Protokoll:
18165

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 165

  • date_rangeDatum: 15. April 2016

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:05 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/165 Textrahmenoptionen: 16 mm Abstand oben Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 165. Sitzung Berlin, Freitag, den 15. April 2016 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abge- ordneten Heinz Wiese (Ehingen) und Ulrich Freese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16231 A Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Die transatlantischen Beziehungen zukunftsfest weiterentwickeln Drucksache 18/8072 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16231 B Peer Steinbrück (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16231 B Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 16233 C Peter Beyer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 16234 D Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16236 C Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16238 C Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 16239 C Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 16240 C Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16242 A Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 16242 C Detlef Müller (Chemnitz) (SPD) . . . . . . . . . . 16243 A Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 16244 B Dr . Andreas Nick (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 16245 D Tagesordnungspunkt 20: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Neun- ten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsver- einfachung Drucksache 18/8041 . . . . . . . . . . . . . . . . . 16247 C b) Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Gewähr- leistung des Existenz- und Teilhabemini- mums verbessern – Keine Rechtsverein- fachung auf Kosten der Betroffenen Drucksache 18/8076 . . . . . . . . . . . . . . . . . 16247 C c) Antrag der Abgeordneten Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Grundsicherung einfacher und gerechter gestalten – Jobcenter entlasten Drucksache 18/8077 . . . . . . . . . . . . . . . . . 16247 D Gabriele Lösekrug-Möller, Parl . Staatssekre- tärin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16247 D Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 16248 D Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 16250 C Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 16250 D Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . 16252 A Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16253 C Dr . Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 16255 B Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16255 D Dr . Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 16257 A Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) . . . . . 16257 C Kai Whittaker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 16258 D Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 16260 C Kai Whittaker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 16260 D Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 16261 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016II Tagesordnungspunkt 21: a) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: 30 Jah- re Tschernobyl, 5 Jahre Fukushima – Atomausstieg konsequent durchsetzen Drucksache 18/7656 . . . . . . . . . . . . . . . . . 16262 A b) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Atom- kraftwerk Cattenom sofort abschalten Drucksache 18/7668 . . . . . . . . . . . . . . . . . 16262 B c) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- Uhl, Kai Gehring, Dr . Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine öf- fentlichen Forschungsgelder für den Wiedereinstieg in atomare Technologien – 6. Energieforschungsprogramm voll- ständig in Richtung Energiewende wei- terentwickeln Drucksache 18/5211 . . . . . . . . . . . . . . . . . 16262 B d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für mehr Transparenz in der Internati- onalen Atomenergie-Organisation sowie eine starke und unabhängige Weltge- sundheitsorganisation Drucksachen 18/7658, 18/8101 . . . . . . . . . 16262 C Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16262 C Steffen Kanitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 16263 D Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 16265 D Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretä- rin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16266 D Dr . Heinz Riesenhuber (CDU/CSU) . . . . . . . . 16268 B Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16268 D Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16270 B Tagesordnungspunkt 22: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes über die finanzielle Hilfe für Dopingop- fer der DDR (Zweites Dopingopfer-Hilfege- setz) Drucksache 18/8040 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16271 C Dr . Ole Schröder, Parl . Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16271 D Dr . André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 16273 B Michaela Engelmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 16274 B Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16275 B Johannes Steiniger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 16276 B Jeannine Pflugradt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 16277 C Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Sigrid Hupach, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einrichtung einer Kommission beim Bun- desministerium der Finanzen zur Evaluie- rung der Staatsleistungen seit 1803 Drucksache 18/4842 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16278 D Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 16278 D Margaret Horb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 16279 D Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 16281 B Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16281 C Andreas Schwarz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 16282 C Markus Koob (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 16283 C Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 16285 A Zusatztagesordnungspunkt 7: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Aktuelle Tarifrunde im Bund und in den Kommunen – Den öffentlichen Dienst gerecht entlohnen Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 16286 B Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/ CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16287 B Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16288 C Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD) . . . . . . . . 16289 D Oswin Veith (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 16290 D Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 16292 A Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . 16293 A Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16294 A Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 16294 D Bernd Rützel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16295 D Mark Helfrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 16296 C Albert Weiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 16297 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16298 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 III Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 16299 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16300 A Textrahmenoptionen: 30,5 mm Abstand oben (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16231 165. Sitzung Berlin, Freitag, den 15. April 2016 Beginn: 9 .00 Uhr
  • folderAnlagen
    Albert Weiler (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16299 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15 .04 .2016 Bär, Dorothee CDU/CSU 15 .04 .2016 Barthle, Norbert CDU/CSU 15 .04 .2016 Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15 .04 .2016 Beckmeyer, Uwe SPD 15 .04 .2016 Bilger, Steffen CDU/CSU 15 .04 .2016 Dobrindt, Alexander CDU/CSU 15 .04 .2016 Ebner, Harald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15 .04 .2016 Ernstberger, Petra SPD 15 .04 .2016 Fuchs, Dr . Michael CDU/CSU 15 .04 .2016 Gabriel, Sigmar SPD 15 .04 .2016 Gottschalck, Ulrike SPD 15 .04 .2016 Grindel, Reinhard CDU/CSU 15 .04 .2016 Gutting, Olav CDU/CSU 15 .04 .2016 Hendricks, Dr . Barbara SPD 15 .04 .2016 Hochbaum, Robert CDU/CSU 15 .04 .2016 Huber, Charles M . CDU/CSU 15 .04 .2016 Jung, Andreas CDU/CSU 15 .04 .2016 Jung, Dr . Franz Josef CDU/CSU 15 .04 .2016 Kaster, Bernhard CDU/CSU 15 .04 .2016 Koenigs, Tom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15 .04 .2016 Korte, Jan DIE LINKE 15 .04 .2016 Kühn (Tübingen), Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15 .04 .2016 Launert, Dr . Silke CDU/CSU 15 .04 .2016 Lemke, Steffi BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15 .04 .2016 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 15 .04 .2016 Leyen, Dr . Ursula von der CDU/CSU 15 .04 .2016 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15 .04 .2016 Müntefering, Michelle SPD 15 .04 .2016 Nietan, Dietmar SPD 15 .04 .2016 Özoğuz, Aydan SPD 15 .04 .2016 Pfeiffer, Dr . Joachim CDU/CSU 15 .04 .2016 Poschmann, Sabine SPD 15 .04 .2016 Rößner, Tabea BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15 .04 .2016 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15 .04 .2016 Schäuble, Dr . Wolfgang CDU/CSU 15 .04 .2016 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 15 .04 .2016 Schmitt, Ronja CDU/CSU 15 .04 .2016 Silberhorn, Thomas CDU/CSU 15 .04 .2016 Steinbach, Erika CDU/CSU 15 .04 .2016 Strebl, Matthäus CDU/CSU 15 .04 .2016 Tack, Kerstin SPD 15 .04 .2016 Uhl, Dr . Hans-Peter CDU/CSU 15 .04 .2016 Veit, Rüdiger SPD 15 .04 .2016 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15 .04 .2016 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15 .04 .2016 Wicklein, Andrea SPD 15 .04 .2016 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 15 .04 .2016 Zollner, Gudrun CDU/CSU 15 .04 .2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 201616300 (A) (C) (B) (D) Anlage 2 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Bundesrat hat in seiner 943 . Sitzung am 18 . März 2016 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen bzw . einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über Tabak- erzeugnisse und verwandet Erzeugnisse Der Bundesrat hat hierzu ferner folgende Entschlie- ßung gefasst: Der Bundesrat verweist auf seine Stellungnahme vom 29 . Januar 2016 (BR-Drucksache 630/15 – Beschluss –) und fordert die Bundesregierung erneut auf, sich gegen- über der Kommission für angemessene Übergangsfristen für die notwendigen Produktionsumstellungen der Her- steller einzusetzen . Die Anbringung der neuen Warnhin- weise auf Verpackungen für Tabakerzeugnisse und ver- wandte Erzeugnisse sollte erst nach einer Übergangsfrist von 15 Monaten erfolgen . Begründung: Die Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parla- ments und des Rates vom 3 . April 2014 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitglied- staaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeug- nissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG (EU-Tabakerzeugnisrichtlinie) ist von den Mitgliedstaa- ten der Europäischen Union (EU) bis zum 20 . Mai 2016 in nationales Recht umzusetzen . Obwohl die EU-Tabakerzeugnisrichtlinie bereits am 29 . April 2014 im Amtsblatt der EU veröffentlicht wur- de, hat das zuständige Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft erst im Juli 2015 erste Referenten- entwürfe für die notwendigen nationalen Umsetzungsre- gelungen vorgelegt . Die Beteiligung der Länder erfolgte erst im November 2015 . Außer auf das Gesetz zur Umsetzung der Richtli- nie über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnis- se ( TabakerzG) wartet die Tabakindustrie gemeinsam mit ihren Zulieferern für Maschinen und Verpackungen auch noch auf die in der Tabakerzeugnisverordnung ( TabakerzV) enthaltenen Vorgaben zur Umsetzung . Erst mit Inkrafttreten des TabakerzG und der Taba- kerzV herrscht Rechtssicherheit und die erforderliche Planungssicherheit für die notwendigen Investitionen . Selbst wenn beide nationalen Umsetzungsvorschriften noch im März 2016 verkündet würden, blieben den be- troffenen Unternehmen höchstens noch zwei Monate, um die erforderlichen Umstellungen in den Produktionsab- läufen durchzuführen . – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über die Ver- gleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von Zahlungskonten sowie den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen – Drittes Gesetz zur Änderung des Aufstiegsfortbil- dungsförderungsgesetzes – Gesetz zur Änderung des Designgesetzes und wei- terer Vorschriften des gewerblichen Rechtsschut- zes – Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes zur Einführung von Grundsätzen für die Kosten von Wasserdienstleistungen und Wassernutzungen sowie zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes – Gesetz zur Anpassung der Zuständigkeiten von Bundesbehörden an die Neuordnung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV-Zu- ständigkeitsanpassungsgesetz – WSVZuAnpG) Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit- geteilt, dass sie die Anträge Reform der Pflegeausbil- dung auf gesichertes Fundament stellen auf Drucksa- che 18/5383 sowie Europaweiten Atomausstieg voranbringen – Euratom-Vertrag reformieren oder aussteigen auf Drucksache 18/6205 zurückzieht . Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Innenausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Wahlkreiskommission für die 18. Wahl- periode des Deutschen Bundestages gemäß § 3 des Bundeswahlgesetzes Drucksache 18/3980 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ergänzender Bericht der Wahlkreiskommission für die 18. Wahlperiode des Deutschen Bundesta- ges Drucksache 18/7350 Ausschuss für Arbeit und Soziales – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die gesetzli- che Rentenversicherung, insbesondere über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der Nachhaltigkeitsrücklage sowie des jeweils erfor- derlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Ka- lenderjahren (Rentenversicherungsbericht 2013) und Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversi- cherungsbericht 2013 Drucksachen 18/95, 18/305 Nr. 3 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16301 (A) (C) (B) (D) – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und über das Unfall- und Berufskrankheitengeschehen in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2012 Drucksache 18/179 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die gesetzli- che Rentenversicherung, insbesondere über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der Nachhaltigkeitsrücklage sowie des jeweils erfor- derlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Ka- lenderjahren (Rentenversicherungsbericht 2014) Drucksache 18/3260 hier: Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenver- sicherungsbericht 2014 Drucksache 18/3387 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und über das Unfall- und Berufskrankheitengeschehen in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2013 Drucksachen 18/3474 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die gesetzli- che Rentenversicherung, insbesondere über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der Nachhaltigkeitsrücklage sowie des jeweils erfor- derlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Ka- lenderjahren (Rentenversicherungsbericht 2015) und Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversi- cherungsbericht 2015 Drucksachen 18/6870, 18/7116 Nr. 1 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und über das Unfall- und Berufskrankheitengeschehen in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2014 Drucksachen 18/6980, 18/7116 Nr. 5 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat . Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/5459 Nr . A .3 Ratsdokument 9077/15 Drucksache 18/7934 Nr . A .1 Ratsdokument 6135/16 Innenausschuss Drucksache 18/6417 Nr . A .5 Ratsdokument 11958/15 Drucksache 18/6417 Nr . A .6 Ratsdokument 11977/15 Drucksache 18/6417 Nr . A .11 Ratsdokument 12043/15 Drucksache 18/6417 Nr . A .12 Ratsdokument 12044/15 Drucksache 18/6417 Nr . A .13 Ratsdokument 12046/15 Drucksache 18/6417 Nr . A .14 Ratsdokument 12047/15 Drucksache 18/6417 Nr . A .15 Ratsdokument 12048/15 Drucksache 18/6417 Nr . A .16 Ratsdokument 12049/15 Drucksache 18/6607 Nr . A .7 Ratsdokument 12190/15 Drucksache 18/6607 Nr . A .9 Ratsdokument 12459/15 Drucksache 18/6607 Nr . A .10 Ratsdokument 12460/15 Drucksache 18/7612 Nr . A .6 Ratsdokument 15391/15 Drucksache 18/7612 Nr . A .8 Ratsdokument 15398/15 Finanzausschuss Drucksache 18/7612 Nr . A .19 Ratsdokument 5515/16 Drucksache 18/7612 Nr . A .20 Ratsdokument 5516/16 Drucksache 18/7733 Nr . A .8 Ratsdokument 5636/16 Drucksache 18/7733 Nr . A .9 Ratsdokument 5637/16 Drucksache 18/7733 Nr . A .12 Ratsdokument 5640/16 Haushaltsausschuss Drucksache 18/7612 Nr . A .21 KOM(2015)801 endg . Drucksache 18/7612 Nr . A .22 KOM(2015)802 endg . Drucksache 18/7612 Nr . A .23 KOM(2015)803 endg . Drucksache 18/7612 Nr . A .24 KOM(2015)804 endg . Drucksache 18/7934 Nr . A .10 Ratsdokument 6091/16 Drucksache 18/7934 Nr . A .11 Ratsdokument 6100/16 Drucksache 18/7934 Nr . A .12 Ratsdokument 6336/16 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/7934 Nr . A .19 Ratsdokument 5574/16 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 201616302 (A) (C) (B) (D) Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Drucksache 18/7733 Nr . A .20 Ratsdokument 5771/16 Drucksache 18/7733 Nr . A .21 Ratsdokument 5772/16 Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Drucksache 18/7612 Nr . A .32 EP P8_TA-PROV(2016)0020 Drucksache 18/7934 Nr . A .22 EP P8_TA-PROV(2016)0043 Drucksache 18/7934 Nr . A .23 EP P8_TA-PROV(2016)0044 Drucksache 18/7934 Nr . A .24 EP P8_TA-PROV(2016)0051 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 18/5286 Nr . A .16 Ratsdokument 8886/15 165. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 19 Weiterentwicklung der transatlantischen Beziehungen TOP 20 Änderung des SGB II – Rechtsvereinfachung TOP 21 Atomausstieg TOP 22 Dopingopfer-Hilfegesetz TOP 23 Evaluierung der Staatsleistungen an Kirchen ZP 7 Aktuelle Stunde zur Tarifrunde im öffentlichen Dienst im Bund und in den Kommunen Anlagen Anlage 1 Anlage 2
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816500000

Die Sitzung ist eröffnet . Nehmen Sie bitte Platz .

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich .

Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, möchte
ich dem Kollegen Heinz Wiese nachträglich zu seinem
71 . Geburtstag sowie dem Kollegen Ulrich Freese gra-
tulieren, der am Dienstag seinen 65 . Geburtstag gefeiert
hat . Ihnen wollen wir alle guten Wünsche des Hauses ins
neue Lebensjahr mitgeben .


(Beifall)


Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Die transatlantischen Beziehungen zukunfts-
fest weiterentwickeln

Drucksache 18/8072

Dazu soll nach einer Vereinbarung der Fraktionen eine
Aussprache von 77 Minuten stattfinden. – Dazu stelle ich
Einvernehmen fest . Also können wir so verfahren .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Kollegen Peer Steinbrück für die SPD-Frak-
tion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peer Steinbrück (SPD):
Rede ID: ID1816500100

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ich würde gerne einige Bemerkungen machen, die
über den Text des Antrages von CDU/CSU und SPD hi-
nausgehen . Dazu gehört am Beginn das Eingeständnis,
dass die transatlantischen Beziehungen und namentlich
auch die deutsch-amerikanischen Beziehungen nicht frei
von mancher Befremdung und auch manchen Differen-
zen sind .

Aus europäischer und deutscher Sicht spielt dabei die
Entwicklungsgeschichte des Irakkriegs mit den fatalen

Folgen einer Destabilisierung der ganzen Nahostregion
eine erhebliche Rolle . Die NSA-Überwachungsaktivitä-
ten haben uns empört, jedenfalls so lange, bis der BND
bei ganz ähnlichen Aktivitäten erwischt wurde .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Die inzwischen sehr starke ideologische Aufladung
des politischen Systems in den USA mit einer scharfen
Polarisierung der Parteien im amerikanischen Kongress
befremdet uns . Sie geschieht ausgerechnet in dem Land,
das uns Deutschen die Demokratie, die Bedeutung von
Checks and Balances und die zentrale Bedeutung, einen
Kompromiss zu finden, maßgeblich beigebracht hat.

Wir beobachten zusammen mit vielen Amerikanern
im derzeitigen Präsidentschaftsvorwahlkampf eine Art
Verwahrlosung der politischen Sitten . Gelegentlich geht
jedenfalls mir die Frage durch den Kopf, ob die viel zi-
tierte Wertegemeinschaft auf Donald Trump noch zu-
trifft . Die gesellschaftliche und politische Vorbildrolle,
die die USA über lange Nachkriegsjahrzehnte gerade in
Deutschland gehabt hat, ist jedenfalls deutlich getrübt .

Fairerweise wird man allerdings auch sagen müssen,
dass es aus US-amerikanischer Sicht ebenfalls einiges an
Befremdung und Kritik gibt, was Europa und namentlich
Deutschland angeht . Die Amerikaner können bis heute
ein außen- und sicherheitspolitisch kohärentes Konzept
Europas, in dem es selber Verantwortung für seine Si-
cherheit übernimmt, nicht erkennen . Auch wehren sie
sich – teilweise nachvollziehbar, teilweise nicht – gegen
erhebliche Vorwürfe, die ihnen gelegentlich wegen ihrer
Polizistenrolle gemacht werden, die sie in vielen Regi-
onen ausüben, während sie gleichzeitig für europäische
Sicherheitsinteressen einspringen müssen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir sind zwar gelegentlich befremdet und halten das
enorme amerikanische militärische Potenzial und seinen
Einsatz für suspekt, aber wenn dann die sechste Flotte
der Vereinigten Staaten von Amerika vor der östlichen
Mittelmeerküste patrouilliert und Präsenz zeigt und Ein-
sätze auch gegen den IS fliegt, ist uns dies ganz recht.






(A) (C)



(B) (D)


Gelegentlich ist in dieser Debatte eine gewisse Heuchelei
festzustellen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Namentlich auch die deutsche sicherheits- und bünd-
nispolitische Zuverlässigkeit ist jedenfalls manchmal
von den Amerikanern hinterfragt worden, nicht aktuell,
aber in der Rückbetrachtung des letzten Jahrzehnts . Die
Untätigkeit und Unwilligkeit der Europäer, die USA,
die immerhin 70 Prozent des Verteidigungsbudgets der
NATO finanzieren, gelegentlich auch zu entlasten, führt
jedenfalls zu gewissen Missstimmungen in den USA .
Das erstreckt sich aus der amerikanischen Sicht auch auf
die Unfähigkeit der Mitgliedstaaten der Europäischen
Währungsunion, den Euro zu stabilisieren und damit An-
steckungsgefahren für das globale Finanzsystem einzu-
dämmen . Das führt zu dem nicht sehr schmeichelhaften
politischen Attest, dass die Europäer selbst nicht in der
Lage seien, sich zu organisieren .

So sind die transatlantischen Beziehungen Mitte des
zweiten Jahrzehnts des 21 . Jahrhunderts keineswegs frei
von Belastungen und Vorhaltungen . In Deutschland ist
deshalb in manchen Debatten – wir werden das zugeben
müssen – auch gelegentlich ein Antiamerikanismus fest-
zustellen . Umgekehrt ist in den USA ein zunehmendes
Desinteresse an Europa festzustellen mit einer deutliche-
ren Hinwendung zum asiatisch-pazifischen Raum.

All dies vorausgeschickt und dessen unbenommen
bleibt richtig, dass es keine andere so eng verbundene
Staatengemeinschaft gibt wie die Europas und der Verei-
nigten Staaten von Amerika,


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


und zwar historisch, wirtschaftlich, zivilisatorisch, kul-
turell und mit den enormen Errungenschaften der beiden
atlantischen Revolutionen von 1776 und 1789 mit den
Prinzipien von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit,
Menschenrechten und Marktwirtschaft . Das hat der deut-
sche Historiker Heinrich August Winkler das normative
Projekt des Westens genannt .

Ja, die Praxis mit ihren Unvollkommenheiten, mit
ihren Defiziten, mit ihren Ungerechtigkeiten und auch
gelegentlich mit den Verletzungen dieser Prinzipien ent-
sprach und entspricht nicht durchweg diesem normativen
Projekt . Aber die Grundrechtserklärung von Virginia
1776 und die französische Erklärung der Menschen- und
Bürgerrechte von 1789 sind und bleiben einzigartige
Errungenschaften, auf denen die Staatswesen in Europa
und in den USA und unser gemeinsames Gesellschafts-
system des Westens nach wie vor aufbauen .

Diese Errungenschaften finden sich nicht in einem eu-
rasischen Modell des russischen Präsidenten Putin . Diese
finden sich nicht in einem staatskapitalistischen System
mit einem kommunistischen Überbau in China . Diese
finden sich nicht in islamischen Staaten. Diese finden
sich nicht in all den anderen Staaten autokratischer oder
diktatorischer Provenienz, sondern diese finden sich hier.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer auch immer deshalb die Frage – auch aufgrund
gelegentlich auftauchender Kritik – nach einem anderen
Partner, nach einem anderen Alliierten, mit dem wir in
Europa unsere Werte und beständigen Interessen ver-
folgen können, auch nur unterschwellig stellt, der muss
passen . Wer auch immer die Frage hinzufügt, ob Europa
eines Partners auf der anderen Seite des Atlantiks bedarf,
dem antworte ich mit einem klaren Ja .

In einer gefährlichen Welt, in der einige Kräfte ihr
Unwesen treiben, die nicht verhandlungsfähig und nicht
verhandlungsbereit sind, mit den diversen Konflikten
und auch neuen sogenannten hybriden Kriegen an der
Peripherie Europas, bleibt eine transatlantische Rückver-
sicherung für Europa von zentraler Bedeutung .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Eine solche Rückversicherung verlangt von uns Eu-
ropäern und auch von uns Deutschen aber auch einen
Beitrag, der sich gewiss auf diplomatische, humanitäre,
wirtschaftliche und entwicklungspolitische Anstrengun-
gen erstrecken muss, der sich aber eben auch auf die
Abschreckungsfähigkeit der NATO und die Einsatz- und
Bündnisfähigkeit der Bundeswehr erstrecken muss .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dieser Satz ist in der deutschen Öffentlichkeit nicht
sehr populär, aber er gehört in diese Debatte . Man kann
nicht nach einer globalen Ordnung rufen, die uns mög-
lichst viel Chaos, Anarchie und menschliches Leid er-
spart und dann der uns aus westlicher Sicht zwar nicht
mehr singulären, aber jedenfalls immer noch dominant
erscheinenden Ordnungsmacht, nämlich den USA, die
Unterstützung verweigern . Dies ist widersprüchlich .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


All denjenigen – möglicherweise auch in diesem Hau-
se –, die bei diesem Satz zögern oder sogar Zweifel an
seiner Richtigkeit erwecken, stelle ich die Frage: Welche
andere Ordnungsmacht hätten Sie denn lieber?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Russland! – Gegenruf des Abg . Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ist das langweilig, Herr Kauder!)


Über die Sicherheitsaspekte, die ich bisher erwähnt
habe, hinaus werden sich Europa und die USA mit massi-
ven globalen Verschiebungen beschäftigen müssen . Der
Anteil der Bevölkerung dieser beiden Kontinente bzw .
Teilkontinente an der Weltbevölkerung ist in den letzten
40 Jahren auf 10 Prozent zurückgegangen, und er wird
weiter schrumpfen . Der gemeinsame Anteil der USA
und Europas am globalen Bruttonationaleinkommen ist
in dieser Zeit von 60 Prozent auf 45 Prozent zurückge-
gangen, und er wird weiter abnehmen . Der Anteil dieser
beiden Kontinente bzw . Teilkontinente am Welthandel
ist von rund 30 Prozent auf inzwischen 20 Prozent zu-
rückgegangen, und er wird weiter abnehmen . Das ist ein
Indiz dafür, dass wir es mit globalen tektonischen Ver-
schiebungen zu tun haben . Die Welt wird multipolarer
mit dynamisch aufsteigenden Regionen . Darüber darf
sich der atlantische Raum mit seinen politischen, gesell-

Peer Steinbrück






(A) (C)



(B) (D)


schaftlichen, wirtschaftlichen und auch technischen Er-
rungenschaften nicht marginalisieren .

Schließlich sind die globalen Herausforderungen wie
der Klimawandel sowie die Bekämpfung von Terroris-
mus, organisierter Kriminalität, Pandemien und Steuer-
betrug mit keiner anderen Macht zu lösen als mit den
USA . Ohne das Gewicht der USA an der europäischen
Seite werden diese Probleme nicht bewältigt werden
können .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Auf die aktuellen zentralen Probleme und kritischen
Einwände zu dem Projekt, das uns am meisten in den
transatlantischen Beziehungen beschäftigt – das ist das
Freihandelsabkommen TTIP –, will ich nur wenige Wor-
te verwenden, nicht aus Geringschätzung gegenüber den
Problemen und kritischen Einwendungen, sondern aus
Zeitgründen . Mir sind – genauso wie Ihnen und weiten
Teilen der Bevölkerung – alle diese Probleme bewusst .
Ich will diese gar nicht in Abrede stellen . Aber ich möchte
auf drei Aspekte in der Debatte über dieses Freihandels-
abkommen aufmerksam machen .

Erstens . Wer mit einem sehr skeptischen Blick auf
die teilweise anarchische Entwicklung der Globalisie-
rung schaut, wird für Leitplanken und Verkehrsregeln im
weltweiten Handel eintreten und sich die Frage stellen
müssen, ob in diesem Sinne TTIP nicht eine Chance ist .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Zweitens . Wenn sich die Europäer und die Amerika-
ner nicht auf ein solches Freihandelsabkommen eini-
gen – das kann passieren –, dann stellt sich die Frage,
wer stattdessen die Spielregeln global bestimmen wird,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


und das vor dem Hintergrund der Dynamik anderer Welt-
regionen, die mit Sicherheit zu Ergebnissen kämen, die
europäischen Standards und europäischen Vorstellungen
nicht entsprechen würden . Die augenblickliche Debatte,
die wir zur Lage der europäischen und deutschen Stahlin-
dustrie führen, ist ein leichtes Indiz dafür, was es bedeu-
ten würde, wenn andere die Leitplanken und Verkehrsre-
geln im weltweiten Handel bestimmen würden .

Drittens . Ist TTIP über seine ökonomische Bedeutung
hinaus nicht auch von einem erheblichen strategischen
Stellenwert im Verhältnis von Europa zu den USA, oder
wie würden sich die transatlantischen Beziehungen in ih-
rer Qualität entwickeln, wenn TTIP scheitern sollte?

Diese drei Fragen möchte ich über die ziemlich ni-
veaulose Debatte über das Chlorhähnchen hinaus stärker
öffentlich debattiert haben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Mein Plädoyer für eine Revitalisierung der transat-
lantischen Beziehungen folgt keinem Verständnis eines
subalternen oder bedenken- und kritiklosen Verhältnisses
Europas zu den USA, sondern einer sehr nüchternen Sicht
auf unsere beständigen europäischen und deutschen Inte-
ressen, getreu einem Zitat des ehemaligen britischen Pre-
mierministers Lord Palmerston aus dem 19 . Jahrhundert,

der einmal sinngemäß, bezogen auf England, gesagt hat,
dass England weder ewige Freunde noch ewige Feinde,
sondern nur beständige Interessen hat . Die beständigen
Interessen Deutschlands und Europas gelten einem guten
transatlantischen Verhältnis .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816500200

Stefan Liebich ist der nächste Redner für die Fraktion

Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816500300

Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Wenn die transatlantischen Beziehun-
gen wirklich die Bedeutung haben, die der Kollege
Steinbrück eben beschrieben hat, dann finde ich es schon
erstaunlich, dass kein einziger Minister an dieser Debatte
teilnimmt .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte mit einem Blick zurück beginnen . Heute
vor 71 Jahren haben Truppen der Vereinigten Staaten und
Großbritanniens die niederländische Stadt Arnheim am
Rhein endgültig erobert . Damit ist der Zweite Weltkrieg,
den Nazideutschland entfesselt hat, seinem Ende entge-
gengegangen . Am 8 . Mai war es so weit: Die Sowjet-
union, die USA, Frankreich und Großbritannien haben
Deutschland befreit, und dafür sind wir uneingeschränkt
dankbar .


(Beifall im ganzen Hause)


Das alliierte Bündnis hat nicht lange gehalten .
Deutschland wurde in West und Ost geteilt, und im Wes-
ten Deutschlands haben die USA eine Perspektive ange-
boten, aus Hunger und Not zu entfliehen und das Land
aus den Ruinen wieder aufzubauen . Diese Hilfe wurde
angenommen und war Grundlage für das Wirtschafts-
wunder der 50er-Jahre. Viele Menschen empfinden dafür
große Dankbarkeit . Es hat sich ein festes Bündnis zwi-
schen der Bundesrepublik und den USA entwickelt, und
dieses Bündnis wurde nach dem Beitritt der DDR auch
auf den Osten Deutschlands übertragen .

Am 12 . September 2001, also einen Tag nach den
schrecklichen Terroranschlägen in New York City und
Washington, hat Gerhard Schröder gesagt: Es geht um
die Tatsache, dass Deutschland fest an der Seite der Ver-
einigten Staaten steht und uneingeschränkt – ich betone
das: uneingeschränkt – Solidarität übt .

Uneingeschränkte Solidarität – das war lange das
Dogma im Umgang mit den Vereinigten Staaten . Aber,
liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zeiten haben sich
geändert . Unser Bild von den USA ist nicht mehr von
den 50er-Jahren, der Nachkriegszeit geprägt – Rock ‘n‘
Roll, Kaugummi, Elvis Presley – oder von den Protesten
gegen den Vietnamkrieg und den Koreakrieg . Ich glaube,
dass die heutige Generation tatsächlich mehr über 9/11,

Peer Steinbrück






(A) (C)



(B) (D)


über Bushs Krieg gegen den Terror, über die Lügen über
Massenvernichtungswaffen im Irak, über die Bespitze-
lung der US-Geheimdienste auch hier in Deutschland
nachdenkt und dass sie an US-Bürger wie Snowden und
Manning denkt, die als Whistleblower wichtige Ver-
dienste haben .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Charles de Gaulle hat gesagt: Zwischen Staaten gibt es
keine Freundschaft, sondern nur Allianzen . Die Allianz
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA
hat sich über die Jahrzehnte geändert . Ich würde sagen:
Sie ist erwachsen geworden . Unter Erwachsenen kann
man auch Nein sagen, und man muss Nein sagen, wenn
etwas erwartet wird, was man falsch findet.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es war deshalb richtig, dass die damalige Bundesre-
gierung dem Irakkrieg George W . Bushs widersprochen
hat . Die Folgen dieses Krieges, wie zum Beispiel die
Entstehung der Terrororganisation Daesh oder ISIS, be-
kommen wir bis heute zu spüren . Es war richtig, dass
sich Deutschland nicht am NATO-Einsatz in Libyen be-
teiligt hat, den vor allem Hillary Clinton vorangetrieben
hat . Dieser Krieg hat eine ganze Region destabilisiert .

Aber auch die USA haben sich verändert . Die Brücke
über den Pazifik ist mittlerweile wichtiger für viele dort
als die über den Atlantik . Da nostalgisch-sentimental zu
werden, ist sinnlos . The Times They Are a-Changin‘, die
Zeiten ändern sich eben . Der Präsidentschaftswahlkampf
zeigt das in aller Schärfe . In den USA wird so erbittert
gestritten wie wohl nie zuvor .

Über Amerikas Rolle in der Welt, Herr Steinbrück, ob
die USA überhaupt noch eine globale Ordnungsmacht
sein wollen oder können, darüber gibt es Streit . Die Fra-
ge der Krankenversicherung, der Cannabislegalisierung,
des Verbots von Abtreibungen, die Frage, wer wen heira-
ten darf, die Frage, ob man sich Kuba oder Iran annähert
oder lieber nicht – es ist für uns nicht egal, wer dieses
Land regiert, auch für uns hier in Deutschland nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Schauen Sie sich den Präsidentschaftskandidaten
Donald Trump an, einen Sexisten, einen Rassisten, der
eine Mauer zu Mexiko errichten will, der sich nicht vom
Ku-Klux-Klan distanziert, der für Foltermethoden ist,
die noch schärfer sind als Waterboarding, oder Ted Cruz,
einen religiösen Fanatiker, der die Gesundheitsversiche-
rung wieder abschaffen will, der das Atomabkommen
aufheben will, der auf noch mehr Militär setzt und von
dem viele nicht ganz zu Unrecht sagen, dass er vielleicht
nicht so laut ist wie Donald Trump, aber noch gefährli-
cher .

Auf der anderen Seite gibt es jemanden wie den Se-
nator Bernie Sanders aus Vermont, der sich selbst de-
mokratischer Sozialist nennt, was in den USA früher
ein politisches Todesurteil gewesen wäre . Ich konnte es

kaum glauben: Vorgestern waren fast 50 000 Menschen
in Manhattan auf den Beinen, um ihm zuzujubeln .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das war eine der größten Wahlkampfkundgebungen in
der US-Geschichte . Er will die Superreichen besteuern .
Er will die Unigebühren abschaffen . Er will den Mindest-
lohn anheben . Er will die Spaltung zwischen Arm und
Reich bekämpfen, und er wendet sich gegen ungerechte
Freihandelsabkommen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ein demokratischer Sozialist für das Weiße Haus –
ich würde mich wirklich freuen, wenn es so käme; aber
selbst wenn nicht: Die Politik der Demokraten hat er jetzt
schon verändert .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die USA sind eben mehr, mehr als Wall Street, Pentagon
und Langley .

Bruce Springsteen hat gesungen: „Born in the USA“ .
Er hat jetzt ein Konzert in North Carolina abgesagt, weil
dort eine gesetzliche Diskriminierung von Transsexuel-
len stattfindet. Auch das ist Amerika.


(Beifall der Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE] und Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es gibt das andere Amerika . Es ist bunt . Es ist weltoffen .
Es ist tolerant . Es ist progressiv . Schon allein deshalb
kann Antiamerikanismus niemals links sein .


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ist das logisch? Nein!)


Die Welt ist eine andere geworden . Die Antworten
sind häufig noch die alten. Das muss und darf nicht so
bleiben . Es ist Zeit für eine neue transatlantische Partner-
schaft, die auf globaler Gerechtigkeit, auf Respekt und
auf Frieden basiert . Sie könnte mit einem wichtigen Sig-
nal begonnen werden: dem Abzug der US-Atomwaffen
aus Deutschland .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816500400

Peter Beyer ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Beyer (CDU):
Rede ID: ID1816500500

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
damit starten, dem Kollegen Sven Volmering zu seinem
heutigen 40 . Geburtstag herzlich zu gratulieren .


(Beifall)


Dann wäre auch das in die Debatte eingebracht .

Stefan Liebich






(A) (C)



(B) (D)


Meine Damen und Herren, in den vergangenen De-
batten – –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816500600

Ich vermute, Herr Kollege, dass da wenig zu debat-

tieren ist .


Peter Beyer (CDU):
Rede ID: ID1816500700

Das stimmt .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816500800

Der Sachverhalt ist ziemlich eindeutig .


(Heiterkeit)



Peter Beyer (CDU):
Rede ID: ID1816500900

Danke für den Hinweis, Herr Präsident . Ein Hinweis,

der von Ihnen kommt, ist natürlich immer richtig .


(Heiterkeit – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bringt eine Minute!)


– Alles meine Redezeit; das stimmt .

Meine Damen und Herren, ich fange noch einmal an .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Nein, nein, nein! Das gilt als geredet! – Heiterkeit)


Also: In den transatlantischen Debatten in den vergan-
genen Jahren haben wir uns eigentlich immer nur ein-
zelnen Elementen dieses sehr wichtigen Verhältnisses
gewidmet . Es waren besondere Anlässe . Es ging dabei
um Jubiläen . US-Präsidenten haben wichtige Reden in
dieser Stadt gehalten . „Mr . Gorbachev, open this gate!
Mr . Gorbachev, tear down this wall!“ Oder: „Ich bin ein
Berliner“ . So etwas haben wir zum Anlass genommen .
Es ging auch um komplizierte, problematische Themen
wie den NSA-Abhörskandal oder TTIP . Deswegen ist es
richtig, dass wir heute – darüber freue ich mich – im Ple-
num nach einigen Jahren zum ersten Mal wieder eine Ge-
neraldebatte, eine breit angelegte Debatte zu den trans-
atlantischen Verhältnissen führen .

Meine Damen und Herren, warum ist es wichtig, sich
den transatlantischen Beziehungen breit angelegt zu wid-
men? Weil wir feststellen werden – wem es noch nicht
klar ist, der möge jetzt zuhören –, dass uns weitaus mehr
verbindet, als uns trennt . Die transatlantischen Beziehun-
gen sind nicht von ungefähr eine der wichtigsten Säu-
len der deutschen Außen-, Sicherheits- und auch Wirt-
schaftspolitik . Eine Bestandsaufnahme wird uns sehr
rasch zu der Erkenntnis führen, dass Deutschland den
Vereinigten Staaten von Amerika sehr viel verdankt . Ich
nenne den Marshallplan . Ich nenne die Tatsache, dass die
Vereinigten Staaten während der Zeit des Kalten Krieges
ein Garant der Freiheit waren . Ich nenne auch die Wie-
dervereinigung, die ohne die Vereinigten Staaten nicht
möglich gewesen wäre .

Umgekehrt haben viele Deutsche daran mitgewirkt,
die Vereinigten Staaten so aufzubauen, wie wir sie heute
kennen . Erst vor kurzer Zeit haben 50 Millionen US-Bür-
ger – das ist ungefähr ein Sechstel der dortigen Bevölke-

rung – angegeben, deutsche Wurzeln zu haben . Das ist
die größte Gruppe dort . Elvis Presley wurde in der De-
batte schon einmal genannt . Da fällt mir noch ein: Auch
er hat deutsche Wurzeln . Seine Familie hieß ursprünglich
Pressler; es waren Deutsche . Auch in diesem Bereich
gibt es transatlantische Beziehungen . Das ist letztlich
ebenfalls eine Säule . Das geht bis hin zu zwei ehemali-
gen US-Präsidenten, die direkt deutsche Wurzeln haben .

Meine Damen und Herren, das alles ist Teil unserer
gemeinsamen transatlantischen Geschichte, in der auch
Deutsche in unserem Partnerland, in den USA, ihre Spu-
ren hinterlassen haben .

Die amerikanischen Freunde erkennen den deutschen
Beitrag zur Entwicklung ihres Landes durchaus an . Ich
zitiere an dieser Stelle den ehemaligen Transatlantik-Ko-
ordinator und Vorsitzenden der Deutsch-Amerikanischen
Parlamentariergruppe, Hans-Ulrich Klose:

Sie haben uns politisch dadurch gedankt, dass sie
die Wiedervereinigung möglich gemacht haben .

Es sind eben diese gemeinsamen Werte, die wir na-
türlich auch immer wieder hinterfragen müssen, die uns
aber mit gemeinsamen Interessen wie keine zwei ande-
ren Partner auf der Welt verbinden . Wir sind auch stra-
tegischer Partner – wahrscheinlich der einzige wirkliche
Partner der USA . Auf wen sonst sollte man sich trotz der
Krisen und Probleme, die auch wir in Europa haben, in
den USA stützen bei der Bewältigung internationaler Kri-
sen und globaler Fragen, wenn nicht auf uns Europäer?

Zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme gehört aber
auch – ich bin dankbar, dass meine beiden Vorredner,
insbesondere Kollege Steinbrück, darauf hingewiesen
haben –, die Probleme anzusprechen . Der NSA-Ab-
hörskandal wurde bereits genannt . Ich könnte eine ganze
Reihe von anderen Dingen, die in einem sehr komplexen,
historisch gewachsenen Verhältnis nun einmal passieren,
nennen . Diese müssen wir ansprechen . Stefan Liebich
hatte es so definiert: Die transatlantischen Beziehungen
sind erwachsen geworden . – Dem stimme ich durchaus
zu .

Meine Damen und Herren, ich habe aber manchmal
den Eindruck, dass wir in den transatlantischen Bezie-
hungen irgendwie gefangen sind, festsitzen zwischen
einer Vergangenheit, die ich gerade kurz skizziert habe,
und der Zukunft, den Zukunftsthemen und dass wir hier
Orientierung brauchen . Dabei sollte es doch gar nicht
so schwierig sein, Orientierung zu finden. Denn es gibt
eine ganze Palette globaler Herausforderungen, bei de-
nen wir wissen, dass es wenig klug und auch überhaupt
nicht machbar ist, einzelstaatliche Lösungen zu finden –
übrigens auch keine Lösungen, die wir nur in Europa
oder nur in den Vereinigten Staaten angehen können . Da
müssen wir uns zusammentun und überall dort, wo wir
gemeinsame Interessen haben, die Kräfte bündeln . Das
betrifft Themen wie die Sicherheit, den Kampf gegen den
Terrorismus und die Bewältigung der Herausforderungen
bei den Klimaveränderungen .

Im Zusammenhang mit Wirtschaftsthemen möchte
ich das Augenmerk kurz auf das Freihandelsabkommen
TTIP, das gerade verhandelt wird, lenken . Wir sind ja be-

Peter Beyer






(A) (C)



(B) (D)


reits wichtige Handelspartner . Nun soll der bedeutendste
Wirtschaftsraum der Welt geschaffen werden . Kollege
Steinbrück hat die Verlagerung des geopolitischen und
bevölkerungsentwicklungsmäßigen Gewichts in den
USA, aber auch weltweit angedeutet . Das ist eine Wahr-
heit, die wir einfach zur Kenntnis nehmen müssen, insbe-
sondere dann, wenn wir uns einmal selbst die Frage stel-
len: Wie wollen wir eigentlich hier in Deutschland und
Europa in Zukunft leben? Die Antwort muss doch lauten:
auch in Zukunft in Sicherheit und relativem Wohlstand .
Und noch einmal möchte ich betonen, dass wir das al-
leine nicht hinbekommen . Dazu braucht es einen star-
ken Partner, und da sind uns die Vereinigten Staaten von
Amerika und übrigens auch die Kanadier am nächsten .
Dann kann das funktionieren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn ich von den Kanadiern spreche, möchte ich na-
türlich auch nicht unerwähnt lassen, dass es auch hier im
transatlantischen Verhältnis ein Megaprojekt gibt, das es
noch zu ratifizieren bzw. umzusetzen gilt: das Freihan-
delsabkommen zwischen der Europäischen Union und
Kanada, abgekürzt CETA, das als Blaupause für TTIP
gelten soll. Es ist final verhandelt und kürzlich noch um
ein Investitionsschutzkapitel erweitert worden, das jetzt
auch den Sorgen der Bevölkerung, der Öffentlichkeit
Rechnung trägt . Es muss jetzt zügig die Voraussetzung
geschaffen werden, dass das umgesetzt wird, dass wir es
ratifizieren können, damit es im Laufe des nächsten Jah-
res, 2017, auch tatsächlich in Kraft treten kann .

Auch für TTIP gilt: Es geht voran, und es geht gut
voran . Bei allen Zweifeln, die ich hier immer wieder höre
angesichts eines solchen Projekts: Bei dem transatlanti-
schen Projekt unserer Zeit, bei dem es eben nicht nur um
blanke Wirtschaftszahlen, sondern auch um geopoliti-
sche und geostrategische Aspekte, Klugheit und Richtig-
keit geht, geht es voran . Zuversichtlich bin ich, dass wir
noch während der Amtszeit der derzeitigen US-Adminis-
tration, die ja immerhin noch bis zum 20 . Januar 2017
geht, zu guten Ergebnissen kommen .

Gerade in der heutigen Zeit ist es richtig, wieder Brü-
cken zu schlagen, teilweise angekratztes Vertrauen im
transatlantischen Verhältnis wiederherzustellen und auf-
zubauen, gegenseitiges Verständnis für unterschiedliche
Ansichten über durchaus gleichgelagerte Sachverhalte
zu gewinnen . Das geht natürlich am besten, indem man
sich wechselseitig begegnet und miteinander redet . Viele
Austauschprogramme leisten das bereits, von den politi-
schen Stiftungen über die transatlantischen Vereinigun-
gen wie Atlantik-Brücke, GMF, Aspen und wie sie alle
heißen, bis hin zur AmCham, die in diesem Bereich gute
Arbeit leistet . Deswegen ist es gut, dass bereits zum fünf-
ten Mal der amerikanische Präsident in wenigen Tagen
hier nach Deutschland zur Hannover Messe kommt . Die
Vereinigten Staaten sind dieses Jahr Partnerland . Hier
wird es wieder Gelegenheit zu vielen Begegnungen auf
vielen Ebenen, auch auf hochrangiger Ebene, geben . Das
schafft Brücken und schafft Vertrauen, das wir zueinan-
der haben und das wir weiterentwickeln müssen .

Lassen Sie uns die transatlantische Partnerschaft für
eine gemeinsame globale Strategie eines geschlossenen,
der Zukunft zugewandten Westens nutzen . Lassen Sie
uns gemeinsam mit den Amerikanern und den kanadi-
schen Freunden Teil des Teams sein, das den Westen re-
konstruiert, nicht territorial, wie es der eine oder andere
östlich von uns auf dem Globus machen möchte, sondern
durch strategisch kluge Arbeitsteilung bei den globalen
Herausforderungen . Denn es geht um unser Land, unse-
re Sicherheit und nicht zuletzt um die Sicherung unseres
Wohlstands .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816501000

Jürgen Trittin ist der nächste Redner für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen .


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816501100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Deut-

sche haben zu den USA eine besonders enge Beziehung .
Das kann man daran sehen, wie die US-Präsidentschafts-
wahlen hier verfolgt werden: Trump gegen Cruz, Sanders
gegen Clinton . Dies alles wird verfolgt – Herr Liebich hat
das schon angesprochen –, als würde man mitwählen . Ich
finde, das ist ein gutes Zeichen für die transatlantischen
Beziehungen . Es zeigt, dass sie tief in der Gesellschaft,
bei den Menschen verwurzelt sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das macht auch die Spannung darüber aus, was da-
bei herauskommt, was uns erwartet . Ein neuer Kurs der
Isolation? Eine Abschottung, wofür Ted Cruz und Trump
zum Beispiel plädieren?


(Peter Beyer [CDU/CSU]: Warten Sie es einmal ab!)


Eine interventionsfreudigere Präsidentin wie Hillary
Clinton?


(Peter Beyer [CDU/CSU]: Sie sind noch nicht einmal Kandidaten!)


Die Frage stellt sich natürlich auch und gerade vor dem
Hintergrund: Wie war das bis jetzt?

Ich will an dieser Stelle eines deutlich sagen: Die
acht Jahre der Obama-Administration waren gute Jahre
für die transatlantischen Beziehungen . Präsident Barack
Obama war ein kluger Präsident, manchmal auch klüger
als die Bundeskanzlerin . Er war nämlich schon 2003 ge-
gen den Irakkrieg, mit dessen Folgen wir noch zu tun
haben . Er war mit seiner Gesundheitsreform ein mutiger
Präsident . Manche halten ihn für einen schwachen Prä-
sidenten . Das ist ein Irrtum . Schwach war sein Vorgän-
ger . Der Unilateralismus eines George W . Bush hat im
Ergebnis zu weniger Ansehen, weniger Macht und weni-
ger Handlungsspielraum für die USA geführt . Das ist die

Peter Beyer






(A) (C)



(B) (D)


Ursache für die Überdehnung der einstigen Supermacht
USA gewesen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Obama hat aus dieser Erkenntnis nur die Konsequenz
gezogen, nämlich umgestellt auf eine kluge Realpolitik .
Er hatte die Erkenntnis, dass auch die Supermacht USA
die Folgen der Globalisierung nicht alleine bewältigen
kann . Er hat auf Kooperation gesetzt . Das hat er getan
beim Klimaabkommen in Paris . In Kioto standen sie noch
abseits . Jetzt haben sie durch ihre Kooperation mit China
dieses Abkommen überhaupt erst möglich gemacht .

Dann gibt es auch eine andere transatlantische Ge-
meinsamkeit, nämlich die Konsequenz, dass jetzt über
Dekarbonisierung nicht nur in Schlusserklärungen von
Elmau geredet wird . Nein, man sollte doch einmal zur
Kenntnis nehmen, dass jenseits des Atlantiks die Familie
Rockefeller sagt: Wir investieren künftig nicht mehr in
fossile Energien . – Vielleicht kommt das auch bei Sigmar
Gabriel irgendwann einmal an .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich will sehr deutlich sagen, dass es die Obama-Admi-
nistration gewesen war, die – auch gegen eine Mehrheit
im Kongress, die dafür gewesen ist, den Ukraine-Krieg
und die Krise dort mit Waffenlieferungen zu verschär-
fen – durchgesetzt hat, dem Verhandlungskurs der Euro-
päer und der deutschen Bundesregierung in dieser Fra-
ge den Rücken freizuhalten . Auch das hat letztendlich
Minsk möglich gemacht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich bin ich bei Ihnen, Herr Liebich: Atomwaf-
fen in Büchel – das ist ein schlechtes Kapitel .

Ich bin auch bei all denen, die sagen: Obamas Vision
einer nuklearwaffenfreien Welt ist noch nicht Wirklich-
keit geworden . – Aber ich möchte auch auf eines hinwei-
sen: Der einzige wirkliche Schritt nuklearer Abrüstung
der vergangenen Jahre ist mit diesem Präsidenten mög-
lich gewesen: Es ist selbstbewussten Europäern – zusam-
men mit den USA und zusammen mit China und Russ-
land – gelungen, ein nukleares Wettrüsten mit dem Iran
im Nahen Osten zu unterbinden . Das wollen Ted Cruz
und Donald Trump jetzt rückgängig machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich finde, das ist eine gute Bilanz. Das knüpft übri-
gens an Vorarbeiten deutscher Außenminister, Fischer,
Westerwelle, Steinmeier, an .

Es gibt aber natürlich Dinge, wo man auch Klartext
reden muss . Warum zum Beispiel gibt es – obwohl man
jetzt dabei ist, mit Russland zu verhandeln – für Syri-
en immer noch kein UN-Mandat? Wir Deutsche sollten
klarmachen, dass wir den Willen zur Kooperation begrü-
ßen . Aber Kooperation ist noch kein Multilateralismus
im Rahmen der Vereinten Nationen .

Oder nehmen wir ein anderes Beispiel, ein Beispiel,
das auch die Stärke von Demokratien aufzeigt . Obama

hat jetzt in einem Interview gesagt, sein schlimmster
Fehler war die Intervention in Libyen . – Da war Frau
Merkel übrigens klüger .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Ich sage das an dieser Stelle, weil damals eine ganze Bat-
terie von Leitartiklern in diesem Land geschrieben hat,
diese Haltung – sie wurde übrigens von fast allen Partei-
en in diesem Hause getragen – sei Antiamerikanismus .
Nein! Ich glaube, es war richtig, vor einer Intervention zu
überlegen, was das an Konsequenzen haben kann . Des-
wegen glaube ich, dass diese Selbstkritik berechtigt war .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Natürlich muss man darüber sprechen, dass unter der
Präsidentschaft Obamas der Drohnenkrieg ausgeweitet
worden ist . Das geschah übrigens auch über Ramstein .
Wir alle wissen, dass dies im Kampf gegen den Terroris-
mus vielfach eben nicht hilfreich war . Im Gegenteil: Die-
ser Drohnenkrieg in Somalia, im Jemen und in Pakistan
hat weite Teile dieser Regionen destabilisiert . Und wir
wissen: Destabilisierte Räume sind Räume für Terroris-
mus . Ich glaube, an dieser Stelle ist dann auch Klartext
angesagt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Manchmal stellt man ja fest, dass die Herausforde-
rungen, vor denen wir stehen, sehr ähnlich sind . Rechten
Terror gibt es – angefangen bei Timothy McVeigh – in
den USA ebenso wie bei uns, wo es um den NSU geht .
Es gibt islamistische Terroristen in San Bernardino, aber
auch in Europa, in Molenbeek und hier . Ich glaube, dass
wir eine gemeinsame Herausforderung haben, dem zu
begegnen . Dem wird man übrigens nicht mit neuen Mau-
ern begegnen können, sondern nur, wenn man darauf
setzt, dass wir unsere Werte – nämlich demokratische
Gesellschaften, die auf Teilhabe abzielen – wirklich ernst
nehmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist der tiefe Grund für die Freundschaft und die Zu-
sammenarbeit mit den USA .

Dabei sollte man sich vor Überheblichkeit schützen .
Gerade im Zusammenhang mit TTIP gibt es auch solche
Stimmen, nach dem Motto: Hier in Europa ist alles gut,
und in den USA ist alles schlecht . – Ich will Ihnen nur ein
Beispiel geben: Kennen Sie den Unterschied zwischen
Good Governance und Bad Governance? Good Gover-
nance: Die USA haben eine Environmental Protection
Agency . – Wir haben Alexander Dobrindt .


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, Gott sei Dank! – Jürgen Hardt [CDU/ CSU]: Das ist jetzt aber ein Kalauer!)


Die einen sorgen mit Milliardenstrafen dafür, dass VW
geltendes Recht einhält; die anderen tragen großes Karo
zur Schau und tauchen ansonsten ab .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jürgen Trittin






(A) (C)



(B) (D)


Deswegen glaube ich, meine Damen und Herren, dass wir
uns auch bei TTIP darum bemühen sollten, vonei nander
zu lernen, um den jeweils besseren Standard durchzu-
setzen . Aber das, lieber Kollege Steinbrück – ich teile ja
Ihre strategische Überlegung –, was da im Rahmen der
realen Geschichte, der TTIP-Verhandlungen, passiert, ist
doch kein „levelling up“, vielmehr ist es ein „race to the
bottom“, das hier organisiert wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was erzählen Sie denn dem deutschen Mittelständler,
der künftig in den USA weiter mit „‚Buy American‘-
claus es“ konfrontiert sein wird, mit Regeln, die bei uns
gegen den Binnenmarkt verstoßen?

Das ist doch gegen die Marktwirtschaft und gegen den
Mittelstand .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie sagen, es solle neue Leitplanken geben . Schauen
Sie sich doch mal die Kapitel zur regulatorischen Koope-
ration an! Dann stellen Sie fest: Hier wird ein bürokra-
tisches Monster geschaffen, das gerade verhindern soll,
dass besser demokratisch reguliert wird, dass es mehr
Leitplanken gibt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist das Gegenteil von dem, was Sie uns zurzeit bei
TTIP versprechen . Meine Damen und Herren, wie man
so etwas organisiert, erleben wir jeden Tag im TTIP-Le-
seraum . Wir können jetzt diese Debatte gar nicht mitei-
nander führen, weil das Einzige ist, was ich dazu sagen
kann – um Thomas de Maizière zu zitieren –: Das könnte
die Bevölkerung schwer verunsichern .


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das ist übrigens der Grund, warum am 23 . April viele
Menschen in Hannover gegen TTIP demonstrieren wer-
den . Diejenigen, die da demonstrieren, sind aber keine
Antiamerikaner . Sie wissen: Nur fairer Handel ist freier
Handel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie können sich dabei auf viele Menschen, auch in den
USA, berufen . Ich zitiere:

… wir sollten … auf … Regelungen verzichten
… die Unternehmen das Recht einräumen, auslän-
dische Regierungen gerichtlich dazu zu zwingen,
Umweltstandards zu senken oder das öffentliche
Gesundheitswesen zu verschlechtern …

Hillary Clinton .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Oder:

Ich glaube an fairen Handel, von dem der Mittel-
stand und … Familien profitieren, nicht nur große
multinationale Konzerne .

Bernie Sanders .

Also: Demonstrieren wir nächste Woche Samstag ge-
meinsam im Geiste von Sanders und Clinton für fairen
Freihandel, für soziale Marktwirtschaft und Demokratie .
Das ist gelebte deutsch-amerikanische Freundschaft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816501200

Das Wort erhält jetzt die Kollegin Dagmar Freitag für

die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1816501300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das

transatlantische Verhältnis – ein immer wieder polari-
sierendes Thema . Die einen denken an Persönlichkeiten
wie Martin Luther King mit seiner weltberühmten Rede
„I have a dream“ auf den Stufen des Lincoln Memori-
als . Andere haben ein geradezu verklärtes Bild von dem
„sweet land of liberty“, das für viele als Einwanderungs-
land so attraktiv ist .

Dagegen haben wir natürlich auch andere Assozia-
tionen, die uns – ich muss das einräumen – manchmal
einigermaßen fassungslos machen: Guantánamo, Wa-
terboarding, die laschen Waffengesetze, der ungeheure
Einfluss der Waffenlobby auf politische Entscheidungs-
träger, Schüsse weißer Polizisten auf farbige Landsleute
oder auch die Todesstrafe, die es immer noch in vielen
Bundesstaaten der Vereinigten Staaten gibt .

Diese wenigen Beispiele sind – je nach Standpunkt –
Gründe entweder für einen geradezu plumpen Antiame-
rikanismus oder aber für ein relativ verklärtes Bild dieses
Landes . Beides ist aus meiner Sicht nicht gerechtfertigt .

Die Beziehungen zu Kanada und den Vereinigten
Staaten haben für unser Land – Herr Kollege Steinbrück
hat nachdrücklich darauf hingewiesen – eine besonde-
re Bedeutung . Unbestritten ist aber auch: Es hat immer
wieder Irritationen gegeben . Wir müssen daran arbeiten,
sie abzubauen, und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks .
Dabei ist natürlich ein kritischer Blick völlig unverzicht-
bar . Denn nur so kann eine Partnerschaft, die Werten ver-
pflichtet ist, auch wirklich gelebt werden.

Klar ist aber auch: Diese Partnerschaft hat nichts von
ihrer Bedeutung eingebüßt . Ich würde sagen: Vielleicht
ist sie heute wichtiger denn je . Denn in einer globali-
sierten Welt sehen sich Deutschland und natürlich auch
Europa ganz gewaltigen Herausforderungen gegenüber .
Außenminister Steinmeier hat zu Beginn seiner zweiten
Amtszeit davon gesprochen, dass die Welt aus den Fugen
geraten sei . An dieser Zustandsbeschreibung, liebe Kol-
leginnen und Kollegen, hat sich bis heute nichts geän-
dert – leider! Brutale Bürgerkriege, zerfallende Staaten,
auch zunehmende Wetterextreme – all das löst Fluchtbe-
wegungen von Millionen von Menschen aus . Deren Fol-
gen kann kein Staat im Alleingang bewältigen . Diese und

Jürgen Trittin






(A) (C)



(B) (D)


weitere Herausforderungen machen klar: Deutschland
und Europa brauchen verlässliche Partner .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben mehrfach
darauf hingewiesen: Gute transatlantische Beziehungen
sind keine Selbstverständlichkeit, kein Selbstläufer .

Ein Beispiel, das zugegebenermaßen keine weltpoli-
tische Bedeutung hat, aber für den Deutschen Bundes-
tag, für uns alle hier, von besonderer Bedeutung ist, ist
das Parlamentarische Patenschafts-Programm . Das US
State Department hat vor zwei Jahren einseitig die pari-
tätische Finanzierung, die über 30 Jahre funktioniert hat,
aufgekündigt und damit dieses wunderbare Austausch-
programm letztlich infrage gestellt . Dieses Programm
hat immerhin mehr als 23 000 junge Menschen aus unse-
ren Ländern in das jeweilige Partnerland geführt, hat die
Gelegenheit gegeben, Kultur und vieles andere kennen-
zulernen, die Sprache zu lernen . Es war klar erkennbar:
Die Prioritäten des State Department hatten sich auch bei
diesen Austauschprogrammen auf andere Regionen die-
ser Welt verlagert . Dann ist es parteiübergreifend durch
Gespräche zwischen Abgeordneten gelungen, die Finan-
zierung auf den alten Ansatz zurückzuführen . Ich möchte
die Gelegenheit nutzen, den Kolleginnen und Kollegen
aus allen Fraktionen dieses Hauses, aber auch den Kol-
legen auf amerikanischer Seite – namentlich möchte ich
G . T . Thompson und Jim McDermott nennen – dafür zu
danken, dass es gemeinsam gelungen ist, das Programm
zum alten Ansatz zurückzuführen . Das ist eine gute
Nachricht für Deutschland und für die USA . Es ist vor
allen Dingen eine gute Nachricht für junge Menschen
beider Länder .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Und es zeigt eines: Das letzte Wort haben nicht Ministe-
riale, sondern die Parlamentarier .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg . Peter Beyer [CDU/ CSU])


Herausforderungen sind dazu da, angenommen
zu werden . Die Suche nach Lösungen – so schwer sie
manchmal auch sein mag – kann auch zusammenschwei-
ßen . Wir haben es heute Morgen mehrfach gehört: Die
transatlantischen Beziehungen sind weit mehr als nur
eine Zweckgemeinschaft . Deshalb lohnt es sich, daran
zu arbeiten, dafür zu kämpfen . Wir sind dazu bereit . Der
vorliegende Antrag zeigt auf, in welche Richtung es wei-
tergehen soll . Ich bin froh, dass wir heute Morgen Gele-
genheit hatten, dies sehr deutlich zu machen . Auch das ist
ein Zeichen an die andere Seite des Atlantiks . In diesem
Sinne werbe ich um die Zustimmung für unseren Antrag .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816501400

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Klaus

Ernst das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816501500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die bisherige Debatte zeigt – und das ist unbe-
stritten –, dass ein Amerika in der Form nicht existiert,
sondern dass es Licht und Schatten gibt . Das Problem
ist: Wie reagiert unsere Bevölkerung auf Vorgänge, die
die Debatte in den letzten Monaten und Jahren belastet
haben? Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass die Bezie-
hungen zu den Vereinten Staaten von Amerika auf ge-
meinsamen Werten – ich zitiere –,

auf den Prinzipien von Demokratie, Rechtsstaatlich-
keit, Freiheit, Marktwirtschaft und Respekt vor dem
Individuum gründen .


(Peter Beyer [CDU/CSU]: So sieht es aus!)


– So sieht es aus, aber leider nicht immer in der Praxis .

Amerika hat eben zwei Seiten . Das ist in den Reden,
die wir hier gehört haben und denen ich nur zustimmen
kann, deutlich zum Ausdruck gekommen . Nur: Wenn
wir selber nicht versuchen, in den Beziehungen zu den
Vereinigten Staaten diese Werte, Freiheit, Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit, hochzuhalten und zu verteidigen,
auch wenn Dinge passieren, die wir nicht wollen, dann
wird die Bevölkerung eher ein negatives Bild von Ame-
rika und übrigens auch von uns selber erhalten .

Ich frage mich nach wie vor: Welche Konsequenzen
wurden eigentlich aus dem Abhörskandal – die Kanzlerin
wurde ja nun abgehört, das ist bekannt – gezogen? Inwie-
weit sind wir tatsächlich bereit, die Werte, auf die wir uns
beziehen und die Sie in Ihrem Antrag hervorheben, zu
verteidigen, auch im Verhältnis zu den USA?


(Beifall bei der LINKEN)


Aber wenn jemand sagt: „Das ist nicht in Ordnung, dass
wir das nicht tun“, dass wir als Europäer zu unterwürfig
seien, dann kommt der Vorwurf des Antiamerikanismus .
Dabei bezieht sich die Kritik auf sehr konkrete Vorgänge,
durch die diese Werte wie Demokratie und Rechtsstaat-
lichkeit, die Sie in den Vordergrund stellen, verteidigt
werden sollen . Insofern möchte ich den Vorwurf des An-
tiamerikanismus in dieser Debatte mit aller Schärfe zu-
rückweisen . Es gibt Kritik, die ist berechtigt, und das ist
kein Antiamerikanismus .


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Warum gibt es die gegen Russland eigentlich nicht?)


Meine Damen und Herren, ich erinnere an die
McCarthy-Zeit in Amerika, in der Chaplin und andere vor
einen Ausschuss für antiamerikanische Umtriebe gezerrt
wurden . Ich habe durch diesen Vorwurf des Antiamerika-
nismus den Eindruck, einige wollen die McCarthy-Zeit

Dagmar Freitag






(A) (C)



(B) (D)


in Europa wieder einführen . Bitte, das brauchen wir
nicht, das ist nicht notwendig, und das können wir lassen .


(Beifall bei der LINKEN – Peter Beyer [CDU/ CSU]: Das ist ja Unsinn, was Sie erzählen!)


Jetzt kommen wir zu den zentralen Werten Rechts-
staatlichkeit und Demokratie, und dann komme ich, Herr
Steinbrück, auch auf die von Ihnen erwähnten Abkom-
men mit den USA und Kanada. Die Verhandlungen fin-
den und fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt,
übrigens auch weitgehend unter Ausschluss der Abge-
ordneten, und zwar bis heute . Ich frage mich, wo da die
Grundlagen dieser transatlantischen Freundschaft, näm-
lich Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, sind . Zur De-
mokratie gehört eben auch Transparenz, und die haben
Sie nicht hergestellt .


(Beifall bei der LINKEN – Peter Beyer [CDU/CSU]: Das hat damit nichts zu tun!)


Nach wie vor sind Schiedsgerichte vorgesehen . Der
Deutsche Richterbund sagt: Die Schaffung von Sonder-
gerichten für einzelne Gruppen und Rechtsgesuche ist
der falsche Weg und rechtlich nicht akzeptabel . – Meine
Damen und Herren, auch das hat mit Rechtsstaatlichkeit
nichts zu tun . Im Übrigen: Bei den Abkommen sind be-
sondere Gremien vorgesehen, die an den Entscheidun-
gen der Parlamente vorbei Regelungen setzen können,
die völkerrechtlich verbindlich sind . Auch das hat mit
Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun .

Die Entscheidung, dass man CETA und TTIP vor-
läufig in Kraft setzt, also bevor Parlamente darüber bei
der Behandlung eines entsprechenden Gesetzes über-
haupt debattiert haben, wertet Wolfgang Weiß, Professor
Dr . Wolfgang Weiß, folgendermaßen: Er sagt: Es ist ver-
fassungsrechtlich und demokratiepolitisch unakzeptabel,
dass die vorläufige Anwendung eines Abkommens an den
Parlamenten vorbei erfolgt . – Meine Damen und Herren,
auch das hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deshalb sage ich Ihnen: Das, was Sie hier praktizie-
ren, oder das, was Sie hier versuchen zu praktizieren,
nämlich ein Gebilde auf vernünftige Werte zu beziehen,
während diese Werte in der Praxis, insbesondere im Zu-
sammenhang mit den Handelsabkommen, der Realität
nicht standhalten, führt dazu, dass sich Bürgerinnen und
Bürger wehren und dass sie – meines Erachtens ist das
eigentlich nicht richtig – das Verhältnis der Europäer zu
den USA generell infrage stellen .

Diese Handelsabkommen nützen nicht den Bürgern in
den USA, sie nützen nicht den Bürgern in Europa .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist für die absolute Minderheit, was Sie da sagen!)


Deswegen werden sie abgelehnt, und deshalb traut sich
auch kein Präsidentschaftskandidat in Amerika, gegen-
wärtig im Wahlkampf für diese Handelsabkommen ein-
zutreten . Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen und
diesen Unfug lassen .

Ich danke fürs Zuhören .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816501600

Das Wort erhält nun der Kollege Jürgen Hardt für die

CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1816501700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

haben heute viele gute Reden zum Thema „transatlanti-
sche Partnerschaft“ gehört .


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das war sie gerade! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die letzte gehörte nicht dazu!)


Dafür möchte ich danken, das gilt fraktionsübergreifend .
Wir haben aber das eine oder andere gehört, auf das ich
kurz eingehen möchte . Das eine oder andere fehlt viel-
leicht noch .

Herr Liebich, wenn Sie für Herrn Sanders hier im
Deutschen Bundestag die Lanze brechen, dann müssen
Sie überlegen, ob das in Amerika wirklich als Unterstüt-
zung dieses Kandidaten aufgefasst wird .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Auf jeden Fall!)


Ich fürchte, das ist ein – wie nennt man das? – Danaerge-
schenk, was Sie da bringen .


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Keine Sorge!)


Herr Trittin, vor zwei Jahren haben Sie einen Euro-
pawahlkampf geführt mit der Legende vom Chlorhühn-
chen . Leider setzen Sie diese Legendenbildung weiter
fort . Zum Thema Handelsabkommen möchte ich nur
zwei Dinge konkret anmerken: Erstens . Die Vorstellung,
wir Europäer würden den Amerikanern einen Gefallen
tun, wenn wir ein solches Abkommen abschließen, ist
Unsinn . Umgekehrt: Wir sind die Nation, Deutschland
in Europa, bei der mit Abstand die meisten Arbeitsplätze
vom Außenhandel abhängen . Deswegen ist es in erster
Linie in unserem, im deutschen und im europäischen,
Interesse, dass wir zu einem guten und hohe Standards
sichernden Handelsabkommen mit den USA und mit Ka-
nada kommen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zweitens zum Thema Inhalte . Wir haben jetzt ein gut
ausgehandeltes, faires Abkommen der Europäischen
Union mit Kanada, CETA, auf dem Tisch liegen .


(Zuruf der Abg . Katja Kipping [DIE LINKE])


Das ist der Beleg dafür, dass die Europäische Kommissi-
on, dass die neue Handelskommissarin, Frau Malmström,
der Generaldirektor Demarty und der Chefunterhändler
Bercero eine gute Arbeit machen und dass wir darauf set-
zen dürfen, dass das, was wir, die Mitgliedstaaten der Eu-
ropäischen Union, der Kommission als Leitplanken, als
Verhandlungsmaßstab für dieses Abkommen mitgegeben
haben, auch umgesetzt und durchgesetzt wird . Da alle

Klaus Ernst






(A) (C)



(B) (D)


europäischen Parlamente, auch der Deutsche Bundestag,
eines Tages einem Eins-zu-eins-Text des Abkommens in
der jeweiligen Sprache zustimmen müssen, bevor es in
Kraft tritt, bitte ich Sie wirklich: Lassen Sie uns doch
die Verhandler ihre Arbeit machen, und belasten wir das
Thema nicht mit neuen Legenden . Es schadet im Übrigen
auch uns, wenn wir die Perspektiven auf das Handelsab-
kommen so einseitig verschieben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir auf den Zustand der transatlantischen Part-
nerschaft blicken, können wir feststellen, dass – der
Ukra ine-Konflikt ist ein Beispiel dafür – die amerikani-
sche Führung seit einigen Jahren stärker auf Europa setzt,
stärker auf den partnerschaftlichen Ansatz gemeinsam
mit uns, auch stärker auf die Meinung und die Position
der Europäer, sie umgekehrt aber auch mehr Verantwor-
tungsbereitschaft und eine stärkere Übernahme von Ver-
antwortung von uns erwartet . Ich plädiere dafür, dass wir
uns dieser Aufgabe stellen, dass wir darüber im Einzel-
fall diskutieren, wir diese Aufgabe aber ernsthaft wahr-
nehmen und alle Anstrengungen unternehmen, ein guter
Partner in dieser Zusammenarbeit zu sein, der entspre-
chend seiner Leistungsfähigkeit das Nötige tut .

Die Amerikaner haben nach dem Zweiten Weltkrieg
mit dem Marshallplan ein großartiges Beispiel gesetzt,
indem sie den Wiederaufbau Europas und nicht zuletzt
Deutschlands ermöglicht haben . Wenn Sie Luftbilder
von Aleppo sehen, fühlen Sie sich frappierend erinnert
an Luftbilder von Dresden vom Februar 1945 . Es wird
unsere gemeinsame Aufgabe sein, den Wiederaufbau
Syriens, aber auch den Wiederaufbau Libyens und ande-
rer Regionen, die in dieser Art und Weise zerstört sind,
die keine Heimat für Menschen mehr sein können, zu
gewährleisten . Wir können nicht darauf vertrauen, dass
wiederum die Amerikaner in ihr Geldsäckel greifen und
das alles finanzieren. Vielmehr werden sie auf uns setzen,
auf Europa setzen . Sie werden darauf setzen, dass wir
unseren Beitrag zum Wiederaufbau leisten . Ich bin dafür,
dass wir uns dafür einsetzen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir haben in der transatlantischen Partnerschaft gegen-
wärtig einen Kontakt auf Regierungs- und Parlaments-
ebene, wie er enger möglicherweise allenfalls in den
Jahren 1989/1990 im Zusammenhang mit der deutschen
Einheit gewesen ist . Zum fünften Mal kommt der ame-
rikanische Präsident nach Deutschland . Als der neue
Speak er, der neue Mehrheitsführer im Abgeordnetenhaus
der Vereinigten Staaten von Amerika, vergangene Woche
seine Reise auf dieser Seite des Atlantiks beendete, hat er
als einziges Land Deutschland besucht . Er hat den Bun-
destagspräsidenten getroffen und mit ihm über die Zu-
kunft der transatlantischen Beziehungen gesprochen . Das
ist ein klares Zeichen dafür, dass gerade auch Deutsch-
land in dieser transatlantischen Partnerschaft eine star-
ke Rolle zukommt . In den letzten zwölf Monaten waren
mehr Abgeordnete aus Amerika, Mitglieder des Kon-
gresses, hier in Deutschland als jemals zuvor . Ich glau-
be, dass auch mehr deutsche Abgeordnete nach Amerika

gereist sind als jemals zuvor . Das sind ganz wichtige und
gute Entwicklungen und Anknüpfungspunkte .

Wir haben die Mittel für den German Marshall Fund,
der unsere Antwort auf die großzügige Marshallhilfe der
Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg war – er wur-
de von Willy Brandt ins Leben gerufen –, aufgestockt .
Der Staatsminister im Außenministerium hat, glaube ich,
gerade gestern die Finanzzusage gemacht, mit der die
Arbeit dieser wichtigen Institution auf höherem Niveau
fortgeführt werden kann .

Aber es muss eben auch jede Generation ihr Narrativ,
ihre Geschichte der transatlantischen Freundschaft, der
transatlantischen Partnerschaft neu erfinden. Deswegen
bin ich dafür, dass wir die Agenda der Themen der trans-
atlantischen Partnerschaft, über die außen- und sicher-
heitspolitischen Fragen und die wirtschaftspolitischen
Fragen – TTIP – hinaus, erweitern um die Themen, die
gerade die junge Generation ansprechen . Amerika schaut
auf Deutschland und Europa, wenn es zum Beispiel um
die Energiewende geht . Es gibt ganz viele Kontakte,
auch auf Ebene der Bundesländer, zu den US-Bundes-
staaten . Es gibt zum Beispiel einen ständigen Energie-
dialog Deutschlands mit Minnesota, bei dem es um die
Frage geht: Wie geht Deutschland diesen Weg? Das Wort
„Energiewende“ ist ähnlich wie der Begriff „Kindergar-
ten“ in die amerikanische Sprache eingegangen, zumin-
dest bei denen, die sich mit diesen Themen befassen .

Wir als Deutsche sind für die Amerikaner auch ein
gutes Beispiel für die Bekämpfung von Jugendarbeitslo-
sigkeit durch gute Ausbildung . Wenn ich als Koordinator
für die transatlantische Zusammenarbeit nach Amerika
reise und dort unterwegs bin, bekomme ich immer einen
Termin beim Gouverneur oder bei dem für Bildung im
jeweiligen Staat Zuständigen, weil die Amerikaner sich
enorm für das interessieren, was wir bei der Bildung von
Jugendlichen und der Vermeidung von Jugendarbeitslo-
sigkeit beim Übergang von der Schule ins Berufsleben
auf die Beine stellen . Da schaut sich Amerika einige Din-
ge von uns ab . Dieses Pfund sollten wir herausstellen .

Wir sollten dafür sorgen, dass in unseren Austausch-
programmen die gesellschaftliche Wirklichkeit in un-
seren Ländern immer gut abgebildet wird . Ich glaube,
dass bei den Schülern und Studenten, die aus Amerika zu
uns kommen, die African Americans oder die Amerika-
ner asiatischer oder lateinamerikanischer Herkunft noch
unterrepräsentiert sind . Bei uns sind in den Austausch-
programmen möglicherweise diejenigen Jugendlichen
unterrepräsentiert, die aus Migrantenfamilien kommen .
Ich kann die Kolleginnen und Kollegen des Deutschen
Bundestages bei der Auswahl von Kandidaten für diese
Programme nur bitten und auffordern, auch einen Blick
darauf zu wenden, dass die deutsche Gesellschaft und die
amerikanische Gesellschaft sich ein Stück verändern . Ich
glaube allerdings, dass wir da auf einem guten Weg sind .


(Dagmar Freitag [SPD]: Sehr gut!)


Wenn wir uns manchmal über Amerika ärgern, dann
hat das vielleicht auch damit zu tun, dass wir glauben,
dass wir Amerika so gut kennen . Ich nenne das Ver-
trautheitsillusion . Jeder von uns erlebt in seinem Alltag
ständig amerikanische Alltagskultur; unsere Fernseh-

Jürgen Hardt






(A) (C)



(B) (D)


sendungen und Fernsehserien, Produktwelten usw . sind
stark amerikanisch geprägt . Wenn die Amerikaner dann
doch an dem einen oder anderen Punkt anders ticken als
wir, dann sind wir entsetzt und schockiert . Das wären wir
nicht, wenn es um einen anderen ausländischen Partner
ginge . Umgekehrt ist es ähnlich . 30 Prozent der Ameri-
kaner sind deutscher Abstammung, übrigens auch Paul
Ryan; die Familie kommt nicht nur aus Irland, sondern
auch aus Regensburg, wie er uns erzählt hat . Die Ameri-
kaner sagen: Wir sind doch ursprünglich selbst Europäer .
Warum versteht ihr uns nicht besser?

Wir müssen klar feststellen: Es gibt Unterschiede zwi-
schen dem amerikanischen Denken und dem deutschen
und dem europäischen Denken . Aber diese Unterschied-
lichkeit ist eine Chance, gemeinsam den besseren Weg
zu finden. Wir sollten bereit sein, in dieser Partnerschaft
mehr Verantwortung zu übernehmen, was die Außen-
und Sicherheitspolitik und die Wirtschaftspolitik angeht .
Die Welt braucht mehr transatlantische Partnerschaft . In
diesem Sinne ist dieser Antrag ein starkes Bekenntnis zu
diesem Weg auch in der Zukunft .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816501800

Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Trittin

das Wort .


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816501900

Lieber Herr Kollege Hardt, Sie haben in Antwort auf

mich über Ihr großes Vertrauen in die Verhandlungen
durch die Europäische Union gesprochen . Ich will vor-
weg eine Bemerkung machen: Ich bin gebürtiger Bremer .
Wir hatten schon Globalisierung im Mittelalter . Das hieß
damals Hanse . Ohne die Hanse gäbe es heute keinen Bor-
deaux . Ich bin also kein Gegner des Freihandels .

Vielleicht hätten Sie sich die Mühe machen sollen,
auf die konkreten Argumente einzugehen . Ist es nicht
wahr, dass die Verfassung der Vereinigten Staaten es der
Administration überhaupt nicht erlaubt, die Staaten der
Föderation zu binden und beispielsweise Buy American
Clauses zu verbieten? Ist das nicht ein Gefälle gegenüber
der Europäischen Union, wo solche Ausschreibungen
schlicht und ergreifend gegen die Regeln des Binnen-
marktes verstoßen würden?

Ich füge ein Zweites hinzu . Sie haben gesagt, dass Sie
Vertrauen in die Kommission haben . Schauen Sie sich
doch einmal die veröffentlichten Papiere zur regulatori-
schen Kooperation an, die aus Europa kommen . Die glei-
che Kommissarin, die sagt, dass sie das Vorbeugeprinzip
nicht verhandelt – das ist ein Kern europäischer Umwelt-
politik –, legt ein Modell vor, wonach Regierungen ge-
zwungen sind, ein Jahr im Voraus ihre Absichten bekannt
zu geben, was sie möglicherweise regulieren würden . In
dem Modell ist detailliert festgeschrieben, wer vorher zu
befragen ist und wie auf Einwände zu reagieren ist, und es
soll eine Pflicht geben, am Ende des Jahres einen Bericht
darüber vorzulegen, was erfolgt ist und was nicht . Das
ist ein bürokratisches Monster . Wenn sich das irgendeine

Umweltpolitikerin oder ein Umweltpolitiker ausgedacht
hätte, dann wären die Handelskammern, dann wären Sie
auf den Barrikaden, um solch ein Monster zu verhindern .
Hier sagen Sie, dass Sie Vertrauen haben, dass die Euro-
päer das machen .

Merken Sie sich eines: Ich habe vorhin bewusst ge-
sagt, dass es nicht die Amerikaner sind, sondern dass es
auch die Verhandlungsstrategie der Europäischen Union
ist . Für diese Verhandlungsstrategie muss sich auch die
Bundesregierung mitverantworten, weil sie am Ende im
Rat zustimmen muss .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816502000

Zur Erwiderung, Herr Kollege Hardt .


Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1816502100

Herr Präsident! Lieber Kollege Trittin, zunächst ein-

mal muss ich konstatieren: Das Niveau der Diskussion
steigt. Das finde ich gut. Wir reden jetzt nicht mehr über
das Chlorhühnchen, sondern über konkrete, schwierig zu
verhandelnde Dinge .

Ich möchte kurz auf beide Punkte eingehen:

Erstens . Natürlich kann die amerikanische Adminis-
tration für alle Bundesentscheidungen garantieren, dass
das im Sinne des Wettbewerbs möglich ist .


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nicht die Frage!)


Sie kann auch für alle Investitionen in den Staaten, in
denen Bundesfinanzmittel verwendet werden, garantie-
ren . Was Kanada betrifft, haben wir erreicht, dass die
Mitgliedstaaten, die Provinzen Kanadas, dem Handels-
abkommen zustimmen, sodass das Abkommen auch mit
Blick auf das, was in den Provinzen investiert wird, gilt .
Ich glaube, das ist die richtige Marschrichtung für die
Verhandlungen der Europäischen Kommission über die-
ses Thema . Ich bin zuversichtlich, dass wir uns ein Stück
weit in diese Richtung bewegen .

Das Zweite ist das Thema „regulatorische Kooperati-
on“ . Klar ist, dass am Ende des Tages die Parlamente, die
frei gewählten Volksvertreter, darüber entscheiden müs-
sen, welche Regelungen sie in ihrem Raum anwenden .
Aber ich finde es, wenn man einen gemeinsamen Han-
delsraum hat, gemeinsame Standards vereinbart hat und
sich auf die wechselseitige Anerkennung von Standards
verständigt hat, klug, dass man dann, wenn man neue
Standards setzen will, weil neue Fragen aufkommen,
auch darüber redet, ob man nicht gemeinsam einen hohen
neuen Standard für das entsprechende Thema entwickelt .
In diesem Sinne sind die regulatorischen Kooperations-
räte zu verstehen . Letztlich müssen die Parlamente, der
Kongress und das Europaparlament sowie die Parlamen-
te der Mitgliedstaaten, entscheiden, was sie daraus ma-
chen . Deswegen habe ich vor dieser Art von Zusammen-
arbeit keine Angst .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Jürgen Hardt






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816502200

Detlef Müller erhält nun das Wort für die SPD-Frak-

tion .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Detlef Müller (SPD):
Rede ID: ID1816502300

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Als Freund der USA hat man es heutzutage nicht
leicht . Das Misstrauen in der deutschen Bevölkerung
gegenüber dem mächtigen Verbündeten ist groß . War es
kürzlich noch das Treiben der NSA, ist es heute die Rhe-
torik eines Donald Trump, die viele Deutsche verstört .
Deswegen bin ich sehr dankbar für den vorliegenden
Antrag, der die guten transatlantischen Beziehungen, die
guten Beziehungen zwischen Deutschland und den Ver-
einigten Staaten sowie Kanada, angemessen, aber auch
kritisch würdigt .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr gut!)


In Ostdeutschland war die Bindung an die USA nie
besonders ausgeprägt . Aber auch in Westdeutschland
sehe ich eine wachsende Entfremdung von den USA
mit ihrem militärischen Engagement in aller Welt, ihren
mächtigen Geheimdiensten und der uns manchmal doch
fremden politischen Kultur; auch der Folterskandal von
Abu Ghuraib ist unvergessen . Nichtsdestotrotz gilt im-
mer noch und weiterhin – ich zitiere aus dem Antrag –:

Deutschland und Europa sind mit keiner Region der
Welt so eng verbunden wie mit Nordamerika . Die
Vereinigten Staaten und Kanada sind zentrale Ver-
bündete und Freunde der Europäischen Union und
Deutschlands .

Das bisweilen wilde Treiben amerikanischer Geheim-
dienste kann die engen und freundschaftlichen Bande
nicht zerschneiden . Es sind nämlich die Bande einer
demokratischen Wertegemeinschaft . Wir brauchen die
USA, gerade heute . Wir stehen deshalb zur transatlanti-
schen Kooperation in der Außen- und Sicherheitspolitik
und in der NATO .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Die USA haben erstmals seit 40 Jahren Frankreich
als wichtigsten Handelspartner Deutschlands abgelöst .
Aber der wichtigste Aspekt sind, wie ich finde, die vielen
freundschaftlichen und vertrauensbildenden Bande über
den Atlantik hinweg: Freundschaften, familiäre Bezie-
hungen, Schüleraustausche, Studienaustauschprogram-
me, gemeinsame Forschungsprojekte, kulturelle und
sportliche Kooperationen, aber auch das Parlamentari-
sche Patenschafts-Programm, dessen geplante Kürzun-
gen von amerikanischer Seite zurückgenommen wurden;
meine Kollegin Dagmar Freitag wies darauf hin .

Immer aber gilt: Auch unter Freunden muss bisweilen
hart und auf Augenhöhe verhandelt werden . Das gilt für
das geplante Freihandelsabkommen TTIP genauso wie
für das CETA-Abkommen mit Kanada . An dieser Stelle
darf ich Ihnen, Herr Bundestagspräsident Lammert, aber
auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ganz

ausdrücklich danken . Die Einrichtung eines Leseraums
im Bundeswirtschaftsministerium für die Abgeordneten
des Deutschen Bundestages zur Einsichtnahme in die
Verhandlungsdokumente war gegenüber den Amerika-
nern ein hartes Stück Arbeit .


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen Frau Haßelmann danken!)


Es war ein wichtiges Signal, dass wir als Parlamentarier
demokratische Teilhabe und Transparenz einfordern .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das muss in den Räumen der Legislative geschehen, nicht in denen der Exekutive!)


Aber ein kleines Räumchen und 371 Seiten Verhand-
lungsdokumente, deren Aktualität zweifelhaft ist – mit
Querverweisen auf andere, nicht vorhandene Dokumen-
te –, die ich als gelernter Lokomotivführer mit durchaus
alltagstauglichen Englischkenntnissen bewältigen muss,
können wirklich nur ein Anfang sein . Deswegen bitte ich
darum, dass die konsolidierten Verhandlungsergebnisse
schnellstmöglich auch auf Deutsch zur Verfügung ge-
stellt werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für uns Parlamentarier ist dies die Grundlage für eine
differenzierte Bewertung, ohne die eine Zustimmung zu
den Dokumenten schwerlich möglich sein wird .

Zur demokratischen Teilhabe gehört aber auch, dass
beide Abkommen, TTIP und CETA, als sogenannte ge-
mischte Abkommen behandelt werden, wodurch dann
die EU-Mitgliedstaaten an der Ratifizierung mitwirken
können . Nur so entsteht letztlich auch Vertrauen . Deswe-
gen halte ich es nicht für förderlich, wenn über eine vor-
läufige Inkraftsetzung von Teilen CETAs nachgedacht
wird .

Freundschaftliche Bande pflegen wir über den res-
pektvollen Umgang und das offene Wort . Unsere Kritik
an der Anwendung der Todesstrafe, am nach wie vor
existierenden Gefangenenlager in Guantánamo ist eben-
so wichtig und richtig . Wir werden immer darauf pochen,
dass Spähmaßnahmen unter Verbündeten tabu sind . Die
Aussage der Bundeskanzlerin „Ausspähen unter Freun-
den, das geht gar nicht“ ist mittlerweile zu einem geflü-
gelten Wort geworden . Aber natürlich hat sie mit dieser
Aussage recht .

Wir werden immer darauf drängen, dass geheimdienst-
liche Aktivitäten mit den Verbündeten abzusprechen sind
und sich auf das Notwendigste beschränken müssen; aber
wir werden dabei immer zu unseren Partnern auf der an-
deren Seite des Atlantiks stehen . Der Blutzoll, den die
USA und, nicht zu vergessen, Kanada geleistet haben,
um das Schlachten im Ersten und Zweiten Weltkrieg zu
beenden, um Deutschland von der Nazibarbarei zu be-
freien, wird immer unvergessen bleiben . Als Chemnitzer
weiß ich: Chemnitz wurde nicht nur von der Roten Ar-
mee, sondern auch von der US Army befreit .


(Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Thüringen auch!)







(A) (C)



(B) (D)


Trotz des weiten Atlantiks, der die USA und Kanada von
Europa trennt, sind sie uns doch immer Verbündete, Part-
ner, Freunde und Mitglieder einer gemeinsamen Werte-
gemeinschaft .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816502400

Vielleicht sollte ich in Ergänzung eines Hinweises,

den der Kollege Müller gerade gegeben hat, was den Zu-
gang zu Dokumenten angeht, hier noch einmal vortragen,
was ich gestern im Ältestenrat mitgeteilt habe: Die Ver-
pflichtung der Bundesregierung zur Unterrichtung des
Bundestages über alle Angelegenheiten im Rahmen der
Europäischen Union ist durch unseren jetzt möglichen
Zugang zu den Verhandlungsdokumenten weder kom-
pensiert noch aufgehoben .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es wird also weitere Unterrichtungspflichten geben.
Es ist mit dem Wirtschaftsministerium geklärt, dass es
regelmäßig zusammenfassende Berichte über den Ver-
handlungsfortschritt gibt . Das ist, glaube ich, eine wich-
tige Ergänzung im Hinblick auf die Transparenz, auf die
wir gemeinsam großen Wert legen müssen .

Was die die Öffentlichkeit verständlicherweise beun-
ruhigende Frage des vermeintlich vorzeitigen Inkraft-
tretens ohne Beteiligung des Parlaments angeht, hat die
rechtliche Prüfung ergeben, dass es jedenfalls mit Blick
auf solche denkbaren Bestandteile eines solchen Abkom-
mens, die der Zuständigkeit der nationalen Parlamente,
in diesem Fall des Bundestages, unterliegen, keinerlei
Möglichkeit der vorzeitigen Inkraftsetzung solcher Be-
standteile des Vertrages ohne Beteiligung des Parlaments
geben kann . Punkt!


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf der Regierungsbank wurde gerade der Kopf geschüttelt! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Böhmer hat mitgeschrieben für den Herrn Steinmeier!)


Jetzt hat der Kollege Florian Hahn für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1816502500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Mein Großvater, Wilhelm Hahn, Geburts-
jahr 1909, war Student der Ökonomie und hat Anfang
der 1930er-Jahre am Studentenaustausch mit den USA
teilgenommen . Ihn hat es dann nach Dayton, Ohio, ver-
schlagen, wo dieses Jahr die Convention der Republika-
ner stattfinden wird. Er lernte dort die Schwester seines
Austauschpartners und Freundes kennen, Ruth Assling –
„Assling“ wie „Aßling“ nach dem oberbayerischen Dorf

im Landkreis Ebersberg, angrenzend an meinen Wahl-
kreis –; die beiden heirateten und bekamen vier Kinder .
Meine Großmutter verbrachte den Krieg als Amerikane-
rin in Deutschland . Das ist ein persönliches Beispiel für
die zahllosen engen Beziehungen, die wir in vielfältiger
Weise schon lange mit dem großen Bruder auf der ande-
ren Seite des Teiches haben .

Auch wenn zwischen den USA und Europa der Große
Ozean liegt, durchleben wir oft ähnliche Trends und Ent-
wicklungen, im Moment zum Beispiel eine Renaissance
des Populismus: Ressentiments gegen die da oben, gegen
Freihandel, gegen Fremde, Flüchtlinge und Billigprodu-
zenten werden von Donald Trump und AfD gleicherma-
ßen genutzt . Deren Aussagen sind so ähnlich, dass Zei-
tungen bereits ein Ratespiel daraus machen: Wer hat es
gesagt – Frauke Petry oder Donald Trump?

Für uns in der Politik ist eine andere Frage entschei-
dend: Was hat es bewirkt? Wir müssen abstrakte Ängs-
te von berechtigten Anliegen unterscheiden . Das heißt
für Europa und natürlich insbesondere für Deutschland,
dass wir uns allen Facetten der Flüchtlingskrise stellen,
auch den unbequemen Fragen und Handlungsoptionen .
Die USA dagegen müssen sich eingestehen, dass das
Bild vom Tellerwäscher zum Millionär längst Utopie ist .
Wachsende Importe aus China und zunehmende Automa-
tisierung haben zu einer brodelnden Mischung geführt .
Die Finanzkrise war der Sargnagel für die Hoffnung vie-
ler Wähler der Arbeiter- und Mittelklasse . Viele wurden
zurückgelassen . Die Beschwerden dieser Wähler sind
berechtigt . Vom aktuellen wirtschaftlichen Aufschwung
profitieren nur wenige.

Politiker auf beiden Seiten des Atlantiks sind daher
gefordert . Wir müssen die Komfortzone eingespielter
Politikprozesse verlassen und die nationalen Trends ernst
nehmen . AfD und Trump sind nur die Symptome eines
drängenden Phänomens, dem verlorenen Vertrauen in
eine demokratische Ordnung und eine liberale Markt-
wirtschaft . Wir stehen in der Verantwortung, den demo-
kratischen Diskurs zu eröffnen . Es kann nur neue Gräben
schaffen, wenn wir diesen Akteuren das demokratische
Existenzrecht absprechen . Stattdessen müssen wir sie
argumentativ stellen und sie auf ein Normalmaß zu-
rückstutzen . Wir müssen die legitimen Bedürfnisse auf-
nehmen, statt sie volkspädagogisch wegzutherapieren –
in den USA, in Europa und natürlich in Deutschland .

Entscheidend hierbei sind unsere Übersetzungsleis-
tungen . Wir müssen gemeinsam Chancen klar benennen,
Erreichtes deutlich herausstellen und Herausforderun-
gen ansprechen . Das transatlantische Handelsabkommen
steht dafür exemplarisch . Die Facetten des Abkommens
sind vielschichtig . Wir brauchen daher gute Dolmetscher,
um die Chancen aufzuzeigen . Gleichzeitig müssen wir
als Sprachrohr für die Bedenken der Bürger dienen und
ihre Sorgen ernst nehmen . Niedrige Schutzstandards sind
genauso tabu wie die Aufgabe unseres Rechtssystems .
Als Verteidigungs- und Außenpolitiker appelliere ich an
Sie, das Gesamtbild im Auge zu behalten . Die geostrate-
gische Lage verändert sich . Handelsbeziehungen haben
eine neue strategische Bedeutung .

Detlef Müller (Chemnitz)







(A) (C)



(B) (D)


Die amerikanische und die europäische Wirtschaft
sind seit jeher stark miteinander verflochten. Die Han-
delsbeziehungen machen die Hälfte der Weltproduktion
aus: knapp 40 Prozent des weltweiten Bruttoinlands-
produktes und rund 60 Prozent der Direktinvestitionen .
Beim bayerischen Außenhandel nehmen die USA die
erste Stelle ein, noch vor China und Österreich . Das
Handelsvolumen in Bayern betrug 2015 fast 35 Milliar-
den Euro . Bayerische Unternehmen exportierten im Jahre
2013 fast fünfmal so viele Güter in die Vereinigten Staa-
ten wie in die Russische Föderation . Das möchte ich vor
dem Hintergrund mancher Diskussionen daheim und der
Frage, wer für uns wirtschaftlich und für den Erhalt von
Arbeitsplätzen wichtig ist, deutlich machen .

So wie es bei der Montanunion um mehr als um den
Zugang zu Kohle und Stahl ging, geht es bei TTIP um
mehr als um Handel und Investment . Die USA und Euro-
pa blicken auf die gemeinsame geostrategische Heraus-
forderung, den globalen ökonomischen Einfluss zu erhal-
ten . Es geht um gemeinsame Maßstäbe, Standards und
Regulierungen . Es geht darum, das Erreichte der letzten
sieben Dekaden zu schützen . Das wissen im Übrigen, lie-
ber Herr Trittin, auch kluge Köpfe in Ihren Reihen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aber nur die klugen Köpfe!)


Manchmal ist es auch die Aufgabe der Politik, Erinne-
rungen wiederzubeleben, als Zeitzeuge auf das Erreichte
und unsere gemeinsamen Leistungen hinzuweisen . Die
liberale europäische Nachkriegsordnung wäre ohne die
Amerikaner nicht möglich gewesen . Lange Zeit war Eu-
ropa und insbesondere Deutschland ein Konsument ame-
rikanischer Sicherheitsgarantien . Die USA waren der
Ziehvater Europas, der in einer gespaltenen Welt schüt-
zend vor uns stand . Die heutigen engen Beziehungen
gründen im gemeinsamen Bemühen, den Kalten Krieg
zu gewinnen .

Erstmals sprach der ehemalige Präsident George
Bush am 31 . Mai 1989 in Mainz von einer neuen Rolle
Deutschlands . Man sei mehr als Verbündete und Freun-
de, man sei „Partners in Leadership“ . Fast im gleichen
Satz nannte er in der Konsequenz die Notwendigkeit, als
Akteur mehr Verantwortung in der Weltpolitik zu über-
nehmen . Dieser Appell galt nicht nur Deutschland; Euro-
pa sollte Position beziehen .

Heute stehen wir vor neuen Herausforderungen . Wir
erleben ein neues internationales System, in dem unter-
schiedliche Herrschaftssysteme miteinander wettstreiten .
Unsere liberale, pluralistische Demokratie konkurriert
mit neuen Regimen, Ideen und Identitäten . Für uns heißt
das: Die transatlantischen Beziehungen sind wichtiger
denn je .

Im Interview mit dem Journalisten Jeffrey Goldberg
fordert Präsident Obama zu Recht eine neue Aufgaben-
teilung . Er spricht sich mit aller Deutlichkeit für ein stra-
tegisches Burden Sharing aus . Im Klartext: Europa muss
einen größeren Anteil an der gemeinsamen Verantwor-
tung des Westens tragen .

Deutschland hat auf das veränderte strategische Um-
feld reagiert . Wir haben uns zu einer Kehrtwende ent-

schieden . Die Verteidigungsministerin setzt mit ihren
Zusagen in Bezug auf das Budget, die Ausrüstung, das
Personal und die Interoperationalität ein klares Zeichen
für unsere transatlantischen Partner . Deutschland ist
bereit, als eine Führungsnation Verantwortung zu über-
nehmen, militärisch und politisch . Auch das kommende
Weißbuch soll das abbilden .

Trotzdem: Die langen Jahre der Friedensdividende er-
fordern Geduld . Das gilt vor allem auch für die NATO .
2011 hörten wir noch pessimistische Äußerungen über
die Zukunft der Allianz . „Lebendig, aber innerlich zer-
rissen“, schrieb eine Tageszeitung . Vor dem Hintergrund
der Herausforderungen im Osten und im Süden haben
wir 2014 in Wales zu einer neuen Bündnisstärke gefun-
den . 28 Staaten einigten sich auf militärische Schritte,
mit Europa als Hauptakteur und den USA als Rückver-
sicherung .

Unsere gemeinsame militärische Präsenz in Osteuropa
ist wichtig . Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen,
dass wir einerseits Abschreckung, andererseits trotz aller
Provokationen aber auch Augenmaß benötigen . Das habe
ich erst nach Ostern bei meinem Besuch in Wa shington
in vielen Gesprächen deutlich gemacht . Europa kennt die
Risiken neuer Eskalationsspiralen . Bewährte Verträge
sollten erhalten bleiben . Das gilt beispielsweise auch für
die NATO-Russland-Akte .

Präsident Obama liegt richtig, wenn er sagt, dass keine
Regierung, keine Gesellschaft die aktuellen Herausfor-
derungen alleine bewältigen kann . Als Politiker sind wir
auf beiden Seiten des Atlantiks vor allem auch innenpo-
litisch gefordert, diese Botschaft zu vermitteln . Unsere
Übersetzungsleistungen sind ebenso gefordert wie unser
strategisches Denken . Perspektivisch wird es darum ge-
hen, die Sicherheit des Westens neu zu erfinden. Bedro-
hungen wie transnationaler Terrorismus, Cyberangriffe
und Radikalisierungen erfordern dies . Amerika bleibt
dabei unser engster Partner . Diese Partnerschaft müssen
wir – beide Partner – hegen und pflegen.

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816502600

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Andreas Nick für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Andreas Nick (CDU):
Rede ID: ID1816502700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

bevorstehende Besuch von Präsident Obama in Hanno-
ver ist Anlass für diese Debatte


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Anlass für die Abwesenheit des Außenministers!)


und auch Beleg dafür, wie eng und wichtig die transat-
lantischen Beziehungen auch im Jahr 2016 sind . Die Tra-
dition der Verbundenheit reicht jedoch deutlich weiter
zurück als das NATO-Bündnis und auch der Beitrag der

Florian Hahn






(A) (C)



(B) (D)


USA zur deutschen Einheit, zum Marshallplan oder zur
Berliner Luftbrücke . Schon die deutsche Freiheitsbewe-
gung im 19 . Jahrhundert wäre ohne das Vorbild der USA
nicht denkbar gewesen . Bereits 1832 rief Philipp Jakob
Siebenpfeiffer, Initiator des Hambacher Festes, dort aus:
Wir beneiden den Nordamerikaner um sein glückliches
Los, das er sich mutvoll selbst erschaffen hat . – 1848
waren die Vereinigten Staaten die einzige Großmacht
ihrer Zeit, die sich bei der Frankfurter Nationalversamm-
lung in der Paulskirche durch einen Gesandten vertreten
ließ . Nach dem Scheitern der 48er-Revolution fanden
viele deutsche Liberale eine neue Heimat in den USA,
und auch während der Nazidiktatur waren die USA Zu-
fluchtsort für zahlreiche Emigranten aus Deutschland.
Uns verbindet eben mehr als historische Erfahrungen
oder gemeinsame Werte .

Laut einer aktuellen Studie haben mehr als die Hälf-
te der Amerikaner ein exzellentes Bild von Deutschland .
Über 60 Prozent aller Amerikaner glauben, dass beide
Länder eine enge Bindung haben und Deutschland eines
der fünf wichtigsten Partnerländer der USA ist . Die USA
waren und sind Garant für die europäische Sicherheit .
Zusammen mit den Staaten der Europäischen Union sind
sie weltweit unser wichtigster Partner und verlässlichster
Verbündeter . Die transatlantische Partnerschaft ist neben
der europäischen Integration der wichtigste Pfeiler deut-
scher Außenpolitik . Um es mit den Worten von Helmut
Kohl zu sagen: Das Bündnis mit den freiheitlichen De-
mokratien des Westens ist der Kernpunkt deutscher
Staatsräson . – Dieser Leitsatz hat auch im 21 . Jahrhun-
dert unverändert Gültigkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Gleichwohl gibt es unter engen Partnern und Freunden
auch immer wieder Meinungsverschiedenheiten, die zum
Teil auch aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Erfah-
rungen oder kulturellen Prägungen erwachsen . Deshalb
ist ein breiter Dialog und Gedankenaustausch zur Vertie-
fung des gegenseitigen Verständnisses, gerade auch unter
Parlamentariern beider Länder, notwendig . Formate für
diesen informellen Austausch sind daher unverzichtbar,
beispielsweise das jährliche Congress Bundestag Forum,
für dessen Organisation ich – sicher auch im Namen vie-
ler Kollegen aus allen Fraktionen – dem GMF und der
Bosch-Stiftung besonders danken möchte .


(Beifall der Abg . Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE])


Unsere Gesellschaften profitieren im 21. Jahrhundert
wie nie zuvor in der Geschichte vom offenen Austausch .
Die Ströme von Menschen und Gütern, von Kapital und
Informationen, die uns verbinden, sind um ein Vielfa-
ches wichtiger geworden als die Kontrolle über geogra-
fisch abgegrenzte Räume. Konnektivität zu ermöglichen,
dafür einen verlässlichen Rahmen zu bieten, aber auch
Schutz und Sicherheit vor äußerer Bedrohung zu ge-
währleisten, ist eine zentrale politische Aufgabe; Kollege
Steinbrück hat das vorhin schon angesprochen . Deshalb
ist das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP so
wichtig, und deshalb bedarf es auch klarer Regeln etwa

zum Fluggastdatenaustausch, wie sie gestern im Europä-
ischen Parlament verabschiedet wurden .

Für die weltweite Vernetzung steht aber kaum etwas
mehr als das Internet, das World Wide Web . Das Netz ist
ein Raum der Meinungsvielfalt und Teilhabe und nicht
zuletzt ein Motor für Innovation, Wirtschaftswachstum
und Arbeitsplätze der Zukunft . Regeln und Rahmen-
bedingungen für ein offenes und freies globales Netz
können nicht alleine auf nationaler Ebene geschaffen
werden . 2014 haben die USA angekündigt, die Kontrol-
le über ICANN, die Organisation zur globalen Vergabe
kritischer Internetressourcen wie Domainnamen und
IP-Adressen, abzugeben . Das ist ein wichtiger Schritt
im Sinne eines offenen, dezentral kontrollierten Netzes
auf Basis eines Multi-Stakeholder-Ansatzes . Es wäre zu
begrüßen, wenn eine der nächsten Veranstaltungen des
Internet Governance Forums der Vereinten Nationen bei
uns in Deutschland stattfinden würde.

Auf beiden Seiten des Atlantiks brauchen wir immer
wieder eine Verständigung über die richtige Balance von
Freiheit und Sicherheit in unseren offenen und pluralis-
tischen Gesellschaften . Aber die Debatte um Informati-
onssicherheit und Datenschutz ist nicht nur eine Frage
zwischen Staaten und Regierungen, so wichtig etwa das
Format des deutsch-amerikanischen Cyberdialogs ist .
Wir brauchen Rechtssicherheit für alle Bürgerinnen und
Bürger und für alle Unternehmen beim dringend notwen-
digen transatlantischen Datenaustausch . Deshalb ist eine
verlässliche Nachfolgeregelung zu Safe Harbor unver-
zichtbar .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Gerade die global agierenden Unternehmen der Internet-
ökonomie haben eine zentrale Rolle bei der Klärung der
Frage, welche Zukunftsrechte nationale Regierungen auf
die Daten ihrer Kunden beanspruchen . Die Klage von
Microsoft gegen den Zugriff der US-Regierung auf ihre
Datencenter in Irland verdeutlicht, dass diese Diskussi-
on auch eine transatlantische Komponente hat . Auch die
Europäer sollten sich hier in angemessener Weise ein-
bringen; denn gerade die global agierenden Player der
Internetökonomie wie Apple, Google oder Microsoft
können aus ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse he-
raus durchaus wichtige Verbündete sein, wenn es darum
geht, einen verlässlichen und international akzeptierten
Rechtsrahmen auch im Washingtoner Politikbetrieb ein-
zufordern .

Meine Damen und Herren, die deutsch-amerikani-
schen Beziehungen müssen aber mehr sein als Traditi-
onspflege oder die Angelegenheit von Regierungen. Sie
brauchen auch in Zukunft eine breite gesellschaftliche
Verankerung . Über Jahrzehnte haben die in Deutsch-
land stationierten US-Soldaten nicht nur während ihrer
Dienstzeit hier, sondern vor allem auch nach der Rück-
kehr in ihre Heimat einen wesentlichen Beitrag dazu ge-
leistet .


(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: 17 Millionen!)


Jeder deutsche USA-Reisende kennt die Erfahrung ei-
nes zufälligen Zusammentreffens mit Menschen, die

Dr. Andreas Nick






(A) (C)



(B) (D)


begeistert von ihrer Zeit in Frankfurt, Heidelberg oder
„K-Town“, Kaiserslautern, aber auch in Hahn, Bitburg
oder Spangdahlem berichten . Viele dieser Standorte sind
inzwischen Geschichte . Die Bedeutung dieses Kitts geht
zurück . Wirtschaftliche Zusammenarbeit allein kann dies
nicht ersetzen . Deshalb sind Austauschprogramme zwi-
schen unseren Ländern wie unser Parlamentarisches Pa-
tenschafts-Programm so wichtig .

Wir müssen aber auch neue gesellschaftliche Gruppen
mit teils anderem kulturellen Hintergrund – Jürgen Hardt
hat es vorhin schon angesprochen – für die Zukunft der
transatlantischen Beziehungen gewinnen . Deshalb freue
ich mich ganz besonders, Anfang Mai erstmals die Teil-
nehmer eines neuen Begegnungsprogramms im Bundes-
tag begrüßen zu können, das gezielt junge Hispanics aus
den USA und junge Deutsche mit türkischen Wurzeln
zusammenbringt . Das ist ein wichtiger Beitrag zu einer
neuen, bunteren transatlantischen Generation .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich danke dem American Institute for Contemporary
German Studies, AICGS, für diese hervorragende Initia-
tive, die auch mit ERP-Mitteln des Bundeswirtschaftsmi-
nisteriums unterstützt wird .

Liebe Kollegen, im November 2016 wird ein neuer
amerikanischer Präsident gewählt .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Oder eine Präsidentin!)


Auch in Deutschland verfolgen wir diesen Prozess mit
Aufmerksamkeit und teilweise leider auch mit Sorge .
Aber unser Vertrauen in die amerikanische Gesellschaft
und Demokratie ist groß, dass am Ende eine verantwort-
liche Entscheidung einer breiten Mehrheit der amerikani-
schen Wähler stehen wird . Eines steht bereits so gut wie
fest: Auch der neue Präsident oder die neue Präsidentin
wird in den ersten Monaten nach Amtsantritt zu einem
Besuch nach Deutschland kommen, und zwar aus Anlass
des G-20-Gipfels im Juli 2017 in Hamburg .

Wir setzen fest darauf, die transatlantischen Beziehun-
gen auch mit neuen Partnern in Washington zukunftsfest
gestalten und gemeinsam weiterentwickeln zu können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816502800

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den gemeinsa-
men Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 18/8072 mit dem Titel „Die transatlanti-
schen Beziehungen zukunftsfest weiterentwickeln“ . Wer
diesem Antrag zustimmen will, bitte ich um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen
die Stimmen der Opposition angenommen .

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 c
auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes
zur Änderung des Zweiten Buches Sozialge-
setzbuch – Rechtsvereinfachung

Drucksache 18/8041
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Die Gewährleistung des Existenz- und Teilha-
beminimums verbessern – Keine Rechtsver-
einfachung auf Kosten der Betroffenen

Drucksache 18/8076
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin
Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Grundsicherung einfacher und gerechter ge-
stalten – Jobcenter entlasten

Drucksache 18/8077
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Für die Beratung dieser Vorlagen ist eine Debattenzeit
von 60 Minuten vorgesehen . Hat dagegen jemand Ein-
wände? – Das ist nicht der Fall . Dann verfahren wir so .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Parlamentarischen Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-
Möller .


(Beifall bei der SPD)


G
Gabriele Lösekrug-Möller (SPD):
Rede ID: ID1816502900


Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Meine Damen und Herren! Ich freue mich darüber,
dass wir heute einen wahrhaftig langen Prozess endlich
auf die Zielgerade bringen können . Dieser Gesetzentwurf
basiert auf der sehr intensiven Arbeit der Bund-Län-
der-Arbeitsgruppe der ASMK – das sind die Arbeits- und
Sozialminister der Bundesländer – zur Rechtsvereinfa-
chung im SGB II . Ja, viele Beteiligte hätten gern noch
weitere Änderungen erreicht . Ja, nicht auf alles, was
wünschenswert gewesen wäre, konnten wir uns einigen .
Aber jetzt können wir den Gesetzentwurf endlich im
Bundestag beraten . Jeder Schritt in die richtige Richtung
bringt uns voran . Das gilt im Leben allgemein und in die-
sem besonderen Fall auch .

Dr. Andreas Nick






(A) (C)



(B) (D)


Ich kann sagen: Dieses Gesetz ist ein Schritt in die
richtige Richtung und in der Tat ein echter Fortschritt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was erreichen wir? Wir erreichen, dass Leistungsberech-
tigte entlastet werden . Es werden aber auch die Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern entlastet .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das sehen die selber anders!)


Zudem werden auch – eine Vermutung, die sich bestäti-
gen wird – die Sozialgerichte entlastet .


(Beifall bei der SPD)


Das Leistungs- und Verfahrensrecht wird an über 30 Stel-
len geklärt und vereinfacht . Das schafft Rechtssicherheit .
Das vermeidet Widersprüche und Klagen . Damit ist es
im Sinne von uns allen .

Wo kommen wir ganz konkret voran? Zum Beispiel
bei den Regelungen zur Anrechnung von Einkommen .
Sie werden pauschalisiert und vereinfacht, etwa bei ge-
ringen Zinserträgen oder beim Bezug von Mutterschafts-
geld während des Mutterschutzes . Außerdem fallen, ich
will sagen: unnötige Bescheide weg; denn der Bewilli-
gungszeitraum wird von grundsätzlich 6 auf 12 Monate
verlängert .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das war eh schon Praxis! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schon so!)


Damit sparen wir jedenfalls nach Adam Riese bestenfalls
jeden zweiten Antrag .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!)


Das freut Antragsteller und Behörde gleichermaßen . Die
Leistungsberechtigten erhalten mehr Beratung als früher .
Stärker als bisher wollen wir außerdem ihre Potenziale in
den Blick nehmen und sie mit einer Eingliederungsver-
einbarung konkret einbinden .

Neu, meine Damen und Herren, ist die nachgehende
Betreuung, also der Brückenbau über die Arbeitsaufnah-
me hinaus . Wir bleiben dran und unterstützen weiter, um
die Menschen selbst und ihr Arbeitsverhältnis in den Mo-
naten nach Beschäftigungsaufnahme nachhaltig zu stabi-
lisieren . Darin sehen wir einen sehr großen Fortschritt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gewinner sind aber auch die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter in den Jobcentern – und das genau im rich-
tigen Moment: Viele Flüchtlinge, die im letzten Jahr
zu uns gekommen sind, wechseln in der nächsten Zeit
als Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge in den
Rechtskreis des SGB II . Damit sie hier Fuß fassen und
auf eigenen Beinen stehen können, wollen wir sie best-
möglich – wie alle anderen auch – betreuen und sie in
Praktika, berufsbezogene Sprachkurse, Ausbildung und
Arbeit vermitteln . Gleichzeitig wollen wir unsere An-
strengungen bei der Betreuung von Langzeitarbeitslosen
verstärken . Für diese oftmals schwierige Arbeit brauchen

die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern
Kraft und Zeit . Die geben wir ihnen mit den Rechtsver-
einfachungen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen, dass alle – ob sie schon lange ohne Arbeit
sind oder sich hier ein neues Leben aufbauen wollen –
die Chance auf einen erneuten oder einen erfolgreichen
Neustart in Deutschland haben . Für diese Aufgabe brau-
chen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcen-
tern Kapazitäten . Wir helfen mit diesem Gesetz, sie frei-
zuschaufeln . Deshalb werden die Menschen, die neben
Arbeitslosengeld I auch Arbeitslosengeld II beziehen,
zukünftig von der Agentur für Arbeit betreut – wie alle
anderen Versicherten, die Leistungen aus der Arbeitslo-
senversicherung erhalten . Auch darin sehen wir einen
großen Fortschritt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, über eine Rege-
lung – das will ich gern abschließend sagen – freue ich
mich persönlich ganz besonders . Auszubildende sind
künftig nicht mehr ausgeschlossen von Leistungen des
SGB II . Das ist wirklich ein Meilenstein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Damit werden hoffentlich mehr junge Menschen, die bis-
her gar keine oder nur eine geringe Ausbildungsförde-
rung erhalten, eine Ausbildung beginnen . Sie können nun
ergänzende Leistungen aus dem SGB II erhalten und so
ihre Ausbildung finanzieren.

Ich fasse zusammen: Wir konzentrieren die Arbeit
der Jobcenter . Wir vereinfachen das Leistungsrecht und
erweitern Beratungsansprüche . Das sind in der Tat Fort-
schritte . Deshalb bitte ich Sie um Unterstützung bei die-
sem Gesetz .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816503000

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Kipping für

die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816503100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau

Staatssekretärin, das war ja ein Paradebeispiel fürs
Schönreden .


(Beifall bei der LINKEN)


Hartz IV basiert auf der Annahme, der Einzelne sei
schuld an seiner Erwerbslosigkeit . Hartz IV basiert auf
der Annahme, dass Erwerbslose Bürgerinnen und Bürger
zweiter Klasse sind .


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das ist ja nun eine Frechheit! – Zuruf von der CDU/ CSU: Sie machen sie zur zweiten Klasse!)


Parl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller






(A) (C)



(B) (D)


Von der Angst vor Hartz IV sind inzwischen auch Men-
schen betroffen, die noch einen Job haben; denn der Fall
in Hartz IV kann sehr schnell gehen . Deswegen lassen
wir als Linke, auch wenn Sie verbissen an Hartz IV fest-
halten, nicht locker und sagen immer wieder: Hartz IV
gehört ganz grundsätzlich abgeschafft .


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig! Es gibt gar nichts mehr!)


Was das Haus von Andrea Nahles nun als Gesetzent-
wurf vorgelegt hat, ist in vieler Hinsicht ein Offenba-
rungseid . Es ist bezeichnend, dass die Ministerin nicht
einmal den Mumm hat, diesen Gesetzentwurf selber vor-
zustellen .


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der SPD)


Dieser Gesetzentwurf macht doch deutlich: Sie wollen
an Hartz IV nichts grundsätzlich ändern . Sie wollen von
den alltäglichen Nöten der Menschen in Hartz IV nichts
mildern . Ihnen geht es doch nur um einen reibungslosen
Vollzug .

Angeblich geht es um Rechtsvereinfachung und Bü-
rokratieabbau . Doch nicht einmal diesem bescheidenen,
selbstgesteckten Ziel wird der Gesetzentwurf gerecht . Es
gibt ein Schreiben der Personalräte der Jobcenter, und da-
rin heißt es, der Gesetzentwurf ist für die Belegschaften
„nicht nur enttäuschend, er ist ärgerlich und selbst eine
weitere Belastung“ . Eine weitere Belastung, so sehen das
die Personalräte der Jobcentermitarbeiter, die, die Ihren
Gesetzentwurf am Ende ausbaden müssen .


(Beifall bei der LINKEN – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Hören Sie einmal auf die!)


Schaut man sich nun die geplanten Änderungen an, so
ist klar: Schwarz-Rot plant keine Rechtsvereinfachung .
Sie wollen einfach nur eine weitere Kelle Sanktionen
obendrauf legen . Ich will das verdeutlichen . So soll in-
nerhalb von Hartz IV ein zweites Repressionsinstrument
ausgebaut werden . Das läuft unter dem Begriff „Auswei-
tung der Ersatzpflichtigkeit bei sozialwidrigem Verhal-
ten“ . Das ist die Sprache Ihres Gesetzes . Allein dieser
Begriff ist entlarvend, und er verrät, wie die Bundesre-
gierung über Erwerbslose wirklich denkt .


(Beifall bei der LINKEN)


Wer in Erwerbslosen mündige Bürgerinnen und Bürger
sieht, der verwendet solche Begriffe auf keinen Fall .


(Beifall bei der LINKEN)


Eine solche Ersatzpflicht, also die Kürzung des Ar-
beitslosengeldes II, soll nun auch dann eintreten, wenn
das sozialwidrige Verhalten die Hilfebedürftigkeit nicht
nur herbeiführt, sondern sie „erhöht, aufrechterhalten
oder nicht verringert wurde“ . Übersetzen wir diese bü-
rokratischen Formulierungen einmal ganz konkret in die
Praxis . Eine Kürzung um 30 Prozent bedeutet für einen
voll Bezugsberechtigten, dass ihm pro Monat nur noch
282,80 Euro für alle Kosten außer der Miete und den
Heizkosten bleiben . 282 Euro im Monat – das bedeu-

tet 9,43 Euro am Tag für alle Ausgaben . Wer von Ihnen
käme mit 9,43 Euro über den Tag?


(Dagmar Ziegler [SPD]: Darum geht es doch gar nicht! Sie verstehen das gar nicht!)


Übrigens, Sie müssen auch noch Geld für den Fall zu-
rücklegen, dass irgendwann einmal die Waschmaschine
kaputtgeht .

Kurzum: Anstatt die Hartz-IV-Sanktionen abzuschaf-
fen, was so nötig wäre, plant Andrea Nahles ein zweites
Repressionsinstrument . Ich habe den Eindruck: Seit der
Einführung von Hartz IV sind Sie in puncto Erwerbslo-
sigkeit keinen Deut klüger und keinen Deut sozialer ge-
worden .


(Beifall bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Sie haben es nicht verstanden!)


Ursprünglich war geplant, die besonders harten Sank-
tionsregelungen abzumildern . Noch im Oktober letzten
Jahres haben hier Rednerinnen der SPD gesagt, an die
Sofortsanktionen bei den unter 25-Jährigen und den Ju-
gendlichen und an die Sanktionierung bei den Kosten
der Unterkunft müsse man heran . Alle Bundesländer
waren sich darin einig, dass man das abmildern muss,
mit einer Ausnahme, nämlich Bayern . Und was macht
die Sozialministerin? Anstatt couragiert ihre Position zu
vertreten, anstatt sich couragiert für Erwerbslose einzu-
setzen, knickt sie vor Horst Seehofer ein. Ich finde es
beschämend, wie sich diese Bundesregierung von Horst
Seehofer am Nasenring durch die Manege führen lässt .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unsere Position als Linke ist ganz klar: Wir befürwor-
ten jeden Schritt weg von diesen Sanktionen . Wir sagen
aber auch ganz klar: Wir pochen auf das Grundrecht auf
soziale Sicherheit . Deswegen meinen wir: Alle Sanktio-
nen und Leistungseinschränkungen sowohl beim SGB II
als auch bei der Sozialhilfe gehören abgeschafft, und
zwar sofort .


(Beifall bei der LINKEN)


Dafür streiten wir nicht nur hier im Bundestag, sondern
auch in den Landesregierungen . So hat sich beispielswei-
se das Sozialministerium von Thüringen, vertreten durch
Heike Werner, gemeinsam mit den Brandenburgern im
Bundesrat für diese Position stark gemacht .


(Beifall bei der LINKEN)


Zu den von Ihnen vorgesehenen Veränderungen ge-
hört auch die Einschränkung bei rückwirkender Nach-
zahlung rechtswidrig vorenthaltener Leistungen . Das
heißt in der Konsequenz: Es werden Menschen, deren
Heizkosten systematisch zu niedrig angesetzt wurden,
Schwierigkeiten haben, die vorenthaltenen Leistungen
später rückwirkend wiederzubekommen, selbst wenn sie
vor Gericht Recht bekommen; denn es wird nur noch für
die Zukunft der höhere Betrag gezahlt und nicht für die
Vergangenheit . Damit hat das Amt doch einen Anreiz, im
Zweifelsfall immer gegen die Betroffenen zu entschei-

Katja Kipping






(A) (C)



(B) (D)


den . Selbst wenn sie klagen und Recht bekommen, gilt
das erst für die Zukunft .


(Dagmar Ziegler [SPD]: Was Sie für einen Unsinn unterstellen! Das ist unglaublich!)


Solange die Klage dauert – in der Regel dauert das recht
lange –, müssen sie selber sehen, wie sie klarkommen;
sie bleiben damit auf den Kosten sitzen . Sie sparen auf
dem Rücken von Erwerbslosen und Aufstockenden . Sie
gönnen diesen Menschen nicht einmal das Wenige, das
ihnen laut Gesetz zusteht. Ich finde, das ist zutiefst schä-
big .


(Beifall bei der LINKEN)


An diesem Beispiel wird einmal mehr deutlich:
Hartz IV ist Ausdruck sozialer Kälte . Leider ist das
nicht nur ein sprachliches Bild . Für Menschen, die auf
Hartz IV angewiesen sind und deren Heizkosten vom
Amt zu niedrig berechnet werden, ist das ganz konkreter
Alltag . Sie müssen in der kalten Jahreszeit kalkulieren,
wie viel Heizung und wie viel Wärme sie sich überhaupt
noch leisten können .

Geplant war Bürokratieabbau, herausgekommen ist
noch mehr Ärger für Erwerbslose wie für Beschäftigte,
also auf beiden Seiten des Tisches wird es für die Betrof-
fenen schlimmer mit diesem Gesetz . Wenn ich mir die
Entstehungsgeschichte dieses Gesetzentwurfs ansehe,
dann wundert mich das auch nicht . Wir haben immer an-
gemahnt: Beziehen Sie doch die Fachleute der Praxis ein,
das heißt die Betroffeneninitiativen, Sozialverbände, Ge-
werkschaften . Aber nein, die Regierung hat die Fachleu-
te der Praxis, wie Gewerkschaften und Sozialverbände,
im Übrigen auch die Opposition, komplett ausgegrenzt .
Kein Wunder also, wenn so ein Murks herauskommt .


(Beifall bei der LINKEN)


Falls noch irgendjemand glaubte, man könnte das Sys-
tem Hartz IV mit kosmetischen Korrekturen verbessern,
der wird durch die Geschichte dieses Gesetzentwurfs ei-
nes Besseren belehrt . Wenn das Fundament und die Wän-
de eines Hauses dermaßen falsch konstruiert sind, dann
nützt es eben nichts, wenn man die Farbe der Türklinken
ändert . Deswegen sagen wir ganz klar: Hartz IV muss
gänzlich abgeschafft werden . Wir streiten stattdessen für
gute Arbeit und für eine sanktionsfreie Mindestsicherung
von 1 050 Euro . Schwarz-Rot möchte die Sanktionslogik
von Hartz IV noch verschärfen . Wir als Linke hingegen
streiten für soziale Garantien des Lebens, für eine Ge-
sellschaft, an der alle teilhaben können, in der sich alle
entfalten können und in der alle frei von Existenzangst
und frei von Bevormundung sind .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816503200

Das Wort erhält nun der Kollege Karl Schiewerling

für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1816503300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-

leginnen und Kollegen! Das war mal wieder ein Lehr-
stück aus der Küche der Linken . Das kenne ich seit 2005 .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Es ist ja nicht besser geworden mit Hartz IV!)


Frau Kipping – das muss ich Ihnen sagen –, seitdem
bleiben Sie sich treu, aber ich bleibe mir auch treu . Was
ich Ihnen schon 2006 gesagt habe, sage ich Ihnen auch
heute: SGB II ist ein lernendes System . Das merken Sie
daran, dass wir schon das neunte Änderungsgesetz dis-
kutieren . SGB II ist kein starres System . Jeden Monat
gehen 90 000 Menschen aus der Grundsicherung heraus .
Das heißt, wir haben es nicht mit einem monolithischen
Block zu tun, sondern mit Entwicklungen .

Hartz IV setzt auf Fordern und Fördern – ja, das ist
richtig –, aber Hartz IV hat auch seine Grenzen; das will
ich gern zugestehen . Weil wir in diesem Gesetz den An-
spruch haben, jedem Einzelnen gerecht zu werden, und
weil die Lebenssituationen der Menschen höchst unter-
schiedlich sind, werden, auch zu meinem Leidwesen, zu
viele Klagen eingereicht .

Das Gesetz, das wir heute auf den Tisch legen, ist zwi-
schen 16 Bundesländern, unter anderem auch den Bun-
desländern, in denen Sie mitregieren, und der Bundesre-
gierung abgestimmt .


(Widerspruch bei der LINKEN)


Deswegen wundere ich mich sehr darüber, in welcher
Form Sie jetzt hier auftreten . Sie sagen, das sei alles nur
eine Geschichte der Bundesarbeitsministerin . Es ist aber
das Ergebnis der Bund-Länder-Gespräche . Ich kann nur
hoffen und gehe davon auch aus, dass über die Länder die
Praxis vor Ort, die Praxis der Agenturen und der Jobcen-
ter, in dieses Gesetz eingeflossen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816503400

Herr Kollege Schiewerling, darf die Kollegin Kipping

dazu eine Zwischenbemerkung machen?


Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1816503500

Von mir aus ja; eine .


(Heiterkeit – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Und nicht so lange! – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Drei Minuten steht in der Geschäftsordnung!)



Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816503600

Werter Kollege Schiewerling, Sie haben hier den Ein-

druck erweckt, dass auch die Bundesländer, in denen die
Linke mit in der Regierung ist, Thüringen und Branden-
burg, diesen Gesetzentwurf so mittragen würden . Vor
diesem Hintergrund frage ich: Ist Ihnen bekannt, dass es
im Bundesrat – im Fachgremium für Soziales – genau
diese beiden Bundesländer waren, die deutliche Verän-
derungen eingefordert haben, nämlich eine generelle
Abschaffung der Sanktionen oder zumindest die Abmil-

Katja Kipping






(A) (C)



(B) (D)


derung, und dass sie insofern den vorliegenden Gesetz-
entwurf, weil das darin unterbleibt, nicht teilen und nicht
zu verantworten haben?


(Beifall bei der LINKEN)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1816503700

Frau Kollegin Kipping, ist Ihnen bekannt, dass die

Bundesländer im Endeffekt auch mit Ihren Stimmen die-
sen Vereinbarungen zugestimmt haben?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sonst hätte es das Abstimmungsergebnis 15 : 0 nicht ge-
geben .


(Zuruf der Abg . Katja Kipping [DIE LINKE])


Es kann ja sein, dass bei der Konferenz der Arbeits- und
Sozialminister andere Positionen vertreten worden sind .
Aber hinterher ist unter denen, die bei den Ländern das
Sagen haben, abgestimmt worden, und das ist das Ergeb-
nis dieses Abstimmungsprozesses .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, das vorliegende Neunte
SGB-II-Änderungsgesetz beinhaltet viele Regelungen,
von denen ich hoffe, dass sie sich positiv auswirken . Es
wird in einer Zeit vorgelegt, in der wir einen hohen Auf-
wuchs an Beschäftigung haben –731000 zusätzliche so-
zialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse
seit dem letzten Jahr – sowie etwa 600 000 offene Stel-
len, also ein Arbeitsmarktumfeld, das für die Unterbrin-
gung auf dem Arbeitsmarkt günstiger eigentlich nicht
sein kann .

Deswegen, glaube ich, ist es gut, wenn wir uns mit
diesem Gesetz jetzt auf die Personengruppen konzen-
trieren, die Probleme haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt
unterzukommen oder wieder in Beschäftigung zu kom-
men . Die Rechtsvereinfachungen dienen ja dazu, in den
Ämtern den Einzelnen mehr helfen zu können .

Aber ich sage auch sehr deutlich: Es gibt Zielgrup-
pen, bei denen wir uns sehr schwer tun, sie überhaupt
zu erreichen . Das ist eine Diskussion, die wir seit län-
gerem im Deutschen Bundestag führen, zumindest so
lange, wie ich dabei bin . Es geht um die Zielgruppe der
jungen Menschen, die durch nahezu alle sozialen Ras-
ter fallen . Es sind junge Menschen, die von ihrer Familie
nicht erreicht werden, weil schon ihre Herkunftsfamilie
nicht mehr erreicht worden ist . Sie werden von der Schu-
le nicht erreicht . Sie werden von der Agentur für Arbeit
nicht erreicht . Sie werden von den Sozialämtern nicht
erreicht . Die Problemlage dieser jungen Menschen, die
in unserer Gesellschaft leben, wird sozusagen erst dann
in der Öffentlichkeit bekannt, wenn sie so drängend ist,
dass Polizei und Staatsanwaltschaft da sind, oder wenn
beispielsweise ein 15-jähriges Mädchen vor der Nieder-
kunft steht, ein Kind erwartet, und wissen will, wohin es
sich wenden kann .

Diese Situation erleben wir in einer Reihe von Ein-
richtungen, die sich um diese Jugendlichen, diese jungen
Menschen kümmern . Diese sorgen dafür, dass die vielfäl-
tigen Lebenssituationen, die auch mit unterschiedlichen

Sozialgesetzen hinterlegt sind, aufgegriffen werden, um
den jungen Menschen tatsächlich helfen zu können . Da
geht es dann um die Kinder- und Jugendhilfe, um das
SGB VIII, es geht um das SGB III, um die aktive Ar-
beitsmarktförderung, es geht um die Grundsicherung, es
geht um das Bildungs- und Teilhabepaket, es geht um die
Sozialhilfe, und es geht nicht zuletzt – im SGB V – um
die Fragen der psychischen Belastungen und der psychi-
schen Hilfen . Alle diese Hilfen, die dringend notwen-
dig wären, erreichen diese Zielgruppen nicht, weil sie
kaum irgendwo aufgegriffen werden . Deswegen habe ich
mich sehr darüber gefreut, dass es uns mit diesem Ge-
setzgebungsverfahren gelungen ist, einen neuen § 16 h
im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch unterzubringen, der
die Möglichkeit eröffnet, die Schnittstellen, an denen es
heißt: „Dafür ist ja eigentlich jemand anderes zuständig“,
zu überwinden und diesen jungen Menschen Hilfen aus
einer Hand geben zu können .

Meine Damen und Herren, ich habe mich sehr ge-
freut, dass dieses Anliegen in unserer Fraktion eine große
Unterstützung erfahren hat durch unseren Fraktionsvor-
sitzenden Volker Kauder . Ich habe mich sehr darüber
gefreut, dass dieses Anliegen von Anfang an eine persön-
liche Unterstützung erfahren hat durch die Bundeskanz-
lerin selbst, die in der Karwoche, also in der Woche vor
Ostern, eine solche Einrichtung besucht hat .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bin sehr froh und dankbar, dass die Bundesarbeitsmi-
nisterin und das Bundesarbeitsministerium dieses Anlie-
gen sieht und mitträgt und möchte an dieser Stelle neben
der Bundesarbeitsministerin und der Fachabteilung ins-
besondere der Staatssekretärin Lösekrug-Möller für ihre
Unterstützung sehr herzlich danken .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, mit diesem Akzent, den
wir in diesem Gesetzgebungsvorhaben setzen, wollen
wir deutlich machen, dass wir keinen verloren gehen
lassen, dass wir alles daransetzen, um jedem Menschen
in unserer Gesellschaft, mag er sich noch so schwertun,
eine Perspektive aufzuzeigen und diesen Menschen zu
helfen . Wir kümmern uns jetzt um die, denen kaum noch
einer hilft . Das sind andere Töne – das will ich gerne zu-
gestehen – als die sozialpolitischen Töne, die die Linken
anschlagen . Uns geht es nicht darum, Hilfesysteme zu
zerschlagen, sondern darum, bestehende Hilfesysteme so
zu nutzen, dass die Hilfe bei den Menschen ankommt .
Hartz IV muss nicht abgeschafft werden, Hartz IV muss
immer wieder als lernendes System verändert werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ersetzt werden durch eine sanktionslose Grundsicherung!)


Wir müssen den Menschen eine Perspektive geben, und
diese Perspektive lautet: Wir lassen keinen durchs soziale
Netz fallen; wir wollen den Menschen helfen . Das ist un-
ser Anliegen, und dem dient auch dieser Gesetzentwurf .

Ich danke Ihnen sehr .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Katja Kipping






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1816503800

Der Kollege Strengmann-Kuhn erhält nun das Wort

für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Karl Schiewerling betont in seinen Reden immer gerne
die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, den Anstieg der
Beschäftigung – sogar der sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigung – und die gute ökonomische Situation .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Zu Recht!)


Damit hat er auch recht . Aber was dabei vernachlässigt
wird, ist, dass diese gute Situation der Wirtschaft bei vie-
len Menschen in Deutschland nicht ankommt . Wir haben
seit Jahren ein Rekordmaß an Ungleichheit in Deutsch-
land und ein Rekordmaß an Armut . Der soziale Zusam-
menhalt in Deutschland ist ernsthaft gefährdet, und da
müssen wir unbedingt ansetzen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Jetzt kommen die geflüchteten Menschen zu uns. Das
wird diese Spaltung, die wir in der Gesellschaft haben,
zumindest kurzfristig noch weiter verstärken . Es ist schon
gesagt worden: In den nächsten Wochen und Monaten
erhalten die Menschen, wenn ihr Asylverfahren beendet
ist, Leistungen gemäß SGB II . Das heißt, die Jobcenter
werden zusätzlich belastet, bekommen zusätzliche Kun-
dinnen und Kunden, wie es im Amtsjargon heißt . An die-
ser Stelle wäre es eigentlich völlig richtig, zu sagen: Wir
vereinfachen die Grundsicherung, entbürokratisieren sie,
machen Licht in dem Dschungel von Grundsicherungs-
leistungen, sehen zu, dass die Menschen, die Anspruch
auf Grundsicherung haben, diesen auch leicht erhalten,
um damit für ein Stück weit mehr soziale Sicherheit in
Deutschland zu sorgen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der zweite Punkt ist, dass wir dafür sorgen müssen,
dass die Jobcenter tatsächlich entlastet werden, um die
Geflüchteten in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Es darf
aber auch nicht vergessen werden, die Langzeitarbeits-
losen besser zu unterstützen und besser in den Arbeits-
markt zu integrieren . Das war eigentlich das Ziel von
Hartz IV . Die Verfestigung von Langzeitarbeitslosigkeit
ist ein Riesenproblem, das wir endlich angehen müssen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Der Ansatz, wir vereinfachen das System und ent-
lasten die Jobcenter, wir gehen die soziale Spaltung in
Deutschland an, ist eigentlich völlig richtig . Wenn man
sich den Gesetzentwurf ansieht – die Staatssekretärin hat
gesagt, da ist ein jahrelanger Prozess dahinter –, dann
stellt man fest: Da ist nichts, da ist gar nichts . Man sieht
daran, wie die Reihen heute hier besetzt sind und dass die
Ministerin nicht anwesend ist, welchen Stellenwert die-

ser Gesetzentwurf auch für die Regierungskoalition hat,
nämlich einen sehr geringen .


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Die Staatssekretärin ist da! – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Also, wir sind am stärksten hier!)


Viele große Punkte sind in diesem Gesetzentwurf gar
nicht angegangen worden, manche sind auch im Gesetz-
gebungsprozess herausgenommen worden . – In den Rei-
hen der Union wird der Kopf geschüttelt . Warum ist die
Ministerin nicht da und stellt den Gesetzentwurf selber
vor, wenn es so ein großer Wurf ist? Es ist kein großer
Wurf .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Dann fragen Sie die SPD!)


Es ist ein Bündel von bürokratischem Kleinkram, der
die Jobcenter in dieser Situation mehr belasten wird, weil
sie eine Fülle von neuen kleinteiligen Regeln wieder neu
umsetzen müssen . Die Jobcenter müssen entlastet und
nicht belastet werden, was der Gesetzentwurf machen
wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir haben deswegen einen Alternativantrag mit Alter-
nativvorschlägen vorgelegt, mit dem das gesamte Grund-
sicherungssystem tatsächlich vereinfacht wird und die
Jobcenter entlastet werden . Ein wichtiger Punkt wäre,
erst einmal die Menschen aus Hartz IV herauszuholen,
die gar nicht dorthin gehören . Ich habe eben schon ge-
sagt, es ging eigentlich darum, eine Grundsicherung für
Arbeitsuchende zu schaffen . Nun haben wir eine große
Menge von Erwerbstätigen im Hartz-IV-System . Es gibt
mehr Erwerbstätige als Langzeitarbeitslose, die Hartz IV
beziehen . Wenn man die Kinder noch mitzählt, dann
leben fast 50 Prozent der Hartz-IV-Bezieher in einer
Bedarfsgemeinschaft, die Erwerbseinkommen hat . Die
müssen wir aus dieser Sicherung herausnehmen . Sie sind
dort, weil sie hohe Wohnkosten haben, weil sie Kinder
haben . Deswegen müssen wir an dieser Stelle die vorge-
lagerten Sicherungssysteme stärken, um die Erwerbstäti-
gen aus Hartz IV herauszuholen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie gesagt: Viele Familien, viele Kinder sind dabei .

Die Auszubildenden gehören eigentlich auch nicht
dazu . Es ist für die Auszubildenden sicher ein Fortschritt,
dass sie eine existenzsichernde Leistung bekommen .
Aber eigentlich müsste es eine Grundsicherung für Aus-
zubildende geben . Die bildungssozialen Sicherungssys-
teme BAföG etc . müssen gestärkt werden, damit sie gar
nicht erst in Hartz IV kommen . Auch hier müssen wir die
vorgelagerten Sicherungssysteme stärken, um die Auszu-
bildenden herauszunehmen; denn auch die gehören nicht
zu den Jobcentern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Jobcenter sollen sich auf die Arbeitslosen konzen-
trieren .






(A) (C)



(B) (D)


Es sind einige Punkte im Gesetzgebungsprozess he-
rausgefallen . Eine einfache Möglichkeit, die Jobcenter
schnell und effektiv zu entlasten, wäre eine Aussetzung
der Sanktionen, die sowohl die Jobcenter als auch die
Betroffenen belasten . Wir brauchen ein Sanktionsmora-
torium .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Dann würden gleich Kapazitäten frei .

Aber das Wenigste wäre – das ist schon angedeutet
worden –, dass die Punkte, die – bis auf Bayern und
CSU – Konsens sind, wenigstens umgesetzt werden .
Die verschärften Regelungen bei jüngeren Erwachsenen
unter 25 Jahre und auch Sanktionen der Kosten der Un-
terkunft müssen beseitigt werden . Alle Praktiker sagen
Ihnen: Das kann im Extremfall zu Obdachlosigkeit füh-
ren . Und, wie gesagt, die Sanktionen gegen die Jüngeren
sind eher kontraproduktiv . Sie führen eher zu sozialer
Ausgrenzung und den Problemen, die Karl Schiewerling
eben zu Recht angesprochen hat . Deswegen müssten die
Jüngeren genauso behandelt werden wie die Älteren . Das
wäre ein wichtiger Punkt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt viele Brocken, die überhaupt nicht angegangen
werden . Das Bildungs- und Teilhabepaket ist ein büro-
kratisches Monster . Bei den Kosten der Unterkunft gibt
es eine Fülle von bürokratischen Regelungen bzw . viele
Sonderregelungen, welche die Jobcenter und die Kom-
munen teilweise überfordern . Es gibt viele Sonderrege-
lungen im Hartz-IV-Gesetz, die diskriminierend sind und
abgeschafft werden müssten .

Teilweise sind im Gesetzentwurf neue Verschärfungen
enthalten . Katja Kipping hat ein paar Beispiele genannt,
die auch wir als Problem ansehen . Es handelt sich dabei
nicht um Rechtsvereinfachung, sondern um Rechtsver-
schärfung .

Eigentlich müsste man sich das gesamte System der
Grundsicherungsleistungen einmal anschauen . Es gibt
fünf verschiedene Grundsicherungsleistungen in drei
verschiedenen Gesetzen . Die Regelungen in den einzel-
nen Gesetzen sind völlig unterschiedlich . Eine Große
Koalition könnte sich einmal daranmachen und gleiche
Sachverhalte auch gleich regeln . Damit hätte man eine
Vereinfachung in der Verwaltung und bessere Transpa-
renz für die Betroffenen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich will nur einen Punkt herausnehmen . Dabei geht
es – das klingt erst einmal relativ technisch – um die
Anrechnung von Partnereinkommen . Der Begriff „Be-
darfsgemeinschaften“ – den gibt es bei Hartz IV im So-
zialgesetzbuch II – ist vielleicht bekannter . Im Sozialge-
setzbuch XII läuft die Einkommensanrechnung anders .
Da gibt es eine individualisierte Leistung, wo auch Part-
nereinkommen – aber nur von Partnern, die mehr verdie-
nen, als das eigene Grundsicherungsniveau ausmacht –
angerechnet wird .

Wenn man es im Sozialgesetzbuch II so machen wür-
de wie im SGB XII, hätte das zur Folge, dass die Hil-
fe auf die Menschen fokussiert wird, die sie tatsächlich
brauchen . Wenn es ein Paar gibt, wo eine Person wenig
und die andere relativ viel verdient, dann werden beide
von den Jobcentern betreut . Es müsste aber so sein, dass
sich die Jobcenter auf die tatsächlich Arbeitslosen kon-
zentrieren .

All diese Probleme werden von der Großen Koalition
nicht angegangen . Es wird nichts für den sozialen Zu-
sammenhalt in dieser Gesellschaft getan . Diese Rechts-
vereinfachung stellt eine verpasste Chance dar . Die Gro-
ße Koalition hätte sie nutzen können . Wir haben einen
Alternativantrag vorgelegt, der die Jobcenter tatsächlich
entlasten, die Grundsicherung vereinfachen und den so-
zialen Zusammenhalt in Deutschland stärken würde .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816503900

Vielen Dank Herr Kollege Strengmann-Kuhn . – Schö-

nen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! –
Der nächste Redner in der Debatte ist Markus Paschke
für die SPD .


Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1816504000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau
Kipping, Sie haben vorhin ein Paradebeispiel erwähnt .
Ich finde, Ihre Rede war ein Paradebeispiel für Schlecht-
reden und auch für Ignoranz .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir wollen mit den Rechtsvereinfachungen im SGB II
nicht nur für die Ämter, sondern auch für die betroffe-
nen Menschen Erleichterungen schaffen . Wir sagen: Der
Mensch muss im Mittelpunkt stehen . Deshalb werden
wir die Jobcenter und die Betroffenen von Bürokratie
entlasten . Somit bleibt mehr Zeit und mehr Energie für
die Betreuung und die Förderung .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn?)


Ich will dies an einigen Beispielen deutlich machen .

Eine wirkliche Erleichterung ist die Verlängerung des
Bewilligungszeitraums .


(Beifall bei der SPD – Katja Kipping [DIE LINKE]: Das ist doch schon Praxis!)


Zukünftig müssen Anträge auf Leistung nur einmal im
Jahr gestellt werden . Mit dieser Änderung entfallen somit
pro Jahr rund 2,5 Millionen Weiterbewilligungsanträge .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816504100

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

-bemerkung?

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn






(A) (C)



(B) (D)



Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1816504200

Ich würde gern erst einmal fortfahren .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816504300

Auch nicht von Frau Pothmer?


Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1816504400

Auch nicht von Frau Pothmer .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816504500

Gut, alles klar .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Markus, das hätte ich von dir nicht erwartet!)



Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1816504600

Haben Sie sich einmal durch diese Anträge hindurch-

gekämpft? Ich mache das im Rahmen meiner Bürger-
sprechstunden regelmäßig . Das Rauschen im Blätterwald
ist beeindruckend, das Arbeiten darin mühselig . Denn es
geht nicht nur um die Anträge, sondern auch um die da-
mit verbundenen Unterlagen, die aber nun nur noch ein-
mal im Jahr eingereicht werden müssen .

Ein weiteres Beispiel ist die Gesamtangemessenheits-
grenze für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung . Zu-
künftig zählt die Summe für die Bewertung der Ange-
messenheit einer Wohnung . Es spielt – solange sich die
Summe im Rahmen der Gesamtangemessenheitsgrenze
bewegt – keine Rolle mehr, ob eine höhere Miete für eine
Neubauwohnung mit höheren Standards, dafür aber mit
niedrigeren Heizkosten, gezahlt wird oder ob die Miete
niedriger ist, die Heizkosten aber höher sind. Ich finde
es gut, dass zukünftig SGB-II-Bezieher nicht mehr von
modernen Wohnungen ausgeschlossen sind, anders als
bisher, als nur die Miete, die lediglich einen Teil der Ge-
samtkosten ausmacht, mit einer Angemessenheitsgrenze
belegt wurde .

Ansprüche nach dem SGB II können zukünftig auch
nicht mehr gepfändet oder übertragen werden . Das ist
eine Forderung, die die Betroffenen und ihre Interessen-
vertreter schon lange gestellt haben .

Nach bisheriger Rechtslage muss jede erwerbsfähige
leistungsberechtigte Person bei Krankheit einen gelben
Schein vom Arzt vorlegen . Das gilt auch für Personen,
die aktuell für eine Arbeitsaufnahme gar nicht infrage
kommen, weil sie zum Beispiel eine Schule besuchen
und einen Schulabschluss machen . Das entfällt nun für
viele. Ich finde, das ist ein großer Fortschritt für die Be-
troffenen und auch im Hinblick auf die Bürokratieent-
lastung .

Mit dem Gesetzentwurf stärken wir auch die Einglie-
derungsvereinbarung . Dazu gehört eine stärkere Nutzung
der Potenzialanalyse; denn nur wenn klar ist, wo Stärken
und Schwächen liegen, können Hilfe und Unterstützung
effektiv geleistet werden . Damit soll der Gedanke des
Förderns mehr Bedeutung bekommen .

Wichtig ist mir insbesondere, dass diejenigen, deren
Arbeitslosengeld zu gering ist, um ihren Lebensunterhalt

zu bestreiten, also diejenigen, die aufstocken müssen, zu-
künftig bei Weiterbildungen und bei der Jobsuche von
der Bundesagentur für Arbeit unterstützt, gefördert und
betreut werden .


(Beifall bei der SPD)


Das hat auch mit Anerkennung und Würde zu tun; denn
sie haben sich Ansprüche nach dem SGB III erarbeitet .
Sie haben in der Regel wahrscheinlich nur zu wenig ver-
dient, um Ansprüche zu haben, die ausreichend sind, um
ihr Leben zu gestalten. – Ich finde, all das sind Schritte in
die richtige Richtung .

Last, but not least sind die Verbesserungen bei der
Ausbildungsförderung ein ganz wichtiger Punkt .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Karl Schiewerling [CDU/CSU])


Bisher war es so, dass jeder, der eine Ausbildung auf-
nahm, mit dem Tag, als er sie begann, weniger Geld zur
Verfügung hatte, als wenn er im System des SGB II ge-
blieben wäre . Das haben wir jetzt für viele geändert . Sie
bekommen nicht mehr weniger Geld, sondern sie haben
mindestens die gleichen Ansprüche wie vorher, und das
ist auch gut so .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Karl Schiewerling [CDU/CSU])


Es ist kein Geheimnis, dass wir von der SPD-Fraktion
gern noch mehr für die Menschen in unserem Land er-
reicht hätten . So hege ich zum Beispiel immer noch die
Hoffnung, dass wir es schaffen, im parlamentarischen
Verfahren den Gesetzentwurf um eine Bagatellgrenze für
Rückforderungen zu ergänzen . Denn auch das wäre eine
spürbare Entlastung für alle Beteiligten . Es kann doch
nicht sein, dass durch eine Rückforderung von 5 Euro in
den Ämtern Arbeitskosten von 50 Euro entstehen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das steht wirklich in keinem Verhältnis .

Das gilt allerdings auch für die Blockadehaltung der
CSU beim Thema der Sanktionen . Kürzungen bei den
Kosten der Unterkunft sind nicht nur sinnlos, sondern
einfach nur gefährlich; sie gefährden Mietverhältnis-
se . Auch die besonders scharfen Regelungen für unter
25-Jährige haben alle Experten als nicht zielführend be-
zeichnet . Sie bringen nichts .


(Beifall der Abg . Katja Kipping [DIE LINKE] – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja, und was macht die CSU?)


Wir haben das hinlänglich diskutiert . Die CSU verhindert
leider bis heute eine faire Lösung .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Buh! – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schmeißt die doch mal raus aus der Koalition!)







(A) (C)



(B) (D)


Wer ständig Sand ins Getriebe streut, kann nicht der Mo-
tor der Nation sein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Da Horst Seehofer zu Recht die Entwicklungen bei der
Rente kritisiert hat – er bezeichnet sie als neoliberal –,
gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass sich diese Erkennt-
nis auch in Bezug auf die Sanktionen durchsetzt .

Mein Fazit für heute: Es ist ein guter Entwurf, der in
die richtige Richtung geht .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Oh nein, nein, nein! – Gegenruf von der SPD: Doch!)


Ich denke, wir werden im parlamentarischen Verfahren
sicher noch über das eine oder andere reden können .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816504700

Vielen Dank, Markus Paschke . – Das Wort hat nun

der sehr verehrte Dr . Matthias Zimmer für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!)


– Wenn Sie wüssten, wie er sich neben anderen Kollegin-
nen und Kollegen für Ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterin-
nen in der Mitarbeiterkommission des Bundestages ein-
setzt, dann würden Sie das „sehr verehrter Dr . Zimmer“
verstehen .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ich verstehe das! Nichts anderes haben wir erwartet!)



Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1816504800

Sehr verehrte Frau Präsidentin!


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Katja Mast [SPD]: Jetzt ist aber gut!)


Nach so einer freundlichen Begrüßung fällt es ausgespro-
chen schwer, das ein oder andere schärfere Wort anzu-
bringen .


(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Du hast dafür eine Minute mehr Zeit!)


– Sehr schön . Wenn ich eine Minute mehr Zeit habe,
dann kann man das ganz gut gestalten .

Das, was der Kollege Strengmann-Kuhn sagt, regt
eigentlich immer zum Nachdenken an . Aber in diesem
Fall ist die ein oder andere Replik erforderlich . Da ist
zunächst einmal, lieber Wolfgang Strengmann-Kuhn,
der Begriff des Bürokratiemonsters aus dem Bildungs-
und Teilhabepaket, der mich begrifflich doch sehr an das
Bürokratiemonster erinnert, das der Wirtschaftsflügel in
Bezug auf die Aufzeichnungspflicht nach dem Mindest-
lohngesetz sieht . Ich habe mich gefragt, ob die Grünen

bei dem Vokabular angekommen sind, das sie eigentlich
immer haben wollten .


(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht das auch in einfacher Sprache?)


Auch das Thema Armut ist angesprochen worden . Ich
möchte an dieser Stelle zwei Hinweise zum Thema Ar-
mut geben . Wir haben eine Einkommensspreizung, die
unter Rot-Grün bis 2005 zugenommen hat und seitdem
relativ stabil ist; sie wird sich durch den Mindestlohn
vermutlich etwas abschwächen . Ich will dafür plädieren,
dass man mit dem Begriff „Armut“ etwas vorsichtiger
umgeht . Er ist auf der einen Seite eine wissenschaftliche
Kategorie – das wissen wir beide relativ gut –, aber auf
der anderen Seite ist er auch ein Begriff, der einen hohen
Polarisierungseffekt hervorrufen kann . Davor sollten wir
uns ein wenig hüten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben im letzten Jahr – ich will nicht sagen: ge-
feiert – daran gedacht, dass vor zehn Jahren Hartz-IV
und SGB II auf den Weg gebracht wurden . Wir haben
inzwischen das neunte Änderungsgesetz zum SGB II auf
den Weg gebracht . Wir haben also statistisch gesehen fast
jedes Jahr ein Änderungsgesetz vorgelegt, mit dem wir
nachsteuern, mit dem wir die Instrumente schärfen, mit
dem wir Verwaltung vereinfachen, mit dem wir für mehr
Effizienz sorgen und durch die Rückmeldung der Prakti-
ker vielleicht auch für ein klein wenig mehr Gerechtig-
keit in den Verfahren sorgen .

Karl Schiewerling hat es auf den Punkt gebracht, in-
dem er gesagt hat: SGB II ist ein lernendes System . Ich
finde, das ist auch gut so. Im Jahr 2005 hatten wir eine
sehr hohe Anzahl an Arbeitslosen . Mittlerweile konnten
wir einen deutlichen Rückgang bei der Arbeitslosigkeit
verzeichnen . Die Erfahrungen, die wir zwischenzeitlich
mit diesem Instrument gesammelt haben, gehen also in
unsere Erörterungen ein .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816504900

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

-bemerkung von Dr . Franziska Brantner?


Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1816505000

Gerne .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herzlichen Dank für die Zulassung der Frage . Sie ha-
ben gerade so schön gesagt, das SGB II sei ein lernen-
des System, und man würde es weiter verbessern . Daher
meine Frage: Wie wollen Sie im parlamentarischen Pro-
zess mit dem Entwurf zur Neuregelung der temporären
Bedarfsgemeinschaften umgehen? Das hat wichtige Aus-
wirkungen auf die Alleinerziehenden . Eigentlich haben
wir gelernt, dass es in diesem Bereich eine Unterfinan-
zierung gibt, wenn sich Eltern die Aufgabe teilen . Wie
wollen Sie als Abgeordneter der Regierungskoalition mit
diesem Entwurf umgehen? Oder wollen Sie lieber aus
den Erfahrungen lernen und den Alleinerziehenden, die

Markus Paschke






(A) (C)



(B) (D)


sich die Betreuung partnerschaftlich aufteilen, unter die
Arme greifen?


Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1816505100

Verehrte Frau Kollegin Brantner, ich spüre in Ihrer

Wortmeldung ein gewisses Bedauern darüber, dass Sie
das SGB II vor zehn Jahren zwar auf den Weg gebracht
haben, aber mittlerweile nicht mehr in der Lage sind, an
der Verbesserung des SGB II mitzuarbeiten, weil Sie seit
zehn Jahren in der Opposition sind . Gleichwohl: Wir ha-
ben von der Bundesregierung und von den Bundeslän-
dern ein Paket vorgelegt bekommen, das wir heute in die
parlamentarische Beratung einbringen werden .

Wie der Kollege Paschke schon gesagt hat: Es gibt
von der einen oder anderen Seite sicherlich noch Wün-
sche, die Regelungen auf die eine oder andere Art und
Weise zu ergänzen . Das werden wir in den parlamenta-
rischen Beratungen berücksichtigen . Ich bin mir sicher,
dass die Frage, die Sie angebracht haben, auch ein we-
sentlicher Bestandteil der parlamentarischen Beratungen
sein wird . – Danke schön .

Meine Damen und Herren, ich will drei besondere
Neuerungen hervorheben, die mir in diesem Zusammen-
hang wichtig sind . Eine hat Markus Paschke eben schon
erwähnt . Das ist die Entschärfung der Schnittstelle von
Ausbildungsförderung und Grundsicherung . Die beruf-
liche Ausbildung soll nicht dadurch verhindert werden,
dass weniger Geld da ist als nach SGB II . Ich glaube, das
ist eine sinnvolle Ergänzung dessen, was wir gestern im
Zusammenhang mit dem Gesetz zur beruflichen Weiter-
bildung diskutiert haben . Die Logik dahinter ist schlicht
und einfach, dass Bildung und Weiterbildung nachhalti-
ger sind als die schnelle Vermittlung in den Arbeitsmarkt .
Ich glaube, das ist eine gute Erkenntnis, die wir in den
letzten zehn Jahren gewonnen haben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Der zweite Bereich – Karl Schiewerling hat ihn er-
schöpfend behandelt – ist der neue § 16 h SGB II, der
gewissermaßen einen Auffangtatbestand für diejenigen
Jugendlichen schafft, die durch die Raster fallen und
durch die Hilfesysteme nach SGB III und SGB VIII oder
auch durch die bisherige Ausgestaltung der Hilfesysteme
nach SGB II nicht erfasst werden können .

Ein dritter Bereich, der mir ganz besonders wichtig
ist, ist die Stärkung der Eingliederungsvereinbarung . Ich
glaube, es ist ein zentrales Element des Förderns und
Forderns, dass wir die Eingliederungsvereinbarung stär-
ken, dass wir eine Potenzialanalyse vornehmen und dies
auch regelmäßig überprüfen und fortschreiben . Ich glau-
be persönlich – und da schaue ich jetzt besonders auf die
Kolleginnen und Kollegen von der Linken –, dass dies
zusätzlich auf beiden Seiten zu einer gewissen Ernsthaf-
tigkeit führt und vielleicht die eine oder andere Sanktion
überflüssig macht. Das wäre auch in unserem Interesse.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, man darf immer noch
träumen . Wenn es nach mir ginge, dann würde ich drei
Bereiche anführen, in denen ich noch Wünsche für das

parlamentarische Verfahren hätte . Der erste Bereich ist
die Zwei-in-fünf-Regelung, dass man also innerhalb von
fünf Jahren nur zwei Jahre lang fördern kann. Ich finde,
wir sollten überlegen, ob wir unter bestimmten Bedin-
gungen, meinetwegen mit einer degressiven Ausgestal-
tung oder einer Verpflichtungserklärung von Arbeitge-
bern dahin gehend, dass jemand übernommen wird, ein
drittes Jahr fördern können . Ich glaube, von den Prakti-
kern würde dies als sehr sinnvoll erachtet . Ich glaube, wir
tun uns einen großen Gefallen, wenn wir dieses Thema
ernsthaft im parlamentarischen Verfahren erörtern .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der zweite Bereich, der in diesem Zusammenhang
steht, ist die Förderung von Vollzeitmaßnahmen für die
berufliche Weiterbildung auch dann, wenn sie nicht um
ein Drittel verkürzt werden . Der Bundesrat hat das vorge-
schlagen . Das ist im Ministerium auf wenig Gegenliebe
gestoßen, aber ich halte es für eine sehr sinnvolle Ange-
legenheit, unter bestimmten Bedingungen das dritte Jahr
zu fördern . Auch hier kann man sich darüber unterhalten,
ob man dies an Bedingungen knüpft wie etwa an die Zu-
sage eines Arbeitgebers für eine spätere Übernahme . Das
halte ich auch für eine ausgesprochen sinnvolle Sache .

Der dritte Bereich sind AGHs und die Stärkung loka-
ler Akteure . Es ist ein lang gehegter Wunsch, dass wir
uns bei den Arbeitsgelegenheiten sehr genau darüber un-
terhalten, wie wir es hinbekommen, dass diese Kriterien
nicht strikt angewendet werden, sondern dass die Sozial-
partner vor Ort erhebliche Entscheidungsmöglichkeiten
haben . Ich denke, wenn wir die Sozialpartner vor Ort
stärken, dann können die Kriterien weitgehend wegfal-
len . Das gibt dann zwar einige Probleme, was den Nach-
vollzug in Nürnberg angeht, aber das gibt den lokalen
Akteuren vor Ort erheblich mehr Flexibilität .

Meine Damen und Herren, wir haben jetzt einen ers-
ten Schritt gemacht, wir gehen in das parlamentarische
Verfahren . Wir haben an der einen oder anderen Stelle
noch eine größere Wunschliste, das ist eine ganz natürli-
che Entwicklung .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hier bei uns auch! Auch wir haben eine Wunschliste!)


Auch der Bundesrat wird noch etwas mitreden kön-
nen . Auch die Opposition wird mitreden, verehrte Frau
Pothmer, dessen bin ich mir sicher . Ich freue mich auf die
Beratungen im Ausschuss .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816505200

Vielen Dank, lieber Kollege Zimmer . – Der nächste

Redner ist Dr . Matthias Bartke für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Franziska Brantner






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1816505300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Som-

mer 2014 gab es eine Koalitionsgruppe zur Flexirente .
Die Arbeitsgruppe hatte damals länger als ein Jahr ver-
handelt . Unsere Fachsprecherin, Katja Mast, hatte das
zum Anlass genommen, die Verhandlungsdauer mit der
Schwangerschaft eines Nashorns zu vergleichen .


(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das Gesetz ist schöner als ein Nashorn!)


Nun debattieren wir heute nicht über Rentenfragen,
sondern über Rechtsvereinfachungen im SGB II, und
die basieren auf den Vorstellungen der Bund-Länder-Ar-
beitsgruppe aus dem Jahr 2014 . Um bei den Dickhäutern
zu bleiben: Die 540 Tage einer Nashornschwangerschaft
haben wir schon überschritten, die zwei Jahre einer Ele-
fantenschwangerschaft sind in Sicht . Es steht zu hoffen,
dass wir sie nicht erreichen .


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)


Im Vorfeld hat der bayerische Löwe Seehofer schon
einmal gebrüllt . Löwen sind bekanntermaßen keine
Dickhäuter . Herr Seehofer hat gesagt – das ist weniger
spaßig –:

Das Verwässern der Sanktionen bei Drückebergern
wird die CSU verhindern .

Ganz unabhängig vom Stil dieser Aussage ist sie inhalt-
lich falsch . Herr Seehofer bezog sich auf das Vorhaben
unserer Ministerin Andrea Nahles, die verschärften
Sanktionsregeln für unter 25-Jährige abzuschaffen und
sie denen für ältere Arbeitsuchende anzupassen . Außer-
dem sollte die Kürzung bei den Kosten für Unterkunft
und Heizung abgeschafft werden . Auf dieses Vorhaben
hatten wir uns mit sämtlichen Experten bereits geeinigt .
Gemeinsame Erkenntnis war: Die teilweise überharte
Sanktionierung von Jugendlichen und die Streichung
der Kosten für Unterkunft wirken kontraproduktiv . Herr
Strengmann-Kuhn hat das eben durchaus zutreffend dar-
gestellt . Deswegen sage ich: Schlecht gebrüllt, bayeri-
scher Löwe!


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE] – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und? Konsequenz?)


Nach der Verweigerungshaltung der CSU hat sich
unsere Ministerin Nahles entschieden, die Verbesserung
des Sanktionsregimes vom restlichen Gesetzgebungsver-
fahren abzukoppeln; denn die anderen mit dem Gesetz-
entwurf vorgeschlagenen Rechtsvereinfachungen sind
dringend notwendig . Wir wollen die unnötige Bürokratie
in den Jobcentern abbauen . Die Jobvermittler sollen die
Chance haben, ihrer Berufsbezeichnung gerecht zu wer-
den, und nicht ihre ganze Energie auf Verwaltungsvor-
gänge verwenden müssen .

Meine Damen und Herren von der Linken, erfreuli-
cherweise konnten auch Sie sich durchringen, in Ihrem
Antrag Vorschläge des Gesetzentwurfs zu begrüßen . Ich
war, ehrlich gesagt, überrascht . Sie beziehen sich dabei
insbesondere auf die Verlängerung der Dauer der Be-

willigung der Bescheide auf zwölf Monate und die Ein-
schränkung der Verpflichtung zur Krankmeldung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich sage Ihnen aber: Der Gesetzentwurf enthält noch
deutlich mehr Verbesserungen . Leider haben Sie die nicht
erkannt, und leider erheben Sie am Ende doch wieder nur
Ihre alte Forderung, Sanktionen komplett abzuschaffen .
Dabei war Ihr Antrag zu Beginn deutlich differenzierter .
Sie haben ebenso wie ich kritisiert, dass die Sondersank-
tionen für Jugendliche und die Kürzung bei den Kosten
der Unterkunft nicht abgeschafft werden .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816505400

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenbemerkung

oder -frage von Herrn Birkwald von der Linken?


Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1816505500

Da er das vorher schon so nett angekündigt hat, gerne .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816505600

Wie? So geht das aber nicht . So läuft das nicht – damit

das ganz klar ist .


(Heiterkeit – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Abgesprochene Zwischenfragen? Wo gibt es denn so was?)



Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816505700

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Vielen Dank, Kolle-

ge Bartke, dass Sie die Zwischenfrage zugelassen haben .
Sie haben eben gesagt, dass Sie sich dafür aussprechen,
die verschärften Sanktionen für Jugendliche abzuschaf-
fen . Das erkenne ich ausdrücklich an, auch wenn ich alle
Sanktionen abgeschafft haben will .

Ich frage Sie als SPD-Abgeordneten, weil die SPD das
Familienministerium besetzt, warum Sie Alleinerziehen-
de und Kinder mit diesem Gesetz so strafen . Ich zitiere
aus der heutigen Ausgabe der Welt. Die Überschrift lau-
tet:

Hartz-IV-Reform trifft vor allem Trennungskinder –
Bundesregierung will Alleinerziehenden Geld strei-
chen, wenn der Nachwuchs tageweise beim anderen
Elternteil ist .

Die Kollegin Brantner hatte das Thema ja eben ange-
sprochen . Es ist so, dass alleinerziehende Frauen, wenn
sie das Kind für ein Wochenende zum Vater geben, Geld
abgezogen bekommen . Das Kinderzimmer bleibt aber,
die Zahnbürste bleibt, und alle anderen Aufwendungen
für das Kind bleiben auch . Die Familienverbände sagen
unisono: Das ist völliger Unsinn . Sie fordern im Gegen-
teil einen Umgangsmehrbedarf . Das fordert nicht nur ein
Familienverband, sondern drei, und auch der Deutsche
Juristinnenbund . Meine Frage an Sie, da die SPD die
Familienministerin stellt: Warum belasten Sie Allein-
erziehende, die zu 40 Prozent voll oder ergänzend auf
Hartz IV angewiesen sind, mit diesem Gesetz so enorm?
Ich finde, wir sollten etwas für Kinder und Jugendliche






(A) (C)



(B) (D)


und für Alleinerziehende tun und sie nicht noch bestra-
fen .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1816505800

Um es vorab zu sagen: Die Frage war angekündigt,

aber nicht der Inhalt der Frage . Deswegen sage ich Ihnen:
Ich freue mich, dass Sie so konstruktiv an den Beratun-
gen teilnehmen . Ich würde mich auch freuen, wenn Sie
weiterhin so konstruktiv agierten


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Es wäre schön, wenn Sie etwas von den Vorschlägen übernehmen würden!)


und in den Ausschussberatungen zur Sache argumentier-
ten . Ich will jetzt nicht ins Detail gehen .


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Jetzt bin ich aber auch auf die Antwort gespannt! – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In unserem Antrag ist ein Vorschlag dafür! Den kann man übernehmen!)


– Ich erläutere das nicht weiter . Es ist damit beendet .

Der Gesetzentwurf enthält noch deutlich mehr Verbes-
serungen .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816505900

Moment . War das jetzt die Antwort?


Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1816506000

Das war die Antwort .


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das war die Antwort?)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816506100

Ach so, gut .


Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1816506200

Zum Thema Sanktionen haben Sie eine Kleine Anfra-

ge gestellt, über deren Beantwortung durch die Bundesre-
gierung letzte Woche in der Presse breit diskutiert wurde .
Da fand sich unter anderem die Schlagzeile: Fast 40 Pro-
zent der Klagen gegen Sanktionen sind erfolgreich . Ich
sage Ihnen, Herr Birkwald, ausdrücklich Danke für diese
Anfrage . Die Zahlen alarmieren auch uns . Jede unrecht-
mäßige Sanktion ist eine zu viel . Auf die Gründe dafür
müssen wir ein Auge haben, und wir müssen daraus un-
sere Konsequenzen ziehen . Aber ich kann Ihnen schon
jetzt sagen: Das wird nicht die Abschaffung der Sanktio-
nen sein, wie Sie direkt wieder geschlussfolgert haben . In
dieser Position hat uns die Mehrheit der Experten in der
letztjährigen Anhörung bestätigt .

Mir ist besonders wichtig, dass die Beratung als aus-
drückliche Leistung des Gesetzes in den vorliegenden
Gesetzentwurf eingeführt wird . Die Beratung ist in der
Vergangenheit oft zu kurz gekommen . Ich wünsche mir,

dass der fördernde Charakter dieser Regelung gelebt
werden wird .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Eine Beratung ist erst dann durch Wertschätzung geprägt,
wenn sie auf Augenhöhe erfolgt . Unter dieser Vorausset-
zung kann sie den Leistungsempfänger darin unterstüt-
zen, seine Hilfebedürftigkeit zu überwinden: Welche
Möglichkeiten zum Nachholen von Qualifikationen gibt
es? Wo bestehen Chancen zum beruflichen Aufstieg?

Zukünftig soll außerdem für jeden erwerbsfähigen
Leistungsberechtigten eine Potenzialanalyse der bishe-
rigen Eingliederungsvereinbarung vorgeschaltet werden .
Individuelle Potenziale statt standardisierte Verwal-
tungspraxis haben hier neuen Raum . In der Eingliede-
rungsvereinbarung wird dann festgelegt, in welche Tä-
tigkeitsbereiche vermittelt werden soll . Damit können
Vermittlungen unterhalb vorhandener Qualifikationen
verhindert werden . Mit dem Gesetz entfällt in Zukunft
auch die Darlehensregelung, wenn eine Maßnahme nach
Wegfall der Hilfebedürftigkeit weiter gefördert wird .
Den Teilnehmern wird es so erleichtert, die Maßnahme
abzuschließen . Außerdem müssen sie nicht mit Schulden
in die Erwerbstätigkeit starten .

Am Schluss noch zu einer mir besonders wichti-
gen Regelung, die auch schon Frau Staatssekretärin
Lösekrug-Möller dargestellt hat . Auszubildende und
Schüler, die BAföG erhalten, sollen künftig aufstockend
Arbeitslosengeld II erhalten können . Wenn eine Ausbil-
dung allein durch die Ausbildungsvergütung nicht finan-
ziert werden kann, ist das meistens schon der Anfang
vom Ende . Durch die Neuregelung werden Aufnahme
und Absolvierung einer Ausbildung endlich erleichtert .

Uns liegt am Herzen, dass wir für die Leistungsemp-
fänger Verbesserungen erreichen . Ich bin überzeugt, dass
wir mit dem Gesetzentwurf die besten Voraussetzungen
dafür geschaffen haben . Auch in meiner Fraktion sind wir
noch nicht vollends zufrieden, und – Herr Schiewerling
hat es eben angekündigt – wir werden noch über unter-
schiedliche Änderungswünsche gemeinsam diskutieren .
Ich freue mich daher auf das Beratungsverfahren und set-
ze auf die Zusammenarbeit auch mit Ihnen .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816506300

Vielen Dank, Herr Kollege Bartke . – Der nächs-

te Redner in der Debatte: Kai Whittaker für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Kai Whittaker (CDU):
Rede ID: ID1816506400

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Politik beginnt ja

bekanntlich mit dem Betrachten der Wirklichkeit . Der
eine muss sie etwas länger betrachten als der andere, um
sie zu erkennen, aber am Ende bleibt es dieselbe Wirk-
lichkeit . Wenn ich mir die eine oder andere Rede der Op-
position hier anhöre, dann habe ich den Eindruck, dass

Matthias W. Birkwald






(A) (C)



(B) (D)


Sie heute beim Betrachten noch etwas Nachhilfe brau-
chen .


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Neue Brille!)


Ich bin meinem AG-Chef Karl Schiewerling sehr
dankbar dafür, dass wir heute dieses Gesetz auf den Weg
bringen können, in dem wir nicht nur die technischen
Vereinfachungen bei Hartz IV, auf die sich Bund und
Länder geeinigt haben, durchsetzen,


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Meinen Sie die Wirklichkeit, mit 9 Euro am Tag auskommen zu müssen?)


sondern auch noch einmal den Instrumentenkasten in
den Blick nehmen . Warum ist der Instrumentenkasten so
wichtig? Uns, der Union, ist es wichtig, Menschen wie-
der in Arbeit zu bringen anstatt sie teuer und ineffizient
zu verwalten . Das ist der Punkt, den wir mit dieser Re-
form machen .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das passiert aber mit dem Gesetz nicht! Das ist überhaupt nicht drin!)


Menschen, die lange arbeitslos sind, haben viele sozi-
ale Probleme und einen langen und steilen Weg zurück in
die Arbeitswelt vor sich . Sie brauchen Hilfe, indem wir
ihnen eine Treppe in diesen ersten Arbeitsmarkt bauen .
Mit diesem Gesetz bauen wir ein paar Stufen in diese
Treppe ein .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte heute auf eine dieser Stufen hinweisen,
weil sie mir persönlich sehr wichtig ist, nämlich die
Öffnung der Integrationsbetriebe . Ich halte das für ei-
nen Meilenstein . Denn wir, die Union, waren immer der
Ansicht, dass wir lieber Arbeit als Nichtstun finanzieren.
Diese Integrationsbetriebe schaffen genau das . Sie sind
ein gutes Beispiel . Sie sind ein Erfolgsmodell . Das ist
der Unterschied zwischen uns und Ihnen: Sie wollen
Langzeitarbeitslose in einem sogenannten dritten sozia-
len Arbeitsmarkt parken und sie so aus der Statistik he-
raushaben,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ordentlich bezahlen!)


weil Sie den Glauben an diese Menschen verloren haben .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Die Statistik macht Ihre Regierung! Sie schönt die Statistik!)


Das ist die Wahrheit . Wir hingegen möchten mit den
Integrationsbetrieben ein Mittel finden, wie wir diese
Menschen wieder in den ersten Arbeitsmarkt zurück-
bekommen . Diese Integrationsbetriebe sind kein dritter
Arbeitsmarkt, und sie arbeiten auch nicht im zweiten
Arbeitsmarkt, sondern sie sind mittendrin im wirtschaft-
lichen Leben im ersten Arbeitsmarkt . Deshalb halte ich
diesen Schritt für wichtig .

Wir öffnen den Arbeitsmarkt für schwerbehinderte
Langzeitarbeitslose . Es ist zugegebenermaßen eine vor-
sichtige Öffnung, weil wir die Integrationsbetriebe auch

nicht überlasten wollen . Aber für über 80 000 Menschen
in diesem Land ist das eine echte Perspektive, ein erster
kleiner Schritt . Jede große Reise beginnt eben mit dem
ersten Schritt . Deshalb bin ich darüber sehr glücklich .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt im Gesetzentwurf noch viele weitere Verbes-
serungen, die schon angesprochen worden sind: Wir füh-
ren ein Profiling ein. Da machen wir nichts anderes, als
die Stärken der Langzeitarbeitslosen zu analysieren, um
zu erfahren, was sie können und wo wir sie noch fördern
können . Wir führen für Langzeitarbeitslose, die wieder
in den ersten Arbeitsmarkt kommen, eine nachgehende
Betreuung ein, damit sie stabil bleiben und nicht in die
Langzeitarbeitslosigkeit zurückfallen . Wir machen auch
im Bereich der Ausbildung etwas .

57 Prozent der Langzeitarbeitslosen haben keine
Ausbildung . Würden sie eine machen, verdienten sie
mit ihrem Azubigehalt weniger, als wenn sie weiterhin
Hartz IV bekämen . Das habe ich nicht verstanden, das
haben wir nie verstanden, und deshalb ändern wir das
jetzt, indem wir Hartz IV für Langzeitarbeitslose, die
eine Ausbildung machen wollen, öffnen .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Hartz IV ist schon lange offen für Langzeitarbeitslose!)


Gibt es noch Potenzial nach oben, Herr Strengmann-
Kuhn? Natürlich gibt es das . Es handelt sich um einen
Gesetzentwurf der Ministerin . Das parlamentarische Ver-
fahren beginnt erst . Jetzt sind wir gefordert . Ich denke, in
den nächsten Wochen werden wir noch einige Verbesse-
rungen in das Gesetz einfließen lassen können.

Jetzt können Sie uns vorwerfen, das alles sei nur ein
Reförmchen .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das finden Sie doch auch!)


Aber den Vorwurf, dass die Große Koalition nur noch
kleine Gesetze durchbringt, lasse ich Ihnen nicht durch-
gehen . Denn wenn man sich grundsätzlich über Hartz IV
unterhält, dann muss man feststellen, dass man auch bei
Ihnen nicht wirklich fündig wird . Sie möchten Hartz IV
am liebsten abschaffen: Augen zu, Geld an die Langzeit-
arbeitslosen überweisen und versprechen, dass Deutsch-
land ein Land ist, in dem Milch und Honig fließen.


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Völliger Blödsinn! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Haben Sie mal unsere Vorschläge zum aktiven Arbeitsmarkt gelesen?)


Aber Sie bringen mit diesen Maßnahmen keinen einzigen
Menschen zusätzlich in Arbeit .

Zugleich versteifen Sie sich nur auf das Thema „Sank-
tionen abschaffen“. Auch da hilft, finde ich, die Betrach-
tung der Wirklichkeit . Wir haben letztes Jahr gelernt,
dass die Sanktionsrate in diesem Land bei circa 1 Prozent
der Fälle liegt . 1 Prozent!


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das stimmt nicht! Nein, nein, nein!)


Kai Whittaker






(A) (C)



(B) (D)


In Großbritannien sind es 5 Prozent, in den Niederlanden
sind es 35 Prozent . Wenn Sie sagen, dass in Deutschland
eine Herrschaft des Sanktionsregimes besteht, muss ich
Ihnen entgegnen: Das ist nicht der Fall. Ich finde, wir
sind, was Sanktionen angeht, ziemlich harmlos unter-
wegs .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wenn es nur 1 Prozent ist, kann man es doch abschaffen!)


Von den Grünen höre ich die Sätze, dass man das Ver-
fahren vereinfachen und Hartz IV einfacher gestalten
möchte . Das möchte ich auch sehr gerne . Aber wenn man
sich Ihre Anträge anschaut, stellt man fest, dass sie ge-
nau das Gegenteil bewirken würden . Sie wollen letztlich
eine komplett individuelle Betrachtung der Leistungen
der Menschen . Für jeden einzelnen Euro, der ausgezahlt
wird, soll eine individuelle Auswertung, eine individu-
elle Einschätzung vorgenommen werden, damit sich am
Ende keiner beschweren kann . Damit sorgen Sie nur für
Bürokratieaufwuchs .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß wirklich nicht, was Sie da gelesen haben!)


Wir brauchen eigentlich genau das Gegenteil, nämlich
mehr Pauschalierung .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Klar, da sind wir uns sogar einig!)


Wir bräuchten Pauschalierung bei den Wohnkosten, wir
bräuchten Pauschalierung bei den Bagatellgrenzen etc .
pp . Aber davon ist bei Ihnen momentan wenig zu sehen .
Sie verlieren sich im Klein-Klein .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816506500

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenbemerkung

oder -frage von Frau Kipping?


Kai Whittaker (CDU):
Rede ID: ID1816506600

So kurz vor dem Ende meiner Rede, ehrlich gesagt,

nicht mehr . Nein, danke .

Ich möchte noch einmal deutlich machen: Wenn wir
Hartz IV reformieren wollen, brauchen wir Pauschalie-
rungen in der Art, wie ich es gerade gesagt habe . Wir
brauchen auch eine wesentlich bessere individuelle Be-
treuung der Menschen .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber dann machen Sie es doch, Herr Whittaker!)


Denn wenn die Hälfte der Jobcenter-Mitarbeiter nichts
anderes zu tun hat, als auszurechnen, wie viel Euro ein
Mensch am Ende des Monats überwiesen bekommt,
dann helfen wir zu wenig und verwalten zu viel .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum macht ihr es dann nicht?)


Da müssen wir noch einmal ran . Ich muss aber ehrlich
sagen: Ich sehe weder bei Ihnen von den Linken noch bei
Ihnen von den Grünen den Willen, das zu tun .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber bei Ihnen, ja?)


Wenn ich in die Gesichter hier schaue,


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verzweiflung!)


denke ich, dass ich Ihnen bei der Betrachtung der Wirk-
lichkeit auf die Sprünge geholfen habe . Zumindest bestä-
tigt sich Schopenhauers Aussage, der einmal festgestellt
hat:

Im Reiche der Wirklichkeiten ist man nie so glück-
lich wie im Reiche der Gedanken .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816506700

Vielen Dank, Herr Kollege Whittaker . – Das Wort zu

einer Kurzintervention hat die Kollegin Kipping .


Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816506800

Herr Whittaker, Sie haben ja versucht, uns zu beleh-

ren, und den Eindruck erweckt, dass es Sanktionen nur
bei 1 Prozent der Fälle gibt . Deswegen sei das alles nicht
schlimm . Dazu muss ich sagen: Da sind Sie schlecht in-
formiert . Ich beziehe mich hier auf Zahlen, die uns die
Bundesregierung als Antwort auf eine Anfrage geliefert
hat: Es sind 3 Prozent aller infragekommenden Personen,
die sanktioniert werden . Wenn man zusammenzählt, wie
viele Sanktionen verhängt worden sind, so stellt man fest,
dass es im letzten Jahr fast 1 Million, nämlich 980 000,
waren . Bei den unter 25-Jährigen, bei den Jugendlichen
liegt die Rate der Betroffenen sogar bei 4 Prozent .

Hinzu kommt: Nicht nur diejenigen, gegen die tat-
sächlich eine Sanktion verhängt worden ist, sind davon
betroffen, sondern auch viele andere, weil die Möglich-
keit einer willkürlichen Kürzung wie ein Damokles-
schwert über vielen hängt . Das führt natürlich auch zu
entsprechenden Ängsten .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816506900

Herr Whittaker, Sie haben die Möglichkeit zu einer

Erwiderung .


Kai Whittaker (CDU):
Rede ID: ID1816507000

Vielen Dank . – Frau Kollegin Kipping, ich beziehe

mich auf eine Studie von Spermann, die vorletztes Jahr
herausgekommen ist . Da ist von 1 Prozent die Rede .
Aber ob es jetzt 1, 2 oder 3 Prozent sind:


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Antwort der Bundesregierung!)


Im europäischen Vergleich ist Deutschland nicht das
Land, als das Sie es hinzustellen versuchen . Es ist nicht

Kai Whittaker






(A) (C)



(B) (D)


so, dass wir hier mit der Sanktionsmachete herumlaufen
und die Menschen in Angst und Schrecken versetzen .
Das Gegenteil ist der Fall: Wir versuchen, zu helfen, wo
wir können . Andere Länder sind da wesentlich strenger
unterwegs . Deshalb ist Ihre Aussage schlicht und ergrei-
fend eine politische Nebelkerze .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zurufe von der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816507100


Vielen Dank, Herr Kollege . – Der letzte Redner in der
Debatte – wir haben ja viel vom bayerischen Löwen ge-
redet; jetzt kommt der Löwe aus dem Allgäu –: Stephan
Stracke .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie die Latte aber hochgehängt!)



Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1816507200


Liebe Frau Präsidentin, vielen herzlichen Dank für das
sehr schöne Intro . – Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist tatsächlich
in einer hervorragenden Verfassung . Dazu trägt Bayern
als Jobmotor und Stabilitätsanker in vielen Bereichen
maßgeblich bei . Wir haben weniger Arbeitslose, mehr
sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und deutlich
über 630 000 offene Stellen. Davon profitieren natürlich
auch diejenigen, die sich auf dem Arbeitsmarkt schwer-
tun: Ältere, Menschen mit Behinderung, aber auch Lang-
zeitarbeitslose .

Sicherlich ist auch die Erkenntnis richtig, dass Lang-
zeitarbeitslose zu wenig von dieser Entwicklung pro-
fitieren. Dabei haben wir schon einiges auf den Weg
gebracht, um in diesem Bereich für Verbesserungen zu
sorgen . Der Schlüssel liegt aber vor allem in einer per-
sönlichen Beratung vor Ort . Genau da setzt der vorlie-
gende Gesetzentwurf an . Mit diesem Gesetzentwurf
werden das Leistungs- und Verfahrensrecht des SGB II
und damit die Arbeit der Jobcenter deutlich vereinfacht .
Unnötige Bescheide, Anrechnungsregeln, Verfahrensver-
einfachungen – auf all das zielt der Gesetzentwurf ab,
und wir nehmen damit in diesem Bereich eine zentrale
Weichenstellung vor . Diese Erleichterungen sind in der
Tat überfällig .

Hierüber gab es schon eine lange Debatte . Es wurden
durch eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe Vorbereitungen
getroffen . Mich erstaunt, wie viele Vorschläge hier neu-
erdings vonseiten der Bundesländer auf den Tisch ge-
kommen sind . Ich glaube, im Rahmen der anstehenden
Debatte müssen wir uns auf das Wesentliche konzent-
rieren und dürfen uns nicht mit der Beratung kleinteili-
ger Vorschläge verzetteln . Ich bin auf die entsprechende
Sachverständigenanhörung gespannt, die wir in diesem
Bereich vornehmen wollen .

Interessant ist im Rahmen dieser Debatte, welche Vor-
schläge vonseiten der Opposition unterbreitet werden .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Gute! Gute Vorschläge!)


Oftmals zielen diese Vorschläge darauf ab, die Zielrich-
tung des Gesetzes zu sprengen. Sie stellen häufig ein
ganzes Sammelsurium dar . Entscheidend ist aber wohl
die Frage der Sanktionen . Die Linken fordern eine sank-
tionsfreie Mindestsicherung . Die Grünen positionieren
sich mit der Forderung, die Sanktionen auszusetzen .
Dem stellen wir entgegen: Wir halten an Sanktionen fest,
weil wir sie für richtig erachten . Jeder hat Verantwor-
tung: Verantwortung für sich, aber auch Verantwortung
gegenüber denjenigen, die einem helfen und einen un-
terstützen . Deshalb ist es nur fair, dass es keine Leistung
ohne Gegenleistung gibt .

Für uns gilt das Prinzip des Förderns und Forderns .
Dass der diesem Prinzip zugrundeliegende Gedanke jetzt
auch von der Koalition noch einmal unterstrichen wird,
zeigen die Ergebnisse des Koalitionsausschusses . Wir
haben uns dort darauf verständigt, ein Integrationsgesetz
auf den Weg zu bringen, gerade unter dem Leitgedanken
des Förderns und Forderns . Das ist genau das Richtige .
Was wir nicht tun, ist, zu lasche Sanktionen zu verhän-
gen . Deswegen haben wir uns dagegen gesperrt .

Wir sperren uns allerdings nicht gegen Vereinfachun-
gen im Sanktionsrecht, etwa was Pauschalierungen oder
anderes angeht . Aber Sanktionen müssen weiter wirksam
bleiben . Sie müssen weiterhin wirksame Anreize bieten,
damit diejenigen, die mit den Jobcentern zu tun haben,
mit diesen kooperieren, aktiv nach Arbeit suchen und
insgesamt rascher eine Arbeit aufnehmen . All dies ist in
diesem Bereich unumstritten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn wir über bestehende Instrumente reden, die wir
unter Umständen gemeinsam ausbauen wollen, dann
muss allerdings noch eine andere Sache stimmen, näm-
lich die Sicherstellung der Mittelausstattung der Jobcen-
ter und eine faire Verteilung der Finanzlasten auf alle
Bundesländer . Es gilt ja: Ohne Geld ist vieles nichts .
Deswegen muss es auch um die Verteilung der Einglie-
derungsmittel im SGB II gehen . Das tun wir im Bereich
der Flüchtlinge, indem wir dem Grundsatz folgen: Das
Geld soll dorthin fließen, wo die Arbeit anfällt. Wir müs-
sen noch genauer hinschauen, wo die Arbeit tatsächlich
anfällt . Zum anderen müssen wir auch sehen, dass die
Gelder dorthin fließen, wo die Langzeitarbeitslosen sind.
In Teilen Deutschlands, auch in Bayern, haben wir es mit
Menschen zu tun, die sich in einer Situation verfestigter
Langzeitarbeitslosigkeit befinden. Für diese sind höhere
Aufwendungen nötig, um ihnen gute Chancen zu geben .
Deswegen müssen wir die Mittelausstattung noch einmal
verändern . Das werden wir im Rahmen der anstehenden
Beratungen zu einem der Kernbestandteile machen .

Ich freue mich auf die Beratungen . Ich glaube, das
führt dazu, dass wir diesen Gesetzentwurf noch besser
machen . Die Vorlage ist ganz ordentlich .

Kai Whittaker






(A) (C)



(B) (D)


Herzliches Dankeschön!


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816507300

Vielen Dank, Herr Kollege Stracke . – Damit schließe

ich die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/8041, 18/8076 und 18/8077 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen . – Sie sind damit einverstanden . Dann sind die
Überweisungen so beschlossen .

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe,
bitte ich alle, die nicht zuhören oder sich beteiligen wol-
len, um beschleunigte Platzwechsel .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 d auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

30 Jahre Tschernobyl, 5 Jahre Fukushima –
Atomausstieg konsequent durchsetzen

Drucksache 18/7656
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Atomkraftwerk Cattenom sofort abschalten

Drucksache 18/7668
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Kai Gehring, Dr . Franziska
Brantner, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine öffentlichen Forschungsgelder für den
Wiedereinstieg in atomare Technologien –
6. Energieforschungsprogramm vollständig in
Richtung Energiewende weiterentwickeln

Drucksache 18/5211
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Federführung strittig

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-

gie (9 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock,
Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für mehr Transparenz in der Internationalen
Atomenergie-Organisation sowie eine starke
und unabhängige Weltgesundheitsorganisati-
on

Drucksachen 18/7658, 18/8101

Ich würde gerne die Debatte eröffnen . Ich bitte die
Kolleginnen und Kollegen, mir nicht den Rücken zuzu-
drehen, sondern Platz zu nehmen, damit wir mit der De-
batte beginnen können .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Auch dazu
höre und sehe ich keinen Widerspruch . Dann ist das so
beschlossen .

Ich gebe der ersten Rednerin in dieser Debatte das
Wort . Das ist Sylvia Kotting-Uhl für Bündnis 90/Die
Grünen .


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816507400

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Der 26 . April 1986 hat sich mir, damals
Mutter mit kleinen Kindern, als Datum unauslöschlich
eingebrannt . Natur, vor allem Regen, war plötzlich ge-
fährlich, meine alternative Selbstanbauerei ungesünder
als alte Konserven, Leben und Vertrauen in das Dasein
plötzlich auf den Kopf gestellt und alles Handeln geprägt
von der Sorge, die Kinder zu schützen . Was war das alles
für ein Federstrich im Vergleich zum Leben der Men-
schen um Tschernobyl herum bzw . in Weißrussland – das
Land, das den größten Niederschlag des atomaren Fall-
outs zu ertragen hatte .

Schauen wir heute nach Tschernobyl, dann sehen wir,
dass der damals von den Liquidatoren unter dem Ein-
satz der eigenen Gesundheit aufgebaute Sarkophag vor
sich hin rottet . Das Gelände hat sich zu einem tödlichen
Biotop entwickelt . Menschen kämpfen um ein bisschen
Entschädigung vom Staat . Spricht man mit ihnen, dann
hört man: Die meisten von ihnen leiden unter einem ge-
schwächten Immunsystem . Sie haben Angst vor Krebs . –
Junge Frauen, die Kinder von Tschernobyl, die nun ih-
rerseits Kinder bekommen, haben, leider berechtigt, eine
sehr viel größere Angst als Frauen an anderen Orten der
Welt, Kinder mit Schädigungen zur Welt zu bringen .
30 Jahre danach muss man sagen: Es ist noch lange nicht
vorbei .

Spreche ich mit Menschen in Fukushima, dann erfah-
re ich, dass auch dort die Angst um die Kinder präsent
ist . Auffällig sind Anomalien an ihren Schilddrüsen .
Bauern haben Sorge, ihre Existenzgrundlage vollständig
zu verlieren, auch wenn sie nicht in belasteten Gebie-
ten leben; denn keiner in Japan will ihre Produkte mehr
kaufen . Ähnlich geht es den Fischern in der Präfektur
Fukushima . Auch deren Fänge will niemand mehr kau-
fen, geschweige denn essen . Sie versuchen alles, um zu
überleben . Und auf der Anlage wird alles versucht, um
an dem Ort der Kernschmelzen die Folgen in den Griff

Stephan Stracke






(A) (C)



(B) (D)


zu bekommen . Ich war dort, und ich kann die Menschen,
die dort arbeiten, nur bewundern . Sie schalten Hoffnung
und die Gedanken an erreichbare Ziele ihres Tuns aus,
weil sie sonst aufhören müssten . Sie versuchen alles und
wissen fünf Jahre danach: Es ist noch lange nicht vorbei .

Es gibt auch andere schwere Schicksale auf der Welt;
das ist völlig richtig . Das alles ist aber so unnötig . Atom-
kraft ist eine Technologie, die die Welt nicht braucht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


In Deutschland sind wir auf dem Weg, diese Erkennt-
nis in die Realität umzusetzen . Und die Frage, die sich
stellt, lautet: Was können wir tun, um andere Länder von
der Richtigkeit dieses Weges zu überzeugen? Das Beste,
was wir tun können, ist natürlich, ein gutes, gelingendes
Beispiel zu geben, zu zeigen, dass Atomausstieg, Kli-
maschutz, hoher Lebensstandard und Wirtschaftskraft
zusammengehen, ja, sich sogar gegenseitig befördern
können und sich nicht im Wege stehen .

Um glaubwürdig zu sein, muss man aber auch konse-
quent sein . Nicht konsequent ist es, einen Abschaltplan
für Atomkraftwerke vorzulegen, aber keinen Abschalt-
plan für die Urananreicherungsanlage in Gronau und die
Brennelementefabrik in Lingen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Nicht konsequent ist es, sich nicht der Klage anderer Län-
der gegen die Subventionen für ein geplantes AKW-Pro-
jekt – ich rede von Hinkley Point in Großbritannien – an-
zuschließen . Nicht konsequent ist es auch, über Euratom
und das nationale Energieforschungsprogramm viel Geld
in die atomare Forschung zu stecken, übrigens ganz im
Widerspruch zu Ihrem eigenen Koalitionsvertrag, in dem
Sie festgeschrieben haben, dass die Energieforschung
vollständig auf die Energiewende ausgerichtet werden
soll .

Das Argument, das ich höre, wenn ich das anspreche,
lautet: Wir wollen national den Anschluss nicht verlie-
ren . – Ich frage Sie: Den Anschluss woran, bitte? Den
Anschluss an die Weiterentwicklung einer Technologie
oder, im Falle des Ausstiegs, im Rahmen von Transmuta-
tion in den Wiedereinstieg in eine Technologie, von der
wir hier in Deutschland sagen, dass ihr Risiko der Ge-
sellschaft nicht mehr zumutbar ist? Wie konsequent ist
das denn?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Anderen Bevölkerungen und Gesellschaften wollen wir
zumuten, was wir hier für nicht mehr zumutbar halten?
Solches Agieren macht neben der Geldverschwendung
auch unser eventuell gutes Beispiel zahnlos . Unglaub-
würdigkeit ist das Ende der Überzeugungskraft .

Doch auch die deutsche Bevölkerung ist angesichts
der Alterung der europäischen Atomkraftwerke bedroht .
Die atomaren Altlasten an unseren Grenzen sind ins Ge-
rede gekommen . Fessenheim, Cattenom, Doel, Tihan-
ge, Temelin, Beznau, Leibstadt sind Namen, bei denen
man nicht an schöne Landschaften oder kleine Städtchen

denkt, sondern an fehlende Sicherheitsvorkehrungen in
Atomkraftwerken, mangelhafte Erdbeben- oder Über-
schwemmungsauslegungen und an Löcher in Herzen von
Reaktordruckbehältern . Diplomatie und das Hoffen auf
das eigene Beispiel geraten dort, wo die eigene Bevölke-
rung bedroht ist, an ihre Grenzen .

Ursächlich für die prekäre Situation ist wieder einmal
der uralte Euratom-Vertrag . Jedes Land übt seine Atom-
aufsicht souverän aus – das ist die Standardantwort der
Bundesregierung auf meine Anfragen . Liebe Bundesre-
gierung, ich vermisse Ihre Initiative zu einer Reform des
Euratom-Vertrages . Ich vermisse Ihre Initiative, diesen
Uraltvertrag, wenn er schon nicht abgeschafft werden
soll, doch zumindest so grundsätzlich zu reformieren,
dass Regelungen, wonach jedes Land völlig souverän
und ohne Rücksicht auf die Nachbarn, die von einem
GAU bedroht wären, die Aufsicht über seine Atomkraft-
werke und deren Sicherheit ausübt, geändert werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Hans Blix sagte nach dem GAU von Tschernobyl als
damaliger Direktor der IAEO, angesichts der Wichtigkeit
der Kernenergie könne die Welt jedes Jahr einen Unfall
vom Ausmaß Tschernobyls ertragen . Ein Blick nach
Tschernobyl 30 Jahre nach dem Unfall oder nach Fuku-
shima 5 Jahre danach macht den ganzen Wahnsinn einer
solchen Aussage klar . Lassen Sie uns mit allen Kräften
und mit allen Mitteln dafür sorgen, dass Tschernobyl und
Fukushima sich nicht wiederholen – nicht bei uns, nicht
an unseren Grenzen, nirgendwo auf der Welt!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben Ihnen heute mit unserem zugegebenerma-
ßen umfassenden Antrag einen ganzen Katalog von Maß-
nahmen vorgelegt, die genau dafür Hilfestellung geben .
Ich bitte Sie, sich in den Beratungen auf uns zuzubewe-
gen und am Ende diesen Antrag mit uns gemeinsam zu
beschließen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816507500

Vielen Dank, Sylvia Kotting-Uhl . – Der nächs-

te Redner in der Debatte: Steffen Kanitz für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Steffen Kanitz (CDU):
Rede ID: ID1816507600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erinnern
in diesem Jahr an die katastrophalen Unfälle von Tscher-
nobyl vor 30 Jahren und an die schrecklichen Ereignisse
von Fukushima vor 5 Jahren . Völlig unabhängig davon,
wie viele Tote wir durch diese Ereignisse zu beklagen
haben, können und müssen wir feststellen: Jedes Opfer
war eines zu viel .

Sylvia Kotting-Uhl






(A) (C)



(B) (D)


Wir denken aber nicht nur an die Opfer der Vergan-
genheit, sondern auch an die betroffenen Menschen in
den Regionen von Tschernobyl und Fukushima, die dort
heute noch leben . Wir müssen diese Regionen mit unse-
rem Wissen und unserer Tatkraft finanziell unterstützen
und auch weiterhin vor Ort humanitäre Hilfe leisten .

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
ich stimme Ihnen zu, dass diese Katastrophen und ihre
Auswirkungen ein sehr sensibles Thema sind . Jedoch ist
es, glaube ich, wichtig, dass diese Vorfälle nicht – von
keiner Seite – instrumentalisiert werden . Wir sollten viel-
mehr versuchen, diese Ereignisse, so schlimm sie auch
waren, sachlich einzuordnen . Übertriebene Panikmache
hilft, glaube ich, niemandem weiter . Ein Beispiel für die-
se Panikmache, die Sie betreiben, darf ich Ihnen kurz aus
Ihrem eigenen Antrag vorhalten . Zu möglichen weiteren
Risiken in Fukushima schreiben Sie – ich zitiere –:

Ein weiterer Störfall könnte bereits durch ein mittle-
res Erdbeben ausgelöst werden . Erneut könnte eine
große Menge Radioaktivität in die Atmosphäre ge-
langen .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Aus-
sage ist in etwa so zutreffend wie die These, dass Sie von
einem Auto überfahren werden könnten, wenn Sie die
Straße überqueren .


(René Röspel [SPD]: Jetzt senken Sie aber die Wahrscheinlichkeit!)


Ich halte das für höchst unseriös und bitte, in Zukunft
darauf zu verzichten .


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn ich mir nun die inhaltlichen Punkte Ihres An-
trags zu Tschernobyl und Fukushima anschaue, kann ich
Ihnen nur in Ihrem Bedauern um die vielen Opfer der Ka-
tastrophe zustimmen . Darin erschöpfen sich aber schon
unsere Gemeinsamkeiten .

Zunächst einmal verharmlosen Sie die Anstrengun-
gen der Energiewende, die wir in Deutschland schon
geschafft haben . Als einziges Land der Welt hat Deutsch-
land aus den furchtbaren Ereignissen von Fukushima
die drastische Konsequenz gezogen, vollständig aus der
Kernenergie auszusteigen . Das ist eine riesige Aufgabe,
der wir uns stellen, die aber erst einmal bewältigt werden
muss . Dabei gilt es zunächst die dringendsten Probleme
vor unserer eigenen Tür zu lösen, wie zum Beispiel den
Netzausbau, die Speicherproblematik bei erneuerbaren
Energien oder die auch für unsere Wirtschaft so wichtige
Grundlastversorgung .


(Zuruf von der CDU/CSU: Kostenexplosion!)


Wir sind dabei ein gutes Stück vorangekommen . Wir ha-
ben nur noch neun Reaktoren in Betrieb . Letztes Jahr ging
Grafenrheinfeld vom Netz . Im Jahr 2017 folgt Block B
des Kernkraftwerks Gundremmingen . 2022 werden dann
alle Kernkraftwerke in Deutschland abgeschaltet sein .

Unsere Bemühungen in der Energiewende fordern
alle Beteiligten, und wir tun alles dafür, dass es – Stich-
wort „Kosten“ – nicht zu einer Überforderung kommt .

Die Welt wird uns erst folgen, liebe Kolleginnen und
Kollegen von den Grünen, wenn wir liefern, wenn die
deutsche Energiewende gelingt . Es reicht also nicht aus,
sozusagen immer nur zu fordern: „Folgt dem deutschen
Weg!“ Wir müssen auch unter Beweis stellen, dass dieser
Weg funktioniert .


(Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Am Scheitern arbeiten Ihre Kollegen gerade!)


Auch Ihre Forderung, dass Deutschland vollständig
aus der Nuklearforschung aussteigen soll, ist für mich
völlig unverständlich . Gerade für den Kompetenzerhalt
ist die Forschung von wesentlicher Bedeutung . Denn wir
müssen für den sicheren Restbetrieb und den sicheren
Rückbau der Kernkraftwerke dringend Know-how im
eigenen Land halten .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wozu brauchen wir die Forschung?)


Mir ist schleierhaft, wie Sie diese enorme Aufgabe an-
gehen wollen, wenn Sie jede Form nuklearer Forschung
verbieten wollen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Solange wir Zwischenlager betreiben und stillgeleg-
te Kernkraftwerke rückbauen, brauchen wir weiterhin
Kompetenz in den kommenden Jahrzehnten . Schon heu-
te gibt es in Deutschland keinen einzigen Studiengang
mehr mit kerntechnischem Bezug . Insbesondere beim
Rückbau kerntechnischer Anlagen besitzen wir aber mo-
mentan eine einzigartige Kompetenz, für die ich werben
will und für die wir, wie ich finde, auch alle gemeinsam
in der Welt werben können, unabhängig davon, welche
politische Couleur wir haben . Mir wäre es lieber, wenn
wir international Kraftwerke zurückbauen, die vom Al-
ter her die Höchstdauer überschritten haben, und dies mit
deutschem Know-how, mit deutschen Ingenieuren tun
würden, als wenn andere das tun . Also lassen Sie uns bei
jungen Leuten dafür werben und ihnen sagen: Hier ist
noch ein großes Zukunftsfeld vor euch . Hier könnt ihr
arbeiten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zudem ist Ihre Forderung, die Reaktorsicherheitsfor-
schung vom Bundeswirtschaftsministerium in das Bun-
desumweltministerium zu überführen, für mich nicht
nachvollziehbar . Die nukleare Sicherheits- und auch Ent-
sorgungsforschung ist schon jetzt ausschließlich sicher-
heitsorientiert . Es geht nicht um einen Wiedereinstieg in
die Kernenergie zur Stromproduktion .

Ihr Antrag zeigt aus meiner Sicht deutlich, dass die da-
rin enthaltenen Forderungen nicht nur gegen international
gültige Grundsätze verstoßen – die Joint Convention mit
ihrem Trennungsgrundsatz ist angesprochen worden –,
sondern auch klar gegen unsere Sicherheitsinteressen ge-
richtet sind . Ich glaube, das ist auch der Punkt: Mithilfe
einer eigenständigen sicherheitsorientierten Forschung
will sich die Bundesregierung und wollen wir uns in
Deutschland die Kompetenz bewahren, die Sicherheit
von Kernkraftwerken in Deutschland und auch in Europa

Steffen Kanitz






(A) (C)



(B) (D)


weiterhin unabhängig beurteilen zu können und gegebe-
nenfalls auch zu ihrer Verbesserung beizutragen .

Wir brauchen auch weiterhin die Nuklearforschung
im Bereich der Medizin, um Behandlungsmethoden
gegen Krebs zu entwickeln . Wir brauchen die Materi-
alforschung, um Alterungsprozesse in Kernkraftwerken
prognostizieren zu können . Wenn Länder weiterhin ihre
Kernkraftwerke betreiben, dann doch am liebsten mit
deutschem Fachwissen und nach deutschen Sicherheits-
standards .

Sie wollen die sichersten Nuklearanlagen der Welt,
ohne in die dafür notwendige Forschung zu investieren .
Das ist, um einmal ein Bild zu verwenden, in etwa so, als
wenn Sie Ihre Mannschaft nach der ersten Halbzeit vom
Platz nehmen und den Gegner bitten, den Spielbetrieb
einzustellen . Mit dieser Einstellung, liebe Kolleginnen
und Kollegen, überzeugen Sie kein Nachbarland davon,
unsere Sicherheitsstandards zu übernehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gerade in puncto Sicherheit gibt es noch einen wei-
teren Aspekt, bei dem ich ein sehr sensibles Vorgehen
für geboten halte . Diesbezüglich werden aber, wie ich
glaube, in Ihrem Antrag sehr bewusst oder auch unbe-
wusst Ängste geschürt: Stichwort „Sicherheit der euro-
päischen Kernkraftwerke“ . Es ist ja vollkommen richtig,
dass wir meldepflichtige Ereignisse nicht verharmlosen
dürfen, sondern einordnen müssen . Das Beispiel Belgien
ist genannt worden . Die Terrorangriffe in Brüssel und die
Berichterstattung dazu, die uns in den Tagen danach er-
reichte, waren durchaus besorgniserregend . Da hieß es in
Bezug auf Tihange, dass Betriebspersonal evakuiert wor-
den sei . Und die Menschen haben den Eindruck bekom-
men, dass möglicherweise ein Anschlag kurz bevorsteht .

Insofern ist es wichtig, einzuordnen, was passiert ist:
Nach den schrecklichen Anschlägen von Paris hat sich
Belgien entschlossen, eine allgemeine Sicherheitsstufe 3
auszusprechen, was dazu führte, dass auch kerntechni-
sche Anlagen unter besonderen Schutz gestellt wurden .
Als sich dann dieser schreckliche Anschlag in Brüssel
ereignete, wurde die Terrorwarnstufe auf 4 erhöht, was
zwangsläufig dazu führte – so ist es in jedem Handbuch
vorgesehen –, dass das Betriebspersonal auf ein Mi-
nimum reduziert wurde . Es gab also keine überhastete
Rückführung, keine Evakuierung der Menschen, sondern
das war ein ganz normaler Vorgang, sofern man in die-
sem Zusammenhang davon sprechen kann .

Noch ein paar Worte zu Ihren Ausführungen zur
Brenn elementeherstellung bei ANF in Lingen . Sie tun in
Ihrem Antrag so, als würden dort Massen von hoch radi-
oaktivem Abfall produziert . Ich war selbst dort und habe
die Pellets in der Hand gehalten . Ich hatte einen Hand-
schuh an . Der Handschuh diente nicht meinem Schutz,
sondern dem Schutz der Pellets . Ich bin nicht verstrahlt
worden . Es fallen eben keine hoch radioaktiven Abfälle
an, sondern einzig und allein schwach radioaktive Abfäl-
le in Form von Schutzkleidung und Reinigungsmaterial .

Ein ganz wesentlicher Punkt ist: Lingen ist nicht nur
in der Lage, Brennelemente zu fertigen, sondern auch
dazu, alte aktivierte Brennelemente auseinanderzuneh-

men . Das ist eine ganz wesentliche Voraussetzung für die
Herstellung von Brennstofffreiheit beim Rückbau von
Kernkraftwerken .

Zudem bildet Lingen qualifizierten Nachwuchs in Sa-
chen Strahlenschutz aus . Das führt dazu, dass wir kern-
technisches Know-how für den Rückbau von Kernkraft-
werken in Deutschland erhalten .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss . 2016 ist das Jahr der Entscheidung für das
Gelingen des sicheren und zeitnahen Ausstiegs aus der
Kern energie . Die Aussicht auf ein Endlager für hoch radi-
oaktive Abfallstoffe ist ein wesentlicher Schlüssel dafür,
dass wir bis 2022 aussteigen und die Hinterlassenschaf-
ten der Kernenergie auch für zukünftige Generationen si-
cher entsorgen können . Herr Trittin, die Finanzierung bil-
det die Grundlage . Der Bericht der Endlagerkommission
bildet den Rahmen . Ebenfalls wollen wir in diesem Jahr
das Standortauswahlgesetz novellieren . Ich möchte alle
Beteiligten herzlich bitten, diesem Zeitplan zu folgen .

Nach meinen Ausführungen wird es Sie nicht verwun-
dern, dass ich Ihrem Antrag zum jetzigen Zeitpunkt nicht
folgen kann .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816507700

Vielen Dank, Kollege Steffen Kanitz . – Der nächste

Redner in der Debatte: Hubertus Zdebel für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Hubertus Zdebel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816507800

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In

diesen Tagen gedenken überall auf der Welt Menschen
der Atomkatastrophen von Fukushima und Tschernobyl,
die für Hundertausende Menschen Leid, Tod und Vertrei-
bung zur Folge hatten und noch immer zur Folge haben .
Beide Katastrophen müssen für uns alle eine Mahnung
sein, dafür einzutreten, dass sich so etwas nirgends auf
der Welt wiederholt .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Atomenergie ist in allen Anwendungen derart zer-
störerisch und letztlich nicht zu beherrschen, dass wir
sie aus dieser Welt verbannen müssen, sowohl in Form
von Atomwaffen als auch als Stromerzeugungsenergie in
Atomkraftwerken .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir Linken haben bereits in der letzten Sitzung an-
gesichts der Jahrestage der Katastrophen von Fukushima
und Tschernobyl und unter dem Eindruck der Ereignis-
se zum Beispiel um die Risikoreaktoren Tihange, Doel,
Cattenom und Fessenheim und andere einen Antrag in
den Bundestag eingebracht, der in vielen Punkten die
gleiche Stoßrichtung wie die nun vorgelegten Anträge

Steffen Kanitz






(A) (C)



(B) (D)


der Grünen hat . Wir müssen den Ausstieg in Deutsch-
land forcieren . Wir müssen dabei auch die bislang beim
Atomausstieg vergessenen Uranfabriken in Gronau und
Lingen endlich einbeziehen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese versorgen brandgefährliche Atommeiler nicht nur
in Belgien und Frankreich mit Brennstoff . Die deutsche
Beihilfe zu einem nächsten Super-GAU im Ausland
muss beendet werden, am besten sofort .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dazu gehört auch, dafür zu sorgen, dass die Konzerne,
die sich jahrzehntelang eine goldene Nase mit der Atom-
energie verdient haben, für die Milliarden Euro an Kos-
ten des Atomausstiegs tatsächlich aufkommen und dass
diese Kosten nicht bei den Steuerzahlerinnen und Steu-
erzahlern landen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen fordert die Linke gerade mit Blick auf die für
Juni geplante Aufspaltung von Eon, das Nachhaftungs-
gesetz endlich im Bundestag zu verabschieden .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist ein absoluter Skandal, dass das die ganze Zeit von
der CDU/CSU-Fraktion blockiert wird, mit allen Milliar-
denrisiken, die damit verbunden sind .


(Zuruf von der LINKEN: Eine Schande!)


Da radioaktive Wolken keine Grenzen kennen, müs-
sen die Atomgefahren in Europa insbesondere mit Blick
auf die Uraltreaktoren verringert werden . Die Ängste
der Menschen in den Grenzregionen zu Frankreich und
Belgien – fahren Sie einmal nach Aachen! – sind weder
irrational noch übertrieben . Hier kann und darf sich die
Bundesregierung nicht länger diplomatisch zurückhalten
und der Atomlobby im Ausland das Feld überlassen . Es
braucht einen Atomausstieg in Europa, und das muss die
Bundesregierung in ihrem Handeln in allen europäischen
Gremien endlich deutlich machen . Sie muss die Initiative
ergreifen und Vorschläge entwickeln .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das gilt auch für den Euratom-Vertrag; denn Euratom
verfestigt die Förderung der Atomenergie und dient ein-
zig der Atomlobby . Wir fordern stattdessen, den Eura-
tom-Vertrag aufzulösen und zu einer Einrichtung einer
alternativen europäischen Gemeinschaft zur Förderung
von erneuerbaren Energien und Energieeinsparungen zu
kommen . Das wäre der richtige Weg .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Sinne freuen wir uns, gemeinsam mit den Grü-
nen in den Ausschüssen für eine europäische Atomaus-
stiegsdebatte mehr Druck auf die Regierung zu machen .

Es gibt Gründe genug, die Atommeiler endlich abzu-
schalten .

Ein neuer und beklemmender Grund sind die wach-
senden Terrorgefahren . Die Ereignisse in Belgien und
Frankreich sollten uns allen eine Warnung sein . Erst ges-
tern war zu lesen, dass Terrorverdächtige eventuell auch
die ehemalige Atomforschungsanlage in Jülich ausge-
späht haben . Das sei nur einmal erwähnt, auch wenn es
nun unterschiedliche Meldungen dazu gibt . Es ist bislang
nicht geklärt, ob das stimmt .


(Widerspruch des Abg . Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU])


– Hören Sie lieber zu!

Unabhängig davon wurde gestern bekannt, dass im
AKW Philippsburg in Baden-Württemberg ein Mitarbei-
ter eine regelmäßige Prüfung an einem Störfallmonitor
zwar dokumentiert, tatsächlich aber nicht durchgeführt
hatte . Gleiches hat sich offensichtlich auch am AKW Bi-
blis in Hessen 2014 und 2015 ereignet . Das spricht in
erster Linie für schwere Mängel in der Sicherheit . Wir
Linken erwarten, dass sich die Bundesatomaufsicht die-
ser Fälle annimmt und den Ausschuss für Reaktorsicher-
heit umfassend über diese ganzen Vorgänge informiert .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage zum Schluss noch etwas zu Herrn Kanitz .
Richtig ist: Wir sollten keine Panik machen . Da stim-
me ich Ihnen ausdrücklich zu . Aber die Relativierung,
die Sie dauernd betreiben, geht meines Erachtens auch
nicht . Richtig ist vor allen Dingen, dass die noch in Be-
trieb befindlichen AKWs, die zur Stromproduktion nicht
gebraucht werden, ein viel zu großes Risiko darstellen .
Das wird immer deutlicher . Wir haben die Alternative,
die Gefahren zu reduzieren, bevor es zu spät sein könnte .
Abschalten heißt die einzige Möglichkeit .

Danke für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816507900

Vielen Dank, Hubertus Zdebel . – Die nächste Redne-

rin ist Rita Schwarzelühr-Sutter für die Bundesregierung .


(Beifall bei der SPD)


Ri
Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1816508000


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Den Atomausstieg konsequent durchset-
zen – was heißt das? Ich glaube, am heutigen Tag ist es
wichtig, zu sagen, dass die Atomenergie aus unserer heu-
tigen Sicht eine Sackgasse war, eine technologische Ent-
wicklung, die einfach nicht zukunftsfähig ist . Orte wie
Tschernobyl und Fukushima sind uns eine Mahnung und

Hubertus Zdebel






(A) (C)



(B) (D)


sollten uns auch in der nächsten Zeit immer wieder daran
erinnern .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben uns in Deutschland konsequent auf den
Weg gemacht . Wir haben zuerst 2001/2002 unter einer
rot-grünen Bundesregierung den Atomausstieg beschlos-
sen . Viele haben sich den Atomausstieg damals etwas
schneller vorgestellt, aber es gab einen Kompromiss mit
den Energieversorgern . Nach der Reaktorkatastrophe
von Fukushima vor fünf Jahren ist dann der Ausstieg aus
dem Ausstieg aus dem Ausstieg tatsächlich in einem brei-
ten politischen Konsens und vor allem gesellschaftlichen
Konsens bekräftigt worden . Ich glaube, es ist ganz wich-
tig, dass damals der gesellschaftliche Konsens gefunden
wurde, den man jetzt auch nicht mehr umkehren kann .

Erstmals wurden feste Daten für die Abschaltung und
die Stilllegung der Atomkraftwerke gesetzlich verankert .
Acht Reaktoren gingen 2011 vom Netz, einer letztes Jahr,
und die letzten werden dann 2022 abgeschaltet werden .

Doch sicherlich ist es damit nicht getan . Die Gefahren
von Unfällen müssen bis zum letzten Tag auf ein Mini-
mum reduziert werden . Darüber hinaus müssen wir für
die gleiche Sicherheit sorgen, wenn wir die Atomkraft-
werke stilllegen und zurückbauen . Das ist schon eine
Herausforderung; denn man muss die Kompetenz der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch wenn die Atom-
kraftwerke abgeschaltet werden, erhalten . Das ist eine
Schwierigkeit, mit der wir uns auseinandersetzen .

Der Ausstieg aus der Atomkraft heißt auch, sich mit
den Folgefragen zu beschäftigen, nämlich der Entsor-
gung der radioaktiven Abfälle . Wir haben im vergange-
nen Jahr mit dem NaPro eine Bilanz gezogen . Wir haben
geschaut, welche Abfälle wir zu entsorgen haben . Das
war ein wichtiger Schritt . Die Kommission zur Überprü-
fung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs und die
Endlagerkommission arbeiten kräftig . Ich möchte mich
an dieser Stelle ganz herzlich bei ihnen bedanken; denn
das sind Fragen, die wir heute lösen müssen und die wir
nicht vor uns herschieben können . Wir haben da eine gro-
ße Verantwortung .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir werden auf der Basis dieser Empfehlungen die
nächsten Schritte einleiten . Die Umsetzung all dessen
kann nur gelingen, wenn die Öffentlichkeit beteiligt wird
und wir für Vertrauen und Akzeptanz auch in den Verfah-
ren sorgen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg . Sylvia KottingUhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Gerade die letzten Wochen zeigen, dass trotz des deut-
schen Atomausstiegs Risiken bleiben . Radioaktivität
macht an Grenzen nicht halt . Fessenheim, das nächstgele-
gene französische Atomkraftwerk, liegt direkt am Rhein .
Ich will nicht immer von meiner Heimat reden . Ich bin
gut bedient mit Beznau, Leibstadt und Gösgen und den

anderen kerntechnischen Anlagen in der Schweiz . Es gibt
noch Tihange und Doel in Belgien .

Wir nehmen die Ängste und Sorgen der Bevölkerung
sehr ernst . Wir werden auch bei unseren Nachbarn nicht
lockerlassen . Wir haben von Anbeginn dieser Legislatur
an immer wieder den Dialog gesucht . Wir waren vor Ort
und haben darauf hingewiesen, dass es durch die Alte-
rung der Atomkraftwerke Sicherheitsbedenken gibt . Wir
arbeiten mit ganzer Kraft auf ein hohes Sicherheitsniveau
hin, und wir erinnern natürlich daran, dass Zusagen zu
Abschaltungen, wie bei Fessenheim, auch eingehalten
werden .

Soweit es um die Verlängerung der Laufzeit von Re-
aktoren in anderen Staaten geht, haben wir gesagt: Wir
wollen eine Umweltverträglichkeitsprüfung, die ver-
pflichtend ist. – Das ist bis heute nicht so. Frau Kotting-
Uhl, Sie haben die Souveränität der jeweiligen Staaten
bei diesem Thema hinterfragt . Aber wollen wir, die wir
auf erneuerbare Energien, auf eine Energiewende setzen,
auf unsere Souveränität bei diesem Thema verzichten?


(Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist etwas ganz anderes! Es geht um Sicherheit! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sicherheit!)


– Das ist nichts anderes . Wir sind aktiv dabei, auf europä-
ischer Ebene genau das Thema Sicherheit in den Mittel-
punkt zu stellen . Zu betrachten ist da zum einen die Tech-
nik und zum anderen immer wieder der Mensch, wie wir
auch gestern in Philippsburg gesehen haben . Deswegen
ist die Frage der Sicherheitskultur von großer Bedeutung .


(Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben! – Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Versorgungssicherheit ist auch Sicherheit! Das ist auch klar!)


– Zur Versorgungssicherheit haben wir, wie gesagt, einen
gesellschaftlichen Konsens . Ich glaube, da sind wir in
Deutschland gut bedient .

Die deutsche Position können wir international nur
dann erfolgreich durchsetzen – da komme ich wieder zu
den Erneuerbaren –, wenn die anderen Staaten uns wei-
terhin als kompetent erachten . Deswegen ist der Kom-
petenzerhalt in unseren Gremien wichtig, und deshalb
ist es wichtig, Forschung zu betreiben, auch am KIT in
Karlsruhe, Frau Kotting-Uhl, wo es auch um Endlager-
forschung geht .


(Beifall der Abg . Marie-Luise Dött [CDU/ CSU] und Dr . Klaus-Peter Schulze [CDU/ CSU])


Wir müssen die Kompetenz erhalten . Gucken Sie sich
doch einmal die Altersstruktur der Forscher an!


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kompetenz können wir in der Asse besichtigen!)


– Sie blicken immer nur zurück, Herr Trittin . Ich gucke
auch mal nach vorne . Wenn uns diese Fragen eine lange
Zeit beschäftigen, nicht nur 10 oder 20 Jahre, dann müs-
sen wir schauen, wann die Kernphysiker in Rente gehen,

Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter






(A) (C)



(B) (D)


und dafür sorgen, dass wir auch übermorgen noch welche
haben, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzen und
uns Antworten geben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wenn wir den Atomausstieg konsequent fortsetzen, ist
es wichtig, dass die Energiewende nicht nur national ge-
lingt, sondern von uns auch global vorangetrieben wird .
Wir haben schon im Vorfeld des Klimagipfels, auch zum
Beispiel im Zusammenhang mit IRENA, deutlich ma-
chen können, dass wir als Industrieland da eine Vorrei-
terrolle haben und dass wir sie erfolgreich übernehmen .
Deswegen denke ich, das beste Mittel, um den Atomaus-
stieg konsequent zu betreiben, ist es, auf die erneuerbaren
Energien zu setzen . Am Ende sollte es ein ökonomisches
Argument sein, mit dem wir die anderen überzeugen, und
nicht eine Änderung des Euratom-Vertrages;


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das eine könnte das andere unterstützen!)


das ergibt sich dann automatisch durch die Erneuerbaren .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816508100

Vielen Dank, Frau Kollegin . – Der nächste Redner:

Dr . Heinz Riesenhuber für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1816508200

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Zum Gedenken an

Fukushima oder an Tschernobyl haben Herr Kanitz und
Frau Kotting-Uhl in eindrucksvoller Weise etwas Rich-
tiges gesagt . Was hier heute ansteht, ist die Frage: Wie
gehen wir mit den Konsequenzen um, die wir daraus ge-
zogen haben?

Sie schreiben in der Überschrift eines Antrags „Keine
öffentlichen Forschungsgelder für den Wiedereinstieg in
atomare Technologien“ . Das ist schon ein bisschen hei-
kel . Das klingt so, als ob jemand von uns die Absicht
hätte, einen Wiedereinstieg in atomare Technologien
zu betreiben . Wir haben hier in diesem Hause über alle
Fraktionsgrenzen hinweg beschlossen, dass wir ausstei-
gen . Das ist ein sehr umfassendes und grundsätzliches
Programm, ein volkswirtschaftliches Experiment von ei-
nem Ausmaß, das es noch nirgends gegeben hat .

Der gleichzeitige Ausstieg aus der Kernenergie und
aus den fossilen Energien – beides in einem begrenzten
Zeitraum – ist ein Riesenprojekt . Das gelingt nur dann,
wenn wir diese Einmütigkeit, mit der wir es damals be-
schlossen haben, auch jetzt, beim schwierigen Vollzug
der einzelnen Schritte, bewahren, wenn wir uns auf das
konzentrieren, was wesentlich ist und was die Sache vo-
ranbringt, und wenn wir die Schlachten der Vergangen-
heit hier nicht in Scharmützeln wiederholen .

Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass der Kurs der
Bundesregierung in eine andere Richtung gehe, und Sie
bringen dann drei Beispiele . Sie sagen, Transmutation sei

eine schlimme Sache, für die die Bundesregierung Geld
ausgeben würde . Wie ist die Sachlage? Erstens ist Trans-
mutation, wenn sie denn gelingt – da habe ich durchaus
noch offene Fragen; das Ganze befindet sich noch im Sta-
dium der Grundlagenforschung –, eine reizvolle Idee zur
Umwandlung langlebiger radioaktiver Isotope in kurzle-
bigere Stoffe . Zweitens ist es eine gute Sache, wenn wir
die Menge an hochradioaktivem Abfall einschließlich die
des Plutoniums um zwei Drittel reduzieren können . Was
gibt die Bundesregierung für dieses inkriminierte Projekt
aus? Sie gibt 66 607 Euro aus, nicht 66 Millionen Euro .


(Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Peanuts!)


Das ist gerade einmal so viel, wie ein braver Mitarbeiter
verdient, der versucht, die Rechenprogramme für die Si-
cherheitsanalysen dieser Technologie zu begreifen .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816508300

Erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Sylvia

Kotting-Uhl?


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1816508400

Aber gerne, mit Frau Kotting-Uhl rede ich mit Ver-

gnügen . Nur stoppen Sie bitte die Uhr .


(Heiterkeit)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816508500

Selbstverständlich, ist doch schon passiert .


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816508600

Vielen Dank, Herr Riesenhuber, dass Sie die Frage zu-

lassen . – Die Höhe dieser Finanzmittel kann man nicht
ganz beurteilen, da ja sehr viel Geld über Euratom, wo-
ran wir mit gut 20 Prozent beteiligt sind, in die Trans-
mutation und übrigens auch nach Karlsruhe ins KIT
fließt. Insofern ist das ein verschlossenes Buch, und wir
wissen nicht, was da genau reinfließt.

Ich möchte Sie aber zu Ihrer Aussage befragen, Trans-
mutation sei eine gute Sache . Selbst die größten Befür-
worter der Transmutation gestehen zu, dass, wenn sie
denn gelingt – klar, es gibt viele Zweifel, die auch Sie tei-
len –, nicht der gesamte Atommüll transmutiert werden
kann . Ein Teil wird sich vermutlich dieser Transmutation
entziehen, auch der verglaste Atommüll . Das heißt, man
braucht auf jeden Fall zusätzlich ein vielleicht verklei-
nertes Endlager für 1 Million Jahre .

Wenn ich eine Technologie, die noch erforscht und
entwickelt wird, bewerte, dann gehe ich davon aus, dass
sie gelingt und frage mich: Möchte ich sie haben? Trans-
mutation bedeutet – deshalb unsere Formulierung vom
„Wiedereinstieg“ –: Ich brauche eine Wiederaufarbei-
tung mit der entsprechenden Anlage, ich brauche eine
Brütertechnologie . Im Grunde macht das nur Sinn – so
forschen die Franzosen – in Verbindung mit der vierten
Generation von Reaktoren, weil ich mir dann zumindest
einbilden kann, dass ich einen Brennstoffkreislauf habe .
Aber auf jeden Fall brauche ich mindestens eine Wieder-
aufarbeitungsanlage und einen Brüter .

Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter






(A) (C)



(B) (D)


Die entscheidende Frage ist nun: Macht das Sinn für
Deutschland? Ist das eine gute Sache für ein Land, das
den Atomausstieg beschlossen hat?


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1816508700

Sehr verehrte Frau Kotting-Uhl, was die Kosten an-

geht, ist es tatsächlich so: Das BMWi zahlt 66 600 Euro
für die Beteiligung an der Sicherheitsforschung mit Be-
zug zur Transmutation . Was die Gelder, die über Eura-
tom fließen, angeht: Das ist komplizierter. Damit wird
die Anlage MYRRHA in Belgien finanziert. Das ist ein
Forschungsreaktor, der neben der Transmutationsfor-
schung viele unterschiedliche Aufgaben einschließlich
der Krebsforschung hat . Das heißt also, der Reaktor an
sich macht in vieler Hinsicht Sinn, und der Beitrag, den
wir leisten, ist winzig .

Jetzt fragen Sie nach dem strategischen Ziel . Ich habe
es Ihnen gesagt: Ich habe bei der Transmutation durchaus
Vorbehalte . Aber ich werde mich hüten, bei einem Pro-
jekt, das einen Kern von Vernunft hat – und das hat es –,
im Stadium der Grundlagenforschung zu sagen: Lasst die
Finger davon . – Wir müssen für künftige Generationen
die Möglichkeiten, zwischen Alternativen zu entschei-
den, erweitern, nicht verengen . Wir müssen ihnen die
Möglichkeit geben, das Neue anzuwenden . Wir müssen
hier die Forschung so offen anlegen in ihrer Freiheit, wie
sie das Grundgesetz garantiert, dass die Möglichkeiten
erhalten bleiben . Entscheidend wird dann sein, was wir
technisch daraus machen . Das ist eine ganz andere Frage .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Hier habe ich Zweifel an der technischen Vernunft des
Gesamtkonzepts – das gebe ich zu –, zumindest dann,
wenn ich mir anschaue, wie es sich heute darstellt . Ich
habe in dieser Angelegenheit gewisse Vorbehalte be-
züglich der denkbaren Kosten . Ich habe Zweifel, ob
es wirtschaftlich ist . Trotzdem sage ich: Wenn wir mit
66 000 Euro den Zugang zu Wissen erhalten, das die Eu-
ropäer gemeinsam erarbeiten, dann ist das etwas, was für
uns nützlich ist . Ich war immer der Auffassung, dass den-
ken nützt – selbst in der Politik .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)


Ein zweites Thema spreche ich hier sehr verkürzt an .
Sie erwähnten gerade die Reaktoren der vierten Genera-
tion . Hier haben sich neun Nationen zusammengetan –
übrigens gehört auch Euratom dazu –, um sich sechs ver-
schiedene Reaktortypen anzuschauen, auch unter dem
Aspekt, ob man andere Kühlmittel – metallische Kühl-
mittel, Helium oder was auch immer – einsetzen kann,
um die Technik sicherer zu machen: proliferationssicher,
sicher gegen Angriffe und sicher, was die Entsorgung
anbelangt . Wir beteiligen uns nicht an diesem Projekt,
sondern wir begleiten es mit einem Beitrag – er beträgt
allenfalls 4 Millionen Euro –, der allerdings schwer ab-
grenzbar ist . Wir schauen uns hier die Sicherheitstechni-
ken an, damit wir sprachfähig sind .

Ein völlig anderes Thema ist die Fusion . Hier muss ich
aufpassen, sonst halte ich dazu eine Grundsatzrede . Vor
längerer Zeit, als ich angefangen habe, zu studieren, sag-

te man mir: Schöne Technik, dauert nur 30 Jahre . – Heute
sagen mir die Leute: Schöne Technik, 30 Jahre .


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Eine Konstante!)


Was man aber nicht übersehen darf, ist: Wir sind im-
mer näher an die Kriterien herangekommen, die für das
Brennen des Plasmas notwendig sind . Gegenüber den
ersten Versuchen haben wir einen Faktor von 5 Millionen
erreicht . Wir haben jetzt noch einen Faktor fünf zu meis-
tern . Wir sind immer noch in der Grundlagenforschung;
das räume ich ein . Wir wissen nicht, ob der Stellarator
Wendelstein 7-X die richtige Technologie ist, den unsere
Leute in Greifswald mit großer Intelligenz entwickeln,
oder ob es ein Tokamak wie ITER ist . Aber wir haben
eine Chance – es wird später zu beurteilen sein, ob das
Vorhaben erfolgreich ist –, Kernfusion, die etwas völlig
anderes ist als Kernspaltung, zu betreiben . Das ist schon
interessant .

Bei einem Kernreaktor wie beispielsweise einem
Leichtwasserreaktor kann ein GAU passieren . Wir haben
darüber gesprochen . Wenn etwas bei einer Kernfusion
passiert, geht der Ofen aus . Das ist alles . Die radioak-
tiven Abfälle sind zudem kurzlebiger und sehr viel we-
niger . Die Entsorgung ist ein geringeres Problem . Trotz-
dem sage ich: Auch hier ist Grundlagenforschung zwar
prima . Aber wenn sich abzeichnet, dass wir es können,
müssen wir noch schauen, ob diese Sache für uns und für
die Zukunft wirtschaftlich ist .

Angesichts der von mir genannten Aspekte plädiere ich
dafür, erstens das Wissen zu erweitern und zweitens un-
sere Energien darauf zu konzentrieren, dass die Energie-
wende gelingt . Frau Kotting-Uhl, Sie haben ganz richtig
gesagt – hier kann ich nur mit Leidenschaft zustimmen –:
Die Energiewende muss so laufen, dass wir andere Län-
der davon überzeugen, dass sie vernünftig ist . – Das ge-
lingt, wenn wir eine gute Forschung machen . Wir geben
hier 600 Millionen Euro für erneuerbare Energien und
Energieeffizienz im Rahmen des 6. Energieforschungs-
programms pro Jahr aus, zusätzlich 187 Millionen Euro
aus dem Energie- und Klimafonds . Das Entscheidende
ist aber die Umsetzung vor Ort: dass wir die Systeme in-
tegrieren und dass die Energieerzeugung versorgungssi-
cher und umweltfreundlich, aber auch bezahlbar ist .

Wenn die anderen nicht sehen, dass wir es können und
dass es bezahlbar ist, dann reiten wir zwar voraus . Aber
wir sind dann ein Vorreiter in majestätischer Einsamkeit,
dem niemand folgt . Die Folge wird sein, dass wir die
Kosten für unsere Energiewende – 25 Milliarden Euro
im Jahr allein aufgrund des EEG – zu tragen haben, ohne
dass das Klima geschützt wird, weil die anderen nicht
mitmachen und uns nicht darin folgen, die Kernreaktoren
abzuschalten . Deshalb muss das System, das wir anstre-
ben, gelingen .

Es wird entscheidend sein, dass wir nicht zu lange über
die Dinge sprechen, wo wir unterschiedlicher Auffassung
sind . Unterschiedliche Auffassungen gibt es auch; wir
sind ja verschieden . Viele von uns denken bei der Arbeit,
und deshalb kann es kritisch werden . Wir müssen aber
dort, wo wir einig sind, den Laden zusammenhalten, die
Sache voranbringen und uns auf die Lösung der eigentli-

Sylvia Kotting-Uhl






(A) (C)



(B) (D)


chen Probleme konzentrieren . Die Energiewende müssen
wir insgesamt so hinkriegen, dass sich die Welt darüber
freut . Sie soll sich darüber freuen, dass die Deutschen aus
einem fröhlichen Geist heraus tüchtig sind, dass ihnen
etwas eingefallen ist und dass sie einmütig dazu stehen:
die Grünen, die CDU und sogar die CSU – und die SPD
natürlich auch .


(Heiterkeit)


Es wäre ausgesprochen ärgerlich, wenn wir die SPD
nicht mit der gleichen Herzlichkeit an unserer Seite will-
kommen hießen . Selbst die Linken mögen hier einmal
nachdenklich werden .

Wir müssen – das sollte uns gelingen – gemeinsam an
den Problemen arbeiten, und wir sollten uns nicht an den
Dingen aufhalten, wo wir durchaus ideologische Diffe-
renzen haben mögen . Vielmehr sollten wir Deutschland
voranbringen, sodass wir hier eine gute Zukunft haben,
an der sich andere erfreuen und bei deren Gestaltung sie
mitmachen wollen . Das ist besser, als einen Prozess ge-
gen Hinkley Point zu führen . Wir müssen es so machen,
dass die Leute Lust darauf haben . „Nichts entsteht, es sei
denn aus der Lust“, sagt der heilige Augustinus . Und in
diesem Geiste wollen wir uns daranmachen, die Zukunft
zu gestalten .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816508800

Vielen herzlichen Dank, lieber Dr . Heinz

Riesenhuber . – Ganz in diesem Geiste hat als letzter Red-
ner Marco Bülow für die SPD das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Marco Bülow (SPD):
Rede ID: ID1816508900

Danke, Frau Präsidentin! – Sehr geehrte Damen und

Herren! Gigantische Subventionen, ein riesiger Aufwand
über mindestens fünf Jahrzehnte hinweg, unkalkulierba-
re Risiken und vor allen Dingen Atommüll, wofür es im-
mer noch kein Endlager gibt und worunter Generationen
nach uns noch zu leiden haben werden, die nie mitbe-
stimmen durften, ob sie diese Technologie haben wollten
oder nicht: Das ist die Geschichte der Atomenergie bis
heute . Für mich ist das einer der größten Irrwege, den
die Menschen gerade im technologischen Bereich einge-
schlagen haben .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das gipfelte leider in den Katastrophen von Tschernobyl
und von Fukushima vor fünf Jahren, deren Opfern wir
in der nächsten Sitzungswoche noch gedenken werden .

Man muss sich gerade einmal Tschernobyl angucken:
Dort wurden 200 000 Quadratkilometer kontaminiert .
Das ist ungefähr viermal die Fläche der Schweiz und mehr
als die Hälfte des deutschen Gebietes . Man muss sich
einmal vorstellen, das wäre hier passiert . 300 000 Men-
schen haben auf Dauer ihre Heimat verloren . 600 000 Li-
quidatoren waren dort im Einsatz . Niemand kann genau
beziffern, wie viele davon sterben mussten . Es gab aber

auf jeden Fall sehr viele Opfer . Auch heute noch gibt es
viele, die unter der Katastrophe leiden .

Die meisten in Deutschland, auch wenn manche Zwi-
schenrufe etwas anderes zeigen könnten, haben dazuge-
lernt . Leider haben bei weitem noch nicht alle Länder in
Europa dazugelernt . Ich bin daher für diese Debatte dank-
bar, die von der Opposition ausgeht . Auch bin ich dafür
dankbar, dass wir in der Großen Koalition gemeinsam
versuchen, einen Antrag auf den Weg zu bringen . Wir la-
den alle ein, dabei mitzumachen . Ich bin hoffnungsfroh,
dass uns das gelingen wird . Des Weiteren bin ich dank-
bar, dass die Ministerin in Europa immer wieder deutlich
gemacht hat, dass der Ausstieg aus der Atomkraft nicht
das Einzelprojekt eines Landes sein darf, sondern dass
auf Dauer Sicherheit nur gewährleistet ist, wenn wir in
ganz Europa aus der Atomkraft aussteigen .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will darauf zurückkommen, was es ausmacht,
wenn in Europa etwas passiert . Es wäre nicht mit dem
vergleichbar, was in Tschernobyl war . Das Land ist dort
sehr dünn besiedelt . Die Pannenreaktoren in Europa
stehen übrigens teilweise seit 40 Jahren . Wer in diesem
Raum benutzt zu Hause noch Technik, die 40 Jahre und
älter ist? Wahrscheinlich niemand . Aber gerade bei solch
einer Hochsicherheitstechnologie, bei der so viel passie-
ren kann, wird sie noch benutzt . Die Reaktoren werden
leider nicht abgeschaltet . Wenn ein grenznahes Atom-
kraftwerk oder überhaupt ein Atomkraftwerk in Europa
in die Luft fliegt oder gleiche Probleme aufweist wie das
in Fukushima, dann müssten wir ganze Landstriche –
Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz usw . – evakuie-
ren . Das ist eine Aufgabe, ein Horrorszenario, das ich
hier gar nicht an die Wand malen möchte . Man muss aber
sagen: Genau darüber müssen wir hier diskutieren . Wir
müssen weitermachen, müssen unser Engagement weiter
intensivieren, damit Europa am Ende frei von Atomkraft
ist . Zumindest habe ich mir die politische Aufgabe ge-
stellt, daran weiter mitzuwirken .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir alle, gerade wir Deutschen, haben nach den Ter-
roranschlägen in Belgien und Frankreich große Solida-
rität geübt . Aber wir müssen auch an die Solidarität der
Franzosen und Belgier appellieren und sie bitten, diese
Technologie gerade in den grenznahen Gebieten abzu-
schalten, auch um die Menschen hier zu schützen . Das
gehört zur Solidarität dazu . Solidarität mit Blick auf die
Terrorgefahr darf keine Einbahnstraße sein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum Schluss . Die Zukunft – da möchte ich an meinen
Vorredner anknüpfen – müssen wir als Erstes im Blick
haben . Ich glaube, die Zukunft der Energie kann nur hei-
ßen: erneuerbar und effizient. Wir haben die Energiewen-
de eingeleitet . Gerade Menschen wie Hermann Scheer,
Ernst Ulrich von Weizsäcker und Michael Müller, aber
auch viele andere stehen dafür . Ich glaube, dass der Weg

Dr. Heinz Riesenhuber






(A) (C)



(B) (D)


noch weit ist, und natürlich ist er nicht einfach . Ich glau-
be aber, dass wir nicht bremsen dürfen, dass wir nicht
stoppen dürfen und dass die erneuerbaren Energien auch
in Deutschland weiterhin unserer hauptsächlichen Auf-
merksamkeit bedürfen – gerade damit wir den anderen
Ländern deutlich machen können, dass es einen anderen
Weg gibt .


(Beifall bei der SPD)


Ich denke, es muss unsere nächste Aufgabe sein, genau
dafür zu sorgen . Ich glaube vor allem, dass wir es den
nächsten Generationen schuldig sind, ihnen unser Land
ohne weiteren Atommüll, ohne weitere Gefahren und mit
einer Energieform zu hinterlassen, die friedlich ist, die
sauber ist und die vor allen Dingen keinen Müll hinter-
lässt .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816509000

Vielen Dank, Marco Bülow . – Damit schließe ich die-

se Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/7656 und 18/7668 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .

Die Vorlage auf Drucksache 18/5211 soll ebenfalls an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse über-
wiesen werden . Da ist aber die Federführung strittig . Die
Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Feder-
führung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie, die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung
beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol-
genabschätzung .

Ich lasse jetzt zuerst über den Überweisungsvorschlag
von Bündnis 90/Die Grünen abstimmen, also Feder-
führung beim Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung . Ich frage Sie, wer für diesen
Überweisungsvorschlag stimmt . – Wer stimmt dage-
gen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Überweisungsvor-
schlag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die
Grünen und die Linke, abgelehnt CDU/CSU und SPD .

Ich lasse jetzt über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD abstimmen: Feder-
führung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie . Wer
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag
ist mit Zustimmung bei CDU/CSU und SPD und Ableh-
nung bei Bündnis 90/Die Grünen und der Linken ange-
nommen .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zum
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Ti-
tel „Für mehr Transparenz in der Internationalen Atome-
nergie-Organisation sowie eine starke und unabhängige
Weltgesundheitsorganisation“. Der Ausschuss empfiehlt

in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8101,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/7658 abzulehnen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren
Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .

Jetzt kommt ein spannendes Thema . Sie sind alle herz-
lich eingeladen, sich zu beteiligen . Ansonsten bitte ich,
zügig die Plätze zu wechseln bzw . den Saal zu verlassen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
über die finanzielle Hilfe für Dopingopfer der
DDR (Zweites Dopingopfer-Hilfegesetz)


Drucksache 18/8040
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Es gibt keinen
Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich bitte die interessierten Kolleginnen noch einmal,
Platz zu nehmen, um dem ersten Redner würdig zu lau-
schen bzw . ihm zu folgen, und das ist der Parlamenta-
rische Staatssekretär Dr . Schröder für die Bundesregie-
rung .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Lauschen schon, aber folgen?)


– Lauschen heißt ja nicht notwendigerweise folgen; man-
che folgen ihm ganz sicher . – Herr Schröder, Sie haben
das Wort .

D
Dr. Ole Schröder (CDU):
Rede ID: ID1816509100


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Machenschaften der DDR-Diktatur wirken
auch nach über 25 Jahren fort . Die Opfer des DDR-Un-
rechtsregimes leiden noch heute . Das gilt auch für den
Bereich des staatlich organisierten Leistungssports . Ich
spreche von den Opfern des DDR-Dopings .

Ohne Rücksicht auf Gesundheit und Menschenwürde
ging es den Verantwortlichen darum, durch möglichst
viele Medaillen das sozialistische System als überlegen
und besonders leistungsfähig darzustellen . Das DDR-Re-
gime und der DDR-Sport haben dabei unheilvoll zusam-
mengewirkt .

Mit der Neuauflage des Dopingopferhilfefonds wol-
len wir das Leid der DDR-Dopingopfer anerkennen .
Das ist mir angesichts der vielen Einzelschicksale, die
unter gravierenden gesundheitlichen Folgen leiden, ein
ganz besonderes Anliegen . Auch nach so langer Zeit dür-
fen wir die Augen vor dem Schicksal vieler ehemaliger
DDR-Leistungssportler nicht verschließen . Sie leiden bis
heute an den gesundheitlichen Spätfolgen des Dopings .

Marco Bülow






(A) (C)



(B) (D)


Einige von ihnen werden jetzt denken: Wieso Opfer?
Die DDR-Leistungssportler waren doch im Vergleich zu
anderen DDR-Bürgern eher privilegiert . – Eine derarti-
ge Betrachtung greift allerdings zu kurz . Der Bundesge-
richtshof hat dazu Folgendes festgestellt: „Auch wenn
die DDR-Leistungssportler keine Systemgegner waren,
so wurden sie doch zum Opfer des DDR-Systems, da ih-
nen ohne Rücksicht auf ihren Willen eine sogar ihrem
Wissen vorenthaltene Aufopferung ihrer Gesundheit ab-
verlangt wurde .“

Minderjährigen wurden im zentralgelenkten DDR-
Sport ohne deren Wissen männliche Sexualhormone
zur Leistungssteigerung gegeben . Das systematische
Doping wurde nicht nur zentral organisiert, es wurde
auch bewusst verschleiert und unterlag strenger Geheim-
haltung . Den minderjährigen Sportlern und ihren Eltern
wurde weisgemacht, sie würden harmlose Vitamine und
Aufbaustoffe erhalten, und so wurden sie für staatliche
Zwecke instrumentalisiert . Dabei wurde vor nichts zu-
rückgeschreckt . Sehr bewegt hat mich die Berichterstat-
tung über DDR-Turnerinnen . Sie wurden als Kinder mit
Steroiden gedopt, um sie künstlich klein zu halten, um
sie dann später als Jugendliche nach ihrer Karriere mit
Wachstumshormonen wieder zu strecken . Meine Damen
und Herren, das waren großangelegte unverantwortliche
Menschenversuche .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Viele DDR-Leistungssportler haben heute bleibende
Gesundheitsschäden wie Organschädigungen und Tu-
more . Vor dem Bundesgerichtshof wurde ein Fall von
damals minderjährigen Sportlerinnen verhandelt . Bei
fünf der neun Schwimmerinnen wurden irreversible Ge-
sundheitsschäden durch die Gabe künstlicher männlicher
Sexualhormone festgestellt: Stimmvertiefung, vermehrte
Körperbehaarung sowie Leberschädigungen, um nur ei-
nige Symptome zu nennen .

Lassen Sie mich noch etwas zum Hintergrund des Fonds
sagen: Bereits 2002 wurde ein Hilfefonds für DDR-Do-
pingopfer aufgelegt . Er endete mit dem Jahr 2007 . Aus
dem damaligen Fonds haben 194 DDR-Dopingopfer eine
finanzielle Unterstützung in Höhe von rund 10 500 Euro
erhalten . Es wurden mit Abstand nicht alle Dopingopfer
erfasst . Die Frage, die sich uns gestellt hat, ist natür-
lich: Was war der Grund dafür? Viele Betroffene haben
schlichtweg nichts vom Fonds aus dem Jahr 2002 ge-
wusst, und die schweren Gesundheitsschäden als Folge
des Dopings sind teilweise erst Jahre später aufgetreten .
Auch haben viele Betroffene erst Jahre später überhaupt
einen Zusammenhang zwischen den Schädigungen und
dem Doping erkennen können .

Meine Damen und Herren, die Beratungsstelle des
Doping-Opfer-Hilfe-Vereins wurde erst 2013 gegrün-
det und klärt seitdem entsprechend auf . All das war ein
langer Erkenntnisprozess für die Betroffenen . Deswegen
müssen wir heute davon ausgehen, dass voraussichtlich
1 000 weitere DDR-Dopingopfer nach den damaligen
Kriterien anspruchsberechtigt gewesen wären . Es ist so-
mit ein Gebot der Gleichbehandlung, auch all denjenigen

einen Betrag in Höhe von 10 500 Euro auszuzahlen, die
nach den damaligen Kriterien des Dopingopfer-Hilfege-
setzes 2002 anspruchsberechtigt gewesen wären .

Mit dem vorgesehenen Einmalbetrag in Höhe von
10 500 Euro werden wir das Leid der Dopingopfer na-
türlich nicht nachhaltig lindern können . Wir können es
auch nicht wiedergutmachen; das ist mir bewusst . Aber
wir wollen mit dieser Zahlung unserer moralischen Ver-
antwortung gerecht werden .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, es geht darum, den Do-
pingopfern jetzt wirklich schnell und unbürokratisch ge-
recht zu werden und ihnen zu helfen . Deshalb soll der
Fonds nun erneut aufgelegt werden . Theoretisch können
die Dopingopfer auch einen Anspruch nach dem Opfer-
entschädigungsgesetz geltend machen, doch die Hürden
sind enorm hoch, und die gestellten Anträge führen in der
Regel nicht zum Erfolg .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können wir aber ändern!)


Aus den letzten drei Jahren sind mir gerade einmal drei
erfolgreiche Klagen bekannt . Eine Änderung des Opfer-
entschädigungsgesetzes ist uns jedoch aus Gründen der
Gleichbehandlung nicht möglich .

Meine Damen und Herren, der vorgelegte Gesetz-
entwurf orientiert sich daher weitgehend am Dopin-
gopfer-Hilfegesetz aus dem Jahr 2002 und enthält nur
die entsprechenden Anpassungen, die notwendig sind .
Anders als im Jahr 2002 legen wir jetzt einen Festbetrag
fest . Im Jahr 2002 gab es ja noch eine große Diskussion
darüber in der Regierungskoalition, damals bestehend
aus SPD und Grünen, die das nicht wollten, und der da-
maligen Opposition, der CDU/CSU . Die Linke, bzw . die
damalige PDS, hat sich sehr indifferent verhalten . Die
meisten haben dagegengestimmt, einige haben sich, so-
weit ich das richtig nachgelesen habe, enthalten .

Meine Damen und Herren, angesichts des schweren
Schicksals vieler DDR-Dopingopfer und ihres teils sehr
schlechten Gesundheitszustandes ist jetzt Eile geboten .
Die Bundesregierung hat den Gesetzesentwurf deshalb
als besonders eilbedürftig erklärt, und ich hoffe und
wünsche mir sehr, dass Sie, verehrte Kolleginnen und
Kollegen, das Zweite Dopingopfer-Hilfegesetz noch vor
der Sommerpause verabschieden und damit den Weg für
eine Auszahlung an die Dopingopfer in der zweiten Jah-
reshälfte frei machen .

Das Bundesministerium des Innern hat schon Anfang
des Jahres die dafür erforderlichen administrativen Vor-
kehrungen getroffen und das Bundesverwaltungsamt
mit den notwendigen Vorbereitungen beauftragt . Schon
heute können sich die Betroffenen an die konkreten An-
sprechpartner im Bundesverwaltungsamt wenden, damit
das Geld, wenn die Voraussetzungen im Bundestag dafür
geschaffen sind, möglichst schnell zur Verfügung gestellt
werden kann .

Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder






(A) (C)



(B) (D)


Die Entscheidung, den Fonds neu aufzulegen – das
muss ich einräumen –, ist spät getroffen worden . Ich mei-
ne aber, nicht zu spät . Die Bundesregierung hat Verant-
wortung gegenüber den DDR-Dopingopfern übernom-
men, und wir haben gehandelt .

Ich wünsche mir, dass der organisierte Sport, der
Deutsche Olympische Sportbund als Nachfolgeorgani-
sation des DDR-Sports ebenfalls seiner Verantwortung
gegenüber den DDR-Dopingopfern gerecht wird .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das wäre sehr wichtig!)


Auch wenn es Doping im staatlichen Auftrag war, so
ist der Sport natürlich nicht frei von jeglicher Schuld
gewesen . Das DDR-Regime und der DDR-Sport haben
wirklich unheilvoll, kollusiv zusammengewirkt . Daher
sollte auch der organisierte Sport seinen Beitrag leisten .
Es gibt zum Beispiel Härtefälle unter den Dopingopfern
der DDR, die einer weiteren Unterstützung bedürfen .
Hier gäbe es Möglichkeiten, sich besonders zu engagie-
ren . Insofern appelliere ich an dieser Stelle nochmals an
den Deutschen Olympischen Sportbund, ebenfalls seiner
Verantwortung gerecht zu werden .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816509200

Vielen Dank, Dr . Schröder . – Der nächste Redner in

der Debatte: Dr . André Hahn für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. André Hahn (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816509300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein

Zweites Dopingopfer-Hilfegesetz ist seit langem überfäl-
lig . Deshalb sind wir als Linke und deshalb bin ich froh,
dass nun endlich ein Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf dem Tisch liegt . Immerhin liegen zwischen der Ver-
abschiedung des ersten Dopingopfer-Hilfegesetzes und
dem jetzigen Entwurf 14 Jahre . Dieses erste Dopingop-
fer-Hilfegesetz trat 2007, also schon vor über acht Jahren,
wieder außer Kraft . Lediglich 194 Betroffene haben da-
mals eine Entschädigung erhalten . Die Zahl der tatsäch-
lich Anspruchsberechtigten soll deutlich höher sein . Die
Schätzungen liegen zwischen 1 000 und 2 000 ehemali-
gen Sportlerinnen und Sportlern . Einige von ihnen sind
inzwischen leider bereits verstorben . Umso wichtiger ist
es, dass der Gesetzentwurf jetzt nicht nur in erster Lesung
auf den Weg gebracht, sondern möglichst auch noch vor
der Sommerpause hier im Parlament verabschiedet wird .


(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bis dahin sollten wir die Chance nutzen, am vorgeleg-
ten Gesetzentwurf einige Änderungen vorzunehmen . Ich
möchte aus Sicht der Linken hier nur drei Punkte nennen:

Erstens . Ich beginne mit dem Titel des Gesetzent-
wurfs, in dem leider wieder nur von finanzieller Hilfe
für Dopingopfer der DDR die Rede ist . Die Position der
Linken dazu ist ganz klar: Mehr als 25 Jahre nach der
deutschen Einheit sollte endlich Schluss damit sein, die
Opfer in Ost und West aufzuteilen . Das neue Gesetz muss
für alle Dopingopfer gelten, egal ob sie in der DDR oder
der alten BRD Leistungssport betrieben haben .


(Beifall bei der LINKEN)


Auch wenn die abschließenden Ergebnisse der un-
abhängigen Evaluierungskommission Freiburger Sport-
medizin noch nicht vorliegen – was sich zuletzt dort
abgespielt hat, ist wirklich ein Trauerspiel und wird den
Sportausschuss noch beschäftigen –, so ist inzwischen
doch wohl unstrittig, dass es in der DDR systematisches
Doping gab, dass aber eben auch in der alten Bundesrepu-
blik in erheblichem Umfang und zum Teil mit staatlicher
Unterstützung im Leistungssport gedopt wurde . Deshalb
sollten wir endlich allen Betroffenen in Deutschland, die
die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, Zugang zu den
Leistungen nach dem Dopingopfer-Hilfegesetz ermög-
lichen, unabhängig davon, wo sie geboren wurden oder
ihren Sport betrieben haben .


(Beifall bei der LINKEN)


Zweiter Punkt . Die Dopingopfer sollen analog
zum ersten Gesetz eine Einmalleistung in Höhe von
je 10 500 Euro erhalten . Das klingt erst einmal nicht
schlecht, ist aber mit Blick auf die zum Teil erheblichen
Gesundheitsschäden, die sie infolge des Dopings nach-
weislich erlitten haben, eher eine symbolische Hilfe .
Nach der Begriffsbestimmung „erhebliche Gesundheits-
schäden“ in § 3 müssen die Betroffenen mehrheitlich eine
anerkannte Schwerbehinderung haben . Wer sich jedoch
mit dem Behindertenrecht und vor allem mit dem aktuell
in der Diskussion befindlichen Bundesteilhabegesetz be-
schäftigt, der weiß, dass die meisten behindertenbeding-
ten Nachteile letztlich nicht ausgeglichen werden und in
vielen Fällen zu dauerhafter Verarmung der Betroffenen
und zum Teil auch zur Verarmung ihrer Angehörigen
führen . Deshalb ist unsere Verantwortung für diese Men-
schen mit der einmaligen Zahlung von 10 500 Euro nicht
vom Tisch . Wir brauchen eine wissenschaftliche und po-
litische Begleitung bei der Umsetzung des Gesetzes, um
dann gegebenenfalls weitere erforderliche Maßnahmen
beschließen zu können .


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens . Wenn ich über Verantwortung rede, dann
rede ich auch über die Verantwortung des DOSB als
Nachfolgeorganisation der Sportverbände der alten BRD
und der DDR . Hier will ich ganz deutlich sagen: Es reicht
nicht aus, wenn der Deutsche Olympische Sportbund
zwar verbal seine Bereitschaft erklärt, konstruktive Ge-
spräche zu führen, und betont, dass er zu seiner morali-
schen Mitverantwortung steht, aber immer dann kneift,
wenn es ernst wird und wenn es um eine finanzielle Be-
teiligung geht . Ich erwarte daher vom DOSB, dass er sich

Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder






(A) (C)



(B) (D)


mit einem nennenswerten Betrag an dem einzurichten-
den Hilfsfonds für die Dopingopfer beteiligt .


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Eberhard Gienger [CDU/CSU])


Hier stimme ich auch Herrn Staatssekretär Schröder ganz
ausdrücklich zu .

Lassen Sie mich abschließend sagen: Das hier und
heute diskutierte Dopingopfer-Hilfegesetz ist sicher nur
ein kleiner, aber dennoch sehr notwendiger Teil in der ge-
samten Debatte um früheres und derzeitiges Doping im
Sport . Die Linke unterstützt im Grundsatz den vorliegen-
den Gesetzentwurf ebenso wie das vor wenigen Monaten
verabschiedete Anti-Doping-Gesetz und die anstehende
Gesetzesänderung zur Strafbarkeit des Sportwettbetrugs .
Wir benennen aber zugleich auch die Mängel an den Ge-
setzentwürfen in der Hoffnung, dass sich in der Koalition
nicht Parteidogmen durchsetzen, sondern der Sportsgeist
obsiegt und unsere konstruktiven Änderungsvorschläge
wenigstens teilweise von der Koalition übernommen
werden .

In diesem Sinne: Sport frei und herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Jeannine Pflugradt [SPD])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816509400

Vielen Dank, Dr . Hahn . – Das Wort hat jetzt für die

SPD-Fraktion Michaela Engelmeier .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michaela Engelmeier (SPD):
Rede ID: ID1816509500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Unter der olympischen Idee versteht man eine Geistes-
haltung, die auf der Ausgewogenheit von Körper und
Geist beruht . Sport, Kultur und Erziehung sollen in einer
Lebensweise verbunden werden, die auf Freude am kör-
perlichen Einsatz, auf dem erzieherischen Wert des guten
Beispiels und auf der Achtung fundamental und univer-
sal gültiger ethischer Prinzipien beruht .

Zwar begrüßten in der ehemaligen DDR die Funktio-
näre und Trainer ihre Athletinnen und Athleten stets mit
dem Gruß „Sport frei“, doch waren die Menschen weder
frei noch konnten sie über ihren Körper frei verfügen .
So schätzen Experten, dass in der DDR von 1974 bis
1989 etwa 12 000 Sportlerinnen und Sportler systema-
tisch gedopt wurden . Mit dem vorliegenden Entwurf zum
Zweiten Dopingopfer-Hilfegesetz möchten wir unseren
Beitrag zur öffentlichen Anerkennung leisten und stellen
für Anspruchsberechtigte insgesamt 10,5 Millionen Euro
zur Verfügung .

Der erste Fonds war ein voller Erfolg, jedoch nur für
die bereits angesprochenen 194 anerkannten Personen .
Diese Lücke der Ungerechtigkeit möchten wir heute
schließen . Gewiss kann dieser Fonds nur einen kleinen
Beitrag leisten . Kein Geld der Welt kann für das angeord-
nete Staatsdoping entschädigen . So leben die Menschen

und ihre Angehörigen noch heute mit den Folgen des
körperlichen Missbrauchs .

Mit der politischen Vorgabe des Staatsplans 14 .25
zum Aufbau eines geheimen und umfassenden Systems
des staatlich organisierten und erzwungenen Dopings
bei Leistungssportlern verfolgte die DDR das Ziel, den
sportlichen Ruhm des sozialistischen Vaterlandes zu stei-
gern. Damit war dem Einsatz von perfiden Mitteln wie
der Behandlung von Minderjährigen mit männlichen Se-
xualhormonen Tür und Tor geöffnet . Dabei spornte jeder
Erfolg die damaligen Funktionäre noch mehr an mit dem
Ergebnis, dass die DDR insgesamt 204-mal Olympiagold
für sich verbuchen konnte . Somit bot der DDR-Hochleis-
tungssport in besonderem Maße die Möglichkeit, inter-
nationales Ansehen zu erwerben .

Nach dem Fall der Mauer kam es zu zahlreichen Ge-
richtsverhandlungen . Doch statt die Ärzte für ihre Hand-
lungen mit dem Entzug ihrer Zulassung zu bestrafen,
kamen sie meist mit geringen Strafen davon . Mehr noch:
Aufgrund ihres Wissens waren sie nun für Sportverbände
außerhalb unseres Landes interessant . Das und die der-
zeitigen Enthüllungen in Russland, Großbritannien usw .
zeigen, dass das Thema Doping leider sehr aktuell bleibt .

Anders als beim ersten Dopingopfer-Hilfegesetz von
2002 beteiligen sich diesmal weder der Deutsche Olym-
pische Sportbund noch Jenapharm an der Ausgestaltung
des Fonds . Gerade von einem Pharmaunternehmen, wel-
ches heute mit dem Slogan „Liebe . Leben . Gesundheit .“
wirbt, hätte ich mir mehr Verantwortung gewünscht .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn es leistete durch die Herstellung von Substanzen
wie Oral-Turinabol, dem sogenannten „Blauen Blitz“,
oder Mestanolon einen enormen Beitrag zum Staatsdo-
ping .

Der frühere Arzneimittelhersteller VEB Jenapharm
produzierte die Medikamente einzig für Dopingzwecke .
Sie waren nie zugelassen und kamen nie auf den Markt .
Der Einsatz von nicht einmal in der DDR zugelassenen
Medikamenten zur Leistungssteigerung ist durch Stasiak-
ten und Zeugenaussagen bewiesen . Zu einem ähnlichen
Ergebnis kam übrigens 2005 auch eine vom Nachfolge-
betrieb Jenapharm in Auftrag gegebene Studie . Darüber
hinaus deckt sie auf, dass das Unternehmen nicht nur
Dopingmittel produzierte, sondern auch Präparate ent-
wickelte, die die Dopingeinnahme verschleiern sollten .
So sehen sich die Opfer im Nachgang als menschliche
Versuchsobjekte der Pharmabranche .

Schon Anfang der 1970er-Jahre waren dem Volks-
eigenen Betrieb Jenapharm, dem VEB Jenapharm, und
den Verantwortlichen im Sport die schädlichen Neben-
wirkungen bekannt . Im Nachgang zu den Olympischen
Spielen in Montreal 1976 gab es wegen der starken Ne-
benwirkungen durch den „Blauen Blitz“, ein künstliches
männliches Sexualhormon, die Anordnung, die Applika-
tion sofort auszusetzen – ohne Erfolg . Zu groß war die
Sorge, dass sich die Zahl der Siege der DDR verringern
würde. Auch die Auflistung von verbotenen Wirkstoff-
gruppen durch das Internationale Olympische Komitee

Dr. André Hahn






(A) (C)



(B) (D)


zwei Jahre zuvor, 1974, ließ die DDR-Staatsführung
kalt . So waren die Funktionäre weiterhin um eine sys-
tematische staatliche Lenkung des verordneten Dopings
bemüht . Den Athletinnen und Athleten hielten die dama-
ligen Ärzte und Trainer bewusst die Information vor, was
das für Pillen, Injektionen und Spritzen waren, die sie
regelmäßig bekamen .

Heute geht es uns nicht nur um Tumorbildungen, um
Krebs als Folge jahrelanger Anabolikavergiftungen oder
um lebensgefährliche Herzerkrankungen . Nein, es geht
uns auch um Anerkennung für die Betroffenen, die nicht
nur unter den körperlichen Folgen, sondern auch unter
psychischen Belastungen leiden .

Wie die Folgen für die Athletinnen und Athleten der
DDR zeigen, ist Doping kein Wundermittel, sondern es
birgt enorme Gefahren für Körper und Geist . Deswegen
ist es uns wichtig, dass wir unseren Kampf gegen Doping
weiterführen . Dabei ist uns mit dem Anti-Doping-Gesetz
aus dem letzten Jahr ein Meilenstein gelungen . Denn im-
mer noch greifen laut einer Studie der Deutschen Sport-
hilfe etwa 6 Prozent der Spitzensportler in Deutschland
zu solchen Mitteln .

Zum Schluss meiner Rede möchte auch ich an den
Deutschen Olympischen Sportbund und an Jenapharm
dringend appellieren, sich ihrer Verantwortung zu stel-
len . Von ihnen geleistete Zahlungen von vor zehn Jah-
ren waren ein richtiger Schritt . Öffnen Sie Ihre Herzen,
öffnen Sie Ihre Schatullen, gehen Sie den Weg weiter,
den Sie damals beschritten haben, und beteiligen Sie sich
bitte an dem neuen Fonds!


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816509600

Vielen Dank, Michaela Engelmeier . – Nächste Red-

nerin in der Debatte: Monika Lazar für Bündnis 90/Die
Grünen .


Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816509700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Endlich liegt er also vor, der Entwurf des Zweiten Do-
pingopfer-Hilfegesetzes . Besser spät als nie, ist man ver-
sucht zu sagen; denn die zweite Auflage dieses Gesetzes
ist mehr als überfällig . Da sind wir uns zum Glück alle ei-
nig; schließlich sind mittlerweile schon DDR-Dopingop-
fer gestorben . Dass wir dieses Thema hier im Bundestag
beraten, ist auch ein Verdienst der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen . Wer weiß, wie lange die Regierungskoaliti-
on dieses Gesetzesvorhaben noch hinausgezögert hätte,
hätten wir als Opposition nicht über Jahre hinweg kon-
stant Druck gemacht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich erinnere mich zum Beispiel noch sehr gut an eine
Sportausschusssitzung vor circa einem Jahr und an die
Worte des Parlamentarischen Staatssekretärs . Ich freue
mich, dass die Regierung und auch Sie, Herr Schröder,
ihre Meinung geändert haben . Bei dieser Sitzung habe
ich nämlich gedacht: Zum Glück war sie nicht öffentlich .
Ansonsten sehen wir das eher nicht so; aber das war kei-

ne schöne Auseinandersetzung, die wir geführt haben .
Allerdings ist das Ergebnis entscheidend, und das geht in
die richtige Richtung .


(Katrin Kunert [DIE LINKE]: Sag lieber, was er gesagt hat!)


Mit dem Ersten Dopingopfer-Hilfegesetz konnte 2002
die Situation für viele vom DDR-Staatsdoping betroffe-
ne Sportlerinnen und Sportler zumindest vorübergehend
gemildert werden . Wie wir heute wissen, wurden Kin-
dern und Jugendlichen zwangsweise unter anderem Ana-
bolika und Wachstumshormone verabreicht . Wer die als
Vitamintabletten deklarierten Mittel nicht nehmen woll-
te, wurde meist, ohne es zu wissen, weiter gedopt, zum
Beispiel in Form von Schokolade . Die Opfer leiden heute
noch sowohl körperlich als auch psychisch .

Das Zweite Dopingopfer-Hilfegesetz ist, auch wenn
der Entwurf reichlich spät kommt, eine wichtige Sache .
Der erste Hilfsfonds hat immerhin schon – das wurde
heute schon gesagt – 194 DDR-Dopingopfer entschä-
digt . Aber wie wir alle regelmäßig erfahren, melden sich
immer noch weitere Opfer . Das liegt zum einen daran,
dass bei vielen erst in jüngster Vergangenheit Spätfolgen
auftraten, oder daran, dass diese Dopingopfer erst durch
die mediale Aufmerksamkeit mitbekommen haben, dass
die Krankheiten, die sie jetzt haben, eventuell auf die da-
malige Dopingpraxis zurückzuführen sind .

Für uns können die einmaligen Zahlungen an die
DDR-Dopingopfer allerdings nur ein Anfang sein . Sie
sind notwendig, aber nicht ausreichend .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn Opfer bleibender Schäden benötigen auch eine
bleibende Hilfe . Die Einmalzahlung ist wichtig, und sie
ist vor allem eine moralische Anerkennung des Zwangs-
dopings . Aber damit ist es noch nicht getan . Wir brau-
chen eine dauerhafte Unterstützung der Dopingopfer in
Form einer Rente . Deshalb setzen wir uns weiter dafür
ein, dass die DDR-Dopingopfer Zugang zu Renten nach
dem Opferentschädigungsgesetz bekommen . Es ist schon
angesprochen worden, wie langwierig und beschämend
es ist, dass die Dopingopfer jahrelang quasi Bittsteller in
den Sozialbehörden und auch vor Gericht sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Rechtsprechung der Gerichte ist leider nicht ein-
heitlich; das Ganze ist wirklich sehr zäh . Hier gilt es, den
Dopingopfern möglichst niedrigschwellig zu helfen und
vor allem die bürokratischen Hürden abzubauen .

Es ist auch wichtig, den Dopingopfer-Hilfe-Verein,
den es ja seit Jahren gibt, und seine Beratungsstelle wei-
terhin finanziell und verstetigt zu fördern. Diese Förde-
rung ist bis jetzt, so denke ich, auf einem sehr niedrigen
Level . Wir alle bekommen etwas zurück, nämlich die
fachliche Beratung . Sie ist sozusagen eine Peer-to-Peer-
Beratung: Betroffene beraten Betroffene .

An dieser Stelle möchte aber auch ich an den DOSB
appellieren . Als Rechtsnachfolger des DDR-Sportsys-

Michaela Engelmeier






(A) (C)



(B) (D)


tems sollte auch der DOSB endlich Verantwortung über-
nehmen und erneut seinen finanziellen Beitrag leisten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Die Politik hat die ersten Schritte getan . Nun ist auch der
organisierte Sport an der Reihe . An den DOSB gerichtet,
sage ich deshalb: Lassen Sie diese Menschen nicht im
Regen stehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Ich möchte die heutige Debatte nutzen, um an die
Dopingpraxis in Westdeutschland zu erinnern; denn
auch das gehört zu den dunklen Kapiteln der deutschen
Sportgeschichte . Heute wissen wir: In den 1970er-Jah-
ren bekleckerten sich besonders das Bundesinstitut für
Sportwissenschaft und die Sportwissenschaftler der Uni
Freiburg in Sachen Dopingbekämpfung nicht gerade mit
Ruhm . Auch dieses Unrecht muss aufgeklärt werden .

Doping schadet nicht nur den Sportlerinnen und
Sportlern; Doping schadet auch dem Ansehen des Sports
insgesamt . Nach den Korruptionsfällen in den Spitzen-
verbänden ist es auch und vor allem das Doping, wel-
ches die Integrität des Sports massiv beschädigt . Lassen
Sie uns also die Aufarbeitung der Dopinggeschichte als
Ansporn dafür nehmen, jetzt und in Zukunft für einen
sauberen Sport zu kämpfen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816509800

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Johannes

Steiniger das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Steiniger (CDU):
Rede ID: ID1816509900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich glaube,
diese Debatte hat gezeigt: Es ist ein wahnsinnig ernstes
Thema . Die Schicksale, die hier von verschiedenen Red-
nern beschrieben worden sind, machen betroffen .

Lassen Sie mich, bevor ich auf das Dopingopfer-Hil-
fegesetz konkret zu sprechen komme und dabei in medi-
as res gehe, zunächst einen kurzen Blick darauf werfen,
was wir derzeit international in Sachen Doping erleben
müssen . Wir sehen auf der einen Seite Marokko und
Äthiopien, denen das Olympia-Aus droht, weil sie sich
dem Kampf gegen Doping verweigern . Kenia, die Ukrai-
ne und Weißrussland weisen gravierende Defizite in der
Frage der Bekämpfung von Doping auf . Der chinesische
Schwimmverband soll Ergebnisse von positiven Proben
vertuscht haben . Erst kürzlich haben wir Berichte über
Doping aus England gehört . Ich glaube, es ist nicht über-

trieben, zu sagen, dass die Integrität des Sports und der
olympische Gedanke gefährdet sind .

Als Koalition machen wir deshalb Ernst im Kampf
gegen Doping und haben im vergangenen Jahr das An-
ti-Doping-Gesetz verabschiedet . Dass es jetzt erste Er-
mittlungen gibt, zeigt: Dieses Gesetz greift . In diesem
Zusammenhang zitiere ich einen ermittelnden Staatsan-
walt im Fall von Doping beim Ringen . Dieser hofft, dass
sich das – Zitat – „Kartell des Schweigens“ hinter den
Dopingnetzwerken durch das Gesetz aufbrechen lässt .

Um genau ein solches Netzwerk an Hintermännern
geht es auch bei der Aufarbeitung des Zwangsdopings
in der DDR . Im DDR-Dopingprogramm waren es aller-
dings keine privaten kriminellen Netzwerke, sondern es
war der DDR-Unrechtsstaat selbst . Herr Dr . Hahn, das
genau ist doch der Unterschied . Es gab das privat organi-
sierte Doping auf der einen Seite und das von der DDR
als Staat von oben herab organisierte Doping auf der an-
deren Seite, bei dem Sportlerinnen und Sportler ohne ihr
Wissen gedopt wurden . Die Bundesrepublik Deutschland
ist hier eben nicht der Rechtsnachfolger der DDR . Des-
wegen ist es richtig, wie wir an dieser Stelle das Doping-
opfer-Hilfegesetz im Anschluss an das Gesetz von 2002
gemacht haben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Im – auch das wurde schon erwähnt – sogenannten
Staatsplanthema 14.25 gipfelte das geheime und flächen-
deckende System, in dem, staatlich organisiert und von
oben erzwungen, Leistungssportler ohne ihr Wissen ge-
dopt wurden . Das war vermutlich ein einzigartiger Miss-
brauch mit Medikamenten, ein großer Menschenversuch
durch den Staat, wie das gerade eben auch der Staatsse-
kretär gesagt hat .

Die DDR war in der Folge eine der erfolgreichsten
Sportnationen der Welt . 1988 in Seoul beispielsweise be-
legte sie Platz 2 im Medaillenspiegel . Wie wir heute aber
wissen, meine sehr geehrten Damen und Herren, war
dieser vermeintliche Erfolg sehr teuer erkauft . Nicht nur
die Attribute des sauberen Sports, Fairness und Chan-
cengleichheit, wurden nachhaltig beschädigt, sondern
auch die Athletinnen und Athleten wurden durch einen
verordneten Raubbau am eigenen Körper gesundheitlich,
teilweise massiv, geschädigt .

Wir haben heute einige Beispiele gehört . Gesund-
heitliche Folgeschäden sind unter anderem Krebs, Or-
ganversagen, Hormonstörungen oder Störungen des
Bewegungsapparats . Im Übrigen kann man nur jedem
empfehlen, einmal einen Blick auf die Homepage des
Vereins doping-opfer-hilfe zu werfen, auf der die Band-
breite an Krankheiten sehr genau dokumentiert ist .

Die Diskussion, die wir heute darüber führen, wie wir
den Opfern von damals helfen können, ist auch ein Sig-
nal an die Sportler, die dieser Tage vielleicht mit dem
Gedanken spielen, mithilfe von Doping ihre Leistung zu
steigern: Ihr schadet der Integrität des Sportes . Ihr wer-
det auch dank des Anti-Doping-Gesetzes bestraft wer-
den . Aber vor allem: Ihr geht ein enorm großes Risiko

Monika Lazar






(A) (C)



(B) (D)


für eure Gesundheit ein . – Doping ist gefährlich . Doping
lohnt sich nicht . Deswegen: Finger weg von Doping!


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zurück zum Dopingopfer-Hilfegesetz . Die Zahlen zei-
gen das Ausmaß des Zwangsdopings in der DDR . Über
10 000 Spitzenathleten im Leistungs- und Nachwuchs-
sport wurden zu DDR-Zeiten gedopt. Wie perfide und
systematisch gedopt wurde, zeigt sich in der Rolle des
sogenannten Sportmedizinischen Dienstes, SMD . Die
Spitzensportler in der DDR wurden nämlich nicht nur
von ihren Trainern und Betreuern bewusst hinters Licht
geführt, sondern auch von den lokalen Vereinsärzten, die
das Vertrauen der Sportlerinnen und Sportler ausnutzten
und sie täuschten .

1990 – diese Zahl ist interessant – umfasste allein der
Sportmedizinische Dienst 600 Mitarbeiter . Man sieht,
wie flächendeckend dieses Netz gewesen ist. Dessen
Mitarbeiter haben sich ausschließlich mit dem Leis-
tungssport befasst . Hier wird deutlich, wie stark und
übermächtig der Staat auf der einen Seite war und wie
klein dagegen der einzelne Sportler auf der anderen Seite
gemacht wurde .

Im Deutschlandfunk kamen unter dem Titel „Auf der
Strecke geblieben . Die Opfer des deutsch-deutschen
Medaillenrennens“ die Schicksale ostdeutscher Zwangs-
dopingopfer zur Sprache . Vor allem ihre Wut und Ent-
täuschung kamen zum Ausdruck . Die schockierenden
Berichte darüber, zu welch krassen Mitteln sogar bei
Minderjährigen gegriffen wurde, haben verschiedene
Redner angesprochen . Die meisten Opfer haben erst Jah-
re nach dem Mauerfall von dem systematischen Doping
an ihrem Körper erfahren . Für die Dopingopfer war und
ist die Realisierung des Geschehenen ein schmerzhafter
Prozess. Es ist unbegreiflich und nicht zu verstehen, dass
man diese Schäden eben nicht selbst zu verantworten hat,
sondern dass andere sie einem zugefügt haben .

Das Erste und das jetzt folgende Zweite Dopingop-
fer-Hilfegesetz sind ein starkes Zeichen dafür, dass die
Bundesregierung und der Bundestag das Leid der Opfer
und deren Schicksal anerkennen . Es geht eben nicht nur
um eine finanzielle Einmalzahlung, sondern wir sagen
auch: Wir erkennen dieses Leid und dieses Schicksal an .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg . Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Schröder hat
bereits erläutert, wie dieses Zweite Dopingopfer-Hilfege-
setz an das erste Gesetz von 2002 anschließt . Ich möchte
mich auch im Namen der AG Sport für die Initiative und
das Engagement bedanken, und ich möchte auch appel-
lieren, dass wir mit diesem Gesetz jetzt schnell, bis zur
Sommerpause, fertig werden .

Zusammenfassend will ich an dieser Stelle noch sa-
gen, dass es uns als CDU/CSU-Fraktion wichtig war,
dass jeder Geschädigte den gleichen Betrag erhält – un-
abhängig davon, wann der Antrag gestellt wurde, ob dies
also von 2002 bis 2007 der Fall war oder ab jetzt ge-
schieht – und dass die Ansprüche niedrigschwellig und

kurzfristig geltend gemacht werden können . Durch die
Abwicklung über das Bundesverwaltungsamt kann dies
treffsicher geschehen .

Wenn wir den Gesetzentwurf verabschiedet haben,
ist es unser Auftrag als Gesetzgeber, den potenziell An-
spruchsberechtigten mitzuteilen, dass sie von dem Do-
pingopfer-Hilfegesetz Gebrauch machen können .

Meine Damen und Herren, ich wünsche mir sehr, dass
wir mit diesem guten Gesetzentwurf ein Stück Gerech-
tigkeit für die Opfer des DDR-Dopings schaffen können,
und ich freue mich, wenn wir das bis zur Sommerpause
hinbekommen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816510000

Das Wort hat die Kollegin Pflugradt für die SPD-Frak-

tion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Jeannine Pflugradt (SPD):
Rede ID: ID1816510100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir behan-
deln heute den Gesetzentwurf über eine finanzielle Hil-
fe für Dopingopfer der DDR, den Entwurf des Zweiten
Dopingopfer-Hilfegesetzes . Wir haben es heute schon
mehrfach gehört: Es ist wichtig, dass wir darüber reden .

Nach diesem Gesetz werden wir den Opfern des staat-
lich verordneten Dopings in der DDR finanzielle Hilfe
gewähren . Voraussetzung hierfür ist, dass ihnen ohne
ihr Wissen oder gegen ihren Willen Dopingsubstanzen
verabreicht wurden und es wahrscheinlich ist, dass sie
deshalb erhebliche gesundheitliche Schäden erlitten ha-
ben oder nach wie vor erleiden . Des Weiteren dürfen sie
aus dem ersten Fonds keine finanziellen Hilfen erhalten
haben .

Es ist ganz einfach eine Frage der Solidarität, weitere
Opfer genauso zu entschädigen, wie es der erste Fonds
getan hat . Darum hätte auch ich es gut gefunden, wenn
sich Jenapharm und der Deutsche Olympische Sportbund
daran beteiligt hätten – einfach aus Gründen der Gerech-
tigkeit und Gleichbehandlung .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Eberhard Gienger [CDU/CSU])


Die SPD-Bundestagsfraktion bekennt sich heute je-
denfalls erneut zu dieser moralischen Verpflichtung, und
das möchte ich ganz intensiv betonen . Es muss einmal
mehr ein deutliches Zeichen gesetzt werden, dass man
angesichts der gesundheitlichen Schäden durch das staat-
lich verordnete Doping in der DDR nicht einfach zur Ta-
gesordnung übergehen kann .

Nach wie vor sind jedoch medizinische Fragen, die
auch schon beim ersten Fonds im Vordergrund standen,
noch nicht hinreichend geklärt . Dopinganalytiker und
Endokrinologen bestätigen übereinstimmend, dass in je-
dem Einzelfall geprüft werden muss, ob die Ursache der

Johannes Steiniger






(A) (C)



(B) (D)


gesundheitlichen Schäden tatsächlich in der Gabe von
Dopingsubstanzen liegt .

Ein wahrscheinlicher Zusammenhang ist kein ursäch-
licher Zusammenhang . Wenn wir nicht wollen, dass die
Gelder, die wir für Dopingopfer bereitstellen, überwie-
gend für weitere medizinische Gutachten ausgegeben
werden, dann müssen wir im Interesse einer guten, ein-
wandfreien Regelung zu nachvollziehbaren Kriterien
dafür kommen, wer Entschädigungsleistungen erhält
und wer nicht . Nicht nachvollziehbar ist es, einen wahr-
scheinlichen Zusammenhang als einen ursächlichen Zu-
sammenhang darzustellen .

Natürlich bin ich dafür, das Unrecht an den Sportle-
rinnen und Sportlern aufzuklären, anzuerkennen und ge-
recht zu entschädigen . Ich bin aber für eine Differenzie-
rung und genauere Betrachtung . Wir bewegen uns hier in
einer sehr komplizierten rechtlichen Materie .

Wir erwarten von den Opfern keinen Nachweis bis
ins letzte Detail, sondern begnügen uns mit einer Wahr-
scheinlichkeit . Lassen wir die Entschädigungszahlungen
auf Wahrscheinlichkeiten basieren, dann kann man an
dieser Stelle eben nicht sehr viel mehr tun .

Deshalb freue ich mich, dass in Mecklenburg-Vor-
pommern, an der Uniklinik Greifswald und an den He-
lios-Kliniken in Schwerin, zwei Studien zu diesem Thema
geplant sind . Die eine ist eine Langzeitstudie, die andere
ist eine etwa zweijährige Studie, die voraussichtlich ab
dem Sommer die Daten analysieren und auswerten wird,
die der Doping-Opfer-Hilfe-Verein sammelt . Vielleicht
hätten wir vor der Auflegung des zweiten Fonds auf die
Ergebnisse der Studie warten sollen; dann hätten wir eine
genauere Datenbasis gehabt, um besser zwischen Wahr-
scheinlichem und Tatsächlichem zu unterscheiden .

Darüber hinaus stellt sich für mich die Frage der Nach-
weispflicht im Antragsverfahren. Es gab Sportlerinnen
und Sportler, die Kenntnis vom Einsatz von Dopingmit-
teln hatten und ihn billigend in Kauf genommen haben .
Sicher, die Versuchung war groß . Der Staat begünstigte
den Erfolg . Aus meiner Sicht gab es Täter, Mitwisser,
Halbwissende und Menschen, die weggeschaut haben .
Es gab tatsächlich aber auch Nichtwissende, Ahnungs-
lose und Opfer . Diese Unterschiedlichkeit sollten wir be-
achten, wenn wir die Problematik angehen .

Wir können auch heute nicht mit Sicherheit sagen, wer
was wann mit oder ohne Wissen, gegen den Willen oder
mit stillschweigendem Einverständnis eingenommen hat .
Wir werden nicht mit absoluter Sicherheit den Nachweis
des wissentlichen oder willigen Dopings führen können .
Es wäre aber grundsätzlich falsch, daraus zu folgern,
dass daher keine Entschädigung gezahlt werden sollte .
Hier sind mit Sicherheit Menschen vorsätzlich manipu-
liert worden .

Das ist eine Mahnung, dass sportliche Höchstleistun-
gen nicht um jeden Preis erstrebenswert sind, weder für
den persönlichen Ruhm oder zum Gewinnstreben noch
zur staatlichen Repräsentation . Es ist eine Aufforderung,
in dem Kampf nicht nachzulassen, die Prävention zu
verstärken, die Kontrollen zu verbessern und Vergehen
stärker und einheitlich zu sanktionieren . Das wünsche

ich mir nicht nur für Deutschland, sondern für die ganze
Welt .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Auch in diesem Zusammenhang bin ich froh, dass wir
das Anti-Doping-Gesetz bereits verabschiedet haben . Es
hilft zwar nicht gegen vorsätzliches Staatsdoping, aber es
bestraft diejenigen, die sportlichen Erfolg über Doping-
substanzen zu erzielen versuchen . Mit diesem Gesetz
geben wir keine endgültige Antwort auf die bestehenden
Probleme des anhaltenden Dopings . Es vergeht kaum
eine Woche, in der wir nicht von neuen Dopingfällen
erfahren . Zumindest entschädigt es aber diejenigen, die
durch den Staat bewusst einer möglichen Gefahr ausge-
setzt waren und die benutzt und manipuliert wurden .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816510200

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/8040 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Halina
Wawzyniak, Sigrid Hupach, Christine Buchholz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Einrichtung einer Kommission beim Bundes-
ministerium der Finanzen zur Evaluierung
der Staatsleistungen seit 1803

Drucksache 18/4842
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Wenn alle teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen
einen Platz gefunden haben, können wir die Debatte er-
öffnen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Halina Wawzyniak für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816510300

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Wir reden über einen Antrag, der den Weg dafür
ebnen soll, einen Verfassungsauftrag einzulösen, und
zwar noch bevor dieser schon 100 Jahre besteht . Es geht
nicht um den Glauben von Menschen . Die Religionsfrei-

Jeannine Pflugradt






(A) (C)



(B) (D)


heit ist ein hohes Gut . Sie soll nicht angetastet werden,
und das wird sie durch den vorliegenden Antrag auch
nicht . Das zu erwähnen, ist mir auch angesichts der Ge-
schichte meiner Partei ausgesprochen wichtig .

Artikel 140 des Grundgesetzes macht Artikel 138 der
Weimarer Reichsverfassung zum Bestandteil des Grund-
gesetzes . Die Weimarer Reichsverfassung stammt aus
dem Jahr 1919 . Der Artikel lautet:

Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtsti-
teln beruhenden Staatsleistungen an die Religions-
gesellschaften werden durch die Landesgesetzge-
bung abgelöst .

Jetzt kommt der entscheidende Satz:

Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf .

Es geht mithin um die Zahlungsverpflichtung des
Staates an die Kirchen für die vor über 200 Jahren enteig-
neten kirchlichen Besitztümer . Über das ausgesprochen
sinnvolle und hilfreiche Portal www .kleineanfragen .de
lässt sich leicht herausbekommen, welchen Umfang die-
se Zahlungsverpflichtungen ausmachen. Knapp 13 Milli-
onen Euro waren es 2015 in Schleswig-Holstein . Etwas
mehr als 24 Millionen Euro waren es im Jahr 2015 in
Sachsen . Knapp 24 Millionen Euro werden im Jahr 2016
in Thüringen fällig . In Berlin wurden im Jahr 2014 knapp
11 Millionen Euro an Staatsleistungen gezahlt .

Wir wollen nun mit unserem Antrag dafür sorgen, dass
eine Kommission zunächst prüft und bewertet, inwiefern
die sogenannten Säkularisierungsverluste durch die seit
1919 gezahlten Leistungen angemessen ausgeglichen
wurden, und dann Vorschläge unterbreitet, welche Kon-
sequenzen der Gesetzgeber im Hinblick auf den zukünf-
tigen Umgang mit diesen Zahlungen aus der Evaluierung
ziehen sollte .

Wir sind also nicht mehr ganz so revolutionär wie
in der vergangenen Legislaturperiode . Da hatten wir
nämlich einen Gesetzentwurf zur Ablösung der Staats-
leistungen vorgelegt, den Sie damals abgelehnt haben .
Nun wollen wir Ihnen quasi eine zweite Chance geben,
den Verfassungsauftrag einzulösen, und zwar durch eine
Win-win-Situation für alle .

Da alle hier vertretenen Fraktionen in der vergan-
genen Legislaturperiode die Notwendigkeit der Einlö-
sung des Verfassungsauftrags anerkannt haben, ist das
meines Erachtens auch kein Problem . Ich zitiere Dieter
Wiefelspütz, SPD:

Ich bin also sehr dafür, … dass wir in Deutschland
einen Diskussionsprozess organisieren – nicht nur
hier im Parlament, sondern auch mit den Kirchen –,
um darüber zu reden, wie das geht .

Die Abgeordnete Flachsbarth, CDU/CSU:

Gesprächen, die eine solche Ablösung im freund-
schaftlichen Einvernehmen intendieren würden,
würden wir uns nicht entziehen …

Selbst – hören Sie aufmerksam zu – Norbert Geis:

Dazu sind Verhandlungen notwendig mit dem Ziel,
eine einvernehmliche Regelung zu finden.

Josef Winkler, Grüne:

Wir sollten die Auseinandersetzung über Sinn und
Zweck der Staatsleistungen und die rechtlichen
Möglichkeiten ihrer Ablösung führen, …

Wenn wir in dieser Legislaturperiode die Kommission
einsetzen, dann kann diese bis zum Ende der Legislatur-
periode ihre Ergebnisse vorlegen . Wir alle könnten uns
dann dazu verhalten und sogar mit konkreten Aussagen,
in welcher Höhe Staatsleistungen noch zu zahlen sind,
ob überhaupt noch Staatsleistungen zu zahlen sind, in die
Debatte gehen . Wir könnten damit sogar in den Wahl-
kampf gehen, wenn wir das möchten .

Der nächste Bundestag kann dann auf der Grundlage
der Empfehlungen der Kommission das Grundsätzege-
setz zur Ablösung der Staatsleistungen beschließen . Wir
alle hätten dann, bevor der Verfassungsauftrag 100 Jahre
alt wird, diesen Verfassungsauftrag eingelöst .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Fraktion findet, dass es Zeit ist, dass dieser Auf-
trag eingelöst wird . Wenn ich noch einmal auf die Debat-
te in der vergangenen Legislaturperiode verweise und die
eben genannten Zitate Ihnen noch einmal in Erinnerung
rufe: Eigentlich sind ja alle hier der Meinung, dass dieser
Verfassungsauftrag eingelöst werden sollte . Wenn das so
ist, dann lassen Sie uns die Expertenkommission einset-
zen . In der Kommission sollen Kirchenhistorikerinnen,
Kirchen- und Verfassungsrechtlerinnen, Ökonominnen,
aber auch Vertreterinnen der Länder und der beiden gro-
ßen Amtskirchen mitarbeiten .

Wir gehen mit diesem Antrag einen Schritt auf alle zu,
nehmen alle Bedenken aus der vergangenen Wahlperiode
auf, machen einen konkreten Vorschlag für einen Weg,
wie man dem Verfassungsauftrag nachkommen kann .
Aus sachlichen Gründen kann also eigentlich niemand
diesem Antrag widersprechen . Deswegen bitte ich Sie:
Stimmen Sie diesem Antrag einfach zu .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816510400

Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Margaret

Horb das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Margaret Horb (CDU):
Rede ID: ID1816510500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr
geehrte Jugendliche auf der Tribüne! Teil 2: Die Linke
möchte eine Kommission einsetzen, um die Staatsleis-
tungen an die Kirche zu evaluieren, also um den Geld-
wert festzustellen und zu überprüfen . Zum gleichen The-
ma haben Sie schon vor zwei Jahren eine Kleine Anfrage
an die Bundesregierung gestellt . Dort verraten Sie uns
auch, wer Sie auf diese tolle und grandiose Idee gebracht
hat .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Der Papst!)


Halina Wawzyniak






(A) (C)



(B) (D)


Es war – man höre und staune – nicht der Papst, sondern
Wolfgang Kubicki mit einem Fachbeitrag auf focus .de .
Die arme FDP! Zuerst fliegt sie aus dem Bundestag, und
dann klaut ihr die Linke auch noch die Anträge . Das ha-
ben unsere Liberalen nicht verdient .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn sich die Linke aber in Zukunft finanzpolitisch an
der FDP orientieren sollte, dann freuen wir uns ganz be-
sonders auf die Debatten im Finanzausschuss und hier im
Hohen Hause .

Doch nun zur Sache . Was sind Staatsleistungen? In
verschiedenen Phasen der deutschen Geschichte wurde
den Kirchen vonseiten des Staates Vermögen entzogen,
beispielsweise Ländereien .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: 1803!)


Aus den Erträgen dieser Vermögenswerte hatte sich die
Kirche bis dato finanziert. Mit den Enteignungen wurde
den Kirchen somit ein Teil ihrer finanziellen Existenz-
grundlage entzogen . Dafür entschädigen die Staatsleis-
tungen . Staatsleistungen sind also keine Geschenke und
auch keine Subventionen, sondern es sind historisch be-
gründete Ersatzleistungen . Diese zahlt – hören Sie genau
zu! – nicht der Bund, sondern diese zahlen die Länder .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Habe ich gerade vorgetragen! Hätten Sie mal zugehört!)


Wahr ist, dass sowohl die Weimarer Reichsverfassung –
darauf haben Sie zu Recht hingewiesen – als auch das
Grundgesetz eine Ablösung der Staatsleistungen vorse-
hen . Wahr ist übrigens auch, dass die oft kritisierten Kir-
chen einer Ablösung der Staatsleistungen nicht im Wege
stehen .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das habe ich ja gesagt!)


Viele Bistümer und Landeskirchen haben hier – wie
schon ausgeführt – Gesprächsbereitschaft signalisiert .
Aber natürlich muss eine solche Ablösung fair ablaufen .

Gelegentlich hört man die Behauptung, dass die
Staatsleistungen bereits abgegolten seien, weil sie schon
seit längerer Zeit gezahlt werden . Das ist geradezu ab-
surd . Die Staatsleistungen basieren auf Verträgen zwi-
schen den Kirchen und dem Staat . Das sind keine Raten-
tilgungsverträge . Wir bezahlen auch kein Haus und keine
Kirche ab . Es handelt sich vielmehr um Entschädigungs-
leistungen, die auf Dauer angelegt sind . In einem Rechts-
staat ist ein geltender Vertrag ein geltender Vertrag . Die-
ser wird auch nicht dadurch hinfällig, dass er sehr alt ist .
Nein, die Staatsleistungen müssten in Verhandlungen
zwischen den Ländern und den Kirchen ordnungsgemäß
abgelöst werden . Ablösung bedeutet Aufhebung der Zah-
lungen gegen Entschädigung .

Wie hoch müssten nun die Entschädigungen ausfal-
len? Vom 18,6-Fachen der aktuellen Zahlungen über das
20- und 25-Fache bis zum 40-Fachen findet sich hier in
der Literatur alles . Nun könnte man meinen, dass die
Linken genau dafür eine Kommission gründen wollen,
um also herauszufinden, was denn der richtige Faktor ist.
Um Transparenz und Klarheit geht es, könnte man mei-

nen . Doch da kennen wir die Linke besser . Noch in der
letzten Legislaturperiode haben Sie in diesem Haus einen
Gesetzentwurf vorgelegt und wollten den Ländern vor-
schreiben, die Staatsleistungen abzulösen, wohlgemerkt
mit einer Einmalzahlung in Höhe des Zehnfachen des
bisherigen Jahresbetrags . Damals brauchten Sie keine
Kommission, um die korrekte Höhe der Staatsleistungen
zu bestimmen . Damals kannten Sie diese schon vorher .
Daran sieht man, dass es Ihnen nicht darum geht, Trans-
parenz zu schaffen . Vielmehr möchten Sie etwas ganz
anderes . Sie wollen die Staatsleistungen abschaffen .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816510600

Kollegin Horb, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Margaret Horb (CDU):
Rede ID: ID1816510700

Nein, ich möchte keine Zwischenfrage zulassen . – Zu

fordern, dass diese Staatsleistungen abgeschafft werden,
ist Ihr gutes Recht . Leider geben Sie aber dabei – wie so
oft – Geld aus, das Ihnen gar nicht gehört . Das ist in die-
sem Fall besonders perfide; denn – Kommission hin oder
her – billig wird die Ablösung dieser Staatsleistungen für
die Länder nicht .

Ich habe mir für mein Heimatland Baden-Württem-
berg die entsprechenden Zahlen einmal genauer ange-
schaut . Im Jahr 2016 überweist Baden-Württemberg an
die beiden katholischen Diözesen und die beiden evan-
gelischen Landeskirchen Staatsleistungen in Höhe von
nicht weniger als 118 Millionen Euro .

Das ist zweifellos viel Geld, aber man muss auch be-
denken, dass der Landeshaushalt selbst ein Volumen von
über 46 Milliarden Euro hat . Bei den Staatsleistungen
reden wir also hier von 2,5 Promille der Gesamtausga-
ben . Das ist haushalterisch tragbar . Wenn wir die Staats-
leistungen ablösen, dann reden wir nicht mehr nur über
118 Millionen Euro in Baden-Württemberg . Wenn wir
den Ablösefaktor von 18,6 zugrunde legen, dann landen
wir bei einer Größenordnung von 2 Milliarden Euro, al-
lein bezogen auf Baden-Württemberg .

Das ist ein ganz schöner Brocken . 18,6 ist der kleins-
te Faktor, den ich in der seriösen Literatur habe finden
können . Es gibt Wissenschaftler, die noch höhere Zahlen
ansetzen . Solche Rechnungen muss man für jedes andere
Bundesland auch anstellen – und das in einer Situation,
in der ab 2020 für die Länder die Schuldenbremse greift .

Das heißt nicht, dass man Staatsleistungen nicht ablö-
sen kann . Inhaltlich können wir hinsichtlich der Staats-
leistungen über alles reden, aber die Initiative dafür muss
zwingend von den Ländern ausgehen; denn diese zahlen
am Ende die Zeche . Gegen die Länder und ohne Abspra-
che mit den Ländern werden wir dies mit Sicherheit nicht
tun . Wir werden keine Evaluierungskommission einset-
zen . Das wäre einfach unredlich .

Liebe Linke, ich mache Ihnen jetzt einen Vorschlag .
Sie sind an einigen Landesregierungen beteiligt . In Thü-
ringen stellen Sie, sehr zu meinem Leidwesen, sogar den
Ministerpräsidenten . Wenn Sie eine Kommission zur
Evaluierung der Staatsleistungen gründen wollen, dann
machen Sie es dort, in den Ländern; denn da gehören die-

Margaret Horb






(A) (C)



(B) (D)


se Kommissionen hin . Was hört man jetzt aus Erfurt zu
den Staatsleistungen? Nichts . Im Bundestag die Anträge
vorlegen, aber in den Ländern die Füße hochlegen . So
geht das nicht, liebe Linke .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der historische Hintergrund und der Umfang der
Staatsleistungen sind nämlich in den Ländern, wie be-
reits ausgeführt, höchst unterschiedlich . Eine Evaluie-
rung sollte daher selbstredend vor Ort stattfinden. Jedes
Bundesland hat die Möglichkeit, im Einvernehmen mit
den Kirchen die Staatsleistungen zu verändern, umzu-
gestalten, abzulösen und vorher meinetwegen auch eine
Evaluierungskommission zu gründen . Wenn die Länder
das tun – gut . Wenn sie das nicht tun, dann lässt das ei-
gentlich nur den Schluss zu, dass die Länder mit dem
derzeitigen System zufrieden sind . Noch einmal: Es sind
die Länder, die dies bezahlen müssen . Die Länder brau-
chen den Bund nicht, wenn sie die Staatsleistungen ab-
lösen wollen .

Der vorliegende Antrag, den die Linke hier stellt, ist
daher ein bisschen heuchlerisch, ein bisschen unredlich,
aber auf jeden Fall unnötig . Also, liebe Linke, wenn ihr
das nächste Mal einen Antrag von der FDP abschreibt,
dann sucht euch bitte einen Vorschlag aus, der ein biss-
chen sinnvoller ist . Diesen Antrag werden wir vonseiten
der CDU/CSU-Fraktion auf jeden Fall ablehnen . Ich hof-
fe, dass Sie mich bei Ihrem nächsten Antrag zitieren .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816510800

Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Wawzyniak

das Wort .


Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816510900

Da Sie eine Zwischenfrage nicht zugelassen haben,

muss ich eine Kurzintervention machen . – Zunächst
möchte ich Sie darauf hinweisen, dass wir in der vorigen
Legislaturperiode – das haben Sie zu Recht erwähnt –
einen Gesetzentwurf vorgelegt haben . Das war vor dem
Beitrag von Herrn Kubicki . Wenn, dann hat Herr Kubicki
bei uns abgeschrieben . Pech für die Liberalen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich wollte Sie fragen, ob Sie nicht zugehört haben . Of-
fensichtlich haben Sie nicht zugehört . Deswegen will ich
das an dieser Stelle wiederholen: Ich habe an diesem Pult
gesagt, dass wir die Einwände, die gegen den Gesetzent-
wurf in der letzten Legislaturperiode gekommen sind,
aufgenommen haben und dass wir vor dem Hintergrund
der Einwände diesen Antrag auf Einsetzung einer Kom-
mission gestellt haben . In dieser Kommission – wenn Sie
den Antrag noch einmal lesen möchten – sind im Übrigen
Ländervertreter vorgesehen . Die Länder wären also mit
am Tisch .

Ein letzter Punkt . Sie haben gesagt, die Länder könn-
ten die Staatsleistungen einfach ablösen . Ich habe vorhin
in der Rede auch Artikel 138 Weimarer Reichsverfassung
zitiert . Die Grundsätze für die Ablösung muss das Reich

und jetzt, da das im Grundgesetz steht, der Bund auf-
stellen . Die Länder können überhaupt erst dann ablösen,
wenn der Bund die Grundsätze aufgestellt hat . Deswegen
macht eine Kommission beim Bundesministerium der
Finanzen auch Sinn .

Deswegen muss ich Ihnen leider sagen: Einmal zuhö-
ren, einmal lesen, das bringt eine bessere Rede .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816511000

Sie möchten erwidern? – Nein . Dann hat jetzt der Kol-

lege Dr . Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen das Wort .


Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816511100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist schon bezeichnend, dass Sie nicht geantwortet ha-
ben, Frau Horb; ich fand Ihre Rede auch ziemlich schade .

Es ist so, dass man nicht wegnegieren kann, nicht
wegschieben kann, was in der Verfassung steht . In der
Verfassung steht sehr deutlich, dass es da eine Arbeits-
teilung gibt . Die Grundsätze müssen wir hier festlegen,
und dann sollen die Länder agieren . Deswegen kann man
da gar keinen Bund-Länder-Konflikt aufmachen, wie Sie
es gemacht haben . Das war ein bisschen billig partei-
politisch – bei einer Frage, bei der man doch zugeben
muss, dass das heutzutage auch viele Menschen in den
Kirchen nicht mehr verstehen . Dass auf der Grundlage
einer historischen Entwicklung in der ersten Hälfte des
19 . Jahrhunderts – das liegt schon arg weit zurück – heute
Zahlungen zwischen Kirche und Staat erfolgen, in einer
ganz vielfältigen und für viele Menschen intransparenten
Art und Weise, ist nicht mehr vermittelbar,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


und zwar auf beiden Seiten nicht mehr vermittelbar . Dem
Steuerzahler ist es nicht vermittelbar, der den Anspruch
hat, dass transparent ist, für was eigentlich Leistungen
gezahlt werden, was die Rechtsgrundlage ist . Es ist auch
auf der Kirchenseite nicht vermittelbar . Viele Mitglie-
der sagen: Auch wir wollen eine Klarheit bezüglich der
kirchlichen Finanzen und wollen, dass das nicht intrans-
parent geregelt ist .

Es ist außerdem nicht vermittelbar, dass es einen Ver-
fassungsauftrag gibt, der jetzt fast 100 Jahre besteht –
zunächst in der Weimarer Reichsverfassung, dann im
Grundgesetz –, der Gesetzgeber auf Bundesebene, vor-
her auf Reichsebene, aber nicht die Kraft findet, die Eck-
werte festzulegen . Das kann man doch niemandem mehr
erklären .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich finde, dann darf man auch in der parlamentari-
schen Auseinandersetzung einmal anerkennen, dass von-
seiten der Linksfraktion ein Vorschlag gemacht worden
ist, bei dem vielleicht noch nicht alles so ist, wie wir es

Margaret Horb






(A) (C)



(B) (D)


formulieren würden, der aber im Grundansatz trägt, näm-
lich jetzt in einer Kommission die Menschen, die daran
beteiligt sind – von wissenschaftlicher Seite, von poli-
tischer Seite, Bund und Länder und natürlich auch die
Kirchen –, an einen Tisch zu bringen, um einen Weg zu
finden. Dieser Vorschlag ist gut. Ich darf sagen: Unsere
Fraktion unterstützt ihn ausdrücklich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Er trägt genau dem Rechnung, was für Ihre Frakti-
on, Frau Horb, in der letzten Legislaturperiode gesagt
worden ist: Eine einseitige Ablösung ohne solide Rech-
nungsbasis, ohne Einbeziehung der Länder und der Kir-
chen darf es nicht geben . – Das soll es auch nicht geben;
Sie könnten zustimmen .

Kollege Geis hat gesagt: „Es gibt in dieser Frage kein
Gewohnheitsrecht .“ Ja, es muss jetzt eine Rechtsgrund-
lage geschaffen werden .

Sie haben an einer Stelle natürlich recht: Die Länder
haben – das ist, finden wir, ein gangbarer Weg – an ein-
zelnen Stellen Ablösungsvereinbarungen getroffen . Eine
solche gibt es in Nordrhein-Westfalen mit dem Bistum
Paderborn . Das gab es auch schon in Bayern und in
Hessen . Das kann durchaus ein Weg sein, aber er ent-
bindet uns als Gesetzgeber auf Bundesebene nicht von
dem Auftrag, den unsere Verfassung uns gibt, und dem
sollten wir endlich nachkommen . In wenigen Jahren ist
der 100 . Geburtstag der Weimarer Reichsverfassung . Ich
finde, bis dahin sollte man das wirklich geschafft haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg . Manfred Zöllmer [SPD])


Man muss eine Sache natürlich sehen, und da liegt die
Schwierigkeit: Wenn nach den heutigen Zinssätzen – wir
sind quasi bei null – entschädigt werden soll, dann kann
man natürlich astronomische Zahlen zusammenrechnen .
Das ist auch der Grund, warum die Ablösung bisher nicht
geklappt hat . Es wird daher eines Entgegenkommens
auch der Kirchen bedürfen, um eine Frage in der Zukunft
so zu regeln, dass alle in diesem Land das unterstützen
können . Deswegen muss man sich zusammensetzen .
Mein Appell ist, dass sich alle Beteiligten an dieser Stelle
bewegen, hier im Haus und in der Gesellschaft, um eine
zufriedenstellende Lösung für die Zukunft zu finden;
denn dass das viele Leute umtreibt, können Sie an der
gesellschaftlichen Diskussion ja sehen .

Ich will allerdings sagen, dass wir an einer Stelle auch
ein bisschen Zweifel haben, was die Formulierung des
Antrags angeht . Aber so etwas kann man sich im weite-
ren Verfahren im Ausschuss noch einmal anschauen . Bei
Punkt 3 könnte der Eindruck entstehen, dass es rechtlich
so ist: Das, was seit 1919 schon gezahlt worden ist, kann
man sozusagen anrechnen . – Wir teilen diese Rechts-
auffassung so nicht . Aber ich glaube, dieser Punkt muss
nicht so bleiben . Man kann das im Ausschuss vielleicht
noch einmal gemeinsam diskutieren und so formulieren,
dass alle mitgehen . Ich hoffe und wünsche mir wirklich
sehr, dass wir das gemeinsam hinkriegen . Zeiten von
Großen Koalitionen sind ja manchmal auch Zeiten, in

denen längerfristige Aufgaben endlich einmal angegan-
gen werden . Vielleicht geben Sie sich ja einen Ruck . Hier
vor dem 100 . Geburtstag der Weimarer Reichsverfassung
den Auftrag einzulösen, wäre wahrlich wirklich nötig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816511200

Das Wort hat der Kollege Andreas Schwarz für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Andreas Schwarz (SPD):
Rede ID: ID1816511300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als
mir mitgeteilt wurde, dass ich am heutigen Freitagnach-
mittag eine Rede halten darf, hat mich das erst einmal
sehr gefreut, da zeitgleich auf der Tribüne eine Besucher-
gruppe aus meinem Wahlkreis Platz genommen hat .
Herzlich willkommen, Memmelsdorf!


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN)


Das Thema dieser Rede reicht bis ins Jahr 1803 zu-
rück . Das war eine Überraschung für mich . Bisher bin ich
davon ausgegangen, dass die stolze Sozialdemokratie im
Prinzip die älteste Konstante in diesem Hohen Hause ist .
Aber nun weiß ich: Der Reichsdeputationshauptschluss
vom 25 . Februar 1803 beschäftigt die Politik dieses Lan-
des sogar noch länger . Worum geht es im Einzelnen? Im
Jahr 1803 wurden im Rahmen der staatlichen Säkulari-
sierung die Kirchen teilweise enteignet, etwa Klöster und
Ländereien. Seither fließen Entschädigungszahlungen,
um beispielsweise die Seelsorge trotzdem aufrechtzu-
erhalten . Im Jahre 1919 wurden viele Kirchenrechts-
regelungen aus dem Kaiserreich in die Verfassung der
Weimarer Republik aufgenommen, aber eben auch, dass
die Regelungen zur Kirchenfinanzierung neu verhandelt
und neu geordnet werden müssten . Der Artikel wurde
ja schon genannt: In Artikel 138 Absatz 1 der Weimarer
Reichsverfassung ist das nachzulesen, und vom Kollegen
Schick haben wir ja die Hausaufgabe bekommen, zum
Jubiläum das zu erledigen . Dieser Auftrag wurde mit Ar-
tikel 140 im Jahr 1949 auch ins Grundgesetz der Bun-
desrepublik Deutschland übernommen . Seither – das ist
sicherlich einigermaßen erstaunlich – ist wenig bis gar
nichts passiert .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Kir-
chen in unserem Land tragen eine nicht hoch genug
einzuschätzende Verantwortung für das Gemeinwohl in
Deutschland . Nicht zuletzt in der Flüchtlingsfrage sind
die Kirchen in unserem Land unverzichtbarer Partner ei-
ner humanen und menschenwürdigen Flüchtlingspolitik .
Die kirchliche Seelsorge gibt den Menschen in unserem
Land in einer immer schneller werdenden Welt Halt und
Konstanz . Ohne die sozialen und karitativen Leistungen
der Kirchen sähe mit Sicherheit der gesellschaftliche Zu-
sammenhalt in unserem Land ganz anders aus . Diesen
Umstand sollten wir natürlich auch bei der Debatte über

Dr. Gerhard Schick






(A) (C)



(B) (D)


die Finanzierung von Kirchen und Religionsgemein-
schaften in unserem Land nicht vergessen .

Vor einigen Jahren haben Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen der Linken, bereits einen Gesetzentwurf zu
diesem Thema eingebracht . Heute diskutieren wir einen
Antrag zu diesem Thema . Sie fordern darin im Wesent-
lichen vier Punkte . Drei von diesen Punkten können wir
mit Sicherheit etwas abgewinnen, einem jedoch nicht . Da
dieser jedoch der zentrale Punkt des Antrags ist, können
wir dem Antrag insgesamt nicht zustimmen . Sie fordern
nicht zu Unrecht, dass es Zeit wird, den Umfang der Sä-
kularisierungsverluste aus dem Jahr 1803 zu ermitteln .
Dabei spielt natürlich eine Rolle, wie hoch die Entschä-
digungszahlungen seit dem Jahr 1919 sind . Ich glaube
übrigens, dass die Differenz aus beiden Zahlen Sie eher
überraschen würde als mich . Jetzt stoßen wir aber auf das
aus meiner Sicht entscheidende Problem: In Ihrem An-
trag fordern Sie die Einsetzung einer Kommission beim
Bundesfinanzministerium, bestehend aus – ich zitiere –:


(Kirchenkerinnen und (Kirchen-)Historikern, Kirchenund/ oder Verfassungsrechtlerinnen und -rechtlern, Ökonominnen und Ökonomen sowie Vertreterinnen und Vertretern der Bundesländer sowie der beiden großen Amtskirchen … Ich sage Ihnen, mit Verlaub, als Franke: Da wird hoffentlich eher der 1 . FC Nürnberg wieder Deutscher Meister, als dass diese Kommission in absehbarer Zeit zu einem Ergebnis kommt . Wenn Sie schon in so einem großen Rahmen über Staatsleistungen und deren Zukunft diskutieren wollen, dann frage ich mich: Wo sind die anderen Religionsgemeinschaften, die von Staatsverträgen profitieren? Ob es nun die jüdische Gemeinde in Sachsen-Anhalt oder die in Hamburg lebenden Muslime und Aleviten sind: Sollen sie nicht an der Debatte beteiligt werden? (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch! Aber die sind nicht abzulösen!)


Bei dem großen Rahmen, in dem eine solche Kommis-
sion tagen müsste, würde eine Lösung vermutlich noch
weitere 100 Jahre dauern . Nein, ich glaube, Sie zäumen
das Pferd mehr von hinten auf . Ja, wenn der Verfassungs-
auftrag erfüllt werden soll, muss der Bund irgendwann
gesetzgeberisch tätig werden, in welcher Form auch im-
mer . Aber zuvor muss es aus unserer Sicht Gespräche
auf viel kleinerer Ebene geben . Die Staatsverträge sind
zwischen Bundesländern und Kirchen geschlossen und
können nur zwischen diesen einvernehmlich geregelt
werden . Einige Bundesländer zahlen viel, wie wir ge-
hört haben, andere zahlen weniger . Teilweise erfolgt auf
der kommunalen Ebene schon gar keine Zahlung mehr .
Das bedeutet, Gespräche zwischen Landeskirchen, Bun-
desländern und Kommunen sind nötig . Es gibt Signale:
Sowohl Kirchen als auch Länder sind bereit, Gespräche
zu führen . Erst danach kann nach unserer Auffassung der
Bund hier tätig werden .

Diese Gespräche sind unfassbar komplex; das weiß
ich als ehemaliger Bürgermeister . Dazu kann sicherlich
auch mein Kollege, der hier heute aus Memmelsdorf
anwesend ist, einiges aus seinem Erfahrungsschatz be-

richten . Beispielsweise mit Kirchen über die Fragen von
Unterhalt und Kirchenbaulast zu diskutieren, gestaltet
sich sehr schwierig und ist auch sehr zeitaufwendig . Im
Übrigen haben Sie ein Bundesland, in dem Sie einmal
einen Testballon steigen lassen können, um zu sehen, ob
Ihre Idee fruchtet und greift .

Bis dahin bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit
und wünsche allen ein schönes Wochenende .

Danke .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816511400

Das Wort hat der Kollege Markus Koob für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Markus Koob (CDU):
Rede ID: ID1816511500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Heute beschäftigen wir
uns mit den Staatsleistungen an Kirchen, ein Baustein in
den allgemeinen Finanzbeziehungen zwischen Staat und
Kirche. Per Definition sind Staatsleistungen finanzielle
Zuwendungen des Staates an die Kirchen, die die his-
torische weitreichende Enteignung von kirchlichem Ei-
gentum entschädigen sollen . Diese Leistungen sind also
keine Subventionen, sondern Ersatz dafür, dass der Staat
sich mehrfach in der Geschichte Kircheneigentum ange-
eignet hat .

Entschädigungszahlungen für diese damaligen mas-
siven Enteignungen werden noch heute an die beiden
großen Amtskirchen in fast allen Bundesländern – mit
Ausnahme von Hamburg und Bremen – erbracht . Im
Jahr 2015 belief sich die gesamte Staatsleistung der
14 Bundesländer an die Kirchen auf 510 Millionen Euro .
Das besondere Merkmal von Staatsleistungen ist: Es sind
wiederkehrende Zahlungsverpflichtungen und keine Ra-
tentilgung – das ist schon mehrfach erwähnt worden –
mit einem festgelegten oder einem einseitig bestimm-
baren Ende . Eine Ablösung müsste vielmehr eine volle
Leistungsäquivalenz und nicht nur eine angemessene
Entschädigung mit sich bringen .

Mir drängt sich dabei, ähnlich wie der Kollegin Horb,
der Verdacht auf, dass es der Linken gar nicht in erster
Linie darum geht, sondern vielmehr darum, die Zahlung
der Staatsleistungen so schnell wie möglich zu beenden .
Sie haben auch in einem Nebensatz erwähnt, man könnte
das auch im Wahlkampf zum Thema machen . Das fand
ich erhellend; das gibt uns Auskunft darüber, was der ei-
gentliche Ansatz dieses Antrages ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aber Sie sind im Vergleich zum letzten Mal eleganter
geworden, indem Sie nun vorschlagen, eine Kommissi-
on einzurichten, und nicht mehr gleich per Gesetz die
Abschaffung fordern . Insofern haben Sie, was Ihren Stil
angeht, etwas gelernt .

Juristen würden es ein Dauerschuldverhältnis nennen .
Im kirchenrechtlichen Fachjargon werden diese Staats-

Andreas Schwarz






(A) (C)



(B) (D)


leistungen Dotationen genannt . Unabhängig davon, ob
Jurist oder Kirchenvertreter: Jeder kann der Verfassung
unmissverständlich den Auftrag entnehmen, dass die
Staatsleistungen abzulösen sind . Darin sind wir uns ei-
nig . Das heißt im Klartext: Weg von der dauerhaften,
hin zu einer einmaligen abschließenden und vor allem
angemessenen Zahlung . Das Ziel der Ablösung ist also
legitim, aber spannend ist die Frage des Wie . Ich verrate
Ihnen kein Geheimnis – Frau Kollegin Horb hat es auch
schon gesagt –, wenn ich Ihnen sage, dass wir den Ansatz
der Linksfraktion für falsch halten .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Dann machen Sie einen eigenen! Wenigstens das!)


– Dazu komme ich gleich noch .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Da bin ich gespannt!)


Staatsleistungen abzulösen, entspringt, wie gesagt,
grundsätzlich einer allgemein akzeptierten Logik .
Rechtsverhältnisse und Finanzbeziehungen von Staat
und Kirchen sind in beiderseitigem Interesse zu entflech-
ten . Das ist breiter Konsens . Konsens ist aber auch, dass
das nur dann erfolgreich sein kann, wenn wir es in ei-
nem partnerschaftlichen Miteinander in Angriff nehmen .
Vor allem zwischen den Gläubigern und den Schuld-
nern muss es ein partnerschaftliches Miteinander bei der
Ablösung von Staatsleistungen geben . Und hier ist die
Sachlage eindeutig . Schuldner sind die 14 Bundesländer,
Gläubiger die Kirchen .

Wie beenden nun Gläubiger und Schuldner dieses
Zahlungsverhältnis? Wie können also die Staatsleistun-
gen abgelöst werden?


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Rein grundsätzlich!)


Darauf eine Antwort zu geben, ist schwer . Mit Sicherheit
kann gesagt werden: Eine ersatzlose Aufkündigung sei-
tens des Staates – also ein Zahlungsstopp ohne Kompen-
sation – ist weder im Sinne der Verfassung, noch kann
dies angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung der
Kirchen von irgendjemandem gewollt sein .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das fordert auch keiner!)


In der Theorie geht ja immer alles . In der Theorie
könnten wir natürlich, wie von den Linken gewollt, eine
Kommission einsetzen, die uns den Preis für die Ablö-
sung bestimmt .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja!)


Politik findet aber nicht im theoretischen bzw. im luftlee-
ren Raum statt, sondern sie ist praktisch wie jede Bürge-
rin und jeder Bürger an Rahmenbedingungen gebunden .
Selbst wenn wir unterstellen – ich verweise hier gerne
wieder auf die Kollegin Horb –, dass der kleinste Ablö-
sefaktor 18,6 angewendet werden würde, hätte das eine
gewichtige Konsequenz . Wir würden dann über 9,5 Mil-
liarden Euro reden, die den Bundesländern entzogen wer-
den müssten .

Der zentrale Ansatz, eine Kommission beim Bundes-
finanzministerium einzurichten, ist in der Sache nicht

richtig . Die konkrete Ausgestaltung der Staatsleistung ist
in den einzelnen Bundesländern höchst unterschiedlich
und schwer vergleichbar . So haben wir zum Beispiel in
den ostdeutschen Bundesländern die Situation, dass die
dortigen Kirchen aufgrund der deutschen Teilung jahr-
zehntelang von ihren Rechtstiteln gar keinen Gebrauch
machen konnten . Deshalb sollte man nicht einen akuten
gesetzlichen Handlungsbedarf beim Bund herbeireden,
sondern vielmehr die Bundesländer konstruktiv unter-
stützen, individuelle Lösungen zu finden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das ist ein Verfassungsauftrag!)


Mein Heimatland Hessen hat das übrigens – Stichwort
Ablösung von Kirchenbaulasten – vorbildlich gemacht .
Im Jahr 2003 kam es unter der CDU-geführten Landesre-
gierung mit dem damaligen Ministerpräsidenten Roland
Koch zu einer bundesweit beachteten Rahmenvereinba-
rung zwischen Staat und Kirchen sowie Städten und Ge-
meinden. Konkret ging es dabei um die konfliktträchtige
Frage, in welcher Höhe sich das Land Hessen an Bau und
Unterhalt kirchlicher Gebäude beteiligen muss . Das war
kein kleines Problem; denn hier ging es immerhin um
1 200 kirchlich genutzte Gebäude . Die hessische Lan-
desregierung hat nicht nur das Problem identifiziert, son-
dern auch einen Lösungsprozess initiiert . Die Ablösung
der kommunalen Kirchenbaulasten in Hessen ist seitdem
eine vielzitierte politische Best Practice .

Ich bin mir sicher, dass die hessische Staatskanzlei
gerne auch Anrufe aus Thüringen entgegennimmt, um
darzustellen, wie im Bereich der Ablösung von Staats-
leistungen ein zielführender Lösungsprozess eingeleitet
werden kann .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das löst den Verfassungsauftrag nicht!)


In der Bundespolitik bestärkt uns das Beispiel Hessen
jedenfalls . Wir müssen den Ländern hier die Flexibilität
lassen, individuelle Lösungen im Zusammenwirken mit
den Kirchen zu finden. Das ist gutes föderales Miteinan-
der, das ist ein partnerschaftliches Miteinander von Staat
und Kirche . Und dazu bekennt sich unsere Fraktion in
aller Form .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir sollten daher zunächst auf freiwillige, in Einzelfra-
gen angemessene Lösungen zwischen den Beteiligten
setzen . Der erste Schritt dazu ist, heute Ihren Antrag ab-
zulehnen .


(Lachen bei der LINKEN – Zuruf von der LINKEN: Das ist eine Logik!)


Lassen Sie mich die Debatte bewusst im Geist christ-
licher Friedfertigkeit beenden . Denn am Ende einer sol-
chen Debatte müssen wir den Kirchen vor allem auch
angesichts ihres Beitrags in der gegenwärtigen Situa-
tion Dank und Anerkennung zollen . Hunderttausende
Hauptamtliche und Ehrenamtliche in beiden Kirchen
sorgen tagtäglich dafür, dass gesellschaftliches Leben in
Deutschland funktioniert. In den Bereichen Pflege, Seel-
sorge, Betreuung, Bildung und Denkmalpflege sowie

Markus Koob






(A) (C)



(B) (D)


durch unzählige weitere Tätigkeiten tun Kirchen dies
jeden Tag . Damit decken sie viele Bereiche ab, die für
Staat und Gesellschaft von essenzieller Bedeutung sind .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Staat kann im 21 . Jahrhundert nicht alle Aufgaben
vollumfänglich übernehmen . Er ist auf Ehrenamt und
Engagement angewiesen . Die Kirchen in Deutschland
leisten auf diesem Gebiet enorme Arbeit und dienen in
hervorragender Weise dem Gemeinwohl . Daher sind uns
die gesellschaftliche Bedeutung und das Wirken der Kir-
chen besonders wertvoll .

In der Tat sind 510 Millionen Euro für die Kirchen
sehr viel Geld . Wenn wir das an ihren gesellschaftlichen
Leistungen messen, wäre die Gesellschaft ohne die staat-
lichen Leistungen der 14 Länder an die Kirchen aber
nicht reicher, sondern wesentlich ärmer . Das sollte es uns
wert sein .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816511600

Das Wort hat der Kollege Lothar Binding für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1816511700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Margaret Horb, mich
hat die Schärfe in der Debatte ein kleines bisschen über-
rascht . Ich weiß nicht genau, was dahintersteckt; denn
eines ist klar: Die soziale Arbeit der Kirchen und Religi-
onsgemeinschaften wird von allen im Haus geschätzt . Es
gibt niemanden, der daran kratzt .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das Engagement für Flüchtlinge, für Asylbewerber wird
geschätzt . Es gibt niemanden, der das bestreitet .


(Margaret Horb [CDU/CSU]: Das habe ich nicht bestritten!)


Die Arbeit in der Entwicklungshilfe, der Entwicklungs-
politik und für das Gemeinwesen wird geschätzt . Das
wird nicht bestritten . Da muss man sich nicht verkämp-
fen,


(Margaret Horb [CDU/CSU]: Habe ich nicht!)


es darf auch nicht subkutan mitschwingen, so als ob es
da Probleme gäbe .

Es gibt durchaus Bürger, die eine ganz andere Frage
stellen . Mich hat einer angerufen und gefragt, ob ich heu-
te thematisieren würde, wie denn eigentlich die Reichtü-
mer der Kirche bis 1803 entstanden sind . Diese Sache

kirchenhistorisch aufzuarbeiten, wäre sehr kritisch; aber
das ist heute nicht Thema .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein typischer Binding!)


Insofern ist es ganz gut, wenn wir uns den rechtsförmli-
chen Dingen widmen .

Man muss sagen: Der bayerische Landesbischof hat
sein Befremden darüber zum Ausdruck gebracht, dass
sein Gehalt aus dem Landeshaushalt bezahlt wird . Es ist
also auch in Kirchenkreisen nicht immer ganz klar, wie
diese Verbindung aussieht .

Dieter Wiefelspütz hat am 27 . Juni 2013 gesagt – ich
will es zitieren –:

Nach Art . 140 des Grundgesetzes in Verbindung
mit Art . 138 der Weimarer Reichsverfassung ist der
Bund verpflichtet, ein Grundsätzegesetz über die
Ablösung der Staatsleistungen an Religionsgesell-
schaften zu erlassen .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja, da hat er recht! Richtig!)


Eigentlich ist alles klar .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb muss man gar nicht weiter darüber nachdenken .
Die Rechtslage ist klar .

Was die Dimension angeht, zitiere ich eine Frau, die
es genau weiß, nämlich Kerstin Griese . Sie hat 2013 hier
gesagt, dass der Betrag, um den es geht, 2 Prozent des
Etats für die kirchliche Arbeit ausmacht . Es ist also auch
aus Sicht der Kirche kein Betrag, der finanzpolitisch von
der Bedeutung ist, mit der wir ihn heute betrachten . Also,
die Rechtslage ist klar, die finanzpolitische Frage ist ge-
klärt . Es ist also sinnvoll, das Thema zu behandeln .

Ein bisschen peinlich ist es, dass es so lange gedau-
ert hat . Da will ich vielleicht den Linken den Vorwurf
machen: Der Antrag hätte schon etwa in den 20er-Jahren
gestellt werden müssen .


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das muss ich sagen . Das sind halt Versäumnisse . Aber
man muss auch über solche Dinge reden .

Euer erster Gesetzentwurf zur Ablösung der Staats-
leistungen kam im Jahr 2012 . Diesmal soll evaluiert wer-
den. Das finden die meisten hier gut. Ich persönlich finde
es sehr gut . Ich würde dem Antrag auch zustimmen . Aber
jeder im Haus weiß, dass in Regierungskoalitionen nur
passiert, was beide verabreden . Da gehen wir fair mitei-
nander um . Es bestand keine Chance, dass wir das in der
Koalition so miteinander verabreden . Das hat auch die
Rede von Frau Horb gezeigt . Insofern ist klar, wie wir
uns hier verhalten .

Markus Koob






(A) (C)



(B) (D)


Es ist eine komplizierte Sache, überhaupt zu berech-
nen, wie hoch ein solcher Ablösebetrag sein müsste . Das
ist sicherlich eine Frage, für deren Klärung man eine
Kommission und wissenschaftliche Beratung braucht .
Ganz besonders braucht man dabei eine Beteiligung
aller, die davon betroffen sind . Wenn man fair mit dem
Thema umgeht, dann findet man auch eine Lösung. Denn
man muss sagen – ob wir nun in einem säkularen oder
einem laizistischen Staat leben –: Auch die Kirche hat ein
Interesse daran, solche Reibungspunkte zu beseitigen .
Denn das ist ja doch eine Sache, über die immer wieder
diskutiert wird . Wenn über 100 Jahre darüber diskutiert
wird, dann könnten beide Seiten ein Interesse haben, das
Problem zu lösen . Wir haben gesehen: Hamburg und
Bremen haben Antworten gefunden . Solche Antworten
könnten auch andere Länder finden.

Wir werden heute zwar nicht diesem Antrag folgen,
aber das Signal ist klar: Wir glauben, dass insgesamt eine
Lösung gefunden werden muss . Vielleicht bekommen
wir in der Großen Koalition, möglicherweise schon in
der nächsten Zeit, einen Lösungsvorschlag in diese Rich-
tung hin .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Hoffnung stirbt zuletzt!)


Man kann sich ja sehr sanftmütig annähern, in diesem
Sinne: Wir finden eine Kommission, die noch mal darü-
ber nachdenkt, ob sie darüber nachdenkt .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Schönen Dank, alles Gute .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816511800

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/4842 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE

Aktuelle Tarifrunde im Bund und in den
Kommunen – Den öffentlichen Dienst gerecht
entlohnen

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Michael Schlecht für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Michael Schlecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816511900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Um 6 Prozent sollen die Einkommen im öf-
fentlichen Dienst steigen, so die Forderung der Gewerk-

schaften . Ich sage: Recht haben sie! Das ist eigentlich
das Mindeste .


(Beifall bei der LINKEN)


In den Tarifverhandlungen haben die Arbeitgeber, un-
ter anderem Innenminister de Maizière, eine Erhöhung
von gerade einmal 0,6 Prozent angeboten . Rechnerisch
ergibt sich das aus den drei Nullmonaten und dem 1 Pro-
zent, das es erst ab 1 . Juni geben soll . Das ist eigentlich
gar kein Angebot, das ist eine Zumutung . Nein, das ist
im Grunde genommen eine Unverschämtheit . Es ist eine
Provokation, mit einem solchen Angebot aufzuwarten .


(Beifall bei der LINKEN)


Im Jahr 2017 sollen die Beschäftigten dann noch ein-
mal 2 Prozent mehr erhalten, jedoch auch erst Mitte des
Jahres, zum 1 . Juni . Damit reduziert sich die Erhöhung
auf das Jahr umgerechnet auf gerade einmal 1,2 Prozent .
Auch das ist wirklich skandalös .


(Beifall bei der LINKEN)


Dann wollen die Arbeitgeber auch noch, dass die Eigen-
beiträge der Beschäftigten zur betrieblichen Zusatzver-
sorgung in Stufen um bis zu 0,4 Prozent erhöht werden .
Ich finde es eigentlich pervers, eine Minierhöhung anzu-
bieten und gleichzeitig höhere Belastungen der Beschäf-
tigten zu fordern .

Verdi hat recht, wenn erklärt wird: Hände weg von
unserer betrieblichen Altersversorgung, gerade in der
heutigen Zeit,


(Beifall bei der LINKEN – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Unbedingt!)


in der sogar von der CSU die Perspektiven der Rente
problematisiert werden. Wenn ich Krankenpfleger oder
Erzieher wäre oder wenn ich bei der Müllabfuhr arbei-
ten würde, wüsste ich ganz genau, was ich zu tun hätte:
Streiken! Das ist aus meiner Sicht die einzige Antwort,
die jetzt angezeigt ist. Ich finde es sehr begrüßenswert,
dass Verdi jetzt zu Warnstreiks aufruft .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Vorstellungen der Arbeitgeber laufen letztendlich
auf Reallohnverluste hinaus . Man kann nur staunen: So
wenig wert ist ihnen die Arbeit der Beschäftigten im öf-
fentlichen Dienst. Das finde ich wirklich zynisch.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Schieflage zwischen den Reallöhnen, die faktisch
seit 2000 stagnieren, und den Gewinnen, die seit 2000
preisbereinigt um mehr als 30 Prozent gestiegen sind,
wird immer größer . Seit dem Jahr 2000 wurde im öf-
fentlichen Dienst der verteilungsneutrale Spielraum, der
die gesamtwirtschaftliche Produktivität und die Inflation
umfasst, nicht ausgeschöpft . Der Rückstand, der sich in
den letzten 15 Jahren ergeben hat, liegt mittlerweile bei
6 Prozent . Von daher ist vollkommen klar: Eine 6-pro-
zentige Erhöhung, wie sie jetzt von Verdi gefordert wird,
ist genau richtig und würde endlich diese skandalöse Lü-
cke schließen .


(Beifall bei der LINKEN)


Lothar Binding (Heidelberg)







(A) (C)



(B) (D)


Deshalb fordere ich die Bundesregierung und den Innen-
minister auf


(Dr . Thomas de Maizière [CDU/CSU]: Hier!)


– es ist irritierend, dass Sie bei Ihrer Fraktion sitzen –, auf
die Forderung der Gewerkschaften einzugehen und sie zu
erfüllen . Das wäre das Mindeste . Dann gibt es auch keine
Warnstreiks mehr .


(Beifall bei der LINKEN)


Auch im Vergleich mit der Industrie ist der öffentliche
Dienst abgehängt . Die Lücke beträgt rund 10 Prozent-
punkte . Ist denn die Dienstleistungsarbeit an Menschen,
die Pflegearbeit uns so viel weniger wert als das Zusam-
menschrauben von Autos? Ich finde, da läuft etwas voll-
kommen schief in dieser Gesellschaft .


(Beifall bei der LINKEN)


Steigende Löhne im öffentlichen Dienst sind ein wich-
tiger Beitrag zur Stärkung des privaten Konsums und
damit der Binnennachfrage, und sie sind auch wichtig,
um die Deflation zu bekämpfen. Herr de Maizière, die
gleichen Politiker, die die EZB wegen der Nullzinspolitik
schelten, sind jetzt dabei, eine Lohnerhöhung anzubieten,
die absolut deflationär wirkt. Wenn Sie so weitermachen,
dann hat die EZB nie eine Chance, aus ihrer Politik, die
auch ich kritisch beurteile, herauszukommen . Es ist voll-
kommen abstrus, was Sie da hingelegt haben .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Forderungen von Verdi kosten Bund und Kommu-
nen etwa 6 Milliarden Euro . Angesichts eines Haushalts-
überschusses von 30 Milliarden Euro kann doch wirklich
niemand behaupten, es sei kein Geld da . Um den Arbeit-
gebern beim Nachdenken zu helfen, kann ich jedenfalls
den Beschäftigten nur empfehlen: Beteiligt euch massen-
haft an den Warnstreiks, zu denen jetzt von den Gewerk-
schaften, von Verdi, aufgerufen wird!

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816512000

Das Wort hat der Kollege Armin Schuster für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1816512100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 66 Jahre alt
ist das Erfolgsmodell Tarifautonomie . – Ich fange jetzt
nicht an, zu singen: 66 Jahre … Sie wissen, was dann
kommt . – Es ist ein spezielles Recht der Verbände des
Arbeitsmarktes, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingun-
gen durch Tarifverträge völlig frei von staatlicher Ein-
flussnahme aushandeln zu können.


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: So ist das!)


Das der Linken zu sagen, ist völlig zwecklos; denn sie
treiben das jedes Jahr . Ich richte mich an die Zuhörer –
die Kollegen hier wissen das –: Das steht in Artikel 9 Ab-
satz 3 Grundgesetz .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das, was die Linke hier beantragt und Herr Schlecht
übelst vorgetragen hat, ist genau das, was wir nicht tun
sollen .


(Zurufe von der LINKEN)


Frei von staatlicher Einflussnahme heißt nicht, über Tarif-
verhandlungen im Deutschen Bundestag zu debattieren,
sich einzumischen oder gar zu versuchen, zu beeinflus-
sen . Herr Schlecht, Sie versuchen, zum Streik aufzuru-
fen . Sie nennen es eine Unverschämtheit und skandalös,
was dort verhandelt wird .


(Beifall des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Alles, was an dieser Debatte skandalös und unverschämt
ist, ist, dass sie auf Ihren Antrag hin stattfindet. Das ist
das Problem .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie müssen hier nicht reden, Herr Kollege!)


Woher kommt das? Warum kapiert das die Linke seit
Jahren nicht?


(Zuruf von der CDU/CSU: Weil es Sozialisten sind!)


Eine staatszentrierte sozialistische Denkweise legt gerne
Löhne fest .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Leier! Leier! Leier! Das ist ja ein ganz neues Argument!)


Kämen wir Ihnen da entgegen, wären demnächst die
Brotpreise oder vielleicht die Milchpreise betroffen, ich
weiß es nicht .


(Zurufe von der LINKEN)


Aber das ist nicht das Modell . Ich glaube, mit allen an-
deren Parteien hier im Deutschen Bundestag, mit uns,
ist das nicht zu machen, und ich sage Ihnen noch etwas:
Beide Verhandlungsführer, sowohl Herr Bsirske als auch
Herr de Maizière, brauchen ausweislich der Ergebnisse
der letzten Jahre garantiert keine Empfehlungen aus die-
sem Haus . Die sind selbst gescheit, die sind selbst gut .
Das sieht man auch an den Ergebnissen, die wir hier Jahr
für Jahr vorlegen . Auf diese komme ich gleich noch .

Wenn wir überhaupt über etwas sprechen sollten, dann
über das Danach; das sage ich jetzt bewusst in Richtung
des Innenministers . Egal, was herauskommt – und ich
bin ziemlich sicher, dass etwas Gutes rauskommt –, hätte
ich doch schon gerne die inhaltsgleiche Übertragung:


(Dr . Thomas de Maizière [CDU/CSU]: Wenn es nicht zu teuer wird!)


Michael Schlecht






(A) (C)



(B) (D)


für die Beamten, für die Versorgungsempfänger, für die
Soldaten und für die Richter .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der LINKEN)


Meine Damen und Herren, in der Debatte geht es um
die Frage: Wie viel wert ist uns der öffentliche Dienst?
Die Zehnjahresbilanz der Union in diesem Haus: Wir
haben die Tarifergebnisse inhaltsgleich auf Beamten,
Soldaten und Richter übertragen, und zwar permanent .
2012 und 2014 waren es über 10 Prozent . Wegen der
Flüchtlingslage ist ein Besoldungsänderungsgesetz in
Kraft, mit dem wir denen helfen, die mithelfen wollen,
zum Beispiel durch Spesenabrechnungen oder Anrei-
ze für Pensionäre . Wir haben das Altersgeldgesetz und
das Familienpflegezeitgesetz eingeführt, wir haben die
Professorenbesoldung neu geordnet und ein Fachkräfte-
gewinnungsgesetz verabschiedet, durch das Eingangsbe-
soldungen nicht, wie in bestimmten Ländern, abgesenkt,
sondern heraufgesetzt werden, bei IT-Fachleuten und bei
Ingenieuren auf A 10 bzw . A 11, usw . Das ist eine Liste
des Vertrauens .

Jetzt komme ich zu den Vergleichen . Der DGB stellt
seit der Föderalismusreform ein Gehaltsgefälle von bis
zu 18,5 Prozent zwischen den Bundesländern fest . Der
Bund bewegt sich im obersten Drittel, beinahe an der
Spitze . Dort oben sind noch Länder wie zum Beispiel
Bayern zu finden. Da die Linke diese Aktuelle Stunde
beantragt hat, habe ich mich gefragt: Was ist eigentlich
mit Brandenburg? Ich muss mir ja das Land raussuchen,
in dem Sie am meisten zu sagen haben .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Thüringen!)


Nach der Vertrauensliste kommt jetzt die Trauerliste .
Was ist denn mit Brandenburg? Wo steht ihr denn? Der
Gymnasiallehrer, der in Bayern 60 000 Euro verdient,
verdient bei euch nicht einmal 55 000 Euro . Der Poli-
zeihauptmeister, der in Bayern 40 000 Euro verdient,
verdient bei euch nicht einmal 36 000 Euro . Kehrt doch
mal vor eurer eigenen Haustür und macht eure Hausauf-
gaben, bevor ihr hier komische Dinge vorschlagt .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)


Es gab keine inhaltsgleiche Übernahme der Ergebnisse
der Tarifverhandlungen in Brandenburg 2014 und 2015 .
Na wunderbar, herzlichen Glückwunsch! Und Sie stellen
hier tolle Anträge .


(Beifall des Abg . Albert Weiler [CDU/CSU])


Meine Damen und Herren, vor allen Dingen den Be-
amten und den Tarifbeschäftigten dort draußen sage ich:
Entscheiden Sie sich nicht aufgrund einer solch sinnlo-
sen Debatte, die die Linken hier initiiert haben . Entschei-
den Sie sich, wem Sie vertrauen und wem Sie misstrau-
en . – An die Linke gerichtet, sage ich – Herr Schlecht,
ich wollte das eigentlich nicht machen; aber ich mache
es jetzt doch, weil Sie das Wort „pervers“ benutzt ha-
ben –: Prüfen Sie einmal Ihr Staatsverständnis . Nehmen

Sie vielleicht einmal Rechtsunterricht; Verfassungsrecht
oder so etwas wäre gut .


(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist sehr komplex!)


Ich sage das natürlich nicht zu Ihnen, aber draußen würde
ich es so formulieren:


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Mechthild Rawert [SPD]: So hat es Böhmermann auch gemacht!)


Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Klappe halten!


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ha, ha, ha!)


Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das war jetzt sehr qualifiziert, Herr Kollege!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816512200

Das Wort hat der Kollege Markus Kurth für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen .


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816512300

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Herr Schlecht, auch ich muss sagen: Streckenweise hatte
ich bei Ihrer Rede das Gefühl, mich verirrt zu haben, als
sei ich nicht im Plenum des Deutschen Bundestages, son-
dern bei irgendeiner Veranstaltung von Verdi .


(Beifall der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE] – Zuruf von der LINKEN: Warum?)


Man muss schon überlegen, was man von hier aus sagt .

Ich kann Ihnen das spiegeln und eine andere Position
aufzeigen . Ich bin ja schon ein bisschen länger dabei und
kann mich an Aktuelle Stunden erinnern, die die FDP im
Bundestag beantragt hat, beispielsweise bei Streiks der
IG Metall . In dem Fall hat die FDP auf die Gewerkschaf-
ten draufgeschlagen . Sie ist dabei mit einer ähnlich gro-
ben, teils platten Rhetorik gegen Arbeitszeitverkürzungen
vorgegangen, wie Sie jetzt umgekehrt auch . Damals habe
ich mich genauso gegen Eingriffe in die Tarifautonomie
vonseiten der Arbeitgeber, indirekt vertreten durch die
FDP, gewehrt. Jetzt finde ich vor allen Dingen die Form,
wie Sie hier Ihre Kritik äußern, zumindest fragwürdig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Der öffentliche Dienst ist ein bisschen was anderes!)


– Ich höre den Zwischenruf, dass der öffentliche Dienst
ein bisschen was anderes ist . Wir reden hier in erster Linie
über Tarifautonomie . Da es um den öffentlichen Dienst
geht, gibt es jenseits der aktuellen Tarifverhandlungen
natürlich einiges dazu zu sagen . Zum Beispiel kann man
sehr wohl etwas zur Finanzausstattung der Kommunen
anmerken . Diesbezüglich stelle ich mit Blick auf mein
Land Nordrhein-Westfalen fest, dass 40 Prozent der
Kommunen ein Haushaltssicherungskonzept aufstellen

Armin Schuster (Weil am Rhein)







(A) (C)



(B) (D)


mussten und die Große Koalition ihre Versprechen, die
Kommunen finanziell zu entlasten, nicht wahrgemacht
hat .


(Dagmar Ziegler [SPD]: Aber das stimmt doch gar nicht!)


Das ist ein Grund, warum Kämmerer berechtigte Ta-
rifforderungen nur noch mit Bauchschmerzen oder gar
nicht mehr erfüllen können . Das ist ein eminent politi-
scher Punkt, und der gehört in den Deutschen Bundestag .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Aber es stimmt doch so nicht!)


Die Große Koalition hat beispielsweise bei der Ein-
gliederungshilfe im Zuge des Bundesteilhabegesetzes ein
5-Milliarden-Paket versprochen, was eine Entlastung für
die Kommunen bedeutet hätte . Dieses Paket hat sich in
den verschiedenen Verhandlungssträngen der Bund-Län-
der-Finanzverhandlungen verflüchtigt. Das ist das Pro-
blem, über das wir hier reden müssen; denn eine vernünf-
tige Finanzausstattung der Länder und nicht zuletzt der
Kommunen ist die Grundlage dafür, dass die Arbeitgeber
bei Tarifverhandlungen auf berechtigte Forderungen der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eingehen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir schon über Tarifautonomie sprechen, so
muss ich doch daran erinnern, dass es die Große Koa-
lition war, die mit dem Tarifeinheitsgesetz ihrerseits die
Voraussetzungen dafür geschaffen hat, auch in Tarif-
autonomie einzugreifen . Das, denke ich, sollte man im
Hinterkopf behalten, wenn noch weitere Rednerinnen
und Redner der Koalition die Linke zeihen, die Tarifau-
tonomie zu beschädigen . Da sind Sie selbst nicht ganz
unschuldig und unbeteiligt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Als rentenpolitischer Sprecher der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen muss ich jetzt doch noch auf einen
inhaltlichen Punkt der Tarifverhandlungen eingehen,
nämlich die Altersversorgung . Das ist ja einer der zen-
tralen Streitpunkte: die Zusatzversorgung des öffentli-
chen Dienstes . Was macht diese Bundesregierung? Sie
versucht – zumindest verbal, ein Gesetz hat sie ja noch
nicht eingebracht –, die Betriebsrente zu stärken; das be-
hauptet sie zumindest . Sie möchte, nachdem sie einge-
sehen hat, dass die Riester-Rente ihre hoch gesteckten
Erwartungen nicht erfüllt, die zweite Säule stärken . Es
kann ja wohl nicht sein, dass Sie hier auf der einen Sei-
te bundespolitisch etwas aufzubauen versuchen und das
dann während der Tarifverhandlungen mit dem Hintern
wieder einreißen, indem Sie die Zusatzversorgung im öf-
fentlichen Dienst schwächen . Das kann nicht funktionie-
ren . Das ist hochgradig widersprüchlich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Mit Blick darauf muss man schon sagen, dass gerade
die Zusatzversorgung im Alter beim öffentlichen Dienst
auch ein wesentliches Element der Nachwuchsgewin-

nung ist . In der Nachbarstadt meines Wahlbezirkes, in
Essen, gehen in den nächsten 15 Jahren 40 Prozent in
der öffentlichen Verwaltung in den Ruhestand . Die ha-
ben schon jetzt ein richtig großes Nachwuchsproblem .
Systemadministratoren und gute Verwaltungsjuristen be-
kommen Sie nicht für ein Butterbrot . Sie verdienen in der
freien Wirtschaft teilweise sogar ein Mehrfaches .


(Beifall der Abg . Jutta Krellmann [DIE LINKE])


Neben der Arbeitsplatzsicherheit ist eine vernünftige Al-
tersversorgung für diese Fachkräfte eben auch ein Argu-
ment, für den öffentlichen Dienst zu arbeiten . Wir alle,
auch wir hier als Gesetzgeber, sind darauf angewiesen,
dass wir einen guten und funktionierenden öffentlichen
Dienst haben . Wer sonst sollte unsere Gesetze umsetzen?

Ich bin allerdings guter Hoffnung, dass die Sozialpart-
ner, dass Verdi das eigenständig hinbekommt, ohne dass
wir hier Geleitzugdebatten dieser Art führen müssen, wie
Sie sie, Herr Schlecht, eröffnet haben . Wir sollten uns auf
die politischen Sachen konzentrieren .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816512400

Das Wort hat der Kollege Mahmut Özdemir für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Mahmut Özdemir (SPD):
Rede ID: ID1816512500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Einige wollen offenbar eine Tradition daraus
machen, dass wir im Deutschen Bundestag die Tarifver-
handlungen im öffentlichen Dienst begleitend debattie-
ren, und dies, obwohl das Parlament bei den Verhandlun-
gen über die Lohnsteigerungen nach wie vor nicht mit
am Tisch sitzt . Deshalb bleibt die Frage nach der rationa-
len Berechtigung dieser Debatte weiterhin unbeantwor-
tet, unbeantwortet,


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wir kontrollieren schon noch die Regierung!)


obschon Recht und Gesetz eine klare Antwort darauf
geben . Artikel 9 Grundgesetz weist die Auseinanderset-
zung über Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ganz
klar Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften zu .
Jede politische Einflussnahme und Meinungsäußerung
zu Forderungen der Arbeitgeber- oder der Arbeitnehmer-
seite ist damit unzulässig . Die Neutralität der Politik wird
im besonderen Fall des öffentlichen Dienstes auch nicht
durch den Status des Bundesministeriums des Innern als
Verhandlungspartei durchbrochen .

Wir halten fest: Das Anliegen der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst nach einer Lohn-
erhöhung ist berechtigt . Die konkrete Höhe wiederum ist
Sache der Verhandlungsparteien . Diese Haltung ist im
Übrigen weder mit dem höflichen Entledigen von Ver-

Markus Kurth






(A) (C)



(B) (D)


antwortung noch mit Desinteresse gleichzusetzen . Hal-
tung zugunsten des öffentlichen Dienstes zeigen wir als
Sozialdemokraten durch die Wahrnehmung parlamenta-
rischer Pflichten und hier zuvörderst durch verantwor-
tungsvolle Haushaltsgesetzgebung . Der Abschluss der
Tarifvertragsparteien muss schließlich auch im Bundes-
haushalt abgebildet werden . Niemals haben der Bund
oder die Kommunen die Beschäftigten hier im Stich ge-
lassen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die derzeitigen Forderungen von 6 Prozent Lohner-
höhung und einer Anhebung der Ausbildungsvergütung
um 100 Euro bedeuten für die Haushalte von Bund und
Kommunen erhebliche Mehrausgaben, die wir zu be-
rücksichtigen haben . Für den Bund würden die Mehraus-
gaben 1,7 Milliarden Euro und für die Kommunen etwa
5,6 Milliarden Euro betragen . Daher sollten wir beson-
nen auf das Verhandlungsergebnis der dazu Berufenen
warten, statt hektisch und planlos Aktuelle Stunden ein-
zuberufen .

Der öffentliche Dienst braucht eine verlässliche Stel-
lenausstattung, die sich in den Haushalten widerspiegelt .
Auf diese Weise zeigt man als Abgeordneter verbindli-
che Solidarität mit den Staatsbediensteten . Übrigens:
Nach drei Verhandlungsterminen sind die üblichen Ri-
tuale zwischen den Tarifvertragsparteien hinreichend
zelebriert . Die Feuerwehrleute, die Beschäftigten bei der
Müllabfuhr, die Erzieherinnen und Erzieher in den Klini-
ken und in der Pflege warten jetzt auf einen vernünftigen
Verhandlungsabschluss . Im Interesse aller Betroffenen
hoffe ich persönlich daher auf einen reibungslosen, ge-
rechten und für beide Seiten guten Gewissens vertretba-
ren Abschluss .

Obwohl wir als Parlament nicht am Verhandlungstisch
sitzen, sollten wir die heutige Debatte, da sie nun einmal
einberufen ist, als Anstoß dazu nutzen, auf Verbesserun-
gen der gesetzgeberischen Rahmenbedingungen hinzuar-
beiten; denn der öffentliche Dienst muss auch weiterhin
gefragt und begehrt sein . Hierzu zählen in der aktuellen
Entwicklung für mich zwei Punkte .

Der Ausschluss von sachgrundlosen Befristungen ge-
hört ins Gesetz .


(Beifall der Abg . Mechthild Rawert [SPD] und Jutta Krellmann [DIE LINKE])


Eine Belastung der Tarifvertragsparteien mit diesen Auf-
gaben dürfen wir nicht zulassen . Hier müssen wir als
Gesetzgeber eine ganz klare Entscheidung treffen . Ins-
besondere jungen Beschäftigten in öffentlichen Beschäf-
tigungsverhältnissen müssen wir Sicherheit geben, wenn
wir von ihnen erwarten, dass sie in diese Gesellschaft in-
vestieren, vom Ehrenamt bis in die Rentenkassen .


(Beifall bei der SPD)


Die Wertschätzung des öffentlichen Dienstes drückt
sich letztlich nicht nur in Lohnsteigerungen aus . Viel-
mehr muss das Parlament mit dem Haushalt auch die
konkrete personelle Ausstattung gewährleisten . Deshalb
müssen wir die Aufstockung bei der Bundespolizei um

3 000 Stellen auch in anderen Bereichen konsequent als
Beispiel nehmen . Wie wichtig haushalterischer Spiel-
raum ist, um eine entsprechende Personalausstattung
zu erhalten und aufzubauen, zeigen unsere Kommunen,
seitdem in dieser Wahlperiode auf maßgebliche Initiative
der SPD immense Anstrengungen unternommen worden
sind, Städte und Gemeinden von Kosten zu entlasten .


(Beifall der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


Da komme ich zum Bundesteilhabegesetz . Wenn Sie
von einer geplanten Entlastung in Höhe von 5 Milliar-
den Euro sprechen, dann dürfen Sie nicht unter den Tisch
kehren, dass bis dahin durch eine Finanzierung in den
Haushalten 2015, 2016 und 2017 eine Brücke gebaut
worden ist .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wie viel denn?)


– Lesen Sie es im Haushalt nach; Sie haben mit am Tisch
gesessen .

Unser öffentlicher Dienst ist im Kontext des Flücht-
lingszuzuges besonders in Vorleistung gegangen . Vom
Bund bis in die Kommunen haben die Beschäftigten
Überstunden angehäuft und das Bild von Bürokraten in
verstaubten Amtsstuben vollends aus den Köpfen ver-
drängt . Aber die Anhäufung von Überstunden ist gleich-
sam ein Zeichen für eine mangelhafte Stellenausstattung .
Hier müssen wir ganz dringend nachsteuern .


(Beifall bei der SPD)


Die angemessene Würdigung des öffentlichen Diens-
tes basiert nun auf einer kompromissfreudigen Koope-
ration zwischen dem Bundesministerium des Innern und
den Kommunen auf der einen Seite und den Beschäftig-
tenvertretern auf der anderen Seite . Diese Kooperation
ist der Garant für einen soliden Abschluss . Ich wünsche
den Verhandlungsparteien in der nächsten Verhandlungs-
runde gute Gespräche und einen würdigen Abschluss im
Sinne unseres Gemeinwesens .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und ein herzli-
ches Glückauf .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816512600

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Oswin

Veith das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Bernd Rützel [SPD])



Oswin Veith (CDU):
Rede ID: ID1816512700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich hoffe, die Linke wird verstehen, dass ich es
im Namen meiner Fraktion nicht gutheißen kann, dass
wir uns mit der von Ihnen aufgesetzten Aktuellen Stun-
de wieder einmal in laufende Tarifverhandlungen im öf-
fentlichen Dienst einmischen . Sie machen das eigentlich
immer so . Vor zwei Jahren standen wir das letzte Mal
hier, fast zur selben Zeit . Es ist bei Ihnen ein bisschen

Mahmut Özdemir (Duisburg)







(A) (C)



(B) (D)


so wie bei Dinner for One – nur dass noch nicht Silves-
ter ist –: the same procedure as every year . Letztes Mal
hieß Ihr Begehren: Höhere Löhne für die Beschäftigten
des öffentlichen Dienstes . Ein anderes Mal hieß es: Der
öffentliche Dienst ist mehr wert . Heute heißt es: Den öf-
fentlichen Dienst gerecht entlohnen .


(Beifall bei der LINKEN)


– Nur langsam! – Jedes Mal wollten Sie sich dabei in
die laufenden Tarifverhandlungen einmischen, jedes Mal
wollten Sie die Tarifvertragsparteien bevormunden, und
jedes Mal wollten Sie den Verlauf der Tarifverhandlun-
gen irgendwie beeinflussen.


(Michael Schlecht [DIE LINKE]: Positiv!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, jedes Mal ha-
ben wir das abgelehnt . Das tun wir heute wieder, und das
ist auch gut so .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will Ihnen auch sagen, warum wir das tun: weil Ta-
rifverhandlungen immer auch Ausdruck der gelebten
Tarifautonomie sind, sie ist durch unser Grundgesetz
geschützt und gehört zum Grundpfeiler unserer sozialen
Marktwirtschaft . Gott sei Dank ist das so; unseren Ver-
fassungsvätern sei Dank .

Wir haben in Deutschland seit Jahrzehnten ausge-
zeichnete Erfahrungen damit gesammelt, dass nicht die
Politik die Löhne bestimmt. Daher finde ich es klug, dass
die Tarifhoheit bei den Tarifpartnern verbleibt und wir
uns nicht einmischen . Das sollte auch die Linke so lang-
sam einmal einsehen und beherzigen .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Tun wir!)


Wir bleiben bei unserem 67 Jahre alten Erfolgsmodell
Tarifautonomie . Diese Freiheit hat sich in Krisenzeiten
bewährt . Es hat sich gezeigt, wie gut die Tarifpartner zum
Wohle unseres Landes damit umgehen . Schauen wir uns
also einmal den Sachstand an; denn: Nicht an ihren Wor-
ten sollt ihr sie messen, sondern an ihren Taten . So heißt
es schon bei Johannes .


(Bernd Rützel [SPD]: Sehr schön!)


Wir haben die Rahmenbedingungen deutlich verbes-
sert . Dreimal wurden die Tarifabschlüsse inhaltsgleich
auf die Bundesbeamten übertragen, und seit 2012 – auch
Sie wissen das – wird die Sonderzahlung, auch als Weih-
nachtsgeld bekannt, wieder gewährt .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Alles erkämpft!)


Mit dem Fachkräftegewinnungsgesetz haben wir eine
Reihe von positiven Maßnahmen auf den Weg gebracht .
Wir haben den Eintritt in den Ruhestand flexibler gestal-
tet, gleiche Rechte für Lebenspartnerschaften und die Fa-
milienpflegezeit im Beamtenrecht umgesetzt. Wir haben
die Vergütung von Professoren verbessert, das Leistungs-
prinzip gestärkt und die Portabilität von Versorgungsan-
wartschaften geschaffen .

Letztes Jahr konnten wir sogar Neuerungen umset-
zen, die die Attraktivität des Soldatenberufs gesteigert
haben . Der geschmeidige Begriff dafür hieß „Bundes-

wehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz“ . Wir haben unse-
ren Zeit- und Berufssoldaten Wertschätzung ausgespro-
chen und mit den vielen Änderungen eine Angleichung
der Rechtslage der Soldaten an Standards erreicht, die für
andere Bundesbeamtinnen und -beamte längst galten .

Im gleichen Jahr konnten wir unsere Flexibilität un-
ter Beweis stellen, als der Arbeitsaufwand im BAMF
überhandnahm . Wir haben reagiert und die Zahl der
Mitarbeiter im letzten Jahr mehr als verdoppelt, nämlich
von 3 500 auf 7 300 . In einem weiteren Schritt haben
wir finanzielle Verbesserungen, speziell für die Beamten
beim BAMF, erreicht, indem wir die Zulage für Arbeit
zu Unzeiten erhöht haben . Damit konnten wir deutlich
entlasten .

Bei all dem, was bereits auf den Weg gebracht wur-
de, ist es kein Wunder, dass der Bund im Vergleich zu
den Ländern immer noch der beliebteste Arbeitgeber im
öffentlichen Dienst ist . Dabei überzeugen nicht nur die
Besoldung, sondern auch die Arbeitsbedingungen . All
das ist gut für die Attraktivität des öffentlichen Dienstes
auf Bundesebene .

Moderne, attraktive und familienfreundlichere Ar-
beitsbedingungen tragen dazu bei, unseren öffentlichen
Dienst noch attraktiver zu machen . Die konsequente
Weitergabe der Tarifergebnisse ist dabei nur ein kleiner
Baustein, um zukünftigen Arbeitskräften zu zeigen, dass
sie beim Bund in guten Händen sind .

All das, meine sehr verehrten Damen und Herren, be-
legt, dass wir es ernst meinen und uns an unseren Taten
messen lassen . Sie von den Linken hingegen sind dop-
pelzüngig . Hier fordern Sie immer gerne und immer viel,
doch dort, wo Sie Verantwortung tragen und umsetzen
könnten, machen Sie es nicht, so zum Beispiel in Thürin-
gen, wo Sie nicht zeitgleich übertragen, sondern schon
zum zweiten Mal in Folge ein ganzes halbes Jahr später .


(Günter Baumann [CDU/CSU]: Skandalös!)


Ich sage: Wir werden diesem schlechten linken Beispiel
nicht folgen, sondern unserem Bundesinnenminister den
Rücken stärken bei seinem bereits angekündigten Bemü-
hen, den berechtigten Anliegen der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes nach angemessener
Lohnerhöhung Rechnung zu tragen, ohne dass es Ver-
handlungsrituale oder gar Streiks bedarf . Dafür werben
wir .

Da alles schon auf gutem Wege ist, wie Sie gehört ha-
ben, war Ihre Aktuelle Stunde auch heute wieder einmal
überflüssig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816512800


Das Wort hat die Kollegin Jutta Krellmann für die
Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)


Oswin Veith






(A) (C)



(B) (D)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816512900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Seit 30 Jahren nehme ich als Gewerkschafts-
sekretärin an Tarifverhandlungen teil . Ich bin in dieser
Diskussion völlig irritiert . Als Bundestagsabgeordne-
te verstehe ich meine Rolle als die einer Arbeitgeberin .
Herr de Mazière ist Verhandlungsführer des Bundes; er
ist also nicht irgendjemand . Deswegen müssen wir doch
mit ihm reden und mit niemand anderem .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Frieser [CDU/CSU]: Das ist grundfalsch, skandalös verkehrt!)


Zwei Forderungen in der Tarifrunde im öffentlichen
Dienst liegen mir deshalb besonders am Herzen: erstens
die Übernahme der Auszubildenden und zweitens die
Abschaffung der sachgrundlosen Befristungen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Eine Übernahme der Auszubildenden ist in vielen Ta-
rifverträgen mittlerweile gängige Praxis, insbesondere
in den Industrietarifverträgen . Da muss der öffentliche
Dienst unbedingt nachziehen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Auszubildende werden nicht gleich zu Beamten auf Le-
benszeit, wenn man ihnen eine Festanstellung garantiert .
Alle reden landauf, landab über den Fachkräftemangel .
Wieso hält man nicht an denen fest, die man jahrelang
teuer ausgebildet hat? Das ist aus meiner Sicht unklug
und in der Diskussion um Fachkräftemangel echt schräg .


(Beifall bei der LINKEN)


Entweder haben wir tatsächlich einen Fachkräfteman-
gel – dann brauchen wir die Ausgelernten als qualifi-
ziertes Personal im öffentlichen Dienst –, oder das ganze
Gerede vom Fachkräftemangel ist reines Gefasel und Ge-
schwafel, um die Leute gefügig zu machen .

Die zweite Tarifforderung, über die ich sprechen will,
ist die Abschaffung der sachgrundlosen Befristungen . Ich
weise immer wieder darauf hin, wie auffallend hoch die
Befristungsquote im öffentlichen Dienst ist . Können Sie
sich vorstellen, was das für die Beschäftigten bedeutet?
Dass die CDU/CSU das nicht kann – schade, dass Herr
Oellers nicht da ist –, weiß ich aus mehreren Diskussio-
nen . Dabei ist längst klar, dass Befristungen gute Arbeit
verhindern .

Sie, liebe SPD, die Sie sich die Forderung nach guter
Arbeit immer wieder fett auf Ihre Fahnen schreiben, ha-
ben nach dieser Diskussion zwei Möglichkeiten . Erstens:
Sie akzeptieren die Notwendigkeit zur Abschaffung der
sachgrundlosen Befristungen .


(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist tausendmal bei uns nachzulesen! – Bernd Rützel [SPD]: Das haben wir doch schon oft gesagt!)


Dann lassen Sie uns das endlich machen .


(Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Lesen bildet!)


Oder zweitens: Sie wissen um die Notwendigkeit der Ab-
schaffung und wollen sie – das sagen Sie jedenfalls im-
mer wieder –, aber kuschen weiterhin vor der CDU/CSU .


(Dagmar Ziegler [SPD]: Was heißt hier „kuschen“? Das ist ein Vertrag!)


Auf genau diesen Zirkus haben die Beschäftigten keine
Lust mehr . Sie wollen endlich die notwendigen Verbes-
serungen, zumindest in ihrem Beschäftigungsbereich,
durchsetzen .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Kolleginnen und Kollegen mussten das Thema
Befristungen auf die Tarifebene heben, weil die Bundes-
regierung ihrem Wunsch, an dieser Stelle endlich etwas
zu machen, nicht nachgekommen ist . Es ist eigentlich
Aufgabe des Gesetzgebers, das Problem der Befristun-
gen für alle Beschäftigten zu regeln . Das ist seit Jahren
nicht in Ordnung . Seit Jahren diskutieren wir darüber .
Dass auf diesem Gebiet nichts passiert, das ist einfach
ein Skandal .

Herr Oellers, der, wie gesagt, leider nicht da ist, und die
CDU/CSU können sich noch so sehr aufregen . Wir wer-
den dieses Thema immer wieder auf die Tagesordnung
setzen, sooft wir nur können . Ich sage Ihnen ganz deut-
lich: Die Linke wird so lange Diskussionen über dieses
Thema führen, bis die sachgrundlosen Befristungen end-
lich Geschichte sind .


(Beifall bei der LINKEN)


Leider stellen auch Arbeitgeber zunehmend Forderun-
gen in Tarifrunden, so auch im öffentlichen Dienst . Die
kommunalen Arbeitgeber wollen die tariflich geregelten
Betriebsrenten kürzen .


(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist alles nicht so neu!)


Zur Erinnerung: Die Bundesregierung beabsichtigt die
Absenkung des Rentenniveaus bis 2030 auf 43 Prozent,
und das für alle Beschäftigten in Deutschland . Wenn
jetzt die kommunalen Arbeitgeber daherkommen und die
Betriebsrenten kürzen wollen, dann werden die Beschäf-
tigten im öffentlichen Dienst doppelt bestraft: zum einen
durch die Absenkung des Rentenniveaus insgesamt und
zum anderen durch die Kürzung der Betriebsrenten . Die
Bundesregierung denkt als Gegenstrategie gerade darü-
ber nach, die Betriebsrenten zu stärken . Die kommuna-
len Arbeitgeber im öffentlichen Dienst machen genau
das Gegenteil von dem, was im Moment diskutiert wird .
Das geht doch gar nicht . Mit so etwas muss doch Schluss
sein . Das läuft doch vollkommen gegeneinander . Das ist
gegen die Interessen der Menschen gerichtet .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Ausarbeitung der Leitlinien für gute Arbeit im öf-
fentlichen Dienst können wir hier beeinflussen. Das ist
alles eine Frage des politischen Willens . Wenn wir das
wirklich wollten, dann könnten wir das auch . Es wäre
möglich, dass wir dadurch Verbesserungen für alle Be-
schäftigten schafften . Bestimmte Tarifforderungen wären
eigentlich gar nicht nötig, wenn das Thema gesetzlich
längst geregelt wäre .






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816513000

Kollegin Krellmann, achten Sie bitte auf die Zeit .


Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816513100

Ich wünsche den Beschäftigten im öffentlichen Dienst

von meiner Seite aus auf jeden Fall viel Erfolg bei ihrem
Versuch, ihre Forderungen durchzusetzen, und ich hof-
fe, sie bekommen das hin, weil sie das nicht nur für den
öffentlichen Dienst, sondern für die Beschäftigten insge-
samt machen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816513200

Das Wort hat der Kollege Matthias Schmidt für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Matthias Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1816513300

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr geehr-

ten Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Lie-
be Kolleginnen und Kollegen! Eine Aktuelle Stunde, so
steht es in unserer Geschäftsordnung, umfasst Themen
von „allgemeinem aktuellen Interesse“ . Man mag hinzu-
fügen: mit Zuständigkeit des Bundestages . Das steht dort
aber nicht .


(Michael Schlecht [DIE LINKE]: Eben!)


Darum konnten Sie genau dieses Thema hier auch zum
Gegenstand einer Aktuellen Stunde erheben . Was das all-
gemeine und aktuelle Interesse ist, bestimmt allein der
Antragsteller, in diesem Fall die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Schlecht [DIE LINKE]: Wohl wahr!)


– Genau . – Frau Sitte, Hut ab! Sie haben es sogar ge-
schafft, mit diesem Thema Ihre Reihen halbwegs zu fül-
len, obwohl es tatsächlich unstrittig ist, dass es an dieser
Stelle keine Zuständigkeit des Deutschen Bundestages
gibt .

Die Tarifrunde ist aus guten Gründen grundgesetzlich
geschützt . Artikel 9 des Grundgesetzes ist inzwischen
zitiert worden . Die Tarifvertragsparteien sollen frei von
staatlichen Eingriffen und Bevormundungen im öffent-
lichen Dienst und außerhalb des öffentlichen Dienstes
handeln können .

Frau Krellmann, ich habe mir das, was Sie gerade
gesagt haben, aufgeschrieben . Sie haben gesagt: Leider
stellen auch Arbeitgeber Forderungen in den Tarifver-
handlungen . – Ja, es ist genau das Wesensmerkmal von
Verhandlungen, dass beide auf Augenhöhe miteinander
reden und nach einem gemeinsamen Kompromiss su-
chen . Genau das müssen wir doch auch den Arbeitgebern
zugestehen .

Auch wenn wir alle persönlich eine Meinung zum
Tarifkonflikt haben, sollten wir uns als Bundestag hier
heraushalten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Schlecht, ich bin mir nicht sicher, ob Sie den Ge-
werkschaften mit Ihrem Votum hier einen Gefallen getan
haben; denn Sie haben sich in deren ureigenste Tätigkeit
eingemischt und wollen sie bevormunden . Das ist an die-
ser Stelle doch überhaupt nicht nötig .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Was ist denn mit der Kontrollfunktion der Bundesregierung? Das Parlament hat eine Kontrollfunktion!)


Auf der einen Seite werden 6 Prozent gefordert, auf
der anderen Seite werden 1 Prozent plus 2 Prozent gleich
3 Prozent angeboten . Man kann hier noch einmal genau-
er nachrechnen, ob das wirklich stimmt, aber lassen wir
den Tarifvertragsparteien doch Zeit und Raum zur freien
Verhandlung ohne Einmischung von außen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Gleichwohl vielen herzlichen Dank an die Fraktion
Die Linke dafür, dass sie dieses Thema auf die Tages-
ordnung gesetzt hat . Das gibt mir die Gelegenheit zur
Analyse des öffentlichen Dienstes, und es wird Sie nicht
überraschen: Ich komme zu einem Lob .

Frau Krellmann, Sie haben gesagt, Sie sind 30 Jahre
lang Gewerkschaftssekretärin gewesen .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ich bin es noch!)


– Sie sind es noch . – Ich bin vor etwas über 30 Jahren in
den öffentlichen Dienst eingetreten und beobachte den
öffentlichen Dienst seitdem sehr genau . Was vor 30 Jah-
ren in den Amtsstuben los war, ist etwas ganz anderes als
das, was heute dort los ist .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ja, eben!)


Damals gab es noch viele buchstäbliche Beamte und An-
gestellte mit Ärmelschonern, aber das hat sich kolossal
gewandelt . Das liegt auch daran, dass wir im öffentlichen
Dienst akademisch und nicht akademisch sehr gut aus-
bilden . Ein großes Lob geht hier an das Bundesverwal-
tungsamt und an die Hochschule des Bundes für öffent-
liche Verwaltung .

Die Beamten und Angestellten, die heute dort tätig
sind, wissen, um was es geht . Denen ist der Wortlaut
nicht wichtiger als der Sinn einer Vorschrift . Sie arbeiten
für das Gemeinwohl – und das sehr erfolgreich .

Wir alle bemerken nur dann, dass der öffentliche
Dienst da ist, wenn einmal etwas nicht klappt . Manchmal
sind wir daran auch selbst schuld . Wer hat nicht selbst
schon einmal vergessen, den Reisepass zu kontrollieren,
und kurz vor der Urlaubszeit festgestellt, dass der Rei-
sepass abgelaufen ist? Andere Fälle sind auch hausge-
macht . Die Berliner Bürgerämter sind hierfür ein gutes
Beispiel . Das Land Berlin hat das nun aber auch begrif-
fen und stattet sie wieder besser aus .

Es gibt allerdings auch sehr viele positive Beispiele
im öffentlichen Dienst, zum Beispiel die kommunalen
Krankenhäuser, Kitas und grundsätzlich auch die Schu-
len, wobei natürlich klar ist, dass es bei den jetzigen Ta-
rifverhandlungen gar nicht um die Landesbeschäftigten
geht . Die Integration von Flüchtlingen ist schon genannt






(A) (C)



(B) (D)


worden . Und uns Bundestagsabgeordneten helfen die
Ministerien; sie unterstützen uns alle in unserer Arbeit
als Parlamentarier .

Der öffentliche Dienst ist gesamtgesellschaftlich
wichtig und muss, damit dies so bleibt, für die Beschäf-
tigten attraktiv bleiben . Dies haben die Tarifvertragspar-
teien im Blick, und die Verhandlungen sind bei ihnen in
guten Händen .

Vielen herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816513400

Das Wort hat die Kollegin Irene Mihalic für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1816513500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Herr Schmidt, das allgemeine aktuelle Inte-
resse an den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst
lässt sich, glaube ich, nicht bestreiten,


(Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Das habe ich auch nicht!)


erst recht nicht, wenn der Eindruck entsteht, dass die au-
tonomen Verhandlungen nicht so geführt werden, wie es
vielleicht möglich wäre, und aktuell wieder Streiks im
öffentlichen Dienst drohen .


(Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]: Das ist das Recht der Arbeitnehmer!)


Dann frage ich mich auch, ob die Bundesregierung die
Situation ernst genug nimmt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es ist völlig richtig: Die Tarifautonomie steht im
Grundgesetz . Deswegen tun wir gut daran, uns nicht in-
haltlich in diese Verhandlungen einzumischen . Deswe-
gen will ich das nicht näher kommentieren, sondern ich
möchte etwas zu der Art und Weise der Verhandlungsfüh-
rung aufseiten der Bundesregierung sagen .

Wenn der Bundesinnenminister nun verbreiten lässt,
dass Ende April endlich gelingen wird, was in den ers-
ten beiden Verhandlungsrunden bisher nicht gelungen
ist, nämlich konstruktiv zu verhandeln, damit bald ein
gerechter Abschluss erreicht wird, dann weiß ich nicht,
was Sie damit meinen, Herr Schmidt, wenn Sie sagen,
wir müssten den Verhandlungen jetzt noch mehr Zeit und
Raum lassen . Ich glaube, Zeit und Raum waren ausrei-
chend vorhanden, und ich frage mich, was eigentlich in
den ersten beiden Verhandlungsrunden passiert ist .

Für mich heißt das ganz konkret: Es wurde wertvolle
Zeit vertan, die im Interesse der betroffenen Beschäftig-
ten und der Bürgerinnen und Bürger, die nun eventuell
wieder von Streiks betroffen sein werden, besser hätte
genutzt werden müssen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Denn durch Streiks beweisen die Tarifparteien ja nur
ihren Willen, aber neue Erkenntnisse bringen sie in der
Regel nicht . Für den Bundesinnenminister gibt es gegen-
wärtig gar keinen Grund, an dem Willen der Gewerk-
schaften zu zweifeln . Deshalb muss man im Gespräch
bleiben und sich entsprechend bewegen . Hier wäre ein
selbstkritischer Blick auf die eigene Verhandlungspositi-
on sicherlich hilfreich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Was aber auch kritisch überprüft werden sollte, sind
einige Argumente, mit denen sich die Arbeitgeberseite in
den letzten Tagen zu Wort gemeldet hat . Wenn beispiels-
weise mit den Kosten der Integration der nach Deutsch-
land Geflüchteten argumentiert wird, die noch gar nicht
abschätzbar seien, dann ist das aus meiner Sicht unsach-
lich und unklug . Das zeigt schon der gemessen am Ge-
samthaushalt überaus geringe Anteil von Ausgaben zum
Zweck der Integration .

Aber noch ein weiterer Punkt ist in diesem Zusam-
menhang anzusprechen . Es ist vor allem schlicht unver-
antwortlich, aus parteipolitischen Gründen die laufenden
Verhandlungen zu nutzen, um Ängste zu schüren, indem
mit Kosten in unbekannter Höhe argumentiert wird .
Auch sollte nicht der Versuch unternommen werden, die
eine Gruppe gegen die andere auszuspielen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich erwarte vielmehr vom Bundesinnenminister, dass
alle bestehenden Spielräume konsequent genutzt werden .
Denken Sie bitte an die Beschäftigten und vor allem auch
an die von Streiks betroffenen Bürgerinnen und Bürger!

Ganz herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816513600

Das Wort hat der Kollege Michael Frieser für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Frieser (CSU):
Rede ID: ID1816513700

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Ich habe mich schon gefragt, wie lange es
dauern wird, bis die Grünen ihren Balanceakt hin zu den
Linken tatsächlich erfolgreich bestehen . Kollege Kurth
hat noch versucht, sie festzuhalten .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Ich stelle dazu fest: In diesem Land ist weder der vorsätz-
liche Zeitdiebstahl unter Strafe gestellt


(Mechthild Rawert [SPD]: Momo!)


noch die Frage der Achtung vor allen Ausdrücken und
Auswirkungen des Grundgesetzes . Es ist also zulässig,
dass wir uns mit dieser Frage beschäftigen . Man muss
aber aufpassen, dass man sich nicht zu sehr im Tonfall
vergreift .

Matthias Schmidt (Berlin)







(A) (C)



(B) (D)


Wenn beispielsweise die Gewerkschaften in den Tarif-
verhandlungen sagen, das Angebot der Arbeitgeberschaft
sei ein Akt der Missachtung, der Geringschätzung oder
der Ignoranz – konkret der Ignoranz gegenüber der Leis-
tung des öffentlichen Dienstes –, dann ist das harter To-
bak . Das ist, vor allem angesichts des Angebots, das vor-
gelegt wurde, nicht gerechtfertigt . Aber wissen Sie, was
der Unterschied ist? Die Gewerkschaft darf das . Sie soll
das sogar . Sie soll sogar Stellung beziehen, auch beim
Betätigungsgebot, nämlich bei der Tatsache, dass sie sich
öffentlich dazu äußern soll . Die Gewerkschaften sind
dazu aufgefordert, ihre Positionen zu untermauern . Was
aber nicht geht, ist, dass man hier so tut, als könne die Le-
gislative in diesem Fall gute Ratschläge erteilen oder als
könne sie in irgendeiner Art und Weise mithelfen . Nein,
die deutsche Tarifautonomie braucht keine Hilfestellung .
Auch die Gewerkschaften brauchen keine Hilfestellung
bei der Frage, wie sie ihre Verhandlungen führen . Man
darf sich als Bürger dieses Landes mit dieser Frage be-
schäftigen . Sie müssen aber sehr gut darauf achten, ob
Sie als Teil des Deutschen Bundestages versuchen, auf
diese Verhandlungen in irgendeiner Art und Weise Ein-
fluss zu nehmen.

Wenn diese Aktuelle Stunde einen Sinn haben soll,
dann vielleicht eher als pädagogischer Ansatz . Dann
wiederholen wir noch einmal, was Tarifautonomie
bedeutet . Sie bedeutet nicht nur das Schließen von ar-
beitsrechtlichen Koalitionen . Sie bedeutet nicht nur das
Zusammenfinden von Menschen, um ihre Positionen zu
unterstreichen . Vielmehr bedeutet sie ganz bewusst die
Gewaltentrennung . Sie bedeutet ganz bewusst, dass die
Legislative nicht den Eindruck erweckt, sie würde die
Rahmenbedingungen für diese Verhandlungen vorgeben .
Deshalb sollten wir uns an dieser Stelle heraushalten .
Das ist gelebte Tarifautonomie .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie passt das jetzt mit dem Tarifeinheitsgesetz zusammen?)


Ich hätte diesen Impetus, dieses Aufregen, dieses Lei-
denschaftliche der Linken, zum Teil auch die Wortwahl,
ja noch verstanden, wenn es in irgendeiner Weise um
privates Kapital gehen würde, um das Kapital von Men-
schen, bei denen wir nichts hinzuzufügen hätten . Wir
reden hier aber über Steuergelder . Wir reden hier über
Kommunen, die wirklich jeden Euro und jeden Cent um-
drehen müssen .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das ist doch genau der Punkt!)


Wir reden darüber, dass wir in den Haushaltsberatungen
uns gegenseitig jeden Euro abringen . Aber zu sagen, wir
könnten darüber frei verfügen, das ist meines Erachtens
tatsächlich eine Anmaßung, der Sie nicht erliegen sollten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Natürlich hat der deutsche öffentliche Dienst eine
ganz besondere öffentliche Stellung . Diese Stellung hat
er nicht nur den Bund, sondern auch die Kommunen
betreffend . Das ist wesentlich mehr als nur die Vergü-
tung . Das hat nämlich etwas damit zu tun, inwieweit

der Arbeitgeber auf Bundes- und auf kommunaler Seite
ein Arbeitgeber ist, bei dem man gerne arbeitet und als
Mensch Interessen einbringt, auf der anderen Seite auch
Wertschätzung für diese Arbeit erfährt . Dies drückt sich
natürlich auch in Geld aus . Dies drückt sich natürlich
auch in Leistungen aus . Dies drückt sich aber auch in der
Tatsache aus, dass man auf die Interessen von Mitarbei-
terinnen und Mitarbeitern wirklich eingeht .

Deshalb lassen Sie mich sagen: Wir haben schon eine
ganze Menge gemacht . Schauen wir einmal auf die Bi-
lanz . Wir haben bei den Bundesbesoldungs- und -ver-
sorgungsgesetzen eine inhaltsgleiche Anpassung vorge-
nommen . Wir haben die ehebezogenen Regelungen auf
die Lebenspartnerschaften übertragen . Wir haben für
eine flexible Gestaltung des Übergangs in den Ruhestand
gesorgt . Wir haben für die Soldaten das Einsatzversor-
gungs-Verbesserungsgesetz auf den Weg gebracht . Au-
ßerdem haben wir das Fachkräftegewinnungsgesetz auf
den Weg gebracht . Ich will einmal die Punkte anspre-
chen, die Sie vorhin so in den Raum geworfen haben, als
wären sie ungeregelt . Das ist nicht der Fall . Wir sind die
Frage der Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie,
Pflege und Beruf angegangen. Wir haben die Frage der
Tarifbeschäftigten des Bundes durch das Familienpflege-
zeitgesetz geregelt .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Deut-
sche Bundestag hat die Rahmenbedingungen gesetzt, die
er setzen konnte. Es ist Ihre Pflicht, im Rahmen der Aus-
gestaltung der öffentlichen Haushalte insbesondere ge-
meinsam mit uns darüber zu entscheiden, wie viel Geld
wir zur Verfügung stellen können, damit die Menschen
auch ordentlich bezahlt werden . Sie lassen sich hier da-
rüber aus, inwieweit diese Tarifautonomie draußen auf
der Straße gelebt wird . Das überlassen Sie bitte den Ver-
handlungspartnern, nämlich den Vertretern der Arbeitge-
ber auf der einen Seite und vor allem den Vertretern der
Gewerkschaften auf der anderen Seite . Deshalb gilt mein
Dank all denjenigen, die das ohne ungerechtfertigte und
ungebetene Ratschläge gut und gerne tun .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816513800

Das Wort hat der Kollege Bernd Rützel für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Bernd Rützel (SPD):
Rede ID: ID1816513900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte Her-
ren! Wenn wir heute über die Tarifverhandlungen im öf-
fentlichen Dienst sprechen, dann ist das keine Zeitver-
geudung, Herr Frieser. Ich finde es gut, dass wir darüber
sprechen; denn wir haben erst vor kurzem festgestellt,
dass im öffentlichen Dienst in den nächsten Jahren sehr
viele Menschen in den Ruhestand, in Pension und Rente,
gehen und dass sehr viele junge Kräfte nachfolgen müs-
sen . Deshalb ist es wichtig, dass wir darüber sprechen .
Ich will heute etwas deutlicher werden, als ich es sonst

Michael Frieser






(A) (C)



(B) (D)


tue, weil in den Verhandlungen die öffentliche Hand der
Arbeitgeber ist .

Zwei Anmerkungen: Erstens . Wenn man ein Angebot
vorlegt, dann darf das nach meiner Meinung kein Ange-
bot sein, das auf den ersten Blick gut aussieht, aber auf
den zweiten Blick dann nicht so gut ist . Ich meine gar
nicht den Inhalt, sondern die Art und Weise . Man muss
die Menschen, unsere Beschäftigten, ernst nehmen und
darf ihnen nichts vorgaukeln .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens . 2 Millionen Beschäftigte – 150 000 Ar-
beitnehmer des Bundes, 1,2 Millionen Arbeitnehmer der
Kommunen, 180 000 Beamte, 180 000 Versorgungsemp-
fänger und im weiteren Sinne auch 235 000 Beschäftigte
in der Bundesverwaltung – warten auf ein deutliches Zei-
chen . Anders ausgedrückt: Die Busfahrerin, der Erzieher,
die Rettungssanitäterin oder die Plenarassistentin und der
Saaldiener, sie alle haben gute Arbeit geleistet, und zwar
unter nicht immer leichten Bedingungen . Sie haben sich
das verdient und müssen nun eine deutliche Lohnerhö-
hung bekommen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gerade aktuell unter dem Druck der vielen Flücht-
linge in Deutschland leisten die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst Beachtliches . Das
muss auch berücksichtigt werden . Die Beschäftigten im
öffentlichen Dienst garantieren, dass das Staatswesen
funktioniert, dass die öffentliche Ordnung aufrechterhal-
ten bleibt und dass wir uns auf die Arbeit der staatlichen
Organe verlassen können . Daher haben sie nun Anspruch
auf eine Beteiligung an der guten konjunkturellen Lage .

Neben einer guten und deutlichen Einigung in den
laufenden Verhandlungen liegt mir ein ganz anderer As-
pekt am Herzen, der mir Sorgen macht . Es darf keine Ta-
rifflucht im öffentlichen Dienst geben. Aber sie gibt es
bereits . Es gibt in Deutschland bereits einige Gemeinden,
die aus dem kommunalen Arbeitgeberverband ausgetre-
ten sind und damit auch aus dem Flächentarifvertrag . Das
verurteile ich scharf; denn diese Gemeinden haben kei-
nen Grund dazu . Diese Bundesregierung hat die Kommu-
nen entlastet wie keine andere zuvor . Mein Freund Oswin
Veith hat das vorhin – wie andere Vorredner auch – deut-
lich dargelegt . Es ist ein völlig falsches Signal, wenn die
öffentliche Hand auf diese Weise faire und transparente
Arbeitsbedingungen für ihre Beschäftigten verhindert .
Zum einen ist dies ein großer Schaden für die betroffe-
nen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer . Zum anderen
weist ein solcher Schritt in die völlig falsche Richtung .
Wir kämpfen gemeinsam mit der Bundesregierung die
ganze Zeit gegen die zunehmende Tarifflucht in der Pri-
vatwirtschaft . Dieses Ziel wird dadurch torpediert . Gera-
de im öffentlichen Dienst darf es keine Tarifflucht geben.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Ziel ist die Stärkung der Tarifbindung über alle Bran-
chen hinweg . Der Flächentarifvertrag ist eine wesentli-
che Errungenschaft unserer funktionierenden Sozialpart-

nerschaft . Er ist ein wichtiges Instrument, um gerechte
Löhne und Gehälter für die Beschäftigten auszuhandeln,
und er schafft Frieden in den Betrieben .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816514000

Der Kollege Mark Helfrich hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Mark Helfrich (CDU):
Rede ID: ID1816514100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich hätte es mir nicht
träumen lassen, dass ich einmal hier an diesem Ort das
Grundgesetz hochhalte, um die Tarifautonomie gegen die
Einmischung von Linkenpolitikern dieses Landes zu ver-
teidigen . Ich werde gleich dezidiert den Kolleginnen und
Kollegen der Linken die Tarifautonomie gemäß Artikel 9
Absatz 3 – es lohnt sich, ihn zu lesen, Frau Kollegin – er-
läutern . Ich möchte feststellen, dass wir uns mit der ini-
tiierten Aktuellen Stunde in laufende Tarifverhandlungen
im öffentlichen Dienst einmischen .


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Hoffentlich positiv!)


Aber mich wundert bei den Linken mittlerweile nichts
mehr, nicht einmal der Widerspruch, dass sie beim The-
ma Tarifeinheit jegliche staatliche Regelung zur Tarifau-
tonomie verdammen, während sie sich heute in aktuelle
Tarifverhandlungen einmischen wollen .

Wir haben in Deutschland ein grundgesetzlich ge-
schütztes Recht für Tarifpartner, durch freie Vereinba-
rungen Tarifverträge auszuhandeln, ohne dass eine staat-
liche Stelle mitwirkt . Das nennt man Tarifautonomie . Die
Quelle im Grundgesetz ist genannt . Das, was derzeit im
öffentlichen Dienst passiert, ist gelebte Tarifautonomie .
Der Begriff „Autonomie“ als solcher macht schon deut-
lich, dass die Beteiligten, nämlich die Gewerkschaften
auf der einen Seite und die Arbeitgeberverbände auf der
anderen Seite, ihre Angelegenheiten selbst betreiben und
in Verhandlungen zu einem für beide Seiten vertretbaren
Tarifabschluss kommen . Dass dem einen oder anderen
aus Ihrer Fraktion der Rollenwechsel vielleicht manch-
mal schwerfällt und keine klare Unterscheidung zwi-
schen Gewerkschaft und Fraktion erfolgt, mag ich Ihnen
persönlich nachsehen .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ich bin auch beides!)


Sie haben grundsätzlich das Thema nicht verstanden .
Ich will hier festhalten, dass die Tarifparteien keine Rat-
schläge aus der Politik bzw . aus dem Parlament benöti-
gen . Wenn Sie es mir nicht glauben, dann lesen Sie es bei
der Gewerkschaft Verdi nach:

Ein Tarifvertrag ist ein schriftlicher Vertrag zwi-
schen einem Arbeitgeber oder Arbeitgeberverband

Bernd Rützel






(A) (C)



(B) (D)


und einer Gewerkschaft . Einmischung ist nicht er-
laubt,

– jetzt bitte gut zuhören -

das gilt auch für den Staat .

Die Politik ist also gut beraten, sich nicht einzumi-
schen . Die CDU/CSU wird das auch nicht tun und wird
sich dementsprechend in dieser Debatte verhalten .

Wenn es der Linken tatsächlich um tarifbeschäftigte
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ginge, dann hätten
Sie zum Beispiel in Brandenburg fünf Jahre Zeit gehabt,
entsprechend zu handeln . Dort ist die Linke Regierungs-
partei . Sie hätten durchaus die Möglichkeit, in Ihrer Ar-
beitgeberfunktion Einfluss zu nehmen. Mir ist nicht in
Erinnerung, dass Sie von der Linken in den Tarifrunden
2011, 2013 oder 2015 über die von der Tarifgemeinschaft
der deutschen Länder ausgehandelten Entgelterhöhun-
gen hinaus mit gutem Beispiel vorausgegangen wären .
Nein, Brandenburg hat natürlich eins zu eins alle drei Ta-
rifrunden übernommen . Es gibt dort keine höheren Ver-
gütungen . Es bleibt vielleicht noch die Hoffnung, dass
sich demnächst in Thüringen, wo Sie als Arbeitgeber
noch mehr Einfluss haben, etwas ändern wird.

Ich habe recherchieren lassen, ob es sich vielleicht auf
kommunaler Ebene bei der Linken anders verhält, ob es
Oberbürgermeister oder Landräte gibt, die sich bei den
kommunalen Arbeitgeberverbänden für entsprechend
höhere Abschlüsse und freiwillige höhere Leistungen
bzw . für eine Eins-zu-eins-Übernahme der Forderungen
der Gewerkschaften einsetzen würden . Es ist ehrlicher-
weise nirgendwo überliefert, dass es derartige Forderun-
gen seitens Ihrer Kommunalpolitiker gibt .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Die hängen alle in der Schuldenbremse!)


– Ja, in der Tat, da sprechen Sie einen gewichtigen Punkt
an . Wir haben bei den Verhandlungen, die anstehen, nicht
nur Verhandlungen, die die Beschäftigten des Bundes
betreffen, sondern auch die Beschäftigten der Kommu-
nen . Dementsprechend müssen wir auch an dieser Stelle
Rücksicht nehmen .

Wir sind uns alle einig, dass der Staat, die Verwaltung,
die Beschäftigten im öffentlichen Dienst gerade in diesen
schwierigen Monaten der Flüchtlingskrise sehr viel ge-
leistet haben und dass wir darauf angewiesen sind, dass
die Menschen gute Arbeit leisten und diese Arbeit gut
entlohnt wird .


(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist eine kontinuierliche Herausforderung!)


Ich stimme dem Bundesinnenminister daher zu, dass
das Anliegen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im
öffentlichen Dienst nach angemessener Lohnerhöhung
natürlich berechtigt ist . Am Ende des Tages müssen die
Forderungen auch umsetzbar sein . Leider ist es nicht so,
dass der Staat eine Kuh ist, die im Himmel frisst und auf
Erden gemolken werden kann . Ich habe es bereits gesagt:
Die Finanzlage der Kommunen ist in vielen Bereichen
prekär . Das müssen wir bedenken .

Lassen Sie also die Tarifparteien in Ruhe verhandeln
und uns das Ergebnis der Tarifverhandlungen abwarten .
Ich bin mir sicher, dass auch in dieser Tarifrunde eine für
alle Beteiligten vertretbare Einigung erzielt wird .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Abschließend noch ein Hinweis dazu, wo wir tatsäch-
lich etwas tun können, liebe Kolleginnen und Kollegen
der Linken: Die Aufgabe des Deutschen Bundestages
wird darin bestehen, für die knapp 300 000 Beamtinnen
und Beamten des Bundes einschließlich der Soldaten und
Richter eine möglichst inhaltsgleiche Übertragung des
Tarifabschlusses zu gewährleisten . Das haben wir in den
letzten Jahren geschafft . Das sollten wir zu gegebener
Zeit entschlossen anpacken .

Herzlichen Dank für Ihr Zuhören .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816514200

Das Wort hat der Kollege Albert Weiler für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Albert Weiler (CDU):
Rede ID: ID1816514300

Sehr geehrte Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kol-

legen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne!
Die Linke will sich abermals in die Aufgaben und Zu-
ständigkeiten der Tarifparteien einmischen . Das haben
wir oft genug gehört . Jetzt stellt sich aber die Frage: Wa-
rum? Ich sage Ihnen, warum: weil sie Geld daran ver-
dient .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Jetzt schauen wir einmal auf die offiziellen Seiten des
Deutschen Bundestages . Die Linke klagt immer wieder
über Mandatslobbyismus . Hier sage ich: Wasser predi-
gen und Wein trinken .

Die Linke leistet sich Abgeordnete, die sich neben
ihrer eigentlichen Aufgabe in einem Nebenjob von Ge-
werkschaften zusätzlich ordentlich bezahlen lassen,


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das müssen Sie gerade sagen!)


zum Beispiel die Sozialpolitikerin Frau Zimmermann
oder auch Sie, Frau Krellmann, und die bis zu 42 000 Euro
im Jahr verdienen . Das verdienen die meisten Menschen
in Deutschland nicht . Sie vermischen Ihren hochbezahl-
ten Nebenjob mit dem Bundestagsmandat und nutzen
Ihre Position, um öffentlich auf Staatskosten Lobbyis-
mus zu betreiben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn Sie glauben, dass der Wähler das nicht erkennt,
dann befinden Sie sich auf dem sogenannten Holzweg.


(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie bewegen sich auf ganz dünnem Eis!)


Mark Helfrich






(A) (C)



(B) (D)


Tarifverhandlungen werden am Verhandlungstisch der
Tarifpartner geführt und nicht im Deutschen Bundestag .
Die Arbeitgeber wollen eine zügige und konsensorien-
tierte Tarifrunde . Streiks im öffentlichen Dienst gehen
nur zulasten der kleinen Leute . Deshalb fordert zum
Beispiel der Verband kommunaler Arbeitgeber zur kon-
struktiven Kompromisssuche auf . Das wünsche ich mir
auch von Ihnen, besonders als Abgeordnete, aber auch
als Gewerkschaftsvertreter .

Wir stimmen dem deutschen Beamtenbund zu, wenn
er sagt, dass die Flüchtlingssituation allen gezeigt hat,
wie wichtig ein motivierter, funktionsfähiger und per-
sonell angemessen ausgestatteter öffentlicher Dienst ist .
Ich stimme auch der Polizeigewerkschaft zu, wenn diese
sagt, dass die Polizistinnen und Polizisten bei der Bewäl-
tigung des Flüchtlingsstroms Übermenschliches geleistet
haben . Aber was ich nicht will, meine Damen und Her-
ren, ist, dass es heißt: Wir erkaufen uns die Menschlich-
keit . – Das würde keinem gerecht werden, weder den
Ehrenamtlichen noch den Hauptamtlichen .

Als ehemaliger Gewerkschafter stehe ich ganz klar
für eine angemessene Tarifanpassung . Aber noch einmal:
Die Diskussion gehört nicht in den Deutschen Bundes-
tag, sondern an den Tisch der Tarifpartner .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Als ehrenamtlicher Bürgermeister meiner Heimatge-
meinde trage ich eine enorme Verantwortung für die Ent-
wicklung meiner Gemeinde und für ein gutes Bildungs-
und Freizeitangebot . Der Schuldenstand der Kommunen
ist auf einem neuen Rekordniveau . Die Höhe der Ver-
schuldung beträgt nunmehr 145 Milliarden Euro . Der
Investitionsstau liegt bei weit über 100 Milliarden Euro .
Eine Erhöhung der Tabellenentgelte um 6 Prozent und
die anderen Forderungen bedeuten Mehrkosten in Höhe
von etwa 6 Milliarden Euro, und das können wir uns
nicht leisten . Das verhindert Investitionen, auch in den
Kindergärten und Schulen, die dringend notwendig sind .

Die Länder sind nicht bereit, das zu kompensieren .
Bestes Beispiel – da sind wir wieder bei den Linken – ist
die von Bodo Ramelow, also von den Linken, geführte
Thüringer Landesregierung . Hier werden nicht einmal
die Gelder, die der Bund für die Kommunen zur Beseiti-
gung der Flüchtlingskrise bereitgestellt hat, eins zu eins
weitergegeben .


(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)


Jetzt bitte ich die linken Gewerkschaftsvertreter, die
selbst noch aktive und bezahlte Gewerkschafter sind:
Nehmen Sie bitte Einfluss auf die Gewerkschaft, dass
ein moderates Tarifergebnis erzielt wird, das beide Sei-
ten, sowohl die Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer,
überleben lässt .


(Mechthild Rawert [SPD]: Vor allem die Frauen hätten gern mehr Geld!)


Zum Abschluss möchte ich noch einmal betonen: Ich
bin für eine angemessene Anpassung der Löhne und
Gehälter für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
öffentlichen Dienstes . Aber eine Forderung von 6 Pro-
zent bei einer Inflationsrate von unter 1 Prozent ist weit
von dem entfernt, was man Augenmaß nennt . Wenn die
Kommunen pleitegehen, meine Damen und Herren, ist
keinem geholfen, auch nicht den Mitarbeitern .

An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal ganz
herzlich bei den vielen Helferinnen und Helfern, ob
ehrenamtlich oder hauptamtlich, bedanken, die in der
schwierigen Zeit der Bewältigung der Flüchtlingskri-
se, bei der momentan Gott sei Dank Licht am Ende des
Tunnels zu erkennen ist, tatkräftig mitgearbeitet haben .
Ohne sie hätten weder die Länder noch der Bund dies
alles stemmen können . Sie sollen eine angemessene Ta-
riferhöhung bekommen . Aber bitte, liebe Kolleginnen
und Kollegen der Linksfraktion, sehen Sie das nicht als
Bezahlung in der Flüchtlingsarbeit . Menschlichkeit kann
man sich nicht erkaufen .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . Ich wünsche
Ihnen allen ein schönes Wochenende .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1816514400

Die Aktuelle Stunde ist beendet .

Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord-
nung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 27 . April 2016, 13 Uhr, ein .

Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen bis
dahin alles Gute .