Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 4. Sitzung des zweiten Deutschen Bundestages. Ich bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach die Abgeordneten Wirths für sechs Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme, Lücke für sechs Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme, Frau Albertz für fünf Wochen wegen Krankheit, Görlinger für drei Wochen wegen Krankheit und Bergmann für drei Wochen wegen Krankheit.
Ich nehme an, daß der Urlaub, soweit er über eine Woche hinausgeht, genehmigt ist. — Das ist der Fall. Bitte!
Der Präsident hat Urlaub erteilt den Abgeordneten Pöhler, Rümmele, Bauereisen, Spörl, Meyer , Birkelbach, Dr. Wellhausen, Blücher, Dr. Bärsch, Jahn (Frankfurt), Blank (Dortmund), Margulies, Struve, Knapp und Dr. Bucerius.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Gibbert, Schüttler, Heiland, Heye, Häussler, Dr. Höck und Dr. Werber.
Meine Damen und Herren, ich habe Glückwünsche auszusprechen dem Herrn Abgeordneten Etzenbach zu seinem 64. Geburtstag am 25. Oktober.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes hat unter dem 23. Oktober 1953 die Kleine Anfrage 1 der Fraktion der Deutschen Partei betreffend Genocide-Konvention — Drucksache 24 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 31 vervielfältigt.
Ich schlage Ihnen vor, die Tagesordnung zu erweitern um den Punkt
Wahl eines Stellvertreters des Präsidenten.
Der bisherige Vizepräsident Herr Dr. Schäfer hat mitgeteilt, daß er nach seiner Ernennung zum Bundesminister sein Amt als Stellvertreter des Präsidenten niederlegt. Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei hat mir mitgeteilt, daß sie als Stellvertreter des Präsidenten den Herrn Abgeordneten Dr. Schneiderin Vorschlag bringt. Ich unterstelle das Einverständnis des Hauses damit, daß diese Wahl durch Zuruf vorgenommen wird.
Ich bitte die Damen und Herren, die für die Wahl des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider zum Stellvertreter des Präsidenten sind, ihre Hand zu erheben. — Ich stelle fest, daß diese Wahl einstimmig erfolgt ist.
Ich frage Herrn Abgeordneten Dr. Schneider, ob er bereit ist, diese Wahl anzunehmen.
— Meine Damen und Herren, Herr Dr. Schneider ist, wie ich höre, nicht im Saal.
Ich werde die Frage an Herrn Abgeordneten Dr. Schneider richten, wenn er den Saal betreten hat. — Sie sind damit einverstanden.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe auf:
Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 20. Oktober 1953.
Ich weise darauf hin, daß die heutige und voraussichtlich auch die morgige Sitzung etwa zwischen 15 und 16 Uhr beendet werden sollen.
Inzwischen ist Herr Abgeordneter Dr. Schneider eingetroffen. Herr Abgeordneter Dr. Schneider, ich frage Sie, ob Sie bereit sind, die auf Sie gefallene einstimmige Wahl durch den Bundestag zum Stellvertreter des Präsidenten anzunehmen.
Ich nehme an.
Ich beglückwünsche Sie zu dieser Wahl.
Das Wort zur Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung hat der Abgeordnete Dr. von Brentano.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat vor wenigen Tagen die Regierungserklärung des zwei-
ten deutschen Bundeskanzlers entgegengenommen. Es war derselbe, der vor vier Jahren von dieser Stelle aus die Regierungserklärung der ersten deutschen Bundesregierung abgegeben hatte, und es sei mir gestattet, die Worte zu zitieren, mit denen damals der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer seine programmatischen Ausführungen am 20. September 1949 geschlossen hat. Er sagte damals:
Wir hoffen ..., daß es uns mit Gottes Hilfe gelingen wird, das deutsche Volk aufwärtszuführen und beizutragen zum Frieden in Europa und in der Welt.
Die Erklärung, die wir vor wenigen Tagen hier gehört haben, war von dem gleichen Gefühl der Verantwortung und von der gleichen klaren Sachlichkeit getragen wie diese erste Erklärung, und sie zeichnete sich ebenso wie die damalige durch ein klares Bekenntnis zu Maß und Möglichkeiten aus, das auch schon von vier Jahren so überzeugend und so eindrucksvoll gewirkt hatte.
Es wäre nun nicht ohne Reiz, nicht nur die erste Regierungserklärung zu zitieren, sondern auch die anschließende Diskussion und ganz besonders auch die Ausführungen der Sprecher der Opposition. Ich glaube darauf verzichten zu können. Es genügt die Feststellung, daß es in den ersten vier Jahren gelungen ist, die Grundlagen für eine beständige, in sich tragfähige politische, wirtschaftliche und soziale Ordnung zu schaffen. Die gewiß nicht bescheidenen Forderungen der Opposition, die sie in dieser ersten Aussprache vor vier Jahren angemeldet hatte, wurden nicht nur erfüllt, sondern bei weitem übertroffen.
Meine Damen und Herren! Ich bitte, freundlichst durch etwas Ruhe im Hause dazu beizutragen, daß der Redner sich verständlich machen kann.
— Lassen Sie mich bitte zu Ende sprechen. Wir sind heute dabei, die Möglichkeiten der Akustik zu überprüfen, um die Lautsprecher verbessern zu können. Das kann man bekanntlich nur durch die Praxis und nicht durch theoretische Feststellungen. Ich bitte also, die Ungelegenheit freundlichst in Kauf zu nehmen.
Ich möchte hier nur an die stetige Steigerung der Produktion erinnern, an die Erfüllung des Wohnungsbauprogramms, an die Erhöhung der sozialen Leistungen. Auf diesen Gebieten und auf vielen anderen ist unendlich viel mehr geschehen, als manche — auch sehr maßlose — Forderungen von uns verlangt haben.
Der Herr Bundeskanzler hat sich dann in seiner Regierungserklärung auch mit einer Analyse des Wahlergebnisses beschäftigt. Ich möchte diese Ausführungen ergänzen. In dem Wahlkampf, der hinter uns liegt, war sich die gesamte Opposition in einer Forderung einig: daß die Regierung, die in den letzten vier Jahren die Verantwortung trug, gestürzt werden müsse. Die Parole: „Stürzt Adenauer!" war die gemeinsame Forderung aller politischen Kräfte in der Opposition. So verschieden auch die programmatischen Ziele der damals nicht gerade geringen Anzahl ,der kleinen und großen oppositionellen Gruppen war, in dieser Forderung
stimmten sie alle überein. Wenn auch die Sozialdemokratische Partei, die nunmehr allein die Opposition in diesem Hause vertritt, in dem, was sie wollte und forderte, sich häufig von den anderen oppositionellen Kreisen sehr wesentlich unterschied, so gab es doch in dieser gemeinsamen Forderung keinen Unterschied: Die Politik des Bundeskanzlers und der hinter ihm stehenden Regierungskoalition müsse durch eine andere außenpolitische und wirtschaftspolitische Konzeption ersetzt werden. Mit dieser Forderung erhielt der Wahlkampf eine echte politische Note. Es ging nicht mehr in erster Linie um ein Bekenntnis zu einem mehr oder weniger zeitoffenen oder angestaubten Parteiprogramm; das Volk wurde aufgefordert, sich zu der Politik der vergangenen vier Jahre zu bekennen und mit dem Stimmzettel die Voraussetzungen für ihre Fortsetzung und Vollendung zu schaffen oder sich für eine radikale Abkehr vom bisherigen Weg zu entscheiden. Die Frage war klar. Ich glaube, daß die Antwort ebenso klar und eindeutig war.
Es gibt in diesem Parlament keine kommunistische Gruppe mehr. Die wiederholte Empfehlung des Kreml, unter allen Umständen zunächst einmal diese Regierung zu stürzen, um dann einen anderen Weg zu gehen, war zu durchsichtig, als daß der deutsche Wähler sie nicht verstanden hätte. In diesem Parlament sitzen auch keine Vertreter radikaler Rechtsgruppen mehr. In Deutschland und vielleicht noch mehr im Ausland wurde oft die Frage diskutiert, wie stark wohl jene Kreise seien, die noch im Ungeist des Dritten Reiches lebten. Auch darüber hat der 6. September Klarheit geschaffen. Weder die Gruppen um Dr. Wirth noch die um Dr. Heinemann, die für die Wahl dieses eigenartige Versicherungsbündnis auf Gegenseitigkeit abgeschlossen hatten — eine Vereinbarung, die gerade vom Standpunkt eines Dr. Heinemann aus so unbegreiflich war —, konnten einen Sitz in diesem Parlament erringen. Der Versuch, auf die verhängnisvolle und unrealistische Parole des „Ohne mich" zurückzugreifen, war ebenso ergebnislos wie das Bekenntnis zu einer mißverstandenen Neutralität, das letztlich ja nichts anderes bedeutete als die Kapitulation vor einem neuen totalitären System und die Resignation vor der Gewalt und dem Unrecht. Das deutsche Volk hat mit einer eindrucksvollen Mehrheit die Parole des Radikalismus von links und von rechts ebenso abgelehnt, wie es illusionären und unrealistischen Schwärmern die Gefolgschaft verweigerte.
Aber auch die größte Oppositionspartei hat eine eindeutige politische Niederlage erlitten. Wie im Jahre 1949 hat das deutsche Volk auch im Jahr 1953 das politische Programm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands abgelehnt mit dem wesentlichen Unterschied, daß diese Ablehnung im Jahr 1953 noch eindeutiger und noch klarer war.
Der 6. September führte zu einem Vertrauensbeweis für den Bundeskanzler und einer Anerkennung der von der Regierung und der Regierungskoalition geleisteten Arbeit, die nun einmal nicht wegdiskutiert werden können. Die Partei des Bundeskanzlers hat in diesem Hause die absolute Mehrheit errungen. Damit ist der 6. September zu einem Erfolg geworden, wie ihn eine Regierung bei einem Wahlrecht, das jede Stimme zählte, nach vier Jahren der Verantwortung wohl selten erzielt hat.
Das Ergebnis hat aber auch der deutschen Politik der kommenden vier Jahre eine feste und gesicherte
Grundlage gegeben. Das ist nicht nur für die innenpolitische Entwicklung von Bedeutung. Die Entscheidung des deutschen Volkes gibt der starken Mehrheit in diesem Hause auch die Möglichkeit, eine stete und klare Außenpolitik zu treiben, eine Politik der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Völkern der freien Welt, eine Politik der Wiedervereinigung mit den heute noch von uns getrennten Deutschen jenseits des Eisernen Vorhangs, aber auch eine Politik, die das Ziel der europäischen Einigung mit erhöhter Intensität verfolgen kann.
Es scheint mir nicht sehr sinnvoll zu sein, an dem Wahlergebnis des 6. September nun zu drehen und zu deuteln. Man kommt damit nicht weiter, meine Damen und Herren, wenn man etwa den Verlust der Wahlkreise in einer großen westdeutschen Stadt darauf zurückführt, daß an diesem Tage eine Herbstmesse stattgefunden habe.
Ein Blick in die statistischen Unterlagen beweist sehr eindeutig die Sinnlosigkeit einer solchen Argumentation. Die Ursachen für das Ergebnis des 6. September liegen wahrhaftig tiefer. Verlierer und Gewinner dieser Wahl sollten sich darüber in aller Offenheit Rechnung geben. Der deutsche Wähler hat sich zur Politik der letzten vier Jahre bekannt. Er hat es abgelehnt, denen zu folgen, die kein klares Ziel aufzuweisen vermochten. Die Unentschlossenheit, die Unklarheit und das Verharren in der Negation waren nicht geeignet, den deutschen Wähler zu überzeugen. Mit dem Wahlzettel hat die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes die nachdrückliche Forderung erhoben, die bisherige politische Linie fortzuführen, und zwar — das möchte ich sehr klar sagen — mit den gleichen Mitteln, in der gleichen Weise und auf den gleichen Wegen wie {bisher.
Ebenso eindeutig und klar war aber auch das Bekenntnis des deutschen Volkes zu der neuen rechtsstaatlichen und demokratischen Ordnung und zu der Politik des Friedens und 'der Verständigung. Um so mehr mußten gewisse Kommentare überraschen und enttäuschen, die nach dem 6. September veröffentlicht wurden. Ich bedauere es, daß in Deutschland Stimmen laut wurden, die den Versuch unternahmen, dieses Wahlergebnis zu verfälschen. Es mutet geradezu grotesk an, dem Sieger dieser Wahl, dem Bundeskanzler Dr. Adenauer, politische Absichten zu unterstellen, die das deutsche Volk selber am 6. September so eindeutig abgelehnt hat.
Man sprach sogar von einem ersten Schritt in eine neue totalitäre Politik.
Ich verstehe und würdige, daß aus solchen spontanen Äußerungen die tiefe Enttäuschung des Verlierers spricht. Aber wer sich zu einer solchen unsachlichen Kritik hinreißen läßt, sollte doch bedenken, daß er damit nicht dem deutschen Bundeskanzler, sondern dem deutschen Volk Schaden zufügt.
Es muß hier eindeutig festgestellt werden, daß die Mehrheit in diesem Parlament in der Hand von Demokraten liegt, die sich dagegen verwahren müssen, wenn man ihre Absichten und ihre Gesinnung anzweifelt.
Daran, daß die Opposition die Wahl verloren hat
und daß das deutsche Volk sich gegen sie entschieden hat, ist nichts zu ändern. Das rechtfertigt — ich sagte es schon — vielleicht eine Enttäuschung, aber keineswegs die Behauptung, daß die demokratische Ordnung ihre Verfechter nur in den Reihen der Opposition finde.
Ich hoffe, daß die Arbeit der nächsten Zeit auch den letzten Zweifler überzeugen wird. Wir werden ebenso wie in den vergangenen Jahren hier im Deutschen Bundestag nicht diktieren, sondern diskutieren.
Wir werden, wie ich hoffe, gemeinsam um die richtige Entscheidung ringen.
Auch das Echo, das diese Wahl im Ausland gefunden hat, war oft überraschend und widerspruchsvoll. Die einen — und ich glaube, es waren nicht die Schlechtesten — sprachen mit Befriedigung aus, daß das deutsche Volk einen Beweis seiner politischen Reife erbracht und das Vertrauen gerechtfertigt habe, das man ihm in den letzten Jahren entgegenbrachte. Mit vollem Recht wurde auch festgestellt, daß diese Wahl ein klarer Sieg der europäischen Idee gewesen sei. Andere Kritiker meinten, das Wahlergebnis sei nicht gerade beruhigend. Es gab Stimmen, die es als eine ernste Gefahr für Frankreich interpretierten.
Lassen Sie mich dem entgegenhalten, was kluge und besonnene Kritiker meinten. In einer großen englischen Zeitung las man die Frage — ich glaube, sie war mit vollem Recht gestellt —, welches andere mögliche Ergebnis den Freunden Deutschlands denn eine größere Sicherheit hätte geben können. Und eine angesehene Zeitung eines neutralen Landes hat sich sehr überzeugend mit den „terribles simplificateurs", mit den schrecklichen Vereinfachern auseinandergesetzt, die den großen Stimmen- und Mandatsgewinn der CDU/CSU sehr töricht in eine Parallele zu dem einstigen Aufstieg der NSDAP bringen wollten. Dieser Kritiker stellt mit Recht fest, man müsse ganz und gar des Sinnes für Proportionen entbehren, um solche Vergleiche auch nur anzudeuten.
Und er fügt die richtige Feststellung hinzu, daß Hitler durch eine nihilistische Opposition und mit hemmungslosen Versprechungen an die Macht gelangte, während der Bundeskanzler Dr. Adenauer und seine Partei auf Grund ihrer Rechenschaftslegung über eine vierjährige Regierungszeit die absolute Mehrheit im Bundestag errungen haben.
Vielleicht werden Sie fragen, warum ich mich noch einmal mit solchen kritischen Stimmen auseinandersetze. Meine Damen und Herren, ich muß zu meinem Bedauern feststellen, daß ein konkreter Anlaß dazu vorliegt, den hier zur Diskussion zu stellen mir gar nicht einmal leicht fällt. In der französischen sozialistischen Zeitung „Le Populaire" hat das Vorstandsmitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Herr Fritz Heine, eine Artikelserie veröffentlicht, die in den Nummern vom 3., 5. und 6. Oktober erschienen ist. Herr Fritz Heine setzt sich in diesem Beitrag mit dem Wahlergebnis, mit seinen Ursachen und mit seinen möglichen Folgen auseinander. Ich würde es dankbar
begrüßen, wenn der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion sich ebenfalls mit dieser Veröffentlichung beschäftigen und uns sagen würde, inwieweit seine Partei und seine Fraktion sich mit diesen Ausführungen identifizieren.
Ich verschweige nicht, daß meiner Überzeugung nach von der Antwort auf diese Frage sehr viel abhängen wird, ob es in diesem zweiten Bundestag mehr als im ersten möglich sein wird, zu einer gemeinsamen Außenpolitik in den Fragen zu kommen, von deren Lösung das Schicksal des ganzen deutschen Volkes nach unserer Überzeugung abhängt.
Ich glaube sagen zu dürfen, daß nicht einmal die
Märchenbeilage einer kleinen deutschen Provinzzeitung einen solchen Beitrag veröffentlicht hätte.
Ich möchte nicht alles zitieren, aber Herr Fritz Heine stellt in seinem Artikel unter der Überschrift „Die Wahlkampagne, ein Haßfeldzug gegen die Sozialisten" unter anderem fest:
In Tausenden von Orten wagten die Sozialdemokraten nicht, zuzugeben, daß sie Mitglieder oder Anhänger der SPD waren.
Meine Damen und Herren, ich frage mich wirklich, wo Herr Fritz Heine eigentlich die Monate Juli und August des Jahres 1953 verbracht hat. Hier wird eindeutig den Parteien, die diese Wahl gewonnen haben, unterstellt, sozialdemokratische Wähler mit brutalen Mitteln terrorisiert zu haben.
Dabei konnte wohl jeder ruhige und einigermaßen unvoreingenommene Beobachter feststellen, daß diese Wahl bei aller Leidenschaftlichkeit der politischen Auseinandersetzung sich in einer Atmosphäre der Ruhe vollzogen hat, die geradezu bewundernswert war.
Heine widerspricht sich übrigens. Ich glaube zu wissen, daß er wenige Tage nach der Wahl noch erklärt hat, der Propagandaapparat der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands habe bis in die letzte der 20 000 deutschen Ortschaften hinein geklappt.
Im übrigen verraten solche Äußerungen auch sehr wenig Einsicht, meine Damen und Herren. Wenn frühere Anhänger der Sozialdemokratischen Partei am 6. September nicht diese SPD wählten, dann war das nicht ein Zeichen der Furcht vor einem nicht vorhandenen Terror, aber vielleicht ein Zeichen der Furcht davor, daß die SPD die Regierung übernehmen würde.
An anderer Stelle schreibt Herr Fritz Heine:
Die Bundesregierung hat gewissenlos Steuermittel ausgegeben und für reine Propagandazwecke die Beamten der verschiedenen Ministerien eingesetzt. Sie hat ihre Befugnisse in schockierender Weise mißbraucht.
Und er fährt dann fort, und dafür erbitte ich Ihre besondere Aufmerksamkeit, meine Damen und Herren:
Während die Opposition im Laufe der letzten zehn Tage des Wahlfeldzugs sich nicht über den Rundfunk an die Wähler wenden konnte,
hatten Dr. Adenauer und Wirtschaftsminister Dr. Erhard von der CDU das Monopol dieser Propagandamittel während dieser entscheidenden Tage.
Meine Damen und Herren, ich glaube, ich kann mich mit der Feststellung begnügen, daß der Versuch, ausgerechnet die deutschen Rundfunkgesellschaften einer einseitigen Parteinahme für die Politik der CDU zu bezichtigen, wirklich fehl am Platze ist.
Im übrigen erlaube ich mir hinzuzufügen, daß die deutschen Rundfunkgesellschaften mit den Leitungen der politischen Parteien über die Zuteilung von Sendezeiten an diese Parteien während der letzten vier Wochen vor der Wahl klare und eindeutige Vereinbarungen getroffen haben. Von insgesamt 332 Sendungen wurden der CDU/CSU 87 zugeteilt.
Ich nehme an, daß diese Vereinbarung sogar die Unterschrift des Herrn Fritz Heine trägt.
An anderer Stelle — und das ist das letzte Zitat, das ich bringe — heißt es:
Ehemalige Naziführer forderten die Wähler auf, nicht für die kleinen Splittergruppen, sondern für die Regierungsparteien zu stimmen. Es läßt sich schwer beurteilen, wieviele Wähler sich durch diese Losungen beeinflussen ließen. Es ist jedoch gewiß, daß die CDU/CSU vor allem die Stimmen der Parteien der äußersten Rechten gewonnen hat, ferner derjenigen, die früher nicht wählten, oder derjenigen, die für die Nazis stimmten.
Zunächst einmal bin ich — und lassen Sie mich das offen sagen — der Meinung, daß man endlich mit dieser häßlichen Gesinnungsschnüffelei aufhören sollte,
auszurechnen, wem vielleicht der nominelle Parteigenosse Müller oder Schmidt seine Stimme gegeben hat.
Und ich meine, wir sollten alle froh sein, daß diese Stimmen den aufbauwilligen und demokratischen Parteien in diesem Hause zugeflossen sind.
Es ist uns . gelungen, und mit Erfolg gelungen, wie die Zusammensetzung dieses Hauses zeigt, den Ungeist des Nationalsozialismus, der im letzten Bundestag doch noch in vereinzelten Exemplaren hier im Parlament auftrat, aus diesem Hause zu verbannen. Aber, meine Damen und Herren, auch Herr Fritz Heine sollte wissen, daß auf allen Bänken dieses Hauses Frauen und Männer sitzen, die sich mutig und zum Teil unter Einsatz ihres Lebens gegen die Verbrechen des unseligen Naziregimes zur Wehr gesetzt haben.
Wenn ein maßgeblicher Politiker für eine große demokratische deutsche Partei in einer ausländischen Zeitung, die die Richtigkeit nicht zu kontrollieren vermag, derartige subversive Behauptungen aufstellt, dann sollte er sich darüber klar sein, daß er damit die Vertrauensgrundlage erschüttert, die die unerläßliche Voraussetzung einer jeden Aufbauarbeit in der deutschen Politik sein muß.
Er schadet damit dem deutschen Volk. Ich meine, es müßte die gemeinsame Aufgabe von uns allen in diesem Hause sein, solche Schäden vom deutschen Volk fernzuhalten und dazu beizutragen, daß die demokratische Ordnung erhalten wird und sich entfalten kann, aber nicht zerstört wird.
Meine Damen und Herren! Ich habe im übrigen den Feststellungen, die auch der Herr Bundeskanzler über das Wahlergebnis getroffen hat, nichts mehr hinzuzufügen, und ich glaube, daß die Praxis der nächsten vier Jahre auch noch manchen Zweifler überzeugen wird, vielleicht sogar den einen oder anderen derjenigen, die hier im Hause sitzen.
Meine Damen und Herren! Wir in der Fraktion der CDU/CSU wissen sehr wohl, daß die Entscheidung vom 6. September uns nicht nur eine außergewöhnliche Vollmacht erteilt, sondern uns auch außergewöhnliche Verpflichtungen auferlegt hat. Wir können mit einem berechtigten Stolz feststellen, daß wir das Vertrauen gerechtfertigt haben, das das deutsche Volk uns am 14. August 1949 ausgesprochen hat.
— Ja, wir haben uns vom Wähler überzeugen lassen, weil wir Demokraten sind, Herr Kollege!
Sie dürfen überzeugt sein, daß wir alles tun werden, um auch in den nächsten vier Jahren eine Arbeit zu leisten, mit der wir nach Abschluß der Legislaturperiode wieder vor dem deutschen Volk bestehen können:
Und ich richte hier den wirklich ehrlichen und aufrichtigen Appell auch an die Opposition, sich dieser Arbeit nicht zu entziehen. Es ist nicht meine Aufgabe und auch nicht meine Absicht, meine Damen und Herren, der Opposition Vorschriften oder Vorschläge zu machen. Das stünde mir nicht zu. Aber ich begnüge mich damit — und das wird man mir gestatten müssen —, aus der Rede des Sprechers der Opposition in der Sitzung vom 21. September 1949 einen Satz zu zitieren:
Es ist richtig, daß die Opposition sich nicht in der bloßen Verneinung der Regierungsvorschläge erschöpfen kann. Das Wesen der Opposition ist der permanente Versuch, an konkreten Tatbeständen mit konkreten Vorschlägen der Regierung und ihren Parteien den positiven Gestaltungswillen der Opposition aufzuzwingen.
An dieser Art der Mitarbeit — dessen dürfen Sie sicher sein — wird niemand im Hause die Opposition hindern.
Ich sagte, meine Damen und Herren, daß die Fraktion der CDU/CSU eine wenn auch knappe Mehrheit in diesem Hause besitzt. Sie hat daraus keine Konsequenzen gezogen. Sie hat keine EinParteien-Regierung gebildet. Sie will schon gar nicht und unter gar keinen Voraussetzungen einen Ein-Parteien-Staat. Die Koalition ist auf eine noch breitere Basis gestellt worden, und wir werden gemeinsam die Politik weiter verfolgen, die in den letzten vier Jahren von der Koalition begonnen wurde. Diese eindeutige Absage meiner Partei an eine Ein-Parteien-Regierung und der Entschluß, die Koalition zu erweitern, sollten die Öffentlichkeit, aber auch die Welt davon überzeugen, daß die verantwortlichen Männer dieser Partei mit Besonnenheit an ihre Aufgaben herangehen und weit davon entfernt sind, ihre Vollmachten zu mißbrauchen.
Meine Damen und Herren! Wenn wir von der Zusammenarbeit sprechen, dann sollten wir uns daran erinnern, daß jedes menschliche Zusammenleben von der Achtung abhängt, die wir einander entgegenbringen.
Das gilt vom Zusammenleben im Staat ebenso wie in anderen Ordnungsbereichen. Diese Achtung beruht, wie wir glauben, auf der Anerkennung der Würde des Menschen. Er ist Sinn und Ziel jeder politischen Arbeit, und niemals kann es eine Institution sein, die diese Stellung für sich beanspruchen könnte, am wenigsten der Staat. Staat, Gesellschaft und Wirtschaft sind des Menschen wegen da und nicht umgekehrt. Wer so vom Menschen denkt und ihn in den Mittelpunkt des Geschehens stellt, der achtet seinen Wert, seine Würde, seine Freiheit und sein Gewissen. In der Anerkennung der menschlichen Persönlichkeit liegt auch das Bekenntnis zu echter Toleranz, die, ohne die eigene Überzeugung preiszugeben, die Überzeugung des anderen achtet. Es ist die Aufgabe nicht nur des einzelnen, sondern — vergessen wir es nicht — auch die Aufgabe des Staates, diese Toleranz zu üben und ihre praktische Verwirklichung zu sichern. Aber dieses Bekenntnis zu praktischer Toleranz rechtfertigt auch die Forderung nach ihrer Verwirklichung auf allen Bereichen.
Dieses Bekenntnis möchte ich interpretieren; denn manchmal wird es dahin mißverstanden, daß Toleranz ein Ausdruck der Grundsatzlosigkeit sein müsse. Wer die Meinung des anderen für ebenso richtig hält wie die eigene, bekennt sich nicht zur Toleranz, sondern zur Wertneutralität. Eine echte Toleranz muß sich im Gebaren zeigen, aber nicht in der Gesinnung. Das gilt für die Zusammenarbeit im Parlament, in der Koalition und mit der Opposition. Aber wenn ich das vorausgeschickt habe, dann deswegen, um anzuschließen, daß nach unserer Überzeugung der besondere Auftrag, der den Parteien der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union am 6. September erteilt worden ist, uns auch besondere Verpflichtungen auferlegt: nämlich die Vorstellungen und Gedanken zu verwirklichen, die wir in diesen Parteien vertreten. Das Hamburger Programm, das die Christlich-Demokratische Union zur Einleitung des Wahlkampfes beschlossen hat und das in seinen programmatischen Forderungen wohl in jedem einzelnen Punkte auch mit den Vorstellungen meiner politischen Freunde aus der CSU übereinstimmt, ist durch die Wahl vom 6. September nicht überholt, sondern hat an diesem Tage seine besondere Bedeutung erlangt.
Das soll keineswegs heißen, daß wir nun mit einem unpolitischen Dogmatismus an die Arbeit gehen. Wohl aber soll diese Feststellung bedeuten,
daß diese programmatischen Forderungen für die nächsten vier Jahre auch die Richtschnur für unsere politische Initiative und das Kriterium für unsere politischen Entscheidungen sein werden.
Ich möchte meinen politischen Freunden nicht vorgreifen, die in der Diskussion nach mir sprechen und sicherlich einzelne Arbeitsgebiete behandeln werden. Aber zu einigen Fragen lassen Sie mich wenigstens kurz einiges ausführen.
Die eindeutige Feststellung, von der ich sprach, führt zunächst auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik zum klaren Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft. Durch diese Form der Wirtschaftsordnung haben wir die produktiven Kräfte des Volkes von den Lähmungen der Zwangswirtschaft und von den Fesseln bürokratischen Zwanges befreit und durch einen echten Leistungswettbewerb zur Entfaltung gebracht. Ich unterstreiche allerdings dabei auch die Worte: echter Leistungswettbewerb. Denn in dieser Wirtschaftsordnung darf die wertbestimmende und preisgestaltende Funktion des Verbrauchers nicht willkürlich verkümmert werden. Dabei wissen wir wohl, daß gerade der Bereich der Wirtschaftspolitik weniger als andere Bereiche des öffentlichen Lebens geeignet ist, nach starren dogmatischen Formeln gestaltet zu werden. Beweglichkeit, Anpassungsfähigkeit und Geschmeidigkeit sind unerläßliche Voraussetzungen für eine sinnvolle Ordnung in der Wirtschaft. Das gilt um so mehr, als ja die deutsche Volkswirtschaft nur einen Teil der großen internationalen Wirtschaft darstellt, mit der wir erfolgreich die Zusammenarbeit aufgenommen haben, um sie weiter zu entwickeln. Das bedingt, ja verlangt sogar zum minBesten so lange eine Anpassung an die wirtschaftspolitische Praxis der anderen, als nicht in größerem Rahmen eine Übereinstimmung herbeigeführt werden kann.
Unsere Sozialpolitik nun, meine Damen und Herren, ist nicht etwa ein Anhängsel an die soziale Marktwirtschaft; sie ist vielmehr deren Ziel. Lassen Sie mich hier einen Satz vom Hamburger Parteitag zitieren, den damals mein Freund Albers ausgesprochen hat:
Die Christlich-Demokratische Union ist der
politische Standort der vielen, die vom Geiste
der christlich-sozialen Bewegung beseelt sind.
Sie ist aber mehr. Sie ist die Hoffnung jener,
die der Hilfe der Gemeinschaft bedürfen und
die ihre Sorgen und Anliegen vertrauensvoll
in unsere Hände gelegt haben. Und so erwächst
immer wieder für uns die Verpflichtung, nie
zu erlahmen in der Sorge für alle, die noch
auf der Schattenseite des Lebens stehen. Wir
wollen ihre Sorgen zu unseren Sorgen machen.
Meine Damen und Herren, ich unterstreiche das, und wir wollen in dieser Arbeit fortfahren; denn wir wissen, daß auch die großen und unbestreitbar erfolgreichen Anstrengungen, die in der vergangenen Legislaturperiode unternommen wurden, um die echte soziale Not zu lindern, sie noch nicht völlig zu beseitigen vermochten. Auf diesem Gebiet ist noch ein echter Aufgabenbereich für die Arbeit der nächsten vier Jahre offen. Ich denke in erster Linie an die alten und berufsunfähigen Menschen, die nach einem arbeitsreichen Leben Anspruch darauf haben, daß ihnen die Sorge um das Dasein von denen abgenommen wird, denen sie ihre Lebensarbeit gewidmet haben.
In diesen Bereich gehört auch der Ausbau einer neuen Sozialordnung. Wir haben mit den beiden großen Gesetzen — dem Gesetz über das Mitbestimmungsrecht im Bereich der Grundstoffindustrie und dem Gesetz über das Betriebsverfassungsrecht — einen guten Anfang gemacht, wenn ich auch nicht verschweige, daß die Durchführung des erstgenannten Gesetzes uns enttäuscht hat.
Wir sollten aber bald darangehen, auch die weiteren institutionellen Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit aller am wirtschaftlichen Leben Beteiligten zu schaffen. Ich meine, daß wir beispielsweise die Diskussion über die Errichtung eines Organes wieder aufnehmen sollten, das ich als Bundeswirtschaftsrat bezeichnen möchte,
ohne damit in den Vorstellungen des alten Reichswirtschaftsrates haften zu bleiben.
Wir sehen als Beteiligte nicht etwa nur Arbeitnehmer und Unternehmer an. Ich meine, wir sollten uns überhaupt von der etwas zu simplen Formulierung lösen, die nur diese beiden Personengruppen als Sozialpartner anspricht.
In den Rahmen einer solchen, die Sozial- und Wirtschaftsordnung mitgestaltenden Institution gehören alle, deren wirtschaftliche Interessen berührt sind, also auch Landwirtschaft, Handel, Handwerk, freie Berufe und Verbraucher. Wir sollten diesen Gruppen die Möglichkeit eröffnen, am Ausbau der Sozial- und Wirtschaftsordnung mitzuarbeiten. Wir werden damit vielleicht manche Diskussion in diesem Hause ersparen. Selbstverständlich denke ich dabei auch an die Mitarbeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes, von dem wir allerdings hoffen, daß er sich in Zukunft wieder zu einer echten parteipolitischen Neutralität und zu einer echten Toleranz im geistigen Bereich zurückbesinnen wird.
Meine Damen und Herren, die menschliche Existenz, ja sogar die menschliche Würde sind bedroht durch die kollektivistischen Tendenzen in unserer Zeit, die in einigen politischen Bereichen nicht weit von uns so erschreckend ihren Ausdruck finden. Deswegen glauben wir, daß wir einer solchen Entwicklung vorbeugen müssen, um nicht die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sie uns überraschen könnten. Wir glauben, daß es eine der wichtigsten Forderungen ist, die wir aufstellen sollten: Eigentum für alle Schichten unseres deutschen Volkes zu schaffen. Persönliches Eigentum fördert eine verantwortungsvolle Lebensführung des Menschen und seiner Familie. Je mehr Eigentümer wir haben, desto ausgewogener wird auch das soziale Gefüge, desto gesicherter der soziale Friede und desto sicherer auch die Unabhängigkeit des einzelnen von totalitären Einflüssen und Bestrebungen.
Allerdings sind für uns — und auch das sage ich eindeutig und klar — Verstaatlichung und sozialistisches Gemeineigentum keinesfalls eine echte Lösung der sozialen Frage.
Dagegen kann das Miteigentum am Betriebe vielleicht eine besondere Form sein, dem sozialen Ausgleich zu dienen und jenseits von Kapitalismus und jenseits von Sozialismus die soziale Ausgestaltung auch der Marktwirtschaft zu verwirklichen.
Ich habe es begrüßt, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Erklärung — als er von der Sorge für die Menschen sprach — auch auf die Jugend zu sprechen kam. Meine Damen und Herren, es ist ein physiologisches Gesetz, das auch in jeder staatlichen Ordnung gilt, daß nun einmal die Jugend von heute das Alter von morgen ist. Die Berufsausbildung der jungen Menschen zu fördern, die heimatlos gewordenen Jugendlichen einzugliedern, den jungen Menschen Aufstiegsmöglichkeiten zu eröffnen, sind Aufgaben, die, wenn wir auch keineswegs in die Zuständigkeiten der Länder eingreifen wollen, auch die Förderung des Bundes genießen müssen. Die besondere Verantwortung und Verpflichtung auf diesem Gebiete ergibt sich obendrein aus der Tatsache, daß nach den Feststellungen der statistischen Ämter gerade die überwiegende Zahl der jungen Wähler der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union ihre Stimme gegeben und damit ihr Vertrauen bekundet haben. Wir dürfen dieses Vertrauen nicht enttäuschen.
Der Herr Bundeskanzler hat auch von den schweren Gefahren gesprochen, die dem Volke bei einer weiteren sozialen Verkümmerung der geistigen und künstlerischen Berufe erwachsen müssen. Gerade hier sollten wir auch nicht mit den nötigen Maßnahmen zögern, von denen schon die Regierungserklärung sprach. Wir müssen dazu beitragen, die wirtschaftliche Stellung und damit auch die wirtschaftliche Existenz gerade dieser Berufe zu sichern. Ich denke hier ebenso an die freien Berufe wie an Hochschullehrer und Träger der wissenschaftlichen Forschung. Wenn unsere wissenschaftliche Forschung nicht den Vorsprung aufzuholen vermag, den andere Länder in den letzten zwanzig Jahren gewonnen haben, wird das ganze deutsche Volk den Schaden zu tragen haben.
Wer über die Entwicklung auf den deutschen Universitäten und Hochschulen Bescheid weiß und sich dann über das berichten läßt, was sich auf ausländischen Hochschulen und Universitäten ereignet, nicht zuletzt in den Vereinigten Staaten von Amerika, der muß mit Sorge zusehen, daß dieser Vorsprung von Tag zu Tag, ich möchte sagen, von Stunde zu Stunde sich vergrößert. Wenn wir hier nicht auch vom Bunde aus helfend eingreifen, ich glaube, dann versündigen wir uns tatsächlich an der Zukunft unseres deutschen Volkes.
Wenn wir von der Sorge für den Menschen, von der Sorge für den jungen Menschen und damit von der Sorge für die Familie sprachen, dann möchte ich hier der Bundesregierung auch noch eine besondere Bitte mit auf den Weg geben. Wir müssen in diesem Zusammenhang eine Aufgabe erwähnen, deren Lösung an sich schon dem letzten Bundestag aufgegeben war: die Angleichung des Rechts, insbesondere des Familienrechts, an den Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Wenn man nicht wüßte, daß im zuständigen Fachministerium die Arbeiten für die Vorlage des Gesetzes so gut wie abgeschlossen sind und deshalb mit seiner baldigen Einbringung zu rechnen
ist, könnte man aus der Nichterwähnung dieses Gegenstandes in der Regierungserklärung zu dem unrichtigen Schluß kommen, daß die Bundesregierung sich der Wichtigkeit und Dringlichkeit dieser Aufgabe nicht bewußt wäre, Die Angelegenheit ist um so dringlicher, als in der Rechtsprechung streitig geworden ist, ob die Sperre des Art. 117 des Grundgesetzes noch in Kraft ist oder nicht. Einerlei, wie die Frage zu entscheiden ist, ich glaube, wir sind uns alle darüber einig, daß die Gerichte bis zur Regelung dieser Frage vor geradezu unlösbaren Aufgaben stehen, die ihre Kräfte und ihre Zuständigkeit bei weitem übersteigen. Der Gegenstand ist von so grundsätzlicher und einschneidender Bedeutung, daß die Lösung nicht überstürzt werden darf. Man wird deshalb bald zu prüfen haben, ob zur Beseitigung der einfach unerträglichen Rechtsunsicherheit auf allen diesen Gebieten eine zeitlich begrenzte Verlängerung bzw. Wiederinkraftsetzung der Regelung des Art. 117 erfolgen muß.
Zur Sache selbst ist zu sagen, daß bei der Anpassung des Familienrechts an die von uns be-jahte Gleichberechtigung von Mann und Frau die natürliche Ordnung der Familie und Ehe Ausgangspunkt und Richtschnur sein muß. Art. 6 des Grundgesetzes, in dem es heißt, daß Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz des Staates stehen, steht gleichberechtigt neben Art. 3 des Grundgesetzes. Unter dem Gesichtspunkt der Gleichberechtigung sollte nichts geschehen, was Ehe und Familie gefährden kann. Es muß vielmehr alles getan werden, um diese Institutionen zu stützen und zu stärken.
Meine Damen und Herren, eine besondere Aufgabe möchte ich auch noch nennen, die uns durch das Problem der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge gestellt ist. Gerade die CDU/CSU hat auch hier am 6. September eine besondere Verpfichtung übernommen; denn wir wissen, daß es mindestens 50 Prozent der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge sind, die uns an diesem Tage ihre Stimme gegeben und ihr Vertrauen bekundet haben.
Alle diese Menschen — wir wissen es — sind durch die politische Entwicklung der Vergangenheit aus ihren echten, organischen Bindungen herausgerissen worden. Ganze Volksgruppen, die durch Jahrhunderte ihr kulturelles Eigenleben geführt und entwickelt haben, sind aufgelöst und zerstreut. Diesen Menschen ihre materielle Lebensgrundlage zu ersetzen, ist unmöglich; noch unmöglicher ist es, ihnen das zu erstatten, was sie durch den Verlust der Heimat und durch den Verlust der geistigen Werte, die sie mit der Heimat verbunden haben, eingebüßt haben. Wir können mit großer Befriedigung feststellen, daß doch eine beträchtliche Anzahl von Vertriebenen und Flüchtlingen wieder die ersten Grundlagen einer neuen Existenz zu schaffen vermochten und daß sie sich nicht mehr als unerwünschte Eindringlinge fühlen müssen. Auch wenn die Erinnerung an die Heimat und der heiße Wunsch, sie wiederzusehen, nicht schwinden werden, — Millionen von Menschen haben doch in ihrer neuen Heimat wieder Boden unter den Füßen gewonnen und wissen, daß sie gleichberechtigte Bürger dieses Staates sind. Das ist auch der Politik der letzten vier Jahre, die hier im Hohen Hause
beschlossen wurde, zu verdanken, die all das schwere Leid natürlich nicht ungeschehen machen kann, wohl aber diesen Menschen das Gefühl einer neugewonnenen existentiellen Sicherheit und die Überzeugung vermittelt, daß ihnen echte Möglichkeiten gegeben werden. Aber gerade das Vertrauen dieser Millionen von Menschen verpflichtet uns, sie auch in den nächsten Jahren nicht zu enttäuschen, sondern von uns aus die Initiative zu ergreifen, die wir gar nicht unseren Freunden und Kollegen aus dem Kreis der Heimatvertriebenen überlassen dürfen und wollen, von uns aus diese Initiative zu ergreifen, um diesen Eingliederungsprozeß auf allen Gebieten mit dem größten Nachdruck zu fördern, damit — ich hoffe es — nach vier Jahren das Problem der Heimatvertriebenen in der politischen Diskussion keine Rolle mehr spielen wird mit Ausnahme der einen, daß diese Menschen auch nach vier Jahren in der gleichen Weise an ihre Heimat denken werden wie heute.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch ein Wort zu denen sagen, die heute noch darauf warten, ihre Heimat und ihre Familie wiederzusehen. Ich glaube, das ganze deutsche Volk war in den vergangenen Wochen in einer echten inneren Bewegung, als wir hörten, daß viele tausend Kriegsgefangene aus der Sowjetunion zurückkehrten, Menschen, die zehn und mehr Jahre auf diesen Tag gewartet hatten. Ich möchte in dieser Entscheidung der Sowjetunion das erste Zeichen erblicken, sich von den harten und unmenschlichen Methoden abzukehren, die das deutsche Volk seit Jahren leidenschaftlich verurteilt hat, und ich kann nur den Wunsch wiederholen, den auch der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung zum Ausdruck gebracht hat, daß damit eine Aktion begonnen, aber hoffentlich nicht abgeschlossen wurde.
Aber auch dort, meine Damen und Herren, wo vielleicht individuelle Schuld noch zu sühnen ist, sollte man sich die ernste` Frage vorlegen, ob nicht endlich der Zeitpunkt gekommen ist, vom Recht der Gnade auch dann Gebrauch zu machen, wenn bisher die Vorstellung des Rechts noch im Wege stand.
Denen, die inzwischen heimkehren durften, versichere ich auch für die Fraktion der CDU/CSU, daß wir alles tun werden, um gerade ihnen durch die Tat zu beweisen, daß die Heimat auf sie gewartet, aber sie niemals vergessen hat.
Meine Damen und Herren! Ich möchte, wie ich schon sagte, nicht mehr einzelne Bereiche anschneiden; aber eine Frage von hoher politischer Bedeutung muß ich ansprechen: das künftige Wahlgesetz. Der letzte Bundestag hat ein Wahlgesetz beschlossen, das nur für diese Wahl Gültigkeit hatte. Wir müssen daher diese gesetzgeberische Aufgabe in Angriff nehmen, und wir sollten es so rasch wie möglich tun.
Die Erfahrungen im letzten Bundestag haben uns allen doch gezeigt, daß die Voraussetzungen für eine echte und sachliche Auseinandersetzung nicht oder nur in beschränktem Maße gegeben sind, wenn die Ausrechnung von Erfolgschancen und wahlarithmetischen Erwägungen die sachliche Entscheidung behindert.
Die außerordentliche politische Bedeutung, die einem guten Wahlgesetz zukommt, möchte ich hier noch einmal unterstreichen, ohne damit etwa eine Diskussion über dieses Problem zu eröffnen. Ich verschweige allerdings dabei nicht, daß die Christlich-Demokratische und Christlich-Soziale Union nach wir vor das Personen- und Mehrheitswahlrecht anstrebt.
Wir sind überzeugt, daß es wie kein anderes eine echte politische Willensbildung fördert und der Zersplitterung auch ohne mechanistische Mittel entgegenwirkt. Wir glauben, daß es die echte, klare Verantwortlichkeit schafft, die Gewählte und Wähler verbinden sollte.
Wenn wir uns in dieser Weise mit den Aufgaben beschäftigen, die dem neuen Bundestag auch für die kommenden Jahre gestellt sind, dann wird uns wieder mit schmerzlicher Klarheit deutlich, daß Millionen deutscher Frauen und deutscher Männer noch immer daran gehindert sind, an dieser Aufbauarbeit teilzunehmen. Diese für das ganze deutsche Volk so unerträgliche Trennung zu beseitigen, muß immer wieder im Mittelpunkt aller unserer politischen Erwägungen stehen.
Schon in der ersten großen politischen Debatte im Deutschen Bundestag im Jahre 1949 haben Bundesregierung und Parlament auf diese Tragik hingewiesen und die Forderung erhoben, Deutschland die Einheit wiederzugeben. Regierung und Parlament haben sich zu Sprechern der 18 Millionen Deutschen in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands gemacht, und sie haben erklärt, daß sie alles daran setzen würden, das deutsche Volk wieder zu vereinigen. Bis auf die wenigen Stimmen, die jetzt nach dieser Wahl auch hier im Bundestag verstummt sind, waren wir uns über dieses Anliegen immer einig. Es ist darum unsere Pflicht, auch diese erste Debatte nicht vorübergehen zu lassen, ohne ein Wort des Grußes und der tiefen menschlichen Verbundenheit an unsere Mitbürger in der sowjetisch besetzten Zone zu richten. Sie leben noch immer von uns getrennt in der Unfreiheit. Daß hier kein Wandel eingetreten ist, ist nicht Schuld des deutschen Volkes.
Am 17. Juni haben mutige Männer und Frauen uns in der Bundesrepublik und in der ganzen Welt gezeigt, daß sie in der Hoffnung auf Freiheit leben. Mehr als 600 Menschen haben dieses Bekenntnis zu ihrem deutschen Vaterland und zur Freiheit mit ihrem Leben bezahlt, viele Hunderte und vielleicht viele Tausende sind verhaftet und zu unmenschlichen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Ihrer unterschrockenen und mutigen Haltung ist es nicht zuletzt zuzuschreiben, daß die ganze Welt wieder wachgerüttelt wurde. Ihr Bekenntnis zur Freiheit ist unter dem Einsatz von Panzern und in den Gefängnissen und Zuchthäusern verstummt. Aber vielleicht spricht gerade dieses erzwungene Schweigen jetzt eine noch lautere Sprache als vorher.
Mit Dankbarkeit und mit Befriedigung stelle ich allerdings fest, daß die freie Welt dieses Anliegen des deutschen Volkes inzwischen zu dem eigenen gemacht hat, und ich meine, wenn die Bundesregierung in den letzten Jahren keinen anderen Erfolg aufzuweisen hätte als dieses Bekenntnis zur Mitarbeit an der Verwirklichung dieser Schick-
salsfrage des deutschen Volkes, dann wäre diese
Politik der vergangenen Jahre schon gerechtfertigt.
Das, was uns angeht, hat der Herr Bundeskanzler an den Särgen der Toten des 17. Juni in Berlin gesagt: „Wir werden nicht ruhen und wir werden nicht rasten, bis ganz Deutschland wiedervereinigt ist in Frieden und in Freiheit."
Leider hören wir noch Äußerungen, die uns zeigen, daß man dieses Anliegen des deutschen Volkes nicht überall versteht oder verstehen will. Es ist widersinnig und unrecht, diesen einheitlichen Wunsch aller Deutschen als den Ausdruck eines falschen Nationalismus auszulegen und Deutschland deswegen als Herd der Unruhe zu bezeichnen. Am wenigsten sollte man uns unterstellen, daß wir die Zusammenarbeit mit der freien Welt und daß wir die Einigung Europas nur zu dem Zweck anstreben, ein Machtpotential zu schaffen, um dieses Ziel der deutschen Politik mit Gewalt durchzusetzen. Man sollte endlich wissen und verstehen, daß wir Deutschen die Grauen eines Krieges zur Genüge kennengelernt haben und daß wir uns der Verpflichtung gerade gegenüber dem eigenen Volke bewußt sind, alles zu tun, um den Frieden zu erhalten. Wer und was berechtigt eigentlich andere, uns zu unterstellen, daß wir an Macht denken, wenn wir von Recht sprechen?!
Meine Damen und Herren, ich erinnere hier an die Erklärung, die der Herr Bundeskanzler am 27. September 1951 vor dem Bundestag abgegeben hat und die die Zustimmung aller großen Parteien des Bundestages gefunden hat. Ich erinnere an die Entschließung der Vollversammlung der Vereinten Nationen vom 20. Dezember 1951 und benutze diesen Anlaß, um auch daran zu erinnern, aß damals neben dem Herrn Bundesminister Dr. Schäfer und mir der vor wenigen Wochen verstorbene Regierende Bürgermeister der Stadt Berlin Ernst Reuter vor dem Sonderausschuß der Vereinten Nationen die Ziele der deutschen Politik in der Frage der deutschen Wiedervereinigung erläutert hat. Mit Professor Ernst Reuter haben nicht nur die Stadt Berlin und das ganze deutsche Volk, sondern alle Völker und Menschen, die sich zur Freiheit bekennen, einen aufrichtigen, mutigen und unerbittlichen Kämpfer für die Grundrechte und Grundfreiheiten der Menschen verloren. Ihm zu danken ist mir ein inneres Bedürfnis.
Und ich erinnere zuletzt an die Entschließung des Bundestags vom 1. Juli 1953, die gegen die Stimmen der kommunistischen Gruppe angenommen wurde. Immer kam darin zum Ausdruck der einmütige Wille des deutschen Volkes zur Wiedervereinigung. Die wenigen armseligen Rotgardisten, die noch vor kurzer Zeit die Redefreiheit im Parlament dazu mißbrauchen durften, von Demokratie und Ordnung zu sprechen, wenn sie Terror und Anarchie meinten, werden unsere Diskussionen über diese Frage nach dem Willen des deutschen Wählers gottlob nicht mehr stören.
Ich habe es begrüßt, daß der Herr Bundeskanzler in seine Ausführungen über die Wiedervereinigung Deutschlands auch einen klaren Hinweis darauf aufgenommen hat, daß Bundestag und Bundesregierung niemals bereit sein werden, die sogenannte Oder-Neiße-Linie anzuerkennen.
Das Recht der deutschen Menschen auf ihre Heimat auch jenseits der Oder-Neiße-Linie ist unverzichtbar. Das auszusprechen scheint mir gerade jetzt notwendig, nachdem die Sowjetunion ihrer Deutschlandnote vom August 1953 erneut die bekannten Grundzüge eines Entwurfs für einen Friedensvertrag mit Deutschland beigefügt hat, in denen es heißt: „Das Gebiet Deutschlands ist durch die Grenzen festgelegt, die von den Großmächten auf der Potsdamer Konferenz bestimmt wurden". Die Oder-Neiße-Linie wurde nicht als Grenze festgelegt. Allerdings kann ich auch hier nicht verschweigen, daß das demonstrative Schweigen, mit dem die Opposition die Feststellung des Bundeskanzlers vor wenigen Tagen begleitet hat, mich eigenartig berührt hat.
Eine Äußerung der Zustimmung zu einer klaren programmatischen Forderung des ganzen deutschen Volkes, die auch in diesem Hause niemals Gegenstand der Meinungsverschiedenheit zwischen Regierung und Opposition war, bedeutet wirklich noch keinen Verzicht auf eine wirksame Oppositionspolitik.
Darum erscheint mir dieses Schweigen als ein bedauerliches Zeichen einer politischen Verhärtung, von der ich nur hoffen kann, daß sie sich auflockern wird.
— Ja, vielleicht haben Sie es nötig, wenn Sie davon sprechen!
Um aber keinen Anlaß zu absichtlichen oder unabsichtlichen Mißdeutungen zu geben, sage ich auch hier noch einmal, was der Herr Bundeskanzler ausgesprochen hat: daß niemand in Deutschland auch nur daran denkt, die mit der Oder-Neiße-Linie zusammenhängenden Probleme etwa mit Gewalt zu lösen. Ausschließlich friedliche Wege müssen gesucht und gefunden werden.
Meine Damen und Herren, ich sagte schon, daß uns die Entscheidung der Wähler nicht nur ermächtigt, sondern verpflichtet, in der Außenpolitik der letzten vier Jahre fortzufahren. Ich glaube, wir sind uns aber auch darüber einig, daß kein verantwortlicher deutscher Politiker in Zukunft eine andere Außenpolitik vorschlagen könnte als die einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Völkern der freien Welt und einer ebenso entschiedenen und klaren Absage an den östlichen Totalitarismus.
Das ist alles andere als etwa ein Ausdruck der Sterilität und Unbeweglichkeit, vielmehr der der Beharrlichkeit und der Entschlossenheit und der Stetigkeit. Gerade diese unbeirrbare und geradlinige Politik war es, die dem deutschen Volk das Vertrauen und die Freundschaft der Welt eingebracht hat, und sie war es auch, die den deutschen Wähler am 6. September zur Stimmabgabe zugunsten dieser Politik veranlaßt hat.
Die erregenden Ereignisse, die in dieser Zeit weltpolitischer Spannungen um uns herum geschehen, dürfen wir nicht unterschätzen, aber auch nicht überbewerten. Das Schicksal von Völkern spielt sich in langen Zeitabschnitten ab. Es ist auch weitgehend von Vorgängen beeinflußt, auf die die Nationen vielleicht keinen unmittelbaren Einfluß haben. Auch rein tatsächliche Gegebenheiten wirken hier mit. Wir spüren es und wissen es ja, daß die geographische Lage unseres Vaterlandes uns zumindest an einem Punkt des weltpolitischen Geschehens mitten in das Spannungsfeld gestellt hat. Aber die notwendige und richtige Erkenntnis, daß einzelne Fakten und Faktoren gegeben sind, die wir nicht zu ändern vermögen, darf nicht etwa das Gefühl auslösen, daß wir damit auch in dem Bereich, der unserer Bestimmung oder Mitgestaltung unterliegt, auf Entscheidungen verzichten dürfen. Ich weiß, daß die Opposition in vielen Fragen der Außenpolitik anderer Meinung war und vielleicht auch noch ist. Aber ich hoffe doch, daß in allen Diskussionen sichtbar werden möge, daß wir sachliche Meinungsverschiedenheiten über die Methode austragen und nicht über das Ziel.
Ich muß noch etwas in Erinnerung rufen. Sie, meine Herren von der Opposition, haben dem Bundeskanzler, Sie haben der Mehrheit dieses Hauses in den vergangenen Jahren das Recht bestritten, überhaupt eine aktive Außenpolitik zu betreiben. Sie haben erklärt, daß das Volk ein Mandat dazu nicht gegeben habe, und Sie haben wiederholt eine Entscheidung des Volkes verlangt. Nun, ich glaube, darüber sollten wir uns als Demokraten einig sein — gleichgültig, auf welcher Bank wir sitzen —, daß diese Entscheidung, die Sie erwartet haben, nunmehr vorliegt.
Ein wesentlicher Teil dieser Politik ist die Politik der europäischen Integration, und sie fortzusetzen, meine Damen und Herren, scheint mir eine der wichtigsten Aufgaben der Bundesregierung zu sein. Die europäischen Staaten haben sich in den vergangenen Jahrzehnten selbst an die Ketten gefesselt, die ein entarteter Nationalismus geschmiedet hat. Die Vorstellung, daß der nationale Staat das Ende einer historischen Entwicklungsfolge sei, war ein verhängnisvoller Irrtum. Ein Etappenziel wurde mit dem Endziel verwechselt. Das dynamische Denken, das die Nationen zusammengeführt hatte, wurde durch das statische Denken abgelöst, das keine neue Entwicklungsmöglichkeit mehr sah und sich darauf beschränkte, das, was in der Vergangenheit mit starken Kräften gestaltet worden war, mit schwachen Kräften zu erhalten. Der Ausbau der Landesgrenzen als strategische Befestigungsanlagen war ein ebenso sinnfälliger Ausdruck mangelnder Gestaltungskraft wie die Vorstellung, daß man die Gesetze der wirtschaftlichen Vernunft durch die vom Autarkie-Denken bestimmten Regeln der wirtschaftlichen Unvernunft ersetzen könne.
Der Lebensraum der europäischen Völker wurde kleiner, und die Grenzen wurden enger. Sinnfälliger und tragischer Ausdruck dieser erstarrten Politik waren dann die Katastrophen, die in immer kürzeren Abständen Europa an den Rand des Abgrundes geführt haben. Der Wille, diese Grenzen zu sprengen und einen größeren Lebensraum zu schaffen, wird getragen und unterstützt von der
wachsenden Erkenntnis, daß die vermeintlichen Interessengegensätze in Wirklichkeit gar nicht bestehen. Den ersten Schritt auf diesem Wege haben wir mit der Gründung der Montan-Union zurückgelegt. Der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft steht, wie ich hoffe, vor der Ratifizierung. Die europäische politische Gemeinschaft wird Gegenstand entscheidender Beratungen auf der Haager Konferenz der Außenminister sein.
Ich bedauere, daß die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung und seine zusätzliche Interpretation Kommentare ausgelöst haben, die mir wirklich unberechtigt zu sein scheinen. Er hat darauf hingewiesen, daß nach wie vor das Ziel der Außenpolitik auch in der Wiederherstellung der eigenen Unabhängigkeit, der Wiedervereinigung Deutschlands und dem Zusammenschluß Europas bestehe, und er sagte, nachdem das deutsche Volk alles getan habe, um die abgeschlossenen Verträge in Kraft zu setzen, dürfe es auch hoffen, nun in den Genuß des Status der Unabhängigkeit zu kommen. Eine englische Tageszeitung schrieb vor kurzem selbst, es sei eine Anomalie, daß die Bundesrepublik noch dem Besatzungsstatut unterstehe.
Ich glaube, daß diese Feststellung richtig ist, und ich meine, daß der Bundeskanzler die Auffassung des ganzen deutschen Volkes wiedergegeben hat, wenn er diesen Wunsch nach Unabhängigkeit und Selbständigkeit aussprach.
Das Wort „Souveränität" hat er ebensowenig gebraucht, wie ich es tun möchte. Wir glauben nicht mehr an den absoluten Wert staatlicher Souveränität als letzte und echteste Ausdrucksform nationaler Existenz und Koexistenz. Wir sind im Gegenteil bereit und entschlossen, von dieser Unabhängigkeit und Selbständigkeit gerade im Sinne des Art. 24 des Grundgesetzes Gebrauch zu machen.
Um so erstaunlicher ist es dann, einen Kommentar zu lesen, in dem der Regierung vorgeworfen wird, sie habe Frankreich angehalten, den EVG-Vertrag zu ratifizieren, und man habe darin einen seltsam drohenden Ton gehört. Ich glaube, so sollte man nicht diskutieren. Sollte es denn im Ernst nicht erlaubt sein, den Partner eines Vertrages an die Erfüllung der von ihm freiwillig eingegangenen Verpflichtung zu erinnern, ohne der Erpressung beschuldigt zu werden?
Selbstverständlich wissen wir, daß die Entscheidung nur bei Frankreich und im französischen Parlament liegt. Niemand von uns käme auf den absurden Gedanken, Forderungen zu stellen oder Ratschläge zu erteilen. Aber darf die deutsche Bundesregierung nicht sagen, was sie hofft und wünscht, darf sie diejenigen, die mit ihr die Verträge unterschrieben haben, nicht an die Gemeinsamkeit der Interessen und die Gemeinsamkeit der Aufgaben erinnern, die gerade in der Präambel zu diesem Vertragswerk so eindrucksvoll dargelegt wird? Im übrigen hat der Herr Bundeskanzler, wie ich meine, gar nichts anderes getan als wenige Tage nach ihm der Haager Kongreß der Europäischen Bewegung, der einmütig beschlossen hat, alle beteiligten Regierungen und Parlamente um
eine beschleunigte Ratifizierung der Verträge zu bitten, und der sich ungehalten über die Verzögerung geäußert hat. Meine Damen und Herren, auch das scheint mir keine unberechtigte Intervention, sondern, ich glaube, sagen zu können, eine sehr berechtigte Mahnung zu sein.
Mit besonderem Ernst hat der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung auch das deutsch-französische Problem angesprochen Er hat seiner Meinung Ausdruck gegeben, daß die freundschaftliche Verständigung zwischen diesen beiden großen Nachbarvölkern eine Voraussetzung einer gesamteuropäischen Zusammenarbeit und Integration sein wird. Er hat damit in aller Offenheit und Sachlichkeit eine Feststellung getroffen, die unbestreitbar richtig ist. Wir haben uns über diese Frage in diesem Hohen Hause schon wiederholt unterhalten. Immer wieder trat dabei auch das Saarproblem in den Vordergrund. Vor wenigen Wochen hat sich nun auch die Beratende Versammlung des Europarats in Straßburg mit dieser Frage beschäftigt und hat mit überwältigender Mehrheit die Empfehlung Nr. 57 angenommen, in der es heißt:
Die Versammlung ist sich der Schwere des Saarproblems bewußt. Es könnte die deutschfranzösischen Beziehungen ernstlich gefährden und der Schaffung der Europäischen Gemeinschaft im Wege stehen, wenn es nicht in Kürze gelöst wird.
Für die Mehrheit der deutschen Delegierten hat mein Freund Gerstenmaier dieser Empfehlung, die sich nicht auf den Inhalt, sondern auf das Verfahren bezog, mit Recht zugestimmt und gesagt: „Die Saarfrage ist eine, vielleicht sogar d i e entscheidende Probe auf die Kraft der Solidarität, die in unseren Völkern erwacht ist." Dasselbe hat wenige Wochen später der französische Außenminister Robert S c h u m a n gesagt, als er mit dem Freimut, den wir an ihm gewöhnt sind, im Haag erklärte:
Die große Aufgabe ist es nun, den unseligen deutsch-französischen Gegensatz endgültig aus der Welt zu schaffen. Noch bleibt die Saarfrage zu lösen. So lange wird es kein geeintes Europa geben, solange es keine Saarregelung gibt, die von allen drei Beteiligten — Deutschland, Frankreich und dem Saarland — frei akzeptiert werden kann. Andererseits kann es keine Saarlösung ohne ein geeintes Europa geben.
Ich stimme dem ohne jeden Vorbehalt zu. Aber wie könnten wir eine solche Lösung finden, wenn nicht im Wege der Verhandlungen! Und wie könnten diese Verhandlungen erfolgreich gestaltet werden, wenn sie nicht eingebaut werden in die Verhandlungen um die Schaffung des geeinten Europas! Ausgangspunkt solcher Verhandlungen kann und wird die wiederholte Erklärung der französischen Regierung sein, daß sie nicht beabsichtigt habe, auch nicht beabsichtige, den völkerrechtlichen Status der Saar im Wege der einseitigen Annexion zu ändern. Diese Haltung ist auch in dem Briefwechsel zwischen der deutschen und der französischen Regierung bestätigt, der aus Anlaß der Unterzeichnung des Montanvertrags stattfand und in dem die französische Regierung ausdrücklich erklärte, daß eine Anerkennung des gegenwärtigen Status der Saar nicht verlangt und nicht erwartet wird.
Meine Damen und Herren, wir sind uns demzufolge zwischen Frankreich und Deutschland doch wohl darüber einig, daß die endgültige Regelung des Saarproblems einem Friedensvertrag oder einem Vertrag vorbehalten sein muß, der an die Stelle eines Friedensvertrags treten könnte. Das schließt nicht aus, nein, das verlangt gerade, daß nunmehr Verhandlungen aufgenommen werden, um eine solche Lösung zu finden, die vielleicht einmal in dem endgültigen Friedensvertrag ihre Bestätigung erfahren kann.
Wir wissen natürlich, daß im Laufe der letzten Jahre im Saargebiet Tatsachen geschaffen wurden, die wir in ihrer faktischen Bedeutung auch dann nicht leugnen können, wenn wir sie bedauern. Niemand erwartet oder verlangt aber doch von uns, daß die Lösung des so bedeutungsvollen Problems etwa darin bestehen sollte, daß wir uns der empirischen Kraft des Faktischen beugen und die Rechtsgültigkeit dessen anerkennen, was ohne unsere Mitwirkung geschehen ist.
Dazu bedürfte es doch keiner Verhandlungen! Und es ist auch wahrhaftig kein Ausdruck einer mangelnden Verständigungsbereitschaft, wenn wir daran erinnern, daß das Saargebiet innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 liegt, wenn wir aussprechen, was alle Welt weiß, daß die Einwohner des Saargebiets Deutsche sind, und wenn wir darauf hinweisen, daß die Praxis der Behörden im Saargebiet unserer Überzeugung nach nicht mit Art. 10 der Konvention über die Menschenrechte in Einklang steht
und daß wir darum eine freie Willensentscheidung des Volkes an der Saar erwarten, damit dieses Volk dann mit Frankreich und mit uns über diese Frage entscheiden kann, von deren Beantwortung doch unser gemeinsames Schicksal abhängt.
Darum begrüßen wir auch die von der Beratenden Versammlung des Europarats empfohlene Konferenz der acht Mächte, weil wir glauben, daß der gute Wille und der Einfluß auch der anderen europäischen Staaten, die sich ebenso wie Frankreich und Deutschland zu dieser Konvention über die Menschenrechte bekennen, eine wesentliche Förderung der dringend gewordenen Lösung der Saarfrage darstellen kann.
Allerdings glaube ich, meine Damen und Herren, daß alle diese Fragen mit einer fortschreitenden wirtschaftlichen und politischen Integration an Bedeutung verlieren. Ziel der wirtschaftlichen Integration ist es, einen großen gemeinsamen Markt zu schaffen. Mit der Montan-Union ist er auf einem wesentlichen Teilgebiet schon verwirklicht. Je weiter die wirtschaftliche Integration vorangetrieben wird, um so unwesentlicher wird die Frage, wo produziert wird und wer produziert.
Das gleiche gilt für, die politische Integration, zu der ich sagen möchte, daß unserer Überzeugung nach politische und wirtschaftliche Integration sich gegenseitig bedingen. Wir sind uns wohl darüber einig, daß es mit diesem Ziele der politischen Integration unvereinbar wäre, bestehende Grenzen auszubauen, willkürliche Grenzen zu legalisieren oder gar neue zu errichten.
Aus dieser Erkenntnis heraus sollten die Gespräche zwischen Frankreich und Deutschland bald
aufgenommen werden. Ich hoffe und wünsche, daß sie in dem Geiste geführt werden, der in der Präambel zum Vertrag über die Montan-Union zum Ausdruck kommt, in der Absicht nämlich, an die Stelle der jahrhundertealten Rivalitäten einen Zusammenschluß der wesentlichen Interessen zu setzen und die Grundlagen für eine weitere, vertiefte Gemeinschaft unter Völkern zu legen, die lange Zeit durch blutige Auseinandersetzungen entzweit waren, um einem nunmehr allen gemeinsamen Schicksal die Richtung zu weisen.
Meine Damen und Herren, ich zweifle nicht daran: Verhandlungen, die in diesem Geiste der Freundschaft und des gegenseitigen Verständnisses, aber auch im Geiste der gemeinsamen Verantwortung geführt werden, werden von Erfolg sein. Sie müssen es sein, weil wir alle darum wissen, daß diese europäische Integration die Frage ist, von deren Beantwortung — ich sagte es schon — Leben oder Sterben des europäischen Kontinents abhängen wird. Ich sage das alles im Sinne einer echten, ehrlichen und offenen Ansprache an unser großes französisches Nachbarvolk. Wir wollen, wie es Schuman im Haag sagte, eine echte, neue, beständige Form der europäischen Zusammenarbeit in einer neuen Einheit. Sie kann und wird es nicht geben, wenn Frankreich und Deutschland sich nicht daran beteiligen. Wir werden beide aber nur dann an einer solchen Gemeinschaft beteiligt sein, wenn wir daran gehen, die Steine, die uns nun einmal noch trennen, aus dem Weg zu räumen. Es genügt nicht, sie beiseite zu schieben, und es genügt noch weniger, so zu tun, als wären sie nicht da.
Ich weiß, es gibt Stimmen, die, wenn wir von I der europäischen Integration sprechen, schon wieder auf ein angebliches deutsches Hegemoniestreben verweisen, die von der deutschen Stärke sprechen und die Furcht äußern, Deutschland könne diese Stärke mißbrauchen. Meine Damen und Herren, ich sage es klar und deutlich allen jenen, die diese Vorstellung noch haben, die sich nicht frei machen können von diesem Gefühl der Sorge, der Furcht und der Angst vor Deutschland: Wir wollen nicht mehr und nicht weniger als Sicherheit, politische, wirtschaftliche und soziale Sicherheit für unser Volk und für jeden einzelnen in unserem Volk. Aber wie können wir denn die Furcht und das latente Mißtrauen besser beseitigen, als wenn wir uns zusammenschließen? Worin besteht denn diese immer wieder mit Skepsis diskutierte deutsche Stärke? Darin doch, daß es gelungen ist, den Lebenswillen, den Selbsterhaltungswillen des deutschen Volkes wieder anzusprechen, ihn zu befreien und die Menschen aus der Lethargie der Verzweiflung zu wecken. Man sollte das doch nicht als ein Zeichen der Bedrohung, sondern als ein Zeichen der Sicherung Europas ansehen, was hier in Deutschland geschaffen wurde. Es ist ja nicht nur für Deutschland allein geschaffen worden, sondern für die freie Welt.
Nur die Macht des Isolierten ist gefährlich oder könnte gefährlich sein. Der Sinn einer Gemeinschaft ist es, diese Sorge und Furcht zu nehmen und die Stärke des einen Partners dem anderen nutzbar zu machen.
Aber ich meine, wir brauchen die Notwendigkeit dieser Politik der europäischen Verständigung gar nicht mehr zu betonen. Ja, ich habe sogar manch-
mal den Eindruck, als sei man in den Parlamenten der europäischen Staaten noch hinter der Meinung der Öffentlichkeit weit zurück.
Es gibt noch zu viele, die sich in diese Kandare des Nationalismus verbissen haben, die sie sich selbst angelegt haben. Aber ich glaube, wir müssen uns mit diesen berufsmäßigen Reaktionären gar nicht mehr auseinandersetzen.
Ich meine, wir sind im Bundestag nach den Wahlen sogar etwas weiter als vor den Wahlen, nicht nur wegen der veränderten Mehrheitsverhältnisse, sondern weil ich kurz vor den Wahlen auch eine Äußerung eines maßgeblichen Sprechers der Opposition las, die mich doch optimistisch gestimmt hat. Man hat damals zwar nicht unsere Wege gebilligt, aber man hat doch erklärt, daß man diese europäische Integration ja vielleicht auf einem anderen Boden, auf einer anderen Ebene, etwa durch den Einbau in den Europarat, anstreben könne. Ich begrüße diese Erkenntnis, wenn ich allerdings auch daran erinnern möchte, daß vor einigen Jahren, als wir den Beitritt zum Europarat diskutierten, hier von dieser Stelle aus von einem Redner der Opposition gesagt wurde, der Weg nach Europa gehe gerade an Straßburg vorbei. Aber wenn die Erkenntnis, daß diese Entscheidung damals richtig war, inzwischen gekommen ist, dann wollen wir uns gern darüber mitfreuen.
Am 10. September vorigen Jahres haben die Außenminister einen besonderen Auftrag gegeben. Sie haben in Vorwegnahme des Art. 38 des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft die Sonderversammlung in Straßburg gebeten, ein Statut für eine Europäische Gemeinschaft auszuarbeiten. Ich möchte auf Einzelheiten dieses Entwurfs nicht eingehen oder, sagen wir richtiger, nicht heute eingehen; ich hoffe sehr, daß wir über diese Frage sehr bald einmal hier in diesem Bundestag eine Aussprache führen werden, und behalte mir auch vor, für meine Fraktion die entsprechende Initiative zu ergreifen. Dieses Statut einer europäischen Verfassung wurde fünf Monate später vorgelegt. Es war inzwischen Gegenstand von Verhandlungen der Außenminister in Paris und in Baden-Baden und zuletzt Gegenstand der Konferenz der Außenminister-Stellvertreter in Rom. Meine Damen und Herren, ich kann nicht unser Bedauern darüber verschweigen, daß die sichtbaren Fortschritte auf diesem Wege noch sehr gering sind. Diese Konferenzen haben keine Entscheidungen gebracht, ja, manche Entscheidungen bleiben vielleicht sogar ein wenig hinter der Entscheidung vom 10. September 1952 zurück. Ich habe die Hoffnung und den Wunsch, daß die deutsche Bundesregierung das ihre tun wird, um auch auf der bevorstehenden Haager Konferenz nicht nur eine Diskussion zu erreichen, sondern zu Entscheidungen zu kommen. Ich möchte allerdings besonders sagen — um jedes Mißverständnis zu vermeiden —, daß ich weiß, wie sehr sich gerade die deutsche Delegation in Rom unter der Leitung von Staatssekretär Professor Hallstein bemüht hat, Fortschritte zu erzielen, und ich danke, auch in meiner Eigenschaft als Vorsitzender des europäischen Verfassungsausschusses, diesen Delegierten und ihrem Leiter aufrichtig für ihre zweifellos erfolgreichen Bemühungen. Denn wenn die Konferenz von Rom überhaupt sichtbare Ergebnisse
hatte, dann ist das nicht zuletzt auch der Mitarbeit der deutschen Delegation zu verdanken.
Meine Damen und Herren, ich habe mich mit dieser Frage der europäischen Integration noch beschäftigen wollen, weil ich darin das Kernstück der zukünftigen deutschen Außenpolitik sehe. Ich stimme im übrigen vollkommen mit dem überein, was der Herr Bundeskanzler am Schlusse seiner Ausführungen gesagt hat, als er betonte, daß die Außenpolitik der Bundesregierung in allen ihren Bestrebungen ausschließlich darauf gerichtet sein werde, auf allen Gebieten und für alle Fragen Lösungen zu suchen, die dem friedlichen Ausgleich dienen. Ebenso uneingeschränkt unterstreiche ich für meine politischen Freunde und für mich selbst die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers, daß es kein Problem gebe und kein Problem geben dürfe, für das nicht mit den Mitteln der Verhandlung eine klare Regelung erreicht werden könne, und daß die Mittel der Gewalt nur immer neue Konflikte zu schaffen geeignet seien. Ziel und Aufgabe der deutschen Politik muß es sein, die Zusammenarbeit mit allen denen zu suchen, die uns Partnerschaft und Freundschaft anbieten, um gemeinsam mit ihnen Freiheit und Frieden zu erhalten und Freiheit und Frieden auch denen zu vermitteln, die sie heute noch entbehren. Freiheit und Frieden wünschen wir nicht um ihrer selbst willen, sondern wir wissen, ja, vielleicht wissen wir es besser als viele andere, daß sie die einzigen Grundlagen für eine beständige verläßliche wirtschaftliche Ordnung und für eine echte soziale Sicherung sind, in der jeder von uns leben soll.
Wir haben Anlaß, an dieser Stelle auch jener zu gedenken, die an diesem politischen Ziel mitgearbeitet haben. Es war meiner Meinung nach nicht ein Ausdruck politischer Klugheit, aber vielleicht ein Ausdruck einer etwas verfrühten hämischen Gesinnung, als man einmal sagte, die Wegbereiter dieser europäischen Zusammenarbeit wie Robert Schumann und Alcide de Gasperi seien verschwunden und ein Dritter, Konrad Adenauer , würde auch verschwinden. Sie sind alle drei nicht verschwunden, meine Damen und Herren, auch wenn sic zur Zeit auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Aufgabenbereichen ihre Arbeit fortsetzen.
Aber wir wissen es auch: Um das Ziel erfolgreich zu erreichen, brauchen wir auch in Zukunft die fördernde Unterstützung der Vereinigten Staaten, für die wir dankbar sind, und ebenso das Verständnis und die Bereitschaft zur Mitarbeit, die das Vereinigte Königreich uns gerade in den letzten Wochen und Monaten zugesagt hat.
Am Schlusse möchte ich noch sagen, daß ich die Hoffnung nicht aufgebe, auch das russische Volk und die russische Regierung möchten endlich erkennen, daß Deutschland nur den einen Wunsch hat, an dem Aufbau einer sinnvollen und in sich tragfähigen neuen Ordnung teilzunehmen, nicht um das Verhältnis zum russischen Volk zu belasten, sondern um im Interesse des Weltfriedens und der Weltsicherheit die Spannungen zu beseitigen, die in der Unfreiheit von Millionen deutscher Menschen bis zur Stunde allerdings noch ihren unseligen Ausdruck finden. Es geht nicht um Machtzuwachs, und noch weniger denkt irgendeiner von uns, an eine aggressive Haltung. Aber ich glaube, die europäische Integration könnte, wenn sie konsequent weitergeführt wird, sowohl für uns, die wir dieser europäischen Gemeinschaft angehören, wie auch für Rußland und für die übrige Welt eine Garantie des Friedens und der Sicherheit bedeuten, die für alle, denen es wirklich um den Frieden geht, von unschätzbarem Wert sein müßte.
Meine Damen und Herren! Für die Fraktion der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union danke ich dem Herrn Bundeskanzler für seine Regierungserklärung und versichere ihm, daß er der vertrauensvollen Mitarbeit seiner Fraktion gewiß sein darf. Mit ihm und — ich wage zu sagen — dem gesamten Deutschen Bundestag hoffe ich, daß wir gemeinsam die Aufgaben lösen, die uns gestellt sind, in der verpflichtenden Überzeugung, daß wir alle den gleichen Auftrag haben, an der Sicherung des politischen Friedens in der Welt ebenso wie des sozialen Friedens in unserem Volk mitzuwirken, damit wir auch alle nach vier Jahren über unsere Arbeit Rechenschaft ablegen können vor denen, denen wir Verantwortung schulden, und das ist nicht nur das deutsche Volk, sondern darüber hinaus die freie Welt.
Ich hoffe, daß wir in dieser Zusammenarbeit uns
finden mit allen, die eines gleichen guten Willens
sind und die mit uns um eine neue und bessere
Ordnung ringen wollen, in der es wohl noch Gegensätze geben wird — die wird es immer geben, und
wir werden sie nicht aus der Welt schaffen können —, aber in der es keinen Austrag der Gegensätze mit den Mitteln der Gewalt mehr geben darf.
Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion bedauert, daß die Mehrheit in diesem Hause in dieser Diskussion, der ersten großen politischen Diskussion im zweiten Bundestag, die Fortsetzung der guten Übung abgelehnt hat, nach dem Bundeskanzler zuerst die Opposition zu Wort kommen zu lassen und dann in eine wirkliche Debatte des Parlaments einzutreten.
Ich werde mich in meiner Rede heute morgen nur mit der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers beschäftigen, und meine Fraktion behält sich vor, auf die Ausführungen des Herren Kollegen von Brentano im weiteren Verlauf dieser Debatte einzugehen.
Nach unserem Grundgesetz liegt die letzte Entscheidung über die politische Führung der Bundesrepublik beim Volke selbst. Die Wahlen vom 6. September zum zweiten Deutschen Bundestag waren eine solche Entscheidung. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion respektiert diese Entscheidung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen,
wie sie auch durch die erneute Wahl Dr. Adenauers zum Bundeskanzler durch die Mehrheit dieses Hauses ihren Ausdruck gefunden haben.
Diese Feststellung schließt keine Billigung der Wahlkampfmethoden der Koalitionsparteien und
des Herrn Bundeskanzlers gegenüber der Sozialdemokratie ein.
Es bleibt auf diesem Gebiet noch einiges zu bereinigen; aber das wird an anderer Stelle geschehen.
Das Wahlresultat vom 6. September ist so bemerkenswert und in seinem Erfolg für die Partei des Herrn Bundeskanzlers so außergewöhnlich, daß eine sorgfältige Untersuchung für alle Beteiligten
— Koalition und Opposition — von großem Nutzen sein wird.
Ich halte es daher auch nicht für richtig, meine Damen und Herren, voreilig Schlüsse zu ziehen und Behauptungen aufzustellen, die einer genauen Nachprüfung der Unterlagen nicht standhalten. Das gilt z. B. für die Frage der Entscheidung der Jungwähler zwischen 21 und 29 Jahren. Wir haben in verschiedenen Gebieten der Bundesrepublik nach Altersgruppen getrennte Abstimmungen gehabt. Es liegen noch nicht alle Auswertungen dieser Abstimmungen vor; aber z. B. die Resultate in Hessen, in Bremen und Oberhausen, um nur einige zu nennen, zeigen, daß diese Jahrgänge sogar über den durchschnittlichen prozentualen Anteil der SPD hinaus sozialdemokratisch gewählt haben.
— Sie können diese Zahlen selbst nachlesen und die Richtigkeit dieser Behauptung dann bestätigen.
Der Ausfall der extremen Parteien auf der Rechten und auf der Linken wird von allen demokratischen Parteien begrüßt werden. Wir Sozialdemokraten teilen allerdings den Optimismus nicht, daß damit für alle Zukunft die Gefahren für eine friedliche und ungestörte Entwicklung der Demokratie in der Bundesrepublik gebannt sein werden.
Wir sind vor krisenhaften Zuspitzungen auf innen-und außenpolitischem Gebiet noch keineswegs sicher, und erst in einem solchen Fall wird sich erweisen, ob extreme Einflüsse von rechts und links auf die Dauer ihre Wirkungsmöglichkeit verloren haben.
Wir meinen auch, daß der Wahlausgang mit seiner Konzentration der Stimmen auf die traditionellen Parteigruppierungen noch kein Beweis dafür ist, daß die Wählerinnen und Wähler nun damit ihre endgültige politische Heimat gefunden haben. Vor allem erscheint es uns verfrüht, von einer zwangsläufigen und unvermeidlichen Entwicklung zu einem Zweiparteiensystem als einer feststehenden Tatsache zu sprechen.
Richtig ist dagegen, daß uns die jetzt gegebene Zusammensetzung des zweiten Bundestages in diesem Hause vor eine neue Situation und —wenn wir wollen — vor neue fruchtbare Möglichkeiten der Entwicklung eines gesunden demokratischen Parlamentarismus stellt. Wir können zu einer Normalisierung des Verhältnisses zwischen Regierung und Opposition kommen, und wir Sozialdemokraten sind bereit, dabei mitzuwirken.
Wir sitzen jetzt in diesem Hause auf der äußersten
Linken, aber wir haben nicht die Absicht, die destruktive, wenn auch manchmal unterhaltsame Rolle des Herrn Renner zu übernehmen.
Es wird ja auch wohl niemand in den Reihen der Koalitionsparteien sein, der bereit ist, hier Herrn Loritz nachzueifern.
Allerdings, an lebhaften Diskussionen und unterhaltenden Momenten wird es trotzdem nicht fehlen,
das kann ich Ihnen jedenfalls jetzt schon versprechen.
Im Ernst: für das normale Funktionieren der Demokratie hat uns die Bundestagswahl vorn 6. September eine Chance gegeben. Es liegt in der Natur der Sache, daß in der Ausnutzung dieser Chance die größere Verantwortung bei der Mehrheit dieses Hauses liegt,
und diese Verantwortung beginnt, meine Damen und Herren, mit der Anerkennung der Opposition als eines wesentlichen und unerläßlichen Bestandteils der parlamentarischen Demokratie.
Die erste Probe werden die nächsten Schritte bei der weiteren Konstituierung des Parlaments sein. Die Ausschüsse des Parlaments, die wir noch zu bilden haben, sind keine Hilfsorgane der Regierung oder der Parlamentsmehrheit.
Sie sind Organe des gesamten Parlaments. Die Besetzung der Leitung der Ausschüsse kann daher nur unter Berücksichtigung der Stärke der Fraktionen erfolgen, ohne Rücksicht darauf, ob sie zur Koalition oder zur Opposition gehören.
— Ich hoffe, ich hoffe! Ich habe Grund, diese Bemerkung zu machen.
Für uns hat daher die Regelung dieser Frage eine grundsätzliche Bedeutung, und ich möchte diesen Punkt deshalb mit allem Ernst unterstreichen.
Das zweite Kriterium wird für uns die Personalpolitik der Bundesministerien und der Bundesverwaltung sein.
Die politische oder gar die konfessionelle Zugehörigkeit eines Beamten, Angestellten und Arbeiters — die Loyalität zum Grundgesetz vorausgesetzt — darf bei der Einstellung, bei der Verwendung und bei der Beförderung keine Rolle spielen.
— Es scheint mir, daß ich mit dieser Bemerkung doch einen für Sie sehr interessanten Punkt getroffen habe.
Das Wesentliche ist die Stärkung und Förderung
eines demokratischen Staatsbewußtseins aller Träger und Mitarbeiter der Verwaltung der Bundesrepublik.
Meine Damen und Herren, wir haben mit Genugtuung von der wiederholten Erklärung des Herrn Bundeskanzlers Kenntnis genommen, daß sein Ziel eine Politik der Befriedung nach innen und außen sei. Wir wünschen, daß in diese Politik auch eingeschlossen wird die Respektierung der selbständigen und sachlichen Ordnung der Regierungsverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik nach den dort gegebenen Kräfteverhältnissen.
Die Bundesrepublik ist ein Bundesstaat. Wir Sozialdemokraten haben dem föderativen Charakter unseres Grundgesetzes zugestimmt; denn er entspricht unseren eigenen grundsätzlichen Vorstellungen
— mir ist Ihr Lachen außerordentlich interessant; denn ich wollte in meinem Manuskript etwas hinzufügen, weil ich vorausgesetzt habe, daß Sie den folgenden Tatbestand nicht kennen —, die wir bereits im Jahre 1947, also vor der Gründung der Bundesrepublik, beschlossen haben.
Das Wahlresultat vom 6. September autorisiert niemand zu Gleichschaltungsversuchen bei den Länderregierungen.
Solche Versuche gefährden das Vertrauen in die demokratischen Absichten der neuen Mehrheit und ihrer Regierung. Wir bedauern unter diesem Gesichtspunkt und vor allem im Hinblick auf die außergewöhnliche Lage von Berlin die in der vorigen Woche in Berlin vorgenommene Wahl des neuen Regierenden Bürgermeisters.
In dieser Lage hätte das Recht der weitaus stärksten Fraktion, auch den neuen Regierenden Bürgermeister zu stellen, nicht bestritten werden dürfen,
zumal die persönliche und sachliche Qualifikation des sozialdemokratischen Kandidaten von keiner Seite bestritten worden ist.
Es ist mehr als peinlich, diese Erfahrung so kurze Zeit nach den unvergeßlichen Trauerkundgebungen für Ernst Reuter machen zu müssen.
Wir bedauern auch das Eingreifen des Herrn Bundeskanzlers in den Hamburger Wahlkampf mit der Begründung, es komme darauf an, die drei Hamburger Stimmen im Bundesrat auf die Seite der Regierung zu bringen.
In Hamburg steht die zukünftige Verwaltung dieser größten Stadt der Bundesrepublik zur Entscheidung. Auch hier werden die großen Leistungen
des jetzigen Senats unter Führung von Bürgermeister Brauer nicht bestritten, abgesehen von der indiskutablen Wahlpropaganda des „Hanseaten", des Wahlblocks.
Es muß der Eindruck entstehen, daß der Bundesregierung und den Koalitionsparteien die politische Gleichschaltung der Hansestadt mit Bonn höher steht als die Entscheidung der Hamburger Bevölkerung über die sachlichen Leistungen der bisherigen Hamburger Stadtregierung.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort über das Verhältnis der Bundesregierung zu den freien Organisationen und Verbänden in der Bundesrepublik. Wir nehmen die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers zur Kenntnis, daß die Bundesregierung die Unabhängigkeit der Gewerkschaften anerkennt. Es bleibt aber noch ein Punkt offen, den ich aus grundsätzlichen Erwägungen nicht unerwähnt lassen möchte. Freie Organisationen wie die Gewerkschaften, deren Loyalität zur Bundesrepublik außer jedem Zweifel steht,
— deren Loyalität zur Bundesrepublik außer jedem Zweifel steht,
sind in ihren Entscheidungen über ihre Führung und über ihre Arbeit n u r an die Willenskundgebungen ihrer Mitglieder in den in den Satzungen festgelegten Körperschaften gebunden, und jede Intervention von außen ist ein Verstoß gegen den Geist unserer demokratischen Grundordnung.
Wir hoffen, daß die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers auch these Seite des Problems einschließt.
— „Einschließt" hatte ich gesagt.
Aber hinter dieser Frage steht ein anderes ernstes Problem. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Rede leider überhaupt nichts über die innenpolitischen Absichten seiner Regierung im eigentlichen Sinne gesagt. Sie wissen, daß die Öffentlichkeit des In- und Auslandes über die angeblichen Pläne der neuen Bundesregierung in bezug auf die Schaffung eines sogenannten Informationsministeriums tief beunruhigt war. Der Herr Bundeskanzler hat solche Absichten dementiert; aber leider fehlt in seiner Regierungserklärung jedes Wort über diesen Punkt. Wir haben auch nichts über die Pläne der Regierung in bezug auf die gesetzliche Regelung z. B. des Rundfunk- und Pressewesens gehört. Ich befürchte, dieses Schweigen ist kein Zufall; auf uns wirkt es beunruhigend.
Das Leben in der Demokratie besteht ja nicht nur aus der Regelung der wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen ihrer Bürger; im Gegenteil, das Wesentliche ist der Mensch, die Sicherung seiner persönlichen Freiheit, der Freiheit des Wortes und der Information, die Sicherung seines geistigen und religiösen Lebens vor jedem Zwang und vor
jeder Vorherrschaft einer politischen Auffassung oder eines religiösen Bekenntnisses.
Erst die Erhaltung und die Pflege dieser Freiheiten macht den vollen Wert und die wirkliche Überlegenheit der Demokratie gegenüber jedem andern Herrschaftssystem aus.
Meine Damen und Herren, es ist eine tiefe Unruhe im Volk,
daß diese Freiheiten im Gefolge der neuen Machtverteilung im neuen Bundestag gefährdet werden könnten.
Es besteht die Sorge, daß hinter dem Streit um die Konfession des immer noch nicht vorhandenen Herrn Postministers mehr steht als ein interner Koalitionskonflikt um die Zahl der Ministersitze.
Wir Sozialdemokraten machen uns hier zum Sprecher dieser Besorgten, wo immer sie politisch stehen mögen. Eine Demokratie, die versuchen wollte, mit gesetzlichen Maßnahmen und behördlichen Einrichtungen das geistige und kulturelle Leben des Volkes zu dirigieren oder im Sinne einer bestimmten Politik oder Konfession zu lenken und zu beherrschen, zerstört ihre geistigen und ethischen Grundlagen.
Die Demokratie kann nur leben im Geiste der Toleranz und im Geiste der Freiheit, nicht nur nach außen, sondern vor allem auch im Innern.
Es ist der Wunsch der sozialdemokratischen Fraktion, daß die diesen Bemerkungen zugrunde liegende Sorge über autoritative Tendenzen und Aktionen sich bald als gegenstandslos erweisen wird. Wenn wir sie hier zu Beginn zum Ausdruck gebracht haben, dann auch deshalb, weil der Herr Bundeskanzler bei den Verhandlungen über die Regierungsbildung so großes Gewicht darauf gelegt hat, seiner neuen Regierung eine verfassungändernde Mehrheit zu sichern. Soweit es sich dabei um die Verfassungsergänzung im Zusammenhang mit den Verträgen handelt, ist dieses Bemühen verständlich. Wir hoffen aber sehr, daß nicht weitere wesentliche Verfassungsänderungen oder wesentliche Gesetzesänderungen, die entscheidende Institutionen der Demokratie und der Bundesrepublik betreffen — vor allem in bezug auf die innere demokratische Ordnung der Bundesrepublik —, in Aussicht genommen worden sind.
Sollte das der Fall sein, dann möchten wir jetzt darauf hinweisen, daß die sozialdemokratische Opposition in diesem Hause eine der entscheidenden verfassungtragenden Parteien repräsentiert.
— Selbstverständlich, denn das Grundgesetz ist das Resultat einer gemeinsamen positiven Entscheidung eines Teils der heutigen Koalition und der Sozialdemokratie.
Ich möchte sagen, daß jeder Versuch, solche Verfassungsänderungen ohne oder gegen die Sozialdemokratie herbeizuführen, eine sehr ernste Lage schaffen würde.
Bevor ich mich nun im einzelnen mit dem Inhalt der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers auseinandersetze, möchte ich noch eine Bernerkung von allgemeiner Bedeutung vorausschicken. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung wiederholt vom deutschen Volk und von Deutschland gesprochen. Die Tatsache, daß ,die Wiedervereinigung Deutschlands noch als Aufgabe vor uns liegt, schließt in sich, daß wir hier uns des besonderen und vor allem im Hinblick auf die Wiederherstellung der Einheit unseres Vaterlandes provisorischen Charakters der Bundesrepublik Deutschland immer bewußt bleiben müssen.
Wir wünschen, daß in ,den Stahl- und Betonbauten der Bundesministerien, die jetzt hier „provisorisch" errichtet werden,
das Bewußtsein immer lebendig ist, daß die große nationale Aufgabe der Vereinigung und der Neugestaltung des ganzen Deutschlands noch vor uns liegt und daß wir sie dann von der Hauptstadt Berlin in Angriff nehmen wollen.
Der Herr Bundeskanzler hat nun seine Regierungserklärung im Namen seines neuen Kabinetts abgegeben. Diese neue Regierung ist zweifellos anders zustande gekommen und anders zusammengesetzt, als die Wähler es sich nach dem eindeutigen Wahlausgang vorgestellt hatten. Die Verhandlungen waren deprimierend langwierig, und das Ende war die Bildung eines Mammutkabinetts. Dabei wissen wir heute noch nicht einmal, ob die obere Grenze überhaupt schon erreicht ist.
Die Gründe, die der Herr Bundeskanzler für die Erweiterung des Kabinetts angeführt hat, sind nicht überzeugend.
Die Bestellung von vier Ministern für besondere Aufgaben, die nach der Mitteilung des Herrn Bundeskanzlers die Aufgabe haben sollen — trotz seiner Erfahrungen mit seinen Sprechministern
die Politik der Regierung öffentlich zu vertreten,
ist sachlich nicht vertretbar. Sie steht auch im direkten Widerspruch zu der immer wieder geforderten Sparsamkeit in der Verwaltung.
In Wirklichkeit ist ja auch die Kabinettsbildung nicht in erster Linie von der sachlichen Aufgabenseite her bestimmt worden, sondern von dem Bedürfnis, die Ansprüche der verschiedenen Fraktionen der Koalition auf einer möglichst breiten Basis zu befriedigen.
Man hat nach dem 6. September in großen Worten
die Eindeutigkeit und Geschlossenheit der Entscheidung dieser Wahl geprisen. Aber als es
darum ging, dieses Resultat auf die neue Regierung zu übertragen, da erzwangen nicht nur politische und Interessengegensätze die inflationistische Erweiterung des Kabinetts, sondern die konfessionelle Zusammensetzung der höchsten politischen Körperschaft der Bundesrepublik wurde zum öffentlichen Streitgegenstand.
Den Schaden, den das Ansehen der Regierung dabei erlitten hat, hat sie selber zu verantworten.
Was wir bedauern, ist, daß in dieser Weise konfessionelle Überzeugungen zum Gegenstand eines offenen politischen Machtkampfes gemacht worden sind.
Meine Damen und Herren, von der Sache her hat diese Regierung sechs Minister zuviel und einen zuwenig.
Die Tatsache, daß die zweite Regierung Adenauer ihre Tätigkeit auch wieder ohne einen Außenminister beginnt, ist eine ihrer entscheidenden Schwächen. Vor der Wahl gab es auch in den Reihen der Koalition sehr ernsthafte Stimmen für die endliche Besetzung des Postens eines Außenministers, und bei der Bedeutung der Außenpolitik für das Schicksal der Bundesrepublik angesichts des Anwachsens der Aufgaben auf diesem Gebiete kann über die sachliche Notwendigkeit eines Außenministers überhaupt nicht gestritten werden.
— Vielleicht kommen Sie damit in Ihrer Fraktion durch, aber nicht hier in diesem Hause.
Trotzdem ist diese Besetzung wiederum nicht erfolgt, und das Haus hat darüber vom Herrn Bundeskanzler auch keine Erklärung erhalten. Die Forderung der Sozialdemokratie ist hier: unverzügliche Besetzung dieses wichtigen Amtes.
Und nun, meine Damen und Herren, zum Inhalt der Regierungserklärung selbst. Sie werden verstehen, daß der Opposition daran liegt, bei dieser ersten Stellungnahme zum Programm der Regierung hier auch ihre Position in den wichtigsten Fragen zu präzisieren, weil ja schließlich diese Auseinandersetzung die Grundlage für die parlamentarische Arbeit in diesem Hause bieten soll und weil es uns nützlich erscheint, die Positionen der beiden Hauptgruppen in diesem Parlament von Beginn an möglichst klar und konkret festzulegen. Aus diesem Grunde bitte ich Sie um Geduld, wenn ich hier jetzt auf gewisse wesentliche Einzelpartien der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers eingehe.
Mit Recht hat der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung den innenpolitischen Aufgaben einen breiten Raum eingeräumt. Denn die Schaffung einer Ordnung, die allen Bürgern der Bundesrepublik die demokratischen Grundrechte sichert und ihnen ein Leben ohne Furcht vor Not ermöglicht, ist die vordringliche Aufgabe des neuen Bundestags.
Wir begrüßen es, daß der Herr Bundeskanzler den Grundsatz der Verbundenheit von Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik aufgestellt hat. Er entspricht einem alten sozialdemokratischen Grundsatz.
Die Schwierigkeiten bei der Durchführung dieses Grundsatzes werden daher in erster Linie in der Regierung selbst und in der Koalition entstehen. Eine fruchtbare Debatte über diese zentrale Frage wird aber erst dann möglich sein, wenn die Regierung und die Koalition damit aufhören, über den Gegensatz zwischen Regierung und Opposition auf der Basis soziale Marktwirtschaft gegen Planwirtschaft zu diskutieren.
Der Herr Bundeskanzler hat wiederum das Schlagwort von der sozialen Marktwirtschaft zur Grundlage seiner Regierungserklärung und damit der Regierungspolitik der nächsten vier Jahre gemacht. Wir wollen mit dem Herrn Bundeskanzler nicht darüber rechten, ob ein solches buntschillerndes Schlagwort eine genügend tragfähige Grundlage für die Wirtschaftspolitik der deutschen Bundesrepublik ist. Es erscheint uns jedoch bemerkenswert, daß nach Auffassung des Herrn Bundeskanzlers die Entscheidung, ob soziale Marktwirtschaft oder Planwirtschaft, zugleich die Entscheidung der Frage war, ob eine Regierung unter Einschluß der Sozialdemokratie zu bilden sei oder nicht. Damit wird der Eindruck erweckt, als ob die Regierungskoalition grundsätzlich eine Politik der freien Markt- und Wettbewerbswirtschaft verfechte und eine planmäßige Beeinflussung des Wirtschaftsablaufs durch wirtschaftspolitische Maßnahmen ablehne, während die Sozialdemokratie grundsätzlich die Politik einer Plan- oder gar Zwangswirtschaft befürworte und den freien Wettbewerb beseitigen wolle. Das entspricht nicht den Tatsachen.
In der Wirklichkeit gibt es viele Bereiche, in denen die Marktwirtschaft nicht funktionieren kann.
In Zusammenhang mit dieser unzutreffenden Gegenüberstellung von Marktwirtschaft und Planwirtschaft steht die Feststellung des Herrn Bundeskanzlers, daß die Freiheit in der sozialen Marktwirtschaft auch die Freiheit vor Gruppeninteressen bedeute. Es erscheint mir außerordentlich bezeichnend, daß zu dieser Feststellung des Herrn Bundeskanzlers ausgerechnet die Vertreter der Gruppeninteressen innerhalb der Koalition lebhaft Beifall klatschten.
Die Sozialdemokratie weiß, daß eine nachhaltige Verbesserung der sozialen Verhältnisse insbesondere der breiten Schichten der Bevölkerung letzten Endes nur möglich ist durch eine Vergrößerung des Sozialprodukts. Sie ist daher Anhänger einer planmäßigen wirtschaftlichen Expansionspolitik.
In der heutigen Situation wird der Ansatzpunkt für eine solche Ausweitung in erster Linie auf dem Gebiet der Konsumgüterindustrie liegen müssen. Die Sozialdemokratie legt jedoch Wert darauf, daß sie nicht nur die gehobenen Konsumgüter, sondern insbesondere auch die Massenkonsumgüter erfaßt. Die Bemühungen um eine Vergrößerung des
Sozialprodukts auf dem Konsumgütergebiet verlangen unter den heutigen Verhältnissen entsprechende investitionsfördernde Maßnahmen in dieser Industrie. Die erforderliche Stabilität der Wirtschaft kann daher nur durch ein harmonisches Entwicklungsverhältnis von Konsumgüter- und Investitionsgüterindustrie erreicht werden. Hierzu bedarf es des konstruktiven Einsatzes der wirtschaftspolitischen Mittel, die der Bundesregierung zur Verfügung stehen.
Wir begrüßen es ganz besonders, daß dieser Tatbestand nunmehr auch durch die Hohe Behörde und den Ministerrat der Montan-Union anerkannt worden ist, indem sie sich für eine gemeinsame Investitionspolitik aller Länder der Montan-Union ausgesprochen haben, um den allgemeinen Verbrauch — wie es heißt — und insbesondere den der öffentlichen Dienste gleichmäßig zu gestalten oder zu beeinflussen und um diese allgemeine Entwicklung und die Programme der Hohen Behörde aufeinander abzustimmen. Damit hat die Hohe Behörde eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß die Steigerung des Sozialprodukts von einer planmäßigen Koordinierung der Investitionspolitik in allen beteiligten Ländern und in allen beteiligten Wirtschaftszweigen abhängig ist. Wir haben uns besonders gefreut, daß dieser Beschluß mit Zustimmung des Herrn Bundeswirtschaftsministers Professor Erhard gefaßt worden ist.
Damit komme ich zum Kernpunkt dieser Auseinandersetzung. Wir erschweren jede ernsthafte Diskussion über zweckmäßige Maßnahmen der Wirtschaftspolitik, wenn wir so tun, als ob man die Wirtschaft nach gewissen weltanschaulich bestimmten Prinzipien — hie freie Marktwirtschaft, hie Planwirtschaft — betreiben könne.
Die Wirtschaft der modernen Industriestaaten ist so kompliziert und so differenziert, daß man ihr mit einseitigen Prinzipien und Schlagworten nicht gerecht wird.
— Ich will Sie in Ihrer Freude nicht stören, ehe ich den nächsten Satz lese. — Es ist unzutreffend, wenn behauptet wird, die Sozialdemokratie sei Anhänger der Planwirtschaft
und damit Gegner des freien Wettbewerbs.
— Meine Damen und Herren, ich bin sehr überrascht über diese Reaktion
und ich freue mich, daß ich diese Bemerkung jetzt gemacht habe. Denn im Grunde ist alles das, was ich hier sage, zum letzten Male in dem Aktionsprogramm der Sozialdemokratie formuliert,
das wir vor einem Jahr beschlossen haben. Es tut mir leid, wenn ich das hier nicht als bekannt voraussetzen kann.
Die Sozialdemokratie weiß, daß ein echter Leistungswettbewerb in weiten dafür geeigneten Wirtschaftszweigen von entscheidender Bedeutung für die freie Konsumwahl des Verbrauchers bei angemessenen Preisen und für die Entfaltung einer gesunden Unternehmerinitiative ist.
Es handelt sich hier um sehr große und entscheidende Wirtschaftsbereiche, zu denen insbesondere die gesamte kleinere und mittlere Industrie und das Handwerk gehören. Die Sozialdemokratie fordert daher wirksame Maßnahmen zur Sicherung dieses Wettbewerbs, die gleichzeitig der Steigerung der Produktivität und der Ausdehnung unserer Wirtschaft dienen müssen. Insbesondere für eine Regierung, die die Marktwirtschaft zum Angelpunkt ihrer gesamten Wirtschaftspolitik machen will, müßte die Sicherung des Wettbewerbs durch eine gesetzliche Ordnung von entscheidender Bedeutung sein.
Wir begnügen uns mit der Feststellung, daß die Bundesregierung das Kartellgesetz gegenüber den Interessentengruppen bisher nicht hat durchsetzen können,
obwohl der Herr Bundeswirtschaftsminister mehrfach erklärt hat, daß ein Kartellgesetz eine unverzichtbare Voraussetzung für das Funktionieren der sogenannten sozialen Marktwirtschaft sei.
Wir haben auch mit Erstaunen festgestellt, daß das Kartellgesetz in der Regierungserklärung nicht mit einem Wort erwähnt worden ist.
In diesem Zusammenhang darf ich auch darauf hinweisen, daß sich in der Montanwirtschaft die Interessen der Großaktionäre in Zusammenarbeit mit den alliierten Besatzungsbehörden bei der Durchführung des Aktienumtausches in einer Weise durchsetzen, die weder gesamtwirtschaftlichen Interessen noch den Interessen der zahllosen Klein- und Mittelaktionäre entspricht.
Meine Damen und Herren! Das Schwergewicht der in der Regierungskoalition wirksamen Interessen hat den Herrn Bundeskanzler offenbar auch veranlaßt, die Forderung nach einer Neuordnung der Besitzverhältnisse in den Grundstoffindustrien, die ein wesentlicher Gesichtspunkt seiner Regierungserklärung vom September 1949 war, diesmal fallenzulassen.
Dabei haben die Umgestaltung der deutschen Eisen-und Stahlindustrie auf Grund alliierter Gesetze und der Verzicht auf eine zielbewußte Investitionspolitik die Leistungsfähigkeit dieses Industriezweiges und auch des deutschen Kohlenbergbaus gegenüber der anderer Mitglieder der Montan-Union auf diesem Sektor stark herabgemindert. Der Aktienumtausch, den ich schon erwähnte, hat Folgen, die gesamtwirtschaftlich unerwünscht sind. Und wenn Sie alle anderen Gründe für eine Neuordnung nicht akzeptieren, meine Damen und Herren — die Neuordnung der Besitzverhältnisse in
den Grundstoffindustrien ist deshalb heute dringender als je, auch schon um nur ihre Leistungsfähigkeit derjenigen der übrigen Montanländer anzupassen.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang einige Bemerkungen über die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand. Sie ist in den letzten Wochen vor der Wahl und auch nach der Wahl Gegenstand zahlreicher offizieller und inoffizieller Äußerungen gewesen. In den letzten Wochen vor der Wahl wurden die der Bundesregierung nahestehenden politischen und wirtschaftlichen Gruppen nicht müde, eine umfangreiche Reprivatisierung von Bundesunternehmungen zu verlangen. Der Herr Bundesfinanz-minister dagegen hat sich persönlich kurz vor dem Wahltag in das Volkswagenwerk bemüht, um dort zu verkünden, daß die Bundesregierung keinesfalls eine Überführung des Volkswagenwerks in private Hände vorschlagen werde.
Nach der Wahl haben zuständige Wirtschaftskreise den Kanzler darüber unterrichtet, daß die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand beschränkt und bereinigt werden müßte,
die Forderung nach Überführung von Betrieben
der öffentlichen Hand in Privatbesitz dürfe nach
diesem Wahlausgang nicht unverwirklicht bleiben.
Der jetzige Herr Bundesminister Preusker hat nach einer Meldung der „Welt" vom 13. Oktober auf der Jahresversammlung des deutschen Kraftfahrzeughandwerks im Gegensatz zu der Äußerung seines Kollegen, des Herrn Bundesfinanzministers, erklärt, er und seine Freunde würden nicht eher ruhen, als bis das Volkswagenwerk in private Hände übergeführt worden sei.
Inzwischen geht das Trommelfeuer der privaten Interessentengruppen gegen die öffentlichen Betriebe weiter. Am 16. Oktober hat der Generaldirektor der Gutehoffnungshütte, Herr Dr. Reusch, nunmehr auch die Reprivatisierung der großen Energieversorgungsunternehmungen verlangt.
Bei dieser Verworrenheit der Meinungen innerhalb der Bundesregierung und der hinter ihr stehenden Kreise überrascht es nicht, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand mit keinem Wort erwähnt hat. Die Öffentlichkeit hat jedoch ein Anrecht darauf, die Auffassung der Bundesregierung über diese wichtige Frage kennenzulernen.
Die Betätigung der öffentlichen Hand in der Wirtschaft ist nicht eine Angelegenheit der Hortung von Sachvermögen, sondern ein Mittel der Wirtschaftspolitik. Soweit eine wirtschaftspolitische Einflußnahme auf dem Wege über die Beteiligung an wirtschaftlichen Unternehmungen im Allgemeininteresse liegt, soll und muß sie erfolgen. Das gilt insbesondere auch für die Fälle, in denen
Bundesunternehmungen gegenüber entgegenstehenden Interessen starker, marktbeherrschender Unternehmungen preissenkend und damit preisregulierend wirken können. Dagegen ist sie überall dort abzulehnen, wo sie keine wirtschaftspolitische Bedeutung hat. Insbesondere ist es nicht die Aufgabe des Staates, verlustbringende Unternehmungen zu übernehmen, sie durch Zuführung öffentlicher Mittel zu sanieren und anschließend als gesunde Unternehmungen wieder der privaten Hand zurückzugeben.
Diese Sozialisierung der Verluste und Reprivatisierung der gewinnbringenden Unternehmungen mag sehr gewichtigen Interessenwünschen entsprechen. Sie ist jedoch genau das Gegenteil einer Wirtschaftspolitik, die den Gesamtinteressen dient.
In den vergangenen Jahrzehnten hat die öffentliche Hand vor allem auf dem Gebiet des Verkehrs, des Bergbaus und der Energiewirtschaft über öffentliche Unternehmungen einen sehr gesunden Einfluß ausgeübt. Der Bundesbesitz im Verkehr, in der Grundstoffindustrie und in der Energiewirtschaft darf daher aus gesamtwirtschaftlichen Gründen nicht angetastet werden.
Dringend erforderlich ist nach unserer Auffassung eine Neuordnung des Bundesvermögens in all den Details, die zu diesem Kapitel gehören. Die Sozialdemokratie erwartet, daß auch diese Aufgabe nunmehr endlich in Angriff genommen wird.
Auf dem Gebiet der Außenwirtschaft werden wir, wie bisher, die Regierung in ihrem Bemühen, den Außenhandel auszuweiten und ihn von allen kleinlichen Beschränkungen zu befreien, unterstützen. Wir wünschen aber eine Präzisierung dieses Programms in mehreren Punkten, in denen die tste Bundesregierung unsere Erwartungen nicht erfüllt hat. Im Gegensatz zu der aus sechs Ländern bestehenden Montan-Union liegt die Bedeutung des Europäischen Wirtschaftsrats in seiner größeren Ländergemeinschaft — es sind nämlich 18 anstatt nur 6 Länder — und seiner- umfassenderen wirtschaftlichen Verantwortung für die Entwicklung der Gesamtwirtschaft, nicht nur der Kohle- und Stahlindustrie. Wir fragen deshalb: Ist die Bundesregierung bereit, dem Europäischen Wirtschaftsrat, OEEC, künftig ebensoviel Bedeutung beizumessen, wie sie es in der Vergangenheit gegenüber der Montan-Union getan hat? Weiter: Ist die Bundesregierung bereit, im Europäischen Wirtschaftsrat dafür einzutreten, daß internationale Maßnahmen getroffen werden, um die lebensnotwendige Produktionssteigerung von 5 % jährlich für alle beteiligten Länder sicherzustellen?
Wir begrüßen die Ankündigung der Regierung, die mittleren und kleineren Betriebe mehr als bisher zum Export heranzuziehen. Aber wir fragen: Welche neuen Maßnahmen will die Regierung treffen, um dieses wichtige Ziel zu verwirklichen? Meine Damen und Herren, wir wünschen auch, daß auf diesem Gebiet die Notwendigkeit für die Stadt Berlin, zu exportieren, mehr als bisher berücksichtigt wird.
Wir bedauern, daß uns auch die Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers über die Verkehrspolitik seiner Regierung nicht befriedigt hat. Die Ver-
kehrswirtschaft gehört zu den wichtigsten Voraussetzungen einer blühenden Volkswirtschaft. Ihr gegenüber hat aber die Bundesregierung bisher so gut wie alles versäumt. Die Krise der Bundesbahn, ja die sichtbare Krise der deutschen Verkehrswirtschaft ist ein latenter Krisenherd für die gesamte Volkswirtschaft. Jahr für Jahr ist die ruinöse Konkurrenz zwischen den Trägern des Binnenverkehrs gesteigert worden. Jetzt kann die Bundesbahn aus eigener Kraft nicht mehr Lohn und Gehalt zahlen. Obwohl sie immer noch 60% der inneren Verkehrsleistungen vollbringt, wird sie ihren volkswirtschaftlichen Verpflichtungen nicht mehr gerecht. Wir sind der Meinung, daß die Bundesbahn von den politischen Lasten befreit werden muß. Sie braucht ein Finanzierungsprogramm zur Beseitigung noch bestehender Kriegsschäden und für den Nachholbedarf.
Es scheint uns auch notwendig, daß die Finanzierungsprobleme in bezug auf Straßenbahn und andere Verkehrsträger ebenfalls von der Bundesregierung untersucht und angepackt werden.
Außerdem scheint uns ein völliger Umbau der Steuergesetzgebung im Verkehrswesen erforderlich. Die bisherige Bundesregierung hat zwar die Motorisierung mit steuerlichen Maßnahmen vorangetrieben, aber sie hat den Ausbau des überbeanspruchten Straßennetzes und seine Instandhaltung in unverantwortlicher Weise vernachlässigt.
Die Lücken im Autobahnnetz müssen schnellstens geschlossen werden.
Es muß weiter gefördert werden der Wiederaufbau der deutschen Handelsflotte. Aber wichtig ist auch die Modernisierung der Binnenschiffahrtsflotte. Und schließlich hoffen wir, daß die Regierung durch Verhandlungen erreicht, daß die überholten besatzungsrechtlichen Hindernisse für die deutsche Zivilluftfahrt auf dem Wege der Verständigung endlich aus der Welt geschafft werden.
Meine Damen und Herren! Im Bereich der Agrarpolitik ist es bedauerlich, daß die Regierungspraxis weit hinter dem zurückgeblieben ist, was von allen Seiten als richtig und notwendig anerkannt war. Die Sozialdemokratie bekennt sich unverändert zu einer Agrarpolitik, die der Landwirtschaft hilft, ihre wirtschaftlichen Leistungen ständig zu erhöhen. Nur auf diesem Wege ist eine bessere Ernährung des Volkes, ist eine bessere Ordnung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der auf dem Lande arbeitenden Menschen zu erreichen.
Die Sozialdemokratie bekennt sich zum bäuerlichen Privateigentum an Grund und Boden. Die besonderen Aufgaben der deutschen Landwirtschaft in unserer Zeit, Veredlungswirtschaft im Wettbewerb mit anderen Erzeugungsgebieten auf einem gemeinsamen europäischen Markt, können überhaupt nur gelöst werden, wenn das Eigentum am Boden die Grundlage wirtschaftlicher und sozialer Freiheit ist, indem der Ertrag der landwirtschaftlichen Arbeit ungeschmälert denen zukommt, die diese Arbeit tatsächlich leisten.
Darum fordert die sozialdemokratische Fraktion von der Agrarpolitik und insbesondere von der Bodenpolitik die Vermehrung der lebensfähigen bäuerlichen Familienbetriebe und eine aktive Siedlungspolitik unter besonderer Berücksichtigung der heimatvertriebenen Landwirte. Gerade weil sich die der Landwirtschaft zur Verfügung stehende Bodenfläche aus den bekannten Gründen ständig vermindert, muß alles getan werden, damit diejenigen zum Zuge kommen, die im Sinne einer besseren volkswirtschaftlichen Leistung die besseren Wirte sind.
Der Herr Bundeskanzler hat davon gesprochen, daß auch unsere Landwirtschaft in gemessener Zeit vor der Tatsache des gemeinsamen europäischen Marktes stehen wird. Nun weiß aber jeder, daß das Modell der Montan-Union für die Landwirtschaft nicht geeignet ist.
Deshalb wäre uns eine klare Absage lieber gewesen. Die Landwirtschaft darf nicht noch mehr den Folgen außenpolitischer Experimente ausgesetzt werden.
Gerade wenn man aber eine gesunde wirtschaftliche Zusammenarbeit der europäischen Völker will, muß man es auf das tiefste bedauern, daß während der letzten vier Jahre alle Maßnahmen zur nachhaltigen Förderung und strukturellen Verbesserung unserer Landwirtschaft auf das sträflichste vernachlässigt worden sind.
Aus dem Katalog dieser Maßnahmen hat der Herr Bundeskanzler unter besonderer Betonung der Kleinbauern die Flurbereinigung genannt. Damit ist aber nichts getan, wenn man an Stelle der erforderlichen Mittel immer nur einen Erinnerungsposten in den Haushaltsplan einstellt.
Da wir keine großen Hoffnungen haben, daß sich das im Laufe der nächsten Jahre ändern wird, werden wir uns mit um so größerem Nachdruck für die Bereitstellung der Beträge einsetzen, die für die wirksame Ergänzung der eigenen Anstrengungen unserer Bauern nun einmal aufgebracht werden müssen.
Meine Damen und Herren! Wenn die Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft eingestandenermaßen mehr und mehr darunter leidet, daß die Kosten ihrer Produktionsmittel, die sie von der Industrie kaufen muß, viel schneller steigen als ihre eigenen Einnahmen, dann ist es völlig unzureichend, wenn der Herr Bundeskanzler sich und andere mit der Hoffnung tröstet, daß aus den Verhandlungen zwischen den Spitzenverbänden der Industrie und der Landwirtschaft sozusagen von selber eine Besserung dieses bedrohlichen Zustandes hervorgehen wird. Gerade unter dieser berüchtigten Preisschere leidet die Rationalisierung und die Intensivierung der Landwirtschaft, und weil es nicht stimmt, daß, wie der Herr Bundeskanzler behauptet hat, der Wiederaufbau des Produktionsapparates als beendet angesehen werden kann — in manchen Gegenden sind noch nicht einmal die direkten Kriegszerstörungen beseitigt —, muß man sich hier schon zu wirksamen Maßnahmen einer aktiven Agrarpolitik aufschwingen, wenn tatsächlich etwas erreicht werden soll.
Meine Damen und Herren! Ich habe schon unsere positive Einstellung gegenüber der Erklärung der
Bundesregierung unterstrichen, daß sie insbesondere die Finanz- und die Wirtschaftspolitik aufeinander abstimmen will. Die neue Bundesregierung scheint demnach in der Finanzpolitik an Stelle überwiegend fiskalischen Denkens ökonomische Überlegungen setzen zu wollen. Das wäre ein Fortschritt, nachdem das erste Kabinett Adenauer sich gerade dadurch schwach erwies, daß es Wirtschafts-und Finanzpolitik isoliert, ja häufig aus dem Gegensatz heraus betrieb.
Die öffentlichen Aufgaben müssen auf Bund, Länder und Gemeinden sinnvoll verteilt werden. Mit dieser Verteilung der Aufgaben und somit der Ausgaben muß eine sinnvolle Verteilung der Ein-- nahmen auf Bund, Länder und Gemeinden vorgenommen werden, die den Finanzausgleich auf einen Spitzenausgleich reduziert. Nach dem Grundgesetz sind die Gemeinden und die Gemeindeverbände nicht Partner des Finanzausgleichs, obwohl auch die Gemeinden nach Art. 109 des Grundgesetzes in ihrer Haushaltsgebarung unabhängig sind. Es wird deshalb unumgänglich sein, im Gesetz nach Art. 107 des Grundgesetzes in der Finanzverfassung den Gemeinden die Stellung einzuräumen, die ihnen nach ihren Aufgaben im Staat zukommt.
Die angekündigte große Steuerreform muß eine organische Steuerreform sein. Sie muß sich mithin der Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik auf Grund der Erkenntnisse anpassen, die sich aus der Bevölkerungs-, Sozial- und Wirtschaftsstruktur ergeben. Dabei haben wir an den Herrn Finanzminister die Frage zu richten, ob er glaubt, daß eine allgemeine Minderung der Steuerlasten bei wachsendem Finanzbedarf wirklich möglich ist. Nachdem die Regierungskoalition des ersten Bundestages mit Rücksicht auf den Eindruck auf die Wähler die Einkommen- und Körperschaftsteuer noch vor 'den Wahlen gesenkt hat, wird es nunmehr bei einer organischen Steuerreform in erster Linie auf eine sozial gerechtere Verteilung der Steuern ankommen.
Hierbei bedürfen die Verbrauchsteuern einer besonderen Überprüfung
unter wirtschafts- und außenhandelspolitischen sowie unter sozial- und gesundheitspolitischen Erwägungen.
Die Verbrauchsteuern auf unentbehrliche Verbrauchsgüter sind ganz abzuschaffen.
Aus der Problematik einer organischen Steuerreform ergibt sich, daß sie, wenn irgend möglich, o r dem Gesetz nach Art. 107 verabschiedet werden sollte.
Zum mindesten müßten aber vorher die Grundzüge einer organischen Steuerreform festgelegt und in diesem Zusammenhang auch die Frage der Bundesfinanzverwaltung erneut behandelt werden, die die Sozialdemokratie weiterhin für erforderlich hält.
Das Problem des Aufbaues eines leistungsfähigen Kapitalmarktes wird jetzt mit Recht in den
Vordergrund gestellt. Damit wird anerkannt, daß
mit der Selbstfinanzierung, auf deren Gefahren die
Sozialdemokratie immer hingewiesen hat, Schluß
Überholt ist auch das bisherige System der künstlichen, einseitigen und viel zu teuren Steuerbegünstigungen für Kapitalbildung. Das unglückliche Kapitalmarktförderungsgesetz sollte so schnell wie möglich aufgehoben werden.
Aber auch bei den öffentlichen Krediten sollten die
Laufzeiten in Zukunft normalisiert und die Steuerbegünstigungen abgebaut werden. Wenn allerdings
von einer Vorzugsstellung des öffentlichen Kredits
gegenüber den privaten Kreditsuchern gesprochen
wird, so muß bedacht werden, daß die öffentliche
Hand auch weiterhin ein sehr legitimes Kreditbedürfnis hat. Kommt es nicht zum Zuge, so müßte
das zu einer gewaltsamen Einschränkung der
öffentlichen Investitionen mit untragbaren Rückschlägen für die Gesamtwirtschaft führen. Es ist
offensichtlich, daß die wichtigsten öffentlichen Investitionen — ich nenne nur die Gebiete des Verkehrs, der Energieversorgung und des sozialen
Wohnungsbaues — durch private Unternehmungen schlechterdings nicht ersetzt werden können.
Meine Damen und Herren! Auf der Grenze zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik liegt das Gebiet des Wohnungsbaues. Er hat in der Regierungserklärung nur eine knappe Erwähnung gefunden. Die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers lassen nicht erkennen, ob die Bundesregierung den Wohnungsbau seiner wirtschafts- und sozialpolitischen Bedeutung entsprechend tatsächlich als eine der vordringlichsten Aufgaben ansieht, was er nach unserer Auffassung ist und bleiben múß. Nach wie vor leben sehr viele Menschen in Behelfswohnungen, Kellerlöchern, Bunkern und Baracken. Unser Wohnungsfehlbestand liegt trotz aller anerkennenswerten Anstrengungen in der Vergangenheit immer noch bei über 4 Millionen Wohnungen. Bei dieser Sachlage bleibt es unerfindlich, wie der neue Herr Wohnungsbauminister am Abend seiner Ernennung der Presse erklären konnte: „Ich werde mein Amt so führen, daß ich in vier Jahren vor das Parlament treten und ihm sagen kann, daß meine Aufgabe erledigt und mein Ministerium somit überflüssig geworden ist."
Meine Damen und Herren, das ist ein großes Wort, aber wir fürchten, ein äußerst voreiliges.
Uns kann die Erklärung des Herrn Bundeswohnungsbauministers nur mit Besorgnis erfüllen. Wir haben nämlich die Sorge, daß der Boden des Ersten Wohnungsbaugesetzes — seinerzeit einstimmig beschlossen — mehr und mehr verlassen wird. Das heißt, es scheint die Absicht zu bestehen, den sozialen Wohnungsbau, also die gesetzlich verankerte Förderung des Wohnungsbaues für die breiten Schichten der Bevölkerung, wesentlich einzuschränken und die Richtsatzmiete weiterhin aufzulockern, wenn nicht gar aufzuheben.
Der Anfang zu dieser Entwicklung ist mit der Novelle zum Wohnungsbaugesetz gemacht worden. Solange die Wohnungsnot noch so groß ist, kann
auf die Subventionierung des Wohnungsbaues und darf auf das sozialpolitische Regulativ der Richtsatzmieten nicht verzichtet werden.
Wir warnen hier vor Schlagworten und vor Experimenten. Nicht ein Abbau der Förderungsmittel für den sozialen Wohnungsbau, sondern eine Verstärkung dieser Mittel ist nötig.
In der Regierungserklärung ist die besondere Förderung des Baus von Eigenheimen und familiengerechten Wohnungen angekündigt worden. Wir Sozialdemokraten haben schon vor Jahren darauf hingewiesen, daß wir für die Förderung der Kleinsiedlung und des Kleineigentums eintreten. Wir haben im ersten Bundestag bei der Beratung der Wohnungsbaunovelle wiederholt beantragt, die notwendigen finanziellen Voraussetzungen für einen verstärkten Eigenheimbau zu schaffen. Wir sind damit nicht durchgedrungen.
Auch künftig wird die Sozialdemokratie dafür eintreten, daß in größtmöglichem Umfang Kleinsiedlungen und Kleineigenheime gefördert werden. In diese Maßnahmen beziehen wir auch die Förderung des Wohnungseigentums ein.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat seine Regierungserklärung betont mit der Darstellung sozialpolitischer Absichten eröffnet. Er hat ein umfassendes Sozialprogramm versprochen und damit die Notwendigkeit eines Sozialplanes, wie wir Sozialdemokraten ihn ausgearbeitet haben, unterstrichen. Wir halten es aber für notwendig, daß das Problem einer sozialen Neuordnung auf der Basis unbestechlicher, objektiver Untersuchungen geprüft wird. Wir fordern daher erneut die Bildung einer öffentlichen Studienkommission, so wie sie in anderen Ländern mit großem Erfolg gearbeitet haben.
Nur eine solche unabhängige Studienkommission entspricht der Größe der Aufgabe.
Der Herr Bundeskanzler hat die heutigen sozialen Leistungen als unzureichend bezeichnet und damit unsere früheren Behauptungen bestätigt.
Leider sind seine positiven Vorschläge sehr wenig konkret. Es kommt aber darauf an, der Not unzähliger Rentner Rechnung zu tragen und das Rentenniveau endlich energisch zu heben.
Wir erinnern uns noch sehr gut der Wahlversprechungen des Herrn Storch, die Renten müßten zwei Drittel des letzten Arbeitseinkommens erreichen.
Aber die Bundesregierung sollte nun endlich auch dem Bedürfnis nach einer Alterssicherung und einer sozialen Sicherung vieler Selbständiger, wie Handwerker und Bauern, und der großen Zahl freiberuflich Schaffender entsprechen.
Der Herr Bundeskanzler — lassen Sie mich in diesem Zusammenhang diese Bemerkung noch machen — hat ferner darauf hingewiesen, daß sich der Aufwand für soziale Zwecke seit 1949 verdoppelt habe. Dieses Spiel mit Zahlen erleben wir nun seit vier Jahren. Der Herr Bundeskanzler hat vergessen, zu erwähnen, daß der überwiegende Teil
dieser Neuausgaben aus Beiträgen vom Lohnkonto der Versicherten stammt
und insofern nicht als Leistung der Bundesregierung angesprochen werden kann.
Es wird auch übersehen, daß die Rentenerhöhungen, gerade soweit sie durch eine Vermehrung der Bundeszuschüsse erfolgten, notwendig wurden, um die Teuerung, die die soziale Marktwirtschaft des Herrn Erhard mit sich brachte, für die Sozialrentner einigermaßen auszugleichen.
Wir wenden uns schließlich auch dagegen, daß der Herr Bundeskanzler wiederum versucht hat, auch die Pensionen der 131 er einschließlich der ehemaligen Soldaten als soziale Leistungen des Bundes hinzustellen, obwohl es sich doch um ausgesprochene Arbeitgeberverpflichtungen des Staates handelt.
Wir fordern, daß die Vergleiche im Haushalt und die Haushaltsübersichten selbst klar die eigentlichen Sozialleistungen von den Kriegsfolgeleistungen trennen. Das heißt, wir wünschen Haushaltsübersichten, die wahr sind und nicht durch Verschleierungen falsche Eindrücke erwecken.
Der Herr Bundeskanzler ist uns auch eine klare Stellungnahme zur Kriegsopferversorgung schuldig geblieben. Wir hätten im Interesse der Kriegsopfer gern gehört, daß die Bundesregierung endlich auch die Grundrenten, die im Jahre 1950 festgesetzt worden sind, dem veränderten Preisgefüge anzupassen gewillt ist.
Wir alle teilen die Freude über unsere heimgekehrten Kriegsgefangenen. Wir alle haben den ernsten Vorsatz, in der vor uns liegenden Zeit alles in unserer Kraft Stehende zu tun, um die noch nicht heimgekehrten Gefangenen endlich wieder mit ihren Familien zu vereinen. Aber wir sind bitter darüber enttäuscht, daß die Regierungserklärung die unverzügliche Inkraftsetzung des noch vom letzten Bundestag beschlossenen Entschädigungsgesetzes für ehemalige deutsche Kriegsgefangene nicht enthalten hat. Wir erwarten hier noch ein eindeutiges positives Wort des Herrn Bundeskanzlers.
Die Zahl der arbeitslosen Spätheimkehrer ist mit 70 000 noch immer erschreckend groß. Die Wiedereingliederung dieser schwer geprüften Menschen in das wirtschaftliche Leben, die Hilfestellung bei der Existenz- und auch bei der Familiengründung ma weiterhin eine vordringliche Aufgabe des Gesetzgebers und aller verantwortlichen Verwaltungsstellen sein.
Im Rahmen der sozialen Probleme beschäftigt uns vor allem die Frage der Behebung der Jugendarbeitslosigkeit, die nach unserer Meinung heute eines der dringendsten Probleme ist. Arbeitsdienst und Wehrdienst sind kein Ersatz für Berufsausbildung und die damit verbundenen Lebenschancen.
Die Jugend hat ein verbürgtes Recht auf Arbeit und Ausbildung.
In der Industrie bestehen zweifellos noch erhebliche Ausweitungsmöglichkeiten für Lehr- und Arbeitsstellen. Sie können im Zusammenwirken und unter größeren Anstrengungen der Bundesregierung nutzbar gemacht werden. Das ist um so wichtiger, als in absehbarer Zeit ein empfindlicher Mangel an Facharbeitern eintreten wird.
Dringend notwendig sind ein Berufsausbildungsgesetz und ein Jugendarbeitsschutzgesetz, wie sie von der Sozialdemokratie bereits mehrfach im ersten Bundestag gefordert worden sind. Sie sind unerläßliche Voraussetzungen für die berufliche Ausbildung unserer jungen Generation und für ihre körperliche, geistige und seelische Entwicklung. In diesem Zusammenhang darf auch die Förderung des akademischen Nachwuchses nicht vergessen werden.
Die Demokratie fordert den denkenden Bürger. Die staatsbürgerliche Erziehung der jungen Generation ist eine Lebensfrage der Demokratie. Sie verlangt einen systematischen Ausbau von Bildungs- und Jugendpflegeeinrichtungen und -maßnahmen im Bund, in den Ländern und Gemeinden und in den freien Organisationen. Der Bundesjugendplan ist ein Anfang; er muß ausgebaut werden.
Meine Damen und Herren, ein anderes Kapitel. Zur Förderung wissenschaftlicher Forschung und Lehre in der Bundesrepublik muß etwas Durchgreifendes geschehen. Am ehesten werden heute noch Mittel für naturwissenschaftliche Zweckforschung freigestellt, da hier der „Erfolg" der Arbeit auch für den Laien in seiner Auswirkung auf dem Weg über die Technik und den wirtschaftlichen Ertrag sichtbar wird. Da Zweckforschung auf die Dauer nicht erfolgreich sein kann, wenn nicht auch die naturwissenschaftliche Grundsatzforschung weitergeführt wird, wird mithin auch naturwissenschaftliche Grundsatzforschung noch als sozusagen rentabel angesehen, und infolgedessen sind neben der öffentlichen Hand auch die interessierten Unternehmungen hier am ersten bereit, Mittel zur Verfügung zu stellen oder eigene Forschungsstätten zu errichten. Für die Geisteswissenschaften fallen diese Nützlichkeitserwägungen zum größten Teil fort, und es ist infolgedessen um ihre Förderung noch schlechter bestellt. Wir müssen daran festhalten, daß die Frage nach dem materiellen Nutzen sich grundsätzlich mit dem Wesen wissenschaftlicher Forschung überhaupt nicht verträgt.
Sie bedroht und zerstört das Ethos der Wissenschaft. Wenn man aber nun schon von der Knappheit der zur Verfügung stehenden Mittel ausgehen muß, so ist es falsch disponiert, wenn die Geistes-und Sozialwissenschaften bei der Verteilung immer zu kurz kommen.
Im einzelnen fehlt es an Mitteln sowohl für personelle wie für sachliche Zwecke. Für zahlreiche Lehrstühle ist keine Neubesetzung möglich, weil die Wissenschaftler keine genügend ausgestatteten Institute vorfinden und für ihre Lebensbedürfnisse zu geringe Einkommen erhalten. Sie gehen also lieber in die Wirtschaft oder ins Ausland, wenn ihnen die Möglichkeit geboten wird. Für die wissenschaftlichen Nachwuchskräfte fehlen aber die nötigen Diätendozenturen und Assistentenstellen. Man kann nicht erwarten, daß es in einem Beruf zur Norm wird, daß die Anwärter sich jahrelang durchhungern, ihre besten Kräfte in einem daneben
nötigen Broterwerb verbrauchen und damit den wissenschaftlichen Erfolg selbst gefährden. Schließlich ist auch zu bemerken, daß die Förderung der Wissenschaft rationeller betrieben werden könnte, wenn nicht immer neue Institute und Forschungsstellen eingerichtet, sondern die bestehenden bestens ausgestattet und ausgenutzt werden würden.
Meine Damen und Herren! Das Vertriebenen-und Flüchtlingsproblem bedarf nach wie vor der stärksten Aufmerksamkeit der Bundesregierung. Die Heimatvertriebenen stellen immer noch einen hohen Prozentsatz der Arbeitslosen dar, und ihr Anteil ist besonders groß in den Notstandsgebieten. Die Beschaffung von Dauerarbeitsplätzen muß Sonderarbeitsmaßnahme bleiben. Die Hilfe für die Eingliederung in den Arbeitsprozeß muß sich auch auf die Flüchtlinge aus der Sowjetzone erstrecken.
Das Wohnungsbauprogramm für Vertriebene und Flüchtlinge muß durch die Koordinierung aller Mittel stärker geplant und gelenkt werden, um den großen Notstand zu beseitigen, der dadurch zum Ausdruck kommt, daß die Zahl der Notunterkünfte und der Untermietwohnungen bei Vertriebenen und Flüchtlingen doppelt so hoch ist wie bei den Einheimischen.
Besondere Maßnahmen sind zur Förderung der Eingliederung der Mittelschichten notwendig. Für 'die Seßhaftmachung der vertriebenen und geflüchteten Bauern ist die Zusammenfassung aller Mittel unter der Verantwortung des Bundes unerläßlich. Besonders unterstreichen möchte ich das Problem der Fürsorge und der Hilfe für die heimatvertriebene und geflüchtete Jugend. Die Schaffung der Voraussetzungen für ihre Berufsausbildung ist eine Lebensnotwendigkeit für eine gesunde Entwicklung dieser jungen Menschen, die vom Schicksal besonders schwer betroffen worden sind.
In dieses Kapitel des Verhältnisses zwischen staatlicher Gemeinschaft und dem einzelnen Bürger gehört auch das Problem der Familie. Die neue Regierung hat uns mit der Schaffung eines besonderen Ministeriums für Familienangelegenheiten überrascht.
Wir haben noch keine klaren Vorstellungen darüber, wie dieses Ministerium angesichts der Ressortverteilung fruchtbar funktionieren kann, und wir haben Zweifel, ob das sehr wichtige Problem der Förderung eines gesunden Familienlebens überhaupt durch die Schaffung eines speziellen Ministeriums gelöst werden kann.
Wir würden es sehr bedauern, wenn das Ministerium seine Aufgabe in erster Linie darin sehen würde, durch eine Art von moralischer Aufrüstung den Familiensinn zu stärken und die Familiengründung zu fördern.
Die Familie muß als ein wesentliches, ja als ein entscheidendes Element unseres Gemeinschaftslebens gefördert und geschützt werden. Die Ursachen der heutigen Krisenerscheinungen sind aber viel mehr gesellschaftlich als moralisch bedingt.
Die Struktur der Gesellschaft und die Stellung der
Frau, auch der verheirateten Frau, in der Gesellschaft und in der Familie haben sich geändert. Das
erste Problem ist daher die Anerkennung der veränderten Stellung der Frau in der Gesellschaft durch Recht und Gesetz.
Wir reden heute soviel von Partnerschaft; realisieren wir sie zuerst in unserem persönlichsten Bereich in bezug auf die Stellung der Frau in der Gesellschaft und in der Ehe!
Die notwendigen Gesetze zur Ausführung der Bestimmung des Grundgesetzes über die Gleichberechtigung der Frau müssen unverzüglich beraten und verabschiedet werden.
Es geht dann um die Gefahr des Versuchs, Ehe und Familie durch eine gesetzliche Zurückentwicklung der Formen der Eheschließung zu stärken, wie es z. B. in dem Vorschlag unseres Kollegen, des Herrn Dr. Jaeger, zum Ausdruck kommt. Ich will hier nicht mit Herrn Dr. Jaeger über seine katholische Grundauffassung in dieser Frage diskutieren; ich respektiere sie. Aber wir können nicht leugnen, daß hier Gefahren auftauchen, wenn der Versuch gemacht wird, in dieser Weise die Gesetzgebung zurückzuentwickeln.
Das nächste ist die Förderung der Familiengründung. Die Forderung nach den Kinderbeihilfen ist doch keine sozialpolitische Forderung, sie ist eine staatspolitische Notwendigkeit.
Die Schaffung von Kindergärten z. B. ist heute auch eine Konsequenz einer veränderten Lebensauffassung und nicht nur eine Hilfsmaßnahme für zur Erwerbsarbeit gezwungene Mütter. Das Wesentliche ist, daß wir durch das System der Kinderbeihilfen die Familiengründung und die Erziehung der Kinder bewußt und fühlbar fördern und erleichtern.
Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf unseren Gesetzentwurf, der im ersten Bundestag durch die Schuld der Mehrheit in diesem Hause nicht verabschiedet wurde,
den wir aber jetzt wieder von neuem einbringen werden.
Der Herr Bundeskanzler hat mit Recht das schwierige Problem der Überalterung unserer Bevölkerung angeschnitten. Wir werden Mittel und Wege finden müssen, um auch den Alteren, die sich noch voll arbeitsfähig fühlen, eine sinnvolle Beschäftigung zu sichern. Aber das Wesentliche ist, daß wir eine junge Generation so stützen und fördern, daß sie die unvermeidlich größeren sozialen Verpflichtungen, die sich aus der Erhöhung des durchschnittlichen Lebensalters ergeben, mittragen kann, ohne auf die Gestaltung ihres eigenen Lebens verzichten zu müssen.
Schon diese wenigen Bemerkungen zeigen, daß es viel wichtiger ist, in allen wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen die Förderung der Familie anzustreben, als ein besonderes Familienministerium zu schaffen.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten haben uns bei der Stellungnahme zu dem innenpolitischen Programm der Bundesregierung leiten lassen von unserer unveränderten Grundeinstellung zu den Fragen der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung in der Bundesrepublik. Weder die Politik der ersten Regierung noch die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 20. Oktober haben uns hier befriedigen können. Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung weicht der Forderung nach einer Neuordnung der Wirtschaft aus. Die Sozialdemokratie kann auf die Neuordnung der Besitzverhältnisse in den Grundindustrien nicht verzichten.
Sie hält außerdem die Demokratisierung der Wirtschaft durch die gesetzliche Regelung des Mitbestimmungsrechts für eine unerläßliche Notwendigkeit für die Festigung der demokratischen Ordnung in der Bundesrepublik.
Ein besonderes Wort möchte auch ich der Stadt Berlin sagen. Der Herr Bundeskanzler hat hier die Erklärung abgegeben, daß Berlin sich auf die Bundesrepublik verlassen könne. Wir begrüßen diese Erklärung. Aber diese Erklärung verpflichtet, und wir betrachten sie als Zustimmung zu dem Grundsatz, daß wir hier Berlin behandeln wollen, als sei es ein Teil der Bundesrepublik.
Das bedeutet, daß wir die Unterstützung von Berlin nicht nur im Rahmen eines Hilfsprogramms sehen, sondern als einen Bestandteil der Wirtschafts-und Finanzpolitik des Bundes. Der entscheidende Gesichtspunkt für diese Wirtschaftshilfe ist immer noch die größtmögliche Auftragserteilung aus der Bundesrepublik für die Berliner Wirtschaft, besonders auf dem Sektor der öffentlichen Aufträge. Wir bedauern in diesem Zusammenhang, daß wir von Herrn Dr. Bucerius als dem Bundesbeauftragten für die wirtschaftliche Förderung Berlins bisher noch keine Übersicht über den Erfolg seiner Maßnahmen erhalten haben.
Unsere Kenntnis der Dinge zeigt, daß hier kein befriedigendes Resultat erzielt worden ist. Wir sollen doch daran denken, daß eine planmäßige Wirtschaftspolitik in bezug auf Berlin gleichzeitig eine Entlastung finanzieller Art für den Bund darstellt.
Vor wenigen Tagen hat die Berliner Zentralbank festgestellt, daß die Berliner Leistungsbilanz ausgeglichen wäre und Berlin keiner auswärtigen Hilfe mehr bedürfen würde, wenn in Berlin im Verhältnis zu den Arbeitslosenzahlen in der Bundesrepublik nicht mehr Menschen arbeitslos wären. Deutlicher können die Berliner Anstrengungen, den Wirtschaftsaufbau durch eigene Anstrengungen selbst vorwärtszutreiben, nicht gekennzeichnet werden, und deutlicher kann nicht gezeigt werden, daß sich die wirtschaftliche Förderung Berlins lohnt. Wir haben immer noch über 200 000 Arbeitslose in Berlin. Wir haben in Berlin wesentlich niedrigere Löhne und Gehälter. Meine Damen und Herren, hier müssen wir die Forderung nach einer ausreichenden Wirtschaftshilfe für Berlin zu einer der vordringlichsten machen. Wir wollen nicht mehr als die Anerkennung der These, die Herr Bundesfinanzminister S c h ä f f er aufgestellt hat, daß jede in Berlin angelegte Mark besser verwendet
ist als für irgendeinen anderen politischen oder militärischen Zweck der Bundesrepublik.
Wir hoffen, daß dieser Grundsatz nicht nur bei den Verhandlungen mit den Besatzungsmächten über die Anrechnung der Zuschüsse des Bundes für Berlin auf den deutschen Verteidigungsbeitrag gilt. Ich will hier nicht auf weitere Einzelheiten eingehen; ich möchte nur noch einmal unterstreichen, daß wir gerade diese verstärkte Wirtschaftshilfe für Berlin als eine der vordringlichsten innenpolitischen Aufgaben der Wirtschaftspolitik unserer Bundesrepublik ansehen.
Dazu gehört auch das Kapitel der Betreuung der Zonengrenzgebiete. Sie gehören zu den Notstandsgebieten, von denen der Herr Bundeskanzler gesprochen hat, aber sie haben ihre besonderen Probleme; ich will sie hier nicht im einzelnen aufzählen. Aber diese Gebiete, die einen erheblichen Teil des Gebietes der Bundesrepublik ausmachen, sind besonders schwer durch die Kriegsfolgen und die Teilung Deutschlands betroffen worden. Sic sind immer noch im ganzen gesehen über den Durchschnitt belastet mit den Problemen der Heimatvertriebenen und der Flüchtlinge, und sie leiden unter den Folgen der Spaltung Deutschlands vor allem auf wirtschafts- und verkehrspolitischem Gebiet.
Dazu kommt noch ein besonderes, im nationalpolitischen Sinn bedrohliches Element: die Konzentrierung wichtiger deutscher Industriezweige im Westen der Bundesrepublik mit der Folge eines Sogs von der Zonengrenze weg nach dem Westen.
Das ist ein bedenklicher wirtschaftspolitisch egoistischer Zug, dem die Bundesrepublik entgegenwirken muß.
Die Förderung der Zonengrenzgebiete ist eine umfassende nationalpolitische Aufgabe, und hier hätte die Schaffung einer besonderen Stelle im Rahmen der Bundesregierung mehr Sinn gehabt als die Schaffung irgendeines anderen der neuen Ministerien.
Die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Kräftigung der Zonengrenzgebiete ist eine der wichtigsten konkreten und sichtbaren Leistungen, die die Bundesrepublik im Sinne der Wiedervereinigungspolitik vollbringen kann;
denn jedes Zeichen von wirtschaftlichem oder sozialem Niemandsland an der Zonengrenze wird von der anderen Seite als Zeichen eines mangelnden Willens zur Wiedervereinigung gewertet werden.
Die Bundesregierung hat kurz vor den Wahlen Teile des Notprogramms für die Zonengrenzgebiete durch Beschlüsse übernommen. Wir hoffen, daß es dabei nicht bleibt. Das Zonengrenzgebiet ist wie Berlin der Prüfstein für die Ernsthaftigkeit unseres Willens zur Wiedervereinigung.
Meine Damen und Herren, ich komme nun zu dem letzten Kapitel meiner Darlegung, zu den Fragen der Außenpolitik. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Erklärung der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß in wichtigen außenpolitischen Fragen
auch ein Zusammengehen zwischen Regierung und Opposition stattfinde. Auch wir Sozialdemokraten würden es begrüßen, wenn ein solches Zusammengehen in Zukunft möglich sein würde. Voraussetzung für jeden Erfolg eines solchen Versuchs ist der Wille, die vorhandenen Meinungsverschiedenheiten sachlich auszutragen.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Rede vom 20. Oktober leider an zwei Stellen der sozialdemokratischen Opposition Beweggründe und Absichten unterstellt, die sie in wichtigen außenpolitischen Fragen als national unzuverlässig erscheinen lassen können.
So hat der Herr Bundeskanzler behauptet, die Sozialdemokratie habe in einer Reihe mit den Kommunisten und anderen Gruppen sich den sogenannten Ohne-mich-Standpunkt gegenüber der Notwendigkeit der Verteidigung zu eigen gemacht. Diese Feststellung entspricht nicht den Tatsachen.
Der Herr Bundeskanzler hat dann in einem anderen Zusammenhang die These aufgestellt, die Gegnerschaft zu den spezifischen Formen seiner Integrationspolitik, wie sie in der Montan-Union und in der EVG zum Ausdruck kommen, bedeute die Bereitschaft, auf die Freiheit zu verzichten und ganz Deutschland in die Hände der Sowjetunion zu geben.
Meine Damen und Herren, diese Behauptung ist nicht mit den Tatsachen in Übereinstimmung zu bringen.
Ich finde, der Herr Bundeskanzler sollte sie auch nicht wiederholen, nachdem er selbst in den letzten Wochen verschiedene Varianten seiner Europa-politik zur Diskussion gestellt hat.
Wir sind der Meinung — und damit möchte ich diese Bemerkung abschließen daß derartige Argumentationen unvereinbar sind mit dem Wunsch, mit der Opposition in wichtigen außenpolitischen Fragen ins Gespräch zu kommen.
Was nun die Möglichkeiten cines Zusammengehens selbst angeht, so kann man sagen, daß über dieses Problem auch in der Offentlichkeit sehr viel diskutiert worden ist. Ich glaube, es ist vor allem einmal notwendig, sich von vornherein über die Methoden einer solchen denkbaren Zusammenarbeit Klarheit zu verschaffen. Da möchte ich für meine Fraktion folgendes sagen. Die Voraussetzung für ein solches Zusammengehen ist die Bereitschaft der Regierung, die Opposition laufend und umfassend über die internationalen Vorgänge und über ihre Pläne und Aktionen zu informieren.
Nur in voller Kenntnis aller entscheidenden Faktoren ist ein sinnvolles Gespräch über den Inhalt und die Schritte der Außenpolitik der Bundesregierung möglich.
Das ist bisher nicht der Fall gewesen.
Mit einer solchen Regelung würde die Bundesregierung auch lediglich der Übung folgen, die in
allen europäischen demokratischen Ländern, vor allem in Großbritannien und in den skandinavischen Ländern, und auch in den Vereinigten Staaten selbstverständlich ist. Darüber hinaus bedeutet aber das Zusammengehen von Regierung und Opposition auf außenpolitischem Gebiet auch die Mitarbeit der Opposition in internationalen Institutionen und Konferenzen, in denen die Bundesregierung mitarbeitet, wie es wiederum von anderen demokratischen Regierungen, vor allem auch von der amerikanischen, selbstverständlich praktiziert wird.
Wir haben in der Vergangenheit wiederholt Versuche für ein solches Zusammengehen gehabt. Ich will in diesem Augenblick nicht untersuchen, aus welchen Gründen sie gescheitert sind. Aber ich möchte hier feststellen: die Zusammenarbeit muß jedenfalls am Beginn einer außenpolitischen Aktion versucht werden; denn sie wird immer scheitern, wenn von der Opposition nur die Anerkennung von vollendeten Tatsachen verlangt wird.
Wir stehen dem Herrn Bundeskanzler zu der von ihm vorgeschlagenen Aussprache zur Verfügung; aber dieser Versuch kann, glaube ich, nur erfolgreich sein, wenn die von mir genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
Der Herr Bundeskanzler hat dann als die zentralen Probleme der Außenpolitik der Bundesrepublik bezeichnet: die Herstellung ihrer eigenen Unabhängigkeit, die Wiedervereinigung Deutschlands, den Zusammenschluß des freien Europas und die Integration Deutschlands in die europäische Gemeinschaft. Auch wir sind der Auffassung, daß damit die zentralen Probleme der Außenpolitik der Bundesrepublik gekennzeichnet sind. So bleibt die Frage nach den Methoden, mit denen diese Probleme gelöst werden sollen.
Als Voraussetzung für die Herstellung der völkerrechtlichen Unabhängigkeit der Bundesrepublik hat der Herr Bundeskanzler das Inkrafttreten des Generalvertrags bezeichnet. Die sozialdemokratische Opposition hat im ersten Deutschen Bundestag dem Generalvertrag ihre Zustimmung verweigert, weil dieser Vertrag an die Stelle des außer Kraft tretenden Besatzungsstatuts neue Bestimmungen setzt, die mit der Herstellung der völkerrechtlichen Unabhängigkeit der Bundesrepublik nicht zu vereinbaren sind.
Neben einer Reihe auch von der Opposition nicht bestrittener positiver Bestimmungen enthält dieser Vertrag, besonders in den Notstandsklauseln und in den Vorbehaltsrechten der Besatzungsmächte, Bestimmungen, die eine Fortsetzung der bisher im Besatzungsstatut einseitig gesetzten und gehandhabten Besatzungsrechte darstellen.
Außerdem ist das Inkrafttreten dieses Vertrags an das Inkrafttreten des Vertrags über die EVG gebunden. Ich verzichte in dieser Situation darauf, in Erinnerung zu bringen, was die Opposition warnend über die Koppelung von General- und EVGVertrag gesagt hat. Wenn der Herr Bundeskanzler jetzt die Absicht hat, auf die drei westlichen Besatzungsmächte einzuwirken, damit sie der Bundesrepublik endlich den Status der völkerrechtlichen Unabhängigkeit zuteil werden lassen, so kann er in diesem Punkte der Unterstützung der Opposition sicher sein. Die Opposition setzt sich vorbehaltlos für die Aufhebung des Besatzungsstatuts, für die Auflösung des Junktims zwischen General- und EVG-Vertrag und für vertragliche Abmachungen mit den Regierungen der Besatzungsmächte ein, durch die auf der einen Seite der Status völkerrechtlicher Unabhängigkeit der Bundesrepublik gesichert und auf der anderen Seite den aus der Spaltung Deutschlands resultierenden besonderen Verhältnissen Rechnung getragen wird.
Als das oberste Ziel der Bundesregierung hat der Herr Bundeskanzler die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit bezeichnet. Nach der Auffassung der Opposition handelt es sich bei diesem Ziel um die vordringlichste Forderung des ganzen deutschen Volkes.
Nachdem der Herr Bundeskanzler in seiner Erklä rung betont hat, welche große Bedeutung einer Viermächtekonferenz in dieser Hinsicht zukommt, kann ich es heute unterlassen, auf die oft langwierigen Auseinandersetzungen zurückzukommen, die im ersten Deutschen Bundestag zwischen Regierung und Opposition geführt worden sind, weil es bezüglich der Frage nach der Zweckmäßigkeit und Dringlichkeit einer Viermächtekonferenz häufig tiefgehende Meinungsverschiedenheiten gegeben hat.
Wir Sozialdemokraten erblicken in der Note der drei westlichen Besatzungsmächte vom 19. Oktober an die Sowjetregierung den ernsthaften Versuch, die Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands endlich ernsthaft am Verhandlungstisch und unter Zuhilfenahme der Mittel der Diplomatie zu prüfen und zu erörtern, statt sie weiter Gegenstand eines fruchtlosen Notenkrieges sein zu lassen. Mit dieser Note ist endlich deutlich gemacht worden, daß die drei westlichen Besatzungsmächte nicht die Absicht haben, den Eintritt in Viermächteverhandlungen von der vorherigen Anerkennung der Verhandlungsziele und von der Annahme einer eng begrenzten Tagesordnung abhängig zu machen. Es scheint uns die Aufgabe der Bundesregierung zu sein, gerade in der gegenwärtigen sehr kritischen internationalen Situation das Zustandekommen einer Viermächtekonferenz auf dieser Basis zu fördern.
Unter diesem Gesichtspunkt bedauern wir die Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers in seinem letzten Presse-Interview, er sei der Ansicht, die Note vom 18. Oktober dürfte die letzte Note der Westmächte an den Kreml gewesen sein, wenn die Sowjetregierung negativ darauf antworte.
Nach dem Bericht des Pressevertreters hat der Herr Bundeskanzler außerdem noch hinzugefügt: „Es hat doch keinen Zweck, immer nachzulaufen." Meine Damen und Herren, ich glaube, das ist eine gefährliche Verkennung unserer tatsächlichen Situation.
Das Problem der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands — und das ist doch wohl die einzige Möglichkeit, die wir im Auge haben können — ist nicht anders lösbar als auf dem Wege von Viermächteverhandlungen.
Die deutsche Politik steht daher immer von neuem
vor der Aufgabe, auf die Schaffung von Verhandlungssituationen hinzuwirken und sie mit Hilfe der
Westmächte so zu gestalten, daß wir schließlich doch dem Ziel der Wiedervereinigung näherkommen. Das ist eine schwierige und langwierige Aufgabe, aber es gibt keinen anderen friedlichen Weg, und sie bleibt ja auch bestehen, wenn tatsächlich der EVG-Vertrag in Kraft treten sollte.
In die Außenpolitik ist aber seit unserer letzten außenpolitischen Debatte im Sommer in diesem Haus ein anderes wichtiges Element gekommen. Wir haben nicht nur die Diskussion über die Möglichkeit einer Viermächtekonferenz über Deutschland, sondern es gibt ernsthafte Gespräche über eine internationale Konferenz mit dem Zweck, eine globale Lösung zur Entspannung der internationalen Lage zu suchen. Auch die amerikanische Regierung hält heute einen solchen Versuch für wünschenswert und nützlich. Auf einer solchen Konferenz wird das deutsche Problem eines von vielen sein. Wir sind der Meinung, hier ergibt sich die Aufgabe, darauf hinzuwirken, daß auch auf dieser Konferenz die Lebensinteressen des deutschen Volkes zur Geltung kommen. Der Herr Bundeskanzler hat zwar auch noch in seiner Regierungserklärung die Integrierung der Bundesrepublik zum Kernstück seiner außenpolitischen Betrachtungen gemacht, aber es ist doch klar, daß die Frage des zukünftigen Status Deutschlands im Verhältnis zu allen seinen Nachbarn heute mehr in den Vordergrund der Diskussion gerückt ist.
Nachdem der Herr Bundeskanzler selbst die Frage nach dem Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion in die Debatte geworfen hat, sind wir wohl davor geschützt, daß uns eine sachliche Untersuchung dieses Problems den Vorwurf einbringt, der Sowjetpolitik Vorschub zu leisten.
Wir möchten davor warnen, den Versuch fortzusetzen, den EVG-Vertrag als eine Sicherheitsgarantie gegenüber einer möglichen zukünftigen aggressiven deutschen Politik der Sowjetunion anzupreisen.
Meine Damen und Herren, der Vertrag war gedacht und er ist uns auch hier immer wieder angepriesen worden als die Form, in der die Bundesrepublik den bestmöglichen militärischen Beitrag zur Verteidigung der freien Welt leisten sollte, und ich fürchte, wenn wir mit dieser neuen Argumentation weitergehen, daß dann sehr ernsthafte Interessen des deutschen Volkes bei zukünftigen Verhandlungen in Gefahr kommen können.
Wesentlich ist,, daß die Sowjetunion, wie man weiß, the Integration der Bundesrepublik oder gar eines späteren geeinten Deutschlands im Sinne des EVG-Vertrages nicht akzeptieren wird. Die Frage der deutschen Politik ist daher auch: gibt es einen anderen Weg, den Deutschland gemeinsam mit den Westmächten akzeptieren kann, um Deutschlands Position als eines Teils des Westens zu behaupten und gleichzeitig das Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion zu befriedigen? Es ist offensichtlich so, wie die Dinge sich entwickelt haben, daß dieses Ziel im Wege einer europäischen Lösung nicht mehr erreicht werden kann.
Ich bitte daher einmal zu überlegen, ob nicht die
Mitgliedschaft eines freien und vereinigten
Deutschlands in den Vereinten Nationen eine bessere Basis für die Lösung dieser Lebensfrage bilden könnte.
Sie müßte als Teil der Vereinbarungen der vier Mächte über Deutschland festgelegt werden, um ein Veto zu verhindern. Sie würde aber dem deutschen Volk dieselben Möglichkeiten der Sicherheit gewähren, die jedes Mitglied der Vereinten Nationen genießt, und sie würde auf der anderen Seite jedem Mitglied der Vereinten Nationen entsprechende Sicherungen vor einer möglichen deutschen Aggression bieten.
Die Frage des militärischen Status Deutschlands als Mitglied der Vereinten Nationen könnte dann im Lichte dieser neuen Situation untersucht werden. Meine Damen und Herren, da es unser gemeinsames Ziel ist, wie Sie sagen, die internationale Lage zu entspannen und den Frieden zu sichern, scheint es mir wert, diese Lösungsmöglichkeit ernsthaft zu untersuchen. Es gibt auch hier Probleme, aber wir sollten sie prüfen und die deutsche Politik nicht mit den Auseinandersetzungen darüber belasten, ob auf diese oder jene Weise, sozusagen totsicher, die deutsche Wiedervereinigung und die Sicherheit für das deutsche Volk zu erreichen sind.
In der Zwischenzeit bleibt uns die Aufgabe, alles zu tun, was in unseren Kräften steht, um die Beziehungen zwischen der Bevölkerung der Sowjetzone und der der Bundesrepublik so eng und so normal als möglich zu gestalten.
Wir haben eine große und dringende Verpflichtung gegenüber den Kämpfern des 17. Juni.
Die Opfer der Gewaltherrschaft brauchen unser aller tätige Hilfe. Wir müssen über den Protest gegen den Terror hinaus nach Wegen suchen, um den von Repressalien Bedrohten, den Gefangenen und Deportierten die Anteilnahme und, wenn möglich, den Schutz der freien Menschen zugute kommen zu lassen.
Alles, was wir tun können, um die materielle Lage der Menschen in der Sowjetzone zu erleichtern und ihnen das Bewußtsein der unlösbaren Verbundenheit zu geben, sollten wir tun. Wir sind der Auffassung, daß die Bundesregierung kraft eigener Initiative in dieser Richtung einige wesentliche Schritte tun sollte mit dem Ziel, den Verkehr von Personen und Gütern über die Zonengrenze zu vermehren und freier zu gestalten.
Die Bundesregierung sollte die Hohen Kommissare der drei Westmächte bitten, in Erwiderung auf die Erklärung des sowjetischen Hohen Kommissars über den Interzonenpaß in aller Form zu erklären, daß die Westmächte bereit sind, auf den Interzonenpaß zu verzichten, wenn die Sowjetregierung das gleiche tut. Die Erledigung der dann noch notwendigen technischen Prozeduren wäre dann Aufgabe der deutschen Behörden. Bis zu dieser Regelung sollte die Bundesregierung hier auf unserem Gebiet alles tun, um den Reiseverkehr zu erleich-
tern. Die Vorschriften über die Einholung einer besonderen Aufenthaltserlaubnis sollten aufgehoben werden.
Man sollte auch nach einem Weg suchen, um minderbemittelten Bewohnern der Sowjetzone, die die Bundesrepublik besuchen, die Bezahlung der Rückreise in ihre Heimat in Ostmark zu ermöglichen.
Wir sind der Meinung, daß es nützlich ist, diese und ähnliche Vorschläge ernsthaft zu prüfen und möglichst bald zur Durchführung zu bringen.
Auf dem Gebiet der europäischen Zusammenarbeit bekennt sich die Sozialdemokratie zu einer so eng wie möglichen Zusammenarbeit mit der denkbar größten Zahl 'europäischer Länder. Die Meinungsverschiedenheiten, die es hinsichtlich der konkreten Schritte zu europäischer Zusammenarbeit in der Vergangenheit gegeben hat, hatten ihre Ursache darin, daß die Sozialdemokratie die Verwirklichung der europäischen Zusammenarbeit nicht belastet sehen will durch die Übertragung von Sieger- und Besatzungsmachtvorrechten auf die europäische Gemeinschaft.
Deshalb betrachtet sie es als die Aufgabe der Opposition, der Tendenz entgegenzuwirken, die in Deutschland durch Besatzungsrecht geschaffenen Verhältnisse als Ausgangsgrundlage für Verträge über die europäische Zusammenarbeit zu nehmen. Wir erachten es weiterhin als unsere Aufgabe, einer Politik entgegenzuwirken, europäische Gemeinschaften auf der Grundlage von Verträgen zu
errichten, die der elementaren deutschen Verpflichtung zur Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands keine Chance zur Verwirklichung lassen und somit der Verhärtung des Zustands der Spaltung Deutschlands Vorschub leisten.
Ebensowenig wie eine wünschenswerte umfassende europäische Gemeinschaft sich selbst zu genügen vermöchte, sondern auf weltweite Zusammenarbeit und Verpflichtung angewiesen wäre, können die bisherigen Ansätze europäischer Gemeinschaften, die nur Teile des europäischen Kontinents umfassen, sich selbst genügen — um so weniger, als sie ja lediglich Teilintegrationen der Wirtschaft in einem begrenzten Teil Europas darstellen. Auf Grund der Erfahrungen, die bisher mit der Montan-Union zu machen waren, kann niemand an der Feststellung vorbei, daß solche Teilintegrationen die Gefahr in sich tragen, die Volkswirtschaften zu desintegrieren. Welche Folgen sich daraus für unser Land mit seiner durch die Spaltung zerrissenen Volkswirtschaft ergeben, liegt auf der Hand. Es ist klar, daß wir ganz besonders achtsam sein müssen, um nicht eine zusätzliche Desintegration unserer eigenen Volkswirtschaft zu fördern. Im Hinblick auf die Gebiete entlang der Zonengrenze, aber auch im Hinblick auf die industriellen Zusammenhänge im rheinisch-westfälischen Industriegebiet und ihre Verflechtung mit der übrigen deutschen Wirtschaft bedarf es dabei großer Aufmerksamkeit.
Die Sozialdemokratie hat seinerzeit ihre Einwände gegen die Konstruktion der Montan-Union dargelegt. Sie sind durch die Ereignisse nicht widerlegt worden. Wir sind damals unterlegen. Die
Mehrheit hat sich für die Annahme des Vertrages ausgesprochen. Inzwischen haben alle Seiten Erfahrungen sammeln können. Wir würden es begrüßen, wenn auf Grund dieser Erfahrungen der zweite Bundestag und die Bundesregierung nach Kräften versuchten, auf die Entwicklung der Montan-Union und ihrer Wirksamkeit einzuwirken, damit erstens die Beziehungen der Montan-Union zu Nichtmitgliedstaaten so vielfältig und so lebendig wie möglich gestaltet werden und zweitens die Investitionspolitik der Hohen Behörde und die konjunkturfördernden und -belebenden Maßnahmen der Organe der Montan-Union unter Berücksichtigung des besonderen durch Kriegszerstörungen und Demontagen bedingten deutschen Nachholbedarfs geführt wird. Wir haben die Hoffnung, daß es bei sorgsamem Vorgehen möglich sein dürfte, gewisse positive Ergebnisse in jeder der beiden Beziehungen zu erreichen. Ich verweise hier auf den Beschluß der Gemeinsamen Versammlung zum ersten Bericht der Hohen Behörde, in dem ausdrücklich solche Möglichkeiten und Zwischenlösungen erwähnt werden. Wir würden es für nützlich halten, die deutschen Kräfte auf solche Punkte konkreter europäischer Zusammenarbeit zu konzentrieren. Ich glaube, daß hier mehr Aussicht auf Erfolg liegt als in den komplizierten Versuchen zur Schaffung einer sogenannten politischen Gemeinschaft.
Meine Damen und Herren! Ich kann diese Übersicht über die außenpolitischen Probleme nicht abschließen, ohne noch ein Wort über das Schicksal des Saargebiets zu sagen. Der Herr Bundeskanzler hat sehr vorsichtig der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß auch in der Saarfrage im Geist der europäischen Zusammenarbeit eine annehmbare Regelung gefunden wird. Diese Erklärung befriedigt uns in keiner Weise.
Wir möchten wissen, auf welcher Basis die Bundesregierung die Besprechungen mit der französischen Regierung zu führen gedenkt. Wir erinnern an den einstimmigen Beschluß des ersten Bundestages vom Juli dieses Jahres, und wir meinen, daß nur er die Grundlage von Verhandlungen auf deutscher Seite sein kann. Wir hätten ferner gewünscht, daß die Bundesregierung Schritte unternommen hätte, um gegen die Ausbürgerung der beiden Mitglieder dieses Hohen Hauses, die aus dem Saargebiet stammen, durch die Behörden im Saargebiet zu protestieren,
um so mehr, als diese Ausbürgerungen auch auf die Familien unserer beiden Kollegen ausgedehnt worden sind.
Derartige Maßnahmen waren bisher nur in totalitären Ländern üblich.
Die Lage wird noch weiter dadurch kompliziert, daß der französische Außenminister Bidault vor wenigen Tagen noch einmal erklärt hat, daß die Regelung der Saarfrage eine Voraussetzung für die Ratifizierung des EVG-Vertrages durch das französische Parlament ist. Wir Sozialdemokraten sind nach wie vor der Meinung, daß die Sanktionierung des jetzigen Regimes an der Saar unter dem Be-
griff einer Europäisierung keine für Deutschland annehmbare Lösung ist.
Wir sind außerdem der Meinung, daß die Grenzfragen ein unteilbares Ganzes darstellen. Ein Verzicht auf die Zugehörigkeit des Saargebiets zu Deutschland muß die deutsche Position bei zukünftigen Friedensverhandlungen in bezug auf die deutschen Ostgrenzen außerordentlich erschweren.
Sosehr wir die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers über die Nichtanerkennung der Oder-Neiße-Linie als endgültige deutsche Ostgrenze begrüßen, sosehr wünschen wir, daß dieser Standpunkt nicht in Frage gestellt wird durch eine opportunistische Lösung der Saarfrage.
Dabei wünscht die Sozialdemokratie noch einmal zu unterstreichen, daß sie sich für weitgehende wirtschaftliche Abkommen zwischen der Bundesrepublik und Frankreich einsetzt, die den berechtigten und von uns anerkannten wirtschaftlichen Interessen Frankreichs an der Saar Rechnung tragen.
Meine Damen und Herren, ich bin am Schluß. Wir stehen nach der Bildung der neuen Regierung am Anfang der Arbeiten des zweiten Deutschen Bundestages. Die Sozialdemokratie kann aus den Gründen, die ich hier im Namen meiner Fraktion dargelegt habe, weder der Regierung das Vertrauen aussprechen noch der von ihr in der Regierungserklärung vertretenen Politik ihre Zustimmung geben.
Wir sind bereit, uns durch Taten überzeugen und durch Erfahrungen belehren zu lassen, daß unsere Einwände und Befürchtungen unbegründet sind. Wir wünschen aber auch klarzustellen, daß wir den Auftrag, den uns die acht Millionen Frauen und Männer am 6. September durch ihr Bekenntnis zum sozialdemokratischen Programm übertragen haben, hier sachlich, entschieden und mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln der parlamentarischen Demokratie vertreten werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dehler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben vielleicht Verständnis für das Gefühl, das mich beschleicht, wenn ich dieses Podium nun zum erstenmal als völlig freier Mann,
— als wirklicher „Freier Demokrat", sehr schön!
— betrete. Es war natürlich so, daß ich — hier und anderswo — bisher noch immerhin in der Zucht des Kabinetts stand
und auch Rücksicht auf die Sonntagsruhe des von mir — ach — so geliebten Herrn Bundeskanzlers nehmen mußte.
— Nein, ich darf Ihnen sagen, meine Damen und Herren: ich freue mich, daß ich jetzt hier — fast möchte ich sagen: Manch' Verloren ist gewonnen — in der politischen Arena stehe und mit Ihnen diesen zweiten Bundestag beginnen kann. Ich möchte meinen, es kann ein schöner Beginn werden. Wir können von ihm viel verlangen. Wir können die doch immerhin beachtliche Tätigkeit des ersten Bundestags in der Form und in der Sache steigern. Wir können auf die Erfahrungen des ersten Bundestags, der ein Stück Tradition gelegt hat, fußen. Wir können auch aus unseren Fehlern lernen, — mea culpa, mea maxima culpa!
Ich möchte den Beginn des zweiten Bundestags unter das Zeichen des guten Willens stellen, und ich bin in dieser Absicht durch die Rede unseres verehrten Herrn Kollegen Ollenhauer zutiefst bestätigt worden. Wieviel guter Wille sprach aus dieser Rede! Vergessen alles, was uns jemals getrennt hat! Ist es nicht so, daß Lehren, die nun hundert Jahre heilig gehalten worden sind, mit einem Male über Bord geworfen worden sind,
daß sogar die Antithese der Marktwirtschaft und der geplanten Wirtschaft abgelehnt wird? Im Grunde bekennt man sich also doch zu der richtigen Wirtschaft, zu der freien Wirtschaft, zur Unternehmerwirtschaft! Auch sind offensichtlich die Zeiten sehr weit, in denen man auf Plakaten las: Wer Schumacher wählt, wählt den Frieden, und wer die anderen wählt, wählt den Krieg! oder in denen man das deutsche Volk aufforderte, sich zwischen Stahlhelm und Strohhut zu entscheiden. Ich will nicht anklagen. Ich sage, es ist ein schönes Zeichen der Verständigung, das uns Herr Ollenhauer heute gegeben hat. Ich möchte zum mindesten seine wirtschaftspolitische und seine grundsätzliche außenpolitische These doch einmal als Arbeitshypothese zugrunde legen. Vielleicht könnten es mehr sein als Arbeitshypothesen, vielleicht könnte es das ehrliche Zugeständnis des guten Willens des ,Gegners sein, und vielleicht könnten wir diese Arbeitshypothesen und diese Zugeständnisse z. B. auf die Unterstellung ausdehnen, daß alle, die in diesem Hause wirken, aus christlicher Verantwortung handeln, daß wir alle in diesem Hause — ich habe persönlich Anlaß, dies zu sagen — für gegenseitige Achtung der religiösen Bekenntnisse in der Öffentlichkeit eintreten und den konfessionellen Frieden als wertvolles Gut erachten und erstreben,
daß wir alle sozial denken und das Soziale wollen, daß wir alle das Ziel haben-, die Not aus unserem Volke zu bannen und denen zu helfen, die sich nicht helfen können, daß wir alle die Lebenslage unseres gesamten Volkes bessern wollen, daß niemand in diesem Hause restaurieren will oder reaktionären oder gar autokratischen Zielen nachstrebt, daß es unser aller Ziel ist, den Frieden zu wahren, und daß wir alle in brennendem Verlangen Deutschland, das ganze Deutschland wiederherstellen wollen.
Wenn wir uns darüber einig wären, könnten wir uns auf den echten politischen Kampf, nämlich auf den Kampf um die richtigen Mittel zur Verwirklichung der gemeinsam als richtig erkannten Ziele beschränken. Wie fruchtbar könnte eine solche politische Arbeit sein! Ich erkenne als das wesentliche Mittel unserer Arbeit das Gespräch, das unmittelbare, vorbehaltlose Gespräch, das löst und das, wenn es echt ist, zum Humanen und damit zum Gemeinsamen führt. Da knüpfe ich an das an, was Herr Kollege Ollenhauer sagt: es gibt ja nicht nur Monologe, es gibt ja auch nicht nur Dialoge — etwa Adenauer—Ollenhauer —, nein, es gibt auch den runden Tisch. Und vielleicht verhindern Gespräche am runden Tisch die Mißverständnisse, will ich einmal sagen, von denen Sie, Herr Kollege Ollenhauer, vorhin so mit Bitterkeit gesprochen haben. Wir sind jederzeit zu jedem Gespräch bereit; denn wir glauben an die Kraft des Gespräches und wir wollen dazu verhelfen, daß niemand in diesem Hause im rein Negativen verharrt. Zu sehr hatten wir im letzten Bundestag diesen Eindruck in den außenpolitischen und in den wirtschaftspolitischen Dingen. Um so schöner die Bekenntnisse, die uns Herr Kollege Ollenhauer heute gemacht hat. Wir wollen uns doch stets des eigentlichen Wesens des Politischen bewußt sein. Politik ist nicht Zustand. Politik ist Handlung, ist Bewegung auf ein bestimmtes Ziel, über die Nahziele hinweg auf das Fernziel, über das wir uns einigen müssen. Wesentliche Aufgabe ist es, mit Geduld und mit Bedacht ein Gefälle des Geschehens zu errichten. Diese Aufgabe muß von Stunde zu Stunde, zumindest von Tag zu Tag neu durchdacht werden. Wir wollen gemeinsam denken. Es darf sich in diesem Hause nicht wiederholen, daß wir in den Schicksalsfragen unseres Volkes uneins sind oder daß gar parteitaktische Erwägungen unsere Entscheidungen über das Schicksal unseres Volkes beeinflussen. Wenn das geschähe, dann wäre das das Zeichen einer beklagenswerten Verkümmerung des politischen Sinnes unseres Volkes.
Die Wahl vom 6. September hat, glaube ich, einen klaren Auftrag erteilt. Das deutsche Volk will, daß die Politik des ersten Bundestages bzw. der ersten Bundesregierung, vor allem ihre Außen-und ihre Wirtschaftspolitik, fortgesetzt wird. Meine Partei erkennt die in der Entscheidung des deutschen Volkes für sie liegende Verpflichtung an, und sie nimmt das Angebot des Bundeskanzlers an, die Zusammenarbeit im bewährten Geiste fortzusetzen. Sie ist überzeugt, daß sie, wie im ersten Bundestag, Wesentliches zur Erfüllung der Aufgaben, die uns gestellt sind, beitragen kann.
Es wäre trügerisch, aus dem Ergebnis der Wahl den Zug oder gar den Zwang zum Zweiparteiensystem herauslesen zu wollen. Ich äußere mich dazu, weil aus den Worten des Herrn Kollegen Dr. von Brentano der Glaube daran und an ein diesem Glauben entsprechendes Wahlrecht herausklang. Ein Zweiparteiensystem und damit im Grunde ein Mehrheitswahlrecht sind nur dort praktikabel, wo zwei Parteien nicht polar sind, sondern das gleiche Staatsleitbild und die gleiche Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung vertreten, wenn also eine Wahl nicht jeweils die Grundlagen unseres Staates und unserer Gesellschaft, der Gemeinschaft erschüttert, sondern wenn die Wahl um die praktischen Fragen des Tages und vornehmlich um die Auswahl der Persönlichkeiten geht, in deren Hand die politische Gewalt liegen soll. Ein Wechsel, sagen wir einmal, von einem liberalen Staat mit
einer Wirtschaft des Marktes zu einem sozialistischen Staat mit einer — bisher mußte man das annehmen — zentral gesteuerten Wirtschaft wäre doch viel mehr als der Wechsel einer Regierungsmehrheit. Das wäre ein Übergang von einem System zum andern; das wäre ein völliger Umbruch der gesellschaftlichen Lage. Nicht viel anders wäre ein Übergang zu irgendeiner Form eines theokratischen Staates mit einem ständischen Aufbau der Politik oder der Wirtschaft. Wir Freien Demokraten glauben unsere Mission, an die liberale Aufgabe, an die bestimmende Kraft unserer Haltung, die vor allem von dem tiefen Zusammenhang zwischen geistiger, wirtschaftlicher und politischer Freiheit weiß. Deswegen glauben wir, daß wir ein Recht auf Bestand haben. Es wäre trügerisch, gerade nach den Erfahrungen der letzten Wahl zu glauben, daß das sogenannte Mehrheitsoder Persönlichkeitswahlrecht wirklich eine Auswahl der Persönlichkeiten wäre; ja, die Erfahrungen mit der letzten Wahl — damit beschuldige ich niemand oder setze niemand herab — beweisen das klare Gegenteil. Darum wollen wir uns reiflich überlegen, welches Wahlrecht den politischen Willen unseres Volkes richtig wiedergibt, und wollen nicht vergessen, daß wir — hoffentlich sehr bald — ein Wahlrecht zu schaffen haben, das für die Konstitution des gesamtdeutschen Staates gelten und das dann nicht zu weit von dem Wahlrecht, das hier gilt, entfernt sein soll.
Die Kabinettsbildung, — oh, es wäre viel zu sagen.
Aber, meine Damen und Herren, wir müssen ja darüber reden, insbesondere auch angesichts der Kritik, die Herr Kollege Ollenhauer geübt hat. Ich möchte nur eines sagen: ich bin mit daran schuld — und wenn ich auch das Opfer meines eigenen Willens bin —,
daß der Kanzler stark ist. Regierungsbildung heißt, daß der Kanzler sich die Leute sucht, die er zur Erfüllung seiner politischen Aufgabe braucht; daran ist nichts zu deuteln. Meine Damen und Herren, wir wollen doch wahrlich nicht mit den Erwägungen des kleinen Mannes kommen, der da nach dem Geld schaut.
Ich glaube, wir würden heute noch Brüning und sein Kabinett mit Gold aufwiegen, wenn er politisch Erfolg gehabt hätte, wenn er den Abrutsch in das politische Abenteuer, das mit dem Hitlertum geendet hat, verhindert hätte. Ich meine, die Dinge um eine Regierungsbildung sind doch wahrlich zu bedeutsam, als daß man an sie mit den Maßstäben des kleinlichen Makelns herangehen könnte. Aber ich bin verpflichtet, namens meiner Partei zu sagen, daß wir keinen Wunsch nach einer Vergrößerung des Kabinetts hatten
und daß der Eindruck, der insoweit in die Öffentlichkeit gekommen ist, durchaus falsch ist. Wir haben niemals einen Wunsch danach an den Herrn Bundeskanzler gerichtet, sondern sind auf den Wunsch des Herrn Bundeskanzlers gestoßen. Aber die Stimmung — um Ihnen das genau zu schildern
— in meiner Fraktion war derart, daß wir kurz vor Schluß der Verhandlungen den Beschluß gefaßt haben, dem Herrn Bundeskanzler unseren sehr dringenden Wunsch vorzulegen, das Kabinett klein zu halten, und daß wir uns ausdrücklich bereit erklärt haben, uns mit zwei Ministern zu begnügen. Das war unsere Haltung.
Es ist also unrichtig, was auch der Herr Kollege Ollenhauer geäußert hat, als ob wir bei der Regierungsbildung irgendwelche politischen Geschäfte hätten machen wollen.
Aber ich teile die Meinung des Herrn Kollegen Ollenhauer, daß es nicht sehr erquicklich ist, was sich teilweise bei der Zugrundelegung der konfessionellen Parität in der Zusammensetzung des Kabinetts gezeigt hat. Das rührt auch an Grundfragen des Politischen. Es ist keine richtige Auffassung, wenn man glaubt, die Parität — und wie viele Kategorien der Parität, der konfessionellen, der soziologischen, der geographischen, gibt es? — müßte sich in den politischen Gremien und am Ende — Herr Ollenhauer hat durchaus recht — auch im obersten politischen Gremium niederschlagen. Ich möchte fast von einem Unheil des Schlagwortes der Parität sprechen. Wenn eine Partei aus übergeordneten politischen Gesichtspunkten ans Werk geht, wenn eine Partei in Wahrheit überkonfessionell ist und über den Klassen steht, wenn eine Partei nach Lösungen sucht und nur nach Lösungen sucht, die allen nützen, dann ist es die unsere.
Deswegen haben wir die Vorgänge bei der Kabinettsbildung mit Unbehagen verfolgt.
Man darf sich über die Bedeutung der Wahlen auch nicht täuschen, man darf ihre Wirkung nicht dramatisieren. Man muß sie auch messen an der Skala der Aufgaben, die wir uns stellen.
Darüber sind wir auch verschiedener Meinung. Der Herr Kollege Ollenhauer meint, die Verscheuchung der Not sei ein vornehmliches Gesetz; in der Regierungserklärung ist die Wiedervereinigung als vordringliche Aufgabe gesehen worden. Nun, ich bin ein Mann des Staates, ich sehe die wesentliche Aufgabe, die wir zu erfüllen haben, darin, einen Staat zu bilden, ein Staat zu werden. Da wäre vieles darüber zu sagen, ob diese Wahlen wirklich ein Bekenntnis zum Staate sind, ob das Staatsgefühl, das allein diesen Staat tragen kann, lebendig genug ist. Niemand wird sich doch der Erkenntnis verschließen, daß wir nicht ruhigen Zeiten entgegengehen. Die gewaltige Erschütterung, die seit 40 Jahren durch die Welt geht, ist doch mit dem Jahre 1945 nicht mit einemmal zu Ende gegangen. Das deutsche Volk, dieses schon in seiner staatlichen Einheit zerrissene deutsche Volk, wird schwersten Belastungen entgegengehen und wird ihnen nur gewachsen sein und wird sie nur bestehen können, wenn ein starkes bewußtes Staatsgefühl diesen demokratischen Staat, für den der Herr Kollege Ollenhauer so schöne anerkennenswerte Worte fand, trägt. Darauf kommt es an.
Wir brauchen Bürger des Staates. Eins habe ich in der Regierungserklärung ein wenig vermißt — auch in der Rede des Herrn Kollegen Ollenhauer —: Es wird zuwenig gesagt von den Pflichten des deutschen Volkes, von den Pflichten der deutschen Menschen, es wird zuviel versprochen.
Meine Damen und Herren, am Ende besteht ein Staat ja nicht aus der Bürokratie und nicht aus dem Parlament und nicht aus der Regierung, sondern aus dem, was die deutschen Menschen diesem Staat geben, nicht nur materiell, sondern auch seelisch und geistig geben.
Lag dieser Wille in den letzten Wahlen? Hat das deutsche Volk ein Gefühl für die Verpflichtung zu diesem Staat? Nur wenn es dieses Gefühl hat, wird unser zweiter Versuch, einen demokratischen Staat zu schaffen, nicht so verhängnisvoll scheitern wie der der Weimarer Demokratie.
Ich sehe Gefahren für das Staatsgefühl, meine Damen und Herren, von mancherlei Seiten. Surrogate des Staatsgefühls werden vorgeschoben. Die Konfessionalisierung des öffentlichen Lebens scheint mir übertrieben. Wenn am letzten Samstag und Sonntag in Regensburg bei der Tagung des bayrischen Bauernverbandes die bisherige Organisation der Bauernjugend zerschlagen wurde mit dem Ziele, katholische und protestantische Bauernjugendorganisationen zu schaffen, — ist das ein guter Weg?
Führt dieser Weg zum Staatsbewußtsein, wenn sogar im Ständischen das Religiöse vorangestellt wird, ohne daß ein Erfordernis besteht?
Auch das europäische Denken — möchte ich einmal sagen — das unserer Jugend so gut eingeht, darf nicht zu einem Ersatz des Staatsdenkens werden.
Das Gesetz, nach dem nun nicht nur im 19. Jahrhundert, sondern auch in diesem Jahrhundert unsere Staaten angetreten sind, ist das Gesetz, daß die Menschen einer Geschichte, eines Volkes, einer gemeinsamen Sprache und Kultur zu ihrem Staate wollen. Auch im europäischen Verbinde werden diese nationalen Staaten die politischen Protagonisten sein, und es wäre falsch, wenn man unserer Jugend als Surrogat eines echten Staatsgefühls den Gedanken Europa vor Augen stellen wollte.
Ein Wort zum Föderalismus. An der Stirnwand unseres Saales hängen nun nicht mehr die Landeswappen. An ihre Stelle ist der Bundesadler getreten als Symbol unserer Arbeit an Deutschland. Ich meine, der Bund ist das Größere. Dessen milssen wir uns bewußt sein. Wir müssen uns auf unseren Dienst an Deutschland besinnen und wissen, daß die Länder Stufen zu diesem Altar sind. Aber ich nehme auf, was der Kollege von Brentano vorhin gesagt hat: Dieses Problem wird um so geringer, je größer die wirtschaftliche Freiheit ist. Je geringer die Abhängigkeit des einzelnen vom Staate ist, desto geringer ist auch die Bedeutung des Problems, ob dieser Staat als Land oder als Bund in Erscheinung tritt.
Ich verfolge auch mit Sorge das Bestreben aller möglichen berufsständischen Verbände, sich vor den
Staat zu schieben und Einfluß auf den Staat zu nehmen. Sie wissen, das Wirken der Lobbyisten der verschiedensten Art drängt bis in diese Gänge. Ein trübes Zeichen! Ich meine, es ,darf keine außerpolitischen, es darf vor allem keine anonymen Kräfte geben, die auf den Staat Einfluß zu nehmen oder ihn gar zu beherrschen suchen. Wir, Sie sind allein die Repräsentanten des deutschen Volkes. Sie entscheiden und niemand sonst.
Natürlich spreche ich damit auch das Problem der Gewerkschaften an.
Wir erkennen die Aufgaben der Gewerkschaften vorbehaltlos an. Sie können aber nur bestehen und wirken, wenn sie sich entpolitisieren und legalisieren.
Wenn sie glauben, sie könnten Einfluß auf die Wirtschaftspolitik nehmen, dann vergessen sie, daß die Wirtschaftspolitik ein wesentlicher Teil der Staatspolitik ist und niemals ihrer unmittelbaren Beeinflussung unterliegen darf.
Ich leugne aber keinen Augenblick, daß diese Gefahr genau so für andere Verbände gilt
und daß für diese Verbände diese Warnung in gleicher Weise gilt.
Wenn der Herr Kollege Ollenhauer vorhin festgestellt hat, daß die Gewerkschaften nur an die Willensentschließung ihrer Mitglieder gebunden sind, möchte ich ihm sagen, daß sie auch an die rechtliche Ordnung unseres Staates gebunden sind.
Nun komme ich zu einem besonderen Kummer. Die Regierungserklärung hat kein Wort vom Recht, sie hat kein Wort von der Justiz enthalten. Ich hoffe nicht, daß das mit einer Mißstimmung gegen mich zusammenhängt.
Ich habe ein tiefe Beziehung zum Recht. Vielleicht sehe ich seine Bedeutung stärker als andere. Ich sehe die Krisis des Rechtes als eine der Ursachen der Erschütterung unserer Zeit.
Fin weites Gebiet; ich kann es nicht erschöpfend behandeln. Aber das Unheil für unseren Erdteil begann, als das Rechtsideal erschlaffte, als der Glaube der Menschen an die Unverbrüchlichkeit des Rechtes schwand. Man könnte sagen, daß darin die Tragik der deutschen Geschichte liegt. Kaum hatte sich dieses Rechtsstaatsideal im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts durchgesetzt, da begannen sehr bald wieder die Gegenkräfte lebendig zu werden, gerade der Glaube sozialreformerischer Denker, man könne dem Staat die Aufgabe überbürden. die Ungleichheiten, die in der Welt sind — die Ungleichheiten der Anlagen und der Umstände — vom Staate her auszugleichen. Da begann der Schwund des Rechtes: denn da hat man dem Staate die Pflicht auferlegt, diese Ungleichheiten durch Eingriffe vom Staate her zu egalisieren. Damit schwand die bindende Kraft des Rechtes, und
am Ende stand dann dieses Gestrüpp von Gesetzen, in denen sich der Staat, das öffentliche Leben verstrickte. Hier wurde der Weg zu Lenin und Hitler gelegt.
Das Schlimmste: wenn der Gesetzgeber glaubt, er könne in der Form des Gesetzes alles beschließen. Sie erinnern sich, was in diesem Hause geschah. Das Gesetz, das wegen meines Widerspruches nicht verkündet wurde, über Straffreiheit für 40 Journalisten und Beamte — Platowkreis — in Form einesallgemeinen Straffreiheitsgesetzes verstößt gegen Grundsätze der Verfassung, aber auch gegen Grundsätze des Rechtes, gegen den Grundsatz der Gleichheit vor dem Rechte. Es ist trotzdem beschlossen worden! Wir haben einen besseren Bundestag gewählt. Ich hoffe, daß er auch diesen Sündenfall heilt.
Ich erzähle ihn nur, um Ihnen zu sagen, was Recht und was Rechtsstaat ist.
Das Recht führt doch auch in die Welt und regelt unsere Beziehungen mit den anderen Völkern. Vieles ist hier noch nicht im Gleichgewicht. Ich denke an die Verstöße gegen die Rechtsordnung, die in der Behandlung des deutschen Auslandsvermögens liegen. Ich stelle mit Freuden fest, daß für die Kriegsverurteilten, die im Inland einsitzen, jetzt die Tätigkeit der Gnadenausschüsse begonnen hat. Wir hoffen auf großzügige Erledigung. Wir müssen aber auch an jene denken, die außerhalb Deutschlands noch einsitzen, die jetzt achteinhalb Jahre Untersuchungshaft verbüßt haben. Wir müssen bedenken, was das an Seelenqual, was diese Unsicherheit bedeutet, und wir möchten meinen, daß hier Sühne genug geleistet ist und daß die allgemeinen Grundsätze der Humanität und des Rechtes Platz greifen sollten.
Dabei drängt sich einem auch das Bild des Straßburger Oberbürgermeisters Ernst vor Augen, der ein ähnliches Los zu tragen hat.
Unser Schicksal ist die Außenpolitik, meine Damen und Herren; sie steht im Vordergrund aller Erwägungen. Die Politik der Bundesregierung, die Politik des Bundeskanzlers, der mit vollem Recht bis zum Abschluß der Politik, die er eingeleitet hat, das Außenministerium und damit die Entscheidung der Dinge in seiner Hand behalten hat, wird von uns unbedingt bejaht. Ich glaube nicht, daß die Ausführungen der Opposition Anlaß geben, hier etwas zu ändern. Wir sind vorbehaltlos zur europäischen Kooperation bereit, weil wir nur in ihr die Möglichkeit der Sicherung des Restes sehen, der von Europa geblieben ist. Wir wollen dieses Zusammenwirken mit gleichen Rechten und mit gleichen Pflichten. Ich möchte nach dem, was geschehen ist, die Pflichten unterstreichen. Wir werden mit dem Herrn Bundeskanzler gehen, wenn er eine entschlossene Europapolitik treibt, die die Sicherheit für uns schafft. Wir sind bereit, alles zu tun, um die politische europäische Gemeinschaft mit Mut anzugehen und voranzutreiben. Ich möchte sagen: wir bitten den Herrn Bundeskanzler, hier seine ganze Kraft einzusetzen. Ihm ist diese Aufgabe gestellt; ich möchte meinen, daß ihm die Geschichte den Lorbeer flicht, wenn er sie erfüllt. Dann hat er Europa und damit das Abendland aus einer großen Gefahr gerettet.
Es muß daher jeder irgendwie mögliche Fortschritt auf dem Wege zur politischen, zur wirtschaftlichen, währungs- und finanzpolitischen Integration Europas von uns wahrgenommen werden; ich meine: mit dem guten Gewissen, daß wir den anderen damit noch mehr nützen als uns. Herr Ollenhauer beklagt, daß nicht alle sich anschließen. Wir stimmen seiner Klage zu. Der Umstand kann uns nicht hindern, das Mögliche zu tun. Ich möchte auch meinen, man sollte nicht allzuviel Rücksicht auf die oft kurzsichtige und kleinliche Einstellung einiger Partner in der Montan-Union und vielleicht auch in der künftigen Europäischen Verteidigungsgemeinschaft nehmen.
Wir haben den Wunsch, daß das Verhältnis zu Frankreich befriedet wird, daß die jahrhundertelangen Spannungen und Zwistigkeiten zwischen Deutschland und Frankreich in einer echten und ehrlichen Gemeinschaft überwunden werden. Die Verwirklichung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ist das dringende Erfordernis. Der Kontinent ist ohne die Beteiligung der Bundesrepublik nicht zu verteidigen.
Der Herr Kollege Ollenhauer hat Betrachtungen darüber angestellt, ob man den Russen den Glauben zumuten kann, daß die Europäische Verteidigungsgemeinschaft wirklich defensiven Charakter trägt. Sie kann nach dem Willen und der Technik keinen anderen Effekt erzielen. Ich glaube, von dieser Stelle sollte man sehr klar und bestimmt ausdrücken, daß sich das deutsche Volk nie und nimmer in irgendeine aggressive Kriegspolitik einlassen wird.
Daß der militärische Beitrag Deutschlands in unserem und im europäischen Interesse am besten im Rahmen einer europäischen Armee geleistet wird, kann ernstlich nicht bestritten werden. Wir freuen uns, daß auch jede Möglichkeit eines deutschen militärischen Abenteuers ausgeschlossen ist. Ich halte die Befürchtungen Frankreichs, die jetzt wieder auftauchen und die von den Russen genährt werden, für unbegründet. Daß die Europäische Verteidigungsgemeinschaft enge Fühlung mit Großbritannien wird suchen müssen, hat der Kollege Ollenhauer mit Recht unterstrichen.
Aus den Äußerungen des Herrn Kollegen Ollenhauer klang so ein bißchen Schadenfreude über die Schwierigkeiten, in die unser Vertragswerk geraten ist. Ich weiß nicht, ob diese Schadenfreude ganz berechtigt ist. Herr Ollenhauer, Sie und Ihre Freunde habe unmittelbar und in der Rückwirkung Ihres Verhaltens manches dazu getan, daß diese Verträge nicht unter Dach und Fach sind. Ich habe es nie verstanden, daß man über das Schicksal des deutschen Volkes Prozesse führt.
Vieles wäre zu sagen; aber meine Zeit ist begrenzt. Ich komme zur Frage der Wiedervereinigung. Wir stellen die Wiedervereinigung und den Grundsatz der Wahrung des deutschen Besitzstandes auf allen Seiten über alles. Wir erheben den Anspruch auf die deutschen Ostgebiete und auf die Saar
und können uns dabei auf die Charta der UNO und die dort festgelegten gültigen Grundsätze berufen.
Unsere Stellung zur Saar: Wir sind bereit, die von uns erstrebte Europäisierung der Wirtschaft vorwegzunehmen. Wir sind auch gewillt, bestimmte wirtschaftliche Interessen Frankreichs an der Saarwirtschaft anzuerkennen, auch Vereinbarungen über die Beteiligung Frankreichs an Kohlengruben zu treffen. Wir bieten Frankreich ferner die Möglichkeit an, während einer Übergangszeit bis zur europäischen Wirtschaftsintegration saarländische Erzeugnisse ohne Transferschwierigkeiten und ohne mengenmäßige Beschränkungen zu beziehen.
Eine politische Europäisierung der Saar lehnen wir ab.
Wir bestreiten die Kompetenz eines saarländischen Parlaments, auch der saarländischen Bevölkerung, über den politischen Status des Saargebiets, d. h. also doch in Wirklichkeit: über den Bestand Deutschlands, zu entscheiden. Auch die Landtagswahlen an der Saar können nicht den Anspruch erheben, als Entscheidung über das Schicksal des Saargebiets zu gelten.
Meine Damen und Herren, es geht um mehr als um die Sicherung des Deutschtums an der Saar. Es genügt also nicht etwa die Teilnahme der Saarbrückener Regierung an der deutschem Kultusministerkonferenz, nein, es geht um die Wiedervereinigung des deutschen Gebietes. Wir wollen nicht vergessen, daß zu diesem Gebiet auch Trierer und Pfälzer Land gehören.
Ein Wort zu Berlin. Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt, wir müßten Berlin als einen Teil der Bundesrepublik anerkennen. Ich gehe weiter: Daß Berlin besteht und lebt, ist für uns das Unterpfand dafür, daß Deutschland wiederersteht.
Deswegen, meine Damen und Herren, kann für Berlin gar nicht genug getan werden.
Das wirtschaftliche Ziel muß sein, daß Berlin an die Bundesrepublik so viel liefern kann, wie es aus der Bundesrepublik bezieht. Die vordringliche Sorge gilt den Arbeitslosen, die in Berlin niemals Arbeit finden können, weil Berlin die Funktion der Hauptstadt jetzt nicht mehr hat: dem Heer der Büroangestellten. Ich meine, es müßte ein Weg gefunden werden, sie in der Bundesrepublik in Arbeit zu bringen.
Herr Kollege Mellies hat eben auf die Regierungsbildung in Berlin hingewiesen.
— Nein, ich glaube, Herr Mellies hat es gemacht. Verzeihung! — Ich glaube, Sie geben den Ereignissen dort einen falschen Akzent.
Auch in Berlin gibt es Demokratie und gibt es souveräne Entscheidungen. Daß sich Parteien zusammenschließen und einen Führungsanspruch erheben, verstößt wirklich nicht gegen demokratische Grundsätze. Es tut dem Andenken des auch von mir hochverehrten Herrn Oberbürgermeisters Reuter wirklich keinen Abbruch, daß auf seinem Stuhl jetzt ein Mann anderer politischer Haltung
sitzt. Berlin — damit müssen sie sich abfinden — ist nicht mehr sozialistisch, sowenig wie die Bundesrepublik sozialistisch ist.
Auch hier eine schöne Gemeinschaft und Einheit.
Weiter ein Wort zu dem Raum an der Zonengrenze. Ich meine, das ausgezeichnete Programm, das mein Parteifreund Henn noch am Schluß des ersten Bundestages als Ergebnis sorgfältigster Feststellungen hier verkündet hat, müßte schleunigst verwirklicht werden.
Einige Feststellungen innerpolitischer Art. Die Dienststelle Blank macht einem, soweit ihr spannungsreiches Innenleben nach außen dringt, etwas Sorge.
Es wäre betrüblich, wenn hier nicht wirklich eine stabile und solide Grundlage für den in der Zukunft auf ihr lastenden Überbau geschaffen würde. Ich meine, der Rat erfahrener, politisch denkender Parlamentarier sollte häufig erholt werden.
Wir haben Anlaß, meine Damen und Herren, den Beamten des Bundes für die hingebungsvolle Arbeit, ihre Leistungen während der letzten vier Jahre zu danken. Nur der, der drinsteckte, weiß, wie gearbeitet wurde, mit welchem heiligem Eifer geschafft wurde, daß dieser Staat entstand.
Wir, meine Parteifreunde und ich, bekennen uns nach wie vor zu den bewährten Grundsätzen des Berufsbeamtentums. Wir verwahren uns gegen die Bestrebungen, das Beamtenrecht mit arbeitsrechtlichen Kategorien zu versetzen. Die Verabschiedung des Personalvertretungsgesetzes und die Vereinheitlichung des Beamtenrechts des Bundes und der Länder durch ein Rahmengesetz nach dem Grundgesetz, dann die Überprüfung der Grundsätze der Besoldungsordnung sind dem zweiten Bundestag als dringende Aufgaben gestellt.
Mit gutem Gewissen kann gerade ich die Forderung des Herrn Kollegen Ollenhauer aufnehmen, daß entsprechend dem Gebote des Grundgesetzes jeder ohne Rücksicht auf Glaube und Religion und politische Überzeugung Anspruch auf Tätigkeit im Staate hat. Nun, ich glaube, ich habe im Bundesjustizministerium ein vorbildliches Beispiel dafür gegeben, wie man diese Aufgabe erfüllen kann.
Wir sind besorgt, daß die Aufstockung des Bundesgrenzschutzes auf 20 000 Mann, wahrlich eine dringliche Forderung, trotz der vorbildlichen Bemühungen meines verehrten Herrn Kollegen Lehr und unter Mißachtung des klar geäußerten Willens des Bundestages aus finanziellen Gründen verzögert worden ist. Ich möchte meinen, das Geld wäre hier besser als anderswo angewandt.
Die Neuordnung des Rundfunks und des Fernsehens in der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes und die Beseitigung des Besatzungsrechts im nordwestdeutschen Raum sind ein dringendes Gebot.
Ein etwas bitteres Wort über den Bundesjugendplan. Er droht der Jugend mehr zu schaden als zu nützen.
Er züchtet Jugendfunktionäre, die aus ihrer Jugend einen Beruf machen wollen.
Er muß insgesamt neu geordnet werden. Auch hier ist die Mitwirkung verantwortungsbewußter Parlamentarier notwendig — wir haben ja Gott sei Dank viele junge Kollegen im Hause —, damit diese Dinge rasch heilsam gebessert werden.
Die Wirtschaft! Nun, da möchte ich gern in ein Streitgespräch mit Herrn Kollegen Ollenhauer kommen.
Ich denke an Diskussionen, die ich mit dem früheren bayerischen Wirtschaftsminister Dr. Zorn im bayerischen Landtag hatte. Heute war mir genau so zu Mute. Ich habe ihn einmal provoziert, im Landtag seine wirtschaftspolitischen Grundsätze darzulegen, mit der Folge, daß meine Freunde und ich ihm mit frenetischem Beifall zustimmten und daß die Sozialdemokraten mit betretenen Gesichtern dabeisaßen.
Ich glaube, heute könnte es so ähnlich sein. Der Herr Professor Schiller wird mit dem Herrn Kollegen Ollenhauer restlos einig sein.
— Ich bin überzeugt!
— Sie sind ja ein zu den Sozialdemokraten verirrter Liberaler, Herr Kollege Schmid!
Ein guter Liberaler!
— Herr Kollege Schmid, ich glaube es gern. Aber ich denke auch an Herrn Kollegen Kreyssig! Er hat schon mit etwas süßsaurer Miene, glaube ich, die Festlegungen seines Kollegen Ollenhauer verfolgt. Und mit dem schönen Geständnis allein ist es nicht getan. Es ist zu wenig, wenn man sagt, Wettbewerb und Planung seien keine echten Antithesen. Zunächst, meine Damen und Herren, muß man wissen: es gibt nur eine richtige Wirtschaft, es gibt nur eine Wirtschaft, und das ist unsere, 'das ist die liberale Wirtschaft, die man auch soziale Marktwirtschaft nennen kann.
Es gibt nur das echte Wirtschaften, die Wirtschaft, die sich gründet auf den Wettbewerb, auf die Leistung des einzelnen, auf die Vertragsfreiheit, auf ein weitgestreutes und gesichertes Eigentum, die sich auch gründet auf den Glauben an die Möglichkeit des wirtschaftlichen und sozialen Ausgleichs im freien Staat, die sich darauf gründet, daß die Stände nur miteinander, nicht gegeneinander wirtschaften können.
— Nun Gott, das ist jetzt ein Hilfswort für eine Arbeitshypothese.
Aber einem patentierten Marxisten dürfte ja diese klassenmäßige Scheidung nicht schwerfallen.
Ich höre es nicht gern, wenn Herr Ollenhauer sagt, er lehne den Gegensatz zwischen Marktwirtschaft und Planwirtschaft ab — darüber ist nicht zu diskutieren —, aber dann sofort wieder unterstellt, es gebe eben weite Bereiche der Wirtschaft, in denen die Marktwirtschaft nicht funktioniere. Hier ist jetzt der springende Punkt. Meine Damen und Herren! Es ist ja schade, daß der Herr Kollege Schoettle jetzt gerade beim Mittagessen ist, sonst würde ich ihm gern einmal vorhalten, was er so im Laufe der Jahre über diese Reservatgebiete, die angeblich für die Marktwirtschaft nicht zugänglich sein sollen, gesagt hat.
Es waren früher einmal die Textilien, die Schuhe, große Teile der Konsumgüterindustrie.
Na, und das ist heute bei Ihnen noch — das ist ja ganz deutlich geworden; Herr Ollenhauer hat es ja gesagt — das Gebiet der Energieversorgung, das Gebiet des Verkehrs, das Gebiet des Wohnungsbaues.
Meine Damen und Herren! Das habe ich langsam erkannt: in der Politik ist noch wichtiger als die richtige Einsicht der Mut,
der den Herren Sozialdemokraten heute fehlt. Be-
grüßen wir es doch: sie sind auf dem rechten Weg,
aber sie haben noch nicht den Mut,
die letzten Hürden zu nehmen. Gewöhnlich straucheln sie immer noch bei jeder Hürde. Schauen Sie einmal rückwärts, was Sie an Hürden umgeworfen haben!
Deswegen haben Sie jetzt ja auch so eine schlechte Zeit im politischen Wettlauf.
Nein, meine Damen und Herren, wir müssen dann schon das Gespräch vertiefen. Also wenn Sie sagen „Marktwirtschaft", wenn Sie sagen „Unternehmerinitiative" — ja, wie können Sie dann diese Punkte ausklammern? Warum soll auf dem Gebiet des Verkehrs,
der Energieversorgung, des Wohnungsbaues etwas anderes gelten? Wir haben ja — Sie und ich, Herr Kollege Schmid — in das Grundgesetz geschrieben, daß diese Bundeseisenbahn nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen verwaltet werden soll!
Dann müßte ich, meine Damen und Herren, jetzt die Herren Sozialdemokraten weiter fragen: Herr Ollenhauer fordert Mitbestimmungsrecht — nicht
nur für die Grundstoffindustrie, nicht nur für Kohle und Eisen, sondern nun auch eine Ausweitung des Betriebsverfassungsgesetzes.
Er ist sich nicht bewußt, daß mit dem wirtschaftlichen Mitbestimmungsrecht die Unternehmerinitiative nicht vereinbar ist, daß sie ein Widerspruch dagegen ist.
— Nein, das ist ein Fehlschluß, Herr Kollege Schmid.
— Sie brauchen sich nur den Herrn Bundeskanzler anzuschauen, um zu wissen, was politische Mitbestimmung ist!
— Aber, meine Damen und Herren, jetzt habe ich aus der Schule geplaudert! Das hätte ich nicht tun dürfen!
Meine Damen und Herren! Nach dieser Ovation für den Herrn Bundeskanzler bitte ich, den Redner fortfahren zu lassen.
Beim wirtschaftlichen Mitbestimmungsrecht handelt es sich um eine ganz andere Problemstellung, Herr Kollege Schmid; denn da geht es darum, zu entscheiden, ob in den Betrieb nun, sagen wir, ein Fließband eingeführt oder ob ein anderer Betriebszweig angegliedert werden soll. Das soll der Sachunkundige mitbestimmen, der Sachunkundige, der gar nicht die Erfahrung haben kann und der vor allem nicht durch eines geleitet wird, durch die Verantwortung? Wenn der wirtschaftlich Entscheidende selbst Unternehmer ist, nun, dann geht es um sein Hab und Gut, und wenn er Manager ist, so geht es um seine Position.
Das Handeln aus Verantwortung zwingt zur besten wirtschaftlichen Leistung. Wer glaubt, man könne Mitbestimmung mit Unternehmerwirtschaft, mit Marktwirtschaft vereinbaren, hat die Dinge nicht durchdacht.
Ich möchte hoffen, Herr Kollege Ollenhauer, Sie haben sich von dem Ziel der Vollbeschäftigung distanziert. Denn wer Vollbeschäftigung vom Staate her will, der will natürlich die Leitung der Wirtschaft zentral vom Staate her,
mit der zwangsläufigen Folge des Einsatzes öffentlicher Mittel, Herr Kollege Baur, des Einsatzes von Steuermitteln, um die Vollbeschäftigung durchzuführen.
Es ist auch sehr interessant, wenn Herr Kollege Ollenhauer von einer bewußten Investitionspolitik für die Grundstoffindustrie spricht. Was heißt denn das? Wem ist denn die Richtigkeit der Investitionspolitik bei der Grundstoffindustrie „bewußt"? Wem denn? Doch nicht den Verantwortlichen, sondern Unverantwortlichen, Bürokraten, Verwaltungsstellen.
Woher beziehen sie denn ihre Weisheit?
Mein Herr Kollege Ollenhauer, nun, wir diskutieren hoffentlich weiter, und ich freue mich durchaus, daß Sie die Disskussion begonnen haben. Sie sind noch kein Paulus,
aber Sie sind auf dem besten Wege dazu.
Ich glaube, gerade diese Aussprache kann uns mit der Hoffnung erfüllen — nun, daß dieser Bundestag gut werden kann!
Ich meine gerade das Gegenteil von dem, was Herr Kollege Ollenhauer gefordert hat. Wir müssen die zwangswirtschaftlichen Reste, die wir noch haben, abbauen, diese Reste der staatlich gelenkten Wirtschaft auf dem Gebiete des Außenhandels, der Devisenwirtschaft, des Kapitalmarktes, der Wohnungszwangswirtschaft. Ich werde ein Wort im einzelnen dazu sagen: für mich sind diese Reste ein Scandalum nicht nur gegen die wirtschaftliche Vernunft, sondern vor allem gegen das Recht.
Kapitalmarkt! Wir wissen doch, daß unsere Zinspolitik grundsätzlich falsch war, daß sie uns gehindert hat, den Wertpapiermarkt aufzubauen und zu einer gesunden Kreditpolitik zu kommen. Der typische Fehlschluß, zu glauben, dadurch, daß man einen Zwangspreis, einen Zwangszins bestimme, könne man regulieren. Man hat gerade dadurch die Gesundung der Wirtschaft verhindert. Denn der Kredit ist doch das Blut des Wirtschaftskörpers, und dadurch, daß man die Wirkungen des Zinses als des Anzeichens, des Barometers für den richtigen Lauf, für das richtige Verhalten ausgeschaltet hat, hat man der ganzen Wirtschaft geschadet. Gerade die Investitionen durch die öffentliche Hand sind ein grotesker Verstoß gegen die marktwirtschaftlichen Grundsätze.
Wohnungsmarkt! Ja, wer glaubt wirklich noch, unsere Wohnungswirtschaft sei sozial! Mein Freund Preusker hat völlig recht. Es gibt doch nur eines: dieses Ministerium beseitigen dadurch, daß man den Wohnungsmarkt und den Wohnungsbau gesundet, nämlich mit marktwirtschaftlichen Gesetzen erfüllt. Wie kann man eine Wohnungszwangswirtschaft als sozial bezeichnen, wenn man den Hausbesitzer unter ein Ausnahmerecht stellt? Es ist auch eine Fiktion, der Hausbesitzer sei gewissermaßen ein reicher Mann. Der Hausbesitz ist zum größten Teil in der Hand kleiner Leute. Ihnen nimmt man ihr Recht. Wem nützt denn das? — Mein Freund Preusker wird, wenn er zu Worte kommt, Klügeres sagen können als ich. Er wird sagen können, daß die Dinge natürlich systematisch entwickelt werden müssen. Das Ziel ist klar. Wohnungsnot wird erst beseitigt, wenn die Ware Wohnung ihren gerechten Preis hat.
Daß soziale Härten vermieden werden müssen, ist klar.
Aber auch hier ist die Politik, das politische Handeln eine Sache des Mutes.
Aktive Konjunkturpolitik! Auch hier könnte ich auf Äußerungen des Herrn Kollegen Ollenhauer eingehen. Auch sie gibt es nur mit marktgerechten Mitteln. Sie ist notwendig. Wir wollen doch kein plumpes Laissez-aller, Laissez-passer; wenngleich wir immer der Meinung sind, daß im Zweifel der Eingriff des Staates in die Wirtschaft mehr schadet als nützt. Die wesentliche Aufgabe, die man stellen muß, ist, daß die Wirtschaft in die Lage versetzt wird, Reserven zu bilden. Nicht der Wirtschaft wegen, sondern der Arbeiter wegen, damit sie, wenn Rückschläge, wenn Krisen kommen, durchgehalten werden können.
Ich gehe mit dem Herrn Kollegen Ollenhauer wiederum einig, wenn er verlangt, daß eine echte Wettbewerbsordnung geschaffen wird — auch eine gute Erkenntnis des Wesens der Marktwirtschaft! —; denn sie ist die Grundlage der Wirtschaft. Der Entwurf des Gesetzes gegen die Wettbewerbsbeschränkungen ist von dem Kollegen Erhard und mir ausgearbeitet worden. Ich halte ihn für richtig. Die Wirtschaft muß wissen, daß es keine Pfründen in der Wirtschaft gibt, sondern nur den Erfolg ehrlicher Leistung für den Verbraucher. Ich bin der Meinung, das Kartellgesetz muß möglichst rasch behandelt werden. Es muß ergänzt werden durch eine Erweiterung und Verfeinerung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, durch eine Berufsordnung für den Handel und durch ein Gesetz zur regelung der Konsumgenossenschaften.
Staatskapitalismus! Sehr schön, Herr Ollenhauer; wir liegen uns fast in den Armen!
Ich bin seiner Meinung. Das heißt, im Eigentlichen nicht. Sie sind ja im Ergebnis anderer Meinung, Verzeihung, es stimmt also nicht. Ich halte den Staatskapitalismus für ein Unglück, und ich hätte gern ,aus dem Munde des Herrn Bundeskanzlers gehört, daß diese Wirtschaft der öffentlichen Hand, die in den letzten Jahren entstanden ist, verurteilt wird und daß sie korrigiert werden muß. Die Betätigung des öffentlichen Eigentums in der werbenden Wirtschaft steht in unlösbarem Widerspruch mit den Grundsätzen der freien Wirtschaft. Es ist ein gefährlicher Weg, wenn der Staat mit Steuermitteln Wirtschaft treibt und gegen die Steuerzahler konkurriert.
Unser besonders kluger Herr Kollege Dr. Dresbach hat das schon vor Jahren sehr interessant und sehr überzeugend in seinem Artikel „Bundesschatzministerium" dargelegt. Jedes Wort kann man unterstreichen. Ich möchte fast meinen, hier könnte man einem unserer Minister für Sonderaufgaben eine besondere Aufgabe zuweisen.
Aber der Glaube, Herr Kollege Ollenhauer, man
könne durch idas Wirken der öffentlichen Hand in
der Wirtschaft das wirtschaftliche Leben befruchten
und günstig beeinflussen, ist eine Illusion, die Ihnen noch aus Ihrer sozialistischen Vergangenheit übriggeblieben ist.
Verkehr! — Herr Präsident, habe ich noch genügend Redezeit?
Sie sind in Ihrer Redezeit auf Beschluß des Ältestenrats unbegrenzt.
Wenn ich das gewußt hätte! Welch gute Gedanken habe ich schon unter den Tisch fallenlassen!
Ich glaube, auch der Vorwurf des Herrn Kollegen Ollenhauer, wir hätten für den Verkehr nichts getan, ist nicht berechtigt. Es ist viel getan worden,
auch für die Straßen ist viel getan worden, natürlich angesichts der unglaublichen Beschädigung und angesichts der Not mancher Länder, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen konnten, nicht genug. Wir sind der Meinung, daß die Probleme des Verkehrs sorgfältigste Beachtung verdienen; wir lehnen aber alle Monopole und alle sozialistischen Bestrebungen auch auf dem Gebiete des Verkehrs ab. Vielmehr müssen private und staatliche Verkehrsträger die gleichen Rechte haben. Organisatorisch hat der erste Bundestag durch seine Gesetzgebung, durch das Bundesbahngesetz, durch das Güterkraftverkehrsgesetz, schon die richtige Ausgangsstellung geschaffen. Es gilt nun, zu einer Ordnung der Beziehungen zwischen den Verkehrsträgern zu kommen. Diese Ordnung muß wirtschaftlich bestimmt sein. Darum halte ich es für notwendig, daß die Bundesregierung die Verkehrsträger veranlaßt, sich zunächst einmal zusammenzusetzen und zu einer Verständigung zu kommen. Das kann man von ihnen verlangen. Erst wenn diese Versuche mißglücken, kann man den Gesetzgeber angehen.
Mit Recht hat Herr Kollege Ollenhauer auf die Bedeutung der Bundesbahn hingewiesen. Sie ist ja nicht nur ein Sondervermögen des Bundes, sondern die größte Auftraggeberin der deutschen Wirtschaft. Sie droht in die Gefahr zu kommen, Kostgängerin des Bundes zu werden. Die Bundesbahn muß ihr Bemühen, durch eigene Maßnahmen, wie Rationalisierung, ihre Wirtschaftlichkeit herzustellen, fortsetzen. Aber die Übergangsschwierigkeiten, in denen sie durch besondere Verhältnisse, durch die Kriegsfolgen steht, rechtfertigen den Wunsch, daß sie in die Lage versetzt wird, ihre Anlagen und Fahrzeuge in gutem Zustande zu erhalten und nach den Bedürfnissen des Verkehrs und dem Stande der Technik zu erneuern.
Ein kurzes Wort zur Landwirtschaft. Die Landwirtschaft hat in den letzten fünf Jahren Erstaunliches geleistet; sie hat ebenso wie die industrielle Wirtschaft ihre Produktion mehr als verdoppelt. Trotz des Rückschlages der beiden Weltkriege, trotz der ungünstigen Verhältnisse in der Struktur, trotz der klimatischen Hemmungen, trotz der fehlenden Bodengüte steht die deutsche Landwirtschaft mit ihrer Leistung in der fortschrittlichen europäischen Landwirtschaft an vierter Stelle. Aber diese Leistung ist durch eine Verschuldung erreicht, die mehr als 5 Milliarden DM ausmacht.
Die Ziele, die wir uns hier setzen, sind klar. Die landwirtschaftliche Rentabilität muß weiterhin gefördert werden. Die Preisschere muß durch gleiche Bewertung der landwirtschaftlichen Arbeit und der gewerblichen, der industriellen Arbeit geschlossen werden. Das Ziel der Parität von Löhnen und Preisen mit denen anderer Wirtschaftsgruppen muß durch wirtschaftliche Maßnahmen — nicht durch planwirtschaftliche Maßnahmen — erstrebt werden. In der Landwirtschaft muß das preisgebundene Denken beseitigt werden. Es läßt sich, glaube ich, erreichen, daß die landwirtschaftlichen Bedarfsgüter verbilligt werden. Meine Partei steht zu dem, was der Herr Bundeskanzler in seiner bekannten Zusammenkunft mit den Spitzen der deutschen Landwirtschaft in Rhöndorf am 17. Februar 1951 erklärt hat. Wir sind der Überzeugung, daß es möglich ist, seine Versprechungen einzulösen. Wir unterstützen daher alle Maßnahmen, welche geeignet sind, besonders die Leistungsfähigkeit der klein- und mittelbäuerlichen Betriebe zu steigern. Wir wünschen eine großzügige Agrarpolitik mit dem Ziele der Vermehrung und auch der Verbesserung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse.
Die Flurbereinigung darf nicht erst in einem Menschenalter durchgeführt werden. Wir müssen uns das Ziel setzen, sie in einem kürzeren Zeitraum, in fünf bis acht Jahren Wirklichkeit werden zu lassen und sie mit der Sicherung gegen weitere Realteilung des Grundbesitzes zu verbinden. Wir erwägen die Errichtung von Landkauffonds, aus denen besonders Kleinbauern gespeist werden können, die doch überwiegend aus Berufung und aus Neigung Bauern sind. Diese sollte man in den Stand setzen, ihre Betriebe aufzustocken und von den technischen Möglichkeiten unserer Zeit Gebrauch zu machen.
Wir wollen einen besonderen Schutz gerade den kleinen und mittleren Betrieben — es sind ja in Deutschland über eineinhalb Millionen — zuwenden. Dazu gehören die Obst-, die Gemüse-, die Garten- und die Weinbauern. In ihnen steckt ein wertvoller Teil unserer Volkssubstanz. Man muß auch einmal die Leistungen dieser Leute anerkennen, die es durch einen Arbeitseinsatz, der stärker ist als der jeder anderen Berufsgruppe, erreichen, daß sie ihre Produkte zu den gleichen Preisen wie Großbetriebe auf den Markt bringen und dadurch mitwirken, daß die Lebensmittelpreise für unser Volk erträglich sind. Das geschieht fast durch einen Raubbau an der Arbeitskraft des Bauern und seiner Familienangehörigen, nicht zuletzt der Bauersfrau.
Wir schlagen ein Bundessiedlungsgesetz mit einer positiven Agrarreform an Stelle der so unheilvoll ausgeschlagenen negativen sogenannten Bodenreform vor. Wir schlagen die Reorganisation der Einfuhr- und Vorratsstellen mit dem Ziele vor, ausgeglichene Preise und ausgeglichene Versorgungsverhältnisse zu erzielen. Wir übernehmen auch das von dem Herrn Bundeskanzler aufgestellte Ziel des gemeinschaftlichen europäischen Marktes für die Landwirtschaft und teilen nicht die Bedenken, die Herr Kollege Ollenhauer erhoben hat. Notwendig ist nur, daß die Startbedingungen fair sind. Das ist eine 'schwierige Frage. Das Klima kann man nicht ändern; aber man kann verhin-
dern, daß ein Dumping in den öffentlichen Lasten, die auf der deutschen Landwirtschaft liegen, besteht.
Die Finanzfrage. Wir stimmen dem Herrn Bundeskanzler in den Zielen der Währungssicherung und des Haushaltsausgleichs zu. Es genügt aber nach unserer Meinung nicht, lediglich die bisherige Steuer- und Finanzpolitik „fortzuführen". Wir müssen uns viel entschlossener von den konfiskatorischen Steuergesetzen des Kontrollrats weiter wegentwickeln. Auch Finanzen und Steuern müssen von den Gesetzen der Wirtschaft, der Marktwirtschaft beherrscht werden. Die Eigentumsbildung muß für alle steuerlich erleichtert werden, und echte Leistung muß steuerlich begünstigt werden. Der Steuerdruck ist immer noch unwirtschaftlich hoch, insbesondere bei der Einkommen- und bei der Körperschaftsteuer. Die Sätze der Körperschaftsteuer sind bei der sogenannten kleinen Steuerreform ja nicht geändert worden.
Die Steuerreform sollte durchgeführt werden, auch bevor eine neue Verteilung der Steuern auf Bund und Länder durchführbar ist.
Wir müssen die große Steuerreform anstreben und versuchen, ein einfaches und übersichtliches Steuersystem zu schaffen. Wir müssen die Doppelbesteuerung für die Kapitalerträge, die wirtschaftsfeindlich ist, beseitigen und müssen überhaupt aufhören, Steuern, die eigentumsfeindlich wirken, zu erheben. Wir sind auch der Meinung, daß die Umsatzsteuer, insbesondere im Hinblick auf die außenpolitischen Notwendigkeiten, die sich aus GATT und Montan-Union ergeben, grundlegend gewandelt werden muß. Das sind schwierige Fragen. Wir wissen, daß ein Abbau der Steuern nur möglich ist, wenn ein Abbau der Aufgaben des Staates und damit ein Abbau des aufwendigen Staatsapparats möglich ist.
Die Sozialpolitik. Ich bin mit Herrn Kollegen Ollenhauer über die Bedeutung des sozialen Wirkens durchaus einig. Hauptziel der richtigen Wirtschaftspolitik ist die Sozialpolitik. Vor allem ist es notwendig, den richtigen Menschen an den richtigen Arbeitsplatz zu bringen und die Bedürfnisse des einzelnen zum Vorteil der Gesamtwirtschaft zu befriedigen.
Es ist sehr schön, daß Herr Kollege Ollenhauer das Gespenst der ständig zunehmenden Arbeitslosigkeit nicht mehr an die Wand zu malen brauchte. Wenn ich an die erste Stellungnahme der Sozialdemokratie zur Regierungserklärung und viele folgende Erklärungen denke, — nun, das war ja die Fuchtel, die man über der Bundesregierung schwang. Die Arbeitslosigkeit ist kein Schreckgespenst mehr; praktisch herrscht Vollbeschäftigung. Echte Arbeitslosigkeit beschränkt sich auf durchschnittlich eine halbe Million; der Rest ist nicht mehr einsatzfähig oder gerade im Arbeitsplatzwechsel begriffen. Wenn wir an den Bedarf an Menschen in den kommenden Jahren denken, wenn wir an den deutschen Beitrag zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft denken, dann wissen wir, daß wir vor einem Mangel an Arbeitskräften, insbesondere an Fachkräften, stehen. Wir müssen alles tun, um hier abzuhelfen, Lehrlingsstellen schaffen, ihre Ausbildung verbessern, die Qualität des Facharbeitertums heben. Wir müssen auch denken an die Gefahr, daß die Schlüsselkräfte des Arbeitsprozesses überaltert sind, daß ihre Leistungsfähigkeit durch die Überanstrengung der beiden Kriege beeinträchtigt ist. Verstärkte Berufsberatung ist ein Gebot, Verbesserung der Arbeitsbedingungen selbstverständliche Pflicht. Es darf den unsozialen Unternehmer nicht mehr geben, er muß der öffentlichen Diffamierung verfallen,
er wird auch Seltenheitswert bekommen. Ich glaube an die Möglichkeit gewaltiger Leistungen, gewaltiger Steigerung der Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft auch in sozialer Hinsicht. Vielleicht mag es Ihnen in meinem Munde etwas kühn klingen, wenn ich sage: in absehbarer Zeit kann, wenn wir gut wirtschaften, die 40-Stunden-Woche Tatsache sein.
— Ich hatte auf Ihren frenetischen Beifall gehofft.
Aber ich erkenne langsam, Wahrheiten werden hier nur anerkannt, wenn sie aus dem eigenen Gemüte erwachsen.
— Sie waren immer liebenswürdig. Ich habe mich in Ihrer Huld gesonnt
— doch, doch, meistens —, ich habe auf eine tief gegründete Freundschaft gepocht, wofür der Herr Bundeskanzler kein Verständnis hat.
Ich wollte noch einmal sagen: Die echte soziale Leistung liegt in der Ausweitung und Vertiefung der richtigen Wirtschaftsordnung, die zu schaffen wir begonnen haben. Nur aus den Überschüssen des Volkseinkommens sind soziale Leistungen möglich, eben nur durch die erhöhte Produktion. Sie zu steigern, das ist nicht nur wirtschaftspolitische, sondern auch sozialpolitische Forderung. Ich darf auf unsere Ziele — sie sind Ihnen bekannt — verweisen: Kapital und Eigentum auf breiter Basis zu verteilen, Besitz für alle zu schaffen. Das Ziel der Partnerschaft in den Betrieben, des Miteigentums der Arbeiter an den Betrieben ist durchaus fruchtbar, es soll gefördert werden.
Über die Ideen des wirtschaftlichen Mitbestimmungsrechts oder der sogenannten Wirtschaftsdemokratie habe ich mich schon geäußert. Ich halte sie für wirtschaftswidrig. Wir sind der Meinung, daß die nicht auf restlos korrekte Art zustande gekommene Regelung des Mitbestimmungsrechts in den Grundstoffindustrien auf dem Gebiet von Kohle -und Eisen den Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes angepaßt werden muß. Ich stimme nicht mit dem überein, was Herr Kollege Dr. von Brentano über das überbetriebliche
Mitbestimmungsrecht, über die Frage des Bundeswirtschaftsrats gesagt hat, wenn er meint, hier könnte man alle Schichten, alle Stände, Herr Kollege Schmid, des Volkes zusammenfassen und zu wirtschaftspolitischen Erkenntnissen führen und hier in diesem Hause könnte sich dann die Aussprache erübrigen. Schon diese Vorstellung: Sie sollen entscheiden, und andere sollen gedacht haben, — schon diese Erwägung beweist die Unmöglichkeit. Der vorläufige Reichswirtschaftsrat hat versagt, und auch der Gedanke eines Bundeswirtschaftsrats wird eine Fehlleistung sein.
Man wird debattieren, und wer debattiert, ohne die Fähigkeit zur Entscheidung zu haben, der tut sich leicht; denn er trägt keine Verantwortung. Die Verantwortung der Entscheidung kann man und soll man dem Parlament nicht abnehmen.
Die soziale Lage des Mittelstandes ist uns eine große Sorge. Ich halte für charakteristisch für den Mittelstand eine bestimmte Lebenshaltung, die auf Selbstverantwortung, auf Eigenständigkeit und auf Eigentum gerichtet ist. Dieser Mittelständler ist der beste Typus unseres Volkes, ist der eigentliche Garant der Demokratie. Der Arbeiter, der seinen Sohn in die Lehre schickt, der kleine Beamte, der seinen Sohn auf die hohe Schule schickt, beweist eine bessere Haltung als der Mittelständler, dessen Lebensziel und -wunsch sich in einem Luxusauto erschöpft.
Die Lage der freien Berufe, die Lage der geistigen Berufe ist schwierig; sie zu bessern, selbstverständliche Pflicht. Herr Kollege Dr. von Brentano hat Zutreffendes darüber gesagt.
Es wäre merkwürdig, wenn ich über soziale Fragen redete und nicht etwas zu den Renten sagte.
Meine Damen und Herren, es gibt eine sehr primitive Auffassung von der Reform der Sozialpolitik und damit auch von der Reform des Rentenwesens, die ungefähr so aussieht: Man nehme dem einbeinigen Leierkastenmann die Drehorgel weg und fülle seine Mütze statt mit Almosen am nächsten Postschalter mit Silbermünzen. — Eine antiquierte, eine gefährliche Vorstellung! Die Drehorgel muß durch ein Produktionsmittel, durch ein Werkzeug ersetzt werden, das dem Geschädigten nicht nur die Existenz sichert, sondern ihm auch das Gefühl wiedergibt, daß er ein wirkender, daß er ein freier, daß er ein auf eigene Verantwortung gestellter Mensch ist.
Was vor allem not tut, ist der Auftrag zur beruflichen Umschulung in viel stärkerem Maße, als das bisher geschehen ist. Die nicht zu entbehrenden Renten sollen eine ausreichende Höhe haben. Unnötige Rentenzahlungen — natürlich nicht die Ansprüche der staatlichen Rentenversicherung — sollten wegfallen, und die dadurch eingesparten Beträge sollten dem echten Rentner, dem bedürftigen Rentner als ausreichender Lebensunterhalt zukommen. Das Bedürfnis nach der Daseinssicherung — wir wollen es nicht ironisieren —, die durch die staatliche Sozialversicherung erstrebt wird, ist ebenso berechtigt wie das Bedürfnis des anderen Personenkreises, der sich durch Versicherung
und Kapitalansammlungsverträge gegen Lebensschicksalsschläge zu sichern versucht. Jeder, dem die eigene Gestaltung seines Schicksals zuzumuten ist, soll auch tatsächlich sein Schicksal selbst in die Hand nehmen und nicht die Gemeinschaft in Anspruch nehmen. Wir werden deshalb jeder Erhöhung der Versicherungspflichtgrenzen widersprechen.
Vielleicht darf ich unsere sozialen Ziele, unsere konkreten sozialen Ziele, noch in Schlagworten aufführen: klare Trennung zwischen Versicherung und Fürsorge, Vielgestaltigkeit unserer Versicherungsträger in der Sozialversicherung, Anwartschaftsdeckung in der Rentenversicherung, die Anrechnungsfreigrenzen bei Erwerbstätigkeit der Kriegsopfer und der Sozialrentner erhöhen, Altsparerentschädigung bessern, die Gläubiger von Anleihen aus öffentlicher Hand in gewissem Umfang entschädigen. Dazu gehört auch der Vollzug des Heimkehrerentschädigungsgesetzes, das noch der Promulgation durch das Kabinett bedarf. In gleicher Linie liegt der Schutz der alten Angestellten. Ich darf vielleicht von dieser Stelle aus einen Appell an die Wirtschaft, besonders an die großen Betriebe, richten, hier in der Sicherung der alten Angestellten eine eigene echte soziale Verpflichtung zu sehen.
Meine Damen und Herren, ich darf abschließen. Wir Freien Demokraten, wir sind hochmütige Leute.
Wir sind selbstbewußt. Daran können die Wahlergebnisse und können die Wahlrechte — mögen sie gestaltet werden, wie sie wollen — nichts ändern. Wir wissen: es gibt nur unseren , den liberalen Staat, es gibt nur unser, das liberale Recht, es gibt nur unsere, die liberale Wirtschaft, und nur in unserem, im liberalen Geiste wird sich Europa und wird sich die Welt ordnen lassen. In dieser Haltung nehmen wir teil an der Arbeit der Bundesregierung, die unser Vertrauen besitzt.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Eckhardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die politische Aufgabe besteht nicht eigentlich in einer Rückschau auf Erfolge oder auch Mißerfolge, sondern sie besteht für uns darin, die Deutschen der Bundesrepublik und darüber hinaus das gesamte deutsche Volk auf seinem Wege zum Frieden, zu der Sicherung seiner Rechte — der Sicherung der Rechte des gesamten Volkes nach außen und innen — und zu der Steigerung der sozialen Wohlfahrt fortzuführen. Es versteht sich, daß uns die Probleme und Belange der Opfer dieses Krieges insonderheit der Heimatvertriebenen, die Frage etwa der Möglichkeit einer technischen und materiellen Verbesserung des Lastenausgleichs und auch eine Entbürokratisierung aller dieser Dinge am Herzen liegen und daß uns weiter die Frage der Außenpolitik in besonderem Maße am Herzen liegt. Gerade aus diesem Grunde werden meine Freunde in der morgigen Debatte auf diese Fragen ausführlicher zu sprechen kommen.Wir sehen unsere Aufgabe darin, klare Fundamente für das Recht auf die Heimat und für das622.Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Oktober 1953
Selbstbestimmungsrecht zu errichten. In der praktischen Politik muß es darum gehen, auf friedlichem Wege die Möglichkeiten zu schaffen, daß diese Rechte auch verwirklicht, daß sie in Anspruch genommen werden können. Eine europäische Neuordnung wird nur möglich sein, wenn das Unrecht der Vertreibung wiedergutgemacht und wenn Vorsorge dafür getroffen wird, daß neuerliche Vertreibungen nicht mehr stattfinden können. In der Einengung, in der Verdrängung nationalstaatlichen Denkens bei den Bemühungen um die Neuordnung Europas sehen auch wir die Voraussetzung für ein gesundes künftiges Zusammenleben der Völker.Mir selber liegt es heute ob, zu dem Komplex von Fragen Stellung zu nehmen, die der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung als die Einheit von Sozial- und Wirtschafts- und Finanzpolitik mit Recht zusammengefaßt hat. Es geht hier eigentlich nicht nur um fachliche Fragen, nicht nur um die Belange eines besonderen Fachgebiets, sondern es geht um eine rechte und gerechte Ordnung des gesellschaftlichen Lebens unseres Volkes. Das bedeutet zunächst einmal eine stärkere Konkretisierung und eine bessere Realisierung der Grundrechte, die in unserer Verfassung, im Bonner Grundgesetz, niedergelegt sind. Auch Herr von Brentano hat an diese Grundrechte appelliert. Wir meinen, daß im Rahmen der Sozialpolitik, die wir zu treiben haben, das Naturrecht auf Arbeit, das den Angehörigen einer Schicksalsgemeinschaft wie unseres deutschen Volkes zusteht, besser und vollkommener verwirklicht werden muß.Ich möchte Ihnen dafür einige konkrete Beispiele geben. Die Opfer dieses Krieges, insbesondere die Heimatvertriebenen, sind bei weitem noch nicht in dem Maße eingegliedert, in dem sie dies nicht nur selbst wünschen, sondern in dem dies im allgemeinen Interesse unseres Volkes und auch unserer Wirtschaft gelegen ist. Ich möchte Sie nur darauf hinweisen, daß sich die soziale Struktur etwa der Heimatvertriebenen im Verhältnis zu früher wesentlich geändert hat und daß sich heute unter diesen Millionen nicht mehr 27 % selbständige Existenzen befinden, sondern nur noch 8 % Das ist sehr bedenklich; denn ich sehe- — wahrscheinlich mit einem großen Teil von Ihnen — in der Förderung dieser selbständigen Existenzen geradezu eine Grundbedingung für einen gerechten sozialen Aufbau und für die notwendige Erhöhung unseres Sozialproduktes. Von diesen Existenzen gehen die Impulse dazu aus, und hier liegt eine echte Verpflichtung für uns vor.Herr Dr. Dehler hat mit Recht schon darauf hingewiesen, daß für die älteren Angestellten und Arbeitnehmer gesorgt werden müsse. Ich fürchte nur, daß das nicht allein mit einem Appell an Organisationen, Verbände und Unternehmen geschehen kann,
sondern daß wir hier in Parlament und Regierung auch für diese Dinge werden sorgen müssen.Es scheint uns weiter wesentlich, die Frage der Berufsnot der Jugend zu behandeln, insbesondere den jugendlichen Arbeitslosen durch berufsbildende Maßnahmen an Arbeit und Beruf heranzuführen.Wir halten es weiter — um ein anderes konkretes Beispiel zu geben — für wichtig, daß für eine bessere und vollkommenere Gestaltung derArbeitsplätze für Kriegsversehrte dringend gesorgt wird. Das ist eine Ehrenpflicht für uns und unser Volk.Bezüglich der Probleme, die sich für die künftigen Maßnahmen auf dem Gebiet der Wohnungswirtschaft ergeben, möchten wir die Meinung aussprechen, daß man bei aller Anerkennung der Grundsätze der freien Wirtschaft und bei aller Anerkennung ihrer Erfolge auf diesem Gebiet doch sehr vorsichtig wird vorgehen müssen. Wir glauben auch, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung selbst zur Vorsicht auf diesem Wege gemahnt hat. Wir dürfen jedenfalls die Grundsätze der freien Wirtschaft auf diesem Gebiet nicht in schematisierender Weise zur Anwendung bringen.Eine andere Frage, die bisher nicht berührt worden ist, die aber gerade im Rahmen der gesellschaftlichen Neuordnung unseres Volkes von größter, von umfassender Bedeutung ist, ist die des Familienlastenausgleichs. Daß danach ein soziales, wirtschaftliches, ein ganz allgemeines Bedürfnis besteht, scheint uns auf der Hand zu liegen, und wir meinen, daß die Methoden, mit deren Hilfe dieser Familienlastenausgleich durchgeführt werden könnte, erst in zweiter Linie zur Debatte stehen. Vielleicht kann man, anstatt eine neue Apparatur aufzubauen, diesen Familienlastenausgleich zugleich mit einer Vereinfachung unseres steuerlichen Tarifwesens verbinden.Von allergrößter und umfassender Bedeutung, gerade im Hinblick auf die Zahl der Betroffenen, ist die Ordnung der Renten, insbesondere der Grundrenten im Rahmen des uns gegebenen Preisgefüges. Wir stellen uns vor, daß eine befriedigendere Anpassung der Renten aneinander, insbesondere in der Frage der Anrechnung der Renten, notwendig ist und im Volk als Bedürfnis empfunden wird.Schließlich möchten wir gerade im Rahmen dieser sozialen und gesellschaftlichen Forderungen auf eine Notwendigkeit hinweisen, die uns vom wirtschaftlichen und sozialen; aber gleichermaßen auch vom Gesichtspunkt des Rechts und der Rechtsidee bedeutsam erscheint; das ist die Notwendigkeit einer grundlegenden und umfassenden Reform unserer Sozialgesetzgebung, durch deren Gestrüpp sich kein gewöhnlicher Mensch, kaum ein Experte noch durchzufinden vermag.Mit einer solchen grundlegenden Vereinfachung könnten wir auch einen Beitrag zur Belebung der Wirtschaft leisten. Eine solche kann durch Vereinfachung, durch Beseitigung toter Kosten und dergleichen mehr erreicht werden. Wir könnten damit zu jener Belebung der Wirtschaft beitragen, die in einer Erhöhung des Sozialprodukts gipfelt und von der wir allein die Verwirklichung solcher sozialen und gesellschaftlichen Forderungen erhoffen können. Es kommt aber nicht allein auf die Erhöhung des Sozialprodukts an sich an. Auch die Schichtung des Volkseinkommens ist für unsere Wirtschaft wesentlich. Wir meinen, daß beide Ziele — eine gerechte Schichtung und eine Erhöhung des Sozialprodukts — durchaus erreicht werden können. Aber nicht durch Verstaatlichung! Auf keinem Gebiet wird die Verstaatlichung zu einer Erhöhung des Volkseinkommens, zu einer Erweiterung des Wirtschaftsvolumens und einer Verbesserung der sozialen Wohlfahrt beitragen. Wir sind vielmehr der Meinung, daß hier eine wirkliche
Reprivatisierung des öffentlichen Erwerbsvermögens Wesentliches zur Belebung und Auflockerung tun könnte und daß eine solche Reprivatisierung im Zuge der Zeit überhaupt unerläßlich ist.Wir meinen weiter, daß auch die Möglichkeiten des Kreditmarkts in besserem Maße ausgeschöpft werden müssen. In erster Linie müssen wohl den Betrieben des Mittelstandes bessere Kreditmöglichkeiten gegeben werden. Wir stimmen Dr. Dehler zu, der den Mittelstand besonders hoch gestellt hat. Dabei meinen wir mit dem Herrn Bundeskanzler, daß wir keineswegs von dem alten Begriff des Mittelstandes auszugehen haben, sondern daß der heutige Mittelstand nicht nur die gewerblichen Berufe umfaßt, sondern sich auf zahlreiche Berufsgruppen erstreckt, angefangen beim qualifizierten Arbeiter, beim Facharbeiter über den Angestellten und Gewerbetreibenden bis hin zu den Angehörigen der freien Berufe und der Wissenschaft. Dieser Mittelstand hat, wie man vielleicht sagen kann, die Funktion des sozialen Ausgleichs und überdies die historisch feststellbare Neigung zur Stetigkeit in der wirtschaftlichen, politischen und menschlichen Haltung überhaupt. Gerade darin sehen wir seine besondere staatspolitische Bedeutung. Wir halten eine ausgesprochene Förderung des Mittelstandes für notwendig und werden entsprechende Vorschläge auf dem Gebiet der Wirtschaft und der Steuerpolitik machen.Weiter glauben wir, daß die Erhöhung und gerechte Schichtung des Volkseinkommens auch durch Maßnahmen der Vorfinanzierung von Lastenausgleichsansprüchen einerseits, aber auch von Altspareransprüchen aus der Altsparerregelung auf der anderen Seite erreicht werden können. Eine solche Vorfinanzierung wirkte wirtschaftsbelebend und läge keineswegs nur im Interesse der davon betroffenen Gruppen, sondern im allgemeinen volkswirtschaftlichen Interesse. Überhaupt glaube ich sagen zu können, daß die echte Eingliederung der vom Kriege besonders betroffenen Betriebe, also in vorderster Linie der Heimatvertriebenen-Unternehmungen, eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit ist. Dazu bedarf es nicht zuletzt einer besseren finanziellen Untermauerung der Betriebe, heimatvertriebener Unternehmer, die bei weitem nicht die Kapitalausstattung haben, die sie nötig hätten, um auch nur einigermaßen krisenfest bestehen zu können. Das gilt nicht nur für die Heimatvertriebenen-Unternehmungen, es gilt darüber hinaus für alle die Betriebe und Unternehmungen, die neue Arbeitsplätze in der Wirtschaft schaffen. Diese Maßnahmen an sich genügen nicht. Ich habe nur ein paar konkrete Hinweise geben können.Wir sind uns klar, daß darüber hinaus ganz umfassende Maßnahmen als Aufgaben vor diesem Parlament stehen. Dazu gehört vielleicht mit in vorderster Linie die sogenannte große oder organische Steuerreform. Wir stellen uns vor, daß sie drei Aufgaben zu erfüllen haben würde. Einmal müßte sie durch eine Tarifsenkung, und zwar auch durch die Art die Tarifsenkung, auf der einen Seite zu einer Belebung der Wirtschaft, zur Erhöhung des Sozialprodukts, auf der andern Seite aber auch zu einer Steigerung der Masseneinkommen und ihrer Kaufkraft führen. Sie würde die weitere Aufgabe haben, die Steuern in organischer Weise an die Bedürfnisse der ges amten Volkswirtschaft anzupassen. Das ist heute bei weitem nicht der Fall. Damit verbindet sich die Forderung — ich möchtesagen, die erste Forderung einer solchen Reform — auf eine grundlegende Vereinfachung, eine Vereinfachung, die hier wie auf dem Gebiet des Lastenausgleichs und auf anderen Gebieten auch zu einer Entbürokratisierung führen muß.Das Steuerrecht ist heute ein ähnliches Gestrüpp wie das Recht der sozialen 'Gesetzgebung. Hier kommt die Rechtsidee, von der Herr Dr. Dehler so lebendig gesprochen hat, nach unserer Meinung nicht mehr zur Geltung. Rudolf von Ihering, der große Göttinger Jurist, hat sich vor mehr als hundert Jahren einmal dahin ausgesprochen, daß der moralische Wert der Gesetze in dem Maße herabsinke, wie ihre Zahl erhöht werde. Allein die Zahl der Gesetze auf diesem Gebiet ist unerträglich. Eine wesentliche Vereinfachung wäre sicherlich nicht nur am Platze, sondern 'auch möglich. Wir dienen mit einer solchen Vereinfachung nicht nur der Wirtschaft, wir dienen ganz allgemein dem Recht. Ein Gesetz muß echtes Recht enthalten und darf sich nicht mit einer Vielfalt von technischen Regelungen begnügen. So wie nach einer uralten Meinung — erlauben Sie mir, das einmal zu sagen — das Schöne dadurch zur Geltung kommt, daß es als das geistige Element durch die Materie hindurchleuchtet, so muß im einzelnen Gesetz die Kraft der Rechtsidee zum Ausdruck kommen und ihm dadurch moralische Kraft verleihen.
Wir sind aber weiter der Überzeugung, daß selbst ein so umfassendes Gesetzgebungswerk wie die geplante Steuerreform für sich allein nicht genügt. Sie bedarf, das wissen wir alle, der Verbindung mit einer Reform des Finanzausgleichs, d. h. der Neuordnung des Verhältnisses von Bund und Ländern. Bereits hier stecken erhebliche politische Gefahrenmomente. Aber darüber hinaus ist ja eine solche Steuerreform nur wirksam, wenn sie zugleich eine Finanzreform und außerdem eine Verwaltungsreform darstellt, eine Verwaltungsreform, die darauf 'abzielt, nicht Bürokraten und Techniker zur Durchführung von Gesetzen zu schaffen, sondern den guten Beamten zu fördern, in jenem guten und traditionsreichen Sinne, den wir gerade in Deutschland alle vor Augen haben und kennen.Und noch etwas mehr. Diese Reform, die wir als grundlegend betrachten für die Belebung, die Neuordnung unserer Wirtschaft und die Erhöhung des Volkseinkommens kann auch nicht an der Frage der Grundrechte und nicht an der Frage einer Ergänzung unseres Verfassungsrechts vorübergehen. Wir brauchen Finanzgrundrechte, die dem Staatsburger das Gefühl geben, daß er sich zum Staat in einem Verhältnis befindet, das den Regeln der Moral und der Verfassung unterliegt. Denn — und damit lassen Sie mich diese letzten Ausführungen zusammenfassen — der Staatsbürger wünscht sich seinen Staat nicht als ein anonymes Gebilde, nicht als ein Kolletiv, sondern er wünscht sich — wenn ich hier einen alten Ausspruch aus der Zeit des deutschen Idealismus gebrauchen darf — seinen Staat als eine moralische Anstalt, die dazu berufen ist, den Frieden, in erster Linie den sozialen Frieden, zu sichern und das Recht zu wahren.
Meine Damen und Heren! Nach den im Ältestenrat getroffenen Vereinbarungen darf ich Ihren Willen unterstellen, daß
wir an dieser Stelle die Aussprache über die Regierungserklärung unterbrechen und morgen weiterfahren.
Ich möchte Sie jedoch noch einen Augenblick um Ihre Aufmerksamkeit bitten. Zu Beginn der morgigen Sitzung wird der Sprecher des amerikanischen Repräsentantenhauses unser Gast sein und einige Worte an uns richten. Das dürfte das erste Mal in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus sein, daß der Sprecher des amerikanischen
Repräsentantenhauses im deutschen Parlament weilt. Ich möchte Sie auf die Wichtigkeit dieser Angelegenheit hinweisen und bitten, Ihre Dispositionen entsprechend zu treffen.
Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste die 5. Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 29. Oktober, 9 Uhr 30. Ich schließe ,die 4. Sitzung des Deutschen Bundestages.