Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 c auf:a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes für die gleichberechtigte Teilhabevon Frauen und Männern an Führungs-positionen in der Privatwirtschaft und imöffentlichen DienstDrucksachen 18/3784, 18/4053Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Familie, Senioren, Frauen undJugend
Drucksache 18/4227
Drucksache 18/4228b) Zweite und dritte Beratung des von den Abge-ordneten Ulle Schauws, Renate Künast, KatjaDörner, weiteren Abgeordneten und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur geschlechterge-rechten Besetzung von Aufsichtsräten, Gre-
Drucksache 18/1878Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Familie, Senioren, Frauen und Ju-gend
Drucksache 18/4227c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Familie, Senioren,Frauen und Jugend
– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rungZweiter Erfahrungsbericht der Bundesre-gierung zum Bundesgleichstellungsgesetz
– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rungFünfter Gremienbericht der Bundesregie-rung zum Bundesgremienbesetzungsge-setz
Drucksachen 17/4307, 17/4308 , 18/4227BeschlussfassungZu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt einÄnderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenvor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes-ministerin Manuela Schwesig.
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren Abgeordnete! Der erste Internationale Frau-entag 1911 war eine Kundgebung für das Frauenwahl-recht. In der Resolution hieß es damals – Zitat –: Millio-nen Frauen erheben mit allem Nachdruck Anspruch aufsoziale und politische Gleichberechtigung. – 2015 erhe-ben wir Frauen immer noch diesen Anspruch; denn dietatsächliche Durchsetzung der sozialen und politischenGleichberechtigung steht noch aus. Aber zwei Tage vordem Internationalen Frauentag machen wir in Deutsch-land einen historischen Schritt für die Gleichberechti-gung der Frauen. Die Quote kommt.
So selbstverständlich wie die Frauen heute wählenund gewählt werden können, so selbstverständlich wer-
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Bundesministerin Manuela Schwesig
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den zukünftig Frauen in Führungsetagen von Unterneh-men und im öffentlichen Dienst mitbestimmen. Sofremd uns heute die Vorstellung ist, dass Frauen poli-tisch nicht mitbestimmen dürfen, so fremd muss in Zu-kunft die Vorstellung sein, dass Frauen in Unternehmennicht mitbestimmen dürfen,
zum Beispiel in einem DAX-30-Unternehmen der Ge-sundheitswirtschaft: 178 000 Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter weltweit, 54 000 davon in Deutschland, zweiDrittel Frauen. Diese Frauen organisieren diesem Unter-nehmen Milliardenumsätze und -gewinne. Ich kennediese Frauen; sie arbeiten zum Beispiel im Catering, imPutzdienst, in Krankenhäusern. Sie haben bis vor kur-zem weniger als den Mindestlohn bekommen. Sie sindteilweise ungewollt auf Teilzeit gedrückt worden.Wer glaubt, dass sich für diese Frauen etwas ändert,wenn es in der Führungsetage der Unternehmen keineFrau gibt, die dort mit hinschaut? In diesem Unterneh-men ist keine einzige Frau im Vorstand, keine einzigeFrau im Aufsichtsrat. Das muss sich ändern.
Frauen müssen dort, wo über Lohn und Arbeitsbedin-gungen entschieden wird, präsent sein. Sie müssen ander Spitze dieser Unternehmen vertreten sein.Das zeigt, dass dieses Gesetz nicht nur auf die Füh-rungsetagen wirkt, sondern ganz konkret bei den Frauenvor Ort ankommt. Es ist ein Gesetz, das für Millionenvon Frauen wirkt: für die Frauen, die in den großen Un-ternehmen mit der festen Quote arbeiten, aber auch fürdie Frauen, die in mittleren Unternehmen arbeiten, fürdie Zielvorgaben gelten.Sehr geehrte Abgeordnete, ein Gesetz mit einer Idee,die seit 1982 diskutiert wird, braucht auf seinem Wegzur Verabschiedung viele Unterstützerinnen und Unter-stützer. Wenn ich ein Mann wäre, würde ich sagen: Dashätte ich alles alleine geschafft. – Aber das bin ich zumGlück nicht.
Ich hatte viele Unterstützerinnen und Unterstützer ausVerbänden, Initiativen, aus der Wissenschaft, und es gabpolitischen Druck von starken Frauen und modernenMännern. Viele davon sind heute hier. Einer dieser mo-dernen Männer ist unser Bundesjustizminister HeikoMaas. Vielen Dank, lieber Heiko! Es hat Spaß gemacht,mit dir diese Schlacht zu schlagen.
Eine starke Frau ist Andrea Nahles, die dieses Gesetzmit gestaltet hat. Vielen Dank, liebe Andrea! Es hat Spaßgemacht, diese Schlacht mit dir zu schlagen.
In allen Fraktionen, in den Regierungsfraktionen, diezum großen Teil an meiner Seite gestanden haben, aberauch in den Oppositionsfraktionen, gibt es Frauen, diedie Berliner Erklärung initiiert haben, die auch heuteGrundlage ist. Deshalb werbe ich: Unterstützen Sie die-ses Gesetz im Geiste der Berliner Erklärung! Das heißt:Über Klein-Klein hinweggehen, den Konsens suchenund heute ein starkes Signal an die Frauen geben!
Mitstreiterinnen sitzen auch auf der Besuchertribüne.Ich will stellvertretend Frau Schulz-Strelow von FidARdanken, die seit 2006 an unserer Seite kämpft.
Ich freue mich, dass Sie alle gekommen sind. Das istheute auch Ihr Tag.
Ich möchte mich auch bei denen bedanken, die Wi-derstand geleistet haben. Dieser Widerstand hat gezeigt,welche Widerstände Frauen in der Arbeitswelt aushaltenmüssen: dass ihre Kompetenzen nicht honoriert werden,dass ihre Leistung nicht anerkannt wird, dass sie oftschlechter bezahlt werden, dass sie Nachteile haben,wenn sie Beruf und Familie vereinbaren wollen, unddass sie trotz guter Qualifikation nicht in den Füh-rungsetagen ankommen. Diese Widerstände zeigen: Ver-änderung und Gerechtigkeit für Frauen kommen nichtvon allein. Wir müssen gemeinsam dafür kämpfen.
Der Widerstand zeigt auch: Veränderung ist möglich;der Kulturwandel kommt. – Allein die Diskussion umdieses Gesetz hat zu Veränderungen geführt: in den Un-ternehmen, aber auch in Bereichen, die gar nicht vomGesetz betroffen sind. Zum Beispiel sagt der DeutscheCaritasverband: 80 Prozent der Menschen, die bei unsarbeiten, in Bereichen wie Kita oder Pflege, sind Frauen.Aber in den Führungsetagen sind nur 20 Prozent Frauen.Auch das muss sich ändern. – Sie sehen: Dieses Gesetzstrahlt in viele Bereiche aus, in denen Frauen mehr An-erkennung für ihre Leistung verdient haben: in die Ge-sellschaft, in die Wirtschaft, in den öffentlichen Bereich.Ich freue mich, dass der Verfassungsjurist ProfessorJoachim Wieland in der Anhörung dargestellt hat, dassdieses Gesetz verfassungsfest ist. Es ist mit dem An-spruch, moderne Gleichberechtigung für Frauen undMänner zu schaffen und auch moderne Männer zu för-dern, zum Beispiel bei der Vereinbarkeit von Beruf undFamilie, verfassungsgemäß. Man muss sich politischentscheiden, welchen Weg man gehen will.Ich habe mich entschieden: Ich möchte moderneGleichberechtigung, die auf Frauenförderung setzt, dieaber auch die modernen Männer mitnimmt:
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die Männer, die mit ihrer Partnerin partnerschaftlich zu-sammenleben wollen, die Männer, die ihre Partnerin beider Berufstätigkeit unterstützen, die modernen Männer,die sagen: Auch ich möchte Zeit für Familie haben; auchich nehme einmal Elternzeit oder arbeite Teilzeit. – Dasmüssen wir unterstützen. Es gibt Gleichberechtigung fürFrauen nur, wenn wir diese modernen Männer mitneh-men und sie starkmachen, sodass die Männer von ges-tern weniger werden.
Sehr geehrte Damen und Herren, zum Abschluss: Esist ein weiter Weg bis zur tatsächlichen Gleichberechti-gung von Frauen und Männern. Das Motto der VereintenNationen zum Internationalen Frauentag 2015 heißt„Make It Happen“. – Sorgt dafür, dass es passiert. – Daswerden wir tun.Heute ist ein Tag, auf den wir stolz sein können. Wirfeiern den Internationalen Frauentag seit 1911. DiesesMal werden wir erstmalig einen Internationalen Frauen-tag feiern, an dem der Deutsche Bundestag eine Quotebeschlossen hat. Das ist ein historischer Schritt. DieQuote kommt.Vielen Dank für Ihre Unterstützung.
Das Wort hat die Kollegin Caren Lay für die Fraktion
Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es istschon ein bisschen die Woche der klitzekleinen Fort-schritte.
Gestern ging es um ein Mietpreisbremschen, und heutediskutieren wir ein Frauenquötchen.
Wissen Sie, eines ist völlig unstrittig: Die Frauen-quote für die Wirtschaft ist längst überfällig.
Die jahrelangen Appelle an die Wirtschaft haben nichtsgenutzt. Selbstverpflichtungen haben nicht geholfen. Inden meisten Führungsetagen gibt es nicht per Gesetz,aber doch in der Praxis eine Männerquote von gut undgerne 80 Prozent. Das müssen wir wirklich ändern.
Viele Frauen scheitern auf dem Weg nach oben nichtetwa daran, dass sie schlechter ausgebildet sind oder we-niger können, sondern sie scheitern an Männerbünden inden Vorstandsetagen und an der unsichtbaren gläsernenDecke. Auch das kann tatsächlich nur eine Quote behe-ben. Deswegen freuen wir uns natürlich im Prinzip, dassdie Quote für die Privatwirtschaft endlich kommt.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei Lichte be-trachtet muss man natürlich unterm Strich feststellen,dass die feste Quote gerade einmal für 180 Frauen indieser Republik kommt. 180 Frauen in dieser Republikdürfen sich jetzt über die Quote, die wir heute beschlie-ßen, freuen.
Ich finde, das ist besser als nichts, aber ich finde auch, dawäre mehr drin gewesen.
Für die restlichen 3 500 Unternehmen, die entwederbörsennotiert oder mitbestimmungspflichtig sind, soll eslediglich Zielgrößen geben. Dazu sagen wir: Das ist ei-gentlich nichts anderes als die Selbstverpflichtung imneuen Gewand, und die ist schon einmal gescheitert.Deswegen sagen wir als Linke ganz deutlich: Eine wirk-liche Frauenquote muss für alle Unternehmen gelten.
Gerade weil wir hier tatsächlich über gerade einmal180 Frauen reden, die von diesem Gesetz profitierenwerden, kann man sich natürlich schon fragen: Warumeigentlich der ganze Widerstand? Warum mussten dieFrauen aus Initiativen und Verbänden sowie aus allenFraktionen so lange dafür kämpfen? Der ganze Wider-stand, der vor allen Dingen aus Wirtschaftskreisen kam,aber auch aus der Union mitgetragen wurde, begleitetauch von dem einen oder anderen sexistischen Spruch,war einfach völlig unangemessen und steht in gar kei-nem Verhältnis zu dem, was im Gesetzentwurf tatsäch-lich geregelt wird.
Jetzt schreiben wir heute für die 108 Unternehmeneine feste Frauenquote von 30 Prozent vor. Warum sozaghaft? Wir hätten uns schon gefreut, wenn wir hiereine Frauenquote von 50 Prozent hätten beschließenkönnen. Ich stelle fest – das ist in der Tat begrüßens-wert –, dass in dieser Frage die Debatte tatsächlich wei-tergegangen ist. Das erkennt man, wenn man – vor einpaar Tagen habe ich das gemacht – beispielsweise dieLokalzeitungen aufschlägt. Da ging es um den Schützen-verein im niederbayerischen Obergessenbach. Der hatsich in der Lokalpresse damit gerühmt, dass er einenneuen Vorstand gewählt und eine Frauenquote von fast50 Prozent eingeführt hat.
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Caren Lay
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Dazu muss ich sagen: Daran hätte sich die CSU in denletzten Jahren einmal ein Beispiel nehmen können.Diese Praxis, die es jetzt in Niederbayern gibt, hätte auchlocker bundesweit zur Geltung kommen können.
Leider, verehrte Kollegen aus der Union, ist der Fort-schritt mit Ihnen eine Schnecke. Wenn wir mit dieserGeschwindigkeit weitermachen, müssen wir noch wei-tere 100 Jahre warten, bis wir endlich eine gleichberech-tigte Teilhabe von Frauen in allen Unternehmen haben.Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir ein-fach noch ein bisschen mehr Tempo machen.
Es ist uns unverständlich – das wird ja auch von Ge-werkschaftsseite heftig kritisiert –, dass die 30-Prozent-Quote für den gesamten Aufsichtsrat gelten soll. DasProblem ist, dass die Quote von der Arbeitnehmerseitehäufig schon eingehalten wird, von der Kapitalseite aberso gut wie gar nicht. Bei einer Gesamtbetrachtung kannsich die Arbeitgeberseite also ein Stück zurücknehmenund muss an diesem Fortschritt selber nicht teilhaben.Deswegen sagen wir: Die Gesamtbetrachtung des Auf-sichtsrates ist eine falsche Regelung. Man hätte das mitminimalem Aufwand ändern können. Ich verstehe nicht,warum wir das heute nicht einfach tun.
Ich finde es auch sehr bedauerlich, dass bei Nicht-einhaltung der Quote eigentlich nichts folgt. Wenn die108 Unternehmen die Quote nicht einhalten, heißt das:Der Stuhl bleibt leer. Bei den anderen 3 500 Unterneh-men folgt bei Nichteinhaltung der Quote im Grundenichts. Das macht die sogenannte Flexiquote endgültigwirkungslos.Meine Damen und Herren, trotz all dieser Einschrän-kungen begrüßen wir natürlich den ersten Einstieg ineine Frauenquote in der Privatwirtschaft und können die-sem Teil des Gesetzentwurfs bei einer getrennten Ab-stimmung auch zustimmen.
Aber leider ändern Sie ohne Not – mir erschließt sichnicht, warum – gute Gesetze zum Schlechteren. Ja, Siehören richtig: Die Einführung der Frauenquote in derPrivatwirtschaft wird erkauft mit einer deutlichen Ver-schlechterung im öffentlichen Dienst. Das finde ichwirklich absurd.
Eine bestehende Quote von 50 Prozent bei Bundesgre-mien wird nun auf 30 Prozent gesenkt. Es ist völlig klar,dass es an der Umsetzung der Quote hapert; aber dieQuote abzusenken, anstatt zu schauen, wie wir sie durch-setzen können, ist nun wirklich der falsche Weg.Noch umstrittener sind die Änderungen im Bundes-gleichstellungsgesetz. Hier ging es um die klassischeFrauenförderung. Nach einem neumodischen Grundsatzder Geschlechteransprache soll es nun darum gehen,dass nicht länger Frauen gefördert werden, sondern dasjeweils unterrepräsentierte Geschlecht, also beispiels-weise im Vorzimmer die Männer.In der Anhörung ist Ihnen diese sogenannte Männer-quote ordentlich um die Ohren geflogen. Ich muss sagen,dass ich wirklich selten eine Anhörung erlebt habe, inder ein Gesetzentwurf von den Sachverständigen, dievon den Koalitionsfraktionen benannt wurden, so ein-deutig verrissen wurde. Diese Männerquote ist nichts an-deres als die Verkennung der Tatsache, dass es Frauensind, die immer noch strukturell benachteiligt werden,wie es die Regierung selber feststellt. Aber wir sind froh,dass im Ausschuss mit einem Änderungsantrag auf denletzten Metern zumindest dafür gesorgt wurde, dass diediesbezügliche Formulierung vielleicht nicht mehr ver-fassungswidrig ist, was viele Sachverständige befürchtethaben. Aber es ist noch völlig unklar, was die neue For-mulierung in der Praxis bedeutet.Ich möchte ganz ehrlich sagen: Auch wir begrüßen ei-nen Ansatz, der Männer mitnimmt. Auch ich fände essehr begrüßenswert, wenn wir mehr Männer in Vorzim-mern, als Grundschullehrer oder als Kindergärtner hät-ten. Die Frage ist nur: Wie kann man das tatsächlich re-geln? Die Männer sind in diesen Berufen ja nichtdeswegen unterrepräsentiert, weil sie strukturell benach-teiligt sind, sondern weil diese Berufe so schlecht be-zahlt sind. Deswegen sagen wir: Sorgen Sie für eine bes-sere Bezahlung in diesen Berufen! Das ist der beste Weg,damit sich endlich mehr Männer für diese Berufe bewer-ben.
Meine Damen und Herren, zum Schluss möchte ichnoch sagen, was aus meiner Sicht der richtige Weg ge-wesen wäre: Wir als Linke fordern eine Frauenquote von50 Prozent
ohne Wenn und Aber, die nicht nur für die Aufsichtsräte,sondern bitte schön auch für die Vorstände gelten sollte.
Das wäre konsequent. Ich finde es bedauerlich, dass wiruns darauf heute nicht verständigen können.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Die Kollegin Nadine Schön hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
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Nadine Schön (CDU/CSU):Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kolle-gen! Liebe Besucher der Debatte, die Sie heute sehrzahlreich anwesend sind! Ich sehe auf der Tribüne auchKämpferinnen für mehr Frauen in Führungspositionen:Frau Schulz-Strelow, Frau Süssmuth, Rita Pawelski, diedieses Thema in den letzten Jahren sehr engagiert voran-gebracht haben. Herzlich willkommen auch von unsererSeite! Ich freue mich sehr, dass Sie heute hier sind.
Die Ministerin hat gesagt, dass heute ein guter Tag fürFrauen ist. Ich sage: Der Tag, an dem wir dieses Gesetzwieder abschaffen, wird der beste Tag für Frauen sein.
Das wird der Tag sein, an dem wir keine gesetzlichenMaßnahmen mehr brauchen, um sowohl im öffentlichenDienst als auch in den Unternehmen zu mehr Frauen inFührungspositionen zu kommen. Das wird der Tag sein,an dem wir keinen Gleichstellungsplan mehr brauchen,um mehr Familienfreundlichkeit zu ermöglichen und dieKarrierewege von Frauen im öffentlichen Dienst besserzu gestalten. Der Tag, an dem wir dieses Gesetz wiederabschaffen, wird der wahre gute Tag für die Frauen inunserem Land sein. Deshalb freue ich mich heute aufden Tag, an dem wir dieses Gesetz wieder abschaffen,meine Damen und Herren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist sehr schade,dass wir überhaupt gesetzliche Regelungen brauchen,um für mehr Frauen in Führungspositionen zu sorgen.Klar ist: Die Zeit der freiwilligen Selbstverpflichtungenist vorbei. Man hat sich 2001 unter Rot-Grün zusam-mengesetzt und gesagt: Wir wollen mehr Frauen in Füh-rungspositionen. Die Frauen sind heute gut ausgebildetund kommen jetzt von alleine nach oben. – 14 Jahre spä-ter müssen wir feststellen, dass das leider nicht der Fallist. In den 200 größten Unternehmen sind 18 ProzentFrauen in Aufsichtsräten und – noch viel erschrecken-der – gerade einmal 5 Prozent in Vorständen. Mir kannwirklich niemand sagen, dass es nur eine HandvollFrauen in ganz Deutschland gibt, die fähig und willigsind, in den Vorstandsetagen, in den Führungsetagen derdeutschen Unternehmen ihre Arbeit zu verrichten. 5 Pro-zent in den Vorständen der 200 größten deutschen Unter-nehmen, das ist wirklich sehr schade. Deshalb ist es gut,dass wir uns jetzt mit mehr Engagement zusammen mitder Wirtschaft auf den Weg machen, diese erschre-ckende Zahl zu verbessern, zu höheren Prozentzahlen zukommen.
Im Gegensatz zu manch anderen glaube ich nochnicht einmal, dass es böser Wille der Männer ist, Frauennicht nach oben zu lassen. Nein, es sind die Strukturen inden Unternehmen, die dazu führen, dass es für Frauenoffensichtlich schwierig ist, nach oben zu kommen, ob-wohl wir sehr viele gut ausgebildete Frauen haben, ob-wohl wir sehr viele gute Ökonominnen und Juristinnenhaben, die auch in den Aufsichtsräten sitzen könnten.Wir haben eine gläserne Decke. Deshalb ist es Zeit, dasswir uns zusammen mit der Wirtschaft fragen: Was kannman konkret tun, um das besser zu machen?Deshalb führen wir heute eine Quote ein, eine Quotemit Augenmaß, und zwar eine feste Quote für die Auf-sichtsräte der großen Unternehmen, die Vorbildcharakterhaben, auch weil sie börsennotiert sind, und eine flexibleQuote für viele andere Unternehmen. Es ist eben so, dassein Stahlunternehmen anders zu betrachten ist als eineBank, weil hier einfach andere Voraussetzungen herr-schen. Ich weiß, dass sich der Koalitionspartner fürdie breite Mehrheit der Unternehmen eine Quote von40 Prozent gewünscht hätte. Aber wir sagen: Man kannhier nicht mit der Brechstrange vorgehen. Wir brauchenkonkrete Zielvorgaben. Es ist entscheidend, dass sich et-was in den Unternehmen ändert. Aber ein Stahlunterneh-men ist anders zu betrachten als eine Bank. Deshalb istdie Mischung aus Flexiquote für eine Vielzahl von Un-ternehmen und deren Führungsetagen und fester Quotefür die Aufsichtsräte der Unternehmen, die einen beson-deren Vorbildcharakter haben, genau richtig. Deswegenbringen wir heute ein Gesetz auf den Weg, das ausgewo-gen ist, die Quote mit Augenmaß einführt, für die Unter-nehmen in unserem Land absolut machbar ist und sienicht, entgegen vielen Befürchtungen, mit zu viel Büro-kratie überfordern wird.
Es geht im öffentlichen Dienst darum, Strukturen auf-zubrechen. Auch hier ist nicht derjenige am fleißigsten,der am längsten im Büro sitzt. Auch hier stellen wir lei-der fest, dass es heute immer noch so ist, dass diejenigen– Männer und Frauen –, die familiären Verpflichtungennachgehen, die ihre Kinder erziehen, die wegen der Kin-der eine Zeit lang aus dem Berufsleben aussteigen, esdanach schwerer haben, bei ihrer Karriere im öffentli-chen Dienst nach oben zu kommen. Deshalb sagen wir:Was wir von den Unternehmen in Deutschland verlan-gen, verlangen wir auch im öffentlichen Dienst. Deswe-gen ändern wir das Bundesgleichstellungsgesetz und dasBundesgremienbesetzungsgesetz mit dem Ziel, auch beiden Unternehmen, in denen der Bund besetzt, mehrFrauen in die Gremien zu entsenden, und mit dem Ziel,auch in der öffentlichen Verwaltung Strukturen zu än-dern.Uns als Unionsfraktion ist wichtig, dass das ThemaFamilienfreundlichkeit zukünftig eines der Leitbilder imöffentlichen Dienst sein wird. Das stand immer schon imGesetz, aber sowohl Männer als auch Frauen, die wegender Erziehung ihrer Kinder eine Zeit lang aus dem Be-rufsleben aussteigen, haben es schwer. Deshalb ist einmoderner Ansatz von Gleichstellungspolitik, dass sichfür beide Geschlechter etwas ändert, wenn sie denn Fa-milienaufgaben wahrnehmen wollen. Deshalb haben wirden Gesichtspunkt der Familienfreundlichkeit in das Ge-setz hineinverhandelt. Ich bin meinen Kolleginnen und
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Nadine Schön
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Kollegen auch aus dem Innenbereich sehr dankbar, de-nen dies ebenfalls ein großes Anliegen war.
Frau Lay, Sie haben angesprochen, dass verschiedeneSachverständige gesagt hätten, das Gesetz sei verfas-sungswidrig. Sie haben aber außer Acht gelassen, dasswir im Ausschuss zahlreiche Änderungsanträge einge-bracht haben, die die Union in den letzten Tagen ausge-handelt hat.
Sie führen dazu, dass das Gesetz verfassungsgemäß ist,dass es wesentlich weniger bürokratisch ist als noch vorzwei Wochen und dass wir uns auf das Wesentliche kon-zentrieren, auch im öffentlichen Dienst. Gleichmachereiauf allen Ebenen macht gar keinen Sinn. Wir wollen,dass sich in den Führungspositionen etwas ändert. Wirwollen, dass die Behörden Spielraum haben, um ihreFrauenförderung vorzunehmen. Wir wollen aber nichtmit der Brechstange auf allen Ebenen 50 Prozent Män-ner und 50 Prozent Frauen durchsetzen. Das würde dieVerwaltungen überfordern.
– Ja, das führt dazu, dass man keine Zeit mehr hat, sichauf das Wesentliche zu konzentrieren. Deshalb habenwir diesen Punkt im Gesetz geändert. Dadurch wird dasGesetz weniger bürokratisch. Dadurch wird das Gesetzverfassungsgemäß. Ich bin sehr dankbar, dass wir das inden letzten Tagen noch mit dem Koalitionspartner aus-handeln konnten.
Insgesamt ist es ein gutes Gesetz, das die Strukturenin den Unternehmen und im öffentlichen Dienst verän-dern wird. Es wird dazu führen, dass wir mehr Frauen inFührungspositionen bekommen. Es wird dazu führen,dass sich die Mentalität in den Unternehmen und im öf-fentlichen Dienst ändert. Deshalb ist heute ein guter Tagfür Frauen. Ich freue mich ganz besonders auf den Tag,an dem wir diese Gesetze nicht mehr brauchen, weil wirdann die Gleichberechtigung erreicht haben und ebensoviele Frauen in Führungspositionen sind wie Männer.Herzlichen Dank für die guten Beratungen! Herzli-chen Dank an alle, die sich für mehr Frauen in Führungs-positionen engagiert haben! Ihre Arbeit ist noch nichtvorbei – da bin ich mir sicher. Wir werden gemeinsamdaran arbeiten, dass wir in Deutschland mehr Gleichbe-rechtigung, mehr Frauen in Führungspositionen und eingutes Miteinander der Geschlechter haben; denn nur sokönnen wir wirtschaftlich international erfolgreich sein.
Das Wort hat die Kollegin Katrin Göring-Eckardt fürdie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Ja, das ist heute ein großer Tag. Das ist heute einMeilenstein in der Debatte um die Gleichberechtigungvon Frauen und Männern in Deutschland.
So viele Frauen haben dafür gekämpft, dass es endlichgleiche Rechte gibt. Heute muss man tatsächlich einigenganz persönlich für die Quote danken. Ich will RamonaPisal vom Deutschen Juristinnenbund danken. Sie habenhart gekämpft, und zwar schon richtig lange.
Natürlich danke ich den Frauen von FidAR. FrauSchulz-Strelow, Sie sind erwähnt worden. Es waren auchviele andere, die sich immer wieder auf den Weg ge-macht haben und nicht nur Eulen nach Athen getragenhaben, sondern hart gekämpft und gesagt haben: Wir hö-ren nicht auf, wir lassen euch nicht in Ruhe, und, ja, wirnerven. – Herzlichen Dank dafür!
Das hat gezeigt: Es gibt sie, die Frauen, die in Führungs-positionen am besten und gut aufgehoben sind.Herzlichen Dank an die Frauen, die hier im Parlamentgemeinsam gekämpft haben, die Berliner Erklärung ini-tiiert haben und parlamentarisch wie außerparlamenta-risch miteinander gefightet haben. Ich will Ekin Deligözdanken, ich will Rita Pawelski danken.
Das war ein schwerer Weg für Sie, und heute kriegen Siedie Belohnung dafür. Ich will Dagmar Ziegler danken,und ich will Renate Künast danken. Sie waren diejeni-gen, die bei der Berliner Erklärung ganz vorn standen.
Ich will danken für Mut. Ich will danken für Aus-dauer. Ich will danken für Ihre Geduld, dafür, dass Siedie Sprüche ausgehalten haben: Wollen Sie etwa eineQuotenfrau sein?
Frauen bestehen doch durch Qualität! – Stimmt schon.Bei Männern kommt es darauf nicht nur an;
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Katrin Göring-Eckardt
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da reichen im Zweifel auch die entsprechenden Netz-werke. Deswegen hier ein klares Bekenntnis: Ja, ich bineine Quotenfrau, und ich bin stolz darauf.
Die heutige Abstimmung über diesen Gesetzentwurfist nicht das Ende des Kampfes, sondern ein Anfang fürmehr: für mehr Chancengleichheit, aber vor allem auchfür mehr unternehmerischen Erfolg, für mehr Frauenganz oben und in den Ebenen darunter. Deswegen ist esschon richtig, von einem Durchbruch zu sprechen.
Es ist nicht nur ein Durchbruch, weil sich so vieleFrauen unterschiedlicher Parteien zusammengetan ha-ben, sondern auch, weil die gläserne Decke endlich zu-mindest Risse bekommt. Es ist ein Durchbruch; denn dieheutige Abstimmung zeigt, dass die Diskussionen derletzten 30 Jahre nicht umsonst waren; auch wenn wirnicht zufrieden sein können. Es ist schon traurig, dassder Prozess so lange gedauert hat. Eigentlich waren wirim Dezember 2011 schon einmal genauso weit, wie wires heute sind. Dann haben Sie von der Union allerdingsdie Zeit genutzt, zu bremsen, zu bremsen, zu bremsen.Frau Schwesig, wenn Sie ehrlich sind, dann werdenauch Sie sagen: Das ist eher eine Quote light, und dasnervt. – Vielleicht liegt es ja daran, dass die Union nurein Drittel Frauen hat, in der Großen Koalition insge-samt liegt der Anteil bei nicht einmal 32 Prozent. Ichsage Ihnen: Das wird nur der Anfang sein. Wir werdenweiterkämpfen!
Eine Kritik kann ich Ihnen nicht ersparen. Das Thea-ter um die Quote, das Sie in den letzten Monaten hier un-tereinander aufgeführt haben, ist symptomatisch für das,was die Große Koalition macht. Die Serie heißt „GroßerStreit in der Großen Koalition“; ich habe allerdings ver-gessen, die wievielte Folge das gerade ist. In den letztenzehn Tagen ging es dabei um Stromtrassen, Maut, Min-destlohn, Mietpreise, Einwanderung, Soli und Kinder-geld;
das ist eine unvollständige Aufzählung. Meine Damenund Herren, ich sage Ihnen: Ordentlich regieren tut manso nicht!
Sie nerven die Öffentlichkeit, und Sie nerven auch dasParlament.Ich will zur Quote zurückkommen. Es gibt eine Sa-che, die nichts mit dem Streit untereinander zu tun hat,sondern damit, dass auch noch schlampig gearbeitetwird. „Schlecht gemacht“ war noch das Netteste, was dieSachverständigen in der Anhörung gesagt haben. Ja,meine Güte! Wie lange hatten Sie eigentlich Zeit? Gibtes in den Ministerien tatsächlich niemanden, der ein sol-ches Gesetz auf Verfassungsfestigkeit prüft?
Frau Schwesig, ich sage Ihnen: Die Frauen haben es ver-dient, dass Sie professionell an einem solchen Gesetz-entwurf arbeiten.Sosehr ich mich über Risse, Durchbruch und Anfangfreue, so ehrlich muss man sagen, wie klein die Maus ist,die den großen Elefanten „Gleichstellung“ schluckensoll. Wenn wir heute hier von der Quote sprechen, dannsprechen wir über etwas mehr als 100 Unternehmen;ehrlich gesagt, die Heulerei bei vielen dieser Unterneh-men nervt auch.
Das heißt, die Arbeitgeberseite muss in den nächstenJahren immer mal 60 Frauen finden, die bereit sind, diees können und die es wollen. Wir reden von 60 Frauen!Das ist wirklich nur ein Anfang. Man kann nicht sagen:Das ist ein großer Erfolg. Ich bin mir ganz sicher: Diese60 Frauen könnten wir innerhalb eines Monats finden.Wir müssten nicht Jahre warten.
Wenn man sich die Geschichte der Gesetzentwürfeanschaut, dann muss man wahrlich sagen: Das war einschwerer Weg. Und es wurde ja alles versucht: mit gu-tem Zureden, mit Frauen, die deutlich besser waren, alsdie männlichen Kandidaten, mit Selbstverpflichtung undwieder mit Reden. Ehrlich gesagt: Manchmal hatte manden Eindruck, diese Debatte hat die Dimension von auf-suchender Sozialarbeit.
Der Grund für den Widerstand gegen die Quote istund bleibt Machterhalt. Seit Jahren reden wir im Bun-destag mit der Wirtschaft über Frauen in Führungseta-gen. Aber die Appelle an Freiwilligkeit haben nichts be-wegt. Es ändert sich nur etwas, wenn es einen relevantenAnteil von Frauen in den Führungsetagen gibt. Es wirdsich nur etwas ändern, wenn es dafür eine Verpflichtunggibt.Ja, uns wäre ein Frauenanteil von 40 Prozent liebergewesen. Ja, es wäre uns sehr viel lieber gewesen, Siehätten die 3 500 börsennotierten oder mitbestimmungs-pflichtigen Unternehmen miteinbezogen; das ist heuteauch unser Angebot an Sie. Sie könnten noch dafür stim-men. Aber, ehrlich gesagt, so wie Sie aufgestellt sind, istdas noch nicht einmal eine kleine Mutprobe.
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Katrin Göring-Eckardt
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Ich bin mir nach vielen Gesprächen mit Vertreternvon Unternehmen, bei denen ich Argumente gehörthabe, die mich echt fassungslos gemacht haben, ganz si-cher: Die Quote wird auch für die Unternehmen gut sein.Alle reden selbstverständlich von Diversity, und das hatmit unternehmerischem Erfolg zu tun.
Ein Argument, das ich immer wieder gehört habe,war, Frauen seien für solche Jobs zu wenig vorbereitet.Aha. Wie ist das eigentlich bei der Bankenkrise gewe-sen? War da das Problem, dass die Männer, die dieMehrheit in den Aufsichtsräten gestellt haben, zu wenigvorbereitet waren?Dann wird gesagt, Frauen wollten ja gar nicht. SuperArgument! Vielleicht sollte man sich mal darüber Ge-danken machen, warum manche Frauen sagen, sie wol-len nicht! Vielleicht haben sie keine Lust auf eine Kultur,bei der es weniger um die Sache geht als um Konkurrenzund Wichtigtuerei. Klar ist aber auch: Heute ist der Tag,wo die Frauen sagen müssen: Ja, ich will, und selbstver-ständlich kann ich das auch.
Wir brauchen in unserer Wirtschaft das Potenzial vonFrauen für gute Führungskultur, wir brauchen das Poten-zial für neue Impulse. Und: Nein, wir sind immer nochnicht müde, wir halten noch eine ganze Menge Macho-sprüche aus; da können Sie sich sicher sein. Und damitdas klar ist: Frauen bilden Banden, weiterhin.
Die Kollegin Birgit Kömpel hat für die SPD-Fraktion
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte FrauBundeskanzlerin! Sehr geehrte Frau MinisterinSchwesig! Sehr geehrter Herr Minister Maas! Und Siesind heute noch nicht genannt worden: Liebe FrauScherb vom Deutschen LandFrauenverband! Meine Da-men und Herren! Der norwegische WirtschaftsministerTrond Giske sagte zur Einführung der gesetzlichen Frau-enquote in seiner Heimat: Brechen wir diese Männerbas-tion nicht, schaffen wir nie die Gleichberechtigung. –Und es stimmt: Die freiwilligen Selbstverpflichtungensind auf ganzer Linie gescheitert,
aber nicht daran, meine Damen und Herren, dass es nichtgenügend qualifizierte Frauen gibt. Die gibt es mehr alsgenug: besser ausgebildet und besser qualifiziert als ihremännlichen Mitstreiter. In unseren Führungsetagen abersitzen nur Männer – weil Männer immer noch Männerfördern, weil Netzwerke immer noch männlich domi-niert sind. Das bedeutet, meine Damen und Herren:Nicht die Besten gelangen auf die Führungspositionen,sondern nur die am besten vernetzten.
Frauen stoßen auf ihrem Weg nach oben noch immer andie gläserne Decke. Die Quote schafft jetzt faire Wettbe-werbsbedingungen.Nun zum Bundesgleichstellungsgesetz. Warum keinreines Frauenförderungsgesetz? Zunächst einmal möchteich betonen: Der SPD war die Frauenförderung schonimmer wichtig und wird es weiterhin sein. Sie ist auch indiesem Gesetz klar verankert.
Aber wir sind – unsere Ministerin Manuela Schwesig hates gesagt – für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauenund Männern. Was bedeutet das? Das heißt, wir wollenRollendenken aufbrechen, wir wollen die sogenanntenMänner- bzw. Frauenberufe neu bewerten, und wirmöchten, dass Frauen und Männer sich Familienarbeitpartnerschaftlich teilen.
Denn bisher ist Frauenarbeit – auch gemäß unseremRollendenken – fast immer weniger wert. Kranken-schwestern und Erzieherinnen, die wahrlich Verantwor-tung tragen, werden oft viel schlechter bezahlt als diemeisten männlichen Werksarbeiter. Das ist schwer zuverstehen, und hier müssen wir ansetzen; denn dann erstgewinnen wir männliche Erzieher und mehr Frauen fürunsere Polizei. Das, meine Damen und Herren, ist ge-rechte Teilhabe im Berufsleben.
Aber Gleichberechtigung fordert noch viel mehr:Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, das mussgleichermaßen von Frauen und Männern übernommenwerden.
Bisher leisten diese Arbeit in der Regel eben die Frauen.Das neue Gesetz richtet die Vereinbarkeitsangebote da-her ausdrücklich auch an Männer. Diese haben Verein-barkeitsangebote in der Vergangenheit bisher meist aus-geschlagen, natürlich auch weil sie berufliche Nachteilebefürchtet haben.Und jetzt? Jetzt haben wir ein Benachteiligungsver-bot. Wer eine Vereinbarkeitslösung wählt, darf zukünftignicht mehr benachteiligt werden, nicht bei der Beförde-rung, nicht bei der Rückkehr in Vollzeit, nicht auf dem
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8747
Birgit Kömpel
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Karriereweg. So geht Gleichstellung, meine Damen undHerren!
Wir müssen den Mädchen und den jungen Frauenaber auch sagen: Auf geht’s, ihr seid am Zug! Geht eurenWeg! Macht Karriere! – Ich habe eine 17-jährige Tochterund bekomme Gänsehaut bei dem Gedanken, dass sievon der Quote profitieren wird.
Sie wird nicht mehr gegen die gläserne Decke stoßen –trotz hervorragender Leistungen.Noch ein Beispiel. Seit über 20 Jahren arbeite ich ineinem Bereich, in dem ich mit Personalentscheidungenzu tun habe. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen – freinach Maggie Thatcher –: Willst du etwas gesagt haben,frag einen Mann. Willst du etwas getan haben, frag eineFrau.
Frauen sorgen nachweislich für mehr Effizienz in Füh-rungsteams. Das beschränkt sich aber nicht darauf, dassBesprechungen und Konferenzen kürzer werden. Ge-mischte Führungsteams sind auch kreativer und produk-tiver. Endlich gibt es mal geistreiche Witze, Begeiste-rung und Inspiration.
Aber auch Top-down verändert sich einiges. Plötzlichgibt es dann familienfreundliche und flexible Arbeitszei-ten, Kinderbetreuung, Angebote für Teilzeit- und Tele-arbeit auch für Männer. Quote sorgt für ein besseresArbeitsklima. Quote sorgt für eine neue, bessere Unter-nehmenskultur.
Weil es gerade so perfekt passt, noch ein Beispiel.Mein Büro in Berlin wird in Teilzeit geführt. Ja, Sie ha-ben richtig gehört: Meine Büroleitung arbeitet in Teil-zeit. Wir sehen also: Führungspositionen und Teilzeitsind kein Widerspruch, auch im Deutschen Bundestagnicht.
Wir sehen also: Die Wahrnehmung von Führungspositio-nen klappt auch in Teilzeit. Darum, meine Herren in derWirtschaft: Hören Sie auf zu jammern und zu klagen!Die Quote wird kommen. Sie wird keinesfalls schaden,sondern wird vielfachen Nutzen bringen. Sie ist überfäl-lig; denn Sie, meine Herren, hatten Ihre Chance. Diesehaben Sie vertan.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Susanna Karawanskij für
die Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Gut Ding will bekanntlich Weile haben. VieleMonate wurde über den Gesetzentwurf diskutiert. Re-kordverdächtige sechs Referentenentwürfe gingen die-sem Entwurf voran. Gerade die Wirtschaft jaulte am lau-testen auf. Die Widerstände von Unternehmen, aberauch von Teilen der Union waren teilweise aberwitzig.Wie immer wurde der Untergang des Wirtschaftsstand-orts Deutschland heraufbeschworen – wie immer zu Un-recht. Aus linker Sicht gibt es durchaus einige Kritik-punkte an diesem Gesetzentwurf; darauf hat meineKollegin Caren Lay schon deutlich hingewiesen.Aber ich muss hier auch sagen: Gut Ding musstenicht nur Weile haben, sondern es musste zusammen mitInitiativen und Verbänden auch beharrlich Druck aufge-baut werden. Ich bin froh, dass es gemeinsam gelungenist, auch unter Beteiligung der Linken, dass es inDeutschland zumindest ein bisschen Quote gibt, einbisschen „gut Ding“, woran wir alle teilhaben könnenund in Zukunft teilhaben werden.
So können wir zumindest den Regelungen für den Be-reich der Privatwirtschaft zustimmen; denn es ist in derTat ein guter Schritt, ein guter Anfang. Natürlich mussdie Tendenz sein, weiterzumachen. Dabei brauchen dieGegner einer generellen Quotierung und sonstige Hard-liner gar nicht blass zu werden und den Untergang desmännlichen Abendlandes heraufzubeschwören; denn dieFrauenquote soll gar nicht für alle Unternehmen gelten.Es geht nicht um eine Quote im Sinne von fifty-fifty,sondern um schüchterne 30 Prozent. Und diese Quotesoll ja nur für die Aufsichtsräte, allerdings nicht für dieVorstände gelten. Trotzdem: Es ist ein wichtiger, ein his-torischer Schritt in Richtung Gleichberechtigung. Vor al-len Dingen ist der heutige Tag nicht nur ein guter Tag fürFrauen, sondern eigentlich auch ein guter Tag für Män-ner
und für die Unternehmen, die jetzt keine Ausreden mehrhaben, auf den Sachverstand und die Qualität vonFrauen in ihren Reihen zu verzichten.Eine feste Quote von 30 Prozent soll es nur für dieAufsichtsräte der ungefähr 100 Großunternehmen ge-ben. Aber ich möchte an dieser Stelle schon noch einmalfragen: Was passiert eigentlich mit den 3 500 börsenno-tierten oder mitbestimmungspflichtigen Unternehmen?Selbstverpflichtungen haben schon bei den Bankennichts genützt. Sie nützen auch hier nicht. Bessern Siehier nach. Sanktionen bei Nichterfüllung der selbst ge-steckten Zielvorgaben sind nicht vorgesehen. Einfach ei-nen Bericht hinzuschludern, reicht nicht aus. Das alles
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8748 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Susanna Karawanskij
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hat im Nachgang die Durchschlagskraft eines Papp-schwerts. Ich möchte Sie auffordern, diese Leerstelle zufüllen und vor allen Dingen die 30-Prozent-Quote raschauf alle börsennotierten oder mitbestimmungspflichtigenUnternehmen auszuweiten.
Natürlich kämpft die Linke auf lange Sicht für eineAusweitung der Quote auf 50 Prozent in den Aufsichts-räten, aber vor allen Dingen in den noch wichtigerenVorständen. Grundsätzlich fordern wir das ja nicht nurfür die Privatwirtschaft, sondern auch für den öffentli-chen Dienst und die gesamte Arbeitswelt.Wir sollten sehen, dass diese Quote ein Mittel zurGleichstellung ist. Sie ist aber nicht deren Ziel. Wir müs-sen die strukturelle Benachteiligung von Frauen in derGesellschaft beseitigen. Um es klar zu sagen: Wir müs-sen weiter die Weichen dafür stellen, damit Frauen – erstrecht bei gleicher Qualifikation und Eignung – in denFührungsetagen zur Selbstverständlichkeit werden undkeine exotischen Ausnahmen sind.
Ich möchte hier noch einmal betonen, dass Frauennicht nur im Alltag und im gesellschaftlichen Zusam-menleben, sondern auch in der Arbeitswelt gleichgestelltwerden müssen. Gerade Frauen sind von Niedriglöhnenund von prekärer Beschäftigung betroffen. Nicht nur fürsie, aber gerade auch für sie brauchen wir einen flächen-deckenden gesetzlichen Mindestlohn – ohne Löcher,ohne Hintertüren und ohne Tricksereien. Es muss weiterbei den Löhnen und bei den Arbeitsbedingungen ange-setzt werden, meine Damen und Herren von der Regie-rungsbank. Wir Linke stehen nach wie vor für gute Ar-beit und gute Löhne. Das gilt gleichermaßen für Frauenwie für Männer.
Ich möchte mit einem Wunsch für die Zukunft schlie-ßen: Ich wünsche mir für alle Frauen, aber natürlichauch für die Männer und für die Unternehmen, dass dieNachfrage, ob man eine Quotenfrau sei, endlich der Ver-gangenheit angehört. Vielmehr muss es eine Selbstver-ständlichkeit sein, dass sich genauso wie bei den Män-nern Qualität durchsetzt – und das nicht nur, weilübermorgen Frauentag ist.Vielen Dank.
Der Kollege Marcus Weinberg hat für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Der siebte Rednerist der erste Mann. Das ist, glaube ich, gut so.
Ich will jetzt nicht die Reihe der Personen, denen zudanken ist, fortsetzen. Ich will aber sagen: Es gibt aucheinige Männer, die für die Quote gekämpft haben. Auchihnen sei einmal Dank ausgesprochen für die Arbeit derletzten Wochen und Tage – wie ich glaube, auch zuRecht.
Ich möchte anknüpfen an das, was gesagt wurde. Wirhaben immer Folgendes gesehen: Die Quote ist nicht dasZiel. Die gleichberechtigte Teilhabe ist das Ziel. DieQuote ist ein Hilfsmittel.
Ich sage das als jemand, der wie viele von uns Freiheitals das grundlegende Ideal ansieht. Quoten und Quorenbedeuten immer eine Einschränkung der Freiheit. Inso-fern ist das, was Nadine Schön gesagt hat, richtig. DasZiel muss es sein, dass wir eines Tages auf dieses Gesetzverzichten, weil wir in einer Gesellschaft leben, in derwir die gleichberechtigte Teilhabe verwirklicht haben.
Zwei Dinge wurden gesagt, die auch durch Studienimmer wieder belegt werden: Erstens. Frauen werden,was Führungspositionen angeht, weiterhin benachteiligt.Zweitens wurde gesagt: Viele in Verantwortung stehendePersonen, insbesondere Männer, hatten die letzten Jahreviele Chancen. Viele Unternehmen hatten Chancen, frei-willig dafür zu sorgen, dass mehr Frauen in Führungs-positionen kommen.Aber jetzt ist angesichts der weiterhin geringen An-zahl von Frauen in Führungspositionen in der Privatwirt-schaft und auch im öffentlichen Dienst der Zeitpunkt ge-kommen, an dem der Gesetzgeber den Auftrag desGrundgesetzes umsetzt. Denn das Grundgesetz schreibtuns in Artikel 3 vor, Gleichberechtigung sicherzustellen.Deswegen ist es durchaus ein historischer Tag; das istrichtig. Noch schöner wird der Tag sein, an dem wir aufdieses Gesetz verzichten können. Noch einmal: Wir ma-chen eigentlich nicht mehr, als das Grundgesetz zu be-achten. Das Ziel ist es, eine echte und tatsächliche Chan-cengleichheit zu erreichen.
Ich möchte gleich noch auf einzelne Punkte des Ge-setzesvorhabens eingehen. Zuvor möchte ich allerdingsnoch zwei, drei Sätze zu grundsätzlichen Fragen einerGleichstellungspolitik und Frauenpolitik sagen. Denn eslohnt sich immer, in der Politik zu fragen: Was ist eigent-lich das Staatsverständnis, hinter dem wir stehen? Wo-rum geht es eigentlich grundsätzlich bei der Debatte überGleichstellungspolitik?
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8749
Marcus Weinberg
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Frauen und Männer sind nicht gleich.
Sie sind gleichberechtigt, und sie sind gleichwertig.Gleichstellungspolitik muss nach unserer Meinung im-mer vom gleichen Selbstbestimmungsrecht und demgleichen Recht eines jeden Individuums ausgehen, nacheinem glücklichen Leben zu streben und sein Leben sozu leben, wie er oder sie es möchte. Das Recht aufSelbstverwirklichung ist Kerngedanke der Freiheit. Diefreiheitliche Grundordnung unserer Verfassung ver-pflichtet den Staat, das Recht auf Chancengleichheit zuermöglichen und durchzusetzen. Echte Gleichstellungs-politik ist daher eine Politik der Freiheit.
Eine der Freiheit verpflichtete Gleichstellungspolitikkann nicht das Ziel haben, die Geschlechter unabhängigvon ihren Interessen und ihren Neigungen gleichzuma-chen. Eine der Freiheit verpflichtete Gleichstellungspoli-tik kann auch nicht das Ziel haben, ein bestimmtesFrauen- oder Männerbild vorzuschreiben.
Vielmehr ist das Ziel: Eine der Freiheit verpflichteteGleichstellungspolitik konzentriert sich darauf, dortNachteile zu beseitigen, wo sie für ein Geschlecht gege-ben sind. In alle anderen Bereiche hat sich der Staatnicht einzumischen. Das setzen wir jetzt mit diesem Ge-setz tatsächlich um. Wir sagen: Dort, wo es Benachteili-gungen gibt, werden wir jetzt aktiv. Deswegen ist esauch an der Zeit, dass dieser Gesetzentwurf jetzt verab-schiedet wird.
Wir haben im parlamentarischen Verfahren lange undsehr intensiv diskutiert. Wir haben im privatrechtlichenTeil noch einige Veränderungen durchsetzen können, diegut und sinnvoll waren,
weil sie einerseits dem Auftrag des Grundgesetzes ent-sprechen und andererseits dafür sorgen, dass wir keinÜbermaß an Bürokratie haben. Dazu werden die Kolle-gen gleich noch einiges sagen.Beim öffentlich-rechtlichen Teil hatten wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion allerdings erheblichen Nach-besserungsbedarf. Denn unser Ziel ist es nicht, Paritätauf allen Ebenen der Bundesverwaltung zu haben, son-dern unser Ziel ist es nur, Benachteiligungen abzubauen.Das heißt, statt Frauenförderung sah der Gesetzentwurfauf allen Ebenen der Bundesverwaltung das Prinzip derGeschlechterparität vor. Um eines klarzustellen: Auchich sage, dass wir in vielen Bereichen, zum Beispiel inKitas oder in Grundschulen, mehr Männer brauchen. Inanderen Bereichen brauchen wir natürlich mehr Frauen.Aber Parität kann kein Staatsziel sein. Das Ziel des Staa-tes ist es, Benachteiligungen im Sinne der Freiheit abzu-bauen, und nicht, mit einem jeweiligen Anteil von50 Prozent Parität und Gleichheit zu schaffen. Das istnicht Ziel des Staates.
Das haben auch mehrere Sachverständige bei derAnhörung deutlich herausgearbeitet; dies wurde in derDebatte schon angedeutet. Hauptkritikpunkt der Sach-verständigen war das Ziel der Geschlechterparität imBundesgleichstellungsgesetzentwurf. In der Praxis hättees bedeutet – das wurde häufig angesprochen –, dass dieBundesverwaltung auf allen Ebenen hätten schauenmüssen, wie es mit der Parität aussieht und wie sie sieerreicht. Das wollten wir als Union mit unserem freiheit-lichen Staatsverständnis nicht. Denn unser freiheitlichesStaatsverständnis beruht darauf, dass der Staat nur danngesetzlich eingreifen soll und darf, wenn bestehendeNachteile für ein Geschlecht beseitigt werden müssen.Das Ziel der Geschlechterparität unabhängig von derBenachteiligung, also nur um der Parität willen, ist mitunserem Staatsverständnis nicht vereinbar. Deshalb wares gut, dass wir im parlamentarischen Verfahren – wirsind ja selbstbewusste Parlamentarier – das eine oderandere noch geändert haben. Damit kommt jetzt zur Gel-tung, worauf es ankommt: Frauen, die strukturell be-nachteiligt werden, werden weiterhin gefördert. Dasmuss unser Ziel sein. Im Bereich der Privatwirtschaftwollen wir mit der festen Quote deutlich machen, dassdieses Ziel umgesetzt werden muss.Wir sind mit dem Gesetzentwurf in der jetzigen Fas-sung zufrieden. Das Gesetz ist ein notwendiger Türöff-ner. Es soll einen kulturellen Wandel mit sich bringen,und zwar in allen Ebenen der Gesellschaft. Dieses Ge-setz soll sich eines Tages überflüssig machen, sowohlhinsichtlich der Verwaltung als auch hinsichtlich der Pri-vatwirtschaft.Ziel muss sein, dass wir über diese Themen gar nichtmehr diskutieren müssen, weil wir etwas erreicht haben,was unserem freiheitlichen Staatsverständnis entspricht.Dieses Ziel ist, dass wir eine gleichberechtigte Teilhabevon Männern und Frauen, und zwar nicht nur in Füh-rungspositionen, erreichen und endlich eine Gesellschafthaben, in der wir nicht mehr über Quoten und Quorendiskutieren müssen, weil die Gleichberechtigung eineSelbstverständlichkeit ist. Dazu ist dieses Gesetz dervorletzte Schritt. Der letzte Schritt wird sein, dass wirdieses Gesetz, weil es überflüssig ist, „beerdigen“ kön-nen. Das wäre ein wirklich guter Tag für die Gleichstel-lungspolitik in Deutschland.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Ulle Schauws für die Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen.
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8750 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Gäste!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich sage: Heuteist ein guter Tag für die Gleichstellung in unserem Land.
Denn die gesetzliche Quote für die Aufsichtsräte wirdendlich Realität. Das ist ein großer Erfolg. Ich will sa-gen: Das ist wirklich großartig.Viele von uns hier im Parlament haben jahrelang da-für gestritten. Das war allerdings nicht nur im Parlamentder Fall. Denn ohne die Unterstützung der Frauen ausVerbänden wie dem Deutschen Juristinnenbund, FidAR,dem Verband deutscher Unternehmerinnen, den Land-frauen und vielen anderen wären wir nicht so weit ge-kommen. Ich möchte stellvertretend Ramona Pisal,Monika Schulz-Strelow, Brigitte Scherb und auch meineKollegin Irmingard Schewe-Gerigk nennen. Ohne diesegroßartigen Frauen wäre dieser Erfolg nicht möglich ge-wesen.
Wir alle haben immer wieder die gesetzliche Quoteeingefordert, weil es keinen einzigen Grund gibt, denvielen hochqualifizierten Frauen irgendeinen Karriere-weg zu verweigern, weil die jahrelange freiwilligeSelbstverpflichtung der Wirtschaft den Frauen nichts ge-bracht hat und weil es mittlerweile zu einem echtenImageproblem für deutsche Unternehmen geworden ist,dass wir bei den Aufstiegschancen und der Bezahlungvon Frauen eher Entwicklungsland sind. Für diesesgroßartige Engagement und für ihren langen Atemmöchte ich allen Beteiligten herzlich danken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Ko-alition, liebe Bundesregierung, es ist schade, dass SieIhre Mehrheiten nicht genutzt und mehr daraus gemachthaben. Die 30-Prozent-Quote ist gut, sie ist aber keinwirklich großer Wurf. Wir fordern in unserem Gesetz-entwurf 40 Prozent; das EU-Parlament fordert diesebenso. Ich sage Ihnen ehrlich: Das hätten wir sehr gerneheute mit Ihnen hier beschlossen.
Was ich aber wirklich kritisieren muss, ist, dass Siediese 30 Prozent nur für Aufsichtsräte in gerade einmal108 Unternehmen festschreiben wollen. Da springen Siedeutlich zu kurz. Was wir brauchen, ist eine Quote fürbörsennotierte oder mitbestimmungspflichtige Unter-nehmen. Wir brauchen eine Quote, die für 3 500 Unter-nehmen gilt.
Das fordern wir Grüne, und das fordert FidAR. Damitwürden wir in Sachen Gleichberechtigung wesentlichschneller nach vorne kommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch beim Bundes-gremienbesetzungsgesetz ist von Ihrer Ankündigung, dieöffentlichen Unternehmen müssten mit gutem Beispielvorangehen, nicht viel übrig geblieben. Erst war eineQuote von 50 Prozent vorgesehen. Jetzt ist nur noch eine30-Prozent-Quote im Gesetz zu finden. Von einer Vorrei-terrolle kann jedenfalls nicht mehr die Rede sein.Liebe Ministerin Schwesig, lieber Minister Maas, ichmuss Ihnen auch sagen: Was die technische Umsetzungangeht, war das abenteuerlich, was Sie hier gemacht ha-ben.
In der Anhörung im Ausschuss letzten Montag hageltees kurz vor Toresschluss heftige Kritik vonseiten derSachverständigen. Der Tenor war: handwerklich schlechtgemacht, praxisuntauglich und in sich widersprüchlicheRegelungen. – Mal ganz davon abgesehen, dass wir eineSondersitzung des Ausschusses am Mittwochnachmittageinberufen mussten, weil noch Fehler gefunden wurden,ist das, finde ich, starker Tobak für einen Gesetzentwurf,für den ein Jahr lang Zeit war.
Beim Bundesgleichstellungsgesetz wurde zu Rechtinsbesondere die neu eingeführte Männerquote als ver-fassungswidrig kritisiert. Eines ist doch klar: Dass es zuwenige männliche Sachbearbeiter, Erzieher und Grund-schullehrer gibt, liegt daran, dass sich Männer auf dieseimmer noch schlecht bezahlten Jobs schlichtweg nichtbewerben und diese Berufe als Frauenberufe gelten. Miteiner strukturellen Benachteiligung von Männern hat dasnichts zu tun.
Das haben Sie sozusagen in letzter Minute behoben, unddas war ja wohl auch das Mindeste.Das Ziel, das Gesetz zu verschärfen, haben Sie abernicht erreicht. Entscheidende Punkte wurden nicht ange-fasst. Es gibt keine Sanktionen, wenn das Gesetz nichteingehalten wird. Außerdem gibt es immer noch keinKlagerecht für die Gleichstellungsbeauftragten. Deswe-gen sind diese auch dagegen Sturm gelaufen.Daher sage ich Ihnen: Streichen Sie Artikel 2 IhresGesetzentwurfs! Stimmen Sie unserem Änderungsantragzu! Überarbeiten Sie das Bundesgleichstellungsgesetzauf einer soliden Grundlage!
Alles andere ist der Versuch, ein totes Pferd wiederzube-leben.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden deshalbheute getrennte Abstimmung beantragen und das Bun-desgremienbesetzungsgesetz und das Bundesgleichstel-lungsgesetz ablehnen. Der Änderung des Aktienrechtswerden wir Grünen zustimmen, und zwar trotz der Tat-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8751
Ulle Schauws
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sache, dass unser eigener Gesetzentwurf der weiter ge-hende ist.Trotz meiner Kritik will ich am Schluss eines in allerDeutlichkeit sagen: Dass besonders Sie, Frau Schwesig,bei allem Gegenwind aus den Reihen der Union und derWirtschaft so konstant und beharrlich geblieben sind,war bemerkenswert.
Darum ist klar, dass wir als Grüne unsere Aufgabe alsOppositionskraft auch genauso beharrlich weiterverfol-gen werden wie bisher und frauenpolitisch mehr einfor-dern. Denn nur so, nur in diesem Zusammenspiel derparlamentarischen Demokratie, nur so können wir amEnde gemeinsam mehr für Frauen in diesem Land errei-chen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Sönke Rix für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zunächst einmal möchte ich an die Ausführungen mei-ner Vorrednerin anknüpfen: Wenn die Gemeinsamkeitengroß genug sind, dann kann man auch Großes bewirken.Das zeigt der heutige Tag, liebe Kolleginnen und Kolle-gen.
Es waren die Frauen der SPD, der Linkspartei, derGrünen und auch der Union, die sich aufgemacht undsich über die Berliner Erklärung für die Quote eingesetzthaben.
Der Druck, den wir alle durch unsere weiblichen Frak-tionsmitglieder erfahren haben, hat dazu beigetragen,dass wir heute diesen historischen Schritt gehen können.
Deshalb gilt mein Dank insbesondere diesen Pionie-rinnen, die sich gegen den Widerstand insbesondere ausder Wirtschaft aufgemacht haben. Aber auch die Arbeit-nehmerseite – das muss man auch einmal sagen – hat dasGanze sehr kritisch betrachtet. Diese Frauen haben sichdennoch auf den Weg gemacht und gesagt: Gemeinsamsind wir stark. Deshalb verbünden wir uns und treibendie Kerle vor uns her. – Einige mussten mehr getriebenwerden, andere weniger. Stimmt’s, Marcus?
Sie haben dazu beigetragen, dass wir als Große Koali-tion jetzt diesen Gesetzentwurf vorlegen können unddiesen heute auch beschließen werden.Ich will mich auch bei den Grünen bedanken, die an-gekündigt haben, Artikel 3 zuzustimmen. Natürlich kannman immer mehr machen und immer weiter gehen. Esist aber wichtig, diesen wichtigen Schritt zu gehen undzu dokumentieren, dass sich dieser gemeinsame Kampfgelohnt hat. Deshalb bedanke ich mich für die Zustim-mung außerhalb der Großen Koalition zu diesem Punkt.Herzlichen Dank.
Es ist gerade die Frage aufgeworfen worden, ob die-ses Gesetz irgendwann einmal überflüssig wird. Das istder Wunsch. Thomas Oppermann hat soeben gesagt,dass wir das wohl nicht mehr erleben werden. Ich glaubeeher, dass wir irgendwann einmal darüber diskutierenwerden, ob die 30 Prozent nicht zu wenig sind.
Natürlich muss das das Ziel bleiben. Überlegen wiraber einmal, wie lange wir die Freiwilligkeit gehabt undgedacht haben, dass auch das irgendwann einmal klap-pen wird. Deshalb bezweifele ich, dass dieses Gesetz innächster Zeit zu einem überflüssigen Gesetz wird. Wirwerden an dieser Stelle eher eine Verschärfung vorneh-men. Das werden aber die Erfahrungen zeigen, liebeKolleginnen und Kollegen.
Ich will noch etwas zum Bundesgleichstellungsgesetzsagen, weil das auch Bestandteil der parlamentarischenAuseinandersetzung oder zumindest der Anhörung war.Dort ging es auch um die Frage, ob das Ganze verfas-sungskonform war. Der Verfassungsrechtler hat uns diesin der Anhörung jedoch bestätigt, und ich weiß, dass dieBundesregierung einen verfassungsgemäßen Gesetzent-wurf vorgelegt hat.Es stellte sich auch noch die Frage, warum wir imBundesgleichstellungsgesetz jetzt plötzlich beide Ge-schlechter ansprechen. Diese Frage ist natürlich berech-tigt, weil nach wie vor die Frauen in der Gesellschaft, inder Wirtschaft und in der Politik strukturell benachteiligtsind. Deshalb ist die Frauenförderung ja auch nach wievor ein großes Ziel, das mit dem Bundesgleichstellungs-gesetz verfolgt wird.
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8752 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Sönke Rix
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Aber warum Parität? Ich glaube, dass es wichtig ist,innerhalb der Gleichstellungspläne auch Geschlechter-stereotypen aufzugreifen und zu verändern. Das betrifftnicht nur den männlichen Sekretär, sondern auch dieweibliche Polizistin. Ich glaube, es ist sinnvoll, dass sichder öffentliche Dienst auch an die eigene Nase fasst undfragt, warum dort zu wenige Männer Sekretäre und zuwenige Frauen bei der Polizei sind. Deshalb ist es gut,dass wir beide Geschlechter im Gesetz angesprochen ha-ben.
Es wird behauptet, das alles würde sich dann verän-dern, wenn man die Bezahlung erhöhen würde. Wennman beispielsweise die Bezahlung für Erzieherinnenoder Sekretärinnen erhöhen würde, dann würden auchmehr Männer diesen Beruf ergreifen. Dazu will ich andieser Stelle deutlich sagen: Es kann nicht sein, dassman die Tarife für die Erzieherinnen und Erzieher nur er-höht, damit mehr Männer diesen Beruf ergreifen; dennauch wenn in diesem Job ausschließlich Frauen tätig seinwürden, würde es sich lohnen, hier für Lohngerechtig-keit zu kämpfen.
Über das Thema „Gleicher Lohn für beide Geschlech-ter bei gleicher Arbeit“ werden wir uns in diesem Bun-destag aber beim nächsten Mal wieder intensiv auseinan-dersetzen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Der Kollege Dr. Stephan Harbarth hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!Uns alle in diesem Haus eint das Ziel, Frauen einegleichberechtigte Teilhabe in unserer Gesellschaft zu er-möglichen. Unser Wunsch ist, dass dieses Ziel in ersterLinie nicht durch Normen und Paragrafen, sonderndurch innere Überzeugung erreicht wird, dass es dieMenschen also als selbstverständlich empfinden, dass je-mand in diesem Land völlig unabhängig von seinem Ge-schlecht Erfolgschancen wahrnehmen kann.
Dies ist für uns eine Gerechtigkeitsfrage und auch wich-tig im Kontext der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.Wie ist die Ausgangslage? Der Weg bis zur vollstän-dig gleichberechtigten Teilhabe von Frauen in unsererGesellschaft ist lang. Es gibt aber Bereiche, in denenschon einiges erreicht wurde. Ich nenne zum Beispiel diePolitik. Der einflussreichste, erfolgreichste und angese-henste Politiker Europas ist seit vielen Jahren eine Frau:unsere Bundeskanzlerin.
Dass sich die Menschen wünschen, dass das noch mög-lichst viele Jahre so bleiben möge, ist ein Zeichen für diegesellschaftliche Normalität, die wir hier erreicht haben.
Daneben nenne ich die öffentliche Verwaltung, dieJustiz, die Wissenschaft und die Kultur. Im Bereich derWirtschaft fällt das Bild gemischt aus. Man kann fest-stellen, dass viele Führungsebenen, die in den vergange-nen Jahrzehnten in den Händen von Männern waren,heute zu einem erheblichen Teil von Frauen besetzt wer-den. Man muss aber auch feststellen, dass dies nicht fürdie absoluten Spitzenpositionen in unserer Wirtschaftgilt. Dort sind Frauen sehr rar gesät.Dass es auch anders sein kann, zeigt uns ein Blicküber den Großen Teich. In Amerika stehen an der Spitzevieler Konzerne Frauen. Ich nenne exemplarisch nurIBM, General Motors, Pepsi, Yahoo, Hewlett-Packardund DuPont. Wenn uns in Deutschland mehr Namenamerikanischer Unternehmensführerinnen als deutscherTopmanagerinnen einfallen, dann zeigt das, dass wir inDeutschland einen Missstand haben;
einen Missstand, der übrigens nicht nur etwas mit denUnternehmen selbst zu tun hat, sondern der seine Ursa-che schon im Bereich der Ausbildung hat. Wenn mansieht, dass Frauen und Mädchen in den MINT-Berufen,in den technischen Berufen und den Ingenieurwissen-schaften noch immer unterrepräsentiert sind, brauchtman sich nicht zu wundern, wenn eines Tages in Füh-rungspositionen bei Maschinenbauern wenig Frauen ver-treten sind. Insofern ist die Gesellschaft insgesamt ge-fragt.Im Jahre 2001 gab es die freiwillige Selbstverpflich-tung der deutschen Wirtschaft. Wir müssen feststellen:Diese Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft hatnicht wirklich funktioniert.
Sie hat möglicherweise auch deshalb nicht funktioniert,weil dem politischen Impetus die Glaubwürdigkeit ge-fehlt hat. Das war die Zeit, in der wir einen Bundeskanz-ler hatten, der Frauen- und Familienpolitik als „Gedöns“verspottet hat.
Wenn man das auf der einen Seite tut und auf der ande-ren Seite mehr Frauen in Führungspositionen fordert,dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn dann dieGlaubwürdigkeit fehlt.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8753
Dr. Stephan Harbarth
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Ich möchte an dieser Stelle Angela Merkel dafür danken,dass sie nun im zehnten Jahr Frauenpolitik und Fami-lienpolitik in diesem Land nicht mit abwertenden Sprü-chen, sondern mit innerer Hingabe begleitet.
Wir haben die Aufgabe, gemäß dem erkannten Rege-lungsbedarf zu handeln. Uns geht es um folgendes Ziel:Wir wollen mehr Frauen in Führungspositionen. Wirwollen aber keine gleichmacherische, keine pauschalie-rende Lösung für alle Unternehmen in Deutschland, son-dern wir wollen maßgeschneiderte Lösungen. Deshalbdifferenzieren wir hier zwischen verschiedenen Unter-nehmen.In vielen mittelständischen Unternehmen in Deutsch-land ist es längst eine Selbstverständlichkeit, dass dasKind des Eigentümers in der nächsten Generation denBetrieb, völlig unabhängig von seinem Geschlecht, über-nimmt. Den Betrieb kann also in der nächsten Genera-tion die hochqualifizierte Tochter genauso wie der hoch-qualifizierte Sohn übernehmen. Für diese Betriebebrauchen wir in Deutschland keine Quote. Deshalb ist eswichtig, dass wir hier keine Quote haben.
Für ungefähr 3 500 Unternehmen in Deutschland füh-ren wir eine Quote ein: für ungefähr 97 Prozent dieserUnternehmen eine flexible Quote und für ungefähr3 Prozent eine starre Quote. Wir sind der Überzeugung,dass die flexible Quote richtig ist, weil die Unterneh-menswirklichkeit eine ganz unterschiedliche ist. Es gibtBranchen, etwa den Maschinenbau oder die Baubranche,in denen der Frauenanteil sehr niedrig ist. Es gibt andereBranchen, etwa den Dienstleistungsbereich, die Verlageund Ähnliches, in denen der Frauenanteil sehr hoch ist.Deshalb ist unsere Überzeugung, dass es richtig ist, hiernicht zu sagen: Es gibt für all diese Unternehmen trotzihrer Verschiedenartigkeit eine einheitliche, eine pau-schale Quote. Vielmehr gibt es eine selbstgesteckte, einepassgenaue Quote für diese Unternehmen. Dies ent-spricht unserem Gesellschaftsverständnis, meine Da-men und Herren.
Für die Aufsichtsräte von 108 Unternehmen gibt eseine Quote von 30 Prozent. Das sind die Unternehmen,die sowohl börsennotiert sind als auch über 2 000 Mitar-beiter haben. In diesen Unternehmen ist das Problem amgrößten. Dort sind Frauen in den absoluten Toppositio-nen am rarsten. Deshalb ist es richtig, dass wir hier eineQuotenregelung vorsehen.Für uns war es in der Ausgestaltung insgesamt wich-tig, dass wir hier mit Augenmaß statt mit Ideologie vor-gehen. Wir wollten auch nach den Erfahrungen imMindestlohnbereich vermeiden, dass hier ein Bürokra-tiemaximierungsgesetz geschaffen wird.
Deshalb haben wir im parlamentarischen Verfahren anvielen Stellen nachgebessert.
In der entsprechenden Sachverständigenanhörungwurden in der Tat noch viele Mängel offengelegt. Des-halb haben wir dann ein parlamentarisches Verfahrendurchgeführt. In diesem parlamentarischen Verfahrenhaben wir in guter Zusammenarbeit mit den Ministerien,wofür ich sehr herzlich danke, in guter Zusammenarbeitmit den Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wofürich sehr herzlich danke, viel erreicht.Wir haben geregelt, dass – wie es einem modernenVerständnis von der Zusammensetzung eines Aufsichts-rates entspricht – Arbeitnehmer- und Anteilseignerver-treter nicht als zwei getrennte Bänke betrachtet werden,sondern als ein gemeinsames Gremium zu sehen sind.Wir haben darauf geachtet, dass die Berichtspflichtennicht übermäßig bürokratisch ausgestaltet werden, son-dern dass sich die Unternehmen einmal Ziele setzen,über die sie dann nicht jedes Jahr, sondern erst am Endedes selbstgesteckten Zeitraums berichten müssen. Wirhaben das Inkrafttreten der Zielvorgaben noch einmalum drei Monate nach hinten verschoben, damit sich dieUnternehmen in den nächsten Wochen darauf einstellenkönnen. Wir haben an vielen Stellen darauf geachtet,dass das Gesetz in der Praxis mit der erforderlichen Fle-xibilität und mit der erforderlichen Rechtssicherheit an-gewendet werden kann. Dafür haben wir eine Vielzahlvon Änderungen vorgenommen.Wenn wir heute das Gesetz beschließen, dann könnenwir zusammenfassend festhalten: Wir haben uns an demZiel orientiert, für die Frauen in diesem Land etwas zubewegen. Wir haben uns an der Frage orientiert, in wel-chen Bereichen wir welche Lösungen brauchen. Es giltnämlich nicht für alle Unternehmen in Deutschland dasGleiche. Kleine Unternehmen sind in der Regel gar nichtbetroffen, sie sollen aber nach Möglichkeit den Frauenebenfalls die gleichberechtigte Teilhabe ermöglichen,wie es in vielen dieser Unternehmen übrigens schonlängst der Fall ist. Des Weiteren gibt es eine Gruppe von3 500 Unternehmen, die sich selbst Ziele stecken. Wirwerden die Unternehmen dabei beobachten. Außerdemgibt es die Unternehmen, die eine starre Quote von30 Prozent für Frauen im Aufsichtsrat haben. Das sinddie 108 großen Unternehmen in Deutschland.Auf diesem Weg wollen wir in den nächsten Jahrenweiterkommen. Wir wollen, dass gleichberechtigte Teil-habe für Frauen in diesem Land eine Selbstverständlich-keit wird. Wir werden die Unternehmen auch in punctoVereinbarkeit von Familie und Beruf beobachten. InAmerika ist dies längst eine Selbstverständlichkeit. InDeutschland wollen wir die gläserne Decke für Frauenbeseitigen; es geht aber nicht an, dass gleichzeitig einegläserne Decke für Mütter eingezogen wird. Auch daswerden wir in den nächsten Jahren sehr genau beobach-ten.Herzlichen Dank.
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8754 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
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Das Wort hat der Bundesminister Heiko Maas.
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren Abgeordneten! Auch die Männer in der Regie-rung freuen sich über dieses Gesetz.
– Ich kann Ihnen das aus vielen Beratungen bestätigen.
Liebe Frau Göring-Eckardt, Sie haben eben daraufhingewiesen, dass die Regierung die Opposition und dieÖffentlichkeit genervt hat, weil wir uns so lange mit die-sem Gesetz befasst haben und weil wir gestritten haben.
– Aber, Frau Göring-Eckardt, in der Demokratie – dasmüsste doch gerade in der Opposition bekannt sein – ge-hört der Streit dazu.
Wenn Sie sagen, diese Große Koalition stehe für großenStreit, dann sage ich: Sie steht vor allem für viele guteErgebnisse, und heute legen wir wieder eins vor.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit demBegriff „historisch“ sollte man sparsam umgehen. Sonstnutzt er sich schnell ab. Aber bei dem Gesetzentwurf,über den wir heute abstimmen, kann man ihn, wie ichfinde, verwenden. Die Frauenquote für Führungskräfteist der größte Beitrag zur Gleichberechtigung seit derEinführung des Frauenwahlrechtes.
Nach der politischen Macht bekommen Frauen endlichauch einen fairen Anteil an der wirtschaftlichen Macht.
Gustav Heinemann hat einmal gesagt: Rechtspolitikdarf sich nicht darauf beschränken, den bereits erreich-ten Stand des Rechtsbewusstseins in Gesetze zu fassen.Vielmehr hat sie auch die Aufgabe, das Sozialleben nachden Leitbildern einer besseren Ordnung zu gestalten.Das ist jetzt 50 Jahre her, und es ist heute genauso ak-tuell wie damals. Weil die Frauenquote dieses Land unddie Wirtschaft zum Besseren verändern wird, setzen wirdas mit diesem Gesetz um.Meine Damen und Herren, es geht aber nicht nur umGleichberechtigung und Fairness, sondern auch um wirt-schaftliche Vernunft. Die demografische Entwicklung isteine Tatsache. Wir haben die bestausgebildete Genera-tion von Frauen, die es je gegeben hat. Wir haben mehrHochschulabsolventinnen als Hochschulabsolventen.Wer dieses Potenzial ungenutzt lässt, der gefährdet nichtnur die Gleichberechtigung, sondern letztlich auchWohlstand und Wachstum. Auch dazu leistet die Quoteeinen Beitrag. Das wird viel zu selten gesagt.
Ja, wir brauchen auch eine gesetzliche Quote. Leiderist das so. Manuela Schwesig und ich – ich weiß garnicht, wie viele Gespräche wir in diesem Prozess im so-genannten vorpolitischen Raum geführt haben.
Ich muss Ihnen sagen: Da ist mir deutlich geworden,dass wir vielleicht gesellschaftlich noch nicht so weitsind, wie wir das gerne hätten.Was gab es für Argumente: Es gibt gar nicht genugFrauen, zumindest sind sie nicht gut genug ausgebildet.Das Gesetz über die Besetzung der Aufsichtsräte sei eineZumutung, denn es gebe nur so wenige Frauen. Diemüssten in so viele Aufsichtsräte gehen, und deshalbwürden wir den Frauen nichts Gutes tun. Meine Damenund Herren, wenn man noch kein Anhänger der Frauen-quote gewesen wäre, bei diesen Gesprächen wäre maneiner geworden.
Wir werden deshalb in einigen Jahren zurückblickenund uns fragen, wieso wir uns überhaupt so lange damitauseinandergesetzt haben und es so viel Aufregung umdieses Gesetz gegeben hat. Es ist gut, dass eine jahrzehn-telange kulturelle Auseinandersetzung mit diesem Ge-setz wirklich beendet wird.Die Kollegin Künast hat bei der Anhörung im Aus-schuss gesagt, dies sei ein Vorhaben, von dem man spä-ter sagen werde, man sei stolz darauf, dabei gewesen zusein. Sie, Frau Künast, haben vollkommen recht. Auchdas zeigt die Dimension dieses Gesetzes.
Manchmal, nicht immer, aber manchmal gibt es Ge-setze, die in ihrer Wirkung weit über ihren eigenen Re-gelungsgehalt hinausreichen. Die sind Gesellschaftspoli-tik im besten Sinne des Wortes. Dieses Gesetz heute istso eines. Es ist ein Meilenstein für die Gleichberechti-gung, und es wird Deutschland und seine Unternehmen
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8755
Bundesminister Heiko Maas
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moderner machen. Ich meine, darauf können wir allesehr stolz sein.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Gudrun
Zollner das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ein denkwürdiger Tag! Nach teils sehr emotional ge-führten Debatten schließen wir heute ein Kapitel, das vorJahren aufgeschlagen wurde, aufgeschlagen von vielenMitstreiterinnen wie Frau Staatsministerin ProfessorBöhmer und von den vielen Frauen, die heute als Gästebei uns auf der Tribüne sitzen.Wir alle kennen inzwischen die Zahlen, wir haben sieoft genug diskutiert. Der Anteil von Frauen in Spitzen-positionen sowohl in der Wirtschaft als auch in der Bun-desverwaltung ist immer noch marginal. Sicherlich gabes in den vergangenen Jahren Fortschritte. Lag der Frauen-anteil in den Aufsichtsräten der DAX-Konzerne vor vierJahren bei knapp 14 Prozent, so sind es heute gut 25 Pro-zent. Betrachtet man alle börsennotierten Unternehmen,ist die Bilanz allerdings ernüchternd. Noch immer sindweniger als 20 Prozent aller Aufsichtsräte von Frauenbesetzt. Die Selbstverpflichtung der Wirtschaft aus demJahr 2001 ist gescheitert. Wäre dies anders, würden wirheute hier nicht stehen.Der Erfahrungsbericht zum Bundesgleichstellungsge-setz und der Gremienbericht zum Bundesgremienbeset-zungsgesetz zeigen außerdem auf, dass auch in der Bun-desverwaltung immer noch Handlungsbedarf besteht.Auch hier gab es zwar in den vergangenen Jahren Fort-schritte, aber leider nur in Zeitlupe. Gleichzeitig wissenwir, dass die Zahl der hochqualifizierten Frauen noch nieso hoch war wie heute. Ich möchte aber betonen: JedeFrau soll den für sie richtigen Weg gehen können. Wirmüssen nur dafür sorgen, dass für Karrierewege gerechteChancen bestehen.
Über unseren Gesetzentwurf, mit dem wir genau daserreichen wollen, stimmen wir heute ab. Am Ende langerund intensiver Verhandlungen haben wir eine Balancezwischen der Förderung von Frauen und den Interessender Wirtschaft gefunden. Wir konnten in den Verhand-lungen der vergangenen Woche noch einige wesentlichePunkte im Entwurf präzisieren. Klar, der eine wünschtsich mehr, und der andere fordert weniger. Auch ichhätte mir gewünscht und vorstellen können, für be-stimmte Branchen noch Ausnahmen in Form einer Här-tefallregelung aufzunehmen, was meines Erachtens sinn-voll gewesen wäre.Schlussendlich steht aber ein Gesetz, mit dem wir zu-frieden sein können, ein Gesetz, das die Familienfreund-lichkeit insgesamt stärker betont und das vor allem pra-xistauglich und rechtssicher ist.Insbesondere hervorheben möchte ich, dass im Bun-desgleichstellungsgesetz die von vielen besonders in derAnhörung kritisierte Geschlechteransprache geändertwurde. In Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes heißt es:Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung derGleichberechtigung von Frauen und Männern undwirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteilehin.Es geht also nicht um eine paritätische Besetzung aufallen Ebenen, sondern um die Herstellung echter Chan-cengleichheit. Frauenförderung ist kein Synonym fürGeschlechtergleichmacherei, und Unterrepräsentanz hatnicht automatisch etwas mit Diskriminierung zu tun.Mit der neugefassten Regelung stellen wir jetzt aufeine strukturelle Benachteiligung ab. Es wird damitdeutlich, dass es um Frauenförderung geht und nicht umMännerförderung.
Sichergestellt ist damit außerdem, dass das Gesetz ver-fassungsgemäß ist. Der CSU war es neben der Frauen-förderung besonders wichtig, eine rechtssichere Rege-lung für privatrechtliche Unternehmen ohne ausuferndenBürokratismus herzustellen; denn nur gemeinsam mitder Wirtschaft wird eine gute Umsetzung gelingen.Bei der fixen Quote haben wir klargestellt, dass nurein Mehrheitsbeschluss der Bank der Anteilseigner oderder Bank der Arbeitnehmervertreter der Gesamterfül-lung der Quote widersprechen kann. Für mitbestim-mungspflichtige oder börsennotierte Unternehmen ha-ben wir die Frist zur Festlegung ihrer Zielquote um dreiMonate verlängert, und zwar auf den 30. September2015. Außerdem müssen die Unternehmen nicht jähr-lich, sondern erst nach Ablauf der selbst festgesetztenFrist über die Einhaltung der Zielgrößen berichten. Esgibt somit keine Zwischenberichte. Diese Klarstellungreduziert den Bürokratieaufwand für die Wirtschaft er-heblich.Wir haben auch Rechtsunsicherheiten beseitigt. Beider Feststellung von Zielgrößen für die beiden Füh-rungsebenen zum Beispiel haben die Unternehmen vielSpielraum erhalten und können so passende und ange-messene Lösungen finden – ein Mehrwert in Sachen Fle-xibilität und Rechtssicherheit.Mit den Vorschriften zu den Europäischen Gesell-schaften haben wir zudem eine zukunftsorientierte Lö-sung für die Konzerne geschaffen. Es ist ja nicht ausge-schlossen, dass eine Quote auch auf europäischer Ebeneeingeführt wird.
Außerdem haben wir festgelegt, dass bei der Evaluie-rung des Gesetzes nach drei Jahren die Bürokratiekosten
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8756 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Gudrun Zollner
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besonders in den Blick genommen werden müssen. Ichbin überzeugt, dass die geforderte Transparenz und dieVeröffentlichungspflichten dazu beitragen werden, dassim öffentlich-rechtlichen wie auch im privatrechtlichenBereich Anstrengungen unternommen werden, die je-weiligen Quoten zu erfüllen. Was gibt es Schlechteresfür ein Unternehmen als negative PR?
Zum Gesetzentwurf der Grünen möchte ich nur Fol-gendes sagen:
40 Prozent Frauenquote, wie es die Grünen in ihrem Ge-setzentwurf fordern, oder sogar 50 Prozent Frauenquote,wie oft von den Linken gewünscht, gehen über das Zielhinaus.
Es ist Aufgabe des Staates, zu handeln, wenn bestehendeNachteile für ein Geschlecht beseitigt werden müssen;aber es ist nicht Aufgabe des Staates, Parität um jedenPreis zu erzwingen.
Es ist richtig, dass die Selbstverpflichtung der Wirtschaftnicht den gewünschten Erfolg gebracht hat.
Deshalb ist es auch richtig, dass wir jetzt eine gesetzli-che Regelung beschließen. Auch unsere Partei, die baye-rische CSU, hat eine Frauenquote.
Kollegin Zollner, gestatten Sie eine Frage oder Be-
merkung der Kollegin Künast?
Bitte schön.
Danke, Frau Zollner. – Sie haben gerade zu unserem
Gesetzentwurf gesagt, es sei nicht Aufgabe des Staates,
Parität zu erzwingen. Da würde ich von Ihnen doch
gerne wissen, wo Sie in unserem Gesetzentwurf ein sol-
ches Erzwingen von Parität sehen.
Ich kann Ihnen sagen, dass wir an dieser Stelle eines
immer genau wussten: dass für den öffentlichen Dienst
die klassische Parität gar nicht zulässig ist, dass vielmehr
zur Beseitigung von strukturellen Nachteilen Frauen bei
gleicher Qualifikation bevorzugt einzustellen sind, so-
lange es diese Differenz gibt. Das ist kein Erzwingen
von Parität. In dem ganzen Prozess ist mir das Erzwin-
gen von Parität nur im Gesetzentwurf der Koalition un-
tergekommen; die entsprechende Formulierung haben
Sie nach Hinweisen bei der Anhörung auf ihre Verfas-
sungswidrigkeit wieder gestrichen.
Parität wird auch nicht erreicht, wenn man sagt: Die
Mindestquote von 40 Prozent in den Aufsichtsräten der
Privatunternehmen gilt für jedes Geschlecht. Sie müssen
unserem Gesetzentwurf – vielleicht ist es dafür noch zu
früh – nicht folgen. Aber etwas zu behaupten, was nicht
drinsteht, gefällt mir auch nicht.
Frau Kollegin Künast, ich habe 40 Prozent nicht mitParität verwechselt, vielmehr habe ich die 50-Prozent-Parität auf die Linken bezogen. Das ging, glaube ich, ausmeinem Satz hervor.
Wir wollen eine Quote, die Frauen den Weg ebnet,um künftig auch ohne Gesetz in Spitzenpositionen zukommen. Unser Ziel muss doch sein, der gläsernenDecke adieu zu sagen, damit sich in den Topetagen eineandere Denkweise etabliert. Aus diesem Grund haltenwir eine Quotenvorgabe von 30 Prozent für angemessenund ausreichend.Nun sind aber auch die Frauen gefragt, dieses Gesetzals Türöffner aktiv zu nutzen. Es geht darum, männlicheMonokulturen in den Vorstandsetagen aufzubrechen,und darum, die Unternehmen bzw. Firmen dahin zu be-wegen, ihre Rahmenbedingungen, Strukturen und Prä-senzzeiten frauen- und familienfreundlicher zu gestalten,Karriereplanung und Familienplanung in Einklang zubringen.
Dies muss das Ziel für die Zukunft sein, und das geht nurmit einem großen Mehr an Frauen und natürlich einemgroßen Plus an weiblichen Blickwinkeln in den Füh-rungsetagen. Denn eines ist klar: Das Gesetz allein wirdkein Allheilmittel sein. Es ist nur ein Baustein von vie-len. Wie das fertige Bauwerk zum Schluss aussehenwird, entscheiden die Menschen, entscheidet nicht alleindas Gesetz. Veränderungen sind das Ergebnis der Dis-kussionen um die Quote bzw. der intensiven Auseinan-dersetzung mit dem Thema.Unsere Bundesministerin Frau von der Leyen sagteeinmal: Eine Frau ist nicht besser oder schlechter, sie istanders. Dieses Andere etablieren wir hier und heute. Wirliefern den Anstoß für uns, die Unternehmen, die Wirt-schaft und natürlich die Frauen.
Ich möchte mit einem Zitat von Robert Lembke en-den:Der einzige Geschäftszweig, bei dem die Mehrzahlder leitenden Positionen von Frauen besetzt ist, istdie Ehe.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8757
Gudrun Zollner
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Vielleicht ab heute nicht mehr!Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Eva Högl für die SPD-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen,
liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Den 6. März 2015 streichen wir uns alle ganz dick in un-
serem Kalender an.
Das ist ein richtig guter Tag für die Gleichstellung von
Frauen und Männern. Mit der Einführung der Frauen-
quote in Wirtschaft und Verwaltung schreiben wir die
Geschichte der Gleichstellung von Frauen fort und ge-
hen einen wirklich riesengroßen Schritt weiter auf dem
Weg zur vollständigen Gleichstellung von Männern und
Frauen.
Dass wir dieses Kapitel aufschlagen können, liebe
Kolleginnen und Kollegen, ist keine Selbstverständlich-
keit. Es ist vielmehr das Ergebnis eines kontinuierlichen
Kampfes für mehr Gleichberechtigung, eines unermüdli-
chen Engagements vieler Frauen und auch vieler Män-
ner. Viele sind schon genannt worden. Ich schließe mich
dem Dank an. Einige sitzen auf der Tribüne. Nur dieses
Engagement von vielen einzelnen Personen hat das mög-
lich gemacht. Dafür herzlichen Dank.
Ich erinnere sehr gerne, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, meine Damen und Herren, an 1918. Da wurde das
aktive und passive Wahlrecht für Frauen eingeführt.
82 Prozent der wahlberechtigten Frauen gaben bei den
Wahlen 1919 ihre Stimme ab, und 37 weibliche Abge-
ordnete zogen ins Parlament ein. Als erste Frau erhielt
Marie Juchacz hier im Reichstag im Februar 1919 das
Wort und hielt die erste Rede einer Frau in einem deut-
schen Parlament. Das war richtig klasse!
Es ging weiter – leider erst nach einer Durststrecke
von knapp 30 Jahren –: Elisabeth Selbert hat es ermög-
licht, dass im Grundgesetz, das im Mai 1949 verabschie-
det wurde, ein wirklich wegweisender Satz steht, näm-
lich in Artikel 3 Absatz 2:
Männer und Frauen sind gleichberechtigt.
Damit genoss die Gleichstellung von Frauen und Män-
nern erstmals Verfassungsrang.
Wir wissen aber, dass eine Verfassungsnorm nicht au-
tomatisch Alltagsrealität ist. Deswegen haben wir in den
mehr als 60 Jahren seit Bestehen des Grundgesetzes we-
sentliche Schritte unternommen. Ich erinnere noch ein-
mal daran, dass erst vor wenigen Jahrzehnten – man
kann es sich kaum vorstellen – das erste Gleichberechti-
gungsgesetz es Frauen ermöglichte, ohne Zustimmung
des Ehemannes arbeiten zu gehen.
1977 wurde mit der Reform des Ehe- und Familienrechts
das Leitbild der Hausfrauenehe abgeschafft, und erst
1980 wurde die vollständige Gleichbehandlung von
Frauen und Männern am Arbeitsplatz beschlossen.
Kollegin Högl, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-
kung der Kollegin Vogler?
Selbstverständlich.
Vielen Dank, liebe Kollegin. Ich wollte die Gelegen-
heit nutzen, mich für die Einladung zu bedanken, die Sie
und die Kollegin Carola Reimann an uns alle geschickt
haben. Sie wollen diesen großen Erfolg, wie Sie das nen-
nen, im Fraktionssaal der SPD mit Quotentorte und Sekt
feiern. Ich muss Ihnen leider sagen, dass ich diese Einla-
dung ablehnen muss. Ich finde, dass dieses Gesetz eher
Anlass wäre für Zwieback und Selters.
Deswegen bedanke ich mich für die Einladung, lehne sie
aber ab.
Liebe Frau Vogler, wie humorlos ist das denn, bitte?
Ich bin sprachlos. Wir haben eine so große Einigkeit,auch hier im Parlament, trotz allem Streit im Detail.
– Nein, wir besorgen keinen Zwieback. – Wir schneidenum 12 Uhr die Torte an, und wir feiern, liebe FrauVogler.
Zurück zu unseren Schritten in Sachen Gleichstel-lung. Ich möchte daran erinnern, dass wir 1994 – das istnoch nicht so lange her; viele hier im Raum haben dafürgekämpft – nach der deutschen Einheit etwas ins Grund-
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8758 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Dr. Eva Högl
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gesetz geschrieben haben, was der Grund dafür ist, dasswir heute hier die Quote beschließen. Da steckt so vielEngagement drin; deswegen zitiere ich es:Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung derGleichberechtigung von Frauen und Männern undwirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteilehin.Das ist für uns als Gesetzgeber ein Auftrag, liebe Kolle-ginnen und Kollegen.
Diesen Auftrag erfüllen wir, indem wir heute dieQuote beschließen. Natürlich wäre es viel schöner – ichmöchte das ausdrücklich sagen; einige haben das schonerwähnt –, wenn wir die Quote nicht brauchten. Es wäreviel schöner, wenn wir im Jahr 2015 sagen könnten: Wirhaben alle Führungspositionen in Wirtschaft, Verwal-tung, Wissenschaft, Politik, in allen Bereichen der Ge-sellschaft, paritätisch mit Frauen und Männern besetzt.
Das wäre großartig. Aber so lange das nicht so ist, brau-chen wir die Quote. Die Verwirklichung der vollständi-gen Gleichberechtigung bleibt weiterhin unser Ziel.
Ein kleiner Ausblick; denn es geht weiter mit unse-rem Engagement: Am Sonntag ist der InternationaleFrauentag. Tausende Frauen und auch Männer werdenunter dem diesjährigen Motto „Heute für morgen einZeichen setzen“ auf die Straße gehen und sich für mehrGleichberechtigung in Deutschland, in Europa, in allenTeilen der Welt engagieren. Wir dürfen uns richtigfreuen, dass die Quote vor dem Internationalen Frauen-tag heute hier beschlossen wird und wir das am Sonntagordentlich feiern können. Wir sollten uns aber nicht zulange darauf ausruhen, dass wir das geschafft haben. Wirhaben noch etwas vor. Unser Engagement in SachenGleichstellung ist noch lange nicht abgeschlossen. Wirwollen als Nächstes die Entgeltgleichheit hier gemein-sam beraten und beschließen, und wir wollen die Auf-wertung typischer Frauenberufe hier im Deutschen Bun-destag beschließen.
Ich erhoffe mir bei diesen beiden Themen – das sageich heute so deutlich – hier im Bundestag viel Unterstüt-zung und vor allem große Einigkeit; denn eines ist klar:In Sachen Gleichstellung muss es weitergehen. Wir wol-len die vollständige Gleichstellung von Frauen in allenLebensbereichen, und wir wollen vor allen Dingen, dassdie fast 100-jährige Geschichte der Gleichstellung vonFrauen und Männern keine unendliche Geschichte wird.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf derTribüne und an den Fernsehgeräten! Es geht schon mitdem Beginn meiner Rede los: In meinem Konzept stand„Sehr geehrter Herr Präsident“, das habe ich jetzt hand-schriftlich in „Sehr geehrte Frau Präsidentin“ geändert.
Ich darf mich dem Dank an all die engagiertenFrauen, die zu dieser Frauenquote beigetragen habenund schon mehrfach erwähnt wurden, ausdrücklich an-schließen. Neben Frau Ministerin Schwesig war es ins-besondere unsere vom Kollegen Harbarth bereits gelobteBundeskanzlerin. Ohne Bundeskanzlerin Merkel hätte esdiese Quote in dieser Form nicht gegeben. HerzlichenDank an die Kanzlerin, dass sie sie so engagiert auf denWeg gebracht hat.
Ich darf Ihnen bestätigen, weil ich etwas Unruhe beimeinem Koalitionspartner vernehme: Frau Kanzlerin istjetzt fast zehn Jahre Bundeskanzlerin der Bundesrepu-blik Deutschland. Diese zehn Jahre waren gute Jahre fürDeutschland.
Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir hiermit ein gutesBest-Practice-Beispiel haben, zu welchen LeistungenFrauen in Führungspositionen fähig sind.Direkt vor mir sitzt meine Landesgruppenchefin, FrauGerda Hasselfeldt. Sie führt unsere Landesgruppe abso-lut tough und souverän.
Liebe Gerda, herzlichen Dank.
– Lieber Fraktionsvorsitzender, meistens folgen wir ihr.Meine Damen und Herren, nach Artikel 3 Absatz 2unseres Grundgesetzes – die Kollegin Högl hat bereitsdarauf hingewiesen – sind Männer und Frauen gleichbe-rechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzungder Gleichberechtigung von Frauen und Männern undwirkt auf die Beseitigung von Nachteilen hin. – Das wardie Ausgangslage. Auf dieser Verfassungsnorm basie-rend haben wir den heute zu verabschiedenden Gesetz-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8759
Paul Lehrieder
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entwurf erstellt. Und genau das, meine sehr geehrten Da-men und Herren, tun wir mit dem hier vorliegendenGesetzentwurf zur gleichberechtigten Teilhabe vonFrauen und Männern in Führungspositionen in der Pri-vatwirtschaft und im öffentlichen Dienst.Ja, wir sind bereits in der Vergangenheit dem Verfas-sungsauftrag zur Gleichberechtigung von Frauen undMännern nachgekommen und haben schon früher aufeine Beseitigung von Nachteilen hingewirkt. Fakt istaber auch, dass der in den vergangenen Jahren gestie-gene Anteil von Frauen in der Arbeitswelt zum großenTeil auch auf die von politischer Seite initiierten Gesetzeund Maßnahmen sowie Initiativen von Politik und Wirt-schaft zurückzuführen ist. Wir sind auf einem gutenWeg, die Erwerbs- und Karrierechancen von Frauen zuverbessern, müssen diesen aber auch sukzessive undkonsequent fortsetzen.Mit dem Zweiten Gleichberechtigungsgesetz von1994, also vor 21 Jahren, haben wir erstmals die Förde-rung von Frauen in der Bundesverwaltung in gesetzlicheRegelungen gegossen und zudem das Frauenförderge-setz, welches 2001 durch das Bundesgleichstellungsge-setz modernisiert wurde, und das Bundesgremienbeset-zungsgesetz auf den Weg gebracht. Im Jahr 2001 hat dieBundesregierung dann mit den Spitzen der Wirtschaftdie Vereinbarung getroffen, den Frauenanteil in Füh-rungspositionen in der Wirtschaft signifikant zu erhöhen.2011 unterzeichneten die DAX-30-Unternehmen auf Ini-tiative der Politik schließlich eine Selbstverpflichtungzur Förderung von Frauen in Führungspositionen. Wirhaben zudem – das ist ganz wichtig, und darauf wurdevon manchen Vorrednern hingewiesen – mit dem Bun-deselterngeld- und Elternzeitgesetz, dem Gesetz zur För-derung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrich-tungen und in der Kindertagespflege, dem sogenanntenKinderförderungsgesetz, aber auch zahlreichen Unter-nehmensprogrammen und Initiativen die Rahmenbedin-gungen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie undBeruf geschaffen.Gerade erst zum 1. Januar 2015 sind mit dem Eltern-geldPlus, dem Gesetz zur besseren Vereinbarkeit vonFamilie, Pflege und Beruf und dem Gesetz zum quantita-tiven und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuungzahlreiche weitere familienpolitische Maßnahmen inKraft getreten, die sowohl die Vereinbarkeit von Familieund Beruf weiter verbessern als auch den Unternehmenneue Chancen und Perspektiven bieten.
Die Familienpolitik der unionsgeführten Bundes-regierung zeichnet sich dadurch aus, dass sie es den Fa-milien und insbesondere den Frauen mit unseren fami-lienpolitischen Maßnahmen ermöglichen will, familiäreAufgaben zu übernehmen und gleichzeitig ihre berufli-chen Ziele weiterverfolgen zu können. Frau KolleginKömpel – ich kenne Sie als nette Kollegin im Ausschuss –,Sie haben vorhin ausgeführt: Der erhöhte Frauenanteil inden Aufsichtsräten wird zu kürzeren Konferenzen undGremiensitzungen führen. – Wir werden einmalschauen, ob es stimmt. Zwei Minuten später habe ich ge-merkt, dass Sie die erste Rednerin waren, die ihre Rede-zeit erheblich überschritten hat. Wir sollten uns vomGeschlechterkampf verabschieden. Wir können lange re-den, Sie können auch lange reden. Wir gucken einmal,wie die Verbesserung der Gremiensitzungen ausschauenwird.Meine Damen und Herren, all diese Maßnahmen ha-ben ohne Zweifel zu einer Verbesserung der Rahmenbe-dingungen, einer besseren Vereinbarkeit von Familieund Beruf, einer höheren Erwerbstätigkeit von Frauenund einem zunehmenden Anteil von Frauen in Füh-rungspositionen beigetragen. Aber es ist auch unsereAufgabe, die Umsetzung des eingangs angesprochenenverfassungsrechtlichen Schutz- und Förderauftrags densich stetig ändernden Rahmenbedingungen anzupassenund an den jeweiligen Herausforderungen unserer Zeitauszurichten. Dazu gehört, dass wir unsere bisherigenMaßnahmen überprüfen. Hier müssen wir feststellen,dass die bisherigen Initiativen zwar einen großen Beitragzur Verbesserung der Karrierechancen von Frauen ge-leistet haben, jedoch eine Erhöhung des Frauenanteils anFührungspositionen bislang nicht in dem signifikantenAusmaß erreicht werden konnte, wie wir uns dies ge-wünscht hätten. Aufgrund der Tatsache, dass die Frauenin unserem Land so hochqualifiziert und gut ausgebildetsind wie nie zuvor, jedoch in den Führungsetagen derUnternehmen und der Bundesverwaltung nicht in glei-chem Maße repräsentiert sind, ist nunmehr eine gesetzli-che Regelung notwendig geworden.Trotz stetig steigender Frauenerwerbsbeteiligung undzunehmender Qualifikation von Frauen liegt der Frauen-anteil in den Aufsichtsräten der 200 umsatzstärkstenUnternehmen derzeit bei lediglich 15 Prozent. In den30 DAX-Unternehmen ist nur etwa jeder fünfte Auf-sichtsratsposten mit einer Frau besetzt. Im öffentlichenDienst liegt der Anteil der Frauen auf der ersten Füh-rungsebene bei nur etwa 38 Prozent und der Frauenanteilan Führungspositionen in den obersten Bundesbehördenbei lediglich 27 Prozent. In Gremien, die der Bund voll-ständig oder teilweise besetzt, beläuft sich der Anteilvon Frauen auf lediglich 25 Prozent.Frauen nehmen aber mit fast 50 Prozent nicht nurgleichberechtigt am Arbeitsleben teil, sondern machenauch häufiger Abitur als Männer, beginnen häufiger einStudium und schließen dies auch häufiger und erfolgrei-cher ab. Jeder zweite Absolvent des Studiums der Be-triebswirtschaftslehre ist weiblich, und die Top-Staats-examina des Studiums der Rechtswissenschaften stammenebenso von Frauen. Ich hoffe, es gelingt uns – gestern gabes dazu Medienberichte –, auch den Eltern das Bewusst-sein zu vermitteln, dass man nicht nur den Söhnen einStudium eines MINT-Fachs, ein naturwissenschaftlichesStudium zutrauen kann, sondern auch den Töchtern, dassman also die Förderung der Männer in gleicher Weiseauf die Frauen übertragen kann. Ich glaube, das würdeunserer Wirtschaft und unserer Industrie sehr guttun.Nicht nur aufgrund des demografischen Wandels könnenund dürfen wir auf diese enormen Potenziale künftignicht mehr verzichten. Die Zahlen zeigen, dass das be-stehende Ungleichgewicht bei der Besetzung von Füh-rungspositionen nicht mit Qualifikationsunterschiedenzu rechtfertigen ist.
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8760 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Paul Lehrieder
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Meine Damen und Herren, es wurde von den Vorred-nern sehr viel Sinnstiftendes dazu gesagt. Wir hatten am23. Februar eine über dreieinhalbstündige Anhörung desFamilienausschusses und des Rechtsausschusses. Ichdarf mich bei den Kollegen des Rechtsausschusses fürdie konstruktive Arbeit an dem Gesetzentwurf bedan-ken. Ich darf mich bei der Ministerin und der Bundes-kanzlerin bedanken. Frau Bundeskanzlerin, ich habe Sievorhin in Abwesenheit gelobt.
Ohne Sie gäbe es dieses tolle Gesetz nicht.
Sie haben es mit verfochten. Sie sind eine der Mütter desGleichstellungsgesetzes. Herzlichen Dank!Frau Kömpel, ich habe es geschafft: Ich habe meineRedezeit um keine einzige Sekunde überschritten.Herzlichen Dank.
Die Kollegin Christina Jantz hat für die SPD-Fraktion
das Wort.
Guten Morgen, Frau Präsidentin! Guten Morgen, Frau
Bundeskanzlerin! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frauenquote
ist ein Meilenstein für unser Land –
historisch! Das Gesetzespaket stärkt die Frauen in der
Wirtschaft und im öffentlichen Dienst. Es ist ein tatsäch-
licher Quantensprung hin zu einer echten Gleichberech-
tigung.
Es war ein beschwerlicher Weg – sicherlich ist der
Weg weiterhin beschwerlich –, Artikel 3 Absatz 2 des
Grundgesetzes umzusetzen. Darin heißt es: „Männer und
Frauen sind gleichberechtigt.“
Dieser Satz wurde 1949 von den Müttern und Vätern un-
seres Grundgesetzes geschrieben, auf dessen Grundlage
wir heute unseren sozialen Rechtsstaat und unsere De-
mokratie aufbauen. Die Gleichberechtigung war und ist
ein wichtiger Teil davon. 1994 wurde dieser Satz folgen-
dermaßen ergänzt – Eva Högl hat es angesprochen –:
Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der
Gleichberechtigung von Frauen und Männern und
wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile
hin.
Bereits seit 1994 befähigt das Grundgesetz also den
Staat und fordert ihn zur Beseitigung von Nachteilen
auf.
Der daraus abgeleiteten Verantwortung werden wir
heute als Parlament gerecht. Heute, am 6. März, nimmt
das Parlament diesen Auftrag an und macht einen wich-
tigen Schritt, um die Benachteiligung von Frauen in der
Wirtschaft zu beseitigen. Mein Dank gilt – stellvertre-
tend für Sie alle, die darum gekämpft haben – unserer
Ministerin Manuela Schwesig und unserem Minister
Heiko Maas, die gemeinsam mit ihren Häusern das Ge-
setzespaket vorlegen, das wir heute beschließen werden.
Ich füge hinzu: Es war eine Kraftanstrengung, diesen
Gesetzentwurf endlich auf den Weg zu bringen.
Die Benachteiligung von Frauen bei Führungsaufga-
ben in der deutschen Wirtschaft ist real und weit ver-
breitet. Ein Beispiel: 2013 lag der Anteil von Frauen in
Aufsichtsratspositionen bei nur 15,3 Prozent. Auch die
Entwicklung dieser Zahlen war über Jahre hinweg
besorgniserregend. Der Anteil von Frauen in Aufsichts-
ratspositionen verbesserte sich von 2012 auf 2013 um le-
diglich 0,2 Prozentpunkte. Diese Entwicklung ist zu
langsam und wird mit der Umsetzung des Gesetzes end-
lich ein Ende finden.
Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf
führen wir – wie meine Vorredner schon erläutert ha-
ben – eine Geschlechterquote von 30 Prozent für Auf-
sichtsräte in Unternehmen ein, die börsennotiert und voll
mitbestimmungspflichtig sind. Dies betrifft über 100 Un-
ternehmen. Zusätzlich werden 3 500 größere Unter-
nehmen verpflichtet, Zielgrößen zur Erhöhung des
Frauenanteils in Aufsichtsräten, Vorständen und Füh-
rungsebenen festzulegen. Ich bin mir sicher: Wenn wir
das Gesetz nach drei Jahren überprüfen, dann werden
wir feststellen, dass nicht nur Frauen in Führungspositio-
nen davon profitieren. Die gläserne Beförderungsdecke
wird brüchig gemacht. Die Unternehmen und damit un-
sere Wirtschaft insgesamt werden davon profitieren.
Die Leistungen der Frauen in Aufsichtsräten und Vor-
ständen werden es den Frauen in der gesamten Wirt-
schaft ermöglichen, für bessere Berufschancen und glei-
che Bezahlung zu streiten. Auch an diesem Effekt des
Gesetzes zur Quote sollten wir zum Weltfrauentag am
Sonntag erinnern.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8761
Vizepräsidentin Petra Pau
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Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Gesetzentwurf für diegleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern anFührungspositionen in der Privatwirtschaft und im öf-fentlichen Dienst.Mir liegen Erklärungen nach § 31 unserer Geschäfts-ordnung von den Kolleginnen Vogler, Sitte, Schröderund Deligöz und dem Kollegen Bareiß vor. Wir nehmensie entsprechend unseren Regeln zu Protokoll.1)Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ju-gend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 18/4227, den Gesetzentwurf der Bun-desregierung auf den Drucksachen 18/3784 und 18/4053in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt einÄnderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenvor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für denÄnderungsantrag auf Drucksache 18/4240? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungs-antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-gen die Stimmen der antragstellenden Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linkeabgelehnt.Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grü-nen haben beantragt, über den Gesetzentwurf in der Aus-schussfassung getrennt abzustimmen, und zwar zum ei-nen über Artikel 1 und Artikel 2 und zum anderen überden Gesetzentwurf im Übrigen.Wir kommen zunächst zur Abstimmung über Arti-kel 1 und Artikel 2 des Gesetzentwurfs in der Aus-schussfassung. Ich bitte nun diejenigen, die Artikel 1und Artikel 2 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfas-sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Artikel 1 und Ar-tikel 2 sind mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion DieLinke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-nommen.Wir stimmen jetzt über die übrigen Teile des Gesetz-entwurfs in der Ausschussfassung ab. Ich bitte diejeni-gen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die übrigen Teiledes Gesetzentwurfs sind einstimmig angenommen.
Ich stelle fest: Alle Teile des Gesetzentwurfs sind damitin zweiter Beratung angenommen.1) Anlagen 2 und 3Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ichgebe den Mitgliedern der Bundesregierung gern dieMöglichkeit, als Abgeordnete von ihrem Platz in denReihen der Fraktionen mit abzustimmen, wenn sie daswollen. –
Wer stimmt gegen diesen Gesetzentwurf? – Wer enthältsich? –
Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitions-fraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen an-genommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie jetzt davon-strömen wollen, wir sind noch nicht fertig mit diesemTagesordnungspunkt, wir haben noch mehrere Abstim-mungen vor uns.
Wir sind jetzt beim Tagesordnungspunkt 19 b. Abstim-mung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur geschlechtergerechten Besetzung vonAufsichtsräten, Gremien und Führungsebenen – Füh-rungskräftegesetz. Der Ausschuss für Familie, Senioren,Frauen und Jugend empfiehlt unter Buchstabe b seinerBeschlussempfehlung auf Drucksache 18/4227, den Ge-setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufDrucksache 18/1878 abzulehnen. Ich bitte diejenigen,die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um dasHandzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Be-ratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und derSPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion DieLinke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abge-lehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung dieweitere Beratung.Tagesordnungspunkt 19 c. Wir setzen die Abstim-mungen zu der Beschlussempfehlung des Ausschussesfür Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksa-che 18/4227 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter den
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8762 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Vizepräsidentin Petra Pau
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Buchstaben c und d seiner Beschlussempfehlung, dieBerichte der Bundesregierung zum Bundesgleichstel-lungsgesetz auf Drucksache 17/4307 und zum Bundes-gremienbesetzungsgesetz auf Drucksache 17/4308
zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich?
– Wir können hier vorne im Moment noch keine Mehr-heitsverhältnisse feststellen, da wir kein einhelliges Ab-stimmungsverhalten in den einzelnen Fraktionen hat-ten. – Wir stimmen über die Kenntnisnahme der geradegenannten Drucksachen ab.
Ich habe festgestellt, dass die Fraktion Bündnis 90/DieGrünen und die Fraktion Die Linke diese zur Kenntnisnehmen wollen.
In den Koalitionsfraktionen war das leider nicht feststell-bar.Ich wiederhole also die Abstimmung. Wer stimmt fürdie Beschlussempfehlung?
– Also für die Kenntnisnahme laut Beschlussempfeh-lung? Das meine ich ja; Entschuldigung, aber ich habevorhin auch nach der Kenntnisnahme gefragt. – Werstimmt gegen die Kenntnisnahme? – Wer enthält sich? –Dann haben wir auch das gemeinsam geschafft. Die Be-schlussempfehlung, die genannten Unterrichtungen zurKenntnis zu nehmen, ist angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenFriedrich Ostendorff, Nicole Maisch, HaraldEbner, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENSofortmaßnahmen für die Agrarwende – Füreine bäuerlich-ökologische Landwirtschaftund gutes EssenDrucksache 18/4191Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für GesundheitAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Während sich das Haus umorganisiert, übergebe ichdie Leitung der Sitzung an die Kollegin Bulmahn, diedann zu gegebener Zeit die Aussprache eröffnen wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aussprache isteröffnet, da die meisten Kolleginnen und Kollegen ihrePlätze eingenommen haben.Als erster Redner erhält Dr. Hofreiter von Bünd-nis 90/Die Grünen das Wort. – Herr Kollege.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Seit zehn Jahren ist das Landwirtschafts- undErnährungsministerium in der Hand der CSU. HerrnMinister Schmidt – er ist bei dieser Debatte noch nichtanwesend – muss ich fragen: Was haben die Ministerin-nen und Minister der CSU in diesen zehn Jahren er-reicht?Wenn man sich die Bilanz anschaut, dann stellt manfest, dass diese einfach grauenhaft ist.
Die Zahl der Bauernhöfe hat in dieser Zeit um 30 Pro-zent abgenommen; bei den Schweinehaltern mussten so-gar 70 Prozent aufgeben. Es werden in den Ställen ton-nenweise Reserveantibiotika verwendet. Die Hälfte derGrundwassermessstellen schlägt inzwischen Alarm we-gen Nitratbelastung. Monsanto rollen Sie vonseiten derGroßen Koalition den roten Teppich aus, um Gentechnikin Deutschland endgültig zu etablieren. Den Tierschutzüberlassen Sie einfach weiterhin der Industrie. Die CSUhatte in den letzten Jahren dieses Ministerium zu verant-worten. Die CSU verantwortet also, dass viele Men-schen, viele Familien unseren Lebensmitteln inzwischennicht mehr trauen. Die CSU ist dafür verantwortlich,dass viele Menschen Angst vor multiresistenten Keimenhaben. Und die CSU ist auch dafür verantwortlich, dassviele anständige Landwirte inzwischen Sorge haben,dass sie ihren Betrieb nicht mehr weiterführen können,dass viele anständige Landwirte aufgeben mussten.
Es ist deshalb schlichtweg höchste Zeit für eine Agrar-wende in Deutschland.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Ko-alition, auch die Kollegen von SPD und CDU, Sie hättendoch die Mittel dazu in der Hand. Sie könnten doch dieFördermittel gerechter verteilen. Sie könnten doch dieFördermittel an Umwelt- und Tierschutz koppeln. Statt-dessen haben Sie dafür gesorgt, dass die Fördermittelweiter ungerecht verteilt werden. 5 Prozent der Betriebeerhalten 45 Prozent der Steuermittel. Das ist doch nichtgottgegeben. Das könnte man doch verändern, wennman wollen würde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Ko-alition, Sie könnten doch die Flächenbindung der Land-wirtschaft wiederherstellen; Seehofer hat diese damalsunter der ersten Großen Koalition abgeschafft. Dann hät-ten wir eine Möglichkeit, diese Riesenställe in den Griff
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Dr. Anton Hofreiter
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zu bekommen. Warum tun Sie das nicht? Warum kop-peln Sie nicht die Tierhaltung wieder an die Fläche? Daswürde bedeuten, dass man eine bestimmte Flächengrößenachweisen muss, wenn man eine bestimmte Anzahl anTieren hält. Seehofer hat das abgeschafft. Warum führenSie das nicht einfach wieder ein?
Es besteht doch die Möglichkeit, ein neues Tier-schutzgesetz einzuführen, das diesen Namen verdient,ein Tierschutzgesetz, das Qualzucht wirklich verbietet,ein Tierschutzgesetz, das das Töten von Küken undMaßnahmen wie das Schnabelkürzen bei Hühnern ver-bietet. Das wäre doch mal was. Stattdessen haben Sie ir-gend so eine intransparente Tierwohl-Initiative gestartet.Sie schieben damit die Probleme weiterhin auf die langeBank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere vonder CSU und der SPD – die CDU ist ja für Gentechnik;aber CSU und SPD sind angeblich gegen Gentechnik –,warum hören Sie nicht einfach auf die große Mehrheitder Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und verban-nen Gentechnik aus Deutschland?
Stattdessen überlegen Sie sich eine vollkommen durch-löcherte Regelung. Machen Sie doch was ganz Einfa-ches: Sorgen Sie per Gesetz dafür, dass das nationaleAnbauverbot für gentechnisch veränderte Pflanzen, dasdie EU uns ermöglicht – wir hätten das gerne EU-weitverboten –, auch umgesetzt wird. Sie haben eine 80-Pro-zent-Mehrheit. Beschließen Sie es doch einfach.
Eine weitere Möglichkeit, die wir Ihnen vorschlagen:Sie könnten dem Beispiel von Dänemark und den Nie-derlanden folgen. Dänemark und den Niederlanden ist esgelungen, den Antibiotikaverbrauch in den Ställen zumTeil um bis zu zwei Drittel zu senken. Warum folgen Sienicht dem Beispiel von Dänemark und den Niederlandenund senken den Verbrauch von Antibiotika in den Ställenoder wenigstens den Verbrauch von Reserveantibiotika?Das ist besonders wichtig, wenn man Menschen, die vonmultiresistenten Keimen befallen sind, wenigstens nocheine Chance geben will. Warum verbieten Sie nicht we-nigstens den massenhaften Einsatz von Reserveantibio-tika in den Ställen? Sie könnten es. Warum tun Sie esnicht?
Ich komme zu einem weiteren Punkt. Wenn man sichdie Bedingungen anschaut, unter denen viele Menschenin den Schlachthöfen arbeiten, dann muss man sagen:Das sind sklavereiähnliche Bedingungen. Es ist unseresLandes doch vollkommen unwürdig, wie diese Men-schen behandelt werden.
Wenn Sie darüber stöhnen oder lästern, schauen Sie sichdie Bedingungen an, unter denen diese Menschen arbei-ten.
Herr Kollege Hofreiter, lassen Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Priesmeier zu?
Ja, klar, wenn er Lust dazu hat.
Herr Kollege Hofreiter, wenn Sie das dänische Bei-spiel loben, wie erklären Sie dann die Tatsache, dass inDänemark in den letzten zwei Jahren das Vorkommenvon MRSA-Keimen in den Proben der Lebensmittel-überwachung drastisch zugenommen hat?
In Dänemark hat das Vorkommen deshalb zugenom-men, weil dort inzwischen vernünftig kontrolliert wird.Ein Teil der Antibiotikastrategie in Dänemark ist näm-lich auch, für entsprechende Kontrollen zu sorgen undnicht nur das Ausmaß des Einsatzes von Antibiotika zusenken.
Wir könnten ein weiteres Beispiel nehmen: Es ist in-zwischen in den skandinavischen Ländern gelungen, wiezum Beispiel in Norwegen, die Schweinebestände kom-plett von resistenten Keimen zu befreien. Nehmen Siesich daran ein Beispiel. Es gibt gute Beispiele. KommenSie nicht immer mit irgendwelchen Ausreden.
Nur weil woanders vernünftig gearbeitet wird, glaubenSie, nichts machen zu müssen.
Herr Kollege Priesmeier, es tut mir leid, dass ich Sievorhin nicht gesehen habe. Ich habe wahrscheinlich zusehr auf die Kollegen der CDU/CSU geachtet, die, ehr-lich gesagt, bei diesem Thema dominanter sind.
Aber vielleicht auch eine Frage an die Kollegen vonder SPD: Warum sorgen Sie nicht dafür – die Möglich-keit dazu hätten Sie –, dass jedes Kind, egal welchesEinkommen die Eltern haben, ein vernünftiges Schules-sen, ein vernünftiges Kitaessen bekommt? Warum küm-
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Dr. Anton Hofreiter
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mern Sie sich als Sozialdemokraten nicht stärker darum?Sie hätten die Möglichkeit dazu.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Ko-alition, liebe Bundesregierung, Sie haben die Mittel inder Hand, um entsprechend etwas zu tun. Warum tun Siees nicht? Es geht dabei nicht um wenig. Es geht umKlima- und Verbraucherschutz, es geht um Tierschutz,und es geht um Artenreichtum, ja, und es geht um eineBranche mit mehr als 1 Million Arbeitskräfte. Deshalb:Sorgen Sie dafür, dass wir zu einer vernünftigen Agrar-wende kommen, sorgen Sie endlich dafür, dass die Land-wirte nicht mehr gezwungen sind, unter unwürdigen Be-dingungen zu arbeiten.Wir Grüne wollen, dass diese 1 Million Jobs erhaltenbleiben. Wir wollen, dass diese Menschen faire Mög-lichkeiten und die Landwirte gute Chancen haben. Wirwollen faire Arbeitsbedingungen statt Ausbeutung. Wirwollen keine Steuergelder mehr für die Großunterneh-men; vielmehr sollten die Steuergelder an die kleinenund mittelständischen Unternehmen gerecht verteilt wer-den. Wir wollen Investitionen in den Tierschutz und indie Umwelt. Wir wollen die Lebensmittelstandards ver-bessern und wollen nicht, dass sie bei TTIP und CETAverhökert werden.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Ko-alition – der Herr Minister ist ja nicht da –, sorgen Siedafür, dass es endlich zu einer Agrarwende kommt! Sor-gen Sie endlich dafür, dass Sie Verantwortung überneh-men, und steuern Sie bei Ihrer Agrarpolitik um!Vielen Dank.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ingrid
Pahlmann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren!Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich kann nur sagen:Und täglich grüßt das Murmeltier. Heute nun wieder maldie Forderung nach der Agrarwende: weg von der markt-wirtschaftlichen Landwirtschaft,
hin zu kleinstrukturierten Betrieben; das Ganze verbun-den mit der Forderung, dass bäuerliche Betriebe wiederbesser von der Landwirtschaft leben können sollen. Ichsehe nicht, wie Sie das mit Ihren Forderungen, mit IhrerSchwarz-Weiß-Malerei erreichen wollen.
Die Trends des Betriebsgrößenwachstums und derwachsenden Tiereinheiten je Betrieb sind auch zu Zeitengrüner Regierungsverantwortung von 2001 bis 2005nicht gestoppt worden, ja nicht einmal verlangsamt wor-den. Denn Landwirtschaft – das müssen auch Sie endlicheinsehen – hat auch etwas mit Wirtschaftlichkeit zu tun.Wir Bauern leben nun einmal nicht in einer isoliertenMärchenwelt, auch wir müssen auskömmliche Einkom-men erwirtschaften können.
Mit der Umsetzung der EU-Agrarreform erreichenwir durch Zuschläge von 50 Euro für die ersten 30 Hek-tar und weiteren 30 Euro für die folgenden 16 Hektar be-reits eine Besserstellung für kleine und mittlere Betriebebis 95 Hektar. Auch für Junglandwirte ist ein Programmaufgelegt worden, durch das es Zuschläge von 44 Europro Hektar für die ersten 90 Hektar gibt.Wir müssen uns vielmehr die Frage stellen, was dasÜberleben der kleineren Betriebe, die Sie ja so vehementfordern und von denen wir Gott sei Dank auch nocheinige haben, erschwert. Das sind auch die ständigenneuen Anforderungen, die an die Betriebe gestellt wer-den. Denn eines ist klar: Zusätzliche Auflagen, Nachfor-derungen an Stallumbauten, Stalleinrichtungen, überbor-dende Bürokratie etc. können die größeren Betriebe vielleichter stemmen als die kleinen.
Deshalb dürfen wir nicht in einen blinden Aktionis-mus verfallen, wenn wir Prozesse ändern wollen, son-dern wir sollten Änderungen nur problembezogen, wis-senschaftlich fundiert und praxistauglich durchführen.
Da hilft dann eben kein blinder Aktionismus. Da reichtes auch nicht, die simple Formel aufzustellen: Tierwohlist gleich kleine Einheit. Vielen Tieren – das müssen Siezur Kenntnis nehmen – geht es heute in größeren Einhei-ten deutlich besser als früher in kleinen, dunklen Ställenmit schlechten Luftverhältnissen.
Dabei haben die Landwirte auch immer bewiesen, dasssie durchaus bereit sind, praktikable und sinnvolle Wegemitzugehen.Die Düngenovelle befindet sich zurzeit in Überarbei-tung. Wir treten für eine Reduzierung des Antibiotika-einsatzes ein. Ja, wir sind das Land, das bereits eineAntibiotikadatenbank besitzt, in der jede Gabe doku-mentiert wird. Wir haben das Baugesetzbuch verändert.Dadurch haben Kommunen bessere Steuerungsmöglich-keiten bei Stallneubauten. Vieles befindet sich also aufdem Weg. Es wird für einige Betriebe nicht leicht sein,
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Ingrid Pahlmann
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das umzusetzen. Zusätzlicher, verfrühter und unnötigerAktionismus hilft jetzt keinem weiter.
Dazu möchte ich Ihnen gern ein Beispiel aus meinerniedersächsischen Heimat aufzeigen, wo ein grünerLandwirtschaftsminister, der als Höfesterben-Ministerbekannt ist
– so viel zu der Forderung nach mehr landwirtschaftli-chen Betrieben –,
das große Problem des Schwanzbeißens bei Schweinenmal so eben mit dem Einsatz von 28 Millionen Euro inden Jahren 2016 bis 2020 in den Griff bekommen will.Ich rede von der sogenannten Ringelschwanz-Prämie.Jeder niedersächsische Bauer, der sein Tier mit komplet-tem Schwänzchen, unkupiert von seinem Halter und un-angeknabbert von seinen Artgenossen zum Schlachthofbringt, soll 16, 17 oder 18 Euro extra bekommen.
Das Problem ist nur, dass diese 28 Millionen Euro beiden in Niedersachsen anfallenden Schlachtungen, wennjedes erzeugte Mastschwein prämiert würde, gerade ein-mal für einen Monat reichen würden. Das ist keineNachhaltigkeit. Das nenne ich Aktionismus, Augenwi-scherei und Geldverbrennen.
Diese 28 Millionen Euro hätte man sinnvoller einsetzenkönnen.Solche unausgegorenen Pläne gibt es leider reichlich.Ende Februar fand in meiner Heimatstadt der nieder-sächsische Junglandwirtetag statt. Ich bin unserem Bun-desminister im Nachhinein sehr dankbar, dass er sich dieZeit genommen hat, den landwirtschaftlichen Nach-wuchs aufzubauen, indem er ihm Zukunftsängste nahmund Perspektiven für den ländlichen Berufsstand auf-zeigte. Diese jungen Menschen – die übrigens mit zu derbestausgebildeten Berufsgruppe zählen – verzweifeln in-zwischen manchmal an den ständig wachsenden Anfor-derungen der Politik und fragen sich, warum sie über-haupt noch an diesem Beruf festhalten sollen, bei demsie unter Generalverdacht gestellt und als Umweltsünderund Tierquäler diskreditiert werden.
Zurück zum Thema Schwanzbeißen. Das Schwanz-beißen in Schweinebeständen bekommt man eben leidernicht durch das Verbot des Schwänzekupierens in denGriff. Es gibt Betriebe, in denen es bei drei oder vierDurchgängen super gut läuft. Dann aber geht das Verbei-ßen ohne erkennbare Gründe – gleiches Futter, gleicherFerkellieferant, gleiches Stallklima, ausreichend Spiel-zeug – los. Das ist übrigens kein alleiniges Problem derIntensivtierhaltung. Von diesem Phänomen wird bei al-len Haltungsformen berichtet.Da hilft reiner Aktionismus nicht. Vielmehr muss ersteinmal die Forschung weiter betrieben werden. Dennglauben Sie mir: Jeder Landwirt wäre froh, wenn erdiese lästige Arbeit nicht machen müsste. VerbisseneSchwänze sind für Schweine schmerzhaft, führen zuKrankheiten und Entzündungen und damit zu unnötigemMedikamenteneinsatz. Wem ist damit geholfen?
Sie fordern den Stopp des angeblich ausufernden An-tibiotikaeinsatzes. In Niedersachsen ist Ihr grüner Land-wirtschaftsminister, ein Jahr nachdem die Bundesregie-rung die Änderung des Arzneimittelgesetzes mit einemAntibiotika-Minimierungskonzept auf den Weg gebrachtund die Kontrollbefugnisse der Länderbehörden erheb-lich erweitert hat, noch immer nicht in der Lage, sein an-gekündigtes Antibiotikamonitoring umzusetzen. Alsobitte: Erforderlich ist die Abkehr von einer Ideologie hinzu einer Versachlichung.
Zum Thema „gesunde Ernährung“. Nirgends auf derWelt gibt es sicherere Lebensmittel als in Deutschland.Lebensmittel auf höchstem Niveau sind hier zu bezahl-baren Konditionen zu erhalten. Was noch viel besser ist:Deutsche Verbraucher haben die Wahl. Sie können dieLebensmittel kaufen, die ihrer Lebensweise und ihrenAnsprüchen und auch ihrem Geldbeutel entsprechen.Wir sind dabei, die Kennzeichnung weiter zu verbessern,um die Entscheidung der Verbraucher zu erleichtern. Wirfordern Wahrheit statt Klarheit.
– Wahrheit und Klarheit, Entschuldigung.
Wir wollen die Verbraucher nicht für dumm verkau-fen. Die simple Ampelvariante unterfordert die Verbrau-cher; die sind nämlich schon viel weiter, als Sie denken.Die Ampelvariante reicht nicht aus. AllergieauslösendeStoffe müssen heute deklariert sein. Der Verbraucherwill zunehmend mehr über verarbeitete Lebensmittelwissen. Das fordern Sie, und da bin ich auch bei Ihnen.Ich bin auch bei Ihnen, wenn Sie fordern, dass das Wis-sen über Ernährung besser in die Breite der Gesellschaftgetragen wird.
In diesem Bereich gibt es bereits viele gute Ansätze. Ichverweise auf die Initiative „IN FORM“, DeutschlandsInitiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung;
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8766 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Ingrid Pahlmann
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„SchmExperten“ und „Fit im Alter“ sind nur zwei wei-tere Beispiele.An dieser Stelle sind aber natürlich auch die Ländergefragt. Auch die grünen Bundesländer dürfen wir nichtaus der Verantwortung entlassen. Tun Sie mir also fol-genden Gefallen: Packen Sie Ihren Antrag beiseite, undgehen Sie mit uns die von unserem Minister eingeschla-genen Wege, gern auch mit kritischen Anregungen, aberbitte ohne ideologische grüne Brille, Diffamierungenund Pauschalverurteilungen.Ich danke Ihnen.
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Dr. Kirsten
Tackmann von der Linken das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Gäste! Ich habe monatlich eine Sprechstunde aufden Marktplätzen zwischen Perleberg und Neuruppin.Da hört man ziemlich gut, was die Leute so bewegt. Esgibt kaum ein Thema, auf das man öfter angesprochenwird als die Landwirtschaft. Die Kritik richtet sich abernicht gegen die Landwirtschaft an sich, sondern gegenMegaställe, gegen zu viel Chemie auf dem Acker – wes-wegen es zu wenige Bienen gibt –, gegen Agrogentech-nik oder gegen den Missbrauch von Antibiotika.Ich finde, dass die Bürgerinnen und Bürger ein sehrfeines Gefühl für die Fehlentwicklungen in der Land-wirtschaft haben. Ich finde, dass man diese Kritik auchernst nehmen muss.
Gleichzeitig sage ich als Linke: Ich möchte den Land-wirtschaftsbetrieben die Hand reichen; denn wir brau-chen sie als Verbündete, wenn wir diese Situation verän-dern wollen. Hoffnung habe ich vor allen Dingen bei denBetrieben, bei denen, die das Sagen haben, die auch vorOrt wohnen; denn diese sichern Arbeit und Einkommenin der Nachbarschaft. Sie helfen auch einmal beim Dorf-fest oder beim Winterdienst; das ist selbstverständlich.Mit ihnen kann man und soll man auch diskutieren, wiedie Probleme gelöst werden können. Ich finde, Land-wirtschaft und Dorf müssen wieder enger zusammenrü-cken.
Ob das klappt, ist nach meiner Erfahrung eben nichteine Frage der Größe des Betriebs. Positive Beispiele er-lebe ich sowohl bei Familienbetrieben als auch bei kluggeführten GmbHs, aber vor allen Dingen auch bei Ge-nossenschaften. Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, wa-rum man diese gute Erfahrung aus Ostdeutschland inWestdeutschland so sehr ignoriert. Aber das ist eine an-dere Geschichte.Das Gegenmodell zu dieser regional verankertenLandwirtschaft sind Agrarholdings wie jene, die auch imUmfeld meines Dorfes im Nordwesten Brandenburgs dieFlächen bewirtschaftet. Laut Internet betreibt sie auf22 000 Hektar reinen Ackerbau an 40 Standorten – wennich auf der Karte richtig gezählt habe –, fast ausschließ-lich in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Der Hauptsitzliegt aber in Niedersachsen. „Land Grabbing“ findet alsonicht nur in Afrika statt, sondern auch vor unserer Haus-tür. Mit Landwirtschaft im Interesse unserer Region hatdas wenig zu tun. Dafür lässt sich mit diesem Geschäfts-modell aber offensichtlich kurzfristig sehr viel Geld ver-dienen. Deshalb kauft das vagabundierende Kapital nunÄcker, Wiesen oder ganze Betriebe.Auch die bundeseigene BVVG verkauft in politi-schem Auftrag die ehemalig volkseigenen Flächen derDDR an Meistbietende, und zwar europaweit, mit derFolge, dass die Bodenkauf- und Pachtpreise in vielenRegionen unterdessen so hoch sind, dass sie mit land-wirtschaftlicher Arbeit nicht mehr zu bezahlen sind.Das Ergebnis sind kapitalgesteuerte, regional entkop-pelte Agrarunternehmen. Das ist eine ferngesteuerteLandwirtschaft, die wir nicht wollen.
In Gefahr ist damit aber auch ein ganz wichtiger poli-tischer Konsens seit dem Zweiten Weltkrieg, nämlich dieSicherung einer breiten Streuung des Bodeneigentums.Die Linke weist seit langem auf diese Fehlentwicklunghin, häufig leider vergeblich, aber jetzt tut sich Gott seiDank etwas.Unter anderem liegen jetzt die Vorschläge des Bun-desverbandes der gemeinnützigen Landgesellschaftenauf dem Tisch. Ein Vorschlag ist zum Beispiel, dass Ver-äußerungen von Gesellschaftsanteilen landwirtschaftli-cher Unternehmen genehmigt werden müssen. Ich finde,es ist höchste Zeit zum Handeln, damit nachhaltig wirt-schaftende Betriebe eine Chance haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so kurz vor dem8. März habe ich mir noch mal angeschaut, wie vielelandwirtschaftliche Betriebe von Frauen geleitet werden.Eine Übersicht für die EU-Mitgliedstaaten liegt leidernur für die Jahre 1999 und 2000 vor. Damals bildeteDeutschland mit 8 Prozent gemeinsam mit Dänemarkund den Niederlanden das absolute Schlusslicht. Ichfinde das wirklich peinlich. An der Spitze standen übri-gens Österreich mit 31 Prozent und Griechenland mit24 Prozent Frauenanteil.Nicht dass Sie denken, dass es 2013 besser ausgese-hen hat. Im Jahr 2013 waren sogar nur noch 6,4 Prozentder Betriebsleiter in der Landwirtschaft weiblich. Ichfinde, Mädels, hier muss sich dringend etwas ändern.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8767
Dr. Kirsten Tackmann
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Dann ändert sich auch noch schneller etwas in der Land-wirtschaft.Vielen Dank.
Als nächster Redner hat Dr. Wilhelm Priesmeier von
der SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kol-lege Hofreiter, ich hätte bei Ihrer Rede ein bisschen mehrWissenschaftlichkeit erwartet. Als Diplombiologe wärenSie dazu sicherlich in der Lage.
Vielleicht halten Sie demnächst eine Rede über „UrbanFarming“ in München. Dazu sind Sie mit Sicherheit qua-lifiziert.Die Welt ist nicht ganz so einfach, wie wir uns dasvorstellen. Die Agrarwende datiert ja schon vom Jahr2001 und war letztendlich die Konsequenz aus den Er-kenntnissen der BSE-Krise und aus der damaligen Sys-temkrise. Daraus haben wir Sozialdemokraten und auchdie Grünen Konsequenzen ziehen müssen. Die Konse-quenzen sieht man ja schon; denn die Landwirtschaft hatsich in den vergangenen 14 Jahren bewegt. Die Land-wirtschaft ist dialogbereit geworden. Die Landwirtschaftstellt sich natürlich den Herausforderungen. Es nütztalso nichts, wenn man Ängste schürt oder Hunderttau-sende von Landwirten an einen Pranger stellt, an den sienicht gehören.
Es ist untauglich, zu versuchen, Menschen, die zurLandwirtschaft unter Umständen keine unmittelbare Be-ziehung haben, für seine politischen Ziele und Zweckezu instrumentalisieren und in der gesamten GesellschaftÄngste zu erzeugen. Damit kommen wir weiß Gott nichtweiter.
Man sollte konkrete Optionen dafür entwickeln – IhreLänderminister tun das ja auch relativ konstruktiv –, imHinblick auf all die Probleme, die unzweifelhaft vorhan-den sind, im Dialog voranzukommen. Man kann das al-les nicht differenziert betrachten, wenn man, wie Sie inIhrem Antrag, in einem Satz von „gefährlichen Kei-men“, „tierquälerischen Missständen“, „Riesenställen“,„Monokulturen“, „Artensterben“, „Klimakrise“, „Land-raub“, „Umweltzerstörung“ und „verseuchtem Grund-wasser“, von Dumping und der Zerstörung bäuerlicherStrukturen spricht. Das ist wirklich viel zu einfach.
Hier stimmt Ihre Analyse nicht zur Gänze. Vielmehrmuss man im Einzelnen schauen, wo die Ursachen lie-gen.90 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe sindFamilienbetriebe. Wir haben keine sich entwickelndegroßräumige, großflächige Agrarindustrie. Es gibt Ent-wicklungen, die wir nicht gutheißen können. Die SPDwill keine KTG Agrar, die SPD will keine Straathoffs,und die SPD will auch nicht Haßleben.
Daher darf man aber auch nicht das Bild der Landwirt-schaft diskreditieren.
Ich glaube, das ist der falsche Weg. Wir wollen eine bäu-erliche, nachhaltige Landwirtschaft, die von Unterneh-mern geprägt ist, die Verantwortung tragen und Verant-wortung in dieser Gesellschaft übernehmen.
Wir haben heute Unternehmen, die wettbewerbsfähigsind und Arbeitsplätze schaffen. Ihre Wertschöpfung imländlichen Raum und auch in der gesamten Gesellschaftist erheblich.Wir haben die Agrarwende gemeinsam vorangetrie-ben. Als Folge der Agrarwende und verschiedener ande-rer Beschlüsse haben wir auch ganz wichtige Entschei-dungen in Brüssel getroffen. Renate Künast war dafürverantwortlich, dass wir das alte Prämiensystem mit derKopplung an Produkte abgeschafft und Flächenprämieneingeführt haben.
Das hat die deutsche Landwirtschaft in besondererWeise wettbewerbsfähig gemacht.Wir haben den Außenschutz reduziert und mit denBeschlüssen von damals dafür gesorgt, dass es heutenicht mehr notwendig ist, mit Exporterstattungen aufden Weltmärkten Dumping zu betreiben. Das ist auch einErfolg von Rot-Grün.
Davon kann man sich nicht distanzieren.Wenn man sich mit der Landwirtschaftspolitik ausei-nandersetzt, dann wird klar: Die Landwirtschaftspolitikist heute Gesellschaftspolitik. Die Agrarpolitik und dieLandwirte sind mitten in der Gesellschaft angekommen.Ich glaube, es ist ungerecht, den Landwirten den Dialogzu verweigern und mit dem Finger auf sie zu zeigen. Fürmich ist die Akzeptanz des landwirtschaftlichen Sektors,
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8768 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Dr. Wilhelm Priesmeier
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des Agrarsektors, der Kern und die Voraussetzung fürdie weiteren Perspektiven, die die Landwirtschaft in un-serem Lande haben muss.
Darüber hinaus brauchen wir nicht nur eine wettbe-werbsfähige Landwirtschaft, sondern auch den Außen-handel und den Import. Mit dem Import sichern wir auchin anderen Ländern Arbeitsplätze. Wir importieren imBereich der Landwirtschaft im Wert von 71,6 MilliardenEuro und exportieren im Wert von 64,2 Milliarden Euro.Ich finde, auch das hat nichts mit Dumping zu tun, son-dern zeigt, dass unsere Landwirtschaft Chancen hat.
Wir als SPD sind natürlich nicht blind. Ich glaube,dass die Subventionen, die wir zahlen, nicht dauerhaftBestand haben können. Subventionen, die falsch orien-tiert sind, sind aber nicht dafür verantwortlich, dass70 Prozent der Betriebe keinen Hofnachfolger finden.Dafür sind Strukturveränderungen verantwortlich, die esimmer schon gab und denen wir uns auch politisch soschnell nicht entziehen können. Auch in den anderen eu-ropäischen Ländern gibt es die gleiche Entwicklungbeim betrieblichen Wachstum, und auch dort sinkt dieAnzahl der Betriebe. So falsch kann unsere Agrarpolitik,betrachtet man den gesamten Kontext Europa, also nichtgewesen sein – auch nicht die von Rot-Grün.
Welche Auswirkungen Standards haben, die wir alleumsetzen wollen, wird auch deutlich, wenn man sich dieEntwicklung anschaut. Wir haben die Käfighaltung Gottsei Dank verboten. In der Folge sind alle kleineren Be-triebe, die weniger als 5 000 bis 10 000 Hühner in ihrenKäfigen hatten, aus der Haltung von Legehennen ausge-stiegen. An ihrer Stelle haben andere Unternehmen in-vestiert, sodass wir heute wieder einen Versorgungsgradvon 75 Prozent haben. Das macht deutlich: Jede Maß-nahme, die wir beschließen, und jeder höhere Standard,den wir in Teilen zu Recht umsetzen, führen automatischdazu – und das gilt auch für die Maßnahmen, die Sie for-dern –, dass dieser Strukturwandel vorangetrieben wird.
Mit Blick auf die Zukunft hat die deutsche Landwirt-schaft, die deutsche Agrarwirtschaft innerhalb Europasund auch innerhalb dieser Welt eine besondere Aufgabe:Wir können Modell für eine nachhaltige Landwirtschaft,für eine vielgestaltige Landwirtschaft sein. Wir erhaltenauf diese Art und Weise unsere Kulturlandschaft und tra-gen wesentlich dazu bei, dass die Verhältnisse in denländlichen Räumen stabil bleiben. Dafür, finde ich, lohntes sich, Politik zu machen, und dafür macht die SPD Ag-rarpolitik.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Hans-Georg
von der Marwitz von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! BeimDurchlesen des heutigen Antrags von den Grünen gingmir ein Zitat von Christian Morgenstern durch den Kopf:
Die Hälfte allen Unglücks – vom gröbsten bis zumfeinsten – geht auf Unwissenheit oder Denkfehlerzurück, gewollte oder ungewollte …
Dabei könnte ich es bewenden lassen, wäre da nicht dervon den Grünen gewollte Denkfehler – das haben wir beider ersten Rede sehr deutlich gehört –, den Sie wie eineMonstranz, wie eine alleinige Wahrheit vor sich hertra-gen.„Sofortmaßnahmen für die Agrarwende – Für einebäuerlich-ökologische Landwirtschaft und gutes Essen“,so lautet der Titel Ihres Antrags.
Als Landwirt, auch ökologisch arbeitend, fühle ich michbei Ihrem Rundumschlag im wahrsten Sinne des Wortesvor den Kopf gestoßen.
Als ob die deutsche Landwirtschaft und die Lebensmit-telverarbeiter ein Haufen unverbesserlicher Ganovenwären, denen das Handwerk gelegt werden müsste, ver-mengen Sie alle negativ besetzten Begriffe wie Massen-tierhaltung, Artenschwund, verseuchtes Grundwasser,Aufheizen der Atmosphäre, Klimawandel,
Welthunger, Ausbeutung von Arbeitskräften, Preisdum-ping, Antibiotikaresistenz, Tierqual und nicht zuletztZerstörung der Natur in einem Schierlingsbecher undvergiften damit den landwirtschaftlichen Berufsstand.
Justus von Liebig hat wohl recht, wenn er sagt:Wir neigen viel zu sehr dazu, Dingen, die das Er-gebnis vieler Ursachen sind, einer einzigen zuzu-schreiben.Das tun Sie.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8769
Hans-Georg von der Marwitz
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Mit Ihrem heutigen Antrag haben Sie bei mir mancheSympathie für das eine oder andere Ihrer Themen ver-spielt; denn es geht Ihnen nicht um eine sachliche Aus-einandersetzung mit Problemen, die es natürlich auch inder deutschen Landwirtschaft gibt, sondern allein um dieLufthoheit über ein Problem und die Besetzung einesThemas, das ihnen bei zukünftigen Wahlen Stimmenverschaffen soll.
Darum geht es Ihnen und nur darum, nicht etwa um kon-krete Veränderungen in einem landwirtschaftlichen Pro-blemfeld; denn ein fachlicher Diskurs über möglicheVerbesserungen in der deutschen Landwirtschaft mussim Dialog und darf nicht mit einer pauschalen Vorverur-teilung geführt werden.
– Lies doch bitte einmal den gesamten ersten Teil euresAntrags.Um die Funktion der modernen Landwirtschaft in derheutigen Wirtschaftsordnung zu verstehen, hilft, wie sooft, ein Blick in die Geschichte. Mit dem Landwirt-schaftsgesetz von 1955 wurde die Stützungsbedürftig-keit des Agrarsektors herausgestellt. Allerdings müssenFörderungen zielgenau sein und sich in einem gewissenRahmen bewegen. Vor allem dürfen die Kräfte des Wett-bewerbs nicht ausgehebelt werden.Sie wissen, dass auch ich einer Kappung der Direkt-zahlungen positiv gegenüberstand. Auch heute noch binich der Meinung, dass wir darüber diskutieren müssen.Aber haben wir nicht mit dem Umverteilungsprämienge-setz vor einem Jahr in den letzten GAP-Verhandlungeneinen Kompromiss erreicht, dem auch Sie hier im Bun-destag zugestimmt haben?
Jetzt verlangen Sie eine Umverteilung von 30 Prozentder Mittel aus der ersten Säule für die ersten 46 Hektar.
Das würde bedeuten, dass über 1,4 Milliarden Euro anFörderungen für alle Betriebe per annum umgeschichtetwerden müssten. Ich denke, dass das eher zu Mitnahme-effekten und zu weiteren Konzentrationen führen würdeals zu einer produktiven und vor allem auch gerechtenLandbewirtschaftung. Außerdem dürfte es zu einerPachtpreisexplosion kommen, die nur den Landeigentü-mern zugutekommt.Auch Ihre nächsten Punkte können aus meiner Sichtso nicht stehen bleiben. Sie fordern eine pauschale Ober-grenze für die Anzahl der gehaltenen Tiere. Es solltenIhrer Ansicht nach nicht mehr als zwei Großvieheinhei-ten pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche je Betriebgehalten werden, um Massentierhaltung zu vermeiden.Natürlich – darin sind wir uns in mancher Hinsicht ei-nig – kann es kein ungebremstes Wachstum geben, vorallem nicht in masttierstarken Regionen. Um die Ent-wicklungen effektiver steuern zu können, haben wir unsbereits Anfang 2013 die Novelle zum Baugesetzbuchvorgenommen.Angenommen, wir würden die von Ihnen geforderten2 GV pro Hektar umsetzen, würde das nach dem GV-Schlüssel für Hähnchen 66 000 Mastplätze für einen46-Hektar-Betrieb bedeuten. Kann sich der Verbrauchereine 66 000 Plätze umfassende Mastanlage überhauptvorstellen? Ist diese Größenordnung etwa keine Massen-tierhaltung? Was ist Massentierhaltung?
Auch ökologisch produzierende Landwirte, die Hühner,Schweine oder Rinder mästen, sind letztlich Massentier-halter. Legen wir doch bitte diesen Kampfbegriff bei-seite und fragen lieber: Kann man Tiere so halten, dasssie sich offensichtlich wohlfühlen?
Wir sind in dieser Frage gar nicht weit voneinander ent-fernt, Harald.
Wie muss der Stall zum Wohlfühlen beschaffen sein?Wie muss ich Stallklima und Platzangebot optimieren,um den Einsatz von Antibiotika so gering wie möglichoder vielleicht sogar überflüssig zu machen?Sie haben vorhin gefragt, warum zum Teil in größerenAnlagen immer weniger Antibiotika eingesetzt werden.Das kommt daher – damit verrate ich kein Geheimnis –,dass der Bau dieser Stallanlagen inzwischen optimiertworden ist. Wenn wir diese Optimierung vornehmen,dann haben wir für den Tierschutz, den Verbraucher undfür die Menschen insgesamt sehr viel erreicht.
Nicht allein die Bestandsgröße, sondern auch dieTierzahl in einer Region muss diskutiert werden,
aber nicht nur aufgrund des Tierwohls, sondern auch mitBlick auf die regionalen Voraussetzungen, die Agrar-strukturen und den volkswirtschaftlichen Sinn.Apropos Tierwohl: Herr Hofreiter, ich habe vorhinsehr wohl vernommen, dass Sie auch das kritisch beglei-ten.
Die in diesem Jahr gestartete Initiative Tierwohl ist einBündnis aus Verbänden und Unternehmen der Landwirt-schaft, der Fleischwirtschaft und des Einzelhandels. Esist das erste Mal, dass die private Wirtschaft branchen-übergreifend und freiwillig für eine Verbesserung des
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8770 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Hans-Georg von der Marwitz
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Tierwohls eintritt. Meiner Auffassung nach ist die Initia-tive ein guter Ansatz, um den Spagat zwischen Tier-schutz, Verbraucher- und Erzeugerinteressen zu schaf-fen.
Wir sind auf einem guten Weg und arbeiten konsequentdaran, Missstände zu beheben und das Ansehen der Tier-halter in der Öffentlichkeit weiter zu verbessern.In einem Punkt sind wir uns allerdings einig; darüberbrauchen wir uns nicht die Köpfe heißzureden. LieberMinister Schmidt, letzte Woche haben wir alle fraktions-übergreifend gefordert, dass die Umsetzung der Opt-out-Regelung rechtssicher gestaltet werden muss. Eine er-folgreiche Klage eines Gentechnikkonzerns oder auchzum Beispiel eine Nichtnutzung der Opt-out-Optiondurch ein Bundesland wäre aus meiner Sicht ein Super-GAU.
Der mühsam gefundene Kompromiss zur Grünen Gen-technik wäre zunichtegemacht und die Glaubwürdigkeitder Politik massiv geschädigt. Insofern denke ich, dasseine bundesgesetzliche Regelung weniger Angriffsflä-che bieten würde als eine länderorientierte.
Nun komme ich zum Schluss. Liebe Grünen, verab-schiedet euch vom Schüren von Zukunftsängsten, vongesetzlicher Regelungswut und der Bevormundung desBürgers!
Ich habe das Gefühl, ihr habt aus eurem letzten Wahl-kampfdesaster keine wirklichen Konsequenzen gezogen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. – Gestatten Sie mir nach
dem heute Erlebten noch eine Bemerkung in eigener Sa-
che: Wer sich allzu grün macht, sagte Goethe, den fres-
sen am Ende die Ziegen.
Herzlichen Dank.
Als nächster Redner in dieser Debatte hat der Kollege
Niema Movassat von der Fraktion Die Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Jeden Tag hungern 800 Millionen Menschen auf derWelt. Die deutsche und europäische Agrarpolitik ist da-für mitverantwortlich. Immer mehr produzieren, das istdas Credo. Die EU unterstützt das. 45 Prozent des ge-samten EU-Haushalts fließen in die Landwirtschaft. Dassind von 2014 bis 2020 386,5 Milliarden Euro. Das nütztvor allem den großen Agrokonzernen. Das schadet nichtnur vielen Bauern bei uns, sondern zerstört auch dieExistenz von Millionen Kleinbauern in den Entwick-lungsländern, schafft dort Armut und Hunger. Um denHunger in der Welt zu bekämpfen, brauchen wir endlicheine Agrarwende.
Bis heute überschwemmen europäische Lebensmittelviele Märkte in Afrika. So wird bei uns deutlich mehrHähnchenfleisch produziert, als wir essen. Ein großerTeil der Geflügelreste wird nach Afrika verschifft. InGhana wird Geflügel dann für 90 Cent pro Kilogrammverkauft, ein Dumpingpreis, der nur dank der besagtenEU-Gelder möglich ist. Das Fleisch wird subventioniertund so künstlich verbilligt. Der Kilopreis des Geflügels ei-ner ghanaischen Hähnchenzüchterin liegt bei 1,80 Euro.Sie kann mit dem Spottpreis aus Europa nicht mithalten;sie muss ihren Betrieb aufgeben, sie verarmt, sie hun-gert.
Die deutsche Fleischindustrie hingegen macht Profit.Die europäischen Geflügelexporte nach Afrika habensich seit 2009 verdreifacht, die deutschen gar versieben-facht. Dasselbe gilt für Milch und Schweinefleisch. DieBauern in Europa und Afrika sind Opfer Ihrer Politik,werte Bundesregierung, weil Sie Produktionssteigerun-gen in der Landwirtschaft über alles stellen. Damit mussendlich Schluss sein.
Die Ursache, warum die Billiglebensmittel auf afrika-nische Märkte kommen, sind Freihandelsvereinbarun-gen. Diese sehen vor, dass Entwicklungsländer ihreMärkte nicht schützen dürfen. Sie müssen Zölle senken.Sie können nicht, wie es in Europa gelaufen ist, erst ein-mal ihre eigene Landwirtschaft aufbauen, bevor sie sichdem internationalen Wettbewerb stellen. Seit Januar gel-ten neue Freihandelsvereinbarungen, die EPAs. Diesezwingen zu noch mehr Marktöffnung. Viele afrikanischeLänder haben sich lange dagegen gewehrt. Sie wissen,dass die Existenz ihrer Bauern auf dem Spiel steht. DieEU-Kommission hat aber die EPAs mit massivstemDruck durchgesetzt. Die Kleinbauern in Afrika habennun noch weniger Chancen, sich gegen die übermächtige
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8771
Niema Movassat
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europäische Agroindustrie zu behaupten. Sie, die Bun-desregierung, müssen sich dafür einsetzen, dass dieseFreihandelsvereinbarungen ausgesetzt werden.
Die europäische Agrarindustrie exportiert aber nichtnur Nahrungsmittel. Mithilfe der Bundesregierung arbei-tet sie intensiv daran, das europäische Modell einerindustriellen Landwirtschaft in den globalen Süden zuexportieren, oft in Form von öffentlich-privaten Partner-schaften, PPPs. Bei einem dieser PPPs fördert das deut-sche Entwicklungsministerium unter dem Label derHungerbekämpfung in Zusammenarbeit mit Konzernenwie Bayer und Syngenta die Kartoffelchips- und Pom-mesproduktion in Nigeria und Kenia. Damit bekämpfenSie nicht den Hunger der Menschen, sondern stillen vorallem den Hunger der beteiligten Konzerne nach Gewin-nen und neuen Märkten.
In Afrika leben bis zu 80 Prozent der Bevölkerungvon der Landwirtschaft. Eine Industrialisierung derLandwirtschaft nach europäischem Vorbild bedeutet fürviele von ihnen den Verlust ihrer Arbeit. Sie könnenauch nicht in andere Jobs ausweichen. Es fehlt an alter-nativen Einkommensmöglichkeiten. Es gibt oft keinenfunktionierenden Arbeitsmarkt, beispielsweise im Indus-triesektor. Die Folge: Hunger und Armut. Deswegen istes falsch, das europäische Landwirtschaftsmodell zu ex-portieren.
Im Weltagrarbericht wurde 2008 festgestellt, dass dieKleinbauern, die in den Entwicklungsländern 80 Prozentder Lebensmittel produzieren, der Schlüssel im Kampfgegen den Hunger sind. Liebe Bundesregierung, nehmenSie das endlich ernst! Unterstützen Sie Kleinbauern stattAgrokonzerne!
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht Rita
Hagl-Kehl von der SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wie mein Kollege Wilhelm Priesmeier geradeerläutert hat, besteht die Basis einer zukunftsfähigenAgrarpolitik nach unserer Auffassung aus lebendigenländlichen Räumen und einer nachhaltigen Landbewirt-schaftung. Ziel der SPD-Bundestagsfraktion ist es, eineLandwirtschaft zu fördern, die flächendeckend wirt-schaftet, multifunktional ausgerichtet ist und ressourcen-schonend produziert. In diesem Sinne fördern wir dasnachhaltigste Produktionssystem, nämlich den ökologi-schen Landbau. Deswegen finde ich es sehr schade, dassim Antrag der Grünen auf diesen Punkt nicht konkreteingegangen wird. Viele Themen, die im Antrag ange-sprochen worden sind, hängen sehr eng mit dem ökolo-gischen Landbau zusammen. Genau aus diesem Grundhalte ich es für sinnvoll, die Förderung des ökologischenLandbaus nicht nur im Rahmen der heutigen Debatte,sondern allgemein für die Zukunft der deutschen Land-wirtschaft in den Vordergrund zu stellen.
Die ökologische Landwirtschaft ist ein Produktions-system, welches qualitativ hochwertige und gesundeLebensmittel herstellt. Darüber hinaus erbringt der Öko-landbau eine Vielzahl gesellschaftlich erwünschter Leis-tungen. Er erhält und schont die natürlichen Ressourcenim besonderen Maße und hat vielfältige positive Auswir-kungen auf den Boden-, Gewässer- und Tierschutz sowieauf die Artenvielfalt. Diese nachhaltige Form der Land-wirtschaft verzichtet auf leichtlösliche mineralischeStickstoffdüngemittel, chemisch-synthetische Pflanzen-schutzmittel und gentechnisch veränderte Organismen.Damit vermeidet er Verunreinigungen von Grund- undOberflächenwasser mit zu viel Nitrat und Phosphaten.An dieser Stelle landen wir wieder bei der laufenden No-vellierung der Düngeverordnung und der Umsetzung derEU-Nitratrichtlinie, zu der ich hier bereits des Öfterengesprochen habe.Im Hinblick auf diese Argumente sollte uns daran ge-legen sein, die ökologische Land- und Lebensmittelwirt-schaft in Deutschland zu stärken. Nur so kann die Agrar-wende in der Tat realisiert werden. Immer mehrVerbraucherinnen und Verbraucher entscheiden sich fürgesunde und ökologisch erzeugte regionale Lebensmit-tel, wodurch sich der Biolebensmittelmarkt dynamischentwickelt und ständig wächst. Es wurde zum SPD-An-liegen, die Tätigkeit der heimischen Biobauern zu för-dern, damit diese ebenfalls vom Wachstum profitierenkönnen. Die Nachfrage ist da; aber auch ein passendesAngebot soll vorhanden sein. Unser politisches Ziel ist,dass immer mehr Betriebe mit unterschiedlicher Größe,Produktionsausrichtung und Beschäftigungsstruktur aufeine ökologische Produktionsweise umstellen – undnicht nur kleine Betriebe, wie im Antrag gefordert wird.
Eine Ausweitung der Ökoanbaufläche käme Landwirten,Verbrauchern, landwirtschaftlichen Nutztieren und derUmwelt gleichermaßen zugute.Damit das alles möglich wird, müssen noch einigeSchritte unternommen werden. Als Erstes bedarf es ei-nes verlässlichen und eindeutigen europäischen Rechts-rahmens.
Bereits im September letzten Jahres haben wir auf un-sere Initiative hin zusammen mit dem Koalitionspartnereinen Antrag zur Novellierung der EU-Öko-Verordnungerarbeitet, dem fraktionsübergreifend zugestimmt wurde.Dieser Antrag unterstützt die Bundesregierung bei denVerhandlungen mit der Kommission zur Weiterentwick-lung des europäischen Rechtsrahmens.Als Zweites bedarf es eines abgestimmten Maßnah-menbündels zur Förderung des ökologischen Landbaus
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8772 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Rita Hagl-Kehl
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auf europäischer, aber natürlich auch auf nationalerEbene. Damit diese Maßnahmen umgesetzt werden,muss eine ausreichende Finanzierung zur Verfügung ste-hen. Bislang gibt es in Deutschland keine einheitlicheund auf Dauer angelegte Strategie zur Förderung derökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft. Wennwir das 20-Prozent-Ziel erreichen wollen, das MinisterSchmidt in seinem „Zukunftsplan Öko“ angekündigt hat,müssen wir diese Fördermaßnahmen strategisch besserkoordinieren. Daher fordern wir für den Haushalt 2016mehr Geld für das Bundesprogramm „ÖkologischerLandbau und andere Formen nachhaltiger Landwirt-schaft“.
Damit die ökologische Land- und Lebensmittelwirt-schaft in Deutschland zu einem Erfolg wird, halte ich esfür notwendig, dass alle an diesem ProduktionssystemBeteiligten kooperieren. Wir als Gesetzgeber legen denRechtsrahmen fest, bezogen auf die Interessen der Ver-bände, der Landwirtschaft und der Verbraucher. Die an-deren Teilnehmer in diesem System haben aber aucheine sehr wichtige Rolle. Die Verbraucherinnen und Ver-braucher sollen darauf achten, was sie essen und aufwelche Art und Weise es produziert wurde. Der Preis ei-nes Produkts entspricht meistens der Qualität, und dieQualität entspricht meistens einer gerechten Landwirt-schaft. Auch die Produzenten sollten darauf achten, dasssie mit dem Boden und den Ressourcen schonend umge-hen. Die Nachhaltigkeit ist wichtig, damit auch in Zu-kunft regionale und gesunde Lebensmittel zur Verfügungstehen. Wir alle müssen dabei auf unsere Rolle achtenund diese auch wahrnehmen.Danke schön.
Als nächster Redner spricht Friedrich Ostendorff vonBündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LieberKollege Hans-Georg von der Marwitz, hättest du dochnur bei den Zitaten von Morgenstern etwas weiter geg-oogelt. Da heißt es, wie du weißt:Die Zaghaftigkeit – wo Gutes gewollt wird – ist zunichts nütze. Sie ist nur die Quelle immer weitererSchwäche und damit immer weiterer Mißerfolge.Das gilt für dich ganz besonders.
Toll, dass sich der Fraktionsvorsitzende der Grünen,Anton Hofreiter, für die Lage der Bäuerinnen und Bau-ern mehr interessiert als der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion. Aber was sollte Volker Kauder hier auch sa-gen? Dass die angebliche Bauernpartei CDU in den ver-gangenen Jahren keinen einzigen Antrag, keine einzigeInitiative vorgelegt hat, um dem massiven Höfesterbenetwas entgegenzusetzen? Dass die angebliche Bauern-partei CDU das Höfesterben lieber Strukturwandel nenntund Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU,diesen Strukturwandel gar nicht so schlecht finden?
Dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschlandlieber in ein EU-Vertragsverletzungsverfahren laufenlassen, als endlich eine vernünftige Düngeverordnungzum Grundwasserschutz gegen die Beharrungskräfte imBauernverband durchzusetzen?
Dass Sie seit der Aigner'schen Kuhschwanz-Prämie kei-nen Finger mehr für die Milchbauern krumm gemachtund den Bäuerinnen und Bauern zum Ende der Milch-quote am 1. April nicht mehr als marktradikale Plattitü-den anzubieten haben? Beispielhaft zitiere ich den CDU-Kollegen Kees de Vries: Wer für 32 Cent nicht melkenkann, sollte Beamter werden. – Herr Minister Schmidtempfiehlt den Milchbauern – ich zitiere –:Hilfreich wird es sein, die Produktion am Markt zuorientieren.Schönen Dank, Herr Minister; das tun wir Bauern bereitsseit vielen Jahren und Jahrzehnten. Das haben Bäuerin-nen und Bauern immer getan. Unsere Höfe machen abertrotzdem reihenweise zu.Meine Damen und Herren, Herr Minister, hilfreichwäre es, wenn Sie endlich zur Kenntnis nehmen würden,dass in den letzten zehn Jahren fast die Hälfte der Milch-viehbetriebe und zwei Drittel der Schweinehalter aufge-geben haben und dass wir auf dem besten Wege sind, diebäuerliche Landwirtschaft insgesamt zu verlieren. Hilf-reich, Herr Minister, meine Damen und Herren von derCDU/CSU, wäre es aber auch, wenn Sie die Instrumenteder Gemeinsamen Agrarpolitik zur Stärkung bäuerlicherBetriebe endlich nutzen würden.
Hilfreich wäre es, wenn Sie endlich zur Kenntnis neh-men würden, dass Grundwasserbelastung, Antibiotika-missbrauch und Massentierhaltung Realitäten sind, dieman nicht einfach leugnen oder wegpöbeln kann. Insbe-sondere dir, Hans-Georg von der Marwitz, sei das ge-sagt!
Wollen Sie sich denn beim Thema Antibiotika auch nochvon McDonald's überholen lassen? Ich will das nicht,wir Grünen wollen das nicht. Wir wollen, dass wir ge-meinsam hier im Hause das Heft des Handelns in derHand behalten und dieses Problem lösen.
Hilfreich wäre es aber auch, wenn Sie bei TTIP endlichzur Kenntnis nehmen würden, dass die Interessen derAgrarindustrie in der Regel das Gegenteil der Interessenvon Bauern und Bäuerinnen sind.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8773
Friedrich Ostendorff
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Hilfreich für eine zukünftige Debatte wäre es aberauch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, wenn Sie aufhören würden, die Bäuerinnen undBauern in Unmengen von Watte einzupacken und sieeinzulullen, anstatt den konstruktiven Dialog mit der Ge-sellschaft zu suchen. Ihr ewiges Mantra, das wir gleichwieder rauf und runter hören werden – „Wir stehen vorund hinter euch, rechts und links von euch sowie überund unter euch“ –, löst kein einziges Problem, FrauMortler, und ist auch nicht zukunftsfähig.
Haben Sie doch endlich den Mut, die Wagenburg, in derSie sich befinden, einzureißen! Gehen Sie auf die Ge-sellschaft zu! Dann kommen wir weiter.
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Rita
Stockhofe von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Besucher! Der Antrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen stellt sich mir als populistischerRundumschlag gegen die zurzeit bestehende Landwirt-schaft dar. Jeder Punkt dieses Antrags ist ideologisch be-setzt, ohne sich inhaltlich in der Tiefe damit auseinan-derzusetzen.
Einige Themen sind übrigens bereits abgearbeitet, an-dere sind in der Bearbeitung. Wenn eine Partei abersonst keine Themen mehr hat, weil die anderen Parteien– beispielsweise die Union – sie bereits abgearbeitet ha-ben, muss sie sich mit aller Kraft hierauf stürzen und gu-cken, wie sie da ihre Themen unterbringt, ob es passtoder nicht.
Das führt zwangsweise zu unsachlichen und ideologi-schen Darstellungen, die nicht wirklich nützlich sind.Ich empfinde es als Frechheit, die Leistung der prakti-zierenden Landwirte so negativ darzustellen.
Wir kommen in der Diskussion über die Lebensmittel-herstellung nicht weiter, wenn die Grünen ständig dasBild des Bauern aus den Bilderbüchern der Kinder alsRealität darstellen. Das Wort „Landwirtschaft“ beinhal-tet den Begriff „Wirtschaft“. Das heißt, es gibt Familien,die von der Bewirtschaftung ihrer Betriebe leben.
Viele Menschen wissen und schätzen das. Jeder neunteArbeitsplatz steht in Zusammenhang mit der Landwirt-schaft. Wenn wir die Ernährungswirtschaft hinzuneh-men, die zwangsläufig dazugehört, sind wir bei jedemvierten Arbeitsplatz. Das wird in Ihrem Antrag völligignoriert.
Die Weiterentwicklung der Landwirtschaft wird über-haupt nicht angesprochen. Häufig werden in den Diskus-sionen die Zustände von früher in den Vordergrund ge-stellt. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir aber zugeben,dass früher, als angeblich alles gut war, annähernd jederHausbesitzer einen kleinen Stall nebenan hatte, in demer ein paar Schweine gehalten hat.
Diese Ställe hatten im Regelfall eine niedrige Decke,waren dunkel, und dort hat es auch nicht wirklich gut ge-rochen. Bei der heutigen Haltung stehen die Schweinenicht mehr in ihren eigenen Exkrementen. Tageslicht istvorgeschrieben, gekoppelt an Lux-Vorgaben, die einge-halten werden müssen. Den Schweinen steht Beschäfti-gungsmaterial zur Verfügung. Die Fütterung wird be-darfsgerecht und in hoher Qualität durchgeführt, undLüftungsanlagen sind zwingend vorgeschrieben. Ange-schimmeltes Brot, welker Salat und andere Küchenab-fälle werden längst nicht mehr verwendet. Früher solldas alles gut gewesen sein. Heute haben wir das gegeneine hochwertige, angepasste Fütterung ausgetauscht.Diese Verbesserungen in der Tierhaltung sind unter an-derem durch technische Weiterentwicklungen erreichtworden.
An dieser Stelle soll auch gesagt werden, dass die tech-nischen Errungenschaften ebenso wie in anderen Wirt-schaftsbereichen anerkannt und geschätzt und nichtschlechtgeredet werden sollten.Bei der Milchvieh- und Rinderhaltung haben sich dieStälle dahin gehend verändert, dass es nun anstelle dereinzeln angebundenen Kühe – das war angeblich sogut – Laufställe gibt mit Funktionsbereichen, die vonden Kühen aufgesucht werden können je nach Bedürf-nis, ob sie fressen, liegen oder laufen wollen. Dass dieKühe nicht mehr von Hand gemolken werden, ist eben-falls ein Gewinn, nicht nur für den Bauern als Melker,sondern auch für die Kuh, die somit gleichmäßig undnach sensorischen Messungen fast individuell angepasstgemolken wird.Diese Ausführungen könnte ich auf alle Bereiche aus-dehnen. Allerdings möchte ich noch auf andere Punkteeingehen. Einer dieser Punkte ist die Forderung in demvorliegenden Antrag nach mehr ökologischer Landwirt-schaft. Ich bin der Meinung, dass wir den Menschen, diesolche Produkte konsumieren möchten, konsequent bio-logisch hergestellte Lebensmittel anbieten sollten, umuns von den Bioprodukten aus Ländern, die nicht sokonsequent handeln, abzuheben.
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8774 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Rita Stockhofe
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Die Produktion sollte sich an der Nachfrage orientieren,also dem Markt angepasst sein und nicht künstlich hoch-gehalten werden. Wenn wir lesen, dass die Nachfragenach Bioprodukten kometenhaft angestiegen ist, müssenwir überlegen, woran das liegt. Kann das daran liegen,dass einige Produkte, die biologisch hergestellt wordensind, in den Discountern zu den gleichen Preisen ange-boten werden wie konventionell hergestellte Produkte?Kann es sein, dass deswegen die Nachfrage steigt? Ichbin der Meinung: Wenn wir Bioprodukte anbieten, dannmuss der komplette Kreislauf der Herstellung biologischsein. Das heißt, das Ferkel, das aus konventionell arbei-tenden Betrieben stammt – darauf zeigen die Grünen im-mer mit dem Finger –, darf nicht durch Biomast auf ein-mal zu einem Bioschwein werden und somit auch zumBioschnitzel. Wenn, dann komplett und konsequent bio-logisch.
Wenn das nichtbehandelte Stroh aus Biobetrieben ei-nen starken Pilzbesatz aufweist, besteht die Möglichkeit,dieses Stroh auf den Äckern zu belassen. Das Stroh, dasin den biologischen Betrieben dann zur Einstreu herhal-ten muss, kommt aus konventionellen Betrieben, aus de-nen es zugekauft wurde.
– Ich kann Ihnen praktische Beispiele nennen.
– Das kann ich wohl. Unterstellen Sie mir das nicht. Ichwerde es nachreichen.
Wenn wir die ökologische Produktion unterstützenwollen, dann müssen die Menschen, die für diese Pro-dukte deutlich mehr Geld ausgeben, davon ausgehenkönnen, dass der komplette Kreislauf ökologisch, biolo-gisch ist. Ansonsten haben wir hier eine Mogelpackung,die die Akzeptanz dieser Produkte schmälert. Der Ver-braucher will durch höhere Zahlungen bestimmte Wirt-schaftsweisen unterstützen und vorantreiben, und dassollten wir ihm ermöglichen. Vielleicht können wir soauch die heimische Landwirtschaft stärken. Zum Bei-spiel könnten wir die Biofrühkartoffeln aus Israel undÄgypten, die meines Erachtens schon deshalb nicht alsbio bezeichnet werden dürfen, weil sie eine große Dis-tanz zurückgelegt haben, etwas kritischer hinterfragen.
Mich ärgert besonders, dass die Grünen das sensibleThema Ernährung ständig ausnutzen, um ihre Ideologienzu verbreiten. Oft finden sie bei diesen Machenschaftenauch noch die Unterstützung von Medien, die entwederschlecht recherchieren oder damit leben können, dass siemit Halbwahrheiten ihre Auflagen oder Einschaltquotensteigern.
Die Unterteilung „bio – gut“ und „konventionell – böse“ist auch sehr unsachlich. Wie ist aber sonst die Berichter-stattung zu erklären, dass über 20 Jahre lang im Zusam-menhang mit BSE das gleiche Bild von der toten Kuh,die am Kran über dem Container hängt, veröffentlichtwird, und in Deutschland niemand erkrankt, geschweigedenn gestorben ist? Über die Ehec-Sprossen – 53 Tote,noch heute sind Leute an der Dialyse – wird überhauptnicht mehr gesprochen. Wir gehen davon aus, dass esnichts damit zu tun hat, dass es Biosprossen waren.Grundsätzlich dürfen wir uns über eine reiche Aus-wahl an hochwertigen, leckeren Lebensmitteln erfreuen.Wir können uns aussuchen, wo wir sie kaufen: im Dis-counter, im Supermarkt oder beim Bauern, der seineProdukte selber vermarktet. Diejenigen, die gut undgerne kochen, können diese Produkte dann zu leckerenMenüs oder Snacks verarbeiten. Aber selbst hier habenwir die Möglichkeit, einen Teil oder alle Verarbeitungs-prozesse anderen zu überlassen und somit Teilfertig-oder Fertigprodukte zu erwerben. Das alles können wirselber entscheiden und selber wählen, immer mit demguten Gefühl: Auf unsere Bauern, die Erzeuger dieserLebensmittel, und auf die Verarbeiter können wir unsverlassen. Die hohen Qualitätsstandards sind erfüllt.
Zusammenfassend halte ich also fest, dass wir unsereBauern und Landwirte dabei unterstützen sollten, weiter-hin so hochwertige und leckere Produkte herzustellen,wie wir sie jeden Tag auf unseren Tischen haben, undnicht zwei Klassen von Landwirten schaffen sollten, vondenen eine Klasse dann diffamiert wird.Ich hoffe, mit dieser Darstellung erreicht zu haben,dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihr gleich an-stehendes Mittagessen noch einmal mehr genießen undzu schätzen wissen.
Frau Stockhofe, lassen Sie zum Schluss noch eine
Zwischenfrage zu? Ich lasse sie jetzt zu, bitte aber um
eine zügige Antwort.
Ich habe sie erwartet, deswegen gerne.
Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie meine Zwi-schenfrage am Ende zulassen. – Sie haben in Ihrer gan-zen Rede von Ideologie gesprochen und schwarz-weißgemalt, statt auf unseren Antrag und auf das Grundpro-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8775
Harald Ebner
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blem, das wir am Anfang skizziert haben, einzugehen.Es ist das Problem des andauernden – „Höfesterben“will ich es gar nicht erst nennen, „Strukturwandel“ schongar nicht – Strukturbruchs, der uns allen wehtut. Er tutder Landwirtschaft weh. Ich hätte gerne eine Antwortdarauf gehört. Welche Antwort haben Sie darauf? Stattpermanent die Ideologienummer zu ziehen, möchte icheine Antwort auf die Frage des Strukturwandels. Was tunSie da politisch? In welche Richtung geht Ihr Weg?
Wenn Sie zu Beginn meiner Rede genau zugehört hät-
ten, dann hätten Sie gehört, dass ich auf Ihren Antrag
eine Antwort gegeben habe, nämlich dass Sie inhaltlich
keinen Punkt differenziert betrachtet haben, sondern ei-
nen Rundumschlag gemacht haben. Die Forderungen,
die Sie ständig an die Landwirtschaft stellen, sind immer
mit Dokumentationspflichten verbunden, weil Sie im-
mer auch das Misstrauen gegenüber den Landwirten vor-
anstellen und alles aufgeschrieben werden muss, statt die
gute fachliche Praxis, die in der Ausbildung vermittelt
worden ist, einfach anzuerkennen und denen zuzugeste-
hen, die es gelernt haben. Es muss nicht irgendeiner von
außen kommen, der weiß, wie es besser geht, und auf-
schreibt, was er gerne hätte. Dies führt zum Höfesterben
und nicht das, was Sie hier genannt haben.
So erhalten wir den „Strukturwandel“, wie Sie es be-
zeichnen. Dies ist ein ganz fürchterlicher Begriff, wie
viele andere Begriffe, die Sie benutzen, wie „Agrogen-
technik“, „Agroindustrie“ und Ähnliches. Wir haben
eine Grüne Gentechnik, das alles kann man auch positiv
besetzen. Aber Sie schüren lieber Ängste und sehen zu,
dass die Verbraucher gar nicht mehr wissen, wo sie ste-
hen, und verunsichern sie. Das ist der Fehler, den Sie
machen.
Als nächster Redner in der Debatte hat Johann
Saathoff von der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ihr Antrag zur Agrarwende, liebe Kolleginnenund Kollegen von den Grünen, besteht eigentlich ausmehreren, nämlich aus acht Anträgen, zu denen es sichjeweils lohnt, eine eigene Debatte zu führen. Diese De-batte haben wir zum Teil schon geführt, andere stehenuns mit Sicherheit in dieser Legislaturperiode noch be-vor. Bei einer derartigen Themenfülle macht es Sinn,sich in der Kürze der Zeit unemotionalisiert auf einigeTeile des Antrags zu fokussieren.Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen: Bei die-sem Ziel des Antrages, liebe Kolleginnen und Kollegender CDU/CSU, sind wir uns alle schon einmal einig;denn genau diese Parole haben wir, die SPD, als lang-fristiges Ziel unserer Agrarpolitik ausgegeben.
Wir verfolgen eine Strategie, die langfristig den Erhaltöffentlicher Gelder an die Erbringung öffentlicher Leis-tungen koppelt.
Ich hätte gerne gesehen, dass der Paradigmenwechselschon bei der Umgewichtung der EU-Agrarförderungvon der ersten in die zweite Säule deutlicher wird.
Allerdings bedeutet ein Paradigmenwechsel auch, dassman ihn nicht von einem Tag auf den anderen durchfüh-ren kann, sondern dicke Bretter zu bohren hat. Wir wol-len diesen Paradigmenwechsel – wir wollen diese Bret-ter bohren –, aber er muss so gestaltet werden, dass sichdie Landwirtschaft darauf einstellen kann. Das dürfendie Landwirte von einer verantwortungsvollen Agrarpo-litik erwarten.
Auch die Gentechnikfreiheit ist Teil Ihres Antrags.Wir haben dazu letzte Woche eine Debatte hier im Bun-destag gehabt. Ich möchte heute noch einmal deutlichmachen, dass wir alles unternehmen wollen, um zu einerbundeseinheitlichen Opt-out-Lösung zu kommen, liebeKolleginnen und Kollegen. In diesem Sinne hat es auchdas Bundesverfassungsgericht im Jahr 2010 entschieden.Deshalb kann es für uns keinen anderen Weg als einebundeseinheitliche Lösung geben.
Natürlich wollen wir auch, dass Deutschland bei jedemAnbauzulassungsantrag davon Gebrauch macht. Die Be-schränkung auf ein Bundesland macht faktisch einfachkeinen Sinn,
da gentechnisch veränderte Organismen nicht an derGrenze zu einem Bundesland haltmachen.Dabei sind wir längst nicht das einzige Land mit die-ser Einstellung. So wie Deutschland bei der Novelle derEU-Öko-Verordnung angeblich anfangs – meine Kolle-gin Rita Hagl-Kehl hat das beschrieben – eine Solitär-stellung eingenommen hat und sich mittlerweile diemeisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union derPosition des Bundestages angeschlossen haben, so sehenwir auch bei der Gentechnikfreiheit gute Chancen, dassdie meisten Mitgliedstaaten den deutschen Weg mitge-hen werden.
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8776 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Johann Saathoff
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Die Gentechnikfreiheit ist für uns, wie für Sie, auchbei den Futtermitteln ein Thema.
Wir schauen dabei aber nicht nur auf die Kennzeich-nung. Ein zentraler Ansprechpartner ist für uns der Han-del. Dort ist festzustellen, dass das gentechnisch verän-derte Soja mit Entwicklungen im Zusammenhang steht,die die deutschen Verbraucher nicht gutheißen. EineTendenz des Handels beispielsweise zum Angebot vonHähnchen, die ohne Gentechnik gefüttert wurden, zeich-net sich deutlich ab. Der Dialog ist für uns also nebenden gesetzlichen Regelungen ein ganz wichtiges Instru-ment.Wir sollten uns vor Augen führen, was passiert, wennman unkritisch an die Gentechnik herangeht. In denUSA gibt es bereits über 20 glyphosatresistente Kräuter.Das ist nur der Beginn einer Schraube, die sich immerweiter dreht und sich nicht mehr zurückdrehen lässt.Durch den Einsatz von Gentechnik verändert sich dasBewirtschaftungssystem in der Landwirtschaft langfris-tig dahin gehend, dass eine gute landwirtschaftlicheFachpraxis nicht mehr nötig ist. Dadurch erleidet maneinen nicht verantwortbaren Verlust an nachhaltigerWirtschaftsweise.
In unserem Koalitionsantrag „Gesunde Ernährungstärken – Lebensmittel wertschätzen“ ist eine ganzeReihe von Forderungen enthalten, die Sie in Ihrem An-trag zum Thema gute Ernährung aufgreifen. Zum Bei-spiel setzen wir uns dafür ein, dass die gesundheitlichenRisikofaktoren einer unausgewogenen Ernährung imPräventionsgesetz und in einer nationalen Präventions-strategie angemessen berücksichtigt werden. Des Weite-ren sollen die Schulvernetzungsstellen weiterhin finan-ziell und darüber hinaus von der DGE fachlich bei derVerbesserung der Qualität der Verpflegung unterstütztwerden. Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner wol-len wir in Zusammenarbeit mit den Bundesländern einLeitbild gesunder, nachhaltig erzeugter und vielfältigerKita- und Schulverpflegung erarbeiten,
Kindern und Jugendlichen über Schulgärten, Bauernhof-patenschaften und Ähnliches den Ursprung des Essensvermitteln und die Ernährungsaufklärung in den Lehr-plänen der deutschen Schulen verankern.
All das wurde in unserem Antrag, den wir am 15. Januardieses Jahres beraten haben, bereits so von uns formu-liert. Ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegenvon den Grünen, dass wir Sie mit im Boot haben.Sie sprechen in Ihrem Antrag auch die Arbeitsbedin-gungen in der Landwirtschaft und der Ernährungsindus-trie an. Die Niedersächsische Landesregierung bringtdazu genau heute einen Antrag in den Bundesrat ein, derzum Ziel hat, dass Werkvertragsbeschäftigte ihre Rechtebesser vertreten können.
Das Bundesarbeitsministerium erarbeitet gerade einenGesetzentwurf, um den Missbrauch bei Werkverträgenzu verhindern.Wie anfangs schon erwähnt, enthält der vorliegendeAntrag also einen ganzen Strauß von Maßnahmen derAgrarpolitik der Zukunft. Stück für Stück – oder „eennah’t anner“, wie man in meiner ostfriesischen Heimatsagen würde – wollen wir uns mit den jeweiligen The-men befassen. Ich freue mich auf einen konstruktivenDialog mit Ihnen.Herzlichen Dank.
Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat die Kollegin
Marlene Mortler von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Einesmuss klar sein: Wir, die Union, distanzieren uns klar vonschwarzen Schafen in der Land- und Ernährungswirt-schaft, egal ob groß, ob klein, ob bio oder konventionell.
Wir distanzieren uns aber auch ganz klar von den pau-schalen Vorwürfen im vorliegenden Antrag und heuteauch im Plenum, von dieser unsäglichen Inszenierunggegen unsere Bauern und Bäuerinnen.
Offensichtlich sind Sie immer noch auf der verzweifel-ten Suche nach Themen und sind bei der Landwirtschaftgelandet. Aber wir lassen es nicht zu, dass unsere Bäue-rinnen und Bauern in Deutschland am Ende die Leidtra-genden Ihrer Themensuche werden.
Landwirtschaft heute hat das Recht, zeitgemäß zuproduzieren und zu wirtschaften und den technischenFortschritt offensiv anzugehen, ob im Stall, auf demAcker oder im Büro. Sie hat auch das Recht, ihre Fami-lien zu ernähren. Gleichzeitig hat sie die Pflicht, gesell-schaftliche Ansprüche zu erfüllen. Noch nie waren die
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8777
Marlene Mortler
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Lebensmittel in unserem Land so sicher, so vielfältig, sogut und gleichzeitig so preiswert. Das ist eine tolle Er-rungenschaft.
Sie schrauben die gesellschaftlichen Ansprüche aller-dings immer höher und höher. Das Wort „Bio“ haben wirheute von Ihnen nicht gehört, aber jahrzehntelang wardas Ihr Zauberwort. Seien wir ehrlich: Viele Biobetriebevon heute unterscheiden sich weder in Größe noch inStruktur von konventionellen Betrieben.
Das kritisiere ich nicht, das ist die Realität.Wenn ich die Fachmesse Biofach bei mir um die Eckein Nürnberg besuche, dann stelle ich fest: Big Business!Unsere Biobauern von gestern und von heute sind bes-tenfalls schmückendes Beiwerk. Ich zitiere eine Leser-briefschreiberin:Wer sich noch vom eigenen Gemüsebeet und vonEiern von Nachbars Hühnern ernährt, dürfte das ak-tuelle Bioangebot schwer verstehen und hier nurwenige natürliche Bezüge finden. Mit diesem Vor-verständnis entdeckte man in den Hallen der Bio-fach zu circa 90 Prozent Produkte, die man zum ge-sunden Essen überhaupt nicht braucht. So hochungefähr war der Anteil der Fertigwaren, von derenfremdländischen, mit hohem Transportaufwandverbundenen Zutaten man hier vielleicht zum erstenMal hörte. Man beginnt zu begreifen, warum esdeutsche Biobauern schwer haben, wenn der neuevegetarische oder vegane Trend auf Zutaten wieQuinoa und Hanf beruht. Immerhin war ein Standmit Fleischersatzspeisen aus Lupinensamen dabeiund weckt Hoffnung, dass uralte robuste heimischeAnbaupflanzen auf unsere Äcker zurückkehren, so-fern die politischen Vorgaben überhaupt mitspielen.Bio ist Luxus geworden, ein Alibi der Wohlstands-gesellschaft. Angesichts der Kosten dieser diffizilenProdukte versteht man auch, warum Krankenhäuseroder Kindergärten solche Nahrung nicht auftischenkönnen.
Ich frage Sie: Können Ihre Luxusantworten wirklichdie richtigen auf die Fragen dieser Welt sein? Ist es ange-sichts des weltweiten Hungers, den Sie in Ihrem Antragansprechen, sinnvoll, einen ideologischen Kampf gegenIndustrie und Handel zu führen? Ich sage Ihnen eines:Eine stabile Lebensmittelversorgung braucht produktivelokale Landwirte, eine Landwirtschaft vor Ort.
Sowohl unser Ministerium, das Ministerium für Er-nährung und Landwirtschaft, als auch das Ministeriumdes Entwicklungshilfeministers sind hier aktiv. MinisterMüller zum Beispiel nimmt aktuell 1,4 Milliarden Euroin die Hand, um 13 innovative Zentren in Entwicklungs-ländern zu installieren und Landwirtschaft vor Ort zufördern.
Zurück zu unserem Ministerium. „Öffentliche Gelder füröffentliche Leistungen“, das war die Überschrift der Ag-rarreform, und das wird auch die Überschrift unsererPolitik und unseres Selbstverständnisses in Sachen Ag-rarpolitik bleiben. Das wird unser Leitbild bleiben.
Zu den Antibiotika. Das Antibiotika-Minimierungs-konzept, die AMG-Novelle, all das sind Dinge, die wirlängst auf den Weg gebracht haben.
Nebenbei gesagt: Auch ein Tier hat das Recht auf Be-handlung, wenn es Behandlung braucht.
Wir sind uns mit Bundesminister Gröhe einig, dass esnur eine Gesundheit gibt. Deshalb ist das Screening – dabin ich mit Ihnen einig; das sieht auch Minister Gröheso – ein Gebot der Stunde, um Antibiotikaresistenzenvorzubeugen.Zum Thema „gute Ernährung“. Fragen Sie doch ein-mal in den Bundesländern, in denen Sie mitregieren,nach, ob diese ihre Hausaufgaben gemacht haben! Ichweiß aus Bayern: Schulmilchprogramm – voll ausge-schöpft, Schulobstprogramm – voll ausgeschöpft. LetzteWoche hat Bayern sogar eine Plattform installiert – zu-sammen mit dem Deutschen Hotel- und Gaststättenver-band – für regionale Produkte.Aber noch einmal zurück zum Thema Schulversor-gung: Wenn Sie glaubwürdig bleiben wollen, dann set-zen Sie sich für Schulgärten statt für Hanfgärten ein!
Ich komme zum Schluss. So wie es die eine Welt gibt– für uns, für mich –, so gibt es nur die eine Landwirt-schaft. Egal ob Bio- oder konventionelle Landwirtschaft:Wir haben die Herausforderung – im Sinne bäuerlicherFamilienbetriebe –, mit weniger Ressourcen mehr Men-schen noch besser, noch effizienter und nachhaltiger zuversorgen. Das ist die Herausforderung der Zukunft. Indiesem Zusammenhang biete ich Ihnen die Zusammen-arbeit gerne an.Danke.
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. Damitschließe ich die Debatte.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 18/4191 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.
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Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 21 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neube-stimmung des Bleiberechts und der Aufent-haltsbeendigungDrucksachen 18/4097, 18/4199Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungHaushaltsausschuss gemäß § 96 der GONach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ichkeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätzeeinzunehmen, damit wir dann mit der Debatte beginnenkönnen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Aus-sprache. Als erster Redner erhält der BundesministerDr. Thomas de Maizière für die Bundesregierung dasWort. – Sie haben das Wort.Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich bringe hiermit einen Gesetzentwurf zur Neubestim-mung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigungein. Dieses Gesetz enthält zwei klare Botschaften: Blei-berecht für gut integrierte und rechtstreue Ausländer ei-nerseits und Aufenthaltsbeendigung für diejenigen, dienicht schutzbedürftig sind, andererseits. Beide Botschaf-ten gehören zusammen.
Ich beginne mit dem Bleiberecht. Es betrifft Men-schen, die sich hier auch ohne offiziellen Aufenthaltssta-tus während ihrer Duldungsphase gut integriert haben.Dieser Gesetzentwurf soll die Rechtsstellung dieserMenschen ganz erheblich verbessern. Wir schaffen erst-mals ein Bleiberecht für nachhaltig integrierte geduldeteMenschen, das nicht mehr von deren Alter oder einemStichtag abhängt.
Wer viele Jahre hier lebt, wer hier wesentliche Integra-tionsleistungen erbringt, wer unsere Sprache spricht, werseinen Lebensunterhalt überwiegend selbst sichert und– natürlich – wer keine großen Straftaten begangen hat,der soll nun auch eine dauerhafte Bleibeperspektive inDeutschland erhalten.
Von dieser Regelung können mehrere Zehntausend bis-her nur geduldete Menschen profitieren. Mit diesem Ge-setz senden wir ihnen ein klares Signal: Ihr dürft jetztbleiben. Macht mit! Verdient euer eigenes Geld! Ihr ge-hört zu uns. – Das ist ein gutes und wichtiges Signal.
Zum Zweiten schaffen wir mit dem Gesetzentwurfvon Anfang an eine verbindliche Bleibeperspektive fürOpfer von Menschenhandel. Wer bereit ist, mit unserenStrafverfolgungsbehörden gegen die Täternetzwerke vor-zugehen, kann in Deutschland bleiben, auch nach einemStrafverfahren. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Be-kämpfung eines der widerlichsten Verbrechen. Ohne dieOpfer, die eingeschüchtert werden, denen die Zuhälterdie Ausweispapiere wegnehmen, kommen wir nicht andie Täter heran. Gerade den Frauen, die Opfer vonZwangsprostitution waren, senden wir jetzt das klare Si-gnal: Ihr dürft bleiben. Auch ihr gehört zu uns. Wir hel-fen euch. Ihr habt eine Perspektive in Deutschland.
Drittens enthält der Gesetzentwurf substanzielle Ver-besserungen im Recht des Familiennachzugs. Ausländer,die in bestimmten Fällen bis jetzt vom Familiennachzugausgeschlossen waren, können künftig gemeinsam mitihren Familien hier leben. Das betrifft Opfer von Men-schenhandel. Es betrifft auch sehr viele Menschen, diehier einen sogenannten subsidiären Schutz genießen,Menschen, um es einfacher zu formulieren, die zwarnicht politisch verfolgt werden, die aber aus anderenschwerwiegenden Gründen, zum Beispiel wegen dro-hender Folter, nicht in ihre Heimat zurückkehren kön-nen. Für diese Menschen verbessern wir jetzt den Fami-liennachzug. Auch das ist eine zentrale Verbesserung.
Viertens. Wir stärken mit dem Gesetzentwurf auch dieZuwanderung von Fachkräften, gerade in Engpassberu-fen; das hat jetzt nichts mit Asyl zu tun, ist aber auchein Element dieses Gesetzentwurfs. Künftig wird esmöglich sein, notwendige Anpassungsqualifizierungenin Deutschland durchzuführen, damit der Abschluss an-erkannt und eine Beschäftigung aufgenommen werdenkann.Das, meine Damen und Herren, ist die eine Seite derMedaille. Die andere Seite ist, dass wir sicherstellenwollen, dass diejenigen Menschen, denen letztendlichunter keinem Gesichtspunkt ein Aufenthaltsrecht inDeutschland zusteht, unser Land auch tatsächlich wiederverlassen.
Ein zentrales Anliegen aller staatlichen Stellen muss essein, das erhebliche Vollzugsdefizit in der Aufenthalts-beendigung abzubauen.
Es kann nicht sein, dass, wer im Asylverfahren trickstund täuscht, dafür später mit einem Bleiberecht belohntwird.
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Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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Genau hier setzt der zweite Teil unseres Gesetzent-wurfs an. Drei Aspekte möchte ich hervorheben.Erstens. Eines der wesentlichen Vollzugshemmnisse– die mangelnde Möglichkeit zur Identitätsklärung – ge-hen wir mit diesem Gesetzentwurf an. Meine Damenund Herren, liebe Kollegen – das sage ich insbesondereden Kolleginnen und Kollegen von der Linken und denGrünen –, es ist nicht zu viel verlangt, dass ein Mensch,der in Deutschland Schutz haben will, korrekt sagt, wieer heißt und aus welchem Land er kommt.
Es ist nicht zu viel verlangt, ein Ausweispapier aufzuhe-ben und nicht im entscheidenden Moment wegzuschmei-ßen. Wenn der Antragsteller seine Identität oder Staats-angehörigkeit verschleiert, dürfen die Behörden künftigdeshalb seine Datenträger auslesen, um festzustellen,wer er eigentlich ist und woher er kommt. Eine Kapitula-tion der staatlichen Stellen vor den Menschen, die täu-schen und die Behörden über ihre Identität und Herkunftbelügen, dürfen wir nicht länger hinnehmen.
Und weiter: Das bisherige System von Ausweisun-gen, die durchgeführt werden müssen – die sogenanntenIst-Ausweisungen, wenn man so will –, die durchgeführtwerden sollen – die Soll-Ausweisungen – oder diedurchgeführt werden können – die Kann-Ausweisun-gen –, ist nur noch auf dem Papier klar. Unser Auswei-sungsrecht ist durch europäisches Recht und durch dieRechtsprechung so durchlöchert, dass es praktisch kaummehr handhabbar ist; das sagen alle Praktiker. Wenn daHerr Mayer und Herr Veit nicken, dann ist das für michdie gute Botschaft, dass der Sachverhalt so richtig be-schrieben ist. Das ändern wir nun mit diesem Gesetz.Zum zweiten Aspekt, auf den ich hinweisen möchte– ich weiß, dass Frau Jelpke gleich darauf abhebenwird –: Damit Abschiebungen künftig tatsächlich wiederwirksam durchgeführt werden können, stellen wir denBehörden mit einem neuen, kurzen Ausreisegewahrsamein taugliches Vollzugsmittel zur Verfügung. Mit Blickauf diejenigen, die nicht freiwillig ausreisen wollen unddie gezeigt haben, dass sie nicht an den notwendigenVerfahren mitwirken, weil sie über ihre Identität täu-schen, ist ein Gewahrsam von wenigen Tagen nur zurDurchsetzung der Abschiebung absolut angemessen.
Hier wird es darauf ankommen, dass die Länder dieseneue Option bei der Durchsetzung der Ausreisepflichtendann auch tatsächlich nutzen.Drittens setzen wir mit diesem Gesetzentwurf europa-rechtliche Verpflichtungen um. Dazu nehmen wir eineBestimmung der Fluchtgefahr in das Gesetz auf. Das istja, wie man hört, hochumstritten. Ich wiederhole: Diesist europarechtlich geboten und eine Umsetzung vonEuroparecht. Bisher haben wir keine Definition von„Fluchtgefahr“ im Gesetz, und das ist rechtsstaatlich einProblem. Die in dem Gesetzentwurf vorgeschlagene De-finition entspricht inhaltlich genau dem, was Rechtspre-chung und Verwaltung schon heute als Indiz für eineFluchtgefahr betrachten, nicht mehr und nicht weniger.Jede Polemik dagegen – die wir gleich hören werden –ist blanker Unsinn.
Meine Damen und Herren, beide Seiten des Gesetz-entwurfs – Bleiberechte und Aufenthaltsbeendigung –bedingen sich gegenseitig. Verbesserungen für Schutz-bedürftige sind für einen klugen Umgang mit demAsylrecht ebenso wichtig wie konsequente Aufenthalts-beendigung und notfalls Abschiebung von nicht Schutz-bedürftigen. Langfristig – aber auch kurzfristig – brau-chen wir beides: um der Sache willen, aber auch, um dieAkzeptanz für legale Zuwanderung und für die Auf-nahme von Flüchtlingen in Deutschland zu erhalten undzu stärken. Gegen eine große Mehrheit der Bevölkerunglässt sich Flüchtlingspolitik nicht machen. Deswegenmüssen wir um diese Mehrheit in der Bevölkerung nach-haltig werben und für sie eintreten. Diese Mehrheit istda. Sie ist aber immer gefährdet. Nur wenn wir klarma-chen: „Wir schützen die wirklich Schutzbedürftigen, unddiejenigen, die nicht schutzbedürftig sind und tricksenund täuschen, werden mit Schutzbedürftigen nicht gleich-behandelt“, dann gewinnen wir die Herzen und die Köpfeder Mehrheit unserer Bevölkerung. Darauf kommt es an.Deswegen bitte ich um Unterstützung für diesen Gesetz-entwurf.
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Ulla Jelpke
von der Fraktion Die Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrMinister, es ist keine faire Art der Debatte, schon imVorhinein alles als Unsinn zu bezeichnen, was die Oppo-sition hier an Kritik vorbringt.
Das Gesetzespaket, das Sie heute hier vorgelegt ha-ben, enthält mit Abstand die schärfsten Einschnitte indas Aufenthaltsrecht seit 1993.
Schon damals wurde das Grundrecht auf Asyl weitge-hend aufgehoben. Jetzt wird es noch einmal massiv be-schnitten. Die Bundesregierung legt hier ein regelrechtesInhaftierungsprogramm für Asylsuchende auf,
nach dem Motto „Wer Asyl beantragt, wird eingesperrt,abgeschoben und darf nie wiederkommen“. Die Linkehält dieses Gesetzespaket für ein ganz fatales Signal. Esist ein Verrat am Asylrecht und im Übrigen ein schänd-licher Kotau gegenüber der rassistischen Hetze von Pe-
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Ulla Jelpke
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gida und jenen Neofaschisten, die zunehmend Asyl-unterkünfte angreifen.
Meine Damen und Herren, die Koalition will die Ab-schiebehaft derart massiv ausbauen, dass sie praktischjeden Flüchtling treffen kann. Als Grund genügt zumBeispiel, dass vom Asylsuchenden ein Schleuser bezahltworden ist. Aber ohne diese Schleuser können dieFlüchtlinge häufig gar nicht den gefährlichen Weg überdas Mittelmeer nehmen. Wenn in der EU keine legalenWege geschaffen werden, wie Flüchtlinge auch hier nachDeutschland kommen können, und das sogar eine Auf-lage der EU ist, dann darf man sich nicht wundern undhier nicht solche repressiven Maßnahmen einführen.Ein weiterer Grund für die Abschiebehaft soll nunsein, wenn die Flüchtlinge keinen Pass besitzen – derMinister hat es schon erwähnt – oder wenn sie übereinen anderen EU-Staat nach Deutschland kamen. Dasbetraf im vergangenen Jahr 35 000 von insgesamt173 000 Asylsuchenden. Merken Sie denn gar nicht, wiezynisch es ist und wie Sie hier reagieren? Über welcheLänder sollen die Flüchtlinge denn einreisen, wenn nichtüber EU-Staaten? Vom Himmel können die Flüchtlingenicht fallen. Man kann doch diese Menschen, die frohsind, Gewalt und Krieg entkommen zu sein, nicht ein-fach einsperren, nur weil sie einen falschen Fluchtweggenommen haben.
Was soll denn mit diesen Flüchtlingen geschehen? Siewerden in völlig überfüllte Flüchtlingslager in Bulga-rien, Ungarn und anderen Staaten gebracht. Wir alle hierwissen, dass eine menschenwürdige Versorgung dortnicht stattfindet, geschweige denn rechtliche Vorausset-zungen für die Flüchtlinge vorhanden sind. Flüchtlingesind Menschen in Not und keine Kriminellen. Sie ver-dienen unsere Hilfe und nicht einen solch schäbigenUmgang, wie ihn die Koalition hier plant.
Aber es gibt noch mehr Verschärfungen. AbgelehnteAsylsuchende sollen künftig mit einem Einreise- undAufenthaltsverbot belegt werden, sogar dann, wenn siefreiwillig ausgereist sind. Das hätte beispielsweise imvergangenen Jahr 12 000 Menschen getroffen. Treffenwird diese Verschärfung vor allen Dingen Roma aus denBalkanstaaten. Ihnen wird damit jede legale Möglichkeitder Einwanderung versperrt, und sie können nicht ein-mal mehr Verwandte in der EU besuchen. Ich frage Sie:Mit welcher Berechtigung werden Schutzsuchende der-art bestraft? Flüchtlinge verhalten sich wie Flüchtlinge.Sie haben nur ein Recht in Anspruch genommen, das im-mer noch im Grundgesetz steht. Sie stellen einen Antrag,dieser wird abgelehnt, sie reisen wieder aus. Sie dafürmit einem Einreiseverbot zu belegen, das im Übrigen fürdie gesamte EU gilt, ist nichts anderes als eine absolutwillkürliche Verzerrung unseres Rechtssystems. Daswird die Linke nicht mitmachen.
Zum Schluss möchte ich noch auf das Bleiberecht zusprechen kommen. In der Tat: ein kleiner Fortschritt.Insgesamt gibt es zurzeit 113 000 Menschen in Deutsch-land, deren Aufenthalt nur geduldet ist. Davon lebt etwaein Drittel länger als fünf Jahre in Deutschland. AberIhre Regelung, Herr Minister, besagt jetzt, dass dieseMenschen als Alleinstehende seit mindestens acht Jah-ren oder als Familien seit mindestens sechs Jahren inDeutschland leben müssen und auf jeden Fall eine eigen-ständige Sicherung ihres Lebensunterhalts leisten müs-sen. Das können gerade einmal 11 Prozent. Zuvor habenSie diese Menschen mit Arbeitsverboten belegt.
– Doch. Sie konnten jedenfalls nicht einfach arbeiten ge-hen. – Integrationsmaßnahmen gab es für sie auch nicht.Jetzt sollen sie plötzlich solche Leistungen erbringen,um hierbleiben zu können.Wie gesagt, nur 11 Prozent haben überhaupt eine Be-schäftigung. Das heißt, sehr wenige werden wirklichdiese Bleiberechtsregelung in Anspruch nehmen. Wir sa-gen hier ganz klar: Alle anderen leben doch im Grundegenommen in der ständigen Angst, abgeschoben zu wer-den, obwohl beispielsweise ihre Kinder hier aufgewach-sen sind und sie oft sehr gut integriert sind.Um es zusammenfassend zu sagen: Das neue Bleibe-recht greift viel zu kurz. Die verschärfte Abschiebepoli-tik ist zynisch und inhuman. Das wird die Linke nichtmittragen.
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Rüdiger Veit
von der SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe UllaJelpke, bei aller persönlichen Wertschätzung kann ichdem Zerrbild, das hier von dir von dem Gesetzentwurfentworfen worden ist, nun wirklich nicht folgen. Ichwerde versuchen, das im Einzelnen zu widerlegen.
Ich habe eine ähnliche Debatte im Jahr 2007 mit denWorten Aristide Briands eingeleitet: Ein guter Kompro-miss sei immer dann gegeben, wenn alle Beteiligten überdas Ergebnis gleichermaßen unzufrieden seien. – Daswar damals richtig. Da ging es um das Richtlinienumset-zungsgesetz. Auch ich war nicht zufrieden. Heute sindwir, wie ich finde, ein großes Stück weiter, und zwar auf-grund der Umsetzung einer Koalitionsvereinbarung, diein einigen Punkten über das hinausgeht, was mancher fürmöglich gehalten hätte. Das betrifft zum Beispiel auchdie Fragen von Arbeitsverboten und Residenzpflicht.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8781
Rüdiger Veit
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Hier hat diese Koalition in den zurückliegenden Mona-ten bereits wichtige Verbesserungen vorgenommen.Wir haben in diesen Wochen immer wieder über dieFrage der Einwanderung geredet. Wir wollen Menschen,die noch nicht bei uns leben, gewinnen, zu uns zu kom-men. Im Rahmen der Debatte über das Bleiberecht redenwir über das Schicksal derjenigen, die schon hier sind,was sachlich und logisch gesehen eigentlich vorrangigist. Deswegen bin ich froh, dass wir uns mit diesem Ge-setz dieser Personengruppe zuwenden können.
Damit eines klar ist – da will ich einmal in die Ver-gangenheit zurückblenden –: Wir Sozialdemokratenwollten, als wir das Zuwanderungsgesetz entworfen unddann in den Jahren 2003 und 2004 in den Gremien be-handelt haben, die Duldung gänzlich abschaffen. Wirwollten nur noch zwei Aufenthaltstitel haben: den befris-teten und den unbefristeten. Wir wollten dazu überge-hen, zu sagen: Wenn jemand nicht ausreisen kann odernicht abgeschoben werden kann, dann muss er nach spä-testens 18 Monaten eine Aufenthaltserlaubnis bekom-men. § 25 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes würde ichgerne unverändert lassen. Herr Minister, darüber undüber die Streichung des Verweises auf § 11 des Aufent-haltsgesetzes werden wir hoffentlich noch reden. Das istdann aber eine Fachdebatte, die wir an anderer Stelleführen müssen.Wir wollten die Duldung eigentlich grundsätzlich ab-schaffen. Das ging damals mit der Union aber nicht. DieUnion musste zu rot-grünen Zeiten als Partner in An-spruch und ernst genommen werden, weil es damals imBundesrat keine Mehrheit für diese Vorschriften gege-ben hat; daran will ich einmal erinnern. Insofern versu-chen wir seit über zehn Jahren, dieses Problem zu lösen.Schon im Zusammenhang mit dem Richtlinienumset-zungsgesetz wollten wir dann bereits im Jahre 2007 einesehr viel weiter gehende Bleiberechts- und Altfallrege-lung schaffen.Bei der Gelegenheit – wenn man so lange dabei ist,bleibt es nicht aus, dass man sich erinnert – ist mir wie-der eingefallen, wie es damals war. Das möchte ichgerne einmal in Form einer Anekdote zum Besten geben.Damals, als wir über das Richtlinienumsetzungsgesetzund eine Bleiberechtsregelung gesprochen haben, hat IhrAmtsvorgänger, der damalige Innenminister WolfgangSchäuble, gemeinsam mit Franz Müntefering, der da-mals Arbeitsminister war, eine sehr weitgehende Bleibe-rechtsregelung und Altfallregelung entworfen und vor-geschlagen. Dieser Vorschlag wurde aber im Ergebnisder politischen Realität nur ungefähr vier Tage alt, weiler dann in einer Länderinnenministerkonferenz – daswar am 17. November 2006 in Nürnberg – von Innen-ministern der Union zerrupft worden ist. Es gab damalserheblichen Ärger von den auf der Seite der Union Be-teiligten. Davon ist im Augenblick keiner im Raum. Ichkann mich aber noch gut an die Berichte dieser Innen-ministerkonferenz erinnern.Die herbste Kritik war übrigens diejenige des vorma-ligen niedersächsischen Innenministers Schünemann,der damals zu Herrn Schäuble gesagt hat, er – der HerrSchäuble – habe keine Ahnung von der Praxis. Das warschon eine ziemliche Unverschämtheit, weil WolfgangSchäuble zuvor schon einmal Innenminister war, undzwar zu einer Zeit, als jedenfalls Herr Schünemann nochlange nicht Innenminister, sondern vielleicht bestenfallsdem Grundschulalter entwachsen war.Da wir hier große Volksparteien repräsentieren, ver-treten nicht alle die gleiche Meinung. Ich erinnere michnoch – diesen Teil der Anekdote gebe ich auch noch zumBesten –, dass wir auf einer Klausurtagung der SPD-Fraktion in Brüssel im Plenarsaal des Europäischen Par-laments über die richtige Umsetzung der Bleiberechts-regelung gesprochen haben. Damals hat ein anderer Ih-rer Amtsvorgänger, Otto Schily, uns davor gewarnt, eineBleiberechtsregelung gesetzlich festzuschreiben, diemehr als höchstens 20 000 oder 30 000 Menschen be-günstigt. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich ein-mal in die Verlegenheit kommen würde, einen gemeinsa-men Vorschlag von Franz Müntefering und WolfgangSchäuble gegen Otto Schily verteidigen zu müssen. Eskam dann übrigens nicht mehr dazu. Der Flieger ging,und deswegen kam meine Wortmeldung nicht mehr zumTragen. – So viel zur Geschichte.Heute sind wir Gott sei Dank, wie ich finde, mit einerderartigen Bleiberechtsregelung sehr viel weiter. DemNichtfachpublikum sei einmal gesagt, worum es hiergeht. Menschen, die in Deutschland nicht abgeschobenwerden können oder nicht ausreisen können, die abernicht den Status eines Flüchtlings oder Asylberechtigtenzuerkannt bekommen, halten sich mit sogenannten Dul-dungen in Deutschland auf. Das ist nichts anderes als derAbschiebeverzicht vonseiten des Staates. Das ist aberkein Titel. Man sollte meinen, dass die Duldungen nichtlänger als ein paar Monate dauern. Das ist mitnichten so.Die Statistik weist aus, dass es 11 000 Menschen gibt,die mit Duldungen schon mehr als 15 Jahre in der Bun-desrepublik leben. Immerhin 31 000 Menschen leben be-reits seit über sechs Jahren hier. Für die Betroffenen undihre Familien heißt das, dass ihnen in der Regel alle dreiMonate gesagt wird, ob sie abgeschoben werden undausreisen müssen oder ob sie hier bleiben dürfen.In der Zwischenzeit durften sie nach altem Rechtnicht einmal arbeiten und so sich und ihre Familien ver-sorgen. Den Teufelskreis, nicht arbeiten zu dürfen, weilman keine Aufenthaltserlaubnis hat, aber keine Aufent-haltserlaubnis zu erhalten, weil man keine Arbeit hat, ha-ben wir schon bei der letzten Änderung des Bleiberechts– damals § 104 a – durchbrochen. Das setzen wir jetztkonsequent fort. Dafür bin ich im Interesse der betroffe-nen Menschen und insbesondere im Interesse der inDeutschland geborenen und/oder aufgewachsenen Kin-der und Jugendlichen außerordentlich froh und dankbar.
Deswegen ist das ein gutes und hoffentlich auch bald zuEnde kommendes Gesetzgebungsvorhaben, hinter demich auch persönlich stehe.
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8782 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Rüdiger Veit
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Herr Minister – auf kritische Punkte komme ich nochzu sprechen, damit keine Verwirrung eintritt –, Sie habenzu Recht erwähnt, dass wir mit diesem Gesetz erfreuli-cherweise den Status der Opfer von Menschenhandelverbessern werden. Sie haben – hierzu gab es insbeson-dere Kritik aus dem NGO-Bereich – darauf hingewiesen,dass der Familiennachzug bei subsidiär Geschützten neugeregelt wird. Sie haben noch einen Punkt vergessen, dermir aber auch wichtig ist und den ich vielleicht ergänzendarf. Wir haben jetzt eine gesetzliche Grundlage dafür,sogenannte Resettlement-Flüchtlinge in Deutschlandaufzunehmen und ihnen ebenfalls die Möglichkeit desFamiliennachzugs einzuräumen. Denjenigen, die nichtBescheid wissen, möchte ich erklären, dass es sich bei-spielsweise bei den Flüchtlingen, die aus Syrien kom-men, um Resettlement-Flüchtlinge handelt. Diese habennach der Flucht aus ihrer Heimat in Nachbarstaaten oderanderswo vorläufig Zuflucht gefunden. Wir haben siedann aus humanitären Gründen – im Falle Syriens vor-bildlich, aber auf europäischer Ebene immer noch zuwenige – aufgenommen, um ihnen hier auf Dauer einePerspektive zu geben.Es gibt aber auch eine kritische Bewertung. Ein biss-chen Kompromiss heißt aus unserer Sicht auch, ein biss-chen nachzugeben. Richtig ist: Das Ausweisungsrechtinsgesamt musste dringend geändert werden. Da ichdaran, ob wir das in jedem einzelnen Punkt perfekthinbekommen haben, meine Zweifel habe, melde ichGesprächsbedarf an. Das betrifft insbesondere die Haft-gründe. Insoweit hat Ulla Jelpke zu Recht darauf hinge-wiesen, dass es als Flüchtling technisch kaum andersmachbar ist, nach Deutschland zu kommen, als sich ei-nes Schleusers zu bedienen. Das muss man deswegennicht gutheißen. Das tue ich auch nicht. Das tut niemandvon uns. Das ist aber ein aus den geografischen Gege-benheiten resultierendes Faktum, das wir nicht negierenkönnen.
Automatisch kann man deswegen also nicht auf Flucht-gefahr schließen.Damit sind wir bei der Fluchtgefahr angekommen.Bei der Abschiebehaft von sogenannten Dublin-Flücht-lingen verlangt die Richtlinie eine erhebliche Fluchtge-fahr als Voraussetzung. Das haben wir in diesem Gesetz-entwurf so noch nicht übernommen. Insofern ist esdurchaus notwendig, an dieser Stelle nachzubessern.Schöner wäre übrigens auch gewesen – wenn ichauch diesen kritischen Punkt ansprechen darf –, wennwir an den ursprünglich vorgesehenen 27 Lebensjahrenals zeitliche Grenze für einen Antrag auf Aufenthalts-erlaubnis festgehalten hätten. Jetzt sind wir wieder auf21 Lebensjahre zurückgegangen. Auch darüber wirdman noch reden können.Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, beidem wir hoffentlich parteiübergreifend zu einer Lösungkommen werden. Es handelt sich dabei um die Rechts-stellung derjenigen jungen Leute, die sich in einer Be-rufsausbildung oder in einem Studium befinden. Neh-men wir als günstigen Fall an: Es ist einem Flüchtlinggelungen, einen Ausbildungsplatz zu erhalten. Wenn ernur eine Duldung hat, ist das nicht immer ganz so ein-fach. Dieser Flüchtling muss damit leben, eventuell ab-geschoben zu werden, noch bevor er seine Ausbildungabgeschlossen hat. Es gibt zu Recht eine Initiative derMinisterpräsidenten und des Bundesrates, die darauf ab-zielt, den betreffenden jungen Leuten bis zum Erreichenihres Ausbildungsabschlusses eine gesicherte Aufent-haltsperspektive zu bieten. Ich persönlich bin der Mei-nung, dass eine Duldung allein dafür nicht ausreichendist. Ich will versuchen, kurz zu begründen, warum. Wennein Handwerksmeister vor der Frage steht, ob er einenjungen Mann oder eine junge Frau mit einer Duldung alsAuszubildenden einstellt, dann muss er davon ausgehen,dass der Auszubildende nach Abschluss der Ausbildung– so sie denn erfolgreich war, was hoffentlich in der Re-gel der Fall ist – gehen muss und nicht bei ihm im Be-trieb bleiben kann. Das macht keinen Sinn und führt zuVerwerfungen. Obwohl ein solcher Handwerksmeisterdie Verantwortung und die Last bzw. die Kosten derAusbildung trägt, ist er anschließend nicht in der Lage,den betreffenden Auszubildenden zu übernehmen.Es ist wünschenswert und richtig – das könnte uns indiesem Gesetzgebungsvorhaben noch gelingen –, eineRegelung zu finden, die besagt: Wer hier berechtigter-weise bzw. erlaubterweise eine Ausbildung absolviert,der erhält zu diesem Zweck eine entsprechende Aufent-haltserlaubnis. Das ist ein ganz konkreter Wunsch vorunseren jetzt beginnenden Koalitionsgesprächen zu die-sem Gesetzentwurf. Nach der Anhörung werden wir be-ginnen, darüber zu beraten. Ich wünsche mir, dass wirauch in diesem Punkt zu einer Einigung kommen.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Luise
Amtsberg von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Um das gleich vorwegzunehmen: Dieser Gesetzentwurfist Schatten, aber auch Licht. Der Kürze halber fange ichmit dem Licht an. Wir freuen uns, dass sich die Bundes-regierung endlich dazu durchgerungen hat, die Rechts-grundlage für das Resettlement-Programm – das wurdenoch nicht erwähnt – zu schaffen.Gut ist auch der Vorschlag, eine stichtags- und al-tersunabhängige Bleiberechtsregelung ins Leben zu ru-fen.
Damit sollen langjährig hier lebende Menschen mit demStatus der Duldung – wie wir gehört haben, leben diesezum Teil seit 10, 16 oder sogar seit 20 Jahren hier – end-lich eine Perspektive zum Bleiben bekommen. DiesesZiel verfolgen wir alle hier schon lange, und es ist gut,
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Luise Amtsberg
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dass jetzt entsprechende Regelungen auf den Weg ge-bracht werden.
Wie gut ein solches Gesetz und wie ehrlich solchgrundlegende Bekenntnisse sind, entscheidet aber nichtdie Prosa, sondern die Praxis. Damit sind wir beimSchatten, der über Ihrem Gesetzentwurf liegt. Die Bun-desregierung hat die prekäre Situation von langjährig inDuldung lebenden Menschen zwar erkannt, unterläuft inunseren Augen mit kleineren diskriminierenden Rege-lungen im eigenen Gesetzentwurf aber das Ziel, dassdiese Menschen auch bleiben können. Das wird durch§ 11 Absatz 6 des Gesetzentwurfs deutlich. Dieser zieltnämlich auf die typische Duldungssituation ab. Wer zumBeispiel nicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefristausgereist ist, obwohl die Pflicht dazu bestand, kannvom Bleiberecht ausgeschlossen werden. Dieses „Kann“ist ganz entscheidend. Der Gesetzgeber ermöglicht esden Behörden damit, das Bleiberecht zu gewähren odereben auch nicht – je nach Ermessen. Allein der Umstand,dass diese Anwendungspraxis von Behörde zu Behördeund von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlichsein kann, gibt Anlass zu einer Neuregelung bzw. Präzi-sierung dieses Paragrafen.
Die Schutzsuchenden können es sich nämlich nicht aus-suchen, an welchen Ort sie kommen und welche Be-hörde sie betreut.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, junge Menschen,die hier mit einer Duldung leben und das hiesige Bil-dungssystem durchlaufen – das wurde eben angespro-chen –, haben genauso wie alle anderen Menschen sehrviele Potenziale. Diese sollten wir nutzen, und wir soll-ten ihnen die Chance geben, sie zu entfalten; denn davonprofitieren nicht nur sie selbst, sondern auch unsere ge-samte Gesellschaft und insbesondere unser Arbeits-markt. Genau diesen jungen Menschen bleiben Sie mitIhrem Gesetzentwurf leider eine Antwort schuldig. Fürdie Dauer der Ausbildung brauchen sie in unseren Au-gen eine Aufenthaltserlaubnis, und diese muss bei er-folgreichem Abschluss auch verlängert werden können.
Das ist kein Populismus, Herr Minister; denn die In-dustrie- und Handelskammern und auch die Handwerks-kammern liegen uns seit Ewigkeiten in den Ohren.Schleswig-Holstein konnte im letzten Jahr 1 000 Ausbil-dungsplätze nicht besetzen. Man sieht: Es liegen Puzzle-teile auf dem Tisch, die zusammenpassen, aber man gehtnicht den entscheidenden Schritt, das Puzzle zu vervoll-ständigen.Die Betriebe fordern Sicherheit. Sie wollen, dass diejungen Menschen, die eine Ausbildung machen, vor derAbschiebung geschützt werden. Das unterstreiche ichausdrücklich, und das gilt auch für den Gedanken mei-nes Kollegen Rüdiger Veit, den er am Ende seiner Redegeäußert hat. Es wäre nicht nur pragmatisch gesund undwirtschaftlich gedacht, sondern für diese Menschen aucheine große Chance auf eine verlässliche Perspektive, die-sen Schritt zu gehen, und das wollen Sie mit diesem Ge-setz erreichen. Auch hier gibt es also noch Nachbesse-rungsbedarf.
Nachdem wir eben beim Schatten waren, muss ichjetzt natürlich auch noch auf die Dunkelheit, die Finster-nis dieses Gesetzentwurfs eingehen, die es durchausgibt. Ich will sehr deutlich sagen: Haft ist das schärfsteSchwert, das unser Staat in die Hand nehmen kann. Esist das höchste Strafmaß in unserem Rechtsstaat, das mitBedacht eingesetzt werden muss; denn es greift in funda-mentale Grundrechte ein. Anders als bei der Strafhaft hatein Abschiebehäftling keine Straftat begangen.Ihre Pläne, Herr Minister, die Haft auf all die Men-schen auszuweiten, die über einen anderen EU-Staateingereist sind, ist wirklich – so positiv und wohlmei-nend man diesem Gesetzentwurf auch gegenüberstehenmöchte – eine nur schwer zu schluckende Kröte. Bislangverlangt das Gesetz den begründeten Verdacht, dass sichder oder die Betroffene einer Abschiebung entziehenwill. Auch das ist schon sehr subjektiv formuliert. Dieser„begründete Verdacht“ spielt jetzt gar keine Rolle mehr;denn seit neuestem findet das Innenministerium, dasseine Fluchtgefahr schon allein dann gegeben ist, wenneine Person über einen anderen EU-Staat nach Deutsch-land gekommen ist. Das ist vor dem Hintergrund zu se-hen, dass es kaum andere legale Wege nach Deutschlandgibt; meine Kollegin Ulla Jelpke hat das schon angespro-chen. Da niemand, der aus Syrien, Afghanistan oder Eri-trea flieht, über Deutschland einfach vom Himmel fällt,ist dieser Ansatz wirklich mehr als zynisch.
Darüber einmal nachzudenken, Herr Minister, ist nichtzu viel verlangt und auch kein Populismus. Wir stehenim Übrigen mit dieser Kritik nicht alleine. Kirchen,Wohlfahrtsverbände und NGOs sehen das genauso. Da-rüber hinaus ist das nicht mit Artikel 28 der Dublin-III-Verordnung vereinbar.Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktion ver-tritt die Auffassung, dass wir mehr darüber reden sollten,welche Alternativen es zur Abschiebehaft gibt. Zumin-dest aber sollte die Abschiebehaft immer Ultima Ratiobleiben. So wird das in den Ländern auch gehandhabt.Viele inhaftieren de facto gar nicht mehr. Diese werdensich angesichts dieser Pläne bei Ihnen bedanken; denndie Kosten für die Vorhaltung von Abschiebehaftplätzenverbleiben bei den Ländern.Zum Schluss ein Punkt, der auch noch wichtig ist: derSpracherwerb beim Ehegattennachzug. Wir haben imPetitionsausschuss – ich weiß nicht, ob gerade Kollegenaus diesem Ausschuss da sind – eigentlich jede Wochedamit zu tun, dass Familienmitglieder voneinander ge-trennt sind, Ehepartner für Jahre auseinandergerissenwerden, weil der Sprachennachweis nicht erbracht wer-den konnte. Das alles geschieht, obwohl die Bundesre-
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Luise Amtsberg
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gierung die Familie besonders schützen will. Das passtnicht zusammen. Auch hier brauchen wir eine Überar-beitung dieses Gesetzentwurfs.
Es gibt noch viele Themen, die dabei eine Rolle spie-len und die wir noch ansprechen könnten. Der Gesetz-entwurf in der jetzigen Form könnte die Überschrift tra-gen: mehr Haft, mehr Restriktionen und weniger Schutzfür Schutzsuchende. – Ich glaube, das können wir besser.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Als nächste und letzte Rednerin in
dieser Debatte erhält Andrea Lindholz von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Die weltweiten Krisen machen sichauch in diesem Jahr in Deutschland nach wie vor be-merkbar. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlingeerwartet erneut einen massiven Anstieg der Asylbewer-berzahlen von zuletzt 203 000 auf 300 000 Asylanträgein diesem Jahr.Die Strategie der Großen Koalition zur Stabilisierungunseres Asylsystems hat zwei zentrale Ziele: Erstens.Die Schutzberechtigten sollen besser integriert werden.Zweitens. Unberechtigte Asylanträge sollen schnellerabgeschlossen werden. Bereits im letzten Jahr haben wirzahlreiche Maßnahmen umgesetzt. Wir haben im Bun-desamt für Migration und Flüchtlinge die Zahl der Stel-len um rund 30 Prozent aufgestockt. Wir haben dreiWestbalkanländer zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt,um unbegründete Anträge schneller abschließen zu kön-nen. Wir haben in diesem Jahr Länder und Kommunenum 556 Millionen Euro bei der Versorgung und Unter-bringung von Flüchtlingen entlastet. Im Jahr 2016 wirddas novellierte Asylbewerberleistungsgesetz zu nochmehr Entlastungen führen.
Gleichzeitig haben wir die Strukturen zur Integrationvon Flüchtlingen verbessert. Der Arbeitsmarktzugangwurde erleichtert, und die Residenzpflicht und die Vor-rangprüfung wurden eingeschränkt. Wer bei uns Schutzbekommt, der soll sich zügig integrieren und Arbeit fin-den können.Um das Asylsystem nachhaltig zu stabilisieren, müs-sen wir aber die große Zahl der unberechtigten Asylan-träge spürbar reduzieren. Allein im Januar dieses Jahreswurden 11 700 Asylanträge aus den Balkanstaaten regis-triert, obwohl die Ablehnungsquote in diesen Fällen beifast 100 Prozent liegt. Die Zahl der Asylanträge von sy-rischen Flüchtlingen war im selben Zeitraum nicht ein-mal halb so hoch.Die Zahl der offensichtlich unberechtigten Asylan-träge muss zügiger zurückgeführt werden, um Nachah-mer davon abzuhalten, Geld an kriminelle Schleuser zuverschwenden. Gerade in den Balkanstaaten müssen wirnoch besser über unser Asyl- und Migrationssystem auf-klären; denn manch einer könnte auf ganz legalem Wegals Arbeitskraft zu uns kommen, statt einen aussichts-losen Asylantrag zu stellen.Seit Jahren wird nur ein Bruchteil der ausreisepflichti-gen Ausländer tatsächlich abgeschoben. Ende 2014 wa-ren 113 221 Geduldete hier in Deutschland registriert.Abgeschoben wurden im letzten Jahr lediglich 10 800 Per-sonen.Ja, für die Abschiebung sind die Länder zuständig,aber der Bund hat die Verfahrensregeln zu verantworten.An diesem Punkt setzt der vorliegende Gesetzentwurf anund sieht umfangreiche Verbesserungen im Asylsystemvor. Ausländer, die schon lange in Deutschland geduldetsind und sich erfolgreich integriert haben, sollen ein al-ters- und stichtagsunabhängiges Bleiberecht bekom-men. Als gut integriert gilt jemand, der seit acht Jahrenhier lebt, über Sprachkenntnisse verfügt und seinen Le-bensunterhalt überwiegend selbst sichern kann. Gut inte-grierte Jugendliche unter 21 sollen bei ähnlichen Voraus-setzungen bereits nach vier Jahren ein dauerhaftesBleiberecht erhalten können.Mit § 17 a Aufenthaltsgesetz schaffen wir einenneuen Aufenthaltstitel in Deutschland, der es ermöglicht,die ausländische Berufsqualifikation bei uns durch Fort-bildungsmaßnahmen vollständig anerkennen zu lassen.Damit verbessert der Bundesinnenminister ganz gezieltdas Ausländerrecht und erleichtert die Zuwanderung vonFachkräften.
Gleichzeitig soll die bisherige dreistufige Kann-, Soll-und Mussregelung im Ausweisungsrecht grundlegendreformiert werden. Das ist richtig. Die Gerichte habenbei den meisten Klagen ohnehin reine Ermessensent-scheidungen getroffen. Wir reagieren damit auf denWandel in der Rechtsprechung. Die Gerichte werden inZukunft – das wird die Verfahren erheblich beschleuni-gen – die Entscheidung der Behörde entweder bestätigenoder ersetzen. Es wird also nicht an die Behörde zurück-verwiesen. Auch damit werden wir schneller Rechtssi-cherheit für die Asylbewerber schaffen, ob sie bleibenkönnen, weil sie einen entsprechenden Anspruch haben,oder ob sie ausgewiesen werden müssen.Wir werden klare Ausweisungs- und Bleibeinteressenformulieren und gewichten. Auch das ist richtig. EinBleibeinteresse wiegt zum Beispiel besonders schwerbei Minderjährigen und bei Ausländern, die in Deutsch-land geboren wurden oder hier eigene Kinder haben. DasAusweisungsinteresse wiegt zum Beispiel besondersschwer, wenn ein Ausländer zu Hass oder Gewalt auf-
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Andrea Lindholz
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ruft, den Terror unterstützt oder zu längeren Freiheits-strafen verurteilt wurde. Auch das ist richtig.Wir werden für die Abschiebehaft klare Kriterien de-finieren, wann von einer Fluchtgefahr ausgegangen wer-den kann. Damit machen wir nichts anderes, Frau Kolle-gin Jelpke, als die Dublin-III-Verordnung und denBeschluss des BGH vom Juni 2014 umzusetzen. DerBGH hat nämlich festgestellt, dass die Verankerung imnationalen Recht fehlt. Wir sind daher gehalten, entspre-chende Regelungen zu formulieren.Wann geht man von einer Fluchtgefahr aus? Es gibtzunächst einmal Indizien. Wenn sich zum Beispiel je-mand dem Zugriff der Behörden entziehen will, überseine Identität täuscht oder die Mitwirkung verweigert,dann sind das erst einmal Indizien für eine Fluchtgefahr,die aber wohl begründet ist. Denn derjenige, der bei unsbleiben möchte, hat an entsprechenden Verfahren mitzu-wirken; er hat sich zu beteiligen. Auch das ist bei derAusweisung von Interesse. Auch hier muss der Rechts-staat reagieren können, wenn das von dem Asylbewerbernicht erfüllt wird.Im Übrigen bleibt es bei der Einzelfallprüfung. Damitwird Willkür ausgeschlossen; die Haft muss verhältnis-mäßig sein. Ich denke, hier sorgt der Rechtsstaat für aus-reichende Sicherheit.
Lieber Kollege Rüdiger Veit, wir haben gesternAbend über den Umgang mit unbegleiteten minderjähri-gen Flüchtlingen debattiert. In der Debatte wurde gesagt,dass jemand, der als Geduldeter eine Ausbildung inDeutschland macht, zum Beispiel in einem Handwerks-betrieb, die ganze Zeit damit rechnen muss, dass er abge-schoben wird. Nein, das stimmt nicht. § 60 a Absatz 2Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes besagt, dass es aus per-sönlichen Gründen möglich ist, für die gesamte Dauerder Ausbildung bei uns eine Duldung zu erhalten. Es istalso bereits möglich.
– Ja. Ich verwahre mich aber dagegen, dass immer wie-der gesagt wird, die Handwerksbetriebe bzw. Ausbil-dungsbetriebe könnten keine jungen Asylbewerber ein-stellen.
Natürlich ist das nach unserem Gesetz bereits möglich.Das muss nur noch von den Ländern entsprechend ver-ankert werden.
Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Amtsberg zu?
Ja, wenn ich gerade noch meinen Satz zu Ende brin-
gen darf.
Selbstverständlich.
Aus § 39 Aufenthaltsgesetz geht hervor, dass man
nach einer entsprechenden Ausbildung als Fachkraft
oder mit der Bluecard eine Arbeitserlaubnis erhalten
kann. Insofern bleibt allenfalls die Frage zu beantworten,
ob wir es noch deutlicher klarstellen müssen. Darin
stimme ich vielleicht mit Ihnen überein. Aber es trifft
schlicht nicht zu, dass unser Gesetz das nicht schon re-
gelt.
Frau Kollegin, vielen Dank, dass Sie die Zwischen-
frage zulassen. – Das Problem bei den Auszubildenden
und jungen Flüchtlingen, die einen unsicheren Status ha-
ben, ist für die Ausbildungsbetriebe nicht der rein recht-
liche Aspekt, sondern die Tatsache, dass sie ausgewiesen
werden können, während sie in der Ausbildung sind.
Nein. Das ist schlicht falsch. Schauen Sie in das Ge-
setz!
Das ist de facto so. – Die Unsicherheit, die sich da-
raus ergibt, veranlasst viele Betriebe, lieber auszuwei-
chen und den Menschen keine Chance zu geben. Da
Klarheit zu schaffen, wäre doch eigentlich ein gutes An-
liegen.
Frau Kollegin Amtsberg, es ist nur leider sachlichfalsch. Schauen Sie in das Gesetz!
Dort steht ausdrücklich, dass aus persönlichen Gründen– dazu gehört die Ausbildung – die Abschiebung ausge-setzt und eine Duldung bis zum Abschluss der Ausbil-dung ausgesprochen werden kann. Es tut mir leid. Es isteinfach falsch, wenn Sie etwas anderes behaupten.Schauen Sie einfach einmal in das Gesetz! Dann könnteman sich manchen Wortbeitrag ersparen.
– Realität ist, wenn die Gesetze, die wir hier machen,auch überall angewendet werden.
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8786 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Andrea Lindholz
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Aber nur neue Gesetze zu machen, ersetzt keine Realität.Wir stimmen daher dem Gesetzentwurf zu. Wir begrü-ßen ihn ausdrücklich. Wir hoffen, dass auch das ein wei-terer Schritt ist, um unser Asylrecht effektiver zu ma-chen, auch im Sinne der Betroffenen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf den Drucksachen 18/4097 und 18/4199 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Ich
sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Gewährleistung des Schienenpersonenfern-
verkehrs
Drucksache 18/4186
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Mehrwertsteuerreduktion im Schienenperso-
nenfernverkehr
Drucksache 18/3746
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Federführung strittig
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur zu dem Antrag der
Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens,
Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE
Rückzug der Deutschen Bahn AG bei Nacht-
und Autoreisezügen stoppen – Nachhaltige
Reisekultur in Europa fördern
Drucksachen 18/2494, 18/4080
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Sabine Leidig, Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! WerteGäste! Wir reden heute über drei Anträge meiner Frak-tion. Mit diesen Anträgen kämpft die Linke für ein bes-seres Fernreiseangebot auf der Schiene.
Fakt ist, dass seit Jahren Fernzüge gestrichen werden,zuletzt – das ist eigentlich der Anlass dieser neuen Initia-tive, die wir ergriffen haben – einige wichtige europäi-sche Nachtzugverbindungen. Der Bundestag könnte die-sen Trend umkehren. Deshalb haben wir den Antrag„Rückzug der Deutschen Bahn AG bei Nacht- und Auto-reisezügen stoppen – Nachhaltige Reisekultur in Europafördern“ eingebracht.Sie alle haben sicher mitbekommen, dass es eine tolleKampagne gibt: Nachtzug bleibt. – Da haben sich Rei-sende und Beschäftigte mit Bahninitiativen zusammen-geschlossen und haben für dieses Thema, übrigensgrenzüberschreitend, eine ganze Menge Aufmerksam-keit bewirkt. Nachher, um 14.30 Uhr, könnten Sie sichan einer kleinen Kundgebung beteiligen, die hier vordem Reichstag stattfindet.
Heute Nachmittag wird auf der Internationalen Tou-rismus-Börse ein Journalistenpreis für die Reportage desDeutschlandfunks mit dem Titel „Der letzte Nachtzugnach Paris“ verliehen. Das ist eine tolle Dokumentationdarüber, warum das Reisen im Nachtzug praktisch, um-weltfreundlich und preiswert ist oder es sein kann. Alle,die das noch nie ausprobiert haben, wie übrigens auchder zuständige Bahnvorstand, Herr Homburg, könntensich diese Radiosendung anhören und sich wenigstenseinen Eindruck davon verschaffen. Es ist mit diesenNachtzugreisen eine Reisekultur verbunden, die sicheinfach wohltuend von dem hektischen Flugverkehr un-terscheidet und außerdem klima- und umweltfreundlichist.Aus der Expertenanhörung, die wir zu diesem Themaim Verkehrsausschuss gemacht haben – Sie erinnernsich –, gibt es ein paar wichtige Erkenntnisse.Erstens. Nachtreisezüge sind zeitgemäß und zukunfts-fähig, wenn der Wille dazu da ist und wenn in moderneZüge investiert werden kann.Zweitens. Die Nachfrage nach diesem Angebot istkeineswegs desaströs, sondern kann – das wurde auchvon Herrn Homburg von der Deutschen Bahn bestätigt –als stabil bezeichnet werden. Die Zahl der Reisenden mitReservierung über Nacht ist in den letzten zehn Jahrenum 4 Prozent gestiegen – immerhin –, und die Zahl derReisenden, die in den Pendlerwagen mitfahren, frühmor-gens oder spätnachts, ist sogar um 54 Prozent gestiegen.Dass die Bahn mit diesem Angebot keinen Gewinneinfährt, liegt vor allen Dingen an den hohen Trassenge-bühren und an anderen Kosten, über die politisch ent-schieden wird. Allerdings ist das reale Defizit mit5,4 Millionen Euro halb so groß wie zunächst behauptet.Deshalb haben wir guten Grund, Sie aufzufordern, den
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Sabine Leidig
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Kahlschlag im Nachtreisezugangebot zu stoppen und da-für zu sorgen, dass zumindest Berlin–Paris und Ber-lin–Kopenhagen wieder in den Nachtzugfahrplan kom-men, so lange, bis ein vernünftiges, tragfähiges Konzeptauf die Schiene gebracht ist.
Ein solches Konzept könnte bis zur Fußballeuropa-meisterschaft 2020 durchaus zustande gebracht werden.Daran beteiligen sich 13 europäische Länder, und eswäre doch verrückt, wenn man den Fußballfans nur denBilligflieger anbieten könnte und nicht die nachhaltigeAlternative Nachtzug.Mit ein wenig gutem Willen können die politischenRahmenbedingungen so geändert werden, dass die Bahnnicht weiter benachteiligt wird, beispielsweise gegen-über dem klimaschädlichen Flugverkehr. Deshalb bean-tragen wir in einem zweiten Antrag, dass die Mehrwert-steuer für Bahntickets abgesenkt wird und im GegenzugSchluss gemacht wird mit der Subvention von Flug-tickets.
Heute zahlt man für jedes Fernzugticket volle 19 ProzentMehrwertsteuer;
auf Flugtickets zahlt man 0 Prozent Mehrwertsteuer. Dasist ungerecht. Das ist klimaschädlich und muss geändertwerden.
In der Diskussion um die Nachtzüge hat der KollegeDirk Fischer von der CDU, der hier sitzt, darauf auf-merksam gemacht, dass die ganze Misere gar nicht zu-stande gekommen wäre, wenn die damalige rot-grüneRegierung dem Unionsantrag zugestimmt hätte, einSchienenpersonenfernverkehrsgesetz zu verabschieden,in dem festgelegt wird, welche Angebote auf derSchiene im Fernverkehr die Bahn zu erbringen hat, anden Bedürfnissen der Bevölkerung und natürlich auch anKlimazielen ausgerichtet.Tatsächlich hat die CDU/CSU 2001 beantragt, dassdie Bundesregierung ein solches Gesetz vorlegt. Demhat die PDS-Fraktion damals übrigens zugestimmt; eineinteressante historische Konstellation. Inzwischen ist dieNotwendigkeit für ein solches Gesetz noch viel größergeworden. Deshalb haben wir den damaligen Antragheute wortgleich eingebracht. Es ist höchste Eisenbahn,dass der Bund endlich seinem grundgesetzlichen Auftragnachkommt und dass wir als Abgeordnete ein destrukti-ves Parteiengezänk vermeiden und einfach das beschlie-ßen, was notwendig ist.
Weil ich weiß, dass Sie es niemals übers Herz bringenwerden, einem Antrag der Linken zuzustimmen, auchwenn er noch so richtig ist, bitte ich Sie, Kollege Fischer,in diesem Falle zum Wiederholungstäter zu werden. Siekönnten ihren damaligen Antrag einfach noch einmaleinbringen. Ich bin sicher: Wir hätten nicht nur eineMehrheit aus CDU/CSU und Linken; vielmehr würdenauch die Kollegen der Grünen und der SPD zustimmen.Denn in der Zwischenzeit ist ja vieles passiert: Über100 Städte mit mehr als 20 000 Einwohnern haben ihrenAnschluss an den Fernverkehr verloren. Da hält keinICE mehr und kein IC und natürlich auch kein Inter-regio, weil diese Zugart völlig zerstört worden ist. Dasbedeutet aber für die Bewohnerinnen und Bewohner inChemnitz, in Zwickau, in Potsdam, in Landau und invielen anderen Städten, dass sie öfter umsteigen müssen,dass die Chance größer ist, dass sie einen Anschluss ver-passen, dass sie viele Wartezeiten haben. Es bedeutet,dass die Attraktivität der Bahn schlechter wird und dassdie Attraktivität dieser Städte schlechter wird.
Frau Kollegin Leidig, ehe Sie jetzt noch durch ganz
Deutschland reisen, darf ich Sie an die Zeit erinnern.
Ich finde, da kann der Bund nicht zuschauen. Sie als
Bundestagsabgeordnete haben die Möglichkeit, Herrn
Grube sozusagen in den Arm zu fallen und dafür zu sor-
gen, dass wir eine vernünftige, zielgerichtete Entwick-
lung des Schienenfernverkehrs haben. Ich kann Sie nur
auffordern, die Möglichkeiten zu nutzen.
Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dirk
Fischer, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Es liegen uns drei Anträge der Fraktion Die Linkevor. Nach dem einen Antrag soll die Mehrwertsteuer imSchienenpersonenfernverkehr von 19 Prozent auf 7 Pro-zent abgesenkt werden. Daneben sollen Flugtickets iminternationalen Verkehr mit 19 Prozent Umsatzsteuer be-lastet werden. Außerdem soll eine Gegenfinanzierungüber die Luftverkehrsteuer vorgenommen werden. Dasheißt, die Verrechnung von Einnahmen aus dem Emis-sionshandel soll gestrichen werden; die Deckelung auf1 Milliarde Euro Einnahmen soll gestrichen werden; zurDeckung der Einnahmeverluste sollen die Steuersätzeentsprechend angehoben werden.Aus Sicht meiner Fraktion ist der Luftverkehrsstand-ort durch die Luftverkehrsteuer im internationalen Wett-bewerb schon sehr stark belastet. Wir sind entschiedengegen jede weitere Zusatzbelastung, die die Problemefür unsere Flughäfen und unsere Airlines noch ver-schärft.
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Dirk Fischer
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Deshalb lehnen wir diesen Antrag ab und werden unsauch in der Ausschussberatung dazu entsprechend ein-lassen.Dann gibt es einen Antrag zur Gewährleistung desSchienenpersonenfernverkehrs. Das heißt, deutlich ge-sagt: Aus einem eigenwirtschaftlichen Fernverkehr soll– so wie beim Schienenpersonennahverkehr – ein bezu-schusster Verkehr gemacht werden. Wir haben geradegestern das Regionalisierungsgesetz beraten, wo zwi-schen Bund und Ländern noch über eine Spannweitezwischen 7,4 Milliarden Euro bis 8,5 Milliarden Euroverhandelt wird. Nun soll die Finanzierung des nichtmehr eigenwirtschaftlichen, sondern bezuschusstenFernverkehrs über Verkehrsdurchführungsverträge si-chergestellt werden. Das ist eine klare Abweichung vonden Beschlüssen der Bahnreform. Da wird ein sehr gro-ßes finanzielles Fass aufgemacht. Die Linke versprichtallen alles, koste es, was es wolle. Sie ist ohne jede haus-haltspolitische Verantwortung. Die Staatsverschuldungist ihr völlig egal.
Dazu sagen wir ganz deutlich: Nicht mit uns!
Herr Kollege Fischer, gestatten Sie eine Zwischen-
frage oder -bemerkung der Kollegin Leidig?
Gerne, ja.
Bitte schön, Frau Kollegin Leidig.
Kollege Fischer, es stimmt natürlich, was Sie sagen:
Es geht darum – vergleichbar dem, was die Länder beim
Nahverkehr machen –, praktisch die notwendige Zug-
leistung zu bestellen. Das soll auf Bundesebene auch für
die Fernzüge gemacht werden.
Sie selbst haben diesen Antrag 2001 genau so einge-
bracht, also mit genau demselben Bestellerprinzip. Ich
möchte Sie erstens gerne fragen, was sich aus Ihrer Sicht
in der Zwischenzeit so entscheidend verändert hat. Denn
die Begründung war damals genau dieselbe, dass näm-
lich die Fernverkehrsanbindungen von der Bahn gekappt
werden und es deshalb notwendig ist, dass der Bund
diese Aufgabe übernimmt.
Die zweite Frage bezieht sich auf die Größenordnung.
Ich erinnere mich, dass wir 2009 eine Anhörung zur
Fernverkehrsanbindung von Oberzentren hatten. Da
wurde uns dargelegt, dass man mit 100 Millionen Euro
im Jahr – das ist nun wirklich weit von den vielen Mil-
liarden entfernt, über die wir im Verkehrsbereich immer
reden – alle Oberzentren in der Bundesrepublik Deutsch-
land an den Schienenfernverkehr anbinden könnte. Hal-
ten Sie diese Zahl für unverhältnismäßig?
Zum Ersten: Meine Fraktion hat niemals einen Antrageingebracht, aus einem eigenwirtschaftlichen Schienen-personenfernverkehr einen bezuschussten Verkehr zumachen. Es steht aber eine Gewährleistung darin. Wennman das entscheidende Jahr der Bahnreform nimmt,ging es damals um 180 Millionen Zugkilometer im Fern-verkehr. Dieses war für uns immer eine Zielmarke, ander sich auch die Unternehmenspolitik zu orientierenhat. Damals hat die im Amt befindliche rot-grüne Bun-desregierung eine Gewährleistung von Zugkilometernüber Jahre strikt zurückgewiesen und gesagt: Es geht nurdarum, dass die Infrastruktur vorgehalten wird, auf derdann der Schienenpersonenverkehr erfolgen kann.Zweitens. Ich halte es für völlig illusionär, zu glau-ben, man könne einen Schienenpersonenfernverkehr miteinem Zuschuss von 100 Millionen Euro finanzieren. Ichhalte das für eine absolute Illusion. Ich glaube, mansollte sich an solchen Zahlen überhaupt nicht orientie-ren. Dabei geht es um erhebliche Milliardenbeträge undnichts anderes. Im Unterschied zum Schienenpersonen-nahverkehr würden wir dadurch auch die Tickets für deninternationalen Verkehr in erheblichem Maße aus demBundeshaushalt subventionieren. Ich glaube, das kannvernünftigerweise nicht unser Ziel sein.
Der dritte Antrag, den Sie gestellt haben, trägt den Ti-tel „Rückzug der Deutschen Bahn AG bei Nacht- undAutoreisezügen stoppen – Nachhaltige Reisekultur inEuropa fördern“. Wir haben dazu ein Hearing durchge-führt. Wir haben dabei erfahren – darauf haben wir auchin den Beratungen deutlich hingewiesen –, dass der Vor-stand der DB AG in eigener Verantwortung zu handelnhat.Wenn Sie sich etwas stärker mit dem Aktiengesetz be-fassen würden, wüssten Sie, dass in § 76 Absatz 1 steht:Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung dieGesellschaft zu leiten.Wenn Sie ein bisschen weiterblättern, kommen Sie zu§ 93 Absatz 1, in dem es heißt:Die Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäfts-führung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewis-senhaften Geschäftsleiters anzuwenden.§ 93 Absatz 1 Satz 2 bedeutet im Umkehrschluss,dass eine Pflichtverletzung eines Vorstandsmitgliedsvorliegen würde, wenn das Vorstandsmitglied bei einerunternehmerischen Entscheidung vernünftigerweisenicht annehmen durfte, auf der Grundlage angemessenerInformation zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Siekönnen auch mit Anträgen im Deutschen Bundestag dasAktiengesetz nicht aushebeln und den Vorstand zuHandlungen veranlassen bzw. zwingen, die nach demAktiengesetz eine Pflichtverletzung darstellen. Das kön-nen wir als Deutscher Bundestag unter gar keinen Um-ständen machen. Wir haben eine Aktiengesellschaft. Wirhaben ein geltendes Gesetz, und danach ist vorzugehen.
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Dirk Fischer
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Das heißt in der Konsequenz: Wenn in einem Ge-schäftsfeld seit Jahren Verluste eingefahren werden,wenn das rollende Material am Ende der technischenNutzungsdauer ist, das heißt, größere Neuinvestitionenerforderlich sind, ist der Vorstand aufgefordert, zu han-deln.Der Vorstand hat uns mitgeteilt, dass man an einemneuen Konzept arbeite; man habe einige Linien aufrecht-erhalten; man wolle im Jahr 2017 endgültig entscheiden.Insoweit ist Ihr Antrag nach den Erklärungen derDB AG sogar überflüssig. Man hat eine Zwischenlösunggefunden: Pkws auf den Lkw und die Passagiere in denZug. Dies soll Ende 2017 evaluiert werden. Man kannsich denken, dass ein Verkehrspolitiker nicht jubelt,wenn eine Rückverlagerung von der Schiene auf dieStraße stattfindet.Das veränderte Verbraucherverhalten muss zur Kennt-nis genommen werden. Gegenüber früher haben wir vielmehr High-Speed-Fernverkehre mit deutlich verkürztenReisezeiten. Wir haben heute sehr ausgeprägte Mietwa-gen- und Carsharing-Systeme, sodass es für viele nichtmehr sinnvoll ist, den eigenen Pkw über Hunderte vonKilometern zu transportieren, um am Zielort ein Fahr-zeug zur Verfügung zu haben. Seit eh und je handelt essich hierbei um ein Saisongeschäft. In der Urlaubs- bzw.Reisezeit gibt es eine sehr viel größere Nachfrage als zuden anderen Zeiten. Für uns kommen öffentliche Zu-schüsse in diesem Bereich überhaupt nicht infrage.Frau Kollegin Leidig, wir haben eine AG, aber wir ha-ben auch das Bestellerprinzip. Würden Sie mit Ihremheißen Herzen eine Sabine Leidig GmbH & Co. KGgründen, könnten Sie über diese solche Leistungen be-stellen und bezahlen. Sie könnten als Komplementärinoder Kommanditistin sogar eine Haftungsbeschränkungvorsehen. Ich würde der DB AG allerdings dringend ra-ten, von der Sabine Leidig GmbH & Co. KG Vorkassezu verlangen und nicht hinterher zu kassieren.In diesem Sinne müssen wir auch diesen Antrag ab-lehnen.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Matthias Gastel,
Bündnis 90/Die Grünen.
– Die Redezeit war zu Ende, Frau Kollegin Leidig. Dann
kann man keine Frage mehr stellen.
– Die ist nicht angemeldet.
– Die müsste Frau Karawanskij anmelden. – Ausnahms-
weise.
– Die müssen die Geschäftsordnung noch lernen.
Ich sehe mich zu dieser Kurzintervention veranlasst,
weil der Kollege Fischer mich hier quasi der Unwahrheit
geziehen hat.
Ich habe hier Ihren Antrag, den Antrag, der von der
CDU/CSU-Fraktion eingebracht wurde, Drucksache
14/5451, und ich zitiere daraus nur zwei Punkte:
Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allge-
meinheit bei Verkehrsangeboten des Schienenper-
sonenfernverkehrs auf dem Schienennetz der Eisen-
bahnen des Bundes Rechnung getragen wird …
An anderer Stelle des Forderungsteils fordern Sie:
… die Finanzierung der Verkehrsdurchführungsver-
träge wird im Bundeshaushalt sichergestellt.
Sie haben dies damals beantragt. Dass Sie jetzt so tun,
als wenn es völlig aus der Luft gegriffen wäre, das kann
ich einfach nur zurückweisen.
Herr Kollege Fischer, wollen Sie erwidern?
– Gut. – Dann hat jetzt der Kollege Gastel, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Vor einem Jahr standen wir hier und ha-ben über die Bilanz von 20 Jahren Bahnreform disku-tiert. Damals war es mir ein besonders großes Anliegen,dass wir diese Bilanz ehrlich ziehen, insbesondere imHinblick auf die Situation des Schienenfernverkehrs.Leider wurde sie hier von der Mehrheit eher geschöntdargestellt, und dementsprechend ist seither auch nichtszur Stärkung des Fernverkehrs auf der Schiene undnichts zur Stärkung des Systems Schiene insgesamt ge-schehen. Ganz im Gegenteil: Die Schiene wurde imWettbewerb mit dem Auto, mit dem Fernbus, mit demFlugzeug und mit dem Lkw einseitig weiter belastet.Hinzu gekommen sind die Belastung bei der EEG-Umlage – 70 bis 80 Millionen Euro zusätzlich –, dieSenkung der Lkw-Maut. Das macht umgerechnet eineWettbewerbsungerechtigkeit von etwa 200 MillionenEuro aus. Außerdem hat sich nichts geändert beim Wett-bewerb zwischen der Schiene und anderen Verkehrsmit-teln. Die Bus-Maut fehlt nach wie vor. Der Zug zahlt für
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8790 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Matthias Gastel
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jeden Kilometer Trasse, die er benutzt, aber der Fernbusbezahlt nichts für die Straßennutzung.Wir unterstützen den Antrag der Linken bezüglich derMehrwertsteuer von der Stoßrichtung her. Der Flugver-kehr zahlt teilweise keine Mehrwertsteuer, aber bei derSchiene muss man 19 Prozent Mehrwertsteuer auf dasTicket bezahlen.Beim Lärmschutz – er ist uns sehr wichtig, um dieAkzeptanz der Schiene auch im Güterverkehr zu erhö-hen – ist es so, dass die Bahnen selber dafür bezahlenmüssen, während der Straßenverkehr für den Lärm-schutz nichts bezahlen muss; das ist steuerfinanziert.Wenn man weiter schaut, wie es im System Schieneaussieht, dann muss man leider feststellen: Die Politiklässt die Länder und die Kommunen im Stich bei der Fi-nanzierung des Nah- und Regionalverkehrs. Es gibtkeine Klarheit darüber, wie es mit dem auslaufendenGemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz weitergeht. Werwird künftig die Investitionskosten schultern und unter-stützen? Es gibt keine vernünftige Regelung bei den Re-gionalisierungsmitteln. Die Große Koalition bleibt mitihrem Gesetzentwurf sogar hinter den Empfehlungen ih-res eigenen Gutachters zurück. Damit ist die Große Ko-alition drauf und dran, den einzigen unstrittigen Erfolgder Bahnreform, nämlich die Regionalisierung, regel-recht gegen die Wand zu fahren, weil sie nicht für die Si-cherheit bei der Bestellung des Nah- und Regionalver-kehrs sorgt, die so dringend notwendig wäre.
Dann schauen wir einmal, welche Anforderungen diePolitik, auch der Eigentümer der Deutschen Bahn, anden Konzern stellt. Er möchte, dass die Schulden – in-zwischen 17 Milliarden Euro – abgebaut werden, dassmehr in den Erhalt der Infrastruktur investiert wird, dassvorhandene Lücken in der Infrastruktur geschlossenwerden, dass die Dividende höher ausfällt als bisher. DerKonzern wird genötigt, ein unsinniges Projekt wie Stutt-gart 21 zu bauen und die Mehrkosten – zuletzt 2 Milliar-den Euro – selber zu stemmen.All diese Anforderungen, die der Eigentümer an die-sen Konzern stellt, gehen nie und nimmer zusammen.Die Deutsche Bahn steht von allen Seiten unter Druck.Einerseits besteht die ungerechte Wettbewerbssituationmit Blick auf andere Verkehrsträger; andererseits müsstedie DB und/oder der Eigentümer, der Bund, mehr in denErhalt der Infrastruktur investieren. Dringend notwendigist auch neues rollendes Material. Man muss sich einmalanschauen, mit welchen Mängeln die Züge jeden Mor-gen auf das Gleis gesetzt werden: mit nichtfunktionie-renden Behinderten-WCs, mit defekten Türen, ohneSpeisewagen, mit zu wenigen Wagen, sodass Reservie-rungen der Fahrgäste nicht gewährleistet sind. Wir brau-chen dringend neue Züge. Wie sollen sie finanziert wer-den? Sie sind aber als Reserve notwendig. Sie sind auchnotwendig, weil die Fahrgäste entsprechende Anforde-rungen haben, die das bestehende Wagenmaterial nichterfüllt. Steckdosen, WLAN, Barrierefreiheit, funktionie-rende Gastronomie – all das sind die Anforderungen desFahrgastes von heute.
Was passiert stattdessen? Das Nachtzugangebot wirdausgedünnt, obwohl die Nachfrage – das gibt inzwischenauch der DB-Konzern zu – sehr hoch ist. Wir fordern,dass jetzt schleunigst ein Konzept für die Zukunftsfähig-keit des Nachtzuges vorgelegt wird. Wir fordern, dassdie DB Investitionen in neue Nachtzüge tätigt. Ohneneues Wagenmaterial hat der Nachtzug nämlich keineChance. Wir als Grüne werden hier nicht nachlassen undDruck machen, bis wir das Konzept für die Zukunft desNachtzuges tatsächlich auf den Tisch bekommen.
Das Hauptproblem ist jedoch die mangelnde Wert-schätzung seitens eines großen Teils dieses Parlamen-tes und der Bundesregierung gegenüber dem SystemSchiene. Das drückt sich in der Summe der Beträge aus,die in die Schiene investiert werden. Pro Kopf und Jahrwerden in Deutschland 54 Euro investiert, in derSchweiz aber beispielsweise 366 Euro. Das macht deut-lich, wie gering die Wertschätzung ist. Die Schweizersind stolz auf ihre Bahn. Wir wollen, dass auch wirDeutschen stolz auf unsere Bahn sein können,
auf eine Bahn, die pünktlich, zuverlässig und umweltge-recht Menschen und Güter transportiert. Mit der Politik,die Sie betreiben, ist das aber leider nicht möglich.
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das
Wort Kirsten Lühmann.
Was wir in den nächsten ein bis zwei Jahren erar-beiten wollen, ist ein Satz von Rahmenbedingun-gen, sowohl unternehmensintern wie extern, die inder Lage sind, eine Basis dafür zu schaffen, dassman Nachtzugverkehre dauerhaft betreiben kann.Das, sehr verehrte Frau Präsidentin, liebe Kollegen,liebe Kolleginnen, hat uns der Bahnvorstand UlrichHomburg in der Anhörung des Verkehrsausschusses zudem Thema gesagt. Das ist für Kunden und Kundinnenund auch für die vielen Beschäftigten in diesem Bereichein wichtiges Signal. Das begrüßen wir.Die Bahn erarbeitet Lösungen. Und welches Bild ma-len die Anträge, die wir hier heute beraten? Die Bundes-regierung soll der Bahn ein Moratorium vorgeben. DieBundesregierung soll ein Konzept in Auftrag geben. DieBundesregierung soll den Fernverkehr subventionie-ren. – Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wenn wir derBahn so in den Fernverkehr reinreden, ist das eine
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8791
Kirsten Lühmann
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180-Grad-Wende zu allem, was wir damals bei derBahnreform verabschiedet haben, und das wollen wir sonicht.
Warum wollen wir das nicht? Weil das Konzept auf-geht. Der Nahverkehr – das ist hier mehrfach gesagtworden – ist eine Erfolgsgeschichte. Mit dem Geld desBundes organisieren die Länder, dass mehr Menschenpünktlicher mit der Bahn fahren können. Das Netz wirdnicht nur über Nutzerentgelte finanziert, sondern auchmit Steuermitteln subventioniert, da es sich um Daseins-vorsorge handelt. Im letzten Jahr haben wir die Leis-tungs- und Finanzierungsvereinbarung II abgeschlos-sen. Sie ist gegenüber der ersten verbessert. In ihr wirdeine bürokratiearme Steuerung über Qualitätsmerkmalefestgeschrieben. Der eigenwirtschaftliche Güterverkehrmit über 300 privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen– es gibt dort echten Wettbewerb – ist ein Erfolgsmodell.Die Nutzungszahlen steigen so sehr, dass es sogar zuNetzengpässen kommt.
Frau Kollegin Lühmann, gestatten Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Leidig?
Ja, bitte.
Bitte schön.
Ich höre, Sie stöhnen; aber ich finde, es geht hier auch
um etwas Wichtiges. – Ich würde gerne Ihnen, Frau
Lühmann, eine Frage stellen. Sie haben gerade davon
gesprochen, dass bei der Bahnreform klar geregelt
wurde, dass der Bund mit der Bahn nichts zu tun hat und
der Bund hier nicht reinreden soll. Ich möchte Ihnen
jetzt den Grundgesetzartikel vorlesen, der damals mit
der Bahnreform zusammen beschlossen und ins Grund-
gesetz eingefügt wurde. Artikel 87 e Absatz 4 Grundge-
setz lautet:
Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allge-
meinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen,
beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Ei-
senbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsan-
geboten auf diesem Schienennetz, soweit diese
nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen,
Rechnung getragen wird. Das Nähere wird durch
Bundesgesetz geregelt.
Wie würden Sie das interpretieren?
Ich interpretiere das so – wir haben ja gesagt: derNahverkehr ist Daseinsvorsorge, und darum finanzierenwir ihn aus Steuern –, dass wir uns in dem Moment Ge-danken machen müssen, wenn klar ist, dass den vorhan-denen Bedürfnissen im Fernverkehr eigenwirtschaftlichnicht mehr entsprochen werden kann. Der eigenwirt-schaftliche Fernverkehr – das hätte ich im nächsten Satzmeiner Rede gesagt – ist kein Selbstläufer. Darum war-ten wir alle gespannt darauf, was kommt.Die Deutsche Bahn hat für den 18. März ein Fernver-kehrskonzept angekündigt, und ich möchte erst einmalabwarten, wie dieses Fernverkehrskonzept aussieht.Wenn durch das Fernverkehrskonzept ein bedarfsgerech-ter Fernverkehr auf Deutschlands Schienen gewährleis-tet ist, dann sehe ich keinen Grund dafür, dass sich derBund in irgendeiner Art und Weise einmischt. DasGrundgesetz schreibt das auch nicht vor.In der Anhörung wurden uns schon Einzelheiten einesKonzepts für Nacht- und Autozüge dargelegt. Klar ist:Nachtzüge sind gut nachgefragt, aber aufgrund des altenMaterials und des veränderten Komfortverhaltens derKundschaft ist niemand bereit, kostendeckende Preise zuzahlen. Die anderen europäischen Staaten haben Nacht-zugverkehre bereits eingestellt, und auch die staatlichbezuschussten Strecken, zum Beispiel die DB-Nachtzug-verbindung nach Kopenhagen, fallen zunehmend demRotstift zum Opfer. Die Deutsche Bahn konnte die defi-zitäre Strecke nach Dänemark ohne Subventionen nichtlänger aufrechterhalten. Gleiches gilt – wenn auch ausanderen Gründen – für zwei weitere Linien. Aber – unddas ist uns wichtig, liebe Kollegen und Kolleginnen –Herr Homburg hat uns zugesagt, dass die restlichenzwölf Nachtzugverbindungen aufrechterhalten werden;zumindest bis das angesprochene Konzept vorgelegt ist.Das ist eine gute Nachricht.Der Bahnvorstand hat in der Anhörung neben demunternehmensinternen Bereich auch den externen Be-reich angesprochen; bei letzterem ist die Politik gefragt.Hier sind wir mit der Bahn im Gespräch, in Ruhe undmit der nötigen Sorgfalt. Eine Novelle zum Eisenbahnre-gulierungsgesetz, die Regelungen zum KostenfaktorTrassenpreise – die anfallenden Kosten sind erheblich –beinhaltet, wird demnächst vorgelegt.Bei den Autoreisezügen stehen wir allerdings vor ei-ner anderen Situation; denn die Verbindungen sind be-reits eingestellt. Die alten Wagen mussten aus Sicher-heitsgründen stillgelegt werden, und für neues Material,das nur vier Monate in der Saison eingesetzt werdenkann und somit acht Monate lang auf dem Abstellgleissteht, fehlt der DB einfach das Geld. Aus meiner Sichtist das verständlich.Herr Homburg hat uns ein Modell vorgestellt, das er-folgreich erprobt wurde: Der Pkw wird auf einem Lkwzum Zielort gebracht, und die Kunden fahren mit derBahn. Zugegeben, das ist nicht die ökologischste Lö-sung. Aber für die Bedürfnisse der Kunden und Kundin-nen könnte das eine Lösung sein, zum Beispiel: für dasältere Ehepaar, das mir geschrieben hat, sie möchten,dass ihnen ihr vertrautes Fahrzeug am Urlaubsort zur
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Kirsten Lühmann
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Verfügung steht, aber sie würden die lange Autofahrtscheuen, oder für die Familie mit kleinen Kindern, dierelativ entspannt mit dem Zug fahren möchte, währenddas Auto mit dem Gepäck pünktlich an den Urlaubsortgebracht wird.Ob sich dieses Angebot durchsetzen wird, ist nochnicht sicher. Daher wird die Bundesregierung weiterhinin engem Kontakt mit der Bahn bleiben, um zu bedarfs-gerechten Lösungen zu kommen, und zwar ohne ideolo-gische Scheuklappen. Das ist der Unterschied zwischenverantwortungsvoller Regierungsarbeit und Schaufens-teranträgen, denen wir nicht zustimmen werden.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Fritz
Güntzler, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Ich werde mich lediglich dem Antrag der Lin-ken zur Mehrwertsteuerreduktion im Schienenpersonen-fernverkehr aus Sicht eines Finanzpolitikers zuwenden.Dem Antrag der Linken liegt die Annahme zugrunde,es gebe erhebliche Wettbewerbsverzerrungen zwischenBahn- und Flugverkehr.
Als Begründung hierfür führen Sie die unterschiedlicheBesteuerung der beiden Verkehrsträger an.
Da stellt sich die Frage: Stehen Bahn- und Flugverkehrwirklich in erheblicher Weise in einem Wettbewerb zuei-nander? Meines Erachtens, meine Damen und Herren,wird in dem Antrag übersehen, dass die deutschen Flug-gesellschaften nicht in erster Linie im Wettbewerb zurDeutschen Bahn stehen – die Konkurrenten deutscherFluggesellschaften sind die internationalen Fluggesell-schaften vom Bosporus oder vom Persischen Golf, undes kann nicht unsere Aufgabe sein, neue Wettbewerbs-nachteile für die deutsche Luftverkehrswirtschaft zuschaffen.
Die Bahn ist nicht Wettbewerber der Fluggesellschaf-ten, sondern häufig ein wichtiger Kooperationspartner;exemplarisch nenne ich das Projekt „Rail&Fly“ oder„Zug zum Flug“. Wenn Sie mir das nicht glauben – dasentnehme ich Ihren Reaktionen –, können Zahlen Ihnenvielleicht ein wenig helfen, zu einer anderen Überzeu-gung zu kommen: Der Schienenverkehr findet zu99 Prozent national statt, der Luftverkehr dagegen nur zu20 Prozent. Passagiere, die in Deutschland ein Flugzeugbesteigen, legen im Durchschnitt 2 200 Kilometer zu-rück, Bahnreisende dagegen durchschnittlich nur280 Kilometer. Wir sprechen hier also von völlig ver-schiedenen Verkehrsträgern. Die Zahl – das ist auchganz interessant – der nationalen Flugreisenden stagniertderzeit, während die Zahl der nationalen Bahnfahrten inden Jahren von 2006 bis 2013 um 10 Prozent gestiegenist, was ja grundsätzlich eine positive Sache ist. Sie se-hen also, meine Damen und Herren von der Linken, dieGrundannahme Ihres Antrags ist schon falsch.
Sie von den Linken lassen auch völlig außer Acht,dass das Finanzierungssystem, das dem Flugverkehr zu-grunde liegt, völlig anders ist als das im Bahnverkehr:Der Luftverkehr kommt für seine Infrastrukturkosten– über Luftsicherheitsgebühren, Flugsicherungskostenoder Flughafenentgelte – grundsätzlich vollständig sel-ber auf.
Beim Schienenverkehr sieht das anders aus: Die dort an-fallenden Entgelte reichen nicht ansatzweise aus, um dieKosten für Bau und Erhalt der Infrastruktur zu decken.Allein im Jahr 2011 sind, beispielhaft, dafür fast 4 Mil-liarden Euro ausgegeben worden. Sie vergleichen also inIhrem Antrag – gleich in der Prämisse – Äpfel mit Bir-nen.
Dies vorausgeschickt möchte ich kurz auf die Forde-rungen der Linken im Einzelnen eingehen:Sie wollen erstens, dass wir die Bundesregierungdazu auffordern, den Mehrwertsteuersatz für Tickets imBahnfernverkehr analog zum Nahverkehr von 19 Pro-zent auf 7 Prozent zu reduzieren, und das bereits ab dem1. Juli dieses Jahres. Als Finanzpolitiker möchte ich Siedarauf aufmerksam machen, dass es dafür eine Gesetzes-änderung braucht, weil es im Umsatzsteuerrecht keineVerordnungsermächtigung in entsprechender Weise gibt.Wir müssten also ein Gesetzgebungsverfahren einleiten.Auch übersehen Sie meines Erachtens, dass im Mehr-wertsteuerrecht das sogenannte Neutralitätsprinzip giltund die anderen Verkehrsträger bei der Personenbeförde-rung – wie zum Beispiel die Fernbusse, die schon ge-nannt worden sind – somit ebenfalls die geforderte Privi-legierung genießen müssten. Nach Berechnungen desBundesfinanzministeriums würde das summa summa-rum zu Steuermindereinnahmen von über 1 MilliardeEuro, eher 1,4 Milliarden Euro, führen.Zweitens fordern Sie, auf alle von Deutschland ausge-henden und nach Deutschland eingehenden grenzüber-schreitenden Flüge den vollen Mehrwertsteuersatz von19 Prozent zu erheben. Man hat in dieser Diskussionteilweise das Gefühl, dass überhaupt keine Mehrwert-
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Fritz Güntzler
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steuer für Flüge gezahlt wird. Deswegen möchte ich nurnebenbei erwähnen: Für Inlandsflüge gilt dieser Satz von19 Prozent. Sie begründen Ihren Antrag unter anderemauch mit den erwarteten Mehreinnahmen von 3,5 Mil-liarden Euro; Sie haben diese Zahl dem Bericht des Um-weltbundesamtes entnommen. Ich möchte Sie daraufhinweisen, dass selbst in diesem Bericht festgestelltwird, dass diese Summe voraussetzen würde, dass diegesamte Strecke besteuert wird. Wir dürfen aber auf-grund von rechtlichen Gegebenheiten – ob ChicagoerAbkommen oder EU-Richtlinien – nur den Teil besteu-ern, der in Deutschland liegt. Und Sie haben völlig ver-gessen, dass die Geschäftsreisenden logischerweise auchnoch einen Vorsteuerabzug geltend machen können, so-dass man realistischerweise auf eine Höhe von circa80 Millionen Euro käme, wie es die Bundesregierung Ih-nen in einer entsprechenden Bundestagsdrucksacheschon dargestellt hat.Außerdem wäre die Erhebung dieser Steuer mit er-heblichem bürokratischen Aufwand verbunden, weil beijedem Flug neu ermittelt werden müsste, wie viele Kilo-meter tatsächlich – und das für unterschiedliche Flugrou-ten; denn sie können sich ja durch Windverhältnisse än-dern – über deutschem Hoheitsgebiet zurückgelegtworden sind. Sie wollen also auch damit wieder Wettbe-werbsnachteile für die Luftverkehrswirtschaft inDeutschland schaffen. Da machen wir nicht mit.
Drittens fordern Sie – der Kollege Fischer hat es an-gesprochen –, zum Ausgleich die Luftverkehrsteuer zunovellieren. Meines Erachtens würde es dadurch – dashaben wir schon bei der Einführung der Luftverkehrsab-gabe gesehen – zu einer weiteren Verlagerung des Flug-verkehrs weg von deutschen Flughäfen und deutschenAirlines hin zu den internationalen Wettbewerbern undFlughäfen im Ausland kommen. Wer beispielsweise dasGlück hat – wie ich höre –, in Baden-Württemberg zuwohnen – ich bin ja nun Niedersachse –, wird einen grö-ßeren Anreiz haben, statt von Stuttgart von Zürich aus zufliegen. Wer bisher via Frankfurt geflogen ist, wird eherAmsterdam oder Istanbul als Drehkreuz wählen. Daswürde unserer international orientierten Wirtschaft nurschaden, und das Ziel – die Senkung der CO2-Emissio-nen – wird es letztendlich auch nicht erreichen helfen,weil die Flüge ja doch stattfinden, sie starten nur woan-ders.Meine Damen und Herren, wir lehnen deshalb diesenAntrag ab. Er verkennt, dass Bahn- und Flugverkehr völ-lig unterschiedliche Finanzierungssysteme zugrunde lie-gen. Er zieht daher auch die falschen Schlussfolgerun-gen und verkennt die negativen Auswirkungen auf dieLuftverkehrswirtschaft, die durch steuerliche Insellösun-gen herbeigeführt werden würden.Den Vorwurf der mangelnden Wertschätzung derBahn weise ich zurück. Ich gehe gleich zum Bahnhof.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der
Kollege Andreas Schwarz.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber HerrGüntzler, wir werden uns dann gleich am HauptbahnhofBerlin sehen, wie wir das schon öfter am Freitag erlebthaben.Was für ein schönes Thema, mit dem wir diese Sit-zungswoche beenden dürfen.
Denn – Sie haben es gerade mitbekommen – auch ichbin bekennender Bahnfahrer. Wenn ich nach Berlinkomme, dann stets mit der Bahn von Bamberg nach Ber-lin in gut vier Stunden; mit dem Flugzeug wäre ich, vonHaustür zu Haustür gerechnet, auch nicht schneller.Die Bahnfahrt hat natürlich auch Vorteile; das habenwir heute hier gehört. Bahnfahren ist leiser, komfortab-ler, vielfältiger und auch deutlich umweltfreundlicher.Der Energieverbrauch ist vergleichsweise niedrig, undzumindest für die Personenzüge gilt, dass auch derEmissionsschutz gegeben ist; beim Güterverkehr ist dasleider noch nicht ganz gelungen.Aber die Bahn ist nicht nur umweltfreundlich undkomfortabel, sondern auch ein wunderbarer Ort, um inRuhe zu arbeiten, Akten zu wälzen und sich intensiv mitAnträgen der Linken zu befassen. Wenn die Bürgerinnenund Bürger Ihren Antrag lesen würden, dann würden si-cherlich viele auf den ersten Blick sagen: Jawohl, dasmachen wir; tolle Idee! Das klingt doch alles prima.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, alsFinanzpolitiker – diese Brille muss ich jetzt hier aufset-zen – schaue ich Ihren Antrag natürlich etwas anders an,und leider muss ich Ihnen einen gewaltigen SchluckWasser in das schöne Glas Wein gießen.Ganz zu Beginn möchte ich etwas zur BegründungIhres Antrages sagen, bezogen auf etwas, wovon wir allein diesem Hohen Haus wegkommen sollten. Je nachpolitischer Großwetterlage und je nachdem, wie es in dieArgumentation passt, bedienen wir uns bei verschiedens-ten Debatten internationaler Steuersätze: Mal ziehen wirsie zum Vergleich heran, eine Debatte später kritisierenwir die Unterschiedlichkeit in Europa. Unterm Strichkann man eins festhalten: Es schafft weder Vertrauen,noch ist es sonderlich glaubwürdig, was hier zum Teilgemacht wird.Wenn Sie die deutschen Mehrwertsteuersätze mit de-nen von Großbritannien, Irland oder Luxemburg verglei-chen wollen und jene auch noch als vorbildlich darstel-
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Andreas Schwarz
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len, dann sollten Sie offen und ehrlich auch benennen,welche Konsequenzen solche Mehrwertsteuersätze fürdie Einnahmesituation im Bund, in den Ländern und vorallen Dingen in den Kommunen hätten. Diese partizipie-ren nämlich alle an den Einnahmen aus der Mehrwert-steuer. Sie als Linke sind ja in einigen Ländern in Regie-rungsverantwortung, und auch in vielen Kommunengestalten Sie mit. Mein Rat: In der Argumentation mitMehrwertsteuersätzen sollte man allerhöchste Vorsichtwalten lassen. Fragen Sie einmal die Kolleginnen undKollegen von der FDP!
Was spricht eigentlich gegen Ihre Forderung, ab dem1. Juli 2015 einen reduzierten Mehrwertsteuersatz fürden Schienenfernverkehr einzuführen? Einige Anmer-kungen hierzu: Ein verringerter Mehrwertsteuersatz sug-geriert nach außen erst einmal sinkende Fahrpreise. Siespielen mit dieser Fata Morgana in Ihrer Antragsbegrün-dung. Ich sage Ihnen aber, dass das nicht funktioniert.Dadurch mag zwar die Rentabilität geringfügig steigen;davon wird aber bei den Bahnfahrerinnen und Bahnfah-rern in unserem Land nichts ankommen.
Dieses Argument war schon beim Geschenk der FDPan die Mövenpicks dieser Welt falsch und wird hier undheute nicht richtiger. Wie schwer es ist, solche Fehlent-scheidungen rückgängig zu machen, wissen natürlichauch Sie. In der Realität erzeugen Sie keine Entlastungim Geldbeutel der Menschen dieses Landes, sondern le-diglich eine Entlastung der Konzernbilanz der Deut-schen Bahn. Steuerrabatte werden von Unternehmen ein-behalten und nicht an die Kunden weitergegeben.Ich empfehle dazu einen ernsthaften Blick in die gut-gemeinte Petition 8201 aus der letzten Legislaturperiodezum gleichen Thema. In der Antwort des Petitionsaus-schusses wird ganz klar aufgezeigt, dass die Welt ebennicht so einfach ist, wie es sich hier einige offenbar vor-stellen. Denn auch das EU-Recht macht einen isoliertenMehrwertsteuerrabatt für den Schienenverkehr faktischunmöglich. Sie würden nämlich gegen die Diskriminie-rungsfreiheit verstoßen. Würden wir diesem Antrag alsohier zustimmen, müssten wir den Mehrwertsteuersatzfolglich auch für alle anderen Verkehrsträger absenken,also auch für Fernbusse und Taxis, aber auch für denFlugverkehr im Inland. Damit wäre Ihr Antrag ja letzt-endlich ad absurdum geführt.In der Begründung des Petitionsausschusses heißt esdaher: Die isolierte Absenkung des Umsatzsteuersatzesnur für den Schienenverkehr ist unzulässig. – Ihr Antragwürde außerdem einen Ausfall von circa 1,1 MilliardenEuro an Steuergeldern bedeuten. Weder eine positiveumweltpolitische noch eine positive verkehrspolitischeLenkung wären gegeben.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, wirlehnen Ihren Antrag demnach aus mindestens drei Grün-den ab: Erstens. Ihr Antrag verbessert nur Konzernbilan-zen. Zweitens. Ihr Antrag bedeutet keine Verbesserungfür die Menschen und deren Geldbeutel. Drittens. IhrAntrag brächte eher Schaden als Nutzen für Natur undUmwelt.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesord-
nungspunkt ist der Kollege Michael Donth, CDU/CSU-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Lassen Sie mich zu Beginn eines vorwegneh-men: Ich halte Ihren Antrag, liebe Kolleginnen und Kol-legen der Linken, für einen Schaufensterantrag, der vorallem unternehmerisches Denken und strukturelle Weit-sicht vermissen lässt. Er ist außerdem überholt. Nicht je-der Antrag, Frau Leidig, der zur Jahrhundertwende nochrichtig war, muss auch heute noch, 14 Jahre später, rich-tig sein.
Sie beschwören in Ihrem Antrag ein Szenario herauf,als würden das gesamte Bahnnetz und der kompletteReiseverkehr plötzlich zum Erliegen kommen. Sieschreiben, dass das Eisenbahnsystem als solches infragegestellt wird. Das ist, mit Verlaub, schlichtweg Blödsinn.Es wird aufgrund eines derzeit defizitären Nachtzugver-kehrs eine Umgestaltung dieses Segmentes mit Schwer-punktsetzung geben müssen. Daran arbeitet die Deut-sche Bahn AG bereits. Eine völlige Abschaffung sollund kann es nicht geben. Auch der Autozug wird nichtkomplett abgeschafft. Derzeit läuft das Pilotprojekt derDB namens „Auto + Zug“, das wohl, wie man hört, beiden Reisenden gut ankommt.Die Nachfrage bestimmt das Angebot; das ist Realitätin der Marktwirtschaft. Die Deutsche Bahn AG ist, wiees ihr Name schon sagt, eine Aktiengesellschaft und keingemeinnütziger Verein und erst recht keine Staatsbahnmehr. Diese AG hat die Aufgabe, den Fernverkehr ei-genwirtschaftlich zu betreiben. Der Bund gewährleistetdies. Die DB allein trägt dabei die unternehmerischeVerantwortung für die Wirtschaftlichkeit ihres Dienst-leistungsangebotes. Ich zitiere:Vor diesem Hintergrund hat die DB FernverkehrAG entschieden, … verlustbringende Verbindungenaufzugeben. Der Großteil der Verbindungen bleibtjedoch bestehen und wird weiterentwickelt.So hieß es in der Stellungnahme vonseiten der DB AG inder Anhörung des Ausschusses für Verkehr und digitaleInfrastruktur.Auch in einem Gespräch zwischen der KolleginDaniela Ludwig, dem Kollegen Matthias Lietz und mir
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Michael Donth
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hat uns Herr Grube von der DB AG gestern nochmalsversichert, dass es sich definitiv nicht um einen Total-ausstieg aus diesem Segment handeln wird. Natürlich istes bedauerlich, wenn ein Status quo nicht mehr gehaltenwerden kann und wenn liebgewonnene Angebote ent-sprechend reduziert werden müssen. Aber stagnierendeEinnahmen und Verluste in zweistelliger Millionenhöhein diesen Sektoren sprechen eben eine deutliche Spra-che.Sie führen in Ihrem Antrag die goldenen Zeiten von1852 an, in denen es romantische Nachtzugverkehre gab,oder die Zeiten vor 60 Jahren, als die ersten Autoreise-züge verkehrten. Aber wir leben nun einmal im Hier undHeute, und wir müssen uns den Herausforderungen derheutigen Zeit und den Anforderungen an unsere Zu-kunftsfähigkeit stellen.Nehmen Sie deshalb zur Kenntnis, dass sich das Rei-severhalten der Menschen in den vergangenen Jahrzehn-ten stark verändert hat. Nehmen Sie auch zur Kenntnis,dass sich auch die Bahnwelt und die Kostenstruktur inganz Europa ebenfalls verändert haben. Die Bahn wäreschlecht beraten, wenn sie darauf nicht reagieren würde,wenn sie Geld verbrennen würde, das sie anderweitigerwirtschaften muss. Wir leben heute nicht mehr in einemZeitalter, in dem Nacht- oder Autoreisezüge zu denHauptverkehrsmitteln gehören. Die Formen der Mobilitäthaben sich grundlegend gewandelt und sind vielfältigergeworden. Heute gibt es Hochgeschwindigkeitsverbin-dungen, Flugverbindungen, Fernbusse, Mitfahrzentra-len, eigene Pkws in größerer Anzahl und vieles mehr,womit die Urlauber unterwegs sind.Im europäischen Verkehr geht es auch um die Ge-samtkosten einer Linie. Wenn beim Bahnverkehr vonBerlin nach Paris in Frankreich 70 Prozent höhere Kos-ten anfallen, wenn steigenden Betriebskosten stagnie-rende Einnahmen gegenüberstehen, wenn überalterteSchlafwagenwaggons verlustbringend repariert werdenmüssen oder wenn neu zu beschaffende Waggons ab-schreibungsbedingt zu höheren Kosten führen würden,dann müssen wir uns alle miteinander dieser Realitätstellen. Das können wir nicht kleinreden. Auch die saiso-nale Häufung der Nachfrage bedingt geradezu, dass dieWirtschaftlichkeit schwieriger ist als bei anderen Ange-boten.Es ist weder im Interesse des Wettbewerbs noch imInteresse der Kunden, dass der Fahrkartenkäufer zumBeispiel für die Verbindung Reutlingen–Berlin denWunsch mancher Nostalgiker nach Nachtzugverbindun-gen von München nach Paris subventioniert. Auch dieFernbusnachtverbindungen haben sich in kürzester Zeitals flexible und günstige Alternative zum Nachtzug ent-wickelt. Sie bilden mittlerweile ein viel dichteres Netzbei günstigeren Preisen. Sie sind damit für den preissen-siblen Reisenden offensichtlich attraktiver.Das deutsche Schienennetz ist dasjenige in Europa,das am stärksten dem Wettbewerb geöffnet ist. Da wun-dert es mich schon, dass kein Mitbewerber aus dem In-oder Ausland hier tätig wird, wo doch das Anbieten vonNacht- und Autoreisezugverbindungen so attraktiv seinsoll, wie Sie argumentieren. Aber grundsätzlich stimmeich Ihnen sogar in einem Punkt zu: Die DB AG wird denMarkt kritisch prüfen, bewerten und, falls notwendig,selbstverständlich Entscheidungen korrigieren. Aber da-für brauchen wir Ihren Antrag nicht.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungs-punkt 22 a. Interfraktionell wird die Überweisung derVorlage auf Drucksache 18/4186 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Siedamit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dannist die Überweisung so beschlossen.Abstimmung über Tagesordnungspunkt 22 b. DieVorlage auf Drucksache 18/3746 soll an die in der Ta-gesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen wer-den. Strittig ist jedoch die Federführung. Die Fraktionender CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beimFinanzausschuss, die Fraktion Die Linke wünscht Feder-führung beim Ausschuss für Verkehr und digitale Infra-struktur.Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs-vorschlag der Fraktion Die Linke. Wer stimmt für diesenÜberweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Ent-haltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit denStimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmender Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünenabgelehnt.Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor-schlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD. Werstimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Werstimmt dagegen? – Der Überweisungsvorschlag ist mitden Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stim-men der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grü-nen angenommen.Tagesordnungspunkt 22 c. Wir kommen zur Abstim-mung über die Beschlussempfehlung des Ausschussesfür Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag derFraktion Die Linke mit dem Titel „Rückzug der Deut-schen Bahn AG bei Nacht- und Autoreisezügenstoppen – Nachhaltige Reisekultur in Europa fördern“.Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlungauf Drucksache 18/4080, den Antrag der Fraktion DieLinke auf Drucksache 18/2494 abzulehnen. Wer stimmtfür diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen?– Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mitden Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegendie Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN
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8796 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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Perspektiven für Klimaschutz und Energie-effizienz nach Absage der Bundesregierungan einen Steuerbonus für eine energetischeGebäudesanierungIch eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeOliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Bei 70 Prozent unseres Gebäudebestandes besteht Be-darf an energetischer Sanierung. Wenn wir es nicht in al-lernächster Zeit schaffen, jährlich 2 bis 3 Prozent dieserSanierungen abzuarbeiten, dann können wir alle Klima-schutzziele und auch die Energiewende im Wärmebe-reich vergessen. Das ist die Herausforderung, der wiruns stellen müssen.
Die energetische Gebäudesanierung ist wirklich mehrals nur das Dämmen mit Styropor. Sie nutzt nicht nurdem Klimaschutz, sondern schafft auch ZehntausendeArbeitsplätze in Handwerk und Bauindustrie. Sie ver-bessert außerdem die Substanz von Wohngebäuden, wo-von die Mieter und die Gebäudeeigentümer etwas haben,und reduziert die Multi-Milliarden-Euro-Rechnungenvon Herrn Putin und anderen Despoten, die wir jedesJahr begleichen müssen. Deshalb und vor allen Dingenauch wegen des Klimaschutzes müssen wir uns um die-ses Thema kümmern. Es muss ganz oben auf der Agendastehen.
Gut ist, dass es in Deutschland seit langem einenKonsens darüber gibt, dass die Potenziale der energeti-schen Gebäudesanierung nur zu erschließen sind, wennwir die notwendigen staatlichen Anreize geben. Ichmuss Ihnen offen sagen: Ich habe die Große Koalitiongelobt – und ich bin nicht bekannt dafür, dass ich sie oftlobe –, als sie im Rahmen der Erarbeitung des Nationa-len Aktionsplans Energieeffizienz, dem NAPE, gesagthat: Ja, wir nähern uns dem Thema „Steuerbonus fürenergetische Gebäudesanierung“ noch einmal. Wir ver-suchen, ihn einzuführen, weil alle Studien, die uns vor-liegen, belegen, dass er ein wirklicher Anreiz seinkönnte.Die Hochglanzbroschüre im Wirtschaftsministeriumwar noch nicht gedruckt, als plötzlich verkündet wurde– da sind wir alle vom Stuhl gefallen –: Nein, die CSUmacht da nicht mit. Herr Seehofer will das nicht. – Wosind wir denn, meine Damen und Herren, angesichts ei-nes politischen Konsenses?
Ich frage mich schon – Herr Gabriel, es ist gut, dassSie hier sind –, ob man mit der Großen Koalition Mitleidhaben muss. Denn all das, was in diesem Land sinnvollist, wird von der CSU blockiert. Überall dort, wo es ei-nen Konsens gibt, steht Herr Seehofer auf der Bremse.Das, was irre und verrückt ist, kommt von der CSU undwird durchgedrückt. Es ist eine Schande, dass die GroßeKoalition eine solche Politik mit sich machen lässt.
Völlig absurd ist die Begründung, die nun hinterher-geliefert wird: Es wird gesagt, die Kürzung des Hand-werkerbonus, den man von der Steuer absetzen kann,von 1 200 Euro auf 900 Euro zur Gegenfinanzierung seinicht verantwortbar. Meine Damen und Herren, es wer-den nicht weniger Handwerkerrechnungen gestellt undbei der Steuer eingereicht, wenn die Höhe des Handwer-kerbonus reduziert wird. Das ist kein Argument dafür,ein Thema wie die energetische Gebäudesanierung zuversenken.
Die CSU treibt es sogar noch absurder. Im Bundesratwurde ein Antrag des Landes Bayern eingebracht, denich nur so verstehen kann, dass die Bundesregierung auf-gefordert wird, diesen Steuerbonus aus dem Bundes-haushalt zu finanzieren. Meine Damen und Herren, dieanderen 15 Länder werden mit dieser Finanzierungsformkein Problem haben. Wir haben auch kein Problem da-mit. Aber wer, verdammt noch mal, regiert denn hier inDeutschland? Wer ist denn Teil der Großen Koalition?Liebe CSU, beantragen Sie das nicht im Bundesrat, son-dern setzen Sie das hier in der Großen Koalition durch!
Ich sage Ihnen: Die Politik von Herrn Seehofer imBundesrat – etwas zu beantragen, was er dann selbst imKoalitionsausschuss der Großen Koalition verhindert –ist Bananenrepublik im Lederhosenformat. Das kanneinfach nicht sein.
Ich sage Ihnen auch: Damit ist nicht nur die Einführungeines Steuerbonus gescheitert; denn er ist das zentraleElement von Klimaschutz und Energiewende dieserBundesregierung.Wenn das nicht mit dem Handwerkerbonus gegenfi-nanziert werden soll, meine Damen und Herren, dannkönnen wir gerne über andere Vorschläge reden. Ichhätte die Mövenpick-Steuer anzubieten. Die können wirgerne zur Gegenfinanzierung einsetzen. Lassen Sie dasan dieser Stelle aber bitte nicht scheitern. Wenn Sie dasnicht wollen, dann machen Sie bitte andere Vorschläge.
Zum Schluss möchte ich sagen: HunderttausendeHausbesitzer, Handwerker, die Bau- und die Heizungsin-dustrie warten auf diesen Steuerbonus. Die Ankündi-gung des Steuerbonus durch die Große Koalition hat zuAttentismus geführt, sodass Investitionen verschobenworden sind. Jeder Förder-Euro, den wir in diesem Be-reich investieren, löst Investitionen von 7 bis 8 Euro aus.Das ist ein unabhängiges und gutes Konjunkturpro-gramm.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8797
Oliver Krischer
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Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,das richte ich jetzt an alle, an CDU, CSU und SPD:Wenn Sie das trotz des politischen Konsens nicht hinbe-kommen, dann haben Sie in diesem Land als KoalitionIhre Existenzberechtigung verloren.Danke schön.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt der Kollege
Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrKrischer, das war ein ganz gezielter Versuch, die Öffent-lichkeit in die Irre zu führen. Das wissen Sie ganz genau.
Wir, die Große Koalition, die Fraktion der CDU/CSU,stehen zur steuerlichen Förderung der Gebäudesanie-rung, und zwar ohne Wenn und Aber.
Es gibt ein altes, lang und vielfach debattiertes, ver-handeltes Angebot an die Länder. Die Länder sind abernatürlich bauernschlau. Sie wollen eine doppelte Kom-pensation. Die Länder sagen: Wir machen das über denHandwerkerbonus. Dann kommt bei uns schon einmalein fettes Plus an, wenn wir diesen so reduzieren, wieSie es beschrieben haben. Hinzu kommt die Kompensa-tion durch den Steuerbonus mit seiner konjunkturellenWirkung. Dann haben wir noch einmal ein Plus ge-macht. – Das hat der Kollege Krischer auch gerade be-schrieben.
Meine Damen und Herren, das kann so nicht sein.
Anstatt hier so einen Auftritt hinzulegen, hätten Siebesser einmal mit Ihren Kolleginnen und Kollegen inden Länderregierungen gesprochen.
Diesen hätten Sie sagen sollen, dass man nicht nur Sonn-tagsreden halten und sagen kann, wie wichtig der Klima-schutz ist. Man kann doch nicht die Welt retten wollen,aber keinen Cent dafür in der Tasche haben. Das gehtdoch nicht, Herr Krischer.
Die große Frage ist doch, wofür die Länder stehen.Sie sagen zwar, dass sie dem Klimaschutz erste Prioritäteinräumen, stellen aber keine Haushaltsmittel hierfür be-reit. Das geht so nicht. Die Länder müssen jetzt endlichauf dieses Angebot eingehen und mitmachen.
Wir laden Sie ein. Sie machen stattdessen am Freitag-nachmittag diese Haltet-den-Dieb-Debatte und tun so,als ob es am bayerischen Ministerpräsidenten liegenwürde, dass es an dieser Stelle nicht weitergeht.
Natürlich muss Ministerpräsident Seehofer ein biss-chen weiterdenken als der eine oder andere Lobbyist, dernur seine Branche im Kopf hat. Das haben wir anhandder Kritik erlebt.
Erstens. Der Handwerkerbonus ist seinerzeit gezieltzur Vermeidung von Schwarzarbeit eingeführt und auchauf dieser Grundlage berechnet worden. Aufgrund derBerechnung kann man da nicht einfach Abstriche ma-chen.
Zweitens muss er daran denken, dass vom Handwer-kerbonus eine Menge Gewerbe profitiert. Sie jedochwollen das auf einige wenige Gewerbe konzentrieren.Drittens – auch das muss man deutlich formulieren –:Vom Handwerkerbonus profitieren nicht nur die Vermie-ter, sondern auch die Mieter. Die Mieter würden Sie jetztdavon ausnehmen. Für diese machen Sie jetzt eine Steu-ererhöhung. Das ist eine ganz neue Masche von Ihnen.Ich nehme das zumindest einmal zur Kenntnis undnehme an, dass auch die Bürgerinnen und Bürger zurKenntnis nehmen werden, was Sie da tun.
Ich glaube, dass wir diese Verhandlungen weiter fort-setzen müssen. Die Förderung nur über KfW-Zuschüssehalte ich persönlich, ganz offen gesagt, für zu wenig. Ichstehe zur steuerlichen Förderung des Ganzen.
Ich appelliere nochmals sehr deutlich an die Länder,sich einen Ruck zu geben und sich klarzumachen, dassüber diesen Hebel letztendlich auch Geld bei ihnen an-kommen wird. Bereits bei einem Förderhebel von 1 : 6würde sich die 1 Milliarde Euro rechnen. Die Wissen-schaftler prognostizieren einen Hebel von 1 : 12. Alsokönnten damit auch die Länder ein steuerliches Geschäft
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8798 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Dr. Georg Nüßlein
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machen. Ich verstehe nicht, warum es denen so schwer-fällt, an dieser Stelle einzuschlagen.Ich möchte auch noch einmal deutlich sagen: Wennwir das machen – egal ob über die KfW oder über diesteuerliche Förderung –, dann müssen wir uns noch ein-mal Gedanken über die genaue Ausgestaltung machen.Ich glaube schon, dass es wichtig ist, an dieser StellePrioritäten zu setzen – Stichwort „Heizungssanierung“,Stichwort „Fenster“. Der Idee, ganz Deutschland in Sty-ropor zu packen, stehe ich aber ganz offen kritisch ge-genüber.
Ich würde mir wünschen, dass die Grünen, die hiernormalerweise auch entsprechend skeptisch sind, etwasdazu sagen,
dass sie das entsprechend formulieren und Position zuden inhaltlichen Fragen beziehen.
Ansonsten bitte ich Sie dringend: Lobbyieren Sie beiden Ländern! Machen Sie hier keine Showveranstaltung!Behaupten Sie nicht, die anderen seien schuld! Diejeni-gen, die in den Ländern regieren
– ich meine insbesondere die Regierungen, an denen dieGrünen beteiligt sind –, sind verantwortlich dafür, aucheinmal die Tasche aufzumachen und etwas für den Kli-maschutz zu tun, statt nur flache Reden zu halten.
Vielen Dank. – Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die
Linke, hat jetzt das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Bürgerinnen und Bürger geben heute für das Heizenund für Warmwasser 10 Milliarden Euro im Jahr mehraus als noch vor zehn Jahren. 40 Prozent des Energiebe-darfs in Deutschland entfällt auf den Gebäudebestand.Trotzdem sind die Gebäude weiterhin nicht auf derHöhe der Zeit. Über die Hälfte aller Fassaden und mehrals ein Drittel aller Dächer älterer Gebäude haben keineDämmung. Mehr als jede zweite Heizungsanlage wurdevor 1997 eingebaut. – Das hat in dieser Woche die Deut-sche Energie-Agentur gesagt.Auch die Koalition scheint nicht ganz auf der Höheder Zeit zu sein.
Ich sage Ihnen: Dieses Hickhack in der Regierung mussaufhören. Das versteht kein Mensch da draußen. FragenSie doch einmal die Leute! Sie wollen nämlich Tatenund Erfolge sehen. Es tut sich aber nichts.
Es gibt wirklich keinen schlechteren Moment alsjetzt, den Steuerbonus für die energetische Gebäudesa-nierung auszubremsen. Bei den Bestandssanierungen be-klagt die Dämmstoffbranche nach einem Minus von4 Prozent im Vorjahr einen weiteren Umsatzrückgangum fast 9 Prozent. Das hat allerdings auch etwas mit bil-ligem Heizöl und Risiken bei den Dämmstoffen zu tun.Der Heizungsmarkt stottert ebenfalls. 2014 verkauftedie Branche 4 Prozent weniger als 2013, und der Anteilder erneuerbaren Energien im Wärmebereich stagniertderweil bei 9,9 Prozent.Das alles sind Alarmsignale, die wir nicht einfachignorieren dürfen. Wir brauchen eine Sanierungsquotevon mindestens 2 Prozent; das wurde schon gesagt. SeitJahren liegen wir aber unter diesem Wert. Jetzt streitenSie, und währenddessen wird die Erderwärmung sicherkeine Pause einlegen, sondern natürlich weitergehen.An dieser Stelle möchte ich einmal klar sagen, warumder Ärger bei uns Linken so groß ist: Die Bundeskanzle-rin persönlich hat der Öffentlichkeit den Steuerbonusversprochen,
und zwar Ende letzten Jahres, am 11. Dezember 2014,nach ihrem Treffen mit den Länderchefs. Wenige Tagedavor war die steuerliche Förderung auch in den Natio-nalen Aktionsplan Energieeffizienz und das Aktionspro-gramm Klimaschutz 2020 aufgenommen worden.Ich erinnere mich noch, dass MinisterpräsidentHaseloff aus Sachsen-Anhalt gleich nach der Spitzen-runde den Durchbruch ausgerufen hat. Endlich, nachJahren der Verhandlungen, sei man so weit – Zitat –,„dass dieses Gesetz im nächsten Jahr … auf den Weg ge-bracht wird“. 40 Petajoule Energieeinsparung sollte derSteuerbonus bis 2020 bringen. Das wäre ja schon einmalnicht schlecht.Nur 100 Tage hat es dann aber gedauert, bis eine derwichtigsten Säulen des Klimaplans weggebrochen ist.Ich finde, das geht überhaupt nicht; das können wir Ih-nen nicht durchgehen lassen.
Mit dem Umweltausschuss war ich auf der UN-Kli-makonferenz in Lima; einige waren dabei. In Gesprä-chen haben Kollegen aus Dänemark nicht nur über die
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Eva Bulling-Schröter
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Massivbauweise der deutschen Häuslebauer geschmun-zelt und uns darauf hingewiesen, wir würden unökolo-gisch und teuer für die Ewigkeit bauen: viel Stein stattHolz. Vor allem aber haben sie darüber berichtet, wieman Gebäudeeffizienz richtig machen kann. Am selbenTag hat übrigens Umweltministerin Hendricks vor derWeltgemeinschaft erklärt, dass Deutschland in SachenKlimaschutz Wort hält. – Haha!Ich finde es schädlich, was die Große Koalition hierfür ein Bild abgibt. Ich frage mich: Was ist da los? Las-sen sich SPD und CDU von Bayern an der Nase herum-führen? Oder wollte Herr Oppermann Herrn Seehofernur auflaufen lassen? Hat dessen Festhalten am Hand-werkerbonus zur Absage an das ganze CO2-Gebäudesa-nierungsprogramm geführt? Das sagt jedenfalls dieStaatskanzlei in München. Wie auch immer: Die Öffent-lichkeit tappt im Dunkeln. Ich finde, das geht überhauptnicht. Die Menschen haben ein Recht darauf, zu erfah-ren, was da los ist.Auf der internationalen Ebene wird es ganz schwie-rig. Wenn die Energiewende im Gebäudebereich inDeutschland scheitert, ob an Regionalpolitikern oder anKoalitionsgezänk: Wie sollen wir da vom Rest der Weltglaubhaft einfordern, sich der globalen Energiewendeanzuschließen, meine Damen und Herren?Wir sagen: Steuerliche Förderung ist ein geeignetesInstrument. Auch der Handwerkerbonus macht für vieleSinn. Ich bin der Meinung, dass auch Eigentümer mit ei-nem geringen Einkommen vom Handwerkerbonus profi-tieren sollten. Das kommt für Sie leider nicht infrage.Diese Förderung können nur Eigentümer ab einem be-stimmten Einkommen in Anspruch nehmen. Aber auchandere haben ein Recht darauf.Herr Krischer hat gesagt: Wir können Putin dadurchbekämpfen, indem wir weniger Öl und Gas kaufen. –Dazu kann ich nur sagen: Führen Sie doch einmal imGebäudebereich Krieg, und sanieren Sie. Nehmen Siedie Gelder aus der Rüstungskasse. Das wäre wirklichsinnvoll.
Dann hätten wir genügend Geld, sowohl zur Finanzie-rung des Handwerkerbonus als auch für die anderenDinge. Da muss man gucken, wie man das Geld verteilt.Sie alle miteinander wollen das offensichtlich nicht. Dasist einfach schädlich.
Vielen Dank. – Für die Bundesregierung spricht jetzt
der Parlamentarische Staatssekretär Uwe Beckmeyer.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Hier ist der Streit angesprochen worden. Ichdenke, wir müssen Lösungen präsentieren. Eine Lösungheißt, dass wir etwas für die Umwelt tun. Ich glaube, esliegt im Interesse des ganzen Hauses, dass wir alle uns inDeutschland in der Frage der CO2-Gebäudesanierunganstrengen. Ich denke, das, was in der jüngsten Vergan-genheit erreicht worden ist, ist handwerklich eine guteLeistung. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Men-schen das CO2-Gebäudesanierungsprogramm annehmen.Nun gibt es zurzeit die Diskussion darüber, ob wir unsin der Frage der steuerlichen Förderung einigen. Mo-mentan hakt es da noch ein wenig. Das ist bedauerlich,sage ich an dieser Stelle. Ich höre aus den Reihen derKoalition das Signal, dass man eine Einigung will. Ichsage hier: Das Bundeswirtschaftsministerium ist dafürabsolut offen. Wir sind gerne bereit, diesen Prozess zü-gig anzugehen und umzusetzen.Aber ich will an dieser Stelle auch in aller Deutlich-keit sagen: Die staatliche Förderung der energetischenGebäudesanierung ist damit nicht vom Tisch. Die Ge-bäudesanierung stellt einen wichtigen Baustein im Rah-men der Energiewende dar.
Das ist und bleibt unser Weg zu einer sicheren, sauberenund bezahlbaren Energieversorgung.Wir sind dabei – auch das will ich an dieser Stelle sa-gen –, die Steigerung der Energieeffizienz in Deutsch-land entschlossen anzupacken.
Das lässt sich auch daran erkennen, dass wir zu keinemZeitpunkt mehr Mittel für die CO2-Gebäudesanierungzur Verfügung gestellt haben als momentan.
Dass das einige in der Berichterstattung über die steuer-liche Förderung der energetischen Gebäudesanierunggerne unterschlagen, will ich an dieser Stelle nur anmer-ken.
Was bleibt, meine sehr geehrten Damen und Herren,ist das laufende KfW-Programm. Dieses Programm istvon der aktuellen Diskussion völlig unberührt.Wir habenbislang 2 Milliarden Euro jährlich für das KfW-Pro-gramm zur Verfügung gestellt.
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8800 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Parl. Staatssekretär Uwe Beckmeyer
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Hinzu käme die steuerliche Förderung, über die wir ge-rade gesprochen haben. Es wäre sehr lobenswert, wennwir sie bekämen.Aber – das ist der nächste Punkt – wir sind dabei, dasaktuelle Programm der KfW, ob Zinsverbilligung oderZuschuss, zu überarbeiten und weiterzuentwickeln. ZuJahresbeginn haben wir die Zinsen nochmals gesenktund die Tilgungszuschüsse erhöht. Antragstellung undZusagen haben wir gemeinsam mit der KfW deutlichvereinfacht bzw. beschleunigt.Im Sommer wird das Programm erweitert. Künftigwerden auch die Sanierung und der Neubau von soge-nannten Nichtwohngebäuden – also Hotels, Büroge-bäude, Schulen, Kitas, Schwimmbäder, Museen oderauch Werkhallen – gefördert.Zwar nehmen derzeit viele Menschen aufgrund derniedrigen Zinsen vielleicht lieber ein Darlehen bei ihrerHausbank auf statt bei der Förderbank,
aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die Antragszahlenim Zuschussteil des energetischen Gebäudesanierungs-programms entwickeln sich überaus positiv, meine Da-men und Herren. Die Januarzahlen liegen rund 20 Prozentüber den Vergleichswerten des Vorjahres, und bereits diewaren gut.
Insofern ist die energetische Gebäudesanierung nichtnur für die Energiewende wichtig, sondern – ich sagedas auch in Richtung derjenigen, die sich um das Hand-werk kümmern – sie beschert dem gesamten Handwerkviele neue Aufträge. Von meinen Vorrednern wurde dasStichwort „Konjunkturprogramm“ genannt. Es ist rich-tig: Jeder Euro Förderung entfaltet im Grunde dasZwölffache an Investitionen durch Private.
Wir haben in diesem Bereich ein enormes Investi-tionsprogramm von schätzungsweise 70 Milliarden bis80 Milliarden Euro zusätzlich angestoßen. Auch dassollte man nicht verschweigen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, in Unterneh-men und privaten Haushalten werden wir auf diese Artund Weise bis 2020 gut 18 Milliarden Euro Energie-kosten einsparen. Das ist vielleicht dem einen oder ande-ren verborgen geblieben; deshalb will ich es noch einmalbetonen.
– Ich weiß nicht, warum Sie immer dazwischenrufenmüssen. Melden Sie sich doch zu Wort.Durch NAPE wird der Primärenergiebedarf im Ge-bäudebereich um 80 Prozent gesenkt. Das ist unser Ziel.Insofern glaube ich, dass wir auch bei der direkten Redu-zierung des Primärenergieverbrauchs gute Erfolge habenwerden.Das sind unsere Zielsetzungen, die wir auch schon inden Ausschüssen debattiert haben. Die Energieeffizienz-strategie ist das richtige Stichwort. Ich will an dieserStelle hinzufügen: Falls die steuerliche Förderung nichtzustande kommt, gilt es, aktuell über eine Alternativenachzudenken. Ich glaube, dass wir eine Alternative ha-ben. Wir führen nämlich zurzeit intensive Gespräche da-rüber, neben dem Marktanreizprogramm für erneuerbareEnergien auch ein Marktanreizprogramm für Energie-effizienz aufzulegen. Bei diesem Thema geht es um Zu-schüsse, zum Beispiel um alte Ölheizungen zu ersetzen.Was die Frage der Dämmung angeht, reicht es nicht aus,über Styropor zu reden. Dämmung, Belüftung und Ent-lüftung sind aktuelle Themen, zu denen wir Lösungenfinden können, zumal wir in Deutschland auch technischin der Lage sind, dazu etwas anzubieten.Das Thema Brennstoffzellen bei kleinen Wohneinhei-ten oder kleinen Gewerbebetrieben ist in diesem Zusam-menhang ebenfalls nicht zu unterschätzen. Und – das istdas Entscheidende – wir müssen aufklären, erklären undwerben. Das sind, glaube ich, ebenfalls wichtige Stich-punkte in diesem Zusammenhang. Insofern haben wir,glaube ich, gute Ansätze und gute Instrumente. Ich freuemich auf die weitere Entwicklung.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Liebing, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es ist völlig unstrittig: Die energetische Gebäudesanie-rung kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dasswir die CO2-Emissionen reduzieren. Die steuerliche För-derung ist für uns dabei ein wichtiger Aspekt.
Es kommt nicht von ungefähr, dass wir als damaligeKoalition unter Führung der Union bereits im Jahr 2011einen Gesetzentwurf in die Beratungen eingebracht ha-ben, der genau dies vorsah. Aber wir kommen auch nichtan der Tatsache vorbei, dass das, was wir damals auf denWeg gebracht haben, als wir uns um einen politischenKonsens in der Sache bemüht haben, den Sie, Herr Kol-lege Krischer, gerade beschrieben haben, über Jahre hin-weg im Bundesrat gescheitert ist. Das ist nicht an unsgescheitert, sondern das ist an denjenigen Landesregie-rungen gescheitert, an denen die Grünen beteiligt gewe-sen sind. Das gehört zur gesamten Geschichte dazu.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8801
Ingbert Liebing
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Deswegen sage ich ausdrücklich: Uns als Unionbraucht niemand zu überzeugen. Wir brauchen keine Be-lehrungen bei dem Thema, wie wichtig die energetischeGebäudesanierung ist und wie wichtig auch die steuerli-che Förderung ist.
– Lieber Herr Krischer, ganz ruhig, keine Aufregung.Sie haben vorhin schon gesprochen, und das war nichtüberzeugend; Ihre Zwischenrufe sind genauso wenigüberzeugend.
Deswegen ist es schlichtweg bitter, dass es über vierJahre hinweg eben nicht gelungen ist, einen Konsens zuerreichen, den Sie hier beschreiben.
Es wäre schön, wenn wir ihn erreicht hätten. Er ist2011 nicht erreicht worden und 2012 nicht. Ich war anden Koalitionsverhandlungen 2013 beteiligt, als wir in-nerhalb der Großen Koalition wiederum einen Anlaufgemacht haben. Dort ist es am Widerstand der Vertretervon Landesregierungen gescheitert, dieses Thema imKoalitionsvertrag zu verankern. Wir hätten das gerne ge-macht.
Dann gab es die Geschichte Ende vergangenen Jah-res. Ich versuche zu beschreiben, wie sich das Ganzeentwickelt hat. Dass Sie das nicht gerne hören mögen,Herr Kollege Krischer, glaube ich Ihnen sehr gerne.Trotzdem müssen Sie sich das vorhalten lassen.
Ende vergangenen Jahres gab es dann den Vorschlagder Gegenfinanzierung über den Handwerkerbonus. Ichfinde es schon interessant, wie Sie, Herr KollegeKrischer, über den Handwerkerbonus hier gesprochenhaben. Wir als Union sind überzeugt davon, dass diesteuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen einwesentlicher Beitrag zur Stabilisierung des Handwerksund vor allem im Kampf gegen Schwarzarbeit ist.
Das ist und bleibt nach wie vor das wichtigste Argumentfür die steuerliche Abzugsfähigkeit von Handwerkerleis-tungen.
– Lieber Herr Krischer, ganz ruhig. – Das war keine Ge-schichte, die wir aus Überzeugung gemacht haben, als inder Runde verabredet wurde, den Handwerkerbonus ab-zuschmelzen. Das war vielmehr eine absolute Notlö-sung, um eine Blockadehaltung aufzubrechen.Nun kommen wir zu dem, was Herr Seehofer und dieCSU anschließend gemacht haben. Ich bin als bekennen-des Nordlicht sicherlich jemand, der nicht alles sofortunterschreibt, was Herr Seehofer vertritt, auch nicht inder Energiepolitik. Da gibt es manches, worüber mansich kritisch unterhalten kann.
Aber an dieser Stelle möchte ich für Herrn Seehofer aus-drücklich Verständnis äußern;
denn es kann nicht angehen, dass etwas, das allen Betei-ligten dient, dem Bund genauso wie den Ländern – Siehaben selber beschrieben, dass die steuerliche Förderungder energetischen Gebäudesanierung wie ein Konjunk-turprogramm wirkt und damit auch bei den Ländern zuzusätzlichen Steuereinnahmen führt –, über Jahre hin-weg von den Ländern blockiert wird.Was Sie machen, ist Politik nach dem Fielmann-Prin-zip: schön etwas fordern, tolle Leistung, aber nichts zu-gezahlt. Aber das geht nicht, das lassen wir Ihnen auchnicht durchgehen.
Wenn Sie Herrn Seehofer kritisieren, dann sage ichIhnen von den Grünen: Sie haben alle Möglichkeiten, zuzeigen, dass Sie es besser machen. Sie tragen in vielenLandesregierungen Mitverantwortung. Ich fordere Sieauf, über Ihre grüne Beteiligung an den Landesregierun-gen darauf hinzuwirken, dass die steuerliche Abzugsfä-higkeit, die steuerliche Förderung der CO2-Gebäude-sanierung unter Beteiligung der Bundesländer kommt.
– Das kann ich Ihnen nennen: mein eigenes Heimatland,Schleswig-Holstein. Die Landesregierung unter grünerBeteiligung mit einer grünen Finanzministerin verwei-gert die Zustimmung.
Wenn Sie mir die Zustimmung Ihrer grünen Finanz-ministerin liefern, dann haben wir die Möglichkeit, dasGesetz im Bundesrat zu beschließen. Tun Sie es. Siekönnen liefern. Sie sollen nicht nur schreien, Sie sollennicht nur kritisieren, Sie können mit der Zustimmung derGrünen in den Landesregierungen liefern, damit die steu-
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Ingbert Liebing
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erliche Förderung der CO2-Gebäudesanierung kommt. Da-mit wäre der Sache gedient.Wir als Bund werden über die KfW-Förderung in be-grenztem Umfang handeln, so wie wir eben können.
Es ist gut, dass diese Förderung ausgebaut wird. Abernoch viel wichtiger wäre es, wenn die Blockadehaltungder Bundesländer im Bundesrat endlich aufhört. Dazukönnen auch Sie einen Beitrag leisten; dann haben Sieetwas geleistet.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Für die Linke erhält jetzt der Kollege
Ralph Lenkert das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnenund Kollegen! Als Techniker sehe ich die Gründe fürdiese Debatte so: Die Koalition wollte etwas für den Kli-maschutz erreichen und einigte sich auf eine 10-prozen-tige Förderung der energetischen Sanierung. Um dieeventuellen Steuerausfälle zu kompensieren, sollte derHandwerkerbonus auf kleine Rechnungen wegfallen.Weil Bayern diesen Bonus komplett erhalten will, ist dieFörderung der energetischen Sanierung jetzt für die SPDlaut Oppermann vom Tisch.Horst Seehofer hat eigentlich recht: Das Streichen desHandwerkerbonus für die energetische Gebäudesanie-rung wäre kontraproduktiv.
Aber Herr Oppermann hat eigentlich auch recht; denn eswürde Steuerausfälle geben. Die Grünen haben auchrecht; denn mit diesem Theater, mit diesem Eiertanzwird Energieeinsparung einfach nur noch lächerlich ge-macht.Da investiert ein Hausbesitzer in Bayern 10 000 Euroin eine neue Heizung und bekommt im darauffolgendenJahr 100 Euro erstattet und im Jahr darauf noch einmal100 Euro, und nach zehn Jahren hat er 1 000 Euro zu-rückbekommen. In der Zwischenzeit müsste er jährlichden Heizungsmonteur rufen, der die Heizung wartet. DerMonteur kostet über 100 Euro jährlich. Das macht inzehn Jahren mehr als 1 000 Euro, die er jetzt nach HerrnOppermann nicht mehr von der Steuer erstattet be-kommt. Daher ist das Ganze bestenfalls ein Nullsum-menspiel.Horst hat recht:
Durch das Kürzen beim Handwerkerbonus bewirkt dasSanierungsprogramm nur Mitnahmeeffekte bei Hausbe-sitzern, die sowieso die Heizung erneuern wollten. HerrOppermann hat aber auch recht: Für diese 10 ProzentFörderung wird niemand zusätzlich seine Heizung sanie-ren. Der Mitnahmeeffekt führt dann zu Steuerausfällen.Die schwarze Null geht flöten, und deshalb wollte ja dieKoalition für alle Bürger den Handwerkerbonus strei-chen – bei den niedrigen Rechnungen.Aber uns Linken liegt es fern, nur zu kritisieren.
Deshalb lassen Sie uns eine echte Förderung beschlie-ßen, basierend auf folgenden Punkten:Eine 25-prozentige Förderung der energetischen Sa-nierung, aber nur dann, wenn auch die Dämmung opti-miert und die Heizung darauf abgestimmt wird. Dennwas bringt es, die Heizung zu erneuern, bevor die Däm-mung optimiert ist? Dann ist die Heizung, wenn spätergedämmt wird, falsch dimensioniert.Häuser sind Wärmespeicher; da könnten wir doch ex-tra Wärmespeicher und Tauchsieder spendieren, fürkleine Stromkraftwerke, die in Kraft-Wärme-Kopplungmit der Abwärme Wohnungen heizen, damit bei vielWind und Sonne die Wärme mit Strom erzeugt wird.Wenn dem Wind die Puste ausgeht und die Sonne fehlt,dann könnten diese Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraft-werke ordentlich Strom liefern.Liebe CSUler, wenn wir diese Kraftwerke geschicktnutzen, könnten wir uns die eine oder andere 500-kV-Gleichstromtrasse durch Thüringen und auch durch Bay-ern sparen.
Um Herrn Oppermann zu beruhigen: Es werden keineSteuermittel fehlen, wenn Sie das Privileg der Zinsab-schlagsteuer streichen, auf Deutsch: wenn Kapitalein-nahmen aus Dividenden statt pauschal mit 25 Prozentmit dem persönlichen Steuersatz belastet werden. Dastrifft übrigens – ganz SPD – einmal die Reichen.Liebe Grüne, mit so einem Konzept würde neben derSymbolik auch wirklich etwas für das Klima erreichtwerden. Da zerbreche ich mir den Kopf über Wünscheund Sorgen von Union, SPD und Grünen. Wo bleibt dieLinke?Wir fordern, dass eine energetische Sanierung vonMietshäusern nur dann gefördert wird, wenn sie warm-mietenneutral erfolgt. Damit stoppen wir gleichzeitigdas miese Vorgehen einiger Hausbesitzer, die über dasAbwälzen der Kosten der energetischen Sanierung Mie-terinnen und Mieter aus ihren Wohnungen vertreiben.Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht hättendiese Vorschläge realistische Chancen zur Umsetzung,wären sie nicht von mir, einem Linken aus Thüringen,sondern von Seehofer, einem Bayern aus München, vor-gestellt worden.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8803
Ralph Lenkert
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Die SPD hätte ihr Gebäudesanierungsprogramm, dieUnion ihre schwarze Null, die Grünen ihren Klima-schutz und die Linke die soziale Gerechtigkeit.
Mieterinnen und Mieter hätten stabile Mieten und dieBauwirtschaft mehr Aufträge. Es könnte so einfach sein!
Vielen Dank. – Dr. Nina Scheer, SPD-Fraktion, hat
jetzt das Wort.
Sehr verehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnenund Kollegen! Es ist viel zu der betreffenden Thematikgesagt worden. Ich möchte gleich voranstellen, dass unsnatürlich allen klar sein muss, dass die enormen Investi-tionen, die im Komplex „Energetische Sanierung – Wär-mewende“ geleistet werden können, fiskalisch gesehendie Fördermaßnahmen um ein Vielfaches übersteigen.Das ist klar, man muss es immer voranstellen.Ich finde folgenden Ablauf – das möchte ich hierganz deutlich kritisieren – durchaus problematisch: Manbewegt sich auf einem bestimmten Einigungspfad. Zu-erst verständigt man sich auf die steuerliche Förderungals ein Instrument des NAPE. Im nächsten Schritt sollgegenfinanziert werden. Dabei lässt man sich dafür lo-ben, dass man eine Einigung erzielt hat. Im letztenSchritt aber wird das Instrumentarium verweigert.Ich muss ehrlich sagen, dass ich das als ein nicht nurauf diesen Bereich bezogenes grundsätzliches Problemerachte. An dieser Stelle frage ich mich, ob damit auchdie Ernsthaftigkeit der Aussage der CDU/CSU anzu-zweifeln ist, tatsächlich in der energetischen Sanierungvorankommen zu wollen. Anwesende sind durchaus aus-genommen, Sie brauchen sich jetzt nicht persönlich an-gesprochen zu fühlen. Wir müssen das aber hier imHause, wenn wir es in der Aktuellen Stunde diskutieren,durchaus auch dort aufhängen, wo es entschieden wird,bzw. an die adressieren, von denen es entschieden wird.
Meine Sorge ist, dass wir einen Investitionsstau be-kommen. Den haben wir bestimmt schon in den letztenMonaten durch die Ankündigung ausgelöst, dass einElement die steuerliche Förderung sein wird. Dadurchhaben sich wahrscheinlich einige Haushalte zurückge-halten, Investitionsmaßnahmen zu ergreifen. Sie habenauf dieses Instrument gewartet, das jetzt möglicherweisenicht kommt. Ich hoffe darauf, dass es da noch ein Ein-lenken geben wird. Klar muss aber auch sein, dass wirmit den gerade von Uwe Beckmeyer angekündigtenMaßnahmen bzw. Alternativen parallel denken müssen.Auf keinen Fall können wir riskieren, dass sich ein In-vestitionsattentismus Bahn bricht bzw. dass wir stehen-bleiben.Das hat aber auch innerhalb der Koalition – daraufwill ich zurückkommen – durchaus eine bestimmte Di-mension, die dazu führt, dass man sich fragen muss: Wiewird miteinander umgegangen? Da ist Ihre Situation an-ders als unsere. Wir sind eine SPD, Sie sind CDU undCSU. Es kann, wie gesagt, nicht sein, dass auf der einenSeite des Koalitionspartners ein Vorschlag als Gegen-finanzierung identifiziert bzw. artikuliert wird, währendauf der anderen Seite des angesprochenen Koalitions-partners gesagt wird: So aber nicht.
Da muss es eine deutliche Kehrtwende geben. Ich sagejetzt nicht, dass ich schwarzsehe. Aber ich sehe die Zu-kunft nicht so rosig, wenn wir nicht versuchen, auf die-sem Weg Schritt für Schritt – und das Energiepaket hatviele Schritte – voranzugehen, und wenn wir uns nichtum Umsetzung bemühen.Ich möchte dann aber auch noch an das anknüpfen,was Uwe Beckmeyer zu den Alternativen gesagt hat. Beider ganzen Debatte um die Steuerfinanzierbarkeit bzw.die steuerliche Förderung muss auch immer klar sein,dass es sich hierbei nur um einen Teil eines großen Be-reichs handelt. Sie hätte einige angesprochen, bei wei-tem nicht alle. Sie hätte nur diejenigen angesprochen, dievon einem solchen steuerlichen Instrument profitierenkönnen. Es gibt aber noch viele andere Instrumente. Unsdarf jetzt aber auch nicht passieren, dass wir den Blickvon diesen anderen Möglichkeiten abwenden.Ich möchte an uns alle adressieren, dass wir nochmehr im Bereich der Qualifizierung tun müssen. Ener-gieberatung ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir wissenauch, dass in der Vergangenheit Mittel teilweise nichtabgerufen wurden. Dort einen Schwerpunkt zu setzen,wird jetzt vielleicht auch noch einmal eines neuen Im-pulses – auch weiterer Qualifizierungsmaßnahmen – be-dürfen. Denn ich entdecke auch, dass wir bei Energieef-fizienzmaßnahmen sehr verkürzt auf Gebäudesanierung– dort speziell auf die Fassaden – blicken. Es ist auch an-geklungen, welche Probleme damit – dabei geht es auchum die Schadstoffe – verbunden sind. Dabei können wirnicht stehen bleiben.Es muss um eine Wärmewende gehen. Innovationenim Bereich der erneuerbaren Energien, die Einführungneuer technologischer Systeme und die dabei zu generie-renden Effizienzgewinne müssen zusammen gedachtwerden. Ich glaube, wir können unsere Ziele nur dannerreichen, wenn wir diese Bereiche gemeinsam denken.Aber wir müssen, wie gesagt, Schritt für Schritt vorge-hen. Es kann nicht sein, dass einzelne Schritte an einemTeil unseres Koalitionspartners scheitern. Das kann sonicht bleiben.Vielen Dank.
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8804 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
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Vielen Dank. – Als Nächste hat Lisa Paus das Wort,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! WirGrünen haben diese Aktuelle Stunde angemeldet, weilwir hinsichtlich der steuerlichen Förderung der energeti-schen Sanierung endlich aus der Endlosschleife heraus-wollen.
Ich selbst bin seit 2011 damit befasst.Wie läuft diese Endlosschleife ab?Der erste Punkt ist die Feststellung – das wurde schongesagt –, dass der Klimaschutz ganz wichtig ist. Mansagt: Ja, da müssen wir etwas tun.Als zweiter Punkt folgt die Feststellung: Ja, die Zielesind nur zu erfüllen, wenn auch im Gebäudebereich et-was getan wird; die Sanierungsquote muss mindestensverdoppelt werden.Der dritte Punkt ist das Bekenntnis zur Förderung imGebäudebereich. Man sagt: Ja, gerade im Gebäudebe-reich gibt es eine Win-win-Situation. Da gibt es eigent-lich keine Verlierer. Alle Bereiche gewinnen: Klima-schutz, Beschäftigung und Handwerk.Vierter Punkt: Keine Einigung bei der Finanzierung.Dann beginnt die Schleife von vorne. Es gibt wiederein Auf und Ab. Man durchläuft erneut die Punkte eins,zwei und drei, und am vierten Punkt, bei der Finanzie-rung, gibt es wieder keine Einigung.Jetzt ist man erneut in diese Schleife eingestiegen, al-lerdings mit einer Änderung: Im Jahr 2015 müsste sichdie Sanierungsquote nicht mehr nur verdoppeln, sondernverdreifachen, weil in den letzten vier Jahren nichts, aberauch gar nichts passiert ist. Im Gegenteil: Die Debattewar nicht folgenlos; Frau Scheer hat es gerade gesagt.Natürlich hat diese Debatte zu Attentismus geführt. –Aber auch das ist nicht neu. Das sage nicht nur ich, son-dern das sagen auch viele andere.Das Ganze ist großes Kabarett. Ich nenne drei Perso-nen, die darin mitspielen: Dieses Mal ging es los mit derAnkündigung von Frau Merkel, die steuerliche Förde-rung der energetischen Gebäudesanierung sei eines derbesten Mittel zum Klimaschutz. Dann sagte der Bundes-wirtschaftsminister: Ja, wir sehen im Rahmen des Ener-gieeffizienzprogramms die steuerliche Förderung vonenergetischen Sanierungsmaßnahmen vor; denn sie ge-hören zu den wichtigen Maßnahmen. Doch dann kamdie abwehrende Reaktion aus Bayern. Der Staatssekretärim Umweltministerium, Herr Flasbarth, antwortete am27. Februar 2015, es sei besser, diese Förderung vorerstganz abzublasen, damit nötige Investitionen nicht aufge-schoben würden. Es sei völlig ausgeschlossen, so eineDebatte über Monate hinzuziehen. Genauso äußerte sichder Pressesprecher des BMWi:Wir können uns keine endlose Hängepartie leisten.Der Pressesprecher ergänzte aber:Das heißt nicht, dass die staatliche Finanzierung derenergetischen Sanierung tot ist.Die Schleife beginnt also von neuem.Das letzte Mal ist das Vorhaben daran gescheitert,dass die Bundesregierung sich nicht dazu durchringenkonnte, ein KfW-Programm mit 300 bis 400 MillionenEuro zusätzlich für die Kommunen aufzulegen. Daswäre absolut sinnvoll gewesen. Davon hätten alle profi-tiert. Dabei hätten alle gewonnen. Doch daran ist dasVorhaben beim letzten Mal gescheitert.Dieses Mal scheitert das Vorhaben an Bayern. Wir er-kennen an der Reaktion aus Bayern, wie man sich dortden Bund-Länder-Finanzausgleich vorstellt.
– Die CSU aus Bayern. –
Die CSU hat über die Win-win-Situation nachgedachtund festgestellt, dass es besser ist, wenn man mehr ge-winnt als die anderen. Das scheint das Lebensmotto derCSU in Bayern und von Herrn Seehofer zu sein. DieCSU hat festgestellt, dass von dem Handwerkerbonus– für den Bund sind das Steuermindereinnahmen – Bay-ern ganz besonders profitiert. Bayern muss weniger ein-zahlen in den Bund-Länder-Finanzausgleich, aber dieWirtschaft in Bayern profitiert überproportional davon.Daher sagt die CSU: „Der Handwerkerbonus muss unbe-dingt bleiben“, obwohl die Abschmelzung des Handwer-kerbonus ein Vorschlag der Handwerkskammer war. Dashaben sich nicht Herr Gabriel, die Grünen oder sonst je-mand ausgedacht, sondern in der Debatte über die Be-kämpfung der Schwarzarbeit wurde gemeinsam festge-stellt, dass der Handwerkerbonus nicht das leistet, wasgewünscht war, und es deswegen sinnvoll ist, ihn einzu-schränken. Das war ein konkreter Vorschlag der Hand-werkskammer, der aufgegriffen worden ist.Die CSU in Bayern will das als Einzige nicht akzep-tieren. Die CSU sagt: Wir haben netto mehr davon, wennder Handwerkerbonus erhalten bleibt, weil wir dann we-niger in den Bund-Länder-Finanzausgleich einzahlenmüssen. Dann setzt sie noch eins drauf – sie kann janicht genug kriegen – und sagt: Trotzdem muss die steu-erliche Förderung der energetischen Gebäudesanierungohne Gegenfinanzierung kommen, weil – das ist auchklar – Bayern davon am meisten hat.Die Situation ist: Wir gewinnen alle. Aber die Stadt-staaten zum Beispiel haben weniger Eigennutzer, weni-ger Einzelgebäude. Deswegen ist es logisch, dass nichtnur Berlin, sondern auch Hamburg und Bremen feststel-len, dass sie zwar ebenfalls etwas für den Klimaschutzund die Gebäudesanierung tun wollen, die konkrete steu-erliche Förderung aber nicht das ist, was ihnen – wieauch den anderen Städten und Ballungsräumen – dengroßen Impuls bringt. Deswegen brauchen wir ein ge-meinsames Programm und keine isolierte Politik, wie sie
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8805
Lisa Paus
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die CSU in Deutschland vorhat, meine Damen und Her-ren.
Ich appelliere noch einmal: Sie müssen sich nichtgleich die grünen Forderungen zu eigen machen. Wir sa-gen, dass mindestens 6 Milliarden Euro nötig sind. Aber1 Milliarde Euro zusätzlich sollte doch durchaus drinsein: Wo ist irgendein Engagement für das Thema Kli-maschutz? Es ist bisher nicht zu erkennen. Wo ist dasEngagement der SPD in dieser Frage? Ich habe an denentsprechenden Tischen gesessen, wo monatelang über300 Millionen Euro verhandelt wurde. Da ging nichts.Durch einen Federstrich aus Lust und Laune eines Län-derchefs gingen 300 Millionen Euro trotzdem als Min-dereinnahmen an die Länder, weil der Eingangssteuerta-rif nicht so schön war.
Frau Kollegin Paus.
Dieses Theater können wir nicht mehr sehen. Das
kann die Republik nicht mehr sehen. Die Leute laufen
aus diesem Theater hinaus. Deswegen kommen Sie end-
lich zum Punkt, und machen Sie einen Schritt hin zur
steuerlichen Förderung mit entsprechender Gegenfinan-
zierung. Eine Chance geben wir Ihnen noch.
Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt
Olav Gutting das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren Kollegen! Ich habe hier an dieser Stelle vor eini-gen Wochen ziemlich auf die Länder geschimpft. Esging um den Solidaritätszuschlag und darum, dass dieLänder wie immer nur unser Bestes wollen, nämlich un-ser Geld. Es ging darum, dass die Länder den Hals nichtvoll kriegen, und es geht darum, dass sie nicht bereitsind, ihren Beitrag zur Finanzierung dieses wichtigenProjektes zu leisten.
Mit der Haltung „Mir gäbet nix“ wird dieses Themablockiert, und zwar nicht durch die CSU – wie immerwieder der Anschein erweckt wird –, sondern durch dierot-grün regierten Länder.
Die wertvollste Kilowattstunde Energie ist die, dieerst gar nicht verbraucht wird. Die Senkung des Energie-verbrauchs bei Gebäuden ist ein ganz wichtiger Bausteinbei unserer Energiewende, die wir 2011 beschlossen ha-ben. Das wussten wir auch schon 2011. Deswegen habenwir in diesem Haus 2011 mit der christlich-liberalen Ko-alition ein Gesetz beschlossen, das die steuerliche Förde-rung von energetischen Sanierungsmaßnahmen vorsieht.Dieses Gesetz wird seit 2011, also seit vier Jahren, im-mer wieder vom rot-grün dominierten Bundesrat blo-ckiert, bis heute.
Das ist ganz besonders schade, weil die Argumenteder Länder damals wie heute nicht stichhaltig sind. Auchdamals ging es um Geld. Die Länder wollen zwar auchdie Energiewende, aber sie sind nicht bereit, den auf sieentfallenden Finanzierungsanteil zu leisten. Der Selbstfi-nanzierungseffekt dieser Maßnahmen wird immer wie-der vergessen.Die Förderung der energetischen Sanierung – wir ha-ben es schon einige Male gehört – löst ein Vielfaches dereingesetzten Summe an Investitionen aus. Allein der An-teil der Umsatzsteuer bei den Ländern aus den ausgelös-ten Investitionen würde die befürchteten Steuerminder-einnahmen mehr als ausgleichen.Die KfW hat bereits Förderprogramme aufgelegt. Vonder KfW wissen wir, dass die Fördermittel das 12- bis16-Fache an Investitionen auslösen. Mehr Investitionenbedeuten logischerweise mehr Steuereinnahmen.Jetzt haben wir 2015. Durch diese Blockade seit vierJahren, Frau Paus, haben wir wertvolle Zeit verschenkt.Aber schauen wir nach vorne. Schwamm drüber!Mit der Beteiligung der SPD an der Regierung habenwir die Situation, dass die meisten Länder durchaus be-reit sind, die steuerliche Förderung der energetischen Sa-nierung aufzugreifen.
Nur kosten darf es natürlich nichts bzw. nur den Bunddarf es etwas kosten. Der Bund allein soll die Zeche be-zahlen, oder – noch besser – die Steuerzahlerinnen undSteuerzahler werden an anderer Stelle zusätzlich belas-tet. Da wundert es mich dann schon, dass hier der Vor-schlag auf dem Tisch liegt, die Gegenfinanzierung übereine Kürzung beim Handwerkerbonus nach § 35 a EStGvorzunehmen. Die Absetzbarkeit von Handwerkerleis-tungen im privaten Bereich, meine Damen und Herren,ist das Steuersparmodell des kleinen Mannes.
Es ist trotz aller Kritik ein Erfolgsmodell; es hilft bei derBekämpfung von Schwarzarbeit.
Jetzt wissen wir, dass eine energetische Sanierung imprivaten Bereich schon mal ein paar Zehntausend Eurokosten kann; das ist bekannt. Das kann sich nicht jederleisten. Die Forderung, zwar diejenigen, die es sich leis-ten können, zu Recht zu entlasten, aber gleichzeitig denkleinen Mann über die Kürzung des Handwerkerbonus
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8806 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Olav Gutting
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zu belasten, kann nicht wirklich der Ernst der linkenSeite hier in diesem Hause sein.
Mit uns jedenfalls wird das nicht passieren. Wir werdennicht die Reichen entlasten und dafür die kleinen Leutebelasten. Das geht mit der CDU jedenfalls nicht.
Die Energiewende und die Erreichung der Klima-schutzziele dulden keinen weiteren Aufschub. Die Län-der müssen jetzt schleunigst ihre Blockade aufgeben. Sieschaden mit dieser Blockade der Energiewende. Sieschaden dem Handwerk; denn bereits heute ist ein Atten-tismus zu spüren: Die Leute warten auf eine Regelungund investieren so lange nicht. Sie schaden den Kommu-nen; denn mit der steuerlichen Förderung der energeti-schen Sanierung darf natürlich auch das Handwerk vorOrt eine spürbare Auftragsbelebung erwarten,
mit allen Konsequenzen: mehr Gewerbesteuereinnah-men, mehr Arbeitsplätze usw. Letztendlich schaden dieLänder vor allem sich selbst. Denn durch die steuerlicheFörderung gäbe es, wie gerade aufgezeigt, Anreize fürzusätzliche Investitionen; es wäre sogar mit Steuermehr-einnahmen zu rechnen.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Insofern fordere ich die Bundesregierung, aber auch
gerade Sie, die Vertreter von Parteien, die in den Län-
dern Regierungsverantwortung tragen, auf, mit den Län-
dern zu sprechen, damit sie ihren Anteil an der Finanzie-
rung dieser wichtigen Maßnahme erbringen.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Als Nächstes spricht Johann Saathoff,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Herr Kollege Gutting, herzlichen Dank fürIhre Sicht auf die Dinge und die rot-grüne Verantwor-tung in dieser Sache. Es sind jedenfalls aus meiner Sichtvom Deich – das muss ich ganz klar sagen – nicht dieLänder, die diese Regelung gerade verhindern,
sondern es ist ein Land, und es ist ein Ministerpräsident.Ich werde dazu noch ein bisschen mehr sagen. Deswe-gen entschuldige ich mich schon mal vorab bei allenBayern.Vom letzten Koalitionsausschuss ging ein – ichmöchte es mal diplomatisch formulieren – unglücklichesSignal aus, ein ungutes Signal im Hinblick auf die deut-schen Klimaschutzambitionen, aber auch ein Signal, dasdem deutschen Handwerk eher schadet als nützt. FrauBundeskanzlerin Merkel hat im vergangenen Jahr beimPetersberger Klimadialog gesagt, beim Klimaschutz seieine Kehrtwende nötig. Ich für meinen Teil habe das Ge-fühl, irgendjemand hat da etwas falsch verstanden.Gefühlt hat Herr Seehofer das Thema „energetischeGebäudesanierung“ schon abgeräumt, bevor Bund undLänder überhaupt ernsthaft über die Finanzierung spre-chen konnten. Der Kabinettsbeschluss vom Dezemberwar ja nicht viel mehr als eine Absichtserklärung. Eswäre doch überhaupt kein Problem gewesen, mit denLändern in einem Vermittlungsverfahren andere Lösun-gen für die Gegenfinanzierung zu finden als das Ab-schmelzen des Handwerkerbonus. Aber in einer Über-reaktion – aus meiner Sicht – hat Herr Seehofer gleichdie Notbremse gezogen, sozusagen auf freier Strecke.Und als er das erkannt hat, war dann auf einmal wiederalles anders: Der SPD-Fraktionsvorsitzende ThomasOppermann hatte plötzlich angeblich Herrn Seehoferfalsch verstanden. Bayern wird die kurz- oder mittelfris-tigen Steuerausfälle im Bereich der Gebäudesanierungeinfach tragen und auf die Mehreinnahmen warten – sosieht es ein Antrag vor, der gerade in dieser Woche inden Bundesrat eingebracht wurde.Die Situation der anderen Bundesländer wird dabeiaber nicht berücksichtigt. Wenn es der bayerische Minis-terpräsident ernst meint, dann wäre jetzt der beste Zeit-punkt für einen konstruktiven Vorschlag zur Gegen-finanzierung, auf den andere Bundesländer dringendangewiesen sind.
Denn der zeitliche Verzug bei den Mehreinnahmen vordrei Jahren war doch mehrheitlich dafür verantwortlich,dass sich die Länder nicht zur steuerlichen Absetzbarkeitvon Maßnahmen der energetischen Gebäudesanierungdurchringen konnten.Einige mögen es schön finden, dass Bayern wiederseinen Willen bekommen hat – nein, Entschuldigung,der dortige Ministerpräsident –,
aber die Energiewende ist ein deutschlandweites Projekt,bei dem alle an einem Strang ziehen und sich an gemein-same Absprachen halten müssen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8807
Johann Saathoff
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Solidarität heißt, auch an die anderen zu denken. Bay-ern scheint sich bei der Energiewende darauf zu verlas-sen, dass der Rest von Deutschland für den Zickzackkursder bayerischen Landesregierung mitbezahlt; ich sagenur: Zwei minus x.
„Ut anner Lü Leer is gaud Reemen schnieden“, sagt derOstfriese, wenn Verträge zulasten Dritter gemacht wer-den, und das ist hier der Fall. Kreative Alternativvor-schläge zur Gegenfinanzierung der steuerlichen Förde-rung der Gebäudesanierung haben wir mehr als genug.
Nachdem das jetzt raus ist, sollten wir gemeinsam denBlick nach vorne richten.
Jetzt muss die Frage im Mittelpunkt stehen, wie wir wei-ter vorgehen wollen, welches Signal an die Bevölkerungvon der heutigen Debatte ausgehen soll. Das Signal andie Menschen in unserem Sinne soll sein: Lassen Siesich nicht weiter verunsichern, sondern sanieren Sie wei-ter! – Dieses Signal hat auch Minister Sigmar Gabrielausgesandt.Ich möchte zunächst hervorheben, dass der Bundes-wirtschaftsminister äußerst pragmatisch mit der Sacheumgeht: die Aufstockung der Mittel für die KfW-Pro-gramme, mehr Geld für die Kommunen, die Weiterent-wicklung des Marktanreizprogrammes für den Wärme-markt. Von der Bundesregierung und speziell aus demBMWi kommt da unheimlich viel.Es scheint mir, dass wir heute klar betonen müssen,dass nur die steuerliche Förderung der energetischen Ge-bäudesanierung derzeit, sagen wir, in einer schwierigenPhase steckt, nicht jedoch die Förderung der energeti-schen Gebäudesanierung insgesamt.
Im Gegenteil: Im Rahmen des NAPE wurde der Anteilder Förderung noch einmal um 200 Millionen Euro auf-gestockt.Im kommunalen Sektor müssen wir darauf achten,dass die Gemeinderäte und Kreistage mit der finanziel-len Förderung nicht alleingelassen werden. Aus eigenerErfahrung als Bürgermeister kann ich sagen, dass einSchwerpunkt künftig auch in der Beratung der Kommu-nen zur energetischen Gebäudesanierung liegen sollte,damit gutgemeinte Entscheidungen für das Klima vonheute sich morgen nicht bitter rächen, was die Entsor-gung oder die Brandlasten der öffentlichen Gebäude an-geht.Eines ist doch allen klar: KfW-Programme kostennicht nur Steuergeld, sie sorgen auch für mehr Beschäfti-gung, mehr Steuereinnahmen und weniger Sozialkosten.Egal ob Investitionsschutz oder günstiges Darlehen oderTilgungszuschuss: Das Geld ist gut angelegt.Was wir jetzt gar nicht brauchen können, ist einePhase des Stillstands. Deshalb noch mein Appell: Sanie-ren Sie weiter – für unser Klima, für unsere Arbeits-plätze und für Ihre Kinder!Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Als Nächstes hat der Kollege
Hansjörg Durz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Alle hier im Haus vertretenen Fraktionen – das wird im-mer wieder deutlich – sind sich einig: Die steuerlicheFörderung der energetischen Gebäudesanierung musskommen, vor allem aus zwei Gründen: Erstens brauchenwir sie dringend, um unsere Klimaschutzziele zu errei-chen – übrigens auch die Länder brauchen sie, um ihreKlimaschutzziele zu erreichen –, und zweitens ist diesteuerliche Abschreibung ein hervorragendes Konjunk-turprogramm für das Handwerk und damit auch ausvolkswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu begrüßen. Ex-perten gehen von einem enormen Förderhebel aus. Essind verschiedene Zahlen genannt worden. Der nied-rigste Faktor war der Faktor 8, das heißt: Aus 1 EuroFörderung des Staates durch steuerliche Abschreibungerfolgen 8 Euro an Investitionen. Dies bringt Wachstumund Beschäftigung und wiederum mehr Steuereinnah-men.Nun wurde nach dem letzten Treffen des Koalitions-ausschusses berichtet, dass die Einigung über die steuer-liche Förderung an Bayern gescheitert sei. Es ist einLeichtes – das ist hier schon mehrfach angeklungen –,den Schwarzen Peter nach München zu schieben.
Aber schauen wir uns doch einmal die Fakten an. Tatsa-che ist: Die CSU steht zur steuerlichen Abschreibungund versucht seit Jahren, sie einzuführen. Bereits 2008hat der Freistaat Bayern einen entsprechenden Gesetz-entwurf in den Bundesrat eingebracht.
2011 haben CDU/CSU und FDP im Deutschen Bundes-tag einen Antrag, der dasselbe Ziel zum Inhalt hatte, ver-abschiedet, der dann über eineinhalb Jahre im Bundesratblockiert wurde und im Vermittlungsausschuss Anfang2013 endgültig gescheitert ist. Im Mai 2013 ist Bayerngemeinsam mit Sachsen einem Gesetzesantrag des Lan-des Hessen beigetreten, der ebenfalls das Ziel der steuer-lichen Förderung verwirklichen wollte, und schließlichhat die Bayerische Staatsregierung im Dezember 2014erneut eine eigene Entschließung in die Länderkammereingebracht, wieder mit demselben Ziel, wieder bis aufWeiteres vertagt. Da gab es mehrere Chancen, aus der
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8808 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Hansjörg Durz
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sogenannten Endlosschleife, wie das vorhin genanntwurde, herauszukommen. Diese Chancen wurden nichtgenutzt.
Zur Klarstellung: Der aktuelle Antrag wurde bishernicht abgelehnt, er ist vertagt; es besteht also immernoch die Chance auf Einigung. Und warum gab es bisherkeine Einigung?
Die Antwort lautet: wegen der Gegenfinanzierung. Wirwollen dafür nicht den Handwerkerbonus opfern.Im Übrigen – das kann man auch der Presse entneh-men –: Die Gegenfinanzierung über den Handwerker-bonus ist kein Vorschlag, der aus dem Handwerk kam.
Wir wollen auch nicht für die steuerliche Abschrei-bung den Handwerkerbonus drangeben; denn beides hatmiteinander nichts zu tun. Wir wollen nicht das eine ge-gen das andere ausspielen,
und dafür gibt es gute Gründe:Erstens. Von der energetischen Gebäudesanierungprofitieren Eigenheimbesitzer und einige Handwerker-gruppen. Vom Handwerkerbonus profitieren alle Steuer-zahler und werden alle Handwerkerleistungen gefördert.Ist also die Gegenfinanzierung über den Handwerkerbo-nus richtig?
Zweitens. Wir treten dafür ein, dass es keine steuerli-che Mehrbelastung geben darf. Eine Einschränkung desHandwerkerbonus wirkt aber – die Zahlen belegen dies –wie eine Steuererhöhung. Sie verwehren also nicht nureiner größeren Zahl von Bürgern eine steuerliche Be-günstigung, sondern durch eine Einschränkung desHandwerkerbonus nimmt der Staat nach Berechnungendes BMWi und des BMF wohl sogar mehr ein, als erdurch die staatliche Abschreibung an Begünstigungenweiterreicht. Ist das also die richtige Gegenfinanzie-rung?Drittens. Die geplante steuerliche Abschreibung aufenergetische Gebäudesanierung ist auf fünf Jahre ange-legt und wirkt ab Inanspruchnahme zehn Jahre, ist alsozeitlich befristet. Der Handwerkerbonus würde dagegensofort und unbefristet, also wohl dauerhaft eingeschränktwerden. Ist das die richtige Gegenfinanzierung?Vor allem aber – viertens –: Der Handwerkerbonuswurde eingeführt, um Schwarzarbeit zu bekämpfen, undhat sich bewährt, er hat erfolgreich dazu beigetragen, dieSchwarzarbeit in Deutschland einzudämmen.
Eine Verrechnung beider Instrumente geht also fehl, dabeide völlig unterschiedliche, aber jedes für sich höchstsinnvolle Ziele verfolgen. Noch einmal: Ist das die rich-tige Gegenfinanzierung?Grundsätzlich stellt sich die Frage: Braucht es dennüberhaupt eine Gegenfinanzierung?
– Ingbert Liebing
: Sehr gute Frage!)
Von allen Seiten wird betont, welch konjunkturelle Ef-fekte die steuerliche Förderung hat: Sie löst enorme In-vestitionen aus, führt zu Wachstum und wieder zu Steu-ermehreinnahmen.
Es rechnet sich also für Bund und Länder – wenn auchzeitversetzt – auch ohne Einschränkung des Handwer-kerbonus. Also: Braucht es denn wirklich eine Gegenfi-nanzierung?Der Antrag liegt im Bundesrat immer noch auf demTisch, und gerade für die Länder, die entsprechend ver-schuldet sind, wäre das ein hervorragendes Programm,um private Investitionen auszulösen. Die steuerliche Ab-schreibung auf energetische Gebäudesanierung ist nichtgescheitert; aber alle Beteiligten müssen schnellstens aneinen Tisch und eine sachgerechte Lösung finden.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt
Klaus Mindrup das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wenn man die Debatte hier so verfolgt, hatman den Eindruck, dass es nur einen Königsweg zumKlimaschutz gibt, nämlich Steuerboni. Dem möchte ichan dieser Stelle energisch widersprechen. SteuerlicheEntlastungen sind wichtig für einige Zielgruppen, abernicht für alle. Ich bin selbst seit über zwölf Jahren Auf-sichtsrat einer Graswurzelgenossenschaft im PrenzlauerBerg. Wir haben unsere 450 Wohnungen saniert und da-bei durch intelligentes Vorgehen 70 Prozent des CO2-Ausstoßes eingespart. Wir hatten zweimal die Chance,steuerliche Sonderabschreibungen zu nutzen, die esheute schon gibt, erstens weil unsere Genossenschaft imSanierungsgebiet liegt und zweitens weil unsere Be-stände denkmalgeschützt sind. Beide steuerlichen Mög-lichkeiten haben wir nicht genutzt, weil es für uns keinenSinn machte: Wir können keine Gewinne mit Verlustenverrechnen. Es gibt viele Hauseigentümer, die das nichtkönnen, seien es Genossenschaften, kommunale Gesell-schaften oder auch Einzeleigentümer. Diese müssen mit
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8809
Klaus Mindrup
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dem letzten Cent rechnen; und für sie ist es viel wichti-ger, dass es Zuschüsse wie die Tilgungszuschüsse vonder KfW gibt, die jetzt geplant sind. Auch wichtig sindDarlehen mit einer langen Laufzeit und mit einer sehrhohen Verlässlichkeit.Wir als SPD wollen auf dem Weg zum Klimaschutzalle mitnehmen: Rentnerinnen und Rentner mit einemkleinen Haus darf man genauso wenig überfordern wieMieterinnen und Mieter. Wohnen muss bezahlbar blei-ben.
Man kann die Sanierungsrate durchaus auch unter denheutigen Rahmenbedingungen steigern. Das zeigt dasBeispiel der InnovationCity Bottrop, die nach ihren eige-nen Zahlen bei 8 Prozent ist. Da geht es um Beratungund darum, dass man die Maßnahmen zielgerichtet zu-schneidet und auch auf Wirtschaftlichkeit achtet. Ichsehe es als relativ großes Problem, dass bei der energeti-schen Gebäudesanierung die Wirtschaftlichkeit oftmalsnicht betrachtet wird. Es werden Maßnahmen, die nichtunbedingt sinnvoll sind, durchgeführt, weil die Kostendafür auf die Mieterinnen und Mieter umgelegt werdenkönnen, weil also ein Dritter zahlt. An dieser Stelle ist eswichtig, genau hinzuschauen und vor allen Dingen dieBeratungskompetenzen zu stärken.Denn ohne Akzeptanz wird die Energiewende nichtgelingen. Diese Akzeptanz wird von unten gewonnen: inder Nachbarschaft, im Dorf, im Quartier. Deswegen istes auch richtig, dass die Bundesregierung verstärktQuartierslösungen unterstützen will, wie sie bei meinerGenossenschaft schon vor 14 Jahren realisiert wurden.Wir haben unsere Mieterinnen und Mieter, unsere Nutzerintensiv beraten; denn ein richtiges Nutzerverhalten istdas Wichtigste bei der Energiewende. Energieberatersind mindestens so wichtig wie Steuerberater. Eine sinn-volle Dämmung, Optimierung der Heizungen, Einsatzvon Solarenergie und Kraft-Wärme-Kopplung sind hierdie wichtigsten Stichworte. Auch genossenschaftlicheLösungen bieten sich an, weil sie nämlich langfristigwirtschaftlich sind und die Menschen vor Ort mitneh-men.Wir müssen dabei die oft getrennten Bereiche Strom,Wärme und Transport miteinander verknüpfen, statt al-les isoliert zu sehen. Das Internet ist dabei sehr wichtig.Industrie 4.0 muss auch im Quartier stattfinden.
Wichtig ist auch, dass die Bundesregierung jetztschnell die gesetzlichen Grundlagen für die Vermarktungvon Grünstrom schafft – wir haben als Bundestag dafüreine Verordnungsermächtigung in das EEG aufgenom-men –: Das ist Umweltschutz vor Ort, das ist Wertschöp-fung vor Ort, und das macht Sinn, vor allen Dingendann, wenn man vor Ort auch die Stadtwerke einbindet,wie das in Nürnberg der Fall ist.Allerdings ist die Energiewende ein Gemeinschafts-werk. Sie kann nur dann gelingen, wenn die 16 Bundes-länder und der Bund gemeinsam in eine Richtung gehen.Wenn das jetzt der erste Fall gewesen wäre, in dem einBundesland etwas aus der Reihe tritt, dann könnte manvielleicht darüber hinwegsehen. Aber das war ja schonmehrfach der Fall. Wir hatten die Debatte um die Atom-energie, die aus einem bestimmten Bundesland kam,dann wurde der Ausbau der Windenergie in einem be-stimmten Bundesland eingeschränkt, dann gab es dieDebatte um die Stromtrassen, und nun gibt es das Rein-grätschen bei der steuerlichen Gebäudesanierung. Hatdas Methode?
Dabei ist es so – das kann man an der Windenergie se-hen –, dass es in diesem Bundesland, dessen Namen ichjetzt nicht nenne, durchaus eine hohe Akzeptanz für dieEnergiewende gibt. In Bayern sind im letzten Jahr 20-malso viele Windräder gebaut worden wie in Baden-Würt-temberg. Es sollten sich die Grünen einmal genau an-schauen, woran das liegt.
Insofern gibt es noch Hoffnung. Ich würde michfreuen, wenn wir hier alle wieder an einem Strang ziehenwürden, gemeinsam in Richtung energetischer Gebäude-sanierung. Wenn Blockaden aufgehoben werden, wenndie Energie, die diese Debatten kosten, in eine andereRichtung gelenkt wird, dann kommen wir alle voran,und dann wird die Energiewende auch gelingen.In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein schönes Wo-chenende und eine gute sitzungsfreie Woche. Auf Wie-dersehen!
Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt der Kollege Jan Metzler.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Verlauf derDebatte hat gezeigt, dass – da sind wir uns alle, denkeich, einig – Energieeffizienz ein wichtiger Bestandteilder Energiewende ist. Was wir nicht verbrauchen, dasmüssen wir auch nicht erzeugen, ganz einfach. Unbe-stritten ist also, dass Energieeffizienz der Schlüssel zueiner nachhaltigen Energiepolitik ist. Ohne Einsparun-gen wird die Energiewende nicht zu schaffen sein; dasind wir uns alle einig, und das wurde jetzt auch mehr-fach betont.
Metadaten/Kopzeile:
8810 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Jan Metzler
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Deutschland hat in den letzten Jahren viel auf denWeg gebracht. Wir sind Vorreiter, sowohl im europäi-schen als auch im internationalen Vergleich. Vor allemenergetische Gebäudesanierungen bzw. energetischesBauen sind hier wichtige Hebel, die einen entscheiden-den Beitrag leisten. In diesem Bereich gehört Deutsch-land laut der Internationalen Energie-Agentur zur inter-nationalen Spitzengruppe. Seit 2006 hat das CO2-Gebäudesanierungsprogramm Investitionen von über187 Milliarden Euro in diesem Bereich angestoßen; auchdas muss man hier einmal betonen. Mehr als 3,8 Millio-nen Wohnungen wurden saniert oder besonders energie-effizient neu gebaut. Auch mehr als 2 000 kommunaleoder soziale Einrichtungen haben davon profitiert.
Ich denke, das ist eine Bilanz, auf die wir ein Stück weitstolz sein können.
Dabei haben sich Förderprogramme in Form von Zu-schüssen oder Krediten grundsätzlich bewährt, dochkönnten die Antragsverfahren schlanker und verständli-cher gestaltet sein; auch das möchte ich betonen undnicht vergessen. Aber mit diesen Programmen erreichenwir eben nicht jeden; auch das ist mehrfach betont wor-den. Deshalb ist die Anzahl der geförderten Immobilienrückläufig. Man bedenke: Über 80 Prozent des Gebäude-bestandes in Deutschland sind in privater Hand. Dieenergetische Sanierung eines Einfamilienhauses kostetim Schnitt 60 000 bis 75 000 Euro. Förderungen durchZuschüsse oder Kredite sind also lange nicht für alleZielgruppen interessant. Ich denke, diesbezüglich be-steht ein allgemeiner Konsens; auch das ist heute schonmehrfach betont worden.Welchen Schluss ziehen wir also daraus? Wenn wirmehr erreichen wollen, brauchen wir ein breiteres Ange-bot, also Anreize, die schneller wirken. Eine steuerlicheFörderung ist ganz sicher eines der interessantesten In-strumente; das möchte ich bilanzieren. Gerade für dieprivaten Haus- und Wohnungseigentümer ist die steuer-liche Förderung eine weitere Option. Steuerentlastungensind generell wirksam. Sie sind eine echte Alternativefür Menschen, die keinen Kredit aufnehmen wollen odervor komplizierten Antragsverfahren zurückscheuen. Au-ßerdem können durch steuerliche Entlastungen auchEinzelmaßnahmen, wie zum Beispiel eine neue Hei-zungsanlage, gefördert werden.Das Thema ist nicht ganz neu. Die steuerliche Förde-rung wurde schon im Rahmen des Gesetzespakets zurEnergiewende im Jahr 2011 von uns auf den Weg ge-bracht, scheiterte aber damals im Bundesrat. Der Kol-lege Durz hat die Chronologie dieses Vorhabens darge-legt. Ich möchte hier betonen, dass es also schon einmalgehakt hat. Insofern müssen wir uns bewegen, weil es imBundesrat schon einmal eine entsprechende Blockade-haltung gab. Um trotzdem weiterzukommen, hatte dieBundesregierung damals ein Zuschussprogramm in Höhevon 300 Millionen Euro jährlich für die Jahre 2013 bis2020 aufgelegt.Von Bauaufträgen für energetische Sanierungen profi-tieren vor allem örtliche Handwerksbetriebe. Geradediese Klein- und Kleinstunternehmen sind im ländlichenRaum wichtige Arbeitgeber. Sie genießen – das konnteman auch heute wieder bilanzieren und feststellen – un-ser aller Wohlwollen und unser aller Unterstützung.Allein im Jahr 2013 wurden durch energetische Sanie-rungen rund 440 000 Arbeitsplätze gesichert bzw. ge-schaffen. Die steuerliche Förderung der energetischenGebäudesanierung ist also ein entscheidendes Puzzle-stück für das Gelingen der Energiewende. Das war 2011so, und das ist auch im Jahr 2015 so. Dieser Verantwor-tung stellen wir uns. Da lässt sich die Union auch nichtauseinanderdividieren, was ja hier von dem einen oderanderen behauptet bzw. versucht wurde. Dazu stehenwir. Das haben wir 2011 getan, und das tun wir auch imJahr 2015.
Wir alle sind uns einig, dass das steuerliche Förder-modell eine sinnvolle Sache ist. Die Rahmenbedingun-gen wurden schon im Nationalen Aktionsplan Energie-effizienz konkret beschrieben und im Dezember 2014 imKabinett beschlossen. Nun müssen sich also Bund undLänder in zwei Fragen einig werden. Erstens: Wie wirddie steuerliche Förderung im Detail ausgestaltet? Zwei-tens, ob und wie sie gegenfinanziert wird. Ich appellierean alle, sich konstruktiv zu beteiligen; denn die Energie-wende ist eine wichtige gesamtgesellschaftliche Auf-gabe.
Wir werden unseren Beitrag leisten.Da ich der letzte Redner bin, ist es mir eine Freude,Ihnen allen ein schönes Wochenende zu wünschen.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Wir sind gleichzeitig am Schluss der heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 18. März 2015, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
Auch ich wünsche Ihnen ein nicht zu arbeitsreiches
Wochenende.