Rede von
Hans
Ewers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Darf ich versuchen, mit der Objektivität, wie sie ein alter Mann vielleicht erschwingt, auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Fisch etwas sachlich zu erwidern.
Die Tatsache, daß in einer großen Zahl, bei weitem der Überzahl dieser Fälle die formale Beschuldigung auf Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung geht, macht den um das objektive Recht beflissenen Abgeordneten dieses Hauses die Entscheidung nicht leicht. Denn wir sind uns ja alle darüber einig, daß wir im Grundsatz wegen einer auf Grund der politischen Betätigung eines Abgeordneten gefallenen Beleidigung die Immunität nicht aufheben möchten. Darf ich daher zunächst einmal, Herr Fisch, das Verfahren gegen Herrn Kollegen Renner, Punkt 26, ausklammern; denn meine zusammenfassenden Betrachtungen als Berichterstatter zu Beginn der Beratung bezogen sich keineswegs hierauf. Im Falle des Herrn Kollegen Renner handelt es sich vielmehr um eine Koramage zwischen ihm und dem Ministerium für gesamtdeutsche Fragen wegen eines etwas unsympathischen Vorganges in dem Büro der KPD in Bonn. Ich betone, daß ich persönlich in diesem Fall im Ausschuß gegen die Aufhebung gestimmt, also auf keinen Fall hier etwa über diesen Sonderfall gesprochen habe.
Ganz anders liegen die Dinge bei den übrigen Fällen, wobei man wiederum etwas ausklammern muß, über das ich vielleicht bei meinem Referat auch nicht gesprochen habe, jedenfalls aber sprechen wollte. Da sind z. B. die Punkt 28 der heutigen Tagesordnung umfassenden Anträge gegen den Abgeordneten Paul. Dazu muß ich als Berichterstatter eines für das gesamte Haus klar herausstellen und möglicherweise nachholen: Wir sehen in der mit Flugschriften aller Art getätigten Propaganda der KPD in der Tat, wie es sich von selbst versteht, einen einheitlichen, von einer Zentrale aus geleiteten Plan der Vorbereitung einer gewissen, der KPD angenehmen allgemeinen Volksstimmung. Wir sind der Meinung, daß diese mit ungeheurem Geldaufwand betriebene Propaganda eine Gefährdung unseres Staatswesens bedeutet, der man nichts Gleichwertiges an Mitteln und an Material, d. h. an reinem Gewichtsmaterial, entgegensetzen kann. Diese Gefahr gibt unserer Meinung nach zu der Prüfung Anlaß, ob nicht die Bestimmungen gegen Staatsgefährdung aus dem neuen Strafgesetzbuch hier zur Anwendung kommen müssen. Denn als Mitgesetzgeber wird jeder Jurist dieses Hauses bestätigen: gerade an so etwas haben wir bei Schaffung der Bestimmungen über Staatsgefährdung gedacht. Nun ist dieses neue Strafgesetz erst am 1. September 1951 in Kraft getreten. Deswegen scheiden für uns alle Fälle aus der früheren Zeit — und das sind die gesamten Fälle Paul — aus der Gesamtbetrachtung aus. Das waren damals politische Beleidigungen mehr oder weniger schlimmen Inhalts, und es ist Ihnen deshalb schon erläutert, daß der Ausschuß in einer Reihe der Paulschen Fälle die Immunität nicht aufzuheben empfiehlt.
Die anderen Fälle aber haben ein gemeinsames Charakteristikum: sie betreffen Flugblätter, bei denen der Oberbundesanwalt im Falle Müller, heutiger Tagesordnungspunkt Nr. 21,
— lassen Sie mich bitte rein objektiv betrachten, wie es ist —
den Tatbestand nicht nur der Staatsgefährdung, sondern der Vorbereitung des Hochverrats für gegeben hält; seine Meinung! Im Falle Müller ist nicht etwa wegen Beleidigung, sondern wegen Vorbereitung zum Hochverrat die Aufhebung der Immunität beantragt.
Die gleichen Flugschriften, die hier eine Rolle spielen, kommen in den anderen Verfahren zum Teil auch vor, dort aber rechtlich lediglich als Beleidigung betrachtet.
Nun ist diesen Flugblättern eines gemeinsam: sie tragen ausnahmslos als verantwortlich die Unterschrift eines Abgeordneten dieses Hauses. Das ist der Punkt, zu dem wir, die wir beantragen, die Immunität aufzuheben, unter allen Umständen einmal unsere Auffassung klarlegen müssen. Wenn es für einen sonstigen Staatsbürger wegen des Inhalts und der strafrechtlichen Beurteilung dieser Flugblätter nicht möglich ist, solche Flugblätter verantwortlich zu unterzeichnen, ohne sich verantworten zu müssen, dann wollen wir auf keinen Fall, daß der Abgeordnete von seinem Immunitätsrecht hier einen Gebrauch macht, das ihm ein Sonderrecht einräumt.
Das heißt auf deutsch: die KPD will nicht wiederum einen „Sitzredakteur", sondern im Gegenteil einen unverantwortlichen Flugblattzeichner herausstellen. Wir denken dabei grundsätzlich nicht im geringsten daran, Abgeordnete dürften überhaupt keine Flugblätter unterschreiben. Wenn sie persönlich Verfasser sind und es sich um eine persönliche politische Angelegenheit etwa in ihrem Wahlkreis handelt, — selbstverständlich! Da wird sich auch kein anderer finden, der es unterschreibt. Aber diese Dinge sind ja zentral gesteuert, und es ist eine Frage, ob der einzelne Unterzeichner überhaupt weiß, was er unterzeichnet.
Ich habe die Flugblätter wörtlich, zum Teil danach zitiert, was der Oberbundesanwalt über den Inhalt berichtet hat. Nicht alle Flugblätter lagen uns im Original vor. Aber ich nehme an, daß, wenn uns ein Oberbundesanwalt über den Inhalt in Anführungszeichen berichtet, diese Zitate richtig sind, und ich bleibe dabei bis zum Beweise des Gegenteils. Diese Flugblätter lassen den Tatbestand erkennen, daß versucht wird, in den Reihen der Bevölkerung unseres Gebiets eine einem Umsturz günstige Gesamtstimmung herbeizuführen. Sie haben mit tatsächlicher Aufklärung nichts zu tun, sondern mit der Propaganda für eine diesem Staatswesen feindliche und es untergrabende Gesamtgesinnung. Sie preisen nämlich den totalitären Staat, wie er in der Sowjetunion besteht, für uns als das Heil. Die Mehrheit des Ausschusses, und, wie ich überzeugt bin, die Mehrheit des Hauses wendet sich dagegen, daß das mit Mitteln geschieht, die das
geltende deutsche Strafrecht — nicht amerikanisches Recht — für jedermann strafbar macht, also auch für die Abgeordneten dieses Hauses.
Was uns hier fragwürdig erscheint oder worüber man Zweifel haben könnte, ist folgendes: Handelt es sich bei dem Gesamtbild dieser Flugblätter noch um den Vorwurf einer einfachen oder auch durch üble Nachrede begangenen Beleidigung, oder handelt es sich um eine Form der politischen Unterwanderung, gegen die wir uns, wenn wir Selbstachtung haben, schützen müssen? Für die Mehrheit des Ausschusses, und, wie ich annehme, des Hauses, sollte es keinem Zweifel unterliegen, daß diese so im Zusammenhang gesehenen Dinge ein politisches Vergehen erster Ordnung bedeuten, das mit einer auf politischen Motiven beruhenden Beleidigung schon gar nichts mehr zu tun hat. Diese Unterscheidung ist vom Standpunkt unseres Immunitätsrechts aus der entscheidende Punkt, zu dem das Haus heute Stellung nehmen muß.
Zum Schluß noch eines: Bisher ist gegen keinen Abgeordneten der KPD beantragt, etwa die Verhaftung zuzulassen.
— Weil die Behauptung verbreitet wird, wir wollten Ihre Fraktion stillegen. Ich weiß nicht, ob sich
in diesem Hause jemals eine Mehrheit dafür fände,
die ganze Fraktion der KPD zu verhaften; denn das Spiel des Jahres 1933 wollen wir nicht wiederholen. Bisher ist es nicht einmal von einer Staatsanwaltschaft beantragt. Wir daher keine Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen. Durch diese Aufhebung der Immunität wird nur die Untersuchung ermöglicht. Weiteres geschieht den Abgeordneten der KPD durch den heutigen Beschluß nicht. Darauf hinzuweisen, habe ich alle Veranlassung, damit nicht etwa weiterhin verbreitet wird, die Mehrheit des Hauses wolle die gesamte KPD-Fraktion durch diesen Beschluß stillegen und eliminieren. Mit solchen Dingen will die Mehrheit nichts zu tun haben. Sie will nur dem Recht seinen Lauf lassen.