Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion bedauert, daß die Mehrheit in diesem Hause in dieser Diskussion, der ersten großen politischen Diskussion im zweiten Bundestag, die Fortsetzung der guten Übung abgelehnt hat, nach dem Bundeskanzler zuerst die Opposition zu Wort kommen zu lassen und dann in eine wirkliche Debatte des Parlaments einzutreten.
Ich werde mich in meiner Rede heute morgen nur mit der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers beschäftigen, und meine Fraktion behält sich vor, auf die Ausführungen des Herren Kollegen von Brentano im weiteren Verlauf dieser Debatte einzugehen.
Nach unserem Grundgesetz liegt die letzte Entscheidung über die politische Führung der Bundesrepublik beim Volke selbst. Die Wahlen vom 6. September zum zweiten Deutschen Bundestag waren eine solche Entscheidung. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion respektiert diese Entscheidung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen,
wie sie auch durch die erneute Wahl Dr. Adenauers zum Bundeskanzler durch die Mehrheit dieses Hauses ihren Ausdruck gefunden haben.
Diese Feststellung schließt keine Billigung der Wahlkampfmethoden der Koalitionsparteien und
des Herrn Bundeskanzlers gegenüber der Sozialdemokratie ein.
Es bleibt auf diesem Gebiet noch einiges zu bereinigen; aber das wird an anderer Stelle geschehen.
Das Wahlresultat vom 6. September ist so bemerkenswert und in seinem Erfolg für die Partei des Herrn Bundeskanzlers so außergewöhnlich, daß eine sorgfältige Untersuchung für alle Beteiligten
— Koalition und Opposition — von großem Nutzen sein wird.
Ich halte es daher auch nicht für richtig, meine Damen und Herren, voreilig Schlüsse zu ziehen und Behauptungen aufzustellen, die einer genauen Nachprüfung der Unterlagen nicht standhalten. Das gilt z. B. für die Frage der Entscheidung der Jungwähler zwischen 21 und 29 Jahren. Wir haben in verschiedenen Gebieten der Bundesrepublik nach Altersgruppen getrennte Abstimmungen gehabt. Es liegen noch nicht alle Auswertungen dieser Abstimmungen vor; aber z. B. die Resultate in Hessen, in Bremen und Oberhausen, um nur einige zu nennen, zeigen, daß diese Jahrgänge sogar über den durchschnittlichen prozentualen Anteil der SPD hinaus sozialdemokratisch gewählt haben.
— Sie können diese Zahlen selbst nachlesen und die Richtigkeit dieser Behauptung dann bestätigen.
Der Ausfall der extremen Parteien auf der Rechten und auf der Linken wird von allen demokratischen Parteien begrüßt werden. Wir Sozialdemokraten teilen allerdings den Optimismus nicht, daß damit für alle Zukunft die Gefahren für eine friedliche und ungestörte Entwicklung der Demokratie in der Bundesrepublik gebannt sein werden.
Wir sind vor krisenhaften Zuspitzungen auf innen-und außenpolitischem Gebiet noch keineswegs sicher, und erst in einem solchen Fall wird sich erweisen, ob extreme Einflüsse von rechts und links auf die Dauer ihre Wirkungsmöglichkeit verloren haben.
Wir meinen auch, daß der Wahlausgang mit seiner Konzentration der Stimmen auf die traditionellen Parteigruppierungen noch kein Beweis dafür ist, daß die Wählerinnen und Wähler nun damit ihre endgültige politische Heimat gefunden haben. Vor allem erscheint es uns verfrüht, von einer zwangsläufigen und unvermeidlichen Entwicklung zu einem Zweiparteiensystem als einer feststehenden Tatsache zu sprechen.
Richtig ist dagegen, daß uns die jetzt gegebene Zusammensetzung des zweiten Bundestages in diesem Hause vor eine neue Situation und —wenn wir wollen — vor neue fruchtbare Möglichkeiten der Entwicklung eines gesunden demokratischen Parlamentarismus stellt. Wir können zu einer Normalisierung des Verhältnisses zwischen Regierung und Opposition kommen, und wir Sozialdemokraten sind bereit, dabei mitzuwirken.
Wir sitzen jetzt in diesem Hause auf der äußersten
Linken, aber wir haben nicht die Absicht, die destruktive, wenn auch manchmal unterhaltsame Rolle des Herrn Renner zu übernehmen.
Es wird ja auch wohl niemand in den Reihen der Koalitionsparteien sein, der bereit ist, hier Herrn Loritz nachzueifern.
Allerdings, an lebhaften Diskussionen und unterhaltenden Momenten wird es trotzdem nicht fehlen,
das kann ich Ihnen jedenfalls jetzt schon versprechen.
Im Ernst: für das normale Funktionieren der Demokratie hat uns die Bundestagswahl vorn 6. September eine Chance gegeben. Es liegt in der Natur der Sache, daß in der Ausnutzung dieser Chance die größere Verantwortung bei der Mehrheit dieses Hauses liegt,
und diese Verantwortung beginnt, meine Damen und Herren, mit der Anerkennung der Opposition als eines wesentlichen und unerläßlichen Bestandteils der parlamentarischen Demokratie.
Die erste Probe werden die nächsten Schritte bei der weiteren Konstituierung des Parlaments sein. Die Ausschüsse des Parlaments, die wir noch zu bilden haben, sind keine Hilfsorgane der Regierung oder der Parlamentsmehrheit.
Sie sind Organe des gesamten Parlaments. Die Besetzung der Leitung der Ausschüsse kann daher nur unter Berücksichtigung der Stärke der Fraktionen erfolgen, ohne Rücksicht darauf, ob sie zur Koalition oder zur Opposition gehören.
— Ich hoffe, ich hoffe! Ich habe Grund, diese Bemerkung zu machen.
Für uns hat daher die Regelung dieser Frage eine grundsätzliche Bedeutung, und ich möchte diesen Punkt deshalb mit allem Ernst unterstreichen.
Das zweite Kriterium wird für uns die Personalpolitik der Bundesministerien und der Bundesverwaltung sein.
Die politische oder gar die konfessionelle Zugehörigkeit eines Beamten, Angestellten und Arbeiters — die Loyalität zum Grundgesetz vorausgesetzt — darf bei der Einstellung, bei der Verwendung und bei der Beförderung keine Rolle spielen.
— Es scheint mir, daß ich mit dieser Bemerkung doch einen für Sie sehr interessanten Punkt getroffen habe.
Das Wesentliche ist die Stärkung und Förderung
eines demokratischen Staatsbewußtseins aller Träger und Mitarbeiter der Verwaltung der Bundesrepublik.
Meine Damen und Herren, wir haben mit Genugtuung von der wiederholten Erklärung des Herrn Bundeskanzlers Kenntnis genommen, daß sein Ziel eine Politik der Befriedung nach innen und außen sei. Wir wünschen, daß in diese Politik auch eingeschlossen wird die Respektierung der selbständigen und sachlichen Ordnung der Regierungsverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik nach den dort gegebenen Kräfteverhältnissen.
Die Bundesrepublik ist ein Bundesstaat. Wir Sozialdemokraten haben dem föderativen Charakter unseres Grundgesetzes zugestimmt; denn er entspricht unseren eigenen grundsätzlichen Vorstellungen
— mir ist Ihr Lachen außerordentlich interessant; denn ich wollte in meinem Manuskript etwas hinzufügen, weil ich vorausgesetzt habe, daß Sie den folgenden Tatbestand nicht kennen —, die wir bereits im Jahre 1947, also vor der Gründung der Bundesrepublik, beschlossen haben.
Das Wahlresultat vom 6. September autorisiert niemand zu Gleichschaltungsversuchen bei den Länderregierungen.
Solche Versuche gefährden das Vertrauen in die demokratischen Absichten der neuen Mehrheit und ihrer Regierung. Wir bedauern unter diesem Gesichtspunkt und vor allem im Hinblick auf die außergewöhnliche Lage von Berlin die in der vorigen Woche in Berlin vorgenommene Wahl des neuen Regierenden Bürgermeisters.
In dieser Lage hätte das Recht der weitaus stärksten Fraktion, auch den neuen Regierenden Bürgermeister zu stellen, nicht bestritten werden dürfen,
zumal die persönliche und sachliche Qualifikation des sozialdemokratischen Kandidaten von keiner Seite bestritten worden ist.
Es ist mehr als peinlich, diese Erfahrung so kurze Zeit nach den unvergeßlichen Trauerkundgebungen für Ernst Reuter machen zu müssen.
Wir bedauern auch das Eingreifen des Herrn Bundeskanzlers in den Hamburger Wahlkampf mit der Begründung, es komme darauf an, die drei Hamburger Stimmen im Bundesrat auf die Seite der Regierung zu bringen.
In Hamburg steht die zukünftige Verwaltung dieser größten Stadt der Bundesrepublik zur Entscheidung. Auch hier werden die großen Leistungen
des jetzigen Senats unter Führung von Bürgermeister Brauer nicht bestritten, abgesehen von der indiskutablen Wahlpropaganda des „Hanseaten", des Wahlblocks.
Es muß der Eindruck entstehen, daß der Bundesregierung und den Koalitionsparteien die politische Gleichschaltung der Hansestadt mit Bonn höher steht als die Entscheidung der Hamburger Bevölkerung über die sachlichen Leistungen der bisherigen Hamburger Stadtregierung.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort über das Verhältnis der Bundesregierung zu den freien Organisationen und Verbänden in der Bundesrepublik. Wir nehmen die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers zur Kenntnis, daß die Bundesregierung die Unabhängigkeit der Gewerkschaften anerkennt. Es bleibt aber noch ein Punkt offen, den ich aus grundsätzlichen Erwägungen nicht unerwähnt lassen möchte. Freie Organisationen wie die Gewerkschaften, deren Loyalität zur Bundesrepublik außer jedem Zweifel steht,
— deren Loyalität zur Bundesrepublik außer jedem Zweifel steht,
sind in ihren Entscheidungen über ihre Führung und über ihre Arbeit n u r an die Willenskundgebungen ihrer Mitglieder in den in den Satzungen festgelegten Körperschaften gebunden, und jede Intervention von außen ist ein Verstoß gegen den Geist unserer demokratischen Grundordnung.
Wir hoffen, daß die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers auch these Seite des Problems einschließt.
— „Einschließt" hatte ich gesagt.
Aber hinter dieser Frage steht ein anderes ernstes Problem. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Rede leider überhaupt nichts über die innenpolitischen Absichten seiner Regierung im eigentlichen Sinne gesagt. Sie wissen, daß die Öffentlichkeit des In- und Auslandes über die angeblichen Pläne der neuen Bundesregierung in bezug auf die Schaffung eines sogenannten Informationsministeriums tief beunruhigt war. Der Herr Bundeskanzler hat solche Absichten dementiert; aber leider fehlt in seiner Regierungserklärung jedes Wort über diesen Punkt. Wir haben auch nichts über die Pläne der Regierung in bezug auf die gesetzliche Regelung z. B. des Rundfunk- und Pressewesens gehört. Ich befürchte, dieses Schweigen ist kein Zufall; auf uns wirkt es beunruhigend.
Das Leben in der Demokratie besteht ja nicht nur aus der Regelung der wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen ihrer Bürger; im Gegenteil, das Wesentliche ist der Mensch, die Sicherung seiner persönlichen Freiheit, der Freiheit des Wortes und der Information, die Sicherung seines geistigen und religiösen Lebens vor jedem Zwang und vor
jeder Vorherrschaft einer politischen Auffassung oder eines religiösen Bekenntnisses.
Erst die Erhaltung und die Pflege dieser Freiheiten macht den vollen Wert und die wirkliche Überlegenheit der Demokratie gegenüber jedem andern Herrschaftssystem aus.
Meine Damen und Herren, es ist eine tiefe Unruhe im Volk,
daß diese Freiheiten im Gefolge der neuen Machtverteilung im neuen Bundestag gefährdet werden könnten.
Es besteht die Sorge, daß hinter dem Streit um die Konfession des immer noch nicht vorhandenen Herrn Postministers mehr steht als ein interner Koalitionskonflikt um die Zahl der Ministersitze.
Wir Sozialdemokraten machen uns hier zum Sprecher dieser Besorgten, wo immer sie politisch stehen mögen. Eine Demokratie, die versuchen wollte, mit gesetzlichen Maßnahmen und behördlichen Einrichtungen das geistige und kulturelle Leben des Volkes zu dirigieren oder im Sinne einer bestimmten Politik oder Konfession zu lenken und zu beherrschen, zerstört ihre geistigen und ethischen Grundlagen.
Die Demokratie kann nur leben im Geiste der Toleranz und im Geiste der Freiheit, nicht nur nach außen, sondern vor allem auch im Innern.
Es ist der Wunsch der sozialdemokratischen Fraktion, daß die diesen Bemerkungen zugrunde liegende Sorge über autoritative Tendenzen und Aktionen sich bald als gegenstandslos erweisen wird. Wenn wir sie hier zu Beginn zum Ausdruck gebracht haben, dann auch deshalb, weil der Herr Bundeskanzler bei den Verhandlungen über die Regierungsbildung so großes Gewicht darauf gelegt hat, seiner neuen Regierung eine verfassungändernde Mehrheit zu sichern. Soweit es sich dabei um die Verfassungsergänzung im Zusammenhang mit den Verträgen handelt, ist dieses Bemühen verständlich. Wir hoffen aber sehr, daß nicht weitere wesentliche Verfassungsänderungen oder wesentliche Gesetzesänderungen, die entscheidende Institutionen der Demokratie und der Bundesrepublik betreffen — vor allem in bezug auf die innere demokratische Ordnung der Bundesrepublik —, in Aussicht genommen worden sind.
Sollte das der Fall sein, dann möchten wir jetzt darauf hinweisen, daß die sozialdemokratische Opposition in diesem Hause eine der entscheidenden verfassungtragenden Parteien repräsentiert.
— Selbstverständlich, denn das Grundgesetz ist das Resultat einer gemeinsamen positiven Entscheidung eines Teils der heutigen Koalition und der Sozialdemokratie.
Ich möchte sagen, daß jeder Versuch, solche Verfassungsänderungen ohne oder gegen die Sozialdemokratie herbeizuführen, eine sehr ernste Lage schaffen würde.
Bevor ich mich nun im einzelnen mit dem Inhalt der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers auseinandersetze, möchte ich noch eine Bernerkung von allgemeiner Bedeutung vorausschicken. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung wiederholt vom deutschen Volk und von Deutschland gesprochen. Die Tatsache, daß ,die Wiedervereinigung Deutschlands noch als Aufgabe vor uns liegt, schließt in sich, daß wir hier uns des besonderen und vor allem im Hinblick auf die Wiederherstellung der Einheit unseres Vaterlandes provisorischen Charakters der Bundesrepublik Deutschland immer bewußt bleiben müssen.
Wir wünschen, daß in ,den Stahl- und Betonbauten der Bundesministerien, die jetzt hier „provisorisch" errichtet werden,
das Bewußtsein immer lebendig ist, daß die große nationale Aufgabe der Vereinigung und der Neugestaltung des ganzen Deutschlands noch vor uns liegt und daß wir sie dann von der Hauptstadt Berlin in Angriff nehmen wollen.
Der Herr Bundeskanzler hat nun seine Regierungserklärung im Namen seines neuen Kabinetts abgegeben. Diese neue Regierung ist zweifellos anders zustande gekommen und anders zusammengesetzt, als die Wähler es sich nach dem eindeutigen Wahlausgang vorgestellt hatten. Die Verhandlungen waren deprimierend langwierig, und das Ende war die Bildung eines Mammutkabinetts. Dabei wissen wir heute noch nicht einmal, ob die obere Grenze überhaupt schon erreicht ist.
Die Gründe, die der Herr Bundeskanzler für die Erweiterung des Kabinetts angeführt hat, sind nicht überzeugend.
Die Bestellung von vier Ministern für besondere Aufgaben, die nach der Mitteilung des Herrn Bundeskanzlers die Aufgabe haben sollen — trotz seiner Erfahrungen mit seinen Sprechministern
die Politik der Regierung öffentlich zu vertreten,
ist sachlich nicht vertretbar. Sie steht auch im direkten Widerspruch zu der immer wieder geforderten Sparsamkeit in der Verwaltung.
In Wirklichkeit ist ja auch die Kabinettsbildung nicht in erster Linie von der sachlichen Aufgabenseite her bestimmt worden, sondern von dem Bedürfnis, die Ansprüche der verschiedenen Fraktionen der Koalition auf einer möglichst breiten Basis zu befriedigen.
Man hat nach dem 6. September in großen Worten
die Eindeutigkeit und Geschlossenheit der Entscheidung dieser Wahl geprisen. Aber als es
darum ging, dieses Resultat auf die neue Regierung zu übertragen, da erzwangen nicht nur politische und Interessengegensätze die inflationistische Erweiterung des Kabinetts, sondern die konfessionelle Zusammensetzung der höchsten politischen Körperschaft der Bundesrepublik wurde zum öffentlichen Streitgegenstand.
Den Schaden, den das Ansehen der Regierung dabei erlitten hat, hat sie selber zu verantworten.
Was wir bedauern, ist, daß in dieser Weise konfessionelle Überzeugungen zum Gegenstand eines offenen politischen Machtkampfes gemacht worden sind.
Meine Damen und Herren, von der Sache her hat diese Regierung sechs Minister zuviel und einen zuwenig.
Die Tatsache, daß die zweite Regierung Adenauer ihre Tätigkeit auch wieder ohne einen Außenminister beginnt, ist eine ihrer entscheidenden Schwächen. Vor der Wahl gab es auch in den Reihen der Koalition sehr ernsthafte Stimmen für die endliche Besetzung des Postens eines Außenministers, und bei der Bedeutung der Außenpolitik für das Schicksal der Bundesrepublik angesichts des Anwachsens der Aufgaben auf diesem Gebiete kann über die sachliche Notwendigkeit eines Außenministers überhaupt nicht gestritten werden.
— Vielleicht kommen Sie damit in Ihrer Fraktion durch, aber nicht hier in diesem Hause.
Trotzdem ist diese Besetzung wiederum nicht erfolgt, und das Haus hat darüber vom Herrn Bundeskanzler auch keine Erklärung erhalten. Die Forderung der Sozialdemokratie ist hier: unverzügliche Besetzung dieses wichtigen Amtes.
Und nun, meine Damen und Herren, zum Inhalt der Regierungserklärung selbst. Sie werden verstehen, daß der Opposition daran liegt, bei dieser ersten Stellungnahme zum Programm der Regierung hier auch ihre Position in den wichtigsten Fragen zu präzisieren, weil ja schließlich diese Auseinandersetzung die Grundlage für die parlamentarische Arbeit in diesem Hause bieten soll und weil es uns nützlich erscheint, die Positionen der beiden Hauptgruppen in diesem Parlament von Beginn an möglichst klar und konkret festzulegen. Aus diesem Grunde bitte ich Sie um Geduld, wenn ich hier jetzt auf gewisse wesentliche Einzelpartien der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers eingehe.
Mit Recht hat der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung den innenpolitischen Aufgaben einen breiten Raum eingeräumt. Denn die Schaffung einer Ordnung, die allen Bürgern der Bundesrepublik die demokratischen Grundrechte sichert und ihnen ein Leben ohne Furcht vor Not ermöglicht, ist die vordringliche Aufgabe des neuen Bundestags.
Wir begrüßen es, daß der Herr Bundeskanzler den Grundsatz der Verbundenheit von Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik aufgestellt hat. Er entspricht einem alten sozialdemokratischen Grundsatz.
Die Schwierigkeiten bei der Durchführung dieses Grundsatzes werden daher in erster Linie in der Regierung selbst und in der Koalition entstehen. Eine fruchtbare Debatte über diese zentrale Frage wird aber erst dann möglich sein, wenn die Regierung und die Koalition damit aufhören, über den Gegensatz zwischen Regierung und Opposition auf der Basis soziale Marktwirtschaft gegen Planwirtschaft zu diskutieren.
Der Herr Bundeskanzler hat wiederum das Schlagwort von der sozialen Marktwirtschaft zur Grundlage seiner Regierungserklärung und damit der Regierungspolitik der nächsten vier Jahre gemacht. Wir wollen mit dem Herrn Bundeskanzler nicht darüber rechten, ob ein solches buntschillerndes Schlagwort eine genügend tragfähige Grundlage für die Wirtschaftspolitik der deutschen Bundesrepublik ist. Es erscheint uns jedoch bemerkenswert, daß nach Auffassung des Herrn Bundeskanzlers die Entscheidung, ob soziale Marktwirtschaft oder Planwirtschaft, zugleich die Entscheidung der Frage war, ob eine Regierung unter Einschluß der Sozialdemokratie zu bilden sei oder nicht. Damit wird der Eindruck erweckt, als ob die Regierungskoalition grundsätzlich eine Politik der freien Markt- und Wettbewerbswirtschaft verfechte und eine planmäßige Beeinflussung des Wirtschaftsablaufs durch wirtschaftspolitische Maßnahmen ablehne, während die Sozialdemokratie grundsätzlich die Politik einer Plan- oder gar Zwangswirtschaft befürworte und den freien Wettbewerb beseitigen wolle. Das entspricht nicht den Tatsachen.
In der Wirklichkeit gibt es viele Bereiche, in denen die Marktwirtschaft nicht funktionieren kann.
In Zusammenhang mit dieser unzutreffenden Gegenüberstellung von Marktwirtschaft und Planwirtschaft steht die Feststellung des Herrn Bundeskanzlers, daß die Freiheit in der sozialen Marktwirtschaft auch die Freiheit vor Gruppeninteressen bedeute. Es erscheint mir außerordentlich bezeichnend, daß zu dieser Feststellung des Herrn Bundeskanzlers ausgerechnet die Vertreter der Gruppeninteressen innerhalb der Koalition lebhaft Beifall klatschten.
Die Sozialdemokratie weiß, daß eine nachhaltige Verbesserung der sozialen Verhältnisse insbesondere der breiten Schichten der Bevölkerung letzten Endes nur möglich ist durch eine Vergrößerung des Sozialprodukts. Sie ist daher Anhänger einer planmäßigen wirtschaftlichen Expansionspolitik.
In der heutigen Situation wird der Ansatzpunkt für eine solche Ausweitung in erster Linie auf dem Gebiet der Konsumgüterindustrie liegen müssen. Die Sozialdemokratie legt jedoch Wert darauf, daß sie nicht nur die gehobenen Konsumgüter, sondern insbesondere auch die Massenkonsumgüter erfaßt. Die Bemühungen um eine Vergrößerung des
Sozialprodukts auf dem Konsumgütergebiet verlangen unter den heutigen Verhältnissen entsprechende investitionsfördernde Maßnahmen in dieser Industrie. Die erforderliche Stabilität der Wirtschaft kann daher nur durch ein harmonisches Entwicklungsverhältnis von Konsumgüter- und Investitionsgüterindustrie erreicht werden. Hierzu bedarf es des konstruktiven Einsatzes der wirtschaftspolitischen Mittel, die der Bundesregierung zur Verfügung stehen.
Wir begrüßen es ganz besonders, daß dieser Tatbestand nunmehr auch durch die Hohe Behörde und den Ministerrat der Montan-Union anerkannt worden ist, indem sie sich für eine gemeinsame Investitionspolitik aller Länder der Montan-Union ausgesprochen haben, um den allgemeinen Verbrauch — wie es heißt — und insbesondere den der öffentlichen Dienste gleichmäßig zu gestalten oder zu beeinflussen und um diese allgemeine Entwicklung und die Programme der Hohen Behörde aufeinander abzustimmen. Damit hat die Hohe Behörde eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß die Steigerung des Sozialprodukts von einer planmäßigen Koordinierung der Investitionspolitik in allen beteiligten Ländern und in allen beteiligten Wirtschaftszweigen abhängig ist. Wir haben uns besonders gefreut, daß dieser Beschluß mit Zustimmung des Herrn Bundeswirtschaftsministers Professor Erhard gefaßt worden ist.
Damit komme ich zum Kernpunkt dieser Auseinandersetzung. Wir erschweren jede ernsthafte Diskussion über zweckmäßige Maßnahmen der Wirtschaftspolitik, wenn wir so tun, als ob man die Wirtschaft nach gewissen weltanschaulich bestimmten Prinzipien — hie freie Marktwirtschaft, hie Planwirtschaft — betreiben könne.
Die Wirtschaft der modernen Industriestaaten ist so kompliziert und so differenziert, daß man ihr mit einseitigen Prinzipien und Schlagworten nicht gerecht wird.
— Ich will Sie in Ihrer Freude nicht stören, ehe ich den nächsten Satz lese. — Es ist unzutreffend, wenn behauptet wird, die Sozialdemokratie sei Anhänger der Planwirtschaft
und damit Gegner des freien Wettbewerbs.
— Meine Damen und Herren, ich bin sehr überrascht über diese Reaktion
und ich freue mich, daß ich diese Bemerkung jetzt gemacht habe. Denn im Grunde ist alles das, was ich hier sage, zum letzten Male in dem Aktionsprogramm der Sozialdemokratie formuliert,
das wir vor einem Jahr beschlossen haben. Es tut mir leid, wenn ich das hier nicht als bekannt voraussetzen kann.
Die Sozialdemokratie weiß, daß ein echter Leistungswettbewerb in weiten dafür geeigneten Wirtschaftszweigen von entscheidender Bedeutung für die freie Konsumwahl des Verbrauchers bei angemessenen Preisen und für die Entfaltung einer gesunden Unternehmerinitiative ist.
Es handelt sich hier um sehr große und entscheidende Wirtschaftsbereiche, zu denen insbesondere die gesamte kleinere und mittlere Industrie und das Handwerk gehören. Die Sozialdemokratie fordert daher wirksame Maßnahmen zur Sicherung dieses Wettbewerbs, die gleichzeitig der Steigerung der Produktivität und der Ausdehnung unserer Wirtschaft dienen müssen. Insbesondere für eine Regierung, die die Marktwirtschaft zum Angelpunkt ihrer gesamten Wirtschaftspolitik machen will, müßte die Sicherung des Wettbewerbs durch eine gesetzliche Ordnung von entscheidender Bedeutung sein.
Wir begnügen uns mit der Feststellung, daß die Bundesregierung das Kartellgesetz gegenüber den Interessentengruppen bisher nicht hat durchsetzen können,
obwohl der Herr Bundeswirtschaftsminister mehrfach erklärt hat, daß ein Kartellgesetz eine unverzichtbare Voraussetzung für das Funktionieren der sogenannten sozialen Marktwirtschaft sei.
Wir haben auch mit Erstaunen festgestellt, daß das Kartellgesetz in der Regierungserklärung nicht mit einem Wort erwähnt worden ist.
In diesem Zusammenhang darf ich auch darauf hinweisen, daß sich in der Montanwirtschaft die Interessen der Großaktionäre in Zusammenarbeit mit den alliierten Besatzungsbehörden bei der Durchführung des Aktienumtausches in einer Weise durchsetzen, die weder gesamtwirtschaftlichen Interessen noch den Interessen der zahllosen Klein- und Mittelaktionäre entspricht.
Meine Damen und Herren! Das Schwergewicht der in der Regierungskoalition wirksamen Interessen hat den Herrn Bundeskanzler offenbar auch veranlaßt, die Forderung nach einer Neuordnung der Besitzverhältnisse in den Grundstoffindustrien, die ein wesentlicher Gesichtspunkt seiner Regierungserklärung vom September 1949 war, diesmal fallenzulassen.
Dabei haben die Umgestaltung der deutschen Eisen-und Stahlindustrie auf Grund alliierter Gesetze und der Verzicht auf eine zielbewußte Investitionspolitik die Leistungsfähigkeit dieses Industriezweiges und auch des deutschen Kohlenbergbaus gegenüber der anderer Mitglieder der Montan-Union auf diesem Sektor stark herabgemindert. Der Aktienumtausch, den ich schon erwähnte, hat Folgen, die gesamtwirtschaftlich unerwünscht sind. Und wenn Sie alle anderen Gründe für eine Neuordnung nicht akzeptieren, meine Damen und Herren — die Neuordnung der Besitzverhältnisse in
den Grundstoffindustrien ist deshalb heute dringender als je, auch schon um nur ihre Leistungsfähigkeit derjenigen der übrigen Montanländer anzupassen.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang einige Bemerkungen über die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand. Sie ist in den letzten Wochen vor der Wahl und auch nach der Wahl Gegenstand zahlreicher offizieller und inoffizieller Äußerungen gewesen. In den letzten Wochen vor der Wahl wurden die der Bundesregierung nahestehenden politischen und wirtschaftlichen Gruppen nicht müde, eine umfangreiche Reprivatisierung von Bundesunternehmungen zu verlangen. Der Herr Bundesfinanz-minister dagegen hat sich persönlich kurz vor dem Wahltag in das Volkswagenwerk bemüht, um dort zu verkünden, daß die Bundesregierung keinesfalls eine Überführung des Volkswagenwerks in private Hände vorschlagen werde.
Nach der Wahl haben zuständige Wirtschaftskreise den Kanzler darüber unterrichtet, daß die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand beschränkt und bereinigt werden müßte,
die Forderung nach Überführung von Betrieben
der öffentlichen Hand in Privatbesitz dürfe nach
diesem Wahlausgang nicht unverwirklicht bleiben.
Der jetzige Herr Bundesminister Preusker hat nach einer Meldung der „Welt" vom 13. Oktober auf der Jahresversammlung des deutschen Kraftfahrzeughandwerks im Gegensatz zu der Äußerung seines Kollegen, des Herrn Bundesfinanzministers, erklärt, er und seine Freunde würden nicht eher ruhen, als bis das Volkswagenwerk in private Hände übergeführt worden sei.
Inzwischen geht das Trommelfeuer der privaten Interessentengruppen gegen die öffentlichen Betriebe weiter. Am 16. Oktober hat der Generaldirektor der Gutehoffnungshütte, Herr Dr. Reusch, nunmehr auch die Reprivatisierung der großen Energieversorgungsunternehmungen verlangt.
Bei dieser Verworrenheit der Meinungen innerhalb der Bundesregierung und der hinter ihr stehenden Kreise überrascht es nicht, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand mit keinem Wort erwähnt hat. Die Öffentlichkeit hat jedoch ein Anrecht darauf, die Auffassung der Bundesregierung über diese wichtige Frage kennenzulernen.
Die Betätigung der öffentlichen Hand in der Wirtschaft ist nicht eine Angelegenheit der Hortung von Sachvermögen, sondern ein Mittel der Wirtschaftspolitik. Soweit eine wirtschaftspolitische Einflußnahme auf dem Wege über die Beteiligung an wirtschaftlichen Unternehmungen im Allgemeininteresse liegt, soll und muß sie erfolgen. Das gilt insbesondere auch für die Fälle, in denen
Bundesunternehmungen gegenüber entgegenstehenden Interessen starker, marktbeherrschender Unternehmungen preissenkend und damit preisregulierend wirken können. Dagegen ist sie überall dort abzulehnen, wo sie keine wirtschaftspolitische Bedeutung hat. Insbesondere ist es nicht die Aufgabe des Staates, verlustbringende Unternehmungen zu übernehmen, sie durch Zuführung öffentlicher Mittel zu sanieren und anschließend als gesunde Unternehmungen wieder der privaten Hand zurückzugeben.
Diese Sozialisierung der Verluste und Reprivatisierung der gewinnbringenden Unternehmungen mag sehr gewichtigen Interessenwünschen entsprechen. Sie ist jedoch genau das Gegenteil einer Wirtschaftspolitik, die den Gesamtinteressen dient.
In den vergangenen Jahrzehnten hat die öffentliche Hand vor allem auf dem Gebiet des Verkehrs, des Bergbaus und der Energiewirtschaft über öffentliche Unternehmungen einen sehr gesunden Einfluß ausgeübt. Der Bundesbesitz im Verkehr, in der Grundstoffindustrie und in der Energiewirtschaft darf daher aus gesamtwirtschaftlichen Gründen nicht angetastet werden.
Dringend erforderlich ist nach unserer Auffassung eine Neuordnung des Bundesvermögens in all den Details, die zu diesem Kapitel gehören. Die Sozialdemokratie erwartet, daß auch diese Aufgabe nunmehr endlich in Angriff genommen wird.
Auf dem Gebiet der Außenwirtschaft werden wir, wie bisher, die Regierung in ihrem Bemühen, den Außenhandel auszuweiten und ihn von allen kleinlichen Beschränkungen zu befreien, unterstützen. Wir wünschen aber eine Präzisierung dieses Programms in mehreren Punkten, in denen die tste Bundesregierung unsere Erwartungen nicht erfüllt hat. Im Gegensatz zu der aus sechs Ländern bestehenden Montan-Union liegt die Bedeutung des Europäischen Wirtschaftsrats in seiner größeren Ländergemeinschaft — es sind nämlich 18 anstatt nur 6 Länder — und seiner- umfassenderen wirtschaftlichen Verantwortung für die Entwicklung der Gesamtwirtschaft, nicht nur der Kohle- und Stahlindustrie. Wir fragen deshalb: Ist die Bundesregierung bereit, dem Europäischen Wirtschaftsrat, OEEC, künftig ebensoviel Bedeutung beizumessen, wie sie es in der Vergangenheit gegenüber der Montan-Union getan hat? Weiter: Ist die Bundesregierung bereit, im Europäischen Wirtschaftsrat dafür einzutreten, daß internationale Maßnahmen getroffen werden, um die lebensnotwendige Produktionssteigerung von 5 % jährlich für alle beteiligten Länder sicherzustellen?
Wir begrüßen die Ankündigung der Regierung, die mittleren und kleineren Betriebe mehr als bisher zum Export heranzuziehen. Aber wir fragen: Welche neuen Maßnahmen will die Regierung treffen, um dieses wichtige Ziel zu verwirklichen? Meine Damen und Herren, wir wünschen auch, daß auf diesem Gebiet die Notwendigkeit für die Stadt Berlin, zu exportieren, mehr als bisher berücksichtigt wird.
Wir bedauern, daß uns auch die Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers über die Verkehrspolitik seiner Regierung nicht befriedigt hat. Die Ver-
kehrswirtschaft gehört zu den wichtigsten Voraussetzungen einer blühenden Volkswirtschaft. Ihr gegenüber hat aber die Bundesregierung bisher so gut wie alles versäumt. Die Krise der Bundesbahn, ja die sichtbare Krise der deutschen Verkehrswirtschaft ist ein latenter Krisenherd für die gesamte Volkswirtschaft. Jahr für Jahr ist die ruinöse Konkurrenz zwischen den Trägern des Binnenverkehrs gesteigert worden. Jetzt kann die Bundesbahn aus eigener Kraft nicht mehr Lohn und Gehalt zahlen. Obwohl sie immer noch 60% der inneren Verkehrsleistungen vollbringt, wird sie ihren volkswirtschaftlichen Verpflichtungen nicht mehr gerecht. Wir sind der Meinung, daß die Bundesbahn von den politischen Lasten befreit werden muß. Sie braucht ein Finanzierungsprogramm zur Beseitigung noch bestehender Kriegsschäden und für den Nachholbedarf.
Es scheint uns auch notwendig, daß die Finanzierungsprobleme in bezug auf Straßenbahn und andere Verkehrsträger ebenfalls von der Bundesregierung untersucht und angepackt werden.
Außerdem scheint uns ein völliger Umbau der Steuergesetzgebung im Verkehrswesen erforderlich. Die bisherige Bundesregierung hat zwar die Motorisierung mit steuerlichen Maßnahmen vorangetrieben, aber sie hat den Ausbau des überbeanspruchten Straßennetzes und seine Instandhaltung in unverantwortlicher Weise vernachlässigt.
Die Lücken im Autobahnnetz müssen schnellstens geschlossen werden.
Es muß weiter gefördert werden der Wiederaufbau der deutschen Handelsflotte. Aber wichtig ist auch die Modernisierung der Binnenschiffahrtsflotte. Und schließlich hoffen wir, daß die Regierung durch Verhandlungen erreicht, daß die überholten besatzungsrechtlichen Hindernisse für die deutsche Zivilluftfahrt auf dem Wege der Verständigung endlich aus der Welt geschafft werden.
Meine Damen und Herren! Im Bereich der Agrarpolitik ist es bedauerlich, daß die Regierungspraxis weit hinter dem zurückgeblieben ist, was von allen Seiten als richtig und notwendig anerkannt war. Die Sozialdemokratie bekennt sich unverändert zu einer Agrarpolitik, die der Landwirtschaft hilft, ihre wirtschaftlichen Leistungen ständig zu erhöhen. Nur auf diesem Wege ist eine bessere Ernährung des Volkes, ist eine bessere Ordnung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der auf dem Lande arbeitenden Menschen zu erreichen.
Die Sozialdemokratie bekennt sich zum bäuerlichen Privateigentum an Grund und Boden. Die besonderen Aufgaben der deutschen Landwirtschaft in unserer Zeit, Veredlungswirtschaft im Wettbewerb mit anderen Erzeugungsgebieten auf einem gemeinsamen europäischen Markt, können überhaupt nur gelöst werden, wenn das Eigentum am Boden die Grundlage wirtschaftlicher und sozialer Freiheit ist, indem der Ertrag der landwirtschaftlichen Arbeit ungeschmälert denen zukommt, die diese Arbeit tatsächlich leisten.
Darum fordert die sozialdemokratische Fraktion von der Agrarpolitik und insbesondere von der Bodenpolitik die Vermehrung der lebensfähigen bäuerlichen Familienbetriebe und eine aktive Siedlungspolitik unter besonderer Berücksichtigung der heimatvertriebenen Landwirte. Gerade weil sich die der Landwirtschaft zur Verfügung stehende Bodenfläche aus den bekannten Gründen ständig vermindert, muß alles getan werden, damit diejenigen zum Zuge kommen, die im Sinne einer besseren volkswirtschaftlichen Leistung die besseren Wirte sind.
Der Herr Bundeskanzler hat davon gesprochen, daß auch unsere Landwirtschaft in gemessener Zeit vor der Tatsache des gemeinsamen europäischen Marktes stehen wird. Nun weiß aber jeder, daß das Modell der Montan-Union für die Landwirtschaft nicht geeignet ist.
Deshalb wäre uns eine klare Absage lieber gewesen. Die Landwirtschaft darf nicht noch mehr den Folgen außenpolitischer Experimente ausgesetzt werden.
Gerade wenn man aber eine gesunde wirtschaftliche Zusammenarbeit der europäischen Völker will, muß man es auf das tiefste bedauern, daß während der letzten vier Jahre alle Maßnahmen zur nachhaltigen Förderung und strukturellen Verbesserung unserer Landwirtschaft auf das sträflichste vernachlässigt worden sind.
Aus dem Katalog dieser Maßnahmen hat der Herr Bundeskanzler unter besonderer Betonung der Kleinbauern die Flurbereinigung genannt. Damit ist aber nichts getan, wenn man an Stelle der erforderlichen Mittel immer nur einen Erinnerungsposten in den Haushaltsplan einstellt.
Da wir keine großen Hoffnungen haben, daß sich das im Laufe der nächsten Jahre ändern wird, werden wir uns mit um so größerem Nachdruck für die Bereitstellung der Beträge einsetzen, die für die wirksame Ergänzung der eigenen Anstrengungen unserer Bauern nun einmal aufgebracht werden müssen.
Meine Damen und Herren! Wenn die Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft eingestandenermaßen mehr und mehr darunter leidet, daß die Kosten ihrer Produktionsmittel, die sie von der Industrie kaufen muß, viel schneller steigen als ihre eigenen Einnahmen, dann ist es völlig unzureichend, wenn der Herr Bundeskanzler sich und andere mit der Hoffnung tröstet, daß aus den Verhandlungen zwischen den Spitzenverbänden der Industrie und der Landwirtschaft sozusagen von selber eine Besserung dieses bedrohlichen Zustandes hervorgehen wird. Gerade unter dieser berüchtigten Preisschere leidet die Rationalisierung und die Intensivierung der Landwirtschaft, und weil es nicht stimmt, daß, wie der Herr Bundeskanzler behauptet hat, der Wiederaufbau des Produktionsapparates als beendet angesehen werden kann — in manchen Gegenden sind noch nicht einmal die direkten Kriegszerstörungen beseitigt —, muß man sich hier schon zu wirksamen Maßnahmen einer aktiven Agrarpolitik aufschwingen, wenn tatsächlich etwas erreicht werden soll.
Meine Damen und Herren! Ich habe schon unsere positive Einstellung gegenüber der Erklärung der
Bundesregierung unterstrichen, daß sie insbesondere die Finanz- und die Wirtschaftspolitik aufeinander abstimmen will. Die neue Bundesregierung scheint demnach in der Finanzpolitik an Stelle überwiegend fiskalischen Denkens ökonomische Überlegungen setzen zu wollen. Das wäre ein Fortschritt, nachdem das erste Kabinett Adenauer sich gerade dadurch schwach erwies, daß es Wirtschafts-und Finanzpolitik isoliert, ja häufig aus dem Gegensatz heraus betrieb.
Die öffentlichen Aufgaben müssen auf Bund, Länder und Gemeinden sinnvoll verteilt werden. Mit dieser Verteilung der Aufgaben und somit der Ausgaben muß eine sinnvolle Verteilung der Ein-- nahmen auf Bund, Länder und Gemeinden vorgenommen werden, die den Finanzausgleich auf einen Spitzenausgleich reduziert. Nach dem Grundgesetz sind die Gemeinden und die Gemeindeverbände nicht Partner des Finanzausgleichs, obwohl auch die Gemeinden nach Art. 109 des Grundgesetzes in ihrer Haushaltsgebarung unabhängig sind. Es wird deshalb unumgänglich sein, im Gesetz nach Art. 107 des Grundgesetzes in der Finanzverfassung den Gemeinden die Stellung einzuräumen, die ihnen nach ihren Aufgaben im Staat zukommt.
Die angekündigte große Steuerreform muß eine organische Steuerreform sein. Sie muß sich mithin der Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik auf Grund der Erkenntnisse anpassen, die sich aus der Bevölkerungs-, Sozial- und Wirtschaftsstruktur ergeben. Dabei haben wir an den Herrn Finanzminister die Frage zu richten, ob er glaubt, daß eine allgemeine Minderung der Steuerlasten bei wachsendem Finanzbedarf wirklich möglich ist. Nachdem die Regierungskoalition des ersten Bundestages mit Rücksicht auf den Eindruck auf die Wähler die Einkommen- und Körperschaftsteuer noch vor 'den Wahlen gesenkt hat, wird es nunmehr bei einer organischen Steuerreform in erster Linie auf eine sozial gerechtere Verteilung der Steuern ankommen.
Hierbei bedürfen die Verbrauchsteuern einer besonderen Überprüfung
unter wirtschafts- und außenhandelspolitischen sowie unter sozial- und gesundheitspolitischen Erwägungen.
Die Verbrauchsteuern auf unentbehrliche Verbrauchsgüter sind ganz abzuschaffen.
Aus der Problematik einer organischen Steuerreform ergibt sich, daß sie, wenn irgend möglich, o r dem Gesetz nach Art. 107 verabschiedet werden sollte.
Zum mindesten müßten aber vorher die Grundzüge einer organischen Steuerreform festgelegt und in diesem Zusammenhang auch die Frage der Bundesfinanzverwaltung erneut behandelt werden, die die Sozialdemokratie weiterhin für erforderlich hält.
Das Problem des Aufbaues eines leistungsfähigen Kapitalmarktes wird jetzt mit Recht in den
Vordergrund gestellt. Damit wird anerkannt, daß
mit der Selbstfinanzierung, auf deren Gefahren die
Sozialdemokratie immer hingewiesen hat, Schluß
Überholt ist auch das bisherige System der künstlichen, einseitigen und viel zu teuren Steuerbegünstigungen für Kapitalbildung. Das unglückliche Kapitalmarktförderungsgesetz sollte so schnell wie möglich aufgehoben werden.
Aber auch bei den öffentlichen Krediten sollten die
Laufzeiten in Zukunft normalisiert und die Steuerbegünstigungen abgebaut werden. Wenn allerdings
von einer Vorzugsstellung des öffentlichen Kredits
gegenüber den privaten Kreditsuchern gesprochen
wird, so muß bedacht werden, daß die öffentliche
Hand auch weiterhin ein sehr legitimes Kreditbedürfnis hat. Kommt es nicht zum Zuge, so müßte
das zu einer gewaltsamen Einschränkung der
öffentlichen Investitionen mit untragbaren Rückschlägen für die Gesamtwirtschaft führen. Es ist
offensichtlich, daß die wichtigsten öffentlichen Investitionen — ich nenne nur die Gebiete des Verkehrs, der Energieversorgung und des sozialen
Wohnungsbaues — durch private Unternehmungen schlechterdings nicht ersetzt werden können.
Meine Damen und Herren! Auf der Grenze zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik liegt das Gebiet des Wohnungsbaues. Er hat in der Regierungserklärung nur eine knappe Erwähnung gefunden. Die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers lassen nicht erkennen, ob die Bundesregierung den Wohnungsbau seiner wirtschafts- und sozialpolitischen Bedeutung entsprechend tatsächlich als eine der vordringlichsten Aufgaben ansieht, was er nach unserer Auffassung ist und bleiben múß. Nach wie vor leben sehr viele Menschen in Behelfswohnungen, Kellerlöchern, Bunkern und Baracken. Unser Wohnungsfehlbestand liegt trotz aller anerkennenswerten Anstrengungen in der Vergangenheit immer noch bei über 4 Millionen Wohnungen. Bei dieser Sachlage bleibt es unerfindlich, wie der neue Herr Wohnungsbauminister am Abend seiner Ernennung der Presse erklären konnte: „Ich werde mein Amt so führen, daß ich in vier Jahren vor das Parlament treten und ihm sagen kann, daß meine Aufgabe erledigt und mein Ministerium somit überflüssig geworden ist."
Meine Damen und Herren, das ist ein großes Wort, aber wir fürchten, ein äußerst voreiliges.
Uns kann die Erklärung des Herrn Bundeswohnungsbauministers nur mit Besorgnis erfüllen. Wir haben nämlich die Sorge, daß der Boden des Ersten Wohnungsbaugesetzes — seinerzeit einstimmig beschlossen — mehr und mehr verlassen wird. Das heißt, es scheint die Absicht zu bestehen, den sozialen Wohnungsbau, also die gesetzlich verankerte Förderung des Wohnungsbaues für die breiten Schichten der Bevölkerung, wesentlich einzuschränken und die Richtsatzmiete weiterhin aufzulockern, wenn nicht gar aufzuheben.
Der Anfang zu dieser Entwicklung ist mit der Novelle zum Wohnungsbaugesetz gemacht worden. Solange die Wohnungsnot noch so groß ist, kann
auf die Subventionierung des Wohnungsbaues und darf auf das sozialpolitische Regulativ der Richtsatzmieten nicht verzichtet werden.
Wir warnen hier vor Schlagworten und vor Experimenten. Nicht ein Abbau der Förderungsmittel für den sozialen Wohnungsbau, sondern eine Verstärkung dieser Mittel ist nötig.
In der Regierungserklärung ist die besondere Förderung des Baus von Eigenheimen und familiengerechten Wohnungen angekündigt worden. Wir Sozialdemokraten haben schon vor Jahren darauf hingewiesen, daß wir für die Förderung der Kleinsiedlung und des Kleineigentums eintreten. Wir haben im ersten Bundestag bei der Beratung der Wohnungsbaunovelle wiederholt beantragt, die notwendigen finanziellen Voraussetzungen für einen verstärkten Eigenheimbau zu schaffen. Wir sind damit nicht durchgedrungen.
Auch künftig wird die Sozialdemokratie dafür eintreten, daß in größtmöglichem Umfang Kleinsiedlungen und Kleineigenheime gefördert werden. In diese Maßnahmen beziehen wir auch die Förderung des Wohnungseigentums ein.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat seine Regierungserklärung betont mit der Darstellung sozialpolitischer Absichten eröffnet. Er hat ein umfassendes Sozialprogramm versprochen und damit die Notwendigkeit eines Sozialplanes, wie wir Sozialdemokraten ihn ausgearbeitet haben, unterstrichen. Wir halten es aber für notwendig, daß das Problem einer sozialen Neuordnung auf der Basis unbestechlicher, objektiver Untersuchungen geprüft wird. Wir fordern daher erneut die Bildung einer öffentlichen Studienkommission, so wie sie in anderen Ländern mit großem Erfolg gearbeitet haben.
Nur eine solche unabhängige Studienkommission entspricht der Größe der Aufgabe.
Der Herr Bundeskanzler hat die heutigen sozialen Leistungen als unzureichend bezeichnet und damit unsere früheren Behauptungen bestätigt.
Leider sind seine positiven Vorschläge sehr wenig konkret. Es kommt aber darauf an, der Not unzähliger Rentner Rechnung zu tragen und das Rentenniveau endlich energisch zu heben.
Wir erinnern uns noch sehr gut der Wahlversprechungen des Herrn Storch, die Renten müßten zwei Drittel des letzten Arbeitseinkommens erreichen.
Aber die Bundesregierung sollte nun endlich auch dem Bedürfnis nach einer Alterssicherung und einer sozialen Sicherung vieler Selbständiger, wie Handwerker und Bauern, und der großen Zahl freiberuflich Schaffender entsprechen.
Der Herr Bundeskanzler — lassen Sie mich in diesem Zusammenhang diese Bemerkung noch machen — hat ferner darauf hingewiesen, daß sich der Aufwand für soziale Zwecke seit 1949 verdoppelt habe. Dieses Spiel mit Zahlen erleben wir nun seit vier Jahren. Der Herr Bundeskanzler hat vergessen, zu erwähnen, daß der überwiegende Teil
dieser Neuausgaben aus Beiträgen vom Lohnkonto der Versicherten stammt
und insofern nicht als Leistung der Bundesregierung angesprochen werden kann.
Es wird auch übersehen, daß die Rentenerhöhungen, gerade soweit sie durch eine Vermehrung der Bundeszuschüsse erfolgten, notwendig wurden, um die Teuerung, die die soziale Marktwirtschaft des Herrn Erhard mit sich brachte, für die Sozialrentner einigermaßen auszugleichen.
Wir wenden uns schließlich auch dagegen, daß der Herr Bundeskanzler wiederum versucht hat, auch die Pensionen der 131 er einschließlich der ehemaligen Soldaten als soziale Leistungen des Bundes hinzustellen, obwohl es sich doch um ausgesprochene Arbeitgeberverpflichtungen des Staates handelt.
Wir fordern, daß die Vergleiche im Haushalt und die Haushaltsübersichten selbst klar die eigentlichen Sozialleistungen von den Kriegsfolgeleistungen trennen. Das heißt, wir wünschen Haushaltsübersichten, die wahr sind und nicht durch Verschleierungen falsche Eindrücke erwecken.
Der Herr Bundeskanzler ist uns auch eine klare Stellungnahme zur Kriegsopferversorgung schuldig geblieben. Wir hätten im Interesse der Kriegsopfer gern gehört, daß die Bundesregierung endlich auch die Grundrenten, die im Jahre 1950 festgesetzt worden sind, dem veränderten Preisgefüge anzupassen gewillt ist.
Wir alle teilen die Freude über unsere heimgekehrten Kriegsgefangenen. Wir alle haben den ernsten Vorsatz, in der vor uns liegenden Zeit alles in unserer Kraft Stehende zu tun, um die noch nicht heimgekehrten Gefangenen endlich wieder mit ihren Familien zu vereinen. Aber wir sind bitter darüber enttäuscht, daß die Regierungserklärung die unverzügliche Inkraftsetzung des noch vom letzten Bundestag beschlossenen Entschädigungsgesetzes für ehemalige deutsche Kriegsgefangene nicht enthalten hat. Wir erwarten hier noch ein eindeutiges positives Wort des Herrn Bundeskanzlers.
Die Zahl der arbeitslosen Spätheimkehrer ist mit 70 000 noch immer erschreckend groß. Die Wiedereingliederung dieser schwer geprüften Menschen in das wirtschaftliche Leben, die Hilfestellung bei der Existenz- und auch bei der Familiengründung ma weiterhin eine vordringliche Aufgabe des Gesetzgebers und aller verantwortlichen Verwaltungsstellen sein.
Im Rahmen der sozialen Probleme beschäftigt uns vor allem die Frage der Behebung der Jugendarbeitslosigkeit, die nach unserer Meinung heute eines der dringendsten Probleme ist. Arbeitsdienst und Wehrdienst sind kein Ersatz für Berufsausbildung und die damit verbundenen Lebenschancen.
Die Jugend hat ein verbürgtes Recht auf Arbeit und Ausbildung.
In der Industrie bestehen zweifellos noch erhebliche Ausweitungsmöglichkeiten für Lehr- und Arbeitsstellen. Sie können im Zusammenwirken und unter größeren Anstrengungen der Bundesregierung nutzbar gemacht werden. Das ist um so wichtiger, als in absehbarer Zeit ein empfindlicher Mangel an Facharbeitern eintreten wird.
Dringend notwendig sind ein Berufsausbildungsgesetz und ein Jugendarbeitsschutzgesetz, wie sie von der Sozialdemokratie bereits mehrfach im ersten Bundestag gefordert worden sind. Sie sind unerläßliche Voraussetzungen für die berufliche Ausbildung unserer jungen Generation und für ihre körperliche, geistige und seelische Entwicklung. In diesem Zusammenhang darf auch die Förderung des akademischen Nachwuchses nicht vergessen werden.
Die Demokratie fordert den denkenden Bürger. Die staatsbürgerliche Erziehung der jungen Generation ist eine Lebensfrage der Demokratie. Sie verlangt einen systematischen Ausbau von Bildungs- und Jugendpflegeeinrichtungen und -maßnahmen im Bund, in den Ländern und Gemeinden und in den freien Organisationen. Der Bundesjugendplan ist ein Anfang; er muß ausgebaut werden.
Meine Damen und Herren, ein anderes Kapitel. Zur Förderung wissenschaftlicher Forschung und Lehre in der Bundesrepublik muß etwas Durchgreifendes geschehen. Am ehesten werden heute noch Mittel für naturwissenschaftliche Zweckforschung freigestellt, da hier der „Erfolg" der Arbeit auch für den Laien in seiner Auswirkung auf dem Weg über die Technik und den wirtschaftlichen Ertrag sichtbar wird. Da Zweckforschung auf die Dauer nicht erfolgreich sein kann, wenn nicht auch die naturwissenschaftliche Grundsatzforschung weitergeführt wird, wird mithin auch naturwissenschaftliche Grundsatzforschung noch als sozusagen rentabel angesehen, und infolgedessen sind neben der öffentlichen Hand auch die interessierten Unternehmungen hier am ersten bereit, Mittel zur Verfügung zu stellen oder eigene Forschungsstätten zu errichten. Für die Geisteswissenschaften fallen diese Nützlichkeitserwägungen zum größten Teil fort, und es ist infolgedessen um ihre Förderung noch schlechter bestellt. Wir müssen daran festhalten, daß die Frage nach dem materiellen Nutzen sich grundsätzlich mit dem Wesen wissenschaftlicher Forschung überhaupt nicht verträgt.
Sie bedroht und zerstört das Ethos der Wissenschaft. Wenn man aber nun schon von der Knappheit der zur Verfügung stehenden Mittel ausgehen muß, so ist es falsch disponiert, wenn die Geistes-und Sozialwissenschaften bei der Verteilung immer zu kurz kommen.
Im einzelnen fehlt es an Mitteln sowohl für personelle wie für sachliche Zwecke. Für zahlreiche Lehrstühle ist keine Neubesetzung möglich, weil die Wissenschaftler keine genügend ausgestatteten Institute vorfinden und für ihre Lebensbedürfnisse zu geringe Einkommen erhalten. Sie gehen also lieber in die Wirtschaft oder ins Ausland, wenn ihnen die Möglichkeit geboten wird. Für die wissenschaftlichen Nachwuchskräfte fehlen aber die nötigen Diätendozenturen und Assistentenstellen. Man kann nicht erwarten, daß es in einem Beruf zur Norm wird, daß die Anwärter sich jahrelang durchhungern, ihre besten Kräfte in einem daneben
nötigen Broterwerb verbrauchen und damit den wissenschaftlichen Erfolg selbst gefährden. Schließlich ist auch zu bemerken, daß die Förderung der Wissenschaft rationeller betrieben werden könnte, wenn nicht immer neue Institute und Forschungsstellen eingerichtet, sondern die bestehenden bestens ausgestattet und ausgenutzt werden würden.
Meine Damen und Herren! Das Vertriebenen-und Flüchtlingsproblem bedarf nach wie vor der stärksten Aufmerksamkeit der Bundesregierung. Die Heimatvertriebenen stellen immer noch einen hohen Prozentsatz der Arbeitslosen dar, und ihr Anteil ist besonders groß in den Notstandsgebieten. Die Beschaffung von Dauerarbeitsplätzen muß Sonderarbeitsmaßnahme bleiben. Die Hilfe für die Eingliederung in den Arbeitsprozeß muß sich auch auf die Flüchtlinge aus der Sowjetzone erstrecken.
Das Wohnungsbauprogramm für Vertriebene und Flüchtlinge muß durch die Koordinierung aller Mittel stärker geplant und gelenkt werden, um den großen Notstand zu beseitigen, der dadurch zum Ausdruck kommt, daß die Zahl der Notunterkünfte und der Untermietwohnungen bei Vertriebenen und Flüchtlingen doppelt so hoch ist wie bei den Einheimischen.
Besondere Maßnahmen sind zur Förderung der Eingliederung der Mittelschichten notwendig. Für 'die Seßhaftmachung der vertriebenen und geflüchteten Bauern ist die Zusammenfassung aller Mittel unter der Verantwortung des Bundes unerläßlich. Besonders unterstreichen möchte ich das Problem der Fürsorge und der Hilfe für die heimatvertriebene und geflüchtete Jugend. Die Schaffung der Voraussetzungen für ihre Berufsausbildung ist eine Lebensnotwendigkeit für eine gesunde Entwicklung dieser jungen Menschen, die vom Schicksal besonders schwer betroffen worden sind.
In dieses Kapitel des Verhältnisses zwischen staatlicher Gemeinschaft und dem einzelnen Bürger gehört auch das Problem der Familie. Die neue Regierung hat uns mit der Schaffung eines besonderen Ministeriums für Familienangelegenheiten überrascht.
Wir haben noch keine klaren Vorstellungen darüber, wie dieses Ministerium angesichts der Ressortverteilung fruchtbar funktionieren kann, und wir haben Zweifel, ob das sehr wichtige Problem der Förderung eines gesunden Familienlebens überhaupt durch die Schaffung eines speziellen Ministeriums gelöst werden kann.
Wir würden es sehr bedauern, wenn das Ministerium seine Aufgabe in erster Linie darin sehen würde, durch eine Art von moralischer Aufrüstung den Familiensinn zu stärken und die Familiengründung zu fördern.
Die Familie muß als ein wesentliches, ja als ein entscheidendes Element unseres Gemeinschaftslebens gefördert und geschützt werden. Die Ursachen der heutigen Krisenerscheinungen sind aber viel mehr gesellschaftlich als moralisch bedingt.
Die Struktur der Gesellschaft und die Stellung der
Frau, auch der verheirateten Frau, in der Gesellschaft und in der Familie haben sich geändert. Das
erste Problem ist daher die Anerkennung der veränderten Stellung der Frau in der Gesellschaft durch Recht und Gesetz.
Wir reden heute soviel von Partnerschaft; realisieren wir sie zuerst in unserem persönlichsten Bereich in bezug auf die Stellung der Frau in der Gesellschaft und in der Ehe!
Die notwendigen Gesetze zur Ausführung der Bestimmung des Grundgesetzes über die Gleichberechtigung der Frau müssen unverzüglich beraten und verabschiedet werden.
Es geht dann um die Gefahr des Versuchs, Ehe und Familie durch eine gesetzliche Zurückentwicklung der Formen der Eheschließung zu stärken, wie es z. B. in dem Vorschlag unseres Kollegen, des Herrn Dr. Jaeger, zum Ausdruck kommt. Ich will hier nicht mit Herrn Dr. Jaeger über seine katholische Grundauffassung in dieser Frage diskutieren; ich respektiere sie. Aber wir können nicht leugnen, daß hier Gefahren auftauchen, wenn der Versuch gemacht wird, in dieser Weise die Gesetzgebung zurückzuentwickeln.
Das nächste ist die Förderung der Familiengründung. Die Forderung nach den Kinderbeihilfen ist doch keine sozialpolitische Forderung, sie ist eine staatspolitische Notwendigkeit.
Die Schaffung von Kindergärten z. B. ist heute auch eine Konsequenz einer veränderten Lebensauffassung und nicht nur eine Hilfsmaßnahme für zur Erwerbsarbeit gezwungene Mütter. Das Wesentliche ist, daß wir durch das System der Kinderbeihilfen die Familiengründung und die Erziehung der Kinder bewußt und fühlbar fördern und erleichtern.
Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf unseren Gesetzentwurf, der im ersten Bundestag durch die Schuld der Mehrheit in diesem Hause nicht verabschiedet wurde,
den wir aber jetzt wieder von neuem einbringen werden.
Der Herr Bundeskanzler hat mit Recht das schwierige Problem der Überalterung unserer Bevölkerung angeschnitten. Wir werden Mittel und Wege finden müssen, um auch den Alteren, die sich noch voll arbeitsfähig fühlen, eine sinnvolle Beschäftigung zu sichern. Aber das Wesentliche ist, daß wir eine junge Generation so stützen und fördern, daß sie die unvermeidlich größeren sozialen Verpflichtungen, die sich aus der Erhöhung des durchschnittlichen Lebensalters ergeben, mittragen kann, ohne auf die Gestaltung ihres eigenen Lebens verzichten zu müssen.
Schon diese wenigen Bemerkungen zeigen, daß es viel wichtiger ist, in allen wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen die Förderung der Familie anzustreben, als ein besonderes Familienministerium zu schaffen.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten haben uns bei der Stellungnahme zu dem innenpolitischen Programm der Bundesregierung leiten lassen von unserer unveränderten Grundeinstellung zu den Fragen der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung in der Bundesrepublik. Weder die Politik der ersten Regierung noch die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 20. Oktober haben uns hier befriedigen können. Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung weicht der Forderung nach einer Neuordnung der Wirtschaft aus. Die Sozialdemokratie kann auf die Neuordnung der Besitzverhältnisse in den Grundindustrien nicht verzichten.
Sie hält außerdem die Demokratisierung der Wirtschaft durch die gesetzliche Regelung des Mitbestimmungsrechts für eine unerläßliche Notwendigkeit für die Festigung der demokratischen Ordnung in der Bundesrepublik.
Ein besonderes Wort möchte auch ich der Stadt Berlin sagen. Der Herr Bundeskanzler hat hier die Erklärung abgegeben, daß Berlin sich auf die Bundesrepublik verlassen könne. Wir begrüßen diese Erklärung. Aber diese Erklärung verpflichtet, und wir betrachten sie als Zustimmung zu dem Grundsatz, daß wir hier Berlin behandeln wollen, als sei es ein Teil der Bundesrepublik.
Das bedeutet, daß wir die Unterstützung von Berlin nicht nur im Rahmen eines Hilfsprogramms sehen, sondern als einen Bestandteil der Wirtschafts-und Finanzpolitik des Bundes. Der entscheidende Gesichtspunkt für diese Wirtschaftshilfe ist immer noch die größtmögliche Auftragserteilung aus der Bundesrepublik für die Berliner Wirtschaft, besonders auf dem Sektor der öffentlichen Aufträge. Wir bedauern in diesem Zusammenhang, daß wir von Herrn Dr. Bucerius als dem Bundesbeauftragten für die wirtschaftliche Förderung Berlins bisher noch keine Übersicht über den Erfolg seiner Maßnahmen erhalten haben.
Unsere Kenntnis der Dinge zeigt, daß hier kein befriedigendes Resultat erzielt worden ist. Wir sollen doch daran denken, daß eine planmäßige Wirtschaftspolitik in bezug auf Berlin gleichzeitig eine Entlastung finanzieller Art für den Bund darstellt.
Vor wenigen Tagen hat die Berliner Zentralbank festgestellt, daß die Berliner Leistungsbilanz ausgeglichen wäre und Berlin keiner auswärtigen Hilfe mehr bedürfen würde, wenn in Berlin im Verhältnis zu den Arbeitslosenzahlen in der Bundesrepublik nicht mehr Menschen arbeitslos wären. Deutlicher können die Berliner Anstrengungen, den Wirtschaftsaufbau durch eigene Anstrengungen selbst vorwärtszutreiben, nicht gekennzeichnet werden, und deutlicher kann nicht gezeigt werden, daß sich die wirtschaftliche Förderung Berlins lohnt. Wir haben immer noch über 200 000 Arbeitslose in Berlin. Wir haben in Berlin wesentlich niedrigere Löhne und Gehälter. Meine Damen und Herren, hier müssen wir die Forderung nach einer ausreichenden Wirtschaftshilfe für Berlin zu einer der vordringlichsten machen. Wir wollen nicht mehr als die Anerkennung der These, die Herr Bundesfinanzminister S c h ä f f er aufgestellt hat, daß jede in Berlin angelegte Mark besser verwendet
ist als für irgendeinen anderen politischen oder militärischen Zweck der Bundesrepublik.
Wir hoffen, daß dieser Grundsatz nicht nur bei den Verhandlungen mit den Besatzungsmächten über die Anrechnung der Zuschüsse des Bundes für Berlin auf den deutschen Verteidigungsbeitrag gilt. Ich will hier nicht auf weitere Einzelheiten eingehen; ich möchte nur noch einmal unterstreichen, daß wir gerade diese verstärkte Wirtschaftshilfe für Berlin als eine der vordringlichsten innenpolitischen Aufgaben der Wirtschaftspolitik unserer Bundesrepublik ansehen.
Dazu gehört auch das Kapitel der Betreuung der Zonengrenzgebiete. Sie gehören zu den Notstandsgebieten, von denen der Herr Bundeskanzler gesprochen hat, aber sie haben ihre besonderen Probleme; ich will sie hier nicht im einzelnen aufzählen. Aber diese Gebiete, die einen erheblichen Teil des Gebietes der Bundesrepublik ausmachen, sind besonders schwer durch die Kriegsfolgen und die Teilung Deutschlands betroffen worden. Sic sind immer noch im ganzen gesehen über den Durchschnitt belastet mit den Problemen der Heimatvertriebenen und der Flüchtlinge, und sie leiden unter den Folgen der Spaltung Deutschlands vor allem auf wirtschafts- und verkehrspolitischem Gebiet.
Dazu kommt noch ein besonderes, im nationalpolitischen Sinn bedrohliches Element: die Konzentrierung wichtiger deutscher Industriezweige im Westen der Bundesrepublik mit der Folge eines Sogs von der Zonengrenze weg nach dem Westen.
Das ist ein bedenklicher wirtschaftspolitisch egoistischer Zug, dem die Bundesrepublik entgegenwirken muß.
Die Förderung der Zonengrenzgebiete ist eine umfassende nationalpolitische Aufgabe, und hier hätte die Schaffung einer besonderen Stelle im Rahmen der Bundesregierung mehr Sinn gehabt als die Schaffung irgendeines anderen der neuen Ministerien.
Die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Kräftigung der Zonengrenzgebiete ist eine der wichtigsten konkreten und sichtbaren Leistungen, die die Bundesrepublik im Sinne der Wiedervereinigungspolitik vollbringen kann;
denn jedes Zeichen von wirtschaftlichem oder sozialem Niemandsland an der Zonengrenze wird von der anderen Seite als Zeichen eines mangelnden Willens zur Wiedervereinigung gewertet werden.
Die Bundesregierung hat kurz vor den Wahlen Teile des Notprogramms für die Zonengrenzgebiete durch Beschlüsse übernommen. Wir hoffen, daß es dabei nicht bleibt. Das Zonengrenzgebiet ist wie Berlin der Prüfstein für die Ernsthaftigkeit unseres Willens zur Wiedervereinigung.
Meine Damen und Herren, ich komme nun zu dem letzten Kapitel meiner Darlegung, zu den Fragen der Außenpolitik. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Erklärung der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß in wichtigen außenpolitischen Fragen
auch ein Zusammengehen zwischen Regierung und Opposition stattfinde. Auch wir Sozialdemokraten würden es begrüßen, wenn ein solches Zusammengehen in Zukunft möglich sein würde. Voraussetzung für jeden Erfolg eines solchen Versuchs ist der Wille, die vorhandenen Meinungsverschiedenheiten sachlich auszutragen.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Rede vom 20. Oktober leider an zwei Stellen der sozialdemokratischen Opposition Beweggründe und Absichten unterstellt, die sie in wichtigen außenpolitischen Fragen als national unzuverlässig erscheinen lassen können.
So hat der Herr Bundeskanzler behauptet, die Sozialdemokratie habe in einer Reihe mit den Kommunisten und anderen Gruppen sich den sogenannten Ohne-mich-Standpunkt gegenüber der Notwendigkeit der Verteidigung zu eigen gemacht. Diese Feststellung entspricht nicht den Tatsachen.
Der Herr Bundeskanzler hat dann in einem anderen Zusammenhang die These aufgestellt, die Gegnerschaft zu den spezifischen Formen seiner Integrationspolitik, wie sie in der Montan-Union und in der EVG zum Ausdruck kommen, bedeute die Bereitschaft, auf die Freiheit zu verzichten und ganz Deutschland in die Hände der Sowjetunion zu geben.
Meine Damen und Herren, diese Behauptung ist nicht mit den Tatsachen in Übereinstimmung zu bringen.
Ich finde, der Herr Bundeskanzler sollte sie auch nicht wiederholen, nachdem er selbst in den letzten Wochen verschiedene Varianten seiner Europa-politik zur Diskussion gestellt hat.
Wir sind der Meinung — und damit möchte ich diese Bemerkung abschließen daß derartige Argumentationen unvereinbar sind mit dem Wunsch, mit der Opposition in wichtigen außenpolitischen Fragen ins Gespräch zu kommen.
Was nun die Möglichkeiten cines Zusammengehens selbst angeht, so kann man sagen, daß über dieses Problem auch in der Offentlichkeit sehr viel diskutiert worden ist. Ich glaube, es ist vor allem einmal notwendig, sich von vornherein über die Methoden einer solchen denkbaren Zusammenarbeit Klarheit zu verschaffen. Da möchte ich für meine Fraktion folgendes sagen. Die Voraussetzung für ein solches Zusammengehen ist die Bereitschaft der Regierung, die Opposition laufend und umfassend über die internationalen Vorgänge und über ihre Pläne und Aktionen zu informieren.
Nur in voller Kenntnis aller entscheidenden Faktoren ist ein sinnvolles Gespräch über den Inhalt und die Schritte der Außenpolitik der Bundesregierung möglich.
Das ist bisher nicht der Fall gewesen.
Mit einer solchen Regelung würde die Bundesregierung auch lediglich der Übung folgen, die in
allen europäischen demokratischen Ländern, vor allem in Großbritannien und in den skandinavischen Ländern, und auch in den Vereinigten Staaten selbstverständlich ist. Darüber hinaus bedeutet aber das Zusammengehen von Regierung und Opposition auf außenpolitischem Gebiet auch die Mitarbeit der Opposition in internationalen Institutionen und Konferenzen, in denen die Bundesregierung mitarbeitet, wie es wiederum von anderen demokratischen Regierungen, vor allem auch von der amerikanischen, selbstverständlich praktiziert wird.
Wir haben in der Vergangenheit wiederholt Versuche für ein solches Zusammengehen gehabt. Ich will in diesem Augenblick nicht untersuchen, aus welchen Gründen sie gescheitert sind. Aber ich möchte hier feststellen: die Zusammenarbeit muß jedenfalls am Beginn einer außenpolitischen Aktion versucht werden; denn sie wird immer scheitern, wenn von der Opposition nur die Anerkennung von vollendeten Tatsachen verlangt wird.
Wir stehen dem Herrn Bundeskanzler zu der von ihm vorgeschlagenen Aussprache zur Verfügung; aber dieser Versuch kann, glaube ich, nur erfolgreich sein, wenn die von mir genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
Der Herr Bundeskanzler hat dann als die zentralen Probleme der Außenpolitik der Bundesrepublik bezeichnet: die Herstellung ihrer eigenen Unabhängigkeit, die Wiedervereinigung Deutschlands, den Zusammenschluß des freien Europas und die Integration Deutschlands in die europäische Gemeinschaft. Auch wir sind der Auffassung, daß damit die zentralen Probleme der Außenpolitik der Bundesrepublik gekennzeichnet sind. So bleibt die Frage nach den Methoden, mit denen diese Probleme gelöst werden sollen.
Als Voraussetzung für die Herstellung der völkerrechtlichen Unabhängigkeit der Bundesrepublik hat der Herr Bundeskanzler das Inkrafttreten des Generalvertrags bezeichnet. Die sozialdemokratische Opposition hat im ersten Deutschen Bundestag dem Generalvertrag ihre Zustimmung verweigert, weil dieser Vertrag an die Stelle des außer Kraft tretenden Besatzungsstatuts neue Bestimmungen setzt, die mit der Herstellung der völkerrechtlichen Unabhängigkeit der Bundesrepublik nicht zu vereinbaren sind.
Neben einer Reihe auch von der Opposition nicht bestrittener positiver Bestimmungen enthält dieser Vertrag, besonders in den Notstandsklauseln und in den Vorbehaltsrechten der Besatzungsmächte, Bestimmungen, die eine Fortsetzung der bisher im Besatzungsstatut einseitig gesetzten und gehandhabten Besatzungsrechte darstellen.
Außerdem ist das Inkrafttreten dieses Vertrags an das Inkrafttreten des Vertrags über die EVG gebunden. Ich verzichte in dieser Situation darauf, in Erinnerung zu bringen, was die Opposition warnend über die Koppelung von General- und EVGVertrag gesagt hat. Wenn der Herr Bundeskanzler jetzt die Absicht hat, auf die drei westlichen Besatzungsmächte einzuwirken, damit sie der Bundesrepublik endlich den Status der völkerrechtlichen Unabhängigkeit zuteil werden lassen, so kann er in diesem Punkte der Unterstützung der Opposition sicher sein. Die Opposition setzt sich vorbehaltlos für die Aufhebung des Besatzungsstatuts, für die Auflösung des Junktims zwischen General- und EVG-Vertrag und für vertragliche Abmachungen mit den Regierungen der Besatzungsmächte ein, durch die auf der einen Seite der Status völkerrechtlicher Unabhängigkeit der Bundesrepublik gesichert und auf der anderen Seite den aus der Spaltung Deutschlands resultierenden besonderen Verhältnissen Rechnung getragen wird.
Als das oberste Ziel der Bundesregierung hat der Herr Bundeskanzler die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit bezeichnet. Nach der Auffassung der Opposition handelt es sich bei diesem Ziel um die vordringlichste Forderung des ganzen deutschen Volkes.
Nachdem der Herr Bundeskanzler in seiner Erklä rung betont hat, welche große Bedeutung einer Viermächtekonferenz in dieser Hinsicht zukommt, kann ich es heute unterlassen, auf die oft langwierigen Auseinandersetzungen zurückzukommen, die im ersten Deutschen Bundestag zwischen Regierung und Opposition geführt worden sind, weil es bezüglich der Frage nach der Zweckmäßigkeit und Dringlichkeit einer Viermächtekonferenz häufig tiefgehende Meinungsverschiedenheiten gegeben hat.
Wir Sozialdemokraten erblicken in der Note der drei westlichen Besatzungsmächte vom 19. Oktober an die Sowjetregierung den ernsthaften Versuch, die Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands endlich ernsthaft am Verhandlungstisch und unter Zuhilfenahme der Mittel der Diplomatie zu prüfen und zu erörtern, statt sie weiter Gegenstand eines fruchtlosen Notenkrieges sein zu lassen. Mit dieser Note ist endlich deutlich gemacht worden, daß die drei westlichen Besatzungsmächte nicht die Absicht haben, den Eintritt in Viermächteverhandlungen von der vorherigen Anerkennung der Verhandlungsziele und von der Annahme einer eng begrenzten Tagesordnung abhängig zu machen. Es scheint uns die Aufgabe der Bundesregierung zu sein, gerade in der gegenwärtigen sehr kritischen internationalen Situation das Zustandekommen einer Viermächtekonferenz auf dieser Basis zu fördern.
Unter diesem Gesichtspunkt bedauern wir die Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers in seinem letzten Presse-Interview, er sei der Ansicht, die Note vom 18. Oktober dürfte die letzte Note der Westmächte an den Kreml gewesen sein, wenn die Sowjetregierung negativ darauf antworte.
Nach dem Bericht des Pressevertreters hat der Herr Bundeskanzler außerdem noch hinzugefügt: „Es hat doch keinen Zweck, immer nachzulaufen." Meine Damen und Herren, ich glaube, das ist eine gefährliche Verkennung unserer tatsächlichen Situation.
Das Problem der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands — und das ist doch wohl die einzige Möglichkeit, die wir im Auge haben können — ist nicht anders lösbar als auf dem Wege von Viermächteverhandlungen.
Die deutsche Politik steht daher immer von neuem
vor der Aufgabe, auf die Schaffung von Verhandlungssituationen hinzuwirken und sie mit Hilfe der
Westmächte so zu gestalten, daß wir schließlich doch dem Ziel der Wiedervereinigung näherkommen. Das ist eine schwierige und langwierige Aufgabe, aber es gibt keinen anderen friedlichen Weg, und sie bleibt ja auch bestehen, wenn tatsächlich der EVG-Vertrag in Kraft treten sollte.
In die Außenpolitik ist aber seit unserer letzten außenpolitischen Debatte im Sommer in diesem Haus ein anderes wichtiges Element gekommen. Wir haben nicht nur die Diskussion über die Möglichkeit einer Viermächtekonferenz über Deutschland, sondern es gibt ernsthafte Gespräche über eine internationale Konferenz mit dem Zweck, eine globale Lösung zur Entspannung der internationalen Lage zu suchen. Auch die amerikanische Regierung hält heute einen solchen Versuch für wünschenswert und nützlich. Auf einer solchen Konferenz wird das deutsche Problem eines von vielen sein. Wir sind der Meinung, hier ergibt sich die Aufgabe, darauf hinzuwirken, daß auch auf dieser Konferenz die Lebensinteressen des deutschen Volkes zur Geltung kommen. Der Herr Bundeskanzler hat zwar auch noch in seiner Regierungserklärung die Integrierung der Bundesrepublik zum Kernstück seiner außenpolitischen Betrachtungen gemacht, aber es ist doch klar, daß die Frage des zukünftigen Status Deutschlands im Verhältnis zu allen seinen Nachbarn heute mehr in den Vordergrund der Diskussion gerückt ist.
Nachdem der Herr Bundeskanzler selbst die Frage nach dem Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion in die Debatte geworfen hat, sind wir wohl davor geschützt, daß uns eine sachliche Untersuchung dieses Problems den Vorwurf einbringt, der Sowjetpolitik Vorschub zu leisten.
Wir möchten davor warnen, den Versuch fortzusetzen, den EVG-Vertrag als eine Sicherheitsgarantie gegenüber einer möglichen zukünftigen aggressiven deutschen Politik der Sowjetunion anzupreisen.
Meine Damen und Herren, der Vertrag war gedacht und er ist uns auch hier immer wieder angepriesen worden als die Form, in der die Bundesrepublik den bestmöglichen militärischen Beitrag zur Verteidigung der freien Welt leisten sollte, und ich fürchte, wenn wir mit dieser neuen Argumentation weitergehen, daß dann sehr ernsthafte Interessen des deutschen Volkes bei zukünftigen Verhandlungen in Gefahr kommen können.
Wesentlich ist,, daß die Sowjetunion, wie man weiß, the Integration der Bundesrepublik oder gar eines späteren geeinten Deutschlands im Sinne des EVG-Vertrages nicht akzeptieren wird. Die Frage der deutschen Politik ist daher auch: gibt es einen anderen Weg, den Deutschland gemeinsam mit den Westmächten akzeptieren kann, um Deutschlands Position als eines Teils des Westens zu behaupten und gleichzeitig das Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion zu befriedigen? Es ist offensichtlich so, wie die Dinge sich entwickelt haben, daß dieses Ziel im Wege einer europäischen Lösung nicht mehr erreicht werden kann.
Ich bitte daher einmal zu überlegen, ob nicht die
Mitgliedschaft eines freien und vereinigten
Deutschlands in den Vereinten Nationen eine bessere Basis für die Lösung dieser Lebensfrage bilden könnte.
Sie müßte als Teil der Vereinbarungen der vier Mächte über Deutschland festgelegt werden, um ein Veto zu verhindern. Sie würde aber dem deutschen Volk dieselben Möglichkeiten der Sicherheit gewähren, die jedes Mitglied der Vereinten Nationen genießt, und sie würde auf der anderen Seite jedem Mitglied der Vereinten Nationen entsprechende Sicherungen vor einer möglichen deutschen Aggression bieten.
Die Frage des militärischen Status Deutschlands als Mitglied der Vereinten Nationen könnte dann im Lichte dieser neuen Situation untersucht werden. Meine Damen und Herren, da es unser gemeinsames Ziel ist, wie Sie sagen, die internationale Lage zu entspannen und den Frieden zu sichern, scheint es mir wert, diese Lösungsmöglichkeit ernsthaft zu untersuchen. Es gibt auch hier Probleme, aber wir sollten sie prüfen und die deutsche Politik nicht mit den Auseinandersetzungen darüber belasten, ob auf diese oder jene Weise, sozusagen totsicher, die deutsche Wiedervereinigung und die Sicherheit für das deutsche Volk zu erreichen sind.
In der Zwischenzeit bleibt uns die Aufgabe, alles zu tun, was in unseren Kräften steht, um die Beziehungen zwischen der Bevölkerung der Sowjetzone und der der Bundesrepublik so eng und so normal als möglich zu gestalten.
Wir haben eine große und dringende Verpflichtung gegenüber den Kämpfern des 17. Juni.
Die Opfer der Gewaltherrschaft brauchen unser aller tätige Hilfe. Wir müssen über den Protest gegen den Terror hinaus nach Wegen suchen, um den von Repressalien Bedrohten, den Gefangenen und Deportierten die Anteilnahme und, wenn möglich, den Schutz der freien Menschen zugute kommen zu lassen.
Alles, was wir tun können, um die materielle Lage der Menschen in der Sowjetzone zu erleichtern und ihnen das Bewußtsein der unlösbaren Verbundenheit zu geben, sollten wir tun. Wir sind der Auffassung, daß die Bundesregierung kraft eigener Initiative in dieser Richtung einige wesentliche Schritte tun sollte mit dem Ziel, den Verkehr von Personen und Gütern über die Zonengrenze zu vermehren und freier zu gestalten.
Die Bundesregierung sollte die Hohen Kommissare der drei Westmächte bitten, in Erwiderung auf die Erklärung des sowjetischen Hohen Kommissars über den Interzonenpaß in aller Form zu erklären, daß die Westmächte bereit sind, auf den Interzonenpaß zu verzichten, wenn die Sowjetregierung das gleiche tut. Die Erledigung der dann noch notwendigen technischen Prozeduren wäre dann Aufgabe der deutschen Behörden. Bis zu dieser Regelung sollte die Bundesregierung hier auf unserem Gebiet alles tun, um den Reiseverkehr zu erleich-
tern. Die Vorschriften über die Einholung einer besonderen Aufenthaltserlaubnis sollten aufgehoben werden.
Man sollte auch nach einem Weg suchen, um minderbemittelten Bewohnern der Sowjetzone, die die Bundesrepublik besuchen, die Bezahlung der Rückreise in ihre Heimat in Ostmark zu ermöglichen.
Wir sind der Meinung, daß es nützlich ist, diese und ähnliche Vorschläge ernsthaft zu prüfen und möglichst bald zur Durchführung zu bringen.
Auf dem Gebiet der europäischen Zusammenarbeit bekennt sich die Sozialdemokratie zu einer so eng wie möglichen Zusammenarbeit mit der denkbar größten Zahl 'europäischer Länder. Die Meinungsverschiedenheiten, die es hinsichtlich der konkreten Schritte zu europäischer Zusammenarbeit in der Vergangenheit gegeben hat, hatten ihre Ursache darin, daß die Sozialdemokratie die Verwirklichung der europäischen Zusammenarbeit nicht belastet sehen will durch die Übertragung von Sieger- und Besatzungsmachtvorrechten auf die europäische Gemeinschaft.
Deshalb betrachtet sie es als die Aufgabe der Opposition, der Tendenz entgegenzuwirken, die in Deutschland durch Besatzungsrecht geschaffenen Verhältnisse als Ausgangsgrundlage für Verträge über die europäische Zusammenarbeit zu nehmen. Wir erachten es weiterhin als unsere Aufgabe, einer Politik entgegenzuwirken, europäische Gemeinschaften auf der Grundlage von Verträgen zu
errichten, die der elementaren deutschen Verpflichtung zur Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands keine Chance zur Verwirklichung lassen und somit der Verhärtung des Zustands der Spaltung Deutschlands Vorschub leisten.
Ebensowenig wie eine wünschenswerte umfassende europäische Gemeinschaft sich selbst zu genügen vermöchte, sondern auf weltweite Zusammenarbeit und Verpflichtung angewiesen wäre, können die bisherigen Ansätze europäischer Gemeinschaften, die nur Teile des europäischen Kontinents umfassen, sich selbst genügen — um so weniger, als sie ja lediglich Teilintegrationen der Wirtschaft in einem begrenzten Teil Europas darstellen. Auf Grund der Erfahrungen, die bisher mit der Montan-Union zu machen waren, kann niemand an der Feststellung vorbei, daß solche Teilintegrationen die Gefahr in sich tragen, die Volkswirtschaften zu desintegrieren. Welche Folgen sich daraus für unser Land mit seiner durch die Spaltung zerrissenen Volkswirtschaft ergeben, liegt auf der Hand. Es ist klar, daß wir ganz besonders achtsam sein müssen, um nicht eine zusätzliche Desintegration unserer eigenen Volkswirtschaft zu fördern. Im Hinblick auf die Gebiete entlang der Zonengrenze, aber auch im Hinblick auf die industriellen Zusammenhänge im rheinisch-westfälischen Industriegebiet und ihre Verflechtung mit der übrigen deutschen Wirtschaft bedarf es dabei großer Aufmerksamkeit.
Die Sozialdemokratie hat seinerzeit ihre Einwände gegen die Konstruktion der Montan-Union dargelegt. Sie sind durch die Ereignisse nicht widerlegt worden. Wir sind damals unterlegen. Die
Mehrheit hat sich für die Annahme des Vertrages ausgesprochen. Inzwischen haben alle Seiten Erfahrungen sammeln können. Wir würden es begrüßen, wenn auf Grund dieser Erfahrungen der zweite Bundestag und die Bundesregierung nach Kräften versuchten, auf die Entwicklung der Montan-Union und ihrer Wirksamkeit einzuwirken, damit erstens die Beziehungen der Montan-Union zu Nichtmitgliedstaaten so vielfältig und so lebendig wie möglich gestaltet werden und zweitens die Investitionspolitik der Hohen Behörde und die konjunkturfördernden und -belebenden Maßnahmen der Organe der Montan-Union unter Berücksichtigung des besonderen durch Kriegszerstörungen und Demontagen bedingten deutschen Nachholbedarfs geführt wird. Wir haben die Hoffnung, daß es bei sorgsamem Vorgehen möglich sein dürfte, gewisse positive Ergebnisse in jeder der beiden Beziehungen zu erreichen. Ich verweise hier auf den Beschluß der Gemeinsamen Versammlung zum ersten Bericht der Hohen Behörde, in dem ausdrücklich solche Möglichkeiten und Zwischenlösungen erwähnt werden. Wir würden es für nützlich halten, die deutschen Kräfte auf solche Punkte konkreter europäischer Zusammenarbeit zu konzentrieren. Ich glaube, daß hier mehr Aussicht auf Erfolg liegt als in den komplizierten Versuchen zur Schaffung einer sogenannten politischen Gemeinschaft.
Meine Damen und Herren! Ich kann diese Übersicht über die außenpolitischen Probleme nicht abschließen, ohne noch ein Wort über das Schicksal des Saargebiets zu sagen. Der Herr Bundeskanzler hat sehr vorsichtig der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß auch in der Saarfrage im Geist der europäischen Zusammenarbeit eine annehmbare Regelung gefunden wird. Diese Erklärung befriedigt uns in keiner Weise.
Wir möchten wissen, auf welcher Basis die Bundesregierung die Besprechungen mit der französischen Regierung zu führen gedenkt. Wir erinnern an den einstimmigen Beschluß des ersten Bundestages vom Juli dieses Jahres, und wir meinen, daß nur er die Grundlage von Verhandlungen auf deutscher Seite sein kann. Wir hätten ferner gewünscht, daß die Bundesregierung Schritte unternommen hätte, um gegen die Ausbürgerung der beiden Mitglieder dieses Hohen Hauses, die aus dem Saargebiet stammen, durch die Behörden im Saargebiet zu protestieren,
um so mehr, als diese Ausbürgerungen auch auf die Familien unserer beiden Kollegen ausgedehnt worden sind.
Derartige Maßnahmen waren bisher nur in totalitären Ländern üblich.
Die Lage wird noch weiter dadurch kompliziert, daß der französische Außenminister Bidault vor wenigen Tagen noch einmal erklärt hat, daß die Regelung der Saarfrage eine Voraussetzung für die Ratifizierung des EVG-Vertrages durch das französische Parlament ist. Wir Sozialdemokraten sind nach wie vor der Meinung, daß die Sanktionierung des jetzigen Regimes an der Saar unter dem Be-
griff einer Europäisierung keine für Deutschland annehmbare Lösung ist.
Wir sind außerdem der Meinung, daß die Grenzfragen ein unteilbares Ganzes darstellen. Ein Verzicht auf die Zugehörigkeit des Saargebiets zu Deutschland muß die deutsche Position bei zukünftigen Friedensverhandlungen in bezug auf die deutschen Ostgrenzen außerordentlich erschweren.
Sosehr wir die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers über die Nichtanerkennung der Oder-Neiße-Linie als endgültige deutsche Ostgrenze begrüßen, sosehr wünschen wir, daß dieser Standpunkt nicht in Frage gestellt wird durch eine opportunistische Lösung der Saarfrage.
Dabei wünscht die Sozialdemokratie noch einmal zu unterstreichen, daß sie sich für weitgehende wirtschaftliche Abkommen zwischen der Bundesrepublik und Frankreich einsetzt, die den berechtigten und von uns anerkannten wirtschaftlichen Interessen Frankreichs an der Saar Rechnung tragen.
Meine Damen und Herren, ich bin am Schluß. Wir stehen nach der Bildung der neuen Regierung am Anfang der Arbeiten des zweiten Deutschen Bundestages. Die Sozialdemokratie kann aus den Gründen, die ich hier im Namen meiner Fraktion dargelegt habe, weder der Regierung das Vertrauen aussprechen noch der von ihr in der Regierungserklärung vertretenen Politik ihre Zustimmung geben.
Wir sind bereit, uns durch Taten überzeugen und durch Erfahrungen belehren zu lassen, daß unsere Einwände und Befürchtungen unbegründet sind. Wir wünschen aber auch klarzustellen, daß wir den Auftrag, den uns die acht Millionen Frauen und Männer am 6. September durch ihr Bekenntnis zum sozialdemokratischen Programm übertragen haben, hier sachlich, entschieden und mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln der parlamentarischen Demokratie vertreten werden.