Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es sehr eigenartig, daß die Vertreter der Koalitionsparteien, die sonst keine Gelegenheit versäumen, um gegen uns ins Feld zu ziehen, diesen Anlaß nicht wahrnehmen, um mit sachlichen Argumenten Anträge zu unterstützen, die, wenn sie durchgehen, uns ausschalten sollen. Wie gesagt, das ist sehr zu verwundern.
Es war gewiß nur ein Zufall, daß sich am letzten Sitzungstag des alten Jahres zwei Verhandlungsthemen sozusagen vermischten: die Erklärungen und Gegenerklärungen zum Staatsstreich des Herrn Bundeskanzlers und die von ihm hervorgerufene Verfassungskrise, andererseits die Frage der Aufhebung der Immunität von neun kommunistischen Abgeordneten. Aber dieser Zufall brachte es mit sich, daß viele Mitglieder dieses Hauses, darunter solche, die gewiß nicht als unsere politischen Freunde gelten, sich des Eindrucks nicht erwehren konnten, wie sehr der Generalangriff gegen die KPD-Fraktion
diktiert ist von politischen Absichten der Bundesregierung und nicht von Erwägungen des Rechts
und der Rechtlichkeit. Der 11. Dezember hat manchem gezeigt, welche fatale Übereinstimmung besteht zwischen den beabsichtigten Willkürmaßnahmen gegen die kommunistischen Abgeordneten und dem Versuch Dr. Adenauers, das Bundesverfassungsgericht bedenkenlos beiseite zu schieben, nur weil für ihn zu befürchten war, daß es einen für seine Vertragspolitik unwillkommenen Spruch fällen werde. Auch heute hat sich in der Tatsache, daß Sie es, zumindest vorerst, ablehnen, sich zu den vielen Anträgen und deren Begründung überhaupt zu äußern, gezeigt, daß es für Sie gar nicht ausschlaggebend ist, welche Begründungen für die von der Bundesregierung verlangte Aufhebung der Immunität von neun Abgeordneten gegeben werden.
Auf der Tagesordnung steht in der Tat allein eine politische Entscheidung, eine Entscheidung, ob es zweierlei Recht in der Bundesrepublik geben soll, eines für regierungstreue Elemente und ein anderes für Gegner der Adenauer-Regierung;
eine Entscheidung, ob nur noch Recht sein soll, was der Bundesregierung nützt; eine Entscheidung, ob der von Ihnen täglich verkündete und beschworene Grundsatz einer rechtsstaatlichen Ordnung von Ihnen selbst ernst genommen wird, oder ob er als Prunkstück einer gelenkten Staatspropaganda mißbraucht werden soll.
Am 11. Dezember wurde bewiesen: die Anträge widersprechen dem Grundgesetz, insbesondere seinen Art. 38 und 46, in denen den Abgeordneten die Unverletzlichkeit und die Unverfolgbarkeit aus politischen Gründen zugesichert wird. Am 11. Dezember wurde bewiesen, daß die vorgelegten Anträge unvereinbar sind mit den Grundsätzen für die Anwendung des Immunitätsrechts, die in diesem Hause ausgearbeitet, einstimmig angenommen und in aller Form verkündet worden sind. Schließlich wurde am 11. Dezember bewiesen: eine Strafverfolgung der kommunistischen Abgeordneten gemäß den hier zugrunde liegenden Anträgen der Bundesregierung würde bedeuten, daß dem seit über einem Jahr angeforderten Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das für Entscheide hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit politischer Parteien allein zuständig ist, in unzulässiger Weise vorgegriffen würde.
Man sollte meinen, die Darstellung dieser Umstände allein müßte genügen, um eine klare Mehrheit für die Ablehnung der vorgelegten Anträge zustande zu bringen. Andererseits sollte man meinen, daß sich die Herren Berichterstatter alle Mühe hätten geben müssen, die bestehenden grundsätzlichen Bedenken und Einwände mit beweiskräftigem und überzeugendem Material zu zerstreuen. Das aber, meine Damen und Herren, ist offensichtlich nicht geschehen. Mit einer einzigen Ausnahme, mit der in diesem Falle löblichen Ausnahme des Herrn Abgeordneten Mende, haben sich die Herren Berichterstatter die Sache sehr leicht gemacht. Sie haben die Mehrheitsmeinung des Ausschusses hier vorgetragen. Sie haben, wie es Herr Kollege Ewers selber noch unterstrichen hat, ihre persönliche, ihre Parteimeinung vorgetragen. In einem Falle hat es der Berichterstatter Herr Kollege Ewers sogar ausdrücklich bedauert, daß es im Ausschuß nicht zu einer einheitlichen Stellungnahme gekommen sei, und hat seine persönliche Auffassung, wonach es sich um ein politisches Verbrechen handle, ausdrücklich unterstrichen. Ja,
meine Damen und Herren, sollen Sie bei Ihrer Abstimmung zur persönlichen Auffassung des Herrn Kollegen Ewers von der Deutschen Partei Stellung nehmen oder zu sachlichen Argumenten, die der Ausschuß eingehend überprüft und teils so, teils so beurteilt hat?
Im Falle des Abgeordneten Müller begnügte sich Herr Kollege Ewers in der Hauptsache mit der Verlesung von Überschriften von Flugblättern und anderen Drucksachen. Er sagte ausdrücklich, er wolle „nur zwei besonders anzügliche Stellen" verlesen. Aber er hat das Pech gehabt, daß gerade die von ihm verlesenen Stellen mit Staatsgefährdung oder gar mit Hochverrat nicht das geringste zu tun haben. Beispielsweise führt er in seiner Rede die Stelle in der betreffenden Druckschrift an, an der es heißt: „Die Grundstoffindustrie gehört in Volkes Hand." Seit wann, Herr Kollege Ewers, ist die Forderung der Überführung der Grundstoffindustrie in die Hände des Volkes eine staatsgefährdende, eine hochverräterische Forderung? Meines Wissens gibt es in einigen Landesverfassungen Artikel über die Überführung der Grundindustrie in die Hände des Volkes, denen sogar die stärkste Partei der Adenauerschen Regierungskoalition damals ihre Zustimmung gegeben hat.
Im Falle des Verfahrens gegen die Abgeordneten Reimann und Fisch — Drucksache Nr. 3752 — spricht der Berichterstatter Herr Kollege Ewers davon, daß sich in der beanstandeten Klagebeantwortung meiner Partei auf die Klageschrift der Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht Beleidigungen gröbster Art häuften. Als er aber daranging, die Beweise dafür anzutreten, geschah ihm ein unliebsames Mißgeschick. Die zwei Beispiele, die er nannte, kommen nämlich beide im Text der Klagebeantwortung überhaupt nicht vor.
Das Wort „Kriegsvertrag" konnte ja schon gar nicht vorkommen; denn die beanstandete Klagebeantwortung trägt das Datum vom 6. Januar 1952, also einem Tage, an dem die Unterschriften unter die Verträge von Bonn und Paris noch gar nicht geleistet und die Verträge noch gar nicht ausgearbeitet waren. Das Wort „Verbrecherkomplott", das Herr Kollege Ewers zitiert hat, mag wohl seiner persönlichen Meinung entsprechen, wenn er die in unserer Klagebeantwortung dargelegten Tatsachen begutachtet. Mag das seine Meinung sein! W i r haben das Wort „Verbrecherkomplott" in bezug auf die Bundesregierung oder eine sonstige beamtete Person in unserer Schrift an keiner Stelle ausgesprochen.
Wie kommt Herr Kollege Ewers dazu, zu sagen: „M eines Erachtens könnte in diesem Fall auch der § 97 des Strafrechtsänderungsgesetzes, also der Tatbestand der Staatsgefährdung, in Betracht kommen"? Interessiert denn das Hohe Haus die persönliche Auffassung des Herrn Ewers oder interessiert das Hohe Haus die Meinung des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität? Der Herr Kollege Ewers hat aber in der Begründung zu diesem Fall die Katze aus dem Sack gelassen. Ich will ihn in diesem Fall zitieren. Er sagte:
Ich habe hier als Referent zu erklären, daß die Mehrheit des Ausschusses in dem hier gezeigten Gesamtverhalten
— dem Gesamtverhalten von neun kommunistischen Abgeordneten —
einen einheitlichen Plan sieht und daß sich für diese Verfehlungen die Abgeordneten zu verantworten haben ...
Also Herr Kollege Ewers spricht offen aus, daß es sich gar nicht um eine sachliche oder gar juristische Prüfung der individuellen Fälle handelt, sondern daß es ihm und seiner Mehrheit darauf ankommt, ein Kollektivverfahren
gegen alle neun insgesamt durchzuführen und die neun Abgeordneten mit Kollektivstrafen aburteilen zu lassen.
Der Herr Kollege Spies hat in seiner Darstellung des Falles der Abgeordneten Reimann und Frau Strohbach — Drucksache Nr. 3754 — einen interessanten Hinweis gegeben. Als diskriminierten Satz zitiert er:
Schon haben die sozialdemokratischen Delegierten in Essen erklärt: Parlamentarische Mittel allein genügen nicht mehr, um dem Willen der überwältigenden Mehrheit des deutschen Volkes Geltung zu verschaffen.
So weit sind wir also bereits, meine Damen und Herren insbesondere der sozialdemokratischen Fraktion, daß Zitate aus Verhandlungsberichten des sozialdemokratischen Parteitags als Gegenstand von Hochverratsverfahren deklariert werden,
wenn wir sie zustimmend zitieren. Mögen Sie sich daraus eine Perspektive zurechtbauen für die Dinge, die Ihnen vielleicht blühen, wenn Sie diesen Vorgängen hier unbeteiligt gegenüberstehen.
Schließlich ein Wort zum Fall Renner. Im Fall meines Kollegen Renner — Drucksache Nr. 3765 — spricht sich der Berichterstatter für die Aufhebung der Immunität aus, obwohl es sich um einen Fall der politischen Beleidigung handelt, einen Fall also, der nach den Grundsätzen des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität unter keinen Umständen zur Aufhebung der Immunität führen dürfte. Und hier eine kleine, nette Illustration. In der gleichen Sitzung des Geschäftsordnungsausschusses vom 8. Oktober behandelte man auch ein Begehren um Aufhebung der Immunität des ehemaligen Abgeordneten Dorls. Ich zitiere nun aus dem Protokoll. Es heißt hierzu:
Die Abgeordneten Ritzel, Dr. Mende und Ewers sprechen sich gegen die Genehmigung aus, da das Flugblatt der SRP zwar Beleidigungen enthält, die aber im Rahmen des politischen Tageskampfes bleiben.
Im Fall des SRP-Manns Dorls also bleibt Herr Ewers bei der Tradition, daß wegen politischer Beleidigung die Immunität nicht aufgehoben werden dürfe. Im Falle Renner jedoch soll sie nach seiner Empfehlung aufgehoben werden.
So sieht das „einheitliche und für alle gleiche" Recht aus, von dem hier die Rede ist.
Zudem wissen wir, daß es sich hier um die Behauptung des Abgeordneten Renner handelt, daß der Überfall auf das Bonner Büro der KPD von BdJ-Banditen ausgeführt wurde, die von dem Kaiser-Ministerium bezahlt wurden. Allmählich
hat es sich vielleicht auch bis zu Ihnen durchgesprochen, daß der Anführer dieses Überfalls jener Landeshäuptling des BDJ Heise gewesen ist, der nicht nur nachgewiesenermaßen das Geld des Herrn Minister Kaiser erhalten hat, sondern der inzwischen in Frankfurt am Main wegen nachgewiesenen doppelten Mordes verhaftet worden ist.
Mit einem Einwand des Herrn Kollegen Mende sollte man sich jedoch ernstlich befassen. Herr Mende sagte zwar, man sollte dem Bundesverfassungsgericht die Entscheidung überlassen, ob ein verfassungswidriges Handeln einer Partei vorliegt. Er stützt sich dann aber auf eine Erklärung des Vertreters des Bundesjustizministeriums, der da sagte, das Ganze sei ein Plan zur gewaltsamen Angliederung Westdeutschlands an die „Ostzone". Nun müßte gerade der Vertreter des Justizministeriums wissen, daß die politischen Dokumente das Gegenteil beweisen, daß wir nämlich eintreten für Verhandlungen zwischen Ost und West mit dem Ziele freier gesamtdeutscher demokratischer Wahlen und mit dem Ziele, eine Nationalversammlung zu wählen, der es allein vorbehalten sein soll, über die künftige politische und wirtschaftliche Ordnung Gesamtdeutschlands zu entscheiden.
Aber hier, in Ihren Reihen, meine Damen und Herren, sitzen die Strategen des gewaltsamen Anschlusses,
sitzen diejenigen, die „mit Stärke" die heutige Deutsche Demokratische Republik „anschließen" wollen, und sitzen doch diejenigen, die davon reden; Dresden und Königsberg seien Teile der Bundesrepublik.
Ich habe im Rahmen der beschränkten Redezeit leider nicht die Möglichkeit, auf alle Einzelheiten der vorgelegten Anträge und ihrer Begründungen einzugehen. Ich möchte nur noch auf eines hinweisen: Man bezieht sich auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 8. April 1952, in dem gesagt wird, daß die Bestrebungen, die von der Deutschen Demokratischen Republik ausgehen, hochverräterische Unternehmen sind. Meine Damen und Herren, seit wann kann ein Urteil aus einem reinen Aktenverfahren das Urteil des verfassungsmäßig vorgesehenen Bundesverfassungsgerichts ersetzen? Jenes Urteil vom 8. April 1952 kam zustande ohne Angeklagte, ohne Zeugen, ohne Verteidiger. Ein solches Aktenverfahren soll Grundlage sein, um ein verfassungswidriges Verhalten einer Partei oder deren führender Menschen darzustellen und unter Beweis zu stellen? So geht es doch nicht, meine Damen und Herren! Auf diese Weise können Sie eine verfassungsmäßige Institution wie das Bundesverfassungsgericht nicht einfach beiseite-schieben.
Es ist klar erkennbar, welche Absicht sich hinter dem Verlangen der Bundesregierung verbirgt. Die Bundesregierung will die kommunistische Fraktion angesichts der kommenden Entscheidungen über den Generalvertrag und den Pariser Militärvertrag ausschalten. Die Bundesregierung will die kommunistischen Abgeordneten an einer Kandidatur zu den kommenden Bundestagswahlen hindern, indem sie auf die Aberkennung des passiven Wahlrechts zusteuert. Die Bundesregierung will sich in den politischen Auseinandersetzungen mit der Mehrheit des Volkes, in die sie gedrängt ist, den Staatsanwalt zu Hilfe holen. Die Bundesregierung will ihre Machtmittel benutzen, um gewählte Abgeordnete an der Ausübung ihres Rechtes auf politische Opposition zu hindern. Die Bundesregierung will einen Schlag gegen die KPD führen, aber gleichzeitig damit jede Opposition anderer Art einschüchtern.
Sie möchte sich an der Tätigkeit des neuen amerikanischen Hochkommissars Conant ein Beispiel nehmen, der bekanntlich zusammen mit dem berüchtigten Mc Carthy der Initiant des sogenannten „Ausschusses zur Prüfung unamerikanischen Verhaltens" gewesen ist. Sie will sich an der Neuauflage mittelalterlicher Inquisitionsverfahren ein Beispiel nehmen. Meine Damen und Herren, haben Sie Freude an diesen Beispielen amerikanischer Herkunft? Wollen Sie, daß auch bei uns umfassende staatliche Aktionen der Gesinnungsschnüffelei, der Verfolgung, der Diffamierung und Verdächtigung stattfinden,
denen schließlich alle unterliegen sollen, die sich eine fortschrittliche Gesinnung bewahrt haben?