Protokoll:
18092

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 92

  • date_rangeDatum: 6. März 2015

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:09 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/92 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 92. Sitzung Berlin, Freitag, den 6. März 2015 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 19: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes für die gleichbe- rechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentli- chen Dienst Drucksachen 18/3784, 18/4053, 18/4227 8739 A – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/4228 . . . . . . . . . . . . . . 8739 B b) Zweite und dritte Beratung des von den Ab- geordneten Ulle Schauws, Renate Künast, Katja Dörner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur geschlechtergerechten Besetzung von Aufsichtsräten, Gremien und Führungs- ebenen (Führungskräftegesetz) Drucksachen 18/1878, 18/4227 . . . . . . . . 8739 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Zweiter Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Bundes- gleichstellungsgesetz – (Berichtszeit- raum 1. Juli 2004 bis 30. Juni 2009) – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Fünfter Gremien- bericht der Bundesregierung zum Bundesgremienbesetzungsgesetz – (Berichtszeitraum 30. Juni 2005 bis 30. Juni 2009) Drucksachen 17/4307, 17/4308 (neu), 18/4227 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8739 B Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8739 D Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 8741 B Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . 8743 A Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8744 C Birgit Kömpel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8746 B Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . 8747 C Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . 8748 B Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8750 A Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8751 B Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . . 8752 B Heiko Maas, Bundesminister BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8754 A Gudrun Zollner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 8755 A Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8756 B Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8757 A Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 8757 C Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 8758 C Christina Jantz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8760 B Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sofortmaßnahmen für die Agrar- wende – Für eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft und gutes Essen Drucksache 18/4191 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8762 B Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8762 C Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . 8763 C Ingrid Pahlmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 8764 B Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . 8766 A Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . 8767 A Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU) . . 8768 C Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 8770 C Rita Hagl-Kehl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8771 B Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8772 B Rita Stockhofe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 8773 A Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8774 D Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8775 B Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 8776 C Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung Drucksachen 18/4097, 18/4199 . . . . . . . . . . . 8778 A Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8778 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 8779 D Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8780 D Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8782 D Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 8784 A Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8785 C Tagesordnungspunkt 22: a) Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gewährleistung des Schienenpersonen- fernverkehrs Drucksache 18/4186 . . . . . . . . . . . . . . . . . 8786 A b) Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mehrwertsteuerreduktion im Schienen- personenfernverkehr Drucksache 18/3746 . . . . . . . . . . . . . . . . . 8786 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeord- neten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rückzug der Deutschen Bahn AG bei Nacht- und Autoreisezügen stoppen – Nachhaltige Reisekultur in Europa fördern Drucksachen 18/2494, 18/4080 . . . . . . . . 8786 B Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 8786 C Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . . . 8787 D Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 8788 B Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 8789 C Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8789 D Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 8790 D Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 8791 B Fritz Güntzler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 8792 A Andreas Schwarz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 8793 C Michael Donth (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 8794 C Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Perspektiven für Klimaschutz und Energieeffizienz nach Absage der Bundesregierung an einen Steuerbonus für eine energetische Gebäu- desanierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8795 D Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8796 A Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 8797 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . 8798 B Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8799 C Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 8800 D Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 8802 A Dr. Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8803 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8804 A Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 8805 B Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8806 B Hansjörg Durz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 8807 C Klaus Mindrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8808 D Jan Metzler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 8809 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8810 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 8811 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 III Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Petra Sitte und Kathrin Vogler (beide DIE LINKE) zu den Abstimmungen über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes für die gleichberechtigte Teil- habe von Frauen und Männern an Führungs- positionen in der Privatwirtschaft und im öf- fentlichen Dienst (Tagesordnungspunkt 19 a) 8812 A Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zu den Abstim- mungen über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privat- wirtschaft und im öffentlichen Dienst (Tages- ordnungspunkt 19 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8812 D Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 8812 D Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8812 D Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8813 B Anlage 4 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8813 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8739 (A) (C) (D)(B) 92. Sitzung Berlin, Freitag, den 6. März 2015 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8811 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.03.2015 Binder, Karin DIE LINKE 06.03.2015 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 06.03.2015 Dr. Brandl, Reinhard CDU/CSU 06.03.2015 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 06.03.2015 Dinges-Dierig, Alexandra CDU/CSU 06.03.2015 Drobinski-Weiß, Elvira SPD 06.03.2015 Gohlke, Nicole DIE LINKE 06.03.2015 Gottschalck, Ulrike SPD 06.03.2015 Gröhe, Hermann CDU/CSU 06.03.2015 Grötsch, Uli SPD 06.03.2015 Dr. Gundelach, Herlind CDU/CSU 06.03.2015 Hartmann (Wackernheim), Michael SPD 06.03.2015 Heil, Mechthild CDU/CSU 06.03.2015 Held, Marcus SPD 06.03.2015 Dr. Hendricks, Barbara SPD 06.03.2015 Hiller-Ohm, Gabriele SPD 06.03.2015 Klare, Arno SPD 06.03.2015 Klein-Schmeink, Maria BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.03.2015 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.03.2015 Dr. Malecha-Nissen, Birgit SPD 06.03.2015 Mißfelder, Philipp CDU/CSU 06.03.2015 Möhring, Cornelia DIE LINKE 06.03.2015 Müller (Potsdam), Norbert DIE LINKE 06.03.2015 Müller (Erlangen), Stefan CDU/CSU 06.03.2015 Obermeier, Julia CDU/CSU 06.03.2015 Petry, Christian SPD 06.03.2015 Poschmann, Sabine SPD 06.03.2015 Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.03.2015 Dr. Röttgen, Norbert CDU/CSU 06.03.2015 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.03.2015 Scheuer, Andreas CDU/CSU 06.03.2015 Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.03.2015 Schimke, Jana CDU/CSU 06.03.2015 Schummer, Uwe CDU/CSU 06.03.2015 Spinrath, Norbert SPD 06.03.2015 Steinbach, Erika CDU/CSU 06.03.2015 Dr. Steinmeier, Frank- Walter SPD 06.03.2015 Tank, Azize DIE LINKE 06.03.2015 Terpe, Dr. Harald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.03.2015 Thönnes, Franz SPD 06.03.2015 Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 06.03.2015 Weinberg, Harald DIE LINKE 06.03.2015 Weiss (Wesel I), Sabine CDU/CSU 06.03.2015 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 8812 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 (A) (C) (D)(B) Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Petra Sitte und Kathrin Vogler (beide DIE LINKE) zu den Abstimmun- gen über den von der Bundesregierung einge- brachten Entwurf eines Gesetzes für die gleich- berechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (Tagesordnungspunkt 19 a) Wir haben bei den getrennten Abstimmungen zu Arti- kel 1 (Bundesgremienbesetzungsgesetz – BGremBG) und Artikel 2 (Bundesgleichstellungsgesetz – BGleiG) abgelehnt, während wir den Regelungen für die Privat- wirtschaft zugestimmt haben. Bei der Abstimmung über den gesamten Gesetzentwurf der Bundesregierung haben wir uns enthalten. Unser Abstimmungsverhalten beruht auf folgenden Erwägungen: Der Ausgangspunkt von Gleichstellungspolitik ist es, bestehende Benachteiligungen zu beseitigen – so steht es in Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes. Es ist hingegen nicht ihre Aufgabe alle und alles gleich zu behandeln. Aus der strukturellen Diskriminierung von Frauen in der Arbeitswelt ergibt sich daher der staatliche Auftrag der Frauenförderung, nicht zuletzt in den eigenen Struktu- ren. Obwohl es an einer konsequenten Umsetzung des BGremBG und des BGleiG mangelt, sind darin wichtige Regelungen für die Frauenförderung enthalten. Diese müssten geschärft und durchgesetzt werden. So müsste etwa der gängigen Unterwanderung des § 8 BGleiG – der die bevorzugte Berücksichtigung weiblicher Be- werberinnen bei gleicher Eignung vorsieht – ein Riegel vorgeschoben werden. In der Verwaltungspraxis werden die Vergleichskriterien so stark ausdifferenziert, bis schließlich ein Qualitätsrückstand – meistens der Frau – festgestellt werden kann. Darauf hat auch der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Papier, aufmerksam gemacht. Statt hier nachzubessern, fällt der vorliegende Ent- wurf einer Neugestaltung dieser beiden Gesetze in zen- tralen Punkten hinter den erreichten Stand zurück: Im BGremBG wird die derzeitige Regel der paritätischen Nominierung zu einer 30-Prozent-Quote. Nach heftiger Kritik durch fast alle Sachverständigen an der geplanten verfassungswidrigen Männerförderung durch das neue BGleiG haben die Koalitionsfraktionen diese nicht ge- strichen, sondern unter den Vorbehalt der „strukturellen Diskriminierung“ gestellt. Ein solches Vorhaltegesetz für bis dato unbekannte gesellschaftliche Entwicklungen ist mehr als absurd und zeigt, dass die Große Koalition sich nicht zur Gleichstellung von Frauen mit Männern be- kennt. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Ver- hältnisse ist dieser Perspektivwechsel nicht zu begrün- den, wird aber in der Praxis zu zahlreichen Problemen führen. Des Weiteren wird für das Votum von Gleichstel- lungsbeauftragten eine Frist eingeführt, ohne jedoch ihre Ausstattung mit Personal- und Sachmitteln zu verbes- sern. Angesichts der ohnehin hohen Belastung von Gleichstellungsbeauftragten – manche sind für bis zu 150 Dienststellen in bis zu fünf Bundesländern zuständig – behindert das faktisch ihre Arbeit. Es ist daher nicht überraschend, aber auch nicht zu rechtfertigen, dass eine Begründung dieser Neuregelung durch die Praxis bisher ausblieb. Die Regelungen für die Privatwirtschaft sind hinge- gen ein – wenn auch kleiner – Schritt in die richtige Richtung. Gegenüber den nutzlosen freiwilligen Selbst- verpflichtungen der Vergangenheit wird nun für börsen- notierte oder mitbestimmungspflichtige Unternehmen eine Frauenquote von 30 Prozent gelten. Sicher ist, dass das aber noch nicht das Ende sein kann: Die Linke for- dert eine Frauenquote von 50 Prozent für die Aufsichts- räte wie für Vorstände aller Unternehmen – und nicht nur der 108 im jetzigen Geltungsbereich. Der Einführung der Frauenquote in der Wirtschaft ha- ben wir daher zugestimmt, werden uns aber nicht damit zufrieden geben. Die Praxis hat gezeigt: Verbindliche Frauenquoten sind notwendig, um der Benachteiligung von Frauen ent- gegenzuwirken. Die Anwendung auf nur 108 Unterneh- men in der Privatwirtschaft wiegt die Verschlechterun- gen im öffentlichen Dienst allerdings nicht auf. Bei der Abstimmung über das Gesamtpaket haben wir uns daher enthalten. Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zu den Abstimmungen über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Ge- setzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (Tagesordnungspunkt 19 a) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Ich lehne die Einfüh- rung einer gesetzlichen starren Frauenquote ab. Sie ver- letzt die unternehmerische Freiheit und unterläuft somit ein Grundprinzip der sozialen Marktwirtschaft. Die Frauenquote nimmt Menschen in Haftung für ihr Geschlecht. Dieser staatliche Eingriff vermindert Chan- cen des Einzelnen und bringt neue Ungerechtigkeiten hervor, nur weil andere Angehörige seines Geschlechts tatsächlich oder vermeintlich Vorteile genossen haben. Das ist weder mit meinem Verständnis zur Rolle des Staates in unserer Gesellschaft und Wirtschaft noch mit meinem Menschenbild vereinbar. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich werde heute dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bun- desregierung „Entwurf eines Gesetzes für die gleichbe- rechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Füh- rungskräften in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst und der Ergänzung: Artikel 3 bis 23 zustimmen. Mit der Berliner Erklärung habe ich mit zivilgesell- schaftlichen Gruppen und mit Frauen aus allen Fraktio- nen im Bundestag ein Bündnis für die Frauenquote ge- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8813 (A) (C) (D)(B) schmiedet. Für mich ist es ein Teil meiner politischen Glaubwürdigkeit, heute mit meiner Stimme zu diesem Bündnis zu stehen. Politisch habe ich seit jeher für eine Frauenquote ge- kämpft. Jetzt serviert die Koalition zwar nur ein „Quöt- chen“, dennoch werde ich zustimmen. Wie vielen ande- ren geht auch mir das Gesetz nicht weit genug. Meine Fraktion hat einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, der zeigt, wie es deutlich besser gehen würde. Aber so- fern die Richtung stimmt, helfen auch kleine Schritte auf dem Weg in eine geschlechtergerechte Arbeitswelt, in der nicht mehr nur Männerrunden Entscheidungen tref- fen. Frauen in Führungspositionen können dann nicht nur mitreden, sondern auch nach und nach die Arbeits- welt den Bedürfnissen der Frauen – ihren Bedürfnissen – anpassen. Und ein Kulturwandel, der dazu führt, dass Frauen auch nach vorne streben, weil sie kompetent sind, weil es flexible Kinderbetreuung gibt, weil nicht mehr nur Schein, sondern Sein belohnt wird, weil es möglich ist, Karriere zu machen und dabei auch noch ein Privateben existiert, ein solcher Kulturwandel ist bitter nötig. Und er lohnt sich: Geschlechtergerechtigkeit schreibt schwarze Zahlen, denn heterogene Teams arbei- ten erfolgreicher. Die Wirtschaft, die sich immer noch gegen eine Quote sträubt, wird bald erkennen, dass mehr Frauen in verantwortlichen Positionen klare Vorteile bringen. Ein Grundstein wird heute gelegt, der uns anspornen wird, noch mehr für Frauenförderung zu kämpfen, bis sich die Arbeitswelt auch an die Frauen angepasst hat und sich in ihr beide Geschlechter gleichermaßen zu- rechtfinden. Deshalb ist auch dieser kleine Schritt einer in die richtige Richtung. Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) (CDU/CSU): Ich lehne die Einführung einer gesetzlichen starren Frau- enquote ab. Zum einen stellt sie einen empfindlichen Eingriff in die unternehmerische Freiheit dar. Zum ande- ren gilt, was gegen die kurzzeitig geplante sogenannte „Männerquote“ vorgebracht wurde, auch in Hinblick auf Frauen in Führungspositionen: Aus einer Unterrepräsen- tanz lässt sich nicht zwangsläufig auf eine Diskriminie- rung schließen. Vor allem aber nimmt die Frauenquote Menschen in Haftung für ihr Geschlecht. Sie maßt sich an, durch ei- nen staatlichen Eingriff die Chancen eines Individuums zu vermindern, weil andere Angehörige seines Ge- schlechts tatsächlich oder vermeintlich Vorteile genos- sen haben. Diese kollektivistische Logik der Frauen- quote führt zu individueller Ungerechtigkeit und ist daher weder mit meinem Menschenbild noch mit mei- nem Staatsverständnis vereinbar. Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Delegation des Deutschen Bundes- tages in der Interparlamentarischen Konferenz gemäß Arti- kel 13 des Vertrags über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Fiskal- vertrag) Tagung der Interparlamentarischen Konferenz für die wirtschaftliche und finanzielle Steuerung der Europäi- schen Union vom 29. bis 30. September 2014 in Rom, Italien Drucksachen 18/3783, 18/3890 Nr. 6 Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Erster Fortschrittsbericht Energiewende Drucksachen 18/3487, 18/3617 Nr. 5 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Koordinierungsrahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ ab 1. Juli 2014 Drucksache 18/2200 – Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahreswirtschaftsbericht 2015 der Bundesregierung Drucksache 18/3840 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Rechenschaftsbericht 2013 zur Umsetzung der Nationa- len Strategie zur biologischen Vielfalt Drucksachen 17/13390, 18/770 Nr. 28 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technik- folgenabschätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56a GO-BT Technikfolgenabschätzung (TA) Fernerkundung: Anwendungspotenziale in Afrika Drucksache 18/581 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unions- dokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Be- ratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/3898 Nr. A.6 EP P8_TA-PROV(2014)0103 Drucksache 18/3898 Nr. A.8 Ratsdokument 15164/14 Innenausschuss Drucksache 18/1524 Nr. A.3 Ratsdokument 9212/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.20 Ratsdokument 12013/14 Drucksache 18/3362 Nr. A.1 Ratsdokument 14639/14 Drucksache 18/3898 Nr. A.10 EP P8_TA-PROV(2014)0105 8814 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 (A) (C) (B) Haushaltsausschuss Drucksache 18/3898 Nr. A.12 Ratsdokument 5093/15 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/822 Nr. A.23 Ratsdokument 6651/14 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/3898 Nr. A.14 Ratsdokument 17022/14 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 18/3765 Nr. A.8 EP P8_TA-PROV(2014)0060 (D) Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 92. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 19 Gleichberechtigte Teilhabe an Führungspositionen TOP 20 Agrarwende TOP 21 Bleiberecht und Aufenthaltsbeendigung TOP 22 Schienenpersonenfernverkehr ZP 4 Aktuelle Stunde Klimaschutz und Energieeffizienz Anlagen
Gesamtes Protokol
Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809200000

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 c auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe
von Frauen und Männern an Führungs-
positionen in der Privatwirtschaft und im
öffentlichen Dienst

Drucksachen 18/3784, 18/4053

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend (13. Ausschuss)


Drucksache 18/4227


(8. Ausschuss)


Drucksache 18/4228

b) Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Ulle Schauws, Renate Künast, Katja
Dörner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur geschlechterge-
rechten Besetzung von Aufsichtsräten, Gre-

(Führungskräftegesetz)


Drucksache 18/1878

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend (13. Ausschuss)


Drucksache 18/4227

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss)


– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung
Zweiter Erfahrungsbericht der Bundesre-
gierung zum Bundesgleichstellungsgesetz

(Berichtszeitraum 1. Juli 2004 bis 30. Juni 2009)


– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung
Fünfter Gremienbericht der Bundesregie-
rung zum Bundesgremienbesetzungsge-
setz

(Berichtszeitraum 30. Juni 2005 bis 30. Juni 2009)


Drucksachen 17/4307, 17/4308 (neu), 18/4227
Beschlussfassung

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes-
ministerin Manuela Schwesig.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren Abgeordnete! Der erste Internationale Frau-
entag 1911 war eine Kundgebung für das Frauenwahl-
recht. In der Resolution hieß es damals – Zitat –: Millio-
nen Frauen erheben mit allem Nachdruck Anspruch auf
soziale und politische Gleichberechtigung. – 2015 erhe-
ben wir Frauen immer noch diesen Anspruch; denn die
tatsächliche Durchsetzung der sozialen und politischen
Gleichberechtigung steht noch aus. Aber zwei Tage vor
dem Internationalen Frauentag machen wir in Deutsch-
land einen historischen Schritt für die Gleichberechti-
gung der Frauen. Die Quote kommt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

So selbstverständlich wie die Frauen heute wählen

und gewählt werden können, so selbstverständlich wer-





Bundesministerin Manuela Schwesig


(A) (C)



(D)(B)

den zukünftig Frauen in Führungsetagen von Unterneh-
men und im öffentlichen Dienst mitbestimmen. So
fremd uns heute die Vorstellung ist, dass Frauen poli-
tisch nicht mitbestimmen dürfen, so fremd muss in Zu-
kunft die Vorstellung sein, dass Frauen in Unternehmen
nicht mitbestimmen dürfen,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


zum Beispiel in einem DAX-30-Unternehmen der Ge-
sundheitswirtschaft: 178 000 Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter weltweit, 54 000 davon in Deutschland, zwei
Drittel Frauen. Diese Frauen organisieren diesem Unter-
nehmen Milliardenumsätze und -gewinne. Ich kenne
diese Frauen; sie arbeiten zum Beispiel im Catering, im
Putzdienst, in Krankenhäusern. Sie haben bis vor kur-
zem weniger als den Mindestlohn bekommen. Sie sind
teilweise ungewollt auf Teilzeit gedrückt worden.

Wer glaubt, dass sich für diese Frauen etwas ändert,
wenn es in der Führungsetage der Unternehmen keine
Frau gibt, die dort mit hinschaut? In diesem Unterneh-
men ist keine einzige Frau im Vorstand, keine einzige
Frau im Aufsichtsrat. Das muss sich ändern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Frauen müssen dort, wo über Lohn und Arbeitsbedin-
gungen entschieden wird, präsent sein. Sie müssen an
der Spitze dieser Unternehmen vertreten sein.

Das zeigt, dass dieses Gesetz nicht nur auf die Füh-
rungsetagen wirkt, sondern ganz konkret bei den Frauen
vor Ort ankommt. Es ist ein Gesetz, das für Millionen
von Frauen wirkt: für die Frauen, die in den großen Un-
ternehmen mit der festen Quote arbeiten, aber auch für
die Frauen, die in mittleren Unternehmen arbeiten, für
die Zielvorgaben gelten.

Sehr geehrte Abgeordnete, ein Gesetz mit einer Idee,
die seit 1982 diskutiert wird, braucht auf seinem Weg
zur Verabschiedung viele Unterstützerinnen und Unter-
stützer. Wenn ich ein Mann wäre, würde ich sagen: Das
hätte ich alles alleine geschafft. – Aber das bin ich zum
Glück nicht.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ich hatte viele Unterstützerinnen und Unterstützer aus
Verbänden, Initiativen, aus der Wissenschaft, und es gab
politischen Druck von starken Frauen und modernen
Männern. Viele davon sind heute hier. Einer dieser mo-
dernen Männer ist unser Bundesjustizminister Heiko
Maas. Vielen Dank, lieber Heiko! Es hat Spaß gemacht,
mit dir diese Schlacht zu schlagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eine starke Frau ist Andrea Nahles, die dieses Gesetz
mit gestaltet hat. Vielen Dank, liebe Andrea! Es hat Spaß
gemacht, diese Schlacht mit dir zu schlagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In allen Fraktionen, in den Regierungsfraktionen, die
zum großen Teil an meiner Seite gestanden haben, aber
auch in den Oppositionsfraktionen, gibt es Frauen, die
die Berliner Erklärung initiiert haben, die auch heute
Grundlage ist. Deshalb werbe ich: Unterstützen Sie die-
ses Gesetz im Geiste der Berliner Erklärung! Das heißt:
Über Klein-Klein hinweggehen, den Konsens suchen
und heute ein starkes Signal an die Frauen geben!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mitstreiterinnen sitzen auch auf der Besuchertribüne.
Ich will stellvertretend Frau Schulz-Strelow von FidAR
danken, die seit 2006 an unserer Seite kämpft.


(Beifall im ganzen Hause)


Ich freue mich, dass Sie alle gekommen sind. Das ist
heute auch Ihr Tag.


(Beifall im ganzen Hause)


Ich möchte mich auch bei denen bedanken, die Wi-
derstand geleistet haben. Dieser Widerstand hat gezeigt,
welche Widerstände Frauen in der Arbeitswelt aushalten
müssen: dass ihre Kompetenzen nicht honoriert werden,
dass ihre Leistung nicht anerkannt wird, dass sie oft
schlechter bezahlt werden, dass sie Nachteile haben,
wenn sie Beruf und Familie vereinbaren wollen, und
dass sie trotz guter Qualifikation nicht in den Füh-
rungsetagen ankommen. Diese Widerstände zeigen: Ver-
änderung und Gerechtigkeit für Frauen kommen nicht
von allein. Wir müssen gemeinsam dafür kämpfen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Widerstand zeigt auch: Veränderung ist möglich;
der Kulturwandel kommt. – Allein die Diskussion um
dieses Gesetz hat zu Veränderungen geführt: in den Un-
ternehmen, aber auch in Bereichen, die gar nicht vom
Gesetz betroffen sind. Zum Beispiel sagt der Deutsche
Caritasverband: 80 Prozent der Menschen, die bei uns
arbeiten, in Bereichen wie Kita oder Pflege, sind Frauen.
Aber in den Führungsetagen sind nur 20 Prozent Frauen.
Auch das muss sich ändern. – Sie sehen: Dieses Gesetz
strahlt in viele Bereiche aus, in denen Frauen mehr An-
erkennung für ihre Leistung verdient haben: in die Ge-
sellschaft, in die Wirtschaft, in den öffentlichen Bereich.

Ich freue mich, dass der Verfassungsjurist Professor
Joachim Wieland in der Anhörung dargestellt hat, dass
dieses Gesetz verfassungsfest ist. Es ist mit dem An-
spruch, moderne Gleichberechtigung für Frauen und
Männer zu schaffen und auch moderne Männer zu för-
dern, zum Beispiel bei der Vereinbarkeit von Beruf und
Familie, verfassungsgemäß. Man muss sich politisch
entscheiden, welchen Weg man gehen will.

Ich habe mich entschieden: Ich möchte moderne
Gleichberechtigung, die auf Frauenförderung setzt, die
aber auch die modernen Männer mitnimmt:


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wollen wir nicht alle Männer mitnehmen?)






Bundesministerin Manuela Schwesig


(A) (C)



(D)(B)

die Männer, die mit ihrer Partnerin partnerschaftlich zu-
sammenleben wollen, die Männer, die ihre Partnerin bei
der Berufstätigkeit unterstützen, die modernen Männer,
die sagen: Auch ich möchte Zeit für Familie haben; auch
ich nehme einmal Elternzeit oder arbeite Teilzeit. – Das
müssen wir unterstützen. Es gibt Gleichberechtigung für
Frauen nur, wenn wir diese modernen Männer mitneh-
men und sie starkmachen, sodass die Männer von ges-
tern weniger werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Damen und Herren, zum Abschluss: Es
ist ein weiter Weg bis zur tatsächlichen Gleichberechti-
gung von Frauen und Männern. Das Motto der Vereinten
Nationen zum Internationalen Frauentag 2015 heißt
„Make It Happen“. – Sorgt dafür, dass es passiert. – Das
werden wir tun.

Heute ist ein Tag, auf den wir stolz sein können. Wir
feiern den Internationalen Frauentag seit 1911. Dieses
Mal werden wir erstmalig einen Internationalen Frauen-
tag feiern, an dem der Deutsche Bundestag eine Quote
beschlossen hat. Das ist ein historischer Schritt. Die
Quote kommt.

Vielen Dank für Ihre Unterstützung.


(Langanhaltender rhythmischer Beifall bei der SPD – Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809200100

Das Wort hat die Kollegin Caren Lay für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809200200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist

schon ein bisschen die Woche der klitzekleinen Fort-
schritte.


(Widerspruch bei der SPD)


Gestern ging es um ein Mietpreisbremschen, und heute
diskutieren wir ein Frauenquötchen.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ein Frauenknöllchen?)


Wissen Sie, eines ist völlig unstrittig: Die Frauen-
quote für die Wirtschaft ist längst überfällig.


(Christine Lambrecht [SPD]: Genau!)


Die jahrelangen Appelle an die Wirtschaft haben nichts
genutzt. Selbstverpflichtungen haben nicht geholfen. In
den meisten Führungsetagen gibt es nicht per Gesetz,
aber doch in der Praxis eine Männerquote von gut und
gerne 80 Prozent. Das müssen wir wirklich ändern.


(Beifall bei der LINKEN)


Viele Frauen scheitern auf dem Weg nach oben nicht
etwa daran, dass sie schlechter ausgebildet sind oder we-
niger können, sondern sie scheitern an Männerbünden in
den Vorstandsetagen und an der unsichtbaren gläsernen
Decke. Auch das kann tatsächlich nur eine Quote behe-
ben. Deswegen freuen wir uns natürlich im Prinzip, dass
die Quote für die Privatwirtschaft endlich kommt.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei Lichte be-
trachtet muss man natürlich unterm Strich feststellen,
dass die feste Quote gerade einmal für 180 Frauen in
dieser Republik kommt. 180 Frauen in dieser Republik
dürfen sich jetzt über die Quote, die wir heute beschlie-
ßen, freuen.


(Ulli Nissen [SPD]: Das ist doch super!)


Ich finde, das ist besser als nichts, aber ich finde auch, da
wäre mehr drin gewesen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Mehr geht immer!)


Für die restlichen 3 500 Unternehmen, die entweder
börsennotiert oder mitbestimmungspflichtig sind, soll es
lediglich Zielgrößen geben. Dazu sagen wir: Das ist ei-
gentlich nichts anderes als die Selbstverpflichtung im
neuen Gewand, und die ist schon einmal gescheitert.
Deswegen sagen wir als Linke ganz deutlich: Eine wirk-
liche Frauenquote muss für alle Unternehmen gelten.


(Beifall bei der LINKEN)


Gerade weil wir hier tatsächlich über gerade einmal
180 Frauen reden, die von diesem Gesetz profitieren
werden, kann man sich natürlich schon fragen: Warum
eigentlich der ganze Widerstand? Warum mussten die
Frauen aus Initiativen und Verbänden sowie aus allen
Fraktionen so lange dafür kämpfen? Der ganze Wider-
stand, der vor allen Dingen aus Wirtschaftskreisen kam,
aber auch aus der Union mitgetragen wurde, begleitet
auch von dem einen oder anderen sexistischen Spruch,
war einfach völlig unangemessen und steht in gar kei-
nem Verhältnis zu dem, was im Gesetzentwurf tatsäch-
lich geregelt wird.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt schreiben wir heute für die 108 Unternehmen
eine feste Frauenquote von 30 Prozent vor. Warum so
zaghaft? Wir hätten uns schon gefreut, wenn wir hier
eine Frauenquote von 50 Prozent hätten beschließen
können. Ich stelle fest – das ist in der Tat begrüßens-
wert –, dass in dieser Frage die Debatte tatsächlich wei-
tergegangen ist. Das erkennt man, wenn man – vor ein
paar Tagen habe ich das gemacht – beispielsweise die
Lokalzeitungen aufschlägt. Da ging es um den Schützen-
verein im niederbayerischen Obergessenbach. Der hat
sich in der Lokalpresse damit gerühmt, dass er einen
neuen Vorstand gewählt und eine Frauenquote von fast
50 Prozent eingeführt hat.


(Sönke Rix [SPD]: Sehr gut! Und das ohne Gesetz!)






Caren Lay


(A) (C)



(D)(B)

Dazu muss ich sagen: Daran hätte sich die CSU in den
letzten Jahren einmal ein Beispiel nehmen können.
Diese Praxis, die es jetzt in Niederbayern gibt, hätte auch
locker bundesweit zur Geltung kommen können.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Leider, verehrte Kollegen aus der Union, ist der Fort-
schritt mit Ihnen eine Schnecke. Wenn wir mit dieser
Geschwindigkeit weitermachen, müssen wir noch wei-
tere 100 Jahre warten, bis wir endlich eine gleichberech-
tigte Teilhabe von Frauen in allen Unternehmen haben.
Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir ein-
fach noch ein bisschen mehr Tempo machen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es ist uns unverständlich – das wird ja auch von Ge-
werkschaftsseite heftig kritisiert –, dass die 30-Prozent-
Quote für den gesamten Aufsichtsrat gelten soll. Das
Problem ist, dass die Quote von der Arbeitnehmerseite
häufig schon eingehalten wird, von der Kapitalseite aber
so gut wie gar nicht. Bei einer Gesamtbetrachtung kann
sich die Arbeitgeberseite also ein Stück zurücknehmen
und muss an diesem Fortschritt selber nicht teilhaben.
Deswegen sagen wir: Die Gesamtbetrachtung des Auf-
sichtsrates ist eine falsche Regelung. Man hätte das mit
minimalem Aufwand ändern können. Ich verstehe nicht,
warum wir das heute nicht einfach tun.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich finde es auch sehr bedauerlich, dass bei Nicht-
einhaltung der Quote eigentlich nichts folgt. Wenn die
108 Unternehmen die Quote nicht einhalten, heißt das:
Der Stuhl bleibt leer. Bei den anderen 3 500 Unterneh-
men folgt bei Nichteinhaltung der Quote im Grunde
nichts. Das macht die sogenannte Flexiquote endgültig
wirkungslos.

Meine Damen und Herren, trotz all dieser Einschrän-
kungen begrüßen wir natürlich den ersten Einstieg in
eine Frauenquote in der Privatwirtschaft und können die-
sem Teil des Gesetzentwurfs bei einer getrennten Ab-
stimmung auch zustimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Aber leider ändern Sie ohne Not – mir erschließt sich
nicht, warum – gute Gesetze zum Schlechteren. Ja, Sie
hören richtig: Die Einführung der Frauenquote in der
Privatwirtschaft wird erkauft mit einer deutlichen Ver-
schlechterung im öffentlichen Dienst. Das finde ich
wirklich absurd.


(Beifall bei der LINKEN)


Eine bestehende Quote von 50 Prozent bei Bundesgre-
mien wird nun auf 30 Prozent gesenkt. Es ist völlig klar,
dass es an der Umsetzung der Quote hapert; aber die
Quote abzusenken, anstatt zu schauen, wie wir sie durch-
setzen können, ist nun wirklich der falsche Weg.
Noch umstrittener sind die Änderungen im Bundes-
gleichstellungsgesetz. Hier ging es um die klassische
Frauenförderung. Nach einem neumodischen Grundsatz
der Geschlechteransprache soll es nun darum gehen,
dass nicht länger Frauen gefördert werden, sondern das
jeweils unterrepräsentierte Geschlecht, also beispiels-
weise im Vorzimmer die Männer.

In der Anhörung ist Ihnen diese sogenannte Männer-
quote ordentlich um die Ohren geflogen. Ich muss sagen,
dass ich wirklich selten eine Anhörung erlebt habe, in
der ein Gesetzentwurf von den Sachverständigen, die
von den Koalitionsfraktionen benannt wurden, so ein-
deutig verrissen wurde. Diese Männerquote ist nichts an-
deres als die Verkennung der Tatsache, dass es Frauen
sind, die immer noch strukturell benachteiligt werden,
wie es die Regierung selber feststellt. Aber wir sind froh,
dass im Ausschuss mit einem Änderungsantrag auf den
letzten Metern zumindest dafür gesorgt wurde, dass die
diesbezügliche Formulierung vielleicht nicht mehr ver-
fassungswidrig ist, was viele Sachverständige befürchtet
haben. Aber es ist noch völlig unklar, was die neue For-
mulierung in der Praxis bedeutet.

Ich möchte ganz ehrlich sagen: Auch wir begrüßen ei-
nen Ansatz, der Männer mitnimmt. Auch ich fände es
sehr begrüßenswert, wenn wir mehr Männer in Vorzim-
mern, als Grundschullehrer oder als Kindergärtner hät-
ten. Die Frage ist nur: Wie kann man das tatsächlich re-
geln? Die Männer sind in diesen Berufen ja nicht
deswegen unterrepräsentiert, weil sie strukturell benach-
teiligt sind, sondern weil diese Berufe so schlecht be-
zahlt sind. Deswegen sagen wir: Sorgen Sie für eine bes-
sere Bezahlung in diesen Berufen! Das ist der beste Weg,
damit sich endlich mehr Männer für diese Berufe bewer-
ben.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, zum Schluss möchte ich
noch sagen, was aus meiner Sicht der richtige Weg ge-
wesen wäre: Wir als Linke fordern eine Frauenquote von
50 Prozent


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Bloß?)


ohne Wenn und Aber, die nicht nur für die Aufsichtsräte,
sondern bitte schön auch für die Vorstände gelten sollte.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Verlangen Sie das auch in der Fraktionsführung? 50 Prozent?)


Das wäre konsequent. Ich finde es bedauerlich, dass wir
uns darauf heute nicht verständigen können.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809200300

Die Kollegin Nadine Schön hat für die CDU/CSU-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(D)(B)

Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kolle-

gen! Liebe Besucher der Debatte, die Sie heute sehr
zahlreich anwesend sind! Ich sehe auf der Tribüne auch
Kämpferinnen für mehr Frauen in Führungspositionen:
Frau Schulz-Strelow, Frau Süssmuth, Rita Pawelski, die
dieses Thema in den letzten Jahren sehr engagiert voran-
gebracht haben. Herzlich willkommen auch von unserer
Seite! Ich freue mich sehr, dass Sie heute hier sind.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Ministerin hat gesagt, dass heute ein guter Tag für
Frauen ist. Ich sage: Der Tag, an dem wir dieses Gesetz
wieder abschaffen, wird der beste Tag für Frauen sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das wird der Tag sein, an dem wir keine gesetzlichen
Maßnahmen mehr brauchen, um sowohl im öffentlichen
Dienst als auch in den Unternehmen zu mehr Frauen in
Führungspositionen zu kommen. Das wird der Tag sein,
an dem wir keinen Gleichstellungsplan mehr brauchen,
um mehr Familienfreundlichkeit zu ermöglichen und die
Karrierewege von Frauen im öffentlichen Dienst besser
zu gestalten. Der Tag, an dem wir dieses Gesetz wieder
abschaffen, wird der wahre gute Tag für die Frauen in
unserem Land sein. Deshalb freue ich mich heute auf
den Tag, an dem wir dieses Gesetz wieder abschaffen,
meine Damen und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist sehr schade,
dass wir überhaupt gesetzliche Regelungen brauchen,
um für mehr Frauen in Führungspositionen zu sorgen.
Klar ist: Die Zeit der freiwilligen Selbstverpflichtungen
ist vorbei. Man hat sich 2001 unter Rot-Grün zusam-
mengesetzt und gesagt: Wir wollen mehr Frauen in Füh-
rungspositionen. Die Frauen sind heute gut ausgebildet
und kommen jetzt von alleine nach oben. – 14 Jahre spä-
ter müssen wir feststellen, dass das leider nicht der Fall
ist. In den 200 größten Unternehmen sind 18 Prozent
Frauen in Aufsichtsräten und – noch viel erschrecken-
der – gerade einmal 5 Prozent in Vorständen. Mir kann
wirklich niemand sagen, dass es nur eine Handvoll
Frauen in ganz Deutschland gibt, die fähig und willig
sind, in den Vorstandsetagen, in den Führungsetagen der
deutschen Unternehmen ihre Arbeit zu verrichten. 5 Pro-
zent in den Vorständen der 200 größten deutschen Unter-
nehmen, das ist wirklich sehr schade. Deshalb ist es gut,
dass wir uns jetzt mit mehr Engagement zusammen mit
der Wirtschaft auf den Weg machen, diese erschre-
ckende Zahl zu verbessern, zu höheren Prozentzahlen zu
kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Gegensatz zu manch anderen glaube ich noch
nicht einmal, dass es böser Wille der Männer ist, Frauen
nicht nach oben zu lassen. Nein, es sind die Strukturen in
den Unternehmen, die dazu führen, dass es für Frauen
offensichtlich schwierig ist, nach oben zu kommen, ob-
wohl wir sehr viele gut ausgebildete Frauen haben, ob-
wohl wir sehr viele gute Ökonominnen und Juristinnen
haben, die auch in den Aufsichtsräten sitzen könnten.
Wir haben eine gläserne Decke. Deshalb ist es Zeit, dass
wir uns zusammen mit der Wirtschaft fragen: Was kann
man konkret tun, um das besser zu machen?

Deshalb führen wir heute eine Quote ein, eine Quote
mit Augenmaß, und zwar eine feste Quote für die Auf-
sichtsräte der großen Unternehmen, die Vorbildcharakter
haben, auch weil sie börsennotiert sind, und eine flexible
Quote für viele andere Unternehmen. Es ist eben so, dass
ein Stahlunternehmen anders zu betrachten ist als eine
Bank, weil hier einfach andere Voraussetzungen herr-
schen. Ich weiß, dass sich der Koalitionspartner für
die breite Mehrheit der Unternehmen eine Quote von
40 Prozent gewünscht hätte. Aber wir sagen: Man kann
hier nicht mit der Brechstrange vorgehen. Wir brauchen
konkrete Zielvorgaben. Es ist entscheidend, dass sich et-
was in den Unternehmen ändert. Aber ein Stahlunterneh-
men ist anders zu betrachten als eine Bank. Deshalb ist
die Mischung aus Flexiquote für eine Vielzahl von Un-
ternehmen und deren Führungsetagen und fester Quote
für die Aufsichtsräte der Unternehmen, die einen beson-
deren Vorbildcharakter haben, genau richtig. Deswegen
bringen wir heute ein Gesetz auf den Weg, das ausgewo-
gen ist, die Quote mit Augenmaß einführt, für die Unter-
nehmen in unserem Land absolut machbar ist und sie
nicht, entgegen vielen Befürchtungen, mit zu viel Büro-
kratie überfordern wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es geht im öffentlichen Dienst darum, Strukturen auf-
zubrechen. Auch hier ist nicht derjenige am fleißigsten,
der am längsten im Büro sitzt. Auch hier stellen wir lei-
der fest, dass es heute immer noch so ist, dass diejenigen
– Männer und Frauen –, die familiären Verpflichtungen
nachgehen, die ihre Kinder erziehen, die wegen der Kin-
der eine Zeit lang aus dem Berufsleben aussteigen, es
danach schwerer haben, bei ihrer Karriere im öffentli-
chen Dienst nach oben zu kommen. Deshalb sagen wir:
Was wir von den Unternehmen in Deutschland verlan-
gen, verlangen wir auch im öffentlichen Dienst. Deswe-
gen ändern wir das Bundesgleichstellungsgesetz und das
Bundesgremienbesetzungsgesetz mit dem Ziel, auch bei
den Unternehmen, in denen der Bund besetzt, mehr
Frauen in die Gremien zu entsenden, und mit dem Ziel,
auch in der öffentlichen Verwaltung Strukturen zu än-
dern.

Uns als Unionsfraktion ist wichtig, dass das Thema
Familienfreundlichkeit zukünftig eines der Leitbilder im
öffentlichen Dienst sein wird. Das stand immer schon im
Gesetz, aber sowohl Männer als auch Frauen, die wegen
der Erziehung ihrer Kinder eine Zeit lang aus dem Be-
rufsleben aussteigen, haben es schwer. Deshalb ist ein
moderner Ansatz von Gleichstellungspolitik, dass sich
für beide Geschlechter etwas ändert, wenn sie denn Fa-
milienaufgaben wahrnehmen wollen. Deshalb haben wir
den Gesichtspunkt der Familienfreundlichkeit in das Ge-
setz hineinverhandelt. Ich bin meinen Kolleginnen und





Nadine Schön (St. Wendel)



(A) (C)



(D)(B)

Kollegen auch aus dem Innenbereich sehr dankbar, de-
nen dies ebenfalls ein großes Anliegen war.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Frau Lay, Sie haben angesprochen, dass verschiedene
Sachverständige gesagt hätten, das Gesetz sei verfas-
sungswidrig. Sie haben aber außer Acht gelassen, dass
wir im Ausschuss zahlreiche Änderungsanträge einge-
bracht haben, die die Union in den letzten Tagen ausge-
handelt hat.


(Caren Lay [DIE LINKE]: Die aber in der Praxis untauglich sind!)


Sie führen dazu, dass das Gesetz verfassungsgemäß ist,
dass es wesentlich weniger bürokratisch ist als noch vor
zwei Wochen und dass wir uns auf das Wesentliche kon-
zentrieren, auch im öffentlichen Dienst. Gleichmacherei
auf allen Ebenen macht gar keinen Sinn. Wir wollen,
dass sich in den Führungspositionen etwas ändert. Wir
wollen, dass die Behörden Spielraum haben, um ihre
Frauenförderung vorzunehmen. Wir wollen aber nicht
mit der Brechstange auf allen Ebenen 50 Prozent Män-
ner und 50 Prozent Frauen durchsetzen. Das würde die
Verwaltungen überfordern.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Och!)


– Ja, das führt dazu, dass man keine Zeit mehr hat, sich
auf das Wesentliche zu konzentrieren. Deshalb haben
wir diesen Punkt im Gesetz geändert. Dadurch wird das
Gesetz weniger bürokratisch. Dadurch wird das Gesetz
verfassungsgemäß. Ich bin sehr dankbar, dass wir das in
den letzten Tagen noch mit dem Koalitionspartner aus-
handeln konnten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Insgesamt ist es ein gutes Gesetz, das die Strukturen
in den Unternehmen und im öffentlichen Dienst verän-
dern wird. Es wird dazu führen, dass wir mehr Frauen in
Führungspositionen bekommen. Es wird dazu führen,
dass sich die Mentalität in den Unternehmen und im öf-
fentlichen Dienst ändert. Deshalb ist heute ein guter Tag
für Frauen. Ich freue mich ganz besonders auf den Tag,
an dem wir diese Gesetze nicht mehr brauchen, weil wir
dann die Gleichberechtigung erreicht haben und ebenso
viele Frauen in Führungspositionen sind wie Männer.

Herzlichen Dank für die guten Beratungen! Herzli-
chen Dank an alle, die sich für mehr Frauen in Führungs-
positionen engagiert haben! Ihre Arbeit ist noch nicht
vorbei – da bin ich mir sicher. Wir werden gemeinsam
daran arbeiten, dass wir in Deutschland mehr Gleichbe-
rechtigung, mehr Frauen in Führungspositionen und ein
gutes Miteinander der Geschlechter haben; denn nur so
können wir wirtschaftlich international erfolgreich sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809200400

Das Wort hat die Kollegin Katrin Göring-Eckardt für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Ja, das ist heute ein großer Tag. Das ist heute ein
Meilenstein in der Debatte um die Gleichberechtigung
von Frauen und Männern in Deutschland.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


So viele Frauen haben dafür gekämpft, dass es endlich
gleiche Rechte gibt. Heute muss man tatsächlich einigen
ganz persönlich für die Quote danken. Ich will Ramona
Pisal vom Deutschen Juristinnenbund danken. Sie haben
hart gekämpft, und zwar schon richtig lange.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Natürlich danke ich den Frauen von FidAR. Frau
Schulz-Strelow, Sie sind erwähnt worden. Es waren auch
viele andere, die sich immer wieder auf den Weg ge-
macht haben und nicht nur Eulen nach Athen getragen
haben, sondern hart gekämpft und gesagt haben: Wir hö-
ren nicht auf, wir lassen euch nicht in Ruhe, und, ja, wir
nerven. – Herzlichen Dank dafür!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das hat gezeigt: Es gibt sie, die Frauen, die in Führungs-
positionen am besten und gut aufgehoben sind.

Herzlichen Dank an die Frauen, die hier im Parlament
gemeinsam gekämpft haben, die Berliner Erklärung ini-
tiiert haben und parlamentarisch wie außerparlamenta-
risch miteinander gefightet haben. Ich will Ekin Deligöz
danken, ich will Rita Pawelski danken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das war ein schwerer Weg für Sie, und heute kriegen Sie
die Belohnung dafür. Ich will Dagmar Ziegler danken,
und ich will Renate Künast danken. Sie waren diejeni-
gen, die bei der Berliner Erklärung ganz vorn standen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich will danken für Mut. Ich will danken für Aus-
dauer. Ich will danken für Ihre Geduld, dafür, dass Sie
die Sprüche ausgehalten haben: Wollen Sie etwa eine
Quotenfrau sein?


(Ulli Nissen [SPD]: Genau!)


Frauen bestehen doch durch Qualität! – Stimmt schon.
Bei Männern kommt es darauf nicht nur an;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)






Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

da reichen im Zweifel auch die entsprechenden Netz-
werke. Deswegen hier ein klares Bekenntnis: Ja, ich bin
eine Quotenfrau, und ich bin stolz darauf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD])


Die heutige Abstimmung über diesen Gesetzentwurf
ist nicht das Ende des Kampfes, sondern ein Anfang für
mehr: für mehr Chancengleichheit, aber vor allem auch
für mehr unternehmerischen Erfolg, für mehr Frauen
ganz oben und in den Ebenen darunter. Deswegen ist es
schon richtig, von einem Durchbruch zu sprechen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Es ist nicht nur ein Durchbruch, weil sich so viele
Frauen unterschiedlicher Parteien zusammengetan ha-
ben, sondern auch, weil die gläserne Decke endlich zu-
mindest Risse bekommt. Es ist ein Durchbruch; denn die
heutige Abstimmung zeigt, dass die Diskussionen der
letzten 30 Jahre nicht umsonst waren; auch wenn wir
nicht zufrieden sein können. Es ist schon traurig, dass
der Prozess so lange gedauert hat. Eigentlich waren wir
im Dezember 2011 schon einmal genauso weit, wie wir
es heute sind. Dann haben Sie von der Union allerdings
die Zeit genutzt, zu bremsen, zu bremsen, zu bremsen.

Frau Schwesig, wenn Sie ehrlich sind, dann werden
auch Sie sagen: Das ist eher eine Quote light, und das
nervt. – Vielleicht liegt es ja daran, dass die Union nur
ein Drittel Frauen hat, in der Großen Koalition insge-
samt liegt der Anteil bei nicht einmal 32 Prozent. Ich
sage Ihnen: Das wird nur der Anfang sein. Wir werden
weiterkämpfen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Birgit Wöllert [DIE LINKE])


Eine Kritik kann ich Ihnen nicht ersparen. Das Thea-
ter um die Quote, das Sie in den letzten Monaten hier un-
tereinander aufgeführt haben, ist symptomatisch für das,
was die Große Koalition macht. Die Serie heißt „Großer
Streit in der Großen Koalition“; ich habe allerdings ver-
gessen, die wievielte Folge das gerade ist. In den letzten
zehn Tagen ging es dabei um Stromtrassen, Maut, Min-
destlohn, Mietpreise, Einwanderung, Soli und Kinder-
geld;


(Mechthild Rawert [SPD]: Kita!)


das ist eine unvollständige Aufzählung. Meine Damen
und Herren, ich sage Ihnen: Ordentlich regieren tut man
so nicht!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Sönke Rix [SPD]: Was?)


Sie nerven die Öffentlichkeit, und Sie nerven auch das
Parlament.

Ich will zur Quote zurückkommen. Es gibt eine Sa-
che, die nichts mit dem Streit untereinander zu tun hat,
sondern damit, dass auch noch schlampig gearbeitet
wird. „Schlecht gemacht“ war noch das Netteste, was die
Sachverständigen in der Anhörung gesagt haben. Ja,
meine Güte! Wie lange hatten Sie eigentlich Zeit? Gibt
es in den Ministerien tatsächlich niemanden, der ein sol-
ches Gesetz auf Verfassungsfestigkeit prüft?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Schwesig, ich sage Ihnen: Die Frauen haben es ver-
dient, dass Sie professionell an einem solchen Gesetz-
entwurf arbeiten.

Sosehr ich mich über Risse, Durchbruch und Anfang
freue, so ehrlich muss man sagen, wie klein die Maus ist,
die den großen Elefanten „Gleichstellung“ schlucken
soll. Wenn wir heute hier von der Quote sprechen, dann
sprechen wir über etwas mehr als 100 Unternehmen;
ehrlich gesagt, die Heulerei bei vielen dieser Unterneh-
men nervt auch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das heißt, die Arbeitgeberseite muss in den nächsten
Jahren immer mal 60 Frauen finden, die bereit sind, die
es können und die es wollen. Wir reden von 60 Frauen!
Das ist wirklich nur ein Anfang. Man kann nicht sagen:
Das ist ein großer Erfolg. Ich bin mir ganz sicher: Diese
60 Frauen könnten wir innerhalb eines Monats finden.
Wir müssten nicht Jahre warten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn man sich die Geschichte der Gesetzentwürfe
anschaut, dann muss man wahrlich sagen: Das war ein
schwerer Weg. Und es wurde ja alles versucht: mit gu-
tem Zureden, mit Frauen, die deutlich besser waren, als
die männlichen Kandidaten, mit Selbstverpflichtung und
wieder mit Reden. Ehrlich gesagt: Manchmal hatte man
den Eindruck, diese Debatte hat die Dimension von auf-
suchender Sozialarbeit.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)


Der Grund für den Widerstand gegen die Quote ist
und bleibt Machterhalt. Seit Jahren reden wir im Bun-
destag mit der Wirtschaft über Frauen in Führungseta-
gen. Aber die Appelle an Freiwilligkeit haben nichts be-
wegt. Es ändert sich nur etwas, wenn es einen relevanten
Anteil von Frauen in den Führungsetagen gibt. Es wird
sich nur etwas ändern, wenn es dafür eine Verpflichtung
gibt.

Ja, uns wäre ein Frauenanteil von 40 Prozent lieber
gewesen. Ja, es wäre uns sehr viel lieber gewesen, Sie
hätten die 3 500 börsennotierten oder mitbestimmungs-
pflichtigen Unternehmen miteinbezogen; das ist heute
auch unser Angebot an Sie. Sie könnten noch dafür stim-
men. Aber, ehrlich gesagt, so wie Sie aufgestellt sind, ist
das noch nicht einmal eine kleine Mutprobe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

Ich bin mir nach vielen Gesprächen mit Vertretern
von Unternehmen, bei denen ich Argumente gehört
habe, die mich echt fassungslos gemacht haben, ganz si-
cher: Die Quote wird auch für die Unternehmen gut sein.
Alle reden selbstverständlich von Diversity, und das hat
mit unternehmerischem Erfolg zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein Argument, das ich immer wieder gehört habe,
war, Frauen seien für solche Jobs zu wenig vorbereitet.
Aha. Wie ist das eigentlich bei der Bankenkrise gewe-
sen? War da das Problem, dass die Männer, die die
Mehrheit in den Aufsichtsräten gestellt haben, zu wenig
vorbereitet waren?

Dann wird gesagt, Frauen wollten ja gar nicht. Super
Argument! Vielleicht sollte man sich mal darüber Ge-
danken machen, warum manche Frauen sagen, sie wol-
len nicht! Vielleicht haben sie keine Lust auf eine Kultur,
bei der es weniger um die Sache geht als um Konkurrenz
und Wichtigtuerei. Klar ist aber auch: Heute ist der Tag,
wo die Frauen sagen müssen: Ja, ich will, und selbstver-
ständlich kann ich das auch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir brauchen in unserer Wirtschaft das Potenzial von
Frauen für gute Führungskultur, wir brauchen das Poten-
zial für neue Impulse. Und: Nein, wir sind immer noch
nicht müde, wir halten noch eine ganze Menge Macho-
sprüche aus; da können Sie sich sicher sein. Und damit
das klar ist: Frauen bilden Banden, weiterhin.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809200500

Die Kollegin Birgit Kömpel hat für die SPD-Fraktion

das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Birgit Kömpel (SPD):
Rede ID: ID1809200600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau

Bundeskanzlerin! Sehr geehrte Frau Ministerin
Schwesig! Sehr geehrter Herr Minister Maas! Und Sie
sind heute noch nicht genannt worden: Liebe Frau
Scherb vom Deutschen LandFrauenverband! Meine Da-
men und Herren! Der norwegische Wirtschaftsminister
Trond Giske sagte zur Einführung der gesetzlichen Frau-
enquote in seiner Heimat: Brechen wir diese Männerbas-
tion nicht, schaffen wir nie die Gleichberechtigung. –
Und es stimmt: Die freiwilligen Selbstverpflichtungen
sind auf ganzer Linie gescheitert,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

aber nicht daran, meine Damen und Herren, dass es nicht
genügend qualifizierte Frauen gibt. Die gibt es mehr als
genug: besser ausgebildet und besser qualifiziert als ihre
männlichen Mitstreiter. In unseren Führungsetagen aber
sitzen nur Männer – weil Männer immer noch Männer
fördern, weil Netzwerke immer noch männlich domi-
niert sind. Das bedeutet, meine Damen und Herren:
Nicht die Besten gelangen auf die Führungspositionen,
sondern nur die am besten vernetzten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU])


Frauen stoßen auf ihrem Weg nach oben noch immer an
die gläserne Decke. Die Quote schafft jetzt faire Wettbe-
werbsbedingungen.

Nun zum Bundesgleichstellungsgesetz. Warum kein
reines Frauenförderungsgesetz? Zunächst einmal möchte
ich betonen: Der SPD war die Frauenförderung schon
immer wichtig und wird es weiterhin sein. Sie ist auch in
diesem Gesetz klar verankert.


(Beifall bei der SPD)


Aber wir sind – unsere Ministerin Manuela Schwesig hat
es gesagt – für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen
und Männern. Was bedeutet das? Das heißt, wir wollen
Rollendenken aufbrechen, wir wollen die sogenannten
Männer- bzw. Frauenberufe neu bewerten, und wir
möchten, dass Frauen und Männer sich Familienarbeit
partnerschaftlich teilen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Denn bisher ist Frauenarbeit – auch gemäß unserem
Rollendenken – fast immer weniger wert. Kranken-
schwestern und Erzieherinnen, die wahrlich Verantwor-
tung tragen, werden oft viel schlechter bezahlt als die
meisten männlichen Werksarbeiter. Das ist schwer zu
verstehen, und hier müssen wir ansetzen; denn dann erst
gewinnen wir männliche Erzieher und mehr Frauen für
unsere Polizei. Das, meine Damen und Herren, ist ge-
rechte Teilhabe im Berufsleben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Aber Gleichberechtigung fordert noch viel mehr:
Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, das muss
gleichermaßen von Frauen und Männern übernommen
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bisher leisten diese Arbeit in der Regel eben die Frauen.
Das neue Gesetz richtet die Vereinbarkeitsangebote da-
her ausdrücklich auch an Männer. Diese haben Verein-
barkeitsangebote in der Vergangenheit bisher meist aus-
geschlagen, natürlich auch weil sie berufliche Nachteile
befürchtet haben.

Und jetzt? Jetzt haben wir ein Benachteiligungsver-
bot. Wer eine Vereinbarkeitslösung wählt, darf zukünftig
nicht mehr benachteiligt werden, nicht bei der Beförde-
rung, nicht bei der Rückkehr in Vollzeit, nicht auf dem





Birgit Kömpel


(A) (C)



(D)(B)

Karriereweg. So geht Gleichstellung, meine Damen und
Herren!


(Beifall bei der SPD)


Wir müssen den Mädchen und den jungen Frauen
aber auch sagen: Auf geht’s, ihr seid am Zug! Geht euren
Weg! Macht Karriere! – Ich habe eine 17-jährige Tochter
und bekomme Gänsehaut bei dem Gedanken, dass sie
von der Quote profitieren wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie wird nicht mehr gegen die gläserne Decke stoßen –
trotz hervorragender Leistungen.

Noch ein Beispiel. Seit über 20 Jahren arbeite ich in
einem Bereich, in dem ich mit Personalentscheidungen
zu tun habe. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen – frei
nach Maggie Thatcher –: Willst du etwas gesagt haben,
frag einen Mann. Willst du etwas getan haben, frag eine
Frau.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Frauen sorgen nachweislich für mehr Effizienz in Füh-
rungsteams. Das beschränkt sich aber nicht darauf, dass
Besprechungen und Konferenzen kürzer werden. Ge-
mischte Führungsteams sind auch kreativer und produk-
tiver. Endlich gibt es mal geistreiche Witze, Begeiste-
rung und Inspiration.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Aber auch Top-down verändert sich einiges. Plötzlich
gibt es dann familienfreundliche und flexible Arbeitszei-
ten, Kinderbetreuung, Angebote für Teilzeit- und Tele-
arbeit auch für Männer. Quote sorgt für ein besseres
Arbeitsklima. Quote sorgt für eine neue, bessere Unter-
nehmenskultur.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Weil es gerade so perfekt passt, noch ein Beispiel.
Mein Büro in Berlin wird in Teilzeit geführt. Ja, Sie ha-
ben richtig gehört: Meine Büroleitung arbeitet in Teil-
zeit. Wir sehen also: Führungspositionen und Teilzeit
sind kein Widerspruch, auch im Deutschen Bundestag
nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir sehen also: Die Wahrnehmung von Führungspositio-
nen klappt auch in Teilzeit. Darum, meine Herren in der
Wirtschaft: Hören Sie auf zu jammern und zu klagen!
Die Quote wird kommen. Sie wird keinesfalls schaden,
sondern wird vielfachen Nutzen bringen. Sie ist überfäl-
lig; denn Sie, meine Herren, hatten Ihre Chance. Diese
haben Sie vertan.


(Thomas Oppermann [SPD]: Was? – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809200700

Das Wort hat die Kollegin Susanna Karawanskij für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Susanna Karawanskij (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809200800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Gut Ding will bekanntlich Weile haben. Viele
Monate wurde über den Gesetzentwurf diskutiert. Re-
kordverdächtige sechs Referentenentwürfe gingen die-
sem Entwurf voran. Gerade die Wirtschaft jaulte am lau-
testen auf. Die Widerstände von Unternehmen, aber
auch von Teilen der Union waren teilweise aberwitzig.
Wie immer wurde der Untergang des Wirtschaftsstand-
orts Deutschland heraufbeschworen – wie immer zu Un-
recht. Aus linker Sicht gibt es durchaus einige Kritik-
punkte an diesem Gesetzentwurf; darauf hat meine
Kollegin Caren Lay schon deutlich hingewiesen.

Aber ich muss hier auch sagen: Gut Ding musste
nicht nur Weile haben, sondern es musste zusammen mit
Initiativen und Verbänden auch beharrlich Druck aufge-
baut werden. Ich bin froh, dass es gemeinsam gelungen
ist, auch unter Beteiligung der Linken, dass es in
Deutschland zumindest ein bisschen Quote gibt, ein
bisschen „gut Ding“, woran wir alle teilhaben können
und in Zukunft teilhaben werden.


(Beifall bei der LINKEN)


So können wir zumindest den Regelungen für den Be-
reich der Privatwirtschaft zustimmen; denn es ist in der
Tat ein guter Schritt, ein guter Anfang. Natürlich muss
die Tendenz sein, weiterzumachen. Dabei brauchen die
Gegner einer generellen Quotierung und sonstige Hard-
liner gar nicht blass zu werden und den Untergang des
männlichen Abendlandes heraufzubeschwören; denn die
Frauenquote soll gar nicht für alle Unternehmen gelten.
Es geht nicht um eine Quote im Sinne von fifty-fifty,
sondern um schüchterne 30 Prozent. Und diese Quote
soll ja nur für die Aufsichtsräte, allerdings nicht für die
Vorstände gelten. Trotzdem: Es ist ein wichtiger, ein his-
torischer Schritt in Richtung Gleichberechtigung. Vor al-
len Dingen ist der heutige Tag nicht nur ein guter Tag für
Frauen, sondern eigentlich auch ein guter Tag für Män-
ner


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


und für die Unternehmen, die jetzt keine Ausreden mehr
haben, auf den Sachverstand und die Qualität von
Frauen in ihren Reihen zu verzichten.

Eine feste Quote von 30 Prozent soll es nur für die
Aufsichtsräte der ungefähr 100 Großunternehmen ge-
ben. Aber ich möchte an dieser Stelle schon noch einmal
fragen: Was passiert eigentlich mit den 3 500 börsenno-
tierten oder mitbestimmungspflichtigen Unternehmen?
Selbstverpflichtungen haben schon bei den Banken
nichts genützt. Sie nützen auch hier nicht. Bessern Sie
hier nach. Sanktionen bei Nichterfüllung der selbst ge-
steckten Zielvorgaben sind nicht vorgesehen. Einfach ei-
nen Bericht hinzuschludern, reicht nicht aus. Das alles





Susanna Karawanskij


(A) (C)



(D)(B)

hat im Nachgang die Durchschlagskraft eines Papp-
schwerts. Ich möchte Sie auffordern, diese Leerstelle zu
füllen und vor allen Dingen die 30-Prozent-Quote rasch
auf alle börsennotierten oder mitbestimmungspflichtigen
Unternehmen auszuweiten.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich kämpft die Linke auf lange Sicht für eine
Ausweitung der Quote auf 50 Prozent in den Aufsichts-
räten, aber vor allen Dingen in den noch wichtigeren
Vorständen. Grundsätzlich fordern wir das ja nicht nur
für die Privatwirtschaft, sondern auch für den öffentli-
chen Dienst und die gesamte Arbeitswelt.

Wir sollten sehen, dass diese Quote ein Mittel zur
Gleichstellung ist. Sie ist aber nicht deren Ziel. Wir müs-
sen die strukturelle Benachteiligung von Frauen in der
Gesellschaft beseitigen. Um es klar zu sagen: Wir müs-
sen weiter die Weichen dafür stellen, damit Frauen – erst
recht bei gleicher Qualifikation und Eignung – in den
Führungsetagen zur Selbstverständlichkeit werden und
keine exotischen Ausnahmen sind.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte hier noch einmal betonen, dass Frauen
nicht nur im Alltag und im gesellschaftlichen Zusam-
menleben, sondern auch in der Arbeitswelt gleichgestellt
werden müssen. Gerade Frauen sind von Niedriglöhnen
und von prekärer Beschäftigung betroffen. Nicht nur für
sie, aber gerade auch für sie brauchen wir einen flächen-
deckenden gesetzlichen Mindestlohn – ohne Löcher,
ohne Hintertüren und ohne Tricksereien. Es muss weiter
bei den Löhnen und bei den Arbeitsbedingungen ange-
setzt werden, meine Damen und Herren von der Regie-
rungsbank. Wir Linke stehen nach wie vor für gute Ar-
beit und gute Löhne. Das gilt gleichermaßen für Frauen
wie für Männer.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte mit einem Wunsch für die Zukunft schlie-
ßen: Ich wünsche mir für alle Frauen, aber natürlich
auch für die Männer und für die Unternehmen, dass die
Nachfrage, ob man eine Quotenfrau sei, endlich der Ver-
gangenheit angehört. Vielmehr muss es eine Selbstver-
ständlichkeit sein, dass sich genauso wie bei den Män-
nern Qualität durchsetzt – und das nicht nur, weil
übermorgen Frauentag ist.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809200900

Der Kollege Marcus Weinberg hat für die CDU/CSU-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1809201000

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Der siebte Redner

ist der erste Mann. Das ist, glaube ich, gut so.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will jetzt nicht die Reihe der Personen, denen zu
danken ist, fortsetzen. Ich will aber sagen: Es gibt auch
einige Männer, die für die Quote gekämpft haben. Auch
ihnen sei einmal Dank ausgesprochen für die Arbeit der
letzten Wochen und Tage – wie ich glaube, auch zu
Recht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich möchte anknüpfen an das, was gesagt wurde. Wir
haben immer Folgendes gesehen: Die Quote ist nicht das
Ziel. Die gleichberechtigte Teilhabe ist das Ziel. Die
Quote ist ein Hilfsmittel.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich sage das als jemand, der wie viele von uns Freiheit
als das grundlegende Ideal ansieht. Quoten und Quoren
bedeuten immer eine Einschränkung der Freiheit. Inso-
fern ist das, was Nadine Schön gesagt hat, richtig. Das
Ziel muss es sein, dass wir eines Tages auf dieses Gesetz
verzichten, weil wir in einer Gesellschaft leben, in der
wir die gleichberechtigte Teilhabe verwirklicht haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zwei Dinge wurden gesagt, die auch durch Studien
immer wieder belegt werden: Erstens. Frauen werden,
was Führungspositionen angeht, weiterhin benachteiligt.
Zweitens wurde gesagt: Viele in Verantwortung stehende
Personen, insbesondere Männer, hatten die letzten Jahre
viele Chancen. Viele Unternehmen hatten Chancen, frei-
willig dafür zu sorgen, dass mehr Frauen in Führungs-
positionen kommen.

Aber jetzt ist angesichts der weiterhin geringen An-
zahl von Frauen in Führungspositionen in der Privatwirt-
schaft und auch im öffentlichen Dienst der Zeitpunkt ge-
kommen, an dem der Gesetzgeber den Auftrag des
Grundgesetzes umsetzt. Denn das Grundgesetz schreibt
uns in Artikel 3 vor, Gleichberechtigung sicherzustellen.
Deswegen ist es durchaus ein historischer Tag; das ist
richtig. Noch schöner wird der Tag sein, an dem wir auf
dieses Gesetz verzichten können. Noch einmal: Wir ma-
chen eigentlich nicht mehr, als das Grundgesetz zu be-
achten. Das Ziel ist es, eine echte und tatsächliche Chan-
cengleichheit zu erreichen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich möchte gleich noch auf einzelne Punkte des Ge-
setzesvorhabens eingehen. Zuvor möchte ich allerdings
noch zwei, drei Sätze zu grundsätzlichen Fragen einer
Gleichstellungspolitik und Frauenpolitik sagen. Denn es
lohnt sich immer, in der Politik zu fragen: Was ist eigent-
lich das Staatsverständnis, hinter dem wir stehen? Wo-
rum geht es eigentlich grundsätzlich bei der Debatte über
Gleichstellungspolitik?





Marcus Weinberg (Hamburg)



(A) (C)



(D)(B)

Frauen und Männer sind nicht gleich.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was? – Dr. Eva Högl [SPD]: Gott sei Dank!)


Sie sind gleichberechtigt, und sie sind gleichwertig.
Gleichstellungspolitik muss nach unserer Meinung im-
mer vom gleichen Selbstbestimmungsrecht und dem
gleichen Recht eines jeden Individuums ausgehen, nach
einem glücklichen Leben zu streben und sein Leben so
zu leben, wie er oder sie es möchte. Das Recht auf
Selbstverwirklichung ist Kerngedanke der Freiheit. Die
freiheitliche Grundordnung unserer Verfassung ver-
pflichtet den Staat, das Recht auf Chancengleichheit zu
ermöglichen und durchzusetzen. Echte Gleichstellungs-
politik ist daher eine Politik der Freiheit.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eine der Freiheit verpflichtete Gleichstellungspolitik
kann nicht das Ziel haben, die Geschlechter unabhängig
von ihren Interessen und ihren Neigungen gleichzuma-
chen. Eine der Freiheit verpflichtete Gleichstellungspoli-
tik kann auch nicht das Ziel haben, ein bestimmtes
Frauen- oder Männerbild vorzuschreiben.


(Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Vielmehr ist das Ziel: Eine der Freiheit verpflichtete
Gleichstellungspolitik konzentriert sich darauf, dort
Nachteile zu beseitigen, wo sie für ein Geschlecht gege-
ben sind. In alle anderen Bereiche hat sich der Staat
nicht einzumischen. Das setzen wir jetzt mit diesem Ge-
setz tatsächlich um. Wir sagen: Dort, wo es Benachteili-
gungen gibt, werden wir jetzt aktiv. Deswegen ist es
auch an der Zeit, dass dieser Gesetzentwurf jetzt verab-
schiedet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben im parlamentarischen Verfahren lange und
sehr intensiv diskutiert. Wir haben im privatrechtlichen
Teil noch einige Veränderungen durchsetzen können, die
gut und sinnvoll waren,


(Ulli Nissen [SPD]: Na, na!)


weil sie einerseits dem Auftrag des Grundgesetzes ent-
sprechen und andererseits dafür sorgen, dass wir kein
Übermaß an Bürokratie haben. Dazu werden die Kolle-
gen gleich noch einiges sagen.

Beim öffentlich-rechtlichen Teil hatten wir als CDU/
CSU-Bundestagsfraktion allerdings erheblichen Nach-
besserungsbedarf. Denn unser Ziel ist es nicht, Parität
auf allen Ebenen der Bundesverwaltung zu haben, son-
dern unser Ziel ist es nur, Benachteiligungen abzubauen.
Das heißt, statt Frauenförderung sah der Gesetzentwurf
auf allen Ebenen der Bundesverwaltung das Prinzip der
Geschlechterparität vor. Um eines klarzustellen: Auch
ich sage, dass wir in vielen Bereichen, zum Beispiel in
Kitas oder in Grundschulen, mehr Männer brauchen. In
anderen Bereichen brauchen wir natürlich mehr Frauen.
Aber Parität kann kein Staatsziel sein. Das Ziel des Staa-
tes ist es, Benachteiligungen im Sinne der Freiheit abzu-
bauen, und nicht, mit einem jeweiligen Anteil von
50 Prozent Parität und Gleichheit zu schaffen. Das ist
nicht Ziel des Staates.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das haben auch mehrere Sachverständige bei der
Anhörung deutlich herausgearbeitet; dies wurde in der
Debatte schon angedeutet. Hauptkritikpunkt der Sach-
verständigen war das Ziel der Geschlechterparität im
Bundesgleichstellungsgesetzentwurf. In der Praxis hätte
es bedeutet – das wurde häufig angesprochen –, dass die
Bundesverwaltung auf allen Ebenen hätten schauen
müssen, wie es mit der Parität aussieht und wie sie sie
erreicht. Das wollten wir als Union mit unserem freiheit-
lichen Staatsverständnis nicht. Denn unser freiheitliches
Staatsverständnis beruht darauf, dass der Staat nur dann
gesetzlich eingreifen soll und darf, wenn bestehende
Nachteile für ein Geschlecht beseitigt werden müssen.

Das Ziel der Geschlechterparität unabhängig von der
Benachteiligung, also nur um der Parität willen, ist mit
unserem Staatsverständnis nicht vereinbar. Deshalb war
es gut, dass wir im parlamentarischen Verfahren – wir
sind ja selbstbewusste Parlamentarier – das eine oder
andere noch geändert haben. Damit kommt jetzt zur Gel-
tung, worauf es ankommt: Frauen, die strukturell be-
nachteiligt werden, werden weiterhin gefördert. Das
muss unser Ziel sein. Im Bereich der Privatwirtschaft
wollen wir mit der festen Quote deutlich machen, dass
dieses Ziel umgesetzt werden muss.

Wir sind mit dem Gesetzentwurf in der jetzigen Fas-
sung zufrieden. Das Gesetz ist ein notwendiger Türöff-
ner. Es soll einen kulturellen Wandel mit sich bringen,
und zwar in allen Ebenen der Gesellschaft. Dieses Ge-
setz soll sich eines Tages überflüssig machen, sowohl
hinsichtlich der Verwaltung als auch hinsichtlich der Pri-
vatwirtschaft.

Ziel muss sein, dass wir über diese Themen gar nicht
mehr diskutieren müssen, weil wir etwas erreicht haben,
was unserem freiheitlichen Staatsverständnis entspricht.
Dieses Ziel ist, dass wir eine gleichberechtigte Teilhabe
von Männern und Frauen, und zwar nicht nur in Füh-
rungspositionen, erreichen und endlich eine Gesellschaft
haben, in der wir nicht mehr über Quoten und Quoren
diskutieren müssen, weil die Gleichberechtigung eine
Selbstverständlichkeit ist. Dazu ist dieses Gesetz der
vorletzte Schritt. Der letzte Schritt wird sein, dass wir
dieses Gesetz, weil es überflüssig ist, „beerdigen“ kön-
nen. Das wäre ein wirklich guter Tag für die Gleichstel-
lungspolitik in Deutschland.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Thomas Oppermann [SPD]: Das werden wir beide nicht mehr erleben, Marcus!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809201100

Das Wort hat die Kollegin Ulle Schauws für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.






(A) (C)



(D)(B)


Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809201200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Gäste!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich sage: Heute
ist ein guter Tag für die Gleichstellung in unserem Land.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Denn die gesetzliche Quote für die Aufsichtsräte wird
endlich Realität. Das ist ein großer Erfolg. Ich will sa-
gen: Das ist wirklich großartig.

Viele von uns hier im Parlament haben jahrelang da-
für gestritten. Das war allerdings nicht nur im Parlament
der Fall. Denn ohne die Unterstützung der Frauen aus
Verbänden wie dem Deutschen Juristinnenbund, FidAR,
dem Verband deutscher Unternehmerinnen, den Land-
frauen und vielen anderen wären wir nicht so weit ge-
kommen. Ich möchte stellvertretend Ramona Pisal,
Monika Schulz-Strelow, Brigitte Scherb und auch meine
Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk nennen. Ohne diese
großartigen Frauen wäre dieser Erfolg nicht möglich ge-
wesen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir alle haben immer wieder die gesetzliche Quote
eingefordert, weil es keinen einzigen Grund gibt, den
vielen hochqualifizierten Frauen irgendeinen Karriere-
weg zu verweigern, weil die jahrelange freiwillige
Selbstverpflichtung der Wirtschaft den Frauen nichts ge-
bracht hat und weil es mittlerweile zu einem echten
Imageproblem für deutsche Unternehmen geworden ist,
dass wir bei den Aufstiegschancen und der Bezahlung
von Frauen eher Entwicklungsland sind. Für dieses
großartige Engagement und für ihren langen Atem
möchte ich allen Beteiligten herzlich danken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Ko-
alition, liebe Bundesregierung, es ist schade, dass Sie
Ihre Mehrheiten nicht genutzt und mehr daraus gemacht
haben. Die 30-Prozent-Quote ist gut, sie ist aber kein
wirklich großer Wurf. Wir fordern in unserem Gesetz-
entwurf 40 Prozent; das EU-Parlament fordert dies
ebenso. Ich sage Ihnen ehrlich: Das hätten wir sehr gerne
heute mit Ihnen hier beschlossen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: Wir auch!)


Was ich aber wirklich kritisieren muss, ist, dass Sie
diese 30 Prozent nur für Aufsichtsräte in gerade einmal
108 Unternehmen festschreiben wollen. Da springen Sie
deutlich zu kurz. Was wir brauchen, ist eine Quote für
börsennotierte oder mitbestimmungspflichtige Unter-
nehmen. Wir brauchen eine Quote, die für 3 500 Unter-
nehmen gilt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das fordern wir Grüne, und das fordert FidAR. Damit
würden wir in Sachen Gleichberechtigung wesentlich
schneller nach vorne kommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch beim Bundes-
gremienbesetzungsgesetz ist von Ihrer Ankündigung, die
öffentlichen Unternehmen müssten mit gutem Beispiel
vorangehen, nicht viel übrig geblieben. Erst war eine
Quote von 50 Prozent vorgesehen. Jetzt ist nur noch eine
30-Prozent-Quote im Gesetz zu finden. Von einer Vorrei-
terrolle kann jedenfalls nicht mehr die Rede sein.

Liebe Ministerin Schwesig, lieber Minister Maas, ich
muss Ihnen auch sagen: Was die technische Umsetzung
angeht, war das abenteuerlich, was Sie hier gemacht ha-
ben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In der Anhörung im Ausschuss letzten Montag hagelte
es kurz vor Toresschluss heftige Kritik vonseiten der
Sachverständigen. Der Tenor war: handwerklich schlecht
gemacht, praxisuntauglich und in sich widersprüchliche
Regelungen. – Mal ganz davon abgesehen, dass wir eine
Sondersitzung des Ausschusses am Mittwochnachmittag
einberufen mussten, weil noch Fehler gefunden wurden,
ist das, finde ich, starker Tobak für einen Gesetzentwurf,
für den ein Jahr lang Zeit war.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Beim Bundesgleichstellungsgesetz wurde zu Recht
insbesondere die neu eingeführte Männerquote als ver-
fassungswidrig kritisiert. Eines ist doch klar: Dass es zu
wenige männliche Sachbearbeiter, Erzieher und Grund-
schullehrer gibt, liegt daran, dass sich Männer auf diese
immer noch schlecht bezahlten Jobs schlichtweg nicht
bewerben und diese Berufe als Frauenberufe gelten. Mit
einer strukturellen Benachteiligung von Männern hat das
nichts zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das haben Sie sozusagen in letzter Minute behoben, und
das war ja wohl auch das Mindeste.

Das Ziel, das Gesetz zu verschärfen, haben Sie aber
nicht erreicht. Entscheidende Punkte wurden nicht ange-
fasst. Es gibt keine Sanktionen, wenn das Gesetz nicht
eingehalten wird. Außerdem gibt es immer noch kein
Klagerecht für die Gleichstellungsbeauftragten. Deswe-
gen sind diese auch dagegen Sturm gelaufen.

Daher sage ich Ihnen: Streichen Sie Artikel 2 Ihres
Gesetzentwurfs! Stimmen Sie unserem Änderungsantrag
zu! Überarbeiten Sie das Bundesgleichstellungsgesetz
auf einer soliden Grundlage!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Alles andere ist der Versuch, ein totes Pferd wiederzube-
leben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden deshalb
heute getrennte Abstimmung beantragen und das Bun-
desgremienbesetzungsgesetz und das Bundesgleichstel-
lungsgesetz ablehnen. Der Änderung des Aktienrechts
werden wir Grünen zustimmen, und zwar trotz der Tat-





Ulle Schauws


(A) (C)



(D)(B)

sache, dass unser eigener Gesetzentwurf der weiter ge-
hende ist.

Trotz meiner Kritik will ich am Schluss eines in aller
Deutlichkeit sagen: Dass besonders Sie, Frau Schwesig,
bei allem Gegenwind aus den Reihen der Union und der
Wirtschaft so konstant und beharrlich geblieben sind,
war bemerkenswert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Darum ist klar, dass wir als Grüne unsere Aufgabe als
Oppositionskraft auch genauso beharrlich weiterverfol-
gen werden wie bisher und frauenpolitisch mehr einfor-
dern. Denn nur so, nur in diesem Zusammenspiel der
parlamentarischen Demokratie, nur so können wir am
Ende gemeinsam mehr für Frauen in diesem Land errei-
chen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809201300

Das Wort hat der Kollege Sönke Rix für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1809201400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst einmal möchte ich an die Ausführungen mei-
ner Vorrednerin anknüpfen: Wenn die Gemeinsamkeiten
groß genug sind, dann kann man auch Großes bewirken.
Das zeigt der heutige Tag, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es waren die Frauen der SPD, der Linkspartei, der
Grünen und auch der Union, die sich aufgemacht und
sich über die Berliner Erklärung für die Quote eingesetzt
haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der Druck, den wir alle durch unsere weiblichen Frak-
tionsmitglieder erfahren haben, hat dazu beigetragen,
dass wir heute diesen historischen Schritt gehen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Da haben wir hart dran gearbeitet!)


Deshalb gilt mein Dank insbesondere diesen Pionie-
rinnen, die sich gegen den Widerstand insbesondere aus
der Wirtschaft aufgemacht haben. Aber auch die Arbeit-
nehmerseite – das muss man auch einmal sagen – hat das
Ganze sehr kritisch betrachtet. Diese Frauen haben sich
dennoch auf den Weg gemacht und gesagt: Gemeinsam
sind wir stark. Deshalb verbünden wir uns und treiben
die Kerle vor uns her. – Einige mussten mehr getrieben
werden, andere weniger. Stimmt’s, Marcus?


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben dazu beigetragen, dass wir als Große Koali-
tion jetzt diesen Gesetzentwurf vorlegen können und
diesen heute auch beschließen werden.

Ich will mich auch bei den Grünen bedanken, die an-
gekündigt haben, Artikel 3 zuzustimmen. Natürlich kann
man immer mehr machen und immer weiter gehen. Es
ist aber wichtig, diesen wichtigen Schritt zu gehen und
zu dokumentieren, dass sich dieser gemeinsame Kampf
gelohnt hat. Deshalb bedanke ich mich für die Zustim-
mung außerhalb der Großen Koalition zu diesem Punkt.
Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist gerade die Frage aufgeworfen worden, ob die-
ses Gesetz irgendwann einmal überflüssig wird. Das ist
der Wunsch. Thomas Oppermann hat soeben gesagt,
dass wir das wohl nicht mehr erleben werden. Ich glaube
eher, dass wir irgendwann einmal darüber diskutieren
werden, ob die 30 Prozent nicht zu wenig sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Susanna Karawanskij [DIE LINKE])


Natürlich muss das das Ziel bleiben. Überlegen wir
aber einmal, wie lange wir die Freiwilligkeit gehabt und
gedacht haben, dass auch das irgendwann einmal klap-
pen wird. Deshalb bezweifele ich, dass dieses Gesetz in
nächster Zeit zu einem überflüssigen Gesetz wird. Wir
werden an dieser Stelle eher eine Verschärfung vorneh-
men. Das werden aber die Erfahrungen zeigen, liebe
Kolleginnen und Kollegen.


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Ich will noch etwas zum Bundesgleichstellungsgesetz
sagen, weil das auch Bestandteil der parlamentarischen
Auseinandersetzung oder zumindest der Anhörung war.
Dort ging es auch um die Frage, ob das Ganze verfas-
sungskonform war. Der Verfassungsrechtler hat uns dies
in der Anhörung jedoch bestätigt, und ich weiß, dass die
Bundesregierung einen verfassungsgemäßen Gesetzent-
wurf vorgelegt hat.

Es stellte sich auch noch die Frage, warum wir im
Bundesgleichstellungsgesetz jetzt plötzlich beide Ge-
schlechter ansprechen. Diese Frage ist natürlich berech-
tigt, weil nach wie vor die Frauen in der Gesellschaft, in
der Wirtschaft und in der Politik strukturell benachteiligt
sind. Deshalb ist die Frauenförderung ja auch nach wie
vor ein großes Ziel, das mit dem Bundesgleichstellungs-
gesetz verfolgt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)






Sönke Rix


(A) (C)



(D)(B)

Aber warum Parität? Ich glaube, dass es wichtig ist,
innerhalb der Gleichstellungspläne auch Geschlechter-
stereotypen aufzugreifen und zu verändern. Das betrifft
nicht nur den männlichen Sekretär, sondern auch die
weibliche Polizistin. Ich glaube, es ist sinnvoll, dass sich
der öffentliche Dienst auch an die eigene Nase fasst und
fragt, warum dort zu wenige Männer Sekretäre und zu
wenige Frauen bei der Polizei sind. Deshalb ist es gut,
dass wir beide Geschlechter im Gesetz angesprochen ha-
ben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es wird behauptet, das alles würde sich dann verän-
dern, wenn man die Bezahlung erhöhen würde. Wenn
man beispielsweise die Bezahlung für Erzieherinnen
oder Sekretärinnen erhöhen würde, dann würden auch
mehr Männer diesen Beruf ergreifen. Dazu will ich an
dieser Stelle deutlich sagen: Es kann nicht sein, dass
man die Tarife für die Erzieherinnen und Erzieher nur er-
höht, damit mehr Männer diesen Beruf ergreifen; denn
auch wenn in diesem Job ausschließlich Frauen tätig sein
würden, würde es sich lohnen, hier für Lohngerechtig-
keit zu kämpfen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Über das Thema „Gleicher Lohn für beide Geschlech-
ter bei gleicher Arbeit“ werden wir uns in diesem Bun-
destag aber beim nächsten Mal wieder intensiv auseinan-
dersetzen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809201500

Der Kollege Dr. Stephan Harbarth hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Stephan Harbarth (CDU):
Rede ID: ID1809201600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Uns alle in diesem Haus eint das Ziel, Frauen eine
gleichberechtigte Teilhabe in unserer Gesellschaft zu er-
möglichen. Unser Wunsch ist, dass dieses Ziel in erster
Linie nicht durch Normen und Paragrafen, sondern
durch innere Überzeugung erreicht wird, dass es die
Menschen also als selbstverständlich empfinden, dass je-
mand in diesem Land völlig unabhängig von seinem Ge-
schlecht Erfolgschancen wahrnehmen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dies ist für uns eine Gerechtigkeitsfrage und auch wich-
tig im Kontext der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Wie ist die Ausgangslage? Der Weg bis zur vollstän-
dig gleichberechtigten Teilhabe von Frauen in unserer
Gesellschaft ist lang. Es gibt aber Bereiche, in denen
schon einiges erreicht wurde. Ich nenne zum Beispiel die
Politik. Der einflussreichste, erfolgreichste und angese-
henste Politiker Europas ist seit vielen Jahren eine Frau:
unsere Bundeskanzlerin.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dass sich die Menschen wünschen, dass das noch mög-
lichst viele Jahre so bleiben möge, ist ein Zeichen für die
gesellschaftliche Normalität, die wir hier erreicht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD])


Daneben nenne ich die öffentliche Verwaltung, die
Justiz, die Wissenschaft und die Kultur. Im Bereich der
Wirtschaft fällt das Bild gemischt aus. Man kann fest-
stellen, dass viele Führungsebenen, die in den vergange-
nen Jahrzehnten in den Händen von Männern waren,
heute zu einem erheblichen Teil von Frauen besetzt wer-
den. Man muss aber auch feststellen, dass dies nicht für
die absoluten Spitzenpositionen in unserer Wirtschaft
gilt. Dort sind Frauen sehr rar gesät.

Dass es auch anders sein kann, zeigt uns ein Blick
über den Großen Teich. In Amerika stehen an der Spitze
vieler Konzerne Frauen. Ich nenne exemplarisch nur
IBM, General Motors, Pepsi, Yahoo, Hewlett-Packard
und DuPont. Wenn uns in Deutschland mehr Namen
amerikanischer Unternehmensführerinnen als deutscher
Topmanagerinnen einfallen, dann zeigt das, dass wir in
Deutschland einen Missstand haben;


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD])


einen Missstand, der übrigens nicht nur etwas mit den
Unternehmen selbst zu tun hat, sondern der seine Ursa-
che schon im Bereich der Ausbildung hat. Wenn man
sieht, dass Frauen und Mädchen in den MINT-Berufen,
in den technischen Berufen und den Ingenieurwissen-
schaften noch immer unterrepräsentiert sind, braucht
man sich nicht zu wundern, wenn eines Tages in Füh-
rungspositionen bei Maschinenbauern wenig Frauen ver-
treten sind. Insofern ist die Gesellschaft insgesamt ge-
fragt.

Im Jahre 2001 gab es die freiwillige Selbstverpflich-
tung der deutschen Wirtschaft. Wir müssen feststellen:
Diese Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft hat
nicht wirklich funktioniert.


(Dr. Eva Högl [SPD]: Tja!)


Sie hat möglicherweise auch deshalb nicht funktioniert,
weil dem politischen Impetus die Glaubwürdigkeit ge-
fehlt hat. Das war die Zeit, in der wir einen Bundeskanz-
ler hatten, der Frauen- und Familienpolitik als „Gedöns“
verspottet hat.


(Zurufe von Abgeordneten der SPD)


Wenn man das auf der einen Seite tut und auf der ande-
ren Seite mehr Frauen in Führungspositionen fordert,
dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn dann die
Glaubwürdigkeit fehlt.


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)






Dr. Stephan Harbarth


(A) (C)



(D)(B)

Ich möchte an dieser Stelle Angela Merkel dafür danken,
dass sie nun im zehnten Jahr Frauenpolitik und Fami-
lienpolitik in diesem Land nicht mit abwertenden Sprü-
chen, sondern mit innerer Hingabe begleitet.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sönke Rix [SPD]: Das sehen wir ja! Wo ist sie denn?)


Wir haben die Aufgabe, gemäß dem erkannten Rege-
lungsbedarf zu handeln. Uns geht es um folgendes Ziel:
Wir wollen mehr Frauen in Führungspositionen. Wir
wollen aber keine gleichmacherische, keine pauschalie-
rende Lösung für alle Unternehmen in Deutschland, son-
dern wir wollen maßgeschneiderte Lösungen. Deshalb
differenzieren wir hier zwischen verschiedenen Unter-
nehmen.

In vielen mittelständischen Unternehmen in Deutsch-
land ist es längst eine Selbstverständlichkeit, dass das
Kind des Eigentümers in der nächsten Generation den
Betrieb, völlig unabhängig von seinem Geschlecht, über-
nimmt. Den Betrieb kann also in der nächsten Genera-
tion die hochqualifizierte Tochter genauso wie der hoch-
qualifizierte Sohn übernehmen. Für diese Betriebe
brauchen wir in Deutschland keine Quote. Deshalb ist es
wichtig, dass wir hier keine Quote haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Für ungefähr 3 500 Unternehmen in Deutschland füh-
ren wir eine Quote ein: für ungefähr 97 Prozent dieser
Unternehmen eine flexible Quote und für ungefähr
3 Prozent eine starre Quote. Wir sind der Überzeugung,
dass die flexible Quote richtig ist, weil die Unterneh-
menswirklichkeit eine ganz unterschiedliche ist. Es gibt
Branchen, etwa den Maschinenbau oder die Baubranche,
in denen der Frauenanteil sehr niedrig ist. Es gibt andere
Branchen, etwa den Dienstleistungsbereich, die Verlage
und Ähnliches, in denen der Frauenanteil sehr hoch ist.
Deshalb ist unsere Überzeugung, dass es richtig ist, hier
nicht zu sagen: Es gibt für all diese Unternehmen trotz
ihrer Verschiedenartigkeit eine einheitliche, eine pau-
schale Quote. Vielmehr gibt es eine selbstgesteckte, eine
passgenaue Quote für diese Unternehmen. Dies ent-
spricht unserem Gesellschaftsverständnis, meine Da-
men und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD])


Für die Aufsichtsräte von 108 Unternehmen gibt es
eine Quote von 30 Prozent. Das sind die Unternehmen,
die sowohl börsennotiert sind als auch über 2 000 Mitar-
beiter haben. In diesen Unternehmen ist das Problem am
größten. Dort sind Frauen in den absoluten Toppositio-
nen am rarsten. Deshalb ist es richtig, dass wir hier eine
Quotenregelung vorsehen.

Für uns war es in der Ausgestaltung insgesamt wich-
tig, dass wir hier mit Augenmaß statt mit Ideologie vor-
gehen. Wir wollten auch nach den Erfahrungen im
Mindestlohnbereich vermeiden, dass hier ein Bürokra-
tiemaximierungsgesetz geschaffen wird.


(Widerspruch bei der SPD)

Deshalb haben wir im parlamentarischen Verfahren an
vielen Stellen nachgebessert.


(Beifall bei der CDU/CSU)


In der entsprechenden Sachverständigenanhörung
wurden in der Tat noch viele Mängel offengelegt. Des-
halb haben wir dann ein parlamentarisches Verfahren
durchgeführt. In diesem parlamentarischen Verfahren
haben wir in guter Zusammenarbeit mit den Ministerien,
wofür ich sehr herzlich danke, in guter Zusammenarbeit
mit den Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wofür
ich sehr herzlich danke, viel erreicht.

Wir haben geregelt, dass – wie es einem modernen
Verständnis von der Zusammensetzung eines Aufsichts-
rates entspricht – Arbeitnehmer- und Anteilseignerver-
treter nicht als zwei getrennte Bänke betrachtet werden,
sondern als ein gemeinsames Gremium zu sehen sind.
Wir haben darauf geachtet, dass die Berichtspflichten
nicht übermäßig bürokratisch ausgestaltet werden, son-
dern dass sich die Unternehmen einmal Ziele setzen,
über die sie dann nicht jedes Jahr, sondern erst am Ende
des selbstgesteckten Zeitraums berichten müssen. Wir
haben das Inkrafttreten der Zielvorgaben noch einmal
um drei Monate nach hinten verschoben, damit sich die
Unternehmen in den nächsten Wochen darauf einstellen
können. Wir haben an vielen Stellen darauf geachtet,
dass das Gesetz in der Praxis mit der erforderlichen Fle-
xibilität und mit der erforderlichen Rechtssicherheit an-
gewendet werden kann. Dafür haben wir eine Vielzahl
von Änderungen vorgenommen.

Wenn wir heute das Gesetz beschließen, dann können
wir zusammenfassend festhalten: Wir haben uns an dem
Ziel orientiert, für die Frauen in diesem Land etwas zu
bewegen. Wir haben uns an der Frage orientiert, in wel-
chen Bereichen wir welche Lösungen brauchen. Es gilt
nämlich nicht für alle Unternehmen in Deutschland das
Gleiche. Kleine Unternehmen sind in der Regel gar nicht
betroffen, sie sollen aber nach Möglichkeit den Frauen
ebenfalls die gleichberechtigte Teilhabe ermöglichen,
wie es in vielen dieser Unternehmen übrigens schon
längst der Fall ist. Des Weiteren gibt es eine Gruppe von
3 500 Unternehmen, die sich selbst Ziele stecken. Wir
werden die Unternehmen dabei beobachten. Außerdem
gibt es die Unternehmen, die eine starre Quote von
30 Prozent für Frauen im Aufsichtsrat haben. Das sind
die 108 großen Unternehmen in Deutschland.

Auf diesem Weg wollen wir in den nächsten Jahren
weiterkommen. Wir wollen, dass gleichberechtigte Teil-
habe für Frauen in diesem Land eine Selbstverständlich-
keit wird. Wir werden die Unternehmen auch in puncto
Vereinbarkeit von Familie und Beruf beobachten. In
Amerika ist dies längst eine Selbstverständlichkeit. In
Deutschland wollen wir die gläserne Decke für Frauen
beseitigen; es geht aber nicht an, dass gleichzeitig eine
gläserne Decke für Mütter eingezogen wird. Auch das
werden wir in den nächsten Jahren sehr genau beobach-
ten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809201700

Das Wort hat der Bundesminister Heiko Maas.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren Abgeordneten! Auch die Männer in der Regie-
rung freuen sich über dieses Gesetz.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE] – Sönke Rix [SPD]: Zeigt das mal!)


– Ich kann Ihnen das aus vielen Beratungen bestätigen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagt Ole Schröder?)


Liebe Frau Göring-Eckardt, Sie haben eben darauf
hingewiesen, dass die Regierung die Opposition und die
Öffentlichkeit genervt hat, weil wir uns so lange mit die-
sem Gesetz befasst haben und weil wir gestritten haben.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht lange genug scheinbar! Es gibt noch zu viele Fehler!)


– Aber, Frau Göring-Eckardt, in der Demokratie – das
müsste doch gerade in der Opposition bekannt sein – ge-
hört der Streit dazu.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber schlampige Arbeit gehört nicht dazu! Ihr hattet wahrscheinlich so viel Spaß und habt deshalb so geschlampt!)


Wenn Sie sagen, diese Große Koalition stehe für großen
Streit, dann sage ich: Sie steht vor allem für viele gute
Ergebnisse, und heute legen wir wieder eins vor.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem
Begriff „historisch“ sollte man sparsam umgehen. Sonst
nutzt er sich schnell ab. Aber bei dem Gesetzentwurf,
über den wir heute abstimmen, kann man ihn, wie ich
finde, verwenden. Die Frauenquote für Führungskräfte
ist der größte Beitrag zur Gleichberechtigung seit der
Einführung des Frauenwahlrechtes.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das Gleichstellungsgesetz war das!)


Nach der politischen Macht bekommen Frauen endlich
auch einen fairen Anteil an der wirtschaftlichen Macht.


(Beifall bei der SPD)


Gustav Heinemann hat einmal gesagt: Rechtspolitik
darf sich nicht darauf beschränken, den bereits erreich-
ten Stand des Rechtsbewusstseins in Gesetze zu fassen.
Vielmehr hat sie auch die Aufgabe, das Sozialleben nach
den Leitbildern einer besseren Ordnung zu gestalten.
Das ist jetzt 50 Jahre her, und es ist heute genauso ak-
tuell wie damals. Weil die Frauenquote dieses Land und
die Wirtschaft zum Besseren verändern wird, setzen wir
das mit diesem Gesetz um.

Meine Damen und Herren, es geht aber nicht nur um
Gleichberechtigung und Fairness, sondern auch um wirt-
schaftliche Vernunft. Die demografische Entwicklung ist
eine Tatsache. Wir haben die bestausgebildete Genera-
tion von Frauen, die es je gegeben hat. Wir haben mehr
Hochschulabsolventinnen als Hochschulabsolventen.
Wer dieses Potenzial ungenutzt lässt, der gefährdet nicht
nur die Gleichberechtigung, sondern letztlich auch
Wohlstand und Wachstum. Auch dazu leistet die Quote
einen Beitrag. Das wird viel zu selten gesagt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ja, wir brauchen auch eine gesetzliche Quote. Leider
ist das so. Manuela Schwesig und ich – ich weiß gar
nicht, wie viele Gespräche wir in diesem Prozess im so-
genannten vorpolitischen Raum geführt haben.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie Armer!)


Ich muss Ihnen sagen: Da ist mir deutlich geworden,
dass wir vielleicht gesellschaftlich noch nicht so weit
sind, wie wir das gerne hätten.

Was gab es für Argumente: Es gibt gar nicht genug
Frauen, zumindest sind sie nicht gut genug ausgebildet.
Das Gesetz über die Besetzung der Aufsichtsräte sei eine
Zumutung, denn es gebe nur so wenige Frauen. Die
müssten in so viele Aufsichtsräte gehen, und deshalb
würden wir den Frauen nichts Gutes tun. Meine Damen
und Herren, wenn man noch kein Anhänger der Frauen-
quote gewesen wäre, bei diesen Gesprächen wäre man
einer geworden.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden deshalb in einigen Jahren zurückblicken
und uns fragen, wieso wir uns überhaupt so lange damit
auseinandergesetzt haben und es so viel Aufregung um
dieses Gesetz gegeben hat. Es ist gut, dass eine jahrzehn-
telange kulturelle Auseinandersetzung mit diesem Ge-
setz wirklich beendet wird.

Die Kollegin Künast hat bei der Anhörung im Aus-
schuss gesagt, dies sei ein Vorhaben, von dem man spä-
ter sagen werde, man sei stolz darauf, dabei gewesen zu
sein. Sie, Frau Künast, haben vollkommen recht. Auch
das zeigt die Dimension dieses Gesetzes.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Manchmal, nicht immer, aber manchmal gibt es Ge-
setze, die in ihrer Wirkung weit über ihren eigenen Re-
gelungsgehalt hinausreichen. Die sind Gesellschaftspoli-
tik im besten Sinne des Wortes. Dieses Gesetz heute ist
so eines. Es ist ein Meilenstein für die Gleichberechti-
gung, und es wird Deutschland und seine Unternehmen





Bundesminister Heiko Maas


(A) (C)



(D)(B)

moderner machen. Ich meine, darauf können wir alle
sehr stolz sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809201800

Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Gudrun

Zollner das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gudrun Zollner (CSU):
Rede ID: ID1809201900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ein denkwürdiger Tag! Nach teils sehr emotional ge-
führten Debatten schließen wir heute ein Kapitel, das vor
Jahren aufgeschlagen wurde, aufgeschlagen von vielen
Mitstreiterinnen wie Frau Staatsministerin Professor
Böhmer und von den vielen Frauen, die heute als Gäste
bei uns auf der Tribüne sitzen.

Wir alle kennen inzwischen die Zahlen, wir haben sie
oft genug diskutiert. Der Anteil von Frauen in Spitzen-
positionen sowohl in der Wirtschaft als auch in der Bun-
desverwaltung ist immer noch marginal. Sicherlich gab
es in den vergangenen Jahren Fortschritte. Lag der Frauen-
anteil in den Aufsichtsräten der DAX-Konzerne vor vier
Jahren bei knapp 14 Prozent, so sind es heute gut 25 Pro-
zent. Betrachtet man alle börsennotierten Unternehmen,
ist die Bilanz allerdings ernüchternd. Noch immer sind
weniger als 20 Prozent aller Aufsichtsräte von Frauen
besetzt. Die Selbstverpflichtung der Wirtschaft aus dem
Jahr 2001 ist gescheitert. Wäre dies anders, würden wir
heute hier nicht stehen.

Der Erfahrungsbericht zum Bundesgleichstellungsge-
setz und der Gremienbericht zum Bundesgremienbeset-
zungsgesetz zeigen außerdem auf, dass auch in der Bun-
desverwaltung immer noch Handlungsbedarf besteht.
Auch hier gab es zwar in den vergangenen Jahren Fort-
schritte, aber leider nur in Zeitlupe. Gleichzeitig wissen
wir, dass die Zahl der hochqualifizierten Frauen noch nie
so hoch war wie heute. Ich möchte aber betonen: Jede
Frau soll den für sie richtigen Weg gehen können. Wir
müssen nur dafür sorgen, dass für Karrierewege gerechte
Chancen bestehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Über unseren Gesetzentwurf, mit dem wir genau das
erreichen wollen, stimmen wir heute ab. Am Ende langer
und intensiver Verhandlungen haben wir eine Balance
zwischen der Förderung von Frauen und den Interessen
der Wirtschaft gefunden. Wir konnten in den Verhand-
lungen der vergangenen Woche noch einige wesentliche
Punkte im Entwurf präzisieren. Klar, der eine wünscht
sich mehr, und der andere fordert weniger. Auch ich
hätte mir gewünscht und vorstellen können, für be-
stimmte Branchen noch Ausnahmen in Form einer Här-
tefallregelung aufzunehmen, was meines Erachtens sinn-
voll gewesen wäre.
Schlussendlich steht aber ein Gesetz, mit dem wir zu-
frieden sein können, ein Gesetz, das die Familienfreund-
lichkeit insgesamt stärker betont und das vor allem pra-
xistauglich und rechtssicher ist.

Insbesondere hervorheben möchte ich, dass im Bun-
desgleichstellungsgesetz die von vielen besonders in der
Anhörung kritisierte Geschlechteransprache geändert
wurde. In Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes heißt es:

Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der
Gleichberechtigung von Frauen und Männern und
wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile
hin.

Es geht also nicht um eine paritätische Besetzung auf
allen Ebenen, sondern um die Herstellung echter Chan-
cengleichheit. Frauenförderung ist kein Synonym für
Geschlechtergleichmacherei, und Unterrepräsentanz hat
nicht automatisch etwas mit Diskriminierung zu tun.

Mit der neugefassten Regelung stellen wir jetzt auf
eine strukturelle Benachteiligung ab. Es wird damit
deutlich, dass es um Frauenförderung geht und nicht um
Männerförderung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Sichergestellt ist damit außerdem, dass das Gesetz ver-
fassungsgemäß ist. Der CSU war es neben der Frauen-
förderung besonders wichtig, eine rechtssichere Rege-
lung für privatrechtliche Unternehmen ohne ausufernden
Bürokratismus herzustellen; denn nur gemeinsam mit
der Wirtschaft wird eine gute Umsetzung gelingen.

Bei der fixen Quote haben wir klargestellt, dass nur
ein Mehrheitsbeschluss der Bank der Anteilseigner oder
der Bank der Arbeitnehmervertreter der Gesamterfül-
lung der Quote widersprechen kann. Für mitbestim-
mungspflichtige oder börsennotierte Unternehmen ha-
ben wir die Frist zur Festlegung ihrer Zielquote um drei
Monate verlängert, und zwar auf den 30. September
2015. Außerdem müssen die Unternehmen nicht jähr-
lich, sondern erst nach Ablauf der selbst festgesetzten
Frist über die Einhaltung der Zielgrößen berichten. Es
gibt somit keine Zwischenberichte. Diese Klarstellung
reduziert den Bürokratieaufwand für die Wirtschaft er-
heblich.

Wir haben auch Rechtsunsicherheiten beseitigt. Bei
der Feststellung von Zielgrößen für die beiden Füh-
rungsebenen zum Beispiel haben die Unternehmen viel
Spielraum erhalten und können so passende und ange-
messene Lösungen finden – ein Mehrwert in Sachen Fle-
xibilität und Rechtssicherheit.

Mit den Vorschriften zu den Europäischen Gesell-
schaften haben wir zudem eine zukunftsorientierte Lö-
sung für die Konzerne geschaffen. Es ist ja nicht ausge-
schlossen, dass eine Quote auch auf europäischer Ebene
eingeführt wird.


(Beifall der Abg. Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU])


Außerdem haben wir festgelegt, dass bei der Evaluie-
rung des Gesetzes nach drei Jahren die Bürokratiekosten





Gudrun Zollner


(A) (C)



(D)(B)

besonders in den Blick genommen werden müssen. Ich
bin überzeugt, dass die geforderte Transparenz und die
Veröffentlichungspflichten dazu beitragen werden, dass
im öffentlich-rechtlichen wie auch im privatrechtlichen
Bereich Anstrengungen unternommen werden, die je-
weiligen Quoten zu erfüllen. Was gibt es Schlechteres
für ein Unternehmen als negative PR?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Zum Gesetzentwurf der Grünen möchte ich nur Fol-
gendes sagen:


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist gut, nicht wahr?)


40 Prozent Frauenquote, wie es die Grünen in ihrem Ge-
setzentwurf fordern, oder sogar 50 Prozent Frauenquote,
wie oft von den Linken gewünscht, gehen über das Ziel
hinaus.


(Caren Lay [DIE LINKE]: Warum?)


Es ist Aufgabe des Staates, zu handeln, wenn bestehende
Nachteile für ein Geschlecht beseitigt werden müssen;
aber es ist nicht Aufgabe des Staates, Parität um jeden
Preis zu erzwingen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Wieso um jeden Preis?)


Es ist richtig, dass die Selbstverpflichtung der Wirtschaft
nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: In Bayern vielleicht!)


Deshalb ist es auch richtig, dass wir jetzt eine gesetzli-
che Regelung beschließen. Auch unsere Partei, die baye-
rische CSU, hat eine Frauenquote.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809202000

Kollegin Zollner, gestatten Sie eine Frage oder Be-

merkung der Kollegin Künast?


Gudrun Zollner (CSU):
Rede ID: ID1809202100

Bitte schön.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809202200

Danke, Frau Zollner. – Sie haben gerade zu unserem

Gesetzentwurf gesagt, es sei nicht Aufgabe des Staates,
Parität zu erzwingen. Da würde ich von Ihnen doch
gerne wissen, wo Sie in unserem Gesetzentwurf ein sol-
ches Erzwingen von Parität sehen.

Ich kann Ihnen sagen, dass wir an dieser Stelle eines
immer genau wussten: dass für den öffentlichen Dienst
die klassische Parität gar nicht zulässig ist, dass vielmehr
zur Beseitigung von strukturellen Nachteilen Frauen bei
gleicher Qualifikation bevorzugt einzustellen sind, so-
lange es diese Differenz gibt. Das ist kein Erzwingen
von Parität. In dem ganzen Prozess ist mir das Erzwin-
gen von Parität nur im Gesetzentwurf der Koalition un-
tergekommen; die entsprechende Formulierung haben
Sie nach Hinweisen bei der Anhörung auf ihre Verfas-
sungswidrigkeit wieder gestrichen.


(Sönke Rix [SPD]: Nicht gestrichen!)


Parität wird auch nicht erreicht, wenn man sagt: Die
Mindestquote von 40 Prozent in den Aufsichtsräten der
Privatunternehmen gilt für jedes Geschlecht. Sie müssen
unserem Gesetzentwurf – vielleicht ist es dafür noch zu
früh – nicht folgen. Aber etwas zu behaupten, was nicht
drinsteht, gefällt mir auch nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gudrun Zollner (CSU):
Rede ID: ID1809202300

Frau Kollegin Künast, ich habe 40 Prozent nicht mit

Parität verwechselt, vielmehr habe ich die 50-Prozent-
Parität auf die Linken bezogen. Das ging, glaube ich, aus
meinem Satz hervor.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das war es jetzt?)


Wir wollen eine Quote, die Frauen den Weg ebnet,
um künftig auch ohne Gesetz in Spitzenpositionen zu
kommen. Unser Ziel muss doch sein, der gläsernen
Decke adieu zu sagen, damit sich in den Topetagen eine
andere Denkweise etabliert. Aus diesem Grund halten
wir eine Quotenvorgabe von 30 Prozent für angemessen
und ausreichend.

Nun sind aber auch die Frauen gefragt, dieses Gesetz
als Türöffner aktiv zu nutzen. Es geht darum, männliche
Monokulturen in den Vorstandsetagen aufzubrechen,
und darum, die Unternehmen bzw. Firmen dahin zu be-
wegen, ihre Rahmenbedingungen, Strukturen und Prä-
senzzeiten frauen- und familienfreundlicher zu gestalten,
Karriereplanung und Familienplanung in Einklang zu
bringen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dies muss das Ziel für die Zukunft sein, und das geht nur
mit einem großen Mehr an Frauen und natürlich einem
großen Plus an weiblichen Blickwinkeln in den Füh-
rungsetagen. Denn eines ist klar: Das Gesetz allein wird
kein Allheilmittel sein. Es ist nur ein Baustein von vie-
len. Wie das fertige Bauwerk zum Schluss aussehen
wird, entscheiden die Menschen, entscheidet nicht allein
das Gesetz. Veränderungen sind das Ergebnis der Dis-
kussionen um die Quote bzw. der intensiven Auseinan-
dersetzung mit dem Thema.

Unsere Bundesministerin Frau von der Leyen sagte
einmal: Eine Frau ist nicht besser oder schlechter, sie ist
anders. Dieses Andere etablieren wir hier und heute. Wir
liefern den Anstoß für uns, die Unternehmen, die Wirt-
schaft und natürlich die Frauen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich möchte mit einem Zitat von Robert Lembke en-
den:

Der einzige Geschäftszweig, bei dem die Mehrzahl
der leitenden Positionen von Frauen besetzt ist, ist
die Ehe.





Gudrun Zollner


(A) (C)



(D)(B)

Vielleicht ab heute nicht mehr!

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809202400

Das Wort hat die Kollegin Dr. Eva Högl für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1809202500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen,

liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Den 6. März 2015 streichen wir uns alle ganz dick in un-
serem Kalender an.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist ein richtig guter Tag für die Gleichstellung von
Frauen und Männern. Mit der Einführung der Frauen-
quote in Wirtschaft und Verwaltung schreiben wir die
Geschichte der Gleichstellung von Frauen fort und ge-
hen einen wirklich riesengroßen Schritt weiter auf dem
Weg zur vollständigen Gleichstellung von Männern und
Frauen.

Dass wir dieses Kapitel aufschlagen können, liebe
Kolleginnen und Kollegen, ist keine Selbstverständlich-
keit. Es ist vielmehr das Ergebnis eines kontinuierlichen
Kampfes für mehr Gleichberechtigung, eines unermüdli-
chen Engagements vieler Frauen und auch vieler Män-
ner. Viele sind schon genannt worden. Ich schließe mich
dem Dank an. Einige sitzen auf der Tribüne. Nur dieses
Engagement von vielen einzelnen Personen hat das mög-
lich gemacht. Dafür herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich erinnere sehr gerne, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, meine Damen und Herren, an 1918. Da wurde das
aktive und passive Wahlrecht für Frauen eingeführt.
82 Prozent der wahlberechtigten Frauen gaben bei den
Wahlen 1919 ihre Stimme ab, und 37 weibliche Abge-
ordnete zogen ins Parlament ein. Als erste Frau erhielt
Marie Juchacz hier im Reichstag im Februar 1919 das
Wort und hielt die erste Rede einer Frau in einem deut-
schen Parlament. Das war richtig klasse!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es ging weiter – leider erst nach einer Durststrecke
von knapp 30 Jahren –: Elisabeth Selbert hat es ermög-
licht, dass im Grundgesetz, das im Mai 1949 verabschie-
det wurde, ein wirklich wegweisender Satz steht, näm-
lich in Artikel 3 Absatz 2:

Männer und Frauen sind gleichberechtigt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Damit genoss die Gleichstellung von Frauen und Män-
nern erstmals Verfassungsrang.

Wir wissen aber, dass eine Verfassungsnorm nicht au-
tomatisch Alltagsrealität ist. Deswegen haben wir in den
mehr als 60 Jahren seit Bestehen des Grundgesetzes we-
sentliche Schritte unternommen. Ich erinnere noch ein-
mal daran, dass erst vor wenigen Jahrzehnten – man
kann es sich kaum vorstellen – das erste Gleichberechti-
gungsgesetz es Frauen ermöglichte, ohne Zustimmung
des Ehemannes arbeiten zu gehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


1977 wurde mit der Reform des Ehe- und Familienrechts
das Leitbild der Hausfrauenehe abgeschafft, und erst
1980 wurde die vollständige Gleichbehandlung von
Frauen und Männern am Arbeitsplatz beschlossen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809202600

Kollegin Högl, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-

kung der Kollegin Vogler?


Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1809202700

Selbstverständlich.


Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809202800

Vielen Dank, liebe Kollegin. Ich wollte die Gelegen-

heit nutzen, mich für die Einladung zu bedanken, die Sie
und die Kollegin Carola Reimann an uns alle geschickt
haben. Sie wollen diesen großen Erfolg, wie Sie das nen-
nen, im Fraktionssaal der SPD mit Quotentorte und Sekt
feiern. Ich muss Ihnen leider sagen, dass ich diese Einla-
dung ablehnen muss. Ich finde, dass dieses Gesetz eher
Anlass wäre für Zwieback und Selters.


(Zurufe von der SPD: Oh! – Mechthild Rawert [SPD]: Können Sie ja mitbringen!)


Deswegen bedanke ich mich für die Einladung, lehne sie
aber ab.


Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1809202900

Liebe Frau Vogler, wie humorlos ist das denn, bitte?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin sprachlos. Wir haben eine so große Einigkeit,
auch hier im Parlament, trotz allem Streit im Detail.


(Sigmar Gabriel, Bundesminister: Eva, wir besorgen auch Zwieback!)


– Nein, wir besorgen keinen Zwieback. – Wir schneiden
um 12 Uhr die Torte an, und wir feiern, liebe Frau
Vogler.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zurück zu unseren Schritten in Sachen Gleichstel-
lung. Ich möchte daran erinnern, dass wir 1994 – das ist
noch nicht so lange her; viele hier im Raum haben dafür
gekämpft – nach der deutschen Einheit etwas ins Grund-





Dr. Eva Högl


(A) (C)



(D)(B)

gesetz geschrieben haben, was der Grund dafür ist, dass
wir heute hier die Quote beschließen. Da steckt so viel
Engagement drin; deswegen zitiere ich es:

Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der
Gleichberechtigung von Frauen und Männern und
wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile
hin.

Das ist für uns als Gesetzgeber ein Auftrag, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diesen Auftrag erfüllen wir, indem wir heute die
Quote beschließen. Natürlich wäre es viel schöner – ich
möchte das ausdrücklich sagen; einige haben das schon
erwähnt –, wenn wir die Quote nicht brauchten. Es wäre
viel schöner, wenn wir im Jahr 2015 sagen könnten: Wir
haben alle Führungspositionen in Wirtschaft, Verwal-
tung, Wissenschaft, Politik, in allen Bereichen der Ge-
sellschaft, paritätisch mit Frauen und Männern besetzt.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nicht paritätisch! Der Befähigung entsprechend!)


Das wäre großartig. Aber so lange das nicht so ist, brau-
chen wir die Quote. Die Verwirklichung der vollständi-
gen Gleichberechtigung bleibt weiterhin unser Ziel.


(Beifall bei der SPD)


Ein kleiner Ausblick; denn es geht weiter mit unse-
rem Engagement: Am Sonntag ist der Internationale
Frauentag. Tausende Frauen und auch Männer werden
unter dem diesjährigen Motto „Heute für morgen ein
Zeichen setzen“ auf die Straße gehen und sich für mehr
Gleichberechtigung in Deutschland, in Europa, in allen
Teilen der Welt engagieren. Wir dürfen uns richtig
freuen, dass die Quote vor dem Internationalen Frauen-
tag heute hier beschlossen wird und wir das am Sonntag
ordentlich feiern können. Wir sollten uns aber nicht zu
lange darauf ausruhen, dass wir das geschafft haben. Wir
haben noch etwas vor. Unser Engagement in Sachen
Gleichstellung ist noch lange nicht abgeschlossen. Wir
wollen als Nächstes die Entgeltgleichheit hier gemein-
sam beraten und beschließen, und wir wollen die Auf-
wertung typischer Frauenberufe hier im Deutschen Bun-
destag beschließen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich erhoffe mir bei diesen beiden Themen – das sage
ich heute so deutlich – hier im Bundestag viel Unterstüt-
zung und vor allem große Einigkeit; denn eines ist klar:
In Sachen Gleichstellung muss es weitergehen. Wir wol-
len die vollständige Gleichstellung von Frauen in allen
Lebensbereichen, und wir wollen vor allen Dingen, dass
die fast 100-jährige Geschichte der Gleichstellung von
Frauen und Männern keine unendliche Geschichte wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809203000

Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1809203100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der
Tribüne und an den Fernsehgeräten! Es geht schon mit
dem Beginn meiner Rede los: In meinem Konzept stand
„Sehr geehrter Herr Präsident“, das habe ich jetzt hand-
schriftlich in „Sehr geehrte Frau Präsidentin“ geändert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zurufe von der SPD: Oh!)


Ich darf mich dem Dank an all die engagierten
Frauen, die zu dieser Frauenquote beigetragen haben
und schon mehrfach erwähnt wurden, ausdrücklich an-
schließen. Neben Frau Ministerin Schwesig war es ins-
besondere unsere vom Kollegen Harbarth bereits gelobte
Bundeskanzlerin. Ohne Bundeskanzlerin Merkel hätte es
diese Quote in dieser Form nicht gegeben. Herzlichen
Dank an die Kanzlerin, dass sie sie so engagiert auf den
Weg gebracht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Wo ist sie denn?)


Ich darf Ihnen bestätigen, weil ich etwas Unruhe bei
meinem Koalitionspartner vernehme: Frau Kanzlerin ist
jetzt fast zehn Jahre Bundeskanzlerin der Bundesrepu-
blik Deutschland. Diese zehn Jahre waren gute Jahre für
Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir hiermit ein gutes
Best-Practice-Beispiel haben, zu welchen Leistungen
Frauen in Führungspositionen fähig sind.

Direkt vor mir sitzt meine Landesgruppenchefin, Frau
Gerda Hasselfeldt. Sie führt unsere Landesgruppe abso-
lut tough und souverän.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Richtig!)


Liebe Gerda, herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann müsst ihr ihr aber immer folgen, gell!)


– Lieber Fraktionsvorsitzender, meistens folgen wir ihr.

Meine Damen und Herren, nach Artikel 3 Absatz 2
unseres Grundgesetzes – die Kollegin Högl hat bereits
darauf hingewiesen – sind Männer und Frauen gleichbe-
rechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung
der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und
wirkt auf die Beseitigung von Nachteilen hin. – Das war
die Ausgangslage. Auf dieser Verfassungsnorm basie-
rend haben wir den heute zu verabschiedenden Gesetz-





Paul Lehrieder


(A) (C)



(D)(B)

entwurf erstellt. Und genau das, meine sehr geehrten Da-
men und Herren, tun wir mit dem hier vorliegenden
Gesetzentwurf zur gleichberechtigten Teilhabe von
Frauen und Männern in Führungspositionen in der Pri-
vatwirtschaft und im öffentlichen Dienst.

Ja, wir sind bereits in der Vergangenheit dem Verfas-
sungsauftrag zur Gleichberechtigung von Frauen und
Männern nachgekommen und haben schon früher auf
eine Beseitigung von Nachteilen hingewirkt. Fakt ist
aber auch, dass der in den vergangenen Jahren gestie-
gene Anteil von Frauen in der Arbeitswelt zum großen
Teil auch auf die von politischer Seite initiierten Gesetze
und Maßnahmen sowie Initiativen von Politik und Wirt-
schaft zurückzuführen ist. Wir sind auf einem guten
Weg, die Erwerbs- und Karrierechancen von Frauen zu
verbessern, müssen diesen aber auch sukzessive und
konsequent fortsetzen.

Mit dem Zweiten Gleichberechtigungsgesetz von
1994, also vor 21 Jahren, haben wir erstmals die Förde-
rung von Frauen in der Bundesverwaltung in gesetzliche
Regelungen gegossen und zudem das Frauenförderge-
setz, welches 2001 durch das Bundesgleichstellungsge-
setz modernisiert wurde, und das Bundesgremienbeset-
zungsgesetz auf den Weg gebracht. Im Jahr 2001 hat die
Bundesregierung dann mit den Spitzen der Wirtschaft
die Vereinbarung getroffen, den Frauenanteil in Füh-
rungspositionen in der Wirtschaft signifikant zu erhöhen.
2011 unterzeichneten die DAX-30-Unternehmen auf Ini-
tiative der Politik schließlich eine Selbstverpflichtung
zur Förderung von Frauen in Führungspositionen. Wir
haben zudem – das ist ganz wichtig, und darauf wurde
von manchen Vorrednern hingewiesen – mit dem Bun-
deselterngeld- und Elternzeitgesetz, dem Gesetz zur För-
derung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrich-
tungen und in der Kindertagespflege, dem sogenannten
Kinderförderungsgesetz, aber auch zahlreichen Unter-
nehmensprogrammen und Initiativen die Rahmenbedin-
gungen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und
Beruf geschaffen.

Gerade erst zum 1. Januar 2015 sind mit dem Eltern-
geldPlus, dem Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von
Familie, Pflege und Beruf und dem Gesetz zum quantita-
tiven und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung
zahlreiche weitere familienpolitische Maßnahmen in
Kraft getreten, die sowohl die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf weiter verbessern als auch den Unternehmen
neue Chancen und Perspektiven bieten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Familienpolitik der unionsgeführten Bundes-
regierung zeichnet sich dadurch aus, dass sie es den Fa-
milien und insbesondere den Frauen mit unseren fami-
lienpolitischen Maßnahmen ermöglichen will, familiäre
Aufgaben zu übernehmen und gleichzeitig ihre berufli-
chen Ziele weiterverfolgen zu können. Frau Kollegin
Kömpel – ich kenne Sie als nette Kollegin im Ausschuss –,
Sie haben vorhin ausgeführt: Der erhöhte Frauenanteil in
den Aufsichtsräten wird zu kürzeren Konferenzen und
Gremiensitzungen führen. – Wir werden einmal
schauen, ob es stimmt. Zwei Minuten später habe ich ge-
merkt, dass Sie die erste Rednerin waren, die ihre Rede-
zeit erheblich überschritten hat. Wir sollten uns vom
Geschlechterkampf verabschieden. Wir können lange re-
den, Sie können auch lange reden. Wir gucken einmal,
wie die Verbesserung der Gremiensitzungen ausschauen
wird.

Meine Damen und Herren, all diese Maßnahmen ha-
ben ohne Zweifel zu einer Verbesserung der Rahmenbe-
dingungen, einer besseren Vereinbarkeit von Familie
und Beruf, einer höheren Erwerbstätigkeit von Frauen
und einem zunehmenden Anteil von Frauen in Füh-
rungspositionen beigetragen. Aber es ist auch unsere
Aufgabe, die Umsetzung des eingangs angesprochenen
verfassungsrechtlichen Schutz- und Förderauftrags den
sich stetig ändernden Rahmenbedingungen anzupassen
und an den jeweiligen Herausforderungen unserer Zeit
auszurichten. Dazu gehört, dass wir unsere bisherigen
Maßnahmen überprüfen. Hier müssen wir feststellen,
dass die bisherigen Initiativen zwar einen großen Beitrag
zur Verbesserung der Karrierechancen von Frauen ge-
leistet haben, jedoch eine Erhöhung des Frauenanteils an
Führungspositionen bislang nicht in dem signifikanten
Ausmaß erreicht werden konnte, wie wir uns dies ge-
wünscht hätten. Aufgrund der Tatsache, dass die Frauen
in unserem Land so hochqualifiziert und gut ausgebildet
sind wie nie zuvor, jedoch in den Führungsetagen der
Unternehmen und der Bundesverwaltung nicht in glei-
chem Maße repräsentiert sind, ist nunmehr eine gesetzli-
che Regelung notwendig geworden.

Trotz stetig steigender Frauenerwerbsbeteiligung und
zunehmender Qualifikation von Frauen liegt der Frauen-
anteil in den Aufsichtsräten der 200 umsatzstärksten
Unternehmen derzeit bei lediglich 15 Prozent. In den
30 DAX-Unternehmen ist nur etwa jeder fünfte Auf-
sichtsratsposten mit einer Frau besetzt. Im öffentlichen
Dienst liegt der Anteil der Frauen auf der ersten Füh-
rungsebene bei nur etwa 38 Prozent und der Frauenanteil
an Führungspositionen in den obersten Bundesbehörden
bei lediglich 27 Prozent. In Gremien, die der Bund voll-
ständig oder teilweise besetzt, beläuft sich der Anteil
von Frauen auf lediglich 25 Prozent.

Frauen nehmen aber mit fast 50 Prozent nicht nur
gleichberechtigt am Arbeitsleben teil, sondern machen
auch häufiger Abitur als Männer, beginnen häufiger ein
Studium und schließen dies auch häufiger und erfolgrei-
cher ab. Jeder zweite Absolvent des Studiums der Be-
triebswirtschaftslehre ist weiblich, und die Top-Staats-
examina des Studiums der Rechtswissenschaften stammen
ebenso von Frauen. Ich hoffe, es gelingt uns – gestern gab
es dazu Medienberichte –, auch den Eltern das Bewusst-
sein zu vermitteln, dass man nicht nur den Söhnen ein
Studium eines MINT-Fachs, ein naturwissenschaftliches
Studium zutrauen kann, sondern auch den Töchtern, dass
man also die Förderung der Männer in gleicher Weise
auf die Frauen übertragen kann. Ich glaube, das würde
unserer Wirtschaft und unserer Industrie sehr guttun.
Nicht nur aufgrund des demografischen Wandels können
und dürfen wir auf diese enormen Potenziale künftig
nicht mehr verzichten. Die Zahlen zeigen, dass das be-
stehende Ungleichgewicht bei der Besetzung von Füh-
rungspositionen nicht mit Qualifikationsunterschieden
zu rechtfertigen ist.





Paul Lehrieder


(A) (C)



(D)(B)

Meine Damen und Herren, es wurde von den Vorred-
nern sehr viel Sinnstiftendes dazu gesagt. Wir hatten am
23. Februar eine über dreieinhalbstündige Anhörung des
Familienausschusses und des Rechtsausschusses. Ich
darf mich bei den Kollegen des Rechtsausschusses für
die konstruktive Arbeit an dem Gesetzentwurf bedan-
ken. Ich darf mich bei der Ministerin und der Bundes-
kanzlerin bedanken. Frau Bundeskanzlerin, ich habe Sie
vorhin in Abwesenheit gelobt.


(Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Danke schön!)


Ohne Sie gäbe es dieses tolle Gesetz nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben es mit verfochten. Sie sind eine der Mütter des
Gleichstellungsgesetzes. Herzlichen Dank!

Frau Kömpel, ich habe es geschafft: Ich habe meine
Redezeit um keine einzige Sekunde überschritten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Birgit Kömpel [SPD]: Ganz toll!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809203200

Die Kollegin Christina Jantz hat für die SPD-Fraktion

das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Christina Jantz (SPD):
Rede ID: ID1809203300

Guten Morgen, Frau Präsidentin! Guten Morgen, Frau

Bundeskanzlerin! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frauenquote
ist ein Meilenstein für unser Land –


(Beifall bei der SPD)


historisch! Das Gesetzespaket stärkt die Frauen in der
Wirtschaft und im öffentlichen Dienst. Es ist ein tatsäch-
licher Quantensprung hin zu einer echten Gleichberech-
tigung.

Es war ein beschwerlicher Weg – sicherlich ist der
Weg weiterhin beschwerlich –, Artikel 3 Absatz 2 des
Grundgesetzes umzusetzen. Darin heißt es: „Männer und
Frauen sind gleichberechtigt.“


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dieser Satz wurde 1949 von den Müttern und Vätern un-
seres Grundgesetzes geschrieben, auf dessen Grundlage
wir heute unseren sozialen Rechtsstaat und unsere De-
mokratie aufbauen. Die Gleichberechtigung war und ist
ein wichtiger Teil davon. 1994 wurde dieser Satz folgen-
dermaßen ergänzt – Eva Högl hat es angesprochen –:

Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der
Gleichberechtigung von Frauen und Männern und
wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile
hin.
Bereits seit 1994 befähigt das Grundgesetz also den
Staat und fordert ihn zur Beseitigung von Nachteilen
auf.

Der daraus abgeleiteten Verantwortung werden wir
heute als Parlament gerecht. Heute, am 6. März, nimmt
das Parlament diesen Auftrag an und macht einen wich-
tigen Schritt, um die Benachteiligung von Frauen in der
Wirtschaft zu beseitigen. Mein Dank gilt – stellvertre-
tend für Sie alle, die darum gekämpft haben – unserer
Ministerin Manuela Schwesig und unserem Minister
Heiko Maas, die gemeinsam mit ihren Häusern das Ge-
setzespaket vorlegen, das wir heute beschließen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich füge hinzu: Es war eine Kraftanstrengung, diesen
Gesetzentwurf endlich auf den Weg zu bringen.

Die Benachteiligung von Frauen bei Führungsaufga-
ben in der deutschen Wirtschaft ist real und weit ver-
breitet. Ein Beispiel: 2013 lag der Anteil von Frauen in
Aufsichtsratspositionen bei nur 15,3 Prozent. Auch die
Entwicklung dieser Zahlen war über Jahre hinweg
besorgniserregend. Der Anteil von Frauen in Aufsichts-
ratspositionen verbesserte sich von 2012 auf 2013 um le-
diglich 0,2 Prozentpunkte. Diese Entwicklung ist zu
langsam und wird mit der Umsetzung des Gesetzes end-
lich ein Ende finden.

Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf
führen wir – wie meine Vorredner schon erläutert ha-
ben – eine Geschlechterquote von 30 Prozent für Auf-
sichtsräte in Unternehmen ein, die börsennotiert und voll
mitbestimmungspflichtig sind. Dies betrifft über 100 Un-
ternehmen. Zusätzlich werden 3 500 größere Unter-
nehmen verpflichtet, Zielgrößen zur Erhöhung des
Frauenanteils in Aufsichtsräten, Vorständen und Füh-
rungsebenen festzulegen. Ich bin mir sicher: Wenn wir
das Gesetz nach drei Jahren überprüfen, dann werden
wir feststellen, dass nicht nur Frauen in Führungspositio-
nen davon profitieren. Die gläserne Beförderungsdecke
wird brüchig gemacht. Die Unternehmen und damit un-
sere Wirtschaft insgesamt werden davon profitieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Leistungen der Frauen in Aufsichtsräten und Vor-
ständen werden es den Frauen in der gesamten Wirt-
schaft ermöglichen, für bessere Berufschancen und glei-
che Bezahlung zu streiten. Auch an diesem Effekt des
Gesetzes zur Quote sollten wir zum Weltfrauentag am
Sonntag erinnern.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809203400

Ich schließe die Aussprache.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Schön!)






Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf für die
gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an
Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öf-
fentlichen Dienst.

Mir liegen Erklärungen nach § 31 unserer Geschäfts-
ordnung von den Kolleginnen Vogler, Sitte, Schröder
und Deligöz und dem Kollegen Bareiß vor. Wir nehmen
sie entsprechend unseren Regeln zu Protokoll.1)

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/4227, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf den Drucksachen 18/3784 und 18/4053
in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den
Änderungsantrag auf Drucksache 18/4240? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungs-
antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen der antragstellenden Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
abgelehnt.

Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grü-
nen haben beantragt, über den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung getrennt abzustimmen, und zwar zum ei-
nen über Artikel 1 und Artikel 2 und zum anderen über
den Gesetzentwurf im Übrigen.

Wir kommen zunächst zur Abstimmung über Arti-
kel 1 und Artikel 2 des Gesetzentwurfs in der Aus-
schussfassung. Ich bitte nun diejenigen, die Artikel 1
und Artikel 2 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Artikel 1 und Ar-
tikel 2 sind mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen.

Wir stimmen jetzt über die übrigen Teile des Gesetz-
entwurfs in der Ausschussfassung ab. Ich bitte diejeni-
gen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die übrigen Teile
des Gesetzentwurfs sind einstimmig angenommen.


(Langanhaltender Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das reicht noch nicht! Wir müssen noch in dritter Beratung abstimmen! – Gegenruf des Abg. Sönke Rix [SPD]: Herr Kauder, wir feiern noch dreimal! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist der Unterschied: Wir arbeiten, ihr feiert – ihr auf dem Sonnendeck, wir im Maschinenraum!)


Ich stelle fest: Alle Teile des Gesetzentwurfs sind damit
in zweiter Beratung angenommen.

1) Anlagen 2 und 3
Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ich
gebe den Mitgliedern der Bundesregierung gern die
Möglichkeit, als Abgeordnete von ihrem Platz in den
Reihen der Fraktionen mit abzustimmen, wenn sie das
wollen. –


(Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und weitere Mitglieder der Bundesregierung begeben sich von der Regierungsbank in die Reihen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD – Langanhaltender Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wer stimmt gegen diesen Gesetzentwurf? – Wer enthält
sich? –


(Dr. Eva Högl [SPD], an die Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN gewandt: Eigentlich ist dieses Gesetz doch ein Meilenstein!)


Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen an-
genommen.


(Langanhaltender Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie jetzt davon-
strömen wollen, wir sind noch nicht fertig mit diesem
Tagesordnungspunkt, wir haben noch mehrere Abstim-
mungen vor uns.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD gewandt: Gehen Sie nicht raus! Wir haben jetzt die Mehrheit! Wir beschließen jetzt 40 Prozent!)


Wir sind jetzt beim Tagesordnungspunkt 19 b. Abstim-
mung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen zur geschlechtergerechten Besetzung von
Aufsichtsräten, Gremien und Führungsebenen – Füh-
rungskräftegesetz. Der Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4227, den Ge-
setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/1878 abzulehnen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Feige!)


Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abge-
lehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung.

Tagesordnungspunkt 19 c. Wir setzen die Abstim-
mungen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksa-
che 18/4227 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter den





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Buchstaben c und d seiner Beschlussempfehlung, die
Berichte der Bundesregierung zum Bundesgleichstel-
lungsgesetz auf Drucksache 17/4307 und zum Bundes-
gremienbesetzungsgesetz auf Drucksache 17/4308 (neu)

zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich?


(Zurufe von der CDU/CSU und der SDP)


– Wir können hier vorne im Moment noch keine Mehr-
heitsverhältnisse feststellen, da wir kein einhelliges Ab-
stimmungsverhalten in den einzelnen Fraktionen hat-
ten. – Wir stimmen über die Kenntnisnahme der gerade
genannten Drucksachen ab.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können es auch nicht zur Kenntnis nehmen!)


Ich habe festgestellt, dass die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen und die Fraktion Die Linke diese zur Kenntnis
nehmen wollen.


(Sönke Rix [SPD]: Und der Abgeordnete Rix!)


In den Koalitionsfraktionen war das leider nicht feststell-
bar.

Ich wiederhole also die Abstimmung. Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung?


(Zuruf von der CDU/CSU: Ich denke: Kenntnisnahme!)


– Also für die Kenntnisnahme laut Beschlussempfeh-
lung? Das meine ich ja; Entschuldigung, aber ich habe
vorhin auch nach der Kenntnisnahme gefragt. – Wer
stimmt gegen die Kenntnisnahme? – Wer enthält sich? –
Dann haben wir auch das gemeinsam geschafft. Die Be-
schlussempfehlung, die genannten Unterrichtungen zur
Kenntnis zu nehmen, ist angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald
Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sofortmaßnahmen für die Agrarwende – Für
eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft
und gutes Essen

Drucksache 18/4191
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Während sich das Haus umorganisiert, übergebe ich
die Leitung der Sitzung an die Kollegin Bulmahn, die
dann zu gegebener Zeit die Aussprache eröffnen wird.

Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809203500

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aussprache ist

eröffnet, da die meisten Kolleginnen und Kollegen ihre
Plätze eingenommen haben.

Als erster Redner erhält Dr. Hofreiter von Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort. – Herr Kollege.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seit zehn Jahren ist das Landwirtschafts- und
Ernährungsministerium in der Hand der CSU. Herrn
Minister Schmidt – er ist bei dieser Debatte noch nicht
anwesend – muss ich fragen: Was haben die Ministerin-
nen und Minister der CSU in diesen zehn Jahren er-
reicht?

Wenn man sich die Bilanz anschaut, dann stellt man
fest, dass diese einfach grauenhaft ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Zahl der Bauernhöfe hat in dieser Zeit um 30 Pro-
zent abgenommen; bei den Schweinehaltern mussten so-
gar 70 Prozent aufgeben. Es werden in den Ställen ton-
nenweise Reserveantibiotika verwendet. Die Hälfte der
Grundwassermessstellen schlägt inzwischen Alarm we-
gen Nitratbelastung. Monsanto rollen Sie vonseiten der
Großen Koalition den roten Teppich aus, um Gentechnik
in Deutschland endgültig zu etablieren. Den Tierschutz
überlassen Sie einfach weiterhin der Industrie. Die CSU
hatte in den letzten Jahren dieses Ministerium zu verant-
worten. Die CSU verantwortet also, dass viele Men-
schen, viele Familien unseren Lebensmitteln inzwischen
nicht mehr trauen. Die CSU ist dafür verantwortlich,
dass viele Menschen Angst vor multiresistenten Keimen
haben. Und die CSU ist auch dafür verantwortlich, dass
viele anständige Landwirte inzwischen Sorge haben,
dass sie ihren Betrieb nicht mehr weiterführen können,
dass viele anständige Landwirte aufgeben mussten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist deshalb schlichtweg höchste Zeit für eine Agrar-
wende in Deutschland.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Ko-
alition, auch die Kollegen von SPD und CDU, Sie hätten
doch die Mittel dazu in der Hand. Sie könnten doch die
Fördermittel gerechter verteilen. Sie könnten doch die
Fördermittel an Umwelt- und Tierschutz koppeln. Statt-
dessen haben Sie dafür gesorgt, dass die Fördermittel
weiter ungerecht verteilt werden. 5 Prozent der Betriebe
erhalten 45 Prozent der Steuermittel. Das ist doch nicht
gottgegeben. Das könnte man doch verändern, wenn
man wollen würde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Ko-
alition, Sie könnten doch die Flächenbindung der Land-
wirtschaft wiederherstellen; Seehofer hat diese damals
unter der ersten Großen Koalition abgeschafft. Dann hät-
ten wir eine Möglichkeit, diese Riesenställe in den Griff





Dr. Anton Hofreiter


(A) (C)



(D)(B)

zu bekommen. Warum tun Sie das nicht? Warum kop-
peln Sie nicht die Tierhaltung wieder an die Fläche? Das
würde bedeuten, dass man eine bestimmte Flächengröße
nachweisen muss, wenn man eine bestimmte Anzahl an
Tieren hält. Seehofer hat das abgeschafft. Warum führen
Sie das nicht einfach wieder ein?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es besteht doch die Möglichkeit, ein neues Tier-
schutzgesetz einzuführen, das diesen Namen verdient,
ein Tierschutzgesetz, das Qualzucht wirklich verbietet,
ein Tierschutzgesetz, das das Töten von Küken und
Maßnahmen wie das Schnabelkürzen bei Hühnern ver-
bietet. Das wäre doch mal was. Stattdessen haben Sie ir-
gend so eine intransparente Tierwohl-Initiative gestartet.
Sie schieben damit die Probleme weiterhin auf die lange
Bank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere von
der CSU und der SPD – die CDU ist ja für Gentechnik;
aber CSU und SPD sind angeblich gegen Gentechnik –,
warum hören Sie nicht einfach auf die große Mehrheit
der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und verban-
nen Gentechnik aus Deutschland?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Stattdessen überlegen Sie sich eine vollkommen durch-
löcherte Regelung. Machen Sie doch was ganz Einfa-
ches: Sorgen Sie per Gesetz dafür, dass das nationale
Anbauverbot für gentechnisch veränderte Pflanzen, das
die EU uns ermöglicht – wir hätten das gerne EU-weit
verboten –, auch umgesetzt wird. Sie haben eine 80-Pro-
zent-Mehrheit. Beschließen Sie es doch einfach.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Eine weitere Möglichkeit, die wir Ihnen vorschlagen:
Sie könnten dem Beispiel von Dänemark und den Nie-
derlanden folgen. Dänemark und den Niederlanden ist es
gelungen, den Antibiotikaverbrauch in den Ställen zum
Teil um bis zu zwei Drittel zu senken. Warum folgen Sie
nicht dem Beispiel von Dänemark und den Niederlanden
und senken den Verbrauch von Antibiotika in den Ställen
oder wenigstens den Verbrauch von Reserveantibiotika?
Das ist besonders wichtig, wenn man Menschen, die von
multiresistenten Keimen befallen sind, wenigstens noch
eine Chance geben will. Warum verbieten Sie nicht we-
nigstens den massenhaften Einsatz von Reserveantibio-
tika in den Ställen? Sie könnten es. Warum tun Sie es
nicht?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Ich komme zu einem weiteren Punkt. Wenn man sich
die Bedingungen anschaut, unter denen viele Menschen
in den Schlachthöfen arbeiten, dann muss man sagen:
Das sind sklavereiähnliche Bedingungen. Es ist unseres
Landes doch vollkommen unwürdig, wie diese Men-
schen behandelt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Wenn Sie darüber stöhnen oder lästern, schauen Sie sich
die Bedingungen an, unter denen diese Menschen arbei-
ten.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809203600

Herr Kollege Hofreiter, lassen Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Priesmeier zu?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja, klar, wenn er Lust dazu hat.


Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1809203700

Herr Kollege Hofreiter, wenn Sie das dänische Bei-

spiel loben, wie erklären Sie dann die Tatsache, dass in
Dänemark in den letzten zwei Jahren das Vorkommen
von MRSA-Keimen in den Proben der Lebensmittel-
überwachung drastisch zugenommen hat?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In Dänemark hat das Vorkommen deshalb zugenom-
men, weil dort inzwischen vernünftig kontrolliert wird.
Ein Teil der Antibiotikastrategie in Dänemark ist näm-
lich auch, für entsprechende Kontrollen zu sorgen und
nicht nur das Ausmaß des Einsatzes von Antibiotika zu
senken.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!)


Wir könnten ein weiteres Beispiel nehmen: Es ist in-
zwischen in den skandinavischen Ländern gelungen, wie
zum Beispiel in Norwegen, die Schweinebestände kom-
plett von resistenten Keimen zu befreien. Nehmen Sie
sich daran ein Beispiel. Es gibt gute Beispiele. Kommen
Sie nicht immer mit irgendwelchen Ausreden.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Schwimmen!)


Nur weil woanders vernünftig gearbeitet wird, glauben
Sie, nichts machen zu müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marlene Mortler [CDU/CSU]: Das war eine Ausrede!)


Herr Kollege Priesmeier, es tut mir leid, dass ich Sie
vorhin nicht gesehen habe. Ich habe wahrscheinlich zu
sehr auf die Kollegen der CDU/CSU geachtet, die, ehr-
lich gesagt, bei diesem Thema dominanter sind.


(Rita Stockhofe [CDU/CSU]: Darauf kann man gar nicht genug achten!)


Aber vielleicht auch eine Frage an die Kollegen von
der SPD: Warum sorgen Sie nicht dafür – die Möglich-
keit dazu hätten Sie –, dass jedes Kind, egal welches
Einkommen die Eltern haben, ein vernünftiges Schules-
sen, ein vernünftiges Kitaessen bekommt? Warum küm-





Dr. Anton Hofreiter


(A) (C)



(D)(B)

mern Sie sich als Sozialdemokraten nicht stärker darum?
Sie hätten die Möglichkeit dazu.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE] – Marlene Mortler [CDU/CSU]: Wie ist das in den grünen Bundesländern? – Rita Stockhofe [CDU/CSU]: So wie in den Ländern, wo die Grünen das Sagen haben!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Ko-
alition, liebe Bundesregierung, Sie haben die Mittel in
der Hand, um entsprechend etwas zu tun. Warum tun Sie
es nicht? Es geht dabei nicht um wenig. Es geht um
Klima- und Verbraucherschutz, es geht um Tierschutz,
und es geht um Artenreichtum, ja, und es geht um eine
Branche mit mehr als 1 Million Arbeitskräfte. Deshalb:
Sorgen Sie dafür, dass wir zu einer vernünftigen Agrar-
wende kommen, sorgen Sie endlich dafür, dass die Land-
wirte nicht mehr gezwungen sind, unter unwürdigen Be-
dingungen zu arbeiten.

Wir Grüne wollen, dass diese 1 Million Jobs erhalten
bleiben. Wir wollen, dass diese Menschen faire Mög-
lichkeiten und die Landwirte gute Chancen haben. Wir
wollen faire Arbeitsbedingungen statt Ausbeutung. Wir
wollen keine Steuergelder mehr für die Großunterneh-
men; vielmehr sollten die Steuergelder an die kleinen
und mittelständischen Unternehmen gerecht verteilt wer-
den. Wir wollen Investitionen in den Tierschutz und in
die Umwelt. Wir wollen die Lebensmittelstandards ver-
bessern und wollen nicht, dass sie bei TTIP und CETA
verhökert werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Ko-
alition – der Herr Minister ist ja nicht da –, sorgen Sie
dafür, dass es endlich zu einer Agrarwende kommt! Sor-
gen Sie endlich dafür, dass Sie Verantwortung überneh-
men, und steuern Sie bei Ihrer Agrarpolitik um!

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marlene Mortler [CDU/CSU]: Schwach! Äußerst schwach!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809203800

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ingrid

Pahlmann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ingrid Pahlmann (CDU):
Rede ID: ID1809203900

Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich kann nur sagen:
Und täglich grüßt das Murmeltier. Heute nun wieder mal
die Forderung nach der Agrarwende: weg von der markt-
wirtschaftlichen Landwirtschaft,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie es nicht schaffen, müssen wir es täglich wiederholen!)


hin zu kleinstrukturierten Betrieben; das Ganze verbun-
den mit der Forderung, dass bäuerliche Betriebe wieder
besser von der Landwirtschaft leben können sollen. Ich
sehe nicht, wie Sie das mit Ihren Forderungen, mit Ihrer
Schwarz-Weiß-Malerei erreichen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Trends des Betriebsgrößenwachstums und der
wachsenden Tiereinheiten je Betrieb sind auch zu Zeiten
grüner Regierungsverantwortung von 2001 bis 2005
nicht gestoppt worden, ja nicht einmal verlangsamt wor-
den. Denn Landwirtschaft – das müssen auch Sie endlich
einsehen – hat auch etwas mit Wirtschaftlichkeit zu tun.
Wir Bauern leben nun einmal nicht in einer isolierten
Märchenwelt, auch wir müssen auskömmliche Einkom-
men erwirtschaften können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit der Umsetzung der EU-Agrarreform erreichen
wir durch Zuschläge von 50 Euro für die ersten 30 Hek-
tar und weiteren 30 Euro für die folgenden 16 Hektar be-
reits eine Besserstellung für kleine und mittlere Betriebe
bis 95 Hektar. Auch für Junglandwirte ist ein Programm
aufgelegt worden, durch das es Zuschläge von 44 Euro
pro Hektar für die ersten 90 Hektar gibt.

Wir müssen uns vielmehr die Frage stellen, was das
Überleben der kleineren Betriebe, die Sie ja so vehement
fordern und von denen wir Gott sei Dank auch noch
einige haben, erschwert. Das sind auch die ständigen
neuen Anforderungen, die an die Betriebe gestellt wer-
den. Denn eines ist klar: Zusätzliche Auflagen, Nachfor-
derungen an Stallumbauten, Stalleinrichtungen, überbor-
dende Bürokratie etc. können die größeren Betriebe viel
leichter stemmen als die kleinen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb dürfen wir nicht in einen blinden Aktionis-
mus verfallen, wenn wir Prozesse ändern wollen, son-
dern wir sollten Änderungen nur problembezogen, wis-
senschaftlich fundiert und praxistauglich durchführen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Da hilft dann eben kein blinder Aktionismus. Da reicht
es auch nicht, die simple Formel aufzustellen: Tierwohl
ist gleich kleine Einheit. Vielen Tieren – das müssen Sie
zur Kenntnis nehmen – geht es heute in größeren Einhei-
ten deutlich besser als früher in kleinen, dunklen Ställen
mit schlechten Luftverhältnissen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Rita Hagl-Kehl [SPD])


Dabei haben die Landwirte auch immer bewiesen, dass
sie durchaus bereit sind, praktikable und sinnvolle Wege
mitzugehen.

Die Düngenovelle befindet sich zurzeit in Überarbei-
tung. Wir treten für eine Reduzierung des Antibiotika-
einsatzes ein. Ja, wir sind das Land, das bereits eine
Antibiotikadatenbank besitzt, in der jede Gabe doku-
mentiert wird. Wir haben das Baugesetzbuch verändert.
Dadurch haben Kommunen bessere Steuerungsmöglich-
keiten bei Stallneubauten. Vieles befindet sich also auf
dem Weg. Es wird für einige Betriebe nicht leicht sein,





Ingrid Pahlmann


(A) (C)



(D)(B)

das umzusetzen. Zusätzlicher, verfrühter und unnötiger
Aktionismus hilft jetzt keinem weiter.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dazu möchte ich Ihnen gern ein Beispiel aus meiner
niedersächsischen Heimat aufzeigen, wo ein grüner
Landwirtschaftsminister, der als Höfesterben-Minister
bekannt ist


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo leben Sie denn?)


– so viel zu der Forderung nach mehr landwirtschaftli-
chen Betrieben –,


(Beifall bei der CDU/CSU)


das große Problem des Schwanzbeißens bei Schweinen
mal so eben mit dem Einsatz von 28 Millionen Euro in
den Jahren 2016 bis 2020 in den Griff bekommen will.
Ich rede von der sogenannten Ringelschwanz-Prämie.
Jeder niedersächsische Bauer, der sein Tier mit komplet-
tem Schwänzchen, unkupiert von seinem Halter und un-
angeknabbert von seinen Artgenossen zum Schlachthof
bringt, soll 16, 17 oder 18 Euro extra bekommen.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig viel Geld!)


Das Problem ist nur, dass diese 28 Millionen Euro bei
den in Niedersachsen anfallenden Schlachtungen, wenn
jedes erzeugte Mastschwein prämiert würde, gerade ein-
mal für einen Monat reichen würden. Das ist keine
Nachhaltigkeit. Das nenne ich Aktionismus, Augenwi-
scherei und Geldverbrennen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt, Sie lehnen selbst den Anfang ab! Schritte in die richtige Richtung lehnen Sie also rundweg ab!)


Diese 28 Millionen Euro hätte man sinnvoller einsetzen
können.

Solche unausgegorenen Pläne gibt es leider reichlich.
Ende Februar fand in meiner Heimatstadt der nieder-
sächsische Junglandwirtetag statt. Ich bin unserem Bun-
desminister im Nachhinein sehr dankbar, dass er sich die
Zeit genommen hat, den landwirtschaftlichen Nach-
wuchs aufzubauen, indem er ihm Zukunftsängste nahm
und Perspektiven für den ländlichen Berufsstand auf-
zeigte. Diese jungen Menschen – die übrigens mit zu der
bestausgebildeten Berufsgruppe zählen – verzweifeln in-
zwischen manchmal an den ständig wachsenden Anfor-
derungen der Politik und fragen sich, warum sie über-
haupt noch an diesem Beruf festhalten sollen, bei dem
sie unter Generalverdacht gestellt und als Umweltsünder
und Tierquäler diskreditiert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zurück zum Thema Schwanzbeißen. Das Schwanz-
beißen in Schweinebeständen bekommt man eben leider
nicht durch das Verbot des Schwänzekupierens in den
Griff. Es gibt Betriebe, in denen es bei drei oder vier
Durchgängen super gut läuft. Dann aber geht das Verbei-
ßen ohne erkennbare Gründe – gleiches Futter, gleicher
Ferkellieferant, gleiches Stallklima, ausreichend Spiel-
zeug – los. Das ist übrigens kein alleiniges Problem der
Intensivtierhaltung. Von diesem Phänomen wird bei al-
len Haltungsformen berichtet.

Da hilft reiner Aktionismus nicht. Vielmehr muss erst
einmal die Forschung weiter betrieben werden. Denn
glauben Sie mir: Jeder Landwirt wäre froh, wenn er
diese lästige Arbeit nicht machen müsste. Verbissene
Schwänze sind für Schweine schmerzhaft, führen zu
Krankheiten und Entzündungen und damit zu unnötigem
Medikamenteneinsatz. Wem ist damit geholfen?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie fordern den Stopp des angeblich ausufernden An-
tibiotikaeinsatzes. In Niedersachsen ist Ihr grüner Land-
wirtschaftsminister, ein Jahr nachdem die Bundesregie-
rung die Änderung des Arzneimittelgesetzes mit einem
Antibiotika-Minimierungskonzept auf den Weg gebracht
und die Kontrollbefugnisse der Länderbehörden erheb-
lich erweitert hat, noch immer nicht in der Lage, sein an-
gekündigtes Antibiotikamonitoring umzusetzen. Also
bitte: Erforderlich ist die Abkehr von einer Ideologie hin
zu einer Versachlichung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zum Thema „gesunde Ernährung“. Nirgends auf der
Welt gibt es sicherere Lebensmittel als in Deutschland.
Lebensmittel auf höchstem Niveau sind hier zu bezahl-
baren Konditionen zu erhalten. Was noch viel besser ist:
Deutsche Verbraucher haben die Wahl. Sie können die
Lebensmittel kaufen, die ihrer Lebensweise und ihren
Ansprüchen und auch ihrem Geldbeutel entsprechen.
Wir sind dabei, die Kennzeichnung weiter zu verbessern,
um die Entscheidung der Verbraucher zu erleichtern. Wir
fordern Wahrheit statt Klarheit.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


– Wahrheit und Klarheit, Entschuldigung.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Freud’scher Versprecher!)


Wir wollen die Verbraucher nicht für dumm verkau-
fen. Die simple Ampelvariante unterfordert die Verbrau-
cher; die sind nämlich schon viel weiter, als Sie denken.
Die Ampelvariante reicht nicht aus. Allergieauslösende
Stoffe müssen heute deklariert sein. Der Verbraucher
will zunehmend mehr über verarbeitete Lebensmittel
wissen. Das fordern Sie, und da bin ich auch bei Ihnen.
Ich bin auch bei Ihnen, wenn Sie fordern, dass das Wis-
sen über Ernährung besser in die Breite der Gesellschaft
getragen wird.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na also, dann mal los!)


In diesem Bereich gibt es bereits viele gute Ansätze. Ich
verweise auf die Initiative „IN FORM“, Deutschlands
Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung;





Ingrid Pahlmann


(A) (C)



(D)(B)

„SchmExperten“ und „Fit im Alter“ sind nur zwei wei-
tere Beispiele.

An dieser Stelle sind aber natürlich auch die Länder
gefragt. Auch die grünen Bundesländer dürfen wir nicht
aus der Verantwortung entlassen. Tun Sie mir also fol-
genden Gefallen: Packen Sie Ihren Antrag beiseite, und
gehen Sie mit uns die von unserem Minister eingeschla-
genen Wege, gern auch mit kritischen Anregungen, aber
bitte ohne ideologische grüne Brille, Diffamierungen
und Pauschalverurteilungen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Jeannine Pflugradt [SPD] – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ganz schlecht!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809204000

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Dr. Kirsten

Tackmann von der Linken das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809204100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste! Ich habe monatlich eine Sprechstunde auf
den Marktplätzen zwischen Perleberg und Neuruppin.
Da hört man ziemlich gut, was die Leute so bewegt. Es
gibt kaum ein Thema, auf das man öfter angesprochen
wird als die Landwirtschaft. Die Kritik richtet sich aber
nicht gegen die Landwirtschaft an sich, sondern gegen
Megaställe, gegen zu viel Chemie auf dem Acker – wes-
wegen es zu wenige Bienen gibt –, gegen Agrogentech-
nik oder gegen den Missbrauch von Antibiotika.

Ich finde, dass die Bürgerinnen und Bürger ein sehr
feines Gefühl für die Fehlentwicklungen in der Land-
wirtschaft haben. Ich finde, dass man diese Kritik auch
ernst nehmen muss.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gleichzeitig sage ich als Linke: Ich möchte den Land-
wirtschaftsbetrieben die Hand reichen; denn wir brau-
chen sie als Verbündete, wenn wir diese Situation verän-
dern wollen. Hoffnung habe ich vor allen Dingen bei den
Betrieben, bei denen, die das Sagen haben, die auch vor
Ort wohnen; denn diese sichern Arbeit und Einkommen
in der Nachbarschaft. Sie helfen auch einmal beim Dorf-
fest oder beim Winterdienst; das ist selbstverständlich.
Mit ihnen kann man und soll man auch diskutieren, wie
die Probleme gelöst werden können. Ich finde, Land-
wirtschaft und Dorf müssen wieder enger zusammenrü-
cken.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ob das klappt, ist nach meiner Erfahrung eben nicht
eine Frage der Größe des Betriebs. Positive Beispiele er-
lebe ich sowohl bei Familienbetrieben als auch bei klug
geführten GmbHs, aber vor allen Dingen auch bei Ge-
nossenschaften. Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, wa-
rum man diese gute Erfahrung aus Ostdeutschland in
Westdeutschland so sehr ignoriert. Aber das ist eine an-
dere Geschichte.

Das Gegenmodell zu dieser regional verankerten
Landwirtschaft sind Agrarholdings wie jene, die auch im
Umfeld meines Dorfes im Nordwesten Brandenburgs die
Flächen bewirtschaftet. Laut Internet betreibt sie auf
22 000 Hektar reinen Ackerbau an 40 Standorten – wenn
ich auf der Karte richtig gezählt habe –, fast ausschließ-
lich in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Der Hauptsitz
liegt aber in Niedersachsen. „Land Grabbing“ findet also
nicht nur in Afrika statt, sondern auch vor unserer Haus-
tür. Mit Landwirtschaft im Interesse unserer Region hat
das wenig zu tun. Dafür lässt sich mit diesem Geschäfts-
modell aber offensichtlich kurzfristig sehr viel Geld ver-
dienen. Deshalb kauft das vagabundierende Kapital nun
Äcker, Wiesen oder ganze Betriebe.

Auch die bundeseigene BVVG verkauft in politi-
schem Auftrag die ehemalig volkseigenen Flächen der
DDR an Meistbietende, und zwar europaweit, mit der
Folge, dass die Bodenkauf- und Pachtpreise in vielen
Regionen unterdessen so hoch sind, dass sie mit land-
wirtschaftlicher Arbeit nicht mehr zu bezahlen sind.

Das Ergebnis sind kapitalgesteuerte, regional entkop-
pelte Agrarunternehmen. Das ist eine ferngesteuerte
Landwirtschaft, die wir nicht wollen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


In Gefahr ist damit aber auch ein ganz wichtiger poli-
tischer Konsens seit dem Zweiten Weltkrieg, nämlich die
Sicherung einer breiten Streuung des Bodeneigentums.
Die Linke weist seit langem auf diese Fehlentwicklung
hin, häufig leider vergeblich, aber jetzt tut sich Gott sei
Dank etwas.

Unter anderem liegen jetzt die Vorschläge des Bun-
desverbandes der gemeinnützigen Landgesellschaften
auf dem Tisch. Ein Vorschlag ist zum Beispiel, dass Ver-
äußerungen von Gesellschaftsanteilen landwirtschaftli-
cher Unternehmen genehmigt werden müssen. Ich finde,
es ist höchste Zeit zum Handeln, damit nachhaltig wirt-
schaftende Betriebe eine Chance haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, so kurz vor dem
8. März habe ich mir noch mal angeschaut, wie viele
landwirtschaftliche Betriebe von Frauen geleitet werden.
Eine Übersicht für die EU-Mitgliedstaaten liegt leider
nur für die Jahre 1999 und 2000 vor. Damals bildete
Deutschland mit 8 Prozent gemeinsam mit Dänemark
und den Niederlanden das absolute Schlusslicht. Ich
finde das wirklich peinlich. An der Spitze standen übri-
gens Österreich mit 31 Prozent und Griechenland mit
24 Prozent Frauenanteil.

Nicht dass Sie denken, dass es 2013 besser ausgese-
hen hat. Im Jahr 2013 waren sogar nur noch 6,4 Prozent
der Betriebsleiter in der Landwirtschaft weiblich. Ich
finde, Mädels, hier muss sich dringend etwas ändern.





Dr. Kirsten Tackmann


(A) (C)



(D)(B)

Dann ändert sich auch noch schneller etwas in der Land-
wirtschaft.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809204200

Als nächster Redner hat Dr. Wilhelm Priesmeier von

der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1809204300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kol-
lege Hofreiter, ich hätte bei Ihrer Rede ein bisschen mehr
Wissenschaftlichkeit erwartet. Als Diplombiologe wären
Sie dazu sicherlich in der Lage.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vielleicht halten Sie demnächst eine Rede über „Urban
Farming“ in München. Dazu sind Sie mit Sicherheit qua-
lifiziert.

Die Welt ist nicht ganz so einfach, wie wir uns das
vorstellen. Die Agrarwende datiert ja schon vom Jahr
2001 und war letztendlich die Konsequenz aus den Er-
kenntnissen der BSE-Krise und aus der damaligen Sys-
temkrise. Daraus haben wir Sozialdemokraten und auch
die Grünen Konsequenzen ziehen müssen. Die Konse-
quenzen sieht man ja schon; denn die Landwirtschaft hat
sich in den vergangenen 14 Jahren bewegt. Die Land-
wirtschaft ist dialogbereit geworden. Die Landwirtschaft
stellt sich natürlich den Herausforderungen. Es nützt
also nichts, wenn man Ängste schürt oder Hunderttau-
sende von Landwirten an einen Pranger stellt, an den sie
nicht gehören.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es ist untauglich, zu versuchen, Menschen, die zur
Landwirtschaft unter Umständen keine unmittelbare Be-
ziehung haben, für seine politischen Ziele und Zwecke
zu instrumentalisieren und in der gesamten Gesellschaft
Ängste zu erzeugen. Damit kommen wir weiß Gott nicht
weiter.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Man sollte konkrete Optionen dafür entwickeln – Ihre
Länderminister tun das ja auch relativ konstruktiv –, im
Hinblick auf all die Probleme, die unzweifelhaft vorhan-
den sind, im Dialog voranzukommen. Man kann das al-
les nicht differenziert betrachten, wenn man, wie Sie in
Ihrem Antrag, in einem Satz von „gefährlichen Kei-
men“, „tierquälerischen Missständen“, „Riesenställen“,
„Monokulturen“, „Artensterben“, „Klimakrise“, „Land-
raub“, „Umweltzerstörung“ und „verseuchtem Grund-
wasser“, von Dumping und der Zerstörung bäuerlicher
Strukturen spricht. Das ist wirklich viel zu einfach.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Hier stimmt Ihre Analyse nicht zur Gänze. Vielmehr
muss man im Einzelnen schauen, wo die Ursachen lie-
gen.

90 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe sind
Familienbetriebe. Wir haben keine sich entwickelnde
großräumige, großflächige Agrarindustrie. Es gibt Ent-
wicklungen, die wir nicht gutheißen können. Die SPD
will keine KTG Agrar, die SPD will keine Straathoffs,
und die SPD will auch nicht Haßleben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Daher darf man aber auch nicht das Bild der Landwirt-
schaft diskreditieren.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb redet man bloß und handelt nicht! Das ist typisch SPD: Laber, laber, laber, und nichts tun!)


Ich glaube, das ist der falsche Weg. Wir wollen eine bäu-
erliche, nachhaltige Landwirtschaft, die von Unterneh-
mern geprägt ist, die Verantwortung tragen und Verant-
wortung in dieser Gesellschaft übernehmen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was machen Sie?)


Wir haben heute Unternehmen, die wettbewerbsfähig
sind und Arbeitsplätze schaffen. Ihre Wertschöpfung im
ländlichen Raum und auch in der gesamten Gesellschaft
ist erheblich.

Wir haben die Agrarwende gemeinsam vorangetrie-
ben. Als Folge der Agrarwende und verschiedener ande-
rer Beschlüsse haben wir auch ganz wichtige Entschei-
dungen in Brüssel getroffen. Renate Künast war dafür
verantwortlich, dass wir das alte Prämiensystem mit der
Kopplung an Produkte abgeschafft und Flächenprämien
eingeführt haben.


(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Genau!)


Das hat die deutsche Landwirtschaft in besonderer
Weise wettbewerbsfähig gemacht.

Wir haben den Außenschutz reduziert und mit den
Beschlüssen von damals dafür gesorgt, dass es heute
nicht mehr notwendig ist, mit Exporterstattungen auf
den Weltmärkten Dumping zu betreiben. Das ist auch ein
Erfolg von Rot-Grün.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Davon kann man sich nicht distanzieren.

Wenn man sich mit der Landwirtschaftspolitik ausei-
nandersetzt, dann wird klar: Die Landwirtschaftspolitik
ist heute Gesellschaftspolitik. Die Agrarpolitik und die
Landwirte sind mitten in der Gesellschaft angekommen.
Ich glaube, es ist ungerecht, den Landwirten den Dialog
zu verweigern und mit dem Finger auf sie zu zeigen. Für
mich ist die Akzeptanz des landwirtschaftlichen Sektors,





Dr. Wilhelm Priesmeier


(A) (C)



(D)(B)

des Agrarsektors, der Kern und die Voraussetzung für
die weiteren Perspektiven, die die Landwirtschaft in un-
serem Lande haben muss.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Darüber hinaus brauchen wir nicht nur eine wettbe-
werbsfähige Landwirtschaft, sondern auch den Außen-
handel und den Import. Mit dem Import sichern wir auch
in anderen Ländern Arbeitsplätze. Wir importieren im
Bereich der Landwirtschaft im Wert von 71,6 Milliarden
Euro und exportieren im Wert von 64,2 Milliarden Euro.
Ich finde, auch das hat nichts mit Dumping zu tun, son-
dern zeigt, dass unsere Landwirtschaft Chancen hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir als SPD sind natürlich nicht blind. Ich glaube,
dass die Subventionen, die wir zahlen, nicht dauerhaft
Bestand haben können. Subventionen, die falsch orien-
tiert sind, sind aber nicht dafür verantwortlich, dass
70 Prozent der Betriebe keinen Hofnachfolger finden.
Dafür sind Strukturveränderungen verantwortlich, die es
immer schon gab und denen wir uns auch politisch so
schnell nicht entziehen können. Auch in den anderen eu-
ropäischen Ländern gibt es die gleiche Entwicklung
beim betrieblichen Wachstum, und auch dort sinkt die
Anzahl der Betriebe. So falsch kann unsere Agrarpolitik,
betrachtet man den gesamten Kontext Europa, also nicht
gewesen sein – auch nicht die von Rot-Grün.


(Beifall bei der SPD)


Welche Auswirkungen Standards haben, die wir alle
umsetzen wollen, wird auch deutlich, wenn man sich die
Entwicklung anschaut. Wir haben die Käfighaltung Gott
sei Dank verboten. In der Folge sind alle kleineren Be-
triebe, die weniger als 5 000 bis 10 000 Hühner in ihren
Käfigen hatten, aus der Haltung von Legehennen ausge-
stiegen. An ihrer Stelle haben andere Unternehmen in-
vestiert, sodass wir heute wieder einen Versorgungsgrad
von 75 Prozent haben. Das macht deutlich: Jede Maß-
nahme, die wir beschließen, und jeder höhere Standard,
den wir in Teilen zu Recht umsetzen, führen automatisch
dazu – und das gilt auch für die Maßnahmen, die Sie for-
dern –, dass dieser Strukturwandel vorangetrieben wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Mit Blick auf die Zukunft hat die deutsche Landwirt-
schaft, die deutsche Agrarwirtschaft innerhalb Europas
und auch innerhalb dieser Welt eine besondere Aufgabe:
Wir können Modell für eine nachhaltige Landwirtschaft,
für eine vielgestaltige Landwirtschaft sein. Wir erhalten
auf diese Art und Weise unsere Kulturlandschaft und tra-
gen wesentlich dazu bei, dass die Verhältnisse in den
ländlichen Räumen stabil bleiben. Dafür, finde ich, lohnt
es sich, Politik zu machen, und dafür macht die SPD Ag-
rarpolitik.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809204400

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Hans-Georg

von der Marwitz von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Hans-Georg von der Marwitz (CDU):
Rede ID: ID1809204500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Beim
Durchlesen des heutigen Antrags von den Grünen ging
mir ein Zitat von Christian Morgenstern durch den Kopf:


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja nicht schlecht!)


Die Hälfte allen Unglücks – vom gröbsten bis zum
feinsten – geht auf Unwissenheit oder Denkfehler
zurück, gewollte oder ungewollte …


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Jeannine Pflugradt [SPD])


Dabei könnte ich es bewenden lassen, wäre da nicht der
von den Grünen gewollte Denkfehler – das haben wir bei
der ersten Rede sehr deutlich gehört –, den Sie wie eine
Monstranz, wie eine alleinige Wahrheit vor sich hertra-
gen.

„Sofortmaßnahmen für die Agrarwende – Für eine
bäuerlich-ökologische Landwirtschaft und gutes Essen“,
so lautet der Titel Ihres Antrags.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann unterstützen Sie das doch einfach!)


Als Landwirt, auch ökologisch arbeitend, fühle ich mich
bei Ihrem Rundumschlag im wahrsten Sinne des Wortes
vor den Kopf gestoßen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn gegen gutes Essen?)


Als ob die deutsche Landwirtschaft und die Lebensmit-
telverarbeiter ein Haufen unverbesserlicher Ganoven
wären, denen das Handwerk gelegt werden müsste, ver-
mengen Sie alle negativ besetzten Begriffe wie Massen-
tierhaltung, Artenschwund, verseuchtes Grundwasser,
Aufheizen der Atmosphäre, Klimawandel,


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist jetzt der Fehler? Was ist daran falsch?)


Welthunger, Ausbeutung von Arbeitskräften, Preisdum-
ping, Antibiotikaresistenz, Tierqual und nicht zuletzt
Zerstörung der Natur in einem Schierlingsbecher und
vergiften damit den landwirtschaftlichen Berufsstand.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Jeannine Pflugradt [SPD])


Justus von Liebig hat wohl recht, wenn er sagt:

Wir neigen viel zu sehr dazu, Dingen, die das Er-
gebnis vieler Ursachen sind, einer einzigen zuzu-
schreiben.

Das tun Sie.





Hans-Georg von der Marwitz


(A) (C)



(D)(B)

Mit Ihrem heutigen Antrag haben Sie bei mir manche
Sympathie für das eine oder andere Ihrer Themen ver-
spielt; denn es geht Ihnen nicht um eine sachliche Aus-
einandersetzung mit Problemen, die es natürlich auch in
der deutschen Landwirtschaft gibt, sondern allein um die
Lufthoheit über ein Problem und die Besetzung eines
Themas, das ihnen bei zukünftigen Wahlen Stimmen
verschaffen soll.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Darum geht es Ihnen und nur darum, nicht etwa um kon-
krete Veränderungen in einem landwirtschaftlichen Pro-
blemfeld; denn ein fachlicher Diskurs über mögliche
Verbesserungen in der deutschen Landwirtschaft muss
im Dialog und darf nicht mit einer pauschalen Vorverur-
teilung geführt werden.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht die bitte?)


– Lies doch bitte einmal den gesamten ersten Teil eures
Antrags.

Um die Funktion der modernen Landwirtschaft in der
heutigen Wirtschaftsordnung zu verstehen, hilft, wie so
oft, ein Blick in die Geschichte. Mit dem Landwirt-
schaftsgesetz von 1955 wurde die Stützungsbedürftig-
keit des Agrarsektors herausgestellt. Allerdings müssen
Förderungen zielgenau sein und sich in einem gewissen
Rahmen bewegen. Vor allem dürfen die Kräfte des Wett-
bewerbs nicht ausgehebelt werden.

Sie wissen, dass auch ich einer Kappung der Direkt-
zahlungen positiv gegenüberstand. Auch heute noch bin
ich der Meinung, dass wir darüber diskutieren müssen.
Aber haben wir nicht mit dem Umverteilungsprämienge-
setz vor einem Jahr in den letzten GAP-Verhandlungen
einen Kompromiss erreicht, dem auch Sie hier im Bun-
destag zugestimmt haben?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Jetzt verlangen Sie eine Umverteilung von 30 Prozent
der Mittel aus der ersten Säule für die ersten 46 Hektar.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben mal Ihr Zitat von Morgenstern gegoogelt! – Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das würde bedeuten, dass über 1,4 Milliarden Euro an
Förderungen für alle Betriebe per annum umgeschichtet
werden müssten. Ich denke, dass das eher zu Mitnahme-
effekten und zu weiteren Konzentrationen führen würde
als zu einer produktiven und vor allem auch gerechten
Landbewirtschaftung. Außerdem dürfte es zu einer
Pachtpreisexplosion kommen, die nur den Landeigentü-
mern zugutekommt.

Auch Ihre nächsten Punkte können aus meiner Sicht
so nicht stehen bleiben. Sie fordern eine pauschale Ober-
grenze für die Anzahl der gehaltenen Tiere. Es sollten
Ihrer Ansicht nach nicht mehr als zwei Großvieheinhei-
ten pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche je Betrieb
gehalten werden, um Massentierhaltung zu vermeiden.
Natürlich – darin sind wir uns in mancher Hinsicht ei-
nig – kann es kein ungebremstes Wachstum geben, vor
allem nicht in masttierstarken Regionen. Um die Ent-
wicklungen effektiver steuern zu können, haben wir uns
bereits Anfang 2013 die Novelle zum Baugesetzbuch
vorgenommen.

Angenommen, wir würden die von Ihnen geforderten
2 GV pro Hektar umsetzen, würde das nach dem GV-
Schlüssel für Hähnchen 66 000 Mastplätze für einen
46-Hektar-Betrieb bedeuten. Kann sich der Verbraucher
eine 66 000 Plätze umfassende Mastanlage überhaupt
vorstellen? Ist diese Größenordnung etwa keine Massen-
tierhaltung? Was ist Massentierhaltung?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch ökologisch produzierende Landwirte, die Hühner,
Schweine oder Rinder mästen, sind letztlich Massentier-
halter. Legen wir doch bitte diesen Kampfbegriff bei-
seite und fragen lieber: Kann man Tiere so halten, dass
sie sich offensichtlich wohlfühlen?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sind in dieser Frage gar nicht weit voneinander ent-
fernt, Harald.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh doch!)


Wie muss der Stall zum Wohlfühlen beschaffen sein?
Wie muss ich Stallklima und Platzangebot optimieren,
um den Einsatz von Antibiotika so gering wie möglich
oder vielleicht sogar überflüssig zu machen?

Sie haben vorhin gefragt, warum zum Teil in größeren
Anlagen immer weniger Antibiotika eingesetzt werden.
Das kommt daher – damit verrate ich kein Geheimnis –,
dass der Bau dieser Stallanlagen inzwischen optimiert
worden ist. Wenn wir diese Optimierung vornehmen,
dann haben wir für den Tierschutz, den Verbraucher und
für die Menschen insgesamt sehr viel erreicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nicht allein die Bestandsgröße, sondern auch die
Tierzahl in einer Region muss diskutiert werden,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das tun wir doch mit den GV!)


aber nicht nur aufgrund des Tierwohls, sondern auch mit
Blick auf die regionalen Voraussetzungen, die Agrar-
strukturen und den volkswirtschaftlichen Sinn.

Apropos Tierwohl: Herr Hofreiter, ich habe vorhin
sehr wohl vernommen, dass Sie auch das kritisch beglei-
ten.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schlimm! Das ist echt schlimm, wenn die Opposition Dinge kritisch begleitet! Das ist ganz ungewohnt für die CDU/CSU!)


Die in diesem Jahr gestartete Initiative Tierwohl ist ein
Bündnis aus Verbänden und Unternehmen der Landwirt-
schaft, der Fleischwirtschaft und des Einzelhandels. Es
ist das erste Mal, dass die private Wirtschaft branchen-
übergreifend und freiwillig für eine Verbesserung des





Hans-Georg von der Marwitz


(A) (C)



(D)(B)

Tierwohls eintritt. Meiner Auffassung nach ist die Initia-
tive ein guter Ansatz, um den Spagat zwischen Tier-
schutz, Verbraucher- und Erzeugerinteressen zu schaf-
fen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo wird denn das Erzeugerinteresse bedient? Das erzählen Sie mal! Der Verbraucher erkennt doch gar nicht, was es ist! Der kriegt es auf den Teller und weiß es nicht!)


Wir sind auf einem guten Weg und arbeiten konsequent
daran, Missstände zu beheben und das Ansehen der Tier-
halter in der Öffentlichkeit weiter zu verbessern.

In einem Punkt sind wir uns allerdings einig; darüber
brauchen wir uns nicht die Köpfe heißzureden. Lieber
Minister Schmidt, letzte Woche haben wir alle fraktions-
übergreifend gefordert, dass die Umsetzung der Opt-out-
Regelung rechtssicher gestaltet werden muss. Eine er-
folgreiche Klage eines Gentechnikkonzerns oder auch
zum Beispiel eine Nichtnutzung der Opt-out-Option
durch ein Bundesland wäre aus meiner Sicht ein Super-
GAU.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Der mühsam gefundene Kompromiss zur Grünen Gen-
technik wäre zunichtegemacht und die Glaubwürdigkeit
der Politik massiv geschädigt. Insofern denke ich, dass
eine bundesgesetzliche Regelung weniger Angriffsflä-
che bieten würde als eine länderorientierte.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Nun komme ich zum Schluss. Liebe Grünen, verab-
schiedet euch vom Schüren von Zukunftsängsten, von
gesetzlicher Regelungswut und der Bevormundung des
Bürgers!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe das Gefühl, ihr habt aus eurem letzten Wahl-
kampfdesaster keine wirklichen Konsequenzen gezogen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kennen Sie Ihr Wahlergebnis in Hamburg?)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809204600

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Hans-Georg von der Marwitz (CDU):
Rede ID: ID1809204700

Ich komme zum Schluss. – Gestatten Sie mir nach

dem heute Erlebten noch eine Bemerkung in eigener Sa-
che: Wer sich allzu grün macht, sagte Goethe, den fres-
sen am Ende die Ziegen.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)


Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809204800

Als nächster Redner in dieser Debatte hat der Kollege

Niema Movassat von der Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809204900

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Jeden Tag hungern 800 Millionen Menschen auf der
Welt. Die deutsche und europäische Agrarpolitik ist da-
für mitverantwortlich. Immer mehr produzieren, das ist
das Credo. Die EU unterstützt das. 45 Prozent des ge-
samten EU-Haushalts fließen in die Landwirtschaft. Das
sind von 2014 bis 2020 386,5 Milliarden Euro. Das nützt
vor allem den großen Agrokonzernen. Das schadet nicht
nur vielen Bauern bei uns, sondern zerstört auch die
Existenz von Millionen Kleinbauern in den Entwick-
lungsländern, schafft dort Armut und Hunger. Um den
Hunger in der Welt zu bekämpfen, brauchen wir endlich
eine Agrarwende.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bis heute überschwemmen europäische Lebensmittel
viele Märkte in Afrika. So wird bei uns deutlich mehr
Hähnchenfleisch produziert, als wir essen. Ein großer
Teil der Geflügelreste wird nach Afrika verschifft. In
Ghana wird Geflügel dann für 90 Cent pro Kilogramm
verkauft, ein Dumpingpreis, der nur dank der besagten
EU-Gelder möglich ist. Das Fleisch wird subventioniert
und so künstlich verbilligt. Der Kilopreis des Geflügels ei-
ner ghanaischen Hähnchenzüchterin liegt bei 1,80 Euro.
Sie kann mit dem Spottpreis aus Europa nicht mithalten;
sie muss ihren Betrieb aufgeben, sie verarmt, sie hun-
gert.


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Das ist ein Skandal!)


Die deutsche Fleischindustrie hingegen macht Profit.
Die europäischen Geflügelexporte nach Afrika haben
sich seit 2009 verdreifacht, die deutschen gar versieben-
facht. Dasselbe gilt für Milch und Schweinefleisch. Die
Bauern in Europa und Afrika sind Opfer Ihrer Politik,
werte Bundesregierung, weil Sie Produktionssteigerun-
gen in der Landwirtschaft über alles stellen. Damit muss
endlich Schluss sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Ursache, warum die Billiglebensmittel auf afrika-
nische Märkte kommen, sind Freihandelsvereinbarun-
gen. Diese sehen vor, dass Entwicklungsländer ihre
Märkte nicht schützen dürfen. Sie müssen Zölle senken.
Sie können nicht, wie es in Europa gelaufen ist, erst ein-
mal ihre eigene Landwirtschaft aufbauen, bevor sie sich
dem internationalen Wettbewerb stellen. Seit Januar gel-
ten neue Freihandelsvereinbarungen, die EPAs. Diese
zwingen zu noch mehr Marktöffnung. Viele afrikanische
Länder haben sich lange dagegen gewehrt. Sie wissen,
dass die Existenz ihrer Bauern auf dem Spiel steht. Die
EU-Kommission hat aber die EPAs mit massivstem
Druck durchgesetzt. Die Kleinbauern in Afrika haben
nun noch weniger Chancen, sich gegen die übermächtige





Niema Movassat


(A)



(D)(B)

europäische Agroindustrie zu behaupten. Sie, die Bun-
desregierung, müssen sich dafür einsetzen, dass diese
Freihandelsvereinbarungen ausgesetzt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die europäische Agrarindustrie exportiert aber nicht
nur Nahrungsmittel. Mithilfe der Bundesregierung arbei-
tet sie intensiv daran, das europäische Modell einer
industriellen Landwirtschaft in den globalen Süden zu
exportieren, oft in Form von öffentlich-privaten Partner-
schaften, PPPs. Bei einem dieser PPPs fördert das deut-
sche Entwicklungsministerium unter dem Label der
Hungerbekämpfung in Zusammenarbeit mit Konzernen
wie Bayer und Syngenta die Kartoffelchips- und Pom-
mesproduktion in Nigeria und Kenia. Damit bekämpfen
Sie nicht den Hunger der Menschen, sondern stillen vor
allem den Hunger der beteiligten Konzerne nach Gewin-
nen und neuen Märkten.


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Genau!)


In Afrika leben bis zu 80 Prozent der Bevölkerung
von der Landwirtschaft. Eine Industrialisierung der
Landwirtschaft nach europäischem Vorbild bedeutet für
viele von ihnen den Verlust ihrer Arbeit. Sie können
auch nicht in andere Jobs ausweichen. Es fehlt an alter-
nativen Einkommensmöglichkeiten. Es gibt oft keinen
funktionierenden Arbeitsmarkt, beispielsweise im Indus-
triesektor. Die Folge: Hunger und Armut. Deswegen ist
es falsch, das europäische Landwirtschaftsmodell zu ex-
portieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Weltagrarbericht wurde 2008 festgestellt, dass die
Kleinbauern, die in den Entwicklungsländern 80 Prozent
der Lebensmittel produzieren, der Schlüssel im Kampf
gegen den Hunger sind. Liebe Bundesregierung, nehmen
Sie das endlich ernst! Unterstützen Sie Kleinbauern statt
Agrokonzerne!


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809205000

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht Rita

Hagl-Kehl von der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Rita Hagl-Kehl (SPD):
Rede ID: ID1809205100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wie mein Kollege Wilhelm Priesmeier gerade
erläutert hat, besteht die Basis einer zukunftsfähigen
Agrarpolitik nach unserer Auffassung aus lebendigen
ländlichen Räumen und einer nachhaltigen Landbewirt-
schaftung. Ziel der SPD-Bundestagsfraktion ist es, eine
Landwirtschaft zu fördern, die flächendeckend wirt-
schaftet, multifunktional ausgerichtet ist und ressourcen-
schonend produziert. In diesem Sinne fördern wir das
nachhaltigste Produktionssystem, nämlich den ökologi-
schen Landbau. Deswegen finde ich es sehr schade, dass
im Antrag der Grünen auf diesen Punkt nicht konkret
eingegangen wird. Viele Themen, die im Antrag ange-
sprochen worden sind, hängen sehr eng mit dem ökolo-
gischen Landbau zusammen. Genau aus diesem Grund
halte ich es für sinnvoll, die Förderung des ökologischen
Landbaus nicht nur im Rahmen der heutigen Debatte,
sondern allgemein für die Zukunft der deutschen Land-
wirtschaft in den Vordergrund zu stellen.


(Beifall bei der SPD)


Die ökologische Landwirtschaft ist ein Produktions-
system, welches qualitativ hochwertige und gesunde
Lebensmittel herstellt. Darüber hinaus erbringt der Öko-
landbau eine Vielzahl gesellschaftlich erwünschter Leis-
tungen. Er erhält und schont die natürlichen Ressourcen
im besonderen Maße und hat vielfältige positive Auswir-
kungen auf den Boden-, Gewässer- und Tierschutz sowie
auf die Artenvielfalt. Diese nachhaltige Form der Land-
wirtschaft verzichtet auf leichtlösliche mineralische
Stickstoffdüngemittel, chemisch-synthetische Pflanzen-
schutzmittel und gentechnisch veränderte Organismen.
Damit vermeidet er Verunreinigungen von Grund- und
Oberflächenwasser mit zu viel Nitrat und Phosphaten.
An dieser Stelle landen wir wieder bei der laufenden No-
vellierung der Düngeverordnung und der Umsetzung der
EU-Nitratrichtlinie, zu der ich hier bereits des Öfteren
gesprochen habe.

Im Hinblick auf diese Argumente sollte uns daran ge-
legen sein, die ökologische Land- und Lebensmittelwirt-
schaft in Deutschland zu stärken. Nur so kann die Agrar-
wende in der Tat realisiert werden. Immer mehr
Verbraucherinnen und Verbraucher entscheiden sich für
gesunde und ökologisch erzeugte regionale Lebensmit-
tel, wodurch sich der Biolebensmittelmarkt dynamisch
entwickelt und ständig wächst. Es wurde zum SPD-An-
liegen, die Tätigkeit der heimischen Biobauern zu för-
dern, damit diese ebenfalls vom Wachstum profitieren
können. Die Nachfrage ist da; aber auch ein passendes
Angebot soll vorhanden sein. Unser politisches Ziel ist,
dass immer mehr Betriebe mit unterschiedlicher Größe,
Produktionsausrichtung und Beschäftigungsstruktur auf
eine ökologische Produktionsweise umstellen – und
nicht nur kleine Betriebe, wie im Antrag gefordert wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Eine Ausweitung der Ökoanbaufläche käme Landwirten,
Verbrauchern, landwirtschaftlichen Nutztieren und der
Umwelt gleichermaßen zugute.

Damit das alles möglich wird, müssen noch einige
Schritte unternommen werden. Als Erstes bedarf es ei-
nes verlässlichen und eindeutigen europäischen Rechts-
rahmens.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Bereits im September letzten Jahres haben wir auf un-
sere Initiative hin zusammen mit dem Koalitionspartner
einen Antrag zur Novellierung der EU-Öko-Verordnung
erarbeitet, dem fraktionsübergreifend zugestimmt wurde.
Dieser Antrag unterstützt die Bundesregierung bei den
Verhandlungen mit der Kommission zur Weiterentwick-
lung des europäischen Rechtsrahmens.

Als Zweites bedarf es eines abgestimmten Maßnah-
menbündels zur Förderung des ökologischen Landbaus

(C)






Rita Hagl-Kehl


(A) (C)



(D)(B)

auf europäischer, aber natürlich auch auf nationaler
Ebene. Damit diese Maßnahmen umgesetzt werden,
muss eine ausreichende Finanzierung zur Verfügung ste-
hen. Bislang gibt es in Deutschland keine einheitliche
und auf Dauer angelegte Strategie zur Förderung der
ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft. Wenn
wir das 20-Prozent-Ziel erreichen wollen, das Minister
Schmidt in seinem „Zukunftsplan Öko“ angekündigt hat,
müssen wir diese Fördermaßnahmen strategisch besser
koordinieren. Daher fordern wir für den Haushalt 2016
mehr Geld für das Bundesprogramm „Ökologischer
Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirt-
schaft“.


(Beifall bei der SPD)


Damit die ökologische Land- und Lebensmittelwirt-
schaft in Deutschland zu einem Erfolg wird, halte ich es
für notwendig, dass alle an diesem Produktionssystem
Beteiligten kooperieren. Wir als Gesetzgeber legen den
Rechtsrahmen fest, bezogen auf die Interessen der Ver-
bände, der Landwirtschaft und der Verbraucher. Die an-
deren Teilnehmer in diesem System haben aber auch
eine sehr wichtige Rolle. Die Verbraucherinnen und Ver-
braucher sollen darauf achten, was sie essen und auf
welche Art und Weise es produziert wurde. Der Preis ei-
nes Produkts entspricht meistens der Qualität, und die
Qualität entspricht meistens einer gerechten Landwirt-
schaft. Auch die Produzenten sollten darauf achten, dass
sie mit dem Boden und den Ressourcen schonend umge-
hen. Die Nachhaltigkeit ist wichtig, damit auch in Zu-
kunft regionale und gesunde Lebensmittel zur Verfügung
stehen. Wir alle müssen dabei auf unsere Rolle achten
und diese auch wahrnehmen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809205200

Als nächster Redner spricht Friedrich Ostendorff von

Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege Hans-Georg von der Marwitz, hättest du doch
nur bei den Zitaten von Morgenstern etwas weiter geg-
oogelt. Da heißt es, wie du weißt:

Die Zaghaftigkeit – wo Gutes gewollt wird – ist zu
nichts nütze. Sie ist nur die Quelle immer weiterer
Schwäche und damit immer weiterer Mißerfolge.

Das gilt für dich ganz besonders.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Toll, dass sich der Fraktionsvorsitzende der Grünen,
Anton Hofreiter, für die Lage der Bäuerinnen und Bau-
ern mehr interessiert als der Vorsitzende der CDU/CSU-
Fraktion. Aber was sollte Volker Kauder hier auch sa-
gen? Dass die angebliche Bauernpartei CDU in den ver-
gangenen Jahren keinen einzigen Antrag, keine einzige
Initiative vorgelegt hat, um dem massiven Höfesterben
etwas entgegenzusetzen? Dass die angebliche Bauern-
partei CDU das Höfesterben lieber Strukturwandel nennt
und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU,
diesen Strukturwandel gar nicht so schlecht finden?


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland
lieber in ein EU-Vertragsverletzungsverfahren laufen
lassen, als endlich eine vernünftige Düngeverordnung
zum Grundwasserschutz gegen die Beharrungskräfte im
Bauernverband durchzusetzen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dass Sie seit der Aigner'schen Kuhschwanz-Prämie kei-
nen Finger mehr für die Milchbauern krumm gemacht
und den Bäuerinnen und Bauern zum Ende der Milch-
quote am 1. April nicht mehr als marktradikale Plattitü-
den anzubieten haben? Beispielhaft zitiere ich den CDU-
Kollegen Kees de Vries: Wer für 32 Cent nicht melken
kann, sollte Beamter werden. – Herr Minister Schmidt
empfiehlt den Milchbauern – ich zitiere –:

Hilfreich wird es sein, die Produktion am Markt zu
orientieren.

Schönen Dank, Herr Minister; das tun wir Bauern bereits
seit vielen Jahren und Jahrzehnten. Das haben Bäuerin-
nen und Bauern immer getan. Unsere Höfe machen aber
trotzdem reihenweise zu.

Meine Damen und Herren, Herr Minister, hilfreich
wäre es, wenn Sie endlich zur Kenntnis nehmen würden,
dass in den letzten zehn Jahren fast die Hälfte der Milch-
viehbetriebe und zwei Drittel der Schweinehalter aufge-
geben haben und dass wir auf dem besten Wege sind, die
bäuerliche Landwirtschaft insgesamt zu verlieren. Hilf-
reich, Herr Minister, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, wäre es aber auch, wenn Sie die Instrumente
der Gemeinsamen Agrarpolitik zur Stärkung bäuerlicher
Betriebe endlich nutzen würden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hilfreich wäre es, wenn Sie endlich zur Kenntnis neh-
men würden, dass Grundwasserbelastung, Antibiotika-
missbrauch und Massentierhaltung Realitäten sind, die
man nicht einfach leugnen oder wegpöbeln kann. Insbe-
sondere dir, Hans-Georg von der Marwitz, sei das ge-
sagt!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wollen Sie sich denn beim Thema Antibiotika auch noch
von McDonald's überholen lassen? Ich will das nicht,
wir Grünen wollen das nicht. Wir wollen, dass wir ge-
meinsam hier im Hause das Heft des Handelns in der
Hand behalten und dieses Problem lösen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hilfreich wäre es aber auch, wenn Sie bei TTIP endlich
zur Kenntnis nehmen würden, dass die Interessen der
Agrarindustrie in der Regel das Gegenteil der Interessen
von Bauern und Bäuerinnen sind.





Friedrich Ostendorff


(A) (C)



(D)(B)

Hilfreich für eine zukünftige Debatte wäre es aber
auch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/
CSU, wenn Sie aufhören würden, die Bäuerinnen und
Bauern in Unmengen von Watte einzupacken und sie
einzulullen, anstatt den konstruktiven Dialog mit der Ge-
sellschaft zu suchen. Ihr ewiges Mantra, das wir gleich
wieder rauf und runter hören werden – „Wir stehen vor
und hinter euch, rechts und links von euch sowie über
und unter euch“ –, löst kein einziges Problem, Frau
Mortler, und ist auch nicht zukunftsfähig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Haben Sie doch endlich den Mut, die Wagenburg, in der
Sie sich befinden, einzureißen! Gehen Sie auf die Ge-
sellschaft zu! Dann kommen wir weiter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809205300

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Rita

Stockhofe von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rita Stockhofe (CDU):
Rede ID: ID1809205400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Besucher! Der Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen stellt sich mir als populistischer
Rundumschlag gegen die zurzeit bestehende Landwirt-
schaft dar. Jeder Punkt dieses Antrags ist ideologisch be-
setzt, ohne sich inhaltlich in der Tiefe damit auseinan-
derzusetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Einige Themen sind übrigens bereits abgearbeitet, an-
dere sind in der Bearbeitung. Wenn eine Partei aber
sonst keine Themen mehr hat, weil die anderen Parteien
– beispielsweise die Union – sie bereits abgearbeitet ha-
ben, muss sie sich mit aller Kraft hierauf stürzen und gu-
cken, wie sie da ihre Themen unterbringt, ob es passt
oder nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das führt zwangsweise zu unsachlichen und ideologi-
schen Darstellungen, die nicht wirklich nützlich sind.

Ich empfinde es als Frechheit, die Leistung der prakti-
zierenden Landwirte so negativ darzustellen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, die Leistung der Regierung!)


Wir kommen in der Diskussion über die Lebensmittel-
herstellung nicht weiter, wenn die Grünen ständig das
Bild des Bauern aus den Bilderbüchern der Kinder als
Realität darstellen. Das Wort „Landwirtschaft“ beinhal-
tet den Begriff „Wirtschaft“. Das heißt, es gibt Familien,
die von der Bewirtschaftung ihrer Betriebe leben.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie nicht zugehört?)


Viele Menschen wissen und schätzen das. Jeder neunte
Arbeitsplatz steht in Zusammenhang mit der Landwirt-
schaft. Wenn wir die Ernährungswirtschaft hinzuneh-
men, die zwangsläufig dazugehört, sind wir bei jedem
vierten Arbeitsplatz. Das wird in Ihrem Antrag völlig
ignoriert.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie ihn nicht gelesen?)


Die Weiterentwicklung der Landwirtschaft wird über-
haupt nicht angesprochen. Häufig werden in den Diskus-
sionen die Zustände von früher in den Vordergrund ge-
stellt. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir aber zugeben,
dass früher, als angeblich alles gut war, annähernd jeder
Hausbesitzer einen kleinen Stall nebenan hatte, in dem
er ein paar Schweine gehalten hat.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht aber nicht in unserem Antrag!)


Diese Ställe hatten im Regelfall eine niedrige Decke,
waren dunkel, und dort hat es auch nicht wirklich gut ge-
rochen. Bei der heutigen Haltung stehen die Schweine
nicht mehr in ihren eigenen Exkrementen. Tageslicht ist
vorgeschrieben, gekoppelt an Lux-Vorgaben, die einge-
halten werden müssen. Den Schweinen steht Beschäfti-
gungsmaterial zur Verfügung. Die Fütterung wird be-
darfsgerecht und in hoher Qualität durchgeführt, und
Lüftungsanlagen sind zwingend vorgeschrieben. Ange-
schimmeltes Brot, welker Salat und andere Küchenab-
fälle werden längst nicht mehr verwendet. Früher soll
das alles gut gewesen sein. Heute haben wir das gegen
eine hochwertige, angepasste Fütterung ausgetauscht.
Diese Verbesserungen in der Tierhaltung sind unter an-
derem durch technische Weiterentwicklungen erreicht
worden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


An dieser Stelle soll auch gesagt werden, dass die tech-
nischen Errungenschaften ebenso wie in anderen Wirt-
schaftsbereichen anerkannt und geschätzt und nicht
schlechtgeredet werden sollten.

Bei der Milchvieh- und Rinderhaltung haben sich die
Ställe dahin gehend verändert, dass es nun anstelle der
einzeln angebundenen Kühe – das war angeblich so
gut – Laufställe gibt mit Funktionsbereichen, die von
den Kühen aufgesucht werden können je nach Bedürf-
nis, ob sie fressen, liegen oder laufen wollen. Dass die
Kühe nicht mehr von Hand gemolken werden, ist eben-
falls ein Gewinn, nicht nur für den Bauern als Melker,
sondern auch für die Kuh, die somit gleichmäßig und
nach sensorischen Messungen fast individuell angepasst
gemolken wird.

Diese Ausführungen könnte ich auf alle Bereiche aus-
dehnen. Allerdings möchte ich noch auf andere Punkte
eingehen. Einer dieser Punkte ist die Forderung in dem
vorliegenden Antrag nach mehr ökologischer Landwirt-
schaft. Ich bin der Meinung, dass wir den Menschen, die
solche Produkte konsumieren möchten, konsequent bio-
logisch hergestellte Lebensmittel anbieten sollten, um
uns von den Bioprodukten aus Ländern, die nicht so
konsequent handeln, abzuheben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)






Rita Stockhofe


(A)



(D)(B)

Die Produktion sollte sich an der Nachfrage orientieren,
also dem Markt angepasst sein und nicht künstlich hoch-
gehalten werden. Wenn wir lesen, dass die Nachfrage
nach Bioprodukten kometenhaft angestiegen ist, müssen
wir überlegen, woran das liegt. Kann das daran liegen,
dass einige Produkte, die biologisch hergestellt worden
sind, in den Discountern zu den gleichen Preisen ange-
boten werden wie konventionell hergestellte Produkte?
Kann es sein, dass deswegen die Nachfrage steigt? Ich
bin der Meinung: Wenn wir Bioprodukte anbieten, dann
muss der komplette Kreislauf der Herstellung biologisch
sein. Das heißt, das Ferkel, das aus konventionell arbei-
tenden Betrieben stammt – darauf zeigen die Grünen im-
mer mit dem Finger –, darf nicht durch Biomast auf ein-
mal zu einem Bioschwein werden und somit auch zum
Bioschnitzel. Wenn, dann komplett und konsequent bio-
logisch.


(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das vorgeschrieben, wie Sie wissen! Man sollte die Wahrheit sagen! Es ist immer wichtig, dass man die Wahrheit sagt!)


Wenn das nichtbehandelte Stroh aus Biobetrieben ei-
nen starken Pilzbesatz aufweist, besteht die Möglichkeit,
dieses Stroh auf den Äckern zu belassen. Das Stroh, das
in den biologischen Betrieben dann zur Einstreu herhal-
ten muss, kommt aus konventionellen Betrieben, aus de-
nen es zugekauft wurde.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn? Bei wem?)


– Ich kann Ihnen praktische Beispiele nennen.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie nicht!)


– Das kann ich wohl. Unterstellen Sie mir das nicht. Ich
werde es nachreichen.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine glatte Lüge, was Sie erzählen!)


Wenn wir die ökologische Produktion unterstützen
wollen, dann müssen die Menschen, die für diese Pro-
dukte deutlich mehr Geld ausgeben, davon ausgehen
können, dass der komplette Kreislauf ökologisch, biolo-
gisch ist. Ansonsten haben wir hier eine Mogelpackung,
die die Akzeptanz dieser Produkte schmälert. Der Ver-
braucher will durch höhere Zahlungen bestimmte Wirt-
schaftsweisen unterstützen und vorantreiben, und das
sollten wir ihm ermöglichen. Vielleicht können wir so
auch die heimische Landwirtschaft stärken. Zum Bei-
spiel könnten wir die Biofrühkartoffeln aus Israel und
Ägypten, die meines Erachtens schon deshalb nicht als
bio bezeichnet werden dürfen, weil sie eine große Dis-
tanz zurückgelegt haben, etwas kritischer hinterfragen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum soll ich den Bauern verbieten, biologisch zu erzeugen? Das wollen wir Grünen nicht!)

Mich ärgert besonders, dass die Grünen das sensible
Thema Ernährung ständig ausnutzen, um ihre Ideologien
zu verbreiten. Oft finden sie bei diesen Machenschaften
auch noch die Unterstützung von Medien, die entweder
schlecht recherchieren oder damit leben können, dass sie
mit Halbwahrheiten ihre Auflagen oder Einschaltquoten
steigern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Unterteilung „bio – gut“ und „konventionell – böse“
ist auch sehr unsachlich. Wie ist aber sonst die Berichter-
stattung zu erklären, dass über 20 Jahre lang im Zusam-
menhang mit BSE das gleiche Bild von der toten Kuh,
die am Kran über dem Container hängt, veröffentlicht
wird, und in Deutschland niemand erkrankt, geschweige
denn gestorben ist? Über die Ehec-Sprossen – 53 Tote,
noch heute sind Leute an der Dialyse – wird überhaupt
nicht mehr gesprochen. Wir gehen davon aus, dass es
nichts damit zu tun hat, dass es Biosprossen waren.

Grundsätzlich dürfen wir uns über eine reiche Aus-
wahl an hochwertigen, leckeren Lebensmitteln erfreuen.
Wir können uns aussuchen, wo wir sie kaufen: im Dis-
counter, im Supermarkt oder beim Bauern, der seine
Produkte selber vermarktet. Diejenigen, die gut und
gerne kochen, können diese Produkte dann zu leckeren
Menüs oder Snacks verarbeiten. Aber selbst hier haben
wir die Möglichkeit, einen Teil oder alle Verarbeitungs-
prozesse anderen zu überlassen und somit Teilfertig-
oder Fertigprodukte zu erwerben. Das alles können wir
selber entscheiden und selber wählen, immer mit dem
guten Gefühl: Auf unsere Bauern, die Erzeuger dieser
Lebensmittel, und auf die Verarbeiter können wir uns
verlassen. Die hohen Qualitätsstandards sind erfüllt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zusammenfassend halte ich also fest, dass wir unsere
Bauern und Landwirte dabei unterstützen sollten, weiter-
hin so hochwertige und leckere Produkte herzustellen,
wie wir sie jeden Tag auf unseren Tischen haben, und
nicht zwei Klassen von Landwirten schaffen sollten, von
denen eine Klasse dann diffamiert wird.

Ich hoffe, mit dieser Darstellung erreicht zu haben,
dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihr gleich an-
stehendes Mittagessen noch einmal mehr genießen und
zu schätzen wissen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809205500

Frau Stockhofe, lassen Sie zum Schluss noch eine

Zwischenfrage zu? Ich lasse sie jetzt zu, bitte aber um
eine zügige Antwort.


Rita Stockhofe (CDU):
Rede ID: ID1809205600

Ich habe sie erwartet, deswegen gerne.


Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809205700

Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie meine Zwi-

schenfrage am Ende zulassen. – Sie haben in Ihrer gan-
zen Rede von Ideologie gesprochen und schwarz-weiß
gemalt, statt auf unseren Antrag und auf das Grundpro-

(C)






Harald Ebner


(A) (C)



(D)(B)

blem, das wir am Anfang skizziert haben, einzugehen.
Es ist das Problem des andauernden – „Höfesterben“
will ich es gar nicht erst nennen, „Strukturwandel“ schon
gar nicht – Strukturbruchs, der uns allen wehtut. Er tut
der Landwirtschaft weh. Ich hätte gerne eine Antwort
darauf gehört. Welche Antwort haben Sie darauf? Statt
permanent die Ideologienummer zu ziehen, möchte ich
eine Antwort auf die Frage des Strukturwandels. Was tun
Sie da politisch? In welche Richtung geht Ihr Weg?


Rita Stockhofe (CDU):
Rede ID: ID1809205800

Wenn Sie zu Beginn meiner Rede genau zugehört hät-

ten, dann hätten Sie gehört, dass ich auf Ihren Antrag
eine Antwort gegeben habe, nämlich dass Sie inhaltlich
keinen Punkt differenziert betrachtet haben, sondern ei-
nen Rundumschlag gemacht haben. Die Forderungen,
die Sie ständig an die Landwirtschaft stellen, sind immer
mit Dokumentationspflichten verbunden, weil Sie im-
mer auch das Misstrauen gegenüber den Landwirten vor-
anstellen und alles aufgeschrieben werden muss, statt die
gute fachliche Praxis, die in der Ausbildung vermittelt
worden ist, einfach anzuerkennen und denen zuzugeste-
hen, die es gelernt haben. Es muss nicht irgendeiner von
außen kommen, der weiß, wie es besser geht, und auf-
schreibt, was er gerne hätte. Dies führt zum Höfesterben
und nicht das, was Sie hier genannt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


So erhalten wir den „Strukturwandel“, wie Sie es be-
zeichnen. Dies ist ein ganz fürchterlicher Begriff, wie
viele andere Begriffe, die Sie benutzen, wie „Agrogen-
technik“, „Agroindustrie“ und Ähnliches. Wir haben
eine Grüne Gentechnik, das alles kann man auch positiv
besetzen. Aber Sie schüren lieber Ängste und sehen zu,
dass die Verbraucher gar nicht mehr wissen, wo sie ste-
hen, und verunsichern sie. Das ist der Fehler, den Sie
machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809205900

Als nächster Redner in der Debatte hat Johann

Saathoff von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Johann Saathoff (SPD):
Rede ID: ID1809206000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ihr Antrag zur Agrarwende, liebe Kolleginnen
und Kollegen von den Grünen, besteht eigentlich aus
mehreren, nämlich aus acht Anträgen, zu denen es sich
jeweils lohnt, eine eigene Debatte zu führen. Diese De-
batte haben wir zum Teil schon geführt, andere stehen
uns mit Sicherheit in dieser Legislaturperiode noch be-
vor. Bei einer derartigen Themenfülle macht es Sinn,
sich in der Kürze der Zeit unemotionalisiert auf einige
Teile des Antrags zu fokussieren.

Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen: Bei die-
sem Ziel des Antrages, liebe Kolleginnen und Kollegen
der CDU/CSU, sind wir uns alle schon einmal einig;
denn genau diese Parole haben wir, die SPD, als lang-
fristiges Ziel unserer Agrarpolitik ausgegeben.

(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir beieinander!)


Wir verfolgen eine Strategie, die langfristig den Erhalt
öffentlicher Gelder an die Erbringung öffentlicher Leis-
tungen koppelt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich!)


Ich hätte gerne gesehen, dass der Paradigmenwechsel
schon bei der Umgewichtung der EU-Agrarförderung
von der ersten in die zweite Säule deutlicher wird.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Allerdings bedeutet ein Paradigmenwechsel auch, dass
man ihn nicht von einem Tag auf den anderen durchfüh-
ren kann, sondern dicke Bretter zu bohren hat. Wir wol-
len diesen Paradigmenwechsel – wir wollen diese Bret-
ter bohren –, aber er muss so gestaltet werden, dass sich
die Landwirtschaft darauf einstellen kann. Das dürfen
die Landwirte von einer verantwortungsvollen Agrarpo-
litik erwarten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darüber müssen wir reden!)


Auch die Gentechnikfreiheit ist Teil Ihres Antrags.
Wir haben dazu letzte Woche eine Debatte hier im Bun-
destag gehabt. Ich möchte heute noch einmal deutlich
machen, dass wir alles unternehmen wollen, um zu einer
bundeseinheitlichen Opt-out-Lösung zu kommen, liebe
Kolleginnen und Kollegen. In diesem Sinne hat es auch
das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2010 entschieden.
Deshalb kann es für uns keinen anderen Weg als eine
bundeseinheitliche Lösung geben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich wollen wir auch, dass Deutschland bei jedem
Anbauzulassungsantrag davon Gebrauch macht. Die Be-
schränkung auf ein Bundesland macht faktisch einfach
keinen Sinn,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


da gentechnisch veränderte Organismen nicht an der
Grenze zu einem Bundesland haltmachen.

Dabei sind wir längst nicht das einzige Land mit die-
ser Einstellung. So wie Deutschland bei der Novelle der
EU-Öko-Verordnung angeblich anfangs – meine Kolle-
gin Rita Hagl-Kehl hat das beschrieben – eine Solitär-
stellung eingenommen hat und sich mittlerweile die
meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union der
Position des Bundestages angeschlossen haben, so sehen
wir auch bei der Gentechnikfreiheit gute Chancen, dass
die meisten Mitgliedstaaten den deutschen Weg mitge-
hen werden.





Johann Saathoff


(A) (C)



(D)(B)

Die Gentechnikfreiheit ist für uns, wie für Sie, auch
bei den Futtermitteln ein Thema.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir schauen dabei aber nicht nur auf die Kennzeich-
nung. Ein zentraler Ansprechpartner ist für uns der Han-
del. Dort ist festzustellen, dass das gentechnisch verän-
derte Soja mit Entwicklungen im Zusammenhang steht,
die die deutschen Verbraucher nicht gutheißen. Eine
Tendenz des Handels beispielsweise zum Angebot von
Hähnchen, die ohne Gentechnik gefüttert wurden, zeich-
net sich deutlich ab. Der Dialog ist für uns also neben
den gesetzlichen Regelungen ein ganz wichtiges Instru-
ment.

Wir sollten uns vor Augen führen, was passiert, wenn
man unkritisch an die Gentechnik herangeht. In den
USA gibt es bereits über 20 glyphosatresistente Kräuter.
Das ist nur der Beginn einer Schraube, die sich immer
weiter dreht und sich nicht mehr zurückdrehen lässt.
Durch den Einsatz von Gentechnik verändert sich das
Bewirtschaftungssystem in der Landwirtschaft langfris-
tig dahin gehend, dass eine gute landwirtschaftliche
Fachpraxis nicht mehr nötig ist. Dadurch erleidet man
einen nicht verantwortbaren Verlust an nachhaltiger
Wirtschaftsweise.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In unserem Koalitionsantrag „Gesunde Ernährung
stärken – Lebensmittel wertschätzen“ ist eine ganze
Reihe von Forderungen enthalten, die Sie in Ihrem An-
trag zum Thema gute Ernährung aufgreifen. Zum Bei-
spiel setzen wir uns dafür ein, dass die gesundheitlichen
Risikofaktoren einer unausgewogenen Ernährung im
Präventionsgesetz und in einer nationalen Präventions-
strategie angemessen berücksichtigt werden. Des Weite-
ren sollen die Schulvernetzungsstellen weiterhin finan-
ziell und darüber hinaus von der DGE fachlich bei der
Verbesserung der Qualität der Verpflegung unterstützt
werden. Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner wol-
len wir in Zusammenarbeit mit den Bundesländern ein
Leitbild gesunder, nachhaltig erzeugter und vielfältiger
Kita- und Schulverpflegung erarbeiten,


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)


Kindern und Jugendlichen über Schulgärten, Bauernhof-
patenschaften und Ähnliches den Ursprung des Essens
vermitteln und die Ernährungsaufklärung in den Lehr-
plänen der deutschen Schulen verankern.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


All das wurde in unserem Antrag, den wir am 15. Januar
dieses Jahres beraten haben, bereits so von uns formu-
liert. Ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Grünen, dass wir Sie mit im Boot haben.

Sie sprechen in Ihrem Antrag auch die Arbeitsbedin-
gungen in der Landwirtschaft und der Ernährungsindus-
trie an. Die Niedersächsische Landesregierung bringt
dazu genau heute einen Antrag in den Bundesrat ein, der
zum Ziel hat, dass Werkvertragsbeschäftigte ihre Rechte
besser vertreten können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Bundesarbeitsministerium erarbeitet gerade einen
Gesetzentwurf, um den Missbrauch bei Werkverträgen
zu verhindern.

Wie anfangs schon erwähnt, enthält der vorliegende
Antrag also einen ganzen Strauß von Maßnahmen der
Agrarpolitik der Zukunft. Stück für Stück – oder „een
nah’t anner“, wie man in meiner ostfriesischen Heimat
sagen würde – wollen wir uns mit den jeweiligen The-
men befassen. Ich freue mich auf einen konstruktiven
Dialog mit Ihnen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809206100

Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat die Kollegin

Marlene Mortler von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1809206200

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eines
muss klar sein: Wir, die Union, distanzieren uns klar von
schwarzen Schafen in der Land- und Ernährungswirt-
schaft, egal ob groß, ob klein, ob bio oder konventionell.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir distanzieren uns aber auch ganz klar von den pau-
schalen Vorwürfen im vorliegenden Antrag und heute
auch im Plenum, von dieser unsäglichen Inszenierung
gegen unsere Bauern und Bäuerinnen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hast du den Antrag gelesen? Lies den Antrag selbst! Dann reden wir weiter!)


Offensichtlich sind Sie immer noch auf der verzweifel-
ten Suche nach Themen und sind bei der Landwirtschaft
gelandet. Aber wir lassen es nicht zu, dass unsere Bäue-
rinnen und Bauern in Deutschland am Ende die Leidtra-
genden Ihrer Themensuche werden.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Die Bauern sind die Leidtragenden der Unionsfraktion! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die alte Leier wieder! Durch Wiederholen wird es nicht besser!)


Landwirtschaft heute hat das Recht, zeitgemäß zu
produzieren und zu wirtschaften und den technischen
Fortschritt offensiv anzugehen, ob im Stall, auf dem
Acker oder im Büro. Sie hat auch das Recht, ihre Fami-
lien zu ernähren. Gleichzeitig hat sie die Pflicht, gesell-
schaftliche Ansprüche zu erfüllen. Noch nie waren die





Marlene Mortler


(A) (C)



(D)(B)

Lebensmittel in unserem Land so sicher, so vielfältig, so
gut und gleichzeitig so preiswert. Das ist eine tolle Er-
rungenschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie schrauben die gesellschaftlichen Ansprüche aller-
dings immer höher und höher. Das Wort „Bio“ haben wir
heute von Ihnen nicht gehört, aber jahrzehntelang war
das Ihr Zauberwort. Seien wir ehrlich: Viele Biobetriebe
von heute unterscheiden sich weder in Größe noch in
Struktur von konventionellen Betrieben.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum denn auch?)


Das kritisiere ich nicht, das ist die Realität.

Wenn ich die Fachmesse Biofach bei mir um die Ecke
in Nürnberg besuche, dann stelle ich fest: Big Business!
Unsere Biobauern von gestern und von heute sind bes-
tenfalls schmückendes Beiwerk. Ich zitiere eine Leser-
briefschreiberin:

Wer sich noch vom eigenen Gemüsebeet und von
Eiern von Nachbars Hühnern ernährt, dürfte das ak-
tuelle Bioangebot schwer verstehen und hier nur
wenige natürliche Bezüge finden. Mit diesem Vor-
verständnis entdeckte man in den Hallen der Bio-
fach zu circa 90 Prozent Produkte, die man zum ge-
sunden Essen überhaupt nicht braucht. So hoch
ungefähr war der Anteil der Fertigwaren, von deren
fremdländischen, mit hohem Transportaufwand
verbundenen Zutaten man hier vielleicht zum ersten
Mal hörte. Man beginnt zu begreifen, warum es
deutsche Biobauern schwer haben, wenn der neue
vegetarische oder vegane Trend auf Zutaten wie
Quinoa und Hanf beruht. Immerhin war ein Stand
mit Fleischersatzspeisen aus Lupinensamen dabei
und weckt Hoffnung, dass uralte robuste heimische
Anbaupflanzen auf unsere Äcker zurückkehren, so-
fern die politischen Vorgaben überhaupt mitspielen.
Bio ist Luxus geworden, ein Alibi der Wohlstands-
gesellschaft. Angesichts der Kosten dieser diffizilen
Produkte versteht man auch, warum Krankenhäuser
oder Kindergärten solche Nahrung nicht auftischen
können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich frage Sie: Können Ihre Luxusantworten wirklich
die richtigen auf die Fragen dieser Welt sein? Ist es ange-
sichts des weltweiten Hungers, den Sie in Ihrem Antrag
ansprechen, sinnvoll, einen ideologischen Kampf gegen
Industrie und Handel zu führen? Ich sage Ihnen eines:
Eine stabile Lebensmittelversorgung braucht produktive
lokale Landwirte, eine Landwirtschaft vor Ort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sowohl unser Ministerium, das Ministerium für Er-
nährung und Landwirtschaft, als auch das Ministerium
des Entwicklungshilfeministers sind hier aktiv. Minister
Müller zum Beispiel nimmt aktuell 1,4 Milliarden Euro
in die Hand, um 13 innovative Zentren in Entwicklungs-
ländern zu installieren und Landwirtschaft vor Ort zu
fördern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zurück zu unserem Ministerium. „Öffentliche Gelder für
öffentliche Leistungen“, das war die Überschrift der Ag-
rarreform, und das wird auch die Überschrift unserer
Politik und unseres Selbstverständnisses in Sachen Ag-
rarpolitik bleiben. Das wird unser Leitbild bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Zu den Antibiotika. Das Antibiotika-Minimierungs-
konzept, die AMG-Novelle, all das sind Dinge, die wir
längst auf den Weg gebracht haben.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: McDonald’s schmeißt das heraus! Haben Sie das gelesen!)


Nebenbei gesagt: Auch ein Tier hat das Recht auf Be-
handlung, wenn es Behandlung braucht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sind uns mit Bundesminister Gröhe einig, dass es
nur eine Gesundheit gibt. Deshalb ist das Screening – da
bin ich mit Ihnen einig; das sieht auch Minister Gröhe
so – ein Gebot der Stunde, um Antibiotikaresistenzen
vorzubeugen.

Zum Thema „gute Ernährung“. Fragen Sie doch ein-
mal in den Bundesländern, in denen Sie mitregieren,
nach, ob diese ihre Hausaufgaben gemacht haben! Ich
weiß aus Bayern: Schulmilchprogramm – voll ausge-
schöpft, Schulobstprogramm – voll ausgeschöpft. Letzte
Woche hat Bayern sogar eine Plattform installiert – zu-
sammen mit dem Deutschen Hotel- und Gaststättenver-
band – für regionale Produkte.

Aber noch einmal zurück zum Thema Schulversor-
gung: Wenn Sie glaubwürdig bleiben wollen, dann set-
zen Sie sich für Schulgärten statt für Hanfgärten ein!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich komme zum Schluss. So wie es die eine Welt gibt
– für uns, für mich –, so gibt es nur die eine Landwirt-
schaft. Egal ob Bio- oder konventionelle Landwirtschaft:
Wir haben die Herausforderung – im Sinne bäuerlicher
Familienbetriebe –, mit weniger Ressourcen mehr Men-
schen noch besser, noch effizienter und nachhaltiger zu
versorgen. Das ist die Herausforderung der Zukunft. In
diesem Zusammenhang biete ich Ihnen die Zusammen-
arbeit gerne an.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809206300

Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. Damit

schließe ich die Debatte.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/4191 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neube-
stimmung des Bleiberechts und der Aufent-
haltsbeendigung

Drucksachen 18/4097, 18/4199
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze
einzunehmen, damit wir dann mit der Debatte beginnen
können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Aus-
sprache. Als erster Redner erhält der Bundesminister
Dr. Thomas de Maizière für die Bundesregierung das
Wort. – Sie haben das Wort.

Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bringe hiermit einen Gesetzentwurf zur Neubestim-
mung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung
ein. Dieses Gesetz enthält zwei klare Botschaften: Blei-
berecht für gut integrierte und rechtstreue Ausländer ei-
nerseits und Aufenthaltsbeendigung für diejenigen, die
nicht schutzbedürftig sind, andererseits. Beide Botschaf-
ten gehören zusammen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich beginne mit dem Bleiberecht. Es betrifft Men-
schen, die sich hier auch ohne offiziellen Aufenthaltssta-
tus während ihrer Duldungsphase gut integriert haben.
Dieser Gesetzentwurf soll die Rechtsstellung dieser
Menschen ganz erheblich verbessern. Wir schaffen erst-
mals ein Bleiberecht für nachhaltig integrierte geduldete
Menschen, das nicht mehr von deren Alter oder einem
Stichtag abhängt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wer viele Jahre hier lebt, wer hier wesentliche Integra-
tionsleistungen erbringt, wer unsere Sprache spricht, wer
seinen Lebensunterhalt überwiegend selbst sichert und
– natürlich – wer keine großen Straftaten begangen hat,
der soll nun auch eine dauerhafte Bleibeperspektive in
Deutschland erhalten.


(Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])


Von dieser Regelung können mehrere Zehntausend bis-
her nur geduldete Menschen profitieren. Mit diesem Ge-
setz senden wir ihnen ein klares Signal: Ihr dürft jetzt
bleiben. Macht mit! Verdient euer eigenes Geld! Ihr ge-
hört zu uns. – Das ist ein gutes und wichtiges Signal.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zum Zweiten schaffen wir mit dem Gesetzentwurf
von Anfang an eine verbindliche Bleibeperspektive für
Opfer von Menschenhandel. Wer bereit ist, mit unseren
Strafverfolgungsbehörden gegen die Täternetzwerke vor-
zugehen, kann in Deutschland bleiben, auch nach einem
Strafverfahren. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Be-
kämpfung eines der widerlichsten Verbrechen. Ohne die
Opfer, die eingeschüchtert werden, denen die Zuhälter
die Ausweispapiere wegnehmen, kommen wir nicht an
die Täter heran. Gerade den Frauen, die Opfer von
Zwangsprostitution waren, senden wir jetzt das klare Si-
gnal: Ihr dürft bleiben. Auch ihr gehört zu uns. Wir hel-
fen euch. Ihr habt eine Perspektive in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Drittens enthält der Gesetzentwurf substanzielle Ver-
besserungen im Recht des Familiennachzugs. Ausländer,
die in bestimmten Fällen bis jetzt vom Familiennachzug
ausgeschlossen waren, können künftig gemeinsam mit
ihren Familien hier leben. Das betrifft Opfer von Men-
schenhandel. Es betrifft auch sehr viele Menschen, die
hier einen sogenannten subsidiären Schutz genießen,
Menschen, um es einfacher zu formulieren, die zwar
nicht politisch verfolgt werden, die aber aus anderen
schwerwiegenden Gründen, zum Beispiel wegen dro-
hender Folter, nicht in ihre Heimat zurückkehren kön-
nen. Für diese Menschen verbessern wir jetzt den Fami-
liennachzug. Auch das ist eine zentrale Verbesserung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Viertens. Wir stärken mit dem Gesetzentwurf auch die
Zuwanderung von Fachkräften, gerade in Engpassberu-
fen; das hat jetzt nichts mit Asyl zu tun, ist aber auch
ein Element dieses Gesetzentwurfs. Künftig wird es
möglich sein, notwendige Anpassungsqualifizierungen
in Deutschland durchzuführen, damit der Abschluss an-
erkannt und eine Beschäftigung aufgenommen werden
kann.

Das, meine Damen und Herren, ist die eine Seite der
Medaille. Die andere Seite ist, dass wir sicherstellen
wollen, dass diejenigen Menschen, denen letztendlich
unter keinem Gesichtspunkt ein Aufenthaltsrecht in
Deutschland zusteht, unser Land auch tatsächlich wieder
verlassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein zentrales Anliegen aller staatlichen Stellen muss es
sein, das erhebliche Vollzugsdefizit in der Aufenthalts-
beendigung abzubauen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Es kann nicht sein, dass, wer im Asylverfahren trickst
und täuscht, dafür später mit einem Bleiberecht belohnt
wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)






Bundesminister Dr. Thomas de Maizière


(A) (C)



(D)(B)

Genau hier setzt der zweite Teil unseres Gesetzent-
wurfs an. Drei Aspekte möchte ich hervorheben.

Erstens. Eines der wesentlichen Vollzugshemmnisse
– die mangelnde Möglichkeit zur Identitätsklärung – ge-
hen wir mit diesem Gesetzentwurf an. Meine Damen
und Herren, liebe Kollegen – das sage ich insbesondere
den Kolleginnen und Kollegen von der Linken und den
Grünen –, es ist nicht zu viel verlangt, dass ein Mensch,
der in Deutschland Schutz haben will, korrekt sagt, wie
er heißt und aus welchem Land er kommt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist nicht zu viel verlangt, ein Ausweispapier aufzuhe-
ben und nicht im entscheidenden Moment wegzuschmei-
ßen. Wenn der Antragsteller seine Identität oder Staats-
angehörigkeit verschleiert, dürfen die Behörden künftig
deshalb seine Datenträger auslesen, um festzustellen,
wer er eigentlich ist und woher er kommt. Eine Kapitula-
tion der staatlichen Stellen vor den Menschen, die täu-
schen und die Behörden über ihre Identität und Herkunft
belügen, dürfen wir nicht länger hinnehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Und weiter: Das bisherige System von Ausweisun-
gen, die durchgeführt werden müssen – die sogenannten
Ist-Ausweisungen, wenn man so will –, die durchgeführt
werden sollen – die Soll-Ausweisungen – oder die
durchgeführt werden können – die Kann-Ausweisun-
gen –, ist nur noch auf dem Papier klar. Unser Auswei-
sungsrecht ist durch europäisches Recht und durch die
Rechtsprechung so durchlöchert, dass es praktisch kaum
mehr handhabbar ist; das sagen alle Praktiker. Wenn da
Herr Mayer und Herr Veit nicken, dann ist das für mich
die gute Botschaft, dass der Sachverhalt so richtig be-
schrieben ist. Das ändern wir nun mit diesem Gesetz.

Zum zweiten Aspekt, auf den ich hinweisen möchte
– ich weiß, dass Frau Jelpke gleich darauf abheben
wird –: Damit Abschiebungen künftig tatsächlich wieder
wirksam durchgeführt werden können, stellen wir den
Behörden mit einem neuen, kurzen Ausreisegewahrsam
ein taugliches Vollzugsmittel zur Verfügung. Mit Blick
auf diejenigen, die nicht freiwillig ausreisen wollen und
die gezeigt haben, dass sie nicht an den notwendigen
Verfahren mitwirken, weil sie über ihre Identität täu-
schen, ist ein Gewahrsam von wenigen Tagen nur zur
Durchsetzung der Abschiebung absolut angemessen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hier wird es darauf ankommen, dass die Länder diese
neue Option bei der Durchsetzung der Ausreisepflichten
dann auch tatsächlich nutzen.

Drittens setzen wir mit diesem Gesetzentwurf europa-
rechtliche Verpflichtungen um. Dazu nehmen wir eine
Bestimmung der Fluchtgefahr in das Gesetz auf. Das ist
ja, wie man hört, hochumstritten. Ich wiederhole: Dies
ist europarechtlich geboten und eine Umsetzung von
Europarecht. Bisher haben wir keine Definition von
„Fluchtgefahr“ im Gesetz, und das ist rechtsstaatlich ein
Problem. Die in dem Gesetzentwurf vorgeschlagene De-
finition entspricht inhaltlich genau dem, was Rechtspre-
chung und Verwaltung schon heute als Indiz für eine
Fluchtgefahr betrachten, nicht mehr und nicht weniger.
Jede Polemik dagegen – die wir gleich hören werden –
ist blanker Unsinn.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Jetzt schon im Voraus!)


Meine Damen und Herren, beide Seiten des Gesetz-
entwurfs – Bleiberechte und Aufenthaltsbeendigung –
bedingen sich gegenseitig. Verbesserungen für Schutz-
bedürftige sind für einen klugen Umgang mit dem
Asylrecht ebenso wichtig wie konsequente Aufenthalts-
beendigung und notfalls Abschiebung von nicht Schutz-
bedürftigen. Langfristig – aber auch kurzfristig – brau-
chen wir beides: um der Sache willen, aber auch, um die
Akzeptanz für legale Zuwanderung und für die Auf-
nahme von Flüchtlingen in Deutschland zu erhalten und
zu stärken. Gegen eine große Mehrheit der Bevölkerung
lässt sich Flüchtlingspolitik nicht machen. Deswegen
müssen wir um diese Mehrheit in der Bevölkerung nach-
haltig werben und für sie eintreten. Diese Mehrheit ist
da. Sie ist aber immer gefährdet. Nur wenn wir klarma-
chen: „Wir schützen die wirklich Schutzbedürftigen, und
diejenigen, die nicht schutzbedürftig sind und tricksen
und täuschen, werden mit Schutzbedürftigen nicht gleich-
behandelt“, dann gewinnen wir die Herzen und die Köpfe
der Mehrheit unserer Bevölkerung. Darauf kommt es an.
Deswegen bitte ich um Unterstützung für diesen Gesetz-
entwurf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809206400

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Ulla Jelpke

von der Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809206500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Minister, es ist keine faire Art der Debatte, schon im
Vorhinein alles als Unsinn zu bezeichnen, was die Oppo-
sition hier an Kritik vorbringt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Gesetzespaket, das Sie heute hier vorgelegt ha-
ben, enthält mit Abstand die schärfsten Einschnitte in
das Aufenthaltsrecht seit 1993.


(Burkhard Lischka [SPD]: Das ist ja Unsinn!)


Schon damals wurde das Grundrecht auf Asyl weitge-
hend aufgehoben. Jetzt wird es noch einmal massiv be-
schnitten. Die Bundesregierung legt hier ein regelrechtes
Inhaftierungsprogramm für Asylsuchende auf,


(Zurufe von der SPD: Oh!)


nach dem Motto „Wer Asyl beantragt, wird eingesperrt,
abgeschoben und darf nie wiederkommen“. Die Linke
hält dieses Gesetzespaket für ein ganz fatales Signal. Es
ist ein Verrat am Asylrecht und im Übrigen ein schänd-
licher Kotau gegenüber der rassistischen Hetze von Pe-





Ulla Jelpke


(A) (C)



(D)

gida und jenen Neofaschisten, die zunehmend Asyl-
unterkünfte angreifen.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Pfui! – Burkhard Lischka [SPD]: Das ist ja Unsinn!)


Meine Damen und Herren, die Koalition will die Ab-
schiebehaft derart massiv ausbauen, dass sie praktisch
jeden Flüchtling treffen kann. Als Grund genügt zum
Beispiel, dass vom Asylsuchenden ein Schleuser bezahlt
worden ist. Aber ohne diese Schleuser können die
Flüchtlinge häufig gar nicht den gefährlichen Weg über
das Mittelmeer nehmen. Wenn in der EU keine legalen
Wege geschaffen werden, wie Flüchtlinge auch hier nach
Deutschland kommen können, und das sogar eine Auf-
lage der EU ist, dann darf man sich nicht wundern und
hier nicht solche repressiven Maßnahmen einführen.

Ein weiterer Grund für die Abschiebehaft soll nun
sein, wenn die Flüchtlinge keinen Pass besitzen – der
Minister hat es schon erwähnt – oder wenn sie über
einen anderen EU-Staat nach Deutschland kamen. Das
betraf im vergangenen Jahr 35 000 von insgesamt
173 000 Asylsuchenden. Merken Sie denn gar nicht, wie
zynisch es ist und wie Sie hier reagieren? Über welche
Länder sollen die Flüchtlinge denn einreisen, wenn nicht
über EU-Staaten? Vom Himmel können die Flüchtlinge
nicht fallen. Man kann doch diese Menschen, die froh
sind, Gewalt und Krieg entkommen zu sein, nicht ein-
fach einsperren, nur weil sie einen falschen Fluchtweg
genommen haben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was soll denn mit diesen Flüchtlingen geschehen? Sie
werden in völlig überfüllte Flüchtlingslager in Bulga-
rien, Ungarn und anderen Staaten gebracht. Wir alle hier
wissen, dass eine menschenwürdige Versorgung dort
nicht stattfindet, geschweige denn rechtliche Vorausset-
zungen für die Flüchtlinge vorhanden sind. Flüchtlinge
sind Menschen in Not und keine Kriminellen. Sie ver-
dienen unsere Hilfe und nicht einen solch schäbigen
Umgang, wie ihn die Koalition hier plant.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber es gibt noch mehr Verschärfungen. Abgelehnte
Asylsuchende sollen künftig mit einem Einreise- und
Aufenthaltsverbot belegt werden, sogar dann, wenn sie
freiwillig ausgereist sind. Das hätte beispielsweise im
vergangenen Jahr 12 000 Menschen getroffen. Treffen
wird diese Verschärfung vor allen Dingen Roma aus den
Balkanstaaten. Ihnen wird damit jede legale Möglichkeit
der Einwanderung versperrt, und sie können nicht ein-
mal mehr Verwandte in der EU besuchen. Ich frage Sie:
Mit welcher Berechtigung werden Schutzsuchende der-
art bestraft? Flüchtlinge verhalten sich wie Flüchtlinge.
Sie haben nur ein Recht in Anspruch genommen, das im-
mer noch im Grundgesetz steht. Sie stellen einen Antrag,
dieser wird abgelehnt, sie reisen wieder aus. Sie dafür
mit einem Einreiseverbot zu belegen, das im Übrigen für
die gesamte EU gilt, ist nichts anderes als eine absolut
willkürliche Verzerrung unseres Rechtssystems. Das
wird die Linke nicht mitmachen.

(Beifall bei der LINKEN)


Zum Schluss möchte ich noch auf das Bleiberecht zu
sprechen kommen. In der Tat: ein kleiner Fortschritt.
Insgesamt gibt es zurzeit 113 000 Menschen in Deutsch-
land, deren Aufenthalt nur geduldet ist. Davon lebt etwa
ein Drittel länger als fünf Jahre in Deutschland. Aber
Ihre Regelung, Herr Minister, besagt jetzt, dass diese
Menschen als Alleinstehende seit mindestens acht Jah-
ren oder als Familien seit mindestens sechs Jahren in
Deutschland leben müssen und auf jeden Fall eine eigen-
ständige Sicherung ihres Lebensunterhalts leisten müs-
sen. Das können gerade einmal 11 Prozent. Zuvor haben
Sie diese Menschen mit Arbeitsverboten belegt.


(Rüdiger Veit [SPD]: Das stimmt nicht, Ulla!)


– Doch. Sie konnten jedenfalls nicht einfach arbeiten ge-
hen. – Integrationsmaßnahmen gab es für sie auch nicht.
Jetzt sollen sie plötzlich solche Leistungen erbringen,
um hierbleiben zu können.

Wie gesagt, nur 11 Prozent haben überhaupt eine Be-
schäftigung. Das heißt, sehr wenige werden wirklich
diese Bleiberechtsregelung in Anspruch nehmen. Wir sa-
gen hier ganz klar: Alle anderen leben doch im Grunde
genommen in der ständigen Angst, abgeschoben zu wer-
den, obwohl beispielsweise ihre Kinder hier aufgewach-
sen sind und sie oft sehr gut integriert sind.

Um es zusammenfassend zu sagen: Das neue Bleibe-
recht greift viel zu kurz. Die verschärfte Abschiebepoli-
tik ist zynisch und inhuman. Das wird die Linke nicht
mittragen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809206600

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Rüdiger Veit

von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1809206700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Ulla
Jelpke, bei aller persönlichen Wertschätzung kann ich
dem Zerrbild, das hier von dir von dem Gesetzentwurf
entworfen worden ist, nun wirklich nicht folgen. Ich
werde versuchen, das im Einzelnen zu widerlegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe eine ähnliche Debatte im Jahr 2007 mit den
Worten Aristide Briands eingeleitet: Ein guter Kompro-
miss sei immer dann gegeben, wenn alle Beteiligten über
das Ergebnis gleichermaßen unzufrieden seien. – Das
war damals richtig. Da ging es um das Richtlinienumset-
zungsgesetz. Auch ich war nicht zufrieden. Heute sind
wir, wie ich finde, ein großes Stück weiter, und zwar auf-
grund der Umsetzung einer Koalitionsvereinbarung, die
in einigen Punkten über das hinausgeht, was mancher für
möglich gehalten hätte. Das betrifft zum Beispiel auch
die Fragen von Arbeitsverboten und Residenzpflicht.

(B)






Rüdiger Veit


(A) (C)



(D)(B)

Hier hat diese Koalition in den zurückliegenden Mona-
ten bereits wichtige Verbesserungen vorgenommen.

Wir haben in diesen Wochen immer wieder über die
Frage der Einwanderung geredet. Wir wollen Menschen,
die noch nicht bei uns leben, gewinnen, zu uns zu kom-
men. Im Rahmen der Debatte über das Bleiberecht reden
wir über das Schicksal derjenigen, die schon hier sind,
was sachlich und logisch gesehen eigentlich vorrangig
ist. Deswegen bin ich froh, dass wir uns mit diesem Ge-
setz dieser Personengruppe zuwenden können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Damit eines klar ist – da will ich einmal in die Ver-
gangenheit zurückblenden –: Wir Sozialdemokraten
wollten, als wir das Zuwanderungsgesetz entworfen und
dann in den Jahren 2003 und 2004 in den Gremien be-
handelt haben, die Duldung gänzlich abschaffen. Wir
wollten nur noch zwei Aufenthaltstitel haben: den befris-
teten und den unbefristeten. Wir wollten dazu überge-
hen, zu sagen: Wenn jemand nicht ausreisen kann oder
nicht abgeschoben werden kann, dann muss er nach spä-
testens 18 Monaten eine Aufenthaltserlaubnis bekom-
men. § 25 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes würde ich
gerne unverändert lassen. Herr Minister, darüber und
über die Streichung des Verweises auf § 11 des Aufent-
haltsgesetzes werden wir hoffentlich noch reden. Das ist
dann aber eine Fachdebatte, die wir an anderer Stelle
führen müssen.

Wir wollten die Duldung eigentlich grundsätzlich ab-
schaffen. Das ging damals mit der Union aber nicht. Die
Union musste zu rot-grünen Zeiten als Partner in An-
spruch und ernst genommen werden, weil es damals im
Bundesrat keine Mehrheit für diese Vorschriften gege-
ben hat; daran will ich einmal erinnern. Insofern versu-
chen wir seit über zehn Jahren, dieses Problem zu lösen.
Schon im Zusammenhang mit dem Richtlinienumset-
zungsgesetz wollten wir dann bereits im Jahre 2007 eine
sehr viel weiter gehende Bleiberechts- und Altfallrege-
lung schaffen.

Bei der Gelegenheit – wenn man so lange dabei ist,
bleibt es nicht aus, dass man sich erinnert – ist mir wie-
der eingefallen, wie es damals war. Das möchte ich
gerne einmal in Form einer Anekdote zum Besten geben.
Damals, als wir über das Richtlinienumsetzungsgesetz
und eine Bleiberechtsregelung gesprochen haben, hat Ihr
Amtsvorgänger, der damalige Innenminister Wolfgang
Schäuble, gemeinsam mit Franz Müntefering, der da-
mals Arbeitsminister war, eine sehr weitgehende Bleibe-
rechtsregelung und Altfallregelung entworfen und vor-
geschlagen. Dieser Vorschlag wurde aber im Ergebnis
der politischen Realität nur ungefähr vier Tage alt, weil
er dann in einer Länderinnenministerkonferenz – das
war am 17. November 2006 in Nürnberg – von Innen-
ministern der Union zerrupft worden ist. Es gab damals
erheblichen Ärger von den auf der Seite der Union Be-
teiligten. Davon ist im Augenblick keiner im Raum. Ich
kann mich aber noch gut an die Berichte dieser Innen-
ministerkonferenz erinnern.
Die herbste Kritik war übrigens diejenige des vorma-
ligen niedersächsischen Innenministers Schünemann,
der damals zu Herrn Schäuble gesagt hat, er – der Herr
Schäuble – habe keine Ahnung von der Praxis. Das war
schon eine ziemliche Unverschämtheit, weil Wolfgang
Schäuble zuvor schon einmal Innenminister war, und
zwar zu einer Zeit, als jedenfalls Herr Schünemann noch
lange nicht Innenminister, sondern vielleicht bestenfalls
dem Grundschulalter entwachsen war.

Da wir hier große Volksparteien repräsentieren, ver-
treten nicht alle die gleiche Meinung. Ich erinnere mich
noch – diesen Teil der Anekdote gebe ich auch noch zum
Besten –, dass wir auf einer Klausurtagung der SPD-
Fraktion in Brüssel im Plenarsaal des Europäischen Par-
laments über die richtige Umsetzung der Bleiberechts-
regelung gesprochen haben. Damals hat ein anderer Ih-
rer Amtsvorgänger, Otto Schily, uns davor gewarnt, eine
Bleiberechtsregelung gesetzlich festzuschreiben, die
mehr als höchstens 20 000 oder 30 000 Menschen be-
günstigt. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich ein-
mal in die Verlegenheit kommen würde, einen gemeinsa-
men Vorschlag von Franz Müntefering und Wolfgang
Schäuble gegen Otto Schily verteidigen zu müssen. Es
kam dann übrigens nicht mehr dazu. Der Flieger ging,
und deswegen kam meine Wortmeldung nicht mehr zum
Tragen. – So viel zur Geschichte.

Heute sind wir Gott sei Dank, wie ich finde, mit einer
derartigen Bleiberechtsregelung sehr viel weiter. Dem
Nichtfachpublikum sei einmal gesagt, worum es hier
geht. Menschen, die in Deutschland nicht abgeschoben
werden können oder nicht ausreisen können, die aber
nicht den Status eines Flüchtlings oder Asylberechtigten
zuerkannt bekommen, halten sich mit sogenannten Dul-
dungen in Deutschland auf. Das ist nichts anderes als der
Abschiebeverzicht vonseiten des Staates. Das ist aber
kein Titel. Man sollte meinen, dass die Duldungen nicht
länger als ein paar Monate dauern. Das ist mitnichten so.
Die Statistik weist aus, dass es 11 000 Menschen gibt,
die mit Duldungen schon mehr als 15 Jahre in der Bun-
desrepublik leben. Immerhin 31 000 Menschen leben be-
reits seit über sechs Jahren hier. Für die Betroffenen und
ihre Familien heißt das, dass ihnen in der Regel alle drei
Monate gesagt wird, ob sie abgeschoben werden und
ausreisen müssen oder ob sie hier bleiben dürfen.

In der Zwischenzeit durften sie nach altem Recht
nicht einmal arbeiten und so sich und ihre Familien ver-
sorgen. Den Teufelskreis, nicht arbeiten zu dürfen, weil
man keine Aufenthaltserlaubnis hat, aber keine Aufent-
haltserlaubnis zu erhalten, weil man keine Arbeit hat, ha-
ben wir schon bei der letzten Änderung des Bleiberechts
– damals § 104 a – durchbrochen. Das setzen wir jetzt
konsequent fort. Dafür bin ich im Interesse der betroffe-
nen Menschen und insbesondere im Interesse der in
Deutschland geborenen und/oder aufgewachsenen Kin-
der und Jugendlichen außerordentlich froh und dankbar.


(Beifall bei der SPD)


Deswegen ist das ein gutes und hoffentlich auch bald zu
Ende kommendes Gesetzgebungsvorhaben, hinter dem
ich auch persönlich stehe.





Rüdiger Veit


(A) (C)



(D)(B)

Herr Minister – auf kritische Punkte komme ich noch
zu sprechen, damit keine Verwirrung eintritt –, Sie haben
zu Recht erwähnt, dass wir mit diesem Gesetz erfreuli-
cherweise den Status der Opfer von Menschenhandel
verbessern werden. Sie haben – hierzu gab es insbeson-
dere Kritik aus dem NGO-Bereich – darauf hingewiesen,
dass der Familiennachzug bei subsidiär Geschützten neu
geregelt wird. Sie haben noch einen Punkt vergessen, der
mir aber auch wichtig ist und den ich vielleicht ergänzen
darf. Wir haben jetzt eine gesetzliche Grundlage dafür,
sogenannte Resettlement-Flüchtlinge in Deutschland
aufzunehmen und ihnen ebenfalls die Möglichkeit des
Familiennachzugs einzuräumen. Denjenigen, die nicht
Bescheid wissen, möchte ich erklären, dass es sich bei-
spielsweise bei den Flüchtlingen, die aus Syrien kom-
men, um Resettlement-Flüchtlinge handelt. Diese haben
nach der Flucht aus ihrer Heimat in Nachbarstaaten oder
anderswo vorläufig Zuflucht gefunden. Wir haben sie
dann aus humanitären Gründen – im Falle Syriens vor-
bildlich, aber auf europäischer Ebene immer noch zu
wenige – aufgenommen, um ihnen hier auf Dauer eine
Perspektive zu geben.

Es gibt aber auch eine kritische Bewertung. Ein biss-
chen Kompromiss heißt aus unserer Sicht auch, ein biss-
chen nachzugeben. Richtig ist: Das Ausweisungsrecht
insgesamt musste dringend geändert werden. Da ich
daran, ob wir das in jedem einzelnen Punkt perfekt
hinbekommen haben, meine Zweifel habe, melde ich
Gesprächsbedarf an. Das betrifft insbesondere die Haft-
gründe. Insoweit hat Ulla Jelpke zu Recht darauf hinge-
wiesen, dass es als Flüchtling technisch kaum anders
machbar ist, nach Deutschland zu kommen, als sich ei-
nes Schleusers zu bedienen. Das muss man deswegen
nicht gutheißen. Das tue ich auch nicht. Das tut niemand
von uns. Das ist aber ein aus den geografischen Gege-
benheiten resultierendes Faktum, das wir nicht negieren
können.


(Beifall der Abg. Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Automatisch kann man deswegen also nicht auf Flucht-
gefahr schließen.

Damit sind wir bei der Fluchtgefahr angekommen.
Bei der Abschiebehaft von sogenannten Dublin-Flücht-
lingen verlangt die Richtlinie eine erhebliche Fluchtge-
fahr als Voraussetzung. Das haben wir in diesem Gesetz-
entwurf so noch nicht übernommen. Insofern ist es
durchaus notwendig, an dieser Stelle nachzubessern.

Schöner wäre übrigens auch gewesen – wenn ich
auch diesen kritischen Punkt ansprechen darf –, wenn
wir an den ursprünglich vorgesehenen 27 Lebensjahren
als zeitliche Grenze für einen Antrag auf Aufenthalts-
erlaubnis festgehalten hätten. Jetzt sind wir wieder auf
21 Lebensjahre zurückgegangen. Auch darüber wird
man noch reden können.

Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, bei
dem wir hoffentlich parteiübergreifend zu einer Lösung
kommen werden. Es handelt sich dabei um die Rechts-
stellung derjenigen jungen Leute, die sich in einer Be-
rufsausbildung oder in einem Studium befinden. Neh-
men wir als günstigen Fall an: Es ist einem Flüchtling
gelungen, einen Ausbildungsplatz zu erhalten. Wenn er
nur eine Duldung hat, ist das nicht immer ganz so ein-
fach. Dieser Flüchtling muss damit leben, eventuell ab-
geschoben zu werden, noch bevor er seine Ausbildung
abgeschlossen hat. Es gibt zu Recht eine Initiative der
Ministerpräsidenten und des Bundesrates, die darauf ab-
zielt, den betreffenden jungen Leuten bis zum Erreichen
ihres Ausbildungsabschlusses eine gesicherte Aufent-
haltsperspektive zu bieten. Ich persönlich bin der Mei-
nung, dass eine Duldung allein dafür nicht ausreichend
ist. Ich will versuchen, kurz zu begründen, warum. Wenn
ein Handwerksmeister vor der Frage steht, ob er einen
jungen Mann oder eine junge Frau mit einer Duldung als
Auszubildenden einstellt, dann muss er davon ausgehen,
dass der Auszubildende nach Abschluss der Ausbildung
– so sie denn erfolgreich war, was hoffentlich in der Re-
gel der Fall ist – gehen muss und nicht bei ihm im Be-
trieb bleiben kann. Das macht keinen Sinn und führt zu
Verwerfungen. Obwohl ein solcher Handwerksmeister
die Verantwortung und die Last bzw. die Kosten der
Ausbildung trägt, ist er anschließend nicht in der Lage,
den betreffenden Auszubildenden zu übernehmen.

Es ist wünschenswert und richtig – das könnte uns in
diesem Gesetzgebungsvorhaben noch gelingen –, eine
Regelung zu finden, die besagt: Wer hier berechtigter-
weise bzw. erlaubterweise eine Ausbildung absolviert,
der erhält zu diesem Zweck eine entsprechende Aufent-
haltserlaubnis. Das ist ein ganz konkreter Wunsch vor
unseren jetzt beginnenden Koalitionsgesprächen zu die-
sem Gesetzentwurf. Nach der Anhörung werden wir be-
ginnen, darüber zu beraten. Ich wünsche mir, dass wir
auch in diesem Punkt zu einer Einigung kommen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809206800

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Luise

Amtsberg von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809206900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Um das gleich vorwegzunehmen: Dieser Gesetzentwurf
ist Schatten, aber auch Licht. Der Kürze halber fange ich
mit dem Licht an. Wir freuen uns, dass sich die Bundes-
regierung endlich dazu durchgerungen hat, die Rechts-
grundlage für das Resettlement-Programm – das wurde
noch nicht erwähnt – zu schaffen.

Gut ist auch der Vorschlag, eine stichtags- und al-
tersunabhängige Bleiberechtsregelung ins Leben zu ru-
fen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Damit sollen langjährig hier lebende Menschen mit dem
Status der Duldung – wie wir gehört haben, leben diese
zum Teil seit 10, 16 oder sogar seit 20 Jahren hier – end-
lich eine Perspektive zum Bleiben bekommen. Dieses
Ziel verfolgen wir alle hier schon lange, und es ist gut,





Luise Amtsberg


(A) (C)



(D)(B)

dass jetzt entsprechende Regelungen auf den Weg ge-
bracht werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wie gut ein solches Gesetz und wie ehrlich solch
grundlegende Bekenntnisse sind, entscheidet aber nicht
die Prosa, sondern die Praxis. Damit sind wir beim
Schatten, der über Ihrem Gesetzentwurf liegt. Die Bun-
desregierung hat die prekäre Situation von langjährig in
Duldung lebenden Menschen zwar erkannt, unterläuft in
unseren Augen mit kleineren diskriminierenden Rege-
lungen im eigenen Gesetzentwurf aber das Ziel, dass
diese Menschen auch bleiben können. Das wird durch
§ 11 Absatz 6 des Gesetzentwurfs deutlich. Dieser zielt
nämlich auf die typische Duldungssituation ab. Wer zum
Beispiel nicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist
ausgereist ist, obwohl die Pflicht dazu bestand, kann
vom Bleiberecht ausgeschlossen werden. Dieses „Kann“
ist ganz entscheidend. Der Gesetzgeber ermöglicht es
den Behörden damit, das Bleiberecht zu gewähren oder
eben auch nicht – je nach Ermessen. Allein der Umstand,
dass diese Anwendungspraxis von Behörde zu Behörde
und von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich
sein kann, gibt Anlass zu einer Neuregelung bzw. Präzi-
sierung dieses Paragrafen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Schutzsuchenden können es sich nämlich nicht aus-
suchen, an welchen Ort sie kommen und welche Be-
hörde sie betreut.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, junge Menschen,
die hier mit einer Duldung leben und das hiesige Bil-
dungssystem durchlaufen – das wurde eben angespro-
chen –, haben genauso wie alle anderen Menschen sehr
viele Potenziale. Diese sollten wir nutzen, und wir soll-
ten ihnen die Chance geben, sie zu entfalten; denn davon
profitieren nicht nur sie selbst, sondern auch unsere ge-
samte Gesellschaft und insbesondere unser Arbeits-
markt. Genau diesen jungen Menschen bleiben Sie mit
Ihrem Gesetzentwurf leider eine Antwort schuldig. Für
die Dauer der Ausbildung brauchen sie in unseren Au-
gen eine Aufenthaltserlaubnis, und diese muss bei er-
folgreichem Abschluss auch verlängert werden können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist kein Populismus, Herr Minister; denn die In-
dustrie- und Handelskammern und auch die Handwerks-
kammern liegen uns seit Ewigkeiten in den Ohren.
Schleswig-Holstein konnte im letzten Jahr 1 000 Ausbil-
dungsplätze nicht besetzen. Man sieht: Es liegen Puzzle-
teile auf dem Tisch, die zusammenpassen, aber man geht
nicht den entscheidenden Schritt, das Puzzle zu vervoll-
ständigen.

Die Betriebe fordern Sicherheit. Sie wollen, dass die
jungen Menschen, die eine Ausbildung machen, vor der
Abschiebung geschützt werden. Das unterstreiche ich
ausdrücklich, und das gilt auch für den Gedanken mei-
nes Kollegen Rüdiger Veit, den er am Ende seiner Rede
geäußert hat. Es wäre nicht nur pragmatisch gesund und
wirtschaftlich gedacht, sondern für diese Menschen auch
eine große Chance auf eine verlässliche Perspektive, die-
sen Schritt zu gehen, und das wollen Sie mit diesem Ge-
setz erreichen. Auch hier gibt es also noch Nachbesse-
rungsbedarf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD])


Nachdem wir eben beim Schatten waren, muss ich
jetzt natürlich auch noch auf die Dunkelheit, die Finster-
nis dieses Gesetzentwurfs eingehen, die es durchaus
gibt. Ich will sehr deutlich sagen: Haft ist das schärfste
Schwert, das unser Staat in die Hand nehmen kann. Es
ist das höchste Strafmaß in unserem Rechtsstaat, das mit
Bedacht eingesetzt werden muss; denn es greift in funda-
mentale Grundrechte ein. Anders als bei der Strafhaft hat
ein Abschiebehäftling keine Straftat begangen.

Ihre Pläne, Herr Minister, die Haft auf all die Men-
schen auszuweiten, die über einen anderen EU-Staat
eingereist sind, ist wirklich – so positiv und wohlmei-
nend man diesem Gesetzentwurf auch gegenüberstehen
möchte – eine nur schwer zu schluckende Kröte. Bislang
verlangt das Gesetz den begründeten Verdacht, dass sich
der oder die Betroffene einer Abschiebung entziehen
will. Auch das ist schon sehr subjektiv formuliert. Dieser
„begründete Verdacht“ spielt jetzt gar keine Rolle mehr;
denn seit neuestem findet das Innenministerium, dass
eine Fluchtgefahr schon allein dann gegeben ist, wenn
eine Person über einen anderen EU-Staat nach Deutsch-
land gekommen ist. Das ist vor dem Hintergrund zu se-
hen, dass es kaum andere legale Wege nach Deutschland
gibt; meine Kollegin Ulla Jelpke hat das schon angespro-
chen. Da niemand, der aus Syrien, Afghanistan oder Eri-
trea flieht, über Deutschland einfach vom Himmel fällt,
ist dieser Ansatz wirklich mehr als zynisch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Darüber einmal nachzudenken, Herr Minister, ist nicht
zu viel verlangt und auch kein Populismus. Wir stehen
im Übrigen mit dieser Kritik nicht alleine. Kirchen,
Wohlfahrtsverbände und NGOs sehen das genauso. Da-
rüber hinaus ist das nicht mit Artikel 28 der Dublin-III-
Verordnung vereinbar.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktion ver-
tritt die Auffassung, dass wir mehr darüber reden sollten,
welche Alternativen es zur Abschiebehaft gibt. Zumin-
dest aber sollte die Abschiebehaft immer Ultima Ratio
bleiben. So wird das in den Ländern auch gehandhabt.
Viele inhaftieren de facto gar nicht mehr. Diese werden
sich angesichts dieser Pläne bei Ihnen bedanken; denn
die Kosten für die Vorhaltung von Abschiebehaftplätzen
verbleiben bei den Ländern.

Zum Schluss ein Punkt, der auch noch wichtig ist: der
Spracherwerb beim Ehegattennachzug. Wir haben im
Petitionsausschuss – ich weiß nicht, ob gerade Kollegen
aus diesem Ausschuss da sind – eigentlich jede Woche
damit zu tun, dass Familienmitglieder voneinander ge-
trennt sind, Ehepartner für Jahre auseinandergerissen
werden, weil der Sprachennachweis nicht erbracht wer-
den konnte. Das alles geschieht, obwohl die Bundesre-





Luise Amtsberg


(A) (C)



(D)(B)

gierung die Familie besonders schützen will. Das passt
nicht zusammen. Auch hier brauchen wir eine Überar-
beitung dieses Gesetzentwurfs.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es gibt noch viele Themen, die dabei eine Rolle spie-
len und die wir noch ansprechen könnten. Der Gesetz-
entwurf in der jetzigen Form könnte die Überschrift tra-
gen: mehr Haft, mehr Restriktionen und weniger Schutz
für Schutzsuchende. – Ich glaube, das können wir besser.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809207000

Vielen Dank. – Als nächste und letzte Rednerin in

dieser Debatte erhält Andrea Lindholz von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1809207100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Die weltweiten Krisen machen sich
auch in diesem Jahr in Deutschland nach wie vor be-
merkbar. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
erwartet erneut einen massiven Anstieg der Asylbewer-
berzahlen von zuletzt 203 000 auf 300 000 Asylanträge
in diesem Jahr.

Die Strategie der Großen Koalition zur Stabilisierung
unseres Asylsystems hat zwei zentrale Ziele: Erstens.
Die Schutzberechtigten sollen besser integriert werden.
Zweitens. Unberechtigte Asylanträge sollen schneller
abgeschlossen werden. Bereits im letzten Jahr haben wir
zahlreiche Maßnahmen umgesetzt. Wir haben im Bun-
desamt für Migration und Flüchtlinge die Zahl der Stel-
len um rund 30 Prozent aufgestockt. Wir haben drei
Westbalkanländer zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt,
um unbegründete Anträge schneller abschließen zu kön-
nen. Wir haben in diesem Jahr Länder und Kommunen
um 556 Millionen Euro bei der Versorgung und Unter-
bringung von Flüchtlingen entlastet. Im Jahr 2016 wird
das novellierte Asylbewerberleistungsgesetz zu noch
mehr Entlastungen führen.


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Wenn Sie unserem Antrag zustimmen, können Sie das gleich machen!)


Gleichzeitig haben wir die Strukturen zur Integration
von Flüchtlingen verbessert. Der Arbeitsmarktzugang
wurde erleichtert, und die Residenzpflicht und die Vor-
rangprüfung wurden eingeschränkt. Wer bei uns Schutz
bekommt, der soll sich zügig integrieren und Arbeit fin-
den können.

Um das Asylsystem nachhaltig zu stabilisieren, müs-
sen wir aber die große Zahl der unberechtigten Asylan-
träge spürbar reduzieren. Allein im Januar dieses Jahres
wurden 11 700 Asylanträge aus den Balkanstaaten regis-
triert, obwohl die Ablehnungsquote in diesen Fällen bei
fast 100 Prozent liegt. Die Zahl der Asylanträge von sy-
rischen Flüchtlingen war im selben Zeitraum nicht ein-
mal halb so hoch.

Die Zahl der offensichtlich unberechtigten Asylan-
träge muss zügiger zurückgeführt werden, um Nachah-
mer davon abzuhalten, Geld an kriminelle Schleuser zu
verschwenden. Gerade in den Balkanstaaten müssen wir
noch besser über unser Asyl- und Migrationssystem auf-
klären; denn manch einer könnte auf ganz legalem Weg
als Arbeitskraft zu uns kommen, statt einen aussichts-
losen Asylantrag zu stellen.

Seit Jahren wird nur ein Bruchteil der ausreisepflichti-
gen Ausländer tatsächlich abgeschoben. Ende 2014 wa-
ren 113 221 Geduldete hier in Deutschland registriert.
Abgeschoben wurden im letzten Jahr lediglich 10 800 Per-
sonen.

Ja, für die Abschiebung sind die Länder zuständig,
aber der Bund hat die Verfahrensregeln zu verantworten.
An diesem Punkt setzt der vorliegende Gesetzentwurf an
und sieht umfangreiche Verbesserungen im Asylsystem
vor. Ausländer, die schon lange in Deutschland geduldet
sind und sich erfolgreich integriert haben, sollen ein al-
ters- und stichtagsunabhängiges Bleiberecht bekom-
men. Als gut integriert gilt jemand, der seit acht Jahren
hier lebt, über Sprachkenntnisse verfügt und seinen Le-
bensunterhalt überwiegend selbst sichern kann. Gut inte-
grierte Jugendliche unter 21 sollen bei ähnlichen Voraus-
setzungen bereits nach vier Jahren ein dauerhaftes
Bleiberecht erhalten können.

Mit § 17 a Aufenthaltsgesetz schaffen wir einen
neuen Aufenthaltstitel in Deutschland, der es ermöglicht,
die ausländische Berufsqualifikation bei uns durch Fort-
bildungsmaßnahmen vollständig anerkennen zu lassen.
Damit verbessert der Bundesinnenminister ganz gezielt
das Ausländerrecht und erleichtert die Zuwanderung von
Fachkräften.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gleichzeitig soll die bisherige dreistufige Kann-, Soll-
und Mussregelung im Ausweisungsrecht grundlegend
reformiert werden. Das ist richtig. Die Gerichte haben
bei den meisten Klagen ohnehin reine Ermessensent-
scheidungen getroffen. Wir reagieren damit auf den
Wandel in der Rechtsprechung. Die Gerichte werden in
Zukunft – das wird die Verfahren erheblich beschleuni-
gen – die Entscheidung der Behörde entweder bestätigen
oder ersetzen. Es wird also nicht an die Behörde zurück-
verwiesen. Auch damit werden wir schneller Rechtssi-
cherheit für die Asylbewerber schaffen, ob sie bleiben
können, weil sie einen entsprechenden Anspruch haben,
oder ob sie ausgewiesen werden müssen.

Wir werden klare Ausweisungs- und Bleibeinteressen
formulieren und gewichten. Auch das ist richtig. Ein
Bleibeinteresse wiegt zum Beispiel besonders schwer
bei Minderjährigen und bei Ausländern, die in Deutsch-
land geboren wurden oder hier eigene Kinder haben. Das
Ausweisungsinteresse wiegt zum Beispiel besonders
schwer, wenn ein Ausländer zu Hass oder Gewalt auf-





Andrea Lindholz


(A) (C)



(D)(B)

ruft, den Terror unterstützt oder zu längeren Freiheits-
strafen verurteilt wurde. Auch das ist richtig.

Wir werden für die Abschiebehaft klare Kriterien de-
finieren, wann von einer Fluchtgefahr ausgegangen wer-
den kann. Damit machen wir nichts anderes, Frau Kolle-
gin Jelpke, als die Dublin-III-Verordnung und den
Beschluss des BGH vom Juni 2014 umzusetzen. Der
BGH hat nämlich festgestellt, dass die Verankerung im
nationalen Recht fehlt. Wir sind daher gehalten, entspre-
chende Regelungen zu formulieren.

Wann geht man von einer Fluchtgefahr aus? Es gibt
zunächst einmal Indizien. Wenn sich zum Beispiel je-
mand dem Zugriff der Behörden entziehen will, über
seine Identität täuscht oder die Mitwirkung verweigert,
dann sind das erst einmal Indizien für eine Fluchtgefahr,
die aber wohl begründet ist. Denn derjenige, der bei uns
bleiben möchte, hat an entsprechenden Verfahren mitzu-
wirken; er hat sich zu beteiligen. Auch das ist bei der
Ausweisung von Interesse. Auch hier muss der Rechts-
staat reagieren können, wenn das von dem Asylbewerber
nicht erfüllt wird.

Im Übrigen bleibt es bei der Einzelfallprüfung. Damit
wird Willkür ausgeschlossen; die Haft muss verhältnis-
mäßig sein. Ich denke, hier sorgt der Rechtsstaat für aus-
reichende Sicherheit.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lieber Kollege Rüdiger Veit, wir haben gestern
Abend über den Umgang mit unbegleiteten minderjähri-
gen Flüchtlingen debattiert. In der Debatte wurde gesagt,
dass jemand, der als Geduldeter eine Ausbildung in
Deutschland macht, zum Beispiel in einem Handwerks-
betrieb, die ganze Zeit damit rechnen muss, dass er abge-
schoben wird. Nein, das stimmt nicht. § 60 a Absatz 2
Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes besagt, dass es aus per-
sönlichen Gründen möglich ist, für die gesamte Dauer
der Ausbildung bei uns eine Duldung zu erhalten. Es ist
also bereits möglich.


(Rüdiger Veit [SPD]: Eben nur eine Duldung!)


– Ja. Ich verwahre mich aber dagegen, dass immer wie-
der gesagt wird, die Handwerksbetriebe bzw. Ausbil-
dungsbetriebe könnten keine jungen Asylbewerber ein-
stellen.


(René Röspel [SPD]: Das ist doch ein unbestimmter Rechtsbegriff!)


Natürlich ist das nach unserem Gesetz bereits möglich.
Das muss nur noch von den Ländern entsprechend ver-
ankert werden.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809207200

Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Amtsberg zu?


Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1809207300

Ja, wenn ich gerade noch meinen Satz zu Ende brin-

gen darf.

Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809207400

Selbstverständlich.


Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1809207500

Aus § 39 Aufenthaltsgesetz geht hervor, dass man

nach einer entsprechenden Ausbildung als Fachkraft
oder mit der Bluecard eine Arbeitserlaubnis erhalten
kann. Insofern bleibt allenfalls die Frage zu beantworten,
ob wir es noch deutlicher klarstellen müssen. Darin
stimme ich vielleicht mit Ihnen überein. Aber es trifft
schlicht nicht zu, dass unser Gesetz das nicht schon re-
gelt.


Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809207600

Frau Kollegin, vielen Dank, dass Sie die Zwischen-

frage zulassen. – Das Problem bei den Auszubildenden
und jungen Flüchtlingen, die einen unsicheren Status ha-
ben, ist für die Ausbildungsbetriebe nicht der rein recht-
liche Aspekt, sondern die Tatsache, dass sie ausgewiesen
werden können, während sie in der Ausbildung sind.


Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1809207700

Nein. Das ist schlicht falsch. Schauen Sie in das Ge-

setz!


Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809207800

Das ist de facto so. – Die Unsicherheit, die sich da-

raus ergibt, veranlasst viele Betriebe, lieber auszuwei-
chen und den Menschen keine Chance zu geben. Da
Klarheit zu schaffen, wäre doch eigentlich ein gutes An-
liegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Rüdiger Veit [SPD]: Auch über die Ausbildung hinaus!)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1809207900

Frau Kollegin Amtsberg, es ist nur leider sachlich

falsch. Schauen Sie in das Gesetz!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich gucke auf die Fälle, die ich kenne, wo das nicht so ist!)


Dort steht ausdrücklich, dass aus persönlichen Gründen
– dazu gehört die Ausbildung – die Abschiebung ausge-
setzt und eine Duldung bis zum Abschluss der Ausbil-
dung ausgesprochen werden kann. Es tut mir leid. Es ist
einfach falsch, wenn Sie etwas anderes behaupten.
Schauen Sie einfach einmal in das Gesetz! Dann könnte
man sich manchen Wortbeitrag ersparen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Realität ist eine andere!)


– Realität ist, wenn die Gesetze, die wir hier machen,
auch überall angewendet werden.


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wenn sie nicht angewendet werden, müssen sie geändert werden! – Gegenruf des Abg. Burkhard Lischka [SPD]: Das stimmt!)






Andrea Lindholz


(A) (C)



(D)(B)

Aber nur neue Gesetze zu machen, ersetzt keine Realität.
Wir stimmen daher dem Gesetzentwurf zu. Wir begrü-
ßen ihn ausdrücklich. Wir hoffen, dass auch das ein wei-
terer Schritt ist, um unser Asylrecht effektiver zu ma-
chen, auch im Sinne der Betroffenen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809208000

Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf den Drucksachen 18/4097 und 18/4199 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Ich
sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 c auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Gewährleistung des Schienenpersonenfern-
verkehrs

Drucksache 18/4186
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Mehrwertsteuerreduktion im Schienenperso-
nenfernverkehr

Drucksache 18/3746
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Federführung strittig

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens,
Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Rückzug der Deutschen Bahn AG bei Nacht-
und Autoreisezügen stoppen – Nachhaltige
Reisekultur in Europa fördern

Drucksachen 18/2494, 18/4080

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Sabine Leidig, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809208100

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Werte

Gäste! Wir reden heute über drei Anträge meiner Frak-
tion. Mit diesen Anträgen kämpft die Linke für ein bes-
seres Fernreiseangebot auf der Schiene.


(Beifall bei der LINKEN)


Fakt ist, dass seit Jahren Fernzüge gestrichen werden,
zuletzt – das ist eigentlich der Anlass dieser neuen Initia-
tive, die wir ergriffen haben – einige wichtige europäi-
sche Nachtzugverbindungen. Der Bundestag könnte die-
sen Trend umkehren. Deshalb haben wir den Antrag
„Rückzug der Deutschen Bahn AG bei Nacht- und Auto-
reisezügen stoppen – Nachhaltige Reisekultur in Europa
fördern“ eingebracht.

Sie alle haben sicher mitbekommen, dass es eine tolle
Kampagne gibt: Nachtzug bleibt. – Da haben sich Rei-
sende und Beschäftigte mit Bahninitiativen zusammen-
geschlossen und haben für dieses Thema, übrigens
grenzüberschreitend, eine ganze Menge Aufmerksam-
keit bewirkt. Nachher, um 14.30 Uhr, könnten Sie sich
an einer kleinen Kundgebung beteiligen, die hier vor
dem Reichstag stattfindet.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Heute Nachmittag wird auf der Internationalen Tou-
rismus-Börse ein Journalistenpreis für die Reportage des
Deutschlandfunks mit dem Titel „Der letzte Nachtzug
nach Paris“ verliehen. Das ist eine tolle Dokumentation
darüber, warum das Reisen im Nachtzug praktisch, um-
weltfreundlich und preiswert ist oder es sein kann. Alle,
die das noch nie ausprobiert haben, wie übrigens auch
der zuständige Bahnvorstand, Herr Homburg, könnten
sich diese Radiosendung anhören und sich wenigstens
einen Eindruck davon verschaffen. Es ist mit diesen
Nachtzugreisen eine Reisekultur verbunden, die sich
einfach wohltuend von dem hektischen Flugverkehr un-
terscheidet und außerdem klima- und umweltfreundlich
ist.

Aus der Expertenanhörung, die wir zu diesem Thema
im Verkehrsausschuss gemacht haben – Sie erinnern
sich –, gibt es ein paar wichtige Erkenntnisse.

Erstens. Nachtreisezüge sind zeitgemäß und zukunfts-
fähig, wenn der Wille dazu da ist und wenn in moderne
Züge investiert werden kann.

Zweitens. Die Nachfrage nach diesem Angebot ist
keineswegs desaströs, sondern kann – das wurde auch
von Herrn Homburg von der Deutschen Bahn bestätigt –
als stabil bezeichnet werden. Die Zahl der Reisenden mit
Reservierung über Nacht ist in den letzten zehn Jahren
um 4 Prozent gestiegen – immerhin –, und die Zahl der
Reisenden, die in den Pendlerwagen mitfahren, frühmor-
gens oder spätnachts, ist sogar um 54 Prozent gestiegen.

Dass die Bahn mit diesem Angebot keinen Gewinn
einfährt, liegt vor allen Dingen an den hohen Trassenge-
bühren und an anderen Kosten, über die politisch ent-
schieden wird. Allerdings ist das reale Defizit mit
5,4 Millionen Euro halb so groß wie zunächst behauptet.
Deshalb haben wir guten Grund, Sie aufzufordern, den





Sabine Leidig


(A) (C)



(D)(B)

Kahlschlag im Nachtreisezugangebot zu stoppen und da-
für zu sorgen, dass zumindest Berlin–Paris und Ber-
lin–Kopenhagen wieder in den Nachtzugfahrplan kom-
men, so lange, bis ein vernünftiges, tragfähiges Konzept
auf die Schiene gebracht ist.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein solches Konzept könnte bis zur Fußballeuropa-
meisterschaft 2020 durchaus zustande gebracht werden.
Daran beteiligen sich 13 europäische Länder, und es
wäre doch verrückt, wenn man den Fußballfans nur den
Billigflieger anbieten könnte und nicht die nachhaltige
Alternative Nachtzug.

Mit ein wenig gutem Willen können die politischen
Rahmenbedingungen so geändert werden, dass die Bahn
nicht weiter benachteiligt wird, beispielsweise gegen-
über dem klimaschädlichen Flugverkehr. Deshalb bean-
tragen wir in einem zweiten Antrag, dass die Mehrwert-
steuer für Bahntickets abgesenkt wird und im Gegenzug
Schluss gemacht wird mit der Subvention von Flug-
tickets.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Heute zahlt man für jedes Fernzugticket volle 19 Prozent
Mehrwertsteuer;


(Margaret Horb [CDU/CSU]: Genau!)


auf Flugtickets zahlt man 0 Prozent Mehrwertsteuer. Das
ist ungerecht. Das ist klimaschädlich und muss geändert
werden.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In der Diskussion um die Nachtzüge hat der Kollege
Dirk Fischer von der CDU, der hier sitzt, darauf auf-
merksam gemacht, dass die ganze Misere gar nicht zu-
stande gekommen wäre, wenn die damalige rot-grüne
Regierung dem Unionsantrag zugestimmt hätte, ein
Schienenpersonenfernverkehrsgesetz zu verabschieden,
in dem festgelegt wird, welche Angebote auf der
Schiene im Fernverkehr die Bahn zu erbringen hat, an
den Bedürfnissen der Bevölkerung und natürlich auch an
Klimazielen ausgerichtet.

Tatsächlich hat die CDU/CSU 2001 beantragt, dass
die Bundesregierung ein solches Gesetz vorlegt. Dem
hat die PDS-Fraktion damals übrigens zugestimmt; eine
interessante historische Konstellation. Inzwischen ist die
Notwendigkeit für ein solches Gesetz noch viel größer
geworden. Deshalb haben wir den damaligen Antrag
heute wortgleich eingebracht. Es ist höchste Eisenbahn,
dass der Bund endlich seinem grundgesetzlichen Auftrag
nachkommt und dass wir als Abgeordnete ein destrukti-
ves Parteiengezänk vermeiden und einfach das beschlie-
ßen, was notwendig ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Weil ich weiß, dass Sie es niemals übers Herz bringen
werden, einem Antrag der Linken zuzustimmen, auch
wenn er noch so richtig ist, bitte ich Sie, Kollege Fischer,
in diesem Falle zum Wiederholungstäter zu werden. Sie
könnten ihren damaligen Antrag einfach noch einmal
einbringen. Ich bin sicher: Wir hätten nicht nur eine
Mehrheit aus CDU/CSU und Linken; vielmehr würden
auch die Kollegen der Grünen und der SPD zustimmen.

Denn in der Zwischenzeit ist ja vieles passiert: Über
100 Städte mit mehr als 20 000 Einwohnern haben ihren
Anschluss an den Fernverkehr verloren. Da hält kein
ICE mehr und kein IC und natürlich auch kein Inter-
regio, weil diese Zugart völlig zerstört worden ist. Das
bedeutet aber für die Bewohnerinnen und Bewohner in
Chemnitz, in Zwickau, in Potsdam, in Landau und in
vielen anderen Städten, dass sie öfter umsteigen müssen,
dass die Chance größer ist, dass sie einen Anschluss ver-
passen, dass sie viele Wartezeiten haben. Es bedeutet,
dass die Attraktivität der Bahn schlechter wird und dass
die Attraktivität dieser Städte schlechter wird.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809208200

Frau Kollegin Leidig, ehe Sie jetzt noch durch ganz

Deutschland reisen, darf ich Sie an die Zeit erinnern.


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809208300

Ich finde, da kann der Bund nicht zuschauen. Sie als

Bundestagsabgeordnete haben die Möglichkeit, Herrn
Grube sozusagen in den Arm zu fallen und dafür zu sor-
gen, dass wir eine vernünftige, zielgerichtete Entwick-
lung des Schienenfernverkehrs haben. Ich kann Sie nur
auffordern, die Möglichkeiten zu nutzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809208400

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dirk

Fischer, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1809208500

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Es liegen uns drei Anträge der Fraktion Die Linke
vor. Nach dem einen Antrag soll die Mehrwertsteuer im
Schienenpersonenfernverkehr von 19 Prozent auf 7 Pro-
zent abgesenkt werden. Daneben sollen Flugtickets im
internationalen Verkehr mit 19 Prozent Umsatzsteuer be-
lastet werden. Außerdem soll eine Gegenfinanzierung
über die Luftverkehrsteuer vorgenommen werden. Das
heißt, die Verrechnung von Einnahmen aus dem Emis-
sionshandel soll gestrichen werden; die Deckelung auf
1 Milliarde Euro Einnahmen soll gestrichen werden; zur
Deckung der Einnahmeverluste sollen die Steuersätze
entsprechend angehoben werden.

Aus Sicht meiner Fraktion ist der Luftverkehrsstand-
ort durch die Luftverkehrsteuer im internationalen Wett-
bewerb schon sehr stark belastet. Wir sind entschieden
gegen jede weitere Zusatzbelastung, die die Probleme
für unsere Flughäfen und unsere Airlines noch ver-
schärft.


(Beifall bei der CDU/CSU)






Dirk Fischer (Hamburg)



(A) (C)



(D)(B)

Deshalb lehnen wir diesen Antrag ab und werden uns
auch in der Ausschussberatung dazu entsprechend ein-
lassen.

Dann gibt es einen Antrag zur Gewährleistung des
Schienenpersonenfernverkehrs. Das heißt, deutlich ge-
sagt: Aus einem eigenwirtschaftlichen Fernverkehr soll
– so wie beim Schienenpersonennahverkehr – ein bezu-
schusster Verkehr gemacht werden. Wir haben gerade
gestern das Regionalisierungsgesetz beraten, wo zwi-
schen Bund und Ländern noch über eine Spannweite
zwischen 7,4 Milliarden Euro bis 8,5 Milliarden Euro
verhandelt wird. Nun soll die Finanzierung des nicht
mehr eigenwirtschaftlichen, sondern bezuschussten
Fernverkehrs über Verkehrsdurchführungsverträge si-
chergestellt werden. Das ist eine klare Abweichung von
den Beschlüssen der Bahnreform. Da wird ein sehr gro-
ßes finanzielles Fass aufgemacht. Die Linke verspricht
allen alles, koste es, was es wolle. Sie ist ohne jede haus-
haltspolitische Verantwortung. Die Staatsverschuldung
ist ihr völlig egal.


(Caren Lay [DIE LINKE]: Mein Gott!)


Dazu sagen wir ganz deutlich: Nicht mit uns!


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809208600

Herr Kollege Fischer, gestatten Sie eine Zwischen-

frage oder -bemerkung der Kollegin Leidig?


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1809208700

Gerne, ja.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809208800

Bitte schön, Frau Kollegin Leidig.


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809208900

Kollege Fischer, es stimmt natürlich, was Sie sagen:

Es geht darum – vergleichbar dem, was die Länder beim
Nahverkehr machen –, praktisch die notwendige Zug-
leistung zu bestellen. Das soll auf Bundesebene auch für
die Fernzüge gemacht werden.

Sie selbst haben diesen Antrag 2001 genau so einge-
bracht, also mit genau demselben Bestellerprinzip. Ich
möchte Sie erstens gerne fragen, was sich aus Ihrer Sicht
in der Zwischenzeit so entscheidend verändert hat. Denn
die Begründung war damals genau dieselbe, dass näm-
lich die Fernverkehrsanbindungen von der Bahn gekappt
werden und es deshalb notwendig ist, dass der Bund
diese Aufgabe übernimmt.

Die zweite Frage bezieht sich auf die Größenordnung.
Ich erinnere mich, dass wir 2009 eine Anhörung zur
Fernverkehrsanbindung von Oberzentren hatten. Da
wurde uns dargelegt, dass man mit 100 Millionen Euro
im Jahr – das ist nun wirklich weit von den vielen Mil-
liarden entfernt, über die wir im Verkehrsbereich immer
reden – alle Oberzentren in der Bundesrepublik Deutsch-
land an den Schienenfernverkehr anbinden könnte. Hal-
ten Sie diese Zahl für unverhältnismäßig?

Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1809209000

Zum Ersten: Meine Fraktion hat niemals einen Antrag

eingebracht, aus einem eigenwirtschaftlichen Schienen-
personenfernverkehr einen bezuschussten Verkehr zu
machen. Es steht aber eine Gewährleistung darin. Wenn
man das entscheidende Jahr der Bahnreform nimmt,
ging es damals um 180 Millionen Zugkilometer im Fern-
verkehr. Dieses war für uns immer eine Zielmarke, an
der sich auch die Unternehmenspolitik zu orientieren
hat. Damals hat die im Amt befindliche rot-grüne Bun-
desregierung eine Gewährleistung von Zugkilometern
über Jahre strikt zurückgewiesen und gesagt: Es geht nur
darum, dass die Infrastruktur vorgehalten wird, auf der
dann der Schienenpersonenverkehr erfolgen kann.

Zweitens. Ich halte es für völlig illusionär, zu glau-
ben, man könne einen Schienenpersonenfernverkehr mit
einem Zuschuss von 100 Millionen Euro finanzieren. Ich
halte das für eine absolute Illusion. Ich glaube, man
sollte sich an solchen Zahlen überhaupt nicht orientie-
ren. Dabei geht es um erhebliche Milliardenbeträge und
nichts anderes. Im Unterschied zum Schienenpersonen-
nahverkehr würden wir dadurch auch die Tickets für den
internationalen Verkehr in erheblichem Maße aus dem
Bundeshaushalt subventionieren. Ich glaube, das kann
vernünftigerweise nicht unser Ziel sein.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ich würde gerne was zitieren!)


Der dritte Antrag, den Sie gestellt haben, trägt den Ti-
tel „Rückzug der Deutschen Bahn AG bei Nacht- und
Autoreisezügen stoppen – Nachhaltige Reisekultur in
Europa fördern“. Wir haben dazu ein Hearing durchge-
führt. Wir haben dabei erfahren – darauf haben wir auch
in den Beratungen deutlich hingewiesen –, dass der Vor-
stand der DB AG in eigener Verantwortung zu handeln
hat.

Wenn Sie sich etwas stärker mit dem Aktiengesetz be-
fassen würden, wüssten Sie, dass in § 76 Absatz 1 steht:

Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die
Gesellschaft zu leiten.

Wenn Sie ein bisschen weiterblättern, kommen Sie zu
§ 93 Absatz 1, in dem es heißt:

Die Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäfts-
führung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewis-
senhaften Geschäftsleiters anzuwenden.

§ 93 Absatz 1 Satz 2 bedeutet im Umkehrschluss,
dass eine Pflichtverletzung eines Vorstandsmitglieds
vorliegen würde, wenn das Vorstandsmitglied bei einer
unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise
nicht annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener
Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Sie
können auch mit Anträgen im Deutschen Bundestag das
Aktiengesetz nicht aushebeln und den Vorstand zu
Handlungen veranlassen bzw. zwingen, die nach dem
Aktiengesetz eine Pflichtverletzung darstellen. Das kön-
nen wir als Deutscher Bundestag unter gar keinen Um-
ständen machen. Wir haben eine Aktiengesellschaft. Wir
haben ein geltendes Gesetz, und danach ist vorzugehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)






Dirk Fischer (Hamburg)



(A) (C)



(D)(B)

Das heißt in der Konsequenz: Wenn in einem Ge-
schäftsfeld seit Jahren Verluste eingefahren werden,
wenn das rollende Material am Ende der technischen
Nutzungsdauer ist, das heißt, größere Neuinvestitionen
erforderlich sind, ist der Vorstand aufgefordert, zu han-
deln.

Der Vorstand hat uns mitgeteilt, dass man an einem
neuen Konzept arbeite; man habe einige Linien aufrecht-
erhalten; man wolle im Jahr 2017 endgültig entscheiden.
Insoweit ist Ihr Antrag nach den Erklärungen der
DB AG sogar überflüssig. Man hat eine Zwischenlösung
gefunden: Pkws auf den Lkw und die Passagiere in den
Zug. Dies soll Ende 2017 evaluiert werden. Man kann
sich denken, dass ein Verkehrspolitiker nicht jubelt,
wenn eine Rückverlagerung von der Schiene auf die
Straße stattfindet.

Das veränderte Verbraucherverhalten muss zur Kennt-
nis genommen werden. Gegenüber früher haben wir viel
mehr High-Speed-Fernverkehre mit deutlich verkürzten
Reisezeiten. Wir haben heute sehr ausgeprägte Mietwa-
gen- und Carsharing-Systeme, sodass es für viele nicht
mehr sinnvoll ist, den eigenen Pkw über Hunderte von
Kilometern zu transportieren, um am Zielort ein Fahr-
zeug zur Verfügung zu haben. Seit eh und je handelt es
sich hierbei um ein Saisongeschäft. In der Urlaubs- bzw.
Reisezeit gibt es eine sehr viel größere Nachfrage als zu
den anderen Zeiten. Für uns kommen öffentliche Zu-
schüsse in diesem Bereich überhaupt nicht infrage.

Frau Kollegin Leidig, wir haben eine AG, aber wir ha-
ben auch das Bestellerprinzip. Würden Sie mit Ihrem
heißen Herzen eine Sabine Leidig GmbH & Co. KG
gründen, könnten Sie über diese solche Leistungen be-
stellen und bezahlen. Sie könnten als Komplementärin
oder Kommanditistin sogar eine Haftungsbeschränkung
vorsehen. Ich würde der DB AG allerdings dringend ra-
ten, von der Sabine Leidig GmbH & Co. KG Vorkasse
zu verlangen und nicht hinterher zu kassieren.

In diesem Sinne müssen wir auch diesen Antrag ab-
lehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809209100

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Matthias Gastel,

Bündnis 90/Die Grünen.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Frau Präsidentin!)


– Die Redezeit war zu Ende, Frau Kollegin Leidig. Dann
kann man keine Frage mehr stellen.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Kurzintervention!)


– Die ist nicht angemeldet.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Dann würde ich die gerne anmelden! – Bernhard Kaster [CDU/ CSU]: Sie ist Rednerin gewesen!)

– Die müsste Frau Karawanskij anmelden. – Ausnahms-
weise.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU)


– Die müssen die Geschäftsordnung noch lernen.


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809209200

Ich sehe mich zu dieser Kurzintervention veranlasst,

weil der Kollege Fischer mich hier quasi der Unwahrheit
geziehen hat.

Ich habe hier Ihren Antrag, den Antrag, der von der
CDU/CSU-Fraktion eingebracht wurde, Drucksache
14/5451, und ich zitiere daraus nur zwei Punkte:

Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allge-
meinheit bei Verkehrsangeboten des Schienenper-
sonenfernverkehrs auf dem Schienennetz der Eisen-
bahnen des Bundes Rechnung getragen wird …

An anderer Stelle des Forderungsteils fordern Sie:

… die Finanzierung der Verkehrsdurchführungsver-
träge wird im Bundeshaushalt sichergestellt.


(Michael Schlecht [DIE LINKE]: Guter Antrag!)


Sie haben dies damals beantragt. Dass Sie jetzt so tun,
als wenn es völlig aus der Luft gegriffen wäre, das kann
ich einfach nur zurückweisen.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809209300

Herr Kollege Fischer, wollen Sie erwidern?


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Nein!)


– Gut. – Dann hat jetzt der Kollege Gastel, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort.


Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809209400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Vor einem Jahr standen wir hier und ha-
ben über die Bilanz von 20 Jahren Bahnreform disku-
tiert. Damals war es mir ein besonders großes Anliegen,
dass wir diese Bilanz ehrlich ziehen, insbesondere im
Hinblick auf die Situation des Schienenfernverkehrs.
Leider wurde sie hier von der Mehrheit eher geschönt
dargestellt, und dementsprechend ist seither auch nichts
zur Stärkung des Fernverkehrs auf der Schiene und
nichts zur Stärkung des Systems Schiene insgesamt ge-
schehen. Ganz im Gegenteil: Die Schiene wurde im
Wettbewerb mit dem Auto, mit dem Fernbus, mit dem
Flugzeug und mit dem Lkw einseitig weiter belastet.

Hinzu gekommen sind die Belastung bei der EEG-
Umlage – 70 bis 80 Millionen Euro zusätzlich –, die
Senkung der Lkw-Maut. Das macht umgerechnet eine
Wettbewerbsungerechtigkeit von etwa 200 Millionen
Euro aus. Außerdem hat sich nichts geändert beim Wett-
bewerb zwischen der Schiene und anderen Verkehrsmit-
teln. Die Bus-Maut fehlt nach wie vor. Der Zug zahlt für





Matthias Gastel


(A) (C)



(D)(B)

jeden Kilometer Trasse, die er benutzt, aber der Fernbus
bezahlt nichts für die Straßennutzung.

Wir unterstützen den Antrag der Linken bezüglich der
Mehrwertsteuer von der Stoßrichtung her. Der Flugver-
kehr zahlt teilweise keine Mehrwertsteuer, aber bei der
Schiene muss man 19 Prozent Mehrwertsteuer auf das
Ticket bezahlen.

Beim Lärmschutz – er ist uns sehr wichtig, um die
Akzeptanz der Schiene auch im Güterverkehr zu erhö-
hen – ist es so, dass die Bahnen selber dafür bezahlen
müssen, während der Straßenverkehr für den Lärm-
schutz nichts bezahlen muss; das ist steuerfinanziert.

Wenn man weiter schaut, wie es im System Schiene
aussieht, dann muss man leider feststellen: Die Politik
lässt die Länder und die Kommunen im Stich bei der Fi-
nanzierung des Nah- und Regionalverkehrs. Es gibt
keine Klarheit darüber, wie es mit dem auslaufenden
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz weitergeht. Wer
wird künftig die Investitionskosten schultern und unter-
stützen? Es gibt keine vernünftige Regelung bei den Re-
gionalisierungsmitteln. Die Große Koalition bleibt mit
ihrem Gesetzentwurf sogar hinter den Empfehlungen ih-
res eigenen Gutachters zurück. Damit ist die Große Ko-
alition drauf und dran, den einzigen unstrittigen Erfolg
der Bahnreform, nämlich die Regionalisierung, regel-
recht gegen die Wand zu fahren, weil sie nicht für die Si-
cherheit bei der Bestellung des Nah- und Regionalver-
kehrs sorgt, die so dringend notwendig wäre.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Ich würde einmal die Verhandlungsergebnisse abwarten!)


Dann schauen wir einmal, welche Anforderungen die
Politik, auch der Eigentümer der Deutschen Bahn, an
den Konzern stellt. Er möchte, dass die Schulden – in-
zwischen 17 Milliarden Euro – abgebaut werden, dass
mehr in den Erhalt der Infrastruktur investiert wird, dass
vorhandene Lücken in der Infrastruktur geschlossen
werden, dass die Dividende höher ausfällt als bisher. Der
Konzern wird genötigt, ein unsinniges Projekt wie Stutt-
gart 21 zu bauen und die Mehrkosten – zuletzt 2 Milliar-
den Euro – selber zu stemmen.

All diese Anforderungen, die der Eigentümer an die-
sen Konzern stellt, gehen nie und nimmer zusammen.
Die Deutsche Bahn steht von allen Seiten unter Druck.
Einerseits besteht die ungerechte Wettbewerbssituation
mit Blick auf andere Verkehrsträger; andererseits müsste
die DB und/oder der Eigentümer, der Bund, mehr in den
Erhalt der Infrastruktur investieren. Dringend notwendig
ist auch neues rollendes Material. Man muss sich einmal
anschauen, mit welchen Mängeln die Züge jeden Mor-
gen auf das Gleis gesetzt werden: mit nichtfunktionie-
renden Behinderten-WCs, mit defekten Türen, ohne
Speisewagen, mit zu wenigen Wagen, sodass Reservie-
rungen der Fahrgäste nicht gewährleistet sind. Wir brau-
chen dringend neue Züge. Wie sollen sie finanziert wer-
den? Sie sind aber als Reserve notwendig. Sie sind auch
notwendig, weil die Fahrgäste entsprechende Anforde-
rungen haben, die das bestehende Wagenmaterial nicht
erfüllt. Steckdosen, WLAN, Barrierefreiheit, funktionie-
rende Gastronomie – all das sind die Anforderungen des
Fahrgastes von heute.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Was passiert stattdessen? Das Nachtzugangebot wird
ausgedünnt, obwohl die Nachfrage – das gibt inzwischen
auch der DB-Konzern zu – sehr hoch ist. Wir fordern,
dass jetzt schleunigst ein Konzept für die Zukunftsfähig-
keit des Nachtzuges vorgelegt wird. Wir fordern, dass
die DB Investitionen in neue Nachtzüge tätigt. Ohne
neues Wagenmaterial hat der Nachtzug nämlich keine
Chance. Wir als Grüne werden hier nicht nachlassen und
Druck machen, bis wir das Konzept für die Zukunft des
Nachtzuges tatsächlich auf den Tisch bekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Hauptproblem ist jedoch die mangelnde Wert-
schätzung seitens eines großen Teils dieses Parlamen-
tes und der Bundesregierung gegenüber dem System
Schiene. Das drückt sich in der Summe der Beträge aus,
die in die Schiene investiert werden. Pro Kopf und Jahr
werden in Deutschland 54 Euro investiert, in der
Schweiz aber beispielsweise 366 Euro. Das macht deut-
lich, wie gering die Wertschätzung ist. Die Schweizer
sind stolz auf ihre Bahn. Wir wollen, dass auch wir
Deutschen stolz auf unsere Bahn sein können,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


auf eine Bahn, die pünktlich, zuverlässig und umweltge-
recht Menschen und Güter transportiert. Mit der Politik,
die Sie betreiben, ist das aber leider nicht möglich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809209500

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das

Wort Kirsten Lühmann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1809209600

Was wir in den nächsten ein bis zwei Jahren erar-
beiten wollen, ist ein Satz von Rahmenbedingun-
gen, sowohl unternehmensintern wie extern, die in
der Lage sind, eine Basis dafür zu schaffen, dass
man Nachtzugverkehre dauerhaft betreiben kann.

Das, sehr verehrte Frau Präsidentin, liebe Kollegen,
liebe Kolleginnen, hat uns der Bahnvorstand Ulrich
Homburg in der Anhörung des Verkehrsausschusses zu
dem Thema gesagt. Das ist für Kunden und Kundinnen
und auch für die vielen Beschäftigten in diesem Bereich
ein wichtiges Signal. Das begrüßen wir.

Die Bahn erarbeitet Lösungen. Und welches Bild ma-
len die Anträge, die wir hier heute beraten? Die Bundes-
regierung soll der Bahn ein Moratorium vorgeben. Die
Bundesregierung soll ein Konzept in Auftrag geben. Die
Bundesregierung soll den Fernverkehr subventionie-
ren. – Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wenn wir der
Bahn so in den Fernverkehr reinreden, ist das eine





Kirsten Lühmann


(A)



(D)(B)

180-Grad-Wende zu allem, was wir damals bei der
Bahnreform verabschiedet haben, und das wollen wir so
nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Warum wollen wir das nicht? Weil das Konzept auf-
geht. Der Nahverkehr – das ist hier mehrfach gesagt
worden – ist eine Erfolgsgeschichte. Mit dem Geld des
Bundes organisieren die Länder, dass mehr Menschen
pünktlicher mit der Bahn fahren können. Das Netz wird
nicht nur über Nutzerentgelte finanziert, sondern auch
mit Steuermitteln subventioniert, da es sich um Daseins-
vorsorge handelt. Im letzten Jahr haben wir die Leis-
tungs- und Finanzierungsvereinbarung II abgeschlos-
sen. Sie ist gegenüber der ersten verbessert. In ihr wird
eine bürokratiearme Steuerung über Qualitätsmerkmale
festgeschrieben. Der eigenwirtschaftliche Güterverkehr
mit über 300 privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen
– es gibt dort echten Wettbewerb – ist ein Erfolgsmodell.
Die Nutzungszahlen steigen so sehr, dass es sogar zu
Netzengpässen kommt.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809209700

Frau Kollegin Lühmann, gestatten Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Leidig?


Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1809209800

Ja, bitte.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809209900

Bitte schön.


(Unruhe bei der CDU/CSU)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809210000

Ich höre, Sie stöhnen; aber ich finde, es geht hier auch

um etwas Wichtiges. – Ich würde gerne Ihnen, Frau
Lühmann, eine Frage stellen. Sie haben gerade davon
gesprochen, dass bei der Bahnreform klar geregelt
wurde, dass der Bund mit der Bahn nichts zu tun hat und
der Bund hier nicht reinreden soll. Ich möchte Ihnen
jetzt den Grundgesetzartikel vorlesen, der damals mit
der Bahnreform zusammen beschlossen und ins Grund-
gesetz eingefügt wurde. Artikel 87 e Absatz 4 Grundge-
setz lautet:

Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allge-
meinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen,
beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Ei-
senbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsan-
geboten auf diesem Schienennetz, soweit diese
nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen,
Rechnung getragen wird. Das Nähere wird durch
Bundesgesetz geregelt.


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Wie würden Sie das interpretieren?

Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1809210100

Ich interpretiere das so – wir haben ja gesagt: der

Nahverkehr ist Daseinsvorsorge, und darum finanzieren
wir ihn aus Steuern –, dass wir uns in dem Moment Ge-
danken machen müssen, wenn klar ist, dass den vorhan-
denen Bedürfnissen im Fernverkehr eigenwirtschaftlich
nicht mehr entsprochen werden kann. Der eigenwirt-
schaftliche Fernverkehr – das hätte ich im nächsten Satz
meiner Rede gesagt – ist kein Selbstläufer. Darum war-
ten wir alle gespannt darauf, was kommt.

Die Deutsche Bahn hat für den 18. März ein Fernver-
kehrskonzept angekündigt, und ich möchte erst einmal
abwarten, wie dieses Fernverkehrskonzept aussieht.
Wenn durch das Fernverkehrskonzept ein bedarfsgerech-
ter Fernverkehr auf Deutschlands Schienen gewährleis-
tet ist, dann sehe ich keinen Grund dafür, dass sich der
Bund in irgendeiner Art und Weise einmischt. Das
Grundgesetz schreibt das auch nicht vor.

In der Anhörung wurden uns schon Einzelheiten eines
Konzepts für Nacht- und Autozüge dargelegt. Klar ist:
Nachtzüge sind gut nachgefragt, aber aufgrund des alten
Materials und des veränderten Komfortverhaltens der
Kundschaft ist niemand bereit, kostendeckende Preise zu
zahlen. Die anderen europäischen Staaten haben Nacht-
zugverkehre bereits eingestellt, und auch die staatlich
bezuschussten Strecken, zum Beispiel die DB-Nachtzug-
verbindung nach Kopenhagen, fallen zunehmend dem
Rotstift zum Opfer. Die Deutsche Bahn konnte die defi-
zitäre Strecke nach Dänemark ohne Subventionen nicht
länger aufrechterhalten. Gleiches gilt – wenn auch aus
anderen Gründen – für zwei weitere Linien. Aber – und
das ist uns wichtig, liebe Kollegen und Kolleginnen –
Herr Homburg hat uns zugesagt, dass die restlichen
zwölf Nachtzugverbindungen aufrechterhalten werden;
zumindest bis das angesprochene Konzept vorgelegt ist.
Das ist eine gute Nachricht.

Der Bahnvorstand hat in der Anhörung neben dem
unternehmensinternen Bereich auch den externen Be-
reich angesprochen; bei letzterem ist die Politik gefragt.
Hier sind wir mit der Bahn im Gespräch, in Ruhe und
mit der nötigen Sorgfalt. Eine Novelle zum Eisenbahnre-
gulierungsgesetz, die Regelungen zum Kostenfaktor
Trassenpreise – die anfallenden Kosten sind erheblich –
beinhaltet, wird demnächst vorgelegt.

Bei den Autoreisezügen stehen wir allerdings vor ei-
ner anderen Situation; denn die Verbindungen sind be-
reits eingestellt. Die alten Wagen mussten aus Sicher-
heitsgründen stillgelegt werden, und für neues Material,
das nur vier Monate in der Saison eingesetzt werden
kann und somit acht Monate lang auf dem Abstellgleis
steht, fehlt der DB einfach das Geld. Aus meiner Sicht
ist das verständlich.

Herr Homburg hat uns ein Modell vorgestellt, das er-
folgreich erprobt wurde: Der Pkw wird auf einem Lkw
zum Zielort gebracht, und die Kunden fahren mit der
Bahn. Zugegeben, das ist nicht die ökologischste Lö-
sung. Aber für die Bedürfnisse der Kunden und Kundin-
nen könnte das eine Lösung sein, zum Beispiel: für das
ältere Ehepaar, das mir geschrieben hat, sie möchten,
dass ihnen ihr vertrautes Fahrzeug am Urlaubsort zur

(C)






Kirsten Lühmann


(A) (C)



(D)(B)

Verfügung steht, aber sie würden die lange Autofahrt
scheuen, oder für die Familie mit kleinen Kindern, die
relativ entspannt mit dem Zug fahren möchte, während
das Auto mit dem Gepäck pünktlich an den Urlaubsort
gebracht wird.

Ob sich dieses Angebot durchsetzen wird, ist noch
nicht sicher. Daher wird die Bundesregierung weiterhin
in engem Kontakt mit der Bahn bleiben, um zu bedarfs-
gerechten Lösungen zu kommen, und zwar ohne ideolo-
gische Scheuklappen. Das ist der Unterschied zwischen
verantwortungsvoller Regierungsarbeit und Schaufens-
teranträgen, denen wir nicht zustimmen werden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809210200

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Fritz

Güntzler, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Fritz Güntzler (CDU):
Rede ID: ID1809210300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Ich werde mich lediglich dem Antrag der Lin-
ken zur Mehrwertsteuerreduktion im Schienenpersonen-
fernverkehr aus Sicht eines Finanzpolitikers zuwenden.

Dem Antrag der Linken liegt die Annahme zugrunde,
es gebe erhebliche Wettbewerbsverzerrungen zwischen
Bahn- und Flugverkehr.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Als Begründung hierfür führen Sie die unterschiedliche
Besteuerung der beiden Verkehrsträger an.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist auch so!)


Da stellt sich die Frage: Stehen Bahn- und Flugverkehr
wirklich in erheblicher Weise in einem Wettbewerb zuei-
nander? Meines Erachtens, meine Damen und Herren,
wird in dem Antrag übersehen, dass die deutschen Flug-
gesellschaften nicht in erster Linie im Wettbewerb zur
Deutschen Bahn stehen – die Konkurrenten deutscher
Fluggesellschaften sind die internationalen Fluggesell-
schaften vom Bosporus oder vom Persischen Golf, und
es kann nicht unsere Aufgabe sein, neue Wettbewerbs-
nachteile für die deutsche Luftverkehrswirtschaft zu
schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Bahn ist nicht Wettbewerber der Fluggesellschaf-
ten, sondern häufig ein wichtiger Kooperationspartner;
exemplarisch nenne ich das Projekt „Rail&Fly“ oder
„Zug zum Flug“. Wenn Sie mir das nicht glauben – das
entnehme ich Ihren Reaktionen –, können Zahlen Ihnen
vielleicht ein wenig helfen, zu einer anderen Überzeu-
gung zu kommen: Der Schienenverkehr findet zu
99 Prozent national statt, der Luftverkehr dagegen nur zu
20 Prozent. Passagiere, die in Deutschland ein Flugzeug
besteigen, legen im Durchschnitt 2 200 Kilometer zu-
rück, Bahnreisende dagegen durchschnittlich nur
280 Kilometer. Wir sprechen hier also von völlig ver-
schiedenen Verkehrsträgern. Die Zahl – das ist auch
ganz interessant – der nationalen Flugreisenden stagniert
derzeit, während die Zahl der nationalen Bahnfahrten in
den Jahren von 2006 bis 2013 um 10 Prozent gestiegen
ist, was ja grundsätzlich eine positive Sache ist. Sie se-
hen also, meine Damen und Herren von der Linken, die
Grundannahme Ihres Antrags ist schon falsch.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wir reden nur über den Fernverkehr!)


Sie von den Linken lassen auch völlig außer Acht,
dass das Finanzierungssystem, das dem Flugverkehr zu-
grunde liegt, völlig anders ist als das im Bahnverkehr:
Der Luftverkehr kommt für seine Infrastrukturkosten
– über Luftsicherheitsgebühren, Flugsicherungskosten
oder Flughafenentgelte – grundsätzlich vollständig sel-
ber auf.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das sieht das Umweltbundesamt völlig anders!)


Beim Schienenverkehr sieht das anders aus: Die dort an-
fallenden Entgelte reichen nicht ansatzweise aus, um die
Kosten für Bau und Erhalt der Infrastruktur zu decken.
Allein im Jahr 2011 sind, beispielhaft, dafür fast 4 Mil-
liarden Euro ausgegeben worden. Sie vergleichen also in
Ihrem Antrag – gleich in der Prämisse – Äpfel mit Bir-
nen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Oje! – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie setzen keine Prioritäten! Das ist das Problem!)


Dies vorausgeschickt möchte ich kurz auf die Forde-
rungen der Linken im Einzelnen eingehen:

Sie wollen erstens, dass wir die Bundesregierung
dazu auffordern, den Mehrwertsteuersatz für Tickets im
Bahnfernverkehr analog zum Nahverkehr von 19 Pro-
zent auf 7 Prozent zu reduzieren, und das bereits ab dem
1. Juli dieses Jahres. Als Finanzpolitiker möchte ich Sie
darauf aufmerksam machen, dass es dafür eine Gesetzes-
änderung braucht, weil es im Umsatzsteuerrecht keine
Verordnungsermächtigung in entsprechender Weise gibt.
Wir müssten also ein Gesetzgebungsverfahren einleiten.
Auch übersehen Sie meines Erachtens, dass im Mehr-
wertsteuerrecht das sogenannte Neutralitätsprinzip gilt
und die anderen Verkehrsträger bei der Personenbeförde-
rung – wie zum Beispiel die Fernbusse, die schon ge-
nannt worden sind – somit ebenfalls die geforderte Privi-
legierung genießen müssten. Nach Berechnungen des
Bundesfinanzministeriums würde das summa summa-
rum zu Steuermindereinnahmen von über 1 Milliarde
Euro, eher 1,4 Milliarden Euro, führen.

Zweitens fordern Sie, auf alle von Deutschland ausge-
henden und nach Deutschland eingehenden grenzüber-
schreitenden Flüge den vollen Mehrwertsteuersatz von
19 Prozent zu erheben. Man hat in dieser Diskussion
teilweise das Gefühl, dass überhaupt keine Mehrwert-





Fritz Güntzler


(A) (C)



(D)(B)

steuer für Flüge gezahlt wird. Deswegen möchte ich nur
nebenbei erwähnen: Für Inlandsflüge gilt dieser Satz von
19 Prozent. Sie begründen Ihren Antrag unter anderem
auch mit den erwarteten Mehreinnahmen von 3,5 Mil-
liarden Euro; Sie haben diese Zahl dem Bericht des Um-
weltbundesamtes entnommen. Ich möchte Sie darauf
hinweisen, dass selbst in diesem Bericht festgestellt
wird, dass diese Summe voraussetzen würde, dass die
gesamte Strecke besteuert wird. Wir dürfen aber auf-
grund von rechtlichen Gegebenheiten – ob Chicagoer
Abkommen oder EU-Richtlinien – nur den Teil besteu-
ern, der in Deutschland liegt. Und Sie haben völlig ver-
gessen, dass die Geschäftsreisenden logischerweise auch
noch einen Vorsteuerabzug geltend machen können, so-
dass man realistischerweise auf eine Höhe von circa
80 Millionen Euro käme, wie es die Bundesregierung Ih-
nen in einer entsprechenden Bundestagsdrucksache
schon dargestellt hat.

Außerdem wäre die Erhebung dieser Steuer mit er-
heblichem bürokratischen Aufwand verbunden, weil bei
jedem Flug neu ermittelt werden müsste, wie viele Kilo-
meter tatsächlich – und das für unterschiedliche Flugrou-
ten; denn sie können sich ja durch Windverhältnisse än-
dern – über deutschem Hoheitsgebiet zurückgelegt
worden sind. Sie wollen also auch damit wieder Wettbe-
werbsnachteile für die Luftverkehrswirtschaft in
Deutschland schaffen. Da machen wir nicht mit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Drittens fordern Sie – der Kollege Fischer hat es an-
gesprochen –, zum Ausgleich die Luftverkehrsteuer zu
novellieren. Meines Erachtens würde es dadurch – das
haben wir schon bei der Einführung der Luftverkehrsab-
gabe gesehen – zu einer weiteren Verlagerung des Flug-
verkehrs weg von deutschen Flughäfen und deutschen
Airlines hin zu den internationalen Wettbewerbern und
Flughäfen im Ausland kommen. Wer beispielsweise das
Glück hat – wie ich höre –, in Baden-Württemberg zu
wohnen – ich bin ja nun Niedersachse –, wird einen grö-
ßeren Anreiz haben, statt von Stuttgart von Zürich aus zu
fliegen. Wer bisher via Frankfurt geflogen ist, wird eher
Amsterdam oder Istanbul als Drehkreuz wählen. Das
würde unserer international orientierten Wirtschaft nur
schaden, und das Ziel – die Senkung der CO2-Emissio-
nen – wird es letztendlich auch nicht erreichen helfen,
weil die Flüge ja doch stattfinden, sie starten nur woan-
ders.

Meine Damen und Herren, wir lehnen deshalb diesen
Antrag ab. Er verkennt, dass Bahn- und Flugverkehr völ-
lig unterschiedliche Finanzierungssysteme zugrunde lie-
gen. Er zieht daher auch die falschen Schlussfolgerun-
gen und verkennt die negativen Auswirkungen auf die
Luftverkehrswirtschaft, die durch steuerliche Insellösun-
gen herbeigeführt werden würden.

Den Vorwurf der mangelnden Wertschätzung der
Bahn weise ich zurück. Ich gehe gleich zum Bahnhof.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809210400

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der

Kollege Andreas Schwarz.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Andreas Schwarz (SPD):
Rede ID: ID1809210500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr
Güntzler, wir werden uns dann gleich am Hauptbahnhof
Berlin sehen, wie wir das schon öfter am Freitag erlebt
haben.

Was für ein schönes Thema, mit dem wir diese Sit-
zungswoche beenden dürfen.


(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist noch kein Feierabend!)


Denn – Sie haben es gerade mitbekommen – auch ich
bin bekennender Bahnfahrer. Wenn ich nach Berlin
komme, dann stets mit der Bahn von Bamberg nach Ber-
lin in gut vier Stunden; mit dem Flugzeug wäre ich, von
Haustür zu Haustür gerechnet, auch nicht schneller.

Die Bahnfahrt hat natürlich auch Vorteile; das haben
wir heute hier gehört. Bahnfahren ist leiser, komfortab-
ler, vielfältiger und auch deutlich umweltfreundlicher.
Der Energieverbrauch ist vergleichsweise niedrig, und
zumindest für die Personenzüge gilt, dass auch der
Emissionsschutz gegeben ist; beim Güterverkehr ist das
leider noch nicht ganz gelungen.

Aber die Bahn ist nicht nur umweltfreundlich und
komfortabel, sondern auch ein wunderbarer Ort, um in
Ruhe zu arbeiten, Akten zu wälzen und sich intensiv mit
Anträgen der Linken zu befassen. Wenn die Bürgerinnen
und Bürger Ihren Antrag lesen würden, dann würden si-
cherlich viele auf den ersten Blick sagen: Jawohl, das
machen wir; tolle Idee! Das klingt doch alles prima.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist auch prima! Das klingt nicht nur so!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, als
Finanzpolitiker – diese Brille muss ich jetzt hier aufset-
zen – schaue ich Ihren Antrag natürlich etwas anders an,
und leider muss ich Ihnen einen gewaltigen Schluck
Wasser in das schöne Glas Wein gießen.

Ganz zu Beginn möchte ich etwas zur Begründung
Ihres Antrages sagen, bezogen auf etwas, wovon wir alle
in diesem Hohen Haus wegkommen sollten. Je nach
politischer Großwetterlage und je nachdem, wie es in die
Argumentation passt, bedienen wir uns bei verschiedens-
ten Debatten internationaler Steuersätze: Mal ziehen wir
sie zum Vergleich heran, eine Debatte später kritisieren
wir die Unterschiedlichkeit in Europa. Unterm Strich
kann man eins festhalten: Es schafft weder Vertrauen,
noch ist es sonderlich glaubwürdig, was hier zum Teil
gemacht wird.

Wenn Sie die deutschen Mehrwertsteuersätze mit de-
nen von Großbritannien, Irland oder Luxemburg verglei-
chen wollen und jene auch noch als vorbildlich darstel-





Andreas Schwarz


(A) (C)



(D)(B)

len, dann sollten Sie offen und ehrlich auch benennen,
welche Konsequenzen solche Mehrwertsteuersätze für
die Einnahmesituation im Bund, in den Ländern und vor
allen Dingen in den Kommunen hätten. Diese partizipie-
ren nämlich alle an den Einnahmen aus der Mehrwert-
steuer. Sie als Linke sind ja in einigen Ländern in Regie-
rungsverantwortung, und auch in vielen Kommunen
gestalten Sie mit. Mein Rat: In der Argumentation mit
Mehrwertsteuersätzen sollte man allerhöchste Vorsicht
walten lassen. Fragen Sie einmal die Kolleginnen und
Kollegen von der FDP!


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Was spricht eigentlich gegen Ihre Forderung, ab dem
1. Juli 2015 einen reduzierten Mehrwertsteuersatz für
den Schienenfernverkehr einzuführen? Einige Anmer-
kungen hierzu: Ein verringerter Mehrwertsteuersatz sug-
geriert nach außen erst einmal sinkende Fahrpreise. Sie
spielen mit dieser Fata Morgana in Ihrer Antragsbegrün-
dung. Ich sage Ihnen aber, dass das nicht funktioniert.
Dadurch mag zwar die Rentabilität geringfügig steigen;
davon wird aber bei den Bahnfahrerinnen und Bahnfah-
rern in unserem Land nichts ankommen.


(Kirsten Lühmann [SPD]: Genau!)


Dieses Argument war schon beim Geschenk der FDP
an die Mövenpicks dieser Welt falsch und wird hier und
heute nicht richtiger. Wie schwer es ist, solche Fehlent-
scheidungen rückgängig zu machen, wissen natürlich
auch Sie. In der Realität erzeugen Sie keine Entlastung
im Geldbeutel der Menschen dieses Landes, sondern le-
diglich eine Entlastung der Konzernbilanz der Deut-
schen Bahn. Steuerrabatte werden von Unternehmen ein-
behalten und nicht an die Kunden weitergegeben.

Ich empfehle dazu einen ernsthaften Blick in die gut-
gemeinte Petition 8201 aus der letzten Legislaturperiode
zum gleichen Thema. In der Antwort des Petitionsaus-
schusses wird ganz klar aufgezeigt, dass die Welt eben
nicht so einfach ist, wie es sich hier einige offenbar vor-
stellen. Denn auch das EU-Recht macht einen isolierten
Mehrwertsteuerrabatt für den Schienenverkehr faktisch
unmöglich. Sie würden nämlich gegen die Diskriminie-
rungsfreiheit verstoßen. Würden wir diesem Antrag also
hier zustimmen, müssten wir den Mehrwertsteuersatz
folglich auch für alle anderen Verkehrsträger absenken,
also auch für Fernbusse und Taxis, aber auch für den
Flugverkehr im Inland. Damit wäre Ihr Antrag ja letzt-
endlich ad absurdum geführt.

In der Begründung des Petitionsausschusses heißt es
daher: Die isolierte Absenkung des Umsatzsteuersatzes
nur für den Schienenverkehr ist unzulässig. – Ihr Antrag
würde außerdem einen Ausfall von circa 1,1 Milliarden
Euro an Steuergeldern bedeuten. Weder eine positive
umweltpolitische noch eine positive verkehrspolitische
Lenkung wären gegeben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, wir
lehnen Ihren Antrag demnach aus mindestens drei Grün-
den ab: Erstens. Ihr Antrag verbessert nur Konzernbilan-
zen. Zweitens. Ihr Antrag bedeutet keine Verbesserung
für die Menschen und deren Geldbeutel. Drittens. Ihr
Antrag brächte eher Schaden als Nutzen für Natur und
Umwelt.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809210600

Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist der Kollege Michael Donth, CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Andreas Rimkus [SPD])



Michael Donth (CDU):
Rede ID: ID1809210700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn eines vorwegneh-
men: Ich halte Ihren Antrag, liebe Kolleginnen und Kol-
legen der Linken, für einen Schaufensterantrag, der vor
allem unternehmerisches Denken und strukturelle Weit-
sicht vermissen lässt. Er ist außerdem überholt. Nicht je-
der Antrag, Frau Leidig, der zur Jahrhundertwende noch
richtig war, muss auch heute noch, 14 Jahre später, rich-
tig sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das stimmt! Aber der schon!)


Sie beschwören in Ihrem Antrag ein Szenario herauf,
als würden das gesamte Bahnnetz und der komplette
Reiseverkehr plötzlich zum Erliegen kommen. Sie
schreiben, dass das Eisenbahnsystem als solches infrage
gestellt wird. Das ist, mit Verlaub, schlichtweg Blödsinn.
Es wird aufgrund eines derzeit defizitären Nachtzugver-
kehrs eine Umgestaltung dieses Segmentes mit Schwer-
punktsetzung geben müssen. Daran arbeitet die Deut-
sche Bahn AG bereits. Eine völlige Abschaffung soll
und kann es nicht geben. Auch der Autozug wird nicht
komplett abgeschafft. Derzeit läuft das Pilotprojekt der
DB namens „Auto + Zug“, das wohl, wie man hört, bei
den Reisenden gut ankommt.

Die Nachfrage bestimmt das Angebot; das ist Realität
in der Marktwirtschaft. Die Deutsche Bahn AG ist, wie
es ihr Name schon sagt, eine Aktiengesellschaft und kein
gemeinnütziger Verein und erst recht keine Staatsbahn
mehr. Diese AG hat die Aufgabe, den Fernverkehr ei-
genwirtschaftlich zu betreiben. Der Bund gewährleistet
dies. Die DB allein trägt dabei die unternehmerische
Verantwortung für die Wirtschaftlichkeit ihres Dienst-
leistungsangebotes. Ich zitiere:

Vor diesem Hintergrund hat die DB Fernverkehr
AG entschieden, … verlustbringende Verbindungen
aufzugeben. Der Großteil der Verbindungen bleibt
jedoch bestehen und wird weiterentwickelt.

So hieß es in der Stellungnahme vonseiten der DB AG in
der Anhörung des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur.

Auch in einem Gespräch zwischen der Kollegin
Daniela Ludwig, dem Kollegen Matthias Lietz und mir





Michael Donth


(A) (C)



(D)(B)

hat uns Herr Grube von der DB AG gestern nochmals
versichert, dass es sich definitiv nicht um einen Total-
ausstieg aus diesem Segment handeln wird. Natürlich ist
es bedauerlich, wenn ein Status quo nicht mehr gehalten
werden kann und wenn liebgewonnene Angebote ent-
sprechend reduziert werden müssen. Aber stagnierende
Einnahmen und Verluste in zweistelliger Millionenhöhe
in diesen Sektoren sprechen eben eine deutliche Spra-
che.

Sie führen in Ihrem Antrag die goldenen Zeiten von
1852 an, in denen es romantische Nachtzugverkehre gab,
oder die Zeiten vor 60 Jahren, als die ersten Autoreise-
züge verkehrten. Aber wir leben nun einmal im Hier und
Heute, und wir müssen uns den Herausforderungen der
heutigen Zeit und den Anforderungen an unsere Zu-
kunftsfähigkeit stellen.

Nehmen Sie deshalb zur Kenntnis, dass sich das Rei-
severhalten der Menschen in den vergangenen Jahrzehn-
ten stark verändert hat. Nehmen Sie auch zur Kenntnis,
dass sich auch die Bahnwelt und die Kostenstruktur in
ganz Europa ebenfalls verändert haben. Die Bahn wäre
schlecht beraten, wenn sie darauf nicht reagieren würde,
wenn sie Geld verbrennen würde, das sie anderweitig
erwirtschaften muss. Wir leben heute nicht mehr in einem
Zeitalter, in dem Nacht- oder Autoreisezüge zu den
Hauptverkehrsmitteln gehören. Die Formen der Mobilität
haben sich grundlegend gewandelt und sind vielfältiger
geworden. Heute gibt es Hochgeschwindigkeitsverbin-
dungen, Flugverbindungen, Fernbusse, Mitfahrzentra-
len, eigene Pkws in größerer Anzahl und vieles mehr,
womit die Urlauber unterwegs sind.

Im europäischen Verkehr geht es auch um die Ge-
samtkosten einer Linie. Wenn beim Bahnverkehr von
Berlin nach Paris in Frankreich 70 Prozent höhere Kos-
ten anfallen, wenn steigenden Betriebskosten stagnie-
rende Einnahmen gegenüberstehen, wenn überalterte
Schlafwagenwaggons verlustbringend repariert werden
müssen oder wenn neu zu beschaffende Waggons ab-
schreibungsbedingt zu höheren Kosten führen würden,
dann müssen wir uns alle miteinander dieser Realität
stellen. Das können wir nicht kleinreden. Auch die saiso-
nale Häufung der Nachfrage bedingt geradezu, dass die
Wirtschaftlichkeit schwieriger ist als bei anderen Ange-
boten.

Es ist weder im Interesse des Wettbewerbs noch im
Interesse der Kunden, dass der Fahrkartenkäufer zum
Beispiel für die Verbindung Reutlingen–Berlin den
Wunsch mancher Nostalgiker nach Nachtzugverbindun-
gen von München nach Paris subventioniert. Auch die
Fernbusnachtverbindungen haben sich in kürzester Zeit
als flexible und günstige Alternative zum Nachtzug ent-
wickelt. Sie bilden mittlerweile ein viel dichteres Netz
bei günstigeren Preisen. Sie sind damit für den preissen-
siblen Reisenden offensichtlich attraktiver.

Das deutsche Schienennetz ist dasjenige in Europa,
das am stärksten dem Wettbewerb geöffnet ist. Da wun-
dert es mich schon, dass kein Mitbewerber aus dem In-
oder Ausland hier tätig wird, wo doch das Anbieten von
Nacht- und Autoreisezugverbindungen so attraktiv sein
soll, wie Sie argumentieren. Aber grundsätzlich stimme
ich Ihnen sogar in einem Punkt zu: Die DB AG wird den
Markt kritisch prüfen, bewerten und, falls notwendig,
selbstverständlich Entscheidungen korrigieren. Aber da-
für brauchen wir Ihren Antrag nicht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809210800

Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungs-
punkt 22 a. Interfraktionell wird die Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 18/4186 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.

Abstimmung über Tagesordnungspunkt 22 b. Die
Vorlage auf Drucksache 18/3746 soll an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen wer-
den. Strittig ist jedoch die Federführung. Die Fraktionen
der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim
Finanzausschuss, die Fraktion Die Linke wünscht Feder-
führung beim Ausschuss für Verkehr und digitale Infra-
struktur.

Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs-
vorschlag der Fraktion Die Linke. Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen
abgelehnt.

Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor-
schlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD. Wer
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer
stimmt dagegen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit
den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stim-
men der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grü-
nen angenommen.

Tagesordnungspunkt 22 c. Wir kommen zur Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Rückzug der Deut-
schen Bahn AG bei Nacht- und Autoreisezügen
stoppen – Nachhaltige Reisekultur in Europa fördern“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/4080, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/2494 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen?
– Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen
die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Perspektiven für Klimaschutz und Energie-
effizienz nach Absage der Bundesregierung
an einen Steuerbonus für eine energetische
Gebäudesanierung

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809210900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bei 70 Prozent unseres Gebäudebestandes besteht Be-
darf an energetischer Sanierung. Wenn wir es nicht in al-
lernächster Zeit schaffen, jährlich 2 bis 3 Prozent dieser
Sanierungen abzuarbeiten, dann können wir alle Klima-
schutzziele und auch die Energiewende im Wärmebe-
reich vergessen. Das ist die Herausforderung, der wir
uns stellen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die energetische Gebäudesanierung ist wirklich mehr
als nur das Dämmen mit Styropor. Sie nutzt nicht nur
dem Klimaschutz, sondern schafft auch Zehntausende
Arbeitsplätze in Handwerk und Bauindustrie. Sie ver-
bessert außerdem die Substanz von Wohngebäuden, wo-
von die Mieter und die Gebäudeeigentümer etwas haben,
und reduziert die Multi-Milliarden-Euro-Rechnungen
von Herrn Putin und anderen Despoten, die wir jedes
Jahr begleichen müssen. Deshalb und vor allen Dingen
auch wegen des Klimaschutzes müssen wir uns um die-
ses Thema kümmern. Es muss ganz oben auf der Agenda
stehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gut ist, dass es in Deutschland seit langem einen
Konsens darüber gibt, dass die Potenziale der energeti-
schen Gebäudesanierung nur zu erschließen sind, wenn
wir die notwendigen staatlichen Anreize geben. Ich
muss Ihnen offen sagen: Ich habe die Große Koalition
gelobt – und ich bin nicht bekannt dafür, dass ich sie oft
lobe –, als sie im Rahmen der Erarbeitung des Nationa-
len Aktionsplans Energieeffizienz, dem NAPE, gesagt
hat: Ja, wir nähern uns dem Thema „Steuerbonus für
energetische Gebäudesanierung“ noch einmal. Wir ver-
suchen, ihn einzuführen, weil alle Studien, die uns vor-
liegen, belegen, dass er ein wirklicher Anreiz sein
könnte.

Die Hochglanzbroschüre im Wirtschaftsministerium
war noch nicht gedruckt, als plötzlich verkündet wurde
– da sind wir alle vom Stuhl gefallen –: Nein, die CSU
macht da nicht mit. Herr Seehofer will das nicht. – Wo
sind wir denn, meine Damen und Herren, angesichts ei-
nes politischen Konsenses?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich frage mich schon – Herr Gabriel, es ist gut, dass
Sie hier sind –, ob man mit der Großen Koalition Mitleid
haben muss. Denn all das, was in diesem Land sinnvoll
ist, wird von der CSU blockiert. Überall dort, wo es ei-
nen Konsens gibt, steht Herr Seehofer auf der Bremse.
Das, was irre und verrückt ist, kommt von der CSU und
wird durchgedrückt. Es ist eine Schande, dass die Große
Koalition eine solche Politik mit sich machen lässt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Völlig absurd ist die Begründung, die nun hinterher-
geliefert wird: Es wird gesagt, die Kürzung des Hand-
werkerbonus, den man von der Steuer absetzen kann,
von 1 200 Euro auf 900 Euro zur Gegenfinanzierung sei
nicht verantwortbar. Meine Damen und Herren, es wer-
den nicht weniger Handwerkerrechnungen gestellt und
bei der Steuer eingereicht, wenn die Höhe des Handwer-
kerbonus reduziert wird. Das ist kein Argument dafür,
ein Thema wie die energetische Gebäudesanierung zu
versenken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die CSU treibt es sogar noch absurder. Im Bundesrat
wurde ein Antrag des Landes Bayern eingebracht, den
ich nur so verstehen kann, dass die Bundesregierung auf-
gefordert wird, diesen Steuerbonus aus dem Bundes-
haushalt zu finanzieren. Meine Damen und Herren, die
anderen 15 Länder werden mit dieser Finanzierungsform
kein Problem haben. Wir haben auch kein Problem da-
mit. Aber wer, verdammt noch mal, regiert denn hier in
Deutschland? Wer ist denn Teil der Großen Koalition?
Liebe CSU, beantragen Sie das nicht im Bundesrat, son-
dern setzen Sie das hier in der Großen Koalition durch!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen: Die Politik von Herrn Seehofer im
Bundesrat – etwas zu beantragen, was er dann selbst im
Koalitionsausschuss der Großen Koalition verhindert –
ist Bananenrepublik im Lederhosenformat. Das kann
einfach nicht sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Olav Gutting [CDU/CSU]: Na, na! – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Unerhört!)


Ich sage Ihnen auch: Damit ist nicht nur die Einführung
eines Steuerbonus gescheitert; denn er ist das zentrale
Element von Klimaschutz und Energiewende dieser
Bundesregierung.

Wenn das nicht mit dem Handwerkerbonus gegenfi-
nanziert werden soll, meine Damen und Herren, dann
können wir gerne über andere Vorschläge reden. Ich
hätte die Mövenpick-Steuer anzubieten. Die können wir
gerne zur Gegenfinanzierung einsetzen. Lassen Sie das
an dieser Stelle aber bitte nicht scheitern. Wenn Sie das
nicht wollen, dann machen Sie bitte andere Vorschläge.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Jäger 90!)


Zum Schluss möchte ich sagen: Hunderttausende
Hausbesitzer, Handwerker, die Bau- und die Heizungsin-
dustrie warten auf diesen Steuerbonus. Die Ankündi-
gung des Steuerbonus durch die Große Koalition hat zu
Attentismus geführt, sodass Investitionen verschoben
worden sind. Jeder Förder-Euro, den wir in diesem Be-
reich investieren, löst Investitionen von 7 bis 8 Euro aus.
Das ist ein unabhängiges und gutes Konjunkturpro-
gramm.





Oliver Krischer


(A) (C)



(D)(B)

Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
das richte ich jetzt an alle, an CDU, CSU und SPD:
Wenn Sie das trotz des politischen Konsens nicht hinbe-
kommen, dann haben Sie in diesem Land als Koalition
Ihre Existenzberechtigung verloren.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809211000

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt der Kollege

Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1809211100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Krischer, das war ein ganz gezielter Versuch, die Öffent-
lichkeit in die Irre zu führen. Das wissen Sie ganz genau.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: So ist es!)


Wir, die Große Koalition, die Fraktion der CDU/CSU,
stehen zur steuerlichen Förderung der Gebäudesanie-
rung, und zwar ohne Wenn und Aber.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie es auch!)


Es gibt ein altes, lang und vielfach debattiertes, ver-
handeltes Angebot an die Länder. Die Länder sind aber
natürlich bauernschlau. Sie wollen eine doppelte Kom-
pensation. Die Länder sagen: Wir machen das über den
Handwerkerbonus. Dann kommt bei uns schon einmal
ein fettes Plus an, wenn wir diesen so reduzieren, wie
Sie es beschrieben haben. Hinzu kommt die Kompensa-
tion durch den Steuerbonus mit seiner konjunkturellen
Wirkung. Dann haben wir noch einmal ein Plus ge-
macht. – Das hat der Kollege Krischer auch gerade be-
schrieben.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber die Kanzlerin war doch dabei!)


Meine Damen und Herren, das kann so nicht sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Anstatt hier so einen Auftritt hinzulegen, hätten Sie
besser einmal mit Ihren Kolleginnen und Kollegen in
den Länderregierungen gesprochen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gab es einen Konsens! Auch mit der Bundesregierung!)


Diesen hätten Sie sagen sollen, dass man nicht nur Sonn-
tagsreden halten und sagen kann, wie wichtig der Klima-
schutz ist. Man kann doch nicht die Welt retten wollen,
aber keinen Cent dafür in der Tasche haben. Das geht
doch nicht, Herr Krischer.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die große Frage ist doch, wofür die Länder stehen.
Sie sagen zwar, dass sie dem Klimaschutz erste Priorität
einräumen, stellen aber keine Haushaltsmittel hierfür be-
reit. Das geht so nicht. Die Länder müssen jetzt endlich
auf dieses Angebot eingehen und mitmachen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es geht um Bayern, nicht um die Länder!)


Wir laden Sie ein. Sie machen stattdessen am Freitag-
nachmittag diese Haltet-den-Dieb-Debatte und tun so,
als ob es am bayerischen Ministerpräsidenten liegen
würde, dass es an dieser Stelle nicht weitergeht.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich! Wir hatten Konsens – bis auf ihn!)


Natürlich muss Ministerpräsident Seehofer ein biss-
chen weiterdenken als der eine oder andere Lobbyist, der
nur seine Branche im Kopf hat. Das haben wir anhand
der Kritik erlebt.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Erstens. Der Handwerkerbonus ist seinerzeit gezielt
zur Vermeidung von Schwarzarbeit eingeführt und auch
auf dieser Grundlage berechnet worden. Aufgrund der
Berechnung kann man da nicht einfach Abstriche ma-
chen.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen schon, dass die Handwerkskammer das selber anbietet?)


Zweitens muss er daran denken, dass vom Handwer-
kerbonus eine Menge Gewerbe profitiert. Sie jedoch
wollen das auf einige wenige Gewerbe konzentrieren.

Drittens – auch das muss man deutlich formulieren –:
Vom Handwerkerbonus profitieren nicht nur die Vermie-
ter, sondern auch die Mieter. Die Mieter würden Sie jetzt
davon ausnehmen. Für diese machen Sie jetzt eine Steu-
ererhöhung. Das ist eine ganz neue Masche von Ihnen.
Ich nehme das zumindest einmal zur Kenntnis und
nehme an, dass auch die Bürgerinnen und Bürger zur
Kenntnis nehmen werden, was Sie da tun.


(Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich glaube, dass wir diese Verhandlungen weiter fort-
setzen müssen. Die Förderung nur über KfW-Zuschüsse
halte ich persönlich, ganz offen gesagt, für zu wenig. Ich
stehe zur steuerlichen Förderung des Ganzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich appelliere nochmals sehr deutlich an die Länder,
sich einen Ruck zu geben und sich klarzumachen, dass
über diesen Hebel letztendlich auch Geld bei ihnen an-
kommen wird. Bereits bei einem Förderhebel von 1 : 6
würde sich die 1 Milliarde Euro rechnen. Die Wissen-
schaftler prognostizieren einen Hebel von 1 : 12. Also
könnten damit auch die Länder ein steuerliches Geschäft





Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)

machen. Ich verstehe nicht, warum es denen so schwer-
fällt, an dieser Stelle einzuschlagen.

Ich möchte auch noch einmal deutlich sagen: Wenn
wir das machen – egal ob über die KfW oder über die
steuerliche Förderung –, dann müssen wir uns noch ein-
mal Gedanken über die genaue Ausgestaltung machen.
Ich glaube schon, dass es wichtig ist, an dieser Stelle
Prioritäten zu setzen – Stichwort „Heizungssanierung“,
Stichwort „Fenster“. Der Idee, ganz Deutschland in Sty-
ropor zu packen, stehe ich aber ganz offen kritisch ge-
genüber.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich würde mir wünschen, dass die Grünen, die hier
normalerweise auch entsprechend skeptisch sind, etwas
dazu sagen,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu habe ich etwas gesagt! Sie haben nicht zugehört! Herr Nüßlein, Sie hören nicht zu!)


dass sie das entsprechend formulieren und Position zu
den inhaltlichen Fragen beziehen.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie blockieren doch, dass ökologische Baustoffe stärker eingesetzt werden!)


Ansonsten bitte ich Sie dringend: Lobbyieren Sie bei
den Ländern! Machen Sie hier keine Showveranstaltung!
Behaupten Sie nicht, die anderen seien schuld! Diejeni-
gen, die in den Ländern regieren


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also die CSU!)


– ich meine insbesondere die Regierungen, an denen die
Grünen beteiligt sind –, sind verantwortlich dafür, auch
einmal die Tasche aufzumachen und etwas für den Kli-
maschutz zu tun, statt nur flache Reden zu halten.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809211200

Vielen Dank. – Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die

Linke, hat jetzt das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809211300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Bürgerinnen und Bürger geben heute für das Heizen
und für Warmwasser 10 Milliarden Euro im Jahr mehr
aus als noch vor zehn Jahren. 40 Prozent des Energiebe-
darfs in Deutschland entfällt auf den Gebäudebestand.

Trotzdem sind die Gebäude weiterhin nicht auf der
Höhe der Zeit. Über die Hälfte aller Fassaden und mehr
als ein Drittel aller Dächer älterer Gebäude haben keine
Dämmung. Mehr als jede zweite Heizungsanlage wurde
vor 1997 eingebaut. – Das hat in dieser Woche die Deut-
sche Energie-Agentur gesagt.
Auch die Koalition scheint nicht ganz auf der Höhe
der Zeit zu sein.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Komm, komm!)


Ich sage Ihnen: Dieses Hickhack in der Regierung muss
aufhören. Das versteht kein Mensch da draußen. Fragen
Sie doch einmal die Leute! Sie wollen nämlich Taten
und Erfolge sehen. Es tut sich aber nichts.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Aber Sie predigen zu den Falschen!)


Es gibt wirklich keinen schlechteren Moment als
jetzt, den Steuerbonus für die energetische Gebäudesa-
nierung auszubremsen. Bei den Bestandssanierungen be-
klagt die Dämmstoffbranche nach einem Minus von
4 Prozent im Vorjahr einen weiteren Umsatzrückgang
um fast 9 Prozent. Das hat allerdings auch etwas mit bil-
ligem Heizöl und Risiken bei den Dämmstoffen zu tun.

Der Heizungsmarkt stottert ebenfalls. 2014 verkaufte
die Branche 4 Prozent weniger als 2013, und der Anteil
der erneuerbaren Energien im Wärmebereich stagniert
derweil bei 9,9 Prozent.

Das alles sind Alarmsignale, die wir nicht einfach
ignorieren dürfen. Wir brauchen eine Sanierungsquote
von mindestens 2 Prozent; das wurde schon gesagt. Seit
Jahren liegen wir aber unter diesem Wert. Jetzt streiten
Sie, und währenddessen wird die Erderwärmung sicher
keine Pause einlegen, sondern natürlich weitergehen.

An dieser Stelle möchte ich einmal klar sagen, warum
der Ärger bei uns Linken so groß ist: Die Bundeskanzle-
rin persönlich hat der Öffentlichkeit den Steuerbonus
versprochen,


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es!)


und zwar Ende letzten Jahres, am 11. Dezember 2014,
nach ihrem Treffen mit den Länderchefs. Wenige Tage
davor war die steuerliche Förderung auch in den Natio-
nalen Aktionsplan Energieeffizienz und das Aktionspro-
gramm Klimaschutz 2020 aufgenommen worden.

Ich erinnere mich noch, dass Ministerpräsident
Haseloff aus Sachsen-Anhalt gleich nach der Spitzen-
runde den Durchbruch ausgerufen hat. Endlich, nach
Jahren der Verhandlungen, sei man so weit – Zitat –,
„dass dieses Gesetz im nächsten Jahr … auf den Weg ge-
bracht wird“. 40 Petajoule Energieeinsparung sollte der
Steuerbonus bis 2020 bringen. Das wäre ja schon einmal
nicht schlecht.

Nur 100 Tage hat es dann aber gedauert, bis eine der
wichtigsten Säulen des Klimaplans weggebrochen ist.
Ich finde, das geht überhaupt nicht; das können wir Ih-
nen nicht durchgehen lassen.


(Beifall bei der LINKEN)


Mit dem Umweltausschuss war ich auf der UN-Kli-
makonferenz in Lima; einige waren dabei. In Gesprä-
chen haben Kollegen aus Dänemark nicht nur über die





Eva Bulling-Schröter


(A) (C)



(D)(B)

Massivbauweise der deutschen Häuslebauer geschmun-
zelt und uns darauf hingewiesen, wir würden unökolo-
gisch und teuer für die Ewigkeit bauen: viel Stein statt
Holz. Vor allem aber haben sie darüber berichtet, wie
man Gebäudeeffizienz richtig machen kann. Am selben
Tag hat übrigens Umweltministerin Hendricks vor der
Weltgemeinschaft erklärt, dass Deutschland in Sachen
Klimaschutz Wort hält. – Haha!

Ich finde es schädlich, was die Große Koalition hier
für ein Bild abgibt. Ich frage mich: Was ist da los? Las-
sen sich SPD und CDU von Bayern an der Nase herum-
führen? Oder wollte Herr Oppermann Herrn Seehofer
nur auflaufen lassen? Hat dessen Festhalten am Hand-
werkerbonus zur Absage an das ganze CO2-Gebäudesa-
nierungsprogramm geführt? Das sagt jedenfalls die
Staatskanzlei in München. Wie auch immer: Die Öffent-
lichkeit tappt im Dunkeln. Ich finde, das geht überhaupt
nicht. Die Menschen haben ein Recht darauf, zu erfah-
ren, was da los ist.

Auf der internationalen Ebene wird es ganz schwie-
rig. Wenn die Energiewende im Gebäudebereich in
Deutschland scheitert, ob an Regionalpolitikern oder an
Koalitionsgezänk: Wie sollen wir da vom Rest der Welt
glaubhaft einfordern, sich der globalen Energiewende
anzuschließen, meine Damen und Herren?

Wir sagen: Steuerliche Förderung ist ein geeignetes
Instrument. Auch der Handwerkerbonus macht für viele
Sinn. Ich bin der Meinung, dass auch Eigentümer mit ei-
nem geringen Einkommen vom Handwerkerbonus profi-
tieren sollten. Das kommt für Sie leider nicht infrage.
Diese Förderung können nur Eigentümer ab einem be-
stimmten Einkommen in Anspruch nehmen. Aber auch
andere haben ein Recht darauf.

Herr Krischer hat gesagt: Wir können Putin dadurch
bekämpfen, indem wir weniger Öl und Gas kaufen. –
Dazu kann ich nur sagen: Führen Sie doch einmal im
Gebäudebereich Krieg, und sanieren Sie. Nehmen Sie
die Gelder aus der Rüstungskasse. Das wäre wirklich
sinnvoll.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Machen Sie Ihre Vorschläge doch in den Ländern! Unser Anteil ist doch da!)


Dann hätten wir genügend Geld, sowohl zur Finanzie-
rung des Handwerkerbonus als auch für die anderen
Dinge. Da muss man gucken, wie man das Geld verteilt.
Sie alle miteinander wollen das offensichtlich nicht. Das
ist einfach schädlich.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Unser Anteil ist doch da! Sie reden mit den Falschen!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809211400

Vielen Dank. – Für die Bundesregierung spricht jetzt

der Parlamentarische Staatssekretär Uwe Beckmeyer.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

U
Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1809211500


Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Hier ist der Streit angesprochen worden. Ich
denke, wir müssen Lösungen präsentieren. Eine Lösung
heißt, dass wir etwas für die Umwelt tun. Ich glaube, es
liegt im Interesse des ganzen Hauses, dass wir alle uns in
Deutschland in der Frage der CO2-Gebäudesanierung
anstrengen. Ich denke, das, was in der jüngsten Vergan-
genheit erreicht worden ist, ist handwerklich eine gute
Leistung. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Men-
schen das CO2-Gebäudesanierungsprogramm annehmen.

Nun gibt es zurzeit die Diskussion darüber, ob wir uns
in der Frage der steuerlichen Förderung einigen. Mo-
mentan hakt es da noch ein wenig. Das ist bedauerlich,
sage ich an dieser Stelle. Ich höre aus den Reihen der
Koalition das Signal, dass man eine Einigung will. Ich
sage hier: Das Bundeswirtschaftsministerium ist dafür
absolut offen. Wir sind gerne bereit, diesen Prozess zü-
gig anzugehen und umzusetzen.

Aber ich will an dieser Stelle auch in aller Deutlich-
keit sagen: Die staatliche Förderung der energetischen
Gebäudesanierung ist damit nicht vom Tisch. Die Ge-
bäudesanierung stellt einen wichtigen Baustein im Rah-
men der Energiewende dar.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber alles so klein, Herr Beckmeyer!)


Das ist und bleibt unser Weg zu einer sicheren, sauberen
und bezahlbaren Energieversorgung.

Wir sind dabei – auch das will ich an dieser Stelle sa-
gen –, die Steigerung der Energieeffizienz in Deutsch-
land entschlossen anzupacken.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie? Wie wollen Sie das erreichen?)


Das lässt sich auch daran erkennen, dass wir zu keinem
Zeitpunkt mehr Mittel für die CO2-Gebäudesanierung
zur Verfügung gestellt haben als momentan.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch seit Jahren stabil! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist frei erfunden, diese Aussage!)


Dass das einige in der Berichterstattung über die steuer-
liche Förderung der energetischen Gebäudesanierung
gerne unterschlagen, will ich an dieser Stelle nur anmer-
ken.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso haben wir dann nur eine Sanierungsquote von unter 1 Prozent?)


Was bleibt, meine sehr geehrten Damen und Herren,
ist das laufende KfW-Programm. Dieses Programm ist
von der aktuellen Diskussion völlig unberührt.Wir haben
bislang 2 Milliarden Euro jährlich für das KfW-Pro-
gramm zur Verfügung gestellt.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind keine 2 Milliarden! 1,8 Milliarden!)






Parl. Staatssekretär Uwe Beckmeyer


(A) (C)



(D)(B)

Hinzu käme die steuerliche Förderung, über die wir ge-
rade gesprochen haben. Es wäre sehr lobenswert, wenn
wir sie bekämen.

Aber – das ist der nächste Punkt – wir sind dabei, das
aktuelle Programm der KfW, ob Zinsverbilligung oder
Zuschuss, zu überarbeiten und weiterzuentwickeln. Zu
Jahresbeginn haben wir die Zinsen nochmals gesenkt
und die Tilgungszuschüsse erhöht. Antragstellung und
Zusagen haben wir gemeinsam mit der KfW deutlich
vereinfacht bzw. beschleunigt.

Im Sommer wird das Programm erweitert. Künftig
werden auch die Sanierung und der Neubau von soge-
nannten Nichtwohngebäuden – also Hotels, Büroge-
bäude, Schulen, Kitas, Schwimmbäder, Museen oder
auch Werkhallen – gefördert.

Zwar nehmen derzeit viele Menschen aufgrund der
niedrigen Zinsen vielleicht lieber ein Darlehen bei ihrer
Hausbank auf statt bei der Förderbank,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb braucht man den Steuerbonus!)


aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die Antragszahlen
im Zuschussteil des energetischen Gebäudesanierungs-
programms entwickeln sich überaus positiv, meine Da-
men und Herren. Die Januarzahlen liegen rund 20 Prozent
über den Vergleichswerten des Vorjahres, und bereits die
waren gut.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben eine Sanierungsrate von unter 1 Prozent, Herr Beckmeyer! Da können Sie nicht von „gut“ reden!)


Insofern ist die energetische Gebäudesanierung nicht
nur für die Energiewende wichtig, sondern – ich sage
das auch in Richtung derjenigen, die sich um das Hand-
werk kümmern – sie beschert dem gesamten Handwerk
viele neue Aufträge. Von meinen Vorrednern wurde das
Stichwort „Konjunkturprogramm“ genannt. Es ist rich-
tig: Jeder Euro Förderung entfaltet im Grunde das
Zwölffache an Investitionen durch Private.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Zwölffache?)


Wir haben in diesem Bereich ein enormes Investi-
tionsprogramm von schätzungsweise 70 Milliarden bis
80 Milliarden Euro zusätzlich angestoßen. Auch das
sollte man nicht verschweigen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in Unterneh-
men und privaten Haushalten werden wir auf diese Art
und Weise bis 2020 gut 18 Milliarden Euro Energie-
kosten einsparen. Das ist vielleicht dem einen oder ande-
ren verborgen geblieben; deshalb will ich es noch einmal
betonen.


(Zuruf der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Ich weiß nicht, warum Sie immer dazwischenrufen
müssen. Melden Sie sich doch zu Wort.
Durch NAPE wird der Primärenergiebedarf im Ge-
bäudebereich um 80 Prozent gesenkt. Das ist unser Ziel.
Insofern glaube ich, dass wir auch bei der direkten Redu-
zierung des Primärenergieverbrauchs gute Erfolge haben
werden.

Das sind unsere Zielsetzungen, die wir auch schon in
den Ausschüssen debattiert haben. Die Energieeffizienz-
strategie ist das richtige Stichwort. Ich will an dieser
Stelle hinzufügen: Falls die steuerliche Förderung nicht
zustande kommt, gilt es, aktuell über eine Alternative
nachzudenken. Ich glaube, dass wir eine Alternative ha-
ben. Wir führen nämlich zurzeit intensive Gespräche da-
rüber, neben dem Marktanreizprogramm für erneuerbare
Energien auch ein Marktanreizprogramm für Energie-
effizienz aufzulegen. Bei diesem Thema geht es um Zu-
schüsse, zum Beispiel um alte Ölheizungen zu ersetzen.
Was die Frage der Dämmung angeht, reicht es nicht aus,
über Styropor zu reden. Dämmung, Belüftung und Ent-
lüftung sind aktuelle Themen, zu denen wir Lösungen
finden können, zumal wir in Deutschland auch technisch
in der Lage sind, dazu etwas anzubieten.

Das Thema Brennstoffzellen bei kleinen Wohneinhei-
ten oder kleinen Gewerbebetrieben ist in diesem Zusam-
menhang ebenfalls nicht zu unterschätzen. Und – das ist
das Entscheidende – wir müssen aufklären, erklären und
werben. Das sind, glaube ich, ebenfalls wichtige Stich-
punkte in diesem Zusammenhang. Insofern haben wir,
glaube ich, gute Ansätze und gute Instrumente. Ich freue
mich auf die weitere Entwicklung.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809211600

Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Liebing, CDU/

CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ingbert Liebing (CDU):
Rede ID: ID1809211700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist völlig unstrittig: Die energetische Gebäudesanie-
rung kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass
wir die CO2-Emissionen reduzieren. Die steuerliche För-
derung ist für uns dabei ein wichtiger Aspekt.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Konsens!)


Es kommt nicht von ungefähr, dass wir als damalige
Koalition unter Führung der Union bereits im Jahr 2011
einen Gesetzentwurf in die Beratungen eingebracht ha-
ben, der genau dies vorsah. Aber wir kommen auch nicht
an der Tatsache vorbei, dass das, was wir damals auf den
Weg gebracht haben, als wir uns um einen politischen
Konsens in der Sache bemüht haben, den Sie, Herr Kol-
lege Krischer, gerade beschrieben haben, über Jahre hin-
weg im Bundesrat gescheitert ist. Das ist nicht an uns
gescheitert, sondern das ist an denjenigen Landesregie-
rungen gescheitert, an denen die Grünen beteiligt gewe-
sen sind. Das gehört zur gesamten Geschichte dazu.





Ingbert Liebing


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völliger Unsinn! Erklären Sie doch einmal, woran es jetzt gescheitert ist!)


Deswegen sage ich ausdrücklich: Uns als Union
braucht niemand zu überzeugen. Wir brauchen keine Be-
lehrungen bei dem Thema, wie wichtig die energetische
Gebäudesanierung ist und wie wichtig auch die steuerli-
che Förderung ist.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Offensichtlich doch! Sie lassen es scheitern!)


– Lieber Herr Krischer, ganz ruhig, keine Aufregung.
Sie haben vorhin schon gesprochen, und das war nicht
überzeugend; Ihre Zwischenrufe sind genauso wenig
überzeugend.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen ist es schlichtweg bitter, dass es über vier
Jahre hinweg eben nicht gelungen ist, einen Konsens zu
erreichen, den Sie hier beschreiben.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CSU macht nicht mit!)


Es wäre schön, wenn wir ihn erreicht hätten. Er ist
2011 nicht erreicht worden und 2012 nicht. Ich war an
den Koalitionsverhandlungen 2013 beteiligt, als wir in-
nerhalb der Großen Koalition wiederum einen Anlauf
gemacht haben. Dort ist es am Widerstand der Vertreter
von Landesregierungen gescheitert, dieses Thema im
Koalitionsvertrag zu verankern. Wir hätten das gerne ge-
macht.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Da waren aber keine Grünen dabei!)


Dann gab es die Geschichte Ende vergangenen Jah-
res. Ich versuche zu beschreiben, wie sich das Ganze
entwickelt hat. Dass Sie das nicht gerne hören mögen,
Herr Kollege Krischer, glaube ich Ihnen sehr gerne.
Trotzdem müssen Sie sich das vorhalten lassen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch mal über das Jetzt!)


Ende vergangenen Jahres gab es dann den Vorschlag
der Gegenfinanzierung über den Handwerkerbonus. Ich
finde es schon interessant, wie Sie, Herr Kollege
Krischer, über den Handwerkerbonus hier gesprochen
haben. Wir als Union sind überzeugt davon, dass die
steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen ein
wesentlicher Beitrag zur Stabilisierung des Handwerks
und vor allem im Kampf gegen Schwarzarbeit ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist und bleibt nach wie vor das wichtigste Argument
für die steuerliche Abzugsfähigkeit von Handwerkerleis-
tungen.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann nehmen wir die MövenpickSteuer! Kein Problem!)


– Lieber Herr Krischer, ganz ruhig. – Das war keine Ge-
schichte, die wir aus Überzeugung gemacht haben, als in
der Runde verabredet wurde, den Handwerkerbonus ab-
zuschmelzen. Das war vielmehr eine absolute Notlö-
sung, um eine Blockadehaltung aufzubrechen.

Nun kommen wir zu dem, was Herr Seehofer und die
CSU anschließend gemacht haben. Ich bin als bekennen-
des Nordlicht sicherlich jemand, der nicht alles sofort
unterschreibt, was Herr Seehofer vertritt, auch nicht in
der Energiepolitik. Da gibt es manches, worüber man
sich kritisch unterhalten kann.


(Dr. Nina Scheer [SPD]: Was? Dann fangen Sie doch einmal an damit!)


Aber an dieser Stelle möchte ich für Herrn Seehofer aus-
drücklich Verständnis äußern;


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie tief sind Sie denn gesunken?)


denn es kann nicht angehen, dass etwas, das allen Betei-
ligten dient, dem Bund genauso wie den Ländern – Sie
haben selber beschrieben, dass die steuerliche Förderung
der energetischen Gebäudesanierung wie ein Konjunk-
turprogramm wirkt und damit auch bei den Ländern zu
zusätzlichen Steuereinnahmen führt –, über Jahre hin-
weg von den Ländern blockiert wird.

Was Sie machen, ist Politik nach dem Fielmann-Prin-
zip: schön etwas fordern, tolle Leistung, aber nichts zu-
gezahlt. Aber das geht nicht, das lassen wir Ihnen auch
nicht durchgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie Herrn Seehofer kritisieren, dann sage ich
Ihnen von den Grünen: Sie haben alle Möglichkeiten, zu
zeigen, dass Sie es besser machen. Sie tragen in vielen
Landesregierungen Mitverantwortung. Ich fordere Sie
auf, über Ihre grüne Beteiligung an den Landesregierun-
gen darauf hinzuwirken, dass die steuerliche Abzugsfä-
higkeit, die steuerliche Förderung der CO2-Gebäude-
sanierung unter Beteiligung der Bundesländer kommt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mir ein Bundesland außer Bayern, das blockiert!)


– Das kann ich Ihnen nennen: mein eigenes Heimatland,
Schleswig-Holstein. Die Landesregierung unter grüner
Beteiligung mit einer grünen Finanzministerin verwei-
gert die Zustimmung.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!)


Wenn Sie mir die Zustimmung Ihrer grünen Finanz-
ministerin liefern, dann haben wir die Möglichkeit, das
Gesetz im Bundesrat zu beschließen. Tun Sie es. Sie
können liefern. Sie sollen nicht nur schreien, Sie sollen
nicht nur kritisieren, Sie können mit der Zustimmung der
Grünen in den Landesregierungen liefern, damit die steu-





Ingbert Liebing


(A) (C)



(D)(B)

erliche Förderung der CO2-Gebäudesanierung kommt. Da-
mit wäre der Sache gedient.

Wir als Bund werden über die KfW-Förderung in be-
grenztem Umfang handeln, so wie wir eben können.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausgebremst von Herrn Seehofer!)


Es ist gut, dass diese Förderung ausgebaut wird. Aber
noch viel wichtiger wäre es, wenn die Blockadehaltung
der Bundesländer im Bundesrat endlich aufhört. Dazu
können auch Sie einen Beitrag leisten; dann haben Sie
etwas geleistet.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809211800

Vielen Dank. – Für die Linke erhält jetzt der Kollege

Ralph Lenkert das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809211900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Als Techniker sehe ich die Gründe für
diese Debatte so: Die Koalition wollte etwas für den Kli-
maschutz erreichen und einigte sich auf eine 10-prozen-
tige Förderung der energetischen Sanierung. Um die
eventuellen Steuerausfälle zu kompensieren, sollte der
Handwerkerbonus auf kleine Rechnungen wegfallen.
Weil Bayern diesen Bonus komplett erhalten will, ist die
Förderung der energetischen Sanierung jetzt für die SPD
laut Oppermann vom Tisch.

Horst Seehofer hat eigentlich recht: Das Streichen des
Handwerkerbonus für die energetische Gebäudesanie-
rung wäre kontraproduktiv.


(Beifall der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE] und Marie-Luise Dött [CDU/CSU])


Aber Herr Oppermann hat eigentlich auch recht; denn es
würde Steuerausfälle geben. Die Grünen haben auch
recht; denn mit diesem Theater, mit diesem Eiertanz
wird Energieeinsparung einfach nur noch lächerlich ge-
macht.

Da investiert ein Hausbesitzer in Bayern 10 000 Euro
in eine neue Heizung und bekommt im darauffolgenden
Jahr 100 Euro erstattet und im Jahr darauf noch einmal
100 Euro, und nach zehn Jahren hat er 1 000 Euro zu-
rückbekommen. In der Zwischenzeit müsste er jährlich
den Heizungsmonteur rufen, der die Heizung wartet. Der
Monteur kostet über 100 Euro jährlich. Das macht in
zehn Jahren mehr als 1 000 Euro, die er jetzt nach Herrn
Oppermann nicht mehr von der Steuer erstattet be-
kommt. Daher ist das Ganze bestenfalls ein Nullsum-
menspiel.

Horst hat recht:


(Klaus Mindrup [SPD]: Seid ihr schon per du?)

Durch das Kürzen beim Handwerkerbonus bewirkt das
Sanierungsprogramm nur Mitnahmeeffekte bei Hausbe-
sitzern, die sowieso die Heizung erneuern wollten. Herr
Oppermann hat aber auch recht: Für diese 10 Prozent
Förderung wird niemand zusätzlich seine Heizung sanie-
ren. Der Mitnahmeeffekt führt dann zu Steuerausfällen.
Die schwarze Null geht flöten, und deshalb wollte ja die
Koalition für alle Bürger den Handwerkerbonus strei-
chen – bei den niedrigen Rechnungen.

Aber uns Linken liegt es fern, nur zu kritisieren.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Klaus Mindrup [SPD]: Karneval ist vorbei!)


Deshalb lassen Sie uns eine echte Förderung beschlie-
ßen, basierend auf folgenden Punkten:

Eine 25-prozentige Förderung der energetischen Sa-
nierung, aber nur dann, wenn auch die Dämmung opti-
miert und die Heizung darauf abgestimmt wird. Denn
was bringt es, die Heizung zu erneuern, bevor die Däm-
mung optimiert ist? Dann ist die Heizung, wenn später
gedämmt wird, falsch dimensioniert.

Häuser sind Wärmespeicher; da könnten wir doch ex-
tra Wärmespeicher und Tauchsieder spendieren, für
kleine Stromkraftwerke, die in Kraft-Wärme-Kopplung
mit der Abwärme Wohnungen heizen, damit bei viel
Wind und Sonne die Wärme mit Strom erzeugt wird.
Wenn dem Wind die Puste ausgeht und die Sonne fehlt,
dann könnten diese Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraft-
werke ordentlich Strom liefern.

Liebe CSUler, wenn wir diese Kraftwerke geschickt
nutzen, könnten wir uns die eine oder andere 500-kV-
Gleichstromtrasse durch Thüringen und auch durch Bay-
ern sparen.


(Beifall bei der LINKEN)


Um Herrn Oppermann zu beruhigen: Es werden keine
Steuermittel fehlen, wenn Sie das Privileg der Zinsab-
schlagsteuer streichen, auf Deutsch: wenn Kapitalein-
nahmen aus Dividenden statt pauschal mit 25 Prozent
mit dem persönlichen Steuersatz belastet werden. Das
trifft übrigens – ganz SPD – einmal die Reichen.

Liebe Grüne, mit so einem Konzept würde neben der
Symbolik auch wirklich etwas für das Klima erreicht
werden. Da zerbreche ich mir den Kopf über Wünsche
und Sorgen von Union, SPD und Grünen. Wo bleibt die
Linke?

Wir fordern, dass eine energetische Sanierung von
Mietshäusern nur dann gefördert wird, wenn sie warm-
mietenneutral erfolgt. Damit stoppen wir gleichzeitig
das miese Vorgehen einiger Hausbesitzer, die über das
Abwälzen der Kosten der energetischen Sanierung Mie-
terinnen und Mieter aus ihren Wohnungen vertreiben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht hätten
diese Vorschläge realistische Chancen zur Umsetzung,
wären sie nicht von mir, einem Linken aus Thüringen,
sondern von Seehofer, einem Bayern aus München, vor-
gestellt worden.





Ralph Lenkert


(A) (C)



(D)(B)


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: So ist die Welt!)


Die SPD hätte ihr Gebäudesanierungsprogramm, die
Union ihre schwarze Null, die Grünen ihren Klima-
schutz und die Linke die soziale Gerechtigkeit.


(Beifall bei der LINKEN)


Mieterinnen und Mieter hätten stabile Mieten und die
Bauwirtschaft mehr Aufträge. Es könnte so einfach sein!


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Schöne neue Welt!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809212000

Vielen Dank. – Dr. Nina Scheer, SPD-Fraktion, hat

jetzt das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Nina Scheer (SPD):
Rede ID: ID1809212100

Sehr verehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen

und Kollegen! Es ist viel zu der betreffenden Thematik
gesagt worden. Ich möchte gleich voranstellen, dass uns
natürlich allen klar sein muss, dass die enormen Investi-
tionen, die im Komplex „Energetische Sanierung – Wär-
mewende“ geleistet werden können, fiskalisch gesehen
die Fördermaßnahmen um ein Vielfaches übersteigen.
Das ist klar, man muss es immer voranstellen.

Ich finde folgenden Ablauf – das möchte ich hier
ganz deutlich kritisieren – durchaus problematisch: Man
bewegt sich auf einem bestimmten Einigungspfad. Zu-
erst verständigt man sich auf die steuerliche Förderung
als ein Instrument des NAPE. Im nächsten Schritt soll
gegenfinanziert werden. Dabei lässt man sich dafür lo-
ben, dass man eine Einigung erzielt hat. Im letzten
Schritt aber wird das Instrumentarium verweigert.

Ich muss ehrlich sagen, dass ich das als ein nicht nur
auf diesen Bereich bezogenes grundsätzliches Problem
erachte. An dieser Stelle frage ich mich, ob damit auch
die Ernsthaftigkeit der Aussage der CDU/CSU anzu-
zweifeln ist, tatsächlich in der energetischen Sanierung
vorankommen zu wollen. Anwesende sind durchaus aus-
genommen, Sie brauchen sich jetzt nicht persönlich an-
gesprochen zu fühlen. Wir müssen das aber hier im
Hause, wenn wir es in der Aktuellen Stunde diskutieren,
durchaus auch dort aufhängen, wo es entschieden wird,
bzw. an die adressieren, von denen es entschieden wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Sorge ist, dass wir einen Investitionsstau be-
kommen. Den haben wir bestimmt schon in den letzten
Monaten durch die Ankündigung ausgelöst, dass ein
Element die steuerliche Förderung sein wird. Dadurch
haben sich wahrscheinlich einige Haushalte zurückge-
halten, Investitionsmaßnahmen zu ergreifen. Sie haben
auf dieses Instrument gewartet, das jetzt möglicherweise
nicht kommt. Ich hoffe darauf, dass es da noch ein Ein-
lenken geben wird. Klar muss aber auch sein, dass wir
mit den gerade von Uwe Beckmeyer angekündigten
Maßnahmen bzw. Alternativen parallel denken müssen.
Auf keinen Fall können wir riskieren, dass sich ein In-
vestitionsattentismus Bahn bricht bzw. dass wir stehen-
bleiben.

Das hat aber auch innerhalb der Koalition – darauf
will ich zurückkommen – durchaus eine bestimmte Di-
mension, die dazu führt, dass man sich fragen muss: Wie
wird miteinander umgegangen? Da ist Ihre Situation an-
ders als unsere. Wir sind eine SPD, Sie sind CDU und
CSU. Es kann, wie gesagt, nicht sein, dass auf der einen
Seite des Koalitionspartners ein Vorschlag als Gegen-
finanzierung identifiziert bzw. artikuliert wird, während
auf der anderen Seite des angesprochenen Koalitions-
partners gesagt wird: So aber nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Da muss es eine deutliche Kehrtwende geben. Ich sage
jetzt nicht, dass ich schwarzsehe. Aber ich sehe die Zu-
kunft nicht so rosig, wenn wir nicht versuchen, auf die-
sem Weg Schritt für Schritt – und das Energiepaket hat
viele Schritte – voranzugehen, und wenn wir uns nicht
um Umsetzung bemühen.

Ich möchte dann aber auch noch an das anknüpfen,
was Uwe Beckmeyer zu den Alternativen gesagt hat. Bei
der ganzen Debatte um die Steuerfinanzierbarkeit bzw.
die steuerliche Förderung muss auch immer klar sein,
dass es sich hierbei nur um einen Teil eines großen Be-
reichs handelt. Sie hätte einige angesprochen, bei wei-
tem nicht alle. Sie hätte nur diejenigen angesprochen, die
von einem solchen steuerlichen Instrument profitieren
können. Es gibt aber noch viele andere Instrumente. Uns
darf jetzt aber auch nicht passieren, dass wir den Blick
von diesen anderen Möglichkeiten abwenden.

Ich möchte an uns alle adressieren, dass wir noch
mehr im Bereich der Qualifizierung tun müssen. Ener-
gieberatung ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir wissen
auch, dass in der Vergangenheit Mittel teilweise nicht
abgerufen wurden. Dort einen Schwerpunkt zu setzen,
wird jetzt vielleicht auch noch einmal eines neuen Im-
pulses – auch weiterer Qualifizierungsmaßnahmen – be-
dürfen. Denn ich entdecke auch, dass wir bei Energieef-
fizienzmaßnahmen sehr verkürzt auf Gebäudesanierung
– dort speziell auf die Fassaden – blicken. Es ist auch an-
geklungen, welche Probleme damit – dabei geht es auch
um die Schadstoffe – verbunden sind. Dabei können wir
nicht stehen bleiben.

Es muss um eine Wärmewende gehen. Innovationen
im Bereich der erneuerbaren Energien, die Einführung
neuer technologischer Systeme und die dabei zu generie-
renden Effizienzgewinne müssen zusammen gedacht
werden. Ich glaube, wir können unsere Ziele nur dann
erreichen, wenn wir diese Bereiche gemeinsam denken.
Aber wir müssen, wie gesagt, Schritt für Schritt vorge-
hen. Es kann nicht sein, dass einzelne Schritte an einem
Teil unseres Koalitionspartners scheitern. Das kann so
nicht bleiben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809212200

Vielen Dank. – Als Nächste hat Lisa Paus das Wort,

Bündnis 90/Die Grünen.


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809212300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir

Grünen haben diese Aktuelle Stunde angemeldet, weil
wir hinsichtlich der steuerlichen Förderung der energeti-
schen Sanierung endlich aus der Endlosschleife heraus-
wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich selbst bin seit 2011 damit befasst.

Wie läuft diese Endlosschleife ab?

Der erste Punkt ist die Feststellung – das wurde schon
gesagt –, dass der Klimaschutz ganz wichtig ist. Man
sagt: Ja, da müssen wir etwas tun.

Als zweiter Punkt folgt die Feststellung: Ja, die Ziele
sind nur zu erfüllen, wenn auch im Gebäudebereich et-
was getan wird; die Sanierungsquote muss mindestens
verdoppelt werden.

Der dritte Punkt ist das Bekenntnis zur Förderung im
Gebäudebereich. Man sagt: Ja, gerade im Gebäudebe-
reich gibt es eine Win-win-Situation. Da gibt es eigent-
lich keine Verlierer. Alle Bereiche gewinnen: Klima-
schutz, Beschäftigung und Handwerk.

Vierter Punkt: Keine Einigung bei der Finanzierung.

Dann beginnt die Schleife von vorne. Es gibt wieder
ein Auf und Ab. Man durchläuft erneut die Punkte eins,
zwei und drei, und am vierten Punkt, bei der Finanzie-
rung, gibt es wieder keine Einigung.

Jetzt ist man erneut in diese Schleife eingestiegen, al-
lerdings mit einer Änderung: Im Jahr 2015 müsste sich
die Sanierungsquote nicht mehr nur verdoppeln, sondern
verdreifachen, weil in den letzten vier Jahren nichts, aber
auch gar nichts passiert ist. Im Gegenteil: Die Debatte
war nicht folgenlos; Frau Scheer hat es gerade gesagt.
Natürlich hat diese Debatte zu Attentismus geführt. –
Aber auch das ist nicht neu. Das sage nicht nur ich, son-
dern das sagen auch viele andere.

Das Ganze ist großes Kabarett. Ich nenne drei Perso-
nen, die darin mitspielen: Dieses Mal ging es los mit der
Ankündigung von Frau Merkel, die steuerliche Förde-
rung der energetischen Gebäudesanierung sei eines der
besten Mittel zum Klimaschutz. Dann sagte der Bundes-
wirtschaftsminister: Ja, wir sehen im Rahmen des Ener-
gieeffizienzprogramms die steuerliche Förderung von
energetischen Sanierungsmaßnahmen vor; denn sie ge-
hören zu den wichtigen Maßnahmen. Doch dann kam
die abwehrende Reaktion aus Bayern. Der Staatssekretär
im Umweltministerium, Herr Flasbarth, antwortete am
27. Februar 2015, es sei besser, diese Förderung vorerst
ganz abzublasen, damit nötige Investitionen nicht aufge-
schoben würden. Es sei völlig ausgeschlossen, so eine
Debatte über Monate hinzuziehen. Genauso äußerte sich
der Pressesprecher des BMWi:

Wir können uns keine endlose Hängepartie leisten.
Der Pressesprecher ergänzte aber:

Das heißt nicht, dass die staatliche Finanzierung der
energetischen Sanierung tot ist.

Die Schleife beginnt also von neuem.

Das letzte Mal ist das Vorhaben daran gescheitert,
dass die Bundesregierung sich nicht dazu durchringen
konnte, ein KfW-Programm mit 300 bis 400 Millionen
Euro zusätzlich für die Kommunen aufzulegen. Das
wäre absolut sinnvoll gewesen. Davon hätten alle profi-
tiert. Dabei hätten alle gewonnen. Doch daran ist das
Vorhaben beim letzten Mal gescheitert.

Dieses Mal scheitert das Vorhaben an Bayern. Wir er-
kennen an der Reaktion aus Bayern, wie man sich dort
den Bund-Länder-Finanzausgleich vorstellt.


(Florian Post [SPD]: Die CSU! Nicht Bayern!)


– Die CSU aus Bayern. –


(Klaus Mindrup [SPD]: Es gibt auch Bayern, die nicht in der CSU sind!)


Die CSU hat über die Win-win-Situation nachgedacht
und festgestellt, dass es besser ist, wenn man mehr ge-
winnt als die anderen. Das scheint das Lebensmotto der
CSU in Bayern und von Herrn Seehofer zu sein. Die
CSU hat festgestellt, dass von dem Handwerkerbonus
– für den Bund sind das Steuermindereinnahmen – Bay-
ern ganz besonders profitiert. Bayern muss weniger ein-
zahlen in den Bund-Länder-Finanzausgleich, aber die
Wirtschaft in Bayern profitiert überproportional davon.
Daher sagt die CSU: „Der Handwerkerbonus muss unbe-
dingt bleiben“, obwohl die Abschmelzung des Handwer-
kerbonus ein Vorschlag der Handwerkskammer war. Das
haben sich nicht Herr Gabriel, die Grünen oder sonst je-
mand ausgedacht, sondern in der Debatte über die Be-
kämpfung der Schwarzarbeit wurde gemeinsam festge-
stellt, dass der Handwerkerbonus nicht das leistet, was
gewünscht war, und es deswegen sinnvoll ist, ihn einzu-
schränken. Das war ein konkreter Vorschlag der Hand-
werkskammer, der aufgegriffen worden ist.

Die CSU in Bayern will das als Einzige nicht akzep-
tieren. Die CSU sagt: Wir haben netto mehr davon, wenn
der Handwerkerbonus erhalten bleibt, weil wir dann we-
niger in den Bund-Länder-Finanzausgleich einzahlen
müssen. Dann setzt sie noch eins drauf – sie kann ja
nicht genug kriegen – und sagt: Trotzdem muss die steu-
erliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung
ohne Gegenfinanzierung kommen, weil – das ist auch
klar – Bayern davon am meisten hat.

Die Situation ist: Wir gewinnen alle. Aber die Stadt-
staaten zum Beispiel haben weniger Eigennutzer, weni-
ger Einzelgebäude. Deswegen ist es logisch, dass nicht
nur Berlin, sondern auch Hamburg und Bremen feststel-
len, dass sie zwar ebenfalls etwas für den Klimaschutz
und die Gebäudesanierung tun wollen, die konkrete steu-
erliche Förderung aber nicht das ist, was ihnen – wie
auch den anderen Städten und Ballungsräumen – den
großen Impuls bringt. Deswegen brauchen wir ein ge-
meinsames Programm und keine isolierte Politik, wie sie





Lisa Paus


(A) (C)



(D)(B)

die CSU in Deutschland vorhat, meine Damen und Her-
ren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich appelliere noch einmal: Sie müssen sich nicht
gleich die grünen Forderungen zu eigen machen. Wir sa-
gen, dass mindestens 6 Milliarden Euro nötig sind. Aber
1 Milliarde Euro zusätzlich sollte doch durchaus drin
sein: Wo ist irgendein Engagement für das Thema Kli-
maschutz? Es ist bisher nicht zu erkennen. Wo ist das
Engagement der SPD in dieser Frage? Ich habe an den
entsprechenden Tischen gesessen, wo monatelang über
300 Millionen Euro verhandelt wurde. Da ging nichts.
Durch einen Federstrich aus Lust und Laune eines Län-
derchefs gingen 300 Millionen Euro trotzdem als Min-
dereinnahmen an die Länder, weil der Eingangssteuerta-
rif nicht so schön war.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809212400

Frau Kollegin Paus.


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809212500

Dieses Theater können wir nicht mehr sehen. Das

kann die Republik nicht mehr sehen. Die Leute laufen
aus diesem Theater hinaus. Deswegen kommen Sie end-
lich zum Punkt, und machen Sie einen Schritt hin zur
steuerlichen Förderung mit entsprechender Gegenfinan-
zierung. Eine Chance geben wir Ihnen noch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809212600

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt

Olav Gutting das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Olav Gutting (CDU):
Rede ID: ID1809212700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren Kollegen! Ich habe hier an dieser Stelle vor eini-
gen Wochen ziemlich auf die Länder geschimpft. Es
ging um den Solidaritätszuschlag und darum, dass die
Länder wie immer nur unser Bestes wollen, nämlich un-
ser Geld. Es ging darum, dass die Länder den Hals nicht
voll kriegen, und es geht darum, dass sie nicht bereit
sind, ihren Beitrag zur Finanzierung dieses wichtigen
Projektes zu leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit der Haltung „Mir gäbet nix“ wird dieses Thema
blockiert, und zwar nicht durch die CSU – wie immer
wieder der Anschein erweckt wird –, sondern durch die
rot-grün regierten Länder.


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können nichts dafür, dass Sie nirgendwo mehr regieren!)


Die wertvollste Kilowattstunde Energie ist die, die
erst gar nicht verbraucht wird. Die Senkung des Energie-
verbrauchs bei Gebäuden ist ein ganz wichtiger Baustein
bei unserer Energiewende, die wir 2011 beschlossen ha-
ben. Das wussten wir auch schon 2011. Deswegen haben
wir in diesem Haus 2011 mit der christlich-liberalen Ko-
alition ein Gesetz beschlossen, das die steuerliche Förde-
rung von energetischen Sanierungsmaßnahmen vorsieht.
Dieses Gesetz wird seit 2011, also seit vier Jahren, im-
mer wieder vom rot-grün dominierten Bundesrat blo-
ckiert, bis heute.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist ganz besonders schade, weil die Argumente
der Länder damals wie heute nicht stichhaltig sind. Auch
damals ging es um Geld. Die Länder wollen zwar auch
die Energiewende, aber sie sind nicht bereit, den auf sie
entfallenden Finanzierungsanteil zu leisten. Der Selbstfi-
nanzierungseffekt dieser Maßnahmen wird immer wie-
der vergessen.

Die Förderung der energetischen Sanierung – wir ha-
ben es schon einige Male gehört – löst ein Vielfaches der
eingesetzten Summe an Investitionen aus. Allein der An-
teil der Umsatzsteuer bei den Ländern aus den ausgelös-
ten Investitionen würde die befürchteten Steuerminder-
einnahmen mehr als ausgleichen.

Die KfW hat bereits Förderprogramme aufgelegt. Von
der KfW wissen wir, dass die Fördermittel das 12- bis
16-Fache an Investitionen auslösen. Mehr Investitionen
bedeuten logischerweise mehr Steuereinnahmen.

Jetzt haben wir 2015. Durch diese Blockade seit vier
Jahren, Frau Paus, haben wir wertvolle Zeit verschenkt.
Aber schauen wir nach vorne. Schwamm drüber!

Mit der Beteiligung der SPD an der Regierung haben
wir die Situation, dass die meisten Länder durchaus be-
reit sind, die steuerliche Förderung der energetischen Sa-
nierung aufzugreifen.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Welche Länder wollen nicht?)


Nur kosten darf es natürlich nichts bzw. nur den Bund
darf es etwas kosten. Der Bund allein soll die Zeche be-
zahlen, oder – noch besser – die Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler werden an anderer Stelle zusätzlich belas-
tet. Da wundert es mich dann schon, dass hier der Vor-
schlag auf dem Tisch liegt, die Gegenfinanzierung über
eine Kürzung beim Handwerkerbonus nach § 35 a EStG
vorzunehmen. Die Absetzbarkeit von Handwerkerleis-
tungen im privaten Bereich, meine Damen und Herren,
ist das Steuersparmodell des kleinen Mannes.


(Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Genau!)


Es ist trotz aller Kritik ein Erfolgsmodell; es hilft bei der
Bekämpfung von Schwarzarbeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Jetzt wissen wir, dass eine energetische Sanierung im
privaten Bereich schon mal ein paar Zehntausend Euro
kosten kann; das ist bekannt. Das kann sich nicht jeder
leisten. Die Forderung, zwar diejenigen, die es sich leis-
ten können, zu Recht zu entlasten, aber gleichzeitig den
kleinen Mann über die Kürzung des Handwerkerbonus





Olav Gutting


(A) (C)



(D)(B)

zu belasten, kann nicht wirklich der Ernst der linken
Seite hier in diesem Hause sein.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das wollte Frau Merkel auch!)


Mit uns jedenfalls wird das nicht passieren. Wir werden
nicht die Reichen entlasten und dafür die kleinen Leute
belasten. Das geht mit der CDU jedenfalls nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Energiewende und die Erreichung der Klima-
schutzziele dulden keinen weiteren Aufschub. Die Län-
der müssen jetzt schleunigst ihre Blockade aufgeben. Sie
schaden mit dieser Blockade der Energiewende. Sie
schaden dem Handwerk; denn bereits heute ist ein Atten-
tismus zu spüren: Die Leute warten auf eine Regelung
und investieren so lange nicht. Sie schaden den Kommu-
nen; denn mit der steuerlichen Förderung der energeti-
schen Sanierung darf natürlich auch das Handwerk vor
Ort eine spürbare Auftragsbelebung erwarten,


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: So ist es!)


mit allen Konsequenzen: mehr Gewerbesteuereinnah-
men, mehr Arbeitsplätze usw. Letztendlich schaden die
Länder vor allem sich selbst. Denn durch die steuerliche
Förderung gäbe es, wie gerade aufgezeigt, Anreize für
zusätzliche Investitionen; es wäre sogar mit Steuermehr-
einnahmen zu rechnen.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809212800

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.


Olav Gutting (CDU):
Rede ID: ID1809212900

Insofern fordere ich die Bundesregierung, aber auch

gerade Sie, die Vertreter von Parteien, die in den Län-
dern Regierungsverantwortung tragen, auf, mit den Län-
dern zu sprechen, damit sie ihren Anteil an der Finanzie-
rung dieser wichtigen Maßnahme erbringen.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sprechen Sie doch mal mit Herrn Seehofer, verdammt noch mal!)


Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809213000

Vielen Dank. – Als Nächstes spricht Johann Saathoff,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Johann Saathoff (SPD):
Rede ID: ID1809213100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Herr Kollege Gutting, herzlichen Dank für
Ihre Sicht auf die Dinge und die rot-grüne Verantwor-
tung in dieser Sache. Es sind jedenfalls aus meiner Sicht
vom Deich – das muss ich ganz klar sagen – nicht die
Länder, die diese Regelung gerade verhindern,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Diskriminieren Sie mal nicht die Deiche!)


sondern es ist ein Land, und es ist ein Ministerpräsident.
Ich werde dazu noch ein bisschen mehr sagen. Deswe-
gen entschuldige ich mich schon mal vorab bei allen
Bayern.

Vom letzten Koalitionsausschuss ging ein – ich
möchte es mal diplomatisch formulieren – unglückliches
Signal aus, ein ungutes Signal im Hinblick auf die deut-
schen Klimaschutzambitionen, aber auch ein Signal, das
dem deutschen Handwerk eher schadet als nützt. Frau
Bundeskanzlerin Merkel hat im vergangenen Jahr beim
Petersberger Klimadialog gesagt, beim Klimaschutz sei
eine Kehrtwende nötig. Ich für meinen Teil habe das Ge-
fühl, irgendjemand hat da etwas falsch verstanden.

Gefühlt hat Herr Seehofer das Thema „energetische
Gebäudesanierung“ schon abgeräumt, bevor Bund und
Länder überhaupt ernsthaft über die Finanzierung spre-
chen konnten. Der Kabinettsbeschluss vom Dezember
war ja nicht viel mehr als eine Absichtserklärung. Es
wäre doch überhaupt kein Problem gewesen, mit den
Ländern in einem Vermittlungsverfahren andere Lösun-
gen für die Gegenfinanzierung zu finden als das Ab-
schmelzen des Handwerkerbonus. Aber in einer Über-
reaktion – aus meiner Sicht – hat Herr Seehofer gleich
die Notbremse gezogen, sozusagen auf freier Strecke.
Und als er das erkannt hat, war dann auf einmal wieder
alles anders: Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas
Oppermann hatte plötzlich angeblich Herrn Seehofer
falsch verstanden. Bayern wird die kurz- oder mittelfris-
tigen Steuerausfälle im Bereich der Gebäudesanierung
einfach tragen und auf die Mehreinnahmen warten – so
sieht es ein Antrag vor, der gerade in dieser Woche in
den Bundesrat eingebracht wurde.

Die Situation der anderen Bundesländer wird dabei
aber nicht berücksichtigt. Wenn es der bayerische Minis-
terpräsident ernst meint, dann wäre jetzt der beste Zeit-
punkt für einen konstruktiven Vorschlag zur Gegen-
finanzierung, auf den andere Bundesländer dringend
angewiesen sind.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Die sind falsch regiert!)


Denn der zeitliche Verzug bei den Mehreinnahmen vor
drei Jahren war doch mehrheitlich dafür verantwortlich,
dass sich die Länder nicht zur steuerlichen Absetzbarkeit
von Maßnahmen der energetischen Gebäudesanierung
durchringen konnten.

Einige mögen es schön finden, dass Bayern wieder
seinen Willen bekommen hat – nein, Entschuldigung,
der dortige Ministerpräsident –,


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Nein, wir schon auch!)


aber die Energiewende ist ein deutschlandweites Projekt,
bei dem alle an einem Strang ziehen und sich an gemein-
same Absprachen halten müssen.





Johann Saathoff


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD)


Solidarität heißt, auch an die anderen zu denken. Bay-
ern scheint sich bei der Energiewende darauf zu verlas-
sen, dass der Rest von Deutschland für den Zickzackkurs
der bayerischen Landesregierung mitbezahlt; ich sage
nur: Zwei minus x.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Schauen Sie sich mal den Länderfinanzausgleich an!)


„Ut anner Lü Leer is gaud Reemen schnieden“, sagt der
Ostfriese, wenn Verträge zulasten Dritter gemacht wer-
den, und das ist hier der Fall. Kreative Alternativvor-
schläge zur Gegenfinanzierung der steuerlichen Förde-
rung der Gebäudesanierung haben wir mehr als genug.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wo denn?)


Nachdem das jetzt raus ist, sollten wir gemeinsam den
Blick nach vorne richten.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Ach so!)


Jetzt muss die Frage im Mittelpunkt stehen, wie wir wei-
ter vorgehen wollen, welches Signal an die Bevölkerung
von der heutigen Debatte ausgehen soll. Das Signal an
die Menschen in unserem Sinne soll sein: Lassen Sie
sich nicht weiter verunsichern, sondern sanieren Sie wei-
ter! – Dieses Signal hat auch Minister Sigmar Gabriel
ausgesandt.

Ich möchte zunächst hervorheben, dass der Bundes-
wirtschaftsminister äußerst pragmatisch mit der Sache
umgeht: die Aufstockung der Mittel für die KfW-Pro-
gramme, mehr Geld für die Kommunen, die Weiterent-
wicklung des Marktanreizprogrammes für den Wärme-
markt. Von der Bundesregierung und speziell aus dem
BMWi kommt da unheimlich viel.

Es scheint mir, dass wir heute klar betonen müssen,
dass nur die steuerliche Förderung der energetischen Ge-
bäudesanierung derzeit, sagen wir, in einer schwierigen
Phase steckt, nicht jedoch die Förderung der energeti-
schen Gebäudesanierung insgesamt.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Die gibt es seit 2011!)


Im Gegenteil: Im Rahmen des NAPE wurde der Anteil
der Förderung noch einmal um 200 Millionen Euro auf-
gestockt.

Im kommunalen Sektor müssen wir darauf achten,
dass die Gemeinderäte und Kreistage mit der finanziel-
len Förderung nicht alleingelassen werden. Aus eigener
Erfahrung als Bürgermeister kann ich sagen, dass ein
Schwerpunkt künftig auch in der Beratung der Kommu-
nen zur energetischen Gebäudesanierung liegen sollte,
damit gutgemeinte Entscheidungen für das Klima von
heute sich morgen nicht bitter rächen, was die Entsor-
gung oder die Brandlasten der öffentlichen Gebäude an-
geht.

Eines ist doch allen klar: KfW-Programme kosten
nicht nur Steuergeld, sie sorgen auch für mehr Beschäfti-
gung, mehr Steuereinnahmen und weniger Sozialkosten.
Egal ob Investitionsschutz oder günstiges Darlehen oder
Tilgungszuschuss: Das Geld ist gut angelegt.
Was wir jetzt gar nicht brauchen können, ist eine
Phase des Stillstands. Deshalb noch mein Appell: Sanie-
ren Sie weiter – für unser Klima, für unsere Arbeits-
plätze und für Ihre Kinder!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809213200

Vielen Dank. – Als Nächstes hat der Kollege

Hansjörg Durz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Hansjörg Durz (CSU):
Rede ID: ID1809213300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Alle hier im Haus vertretenen Fraktionen – das wird im-
mer wieder deutlich – sind sich einig: Die steuerliche
Förderung der energetischen Gebäudesanierung muss
kommen, vor allem aus zwei Gründen: Erstens brauchen
wir sie dringend, um unsere Klimaschutzziele zu errei-
chen – übrigens auch die Länder brauchen sie, um ihre
Klimaschutzziele zu erreichen –, und zweitens ist die
steuerliche Abschreibung ein hervorragendes Konjunk-
turprogramm für das Handwerk und damit auch aus
volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu begrüßen. Ex-
perten gehen von einem enormen Förderhebel aus. Es
sind verschiedene Zahlen genannt worden. Der nied-
rigste Faktor war der Faktor 8, das heißt: Aus 1 Euro
Förderung des Staates durch steuerliche Abschreibung
erfolgen 8 Euro an Investitionen. Dies bringt Wachstum
und Beschäftigung und wiederum mehr Steuereinnah-
men.

Nun wurde nach dem letzten Treffen des Koalitions-
ausschusses berichtet, dass die Einigung über die steuer-
liche Förderung an Bayern gescheitert sei. Es ist ein
Leichtes – das ist hier schon mehrfach angeklungen –,
den Schwarzen Peter nach München zu schieben.


(Ulrich Freese [SPD]: Den brauchen wir nicht hinzuschieben! Der ist schon da!)


Aber schauen wir uns doch einmal die Fakten an. Tatsa-
che ist: Die CSU steht zur steuerlichen Abschreibung
und versucht seit Jahren, sie einzuführen. Bereits 2008
hat der Freistaat Bayern einen entsprechenden Gesetz-
entwurf in den Bundesrat eingebracht.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


2011 haben CDU/CSU und FDP im Deutschen Bundes-
tag einen Antrag, der dasselbe Ziel zum Inhalt hatte, ver-
abschiedet, der dann über eineinhalb Jahre im Bundesrat
blockiert wurde und im Vermittlungsausschuss Anfang
2013 endgültig gescheitert ist. Im Mai 2013 ist Bayern
gemeinsam mit Sachsen einem Gesetzesantrag des Lan-
des Hessen beigetreten, der ebenfalls das Ziel der steuer-
lichen Förderung verwirklichen wollte, und schließlich
hat die Bayerische Staatsregierung im Dezember 2014
erneut eine eigene Entschließung in die Länderkammer
eingebracht, wieder mit demselben Ziel, wieder bis auf
Weiteres vertagt. Da gab es mehrere Chancen, aus der





Hansjörg Durz


(A) (C)



(D)(B)

sogenannten Endlosschleife, wie das vorhin genannt
wurde, herauszukommen. Diese Chancen wurden nicht
genutzt.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo war die Gegenfinanzierung?)


Zur Klarstellung: Der aktuelle Antrag wurde bisher
nicht abgelehnt, er ist vertagt; es besteht also immer
noch die Chance auf Einigung. Und warum gab es bisher
keine Einigung?


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Bayern ausgeschert ist!)


Die Antwort lautet: wegen der Gegenfinanzierung. Wir
wollen dafür nicht den Handwerkerbonus opfern.

Im Übrigen – das kann man auch der Presse entneh-
men –: Die Gegenfinanzierung über den Handwerker-
bonus ist kein Vorschlag, der aus dem Handwerk kam.


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)


Wir wollen auch nicht für die steuerliche Abschrei-
bung den Handwerkerbonus drangeben; denn beides hat
miteinander nichts zu tun. Wir wollen nicht das eine ge-
gen das andere ausspielen,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und dafür gibt es gute Gründe:

Erstens. Von der energetischen Gebäudesanierung
profitieren Eigenheimbesitzer und einige Handwerker-
gruppen. Vom Handwerkerbonus profitieren alle Steuer-
zahler und werden alle Handwerkerleistungen gefördert.
Ist also die Gegenfinanzierung über den Handwerkerbo-
nus richtig?


(Zuruf von der CDU/CSU: Nein!)


Zweitens. Wir treten dafür ein, dass es keine steuerli-
che Mehrbelastung geben darf. Eine Einschränkung des
Handwerkerbonus wirkt aber – die Zahlen belegen dies –
wie eine Steuererhöhung. Sie verwehren also nicht nur
einer größeren Zahl von Bürgern eine steuerliche Be-
günstigung, sondern durch eine Einschränkung des
Handwerkerbonus nimmt der Staat nach Berechnungen
des BMWi und des BMF wohl sogar mehr ein, als er
durch die staatliche Abschreibung an Begünstigungen
weiterreicht. Ist das also die richtige Gegenfinanzie-
rung?

Drittens. Die geplante steuerliche Abschreibung auf
energetische Gebäudesanierung ist auf fünf Jahre ange-
legt und wirkt ab Inanspruchnahme zehn Jahre, ist also
zeitlich befristet. Der Handwerkerbonus würde dagegen
sofort und unbefristet, also wohl dauerhaft eingeschränkt
werden. Ist das die richtige Gegenfinanzierung?

Vor allem aber – viertens –: Der Handwerkerbonus
wurde eingeführt, um Schwarzarbeit zu bekämpfen, und
hat sich bewährt, er hat erfolgreich dazu beigetragen, die
Schwarzarbeit in Deutschland einzudämmen.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt keine Studie, die das belegt!)

Eine Verrechnung beider Instrumente geht also fehl, da
beide völlig unterschiedliche, aber jedes für sich höchst
sinnvolle Ziele verfolgen. Noch einmal: Ist das die rich-
tige Gegenfinanzierung?

Grundsätzlich stellt sich die Frage: Braucht es denn
überhaupt eine Gegenfinanzierung?


(Beifall bei der CDU/CSU) – Ingbert Liebing


(CDU/CSU): Sehr gute Frage!)


Von allen Seiten wird betont, welch konjunkturelle Ef-
fekte die steuerliche Förderung hat: Sie löst enorme In-
vestitionen aus, führt zu Wachstum und wieder zu Steu-
ermehreinnahmen.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber macht Seehofer mit? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seehofer hat beantragt, der Bundeshaushalt soll das finanzieren! Damit könnte ich leben!)


Es rechnet sich also für Bund und Länder – wenn auch
zeitversetzt – auch ohne Einschränkung des Handwer-
kerbonus. Also: Braucht es denn wirklich eine Gegenfi-
nanzierung?

Der Antrag liegt im Bundesrat immer noch auf dem
Tisch, und gerade für die Länder, die entsprechend ver-
schuldet sind, wäre das ein hervorragendes Programm,
um private Investitionen auszulösen. Die steuerliche Ab-
schreibung auf energetische Gebäudesanierung ist nicht
gescheitert; aber alle Beteiligten müssen schnellstens an
einen Tisch und eine sachgerechte Lösung finden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809213400

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt

Klaus Mindrup das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Klaus Mindrup (SPD):
Rede ID: ID1809213500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wenn man die Debatte hier so verfolgt, hat
man den Eindruck, dass es nur einen Königsweg zum
Klimaschutz gibt, nämlich Steuerboni. Dem möchte ich
an dieser Stelle energisch widersprechen. Steuerliche
Entlastungen sind wichtig für einige Zielgruppen, aber
nicht für alle. Ich bin selbst seit über zwölf Jahren Auf-
sichtsrat einer Graswurzelgenossenschaft im Prenzlauer
Berg. Wir haben unsere 450 Wohnungen saniert und da-
bei durch intelligentes Vorgehen 70 Prozent des CO2-
Ausstoßes eingespart. Wir hatten zweimal die Chance,
steuerliche Sonderabschreibungen zu nutzen, die es
heute schon gibt, erstens weil unsere Genossenschaft im
Sanierungsgebiet liegt und zweitens weil unsere Be-
stände denkmalgeschützt sind. Beide steuerlichen Mög-
lichkeiten haben wir nicht genutzt, weil es für uns keinen
Sinn machte: Wir können keine Gewinne mit Verlusten
verrechnen. Es gibt viele Hauseigentümer, die das nicht
können, seien es Genossenschaften, kommunale Gesell-
schaften oder auch Einzeleigentümer. Diese müssen mit





Klaus Mindrup


(A) (C)



(D)(B)

dem letzten Cent rechnen; und für sie ist es viel wichti-
ger, dass es Zuschüsse wie die Tilgungszuschüsse von
der KfW gibt, die jetzt geplant sind. Auch wichtig sind
Darlehen mit einer langen Laufzeit und mit einer sehr
hohen Verlässlichkeit.

Wir als SPD wollen auf dem Weg zum Klimaschutz
alle mitnehmen: Rentnerinnen und Rentner mit einem
kleinen Haus darf man genauso wenig überfordern wie
Mieterinnen und Mieter. Wohnen muss bezahlbar blei-
ben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Man kann die Sanierungsrate durchaus auch unter den
heutigen Rahmenbedingungen steigern. Das zeigt das
Beispiel der InnovationCity Bottrop, die nach ihren eige-
nen Zahlen bei 8 Prozent ist. Da geht es um Beratung
und darum, dass man die Maßnahmen zielgerichtet zu-
schneidet und auch auf Wirtschaftlichkeit achtet. Ich
sehe es als relativ großes Problem, dass bei der energeti-
schen Gebäudesanierung die Wirtschaftlichkeit oftmals
nicht betrachtet wird. Es werden Maßnahmen, die nicht
unbedingt sinnvoll sind, durchgeführt, weil die Kosten
dafür auf die Mieterinnen und Mieter umgelegt werden
können, weil also ein Dritter zahlt. An dieser Stelle ist es
wichtig, genau hinzuschauen und vor allen Dingen die
Beratungskompetenzen zu stärken.

Denn ohne Akzeptanz wird die Energiewende nicht
gelingen. Diese Akzeptanz wird von unten gewonnen: in
der Nachbarschaft, im Dorf, im Quartier. Deswegen ist
es auch richtig, dass die Bundesregierung verstärkt
Quartierslösungen unterstützen will, wie sie bei meiner
Genossenschaft schon vor 14 Jahren realisiert wurden.
Wir haben unsere Mieterinnen und Mieter, unsere Nutzer
intensiv beraten; denn ein richtiges Nutzerverhalten ist
das Wichtigste bei der Energiewende. Energieberater
sind mindestens so wichtig wie Steuerberater. Eine sinn-
volle Dämmung, Optimierung der Heizungen, Einsatz
von Solarenergie und Kraft-Wärme-Kopplung sind hier
die wichtigsten Stichworte. Auch genossenschaftliche
Lösungen bieten sich an, weil sie nämlich langfristig
wirtschaftlich sind und die Menschen vor Ort mitneh-
men.

Wir müssen dabei die oft getrennten Bereiche Strom,
Wärme und Transport miteinander verknüpfen, statt al-
les isoliert zu sehen. Das Internet ist dabei sehr wichtig.
Industrie 4.0 muss auch im Quartier stattfinden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Jan Metzler [CDU/ CSU])


Wichtig ist auch, dass die Bundesregierung jetzt
schnell die gesetzlichen Grundlagen für die Vermarktung
von Grünstrom schafft – wir haben als Bundestag dafür
eine Verordnungsermächtigung in das EEG aufgenom-
men –: Das ist Umweltschutz vor Ort, das ist Wertschöp-
fung vor Ort, und das macht Sinn, vor allen Dingen
dann, wenn man vor Ort auch die Stadtwerke einbindet,
wie das in Nürnberg der Fall ist.
Allerdings ist die Energiewende ein Gemeinschafts-
werk. Sie kann nur dann gelingen, wenn die 16 Bundes-
länder und der Bund gemeinsam in eine Richtung gehen.
Wenn das jetzt der erste Fall gewesen wäre, in dem ein
Bundesland etwas aus der Reihe tritt, dann könnte man
vielleicht darüber hinwegsehen. Aber das war ja schon
mehrfach der Fall. Wir hatten die Debatte um die Atom-
energie, die aus einem bestimmten Bundesland kam,
dann wurde der Ausbau der Windenergie in einem be-
stimmten Bundesland eingeschränkt, dann gab es die
Debatte um die Stromtrassen, und nun gibt es das Rein-
grätschen bei der steuerlichen Gebäudesanierung. Hat
das Methode?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, natürlich! – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Atomkraftwerke für Bayern!)


Dabei ist es so – das kann man an der Windenergie se-
hen –, dass es in diesem Bundesland, dessen Namen ich
jetzt nicht nenne, durchaus eine hohe Akzeptanz für die
Energiewende gibt. In Bayern sind im letzten Jahr 20-mal
so viele Windräder gebaut worden wie in Baden-Würt-
temberg. Es sollten sich die Grünen einmal genau an-
schauen, woran das liegt.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Genau! Hört! Hört!)


Insofern gibt es noch Hoffnung. Ich würde mich
freuen, wenn wir hier alle wieder an einem Strang ziehen
würden, gemeinsam in Richtung energetischer Gebäude-
sanierung. Wenn Blockaden aufgehoben werden, wenn
die Energie, die diese Debatten kosten, in eine andere
Richtung gelenkt wird, dann kommen wir alle voran,
und dann wird die Energiewende auch gelingen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein schönes Wo-
chenende und eine gute sitzungsfreie Woche. Auf Wie-
dersehen!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809213600

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt der Kollege Jan Metzler.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Jan Metzler (CDU):
Rede ID: ID1809213700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Verlauf der
Debatte hat gezeigt, dass – da sind wir uns alle, denke
ich, einig – Energieeffizienz ein wichtiger Bestandteil
der Energiewende ist. Was wir nicht verbrauchen, das
müssen wir auch nicht erzeugen, ganz einfach. Unbe-
stritten ist also, dass Energieeffizienz der Schlüssel zu
einer nachhaltigen Energiepolitik ist. Ohne Einsparun-
gen wird die Energiewende nicht zu schaffen sein; da
sind wir uns alle einig, und das wurde jetzt auch mehr-
fach betont.





Jan Metzler


(A) (C)



(D)(B)

Deutschland hat in den letzten Jahren viel auf den
Weg gebracht. Wir sind Vorreiter, sowohl im europäi-
schen als auch im internationalen Vergleich. Vor allem
energetische Gebäudesanierungen bzw. energetisches
Bauen sind hier wichtige Hebel, die einen entscheiden-
den Beitrag leisten. In diesem Bereich gehört Deutsch-
land laut der Internationalen Energie-Agentur zur inter-
nationalen Spitzengruppe. Seit 2006 hat das CO2-
Gebäudesanierungsprogramm Investitionen von über
187 Milliarden Euro in diesem Bereich angestoßen; auch
das muss man hier einmal betonen. Mehr als 3,8 Millio-
nen Wohnungen wurden saniert oder besonders energie-
effizient neu gebaut. Auch mehr als 2 000 kommunale
oder soziale Einrichtungen haben davon profitiert.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Ich denke, das ist eine Bilanz, auf die wir ein Stück weit
stolz sein können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dabei haben sich Förderprogramme in Form von Zu-
schüssen oder Krediten grundsätzlich bewährt, doch
könnten die Antragsverfahren schlanker und verständli-
cher gestaltet sein; auch das möchte ich betonen und
nicht vergessen. Aber mit diesen Programmen erreichen
wir eben nicht jeden; auch das ist mehrfach betont wor-
den. Deshalb ist die Anzahl der geförderten Immobilien
rückläufig. Man bedenke: Über 80 Prozent des Gebäude-
bestandes in Deutschland sind in privater Hand. Die
energetische Sanierung eines Einfamilienhauses kostet
im Schnitt 60 000 bis 75 000 Euro. Förderungen durch
Zuschüsse oder Kredite sind also lange nicht für alle
Zielgruppen interessant. Ich denke, diesbezüglich be-
steht ein allgemeiner Konsens; auch das ist heute schon
mehrfach betont worden.

Welchen Schluss ziehen wir also daraus? Wenn wir
mehr erreichen wollen, brauchen wir ein breiteres Ange-
bot, also Anreize, die schneller wirken. Eine steuerliche
Förderung ist ganz sicher eines der interessantesten In-
strumente; das möchte ich bilanzieren. Gerade für die
privaten Haus- und Wohnungseigentümer ist die steuer-
liche Förderung eine weitere Option. Steuerentlastungen
sind generell wirksam. Sie sind eine echte Alternative
für Menschen, die keinen Kredit aufnehmen wollen oder
vor komplizierten Antragsverfahren zurückscheuen. Au-
ßerdem können durch steuerliche Entlastungen auch
Einzelmaßnahmen, wie zum Beispiel eine neue Hei-
zungsanlage, gefördert werden.

Das Thema ist nicht ganz neu. Die steuerliche Förde-
rung wurde schon im Rahmen des Gesetzespakets zur
Energiewende im Jahr 2011 von uns auf den Weg ge-
bracht, scheiterte aber damals im Bundesrat. Der Kol-
lege Durz hat die Chronologie dieses Vorhabens darge-
legt. Ich möchte hier betonen, dass es also schon einmal
gehakt hat. Insofern müssen wir uns bewegen, weil es im
Bundesrat schon einmal eine entsprechende Blockade-
haltung gab. Um trotzdem weiterzukommen, hatte die
Bundesregierung damals ein Zuschussprogramm in Höhe
von 300 Millionen Euro jährlich für die Jahre 2013 bis
2020 aufgelegt.

Von Bauaufträgen für energetische Sanierungen profi-
tieren vor allem örtliche Handwerksbetriebe. Gerade
diese Klein- und Kleinstunternehmen sind im ländlichen
Raum wichtige Arbeitgeber. Sie genießen – das konnte
man auch heute wieder bilanzieren und feststellen – un-
ser aller Wohlwollen und unser aller Unterstützung.
Allein im Jahr 2013 wurden durch energetische Sanie-
rungen rund 440 000 Arbeitsplätze gesichert bzw. ge-
schaffen. Die steuerliche Förderung der energetischen
Gebäudesanierung ist also ein entscheidendes Puzzle-
stück für das Gelingen der Energiewende. Das war 2011
so, und das ist auch im Jahr 2015 so. Dieser Verantwor-
tung stellen wir uns. Da lässt sich die Union auch nicht
auseinanderdividieren, was ja hier von dem einen oder
anderen behauptet bzw. versucht wurde. Dazu stehen
wir. Das haben wir 2011 getan, und das tun wir auch im
Jahr 2015.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir alle sind uns einig, dass das steuerliche Förder-
modell eine sinnvolle Sache ist. Die Rahmenbedingun-
gen wurden schon im Nationalen Aktionsplan Energie-
effizienz konkret beschrieben und im Dezember 2014 im
Kabinett beschlossen. Nun müssen sich also Bund und
Länder in zwei Fragen einig werden. Erstens: Wie wird
die steuerliche Förderung im Detail ausgestaltet? Zwei-
tens, ob und wie sie gegenfinanziert wird. Ich appelliere
an alle, sich konstruktiv zu beteiligen; denn die Energie-
wende ist eine wichtige gesamtgesellschaftliche Auf-
gabe.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das mal Herrn Seehofer!)


Wir werden unseren Beitrag leisten.

Da ich der letzte Redner bin, ist es mir eine Freude,
Ihnen allen ein schönes Wochenende zu wünschen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809213800

Vielen Dank. – Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.

Wir sind gleichzeitig am Schluss der heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 18. März 2015, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.

Auch ich wünsche Ihnen ein nicht zu arbeitsreiches
Wochenende.