Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 246. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Müller , Schriftführer: Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Ahrens, Dirscherl, Dr. Köhler, Eberhard, Dr. Laforet, Müller (Worms), Dr. Dr. Nöll von der Nahmer, Dr. Hoffmann (Lübeck), Mensing und Gockeln.
Danke schön!
Ich habe bekanntzugeben, daß der Herr Abgeordnete Dr. Holzapfel mit Schreiben vom 20. Januar sein Mandat im Deutschen Bundestag niedergelegt hat.
— Herr Abgeordneter Heiland, Sie rufen: „Wirklich?" — Wenn ich es bekanntgebe, stimmt es.
Dann darf ich dem Herrn Abgeordneten Troppenz zu seinem 64. Geburtstage heute herzliche Glückwünsche aussprechen.
Ich rufe auf den Punkt 1 der Tagesordnung:
Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Bekanntgabe der Note der Bundesregierung vom 28. Juni 1951 über das sogenannte Anerkenntnis der Auslandsschulden an den Bundestag .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 15 Minuten und, falls eine Aussprache beschlossen wird, eine Aussprachezeit von 60 Minuten vor. — Das Haus ist damit einverstanden. Zur Begründung Herr Abgeordneter Dr. Luetkens!
Dr. Luetkens , Anfragender: Meine Damen und Herren! Ich glaube, im Mai des Jahres 1951 wurden Ihnen mit der Drucksache Nr. 2218 eine Reihe von Dokumenten vorgelegt, der erste Teil eines Notenwechsels mit der Alliierten Hohen Kommission über die sogenannte deutsche Schuldenerklärung. Dieser erste Teil endete mit einem beiderseitigen Notenaustausch vom 6. März des Jahres 1951.
In der 217. Sitzung dieses Hohen Hauses lag ein Antrag der sozialdemokratischen Fraktion vor, die späteren zu diesem sogenannten Schuldenanerkenntnis vorliegenden Noten dem Bundestag zur Kenntnis zu bringen, da sie ein integrierender Bestandteil des gesamten Notenwechsels und deshalb zum Verständnis der ganzen Angelegenheit notwendig seien.
In der 222. Sitzung am 10. Juli 1952 — also vor mehr als sechs Monaten — beschloß dieses Hohe Haus auf Antrag des Auswärtigen Ausschusses, die Bundesregierung möge den noch nicht bekanntgegebenen Notenaustausch dem Bundestag zugänglich machen. Der Auswärtige Ausschuß hatte sich bei seiner Befürwortung dieses Antrags von der Erwägung leiten lassen, daß nur die Kenntnis aller Noten die Mitglieder dieses Hohen Hauses in die Lage versetzen würde, die Teile VI und VIII des
Vertrages zur Regelung von aus Krieg und Besatzung entstandenen Fragen sachgemäß zu beurteilen und zu würdigen.
Anstatt nun diese Dokumente dem Bundestag zur Kenntnis zu bringen, hat die Bundesregierung allein den Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses die fehlenden Noten zustellen lassen, als ob diesen das Material nicht bekannt gewesen wäre und als ob nicht die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses an der Bearbeitung und Abfassung der Noten von Beginn an teilgenommen hätten. „Eulen nach Athen tragen" heißt, glaube ich, etwas Überflüssiges tun. Die Bundesregierung war von diesem Hohen Hause nicht ersucht worden, etwas Überflüssiges zu tun. Die Eulen der Athene saßen in diesem Fall bereits im Auswärtigen Ausschuß. Die Bundesregierung war aufgefordert worden, etwas Notwendiges zu tun. Sie sollte alle Abgeordneten dieses Hohen Hauses in die Lage versetzen, bei den Lesungen des Generalvertrags ihre Stimme in Kenntnis der sachlichen Zusammenhänge abzugeben. So war das Votum des Auswärtigen Ausschusses, das diesem Hohen Hause am 10. Juli 1952 vorgetragen wurde.
Die Regierung hatte es mit dem Anliegen einer Fraktion und dann mit dem Anliegen der Mehrheit des Bundestages zu tun, also von Gruppen, deren demokratischen Charakter sie ja wohl selbst nicht bestreiten möchte. Wenn man ihr Verhalten in dieser Sache mit der Bereitwilligkeit vergleicht, mit der sie auf ein ähnliches Anliegen der kommunistischen Fraktion 'zu einem früheren Zeitpunkt einging, kann man nicht ganz umhin, sich zu fragen, warum der Herr Bundeskanzler — ich bedaure, daß er nicht dort ist und ich ihn apostrophieren muß — gelegentlich den Eindruck erweckt, als ob ihm an der parlamentarischen und der demokratischen Mitwirkung dieses Hohen Hauses wenig gelegen sei.
Ich sagte schon, daß der Auswärtige Ausschuß die Vorlage aller Dokumente deshalb für erforderlich hielt, weil nur ihre Kenntnis es ermögliche, die Bestimmungen der Teile VI und VIII des Überleitungsvertrags richtig einzuschätzen. Bei diesen Vertragsbestimmungen stehen ja schwere wirtschaftliche Belastungen für Millionen von Bürgern und für die ganze Bundesrepublik in Frage. Es handelt sich um ernste Transfer-, Außenhandels-und Haushaltsfragen dieser Bundesrepublik. Anläßlich der zweiten Lesung der Verträge ist der Bundestag leider in kaum hinlänglicher Weise über die Zusammenhänge durch Berichte unterrichtet worden, weil der Auswärtige Ausschuß aus gewissen Gründen verhindert worden ist, einen Bericht zu dieser Frage vorzulegen. Das gesamte Notenmaterial, um das es hier geht, war den Mitgliedern dieses Hauses nicht bekannt. Der Kollege Dr. Kopf, der seinerzeit den Antrag des Auswärtigen Ausschusses auf Vorlage aller 'Dokumente hier vortrug, hat mit seiner Begründung damals doch wohl sagen wollen, daß das Hohe Haus in Gefahr stehe, sich selbst zu bescheinigen, daß jedenfalls in einem wichtigen Punkt die Mitglieder in Gefahr kämen, ohne sachkundige Beurteilungsmöglichkeit zu beschließen.
Als der Auswärtige Ausschuß seine Zustimmung zur deutschen Note vom 6. März gab, war diese Zustimmung an die Voraussetzung geknüpft, daß die Frage des deutschen Auslandsvermögens im
Zusammenhang mit der Schuldenfrage zur Erörterung gestellt werden solle. Durch den Uberleitungsvertrag und seine Teile VI und VIII soll nun aber eine Regelung getroffen werden, welche den volkswirtschaftlich zwingenden Zusammenhang zwischen der Behandlung des deutschen Auslandsvermögens und der Reparationen einerseits, der Frage der deutschen Auslandsschulden andererseits auflöst. Die im Vertrag vorgesehene Regelung soll ferner die Bundesrepublik verpflichten, alle Maßnahmen, die gegen das deutsche Auslandsvermögen ergriffen wurden, obgleich sie völkerrechtswidrig waren, hinzunehmen, und so würde auch von dieser Seite her die wirtschaftlich gebotene, die auch weltwirtschaftlich gebotene Verbindung zwischen Vermögen und Schuldenfrage nicht hergestellt. Endlich soll das Auslandsvermögen für die Befriedigung von Reparationsansprüchen verhaftet bleiben, ohne daß die Reparationsfrage, wenigstens was die westlichen Mächte angeht, auch nur für den Geltungsbereich des Grundgesetzes endgültig geregelt würde. So bliebe die Zusammenziehung des gesamten Wirtschafts- und Transferproblems auch noch auf eine dritte Weise blockiert.
Meine Damen und Herren, ich habe versucht, darzutun, warum im Lichte der Begründung des Auswärtigen Ausschusses die Vorlage der fehlenden Dokumente geboten ist. Ich hoffe, man wird nun nicht von Regierungsseite hören, es sei durchaus in das Ermessen der Exekutive gestellt, ob sie die Bekanntgabe von Dokumenten für politisch opportun halte oder nicht. Grundsätzlich würde ich meinerseits diesem Argument nicht widersprechen; aber in diesem Falle vermöchte ich es nicht als berechtigt anzuerkennen. Die Bundesregierung darf bei einer so wichtigen Frage diesem Hohen Hause einfach nicht die Einsicht in Material verweigern, das für seine sachlichen Entscheidungen erforderlich ist.
Ich habe mich nun noch mit einer Erwägung zu beschäftigen, die den ganzen Auswärtigen Ausschuß angeht und damit auch den Bundestag, als dessen Organ jener Ausschuß ja tätig ist. Dabei sehe ich mich vor der Schwierigkeit, daß die Beratungen des Auswärtigen Ausschusses als vertraulich gelten. Wie man aus gewissen Erfahrungen weiß, ist man gelegentlich leicht bei der Hand, Mitgliedern dieses Hohen Hauses im Plenum Bruch der Vertraulichkeit vorzuwerfen. Ich beabsichtige nicht, mich diesem Vorwurf auszusetzen, und werde mich im folgenden an solche Mitteilungen halten, die dem Hohen Hause, sei es aus schriftlichen Berichten, sei es aus mündlichen oder aus Dokumenten, zur Kenntnis gekommen sind.
Die New Yorker Beschlüsse vom Herbst 1950 knüpften die sogenannte kleine Revision des Besatzungsstatuts unter anderem an die Bedingung, die Bundesrepublik müsse, wie es hieß, die Haftung für die deutschen Auslandsschulden übernehmen. Mündlich und schriftlich — so in ihrer Note vom 25. Oktober 1951 — erklärten die Besatzungsmächte, die gesetzgebenden Körperschaften der Bundesrepublik müßten eine eventuelle Schuldenvereinbarung billigen. Der Herr Bundeskanzler seinerseits hat eine solche Ratifizierung durch die gesetzgebenden Körperschaften nicht nur -was ja wohl selbstverständlich ist — als rechtlich, sondern auch als politisch notwendig erklärt. So heißt es denn auch in der deutschen Mantelnote vom 6. März — ich zitiere —:
Der Notenwechsel wird zu gegebener Zeit den gesetzgebenden Körperschaften vorgelegt werden.
Darauf wartet man freilich noch heute.
Da sich die Verhandlungen wegen der Schwierigkeit der Materie im Auswärtigen Ausschuß hinzogen, erklärte sich die Alliierte Hohe Kommission bereit, zunächst eine Erklärung der Bundesregierung anzunehmen, die der Auswärtige Ausschuß gebilligt habe. Solche Zustimmung wollte sie off en-bar politisch als genügende Sicherheit dafür betrachten, daß der Bundestag diese Erklärung später ratifizieren werde. Erst viel später hat man sich gelegentlich gefragt, ob vielleicht jemand in der Alliierten Hohen Kommission mit dem Gedanken gespielt hat, in solcher Zustimmung eines Ausschusses des Bundestages gleichsam schon eine Vorwegnahme der rechtlichen Zustimmung zu erblicken, wie das möglicherweise in der Verfassungspraxis anderer Staaten, aber eben nicht in dem Verfassungsrecht der Bundesrepublik zulässig ist.
In der Mantelnote der Bundesregierung vom 6. März wird nun darauf hingewiesen, die deutsche Erklärung zur Schuldenfrage habe die einstimmige Billigung des Bundestagsausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten gefunden. Dieser Satz wurde in der Erwiderung der Alliierten Hohen Kommission in folgender Weise aufgenommen — ich zitiere —:
Unsere drei Regierungen betrachten die Schreiben
— die der Bundesregierung —
als Beurkundung eines Abkommens über die Fragen der deutschen Schulden.
Wenn es zur Ratifizierung des sogenannten Schuldenanerkenntnisses kommt — und man hofft, daß
die Bundesregierung bald diesem Hohen Hause das Schuldenanerkenntnis zur Ratifizierung vorlegen
wird —, wird die Bundesregierung noch zu erklären haben, in welchem Sinne diese Formulierung der Alliierten Hohen Kommission ohne Widerspruch hat hingenommen werden können. Denn bei der Erklärung der Bundesregierung vom 6. März konnte es sich in keinem Falle um etwas handeln, was ohne Ratifizierung hätte staats- und völkerrechtlich verbindlich sein können. In diesem Sinne hat der Auswärtige Ausschuß seine Zustimmung auch nie gegeben. Darüber hinaus hatte er seine Zustimmung zur Note vom 6. März überhaupt nicht einmal auch nur in dem Sinne gegeben, daß sie eine sachlich abschließende Erklärung sei. Seine politisch, nicht etwa rechtswirksam gemeinte Zustimmung war an die Voraussetzung gebunden, daß gleichzeitig mit dem Schuldenkomplex der Komplex der Auslandsvermögen verhandelt werden könne. Wenn diese Bedingung zunächst nicht ausdrücklich in der Note vom 6. März formuliert wurde, so deshalb, weil — wie es vorsichtig in dem vorliegenden Schriftlichen Bericht des Auswärtigen Ausschusses heißt — die Hohe Kornmission aus verhandlungstechnischen Gründen einen besonderen Wunsch in dieser Richtung geäußert hatte. Als sich bald herausstellte, in welcher Weise dieser Wunsch sich auszuwirken drohte, wurde auf Drängen des Ausschusses der Notenwechsel fortgesetzt.
Die späteren Noten müssen sachlich, politisch und rechtlich — wenigstens vom Standpunkt des Bundestags aus — als untrennbar von den früheren Noten angesehen werden. Das gilt insbesondere für die Note vom 28. Juni. In ihr hat die Bundesregierung festgestellt, daß der Auswärtige Aus-
schuß der Note vom 6. März unter der ausdrücklichen Voraussetzung zustimmt, daß auch die Frage
des Auslandsvermögens behandelt werden könne
und daß bei Fortfall dieser Voraussetzung die im
Auswärtigen Ausschuß vertretenen Parteien sich
veranlaßt sehen könnten, ihre Haltung zu ändern.
Auf diesem Hintergrund wird man verstehen, wie die in den bisher vorgelegten Dokumenten zu findende Feststellung, die sogenannte Schuldenerklärung sei vom Auswärtigen Ausschuß einstimmig gebilligt worden, diesen als ein Organ des Hohen Hauses in eine etwas schiefe Lage zu bringen droht. Wenn nicht aus anderen Gründen, dann aus diesem sollte die Bundesregierung sich für verpflichtet halten, diesem Hohen Hause die fehlenden Dokumente zuzuleiten, die Verantwortung klarzustellen, und so eine freie Erörterung der Vorgänge in ihrer rechtlichen und in ihrer politischen Bedeutung ermöglichen.
Dadurch, daß dieser in Form und Sache unvollständige Notenwechsel bis zum 6. März nun auch noch zum Bestandteil des Achten Teils des Überleitungsvertrags gemacht worden ist, wird solches Vorgehen der Bundesregierung um so notwendiger. Es wird auch um so notwendiger, als durch diesen Vertrag die Bundesrepublik dahin festgelegt werden soll, daß die Schuldenerklärung in der Form vom 6. März erneut bekräftigt werde. Meine Damen und Herren, wie sollte — nebenbei bemerkt — dieses Hohe Haus etwas bekräftigen, was es gar nicht richtig kennt!
Eine Erklärung zur Schuldenfrage kann weder erneut noch überhaupt bekräftigt werden, denn es gibt bisher keine die Bundesrepublik völkerrechtlich und staatsrechtlich bindende Erklärung zur Schuldenfrage oder auch nur eine, die den Auswärtigen Ausschuß oder den Bundestag politisch gebunden hätte.
Im Grunde sieht es so aus, als wolle sich die Bundesregierung durch eine, wenn ich so sagen darf, morganatische Ratifizierung weiterhelfen, damit aber darauf verzichten, gestützt auf den ganzen Bundestag eine Politik zu betreiben, die, wie sie auch weiß, eine Politik der wirtschaftlichen Vernunft und des Rechts wäre. Sie hat sich bei den Verhandlungen insbesondere über den Achten Teil des Überleitungsvertrages von der Position zurückgezogen, die sie selbst schon auf Drängen des Auswärtigen Ausschusses und aller seiner Mitglieder eingenommen hatte, als sie die Note vorn 28. Juni absandte. Mir scheint dies ein sehr bedauerlicher politischer Rückzug zu sein. Die Bundesregierung sollte durch Einschaltung des Bundestags in die Behandlung der Schuldenfrage versuchen, sich wieder zu fangen. Auch aus diesem Grund möchte man hoffen, daß die Bundesregierung endlich dem von diesem Hohen Hause gefaßten Beschluß auf Zuleitung der fehlenden, aber für die Sache notwendigen Dokumente Folge leistet.
Zur Beantwortung der Großen Anfrage hat das Wort der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei darf ich das Folgende ausführen.
Der Schriftwechsel der Bundesregierung mit der Alliierten Hohen Kommission, der auf den Notenaustausch vom 6. März 1951 folgte und der zu dem Schreiben der Bundesregierung vom 28. Juni 1951 führte, kennzeichnet eine Phase in den Verhandlungen über die Frage des deutschen Auslandsvermögens und der deutschen Auslandsschulden, in der eine Klärung der strittigen Probleme noch nicht erreicht war. Im einzelnen handelt es sich um drei Dokumente: erstens das Schreiben des Herrn Bundeskanzlers an den Vorsitzenden der Alliierten Hohen Kommission vom 10. April 1951, zweitens das Schreiben des Vorsitzenden der Alliierten Hohen Kommission an den Herrn Bundeskanzler vom 28. April 1951 und drittens das Schreiben des Herrn Bundeskanzlers an den Vorsitzenden der Alliierten Hohen Kommission vom 28. Juni 1951. Die Bundesregierung stellt nunmehr ihre ursprünglichen Bedenken zurück und hat mich ermächtigt, die genannten Schreiben bekanntzugeben.
Den Herrn Präsidenten bitte ich, mir zu gestatten, von einer Verlesung 'der drei Schreiben Abstand zu nehmen und sie kurzerhand zu überreichen. *)
Die Bedenken, die die Bundesregierung veranlaßt haben, der Veröffentlichung der drei Schreiben nur zögernd zuzustimmen, liegen im wesentlichen darin, daß insbesondere das Schreiben vom 28. Juni 1951 einen Verhandlungsausschnitt wiedergibt, in dem die aufgetretenen Schwierigkeiten in der Frage des 'deutschen Auslandsvermögens nur wenig Hoffnung auf eine befriedigende Lösung zuließen. Die in den drei Schreiben behandelten Probleme haben jedoch inzwischen nach eingehenden mündlichen Verhandlungen, die dem Notenaustausch gefolgt sind, schließlich eine Regelung erfahren, die beiden Teilen annehmbar erschien. So ist es in den nachfolgenden Verhandlungen z. B. gelungen, die Wirkung des Kontrollratsgesetzes Nr. 5 einzuschränken und den Weg zu bilateralen Verhandlungen mit den einzelnen reparationsberechtigten Staaten 'in weitem Umfang zu öffnen. Mit den ehemaligen Gegnern Deutschlands, die nicht Partner des interalliierten Abkommens sind, können sowohl über noch nicht durchgeführte Liquidationen als auch über noch nicht verwendete Liquidationserlöse Vereinbarungen getroffen werden. Endlich ist es gelungen, eine Generalklausel zu vereinbaren, auf Grund deren es der Bundesregierung .freisteht, mit allen Staaten Abkommen über alle das deutsche Auslandsvermögen betreffenden Fragen zu schließen, wenn die Drei Mächte dem nicht ausdrücklich widersprechen. Ferner wird zur Zeit in London nach einer Regelung der deutschen Auslandsschulden gesucht. Die Verhandlungen laufen zufriedenstellend und stehen vor dem Abschluß.
Ich muß gelegentlich 'der Bekanntgabe der soeben überreichten drei Schreiben aus dem Jahre 1951 auf diese Entwicklung hinweisen. Die Lösung, die für die Behandlung des deutschen Auslandsvermögens und der deutschen Auslandsschulden in Zusammenarbeit mit den alliierten Mächten gefunden worden ist und die schließlich ihren Niederschlag in den Bestimmungen des Überleitungsvertrags gefunden hat, läßt zwar manche Wünsche
*) Siehe Anlage 1 Seite 11760
offen, ist aber für Deutschland befriedigender, als nach dem Inhalt des dem Bundestag vorgelegten Schriftwechsels zu erwarten stand.
Zum Schluß möchte ich betonen, daß dem Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten die drei Schreiben bereits zur Kenntnisnahme zugeleitet waren und dem Ausschuß bei der Beratung des Bonner Vertragswerks zur Verfügung standen.
Meine Damen und Herren, die Beantwortung der Großen Anfrage ist erfolgt. Wird eine Aussprache gewünscht? — Ich sehe nicht, daß 30 Abgeordnete eine Aussprache wünschen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Festsetzung einer Betriebsgrenze für ostwärts der deutsch-niederländischen Landesgrenze liegende Steinkohlenfelder vom 18. Januar 1952 ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (Nr. 3917 der Drucksachen).
Es ist ein Mündlicher Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten zu erstatten. Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Kopf. Der Ältestenrat schlägt
Ihnen vor, auf eine allgemeine Aussprache in der dritten Beratung zu verzichten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem Gesetz, dessen Entwurf dem Hohen Hause zur Beschlußfassung vorliegt, handelt es sich um ein Zustimmungsgesetz zu einem Vertrag, der am 18. Januar 1952 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Festsetzung einer Betriebsgrenze für ostwärts der deutsch-niederländischen Landesgrenze liegende Steinkohlenfelder abgeschlossen worden ist. Diesem Staatsvertrag sind zwei privatrechtliche Verträge vorausgegangen. Eigentümer der Bergwerksfelder, um deren weitere Verwertung es sich handelt, ist der Eschweiler Bergwerksverein in Kohischeid bei Aachen. Dieser Feldeseigentümer hat zunächst einen Privatvertrag mit einer niederländischen Bergwerksgesellschaft, der Société Anonyme des Charbonnages Neerlandais in Spekholzerheide, abgeschlossen und hat durch diesen Vertrag Bergwerksfelder mit einem auf 5 bis 6 Millionen t geschätzten Anthrazitkohlenvorkommen verkauft. Derselbe Bergwerkseigentümer, wiederum der Eschweiler Bergwerksverein, hat weiterhin einen Pachtvertrag mit einer belgischen Gesellschaft, der Société Anonyme des Charbonnages Réunis Laura in Brüssel, abgeschlossen. Diese belgische Gesellschaft ist Eigentümerin der den Feldern des Eschweiler Bergwerksvereins benachbarten niederländischen Zeche Julia. Durch diesen Pachtvertrag hat die belgische Eigentümerin Feldesteile auf 15 Jahre gepachtet.
Die beiden Privatverträge haben zur Folge, daß die Regelung gewisser hoheitsrechtlicher Verhältnisse und Beziehungen notwendig geworden ist. Diese hoheitsrechtlichen Verhältnisse haben nunmehr ihre Regelung in dem Staatsvertrag vom 18. Januar 1952 gefunden, der diesem Hohen Hause zur Beschlußfassung vorliegt.
Der Grund, der zum Abschluß der Privatverträge und des Staatsvertrages geführt hat, ist darin zu suchen, daß nach der Auffassung der Fachleute, der Bergwerksbehörde und der Bergwerkseigentümer ein Abbau dieser Steinkohlenfelder vom deutschen Gebiet aus entweder nicht möglich oder unwirtschaftlich ist, während der Abbau von der holländischen Seite aus keinerlei Schwierigkeiten begegnet. Es ist vorgesehen, daß die Verhältnisse der unter Tage arbeitenden Arbeitnehmer, darüber hinaus aber auch die polizeiliche und bergpolizeiliche Überwachung der Anlagen unter Tage dem holländischen Recht untersteht. Dagegen untersteht dem deutschen Recht die Regelung etwaiger Schadensersatzansprüche für Bergschäden und das prozessuale Verfahren für die Geltendmachung von Bergschäden. Die deutschen Beamten der Bergbehörde haben bei begründetem Anlaß Zutritt zu den Bergwerksanlagen.
Der Vertrag hat dem Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten als dem federführenden Ausschuß und dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik vorgelegen. Der Ausschuß für Wirtschaftspolitik hat dem Vertrag zugestimmt. Auch seitens des Auswärtigen Ausschusses sind keine Bedenken geäußert worden. Der Vertrag lehnt sich weitgehend an frühere Verträge an. Es sind in der Vergangenheit eine Reihe von ähnlichen Verträgen geschlossen worden, angefangen vom Aachener Vertrag vom Jahre 1816 bis zum letzten Vertrag, der im- Jahre 1919 abgeschlossen worden ist. Der letztere Vertrag war allerdings ein Tauschvertrag, während die jetzt abgeschlossenen Privatverträge einerseits einen Kaufvertrag, andererseits einen Pachtvertrag darstellen; es wird also Kohle gegen Geld gewährt.
In formeller Hinsicht darf darauf hingewiesen werden, daß die Gesetzesvorlage mehrere Druckfehler aufweist, die der Berichtigung bedürfen. Einmal ist in der Begründung der Name der belgischen Gesellschaft infolge eines Druckfehlers nicht ganz zutreffend angegeben worden, zum anderen befindet sich in der Präambel ein Druckfehler. Es soll nicht heißen: „Abbau der Kohle im einzelnen . . . liegenden Steinkohlenfeldern", sondern „in einzelnen . . .". Ein weiterer Druckfehler befindet sich in Art. I Abs. a). Hier ist die Bezeichnung der Feldesteile unrichtig. Der authentische Vertragstext lautet an dieser Stelle: „mit den Punkten 3 a, 4, 5, 6, 6 a, 12 und 3 a umschlossen sind". Diese Berichtigungen sind natürlich zu veranlassen. Es erschien nicht notwendig, in den Beschluß des Ausschusses den Wunsch nach dieser Berichtigung aufzunehmen.
Es ist in formeller Hinsicht ferner darauf hinzuweisen, daß die Karte, auf die in Art. I des Vertrags Bezug genommen ist, einen Bestandteil des Vertrags bildet. Als Bestandteil des Vertrags hätte sie nach meiner Auffassung auch dem Bundestag vorgelegt werden sollen. Im Jahre 1919 hat die Karte auch einen Bestandteil des damaligen Vertrags gebildet und ist im Reichsgesetzblatt veröffentlicht worden.
Der Auswärtige Ausschuß schlägt dem Hohen Hause vor, den vorliegenden Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe in zweiter Beratung auf: Art. I, — Art. II, — Art. III, — Einleitung und Überschrift.
— Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich bitte die Damen und Herren, die den aufgerufenen Artikeln, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die überwiegende Mehrheit.
Zur
dritten Beratung.
Einzelberatung entfällt. Ich rufe auf: Art. I, — II,
— III, — Einleitung und Überschrift. — Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit. Nach § 88 der Geschäftsordnung entfällt eine Schlußabstimmung. Der Vertrag ist angenommen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe den Punkt 3 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Notaufnahme .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 10 Minuten und eine Aussprachezeit von 40 Minuten vor. — Das Haus ist damit einverstanden.
Darf ich fragen, wer von den Antragstellern den Antrag zu begründen wünscht?
— Ich schlage Ihnen vor, meine Damen und Herren, diesen Punkt der Tagesordnung einen Augenblick zurückzustellen.
— Wir stellen ihn eben zurück, da niemand zur Begründung da ist.
— Bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der unter Punkt 3 anstehende Gegenstand stellt keinen Antrag dar, sondern ist nur eine Bitte an das Haus, den Antrag der SPD in der Frage des Datums zu ändern. Der Außenpolitische Ausschuß war ebenso wie das Auswärtige Amt nicht in der Lage, innerhalb der gestellten Frist vor der zweiten Lesung des EVG- und des Deutschlandvertrages die Angelegenheit betreffend den Untersuchungsausschuß für die Personalpolitik zu behandeln.
Ich bitte um Entschuldigung. Ich möchte Sie freundlichst bitten, daß Sie die gedruckte Tagesordnung zu Rate ziehen. Wir waren bei Punkt 3 der gedruckten Tagesordnung betreffend Notaufnahme. Ich hatte das zurückgestellt, bin aber gern bereit, den Punkt 4 aufzurufen, bei dem Sie sich jetzt befinden:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten über die Entschließung der Fraktion der SPD zur Beratung des Schriftlichen Berichts des Untersuchungsausschusses (47. Ausschuß) gemäß Antrag der Fraktion der SPD betreffend Prüfung, ob durch die Personalpolitik Mißstände im Auswärtigen Dienst eingetreten sind (Nrn. 3947, 3465, 2680 der Drucksachen, Umdrucke Nrn. 670, 676).
Ich bitte Sie, in Ihrer Berichterstattung fortzufahren.
Nachdem dieser Termin, wie eben gesagt, nicht eingehalten werden konnte, bittet der Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten, die in dem Antrag der SPD enthaltenen Daten des 15. Dezember und 31. Dezember 1952 mit dem 1. März 1953 austauschen zu wollen.
Sie haben den Bericht gehört. Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Eine Aussprache hat Ihnen der Ältestenrat nicht vorgeschlagen. Ich habe aus der Berichterstattung entnommen, daß an die Stelle der hier vorgesehenen Daten jetzt der 1. März treten soll. Ist das zutreffend, Graf Spreti?
— Offenbar. Das Haus hat es so verstanden. — Ich komme zur Abstimmung. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Auswärtigen Ausschusses Drucksache Nr. 3947 in der Form, die Ihnen Graf Spreti soeben vorgetragen hat, zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. Damit ist dieser Punkt erledigt.
Ich kehre jetzt zurück zu Punkt 3 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Notaufnahme .
Das Wort hat Frau Abgeordnete Korspeter zur Begründung.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es ist ein sehr ernstes und schwieriges Problem, das wir auf Grund des Antrags der SPD zu behandeln haben. Es geht darum, Berlin, das durch den Flüchtlingsstrom aus der Sowjetzone in außerordentliche Schwierigkeiten geraten ist, zu entlasten. Es ist bekannt, daß sich durch die Sperrmaßnahmen an der Zonengrenze im Sommer des vorigen Jahres der Flüchtlingsstrom aus der Sowjetzone nahezu restlos auf Berlin konzentriert hat, während er früher in den drei Bundesdurchgangslagern Uelzen, Gießen und Berlin anlief. Während beispielsweise im Juni vorigen Jahres, also ganz kurz vor den Sperrzonenmaßnahmen, 52,2 % Zuwanderer nach Berlin kamen und sich in den beiden anderen Bundesdurchgangslagern 47,8 % der Zuwanderer meldeten, kommen jetzt nach den letzten Erhebungen mehr als 90 % der Zuwanderer direkt nach Berlin.
Erschwerend kommt für die Stadt Berlin zu dieser Tatsache noch hinzu, daß sich der Flüchtlingsstrom seit den Sperrzonenmaßnahmen erheblich verstärkt hat. Während sich seit Februar 1952, also seit dem Inkrafttreten des Notaufnahmegesetzes, in Berlin bis Juni 1952 insgesamt 51 000 Zuwanderer in den drei Bundesdurchgangslagern gemeldet haben, erhöhte sich diese Zahl von Juli bis Dezember 1952 auf insgesamt 108 000 Zuwanderer. Während wir also vor den Sperrmaßnahmen mit monatlich ungefähr 10 000 Zuwanderern rechnen mußten, die bei uns Asyl suchten, ist diese Zahl seit den Sperrzonenmaßnahmen auf monatlich ungefähr
18 000 Zuwanderer gestiegen. Da mehr als 90 % der Zuwanderer sich in Berlin melden, bedeutet das, daß Berlin mit monatlich 15 000 Zuwanderern rechnen muß.
Es ist bekannt, daß durch das Notaufnahmeverfahren zwei Gruppen von Flüchtlingen geschaffen wurden, nämlich die Aufgenommenen und die Abgewiesenen. Wir wissen weiter, daß sich zur Zeit der Schaffung des Notaufnahmegesetzes die Fluchtgründe stärker aus der Gefahr für Leib und Leben oder für die persönliche Freiheit ergaben, während sich in den letzten Monaten auf Grund der Sowjetisierungsmaßnahmen in der Sowjetzone die Struktur des Flüchtlingsstroms erheblich gewandelt hat. Das Notaufnahmeverfahren hat dieser Entwicklung insoweit Rechnung getragen, als die Aufnahme aus zwingenden Gründen gegen früher erheblich ausgeweitet wurde. Während früher nur 40 % der Zuwanderer aufgenommen wurden, werden heute ungefähr 70 % anerkannt und damit aufgenommen. Diese Aufgenommenen werden auf Grund eines von den Ländern vereinbarten Verteilungsschlüssels quotenmäßig auf die Länder verteilt.
Während bis jetzt Berlin mit 20 % an diesem Schlüssel beteiligt war, d. h. 20 % der aufgenommenen Flüchtlinge in Berlin aufgenommen werden mußten, ist diese Quote jetzt durch den Bundesrat ab Januar auf Grund eines neu festgesetzten Verteilungsschlüssels der Länder auf 4 % herabgesetzt worden. Das ist selbstverständlich eine Erleichterung für Berlin. Trotzdem kann unseres Erachtens diese Neuregelung Berlin nicht die dringend notwendige Entlastung bringen; denn nach wie vor bleiben in Berlin 30 % der Flüchtlinge, die abgewiesen werden und die für Berlin die besonderen Schwierigkeiten schaffen. Es muß damit gerechnet werden, daß monatlich zirka 4000 bis 5000 Flüchtlinge in Berlin bleiben, also nahezu ein Drittel des ganzen Zuwandererstroms. Jedem von uns ist es klar, daß das geteilte Berlin mit diesem Flüchtlingsstrom nicht fertig werden kann, daß es dadurch in eine äußerst gefährdete Situation kommt und daß es auch nicht imstande ist, den Flüchtlingen eine menschenwürdige Unterkunft zu geben. Erschwerend kommt hinzu, daß auch vorher schon laufend Flüchtlinge nach Berlin gekommen sind, die nicht alle direkt erfaßt wurden und für die eine entsprechende Verteilung auf die Bundesrepublik nicht erfolgt ist. Es ist bekannt, daß zwischen der Bundesregierung und dem Senat von Berlin über die Höhe der Zahl dieser Flüchtlinge Meinungsverschiedenheiten bestehen. Welche Zahl es auch sei, fest steht jedenfalls, daß sie zur Verschärfung des Problems in Berlin beiträgt.
Bedauerlicherweise war Berlin im letzten Monat in eine besonders schwierige Lage geraten, da ein Teil der Länder erklärte, ihren Verpflichtungen in der Abnahme der ihnen zugeteilten Flüchtlinge nicht nachkommen zu können, da ihnen keine Unterkunftsmöglichkeiten mehr zur Verfügung ständen. Dadurch stauten sich in Berlin in den letzten Wochen zirka '7000 anerkannte Flüchtlinge, die nicht in die Bundesrepublik geflogen wurden und die die Situation Berlins erheblich verschärft haben. Die Lage wurde sowohl für den Senat von Berlin als auch für die Flüchtlinge dadurch völlig unhaltbar, daß selbst alle Notunterkünfte, von denen man nicht sagen kann, daß sie den primitivsten Ansprüchen auf eine menschenwürdige Unterkunft genügten, belegt waren. Herr Dr. Friedensburg hat uns selbst im Ausschuß über seine eigenen Erfahrungen berichtet. Er hat uns mitgeteilt, daß die Situation in den Lagern geradezu katastrophal sei, daß die Flüchtlinge dicht nebeneinander auf Stroh lägen und sich kaum jemand in den Räumen bewegen könne.
In dieser Situation wandte sich der Regierende Bürgermeister an die Bundesregierung und bat um Hilfe. Er hielt es nicht nur für notwendig, für einen schnellen Abflug der 7000 anerkannten Flüchtlinge in die Bundesrepublik zu sorgen, sondern er hielt es für notwendig, darüber hinaus Maßnahmen zu ergreifen, um Berlin auch einen Teil der abgewiesenen Flüchtlinge abzunehmen. Aus Pressenotizen geht hervor, daß sich das Kabinett mit dem Abflug der 7000 Flüchtlinge befaßt und dem Senat zugesichert hat, für einen verstärkten Abflug zu sorgen. Nach den Zahlen, die mir zugänglich geworden sind, müssen wir leider feststellen, daß der Abflug nicht so verstärkt wurde, wie es notwendig gewesen wäre, um den Flüchtlingen eine menschenwürdige Unterkunft zu geben und um Berlin zu entlasten. Wir möchten in diesem Zusammenhang auch besonders zum Ausdruck bringen, daß wir es außerordentlich bedauern, daß von seiten der Bundesregierung nicht früh genug für Unterkunftsmöglichkeiten gesorgt wurde, um die schwierige Situation für Berlin zu vermeiden.
Zu der zweiten Bitte des Regierenden Bürgermeisters an das Kabinett, sich mit dem Problem der Abgewiesenen in Berlin zu beschäftigen, ist bekanntgeworden, daß diese Frage vom Kabinett noch zurückgestellt wurde. Wir halten es für sehr gefährlich, daß darüber noch keine Entscheidung herbeigeführt wurde. Das Notaufnahmeverfahren schuf zwei Klassen von Flüchtlingen — ich sagte es schon einmal —: die Aufgenommenen und die Abgewiesenen. Das darf aber nicht dazu führen, daß man das Problem der Verteilung und der Betreuung der Abgewiesenen ignoriert und Berlin dadurch zwingt, mit diesem Problem allein fertig zu werden.
Wir haben den vorliegenden Antrag gestellt, weil wir der Ansicht sind, daß wir auf diesem verwaltungsmäßigen Wege eine Entlastung für Berlin erreichen werden. Selbstverständlich müssen auch die 20 %, deren Aufnahmeverfahren in Berlin danach durchgeführt werden soll, nach den jetzigen Voraussetzungen behandelt werden, so daß dadurch, wenn unser Antrag angenommen werden sollte, nur noch ein geringer Teil der Flüchtlinge in Berlin verbleiben wird.
Ich möchte zum Schluß noch darauf hinweisen, daß dieses Problem bereits im Flüchtlingsausschuß des Bundesrates behandelt wurde und daß man einstimmig beschlossen hat, eine Überprüfung vorzunehmen. Aus einer Pressenotiz, die heute morgen in der „Welt" steht, geht hervor, daß alle Parteien im Berliner Abgeordnetenhaus entschlossen sind, am Donnerstag einen neuen Schritt in Bonn zu unternehmen; sie wollen in einem gemeinsamen Appell an die Bundesregierung und an die Länderregierungen herantreten und fordern, daß durch sofortige Maßnahmen eine stärkere Unterbringung der Flüchtlinge in der Bundesrepublik gewährleistet wird. Ich bitte, unserem Antrag zuzustimmen, um Berlin und den Flüchtlingen aus einer sehr großen bitteren Not zu helfen.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Maxsein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, in die Diskussion des Antrags einzutreten, sondern gebe im Namen der Koalitionsparteien eine Erklärung ab. Der Antrag, der zur Debatte gestellt ist, behandelt zweifellos das im Augenblick dringlichste Anliegen Berlins. Der Zustrom der Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone nach Berlin, der ständig wächst, stellt die Bundesrepublik und die Länder vor schwierigste Aufgaben und in schwerste Verantwortung.
Die SPD macht in dem Antrag, der Ihnen vorliegt, einen Vorschlag zur Lösung der Frage. Auf den ersten Blick leuchtet dieser Vorschlag ein. In Wirklichkeit aber übersieht er die mannigfachen Schwierigkeiten, die sich bei der Durchführung ergeben würden. Auch fehlt in diesem Vorschlag jede Bezugnahme auf die gleichzeitigen und kommenden Maßnahmen der Länder, ohne die dieses Problem gar nicht gelöst werden kann. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, darauf hinzuweisen, daß bereits morgen der Bundesrat erneut diese Frage zur Sprache bringt und daß die Bundesregierung sie in ständiger Fühlungnahme mit dem Berliner Senat behandelt.
— Ich habe erklärt, daß ich keine Debatte über die Sache selbst führen möchte. Aber ich möchte doch am Rande auf einen Umstand hinweisen, für den gerade meine Berliner Kollegen großes Verständnis haben werden. Der Stau, der eingetreten ist, wäre zweifellos weiterhin behoben worden, wenn aus Gründen der Witterung die Abflüge überhaupt möglich gewesen wären.
— Nur teilweise. Aber wenn an einem Tag z. B. neun Flüge ausfallen, ist das schon ein erhebliches Argument. Wir sind uns alle darüber einig, daß Berlin geholfen werden muß, und zwar unter allen Umständen und auf dem schnellsten Wege. Wir müssen uns aber auch die Frage stellen, ob dieser Antrag tatsächlich zur Beschleunigung des Verfahrens beiträgt und ob den Flüchtlingen damit geholfen wird. Schließlich ist das Wohl und das Schicksal der Flüchtlinge das Moment, das uns zuallererst am Herzen liegen muß. Außerdem bin ich der Überzeugung, daß der Vorschlag der SPD, den ich nicht einmal für unbedingt glücklich halte, nicht der einzige zur Lösung dieser Frage ist.
Im Interesse der Flüchtlinge und im Interesse Berlins fordern die Koalitionsparteien, daß das Problem mit allen sich daran knüpfenden Einzelfragen auf dem schnellsten Wege in dem Ausschuß beraten wird, in den dieser Antrag hineingehört, dem Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen. Ich beantrage deswegen im Namen der Koalitionsparteien, den Antrag an den genannten Ausschuß zu überweisen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller.
Meine Damen und Herren! Für uns kann es sich nicht darum handeln, über die Frage, wo die Überprüfungen durchgeführt werden sollen, ob in West-Berlin oder im Bundesgebiet, zu diskutieren, sondern lediglich darum, auf die Frage einzugehen: Wer trägt die
Verantwortung für diese Verhältnisse und diese Zustände?
Ich glaube, darüber dürfte — —
— Darauf habe ich gewartet. Ich glaube, es dürfte kein Zweifel darüber bestehen, daß das Resultat, das sich in diesen Verhältnissen ausdrückt,
auf eine unverantwortliche Politik sowohl der Regierungsbank wie auch des Berliner Senats zurückzuführen ist, vor allen Dingen aber in einer Propaganda zu suchen ist, die keinen anderen Sinn hat, als eben solche Resultate zu erzielen.
In der „Welt" vom 8. dieses Monats — damit möchte ich auf eine der Propagandazentralen zu sprechen kommen — wird geschrieben:
Hinzu kommt die RIAS-Propaganda,
die in den Menschen der Zone eine neue Welt von Begriffen und Vorstellungen erweckt hat. Diese Bilder „Freiheit — Westen — Demokratie" — sie werden nach den ersten vier Wochen Lager mit der Wirklichkeit konfrontiert. Die Gegenüberstellung von Vorstellung und Wirklichkeit bricht vielen den letzten Wirbel des Rückgrats. Bitterkeit, unberechtigte Forderungen ...
usw. sind die Resultate.
Hinsichtlich der Frage, wer denn diese Leute sind, die sich da ansammeln, wird in derselben Zeitung in ihrer Ausgabe vom 16. dieses Monats festgestellt:
. . . 160 000 von ihnen warten noch auf ihre Anerkennung als „politischer Flüchtling", die meisten von ihnen werden diese Anerkennung nie erhalten.
Selbst in den zuständigen Polizeidienststellen Westberlins spricht man von „asozialen Elementen". Zweifellos gibt es unter ihnen manche, die dieser Propaganda von Freiheit usw. zum Opfer gefallen sind. Nicht nur in meinen eigenen Versammlungen treten solche Menschen auf, die mit Bitternis darüber sprechen, welche Bilder ihnen durch diese Propaganda vorgegaukelt worden sind und wie es dann in Wirklichkeit in diesem sogenannten „Goldenen Westen" aussieht.
Vor mir liegt ein Bericht von solchen Menschen, die feststellen, wie es ihnen, nachdem sie diesen Versprechungen und dieser Propaganda zum Opfer gefallen waren, im Westen ergangen ist.
Meine Damen und Herren, ich hatte im vergangenen Jahr Gelegenheit, auf einige Dokumente über das Lager in Gießen hinzuweisen, die damalige Stellungnahme des Arbeitsamts und die der Fraktion der Freien Demokratischen Partei. Wenn
ich darauf nur noch einmal hinweise und das in Verbindung mit den jetzigen Feststellungen der „Welt" bringe, dann ist es zweifellos so: die Verantwortung, Herr Kaiser, liegt in erster Linie mit bei Ihnen, genau so wie bei den hinter Ihnen stehenden Leuten aus der amerikanischen Propagandazentrale.
Am 25. November brachte in der 117. Sitzung des Bayerischen Landtags der sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Müller eine Anfrage ein, deren Inhalt etwa lautete, daß die Bezirksfürsorgeverbände an der Zonengrenze täglich von Leuten angegangen werden, die irgendwo über die Grenze in die Ostzone gegangen sind und mangels ausreichender Papiere beim Grenzübergang in die Westzonen zurückgeschoben werden. In diesem Zusammenhang wurde die Tatsache festgestellt, daß an manchen Tagen über zehn Personen an diesen Stellen bei den Bezirksfürsorgeverbänden vorsprechen, eine Feststellung, die besagt, daß die Menschen aus dem Westen nach dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik gehen, aber mangels ausreichender Papiere zurückkommen und dann offensichtlich in diese Phantasiezahlen mit eingegliedert werden.
Welchen Umfang und welchen Grad von Verwerflichkeit die Propaganda gegen die Deutsche Demokratische Republik erreicht hat, das möchte ich Ihnen noch an einer Zeitung beweisen, die dem Herrn Bundeskanzler sehr nahesteht. Im „Rheinischen Merkur" vom 16. Januar wird — und das, glaube ich verdient nur, niedriger gehängt zu werden — folgende Meldung gebracht:
Schicken Sie mir doch bitte Windeln. Ich kann es nicht mehr mit ansehen, wie die Mütter ihre Säuglinge in Zeitungspapier wickeln. Ich kann wirklich unsere Altardecken nicht mehr kürzer und schmaler schneiden, um die Neugeborenen zu bekleiden.
Das — so behauptet diese Zeitung — schrieb ein Geistlicher aus der Sowjetzone nach Paderborn. Ich glaube, es gibt keinen normaldenkenden Menschen, der das abnimmt, und ich sage: das verdient nur, niedriger gehängt zu werden.
Ich glaube, diese ganze Frage muß von der grundsätzlichen Seite her angepackt werden. Das ist nur so möglich, daß man diesen Hetzzentralen endlich das Handwerk legt. Ich glaube, der alleinige Weg, auf dem wir dazu kommen, ist der,
daß wir die deutsche Einheit herstellen. Dann wird auch dieses Problem gelöst werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die Kollegen von der kommunistischen Fraktion in solchen Zusammenhängen hört
oder Gruppe —, dann möchte man meinen, daß wir zu einem überwiegenden Teil ein Volk von Masochisten seien. Denn sie erzählen uns, daß die Verhältnisse in dem, was sie die DDR nennen, immer besser werden, und sie stehen andererseits ebenso wie wir der Tatsache gegenüber, daß der Strom von Leuten, der sich aus diesem „Wohlstandsgebiet" in die „westdeutschen Elendsgebiete" ergießt, immer mehr anwächst, daß also die Leute offenbar aus lauter Drang und Hang dazu, immer tiefer ins Elend hinabzusinken, diese Bewegung von der sogenannten DDR in das westliche Bundesgebiet unternehmen.
— Wissen Sie, Herr Kollege Renner, ich finde, Sie sollten sich in dieser Situation schon darum eine gewisse Zurückhaltung auferlegen, weil im Flüchtlingsstrom der letzten Wochen doch gewisse Flüchtlinge eines neuen Typs eine Rolle spielen,
darunter, meine Herren von der Kommunistischen Partei,
die tragischen Opfer des rotlackierten Antisemitismus.
Wenn man sich an Freud hielte, wäre es außerordentlich interessant, im Hinblick darauf, daß der Kollege Müller eben vom „letzten Wirbel des Rückgrats" gesprochen hat, gewisse Verbindungen im Unterbewußtsein herzustellen zu unangenehmen Gefühlen am Halswirbel, die sich sicherlich dann einstellen, wenn die Kollegen der KPD an Namen wie Merker, Jungmann, Kurt Müller und Nuding denken.
Aber zur Sache und zum Antrag. Es handelt sich, wie die Kollegin Korspeter schon dargelegt hat, um eine dringend erforderliche Entlastung Berlins. Es handelt sich im weiteren Sinne um die Auseinandersetzung mit einem Problem, das sich zufällig jetzt in Berlin darstellt, seitdem im Sommer die Zonengrenze so abgeriegelt worden ist, um die Auseinandersetzung mit dem Problem des Flüchtlingsstroms, der sich in diesem Ausmaß aus der verschärften Sowjetisierungspolitik und aus einer gewissen Hoffnungslosigkeit mancher Schichten unserer Menschen in der Zone ergeben hat. Wir mögen diese Hoffnungslosigkeit bedauern und ihr immer wieder unsern Wunsch entgegenstellen, daß so viele Menschen wie irgend möglich aushalten mögen. Aber wer von uns hat letzten Endes das Recht, demjenigen, der selbst die schwere Entscheidung gefällt hat, zu sagen: Du durftest sie nicht fällen? Glaubt irgend jemand hier, daß es einem deutschen Bauern — und es sind doch Tausende von Bauern, die in diesen Wochen kommen
— leicht fällt, von seinem Hof zu gehen, daß es den Frauen leicht fällt, sich von dem zu trennen, was sie entweder gerettet haben oder wieder aufbauen konnten? Es liegen bei den allermeisten ganz schwere innere Entscheidungen zugrunde, bevor sie diesen Weg antreten.
Nun, jetzt sind diese Menschen in Berlin. Es ergeben sich zusätzliche Spannungen. Die nicht Anerkannten — Zehntausende von ihnen sind schon da — bekommen zum Teil Notunterstützungen, drücken zum Teil auf den Arbeitsmarkt. Die Zahl der Arbeitslosen in Berlin läge unter 200 000 und nicht bei 300 000,
wenn dieses Problem der nicht anerkannten Flüchtlinge nicht aufgetreten wäre. Auf der anderen Seite haben wir das Elend in den über 70 Lagern. Darunter sind 40 Lager des Roten Kreuzes, die dankenswerterweise so schnell geschaffen wurden, in denen aber die Menschen auf dem Fußboden liegen, auf den Strohsäcken; und in den Räumen ist nichts drin außer den Leinen, auf denen die Kleider zum Trocknen aufgehängt sind.
Ich glaube, Frau Kollegin Maxsein, angesichts dieser Situation ist jetzt nicht die Zeit da — jedenfalls unserer Meinung nach nicht da —, zu sagen: Das muß man nun alles noch einmal genau prüfen. Denn wir kommen ja mit dem Antrag nicht wie ein Schuß aus der Pistole!
Im Berlin-Ausschuß ist im Sommer vergangenen Jahres, als diese Entwicklung nach der fast hermetischen Absperrung an der Zonengrenze einsetzte, darüber gesprochen worden. Es ist seitdem im Gesamtdeutschen Ausschuß verschiedentlich darüber gesprochen worden. Der Regierende Bürgermeister von Berlin hat sich, wie hier schon erwähnt wurde, an den Bundeskanzler gewandt und eine unserer Meinung nach nicht befriedigende Antwort bekommen. Gewiß, man mag das vorgeschlagene Verfahren unter manchen Gesichtspunkten für bedenklich halten. Aber ich bitte Sie, wir sind doch nicht so naiv, daß wir uns vorgestellt haben, die Regierung soll nun in Ausführung dieses Antrags anordnen, in Berlin werden in verschiedenen Straßen Wegweiser aufgestellt mit der Aufschrift „Zum Flugplatz", so daß jeder, der aus der Zone käme, diesen Wegweisern folgend auf dem Flugplatz Aufstellung nehmen würde, um abgeflogen zu werden! Natürlich wissen wir, daß auch die Realisierung eines solchen Verfahrens eine gewisse gesundheitliche Vorprüfung erforderlich machen würde, schon um Epidemien und ähnliche Dinge abzuwenden, und auch eine Feststellung zur Person vor dem Abflug der Flüchtlinge beinhalten müßte. Aber es bleibt eben die Tatsache bestehen, daß man nicht wie bisher Berlin auf dem doch immer, auch jetzt noch hohen Prozentsatz derer sitzenlassen darf, die unter den mehr oder weniger strengen Gesichtspunkten des Notaufnahmegesetzes nicht anerkannt werden und die niemand von Ihnen und von uns den Machthabern in der sowjetischen Besatzungszone ausliefern möchte. Es bleibt eigentlich nur ein Problem. Sie können meinen, daß derjenige, der von sich aus, nachdem er abgewiesen sei, die Entscheidung treffe zurückzugehen, diesen Versuch nicht mehr unternehmen könne, wenn er erst einmal hierhergekommen sei. Nun, wer die Dinge aus der Praxis kennt, weiß, daß die Fälle, um die es sich hier handelt, auf ein Minimum zusammengeschmolzen sind und gegenüber den anderen großen Problemen fast keine Rolle mehr spielen. Die Praxis, wie wir sie vorschlagen, d. h. unabhängig von der Prüfung des Notaufnahmeverfahrens im einzelnen zunächst einmal 80 % abzufliegen, könnte auch von Ihnen, meine
Damen und Herren, darum unterstützt werden, weil wir ausdrücklich sagen, daß wir das zunächst für drei Monate machen wollen.
Es sollen hier keine definitiven Entschlüsse und Beschlüsse gefaßt werden. Nachdem die täglichen Anlaufziffern von im Durchschnitt 500 auf 1500 an einzelnen Tagen gestiegen sind, soll in einer akuten Notlage eine Entlastung geschaffen werden. Aus diesen Gründen möchten wir Sie bitten, Ihren Antrag nicht aufrechtzuerhalten, unsere Aufforderung an den Ausschuß zu überweisen. Es gibt Fragen, in denen eine Aufforderung im Sinne einer Richtlinie, einer Direktive an die Regierung unmittelbar gegeben werden muß und in denen es im wohlverstandenen Interesse der Flüchtlinge, von denen hier die Rede war, eben nicht angängig ist, die Dinge mit neuen monatelangen Erörterungen auf die lange Bank zu schieben, sondern diese Direktive nun vom Bundestag unmittelbar gegeben werden sollte. Unser Antrag bietet im übrigen alle Möglichkeiten, aus der Praxis heraus jene Abwandlungen zu treffen, die sachlich erforderlich sind. Wir bitten Sie darum, an Stelle der Ausschußüberweisung diesem Antrag, so wie es der Senat von Berlin meines Wissens auch einstimmig mit den Vertretern aller drei Parteien gewünscht hat, Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums für Vertriebene.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Es erscheint mir zweckmäßig, über die Maßnahmen, die zur Zeit laufen, noch ganz weniges zu sagen, um die Beurteilung des heutigen Bildes zu erleichtern. Man sollte die Tatsache, daß ein wesentlicher Rest, der noch nicht abgeflogen ist, in Berlin verblieben ist, nicht für sich allein sehen, sondern im Zusammenhang mit der Entwicklung. Im Laufe des vergangenen Jahres sind 58 000 Flüchtlinge aus Berlin in die Bundesrepublik abgeflogen worden. Der Rückstand betrug am 31. Dezember 6000. Dieser Rückstand war durch das Wetter verursacht, das ja nicht nur in Deutschland, sondern weithin dem Flugverkehr technische Voraussetzungen entzogen hat, gegen die die Verwaltung machtlos war.
Der Umstand, daß eine besondere Maßnahme erforderlich war, um entgegen dem Uelzener Schlüssel und unabhängig von der Verpflichtung der Länder zu einer bestimmten Quote jede Unterbringungsmöglichkeit, die hier in der Bundesrepublik überhaupt da war, zu verwenden, hat dazu geführt, daß wir den räumlichen Ausgleich aufgehoben und bekanntlich einen finanziellen Ausgleich an seine Stelle gesetzt haben. Das hat nicht ganz ausgereicht. Es hat eine Zeitlang unter diesen Umständen Schwierigkeiten gegeben, auch nur provisorische Unterbringungsmöglichkeiten in ausreichender Zahl zu schaffen. Sie sind auf Grund der Verhandlungen etwa der letzten vier Wochen zur Zeit aber vorhanden, so daß die Entscheidung des Kabinetts, innerhalb der nächsten vier Wochen nicht nur die neu anlaufende Quote aus Berlin auf dem Luftwege abzufliegen, sondern auch den gesamten Stau, bereits heute durch die vorhandenen Plätze in ihrer Durchführung gesichert erscheint.
Die auch seitens des Herrn Regierenden Bürgermeisters gegenüber dem Herrn Bundeskanzler genannten Zahlen über die sogenannten Illegalen sind
sofort in eingehenden Gesprächen mit den Vertretern Berlins behandelt worden. Diese Gespräche haben noch nicht zu einem formellen Abschluß geführt. Sie lassen aber deutlich erkennen, daß eine Verständigung über die Bewertung dieser Zahl erreicht werden wird und daß die gemeinsame Feststellung über die Zahl dieser Illegalen wesentlich unter den Zahlen liegen wird, die man bisher in dieser Debatte benutzt hat.
Das Wort hat Herr Senator Dr. Klein.
Dr. Klein, Senator von Berlin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesrat wird sich morgen mit dem gleichen Problem zu befassen haben. Der Flüchtlingsausschuß empfiehlt dem Bundesrat, zur sofortigen Entlastung von Berlin die Möglichkeit zu prüfen, zeitweise das Notaufnahmeverfahren der in Berlin ankommenden Flüchtlinge zu einem beträchtlichen Teil auch in Uelzen und Gießen durchführen zu lassen. Insofern deckt sich der Wunsch des Flüchtlingsausschusses in etwa mit dem Antrag, der hier zur Debatte steht.
Für Berlin ist eine Tatsache von überragender Bedeutung: Der Flüchtlingsstrom hat zugenommen; er hat seine einzige Ursache in dem zunehmenden Terror in der sowjetischen Besatzungszone. In Berlin sind sich Senat und die den Senat tragenden Parteien darin einig, daß Berlin auch dadurch geholfen werden muß, daß die sogenannten nichtanerkannten Flüchtlinge ebenfalls in das Bundesgebiet geflogen werden müssen. Sämtliche Flüchtlingsminister haben diesen Wunsch als berechtigt anerkannt. Berlin hat natürlich den Wunsch, eine schnelle Entscheidung auch des Bundestages zu erhalten. Berlin kann sich gegen die Ausschußüberweisung nicht zur Wehr setzen. Aber wenn die Ausschußüberweisung erfolgen sollte, dann darf die Entscheidung nicht auf die lange Bank geschoben werden. Das ist der Wunsch, den ich namens des Berliner Senats hier vortragen wollte.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Es ist beantragt worden, den Antrag der Fraktion der SPD Drucksache Nr. 4001 dem Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen zu überweisen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Überweisungsantrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; die Überweisung ist erfolgt.
Meine Damen und Herren, darf ich die Übung parlamentarischer Beratung einen Augenblick unterbrechen. Mir ist in Berlin und auch nachträglich mitgeteilt worden, daß in vielen der Lager ein ganz besonderer Mangel an Männerkleidung besteht. Ich würde es für ein Zeichen einer unmittelbaren Anteilnahme des Bundestages halten, wenn sich die Mitglieder des Bundestages in der Lage sähen, aus ihren Beständen sofort dazu etwas zu helfen, daß diesem Mangel gesteuert werden kann. Das Tagungsbüro des Bundestages ist bereit, das entgegenzunehmen.
Ich rufe den Punkt 5 der Tagesordnung auf: Erste, zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Verlängerung
der Geltungsdauer des Gesetzes zur Erleichterung der Annahme an Kindes Statt .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf eine allgemeine Aussprache zu verzichten.
Zur Begründung der Herr Staatssekretär des Bundesjustizministeriums!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mich, da es sich nur um die Verlängerung der Geltungsdauer eines früheren Bundesgesetzes handelt, sehr kurz fassen. Sie haben im Jahre 1950 durch das Gesetz über die Erleichterung der Annahme an Kindes Statt erweiterte Möglichkeiten zur Adoption von Kindern geschaffen, namentlich indem das Gesetz gestattete, daß auch Personen, die bereits eheliche Abkömmlinge haben, andere, Waisen, als Kinder annehmen.
In der Praxis hat sich dieses Gesetz sehr bewährt. Es war für die Zeit bis zum 31. Dezember 1952 befristet. Die Landesjustizverwaltungen, aber auch die Jugendorganisationen sind der Auffassung, daß mit Rücksicht auf die Zeitumstände diese Frist verlängert werden sollte, weil sich die Verhältnisse noch nicht so entwickelt haben, daß man auf diese erleichterte Form der Adoption verzichten kann. Später wird zu erwägen sein, ob die Erfahrungen hiermit so gut sind, daß man diese erleichterte Form der Adoption in das allgemeine Recht überführt. Vorläufig schlägt Ihnen die Bundesregierung vor, das Gesetz von 1950 bis zum 31. Dezember 1955 zu verlängern.
Der Bundesrat hat einen Erweiterungsvorschlag hinsichtlich des Geltungsbereichs dieses Gesetzes gemacht, den ich erläutern muß. In der Regierungsvorlage war eine Berlin-Klausel noch nicht enthalten, weil in Berlin eine etwas abweichende Rechtslage war und Berlin das Gesetz von 1950 noch nicht übernommen hatte. Inzwischen hat sich Berlin bereit erklärt, das Bundesgesetz von 1950 zu übernehmen, so daß auf Anregung von Berlin im Stadium der Bundesratsberatungen ein zusätzlicher Paragraph mit einer diesen besonderen Verhältnissen Rechnung tragenden Berlin-Klausel aufgenommen worden ist.
Ich darf also bitten, dem Gesetz in der Fassung, die ihm durch den Vorschlag des Bundesrats verliehen worden ist, Ihre Zustimmung zu geben.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung der Regierung für das Gesetz gehört. Eine allgemeine Aussprache in der ersten Beratung soll nicht stattfinden.
Ich rufe auf zur
zweiten Beratung
§ 1, — § 2 entsprechend dem Vorschlag des Bundesrats, — § 3, den früheren § 2, — Einleitung und Überschrift. — Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das ist mit Mehrheit angenommen.
Zur dritten Beratung
entfällt eine allgemeine Aussprache und eine Einzelberatung.
Ich komme zur Schlußabstimmung über das Gesetz über die Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes zur Erleichterung der Annahme an Kindes
Statt in der in der zweiten Beratung beschlossenen Fassung. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz in seiner Gesamtheit zuzustimmen wünschen, sich von ihren Plätzen zu erheben. — Das ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen vom 19. Juli 1952 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Wiederherstellung gewerblicher Schutzrechte .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen Verzicht auf eine allgemeine Aussprache vor. — Das Haus ist damit einverstanden.
Ich schlage Ihnen vor, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für Patentrecht und gewerblichen Rechtsschutz zu überweisen. — Das Haus ist einverstanden, die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe Punkt 7 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Solleder, Dr. Schneider und Genossen und der Fraktion der FU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Alters- und Hinterbliebenenversorgung für deutsche Rechtsanwälte (Nr. 3966 der Drucksachen).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen Verzicht auf Begründung und Aussprache in der ersten Beratung vor. — Das Haus ist damit einverstanden. Ich schlage Ihnen vor, diesen Antrag dem Ausschuß für Geld und Kredit und dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen; federführend der erstere. — Das Haus ist mit der Überweisung einverstanden.
Ich rufe auf Punkt 8:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Erlaß von Rechtsverordnungen auf dem Gebiet der Neuordnung des Geldwesens ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Geld und Kredit (Nr. 3954 der Drucksachen).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen Verzicht auf eine allgemeine Aussprache der dritten Beratung vor. Berichterstatter ist der Herr Abgeordnete Neuburger, der im Augenblick noch nicht im Saal ist. Ich darf den Punkt einen Augenblick zurückstellen.
Punkt 9:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Goetzendorff gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 26. August 1952 (Nr. 3936 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Leuze. Ich bitte ihn, zur Berichterstattung das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Oberstaatsanwalt in Passau hat mit Schreiben vom 1. August 1952 gebeten, eine Entscheidung des Bundestages darüber herbeizuführen, ob die Genehmigung zur
Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Goetzendorff erteilt werde, und zwar wegen des Vorwurfs der Anstiftung zum Meineid. Dieses Ersuchen des Oberstaatsanwalts Passau wurde über das Bayerische Staatsministerium der Justiz über den Bundesminister der Justiz dem Bundestag vorgelegt. Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat sich damit in seinen Sitzungen vom 19. September und 3. Dezember 1952 befaßt.
Der Sachverhalt, der dem Vorwurf der Anstiftung zum Meineid, der gegen den Abgeordneten Goetzendorff erhoben ist, zugrunde liegt, geht auf das Jahr 1948 zurück. Damals war Goetzendorff Redakteur der „Passauer Neuen Presse". Ihm unterstellt war der Journalist Harald Ojasson, der von der „Passauer Neuen Presse" ein festes Gehalt bezog. Er erstattete seine Berichte als Berichterstatter des Landkreises Pfarrkirchen ohne besonderes Entgelt. Weiter war dem Abgeordneten Goetzendorff der Dr. Viktor Anthony unterstellt, der im Hauptberuf Landesgeschäftsführer des Neubürgerbundes, daneben aber freier Mitarbeiter der „Passauer Neuen Presse" war, der seine Berichte aus denselben Bezirken wie Ojasson gegen Zeilenhonorar erstattete. Dieser Dr. Anthony lebte damals in wirtschaftlich bedrängten Verhältnissen.
Im Jahre 1949 kam es nun zu einem Strafverfahren gegen den Abgeordneten Goetzendorff wegen Betrugs und Urkundenfälschung. Man machte ihm damals den Vorwurf, er habe von Ojàsson herrührende Berichte auf Dr. Anthony als Berichterstatter umgeschrieben und einen Schaden für die „Passauer Neue Presse" dadurch hervorgerufen, daß diese Berichte an Dr. Anthony mit einem Zeilenhonorar vergütet werden mußten, während die Berichte, von Ojàsson herrührend, durch dessen festes Gehalt abgegolten gewesen wären.
,Goetzendorff verteidigte sich damit, er habe gemäß einer mit Ojàsson und Dr. Anthony getroffenen Vereinbarung lediglich im Falle von Doppelberichten, also von Berichten, die Ojàsson und Dr. Anthony über denselben Berichtsgegenstand abgegeben hätten, dem Bericht von Dr. Anthony den Vorzug gegeben, dies allerdings unter einem zweifachen Vorbehalt, nämlich a), daß Ojàsson insoweit auf sein Urheberrecht verzichte, und b), Dr. Anthony einen Ausgleich in der Weise schaffe, daß er an Ojàsson Berichte über Neubürgerangelegenheiten gebe, was auch geschehen sei.
Dieses Verfahren gegen Goetzendorff wegen Urkundenfälschung und Betrugs zum Nachteil der „Passauer Neuen Presse"wurde durch Beschluß der Staatsanwaltschaft vom 7. September 1949 eingestellt, und zwar in erster Linie auf Grund der beeidigten Aussagen des als Zeugen vernommenen Ojàsson, der im wesentlichen das Verteidigungsvorbringen des Goetzendorff bestätigte.
Im Juli 1952 erstattete jedoch der Anwalt eines Dr. Kapfinger, des Chefredakteurs der „Passauer Neuen Presse", gegen Ojàsson Meineidsanzeige mit dem Vorwurf, seine Aussagen in dem früheren Verfahren gegen Goetzendorff seien bewußt unwahr gewesen. Aus dem Inhalt dieser Anzeige ergibt sich wiederum, daß der Abgeordnete Goetzendorff den Ojàsson zu diesen unwahren eidlichen Aussagen angestiftet haben soll. Demgemäß stellt sich der Oberstaatsanwalt in Passau auf den Standpunkt, er könne die Untersuchung gegen Ojàsson wegen Meineides nicht durchführen, wenn er nicht gleichzeitig den Abgeordneten Goetzen-
dorff wegen des Vorwurfs einer Anstiftung zum Meineid in das Verfahren einbeziehe.
Der Ausschuß hatte zu prüfen, ob nicht etwa dieser neue Vorwurf gegen den Abgeordneten Goetzendorff wegen Anstiftung zum Meineid politisch bedingt sei. Gewisse geringe Anhaltspunkte waren für eine solche Untersuchung gegeben. Der Ausschuß ist diesen Anhaltspunkten nachgegangen. Er ist jedoch zu idem Ergebnis gekommen, daß aus diesen Anhaltspunkten sich nicht der Schluß ziehen lasse, der neue gegen den Abgeordneten Goetzendorff erhobene Vorwurf sei politisch bedingt.
Der Ausschuß kam daher zu dem Beschluß, den Antrag zu stellen:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Genehmigung zum Strafverfahren gegen
den Abgeordneten Goetzendorff wird erteilt.
Ich bitte das Haus, demgemäß zu beschließen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Eine Aussprache entfällt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität Drucksache Nr. 3936. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich kehre zurück zu Punkt 8 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Erlaß von Rechtsverordnungen auf dem Gebiet der Neuordnung des Geldwesens ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Geld
und Kredit (Nr. 3954 der Drucksachen).
Der Berichterstatter ist inzwischen eingetroffen. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann die Berichterstattung in dieser Sache kurz halten. Vor Ihnen liegt der Gesetzentwurf zum Erlaß von Rechtsverordnungen auf dem Gebiet der Neuordnung des Geldwesens. Die Währungsgesetze wurden bekanntlich seinerzeit von den Alliierten erlassen. Demgemäß waren auch die Ermächtigungen, die zur Durchführung dieser Gesetze erteilt wurden, an die Alliierte Bankkommission gegeben. Die Alliierte Bankkommission hat in der Zwischenzeit ihre Tätigkeit eingestellt. Deshalb muß nun die Bundesregierung unmittelbar ermächtigt werden, die noch erforderlichen Durchführungsverordnungen zu erlassen. Die seinerzeit an die Bank deutscher Länder sowie an die Versicherungsaufsichtsbehörde gegebene Ermächtigung konnte ebenfalls entfallen. Es ergab sich schließlich die Notwendigkeit, in § 6 a) und 6 b) die Vorschriften über die Eröffnungsbilanz der Bankinstitute den Vorschriften für die Eröffnungsbilanz der gewerblichen Wirtschaft anzugleichen.
Der Finanz- und Steuerausschuß sowie der Ausschuß für Geld und Kredit haben den vorliegenden Gesetzentwurf in der in der Drucksache Nr. 3954 ersichtlichen Fassung einmütig genehmigt. Ich darf daher das Hohe Haus bitten, dem Gesetzentwurf in dieser Fassung die Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich rufe auf zur zweiten Beratung Abschnitt I § 1, — § 3, — § 4, — § 4a,—§ 5,§ 6, — Abschnitt II § 6 a, — § 6 b, — Abschnitt III § 6 c, — § 7, — Einleitung und Überschrift. — Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich bitte die Damen und Herren, die den aufgerufenen Paragraphen, der Einleitung und der Überschrift ides Gesetzentwurfes zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; sie sind angenommen. Eine allgemeine Aussprache der
dritten Beratung
soll entfallen. Einzelberatung entfällt, da Änderungsanträge nicht vorliegen. Ich komme zur Schlußabstimmung über das Gesetz über den Erlaß von Rechtsverordnungen auf dem Gebiet der Neuordnung des Geldwesens. Ich bitte die Damen und Herren, die idem Gesetz in seiner Gesamtheit zuzustimmen wünschen, sich von ihren Plätzen zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist gegen wenige Stimmen angenommen.
Ich komme zu Punkt 10:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Goetzendorff gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vorn 30. Oktober 1952 (Nr. 3937 der Drucksachen).
Berichterstatter ist in diesem Falle der Abgeordnete Ewers. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Sache Goetzendorff, die ich zusammenfassend ganz kurz darlegen darf, handelt es sich um folgendes.
Ein Dr. Viktor Anthony war im Jahre 1948 der Geschäftsführer des Neubürgerbundes, dessen Vorsitzender Herr Goetzendorff war. Beide wohnten in Passau. Herr Dr. Anthony, ein Reklamefachmann, bewarb sich damals um die Übertragung des Anschlagwesens der Stadtgemeinde Passau und erhielt es auch. Seitdem ist das Anschlagwesen in den Händen des Herrn Dr. Anthony. Die Stadtgemeinde Passau führt jetzt einen Rechtsstreit gegen Herrn Dr. Anthony auf Feststellung, daß der Vertrag mit ihm nichtig sei, weil er mit Recht wegen arglistiger Täuschung angefochten sei, da Anthony und Goetzendorff bei Abschluß des Vertrages verschwiegen hätten, daß Herr Goetzendorff an diesem Anschlagsvertrag und überhaupt an dem Betrieb des Herrn Anthony, der gleichzeitig eine Art Zeitungs- oder Pressebüro hatte, zur Hälfte als Partner beteiligt sei. Das sei deshalb betrügerisch, weil Herr Goetzendorff damals Mitarbeiter des Stadtrats gewesen sei und sich für die Vergebung an Anthony eingesetzt habe, ohne daß der Stadtverwaltung bekannt gewesen sei, daß er mit Anthony geschäftlich liiert sei.
Wie gesagt, über die Frage, ob diese Anfechtung zu Recht oder zu Unrecht geschehen ist, schwebt vor dem Landgericht Passau ein Rechtsstreit der Stadtgemeinde Passau gegen Anthony. In diesem Prozeß sind verschiedene Zeugen vernommen worden, die sich über die tatsächlichen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Anthony und Goetzendorff um die Jahreswende 1948/49 ausgelassen haben, darunter insbesondere ein Zeuge Anton Schmidt,
der damals der Sekretär von Goetzendorff war. Dieser Zeuge hat in dem Sinne, daß Herr Goetzendorff mit Herrn Anthony in sehr enger geschäftlicher Verbindung gestanden habe, allerhand Belastendes für Goetzendorff und Anthony ausgesagt, insbesondere Dinge, die er aus eigenen Äußerungen von Goetzendorff erfahren haben will. Der Zeuge ist auf seine Aussage am 3. April 1952 beeidigt worden. Herr Goetzendorff konnte zu diesem Termin, zu dem er auch als Zeuge geladen war, nicht erscheinen. Er ist dafür in einem Termin vom 16. Juni 1952 in Abwesenheit des vorvernommenen Zeugen Schmidt zu demselben Beweisthema gehört worden. Dabei ist ihm die eidliche Aussage des Vorzeugen Schmidt vorgehalten worden. Er hat im wesentlichen das strikte Gegenteil von dem ausgesagt, was 'der Zeuge Schmidt ausgesagt hat. Auch er ist — das würde man bei jedem Gericht nicht ohne weiteres tun — auf seine Aussage am 16. Juni 1952 vom Landgericht Passau vereidigt. Es stehen also in diesem Rechtsstreit zwei eidliche Aussagen einander unvereinbar gegenüber.
Herr Goetzendorff hat darauf nach Kenntnis von der Aussage Schmidts gegen diesen Zeugen Anton Schmidt, seinen früheren Sekretär, eine Anzeige wegen Meineids erstattet, und es haben gegen Schmidt Ermittlungen stattgefunden. Die Ermittlungsakte liegt dem 'Bundestag vor. In dieser Ermittlungsakte gegen Schmidt ist nach Auffassung des Oberstaatsanwalts in Passau so viel Material zusammengetragen, daß die Staatsanwaltschaft der Frage nachgehen zu müssen glaubt, ob nicht der Meineid, der hier in Frage steht, von Goetzendorff geleistet ist, so daß die Anzeige eigentlich richtig lauten müßte: Schmidt gegen Goetzendorff. Jedenfalls wird beantragt, die Immunität des Abgeordneten Goetzendorff aufzuheben, um nunmehr gegen ihn die Ermittlungen fortzusetzen, die bisher, wie gesagt, zur Klärung eines etwaigen Meineids Schmidts geführt und auch schon einigermaßen vorgeschritten sind.
Das ist der Rohstoff des Antrags, der uns hier vorliegt und der eine Fülle von Hintergründen hat, die für dieses Immunitätsverfahren selbst nicht von Bedeutung sind, die wir im Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität zwar zur Kenntnis genommen, aber nicht weiter erörtert haben. Für uns schien es klar zu sein, daß in diesem Fall, wo es sich um den Vorwurf einer als Verbrechen strafbaren Tat handeln würde, politische Hintergründe beinahe belanglos und auch kaum erkennbar sind. Denn es handelt sich um Wirtschaftsinteressen in erster Linie des Herrn Dr. Anthony. Ob und inwieweit auch des Herrn Goetzendorff, das ist eben Gegenstand des Prozesses, über den wir uns keinerlei abschließende Gedanken zu machen brauchen.
Der Immunitätsausschuß hat einstimmig beschlossen, dem Hohen Hause vorzuschlagen, in diesem Fall die Immunität des Herrn Abgeordneten Goetzendorff aufzuheben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. — Ich komme zur Abstimmung über den Antrag, den der Herr Berichterstatter begründet hat. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag Drucksache Nr. 3937 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit des Hauses; der Antrag ist angenommen.
Ich komme zu Punkt 11 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Donhauser gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 31. Oktober 1952 (Nr. 3938 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesjustizminister hat mit Schreiben vom 31. Oktober 1952 dem Bundestag die Frage gestellt, ob die Immunität des Abgeordneten Anton Donhauser zum Zwecke der Durchführung eines Strafverfahrens wegen Verleumdung nach § 187 a des Strafgesetzbuchs aufgehoben werden soll. Der Herr Bundesjustizminister hat seiner Frage ein Schreiben des Herrn Bayerischen Staatsministers der Justiz vom 16. Oktober 1952 beigefügt, das eine Grundlage für das Ersuchen des Bundesjustizministers darstellt. In dem Schreiben heißt es:
Der Bundestagsabgeordnete Donhauser soll nach einer Pressemitteilung auf einer Versammlung der Jungen Union in Plattling am 4. Oktober 1952 seinen Übertritt von der Bayernpartei zur CSU begründet und in diesem Zusammenhang über den stellvertretenden Landesvorsitzenden der Bayernpartei, den Bundestagsabgeordneten Dr. Hermann Etzel, folgende Ausführungen gemacht haben:
Dr. Etzel habe vor einiger Zeit' in Kreisen der Bayernpartei erklärt:
„Mein letztes Ziel ist selbstverständlich immer noch die völlige Separation der Bayern von Deutschland.
Diese Lostrennung kann nur mit Hilfe einer Großmacht erfolgen. Nachdem Frankreich, mit dem solche Versuche in früheren Zeiten schon gemacht worden sind, als Großmacht ausgeschieden ist und Amerika und England für die Selbständigmachung Bayerns nichts übrig haben, bleibt nur die Sowjetunion übrig.
Ich will ja, daß die Russen kommen, damit
endlich diese Bundesrepublik verschwindet."
Abgeordneter Dr. Etzel hat wegen dieser Äußerungen Strafantrag wegen politischer Verleumdung gestellt. Ich bitte, eine Entscheidung des Deutschen Bundestags darüber herbeizuführen, ob die Genehmigung zur Strafverfolgung erteilt wird.
Diesem Schreiben des bayerischen Justizministers liegt ein größerer Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Etzel an die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht in München bei. In diesem Antrag, der auch eine interessante Beilage hat. verweist Herr Abgeordneter Dr. Etzel darauf. daß es in keiner Weise richtig sein könne, wenn ihm der Abgeordnete Donhauser eine derartige Äußerung unterstelle. Herr Dr. Etzel legt eine Erklärung vor, die zahlreiche Unterschriften trägt. Die Erklärung hat folgenden Wortlaut:
Die unterfertigten Vorsitzenden und Mitglieder der Bundestagsfraktion der Föderalistischen Union erklären hiermit auf das bestimmteste, daß in ihrer Gegen-
wart, sei es privat, sei es in Sitzungen der Fraktion, Bundestagsabgeordneter Dr. Hermann Etzel niemals politische Auffassungen vertreten hat, wie sie nach der Berichterstattung Nr. 35 des Landesdienstes Bayern der dpa von dem Abgeordneten Anton Donhauser am 4. Oktober d. J. in der konstituierenden Versammlung der Jungen Union zu Plattling behauptet worden sind.
Demgegenüber überreichte Herr Bundestagsabgeordneter Anton Donhauser dem Ausschuß für
Geschäftsordnung und Immunität einen Brief vom
12. Dezember 1952 mit der Bitte, den Wortlaut
dieses Briefes dem Bundestag bekanntzugeben. Der
Inhalt lautet:
Ich nehme Bezug auf die Rücksprache, die ich mit Ihnen wegen des Strafantrags des Herrn Abgeordneten Dr. Etzel, Bamberg, gehabt habe. Zu der Klage des Herrn Dr. Etzel erkläre ich: Ich habe anläßlich einer Versammlung der Jungen Union in Plattling am 4. Oktober 1952 die in der Klageschrift niedergelegten Äußerungen gemacht. Unter der Voraussetzung, daß der mir bekanntgegebene Auszug aus der Klageschrift richtig wiedergegeben wurde, bekenne ich mich auch heute noch in vollem Umfang zu diesen Erklärungen.
Ich habe mich aus politischen Gründen, insbesondere aber aus Gründen des Verfassungsschutzes, in meinem Gewissen für verpflichtet gehalten, diese Erklärungen der Öffentlichkeit bekanntzugeben. Selbstverständlich habe ich diese Äußerungen über Herrn Dr. Etzel in der
Öffentlichkeit erst getan, nachdem ich zwei einwandfreie Zeugen für die Richtigkeit meiner
Behauptungen zur Verfügung hatte. Ich bin daher auch — wenn es der Herr Dr. Etzel wünscht — völlig damit einverstanden, daß dieser Vorgang vor einem öffentlichen ordentlichen Gericht eindeutig klargestellt wird.
Ich bitte daher den Deutschen Bundestag auch meinerseits, meine Immunität zur Durchführung dieses Verfahrens aufzuheben. Gleichzeitig bitte ich Sie, Herr Vorsitzender, diese meine Stellungnahme zum Antrag Dr. Etzels dem Plenum bekanntzugeben.
Ich darf daran erinnern, daß es an sich unerheblich ist, ob ein Abgeordneter die Aufhebung seiner Immunität wünscht oder nicht. Der Ausschuß hat sich mit der Angelegenheit eingehend befaßt. Es war dem Ausschuß klar, daß es sich um einen Grenzfall handle. Wir haben bisher immer die Haltung eingenommen, daß Beleidigungen politischen Charakters nicht zur Aufhebung der Immunität führen sollten. Der Tatbestand hier geht über den Rahmen einer einfachen Beleidigung politischen Charakters hinaus. Er enthält den Tatbestand der Verleumdung. Mit Rücksicht darauf hat, wenn auch nicht leichten Herzens, auch im Hinblick auf die Tragweite der darin aufgestellten Behauptungen der Ausschuß beschlossen, zu beantragen, der Bundestag wolle beschließen, die Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Donhauser zu erteilen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrage in Drucksache Nr. 3938 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Ich bitte um die
Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.*)
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über den Antrag der Fraktion der Deutschen Partei betreffend Strafanzeige und Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen den hessischen Landtagsabgeordneten Furtwängler (Nrn. 3939, 2997 der Drucksachen).
Berichterstatter ist auch zu diesem Punkt Herr Abgeordneter Ritzel. Herr Ritzel, darf ich bitten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im vorliegenden Fall handelt es sich nicht darum, die Immunität eines Bundestagsabgeordneten aufzuheben, sondern es handelt sich darum, ob der Bundestag einem Antrag der Deutschen Partei vom 16. Januar 1952 Drucksache Nr. 2997 entsprechend seinerseits gegen einen Abgeordneten des hessischen Landtags klagbar vorzugehen wünscht, der in einer Sitzung des Bundestages eine Gestikulation vollführte, die vom Bundestag oder von einzelnen Bundestagsabgeordneten und von der Fraktion der DP als eine Beleidigung und im übrigen als eine Herabwürdigung eines religiösen Bekenntnisses gedeutet worden ist.
Mit der Angelegenheit hat sich der Ausschuß für Geschäftsordnung wiederholt befaßt; sie hat auch den Herrn Bundeskanzler interessiert; schließlich hat sich der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages damit befaßt. Der Herr Bundeskanzler teilte bereits am 15. April 1952 durch seinen Beauftragten mit:
Der Herr Bundeskanzler hat von dem an den Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität gerichteten Schreiben des hessischen Landtagsabgeordneten Furtwängler und der darin zum Ausdruck gebrachten Entschuldigung über sein Verhalten in der Plenarsitzung des Bundestages vom 11. Januar 1952 und ferner von dem Ergebnis des Ausschußberatung vom 5. April 1952 Kenntnis genommen.
Der Herr Bundeskanzler hat nunmehr von der Stellung eines Strafantrages Abstand genommen und betrachtet den Vorfall für seine Person als erledigt.
Damals handelte es sich noch um die Formulierung einer Entschuldigung, die dem Ausschuß nicht genügte. In der Zwischenzeit hat der hessische Abgeordnete Furtwängler eine neue Entschuldigung hierhergesandt, in der es heißt:
Darf ich Sie, hochverehrter Herr Präsident,
bitten, von mir die Versicherung entgegenzunehmen, daß es mir aufrichtig leid tut, jenen
Zwischenfall in der Sitzung des Bundestages
herbeigeführt und den Eindruck erweckt zu
haben, als hätte ich durch meine Gestikulation ein religiöses Bekenntnis herabwürdigen
wollen, das mein eigenes Bekenntnis ist.
Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität beantragt, mit Rücksicht auf den Inhalt dieser Entschuldigung die Angelegenheit als erledigt anzusehen. Der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages schließt sich dieser Haltung des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität an. Ich bitte das Hohe Haus, dementsprechend zu beschließen.
*) Vergl. Anlage 2 Seite 11763
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich komme zur Abstimmung. Meine Damen und Herren, ich bitte die, die dem Antrag des Ausschusses Drucksache Nr. 3939 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das ist, soweit ich sehe, gegen wenige Stimmen angenommen.
Dann fahren wir, meine Damen und Herren, fort in der Beratung der erstatteten Ausschußberichte des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität in den Immunitätsfragen, Tagesordnungspunkte 13 bis 29. Sie gestatten mir, von der Verlesung der einzelnen Punkte heute Abstand zu nehmen.
13. Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen die Abgeordneten Reimann und Fisch gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 8. August 1952 (Nr. 3752 der Drucksachen);
14. Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Reimann gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 1. September 1952 (Nr. 3753 der Drucksachen);
15. Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen die Abgeordneten Reimann und Frau Strohbach gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 2. September 1952 (Nr. 3754 der Drucksachen);
16. Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Reimann gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 12. September 1952 (Nr. 3755 der Drucksachen);
17. Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen die Abgeordneten Reimann und Müller (Frankfurt) gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 19. September 1952 (Nr. 3756 der Drucksachen);
18. Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Reimann gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 22. September 1952 (Nr. 3757 der Drucksachen);
19. Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Müller (Frankfurt) gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 30. August 1952 (Nr. 3758 der Drucksachen);
20. Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Müller (Frankfurt) gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 1. September 1952 (Nr. 3759 der Drucksachen);
21. Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Müller (Frankfurt) gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 23. September 1952 (Nr. 3760 der Drucksachen);
22. Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen die Abgeordnete Frau Strohbach gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 11. August 1952 (Nr. 3761 der Drucksachen);
23. Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Niebergall gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 14. August 1952 (Nr. 3762 der Drucksachen);
24. Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Agatz gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 18. August 1952 (Nr. 3763 der Drucksachen);
25. Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Rische gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 17. September 1952 (Nr. 3764 der Drucksachen);
26. Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Renner gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 27. September 1952 (Nr. 3765 der Drucksachen);
27. Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen die Abgeordneten Reimann und Paul (Düsseldorf) gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 15. November 1951 und 15. Dezember 1951 (Nr. 3878 der Drucksachen);
28. Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Paul (Düsseldorf) a) gemäß Schreiben des Bundesministers
der Justiz vom 14. September 1951
;
b) gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz — AZ. 4040 E — 25967/51 — vom 14. Dezember 1951 ;
c) gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz — AZ. 4040 E — 26390/51 — vom 14. Dezember 1951 ;
d) gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz — AZ. 4040 E — 28933/51
— vom 14. Dezember 1951 ;
e) gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz — AZ. 4040 E — 28933/51
— vom 14. Dezember 1951 ;
f) gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 14. Februar 1952 ;
29. Fortsetzung der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Reimann gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 23. Februar 1952 (Nr. 3934 der Drucksachen).
Es war eine Redezeit von 90 Minuten vereinbart. Mit Rücksicht auf die Tatsache, daß die Debatte damals abgebrochen worden ist und die kommunistische Gruppe an diesen Dingen naturgemäß besonders interessiert ist, schlägt der Ältestenrat Ihnen vor, bei dieser Redezeit der kommunistischen Gruppe heute noch eine besondere Redezeit von ins g es a m t 15 Minuten zuzubilligen. — Das Haus ist damit einverstanden. Wer wünscht, das Wort zu nehmen? —
— Meine Damen und Herren, das ist in der Geschäftsordnung nicht vorgesehen, daß man die anderen zunächst zum Reden veranlassen kann.
— Also Herr Abgeordneter Fisch!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es sehr eigenartig, daß die Vertreter der Koalitionsparteien, die sonst keine Gelegenheit versäumen, um gegen uns ins Feld zu ziehen, diesen Anlaß nicht wahrnehmen, um mit sachlichen Argumenten Anträge zu unterstützen, die, wenn sie durchgehen, uns ausschalten sollen. Wie gesagt, das ist sehr zu verwundern.
Es war gewiß nur ein Zufall, daß sich am letzten Sitzungstag des alten Jahres zwei Verhandlungsthemen sozusagen vermischten: die Erklärungen und Gegenerklärungen zum Staatsstreich des Herrn Bundeskanzlers und die von ihm hervorgerufene Verfassungskrise, andererseits die Frage der Aufhebung der Immunität von neun kommunistischen Abgeordneten. Aber dieser Zufall brachte es mit sich, daß viele Mitglieder dieses Hauses, darunter solche, die gewiß nicht als unsere politischen Freunde gelten, sich des Eindrucks nicht erwehren konnten, wie sehr der Generalangriff gegen die KPD-Fraktion
diktiert ist von politischen Absichten der Bundesregierung und nicht von Erwägungen des Rechts
und der Rechtlichkeit. Der 11. Dezember hat manchem gezeigt, welche fatale Übereinstimmung besteht zwischen den beabsichtigten Willkürmaßnahmen gegen die kommunistischen Abgeordneten und dem Versuch Dr. Adenauers, das Bundesverfassungsgericht bedenkenlos beiseite zu schieben, nur weil für ihn zu befürchten war, daß es einen für seine Vertragspolitik unwillkommenen Spruch fällen werde. Auch heute hat sich in der Tatsache, daß Sie es, zumindest vorerst, ablehnen, sich zu den vielen Anträgen und deren Begründung überhaupt zu äußern, gezeigt, daß es für Sie gar nicht ausschlaggebend ist, welche Begründungen für die von der Bundesregierung verlangte Aufhebung der Immunität von neun Abgeordneten gegeben werden.
Auf der Tagesordnung steht in der Tat allein eine politische Entscheidung, eine Entscheidung, ob es zweierlei Recht in der Bundesrepublik geben soll, eines für regierungstreue Elemente und ein anderes für Gegner der Adenauer-Regierung;
eine Entscheidung, ob nur noch Recht sein soll, was der Bundesregierung nützt; eine Entscheidung, ob der von Ihnen täglich verkündete und beschworene Grundsatz einer rechtsstaatlichen Ordnung von Ihnen selbst ernst genommen wird, oder ob er als Prunkstück einer gelenkten Staatspropaganda mißbraucht werden soll.
Am 11. Dezember wurde bewiesen: die Anträge widersprechen dem Grundgesetz, insbesondere seinen Art. 38 und 46, in denen den Abgeordneten die Unverletzlichkeit und die Unverfolgbarkeit aus politischen Gründen zugesichert wird. Am 11. Dezember wurde bewiesen, daß die vorgelegten Anträge unvereinbar sind mit den Grundsätzen für die Anwendung des Immunitätsrechts, die in diesem Hause ausgearbeitet, einstimmig angenommen und in aller Form verkündet worden sind. Schließlich wurde am 11. Dezember bewiesen: eine Strafverfolgung der kommunistischen Abgeordneten gemäß den hier zugrunde liegenden Anträgen der Bundesregierung würde bedeuten, daß dem seit über einem Jahr angeforderten Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das für Entscheide hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit politischer Parteien allein zuständig ist, in unzulässiger Weise vorgegriffen würde.
Man sollte meinen, die Darstellung dieser Umstände allein müßte genügen, um eine klare Mehrheit für die Ablehnung der vorgelegten Anträge zustande zu bringen. Andererseits sollte man meinen, daß sich die Herren Berichterstatter alle Mühe hätten geben müssen, die bestehenden grundsätzlichen Bedenken und Einwände mit beweiskräftigem und überzeugendem Material zu zerstreuen. Das aber, meine Damen und Herren, ist offensichtlich nicht geschehen. Mit einer einzigen Ausnahme, mit der in diesem Falle löblichen Ausnahme des Herrn Abgeordneten Mende, haben sich die Herren Berichterstatter die Sache sehr leicht gemacht. Sie haben die Mehrheitsmeinung des Ausschusses hier vorgetragen. Sie haben, wie es Herr Kollege Ewers selber noch unterstrichen hat, ihre persönliche, ihre Parteimeinung vorgetragen. In einem Falle hat es der Berichterstatter Herr Kollege Ewers sogar ausdrücklich bedauert, daß es im Ausschuß nicht zu einer einheitlichen Stellungnahme gekommen sei, und hat seine persönliche Auffassung, wonach es sich um ein politisches Verbrechen handle, ausdrücklich unterstrichen. Ja,
meine Damen und Herren, sollen Sie bei Ihrer Abstimmung zur persönlichen Auffassung des Herrn Kollegen Ewers von der Deutschen Partei Stellung nehmen oder zu sachlichen Argumenten, die der Ausschuß eingehend überprüft und teils so, teils so beurteilt hat?
Im Falle des Abgeordneten Müller begnügte sich Herr Kollege Ewers in der Hauptsache mit der Verlesung von Überschriften von Flugblättern und anderen Drucksachen. Er sagte ausdrücklich, er wolle „nur zwei besonders anzügliche Stellen" verlesen. Aber er hat das Pech gehabt, daß gerade die von ihm verlesenen Stellen mit Staatsgefährdung oder gar mit Hochverrat nicht das geringste zu tun haben. Beispielsweise führt er in seiner Rede die Stelle in der betreffenden Druckschrift an, an der es heißt: „Die Grundstoffindustrie gehört in Volkes Hand." Seit wann, Herr Kollege Ewers, ist die Forderung der Überführung der Grundstoffindustrie in die Hände des Volkes eine staatsgefährdende, eine hochverräterische Forderung? Meines Wissens gibt es in einigen Landesverfassungen Artikel über die Überführung der Grundindustrie in die Hände des Volkes, denen sogar die stärkste Partei der Adenauerschen Regierungskoalition damals ihre Zustimmung gegeben hat.
Im Falle des Verfahrens gegen die Abgeordneten Reimann und Fisch — Drucksache Nr. 3752 — spricht der Berichterstatter Herr Kollege Ewers davon, daß sich in der beanstandeten Klagebeantwortung meiner Partei auf die Klageschrift der Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht Beleidigungen gröbster Art häuften. Als er aber daranging, die Beweise dafür anzutreten, geschah ihm ein unliebsames Mißgeschick. Die zwei Beispiele, die er nannte, kommen nämlich beide im Text der Klagebeantwortung überhaupt nicht vor.
Das Wort „Kriegsvertrag" konnte ja schon gar nicht vorkommen; denn die beanstandete Klagebeantwortung trägt das Datum vom 6. Januar 1952, also einem Tage, an dem die Unterschriften unter die Verträge von Bonn und Paris noch gar nicht geleistet und die Verträge noch gar nicht ausgearbeitet waren. Das Wort „Verbrecherkomplott", das Herr Kollege Ewers zitiert hat, mag wohl seiner persönlichen Meinung entsprechen, wenn er die in unserer Klagebeantwortung dargelegten Tatsachen begutachtet. Mag das seine Meinung sein! W i r haben das Wort „Verbrecherkomplott" in bezug auf die Bundesregierung oder eine sonstige beamtete Person in unserer Schrift an keiner Stelle ausgesprochen.
Wie kommt Herr Kollege Ewers dazu, zu sagen: „M eines Erachtens könnte in diesem Fall auch der § 97 des Strafrechtsänderungsgesetzes, also der Tatbestand der Staatsgefährdung, in Betracht kommen"? Interessiert denn das Hohe Haus die persönliche Auffassung des Herrn Ewers oder interessiert das Hohe Haus die Meinung des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität? Der Herr Kollege Ewers hat aber in der Begründung zu diesem Fall die Katze aus dem Sack gelassen. Ich will ihn in diesem Fall zitieren. Er sagte:
Ich habe hier als Referent zu erklären, daß die Mehrheit des Ausschusses in dem hier gezeigten Gesamtverhalten
— dem Gesamtverhalten von neun kommunistischen Abgeordneten —
einen einheitlichen Plan sieht und daß sich für diese Verfehlungen die Abgeordneten zu verantworten haben ...
Also Herr Kollege Ewers spricht offen aus, daß es sich gar nicht um eine sachliche oder gar juristische Prüfung der individuellen Fälle handelt, sondern daß es ihm und seiner Mehrheit darauf ankommt, ein Kollektivverfahren
gegen alle neun insgesamt durchzuführen und die neun Abgeordneten mit Kollektivstrafen aburteilen zu lassen.
Der Herr Kollege Spies hat in seiner Darstellung des Falles der Abgeordneten Reimann und Frau Strohbach — Drucksache Nr. 3754 — einen interessanten Hinweis gegeben. Als diskriminierten Satz zitiert er:
Schon haben die sozialdemokratischen Delegierten in Essen erklärt: Parlamentarische Mittel allein genügen nicht mehr, um dem Willen der überwältigenden Mehrheit des deutschen Volkes Geltung zu verschaffen.
So weit sind wir also bereits, meine Damen und Herren insbesondere der sozialdemokratischen Fraktion, daß Zitate aus Verhandlungsberichten des sozialdemokratischen Parteitags als Gegenstand von Hochverratsverfahren deklariert werden,
wenn wir sie zustimmend zitieren. Mögen Sie sich daraus eine Perspektive zurechtbauen für die Dinge, die Ihnen vielleicht blühen, wenn Sie diesen Vorgängen hier unbeteiligt gegenüberstehen.
Schließlich ein Wort zum Fall Renner. Im Fall meines Kollegen Renner — Drucksache Nr. 3765 — spricht sich der Berichterstatter für die Aufhebung der Immunität aus, obwohl es sich um einen Fall der politischen Beleidigung handelt, einen Fall also, der nach den Grundsätzen des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität unter keinen Umständen zur Aufhebung der Immunität führen dürfte. Und hier eine kleine, nette Illustration. In der gleichen Sitzung des Geschäftsordnungsausschusses vom 8. Oktober behandelte man auch ein Begehren um Aufhebung der Immunität des ehemaligen Abgeordneten Dorls. Ich zitiere nun aus dem Protokoll. Es heißt hierzu:
Die Abgeordneten Ritzel, Dr. Mende und Ewers sprechen sich gegen die Genehmigung aus, da das Flugblatt der SRP zwar Beleidigungen enthält, die aber im Rahmen des politischen Tageskampfes bleiben.
Im Fall des SRP-Manns Dorls also bleibt Herr Ewers bei der Tradition, daß wegen politischer Beleidigung die Immunität nicht aufgehoben werden dürfe. Im Falle Renner jedoch soll sie nach seiner Empfehlung aufgehoben werden.
So sieht das „einheitliche und für alle gleiche" Recht aus, von dem hier die Rede ist.
Zudem wissen wir, daß es sich hier um die Behauptung des Abgeordneten Renner handelt, daß der Überfall auf das Bonner Büro der KPD von BdJ-Banditen ausgeführt wurde, die von dem Kaiser-Ministerium bezahlt wurden. Allmählich
hat es sich vielleicht auch bis zu Ihnen durchgesprochen, daß der Anführer dieses Überfalls jener Landeshäuptling des BDJ Heise gewesen ist, der nicht nur nachgewiesenermaßen das Geld des Herrn Minister Kaiser erhalten hat, sondern der inzwischen in Frankfurt am Main wegen nachgewiesenen doppelten Mordes verhaftet worden ist.
Mit einem Einwand des Herrn Kollegen Mende sollte man sich jedoch ernstlich befassen. Herr Mende sagte zwar, man sollte dem Bundesverfassungsgericht die Entscheidung überlassen, ob ein verfassungswidriges Handeln einer Partei vorliegt. Er stützt sich dann aber auf eine Erklärung des Vertreters des Bundesjustizministeriums, der da sagte, das Ganze sei ein Plan zur gewaltsamen Angliederung Westdeutschlands an die „Ostzone". Nun müßte gerade der Vertreter des Justizministeriums wissen, daß die politischen Dokumente das Gegenteil beweisen, daß wir nämlich eintreten für Verhandlungen zwischen Ost und West mit dem Ziele freier gesamtdeutscher demokratischer Wahlen und mit dem Ziele, eine Nationalversammlung zu wählen, der es allein vorbehalten sein soll, über die künftige politische und wirtschaftliche Ordnung Gesamtdeutschlands zu entscheiden.
Aber hier, in Ihren Reihen, meine Damen und Herren, sitzen die Strategen des gewaltsamen Anschlusses,
sitzen diejenigen, die „mit Stärke" die heutige Deutsche Demokratische Republik „anschließen" wollen, und sitzen doch diejenigen, die davon reden; Dresden und Königsberg seien Teile der Bundesrepublik.
Ich habe im Rahmen der beschränkten Redezeit leider nicht die Möglichkeit, auf alle Einzelheiten der vorgelegten Anträge und ihrer Begründungen einzugehen. Ich möchte nur noch auf eines hinweisen: Man bezieht sich auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 8. April 1952, in dem gesagt wird, daß die Bestrebungen, die von der Deutschen Demokratischen Republik ausgehen, hochverräterische Unternehmen sind. Meine Damen und Herren, seit wann kann ein Urteil aus einem reinen Aktenverfahren das Urteil des verfassungsmäßig vorgesehenen Bundesverfassungsgerichts ersetzen? Jenes Urteil vom 8. April 1952 kam zustande ohne Angeklagte, ohne Zeugen, ohne Verteidiger. Ein solches Aktenverfahren soll Grundlage sein, um ein verfassungswidriges Verhalten einer Partei oder deren führender Menschen darzustellen und unter Beweis zu stellen? So geht es doch nicht, meine Damen und Herren! Auf diese Weise können Sie eine verfassungsmäßige Institution wie das Bundesverfassungsgericht nicht einfach beiseite-schieben.
Es ist klar erkennbar, welche Absicht sich hinter dem Verlangen der Bundesregierung verbirgt. Die Bundesregierung will die kommunistische Fraktion angesichts der kommenden Entscheidungen über den Generalvertrag und den Pariser Militärvertrag ausschalten. Die Bundesregierung will die kommunistischen Abgeordneten an einer Kandidatur zu den kommenden Bundestagswahlen hindern, indem sie auf die Aberkennung des passiven Wahlrechts zusteuert. Die Bundesregierung will sich in den politischen Auseinandersetzungen mit der Mehrheit des Volkes, in die sie gedrängt ist, den Staatsanwalt zu Hilfe holen. Die Bundesregierung will ihre Machtmittel benutzen, um gewählte Abgeordnete an der Ausübung ihres Rechtes auf politische Opposition zu hindern. Die Bundesregierung will einen Schlag gegen die KPD führen, aber gleichzeitig damit jede Opposition anderer Art einschüchtern.
Sie möchte sich an der Tätigkeit des neuen amerikanischen Hochkommissars Conant ein Beispiel nehmen, der bekanntlich zusammen mit dem berüchtigten Mc Carthy der Initiant des sogenannten „Ausschusses zur Prüfung unamerikanischen Verhaltens" gewesen ist. Sie will sich an der Neuauflage mittelalterlicher Inquisitionsverfahren ein Beispiel nehmen. Meine Damen und Herren, haben Sie Freude an diesen Beispielen amerikanischer Herkunft? Wollen Sie, daß auch bei uns umfassende staatliche Aktionen der Gesinnungsschnüffelei, der Verfolgung, der Diffamierung und Verdächtigung stattfinden,
denen schließlich alle unterliegen sollen, die sich eine fortschrittliche Gesinnung bewahrt haben?
Kommen Sie bitte zum Schluß.
Ich bin bald fertig. — Hier hat sich der Bundeskanzler vor kurzem gegen die sogenannte Naziriecherei ausgesprochen. Hier wurden Tatsachen verniedlicht und verleugnet, die das Anwachsen der Nazielemente in der Bundesrepublik und im Staatsapparat im besonderen darlegten. Mit den Mitteln der Rechtsbeugung, mit den Mitteln des staatlichen Druckes aber soll ein allgemeiner Einschüchterungsfeldzug gegen alle diejenigen durchgeführt werden, die sich der Politik der Kriegsverträge widersetzen.
Meine Damen und Herren! Derjenige unter Ihnen, für den amerikanisches Recht und amerikanische Sitte oberstes Gesetz geworden sein mögen, der allerdings möge den vorgelegten Anträgen zustimmen. Wer sich jedoch für Freiheit und Selbstbestimmung entschieden hat,
der darf seine Überzeugung und seine Grundsatztreue, der darf die Freiheit seiner Entscheidung
nicht den Absichten der Bundesregierung opfern.
Wer in dieser Frage Recht und Verfassung in einem blinden Haß gegen die Kommunisten bricht, der ist morgen bereit, sie gegenüber jedem andern politischen Gegner zu brechen. Darum ersuche ich Sie, den vorgelegten Anträgen Ihre Zustimmung zu verweigern. Ich beantrage Rückverweisung der Anträge an den Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität, damit der Ausschuß Gelegenheit hat, die grundsätzlichen Fragen dieser Angelegenheit nochmals gründlich zu überprüfen und dem Plenum Berichte zu erstatten, aus denen sich jeder Abgeordnete des Hauses ein klares Bild von der großen politischen Tragweite dieser Entscheidung machen kann. Ich bin überzeugt, meine Damen und Herren, daß es in diesem Hause eine genügend große Anzahl von Abgeordneten gibt, die sich diesem meinem Antrage anschließen werden.
Das Wort hat als Berichterstatter der Abgeordnete Ewers.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Darf ich versuchen, mit der Objektivität, wie sie ein alter Mann vielleicht erschwingt, auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Fisch etwas sachlich zu erwidern.
Die Tatsache, daß in einer großen Zahl, bei weitem der Überzahl dieser Fälle die formale Beschuldigung auf Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung geht, macht den um das objektive Recht beflissenen Abgeordneten dieses Hauses die Entscheidung nicht leicht. Denn wir sind uns ja alle darüber einig, daß wir im Grundsatz wegen einer auf Grund der politischen Betätigung eines Abgeordneten gefallenen Beleidigung die Immunität nicht aufheben möchten. Darf ich daher zunächst einmal, Herr Fisch, das Verfahren gegen Herrn Kollegen Renner, Punkt 26, ausklammern; denn meine zusammenfassenden Betrachtungen als Berichterstatter zu Beginn der Beratung bezogen sich keineswegs hierauf. Im Falle des Herrn Kollegen Renner handelt es sich vielmehr um eine Koramage zwischen ihm und dem Ministerium für gesamtdeutsche Fragen wegen eines etwas unsympathischen Vorganges in dem Büro der KPD in Bonn. Ich betone, daß ich persönlich in diesem Fall im Ausschuß gegen die Aufhebung gestimmt, also auf keinen Fall hier etwa über diesen Sonderfall gesprochen habe.
Ganz anders liegen die Dinge bei den übrigen Fällen, wobei man wiederum etwas ausklammern muß, über das ich vielleicht bei meinem Referat auch nicht gesprochen habe, jedenfalls aber sprechen wollte. Da sind z. B. die Punkt 28 der heutigen Tagesordnung umfassenden Anträge gegen den Abgeordneten Paul. Dazu muß ich als Berichterstatter eines für das gesamte Haus klar herausstellen und möglicherweise nachholen: Wir sehen in der mit Flugschriften aller Art getätigten Propaganda der KPD in der Tat, wie es sich von selbst versteht, einen einheitlichen, von einer Zentrale aus geleiteten Plan der Vorbereitung einer gewissen, der KPD angenehmen allgemeinen Volksstimmung. Wir sind der Meinung, daß diese mit ungeheurem Geldaufwand betriebene Propaganda eine Gefährdung unseres Staatswesens bedeutet, der man nichts Gleichwertiges an Mitteln und an Material, d. h. an reinem Gewichtsmaterial, entgegensetzen kann. Diese Gefahr gibt unserer Meinung nach zu der Prüfung Anlaß, ob nicht die Bestimmungen gegen Staatsgefährdung aus dem neuen Strafgesetzbuch hier zur Anwendung kommen müssen. Denn als Mitgesetzgeber wird jeder Jurist dieses Hauses bestätigen: gerade an so etwas haben wir bei Schaffung der Bestimmungen über Staatsgefährdung gedacht. Nun ist dieses neue Strafgesetz erst am 1. September 1951 in Kraft getreten. Deswegen scheiden für uns alle Fälle aus der früheren Zeit — und das sind die gesamten Fälle Paul — aus der Gesamtbetrachtung aus. Das waren damals politische Beleidigungen mehr oder weniger schlimmen Inhalts, und es ist Ihnen deshalb schon erläutert, daß der Ausschuß in einer Reihe der Paulschen Fälle die Immunität nicht aufzuheben empfiehlt.
Die anderen Fälle aber haben ein gemeinsames Charakteristikum: sie betreffen Flugblätter, bei denen der Oberbundesanwalt im Falle Müller, heutiger Tagesordnungspunkt Nr. 21,
— lassen Sie mich bitte rein objektiv betrachten, wie es ist —
den Tatbestand nicht nur der Staatsgefährdung, sondern der Vorbereitung des Hochverrats für gegeben hält; seine Meinung! Im Falle Müller ist nicht etwa wegen Beleidigung, sondern wegen Vorbereitung zum Hochverrat die Aufhebung der Immunität beantragt.
Die gleichen Flugschriften, die hier eine Rolle spielen, kommen in den anderen Verfahren zum Teil auch vor, dort aber rechtlich lediglich als Beleidigung betrachtet.
Nun ist diesen Flugblättern eines gemeinsam: sie tragen ausnahmslos als verantwortlich die Unterschrift eines Abgeordneten dieses Hauses. Das ist der Punkt, zu dem wir, die wir beantragen, die Immunität aufzuheben, unter allen Umständen einmal unsere Auffassung klarlegen müssen. Wenn es für einen sonstigen Staatsbürger wegen des Inhalts und der strafrechtlichen Beurteilung dieser Flugblätter nicht möglich ist, solche Flugblätter verantwortlich zu unterzeichnen, ohne sich verantworten zu müssen, dann wollen wir auf keinen Fall, daß der Abgeordnete von seinem Immunitätsrecht hier einen Gebrauch macht, das ihm ein Sonderrecht einräumt.
Das heißt auf deutsch: die KPD will nicht wiederum einen „Sitzredakteur", sondern im Gegenteil einen unverantwortlichen Flugblattzeichner herausstellen. Wir denken dabei grundsätzlich nicht im geringsten daran, Abgeordnete dürften überhaupt keine Flugblätter unterschreiben. Wenn sie persönlich Verfasser sind und es sich um eine persönliche politische Angelegenheit etwa in ihrem Wahlkreis handelt, — selbstverständlich! Da wird sich auch kein anderer finden, der es unterschreibt. Aber diese Dinge sind ja zentral gesteuert, und es ist eine Frage, ob der einzelne Unterzeichner überhaupt weiß, was er unterzeichnet.
Ich habe die Flugblätter wörtlich, zum Teil danach zitiert, was der Oberbundesanwalt über den Inhalt berichtet hat. Nicht alle Flugblätter lagen uns im Original vor. Aber ich nehme an, daß, wenn uns ein Oberbundesanwalt über den Inhalt in Anführungszeichen berichtet, diese Zitate richtig sind, und ich bleibe dabei bis zum Beweise des Gegenteils. Diese Flugblätter lassen den Tatbestand erkennen, daß versucht wird, in den Reihen der Bevölkerung unseres Gebiets eine einem Umsturz günstige Gesamtstimmung herbeizuführen. Sie haben mit tatsächlicher Aufklärung nichts zu tun, sondern mit der Propaganda für eine diesem Staatswesen feindliche und es untergrabende Gesamtgesinnung. Sie preisen nämlich den totalitären Staat, wie er in der Sowjetunion besteht, für uns als das Heil. Die Mehrheit des Ausschusses, und, wie ich überzeugt bin, die Mehrheit des Hauses wendet sich dagegen, daß das mit Mitteln geschieht, die das
geltende deutsche Strafrecht — nicht amerikanisches Recht — für jedermann strafbar macht, also auch für die Abgeordneten dieses Hauses.
Was uns hier fragwürdig erscheint oder worüber man Zweifel haben könnte, ist folgendes: Handelt es sich bei dem Gesamtbild dieser Flugblätter noch um den Vorwurf einer einfachen oder auch durch üble Nachrede begangenen Beleidigung, oder handelt es sich um eine Form der politischen Unterwanderung, gegen die wir uns, wenn wir Selbstachtung haben, schützen müssen? Für die Mehrheit des Ausschusses, und, wie ich annehme, des Hauses, sollte es keinem Zweifel unterliegen, daß diese so im Zusammenhang gesehenen Dinge ein politisches Vergehen erster Ordnung bedeuten, das mit einer auf politischen Motiven beruhenden Beleidigung schon gar nichts mehr zu tun hat. Diese Unterscheidung ist vom Standpunkt unseres Immunitätsrechts aus der entscheidende Punkt, zu dem das Haus heute Stellung nehmen muß.
Zum Schluß noch eines: Bisher ist gegen keinen Abgeordneten der KPD beantragt, etwa die Verhaftung zuzulassen.
— Weil die Behauptung verbreitet wird, wir wollten Ihre Fraktion stillegen. Ich weiß nicht, ob sich
in diesem Hause jemals eine Mehrheit dafür fände,
die ganze Fraktion der KPD zu verhaften; denn das Spiel des Jahres 1933 wollen wir nicht wiederholen. Bisher ist es nicht einmal von einer Staatsanwaltschaft beantragt. Wir daher keine Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen. Durch diese Aufhebung der Immunität wird nur die Untersuchung ermöglicht. Weiteres geschieht den Abgeordneten der KPD durch den heutigen Beschluß nicht. Darauf hinzuweisen, habe ich alle Veranlassung, damit nicht etwa weiterhin verbreitet wird, die Mehrheit des Hauses wolle die gesamte KPD-Fraktion durch diesen Beschluß stillegen und eliminieren. Mit solchen Dingen will die Mehrheit nichts zu tun haben. Sie will nur dem Recht seinen Lauf lassen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Maier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu Herrn Kollegen Ewers ist meine Fraktion der Auffassung, daß in diesem Falle die Rücküberweisung das Gegebene ist, da neue Fälle bekanntgeworden sind. Sie wird den Antrag auf Rücküberweisung unterstützen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hoogen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entrüstung der Kommunisten über die Aufhebungsanträge scheint mir zwar verständlich, aber doch recht oberflächlich zu sein; denn der Grundsatz, daß politisch infizierte Fälle und Sachverhalte mit politischem Hintergrund hier nicht zur Aufhebung der Immunität führen sollten, ist keineswegs in diesem Hause ausnahmslos angewendet worden. Ich selbst war in der 135. Sitzung am 18. April 1952 Berichterstatter, als eine solche Ausnahme beschlossen wurde. Damals sollte allerdings ein Mitglied einer Regierungspartei gegen einen hohen Beamten einer Landesregierung, der, soweit ich unterrichtet bin, der Kommunistischen Partei angehört, ehrenrührige Vorwürfe erhoben haben. Der Bundestag hat damals die Genehmigung zur Durchführung des Strafverfahrens erteilt, obwohl ein politischer Hintergrund ganz offensichtlich war. Damals handelte es sich um eine Beleidigung, die durch eine Presseveröffentlichung erfolgt war.
Ich habe damals nicht gehört, daß von der KPD oder von der SPD Einwendungen dagegen erhoben wurden.
Ich weigere mich, anzunehmen, daß es in diesem Hohen Hause jemanden gibt, der mit zweierlei Maß zu messen bereit wäre.
— Ich bin gern bereit, Herr Renner, Ihnen den Namen zu nennen. Ich habe ihn damals als Berichterstatter nicht genannt und ich nenne ihn hier in der öffentlichen Sitzung auch nicht.
Durch alle von dem Herrn Berichterstatter vorgetragenen Fälle zieht sich wie ein roter Faden das ganz offensichtlich zentral gesteuerte Bestreben, den politischen Kampf um die Ratifizierung der beiden Verträge zu einem Angriff auf den Bestand der Bundesrepublik zu benutzen. Man will bei dieser Gelegenheit Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik fördern. Man will bei dieser Gelegenheit die Bundesregierung und mehrere ihrer Mitglieder als verfassungsmäßige Organe in einer das Ansehen des Staates gefährdenden Weise verunglimpfen und zu solchen Verunglimpfungen auffordern.
Das sind keine Beleidigungen im politischen Tageskampf, die im Rahmen der Verfassung ausgetragen werden, sondern es sind Beleidigungen und Angriffe gegen die verfassungsmäßigen Organe unseres Staates. Das gleiche ist hinsichtlich der Schriften kommunistischen Inhalts in dem vom Herrn Kollegen Fisch zitierten Urteil des Bundesgerichtshofes vom 8. April des vergangenen Jahres eingehend und überzeugend ausgeführt worden. Ich werde mir erlauben, auf dieses Urteil noch einmal zurückzukommen. Hierbei ist ganz offensichtlich, daß die als Herausgeber der Druckschriften zeichnenden Abgeordneten nicht in erster Linie in Wahrnehmung ihrer Interessen als Abgeordnete handeln, sondern ihr Immunitätsrecht mißbrauchen, um Druckschriften hochverräterischen Inhaltes ungestraft verbreiten zu können. Rechtsmißbrauch darf aber nie den Schutz der Rechtsordnung genießen.
Die Berechtigung des Einwandes, man solle zunächst den Ausgang des Verfahrens beim Bundesverfassungsgericht mit dem Ziel der Feststellung der Verfassungswidrigkeit und der Auflösung der KPD abwarten, vermag ich nicht anzuerkennen. Neben diesem Verfahren sind Verfahren vor den ordentlichen Strafgerichten durchaus zulässig und jetzt und heute im Interesse der Sicherheit des Staates auch dringend erforderlich. Ich erwähnte eben bereits das auch von dem Kollegen Fisch zitierte Urteil des Bundesgerichtshofs. Ich glaube,
mit Ausnahme der Mitglieder der kommunistischen Gruppe haben wir alle keinen Zweifel daran, daß dieses Urteil auf Grund und nach Maßgabe der bestehenden materiellrechtlichen und verfahrensmäßigen Gesetze zustande gekommen ist. In diesem Urteil, das in einem selbständigen Verfahren auf Grund der erhobenen Beweise zustande gekommen ist, heißt es:
Es wird für Recht erkannt: Die Schriften:
1. „Wo stehen wir im Kampf um die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands?"
2. „Den Lügenfritzen eins aufs Maul"
3. „Das Gebot der Stunde"
4. „Achtung! Akute Gefahr für die ganze Nation!"
5. „Die deutsche Arbeiterklasse muß sich entscheiden!"
sind zur Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen die Bundesrepublik Deutschland bestimmt. Sie werden daher eingezogen.
Der Bundesgerichtshof stellt in dem gleichen Urteil den Grundsatz auf:
Mittel der Vorbereitung eines gewaltsamen oder durch Drohung mit Gewalt auszuführenden bestimmten hochverräterischen Unternehmens kann auch die geistige oder seelische Beeinflussung der Bevölkerung des Staates sein, gegen den das Unternehmen geplant ist.
Wenn wir unserer Diskussion die Grundsätze und Feststellungen dieses Urteils zugrunde legen, dann sind wohl die Vorwürfe, die Herr Kollege Fisch hier gegen die Mitglieder des Ausschusses gerichtet hat, die sich im Ausschuß für die Aufhebung der Immunität ausgesprochen haben — und dazu zähle auch ich —, unbegründet.
In dem vom Bundestag verabschiedeten Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951 ist vorgesehen, daß bei Verurteilung wegen staatsgefährdender Handlungen neben einer Gefängnisstrafe von mindestens drei Monaten auf Verlust der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden kann. Das ist im Bundestag mit überwältigender Mehrheit beschlossen worden.
Das kann auch dann geschehen, wenn der Verurteilte keiner für verfassungswidrig erklärten Partei angehört. Diese Vorschriften sind vom Bundestag beschlossen worden, damit den Gerichten anders als in den dreißiger Jahren die Möglichkeit gegeben ist, zum Schutze des Staates rechtzeitig und nachhaltig einzuschreiten. Nachhaltig werden die Gerichte aber nur dann einschreiten können, wenn sie nicht nur die kleinen Leute, sondern insbesondere diejenigen anfassen müssen, die unter dem Mißbrauch ihrer Immunität die kleinen Leute, die Verteiler dieser Druckschriften und alle anderen zu staatsgefährdenden Bestrebungen aufwiegeln.
Es ist der Antrag gestellt worden, die gesamten Verfahren an den Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität zurückzuverweisen. Obwohl ich der Meinung bin, daß die Anträge zur Entscheidung in diesem Hause reif sind, bin ich namens meiner Fraktion mit dem Rückverweisungsantrag aus folgenden Gründen einverstanden: Das eben von mir zitierte und nicht in seinem vollen Wortlaut vorgelesene Urteil ist bei den Beratungen im Ausschuß zwar erwähnt worden, aber es hat uns nicht vorgelegen. Wenn es uns damals im Wortlaut vorgelegen hätte, hätte — davon bin ich überzeugt — der Ausschuß den Aufhebungsanträgen einstimmig zugestimmt. Ich bin der Überzeugung, daß er das bei einer erneuten Ausschußberatung tun wird. Deswegen stimme ich der Rückverweisung zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Mende.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da August Bebel einmal gesagt hat, es sei gefährlich, wenn man von politischen Gegnern gelobt werde, so möchte ich erklären, daß ich das Lob des kommunistischen Redners von heute lediglich auf die objektive Berichterstattung verstanden wissen will. Aber, Herr Kollege Fisch, dieses Lob zwingt mich, den Angriff etwaiger tendenziöser Verfolgung der acht kommunistischen Abgeordneten,
die hier betroffen werden, zurückzuweisen. Seit über vier Monaten werden diese Fälle immer wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Sie stehen, glaube ich, heute zum fünften Mal darauf.
Diese Fragen werden also mit einer Zurückhaltung und mit einer Schonung der betroffenen kommunistischen Abgeordneten behandelt,
daß der Vorwurf einer tendenziösen Verfolgung keineswegs gerechtfertigt ist. Wenn es dem Bundestag um eine solche ginge, hätte er wesentlich eiliger und mit geringerer Prüfung entschieden.
Sie wissen, daß wir Mitte Dezember die Dinge trennen mußten. Auch wir sind der Meinung, daß es unmöglich ist, heute eine Entscheidung zu treffen, ohne daß den Damen und Herren des Hauses die Berichte gegenwärtig sind. Bekanntlich erfolgte die Berichterstattung Mitte Dezember, seitdem sind immerhin vier Wochen vergangen. Es ist uns ferner bekannt, daß beim Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität weitere 18 ähnliche Fälle eingegangen sind. Wir kommen ohnehin um eine neue Debatte dieser Art nicht herum. Daher ist ein Teil meiner Fraktionskollegen — allerdings mit einer gewissen Überwindung — bereit, der Rückverweisung zuzustimmen. Ein anderer Teil kann jedoch eine weitere Zurückhaltung nicht billigen.
Ein letztes! Herr Kollege Fisch und die anderen Betroffenen, wenn sie mit den Staatsgefährdungsparagraphen unseres Strafrechts nicht in Berührung oder nicht in ihre Nähe kommen wollen, liegt es an Ihnen, in Ihren Reden und Flugblättern wenigstens in der Zukunft jene Zurückhaltung zu üben, die uns beweist, daß Sie den guten Willen haben, uns hier nicht weiter in Fragen der Immunitätsaufhebung so vielen Stoff zu geben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Es ist der Antrag gestellt, die Gegenstände der Punkte 13 bis 29 der Tagesordnung an den Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität zur weiteren Beratung zurückzuverweisen. — Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. —
Gegenprobe! — Die Abstimmung ergibt kein klares Bild. Wir müssen durch Hammelsprung entscheiden. Ich bitte die Herren Schriftführer, sich an die Türen zu begeben. Ich bitte, den Saal zu räumen.
Ich gebe bekannt, daß der Ernährungsausschuß heute um 14 Uhr 30 zur Beratung des Vertriebenengesetzes im Zimmer 02 zusammenkommt.
Ich bitte, die Türen zu schließen. — Ich bitte, die Türen zu öffnen und mit der Auszählung zu beginnen. —
Ich bitte, die Türen zu schließen. Die Auszählung ist beendet.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis der Auszählung ist: Mit Ja, also für die Rücküberweisung, haben gestimmt 145 Mitglieder des Hauses, mit Nein 144. Sechs Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten. Damit ist der Antrag auf Rücküberweisung angenommen.
Ich rufe auf Punkt 30 der Tagesordnung:
Beratung des Berichts des Wahlprüfungsausschusses über die Feststellung des Erlöschens des Bundestagsmandats des Abgeordneten Müller (Hannover) (Nr. 3871 der Drucksachen).
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Ewers als Berichterstatter.
— Meine Damen und Herren, ich bitte um Gehör für den Herrn Berichterstatter.
Meine sehr geehrten Kollegen! In Wahlprüfungssachen haben wir bisher nie berichtet. Ich verweise auf den dem Bericht anliegenden Entwurf eines Beschlusses. Ich möchte nur bitten, in der Drucksache zwei Schreibfehler zu berichtigen. Sowohl im Tenor wie im ersten Absatz ist durch einen Tippfehler des Druckers anstatt der Jahreszahl 1950 die Jahreszahl 1952 angegeben. An beiden Stellen, wo 1952 steht, muß es, ebenso wie an allen übrigen Stellen, wo es richtig ist, 1950 heißen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Gesamtredezeit von 40 Minuten vor. — Es wird kein Widerspruch erhoben; es ist so beschlossen.
Ich bitte um Wortmeldungen. — Das Wort hat der Abgeordnete Renner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie im Namen meiner Fraktion,
die Empfehlung des Ausschusses abzulehnen.
Die Beratungen im Ausschuß selber und der Bericht sind ein Beweis dafür, daß alle im Zusammenhang mit dem Fall Kurt Müller hier in Westdeutschland aufgezogenen Schauermärchen völlig zusammengebrochen sind.
Lesen Sie doch Ihren eigenen Bericht. Der einzige Kronzeuge, den Sie haben — nach Ihrem eigenen Bericht —, hat seine schwindelhaften Behauptungen mit Bedauern zurückgezogen.
Nun zur Sache selber. Alle Anschuldigungen, daß die Kommunistische Partei Deutschlands oder einzelne ihrer Mitglieder an einer „gewaltsamen Verschleppung des Müller aus dem Gebiet der Bundesrepublik beteiligt" seien, haben sich ebenfalls als völlig unbegründete politische Hetze herausgestellt. Müller ist freiwillig in die Deutsche Demokratische Republik gegangen.
Er hat die Deutsche Demokratische Republik verschiedene Male, sehr oft, betreten, und auch seine letzte Einreise in die Deutsche Demokratische Republik hatte offensichtlich den Zweck, mit den dort stationierten Agenten derselben ausländischen Macht gemeinschaftlich seine Arbeit und seine Aufträge zu besprechen.
Die Behauptungen, daß er zur Niederlegung seines Mandats unter Druck gezwungen worden sei oder daß diese Mandatsniederlegung irgendwie im voraus angefertigt worden sei oder daß die Unterschrift, wie das auch zu Anfang behauptet wurde, falsch sei, sind vom Ausschuß ebenfalls als nicht zutreffend herausgestellt worden.
Was haben wir vor uns? Wir haben vor uns den Versuch, ein dem Abgeordneten Niebes ordnungsmäßig zustehendes Mandat uns, der Kommunistischen Partei, vorzuenthalten. Das ist der Sachverhalt. Sie mögen reden, wie Sie wollen, das ist der Zweck. der bei der ganzen Aktion verfolgt worden ist. I
Herr Niebes ist ordnungsgemäß, nach den Bestimmungen des Rechts und der Verfassung als Bundestagsabgeordneter von dem dafür zuständigen Landeswahlleiter von Nordrhein-Westfalen berufen worden, und alles Gerede schafft diesen Tatbestand nicht aus der Welt. Was Sie wollen, ist nichts anderes, als uns ein uns zustehendes Mandat vorzuenthalten.
Weitere Wortmeldungen? — Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Meine Damen und Herren! Als Herr Renner heute morgen sagte, 80 % der Flüchtlinge, die aus der sowjetischen Besatzungszone zu uns kommen, seien asoziale Elemente, war das schon ein starkes Stück. Aber wenn ei sich jetzt hier hinstellt und in dieser Weise über einen alten Kampfgefährten redet, so ist das noch sehr viel stärker,
besonders dann, wenn bei dem Tagesordnungspunkt, der vorher hier zur Behandlung stand, diese selben kommunistischen Abgeordneten die Rechte und die Immunität der Abgeordneten des Bundestages so beredt verteidigten.
Worum handelt es sich denn hier? Ein Fraktionskollege dieser Gruppe ist verschleppt worden; er Ist mit List und Tücke in die sowjetische Besatzungszone gelockt worden. Seit zwei Jahren ist er dort eingekerkert. Noch nie hat er Verbindung mit seinen Angehörigen aufnehmen können; noch nie hat er unseres Wissens irgendeinen Rechtsbeistand gehabt; noch ist nichts von einer Anklageschrift bekanntgeworden; noch hat kein Prozeß stattgefunden. Und diese 'kommunistischen Abgeordneten hier dulden nicht nur diesen Zustand, sondern sie billigen ihn, sie verteidigen ihn. Ihnen steht es dann wirklicht schlecht an, hier von Freiheit und Recht zu reden, wie es eben der Abgeordnete Fisch getan hat.
Diese ganze Wahlprüfungssache ist einfach eine Unverfrorenheit. Es wird dem Bundestag zugemutet, das Verbrechen anzuerkennen, das da geschehen ist, und noch die Hand dazu zu bieten, daß dieser Fraktion für die Selbstverstümmelung, die sie vorgenommen hat, ein Ausgleich gegeben werde.
Herr Reimann hat am 22. März 1952 Kurt Müller nach Ostberlin geschickt und ihn da verhaften lassen.
— Wir wissen, daß er sofort verhaftet worden ist. Die Mandatsniederlegung ist durch einen Brief erfolgt, der das Datum des 6. Mai trägt. Dieser Brief ist nicht an den Herrn Präsidenten des Bundestags geschickt worden, sondern damals durch einen gewissen Herrn Renner hier persönlich übergeben worden, und zwar seltsamerweise mit dem Verlangen, daß ihm die Übergabe schriftlich bescheinigt werde. Herr Renner war der Briefträger dieses Briefes, der zu einer Zeit geschrieben wurde, als Kurt Müller nachgewiesenermaßen im Gefängnis in Berlin saß.
— Das ist vor allem bewiesen durch die Aussage
der Lebensgefährtin des Kurt Müller, der Hedi Fischer, die auch eine alte und gute Kommunistin war und der erst die Augen aufgegangen sind, als das in ihrer Familie geschah. Ihnen werden vielleicht auch noch einmal die Augen aufgehen,
und dann wird uns die Pflicht zufallen, Ihre Interessen zu verteidigen, Herr Renner!
Ich kann auf die Einzelheiten des Verfahrens vor dem Wahlprüfungsausschuß nicht eingehen; sie sind in der Drucksache, die vor Ihnen liegt, schriftlich niedergelegt. Es mag uns hier genügen, daß es doch absurd ist, zu glauben, daß ein Gefangener in Berlin freiwillig auf die Sicherung, die ihm ein Mandat im Bundestag gäbe, verzichtet. Das können Sie anderen weismachen, Herr Renner, aber nicht uns.
Ich darf auch noch einmal kurz an folgende Tatsache erinnern. Der Brief mit der Mitteilung über die Niederlegung des Mandats trägt als Ortsangabe den Vermerk „im Hause", als sei er hier geschrieben worden. Aber Kurt Müller saß im Gefängnis in Berlin. Dort hat man ihn wahrscheinlich so unter Druck gesetzt, daß dieser Brief zustande kam. Ich darf weiter anführen, daß der Bundestag am 1. Juni 1950 in öffentlicher Sitzung Kurt Müller aufgefordert hat, vor einer Behörde Westberlins oder der Bundesrepublik zu erscheinen und, wenn er tatsächlich beabsichtige, sein Mandat niederzulegen, diesen Willen vor einer solchen Behörde frei und klar zum Ausdruck zu bringen. Selbstverständlich ist Herr Kurt Müller nirgendwo aufgetaucht, um diese Mandatsniederlegung zu bekräftigen. Das, Herr Renner, wäre auch heute noch das einfachste Mittel, zu Ihrem 15. Mandat zu kommen und damit wieder eine Fraktion zu bilden.
— Dieser „Agent"? Ich komme gleich darauf. Jedenfalls, wie komisch solche Agenten in der Kommunistischen Partei aussehen
und was für eine seltsame Karriere sie haben, — —
— Ich verlange ja nicht, daß Sie mir zustimmen. Sie müssen hier so tun, als seien Sie dagegen. Aber die Müller, Kostov, Rajk, Slansky und die anderen warnen Sie doch alle! Ich weiß nicht, ob Sie heute zweiter Vorsitzender dieser Partei sind, Herr Renner. Das scheint mir ein besonders gefährlicher Posten zu sein.
Da ist schon ein Heinz Neumann draufgegangen, da ist jetzt ein Kurt Müller draufgegangen, und im Slansky-Prozeß in der Tschechoslowakei war auch ein zweiter Vorsitzender dabei, der dem Henker übergeben wurde. Also, Herr Renner, Kommunismus ist gefährlich für die Freiheit; aber für niemanden ist er so gefährlich wie für Sie selbst!
Seien Sie froh, daß Sie in der Bundesrepublik leben!
Das gibt Ihnen eine gewisse Garantie!
Sehen Sie, hier müssen Sie schon anfangen, aufzupassen. Sie müssen schon anfangen, aufzupassen wegen dieser Zonengrenze. Der Fall Müller be- weist es.
In Frankreich kommen die alten Kämpfer Marty und Tillon mit der Verleumdung und dem Schmutz davon, den man jetzt auf sie wirft.
Sie können eine Einladung in die sowjetische Besatzungszone bekommen. Wenn man Sie in die DDR einlädt, machen Sie doch vorher eine Gewissensprüfung und überlegen Sie sich, ob Sie eine Chance haben, zurückzukommen!
So viele von Ihnen sind den Weg ins Gefängnis und zum Genickschuß gegangen. Ich habe schon an Heinz Neumann erinnert. Die ganze Familie Hermann Remmele ist in Rußland draufgegangen, ferner Hugo Eberlein, Leo Flieg und so viele andere, und Sie haben sich nicht gerührt. Herr Pieck und Herr Ulbricht, die damals, als diese Verbrechen an ihren Mitkämpfern geschahen, in Rußland weilten, haben sich nicht gerührt. Sie rühren sich heute nicht wegen Kurt Müller.
„Ein Agent! Ein Agent!" Hören Sie zu, welch ein „Agent": Seit 1919 war Kurt Müller Kommunist. Er war führend im kommunistischen Jugendverband tätig. Er war dann im Dritten Reich, wegen politischer Vergehen selbstverständlich, sechs Jahre im Zuchthaus, fünf Jahre im KZ. Ein Mann, der elf Jahre für seine Partei gelitten hat, wird nachher ein englischer Agent?! 1948 bis 1950 war er zweiter Vorsitzender dieser Partei, und seit März 1950 ist er der besagte Agent, den man in Berlin eingesperrt hat.
Wenn der Machtkampf in der Kommunistischen Partei tobt, dann braucht man Sündenböcke. Wenn die Partei den Krebsgang geht und zur Sekte wird, dann muß jemand daran schuld sein, dann wird halt der alte Kämpfer zum Spion gestempelt. Wenn Hunger und Not in der DDR herrschen, dann braucht man einen Sündenbock, und der treue Knecht Hamann wird eben ein Saboteur. Viele von Ihren alten Parteigenossen sitzen jetzt noch drüben im Gefängnis oder sind in Gefahr, sehr bald darin zu sitzen. Darf ich Ihnen wieder einige Namen nennen: Paul Merker, den Sie ja gut kennen, und Kreikemeyer und den allmächtigen Vorsitzenden der Kontrollkommission Hermann Matern. Alle werden zu „Agenten", zu „Titoisten" und zu anderen Ketzern. Die Schau der Prozesse hat jetzt durch die „Volksdemokratien" des Balkans die Runde gemacht, und jetzt scheint die DDR dran zu sein. Jetzt steht uns da ein Schauprozeß bevor.
Aber ich möchte Ihnen hier noch aus dem Prozeß gegen Slansky und Genossen eine besondere Ungeheuerlichkeit, die sich sogar unter den Ungeheuerlichkeiten diese Regimes hervorhebt, zur Kenntnis bringen. In diesem Prozeß war, wie gesagt, auch ein zweiter Vorsitzender angeklagt, und er ist zum Tode verurteilt worden. Aber ungewöhnlich war, daß der vierzehnjährige Sohn dieses stellvertretenden Generalsekretärs Frejka einen Brief an den Vorsitzenden des Gerichtes schrieb. Ich darf diesen Brief mit Erlaubnis des Präsidenten kurz verlesen.
Ich verlange für meinen Vater die schwerste Strafe, die Todesstrafe.
Erst jetzt sehe ich, daß diese Kreatur,
— der Vater —
die man nicht einen Menschen nennen kann, — der Vater —
weil sie keine Spur von Gefühl und Menschenwürde in sich hatte, mein größter Feind war.
Als ergebener Kommunist weiß ich, daß mein Haß gegen alle Feinde, besonders gegen jene, die unser stets reicher und freudiger werdendes Leben vernichten wollen, namentlich der Haß gegen meinen Vater, mich stets in meinem Kampf für die kommunistische Zukunft unseres Volkes stärken wird. Ich bitte, diesen Brief meinem Vater vorzulegen und mir eventuell die Möglichkeit zu geben, daß ich ihm persönlich dasselbe sagen kann.
Das ist ein ganz besonderer Tiefstand in der Unmenschlichkeit, die Ihr Regime überall hervorbringt,
und es ist auch ein Tiefstand in der Unmenschlichkeit, wenn Sie hier als Fraktion dafür eintreten, daß Ihr alter Fraktionskollege ohne öffentliches Parteiverfahren, ohne Anklageschrift, ohne Prozeß und ohne Urteil vielleicht einmal dem Henker überantwortet wird.
Wir haben das Gefühl, daß der Bundestag in dieser Sache nicht genug getan hat. Wir haben uns zu sehr damit abgefunden, daß dieses Attentat auf uns alle begangen und daß ein Mitglied dieses Hauses rechtlos eingekerkert worden ist. Wenn die Volkskammer versucht, mit uns zu reden, dann sollten wir das nach unserer Meinung aus politischen Gründen ablehnen. Aber auch der Fall Müller sollte schon Anlaß genug sein, diese Gespräche nicht zu akzeptieren.
Es ist möglich, daß Müller bald in einem Prozeß drüben als Angeklagter stehen wird. Ich glaube, wir sollten uns überlegen, wie wir ihm dann helfen können. Wir Sozialdemokraten sind stolz darauf, daß diese Gesellschaft in Deutschland zu einer Sekte geworden ist
und daß wir damit einen entscheidenden Beitrag dazu geliefert haben, daß unser deutsches Gebiet frei bleibt und in ihm kein Platz ist für diese Unmenschlichkeit, die uns gerade in dem Fall Kurt Müller wieder einmal entgegentritt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
— Ihre Redezeit ist aufgebraucht.
Ich lasse abstimmen. Wer für den Antrag des Ausschusses ist, den bitte ich, die Hand zu erheben.
— Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Ich rufe Punkt 31 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes (Nr. 3981 der Drucksachen).
Ist das Haus damit einverstanden, die Vorlage ohne mündliche Begründung durch die Regierung entgegenzunehmen und auf Aussprache zu verzichten?
— Das ist der Fall. Die Vorlage wäre an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung zu überweisen. — Kein Widerspruch; dann gilt es als beschlossen.
Ich rufe Punkt 32 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Polizeiverordnung über den Verkehr mit giftigen Pflanzenschutzmitteln ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Fragen des Gesundheitswesens (Nr. 3994 der Drucksachen).
Das Haus ist damit einverstanden, in die zweite Beratung einzutreten, ohne den Bericht der Frau Berichterstatterin von der Tribüne des Hauses entgegenzunehmen?
— Das Haus ist damit einverstanden. Dann rufe ich auf § 1, — § 2, — § 3, — Einleitung und Überschrift. — Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest. Die zweite Beratung ist abgeschlossen.
Ich rufe auf zur allgemeinen Aussprache in der
dritten Beratung.
— Keine Wortmeldungen. Ich schließe die allgemeine Aussprache und eröffne die Einzelberatung. §§ 1 bis 3, — Einleitung und Überschrift. — Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Wer für die Annahme des Gesetzes als Ganzes ist, den bitte ich, dies durch Erheben von den Sitzen zu bezeugen. — Gegenprobe! — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe Punkt 33 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Visenzwang (Nrn. 3990, 3896 der Drucksachen).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, diesen Beschluß ohne vorhergehende Aussprache zu fassen.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Feldmann als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aufhebung des Visenzwanges ist ein echtes Anliegen aller Parteien dieses Hauses. Der Ausschuß für innere Verwaltung hat deshalb in voller Übereinstimmung der Meinung Ausdruck gegeben, daß die seit dreieinhalb Jahrzehnten, insbesondere seit den letzten beiden Weltkriegen aufgerichteten Schranken des europäischen Reiseverkehrs einem Zusammenfinden der europäischen Menschheit hindernd im Wege stehen. Er war deshalb überrascht, daß der bereits früher gestellte Antrag, wenigstens für Jugendliche bis zum 25. Lebensjahr den Sichtvermerkzwang aufzuheben, bei den europäischen Staaten so wenig Echo gefunden hat. Das hat ihn deshalb um so mehr überrascht, als zwischen den übrigen europäischen Völkern inzwischen im Wege der gegenseitigen Vereinbarung der Sichtvermerkzwang weggefallen ist.
Es ist nicht meine Aufgabe, die Gründe vorzutragen und zu untersuchen, die zu dieser besonderen Haltung gegenüber der Bundesrepublik führen oder geführt haben. Ich glaube aber, namens des Ausschusses sagen zu können, daß die vielleicht aus der Vergangenheit noch herrührenden Vorstellungen von einer gewissen politischen Befangenheit des deutschen Volkes nach unserer Auffassung entweder doch bereits überwunden sein müßten oder aber unter allen Umständen im Interesse einer engen Zusammenarbeit der europäischen Völker überwunden werden müssen. Der Ministerrat des Europarats und ebenso der Verfassungsentwurf der Ad-hoc-Versammlung in Straßburg haben in völliger Übereinstimmung die Aufhebung des Visumzwangs innerhalb des europäischen Bereiches empfohlen. Der Ausschuß war der Meinung, daß zwar die einseitige Aufhebung des Visumzwangs angesichts der bisherigen Haltung des Auslandes vielleicht unsere Verhandlungsposition bei den zukünftigen Verhandlungen erschweren könnte. Er hat sich dennoch dafür ausgesprochen, weil er glaubt, daß es richtig ist, daß die Bundesrepublik von sich aus zunächst einen überzeugenden Beweis ihres ernsthaften Willens zur Zusammenarbeit und zur engeren menschlichen Berührung im europäischen Bereiche geben soll, dann aber auch deshalb, weil der § 3 des Paßgesetzes vom März 1952 den Visumzwang nur als Ausnahme vorsieht, während er im allgemeinen davon ausgeht, daß insbesondere in der Erwartung eines Europa-Passes der Visumzwang nur in besonderen Ausnahmefällen, und zwar durch besondere Rechtsanordnung der Regierung, Geltung haben soll.
Ich habe Ihnen deshalb den einstimmigen Beschluß des Ausschusses vorzutragen, daß die Bundesregierung zwar noch nicht von sich aus endgültig die Aufhebung des Visumzwangs verkündet, sondern eine Mitteilung an die Regierungen der Mitgliedstaaten der OEEC und des Europarats ergehen läßt, daß sie beabsichtige, vom 1. April 1953 an von Staatsangehörigen dieser Länder für Reisen in das Gebiet der Bundesrepublik von weniger als drei Monaten keinen Sichtvermerk mehr zu verlangen, und daß sie an die Regierungen der Staaten die Bitte richtet, die gleiche Regelung auch für die Angehörigen der Bundesrepublik Deutschland zu treffen. Ich bitte Sie, dem Bericht in dieser Form Ihre Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Annahme des Ausschußantrags ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf Punkt 34 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Günther, Frau Dr. Weber und Genossen betreffend Schußwaffengebrauch im Zolldienst (Nr. 3914 der Drucksachen).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, für die Begründung eine Redezeit von zehn Minuten, für die Aussprache eine solche von 40 Minuten zu beschließen. — Kein Widerspruch; dann gilt das als beschlossen.
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Günther.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Anlaß zu dem Antrag, den meine Freunde und ich gestellt haben, war, daß vor allen Dingen im letzten halben Jahr die Verhältnisse an der Grenze, insbesondere im Aachener Raum, sich außerordentlich zugespitzt haben. Zwar ist zur Stunde festzustellen, daß weniger Schüsse fallen und daß im Augenblick wenigstens kaum etwas bekannt wird, daß sich hinsichtlich des Gebrauchs der Schußwaffen im Aachener Raum irgend etwas ereignet hätte. Es ist absolut anzunehmen, daß unser Wirken, vor allem die Debatte über die Kaffeesteuersenkung dazu beigetragen hat — ebenso, daß man von seiten des Finanzministeriums auch auf den Zoll eingewirkt hat —, nicht mehr so häufig von der Schußwaffe Gebrauch zu machen. Leider ist aber seit dieser Zeit festzustellen, daß statt der Schußwaffen um so mehr Hundebisse herhalten müssen und daß dies in gleicher Weise
wie der Gebrauch der Schußwaffe die Bevölkerung
im Aachener Raum außerordentlich berührt, so
daß sogar Stimmen laut werden, die sich absolut
gegen die Staatsautorität richten. Gerade im
Augenblick gehen die Wogen wieder etwas höher,
weil am nächsten Montag in Aachen der sogenannte Mützenich-Prozeß beginnt, in dem nicht
weniger als 52 Angeklagte aus einem einzigen
relativ kleinen Dorf auf der Anklagebank sitzen.
Somit ist der Schmuggel und das Verhalten der
Zollbeamten gegenüber der Bevölkerung eine Angelegenheit, die ganz besonders die Bezirke und
die Kreise angeht, die hart an der Grenze liegen.
Ich kann mir vorstellen, daß eine Reihe von Kollegen hier im Hohen Hause die Dinge nicht mit dem gebührenden Ernst aufnehmen, weil sie die Verhältnisse an der Grenze nicht kennen und deshalb auch nicht die entsprechende Einstellung haben können. Es ist aber eine Angelegenheit, die gerade die Grenzbevölkerung betrifft, und es ist unbedingt notwendig, daß hier etwas getan wird. Die Unglücksfälle, die im vergangenen Jahr passiert sind, gehen keinesfalls auf das Konto der Beamten, sondern diese Unglücksfälle sind den Beamten in Ausübung ihrer Vorschriften unterlaufen. Genau so können die augenblicklichen bedauerlichen Verhältnisse mit den Zollhunden keinesfalls den Beamten zur Last gelegt werden, sondern auch diese Unglücksfälle haben sich eben bei der Handhabung dieser Vorschriften ereignet und werden nun einmal auch nicht zu vermeiden sein.
Wir wissen, daß das Grundübel die überhöhte Kaffeesteuer ist. Wir haben vor einigen Monaten von diesem Platz aus ganz energisch darüber gesprochen, und es ist nicht notwendig, all die Dinge zu wiederholen. Aber es ist gerade in der jetzigen Stunde um so notwendiger, noch einmal einen Alarmruf hinausgehen zu lassen, weil vielleicht am Dienstag nächster Woche im Kabinett oder im Haushaltsausschuß diese Frage erneut aufgeworfen wird. Wenn nicht etwas Entscheidendes auf dem Gebiete der Kaffeebesteuerung getan wird, werden wir an der Grenze keine normalen Verhältnisse herstellen können. Es geht wirklich nicht darum, etwa die Staatsautorität sicherzustellen, sondern sie ist überhaupt erst einmal wiederherzustellen. Es ist tatsächlich heute so, daß in weiten Kreisen — ich habe es persönlich in den Wahlversammlungen erlebt — die Autorität des Staates verlorengegangen ist. Diejenigen, die den Antrag unterschrieben haben, wollen sich keineswegs schützend vor irgendeinen Bandenschmuggler oder Großschmuggler stellen. Es geht hier nur darum, in den Gebieten an der Grenze wieder Ordnung herzustellen.
Deswegen haben wir in einem zweiten Punkt des Antrags vorgesehen, daß die im Augenblick unglücklichen Verhältnisse an der Grenze von Zeit zu Zeit von den Vertretern der Zollverwaltung und der Oberfinanzdirektion einerseits und den Vertretern der betroffenen Landkreise und des Stadtkreises Aachen, also den betreffenden Oberkreisdirektoren und dem Stadtdirektor von Aachen sowie den entsprechenden gewählten Vertretern, also Landtags- oder Bundestagsabgeordneten, und Vertretern der Kirche andererseits in einer Sitzung erörtert werden sollen. Diese sollen in ständiger Berührung die von Zeit zu Zeit auftretenden Zwischenfälle besprechen und dafür Sorge tragen, daß sich derartige Zwischenfälle nicht so leicht wiederholen.
Die Zeit ist zu kurz, um auf alle Einzelfälle einzugehen. Aber zwei Beispiele, die sich in der letzten Zeit ereignet haben, darf ich Ihnen noch vortragen.
Es wird an der Grenze eine Schule eingeweiht. Ehrengäste aus Aachen und aus allen Bezirken wollen an der Einweihung der Schule teilnehmen. Aber an der Grenze, wo man vom deutschen Gebiet zu der gesperrten Straße, zur internationalen deutsch-belgischen Straße und dann wieder auf deutsches Gebiet kommt, wird eine pedantische Kontrolle durchgeführt. Alle Fahrzeuge, von denen die Beamten wissen mußten, daß es sich um behördliche Fahrzeuge handelt, wurden angehalten und pedantisch untersucht, bis dann der Landtagsabgeordnete Schwering, mein Kollege, auftrat und sich das verbat. Dann ging die Sache in Ordnung. Das ist ein Fall.
Ein anderer Fall. Die Beamten aus dem Kreise Sehleiden, die diese Straße oft begehen müssen, müssen jedesmal ein Formular ausfüllen, müssen fünf Pfennig dafür zahlen und haben, wenn sie Orte in ihrem Landkreis besuchen wollen, jedesmal den unnötigen Aufenthalt.
Das sind Dinge, die absolut unmöglich sind, und es wird um Abhilfe gebeten. Ich möchte die Abgeordneten dieses Hohen Hauses bitten, sich dieser Verhältnisse anzunehmen und sich in den betreffenden Ausschüssen klarlegen zu lassen, was wirklich an der Grenze los ist. Gegegebenenfalls sollte auch eine Ortsbesichtigung an der Grenze mit den betreffenden Ausschüssen oder gemeinsam mit den Ausschüssen stattfinden.
Nur wenn diese Dinge mit den beteiligten Stellen ordentlich behandelt werden, kann an der Grenze wieder eine Beruhigung eintreten.
Ich möchte Sie, meine Damen und Herren, bitten, diesem Antrag ihre Zustimmung zu geben mit dem Hinweis, daß er dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen, dem Ausschuß für Grenzlandfragen und dem Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung überwiesen wird.
Ich eröffne die Aussprache. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. —
— Ich bitte um Entschuldigung. ich hatte den Antrag auf Überweisung an die betreffenden Ausschüsse überhört.
Wer für den Antrag auf Überweisung an die Ausschüsse ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle die einstimmige Annahme fest.
— Dann müssen Sie sich melden!
— Offenbar so schüchtern, daß ich es nicht wahrgenommen habe.
Der Antrag auf Überweisung an die drei Ausschüsse ist somit bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Punkt 35 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betreffend Familenreferat im Bundesinnenministerium .
Wer begründet den Antrag? — Das Wort hat der Abgeordnete Winkelheide.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag sieht die Einrichtung eines Familenreferats im Bundesinnenministerium vor. In Art. 6 unseres Grundgesetzes steht geschrieben, daß Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz des Staates stehen. Ich glaube, daß ein besonderes Familienreferat im Innenministerium diesen Schutz
des Staates für unsere Familien sichtbar zum Ausdruck bringen könnte.
Die Aufgabe des Familienreferats soll nicht sein, in das Eigenleben und die Eigengesetzlichkeit der Familien einzugreifen. Wesentlich hätte dieses Familienreferat, das ein eigenständiges Referat sein müßte, drei Aufgaben. Die erste Aufgabe wäre wohl die, eine Untersuchungsstelle für die Lebensgrundlagen und die Schutzbedürftigkeit der Familien, besonders der kinderreichen Familien, zu sein, weil sich die Lebensgrundlagen doch außerordentlich verschoben haben. Die zweite Aufgabe könnte darin bestehen, die Familienfragen, die heute in allen Ministerien auftreten und zur Sprache stehen, zu koordinieren, damit nicht eine Stellung gegen die Familie und gegen den Familiengedanken bezogen wird. Die dritte Aufgabe des Familienreferats könnte sein, sich der echten Förderung und des Aufbaus der Familie anzunehmen.
Die Atmosphäre um den Familiengedanken ist wahrhaftig nicht gut zu nennen, und darum ist es notwendig, daß ein eigenständiges Referat diesen Gedanken besonders bearbeitet. Das Familienreferat müßte die Einzelfragen zu einer Ganzheit ordnen, damit diese Ganzheit der Familie dienlich und förderlich ist. Wir könnten uns z. B. vorstellen, daß in der Steuerreform, die uns vorgelegt werden soll, gerade die Familie besondere Berücksichtigung fände. Hier wäre eine Aufgabe des Familienreferats, sich mit den Referaten in den anderen Ministerien abzustimmen. Es gäbe auch noch weitere Aufgaben, auf die ich aber nicht eingehen will.
Ich möchte, wenn die Kosten diskutiert werden sollten, betonen, daß diese angesichts der Bedeutung und der Stellung der Familie als tragender Säule der Gesellschaftsordnung wirklich nicht hoch sein können und keine Rolle zu spielen brauchten.
Ich bitte, diesen Antrag dem Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung und dem Haushaltsausschuß zur weiteren Beratung zu überweisen.
Das Wort hat der Herr Staatssekretär Bleek.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den grundsätzlichen Gedanken, die dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion zugrunde liegen und die eben vom Herrn Antragsteller vor Ihnen entwikkelt worden sind, können wir auch namens der Bundesregierung nur im vollem Umfang zustimmen. Auch wir möchten darauf hinweisen, daß die Familie in Art. 6 unseres Grundgesetzes unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt ist. Die Sorge um ihre Erhaltung und ihr Wohl sollte in der Tat heute mehr denn je eines der vordringlichsten Anliegen aller für unser Volk Verantwortlichen und insbesondere auch der politisch Verantwortlichen sein.
Ich darf mich auf das beziehen und dem voll zustimmen, was Herr Abgeordneter Winkelheide ausgeführt hat, und darauf hinweisen, wie bisher auch schon in unserem Hause die sich aus dem Art. 6 ergebenden Aufgaben in vielfältiger Hinsicht beobachtet und, ich darf wohl sagen, auch weitgehend befriedigend erledigt werden konnten.
— Herr Abgeordneter Renner, wenn es sich einmal darum handelte, Sie in Ihrer Eigenschaft als Familienvater zu betreuen, dürften selbstverständlich auch Sie des Schutzes des Familenreferats und damit des Herrn Innenministers versichert sein.
Ich darf daher nochmals zusammenfassend erklären, daß wir in voller Überzeugung den Erwägungen folgen, die diesem Antrag zugrunde liegen, und darf hoffen, daß sich in den Ausschüssen die noch im einzelnen zu überlegenden organisatorischen und haushaltsrechtlichen Voraussetzungen unschwer werden finden lassen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Ilk.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Auch meine Fraktion ist der Ansicht, daß alles getan werden muß, um den Schutz der Familie zu sichern. Aber wir glauben nicht, daß dieser Schutz dadurch gewährleistet wird, daß im Innenministerium ein neues Referat speziell für Fragen der Familie eingerichtet wird.
Wir sind im Gegenteil der Ansicht, daß mehr, als es bisher der Fall war, in allen Ministerien und bei allen gesetzgeberischen Organen der Blick auf den Schutz der Familie gerichtet werden soll.
Wir glauben nicht, daß es zweckmäßig ist, wenn eine zentrale Stelle in alle Dinge hineinredet, die schon in anderen Ressorts auch im Hinblick auf das Wohl der Familie bearbeitet werden. Im übrigen: Gibt es überhaupt Gesetze, die die Familie nicht betreffen?
Wenn ein solches Referat sinnvolle Arbeit leisten soll, müßte es einen sehr großen Umfang haben. Wir haben es beim Frauenreferat erlebt, was es bedeutet, wenn ein Referat für die Aufgaben, die es zu bewältigen hat, personell nur kümmerlich ausgestattet ist. Es ist dann nicht in der Lage, alle
Fragen in der gründlichen Form zu bearbeiten, die wir wünschen. Es werden aber in diesem Referat auch heute schon, weil die Frau die Trägerin der Familie in ihrer inneren Gestaltung ist, Fragen bearbeitet, die in Zukunft das Familienreferat übernehmen soll. Ich persönlich würde dann schon bitten, daß man dem Frauenreferat eine bessere Ausgestaltung in personeller Hinsicht zuteil werden ließe, daß der Haushaltsausschuß also dieses Referat anders ausbaute oder, besser gesagt, der Regierung es ermöglichte, dieses Referat anders auszubauen, damit an dieser Stelle auch die besonderen Belange der Familie, die maßgeblich die Interessen der Frauen berühren, in einer Weise erledigt werden können, wie wir es alle wünschen.
Der Antrag, der uns hier vorliegt, ist übrigens in seiner Formulierung — ich darf mir diese Bemerkung erlauben — nicht gerade sehr glücklich. Denn erstens kann man in einem Haushaltsplan nicht ein Referat einrichten, sondern das muß durch die Regierung gemacht werden, und im Haushaltsplan können nun die Mittel dafür eingesetzt werden.
— Ich mache die Bemerkung auch nur am Rande, Herr Kollege. Ich glaube, daß Sie Ähnliches auch manchmal tun. — Außerdem liegt der Haushaltsplan bereits vor. Es wird also der Fraktion zu überlassen sein, ob sie diesen Antrag bei den Beratungen noch einmal wiederholt.
Aber das nur am Rande.
Ich möchte bitten, daß, wenn überhaupt in Erwägung gezogen wird, diesen Antrag weiterzuberaten, wir ihn nicht nur an den Ausschuß für innere Verwaltung, sondern auch an den Ausschuß für Sozialpolitik überweisen.
Im Grunde genommen bin ich aber der Ansicht, daß wir diesen Antrag ablehnen
und dieses Referat als solches nicht einrichten sollten.
— Herr Wuermeling, ich bin der Ansicht, daß damit das Ziel, das Sie verfolgen, nicht erreicht wird, sondern daß es notwendig ist, unser Augenmerk darauf zu richten, daß in a 11 e n Ministerien mehr als bisher auf diesen Gedanken wert gelegt wird,
nämlich den Gedanken des Schutzes der Familie.
Dann bedarf es nicht eines besonderen Referats.
Weitere Wortmeldungen? — Das Wort hat Frau Abgeordnete Döhring!
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich glaube kaum, daß ich für die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei eine besondere Versicherung vorweg abgeben muß, daß wir das bejahen, was auch im Grundgesetz steht, nämlich daß die Familie die Zelle, der Kern des Staates ist.
Wenn ich nun für meine Fraktion zu diesem Antrag Stellung nehme, dann gestatten Sie mir ganz kurz vorauszuschicken, daß wir uns beim Lesen dieser Drucksache gefragt haben, was nun eigentlich der Zweck dieser Sache ist.
Wir haben uns gewundert, daß man ein Familienreferat für notwendig hält; denn eigentlich ist doch das ganze Parlament ein Familienreferat. Wir alle stehen doch auf dem Standpunkt, daß alle Gesetze, die wir im Parlament machen, letzten Endes immer darauf hinauszulaufen haben, die Familie zu erhalten, der Familie zu dienen. Wenigstens sollte es so sein.
Wir sehen aber die Sicherung der Familie keineswegs mit der Einrichtung eines Familienreferats gewährleistet. Allerdings könnten wir darüber sprechen; das müßte im Ausschuß sehr eingehend geschehen. Wir befürchten nämlich, daß Sie, die Sie diesen Antrag gestellt haben, die Aufgaben, die jedem einzelnen Abgeordneten in diesem Hause als seine oberste Verpflichtung obliegen, abgeben oder zumindest auf ein sogenanntes Familienreferat übertragen wollen. Familienpolitik treiben heißt ja wohl, in erster Linie die finanzschwache Familie zu schützen.
— Sie sagen: Nein, die Familie als solche, Herr Abgeordneter Dr. Wuermeling. Nun, hören Sie gut zu! Was haben wir gerade in dieser Beziehung in diesem Bundestag erlebt?
Tatenlos hat die Regierung der Erhöhung der
Butterpreise zugesehen; man hat sich auch keineswegs um die Senkung des Zuckerpreises bemüht,
was doch bei der Herabsetzung der Zuckersteuer zugunsten des Rübenanbaues bestimmt möglich gewesen wäre.
— Ich komme gleich darauf zu sprechen. — Wenn wir auf die jüngste Vergangenheit zurückblicken, müssen wir geradezu mit Beschämung feststellen, daß die Regierung die Auszahlung der bescheidenen Rentenerhöhung ausgerechnet im Weihnachtsmonat verweigert hat.
Wenn Herr Finanzminister Schäffer nun auch noch auf die „Idee" verfällt, zum Zwecke der Deckung der Rentenerhöhungen die Subvention für das Konsumbrot einfach zu streichen, so ist dies ein erneuter Beweis für die familienfeindliche Politik der Bundesregierung;
denn neben den Rentnern und deren Familien
sind es doch nur Leute mit kleinem Einkommen
und großer Kinderzahl, die das Konsumbrot essen.
Der Wähler, der draußen die Regierungspolitik verfolgt hat, wird mit Recht fragen: Was soll dieser Antrag auf Einrichtung eines Familienreferats?
Will die Regierung darüber hinwegtäuschen, daß die Zahl der Arbeitslosen wieder auf beinahe 1,9 Millionen angestiegen ist?
— Meine Herren, regen Sie sich nicht auf! Das sind Tatsachen! Das ist doch die wahre Familienpolitik. Dabei fällt noch gravierend ins Gewicht, daß ein Viertel dieser Arbeitslosen Jugendliche sind, für die der Bundesjugendplan doch nur ein Tropfen in einem Eimer Wasser ist.
Wenn wir vom Recht der Familie auf die Hilfe der Gemeinschaft sprechen, müssen wir wohl auch an den Lastenausgleich denken. Wir Sozialdemokraten haben in diesem Hause um den sozialen Lastenausgleich gekämpft, um den bedrängten Familien zu helfen; aber die Mehrheit dieses Bundestags hat es fertiggebracht, ein Lastenausgleichsgesetz zu beschließen, das sich überwiegend zugunsten derjenigen auswirkt, die früher einen großen Besitz gehabt haben.
— Das gehört zur Sache, Herr Abgeordneter. — Auch die Aufgaben der Vertriebenenpolitik, wie die Auflösung der Barackenlager und die Familienzusammenführung, vor allem bei der Umsiedlung, hätten in diesem Bundestag mit viel mehr Energie angepackt werden müssen.
Ich komme zum Schluß und möchte an Sie, meine Damen und Herren der CDU/CSU-Fraktion, die Sie ja den Antrag auf Errichtung von Familienausgleichskassen erst vom dritten Kind an gestellt haben, die Frage richten: Wo fängt bei Ihnen die Familie an? Wir stehen auf dem Standpunkt, daß auch die vaterlose Familie — und damit auch das uneheliche Kind — in den Genuß einer Kinderzulage kommen muß. Bekanntlich hatte man sich nach monatelangen Beratungen in einer gemein- samen Sitzung der Sozialpolitischen Ausschüsse des Bundestags und des Bundesrats schon über die wesentlichen Grundsätze des Antrags der Sozialdemokratischen Partei auf allgemeine Kinderbeihilfen geeinigt; aber Beschlüsse waren ja nicht möglich, weil von der CDU/CSU-Fraktion der eben erwähnte Antrag auf Familienausgleichskassen eingebracht wurde. Gewiß, das ist ihr gutes Recht; aber damit ist es doch notwendig geworden, die Beratungen von vorn anzufangen, so daß die so notwendige Hilfe für die Familie mit Kindern immer noch aussteht.
Meinen sozialdemokratischen Freunden und mir geht es um eine echte Politik für die Familie, wie wir sie mit all unseren Anträgen und Gesetzentwürfen bewiesen haben. Ein Familienreferat müssen wir zunächst mehr oder weniger als eine formale Sache ansehen und müssen zuerst einmal durch eingehende Beratungen im Ausschuß klären, welche Aufgaben dieses Familienreferat eigentlich übernehmen soll. Ich beantrage deshalb namens der SPD-Fraktion ebenfalls, den Antrag an den Ausschuß für innere Verwaltung federführend und an den Haushaltsausschuß zu überweisen, aber darüber hinaus auch an den Ausschuß für Sozialpolitik; denn er wird wohl auch weitgehend in diese Sphäre eingreifen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Willenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner politischen Freunde stimme ich dem Antrag auf Errichtung eines Familienreferats im Bundesinnenministerium zu. Ich bedauere, daß die Bundesregierung von sich aus nicht schon vor Jahren ein solches Referat eingerichtet hat.
Die Not, in der sich besonders unsere kinderreichen Familien befinden, zwingt jetzt eine große Regierungspartei dazu, einen solchen Antrag zu stellen, der die volle Zustimmung meiner politischen Freunde findet.
Die Schaffung von genügendem Wohnraum besonders für die kinderreiche Familie läßt viel zu wünschen übrig. Das ungleiche Verhältnis zwischen Einkommen und Lebenshaltungskosten, dazu in vielen Fällen oft unerhört hohe Mieten in Neubauwohnungen hindern die kinderreiche Familie in ihrem wirtschaftlichen Vorwärtskommen und hindern junge Familien, sich zu kinderreichen Familien zu entwickeln. Dieser Zustand ist eigentlich eine Anklage gegen diejenigen, die berufen gewesen wären, eine solche Entwicklung frühzeitig zu bannen.
Wir geben der Hoffnung Ausdruck. daß die zu schaffende Stelle recht bald mit brauchbaren und durchführbaren Vorschlägen kommt, die dazu dienen, das Wohl der Familie, besonders der kinderreichen Familie zu sichern.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann schließe ich die Aussprache. Es ist der Antrag gestellt, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU an drei Ausschüsse zu überweisen, an den Ausschuß für innere Verwaltung, der federführend sein soll, an den Haushaltsausschuß und an den Ausschuß für Sozialpolitik.
— Ich weiß es; dieser Antrag ist von anderer Seite gestellt worden.
Ist das Haus mit der Überweisung einverstanden?
— Dann lasse ich zunächst abstimmen über die Überweisung an den Ausschuß für innere Verwaltung und den Haushaltsausschuß. Wer dafür ist. den bitte ich, eine Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Wer noch dazu die Vorlage an den Ausschuß für Sozialpolitik überwiesen haben will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; damit ist der Antrag auch an den Ausschuß für Sozialpolitik überwiesen.
Ich rufe auf Punkt 36 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes .
Das Wort hat Frau Abgeordnete Korspeter. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, für die Begründung zehn Minuten und für die allgemeine Aussprache 40 Minuten vorzusehen.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! In diesem Hause ist bereits bei mehreren Anlässen über das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz gesprochen worden. Es wurde zum Teil einer Kritik unterzogen, die unseres Erachtens völlig unberechtigt ist und dem Gesetz in keiner Weise gerecht wird. Das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz wurde im Juni 1949 im Frankfurter Wirtschaftsrat verabschiedet und hatte die Aufgabe, durch Erhöhung der Renten und Schaffung von Mindestrenten eine Anpassung an das veränderte Lohn- und Preisgefüge zu erreichen. Eine solche Regelung war dringend notwendig, um den Rentnern, Witwen und Waisen zu helfen.
Darüber hinaus brachte das Gesetz noch einige grundsätzliche Verbesserungen, die sich auf die Angleichung der Invalidenrenten an die Angestelltenrenten bezogen, um einen seit langem beanstandeten und in keiner Weise berechtigten Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten zu beseitigen. Während bis zur Verabschiedung des Gesetzes nach den Vorschriften der RVO in der Angestelltenversicherung eine Rente bereits bei einer fünfzigprozentigen Berufsunfähigkeit gewährt wurde, hatte in der Invalidenversicherung der Arbeitnchnehmer erst dann Anspruch auf die Invalidenrente, wenn er eine 66 2/3 prozentige Erwerbsunfähigkeit nachweisen konnte. Nach dem Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz hat nunmehr der Invalidenversicherte gleichfalls bei einer fünfzigprozentigen Erwerbsunfähigkeit den Anspruch auf eine Rente.
Ein weiterer Unterschied zwischen der Invaliden- und der Angestelltenversicherung lag in der Witwenversorgung. Die Witwe eines Angestellten erhielt bereits sofort nach dem Tode ihres Ehemannes die Witwenrente, die Witwe eines Invalidenversicherten erst dann, wenn sie selbst erwerbsunfähig war oder das 65. Lebensjahr erreicht hatte oder andere in der RVO in § 1256 festgelegte Voraussetzungen erfüllte. Wurden diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so blieb die Witwe eines Invalidenversicherten unversorgt zurück. Schon von jeher hat diese unterschiedliche Regelung die schärfste Kritik der Arbeitnehmer in der Invalidenversicherung hervorgerufen. Eine solche Regelung ist auch nur durch die geschichtliche Entwicklung unserer Sozialversicherung zu erklären. Es wurde deshalb höchste Zeit, daß diese Frage eine gesetzliche Neuregelung erfuhr.
Diese Regelung nahm das Sozialversicherungs-im Plenum die SPD-Fraktion erhebliche Einwendungen vorbrachte. Diese Einschränkungen liegen in § 21 Abs. 4 und 5. Hier wird ein Stichtag festgelegt; dem Invalidenversicherten wird eine Rente bei 50prozentiger Erwerbsunfähigkeit nur dann gewährt, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Mai 1949 eingetreten ist. Für Versicherungsfälle aber, die vorher eingetreten sind, ist weiterhin eine Erwerbsunfähigkeit von 66 2/3 % Voraussetzung. Weiter wird nur denjenigen Witwen von Invalidenversicherten eine Witwenrente sofort beim Tode ihres Ehemanns gewährt, deren Ehemänner nach dem 31. Mai 1949 verstorben sind. Alle anderen Witwen, deren Ehemänner vor dem Stichtag verstorben sind, erhalten die Witwenrente aus der Invalidenversicherung erst, wenn sie die oben genannten Voraussetzungen erfüllen. Lediglich bei den Witwen, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, wurde auf einen Antrag der SPD, nachdem vorher in den Beratungen des Ausschusses die Einbeziehung aller Witwen in die Neuregelung abgelehnt worden war, auf diesen sozialpolitisch so ungerechten Stichtag verzichtet. Hunderttausende von Witwen sind von diesem Stichtag betroffen und betrachten ihn als höchst ungerecht. Es ist deshalb auf die Dauer ein unmöglicher Zustand, es bei dieser Regelung der Witwenversorgung zu belassen.
Anpassungsgesetz vor. Der § 3 dieses Gesetzes bestimmt, daß Witwen, deren Ehemänner die Voraussetzung für die Zahlung einer Rente geschaffen haben, nunmehr ebenfalls vom Todestage ihres Ehemannes an die Witwenrente beziehen können. Leider erfuhren diese beiden einschneidenden Verbesserungen eine Einschränkung, gegen die auch damals schon im Wirtschaftsrat bei der Beratung des Gesetzes sowohl im Ausschuß wie auch
Erschwerend kommt noch hinzu, daß alle Kriegerwitwen, deren Ehemänner invalidenversichert waren, unter diesen Stichtag fallen. Sie bleiben ohne Witwenrentenanspruch aus der Sozialversicherung, bis s; die Voraussetzungen des § 1256 der Reichsversicherungsordnung erfüllt haben. Ich möchte Ihnen ein Beispiel sagen, um die Situation völlig klarzumachen. Ein 30jähriger Arbeiter
stirbt, nachdem er erst sehr kurz mit eine. zwanzigjährigen Frau verheiratet war. Da die ausreichende Anzahl von Beiträgen geleistet wurde, um einen Anspruch auf Rente zu haben, erhält die kinderlose zwanzigjährige Frau die Witwenrente aus der Invalidenversicherung ohne jede Voraussetzung; der Ehemann starb n a c h dem 31. Mai 1949. In demselben Hause wohnt eine 50jährige Witwe; sie hat drei Kinder und erhält keine Witwenrente, weil der Mann v o r dem 31. Mai 1949 verstorben ist. Sie erhält die Witwenrente erst dann, wenn sie 60 Jahre alt geworden ist.
Eine weitere Erschwerung kommt für diese Witwen hinzu: sie haben keinen Anspruch auf die Rentenkrankenversicherung, die jedem Sozialrentner zusteht. Sie sind also doppelt geschädigt, und jeder wird verstehen können, daß sie diese unterschiedliche Behandlung nicht nur nicht begreifen können, sondern als eine höchst ungerechte Regelung empfinden müssen.
Die SPD-Fraktion hat Ihnen deshalb in Drucksache Nr. 3959 einen Initiativgesetzentwurf vorgelegt. Er sieht vor, in § 21 den Absatz 4 zu streichen und damit die Einschränkung für den Begriff der Erwerbsunfähigkeit aufzuheben. Weiter soll § 21 Abs. 5 folgende Fassung erhalten:
Für Ehefrauen von Versicherten, die vor dem
1. Juni 1949 Witwen geworden sind, gilt diese
Einschränkung nicht, sobald sie das 40. Lebensjahr vollendet haben.
Damit soll erreicht werden, daß für alle Inlidenversicherten die 50prozentige Erwerbsunfähigkeit zugrunde gelegt wird. Weiter soll damit erreicht werden, daß Frauen, die das 40. Lebensjahr erreicht haben und deren Ehemänner vor dem
1. Juni 1949 verstorben sind, gleichfalls ohne jede Voraussetzung in den Genuß der Witwenrente kommen. Wenn die SPD-Fraktion den Antrag gestellt hat, den Witwen, die das 40. Lebensjahr erreicht haben, die unbedingte Witwenrente zu geben, so deshalb, weil einmal die Arbeitsmöglichkeiten für Frauen von diesem Alter ab außerordentlich begrenzt sind, zum anderen aber auch deshalb, weil wir glauben, daß dieser Vorschlag ein echter Kompromißvorschlag im Hinblick auf die finanziellen Auswirkungen ist. Wir wissen, daß die finanziellen Auswirkungen erheblich sein werden. Trotzdem glauben wir, die bestehende Regelung nicht länger verantworten zu können.
Wir hoffen, daß unser Initiativgesetzentwurf
nicht mit dem Hinweis auf die kommende Reform
der Sozialversicherung auf Eis gelegt wird. Wir
warten ja — das ist allen bekannt — schon sehr
lange auf eine Vorlage des Bundesarbeitsministeriums. Es ist uns sicher allen klar, daß dieser Bundestag leider kaum mehr dazu kommen wird. Uns
scheint es deshalb, daß man damit die Witwen
nicht länger vertrösten kann und daß es ihnen
nicht mehr zuzumuten ist, noch länger auf eine
Regelung zu warten. Die Frauen haben diese
unterschiedliche Behandlung, die sich für Tausende
von ihnen so ungünstig ausgewirkt hat, mit sehr
viel Geduld ertragen. Wir meinen, daß es an der
Zeit ist, für sie etwas zu tun und diesen verhängnisvollen Stichtag zu beseitigen. Wir bitten deshalb, unseren Initiativgesetzentwurf dem Sozialpolitischen Ausschuß zur Beratung zu überweisen.
Meine Damen und Herren, ehe ich das Wort erteile, eine Frage zur weiteren Geschäftsbehandlung: es war vorgesehen, um 13 Uhr eine Pause bis 14 Uhr 30 eintreten zu lassen. Nach dem Zeitplan werden wir wahrscheinlich noch zwischen zwei und drei Stunden zu tun haben. Ich frage das Haus, ob um 13 Uhr Pause gemacht werden soll oder ob wir durchgehend verhandeln sollen.
— Das Haus scheint der Meinung zu sein, daß durch verhandelt werden soll.
— Dann lasse ich abstimmen. Wer für Durchverhandeln ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Letzteres ist ohne Frage die große Mehrheit. Wir werden also eine Pause machen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wenn mit der Begründung des Antrags durch Frau Kollegin Korspeter, die dabei wortwörtlich das zitiert hat, was im Dezember von ihr in der Hannoverschen Presse und in anderen sozialdemokratischen Zeitungen als „Unrecht in der Sozialversicherung" bezeichnet worden ist, nicht ein Problem angeschnitten worden wäre, das so ungeheuer ernsthaft ist, dann müßte ich sagen: „Erkläret mir, Graf Oerindur !" Die Fraktion der Deutschen Partei hat im Jahre 1949 den Antrag Nr. 35 auf Überprüfung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes gestellt und dabei ganz besonders auf den § 21, der das zweierlei Recht in der Invalidenversicherung begründet hat, mit allem Ernst und aller Verantwortung hingewiesen. Im Sozialpolitischen Ausschuß hat der Bundesminister für Arbeit umfangreiches Material über die finanziellen Auswirkungen vorgelegt. Ich kann nur wiederholen, was ich bereits in der Sitzung am 26. November 1952 hier von diesem Platze aus gesagt habe: daß es die schlechteste Sozialpolitik ist, die aus politischen Gründen oder gar aus Wahlagitation zweierlei Recht schafft und Versicherungsansprüche mit Versorgungsansprüchen verquickt oder — ich kann hinzufügen — immer nur von Zeit zu Zeit Forderungen erhebt, von denen man selber sehr genau weiß, daß die finanzielle Deckung nicht realisierbar ist.
Ich möchte hier vor der deutschen Öffentlichkeit feststellen — Frau Kollegin Korspeter, ich nehme an, daß der Antrag von Ihrer ganzen Fraktion getragen wird —,
daß die sozialdemokratische Fraktion im Ausschuß des Bundestags mit der CDU — ich glaube, die FDP war auch dabei — dem zugestimmt hat, daß der Antrag der Deutschen Partei dem Bundesminister für Arbeit als Material überwiesen, also beerdigt wurde, damit er, nachdem er in diesen drei Jahren nicht erledigt werden konnte, dann bei der Reform der Sozialversicherung berücksichtigt werde.
Sie schlossen Ihre Begründung damit, daß Sie an diese Reform nicht glauben und Ihren Antrag auch nicht auf Eis gelegt wissen wollen. Sehen Sie, hier ist der Widerspruch, meine Herren und Damen von der sozialdemokratischen Fraktion! Noch im November — man kann also die Tage noch an den Fingern abzählen —, noch in der 238. Sitzung haben Sie die Auffassung vertreten, daß die Reform des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes bis zur Reform der Rentenversicherung schlechthin Zeit habe! Mit solchen Argumenten lehnten Sie unseren weitergehenden Antrag ab.
Sie selber haben das zweierlei Recht ja im Wirtschaftsrat geschaffen. Sie selber — Herr Horn irrte sich — haben damals gemeinsam mit der CDU gegen die Stimmen der FDP und der Deutschen Partei das Unrecht begründet, über das sich heute, wie Sie selbst sagen, Tausende von Witwen mit Recht beklagen.
Weil wir der Auffassung sind, daß diese Frage so eminent bedeutungsvoll ist, wollen wir keine „echten Kompromißvorschläge", wie Sie es genannt haben — Kompromisse, ob echt oder unecht, sind eben immer nur Kompromisse —, sondern wir wollen realisierbare Vorschläge zur Verbesserung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes, ja sogar zu seiner Änderung von Grund auf. Wir möchten Sie bitten, nun einmal zu bekennen, wie Sie sich diese Realisierung denken, nachdem Sie es bei dem Antrag der Deutschen Partei abgelehnt haben.
Deshalb stimmen wir der Überweisung an den Sozialpolitischen Ausschuß zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Willenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem vorliegenden Antrag Drucksache Nr. 3959 stimme ich namens meiner politischen Freunde zu. Im folgenden Tagesordnungspunkt haben wir ja den Antrag Drucksache Nr. 3960, der sich mit knappschaftlichen Sachen befaßt, der aber im Grunde genommen ein und dasselbe will. Der Antrag, der uns vorliegt, ist meines Erachtens von der antragstellenden Partei genügend begründet worden. Ich möchte zur weiteren Begründung hinzufügen, daß sich diese Härten in vielen Fällen gerade für diejenigen auswirken, die von diesem Gesetz am schwersten betroffen werden; und das sind unsere Witwen im Bergbau. Die Witwen jener Bergleute, die infolge frühzeitiger Invalidität gestorben sind, haben in den allermeisten Fällen die größten Schwierigkeiten, in den Genuß der Rente zu kommen. Viele solcher Bergmannswitwen erhalten keine Rente, weil die bisherigen gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfülltund. Mir sind Fälle bekannt, in denen Witwen, deren Männer schwere Staublunge hatten, nach dem Tode des Mannes die Witwenvollrente nicht erhielten, weil durch einen Obduktionsbefund festgestellt wurde, daß neben schwerer Staublunge angeblich eine andere Krankheit die Todesursache war. Das wirkt sich um so härter aus, wenn die Witwe weiß, daß ihr verstorbener Mann innerhalb einiger Monate infolge schwerer Staublungenerkrankung doch gestorben wäre.
Wenn die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind, erhält eben eine solche Witwe keine Witwenvollrente. Es gibt Fälle, in denen Ärzte die Berufsunfähigkeit solcher Witwen auf mehr als 50 % bestätigt haben, während der Vertrauensarzt dann eine Erwerbsminderung unter 50 % festgestellt hat. Wir stehen oft, wenn wir diese Menschen bezüglich ihres Rechtsschutzes beraten, vor einem Problem und haben den Eindruck, daß solche Witwen in den meisten Fällen bezugsberechtigt wären, das Gesetz und vertrauensärztliche Gutachten sie aber vom Bezug der Witwenvollrente ausschließen.
Die sich aus dem bisherigen Verfahren ergebenden Härten werden am besten beseitigt, wenn das Hohe Haus dem Antrag zustimmt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Korspeter hat in der Begründung des SPD-Antrags die damaligen Vorgänge im Frankfurter Wirtschaftsrat zutreffend geschildert. Wenn der Wirtschaftsrat zu einer derart unterschiedlichen Regelung kam, dann keineswegs etwa aus dem Grunde, weil er den Witwen und den Anspruchsberechtigten, die vor diesem Stichtag ihre Rentenregelung erfahren hatten, diese Verbesserung nicht gegönnt hätte. Vielmehr standen wir damals in Frankfurt, genau wie wir das heute auch hier bei jeder Gelegenheit tun, in erster Linie vor der Frage: Woher holen wir die Mittel, um diese Aufbesserungen auch tatsächlich zu realisieren? Damals bestand weitgehende Meinungsübereinstimmung darüber, daß man eben aus finanziellen Gründen die Ausdehnung dieser Verbesserung auf den gesamten Personenkreis nicht vertreten konnte.
Der Frau Kollegin Kalinke möchte ich sagen: Wenn die beiden Fraktionen der FDP und der DP auch damals in der Endabstimmung das Gesetz aus diesem und jenem Grunde abgelehnt haben, so war man sich doch in der Frage des Stichtages, also der zunächst unterschiedlichen Regelung sowohl bei der Invalidisierung als auch bei der Gewährung der Witwenrente sehr wohl einig. Ich gebe der Frau Kollegin Korspeter zu, daß die SPD das damals beanstandet hat. Aber auch Sie konnten sich ja letzten Endes den vorliegenden Tatsachen nicht verschließen. Soviel zum damaligen Vorgang.
Bei dem Antrag, mit dem wir uns nun heute beschäftigen müssen, stehen wir genau so wie damals wiederum vor der Frage, woher wir die Deckungsbeträge für eine derartige in der Auswirkung nicht unbedeutende Sache nehmen sollen. Wenn wir uns vergegenwärtigen, was seit dem Jahre 1949 bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt in der Tat an Aufbesserungen und an Leistungsfortschritten in der sozialen Rentenversicherung zu verzeichnen ist, dann muß man schon sagen, daß das in Wirklichkeit sehr beachtlich ist und auch draußen sowohl in Versammlungen als auch beim Publikum, das die Dinge kritisiert, nicht übersehen werden darf. Wir stehen also heute vor derselben Frage wie damals. Wenn wir sie lösen wollen, geht es nicht anders, als daß wir uns im Ausschuß sehr ernste Überlegungen darüber machen, woher in der Tat die Mittel zu beschaffen sind, insbesondere auch angesichts der Tatsache, daß wir erst vor kurzer zeit die Erhöhung der Grundbeträge beschlossen haben und die Frage der Deckung für diese Leistungssteigerung heute ja noch nicht endgültig klar und verabschiedet ist. Wir werden uns bei den Haushaltsberatungen 1953/54 über die Deckungsfrage gerade auch für diesen Titel wahrschein ich noch sehr erhebliche Gedanken machen müssen, abgesehen davon, daß wir ja auch im Augenblick in bezug auf die Deckung für den Rest des Etatjahrs noch keine Meinungsübereinstimmung zwischen Regierung und Parlament im letzten haben. Ich wollte nur auf diese Schwierigkeiten und Besonderheiten hingewiesen haben.
Nun hat Frau Kollegin Korspeter gesagt, sie hoffe, daß wir bei der Stellungnahme zu ihrem Antrag nicht mit dem Einwand kämen, man solle das bis zur Reform der Sozialversicherung verschieben. Wie man das zu behandeln gedenkt, darüber wird der Ausschuß ja dem Hohen Hause in Bälde seine Vorschläge zu machen haben. Aber ich möchte mir doch gestatten, zu sagen, wenn wir in kürzesten Zeitabständen immer wieder mit neuen Dingen kommen und an neuen Stellen wieder Flicken ansetzen wollen, dann belasten wir mit dieser Arbeit nicht das Parlament in erster Linie. Das wäre nicht so wild. Aber durch all das, was immer wieder auf die Regierung zukommt, auch durch die Initiativanträge des Hohen Hauses — ich glaube, das darf man doch bei einem solchen Anlaß einmal aussprechen —, wird die Beweglichkeit und die Möglichkeit des Ministeriums, sich den grundlegenden Dingen tatsächlich mit allem Ernst und mit tunlicher Beschleunigung zuzuwenden, immer wieder von neuem eingeschränkt und erschwert. Ich meine, es wäre an der Zeit, daß wir uns beim Stellen von Anträgen einer gewissen Reserve befleißigen, damit wir auch wirklich von der Regierung erwarten können, daß sie mit den Reformvorschlägen, die sie zu machen hat, an das Hohe Haus auch in einer so nahen Zukunft herantritt, wie das nach Lage der Dinge nur eben erreichbar und möglich ist. Das möchte ich doch in diesem Zusammenhang auch einmal gesagt haben.
Im übrigen schließe ich mich dem Antrag auf Überweisung an den Sozialpolitischen Ausschuß an.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die zwei Anträge der sozialdemokratischen Fraktion auf den Drucksachen Nrn. 3959 und 3960, die in ihrem sachlichen Inhalt dasselbe bezwecken, haben eine gewisse Vorgeschichte, die auch zum Teil von dem Herrn Kollegen Horn in den Vordergrund seiner Betrachtungen gestellt worden ist. Diese Vorgeschichte, Herr Kollege Horn, ist auch außerordentlich wertvoll für die Betrachtung der jetzt vorliegenden Anträge, die einen Kompromiß darstellen, von dem die Sozialdemokratische Partei glaubt, daß er viel eher Aussicht hat, verwirklicht zu werden, als ihre damaligen Vorschläge, die hier bereits am 13. Februar 1952 gemacht worden sind und die in einer Antwort des Staatssekretärs des Arbeitsministeriums vom 26. Februar 1952 noch einmal einer Beleuchtung von der finanziellen Seite her unterzogen worden sind.
Ich bin dem Kollegen Horn dankbar, daß er bereits jetzt die Frage nach der sogenannten Deckung gestellt hat. Ich hatte es sowieso 'als einen Mangel des sozialdemokratischen Antrags empfunden, daß man nicht zugleich einen Deckungsvorschlag gemacht hat, womit man der Bundesregierung die Möglichkeit gegeben hat, auch in dieser Frage entscheidend auszuweichen. Ich glaube, die Antwort der Bundesregierung ist bereits von Herrn Kollegen Horn gegeben worden, der gesagt hat, daß die Möglichkeit einer gewissen Leistungssteigerung deshalb nicht gegeben sei, weil damit eine weitere Belastung des Bundeshaushalts eintrete und diese Belastung, für die angeblich keine Deckung vorhanden sei, der Bundesregierung gegenwärtig nicht zugemutet werden könne.
Aber, meine Damen und Herren, denken Sie doch einmal an die Entwicklung im Wirtschaftsrat! Wer die Protokolle der Verhandlungen gerade über diese Formulierungen betrachtet, wird feststellen müssen, daß damals schon die angebliche finanzielle Unmöglichkeit betont worden ist. Die angebliche finanzielle Unmöglichkeit ist durch die Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf das Verlangen, hier nun endlich einmal eine unbedingte Witwenrente zu verankern, bestätigt worden. Man formulierte, daß bei der Herabsetzung der Invaliditätsgrenze von 66 2/3 % auf 50 % und bei der Einführung der unbedingten Witwenrente diese nur dann finanziell tragbar sei, wenn die alten Versicherungsfälle nicht in die neue Regelung einbezogen werden würden. Der Staatssekretär mußte allerdings bei der Abfassung dieser Antwort in gewisser Hinsicht schon auf die jetzigen Anträge Bezug genommen haben; denn er sagte, daß damit eine Mehrbelastung von ca. 250 Millionen DM eintrete, wovon 120 Millionen DM der Bund und 130 Millionen DM die Versicherungsträger übernehmen müßten. Meine Damen und Herren, ist es nicht charakteristisch, daß ausgerechnet, wenn es um sozialpolitische Belange geht, wenn es darum geht, die bescheidenen Renten etwas aufzubessern oder eine gewisse Rechtsgleichheit herzustellen, die Bundesregierung vor der „finanziellen Unmöglichkeit" steht? Sie steht jedoch nicht vor der finanziellen Unmöglichkeit, wenn zur Bequemlichkeit unserer sogenannten Gäste, Hotels für Millionenbeträge aufgebaut werden. Da stehen die Mittel zur Verfügung, und kein Teufel stellt hier im Bundestag oder im Bundesministerium der Finanzen die Deckungsfrage. Diese Dinge soll man doch sehen.
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daß, wenn dieser Antrag verwirklicht werden sollte, die Sanierung der Rentenversicherung noch weiter hinausgeschoben würde. Meine Damen und Herren, denken wir doch daran, daß die Bundesregierung bisher noch nicht den Versuch unternommen hat, die Rentenversicherung irgendwie zu sanieren. Der Versuch wird jetzt sichtbar bei den neuen Plänen des Herrn Bundesfinanzministers, auf dem kalten Wege über sogenannte Schuldverschreibungen des Bundes die Leistungen der Sozialversicherung zu drosseln. Das sollte man im Zusammenhang mit diesen beiden Anträgen der sozialdemokratischen Fraktion sehr ernst betrachten.
Herr Kollege Horn hat von einer Hemmung der Beweglichkeit in der Arbeit des Bundesarbeitsministeriums gesprochen. Ich möchte Ihnen entgegenhalten, Herr Kollege Horn: wir stehen bald am Ende dieser Legislaturperiode. Ich stimme nicht mit Ihnen darin überein, daß ein Artikel im Bundesarbeitsblatt über die sozialen Leistungen als ein sozialer Erfolg der Bundesregierung zu betrachten sei. Ich stimme vielmehr mit den Kritiken darin überein, daß die Bundesregierung eben gerade auf diesem Gebiet ihre Beweglichkeit vermissen ließ, daß sie immer dafür zu haben war, soziale Leistungen zu drosseln, aber für Kriegsvorbereitungen Millionen zur Verfügung zu stellen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Ich möchte die Ausführungen, die Frau Kalinke und Herr Horn zu dem Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz gemacht haben, noch einmal unterstreichen. Frau Korspeter, die Tatsache, daß dieses Gesetz unzulänglich und mit vielen Mängeln behaftet war, ist in gewissem Grade doch eigentlich schon durch die Antragstellung bewiesen worden, vor allen Dingen durch die verschiedenen Anträge, die Sie immer wieder gestellt haben.
— Dann sind wir verschiedener Meinung, Herr Richter; das kommt ja öfter vor. Unsere Ansicht gegenüber Anträgen zur Änderung dieses Gesetzes Ist, daß wir uns nicht mit kleinen Behelfen begnügen können, sondern daß wir dabei die großen grundsätzlichen Fragen anpacken müssen. In den Punkten, die Ihre Anträge zu diesem und dem nächsten Tagesordnungspunkt betreffen, mögen gewisse Härten vorhanden sein.
Aber Ihr Antrag schießt dann in seiner Größenordnung weit über das Ziel hinaus. Ich möchte Ihnen einmal die finanzielle Auswirkung in den Zahlen nennen, die mir bekanntgeworden sind. Wenn wir diese fünf Anträge, die uns jetzt hintereinander beschäftigen, annähmen, würde das für die Versicherungsträger eine jährliche Mehrbelastung von
166 Millionen DM und für den Bundeshaushalt eine weitere Belastung von 147 Millionen DM, zusammen also eine Belastung von 313 Millionen DM bedeuten. Daß wir, wenn wir eine solche Forderung an die Finanzkraft des Bundes und der Versicherungsträger stellen, die Dinge bis in alle Einzelheiten und auch nach den Richtungen, die in diesem Antrag nicht beachtet sind, ernsthaft überprüfen müssen, ist klar.
Ich möchte Ihr Augenmerk auf einen Sonderdruck richten, den uns Ihr Kollege Herr Professor Preller in den letzten Tagen übersandt hat und in dem er -- absolut mit Recht — auf die großen Gefahren hingewiesen hat, die sich aus der neuen Zusammensetzung der deutschen Bevölkerung ergeben. Er sagt hier über die Folge dieses Einströmens und der veränderten Berufsgestaltung:
Der Anteil der produzierenden Kräfte, also der
Erwerbspersonen, hat in der genanten Periode
— in der Zeit von 1939 bis 1950 —
von 51,7 auf 46,3 % abgenommen.
— Natürlich, das hat sehr ernsthaft etwas damit zu tun; wenn wir über 313 Millionen DM zu beschließen haben, dann hat das sehr viel damit zu tun. — Er sagt weiter:
Relativ, sogar absolut ist die Rentnerschicht viel stärker angewachsen als die der Erwerbspersonen.
Wir werden uns also ernsthaft auch mit dem Problem beschäftigen müssen, wie wir dieser unheilvollen Entwicklung Einhalt gebieten können. Auch das ist eine Frage, die in diesem Zusammenhang mit beraten werden muß. Ferner werden wir uns über die Frage unterhalten müssen, die Herr Professor Prellerl hier ebenfalls anschneidet, indem
er der Meinung von Professor Pfister beipflichtet, daß das Kapitaldeckungsprinzip volkswirtschaftlich nicht mehr haltbar sei. Das sind alles Fragen, die uns im Ausschuß eingehend beschäftigen müssen.
Wir sind selbstverständlich mit der Überweisung an den Sozialpolitischen Ausschuß einverstanden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Horn hat davon gesprochen, daß der Gesetzentwurf meiner Partei praktisch doch nur darauf hinauslaufe, das Gebäude der Sozialversicherung an irgendeinem Punkte wieder zu flicken.
Ich glaube auch, Herr Kollege Horn wird zugeben, daß es gerade die sozialdemokratische Fraktion gewesen ist, die sich gegen das ständige Flickwerk auf dem Gebiete der Sozialversicherung gewandt und im Bundestag beantragt hat, durch Einsetzung der Sozialen Studienkommission zu einer neuen Gesamtkonzeption zu kommen.
Diese neue Gesamtkonzeption der sozialen Sicherung haben die Regierungsparteien bisher verweigert.
Die Soziale Studienkommission, über die vor nahezu einem Jahre hier gesprochen wurde, ist noch nicht einmal in Gestalt des Sozialen Beirats Wirklichkeit geworden,
obwohl vor einigen Monaten der Herr Bundesarbeitsminister erklärt hat, der Soziale Beirat nehme nunmehr unverzüglich seine Tätigkeit auf. Dabei wurde hier dargelegt, daß die Vorschläge seit vielen Wochen bei dem Herrn Bundesarbeitsminister liegen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat auch jetzt noch nicht den Beirat konstituiert, vielleicht deshalb nicht, weil man offenbar keine neue Konzeption der sozialen Sicherung will.
Für uns handelt es sich bei diesem Gesetzentwurf natürlich nur um eine Gestaltung des sozialen Schutzes in einem Teilbereich, aber doch um eine grundsätzlich sehr bedeutsame Frage, die letztlich darauf hinausläuft, ob für gleiche Beiträge auch gleiche Leistungen gewährt werden sollen.
Meine Fraktion ist der Ansicht, daß es mit dem Gedanken einer sozialen Gerechtigkeit unvereinbar ist, an dem Stichtag des 31. Mai 1949, der seinerzeit in einer wirtschaftlichen Zwangssituation gesetzlich festgelegt wurde, nun für endlose Zeit festzuhalten und es praktisch dabei zu belassen, daß bei Erwerbsunfähigkeit von zwei Menschen mit gleichen körperlichen Schäden der eine Rente erhält und der andere keine Rente bezieht,
und zwar nur deshalb, weil der eine vor und der andere nach dem Stichtag erwerbsunfähig wurde, genau so, wie das meine Kollegin Frau Korspeter in bezug auf die Witwenrente dargelegt hat.
Nun hat Frau Kollegin K a l i n k e darauf hingewiesen, sie habe mit dem Antrag der Deutschen Partei Drucksache Nr. 35 schon seit langem eine Überprüfung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes gefordert. Nach meiner Kenntnis der Dinge sind gerade Frau Kollegin Kalinke und die Deutsche Partei besondere Vertreter des Gedankens einer unterschiedlichen Gestaltung, einer Aufspaltung der deutschen Rentenversicherung
in eine Rentenversicherung der Arbeiter und in eine Rentenversicherung der Angestellten. Diese unterschiedliche Gestaltung soll nach Auffassung meiner Fraktion in einem Punkte, und zwar in dem wesentlichen Punkte, beseitigt werden. Ich vermag nun nicht einzusehen, weshalb sich gerade Frau Kalinke auf den Standpunkt stellt, daß sie mit dem Antrag Drucksache Nr. 35 gewissermaßen das vorweggenommen habe, was meine Fraktion beantragt.
Die Unterschiedlichkeit in der Gestaltung der Leistungen zwischen Arbeitern und Angestellten bei gleichen Beiträgen stammt aus einer Zeit, in der man davon ausging, daß die Invalidenversicherung ihre Leistungen nicht ohne staatliche Zuschüsse gewähren könne, während die Angestelltenversicherung in der Lage sei, bessere Leistungen ohne staatliche Zuschüsse lediglich aus den Beiträgen zu gewähren. Diese Zeiten sind aber längst vorbei. Heute ist die Sachlage die, daß aus öffentlichen Mitteln zu den Renten der Angestelltenver-
sicherung pro einzelne Rente höhere Beträge zur Verfügung gestellt werden als zu der einzelnen Rente der Invalidenversicherung. Wenn für die Renten der Angestelltenversicherung pro einzelne Rente relativ mehr Mittel aus dem Haushalt zur Verfügung gestellt werden, dann läßt es sich aber in keiner Weise rechtfertigen, an den Unterschieden in der Leistungsgestaltung auch bezüglich des Stichtags festzuhalten.
Als meine Fraktion im Februar 1952 durch eine Kleine Anfrage an die Regierung die Frage richtete, was sie zu tun gedenke, um die Ungerechtigkeiten in bezug auf den Stichtag zu beseitigen, hat die Regierung mit dem Argument, das bereits seit der Erörterung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes bekannt ist, geantwortet, nämlich mit dem finanzwirtschaftlichen Argument. Die Regierung hat dargelegt, daß der Aufwand für diese Leistungen bei Beseitigung des Stichtags 250 Millionen DM betrage. Herr Kollege Horn hat ebenso wie Herr Kollege Dr. Atzenroth heute auf dieses finanzwirtschaftliche Argument Bezug genommen.
— Herr Kollege Horn, es wäre meiner Überzeugung nach Pflicht der Regierung gewesen, dazu Stellung zu nehmen, ob sie ihre finanzwirtschaftlichen Gründe vom Februar 1952 nach wie vor aufrechterhält.
Die Praxis zeigt aber — und ich darf in diesem Zusammenhang an das Gesetz über die Deckung der Rentenzulagen erinnern —, daß die finanzielle Lage der deutschen Rentenversicherung anders ist, als die Regierung im Februar 1952 hier mitgeteilt hat. Nach der Begründung zu dem Gesetz über die Deckung der Rentenzulagen, das den Bundesrat kürzlich beschäftigt hat, wird die deutsche Rentenversicherung im Rechnungsjahr 1953 voraussichtlich einen Überschuß von 960 Millionen DM erzielen. Dieser Überschuß — im Vergleich zu den Mehraufwendungen, die für die Änderung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes nach dem Gesetzentwurf meiner Fraktion benötigt werden — würde es durchaus gestatten, ohne Beeinträchtigung der Lage der Sozialversicherung den ungerechtfertigten Stichtag zu beseitigen. Was tut die Regierung? Die Regierung beabsichtigt, die Überschüsse der Sozialversicherung im Wege einer Veränderung der Deckung der Rentenzulagen zu einem wesentlichen Teil für ganz andere Zwecke, für Zwecke, die nicht den Zielen der Sozialversicherung dienen, abzuschöpfen.
Deshalb steht meine Fraktion auf dem Standpunkt, daß es auch den versicherungstechnischen Prinzipien entspricht, wenn die Mittel der Sozialversicherung, statt für Zwecke ausgegeben zu werden,
die sozialpolitisch nicht sinnvoll sind, für eine Verbesserung der Leistungen benutzt werden. Deshalb hoffen wir, daß sich auch die Regierungsparteien bei der Beratung des Gesetzentwurfs im Ausschuß dafür einsetzen, möglichst bald die Vorschriften des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes nach unserem Antrag zu ändern.
Das Wort hat Frau
Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Fraktion der Deutschen Partei und ihre Vertreter haben nicht die Absicht, in Zukunft mit Herrn Professor Schellenberg über sozialpolitische Fragen, soweit sie die Gesetzgebung der Bundesrepublik angehen, noch zu diskutieren, solange er immer wieder ein Bekenntnis zu jener Verordnung Nr. 28 der SMAD über die Einführung eines einheitlichen Systems von Maßnahmen zur Verbesserung der Sozialversicherung in der sowjetischen Besatzungszone ablegt.
Ich empfehle den Sachkennern von der SPD die genaue Kenntnisnahme und damit das Studium des Versicherungswesens in der sowjetischen Besatzungszone. Die 'Grundlinien des Gesamtaufbaus der Sozialversorgung in der Ostzone sind dieselben, die Sie hier wiederholt vorgetragen haben: keine Vielzahl der Versicherungsträger, sondern eine zentral gelenkte Einheitsversicherung, weiteste Ausdehnung des Kreises der Versicherungspflichtigen, Prinzip der Staatsbürgerversorgung im Gegensatz zum Versicherungsprinzip. Sie wurden bei der VAB in Berlin 1945 unter Ihrer Führung, Herr Schellenberg, vorexerziert; sie sind heute in der gesamten Ostzone befohlen. Das ist allerdings nicht das Programm der Deutschen Partei.
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle fest, daß Frau Kollegin Kalinke an Stelle einer sachlichen Argumentation wieder eine persönliche Polemik treibt.
Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist nunmehr erschöpft. Wir können die Beratungen schließen. Wir kommen zur Abstimmung. Es ist Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik beantragt. Ich habe keine andere Auffassung gehört; ich kann infolgedessen den Beschluß des Hauses annehmen.
Wir sind jetzt in der Lage, die Sitzung wegen der vorgesehenen Mittagspause zu unterbrechen. Wir treten um 15 Uhr wieder zusammen.
Die Sitzung wird um 15 Uhr 02 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schäfer wiedereröffnet.
Die Sitzung ist wiedereröffnet. Wir fahren in der Beratung fort.
Ich rufe auf Punkt 37 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Knappschaftsversicherungs-Anpassungsgesetzes .
Der Ältestenrat hat für die Begründung 10 Minuten, für die Aussprache 40 Minuten vorgesehen. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dannebom
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich in der Begründung kurz fassen angesichts der Tatsache, daß vor der Mittagspause in der Aussprache über die Drucksache Nr. 3959 dieses Problem ausgiebig behandelt wurde. In dem Antrag Drucksache Nr. 3960 wird dasselbe Problem im Hinblick auf die Bergbau-Invaliden und die Angehörigen von verstorbenen Bergleuten angesprochen. Ich glaube, mich mit diesem kurzen Hinweis begnügen zu dürfen, weil in diesem Hause wohl keine Meinungsverschiedenheit darüber besteht und wir gemeinsam der Auffassung sind, daß alles getan werden muß, um auch den Bergleuten und ihren Witwen dasselbe Recht angedeihen zu lassen wie den Angehörigen anderer Berufe. Ich bitte Sie deshalb, diesen Antrag ebenfalls dem Ausschuß für Sozialpolitik überweisen zu wollen.
Das war die Begründung. Zur Aussprache liegen keine Wortmeldungen vor. Dann darf ich die Aussprache schließen.
Es ist Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik vorgeschlagen. Auch hierzu sind keine anderen Vorschläge gemacht. Ich darf also das Einverständnis des Hauses mit dieser Überweisung annehmen und Punkt 37 als erledigt betrachten.
Ich rufe auf Punkt 38 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Umstellung von knappschaftlichen Renten auf das nach dem 31. Dezember 1942 geltende Recht der knappschaftlichen Rentenversicherung .
Auch hier hat der Ältestenrat 10 Minuten für die Begründung und 40 Minuten für die Aussprache vorgesehen.
Zur Begründung hat das Wort Herr Abgeordneter Dannebom.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit unserem Antrag Drucksache Nr. 3961, der den Entwurf eines Gegesetzes über die Umstellung von knappschaftlichen Renten auf das nach dem 31 Dezember 1952 geltende Recht der knappschaftlichen Rentenversicherung beinhaltet, erstreben wir die Wiederherstellung eines einheitlichen Rechts in der knappschaftlichen Rentenversicherung. Nach der Verordnung vom 4. Oktober 1942 über die Neuregelung der knappschaftlichen Rentenversicherung wurde die Rentenversorgung im Bergbau neu gestaltet. Bis zum Inkrafttreten dieser Verordnung setzte sich die knappschaftliche Rentenleistung aus Grundbetrag, Steigerungsbetrag und einem eventuellen Kinderzuschuß zusammen. Nach § 4 dieser Verordnung vom 4. Oktober 1942 besteht die knappschaftliche Rentenleistung heute aus Steigerungsbetrag, Leistungszuschlag für Hauerarbeit unter Tage und einem eventuellen Kinderzuschuß. Der jährliche Steigerungsbetrag ist 1,5 % des Entgelts des Versicherten bei der Knappschaftsrente und 2,4 % des Entgelts bei der Knappschaftsvollrente. Der Leistungszuschlag wird nach mindestens zehn Hauerjahren für jedes weitere Jahr nach einer Staffelung gewährt.
Das neue Recht trat mit dem 1. Januar 1943 in Kraft, und zwar für alle Versicherungsfälle, für die ein rechtskräftiger und leistungsfestsetzender Bescheid am 1. Januar 1943 noch nicht ergangen war. Für die vor dem 1. Januar 1943 laufenden und nach dem bisherigen Recht festgestellten Renten wurde eine Erhöhung von 300 Mark für die Invalidenrente und 240 Mark für die Witwenrente festgesetzt. Trotz dieser Erhöhung muß, glaube ich, festgestellt werden, daß das neue Recht in seiner Auswirkung zumindest für die Bergleute mit langer bergmännischer Tätigkeit unterschiedlich ist. Dieses unterschiedliche Recht in der knappschaftlichen Rentenversicherung hat zu einer Fülle von Beanstandungen und von Zuschriften nicht nur an den Petitionsausschuß, sondern, glaube ich, auch an die einzelnen Abgeordneten dieses Hauses geführt, in denen die Unzufriedenheit über diese Regelung zum Ausdruck kam. Ein entsprechender Antrag, ein einheitliches Knappschaftsrecht zu schaffen, wurde schon in der 140. Sitzung, als sich dieses Hohe Haus mit der Frage der Vermeidung von Härten in der knappschaftlichen Rentenversicherung zu befassen hatte, einstimmig angenommen. Auch damals schon wurde die Regierung aufgefordert, ein einheitliches Knappschaftsrecht zu schaffen. Dieser Forderung hat sich auch die Industriegewerkschaft Bergbau angeschlossen. Ich glaube, die Zuschriften, die seitens der Industriegewerkschaft Bergbau an alle Fraktionen dieses Hohen Hauses gerichtet worden und in denen einige Beispiele angeführt worden sind, in denen dieses Unrecht der unterschiedlichen Rentenberechnung zum Ausdruck gekommen ist, haben dazu geführt, daß sich meine Fraktion dem Wunsche der Industriegewerkschaft Bergbau angeschlossen und diesen Gesetzentwurf dem Hohen Hause vorgelegt hat.
Ich darf gleich noch auf eins hinweisen. Wie ich vorhin bereits gesagt habe, hat sich der Petitionsausschuß auf eine Fülle von Zuschriften hin schon verschiedentlich mit diesem Problem beschäftigen müssen. Ausfluß dieser Zuschriften war auch eine Frage, die Frau Kollegin Wolff in der Fragestunde vom 10. Dezember vergangenen Jahres an den Herrn Bundesarbeitsminister gestellt hat, wie er entsprechend dem einstimmigen Beschluß in der 140. Sitzung dieses Problem zu lösen gedenke. Der Herr Bundesarbeitsminister hat verschiedene Punkte angeführt, aus denen hervorgeht, daß er nicht gewillt ist, dieses Problem zu lösen. Als ersten Punkt hat er herausgestellt, die Ruhrknappschaft als größter Versicherungsträger habe sämtliche Rentenakten durch Kriegseinwirkung verloren. Zweitens hat er gesagt, die Versicherungsträger seien durch die Vielzahl der anfallenden Arbeiten, hervorgerufen durch die von uns verabschiedeten Gesetze über Rentenerhöhungen, nicht in der Lage, diese zusätzliche Arbeit zu übernehmen. Er war drittens der Ansicht, daß ein dringendes Bedürfnis für die Umrechnung dieser Knappschaftsrenten zur Zeit nicht gegeben sei. Er hat dann ausgesprochen, daß diese seine Auffassung sowohl von der Knappschaft wie auch von der Industriegewerkschaft Bergbau geteilt werde.
Von dieser Stelle aus muß demgegenüber zum Ausdruck gebracht werden, daß die Annahme des Herrn Bundesarbeitsministers, daß auch die Industriegewerkschaft diese Auffassung vertrete, nicht der Wahrheit entspricht. Denn nachdem die IG Bergbau sowohl den Fraktionen wie auch dem Bundesarbeitsministerium den Gesetzentwurf, der heute hier zur Behandlung steht, übermittelt hat und nachdem das Bundesarbeitsministerium die Entgegennahme dieses Gesetzentwurfs schriftlich bestätigt hat, muß gesagt werden, daß die IG Berg-
bau in diesem Falle eine gegensätzliche Auffassung vertritt, als sie der Herr Bundesarbeitsminister hier vorgetragen hat.
Ich glaube, wir alle sind an dem Problem stärkstens interessiert. Wir sollten uns, gleichviel welcher politischen Richtung wir angehören, der Notwendigkeit nicht verschließen, daß wir alle miteinander bestrebt sein müssen, dem Bergbau junge Arbeitskräfte zuzuführen. Wenn wir diese Notwendigkeit aber anerkennen, so müssen wir auch alles tun, um die Ungerechtigkeit in der Rentenberechnung zu beseitigen. Denn das Problem der Arbeitskräfte im Bergbau hängt mehr oder weniger von der zufriedenstellenden Behandlung der Versorgung der alten Bergleute ab. Nur dann, wenn wir die Streitfälle beseitigen, die durch die Verordnung des Jahres 1942 aufgetreten sind, haben wir Anlaß zu der Annahme, daß die alten, heute nicht mehr einsatzfähigen Bergleute ihre Kinder und Kindeskinder beeinflussen, auch wieder in den Bergbau hineinzugehen.
Aus diesen Gründen möchte ich Sie bitten, diesen Antrag dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen, damit er die Möglichkeit hat, diese Materie im einzelnen zu beraten.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der vorliegenden Drucksache Nr. 3961, die die Umstellung von knappschaftlichen Renten auf das nach dem 31. Dezember 1942 geltende Recht der knappschaftlichen Rentenversicherung vorsieht, versucht man eine Eingabe zu realisieren, die der Industrieverband Bergbau unter dem 14. November den einzelnen Fraktionen des Bundestags zugeleitet hat. Auch hier muß man leider wieder die Tatsache feststellen, daß es sich nur um Flickwerk handelt, da aller Voraussicht nach in dieser Legislaturperiode des Bundestags an eine Änderung der Bedingungen in der Sozialversicherung nicht zu denken ist.
Bereits im Jahre 1945, als man daranging, ein neues Arbeits- und Sozialrecht aufzubauen, glaubte man, auch die in der knappschaftlichen Rentenversicherung vorhandene uneinheitliche Form ändern und das in dieser Rentenversicherung bestehende Unrecht beseitigen zu können. Man beging aber den Fehler, daß man den Zustand, der vor 1945 bestanden hat, stillschweigend duldete, sich also damit einverstanden erklärte.
Obwohl ich mit diesem Gesetzentwurf einverstanden bin, erscheint es mir immerhin notwendig, einige kritische Bemerkungen zur Begründung dieses Gesetzentwurfs zu machen. Ich persönlich glaube nicht daran, daß mit der Änderung der knappschaftlichen Rentenversicherung in der vorgeschlagenen Form der Bedarf an jungen Bergarbeitern irgendwie gedeckt werden kann. Man kann nicht glauben, daß mit der Verbesserung der Verhältnisse der invaliden Bergarbeiter eine Änderung dieses Zustandes herbeigeführt wird. Das wäre nach meiner Auffassung ein verhängnisvoller Trugschluß; denn im Bergbau spielen eben eine ganze Reihe anderer Faktoren eine entscheidende Rolle, die Fragen des Lohnes, der Wohnungen, der Arbeitsverhältnisse, kurz all der sozialen Bedingungen, die nun einmal mit dem Bergbau verbunden sind.
Auch eine Umstellung der knappschaftlichen Renten, wie sie dieser Entwurf vorsieht, dürfte deshalb bei den jungen Bergarbeitern kaum eine langjährige Berufstreue erwirken. Gerade die jungen Bergarbeiter sehen mit sehr offenen Augen täglich die Schicksalseingriffe bei den alten Bergarbeitern und ziehen daraus die notwendigen Schlußfolgerungen. Die Nichtbeteiligung der Bergarbeiter an der Kohlengewinnung ist ebenso die Folge der Herstellung eines juristischen Verhältnisses, wie es die mangelnde Selbstbetätigung in der Wahrung seiner Rechte gegenüber der Knappschaft ist. In diesen Gründen liegt nach unserer Auffassung die wahre Ursache für die Flucht aus der bergmännischen Tätigkeit. Der aktive Bergmann begreift sehr wohl die Funktion der modernen kapitalistischen Gesellschaft, zu der zwangsläufig auch die Knappschaft als Organisation für seinen Lebensabend zu zählen ist, und er begreift sehr wohl die Grundsätze, nach denen in Westdeutschland Politik betrieben wird.
Im Oktober 1942 haben die Nationalsozialisten die sogenannte neue knappschaftliche Rentenversicherung geschaffen, nachdem man unmittelbar zuvor die Leistungen in der Kohlengewinnung im Interesse der Rüstungsindustrie zum obersten Prinzip erhoben hatte. Damals wurden die knappschaftliche Rente einschließlich Leistungszuschlag und die Knappschaftsvollrente einschließlich Leistungszuschlag geschaffen, und zwar mit Wirkung vom 1. Januar 1943 ab. Von diesem Zeitpunkt an wurde die Höhe der Rente aus dem effektiven Lohn für die Zeit der Arbeitslosigkeit ermittelt, und zwar bei der Knappschaftsrente mit 1,5 % und bei der Knappschaftsvollrente mit 2,4 %. Für die Zeit vor dem 1. Januar 1943 wurde der Jahresarbeitsverdienst nach Beitragsklassen aus Mittelendbetrag fingierter Lohnsätze errechnet.
Dabei möchte ich auf ein besonderes Kapitel hinweisen. Für die Entstehung von Ansprüchen aus Versicherungen war entscheidend, ob der Tatbestand, an welchen die Entstehung der Ansprüche geknüpft war, zeitlich unter das alte oder unter das neue Recht fiel. Diese Tatsache möchte ich durch zwei ganz einfache Beispiele beweisen. Nehmen wir an, der frühere Steiger Müller wurde am 1. Januar 1943 Invalide im Sinne der Reichsversicherungsordnung, und zwar auf der Grundlage der 66 2/3 prozentigen Erwerbsminderung. Er bekam die knappschaftliche Vollrente nach vorstehender Berechnung festgestellt mit dem Leistungszuschlag für nachgewiesene Arbeitszeiten als Hauer, Lehrhauer und Gedingeschlepper, da er direkt an der Kohlegewinnung teilnahm. Nun nehmen wir das andere Beispiel. Der frühere Hauer Meier meinetwegen wurde mit seinem Antrag auf Gleichstellung abgewiesen, weil bei ihm der Zustand der Invalidität im Sinne der Reichsversicherungsordnung vor dem 1. Januar 1943 nachgewiesen worden ist. Er nahm nicht an der Bewertung der Steigerungssätze aus seinen fingierten Jahresarbeitsverdienst-Beitragsklassen mit 2,4 % teil, wie auch nicht an dem besonderen Leistungszuschlag.
Nach .unserer Meinung ist es auch bei diesem Gesetzentwurf notwendig, im Sozialpolitischen Ausschuß einmal sehr ernst zu prüfen, nach welchen Grundsätzen die Dinge geändert werden können. Da wird sich zweifelsohne herausstellen, daß der alte Grundsatz, daß Gesetze keine rückwirkende Kraft haben, wenn dieses Gesetz Sinn haben soll, einmal verschwinden muß, wenigstens in bezug auf dieses Gesetz. Zum zweiten erscheint es
uns wichtig, daß mit dem 1. Januar 1953 die Gleichstellung aller knappschaftlichen Renten erfolgt, die geringer sind, als wenn ihre Feststellung nach den Bestimmungen über die Rentenversorgung vom 1. Januar 1943 erfolgt wäre. Das sind die Grundsätze die wir in den Vordergrund unserer Betrachtungen stellen. Sie gehen aus von der Notwendigkeit der Schaffung des einheitlichen Rechts auch in der Knappschaftsversicherung.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann ist die Aussprache geschlossen. Es ist die Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik beantragt. Andere Vorschläge sind nicht gemacht worden. Ich nehme die Zustimmung des Hauses dazu an.
Dann kann ich den Punkt 39 der Tagesordnung aufrufen:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Gewährung von Steigerungsbeträgen in der Rentenversicherung der Arbeiter .
Auch da ist vom Ältestenrat die Aussprachezeit wieder in der gleichen Weise geregelt worden, also zehn Minuten für die Begründung. — Ich nehme die Zustimmung des Hauses an.
Das Wort hat der Abgeordnete Meyer.
Meyer (SPD), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von mir zu begründende Antrag der SPD-Fraktion Drucksache Nr. 3962 hat folgenden Wortlaut:
Die Bundesregierung wird beauftragt, alsbald einen Gesetzentwurf vorzulegen, wonach auch Versicherten der Rentenversicherung der Arbeiter für Zeiten der Teilnahme am ersten Weltkrieg Steigerungsbeträge nach der Klasse gewährt werden, zu der der letzte Beitrag vor der Einberufung zum Kriegs-, Sanitäts- oder ähnlichen Dienst entrichtet worden ist, jedoch mindestens Steigerungsbeträge der Klasse II.
Der Antrag bezweckt, auf einem Teilgebiet der Rentenversicherung die Gleichheit des Staatsbürgers, die in Art. 3 des Grundgesetzes gewährleistet ist, im deutschen Sozialversicherungsrecht herzustellen. Das Grundgesetz schreibt die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz vor. In dieser Frage gibt es aber nicht nur unterschiedliche Behandlung zwischen den Teilnehmern des ersten und des zweiten Weltkrieges, sondern darüber hinaus noch eine unterschiedliche Behandlung zwischen den Versicherten der Angestellten- und der Invalidenversicherung, während die Knappschaftsversicherung eine Sonderregelung getroffen hat. Es gibt überhaupt keinen stichhaltigen Grund dafür, die Kriegsteilnehmer des ersten Weltkriegs anders als die Teilnehmer am zweiten Weltkrieg zu behandeln. Nach der zur Zeit geltenden Rechtslage werden für Zeiten des ersten Weltkriegs sowie für Zeiten der Erfüllung der aktiven Dienstpflicht und der Reichsarbeitsdienstpflicht Steigerungsbeträge nach der II. Klasse — also 14 Pfennig für jede Woche — gewährt, wenn die Versicherung vorher best an den hat. Bestand noch keine Versicherung vor der Einberufung, so wird überhaupt kein Steigerungsbetrag gewährt.
Im Gegensatz zu dieser Behandlung richten sich die Steigerungsbeträge der Teilnehmer am zweiten Weltkrieg und der Internierung im Ausland nach der Klasse des letzten vor der Einberufung geleisteten Beitrags oder dem letzten vor der Einberufung bescheinigten Arbeitsverdienst, mindestens jedoch nach der II. Klasse, also 14 Pfennig. Für die Zeiten der Teilnehmer am zweiten Weltkrieg werden nach der Verordnung vom 8. Oktober 1941 darüber hinaus in der Angestellten- und Invalidenversicherung einheitlich diese Steigerungsbeträge, wie ich sie eben dargestellt habe, gewährt. Für die Zeiten des ersten Weltkriegs werden auf Grund des § 2 der Bundesratsverordnung vom 26. August 1915 nur in der Angestelltenversicherung Steigerungsbeträge nach der Gehaltsklasse des letzten dem 1. August 1914 vorhergehenden Monats gewährt. Es konnten also unter Umständen Steigerungsbeträge nach der höchsten Gehaltsklasse gewährt werden. In der Invalidenversicherung dagegen werden die Steigerungsbeträge erst auf Grund des Abschnitts I Art. 1 § 2 der Verordnung des Reichsarbeitsministers vom 1. September 1938 nach den Sätzen der Klasse II gewährt. Ein Versicherter, der zur Invalidenversicherung vor Eintritt in den ersten Weltkrieg die höchsten Beiträge gezahlt hat, erhält deshalb im Gegensatz zu den Versicherten der Angestelltenversicherung einen weit geringeren Steigerungsbetrag.
Die Nichtanrechnung der Kriegsdienstzeit in der Invalidenversicherung sowie die geringe Berücksichtigung der Kriegszeit wurde nach der Verordnung vom 1. August 1938 mit der schlechten wirtschaftlichen Lage der Invalidenversicherung begründet — im Gegensatz zu der guten Finanzlage der Angestelltenversicherung: Diese Begründung ist jetzt aber nicht mehr stichhaltig, nachdem auch die Angestelltenversicherung durch den zweiten Weltkrieg ihr gesamtes Vermögen verloren hat.
Aus der Fülle der Zuschriften, die bei mir zu dieser Frage eingelaufen sind, möchte ich keine Einzelheiten anführen, sondern nur feststellen, dais es Fälle einer Schädigung bis zu 10 Jahren gibt. Ich habe Zuschriften von Menschen bekommen, die vor 1914 ihre dreijährige Dienstzeit abgeleistet haben und Soldat gewesen sind und die jetzt langsam in die Invalidität hineinkommen. Für diese 10 Jahre haben sie keinerlei Steigerungsbeträge bekommen. Sie werden mir zugeben müssen, daß das gegenüber denjenigen Menschen, die als Reklamierte seinerzeit in der Kriegsindustrie verblieben sind, die hoch verdient und hoch geklebt haben und die jetzt für diese große Zeitspanne hohe Steigerungsbeträge bekommen — während die anderen vollkommen leer ausgehen —, eine große Ungerechtigkeit bedeutet, die niemand wollen kann. Andere haben vor ihrer Einberufung bereits in der V. Klasse geklebt und bekommen nur die Steigerungsbeträge der II. Klasse.
Ohne weitere Einzelheiten anzuführen und ohne mich mit dem in Frage kommenden § 1268 der Reichsversicherungsordnung zu beschäftigen, glaube ich, das Haus überzeugt zu haben, daß diese unterschiedliche Behandlung beseitigt werden muß. Deshalb bitte ich darum, durch Ihre Zustimmung die Regierung zu ersuchen, möglichst beschleunigt die Gleichstellung vorzunehmen und so einen weiteren Schritt zu machen, unterschiedliches Recht in der Sozialversicherung zu beseitigen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Sozialversicherungsgesetzgebung ist seit dem Jahre 1945 in den
Ländern und auch in den einzelnen Zonen sehr unterschiedlich weiter gewachsen, so daß sie nach einer heutigen Übersicht nach vielen Seiten hin änderungsbedürftig geworden ist und einer Reform unterzogen werden muß. Dieser Gedanke ist bei uns überall lebendig, und wir warten alle darauf, daß eine Reform der Sozialversicherung bald Tatsache werden kann. Wenn wir aber in der Zwischenzeit allen Gedankengängen, die an uns herangetragen werden, gesetzgeberisch nachgehen wollten, dann halten wir einmal die Kräfte im Bundesarbeitsministerium auf, die für die Vorbereitungen der anzustrebenden Reform dringend notwendig sind. Zum anderen wissen diejenigen, die im Ausschuß für Sozialpolitik tätig sind, wieviel Aufgaben wir dort noch zu erledigen haben. Je mehr Anträge hier gestellt werden, um so weniger wird es uns möglich sein, die schon vorliegenden Arbeiten zu Ende zu führen.
— Ich könnte im Anschluß an den Antrag, den Sie hier gestellt haben, noch einen weiteren stellen. Ich könnte hier beantragen, daß dem Antrag Drucksache Nr. 3962 ein zweiter Absatz hinzugefügt werde, nach dem für diejenigen, die während des letzten Krieges als 16-, 17jährige junge Menschen eingezogen wurden, dann vier oder fünf Jahre Soldaten waren und schließlich in Gefangenschaft leben mußten, die also versicherungsmäßig betrachtet acht bis zehn Jahre verloren haben, eine Regelung getroffen werde.
— Es ist nicht Gerede! — Es sind also noch mehr Dinge offen, die irgendeiner Regelung entgegengeführt werden müßten.
Ich glaube, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn alle Anträge, die hier gestellt werden, dem Arbeitsministerium als Unterlage für die Reformarbeiten zugeleitet würden und wir dort die Dinge begründeten, kämen wir eher zu einer Reform der Sozialversicherung, als wenn wir hier im Hause immer wieder mit Anträgen kommen.
Ich stelle daher den Antrag, den Antrag Drucksache Nr. 3962 der Regierung als Material zu überweisen.
Herr Kollege Schellenberg hat vorhin auf den sogenannten Beirat für Sozialversicherungsfragen beim Bundesarbeitsministerium verwiesen. Ich weiß nicht, ob Herr Kollege Schellenberg noch nicht davon unterrichtet ist, daß dieser Beirat berufen ist und seine Tätigkeit in ganz kurzer Zeit aufnehmen wird.
Die Gedankengänge, die Sie hier vorgetragen haben, können also diesem Beirat vorgelegt werden, damit sie für die Vorarbeiten zu der Reform der Sozialversicherung verwandt werden können.
Das Wort hat Herr Staatssekretär Sauerborn.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird eben bezweifelt, ob der Beirat bereits gebildet ist. Ich darf Ihnen mitteilen: Der Beirat ist gebildet. Die entsprechenden Bestellungen sind herausgegangen. Das Bundesarbeitsministerium hat für diesen Beirat die notwendigen Unterlagen vorbereitet und hat einen besonderen Referenten bestellt, der lediglich die Aufgaben dieses Beirats wahrnimmt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Renner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte nicht die Absicht, mich zu diesem Punkt zum Wort zu melden. Die Begründung, die der Sprecher der SPD diesem Antrag gegeben hat, ist so richtig und inhaltlich so überzeugend, der Antrag ist an sich so gerechtfertigt, daß jedes Wort dazu überflüssig ist. Aber ich muß mich ein bißchen mit Herrn A r n d g en und auch mit dem Herrn Staatssekretär beschäftigen.
Herr Arndgen, wie ist denn das mit ihrer Behauptung, daß bei uns allen der Gedanke einer Reform der Sozialversicherungsgesetzgebung, wie Sie gesagt haben, so lebendig ist?
— Nein, Sie haben gesagt, der Gedanke sei so lebendig. Ich habe nie einen toteren Gedanken sozusagen erlebt als den Gedanken der Sozialreform in diesem Hause.
Wir Kommunisten haben im November 1949 in einem unserer ersten Anträge die Neugestaltung der Sozialversicherungsgesetzgebung gefordert. So lange ist der Gedanke
„lebendig", aber er lebt nicht. Aus dem ganzen Gerede ist bisher nichts herausgekommen als hier und da ein bißchen Flickwerk.
An den Herrn Staatssekretär: Es ist ja sehr nett, daß jetzt der Beirat gebildet ist, daß die Berufungen schon heraus sind und daß sogar die Frage des Referenten für diesen Beirat schon geklärt ist; aber, bescheidene Frage: wann tagt denn der zum ersten Mal? Das ist doch schließlich der springende Punkt! Wann wird er eingeladen zu einer Tagung, und wann kommt das erste greifbare Resultat im Sinne einer Sanierung der Sozialversicherungsgesetzgebung aus diesem Beirat heraus?
— Störche wird es auch später noch geben, fürchte ich;
solange es dieses Adenauer-Regime gibt, gibt es auch noch Störche.
Nun eine andere Geschichte. Sehen Sie, meine Herren Sozialdemokraten, etwas ist doch „peinlich" an dem Antrag, nämlich, daß ihm Ihr „Deckungsvorschlag" fehlt. Es ist also wieder einmal einer der Anträge, die gestellt werden, um gestellt worden zu sein, die dann in einen Ausschuß gehen und dort ruhen, ruhen, ruhen, wie seit der Zeit der Brüningschen Notverordnungsperiode heute noch gewisse Renten ruhen. Meine Herren Sozialdemokraten, das Erlebnis vom 11. Dezember hätte auch Ihnen Anregungen geben müssen in der Richtung,
daß man nicht nur Anträge stellen muß, sondern daß man sich auch dafür einsetzen muß, daß die Bundesregierung, wenn die Anträge hier vom Bundestag angenommen sind, gezwungen wird, sie durchzuführen, diese Gesetze zu effektuieren, damit wir nicht noch einmal das erleben, was wir am 11. Dezember erlebt haben, wo Sie alle, alle, alle ausnahmslos und bewußt, wie ich behaupte, überhört haben, daß der Herr Staatssekretär Hartmann vom Finanzministerium ganz offen und eindeutig hier ausgesprochen hat, selbst wenn dieser erbärmliche Gesetzentwurf von vier und zwei Mark angenommen werde, denke das Finanzministerium gar nicht daran, dieses Gesetz durchzuführen. Das haben wir alle gehört, es steht im Protokoll. Der einzige, der das aufgegriffen hat, war ich — nicht zufälligerweise —, weil ich die Methoden dieser Herren kenne. Sie kennen sie auch, aber Sie schweigen, und mit diesem Schweigen haben Sie den ganzen Betrug, der um die Weihnachtszeit herum mit den Invaliden gemacht worden ist, eigentlich nur ermöglicht. Nur dadurch war es zu erklären, daß draußen in den Zeitungen gewisser Koalitionsparteien stehen konnte: „Auch der Bundesrat hat anläßlich der Weihnachtstage an die Invaliden gedacht." Nicht wahr, das haben die doch geschrieben. Und die Invaliden kommen Ende Dezember an die Zahlstellen, an die Schalter heran und denken: Wenn es auch nicht viel ist, immerhin, bei unserer Not doch etwas. Und nun müssen sie mit langen Gesichtern abziehen, weil Sie „übersehen" haben, daß der Herr Finanzminister durch seinen Vertreter bereits an diesem 11. Dezember hat erklären lassen, daß er gar nicht daran denke, dieses Gesetz durchzuführen. Also, meine Herren von der SPD, in Zukunft nicht nur gute und richtige Gesetzesanträge, sondern auch die Regierung zur Deckung zwingen, diese Regierung, die den Hunger in Deutschland organisiert, zwingen, die Beschlüsse des Bundestages durchzuführen!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Freidhof.
Meine Damen und Herren! Die Begründung, die mein Parteifreund Meyer gegeben hat, war so eindeutig und klar, daß ich keine weiteren Ausführungen zur Begründung machen möchte.
Ich möchte mich nur mit dem Antrag des Herrn Kollegen Arndgen beschäftigen, der der Meinung gewesen ist, man möge diesen Antrag der Regierung als Material überweisen. Herr Kollege Arndgen, wenn wir die Gewißheit hätten, daß uns in absehbarer Zeit ein Entwurf über die Reform der Sozialversicherung vorgelegt würde, dann könnte man mit diesem Vorschlag noch einigermaßen einverstanden sein. Aber da wir wissen, daß die Regierung wahrscheinlich sehr lange brauchen wird und wahrscheinlich diesem Bundestag die Reformvorschläge nicht mehr vorgelegt werden — obwohl es sich um ein dringendes Problem handelt, das gelöst werden muß —, sind wir der Meinung, daß der Sozialpolitische Ausschuß sich mit diesen Dingen beschäftigen muß.
Wir legen eine Reihe von Briefen vor, in denen uns die Leute mitgeteilt haben, daß beispielsweise jemand vor 1914, bevor er Soldat geworden ist, Beiträge in der Klasse V bezahlt hat, aber nur Steigerungsbeträge der Klasse II angerechnet bekommt. Das ist doch eine Ungerechtigkeit gegenüber denjenigen — wie mein Parteifreund Meyer schon gesagt hat —, die damals unabkömmlich gewesen sind, in der Klasse V bezahlt haben und jetzt die Steigerungsbeträge nach der Klasse V bekommen. Es liegen des weiteren Briefe vor, in denen die Leute uns mitteilen, daß sie fünf, sechs und sogar sieben Jahre lang vorher höhere Beiträge bezahlt haben, ihnen aber fünf, sechs, sieben Jahre lang nur die Beitragsklasse II angerechnet wird.
Aus diesen Gründen bitte ich, dieses Problem doch in der nächsten Zeit im Sozialpolitischen Ausschuß zu erörtern, um zu einer günstigen Regelung zu kommen, und den Antrag des Kollegen Arndgen abzulehen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Es liegen zwei Anträge vor: der eine auf Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik und der andere auf Überweisung an die Regierung als Material. Der Überweisungsantrag geht nach der Geschäftsordnung vor. Wir stimmen also zunächst über die Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik ab.
Ich bitte diejenigen, die Überweisung an den genannten Ausschuß wünschen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Also, meine Damen und Herren, es besteht Unklarheit. Wir müssen eine Auszählung durchführen. Diejenigen, die für die Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik sind, bitte ich, die Ja-Tür, die anderen bitte ich, die Nein-Tür zu benutzen. Ich bitte um beschleunigte Räumung des Saals, damit wir wegen dieser Auszählung nicht zuviel Zeit versäumen.
Die Auszählung beginnt.
Die Auszahlung ist beendet; ich bitte, die Türen zu schließen. Darf ich bitten, Platz zu nehmen.
Das Ergebnis der Abstimmung ist: Mit Ja haben gestimmt 128, mit Nein 143; keine Enthaltungen. Der Antrag ist demnach abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den anderen Antrag, der Bundesregierung den Antrag als Material zu überweisen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen. Der Punkt der Tagesordnung ist damit erledigt.
Ich rufe nun Punkt 40 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrag der FU betreffend Rentenkapitalisierung (Nr. 3993 der Drucksachen).
Hierzu hat der Ältestenrat eine Begründungszeit von 10 Minuten und eine Aussprachezeit von 40 Minuten vorgesehen. Ich nehme die Zustimmung des Hauses dazu an.
Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Volkholz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag bezweckt, den Auszahlungsbetrag bei Rentenkapitalisierungen von 8/10 auf 9/10 der Rentensumme zu erhöhen. Der Antrag wurde dadurch ausgelöst, weil von seiten des Personenkreises, der seine
Renten kapitalisieren läßt, Klagen laut geworden sind, daß es eigentlich ungerecht wäre, nur 80 % der Rentensumme auszubezahlen. In den meisten Fällen handelt es sich um Rentenberechtigte, die deshalb für längere Zeit auf ihre Renten verzichten, weil sie einen größeren Betrag freibekommen wollen, um eine Existenz zu gründen — meistens einen handwerklichen Betrieb — oder um eine Wohnung zu bauen. Es ist deshalb nicht richtig, gerade hier dem Willen, sich selbständig zu machen, um dem Staat nicht dauernd als Rentenempfänger zur Last zu fallen, mit einer so großen Einschränkung praktisch entgegenzuarbeiten.
Wir betrachten es deshalb für gerechter, daß zumindest 90 % der kapitalisierten Rentensummen ausbezahlt werden. Dies ist auch deshalb zu vertreten, weil sich herausgestellt hat, daß gerade bei diesen Existenzgründungen auf längere Zeit gesehen dem Staate wieder Steuern zufließen, die einen vollkommenen Ausgleich für das eine Zehntel der erhöhten Kapitalisierungssumme nach sich ziehen. Im übrigen werden dadurch im großen und ganzen die Behörden sehr stark bei der Rentenbearbeitung entlastet, da schließlich gerade durch eine Erhöhung der Kapitalisierungssumme sehr viele Kriegsbeschädigte veranlaßt werden, jetzt wieder Anträge auf Kapitalisierung einzureichen.
Wir bitten Sie deshalb, diesem Antrag zuzustimmen, und beantragen Überweisung an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen.
Das Wort hat der Abgeordnete Renner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stimmen dem Antrag zu, aber nicht der Begründung, die der Herr Vorredner dafür gegeben hat. Die Beweggründe, die die Bezieher von Renten nach dem Bundesversorgungsgesetz veranlassen, einen Antrag auf Kapitalisierung ihrer Rente zu stellen, liegen in der Hauptsache darin, daß der Betreffende, um zu einer Wohnung zu kommen, die Errichtung eines Hauses plant, daß er also, unter Zugrundelegung des Betrages, der bei der Kapitalisierung herauskommt, sich die Mittel für den Bau auf diese Weise besorgt. Die Folge davon ist in sehr vielen Fällen, daß nach der erfolgten Kapitalisierung in der Familie des Kriegsbeschädigten eine sehr große Notlage eintritt, da er nur noch einen Bruchteil seiner alten Rente bezieht. Man muß also an das Problem mit sehr großer Vorsicht herangehen.
Ein viel schlimmeres Übel der derzeitigen Regelung ist heute hier überhaupt nicht angesprochen worden. Wir haben heute mehrfach hohe Töne von der Menschlichkeit gehört, die in Westdeutschland das Tun und Lassen der Parteien und der Regierung bestimmt. Ich lese Ihnen einen Bescheid vor. Da gibt es in der Gegend hinter Hagen einen 100%ig kriegsbeschädigten Menschen, der an einem Bronchialasthma leidet. Um aus dieser für seinen Zustand sehr ungünstigen Luft herauszukommen, strebt er den Ankauf eines Hauses in einer gesundheitlich für ihn geeigneteren Gegend des Landes Nordrhein-Westfalen an. Er tritt an das Versorgungsamt heran. Dieses lehnt ihm die beantragte Kapitalisierung seiner Rente ab. Und nun der Grund? Man sollte annehmen, die Kapitalisierung scheitere manchmal daran, daß keine Sicherheit dafür gegeben ist, daß der Bezieher von Kriegsopferversorgungsrente für eine längere Zeit, wenigstens für die Dauer der Jahre, die der Kapitalisierung zugrunde gelegt werden, rentenberechtigt bleibt. Aber nun hören Sie, was in dem Fall geschehen ist! Ich lese aus einem Schreiben des Sozialministers von Nordrhein-Westfalen vor:
Der Beschädigte Heinrich Schötten, der eine Rente von 100 v. H. wegen Bronchialasthma bezieht, beantragte die Gewährung einer Kapitalabfindung.
Das sagte ich ja schon.
Die Kapitalabfindung will er für die Ersteigerung eines Wohnhauses benutzen.
Zusatz von mir: in einem für seinen Gesundheitszustand günstigeren Teil des Landes. Der Brief geht weiter:
Für die Gewährung einer Kapitalabfindung ist u. a. auch Voraussetzung, daß nach der Art des Versorgungsleidens nicht zu erwarten ist, daß innerhalb des Abfindungszeitraumes die Rente wegfällt.
Nach versorgungsärztlicher Auffassung ist diese Voraussetzung aber nicht erfüllt, so daß aus diesem Grunde das Landesversorgungsamt Westfalen die Kapitalabfindung abgelehnt hat.
Wir haben also hier folgenden Fall vor uns: Da die Gewähr nicht gegeben ist, daß der hundertprozentig beschädigte Mann mit diesem schweren Leiden die Jahre, die der Kapitalisierung zugrunde gelegt werden, überlebt, lehnt man ihm die Kapitalisierung überhaupt ab. Aus Sorge, der arme Mensch könnte vorzeitig sterben, lehnt man sie ab und zwingt ihn damit, weiter in einer Gegend zu wohnen, die nach ärztlicher Bescheinigung für seinen Gesundheitszustand absolut schädlich ist.
Sehen Sie: diese Bestimmungen über die Kapitalabfindung müßten beseitigt werden. Das ist weit vordringlicher als das, was in diesem Antrag gefordert wird. Nun verteidigen Sie an diesem Fall Ihre Gesänge von der hohen Menschlichkeit und Ihrer sozialen Politik! Da gibt es nur eine Antwort: Aus mit diesem verlogenen Lied!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Es ist Behandlung durch den Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen beantragt.
— Bitte, wollen Sie einen andern Ausschuß benennen?
— Also, meine Damen und Herren, es ist zunächst die Überweisung an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen vorgesehen. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen. Damit ist der Antrag Arndgen gegenstandslos.
Ich rufe nun Punkt 41 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dirscherl und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung .
Die Antragsteller haben auf eine Begründung verzichtet. Ich nehme an, daß auch das Haus auf eine Aussprache verzichtet, und schlage Ihnen die Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik vor. — Dem wird nicht widersprochen. Es ist dann so beschlossen. Damit ist Punkt 41 erledigt.
Ich rufe Punkt 42 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der FU betreffend Auftragslenkung (Nr. 3932 der Drucksachen).
Für die Begründung sind fünf Minuten vorgesehen.
Zur Begründung hat das Wort Herr Abgeordneter Volkholz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag wurde ausgelöst, weil ein Beauftragter für Auftragslenkung für Berlin ernannt worden ist. Den gleichen Wunsch tragen unsere Gebiete der Oberpfalz und des Bayerischen Waldes. Wir möchten diesen Antrag noch auf alle Notstandsgebiete ausdehnen. Bis jetzt war die Regelung einer Auftragsverteilung nach Bayern eine rein private Angelegenheit der einschlägigen Industrie- und Handelskammern. Es hat sich aber herausgestellt, daß diese Regelung nicht ausreicht und daß daher gerade jetzt bei einem verstärkten Auftreten von Aufträgen des Bundes für Grenzschutz, Bundesbahn und Bundespost eine Stelle geschaffen werden muß, die tatsächlich mit Vollmachten ausgestattet ist, damit gewisse Aufträge, welche für die Notstandsgebiete geeignet sind, durch bestimmte Maßnahmen, beispielsweise Beschränkung der Bieterkreise, in diese Gegenden gelenkt werden können. Wir wollen damit nicht ein- Art Zwangswirtschaft herbeiführen, sondern eben der Wirtschaft der Notstandsgebiete eine Möglichkeit geben, im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit und Leistungsmöglichkeit Aufträge zu bekommen.
Es hat sich in der vergangenen Zeit öfters herausgestellt, daß unsere Gebiete bei Ausschreibungen, welche sich auf das ganze Bundesgebiet erstreckten, einfach nicht mehr mitkamen. Vor einigen Wochen wurde beispielsweise ein Auftrag in Schränken für den Bundesgrenzschutz vergeben. Dabei wurden aus dem Westen Gebote zum Stückpreis von 172 DM gestellt, dagegen aus Bayern zu 260 DM. Bei uns wirkt eben die handwerkliche Bearbeitung verteuernd, während hier im Westen die maschinenmäßige Bearbeitung die Verbilligung verursacht.
Um aus diesem Grunde gerade den handwerklichen Typus der Kleinindustrie der Notstandsgebiete zu fördern, bitten wir Sie, unbedingt dem Antrag zuzustimmen, einen Beauftragten für Auftragslenkung für die Notstandsgebiete zu ernennen. Wir bitten um Überweisung des Antrags an den Ausschuß für Grenzlandfragen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Es ist Überweisung an den Ausschuß für Grenzlandfragen beantragt worden.
— Ja, nun kommt es darauf an, an welchen Ausschuß federführend. An den Ausschuß für Wirtschaftspolitik? An sich dem Inhalt nach glaube ich,
— Federführend an den Ausschuß für Grenzlandfragen und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik zur Mitberatung! Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. — Das ist zweifellos die Mehrheit. Dann ist es so beschlossen.
Dann kommen wir zu Punkt 43 der Tagesordnung:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der FU betr. Notstandsmaßnahmen für die Holzindustrie im Bayerischen Wald (Nr. 3991 der Drucksachen),
b) Beratung des Antrags der Fraktion der FU betr. Notstandsarbeiten im Bereich der bayerischen Wasserwirtschaftsämter (Nr. 3992 der Drucksachen).
Der Ältestenrat hat zur Begründung wieder nur die kurze Zeit von fünf Minuten und für die Beratung 40 Minuten vorgesehen.
Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Volkholz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag sieht vor ein Einfuhrverbot von Holzspulen, Holzspindeln und sonstigen ähnlichen Erzeugnissen, Subventionierung der Holzstiftefabriken und Überwachung und Beschränkung von Kunststofferzeugnissen. Der Antrag wurde ausgelöst, weil tatsächlich zur Zeit die gesamte Holzindustrie des Bayerischen Waldes in Niederbayern stilliegt und sämtliche Arbeiter arbeitslos geworden sind. Der Grund für den Ausstand dieser Industrie ist die Einfuhr von Erzeugnissen dieser Industrie, die zur Zeit aus Finnland und aus der Ostzone vorgenommen wird. Wir wissen, das gewisse handelsvertragliche Abmachungen vorhanden sind, welche die Einfuhr von Holzspulen beispielsweise aus Finnland vorsehen und auch dementsprechend begründen können. Aber letzten Endes ist es doch wichtiger, die einheimische Industrie eines Gebietes zu unterstützen, als irgendwelche Rücksichten auf Handelsverträge zu nehmen.
Das betrifft eine sehr große Zahl von Arbeitern, welche sich auf ein Gebiet fast eines ganzen Regierungsbezirks erstreckt. Die Holzvorräte, die von den einschlägigen Firmen zur Verarbeitung in dieser Industrie angelegt wurden, liegen auf den Lagerplätzen und müssen allmählich praktisch verfaulen, so daß auch hierdurch eine große Schädigung dieser Industrie eintritt, die nicht mehr in der Lage ist, bei einem späteren Einfuhrstop ihren Betrieb irgendwie wieder fortzuführen, so daß erst wieder mit staatlichen Mitteln eingeschritten und geholfen werden muß, damit sie wieder zum Laufen kommt. Es ist eine Tatsache, daß beispielsweise jetzt bereits die gesamten Holzvorräte, die meistens auf ein bis zwei Jahre gelagert werden müssen, als Brennholz verkauft werden, weil keine Verwendungsmöglichkeit mehr vorhanden ist. Gleichzeitig werden in der Bundesrepublik verschiedene Erzeugnisse dieser Holzindustrie nun von Kunststoff herstellenden Industrien erzeugt, ob-
wohl sie teilweise teurer kommen oder diese Industrien erst neu mit Staatsmitteln aufgebaut werden müssen.
Der letzte Punkt ist die Subventionierung der Holzstiftefabriken. Wir stehen in einem sehr starken Konkurrenzkampf mit Bulgarien und Ungarn. Wenn nicht rasche Hilfe kommt, indem unsere Holzstiftefabriken durch Subventionierung konkurrenzfähig gemacht werden, erliegen sie ebenfalls dieser ausländischen Konkurrenz. Holzstiftefabriken sind reine Exportfabriken, die zur Erhaltung ihrer Auslandsmärkte unbedingt eine Unterstützung der Bundesregierung brauchen.
Der Antrag soll auf keinen Fall irgendwie einer Zwangswirtschaft Tür und Tor öffnen, sondern sieht nur vor, daß den Notstandsgebieten endlich mit allen Mitteln geholfen wird, nachdem bereits durch den Bund diese Absicht ausgesprochen worden ist.
Dem zweiten Antrag — betreffend Notstandsarbeiten im Bereich der bayerischen Wasserwirtschaftsämter, Drucksache Nr. 3992 — ist bereits ein Beschluß des Bayerischen Landtages vorangegangen,
im Bundesrat diesen Antrag im selben Wortlaut vorzubringen. Es war im Bayerischen Landtag ein Antrag der CSU und auch der SPD. Wir haben geglaubt, zur Beschleunigung dieser Angelegenheit diesen Antrag einbringen zu müssen, und bitten Sie ebenfalls um Zustimmung.
Es wird Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik und den Ausschuß für Grenzlandfragen und für Drucksache Nr. 3992 an den Ausschuß für Arbeit beantragt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Höhne.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon wieder, möchte man fast sagen, liegt ein Notstandsantrag vor, der die Beseitigung von Notständen im Gebiet des Bayerischen Waldes verlangt. Ich will nicht von einer Invasion sprechen, die von seiten der CSU und der Bayernpartei in bezug auf Notstandsanträge über uns hereinbricht. Aber wir müssen uns doch einmal allen Ernstes mit der Frage beschäftigen: Was soll denn das? Was sollen denn diese Anträge fortgesetzt?
— Helfen, sagen Sie. Ganz richtig! Sie sind aber selbst davon überzeugt, daß mit diesen Maßnahmen keinesfalls die von Ihnen erwartete Hilfe erreicht wird.
Sie sind Anhänger der freien Wirtschaft, Sie sprechen vom „deutschen Wirtschaftswunder".
Wo sind denn hier in diesen Notstandsgebieten die Auswirkungen Ihres „deutschen Wirtschaftswunders" zu sehen?
Man soll doch diese Dinge beim richtigen Namen
nennen; man soll nicht mit Propagandamethoden
und -mitteln dem Volke draußen Sand in die Augen streuen
und ihm vorgaukeln, was in Wahrheit überhaupt nicht erreicht werden kann.
Wir haben uns hier im September mit Ihren Anträgen beschäftigt. Damals hat der Ausschuß für Haushalt eine ansehnliche Litanei Ihrer Anträge zum Teil als Material an die Regierung zu überweisen empfohlen, zum andern Teil hat er empfohlen, die Anträge als erledigt zu betrachten. Ich habe damals den Wunsch geäußert — und der Bundestag ist dem auch gefolgt —, die Anträge möchten keinesfalls als Material und als erledigt betrachtet, sondern zusammengefaßt an die Ausschüsse zurückverwiesen werden, um daraus dann das Material zu erarbeiten, das uns eine wirkliche Hilfe garantiert. Wo ist unser Sanierungsprogramm bis heute geblieben?
Meine Damen und Herren, seien Sie doch ehrlich! Es geht einfach nicht mit den allgemein üblichen freien Wirtschaftsmethoden. Die Wunden, die durch dieses Wirtschaftssystem geschlagen werden, sollen dann durch Pflästerleinspolitik, die Sie hier betreiben, beseitigt werden. So geht es nicht. Entweder Sie treiben eine ernsthafte Politik und appellieren, aber mit anderen Mitteln als bisher, an die Regierung, der fünf Minister Ihrer Couleur angehören und fünf Minister, die aus Bayern und zum Teil auch aus dem Notstandsgebiet stammen. Also man soll hier nicht nur so tun, als ob, sondern man soll auch einmal die Konsequenzen solcher Handlungsweise ziehen und soll sich ernsthaft mit der Schaffung eines Arbeits- und Sanierungsprogramms für das Notstandsgebiet beschäftigen. Nur damit erreichen Sie das, was Sie wollen, keinesfalls mit solch kleinen Pflästerleinsmethoden, wie Sie das vorhaben. Ich bin ganz ehrlich und offen hier. Wenn Sie die Vergangenheit und die Erfolge beurteilen, die sich aus der bisherigen Politik ergeben haben, dann müssen Sie zugeben: Ihre Sache war bisher schlecht fundiert. Ich wünschte nur, daß Sie sie in Zukunft besser in die Hand nehmen und daß Sie daher meinem Vorschlag zustimmen, die beiden Anträge Drucksachen Nrn. 3991 und 3992 den gesammelten Notstandsanträgen, die an die Ausschüsse Grenzlandfragen und Wirtschaftspolitik zurückverwiesen worden sind, als weiteres Material anzugliedern und aus den gesamten Anträgen dann ein ernsthaftes Arbeitsbeschaffungsprogramm zu gestalten.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kahn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich wollte ich heute nicht mehr das Wort ergreifen. Nachdem aber die Punkte 42 und 43 der Tagesordnung von den beiden bayerischen Kollegen, von einem Kollegen der Bayernpartei und von dem Kollegen Herrn Höhne von der SPD, gestreift wurden, nehme ich ganz knapp auf einige Minuten noch das Wort.
Dem Herrn Kollegen Volkholz möchte ich zu Punkt 42 der Tagesordnung erwidern: Es gibt bei der bayerischen Vertretung bereits einen Beamten, eine Persönlichkeit, die die Lenkung der Aufträge der gesamten bayerischen Wirtschaft, die bei der
bayerischen Vertretung zusammenfließen, koordiniert, mit der bayerischen Industrie die Verbindun-
gen aufrechterhält und die Aufträge nach Bayern gibt. Wenn sich Herr Kollege Volkholz einmal die Mühe macht, Herrn Regierungsdirektor Sotung — das ist diese Persönlichkeit — in der Görresstraße aufzusuchen, dann wird er genau erfahren, welches Unmaß von Arbeit von diesem Beauftragten der bayerischen Industrie im Rahmen der Möglichkeiten für die ostbayerische Heimat bereits geleistet worden ist.
Zu den Punkten 43 a und b der Tagesordnung möchte ich eines sagen — und da pflichte ich dem Kollegen Höhne bei —: auch wir von der Christlich-Sozialen Union und, ich darf wohl sagen, auch von der gesamten Partei der CDU/CSU sind damit einverstanden, daß die Anträge betreffend die Notstandsmaßnahmen den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden.
Nun noch ein Wort, verehrter Herr Kollege Höhne: Die Anträge der CSU, die ich die Ehre hatte zu begründen, entsprangen nicht einem Agitationsbedürfnis, sondern sie entsprangen dem, was wir doch alle in diesem Hohen Hause wollen, ohne Rücksicht darauf, welcher Partei wir angehören, sie sollten den Weg ebnen zu dem, was wir noch erreichen müssen: dem Bayerischen Wald, dem Notstandsgebiet im Rahmen unserer bayerischen Heimat und des gesamten deutschen Vaterlandes wirklich und wahrhaftig zu helfen.
Keine weiteren Wortmeldungen?
— Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es muß natürlich auch dem Bayern, der ich bin, auffallen, wenn die Zahl der Anträge der Föderalistischen Union hier ständig zunimmt. Dennoch bin ich nicht der Meinung des Herrn Höhne, daß wir gut daran täten, diese Anträge nun zurückzuverweisen und sie den weiteren Anträgen als Material zuzulegen; denn dann, glaube ich, sehen wir sie entweder überhaupt nicht oder erst nach sehr langer Zeit wieder.
Ich würde also schon glauben, wir sollten sie jetzt den Ausschüssen zuweisen.
Aber gestatten Sie mir, meine Herren von der FU, daß ich Ihnen sage: es fällt einem auf, daß Sie den Bund um Überwachung und Beschränkung bitten. Das ist doch sonst eigentlich nicht Ihre Methode, sonst lassen Sie doch alles von Bayern selbst machen. Aber wir freuen uns natürlich,
daß Sie nunmehr den Bund zur Überwachung auffordern.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns heute wieder mit zwei Anträgen zu beschäftigen, die den Bayerischen Wald betreffen. Der Herr Kollege Volkholz hat im vorigen Jahr Gelegenheit gehabt, in einer Versammlung, die von uns dort oben durchgeführt worden ist,
— Moment! —, die Probleme zu besprechen. Er hätte sich dadurch allerdings seine Österreich-Reise verscherzt; denn das war der Erfolg einer Versammlung, die von Herrn Kollegen Volkholz als Konkurrenzversammlung gegen uns aufgezogen war. Wir sind absolut bereit, Fragen der Not gemeinsam zu diskutieren und darüber zu sprechen, wie man diese Not beseitigen kann. Das sollte man zum Grundsatz seines Handelns machen. Sie haben es damals nicht zum Grundsatz Ihres Handelns gemacht.
Und dann, Herr Kollege K ahn, Ihre Rede! Sie war genau so gewaltig überzeugend wie Ihre letzte Rede, als wir unseren Antrag wegen der Notlage im Bayerischen Wald stellten, so überzeugend, daß man wirklich erschüttert war von der Weisheit, die Sie da von sich gegeben haben.
Herr Kollege Kahn, nichts ist geändert, trotz der berühmten Persönlichkeit, die dort oben eingestellt worden ist.
Nichts ist geändert! Es wäre doch viel besser gewesen, Sie hätten hier den Kollegen des Bundestages gesagt, wie nach Ihrer Meinung die Not behoben werden kann. Ich werde mir gestatten, an Hand der dortigen Verhältnisse einige Beispiele zum besten zu geben.
Zuvor möchte ich aber folgendes feststellen. Nach den uns gewordenen Berichten ist die Katastrophe dort oben verheerend.
Das Weihnachtsgeschäft der Spielwarenindustrie ist gleich Null gewesen.
—Behalten Sie Ihre Weisheit für sich! Dafür bekommen Sie Ihre Diäten, für diesen dummen Zwischenruf!
— Nein, das ist nicht unerhört!
Reden Sie keine Dummheiten!
Die Tatsache besteht, daß die Spielwarenindustrie praktisch keine Absatzmöglichkeiten gehabt hat, weil die allgemeine Kaufkraft des deutschen Volkes auch sie lahmgelegt hat.
Ein anderes ist zu verzeichnen — und das mußte der Herr Kollege Volkholz auch wissen —, nämlich die Tatsache, daß das Holz, das aus Osterreich eingeführt wird, im Preis pro Festmeter wesentlich tiefer liegt als das Holz, das aus dem Bayerischen Wald kommt. Wir sind der Meinung, daß zur Behebung der Notlage dort oben einmal einiges getan werden muß, und zwar indem man versucht, die dort vorhandene Arbeitslosenzahl wenigstens etwas zu senken. Das kann geschehen durch eine Intensivierung der Forstwirtschaft, durch Pflegehieb und Durchforstungen, durch eine
Steigerung des Gruben- und Faserholzanfalles. Hinzu kommt die notwendige Aufforstung der Kahlflächen, Aufforstungsarbeiten zur Wertsteigerung und anderes mehr. Ich darf dabei darauf verweisen, daß diese Vorschläge mit Forstfachleuten aus dem Gebiet des Bayerischen Waldes besprochen worden sind, also in ihrer Auswirkung fundiert sind.
Zweitens. Allein im Gebiet Zwiesel befinden sich 50 000 ha Staatswald, der nur notdürftig mit Straßen aufgeschlossen ist. Der Bau von Waldstraßen zum Abtransport des wertvollen Langholzes ist volkswirtschaftlich gesehen eine dringende Notwendigkeit und wird auf Jahre hinaus einer großen Anzahl von Menschen Arbeit geben. Mir ist nicht bekannt, daß zur Durchführung dieser Aufgabe aus der werteschaffenden Arbeittslosenfürsorge Mittel gewährt worden sind. Der Bau dieser Straßen wird die Waldarbeiter in ihrem Verdienst keineswegs schmälern, sie aber von dem gefährlichen Schlittenzug, der mit der Langholzbergung in Verbindung steht, abbringen.
Im übrigen bestünde auch dort die Möglichkeit, den Bau von Waldarbeitersiedlungen durchzuführen, damit die dort ansässigen Flüchtlinge endlich in vernünftigen Wohnungen untergebracht werden können, ganz zu schweigen von dem dringend notwendigen Bau von Schulen, Krankenhäusern, Dingen, an denen dort oben wirklich ein ungeheurer Mangel ist. Im Bayerischen Wald sind durch Kriegseinschläge und Holzkontingentierung die Sägewerke übersetzt und aufgebläht. Diesen Zustand muß man einfach durch Rückkehr zu normalen Produktionsbedingungen ändern. Wenn man von dem Gedanken abgeht, daß es tote Zone ist, wenn man kein Interesse daran hat, Dinge anzusiedein, die angeblich militärisch-strategisch wichtig sind, und wenn man eine andere Politik, nämlich die Politik treibt, Friedensindustrie anzusiedeln, kann man auch dort oben zweifelsohne der Not steuern, indem man die Veredelungsindustrie seßhaft macht, Sperrholzfabriken, Kartonfabriken oder Holzmehlindustrie oder ein Schälwerk errichtet, wo eine ganze Reihe von Menschen beschäftigt werden können. Wenn Sie von diesen Gesichtspunkten aus versuchen, die Not im Bayerischen Wald anzugehen, dann, glaube ich, haben Sie einen wesentlich besseren Erfolg als mit den wirklich bescheidenen Anträgen, die Sie hier eingebracht haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Kahn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß doch noch einmal ganz kurz zu den Ausführungen des Vertreters der kommunistischen Gruppe, des Herrn Kohl, Stellung nehmen. Was er hier vortrug, ist meines Erachtens in irgendeiner Form das Exposé, das ihm sein Parteibüro für die Oberpfalz in der Maximilianstraße in Regensburg zugesandt hat. Im öffentlichen Leben soll und muß man die Wahrheit sagen. Verehrter Herr Kohl, das, was Sie gesagt haben, das war
der Auszug von Dingen, die den Tatsachen vollständig widersprechen. Sehen Sie sich einmal in Ostbayern die Reihe der neuen Krankenhäuser und die Reihe der neuen Schulen und Volksschulen an.
Sehen Sie all das an, was gemeinsam aus Bundes- und aus Landesmitteln auf dem Gebiete des Straßenbaues in einigen Jahren nah dem wirtschaftlichen Zusammenbruch und nach dem Zusammenbruch des Hitlerreichs auch in diesen Grenzgebieten erreicht worden ist.
An einer Tatsache können Sie heute, meine Herren der Kommunistischen Partei, in diesem Hause nicht vorübergehen, nämlich an der Tatsache, daß der Hauptgrund dieses Elends doch die Abschnürung Ostbayerns gegen die frühere Tschechoslowakei ist. Genau wie ich es Ihnen vor zwei Jahren gesagt habe, muß ich es Ihnen heute in das Stammbuch geben: auf den Grenzkämmen des Bayerischen und Böhmer Waldes, auf den Grenzkämmen dieses Stücks deutscher und bayerischer Heimat steht heute der Satellitismus von Moskau und Prag. Dieser Satellitismus ist der Hauptgrund für die wirtschaftliche und soziale Abschnürung und für den wirtschaftlichen Niedergang dieses ostbayerischen Stücks deutscher Erde und Heimat.
Ich fasse ganz knapp und sachlich das von mir Gesprochene zusammen. Ich habe es schon in meinen ersten Ausführungen betont: Wir müssen gemeinsam vom Bund und von Bayern aus die Probleme lösen. Wenn Sie, Herr Kohl, sich näher mit den Dingen beschäftigt hätten, dann hätten Sie längst gewußt, daß am letzten Montag in Cham im Bayerischen Wald eine große wirtschaftliche Arbeitstagung stattgefunden hat. Die Vertreter . des Bauernverbandes, die Männer der Gewerkschaften, der Industrie- und Handelskammer von Passau und Regensburg, der zuständigen Handwerkskammer und Vertreter der politischen Parteien waren geladen. Der Regierungspräsident, Herr Dr. Ulrich aus Regensburg, der amtierende Präsident für Niederbayern und die Oberpfalz, hat gemeinsam mit all diesen Persönlichkeiten ein großzügiges Wirtschaftsprogramm ausgearbeitet,
das man nicht wie in der Ostzone mit der Papiermaschine und mit Zahlen lösen kann, sondern das in einer langen Reihe von Jahren die wirtschaftliche und soziale Gesundung dieses Stücks bayerischer und deutscher Erde bringen kann.
Ich darf noch bitten — und da komme ich dem Wunsch verschiedener Kollegen nach —, vielleicht den Antrag der Fraktion der FU unter Punkt 42 der Tagesordnung betreffend Auftragslenkung ebenfalls noch dem Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen zu überweisen. Ich glaube, daß durch meine sachlichen Ausführungen, die nicht von Parteihader oder Parteigunst getragen sind, doch gezeigt wurde, wie in wirtschaftlicher Hinsicht die Dinge dort unten in diesem Notstandsgebiet tatsächlich und wirklich sind.
Herr Volkholz bitte zum Schlußwort!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige Mißverständnisse aufklären. Die Tagung, Herr Kahn, hat in Zwiesel stattgefunden,
und es sind sehr viele Anträge dort bearbeitet worden, die wahrscheinlich noch an uns herangetragen werden.
Dem Herrn Kollegen Kohl aber möchte ich sagen, daß er wahrscheinlich von der Forstwirtschaft nicht recht viel versteht
und auch seine Ausführungen damals in Zwiesel nicht so waren, als ob er viel davon verstünde. Denn wir im Bayerischen Wald — ich komme schließlich aus der Forstwirtschaft — sind froh, wenn wir unser Langholz überallhin in die Welt verkaufen können. Wir wollen nur einen gerechten Preis haben und keine Preisdrückerei, wie es zur Zeit dadurch geschieht, daß man das Schnittholz aus dem Ausland einführt, damit so bei uns die Holzpreise gedrückt werden und unsere Bauern nicht mehr viel für das Holz bekommen.
Gerade weil Sie so warm von der Spielwarenindustrie gesprochen haben, vermute ich, daß Sie wahrscheinlich der Vertreter der Spielwarenindustrie der Ostzone sind, die zur Zeit ebenfalls eine Konkurrenz für den Bayerischen Wald darstellt, weil wir nicht mehr konkurrenzfähig sind. Der Arbeiter verlangt nämlich bei uns einen anständigen Lohn, während Sie da drüben mit Kulilöhnen auskommen und deshalb billiger sein können.
Leider war ich nicht informiert, daß Sie heute so böse auf mich sein würden, Herr Kohl, sonst hätte ich die Statistik mitgebracht, und dann hätte ich Ihnen die Löhne gegenübergestellt, die die Spielwarenindustriearbeiter der Ostzone verdienen, und diejenigen, die bei uns ausgezahlt werden. Leider sind wir dadurch arbeitslos geworden.
Zu den Bedenken des Herrn Kollegen Wellhausen möchte ich noch sagen, daß wir nicht irgendwie in die Belange Bayerns eingreifen wollen, wenn wir hier vorschlagen, einen Beauftragten beim Bund zu ernennen, der die Aufträge nach Bayern lenkt. Wir wollen ja nicht allein eine Stelle schaffen, die die Aufträge nach Bayern lenkt, sondern eine Stelle, die Aufträge in die Notstandsgebiete lenkt. Wir wissen genau, daß wir beispielsweise unten im Bayerischen Wald niemals in Konkurrenz etwa mit Schleswig-Holstein oder mit anderen Gegenden kommen werden, weil wir ja spezielle Gebiete haben, die die dortigen Interessen nicht berühren.
Ich bitte Sie deshalb nochmals, diesen Anträgen zuzustimmen und sie an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik und an den Ausschuß für Grenzlandfragen — bei Federführung des Ausschusses für Grenzlandfragen — zu überweisen.
Zunächst einmal Punkt 43,1 Herr Kollege Kahn, immer der Reihe nach. Es ist Überweisung an den Ausschuß für Grenzlandfragen als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik beantragt.
— Ausschuß für Wirtschaftspolitik als federführender Ausschuß. Ist das Haus einverstanden? — Das ist der Fall.
— Sie sind dagegen?
— Ich werde auf große Lautstärke einschalten. — Es ist Überweisung an den Ausschuß für Grenzlandfragen als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik beantragt.
— Meine Damen und Herren, es ist die Frage: wer ist federführender Ausschuß? An die beiden Ausschüsse geht es auf jeden Fall.
— Meine Damen und Herren, die Arbeitsweise des Ausschusses möchte ich dem Ausschuß überlassen. Wer soll federführend sein? Zuerst ist beantragt worden: der Ausschuß für Grenzlandfragen. Wer ist dafür, daß der Ausschuß für Grenzlandfragen für diese Anträge unter Punkt 43 der Tagesordnung federführend ist? — Wer ist dafür, daß der Ausschuß für Wirtschaftspolitik federführend ist?
— Das ist also die Mehrheit.
Zu Punkt 42 der Tagesordnung hat Herr Abgeordneter Kahn nachträglich beantragt, nicht nur den Ausschuß für Wirtschaftspolitik, sondern auch den Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen damit zu befassen. Ich bitte die Damen und Herren, die der Überweisung an den Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen?
— Und ein größerer Teil von Abgeordneten, der keine Stellung nimmt.
Das erste war die Mehrheit. Die Überweisung an den Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen ist ebenfalls erfolgt.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die 247. Sitzung auf Mittwoch, den 28. Januar, 9 Uhr vormittags, und schließe die 246. Sitzung.