Volkes. Es soll ausschließlich dem Wohle des ganzen Volkes dienen und Machtzusammenballungen vermeiden.Wem geht das nicht wie Honig hinunter? Dann kam der Art. 41:Mit Inkrafttreten der Verfassung werden automatisch die wichtigsten Wirtschaftszweige in Gemeineigentum überführt.Ich habe Ihnen erzählt: das wurde gesondert dem hessischen Volke — ich glaube, es hieß damals noch „großhessisches Volk" — zur Abstimmung unterbreitet. Das möchte ich sehen, was nicht angenommen wird, wenn die beiden sozialistischen Gruppen sich miteinander verbinden! Auch eine Erwägung, die uns sehr scheu macht, den Art. 15 aufrechtzuerhalten und seine Gefahr zu unterschätzen.Nun kam der interessante Versuch des damaligen hessischen Wirtschaftsministers, unseres späteren Kollegen hier im Bundestag, des Herrn Dr. Harald Koch. Er hat versucht, eine Form der Gemeinwirtschaft zu schaffen. Er hat auch gesagt — ungefähr wie Tito —: Staatskapitalismus ist schädlich, Stiftung ist zweifelhaft. Er kam dann auf die Idee, ein ganz neues Rechtsgebilde zu schaffen, die sogenannten Sozialgemeinschaften. Er schuf also besondere Gesellschaften, die von den Verbrauchern, von den Werktätigen und von Vertretern der öffentlichen Hand gebildet werden sollten. Der Versuch ist kläglich gescheitert, die wirtschaftliche Vernunft hat sich auch in Hessen durchgesetzt — eine Widerlegung des Art. 15, wie sie nicht deutlicher sein könnte.Denken Sie an die auf der ganzen Welt gemachten Erfahrungen, an die Erfahrungen Englands, das nach 1945, als die Labour Party zum Zuge kam, sozialisiert hat; ähnliche Erfahrungen sind in der gleichen Zeit in Frankreich gemacht worden. Und was alles unter dem Stichwort der „Nationalisierung" an Schlimmem geschehen ist, was der Herr Mossadegh in Iran, was der Herr Nasser in Ägypten gemacht hat, was Herr Fidel Castro jetzt in Kuba vollzieht, das alles müssen Sie unter Art. 15 subsumieren.
Ich will nicht im einzelnen darlegen, was in Rußland geschieht. Selbst der Herr Chruschtschow kommt ja auf die Hemmungen, die in der eigentumslosen, in der verstaatlichten Wirtschaft liegen, und versucht, durch Dezentralisationen zu helfen. Es wird ihm nicht gelingen, gerade weil eben dort die Elemente der richtigen Wirtschaft, das Eigentum, der Wettbewerb, fehlen. Aus dieser Einsicht nehmen wir doch die Kraft der Überlegenheit unserer Welt gegenüber der östlichen. Die Sowjets vermögen noch auf dem Gebiet der Schwerindustrie, der Produktionsmittel gewisse Erfolge zu erzielen. Das kann man, das hat man durch die Jahrtausende gekonnt, mit Sklavenarbeit Werke aus dem Boden stampfen. Auf dem Gebiet der Versorgung der Menschen, auf dem Gebiet der Leichtindustrie wird er keine Erfolge haben.Aber fragen wir uns doch noch einmal: was unterscheidet die freie Welt von der anderen, vom kommunistischen Osten, der sich jetzt von der Elbe bis zum Pazifik dehnt? Was unterscheidet uns? Am Ende die unterschiedliche Haltung zu der Frage des Eigentums an den Produktionsmitteln, an den Naturschätzen, an Grund und Boden. Das ist das Elementare, auf das sich dann andere Unterschiede aufbauen. Wir brauchen doch jetzt wirklich nur unseren Blick über die Zonengrenze schweifen zu lassen, um zu wissen — ich brauche Ihnen im einzelnen die schlimmen Akte bis in die jüngste Zeit nicht darzulegen —, um auf jeden Fall zu erkennen, daß Gemeineigentum keine Wohlfahrt schafft, daß aber Gemeineigentum dazu beiträgt, die Freiheit zu unterdrücken. Das ist die Wirklichkeit.Das Gespräch, das wir über den Art. 15 wollen, soll auch ein Gespräch mit den Menschen in der Zone sein. Wir wissen doch, welchem Druck sie ausgesetzt sind, wie sie geistig einseitig unterrichtet werden, welch verheerende Wirkung es hat, wenn man jahrelang das Gift des dialektischen Materialismus einzieht. Wir sollten diese Frage hier debattieren, damit auch sie wissen, was sich hinter „sozialen Errungenschaften" verbirgt, was die richtige Form der Wirtschaft, der Gesellschaft ist, damit auch sie wissen, auf welcher Grundlage sich am Ende eine Einheit vollziehen kann. Ein schweres Problem, die Frage der Wiedervereinigung in wirtschaftlicher, in gesellschaftlicher Hinsicht! Wir können es jetzt nicht austragen. Daß wir an unseren Elementen nichts aufgeben können, daß wir aus diesem Grunde aber auch das Bewußtsein für diese elementaren Grundlagen unserer Existenz schärfen müssen, ist unser Anliegen.Diese Auseinandersetzung, die wir anregen, wird ja nicht nur bei uns geführt — es gibt Länder, die sie nicht notwendig haben —, viele führen sie. Wir wissen, wie z. B. gerade in England diese Frage Gegenstand härtester Auseinandersetzung in den Reihen der Labour Party ist, Auseinandersetzung darüber, ob die Klausel 4 ihres Parteistatuts aus dem Jahre 1919, das das öffentliche Eigentum an allen Produktions- und Verkehrsmiteln und am Han-
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Dr. Dehlerdel festgelegt hat — wie es dann nach 1945 in schwer schädigender Form durchgeführt worden ist —, noch weiterhin gelten soll. Auch da gibt es Unentwegte, die noch an dem Ziel der Sozialisierung festhalten, die noch an die Weisheit der bürokratisch gelenkten Staatswirtschaft glauben und die da meinen, sie könnten die verlorene Seele ihres marxistischen Heiles in der Sozialisierung wiederfinden.Ihr Godesbergei Programm trägt die Zeichen dieser geistigen Auseinandersetzung. Jeder von uns wird diesen geistigen Kampf respektieren und anerkennen. Es ist ein langer Weg, der von dem Gotlraer Programm bis nach Godesberg zurückgelegt worden ist. Es wird das private Eigentum an den Produktionsmitteln grundsätzlich anerkannt, nicht nur anerkannt, sondern es wird ihm der Anspruch auf Schutz und Förderung zugesprochen. Die Grenze wird dort errichtet, wo das private Eigentum den Aufbau einer gerechten Sozialordnung hindere.Ich habe Ihnen meine Meinung dargelegt, daß es nicht Aufgabe des Staates ist, die Elemente der Wirtschaft und des Rechts sozialer Zwecke wegen zu ändern, daß das die Sünde gegen den Geist des Rechts in der richtigen Wirtschaft ist.Es wird im Godesberger Programm auch gesagt, daß das Gemeineigentum — vielleicht auch nur in der Form der öffentlichen Kontrolle, auf die kein moderner Staat verzichten könne — notwendig sei. Man befürchtet die Übermacht von Wirtschaftsgebilden. Man sagt: wenn mit anderen Mitteln eine gesündere Ordnung der wirtschaftlichen Machtverhältnisse nicht herbeigeführt werden könne, sei Gemeineigentum, sei vergesellschaftetes Eigentum zweckmäßig und notwendig. Also, ich meine, das Godesberger Programm rückt der liberalen Wahrheit schon erheblich näher, und es lohnt sich, glaube ich, sich darüber geistig auseinanderzusetzen, um auch noch letzte geistige Unklarheiten zu beseitigen.Noch einmal: in keinem modernen demokratischen Staat gibt es einen wirksamen Staatskapitalismus, auch nicht in der Form der vom Staat kontrollierten, gelenkten Wirtschaft. Musterbeispiel: die Vereinigten Staaten von Amerika. Denken Sie an die amerikanischen Gewerkschaften, an ihre harte Auseinandersetzung mit Chruschtschow in San Francisco: sie erkennen vorbehaltlos die auf Eigentum und auf Wettbewerb ruhende Wirtschaftsordnung an und denken nicht daran, sozialer Zwecke oder auch nur der Interessen der Arbeiter wegen in die Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln einzugreifen.Ich meine, Gemeineigentum schützt nicht vor dem Mißbrauch des Kapitals, des Mammons, für politische Zwecke. Wir sind uns über die Gefahren, glaube ich, einig. Auf diese Weise werden die Gefahren nicht gebannt.Es besteht auf Ihrer Seite der Glaube an das Ahlener Programm, an die Düsseldorfer Leitsätze mit ihren weitgehenden sozialistischen Tendenzen, der angenommenen Notwendigkeit der Kontrolle der Wirtschaft, der Notwendig-keit der Kontrolle der Schlüsselindustrien, auch der' Sozialisierung der Schlüsselindustrien. Ludwig Erhard ist anderer Meinung. Er hat wiederholt erklärt, daß das Ahlener Programm überholt sei. Andere haben erklärt, es habe nur den Zweck gehabt, die Sozialisierung zu verhindern. Na, wenn das der Fall gewesen wäre, wäre das nicht sehr ehrlich gewesen. Aber Ludwig Erhard hat ja wiederholt, er wende sich gegen den Sozialismus in jeder Tarnung. Andere Töne sind es, die wir auf dem Kölner Kongreß der Christlich-Sozialen Arbeitnehmervereinigung, der Arbeitskreise und der CDU/CSU-Sozialausschüsse Ende März dieses Jahres gehört haben, harte Töne gegen alle, die auch im Kreis der CDU/ CSU jemals liberale Einsicht, liberales Gewissen gezeigt haben wie etwa Herr Präsident Gerstenmaier auf dem Kieler Parteitag der CDU. Her Katzer und seine Freunde haben betont ausgesprochen, daß sie damals, als der liberale Einbruch in die CDU drohte, aufgestanden seien und erklärt hätten: „Moment mal, so geht's nicht!" Was ist alles in Köln an Ablehnung der liberalistischen Wirtschaft gesagt worden! — Das Wort „liberalistisch" geht mir immer verdammt schmerzlich in die Seele. Es stammt aus dem Wortschatz des Herrn Goebbels. Ich glaube, wir sollten es vermeiden. Das Liberale, das Freiheitliche, ist das Große, das Größte in der europäischen geistigen Geschichte; das sage ich Ihnen.
— Aber die Quelle ist die gleiche böse, abträgliche, abschätzige. Meine Bitte: streichen Sie das Wort aus Ihrem Vokabular; wir haben dieses Wort bei einer anständigen geistigen Auseinandersetzung nicht nötig.Das Liberale ist die Idee des Westens, ist die Idee der Freiheit; sie stellt das dar, was uns von jener anderen Welt unterscheidet. Das alles ist aber nicht denkbar ohne die Grundlage des persönlichen Eigentums.Darum bitten wir Sie, ernsthaft und gründlich zu debattieren. Nach unserer Meinung muß man das den deutschen Menschen bewußt machen. Der Art. 15 verhindert diese Erkenntnis; er verwirrt den Blick.Bei unseren Diskussionen muß ich manchmal an eine Gestalt denken, die etwa zu dem von Ludwig Thoma gezeichneten Kreis von Joseph Filser gehört. In jenen seligen Zeiten hat einmal ein Zentrumsabgeordneter gesagt, als er sich nicht mehr helfen konnte: „Ja wissen's, i bin halt a liberaler ZentrumsSozi!"
Oft sehe ich hier liberale Zentrums-Sozis: ein bißchen liberal, natürlich auch ein bißchen christlich — schon weniger oft — und auch ein bißchen sozialistisch. Nein, mir scheint es auch eine Aufgabe dieses Hauses zu sein, geistige Klarheit zu erarbeiten. Wir haben so viel an Wert und Würde verloren. Ich glaube, wir würden gewinnen, wenn wir versuchten, uns hart und unerbittlich darüber aus-
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Dr. Dehlereinanderzusetzen, was die Grundlage, die geistige Grundlage unserer Existenz sein kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Burgbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind dem Kollegen Dr. Dehler sehr dankbar für den Hymnus, den er auf die Erfolge der Wirtschaftspolitik der Regierung gesungen hat, die diese Wirtschaftspolitik seit 10 Jahren zu verantworten hat. Wir sehen daraus, daß die eingetretene Entwicklung trotz des Vorhandenseins des Art. 15 möglich war.
Ich möchte namens der CDU/CSU-Fraktion dem Hohen Hause eine Erklärung abgeben.
1. Die Ausarbeitung des Grundgesetzes erfolgte zu einer Zeit, als auf Grund des totalen Zusammenbruchs aller gesellschaftspolitischen und wirtschaftspolitischen Ordnungen sich noch keine Mehrheit für einen bestimmten Weg der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik abzeichnete.
2. Damals beantragte auch die Fraktion der FDP im Parlamentarischen Rat ausdrücklich, dem Bund die Möglichkeit einer Sozialisierung im Grundgesetz zuzuerkennen;
ihr Sprecher war der Abgeordnete Dr. Dehler.
3. Um die Annahme des Grundgesetzes, das noch der Zustimmung der Alliierten bedurfte, mit einer breiten Mehrheit ' sicherzustellen, hat man den verschiedenen Wirtschaftstheorien Rechnung getragen.
4. Daß damals schon der Begriff des Eigentums vorrangig war, ergibt sich aus dem vorangehenden Art. 14, an dem die CDU/CSU-Fraktion unter keinen Umständen rütteln läßt.
5. Inzwischen haben die erkannten und angewandten gesellschaftspolitischen und wirtschaftspolitischen Grundsätze der CDU/CSU mit unwahrscheinlichem Erfolg den Aufbau der Wirtschaft vollendet, ständig die Realeinkommen gesteigert und die Vollbeschäftigung herbeigeführt.
6. Wie ernst es der CDU/CSU mit ihren gesellschaftspolitischen Zielsetzungen ist, beweisen die Maßnahmen zur Eigentumsbildung in Personenhand.
7. Der Art. 15 des Grundgesetzes ist niemals angewandt worden, und es ist auch von uns nicht beabsichtigt, ihn anzuwenden, um so weniger, als sich offensichtlich bei allen Parteien dieses Hauses eine Überprüfung der in ihm niedergelegten Grundsätze erkennen läßt.
8. Der Antrag der FDP, Art. 15 des Grundgesetzes durch eine entsprechende Verbotsbestimmung zu ersetzen, steht in eklatantem Widerspruch zu Art. 14 Abs. 3 des Grundgesetzes,
der die Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit für zulässig erklärt und dessen Existenz formell nicht einmal von der FDP angegriffen wird.
9. Aus dem Vorangegangenen ergibt sich nach unserer Meinung, daß sachlich gesehen der Antrag der FDP überflüssig ist und offenbar nur propagandistische Gründe hat.
Dennoch wollen wir, den parlamentarischen Gepflogenheiten entsprechend, diesen Antrag im zuständigen Ausschuß behandeln lassen und sind deshalb mit der Überweisung einverstanden. Dann kann dort das Ringen um die Sache weitergehen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch namens der sozialdemokratischen Fraktion kann ich mich zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Dehler sehr kurz fassen. Nach unserer Überzeugung gibt allerdings der verfassungsändernde Gesetzentwurf der Freien Demokraten Anlaß zu einigen Bemerkungen über die Prinzipien einer Verfassungsänderung. Das scheint uns wesentlich mehr im Vordergrund zu stehen als Plaudereien über verschiedene Wirtschaftstheorien und Wirtschaftsauffassungen.Der Art. 15 ist nach der unbestrittenen Auffassung aller deutschen Staatsrechtslehrer eine Grundsatznorm des Bonner Grundgesetzes und steht in unlösbarem Zusammenhang mit der Grundwertentscheidung, zu der wir uns hoffentlich alle bekennen, daß die Bundesrepublik Deutschland ein Sozialstaat sein will. Insoweit ist Art. 15 nach der Auffassung namhafter wissenschaftlicher Kommentatoren des Bonner Grundgesetzes sogar die einzige Bestimmung des Grundgesetzes, die der Entwicklung zum Sozialstaat unmittelbar Raum gibt. Die Sozialstaatsklausel ist nicht, wie Herr Kollege Dr. Dehler gemeint hat, lediglich ein ethischer Appell. Insoweit darf ich Sie auf die Rechtsprechung unserer 'höchsten Gerichte verweisen. Es gibt eine ganze Anzahl Entscheidungen nicht nur des Bundesverfassungsgerichts, sondern auch der oberen Bundesgerichte, die die Sozialstaatsklausel als eine gültige, anwendbare Grundwertentscheidung bezeichnen, die auf das gesamte Rechtausstrahlt und auch bei der Auslegung des Rechts unmittelbar anzuwenden ist.Dies vorausgeschickt, darf ich über ,die Prinzipien einer Verfassungsänderungfolgendes bemerken. In den zehn Jahren, seit das Bonner Grundgesetz gilt, haben wir, wenn ich mich nicht irre, bisher erst ein einziges Mal eine Änderung im Grundrechtsteil der Verfassung vorgenommen, zu dem der Art. 15 als eine Grundsatznorm gehört. Wie sind wir damals, im Jahre 1956, verfahren? Damals hat man erst politisch — interfraktionell — eine Mehrheit gebildet, die in der Lage war, als — sagen wir kurz —
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Dr. ArndtEinheit im Bundestag und im Bundesrat eine grundsätzliche Erneuerung der Verfassung zu tragen. Damals ging es darum, daß wir alle gemeinsam der Überzeugung waren, 'daß das Entstehen einer Bundeswehr eine Anpassung des Grundgesetzes, auch des Grundrechtsteils, an diese neue Erscheinung im deutschen Rechtsleben erfordere. Diese politische Mehrheit haben wir gebildet und haben dann einmütig die notwendigen Abänderungen im Grundrechtsteil vorgenommen. Das ist meines Wissens das einzige Mal gewesen, abgesehen von den Ausbesserungen an den organisatorischen Vorschriften, die ja aus verschiedenen Gründen hier und da erfolgen müssen, die ,aber niemals Grundwertentscheidungen des Bonner Grundgesetzes berührt haben. In der Regel wird ein solches Verfahren, wie wir es 1956 angewandt haben, das allein demokratische sein.Ich bedauere deshalb, Herr Kollege Dr. Dehler— ichmöchte Ihnen damit keineswegs persönlich irgendwie zu nahe treten —, sagen zu müssen, daß es kein guter ;demokratischer Stil ist, unter Mißbrauch einer formalen Initiativbefugnis hier seitens einer Fraktion eine Grundsatzvorschrift im Grundrechtsteil des Bonner Grundgesetzes in Frage zu stellen.
— Das nenne ich Mißbrauch, wenn Sie sich nicht vorher bemühen, ob sich hier eine politische Basis findet, um an Grundwertentscheidungen des Bonner Grundgesetzes heranzugehen. Solange Sie das nicht tun, solange Sie auf Grund einer formalen Befugnis hier einen solchen Antrag vorlegen, muß ich dem zustimmen, was Herr Kollege Burgbacher gesagt hat: daß dieser Antrag nichts anderes ist als ein Propaganda- und Agitationsantrag.
Und dazu ist das Grundgesetz zu schade. Denn das Grundgesetz ist das Fundament unseres staatlichen und gesellschaftlichen Lebens und kann nicht Gegenstand solcher Anträge sein. Ich habe mit tiefem Erschrecken gehört, daß Herr Kollege Dr. Dehler gesagt hat, das Grundgesetz habe keinen Anspruch auf Unverbrüchlichkeit. Es ist gewiß richtig, daß es in den Grenzen des Art. 79 nicht unabänderlich ist; und wir haben ja eine Reihe von Änderungen vorgenommen. Die Mehrheit hat gegen unsere sozialdemokratische Minderheit einmal auch eine ganz erhebliche Änderung vorgenommen, damals, als im Jahre 1954 die Entscheidung über die Wiederbewaffnung getroffen wurde. Aber damals stellte sich eben eine vorher gebildete große parlamentarische Mehrheit dahinter, und dann wurde es von allen insoweit akzeptiert. Aber das Grundgesetz muß, vor allem in seinen Grundwertentscheidungen, unverbrüchlich sein. Wie soll denn im Volke ein Verfassungsbewußtsein entstehen, wenn man das Grundgesetz wie ein beliebiges Gesetz betrachtet und behandelt, zu dem man also Änderungsanträge einbringt, um — wie hier gesagt worden ist — darüber zu debattieren und geistige Klarheiten zu schaffen? Nun, ich habe den Eindruck, daß die verschiedenen Parteien, auch die Ihre, Herr KollegeDehler, sich durchaus ständig um eine geistige Klärung ihrer Grundlagen bemühen. Ich habe auch nicht den Eindruck, daß hier bei uns im freien Westen so viel geistige Unordnung herrscht oder daß im Parlamentarischen Rat — dem ich nicht angehört habe, dem Sie angehört haben und in dem Sie den Antrag mit gestellt haben, eine Vorschrift nach Art des Art. 15 aufzunehmen — so viel geistige Unordnung gewesen sei.Ein Grundgesetz, eine Verfassung, die mit Recht Anspruch auf Unverbrüchlichkeit ihrer Grundwertentscheidungen erhebt, ist doch entstanden aus einer Einigung, wie sie sich im Parlamentarischen Rat vollzog, einer Einigung durch wechselseitiges Entgegenkommen und gegenseitige Verständigung. Davon kann, man sich nicht einseitig einfach hier loslösen und sagen: Wir bringen jetzt einmal einen Antrag ein, da machen wir vielleicht der CDU Schwierigkeiten. – Uns machen Sie damit keine Schwierigkeiten, aber vielleicht hoffen Sie, der CDU Schwierigkeiten für den bevorstehenden Wahlkampf zu machen. Das sind doch keine demokratischen Methoden, so kann man mit einer Verfassung nicht umspringen. Ein solches einseitiges Lossagen gibt es nicht. Im übrigen ist die Ausführung des Art. 15 Sache des Gesetzgebers. Es besteht gar kein konkreter Anlaß, im Augenblick darüber zu streiten. Wenn es sich eines Tages um einen solchen konkreten Anlaß handeln wird, nun, dann werden wir auch unsere grundsätzliche Meinung zum Art. 15 sagen, — aber nicht, um hier leere Debatten zu führen.Ich muß allerdings in einem Punkt Herrn Kollegen Burgbacher, wie ich glaube, berichtigen. Herr Kollege Burgbacher, Sie haben gesagt, Art. 15 sei noch niemals angewendet worden und Sie hätten auch nicht die Absicht, ihn in der Zukunft anzuwenden. Nun, auf Art. 15 beruht ja nach mindestens überwiegender Auffassung der deutschen Staatsrechtslehre das Mitbestimmungsrecht mit. Das können Sie etwa bei von Mangoldt-Klein und in anderen Kommentaren nachlesen. Infolgedessen wird man nicht sagen können, daß dieser Artikel noch nicht angewendet worden sei und daß auch Sie ihn nicht haben anwenden wollen; denn ich hoffe ja, daß Sie nach wie vor zum Mitbestimmungsrecht stehen. Das Grundgesetz ist eine Einheit und muß als eine Einheit genommen werden. Man kann daraus nicht eine Grundsatzentscheidung herausbrechen, auch nicht in der Weise, daß man hier, wie es Herr Kollege Burgbacher getan hat, sagt: Wir werden diese Vorschrift nicht anwenden. Sie ist ja auch eine Vorschrift gegen Konzentration. Bei allen Ruhmesliedern, die Sie auf zehn Jahre Erfolge, wie Sie sie ansehen, gesungen haben, haben Sie eins vergessen: daß sich auch nach Ihrer Auffassung hinter dem, was Sie als Erfolge bezeichnen — und sicher haben wir gemeinsam im deutschen Volke im Westen Erfolge gehabt —, der ungeheure Schatten der Konzentration als einer von uns allen erkannten Gefahr erhebt. Es ist anerkannt, daß Art. 15 des Grundgesetzes auch die Aufgabe hat, unter Umständen in gesetzgeberischer Weise der Konzentration entgegenzuwirken.
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Dr. ArndtMan kann daher das Grundgesetz als eine Einheit nicht so auslegen, wie es Herr Kollege Dehler getan hat, indem er sagt, er finde seine wirtschaftspolitische Auffassung oder die seiner Fraktion und Partei im Grundgesetz verbrieft und verbürgt, aber der Art. 15 sei ein Fremdkörper. Nun, das Grundgesetz ist eine Einheit, aus der Sie den Art. 15, der doch gültig ist, nicht einfach herausstreichen können. Er hat sein Schwergewicht als Verfassungsleitsatz für das Ganze, und man kann ihn nicht eliminieren. Da erscheinen mir Ihre Ausführungen widersprüchlicher, als man es dem Grundgesetz nachsagen dürfte. Es kann nach unserer Auffassung nicht Aufgabe einer Verfassungsänderung sein, eine demokratischsozialstaatliche Entwicklung zu blockieren.Wir haben nichts dagegen einzuwenden, daß dieser Gesetzentwurf dem Ausschuß zur Beratung überwiesen wird; aber wir bleiben dabei, daß wir die ganze Methode eines solchen Propagandaantrags als dem gemeinsamen demokratischen Leben und dem Ansehen der gemeinsamen Verfassung schädlich kritisieren müssen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Dehler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manche meiner Ausführungen waren vergeblich. Wenn man nicht gemerkt hat, daß es mir nicht um Propaganda, nicht um Agitation geht, sondern um etwas, was mit meiner Überzeugung ganz wesentlich zusammenhängt, dann bedauere ich das. Ich weise diesen Vorwurf als schwer kränkend zurück, Herr Kollege Arndt; ich hätte ihn nicht erwartet. Sie können anderer Meinung sein. Aber daß es mir aus vielen Gründen, aus vielen Schichten unserer Existenz ehrlich um diese Dinge geht, das hätten Sie meinen Ausführungen entnehmen können.Zunächst einiges Tatsächliche. Herr Burgbacher sagt, was ich ausgeführt habe, sei die Anerkennung der wirtschaftlichen Anschauungen der Bundesregierung und ihrer erfolgreichen Wirtschaftspolitik. Nein, das ist die Grundlage der liberalen Anschauung. Die hat sich mit einem Ludwig Erhard verwirklicht, der noch nicht Mitglied der CDU war, mit einem Ludwig Erhard, der von uns Freien Demokraten in sein Amt im Wirtschaftsrat in Frankfurt gebracht worden war, und Ihre Freunde, Herr Burgbacher, hatten es nicht nötig, im Wirtschaftsrat uns, die Freien Demokraten, auf die Richtlinie der CDU zu bringen. Nein, in einem dramatischen Kampf ist es damals in der Nacht vom 19. auf den 20. Juni gelungen
— Herr Kollege Schoettle war Zeuge auf der anderen Seilte —, Sie auf unsere Linie zu bringen, auf die Linie der liberalen Marktwirtschaft, die das Epitheton des Sozialen gar nicht braucht; es gibt nur eine Marktwirtschaft, und die ist sozial.
Es war eine schöne Gemeinschaft, in der sich das damals vollzogen hat. Was die Bundesregierung — das habe ich von innen her erlebt — dann dazu getan hat, um den Beginn der wirtschaftlichen Erneuerung aus dem Jahn: 1948 fortzusetzen, das war sehr bedingt. Die Einflußmöglichkeiten waren sehr gering. Sie dürfen nicht annehmen, daß unser auf anderen Gebieten so 'wirkungsvolle Bundeskanzler auch jemals nur das Geringste getan hat, um diese wirtschaftspolitische Linie fortzusetzen.Herr Kollege Burgbacher und Herr Dr. Arndt sagten, ich 'hätte ja selber den Antrag gestellt, dem Bund die Möglichkeit der Sozialisierung zu geben. Die Dinge waren ganz anders. Von der CDU und von der SPD waren die Sazialisierungsmöglichkeiten festgelegt worden. Ich versuchte dann, diese Gefahr wenigstens einzuschränken und zu sagen: Also wenn schon, dann edoch nicht jedes Land, vielleicht auch nicht irgendwelche andere Körperschaften, sondern dann zum wenigsten nur der Bund! Das war mein Gedanke. Natürlich mußte ich mich mit dem abfinden, was in der Beratung des Parlamentarischen Rats, auch im Hauptausschuß, schon Faktum war.Aber ich habe etwas Wesentliches getan, um den Art. 15 zu entgiften. Es geht auf mich zurück, daß in der Bestimmung des Art. 14 Abs. 3 des Grundgesetzes über die Entschädigung der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten festgelegt worden ist. Dais war mein Antrag, weil ich wußte, daß ein ordentliches Gericht bei der Entischädigung immer den Verkehrswert zugrunde legen wird. Und dann ist es gelungen — ich weiß nicht, ob es alle damals gemerkt haben —, das auch in Art. 15 durch Bezugnahme auf Art. 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 für den Fall einer Sozialisierung festzulegen, also ein wesentlicher Grund, der praktisch den Art. 15 obsolet macht.
Im Gesetz muß die Entschädigung in ihrem Ausmaß festgelegt werden, und am Ende wird der ordentliche Richter entscheiden können, ob die Angemessenheit gewährleistet ist.Sie meinen, Herr Kollege Burgbacher, der Antrag der FDP zu Art. 15 des Grundgesetzes stehe in einem eklatanten Widerspruch zu Art. 14 Abs. 3, weil damit die Möglichkeit der Enteignung aufgehoben wende. Nein, der Art. 14 Abs. 3 ist notwendig; er hat nichts mit Sozialisierung zu. tun, sondern mit der Enteignung eines konkreten Objekts zum Wohle der Allgemeinheit für ganz bestimmte Zwecke. Dadurch wird also alles das gedeckt, was, wie Sie wissen, für die allgemeinen Interessen notwendig ist.Mit dem Herrn Kollegen Arndt bin ich in allen Punkten entgegengesetzter Meinung. Das waren wir schon häufig, manchmal auch menschlich. Menschlich sind wir das jetzt nicht mehr. Ich erkenne die Werte des Herrn Kollegen Arndt, aber hier offenbaren sich Gegensätze, über die man sprechen muß. Ich habe schon gesagt: Daß das Grundgesetz nach 15 Jahren noch so gelten würde, hat niemand im Parlamentarischen Rat geglaubt. Daß
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Dr. Dehlerdieses Grundgesetz damals nicht als Einheit, sondern aus der geistigen Spannung jener Zeit entstanden ist, das sieht man ihm doch an: Einfluß der Besatzungsmächte auf viele Dinge, die Bestimmungen über unsere Finanzverfassung usew. Sie kennen doch alle diese Dinge, unter denen wir leiden. Da können Sie nicht sagen, dieses Grundgesetz sei eine Einheit oder es sei beinahe ein. Affront gegen die Unverbrüchlichkeit einer Verfassung, wenn man hier zu verbessern versuche.Ich habe die Hoffnung, daß wir eines Tages all diese Mängel in einer Verfassung für das Reich, für das wiedervereinigte Reich, vermeiden können. Haben Sie die Zuversicht, daß das bald möglich sein wird? Deswegen müssen wir das Recht haben, Fragen, die uns wichtig erscheinen, als einzelne Fraktion, als eine Fraktion, die eine große geschichtliche Tradition verkörpert — auch das zu sagen, nehme ich einmal in Anspruch —, anzusprechen und das zu sagen, was wir für richtig halten.Richtig, es kam eine Einigung .über das Grundgesetz zustande, Herr Kollege Arndt. Wir, die Freien Demokraten, waren an dieser Einigung nicht beteiligt. Ich könnte Ihnen Ort und Stelle sagen, wo sie getroffen worden ist, wo der Herr Kollege Katz und der Herr Kollege Pfeiffer miteinander über dieses Grundgesetz verhandelt haben, wo man bestimmte Dinge ausgehandelt hat. Na, ich bin solche Dinge aus meiner bayerischen Heimat gewöhnt: Da war es viel schlimmer. Da wurden auf der einen Seite Konfessionsschule und auf der anderen Seite Sozialismus zwischen Herrn Hundhammer und Herrn Hoegner ausgehandelt.
Ich habe mich nicht über das gewundert, was hier geschah. Aber wir waren an dieser Einigung, an diesem — ich will nichts Böses sagen — Kompromiß nicht beteiligt und haben deswegen die geistige Freiheit, das zu sagen, was wir für richtig halten.Auf Art. 15 beruht das Mitbestimmungsrecht? — Quod non! Daß wir das Mitbestimmungsrecht abgelehnt haben, daß gerade ich es mit Leidenschaft abgelehnt habe, wissen Sie ja vielleicht noch. Daß ich mir damals den Zorn der Gewerkschaften zuzog, als ich mit aller Härte erklärte — —
— Ach, Herr Wehner, das sollten Sie doch besser wissen. Ich habe nur gesagt: Wer ein Parlament, wer den Bundestag durch Generalstreik oder durch die Androhung des Generalstreiks unter Druck setzt, macht sich nach dem Strafgesetzbuch der Parlamentsnötigung schuldig. Die Gewerkschaften, lieber Herr Wehner, haben es nicht mehr gewagt, diesen Versuch zu wiederholen. Manchmal ist es gut, die Wahrheit hart zu sagen. Wenn man es nicht hart tut, —
— Die Stärke ruht in einem selbst, nicht im Amt, nicht in der Position. Nein, ich fühle mich freier und stärker denn je. Sie können noch manches von mir erwarten.
Oder haben Sie geglaubt, meinen Sie, daß ich aufstecke? Ich habe keinen Grund, nein!
Herr Kollege Arndt hat unrecht, wenn er sagt, daß der Art. 15 zu den Grundwertvorstellungen dieser Verfassung gehört. Nein, das ist etwas Heterogenes, Ausfluß eines Kompromisses, miteinander nicht in Einklang zu bringen. Das sind Werte, die miteinander im Widerspruch stehen. Hier klafft ein Widerspruch, der beseitigt werden muß. Die Schwierigkeiten, die Rechtsprechung und Rechtslehre mit diesen Unklarheiten, mit der Klausel vom sozialen Bundesstaat und der Klausel über den sozialen Rechtsstaat haben, sind doch Ausflüsse der geistigen Unklarheiten des Parlamentarischen Rates und Ausflüsse der Vereinbarung, der Abstimmung, von der Herr Kollege Arndt gesprochen hat.Also wahrlich nicht Agitation, wahrlich nicht Propaganda bewegt uns. Und noch einmal: Das ist die Frage dieser Zeit — ich sagte es Ihnen doch —, die die ganze Welt und nicht nur uns bewegt. Wir werden nicht bestehen, wenn wir in diesen Fragen uneins und unklar sind. Dann werden wir als Volk nicht die Lebenskraft haben, die man braucht. Ich sage immer: Ein Volk ist doch auch ein Organismus, ein Körper, der geistig in Ordnung sein muß. Man kann nicht schizophren leben.
Da geht der Mensch zugrunde, und da geht ein Volk zugrunde.
Und was bedingt die großen Leistungen der Vereinigten Staaten? Daß sie über diese Fragen nicht uneins sind, daß bei den großen Fragen ihres Staates, ihrer Gesellschaft, ihrer Wirtschaft keine inneren Spannungen und Gegensätze bestehen! Lohnt es sich nicht, um diese Klarheit zu kämpfen?Ich bin Ihnen dafür dankbar, ,daß Sie der Überweisung an die Ausschüsse zustimmen — es werden wohl Rechtsausschuß und Wirtschaftsausschuß in Frage kommen — und daß Sie uns dadurch die Möglichkeit geben, uns über diese Fragen, die uns am Herzen liegen, gründlich — hoffentlich — auszusprechen.
Keine weiteren Wortmeldungen? — Die Aussprache ist geschlossen.Es ist Überweisung an den Rechtsausschuß — federführend — und an den Wirtschaftsausschuß — mitberatend — vorgesehen. Das Haus ist einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich gebe nachträglich bekannt, daß entsprechend einer interfraktionellen Vereinbarung die zweite und dritte Beratung des Gesetzesentwurfs über Kapitalanlagegesellschaften — Punkt 14 der Tagesordnung — abgesetzt werden soll. — Das Haus ist damit einverstanden.
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Präsident D. Dr. GerstenmaierIch rufe auf Punkt 21 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesministergesetzes .Wird das Wort zur Einbringung gewünscht?
— Punkt 22? — Einverstanden. Das wäre besser zusammengedruckt worden.Ich rufe also auch auf Punkt 22 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Bundesregierung , (Drucksache 1131).Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Antrag geht darauf zurück, daß die Gerichte sich heute in einer außerordentlich schwierigen Lage befinden, wenn sie Verfahren gegen Beamte wegen verhältnismäßig kleiner Delikte durchzuführen haben, solange keine klare gesetzliche Regelung besteht, daß sich Bundesminister weder beschenken lassen dürfen noch beschenkt werden können. Schließlich darf sich der Beamte nicht damit entschuldigen können, daß in Sachen Geschenke der Gesetzgeber mit zweierlei Maß messe. Der Volksmund drückt das aus, indem er sagt: „Die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen." Solange der kleine Beamte keinen Drehbleistift annehmen soll, geht es nicht an, daß für die Minister keine klaren Bestimmungen bestehen.Ich hatte schon im vergangenen Jahr, am 18. Juni 1959, um eine klare Bekanntgabe der Grundsätze gebeten, die für die Annahme von Geschenken durch Mitglieder der Bundesregierung gelten, damit auch im öffentlichen Leben klar und eindeutig erkennbar ist, daß nicht die Worte, sondern die Beispiele entscheiden.
Damit nun die kleinen Geschenke nicht die guten Sitten verderben, beantragt die SPD-Fraktion, daß die Mitglieder der Bundesregierung in Zukunft Geschenke, die nicht durch private Beziehungen gerechtfertigt sind, nicht annehmen dürfen. Wir wünschen dabei natürlich keine übertriebene Kleinigkeitskrämerei.Der Entwurf sieht vor, daß Geschenke aus wichtigem Grunde, insbesondere natürlich mit Rücksicht auf die internationalen Gepflogenheiten, nicht abgelehnt werden sollen, sondern angenommen werden dürfen. Damit würde eine sehr wichtige Übereinstimmung mit dem Beamtenrecht herbeigeführt werden, wobei die Entscheidung bei dem Bundeskabinett liegt. Natürlich können auch die Höflichkeitsgeschenke ausländischer Besucher angenommen werden. Aber im Gegensatz zu der bisherigen Übung sollten sie in den Besitz des Bundes übergehen. Gemälde, Teppiche und Kunstgegenstände wären demnach in Zukunft in dem Bestand des betreffenden Ministeriums aufzuführen.
Natürlich könnte das Ministerium auch eine Überlassung an Museen und Ausstellungen als Leihgaben vornehmen. Ich bin überzeugt, daß mancher Spender und Stifter betrübt sein wird, wenn ein wertvolles Ölgemälde nicht mehr in dem Privatzimmer des beschenkten Ministers hängt und den Minister an den Spender erinnert. Aber ich glaube, das ist sicher nicht zu beklagen.Mit dem Geschenk-Komplex selbst soll gleichzeitig die Frage der Nebenvergütungen der Bundesminister geregelt werden. Schon damit keine Mißdeutungen aufkommen, sollte hier eine klare gesetzliche Regelung erfolgen. Denn Minister, die auf Verbandstagungen Referate über ihr Fachgebiet halten, erhalten diese Einladungen ja nicht als Privatleute. Sie sind, wenn sie nicht mehr dem Kabinett angehören, den Verbänden sehr bald uninteressant. Wir hoffen, daß diese Regelung auch für die Länder beispielgebend wirken wird.Die Fraktion der Freien Demokraten will den SPD-Antrag noch erweitern, wie ich kürzlich in ihrer Korrespondenz gelesen habe, und diese Regelung vor allem auch auf die Angehörigen des auswärtigen Dienstes ausdehnen. Bisher liegt der Antrag nicht vor. Wir sind bereit, alle Anregungen zu überprüfen. Dabei entsteht aber die Frage, ob die bisherigen beamtenrechtlichen Regelungen für diesen Personenkreis nicht ausreichen.Die von uns weiter vorgeschlagene Änderung des § 19 soll die Gleichbehandlung der Minister, die in übernationalen Institutionen arbeiten, mit Beamten und allen Angestellten herbeiführen. Die Sache ist bekannt, und ich brauche das hier nicht zu erläutern.Die Antwort des Herrn Bundesaußenministers auf eine Kleine Anfrage meiner Freunde mit der ihm eigenen netten Art, den Nagel auf den Kopf zu treffen, spricht eigentlich für sich, indem er sagte: Es ist nicht Sache der Bundesregierung, eine Meinung über die Wahrnehmung von privaten Vermögensrechten eines Mitglieds der Bundesregierung zu äußern.Ich bitte, unseren Antrag dem Ausschuß für Inneres zu überweisen.Nun bitte ich mir noch zu gestatten, daß ich für meine politischen Freunde einige Bemerkungen zu dem Regierungsentwurf Drucksache 1131 mache. Diese Vorlage hat ja leider unter keinem guten Stern gestanden. Wenn man durchsieht, wie damals bei der Vorlage die Meinungen der deutschen Öffentlichkeit waren — sie schwanken zwischen dem Hinweis des „Rheinischen Merkur", der die Vorlage als arge Instinktlosigkeit, und dem anderer Zeitungen, die sie als einen Skandal bezeichneten
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Schmitt-Vockenhausen—, drängt sich der Schluß auf, daß „Takt" hier doch nur die gleichmäßige Einteilung der Zeit war.
Die Bundesregierung hat ihren Entwurf zu dem gleichen Zeitpunkt vorgelegt, zu dem sie die Forderungen der Kriegsopferverbände zurückgewiesen und ihren völlig unzulänglichen Entwurf unterbreitet hatte. Das hat ja neulich in der Debatte mit dem verehrten Kollegen Bausch noch einen Nachklang gefunden, worauf Sie, Herr Kollege Rutschke, mit Recht hingewiesen haben. Der Vorschlag stammt von einer Bundesregierung, die im 3. Deutschen Bundestag nach dem Motto des Kieler Parteitags der Christlich-Demokratischen Union arbeitet: „Die Grenzen des sozialen Rechtsstaats sind erreicht!"
Es läßt sich nicht bestreiten: man spürt, daß Regierung und Mehrheit des Hauses versuchen, diesen Satz in der Gesetzgebung Wirklichkeit werden zu lassen, sei es bei der Kriegsopferversorgung, bei der Krankenversicherung, beim Mietengesetz oder bei der Novelle zur Unfallversicherungsgesetzgebung. Überall, wo es darum geht, den Kampf gegen Sozialleistungen zu führen, haben die Mitglieder unserer Regierung schöne Worte und Begründungen, um ihre Vorschläge zu rechtfertigen. So hat gelegentlich der frühere Herr Bundesarbeitsminister Storch in seiner lebenserfahrenen Art vorgeschlagen, manche sollten ernsthaft prüfen, ob sie nicht unter sich selbst Wege suchen sollten, um die notwendige Sicherheit für das Alter und für eine vorzeitige Invalidität zu erzielen.
Und der Herr Bundesarbeitsminister Blank meinte, daß die Politik der staatlichen Sicherung unter keinen Umständen, aber auch unter gar keinen Umständen den Menschen aus der Verantwortung für sich und die Seinen entlassen dürfe. Goldene Worte, die hier abgewandelt werden nach dem alten deutschen Sprichwort, daß der brave Mann an sich selbst zuerst denkt.
So hat das Bundeskabinett eine Vorlage unterbieitet, die die Versorgung der Bundesminister und ihrer Hinterbliebenen in großzügiger Weise anheben soll. Ich will hier nicht auf die Vorschläge im einzelnen eingehen, weil man darüber im Ausschuß noch diskutieren wird. Aber ich frage mich, ob hier die Bundesregierung nicht in Widerspruch zu ihrer eigenen Sozialpolitik gerät, nach der es gilt, den Gedanken der eigenen Vorsorge zu fördern und den Staat nicht für alles und alles aufkommen zu lassen.Natürlich macht man sich auch in Bonn und anderwärts Gedanken über diesen Entwurf. Und schließlich weiß man ja auch, daß es Leute gibt, die sagen: „Den Kerl kann ich noch nicht herausschmeißen."
Bei vielen Überlegungen, die angestellt werden,konnte man von berufener und unberufener Seitehören, daß die Bestimmungen des Bundesministergesetzes eine Hürde darstellten. Ich habe von anderer Seite schon gehört, daß es Leute gibt, die sagen: „Wenn ich erst einmal da bin, soll der hören, was ich noch alles dazu zu sagen habe!"Im kaiserlichen Deutschland waren der Reichskanzler und die Minister Beamte. Jener staatsrechtliche Anachronismus ist im Jahre 1930 durch das Reichsministergesetz beseitigt worden. Die Minister wurden damals aus dem Beamtenrecht herausgenommen, und ihre Rechtsverhältnisse wurden besonders geregelt. Im 1. Bundestag ist das Bundesministergesetz geschaffen worden. Der Herr Kollege Kühn hat dazu damals als Berichterstatter in der 2. Lesung erklärt, daß diese Versorgung nur unter bestimmten begrenzten Voraussetzungen vorgesehen sei.Nun sollen hier Änderungen vorgenommen werden. Sie werden es uns nicht verübeln, wenn wir vor allem jene Vorschriften besonders kritisch beurteilen, die sich mit der rückwirkenden Versorgung bestimmter früherer Minister beschäftigen. Wir haben natürlich volles Verständnis dafür, daß der Dank vom Hause Adenauer denjenigen Ministern zukommen soll, deren hervorragende Tätigkeit darin bestanden hat, daß sie versucht haben, ihre Partei zu spalten.
Aber hier soll nun ein rückwirkendes Versorgungsrecht geschaffen werden, das weit über das hinausgeht, was jemals vertretbar ist. Man kann natürlich auch verstehen, daß für den „Lohn der Angst" noch ein Ausgleich geschaffen werden soll.
Es geht aber doch jedes Maß an Glaubwürdigkeit verloren, wenn solche Rückwirkungen geschaffen werden. Aus dem Sonderschutz für Ältere wird in diesem Gesetz eine normale Bestimmung geschaffen, die wir nicht für vertretbar halten.Menschlich völlig unverständlich und nach meiner Meinung auch wirklich nicht schön ist es, daß in diesem Gesetzentwurf der einzige frühere Bundesminister, der zu keiner Versorgung kommt, unser Kollege Heinemann ist. Meine Damen und Herren, geben Sie sich nicht der Hoffnung hin, daß die rückwirkende Inkraftsetzung dieser Bestimmungen dadurch für uns annehmbarer würde,
daß er vielleicht hier einbezogen werden könnte.Meine Damen und Herren, wer Maßstäbe setzen will, muß selbst Maßstäbe haben.
Man kann sich natürlich über diese Vorlage auch in dem Sinne unterhalten und kann sich fragen, ob sich vielleicht mancher Minister nicht mehr so rein als Minister im parlamentarischen Sinne fühlt, um eine noch viel stärkere Angleichung an das Beamtengesetz zu schaffen.Sie wissen, es ist in diesen Tagen ein Buch erschienen, das sich mit der Frage beschäftigt „Was
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960 6863
Schmitt-Vockenhausenkommt nach Konrad Adenauer?", verfaßt von einem Herrn aus Ihren Reihen.
— Ja, wir sind auch nicht immer gut dabei weggekommen, das weiß ich.
Aber immerhin ist es doch sehr lesenswert, was Herr Altmann da schreibt:Im ganzen ist das Kabinett zwar immer noch ein Kollegium. Aber in allen ihm wichtig erscheinenden Fragen begnügt sich der Kanzler nicht damit, die allgemeinen Richtlinien der Politik zu bestimmen, sondern nimmt ein besonderes Initiativrecht für sich in Anspruch. Dazu bedarf es jenseits des Ministerrats noch eines besonderen Kanzleisystems, das sich aus dem Bundeskanzleramt entwickelt hat, und— so stellt hier der Autor fest —Herr Globke und Herr von Eckardt sind manchmal wichtiger als manche Minister.Damit komme ich zu dem entscheidenden Punkt dieser Vorlage. Wir sind selbstverständlich bereit, an jeder vernünftigen und vertretbaren Ordnung der Institutionen dieses Bundes, zu denen auch die Bundesregierung gehört, mitzuarbeiten. Aber es kommt auch darauf an, daß in dieser Bundesrepublik, in diesem Hause überall der Geist herrscht, in dem diese Instutionen gedeihen können. Lassen Sie mich ein offenes Wort sagen: es liegt sehr entscheidend an dem Herrn Bundeskanzler, daß das Kabinett als Verfassungsinstitution die Institution wird, die es nach der Verfassung sein soll.
Herr Erler, wenn ich wirklich ein so grausamer Mensch wäre, wie Sie das anzunehmen scheinen, hätte ich nicht ein so großes Angebot von Ministern.
Meine Damen und Herren, mit solchen und ähnlichen Reden und seinem Handeln kann man den Verfassungsinstitutionen nicht jene Würde und jene Grundlage geben, die auch wir für notwendig halten.
Wir werden uns im Anschluß mit der Vorlage beschäftigen, wir werden sie prüfen, und wir werden im Sinne einer vernünftigen Ordnung der Dinge tun, was wir für notwendig halten.
Das Wort hat Herr Bundesminister des Innern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich mit Rücksicht auf die knappe Zeit ganz kurz fassen und nur wenige Bemerkungen machen. Zunächst zu dem Entwurf eines Gesetzes, den die SPD vorgelegt hat. Dieser Entwurf deckt sich in einer der Bestimmungen mit der Regierungsvorlage, jedenfalls in der Tendenz. Wir werden zu dem Entwurf im Ausschuß im einzelnen eingehend Stellung nehmen. Ich glaube, daß das Ziel des Entwurfes durchaus der Diskussion wert ist. Wahrscheinlich wird man gesetzestechnisch diese Fragen am leichtesten lösen, indem man eine gewisse Abstimmung, Anpassung und Ausgleichung mit dem Beamtenrecht vornimmt.Nun kann ich mir aber doch nicht versagen, folgeodes zu sagen. Sollten wir nun einmal anfangen, Galerien von diesen sagenhaften Geschenken einzurichten, so glaube ich nicht, daß es eine Galerie würde, deren Besuch eine besondere Attraktion darstellen könnte, oder die sich sonst lohnte. Was mich angeht, hätte ich auf das erste Geschenk noch zu warten. Ich muß Sie also enttäuschen, Herr SchmittVockenhausen, ich werde für die zu gründende Galerie nichts zur Verfügung stellen können. Ich glaube, es wird weit überschätzt, was an gelegentlichen Geburtstagsgeschenken und solchen Sachen gekommen ist. Das Ganze, hier im Saal zusammengetragen, würde sich nicht sonderlich eindrucksvoll ausnehmen. Aber wir können darüber gerne im einzelnen sprechen.
Wenn man so etwas liest, dann geht man davon aus, daß hier Werte bewegt würden. Hier sind nach meiner festen Überzeugung keine Werte bewegt wonden, sondern hier handelt es sich um Dinge — das habe ich auch schon 'gesagt —, die man sehr leicht wird so regeln können, daß nach keiner Richtung hin irgendeine Beanstandung in Betracht kommen kann.Zum zweiten möchte ich wenige Anmerkungen zum Entwurf der Bundesregierung selbst machen. Das Bundesministergesetz stammt, wie Sie wissen, aus ,dem Jahre 1953; es ist sieben Jahre alt und ist in mancher Beziehung in ,der Tat überholungshedürftig. Ich will das jetzt nicht im einzelnen ausführen, aber es ist so.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
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(Drucksache 1683).
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Odenthal, Lange , Killat (Unterbach) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß (Drucksache 1929).Das Wort zur Einbringung wird nicht gewünscht. Keine Wortmeldung in der allgemeinen Aussprache? — Vorgeschlagen ist Überweisung an den Ausschuß für Arbeit — federführend —, an den Wirtschaftsausschuß und den Ausschuß für Mittelstandsfragen, und zwar bezüglich beider Vorlagen. — Das Haus ist damit einverstanden.Punkt 29:Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung — Immunitätsangelegenheiten — betr. Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Dr. Oberländer gemäß Schreiben des Rechtsanwalts Dr. Kaul, Berlin, vom 3. März 1960 (Drucksache 1860).Für den Berichterstatter Herrn Abgeordneten Wittrock, hat das Wort Herr Abgeordneter Ritzel.
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6866 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1960
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Rechtsanwalt Dr. Kaul aus Ost-Berlin hat namens und in Vollmacht des Sekretärs des Ausschusses für Deutsche Einheit in Ost-Berlin, Adolf Deter, Privatklage gegen den Bundesminister a. D. Professor Dr. Oberländer beim Amtsgericht ,in Bonn erhoben. Zur Begründung der Privatklage wurde angeführt, der Beschuldigte habe in einer Pressekonferenz in Kiel am 16. Februar wörtlich erklärt, das vom Ausschuß für Deutsche Einheit unter dem Titel „Die Wahrheit über Oberländer" der Öffentlichkeit übergebene Braunbuch sei zu einem großen Teil gefälscht. Diese Angaben seien geeignet, den Privatkläger in der Öffentlichkeit verächtlich zu machen und in der öffentlichen Meinung herabzusetzen.
Der Ausschuß hat alle erreichbaren Akten zugezogen und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß nicht geklärt werden könne, ob es sich im vorliegenden Falle um eine einfache Beleidigung politischen Inhalts oder um eine verleumderische Beleidigung handle. Der Ausschuß ist nach der bisherigen Praxis nicht in der Lage, in Ermittlungen tatsächlicher Art einzutreten; das ist ihm verwehrt. Er hat vorgeschlagen, dem Antrag des Privatklägers nicht stattzugeben, also die Immunität des Abgeordneten Oberländer nicht aufzuheben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. — Keine Wortmeldungen. Ich lasse abstimmen. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Punkt 30:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung — Immunitätsangelegenheiten — betr. Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Rasner gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 20. April 1960 (Drucksache 1859).
Zur Berichterstattung hat der Herr Abgeordnete Jahn das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Abgeordnete Rasner hat gegenüber dem Herausgeber der „Deutschen Informationen" geäußert, Herr Dr. KindtKiefer sei eine obskure Gestalt. Diese Aussage hat Herr Rasner nicht bestritten.
Diese Auseinandersetzung hat dazu geführt, daß Strafantrag wegen Beleidigung gestellt worden ist.
Deshalb soll die Immunität des Abgeordneten Rasner aufgehoben werden.
Der Immunitätsausschuß bittet, dem Antrag nicht zu entsprechen. Er hat sich entsprechend seiner ständigen Übung dahin entschieden, daß eine einfache Beleidigung, die hier offenbar vorliegt, für die Aufhebung der Immunität nicht ausreicht.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. — Keine Wortmeldungen. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. —. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Zwei Enthaltungen: der Herr Abgeordnete Rasner enthält sich. Bei zwei Enthaltungen ist der Antrag des Ausschusses angenommen.
Punkt 31:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung von reichseigenen Grundstükken an das Land Berlin für den Neubau der Berliner Philharmonie (Drucksachen 1677, 1858) .
Ich frage den Herrn Berichterstatter, Abgeordneten Heiland, ob er das Wort wünscht. — Der Herr Berichterstatter verzichtet. Ich frage das Haus, ob dem Antrag des Ausschusses zugestimmt wird. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 32:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Verkauf der ehem. Hansa-Mühle in Bremen an die Soja-Gesellschaft Bremen GmbH in Bremen (Drucksachen 1657, 1857).
Auch hier ist der Abgeordnete Heiland Berichterstatter. Ich frage ihn, ob er das Wort wünscht. — Der Herr Berichterstatter verzichtet. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag des Ausschusses ist einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir für heute am Ende unserer Arbeit. Alle anderen Punkte der Tagesordnung werden vereinbarungsgemäß bis morgen bzw. Freitag zurückgestellt.
Ich berufe das Haus ein für Donnerstag, den 23. Juni, 15 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.