Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 a und b auf:
a) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission
„Internet und digitale Gesellschaft“
Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kom-
mission „Internet und digitale Gesellschaft“
Medienkompetenz
– Drucksache 17/7286 –
b) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission
„Internet und digitale Gesellschaft“
Zwischenbericht der Enquete-Kommission
„Internet und digitale Gesellschaft“
– Drucksache 17/5625 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Dazu stelle
ich Einvernehmen fest. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Kollegen Jens Koeppen für die CDU/CSU-
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Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Während wir hier zur besten Kernzeit im DeutschenBundestag über die Enquete-Kommission „Internet unddigitale Gesellschaft“ beraten und die Zwischenberichtepräsentieren, läuft wahrscheinlich zeitgleich auf Twitterdie Auswertung der Debatte; sie wird dort kommentiertund analysiert. Kaum jemand kann und will heute nochauf die Abendnachrichten um 20 Uhr warten; dennwahrscheinlich ist das der kalte abgestandene Kaffeevom Morgen, bestenfalls eine nette Zusammenfassungdes Tagesgeschehens, aber es hat nicht mehr sehr vielmit News zu tun.
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18318 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012
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Das sollten wir gerade in dieser Enquete-Kommissionbeachten.
Meine Damen und Herren, für mich und für meineArbeitsgruppe sind fünf Grundthesen ganz entscheidend.Diese möchte ich Ihnen in aller Kürze vortragen.Erstens. Das Internet ist ein Kulturbruch. In diesemKulturbruch liegt das große Potenzial. Das Netz erwei-tert die Anzahl der Orte, an denen sich Menschen begeg-nen. Raum und Zeit sind nahezu bedeutungslos gewor-den. Soziale Netzwerke führen Menschen zusammen.Neue Marktplätze entstehen. Neue Möglichkeiten zurEntfaltung der Persönlichkeit eröffnen sich. Im Netz fin-det Information praktisch auf Abruf statt. Es herrschteine Kultur der sofortigen Verfügbarkeit mit einer enor-men Reichweite. Nur wer diese Netzkultur versteht, derkann ermessen, was es bedeutet, wenn man Menschenden Zugang zum Netz verwehrt. Das müssen wir unbe-dingt verhindern.Freiheit braucht aber auch Sicherheit. Das Verhältniszwischen der Freiheit im Netz und dem Bedürfnis derBürgerinnen und Bürger nach Sicherheit muss ausgewo-gen und besonnen ausgestaltet sein. Natürlich – ich wie-derhole mich da –: Jede funktionierende Gesellschaftbraucht ihre Leitplanken. Aber gerade hier müssen diesebesonnen und mit Augenmaß gesetzt werden.Der zweite Punkt. Der gefühlte Klassenkampf zwi-schen digitaler Welt und analoger Welt muss aufhören.Es gibt die virtuelle Welt nicht, auch wenn wir immernoch das Gefühl haben, dass es ein Leben im Netz undein Leben außerhalb des Netzes gibt. Wir müssen dieanaloge Welt mitnehmen; das ist eine große Aufgabe.Das Netz gehört niemandem, weder irgendwelchenNerds noch den selbsternannten Angehörigen der Com-munity. Es gehört auch nicht irgendeiner digitalen Eliteund schon gar nicht einer bestimmten Partei oder Orga-nisation. Online zu sein, ist ein ganz selbstverständlicherTeil unseres Lebens geworden. Wir sollten die Gelegen-heitsnutzer lieber aufklären, als sie vielleicht abfällig als„Internetausdrucker“ zu bezeichnen. Das Netz ist auchnicht gut oder schlecht. Es ist einfach da. Wir machendas Netz. Es bestimmt unser Leben heutzutage maßgeb-lich, selbst wenn wir meinen, wir würden es nicht nut-zen. Netzpolitik muss auch nicht neu erfunden werden,sondern wir müssen die analogen Erfahrungen an denErfordernissen der digitalen Welt prüfen und sie anpas-sen.Dritter Punkt. Das Internet gibt unserer Gesellschaftneue Impulse. Nie zuvor konnten sich Bürgerinnen undBürger so umfassend über ihr Gemeinwesen informie-ren. Größere Transparenz im staatlichen Handeln kannmehr Bürgerbeteiligung, noch mehr Vertrauen und dasPflichtgefühl befördern; denn das Internet ist ein Spie-gelbild unserer Gesellschaft. Kein anderes Medium bie-tet zum Beispiel Politikern und Wählern eine vergleich-bare Möglichkeit, direkt miteinander zu kommunizieren.Das sollten wir unbedingt bewahren und natürlich auchbefördern.mRagnOkrumNddsdnBsTdPeisktebwtawdKwusgaäsZwtommddFb
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012 18319
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Die Wirtschaft verändert sich. Wir sehen eine digitaleWirtschaft, die wächst, aber wir sehen auch, dass sichdie klassischen industriepolitischen Branchen verändern.Egal ob in der Stahlindustrie oder in der Automobilin-dustrie: Viele Wertschöpfungsketten verlaufen heute ent-lang digitaler Linien. Wir müssen uns fragen, wie wirhier Innovationen weiter stärken können.Auch die Bildung verändert sich. Wir diskutieren hierheute den Zwischenbericht zur Medienkompetenz.Junge Menschen sind immer mehr Informationen ausge-setzt. Sie müssen lernen, hiermit umzugehen und sich inneuen Technologien zurechtzufinden. Eine der größtenHerausforderungen, die wir in der Politik zu bewältigenhaben, ist: junge Menschen fit zu machen, sich in dieserdigitalen Welt zurechtzufinden.
Auch die politischen Prozesse müssen sich verändern.Die Menschen können Politik heute in Echtzeit verfol-gen. Sie können sie kommentieren, aber es entsteht auchder Wunsch, in Echtzeit dabei zu sein und Politik zu be-einflussen. Genau diese Möglichkeiten müssen wir er-öffnen. Wir müssen Beteiligungsformen anbieten, damitdie Menschen ihre Kommentare und Ideen in Echtzeit inpolitische Prozesse einfließen lassen können.Wir sehen auch, dass uns die Digitalisierung heutevor neue, ungelöste Herausforderungen stellt, etwa vorden permanenten Kampf zwischen individuellen Frei-heitsrechten und notwendigen Sicherheitsinteressen. Ichspreche die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung an,bei der wir nicht vorangekommen sind. Das wird zwi-schen den Fraktionen, aber auch in den Fraktionen dis-kutiert. Hier müssen wir neue Antworten finden, und ichsage auch: Wenn wir eine Balance zwischen Sicherheitund Freiheit suchen, dann müssen wir aufhören, symbo-lische Diskussionen wie solche um Netzsperren, dieSperrung des Internetzugangs oder auch die Zensurinfra-struktur im Internet zu führen.In der digitalen Zeit stehen wir vor der Herausforde-rung, das Urheberrecht zu reformieren. Auf der einenSeite entstehen wunderbare Möglichkeiten für Kreative,neue Verbreitungswege zu finden. Auf der anderen Seitesehen wir aber auch, dass wir einen gesellschaftlichenKonsens für ein neues Urheberrecht in einer digitalenZeit noch nicht geschaffen haben.Die Politik in Gänze tut sich schwer, diese umfassen-den gesellschaftlichen, sozialen und politischen Umbrü-che zu gestalten. Es ist deutlich geworden, dass Netz-politik kein Nischenthema ist, sondern dass es hier umgroße gesellschaftliche Veränderungen und eine mo-derne Gesellschaftspolitik geht. Deswegen müssen derDeutsche Bundestag und die Politik insgesamt endlichanfangen, diesen Wandel zu gestalten. Im Ernst: Es istunsere Entscheidung, ob wir dabei sind. Dieser Wandelkommt, und ich hoffe, wir entschließen uns, ihn zu ge-stalten. Ansonsten findet er ohne uns statt.In Anbetracht all dieser Herausforderungen und Ver-änderungen, die ich gerade beschrieben habe, haben wirim Jahr 2009 gemeinsam die Enquete-Kommission „In-ternet und digitale Gesellschaft“ eingesetzt, verbundenmmdtafüEfeswFBlumgrennwDmDhcasdwBsreDgemisawmmWbveImngsGfa
eswegen ist mein Appell, dass wir mit Taktierereien,it parteipolitischen Reflexen und mit stundenlangeniskussionen über Verfahrensfragen in der Enquete auf-ören und uns darauf konzentrieren, den Streit in der Sa-he zu führen – das ist notwendig –, und dass wir damitnfangen, die Vision für eine digitale Gesellschaft nochtärker zu definieren.
Dabei will ich ausdrücklich an diejenigen appellieren,ie wir als 18 Sachverständige eingebunden haben. Esar ein richtiger Schritt, dass wir uns geöffnet und neueeteiligungsformen geboten haben. Das war die ausge-treckte Hand an eine Netzcommunity, die zu den erfolg-ichsten sozialen Bewegungen der letzten Jahre gehört.Ob es die Debatte um die Netzsperren ist, ob es dieebatte um die Vorratsdatenspeicherung oder den Ju-endmedienschutz-Staatsvertrag ist: Wir waren immerrfolgreich darin, Dinge zu verhindern. Bei der Enqueteachen wir jetzt das Angebot, etwas zu gestalten. Dast schwieriger, als etwas zu verhindern. Demokratie istnstrengend. Dabei geht es darum, Mehrheiten zu ge-innen. Es geht darum, zu überzeugen. Da mag esanchmal einfacher sein, die Arbeit der Enquete-Kom-ission auf Twitter hämisch zu begleiten. Aber meinunsch ist, dass diejenigen, die Ideen haben, sich ein-ringen und dass wir durch die Beteiligung des 18. Sach-erständigen die Chance haben, die Arbeit der Enqueterfolgreich zu Ende zu führen.Dass die Enquete hier im Parlament wichtig ist, dasspulse aus dem Parlament kommen müssen, zeigt dieetzpolitische Bilanz dieser schwarz-gelben Bundesre-ierung. Dieser Regierung fehlt der Mut, auf einen kon-equenten Breitbandausbau zu setzen und endlich dasrundrecht auf ein schnelles Internet zu verankern, not-lls mit einem Universaldienst.
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18320 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012
Lars Klingbeil
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Dieser Regierung fehlt der Mut, die gesetzliche Netz-neutralität zu verankern und ein innovatives und freiesInternet aufrechtzuerhalten. Initiativen dieser Regierungzur Modernisierung des Urheberrechts und zum Daten-schutz? Fehlanzeige! Initiativen zur Weiterentwicklungdes Informationsfreiheitsgesetzes, zu Open Data? Fehl-anzeige! Das Einzige, was von dieser Regierung bleibt,ist die Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes.Diese Initiative kam fraktionsübergreifend aus der Mittedes Parlaments.
Ich bin überzeugt: Dieses Parlament kann Impulse fürdie netzpolitische Arbeit in der deutschen Politik geben.Deswegen meine Hoffnung und das Angebot der SPD,die Arbeit der Enquete erfolgreich weiterzuführen. Wirsollten jetzt noch einen draufsetzen und mit parteipoliti-schen Spielen aufhören. Dann werden wir am Ende er-folgreich sein.
Der Kollege Blumenthal ist der nächste Redner für
die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LieberLars Klingbeil, es entbehrt nicht einer gewissen unfrei-willigen Komik, wie die Rede intoniert wurde und wiedann das Ende vollzogen wurde. Das muss an dieserStelle einmal erwähnt werden.
Für die FDP-Fraktion war es im Bereich Medienkom-petenz entscheidend, dass wir als Grundlage den aufge-klärten und selbstbestimmten Nutzer in den Vordergrundstellen. Für uns ist wichtig, dass wir keine staatliche De-finition eines Otto Normalnutzers auf die Tagesordnungsetzen, sondern dass wir uns politisch Gedanken darübermunfoHddswsnlaAddDfiaD„EghmdRhGHaVdDdisqDeruSsbFWgcE
In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf diendere Seite eingehen, die Dämonisierung des Netzes.iele sagen: Das Internet ist ein Hort des Verbrechens, inem illegale Handlungen möglich sind, etwa illegaleownloads und Urheberrechtsverletzungen. Auch dasarf und kann man nicht dem Internet anlasten. Auch dast und bleibt menschliches Handeln. Das sind Konse-uenzen aus menschlichem Handeln. Wenn illegaleownloads stattfinden, dann geschieht dies, weil sichinzelne Menschen dazu entscheiden.Bitte lassen Sie uns mit dieser pauschalen Glorifizie-ng und Dämonisierung aufhören. Lassen Sie uns lieberorge tragen dafür: Wie können wir den einzelnen Men-chen die Möglichkeiten und die Qualifizierung mitge-en, mit diesen neuen Chancen und mit diesen neuenreiheiten richtig umzugehen?
Medienkompetenz ist und bleibt dabei die Grundlage.ir haben vonseiten der Enquete-Kommission eineanze Reihe von Handlungsempfehlungen ausgespro-hen. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass aufbene der Länder eine Vielzahl von lobenswerten Kam-
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Sebastian Blumenthal
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pagnen und Aufklärungsinitiativen gemeinsam mitSchülern, Eltern, Lehrern und auch schon mit älterenMenschen stattgefunden hat. Angesichts der knappenHaushaltslage in den Ländern möchten wir anregen, dassdie Erkenntnisse aus diesen ersten Aufklärungskampa-gnen zwischen den Ländern und dem Bund besser ver-netzt werden. Wir haben entsprechende Vorschläge indie Handlungsempfehlungen der Projektgruppe Medien-kompetenz eingebracht.Ein Punkt, der in der Projektgruppe Medienkompe-tenz sehr stark umstritten war und kontrovers diskutiertwurde, war der Jugendschutz. Sie haben sicherlich nochin Erinnerung, dass der Jugendmedienschutz-Staatsver-trag vor knapp zwei Jahren auf Länderebene grandiosgescheitert ist. Es zeigt sich hier, dass der Grundsatz derFrequenzregulierung, der auf Landesebene immer nochdas Steuerungsinstrument für die Staatsverträge im Me-dienbereich ist, nicht mehr in das Zeitalter der digitalenMedien passt. Wir haben in der Projektgruppe Medien-kompetenz darauf hingewiesen und gesagt: In der Abwä-gung zwischen staatlichem Jugendschutz durch Staats-verträge und der Förderung und Stärkung des Einzelnenmuss es eine ausgewogene Balance geben.Die Projektgruppe Medienkompetenz hat ihre Arbeitabgeschlossen. Die Diskussionen werden weitergehen,und auch die Gestaltungsaufgabe für uns im Parlamentwird weiterbestehen. Die FDP-Fraktion war und ist vonAnfang an ein starker Partner in diesem Diskurs. Wirwerden damit weitermachen.Ich möchte die Gelegenheit nutzen, noch einmal denKollegen aus der Projektgruppe, den Mitarbeitern desSekretariats, die es nicht immer leicht mit uns hatten,und natürlich auch unseren Sachverständigen und dem18. Sachverständigen aus den Reihen der Öffentlichkeitzu danken.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
Wawzyniak das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Am Anfang stand ein großes Versprechen. Wirwollten die gesellschaftlichen Veränderungen durch dasInternet untersuchen. Wir wollten neue Wege der Bür-gerbeteiligung gehen. Wir wollten die Öffentlichkeit inbesonderem Maße einbeziehen, verschiedene Beteili-gungsformen entwickeln und Anregungen der Öffent-lichkeit in unsere Arbeit einfließen lassen.
Was für eine Chance, habe ich gedacht. Ich hatte dieHoffnung, dass wir Netzpolitik jenseits der herkömmli-chen parlamentarischen Zwänge diskutieren können,dass der Fokus der öffentlichen Debatte etwas mehr aufdVeUtiEsgmBgengEruDmedcnEAggdEleVwkaakmDadhAmg
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18322 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012
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auch der Zukunft zugewandt! – Weitere Zurufevon der SPD)Ich glaube, wir haben in der Enquete ein wenig dieChance verpasst, die Unterschiede produktiv zu nutzen.Manchmal ist zugespitzter Widerspruch besser als einKompromiss um jeden Preis oder der Versuch, die ei-gene Position durchzudrücken; denn Letzteres führt zueiner Blockadehaltung und vergibt die Chance, denSachverstand der Sachverständigen einzubeziehen. Wirhaben uns zu häufig in Formalien und Klein-Klein ver-fangen. Ich mache das kurz an drei Beispielen deutlich.Wir haben uns nicht von Anfang an dazu entscheidenkönnen, die Projektgruppen öffentlich tagen zu lassen.Entschuldigung, aber das schließt externen Sachverstandaus. Wir haben es zunächst nicht geschafft, die Werk-zeuge der Beteiligung, zum Beispiel ein Internettool zurBeteiligung, zu implementieren, weil die Koalitions-mehrheit das verhindert hat, und das, obwohl es ein wun-derbares Konzept der Sachverständigen gab. Dass wirnun das Werkzeug haben, ist einer privaten Initiative zuverdanken. Wir haben zudem die Abstimmung zu Netz-neutralität und Datenschutz immer wieder verschoben,weil die Gefahr bestand, dass Mehrheiten wanken.Was mich richtig nervt, ist die Tatsache, dass wir inder Enquete noch immer dem Verfahren Opposition ver-sus Regierung verhaftet sind. Die Sachverständigen wer-den immer als Sachverständige der entsprechendenFraktion bezeichnet. Nein, es sind Sachverständige dergesamten Enquete und nicht der einzelnen Fraktionen.Wir tun immer so, als würden wir in der Enquete Ge-setze beschließen. Tatsächlich beschließen wir Hand-lungsempfehlungen. Der Bundestag ist frei, diese Hand-lungsempfehlungen aufzunehmen. Da kann man dochein bisschen mehr Mut haben.
Ich will dennoch ein bisschen positiv in die Zukunftschauen. Wir haben jetzt noch mindestens ein halbesJahr. Ich finde, wir sollten dieses halbe Jahr für einen Pa-radigmenwechsel in wichtigen Punkten nutzen. Befreienwir uns aus den strengen parlamentarischen Zwängen!Machen wir entsprechende thematische Vorschläge, undgeben wir Handlungsempfehlungen, die über den Tag hi-nausgehen! Wir sollten den Mut haben, unterschiedlichePositionen nebeneinanderstehen zu lassen. Wenn wir dieChancen der Enquete nutzen wollen, sollten wir uns aufein Verfahren verständigen, das Neugier, Interesse undLust auf Einmischung weckt, neue Wege der politischenTeilhabe beschreiten und neue Diskussionskulturen eta-blieren. Wir als Enquete sollten Vorbild sein für eine mo-derne, transparente und beteiligungsorientierte Politik.Die Linke macht das auf jeden Fall mit.
Das Wort erhält nun der Kollege Konstantin vonNotz.GDscAdasvEwnsdEluMgdeimnsTALsddindgSzdVsprid
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenamen und Herren! Liebe Kollegin Wawzyniak, ange-ichts dessen, was du dir alles von der Enquete verspro-hen hast, muss ich sagen: Das ist ein bisschen naiv.
uch in einer Enquete wird Politik betrieben und gibt esie Mühen der Ebene. Damit müssen wir uns nun einmaluseinandersetzen. Ich möchte jetzt nicht nur das Kriti-che, sondern auch das Positive der Enquete benennen.
Wir haben uns am Anfang aus gutem Grund darauferständigt, dass Bürgernähe und Partizipation für diesenquete nicht nur theoretische Themen sein dürfen, dieir mit Expertinnen und Experten besprechen und zu de-en wir am Ende etwas mehr oder weniger Schlaues auf-chreiben. Vielmehr haben wir gesagt: Eine neue Former Bürgerbeteiligung muss bereits Arbeitsgrundlage dernquete selbst sein. Das ist angesichts einer Entwick-ng unserer Demokratie, bei der sich immer wenigerenschen richtig eingebunden und verstanden fühlen,enau der richtige Schritt.
Die grundsätzliche Bearbeitung eines so breiten undynamischen Politikbereichs wie der Netzpolitik ist ebenin Prozess. Niemand hat fertige Antworten, weder hier Haus noch außerhalb dieses Hauses. Natürlich ist esicht so, dass der Deutsche Bundestag eine Enquete ein-etzt und dass wir dann nach zwei Jahren mit demhema durch sind. Deswegen sollten wir allzu kleinlicheufrechnungen und Vorhaltungen vermeiden und dasicht dieses Gremiums nicht zu sehr unter den Scheffeltellen;
enn es gibt viel Positives zu bilanzieren. Kaum ein an-eres Parlament in der Welt beschäftigt sich derzeit sotensiv und systematisch mit diesen für uns, für die mo-erne Wissens- und Informationsgesellschaft so grundle-enden Fragen.
Wir haben mit der Enquete die Einbindung externenachverstands in unsere Arbeit institutionalisiert, undwar von der Wissenschaft und den Datenschützern überen CCC und die Bloggern bis zum BITKOM und dererbraucherzentrale. Hinzu kommen viele kluge Men-chen, die uns in Anhörungen beraten. Durch diesen In-ut, aber auch dank unserer sehr engagierten Mitarbeite-nnen und Mitarbeiter – das muss man bei der Arbeit,ie da angefallen ist, wirklich einmal sagen – sowie des
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012 18323
Dr. Konstantin von Notz
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Sekretariats der Enquete, aber auch dank des Engage-ments des Teams von Adhocracy wird der Output, dendiese Enquete erzeugt, für unsere zukünftige Arbeit, soglaube ich, sehr wertvoll sein.Die bislang vorliegenden Zwischenberichte samtHandlungsempfehlungen sind nicht nur eine grundle-gende Positionsbestimmung, sondern sie werden alsKompass die netzpolitische Debatte der nächsten Jahrein diesem Haus maßgeblich begleiten.Ich freue mich besonders, dass wir unserem An-spruch, den fundamentalen Umbrüchen mit entspre-chend progressiven Ansätzen zu begegnen, ganz über-wiegend gerecht werden, sowohl beim Datenschutz alsauch bei der Netzneutralität, bei Fragen der Medienkom-petenz und beim Urheberrecht. Wer hätte am Anfang derArbeit dieser Enquete-Kommission gedacht, dass sichder Deutsche Bundestag fraktionsübergreifend einsetztgegen Netzsperren, für mehr Open Data, für verbessertesE-Government, für mehr Open-Source-Lösungen, fürmehr Creative-Commons-Modelle, für die Privatkopier-regelung bei Downloads, für die Netzneutralität und füreine grundlegende Weiterentwicklung des bestehendenUrheberrechts? Das haben wir alle gemeinsam zu Papiergebracht. Das alles sind harte Weichenstellungen, undsie alle gehen in die richtige Richtung. Liebe Kollegin-nen und Kollegen, damit kann man sehr zufrieden sein.Neben diesen inhaltlichen Einsichten gibt es auch Po-sitives bei der Form, wie gearbeitet wird. Da ist nicht nurAdhocracy, die wir weiterzuentwickeln versuchen.Heute werden alle Sitzungen der Enquete und auch dieSitzungen einer Reihe von Projektgruppen gestreamt.Zudem finden alle Anhörungen öffentlich und mit Betei-ligungsmöglichkeiten statt. Das alles ist nicht perfekt,aber, ich finde, es ist ein Anfang, und wir sind auf demrichtigen Weg.Ich bin unter dem Strich zuversichtlich, dass dieseEnquete trotz der überhöhten Erwartungen und des bru-talen Zeitdrucks, der sich entwickelt hat, letztlich ihrenAuftrag erfüllen wird. Ich erwarte aber auch, dass danndie Bundesregierung beginnt, gemeinsame Handlungs-empfehlungen umzusetzen
– genau, Herr Jarzombek – und in der Tagespolitik nicht,wie zuletzt beim Telekommunikationsgesetz, genau indie andere Richtung zu rudern. Das ist ein hoch wider-sprüchliches Verhalten.Am Ende reichen die warmen Worte, die Sie im Ko-alitionsvertrag aufgeschrieben haben, und die Einset-zung der Enquete selbst nicht aus. Der Gesetzgeber musstätig werden: bei der Netzneutralität, beim Datenschutzin der digitalen Welt, bei der Reform des Urheberrechtsund in vielen anderen Bereichen. Da können Sie, meineDamen und Herren von der Koalition, sich nicht hinterdieser Enquete wegducken.Ganz herzlichen Dank.KMreWihkaDlisnofesasB3teUWwkfeadswhInddsdpindleIniskwräG
Das Wort erhält nun der Vorsitzende der Enquete-ommission, Axel Fischer.
Axel E. Fischer (CDU/CSU):Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eine sehr geehrten Damen und Herren! Als vor 13 Jah-n die Enquete-Kommission „Zukunft der Medien inirtschaft und Gesellschaft“ dem Deutschen Bundestagren Schlussbericht vorlegte, fand sich dort ein bemer-enswerter Satz. Er lautete: „Kein Stein wird auf demnderen bleiben!“Vor 13 Jahren hatten 6,6 Millionen Menschen ineutschland Zugang zum Internet. Heute sind es 52 Mil-onen, drei Viertel der Bevölkerung. Wenn man sich an-chaut, wie Menschen in Deutschland heute Informatio-en einholen, wie sie in Kontakt mit Freunden bleibender wie sie ihre Arbeit organisieren, dann stellt manst: Das hat sich in den letzten 13 Jahren tatsächlichehr verändert. Diese Entwicklung ist noch lange nichtn ihr Ende gekommen.Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Ge-ellschaft“ hat im Mai 2010 ihre Arbeit aufgenommen.ereits bei der ersten Sitzung wurde deutlich, dass die4 Mitglieder dieser Enquete unser Thema aus vielen un-rschiedlichen Perspektiven behandeln werden. Wennnternehmer, Blogger, Journalisten, Künstler, Juristen,issenschaftler, Gewerkschafter, Programmierer, Ver-altungsfachleute und Abgeordnete zusammenarbeiten,ann es dabei nur kontrovers und spannend zugehen.Diese Erwartung hat sich erfüllt. Bisher lässt sichststellen, dass sich der Satz „Kein Stein wird auf demnderen bleiben“ auch heute ohne Mühe für den Berichter Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesell-chaft“ verwenden ließe; denn die Entwicklung gehteiter. Sie nimmt sogar an Dynamik zu.Was sich in den letzten 13 Jahren nicht sehr verändertatte, waren die politische Wahrnehmung des Themasternet und die Auswirkungen der Digitalisierung aufie Gesellschaft. Nicht nur in Deutschland konnte sichas Thema Internet mit dem Etikett „klein, aber fein“chmücken. Mit Ausnahme der USA, wo das Netz seitem Wahlkampf von Barack Obama 2008 einen eigenenolitischen Raum erobert hat, fristete das Thema Internet der Politik ein Schattendasein. Erst in jüngster Zeit istas Thema mehr ins Zentrum der politischen und media-n Öffentlichkeit gerückt. Dabei wird deutlich, dass dasternet mehr als nur ein weiteres technisches Mediumt, das einige mehr und andere weniger versiert nutzenönnen.Das Netz ist für viele Menschen ein neuer kultureller,irtschaftlicher und sozialer Raum, in dem sie viele Frei-ume haben. In diesem neuen sozialen Raum müssen dierenzen der Freiheit des Einzelnen neu verhandelt wer-
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Axel E. Fischer
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den. Lange Zeit waren die durchaus vorhandenen politi-schen Debatten rund um die Digitalisierung von vielenPolitikern nicht wahrgenommen worden. Das ändert sichnun zusehends. In aller Bescheidenheit glaube ich, dassdies auch ein wenig mit der Arbeit der Enquete-Kommis-sion „Internet und digitale Gesellschaft“ zusammen-hängt.Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Ge-sellschaft“, die heute ihren Zwischenbericht vorlegt, istderzeit das einzige parlamentarische Gremium der Welt,das sich derart umfassend, tiefgreifend und dabei the-menübergreifend mit den Herausforderungen der Digita-lisierung für unsere Gesellschaft beschäftigt, und darauf,denke ich, sollten wir alle stolz sein.
Wir haben damit begonnen, uns die Fragen zu stellen,die die Digitalisierung der Gesellschaft mit sich bringt:Wie wollen wir die neuen digitalen Räume gestalten?Warum gibt es kein deutsches Silicon Valley? Wie gehenwir mit dem Problem der digitalen Spaltung um, also mitder Tatsache, dass längst nicht alle Menschen Zugangzum Netz haben und es nutzen können? Und nicht zu-letzt: Wie und wo setzen wir Grenzen, beispielsweise beider Frage nach einem besseren Schutz vor Kriminalität,aber auch bei den Schutzbedürfnissen von Urhebern undVerbrauchern?Ich muss gestehen, zu Beginn unserer Arbeit über-rascht darüber gewesen zu sein, wie kontrovers die Dis-kussionen verliefen und wie weit die Positionen teil-weise auseinanderlagen. Das lag sicherlich zum Teildaran, dass wir uns die großen Themen, die kontroversdiskutiert wurden, zuerst vorgenommen haben: Netzneu-tralität, Datenschutz und Urheberrecht. Es lag aber mei-ner Meinung nach auch daran, dass diese Diskussionenin dieser Breite so bisher überhaupt nicht geführt wordenwaren. Bislang waren die Gruppen und Gleichgesinntenunter sich geblieben, Gegenrede war kaum zu befürch-ten. Der politische Mainstream hatte das Thema bishernicht oder kaum zur Kenntnis genommen.Aufgrund der Arbeit der Enquete-Kommission sinddie Positionen jetzt klarer, mit mehr Argumenten unter-füttert und durchdachter. Die Kommission hat sich in ei-ner sehr zeitgemäßen Weise geöffnet und dabei neueWege der Bürgerbeteiligung beschritten. Die Kommissi-onssitzungen sind zumeist live oder zumindest zeitver-setzt online zu verfolgen. Eine eigens eingestellte Online-Redakteurin schreibt Artikel über alle Projektgruppensit-zungen. In einem Blog und einem Forum werden Mei-nungen ausgetauscht, auf Twitter wird berichtet. Seit Fe-bruar letzten Jahres ist es zudem möglich, auf einerBeteiligungsplattform die Arbeitspapiere der Kommis-sion in einem frühen Stadium zu kommentieren und ei-gene Vorschläge zu machen, und schon heute kann ichfeststellen: Die Beteiligung der Bürger hat unsere Arbeitsehr bereichert. Die Zahl der Bürger, die das Angebot ge-nutzt haben, blieb zwar unter unseren Erwartungen, dieQualität der Beiträge übertraf sie jedoch bei weitem.Wir haben bei diesem bisher einmaligen Experimentin der Geschichte des Deutschen Bundestages wertvolleEaWpagwzdrelävIsEhdfugzlitemgfüAbzisBdnskstrmdWreB
t es legitim, wenn vergleichsweise wenige mit ihreminfluss im Netz viele beeinträchtigen können? Wie ge-en wir mit neu entstehenden Abhängigkeiten um? Wieemokratisch soll bzw. kann die digitale Gesellschaftnktionieren? Es werden viele Fragen der Ethik, der Le-itimität, der politischen Beteiligung, des Gesetzesvoll-ugs und vieles andere mehr aufgeworfen, die verbind-ch zu klären sind.Vor diesem Hintergrund freue ich mich auf eine wei-rhin intensive Diskussion innerhalb der Enquete-Kom-ission; denn, meine Damen und Herren, auf diese Fra-en müssen wir Antworten geben.Herzlichen Dank.
Die Kollegin Aydan Özoğuz ist die nächste Rednerin
r die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dierbeit der Projektgruppe Medienkompetenz, von der icherichten darf, hat bisher vielleicht am besten aufge-eigt, für was eine Enquete-Kommission eigentlich gutt: für eine konstruktive gemeinsame Arbeit mit großerereitschaft, dazuzulernen und sich auch auf verschie-ene Ergebnisse zu verständigen. Das kann man ja leidericht für die gesamte Arbeit der Enquete-Kommissionagen, wie wir schon gehört haben.Der Zwischenbericht zum Thema Medienkompetenzann sich jedenfalls aus meiner Sicht wirklich sehen las-en. Dazu haben vor allem die Sachverständigen beige-agen, von denen ich zwei namentlich erwähnenöchte, die nachweislich einen sehr großen Anteil aniesem Bericht haben. Das ist zum einen Professorolfgang Schulz vom Hans-Bredow-Institut, zum ande-n ist das Professor Ring, ehemals KJM-Vorsitzender.eide verdienen wirklich Dank und Anerkennung. Ich
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Aydan Özoðuz
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Aydan Özoğuzglaube, Herr Jarzombek, da werden Sie mir auch zustim-men.
– Sie auch, das ist schön. – Wer glaubt, dass es bei denDiskussionen keine Bandbreite gab, dem möchte ich nurmitteilen, dass neben besagtem Professor Ring auchAlvar Freude Mitglied in dieser Projektgruppe war. Da-mit ist wohl klar, dass wir durchaus eine ganze Reihevon unterschiedlichen Meinungen zusammenbringenmussten.Ich vermute einmal, dass jeder hier im Raum schoneinmal die Forderung nach mehr Medienkompetenz er-hoben hat oder zumindest davon gehört hat. Der Begrifflöst ja seit einiger Zeit sehr unterschiedliche Reaktionenaus. Die einen können ihn kaum noch hören, weil siesich seit Jahrzehnten damit beschäftigen. Die anderenwiederum finden, dass es noch viel zu tun gebe, beson-ders in Bildungseinrichtungen, aber auch in Elternhäu-sern, und dass wir erst am Anfang des Weges stünden.Ich finde, dass beide Seiten recht haben und dass es nichtnur eine Frage der Zeit ist, bis sich hierfür eine Lösungabzeichnet. Auch neue Generationen wachsen ja nichtgeschlossen mit den gleichen Möglichkeiten, der glei-chen Ausstattung oder der gleichen Förderung auf, wasgerade in der digitalen Welt zu großen Nachteilen führenkann.Unbestritten ist, dass der Begriff „Medienkompetenz“in den letzten Jahren sehr inflationär gebraucht wurde.Medienkompetenz gilt vielen auch als das Allheilmittelfür diverse Probleme und Phänomene im Internet. Sowird ganz verzweifelt nach Medienkompetenz gerufen,wenn zum Beispiel Seniorinnen oder Senioren in Abo-fallen tappen, wenn Schülerinnen und Schüler zu Mob-bingopfern im Internet werden und ihre Eltern, sofern siees überhaupt erfahren, hilflos danebenstehen oder wennEltern für die illegalen Downloads ihrer Sprösslinge zah-len müssen.Mitunter wundere ich mich auch über die Freizügig-keit, mit der Bilder und private Daten im Netz veröffent-licht werden. Ein Gespräch mit älteren Jugendlichenzeigt häufig, dass diese den jüngeren Jugendlichen eherdavon abraten, allzu viel Freizügigkeit im Netz waltenzu lassen.Ich zitiere zur Rolle der Nutzerinnen und Nutzer in ei-ner digitalen Öffentlichkeit aus unserem Bericht:Als Ziel hat die Enquete-Kommission daher dieaufgeklärten Nutzerinnen und Nutzer im Blick, diesich beispielsweise durch kreatives Schaffen derMedien bedienen und dabei verantwortungsvoll miteigenen persönlichen Daten und respektvoll mit denDaten anderer Nutzer in den Medien umgehen. DieEnquete-Kommission betrachtet die Nutzer inter-aktiver Medien ausdrücklich mehrdimensional: alsSender und Empfänger, als Konsumenten und Pro-duzenten, als Wissende und Lernende.TkaAugAbgBtagkliBwAPulibule–liBLgpnsderimwGhvHridpdinsztezjeHkEpn
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18326 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012
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Aydan ÖzoğuzZuletzt möchte ich erwähnen, dass die Enquete-Kom-mission die Forderung erhoben hat, die Forschung imBereich Medienkompetenz zielgerichtet voranzutreiben,da es dort noch große Lücken gibt. Hier möchte ichmeine Verwunderung über die Koalition zum Ausdruckbringen:
Die SPD-Fraktion hat bei den Beratungen zum Bun-deshaushalt 2012 den Antrag gestellt, ein neues länger-fristig angelegtes Programm zur Medienkompetenzfor-schung zu initiieren. Der Antrag wurde von Ihnen, meineDamen und Herren von der Koalition, einfach abgelehnt.Herr Blumenthal sprach eben von einem Gestaltungsauf-trag. Im ersten Moment, in dem die Gelegenheit dazu ge-wesen wäre, haben Sie leider schon gleich wieder Neingesagt. Das bedauern wir sehr.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Jimmy Schulz für die FDP-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenKolleginnen und Kollegen! Natürlich begrüße ich auchdie Zuschauerinnen und Zuschauer und Zuhörerinnenund Zuhörer auf den Zuschauerrängen und zu Hauseganz herzlich.
– Ja, genau.Der Abschluss der ersten Projektgruppenstaffel ist einguter Anlass, auf die Arbeit der Internet-Enquete bisheute zurückzublicken. Nachdem das Thema Netzpolitikbislang sträflich vernachlässigt wurde, ist es nun durchdie Enquete ins Zentrum der politischen Aufmerksam-keit gerückt worden.
Wir haben Politik, Wissenschaft, Netzgemeinde und Inter-netwirtschaft auf Augenhöhe an einen Tisch gebracht –nicht nur kurzfristig, sondern über einen mehrjährigenZeitraum, der Platz lässt für tiefgreifende Diskussionen.Die Aufteilung der Arbeit in thematische Projekt-gruppen hat es uns ermöglicht, unsere Themen von allenSeiten zu beleuchten. Das ist keineswegs selbstverständ-lich. Wir haben intensiv und konstruktiv diskutiert, wieschon mehrfach hier hervorgehoben wurde. Wir habenuepsekßwctidscnuUegimSlidügWAleNvqetevGBbPpzbgcjeoas
ber angesichts der breiten Debatte können wir feststel-n, dass die Zeit, in der man beklagen musste, dassetzthemen in der Politik nicht gehört werden, endgültigorbei ist.Wir dürfen eines nicht vergessen: Aufgabe der En-uete ist es, Leitlinien für die Netzpolitik der Zukunft zuntwickeln. Allzu oft haben wir uns in den letzten Mona-n aber in Diskussionen über Kommata und Fußnotenerloren. Wir haben uns sehr auf Details bestehenderesetze und Regeln konzentriert, sodass wir zu oft denlick für das Große und Ganze verloren haben. Dasringt uns nicht weiter. Wir müssen in den kommendenrojektgruppen darauf achten, uns nicht in der Tages-olitik zu verlieren, sondern uns den Sinn für Visionenu erhalten.Bei der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ha-en wir neue Maßstäbe in der parlamentarischen Arbeitesetzt. Die auch unter www.demokratie.de zu errei-hende Beteiligungsplattform Adhocracy ermöglicht esdem, Vorschläge zu machen, über Ideen zu diskutierender sogar darüber abzustimmen. Natürlich wünscheuch ich mir eine breitere Beteiligung. Aber die Diskus-ion ist anregend, und der Anfang ist gemacht für, wie
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Jimmy Schulz
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ich hoffe, ein neues Miteinander zwischen Politik undGesellschaft.Doch was bleibt am Ende? Was kommt nach derEnquete? Wir müssen darüber nachdenken, wie wir dasThema Internet und Digitalisierung in Zukunft behan-deln wollen. Wir müssen einen Weg finden, die Diskus-sion über das Internet positiv zu besetzen. Die Debattewird leider viel zu oft verengt geführt und befasst sichnur mit dem Bahnhofsviertel des Internets. Ich will dieChancen, die das Netz uns bietet, beleuchten und zumZentrum der Diskussion machen. Wir können vom Inter-net und von der Digitalisierung so stark profitieren. Esist unangebracht, dass wir den Blickwinkel zu sehr aufdie negativen Seiten einschränken.Die Enquete funktioniert, weil sie unterschiedlicheFachrichtungen zusammenbringt: Innen- und Rechts-politik, Wirtschaft, Kultur und Medien, Bildung undForschung und sogar Familienpolitik. Digitalisierungberührt uns alle und in allen Lebensbereichen. Sie mussdeshalb auch politisch fachübergreifend behandelt wer-den. Ich spreche mich deshalb hier und heute dafür aus,der Netzpolitik den Raum zu geben, den sie braucht: ei-nen eigenen Ausschuss und damit einen dauerhaftenPlatz im deutschen Parlament.Vielen Dank.
Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Petra Sitte für die
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In derProjektgruppe Medienkompetenz haben wir es, anders alsbeispielsweise in der Gruppe Urheberrecht, tatsächlichüber weite Teile geschafft, mit den Sachverständigenwirklich inhaltsorientiert und konsensual zu arbeiten. Sosehe ich es zum Beispiel als großen Fortschritt an – eswurde schon erwähnt –, dass wir Jugendmedienschutznunmehr von einem neuen Ausgangspunkt denken: wegvom vormundschaftlichen Verbotsdenken gegenüber Ju-gendlichen hin zu mehr Vertrauen auf die Fähigkeiten vonJugendlichen, Medien sinnvoll und selbstbewusst nutzenzu können.
Praktisch heißt das dann auch, Altersfreigaben von Fil-men oder Spielen für Jugendliche im Netz infrage zu stel-len und daraus keine Glaubenskämpfe zu machen. – HerrBrüderle, wäre es vielleicht möglich, dass Sie mir nichtIhren Rücken zuwenden? – Jetzt geht er sogar. Schade,gerade bei dieser Debatte.
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azit: Internetfähige Hardware muss künftig zum Exis-nzminimum in unserer Gesellschaft gehören.
Einig waren wir uns allerdings bei der Frage einesotebooks für jede Schülerin und jeden Schüler. Wennir es unabhängig vom Geldbeutel der Eltern schaffen,iese Notebooks jeweils in den Schulranzen zu bekom-en, wäre es eine richtig gute Sache. In vielen Ländernt das längst der Fall. Wie visionär ein solches Projektt, zeigt sich beispielsweise daran, dass die KMK dastzte Mal vor vier Jahren eine Erhebung zur IT-Ausstat-ng deutscher Schulen durchgeführt hat. Natürlich dür-n Schülernotebooks nicht auf geschlossene Betriebs-ysteme oder auf bestimmte Programme eingeschränkterden. Natürlich müssen Lerninhalte offen und flexibel
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18328 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012
Dr. Petra Sitte
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gestaltet werden. Natürlich brauchen wir digitale Schul-bücher. Warum sollen Kinder und Jugendliche kiloweisePapier durch die Gegend schleppen, wenn wir Lernmate-rial digital anbieten können,
Lernmaterial übrigens, das Lehrerinnen und Lehrer inder Unterrichtsvorbereitung kollaborativ, also gemein-sam erstellen und jederzeit aktualisieren können? Daswäre natürlich aber auch nur möglich, wenn wir es end-lich schaffen, das Urheberrecht an diesem Punkt anzu-passen. Wir warten bis heute auf den Dritten Korb derUrheberrechtsnovelle. Deshalb muss Schluss sein mitder Verzögerung der Urheberrechtsnovelle. Die Ände-rungen im Bildungs- und Wissenschaftsbereich müssenendlich erfolgen. Alles andere würde bedeuten, Wissens-potenziale des Internets fahrlässig auszubremsen.Die Projektgruppe Medienkompetenz hat für die On-lineoffensive durchaus gute Vorschläge gemacht. DieLinke hat ihre Reformvorschläge für das Urheberrecht,wie beispielsweise die Bildungs- und Wissenschafts-schranke oder die Förderung von Open Access, längst inden Bundestag eingebracht. Hier wie dort darf die Re-gierung kopieren, kopieren, kopieren – und sie muss des-wegen nicht einmal zurücktreten.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat die Kollegin Tabea Rößner für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist einiges Kriti-sches über die Arbeit in der Enquete-Kommission gesagtworden. Im Gegensatz zu den Projektgruppen Daten-schutz, Urheberrecht und Netzneutralität kann man dieProjektgruppe Medienkompetenz geradezu als Hort derHarmonie bezeichnen.Wir haben zwar in der Sache hart diskutiert, insge-samt waren die Beteiligten jedoch alle an einem Konsensinteressiert. An dieser Stelle möchte ich allen Beteiligtenganz herzlich für die gute Zusammenarbeit danken, nichtzuletzt denjenigen, die sich über die Beteiligungsplatt-form Adhocracy eingebracht haben. Wir haben in dieserProjektgruppe tatsächlich fast alle Vorschläge einarbei-ten können.Ich hoffe, dass die aktuellen und künftigen Projekt-gruppen sich ein Beispiel an der Projektgruppe Medien-kompetenz nehmen; denn im Endeffekt schaden dieQuerelen in der Enquete-Kommission dem Ansehen die-ses Hauses insgesamt. Die vorangegangenen Reden ha-ben mir gezeigt, dass alle Kolleginnen und Kollegeneine konstruktive Fortführung und einen erfolgreichenAbschluss unserer Arbeit wollen. Ich hoffe, das bleibenkeine Lippenbekenntnisse.EInnKeFPuhkkimJWsdNvebwd„skdwpZaVLrezntievbnkhkMsnb
in Teenager stellt unbedacht alberne Fotos von sich beiacebook ein und wird zum Gespött der Schule; einolitiker twittert einen missverständlichen Kommentar,nd eine virtuelle Welle der Empörung bricht über ihnerein, sein Name wird sogar Trending Topic.Tja, werden Sie sagen, wären diese drei nur medien-ompetenter gewesen. – Alle rufen immer nach Medien-ompetenz, wenn es darum geht, Menschen vor Fehlern Internet zu bewahren. Selbst beim höchstumstrittenenugendmedienschutz-Staatsvertrag waren sich alle einig:ir brauchen mehr Medienkompetenz. – Wie aber die-es Mehr an Medienkompetenz genau aussehen muss,aran scheiden sich die Geister.Medienbildung darf nicht der kleinste gemeinsameenner sein. Wir stehen in Zeiten des digitalen Wandelsor einer Mammutaufgabe. Deshalb ist es gut, dass wirs in der Projektgruppe Medienkompetenz geschafft ha-en, uns weitgehend auf einen Text zu einigen. Dabeiill ich drei wichtige Punkte herausstreichen:Erstens halte ich es für wichtig, dass die bereits vorrei Jahren im medienpädagogischen Manifest beklagteProjektitis“ endlich eingedämmt wird. Bewährte An-ätze müssen wir ausweiten und verstetigen. Wir wolleneinen blinden Aktionismus und auch nicht, dass Me-ienbildung zu Profilierungszwecken instrumentalisiertird. Deshalb empfehlen wir im Bericht, dass bei ge-lanten Maßnahmen zunächst der Bedarf erhoben wird,iele definiert und die Ergebnisse evaluiert werden. Vorllem aber fordern wir eine stärkere und verpflichtendeerankerung von medienpädagogischen Inhalten in denehrplänen und in der pädagogischen Ausbildung.Zweitens ist mir wichtig, dass die Aktivitäten im Be-ich Medienpädagogik besser vernetzt werden, denn sieiehen sich durch viele Politikfelder. Das wurde von ei-igen Rednern bereits benannt. Es gibt zahlreiche Initia-ven und Projekte. Damit aber nicht überall das Rad neurfunden werden muss und sich erfolgreiche Ansätzeerbreiten können, muss es einen regen Austausch ge-en. Der Bund kann hier eine koordinierende Rolle über-ehmen.
Drittens halte ich es für wichtig, dass wir Medien-ompetenz nicht nur als Mittel zur Risikovermeidung se-en, was sie meiner Ansicht nach auch gar nicht leistenann. Wir können höchstens Risiken minimieren. Nein,edienkompetenz ist viel mehr: Sie befähigt zur gesell-chaftlichen Teilhabe im digitalen Raum.Im Bericht haben wir daher nicht nur die Chancen dereuen Medien herausgestellt, sondern auch die Risikenenannt. Ja, man kann viele Fehler machen, wenn man
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Tabea Rößner
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sich im Internet bewegt; man kann sich aber auch groß-artige neue Möglichkeiten erschließen. Für beidesbraucht man umfassende Medienbildung.
In den vergangenen Monaten hat uns das ThemaCybermobbing immer wieder beschäftigt. Hier stoßenwir an die Grenzen dessen, was Medienkompetenz tat-sächlich leisten kann. Mobbing hat es zwar schon immergegeben, ob auf dem Pausenhof oder am Arbeitsplatz,jedoch haben sich die Form und die Massivität durch dasInternet geändert. Wir müssen daher Medienbildungganzheitlich betrachten: Es geht nicht allein darum, tech-nische Fertigkeiten zu erwerben oder die Urteilsfähigkeitbei der Bewertung von Inhalten zu schärfen; es geht vorallem auch um das Zusammenleben in einem neuenRaum und das respektvolle Miteinander. Das, meine Da-men und Herren, ist ein gesamtgesellschaftlicher Auf-trag.
Medienkompetenz lässt sich natürlich nicht lernenwie Mathe oder Geschichte; Frontalunterricht, graueTheorie und Abfragewissen sind fehl am Platz, wenn esdarum geht, jemandem beizubringen, wie man sich si-cher und vor allen Dingen auch effektiv im Netz bewegt.Surfen ist selten ein Selbstzweck: Meist ist man auf derSuche nach Informationen, kommuniziert mit anderenoder schafft selbst Inhalte. Genauso funktioniert auchdas Medienlernen: durch Ausprobieren, Selbstmachenund Sammeln von Erfahrungen. Das betrifft nicht nurKinder und Jugendliche, sondern eben auch ältere Men-schen: Eltern, Berufstätige, auch Soldaten, nicht zuletztPolitiker. Je nach Alter, Wohnort, Beruf und Interessen-lage entscheidet sich, welche Fähigkeiten und Kennt-nisse eine Person medienkompetent machen. Da kannder 16-jährige Berliner Großstadtjunge genauso viel da-zulernen wie die 45-jährige Bundestagsabgeordnete ausMainz.
Ich hoffe, dass die Enquete ebenfalls dazulernt undwir uns für die kommende Arbeit in den Projektgruppengenügend Zeit nehmen und konstruktiv miteinander ar-beiten, damit wir am Ende hier positiv über den Ab-schlussbericht sprechen können.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Thomas Jarzombek für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habemein Leben lang in der IT gearbeitet. Als ich in denBkbEMInlikgwssdgAmuresmwsjegOIcGHDbmvvnERfiK„sbwnwLv
nstatt das große Bild zu entwickeln und uns auf Ge-einsamkeiten der Netzpolitiker zu beziehen, anstattns die Frage zu stellen, wie wir eigentlich die Internet-gulierung der Zukunft gestalten wollen, haben wir ver-ucht, tagesaktuelle Streitfragen in diese Enquete-Kom-ission hineinzutragen.Hier hebt sich die Projektgruppe Medienkompetenz,ie ich finde, sehr deutlich ab; denn es gab ein sehr kon-truktives Klima. Meine Kollegen haben es mir als Pro-ktgruppenvorsitzendem leicht gemacht, hier zu einemuten Ergebnis zu kommen. Dafür bedanke ich mich. –kay, keiner applaudiert sich selbst.
h dachte, wenn man Kollegen lobt, sei das eine sicherearantie für Applaus.Der Mitgründer des Chaos Computer Clubs, Wauolland, hat einmal gesagt:Jede Oma, die es schafft, einen modernen Videore-corder zu programmieren, ist eine Hackerin.as verdeutlicht ganz gut, worin die Herausforderungei der Vermittlung von Medienkompetenz besteht: Wirüssen viele mitnehmen. Ich glaube, wir haben – schonor mehr als einem halben Jahr – einen guten Berichtorgelegt, der in der Szene mittlerweile viel Anerken-ung gefunden hat und den ich heute gar nicht mehr iminzelnen präsentieren möchte; denn er hat schon dieunde gemacht.Es gibt ein Programm, das ich besonders spannendnde – das haben auch schon einige Kolleginnen undollegen vor mir hier genannt –, nämlich das ProgrammEin Laptop für jeden Schüler“. Denn wir haben festge-tellt, dass wir es ein bisschen mit dem Henne-Ei-Pro-lem zu tun haben. Überall in der Schule wird viel zuenig mit dem Internet gearbeitet. Es findet viel zu we-ig Vermittlung von Medienkompetenz statt. Immerieder wird gefragt: Sollen wir erst Fortbildungen fürehrer machen, oder sollen wir erst in Ausstattung in-estieren?
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Thomas Jarzombek
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Wir haben viel zu lange Klassensätze gekauft undComputerräume ausgestattet und so letzten Endes dazubeigetragen, dass zu viele die Gelegenheit haben, sichwegzuducken und nicht über das Internet zu reden. Siekönnten beispielsweise im Spanischunterricht spanischeZeitungsartikel behandeln und im Deutschunterricht re-flektieren, welcher Quelle sie im Internet eigentlich ver-trauen können und welcher nicht. Das wird aber leidernicht gemacht.Deshalb sind wir konsensual zu der Meinung gelangt,dass wir jedem Schüler einen eigenen Laptop oder eineigenes Tablet in die Hand geben müssen, um sie dazuzu zwingen, sich mit dem Netz auseinanderzusetzen.
Ich glaube, das ist ein guter Weg, den wir jetzt über dieLänder und Kommunen verfolgen müssen.
Es gab beeindruckend viele Initiativen zur Förderungder Medienkompetenz, und wir haben alle gewürdigt.Darauf möchte ich verweisen und mich bei all denjeni-gen bedanken, die dazu beigetragen haben. Ich möchtemich auch bei unseren externen Sachverständigen, diesich über Adhocracy beteiligt haben, bedanken; denn wirhaben viele ihrer Gedanken aufgegriffen. Ich möchtemich bei den Professoren Ring und Schulz bedanken, diesich – so finde ich – sehr stark als Sachverständige ein-gebracht haben.Ich möchte an dieser Stelle ein weiteres Thema plat-zieren, das auch bezüglich der Herausforderungen, vordie uns der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag stellenwird, eine Rolle spielen wird, nämlich die Frage der Ein-beziehung der Eltern.Wir haben auch heute hier viel über Schüler geredet.Ich glaube, dass die Angebote zur Förderung der Me-dienkompetenz von Eltern nach wie vor unzureichendsind. Deshalb möchte ich einfordern, dass wir ein Rechtauf Medienkompetenz für Eltern schaffen, dass wir die-ses Recht auch in Landesgesetzen verankern und dass eseinen konkreten Ansprechpartner gibt, bei dem Elternihr Recht auf Förderung ihrer Medienkompetenz geltendmachen können. Allein ein undefiniertes Recht hilftnicht. Ich wünsche mir vielmehr, dass an jeder Schuleein Lehrer, engagierte Eltern, ehrenamtliche Dritte odervielleicht auch Schüler oder Gruppen von Schülern dafürsorgen – sie können beispielsweise Elternabende veran-stalten und im Rahmen dieser über Medienkompetenzinformieren –, dass Eltern ihr Recht einlösen können.Das ist aus meiner Sicht eine sehr wichtige Forderung andieser Stelle.
Wir haben rund um das Thema Jugendmedienschutz-Staatsvertrag gesehen, dass sich die Regulierung desRundfunks weiterentwickelt hat. Sebastian Blumenthalhat das sehr gut zum Ausdruck gebracht: Wir können dieRegulierungsmechanismen des Rundfunks nicht eins zueins auf das Internet übertragen.
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h glaube, dass es als nächster Schritt gut wäre, auchuf Länderebene zu sagen, dass wir uns vom Instrumenter Sperrverfügungen lösen wollen.
In mehr als zehn Jahren wurde noch kein einzigesal eine Sperrverfügung erlassen. Professor Ring alser scheidende KJM-Vorsitzende erklärte, es sei tech-isch auch nur schwer möglich, das zu tun. Ich meine,enn man es ohnehin nicht machen kann, dann solltean sich davon auch verabschieden, um hier nicht einenindruck zu erwecken, den man gar nicht erweckenöchte. Nur aus Jugendschutzgründen Inhalte für alle zuperren, wäre meiner Ansicht nach unverhältnismäßig.
Ich möchte abschließend noch ein Thema ansprechen. Zusammenhang mit dem Jugendmedienschutz-taatsvertrag reden wir immer über Jugendschutzpro-ramme. Für mich ist es wichtig, dass man in der Verlän-erung von Anerkennungen, die jetzt anstehen, voraus-etzt, dass diese auch für mobile Geräte verfügbar sind.enn Jugendliche surfen heute nicht mehr vorwiegendit Windows-PCs, sondern mit Smartphones undablet-PCs. Auch hierfür müssen wir Lösungen finden.Ich freue mich, das mit Ihnen gemeinsam anzugehen.um Schluss meiner Rede möchte ich den Chefredakteuron Prentice Hall aus dem Jahre 1957 zitieren, der ge-agt hat: Ich habe die Länge und Breite dieses Landesereist und mit den besten Leuten geredet und kann Ih-en versichern, dass Datenverarbeitung ein Tick ist, wel-her dieses Jahr nicht überleben wird.Die Enquete-Kommission hat fast schon das zweiteahr überlebt. Deshalb bin ich zuversichtlich: Wir wer-en auch in der nächsten Zeit einen guten Job machen.Ich danke Ihnen vielmals.
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Das Wort hat der Kollege Gerold Reichenbach für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Liebe Zuschauer und Zuhörer! Früher hätte mangesagt: Rezipienten; das würde auch die Twitterer undBlogger umfassen.Die Enquete ist ein bisschen wie ihr Gegenstand, dasInternet: nicht nur gut oder nur schlecht, nicht nurschwarz oder nur weiß, sondern es gibt Licht und Schat-ten. Deswegen sollte man sich davor hüten, die Enqueteund ihre Arbeit schlechtzureden; aber man sollte sieauch nicht nur gutreden.Natürlich war es so, Kollege Jarzombek, dass vieleThemen nicht ausdiskutierbar waren, weil die Abgeord-neten der Koalitionsfraktionen Rücksicht auf die Kon-flikte in der Koalition in der aktuellen Tagespolitik ge-nommen haben. Und natürlich war es so, dass ein Teilder Arbeit leider dadurch geprägt war, dass man unange-nehme Entscheidungen und Abstimmungen durch Ta-gesordnungstricks, durch Verschieben, durch Sitzungs-unterbrechungen zu verhindern versuchte und mitsolchen Instrumenten teilweise auch den einen oder an-deren Sachverständigen aus den eigenen Reihen zu dis-ziplinieren versuchte.
Das hat leider auch das Bild der Enquete in der Öf-fentlichkeit und in der Szene stark geprägt. Dieser Ein-druck ist zutreffend; aber das ist eben nicht alles. Es gab– wir haben es angesprochen – in den Arbeitskreisenbreite Diskussionen, getragen von den Sachverständigenund von den Abgeordneten und in der Vorarbeit übrigensauch – in diese Richtung ebenfalls herzlichen Dank –von den Mitarbeitern der Abgeordneten, der Fraktionenund des Sekretariats der Enquete. In vielen Bereichenkonnten, wenn auch manchmal kontrovers – gerade imBereich des Datenschutzes gab es oft weder für die einenoch für die andere Empfehlung eine Mehrheit –, zumin-dest Perspektiven, Themenfelder und Konflikte aufge-zeigt werden. Ich glaube, das ist gut so. Aber ich glaubeauch, dass wir uns – wir sollten uns da nicht unter Zeit-druck setzen lassen und im Zweifel das Parlament bitten,den Arbeitsauftrag zu verlängern – am Ende an der Qua-lität unserer Arbeit orientieren sollten und nicht nur da-ran, dass wir etwas vorlegen.Natürlich ist es so, dass wir uns im Internet mit neuenQualitäten auseinanderzusetzen haben. Im Gegensatz– das muss man offen ansprechen – etwa zum Bereichder Medienkompetenz gibt es viele Bereiche, in denen esgravierend unterschiedliche Einschätzungen gibt. Siealle kennen den schönen Witz, der nicht nur an Stammti-schen, sondern manchmal auch in den Fraktionen überdie internetaffinen Politiker und Parteien gemacht wird:Sie sitzen sich mit Laptops oder Smartphones gegenüberund unterhalten sich über Twitter. Und dann lacht alles.DlaakdbRudsahdimawesgfoloetidesqdafümdVb–teddvDNsureuVugsaisng
ie Tatsache, dass noch immer viele über diesen Witzchen, sagt weniger etwas über die Situation im Netzus als über diejenigen, die darüber lachen. Denn sie ver-ennen völlig die Qualität des Netzes. Wenn ich jeman-em gegenübersitze und mit ihm direkt spreche, danneschränkt sich die Kommunikation mit ihm auf dieeichweite meiner Akustik. Sie ist gebunden an Raumnd Zeit. Wenn ich die Kommunikation ins Netz trage,ann können auch Leute partizipieren, die nicht anwe-end sind. Sie können zu einem viel späteren Zeitpunktntworten und in andere Kommunikationszusammen-änge eintreten. Dieses Beispiel ist symptomatisch füras ganze Netz. Die Unabhängigkeit von Raum und Zeit Netz, die teilweise durch Kommunikationsstrukturen,ber auch durch Daten und Datenerfassung gegebenird, ist zum einen ein Vorteil, zum anderen stellt sieine Gefahr dar; denn den natürlichen Schutz der Per-önlichkeitsrechte, die uns Raum und Zeit oft bieten,ibt es im Netz vielfach nicht mehr. Vieles kann ausge-rscht und verknüpft werden, was in der normalen ana-gen Welt nicht ausforschbar und nicht verknüpfbar ist.Hier liegt der Kern unserer grundsätzlichen Aus-inandersetzungen. Es stellt sich schon die Frage: Funk-oniert das alles nur durch reine Selbstorganisation nachem Motto der alten, gescheiterten Mär „Der Markt wirds schon richten“? Man könnte sagen: Das Netz wird eschon richten. – Ein großer Teil der Mitglieder der En-uete hat daran seine Zweifel; denn wir haben erlebt,ass die Selbstregulierungskräfte und die Marktkräfteuf den Finanzmärkten eben nicht zu Regulierungen ge-hrt haben. Wir haben gerade schmerzlich erfahrenüssen, dass fehlende Regulierung dazu führen kann,ass sich brutal unsoziales und teilweise sogar asozialeserhalten durchsetzt. Beim Thema Internetstalking ha-en wir erlebt, dass das auch im Netz passiert.
Lieber Jimmy Schulz, natürlich ist es wichtig, Kompe-nzen im Internet zu erwerben. Die Frage ist nur: Reichtas aus? Keiner käme auf die Idee, zu sagen: Wir stärkenie Kompetenz im Bereich Baukunde, und deswegenerzichten wir künftig darauf, Geländer vorzuschreiben.as Problem ist doch, dass wir ein Ungleichgewicht imetz haben – so war es auch in der Finanzkrise – zwi-chen denjenigen, die konstruieren, die Abläufe kennennd sie nutzen können, und denjenigen, die konsumie-n. Deswegen gab es eine zentrale Auseinandersetzungm die Frage: In wie vielen Bereichen müssen wir denerbraucher durch Regulierung schützen? Es geht alsom das zentrale Feld des Datenschutzes.Leider konnten wir uns in vielen Bereichen nicht eini-en. Wie sieht es denn aus? Kann ich den Verbraucher ineinem Surfverhalten ausforschen und sagen: Du hast jakzeptiert, dass der Browser so eingestellt bleibt, wie ert? Muss ich dafür seine Zustimmung erhalten? Es gehticht um die Frage, ob jemand im Netz reguliert oder re-lementiert wird, sondern es geht um die Frage, ob er
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18332 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012
Gerold Reichenbach
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das, was er zulässt, auch bewusst zulässt, oder ob ihmdie Daten sozusagen aus der Tasche geklaut werden under gar nicht mitbekommt, was ihm passiert.Leider muss man feststellen: Wir haben uns oft nurauf Formulierungen einigen können, die konsensual re-lativ schwach sind. Ich darf zitieren:Deshalb empfiehlt die Enquete-Kommission demDeutschen Bundestag, die Informationspflichten soauszugestalten, dass die Informationen von der Artund vom Umfang her die Grundlage für informierteund freiwillige Einwilligungen bilden, …
Na super! Was denn nun?
Opt-in oder Opt-out, Privacy by Design, Privacy by De-fault – alles bleibt völlig schwammig und offen.Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Ichglaube nicht – das Gleiche gilt auch für den Beschäftig-tendatenschutz –, dass die Arbeit der Enquete zu Endeist. Jimmy, wir greifen deine Idee gerne auf – auch wenndu dich jetzt lieber mit deiner charmanten Kollegin alsmit mir beschäftigst –, dass die Enquete ähnlich wie beider Enquete „Bürgerschaftliches Engagement“ am Endeden Vorschlag unterbreitet, einen eigenen Ausschuss zudiesem Thema einzurichten, der dann vom nächstenBundestag übernommen wird. Selbst dann haben wir eingutes Maß an Arbeit geleistet. Ich vertraue darauf, dasswir in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode stärkersachorientiert arbeiten. Wir sollten uns daran orientieren,dass die Arbeit an diesem wichtigen Thema weitergeht,damit wir weiterhin agieren und diskutieren können.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Manuel Höferlin für die
FDP-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zu-schauer an den Fernsehgeräten und im Internet!
Ich begrüße auch diejenigen, die es später als Podcastansehen werden. Datenschutz ist auch eine Frage vonMedienkompetenz. Ich glaube, das haben wir in derEnquete lernen können. Die einzelnen Projektgruppenkonnten wir nicht separat betrachten, aber es gab immerwieder Schnittpunkte zwischen den Projektgruppen. Ichhabe als Vorsitzender der Projektgruppe Datenschutz öf-ter den Hinweis gegeben, dass manches eher ein Themafür die Projektgruppe Medienkompetenz sei. Die The-men Medienkompetenz und Datenschutz greifen in-einander, Herr Kollege Reichenbach – jetzt unterhält ersSdgievusWgEwmumbgwNDgbvdleimnneaDsDIcawkggsligtasnwwT
Wir haben in den Handlungsempfehlungen – das wartztlich strittig; darüber wurde am meisten diskutiert – Bereich Datenschutz viele konsensuale Punkte aufge-ommen. Ich bin sehr froh darüber. Ich sehe es nicht soegativ wie Sie, Herr Kollege Reichenbach, wenn wirine Formulierung finden, die die Frage nicht ganz be-ntwortet.
ie Enquete-Kommission beschließt eben nicht alles,ondern sie gibt Handlungsempfehlungen. Sie gibt demeutschen Bundestag nicht vor, wie er zu handeln hat.h finde es richtig, dass hier im Deutschen Bundestagm Ende die Schlussfolgerung gezogen wird, was getanird, nachdem wir aufgezeigt haben, welche Möglich-eiten es gibt.Wir haben in der Projektgruppe Datenschutz bei eini-en Punkten erlebt, dass sich, wenn es zwei Positionenab, die unterschiedliche Wege zum gleichen Ziel dar-tellten, keine Mehrheit für eine der Positionen findeneß. Ich finde auch das nicht negativ. Wir konnten zei-en, dass es zwei Optionen gibt. Der Deutsche Bundes-g hat nach Vorlage des Berichts die Möglichkeit, inten-iv über diese zwei Optionen zu lesen. Natürlich weißicht jeder außerhalb der Enquete so viel darüber wieir; wir konnten in dieser Zeit viel darüber lernen. Des-egen ist es gut und sinnvoll, dass teilweise ausführlicheexte über diese Themen vorliegen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012 18333
Manuel Höferlin
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Wichtig ist für uns auch, zu verstehen, dass Daten-schutz nicht nur eine rechtliche Herausforderung ist,sondern auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wirhaben zum Beispiel intensiv über Fragen der Anonymi-tät und des Umgangs mit Identitäten in den Netzwerkendiskutiert. Dies betrifft häufig auch Tagespolitik. Wir ha-ben erlebt, dass tagespolitische Themen von Kollegender Opposition bewusst eingebracht wurden. Dies zu be-mängeln und den Koalitionsfraktionen vorzuwerfen,dass man darauf geachtet hat, dass tagespolitische Ent-scheidungen nicht blockiert werden, ist etwas scheinhei-lig. Sie haben solche Themen bewusst eingebracht. Da-bei ist klar, dass wir als Regierungskoalition daraufachten, dass aktuelle Punkte, auf die wir uns gerade– teilweise nach intensiven Diskussionen in der Koali-tion oder in den Fraktionen – geeinigt haben, auch um-gesetzt werden.Lassen Sie mich zum Ende noch Dank sagen. Ichmöchte Dank sagen an all die Kollegen in allen Fraktio-nen, die konstruktiv mitgearbeitet haben, an die Sachver-ständigen, an die Mitarbeiter, auch die Mitarbeiter desSekretariats, die sehr viele Texte sortieren mussten unddies sehr gut geschafft haben. Ich glaube, wir müssenvor allen Dingen den von außen aktiv Beteiligten dan-ken. Die Möglichkeit zur Beteiligung haben wir geschaf-fen, aber es reicht nicht, diese nur zu schaffen. Sie mussauch genutzt werden. Deswegen richte ich einen herzli-chen Dank an die Sachverständigen außerhalb des Parla-ments, die uns bei der Arbeit geholfen haben.Ich freue mich auf die zweite Hälfte und hoffe, dasswir weitere strittige, nicht immer konsensuale, aber amZiel orientierte Berichte erstellen werden.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Reinhard Brandl für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Es passt sehr gut, dass wir über das Thema Medien-kompetenz als erstes inhaltliches Ergebnis der Arbeit derEnquete-Kommission hier im Plenum diskutieren. Me-dienkompetenz ist zwar nicht die Antwort auf alle Fra-gen, die sich uns im Zusammenhang mit dem Internetstellen. Aber nur ein aufgeklärter, mündiger Nutzer kanndie Chancen realisieren, die sich ihm im Zusammenhangmit dem Internet bieten, und nur ein aufgeklärter, mündi-ger Nutzer kann mit den Risiken umgehen, die mit einerNutzung des Netzes verbunden sind.Medienkompetenz kann nicht gesetzlich verordnetwerden. Ihre Vermittlung ist auch nicht allein Aufgabedes Staates. Aber der Staat muss und kann entsprechendeBildungsangebote initiieren und fördern. Ein wichtigerErkenntnisgewinn und ein wichtiges Ergebnis der Arbeitder Enquete-Kommission ist für mich persönlich, dassim Zwischenbericht eine lange Liste von Initiativen, dieemtibabetudhzHPPbmaMabenzHggfeFmnisuühuVvdkgdindcaDmmdzIcws
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18334 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012
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Meine Damen und Herren, wenn es um das Bild geht,das wir aus unseren öffentlichen Sitzungen der Enquete-Kommission über den Livestream nach draußen trans-portieren, bin ich durchaus kritisch und auch selbstkri-tisch.
Kollege Brandl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Reichenbach?
Ja.
Bitte.
Herr Kollege, würden Sie mir zustimmen, dass es der
Enquete-Kommission als Ganzes vielleicht gutgetan
hätte, wenn wir nicht nur unser Plenum öffentlich über-
tragen, sondern auch die viel sachbezogenere Arbeit in
den Projektgruppen öffentlich gemacht hätten?
Sind Sie vielleicht bereit, darüber mit uns noch einmal
zu diskutieren?
Ich sehe hier ein Spannungsfeld. Wir erleben in denProjektgruppen eine sehr konstruktive Zusammenarbeitder Sachverständigen und der Abgeordneten und auchdas, was man von einer Enquete-Kommission erwartet,dass sich nämlich die Abgeordneten und Sachverständi-gen aus unterschiedlichen Fraktionen und vor unter-schiedlichen Hintergründen aufeinander zu bewegen.Genau das passiert in den Projektgruppen.
Herr Kollege, ich erlebe aber auch etwas anderes: Icherlebe die öffentlichen Sitzungen der Enquete-Kommis-sion, die per Livestream im Internet übertragen und na-türlich direkt über Twitter intensiv kommentiert werden,und auch entsprechende Rückkopplungen.
Diese Sitzungen unterscheiden sich atmosphärisch
und auch von der Art und Weise der Zusammenarbeither diametral von den Sitzungen der Projektgruppen.
EdsgwKtihIcdwgs–reuvriSfahsEMtäss
Der Herr Kollege Notz hat ja vorhin dargestellt, beielchen wichtigen und zentralen Punkten wir einenonsens gefunden haben.Ich bin hier, wie ich gerade gesagt habe, selbstkri-sch. Es liegt an uns, das besser darzustellen. Auch ichabe kein Patentrezept dafür.
h beobachte nur, dass in den öffentlichen Sitzungener Enquete-Kommission, die per Livestream übertragenerden, zwar vordergründig die totale Transparenz ge-eben ist, aber eigentlich nicht die Wirklichkeit des kon-truktiven Miteinanders vermittelt wird.
Herr Reichenbach, ich habe versucht, Ihre Frage diffe-nziert zu beantworten. Ich bin nicht gegen Transparenznd gegen Öffentlichkeit. Im Gegenteil: Wir müssenersuchen, das, was wir hier tun, in der Öffentlichkeitchtig darzustellen.
ie müssen mir aber zustimmen, Herr Kollege: Die Er-hrung, die wir in den öffentlichen Sitzungen gemachtaben, ist nicht geeignet, das Bild der Enquete-Kommis-ion in der Öffentlichkeit zu fördern.
s wundert mich deswegen auch nicht, dass sich dieenschen, wenn sie nur dieses Schauspiel erleben, ent-uscht abwenden und sagen, die Enquete-Kommissionei gescheitert. – Herr Kollege Reichenbach, Sie dürfenich setzen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012 18335
Dr. Reinhard Brandl
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Ja, ich habe deswegen eine so lange Antwort auf IhreFrage gegeben,
weil mir das ein Anliegen ist und das ein Thema ist, mitdem ich mich beschäftige, nämlich wie es uns besser ge-lingen kann, das konstruktive Miteinander öffentlichdarzustellen und nicht immer nur den Streit zu betonen.Auch Streit ist wichtig, weil die Menschen wissen müs-sen, wer in der Politik für was steht. Aber das ist nichtdas, was sie von der Enquete-Kommission erwarten.Wir haben sehr gute Zwischenberichte vorgelegt, ins-besondere zur Medienkompetenz. Wer den Bericht liest,sieht, dass wir und die Sachverständigen sehr viel Mühedarauf verwendet haben, die teilweise sehr komplexenZusammenhänge von verschiedenen Seiten zu beleuch-ten und auch in weiten Teilen zu konsensualen Hand-lungsempfehlungen zu kommen.Mir hat die Arbeit sehr viel Freude gemacht. Ich kannauch sagen: Ich habe in der Arbeit viel von den Sachver-ständigen gelernt. Herzlichen Dank für den tollen Input,den Sie immer wieder geliefert haben. Ich freue mich aufdie zweite Hälfte der Arbeit der Enquete-Kommissionund auf die weitere konstruktive Zusammenarbeit.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Michael Kretschmer für die Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Zunächst einmal: Nachdem wir vor zwei Jahrenwährend der Koalitionsverhandlungen überlegt hatten,diese Enquete-Kommission einzusetzen – ein Vorschlagvon unserem Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder –,
haben wir in diesem Parlament eine breite Mehrheit fürdie Einsetzung der Enquete-Kommission „Internet unddigitale Gesellschaft“ gesucht und auch gefunden. Ichglaube, das war die richtige Entscheidung. Wir könnenbereits heute sagen: Das hat sich gelohnt.Wir haben auf der einen Seite das Bewusstsein imParlament für die Themen der Netzpolitik und der Digi-talisierung gesteigert, und wir haben auf der anderenSeite ein Signal in die Gesellschaft gegeben, dass unsdiese zwei Themen besonders wichtig sind. Es handelts„hcPvbgECHudTwhsszebtamgAmszstadGeDrüeng1gbazgMte1qHsk
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18336 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012
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Die Bedenken, ob man ein Beteiligungstool schaffenund einen 18. Sachverständigen fest etablieren sollte, be-ruhten, glaube ich, zum großen Teil auf einem zentralenMissverständnis, was die Frage angeht, ob dieser18. Sachverständige über das entscheiden sollte, wasletzten Endes der Deutsche Bundestag beraten und be-schließen oder was die Enquete-Kommission an Ergeb-nissen erzielen soll. Das geht natürlich nicht. Der Sach-verständige von außen kann immer nur beraten.Ich finde, dass wir es über das Beteiligungstool Ad-hocracy gut organisiert haben, uns eine Lobbygruppe zuschaffen, wie sie in anderen Politikfeldern völlig selbst-verständlich ist: Der ADAC berät in der Verkehrspolitik,der BDI begleitet die Wirtschaftsfragen, und Greenpeaceerhebt in Umweltfragen die Stimme.
An keiner Stelle erwartet man, dass die einzelne Lobby-gruppe repräsentativ für die gesamte Bevölkerung bzw.für die gesamte Politik sprechen kann. Aber es ist unstrotzdem wichtig, zu hören, was Greenpeace denkt, wasder BDI meint oder welche Position der ADAC vertritt.Deswegen ist es richtig, den 18. Sachverständigen einge-führt zu haben. In diesem Selbstverständnis müssen wiroffen damit umgehen, auch in Zukunft Partizipations-möglichkeiten im Deutschen Bundestag und in den Par-teien bis hin zur Kommunal- und Landespolitik zu schaf-fen. Wenn man dieses Selbstverständnis hat, kann mandiese Möglichkeit der Beteiligung selbstbewusst und of-fen schaffen. Wir zumindest wollen das gern.
Es wurde viel über die Frage gesprochen, wie vielStaat nötig ist. Ich teile die Einschätzung, dass geradebeim Internet die Selbstregulierung und Selbstverant-wortung sehr gut funktionieren, sodass man sagen kann:An vielen Punkten im Internet ist durch die Experten undAkteure Gutes entstanden. Das zeigt auch die Domain-vergabe in den vergangenen Jahrzehnten, ein äußerstkomplexes Verfahren, das gut gemanagt worden ist.Aber wir sehen auch: Je weniger technisch die regu-lierten Bereiche werden, desto stärker wird der Legiti-mationsdruck, wenn es keine staatlichen Vereinbarungenund Gesetze gibt, in denen die Regularien festgelegtwerden, sondern alles von nichtstaatlichen Organisatio-nen geregelt wird. Deswegen ist es richtig, dass wir aufinternationale oder europäische Vereinbarungen drän-gen, die gewisse Bereiche des Internets regulieren.Insofern ist es richtig, dass sich die EuropäischeUnion darüber Gedanken macht, wie der Datenschutz imInternet innerhalb der Europäischen Union organisiertwerden kann. Wenn die Europäische Union als großerRaum einen Standard setzt, besteht natürlich die Mög-lichkeit, dass dieser Standard auch international verstärktzum Vorbild genommen wird.Aber zu dem Entwurf der EU-Datenschutzverord-nung, der am 25. Januar vorgestellt werden soll, gibt eseine ganze Reihe von Fragezeichen und Bedenken, diewir intensiv miteinander diskutieren müssen. Ich weißnicht, ob es in dieser Verordnung einen angemessenenAIncdwVnindmns
Ich wäre dankbar dafür, wenn nicht nur in der Inter-et-Enquete-Kommission, sondern auch darüber hinaustensiv über die Vorschläge der Europäischen Unioniskutiert würde. Denn das Gegenteil von gut ist gut ge-eint. Es geht darum, etwas Richtiges aus der Verord-ung zu machen. Wir sollten uns intensiv in die Diskus-ion einbringen.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 a bis c auf:a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-neten Anette Kramme, Gabriele Lösekrug-Möller, Bernhard Brinkmann , wei-teren Abgeordneten und der Fraktion der SPDeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
– Drucksache 17/4665 –Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Arbeit und Soziales
– Drucksache 17/8385 –Berichterstattung:Abgeordneter Paul Lehriederb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeordneten
Brigitte Pothmer, Fritz Kuhn, Dr. WolfgangStrengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENJetzt Voraussetzungen für die Einführung ei-nes Mindestlohns schaffen– Drucksachen 17/7483, 17/8385 –Berichterstattung:Abgeordneter Paul Lehriederc) Beratung des Antrags der Abgeordneten JuttaKrellmann, Sabine Zimmermann, Diana Golze,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEMehrheitswillen respektieren – GesetzlicherMindestlohn jetzt– Drucksache 17/8026 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012 18337
Vizepräsidentin Petra Pau
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, die not-wendigen Umgruppierungen in den Fraktionsreihen sovorzunehmen, dass wir die Aussprache eröffnen unddann den Rednerinnen und Rednern zuhören können.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegePeter Weiß für die Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Die gerechte Entlohnung der Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer und deren Beteiligung am wirtschaftli-chen Erfolg sind ein zentraler Markenkern einer sozialenMarktwirtschaft. Das legendäre Credo Ludwig Erhards„Wohlstand für alle“ war und ist unter anderem eineklare Absage an Dumpinglöhne. Ludwig Erhard hat spä-ter als Bundeskanzler formuliert:Ziel der deutschen Sozialpolitik muss es sein, allesozialen Gruppen vor einer Entwicklung zu bewah-ren, in der sie zunehmend bloß Objekte staatlicherFürsorge sind.Das ist eine deutliche Ansage gegen eine Politik derAusgrenzung und zugleich ein Appell gegen staatlicheBevormundung und Einmischung in alle Bereiche desLebens.Um Lohndumping und damit Wettbewerbsverzerrungzu verhindern, hat übrigens erstmals eine Koalition ausCDU/CSU und FDP im Jahr 1996 mit der Verabschie-dung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes die Möglich-keit geschaffen, für bestimmte Bereiche einen allge-meinverbindlichen Mindestlohn festzulegen. Schauenwir uns vor diesem Hintergrund die jüngste Entwicklungan. Zum 1. Januar dieses Jahres sind drei Mindestlohn-regelungen neu bzw. erneut in Kraft getreten. Zum erstenMal gibt es eine Mindestlohnregelung bzw. eine untereLohngrenze für den Bereich der Zeitarbeit.
Die Gültigkeitsdauer der bestehenden Mindestlohnrege-lungen für Dachdecker und Gebäudereiniger wurde ver-längert, und die Mindestlöhne wurden angehoben. Damitsind heute 4 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer in Deutschland in Bereichen beschäftigt, in de-nen allgemeinverbindliche Mindestlohnregelungen gel-ten. So viele Mindestlöhne gab es in Deutschland nochnie.
So viele Mindestlöhne gibt es nicht etwa unter einem so-zialdemokratischen Kanzler, sondern unter einer christ-demokratischen Kanzlerin. Das ist doch bemerkenswert.
Bei allen heute geltenden Mindestlohnregelungenhandelt es sich um Regelungen, die die Tarifpartner, Ar-buteelödFDvdlodpmsdduKdJsBAkderubwdefühW–swTb
Nun legen uns die Sozialdemokraten heute einen Ge-etzentwurf zur Abstimmung vor,
er einen ganz anderen Weg vorsieht. Er sieht vor, dasser Bundestag die Höhe des Mindestlohns beschließtnd dass die Tarifpartner eingeladen werden, an einerommission mitzuwirken, in der sie darüber beratenürfen, ob der Mindestlohn nächstes oder übernächstesahr angehoben werden soll. Im Gesetzentwurf stehtchon, dass dann, wenn sie sich nicht einig werden, dieundesministerin für Arbeit und Soziales das erledigt. –uf gut Deutsch: Dieser Gesetzentwurf der Sozialdemo-raten ist nichts anderes als ein Misstrauensantrag gegenie Tarifpartner in Deutschland.
Warum soll eigentlich noch ein Arbeitnehmer oderine Arbeitnehmerin einer Gewerkschaft beitreten, wa-m soll ein Unternehmen einem Arbeitgeberverbandeitreten,
enn die Tarifpolitik in Wahrheit im Parlament und iner Bundesregierung gemacht wird und der Beitritt zuiner Gewerkschaft oder zu einem Arbeitgeberverbandr die Tarifgestaltung überhaupt keine Bedeutung mehrat?
er mit staatlicher Lohnfestsetzung beginnt, Herr Heildas wäre der Beginn einer staatlichen Lohnfest-etzung –, schwächt in Wahrheit die Gewerkschaftenie die Arbeitgeberverbände, untergräbt die Arbeit derarifpartner und beschädigt das Erfolgsrezept, das wirei der Lohnfindung in Deutschland bisher hatten.
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18338 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012
Peter Weiß
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Im Gegensatz dazu ist der Beschluss des Bundespar-teitags der CDU vom November des vergangenen Jahresein wegweisender Beschluss,
der deutlich macht: Wir wollen die Tarifpartner stärken.
Unser Beschluss lautet: Wir wollen eine gemeinsameKommission der Tarifpartner, der Gewerkschaften undArbeitgeber, die miteinander eine allgemeine untereLohngrenze verhandeln können, die anschließend durcheine Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Ar-beit und Soziales für allgemeinverbindlich erklärt wer-den kann. Das heißt, die Verantwortung für die Lohnfin-dung bleibt dort, wo sie hingehört: bei den Tarifpartnern.
Es ist ein Vorschlag, der die Tarifpartner stärkt: Wergute Mindestlöhne will, muss in die Gewerkschaft ein-treten. Wer als Arbeitgeber mitreden will, muss in denArbeitgeberverband eintreten. Es muss frei miteinanderverhandelt werden. Lohnpolitik gehört nicht in das Par-lament, sie gehört nicht in die Bundesregierung; sie ge-hört dorthin, wo der Sachverstand dafür stets vorhandenist, nämlich bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern.
Die Tarifpartner haben in der Vergangenheit in denverschiedensten Situationen gezeigt, dass sie zu sachge-rechten Lösungen sehr wohl imstande sind. Mit der inDeutschland gewachsenen Tradition der Sozialpartner-schaft verfügen wir über ein Modell, das staatlichen Ein-griffen weit überlegen ist – es ist übrigens internationalanerkannt – und für das wir von vielen beneidet werden.
Es ist nicht lange her, dass das Zusammenspiel der So-zialpartner den entscheidenden Beitrag zur Überwin-dung der Finanz- und Wirtschaftskrise geleistet hat. Des-halb finde ich: Eine solche Ohrfeige, wie sie hier vonden Sozialdemokraten ausgeteilt wird, haben die Tarif-parteien nicht verdient.naleriGluKv–sicvddagbhhLleMinTnwisnasUM
Mit dem System der Tarifautonomie sind die Arbeit-ehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland letztlichuch stets gut gefahren. Richtig ist, dass wir heute in vie-n Bereichen eine geringe Tarifbindung und einen ge-ngen gewerkschaftlichen Organisationsgrad haben.
enau das veranlasst uns als Union ja dazu, eine Rege-ng zusätzlich vorzuschlagen, über die wir mit unseremoalitionspartner in den nächsten Wochen und Monatenerhandeln wollen.
Da gerade bei den Sozialdemokraten Parteitagsbe-chlüsse angeblich eine so hohe Bedeutung haben, bitteh doch, das auch der CDU zuzubilligen.
Weil eben in Teilbereichen nur diese geringe Bindungorhanden ist, wollen wir eine Regelung schaffen, nacher über die Branchen hinaus, in denen schon heute Min-estlöhne bestehen, die Tarifpartner miteinander einellgemeine Lohnuntergrenze verhandeln können. Ichlaube, dass dieses Modell letztlich genau den Erfolg ha-en wird, den gute und starke Tarifpartner bei Tarifver-andlungen auch bisher zustande gebracht haben. Des-alb gilt für uns in dieser Debatte über untereohngrenze und Mindestlöhne in Deutschland: Wir wol-n in der Lohnpolitik an das Erfolgsrezept der sozialenarktwirtschaft anknüpfen. Das heißt: Nein zum Staats-terventionismus, Ja zu starken Tarifparteien und Ja zuariflöhnen.Vielen Dank.
Kollegin Enkelmann, zur Geschäftsordnung?
Danke, Frau Präsidentin. – Kollege Weiß hat in sei-em Beitrag deutlich gemacht, dass das Thema, über dasir hier debattieren, für das gesamte Haus sehr wichtigt. Er sprach darüber, dass es dazu Verhandlungen in-erhalb der Koalition gibt. Wir meinen schon, dass dannuch die zuständige Ministerin im Plenum anwesendein sollte und nicht nur der Staatssekretär.
nsere Fraktion fordert deswegen die Herbeirufung derinisterin Frau von der Leyen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012 18339
Dr. Dagmar Enkelmann
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Wünscht jemand das Wort dazu, oder ist das allge-
meiner Konsens?
– Das ist offensichtlich der Fall.
Hat die Bundesregierung einen Hinweis für mich, wo
sich die Ministerin befindet?
– Deswegen frage ich. Ich habe keine offizielle Ent-
schuldigung vorliegen.
Dann unterbreche ich die Sitzung.
– Ich habe zweimal nachgefragt. – Es gibt jetzt doch eine
Wortmeldung aus der Unionsfraktion.
Ich habe Frau Enkelmann so verstanden, dass sie
möchte, dass die Ministerin anwesend ist. Aber offen-
sichtlich legt sie doch nicht so viel Wert darauf, dass die
Ministerin kommt, weil sie dazu keinen Antrag stellt.
Wir sehen keine Notwendigkeit, dass die Ministerin
an dieser Debatte teilnimmt. Das Ministerium ist durch
den Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Brauksiepe
vertreten. Es handelt sich um die Beratung der Be-
schlussempfehlungen des Ausschusses. Da ist es ohne-
hin nicht üblich, dass Minister noch das Wort ergreifen.
Wir sehen jedenfalls keine Veranlassung, sie herbeizuru-
fen, zumal uns dieses Thema regelmäßig beschäftigt und
die Ministerin zu Anträgen der Opposition immer wieder
das Wort ergriffen hat und die Positionen dazu klarlie-
gen. Es besteht also keine Veranlassung, die Ministerin
herzubitten.
Gut. Frau Enkelmann hat dies beantragt. Ich hatte ge-fragt, ob es dazu eine Gegenrede gibt, und Sie hattendurch Kopfnicken vorerst signalisiert, dass Sie einver-standen sind.
Nun haben Sie deutlich gemacht, dass die Unionsfrak-tion diesen Konsens nicht mitträgt.Wir stimmen also ab, ob die Frau Ministerin herbei-gerufen wird. Ich bitte diejenigen, die für die Herbei-rucDsAdFdsenzfüdövNdddmKKktrwbBhTuhdVrile
as Präsidium ist sich leider in der Feststellung des Ab-timmungsergebnisses nicht einig.
lso machen wir einen Hammelsprung. Ich bitte Sie,en Plenarsaal zu verlassen.Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen der FDP-raktion, erstens sich zu erheben und zweitens sich aufen Weg zum Ausgang zu machen. Ich kann mir ja vor-tellen, dass Sie manches beschwert. Aber jetzt ist erstinmal Hammelsprung aufgerufen.Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die es nochicht geschafft haben, durch die Tür zu gehen, dies jetztu tun. – Sind alle drei Türen geschlossen? – Die Schrift-hrerinnen und Schriftführer sind an ihren Plätzen, undie Türen sind verschlossen. Dann können wir die Türenffnen und mit dem Hammelsprung beginnen.Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die sich nochor den Türen befinden, den Saal wieder zu betreten.ach unserem Überblick ist dies ohne Weiteres möglich.Die Türen werden geschlossen. Die Abstimmung istamit beendet.Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, miras Ergebnis der Auszählung mitzuteilen. –Ich bitte Sie, Platz zu nehmen, damit ich das Ergebniser Abstimmung über die Herbeizitierung der Bundes-inisterin bekannt geben kann: 138 Kolleginnen undollegen haben mit Ja gestimmt, 190 Kolleginnen undollegen haben mit Nein gestimmt. Enthalten hat sicheine Kollegin bzw. kein Kollege. Damit ist dieser An-ag abgelehnt.
Zur Erklärung für all diejenigen, die diesem unge-ohnten Prozedere das erste Mal beiwohnen: Wir habenei dieser Gelegenheit festgestellt, dass der Deutscheundestag auch jetzt, um 11.25 Uhr, noch beschlussfä-ig ist.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an diesemagesordnungspunkt jetzt nicht mehr teilhaben können,ns zu ermöglichen, in dieser Debatte fortzufahren, daseißt, die Gespräche, die unbedingt notwendig sind, voren Plenarsaal zu verlagern. Diese Bitte richte ich anertreterinnen und Vertreter aller Fraktionen und im Üb-gen auch an die Regierungsbank.Wir setzen die Aussprache fort. Das Wort hat der Kol-ge Hubertus Heil für die SPD-Fraktion.
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18340 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man in Zeiten wie diesen im Deutschen Bundestag
in einer öffentlichen Debatte redet, dann taucht immer
wieder ein Begriff auf, der im Hinblick auf das Ver-
trauen der Menschen in demokratische Politik so etwas
wie die knappste Ressource zu sein scheint, nämlich der
Begriff der Glaubwürdigkeit. Willy Brandt hat einmal
gesagt, wie Glaubwürdigkeit entsteht: Man muss sagen,
was man tut, und tun, was man sagt. Deshalb tun wir So-
zialdemokraten das, was wir sagen, und legen heute die-
sem Haus in zweiter und dritter Lesung unseren Gesetz-
entwurf zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns
vor.
Herr Weiß, ich finde, das ist ein Unterschied zu dem,
was Sie hier geboten haben. Bei Ihnen klaffen Reden
und Handeln meilenweit auseinander. Es gibt nichts Gu-
tes, außer man tut es!
Viel über den Mindestlohn zu schwadronieren, aber kei-
nen Gesetzentwurf vorzulegen, das ist kein Ruhmesblatt.
Wir schlagen vor, in Deutschland einen existenz-
sichernden gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, damit
Menschen, die hart arbeiten, von ihrer Arbeit auch leben
können. Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, gibt
Gelegenheit, die Lebenssituation von über 5 Millionen
Menschen in Deutschland zu verbessern, von 16 Prozent
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die bisher
weniger als 8,50 Euro in der Stunde verdienen. Unter
dem Strich helfen wir damit nicht nur den Menschen
– das alleine wäre bereits ein Grund, dem Gesetzentwurf
heute zuzustimmen –, sondern auch den öffentlichen
Kassen und somit der Gesellschaft insgesamt.
Eine Studie des renommierten Prognos-Instituts hat
nachgewiesen, dass die fiskalischen, die finanzpoliti-
schen Wirkungen der Einführung eines Mindestlohns für
die öffentlichen Haushalte zu einem Plus von 7 Milliar-
den Euro führen würden, und zwar durch steigende Er-
werbseinkommen für private Haushalte und damit stei-
gende Steuer- und Beitragseinnahmen, durch eine
Stärkung der Binnennachfrage, was gerade in Zeiten wie
diesen sehr wichtig ist, und nicht zuletzt durch sinkende
Sozialausgaben.
Angesichts der Tatsache, dass sich immer mehr Men-
schen trotz Vollzeitarbeit ergänzend Arbeitslosengeld II
vom Amt abholen müssen, sagen wir: Es muss Schluss
damit sein, dass wir immer mehr Armutslöhne in diesem
Land mit Steuergeldern aufstocken müssen. Das darf
nicht sein; das wollen wir beenden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den bisherigen
Regierungsfraktionen, ein Mindestlohn ist auch ord-
nungspolitisch geboten, weil es um fairen Wettbewerb
geht, weil wir die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die
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Zweitens. Wenn Mindestlöhne notwendig sind, wol-
n wir – das konstatieren Sie auch – einen Vorrang für
ranchenspezifische Mindestlöhne nach dem Tarifver-
agsgesetz und dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz.
uch da könnten wir gemeinsam etwas machen: Wir
önnten es erleichtern, dass tarifvertragliche branchen-
ezogene Mindestlöhne zustande kommen.
Ich will Ihnen eines sagen: Sie rühmen sich hier, zum
. Januar in drei Branchen Mindestlöhne eingeführt zu
aben. Ich kann mich ganz gut erinnern – die Kollegin
othmer auch –, wie mühsam wir Ihnen diese Mindest-
hne in den Bereichen der Zeit- und Leiharbeit, des
icherheitsgewerbes und der Weiterbildung in den Ver-
andlungen abringen mussten.
h sage Ihnen: Wir könnten es einfacher machen, indem
ir das Arbeitnehmer-Entsendegesetz ändern und jeder
ranche, die das will und kann, die Möglichkeit eines
ranchenspezifischen Mindestlohns nach dem Arbeit-
ehmer-Entsendegesetz geben.
Gestatten Sie eine Frage des Kollegen Wadephul?
Bitte schön.
Herr Kollege Heil, ich bin geneigt, Sie ernst zu neh-en –
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012 18341
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Das kann ich nur wünschen.
– und auf Ihr Angebot einzugehen, gemeinsam da-
rüber zu diskutieren. Das, was Sie gerade vorgetragen
haben, findet sich aber sämtlich nicht in Ihrem Gesetz-
entwurf wieder. Werden Sie deshalb in dieser Debatte,
bei diesem Tagesordnungspunkt Ihren Gesetzentwurf
zurückziehen und damit gegebenenfalls ermöglichen,
dass man zu gemeinsamen Regelungen kommt, oder
werden Sie diesen Gesetzentwurf inkonsequenterweise
zur Abstimmung stellen?
Herr Kollege, ich bin Ihnen für diese Frage ausge-sprochen dankbar, weil sie mir die Gelegenheit gibt, die-sen Zusammenhang zu erläutern. Ich habe eben gesagt:Wir wollen einen Vorrang für tarifvertragliche Lösun-gen. Ich erwähne das, weil Herr Weiß das angesprochenhat und dabei insinuiert hat, unterstellt hat, wir würdendie Tarifautonomie infrage stellen. Herr Wadephul, ichfrage Sie an dieser Stelle einmal – die Frage ist offen –:Wären die Gewerkschaften in diesem Land für einen ge-setzlichen Mindestlohn, wenn es stimmen würde, dassseine Einführung die Gewerkschaften schwächt?
Deshalb ist der Zusammenhang klar.Herr Wadephul, unser Vorschlag an Sie ist: LassenSie uns dafür sorgen, dass es einen Vorrang für tarifver-tragliche Lösungen gibt, damit wir zu fairen Löhnen inDeutschland zurückkehren. Das wird durch unseren Ge-setzentwurf nicht verunmöglicht; im Gegenteil: Erstärkt, wie ich gleich zeige, die Tarifautonomie. Wirwollen einen Vorrang für Mindestlöhne in einzelnenBranchen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz; siesind schon jetzt möglich, aber wir wollen es einfachermachen. Ich sage Ihnen: Wir brauchen gleichwohl
– diese Klarstellung müssen Sie sich gefallen lassen –eine verbindliche Lohnuntergrenze und einen gesetzli-chen Mindestlohn. Das unterscheidet uns möglicher-weise noch.
Wenn ich mir Ihren Antrag und Beschluss vom Partei-tag in Leipzig anschaue, dann fällt mir Folgendes auf:Sie sagen, dass Sie einen Mindestlohn oder eine gesetzli-che Lohnuntergrenze für die Bereiche wollen, in denenes keine Tarifverträge gibt. Ich sage Ihnen: Das ist schonhli–FdzAbBmdgsehSVnInSvdbstiMWFnDtewShDL
Herr Wadephul, bleiben Sie bitte stehen. Ich will dierage, die Sie gestellt haben, beantworten. – Frau Präsi-entin, ich finde es ein bisschen ungehörig, eine Frageu stellen und sich dann hinzusetzen.
ber okay: So sind die Bürgerlichen im Moment.
Herr Wadephul, ich sage Ihnen an dieser Stelle: Wirrauchen eine gesetzliche Lohnuntergrenze auch in denereichen, in denen die Tarifautonomie einfach nichtehr funktioniert. Die berühmte Friseurin in Thüringen,ie 3,18 Euro pro Stunde verdient, erhält diesen Lohnemäß Tarifvertrag. Wir wollen die Lebenssituation die-er Menschen konkret verbessern. Deshalb brauchen wirinen gesetzlichen Mindestlohn. Das gehört zusammen.
Unser Angebot steht: Sie von der Koalition könneneute ein Stück Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, wennie sich auf diesen Weg einlassen. Das werden Sie alleroraussicht nach nicht tun, auch weil Ihr Koalitionspart-er Sie wieder einmal an einem richtigen Schritt hindert. diesem Zusammenhang muss ich der FDP an einertelle ausnahmsweise recht geben. Herr Kollege Vogelon der FDP, ich habe heute im Handelsblatt gelesen,ass Sie die Position der Union schön umschrieben ha-en: Sie verstünden nicht genau, was die Union in die-em Bereich wolle. Am Ende des Tages sei das ein kräf-ges Jein der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Sachenindestlohn.
o die FDP recht hat, hat sie recht: Sie eiern in dieserrage herum.
Deshalb habe ich mich an den Lateinunterricht erin-ert, den ich vor mehr als 20 Jahren hatte.
a haben wir gelernt, was der Begriff „Placebo“ bedeu-t. Placebo heißt – ich musste noch einmal nachgucken –örtlich übersetzt „Ich werde gefallen“. Im gemeinenprachgebrauch nehmen wir den Begriff „Placebo“eute für Arzneimittel, die keine Wirkung entfalten.eshalb kann man das, was Sie auf dem Parteitag ineipzig beschlossen haben, tatsächlich nur als einen Pla-
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18342 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012
Hubertus Heil
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cebo-Mindestlohn beschreiben. Sie wollen gefallen, aberSie bewirken nichts mit dem, was Sie da beschließen.Auch hier gilt Willy Brandt: Politik, die nicht dazu bei-trägt, die Lebenssituation der Menschen zu verbessern,soll uns in diesem Land gestohlen bleiben.
Herr Weiß und Herr Schiewerling, ich nehme Ihnenab, dass Sie Gutes wollen. Ich bezweifle nur, dass Sieeine Mehrheit im eigenen Laden und eine Mehrheit indieser Koalition haben. Dass die Kanzlerin in dieserFrage schweigt und sich im Bereich der Finanztransak-tionssteuer – da ist es ähnlich – nicht gegen einen schwä-chelnden Koalitionspartner durchsetzen kann, istschlimm genug.Wir könnten miteinander zu vernünftigen Lösungenkommen. Wir legen Ihnen heute einen schlanken, einenguten, einen einfachen Gesetzentwurf vor.
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege
Dr. Heinrich Kolb.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Kollege Heil, mit solchen „Versprechungen“, wasman nach der Wahl machen werde, soll man vorsichtigsein.
– Nein, warten Sie es erst einmal ab. Der Schuss geht fürSie nach hinten los, Herr Kollege Heil. Sie haben vor derBundestagswahl 1998 schriftlich versprochen: Als Ers-tes werden wir nach einer gewonnenen Bundestagswahlden demografischen Faktor, den Schwarz-Gelb einge-führt hat, abschaffen. – Das haben Sie auch getan, abernur ganz kurz. Denn wenig später haben Sie festgestellt,das passt gar nicht zusammen, und Sie haben den demo-grafischen Faktor als Nachhaltigkeitsfaktor wieder ein-geführt.
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Das Zweite, was ich sagen will – damit ich es nichtergesse, sage ich es vorab –: Ein einheitlicher gesetzli-her Mindestlohn ist kein Projekt dieser schwarz-gelbenundesregierung.
as steht klar und unmissverständlich im Koalitionsver-ag. Und um es noch klarer zu sagen: Sie können dabeias Wort „einheitlich“ auch durch die Worte „flächende-kend“ oder „für alle Branchen geltend“ ersetzen. Dasndert an der Bewertung durch unsere Fraktion nichts.ir stehen zum Koalitionsvertrag, und ich habe keinenweifel, anzunehmen, dass das bei unserem Koalitions-artner anders gesehen wird.
Herr Kollege Heil, zu Ihrem Gesetzentwurf. Sie ha-en die Glaubwürdigkeit an den Anfang Ihrer Rede ge-tellt. Glaubwürdigkeit beinhaltet für mich, dass das,as man sagt, stimmen sollte,
nd man sollte keine falschen Eindrücke erwecken. Datelle ich gewisse Anforderungen an Sie persönlichdenn ich schätze Sie sehr –, aber auch an Ihre Fraktion.h finde, eine Partei, die von 1998 bis 2009 den Bun-esarbeitsminister gestellt hat, kann nicht einfach so ei-en Antrag hinschmieren, wie Sie es mit dem vorliegen-en Antrag offensichtlich getan haben. Ich will Ihnenas an sieben Punkten untermauern.Ich erwarte von der SPD, dass sie im Gesetz selbstnd nicht nur in der Begründung – Sie sagten nämlich,er hart arbeite, müsse davon auch leben können – klaragt, dass ihr Mindestlohn existenzsichernd nur für al-instehende Vollzeitbeschäftigte sein soll
nd dass ihr Mindestlohn nichts daran ändern würde,ass auch in Zukunft in mehreren Hunderttausend Fäl-n, in der überwiegenden Mehrheit der Fälle Menschenufstockerleistungen in Anspruch nehmen müssten, umr eigenes Einkommen dem tatsächlichen Bedarf anzu-assen, nämlich Verheiratete und Familien mit Kindern.as ist übrigens keine Schande – das will ich hier einmalehr deutlich sagen –, sondern es ist eine Errungenschaftnseres Sozialstaates, dass genau diese Aufstockung desinkommens bis zum Bedarf stattfindet.
Ich erwarte von der SPD, Herr Kollege Heil, dass siere Begründung eines Mindestlohns laufend überprüft.ie haben in Ihrem Antrag vom Februar 2011 noch da-or gewarnt, dass eine Invasion von Arbeitnehmerinnennd Arbeitnehmern aus Osteuropa nach Deutschland un-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012 18343
Dr. Heinrich L. Kolb
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mittelbar bevorstünde. Die Entwicklung des letzten Jah-res hat gezeigt, dass genau das nicht eingetreten ist. Des-halb hätte ich von Ihnen erwartet, dass Sie sagen, dassjedenfalls dieses Argument zur Begründung eines Min-destlohnes in Deutschland nicht mehr taugt.
Ich erwarte von der SPD, Herr Kollege Heil, dass,wenn sie auf Seite 5 ihres Gesetzentwurfs schreibt, derAnteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Ar-mutslöhnen sei zwischen 1998 und 2008 von 8,3 auf12,7 Prozent gestiegen, sie dann auch dazuschreibt: Dasist genau der Zeitraum, in dem die SPD den Arbeitsmi-nister in diesem Land gestellt hat.
– Nein, 98. Ich habe mir das selbst herausgeschrieben;
ich schreibe meine Reden durchaus noch selbst. – Dasswir diesen Niedriglohnsektor haben, ist übrigens keinZufall und auch nicht versehentlich passiert. Vielmehrwar es ein bewusstes Ergebnis Ihrer Politik. Sie wollteneinen Niedriglohnsektor; Sie haben ihn ganz aktiv ange-strebt.Ich erwarte von der SPD, Herr Kollege Heil, wenn siebehauptet, der wachsende Niedriglohnsektor führe zu ei-ner Erosion der Einnahmebasis der Sozialversicherun-gen und des Staates, wie es auf Seite 1 ihres Antragessteht, dass sie das wenigstens überschlägig mit der Rea-lität vergleicht. Schon ein kurzer Blick in die Beitrags-und Steuerkassen hätte Ihnen gezeigt: Die Sozialver-sicherungsbeiträge und Steuern sprudeln auf Rekord-niveau in diesem Lande. Das zeigt, dass Ihre Prämisse andieser Stelle falsch ist.Ich hätte von der SPD, Herr Kollege Heil, auch er-wartet, dass sie nicht vordergründig behauptet, sie wolleselbstverständlich einen unpolitischen Mindestlohn,dann aber ein System vorschlägt, das politischer nichtsein könnte. Was passiert denn, Herr Heil, wenn dieKommission der Meinung ist, dass 8,50 Euro zu hochsind, wenn sie der Meinung ist, dass es in Deutschlandüberhaupt keinen Mindestlohn geben sollte, oder sichauf keinen Mindestlohn einigen kann, was jedenfallsnicht ganz ausgeschlossen werden kann, oder wenn dasBMAS an dem vorgeschlagenen Mindestlohn keinenGefallen findet? In all diesen vier Fällen ist die Konse-quenz Ihres Gesetzentwurfes – schütteln Sie nicht denKopf; lesen Sie es in Ihrem Gesetzentwurf nach, denndort steht es –, dass das Bundesministerium für Arbeitund Soziales, also die Politik, einen Mindestlohn inDeutschland festsetzt. Das ist für uns nicht akzeptabel.Von der SPD, Herr Kollege Heil, erwarte ich nichtnur, sondern verlange es auch, dass sie verantwortungs-voll mit der Tarifautonomie umgeht. Was ist, wenn dieTarifpartner zu dem Ergebnis kommen, dass sie von demMindestlohn nach unten abweichen wollen? Das wollenStregAde4sAo4ZzGSleruAisÜnmaseWd
Von der SPD erwarte ich auch, Herr Kollege Heil,ass sie weiß – und Sie wissen das auch –, dass man mitinem Mindestlohn von 8,50 Euro nicht, auch nach5 Arbeitsjahren nicht, erreichen kann, dass vollzeitbe-chäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einelterssicherung haben, die oberhalb der bedürftigkeits-rientierten Leistung der Grundsicherung im Alter liegt.
5 Jahre Beschäftigung mit 8,50 Euro – natürlich ineitwerten; das wird ja fortgeschrieben – führen aktuellu einer Rente von 571 Euro, mithin 100 Euro unter demrundsicherungsniveau im Alter.
o kann man Menschen für dumm verkaufen, Herr Kol-ge Heil. Das lassen wir Ihnen als ehemaliger Regie-ngspartei einfach nicht durchgehen.
Man könnte zu Ihrem Antrag noch viel sagen. Zu demntrag der Grünen etwas zu sagen, lohnt sich nicht; ert viel zu dünn, Frau Kollegin Pothmer.
ber eine grobe Skizze unverbindlichster Art geht ericht hinaus; deshalb ist er nicht der Rede wert.
Zu den Kollegen der Linken muss man sagen, dass sieir zu abgedreht sind. Über deren Antrag kann manuch nicht ernsthaft diskutieren.Am Ende muss ich leider sagen: Die SPD hat bei die-er Aufgabe schändlich versagt. Das hätte ich von einerhemaligen Regierungspartei nicht erwartet.
ir werden Ihren Gesetzentwurf ablehnen, ebenso wieie Anträge der weiteren Oppositionsparteien.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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18344 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012
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Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion
Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Kolb, es kann sein, dass wir aus Ihrer Sichtabgedreht sind, aber Ihre Position zum Mindestlohn, ein-schließlich die der gesamten Koalition, ist für jeden Ar-beitnehmer, der wenig Geld verdient, eine Bedrohungder Existenz. Das ist viel schlimmer, Herr Kolb. Das willich Ihnen in aller Deutlichkeit sagen.
Wir stimmen über einen Gesetzentwurf der SPD zumMindestlohn ab. Seit sechs Jahren diskutieren wir überdiese Frage. Sie blockieren alles. Sie sind damit für dieArmut durch Arbeit in diesem Land verantwortlich, undzwar alle miteinander, so wie Sie hier sitzen. Das willich Ihnen sagen.
Die Einführung einer allgemeinverbindlichen Lohn-untergrenze ist dringend notwendig. Es stimmt, was inIhrem Gesetzentwurf steht: Jeder fünfte sozialversiche-rungspflichtig Beschäftigte arbeitet im Niedriglohnbe-reich, 1,15 Millionen für weniger als 5 Euro in derStunde. Herr Kolb, für dieses Geld würden Sie morgensnicht einmal das Augenlid heben, um das einmal deut-lich zu sagen.
3,4 Millionen arbeiten für weniger als 7 Euro die Stunde.Diese Zahlen stammen aus dem Jahr 2008. Inzwi-schen haben die Probleme in diesen beiden Lohnseg-menten deutlich zugenommen. Im SPD-Antrag, mit demwir uns natürlich auseinandersetzen müssen, heißt es:Zwischen 1998 und 2008 ist der Anteil der Beschäftigtenmit Armutslöhnen von 8,3 Prozent auf 12,7 Prozent ge-stiegen. – Das ist eine Steigerung um 50 Prozent. DasProblem hat sich seit 1998 dramatisch verstärkt.Liebe Genossinnen und Genossen von der sozialde-mokratischen Partei, an dieser Stelle hat Herr Kolbrecht; denn Sie müssen sich schon die Frage stellen: Werhat damals regiert? Was ist in Ihrer Regierungszeit pas-siert, dass die Armutslöhne in unserem Land plötzlich sozugenommen haben? Es war Ihre Regierung, die dieLeiharbeit geradezu gefördert hat.–bteegAwPsGEruB–dgfüDsdsislodriS8hInhhLre
Herr Kolb, Sie haben übrigens immer zugestimmt. Darauchen Sie gar nicht versuchen, sich herauszureden.Die Schutzregelungen für Arbeitnehmer bei befriste-n Arbeitsverhältnissen wurden gelockert. Es war letzt-ndlich die Agenda 2010 – die Sie heute wieder verteidi-en –, die dazu geführt hat, dass Arbeitnehmerinnen undrbeitnehmer Arbeit aller Art anzunehmen haben, auchenn es nur 1 Euro dafür gibt. Deshalb haben Sie dasroblem mit verursacht. Sie sind nicht die Lösung, Sieind die Ursache des Problems, liebe Genossinnen undenossen, das muss ich euch leider sagen.
s ist zwar recht und schön, wenn man die Feuerwehrft, wenn es nicht mehr geht, aber wenn man vorher denrand selber gelegt hat, dann ist das nicht glaubwürdig.Liebe Genossinnen und Genossen – –
Liebe Genossinnen und Genossen von der SPD,
ie CDU/CSU hat das, was ihr gemacht habt, immer sehrefreut, sie freut es noch heute. Ihr wart der Türöffnerr eine Entwicklung, die die Konservativen gefreut hat.ies alles hat im Ergebnis dazu geführt – Sie berufenich gerne auf den DGB und die Tarifautonomie –, dasser Vorsitzende des DGB Ihnen allen ins Stammbuchchreibt, dass Arbeit in unserem Land so billig gewordent wie Dreck. Deswegen brauchen wir einen Mindest-hn, was Sie verhindern. Insofern ist der Gesetzentwurfer Sozialdemokraten durchaus richtig, weil er in diechtige Richtung geht.Wir müssen mithelfen, ein Problem zu lösen, für dasie selbst maßgeblich verantwortlich sind. Aber,50 Euro als Mindestlohn reichen nicht aus. Herr Kolbat hier im Übrigen auch recht.
Ihrem Gesetzentwurf weisen Sie richtigerweise daraufin, dass es einen Zusammenhang zwischen der Renten-öhe und den Löhnen gibt. Klar ist, dass zu niedrigeöhne zu niedrigen Renten führen. Sie schreiben in Ih-m Gesetzentwurf – ich zitiere –:Mit einem ausreichenden Mindestlohn würde er-reicht, dass vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer eine Alterssicherung erreichenkönnen, die oberhalb der bedürftigkeitsorientiertenLeistungen der Grundsicherung im Alter liegt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012 18345
Klaus Ernst
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Das stimmt. Leider tritt das bei einem Mindestlohn von8,50 Euro nicht ein.
Ich habe die Bundesregierung gefragt: Wie hochmüsste denn ein Lohn sein, damit ein entsprechendesRentenniveau erreicht wird? Ich habe eine Antwort be-kommen. Die würde ich Ihnen gerne vortragen. Die Ant-wort ist nämlich eindeutig. Am 11. Mai habe ich vomBundesministerium für Arbeit mitgeteilt bekommen:Um eine Nettorente im Alter in Höhe von 684 Euro
zu erreichen, wäre rechnerisch ein
Stundenlohn von 10 Euro erforderlich.Herr Heil, das ist das Problem.
Es tut mir leid: Mit Ihrem Antrag werden Sie Ihren eige-nen Anforderungen nicht gerecht. 10 Euro Mindestlohnsind notwendig, damit Menschen, die ihr ganzes Leben,also 45 Versicherungsjahre lang, vollzeitbeschäftigt wa-ren, später eine Rente erhalten, für die sie nicht zum Amtgehen müssen. Das wird mit Ihrem Antrag nicht erreicht.
Es ist bereits auf die Studie des Schweizer For-schungsunternehmens Prognos hingewiesen worden;Herr Heil, Sie haben das getan. Ich möchte betonen, dassbei einem Mindestlohn von 10 Euro der Einkommenszu-wachs mehr als 26 Milliarden Euro betragen würde.
So sagt es Prognos. Das ist deutlich mehr als das, wasdurch Ihren Gesetzentwurf zu erwarten wäre.Von uns allen hier hängt ab, ob wir letztendlich einentsprechendes Gesetz beschließen werden. Wir werdenIhrem Antrag zustimmen, weil er in die richtige Rich-tung geht, auch wenn der Betrag noch nicht stimmt.
Ich sage allen, die dagegen stimmen werden, dass Arbeitauch etwas mit Würde zu tun hat. Wenn Menschen voll-zeitbeschäftigt sind und von ihrer Arbeit nicht mehr le-ben können, dann nimmt man ihnen die Würde. Ich sageIhihDloZleaTAsrenügdiczsbfütrzeddGGsresbT
ber, Hubertus, es gibt immerhin einen kleinen Fort-chritt. Das Bohren dicker Bretter hat sich gelohnt. Wirden heute nicht mehr ernsthaft über die Frage, ob es ei-en Mindestlohn geben soll, sondern wir reden heuteber die Frage, Herr Kolb, wie dieser Mindestlohn aus-estaltet werden wird.
Diese Frage ist alles andere als trivial. Wenn Frau voner Leyen – ich will an dieser Stelle noch einmal sagen:h finde es nicht hinnehmbar, dass sie bei einer solchenentralen arbeitsmarktpolitischen Debatte nicht anwe-end ist –
ei ihrer Position bleibt, nämlich einen Mindestlohn nurr die Bereiche einzuführen, in denen es keine Tarifver-äge gibt, dann springen Sie mit diesem Ansatz deutlichu kurz. Sie können doch die Friseurin aus Sachsen mitinem Tariflohn von 3,06 Euro nicht dafür bestrafen,ass sie sich im Tarifsystem befindet. Sie können dochie Floristin aus Thüringen nicht dafür bestrafen. Dasleiche gilt für die vielen Beschäftigten im Hotel- undaststättengewerbe, im Gartenbau und in der Landwirt-chaft.
Wenn diese Beschäftigten vom Mindestlohn profitie-n wollen, dann müssen sie aus dem Tarifsystem aus-teigen. Wenn Sie das machen, was Sie angekündigt ha-en, dann ist das ein Projekt zur Forcierung derarifflucht. Das können Sie nicht wirklich wollen.
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Kollegin Pothmer, gestatten Sie eine Frage oder Be-
merkung des Kollegen Weiß?
Ja, bitte.
Frau Kollegin Pothmer, ich möchte Sie nur um eine
sachliche Klarstellung bitten: Würden Sie bitte dem
Hohen Hause und auch der Öffentlichkeit sagen, dass
die von Ihnen genannten Tarifverträge, die in der Tat
eine sehr geringe Entlohnung vorsehen, die wir alle uns
eigentlich gar nicht vorstellen können, zum Teil seit
zehn Jahren gekündigt sind und nur noch die sogenannte
Nachwirkung entfalten?
Sie sind trotzdem weiterhin wirksam. Herr Weiß, weilSie das wissen – ganz offensichtlich anders als Frau vonder Leyen –, haben Sie in Ihrem Vorschlag, den die Ar-beiternehmergruppe zur Umsetzung des Beschlusses desCDU-Parteitags vorgelegt hat, vorgesehen, dass dieseNachwirkungsfrist auf ein Jahr begrenzt wird; denn Siewollen das, was Frau von der Leyen will, ganz offen-sichtlich nicht. Sie wollen mit Ihrem Beschluss errei-chen, dass auch die Leute, in deren Branchen es Tarif-verträge gibt, vom Mindestlohn profitieren. Das istrichtig. Das unterstützen wir im Übrigen.
Die Frage, die sich jetzt stellt, ist: Welche Haltungnimmt der Wirtschaftsflügel der CDU zu Ihren Vorschlä-gen ein? Bisher war es leider so, dass die gutgemeintenVorschläge der CDA immer so weit ausgehöhlt wordensind, dass sie am Ende überhaupt keine Substanz mehrentfaltet haben.
Frau von der Leyen – sie ist ja nicht da –, in einer sol-chen Situation, in der der Arbeitnehmerflügel der CDUetwas vorlegt und der Arbeitgeberflügel der CDU demwiderspricht, kommt es zentral auf die Arbeitsministerinan. Sie muss jetzt zeigen, auf welcher Seite sie eigentlichsteht. Sie hat in einem Interview mit der HAZ gesagt, siewolle sich mit Verve dafür einsetzen, dass es noch in die-ser Legislaturperiode einen Mindestlohn gibt.
Von dieser Verve konnte jedenfalls ich bisher nicht vielerkennen.
Bisher jedenfalls – das zeigt ihre Abwesenheit bei derheutigen Debatte zum x-ten Mal – hat sie sich nicht ge-raWvDkvgmSFnumgDsJinDdeswgswsha7MNhu
er Vorschlag zur Umsetzung dieses Beschlussesommt aus der Arbeitnehmergruppe Ihrer Fraktion. Frauon der Leyen ist die Prokura in Sachen Mindestlohnanz offensichtlich endgültig entzogen worden. Dabeiüsste sie jetzt in die Debatte eingreifen. Sie müsste diekeptiker in ihrer Fraktion mit Fakten überzeugen. Dieakten, meine Damen und Herren, sind hier x-fach ge-annt worden. Die Fakten liegen auf dem Tisch.Nahezu 3,6 Millionen Menschen arbeiten für Löhnenter 7 Euro die Stunde. 1,3 Millionen Beschäftigteüssen, obwohl sie hart arbeiten, noch zum Jobcenterehen, um sich Finanzspritzen zu holen.
as ist entwürdigend, und das ist teuer für die Gesell-chaft.
eder vierte Beschäftigte, der arbeitslos wird, fällt sofort Hartz IV, weil die Löhne so skandalös gering sind.ass Mindestlöhne keine Arbeitsplätze bedrohen, habenie Studien, die Sie selber in Auftrag gegeben haben,ndgültig unter Beweis gestellt.
Unter dem Strich ist festzustellen: Für viele Men-chen ist Ihr Slogan „Arbeit soll sich wieder lohnen“irklich purer Hohn. Für diese Menschen gilt etwasanz anderes: Armut trotz Arbeit. Das, finde ich, ist einozialpolitischer Skandal, der mit der sozialen Markt-irtschaft nicht zu vereinbaren ist.
Herr Kolb, jetzt zu Ihnen. Das, was ich gesagt habe,ehen Ihre Wählerinnen und Wähler ganz offensichtlichaargenau so. Eine Umfrage des Instituts Infratest dimapus dem Jahre 2009 kam zu dem Ergebnis, dass über0 Prozent der FDP-Wählerinnen und -Wähler für einenindestlohn sind, Herr Kolb.
euere Zahlen kann ich Ihnen leider nicht vorlegen. Dasängt damit zusammen, dass die Zahl der Wählerinnennd Wähler der FDP so weit geschrumpft ist, dass ihre
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Brigitte Pothmer
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Auffassungen nicht mehr messbar sind. Das kann Sieaber nicht ernsthaft wundern. Sie arbeiten doch mitHochdruck daran, Ihre Umfragewerte in den Keller zutreiben. Ihre Wählerinnen und Wähler sind für den Min-destlohn. Ihre Wählerinnen und Wähler sind für die Fi-nanztransaktionsteuer.
Aber hier im Bundestag blockieren Sie all die Projekte,die Ihre Wählerinnen und Wähler wollen. Daher müssenSie sich nicht wundern, dass Sie inzwischen bei 2 Pro-zent gelandet sind.
Meine Damen und Herren, das Jahr 2012 könnte dasJahr des Mindestlohns werden. Die Bevölkerung willihn. Die Vorschläge der Opposition liegen auf demTisch. Es gibt auch einen entsprechenden CDU-Partei-tagsbeschluss. Wenn die Union ihre sozialpolitischeGlaubwürdigkeit nicht vollkommen verlieren will, dannmuss sie jetzt etwas vorlegen – mit oder ohne FDP.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Zimmer für
die Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
richtig: Wir in der CDU haben uns die Debatte um Min-
destlöhne und Lohnuntergrenzen nicht einfach gemacht.
Die Union war und ist der Meinung, dass ein Lohn dann
ungerecht ist, wenn er von einer Seite festgelegt ist, sei
es von den Arbeitgebern, sei es vom Staat. Deswegen
haben wir lange – vielleicht viel zu lange – ausschließ-
lich auf die Tarifautonomie gesetzt. Im Prinzip ist es
richtig: Löhne von den Tarifpartnern verbindlich aushan-
deln zu lassen, ist der beste Weg, und er sorgt für ge-
rechte Löhne. Wir haben aber auch anerkennen müssen,
dass die Bindungswirkung von Tarifverträgen abnimmt –
auch als unbeabsichtigte Folge staatlichen Handelns,
nämlich der Hartz-IV-Gesetze.
Nun stellte sich für uns die Frage: Wie finden wir ein
möglichst sinnvolles Verfahren, das die Grundidee der
Tarifautonomie und die Grundidee gerechter Löhne in
dieser neuen Situation miteinander verbindet? Das Er-
gebnis war der Beschluss von Leipzig.
Hier wird schon ein Merkmal deutlich, das uns von
den Sozialdemokraten unterscheidet: Wir haben sehr in-
tensiv darum gerungen und darüber nachgedacht, wie
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Ich weiß, dass es in der Sozialdemokratie und bei den
inken eine Tradition gibt, die Parteitagsbeschlüsse bei
er Konstruktion der sozialen Wirklichkeit zur Bibel zu
achen, aber mir ist bis heute noch nicht ganz klar, auf-
rund welcher Eingebung Sie zu den verbindlichen Zah-
n von 8,50 Euro bzw. 10 Euro Mindestlohn kommen.
Nun hat die SPD einen Gesetzentwurf vorgelegt. Ich
alte den Gesetzentwurf für schlecht, und zwar nicht,
eil das gewissermaßen in der – –
Der Kollege Heil.
Ich wollte Sie nicht mitten im Satz unterbrechen, aber
enn Sie schon freiwillig aufhören.
Für den Kollegen höre ich gerne mitten im Satz auf.
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege Zimmer, weil Sie nicht begriffen haben,
ie wir auf 8,50 Euro kommen: Können Sie bitte zur
enntnis nehmen, dass das keine willkürlich herausge-
riffene Zahl, sondern der Betrag ist, mit dem zumindest
afür gesorgt würde, dass ein Alleinstehender, der voll-
eitbeschäftigt ist, kein ergänzendes Arbeitslosengeld II
ehr braucht? Deshalb kamen wir auf 8,50 Euro. Das ist
anz einfach zu berechnen und müsste sich auch Ihnen
rschließen. Sie müssen unsere Meinung ja nicht teilen,
ber Sie können sich nicht hier hinstellen und sagen, wir
ätten gewürfelt.
Ich sage Ihnen: Das, was vorhin gesagt wurde,
timmt. Natürlich wird eine Grundsicherung notwendig
ein, wenn ein Angehöriger hinzukommt, aber wir wür-
en im diesem Bereich Millionen von Arbeitnehmern
elfen und auch Mittel für die Grundsicherung sparen.
eine Bitte ist deshalb, dass Sie das einfach zur Kennt-
is nehmen.
Herr Kollege Heil, ich unterbreche meine Rede fürre sehr intellektuellen Zwischenfragen immer gerne. –
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Dr. Matthias Zimmer
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Gleichwohl gebe ich an dieser Stelle doch einmal zu be-denken: Sie wollen einen Mindestlohn von 8,50 Euro ge-wissermaßen flächendeckend einführen.
Ich komme aus Frankfurt. Dort ist es mit 8,50 Eurowahrscheinlich nicht getan. In anderen Landesteilen rei-chen diese 8,50 Euro aus.
Insofern halte ich das, was Sie hier vortragen, dass näm-lich 8,50 Euro gewissermaßen der Schlüssel- bzw. Zau-berbetrag ist, durch den sich die soziale Wirklichkeitendgültig zum Besseren entwickelt, für problematisch.Diesen Optimismus teile ich nicht. – Danke schön.
Die SPD hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, den ichfür staatsrechtlich bedenklich und handwerklich schlechtgemacht halte.
Schauen wir in Art. 1. Dort heißt es:
Als unterste Grenze des Arbeitsentgelts wird der
Mindestlohn festgesetzt. Er soll vollzeitbeschäftig-ten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein ihreExistenz sicherndes Einkommen gewährleisten …Hier habe ich erst einmal gestutzt.
Normalerweise wird in einführenden Paragrafen überden Geltungsbereich eines Gesetzes gesprochen. Willdie SPD den Mindestlohn nur für Vollzeitbeschäftigteund nicht für Teilzeitbeschäftigte? Nein, natürlich nicht.Ich vermute einmal, Sie haben hier nur ein wenig Prosain den Gesetzentwurf hineingeschrieben. Diese Prosa hathier aber nichts zu suchen.
Sie führt nur zu Verwirrung und schlimmstenfalls zuRechtsunsicherheit.Zur Festsetzung des Mindestlohns. In § 4 Abs. 1 IhresEntwurfs heißt es:
Die Mindestlohnkommission schlägt unverzüg-
lich nach Inkrafttreten des Gesetzes, danach jeweilszum 31. August eines jeden Jahres den Mindestlohndurch Beschluss vor.Ein wenig später heißt es in Abs. 5:
Schlägt die Mindestlohnkommission bis zu dem
in Absatz 1 genannten Zeitpunkt keinen Mindest-lohn vor, bestimmt das Bundesministerium für Ar-beit und Soziales den Mindestlohn …
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as Ministerium benennt den Vorsitzenden der Kom-ission, die dann noch acht weitere Mitglieder enthält.ber die Abstimmungsmodalitäten sagen Sie nichts. Ichermute einmal, dass der Vorsitzende gewissermaßener Tiebreaker sein wird.Das Ministerium kann, wenn die Kommission zu kei-er Einigung gekommen ist, einen Mindestlohn bestim-en und durch Rechtsverordnung festlegen. Das Minis-rium kann den Mindestlohn, wenn ihm die von derommission festgelegte Höhe nicht passt, ablehnen. Dasinisterium hat also ein Vetorecht.Was Sie hier vorschlagen, Herr Heil, ist ein mindest-hnpolitisches Ermächtigungsgesetz für das Ministe-um für Arbeit und Soziales.
h habe keine Sorge, Herr Heil,
ass unsere Ministerin mit einer solchen Machtfülleicht verantwortlich umgehen würde. Aber bei Ihnenabe ich da meine Zweifel. Vor jeder Wahl würde einPD-geführtes Ministerium Lohngeschenke machenönnen. Sie wären Ihrem alten Traum näher gekommen,ahlgeschenke auf Kosten Dritter machen zu können.
h sage hingegen, Herr Heil, auch gegen das Gebrüll,as von Ihnen kommt: Ein Lohn ist ungerecht, wenn er
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Dr. Matthias Zimmer
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in der Weise, die Sie vorschlagen, vom Staat festgelegtwerden kann.Letzter Punkt. Sie schreiben in Ihrem Gesetzentwurfin § 1 Abs. 2, dass die Festsetzung des Mindestlohns un-ter Berücksichtigung der Beschäftigungseffekte, desExistenzminimums und der gesamtwirtschaftlichen Aus-wirkungen erfolgt. Gleichzeitig schreiben Sie aber auch,dass sich der Mindestlohn auf mindestens 8,50 Euro be-laufen muss, und zwar unabhängig von den Beschäfti-gungseffekten und den gesamtwirtschaftlichen Auswir-kungen.Auch zum Existenzminimum habe ich eine Frage. Ichkomme aus Frankfurt. Da ist ein Lohn von 8,50 Euronicht auskömmlich. Aber ich kann mir vorstellen, dassdas in anderen Regionen anders ist. Ungleiches gleich zubehandeln – schafft das nicht neue Ungerechtigkeiten?Könnte es sein, dass Sie damit in ländlichen Regionen zueiner zusätzlichen Abwanderung beitragen, weil die re-gionalen wirtschaftlichen Auswirkungen für Arbeitgebernicht mehr zu tragen sind?
Was ist, wenn die Kommission empfiehlt, ein Min-destmaß an regionaler Flexibilität einzuführen, wasunseren Überlegungen entspricht? Nach Ihrem Modellkassiert dann mit einer großen Geste des „Basta!“ dasMinisterium den Vorschlag ein und macht, was es fürrichtig hält. Klug ist das nicht, eher schon ideologischgetrieben.Ihr Gesetzentwurf ist handwerklich schlecht. Er istmissverständlich. Er gibt dem Ministerium zu vielMacht. Er ist von einem Misstrauen gegen die Tarifpart-ner geprägt. Ihr Gesetzentwurf ist wie eine rektale Zahn-behandlung. Sie kann unter Umständen erfolgreich sein,richtet aber auf dem Weg dahin so viel Schaden an, dassdie Gesamtbilanz negativ ist. Wir werden den Gesetzent-wurf ablehnen und zu gegebener Zeit einen eigenen Ge-setzentwurf zu diesem Thema vorlegen.Vielen Dank.
Herr Kollege Zimmer, wir haben in diesem Hause
sehr wenige Regeln. Zu den wenigen Regeln gehört,
dass wir Grenzüberschreitungen vermeiden sollten, etwa
Grenzüberschreitungen derart, eine andere demokrati-
sche Partei zu verdächtigen, dass sie etwas tue, was in
irgendeinem Zusammenhang mit dem Nationalsozialis-
mus steht. Deswegen ermahne ich Sie, so etwas wie „Er-
mächtigungsgesetz“ nicht zu wiederholen. Ich tue das
ganz freundlich. Diesen Stil wollen wir uns nicht wech-
selseitig zumuten.
Das Wort hat nun Anette Kramme für die SPD-Frak-
tion.
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iner Partei, deren Mitglieder durch den Nationalsozia-smus verfolgt worden sind, die wegen ihres Kampfesegen den Nationalsozialismus gestorben sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es fällt mir ein we-ig schwer, zur Tagesordnung überzugehen, aber wiriskutieren hier über einen Mindestlohn in der Bundes-publik Deutschland. An sich weiß jeder hier im Saal,ass es kein Argument gegen einen gesetzlichen Min-estlohn gibt. Wir können Ihnen die Zahlen an den Kopfnallen und beobachten Ignoranz. Herr Kolb wirft unsor, dass wir nicht imstande sind, in dieser Republikraumwelten zu schaffen.
as bedauern wir auch. Sicherlich wäre es wunderbar,enn wir es schaffen würden, über einen Mindestlohnicht nur Vollzeitbeschäftigte, sondern auch Familienbzusichern. Sicherlich wäre es wunderbar, wenn wir eschaffen würden, über einen Mindestlohn beispielsweiseuch Teilzeitbeschäftigte mit 30 Stunden abzusichern.icherlich wäre es auch wunderbar, wenn bereits dieinführung eines ersten Mindestlohns dazu führenürde, dass Rentenansprüche oberhalb der Grundsiche-ng liegen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie michennoch einige Zahlen nennen, die an sich bei Ihnen zuroßer Sorge führen müssten, sodass Sie sich endlichedanken zu diesem Thema machen und einen Gesetz-ntwurf vorlegen. Das gilt auch für Sie von der FDP.Wir haben in der Bundesrepublik einen Niedriglohn-ektor, der dem in den USA gleicht. 22 Prozent aller Be-chäftigten in der Bundesrepublik Deutschland sind imiedriglohnsektor tätig.
Dänemark sind es demgegenüber nur 8,5 Prozent, inrankreich 11,1 Prozent. Wir hatten zwischen 1995 und006 einen 40-prozentigen Zuwachs zu verzeichnen.
untersten Quartil sind die Löhne in den letzten Jahrenogar um fast 14 Prozent gesunken. Wenn man eine ein-eitliche Niedriglohnschwelle sowohl für den Osten als
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18350 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012
Anette Kramme
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auch für den Westen der Bundesrepublik Deutschlanddefiniert, dann sind 40 Prozent aller Ostdeutschen imNiedriglohnsektor tätig.20 Prozent der Aufstocker arbeiten mehr als 35 Stun-den, aber 50 Prozent bekommen weniger als 6,44 EuroLohn. 25 Prozent arbeiten sogar für weniger als4,95 Euro.Niedriglöhne gefährden damit die Funktionsfähigkeitder Sozialversicherungssysteme. Die Krankenversiche-rungsbeiträge reichen nicht aus.
– Herr Kolb, Sie haben völlig recht. Ich würde Ihnengerne antworten, wenn Sie mich lassen.
– Es ist richtig, dass die Zahl der Erwerbstätigen gestie-gen ist, Herr Kolb. Aber es ist nicht richtig, dass die indi-viduelle Beitragshöhe gestiegen ist. Sie müssen zugeben,dass ein Niedriglohnempfänger insgesamt auch sehrniedrige Beiträge in die Krankenversicherung einzahlt.Leider müssen wir auch immer häufiger beobachten,dass das System des Arbeitslosengelds I nicht greift,sondern Menschen direkt Aufstockungsleistungen inAnspruch nehmen müssen. Herr Kolb, Sie haben selberdargelegt, wie die Situation in der Rentenversicherungist. Was sollen wir von diesem Rentenversicherungssys-tem perspektivisch erwarten, wenn 40 Prozent der Ost-deutschen im Niedriglohnsektor tätig sind? Wie sollendiese Menschen jemals auf eine Rente oberhalb derGrundsicherung kommen?
Mindestlöhne generieren zusätzliche staatliche Ein-nahmen. Gerade in der gegenwärtigen internationalenSituation wäre es wunderbar, eine Art kleines Konjunk-turprogramm zu haben. Wir könnten durch einen Min-destlohn in Höhe von 8,50 Euro 14,5 Milliarden Eurozusätzlich an Erwerbseinkommen erzielen. Die zusätzli-chen Steuereinnahmen hat Hubertus Heil auf der Grund-lage der Berechnungen des Prognos-Instituts bereits be-ziffert, ebenso die Entlastungen bei Sozialtransfers. Wirkönnten die zusätzlichen Einnahmen beispielsweisedazu nutzen, in eine vernünftige Fachkräfteinitiative zuinvestieren. Auch das ist ein Thema, dem sich dieseKoalition leider verweigert.Mindestlöhne gefährden keine Arbeitsplätze. Sie soll-ten die Recherchen ernst nehmen, die Sie selber habendurchführen lassen, meine Damen und Herren von derKoalition.Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir können nurhoffen, dass der Entwurf der Union irgendwann kommt.Er wäre wenigstens ein erster Schritt in die richtigeRichtung.riedcWSHwsIcsdtuuSÜSwSwdzBlöszdedlutiLdleigs
Der nächste Punkt ist: Wir bedürfen an sich gesetzli-her Mindestlöhne auch im Bereich der Tarifverträge.ie sollen die Gewerkschaften dort künftig agieren?ollen Gewerkschaften auf Tarifverträge verzichten?err Kolb hat sehr offensiv gesprochen und behauptet,ir würden einen Misstrauensantrag gegen die Gewerk-chaften stellen.
h kann nur sagen: Nach meiner Auffassung handelt esich bei Ihrem Vorschlag um einen Attentatsversuch aufie Gewerkschaften; denn diese kämen in die kuriose Si-ation, auf eigene Tarifverträge verzichten zu müssen,m Beschäftigten in den betreffenden Branchen undektoren eine Mindestabsicherung zu ermöglichen.berdies wäre das Ganze quasi ein Heiratsantrag ancheingewerkschaften. Diese würden befördert werden,eil eine ganze Branche durch den Abschluss einescheintarifvertrags für die Lohnuntergrenze gesperrterden könnte.
Sie wollen des Weiteren nach Branchen und Regionenifferenzieren. Das wird zu erheblichen zeitlichen Ver-ögerungen führen. Es wird Jahre dauern, bis wir in derundesrepublik Deutschland durchgängig Mindest-hne haben. Viele Arbeitnehmer werden niemals wis-en, welcher Mindestlohn für sie gilt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sollten endlichur Vernunft kommen. Ich finde, es gibt kein Thema, beiem es so eindringliche Argumente gibt, die nahelegen,ndlich zu einer gesetzlichen Lösung zu kommen. Aberiese Koalition scheint auch in diesem Punkt nicht hand-ngsfähig zu sein.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Johannes Vogel für die FDP-Frak-
on.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!iebe Kollegin Kramme, Sie haben eben gesagt, wirürften bei der Betrachtung der Lage und unseren Über-gungen, wie wir am besten darauf reagieren, nichtnorant sein. Ich glaube, Sie haben recht. Aber dannollten wir zur Versachlichung der Debatte beitragen.
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Johannes Vogel
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Wir müssen uns zuerst überlegen, was wir wollen, unddann schauen, welches der beste Weg ist.
Wir wollen auf dem Arbeitsmarkt Fairness gegenüberdrei Gruppen erreichen; Sie, liebe Kolleginnen und Kol-legen von der Linken, müssten dem eigentlich zustim-men. Wir wollen, dass Arbeitnehmer gute Löhne bekom-men. Wir wollen aber auch, dass die Unternehmen in derLage sind, die Löhne zu zahlen; denn nur dann entstehenWachstum und Arbeitsplätze. Wir wollen außerdemFairness und Perspektiven für diejenigen, die noch aufden Arbeitsmarkt wollen, und für diejenigen, die bei fal-schem politischen Handeln Gefahr laufen, ihren Arbeits-platz zu verlieren. Ausdruck von falschem politischenHandeln sind Ihre Vorlagen.
Die Alternative ist das Vorgehen in drei Schritten, dasunserer sozialen Marktwirtschaft entspricht und zu dersich diese Koalition – auch meine Fraktion – bekennt.Erstens. Die Tarifautonomie, die Vorrang hat und We-sensbestandteil unserer sozialen Marktwirtschaft ist, er-fordert starke Arbeitgeber und Gewerkschaften. Dassollte der Regelfall sein.Zweitens. Wir sollten in Branchen, in denen es Pro-bleme gibt, in denen die Unternehmen weniger zahlen,als sie könnten, die Möglichkeit nutzen, Tarifverträge fürallgemeinverbindlich erklären.
Die Lohnhöhe wird aber von den Tarifvertragsparteienfestgelegt.Drittens. Mit dem Mindestarbeitsbedingungengesetzgibt es eine letzte Auffanglinie für die dann noch beste-henden weißen Flecken in Deutschland.Dieses Vorgehen in drei Schritten entspricht der so-zialen Marktwirtschaft. Dazu bekennen wir uns, und dasist besser als das, was Sie vorschlagen.
Schauen wir uns einmal an, was dafür und was dage-gen spricht. Sie haben bereits die Ergebnisse der vondieser Regierung in Auftrag gegebenen Evaluation desSystems aus Mindestlöhnen und Allgemeinverbindlich-erklärungen in einzelnen Branchen angesprochen. Ichfinde die Ergebnisse hochinteressant. Sie sind ein Indizfür vieles, aber sicher kein Argument dafür, von diesemSystem abzukehren. Zwei Ergebnisse dieser Evaluationsind hervorzuheben. Es gibt Beschäftigungseffekte.Wenn zu hohe Löhne festgelegt werden, dann passierenDinge – in geringem Ausmaß ist das in einzelnen Bran-chen bereits der Fall –, die weder Sie noch wir wollen.Es gibt negative Beschäftigungseffekte. Es werdenLohnbestandteile abgebaut, die zuvor gewährt wurden.Beschäftigte werden teilweise durch Zeitarbeiter oderdurch befristet Beschäftigte ersetzt. Es gibt dann alsoden von Ihnen beschriebenen negativen Effekt.–PsdnagdkdudZggzdGDbDSDd
Das besagt die Evaluation. Wir können das gerneunkt für Punkt durchgehen. Darüber haben wir im Aus-chuss schon diskutiert. Lieber Hubertus, leider konntestu an der entsprechenden Ausschusssitzung nicht teil-ehmen. Aber wir können darüber gerne noch einmalusführlicher diskutieren.Die Evaluation beweist aber auch, dass diese Effekteering sind – das ist richtig –, weil die Tarifpartner gutarin sind, die richtige Lohnhöhe zu treffen. Aber dasann nicht allen Ernstes als Beleg dafür angeführt wer-en, die Lohnfindung den Tarifpartnern wegzunehmennd sie der Politik in die Hand zu geben. Wir sollten beiem bewährten System bleiben, das wir haben.
Ich freue mich über eine Zwischenfrage der Kolleginimmermann.
Ja, bitte. – Herr Kollege Ernst, auch Sie haben sich
emeldet, aber die Kollegin Zimmermann hat sich zuerst
emeldet und somit den Vortritt.
Ladies first, Herr Kollege, sie war zuerst.
Lieber Herr Vogel, ich höre Ihnen immer wieder gern
u.
Dito.
Ich muss aber jetzt einmal fragen, ob Sie in Folgen-
em mit mir einer Meinung sind: Wenn die Leute mehr
eld in der Tasche haben, können Sie mehr kaufen.
ann muss mehr produziert werden. Das schafft Ar-
eitsplätze.
eshalb der Hinweis auf den gesetzlichen Mindestlohn.
ind Sie in dieser Hinsicht mit mir einer Meinung?
as müssten auch Sie verstehen.
Liebe Kollegin Zimmermann, ich bin der Meinung,ass diese Sicht leider ein wenig unterkomplex ist,
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18352 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012
Johannes Vogel
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weil Sie völlig außer Acht lassen, dass dann, wenn derLohn zu hoch angesetzt wird – das ist nachweisbar; dieEvaluation, die wir in Auftrag gegeben haben, hat dasgerade wieder belegt –, der Arbeitsplatz weg sein kann.
Dann sind die Menschen arbeitslos. Das wollen wir allenicht.
Dann werden gar keine Löhne gezahlt, und dann kannauch nichts ausgegeben werden. Das ist die Balance, diewir halten müssen, und diese Balance – das ist der Punkt –halten die Tarifpartner besser als die Politik. Deshalbsollten wir dabei bleiben, Frau Kollegin Zimmermann.
– Teil unseres Austausches hier ist: Wir sollten die Argu-mente ernst nehmen und gewichten. Ich höre Ihnen auchgern zu, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Oppo-sition.
Herr Kollege, der Kollege Ernst will auch noch eine
Zwischenfrage stellen.
Er will auch noch eine Zwischenfrage stellen. Gern,
lieber Kollege Ernst.
– Ich höre auch gern Zwischenfragen zu, Frau Kollegin.
Ich freue mich, Herr Kollege, dass Sie sich so sehr für
die Verteidigung der Tarifautonomie einsetzen.
Mich wundert das etwas, wenn ich an die Positionen der
FDP zur Tarifautonomie in der Vergangenheit denke.
– Man darf nicht nur eine Frage stellen. Herr Kollege,
Sie wissen, man kann auch eine Bemerkung machen.
Darauf möchte ich einmal hinweisen.
Aber ich möchte Sie schon auch etwas fragen, Herr
Vogel. Sie haben gesagt, dass letztendlich durch die Ta-
rifautonomie die richtigen Löhne zustande kommen.
Jetzt wissen wir, dass wegen der Schwäche der Gewerk-
schaften inzwischen Tariflöhne von 3,56 Euro gelten.
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ind Sie mit mir der Auffassung, dass es notwendig ist,
ie Tarifautonomie gerade von unten zu stützen, um wie-
er zu vernünftigen Löhnen bei Tarifauseinandersetzun-
en zu kommen?
Sind Sie mit mir der Auffassung – das ist meine letzte
rage –, dass der DGB und die Einzelgewerkschaften
eshalb durchaus recht haben, wenn sie zur Unterstüt-
ung der Tarifautonomie – sie verstehen etwas davon –
r einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn
ind?
Lieber Herr Ernst, Sie haben viele Fragen gestellt. Icheue mich, wenn ich ausreichend Zeit bekomme, dieragen zu würdigen.Erstens. Ja. Ich bekenne mich bewusst zur Tarifauto-omie und zu starken Arbeitgebern und Gewerkschaf-n. Ich finde, der heutige Tag, an dem die IG Metallrstmals seit vielen Jahren wieder steigende Mitglieder-ahlen vermeldet, ist ein guter Tag, das zu tun. Es istlsch, was Sie machen, nämlich die Tariffindung denarifpartnern aus der Hand nehmen zu wollen, was Ih-m Antrag zugrunde liegt, lieber Herr Ernst.
h finde es schade, dass Sie diesen Weg gehen.
Zweitens. Ich bin sehr wohl der Auffassung, dass ne-en dem Regelfall der funktionierenden Tarifautonomie einzelnen Problembranchen von einzelnen Unterneh-en, von schwarzen Schafen teilweise, in der Tat zuiedrige Löhne gezahlt werden, niedrigere, als sie zahlenönnten. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir dortuffanglinien brauchen. Deshalb bekennen wir uns zurllgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen.Wir bekennen uns sogar zu einer weiteren Auffangli-ie nach dem Mindestarbeitsbedingungengesetz. Aberer Vorrang für die Lohnfindung durch die Tarifpartnerleibt bei dem, was wir in der Koalition machen, ge-ährleistet; bei Ihnen nicht, und das ist der große Unter-chied, Herr Ernst.
Drittens. Sie haben die Höhe von Tariflöhnen ange-prochen; darauf will ich jetzt eingehen.
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Johannes Vogel
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– Das trifft sich gut, weil ich mich sowieso gerade mitden Argumenten auseinandersetzen wollte, die gegendas System, das wir heute in Deutschland haben, heutehäufig genannt wurden.Lieber Hubertus Heil, du hast wie immer – das wird jagern getan – den Tarifvertrag für Friseure in Thüringenangeführt. Das meine ich, wenn ich sage: Lasst uns ein-mal in die Details schauen! Das Interessante ist ja: Wennwir genauer hinschauen, Herr Ernst, sehen wir: Die Ta-rifpartner machen ihre Arbeit besser, als Sie es ihnen of-fenbar zutrauen. Das Beispiel der Friseure in Thüringenhabe ich mir angeschaut. Wenn wir die anderen Bei-spiele im Ausschuss diskutieren, werden wir zu ähnli-chen Ergebnissen kommen; da bin ich ganz sicher. Daskönnen wir gerne im Detail machen.In Thüringen, Herr Ernst, ist es so, dass im Tarifver-trag eine Umsatzbeteiligung fest vereinbart ist. Dasheißt, der Stundenlohn ist da gar nicht der einzige Lohn-bestandteil, sondern es kommt ein großer Teil Umsatz-beteiligung dazu.
Wenn man das mit dem durchschnittlichen Umsatz derBetriebe dort berechnet – lieber Hubertus Heil, dukennst die Zahl so gut wie ich –, dann kommt man jenach Geschäftsbetrieb auf einen Stundenlohn von 7 bis8 Euro, lieber Herr Ernst.Das zeigt: Die Tarifpartner verstehen mehr von ihremGeschäft als Sie, und deshalb gibt es erneut keinenGrund, ihnen die Tarifbindung aus der Hand zu nehmen.
Ich möchte jetzt die Gelegenheit nutzen, auf die ande-ren Argumente, die von der Opposition angeführt wur-den, einzugehen. Es wurde wieder einmal von der Zahlder Aufstocker geredet. Frau Kollegin Pothmer und Kol-lege Heil haben das getan.
– Ich muss Sie leider erneut darauf hinweisen, selbstwenn es in der Debatte vorher genannt wurde.
Kollege Vogel, haben Sie Lust, noch eine weitere
Zwischenfrage zu beantworten?
Von wem denn?
Von der Linkspartei.
Ich nehme auch gerne noch eine dritte Zwischenfrage
an.
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enn Ihnen das gesagt wird: Ich finde – das kann ich fürie gesamte Koalition sagen –, dass eine Familie dabeinterstützt wird, auf einem ordentlichen Niveau zu le-en, ist eine sozialpolitische Errungenschaft in Deutsch-nd.
as ist nichts, was Sie schlechtreden sollten, Frau Kolle-in, und das bleibt so.
Die zweite interessante Zahl zeigt, dass die Aussagees Kollegen Heil – er ist leider hinausgegangen –, dieahl würde steigen, schlicht nicht stimmt. Die Zahl derollzeitaufstocker in Deutschland sinkt seit Jahren. Wirollen diesen Prozess beschleunigen, deshalb bekennenir uns zur sozialen Marktwirtschaft. Sie tun das nicht.as ist der große Unterschied, liebe Kolleginnen undollegen.
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Johannes Vogel
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Ich muss an dieser Stelle sagen: Auch das letzte Argu-ment, das während der gesamten Debatte immer wiederangeführt wurde, kann nicht überzeugen. Die letzen bei-den Argumente bezogen sich auf die Prognos-Studie, diebeweise, es sei gut für die Einnahmen des Staates, einenMindestlohn einzuführen. Dazu muss man jedoch derEhrlichkeit halber sagen: Diese Prognos-Studie beinhal-tet keine Betrachtung der Beschäftigungseffekte; das sa-gen die Verfasser ganz offen.
Das ist die entscheidende Frage, wenn es um Min-destlöhne geht. Deshalb bitte ich Sie, diese Studie, dieman wirklich nur als unseriös bezeichnen kann, beiseitezu lassen.Die zweite Behauptung ist – Frau Kollegin Krammehat es eben wieder gesagt –, der Niedriglohnsektor inDeutschland würde steigen. Erstens ist das interessant,da Sie immer einen Zeitraum ansprechen, in dem Sievon den Grünen mit der SPD Regierungsverantwortunggetragen haben. Zweitens muss man sich dies genaueranzuschauen. Die Wahrheit ist nämlich: Der Niedrig-lohnsektor steigt seit fünf Jahren nicht – im Gegenteil.
Auch dazu kann ich nur sagen: Wir wollen, dass sichdieser Prozess fortsetzt, Sie offenbar nicht, sonst würdenSie diese positiven Zeichen zur Kenntnis nehmen.Es bleibt dabei: Es ist richtig, dass die Lohnfindung inDeutschland bei den Tarifpartnern bleibt. Dort solltenwir sie belassen, und im Notfall finden wir branchendif-ferenzierte Lösungen, um Ausbeutung zu verhindern.Ein allgemeiner Mindestlohn von Aachen bis Cottbusund von Flensburg bis Konstanz, der am Ende noch vonder Politik bestimmt wird, hilft keinem Arbeitnehmerund führt nicht zu höheren Löhnen, sondern nur zu höhe-rer Arbeitslosigkeit. Deshalb lehnen wir ihn sowie IhreVorlagen ab.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Jutta Krellmann für die Fraktion
Die Linke.
Vielen Dank. – Guten Tag, Herr Vorsitzender! MeineDamen und Herren! Herr Vogel, sind Sie Mitglied einerGewerkschaft oder einer anderen Tarifvertragspartei?Dieser Eindruck drängt sich ja nach Ihrem Plädoyer fürdie Tarifautonomie auf. Wenn Sie das bisher noch nichtsind – ich habe einen Aufnahmeschein dabei; den kannich Ihnen gerne geben.
Nein, gibt es nicht. Aber angesichts seines Plädoyersr die Tarifautonomie wäre es ja ein logischer Schritt,as zu tun.
Ich habe kein Problem, über Mindestlöhne zu reden.h finde aber, langsam muss Schluss damit sein, dassir darüber reden. Ich möchte gerne, dass es endlich ei-en Mindestlohn gibt,
nd – davon gehe ich aus – Tausende, wenn nicht sogarillionen Menschen, insbesondere die, die in dieseniedriglohnbereichen arbeiten, möchten das ebenfalls.it dieser Debatte muss endlich einmal Schluss sein. Est unerträglich, dass wir immer wieder über die FrageMindestlohn, ja oder nein?“ diskutieren, aber keinenchritt wirklich nach vorne gehen.
Schauen wir uns doch einmal an, wie die Diskussion den letzten Jahren gelaufen ist: Die SPD hat vor Jah-n – ungefähr vor zehn Jahren wurde durch meine Par-i der erste Antrag dazu gestellt – darin einen Angriffuf die Tarifautonomie gesehen. Die Grünen konntenich zu dem Zeitpunkt einen Mindestlohn für alle nichtorstellen. Seinerzeit wurde in einer Debatte gesagt:Sie können doch nicht alles über einen Kamm sche-ren und einen x-beliebigen Vertrag aufsetzen.olche Worte sind damals gefallen.Ich persönlich kann mir ganz viele Wege vorstellen,ie man es erreichen kann, dass der Niedriglohnbereicherkleinert wird. Aber nachdem nun über 20 Prozent al-r Beschäftigten im Niedriglohnbereich arbeiten, ist derarren so tief in den Dreck gefahren, dass er jetzt unbe-ingt wieder herausgeholt werden muss.
ir reden nicht über eine geringe Anzahl, sondern wirden insgesamt über 3,6 Millionen Beschäftigte. Das istbsolut keine vernachlässigbare Anzahl.Ich habe in letzter Zeit viele Diskussionen mit Kolle-innen und Kollegen aus dem Gewerkschaftsbereich ge-hrt, aber auch mit Beschäftigten. Dabei habe ich im-er wieder gehört: 8,50 Euro – so lautet ja die aktuelleorderung des DGB – sind im Grunde genommen zuenig. Diese Forderung des DGB ist ja auch schon dreiis vier Jahre alt. Mit 8,50 Euro kann man gerade einmalerhindern, dass Arbeitnehmer aufstocken müssen, aberassiv ändert sich dadurch nichts. Zur Altersarmut hat auch schon mein Kollege Klaus Ernst einen Satz ver-ren.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012 18355
Jutta Krellmann
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Die Grünen nennen nach wie vor leider noch keineZahl. Das stellt sich für mich so dar: Wasch mich, abermach mich nicht nass.
Mit anderen Worten: Diese Herangehensweise ist fürmich ziemlich unbefriedigend.Wegen der Sache und weil im Grunde viele Men-schen, die davon betroffen sind, den Eindruck haben,dass das, was wir hier machen, Pillepalle ist, weil wirnicht in der Lage sind, in der Sache einen Schritt nachvorne zu gehen, werden wir als Linke beiden Anträgenzustimmen. Ich fordere Sie von den Koalitionsfraktionenauf, das ebenfalls zu tun.
Die CDU in Form von Karl-Josef Laumann
hatte damals gesagt, dass sie beim besten Willen keinegesellschaftliche Unterstützung für unseren Wunschsehe, einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. Mitt-lerweile unterstützen 86 Prozent der Menschen in unse-rem Land die Forderung nach Einführung eines Mindest-lohns. An die CDU/CSU gerichtet – die FDP lasse icheinmal außen vor; die haben sich ja gerade ganz eindeu-tig erklärt –, sage ich: Es wird Zeit für einen Mindest-lohn. Machen Sie deshalb das, was der Mehrheitswilledieser Gesellschaft ist, und nichts anderes! Hören Sieauf, ständig hin und her und drum herum zu reden!Angeblich haben Sie auf Ihrem letzten Parteitag so et-was wie die Einführung eines Mindestlohns beschlossen.Tatsächlich handelt es sich aber um eine branchenabhän-gige Lohnuntergrenze inklusive einer Teilung in Ost undWest. Dafür können Sie ernsthaft keine Zustimmung er-warten. Ich möchte an dieser Stelle ganz deutlich ma-chen: Jeder Tarifvertrag hat die Form eines Branchenta-rifvertrags. Gewerkschaften sind doch nicht unterwegs,um überall nur Mindestlöhne zu vereinbaren.
Jeder Tarifvertrag ist ein Branchentarifvertrag, und jederTarifvertrag beinhaltet eine sogenannte unterste Entgelt-gruppe, die als Einstiegsgruppe dient. Darunter findetnichts mehr statt, nur oberhalb. Die Arbeitgeber könnennatürlich gerne mehr bezahlen als das, was im Tarifver-trag steht, aber nicht weniger.Genau das ist das System, das wir mit Mindestlöhnenmeinen. Wir brauchen eine Untergrenze, und das ist dieHöhe des Mindestlohns. Alle Arbeitgeber können – da-ran wird niemand jemals etwas kritisieren – gerne mehrbezahlen, aber nicht weniger.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-en und Kollegen! In der Regel übe ich meist Kritik;eute möchte ich aber einmal mit einem Lob beginnen,nd zwar für den Arbeitnehmerflügel der CDU/CSU-raktion. Sie haben energisch die Initiative für einenindestlohn ergriffen und lassen auch nicht locker. Einesetzlicher Mindestlohn in Deutschland ist seit Jahrenberfällig. Bleiben Sie also dran; denn er ist die elemen-re Grundlage für mehr soziale Gerechtigkeit.
Ich hoffe auch, dass Sie geradlinig bleiben und esicht zulassen, dass es viele verschiedene Mindestlöhn-hen geben wird, die sich von Region zu Region oderon Branche zu Branche unterscheiden. Vor allem appel-ere ich an Sie – besonders an Sie, Herr Weiß –, dass Sieuf einen Tarifvorrang verzichten. Die daraus entstehen-en Probleme kennen wir von der Leiharbeit. Wollen Sieen Pseudogewerkschaften wirklich wieder Tür und Torffnen und dann auf jahrelange Gerichtsverfahren hof-n? Wollen Sie tatsächlich neue Beschäftigte erster undweiter Klasse schaffen?Ein gesetzlicher Mindestlohn ist per Definition derleinste gesetzlich zulässige Lohn. Er muss also flächen-eckend und für alle Beschäftigten gleichermaßen einge-hrt werden.
lles andere kann ich nur als Etikettenschwindel be-eichnen.
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Beate Müller-Gemmeke
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Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, jetzt möchteich mit vier Aspekten kurz, aber grundsätzlich etwas zuall denjenigen sagen, die einen gesetzlichen Mindestlohnimmer noch ablehnen.Erstens. Die Internationale Arbeitsorganisation, ILO,listet bereits über 100 Staaten auf, die über einen Min-destlohn verfügen. Mindestlöhne gehören längst welt-weit zu den etablierten Instrumenten, um den Arbeits-markt gerechter zu gestalten. Die Bundesregierung hatdas aber anscheinend noch nicht verstanden.Zweitens. Der Europarat wertet den fehlenden Min-destlohn in Deutschland als Verstoß gegen das Recht aufein gerechtes Arbeitsentgelt, das in der EuropäischenSozialcharta festgeschrieben ist.
Wir sind also längst verpflichtet, allen Beschäftigten, diediesen Schutz brauchen, einen angemessenen Lebens-standard durch einen Mindestlohn zu ermöglichen. Al-lein dieses Argument müsste doch überzeugen.
Drittens. Tarifautonomie und gesetzlicher Mindest-lohn sind kein Widerspruch. Im Gegenteil: DiverseStudien und auch Aussagen der ILO belegen, dass Tarif-autonomie und gesetzlicher Mindestlohn zusammenge-hören und sich ergänzen. Neben den Verhandlungen derTarifparteien dient der Mindestlohn vorrangig demZweck, Beschäftigte im Niedriglohnsektor zu schützen.Das ist fair und fördert übrigens auch den sozialen Frie-den.
Viertens. Abschließend möchte ich kurz darauf einge-hen, warum Sie sich gerade jetzt in der Euro-Krise mitLohnpolitik und mit dem Mindestlohn beschäftigen soll-ten. Wenn Löhne im Verhältnis zur Produktivität niedrigsind, dann entstehen Ungleichgewichte, und diese Un-gleichgewichte sind eine Ursache der Euro-Krise. Miteiner solidarischen Lohnpolitik, das heißt mit einemMindestlohn und mit gerechten Tariferhöhungen, würdeDeutschland endlich seinen Beitrag zu mehr makroöko-nomischer Stabilität leisten.
Wenn der Wirtschaftsflügel der CDU/CSU-Fraktiondies immer noch nicht nachvollziehen kann, habe ichnoch eine weitere Anregung: Klaus Schwab, der Präsi-dent des Weltwirtschaftsforums, sagte in dieser Wochein Genf bei der Pressekonferenz – ich zitiere sinngemäß –:Der Kapitalismus in seiner derzeitigen Form passt nichtmehr in die Welt. Wir haben die Lektionen aus derFinanzkrise von 2009 nicht gelernt. Die globale Trans-formation muss dringend damit beginnen, dass sichweltweit wieder ein Sinn für soziale Verantwortung aus-breitet.Sehr geehrte Regierungsfraktionen, beginnen Sie ein-fach hier in Deutschland, und zwar mit einem Mindest-lohn.Vielen Dank.FLASnzsdBnWbteHisdssbeKgAegdaInMwfüd–djelo
Das Wort hat nun Paul Lehrieder für die CDU/CSU-
raktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!iebe Kollegen! Zunächst eine Richtigstellung an diedresse des Kollegen Klaus Ernst von der Linkspartei.ie haben vorhin das Plenum mit der Bezeichnung „Ge-ossen“ angeredet. Das trifft zwar für einen Teil, aberum Glück nicht für die weitaus meisten Mitglieder die-es Hauses zu. Sie haben hier nicht auf einem Parteitager Linken geredet, sondern im Plenum des Deutschenundestages, dessen Mitglieder überwiegend keine Ge-ossen sind.
ir hoffen, dass das so bleibt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die bisherige De-atte hat ergeben: Wir haben das gleiche Ziel, aber un-rschiedliche Wege. Das Mindestlohnkonzept, das Sie,err Heil, vorstellen, ist nicht realisierbar. Lohnpolitikt gerade nicht per se zuallererst Sozialpolitik. Das ister entscheidende Fehler in Ihrem Entwurf.Sehr geehrter Herr Heil, Sie haben in Ihrer Redeelbst ausgeführt, dass die Löhne existenzsichernd seinollen. Dann stellt sich aber die Frage – auch darauf ha-en bereits einige Vorredner hingewiesen –, für wen siexistenzsichernd sein sollen: Für den Singlehaushalt?ollege Vogel hat eben die 300 000 Singlehaushalte an-esprochen, für die eine Lohnuntergrenze Sinn macht.ber man muss natürlich wissen, dass beispielsweiseine vierköpfige Familie schon jetzt über Sozialleistun-en mehr Geld bekommt, als mit den von Ihnen gefor-erten Mindestlohnhöhen – also 8,50 Euro bzw. 10 Euro –us eigener Kraft verdient werden kann.
Zukunft müsste es also auch nach Einführung vonindestlöhnen ergänzende Sozialleistungen geben.Beispielhaft möchte ich an dieser Stelle das Bauhand-erk erwähnen. Hier wurde von einer CDU/CSU-ge-hrten Bundesregierung ein branchenspezifischer Min-estlohn eingeführt. Es gibt noch Kollegen unter unswie den Kollege Kolb –, die damals an der Einführunges Blüm’schen Mindestlohns mitgewirkt haben undtzt als Zeitzeugen fungieren können. Dieser Mindest-hn war wichtig, um inländische Arbeitsplätze zu schüt-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012 18357
Paul Lehrieder
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zen und Dumpinglöhne zu verhindern. Sie sehen: Hierund auch in weiteren Branchen waren die Beweggründe,Lohnuntergrenzen einzuführen, nicht sozialpolitisch mo-tiviert. Mindestlöhne stellen einen geordneten Wettbe-werb her und gleichen negative externe Effekte einzelnerBranchen aus.Meine Damen und Herren der Opposition, wir habenauch über das Baugewerbe hinaus weitere zielführendeMaßnahmen entwickelt und umgesetzt, die bereits fürviele Millionen Menschen Verbesserungen gebracht ha-ben. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz sorgt derzeit fürzwingend gültige Arbeitsbedingungen in sage undschreibe elf Branchen und verhindert negative Auswir-kungen auf die Lohnentwicklung von Geringverdienern.
Ich möchte ausdrücklich festhalten: An der Einführungaller in diesen elf Branchen bestehenden Mindestlöhnewar die Union beteiligt. Das heißt, die Union ist die Par-tei der Mindestlöhne. Die Union hat sich dafür einge-setzt und nicht Sie von den Oppositionsfraktionen.
Sie dabei nicht rot werden!)Neben dem Baugewerbe gehören dazu bereits die Ab-fallwirtschaft einschließlich Straßenreinigung und Win-terdienst, der Steinkohlebergbau, das Dachdeckerhand-werk
– das müssen Sie sich schon einmal anhören, Herr Heil –,das Elektrohandwerk, die Gebäudereinigung, das Maler-und Lackiererhandwerk, die Pflegebranche, Sicherheits-dienstleistungen und Wäschereidienstleistungen im Ob-jektkundengeschäft. Seit dem 1. Januar 2012, also seitknapp drei Wochen,
gilt für die rund 900 000 Beschäftigten in der Zeitarbeitein Stundenlohn von mindestens 7,01 Euro im Osten und7,89 Euro im Westen.
– Für Sie ist es immer zu wenig; das wird auch in derZukunft so sein. – Da sind wir schon ziemlich nahe anIhrer Forderung. Bei der Zeitarbeit ist uns wichtig, dassnach einer angemessenen Einarbeitungszeit – jetzt pas-sen Sie einmal auf; da können Sie etwas hinzulernen –der gleiche Lohn für die gleiche Arbeit gezahlt wird.
– Hören Sie zu, Herr Heil! Bleiben Sie mit den Füßenauf dem Boden! – Hier soll noch in den nächsten Mona-ten eine zufriedenstellende Lösung gefunden werden.OnDWZInwdeznfütezvblidcsnsrueluddbMmMtedtifüDgbkGhBbTjemz
b der Bereich der Weiterbildung zukünftig auch aufge-ommen wird, wird derzeit ebenfalls überprüft. Meineamen und Herren, das ist der richtige Weg. Dieseneg wollen wir für weitere Branchen eröffnen, und denugang dazu wollen wir erleichtern.Schauen wir beispielsweise einmal nach Frankreich. der Tat zeigen Studien – selbst wenn diese politischie wissenschaftlich zum Teil umstritten sind –, dassort der monatliche Mindestlohn von 1 365 Euro – dasntspricht einem Stundenlohn von 9 Euro; er liegt alsowischen den beiden Mindestlöhnen, die jeweils von Ih-en gefordert werden – nicht zu Arbeitsplatzverlustenhrt. Allerdings muss man hier auch sehen, dass die Un-rnehmen, die die Minimumlöhne auszahlen, vom fran-ösischen Staat tatkräftig unterstützt werden. Die Sub-entionen für Sozialversicherungsbeiträge in Frankreicheliefen sich bereits im Jahr 2010 auf immerhin 30 Mil-arden Euro.Zudem darf hier nicht außer Acht gelassen werden,ass es durch die staatlichen Subventionen zu erhebli-hen Mitnahmeeffekten kommt und die Unternehmenich bemühen, möglichst nur den niedrigen, subventio-ierbaren Mindestlohnsatz zu zahlen. Das heißt, dassich die Höhe der Löhne in Frankreich durch die Einfüh-ng des gesetzlichen Mindestlohnes sogar nach untenntwickelt hat. Sollte der Staat seine Unterstützungszah-ngen also nicht weiter leisten, so ist davon auszugehen,ass auch in Frankreich erhebliche Arbeitsplatzverlusterohen.Nehmen wir das Beispiel Großbritannien; auch Groß-ritannien wird gern als Beispiel für einen gesetzlichenindestlohn angeführt. In Großbritannien gibt es im-erhin 14 Ausnahmen beim bestehenden gesetzlichenindestlohn, unter anderem für alle Auszubildenden un-r 19 Jahren, für Auszubildende zwischen dem 19. undem 25. Lebensjahr im ersten Ausbildungsjahr, bei Prak-ka insgesamt, bei Praktika von Studenten, für Au-pairs,r Soldaten, für Fischer, für Gefangene, für freiwilligienstleistende, auch für Angehörige bestimmter Reli-ionsgemeinschaften.
Die Geltung des gesetzlichen Mindestlohnes in Groß-ritannien ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Manann nicht sagen, dass die Mindestlohnregelung, die inroßbritannien gilt, bei uns den erwünschten Effektätte.
enachteiligt wären vor allem Geringqualifizierte.Für die Mehrheit der in Deutschland beschäftigten Ar-eitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelten schon heutearifverträge; ich habe bereits darauf hingewiesen. Dassdoch die Tarifbindung in der Vergangenheit abgenom-en hat, konstatieren wir durchaus, Herr Ernst. Um so-iale Verwerfungen in den Branchen zu verhindern, in de-
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18358 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012
Paul Lehrieder
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nen keine Tarifverträge gelten oder Tarifverträge nur einegeringe Wirkungskraft entfalten, haben wir die Rechteder Tarifvertragsparteien ausgeweitet. Diese haben künf-tig neben den Möglichkeiten, die das Arbeitnehmer-Ent-sendegesetz bietet, auch die Möglichkeit, branchen- undregionalspezifische Lohnuntergrenzen vorzuschlagen.Diese Vorschläge der Tarifvertragsparteien kann die Bun-desregierung für verbindlich erklären und auch auf aus-ländische Arbeitnehmer erstrecken. Wir sind offen, die-sen Prozess zu erleichtern. Wir wollen keine Billiglöhne.Wir wollen branchenspezifische Mindestlöhne. Wir wol-len starke Tarifpartner und Gewerkschaften.Vorhin wurde auch das Thema „Nachwirkungen vontarifvertraglichen Niedriglöhnen“ angesprochen. Hierzudarf ich festhalten: Um künftig zu verhindern, dass sicheine Tarifvertragspartei auf der Nachwirkung eines Ta-rifvertrages ausruht, um Haustarifverträge mit Nied-riglöhnen ablösen zu können, soll die Nachwirkung vonTarifverträgen im Tarifvertragsgesetz auf ein Jahr be-schränkt werden. Wir werden Verwerfungen und Fehl-entwicklungen also auch da entgegenwirken.Das Aushandeln der Löhne muss die Aufgabe der So-zialpartner sein und auch bleiben; denn eine funktionsfä-hige Tarifautonomie braucht starke Arbeitgeberverbändeund starke Gewerkschaften. Nur mit einer starken Posi-tion können diese für ihre Mitglieder verbindliche undwirkungsvolle Abmachungen treffen. Wenn der Gesetz-geber die Tarifautonomie abschaffen würde, hätten wirLösungen, die nicht den Verhältnissen in den Branchenund Regionen entsprechen würden.
Ist der Mindestlohn zu niedrig, ist sein Nutzen zur Ar-muts- und Ausbildungsabwehr gering. Ein zu hoherMindestlohn wiederum zwingt Unternehmen dazu, mehrfür Arbeit zu zahlen, als sie einbringt, und er wird zurVernichtung von Arbeitsplätzen führen. Das wird Ihnenjeder, der vernünftig rechnen kann, bestätigen.Kurz vor Ende meiner Rede möchte ich noch auf eineAussage von Frau Kollegin Pothmer eingehen. FrauPothmer, Sie haben vorhin ausgeführt, wir hätten derBundesarbeitsministerin die Prokura für das Thema Min-destlohn entzogen; das war Ihre Formulierung. Bestäti-gen Sie das?
– Sehr gut. – Ich stelle fest: Wir haben sie der Bundesar-beitsministerin nicht entzogen. Wenn die Bundesarbeits-ministerin unsere Arbeitsgemeinschaft in einen Arbeits-kreis einbezieht, so ist das nur von Vorteil.
Frau Pothmer, ich dachte mir vorhin: Dieselbe For-mulierung habe ich schon einmal irgendwo gelesen. Ichhabe nachgeschaut. Im Handelsblatt steht ein Zitat vonHerrn Kollegen Heil. Sie haben Herrn Heil zitiert, ohnedies kenntlich zu machen. Man sollte Zitatstellen kennt-lich machen, meine Damen und Herren.
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merhin haben Sie auf Ihrem Bundesparteitag im No-ember 2011 einmal über das Thema Mindestlohn ge-tritten. Kolleginnen und Kollegen von der Union, ichte Ihnen, Ihre Ideen neu zu sortieren. Sie loben dieranchenmindestlöhne immer wieder in den Himmelnd behaupten, hier schon einiges getan zu haben.Ich sage jedoch: Gerechtigkeit kann nicht Schritt fürchritt eingeführt werden. Es reicht nicht, Gerechtigkeit einzelnen Branchen einzuführen und die anderenranchen von der Gerechtigkeit auszuschließen; denn
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012 18359
Josip Juratovic
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das Brot kostet für alle – für Leiharbeiter, Gebäudereini-ger oder Industriearbeiter – gleich viel.
Wir müssen flächendeckend handeln; denn wir sind ge-wählt, für alle Menschen in unserem Land Verantwor-tung zu tragen und nicht nur für diejenigen, die zufälligin der richtigen Branche arbeiten.
Während der Finanz- und Euro-Krise ist auch die Be-deutung des Mindestlohns stark gestiegen. Wir alle wis-sen, dass Abstiegsängste nicht nur bei den Niedrigquali-fizierten am Rand unserer Gesellschaft existieren,sondern dass auch viele Facharbeiter Angst vor dem ge-sellschaftlichen Abstieg haben.Niedriglöhne betreffen immer mehr Menschen derMitte in unserem Land. Diese Facharbeiter sind nichtnur wirtschaftlich bedroht, sondern sie fürchten auch da-rum, gesellschaftlich stigmatisiert zu werden, beispiels-weise bei der Kreditvergabe oder der Wohnungssuche.Viele Menschen empfinden es als Schande, dass sie auf-grund der Niedriglöhne nicht genug verdienen, um ihreFamilien ernähren zu können, sodass sie am Ende desMonats über Leistungen des Sozialamts aufstocken müs-sen, etwa indem sie Wohngeld beantragen.Der Gang zum Sozialamt ist für viele Menschen eineVerletzung der Würde und des Selbstwertgefühls, wasübrigens auch eine Ursache der zunehmenden psychi-schen Erkrankungen ist.
Die Menschen in unserem Land wollen aber keinenStaat, der Almosen verteilt, sondern einen sozial gerech-ten Staat, der sich gegen Niedriglöhne und Abstiegs-ängste einsetzt.
Man darf nicht vergessen: Ein würdevoller Lohn undGerechtigkeit sind der Kitt des sozialen Zusammenhaltsunserer Gesellschaft.Frau Merkel redet europaweit immer davon, wiewichtig es ist, die Staatsverschuldung zu senken. Hier inDeutschland treibt sie dagegen munter die Verschuldungin die Höhe, indem sie den Menschen ein eigenständigesLeben ohne die Notwendigkeit, über Leistungen vomSozialamt aufzustocken, verweigert. Ein gesetzlicherMindestlohn würde die Staatskasse um mehr als 7 Mil-liarden Euro entlasten.Die FDP verspricht immer, Subventionen abzubauen.Gleichzeitig verteilt sie aber munter Subventionen an dieMenschen, die von ihrem Lohn nicht leben können.
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Kolleginnen und Kollegen, mit unserem Gesetzent-urf können wir Gleichgewicht in die soziale und wirt-chaftliche Entwicklung unseres Landes bringen: Wirenken die Staatsverschuldung, und wir schaffen sozialeerechtigkeit für rund 6 Millionen Arbeiter, die voniedriglöhnen betroffen sind.Ich rede mit sehr vielen Unternehmern. Auch sie wol-n einen Mindestlohn, damit um Qualität konkurriertird und sie nicht der Lohndrückerei ausgesetzt sind.eshalb sind die politischen Rahmenbedingungen fürine soziale Gestaltung der Arbeit so wichtig. Hier kön-en wir nach Baden-Württemberg schauen, wo nachem Regierungswechsel dank SPD und Grünen an ei-em Tariftreuegesetz gearbeitet wird und ein Konzeptr gute und sichere Arbeit existiert.
as, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir füranz Deutschland, am besten auch nach einem Regie-ngswechsel.Nun möchte ich mich an die Kolleginnen und Kolle-en der Linken wenden. Vorhin hat hier der Kollegelaus Ernst – er ist nicht mehr hier – stark kritisiert, dassie rot-grüne Regierung damals den Mindestlohn nichtingeführt hat. Ich bin ein IG-Metaller. Klaus Ernstüsste als damaliger 1. Bevollmächtigter der IG Metallissen, welch schwierige Diskussionen es innerhalb derewerkschaften gab.
ls wir uns geeinigt hatten, war es zu spät; dann hattenir keine Kanzlermehrheit mehr. Ich denke, das gehörtur Wahrheit dazu.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kol-
gen Johann Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion das
ort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! In die Debatte um eine untere Lohngrenze isturch einen Beschluss des Bundesparteitages der CDU der Tat Bewegung gekommen.
err Kollege Heil, wir können das erfreulicherweise vorem Hintergrund einer hervorragenden wirtschaftlichen
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18360 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012
Dr. Johann Wadephul
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Entwicklung in Deutschland angehen. Dank unsererStrukturpolitik für Deutschland gibt es eine Beschäfti-gungsquote, die wir unter Kanzler Schröder nie erreichthaben.
Das ist übrigens die beste Sozialpolitik, die man inDeutschland machen kann.Herr Kollege Juratovic, Sie haben hier das Bild vonarmen Kindern bemüht. Es ist in jedem Fall traurig,wenn ein Kind in armen Verhältnissen aufwächst. Wirmüssen danach streben, jeweils die Lage zu verbessern.Aber diese Koalition hat genau das gemacht. Wenn SieFrau von der Leyen in diesem Zusammenhang erwäh-nen, dann sollten Sie sie lobend erwähnen. Ursula vonder Leyen hat das Bildungs- und Teilhabepaket durchge-setzt; das haben Sie verabsäumt, meine sehr verehrtenDamen und Herren von der Opposition.
Wir tun etwas für die Bildung der Kinder, damit es ihnenbesser geht.
Die Diskussion ist völlig transparent. Jeder kann sichan ihr beteiligen. Jeder weiß, wie die Diskussionspro-zesse ablaufen. Sie haben die Diskussion innerhalb derCDU verfolgt; wir werden mit unserer SchwesterparteiCSU über diese Frage zu diskutieren haben.
– Sehr konstruktiv, wie der Kollege Lehrieder sagt. Dasist bei dem CSU-Parteivorsitzenden, der Vorsitzenderder Vertretung des Arbeitnehmerflügels der CSU war,eine Selbstverständlichkeit.
Auch mit den Freien Demokraten werden wir in derKoalition darüber zu diskutieren haben.
Ich hoffe, dass wir zu einer Einigung kommen. Ansonstenkönnen wir hier im Deutschen Bundestag in dieser Wahl-periode zu keiner gesetzlichen Regelung kommen. Wirsind aber zuversichtlich; bei den Freien Demokraten tutsich viel. Herr Kollege Kolb, Sie haben die ersten Dingein diesem Bereich schon im vorletzten Jahrzehnt mit Bun-desarbeitsminister Blüm angeschoben. Dafür herzlichenDank von der Unionsfraktion.
Darauf wollen wir aufbauen.FincBuHRndgSaL–hDdFWgRdlewkShgwlovs
Intransparent ist allein das, was die SPD hier vorträgt.err Kollege Heil, Sie haben wie immer eine lautstarkeede gehalten,
ur passte sie überhaupt nicht zu dem Gesetzentwurf,en Sie hier vorgelegt haben; das ist das Problem in deranzen Debatte.
ie wollen einen generellen gesetzlichen Mindestlohnnbieten und reden dann hier von branchenspezifischenösungen. Sie reichen uns noch formaliter die Hand.
Ja, bitte, wo ist Ihre Hand? – Ich habe Sie gefragt: Zie-en Sie den Gesetzentwurf zurück?
ann sind Sie, wie Sie es als früherer Generalsekretärer SPD gelernt haben, ausgewichen und haben dierage nicht beantwortet.
enn die Sozialdemokraten ernsthaft an einer Verständi-ung in dieser Frage interessiert wären und das nicht nurhetorik wäre, Herr Kollege Heil,
ann würden Sie diesen Gesetzentwurf einkassieren. Eridet an zahlreichen Mängeln. Viele davon sind ausge-iesen.
Im Übrigen gibt es insbesondere für die Sozialdemo-raten, aber auch für die Grünen keinen Anlass zuelbstgerechtigkeit. Herr Heil, Sie haben so getan, alsabe der Mindestlohn quasi schon im Godesberger Pro-ramm der SPD gestanden. Mitnichten! Das ist nunirklich eine neue Entwicklung. Auch auf dem Niedrig-hnsektor, den Sie als hochproblematisch darstellen,ollzieht sich keine neue Entwicklung. Noch 2005 hatich Ihr Bundeskanzler Gerhard Schröder
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012 18361
Dr. Johann Wadephul
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hier hingestellt und gesagt, Rot-Grün habe unter seinerKanzlerschaft den erfolgreichsten und effektivsten Nie-driglohnsektor der ganzen Welt geschaffen. Meine Da-men und Herren, vergessen Sie das nicht.
– Das hat Gerhard Schröder auf dem Weltwirtschafts-forum in Davos gesagt; ich kann es Ihnen gleich zeigen. –Sie werden die Geister, die Sie selber gerufen haben,nicht mehr los, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, und dazu sollten Sie auch stehen.
Darüber hinaus sollten Sie nicht den Eindruck erwe-cken – Herr Kollege Vogel hat das schon sehr gut deut-lich gemacht –, es sei in Deutschland vorstellbar, dasswir im Niedriglohnsektor eine Lohnhöhe hinbekommen,die sicherstellt, dass niemand mehr in diesem Bereichauf ergänzende staatliche Leistungen angewiesen ist. Sieselber, Herr Heil, haben eingeräumt, dass das bei einemStundenlohn von 8,50 Euro nicht hinhauen würde.
Denn das sei maximal ausreichend für einen alleinste-henden Vollzeitbeschäftigten. Nun wissen wir: Vielesind nicht vollzeitbeschäftigt, und zum Glück sind auchnicht viele alleinstehend, sondern haben einen Partneroder eine Partnerin. Die 8,50 Euro reichen nicht aus. Eswird also immer ergänzend der staatlichen Zuschüssebedürfen.
Ich finde, gerade als Sozialpolitiker sollten wir dasnicht diskreditieren. Die Menschen haben einen An-spruch auf staatliche Zuschüsse.
Sie sollten sich nicht dafür schämen; denn sie haben ei-nen Rechtsanspruch auf diese Unterstützung.
Wir als diejenigen, die diese Rechtsansprüche hier imParlament beschließen, sollten das nicht schlechtreden,meine sehr verehrten Damen und Herren.Ja, wir, die Union, tun uns schwer mit einer gesetzli-chen Regelung in diesem Feld. Das haben wir deutlichgemacht, und das merken Sie in allen Diskussionen, diewir auch innerparteilich führen.
Das liegt daran, dass wir nach wie vor an die Tarifauto-nomie glauben. Herr Kollege Heil, Sie haben vorhin indiesem Zusammenhang zu Recht – das ist völlig unstrei-tig – auf die Tradition der Sozialdemokratie hingewie-sen. Bemerkenswerterweise sind wir, die Mitglieder dercTDDnDpdVRateEwfaDdbpteruDusrehdu
as ist mittlerweile das Ergebnis.
enn den Bereich, den Sie gesetzlich regeln wollen,ehmen Sie den Tarifvertragsparteien weg.
as heißt, dies bedeutet ein Weniger an Regelungskom-etenz für die Gewerkschaften.
Deswegen wäre es angebrachter gewesen, wenn alliejenigen, die sich hier als die vermeintlich größtenerfechter von Gewerkschaftsrechten darstellen, ihreede in Moll und nicht in Dur gehalten hätten. Das giltuch für Ihre Rede, Herr Kollege Heil.Richtig ist: Der Organisationsgrad der Gewerkschaf-n hat rapide abgenommen.
s gibt weiße Flecken. Es gibt in der Tat auch Probleme,eil immer mehr Menschen nicht unter Tarifverträgellen.
eswegen müssen wir in diesem Bereich auch handeln;as ist keine Frage. Wir werden das auch machen. Es ha-en schließlich viele zum Ausdruck gebracht, dass dieolitische Hoffnung auch vieler Oppositionsabgeordne-n auf den Schultern der christlich-liberalen Koalitionht.
a sind diese Hoffnungen gut aufgehoben. Wir werdenns dieser Thematik mit Augenmaß annehmen.
Aufgrund der Bedeutung der Tarifautonomie wird un-er Maßstab sein: Wir werden nur das Allernotwendigstegeln. Insofern ist der Ausspruch, den ich von Ihnen ge-ört habe – „Mindestlohn light“ –, völlig falsch. Es gehtarum, „Tarifautonomie XL“ zu garantieren
nd möglichst viel Tarifautonomie aufrechtzuerhalten.
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Dr. Johann Wadephul
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Deswegen sollte eine paritätisch zusammengesetzteKommission mit dieser Aufgabe betraut werden.
Ich bin gegen eine pauschale Politikerschelte. Ich bin derMeinung, der Ausspruch „Schuster, bleib bei deinemLeisten“ gilt auch für Politiker. Politiker sollten sichnicht anmaßen, etwas von Wirtschaft und von den Löh-nen, die auf dem Arbeitsmarkt zu zahlen sind, zu verste-hen.
Das ist nicht unsere Aufgabe. Dafür haben wir Gewerk-schaften und Arbeitgeberverbände, und denen solltenwir uns anvertrauen.
Da sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gutaufgehoben. Auf diesem Wege kommen wir zu einervernünftigen Lösung.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktion der SPD zur Festsetzung des Mindest-
lohns. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/8385, den Gesetzentwurf der Fraktion
der SPD auf Drucksache 17/4665 abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen
die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Da-
mit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere
Beratung.
Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfeh-
lung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Druck-
sache 17/8385 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/7483 mit dem Titel „Jetzt Voraussetzun-
gen für die Einführung eines Mindestlohns schaffen“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der beiden Regierungsfrak-
tionen gegen die Stimmen von Linken und Grünen bei
Enthaltung der SPD angenommen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/8026 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenamen und Herren! Deutschland ist Spitze in Europa –eim Wirtschaftswachstum und bei den Beschäftigungs-ahlen. Das ist angesichts der Finanz- und Staatsschul-enkrise wahrlich bemerkenswert.Was ist die Grundlage dieser positiven Entwicklung Deutschland? Die Bundesrepublik hat ein äußerstrfolgreiches Modell entwickelt, um mit innovativenrodukten und Dienstleistungen und einer starken indus-iellen Basis im weltweiten Wettbewerb bestehen zuönnen. Allein ein Fünftel der Wirtschaftsleistungeutschlands beruht auf dem Export von Technologie-ütern. Das zeigt: Eine hohe Innovationskraft zahlt sichus.Deutschland verbessert sich im aktuellen Innova-onsindikator der Telekom-Stiftung im Vergleich zumahr 2009 aus dem Mittelfeld auf Rang vier. Als einenesentlichen Grund für dieses gute Ergebnis werdenehr Investitionen der öffentlichen Hand in Wissen-chaft und Forschung genannt.In der Tat: Diese Bundesregierung investiert mehreld in Forschung und Entwicklung als jede andere Re-ierung zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik.
wischen 2005 und 2011 stiegen die Ausgaben der Bun-esregierung für Forschung und Entwicklung um sagend schreibe 42 Prozent auf 12,8 Milliarden Euro.
ies ist ohne Zweifel ein Signal, ein Signal an die Wis-enschaft und an die Wirtschaft. So haben die deutschennternehmen trotz Finanz- und Schuldenkrise ihre In-estitionen in Forschung und Entwicklung im Jahr 2010uf 47 Milliarden Euro gesteigert. Das ist ein Plus von0 Prozent gegenüber dem Jahr 2005.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012 18363
Parl. Staatssekretär Thomas Rachel
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Insgesamt haben wir es gemeinsam geschafft, dass derAnteil für Forschung und Entwicklung am Bruttoin-landsprodukt von 2,5 Prozent im Jahr 2005 auf 2,82 Pro-zent im Jahr 2010 gestiegen ist. Wir kommen immer nä-her an das 3-Prozent-Ziel heran.Entsprechend ist auch die Zahl der in Forschung undEntwicklung tätigen Menschen gestiegen. Ich sehe UweSchummer hier sitzen,
einen Arbeitnehmervertreter. Er weiß, wie es bei den Ar-beitnehmern in der Forschung aussieht. Wir brauchensie. Zwischen 2005 und 2010 gab es einen beachtlichenZuwachs von 72 000 Stellen im Bereich Forschung undEntwicklung. Das ist ein wahrlich erfolgreiches Ergeb-nis.
In der rot-grünen Regierungszeit ist zwischen 2000 und2005 die Zahl der im Bereich FuE tätigen Personen zu-rückgegangen.
All dies zeigt, dass die heutige Bundesregierung aufdem richtigen Weg ist. Dies sagt auch die Expertenkom-mission „Forschung und Innovation“. Sie hebt die positi-ven Effekte der Hightech-Strategie hervor. Ich zitiere:Die Expertenkommission befürwortet diese Neu-ausrichtung – der Hightech-Strategie –ebenso wie die Auswahl der prioritären Bedarfsfel-der.
Das ist für uns Ansporn und Ermutigung.Dabei orientieren wir uns an drei Prinzipien:Erstes Prinzip. Wir wollen die Zusammenarbeit zwi-schen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik stärken. Dasist das Markenzeichen dieser Bundesregierung. Wir sinddavon überzeugt, dass sich die Schlüsselthemen unseresLandes, wie der Umbau der Energieversorgung oder derdemografische Wandel, nur im Zusammenspiel aller Ak-teure erfolgreich gestalten lassen. Allein zwischen 2010und 2013 wird die Bundesregierung im Rahmen derHightech-Strategie knapp 27 Milliarden Euro in den Be-reich Klima und Energie, in die Gesundheitsforschung,in die Mobilitätsforschung, in die Informations- undKommunikationstechnologie sowie in die Sicherheits-forschung investieren.Mit ganz konkreten Zukunftsprojekten arbeiten wiran den großen, uns alle bewegenden gesellschaftlichenHerausforderungen. Wir arbeiten an einer Vision vonCO2-reduzierten und energieeffizienten Städten. Mitdem „Internet der Dinge“ gestalten wir die vierte indus-trcPadminhvuDInsdsfahreBIhsrulewDmAwkHruahmfüddSAsInW
uch hier gibt es positive Entwicklungen:Erstens. Mit dem beschlossenen Anerkennungsgesetzürdigen wir die im Ausland erworbenen Berufsqualifi-ationen. Mit der Verbesserung der Zuzugsregelung fürochqualifizierte im Gesetzentwurf der Bundesregie-ng stärken wir den Wirtschaftsstandort Deutschland.Zweitens. Mit über 500 000 ist die Zahl der Studien-nfänger so hoch wie nie zuvor. Mit dem Hochschulpaktaben Bund und Länder dafür den entscheidenden Rah-en gesetzt.Drittens. Seit 2005 hat sich die Zahl der Stipendienr Begabte mehr als verdoppelt. Jeder kann sich jetzt iniese Stipendienkultur einbringen und dazu beitragen,ass wir mehr Stipendien in Deutschland bekommen.
Viertens. Noch nie hatten wir so viele ausländischetudierende an deutschen Hochschulen. Das zeigt diettraktivität des Hochschul-, Wissenschafts- und For-chungsstandorts Deutschland.Meine Damen und Herren, Bildung, Forschung undnovationen sind der Schlüssel für Fortschritt undohlstand in diesem Lande. Sie stärken unsere Wettbe-
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Parl. Staatssekretär Thomas Rachel
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werbskraft. Sie fördern die individuellen Zukunftschan-cen und die gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten.Der Forschungs- und Innovationsstandort Deutschlandist in den letzten Jahren wahrlich attraktiver geworden.Auf diesem erfolgreichen Weg wird die Bundesregie-rung weiter vorangehen.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun René Röspel für die SPD-Fraktion.
Es wurde leider noch gar nichts zum Thema gesagt,Kollege Kretschmer. – Herr Präsident! Meine sehr ver-ehrten Damen und Herren! Als ich Ende Dezember 2011erfuhr, dass wir in der ersten Sitzungswoche im Januarden Expertenbericht „Forschung und Innovation“ bera-ten, habe ich gedacht: Wow, der liegt ja früh vor. Norma-lerweise wird er im Februar oder März veröffentlicht,und nun werden wir schon im Januar den EFI-Bericht2012 beraten. – Als ich dann in die Tagesordnungschaute, habe ich gesehen, dass wir über die Unterrich-tung durch die Bundesregierung zum EFI-Gutachten2011 diskutieren werden. Das heißt, die Bundesregie-rung hat zehn Monate gebraucht, um eine Stellung-nahme zu diesem Gutachten zu erarbeiten.Dafür könnte ich sogar Verständnis haben. Diese Be-richte sind wirklich sehr interessant und enthalten eineMenge Material und Informationen. Man braucht Zeit,dies vernünftig durchzuarbeiten. Aber dann habe ichdiese Stellungnahme in die Hand genommen. Sie um-fasst nur etwa acht DIN-A4-Seiten. Der Umfang besagtja nicht alles. Also habe ich gedacht: Gut, vielleicht stehtin der Stellungnahme viel Aussagekräftiges zu diesemBericht. Aber mit so gut wie keinem Wort geht dieseBundesregierung auf das EFI-Gutachten ein. Das ist aberunser Thema.
Kollege Staatssekretär Rachel, in Ihrem mündlichenVortrag haben Sie dies leider auch nicht getan; das be-dauere ich sehr. Dabei wäre ein Blick in dieses Gutach-ten ganz interessant gewesen. Im EFI-Gutachten 2011 istwieder eine Reihe von Kernthemen behandelt worden.Ich will nur eines beispielhaft herausgreifen. Die Kom-mission nimmt ein zwischen der Bundesregierung undder Landesregierung Schleswig-Holstein aufgetretenesGeschacher auf: Ein zu 50 Prozent vom Land Schleswig-Holstein finanziertes meereswissenschaftliches Institutwar in die Helmholtz-Gemeinschaft überführt worden,sodass es nur noch zu 10 Prozent vom Land finanziertwerden muss. Die schleswig-holsteinische Landesregie-rung kann dadurch also Geld sparen. Dieses Vorgehen,für das es politisch und wissenschaftlich überhaupt kei-nen Grund gibt–rehüecmFdgrütuwtititiwSdddswaWnmSIcMaunVBdsFwzInmknz
doch, die Expertenkommission sagt es mit etwas ande-n Worten: keine wissenschaftliche Grundlage –,
at die Expertenkommission zum Anlass genommen, zuberlegen, ob man die Forschungsfinanzierung nicht aufine andere Basis stellen sollte. Sie sagt: Ein einheitli-her Finanzierungsschlüssel für Forschung ist nicht nuröglich, sondern auch nötig. Das ist eine wegweisendeormulierung. Ich finde, Forschungspolitik muss sichamit befassen. Es ist beschämend, dass die Bundesre-ierung darauf überhaupt nicht eingeht.
Als wir fast auf den Tag genau vor sechs Jahren da-ber diskutiert haben, wie die Forschungsberichterstat-ng in Deutschland zukünftig aussehen könnte, habenir hier im Parlament einheitlich gesagt: Ja, es ist rich-g, dass ein unabhängiges Gutachtergremium die Situa-on der Forschung in Deutschland beleuchtet, seine Kri-k darstellt und uns Handlungsoptionen aufzeigt. Allearen sich einig. Die Bundesregierung schreibt in ihrertellungnahme, dass dieses Gutachten eine gute Analyseer Stärken und Schwächen des Innovationsstandortesarstellt. Sie schreibt – ich zitiere aus dem Kopf –, dassieses Gutachten für sie sogar Grundlage für weitere for-chungs- und innovationspolitische Entscheidungen seinird. Allerdings muss man ein solches Gutachten dannuch lesen und Kritik aufnehmen.
ir waren uns damals einig, dass wir uns von außen ei-en Spiegel vorhalten lassen und die Kritik annehmenüssen. Aber die Bundesregierung schaut an diesempiegel vorbei.
h habe zuerst gedacht, es sei ein Zufall, dass das diesesal wieder so ist. Aber beim Blick in die anderen Gut-chten habe ich festgestellt: Es ist offenbar die Strategiend Systematik dieser Bundesregierung, sich von außenicht beraten zu lassen und nicht einmal vernünftigeorschläge anzunehmen.Im EFI-Bericht 2008 – das ist fast sogar ein positiveseispiel, an dem Sie sich laben könnten – hat als eineser Kernthemen die steuerliche Forschungsförderungehr breiten Raum eingenommen, also die steuerlicheörderung von Unternehmen, die in Forschung und Ent-icklung investieren. Wir als SPD haben das etwasurückhaltend beurteilt. Wenn man dadurch tatsächlichvestitionen heben kann, ist das ein geeignetes Instru-ent. Wenn damit Wirtschaftsförderung einhergeht,ann man darüber reden. Aber es kostet viel Geld – dieotwendigen Mittel muss man haben –, und es darf nichtulasten der Projekt- oder Grundlagenforschung gehen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012 18365
René Röspel
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Vor diesem Hintergrund waren wir hier sehr zurückhal-tend.Es waren die beiden Fraktionen von CDU/CSU undFDP und eine Bundesministerin, die sich in Sachen steu-erliche FuE-Förderung so weit aus dem Fenster gelehnthaben, dass dem Betrachter schon schwindelig wurde.Wissen Sie, was passiert ist? Nichts. Selbst die Gutach-tenempfehlung, die für Sie eigentlich positiv ausgefallenist und positiv angenommen worden ist, ist nicht umge-setzt worden.
Sie haben sich zwar weit aus dem Fenster gelehnt, aberSie haben kein Stück zur steuerlichen FuE-Förderung inDeutschland beigetragen.
Im EFI-Gutachten 2009 war Bildung eines derKernthemen. Gleich im Vorwort steht ein ganz wichtigerSatz: dass uns die Schwächen des deutschen Bildungs-systems nachhaltig belasten und zu einer Bedrohung fürdie Innovationsfähigkeit Deutschlands werden. Einbestimmtes Diagramm, das in diesem EFI-Bericht ent-halten war, habe ich danach auch in vielen anderen Pu-blikationen gesehen. Hier geht es darum, dass die Bil-dungschancen der Menschen in Deutschland so sehr wiein keinem anderen Industrieland von der Herkunft ab-hängig sind. Diese Abbildung macht deutlich: Von100 gleich begabten Kindern, die aus Akademikerfami-lien stammen, werden 83 ein Studium aufnehmen, von100 gleich begabten Kindern, die aus Arbeitnehmerfa-milien stammen, nur 23. Die Herkunft entscheidet alsoüber die Bildungschancen. Der Appell, hier aktiv zuwerden, wurde übrigens nicht nur an die Bundesregie-rung, sondern auch an die Politik insgesamt gerichtet.Was haben Ihre Fraktionen gemacht? Sie haben vordiesem Gutachten wie erstarrt verharrt. Der Bundespar-teitag der CDU hat sich dann entschieden, sich von derHauptschule zu verabschieden – völlig ignorierend, dassviele CDU-Bürgermeister in ländlichen Regionen längstAbstand von der Hauptschule genommen haben, weil siesich diese aus demografischen Gründen nicht mehr leis-ten können.Aber es gibt auch Regierungen, die die Ungleichge-wichte im Bildungssystem wahrnehmen und handeln.Ich bin sehr froh, dass die neue rot-grüne Landesregie-rung in Nordrhein-Westfalen die Studiengebühren aus-gesetzt und zurückgenommen hat. Sie sind nämlich einwesentliches Kriterium dafür, dass Arbeitnehmerkinderkein Studium aufnehmen. Es gibt also tatsächlich Regie-rungen, die handeln.
– Nein, das war kein großer Fehler. Vielleicht muss manetwas weniger als ein Abgeordneter, also weniger als8 000 Euro im Monat, verdienen, um sich vorstellen zukriKVKsjaicamT1–teh
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Murmann?
Aber gerne.
Bitte schön.
Lieber Kollege Röspel, es ist nett, dass Sie eine Zwi-
chenfrage gestatten. – Auch Sie haben sich inzwischen
etwas von dem Gutachten entfernt. Deswegen möchte
h Sie fragen, wie Sie folgende Zusammenfassung, die
m Ende des Gutachtens zu lesen ist, bewerten:
Die dargestellte Bilanz zeigt: Deutschland ist im
Bereich von Forschung und Innovation attraktiver
und stärker als je zuvor.
Deutschland hat seine Stellung als dynamischer
Innovations- und Forschungsstandort in den ver-
gangenen Jahren deutlich verbessert. Die Bundesre-
gierung arbeitet daran, diesen Erfolgskurs in den
kommenden Jahren fortzusetzen und Deutschlands
Innovationsführerschaft weiter auszubauen – mit
umfangreichen Maßnahmen, zielgerichteter Förde-
rung und übergreifender strategischer Innovations-
politik unter dem Dach der Hightech-Strategie.
Denn Bildung, Forschung und Innovationen sind
der Schlüssel für Wachstum, Wohlstand und Zu-
sammenhalt und damit eine der wichtigsten Grund-
lagen für eine gute Zukunft in Deutschland.
Das, was ich zitiert habe, war die komplette Zusam-
enfassung der Studie. Wie bewerten Sie das?
Das kann ich nur voll unterstreichen, weil es in derat so ist, dass Deutschland heute besser dasteht als vor0 oder 15 Jahren.
Das ist noch Teil der Beantwortung. – Im EFI-Gutach-n ist übrigens immer eine ganz spannende Tabelle ent-alten, die weit über das hinausgeht, was in der Stellung-
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René Röspel
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nahme der Bundesregierung zu lesen ist, in der nämlichnur die Entwicklung seit 2005 betrachtet wird. Aus demStand: Im EFI-Bericht 2009 können Sie auf Seite 72 dieAbbildungen 13 und 14 finden. Dort ist die Entwicklungder Anteile der Ausgaben für Forschung und Entwick-lung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, seit 1982 dar-gestellt. Hier wollen wir uns ja dem vereinbarten Ziel– das sagte auch Staatssekretär Rachel – nähern. Mansieht hier: Als Helmut Schmidt die Regierung an HelmutKohl abgegeben hat, war dieser Anteil viel höher als zudem Zeitpunkt, als Helmut Kohl die Regierung anGerhard Schröder abgab.
Das heißt, die erste christlich-liberale Koalition hat die-sen Bereich heruntergewirtschaftet.Unter der rot-grünen Bundesregierung, seit 1998, ha-ben wir der Forschung und Entwicklung sowie der Bil-dung wieder einen Stellenwert gegeben und entspre-chende Finanzen dafür zur Verfügung gestellt.
Es ist richtig und gut, dass die Große Koalition das fort-gesetzt hat und Sie das jetzt auch tun. Deswegen kannich das unterstreichen.
Urheber waren aber nicht Sie, sondern andere.Ich denke, damit ist Ihre Frage in aller Kürze ausrei-chend beantwortet.Wenn man sich das vorletzte EFI-Gutachten, das von2010, anschaut, dann sieht man: Eines der Kernthemenist die Föderalismusreform. Seit der Föderalismusreformhat der Bund nicht mehr die Möglichkeit, den Ländernund sogar den Kommunen finanzielle Mittel für Bildungzur Verfügung zu stellen. Wer in den Kommunen tätigist, der weiß, dass sie danach lechzen. Das Ganztags-schulprogramm der rot-grünen Bundesregierung ausdem Jahre 2003 hat zu über 7 000 Ganztagsschulen ge-führt und den Kommunen geholfen. Das ist jetzt nichtmehr möglich.Im EFI-Bericht 2010 findet sich zum ersten Mal dieForderung, dass das Kooperationsverbot dringend besei-tigt werden muss. Diese Forderung, die auch im aktuel-len Bericht steht, ist an uns alle gerichtet, weil wir das inder Großen Koalition beschlossen haben.
Hier muss etwas passieren. Auch dazu hätte ich mir eineÄußerung seitens der Bundesregierung gewünscht. Viel-leicht hören wir ja aus den Regierungsfraktionen gleichnoch etwas dazu. Das ist ein dringender Appell der Ex-pertenkommission. Dem sollten wir uns annehmen.Wir als SPD haben das getan. Wir werden in dernächsten Woche einen Antrag in Richtung AufhebungdruAtiKmgturuRuisWWapEsuwdInpbtukhnimvtiüeDdtisfü
Das Wort hat nun Martin Neumann für die FDP-Frak-
on.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Kollege Röspel, Sie haben völlig recht: Wirüssen uns mit dem EFI-Gutachten und mit den Aussa-en darin kritisch auseinandersetzen. Das werden wirn. Ich konzentriere mich an dieser Stelle auf Ausfüh-ngen zum Gutachten 2011. Darin gibt es eine ganzeeihe von Empfehlungen. Ich gehe der Reihe nach vornd ziehe nicht nur die eine oder andere heraus.Ich möchte an dieser Stelle feststellen, dass wir – dast dort deutlich vermerkt worden – nach der Finanz- undirtschaftskrise wieder eine führende Position in dereltwirtschaft eingenommen haben, vor allen Dingenuch aufgrund der guten Forschungs- und Innovations-olitik.
in Grund für diese Entwicklung – das kann ich an die-er Stelle nur noch einmal unterstreichen – ist natürlichnsere technologie- und innovationsorientierte Volks-irtschaft.Im Gutachten kann man recht deutlich nachlesen,ass wir vor allen Dingen von den forschungsintensivendustrien und von Spitzen- und Höchsttechnologienrofitieren. Auch in diesem Jahr wird die Entwicklungei uns aufgrund eines Wirtschaftspotenzials mit Wachs-mserwartungen von 0,75 Prozent überaus stabil sein.Diese Leistungsfähigkeit wird vom Innovationsindi-ator belegt. Hier ist Deutschland – das ist immer wiederervorzuheben – auf gutem Wege. Das lassen wir unsicht schlechtreden. In den letzten Jahren haben wir uns Ranking der innovativsten Nationen auf einen derorderen Spitzenplätze vorgearbeitet. Das ist ganz wich-g. An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass wir gegen-ber vielen anderen OECD-Staaten und Konkurrenteninen Vorsprung durch Ideen und Innovationen haben.as müssen wir bewahren und weiter ausbauen.
Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich den Mitglie-ern der Expertenkommission Forschung und Innova-on für ihre geleistete Arbeit.Kollege Röspel, jetzt komme ich auf einen Punkt zuprechen, den Sie auch angesprochen haben. Ein Grundr diese erfolgreiche Entwicklung liegt vor allem in der
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012 18367
Dr. Martin Neumann
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selbstkritischen Analyse. Das ist genau der Punkt, undgenau das tun wir an dieser Stelle.
– Frau Sager, Sie haben ja gleich im Anschluss noch Ge-legenheit, das aus Ihrer Sicht darzustellen. – Ich glaube,wir dürfen uns an dieser Stelle nicht auf den Erfolgenausruhen – das ist ein ganz wichtiger Punkt –,
sondern wir haben unsere Position immer wieder bzw.fortwährend zu überprüfen.Hier brauchen wir auch kritische Stimmen, die unsdie Schwächen vor Augen führen und an der Bewertungkeinen Zweifel aufkommen lassen. Diese kritischenStimmen können und sollen natürlich auch aus dem Wis-senschaftssystem selbst kommen. An dieser Stelle musses einen Dialog geben. Ich möchte hervorheben – des-halb ist dieser Bericht für uns sehr wertvoll –, dass ausmeiner Wahrnehmung heraus der Stellenwert der Exper-tenkommission mit jedem Bericht wächst.Es gehört zur kritischen Analyse, dass wir über dieGrenzen hinausschauen. Das ist ganz wichtig, vor allenDingen in diesem Wettbewerb. Wenn wir uns die inter-nationalen Entwicklungen konkreter anschauen und ana-lysieren, stellen wir wieder fest, dass wir an dieser Stellewirklich führend sind. Wenn wir zum Beispiel nachSkandinavien blicken oder in den südostasiatischenRaum, stellen wir fest, dass wir uns mitten in einemWettbewerb befinden. Dieser Wettbewerb – das ist analle Adressen gerichtet – nimmt keine Rücksicht aufVersäumnisse, sei es bei Investitionen, sei es bei der not-wendigen Weichenstellung für Forschung und Innova-tion. In diesem Wettbewerb zählt nur die richtige For-schungspolitik.An dieser Stelle hat die Expertenkommission den Fin-ger tief in die Wunde gelegt. Die Schwächen werden be-nannt – das ist ganz klar – und Empfehlungen gegeben.Ich glaube aber festzustellen – in diesem Kontext treffenwir uns dann wieder –, dass der Weg richtig ist und dassvor allen Dingen – das gilt auch in der Wirtschaft – dasrichtige Klima geschaffen wird – das ist ein ganz wichti-ger Punkt –, sei es zum Beispiel durch die Erhöhung derInvestitionen des Bundes, sei es zusätzlich durch eineWirtschaftspolitik, die Mehrausgaben in Forschung undEntwicklung generiert. Dabei belegt das Gutachten2011, dass wir mit der strukturellen und vor allen Dingenstrategischen Ausrichtung auf dem richtigen Weg sind.
Die Koalition hat mit der weiterentwickelten High-tech-Strategie 2020 eine missionsartige – so möchte ichdas sagen – Ausrichtung vorgenommen und die For-schungs- und Innovationsförderung auf globale Heraus-forderungen ausgerichtet. Daneben ist der Pakt für For-schung und Innovation als ein ganz entscheidendesInstrumentarium etabliert.
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Hier ist eine jährliche Steigerung der Mittel von min-estens 5 Prozent zu verzeichnen. Damit geben wir eineutliches Signal. Hier kommt die Stelle, an der wir ge-auer hinschauen müssen, Herr Kollege Röspel – dasage ich auch an Ihre Adresse –: Wir müssen darauf ach-n, dass es in der Finanzierung der Hochschulen in derombination mit den außeruniversitären Forschungsein-chtungen eine Balance zwischen der Steigerung derittel, die ich gerade angesprochen habe, und dem, wasber die Länderhaushalte an Mitteln für die Hochschulenereitgestellt werden muss, gibt. Auf diese Balance müs-en wir achten.
Das heißt aber auch – dazu wird in dem EFI-Gutach-n ausreichend Stellung genommen –, dass wir das ge-amte System der Wissensgesellschaft im Auge behaltenüssen. Das beginnt tatsächlich mit dem „Haus der klei-en Forscher“ im Kitabereich und hört bei hochwertigenorschungsergebnissen auf. Wenn man sich dieiografien der vielen erfolgreichen Nachwuchswissen-chaftler genauer anschaut, sieht man, dass ihre Karrieretsächlich auf Förderung und vor allen Dingen auf derohen Qualität des Studiums beruht. Vor diesem Hinter-rund sollten wir das Talentmanagement im Bereich derorschung und der Hochschulen tatsächlich als eine zu-ünftige Aufgabe erkennen.An dieser Stelle möchte ich nicht unerwähnt lassendas muss man hervorheben, weil es ein Schritt auf demchtigen Weg ist –, dass wir mit der Aufstockung derittel für den Qualitätspakt Lehre und dem Hochschul-akt eine wirklich sehr gute finanzielle Grundlage gelegtaben.
Weil es zum System gehört und weil die Oppositionmer verschiedene Argumente dagegen anführt: In die-em Zusammenhang freut mich die positive Aufnahmees Deutschlandstipendiums durch die Expertenkom-ission. Das ist etwas ganz anderes als das, was Sie im-er machen.
ie sagen immer: Das ist eine einseitige Orientierung.h sage noch einmal: Wir brauchen eine Kultur der För-erung und der Unterstützung der Hochschulen in denegionen, wir brauchen ein funktionierendes bürger-chaftliches Engagement und müssen alle Kräfte der Ge-ellschaft bündeln, die ein Interesse daran haben, dass esuf diesem Weg weitergeht.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Zeit istu knapp, um sich den vielen Aspekten zu widmen. Die
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18368 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012
Dr. Martin Neumann
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Kommission hat uns sehr viele Empfehlungen mit aufden Weg gegeben. Darüber muss geredet werden. Ichhabe das vorhin betont. Damit wir weiterhin Erfolg er-zielen, ist, glaube ich, auch eine selbstkritische Analysewichtig. Ich kann Ihnen an dieser Stelle deutlich sagen,dass wir uns in allen Projekten, die notwendig sind, beiallem Guten und Positiven wie auch da, wo wir tatsäch-lich noch Kräfte bündeln müssen, nicht auf dem Erfolgausruhen, sondern wir werden uns als christlich-liberaleKoalition für eine Fortentwicklung des Forschungs- undInnovationssystems einsetzen.Lieber Kollege Röspel, ich muss das noch anspre-chen, weil Sie es hervorgehoben haben: Auf die vielenEmpfehlungen und Hinweise werden wir Antworten ge-ben.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat nun Petra Sitte für die Fraktion Die
Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir redenheute über ein Gutachten der Expertenkommission For-schung und Innovation. Dieser Gruppe gehören sechsWissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Wirt-schafts-, der Rechts- und der Sozialwissenschaft an. Siehaben, wie man es von der Wissenschaft erwarten darf,auch im Jahr 2011 – Herr Röspel hat es schon gesagt –ihrer Auftraggeberin kein Gefälligkeitsgutachten vorge-legt und nicht nur eitel Freude bereitet.
Dafür kann man sich bei den Wissenschaftlerinnen undWissenschaftlern nur bedanken.Ich hoffe, dass auch nach der personellen Umbeset-zung dieser Gruppe eine solche kritische Distanz be-wahrt werden kann. Immerhin haben die Gutachten derletzten Jahre deutliche Signale gesetzt. Ich denke bei-spielsweise an den Verriss der Studienreform – nichtsanderes als ein Verriss war es – oder an die Kritik zurKomplexität und Budgettransparenz eben jener von Ih-nen gelobten Hightech-Strategie und Innovationspolitik.So weit, so gut.Wie hat die Bundesregierung auf das Gutachten 2011reagiert? Auch in diesem Jahr hat die Bundesregierungzunächst einmal mit bunten Bildchen reagiert. Mit ihnenwerden die wachsenden Mittel für Forschungsförderunggefeiert. Das Eigenlob aus den Haushaltsberatungen be-kommt sozusagen einen visuellen Gedächtnisschrein.Aber die Expertenkommission ist eben nicht in Andachterstarrt. Sie hat vielmehr festgestellt, dass man den Auf-wuchs der Mittel grundsätzlich anerkennen müsse.DmtedsddddwmaulieSzpBdjäSkbsleuwPBmeghwn
as ist aber auch schon alles. Nicht die Menge macht es;anchmal macht es erst die Qualität. Es bleibt festzuhal-n, dass mehr Mittel allein kein Garant für eine mo-erne Innovationspolitik sind.Zu den dann folgenden Kritiken – das hat Herr Röspelchon gesagt – äußert sich die Bundesregierung entwe-er gar nicht, oder sie reagiert durch gegenteilige Politikarauf. Deshalb frage ich mich: Warum vergibt die Bun-esregierung überhaupt derartige Aufträge, wenn sie iniesen Punkten nicht wirklich im Kern etwas ändernill? Da kippt der Buddha aus dem Schrein.
Die Linke dagegen will etwas ändern. Lassen Sieich das an einem Thema erklären, welches schon fastls Dauerbrenner der Berichte gelten kann: Föderalismusnd Bildung. Die Kommission fordert unmissverständ-ch, den Wettbewerbsföderalismus im Bildungsbereichinzudämmen.
tattdessen soll eine kooperative Bildungspolitik prakti-iert werden. Ebenso fordern die Expertinnen und Ex-erten erneut die Überwindung der sozialen Spaltung imildungswesen. Das wurde also nicht nur 2009 gefor-ert, wie Herr Röspel gesagt hat, sondern auch im dies-hrigen Gutachten. Mehr Menschen aus bildungsfernenchichten sollen an die Hochschulen dieses Landesommen können. Ich frage mich: Wie viele Gutachtenraucht es noch, bis man in diesem Punkt nachhaltig um-teuert?
Schließlich werden neue Angebote für Ganztagsschu-n gefordert. Die Lernbedingungen sollen verbessertnd die Zahl der Abgänge ohne Abschluss soll gesenkterden.Die Linke fühlt sich durch die Kommission in ihrenositionen bestärkt. Ich zitiere aus dem Gutachten:Gute Bildungspolitik ist die Voraussetzung guterInnovationspolitik.
Seit Jahren drängen wir hier im Bundestag auf einildungswesen, das individuelles Lernen tatsächlich er-öglicht. Es soll Schwächen ausgleichen, und es sollben auch die vielfältigen Talente von Kindern und Ju-endlichen fördern. Das wird aber nicht ohne Bundes-ilfe gehen. Das bleibt auch in Bundesverantwortung,eil Bildung zur Gleichwertigkeit von Lebensverhält-issen gehört.
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Dr. Petra Sitte
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Was macht die Bundesregierung? Statt das Koopera-tionsverbot zu beerdigen und mit den Mitteln konse-quent und ohne Umwege das öffentliche Bildungswesenzu stärken, wird viel Geld auf Nebengleisen – mit vielenbürokratischen Zwischenstopps – geparkt oder in solcheProgramme wie Bildungs- und Teilhabepaket sowie einelitäres Studienprogramm geleitet. Das alles sind büro-kratische Monster, bei denen klar ist, dass viel Geld anStellen verpulvert wird, die mit Bildung direkt nichts zutun haben.
Viel wichtiger wäre es, mit diesen vielen Mitteln das öf-fentliche Bildungswesen zu stärken. So könnte man we-sentlich mehr Effekte erzielen.
Gemeinsam mit den Ländern sollte flächendeckendfür eine gute Ausstattung der Bildungseinrichtungen ge-sorgt werden. Die Umsetzung moderner Lern- und Lehr-formen sollte gesichert werden. Gute Kitaplätze für alleKinder, längeres gemeinsames Lernen in Ganztagsschu-len, offene, attraktive Hochschulen, und zwar nicht nuran einzelnen exzellenten Standorten, sondern überall,genau das sind die Aufgaben, die im Gutachten der Ex-pertenkommission nachzulesen sind. Genau das gehörtzu einer guten Innovationspolitik.
Aber auch in Wissenschaft und Forschung wächst nundie Kritik am Wettbewerbsföderalismus. Das Einwerbenvon zusätzlichen Mitteln, sogenannten Drittmitteln, ausder Wirtschaft und Bundesprogrammen wie beispiels-weise der Exzellenzinitiative dominiert mehr und mehrdie Haushaltsanstrengungen an Wissenschaftseinrichtun-gen. Heute wissen wir aber aus vielen Schilderungen,dass der Dauerstress wegen endloser Antragsrennen ins-besondere personelle Ressourcen bindet, die letztlichmassiv in der Lehre, aber auch in der Forschung fehlen.Angesichts der 19 000 Programme, die das Bundesfor-schungsministerium bereits jetzt finanziert, fragt mansich doch: Wäre das Geld nicht viel besser angelegt,wenn man einen Teil davon nutzte, um die Grundausstat-tung von Wissenschaftseinrichtungen zu verbessern?
– Das kann sein. Aber wir werden versuchen, das zu ver-hindern.Schließlich könnten die Perspektiven des wissen-schaftlichen Nachwuchses dadurch verlässlicher und ge-rechter gestaltet werden. Natürlich gehört dazu auch eineegenkkhSsgKNtigndkcDscDrusSdpkdTEdinkd
Das Wort hat nun Krista Sager für die Fraktion Bünd-
is 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun-esregierung hat das Jahresgutachten 2011 der Experten-ommission Forschung und Innovation leider ausgespro-hen selektiv zur Kenntnis genommen.
ass Sie in Ihrer Stellungnahme zu jedweder Kritik totalchweigen – das haben die Kollegen bereits angespro-hen –, ist peinlich.
iese Expertenkommission wurde von der Bundesregie-ng eingesetzt. Was haben Sie denn eigentlich von die-en Experten erwartet? Kollektive Lobhudelei, oder was?
ie behandeln das wie das Rauschen im Wald. Ich finde,ass Sie eine Missachtung gegenüber Ihren eigenen Ex-erten an den Tag legen, wenn Sie kritische Aspekte miteinem Wort erwähnen. Dass die Opposition das nun an-ers macht, wird Sie sicherlich nicht verwundern.
Kommen wir also zu einem besonders beliebtenhema: die steuerliche Forschungsförderung. Diexpertenkommission hat die steuerliche Forschungsför-erung wiederholt angemahnt. Wir wissen, dass sich das anderen Ländern als ein ergänzendes Instrument fürleinere innovative Unternehmen bewährt hat, die voner Projektförderung viel weniger profitieren als Groß-
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Krista Sager
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unternehmen. Dass die CDU/CSU da bisher nichts zu-stande bekommen hat, finde ich besonders peinlich.
Sie haben sich gleich zweimal ein Bein gestellt, sehrverehrter Herr Rupprecht. Das erste Mal haben Sie sichein Bein gestellt, als Sie sich auf die dödelige Klientel-politik der FDP, lieber Hoteliers zu fördern, als steuerli-che Forschungsförderung zu betreiben, eingelassen ha-ben.
Das zweite Mal haben Sie sich ein Bein gestellt, alsSie sich von den Industrieverbänden ein besonders teu-res Modell haben einreden lassen. Dieses Modell wärenicht nur teuer; es würde vor allen Dingen die Großkon-zerne der Pharma- und Autobranche bevorzugen. DassSie das bei Ihrem Bundesfinanzminister schlecht durch-bekommen, muss einen nicht verwundern. Die Gutachterhaben einfach recht, wenn sie sagen: Da muss die Koali-tion jetzt endlich einmal etwas zustande bringen undFarbe bekennen.
Die Kolleginnen und Kollegen haben zu Recht daraufhingewiesen, dass es richtig ist, im Zusammenhang mitder Innovationspolitik die Bildungspolitik zu thematisie-ren, weil sie die Grundlage jeder Innovationspolitik ist.
Da finden die Gutachter erfreulicherweise klare Worte.Sie sagen nämlich ganz deutlich: Das deutsche Bil-dungssystem ist selektiv, und es bietet zu wenig Chan-cengerechtigkeit und Chancengleichheit. Die Bildungs-reserven werden aus Sicht der Gutachter nicht effektivgenug mobilisiert.Sie benennen auch Problemgruppen. Dazu gehörenganz besonders Kinder und junge Menschen aus ein-kommensschwächeren Familien, die von der Kinderbe-treuung über die Schule bis in den Hochschulbereich hi-nein benachteiligt werden.Vor diesem Hintergrund muss man noch einmal einesfeststellen: In diese Logik hinein kommen Sie jetzt mitIhrem Betreuungsgeld, das Eltern belohnen soll, wennsie ihre Kinder nicht in eine Kita mit der damit verbun-denen Frühförderung bringen, sondern davon fernhalten.Das ist bildungspolitisch ein Irrläufer erster Klasse.
Dass Sie darüber kein Wort verlieren, finde ich auch bla-mabel.Dieses Instrument der Betreuungsprämie passt auchnicht zu einem anderen Thema der Gutachter, nämlichdass wir die Potenziale der jungen Frauen nicht genü-ghslegdbPazdEcutuWkkDKndFtessdEsfigsddpwgAruStenWks
Die Expertenkommission fordert außerdem, den sichbzeichnenden Fachkräftemangel stärker durch eine ge-ielte Einwanderungspolitik zu bekämpfen. Was machtie Regierung da? Flickenteppich! Stückwerk! Hier eineinzelfalllösung, dort eine Einzelfalllösung! Wir brau-hen wirklich ein Punktesystem für die Einwanderung,nd wir brauchen auch eine wirkliche Willkommenskul-r. Das zu Recht als Unwort des Jahres qualifizierteort „Döner-Morde“ zeigt doch, dass wir bei der Will-ommenskultur wirklich noch Nachholbedarf haben.
Das Jahresgutachten 2011 setzt sich ausgesprochenritisch mit der Föderalismusreform 2006 auseinander.ie Gutachter – das wurde von den Kolleginnen undollegen hier schon gesagt – fordern die Rückkehr zu ei-em kooperativen Föderalismus. Sie fordern ganz klarie Rücknahme des Kooperationsverbotes. Für dieseorderung erfahren sie mit Sicherheit nicht nur viel Un-rstützung bei den Wissenschafts- und Bildungsorgani-ationen, sondern zunehmend auch in der Bevölkerung.
Deswegen stellt sich besonders die Frage: Warumchweigt die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zuiesem Punkt?
s ist doch unlogisch, dass die Länder eine zunehmendteigende Belastung aus der gemeinsamen Forschungs-nanzierung zu verkraften haben, dass sie immer weni-er in der Lage sind, die Grundfinanzierung ihrer Hoch-chulen angemessen sicherzustellen, aber parallel dazuer Bund sich beim Ganztagsschulausbau seit 2006 auser gemeinsamen Finanzierung verabschiedet hat. Daasst eindeutig etwas nicht zusammen. Daher brauchenir eine Verfassungsreform, zu der sich die Bundesre-ierung dann auch bekennen müsste.
Bemerkenswert ist auch, dass die Gutachter kritischenmerkungen zur gemeinsamen Forschungsfinanzie-ng machen. Auch wir sind der Meinung, dass dietrukturen nicht mehr logisch zu erklären sind: die un-rschiedlichen Finanzierungsschlüssel und die Zuord-ung von Einrichtungen zu Forschungsorganisationen.ir haben dazu einen eigenen Antrag vorgelegt und den-en, dass wir hierüber in eine Diskussion kommen müs-en. Das, was die Gutachter als einheitlichen Schlüssel
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Krista Sager
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vorlegen, hat uns nicht überzeugt, weil es viele Unge-rechtigkeiten und Ungereimtheiten nicht beseitigt.
Aber es darf wegen dieser Problematik nicht mit der„Helmholtzifizierung“ der Forschungslandschaft weiter-gehen. Wir müssen an dieses Thema heran, das hat derWissenschaftsrat angemahnt und das sagt auch der Präsi-dent der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Wir erwar-ten, dass sich auch die Bundesregierung diesem Themaendlich stellt.Es gibt im deutschen Forschungs- und Innovations-system durchaus mutmachende Aufbruchsignale – dasbestreiten wir überhaupt nicht –, aber es gibt auch vieleBaustellen. Aber wenn eine Bundesregierung überhauptnicht in der Lage ist, sich auf Kritik einzulassen, dannbezweifeln wir, dass sie zu dem in der Lage ist, was dieGutachter immer wieder anmahnen: eine kritische, trans-parente und ehrliche Bestandsaufnahme und ehrlicheEvaluation Ihrer Politik. Das leistet Ihre Stellungnahmein keiner Weise.
Das Wort hat nun Michael Kretschmer für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Für die Koalitionsfraktionen ist klar: Nur mitInnovation und technologischer Leistungsfähigkeit kön-nen wir auf internationaler Ebene bestehen und unserenWohlstand im internationalen Vergleich auch in denkommenden Jahren und Jahrzehnten erhalten.
Deshalb, meine Damen und Herren: Deutschland soll eininnovatives Industrieland sein und bleiben.
Wir haben in den Krisen der vergangenen Jahre mehrals deutlich gelernt, welch große Bedeutung die innova-tive Kraft und die technologische Leistungsfähigkeit un-seres Landes haben, um durch diese Krisen hindurchzu-kommen. Aus diesem Grund ist für uns vollkommenklar, dass wir in diesem Bereich weiter investieren müs-sen und jeder Euro, der in die Wissenschaft geht und fürtechnologische Kooperation sowie für die Fachkräfteent-wicklung angewendet wird, gut angelegtes Geld ist.
Wir investieren in den schweren Zeiten der Haus-haltskonsolidierung, in Zeiten, in denen wir eine Ver-schuldungsbremse haben, zusätzliches Geld in Milliar-dengrößenordnungen in diesen Bereich und haben esgdsduzELgddgsVDwuassularecsdtiWsbmewwSagatie
Nein, meine Damen und Herren, diese Koalition unterer Regierung von Angela Merkel hat nicht nur davonesprochen, dass Forschung und Entwicklung wichtigind, sondern sie hat dies wie keine Regierung in derergangenheit, in der Geschichte der Bundesrepublikeutschland, wahrgemacht und in Forschung und Ent-icklung investiert. Das können Sie beklagen,
nd Sie können immer irgendwie daran herumkritteln,ber die deutschen Forschungsorganisationen, die deut-che Wissenschaft sowie der hier vorliegende Berichtprechen eine ganz klare Sprache: Es wird anerkannt,nd die Menschen sind dankbar dafür, dass auf uns Ver-ss ist, dass wir in diesem Bereich gemeinsam investie-n.
Sie haben drei Punkte angesprochen: den einheitli-hen Finanzierungsschlüssel, die steuerliche For-chungsförderung und das Kooperationsverbot. Zu allenrei Punkten möchte ich etwas sagen.Der einheitliche Finanzierungsschlüssel ist ein wich-ger Teil der Überlegungen zu der Frage, wie man dasissenschaftssystem und die außeruniversitäre For-chung in Zukunft neu aufstellt. Ich möchte nur eines zuedenken geben: Als die Regierung von Wissenschafts-inisterin Edelgard Bulmahn hier aktiv war, gab es nurin Hauen und Stechen zwischen Ländern und Bund,eil sie permanent mit dem Kopf durch die Wandollte.
ie hat per Dudenhausen-Erlass verfügt, dass sich dieußeruniversitäre Forschung nicht mehr an den Fachpro-rammen des BMBF beteiligen konnte. Damit haben wirufgeräumt. Wir haben heute eine ganz andere Koopera-onskultur. Heute herrscht ein Klima, in dem über eineninheitlichen Finanzierungsschlüssel gesprochen wird.
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Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Es gibt keinen Roland Koch mehr!)Ich bin froh darüber, dass neutrale Wissenschaftler die-sen Gedanken aufwerfen. Wir sollten uns damit intensivbeschäftigen.Wir sollten allerdings nicht so tun, Herr KollegeRöspel, als würde die Welt von diesem kleinen Raumhier gesteuert. Wir leben vielmehr in einem föderalenLand. Das heißt, die Länder haben ein ganz gewichtigesWort mitzusprechen. Für meine Fraktion möchte ichganz deutlich sagen: Wir wollen diese Diskussion füh-ren, aber auf Augenhöhe mit den Ländern und nicht miterhobenem Zeigefinger. Das ist der größte Unterschiedzwischen unseren Fraktionen.
Wenn ich es richtig verstanden habe, haben wir dieGrünen und die SPD überzeugt, dass die steuerliche For-schungsförderung in Deutschland eingeführt werdensoll. Das ist ein tolles Signal. Das war in den vergange-nen Jahren anders.
Ich habe da ganz andere Sachen gehört. Für die Koali-tionsfraktionen ist klar, dass die steuerliche Forschungs-förderung ein wichtiges Instrument ist, das wir gernerealisieren möchten. Aber, meine Damen und Herren,man muss ehrlich und redlich sein und seine Prioritätenklar benennen.
Wir haben unsere Prioritäten in den vergangenen Jahrenund auch in diesem Jahr deutlich gemacht: Hochschul-pakt, Pakt für Forschung und Innovation, Exzellenzini-tiative und viele andere Dinge.
Sobald finanzieller Spielraum für die steuerliche For-schungsförderung da ist, werden wir sie auch einführen.Daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Ich findees in Ordnung, dass Sie Ihre Position in diesem Punktgeändert haben. Sie können gerne auch an diesen Projek-ten mitwirken, meine Damen und Herren.
Der letzte Punkt betraf die Frage des Kooperations-verbotes. Es wird in der kommenden Woche ja noch ein-mal Gelegenheit sein, intensiv darüber zu diskutieren.Auch in der Diskussion darüber stört mich einiges. Ichkenne keinen Antrag SPD-regierter Länder im Bundes-rat, in dem gefordert wird, dass das Kooperationsverbotaufgehoben wird.
DmAeLTMsWmtumWaeugwsmAsDgtisIcdgdVzheZwBDK
ir werden in der nächsten Woche die Zahlen noch ein-al miteinander diskutieren können. Vor allen Dingenn Sie aber so, als könnten Sie für die Länder bestim-en und denen sagen, was richtig und was falsch ist.enn es um das Kooperationsverbot geht, müssen wirls Allererstes –
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
– ich bin sofort so weit – zur Kenntnis nehmen, dass
s eine gemeinsame Kommission von Bundesländern
nd Bundestag, geführt von Müntefering und Stoiber,
ab, in der auf Augenhöhe all das verhandelt wurde, was
ir dann, übrigens auch gemeinsam mit der SPD, umge-
etzt haben. Wenn hier jetzt wieder Veränderungen ange-
ahnt werden, sollten wir darüber genau auf derselben
ugenhöhe diskutieren und nicht versuchen, uns gegen-
eitig Vorwürfe zu machen.
as führt mit Sicherheit nicht zu einem vernünftigen Er-
ebnis.
Das Wort hat Oliver Kaczmarek für die SPD-Frak-
on.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich binchon etwas verwundert über den Verlauf der Debatte.h habe das Gutachten gar nicht als eine Beurteilunges Regierungshandelns der schwarz-gelben Koalitionelesen, sondern als einen reichhaltigen Denkanstoß fürie Entwicklung von Innovationen in Deutschland.
ielleicht sollten wir uns mehr auf diesen Aspekt kon-entrieren. Sie listen hier – auch die Bundesregierungat das getan – alles nur akribisch auf, greifen aber keineinzige Empfehlung der Kommission konstruktiv auf.ur Redlichkeit – darauf ist hier ja schon eingegangenorden – gehört auch, zu sagen, dass die wesentlichenig Points, auf die sich die Forschungspolitik heute ineutschland bezieht, gar nicht von der schwarz-gelbenoalition eingeführt worden sind, sondern dass die ent-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012 18373
Oliver Kaczmarek
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sprechenden Grundlagen während der rot-grünen Regie-rungszeit gelegt worden sind und die Hightech-Strategie,die so oft angesprochen worden ist, während der GroßenKoalition in Angriff genommen worden ist. Das zu sa-gen, hätte auch zur Redlichkeit gehört. Hier schmücktman sich mit fremden Federn.
Völlig richtig ist, dass der Bericht auch festhält, dasses eben nicht nur um Forschung und Entwicklung gehendarf, sondern dass auch nach dem gesellschaftlichenNutzen von Forschung und Innovation zu fragen ist;denn nicht jede Innovation, nicht alles Neue ist zugleichein Fortschritt.Für die SPD verbindet Fortschritt technologischeInnovation und wirtschaftlichen Erfolg mit gesellschaft-lichem und individuellem Wohlstand. Fortschritt solleben auch zu sozialer Sicherheit und demokratischerTeilhabe der gesamten Gesellschaft beitragen. Wir müs-sen auch erkennen: Das Fortschrittsverständnis der Ver-gangenheit stößt bezüglich Ressourcenverbrauch undKlimaschutz an seine Grenzen. Nicht zuletzt deshalb ha-ben wir ja auch parteiübergreifend eine Enquete-Kom-mission eingerichtet, die zum Ziel hat, einen alternativenWohlstandsindikator zu entwickeln.
Vielleicht findet diese Verbindung von gesellschaftli-chem Fortschritt und Innovation derzeit ihren deutlichs-ten Ausdruck in der Bedeutung und Nutzung des Inter-nets. Innovation ohne das Internet kann zumindest ichmir nicht vorstellen. Deswegen widmet die Experten-kommission diesem Thema einen breiten Raum undzeigt auf, dass das Internet zumindest derzeit der größteund dynamischste Raum für Innovationen ist. DerSchutz dieses innovationsfreudigen Raumes war auchTeil einer Debatte von heute Morgen, als die Enquete-Kommission ihren Zwischenbericht vorgelegt hat. DerSchutz dieses innovationsfreudigen Raums ist eine for-schungspolitische Aufgabe von, wie ich meine, größterBedeutung. Die Expertenkommission weist zu Recht da-rauf hin, dass der Erhalt des offenen und neutralen Inter-nets im Widerspruch zu möglicher Preisdifferenzierung,Zugangsgebühren oder Marktallianzen steht. Sie siehtdie Netzneutralität – wörtliches Zitat – akut gefährdet.An der Stelle sind wir uns womöglich auch noch einig.Uneinig sind wir uns in der Frage, wie man diesenRaum für Forschung und Innovation, aber auch für an-dere Entwicklungen schützen kann. Aus meiner Sicht istes eine wichtige Voraussetzung, dass Daten im Internetdiskriminierungsfrei transportiert werden können. Esdarf kein Privileg für einzelne Anbieter mit Marktmachtgeben. Deswegen wollen wir im Unterschied zur Koali-tion die Netzneutralität im Telekommunikationsgesetzverbindlich festschreiben.
Jeder Mensch muss im Internet grundsätzlich zu jedemInhalt freien Zugang haben und Inhalte selbst anbietenkönnen, selbstverständlich nur Inhalte, die sich im Rah-men von Recht und Gesetz bewegen.DstenwistedsInBruBwimddsfüBdDTmsereowwo–BadmndkvsevR
iese Diskriminierungsfreiheit ist ein konstitutiver Be-tandteil des Internets. Wer das nicht versteht, hat das In-rnet nicht verstanden. Deswegen darf diese Diskrimi-ierungsfreiheit nicht allein dem Markt überlassenerden.
Nur kurz will ich ein weiteres Thema ansprechen; est hier schon betont worden: Seit Jahren weist die Exper-nkommission auf die bremsende Wirkung des Bil-ungssystems in Deutschland für Innovationen hin. Dieoziale Selektivität ist hier schon angesprochen worden.sgesamt will ich nur ein kleines Wort der Kritik an demericht äußern. Aus meiner Sicht wird die Rolle der be-flichen Bildung allenfalls am Rande benannt und dieedeutung der beruflichen Bildung nicht ausreichend ge-ürdigt. Deshalb eine kleine Anregung für den Bericht nächsten Jahr: Das duale System der Berufsausbil-ung gehört in Deutschland zu den wichtigsten Faktorener Innovationsfähigkeit von Wirtschaft und Gesell-chaft. Deshalb sollte es auch im nächsten Bericht aus-hrlicher beleuchtet und gewürdigt werden.
Das Kooperationsverbot war hier schon Thema. Obewegung in diese Diskussion kommt, werden wir iner nächsten Woche sehen, wenn wir die Debatte hier imeutschen Bundestag führen.Zu den Vorschlägen: Die Bundes-SPD – so viel zumhema Augenhöhe – hat unter Beteiligung vieler Kultus-inister und Ministerpräsidenten der SPD einen Vor-chlag erarbeitet, der es dem Bund und den Ländernrlauben soll, gemeinsam Bildungsaufgaben zu finanzie-n. Es wäre gut, wenn dies gelänge. Das sage ich ganzffen. Anders geht es auch gar nicht. Es wäre gut, wennir im Bundestag einen breiten Konsens darüber findenürden, dass wir diese Aufgabe angehen und das Ko-perationsverbot aufheben.
Auch im Bundesrat, aber es wäre schön, wenn derundestag auch dieser Meinung wäre. Sie können davonusgehen, dass die sozialdemokratischen Ministerpräsi-enten den Änderungsvorschlag im neuen Art. 104 c GGittragen werden. Ich weise aber darauf hin, dass diesicht das Einzige ist. Sie müssen auch dafür sorgen, dassie Länder ihre hoheitlichen Aufgaben wahrnehmenönnen. Dazu gehört es auch, auf Steuerentlastungen zuerzichten und zusätzliche Mittel für Bildung bereitzu-tellen. Ich bin ganz zuversichtlich, dass wir darüberine Diskussion führen werden, weil die Gesellschaftiel weiter ist als die Diskussion, die wir hier in diesemaum führen.
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Oliver Kaczmarek
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Meine Damen und Herren, es stimmt: Deutschland istein innovationsfähiges und innovationsfreudiges Land.Das liegt vor allem an den vielen Menschen, die tagtäg-lich in Bildung, Wissenschaft und Forschung und in denBetrieben daran arbeiten. Innovationen bringen die Ge-sellschaft jedoch nur dann weiter, wenn wir die Debattedarüber zulassen, welchen gesellschaftlich und ökolo-gisch nachhaltigen Ertrag Innovationen bringen. Des-halb ist es gut, dass uns die Expertenkommission alsRatgeber zur Verfügung steht. Ich würde mich freuen,wenn wir zukünftig wieder mehr über die einzelnenEmpfehlungen diskutieren würden.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Albert Rupprecht für die
Unionsfraktion.
Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Her-ren! Frau Sitte, es ist natürlich und zum Glück kein Ge-fälligkeitsgutachten. Dennoch gefällt uns die zentraleBotschaft des EFI-Gutachtens sehr wohl. Diese Bot-schaft lautet nämlich, dass die Innovationskraft Deutsch-lands exzellent ist. Das EFI-Gutachten belegt dies mitSchlüsselindikatoren. Ich zitiere aus dem Gutachten: DieInnovationskraft einer Volkswirtschaft bemisst sich anden Patentanmeldungen. Hier liegt Deutschland welt-weit nach der Schweiz auf dem zweiten Platz. – DasEFI-Gutachten lobt explizit den massiven Mittelzuwachszur Erreichung des 10-Prozent-Zieles, die Hightech-Strategie, die Anstrengungen bei der Elektromobilitätund in vielen anderen Bereichen.Während die Länder um uns herum in Arbeitslosig-keit und in Verschuldung versinken, wird Deutschlandvon Tag zu Tag stärker.
Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wie-dervereinigung und mehr Lehrstellen als jugendliche Be-werber. Hingegen erleben wir, dass in anderen LändernEuropas die Jugendarbeitslosigkeit 40 Prozent und mehrbeträgt.All diese Erfolge wären ohne Forschung und ohne dieKraft zur Innovation nicht möglich. Deutschland belegtin der Tat Spitzenplätze im weltweiten Standortvergleich.Deutschland belegt – das wurde bereits gesagt – Platz vierbeim Innovationsindikator der Stiftung Telekom undPlatz vier beim weltweiten Vergleich der EuropäischenUnion. Auch andere Untersuchungen zeigen, dass wir inden letzten Jahren in sehr großer Anzahl Spitzenplätze beiden Indikatoren einnehmen.Was sagt der Mittelstand zu diesen Entwicklungen?2005 haben bei Befragungen nur 10 Prozent der mittel-ständischen Betriebe gesagt, dass die Standortpolitik inDeutschland gut ist. Heute bewerten 77 Prozent der Un-teDDuFüdeBDdkwgaLuDdteiswruHtuSKePletrmsdEMteugBDwdAad
Der Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissent nach wie vor ein wichtiges Thema. Deswegen werdenir an der Einführung der steuerlichen Forschungsförde-ng in dieser Legislaturperiode festhalten, sobald deraushalt das zulässt. Wenn Sie die Medienberichterstat-ng der letzten Wochen verfolgt haben, dann wissenie, dass sowohl bei der Klausurtagung der CSU inreuth als auch bei der CDU-Vorstandstagung in Kielxplizit Beschlüsse gefasst wurden, in denen dieseunkte enthalten sind. Diese Beschlüsse wurden von al-n und nicht nur von den Forschungspolitikern mitge-agen.Vor einer Sache möchte ich warnen: Jeder, der sichit Innovationspolitik in Deutschland beschäftigt, ver-teht, dass man den Mittelstand nicht gegen die Großin-ustrie ausspielen kann.
ine steuerliche Forschungsförderung muss sowohl denittelstand als auch die Großindustrie, also den gesam-n Standort, umfassen, weil nämlich vernetzt geforschtnd entwickelt wird. Man darf also nicht den einen ge-en den anderen ausspielen.Ähnliches gilt für die Themen Wagniskapital undusiness Angels, bei denen wir nach wie vor strukturelleefizite haben. Ich sage an dieser Stelle aber auch, dassir in der Großen Koalition nicht die Kraft hatten, iniesem Bereich etwas Vernünftiges hinzubekommen.uch daran arbeiten wir im Augenblick. Wir werdenuch da Verbesserungen erreichen, sobald der Haushalties zulässt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012 18375
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung
des Kollegen Rossmann?
Ja.
Herr Rupprecht, wir sind in Bezug auf die steuerliche
Förderung etwas erregt, weil es von Ihnen und vor allem
vonseiten der Ministerin schon Presseerklärungen und
Ankündigungen gab, dass diese Förderung in den Jahren
2010 und 2011 eingeführt werden sollte. Es ist immer
wohlfeil zu sagen, dass man daran arbeitet. Meine Frage
ist daher: Wann wird diese steuerliche Förderung kom-
men?
Ich habe noch eine zweite Frage. Halten Sie den Un-
terschied zwischen 600 Millionen und 2 Milliarden Euro
für relevant? Ist heute Ihre Botschaft, dass dieser Unter-
schied keine Relevanz hat? Dann müssten Sie ja – um
meine Frage einzuleiten – zu einer Differenzierung kom-
men. Meine Frage ist: Sind Sie zur Differenzierung be-
reit, oder schließen Sie eine Differenzierung aus?
Zum ersten Punkt, zum Zeitablauf. Sie werden nichtgehört haben, dass ich mich abschließend auf einen Ein-führungszeitpunkt festgelegt habe; denn ich bin mir be-wusst, dass das ein Thema für die ganze Legislaturperiodeist und dass wir angesichts der großen Krisen im Augen-blick beim Haushalt ganz klar Prioritäten zu setzen haben.Deswegen haben sich die Pressemeldungen auf das Kon-zept bezogen, das wir einführen wollen. Der Ablauf warin der Unionsfraktion ganz klar. Ähnlich war es bei denFDP-Kollegen. Wir haben zunächst intern in den Fraktio-nen Eckpunkte formuliert. Diese Eckpunkte liegen vor.Diese haben in der Unionsfraktion einen sehr ausführli-chen Diskussionsprozess ausgelöst. Zum Schluss gab eseinen Beschluss aller fachpolitischen Gremien, der be-sagt: Wir wollen das. Eine entscheidende Frage ist nochoffen: Wann soll das in dieser Legislaturperiode sein? Dasist eine Frage der Finanzierung. Ich glaube, das ist ver-nünftig. Alles andere würde die Bevölkerung nicht ver-stehen.
Herr Rossmann, ich will noch Ihre zweite Frage beant-worten. Sie fragten nach der Differenzierung. Noch ein-mal: Ich bin mit Blick auf die Vernetzung von Innovatio-nen der festen Überzeugung, dass sich der Mittelstand inDeutschland nicht entwickeln kann, wenn es keine Groß-industrie gibt. Der Mittelständler, der der Automobilin-dustrie zuliefert, der Mittelständler, der als Maschinen-bauer zuliefert, braucht Innovationsnetzwerke mit derGroßindustrie.
– Frau Sager, es bringt uns nichts, wenn EADS nach Pa-ris geht, weil der Mittelständler dann in Paris zuliefernwird.DgDB–SUStrpgicMsudWSFßnsdnstesWvDudHlelidFsnnhinDaDhabd
eswegen ist es entscheidend, dass im Wettbewerbsver-leich zwischen Deutschland und Frankreich, zwischeneutschland und anderen Ländern Deutschland auch imereich der Großindustrie punktet. Ich stimme Ihnen zu das ist unser Konzept –, dass der Mittelstand höhereätze bekommen soll.
nser Vorschlag ist, dass der Mittelstand dreimal höhereätze bekommt als die Großindustrie bzw. die Großindus-ie entsprechend niedrigere Sätze, aber trotzdem davonartizipiert. Wenn Sie mich persönlich fragen – darüberibt es keinen Beschluss der Koalitionsfraktionen –, obh der Meinung bin, dass man im Zweifelsfalle mit einerittelstandskomponente beginnen sollte, um den Ein-tieg zu schaffen, so sage ich: Wenn wir feststellen, dassns in einem Jahr nach wie vor die Euro-Schuldenkrise,ie Haushaltskonsolidierung und anderes den großenurf erschweren, dann sollte man mit einem kleinenchritt anfangen. Ich teile aber nicht die Position vonrau Sager, dass man auf Dauer die Großindustrie drau-en lassen sollte.
Wir brauchen bei all diesen steuerlichen Maßnahmenatürlich die Zustimmung der Ministerpräsidenten. Ichtelle die Frage an Sie, ob Sie es gewährleisten können,ass die SPD-Ministerpräsidenten den steuerlichen Maß-ahmen auch zustimmen können?Beim Kooperationsgebot und bei der Verfassungsfragetimmen wir mit Ihnen überein, dass wir für die befriste-n Pakte, sobald sie auslaufen, eine längerfristige Lö-ung brauchen. Deswegen wird in wenigen Tagen derissenschaftsrat beauftragt, bis 2013 einen Vorschlagorzulegen. Zur Wahrheit gehört aber auch, sehr geehrteamen und Herren, dass es noch nie so viel Kooperationnd noch nie so viel Geld des Bundes für originäre Län-eraufgaben im Bereich der Bildung gab wie heute:ochschulpakt, Bildungspaket, Bildungsketten und vie-s andere mehr. Zu behaupten, derzeit wäre es nicht mög-ch, dass wir im Bereich der Bildung vonseiten des Bun-es den Ländern unter die Arme greifen, ist einealschaussage. Im Gegenteil. Im Augenblick tun wir daso stark wie noch nie.
Ich muss leider zum Ende kommen. Gerne würde ichoch etwas zum Thema Fachkräfte sagen. Dazu stehticht nur etwas im EFI-Gutachten, sondern das Kabinettat auch bereits ein Maßnahmenbündel beschlossen, dassbesondere Absolventen ausländischer Hochschulen ineutschland das Aufenthaltsrecht erleichtert, was wiruch wollen. Dies werden wir im Frühjahr auch imeutschen Bundestag beschließen. Summa summarumeißt das, dass wir die Punkte, die in dem EFI-Gutachtenngesprochen sind, in der Legislaturperiode sehr wohlearbeiten und auch umsetzen werden.Lassen Sie mich zum Schluss kommen. 2005, als wirie Regierung übernommen haben, betrug die Arbeitslo-
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Albert Rupprecht
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sigkeit 5 Millionen. Jetzt, nach sieben Jahren, gibt es soviele sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze wie nochnie. Wir haben eine so geringe Arbeitslosigkeit wie seit20 Jahren nicht. Das ist auch eine Leistung unserer Inno-vations- und Forschungspolitik.Danke schön.
Kollege Rupprecht, gestatten Sie mir den Hinweis:Die mehrfache Ankündigung des Endes der Rede ersetztnicht den Schlusspunkt.Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat die KolleginNadine Schön für die Unionsfraktion das Wort.
Nadine Schön (CDU/CSU):Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich kann nahtlos an den Kollegen Rupprechtanschließen: Ja, wir können stolz sein auf unser Land.Deutschland gehört im Vergleich von 26 Industrielän-dern zu den vier innovativsten Standorten weltweit. Zudiesem Ergebnis kam unlängst der Innovationsindikator2011.Das ist ein sehr großer Erfolg, vor allem, wenn manweiß, dass wir 2005 noch auf dem zehnten Platz lagen.Unter CDU/CSU-geführten Regierungen sind wir in dieWeltspitze aufgerückt; und darauf können wir wirklichstolz sein.
Der Innovationsindikator wie auch das EFI-Gutachten,über das wir heute reden, sagen ganz klar: Deutschlandist auf Erfolgskurs. Wir sind innovativ, wir sind inter-national konkurrenzfähig, und wir haben gute Zukunfts-perspektiven.Was sind die Gründe für den Erfolg? An erster Stellesind es die Investitionen. Trotz Krise – das haben dieKollegen bereits gesagt – hat Deutschland in den letztenJahren konsequent in Bildung und Forschung investiert.Seit 2005 sind die Ausgaben des Bundes in diesem Be-reich um 42 Prozent gestiegen.Als Mitglied des Wirtschaftsausschusses will ich auchdie Privatwirtschaft erwähnen. Auch hier sind die Aus-gaben in Forschung und Entwicklung gestiegen, undzwar um 20 Prozent seit 2005. Das ist eine beachtlicheZahl; sie muss auch erwähnt werden. Diese Investitionensind der Treibstoff für Innovationen. Sie sind der Grunddafür, weshalb unser Land gerade in der aktuellen Kriseso gut dasteht. Das wird in allen Studien positiv heraus-gestellt.
Gelobt werden in den Gutachten neben den Investitio-nen auch die Programme der Bundesregierung, vor al-lem die Hightech-Strategie. Als Abgeordnete, die aus ei-nem Land kommt, das sich gerade im Strukturwandelbefindet – weg von der Montanindustrie, hin zu einemmdgMswgfefügnTdWfrwDRadswBassdZnssaUgusawaswDaDlaGdteWD
Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Wagniskapital.nser Problem: In Deutschland entstehen die Ideen, um-esetzt werden sie aber in anderen Ländern. Neben MP3nd der Tintenstrahltechnik gibt es viele weitere Bei-piele: Die Ideen wurden in Deutschland entwickelt, inmerikanischen oder asiatischen Unternehmen jedochurden sie zu marktfähigen Produkten gemacht. Wirber wollen, dass in Deutschland nicht nur die Ideen ent-tehen, sondern dass hier aus den Ideen auch Produkteerden und die entsprechende Wertschöpfung ineutschland stattfindet. Denn nur dann profitieren wirlle von den Innovationen.
er Knackpunkt dabei ist oft die Finanzierung auf demngen Weg von der Idee zum Produkt.Für die Finanzierung haben wir den High-Tech-ründerfonds, seit vergangenem Jahr sogar den Grün-erfonds II, mit großen Investitionen von Staat und Un-rnehmen. Das ist eine tolle Sache mit wirklich großerirkung. Allerdings reicht das nicht: Wir brauchen ineutschland – das sieht man im Vergleich mit anderen
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Nadine Schön
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Ländern – noch mehr privates Kapital, zum einen für dieGründungsphase, zum anderen für die ganz entschei-dende Wachstumsphase. Auch hier liegen gute Vor-schläge unsererseits auf dem Tisch, an die wir in dennächsten Monaten herangehen wollen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Innovationen ent-stehen vor allem in einer Gesellschaft, die Innovationenwill, die sie akzeptiert und zulässt. Deshalb brauchen wirneben all den Rahmenbedingungen vor allem innovativeKöpfe. Wir brauchen Menschen, die Lust haben, etwaszu erfinden, etwas zu tun. Das geht mit dem Spaß amTüfteln im Kindesalter los, geht mit dem Erfindergeist inden Schulen weiter und mündet schließlich in dem Mut,sich selbstständig zu machen, mit seinen Ideen nach au-ßen zu gehen und den Mut zu haben, sich mit seinemProdukt dem Markt zu stellen.Dazu braucht es auch eine Gesellschaft, die für neueTechnologien, Fortschritt und Unternehmertum, aberauch für Risiko offen ist. Daran, liebe Kolleginnen undKollegen, können wir alle arbeiten. Jeder von uns kannetwas dazu beitragen und mithelfen, dass wir ein innova-tives und erfolgreiches Deutschland und eine gute Zu-kunft haben.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/8226 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Roland
Claus, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz
– Drucksache 17/2419 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Roland Claus für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Vor 21 Jahren wurde die deutsche Teilung überwunden.Vier Jahre danach folgten der Beschluss zum Umzugvon Parlament und Regierung nach Berlin und das ihnbBBmsgessHSd–EsredsksinZfütaaAdnWBtässDfezBsa
Die Linke garantiert: Keinem Bonner wird eschlechter gehen. Die Fakten 2012 sind aber: Fast dieälfte der Regierungsmitarbeiter ist nach wie vor amtandort Bonn. Auf der anderen Seite sind alle der Bun-esstadt Bonn versprochenen Ausgleichsmaßnahmenim Sinne der Schaffung von Arbeitsplätzen sowie desrhalts und der Fortführung des Betriebs von Liegen-chaften – seit 2005 bei weitem übererfüllt, unter ande-m durch die Ansiedlung von 19 UN-Behörden.Diese Teilung erweist sich inzwischen als außeror-entlich uneffektiv für das Regierungshandeln: Die Ent-cheidungsfindung dauert zu lange und wird durch büro-ratische Teilung behindert. 170 Beamte des Bundesind auch in dieser Minute, in der wir jetzt debattieren, der Luft, zwischen Berlin und Köln/Bonn. In jüngstereit haben wir erfahren: Die Teilung der Regierung istr akutes Reagieren in Krisensituationen absolut un-uglich.
Natürlich ist Bonn eine wunderschöne Stadt, in deruch ich zeitweilig gern gelebt habe.
ber wie soll ein Absolvent einer britischen Universität,er Bundesbeamter werden will, seiner englischen Part-erin auf dem Weg nach Deutschland erklären, dass dereg nicht in die Bundeshauptstadt Berlin, sondern nachonn führt?
Die Linke stellt einen Antrag, der moderat und reali-tsnah ist und dem Sie sich – das glaube ich – auch an-chließen können. Wir nehmen Institutionen, wie bei-pielsweise das Haus der Geschichte der Bundesrepublikeutschland, die in der Region Köln/Bonn inzwischenst verankert sind, selbstverständlich aus unseren Um-ugsabsichten aus.
Nun wird mir gelegentlich vorgehalten, die Linke inonn und Köln vertrete dazu eine andere Position. Dastimmt ja auch. Ich sage allerdings: Na und? Das ist beillen anderen Fraktionen auch so.
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Roland Claus
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Für unseren Antrag sympathisiert selbstverständlich eineMehrheit in diesem Deutschen Bundestag. Die Aus-nahme sind Abgeordnete aus den Landesgruppen NRW,aber das ist in allen Fraktionen so.Wenn Sie dauernd von uns verlangen, wir sollten soetwas wie eine normale Partei werden, dann machen wirdas auch einmal. Aber dann dürfen Sie uns auch nichtwieder dafür kritisieren, meine Damen und Herren.
Selbstverständlich ist die Linke offen für weitere undbessere Ideen. Der Antrag liegt schon eine ganze Weilevor, und wir werden ihn heute in den Ausschuss über-weisen. Beispielsweise haben wir im Haushaltsaus-schuss in der Zeit von 2006 bis 2009 in einer interfrak-tionellen Arbeitsgruppe sehr wohl darüber diskutiert.Leider wurden wir kurz vor dem Ergebnis und dem Mutzur Entscheidung aufgrund von Koalitionsentscheidun-gen und -anweisungen angehalten.Wir machen das nicht, um die Bundesregierung zu är-gern, sondern um sie zu verbessern, und mehr könnenSie von einer Opposition nun wirklich nicht erwarten.Wir handeln ganz im Sinne des berühmten Neujahresge-bets aus Münster: Gib den Regierenden ein besseresDeutsch und den Deutschen eine bessere Regierung. –Eine wiedervereinigte Bundesregierung in Berlin istmöglich, meine Damen und Herren.
Ergo: Das Berlin/Bonn-Gesetz hatte seinen Sinn. Eshatte seit 1994 auch eine gute und lange Zeit. Doch auchhier gilt das Bibelwort: Ein jegliches hat seine Zeit. – Esheißt nicht: Ein jegliches hat seine Ewigkeit.Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Das Wort hat der Kollege Jürgen Herrmann für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! KollegeClaus, solche Worte aus Ihrem Mund zu hören, über-rascht mich schon. Nichtsdestotrotz widersprechen Sieder Wahrheit und nehmen nicht die Fakten wahr, die wirzur Kenntnis nehmen müssen.Der Antrag der Linken ist aus meiner Sicht wiedereinmal ein Show-Antrag. Sie haben selbst gesagt, dassSie ihn jährlich stellen, aber auch durch Wiederholungenwird er sichtlich nicht besser. Wenn man den Tatbestanddieses Berlin/Bonn-Gesetzes einmal aufarbeitet, dannmuss man sicherlich auch historische Aspekte berück-sichtigen.gPg–KdRwridtrtedGegsWgBgasrasnsSkBsgMzdvdRdoGnliHustemdlitrw
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Jahr werden wir voraussichtlich nur noch 8,8 MillionenEuro zur Verfügung stellen müssen.Die Haushälter haben im Übrigen immer eingefor-dert, dass nur notwendige Dienstreisen, zum Beispiel zuAusschusssitzungen, erfolgen und ansonsten viel mehrVideo- und Telefonkonferenzen einberufen werden.
Außerdem – das mag vielleicht kein tragendes Argumentsein, aber es kam ja auch gerade von der Opposition –bietet Bonn auch im Hinblick auf die Nähe zu gewissenInstitutionen Vorteile. Brüssel ist nicht sehr weit ent-fernt.Ein gewichtiges Argument ist für mich allerdings dieFrage: Was würde der Umzug in Gänze kosten? WelcheAuswirkungen hätte er insgesamt? Bisher haben wircirca 9 Milliarden Euro für den Umzug nach Berlin aus-gegeben. Da können die Vorschläge der Linken noch sogut sein, dass man das Tempelhofer Feld nutzen sollte,um dort Regierungsbauten zu errichten. Es wäre auchschön, wenn wir dort wieder einen Flugplatz hätten;dann könnte man die Dinge noch viel besser zusammen-bringen.
Aber es würde Milliarden kosten, das umzusetzen.Auch die Rekrutierung von Arbeitskräften wäre nichteinfach. Ich erinnere an den demografischen Faktor, mitdem wir uns schon jetzt bei der Haushaltsaufstellungauseinandersetzen müssen; denn es gibt nicht mehr sehrviele junge Leute, die freiwillig in den öffentlichenDienst gehen. Das schwache Argument der Linken, Ber-lin sei so hip, dass alle nach Berlin kommen würden, umhier zu arbeiten, scheint mir nicht sehr überzeugend.Diejenigen, die in der Rhein-Region leben, wissen, wieschön es dort ist.
Zudem wären Sonderregelungen für Beschäftigte er-forderlich. Diese Erfahrung haben wir in vielen Berei-chen schon gemacht. Als der Umzug der Ministerien da-mals geplant wurde, war es erforderlich, Maßnahmen inBezug auf Reisekosten, Trennungsgeld usw. zu treffen,und viele waren nicht bereit, freiwillig zu gehen. Einigehaben wir überzeugen können, ihren Wohnsitz nach Ber-lin zu verlegen, keine Frage. Aber was würde passieren,wenn wir von allen verlangen würden, umzuziehen? Ichglaube, das wäre der Arbeitsmoral und der Arbeitsbereit-schaft nicht dienlich.Wir haben unter anderem damit zu kämpfen – dasmuss man an dieser Stelle noch einmal sagen –, dassVereine, Organisationen, NGO und Stiftungen nichtmehr bereit wären, in Bonn zu bleiben. Auch darübermuss man sich im Klaren sein; denn letztendlich suchensie die Nähe zur Regierung.Das würde dazu führen, dass sich Bonn in vielen Be-reichen wieder verschlechtern würde. Die Ängste, dieddlosdgegdWKASS–Zddkw–ichZuHDHteUg
Der Kollege Johannes Kahrs hat für die SPD das
ort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Diese Debatte gehört zu denen, die für einenbgeordneten relativ schwierig sind. Denn auf der eineneite hat man Grundüberzeugungen, und auf der andereneite ist die Diskussionslage sehr differenziert.
Außerdem wird man von Staatssekretären genötigt. –um einen ist es so, dass man der heutigen Linksparteiafür danken muss, dass sie damals mit ihren Stimmenazu beigetragen hat, dass die Hauptstadt umziehenonnte. Ich finde, das kann man durchaus erwähnen. Dasar ein vernünftiger Beitrag.
Ich lobe nicht wirklich häufig die Linkspartei. Wennh es dann einmal tue, dann möge man es mir durchge-en lassen. In diesem Fall ist es, glaube ich, vernünftig.
um anderen glaube ich, dass wir damals einen richtigennd einen guten Beschluss gefasst haben. Bonn ist dieauptstadt.
as ist auch gut so. Ich selber bin Hamburger, ich binaushälter und als solcher würde ich das gerne bewer-n.Wir haben von der Linkspartei gehört, dass sie denmzug gerne sehr schnell hätte, am besten sofort. Ichlaube, dass das nicht funktioniert. Danach haben wir ei-
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Johannes Kahrs
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nen historisch rückblickenden Beitrag bekommen, wiedie Gesetzeslage ist, und den Hinweis, dass man sich anGesetze halten muss. Das ist richtig. Aber wir alle wis-sen auch, dass Gesetze evaluiert werden müssen, dassman überprüfen muss, ob Gesetze noch zeitgemäß sind.Man muss auch in der Lage sein, Gesetze zu evaluieren,insbesondere nach über 15 Jahren. Das tun wir in vielenanderen Bereichen auch.Man muss an dieser Stelle all denjenigen danken, diediese Zweiteilung überhaupt möglich machen, nämlichden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die zwischenBonn und Berlin pendeln müssen. Das ist nicht wirklicheinfach. Einige von ihnen verbringen ein Drittel ihrerArbeitszeit auf Reisen.
Sie stehen bei uns im Haushaltsausschuss teilweise denganzen Tag vor der Tür, dann wird der Tagesordnungs-punkt aber abgesetzt und sie fahren zurück.
So läuft es weiter. Ich glaube, dass man würdigen muss,was die Mitarbeiter auf sich nehmen. Es ist ein wichtigesZeichen, das immer wieder zu erwähnen.Wenn man am Berlin/Bonn-Gesetz irgendetwas än-dern sollte, dann muss man das in einem breiten Kon-sens machen. Es geht hier nicht um Fragen von Regie-rung oder Opposition. Man muss gemeinsam überlegen,wie man einen vernünftigen Weg findet. Deswegen wirddie SPD heute den Antrag der Linkspartei ablehnen, weilich glaube, dass es nichts bringt, einen Hauruck-Antragvorzulegen. Man muss sich vielmehr überlegen, wie maneine entsprechende Regelung vernünftig ausgestaltet.Einfach einen Komplettumzug zu fordern, ist ein Tot-schlagargument. Damit wird keine Debatte angestoßen,die wirklich interessant ist.Als bekannt wurde, dass ich in dieser Debatte rede,hatte ich sofort ein Gesprächsangebot von meinem Bon-ner Kollegen Uli Kelber.
Das ist in jeder Fraktion so, aber ich muss sagen: Wennich Bonner Bürger wäre, würde ich gar nicht anders kön-nen, als Uli Kelber zu wählen,
weil er die Interessen Bonns massiv und energisch ver-tritt.
– Das ist ganz wunderbar. Das ist ja auch richtig.
Es ist richtig, die Wahlkreisinteressen zu vertreten, manmuss sie auch vertreten können, und auch die Bundes-läfidlefüesdtisKddfihFvküisBBteBkGhdleBliadsnpogkktiwezLmv
leichzeitig wäre es zielführend, § 4 Abs. 2 und 3 aufzu-eben, um eine freie Aufteilung der Erst- und Zweit-ienstsitze zu ermöglichen. Man muss aber auch über-gen, welche Verwaltungsbereiche sinnvollerweise inonn verbleiben oder hinzukommen können.Wichtig ist meiner Meinung nach, dass man die Mög-chkeit schafft, die Verantwortung für den Bund weiteruszubauen bzw. aufrechtzuerhalten, aber gleichzeitigie Region Bonn unberührt zu lassen. Das ist relativchwierig, aber im Ergebnis sehen wir, dass es zurzeiticht um die Frage geht: Wie viele Tonnen Post trans-ortiere ich hin und her – ob es 1 oder 2 pro Tag sind –,der wie viele Tausende von Kilometern werden geflo-en? Das ist nicht der Punkt. Die Frage ist: Wie be-ommt man gutes Regieren hin?
Ich selber bin Berichterstatter für den Bereich Ver-ehr, Bau und Stadtentwicklung. Da ist es sehr viel prak-scher, wenn man mit den Mitarbeitern reden kann,enn man sich mit ihnen trifft, wenn man kurzfristigine Konferenz anberaumen kann. Wenn die in Bonn sit-en, ist das relativ schwierig. Ich glaube, dass das zurebenswahrheit gehört und dass man sich anschauenuss, wie man es vernünftig hinbekommt.Ein Kompromiss ist immer sinnvoll, setzt aber auchoraus, dass die Beteiligten kompromissbereit sind. Zu
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Johannes Kahrs
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sagen: „Ein Gesetz ist ein Gesetz, und das muss ewig sobleiben“, widerspricht der Praxis in diesem Hause. Wirsind ständig dabei, Gesetze zu evaluieren und zu ändern.Früher unter Rot-Grün gab es die Nachbesserung vonGesetzen,
damit sie lebensnah und lebenspraktisch werden. DieLebensrealität in diesem Land ändert sich. Die RegionBonn ist wirtschaftlich hervorragend aufgestellt. Ichglaube, dass man zusammen einen vernünftigen Wegfinden muss. Ich glaube auch, dass man hierbei nicht inKategorien wie Regierung und Opposition denken sollte.Gruppenanträge könnten zum Beispiel hilfreich sein.Die Abgeordneten der jeweiligen Fraktionen könnten ih-rer Auffassung folgen, und man könnte gemeinsam einErgebnis erreichen, mit dem am Ende alle leben können.Dazu muss man einen vernünftigen Vorschlag vorlegen.Kompromisse sind immer gut und wären hier wichtig.Die Diskussion über die Aufteilung der Regierungsfunk-tionen wäre dauerhaft beendet.Zurzeit wächst der Frust bei vielen Abgeordneten imDeutschen Bundestag, weil man bei diesem Thema im-mer auf eine Totalblockade stößt. Da wir bei jeder Wahlneue Abgeordnete bekommen, die Bonn nicht kennen,wird das irgendwann dazu führen, dass das ganze Gesetzgekippt wird, so wie es die Linkspartei fordert. Das kannweder im Interesse der Bonner noch im Interesse alleranderen sein. Deswegen halte ich einen vernünftigenProzess, den alle gemeinsam unterstützen, für sinnvoll.Ich glaube, dafür müssen sich einige bewegen. Wenn dieörtlichen Abgeordneten weiter für ihren Wahlkreiskämpfen, ist das gut – das tun andere auch –, der Resthat aber gesamtstaatliche Verantwortung wahrzuneh-men.Vielen Dank.
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Florian
Toncar das Wort.
Danke schön. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Der Antrag ist – Herr Claus hat es selbergesagt – im Grunde genommen ein Dauerbrenner. Manmuss festhalten: Die Linken haben die Wirtschaftlichkeitnicht immer im Blick, aber dass man eine Idee fünfmalzu einem Antrag macht, ist ausgesprochen wirtschaft-lich. Diese Erkenntnis des heutigen Tages möchte ich fürdas Protokoll festhalten.
Ich möchte einige Punkte nennen, warum der Antragheute nicht unsere Zustimmung bekommt.Zum einen wird in dem Antrag behauptet, die RolleBerlins als Bundeshauptstadt werde dadurch ge-shsisBaweimgadwgKcMfiBreddKsEreTPwDnBdBeDwsinndZsMtrtetejete
Im Übrigen darf man sich nicht nur anschauen, wohinie Touristen gehen, sondern man muss auch schauen,ohin unsere Bürger gehen, wenn sie politische Anlie-en haben. Wo wird für oder gegen etwas demonstriert?ommt irgendjemand auf die Idee, das in Bonn zu ma-hen, oder ist es nicht vielmehr so, dass die politischeeinungsbildung, dass Versammlungen in Berlin statt-nden?
erlin hat die politische Funktion, aber auch die kultu-lle Funktion einer Hauptstadt. Das hat wirklich nichtsamit zu tun, wie viele Stellen heute noch wo angesie-elt sind. Das muss man einmal festhalten.
Der zweite Punkt. Die Teilungskosten, das heißt dieosten der zwei Dienstsitze, werden übertrieben darge-tellt. Die Berichte liegen vor. Es sind circa 10 Millionenuro pro Jahr. Die Kosten werden in den nächsten Jah-n tendenziell sinken. Dies hängt auch mit modernenechnologien zusammen. Die Akten, die früher auf demostweg, zum Beispiel mit Flugzeugen, transportierterden mussten, werden heute per E-Mail verschickt.as kostet nichts. Auch das muss man sehen.Eine Komplettverlagerung innerhalb kürzester Zeitach Berlin würde erst einmal erheblich Geld kosten. Inerlin wären Investitionen in Milliardenhöhe notwen-ig, um die Gebäude herzurichten, auszustatten etc. Dieeamten, die Mitarbeiter aus den Ministerien würdenntsprechende Leistungen für den Umzug bekommen.as alles würde von der öffentlichen Hand finanzierterden. Das heißt, man müsste in den nächsten Jahrenehr viel Geld in die Hand nehmen, und das in einer Zeit, der es darum geht, dass wir die Nullverschuldung, ei-en Haushalt ohne neue Schulden, schaffen. Ich glaube,ass solche hohen Investitionskosten nicht mit diesemiel, das wir in den nächsten fünf Jahren vorrangig anzu-treben haben, zu vereinbaren wären.Auch nach dem Vorschlag der Linken hätten dieinisterien, die dann alle in Berlin wären, natürlich ge-ennte Dienstsitze. Auch dann wären also nicht alle un-r einem Dach, sondern Sie schlagen die getrennte Un-rbringung innerhalb einer Stadt vor. Dies würde indem Fall weitere Kosten nach sich ziehen, weil es un-rschiedliche Dienstsitze nebeneinander gäbe. Wenn
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Florian Toncar
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man sich genau anschaut, was Sie eigentlich fordern,muss man feststellen, dass sich die Einsparungen, die Siesich davon versprechen und die Sie den Bürgern verspre-chen, etwas relativieren.Auch wir als FDP-Fraktion wollen, dass die Kosten,die mit dem Vorhandensein zweier Dienstsitze verbun-den sind, optimiert werden. Hier besteht in der Tat nochHandlungsbedarf. Da geht es beispielsweise um dieFrage: Verfügen die unterschiedlichen Ministerien ei-gentlich über die entsprechende Technik, zum Beispielüber die erforderliche Konferenztechnik, um Videokon-ferenzen durchführen zu können, damit man nicht stän-dig mit dem Flugzeug unterwegs sein muss, um sich ein-mal persönlich zu treffen? Es gibt heutzutage ganzhervorragende technische Lösungen, mit denen wir,wenn wir sie einsetzen würden, Reisekosten sparenkönnten.Natürlich muss man, auch aus Sicht des Bundestages,kritisch hinterfragen, ob tatsächlich in jeder Ausschuss-sitzung die persönliche Anwesenheit jedes zuständigenMitarbeiters einer Bonner Liegenschaft nötig ist oder obnicht manche Leute für wenige Minuten, in denen sievielleicht noch nicht einmal etwas sagen müssen, nachBerlin kommen und einen ganzen Arbeitstag mit einerReise verbringen. Auch der Deutsche Bundestag kannalso im täglichen Betrieb Kosten optimieren.Ich will auf einen weiteren Aspekt hinweisen. Sie ha-ben in Ihrem Antrag geschrieben: Gerade jetzt, in derWirtschafts- und Finanzkrise, brauchen wir handlungsfä-hige Ministerien und Strukturen. – Deshalb wollen Sieinnerhalb der nächsten fünf Jahre alles nach Berlin ho-len. Unabhängig davon, ob man einen oder zwei Dienst-sitze richtig findet: Wenn Sie in fünf Jahren 10 000 Be-schäftigte und ihre Familien nach Berlin holen und hierneu unterbringen wollen, dann sorgen Sie garantiert füreines, nämlich dafür, dass durch Umstellungen und Ein-arbeitung Ressourcen gebunden werden und die Men-schen erst einmal anderes machen, als sich um ihreKernaufgaben zu kümmern. Es wäre für jede Strukturund jede Verwaltung eine Belastung, würde man sieschlagartig nach Berlin holen. Die Beschäftigten müss-ten sich, wie gesagt, hier erst einmal einarbeiten. DasArgument, gerade angesichts der Wirtschaftskrise könneman durch einen Komplettumzug für eine größere Hand-lungsfähigkeit sorgen, kann ich nicht nachvollziehen.Das ist mit Sicherheit eher ein Argument, das konstruiertist und nicht trägt.Im Übrigen muss man sagen: Wenn es in der Privat-wirtschaft zu Unternehmensfusionen kommt, hat diesmeistens nicht zur Folge, dass zunächst einmal alles ineiner Liegenschaft zentralisiert wird. So geht man auchin der Privatwirtschaft nicht automatisch vor. Es sprichtalso einiges dafür, dass Effizienz nicht immer mit Zen-tralisierung einhergeht, sondern dass es erst einmalwichtiger ist, dafür zu sorgen, dass bestehende Arbeits-einheiten arbeitsfähig sind und arbeitsfähig bleiben undnicht mit einem Umzug oder ähnlichen Dingen beschäf-tigt werden. Insofern ist Ihr Antrag, auch was die Kostenund die Funktionsfähigkeit der Verwaltung angeht, nichtunbedingt weiterführend.teimKdmtietiwEhhdockfaisirrehmwanzbFKgdfaZdsMsb
iese Entscheidung würde, ginge es nach Ihnen, vonben herab gefällt werden, ohne dass zuvor ein entspre-hender Konsens erzielt worden wäre. Mit Beamtenann man das machen. Das ist rechtlich möglich. Ob esir ist, dies ohne entsprechende Konsultationen zu tun,t eine andere Frage.Konsens herzustellen, ist bei Veränderungen, die mangendwann einmal vornehmen will, die zu einem späte-n Zeitpunkt vielleicht auch überzeugender sind alseute, sicherlich ganz wichtig. Darum muss man sich be-ühen, bevor man solche Initiativen beschließt. Insofernürde ich mir mehr Pragmatismus wünschen. Ich denkellerdings, dieses Thema wird in den nächsten Jahrenicht entscheidend sein, wenn es darum geht, die Finan-en zu retten und die Arbeit unserer Verwaltung zu ver-essern.
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland für die
raktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herrollege Claus, wie lustvoll es bei der Linkspartei zu-eht, weiß ich nicht;
as will ich auch gar nicht beurteilen. Ihre Rede jeden-lls war munter und spaßig; das gestehe ich Ihnen zu.um Teil war das sogar Realsatire. Wenn Sie sagen,iese Regierung hätte in der Finanz- und Euro-Krise bes-ere und zügigere Entscheidungen getroffen, wenn alleinisterien in Berlin gewesen wären, frage ich Sie: Weroll das bitte glauben?
Dazu, dass Sie auf die Frage, was denn noch in Bonnleiben soll, großzügig das Haus der Geschichte der
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012 18383
Wolfgang Wieland
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Bundesrepublik Deutschland erwähnen, muss ich sagen:Auch das ist eher Karneval.
Auch dass das Bundeszentralregister, das von Berlinnach Bonn verpflanzt wurde, nicht wieder zurückver-pflanzt werden soll: Danke schön für diese Großzügig-keit.Eigentlich wollte auch ich damit anfangen, dass wirohne die PDS überhaupt nicht hier in Berlin wären. FrauVogelsang, das ist leider so. Ich war damals gemeinsammit den anderen Kollegen aus dem Abgeordnetenhaus– parteiübergreifend – abends im Schöneberger Rathaus.Wir haben dort stundenlang gestanden – von Sitzen wargar keine Rede – und auf das Ergebnis gewartet. Von da-her weiß ich, wie hoch emotional das gerade für die Ab-geordneten der CDU war. Sie hätten ihre Parteibücherspontan zerrissen, wenn ein anderes Ergebnis heraus-gekommen wäre. Deswegen habe ich auch das Abstim-mungsergebnis im Kopf: 338 zu 320. Deshalb: Ehre,wem Ehre gebührt, und Schande, wem Schande gebührt.Das muss man zu diesem Tag noch einmal sagen;denn das geschah in einer Zeit, als hier ein ehemaligerVEB nach dem anderen geradezu implodierte,
als wir die Aufgabe hatten, einen Wasserkopf Ost und ei-nen Wasserkopf West der Verwaltungen zusammenzu-führen, was natürlich nur durch Entlassungen möglichwar, und als gleichzeitig die Berlinhilfe West so gekürztwurde, dass auch die flache Produktion im Westen zu-sammenbrach. In dieser Situation hätte eine Entschei-dung für Bonn bedeutet, dass wir hier die Bürgersteigehochgeklappt hätten und wie in Dessau oder anderenStädten im Osten nur noch über Stadtrückbau und da-rüber hätten reden müssen, wie es sich in einem großenFreilichtmuseum lebt, das die Touristen besuchen, umeinmal zu sehen, wie eine Industriestadt ausgesehen hat.Das alles ist uns erspart geblieben. Deshalb ist unsdieser Beschluss auch so etwas wie heilig; das sage ichganz ausdrücklich. Nach Punkt 4 dieses Beschlusses solleine faire Arbeitsteilung zwischen Berlin und Bonn ver-einbart werden. Darin steht nicht: Wir schieben die Bon-ner irgendwann so über die Rolle, wie ihr Berliner bei-nahe über die Rolle geschoben worden wäret, wenn40 Jahre Sonntagsreden über deutsche Einheit und überHauptstadt Berlin in die Tonne getreten worden wären. –Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg’ auch kei-nem anderen zu: Dieses Motto gilt auch hier.
Herr Kollege Claus, ich muss auch sagen, dass esmich wundert: Sie schreiben zwar, wie prächtig sichBonn entwickelt hat – das stimmt –, aber Sie verschwei-gen, dass sich auch Berlin in dieser Zeit ganz prächtigentwickelt hat.–PMroJamnwZdsmrewfüwp„AngWaDAnimgVsbfan
Ja. – Ich darf Sie erinnern: Zehn Jahre lang trug Ihreartei hier Verantwortung; Ihr Gregor Gysi nur sechsonate und den Rest der Zeit Ihr Harald Wolf.Auch als Opposition sage ich jetzt einmal zu diesemt-roten Senat: Das ist eine positive Entwicklung. Dieugend der Welt kommt heute nach Berlin und will hieruch leben und arbeiten. Wir müssen keine Anwerbeprä-ien und keine Zitterprämien mehr zahlen. Das alles isticht mehr nötig. Das war so nicht vorauszusehen. Des-egen können wir ganz gelassen sein und arbeitet dieeit auch irgendwo für Berlin.
Ich bin ja auch dafür, dass man flexibel ist, aber manarf doch keine Basta-Politik machen und keinen ent-prechenden Antrag – jetzt ist Schluss! – stellen. Wirüssen den politischen Aushandlungsprozess weiterfüh-n. Wenn es zum Beispiel im Rahmen einer Bundes-ehrreform sinnvoll ist, hier Veränderungen herbeizu-hren, dann soll man das tun. Das alles lässt sich lösen,enn man gleichberechtigt und ohne solche Scheuklap-en bzw. Schubladen, wie „Bonn gegen Berlin“ oderBerlin gegen Bonn“, vorgeht.Deswegen sage ich auch ganz bewusst: Die vielenufpasserinnen und Aufpasser aus Bonn hier wären garicht nötig gewesen. Wir in Berlin sind inzwischen sehrelassen.
ir sind insoweit verostet, dass wir das Motto „Freitagsb eins macht jeder seins“ übernommen haben.
eswegen gibt es hier in dieser Runde nur relativ wenigebgeordnete aus Berlin.
– Herr Krestel, ich habe Sie nicht übersehen. Ich sageur: Hier sitzen relativ wenige Abgeordnete aus Berlin Vergleich zu den Aufpassern aus der Rhein-Ruhr-Re-ion.
on daher nehmen Sie das als Zeichen unserer Harmlo-igkeit. Nehmen Sie das auch als Zeichen unserer Dank-arkeit. Wir wissen, wie viel Solidarität wir in Berlin er-hren haben. Deswegen treten und schlagen wir auchicht um uns.Vielen Dank.
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18384 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012
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Auch Freitag nach eins gilt allerdings: Wenn das Mi-
nuszeichen vor der Redezeit auftaucht, ist sie tatsächlich
abgelaufen, Kollege Wieland.
– Woran lag es wohl, dass das so ist? Aber gut.
Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Volkmar Klein für die Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Kollege Wieland hat gerade zu Recht darauf
hingewiesen, dass das gegenwärtig geltende Gesetz ei-
nen fairen Ausgleich zwischen Bonn und Berlin beinhal-
tet. Ich kann mir diesbezügliche Anmerkungen sparen
und vielleicht auf den Antrag zurückkommen, in dem
vorgegeben wird, sparen zu wollen. Offensichtlich hof-
fen die Antragsteller, dadurch gute Kommentare zu er-
halten.
Nur, erstaunlicherweise sind Sparen und wirtschaftli-
ches Denken normalerweise überhaupt nicht Sache der
Linken. Dennoch bekommen wir hier in regelmäßigen
Abständen einen solchen Antrag vorgelegt. Vielleicht
gibt es dafür auch ganz andere Gründe. Vielleicht will
eine Partei, deren eigene Historie von Stacheldraht und
Diktatur geprägt ist, vielleicht sogar zusammengehalten
wird, ein Symbol für Demokratie und Freiheit in
Deutschland am liebsten abschaffen; denn genau dafür,
für Freiheit und Demokratie in Deutschland, steht Bonn,
für Werte, die mit Bonn eigentlich in Deutschland erst
heimisch geworden sind.
Aber das gilt nicht nur für Freiheit und Demokratie.
Bonn steht auch für gelebten Föderalismus und Dezen-
tralität. Einige Länder auf der Welt suchen für sich an-
dere Hauptstädte, mit denen sie genau das dokumentie-
ren können. Das sind natürlich alles Themen, mit denen
die Linken keinen Vertrag haben; all das sind Werte, mit
denen sie weiterhin fremdeln. Hier sollen offensichtlich
Traditionslinien gekappt und Identitäten deutscher De-
mokratie infrage gestellt werden. Das machen wir nicht
mit. Uns ist wichtig: Ohne Bonn in der deutschen Ge-
schichte gäbe es auch keine Freiheit für Chemnitz.
Diese ist uns genauso wichtig.
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Vizepräsidentin Petra Pau
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Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
InnenausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-gin Kerstin Müller für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen.Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Situation in Syrien ist wirklich dramatisch. Seitmehr als zehn Monaten protestieren Hunderttausende inSyrien gegen das Assad-Regime und riskieren dabei ihrLeben. Mehr als 5 000 wurden laut UN-Angaben bishergetötet, darunter mehr als 300 Kinder. Hunderte starbendurch Folter, auch darunter viele Kinder. Mehr als60 000 Menschen werden vermisst. Das ist noch nichtalles. Das IKRK darf keine Aufständischen versorgen.Damit wird klar gegen Konventionen verstoßen. Staatli-che Krankenhäuser werden zu Folterkammern. Ärzte,die Aufständische versorgen, werden gefoltert und er-mordet.Ich denke, es geht den meisten hier so, dass es ange-sichts dieser Lage unerträglich ist, dass die internatio-nale Gemeinschaft diesem Morden immer noch hilfloszuschaut, weil das wichtigste für Frieden und Sicherheitzuständige internationale Gremium, nämlich der UN-Sicherheitsrat, diese schweren Menschenrechtsverlet-zungen bis heute nicht einmal verurteilt, geschweigedenn Sanktionen verhängt hat. Ich halte das für einenpolitischen Skandal.
Was sind die Gründe dafür? Es liegt vor allem daran,dass Russland eine knallharte internationale Interessen-politik betreibt, Kriegsschiffe für Assad auffährt und dasRegime weiter mit Waffen versorgt. Ich möchte an die-ser Stelle Russland und China auffordern: Beenden SieIhre Blockade im Sicherheitsrat! Der Sicherheitsrat mussdie Gräueltaten des Assad-Regimes klar verurteilen. Dasist das Mindeste. Solange das nicht passiert, sind Sie– auch das sage ich sehr deutlich – mitverantwortlich fürjedes weitere Morden in Syrien. Solange das nicht pas-siert und das Regime nicht endlich politisch isoliertwird, wird es umso brutaler gegen die eigene Bevölke-rung vorgehen, weil es hofft, den Kampf doch nochüberleben zu können.Immerhin haben die Europäische Union, die USA undandere inzwischen Sanktionen, ein Öl- und ein Waffen-embargo verhängt. Dass zum Beispiel das Ölembargowirkt, hat der syrische Ölminister gestern selbst gesagt.Er hat von schweren Verlusten in Höhe von 2 MilliardenUS-Dollar gesprochen.kFnnaIcdgFdnmSdnwleMczshdwRGULwDdFABfaRcgindmdIcFInfadnm
Ich begrüße ausdrücklich, dass der Europäische Ratm Montag seine Sanktionen weiter verschärfen will.h denke auch, dass es ein wichtiger Schritt war, dassie Arabische Liga aktiv geworden ist. Sie hat die Mit-liedschaft Syriens suspendiert und Sanktionen für denall beschlossen, dass der von der Liga vorgelegte Frie-ensplan nicht akzeptiert wird.Auch die Entsendung der Beobachtermission war zu-ächst eine richtige Maßnahme. In der Zeit haben im-erhin die größten Demonstrationen stattgefunden, dieyrien bis dato gesehen hat. Allerdings: Jemanden wieen sudanesischen General Mustafa al-Dabi, der dem ei-en oder anderen hier gut bekannt ist und der als verant-ortlicher General selbst schwerste Menschenrechtsver-tzungen in Darfur zu verantworten hat, zum Chef derission zu machen, heißt, den Bock zum Gärtner zu ma-hen. Die 165 Beobachter haben sich wohl zum Teiliemlich ahnungslos vom Assad-Regime vorführen las-en. Damit ist die Mission diskreditiert. Ich erwarte da-er nicht sehr viel von dem morgigen Bericht.Fest steht: Von den Bedingungen des Friedensplanser Arabischen Liga, deren Einhaltung die Mission über-achen sollte, hat Assad keine einzige erfüllt: keinückzug der Armee aus den Städten und kein Ende derewalt. Im Gegenteil: Während der Mission gab es lautN mehr Tote als zuvor. Ich fordere daher die Arabischeiga auf: Wenn sie Glaubwürdigkeit zurückgewinnenill, muss sie ihre eigenen Beschlüsse ernst nehmen.as heißt, sie muss sofort ihre Mission beenden, Syrienauerhaft aus der Arabischen Liga ausschließen und denall an den UN-Sicherheitsrat überweisen. So hat es dierabische Liga beschlossen. Mit einer Fortsetzung dereobachtermission, unter deren Augen das Morden ein-ch weitergeht, macht sich die Arabische Liga für dasegime zum nützlichen Idioten.
Ich komme nun auf einen schwierigen Punkt zu spre-hen. Ich bin der Meinung, dass hier die Voraussetzun-en für Responsibility to Protect, die Wahrnehmung derternationalen Schutzverantwortung, gegeben sind. Daie syrische Regierung die einheimische Bevölkerungassakriert, haben wir, die internationale Gemeinschaft,ie Verantwortung, die Zivilbevölkerung zu schützen.h sage: Ja, es ist richtig, es besteht die Gefahr eineslächenbrands, wenn die Lage eskaliert. Deshalb ist einetervention oder die Einrichtung einer No-fly-Zone dielsche Antwort. Dennoch will ich zum Schluss zu be-enken geben, ob es nicht notwendig ist, dass die inter-ationale Gemeinschaft über Sanktionen hinaus eine hu-anitäre, entmilitarisierte Sicherheitszone – nicht in
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18386 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012
Kerstin Müller
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Syrien, wohl aber in der Türkei – einrichtet, in die dieFlüchtlinge, aber auch Deserteure, die sich zur Abkehrentschlossen haben, fliehen können; denn die Schutzver-antwortung verpflichtet uns, alles zu tun, um die Zivilbe-völkerung zu schützen. Dieser Verantwortung werdenwir bislang nicht gerecht.Vielen Dank.
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Dr.
Thomas Feist.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir beraten über Sanktionen – diese werdenimmer dringlicher – und ein klares Bekenntnis gegen dassyrische Regime. Heute ist der richtige Zeitpunkt dafür.Sicherlich wäre ein früherer Zeitpunkt noch besser ge-wesen – Ihr Antrag stammt von Dezember letzten Jahres –;aber es ist gut, dass wir uns heute dafür Zeit nehmen.Wir sind uns in diesem Hause über wesentlichePunkte einig. Frau Müller, Sie haben das kurz angespro-chen: Es gibt immer einige Spinner, die dagegen spre-chen. So gab es bereits gestern eine Aktuelle Stunde zueinem abstrusen Aufruf, den sechs Bundestagsabgeord-nete der Linken unterschrieben haben. Ich kann Ihnen,meine Damen und Herren von der Linken, nur sagen: Eswäre wichtig, dass sich Ihre Führung eindeutig dagegenausspricht und sich klar davon distanziert. Dieser Aufrufist menschenverachtend und zynisch.
Mehr als 5 000 Tote, Zehntausende in Internierungsla-gern, psychische und physische Folter, dazu können undwollen wir nicht schweigen.Nun zu dem Antrag der Grünen. Frau Müller, Sie ha-ben völlig recht: Der UN-Sicherheitsrat und die Arabi-sche Liga sollten hier endlich klare und akzeptableSignale setzen. In Ihrem Antrag fordern Sie die Bundes-regierung auf, darauf hinzuwirken. Aber die Bundesre-gierung tut genau das. Sie hat es im UN-Sicherheitsratnicht vermocht, die lupenreinen Demokraten in Russ-land oder die Kapitalkommunisten in China zu überzeu-gen, entsprechende Positionen zu unterstützen. Daranmüssen wir sicherlich noch arbeiten. Aber wie Sie wis-sen, ist es schwierig, gegen die Eigeninteressen vonRussland, China und Syrien anzukämpfen. Dennoch dür-fen wir nicht nachlassen. Wir brauchen eine Resolutiondes UN-Sicherheitsrats, die das Vorgehen der syrischenFührung klar und deutlich verurteilt.
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Nach Ungarn, aber nicht nach Syrien. Von Ungarn wo-ndershin zu kommen, das war 1989 für die DDR-Bür-er etwas anderes.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012 18387
Dr. Thomas Feist
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Ich denke schon, dass auch die Ungarn ihrer Verantwor-tung gerecht werden. Wir werden auf jeden Fall vonDeutschland aus darauf achten, dass jetzt möglichstkeine Flüchtlinge abgeschoben werden.
Kollege Feist, gestatten Sie eine Frage des Kollegen
Beck?
Aber gern.
Herr Kollege, Sie sprechen davon, dass Sie davon
ausgehen, dass Ungarn nicht nach Syrien abschiebt. Ist
Ihnen bekannt, was ich gestern in der Aktuellen Stunde
bereits angesprochen habe, nämlich dass die aktuelle Er-
lasslage in Ungarn vorsieht, weiter nach Syrien abzu-
schieben, dass dies auch geschieht und dass es deshalb
unverantwortlich ist, wenn wir die Drittstaatenregelung
nach der Dublin-II-Verordnung bei syrischen Flüchtlin-
gen für Ungarn weiter anwenden?
Deswegen gibt es einen Erlass, in dem steht, dass es
momentan nicht ratsam sei, syrische Flüchtlinge abzu-
schieben. Das haben Sie gestern auch angesprochen. Mir
geht es nicht in erster Linie um die Formulierung, die ge-
wählt worden ist, sondern mir geht es darum, dass dies
momentan ausgesetzt wird.
– Dafür sind die Linken bekannt, vor allen Dingen Sie,
Kollege Gehrcke.
Die Grünen sagen, dass Assad zurücktreten muss.
Das ist etwas, was wir durchaus teilen. Die Frage ist nur,
ob die deutsche Regierung jemanden auffordern kann,
zurückzutreten und sich freiwillig vor dem Internationa-
len Strafgerichtshof seiner Verantwortung zu stellen.
Das sind Fragen, die in der weiteren Beratung sicher
noch eine Rolle spielen werden. Wir sind heute in der
ersten Beratung. Wir werden noch weiter darüber reden.
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nische oder religiöse Auseinandersetzungen immermachtpolitisch missbraucht werden. Wir haben in der ei-genen europäischen Geschichte gesehen, wie ethnischeund religiöse Konflikte – wie im ehemaligen Jugosla-wien – für Machtpolitik missbraucht worden sind. Die-ser einfachen Logik dürfen wir in Syrien nicht folgen.Deshalb habe ich allen Respekt vor jenen, die in Syriengegen dieses Regime demonstrieren, egal welcherEthnie oder Religion sie angehören.
Genauso differenziert müssen wir die Rolle der Ara-bischen Liga betrachten. Sie hat sich mit den Umbrü-chen in der arabischen Welt verändert. Sie ist differen-zierter und angemessener geworden. Sie handeltvielleicht noch nicht mutig genug; aber ich denke schon,dass wir die Arabische Liga und die Verantwortlichenheute stärker darin unterstützen sollten, das Regime inSyrien an den Pranger zu stellen. Die Suspendierung warrichtig. Aber im Grunde muss sie nach dem morgen vor-liegenden Bericht der Beobachtermission tätig werdenund über die geschlossenen Kompromisse hinausgehen.Kollegin Müller hat es angesprochen: Der Leiter derBeobachtermission ist ein suspekter Akteur. Er wurdevom Assad-Regime in dieser Rolle gewünscht, und dieArabische Liga ist dem gefolgt. Das kann man nicht ak-zeptieren. Ich finde, morgen sollte die Arabische Ligasehr deutlich machen, dass sie dies nicht mehr goutiert,dass sie in eine andere Richtung geht und gegenüberdem syrischen Regime viel deutlicher aktiv wird als inder Vergangenheit. Ansätze dafür sind vorhanden. Eswaren mutige Beobachter in der Mission, die gesagt ha-ben: Ich kann mein Amt nicht mehr ausführen. Ich habeso viel Gewalt und so viele Schandtaten erlebt, dass ichmich zurückziehe. – Es hat mutige Vertreter in derBeobachtermission gegeben, die sich den Machenschaf-ten dieses Regimes ausgeliefert fühlten und von ihremAmt zurückgetreten sind.
Ein weiterer Aspekt, der meines Erachtens für ein dif-ferenziertes Bild mit berücksichtigt werden muss, ist dieRolle des Westens gegenüber Syrien. Diese ist ebensowie die Rolle des Westens gegenüber Russland – ichwerde gleich noch kurz darauf eingehen – von den Er-fahrungen geprägt, die Syrien machte, als es in der Ver-gangenheit zu Verwerfungen in den Nachbarländern ge-kommen ist. So hat Syrien zum Beispiel eine MengeFlüchtlinge aus dem Irak – wir kennen die Situation dort –und aus dem Libanon aufnehmen müssen. Die Syrer ha-ben diese Bürgerkriege vor Augen und auch die sehrschwierigen Situationen, die damit in der Vergangenheitverbunden waren. Wenn es all diese Ereignisse in der un-mittelbaren Nachbarschaft von Syrien in der Vergangen-heit nicht gegeben hätte, wären heute möglicherweisenoch mehr Syrer bereit, gegen ihr Regime auf die Straßezu gehen und zu kämpfen. Doch jetzt haben sie auch im-mer diese Bilder aus der Vergangenheit vor Augen.Wenn wir, völlig zu Recht, Vorwürfe gegen andere Ak-telituruanzIcpndedsBihNdruzinnEzdnRdnteDaUdssaZgvgZknemzsrütib
iese Verantwortung hat Russland; sonst macht es sichuf internationaler politischer Bühne schuldig.Gezielte Sanktionen vonseiten der Europäischennion oder auch von einzelnen Ländern sind richtig, wieas Einfrieren von Konten oder die gezielte Außerkraft-etzung einzelner Handlungsoptionen der Akteure desyrischen Regimes. Weiterhin aktuell ist für Deutschlandber auch – wir hatten ja im letzten Jahr fast zur selbeneit einen entsprechenden Antrag gestellt – die Kündi-ung des Rückübernahmeabkommens, die Aussetzungon Abschiebungen. Wir sollten das nicht auf verschlun-enen Pfaden umsetzen, sondern ein ganz deutlicheseichen setzen, indem wir dieses Rückübernahmeab-ommen kündigen und keine Abschiebungen mehr vor-ehmen.
Zum Schluss möchte ich der Bundesregierung nochine Überlegung mit auf den Weg geben: Frau Staats-inisterin, ich möchte Sie wirklich bitten, noch einmalu überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre, alle europäi-chen Botschafter, zumindest zu Konsultationen, zu-ckzuziehen. Ich glaube, damit würden wir der Opposi-on ein deutliches Signal geben. Das Argument, dasisher dagegen gesprochen hat, nämlich dass man sich
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012 18389
Dr. Rolf Mützenich
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so der einzigen Möglichkeit berauben würde, um mit derOpposition in Kontakt zu treten, trägt heute nicht mehr.Dieses Vorgehen wäre zumindest erwägenswert.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Stinner für die
FDP-Fraktion.
Wie schön.
Ich hoffe, ich habe Sie jetzt nicht allzu sehr über-
rascht.
Nein, vielen Dank. – Liebe Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die Süddeutsche Zeitung hatfür einen Artikel vom 20. Dezember 2000 folgendeÜberschrift gewählt: „Damaszener Morgenluft“. In die-sem Artikel wurde auf die Reformen eingegangen, dieder damals neue Präsident Assad junior, der ein halbesJahr vorher installiert worden war, in Angriff genommenhat. Das heißt, seine Amtsübernahme ist positiv bewertetworden und gab Anlass zur Hoffnung. Assad hatte dasberüchtigte Mezze-Gefängnis, in dem Tausende von Ge-fangenen gefoltert worden sind, aufgelöst. Die Süddeut-sche Zeitung schrieb:Die Presse in Syrien ist so frei wie noch nie. Sogardie Gründung privater Zeitungen wird diskutiert.Wenn Intellektuelle mehr Freiheit fordern und dieRegierung kritisieren, lässt Baschar al-Assad siegewähren. Anfragen seines Sicherheitsdienstes, obman gegen die Kritiker wie in alten Tagen vorgehensolle, beschied der Präsident abschlägig.Das war damals nach Beobachtung von uns allen einHoffnungsschimmer in Syrien. Die Süddeutsche Zeitunghat es so ausgedrückt, wie wir es sicherlich auch alleempfunden haben. Es gab Hoffnung, dass dieser junge,im Westen ausgebildete Präsident als Nachfolger seinesVaters anders vorgehen würde. Leider hat die Zeit ge-zeigt, dass dieses Hoffnungspflänzchen Monat für Mo-nat, Jahr für Jahr zertrampelt worden ist. Syrien ist inden Folgejahren eher zu einer Art Schurkenstaat gewor-den.Dennoch haben wir als Opposition es damals für gutbefunden, dass der damalige Außenminister Steinmeierals hochrangiger Vertreter erstmals Syrien besucht undauch hier den syrischen Außenminister empfangen hat.Wir fanden das gut; denn es ist richtig und wichtig– auch heute noch –, zu versuchen, auch auf Staaten, mitdenen man Probleme hat, politischen Einfluss zu neh-men. Wir haben das damals ausdrücklich unterstützt. Ichnehme von dieser Unterstützung auch heute nichts zu-rücnDpbdwgwaLSisNPridLDwtendshmriFmshgribRwüdMnAMbT–mdknhwdn
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Die Europäische Union und Deutschland haben densyrischen Nationalrat, also die Oppositionsbewegung,anerkannt. Herr Ghaliun war am 14. November letztenJahres hier in Berlin und hat mit AußenministerWesterwelle gesprochen. Damit haben wir sehr deutlichgemacht, auf welcher Seite wir stehen.In Syrien erleben wir in diesen Tagen interessanter-weise eine Spaltung der Baath-Partei. Es gibt eine neueBaath-Partei; es gibt dort neue Entwicklungen, die wirgenau beobachten müssen. Auch das Bild dieses Re-gimes bröckelt natürlich, und das müssen wir im Augebehalten.Aus heutiger Sicht sieht die Perspektive für die Zu-kunft nicht sehr positiv aus. Wir müssen zunächst einmalversuchen, zu erreichen, dass das Morden aufhört. Des-halb stimme ich allen Vorrednern zu, dass es darum geht,zu versuchen, mit Sanktionen so viel wie möglich zu er-reichen. Ich bin sehr froh darüber, dass alle Vernünftigenim Deutschen Bundestag einhellig der Meinung sind,dass wir dies tun sollten.Es besteht natürlich die Gefahr eines Bürgerkrieges.Außerdem besteht die Gefahr, dass sich weitreichendeSpill-over-Effekte ergeben. Das ist außerordentlich pro-blematisch. Es kann sogar passieren, dass nach Über-winden des Assad-Regimes die Aleviten, die circa 10 bis15 Prozent der Bevölkerung ausmachen, die aber dasRegime stellen, plötzlich zu Verfolgten werden. Wirmüssen dann besorgt sein, ob es nicht eventuell einenVölkermord mit umgekehrten Vorzeichen gibt. Mit alldiesen Dingen müssen wir uns beschäftigen.Ich plädiere dafür, dass die Bundesregierung ihresinnvolle Einflussnahme fortsetzt und dass sie zusam-men mit anderen europäischen Staaten das Sanktionsre-gime verstärkt. Ich plädiere vor allem dafür, dass wir dieRegionalkräfte ermuntern, ihren Einfluss geltend zu ma-chen. Das ist wahrscheinlich sinnvoller und wirkungs-voller als all das, was wir hier tun können.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Gehrcke für die
Fraktion Die Linke.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! – Kolleginnenund Kollegen, ich hätte mir nach der gestrigen Veranstal-tung – eine Debatte ist es ja nicht gewesen –
sehr gewünscht, dass man heute einmal tatsächlich überSyrien und über die Probleme des Landes redet, was nurteUusvruK –te–gdvmIcnmncsdvngecsstawsraogSuW
Ich habe mich immer an das gehalten, was die linkennd demokratischen Kräfte in den betroffenen Ländernelbst vorschlagen und fordern. Ich will Ihnen einmalorlesen, welche Forderungen der Nationale Koordinie-ngsrat – dort sind die linken und demokratischenräfte der Opposition vertreten – aufgestellt hat:Wir halten dabei an drei Ablehnungen fest: das muss von allen Mitgliedern unterschrieben werden –nein zur Gewalt, nein zur konfessionellen Spaltungdes Landes und nein zur ausländischen Einmi-schung.Das sind die Forderungen. Ich finde sie richtig undile sie.Ich schlage Ihnen erstens vor, dass wir nächste Woche wir werden eine namentliche Abstimmung beantra-en – über zwei Punkte entscheiden. Der Deutsche Bun-estag muss sich gegen jegliche Form – ohne Tricks –on Abschiebungen nach Syrien aussprechen, und dasuss möglichst von allen Fraktionen getragen werden.
h bin zweitens dafür, dass wir uns auf einige Sanktio-en hier einigen. Ich möchte unbedingt, dass wir uns ge-einsam gegen Rüstungsexporte und Waffenlieferungenach Syrien und in die gesamte Nahostregion ausspre-hen.
Ich habe auch nichts dagegen, wenn gegen die Reprä-entanten dieses Regimes Reiseverbote verhängt wer-en. Aber ich unterstütze keine Sanktionen, die die Be-ölkerung treffen. Darüber kann man nächste Woche inamentlicher Abstimmung entscheiden.Ich will jetzt zu den einzelnen Forderungen etwas sa-en. Die Forderung „Nein zur Gewalt“ richtet sich inrster Linie an das Regime Assad. Das muss ausgespro-hen werden, und es wird auch von der Linken ausge-prochen. Von Assad geht die staatliche Gewalt aus. Eretzt staatliche Gewalt ein. Es ist in keiner Weise akzep-bel und auch nicht begründbar, wie die staatliche Ge-alt in Syrien eingesetzt wird. Das soll hier klar ausge-prochen werden.
Ich möchte aber auch feststellen, dass wir davon ab-ten, dass auf der anderen Seite Gewalt eingesetzt wirdder dass von außen zur Gewalt aufgerufen wird. Hieribt es eine Differenz mit meinen Freunden in Syrien.ie sagen, Verhandlungen mit dem Assad-Regime sindnsinnig, bringen nichts. Ich sehe aber keinen andereneg als Verhandlungen. Das ist eine nicht ganz einfache
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 153. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Januar 2012 18391
Wolfgang Gehrcke
(C)
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Frage. Syrien, das sich in Teilen schon in einem Bürger-krieg befindet, darf nicht weiter in einen Bürgerkrieg ab-gleiten.Ich will den Kollegen Hans-Ulrich Klose zitieren– das mache ich nur selten –, der zu diesem Thema am16. Januar etwas sehr Vernünftiges gesagt hat. Er hat ge-sagt: „Internationale Bemühungen sollten sich daraufkonzentrieren, überhaupt Gesprächskontakte zwischenbeiden Konfliktparteien herzustellen.“ Er sagte weiter-hin, die Alternative dazu sei der Bürgerkrieg. Ich sehe esähnlich. Man muss miteinander reden, wenn man verhin-dern will, dass weiter aufeinander geschossen und ge-mordet wird.
Man muss miteinander reden, um zu Vereinbarungen zukommen. Ich sehe keinen anderen Weg.Ich bin auch dafür, dass hier deutlich gegen ausländi-sche Einmischung, gegen militärische Bedrohung undWer nicht will, dass weiter geschossen wird, sollteauch bereit sein, zu Verhandlungen überzugehen. Damuss man Druck auf das Regime ausüben. Ich bin nichtfür unverbindliche Verhandlungen.
Ich bin für klare Verhandlungen, die ein Ergebnis brin-gen, dass das Morden und die Gewalt in Syrien aufhö-ren. Das ist die Position, die ich vorschlagen möchte.Das ist eine Position, die auch in Syrien sehr breit akzep-tiert wird. Gehen Sie nicht nur von Ihren Bildern von au-ßen aus, sondern reden Sie mit den politischen Kräften,die in der Opposition sind, dann werden Sie zu anderenErgebnissen kommen.Schönen Dank.
das Spiel mit militärischer Drohung Stellung bezogen
wird. Wir – ich jedenfalls bin es – sind alle gebrannt von
dem, was in Libyen passiert ist. Es fing harmlos an, und
es endete bei 50 000 Toten in diesem Krieg. Ich weiß,
wie der Irakkrieg in Szene gesetzt worden ist. Ich
möchte keine Wiederholung.
Erinnern Sie sich doch daran, was der Kollege
Mißfelder hier ausgeführt hat. Waffengewalt bleibt auf
der Tagesordnung. Sie können viele Zitate finden, dass
der Bürgerkrieg in Syrien mindestens von außen ange-
heizt wird, weil man kein Interesse an einer Vereinba-
rung hat.
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Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
rucksache 17/8132 an die in der Tagesordnung aufge-
hrten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
o beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages ein auf Mittwoch, den 25. Januar 2012, 13 Uhr.
Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende, so-
eit dies möglich ist.
Die Sitzung ist geschlossen.