Protokoll:
14042

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 42

  • date_rangeDatum: 10. Juni 1999

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 12:30 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:52 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/42 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 42. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1999 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Dr. Karl-Heinz Hornhues ....................... 3540 C Tagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung über die bekanntgeworde- nen Pläne des Bundesarbeitsministers, die Rentenanpassung für die Jahre 2000 und 2001 zu halbieren, und zu der beab- sichtigten Neuregelung zum Schlecht- wettergeld..................................................... 3539 B Dr. Norbert Blüm CDU/CSU........................... 3539 B Hans-Peter Repnik CDU/CSU (zur GO) ......... 3540 D Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD (zur GO)... 3541 A Roland Claus PDS (zur GO) ........................... 3541 B Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 3541 C Klaus Wiesehügel SPD.................................... 3541 D Peter Rauen CDU/CSU.................................... 3543 A Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN................................................. 3544 B Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. ....................... 3544 D Dr. Gregor Gysi PDS....................................... 3545 D Andreas Storm CDU/CSU............................... 3547 B Walter Riester, Bundesminister BMA............. 3548 C Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN................................................................. 3549 D Dr. Norbert Blüm CDU/CSU .......................... 3551 A Kurt Bodewig SPD .......................................... 3552 A Johannes Singhammer CDU/CSU................... 3553 D Gerd Andres SPD ............................................ 3554 C Konrad Gilges SPD ......................................... 3556 A Dr. Norbert Blüm CDU/CSU (Erklärung nach § 30 GO).......................................................... 3557 C Nächste Sitzung ............................................... 3557 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 3559 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1999 3539 (A) (C) (B) (D) 42. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1999 Beginn: 12.30 Uhr
  • folderAnlagen
    Konrad Gilges Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1999 3559 (A) (C) (B) (D) Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Aigner, Ilse CDU/CSU 10.6.99 Austermann, Dietrich CDU/CSU 10.6.99 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10.6.99 Dr. Bergmann-Pohl, Sabine CDU/CSU 10.6.99 Bernhardt, Otto CDU/CSU 10.6.99 Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 10.6.99 ** Dr. Blank, Joseph-Theodor CDU/CSU 10.6.99 Bohl, Friedrich CDU/CSU 10.6.99 Bonitz, Sylvia CDU/CSU 10.6.99 Brähmig, Klaus CDU/CSU 10.6.99 Dr. Brauksiepe, Ralf CDU/CSU 10.6.99 Dr. Brecht, Eberhard SPD 10.6.99 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 10.6.99 Brunnhuber, Georg CDU/CSU 10.6.99 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 10.6.99 * Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 10.6.99 Büttner (Schönebeck), Hartmut CDU/CSU 10.6.99 Dr. Däubler-Gmelin, Herta SPD 10.6.99 Dehnel, Wolfgang CDU/CSU 10.6.99 Dreßler, Rudolf SPD 10.6.99 Eppelmann, Rainer CDU/CSU 10.6.99 Ernstberger, Petra SPD 10.6.99 Fink, Ulf CDU/CSU 10.6.99 Fischbach, Ingrid CDU/CSU 10.6.99 Friedrich (Altenburg), Peter SPD 10.6.99 Funke, Rainer F.D.P. 10.6.99 Gebhardt, Fred PDS 10.6.99 Gradistanac, Renate SPD 10.6.99 Graf (Friesoythe), Günter SPD 10.6.99 Grill, Kurt-Dieter CDU/CSU 10.6.99 Günther (Plauen), Joachim F.D.P. 10.6.99 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Hartenbach, Alfred SPD 10.6.99 Haschke (Groß- hennersdorf), Gottfried CDU/CSU 10.6.99 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 10.6.99 Hedrich, Klaus-Jürgen CDU/CSU 10.6.99 Hempelmann, Rolf SPD 10.6.99 Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10.6.99 Jäger, Renate SPD 10.6.99 Jünger, Sabine PDS 10.6.99 Kalb, Bartholomäus CDU/CSU 10.6.99 Dr.-Ing. Kansy, Dietmar CDU/CSU 10.6.99 Kanther, Manfred CDU/CSU 10.6.99 Kemper, Hans-Peter SPD 10.6.99 Kolbow, Walter SPD 10.6.99 Koschyk, Hartmut CDU/CSU 10.6.99 Kumpf, Ute SPD 10.6.99 Lehn, Waltraud SPD 10.6.99 Lensing, Werner CDU/CSU 10.6.99 Dr. Lippold (Offenbach), Klaus W. CDU/CSU 10.6.99 Dr. Lischewski, Manfred CDU/CSU 10.6.99 Lötzer, Ursula PDS 10.6.99 Meckel, Markus SPD 10.6.99 Merz, Friedrich CDU/CSU 10.6.99 Metzger, Oswald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10.6.99 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 10.6.99 Moosbauer, Christoph SPD 10.6.99 Müller (Kiel), Klaus Wolfgang BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10.6.99 Müntefering, Frank SPD 10.6.99 Nahles, Andrea SPD 10.6.99 Neumann (Bremen), Bernd CDU/CSU 10.6.99 Neumann (Gotha), Gerhard SPD 10.6.99 Pieper, Cornelia F.D.P. 10.6.99 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 10.6.99 Reinhardt, Erika CDU/CSU 10.6.99 Rönsch (Wiesbaden), Hannelore CDU/CSU 10.6.99 3560 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Juni 1999 (A) (C) (B) (D) Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Dr. Rössel, Uwe-Jens PDS 10.6.99 Dr. Rose, Klaus CDU/CSU 10.6.99 Rühe, Volker CDU/CSU 10.6.99 Dr. Rüttgers, Jürgen CDU/CSU 10.6.99 Schenk, Christina PDS 10.6.99 Schindler, Norbert CDU/CSU 10.6.99 Dr. Schnell, Emil SPD 10.6.99 Schultz (Everswinkel), Reinhard SPD 10.6.99 Schwanhold, Ernst SPD 10.6.99 Schwanitz, Rolf SPD 10.6.99 Seehofer, Horst CDU/CSU 10.6.99 Dr. Seifert, Ilja PDS 10.6.99 Siemann, Werner CDU/CSU 10.6.99 Dr. Solms, Hermann Otto F.D.P. 10.6.99 Späte, Margarete CDU/CSU 10.6.99 Dr. Staffelt, Ditmar SPD 10.6.99 Steinbach, Erika CDU/CSU 10.6.99 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Streb-Hesse, Rita SPD 10.6.99 Strebl, Matthäus CDU/CSU 10.6.99 Thierse, Wolfgang SPD 10.6.99 Türk, Jürgen F.D.P. 10.6.99 Dr. Uhl, Hans-Peter CDU/CSU 10.6.99 Uldall, Gunnar CDU/CSU 10.6.99 Vaatz, Arnold CDU/CSU 10.6.99 Vogt (Pforzheim), Ute SPD 10.6.99 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 10.6.99 Wettig-Danielmeier, Inge SPD 10.6.99 Willner, Gert CDU/CSU 10.6.99 Wolf, Aribert CDU/CSU 10.6.99 Dr. Wolf, Winfried PDS 10.6.99 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 10.6.99 ——————— ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versamm- lung Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
Gesamtes Protokol
Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404200000
Die Sitzung ist
eröffnet.

Es hat soeben eine Besprechung der Geschäftsführer
stattgefunden. Das Ergebnis dieser Besprechung möchte
ich Ihnen mitteilen – das ist auch die Begründung dafür,
warum die ursprünglich für heute zur Beratung vorgese-
henen Tagesordnungspunkte 1 und 2 von der Tagesord-
nung abgesetzt worden sind –: Da die Verhandlungen
über die Friedensregelungen für das Kosovo noch an-
dauern, haben sich die Fraktionen darauf verständigt,
den Kosovo-Antrag der Bundesregierung heute noch
nicht zu behandeln. Es ist vorgesehen, den Bundestag
hierzu für morgen, Freitag, 9 Uhr einzuberufen. Heute
sollen die Ausschüsse auf der Grundlage des an sie
überwiesenen Antrags auf Drucksache 14/1111 beraten.
Nach dem Kabinettsbeschluß über einen geänderten
Antrag soll dieser dann morgen formell an die Aus-
schüsse überwiesen werden. Danach wird das Plenum
unterbrochen werden.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Haltung der Bundesregierung über die be-
kanntgewordenen Pläne des Bundesarbeitsmi-
nisters, die Rentenanpassung für die Jahre
2000 und 2001 zu halbieren, und zu der beab-
sichtigten Neuregelung zum Schlechtwettergeld

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Norbert Blüm.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1404200100
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Eigentlich hatte ich nach
dem ungeschriebenen Gesetz, daß sich der Nachfolger
erst positionieren muß, vor,


(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Wo ist der Riester denn?)


mich im sozialpolitischen Bereich ein Jahr zurückzu-
halten. Das, was jetzt bekanntgeworden ist, hält mich

allerdings nicht auf dem Stuhl. Was macht ihr mit den
Rentnern?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das wollen wir vor dem Wahltag am nächsten Sonntag
und nicht danach erfahren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es kommt zu einer Halbierung bzw. zu einer Ausset-

zung der Rentenanpassung. Wenn im nächsten Jahr eine
Lohnerhöhung um netto 3 Prozent der Maßstab ist, dann
bedeutet das eine Rentenerhöhung um 1,5 Prozent, also
eine Halbierung der Rentenanpassung. Was haben Sie,
meine Damen und Herren, gesagt – mein Gedächtnis ist
gut –, als wir unsere demographische Formel eingeführt
haben? Da ging es um 0,5 Prozent. Da haben Sie von
Kahlschlag, von sozialer Kälte und von Rentenram-
ponierung gesprochen. Wenn schon die Kürzung der
Rentenanpassung um 0,5 Prozent ein Kahlschlag ist, wie
ist das dann bei 1,5 Prozent?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der Unterschied ist: Wir konnten mit einer demogra-

phischen Formel begründen, warum die Rentenanpas-
sung gedämpft wird: aus Gründen der Generationenge-
rechtigkeit. Das war eine systematische Antwort. Eine
Halbierung der Rentenanpassung ist eine Rente nach
Kassenlage, ist eine Willkürrente, ist eine Rente à la
Honecker. So weit sind Sie gekommen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


Wir haben in den 16 Jahren unserer Regierungszeit
vieles durchsetzen müssen. Aber Sie werden keine
Maßnahme finden, die nicht systematisch strukturell be-
gründet war. Ihre Maßnahme ist ohne Sinn und Ver-
stand, ohne Hand und Fuß und ohne Kopf. Ein Torso hat
mehr Glieder als Ihre Rentenpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Jetzt verstehe ich auch, warum Herr Hombach gesagt
hat, das soziale Netz müsse zu einem Trampolin werden:
Ihr laßt die Rentenversicherung hüpfen, ihr stellt die
Rentner aufs Trampolin. Das ist nicht unsere Sozialpoli-






(B)



(A) (C)



(D)


tik. Sozialpolitik muß berechenbar sein, sie muß kalku-
lierbar sein, sie muß verläßlich sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die kleinen Renten sollen aufgestockt werden. Damit

erwischt ihr die Falschen! Nicht jeder kleine Rentner ist
ein armer Mann oder eine arme Frau, wenn er oder sie
wenige Beitragsjahre hat. Oder wollt ihr 10 Millionen
Rentner durch die Bedürfnisprüfungsanstalt mahlen und
fragen, ob sie ein Haus haben oder nicht? Das haben die
Arbeiter, die ein Leben lang gearbeitet haben, nicht ver-
dient; sie müssen sich nicht rechtfertigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zurufe von der SPD: Oh!)


Wenn Sie eine Feuerversicherung abschließen, wird im
Brandfall auch nicht gefragt, ob Sie noch ein Haus ha-
ben, sondern Sie bekommen Ihre Versicherungssumme.
Wer ein Leben lang gearbeitet hat, der wird nicht ge-
fragt, ob er noch ein Haus hat oder ob er bedürftig ist,
sondern der bekommt dann eine anständige Rente. Das
ist unsere Rentenpolitik, nicht diese gönnerhafte Politik,
die Sie betreiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Habt ihr euch von der Arbeiterbewegung schon so weit
entfernt, daß ihr die Malocher vergessen habt, die ein
Leben lang geschafft haben?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Arbeitslosen sollen rasiert werden. Die Bundes-

anstalt zahlt den Beitrag nicht mehr von 80 Prozent des
Bruttolohns


(Zurufe von der SPD)

– ja, so konkret ist die Sozialpolitik –, sondern nur noch
vom Arbeitslosengeld. Das ist eine Halbierung. Sie
schaffen sich mit dieser Politik die Voraussetzungen für
eine bedürfnisorientierte Grundrente. Sie schaffen da-
durch Armut.


(Erika Lotz [SPD]: Wer war das?)

Erst ramponieren Sie den Wagen, und dann kommen Sie
als Unfallhilfe. Laßt die Rentenversicherung in Ruhe,
dann braucht ihr das nicht zu machen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zum Schlechtwettergeld nur soviel: Als Beispiel für

ein „kleines Bündnis für Arbeit“ wollen wir uns einmal
das Beispiel des Kollegen Wiesehügel ansehen. Die Ar-
beitnehmer haben 20 Stunden weniger aufzubringen, die
Arbeitgeber 10 Stunden. Das sind zusammen 30 Stun-
den. Dafür muß die Bundesanstalt 30 Stunden mehr auf-
bringen. Was ist die Lösung? Strukturell hat sich gar
nichts verändert. Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben
weniger aufzubringen. Es zahlt die Allgemeinheit: Das
sind ebenfalls Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Das ist
ein Taschenspielertrick.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Was mit der linken Hand gegeben wird, wird mit der
rechten wieder genommen. Das ist nicht nur ein Ta-

schenspielertrick: Es ist Zechprellerei. Ihr bestellt und
laßt andere bezahlen. Das ist nicht unsere Sozialpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Rentner haben noch im Ohr – mein Gedächtnis

ist hervorragend, unterschätzt mich nicht –, was ihr alles
im Wahlkampf gesagt habt.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404200200
Herr Kollege
Blüm, fünf Minuten dürfen Sie reden.


Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1404200300
Was diese Regie-
rung jetzt aber bei den Rentenanpassungen plan- und
sinnlos vorhat, übertrifft bei weitem das, was wir für
notwendig hielten. Wir konnten unsere Maßnahmen
durch Generationengerechtigkeit begründen. Das, was
die Regierung plant, ist Willkür.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404200400
Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, lassen Sie mich die Debatte kurz
unterbrechen. Ich bin gerade darauf hingewiesen wor-
den, daß der Kollege Professor Hornhues heute seinen
60. Geburtstag feiert. Herr Hornhues, ich möchte Ihnen
dazu im Namen des Hauses herzlich gratulieren.


(Beifall)

Zur Geschäftsordnung gebe ich jetzt dem Kollegen

Repnik das Wort.


Hans-Peter Repnik (CDU):
Rede ID: ID1404200500
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der
Kollege Norbert Blüm hat soeben die große Verunsiche-
rung deutlich gemacht, die in der Bevölkerung im Hin-
blick auf die Äußerungen des Bundesarbeitsministers
Riester herrscht.


(Widerspruch bei der SPD)

Herr Riester hat mit einer Reihe von Äußerungen dazu
beigetragen, daß wir dieses Thema heute im Deutschen
Bundestag in dieser Aktuellen Stunde diskutieren.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Aber hier traut er sich nicht!)


Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist der Auffas-
sung, daß Herr Riester unbedingt zu seinen Äußerungen
Stellung nehmen muß, und zwar heute im Plenum des
Deutschen Bundestages.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nur er ist in der Lage, in dieser Frage, wie wir hoffen,
für Klarheit zu sorgen, die Verunsicherung zurückzu-
nehmen und Klarheit insbesondere vor den Wahlen am
kommenden Sonntag zu schaffen. Deshalb beantragen
wir nach § 42 der Geschäftsordnung die Herbeirufung
des Bundesarbeitsministers Riester in diese Sitzung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Norbert Blüm






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404200600
Ich bin eben
informiert worden, daß die F.D.P.-Fraktion diesen An-
trag unterstützt und nicht extra zur Geschäftsordnung
reden will.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zur Geschäftsordnung erhält jetzt der Kollege

Schmidt das Wort.


Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1404200700
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon manch-
mal sehr verwunderlich, daß eine durch Zufall auf die
Tagesordnung geratene Aktuelle Stunde stattfindet


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

und von den Oppositionsparteien auch noch zu einem
solchen Geplänkel genutzt wird. Ich will Sie nur darauf
hinweisen, Herr Repnik und Vertreter der F.D.P., daß
wir eine andere Reihenfolge der heutigen Tagesordnung
verabredet hatten.


(Zurufe von der CDU/CSU)

– Lassen Sie mich das doch wenigstens begründen! –
Deswegen befindet sich der Arbeitsminister noch in
einer Sitzung der Arbeitsminister des Bundes und der
Länder in Essen. Wir werden jetzt eine Unterbrechung
der Sitzung bis zu dem Zeitpunkt beantragen, da der Ar-
beitsminister hier sein kann. Das können Sie gerne ha-
ben. Dann ist die Sache ausgestanden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich schätze einmal, in zwei Stunden kann der Ar-
beitsminister hier sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


– Er ist in Essen. Ich kann Ihnen nur sagen, wie lange es
unter Umständen dauert, bis er von Essen hier ist.

Wir beantragen Unterbrechung der Sitzung, bis der
Arbeitsminister hier sein kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404200800
Zur Ge-
schäftsordnung liegt mir weiter eine Meldung des Kol-
legen Claus vor.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1404200900
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Auch die PDS-Fraktion unterstützt den
eingebrachten Antrag, den Arbeitsminister hier zu die-
sem Thema zu hören. Ich will ausdrücklich sagen, Sie
als Koalitionsfraktionen können für das terminliche
Durcheinander, das hier eingetreten ist – das natürlich
viele objektive Ursachen, aber auch Ursachen hat, die
bei Ihnen liegen –, nicht die Opposition verantwortlich
machen. Das wäre zurückzuweisen.


(Beifall bei der PDS und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Möglicherweise können wir in einer Verständigung
der Geschäftsführer zum Verfahrensgang noch eine Re-
gelung erzielen. Den Antrag aber, den Arbeitsminister
hier herbeizurufen, unterstützen wir ausdrücklich.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404201000
Zur Ge-
schäftsordnung, bitte.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie der Meinung sind, daß Sie den Herrn Minister
zur Unterstützung Ihres Wahlkampfes herzitieren müs-
sen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


dann, kann ich nur sagen, ist das Ihr Recht.
Wir unterstützen den Antrag auf Sitzungsunterbre-

chung und werden dann sicherlich in aller Klarheit vom
Bundesarbeitsminister hören, was er zu sagen hat. Dann
werden wir hier miteinander diskutieren können.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404201100
Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, es ist Unterbrechung der Sitzung
beantragt worden. Es ist Parlamentsbrauch, daß dem
auch stattgegeben wird.

Damit unterbreche ich die Sitzung. Der Wiederbeginn
der Sitzung wird Ihnen entsprechend bekanntgegeben.


(Unterbrechung von 12.44 bis 14.31 Uhr)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404201200
Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich bitte darum, Platz zu nehmen. Die
unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.

Bevor wir mit der Tagesordnung fortfahren, darf ich
Sie über das vorgesehene Verfahren zum Kosovo-
Antrag der Regierung noch weiter informieren. Die zu-
ständigen Ausschüsse haben heute nachmittag ab 17.30
Uhr Sitzungen anberaumt. Sie werden jedoch ihre Be-
ratungen erst dann aufnehmen, wenn der erwartete ge-
änderte Antrag der Bundesregierung zugegangen ist.

Wir setzen nun die Aktuelle Stunde fort. Der Bun-
desminister für Arbeit und Sozialordnung ist anwesend.
Damit hat sich der Herbeirufungsantrag erledigt.

Das Wort hat nunmehr der Kollege Klaus Wiesehügel
von der SPD-Fraktion.


Klaus Wiesehügel (SPD):
Rede ID: ID1404201300
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Hier war vorhin viel die Rede da-
von, daß man ein gutes Gedächtnis hat. Herr Blüm hat






(B)



(A) (C)



(D)


mehrfach darauf verwiesen. Ich sage nur ganz deutlich:
Auch wir haben ein gutes Gedächtnis. Deswegen mußte
eine solche Regelung gemacht werden.


(Beifall bei der SPD)

Die Bauarbeiter haben nicht vergessen, Norbert

Blüm, welch Schaden angerichtet worden ist, den ich
kurz darstellen will. Ich bin aber enttäuscht, oder viel-
leicht wächst bei mir auch die Erkenntnis, wenn ich hö-
re, daß Sie sagen, daß die Struktur überhaupt nicht ver-
ändert worden ist. Das zeigt mir ganz deutlich: Als Sie
damals das Schlechtwettergeld gestrichen haben, haben
Sie nichts begriffen. Jetzt haben Sie immer noch nichts
begriffen.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben die Struktur geändert. Wir haben die

Struktur sogar sehr gut geändert,

(Walter Hirche [F.D.P.]: Immer zu Lasten des Steuerzahlers!)

weil unser Ziel nicht nur die Frage des Schlechtwetter-
geldes gewesen ist. Unser Ziel ist es immer gewesen, die
Winterarbeitslosigkeit zu beseitigen. Diese haben wir
mit einer solchen gemeinsamen Erklärung wesentlich
besser im Griff.


(Zuruf von der CDU/CSU: Thema!)

Die wichtigen Punkte will ich Ihnen einmal kurz

schildern. Wir sind in der Lage, über die Tarifvertrags-
parteien – so wird es auch im Gesetz stehen – zukünftig
die Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr pro ausge-
fallener Stunde im Winter direkt zu Lasten der Arbeit-
geber in der schwachen Liquiditätszeit zu finanzieren,
sondern zu Lasten einer Winterbauumlage, die die Ar-
beitgeber gemeinsam finanzieren.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Jetzt machen Sie es zu Lasten Dritter, der Allgemeinheit!)


– Ich komme gleich dazu. Warten Sie einen Augenblick.

(Dirk Niebel [F.D.P.]: Sprechen Sie als Abgeordneter oder als Gewerkschaftsvorsitzender?)


Wir werden diese Dinge so regeln, daß es jetzt nicht
mehr zur Arbeitslosigkeit kommt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein weiterer Punkt. Weil wir bestrebt sind, Arbeits-

marktpolitik zu machen, wird zukünftig immer dann,
wenn ein Unternehmen, obwohl im Tarifvertrag enthal-
ten ist, daß nicht gekündigt werden kann, trotzdem aus
witterungsbedingten Gründen kündigt, der Schaden, der
der Bundesanstalt dadurch entsteht, ersetzt werden. Dies
ist ein wirksames und arbeitsmarktpolitisches Element,
das Arbeitslosigkeit vermeiden kann.

Noch eines. Sie haben nicht nur das Schlechtwetter-
geld gestrichen. Sie haben auch dafür gesorgt, daß die
gesamte Idee des ganzjährigen Beschäftigens und des
Winterbaus endgültig begraben wurde, indem Sie auch
die Winterbauausschüsse abgeschafft haben. Diese

Winterbauausschüsse werden wieder eingeführt, und
damit werden wir der Arbeitslosigkeit begegnen.


(Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [F.D.P.]: Machen Sie doch eine Jahresarbeitszeit! Das hilft viel mehr!)


Sie behaupten, daß sich die Struktur überhaupt nicht
geändert habe. Doch genau in diesem Punkt geht es um
Strukturen. Wir werden durch Strukturmaßnahmen und
nicht nur durch die Wiedereinführung von Schlechtwet-
tergeld die Winterarbeitslosigkeit auf ein Minimum re-
duzieren können.


(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Reiner Interessenvertreter!)


Meine Damen und Herren, die Tarifvertragsparteien
am Bau waren immer in der Lage, ihre Probleme zu lö-
sen. Sie haben sie auch jetzt wieder lösen können. Es
war aber schwieriger. Es war deswegen so schwierig,
weil Sie mit der Streichung des Schlechtwettergeldes die
Sozialpartnerschaft am Bau an den Rand des noch Mög-
lichen getrieben haben.


(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Das ist doch alles Unsinn!)


Sie sind dafür direkt verantwortlich gewesen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Gre gor Gysi [PDS])

Weil hier des öfteren gesagt wird, wir hätten das zu

Lasten Dritter gemacht – ich komme nun zu Ihren Äuße-
rungen –, möchte ich Sie bitten, mit mir einmal kurz
nachzurechnen – soweit Sie das können –: 51 Millionen
DM kostet das Ganze.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Eine Menge Geld!)

Jemand, der im Winter arbeitslos wird, kostet pro Monat
2 433 DM.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Machen Sie eine Jahresarbeitszeit!)


– Hören Sie doch einmal eine Minute zu! – Wenn er drei
Monate arbeitslos ist, kostet das 7 300 DM.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Machen Sie eine Jahresarbeitszeit!)


– Wollen Sie nun zuhören und etwas lernen, oder wollen
Sie reden?


(Beifall bei der SPD)

7 000 Arbeitslose weniger bringen schon eine Einspa-
rung in Höhe dieser 51 Millionen DM.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Machen Sie eine Jahresarbeitszeit!)


– Nun hören Sie auf zu plappern, rechnen Sie einmal
nach. Die Dinge sind nämlich positiv geregelt worden,
nicht zu Lasten Dritter, sondern zugunsten des Bundes.


(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, zum Schluß möchte ich

noch ganz kurz anmerken: Sowohl die 150 000 Arbeit-

Klaus Wiesehügel






(A) (C)



(B) (D)


nehmer, die sonst jeden Winter arbeitslos wurden, als
auch die Kassen des Bundes werden erheblich entlastet,
wenn weitergearbeitet wird. Ganz deutlich sage ich Ih-
nen: Sie sollten sich hier nicht beschweren. Sie haben
dafür gesorgt, daß in der letzten Zeit über 240 000 Bau-
arbeiter durch von Ihnen verursachte Strukturverände-
rungen ihren Arbeitsplatz auf Dauer verloren haben. Wir
sind dabei, dem Baugewerbe wieder eine Zukunft zu ge-
ben.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. HansJosef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404201400
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Peter Rauen.


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1404201500
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Wiesehügel, ich
glaube, Sie wissen gar nicht, was Sie mit dieser neuen
Regelung wirklich anrichten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe heute morgen vom Hauptverband der Deut-
schen Bauindustrie die Vereinbarung erhalten. Im letz-
ten Absatz – dort wird erklärt, was jetzt gemacht wird –
steht: Aus Äußerungen von Staatssekretär Andres und
von Bundeskanzler Schröder selbst wurde deutlich, daß
bei Nichtzustandekommen einer einvernehmlichen Re-
gelung die Gewerkschaften gute Chancen haben würden,
ihren der SPD-Fraktion bereits vorgelegten Gesetzent-
wurf mit einem Schlechtwettergeld ab der ersten Aus-
fallstunde im Deutschen Bundestag durchzusetzen.

Meine Damen und Herren, denken Sie einen Moment
darüber nach. Hier wurden die Arbeitgeber massiv er-
preßt,


(Lachen bei der SPD)

einer Regelung zuzustimmen, der sie ohne diesen Er-
pressungsversuch niemals zugestimmt hätten.


(Zuruf von der SPD: Erzählen Sie doch keine Märchen! – Dirk Niebel [F.D.P.]: Die alte Linke und nicht die neue Mitte!)


Ihnen, Herr Wiesehügel, wird das Lachen vergehen,
denn durch diese Neuregelung wird die Beschäftigung
deutscher Arbeitnehmer in hohem Maße gefährdet wer-
den, und es werden noch mehr deutsche Arbeitnehmer
arbeitslos werden.

Das Schlechtwettergeld hat die Tarifpartner 25 Jahre
am Denken gehindert.


(Gerd Andres [SPD]: Hört! Hört!)

Bei den Tarifverhandlungen 1997, die nach der Ab-
schaffung des Schlechtwettergeldes im Rahmen des Ar-
beitszeitgesetzes und der Änderung der Lohnfortzahlung
stattfanden, war es auf Grund moderner tariflicher Re-
gelungen möglich – daran haben Sie, Herr Wiesehügel,
damals Gott sei Dank mitgewirkt –, die Lohnzusatzko-
sten in meinem Betrieb um 20 Prozent zu senken. Ich
darf erinnern: Sie machen mit Ihrem Ökosteuergesetz
die Welt verrückt und erreichen damit ganze 0,4 Pro-

zent. Durch ordnungspolitische Maßnahmen und durch
tarifliche Vereinbarungen war es 1997 möglich, die
Lohnzusatzkosten auf einen Schlag um 20 Prozent zu
senken – das 40fache dessen, was Sie mit Ihrer gesam-
ten Ökosteuerreform erreichen.

Meine Damen und Herren, ich will Ihnen sagen, war-
um dies möglich war. In meinem Betrieb haben wir vor
zwei Jahren vereinbart, jeweils im Sommer 150 Stunden
vorzuarbeiten. Das erarbeitete Geld geht auf ein Konto,
und zwar einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge.
Über dieses Konto verfügen die Geschäftsführung und
der Betriebsratsvorsitzende. Das Geld wird im Winter
bei schlechter Witterung ausgezahlt. Das hat sich nach
anfänglichen Schwierigkeiten hervorragend eingespielt.
Unsere Mitarbeiter haben jetzt das ganze Jahr über ein
Einkommen. Wir haben mit der alten Schlechtwetter-
geldregelung überhaupt nichts mehr zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir haben auch die Umlage, für die wir 1,7 Prozent

einzahlen müssen, nicht mehr in Anspruch genommen.
Mein Betrieb, Herr Wiesehügel, hat von Mai 1997 bis
Mai 1999 in diese Winterbauumlage 224 000 DM ein-
gezahlt, ohne einen Pfennig davon in Anspruch zu neh-
men. Nur deshalb ist die Kasse heute gut gefüllt. Wenn
nun statt ab der 50. ab der 30. Stunde gezahlt wird und
die Sozialversicherungsbeiträge über die Umlage finan-
ziert werden, dann wird die Winterbauumlage sprung-
haft steigen müssen. Wir werden bei den Lohnzusatzko-
sten eine Mehrbelastung von 5 bis 6 Prozent bekommen.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das kostet Arbeitsplätze!)


Sie sollten sich wirklich einmal überlegen, was Sie mit
diesen Änderungen anrichten.

Ich muß mich schon sehr wundern, mit welcher Blau-
äugigkeit auch die Arbeitgeberverbände davon ausgehen
– ich habe es ihnen sehr deutlich gesagt –, die alte Fle-
xibilisierung mit 150 Stunden könne noch aufrechter-
halten werden. Ich hatte gestern ein Gespräch mit mei-
nen Mitarbeitern zu diesem Thema. Die haben klar zu
erkennen gegeben, daß sie, wenn es auch für Nichtarbeit
wieder Geld gibt, nicht mehr bereit sind, 150 Stunden
vorzuarbeiten, wenn sie anschließend nicht die
Schlechtwettergeldregelung in Anspruch nehmen kön-
nen.

Auch für einen Betrieb, Herr Wiesehügel, wäre es bei
224 000 DM noch interessant, flexibel zu reagieren. In
zwei Jahren müßten wir aber wohl 500 000 DM zahlen.
Deshalb sagen wir: Wir nehmen lieber ab der 30. Stunde
das Schlechtwettergeld in Anspruch – mit der Folge, daß
die Kassen nicht mehr gefüllt sind und die Winterbau-
umlage drastisch erhöht werden muß.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Was Sie da tun, ist verantwortungslos hoch drei; ich

will das sehr deutlich sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wir mittelständische Firmen, die noch deutsche Bauar-
beiter beschäftigen, stehen in einem harten Wettbewerb,

Klaus Wiesehügel






(B)



(A) (C)



(D)


überhaupt noch genügend Arbeit für unsere deutschen
Mitarbeiter zu bekommen. In dieser Situation die Lohn-
zusatzkosten so drastisch zu erhöhen ist so unverant-
wortlich, wie es unverantwortlicher nicht sein kann.

Daß Bundeskanzler Schröder an diesem Erpressungs-
versuch mitgewirkt hat, halte ich für höchst bedenklich.
Ich wundere mich schon, wie Schröder und Blair unter
der Überschrift „Der Weg nach vorne für Europas So-
zialdemokraten“ vorschlagen können: Wir müssen un-
sere Politik in einem neuen, auf den heutigen Stand ge-
brachten wirtschaftlichen Rahmen betreiben, innerhalb
dessen der Staat die Wirtschaft nach Kräften fördert,
sich aber nie als Ersatz für Wirtschaft betrachtet. Die
Steuerfunktion von Märkten muß durch die Politik er-
gänzt und verbessert, nicht aber behindert werden.

Mit dieser Wiedereinführung des Schlechtwettergel-
des wird die Entwicklung von Betrieben und werden
moderne, flexible Arbeitsformen in höchstem Maße ver-
hindert. Das ist ein Rückfall in die Steinzeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie sollten sich dafür schämen, daß Sie als Führer der
Gewerkschaften gemeinsam mit Herrn Andres und an-
deren die Arbeitgeber so erpreßt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Gerd Andres [SPD]: Der Norbert Blüm guckt ganz betroffen wegen Ihrer miserablen Rede!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404201600
Ich gebe das Wort
der Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig für das Bündnis
90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Rauen!
Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall: Diese Art, das
„Bündnis für Arbeit“ ernst zu nehmen und einen Interes-
senausgleich zwischen den drei Partnern – der Arbeitge-
berseite, der Arbeitnehmerseite und der Gesellschaft all-
gemein, also hier der Arbeitslosenversicherung – zu fin-
den, ist sehr viel besser, als es unter der alten Koalition
gewesen ist. Dies ist ein verantwortliches „Bündnis für
Arbeit“, das diesen Interessenausgleich behutsam orga-
nisiert hat und durchsetzen wird. Ich glaube, wir sollten
sehr stolz darauf sein, daß es mit dieser Regelung gelun-
gen ist, einen Schritt nach vorne zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Tatsache ist doch, daß wir mit der alten Regelung das
Gegenteil des Gewollten erreicht haben, indem jeweils
zu Silvester bis zu 150 000 Arbeitnehmer im Baubereich
plötzlich arbeitslos wurden. Es war nicht einmal garan-
tiert, daß sie ein Vierteljahr später wieder bei ihrem Ar-
beitgeber auftauchen und weiterarbeiten konnten. Im
Gegenteil ist die Folge gewesen, daß der graue Arbeits-
markt im Baubereich forciert in Anspruch genommen
wurde. Insofern gehen wir jetzt einen guten Schritt hin
zu einer legalen, kontinuierlichen und für die einheimi-

schen Arbeitnehmer funktionierenden Beschäftigung in
der Bauwirtschaft. Darauf sollten wir stolz sein.

Ich möchte noch einmal die wichtigsten Bausteine
der Modifizierung nennen: Die 50 Stunden Vorarbeit der
Arbeitnehmer werden auf 30 Stunden gesenkt. Das
Winterausfallgeld wird bis zur 100. Stunde gezahlt – das
war ein Kompromißangebot an die Arbeitgeberseite –;
dann tritt die Bundesanstalt für Arbeit in Vorlage. Diese
Mischung ist sehr behutsam austariert worden. Ich glau-
be, sie wird wirken und uns helfen, unser Ziel zu errei-
chen, obwohl sie scheinbar eine Mehrbelastung bringt.
Formal ist es richtig, daß die Bundesanstalt für Arbeit
jetzt rechnerisch mit 55 Millionen DM mehr belastet ist.
De facto werden wir damit aber Arbeitslosigkeit am Bau
verhindern und dadurch der Bundesanstalt für Arbeit da-
zu verhelfen, daß sie mit ihren Geldern besser kalkulie-
ren kann und sie diese zur Lösung anderer Probleme im
Bereich der Arbeitslosigkeit einsetzen kann.

Wir sollten auch darüber nachdenken, daß mit der
jetzigen Regelung schleichend immer mehr halblegale
Strukturen im Baubereich entstehen, die keine kontinu-
ierliche Beschäftigung ermöglichen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Reden Sie doch einmal zur Rente!)


Gerade im Baubereich, der momentan für „hire and fire“
sehr sensibel ist, ist es sehr wichtig, daß wir Kontinuität
garantieren.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das ist aber ein ziemlicher Eiertanz, den Sie da abziehen!)


– Das ist kein Eiertanz. Das ist vielmehr die Situation,
die Sie uns beim Schlechtwettergeld eingebrockt haben.
Wir haben in den letzten zwei Jahren erlebt, wie im Ja-
nuar die Arbeitslosigkeit sprunghaft angestiegen ist. Das
wieder rückgängig zu machen ist eine sehr verantwor-
tungsvolle Aufgabe.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404201700
Es spricht für die
F.D.P.-Fraktion die Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer.


Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1404201800
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die F.D.P. freut sich
natürlich, daß Bundeskanzler Kohl jetzt das Programm
der F.D.P. – –


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Klaus Wiesehügel [SPD]: Das ist schwer abzugewöhnen! Immer noch! – Weiterer Zuruf von der SPD: Neuen Textbaustein anlegen!)


– daß Bundeskanzler Schröder jetzt das Programm der
F.D.P. übernimmt. – Der alte hat das in der Tat schon an
vielen Stellen getan, und wir haben das sehr geschätzt.
Aber wir schätzen es natürlich auch, wenn der neue
Bundeskanzler es übernimmt.

Peter Rauen






(A) (C)



(B) (D)


Aber das, was Sie jetzt hier in bezug auf das
Schlechtwettergeld debattiert haben, macht doch seinen
Ansatz völlig unglaubwürdig. Darin steht nämlich, daß
die Arbeitsmärkte flexibilisiert werden sollen. Was Sie
hier machen, ist das genaue Gegenteil: Die Flexibilisie-
rung haben Sie zurückgedreht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wie immer, wenn diese Bundesregierung, Gewerk-

schaften und Arbeitgeber sich zusammenraufen, gibt es
einen Kompromiß auf dem kleinsten gemeinsamen
Nenner, und das ist wie immer der Beitragszahler, in
diesem Fall derjenige, der Beiträge an die Bundesanstalt
für Arbeit zahlt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Konrad Gilges [SPD]: Das stimmt doch sachlich nicht!)


Deswegen ist diese Schlechtwettergeldregelung über-
flüssig; überflüssiger geht es gar nicht. Sie ist ein Rück-
schritt.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Schädlich!)

Der Bundeskanzler hat dies als ein „kleines Bündnis

für Arbeit“ bezeichnet. Wenn das die Konzeption des
„Bündnisses für Arbeit“ ist, dann gute Nacht für Bei-
trags- und Steuerzahler. Denn sie werden sich darauf
einrichten müssen, daß ein solches Bündnis sie teuer zu
stehen kommt. Wir werden versuchen, dies zu verhin-
dern.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte jetzt zum eigentlichen Thema dieser Ak-
tuellen Stunde zurückkommen, zu den Rentenplänen der
Bundesregierung.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In diesem Zusammenhang muß auch ich auf das Papier
des Bundeskanzlers Schröder verweisen. Es ist übrigens
witzig, daß er nach England fahren mußte, um die Pläne
zur Rentenanpassung zu verkünden. Hier hat er sich das
offensichtlich nicht getraut.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

In diesem Papier ist festgelegt, daß die Sozialversiche-
rungssysteme reformiert werden müssen. Wenn Sie das
erreichen wollen, dann frage ich, warum Sie zuerst die
richtigen Reformen zurücknehmen, um sie anschließend
in einer verschärften und unsozialen Form wieder einzu-
führen. Genau das ist es, was Sie jetzt planen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es ist schlecht für die Rentner, wenn sie am heutigen

Tag hören müssen – Sie wollen das gut zwei Tage vor
der Europawahl vertuschen –, daß die Haushaltslöcher,
die der fahnenflüchtige frühere Bundesfinanzminister
Oskar Lafontaine mit verursacht hat,


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Gerd Andres [SPD]: Das ist ja unglaublich! – Konrad Gilges [SPD]: Noch so ein Spruch!)


jetzt durch eine Halbierung der Rentensteigerungen in
den Jahren 2000 und 2001 gestopft werden sollen. Dies
ist in höchstem Maße unsozial. Dies ist Wählerbetrug.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Konrad Gilges [SPD]: Jetzt weiß ich, weshalb Sie nur noch 2,5 Prozent kriegen! Die PDS ist ja schon stärker als Sie!)


Die alte Regierung und die sie tragenden Fraktionen
haben einen demographischen Faktor in die Rentenver-
sicherung eingeführt. Danach hätten die Rentner mit ei-
nem zwar etwas kleineren, aber sicheren und ständigen
Anstieg ihrer Renten rechnen können. Das, was Sie jetzt
einführen wollen – ich bin ziemlich sicher, daß Sie es
auch einführen werden; Sie versuchen das jetzt nur zu
vertuschen –, belastet die Rentner deutlich stärker als
alles, was die alte Regierung beschlossen hatte.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wenn ich mich hier umschaue, dann frage ich mich,

wo eigentlich der Kollege Dreßler geblieben ist, der hier
mit unübertroffenem Zynismus die alte Bundesregierung
gegeißelt hat.


(Gerd Andres [SPD]: Wollen Sie den auch hierherzitieren? Noch eine Unterbrechung?)


Haben Sie ihn stillgelegt? Was sagt er zu Ihren Renten-
plänen?

Ich bin sicher, daß die Bundestagswahl im September
letzten Jahres auch ein Stückchen durch die Ankündi-
gungen der die jetzige Bundesregierung stellenden Par-
teien in der Sozialpolitik gewonnen worden ist. Was Sie
jetzt machen – Sie haben die Neue Mitte mit Ihrem Ge-
setz über die 630-Mark-Jobs und über die Scheinselb-
ständigkeit sowieso schon vertrieben; diesen Punkt
möchte ich festhalten –, ist glatter Wählerbetrug an den
Rentnern.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Aber gerade die Rentenversicherung braucht Kontinui-
tät, Stabilität und Verläßlichkeit. Sie machen das genaue
Gegenteil.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Dirk Niebel [F.D.P.]: Riesters Rentenbetrug!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404201900
Das Wort für die
PDS-Fraktion hat der Kollege Dr. Gregor Gysi.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1404202000
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Natürlich war die Beseitigung des
Schlechtwettergeldes in der letzten Legislaturperiode ei-
ne der traurigsten Entscheidungen der alten Koalition.
Durch diese Entscheidung hat sich die soziale Lage
Zehntausender Bauarbeiterinnen und Bauarbeiter in den
Wintermonaten ganz erheblich verschlechtert. Dadurch
gab es sehr viel Unruhe auf den Baustellen. Aber Sie
haben auch für sehr viel Unruhe auf den Baustellen ge-
sorgt, weil Sie das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Ar-
beit am gleichen Ort nicht durchgesetzt haben, wohl
wissend aller Folgen, die das bekanntlich hatte. Insofern

Dr. Irmgard Schwaetzer






(B)



(A) (C)



(D)


ist es selbstverständlich zu begrüßen, wenn die neue Ko-
alition eine Regelung zur Wiedereinführung des
Schlechtwettergelds vorlegt.

Aber ich möchte in diesem Zusammenhang hinzufü-
gen, daß die alte Regelung, die beseitigt worden ist, bes-
ser war als die, die jetzt eingeführt werden soll, allein
schon deshalb, weil die Bauarbeiter dann, wenn die
Baubetriebe nicht aus witterungsbedingten, sondern aus
anderen Gründen kündigen, ihre Überstunden umsonst
angesammelt haben. Dann war ihr Ansammeln „für
naß“. Wenn die jetzt geplante Regelung eingeführt wird,
dann befinden sich die Bauarbeiter in dieser Beziehung
in derselben Situation wie vorher.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS – Zuruf von der SPD: Das ist Unfug! – Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Das hat er nicht verstanden!)


Dennoch bin ich der Meinung, daß es sehr vernünftig ist,
das Schlechtwettergeld wieder einzuführen.

Ich möchte auf das eigentliche Schwerpunktthema
zurückkommen, nämlich auf die Ankündigung Ihres
Ministeriums, Herr Riester, die Rentensteigerungen im
nächsten und übernächsten Jahr zu senken, also die
Renten nicht mehr an die Nettolohnentwicklung anzu-
passen. Das bedeutet faktisch immer eine Rentenkür-
zung, wenn man sich die Gesamtkostenstrukturent-
wicklung in diesem Zusammenhang anschaut.

Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Das ist nun wirklich ein
starkes Stück. Das widerspricht eindeutig allen Wahl-
versprechen der SPD vor der Septemberwahl 1998. Sie
können natürlich sagen, das steht heute noch nicht fest.
Ich befürchte, Sie werden auch keine Auskünfte geben,
weil Sie sagen, das ist alles noch in der Diskussion und
Vorbereitung. Aber auch das ist nur die Wiederholung
der Fehler, die Sie früher gerügt haben, nämlich vor der
Wahl nicht die Wahrheit zu sagen. Das ist nicht hin-
nehmbar.

Sagen Sie heute wenigstens klipp und klar, was Sie
diesbezüglich vorhaben. Gewinnen oder verlieren Sie
die Wahlen, aber gewinnen oder verlieren Sie sie ehrlich
und nicht dadurch, daß Sie die Leute vor der Wahl im
unklaren lassen, um nach der Wahl die Sparpläne be-
kanntzugeben.


(Beifall bei der PDS – Gerd Andres [SPD]: Wir gewinnen immer ehrlich!)


Man darf in der Gesellschaft selbstverständlich spa-
ren. Man darf das aber nicht bei den Alten tun, die ihre
Arbeit und ihre Beiträge bereits geleistet haben. Man
darf das nicht bei den Kranken tun und auch nicht bei
den Kindern und der Jugend, die die Zukunft bedeuten.
Diese müssen ebenso wie Kultur und Bildung Tabube-
reiche sein.


(Beifall bei der PDS)

Im Dezember 1998 die alte Regierung zu schelten,

die Senkung des Rentenniveaus wieder zurückzuneh-
men, um im Juni 1999 die Kürzung der Renten für das
nächste Jahr anzukündigen, ist wirklich ein starkes

Stück. Dann hätten Sie es auch bei der alten Regelung
lassen können.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich sage Ihnen jetzt, worin der Unterschied besteht
und was die Sache sogar gefährlicher macht. Wir haben
die alte Regelung kritisiert – wir werden auch Ihre Vor-
schläge ganz deutlich kritisieren. Aber das hatte wenig-
stens noch eine gesetzliche Grundlage. Das, was Sie
jetzt einführen, ist Willkür anstelle einer gesetzlichen
Grundlage. Sie wollen Jahr für Jahr entscheiden, um
wieviel Sie erhöhen oder nicht erhöhen werden. Dann
weiß man, ein Jahr vor der Wahl wird erhöht, und an-
schließend wird drei Jahre lang gesenkt. Nein, das geht
nicht, dann ist Berechenbarkeit wichtiger als Willkür
und Unberechenbarkeit. Deshalb meine ich, man hätte
diesen Weg überhaupt nicht gehen dürfen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich sage Ihnen jetzt etwas zu den Plänen zur Renten-
senkung, auf die es hinausläuft. Ich habe gehört, auch
bei den Arbeitslosen soll gesenkt werden. Es wird im-
mer dramatischer. Ich meine, die Leute haben nicht nur
einen Regierungswechsel gewählt, sie wollten einen Po-
litikwechsel. Sie wollten nicht, daß sich der Sozialabbau
noch dramatischer fortsetzt.

Ich habe das Papier von Blair und Schröder gelesen.
Das ist Neoliberalismus in Reinkultur. Ich verstehe den
Urheberrechtsstreit, den die F.D.P. jetzt mit Schröder
führen will.


(Heiterkeit und Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


In dem Papier steht kein Satz, den nicht auch Gerhardt
und Westerwelle hätten unterschreiben können. Natür-
lich sind die jetzt ein wenig sauer, weil sie es schon seit
Jahren sagen und Schröder es jetzt verkündet. Ein sol-
cher Urheberrechtsstreit, befürchte ich, würde zugunsten
der F.D.P. ausgehen.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Das sagt aber nichts Gutes über die F.D.P., es sagt nur
etwas Schlechtes über den Bundeskanzler.


(Heiterkeit bei der PDS)

Ich finde es einfach verheerend, wenn der Kanzler

den Sprachgebrauch übernimmt und mit „modern“ Sozi-
alabbau und Deregulierung, das heißt, Einschränkung
der Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
gleichsetzt.


(Beifall bei der PDS)

Ich finde das überhaupt nicht modern. Das Ziel soziale
Gerechtigkeit ist nicht verstaubt, sondern ein höchst ak-
tuelles, das gerade im nächsten Jahrhundert besonders
wichtig wird.

Deshalb geht die Entwicklung, die Schröder einge-
leitet hat – dabei unterscheidet ihn von Blair nur, daß er
es während seiner Regierungszeit macht und nicht vor-

Dr. Gregor Gysi






(A) (C)



(B) (D)


her in seiner Partei klärt, was ein beachtlicher Unter-
schied ist –, wirklich zu weit. Das verletzt auch sozial-
demokratische Traditionen in großem Umfang.

Ich lese das Ganze als Angebot zur Koalition entwe-
der an die CDU oder an die F.D.P. Insofern ist mir auch
klar, was in Bremen passiert. Das heißt, daß die in dieser
Gesellschaft von sozialen Kürzungen Betroffenen in Ih-
rer Partei niemanden mehr haben, der ihre Interessen
vertritt. Es ist schon eine Veränderung dieser Gesell-
schaft, wenn auch die Sozialdemokratie nur noch Sozi-
alabbau und Deregulierung fordert.


(Beifall bei der PDS)

Das ist der eigentliche Skandal. Deshalb bin ich der

Meinung, hier muß mehr Ehrlichkeit her. Es muß gesagt
werden, was man vorhat. Wenn Sie mit neuen Personen
einfach das fortsetzen, was die alte Koalition gemacht
hat, dann hätte man sich den Regierungswechsel auch
schenken können. Das ist nicht das, was die Leute im
September 1998 gewählt haben.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Noch etwas ist bedauerlich: Damit verleiht der
Kanzler der Politik der alten Koalition im nachhinein die
Weihe. Wenn er heute dasselbe verkündet, dann hatte
die alte Koalition doch recht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aus diesem Widerspruch werden wir Sie nicht entlas-
sen. Wir finden: Sie hatten nicht recht, und auch der
Kanzler hat nicht recht. Das ist der Unterschied zwi-
schen uns, und der bleibt auch bestehen.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404202100
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Andreas Storm, CDU/CSU-Fraktion.


(Gerd Andres [SPD]: Jetzt kommt der Rentenrechner Storm mit dem demographischen Faktor!)



Andreas Storm (CDU):
Rede ID: ID1404202200
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Der Bundesarbeitsminister hat in
der vergangenen Woche verkündet, er habe dem Bun-
desfinanzminister Sparvorschläge in einer Größenord-
nung von 12,8 Milliarden DM für das nächste Jahr un-
terbreitet. Nun weiß jeder, der die Struktur des Sozial-
etats kennt: Dieses Einsparziel ist ohne massive Ein-
schnitte bei der Rente bis hin zur Nullrunde nicht er-
reichbar. Alle fragen: Wie wird denn nun gekürzt, Herr
Minister? – Aber der Sozialminister schweigt.


(Gerd Andres [SPD]: Aber Sie haben schon einmal gerechnet!)


Am Wochenende wurde bekannt, daß das Arbeitsmi-
nisterium eine Halbierung der Rentenanpassung in den
beiden kommenden Jahren vorgeschlagen hat. Detail-

lierte Berechnungen wurden vorgelegt. – Aber der So-
zialminister schweigt.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das grenzt ja an Wahlbetrug! – Gerd Andres [SPD]: Aber Sie haben es schon einmal nachgerechnet!)


Am Montag erklärte der Rentenberater des Bundesar-
beitsministers, Professor Rürup, im „Focus“ zu den Plä-
nen für eine faktische Aussetzung der Rentenanpassung
wörtlich:

Ich hoffe nicht, daß die Regierung zu solch einer
Maßnahme greift. Ein solcher Schritt würde das
Vertrauen in unsere Alterssicherung endgültig zer-
stören und die Regierung sozialpolitisch disqualifi-
zieren.

So weit Ihr Rentenexperte, Herr Riester. – Aber der So-
zialminister schweigt.


(Gerd Andres [SPD]: Sie haben es aber nachgerechnet!)


Am Dienstag erklärte DAG-Vorstandsmitglied Lutz
Freitag, der auch alternierender Vorstandsvorsitzender
der BfA, mithin des größten Rentenversicherungsträ-
gers, ist, eine Halbierung der Nettoanpassung sei sozial
unerträglich. Der Grundsatz, daß die Renten mit einjäh-
riger Verzögerung dem Zuwachs der Nettolöhne folgen,
dürfe nicht fallengelassen werden wie eine heiße Kartof-
fel. – Aber der Sozialminister schweigt!


(Gerd Andres [SPD]: Sie haben aber nachgerechnet!)


Gestern, lieber Herr Andres, erklärte der Staatssekre-
tär im Arbeitsministerium im „ZDF“, diese Einsparun-
gen müßten kommen. Bundesfinanzminister Eichel er-
gänzt, es werde bei der Rente zwar keine Kürzungen,
aber auch nicht immer einen Zuwachs geben. Im Klar-
text: Die Bundesregierung kündigt durch die Hintertür
die Rente nach Kassenlage an. – Der Sozialminister
schweigt.


(Gerd Andres [SPD]: Sie haben es schon einmal nachgerechnet!)


Herr Riester, Ihre rentenpolitische Bilanz fällt verhee-
rend aus. Drei Akte in nur acht Monaten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Erster Akt. Der demographische Faktor in der Ren-

tenformel wird ausgesetzt, weil die damit verbundene
Minderung der Rentenerhöhung um ein halbes Prozent
pro Jahr als untragbar hoch und somit unsozial erklärt
wird.

Zweiter Akt. Durch die erste Stufe der Ökosteuer
zum 1. April wird der Realwert der Renten um 1 Prozent
gemindert. VdK-Präsident Walter Hirrlinger hat vorge-
rechnet, daß ein Rentnerhaushalt mit 2 000 DM im Mo-
nat durch die Preissteigerungen in der Folge der Öko-
steuer mit 20 DM monatlich belastet wird. Falls die
Rentenanpassung im kommenden Jahr nach Kassenlage
erfolgt, hat das zur Folge, daß die Rentner nicht an den
sich aus der Senkung der Rentenbeiträge ergebenden
Nettoeinkommenszuwächsen der Arbeitnehmer teilha-

Dr. Gregor Gysi






(B)



(A) (C)



(D)


ben können. Das wäre ganz klar Betrug. Die Rentner
müßten einseitig die Belastungen aus der ökologischen
Steuerreform tragen, ohne daß sie von den Entlastungen
profitieren könnten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dritter Akt. Eine Halbierung des Rentenanstiegs in

den nächsten beiden Jahren hätte eine Kürzung der Lei-
stungsansprüche um 3 bis 4 Prozent zur Folge. Mit an-
deren Worten: Die dadurch verursachten Einschnitte wä-
ren bereits zum Jahresende 2001 höher als bei Beibe-
haltung der demographischen Komponente in der Ren-
tenformel bis zum Jahre 2005.


(Gerd Andres [SPD]: Aber Sie haben schon einmal nachgerechnet!)


Besonders schlimm: Durch die beabsichtigte Rente
nach Kassenlage wird nicht nur das Vertrauen in die
Rentenpolitik erschüttert. Es wird vor allen Dingen kein
einziges der langfristigen strukturellen Probleme der
Rentenversicherung gelöst. Die Regierung stopft ledig-
lich diejenigen Löcher,


(Zurufe von der SPD: Eure Löcher!)

die sie durch ihre teuren Wahlversprechen und nicht
zuletzt durch die Rücknahme der Reform von Norbert
Blüm selbst geschaffen hat. Sie betreiben reine Flick-
schusterei. Die Rentner werden bei Ihnen als Spar-
schweine mißbraucht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Durch Tricks und Schönrechnen versucht das Bun-

desarbeitsministerium, die wahre Lage der Rentenfinan-
zen zu verschleiern. Wir haben schon im März vorge-
rechnet, daß wegen der Aussetzung des demographi-
schen Faktors und der von Ihnen beschlossenen Steuer-
reform der Beitragssatz bereits im übernächsten Jahr auf
20 Prozent und bis 2005 auf 21 Prozent steigt.


(Gerd Andres [SPD]: Das hätten Sie gern!)

Was macht der Arbeitsminister? Er greift in die Trick-

kiste; er ignoriert bei seinen Berechnungen die Steuerre-
form und den Demographiefaktor. Aber Professor
Rürup, Ihr Berater, hat am Montag im „Focus“ die Katze
aus dem Sack gelassen: Ohne Abstriche am Leistungs-
niveau werde der Beitragssatz schon nächstes Jahr auf
20,5 Prozent steigen. Eine Lücke von 15 Milliarden DM
klafft in der Rentenkasse.


(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Meine Damen und Herren, das riecht nach Rentenlüge.

Herr Minister, brechen Sie endlich Ihr Schweigen und
sagen Sie den Menschen die Wahrheit! Sonst müssen
wir bei der nächsten Rentendebatte die Bilanz ziehen:
Erst folgt er dem Walter Arendt. Wann folgt er dem La-
fontaine?


(Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404202300
Als nächster Redner
spricht für die Bundesregierung der Bundesminister für
Arbeit und Sozialordnung, Walter Riester.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [F.D.P.]: Jetzt kommt eine Schweigeminute für die Rentner! – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Jetzt vertauscht er das Gewerkschaftsbuch kurzfristig mit dem Parlament!)


Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da-
men und Herren! Ich höre einiges Widersprüchliches.


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Sie können ja alles erklären!)


Von Herrn Gysi – –

(Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)


– Ich habe gehört, Sie wollen, daß ich hier spreche.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vom Fraktionsvorsitzenden Gysi höre ich, das

Arbeitsministerium hätte verlauten lassen, wo gekürzt
werden soll. Dann wird mir mitgeteilt, ein Abgeordneter
sei der Auffassung, ich hätte in jüngster Zeit Äußerun-
gen gemacht, die erklärungsbedürftig seien. Nun höre
ich von Herrn Storm: Der Arbeitsminister schweigt.


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich frage mich, wie Schweigen so erklärungsbedürftig
sein kann.

In der Tat habe ich mich zu einzelnen möglichen Ge-
sichtspunkten der Haushaltskonsolidierung nicht geäu-
ßert. Ich will Ihnen auch sagen, warum.


(Zurufe von der CDU/CSU: Wahlen!)

– Ich hoffe, Sie haben daran Interesse. – Ich habe mich
nicht dazu geäußert, weil ich bis jetzt nur mit dem Fi-
nanzminister über mögliche Gesichtspunkte der Haus-
haltskonsolidierung gesprochen habe


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Klar! Die Katze lassen Sie erst nach den Wahlen aus dem Sack!)


und weil die Entscheidung darüber am 30. Juni im Ka-
binett getroffen wird und ich vorher mit den Regierungs-
fraktionen darüber sprechen werde, welche Gesichts-
punkte wir angehen.


(Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [F.D.P.]: Die sind doch beratungsresistent!)


Was haben wir jetzt erlebt? Ich glaube, es ist für den
Bürger sehr gut, das einmal nachzuvollziehen: Nachdem
der Finanzminister das erste Mal erklärt hat, daß er den

Andreas Storm






(A) (C)



(B) (D)


Schuldenberg, den Sie während ihrer 16jährigen Amts-
zeit angerichtet haben,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


bereinigt, indem er die Haushaltskonsolidierung angeht,
kam von der Opposition der Aufschrei: Das schafft der
nie! Er schafft es nicht, die Schulden abzubauen, die wir
aufgebaut haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Nun sagen Sie doch einmal, was ansteht!)


Danach hat die jetzige Regierungsmannschaft erklärt:
Wir stehen dazu; wir packen das an. Wir werden die
Schulden nicht weiter steigen lassen. – Dann hatte die
Opposition auf einmal die Erkenntnis, daß es gar nicht
möglich sei zu sparen.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das geht schon! Aber sagen Sie uns, wo! – Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das haben Sie doch rückgängig gemacht!)


Nun wird Punkt für Punkt in die Diskussion hineinge-
schrien; es beginnt eine regelrechte Kampagne. Mein
Vorgänger, der immer mit dem Spruch, die Renten seien
sicher,


(Zuruf von der CDU/CSU: Der war gut!)

geglänzt hat, sagte: Verunsichert mir bitte die Rentner
nicht! Eine verlogenere Kampagne habe ich bisher noch
nicht erlebt. Denn Sie selbst machen bewußt Stimmung
und verunsichern damit die Rentner.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen aber eines: Jedem, der diese Kam-
pagne verfolgt, wird zumindest eine Sache ganz klar:
Haushaltskonsolidierung und Abbau von Schulden wa-
ren noch nie Ihre Sache.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie sind selbst heute als Opposition nicht in der Lage –
das wäre für mich ein Stück Übernehmen von politi-
scher Verantwortung –, bei der Korrektur und dem Ab-
bau der strukturellen Schulden mitzuarbeiten, die Sie
über Jahre vor sich hergeschoben haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der F.D.P.: Sagen Sie mal was zu den Renten! Wann kürzen Sie die Renten? – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Werden Sie doch mal konkret!)


Das wäre das mindeste an politischer Verantwortung,
was ich erwarten würde.


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sie haben doch unsere Reform zurückgenommen!)


Das wäre auch das mindeste, was der Bürger von Ihnen
erwarten kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Denn zwischenzeitlich sind wir in der Situation, daß je-
de vierte Mark im Haushalt wegen des Schuldenberges,
den Sie angerichtet haben, für Zinslasten ausgegeben
wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Weil wir nicht in dieser Form weiter Schulden ma-
chen wollen, hat der Finanzminister gesagt: Wir werden
uns der Herausforderung stellen.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Sie haben doch die Reformen zurückgenommen! – Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Renten!)


Deswegen sage ich Ihnen: Wir werden uns auch in unse-
rem Bereich der Herausforderung stellen. Wenn Sie je-
doch dokumentieren, daß Sie an keinem einzigen Punkt
bereit und in der Lage sind zu sparen,


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sie haben es doch zurückgenommen!)


um das abzutragen, was Sie an Schulden aufgetürmt ha-
ben, dann zeigen Sie damit dem Bürger, wie unfähig Sie
selbst in der Opposition hinsichtlich der Korrektur dieser
Punkte sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte Ihnen zum Abschluß noch folgendes sa-
gen: Hören Sie auf mit dieser Argumentation, und zwar
nicht aus Fairneß gegenüber der Regierung – das kann
man von Ihnen gar nicht erwarten –, sondern aus Fair-
neß gegenüber dem Bürger, der einen Anspruch darauf
hat, daß er nicht Tag für Tag verunsichert wird.

Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Kein Wort zur Rente! – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Wer nichts sagt, zeigt ja, daß er genau das tun wird! Wer nichts sagt, macht sich schuldig!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404202400
Als nächste Redne-
rin spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die
Kollegin Thea Dückert.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1404202500

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen,
gerade auch von der CDU/CSU! Ich verstehe sehr gut,
daß Sie so wenige Tage vor der Europawahl zu jedem
Wahlkampfmittel greifen, das Ihnen gerade in die Quere
kommt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dirk Niebel [F.D.P.]: Was machen Sie denn die ganze Woche mit uns? Was war denn Dienstag, und was ist heute?)


Bundesminister Walter Riester






(B)



(A) (C)



(D)


Aber ich werde diese vordergründigen Spekulationen
über den Konsolidierungskurs nicht kommentieren, weil
Sie hier vordergründigen Wahlkampf betreiben


(Lachen bei der F.D.P.)

und weil Sie – das finde ich viel relevanter – mit dieser
Debatte jede vernünftige Reformdiskussion schon im
Vorfeld vergiften.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Noch etwas tun Sie: Sie schüren wieder Ängste bei den
alten Menschen.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Wir doch nicht! Der Riester sagt doch nichts!)


Es gibt einen guten parlamentarischen Brauch, der da
lautet: Lassen wir mal ein bißchen Wasser den Rhein
herunterfließen, bevor ein ehemaliger Ressortchef sich
hier in eine solche Debatte einmischt. Herr Kollege
Blüm, Sie hätten gut daran getan, sich an diesen alten
Brauch zu halten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich habe Sie immer als einen seriösen und engagier-
ten Streiter für eine Rentenreform erfahren. Was Sie hier
gemacht haben, war billiger Populismus,


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Mir kommen die Tränen!)


das war Schüren von Existenzängsten bei den Rentne-
rinnen und Rentnern mit der Behauptung einer Renten-
kürzung, die Sie selbst in die Welt gesetzt haben und die
Sie für Ihre Kampagne hier bemühen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Sie werden das doch tun! Geben Sie es doch zu!)


Sie sind sich nicht einmal zu schade dafür, bezüglich der
Arbeit unseres Ministers hier einen Honecker-Vergleich
aufs Tapet zu bringen.


(Beifall bei der SPD)

Ich finde, das entlarvt Sie selbst, und das zeigt, wie we-
nig Interesse Sie haben, hier eine reelle Diskussion zu
führen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir kennen das schon; das ist das gleiche Muster wie
in der Debatte im Frühjahr. Damals haben CDU, CSU
und F.D.P. immer wieder behauptet, in diesem Jahr
werde es keine Rentensteigerung geben.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Was? Haben Sie das geträumt?)


– Sie haben das behauptet. – Das war Ihre Rentenlüge.
Das wissen Sie ganz genau. Die Rentenanpassung wird
zum 1. Juli erfolgen. Die Wahrheit ist, daß Sie diese
Rentenanpassung verhindern wollten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dirk Niebel [F.D.P.]: Holen Sie doch mal das Protokoll raus!)


Mehr noch: Wir haben die Beitragssätze zur Renten-
versicherung am 1. April dieses Jahres gesenkt, nach
vielen, vielen Jahren schamloser Steigerungen dieser
Beiträge in der Zeit Ihrer Politik.


(Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Eine Lüge!)

Wir haben über die Ökosteuer die Möglichkeit gefun-
den, hier einen ersten Schritt zu gehen. Wir werden die-
sen Weg fortsetzen.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Was nutzt das den Rentnern?)


– Ich weiß – das zeigen auch Ihre Zwischenrufe –: Sie
sind kampagnenwillig, bei jeder Thematik, die Emotio-
nen schürt. Das nutzen Sie hier und heute im Angesicht
der Europawahl aus.

Es ist selbstverständlich richtig – darüber sollten wir
mit kühlem Kopf diskutieren –, daß der Konsolidie-
rungsbedarf, den Herr Eichel genannt hat, besteht. Ge-
nauso richtig ist, daß wir diese Erblast abzubauen haben,
weil Sie nicht den Mut hatten, eine Haushaltspolitik zu
machen, die die zukünftige Generation nicht belastet,
weil Sie nicht den Mut hatten, reale Reformen des Sozi-
alstaates anzugehen. Das werden wir ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jede vierte Mark für die Zinsen, das ist zuviel. Wir
wollen einen fairen Ausgleich zwischen den Genera-
tionen. Wir wissen, daß die Konsolidierung jeden
Haushaltsbereich betreffen wird, auch den Sozialhaus-
halt.

Wir haben zweierlei zu schultern: erstens den Konso-
lidierungsbedarf und zweitens den Bedarf echter Refor-
men. Denn das Sozialsystem, das Sie uns hinterlassen
haben, muß so umgestaltet werden, daß es den Heraus-
forderungen des nächsten Jahrtausends und den Verän-
derungen – zum Beispiel in den Erwerbsbiographien,
hinsichtlich der Flexibilität der Lebensläufe, des Ein-
und Austritts in Erwerbstätigkeit, in selbständige Tätig-
keit – gerecht wird. Für diese Veränderungen haben Sie
überhaupt keine Vorsorge getroffen.

Wir werden beides angehen. Wenn wir das bewälti-
gen, dann haben wir in diesen Jahren mehr geschafft, als
es bei Ihnen je denkbar war, nämlich eine Reform des
Sozialstaats, die auf die Veränderungen flexibel, mit
Finanzierungssicherheit und mit einem fairen sozialen
Ausgleich reagiert.

Das ist das Ziel unserer Politik. Ich sage Ihnen eines:
Das werden wir in Ruhe diskutieren. Das lassen wir uns
nicht von Ihnen zerreden. Denn wir wissen ganz genau,
daß wir gerade für die Rentenreform einen breiten ge-
sellschaftlichen Konsens – über die Generationen, über
die Geschlechter und über die unterschiedlichen gesell-
schaftlichen Gruppen hinweg – brauchen. Das werden
wir angehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. Thea Dückert






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404202600
Als nächster Redner
spricht für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Norbert
Blüm.


(Gerd Andres [SPD]: Schon wieder Nobbi, der Dauerredner! Jetzt bleib aber bei der Wahrheit, Norbert!)



Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1404202700
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Der Arbeitsminister hat sein
Schweigen gebrochen – und nichts gesagt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Arbeitsminister, die Frage läßt sich ganz einfach

beantworten: Planen Sie eine Manipulation der Renten-
anpassung? Soll die Rente gekürzt werden, ja oder nein?
So einfach ist das.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Dr. Gregor Gysi [PDS])


Diese Frage, Herr Kollege Riester, hätte ich Ihnen in den
16 Jahren zu jeder Zeit – im Frühjahr, im Herbst, im
Winter, morgens, abends – beantworten können: Zu kei-
ner Zeit haben wir die Rentenanpassung manipuliert.


(Lachen bei der SPD)

– Sie verwechseln mich mit Ehrenberg; das ist Ihre Tra-
dition.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Kollege Riester, Ihre Partei hat einen Wahl-

kampf geführt mit der Behauptung, ein besseres Kon-
zept zu haben. Neun Monate sind Sie nun im Amt. Neun
Monate, verehrte Frau Kollegin, ist Wasser den Rhein
heruntergeflossen. Neun Monate haben Sie kein Kon-
zept vorgelegt, obwohl Sie im Wahlkampf behauptet
haben, das bessere zu haben. Eine Rente, die von jährli-
chen Entscheidungen einer Regierung abhängt, die nicht
in einen Regelmechanismus eingebaut ist, die nicht in
eine – das Jahr überlebende – Gesetzesform gegossen
ist, ist eine – das wiederhole ich im vollen Bewußtsein
dessen, was ich sage – Rente à la Honecker. So ist in der
DDR Rentenpolitik gemacht worden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zurufe von der SPD: Pfui!)


Ganz langsam zum Mitschreiben: Das ist – so wie da-
mals in der DDR – eine Willkürrente – Anpassung nach
Laune der Regierenden, Anpassung nach Kassenlage.
Das hat es in den 16 Jahren unserer Regierungszeit nicht
gegeben.


(Zurufe von der SPD)

– Sie können natürlich ein Konzept vorlegen, das ande-
rer Art ist. Dann diskutieren wir das.

Sehr verehrte Frau Kollegin Dückert, Sie sprechen
die Verunsicherung in bezug auf die Rente und die
Angst der Rentner an. Seit wann machen Leute, die eine
Frage stellen, den Menschen Angst? Angst machen die-
jenigen, die keine Antwort geben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wir haben nicht nur ein Konzept vorgelegt, sondern sind
mit einem Gesetz in den Wahlkampf gegangen – und
nicht nur mit Ankündigungen. Dieses Gesetz haben Sie
zurückgenommen, ohne den Menschen zu sagen, was
Sie an die Stelle dieses Gesetzes setzen wollen. Das
nenne ich Verunsicherung. Das nenne ich unsolide Sozi-
alpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wie kommen Sie zu der Behauptung, wir hätten in

diesem Jahr die Anpassung verhindern wollen? Wo ha-
ben Sie das her? Ein Blick in die Gesetzeslage – von uns
beschlossen, von Ihnen abgelehnt – beweist, daß die
demographische Formel mit einer Rentenerhöhungs-
minderung von 0,5 Prozent gezogen hätte, aber nicht
eine Minderung der Rentenerhöhung um 1,5 Prozent, al-
so eine Halbierung im nächsten Jahr.

Das, meine Damen und Herren, haben Sie im Wahl-
kampf als Rentenkürzung, als Kaputtschlagen und als
Kahlschlag bezeichnet. So haben Sie die Rentner auf die
Barrikaden geschickt. Aber jetzt kommen Sie daher und
planen willkürlich eine Halbierung. Warum planen Sie,
Herr Riester, nicht eine Viertelung oder eine Verminde-
rung um zwei Drittel, weil die Kassenlage es erfordert?
„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ In diesem
Fall bestrafen Sie die Rentner. Sie bestrafen die Rentner,
indem Sie die Reform, die wir gemacht haben, aussetzen
und doppelt und dreifach nachholen müssen, was wir
mit Augenmaß in einer Rentenreform beschlossen und
vor den Wahlen den Wählern gesagt haben.

Herr Riester, ich fordere Sie in aller Kollegialität
auf – –


(Zurufe von der SPD: Oh!)

– Ich kann ihn auch als Gewerkschafter auffordern! –
Ich bleibe dabei: Das ist eine Rente à la Honecker. Ich
habe nicht gesagt, Herr Riester sei Honecker.

Herr Riester, beantworten Sie folgende Frage: Was
beabsichtigen Sie mit der Anpassung? Soll sie halbiert
werden oder nicht? Beantworten Sie sie vor dem 13. Ju-
ni und nicht danach. Die Rentner wollen die Antwort bis
zum Wahltag wissen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das, verehrte Frau Kollegin, hat nichts mit Angstma-
chen zu tun, sondern mit Ehrlichkeit und Klarheit.

Zur Rentenversicherung. Ich weiß, daß die Bäume
nicht in den Himmel wachsen. Was wir in diesem Be-
reich brauchen, ist ein verläßliches Regelsystem, das
nicht von den jährlichen Entscheidungen einer Regie-
rung oder einer Regierungsmehrheit abhängig ist, ein
Regelmechanismus, den man berechnen kann, eine de-
mographische Formel, die verantwortbar ist. Was wir
aber nicht brauchen, ist eine Rente gemäß dem Motto
„Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“. Vor
den Wahlen Versprechungen zu machen und diese an-
schließend wieder einzukassieren – das nenne ich unso-
lide. Herr Riester, ich erwarte von Ihnen, daß Sie in die-
ser Diskussion ja oder nein sagen. Soll die Anpassung
halbiert werden, ja oder nein? Das ist die Frage, die wir
heute stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)







(B)



(A) (C)



(D)


Sie brauchen, um sie zu beantworten, keine Ausflüge
zur Sparphilosophie zu machen; Sie müssen nicht der
ganzen Welt erklären, was Sie – nachdem Sie 30 Milli-
arden DM mehr ausgegeben haben – nicht alles sparen
können. Sie können die Frage mit einem Wort beant-
worten: ja oder nein. Das ist die Frage, die heute hier an
diesem Pult beantwortet werden muß.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404202800
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat der Kollege Kurt Bodewig.


(Gerd Andres [SPD]: Hat der auch zehn Minuten wie Blüm?)



Kurt Bodewig (SPD):
Rede ID: ID1404202900
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Allein der Titel dieser Aktuellen
Stunde entlarvt Ihr Ziel. Er lautet: Haltung der Bundes-
regierung über die bekanntgewordenen Pläne des Bun-
desarbeitsministers. – Wem sind sie wo bekanntgewor-
den? Das ist reine Spekulation.

Kollege Blüm hat soeben nach dem Motto „Blüm –
Klappe, die zweite!“ genau das wiederholt, was er in
seiner vorherigen Rede in einer Eingangsreflexion ge-
sagt hat. Kollege Blüm, Ihrer Ankündigung, daß eine
einjährige Abstinenz manchmal sinnvoll ist, sind Sie
heute leider nicht nachgekommen.


(Beifall bei der SPD)

Sie hätten gut daran getan, dieser Ankündigung nachzu-
kommen. Eines sollten Sie in jedem Fall tun: Sie sollten
sich für Ihren ungehörigen Honecker-Vergleich ent-
schuldigen.


(Beifall bei der SPD)

Jede Woche treiben Union und F.D.P. – heute in

trauter Eintracht mit der PDS – eine, wie wir im Rhein-
land sagen, neue Sau durchs Dorf. Dabei sprechen Sie
immer in Halbwahrheiten. Lassen Sie mich Ihren Halb-
wahrheiten ein paar Wahrheiten entgegensetzen, die et-
was mit dem Sozialstaat und den Handlungsspielräumen
in dieser Gesellschaft zu tun haben,


(Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Ja oder nein?)


nämlich die bittere Wahrheit über den Schuldenberg,
den Sie hinterlassen haben: Sie haben Bundesschulden
in Höhe von 1 500 Milliarden DM hinterlassen.


(Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Ja oder nein?)


Damit haben Sie Maßstäbe gesetzt, in denen wir uns
bewegen müssen. Wir haben pro Jahr Zinsverpflichtun-
gen in Höhe von 90 Milliarden DM und eine Zinssteuer-
quote von 25 Prozent. Das sind die Maßstäbe, die Sie
formuliert und die Sie gesetzt haben.

Der Grund für die heutige Aktuelle Stunde ist ja der
Wahlkampf.


(Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Ja oder nein?)


Angesichts des Wahlkampfes sprechen Herr Schäuble,
Herr Austermann und der Bundesvorstand der CDU in
einer Erklärung davon, daß wir Rentenpolitik nach Kas-
senlage betreiben. Das scheint die offizielle Sprachre-
gelung für den Europa-Wahlkampf zu sein.


(Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Ja oder nein?)


Machen Sie es sich nicht etwas leicht? Könnte es sein,
daß es Ihnen wie der F.D.P. ergehen wird, die in Bremen
für ihr Wahlkampfgetöse die entsprechende Antwort be-
kommen hat, nämlich nur 2,5 Prozent der Stimmen und
somit weniger Stimmen als PDS und DVU?


(Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Ja oder nein?)


Sie sollten darüber nachdenken, was eine Verrohung
der Sitten bedeutet, von der Kollege Ramsauer in einer
Presseerklärung gesprochen hat. Er belegt dies mit For-
mulierungen wie „Rentendiebe“, „Stehler“, „Hehler“,
„Bandenchef Schröder“ usw. Ich glaube, Sie tun nicht
gut daran, in unserer Gesellschaft mit diesen Maßstäben
und Formulierungen Sachdebatten zu führen. Sie errei-
chen damit im Gegenteil etwas, was angesichts eines
solch diffizilen Systems, wie es das Rentensystem ist,
fatale Folgen hat: Gerade das Rentensystem lebt davon,
daß die Menschen Vertrauen in seine Funktionsfähigkeit
haben.


(Beifall bei der F.D.P. – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Dann sagen Sie doch, was Sie vorhaben!)


Dieses Vertrauen zerstören Sie mit Ihrer Art und Weise
der Darstellung.

Frau Schwaetzer – Sie machen Ihrem Namen ja im-
mer alle Ehre –,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der F.D.P.)


es stellt sich einfach die Frage: Wo sind denn Ihre
Hemmschwellen, wenn Sie unbewiesene Spekulationen
als Tatsachen darstellen?


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das ist unterste Schublade! Typisch Gewerkschafter!)


Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Das erinnert mich dar-
an, daß ein Mieter in seiner Wohnung eine Brandbombe
mit Zeitzünder hinterläßt, das Haus brennt und Sie auf
den Nachmieter zeigen und rufen: Brandstifter!.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Beschreiben Sie Ihre Rolle, oder was?)


Damit dies deutlicher wird, will ich es daran belegen,
wie Sie, Kollege Blüm, Rentenpolitik betreiben – ich
will Ihr Gedächtnis auffrischen –: Im Jahre 1983 haben
Sie als erstes die fällige Rentenerhöhung vom 1. Januar
auf den 1. Juli verschoben. Sie haben zum 1. Juli 1983
eine Beteiligung der Rentner in Höhe von 1 Prozent an
der Krankenversicherung eingeführt.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Keine Ahnung!)


Dr. Norbert Blüm






(A) (C)



(B) (D)


Dies haben Sie in den folgenden Jahren um weitere Pro-
zentpunkte bis auf 5,2 Prozent im Jahr 1986 erhöht.


(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: System war das!)


Herr Blüm – hören Sie zu; denn es waren Ihre Worte,
daß Sie nicht manipuliert haben; hiermit will ich Ihnen
das Gegenteil belegen –, Sie haben 1991 die sozialen Si-
cherungssysteme im Sinne eines Verschiebebahnhofes
zur Finanzierung der deutschen Einheit benutzt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Das ist gar nicht wahr!)


Auch das ist nachweisbar. Sie haben den Rentenzahlern
immer mehr Leistungen aufgebürdet.

Das kann man so fortsetzen: 1994 haben Sie am Bei-
tragssatz manipuliert, indem Sie ihn vor der Bundes-
tagswahl im Jahre 1994 auf 19,2 Prozent hochgezogen
und vor der Wahl im gleichen Jahr auf 18,6 Prozent
wieder abgesenkt haben. Das ist die von Ihnen immer
wieder herausgestellte Solidität.

Sie haben mit dem Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz
die Zwangsverrentung von Arbeitslosen, die Anspruch
auf Altersrente haben, eingeführt. Sie haben mit dem
Altersteilzeitgesetz das Vorziehen der Anhebung der
Altersgrenze von 60 Jahren für die Altersrente wegen
Arbeitslosigkeit zuerst auf 63 und jetzt auf 65 Jahre be-
wirkt. Die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente
wegen Arbeitslosigkeit ist nur mit versicherungsmathe-
matischen Abschlägen möglich: minus 3,6 Prozent pro
Jahr. Das sind Eingriffe in Rentenbestandteile und in
Leistungen für Rentner. Das haben Sie eben mit dem
Begriff Manipulation gut beschrieben.

Sie haben mit dem Rentenreformgesetz – damit
komme ich zu Herrn Storm – die schrittweise Absen-
kung des Standardrentenniveaus auf 64 Prozent durch
Einführung eines demographischen Faktors beschlossen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das war noch etwas Verläßliches im Gegensatz zu dem, was Sie machen!)


Das hat auch Professor Rürup noch einmal deutlich kri-
tisiert, weil Sie gerade nach unten keinerlei Absicherung
des demographischen Faktors eingeführt haben.

Sie haben die Anhebung der Altersgrenze für
Schwerbehinderte eingeführt und die arbeitsmarktbe-
dingten Erwerbsminderungsrenten abgeschafft. Das sind
ganz massive Eingriffe, die Rentner auch in ihrem
Portemonnaie deutlich spüren können.

Ich will Ihnen auch sagen: Die schwierige Lage, in
der sich die Rentenversicherung befindet, ist das Ergeb-
nis Ihrer Regierungszeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und F.D.P.)


Sie haben jahrelange Belastungen der Rentenkassen
durch sogenannte versicherungsfremde Leistungen ver-
ursacht.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Wer hat denn die Rentenreform zurückgenommen?)


Sie haben nie die Transparenz eingeführt, die wir brau-
chen. Durch die Zustimmung zur Mehrwertsteuererhö-
hung im letzten Jahr, bei der wir einen Teil der Mehr-
einnahmen dazu verwendet haben, die Rentenkassen zu
entlasten, haben wir Verantwortung gezeigt.

Regierungsverantwortung ist mir immer lieber als die
Frustration, die ich zur Zeit bei Ihnen feststelle.


(Lachen bei CDU/CSU – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Die Gesichter bei der SPD sind ganz schön frustriert!)


Zu dem, was wir vorgestern von Ihrem Fraktionsvorsit-
zenden gehört haben, sage ich Ihnen: Man muß schon
ganz schön wirr oder zynisch sein, wenn man meint,
schon die Freude über einen wahrscheinlichen Frieden
mache uns zu Komplizen von Milosevic. Eine solche
Behauptung ist ungehörig; das ist kein Stil. Deswegen
appelliere ich an Sie: Lassen Sie diese Rhetorik, und
kehren Sie wieder zurück zu einer konstruktiven Ver-
antwortung! Dies wäre im Sinne aller Beitragszahler und
aller Rentenbezieher.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Ja oder nein? – Walter Hirche [F.D.P.]: Wieder kein Wort zur aktuellen Rentensituation!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404203000
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Johannes Sing-
hammer.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1404203100
Herr Präsi-
dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Ar-
beitsminister Riester, Sie hätten hier und heute die Gele-
genheit gehabt, mit einem einzigen Satz für Klarheit zu
sorgen, nämlich indem Sie gesagt hätten: Nein, diese
Pläne wollen wir nicht verwirklichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Weil Sie das nicht getan haben, müssen 19 Millionen
Rentnerinnen und Rentner in Deutschland nach wie vor
davon ausgehen, daß die Rentenerhöhung halbiert wer-
den wird.


(Gerd Andres [SPD]: Herr Singhammer: Huhu!)


Deshalb sage ich Ihnen: Wenn es einen Straftatbestand
„Täuschung von Rentnern vor Wahlen“ gäbe, für den
Freiheitsentzug vorgesehen wäre, dann wäre die Regie-
rungsbank noch leerer, als sie heute ohnehin schon ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Vor der Wahl hatten wir unser Rentenkonzept mit der

demographischen Komponente beschlossen und auf den
Weg gebracht. Sie haben das als Teufelszeug kritisiert
und angekündigt, Sie wollten es wieder ändern. Sie ha-
ben die Rentenreform der vergangenen Bundesregierung
in einer ersten Phase auch tatsächlich ausgesetzt – das ist
richtig. Aber nun kommt das Heimtückische: Jetzt be-

Kurt Bodewig






(B)



(A) (C)



(D)


ginnen Sie nämlich, weit mehr als alles andere die Ren-
tenerhöhungen herunterzufahren.


(Gerd Andres [SPD]: Woher wissen Sie das?)

Die Mehrausgaben, die durch die Aussetzung der Ren-
tenreform notwendig waren, betragen 4 Milliarden DM.
Ihre Pläne, die Sie heute nicht dementiert haben, bedeu-
ten Rentenkürzungen von 14 Milliarden DM. Das heißt,
4 Milliarden DM geben Sie, und dann kassieren Sie
14 Milliarden DM wieder ein, also das Dreieinhalbfa-
che. Das nenne ich unehrlich und schäbig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Blümsche Reform sah mit dem demographischen

Faktor eine moderate Berücksichtigung der Verlänge-
rung der Lebenserwartung bei der Rentenanpassung vor.
Passen Sie nun genau auf – jetzt kommt der entschei-
dende Punkt –: Innerhalb von 30 Jahren sollte das Ren-
tenniveau von derzeit zirka 69 Prozent um 5 Prozent auf
64 Prozent sinken, damit die Rente sicher und der Gene-
rationenvertrag in einem stabilen Gleichgewicht bleibt.
So weit richtig. Mit Ihren Plänen allerdings, Herr Rie-
ster,


(Zuruf von der SPD: Die kennen Sie doch gar nicht!)


senken Sie das Rentenniveau schon innerhalb von zwei
Jahren um 2,4 Prozent auf 66,6 Prozent. Das ist unge-
recht und verwerflich, weil diese Mittel nicht zur Sanie-
rung Ihres Haushalts aufgewandt werden dürfen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: So ist das!)

Sie tun noch ein Zweites: Künftig benutzen Sie die

Rente nach Kassenlage als Steinbruch zum Stopfen von
Haushaltslöchern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dieser Systembruch wird gravierende Folgen haben. Die
Rentner, von denen viele auf eine klare Perspektive an-
gewiesen sind, werden diese künftig nicht mehr haben,
weil sie nicht wissen, wie die Kassenlage ist. Wenn ich
sehe, welche Mehrkosten beispielsweise auf Grund des
Kosovo-Kriegs auf die öffentlichen Kassen zukommen,
muß ich sagen: Bei Ihnen ist die Kassenlage im Zweifel
schlecht.


(Zuruf von der SPD: Selbsterkenntnis!)

Wenn ich sehe, wie schlecht der Bundeskanzler in bezug
auf Europa verhandelt hat, – er hat den deutschen Bei-
trag nicht verringert –, dann sage ich Ihnen voraus, daß
die Kassenlage eher ungünstiger als günstiger werden
wird.

Die Folgen für die 35 Millionen Beitragszahler wer-
den nicht ausbleiben; denn wer keine Sicherheit mehr
hat, für seine eingezahlten Beiträge später ein entspre-
chendes Äquivalent für seine Lebensleistung in ausrei-
chender Höhe zu bekommen, der wird immer weniger
bereit sein, seine Beiträge zu zahlen. Vielmehr wird er
versuchen, Umwege zu finden, um weniger Beiträge
zahlen zu müssen. Damit wird der Generationenvertrag
in eine Schieflage kommen, für die Sie mit Ihrer Kam-
pagne, mit Ihren Ankündigungen und mit Ihren Plänen
die Voraussetzungen geschaffen haben.

Deshalb komme ich noch einmal abschließend zu Ih-
nen, Herr Riester: Sie haben jetzt und hier die Gelegen-
heit, alles klarzumachen. Sagen Sie vor dem 13. Juni
klipp und klar, ob Sie Ihre Pläne umsetzen werden oder
nicht. Ich fordere Sie ein letztes Mal auf: Sagen Sie der
deutschen Öffentlichkeit, was Sie wirklich vorhaben!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404203200
Für die SPD-
Fraktion spricht nun der Kollege Gerd Andres.


(Zuruf von der F.D.P.: Noch ein Gewerkschaftssekretär! – Dirk Niebel [F.D.P.]: Einer nach dem anderen! – Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Ja oder nein?)



Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1404203300
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Meine erste Bemerkung
richte ich an den Abgeordneten Norbert Blüm.


(Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Ja oder nein!)

Ich fordere Norbert Blüm auf, das, was er in seinem
zweiten Debattenbeitrag gesagt hat, zurückzunehmen.
Ich erinnere den Kollegen Blüm daran, daß er im Som-
mer letzten Jahres, als wir eine Debatte über die soziale
Grundsicherung führten, schon einmal im Deutschen
Bundestag Walter Riester mit Erich Honecker vergli-
chen hat. Ich sage jetzt ausdrücklich – wir haben damals
anschließend ein privates Gespräch darüber geführt –,
daß der frühere Bundesarbeitsminister damals zu erken-
nen gegeben hat, daß ihm bei dieser Bemerkung die
Gäule etwas durchgegangen sind.


(Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Nein!)

Ich fordere Dich, Norbert Blüm, als Bundestagskolle-

gen und als früheren Bundesarbeitsminister auf, diesen
Vergleich des Bundesarbeitsministers mit Erich Honek-
ker zurückzunehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Die zweite Bemerkung, die ich machen möchte,
richtet sich auch an den früheren Arbeitsminister Nor-
bert Blüm:


(Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Ja oder nein?)


Eines ist leider klar – da kannst Du noch dreimal „Ja
oder Nein“ dazwischenrufen –: Wir haben von einer
Bundesregierung, die mehr als 16 Jahre regiert hat, ei-
nen Haushalt geerbt, der ein strukturelles Defizit von 30
Milliarden DM aufweist.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Seien Sie lieber leise! – Der Abgeordnete Blüm hat
auf Grund seiner früheren Position als Bundesarbeitsmi-
nister eine große Verantwortung dafür, daß die Kassen-
lage des Bundes heute so aussieht, wie sie ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


Auch meine nächste Bemerkung richtet sich an den
Abgeordneten Norbert Blüm: Der Bundesetat besteht zu
rund einem Drittel aus dem Haushalt des Arbeits- und
Sozialministers. Der Haushalt für Arbeit und Soziales
wird also seinen Beitrag dazu leisten müssen, das struk-
turelle Defizit von 30 Milliarden DM auszugleichen.
Dort werden in den unterschiedlichsten Feldern Ent-
scheidungen notwendig sein, die etwas damit zu tun ha-
ben, wie schludrig und wie schlampig Sie über 16 Jahre
mit den Staatsfinanzen umgegangen sind. Damit auch
dies völlig klar ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nun sage ich noch etwas zu dem ehrenwerten Herrn
Storm. Er muß sich nun einmal entscheiden. Herr Pro-
fessor Rürup war bekanntermaßen der Erfinder des De-
mographiefaktors in der Rentenformel. Sie müssen sich
nun entscheiden, welcher Berater Herr Professor Rürup
war: der von Norbert Blüm oder der von uns.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Der der Kommission!)


Wir haben die demographische Rentenformel aufge-
hoben. Das haben wir im Wahlkampf zugesagt. Das ha-
ben wir gemacht. Wir sind jetzt dabei, darüber zu disku-
tieren, wie ein Sparkonzept aussieht. Das werden wir öf-
fentlich machen können, weil die Entscheidungen noch
gar nicht gefallen sind. Sie fallen zum 30. Juni.


(Zuruf von der F.D.P.: Nach der Wahl!)

Jetzt sage ich noch einmal etwas zu Norbert Blüm.

Man kann sich daran beteiligen, Gerüchte in der Presse
zu streuen und sonstwo in die Welt zu setzen, anschlie-
ßend hier eine Debatte führen und sagen, die Bundesre-
gierung solle sich dazu äußern. Wenn wir uns dazu äu-
ßern – nicht so wie hier der CSU-Kollege –, dann sagen
Sie: Sie haben nicht dementiert, also wird es stattfinden.
Was stattfindet, wird in den nächsten Wochen entschie-
den.

Ich sage noch einmal ausdrücklich: Bei einem Anteil
von 12,8 Milliarden DM, der an Einsparung zu erbrin-
gen ist, werden auch Bereiche erfaßt werden, bei denen
wir notwendige Anpassungen vornehmen müssen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

Aber ich füge gleich hinzu: – –


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Jetzt kommt der Eiertanz!)


– Es kommt kein Eiertanz, Frau Schwaetzer. Im übrigen
habe ich einen Hinweis an Sie. Herr Niebel und Sie ma-
chen hier immer so qualifizierte Zwischenrufe. Lassen
Sie sie doch sein! Ich gebe Ihnen noch einen Tip: Nach
Bremen würde ich an Ihrer Stelle meine Partei umbe-
nennen. Statt F.D.P. würde ich sie „Fast Drei Prozent“
nennen. Dann sind Sie zureichend bedient. Das reicht
auch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der F.D.P.)


– Ja, fast drei Prozent. Deswegen würde ich keine so
dicke Lippe riskieren. Wir warten einmal ab, was am
kommenden Sonntag herauskommt. Dann können Sie
hier noch qualifiziertere Zwischenrufe machen.

Damit bin ich bei einem zweiten Kapitel – damit wir
uns hierbei auch nicht vertun –:


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist der vierte Gewerkschaftssekretär, der hier redet!)


Ich habe hier das Abkommen in der Hand, das vom
Verband der Deutschen Bauindustrie, vom Bauhand-
werk, von der IG BAU und von der Bundesregierung
unterschrieben ist. Auch hier rede ich über die Glaub-
würdigkeit oder Nichtglaubwürdigkeit von Norbert
Blüm, damit wir uns auch hierbei richtig verstehen.
Nachdem Sie eine jahrzehntelange, auf Tarifvereinba-
rungen basierende Schlechtwettergeldregelung völlig
leichtfertig kaputtgemacht haben, ist im Winter
1995/1996 die Zahl der arbeitslosen Bauarbeiter auf
über 360 000 Menschen angestiegen. Die angebliche Er-
sparnis, auf die Arbeitsminister Blüm immer hingewie-
sen hat, hat sich dahin gehend entwickelt, daß die Bun-
desanstalt für Arbeit kräftig Arbeitslosengeld für ar-
beitslose Bauarbeiter zahlen mußte.

Im Frühjahr danach gab es eine Tarifvereinbarung –
Norbert Blüm, immer gut zuhören, denn wir reden dar-
über, worum es geht – zwischen den Gewerkschaften
und der Bauwirtschaft. Dann kam dieser ehemalige
Bundesarbeitsminister und sagte: Die Tarifvertragspar-
teien haben sich geeinigt, es wäre schön, wenn der Ge-
setzgeber mit entsprechenden Anpassungen des Geset-
zes dieser Einigung folgen könnte.

Was ist jetzt passiert? Das will ich Ihnen sagen. Die
Tarifvertragsparteien haben sich erneut geeinigt.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Zu Lasten Dritter!)

Sie werden heute in der „Frankfurter Rundschau“ einen
Artikel finden, der überschrieben ist: „Bauindustrie lobt
Schröder“.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Ein ziemlich linkes Blatt!)


Ignaz Walter lobt darin ausdrücklich diese Vereinbarung
der Tarifvertragsparteien. Damit Sie sich Ihr dummes
Argument – das sage ich einmal so; das geht auch
an den Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU – „zu La-
sten Dritter“ so richtig auf der Zunge zergehen lassen
können – –


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404203400
Herr Kollege, Sie
haben schon über eine Minute überzogen. Ich muß Sie
darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelau-
fen ist.


Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1404203500
Ich habe eine Minute überzo-
gen.

Ich sage Ihnen vorher, daß die neue Regelung nicht
zu Mehrausgaben für die öffentliche Hand oder für die
Bundesanstalt für Arbeit führen wird. Vielmehr wird die

Gerd Andres






(B)



(A) (C)



(D)


neue Regelung, die wir getroffen haben, dazu führen,
daß im Winter weniger Bauarbeiter aus witterungsbe-
dingten Gründen entlassen werden.


(Beifall bei der SPD)

Das wird dann auch dazu führen, daß wir Einsparun-

gen bei der Winterbauumlage für die Bauwirtschaft er-
zielen können. Das ist die Wahrheit.


(Zurufe von der CDU/CSU)

Wir werden sie in den nächsten Beratungen im Aus-
schuß für Arbeit und Sozialordnung und hier im Haus
mit den entsprechenden Anpassungen in einer geson-
derten Debatte noch einmal deutlich darstellen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404203600
Das Wort – eben-
falls für die SPD-Fraktion – hat der Kollege Konrad
Gilges.


Konrad Gilges (SPD):
Rede ID: ID1404203700
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Der Kollege Andres hat ja
schon gesagt, daß die Regelung zum Schlechtwettergeld
eine gute Regelung ist.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Rotgrünes Rentenroulette!)


Wichtig ist, daß wir damit ein Wahlversprechen einge-
halten haben.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben in unserem Wahlprogramm stehen: Wir wer-
den die Regelung der alten Regierung im Interesse der
Bauarbeiter korrigieren. Das steht ausdrücklich da drin.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Peter Rauen [CDU/CSU]: Das werden wir im Winter erfahren!)


Deshalb handelt es sich hierbei um das Erfüllen eines
Wahlversprechens.

Daß Sie das ärgert, kann ich verstehen und auch
nachvollziehen. Als wir in der Opposition waren, haben
wir uns auch immer geärgert, wenn Sie Ihre Wahlver-
sprechen, selbst wenn sie schlecht für die Bürgerinnen
und Bürger waren, hier gegen unseren Willen und gegen
unsere Stimmen durchgezogen haben. Es ist aber nun
einmal so, daß wir jetzt die Mehrheit haben und nicht
mehr Sie. Daran müssen Sie sich gewöhnen. Der Zu-
stand, daß wir die Mehrheit haben, wird auch noch lange
andauern. Richten Sie sich auf eine lange Oppositions-
zeit ein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Blüm, Sie sind ja, wie wir alle wissen, ein Re-

chenkünstler. Ich kann mich erinnern, daß Sie im Ple-
num des Deutschen Bundestages und auch im Ausschuß
gesagt haben, mit der Abschaffung der Schlechtwetter-
geldregelung werden 700 Millionen DM eingespart.

Diese Regelung ist ja, wie Sie wissen, 1959/60 von der
Regierung Konrad Adenauer eingeführt und damals ein-
hellig von den Arbeitgebern, den Gewerkschaften und
der SPD-Opposition begrüßt worden; nun wurden diese
Errungenschaften der Regierung Konrad Adenauer vom
Enkel Kohl abgeschafft. Was ist aber geschehen, Herr
Rechenkünstler Blüm? Die Bundesanstalt für Arbeit hat
die neue Regelung 1,5 Milliarden DM gekostet. Das
heißt, durch die Abschaffung des Schlechtwettergeldes
haben sich die Kosten für die Bundesanstalt für Arbeit
zum Nachteil des Steuerzahlers, zum Nachteil der Ar-
beitnehmer und der Arbeitgeber, die ja Beiträge zahlen,
verdoppelt. Dazu hat die F.D.P. geschwiegen. Sie hat
das alles mitgemacht. Deren Abgeordnete schreien ja
immer nur, wenn sie polemisch werden können. Aber
wenn es um die Sache und um echte Fragestellungen
geht, schweigen sie. Ihre Rechnerei hat also nicht ge-
stimmt, und deshalb mußte das korrigiert werden.

Ich glaube, daß die Vereinbarung, die mit Unterstüt-
zung der Regierung von den Tarifvertragsparteien ge-
troffen wurde, sehr gut ist. Sie, Herr Rauen, sagen, die
Unternehmer seien erpreßt worden, damit diese Verein-
barung zustande kommt. Ich habe in den 20 Jahren, in
denen ich in diesem Hohen Hause angehöre, noch nie so
etwas Dummes gehört.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Als Gewerkschaftsfunktionär muß ich Ihnen sagen: Man
kann keinen Unternehmer erpressen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das Niveau wird immer niedriger!)


Umgekehrt lasse ich das schon einmal gelten, aber ich
habe noch nie erlebt, daß man einen Arbeitgeber erpres-
sen kann. Man kann ihn schon einmal bestreiken; dann
muß er nachgeben. Aber wenn der Arbeitgeber einer
freiwilligen Vereinbarung zustimmt, die ja dieser Rege-
lung zugrunde liegt, ist er nicht erpreßt worden, sondern
dann liegt diese Regelung auch in seinem Interesse. Die-
se Vereinbarung liegt im Interesse der Arbeitgeber und
der Arbeitnehmer.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN )


Die Damen und Herren von der F.D.P. haben uns in
der letzten Legislaturperiode auf das heftigste be-
schimpft, weil wir an einer freiwilligen Vereinbarung
Kritik geübt haben. Jetzt kommt eine freiwillige Verein-
barung zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitneh-
mern, also den Tarifvertragsparteien, zustande, aber
auch jetzt beschimpfen Sie uns wieder. Irgendwo stimmt
etwas in Ihrer Logik nicht. Etwas Besseres können Sie
doch überhaupt nicht verlangen als eine solche freiwilli-
ge Vereinbarung,


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Aber die letzte Vereinbarung war doch richtig!)


weil sie völlig unserem Verständnis der Sozialpartner-
schaft entspricht. Ich als jemand, der eher auf der radi-
kalen Seite der Gewerkschaften steht, habe damit ei-
gentlich mehr Schwierigkeiten, als Sie damit haben
dürften. Die Situation in diesem Hohen Hause ist wirk-

Gerd Andres






(A) (C)



(B) (D)


lich kurios. Ich habe manchmal den Eindruck, Sie ma-
chen Opposition um der Opposition willen und nicht um
der Sache willen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zum Schluß sage ich: Es ist gut, daß Bauarbeiter
dank der Vereinbarung nicht mehr Saisonarbeiter sind;
es ist gut, daß die Jahreseinkommen für Bauarbeiter ver-
stetigt werden; auch die Bautätigkeit wird dadurch ver-
stetigt, daß die Bauarbeiter ganzjährig beschäftigt sind.
Kurzum, es handelt sich um eine gute Vereinbarung.
Wir werden dazu ein gutes Gesetz erlassen. Die Bauar-
beiter werden sich freuen. Ich hoffe, das gleiche gilt
auch für die Arbeitgeber.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Gerd Andres [SPD]: Die Aktuelle Stunde ist voll in die Hose gegangen!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404203800
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, auch in einer Aktuellen Stunde ist eine
Erklärung zur Aussprache nach § 30 unserer Geschäfts-
ordnung möglich. Ich weise allerdings darauf hin, daß in
dieser Erklärung nur solche Äußerungen zurückgewie-
sen werden dürfen, die sich in der Aussprache auf die
eigene Person bezogen haben.

Ich gebe das Wort nach § 30 dem Kollegen Norbert
Blüm.


(Gerd Andres [SPD]: Norbert, die dritte! Ran an die Rampe! – Gegenruf der Abg. Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Hochmut kommt vor dem Fall!)



Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1404203900
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ich habe Walter Riester nicht
mit Erich Honecker verglichen. Mein Vergleich besteht
darin: Der Eingriff einer Regierung in eine Rentenfor-
mel unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit, zum
Beispiel wegen der Kassenlage, ist vergleichbar mit der
Rentenregelung der DDR, wo es jährlich Rentenerhö-
hungen auf Grund von Entscheidungen der Regierung
gab. Es geht also um Willkür oder eine verläßliche
Rentenformel. Deshalb halte ich meinen Vergleich, was
den Eingriff dieser Regierung in die Rentenformel an-
geht, mit der Honecker-Regelung aufrecht, ohne Riester
mit Honecker zu vergleichen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Gerd Andres [SPD]: Pfui, Norbert Blüm! Du hättest besser geschwiegen! – Weiterer Zuruf von der SPD: Jetzt wird das Parlament auch noch veralbert!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1404204000
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.

Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-

destages auf morgen, Freitag, den 11. Juni 1999, 9 Uhr
ein. Ich mache allerdings darauf aufmerksam, daß sich
dieser Termin noch ändern kann. Sollte dies der Fall
sein, werden Sie rechtzeitig benachrichtigt.

Die Sitzung ist geschlossen.