Rede von
Dr.
Karl
Mommer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Als Herr Renner heute morgen sagte, 80 % der Flüchtlinge, die aus der sowjetischen Besatzungszone zu uns kommen, seien asoziale Elemente, war das schon ein starkes Stück. Aber wenn ei sich jetzt hier hinstellt und in dieser Weise über einen alten Kampfgefährten redet, so ist das noch sehr viel stärker,
besonders dann, wenn bei dem Tagesordnungspunkt, der vorher hier zur Behandlung stand, diese selben kommunistischen Abgeordneten die Rechte und die Immunität der Abgeordneten des Bundestages so beredt verteidigten.
Worum handelt es sich denn hier? Ein Fraktionskollege dieser Gruppe ist verschleppt worden; er Ist mit List und Tücke in die sowjetische Besatzungszone gelockt worden. Seit zwei Jahren ist er dort eingekerkert. Noch nie hat er Verbindung mit seinen Angehörigen aufnehmen können; noch nie hat er unseres Wissens irgendeinen Rechtsbeistand gehabt; noch ist nichts von einer Anklageschrift bekanntgeworden; noch hat kein Prozeß stattgefunden. Und diese 'kommunistischen Abgeordneten hier dulden nicht nur diesen Zustand, sondern sie billigen ihn, sie verteidigen ihn. Ihnen steht es dann wirklicht schlecht an, hier von Freiheit und Recht zu reden, wie es eben der Abgeordnete Fisch getan hat.
Diese ganze Wahlprüfungssache ist einfach eine Unverfrorenheit. Es wird dem Bundestag zugemutet, das Verbrechen anzuerkennen, das da geschehen ist, und noch die Hand dazu zu bieten, daß dieser Fraktion für die Selbstverstümmelung, die sie vorgenommen hat, ein Ausgleich gegeben werde.
Herr Reimann hat am 22. März 1952 Kurt Müller nach Ostberlin geschickt und ihn da verhaften lassen.
— Wir wissen, daß er sofort verhaftet worden ist. Die Mandatsniederlegung ist durch einen Brief erfolgt, der das Datum des 6. Mai trägt. Dieser Brief ist nicht an den Herrn Präsidenten des Bundestags geschickt worden, sondern damals durch einen gewissen Herrn Renner hier persönlich übergeben worden, und zwar seltsamerweise mit dem Verlangen, daß ihm die Übergabe schriftlich bescheinigt werde. Herr Renner war der Briefträger dieses Briefes, der zu einer Zeit geschrieben wurde, als Kurt Müller nachgewiesenermaßen im Gefängnis in Berlin saß.
— Das ist vor allem bewiesen durch die Aussage
der Lebensgefährtin des Kurt Müller, der Hedi Fischer, die auch eine alte und gute Kommunistin war und der erst die Augen aufgegangen sind, als das in ihrer Familie geschah. Ihnen werden vielleicht auch noch einmal die Augen aufgehen,
und dann wird uns die Pflicht zufallen, Ihre Interessen zu verteidigen, Herr Renner!
Ich kann auf die Einzelheiten des Verfahrens vor dem Wahlprüfungsausschuß nicht eingehen; sie sind in der Drucksache, die vor Ihnen liegt, schriftlich niedergelegt. Es mag uns hier genügen, daß es doch absurd ist, zu glauben, daß ein Gefangener in Berlin freiwillig auf die Sicherung, die ihm ein Mandat im Bundestag gäbe, verzichtet. Das können Sie anderen weismachen, Herr Renner, aber nicht uns.
Ich darf auch noch einmal kurz an folgende Tatsache erinnern. Der Brief mit der Mitteilung über die Niederlegung des Mandats trägt als Ortsangabe den Vermerk „im Hause", als sei er hier geschrieben worden. Aber Kurt Müller saß im Gefängnis in Berlin. Dort hat man ihn wahrscheinlich so unter Druck gesetzt, daß dieser Brief zustande kam. Ich darf weiter anführen, daß der Bundestag am 1. Juni 1950 in öffentlicher Sitzung Kurt Müller aufgefordert hat, vor einer Behörde Westberlins oder der Bundesrepublik zu erscheinen und, wenn er tatsächlich beabsichtige, sein Mandat niederzulegen, diesen Willen vor einer solchen Behörde frei und klar zum Ausdruck zu bringen. Selbstverständlich ist Herr Kurt Müller nirgendwo aufgetaucht, um diese Mandatsniederlegung zu bekräftigen. Das, Herr Renner, wäre auch heute noch das einfachste Mittel, zu Ihrem 15. Mandat zu kommen und damit wieder eine Fraktion zu bilden.
— Dieser „Agent"? Ich komme gleich darauf. Jedenfalls, wie komisch solche Agenten in der Kommunistischen Partei aussehen
und was für eine seltsame Karriere sie haben, — —
— Ich verlange ja nicht, daß Sie mir zustimmen. Sie müssen hier so tun, als seien Sie dagegen. Aber die Müller, Kostov, Rajk, Slansky und die anderen warnen Sie doch alle! Ich weiß nicht, ob Sie heute zweiter Vorsitzender dieser Partei sind, Herr Renner. Das scheint mir ein besonders gefährlicher Posten zu sein.
Da ist schon ein Heinz Neumann draufgegangen, da ist jetzt ein Kurt Müller draufgegangen, und im Slansky-Prozeß in der Tschechoslowakei war auch ein zweiter Vorsitzender dabei, der dem Henker übergeben wurde. Also, Herr Renner, Kommunismus ist gefährlich für die Freiheit; aber für niemanden ist er so gefährlich wie für Sie selbst!
Seien Sie froh, daß Sie in der Bundesrepublik leben!
Das gibt Ihnen eine gewisse Garantie!
Sehen Sie, hier müssen Sie schon anfangen, aufzupassen. Sie müssen schon anfangen, aufzupassen wegen dieser Zonengrenze. Der Fall Müller be- weist es.
In Frankreich kommen die alten Kämpfer Marty und Tillon mit der Verleumdung und dem Schmutz davon, den man jetzt auf sie wirft.
Sie können eine Einladung in die sowjetische Besatzungszone bekommen. Wenn man Sie in die DDR einlädt, machen Sie doch vorher eine Gewissensprüfung und überlegen Sie sich, ob Sie eine Chance haben, zurückzukommen!
So viele von Ihnen sind den Weg ins Gefängnis und zum Genickschuß gegangen. Ich habe schon an Heinz Neumann erinnert. Die ganze Familie Hermann Remmele ist in Rußland draufgegangen, ferner Hugo Eberlein, Leo Flieg und so viele andere, und Sie haben sich nicht gerührt. Herr Pieck und Herr Ulbricht, die damals, als diese Verbrechen an ihren Mitkämpfern geschahen, in Rußland weilten, haben sich nicht gerührt. Sie rühren sich heute nicht wegen Kurt Müller.
„Ein Agent! Ein Agent!" Hören Sie zu, welch ein „Agent": Seit 1919 war Kurt Müller Kommunist. Er war führend im kommunistischen Jugendverband tätig. Er war dann im Dritten Reich, wegen politischer Vergehen selbstverständlich, sechs Jahre im Zuchthaus, fünf Jahre im KZ. Ein Mann, der elf Jahre für seine Partei gelitten hat, wird nachher ein englischer Agent?! 1948 bis 1950 war er zweiter Vorsitzender dieser Partei, und seit März 1950 ist er der besagte Agent, den man in Berlin eingesperrt hat.
Wenn der Machtkampf in der Kommunistischen Partei tobt, dann braucht man Sündenböcke. Wenn die Partei den Krebsgang geht und zur Sekte wird, dann muß jemand daran schuld sein, dann wird halt der alte Kämpfer zum Spion gestempelt. Wenn Hunger und Not in der DDR herrschen, dann braucht man einen Sündenbock, und der treue Knecht Hamann wird eben ein Saboteur. Viele von Ihren alten Parteigenossen sitzen jetzt noch drüben im Gefängnis oder sind in Gefahr, sehr bald darin zu sitzen. Darf ich Ihnen wieder einige Namen nennen: Paul Merker, den Sie ja gut kennen, und Kreikemeyer und den allmächtigen Vorsitzenden der Kontrollkommission Hermann Matern. Alle werden zu „Agenten", zu „Titoisten" und zu anderen Ketzern. Die Schau der Prozesse hat jetzt durch die „Volksdemokratien" des Balkans die Runde gemacht, und jetzt scheint die DDR dran zu sein. Jetzt steht uns da ein Schauprozeß bevor.
Aber ich möchte Ihnen hier noch aus dem Prozeß gegen Slansky und Genossen eine besondere Ungeheuerlichkeit, die sich sogar unter den Ungeheuerlichkeiten diese Regimes hervorhebt, zur Kenntnis bringen. In diesem Prozeß war, wie gesagt, auch ein zweiter Vorsitzender angeklagt, und er ist zum Tode verurteilt worden. Aber ungewöhnlich war, daß der vierzehnjährige Sohn dieses stellvertretenden Generalsekretärs Frejka einen Brief an den Vorsitzenden des Gerichtes schrieb. Ich darf diesen Brief mit Erlaubnis des Präsidenten kurz verlesen.
Ich verlange für meinen Vater die schwerste Strafe, die Todesstrafe.
Erst jetzt sehe ich, daß diese Kreatur,
— der Vater —
die man nicht einen Menschen nennen kann, — der Vater —
weil sie keine Spur von Gefühl und Menschenwürde in sich hatte, mein größter Feind war.
Als ergebener Kommunist weiß ich, daß mein Haß gegen alle Feinde, besonders gegen jene, die unser stets reicher und freudiger werdendes Leben vernichten wollen, namentlich der Haß gegen meinen Vater, mich stets in meinem Kampf für die kommunistische Zukunft unseres Volkes stärken wird. Ich bitte, diesen Brief meinem Vater vorzulegen und mir eventuell die Möglichkeit zu geben, daß ich ihm persönlich dasselbe sagen kann.
Das ist ein ganz besonderer Tiefstand in der Unmenschlichkeit, die Ihr Regime überall hervorbringt,
und es ist auch ein Tiefstand in der Unmenschlichkeit, wenn Sie hier als Fraktion dafür eintreten, daß Ihr alter Fraktionskollege ohne öffentliches Parteiverfahren, ohne Anklageschrift, ohne Prozeß und ohne Urteil vielleicht einmal dem Henker überantwortet wird.
Wir haben das Gefühl, daß der Bundestag in dieser Sache nicht genug getan hat. Wir haben uns zu sehr damit abgefunden, daß dieses Attentat auf uns alle begangen und daß ein Mitglied dieses Hauses rechtlos eingekerkert worden ist. Wenn die Volkskammer versucht, mit uns zu reden, dann sollten wir das nach unserer Meinung aus politischen Gründen ablehnen. Aber auch der Fall Müller sollte schon Anlaß genug sein, diese Gespräche nicht zu akzeptieren.
Es ist möglich, daß Müller bald in einem Prozeß drüben als Angeklagter stehen wird. Ich glaube, wir sollten uns überlegen, wie wir ihm dann helfen können. Wir Sozialdemokraten sind stolz darauf, daß diese Gesellschaft in Deutschland zu einer Sekte geworden ist
und daß wir damit einen entscheidenden Beitrag dazu geliefert haben, daß unser deutsches Gebiet frei bleibt und in ihm kein Platz ist für diese Unmenschlichkeit, die uns gerade in dem Fall Kurt Müller wieder einmal entgegentritt.