Plenarprotokoll 18/92
Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht
92. Sitzung
Berlin, Freitag, den 6. März 2015
I n h a l t :
Tagesordnungspunkt 19:
a) – Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes für die gleichbe-
rechtigte Teilhabe von Frauen und
Männern an Führungspositionen in
der Privatwirtschaft und im öffentli-
chen Dienst
Drucksachen 18/3784, 18/4053, 18/4227 8739 A
– Bericht des Haushaltsausschusses ge-
mäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/4228 . . . . . . . . . . . . . . 8739 B
b) Zweite und dritte Beratung des von den Ab-
geordneten Ulle Schauws, Renate Künast,
Katja Dörner, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
geschlechtergerechten Besetzung von
Aufsichtsräten, Gremien und Führungs-
ebenen (Führungskräftegesetz)
Drucksachen 18/1878, 18/4227 . . . . . . . . 8739 B
c) Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend
– zu der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung: Zweiter Erfahrungsbericht
der Bundesregierung zum Bundes-
gleichstellungsgesetz – (Berichtszeit-
raum 1. Juli 2004 bis 30. Juni 2009)
– zu der Unterrichtung durch die Bun-
desregierung: Fünfter Gremien-
bericht der Bundesregierung zum
Bundesgremienbesetzungsgesetz –
(Berichtszeitraum 30. Juni 2005 bis
30. Juni 2009)
Drucksachen 17/4307, 17/4308 (neu),
18/4227 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8739 B
Manuela Schwesig, Bundesministerin
BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8739 D
Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 8741 B
Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . 8743 A
Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8744 C
Birgit Kömpel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8746 B
Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . 8747 C
Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . 8748 B
Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8750 A
Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8751 B
Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . . 8752 B
Heiko Maas, Bundesminister
BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8754 A
Gudrun Zollner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 8755 A
Renate Künast (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8756 B
Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8757 A
Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 8757 C
Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 8758 C
Christina Jantz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8760 B
Tagesordnungspunkt 20:
Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff,
Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN: Sofortmaßnahmen für die Agrar-
wende – Für eine bäuerlich-ökologische
Landwirtschaft und gutes Essen
Drucksache 18/4191 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8762 B
Inhaltsverzeichnis
II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8762 C
Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . 8763 C
Ingrid Pahlmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 8764 B
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . 8766 A
Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . 8767 A
Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU) . . 8768 C
Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 8770 C
Rita Hagl-Kehl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8771 B
Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8772 B
Rita Stockhofe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 8773 A
Harald Ebner (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8774 D
Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8775 B
Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 8776 C
Tagesordnungspunkt 21:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Neubestimmung des Bleiberechts und der
Aufenthaltsbeendigung
Drucksachen 18/4097, 18/4199 . . . . . . . . . . . 8778 A
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8778 A
Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 8779 D
Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8780 D
Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8782 D
Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 8784 A
Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8785 C
Tagesordnungspunkt 22:
a) Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig,
Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE:
Gewährleistung des Schienenpersonen-
fernverkehrs
Drucksache 18/4186 . . . . . . . . . . . . . . . . . 8786 A
b) Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig,
Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE:
Mehrwertsteuerreduktion im Schienen-
personenfernverkehr
Drucksache 18/3746 . . . . . . . . . . . . . . . . . 8786 B
c) Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeord-
neten Sabine Leidig, Herbert Behrens,
Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE: Rückzug der
Deutschen Bahn AG bei Nacht- und
Autoreisezügen stoppen – Nachhaltige
Reisekultur in Europa fördern
Drucksachen 18/2494, 18/4080 . . . . . . . . 8786 B
Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 8786 C
Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . . . 8787 D
Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 8788 B
Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 8789 C
Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8789 D
Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 8790 D
Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 8791 B
Fritz Güntzler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 8792 A
Andreas Schwarz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 8793 C
Michael Donth (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 8794 C
Zusatztagesordnungspunkt 4:
Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Perspektiven
für Klimaschutz und Energieeffizienz nach
Absage der Bundesregierung an einen
Steuerbonus für eine energetische Gebäu-
desanierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8795 D
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8796 A
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 8797 A
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . 8798 B
Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8799 C
Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 8800 D
Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 8802 A
Dr. Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8803 A
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8804 A
Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 8805 B
Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8806 B
Hansjörg Durz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 8807 C
Klaus Mindrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8808 D
Jan Metzler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 8809 D
Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8810 D
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 8811 A
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 III
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Dr. Petra Sitte und Kathrin Vogler (beide DIE
LINKE) zu den Abstimmungen über den von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes für die gleichberechtigte Teil-
habe von Frauen und Männern an Führungs-
positionen in der Privatwirtschaft und im öf-
fentlichen Dienst (Tagesordnungspunkt 19 a) 8812 A
Anlage 3
Erklärungen nach § 31 GO zu den Abstim-
mungen über den von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes für die
gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und
Männern an Führungspositionen in der Privat-
wirtschaft und im öffentlichen Dienst (Tages-
ordnungspunkt 19 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8812 D
Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 8812 D
Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8812 D
Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden)
(CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8813 B
Anlage 4
Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8813 B
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8739
(A) (C)
(D)(B)
92. Sitzung
Berlin, Freitag, den 6. März 2015
Beginn: 9.00 Uhr
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8811
(A) (C)
(B)
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
(D)
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Beck (Bremen),
Marieluise
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
06.03.2015
Binder, Karin DIE LINKE 06.03.2015
Bluhm, Heidrun DIE LINKE 06.03.2015
Dr. Brandl, Reinhard CDU/CSU 06.03.2015
Dağdelen, Sevim DIE LINKE 06.03.2015
Dinges-Dierig,
Alexandra
CDU/CSU 06.03.2015
Drobinski-Weiß, Elvira SPD 06.03.2015
Gohlke, Nicole DIE LINKE 06.03.2015
Gottschalck, Ulrike SPD 06.03.2015
Gröhe, Hermann CDU/CSU 06.03.2015
Grötsch, Uli SPD 06.03.2015
Dr. Gundelach, Herlind CDU/CSU 06.03.2015
Hartmann
(Wackernheim),
Michael
SPD 06.03.2015
Heil, Mechthild CDU/CSU 06.03.2015
Held, Marcus SPD 06.03.2015
Dr. Hendricks, Barbara SPD 06.03.2015
Hiller-Ohm, Gabriele SPD 06.03.2015
Klare, Arno SPD 06.03.2015
Klein-Schmeink, Maria BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
06.03.2015
Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
06.03.2015
Dr. Malecha-Nissen,
Birgit
SPD 06.03.2015
Mißfelder, Philipp CDU/CSU 06.03.2015
Möhring, Cornelia DIE LINKE 06.03.2015
Müller (Potsdam),
Norbert
DIE LINKE 06.03.2015
Müller (Erlangen),
Stefan
CDU/CSU 06.03.2015
Obermeier, Julia CDU/CSU 06.03.2015
Petry, Christian SPD 06.03.2015
Poschmann, Sabine SPD 06.03.2015
Roth (Augsburg),
Claudia
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
06.03.2015
Dr. Röttgen, Norbert CDU/CSU 06.03.2015
Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
06.03.2015
Scheuer, Andreas CDU/CSU 06.03.2015
Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
06.03.2015
Schimke, Jana CDU/CSU 06.03.2015
Schummer, Uwe CDU/CSU 06.03.2015
Spinrath, Norbert SPD 06.03.2015
Steinbach, Erika CDU/CSU 06.03.2015
Dr. Steinmeier, Frank-
Walter
SPD 06.03.2015
Tank, Azize DIE LINKE 06.03.2015
Terpe, Dr. Harald BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
06.03.2015
Thönnes, Franz SPD 06.03.2015
Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 06.03.2015
Weinberg, Harald DIE LINKE 06.03.2015
Weiss (Wesel I), Sabine CDU/CSU 06.03.2015
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Anlagen
8812 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
(A) (C)
(D)(B)
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Petra Sitte und Kathrin
Vogler (beide DIE LINKE) zu den Abstimmun-
gen über den von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurf eines Gesetzes für die gleich-
berechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an
Führungspositionen in der Privatwirtschaft und
im öffentlichen Dienst (Tagesordnungspunkt 19 a)
Wir haben bei den getrennten Abstimmungen zu Arti-
kel 1 (Bundesgremienbesetzungsgesetz – BGremBG)
und Artikel 2 (Bundesgleichstellungsgesetz – BGleiG)
abgelehnt, während wir den Regelungen für die Privat-
wirtschaft zugestimmt haben. Bei der Abstimmung über
den gesamten Gesetzentwurf der Bundesregierung haben
wir uns enthalten.
Unser Abstimmungsverhalten beruht auf folgenden
Erwägungen:
Der Ausgangspunkt von Gleichstellungspolitik ist es,
bestehende Benachteiligungen zu beseitigen – so steht es
in Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes. Es ist hingegen
nicht ihre Aufgabe alle und alles gleich zu behandeln.
Aus der strukturellen Diskriminierung von Frauen in der
Arbeitswelt ergibt sich daher der staatliche Auftrag der
Frauenförderung, nicht zuletzt in den eigenen Struktu-
ren. Obwohl es an einer konsequenten Umsetzung des
BGremBG und des BGleiG mangelt, sind darin wichtige
Regelungen für die Frauenförderung enthalten. Diese
müssten geschärft und durchgesetzt werden. So müsste
etwa der gängigen Unterwanderung des § 8 BGleiG
– der die bevorzugte Berücksichtigung weiblicher Be-
werberinnen bei gleicher Eignung vorsieht – ein Riegel
vorgeschoben werden. In der Verwaltungspraxis werden
die Vergleichskriterien so stark ausdifferenziert, bis
schließlich ein Qualitätsrückstand – meistens der Frau –
festgestellt werden kann. Darauf hat auch der ehemalige
Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor
Papier, aufmerksam gemacht.
Statt hier nachzubessern, fällt der vorliegende Ent-
wurf einer Neugestaltung dieser beiden Gesetze in zen-
tralen Punkten hinter den erreichten Stand zurück: Im
BGremBG wird die derzeitige Regel der paritätischen
Nominierung zu einer 30-Prozent-Quote. Nach heftiger
Kritik durch fast alle Sachverständigen an der geplanten
verfassungswidrigen Männerförderung durch das neue
BGleiG haben die Koalitionsfraktionen diese nicht ge-
strichen, sondern unter den Vorbehalt der „strukturellen
Diskriminierung“ gestellt. Ein solches Vorhaltegesetz für
bis dato unbekannte gesellschaftliche Entwicklungen ist
mehr als absurd und zeigt, dass die Große Koalition sich
nicht zur Gleichstellung von Frauen mit Männern be-
kennt. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Ver-
hältnisse ist dieser Perspektivwechsel nicht zu begrün-
den, wird aber in der Praxis zu zahlreichen Problemen
führen.
Des Weiteren wird für das Votum von Gleichstel-
lungsbeauftragten eine Frist eingeführt, ohne jedoch ihre
Ausstattung mit Personal- und Sachmitteln zu verbes-
sern. Angesichts der ohnehin hohen Belastung von
Gleichstellungsbeauftragten – manche sind für bis zu
150 Dienststellen in bis zu fünf Bundesländern zuständig –
behindert das faktisch ihre Arbeit. Es ist daher nicht
überraschend, aber auch nicht zu rechtfertigen, dass eine
Begründung dieser Neuregelung durch die Praxis bisher
ausblieb.
Die Regelungen für die Privatwirtschaft sind hinge-
gen ein – wenn auch kleiner – Schritt in die richtige
Richtung. Gegenüber den nutzlosen freiwilligen Selbst-
verpflichtungen der Vergangenheit wird nun für börsen-
notierte oder mitbestimmungspflichtige Unternehmen
eine Frauenquote von 30 Prozent gelten. Sicher ist, dass
das aber noch nicht das Ende sein kann: Die Linke for-
dert eine Frauenquote von 50 Prozent für die Aufsichts-
räte wie für Vorstände aller Unternehmen – und nicht nur
der 108 im jetzigen Geltungsbereich.
Der Einführung der Frauenquote in der Wirtschaft ha-
ben wir daher zugestimmt, werden uns aber nicht damit
zufrieden geben.
Die Praxis hat gezeigt: Verbindliche Frauenquoten
sind notwendig, um der Benachteiligung von Frauen ent-
gegenzuwirken. Die Anwendung auf nur 108 Unterneh-
men in der Privatwirtschaft wiegt die Verschlechterun-
gen im öffentlichen Dienst allerdings nicht auf. Bei der
Abstimmung über das Gesamtpaket haben wir uns daher
enthalten.
Anlage 3
Erklärungen nach § 31 GO
zu den Abstimmungen über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Ge-
setzes für die gleichberechtigte Teilhabe von
Frauen und Männern an Führungspositionen in
der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst
(Tagesordnungspunkt 19 a)
Thomas Bareiß (CDU/CSU): Ich lehne die Einfüh-
rung einer gesetzlichen starren Frauenquote ab. Sie ver-
letzt die unternehmerische Freiheit und unterläuft somit
ein Grundprinzip der sozialen Marktwirtschaft.
Die Frauenquote nimmt Menschen in Haftung für ihr
Geschlecht. Dieser staatliche Eingriff vermindert Chan-
cen des Einzelnen und bringt neue Ungerechtigkeiten
hervor, nur weil andere Angehörige seines Geschlechts
tatsächlich oder vermeintlich Vorteile genossen haben.
Das ist weder mit meinem Verständnis zur Rolle des
Staates in unserer Gesellschaft und Wirtschaft noch mit
meinem Menschenbild vereinbar.
Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
werde heute dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bun-
desregierung „Entwurf eines Gesetzes für die gleichbe-
rechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Füh-
rungskräften in der Privatwirtschaft und im öffentlichen
Dienst und der Ergänzung: Artikel 3 bis 23 zustimmen.
Mit der Berliner Erklärung habe ich mit zivilgesell-
schaftlichen Gruppen und mit Frauen aus allen Fraktio-
nen im Bundestag ein Bündnis für die Frauenquote ge-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015 8813
(A) (C)
(D)(B)
schmiedet. Für mich ist es ein Teil meiner politischen
Glaubwürdigkeit, heute mit meiner Stimme zu diesem
Bündnis zu stehen.
Politisch habe ich seit jeher für eine Frauenquote ge-
kämpft. Jetzt serviert die Koalition zwar nur ein „Quöt-
chen“, dennoch werde ich zustimmen. Wie vielen ande-
ren geht auch mir das Gesetz nicht weit genug. Meine
Fraktion hat einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht,
der zeigt, wie es deutlich besser gehen würde. Aber so-
fern die Richtung stimmt, helfen auch kleine Schritte auf
dem Weg in eine geschlechtergerechte Arbeitswelt, in
der nicht mehr nur Männerrunden Entscheidungen tref-
fen. Frauen in Führungspositionen können dann nicht
nur mitreden, sondern auch nach und nach die Arbeits-
welt den Bedürfnissen der Frauen – ihren Bedürfnissen –
anpassen. Und ein Kulturwandel, der dazu führt, dass
Frauen auch nach vorne streben, weil sie kompetent
sind, weil es flexible Kinderbetreuung gibt, weil nicht
mehr nur Schein, sondern Sein belohnt wird, weil es
möglich ist, Karriere zu machen und dabei auch noch ein
Privateben existiert, ein solcher Kulturwandel ist bitter
nötig. Und er lohnt sich: Geschlechtergerechtigkeit
schreibt schwarze Zahlen, denn heterogene Teams arbei-
ten erfolgreicher. Die Wirtschaft, die sich immer noch
gegen eine Quote sträubt, wird bald erkennen, dass mehr
Frauen in verantwortlichen Positionen klare Vorteile
bringen.
Ein Grundstein wird heute gelegt, der uns anspornen
wird, noch mehr für Frauenförderung zu kämpfen, bis
sich die Arbeitswelt auch an die Frauen angepasst hat
und sich in ihr beide Geschlechter gleichermaßen zu-
rechtfinden. Deshalb ist auch dieser kleine Schritt einer
in die richtige Richtung.
Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) (CDU/CSU):
Ich lehne die Einführung einer gesetzlichen starren Frau-
enquote ab. Zum einen stellt sie einen empfindlichen
Eingriff in die unternehmerische Freiheit dar. Zum ande-
ren gilt, was gegen die kurzzeitig geplante sogenannte
„Männerquote“ vorgebracht wurde, auch in Hinblick auf
Frauen in Führungspositionen: Aus einer Unterrepräsen-
tanz lässt sich nicht zwangsläufig auf eine Diskriminie-
rung schließen.
Vor allem aber nimmt die Frauenquote Menschen in
Haftung für ihr Geschlecht. Sie maßt sich an, durch ei-
nen staatlichen Eingriff die Chancen eines Individuums
zu vermindern, weil andere Angehörige seines Ge-
schlechts tatsächlich oder vermeintlich Vorteile genos-
sen haben. Diese kollektivistische Logik der Frauen-
quote führt zu individueller Ungerechtigkeit und ist
daher weder mit meinem Menschenbild noch mit mei-
nem Staatsverständnis vereinbar.
Anlage 4
Amtliche Mitteilungen
Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie
gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von
einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen
absehen:
Haushaltsausschuss
– Unterrichtung durch die Delegation des Deutschen Bundes-
tages in der Interparlamentarischen Konferenz gemäß Arti-
kel 13 des Vertrags über Stabilität, Koordinierung und
Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Fiskal-
vertrag)
Tagung der Interparlamentarischen Konferenz für die
wirtschaftliche und finanzielle Steuerung der Europäi-
schen Union vom 29. bis 30. September 2014 in Rom,
Italien
Drucksachen 18/3783, 18/3890 Nr. 6
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Erster Fortschrittsbericht Energiewende
Drucksachen 18/3487, 18/3617 Nr. 5
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Koordinierungsrahmen der Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ ab
1. Juli 2014
Drucksache 18/2200
– Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahreswirtschaftsbericht 2015 der Bundesregierung
Drucksache 18/3840
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Rechenschaftsbericht 2013 zur Umsetzung der Nationa-
len Strategie zur biologischen Vielfalt
Drucksachen 17/13390, 18/770 Nr. 28
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
– Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56a GO-BT
Technikfolgenabschätzung (TA)
Fernerkundung: Anwendungspotenziale in Afrika
Drucksache 18/581
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unions-
dokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Be-
ratung abgesehen hat.
Auswärtiger Ausschuss
Drucksache 18/3898 Nr. A.6
EP P8_TA-PROV(2014)0103
Drucksache 18/3898 Nr. A.8
Ratsdokument 15164/14
Innenausschuss
Drucksache 18/1524 Nr. A.3
Ratsdokument 9212/14
Drucksache 18/2533 Nr. A.20
Ratsdokument 12013/14
Drucksache 18/3362 Nr. A.1
Ratsdokument 14639/14
Drucksache 18/3898 Nr. A.10
EP P8_TA-PROV(2014)0105
8814 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. März 2015
(A) (C)
(B)
Haushaltsausschuss
Drucksache 18/3898 Nr. A.12
Ratsdokument 5093/15
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Drucksache 18/822 Nr. A.23
Ratsdokument 6651/14
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Drucksache 18/3898 Nr. A.14
Ratsdokument 17022/14
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Drucksache 18/3765 Nr. A.8
EP P8_TA-PROV(2014)0060
(D)
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92. Sitzung
Inhaltsverzeichnis
TOP 19 Gleichberechtigte Teilhabe an Führungspositionen
TOP 20 Agrarwende
TOP 21 Bleiberecht und Aufenthaltsbeendigung
TOP 22 Schienenpersonenfernverkehr
ZP 4 Aktuelle Stunde Klimaschutz und Energieeffizienz
Anlagen