Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.Ich habe die heutige Sitzung nach Art. 39 des Grundgesetzes auf Verlangen der Fraktion der SPD einberufen.Lassen Sie mich zunächst die Amtlichen Mitteilungen bekanntgeben.Als Nachfolger für den durch Verzicht ausgeschiedenen Kollegen Harald B. Schafer hat Abgeordneter Matthias Weisheit am 29. Juni 1992 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.
Ich begrüße den neuen Kollegen und wünsche gute Zusammenarbeit. Herzlich willkommen!
Seit der Plenarsitzung am 26. Juni haben mehrere Kollegen runde Geburtstage begangen. Ihren 65. Geburtstag feierten die Kollegen Hans Gottfried Bernrath, Georg Gallus und Dr. Uwe-Jens Heuer.
Den 60. Geburtstag begingen die Kollegen Ferdinand Tillmann, Heinrich Seesing und Otto Schily.
Ich spreche Ihnen allen im Namen des Hauses nachträglich die herzlichsten Glückwünsche aus.Herr Kollege Clemens Schwalbe hat auf seinen Sitz als stellvertretendes Mitglied in der Gemeinsamen Verfassungskommission verzichtet. Als Nachfolger schlägt die Fraktion der CDU/CSU den Abgeordneten Karl Lamers vor. Sind Sie damit einverstanden?
— Ich stelle trotzdem fest: Der Kollege Lamers ist als stellvertretendes Mitglied in der Gemeinsamen Verfassungskommission bestimmt.Interfraktionell ist nunmehr folgende Tagesordnung vereinbart worden:Erster Punkt:Abgabe einer Erklärung der Bundesregierungzu dem Thema Lage und Entwicklung imehemaligen Jugoslawien und Entscheidung der Bundesregierung über die Beteiligung der Bundeswehr an Überwachungsmaßnahmen von WEU und NATO zur Unterstützung der UN-Resolutionen 713 und 757Aussprache zur aktuellen Entwicklung im ehemaligen Jugoslawien und zur Haltung der Bundesregierung zu Einsätzen von Einheiten der BundeswehrErste Beratung der von der Fraktion der SPD und der Gruppe PDS/Linke Liste eingebrachten Gesetzentwürfe zur Änderung des Grundgesetzes
undBeratung des Antrags der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für eine Zivilisierung internationaler Beziehungen — Politik nichtmilitärischer KonfliktlösungZweiter Punkt:Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu den dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht.Es handelt sich um den Rechtsstreit zum Schwangeren- und Familienhilfegesetz.Sind Sie damit und mit der erforderlichen Abweichung von der Frist für den Beginn der Beratungen einverstanden? — Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.Ich habe noch eine technische Mitteilung zum Stenographischen Protokoll unserer heutigen Sitzung zu machen. Unsere Stenographen müssen umziehen, und zwar in verschiedene Gebäude, die zum Teil in der Adenauerallee liegen. Ich bitte um Verständnis dafür, daß das Stenographische Protokoll diesmal nicht — wie gewohnt — am nächsten Tag, sondern erst in der nächsten Woche vorliegen kann.Für Rednerkorrekturen, soweit gewünscht, gilt diesmal eine andere Regelung. Die Korrekturfrist beginnt am kommenden Montagmorgen und gilt für 24 Stunden. Die Typoskripte werden den Büros der Redner hier in Bonn zugestellt. Soweit Sie eine andere Regelung wünschen, bitte ich, dies direkt mit den Stenographen zu vereinbaren.
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8608 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992
Präsidentin Dr. Rita SüssmuthIch rufe nunmehr Punkt 1 der Tagesordnung auf:— Abgabe einer Erklärung der BundesregierungLage und Entwicklung im ehemaligen Jugoslawien und Entscheidung der Bundesregierung über die Beteiligung der Bundeswehr an Überwachungsmaßnahmen von WEU und NATO zur Unterstützung der VN-Resolutionen 713 und 757— Aussprache zur aktuellen Entwicklung im ehemaligen Jugoslawien und Haltung der Bundesregierung zu Einsätzen von Einheiten der Bundeswehr— Erste Beratung des von den Abgeordneten Norbert Gansel, Dr. Jürgen Meyer , Robert Antretter, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 24 und 87 a)— Drucksache 12/2895 —Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß
Auswärtiger Aussschuß VerteidigungsausschußAusschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß— Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Andrea Lederer und der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
— Drucksache 12/3055 —Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuß Auswärtiger AusschußInnenausschußVerteidigungsausschußHaushaltsausschuß— Beratung des Antrags der Abgeordneten Vera Wollenberger, Gerd Poppe, Werner Schulz , weiterer Abgeordneter und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENFür eine Zivilisierung internationaler Beziehungen — Politik nicht-militärischer Konfliktlösung— Drucksache 12/3014 —Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß RechtsausschußVerteidigungsausschußZur Regierungserklärung liegt ein Entschließungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.Zur Aussprache zur aktuellen Entwicklung im ehemaligen Jugoslawien und Haltung der Bundesregierung zu Einsätzen von Einheiten der Bundeswehr liegt ein Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste vor. Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Fraktion der SPD sind angekündigt.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache — einschließlich Regierungserklärung — vier Stunden vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? — Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Kinkel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die entsetzlichen Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien sind eine Herausforderung an die Völkergemeinschaft. Die Weltöffentlichkeit reagiert zu Recht fassungslos auf die bedrückenden Bilder über das unsägliche menschliche Leid, die uns täglich über die Medien aus Bosnien-Herzegowina erreichen. Man will nicht glauben, daß es gerade nach dem Wegfall der großen Ost-West-Weltfriedensbedrohung nicht gelingt, diesen Konfliktherd mitten in Europa einzudämmen, und doch ist es so. Ohnmächtige Wut befällt einen.Das Kämpfen und Morden in Bosnien-Herzegowina nimmt kein Ende. Auch der letzte Waffenstillstand hatte leider keinen Bestand.Dieser Krieg wird immer mehr gegen die Zivilbevölkerung geführt. Eroberung, Vertreibung, Raub und — wo dies nicht ausreicht, um die Menschen zu verjagen — auch der nackte Mord: Das sind die Methoden und die Ziele, mit denen der serbische Extremismus diesen Krieg führt. Richtig ist: Auch die Gegner der Serben können ihre Hände nicht überall in Unschuld waschen. Aber dies ändert nichts daran, daß die Verantwortung für diesen Krieg und vor allem auch dafür, wie er geführt wird, überwiegend bei der politischen und militärischen Führung Serbiens liegt, nicht beim serbischen Volk.Trotzdem fällt ein immer dunklerer Schatten auf die ganze serbische Nation, die zuläßt oder zulassen muß, was in ihrem Namen verübt wird. Daher werden uns nur Taten, keine Worte mehr davon überzeugen können, daß man in Belgrad, Banja Luka und in Knin wirklich Frieden will und bereit ist, mit seinen Nachbarn nach den Normen der zivilisierten Welt zusammenzuleben.Man soll sich nicht täuschen: Wir werden niemals anerkennen, was mit Waffengewalt und durch Verbrechen erobert und erreicht worden ist.
Wir werden diejenigen, die sich mit der „Befreiung" Vukovars gebrüstet und nun Sarajevo und vielen anderen Städten in Bosnien-Herzegowina das gleiche Schicksal bereitet haben, nicht als Mitbürger in ein friedliches und demokratisches Europa aufnehmen.Es geht um Menschen, es geht um Kinder, Frauen, alte Menschen, Unschuldige. Das macht uns fassungslos, aufgebracht; leider sind wir letztlich relativ hilflos, ohnmächtig. Und ich füge hinzu: Das macht bitter.Dabei sind unter Mitwirkung und teils auf Druck der Bundesregierung seit Beginn der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien unzählige Versuche unternommen worden, diesen Brandherd einzudämmen. Es begann mit der Einschaltung des Krisenmechanismus der KSZE, die sich laufend mit dem ehemaligen Jugosla-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992 8609
Bundesminister Dr. Klaus Kinkelwien befaßt hat. Ein Ergebnis war die Entsendung der EG-Beobachter-Mission, die vor Ort noch immer eine wichtige Rolle spielt, ein anderes die Einsetzung der EG-Friedenskonferenz über Jugoslawien, die unter Lord Carrington gegenwärtig eine wenig spektakuläre, aber deshalb nicht weniger intensive und wichtige Tätigkeit entfaltet.Die Europäische Gemeinschaft hat sich in zahllosen Treffen um den Konflikt bemüht. Mit nachdrücklicher Unterstützung der Bundesregierung beschloß die Gemeinschaft am 1. Juni 1992 ein Handelsembargo gegenüber Serbien und Montenegro. Die EG-Sanktionen sind zugleich Maßnahmen zur Umsetzung des vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 30. Mai 1992 beschlossenen umfassenden Embargos.Die Bundesregierung hat mit Wirkung vom 13. Juni 1992 die entsprechenden EG-Verordnungen in das deutsche Außenwirtschaftsrecht übernommen.Die Außenminister der EG, unendlich oft mit diesen Themen befaßt, haben erst vorgestern zwei neue Beschlüsse gefaßt: Die Zwölf werden sich dafür einsetzen, daß den Delegationen der neuen „Bundesrepublik Jugoslawien" in den Vereinten Nationen und in anderen internationalen Organisationen das Recht entzogen wird, den bisherigen Sitz des ehemaligen Jugoslawien einzunehmen. Das ist die Konsequenz aus dem jüngsten Rechtsgutachten der Schiedskommission der EG-Konferenz.Ferner wollen die Zwölf Kommissionen zur Untersuchung der Angriffe auf die Zivilbevölkerung entsenden, um den verschiedenen Hinweisen auf Kriegsverbrechen nachzugehen, auch im Hinblick auf die mögliche spätere Verfolgung der Verantwortlichen.Die Gemeinschaft beschloß vorgestern Maßnahmen, zusätzlich 120 Millionen ECU für Flüchtlingshilfe bereitzustellen. Diese Gelder sollen nicht nur für Nahrungsmittel, sondern — auf unsere Anregung — auch für die Bezahlung von Unterkünften vor Ort verwendet werden. Ich komme noch darauf zurück.Seit Ende vergangenen Jahres befassen sich — nicht zuletzt auf unser Betreiben — die Vereinten Nationen mit dem Konflikt. Dies hat zwei wesentliche Ergebnisse gebracht: die UN-Friedensmission in Kroatien und die Sanktionen gegen Serbien und Montenegro. Die Einschaltung der Vereinten Nationen hat außerdem die humanitäre Operation in Sarajevo möglich gemacht, an der auch wir trotz der damit verbundenen Risiken teilnehmen.Die Grauen verbreitende Entwicklung im früheren Jugoslawien hat uns leider vor Augen geführt — es hat keinen Sinn, darüber hinwegzusehen —, daß die traditionellen Instrumente unserer Friedens- und Sicherheitspolitik nicht ausreichen. Die Konflikte sind leider schneller gewachsen, als die Bekämpfungsinstrumente entwickelt werden konnten. Wir müssen demnach allem mehr politischen Nachdruck verleihen, denn es bewahrheitet sich eben leider, daß die Verantwortlichen für Gewalt und Aggression nur dann reagieren, wenn ihnen demonstriert wird, daß ihr verbrecherisches Handeln zu einer Reaktion der internationalen Gemeinschaft führt.Daher hat sich der UN-Sicherheitsrat entschlossen, mit den Resolutionen 713 und 757 ein Waffen- bzw. generelles Wirtschaftsembargo gegenüber den Verantwortlichen im ehemaligen Jugoslawien zu verhängen. Für diese UN-Resolutionen hat die Bundesregierung politisch gekämpft, und wir werden auch weiterhin nachdrücklich für ihre Beachtung eintreten. Die WEU und die NATO haben diesen Ansatz der Vereinten Nationen aufgenommen und wollen helfen, ihm Respekt zu verschaffen.Meine Damen und Herren, die Maßnahmen von WEU und NATO, über die wir heute sprechen, sind also keine vereinzelten leeren Gesten der Ohnmacht. Sie stehen — so müssen sie gesehen werden — im Gesamtzusammenhang sämtlicher Bemühungen um eine Beendigung des Konflikts und sollen als zusätzliche Instrumente dazu beitragen, daß dem Krieg Einhalt geboten werden kann.Darin äußert sich die Erkenntnis, daß die Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien eine ganz neuartige Herausforderung an die Staatengemeinschaft darstellen. Der Einsatz von UN-Truppen auf europäischem Gebiet ist ein untrügliches Zeichen dafür. Es ist leider ein Zeichen, daß die Europäer mit ihren eigenen Problemen nicht fertigwerden.Die Situation im ehemaligen Jugoslawien ist nicht das einzige, aber eines der schwierigsten Symptome für den Zusammenbruch bisheriger Strukturen und Ordnungsvorstellungen im mittel-, ost- und südeuropäischen Raum. Wir beobachten mit großer Besorgnis kriegerische Auseinandersetzungen auch anderenorts im Bereich des Erbes der früheren Sowjetunion. In Nagorny-Karabach und auch an anderen Stellen im Kaukasus sowie in Moldawien wird auch mit schweren Waffen gekämpft, und täglich sterben viele, viele Menschen. Neuartige Handlungsansätze sind notwendig, die über bisherige Maßnahmen des Dialogs und des Versuchs, die Parteien miteinander ins Gespräch zu bringen und im Gespräch zu halten, hinausreichen.In dieser Lage, da alle Welt einen dringenden internationalen Handlungsbedarf sieht, ist auch ein konstruktiver und aktiver deutscher Beitrag gefordert.
Unser Engagement zugunsten von Frieden, Freiheit und Menschenrechten ist nach dem Kriege Gott sei Dank ein fester Bestandteil der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland geworden. Das Grundgesetz verpflichtet die Bundesregierung ausdrücklich auf eine aktive Politik für Frieden und Menschenrechte.Die Erfahrung unserer jüngsten Geschichte, nämlich die Periode der nationalsozialistischen Diktatur mit einem menschenverachtenden und zerstörerischen Regime und das Unrechtsregime anderer Prägung in der früheren DDR, begründet geradezu eine besondere Verpflichtung für die deutsche Außenpolitik, sich aktiv im internationalen Rahmen für Frieden und Menschenrechte einzusetzen.
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8610 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992
Bundesminister Dr. Klaus KinkelUnsere besondere Solidarität gilt den Menschen, die heute unter derartigen Regimen leiden.Die internationale politische Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland ist seit der Wiedervereinigung gewachsen. Dies gilt namentlich für die mit unserem Beitritt zur Satzung der Vereinten Nationen übernommene Verpflichtung, die in der UN-Charta angelegten Instrumente kollektiver Friedenssicherung nach Kräften zu unterstützen.Nicht zuletzt aus diesen Gründen hat die Bundesregierung für sich die Verpflichtung hergeleitet, der aktiven Friedenssuche für Jugoslawien ganz überragende Bedeutung beizumessen. Hierin weiß sie sich mit den Mitgliedern des Deutschen Bundestages und auch mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und im Atlantischen Bündnis einig.Die Bundesregierung weiß sich aber auch mit unserer Bevölkerung einig, in der sich immer deutlicher ein Gefühl der Ohnmacht und der verzweifelten Ungeduld angesichts der uns täglich aus den Krisengebieten übermittelten Bilder breit macht. Die Menschen erwarten von uns sowohl praktische Maßnahmen zur Linderung des Leidens durch humanitäre Hilfe als auch Hilfsschritte, die zur Beendigung des Leidens beitragen.
Die bisherige Politik der Bundesregierung dem ehemaligen Jugoslawien gegenüber hat sich als richtig erwiesen.Von allen Gebern hat Deutschland bislang für die Opfer des Konflikts die umfangreichste humanitäre Hilfe geleistet. Sie erfolgt sowohl über deutsche und internationale Hilfsorganisationen als auch über das in Zagreb eingerichtete Verbindungsbüro. Seit Anfang Juli beteiligt sich die Bundesluftwaffe mit zwei Flugzeugen an der internationalen Luftbrücke nach Sarajevo. Ich spreche den Flugzeugbesatzungen und all denjenigen, die sich unter schwierigen Umständen in den Konfliktgebieten für die Hilfe einsetzen, den Dank der Bundesregierung aus.
Einige Zahlen: Das Finanzvolumen der bisherigen humanitären Hilfe der Bundesregierung für die Opfer des Konflikts beläuft sich bisher auf 57,6 Millionen DM.Der zusätzliche deutsche Anteil an der EG-Hilfe von insgesamt 151 Millionen ECU beträgt weitere 92 Millionen DM. Zusammengerechnet ergibt dies eine bisherige Hilfeleistung der Bundesregierung in Höhe von rund 150 Millionen DM.Auch von den Bundesländern sind Hilfsgelder in erheblichem Umfang bereitgestellt worden. Mit Nachdruck möchte ich auch die spontane Solidarität der deutschen Bevölkerung erwähnen, die sich in Spenden an die Hilfsorganisationen wie auch in unzähligen kleinen Privatinitiativen zur Sammlung und zum Transport von Hilfsgütern ausgedrückt hat.
Auch diese eher stille Demonstration von Hilfsbereitschaft verdient besonderen Dank. Ich glaube, daß wir auf unsere Bevölkerung stolz sein können.Der tragische Konflikt geht jedoch weiter und verursacht immer neue Flüchtlingswellen, vor allem nach Kroatien, das bisher 680 000 Flüchtlinge beherbergt, darunter über 300 000 Bosnier. Um diese Menschen zu verpflegen und unterzubringen, muß die internationale Hilfe deutlich verstärkt werden. Es ist nach wie vor erfreulich, wie viele Bundesbürger sich melden und Flüchtlinge aus diesen Gebieten aufnehmen wollen.Gemeinsam mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen ist die Bundesregierung der Ansicht, daß der Hilfe vor Ort absolute Priorität zukommt. Den Menschen muß ermöglicht werden, wenn irgendwie möglich, in oder nahe ihrer Heimat zu bleiben. Wir dürfen nicht zu ihrer Entwurzelung beitragen.
Deshalb hat die Bundesregierung gestern beschlossen, umgehend weitere 50 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, um die Errichtung von Unterkünften in Kroatien zu ermöglichen. GTZ-Experten befinden sich zu diesem Zweck bereits auf der Reise dorthin. Damit erreicht die deutsche Hilfe über 200 Millionen DM. Unabhängig hiervon waren und sind wir zur Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland vor allem unter humanitären Gesichtspunkten bereit. Grundlage hierfür ist der Beschluß der Innenministerkonferenz der Länder vom Mai 1992 über ein erleichtertes Sichtvermerkverfahren. Seit Beginn der Feindseligkeiten — das wird immer wieder falsch dargestellt und auch leicht vergessen — haben insgesamt mehr als 200 000 Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien bei uns Aufnahme gefunden, darunter allein über 140 000 Asylbewerber.
Mehr als 10 000 Einreisesichtvermerke nach dem erleichterten Verfahren sind erteilt worden. Täglich werden rund 250 Visa zusätzlich erteilt.Die Bundesregierung ist entschieden der Auffassung, den Bürgerkriegsflüchtlingen aus Jugoslawien nicht den Weg in das Asylverfahren zu weisen, sondern ihnen ein Bleiberecht im Rahmen des Ausländergesetzes zu gewähren.
Die Bundesregierung hat außerdem gestern beschlossen, zusätzlich 5 000 Flüchtlinge — vor allem aus den Zügen, über die uns so schreckliche Bilder vermittelt wurden — aufzunehmen. Sie wird 50 % der Kosten übernehmen, die den Ländern dadurch entstehen.Bedauerlicherweise ist es mir vorgestern beim Außenministertreffen der EG noch nicht gelungen, bei allen unseren Partnern eine Kontingentregelung zur Aufnahme besonders hilfsbedürftiger Flüchtlinge durchzusetzen. Ich bin ein bißchen traurig über die Art und Weise der diesbezüglichen Berichterstattung. Diejenigen, die dabei waren, können bezeugen, daß
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992 8611
Bundesminister Dr. Klaus Kinkelich bis an den Rand dessen, was überhaupt noch vertretbar war, um diese Kontingentregelung gerungen habe. In einer Tischumfrage haben mich schließlich sechs der zwölf Länder unterstützt, drei haben nein gesagt, und drei haben sich nicht geäußert. Ich habe aus meiner Meinung keinen Hehl gemacht.
Immerhin haben sich die Zwölf ausdrücklich zu ihrer Verantwortung in dieser Frage bekannt. Die Bundesregierung wird sich im Bereich der Innen- und der Außenminister massiv dafür einsetzen, daß eine solche Kontingentregelung kommt, und appelliert erneut auch hier aus dem Deutschen Bundestag an ihre Partner in der Gemeinschaft, sich durch die Aufnahme von Flüchtlingen einer europäischen Geste der Menschlichkeit anzuschließen
und die hauptbelasteten Länder Österreich, Italien und die Bundesrepublik zu entlasten. Aber humanitäre Hilfe allein reicht nicht aus. Sie lindert Leiden, kann sie aber nicht beenden. Immer dringlicher entsteht neben der Notwendigkeit humanitärer Hilfe Bedarf an weiteren internationalen Maßnahmen, die zu einer Beendigung der brutalen Gewaltanwendung durch serbische Kräfte führen können. Es müssen zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden, um den Beschlüssen der Vereinten Nationen Geltung zu verschaffen. Wir sind aus unserem Selbstverständnis heraus gefordert, auch hierzu einen aktiven deutschen Beitrag zu leisten.In Anbetracht der schrecklichen Entwicklung der kriegerischen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien haben die Außenminister der WEU und der NATO-Staaten am 10. Juli in Helsinki beschlossen, bei der Überwachung der vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in den Resolutionen 713 und 757 verhängten Embargomaßnahmen mitzuwirken. Damit soll die Autorität der von den Vereinten Nationen gegenüber Serbien und Montenegro ergriffenen Maßnahmen verstärkt werden. Es soll den Verantwortlichen im ehemaligen Jugoslawien, aber auch in anderen Staaten, die meinen, die UN-Beschlüsse ignorieren zu können, verdeutlicht werden, daß die internationale Staatengemeinschaft dies nicht einfach hinnehmen wird. Die Bundesregierung unterstützt voll dieses Anliegen. Ich frage Sie: Hätten wir beiseite stehen sollen?
In der WEU wurde beschlossen, zu diesem Zweck mehrere Kriegsschiffe, Seeraumüberwachungsflugzeuge sowie einige landgestützte Hubschrauber im Mittelmeer in internationalen Gewässern einzusetzen. Die Nordatlantische Allianz hat beschlossen, sich an Überwachungsmaßnahmen mit ihrem Ständigen Einsatzverband Mittelmeer zu beteiligen. Die Aktionen der WEU und der NATO werden eng miteinander abgestimmt. Das Operationsgebiet der NATO liegt im Seegebiet unmittelbar nördlich des von der WEU beobachteten Gebietes; beide in den internationalenGewässern vor der ehemals jugoslawischen Küste außerhalb des Küstenmeeres.Sowohl die WEU als auch die NATO beschränken sich ausdrücklich auf die Überwachung der Embargobeschlüsse der Vereinten Nationen.
Dies kommt auch in den konkreten Operationsbefehlen an die beteiligten Einheiten zum Ausdruck.Die Marineverbände werden Erkenntnisse über den Schiffsverkehr von und nach dem ehemaligen Jugoslawien sammeln und sie an den UN-Sicherheitsrat weiterleiten. Weitergehende Maßnahmen, insbesondere zur zwangsweisen Durchsetzung des UN-Embargos, sind ausgeschlossen. Sie bedürften einer neuen Entscheidung des UN-Sicherheitsrats und danach einer erneuten Beratung und gegebenenfalls Beschlußfassung in der WEU und der NATO.Wir haben in Helsinki dafür gesorgt, daß die Beschlüsse ausdrücklich die Klarstellung enthalten, daß „die Teilnahme der jeweiligen Mitgliedstaaten unter dem Vorbehalt der Regelung ihrer nationalen Verfassung steht".
Die von der WEU und der NATO am 10. Juli beschlossenen Maßnahmen umreißen einen klar begrenzten militärischen Auftrag für die beteiligten Einheiten — und dies für einen eindeutigen, für jedermann transparenten Zweck. Sie unterstreichen die Entschlossenheit der beteiligten Staaten, den UN-Resolutionen Respekt zugunsten einer politischen Lösung zu verschaffen. Sie sollen und können im Kontext zu allen anderen Maßnahmen einen Beitrag dazu leisten, die weitere Zuführung von Nachschub für den Krieg im ehemaligen Jugoslawien von See her abzuschneiden. Im übrigen hat die vor Ort präsente sichtbare Überwachung des Embargos größere Wirkung, als genauso notwendige und auch stattfindende Überwachungsmaßnahmen mit Hilfe von Satelliten oder nachrichtendienstlichen Mitteln sie haben können.Im übrigen hat die Bundesregierung — darauf lege ich großen Wert — die Länder, die angeblich — ich betone: angeblich; denn das ist bisher nur schwer beweisbar, und ich bin dem im einzelnen sehr genau nachgegangen — die Embargomaßnahmen umgehen, unmißverständlich auf die Notwendigkeit solidarischen Handelns hingewiesen, und sie wird dies auch weiter tun.
Die beschlossenen und seit einigen Tagen mit Erfolg durchgeführten Maßnahmen der WEU und der NATO bewegen sich eindeutig unterhalb des Einsatzes von Blauhelmsoldaten. Das Sammeln von Informationen auf hoher See beinhaltet keinerlei Ausübung hoheitlicher Funktionen oder Befugnisse gegenüber dem ehemaligen Jugoslawien oder den beobachteten Schiffen.Das Bundeskabinett hat am 15. Juli beschlossen, daß sich erstens die Bundesrepublik Deutschland mit eigenen Beiträgen an der Durchführung der
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8612 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992
Bundesminister Dr. Klaus KinkelBeschlüsse der WEU und der NATO beteiligen wird und daß zweitens hierfür die Bundesmarine drei Seeraumüberwachungsflugzeuge der Marinefliegerkräfte sowie die derzeit am Ständigen Einsatzverband Mittelmeer der NATO teilnehmende Schiffseinheit, den Zerstörer „Bayern", der am 30./31. Juli durch die Fregatte „Niedersachsen" abgelöst werden soll, bereitstellen wird.Die Bundesregierung hat sich gerade in Anbetracht der lebhaften und notwendigen Debatte in unserem Land diese Entscheidung nicht leichtgemacht. Sie ist aber zu dem Ergebnis gekommen, daß gegen die dargelegte Teilnahme der Bundesmarine an den Maßnahmen nach völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten keine Bedenken bestehen und daß eine Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland aus politischen Gründen wichtig ist.
Wir stellen durch unsere Teilnahme nicht zuletzt auch unsere Bündnisfähigkeit unter Beweis, und es ist auch für unsere Soldaten wichtig, daß sie sich bei dieser Gelegenheit nicht aus dem Schiffsverband verabschieden müssen, mit dem sie seit Jahren im Mittelmeer zusammen üben.
Die von der WEU und der NATO beschlossenen Überwachungsmaßnahmen stehen eindeutig im Einklang mit dem geltenden Völkerrecht. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat unter Berufung auf Kapitel VII der Charta gegen Jugoslawien ein Waffenembargo und gegen die Föderative Republik Jugoslawien die Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen und des Luftverkehrs verhängt. In der Resolution 757 werden die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen ausdrücklich aufgerufen, den Vereinten Nationen Erkenntnisse zur Einhaltung bzw. Nichteinhaltung des Embargos zu übermitteln. Dabei steht es den Mitgliedern frei, sich einzeln oder gemeinsam, auch im Rahmen internationaler Organisationen, Informationen darüber zu verschaffen, ob die vom Sicherheitsrat verfügten Maßnahmen eingehalten werden.Beobachtungs- und Aufklärungsmaßnahmen, die nicht mit der Ausübung von Zwang einhergehen, sind im übrigen auch ohne ausdrückliche Ermächtigung des Sicherheitsrats zulässig. Dies ist auch insofern klar, als die beschlossenen Maßnahmen zur Beobachtung außerhalb des Küstenmeeres, also in internationalen Gewässern, durchgeführt werden. In beiden Fällen geht es um friedliche Sanktionen gemäß Art. 41 der UN-Charta, d. h. Maßnahmen „unter Ausschluß von Waffengewalt".Meine Damen und Herren, die Bestimmungen des Grundgesetzes stehen der von mir dargelegten Entscheidung der Bundesregierung nicht entgegen. Diese Rechtsauffassung wird im übrigen einstimmig vom Völkerrechtswissenschaftlichen Beirat geteilt, der am 17. Juli 1992 im Auswärtigen Amt getagt hat. Entscheidend für uns ist, daß sich die fraglichen Einheiten an den beschlossenen Maßnahmen unter Ausschluß von Waffengewalt beteiligten. Nach der Beschlußlage in den Vereinten Nationen und auch in der WEU und der NATO ist weder die Ausübung vonZwang noch der Einsatz von Waffengewalt geplant. Deshalb liegt hier auch kein Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 des Grundgesetzes vor. Die Einheiten werden auf der Hohen See nur beobachtend tätig. Die Hohe See gehört aber nicht zum Hoheitsgebiet irgendeines Staates. Wir schalten uns auch nicht mit hoheitlichen Maßnahmen in einen Streitfall ein. Wir sammeln lediglich frei zugängliche Informationen über die Umsetzung der Resolutionen des Sicherheitsrats. Dies ist weit weniger als etwa — ich betone dies noch einmal — die Beteiligung an einer BlauhelmAktion.Lassen Sie mich zum Schluß noch zu dem Vorwurf Stellung nehmen, die Bundesregierung habe es darauf angelegt, in dieser wichtigen Angelegenheit das Parlament zu umgehen. Dies ist nicht der Fall.
— Hören Sie bitte zu.
Die Entscheidung des WEU- und NATO-Ministerrats fiel am 10. Juli in Helsinki, also nach Beginn der Sommerpause des Bundestages. Die Maßnahme fällt in den Eigenverantwortungsbereich der Exekutive. Die Bundesregierung hat aber, schon im Zusammenhang mit den Hilfsflügen der Bundeswehr nach Sarajevo, ausdrücklichen Wert auf vorherige Konsultationen mit dem Bundestag gelegt. Ich selber habe vor der Kabinettssitzung vom 15. Juli 1992 intensive Kontakte zu Mitgliedern des Deutschen Bundestages und seiner Ausschüsse gesucht, insbesondere auch der SPD, um sie zu informieren und zu konsultieren. Mir wurde dabei von der SPD deutlich gesagt, daß sie diese Entscheidung nicht mittragen kann. Damit war die Sache klar.Im übrigen wurde am 16. Juli 1992 in der gemeinsamen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses die Beteiligung der Bundesmarine an den Überwachungsmaßnahmen im Mittelmeer eingehend erörtert. Ich möchte nachdrücklich betonen, daß der Bundesregierung außerordentlich viel an der Beteiligung des Parlaments bei der Suche nach einem überparteilichen Konsens in so wichtigen Fragen liegt.
Aber die Bundesregierung hatte in der konkreten Situation zügig zu entscheiden, und sie hat es getan, wissend, daß sie die Mehrheit des Deutschen Bundestages hinter sich hat —
und wissend,
daß die SPD diese Entscheidung nicht mittragen würde.
Deutschland konnte und kann sich seiner gewachsenen Verantwortung nicht entziehen.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992 8613
Bundesminister Dr. Klaus KinkelDabei geht es nicht um die Demonstration militärischer Macht, sondern um einen Beitrag zur Stärkung der Instrumente der kollektiven Friedenssicherung.
Die Entscheidung der Bundesregierung vom 15. Juli ist ein Beitrag zu aktiver internationaler Friedenspolitik. Den Menschen in Bosnien-Herzegowina und anderen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens wird diese Maßnahme allein — das wissen wir sehr genau — natürlich nicht Frieden bringen. Aber: Zusammen mit allen anderen Maßnahmen wird sie ihnen Hoffnung geben auf eine Lösung dieses Konflikts durch starke internationale, auch deutsche Solidarität und Entschlossenheit.
Wichtig sollte für uns alle sein: Es muß der Völkergemeinschaft gelingen, diesem schrecklichen Morden im früheren Jugoslawien mitten im Herzen Europas ein Ende zu bereiten.
Als nächster spricht der Fraktionsvorsitzende der SPD, der Abgeordnete Hans-Ulrich Klose.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren mit Blick auf die entsetzliche Lage im ehemaligen Jugoslawien wichtige Fragen, die der Klärung bedürfen. Diese Klärung kann nicht ohne das Parlament am Bundestag vorbei erfolgen.
Der tatsächliche Ablauf zwingt uns jetzt zur Debatte. Wir können nicht bis zur ersten normalen Sitzung nach der Sommerpause warten; die Ereignisse warten auch nicht. Wir, die Opposition in diesem Hause, sind jedenfalls davon überzeugt, daß wir unsere Aufgabe verfehlen würden, wenn wir diese Sondersitzung des Deutschen Bundestages nicht beantragt hätten.
Das Parlament, Herr Außenminister, muß mitwirken, nicht einzelne Parlamentarier. So ist jedenfalls unser Parlamentsverständnis.
Die wichtigste Frage, in der Tat, ist: Wie können wir den Menschen im und aus dem ehemaligen Jugoslawien helfen? Die Lage dort ist — ich wiederhole es — entsetzlich. Während wir hier tagen, sterben dort Menschen, werden Menschen verwundet, hungern und werden vertrieben. Mein Fraktionskollege Freimut Duve hat recht: Was in Bosnien-Herzegowina geschieht, ist Völkermord, vor allem am muslimischen Teil der Bevölkerung. Wir sollten bei der UNO darauf drängen, daß dies förmlich festgestellt wird.
Vielleicht würde es doch einige der Mordakteure bei der serbischen Soldateska beeindrucken, wenn sie wüßten, daß sie sich irgendwann vor Gerichten für ihre Untaten zu verantworten haben.
Bei dieser Gelegenheit, Herr Außenminister: Ich glaube schon, daß die serbischen Altkommunisten um Milosevic und die serbische Armee die Hauptschuldigen sind. Daß sie alleinschuldig sind, bezweifle ich.Immerhin erinnere ich mich und Sie daran, daß serbische und kroatische Politiker vor einiger Zeit unter der Hand über die Aufteilung von Bosnien und Herzegowina miteinander gesprochen haben. Fakten muß man zur Kenntnis nehmen, auch wenn sie nicht ins deutsche Weltbild passen.
Was können wir für die geplagten Menschen tun? Humanitäre Hilfe: ja, in jeder Form und in großem Umfang. Die Luftbrücke nach Sarajevo ist eine solche Hilfsmaßnahme, zu der wir sofort ja gesagt haben, wohl wissend, daß diese Hilfeleistung mit erheblichen Gefahren für die Besatzungen verbunden ist. Wir danken den Soldaten, die die Maschinen nach Sarajevo und zurück fliegen, für diesen Einsatz.
Wir hoffen, daß bei diesem Einsatz keiner zu Schaden kommt. Das hoffen wir natürlich auch für die Soldaten auf der „Bayern" und in den Aufklärungsflugzeugen.
Die Bundesregierung bitten wir wie auch in der gemeinsamen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses, bei der UNO darauf hinzuwirken, daß die Flugzeuge auf dem Rückweg von Sarajevo Kinder und vor allem Verwundete ausfliegen dürfen. Es ist unverständlich, daß sie es bisher nicht dürfen.
Um die Flüchtlinge müssen wir uns kümmern, meine Damen und Herren. Es ist bedrückend, mit ansehen zu müssen, daß Tausende von Flüchtlingen tagelang in plombierten Zügen festgehalten werden, weil niemand sie aufnehmen will.
Es ist beschämend — ich verstehe Ihre Enttäuschung,Herr Außenminister —, daß die EG-Europäer, die übereine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
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8614 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992
Hans-Ulrich Klosereden, eine Vereinbarung über die Aufnahme der Flüchtlinge nicht zustande bringen.
Aber es ist auch nicht ausreichend, wenn die Bundesregierung erklärt, sie sei bereit, zusätzlich 5 000 dieser unglücklichen Menschen aufzunehmen.
5 000 bei Hunderttausenden, die auf der Flucht sind: Das ist zu wenig. Hier muß mehr geschehen.
Ich sage das, obwohl ich sehr wohl weiß, daß die Länder und Kommunen schon heute große Probleme haben, die zu uns strömenden Menschen unterzubringen, und daß es Widerstände in der Bevölkerung gegen allzu viele Flüchtlinge gibt. Bitte unternehmen wir eine gemeinsame Anstrengung, um den Menschen hier zu sagen, was nötig ist, und sie zu überzeugen, daß wir helfen müssen. Das ist unsere humanitäre Pflicht.
Was sonst können wir tun? Dafür sorgen, daß das vom Sicherheitsrat der UNO beschlossene Embargo wirkt, um, wie der Kollege Rühe sagt, den Krieg auszutrocknen.
Aber es wirkt nicht, weil es nicht nur von See her, sondern vor allem auf dem Landweg unterlaufen wird. Ich gebe zu: Die Datenlage ist unsicher. Griechenland, Rumänien, aber auch Rußland werden in diesem Zusammenhang genannt. Hier sind politische Aktivitäten nötig. Militärische Optionen gibt es nicht.
Herr Außenminister, was an Zulieferung über See erfolgt, könnte durch Satellitenaufklärung oder mit Hilfe von AWACS-Flugzeugen oder durch Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel natürlich leicht geklärt werden. Dazu bedarf es nicht dieses umstrittenen Adria-Einsatzes der WEU und der NATO. Dieser Einsatz hilft den Menschen konkret überhaupt nicht.
Meine Damen und Herren, gibt es überhaupt militärische Mittel, um zu helfen? Darüber nachzudenken ist legitim, es sei denn, daß man solche Mittel aus ganz grundsätzlichen Erwägungen ablehnt. Ja, es gibt Pazifisten in meiner Fraktion. Ich bin stolz darauf, daß es sie gibt, auch wenn ich nicht zu ihnen gehöre.
Ich persönlich denke auch über solche Optionen nach, weil mich das Morden im ehemaligen Jugoslawien genauso umtreibt wie viele andere. Aber ich sehe solche Möglichkeiten nicht, auch nicht die Bereitschaft im Bündnis, mit einem Kampfeinsatz zu intervenieren. Denn alle, die ernstlich darüber nachdenken, wissen: Ein Kampfeinsatz im ehemaligen Jugoslawien würde mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem noch größeren Blutbad führen als jenem, das wir Tag für Tag im Fernsehen mit ansehen müssen.
Der Kollege Dr. Hoyer hat in diesem Zusammenhang, wie ich den Meldungen entnommen habe, von „Wahnsinn" gesprochen. Ich stimme ihm zu.
Die militärische Option, über die viele aus Wut oder Verzweiflung nachdenken — was ich verstehe —, gibt es im konkreten Fall nicht, schon gar nicht für die Bundesrepublik Deutschland.
Das weiß auch die Bundesregierung — so hoffe ich jedenfalls.
Der Bundeskanzler hat noch am 27. November vergangenen Jahres im Bundestag erklärt:Deswegen ist es doch ganz klar — darüber braucht man wirklich nicht zu sprechen; ich habe es immer wieder gesagt, auch die Bundesregierung hat es gesagt —, daß es in Europa — wie man auch über einen Truppeneinsatz in Jugoslawien entscheiden mag — einige Gebiete gibt — dazu gehört mit Sicherheit auch Jugoslawien —, bei denen man sich nicht vorstellen kann, daß dort deutsche Soldaten eingesetzt werden. Das ist keine Diskriminierung der Deutschen; das ist ein Akt politischer Vernunft.
Ich würde den Herrn Bundeskanzler, wenn ich seiner ansichtig wäre, gerne fragen, ob das noch gilt. Ich muß das ausdrücklich fragen. Denn inzwischen haben sich zwei CDU-Politiker, die Kollegen Lamers und Gerster, für einen UNO-Militäreinsatz gegen Restjugoslawien ausgesprochen.
Von einem „schnellen Militäreinsatz" hat der Kollege Lamers gesprochen und von einem „gezielten Schlag gegen Luftwaffe, Flugplätze und Raketenbasen der Serben" der Kollege Gerster. Der Bundesminister Carl-Dieter Spranger hat in der „Berliner Zeitung", BZ, die Auffassung vertreten — so die Meldung —, daß sich Deutschland an einer solchen Militäraktion beteiligen könne. Das ist ein Mitglied dieser Regierung!
Dazu muß der Bundeskanzler Stellung nehmen.
Ich frage, ob er, ob diese Regierung überhaupt undunter Beteiligung der Bundeswehr eine militärische
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992 8615
Hans-Ulrich KloseOption im ehemaligen Jugoslawien sieht. Die deutsche Öffentlichkeit hat Anspruch auf eine klare Antwort.
Wir Sozialdemokraten sehen eine solche militärische Option nicht. Wir wollen sie auch nicht.
Wir finden es geradezu schockierend, wenn der Kollege Spranger erklärt, man werde es dann auch in dieser Frage auf eine Verfassungsklage der SPD ankommen lassen.
Ist das, meine Damen und Herren von der Koalition, der richtige Umgang mit der Verfassung? Teilen Sie, teilt die Regierung die Auffassung des Kabinettskollegen Spranger?Bisher gab es bei der Frage, was die Bundeswehr darf — genauer: was die Politik mit der Bundeswehr darf —, einen Konsens zwischen Regierung und Opposition. Aus meiner Sicht bleibt es dabei: Der Auftrag der Bundeswehr ist in Art. 87 a unseres Grundgesetzes abschließend geregelt. Es ist ein reiner Verteidigungsauftrag, den wir nach Art. 24 im Bündnis erfüllen. Eine inhaltliche Veränderung ergibt sich durch diese Bündnisklausel für die Bundeswehr nicht. Sie ist eine Verteidigungsarmee, keine Interventionsarmee.
Auch NATO-Vertrag und WEU-Vertrag machen es ganz klar: Es handelt sich um Verteidigungsbündnisse und sonst gar nichts.
Meine Damen und Herren, welche Rechtsauffassung die Bundesregierung derzeit vertritt, ist mir nicht völlig klar. Aussagen aus den Reihen der Koalition lassen jedenfalls erkennen, daß sich eine Neudefinition des Bundeswehrauftrags andeutet. Argumentiert wird mit Art. 24 des Grundgesetzes. Es wird gesagt, daß mit diesem Artikel bereits heute die volle Teilnahme der Bundesrepublik Deutschland am UNOMechanismus möglich sei. Das will im Klartext sagen: auch an Kampfhandlungen. Der Kollege Schäuble hat sich so geäußert. Ich finde es gut, daß Sie das so offen sagen. Den Kollegen Spranger nannte ich schon. Er ist offenbar entschlossen, die Grenzen der Belastbarkeit unserer Verfassung auszutesten. Die Justizministerin hat ihm, jedenfalls was Kampfhandlungen angeht, widersprochen. Sie hält eine Verfassungsänderung für notwendig, der Kollege Kinkel, wenn ich ihn richtig verstanden habe, auch schon bei BlauhelmEinsätzen.Wenn ich mir das alles ansehe, komme ich zu der Feststellung: Schon von einem Konsens in Ihren eigenen Reihen kann gar keine Rede mehr sein.
Nur das steht fest: Die bisherige konsensuale Verfassungsinterpretation gibt es nicht mehr. Dieser Konsens galt noch 1988. Damals hat der Bundesminister des Auswärtigen, der Kollege Genscher, in einem Brief an meinen Fraktionskollegen Ehmke erklärt:Art. 87 a des Grundgesetzes bestimmt, daß die Streitkräfte „zur Verteidigung" und in den vom Grundgesetz ausdrücklich zugelassenen Fällen eingesetzt werden dürfen. Die Bundesregierung ist dementsprechend der Auffassung, daß Einsätze der Streitkräfte grundsätzlich nur zur Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland, d. h. zur Selbstverteidigung, einschließlich der kollektiven Selbstverteidigung im Rahmen der Bündnisse, denen die Bundesrepublik Deutschland angehört, infrage kommen. Die Bundeswehr erfüllt ihren Auftrag in diesem Rahmen.An einer anderen Stelle des Briefes heißt es:Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum herrscht die Auffassung vor, der in Art. 87 a GG verwandte Begriff des „Einsatzes" umfasse nicht rein technische Hilfeleistungen. Für den übrigen Bereich läßt sich eine große Meinungsvielfalt feststellen. Auch im Hinblick hierauf scheint mir die vorsichtige, auf Achtung verfassungsrechtlicher Bedenken ausgerichtete Politik der Bundesregierung angemessen.
Der Kollege Genscher hat diese Position übrigens immer vertreten, auch zu Zeiten der sozialliberalen Koalition, als es ihm gelang, sogar den damaligen Justizminister Vogel zu überzeugen. Und das will etwas heißen.
Sie selbst, Herr Bundeskanzler, haben sich noch im Jahre 1991 mehrfach zu dieser Frage geäußert. Zum Beispiel sagten Sie in den „Tagesthemen" wörtlich:Und ich will die Grundgesetzänderung, wobei ich gar nicht untersuche, ob sie notwendig ist oder nicht: sie ist politisch notwendig.
Ein anderes Zitat von Ihnen, Herr Bundeskanzler, aus der Rede vor dem „Forum Deutschland" in Berlin:Wir sind Mitglied der Vereinten Nationen und also auch zur Teilnahme an den in der Charta der Vereinten Nationen vorgesehenen Maßnahmen kollektiver Sicherheit verpflichtet. Unsere Verfassung und auch die Teilung unseres Landes haben uns bisher bei der Wahrnehmung dieser Pflichten Schranken auferlegt. Das vereinte Deutschland ist jedoch in einer neuen Lage. Wir
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8616 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992
Hans-Ulrich Klosemüssen jetzt die verfassungspolitischen Konsequenzen ziehen.
Meine Damen und Herren, man kann die politischen Notwendigkeiten ja so sehen, unbestritten. Aber darauf kommt es bei der Prüfung der verfassungsrechtlichen Fragen nicht an.
Worauf es in diesem Zusammenhang ankommt, ist, daß Sie bisher der Auffassung waren, für einen Einsatz der Bundeswehr über den Verteidigungsauftrag hinaus müßten verfassungspolitische Konsequenzen gezogen werden. Das war der Grundkonsens. Davon wollen Sie jetzt offensichtlich abweichen. Sie versuchen es jedenfalls, indem Sie Fakten schaffen und die Grauzone ausdehnen.
Genau das, Herr Bundeskanzler, die faktische scheibchenweise Ausdehnung der Grauzone, können wir, die Opposition, nicht zulassen.
Wir sind unverändert der Auffassung, daß die Bundeswehr nach unserem Grundgesetz nur zu Zwecken der Verteidigung eingesetzt werden darf, nicht aber zu militärischen Einsätzen jenseits des Verteidigungsauftrags. Dafür bedürfte es einer Verfassungsänderung.Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, sehen das heute offenbar anders. Das nehmen wir zur Kenntnis. Meinungsverschiedenheiten in Verfassungsfragen sind erlaubt. Wenn es aber— das sage ich mit großem Nachdruck — um die Frage geht, was die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer bewaffneten Macht tun darf, dann jedenfalls ist eines klar: daß es bei dieser Frage Unklarheiten nicht geben darf,
und zwar weder aus der Sicht der Bürgerinnen und Bürger noch gar aus der Sicht der beteiligten Soldaten. Hier muß Klarheit geschaffen werden!
Denn auch Ihnen, Herr Bundeskanzler, muß klar sein, daß es unerträglich ist, Soldaten in einen Einsatz zu schicken, von dem nicht eindeutig gesagt werden kann, daß er verfassungsrechtlich in Ordnung sei.
Wir haben unsererseits, um eine Klärung herbeizuführen, einen Antrag zur Ergänzung des Grundgesetzes eingebracht. Diese Klarstellung wollen Sie nicht. Sie wollen mehr, nämlich die Beteiligung der Bundeswehr an Kampfeinsätzen, und das, obwohl der Kollege Rühe wiederholt erklärt hat, er könne sich Kampfeinsätze der Bundeswehr in den nächsten zehn Jahren ohnehin nicht vorstellen. Wenn Sie dabei bleiben, Herr Kollege Rühe — ich stimme Ihnen ja zu —, was soll dann um Gottes willen dieser Streit? Lassen Sie uns doch gemeinsam tun, was jetzt im Konsens möglich ist. Wenn Sie das aber nicht für ausreichend halten, dann legen Sie doch Ihrerseits endlich einen Antrag vor, aus dem sich ergibt, was Sie wirklich wollen.
Was soll um Gottes willen dieses dauernde Versteck- und Verwirrspiel? Sagen Sie doch klar und deutlich, was Sie wollen. Dann können wir uns streiten und sehen, ob wir uns verständigen. Auch wenn wir uns nicht verständigten, brächte der Streit Klarheit. Was wir jedenfalls nicht akzeptieren können und werden, ist eine schleichende Veränderung der bisherigen konsensualen Praxis. Das machen wir nicht mit!
Eben deswegen widersprechen wir dem Einsatz deutscher Marineeinheiten in der Adria. Dieser militärische Einsatz — daß es einer ist, sollten Sie nicht leugnen — ist durch die bestehende Verfassungsrechtslage nicht gedeckt.
Wenn es nicht anders möglich ist — es ist derzeit offenbar nicht möglich —, muß das Verfassungsgericht in dieser Frage Klarheit schaffen. Wir haben uns entschieden, diesen Weg, den zweitbesten Weg, zu gehen.
Meine Damen und Herren, Sie werfen uns vor, wir nähmen die veränderten Realitäten in der Welt nicht zur Kenntnis und seien nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen. In besonders übler Weise, finde ich, hat sich der Kollege Rüttgers dazu geäußert.
Ich wünschte, er oder ein anderer Sprecher der Koalition würde das korrigieren, damit nicht im Verlauf dieser Debatte alle Maßstäbe des Anstandes über Bord gehen.
Aber das ist Ihre Sache. Zur Sache selbst bestreite ich, daß die Präsenz eines deutschen Kreuzers in der Adria und der Einsatz dreier Flugzeuge den Menschen in Sarajevo oder anderswo irgendwie hilft.
Daß Sie selbst an der Logik dieses Einsatzes zweifeln, das haben Sie, Herr Außenminister, in der gemeinsamen Ausschußsitzung doch eingeräumt. Dieser Einsatz, sagten Sie, sei nicht Ihre Erfindung
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Hans-Ulrich Kloseoder die des Bundeskanzlers. Sie hätten sich dem aber, da er von den Beamten der WEU vorprogrammiert gewesen sei, nicht mehr entziehen können.
Wenn das so richtig ist, Herr Außenminister — und wie könnte ich an Ihren eigenen Worten zweifeln? —, dann jedenfalls ist die Behauptung, mit dem Einsatz der Marine in der Adria solle den Menschen in Sarajevo geholfen werden, falsch. Ja, sie ist falsch!
Wenn wir beide — Sie doch in Wahrheit auch — das so sehen, dann frage ich: Was soll denn dieser Einsatz in der Adria?
Was bedeutet er aus deutscher Sicht wirklich?
Auf diese Frage gibt es nach meiner Einschätzung vier Antworten.Erstens. Es ist eine Geste, die im Sinne von Hilfe nichts bewirkt, eine hilflose Geste.Zweitens. Es ist aus deutscher Sicht eine Demonstration: Seht her! Wir treten aus dem Schatten der Vergangenheit heraus und kehren zurück in die europäische und deutsche Normalität.Eine Mailänder Zeitung, „Il Giorno", meinte kommentierend, mit der Beteiligung an der Adria-Aktion melde sich Deutschland als Militärmacht zurück, und zwar mit dem Gewicht, daß seiner ökonomischen Bedeutung entspricht. — Ich glaube, daß diese Bewertung richtig ist.
Drittens. Es ist eine Geste, die deutsche Bündnisfähigkeit demonstrieren soll. Daß dies ein ganz entscheidendes Motiv für die Bundesregierung war und ist, belegen die vielfachen Äußerungen von Mitgliedern dieser Regierung und der sie tragenden Koalition, auch die heutige Erklärung des Außenministers.Am deutlichsten hat es der Außenminister in der erwähnten gemeinsamen Sitzung von Auswärtigem Ausschuß und Verteidigungsausschuß vorgetragen: Wir konnten, sagte er sinngemäß, nicht schon wieder nein sagen; unsere Bündnispartner hätten das nicht verstanden.
— Ja, Herr Außenminister und meine Damen und Herren von der Koalition, ich verstehe das durchaus, ich besonders, da ich wiederholt von der notwendigen Bündnis- und Partnerfähigkeit der Deutschen gesprochen habe.
Es geht allerdings nicht um eine abstrakte Bündnisfähigkeit, sondern urn ganz konkrete Bündnisse. Diese verändern sich derzeit faktisch oder gewollt, ohne daß präzise erkennbar wäre, wohin die Reise geht. Ichglaube, Herr Außenminister, Sie wissen es selber nicht.
In Ihrer bemerkenswerten Rede vor dem Präsidialausschuß der WEU am 25. Juni in Bonn haben Sie gesagt, mit der Revision des WEU-Vertrages — Sie meinten die formelle Revision — solle bis 1996 gewartet werden, denn — so wörtlich — „wir werden dann über die künftige Sicherheitsstruktur Europas ein klareres Bild haben". — Dem widerspreche ich nicht.
Zugleich muß ich aber darauf hinweisen, daß mit der sogenannten Petersberger Erklärung vom 19. Juni eine wichtige Veränderung in der Bündnisstruktur und im Bündnisauftrag schon vollzogen ist. Nur vor dem Hintergrund dieser Veränderung macht der Einsatz in der Adria überhaupt Sinn.In dieser Erklärung heißt es unter II.4 — ich muß das zitieren —:Militärische Einheiten der WEU-Mitgliedstaaten, die unter der Befehlsgewalt der WEU eingesetzt werden, könnten neben ihrem Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung in Übereinstimmung mit Artikel 5 des Washingtoner Vertrags bzw. Artikel V des geänderten Brüsseler Vertrags auch für folgende Zwecke eingesetzt werden:— humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze;— friedenserhaltende Aufgaben;— Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung, einschließlich Maßnahmen zur Herbeiführung des Friedens.In der erwähnten Rede vor dem Präsidialausschuß, Herr Außenminister, haben Sie es deutlicher gesagt und nicht mehr im Konjunktiv. Da lautete die Einleitung — ich zitiere —:Der wichtigste Beschluß des Bonner Treffens war die Entscheidung, die WEU in Ergänzung ihres Verteidigungsauftrags in Zukunft auch einzusetzen:.. .Dann nennen Sie die Zwecke.Eine Seite weiter lesen wir — Zitat —:Mit diesen Beschlüssen erhält die WEU eine neue sicherheitspolitische und militärische Qualität. Sie steht künftig im Rahmen der neuen europäischen Sicherheitsarchitektur für die Unterstützung friedenserhaltender und unter besonderen Voraussetzungen auch friedensschaffender Aktionen der Vereinten Nationen zur Verfügung.
Meine Damen und Herren, spätestens an dieser Stelle sollte Ihnen klar werden, warum wir, die Opposition, wegen einer vergleichsweise unbedeutenden Militäraktion in der Adria so pointiert reagieren.
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8618 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992
Hans-Ulrich KloseWir vermuten nicht nur, wir behaupten, daß Sie im Begriff sind, scheibchenweise eine fundamentale Veränderung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik vorzunehmen.
Sie tun das scheibchenweise und ohne es klar und deutlich zu sagen.
Es ist Ihr gutes Recht, das der Regierung und das der sie tragenden Koalition, eine neue Außen- und Sicherheitspolitik zu wollen. Die Welt hat sich verändert, und die Sicherheitslage ist heute anders als vor drei Jahren.
— Ja gut, das wollen wir zur Kenntnis nehmen. Wir alle müssen das verarbeiten, auch wir Sozialdemokraten.
— Hören Sie gut zu: Wir sind durchaus bereit, in aller Offenheit und Ernsthaftigkeit mit Ihnen zu diskutieren und zu streiten, um im Diskurs eine neue Orientierung zu gewinnen. Eine Neuorientierung ist nötig.
Was wir aber nicht akzeptieren können, ist, daß Sie den Versuch unternehmen, ohne das Parlament und am Parlament vorbei den Kurs zu wechseln, und zwar ganz grundsätzlich und gezielt.
Ich will Ihnen nichts unterstellen, weil ich keine Bösartigkeiten in die Debatte bringen will. Es fällt aber schon auf — Herr Kollege Schäuble, es müßte auch Ihnen auffallen —, daß uns die sehr schwierige Entscheidung zu Kambodscha — es war übrigens auch eine persönlich schwierige Entscheidung — unmittelbar nach der letzten Sitzungswoche vor der Osterpause abgefordert wurde, als das Parlament im Urlaub war. Dieser Einsatz wurde unmittelbar nach der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause entschieden, als das Parlament in Urlaub ging.
Wie wenig Sie die Rechte des Parlaments ernst nehmen, zeigt doch die Tatsache, daß der Einsatz in der Adria am Donnerstag vergangener Woche um 8 Uhr begann, obwohl für 11 Uhr des gleichen Tages die gemeinsame Sitzung von Auswärtigem Ausschuß und Verteidigungsausschuß angesetzt war.
Es gab doch nicht die geringste Notwendigkeit, diesen Einsatz zu diesem Zeitpunkt beginnen zu lassen. Sie hätten ohne weiteres die Beratung abwarten können. Das ist eine Mißachtung des Parlaments und verstößt
gegen die Grundregeln der parlamentarischen Demokratie.
Wir jedenfalls können das nicht akzeptieren. Ich fasse zusammen:
Wir bedauern, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung mit ihrer Entscheidung den bisherigen Konsens fiber die Rolle der Streitkräfte in Frage gestellt hat.
Wir fordern die Bundesregierung auf, auch im Interesse der Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit unserer Außen- und Sicherheitspolitik und vor allem im Interesse der Bundeswehr zur politischen Gemeinsamkeit zwischen Regierung und Opposition zurückzukehren.
Wir rügen die Bundesregierung, daß sie im Zusammenhang mit ihren Entscheidungen die Rechte des Parlaments verletzt und mißachtet hat.
Die Entscheidung der Bundesregierung, die Maßnahmen zu dem militärischen Einsatz der Marinestreitkräfte ohne vorherige Beratung und Entscheidung im Bundestag und insbesondere einen Tag vor der eigens anberaumten Sondersitzung von Auswärtigem Ausschuß und Verteidigungsausschuß zu treffen und umzusetzen, ist eine Brüskierung des gesamten Bundestages.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, Ihre Rolle als Parlamentarier ernst nähmen, müßten Sie uns in dieser Bewertung zustimmen.
Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, der Abgeordnete Wolfgang Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Klose, Ihre Fraktion ist an der Diskussion offenbar so interessiert, daß ich vorschlage, den Betreffenden erst einmal Gelegenheit zu geben, diesen Saal zu verlassen.
— Meine Damen und Herren, es herrscht Krieg mitten in Europa, und die erste Minute der Erwiderung auf das, was Ihr Fraktionsvorsitzender, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, der Regierung und der Koalition vorgeworfen hat, nutzen diese Kollegen, um zunächst einmal eine Kaffeepause zu machen. Das
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992 8619
Dr. Wolfgang Schäubleist nicht mein Verständnis von parlamentarischer Debatte.
Ich sage noch einmal: Es herrscht Krieg mitten in Europa. Wir dürfen, wenn wir miteinander debattieren, nicht vergessen, worüber wir debattieren und aus welchem Anlaß.
Ich meine schon, daß wir uns alle daran halten sollten.
Ich rate Ihnen, sich einen Moment daran zu erinnern, wie die Koalitionsfraktionen in großer Ruhe und Aufmerksamkeit Ihrem Fraktionsvorsitzenden zugehört haben.
Wenige hundert Kilometer von uns entfernt — das ist die Sache — sterben jede Stunde Menschen unter grauenvollen Umständen. Es wird ein barbarischer Krieg gegen die Zivilbevölkerung geführt. Dies ist der Anlaß unserer heutigen Debatte. Deswegen, Herr Kollege Klose, ist es in Ordnung, daß der Deutsche Bundestag auch in der sitzungsfreien Zeit über diese Fragen debattiert.
Das habe ich Ihnen letzte Woche gesagt, das sage ich Ihnen auch heute.Sie müssen dann aber auch zur Debatte bereit sein. Debatte heißt: Reden und Zuhören, beides zusammen.
Ich sage noch einmal: Es ist gut und richtig, daß wir uns mit diesen Fragen beschäftigen. Dieser Krieg hat bereits viel zu viele Opfer gekostet, Zehntausende von Menschenleben, und es.geht immer weiter. Es ist also gut, daß wir darüber debattieren.Gut war aber zweierlei nicht, Herr Kollege Klose:Erstens. Das Theater, das Ihre Partei und Fraktion in den letzten Tagen und Wochen veranstaltet hat, war dem Elend der Menschen im früheren Jugoslawien sowenig angemessen wie dem Einsatz der Soldaten unserer Bundeswehr.
Das zweite ist noch weniger in Ordnung, und das muß hier in allem Freimut ausgetragen werden: Ich verstehe, daß Sie eine Aktivlegitimation für das Verfahren in Karlsruhe brauchen und für die Zulässigkeit der Klage Gründe schaffen müssen. Sie müssen aber bei der Wahrheit bleiben. Die Wahrheit ist, daß dieBundesregierung, der Bundesaußenminister wie der Bundesverteidigungsminister, vor ihrer Entscheidung mit den Fraktionen des Deutschen Bundestages, auch mit den Fraktionsvorsitzenden, auch mit Ihnen und mit mir, Kontakt aufgenommen hat und daß vor der Entscheidung der Bundesregierung Absprachen darüber getroffen wurden, daß die Bundesregierung am Dienstag entscheidet und der Deutsche Bundestag dann am Mittwoch in einer gemeinsamen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses über diese Entscheidung unterrichtet wird und darüber debattiert.
Es war auch eine Absprache aus der vergangenen Woche, daß zunächst einmal eine solche gemeinsame Sitzung durchgeführt wird und dann, wenn sich die Notwendigkeit ergäbe, auch das Plenum des Bundestages zu einer Sitzung einberufen wird. Auch ich habe mich dazu bekannt, auch gerade eben, daß ich diese heutige Sitzung für richtig halte.Sie können sich aber von diesen Absprachen nicht einfach davonschleichen und sagen, die Bundesregierung habe sich heimlich am Parlament vorbeigemogelt.
Das ist nicht die Wahrheit und dient nicht der Klarheit, sondern allenfalls der Verwirrung. Das dient, gerade weil es um wichtige Fragen geht, weder dem Konsens in unserer Bevölkerung noch dem Konsens im politischen Bereich, noch ist es eigentlich den Soldaten der Bundeswehr zumutbar. Ich finde, man sollte sich vor Augen halten, wie die ganze Diskussion auf die Opfer des Krieges im ehemaligen Jugoslawien oder wie sie auf die Soldaten der Bundeswehr wirkt.Ich möchte an dieser Stelle auch für die Fraktion der CDU/CSU den Soldaten der Bundeswehr unseren Dank sagen:
denjenigen, die in Kambodscha einen wichtigen, schwierigen und nicht ungefährlichen Dienst tun, oder denjenigen, die auf den Flügen nach Sarajevo einen unendlich wichtigen, auch nicht ungefährlichen Dienst tun, auch denjenigen, die in der Adria auf dem Schiff oder in Seeraumüberwachungsflugzeugen ihren Dienst tun, und allen Soldaten der Bundeswehr insgesamt. Sie dienen alle miteinander und völlig uneingeschränkt dem Frieden und sonst gar nichts. Dafür haben sie unseren Dank verdient.
Ich hoffe, daß wir darin auch in Zukunft übereinstimmen. Niemand sollte unterstellen, daß die Bundeswehr und die Soldaten der Bundeswehr irgendeinem anderen Ziel und Zweck dienen als dem Recht und dem Frieden.Ich hoffe, daß wir auch darin übereinstimmen — das haben Sie ausgeführt —, daß all das, was an humanitärer Hilfe notwendig, möglich und richtig ist, getan
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8620 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992
Dr. Wolfgang Schäublewerden soll und von der Bundesrepublik Deutschland mehr als von anderen geleistet worden ist und weiter geleistet werden wird.Nur, militärische Gewalt, militärische Aggression ist mit humanitärer Hilfe nicht zu beenden. Deswegen reicht humanitäre Hilfe allein nicht aus; das ist ja unser Dilemma. Am liebsten würden wir uns alle auf humanitäre Hilfe beschränken. Noch besser wäre es, wenn noch nicht einmal die Voraussetzungen für die Notwendigkeit humanitärer Hilfe bestünden. Angesichts einer brutalen militärischen Aggression aber reicht die humanitäre Hilfe eben nicht.Das Flüchtlingsproblem verdeutlicht ja das Dilemma, in dem alle stecken, die darunter leiden, was den Menschen mitten in Europa zugemutet wird, wovon wir geglaubt haben, daß es in Europa nicht mehr Wirklichkeit werden würde. 2 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Über 600 000 befinden sich in Kroatien in unsäglichen Verhältnissen. Über 200 000 — der Bundesaußenminister hat es gesagt — haben in der Bundesrepublik Deutschland Aufnahme gefunden. Es geht nicht um 5 000, Herr Klose; es geht um über 200 000.
Daß 140 000 davon Asylanträge gestellt haben,
das ist Wahnsinn. Nur, Herr Kollege Klose, solange wir unser Grundgesetz nicht ändern, werden die Menschen dies weiterhin tun.
Lassen Sie mich einen Satz sagen — er ist so unbestreitbar wahr, daß auch Sie ihn irgendwann zur Kenntnis nehmen müssen —: Herr Kollege Klose hat völlig zu Recht gesagt — der Bundesaußenminister auch; darin stimmen wir alle überein —: Alle diese Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien brauchen nach dem geltenden Ausländergesetz überhaupt keinen Asylantrag zu stellen. Sie haben einen besonderen Status.
— Ich habe ja auch keinen Asylantrag gestellt und Sie ebenfalls nicht, Frau Däubler-Gmelin.Diese Menschen haben einen besonderen Status nach dem geltenden Ausländerrecht. Nur, solange wir unser Grundgesetz nicht ändern, ist der Status eines Asylbewerbers gegenüber dem eines anderen Ausländers privilegiert. Deswegen stellen so viele einen Asylantrag, obwohl es gar nicht notwendig wäre. Daher müssen wir das Grundgesetz ändern.
— Darüber werden wir hoffentlich bald miteinander reden und miteinander streiten und unserer Verantwortung endlich gemeinsam gerecht werden.
— Das Ausländergesetz habe ich doch verantwortet.Deshalb weiß ich ganz genau: Es bedarf überhauptkeiner Rechtsänderung. Die Menschen haben nach dem Ausländerrecht einen besonderen Status.
Ich weiß, daß hier erregende Fragen diskutiert werden. Darf ich jetzt trotzdem darum bitten, daß wir versuchen, dem Gegenstand angemessen miteinander umzugehen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Menschen sind nun einmal frei. Wenn sie die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten haben, nämlich zwischen dem Status als Flüchtling nach dem Ausländergesetz zum einen und dem privilegierten Status eines Asylbewerbers zum anderen, dann darf man sich nicht wundern, daß sich viele für den privilegierten Status als Asylbewerber entscheiden, solange wir ihnen durch unser Grundgesetz diese Möglichkeit anbieten.
Das ist der Sachverhalt, und diesen müssen wir ändern. Da hilft Ihr ganzes Geschrei überhaupt nichts.
Das nächste, was man im Zusammenhang mit den Flüchtlingen doch ebenfalls sagen muß — der Bundesaußenminister hat auch dies ausgeführt —: Objektiv — wir wollen es nicht — betreiben wir das Geschäft der Aggressoren mit; wir wirken mit an einer gigantischen neuen Vertreibung, die heute in Europa stattfindet und von der wir nicht wollen, daß es sie nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal in Europa geben soll. Das zeigt eben auch, daß die Beschränkung auf humanitäre Hilfe dem Krieg, dem Morden und dem Elend im ehemaligen Jugoslawien nicht angemessen gerecht wird.
Daraus folgt — nun kommt der nächste Schritt; Herr Klose möchte ja, daß wir über Außen- und Sicherheitspolitik diskutieren —, daß sich die internationale Solidarität und die europäische Verantwortung für Frieden, Humanität, Menschenwürde und Freiheit in Europa nicht auf humanitäre Hilfe beschränken dürfen.Nun kann man sehr viel darüber diskutieren, ob das Tempo und das Ausmaß der europäischen Solidarität und des gemeinsamen Handelns Europas wie der Völkergemeinschaft der Vereinten Nationen dem Krieg, dem Elend und dem Morden im ehemaligen Jugoslawien gerecht werden oder ob wir uns nicht mehr und schnellere europäische Gemeinsamkeit und internationale Solidarität gewünscht hätten. Darüber sind wir wahrscheinlich einer Meinung, und dabei sind wir wohl alle gemeinsam auf der Seite der Bundesregierung, von der wir wissen, daß sie seit Monaten mehr als andere darauf drängt.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992 8621
Dr. Wolfgang SchäubleNur, Herr Kollege Klose, sehr überzeugend wirkt es jedenfalls auf mich nicht, wenn man in einer Rede auf der einen Seite die Europäer und die anderen in der UNO dafür kritisiert, daß nicht mehr gemeinsames Handeln gegen Krieg und Aggression möglich ist, aber auf der anderen Seite den eigenen Beitrag zu dem wenigen, was geschieht, verweigert.
Ich finde, wir Deutschen können nicht anderen Vorschläge machen oder Ratschläge geben oder Forderungen stellen, was sie zusätzlich tun sollen, und sie womöglich dafür kritisieren, daß sie es nicht tun, wenn wir uns gleichzeitig an dem wenigen, was bis jetzt auf internationaler und europäischer Ebene vereinbart ist, nicht beteiligen wollen. Das ist das Dilemma der SPD.
Das müssen wir ändern, am besten mit Ihnen — wir sind ja für Konsens —, aber notfalls auch mit Mehrheiten.
— Ja, natürlich; ich komme gleich darauf zu sprechen.
Herr Kollege Klose, es hat mich tief berührt, daß Sie auf der einen Seite sagen, das Parlament solle damit befaßt werden, und daß Sie auf der anderen Seite der Bundesregierung vorwerfen, sie beschränke sich auf ihre Mehrheit, die sie im Parlament habe. Wenn Sie das Parlament befassen wollen, dann müssen Sie notfalls auch Mehrheitsentscheidungen ertragen; das ist das Problem des Parlamentarismus und der Demokratie.
— Auch ich hätte das gerne: Wenn ich zu der Minderheit gehörte, würde ich gerne so hohe Anforderungen an die Mehrheit stellen, daß ich als Minderheit entscheiden könnte.
Wenn ich am Schluß nur 2 % hätte, dann würde ich sagen, es müßten mindestens 99 % dafür sein, damit ich mit meinen 2 % entscheiden könnte. Aber demokratisch ist das nicht. In der Demokratie entscheidet die Mehrheit im Parlament, und das muß man ertragen. Das ist schwieriger, wenn man in der Minderheit ist, obwohl es manchmal auch eine Last ist, als Mehrheit Verantwortung zu tragen. Auch das ist wahr.
Nun will ich Ihnen sagen: Ich halte nichts von der Kritik in manchen Medien an der Sondersitzung des Bundestages, z. B. wegen der Kosten. Das finde ich nun wirklich völlig unangemessen. Ich habe Ihnen das in der letzten Woche gesagt, und ich sage es heute auch öffentlich. Denn ich finde, bei wichtigen Fragen muß der Bundestag auch in sitzungsfreien Wochen zusammentreten können.
Aber da wir eine Parlamentsbefassung wollen und wünschen und da sich das Parlament nun mit diesem Thema befaßt, sage ich Ihnen: Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt die Entscheidung der Bundesregierung vom vergangenen Dienstag; sie hält sie für richtig und begrüßt sie.
Wir werden mit der Mehrheit der Koalition die Entscheidung der Bundesregierung ausdrücklich billigen und unterstützen. Nach dieser Abstimmung werden Sie jedenfalls nicht mehr sagen können, diese Entscheidung der Bundesregierung sei nicht vom Deutschen Bundestag gebilligt und unterstützt worden und es mangele an seiner Unterstützung.
Ich sage Ihnen auch: Wenn Sie nach Karlsruhe gehen, was ebenfalls in Ordnung ist — ich komme gleich darauf zu sprechen —, dann werden wir dazu als Deutscher Bundestag, vertreten durch seine Mehrheit, Stellung nehmen, auch in dem Verfahren.
— Ja, natürlich, ganz gewiß.Nun will ich auch betonen, daß meine Fraktion und die Koalition — aber die Kollegen der F.D.P. werden das für ihre Fraktion selber sagen — die Entscheidung der Bundesregierung für politisch richtig und verfassungsrechtlich völlig unbedenklich halten.
Wir diskutieren nicht über Kampfeinsätze der Bundeswehr oder über Kampfeinsätze unter Beteiligung der Bundeswehr in Jugoslawien.
— Herr Duve, Sie reden dauernd dazwischen.
Wir diskutieren über die konkrete Entscheidung der Bundesregierung, sich im Rahmen der von den Vereinten Nationen verhängten Maßnahmen daran zu beteiligen, die Einhaltung dieser Maßnahmen zu überwachen. Dazu haben NATO und WEU im Auftrag der Vereinten Nationen beschlossen, eine Luft- und Seeüberwachung vorzunehmen.Nun sagen Sie, Herr Kollege Klose, und die SPD, die Maßnahmen seien ungeeignet oder unzureichend.
— Ja, es sind ja auch keine humanitären Maßnahmen. Ich komme gleich noch darauf zu sprechen.
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8622 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992
Dr. Wolfgang SchäubleWenn wir zur Zusammenarbeit fähig werden und bereit sein wollen, dann müssen wir natürlich auch bereit sein, Maßnahmen, die international verabredet werden, mitzutragen.Ihr Ehrenvorsitzender hat von der „Weltmacht SPD" gesprochen. Diese sieht natürlich die Frage der Richtigkeit von Seeüberwachungen möglicherweise anders als der Rest von NATO, UNO und WEU.
Aber wir sind etwas bescheidener und meinen: Da eine solche Maßnahme international und im Bündnis abgesprochen worden ist, sollten sich die Bundesrepublik Deutschland und die Soldaten der Bundeswehr daran beteiligen.
— Auf der Basis des Grundgesetzes.Nun rate ich Ihnen wirklich, die Art. 24 und 87 a unseres Grundgesetzes in aller Ruhe zu studieren, auch zur Vorbereitung Ihrer Klage in Karlsruhe. Dabei werden Sie feststellen, daß die von Ihnen gesehenen Beschränkungen der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Grundgesetz keine Grundlage finden.
Nach unserer Überzeugung, die von der herrschenden Meinung in der deutschen Verfassungs- und Staatsrechtslehre geteilt wird, ist mit dem Beitritt zu den Vereinten Nationen durch das Grundgesetz beispielsweise die Beteiligung der Bundeswehr an friedensbewahrenden wie friedenserhaltenden Maßnahmen der Vereinten Nationen möglich.
— Das sage ich gleich.Nach unserer Überzeugung ist durch das Grundgesetz auch die Beteiligung an gemeinsamen Aktionen der NATO oder eines europäischen Streitkräfteverbundes nicht eingeschränkt. Denn dies ist durch Art. 24 Abs. 1 ausdrücklich geregelt. Darauf nimmt ja Art. 87a Abs. 2 Bezug. Dort heißt es „soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt". Das tut es in Art. 24 Abs. 2.Wir werden im übrigen die Verfassungsdiskussion ja auch in Karlsruhe zu führen haben. Ich schildere Ihnen unsere Überzeugung.Dennoch bleibe ich dabei, daß es wünschenswert war, bleibt und ist, daß wir die Diskussion über die unterschiedlichen Interpretationen der Verfassung beenden. Deswegen bleiben wir bereit, mit Ihnen gemeinsam verfassungspolitisch klarzustellen, was von Ihnen als unklar gesehen wird oder wo von Ihnen vielleicht auch Unklarheit geschürt werden soll, wie auch immer. Nur, Herr Kollege Klose, das, was Sie als Grundgesetzänderung vorlegen, ist alles andere als eine verfassungspolitisch wünschenswerte Klarstellung dessen, was ist. Es ist vielmehr eine erhebliche Einschränkung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr. Das ist das Gegenteil von dem, was Sie fordern.
Sie haben in Ihrer Rede und bei anderer Gelegenheit gesagt
— hören Sie gut zu; Sie können hier viele Ihrer eigenen Fehler erkennen —, die Beteiligung an der Seeüberwachung in der Adria sei ja vergleichsweise harmlos; es müßten nur die verfassungsrechtlichen Grundlagen dafür klar sein und das Parlament müsse dem zustimmen. Dieser Wunsch wird bald erfüllt. Dann legen Sie einen Antrag auf Änderung des Grundgesetzes vor, mit dem Sie die Beteiligung der Bundeswehr an der Seeüberwachung in der Adria ausschließen würden.
— Aber natürlich. Wenn ich den Wortlaut Ihres Änderungsantrages zum Grundgesetz richtig verstehe, sollen sich die Streitkräfte außerhalb des Verteidigungsfalles nur noch an Blauhelm-Aktionen im Rahmen der Vereinten Nationen beteiligen.
— Herr Kollege Klose, nur das eine oder das andere kann in der gleichen Rede vom selben Redner gesagt werden.
Sie können nicht sagen, Sie wollten die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Beteiligung der Bundesmarine schaffen, und gleichzeitig einen Antrag vorlegen, mit dem Sie die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen beseitigen wollen.
Sich so widersprüchlich zu verhalten, das ist genau der Stil, mit dem die Sozialdemokraten in den letzten Wochen der Deutschen Verantwortung und den Opfern des Krieges in Jugoslawien und den Soldaten der Bundeswehr nicht gerecht werden.
Es gibt auch gar keine Grauzone, höchstens in den Köpfen mancher Sozialdemokraten.
Ich will ja nicht Ihren Kollegen Horn zitieren, und ich erspare es Ihnen, Herr Kollege Klose, auch, jetzt vorzulesen, was Sie im Januar 1991 in einer bedeutenden deutschen Tageszeitung geschrieben haben. Aber wer es mag, kann noch einmal nachlesen, was der Abgeordnete Hans-Ulrich Klose am 25. Januar 1991 in einer deutschen Tageszeitung geschrieben hat. Er hat es schwer. Herr Engholm hat ihm ja bei der Bewältigung der schwierigen Aufgabe, die Sozialdemokratische Partei und Fraktion zu führen, in diesen
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992 8623
Dr. Wolfgang SchäubleWochen nicht viel geholfen. Da er gar nicht kommt, hat er ihm aber auch nicht viel geschadet.
Aber, Herr Kollege Klose, jeder, der Ihre Auffassung aus Ihren früheren Äußerungen kennt, weiß, daß Sie gegen Ihre eigene Kenntnis und Überzeugung geredet haben. Deswegen haben Sie die Bundesregierung auch in einer Form angegriffen, die wir eigentlich bisher von Ihnen so nicht gekannt haben. Das erinnert mich an die alte Erfahrung, daß man den anderen um so lauter und um so hemmungsloser angreift, je unsicherer man sich selber in der Sache ist.
— Ich bin überhaupt nicht laut. Es gibt genügend Zitate aus Ihrer Fraktion, die besagen, ich redete eigentlich sehr leise. Gelegentlich versuche ich allerdings, Widerstand gegen Ihre Bemühungen, mich unhörbar zu machen, zu leisten. Wenn Sie wieder ganz leise sind, bin ich ebenfalls ganz leise.
Herr Kollege Klose, ich würde gerne unsere gemeinsame Aufmerksamkeit noch etwas auf die Grundfragen der Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland lenken. Ich denke, wir haben die Bundeswehr in den fünfziger Jahren von vornherein als einen Beitrag zur gemeinsamen Friedenssicherung im Rahmen unseres Bündnisses gegründet. Die Bundeswehr war von Anfang an als Beitrag im Bündnis zur gemeinsamen Verteidigung angelegt. Verteidigung hat dabei für uns immer geheißen, nach Möglichkeit gar nicht verteidigen zu müssen, sondern den Frieden zu sichern, zu bewahren und zu erhalten.Die Welt hat sich in den letzten Jahren in einer dramatischen und, wie ich finde, insgesamt eher erfreulichen Weise entwickelt. Aber der ewige Friede ist im Gegensatz zu vielen unserer Hoffnungen noch lange nicht ausgebrochen; ich fürchte, er ist auch noch nicht gesichert. Das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen, von dem Ihr Herr Parteivorsitzender Engholm zu sprechen pflegt, ist ein schöner Wunsch. Aber die Erfüllung dieses Traumes ist so weit entfernt, daß wir darauf nicht warten können; jedenfalls können es die nicht, die derzeit in Jugoslawien ermordet und getötet werden; sie können nicht so lange warten. Wir müssen vielmehr zuvor und jetzt und heute und ganz in der Kontinuität dessen und getreu dem, was in über 40 Jahren überwiegend gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik war, durch eine europäische und atlantische Zusammenarbeit die Verteidigungsfähigkeit bewahren, um den Frieden zu erhalten und um den Frieden dort in Europa, wo er leider derzeit verloren ist, so rasch wie möglich und, wie ich meine, mit dem jeweils mildesten Mittel wiederzugewinnen. Vielleicht müssen die internationalen und europäischen Entscheidungsprozesse rascher vorangehen.Auch ich mag nicht allzusehr über militärische Optionen nachdenken und darüber spekulieren. Aber humanitäre Mittel reichen nicht aus. Ob die Sanktionsbeschlüsse der Vereinten Nationen schon ausreichen, ist leider ebenfalls mehr als zweifelhaft. Daß die Sanktionsbeschlüsse der Vereinten Nationen eher ausreichen, wenn sie durch sichtbare, präsente militärische Verbände von NATO und WEU überwacht werden, ist ja vielleicht nicht ganz so unsinnig, wie es die Sozialdemokraten darzustellen pflegen.
Ob es schon der letzte Schritt ist? Wir wollen es alle hoffen. Wir wollen alle hoffen, daß es reicht. Aber je klarer allen Aggressoren ist, daß die europäische und die internationale Gemeinschaft am Ende Krieg und Aggression nicht dulden wird, und je klarer ist, daß sich alle daran im Sinne der Zusammenarbeit mit gleichen Rechten und Pflichten beteiligen, um so besser sind die Chancen, daß bald Frieden hergestellt wird. Deswegen hilft die Verweigerung von Zusammenarbeit der Bundeswehr im Rahmen dieser Aktion nicht bei der Herstellung des Friedens im ehemaligen Jugoslawien, sondern sie schadet. Darüber müssen Sie nachdenken. Deswegen sollten wir vielleicht den politischen Streit darüber, den Sie in den letzten Tagen und Wochen zu führen beliebt haben, nicht länger fortsetzen.Ich glaube, die Überzeugungskraft im Hinblick auf die kämpfenden Parteien in Jugoslawien wäre stärker, wenn wir uns alle einig wären, daß wir unseren Beitrag zur Sicherung und zur Wiedergewinnung des Friedens in Europa zu leisten bereit sind und daß wir nicht nur von anderen etwas fordern, die dann natürlich die Zusammenarbeit auch eher verweigern würden, weil sie sagen: Wieso fordern die Deutschen etwas, wenn sie selbst nicht zu einem Beitrag bereit sind?
Deswegen ist die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht, Herr Klose, eine politische Demonstration, wie Sie hier gemeint haben. Es ist jedenfalls nicht eine sinn- und nutzlose, sondern eine notwendige, um den Frieden für Deutschland und Europa zu sichern.
Das ist der Sinn. Denn wenn wir nicht bündnisfähig sind, bleiben oder werden, wenn wir nicht berechenbar sind und wenn wir nicht verläßliche Freunde haben und uns mit gleichen Rechten und Pflichten an der Friedenssicherung in Europa beteiligen, dann wird der Friede weniger sicher. Dies zu demonstrieren dient dem Frieden und nicht irgendwelchen Machtgelüsten der Bundesregierung oder der Koalition.
Das ist nicht eine neue Verteidigungs- und Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, sondern es ist die Fortsetzung unserer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.
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8624 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992
Dr. Wolfgang SchäubleNur sind dies die Antworten auf neue Fragen, die sich im Rahmen der weltpolitischen und europäischen Entwicklung stellen.„In einer Welt, in der zunehmend jeder auf jeden angewiesen ist und jeder von jedem abhängt, darf Friedenspolitik nicht vor der eigenen Haustür haltmachen." Dies, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, hat Bundeskanzler Willy Brandt am 26. September 1973 bei der Antrittsrede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen erklärt. Damals hat er auch gesagt: Wir sind vielmehr gekommen, um weltpolitische Mitverantwortung zu übernehmen.
— Ja gut, wir waren damals dagegen, aus ganz anderen Gründen.Über die Fragen der Politik für die deutsche Einheit in Zeiten der deutschen Teilung sollten wir heute nicht auch noch streiten. Sie haben meinen leichten Hinweis zu Ihrem Versagen in der Asylpolitik schon so ungewöhnlich nervös aufgenommen. Ich will Ihnen also Ihr Versagen in der Politik der deutschen Einheit nicht heute auch noch vorwerfen.Ich meine, daß wir uns in der Kontinuität deutscher Außen- und Sicherheitspolitik an diesem Tag und im Angesicht des Krieges im ehemaligen Jugoslawien wohl an das erinnern können, was für die Bundesrepublik Deutschland der damalige Bundeskanzler bei der ersten Rede eines deutschen Bundeskanzlers vor dem Plenum der Vereinten Nationen gesagt hat. Ich dachte, es sei vielleicht für Sozialdemokraten leichter zu ertragen, Ihnen diesen Wunsch in der Form eines Zitats von Willy Brandt vorzutragen.
— Ich gebe Ihnen nachher das Bulletin der Bundesregierung, damit Sie sehen können, daß ich korrekt zitiert habe. Ich will es Ihnen noch einmal vorlesen: „In einer Welt, in der zunehmend jeder auf jeden angewiesen ist und jeder von jedem abhängt, darf Friedenspolitik nicht vor der eigenen Haustür haltmachen. "
Deswegen geht es nicht um Machtdemonstrationen,
sondern es geht darum, daß die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen dieser von uns gemeinsam über Jahrzehnte so gesehenen Verantwortung für den Frieden in Deutschland, Europa und in der Welt ihren Beitrag leisten muß.Ich füge ein Zweites hinzu. Ich bin sehr froh, Herr Bundeskanzler, daß die Bundesregierung gestern den Gesetzentwurf zur Ratifizierung des Maastrichter Vertrages beschlossen hat. Ich glaube, verehrte Kolleginnen und Kollegen, es gibt einen Zusammenhang zwischen dem, was wir heute debattieren, und dem, was die Bundesregierung gestern beschlossen hat. Ich bin ganz sicher, daß wir nach dem Ende des OstWest-Konflikts, nach der deutschen Wiedervereinigung in einer Welt und in einem Europa, in denen sich so vieles so schnell und so unabsehbar verändert, auf die politische Einigung Europas um unserer eigenen Zukunft in Frieden und Freiheit willen existentiell angewiesen sind.
Maastricht ist noch nicht das Endziel der politischen Einigung Europas. Aber es ist ein wichtiger, unumkehrbarer und notwendiger Schritt auf dem Weg zur politischen Einigung Europas.In einer Welt, in der immer noch soviel Unfrieden ist — mitten in Europa — und in der die Gefahr besteht, daß solche schlechten Beispiele Schule machen — ich will die Möglichkeiten gar nicht aufzählen; der Bundesaußenminister hat behutsam das eine oder andere angedeutet —, ist es unser Schicksal, daß wir unsere Fähigkeit, unsere Kräfte für den Frieden in Europa bündeln. Deswegen müssen wir in der europäischen Einigung vorankommen. Das heißt aber auch, daß es eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik geben muß. Da wünsche ich mir vieles mehr, als bis heute möglich ist. Aber weil wir uns gemeinsam mehr wünschen, Herr Kollege Klose, dürfen wir uns dem, was heute möglich ist, nicht verweigern.
Denn wer sich dem verweigert, wird seiner Verantwortung nicht gerecht.
— Zum Frieden, zum Frieden!
Zum Frieden, so rasch wie möglich. Die Reise geht mir viel zu langsam in Richtung Frieden.Deswegen möchte ich nicht, daß durch die verwirrende Diskussion, die in der Sozialdemokratischen Partei in den letzten Wochen geführt worden ist, das Tempo dieser Reise weiter verlangsamt wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Lage ist zu ernst. Niemand darf es sich leichtmachen. Ich danke der Bundesregierung für die Entschiedenheit und für die Behutsamkeit zugleich, mit der sie sich um den deutschen Beitrag zu einer gemeinsamen europäischen und weltweiten Politik zur Friedenssicherung und zur Friedensschaffung in Deutschland und Europa bemüht. Die CDU/CSU-Fraktion wird die Bundesregierung auf diesem Weg unterstützen, die Koalition mit ihrer Mehrheit auch. Es wäre schön, wenn auch die Opposition der SPD sich dieser gemeinsamen Verantwortung für Frieden und Freiheit anschließen könnte.
Als nächster spricht der Fraktionsvorsitzende der F.D.P., Herr Abgeordneter Dr. Hermann Otto Solms.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992 8625
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte an dem Ende der Rede von Herrn Schäuble anschließen, der gesagt hat: Frieden schaffen, Frieden sichern, das ist unsere Aufgabe in Europa. Wir sind Zeugen des Zerfalls des ehemaligen Jugoslawien mit allen seinen schrecklichen Folgen für die Bürger in den dortigen Regionen.Die schreckllichen Bilder aus Sarajevo und aus vielen anderen Städten des Landes, die wir täglich in den Fernsehnachrichten beobachten können, erschüttern uns alle zutiefst. Wir alle sind buchstäblich Augenzeugen von schwersten Verbrechen, von systematischer Vertreibung, von Bürgerkrieg und Völkermord. Wer kann da unbeteiligt beiseitestehen? Welcher Deutsche kann da gerade mit der Erinnerung an die Kriegsverbrechen im letzten Weltkrieg glauben, das ginge uns nichts oder nicht direkt etwas an, wir seien nicht direkt betroffen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gegenteil ist der Fall.Wenn alle Erklärungen — auch in diesem Hohen Hause — zur Bedeutung der Wahrung von Frieden, Freiheit und Menschenrechten ehrlich gemeint sind, dann können wir Europäer und damit auch wir Deutschen angesichts Tausender Toter und Verwundeter und von über 2 Millionen Flüchtlingen nicht nur wohlklingende Entschließungen formulieren und verabschieden.
Die Wahrung der Menschenrechte und vor allem die Beendigung des Leids für die Menschen dort fordern auch unser Mitwirken — natürlich in völliger Übereinstimmung mit nationalem und internationalem Recht, mit dem Grundgesetz, mit der Charta der Vereinten Nationen und mit allen internationalen Verträgen.
Wir können nicht glaubhaft die Europäische Union fordern, wenn wir zum gleichen Zeitpunkt ein europäisches Nachbarland in Schutt und Trümmer fallen sehen. Deshalb ist es unsere europäische Verpflichtung, den friedenswilligen Menschen im ehemaligen Jugoslawien beizustehen.Mit Blick auf die europäische Identität hat der Ministerrat der Westeuropäischen Union am 19. Juni 1992 auf dem Petersberg in Bonn die Verantwortung der Völkergemeinschaft unterstrichen. Er hat die Notwendigkeit der Anwendung aller rechtlich und politisch vertretbaren Mittel zur Beendigung des Tötens in dieser Region festgelegt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesrepublik Deutschland ist Mitglied der Westeuropäischen Union.Auch der vorläufige Frieden in Kroatien kam nicht von ungefähr. Dazu war internationaler Druck notwendig. Deshalb stehen dort heute 15 000 Blauhelme, um den Frieden zu sichern. Nun müssen wir Bosnien-Herzegowina beistehen, aber auch den anderen Regionen und Republiken im zerfallenden Jugoslawien, die vom Bürgerkrieg bedroht sind.Die Bundesregierung hat beschlossen, die Vereinten Nationen bei der Überwachung der Sanktionsmaßnahmen zu unterstützen. Seestreitkräfte von NATO-Staaten sollen die Einhaltung des Embargos der Vereinten Nationen in den internationalenGewässern durch Beobachtung des Schiffsverkehrs überwachen. Der deutsche Beitrag hierzu ist die Entsendung des Zerstörers Bayern" sowie von drei Seeaufklärungsflugzeugen. Dieser Solidarbeitrag der Bundesrepublik Deutschland ist angemessen, und er ist auch notwendig.Herr Kollege Klose, zu behaupten, daß diese Beschlüsse gerade immer am Anfang von Ferien getroffen würden, um die Rechte des Deutschen Bundestages auszuhöhlen und zu umgehen, ist schon recht kühn. Als ob sich internationale Termine abhängig machen könnten von der Urlaubsgestaltung,
von der reichhaltigen Urlaubsgestaltung in 16 Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland.Man kann sich nicht stets zur Verantwortung im internationalen Maßstab bekennen und die schwierigen Aufgaben dann anderen überlassen. Die F.D.P. hat keinen Zweifel, daß die seitens der Bundesregierung für die deutsche Marine im Rahmen des UN-Auftrags angeordneten Aufträge verfassungsrechtlich voll in Ordnung sind. Mit der Herstellung der Einheit Deutschlands sowie der Erlangung der vollen Souveränität Deutschlands als Ganzes sind wir Mitglied der Staaten- und Völkergemeinschaft wie jedes andere Land auch. Wir haben in zahlreichen Erklärungen — auch an dieser Stelle — betont, daß wir Deutschen keine Sonderrolle spielen wollen. Wir wollen uns gerade innerhalb der Vereinten Nationen als Mitglied mit allen Rechten und Pflichten verstehen. Die Teilung Deutschlands hat nach unserem Beitritt zu den Vereinten Nationen 1973 unserem Land verständlicherweise Restriktionen auferlegt. Dieser historische Zeitabschnitt ist nun vorbei. Wir müssen uns den Anforderungen der Gegenwart und der Zukunft stellen.Die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen, die Artikel ihrer Charta, die Verpflichtungen aus der WEU, der NATO, der Europäischen Gemeinschaft und der KSZE bestimmen Maß und Verantwortung unserer Mitwirkung. Wir können und wir wollen uns den Verpflichtungen der Völkergemeinschaft nicht entziehen.
Ich erinnere an die Präambel unseres Grundgesetzes, die uns Deutschen gebietet, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen. Ich will auch an den Art. 25 des Grundgesetzes erinnern, der feststellt:Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.Wenn wir nicht international und außenpolitisch außerordentlich Schaden nehmen wollen, müssen wir die Beschlüsse und Aktionen der Völkergemeinschaft mit tragen. Die Klarheit über diese Tatbestände ist auch für die Angehörigen der Bundeswehr von grundsätzlicher Bedeutung. Sie wirken im deutschen Auftrag als Überwachungskräfte im Mittelmeer mit. Sie
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8626 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992
Hermann Otto Solmsmüssen wissen — sie haben ein Anrecht darauf —, daß sich ihr Einsatz nicht in einer rechtlichen Grauzone bewegt, sondern auf der Basis der deutschen Rechtsordnung und internationaler Verträge geschieht.
Sie müssen handeln können in dem Bewußtsein der Zustimmung des Deutschen Bundestages als des legitimen Vertreters der Interessen des deutschen Volkes. Bei dem jetzt beschlossenen Einsatz deutscher Truppen zur Unterstützung des Embargos der Vereinten Nationen steht die Übereinstimmung mit dem Grundgesetz nicht in Zweifel. Trotzdem nutzt die SPD diesen Anlaß, um mittels einer Verfassungsklage klären zu lassen, ob dieser Einsatz oder welcher Einsatz deutscher Truppen überhaupt zulässig ist. Hätte die SPD tatsächlich aus Sorge um die Folgen des jetzt beschlossesnen Einsatzes der Bundeswehr gehandelt, dann hätte sie eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichtes anfordern sollen und müssen.
Denn nur so hätte sie eine Rücknahme des Einsatzbeschlusses der Bundesregierung in kurzer Frist erreichen können, wenn sie meint, daß dieser Einsatz verfassungswidrig sei. Da die SPD dies nicht beabsichtigt, sondern nur ein Urteil des Gerichts herbeizuführen wünscht, welches frühestens in Jahresfrist — wahrscheinlich aber in einem längeren Zeitraum — zu erwarten ist, zeigt sie, daß sie mit dieser Klage den Zustand ihrer eigenen Zerrissenheit und Unentschlossenheit in dieser zentralen F rage deutscher Politik überdecken will.
Die einen in der SPD wollen die Bundeswehr nur für die Landesverteidigung einsetzen; manche nicht einmal dafür — Herr Klose hat ja bestätigt, daß es Pazifisten in Ihren Reihen gibt, die so denken.
Das ist nicht ehrenrührig, aber es zeigt eben doch, daß man mit einer solchen Position der Verantwortung deutscher Politik nicht gerecht werden kann.
Andere, die sich den BlauhelmMissionen der UNO nicht entziehen wollen, meinen, das wäre die richtige Aufgabe und darauf müßte man sich beschränken. Schließlich gibt es wieder andere, die sich der Pflicht zur internationalen Solidarität eines souveränen Deutschlands bewußt sind und deshalb nicht nur friedensbewahrende, sondern auch friedensschaffende Missionen deutscher Streitkräfte unterstützen. Dem Kollegen Horn, der dieses öffentlich vertritt und der aus meinem Wahlkreis kommt, gebührt mein Respekt für diese offene und ehrliche Aussage.
— Bei uns gibt es auch Minderheitsmeinungen, häufig und immer, aber bei uns sind die Minderheiten immer bereit, das Votum der Mehrheit zu stützen und zu tragen.Die von der SPD geplante Verfassungsklage hat deshalb — so scheint es mir —, den Zweck, dem Verfassungsgericht die Klärung zu überlassen, um sich selbst der Klärung in den eigenen Reihen und auf dem eigenen Parteitag zu entziehen.
Diese Klärung durch das Verfassungsgericht wäre eigentlich eine Aufgabe der politischen Parteien. Eine politische Partei, die eine führende Rolle in der deutschen Politik zu übernehmen beabsichtigt, muß schon selbst sagen, wie sie es mit der gesamtpolitischen Verantwortung in der Völkergemeinschaft für die Bundesrepublik Deutschland hält.
Weil wir, die F.D.P., uns dieser Führungsaufgabe stellen, haben wir bereits im Mai 1991 in Hamburg beschlossen, daß wir entsprechend dem Auftrag unseres Grundgesetzes die Vereinten Nationen in die Lage versetzen wollen, ihren umfassenden Friedensauftrag zu erfüllen.Deutschland muß nach unserer Auffassung nach seiner Vereinigung und nach der vollen Herstellung seiner Souveränität an der Durchsetzung von Entscheidungen des Weltsicherheitsrates mit Streitkräften unserer Bundeswehr mitwirken. Das soll sich auf Einsätze der Bundeswehr im Rahmen von UNFriedenstruppen und auf Kampfeinsätze unter dem Dach der UNO beziehen. Und dafür wollen wir die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen schaffen. Das haben wir beschlossen, und das ist unser Ziel.
Zu einem solchen verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch einwandfreien Vorgehen, Herr Klose, ist die SPD nicht bereit,
die dazu aber notwendig ist; denn eine Zweidrittelmehrheit in den verfassungsgebenden Gremien erfordert die Mitwirkung der SPD.
Obwohl sie weiß, daß nur eine derartige Klarstellung das angemessene Mittel zur Bewahrung der inneren Legitimation sowie der außenpolitischen Handlungs- und Politikfähigkeit wäre, verweigert sie sich diesem Diskussionsprozeß.
Diese Entscheidung könnte und müßte nach Auffassung der F.D.P. damit verbunden sein, daß für einen solchen Einsatz jeweils die Zustimmung der Mehrheit des Deutschen Bundestages — und zwar die Mehrheit der Sitze des Hauses, also die absolute Mehrheit —eingeholt werden müßte.
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992 8627
Hermann Otto SolmsAuch dies kann im Grundgesetz nur dann abgesichert werden, wenn sich die SPD an einer solchen Willensbildung beteiligt.Die F.D.P. und wohl auch die Koalition sind bereit, diesen Schritt zu gehen. Deshalb erinnere ich in diesem Zusammenhang an die Regierungserklärung von Bundeskanzler Helmut Kohl zu Beginn dieser Legislaturperiode am 30. Januar 1991, in der er sagte — dies zitiere ich wörtlich —:Eine immer wichtigere Rolle bei der Friedenssicherung in der Welt spielen die Vereinten Nationen.Mit Recht wird erwartet, daß das vereinte Deutschland sein Engagement in diesem Bereich stärkt. Hierfür wollen wir die verfassungsrechtlichen Grundlagen klarstellen. Die Bundesregierung wird hierüber das notwendige Gespräch mit den Bundestagsfraktionen führen.
Unser vormaliger Außenminister Hans-Dietrich Genscher erklärte am 25. September 1991 vor der 46. Generalversammlung der UNO für die deutsche Bundesregierung — ich zitiere auch dieses wörtlich —.Das vereinte Deutschland wird alle Rechte und Pflichten der Charta der Vereinten Nationen einschließlich der Maßnahmen der kollektiven Sicherheit übernehmen, auch mit unseren Streitkräften. Wir werden dafür unsere Verfassung ändern.Sie sehen also, daß es hier eine ganz klare Willensäußerung der Koalition und der Bundesregierung gibt.
— Aber, meine Damen und Herren, nun wollen wir die Diskussion nicht ins Lächerliche führen. Es hat doch keinen Sinn, über Anträge zu verhandeln, wenn Sie von vornherein erklären, daß Sie nicht bereit sind, diesen zuzustimmen. Was soll das denn für einen Sinn machen?
Wenn Sie ernstlich bereit sind, darüber zu reden, sind wir jederzeit bereit, einen Antrag auf den Tisch zu legen,
und zwar in kürzester Frist. Wenn es Ihnen um die Ferien so wichtig ist, dann machen wir das eben am Ende der Sommerpause.Lassen Sie mich eine zusätzliche Bemerkung machen, denn es sind Einzelmeinungen geäußert worden, die gerade publiziert worden sind, wonach es darum gehe, jetzt auch Bodentruppen in Jugoslawien einzusetzen. Ich will hier für die F.D.P. ganz eindeutig erklären: Das kommt nicht in Frage.
Erstens sehe ich die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen dafür nicht geschaffen. Dazu wäre theoretisch eine Verfassungsänderung in dem von mir geschilderten Sinne notwendig.Zweitens sagen Ihnen auch alle Militärexperten, daß das barer Unsinn wäre. Man muß nur an die Geschichte des Auftritts deutscher Truppen im damaligen Jugoslawien während des Weltkrieges zurückdenken.
Selbst 40 Divisionen waren nicht in der Lage, dort einen Partisanenkrieg zu befrieden; das macht überhaupt keinen Sinn.Ich glaube, diese Diskussion ist nicht ernst zu nehmen.Die Mehrzahl der CDU/CSU- und F.D.P.-Wähler, die Mehrheit auch der SPD-Wähler sieht die deutsche Verantwortung in der Staatengemeinschaft. Ich fordere die Kolleginnen und Kollegen der Opposition auf, mit uns gemeinsam den notwendigen breiten gesellschaftspolitischen Konsens herzustellen.
Mit Blick auf zukünftige politische Herausforderungen für Deutschland als Teil Europas und der Staatengemeinschaft der Welt muß eine verantwortungsvolle deutsche Außen- und Sicherheitspolitik vom Konsens der Politik und aller maßgebenden Kräfte in unserem Lande getragen sein. Dies war bisher immer so, und das soll auch für die Zukunft so sein.Dies gilt in besonderem Maße für die Soldaten der Bundeswehr und ihrer Angehörigen, die in unserem Auftrag in schwierigen Missionen eingesetzt werden und denen wir für ihren Einsatz und ihre Bereitschaft Dank schuldig sind.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort erteile ich nunmehr dem Abgeordneten Dr. Gregor Gysi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte gern zu zwei Vorrednern je eine Bemerkung machen.Herr Schäuble, ich finde es nicht fair, eine solche Aussprache, bei der es um ein so wichtiges Thema geht, zu nutzen, um die alte, völlig unselige Asyldebatte in dieser Form hier wieder einzubringen. Ich glaube, daß das dem Anliegen, um das es hier heute geht, unheimlich schadet.
Herr Solms, ich finde, den Satz, den Sie vorhin gesagt haben, muß man sich mehrfach auf der Zunge zergehen lassen: Selbst 40 Divisionen waren nicht in der Lage, den Partisanenkrieg zu befrieden. Was ist das eigentlich für eine Erinnerung? Was soll das sagen: Wir, die Deutschen, hätten damals militärisch keinen Erfolg gehabt, und deshalb sollen wir heute
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8628 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992
Dr. Gregor Gysinicht wieder in Jugoslawien eingreifen? Ich glaube, wir müssen uns solche Formulierungen wirklich sehr gründlich überlegen, oder sie zeigen einen Geist, gegen den man entschieden auftreten muß.
In Jugoslawien tobt ein schrecklicher Krieg. Die historischen Ursachen sind vielfältig und kompliziert. Im Unterschied zur Bundesregierung verzichtet der UN-Sicherheitsrat zumindest noch darauf, einen Aggressor zu benennen und wendet sich in seinen Resolutionen und Entscheidungen stets an alle beteiligten Seiten.Ich glaube, wir dürfen auch nicht vergessen, daß der Konflikt zu dem Zeitpunkt, als er begann, geschürt worden ist, u. a. dadurch, daß z. B. die Bundesregierung sofort und sehr einseitig Partei für die kroatische Seite und die Regierung Frankreichs Partei für die serbische Seite bezog und entsprechende Waffenlieferungen auch stattfanden, bis das Embargo — ich hoffe zumindest, daß es sie seitdem nicht mehr gibt — vom UN-Sicherheitsrat beschlossen worden ist.Die Waffen des ehemaligen Jugoslawien müssen inzwischen schon zum sechsten Mal aufgebraucht sein. Nun frage ich mich: Woher kommen eigentlich die vielen neuen Waffen? Wenn es dort an allem fehlt, an Waffen und an Munition fehlt es offensichtlich nicht. Dagegen wäre etwas zu tun gewesen.
Hier ist viel von humanitärer Hilfe gesprochen worden. Ich frage nur: Ist dort wirklich alles getan worden, was seitens der Bundesregierung möglich ist? Ich meine, das Gegenteil ist richtig.Sie, Herr Schäuble, haben heute vom Bleiberecht gesprochen. Nun frage ich Sie: Welcher einzelne Flüchtling hat denn inzwischen das Bleiberecht bekommen? — Noch kein einziger! Das sind immer nur Absichtserklärungen; hier hätte längst entschieden werden können.Bei der Aufnahme von Flüchtlingen wird von Kontingenten gesprochen. Aber: Das Wort „Kontingent" ist doch in sich inhuman, weil es nämlich besagt, eine bestimmte Zahl aufzunehmen, während die anderen bleiben müssen, wo sie sind. Sie werden dann nicht aufgenommen. Das, glaube ich, ist im Zusammenhang mit einem solchen Krieg eine verheerende Aussage.Ich frage Sie, warum die von uns seit Monaten geforderte Aufhebung der Visumspflicht für die Menschen des ehemaligen Jugoslawien noch immer nicht vollzogen ist. Ich frage Sie: Wie sollen eigentlich die Menschen, die sich dort auf der Flucht befinden, den Weg zur deutschen Botschaft finden, um sich ein Visum zu holen? Das ist gleichermaßen bürokratisch wie inhuman und zeigt eigentlich, daß man sich abschotten will und nicht bereit ist, Flüchtlinge in großem Umfang hier vorübergehend — solange dieser Krieg tobt — zu helfen.Ich frage mich auch, warum der Vorschlag einer UN-Konferenz mit allen beteiligten Konfliktparteien nicht aufgegriffen wird, warum dies nicht einmal versucht wird. Das wäre doch eine Möglichkeit, Frieden zu stiften.Im Vorfeld gab es verschiedene Zeitungsmeldungen und Interpretationen. Ich gebe zu, auch ich war mir nicht darüber im klaren, ob es der SPD in erster Linie um Verfahrensfragen geht oder in erster Linie darum, daß der Einsatz an sich politisch falsch ist. Ich habe Sie inzwischen so verstanden, daß Sie den Einsatz auch politisch für falsch halten, unabhängig davon, daß es rechtlich Bedenken gibt. Dem würde ich voll zustimmen.Ich will mich aber trotzdem auch kurz zur Verfassungsfrage äußern. Meines Erachtens ist das Grundgesetz zumindest in diesem Punkt ganz eindeutig. Es heißt in Art. 87 a Abs. 2 GG: „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt." Die Worte „ausdrücklich zulassen" bedeuten, daß es einen Artikel geben müßte, der einen solchen Einsatz direkt genehmigt. Diesen gibt es nicht, auch in Art. 24 ist davon keine Rede.Das heißt, Sie interpretieren jetzt das Grundgesetz und verzichten auf eine ausdrückliche Regelung im Grundgesetz; damit ist das grundgesetzwidrig. Ich sage, wenn der Verfassungsschutz seinem Namen Ehre machen will, müßte er langsam anfangen, sich eher um die Bundesregierung als um die PDS zu kümmern.
Dabei denke ich auch noch an die Asyldebatte.Ich sage Ihnen: Was hier in den letzten Jahren mit dem Grundgesetz und der Diskussion darum gemacht worden ist, ist eine völlige Aufweichung des Prinzips der unbedingten Geltung des Grundgesetzes solange, bis es verändert ist.Falsch ist es im übrigen auch, sich auf völkerrechtliche Verpflichtungen zu stützen. Es gibt überall den nationalen Vorbehalt. Die UN-Charta sieht für keinen einzigen Staat — Sie sprechen ja immer von Pflichten — die Pflicht vor, sich an militärischen Aktionen zu beteiligen. Dort ist ausdrücklich geregelt, daß das nur auf freiwilliger Basis erfolgt.Der UN-Sicherheitsrats-Beschluß zum Embargo sieht auch keine militärischen Aktionen vor der Küste des ehemaligen Jugoslawien vor. Sie können sich nicht auf diesen Sicherheitsrats-Beschluß stützen; deshalb stützen Sie sich ja in erster Linie auf NATO-und WEU-Beschlüsse. Ich sage Ihnen: Das ist ziemlich verheerend, wenn sogar ohne Genehmigung der UNO solche Einsätze geführt werden.Ich warne auch davor, diese Gelegenheit und andere Gelegenheiten zu nutzen, um ein bißchen die Tür aufzumachen, wie es auch SPD und BÜNDNIS 90 vorschlagen, die zum Einsatz deutscher Soldaten unter den UNO-Blauhelmen führt. Ich halte diesen Einsatz durch Deutsche für völlig falsch. Wir können anders friedenstiftend auftreten.Es war eine gute Tradition, daß Blauhelme von kleinen Armeen bestückt wurden, also eben nicht von der damaligen sowjetischen oder der amerikanischen Armee, sondern von kleinen Armeen. Die Bezahlung
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992 8629
Dr. Gregor Gysiin der UNO war etwas anderes. Das machte Sinn. Wir sollten jetzt nicht danach streben, daß gerade die führenden Militärmächte die Blauhelme übernehmen; das halte ich für eine katastrophale Entwicklung, zumal man dann überhaupt nicht weiß, was letztlich dabei herauskommt.Deshalb haben wir einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes vorgelegt, der eindeutig solche Einsätze ausschließt und sich wirklich auf den Verteidigungsfall als den einzigen Fall, wo Militär eingesetzt werden kann, konzentriert. Auch darüber kann man sicherlich diskutieren; auch wir haben Pazifisten. Aber das ist etwas anderes als das, worum es hier gegenwärtig geht.Dann stört mich noch etwas: Es wird in diesem Zusammenhang permanent von der gewachsenen politischen Verantwortung Deutschlands gerade nach der Vereinigung gesprochen. Nun frage ich Sie: Wieso muß sich eine gewachsene politische Verantwortung eigentlich in erster Linie daran zeigen, daß man das eigene Militär weltweit salon- und hoffähig macht? Ich glaube, daß ist nicht Ausdruck einer gewachsenen politischen Verantwortung, sondern das Gegenteil davon, wenn man in einer solch komplizierten Situation und bei solchen Widersprüchen in der Welt ernsthaft versucht, diese Fragen militärisch zu lösen. Es muß keine Einheit von ökonomischer, politischer und militärischer Macht geben.Ich sage Ihnen: Ich finde es auch völlig ahistorisch und gefährlich — nachdem in diesem Jahrhundert zwei Weltkriege von deutschem Boden ausgegangen sind —, zum Ende dieses Jahrhunderts zu versuchen, militärisch wieder in Erscheinung zu treten, hoffähig zu werden und damit zu versuchen, das Geschehene vergessen zu machen.Es wäre sehr angemessen, und das könnte man allen Bündnispartnern auch erklären, wenn man sagte, die Bundesrepublik Deutschland werde sich mit Ausnahme der eigenen Verteidigung nicht an militärischen Aktionen beteiligen. Wir haben viele andere Mittel und Methoden, um zu helfen, um friedensfördernd tätig zu werden. Dazu müssen wir nicht deutsche Soldaten in die Welt schicken, und zwar ihretwegen und auch wegen der anderen, die das in diesem Fall betreffen würde. Das ist kein Sichdrücken, sondern das ist genau das Gegenteil, nämlich politische Verantwortung wirklich wahrzunehmen, auch aus historischer Sicht politische Verantwortung wahrzunehmen und dabei Geschichte nicht zu negieren.Ich finde es schon bedauerlich, daß jetzt im Sommer 1992 zum ersten Mal wieder deutsche Soldaten vor der jugoslawischen Küste stehen; niemand kann ausschließen, daß sie in Kampfeinsätze verwickelt werden. Die Folgen werden wir dann alle zu spüren bekommen.Lassen Sie uns auf militärische Aktionen verzichten. Ändern wir das Grundgesetz so, daß dergleichen künftig ausgeschlossen ist. Treten wir dafür ein, Frieden mit anderen Mitteln zu schaffen als mit Waffen, was gegenwärtig wieder in Mode kommt. Das steht zumindest der Bundesrepublik Deutschland nicht zu.Danke.
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Vera Wollenberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dieser Sondersitzung haben wir heute endlich die Möglichkeit zu einer öffentlichen Debatte über die Grundzüge einer neuen Außen- und Sicherheitspolitik. Leider kommt diese Debatte sehr spät und ist von vornherein durch Parteiengezänk belastet.Die Bundesregierung hat in den letzten Monaten versucht, schrittweise neue Fakten zu schaffen. Zu kleinen, öffentlichkeitswirksamen Häppchen wurden den Bundesbürgern deutsche Soldaten in den verschiedensten Verwendungen unter unterschiedlicher Verantwortung im Ausland serviert: mal als Minenräumer im persisch-arabischen Golf, koordiniert durch die WEU, mal als Jagdbomberpiloten zum Schutz der Türkei im Auftrag der NATO, dann als Hubschrauberpiloten von Inspektionsteams im Auftrag der UNO im Irak und zuletzt als Helfer in kurdischen Gebirgsregionen in der Türkei und im Iran. Alle diese Einsätze fanden in einer verfassungspolitischen Grauzone statt.Die SPD hat diese Häppchen in der Vergangenheit brav geschluckt und sich für ihre verantwortungsvolle Rolle loben lassen. Nachdem ihr aber die sechste Salamischeibe nun im Halse steckengeblieben ist, fällt ihr ein, daß es sich um eine Salamitaktik der Regierung gehandelt hat, der ein parlamentarischer Riegel vorgeschoben werden muß.
Indem die SPD die Grauzonenpolitik so lange mitgetragen hat, statt von Anfang an energisch auf eine verfassungsmäßige Klärung jeglicher Einsätze von Streitkräften zu drängen, hat sie bisher eine öffentliche und prinzipielle Erörterung im Bundestag unmöglich gemacht. Das hat dazu beigetragen, daß die Debatte über den Einsatz von Streitkräften in eine Sackgasse geraten ist und dabei mehr Parteiprofilierung betrieben als nach Lösungen gesucht wird.Ich glaube nicht, daß die tumultartigen Szenen, die wir hier in den letzten Stunden erlebt haben, und diese gegenseitigen Anschuldigungen sehr viel zur Klärung der Sachproblematik beigetragen haben. Am politischen Kern des Problems reden die meisten Politiker vorbei.
Der Kern ist nämlich, wie die Bundesrepublik im konkreten Fall entscheidet, ob und in welcher Art Streitkräfte eingesetzt werden.Schwierig ist auch, daß fast alle Parteien versuchen, die Relikte des kalten Krieges wie NATO und WEU zu retten, statt unvoreingenommen über ganz neue Formen von Friedens- und Sicherheitspolitik nachzudenken.
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8630 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992
Vera WollenbergerAuch die SPD will unbedingt an der Wehrpflicht festhalten und ist auf der Suche nach neuen Aufgaben für die NATO.Der Einsatz des Zerstörers „Bayern" hat aber neben anderem auch gezeigt, wie fragwürdig die Wehrpflicht ist, wenn ein junger Wehrpflichtiger gezwungen wird, neben seinem Kommandeur stehend zu widerrufen, was er gerade vorher einer Nachrichtenagentur über seinen Einsatz gesagt hat.Wehrpflichtige haben bei solchen Einsätzen nichts zu suchen. Der Gefahr einer Zweiklassenarmee entgeht man am besten dadurch, daß die Wehrpflicht aufgehoben wird. Ansonsten wird es in Zukunft mit Recht noch mehr Mütter geben, die ihre Söhne von solchen Einsätzen abhalten werden.Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die sie tragenden Organisationen haben sowohl in der prinzipiellen Frage — Einsatz deutscher Soldaten für humanitäre, friedenssichernde oder menschenrechtsschützende Aktionen — wie auch in der konkreten Frage des Einsatzes des Zerstörers „Bayern" keine einheitliche Meinung. Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß die Ratlosigkeit mitten durch die Bevölkerung geht. Fast alle, mit denen wir in den letzten Tagen in Ost- wie in Westdeutschland gesprochen haben, waren in sich gespalten: einerseits gegen den Einsatz von Truppen, ganz besonders von deutschen, andererseits aber beseelt von dem Wunsch, dem Morden in Sarajevo und anderen Orten des ehemaligen Jugoslawien endlich Einhalt zu gebieten.Aber in einem sind wir einig: Einsätze von Streitkräften müssen von einer Verfassungsmehrheit beschlossen werden; die Regierungsmehrheit reicht dafür nicht aus.Es gibt bei uns viele, die nach wie vor an dem Grundsatz festhalten, daß jeder Einsatz von Militär die Gewalt nur vervielfacht, die Konflikte verschärft und kein Mittel von Friedenspolitik sein kann.Ich selbst habe mich wie die Mehrheit unserer Gruppe für eine andere Position entschieden. Wir gehen davon aus, daß nach dem Ende der Supermachtkonfrontation in Europa eine Phase großer Chancen und zugleich großer Gefahren angebrochen ist. Das Risiko des globalen Krieges ist sehr viel geringer, das kleiner und eher grausamer bewaffneter Auseinandersetzungen ist sehr viel größer geworden.In dieser Phase der Neuordnung von Staaten und Gesellschaften in Mittelost-, Südost- und Osteuropa gibt es die Aufgabe, die Einhaltung fundamentaler Menschenrechte nicht nur als die Angelegenheit des jeweiligen Staates zu betrachten, sondern die internationale Verantwortung dafür zu akzeptieren. Diese Aufgabe ist für die Bundesrepublik Deutschland auch nach dem Zwei-plus-Vier-Vertrag und nach der deutschen Einheit gültig.Wer sich z. B. nicht für eine Entwaffnung von Pol Pot in Kambodscha stark macht, toleriert eine gesinnungslose Mörderbande. Die Schlächterei in Jugoslawien dauert schon viel zu lange und muß unbedingt beendet werden. Das Mittel, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg für solche Aufgaben herausgebildet hat, ist der Einsatz der UNO-Blauhelme. Die Methoden der Friedenssicherung werden mit großer Wahrscheinlichkeit in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen. Die friedenserhaltenden Maßnahmen zielen mit Hilfe unbewaffneter Beobachter oder von lediglich mit leichten Waffen zum Selbstschutz bewaffneten Friedenstruppen auf eine Erweiterung des Spielraumes für friedliche Konfliktlösungen.Peace-keeping-Operations sind die letzte Stufe eines Konfliktschlichtungsverfahrens, in dem die Ergebnisse einer nichtmilitärischen Konfliktbewältigung abgesichert werden sollen. Blauhelm-Missionen stehen deshalb am Ende der Konfliktschlichtung und sind kein Einstieg in die Eskalationsdynamik militärischer Gewaltanwendung.Der Einsatz von Blauhelmen war in der Frühphase in erster Linie auf die Überwachung von Waffenstillständen und auf die Trennung von Streitparteien ausgerichtet. Heute operieren die Blauhelme oft unter ziviler Leitung, mit zivilem und militärischem Personal, in einem umfassenden Lösungsplan, dessen Endstufe nicht mehr die bloße Trennung von Konfliktparteien, sondern die Lösung des Konfliktes ist, wie dies z. B. die UNTAG-Mission in Namibia beweist. Sie haben dadurch in erster Linie eine Deeskalations-funktion bekommen. Blauhelme operieren heute an der Schnittstelle zwischen Friedenssicherung und Demokratisierung. Sie gehören ihrem Charakter nach eindeutig zum Kapitel VI der UN-Charta.Ich möchte noch auf einige Bedingungen für die Beteiligung an Peace-keeping-Operations eingehen. Erstens: Ausschöpfung aller staatlichen und nichtstaatlichen nichtmilitärischen, gewaltfreien Möglichkeiten einer Konfliktschlichtung.Zweitens: Einsatz nur im Rahmen der Vereinten Nationen als eines völkerrechtlich institutionalisierten kollektiven Sicherheitssystems, also nicht im Rahmen von Militärbündnissen wie NATO oder WEU.Drittens: Es muß auf die Reform der UN-Charta hingewirkt werden mit dem Ziel, den Status permanenter Mitglieder im Sicherheitsrat aufzuheben und auf ein Vetorecht zu verzichten.Viertens: Einsatz nur bei Peace-keeping-Operations, die dem Kapitel VI der UN-Charta zugeordnet werden sollten.Fünftens: Kein Einsatz in Anrainerstaaten.Sechstens: Kontingentbegrenzung auf maximal 2 000 Soldaten.Siebtens: Weitere Reduzierung des Bundeswehrumfanges und Strukturreform der Bundeswehr, die deren strukturelle Nichtangriffsfähigkeit zum Ziel hat.Auch wenn ich — wie ich eben ausgeführt habe — für eine Beteiligung deutscher Truppen an Peacekeeping-Operations bin, wünsche ich mir vor allen Dingen eine Politik, die friedensschaffend und -erhaltend ist, bevor die Konflikte ausbrechen. In diesem Zusammenhang frage ich, ob das Geld für BlauhelmMissionen nicht besser angelegt wäre, wenn damit die sozialen Konflikte, die in Osteuropa durch die Wirtschaftsreformen unausweichlich entstehen, abgemildert würden, wenn damit der Aufbau einer Landwirt-
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Vera Wollenbergerschaft jenseits von Kolchosen und Sowchosen befördert würde und wenn damit den Soldaten der russischen Streitkräfte, der ehemaligen Roten Armee, eine lebenswerte Perspektive gegeben würde.Meine Damen und Herren, jeder von uns weiß, daß die Gefahr bewaffnter Konflikte zunimmt: von Georgien-Ossetien über die Moldawien-Djnestr-Republik und die Tschetschenen bis zu den Kämpfen um Nagornij-Karabach. Gleiches gilt angesichts der Frage der russischen Minderheit und besonders der Anwesenheit russicher Truppen in den baltischen Staaten, angesichts der Menschenrechtsverletzungen im Kosovo und der Angst, daß sich die serbischen Militärs als nächstes den Kosovo vornehmen. Ich nenne auch die nach wie vor nicht gebannte Gefahr des neuen Putsches in Moskau sowie die Rolle einer unabhängigen Slowakei in Mitteleuropa.Welche Konzepte, welche Angebote zur Eindämmung solcher Konflikte haben wir? Ich frage dies nicht nur die Regierung; ich frage es auch die Reste der Friedensbewegung, die ökologischen Bewegungen, die Bürgerbewegungen, aus denen ich komme.Aber im Bundestag frage ich natürlich vor allen Dingen die Regierung: Treten Sie dafür ein, daß in jedem bewaffneten Konflikt, wo Menschen- und Minderheitenrechte in Europa verletzt wurden, BlauheimMissionen eingesetzt werden? Ist das schaffbar? Wieviel Geld wird das kosten?Meine Damen und Herren, ich spreche mich für den Einsatz von UN-Blauhelmen und für die deutsche Beteiligung daran aus, wenn angesichts von bewaffneten Konflikten Menschenrechte und menschliches Leben anders nicht mehr geschützt werden können. Ich bin aber zugleich überzeugt, daß Nationalismus, gegenseitiger Haß und explodierende soziale Katastrophen kein unabwendbares Schicksal sind, sondern daß es die viel wichtigere Aufgabe der Völkergemeinschaft ist, sich gegenseitig dabei zu helfen, daß lebbare Kompromisse für alle gefunden werden.Vielen Dank.
Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Wolfgang Bötsch das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stimme dem Kollegen Schäuble zu, wenn er sagt, daß eine solche Sitzung nicht ganz außergewöhnlich ist, auch wenn sie während der normalen parlamentarischen Sommerpause stattfindet. Auf der anderen Seite muß man jedoch konstatieren, daß die SPD diese Sitzung nur deshalb beantragt hat, um die heillose Verwirrung,
die in ihren Reihen über die Außenpolitik herrscht, zu verdecken.
Der Rückzug der SPD aus der Verantwortung hat durch ihre Verweigerungshaltung beim Einsatz der Bundesmarine zur Überwachung des Embargos gegen Jugoslawien einen neuen Höhepunkt erreicht.Auf dem Bremer Parteitag hat die SPD erklärt, sie wolle sich grundsätzlich nur zu Blauhelme-Einsätzen nach Art. 41 der UN-Charta verstehen. — Sie bestätigen das noch einmal durch Nicken. Im vorliegenden Fall geht es um die Überwachung der Embargos, die der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegen die Teile, die von der Föderativen Republik Jugoslawien noch übriggeblieben sind, verhängt hat, also wiederum um Maßnahmen ohne den Einsatz von Waffen.Das Nein der SPD zu diesen Maßnahmen nach dem Ja zu den im Einzelfall möglicherweise sogar gefährlicheren Blauhelme-Einsätzen ist daher alles andere als eine schlüssige außenpolitische Konzeption. Es ist vielmehr Ausdruck einer tiefen innerparteilichen Unsicherheit und Zerrissenheit.
— Ich verstehe das schon. Aber vielleicht können Sie mir folgendes erklären: Herr Kollege Klose — er ist zwar im Augenblick im Saal, sitzt aber nicht hier vorne — hat sich in einem Interview dahin gehend geäußert, die SPD wolle jetzt auch darauf hinweisen, daß die Bundesregierung auf eine „schiefe Bahn" geraten sei. Ob das in einer Zeit angebracht ist, da wenige hundert Kilometer von unserer Grenze entfernt ein furchtbares Gemetzel herrscht und eine schlimme Flüchtlingssituation entstanden ist,
muß uns Herr Kollege Klose erst einmal erklären.Die Entscheidung über die Beteiligung der Bundesmarine an der Patrouille sei, so haben Sie gesagt, ein fundamentaler Verstoß gegen die Grundlagen der parlamentarischen Demokratie, weil der Bundestag nicht gehört worden sei. Auch heute haben Sie das wieder gerügt. Allerdings — das haben Sie in dem gleichen Interview gesagt — habe die Bundesregierung schon das Recht, die Außen- und Sicherheitspolitik fundamental zu ändern.
Als persönliche Meinung haben Sie auf Ihrer Pressekonferenz letzte Woche auch noch geäußert, die Marine sollte sich nicht nur an einer Seepatrouille, sondern auch an einer Blockade Restjugoslawiens mit Zwangsmaßnahmen beteiligen können. Sie haben das als wünschenswert dargestellt, allerdings eine Verfassungsänderung zur Voraussetzung gemacht.Ich meine, diese politische Haltung ehrt den Kollegen Klose. Doch mit dieser Zwiespältigkeit kommt weder der Bürger klar, noch kommt ihre eigene Partei damit klar, und wir kommen schon überhaupt nicht damit klar.
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8632 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992
Dr. Wolfgang BötschIch könnte jetzt noch einige SPD-Kollegen zitieren, die sich ebenfalls für die umfassende Beteiligung der Bundeswehr an internationalen Friedenseinsätzen auch mit Waffengewalt ausgesprochen haben. Herr Kollege Horn hat hierzu eine sehr griffige Formulierung gebraucht, die in der Tageszeitung „Die Welt" vom Montag nachzulesen ist. Da sie aber doch sehr griffig ist, möchte ich sie hier eigentlich nicht wörtlich zitieren.
— Na gut, lesen Sie es nach, dann werden Sie verstehen, warum ich das nicht tue.Ich möchte auch den Präsidenten der Westeuropäischen Union, Herrn Kollegen Soell, der der SPD-Fraktion angehört, erwähnen, der auch für ein Umdenken innerhalb der SPD eintritt. All dies waren Stimmen aus Ihrem Lager.
Nun will ich die Aufzählung der Kritik innerhalb Ihrer Reihen nicht fortsetzen und will mich auch nicht zu sogenannten offiziellen Meinungen äußern. Am Sonntagabend hat Ihr Vorsitzender, Herr Engholm, im ZDF gesagt, die SPD sei nicht mundtot, sondern eine ordentliche Partei. Er hat allerdings angemerkt, er könne nicht wegen jedes politischen Sachverhalts jeden Urlaub unterbrechen oder jeden Zahnarzttermin absagen. Meine Damen und Herren, wenn Ihr Vorsitzender die Situation so sieht, dann verstehe ich, daß in Ihren Reihen diese Verwirrung herrscht.
Meine Damen und Herren, die SPD bietet hinsichtlich einer politisch wichtigen Frage, nämlich wie wir die außenpolitische Rolle des vereinten Deutschlands zu bestimmen haben, ein Bild völliger Entscheidungsunfähigkeit.
— Ich komme gleich darauf. Seien Sie geduldig, ich habe noch 13 Minuten Redezeit.
Ich will ein Wort zum Kollegen Dr. Gysi sagen — er hat hier seine Rede abgeliefert, aber den Saal dann gleich verlassen —, und zwar zu seiner Interpretation des Art. 87a des Grundgesetzes. Ich sehe es dem Herrn Dr. Gysi nach, daß er nicht so ganz weiß, warum Art. 87a in unsere Verfassung aufgenommen wurde. Dies stand im Zusammenhang mit den Notstandsgesetzen 1968, um klarzustellen, daß die Bundeswehr nicht im Innern eingesetzt werden darf, etwa zur Bekämpfung innerer Unruhen.
Ich sehe das dem Kollegen Dr. Gysi deshalb nach, weilseine Vorgängerpartei diese Unterscheidung beimEinsatz der Nationalen Volksarmee nicht allzu streng gehandhabt hat.
Nur: Ihnen, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, rate ich schon, sich bei der Begründung, die Sie bei Ihrem Gang nach Karlsruhe abzuliefern haben, die Art. 24 und 87 a des Grundgesetzes und insbesondere die Entstehungsgeschichte des letzteren anzuschauen, bevor Sie möglicherweise — wie schon im Vorfeld dieser Debatte — zu allzu falschen Schlußfolgerungen verleitet werden.
Meine Damen und Herren, bei der grundsätzlichen Frage, ob sich die Bundeswehr an internationalen Friedenseinsätzen beteiligen soll, geht es um nicht mehr und nicht weniger als die Verantwortung für Deutschland. Es geht aber nicht nur um uns selbst, sondern um unsere Verantwortung für die Erhaltung des Friedens — die Bewahrung des Friedens oder die Wiederherstellung des Friedens —, insbesondere in Europa. Daß die SPD hier nicht zu Rande kommt, kann bei ihrer geschichtlichen Vergangenheit der letzten 40 Jahre nicht verwundern.Herr Kollege Klose, Sie haben in diesem Zusammenhang den Kollegen Rüttgers angesprochen, weil er Sie aufgefordert hat, Verantwortung zu übernehmen.
Ich habe nach Ihrer Rede etwas Hoffnung bekommen, da Sie ja angedeutet haben, daß sich noch einiges bewegt — wohl aber wie immer zu spät bzw. erst zu einem Zeitpunkt, als andere für Sie schon die richtige Entscheidung getroffen haben.
Meine Damen und Herren, schon in den 50er Jahren hat die damalige Opposition eine Außenpolitik der Verantwortung anderen überlassen, als sie sich dem deutschen Beitrag zur Verteidigung des eigenen Landes verweigert hat. Von ihrem Widerstand gegen den ersten Versuch einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik in der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft über ihren Widerstand gegen die Aufstellung der Bundeswehr und den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur NATO bis hin zur Ablehnung des NATO-Doppelbeschlusses führte durch ihre Außenpolitik ein roter Faden des Zurückweichens vor der Verantwortung. Sie haben diesen roten Faden heute leider wieder aufgegriffen.
Sie haben Helmut Schmidt beim NATO-Doppelbeschluß die Gefolgschaft verweigert, weil 300 000 sogenannte Friedenskämpfer im Bonner Hofgarten demonstriert haben. Damals nahmen Sie aus opportunistischen Gründen ein hohes sicherheitspolitisches Risiko für Deutschland in Kauf.Manche, die seit Herbst 1990 hier Abgeordnete aus den neuen Bundesländern sind, wären möglicher-
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Dr. Wolfgang Bötschweise ohne unsere Politik der Freiheit, ohne unser festes Eintreten für die westliche Wertegemeinschaft nicht in unserer Mitte, sondern könnten auch diese Debatte nur am Fernsehapparat verfolgen.
Es ist wahr, und das ist auch schon gesagt worden: Mit Bundeskanzler Willy Brandt hat die SPD 1973 den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur UNO initiiert. Damals hatte Deutschland unter Ihrer Regierungsverantwortung keine Vorbehalte hinsichtlich der UN-Charta geltend gemacht.
Offenbar haben Sie damals — bewußt oder unbewußt; das möchte ich dahingestellt sein lassen — die Charta, jedenfalls ihr Kapitel VII, nicht richtig gelesen. Sonst bräuchten wir heute diese Sitzung vielleicht nicht.Nur, meine Damen und Herren: Das vereinte Deutschland kann sich in keinem Fall in das außenpolitische Schneckenhaus zurückziehen, wie dies 1973 vielleicht noch möglich war. Wir können unsere zentrale Lage in Europa, die wir uns nicht ausgesucht haben, die aber Faktum ist, nicht ignorieren. Wir können auch unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten nicht ignorieren, die von anderen als noch größer angesehen werden, als sie tatsächlich sind. Und wir können die Größe unseres Volkes mit nahezu 78 Millionen Einwohnern nicht ignorieren. Insbesondere aber dürfen wir nicht das Ende der Sonderrolle Deutschlands als eines durch den Eisernen Vorhang geteilten Landes ignorieren.Eine hervorgehobene Bescheidenheit wäre im Jahre 1992 eine falsche Bescheidenheit und würde unsere Nachbarn eher irritieren als sie beruhigen.
Viele in der SPD haben dies erkannt; ich meine, auch Ihr Ehrenvorsitzender Willy Brandt. Dieser hat sich in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung" am 10. Mai 1991 für die Beteiligung Deutschlands an militärischen UN-Einsätzen ausgesprochen. Frau Brigitte Brandt-Seebacher hat am 14. Mai 1991, wenige Tage später, zu Recht vom „kostbaren Gut der Gleichberechtigung im Konzert der Nationen" gesprochen — ein Gut, das, aufs Spiel gesetzt, uns teuer zu stehen kommen würde.Mehr als ein Jahr hatten Sie Zeit, über diese Worte nachzudenken.
Sie haben diese Zeit nutzlos verstreichen lassen. Ihre Politik des „Ohne uns!" würde letztlich auf die Deutschen zurückfallen und sie isolieren.
— Herr Kollege Zwischenrufer, die CSU tritt für dieBeteiligung der Bundeswehr an internationalen Einsätzen zur Sicherung oder zur Wiederherstellung desFriedens ein. Wir sind auch der Meinung, daß wir dazu keine Grundgesetzänderung benötigen, sondern daß das Grundgesetz solche Einsätze im Auftrag der UNO bereits erlaubt.
Wir sträuben uns aber nicht gegen eine Ergänzung des Grundgesetzes, wenn dadurch das politische Einvernehmen in diesem Hause über die Notwendigkeit solcher Einsätze hergestellt werden kann.
Diese Änderung kann aber nur klarstellenden Charakter haben, und sie darf nicht hinter die schon jetzt bestehende Rechtslage zurückweichen, wie es z. B. bei der Beschränkung auf Blauhelm-Einsätze nach dem Beschluß des Bremer SPD-Parteitages der Fall wäre.
Nichts anderes hat Bundesminister Carl-Dieter Spranger in seinem Interview mit der „BZ", das Sie herangezogen haben, ausgeführt.
Ich bitte, das wirklich nachzulesen. Das ist das Original. Darauf sollten Sie sich berufen.
Meine Damen und Herren, wir diskutieren über Friedenseinsätze der Bundeswehr. Der Frieden in Jugoslawien muß baldmöglichst wiederhergestellt werden.
— Ich habe auch kein Patentrezept, Frau Kollegin, wir können nur Versuche machen und Schritte einleiten. Wir haben kein Patentrezept. Wenn Sie eines haben, dann verraten Sie es uns bitte.
Die grauenvollen Bilder aus Jugoslawien sollten — das ist doch unser gemeinsamer Wunsch — eher heute als morgen der Vergangenheit angehören. An der Seite unserer Partnerländer das dazu Mögliche zu tun, das sollte selbstverständlich sein, und zwar auch im Sinne der Abtragung einer kleinen Dankesschuld gegenüber den Ländern, die über 40 Jahre die Freiheit des westlichen Teils unseres Vaterlandes mit verteidigt haben und so die Voraussetzungen für die Herstellung von Frieden und Freiheit im ehemaligen Ostblock geschaffen haben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der letzten Zeit wurde viel von der Verantwortung der Politiker gegenüber den Wählern gesprochen und oft hinzugefügt, daß wegen der mangelnden Verantwortung das Vertrauen in das Handeln der Politiker verlorengegangen sei. Verantwortung, im richtigen Sinne verstanden, heißt, das zu tun, was man nach sorgfältiger Prüfung als richtig erkannt hat.
Unsere Bevölkerung kann darauf vertrauen, daß dieBundesregierung und die sie tragende Koalition ihrer
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Dr. Wolfgang BötschVerantwortung in bezug auf die heute zur Debatte stehenden Fragen gerecht werden.Vielen Dank.
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Däubler-Gmelin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst ein Wort zum Kollegen Schäuble sagen, bevor er den Raum verläßt.
— Ich möchte gem einiges zu seinen Ausführungen sagen. — Herr Kollege Schäuble, wenn Sie noch einen Moment hierbleiben würden, fände ich das sehr schön.Sie wissen, daß ich Ihren Überlegungen normalerweise zwar nicht immer mit Freude, aber doch mit Interesse zuhöre. Heute war das anders.
Heute waren Sie mir zu polemisch.
Ich habe den Eindruck, es paßte das, was der Bundespräsident vielen Politikern ins Stammbuch geschrieben hat, nämlich daß es zu viele gibt, die zu wenig zur Sache sagen, und zu viele, deren Bemühungen einzig darin zu bestehen scheinen, Gegner niederzumachen.
Meine Damen und Herren, ich finde das schade — lassen Sie mich das ausdrücklich sagen —, weil ich nicht glaube, daß das die einzige Antwort sein kann, die der Deutsche Bundestag, übrigens auch die Mehrheitsfraktionen dieses Hauses — wir verstehen ja, daß die Mehrheitsfraktionen die Bundesregierung verteidigen, auch wenn deren Maßnahmen falsch oder problematisch sind —,
auf die Sorgen der Menschen gibt, die im Mittelpunkt dieses Sommers und auch im Mittelpunkt unserer Sondersitzung stehen.
Wissen Sie, ich hätte mich gefreut, wenn Sie nicht nur heute erklärt hätten, daß Sie die Sondersitzung begrüßen, sondern wenn Sie von Anfang an mit dafür gesorgt hätten,
daß der Deutsche Bundestag zusammengerufen wird, bevor der militärische Einsatz in der Adria von Ihnen beschlossen wird.
Unsere Nachbarn — übrigens keineswegs nur die jugoslawischen Familien, die zum Teil seit mehr als zwei Jahrzehnten hier arbeiten, deren Häuser auf Grund der Kriegseinwirkungen zerschossen und zerbombt sind, deren sauer und mühsam Erspartes jetzt verloren ist und deren Wohnungen in aller Regel überfüllt sind mit Angehörigen, mit Verwandten und mit Nachbarn, die bei ihnen Unterschlupf gefunden haben, weil sie als Flüchtlinge zu uns gekommen sind, sondern auch unsere deutschen Nachbarn — fragen jeden von uns: Was tut ihr eigentlich, damit den Flüchtlingen geholfen wird?
Was tut ihr eigentlich, damit den Menschen in Sarajevo geholfen wird, und was tut ihr in Bonn, in Brüssel, was tut die Völkergemeinschaft eigentlich, um mit dazu beizutragen, daß das Schlachten dort beendet wird? Das haben sie schon vor einem Jahr gefragt, und zwar zu Recht, und sie sind bitter und wütend; sie sind fassungslos, daß dieser Krieg in Europa nicht verhindert werden konnte,
daß nicht verhindert werden konnte, daß Politiker und Soldaten mit völkischen Wahnideen von Nationalismus und Volkstum — wir wissen doch, welch untaugliche, schreckliche, schädliche Begriffe das sind — die Bevölkerung selektieren und moslemfreie, kroatenfreie, bosnierfreie Landstriche schaffen wollen und deswegen Menschen vertreiben, töten, zerstückeln — und das auf widerliche Art und Weise. Unsere Nachbarn sehen das jeden Abend.Meine Damen und Herren, wir alle sind, glaube ich, der Auffassung: Es muß einen Weg geben den Flüchtlingen zu helfen. Es muß einen Weg zu mehr humanitärer Hilfe geben. Wir müssen alles tun —ich betone das nochmals ausdrücklich —, um mit dazu beizutragen, daß durch wirksame politische und wirtschaftliche Sanktionen dem Schlachten Einhalt geboten wird.
Was sagen Sie denn diesen Menschen, meine Damen und Herren von der Regierung? Was für eine Antwort bekommen sie von Ihnen auf ihre Frage, wenn es um das Flüchtlingselend geht? Wissen Sie, ich bin ja dankbar, daß die Bundesregierung wenigstens nach Ankündigung der Sondersitzung außerordentlich aktiv geworden ist. Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich festhalten: Die Forderungen „Nehmt mehr Flüchtlinge auf! Laßt für Bosnien-Herzegowina den Visumzwang fallen! Kümmert euch darum, daß die Europäische Gemeinschaft ihre Verantwortung erkennt, die Flüchtlinge jetzt nicht nur aufzunehmen, sondern sie auch zurückzuführen, wenn der Krieg vorbei ist! " sind schon etwas älter und immer noch nicht verwirklicht.
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Dr. Herta Däubler-GmelinWenn wir sehen, daß seit dem letzten Sommer mehr als 200 000 Asylbewerber aus Jugoslawien in unser Land gekommen sind, zum größten Teil Flüchtlinge, dann muß das, was der Kollege Schäuble hier zu den „privilegierten Asylbewerbern" erklärte, in deren Ohren wie eine Verhöhnung klingen.
Wir erinnern uns doch nicht nur an die im letzten Herbst und in diesem Frühjahr mehrfach auch hier geführten Debatten über Flüchtlinge, sondern auch daran, daß genau die Zahl jener Menschen, die nicht unter Art. 16 des Grundgesetzes fallen, die nicht unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen, mit herangezogen wurde, um Mißbrauch des Asylrechts zu dokumentieren und deshalb eine Änderung des Grundgesetzes zu fordern. Wenn Sie hier davon sprechen, Herr Kollege Schäuble, diese Bürgerkriegsflüchtlinge wollten einen „privilegierten" Status, dann finde ich das schrecklich, weil Sie genausogut wie ich wissen, warum diese Menschen ins Asylrecht getrieben werden.
Warum? Weil es der Bundesinnenminister bisher trotz unserer Forderungen nicht vermocht hat, ihnen einen eigenen Rechtsstatus zu schaffen, der diesen Menschen auch finanzielle Hilfe und Unterkunft ermöglicht.
Wenn diese Menschen dann zu den Gemeinden kommen, so zeigt sich: Die dort tätigen Beamten und Sachbearbeiter wollen doch helfen, und sie tun es auch. Nur, sie sagen auch: Bitte beantragt Asyl! Dann nämlich bleiben die Kosten nicht an uns, an der Gemeinde, hängen. — So ist das.
Deswegen sagen wir: Wir finden es gut, daß, wenn wir Sie richtig verstanden haben, Herr Außenminister Kinkel, jetzt die Möglichkeit geschaffen werden soll, daß die Flüchtlinge aus Jugoslawien nicht mehr ins Asylverfahren gedrängt werden sollen. Aber wir hoffen auch, daß dieses falsche, daß dieses schädliche und daß dieses menschlich bedauerliche Gerede über die Asylbewerber aufhört.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns nicht vergessen: Es mußten erst Flüchtlingszüge mit vielen alten Menschen, mit Müttern und Kindern tagelang — bei dieser Hitze! — an der Grenze stehen, und diese Schreckensbilder mußten jeden Abend über die Bildschirme in die Wohnzimmer flimmern, bevor sich diese Bundesregierung bewegt hat.
Ich bedaure das ausdrücklich.
— Nein, Herr Bötsch, ich finde, Sie sollten sich jetzt nicht aufregen, wenn hier jemand die Wahrheit sagt,
sondern Sie sollten alles tun, damit mehr Flüchtlingen schneller geholfen wird.
Wir haben — das sage ich nochmals ganz ausdrücklich — deutlich darauf hingewiesen, wie dankbar wir für den humanitären Einsatz der Bundesregierung sind, gerade durch die Soldaten, die Sarajevo unter hohem persönlichen Risiko anfliegen, aber wir sagen trotzdem — Herr Bötsch, da sollten Sie sich mit uns empören —, daß Kranke ausgeflogen werden müssen und daß die Babys, die operiert werden müssen, ausgeflogen werden müssen. Bitte schön, helfen Sie doch mit, damit wir diese Solidaritätsaktion international verstärken können!
Nur, auf die Frage, wie das Schlachten in Bosnien und Herzegowina durch gemeinsame wirksame politische Aktionen beendet werden kann, haben Sie bisher lediglich mit Hinweis auf den Einsatz des Schlachtschiffes und der Flugzeuge in der Adria geantwortet.
Je mehr Tage seit dem Einsatzbefehl vergehen, desto deutlicher wird, daß diese Maßnahme weder den Flüchtlingen noch den Menschen in Herzegowina hilft
und daß es eben auch keine gemeinsame Politik der Europäischen Gemeinschaft gibt, die das Schlachten, die den Krieg im zerfallenden Jugoslawien wirksam stoppt. Der Zerstörer und die Flugzeuge helfen den Menschen nicht,
und sie sollen verdecken, daß Hilflosigkeit herrscht und daß es im übrigen eben keine politische Einigkeit im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft gibt. Wissen Sie, daß Traurige ist doch, daß Sie Ihre Überlegungen und auch Ihre Bemühungen nicht gemeinsam mit uns darauf konzentrieren, innerhalb der EG für wirksame Maßnahmen zu sorgen, mit denen das UN-Embargo tatsächlich kontrolliert werden kann. Es ist ja schon darauf hingewiesen worden, daß es wahrscheinlich durch Rumänien und Griechenland unterlaufen wird.Es ist auch schon darauf hingewiesen worden, daß die serbische Opposition in Belgrad dringend unsere Unterstützung braucht.
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8636 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992
Dr. Herta Däubler-GmelinIch vermisse Ankündigungen und Maßnahmen aus Bonn und Ankündigungen und Hilfen von der Europäischen Gemeinschaft für genau diese Gruppe.
Meine Damen und Herren, das alles stimmt uns bitter. Wenn wir sehen, daß dieser Aktionismus in der Adria Hilflosigkeit überdecken soll, dann stimmt uns das noch bitterer.
Aber es gibt noch einen anderen wichtigen Grund, warum wir diesen Einsatz in der Adria nicht akzeptieren oder hinnehmen können. Der Grund ist, daß die Bundesregierung — neben der Tatsache, daß Sie Illusionen als Politik verkaufen, und das rächt sich immer — versucht hat, sich klammheimlich an der Verfassung und am Parlament vorbei
aus dem Konsens zu stehlen, der über 35 Jahre lang den Einsatz der Bundeswehr getragen hat.
Der Einsatz der Bundeswehr war über 35 Jahre lang übereinstimmend ausschließlich auf den Zweck der Verteidigung festgelegt. Dies alles war verfassungsrechtlich abgesichert. Deswegen geht der Hinweis des Kollegen Schäuble ins Leere, der meint, durch den Beschluß, den Sie offensichtlich herbeiführen wollen, nämlich den Adria-Einsatzbefehl der Bundesregierung zu billigen, werde jetzt alles geheilt. So geht das nicht. Wer die Verfassung ändern will, der braucht eine Zweidrittelmehrheit,
und zwar eine Zweitdrittelmehrheit, der gegenüber dann auch nachgewiesen werden muß, daß diese Maßnahmen geeignet sind und daß sie der Rolle, die wir uns gemeinsam für das geeinte Deutschland wünschen, auch tatsächlich entsprechen.Sie führen an, all das, was Sie wollten, sei schon heute durch die Verfassung gedeckt.
Herr Bötsch, uns stört nicht nur, daß Sie genausowenig wie der Kollege Schäuble die noch weitergehenden Äußerungen von Herrn Gerster, Herrn Lamers oder Herrn Spranger zurechtgerückt haben. Uns stört auch, daß ignoriert wird, daß Herr Schmückle — der frühere Generalinspekteur, der ja kein Niemand ist, Herr Kinkel — recht hat, wenn er davor warnt, die Hilflosigkeit, die im politischen Raum ganz offensichtlich besteht,
durch forsches Gerede in der Regierung und auch in den Koalitionsfraktionen zu ersetzen. Er warnt genau wie unsere aktiven Militärs vor militärischen Einsätzen. Weil das so ist, muß hier klargestellt werden, daß Sie militärische Einsätze in und im Zusammenhang mit Jugoslawien nicht anstreben. Ich hoffe, HerrVerteidigungsminister, Sie werden nachher die Gelegenheit nehmen, dies klarzustellen.
Schon das, was Sie mit dem Adria-Einsatz vorhaben, ist verfassungsrechtlich mehr als bedenklich, weil Sie den Rahmen, den das Grundgesetz — übrigens in Zusammenhang mit dem NATO- und dem WEU-Vertrag — für den Einsatz der Bundeswehr setzt, verlassen. Das wäre übrigens anders — das darf ich nochmals unterstreichen —, wenn Sie die Petersberger Erklärung in diesem Hause vorgetragen hätten, wenn diese ratifiziert worden wäre, wenn sie auf der Basis der dafür notwendigen Verfassungsänderung in Kraft gesetzt worden wäre. Aber, meine Damen und Herren, das haben Sie nicht einmal versucht. Deswegen müssen Sie sich den berechtigten Vorwurf gefallen lassen, daß Sie nicht nur versucht haben, schleichend die Verfassung in Richtung einer Grauzone umzuinterpretieren, sondern daß Sie auch den Rahmen, den unsere Verfassung zieht, verlassen haben.Uns gefällt auch Ihre politische Begründung nicht: Normalität, die Freunde, die Bündnisse. Uns braucht niemand daran zu erinnern, daß wir unsere Freunde brauchen. Das haben wir in den letzten Jahrzehnten schon längst nachgewiesen. Uns braucht auch niemand daran zu erinnern, daß Normalität eine gute Sache ist. Aber unser Begriff von Normalität unterscheidet sich von dem Ihren.
Wir wollen Normalität, die sich in Hilfe für die Flüchtlinge, in Unterstützung für die Vereinten Nationen, in Hilfe für die Menschen und in wirksamen politischen und wirtschaftlichen Aktionen niederschlägt. Wir pfeifen auf eine Normalität, die zu ihrer Demonstration Zerstörer und Flugzeuge in der Adria braucht.
Meine Damen und Herren, deshalb fordern wir Sie auf: Ziehen Sie den Einsatzbefehl zurück! Bringen Sie Ihre Vorschläge ein, wie Sie sich Blauhelm-Einsätze vorstellen! Wenn Sie das können, kommen Sie sofort in den Bundestag damit, aber wenn Sie das nicht können, dann stimmen Sie den von uns eingebrachten Vorschlägen zu! Beenden Sie Ihren hilflosen Scheinaktionismus, der verfassungsrechtlich außerordentlich gefährlich ist, und konzentrieren Sie sich mit uns darauf, den Menschen im zerfallenden Jugoslawien und den Flüchtlingen zu helfen und wirksame politische und wirtschaftliche Aktionen zur Beendigung des Krieges in Jugoslawien zu finden!
Herzlichen Dank.
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Nunmehr hat der Abgeordnete Ulrich Irmer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe heute vormittag kaum ein Argument gehört, das in der Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses in der letzten Woche nicht schon angesprochen worden wäre.
Sie haben trotzdem eine Sondersitzung des Plenums verlangt. Das ist Ihr gutes Recht. Ich schelte Sie deswegen nicht. Ich habe auch Verständnis dafür, denn wenn sich Klose, Engholm & Co. schon einmal so richtig quälen, dann soll doch wenigstens die ganze Nation daran teilhaben dürfen.
Nun habe ich insbesondere in ihrer Rede, Frau Däubler-Gmelin, außerordentlich viel Kritik an dem gehört, was wir tun, was ja wenig ist und was insbesondere auf dem Boden unserer Verfassung und des Völkerrechts steht. Sie haben das zwar vehement kritisiert, aber mit keinem Wort gesagt, was Sie vorschlagen, was konkret geschehen sollte. Darauf warte ich jetzt noch!
Sie kritisieren eine Grauzone verfassungsrechtlicher Natur, in der wir uns hier angeblich bewegen. Aber wenn dies eine Grauzone sein sollte — ich bestreite das, meine Damen und Herren von der SPD -, dann hätte niemand anders als Sie diese zu verantworten. Ich will Ihnen erklären, warum dies so ist.Unsere Vorschläge, wie wir uns die deutsche Beteiligung an Einsäzten der Vereinten Nationen vorstellen, liegen seit langem auf dem Tisch. Wir haben diesbezüglich einiges vorgeschlagen. Sie haben uns gesagt: Über Blauhelm-Einsätze hinaus geht überhaupt nichts. Wir wissen, daß wir eine Zweidrittelmehrheit brauchen, um unsere Vorschläge in die Verfassung aufzunehmen. Das wissen wir. Deshalb werben wir um Ihre Zustimmung. Aber Sie können doch nicht einerseits diese Zustimmung verweigern und dann andererseits uns den Vorwurf machen, daß hier nichts geschähe. Das ist absolut unlogisch.
Ich habe Ihnen in der letzten Woche in der Sondersitzung der beiden Ausschüsse die Frage gestellt, und ich wiederhole sie hier: Womit begründen Sie eigentlich, daß sich Deutschland nicht beteiligen soll, so wie dies andere Länder tun? Warum soll Deutschland berechtigt sein, sich anders als Großbritannien, als Italien, als Dänemark, als Schweden, als Nigeria oder als die Fidschi-Inseln zu verhalten? Wo liegt dieBegründung, daß für uns nur Blauhelm-Einsätze in Frage kommen?
Ich versuche einmal, Begründungen zu geben und mich mit ihnen auseinanderzusetzen. Zum einen wird gesagt: Mit militärischen Mitteln läßt sich kein Problem lösen. Das ist natürlich in der Sache richtig. Es ist in der Sache richtig, daß wir eine Problemlösung mit militärischen Mitteln nicht erreichen können. Auch richtig ist aber, daß es Situationen gibt, in denen nach Ausschöpfung aller politischen, aller wirtschaftlichen und aller diplomatischen Mittel leider kein anderer Weg gegeben ist, als als Ultima ratio in einer hoffnungslosen Situation einem Aggressor in den Arm zu fallen.
Dafür hat es doch in der Vergangenheit Beispiele gegeben. Was war denn mit Adolf Hitler? Was war denn mit Saddam Hussein? Was machen Sie denn — ohne daß ich jetzt für einen Militäreinsatz in Jugoslawien plädiere — mit einem blutrünstigen Aggressor vom Schlage eines Milosevic? Was machen Sie denn in solchen Situationen?
Ich meine, daß die Möglichkeit geschaffen werden sollte, daß als letztes Mittel auch das Militär eingesetzt werden kann.In diesem Zusammenhang haben wir gesagt, daß wir einen Einsatz davon abhängig machen wollen, daß in jedem Einzelfall der Deutsche Bundestag seine Zustimmung gibt, und zwar mit der sogenannten Kanzlermehrheit, d. h. der Mehrheit der Mitglieder des Hauses.Frau Terborg von der SPD hat gestern eine Presseerklärung veröffentlicht, in der sie von den „schießwütigen Kollegen" in der eigenen Fraktion sprach. Eine solche Äußerung ist immer auch Kritik am politischen Gegner, aber ich finde es schon sehr bemerkenswert, daß Kollegen aus der eigenen Fraktion als schieß- und kriegswütig bezeichnet werden und Sie ihnen empfehlen, in die Fremdenlegion zu gehen. Dabei geht es um Kollegen, die lediglich gesagt haben, daß man dann, wenn kein anderes Mittel verfügbar ist, einem Angreifer eben auch mit Härte, notfalls mit militärischer Härte, entgegentreten muß.
— Dann sagen Sie doch, daß Sie Pazifisten sind. Ich habe Achtung vor jedem, der sagt: Das Anrühren einer Waffe kommt überhaupt nicht — auch nicht zur Selbstverteidigung und auch nicht zur Hilfe für andere — in Frage.In diesem Zusammenhang muß ich aber auch fragen: Wo ist denn die sogenannte Friedensbewegung?
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8638 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992
Ulrich InnerWo war sie denn, als in Jugoslawien das Morden begann und nicht aufhörte?
Die Deutschen senden ein Schiff und drei Flugzeuge zur Beobachtung in die Adria. Plötzlich gibt die Friedensbewegung dazu gestern eine Presseerklärung heraus. Die Tausenden von Toten und Millionen von Flüchtlingen waren es der Friedensbewegung nicht wert, wieder Kerzen in die Fenster zu stellen!
Aber das geschieht ja nur, wenn die internationale Staatengemeinschaft glaubt, sich nicht mehr anders helfen zu können, als daß sie eben militärischen Druck ausübt. Ich sage Ihnen: Sollte der erste Amerikaner, falls es dazu käme, jugoslawischen Boden betreten, dann würden hier wieder die Laken mit den Friedenssprüchen aus allen Fenstern hängen.
Frau Terborg hat gesagt, junge Deutsche als kämpfende Truppe in Welt- oder Regionalkonflikten wolle sie nicht sehen. Die will auch ich nicht sehen. Aber ich stelle in diesem Zusammenhang die Frage: Wieso eigentlich nur junge Deutsche? Wie ist denn die Lage, wenn es zu einer Auseinandersetzung kommt? Dann lassen wir es zu, daß junge Amerikaner, junge Franzosen, junge Dänen oder junge Nigerianer ihre Haut zu Markte tragen und ihr Leben riskieren, während wir uns zurücklehnen und sagen, daß wir äußerst großzügig unseren Scheck ausstellen werden. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, wie sehr Sie die Scheckbuchdiplomatie angeprangert haben.
Ich möchte von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, wirklich die Ernsthaftigkeit erbitten, die diesem Thema angemessen ist. Darum bitte ich Sie.
Herr Abgeordneter Irmer, der Abgeordnete Verheugen erlaubt sich, Sie zu fragen, ob Sie eine Zwischenfrage beantworten wollen.
Bitte sehr.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Verheugen.
Herr Kollege Irmer, wir möchten uns nicht gern von Nigeria oder den Fidschi-Inseln beschämen lassen.
Können Sie uns und der deutschen Öffentlichkeit einmal darstellen, wo diese von Ihnen genannten Länder über Blauhelm-Einsätze hinaus in der Welt militärisch tätig geworden sind?
Ich habe doch die Amerikaner erwähnt. Ich habe die Franzosen erwähnt.
— Entschuldigen Sie, es gibt eine ganze Reihe von Ländern, die bereit sind, sich an militärischen Aktionen zu beteiligen. Ich selber habe Nigerianer in Einsätzen gesehen. Dies waren zugegebenermaßen zwar keine Kampfeinsätze,
aber sie waren auch nicht ganz ungefährlich. Lenken Sie doch jetzt bitte nicht dadurch, daß Sie mich auf Nigeria und die Fidschi-Inseln festnageln, die sich an Blauhelm-Einsätzen beteiligen, davon ab, daß ich auch gesagt habe, junge Deutsche sollen sich nicht beteiligen; aber wenn junge Amerikaner, junge Franzosen und junge Italiener, um jetzt einmal nur die drei zu nennen, sich beteiligen, dann ist Ihnen das egal. Da machen Sie einen Unterschied, der in meinen Augen in keiner Weise gerechtfertigt ist. Was gibt uns denn das Recht, uns hier zu versagen?
Eine weitere Anmerkung: Sie waren ja seit den Zeiten, die der Kollege Bötsch vorhin geschildert hat, durchaus bereit, den erforderlichen Beitrag zur Verteidigung des Landes zu leisten. Das haben Sie nie in Frage gestellt. Ebenfalls haben Sie seit den Zeiten, die Herr Kollege Bötsch erwähnt hat, gesagt, daß Sie bereit sind, unsere Bündnisverpflichtungen zu erfüllen. In diesem Zusammenhang frage ich Sie: Wo liegt denn da die Logik? Sie argumentieren ja gern mit Moral. Ist es denn weniger moralisch, anderen zu Hilfe zu eilen, die Opfer von Angriffen werden, als es moralisch ist, sich selber zu verteidigen?
Wer zur Selbstverteidigung bereit ist und nicht sagt, er sei ein Pazifist und rühre keine Waffe an — das tun Sie aber nicht —, der sollte dann auch bereit sein, anderen, die in Not und Bedrängnis geraten, zu helfen.
Wenn Sie sagen, unsere jungen Leute sind uns dafür zu schade, dann ist das vielleicht sogar populär, obwohl ich das bezweifle. Ich bin davon überzeugt, daß bei uns in der Bevölkerung die Erkenntnis und auch der Wille vorhanden sind, notfalls dieses Risiko einzugehen und notfalls dieses Opfer zu bringen, nicht aber zuzuschauen, wie andere für uns die Kastanien aus dem Feuer holen oder die Drecksarbeit machen. So egoistisch, meine Damen und Herren, wie Sie versuchen, es darzustellen, ist das deutsche Volk nach meiner tiefen Überzeugung nicht.
Lassen Sie mich zum Schluß feststellen: Es wird immer gesagt, die deutsche Vergangenheit verböte uns derartige Einsätze.
Richtig ist: Deutsche Soldaten sind in der Vergangenheit von einem schandbaren terroristischen Regime dazu mißbraucht worden, das internationale Recht und den Frieden zu brechen. Kann das aber für uns,
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992 8639
Ulrich Irmerein demokratisches und den Menschenrechten verpflichtetes Land, heute die Entschuldigung dafür bieten, zu sagen, wir sind nicht dazu bereit, international das Recht zu verteidigen und den Frieden zu sichern und dem Frieden zu dienen? Ich glaube, dies ist eine ganz falsche Auslegung unserer Geschichte.
Eher ist das Gegenteil richtig. Gerade unsere Vergangenheit sollte uns dazu verpflichten, uns vor derartigen Einsätzen nicht zu drücken.
Das Wort hat nunmehr der Bundesminister der Verteidigung, Volker Rühe.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich als Verteidigungsminister zunächst für die Worte der Anerkennung und Unterstützung, die hier für die deutschen Soldaten in Kambodscha, in Sarajevo, aber auch in der Adria gefunden wurden, bedanken. Das brauchen sie, und es ist gut, daß dies hier im Deutschen Bundestag ausgesprochen wurde.
Im Mittelpunkt unserer Überlegungen muß die Hilfe für die Menschen in Jugoslawien stehen. Ich glaube, daß davon alle geleitet sind. Aber wer sagt, die Aktion in der Adria sei eine hilflose Geste, der muß härtere Maßnahmen vorschlagen.
Man kann sich nicht schon bei einem in der Tat bescheidenen Schritt, der aber im Gesamtzusammenhang doch in der Lage ist, Druck auszuüben und den Krieg auszutrocknen, verweigern. Es geht darum, den Krieg durch Maßnahmen von außen her auszutrocknen.Ein Wort hat mich in der Debatte bestürzt. Es kam von Herrn Klose und auch von Frau Däubler-Gmelin. Es wurde der Eindruck erweckt, als ob wir es nötig hätten, unsere Normalität durch Zerstörer und Marineflugzeuge zu demonstrieren oder zu dokumentieren.In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen etwas über Kambodscha erzählen. Diesbezüglich darf ich mich auch hier ausdrücklich für die Unterstützung des Kollegen Klose bedanken. Unsere Soldaten haben dort inzwischen Menschenleben gerettet. Das ist auch sein Verdienst, und das bleibt.Aber in einer ganz bestimmten Situation in Kambodscha, nämlich als die indischen Sanitätssoldaten nicht kamen, bin ich von den Vereinten Nationen gebeten worden, deutsche Sanitätssoldaten außerhalb von Phnom Penh mitten im Dschungel einzusetzen, um die Sanitätsversorgung eines französischen Bataillons zu ermöglichen. Ich habe dem zugestimmt. Wie wollen Sie denn Europa bauen, wenn deutscheSanitätssoldaten nicht bereit sind, französische Soldaten in einer solchen Lage zu unterstützen?
Herr Klose, ich habe Sie letzte Woche im Ausschuß gefragt: Was hätten Sie als Verteidigungsminister gemacht? Hätten Sie wirklich den deutschen Zerstörer von Lissabon nach Hamburg beordert, während alle anderen Schiffe aus dem Bündnis in die Adria gefahren wären? Ich frage Sie noch einmal: Wie wollen Sie denn Europa bauen, wenn deutsche Schiffe prinzipiell einen anderen Kurs nehmen als die Schiffe all unserer Verbündeten? Das ist die Gretchenfrage.
Europa ist nicht nur eine ökonomische Veranstaltung. Deswegen ist dies eine ganz grundsätzliche Frage. In der deutschen Geschichte haben wir viele Fehler gemacht.
— Ja. Aber das gehört zusammen. Es geht darum, den Menschen durch die Solidarität im Bündnis zu helfen. Es geht nicht um die Dokumentation unserer Normalität.
Es geht entscheidend darum, ob Deutschland zur Solidarität fähig ist.
Ich möchte nicht politische Verantwortung in Deutschland tragen, wenn wir zur Solidarität unfähig sind.
In der deutschen Geschichte sind wir häufig militärisch voranmarschiert und haben uns auf schlimme Weise isoliert und Verbrechen begangen. Aber es darf auch nicht die umgekehrte Situation eintreten. Wenn alle anderen Nationen im Bündnis von Dänemark bis Griechenland zu einer gemeinsamen Lageeinschätzung kommen und die Schiffe und die Flugzeuge einen gemeinsamen Kurs steuern, dann kann sich Deutschland nicht sperren. Was ist das für ein Deutschland, das dann elitär sagt: Nein, wir schätzen das ganz anders ein; unsere Schiffe nehmen einen anderen Kurs. Täten wir dies, würden wir politik-, ja, europaunfähig. Das ist das wirkliche Thema.
Die Transportmaschinen mit den deutschen Soldaten, die in Sarajevo gelandet sind: das ist doch keine Dokumentation unserer Normalität. Das waren Signale der Hoffnung für die Menschen in Jugoslawien. Das gilt auch für unsere Schiffe und für die Soldaten in der Adria.
Mir ist der Konsens mit der Bevölkerung wichtig.Leider ist er mit den Sozialdemokraten in dieser Frage
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8640 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992
Bundesminister Volker Rühenicht möglich. Aber wir haben den Konsens mit der Bevölkerung, und das ist ganz wichtig, weil es eine behutsame und wichtige Maßnahme ist.
Eine militärische Option in Jugoslawien kommt für mich nicht in Frage. Ich teile auch die Skepsis, die es auch in befreundeten Ländern diesbezüglich gibt. Nur, lieber Hans-Ulrich Klose, Ihr Wort, wir seien eine Verteidigungsarmee und keine Interventionsarmee, kann ich so nicht stehenlassen. Da muß ich die Bündnispartner in Schutz nehmen. Niemand hat in diesem Bündnis, in der NATO und in der WEU, eine Interventionsarmee.
Im übrigen bleibt die Bundeswehr eine Verteidigungsarmee. Sie bleibt aber auch eine Bündnisarmee. Darum geht es im Kern.
Was hier im Kern gesagt wird, ist: Ihr benutzt die Weltlage, um zu einer völligen Neudefinition der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik zu kommen, sozusagen mutwillig.
Richtig ist, daß sich die Welt völlig verändert hat. Was hätte es denn vor drei Jahren bedeutet, wenn NATO-Verbände vor der Küste Jugoslawiens aufgekreuzt wären? Das wäre doch eine Verwicklung im Weltmaßstab gewesen. Die Welt hat sich revolutionär verändert. Wir müssen uns mitverändern, um auf neue Fragen zusammen mit unseren Bündnispartnern auch neue Antworten zu geben.
Deutschland hat profitiert. Wir haben einen dramatischen Zugewinn an Sicherheit in Deutschland. Niemand hat mehr von dem Abbau des Ost-West-Konflikts profitiert als gerade Deutschland. Aber zusammen mit unseren Partnern müssen wir jetzt auch die neue Sicherheitspolitik für eine neue Zeit entwerfen. Dabei bleibt es bei dem, was ich gesagt habe: daß die Kultur der Zurückhaltung, die sich in den vergangenen 40 Jahren in Deutschland entwickelt hat, für die wir uns nicht zu schämen brauchen, nicht einfach wegkommandiert werden kann. Aber richtig ist auch, daß wir uns nicht weiter mit der Zurückhaltung, die wir damals üben konnten, häuslich in einer Welt einrichten können, die es nicht mehr gibt. Deswegen müssen wir zusammen mit den anderen handeln. Wir können in der Regel international keinen Fehler machen, wenn unsere Schiffe Seite an Seite mit den Dänen, den Franzosen, den Engländern, den Amerikanern und den Griechen fahren. Sie müssen sich fragen lassen, warum Sie die einzige Partei in dieser Größenordnung in Europa sind, die die Lage anders einschätzt als alle anderen im Bündnis. Das ist die Gretchenfrage für die SPD.
In dieser schwierigen Übergangszeit ist die Politik gut beraten, wenn sie geduldig versucht, auf die neuen Situationen eine Antwort zu finden. Die Bevölkerung müssen wir in diesen Prozeß einbeziehen. Wir gehen nicht leichtfertig mit der Frage um, welche Aufgaben unsere Streitkräfte in dieser völlig veränderten Welt erfüllen müssen. Die Antworten müssen wir gemeinsam mit unseren Partnern finden.Hauptauftrag der Bundeswehr bleibt die Landesverteidigung. Die erweiterte Landesverteidigung ist die Bündnisverteidigung. Liebe Kollegen von der SPD, auch hier muß noch eine ganze Menge Aufklärungsarbeit geleistet werden. Denn vierzig Jahre lang ist das Bündnis von den befreundeten Nationen im Kern in Deutschland verteidigt worden, weil dort die Hauptgefahr war. Jetzt müssen wir Deutschen lernen, dieses Bündnis auch außerhalb Deutschlands im Bündnis zu verteidigen.
Darauf bereitet sich die Bundesregierung im übrigen mit dem Aufbau der Krisenreaktionskräfte vor. Hier wird entsprechend den Funktionen, die diese hoch präsenten Kräfte haben, auch eine stärker ausdifferenzierte Bundeswehr entstehen. Natürlich bereiten wir uns auch auf die Blauhelm-Einsätze vor, an denen kein Weg vorbeiführt. Diese Verantwortung sollte Deutschland möglichst schnell übernehmen. Noch einmal: Wir als Deutsche dürfen Europa — von Wolfgang Schäuble und anderen ist zu Recht darauf hingewiesen worden, daß gerade gestern das Kabinett den Maastrichter Vertrag auf den Weg der parlamentarischen Beratung gebracht hat — nicht als rein ökonomische Veranstaltung begreifen, die uns ohne jeden Zweifel wirtschaftliche Vorteile bringt, und die anderen für die Sicherheit sorgen lassen. Ich kann das nur voll unterstützen: Wieso soll ich einem 19jährigen Franzosen sagen, der im Augenblick in Kambodscha ist dort sind auch Wehrpflichtige; über 2 000 Soldaten befinden sich unter Lebensgefahr in Jugoslawien; dort hat es schon Tote gegeben —: Auf Dauer hast du ein anderes Risiko zu tragen als ein 19jähriger Deutscher auf der anderen Seite des Rheins?
Wir wollen Europa bauen. Wer Europa bauen will, muß auch bereit sein, in einer schwierigen Lage in Kambodscha deutsche Sanitätssoldaten französischen Einheiten zur Hilfe zu geben. Er muß auch bereit sein, seiner Bundesmarine zu sagen: Ihr steuert denselben Kurs wie die französischen, die englischen und die anderen europäischen Schiffe.Vielen Dank.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Norbert Gansel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Volker Rühe, ich begreife nicht,
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Norbert Ganselwieso Sie erst der SPD-Fraktion Ihren Dank dafür sagen, daß wir den humanitären Einsatz der deutschen Sanitäter in Kambodscha mitgetragen und für die lebensgefährlichen Hilfsflüge unserer Luftwaffe nach Sarajevo Mitverantwortung übernommen haben, und sich dann hier hinstellen und so tun, als ob wir dagegen gewesen wären. Warum? Lieber Herr Kollege Rühe, ich begreife auch nicht, warum Sie Geduld in der Politik einfordern und sich nicht einen einzigen Tag mehr Zeit genommen haben für den Einsatzbefehl an die „Bayern", um vorher die Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses stattfinden zu lassen.
Und schließlich, Kollege Rühe: Wir haben Sie vor diesem Mittelmeereinsatz gewarnt. Wir haben Sie davor gewarnt, aus der Westeuropäischen Union etwas anderes als ein Verteidigungsbündnis zu machen. Wir haben unsere Kritik an den Petersberger Beschlüssen vorgetragen. Sie haben gesagt: Wir, Herr Kinkel und ich, haben dafür gesorgt, daß in diese Beschlüsse ein deutscher Verfassungsvorbehalt hineingekommen ist, weil wir wissen, das Grundgesetz läßt die Beteiligung an Kampfmaßnahmen, sogenannten friedensschaffenden Maßnahmen, auch unter dem WEU-Dach wie unter dem Dach der NATO nicht zu.Ich frage Sie: Was bedeutet dieser Verfassungsvorbehalt, wenn Sie, falls es konkret wird, sagen: Der deutsche Zerstörer hätte doch nicht abdrehen können? Was wird das bedeuten, wenn dieses Schiff in andere, gefährlichere Situationen kommt, in denen sich die Briten und die Franzosen mit anderen politischen und militärischen Traditionen anders verhalten, als es die deutsche Verfassung zuläßt? Das können Sie nicht beantworten? Ich sage Ihnen: Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, nachdem es neue Aufgaben für die NATO und auch für die WEU geben muß, weil sich die alten so nicht mehr stellen, in einer Zeit, wo die Militärs und die Rüstungsindustrie nach neuen Aufgaben suchen, wird vom Verteidigungsminister Standfestigkeit verlangt, da muß er daran festhalten, daß unsere Streitkräfte der Verteidigung dienen,
und da muß er sich jede Ausnahme, jede neue Aufgabe doppelt schwermachen. Wenn er das nicht tut, verpaßt er die Chance unserer Zeit.
Die SPD hat darauf bestanden, daß in der heutigen Sitzung des Bundestages auch die erste Lesung ihres Gesetzentwurfes stattfindet, mit dem wir klare verfassungsrechtliche Grundlagen für zwei Einsatzbereiche schaffen wollen, in denen die Bundeswehr abweichend von ihrem Verteidigungsauftrag tätig werden soll. Für präzise Formulierungen haben wir dabei besonders unserem Kollegen Professor Jürgen Meyer zu danken.Erstens. Wir schlagen vor, daß den Vereinten Nationen oder betroffenen Staaten auf ihre Anforderung unbewaffnete Angehörige der Streitkräfte für humanitäre Hilfeleistungen bei Katastrophenfällen zur Verfügung gestellt werden sollen.Das ist nicht die eigentliche Aufgabe von Streitkräften, und das wird sie auch nicht werden. Aber Kapazitäten brachliegen zu lassen, wo die Notwendigkeit, die Möglichkeit und die Bereitschaft zur Hilfe vorhanden sind, wäre — ich sage das ganz schlicht — in Anbetracht der Not in dieser Welt „Sünde". Die von uns jetzt vorgeschlagene Soll-Vorschrift könnte die verfassungsrechtliche Grundlage für das Projekt eines deutschen Friedenskorps werden, in dem die Zusammenarbeit zwischen den bewährten karitativen Organisationen und Einheiten der Bundeswehr institutionalisiert und effektiviert werden könnte. Wenn die Ärzte von Cap Anamur in Zukunft z. B. Minen in Angola oder Kambodscha räumen wollen, sollten sie nicht länger darauf verwiesen sein, beim Bundesverteidigungsminister um alte und kaum gebrauchsfähige Minenräumpanzer der ehemaligen NVA zu betteln.
Ich weiß, Volker Rühe, daß Sie versucht haben, dabei zu helfen. Ich bitte Sie, das auch fortzusetzen. Denn für solche Aktionen und für ein deutsches Friedenskorps gäbe es auch in Jugoslawien über die tapferen Versorgungsflüge der Bundesluftwaffe nach Sarajevo hinaus viel zu tun. Denn eines Tages — wir hoffen alle inständig, daß es bald sein wird — werden auch in Jugoslawien die Waffen ruhen und der Wiederaufbau des zerstörten Landes beginnen können. Wenn wir dann vor Ort helfen können, die Elektrizitäts- und Wasserversorgung wieder in Gang zu bringen, Notunterkünfte und Behelfslazarette zu bauen — das alles kann die Bundeswehr auch —, dann werden auch die Voraussetzungen für die Rückkehr der Flüchtlinge verbessert, die jetzt bei uns Schutz und Unterkunft gesucht haben und sie auch erhalten müssen.Es wäre gut, wenn bei allem Streit, den wir heute über andere Fragen führen müssen, aus unserem Vorschlag eine gemeinsame Initiative werden könnte. Trotz einiger hämischer Kommentare habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, daß es eines Tages möglich sein wird, daß in diesem Friedenskorps Soldaten der Bundeswehr und Zivildienstleistende, also Kriegsdienstverweigerer, Schulter an Schulter gemeinsam arbeiten, um Menschen in Not zu helfen. Es wäre ein Beitrag zu einer deutschen Identität, auf die wir gemeinsam stolz sein könnten.Zweitens: Wir schlagen zweitens eine Verfassungsänderung vor, mit der es der Bundesrepublik ermöglicht werden soll, sich mit einzelnen Bundeswehreinheiten an sogenannten Blauhelmmissionen der UNO zu beteiligen. Wir wollen, daß sich an Blauhelmmissionen nur Berufs- und Zeitsoldaten der Bundeswehr beteiligen, die sich dafür freiwillig melden. Der Einsatz bei Blauhelmmissionen setzt eine besondere Ausbildung, eine spezifische Ausrüstung und eine anständige soziale Absicherung für unsere Soldaten und ihre Familien voraus. Mein Kollege Kolbow hat vorgeschlagen, die Einzelheiten neben den anderen Aufgaben der Bundeswehr in einem Bundeswehraufgabengesetz zu regeln.Wir schlagen eine Verfassungsänderung vor, die die Beteiligung an Blauhelmmissionen der UNO ermöglicht. Die Blauhelme der UNO sind Truppen-
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8642 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992
Norbert Ganselkontingente von Mitgliedstaaten, die keinen Kampfauftrag haben. Sie haben vor allem die Aufgabe, die Einhaltung von Waffenstillständen zu überwachen. Der blaue Helm symbolisiert ihre Friedensfunktion. Friedlich und friedenserhaltend ist ihr Einsatz, aber nicht ungefährlich. Bei über hundert friedenserhaltenden Missionen der UNO-Blauhelme haben in den vergangenen dreißig Jahren fast tausend Soldaten ihr Leben lassen müssen. Sie haben dabei Millionen von Mitmenschen vor Tod, Verstümmelung und Leid bewahrt.Die Regeln für Blauhelm-Einsätze haben sich gewohnheitsrechtlich entwickelt. Denn in der UNOCharta sind sie eigentlich nicht vorgesehen. Weil dem so ist, weil UNO-Mitgliedstaaten nur freiwillig ihre Soldaten zur Verfügung stellen können, denn Freiwilligkeit der Beteiligung ist nach fester UNO-Praxis eine Bedingung, hat die Bundesrepublik mit dem Beitritt zur UNO auch nicht die Verpflichtung übernehmen können, ihrerseits Blauhelme zur Verfügung zu stellen. In der Vergangenheit hat die Bundesrepublik auch nicht durch eine Verfassungsänderung die Voraussetzungen für eine freiwillige Beteiligung an UNBlauhelm-Einsätzen geschaffen, die ja nichts mit dem grundgesetzlichen Auftrag unserer Bundeswehr zur Landesverteidigung und zur Verteidigung im Rahmen von Bündnisverpflichtungen zu tun hat.Das hat keinen Politiker und keine Partei in der Bundesrepublik davon abgehalten, bei internationalen Krisen immer wieder lauthals den Einsatz von Blauhelmen zu fordern. Diskrete Bitten der UNO an die Adresse der Bundesregierung, doch selbst die Voraussetzungen für die Beteiligung an Blauhelmmissionen zu schaffen, wurden von jeder Bundesregierung ignoriert. Mit der deutschen Vereinigung und mit dem Erlangen der vollen Souveränität haben wir keine Ausreden mehr. Aus der Verpflichtung gegenüber der deutschen Geschichte darf keine Flucht aus der Verantwortung werden.
Wir sind für den Weltfrieden mitverantwortlich und deshalb auch für friedenserhaltende Maßnahmen der UNO.
Das gilt grundsätzlich. Aber es gilt auch für den besonderen Fall der jugoslawischen Tragödie. Deutsche Soldaten kommen auch unter dem Blauhelm für einen Einsatz in Jugoslawien aus dem einfachen Grunde nicht in Frage, weil uns die serbische Konfliktpartei als Beteiligte nicht akzeptieren wird. Diese Akzeptanz durch die beteiligten Parteien ist aber eine quasi-völkerrechtliche Voraussetzung für die Teilnahme an UN-Friedensmissionen. Es gibt in Serbien nicht nur Ressentiments gegen Deutsche, die von der Propaganda der Belgrader Postkommunisten genährt werden, sondern es gibt eben auch schlimme Erfahrungen aus der Zeit der Besetzung durch die deutsche Wehrmacht und durch die SS. Es kann nichts schaden, daran zu erinnern. Es müßte auch den Bundesaußenminister vor anmaßenden und kontraproduktiven Sprüchen wie dem bewahren, man müsse „die Serben in die Knie zwingen" . Herr Kinkel, es ist nicht gut, wenn ein Außenminister salopp formuliert.
Aber es ist schlimm, wenn er den Eindruck erweckt, er rede stramm aus Schwäche.Ich teile den Zorn, wenn wir am Bildschirm erleben müssen, wie die Blauhelme der UNO ohnmächtige Zeugen des andauernden Völkermordes sind. Aber wir müssen uns dabei bewußtmachen, daß es ohne die Präsenz von Blauhelmen in Kroatien und in Bosnien-Herzegowina noch viel entsetzlicher zugehen würde. Für manchen Soldaten der UNO-Friedenstruppe mag diese Situation unerträglicher und gelegentlich sogar gefährlicher sein als ein massiver Kampfeinsatz in einer überlegenen Streitmacht. Wer deshalb Spott über die UNO-Soldaten äußert, verrät Zynismus. Wer eine militärische Intervention fordert, verrät seine Unkenntnis über die spezifischen Bedingungen auf dem Balkan und über die allgemein schlechten Erfahrungen mit militärischen Interventionen von Dritten in einem Bürgerkrieg.
Es ist bitter, aber zu den Friedensbemühungen der Europäischen Gemeinschaft und der UNO, zum Embargo zu Lande und zu Wasser und nicht nur außerhalb der 15-Seemeilen-Küstenzone und zum Einsatz von Blauhelmen gibt es keine Alternative, die mit Aussicht auf Erfolg das Leiden der Menschen verkürzt und verringert.Wenn die deutsche Politik also weiter den Blauhelm-Einsatz in Kroatien und Bosnien-Herzegowina fordert und wenn wir vorschlagen, im Kosovo vorbeugend Blauhelme zu stationieren, weil dort das neue, noch schrecklichere Kapitel der jugoslawischen Tragödie beginnen kann, dann sind wir moralisch dazu nur berechtigt, wenn wir bereit sind, deutsche Soldaten im Auftrage der UNO in andere Krisenregionen der Welt zu schicken, wo eine Beteiligung der Deutschen erwünscht ist. Es geht also darum, dem schlichten moralischen Gebot zu folgen, das in der internationalen Politik wie im privaten Leben gilt: Verlange nie von anderen, was du nicht selbst zu tun bereit bist.
Das gilt — und das sage ich in Ihre Richtung, in die Richtung der CDU/CSU — nicht nur für das Unterlassen, sondern auch für das Auffordern. Wer Kampfeinsätze und Interventionen durch andere Staaten in Jugoslawien fordert und sich selbst nicht daran beteiligen kann oder will, wer also mit dem Säbel anderer rasselt, der vergeht sich genauso gegen diesen moralischen Grundsatz.
Daß sich die Bundesrepublik in Zukunft an friedenssichernden Missionen der UNO unter dem Blauhelm beteiligen kann, ist ein Gebot der Glaubwürdigkeit und der Handlungsfähigkeit der deutschen Außen-
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992 8643
Norbert Ganselpolitik. Eine Verfassungsänderung ist deshalb überfällig.Am 28. Februar 1991, als es den Waffenstillstand im Golfkrieg gab, fragte das ZDF in „Was nun, Herr Kohl?":Werden Sie jetzt Voraussetzungen schaffen, damit deutsche Soldaten als Blauhelme für den Frieden mit sorgen in diesem Teil der Welt?Antwort Helmut Kohl:. . Wir haben nicht zu vertreten, daß unsere Verfassung 1949 so formuliert wurde. Viele von denen, die uns jetzt kritisieren, auch in westlichen Hauptstädten, waren damals sehr daran interessiert, daß die deutsche Verfassung diese Grenzen einzog. ... Ich bin dafür, die Verfassung zu ändern. Aber darüber muß man jetzt reden. Und ich bin dafür, es jetzt zu tun, nicht, wenn Krieg ist.Es ist unglaublich, Herr Kohl: Sie haben nur darüber geredet; Sie haben nichts getan, Sie haben es nicht fertiggebracht, dem deutschen Bundestag eine Verfassungsänderung vorzuschlagen.
Ich nehme Ihnen nicht übel, daß in Ihrer Regierungskoalition unterschiedliche Meinungen herrschen. Die gibt es auch in meiner Partei und in meiner Fraktion.
Ich nehme Ihnen übel, daß Sie nicht handlungsfähig sind, daß Sie keinen Beschluß fassen und keinen Antrag auf Verfassungsänderung vorlegen können.
Die SPD hat sich bereits auf ihrem Parteitag im Mai vergangenen Jahres für eine Blauhelmregelung ausgesprochen. Diese Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen. Unseren Delegierten ist sehr wohl bewußt gewesen, daß damit eine neue Phase in der Außenpolitik Deutschlands beginnt. Müssen, wollen wir größere Verantwortung in der internationalen Politik übernehmen, muß dafür der Einsatzbereich unserer Streitkräfte verändert werden, besteht nicht die Gefahr, in militärische Abenteuer verwickelt zu werden, und dürfen wir diese Entscheidung treffen, wissend, daß in ihrer wahrscheinlichen Konsequenz auch deutsche Solaten bei Blauhelm-Einsätzen sterben können? Das sind doch alles berechtigte Fragen, die eine Volkspartei bewegen muß, die sie umtreiben muß.
Wir haben sie stellvertretend auch für die andere Volkspartei, die CDU/CSU, diskutiert. In der CDU/ CSU ist darüber nicht diskutiert worden, sondern es gab nur eine bornierte Einigkeit nach dem Motto:Wir sind wieder wer, und dazu gehört auch der Einsatz militärischer Macht.
Seit einiger Zeit kommt in der Union wieder altes Denken hoch. Ich finde Ihre Formel: „Es geht dabei um die Rückkehr zur Normalität in der Außenpolitik" entsetzlich.
Was heißt eigentlich auf dem Hintergrund der deutschen Geschichte „Normalität"? Und was heißt „Rückkehr"? Muß das ausgerechnet mit deutschen Soldaten und auch noch auf ihre Kosten durchexerziert werden, und jetzt auch noch in Jugoslawien, wie Herr Bötsch von der CSU es erst vor wenigen Tagen im Frühstücksfernsehen vorgeschlagen hat, aber nicht hier im Deutschen Bundestag? Hier fehlte der Mut dazu.Nicht wenige in meiner Partei standen jeder Veränderung des Auftrags der Bundeswehr über die Verteidigung hinaus ablehnend und skeptisch gegenüber. Andere waren der Meinung, eine Verfassungsänderung müsse schon jetzt die Voraussetzungen dafür schaffen, daß die Bundesrepublik alle Pflichten aus der UNO-Charta erfüllen kann, auch die aus dem Kapitel VII, d. h. die Bereitstellung von nationalen Truppenkontingenten für Zwangsmaßnahmen der UNO, für sogenannte friedensschaffende Maßnahmen — also für Kampfaufträge — unter der politischen und strategischen Verantwortung des UNO-Sicherheitsrates, was nicht zu verwechseln ist mit dem sogenannten Golf-Modell, bei dem mit der bloßen politischen Legitimation der UNO eine Koalition unter der Führung der amerikanischen Supermacht den Abzug des Iraks aus dem überfallenen Kuwait mit massiven und zum Teil schrecklich massiven militärischen Mitteln erzwang.
Herr Abgeordneter Gansel, ich bin schon sehr großzügig, aber verpflichtet — —
Ich habe von meiner Fraktion drei Minuten zusätzliche Redezeit bekommen.
Gut.
Wir haben uns darauf geeinigt, für die Gegenwart friedenserhaltende BlauhelmEinsätze zu befürworten und militärische Kampfeinsätze abzulehnen.Was die Zukunft anbetrifft, so hat mein Parteivorsitzender Björn Engholm im ZDF am Sonntag abend etwas dazu gesagt, wie wir uns entscheiden müssen, wenn neue Forderungen auf uns zukommen, wenn die UNO wirklich Kapitel VII ihrer Charta aktivieren und das internationale Gewaltmonopol beanspruchen will. Heute aber geht es nicht darum. Für den Verfassungsgeber geht es zur Zeit nur darum, Regelungen
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8644 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992
Norbert Ganselfür friedenserhaltende Blauhelmmissionen zu schaffen.
Deshalb habe ich zum Schluß drei Forderungen an die Bundesregierung.Erstens. Ich fordere die Bundesregierung auf, hier im Deutschen Bundestag mit uns zusammen eine Verfassungsänderung für Blauhelm-Einsätze zu verwirklichen.
Die Bundesregierung muß ihre Alles-oder-nichtsHaltung aufgeben. Es gibt eine Zweidrittelmehrheit nur für Blauhelm-Einsätze für friedenserhaltende Missionen.
Es ist unverantwortlich, jetzt an Vorstellungen über die Beteiligung an Kampfeinsätzen festzuhalten, wo es im Rahmen unserer UNO-Mitgliedschaft in absehbarer Zeit ausschließlich um die Beteiligung an Blauhelmmissionen geht.Zweitens. Ich fordere die Bundesregierung auf, gegenüber der Bundeswehr klarzustellen, daß sie Bundeswehreinheiten nicht weiter unter Verletzung der Verfassung und im Bruch mit der 40jährigen Verfassungstradtion der Bundesrepublik einsetzen wird.
Wir wollen nicht, daß sich Soldaten im Rahmen des Soldatengesetzes gegen möglicherweise verfassungswidrige Befehle wehren müssen. Wir sind der Meinung, daß ihnen dies die Politik abnehmen muß. Sie hat für Klarheit zu sorgen. Wo das zwischen Bundesregierung und Opposition nicht gelingt, muß hilfsweise das Bundesverfassungsgericht entscheiden.
Herr Abgeordneter Gansel, die Abmahnung, die jetzt erfolgt, erfolgt mit ausdrücklicher Zustimmung Ihrer Fraktion. Es ist also nicht nur mein Wunsch, sondern auch der Ihrer Kolleginnen und Kollegen.
Und drittens: Wir fordern die Bundesregierung auf, beim Einsatz von Blauhelmen nicht etwa zum Wiederholungstäter beim Verfassungsbruch zu werden.
Mit dem von uns vorgelegten Gesetzentwurf kann zur Normalität des Grundgesetzes zurückgekehrt werden. Nehmen Sie unser Angebot an! Es ist noch nicht zu spät.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Karl Lamers.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Gansel, zunächst würde mich wirklich interessieren, woher Sie wissen, daß meine Fraktion über die Frage, die wir heute hier diskutieren, nicht ebenfalls gerungen hat. Woher wissen Sie das? Ich erinnere mich sehr gut, daß wir sehr bald, bereits nach der letzten Bundestagswahl, eine Sondersitzung unserer Fraktion hatten, wo wir uns um dieses zentrale Thema bemüht haben. Sie aber behaupten hier, wir würden diskussionslos die Meinung der sogenannten Vorturner übernehmen. Davon kann keine Rede sein. Es wäre auch traurig, wenn es anders wäre.Zweitens. Sie beklagen die Handlungsunfähigkeit des Bundeskanzlers. Sie beklagen aber gleichzeitig auch, daß die Bundesregierung an der Adria gehandelt hat.
Die Bundesregierung hat auch vorher in Kambodscha gehandelt. Volker Rühe hat hier eindrucksvoll dargetan, einen wie großen Dienst wir der Weltgemeinschaft und den dort versammelten zahlreichen Soldaten aus allen Nationen erweisen, indem wir ihnen helfen, überhaupt dort sein zu können. Drittens. Ich finde, Sie sind ganz besonders wenig geeignet, uns zu empfehlen, Ihren Grundgesetzantrag anzunehmen. Sie sind es doch, der bei jeder Gelegenheit sagt: Das reicht nach meiner persönlichen Meinung nicht aus. — Sollen wir denn das Grundgesetz entgegen unserer und auch Ihrer persönlichen Meinung ändern, um es in einem halben Jahr vielleicht wieder zu ändern? Das ist doch wohl nicht der Umgang mit der Verfassung, den wir alle pflegen sollten.
Ich finde, der Forderung, die Wolfgang Schäuble erhoben hat, daß wir dieses Thema angemessen diskutieren sollten, wird nicht entsprochen. Worum ringen wir denn im Kern? Im Kern ringen wir um unser Selbstverständnis von unserer Rolle in der Welt, also auch um unser Verhältnis zu unseren nahen und ferneren Nachbarn. Es geht also zunächst um uns selbst. Wie immer, wenn es darum geht, geht es auch und nicht zuletzt um die Lehren aus der Geschichte.Ich will zu Beginn ganz bewußt folgendes sagen: Nachdem Deutschland ganz Europa mit Krieg überzogen hat, ist unsere Abscheu gegen militärische Gewalt nicht nur verständlich, sondern für unsere Nachbarn, ja auch für uns selber beruhigend. Unsere Skepsis wird auch genährt durch den Einsatz des militärischen Mittels nach 1945. Selbst wenn diese Einsätze in der besten Absicht erfolgten, waren die Folgen oft problematisch.Diese Erkenntnis aber, die ich bewußt als die uns gemeinsame Erkenntnis an den Anfang stelle, darf uns doch nicht zu dem Schluß führen, Deutschland dürfe sich keineswegs an der Verteidigung anderer Staaten beteiligen. Darum, nur darum, um die Verteidigung anderer, um die Verteidigung des Friedens, geht es. Es geht nicht um irgendwelche Kriegsspielereien oder, wie der Kollege Erler glaubte feststellen zu müssen, um grassierenden Interventionismus
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992 8645
Karl LamersWas anders als Nothilfe sind denn die Maßnahmen zur Wahrung oder zur Wiederherstellung des Friedens, von denen die Charta der Vereinten Nationen spricht? Solchen Solidaraktionen soll sich ausgerechnet Deutschland verweigern, dieses Deutschland, das über 40 Jahre die Solidarität seiner Bündnispartner gegenüber der sowjetischen Bedrohung erfahren hat? Wieso eigentlich soll nach dem Verständnis unseres Grundgesetzes, abweichend von der Charta der Vereinten Nationen, Verteidigung nur die Abwehr eines unmittelbaren Angriffs auf das eigene Land und allenfalls noch auf Bündnispartner sein, deren Territorium durch die Art der Bedrohung praktisch mit dem deutschen gleichzusetzen ist?Wenn das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, im Ost-West-Konflikt unbestreitbar so war, dann ist es ebenso unbestreitbar heute nicht mehr der Fall. Wäre dieser angeblich dem Grundgesetz zugrunde liegende Verteidigungsbegriff zutreffend, dann würde sich doch in der Tat die Frage stellen, wieso wir überhaupt noch der NATO angehören dürfen, geschweige denn dürften wir davon reden — wie Oskar Lafontaine das getan hat —, die NATO auszudehnen. Andererseits bestreitet niemand von denen, die behaupten, unsere Verfassung verstehe unter Verteidigung nur die Landesverteidigung, das Recht der Bundesrepublik, mit jedem x-beliebigen Land der Erde ein Bündnis zu schließen, was politisch gewiß nicht ratsam, aber verfassungsrechtlich einwandfrei wäre.Wenn das aber richtig ist, kann jenes nicht richtig sein; denn sonst wäre die Bündnisfreiheit ein Trick, um ein Verfassungsverbot mit der für ein Ratifikationsgesetz erforderlichen einfachen Mehrheit auszuhebeln.Die Widersprüche, in die sich zwangsläufigerweise jeder, der von einem Verfassungshindernis für den Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Bündnisgebietes ausgeht, verstrickt, bleiben natürlich, meine Freunde, auch unseren Bündnispartnern nicht verborgen. Graf Lambsdorff ist während des Golf-Krieges aus den Vereinigten Staaten mit der richtigen Erkenntnis zurückgekommen, auch unsere Verbündeten könnten unsere Verfassung lesen. Deswegen nehmen sie es uns auch nicht ab, daß nur edle Motive unsere Skrupel bestimmen. Vielmehr läßt diese Art einer unverständlichen pseudojuristischen Diskussion den Verdacht aufkommen, im Grunde gehe es darum, uns in unserer Ruhe nicht stören zu lassen und lieber andere die Schwerarbeit leisten zu lassen.
— Verantwortungsscheu wird diagnostiziert.Ist dieser Eindruck denn so ganz unzutreffend, wenn es darauf hinausläuft, daß andere mit dem Einsatz ihres Lebens, wir aber mit Geld bezahlen, wie der Kollege Irmer hier schon zu Recht festgestellt hat?Selbst wenn man uns aber echte Sorge um die Problematik des militärischen Mittels zubilligt: Ist denn eigentlich die Gegenfrage der anderen nicht berechtigt, ob wir ihnen dieselbe Sorge absprechen oder ihnen etwa Leichtfertigkeit oder gar Kriegslüsternheit unterstellen? Wenn wir unsere Haltung als die allein richtige, als die moralisch allein mögliche darstellen — und das tun viele hierzulande mit geradezu entwaffnender und zugleich selbstgerechter Naivität —, dann ist diese Gegenfrage doch nur allzu berechtigt. Das genau wird als die Fortführung des deutschen Sonderweges von der Hypertrophie der Macht zur Hypermoral empfunden — und leider nicht zu Unrecht.Was soll die Welt eigentlich davon halten, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn der Vorsitzende der SPD, Björn Engholm, von dem ich übrigens erwartet hätte, daß er heute auf der Bundesratsbank sitzt, großzügig verspricht — Sie müssen sich das wirklich einmal genau anhören —, seine Partei habe das Thema „Kampfeinsätze" neu zu behandeln, wenn die Vereinten Nationen ein eindeutiges, weltweites Gewaltmonopol haben, der Kollege Gansel dann aber gleich anfügt, ein solches stehe noch in den Sternen, auch wenn es — man achte auf die Wortwahl — günstige Horoskope gebe.
Die SPD — darauf läuft es doch hinaus — stellt der Weltgemeinschaft also Bedingungen, ehe sie sich bequemt, über die eigentlich eindeutigen Verpflichtungen Deutschlands aus seiner Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen auch nur nachzudenken. Klingt das nicht zugleich anmaßend und zynisch für die Menschen, die auf Hilfe warten?
Richtig allerdings ist eine Äußerung des sozialdemokratischen Parteivorsitzenden, daß es ein solches Gewaltmonopol der Vereinten Nationen nicht gibt. Ich füge hinzu: Sie erheben noch nicht einmal den Anspruch darauf, denn Art. 51 lautet ganz eindeutig:Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zu individueller und kollektiver Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat.„Bis" bedeutet, daß das Recht eingeschränkt wird, nachdem sich der Sicherheitsrat, wie der Bundesaußenminister zu Recht festgestellt hat, der Angelegenheit angenommen hat, falls er es überhaupt tut.In Wirklichkeit aber ist das Reden der SPD von der Weltregierung Flucht in die Utopie, um sich der schweren, heute und jetzt zu treffenden Entscheidungen zu entziehen.
Leider ist es auch ein Taktieren, um eine innerparteiliche Zerreißprobe zu vermeiden.Doch abgesehen davon möchte ich Sie wirklich in allem Ernst fragen: Merkt denn niemand, daß wir, wenn wir von diesem Gewaltmonopol reden, sagen: „Der UNO vertrauen wir mehr als allen unseren
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8646 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992
Karl LamersFreunden" , obwohl im Weltsicherheitsrat einige sitzen, die nicht über jeden demokratischen Zweifel erhaben sind? Darin werden wir uns doch wohl einig sein.
— Das ist sehr vorsichtig ausgedrückt.Eine wirklich fatale Einstellung ist das vor allen Dingen angesichts der Tatsache, daß wir dabei sind, mit dem europäischen Teil unserer Partner eine politische Union, d. h. so etwas wie eine politische Ehe einzugehen. Wie soll das denn funktionieren, wie soll es denn eine gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik dieser Union geben, eine Politik, die gerade wir, unser Land, so dringend fordern und brauchen, wenn es grundsätzlich unterschiedliche Vorstellungen von dem gibt, was Verteidigung sein soll? Das kann doch gar nicht funktionieren. Wenn wir eine Sonderposition einnehmen — das tun Sie permanent —, dann kann es eine politische Union nicht geben.Ich appelliere an uns: Wir haben gerade den Maastrichter Vertrag unterzeichnet. Wir werden ihn hier ratifizieren. Das Ziel ist u. a. eine gemeinsame Verteidigung. Machen wir uns doch nicht wieder etwas vor: Sehen wir doch klar, was die anderen unter „Verteidigung" verstehen! Wir können doch nicht erwarten, daß sie alle unseren Verteidigungsbegriff, den Ihren, übernehmen. Das wäre ja ein Übermaß an Anmaßung. Ich erinnere auch an das, was wir in der Petersberger Erklärung oder im Zusammenhang mit dem Eurokorps als unsere gemeinsame Auffassung vertreten haben.Mit anderen Worten, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Es geht tatsächlich darum, ob Deutschland wiederum eine Sonderrolle einnehmen soll. Der Versuch, sich herauszuhalten, läuft im Grunde auf eine Quasineutralität hinaus. Wer das nicht glauben will, dem empfehle ich dringend,
Frau Kollegin Fuchs, einmal zu lesen, was die Kommission zum Beitrittsantrag Österreichs geschrieben hat. Lesen Sie es einmal! Sie werden feststellen, daß meine Behauptung um keinen Deut übertrieben ist.
Ich bitte sie wirklich inständig, diese Folgen für unsere Europafähigkeit bei unserer Diskussion nicht zu vergessen.Ich schließe mich mit allem Nachdruck dem an, was der frühere Kollege Gerster, der heutige rheinlandpfälzische Bundesratsminister, gesagt hat. Er hat nicht nur zu Recht darauf hingewiesen, daß die Charta der Vereinten Nationen Blauhelme überhaupt nicht vorsehe, wohl aber Kampfmaßnahmen, deswegen eine Beschränkung auf nur Blauhelm-Einsätze gar nicht zulässig sei, sondern auch vor einer deutschen Sonderrolle gewarnt. Dieser Warnung möchte ich mich mit allem Nachdruck anschließen. Darum geht es im Kern bei unserer heutigen Debatte.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Konrad Weiß das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entsendung des Zerstörers „Bayern" zeigt, daß die Bundesregierung am Ende ihres politischen Lateins ist.
Verfassungsgemäßes Handeln wird durch militärische Kraftmeierei ersetzt. Die Diskrepanz zwischen dem, was politisch notwendig ist, und dem, was die Bundesregierung tut, ist augenfällig.Sie hat endlos gezögert, Position zu beziehen oder diplomatisch tätig zu werden, als aus dem ethnischen Konflikt in Jugoslawien ein Bürgerkrieg und dann ein Krieg zu werden drohte. Sie hat gezögert und handelt noch immer halbherzig, schnell und wirksam Flüchtlingen aus dem zerfallenden Jugoslawien zu helfen.Die Bundesregierung zeigte sich aber zu überstürztem und durch keinen Parlamentsbeschluß gestützten Aktionismus fähig, als es um die Entsendung deutscher Soldaten ins Krisengebiet ging. Die Bundesregierung versuchte damit, ihre Unentschlossenheit und Unfähigkeit zu politischem Handeln auf Kosten junger deutscher Soldaten zu verschleiern.Sie hat eben nicht mit Nachdruck Konsequenz und Härte die Kriegstreiber und Völkermörder in Jugoslawien in ihre Grenzen gewiesen, hat sie nicht isoliert und geächtet und ihnen alle Hähne zugedreht, und zwar die, aus denen Geld, 01 und Waffen fließen, ebenso wie diejenigen der diplomatischen Respektierung und der Sympathie.Statt ein wirksames und verfassungsgemäßes Konzept zur Deeskalation von Gewalt, zur Kriegs- und Bürgerkriegsvermeidung und zu nichtmilitärischen, friedensstiftenden Mechanismen zu entwickeln, läßt sich die Bundesregierung von Beschlüssen supranationaler Gremien überrumpeln und durch diese ihre Innen- und Außenpolitik bestimmen.Der Verdacht drängt sich auf, meine Damen und Herren, daß der Zerstörer „Bayern" vom innenpolitischen Desaster der Vereinigungspolitik ablenken soll.
Ich gestehe ein und bedauere zutiefst, daß die Friedensbewegung gegenwärtig zerrissen und handlungsunfähig ist. Aber es ist nicht einfach, wirksame nichtmilitärische Mechanismen zu finden. Spätestens seit dem katastrophalen Mißerfolg der militärischen Aktion des Golfkrieges wissen wird doch, daß Soldaten und Waffen nie und nirgends Frieden schaffen können. Wir wissen auch, daß wirksam und human nur im Vorfeld von Konflikten gehandelt werden kann. Hier hätten wir, hätten die EG, die WEU und die UNO aktiv werden können.Nun, nachdem der Krieg und Bürgerkrieg tobt, ist es ungleich schwerer, ohne militärische Mittel befriedigend tätig zu werden. Aber es gibt diese Mittel, und sie sollten wir konsequent und mutig nutzen. Hierzu gehört die internationale Ächtung und völkerrechtliche Verurteilung der Politiker und Militärs des zerfallenden Jugoslawien. Kein Hund soll mehr ein Stück
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992 8647
Konrad Weiß
Brot von ihnen nehmen. Hierzu gehört auch der humanitäre Einsatz von deutschen Frauen und Männern, die ohne Waffen, aber mit Lebensmitteln, Medikamenten und Menschlichkeit helfen.Aber Aufträge an die Bundeswehr, die über „peace keeping operations" hinausgehen, werden vom Grundgesetz nicht gedeckt. Die wehrpflichtigen Matrosen der „Bayern" haben geschworen — ich zitiere —, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, nicht mehr und nicht weniger. Der Einsatzbefehl von Herrn Rühe aber verpflichtet sie zu nichts.Entschlossene und wirksame Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland sind vor allem angesichts der jugoslawischen Flüchtlingskatastrophe gefragt. Es ist beschämend, daß die Europäische Gemeinschaft nicht zur Gemeinsamkeit und Solidarität in der Flüchtlingspolitik gefunden hat. Sind sich die Europäer wirklich nur einig, wenn es um militärische Aktionen und um die Verteidigung von Privilegien geht? Sind sie wirklich so tief zerstritten, wenn es um die schlichte menschliche Hilfe geht? Oder hat die Bundesregierung vielleicht nicht das Gewicht oder den Mut gehabt, mit allem Nachdruck eine gemeinsame Flüchtlingspolitik und die gerechte und gleichberechtigte Verteilung der Lasten zu fordern?Meine Damen und Herren, im ehemaligen Jugoslawien werden mindestens 1,5 Millionen Menschen aus ihren angestammten Wohnsitzen vertrieben. Nach Berichten der UNICEF, der Kinderhilfsorganisation, sind mindestens 400 000 bis 500 000 davon Kinder. Etwa 200 000 Flüchtlinge haben in Deutschland Zuflucht gesucht und gefunden. Davon haben 1991 fast 75 000 Personen und bis Ende Mai 1992 mehr als 62 000 Personen einen Asylantrag stellen müssen. Andere sind bei Verwandten untergekommen. Die Aufnahme eines Kontingents von 5 000 Flüchtlingen ist zwar zu begrüßen; aber angesichts der Flüchtlingsströme ist das völlig ungenügend.Die schlimmsten Hemmnisse für eine humane Flüchtlingspolitik in Deutschland sind zum einen, daß der Visumzwang für Bürgerkriegsflüchtlinge fortbesteht, und zum anderen, daß die Flüchtlinge oftmals gegen ihren Willen in ein Asylverfahren gepreßt werden. Die meisten der 140 000 Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien sind Zwangsasylbewerber.Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatte bereits im Juni den Antrag gestellt, die Visumpflicht aufzuheben und einen zeitlich begrenzten Aufenthaltsstatus, so wie es der Hohe Flüchtlingskommissar empfiehlt, einzurichten. Dieser Antrag wurde mit den Stimmen der SPD abgelehnt. Nun finden sich unsere Vorschläge im Antrag der SPD wieder. Ein ganzer Monat, in dem Tausenden von Flüchtlingen hätte geholfen werden können, ist tatenlos verstrichen. Ich frage die SPD: Spielt sie nur Politik, oder will sie Menschen wirklich helfen?
: Letzteres!)
Zieht sie nur vor das Verfassungsgericht, um ihrunscharfes politisches Profil zu schärfen, oder hat siedie scheibchenweise Eskalation deutscher Wehrhaftigkeit wirklich nicht früher bemerkt?Das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erneuert seine Forderung mit Nachdruck, den Visumzwang für Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem zerfallenden Jugoslawien aufzuheben. Wir erneuern unsere Forderung, umgehend Maßnahmen zu ergreifen, die die großzügige Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien im Rahmen von Flüchtlingskontingenten über die gewährten 5 000 hinaus ermöglichen. Dazu zählt insbesondere ein aus Bundesmitteln finanziertes Hilfsprogramm für die menschenwürdige Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge, da die Bundesländer allein mit dieser Aufgabe überfordert sind.Wir appellieren an die Bundesregierung, mit ihren Bemühungen energisch fortzufahren und auch weiterhin Mittel zur Verfügung zu stellen, um dem UNHCR und anderen internationalen Organisationen die Betreuung von Bürgerkriegsflüchtlingen vor Ort zu ermöglichen. Mit dem Hohen Flüchtlingskommissar sind wir der Auffassung, daß Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen. Wir fordern hierfür seit langem die Einrichtung eines zeitlich begrenzten Status.Das notwendige rechtliche Instrumentarium dafür ist in der Rechtsordnung der Bundesrepublik vorhanden. Auch Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge sind Verfolgte im Sinne des Art. 16 Abs. 2 unseres Grundgesetzes. Meine Damen und Herren, darunter fallen auch Deserteure und solche Personen, denen eine Bestrafung droht, weil sie sich dem humanen Völkerrecht und den Beschlüssen des Sicherheitsrates widersprechenden Kriegshandlungen entziehen wollten. Auch sie haben einen Anspruch auf unseren Schutz und auf unsere Hilfe.Ein zeitlich begrenzter Flüchtlingsstatus würde den Flüchtlingen den rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland sichern und damit gleichzeitig zu einer Entlastung der Asylverfahren beitragen. Es hätte dadurch schon seit Beginn des vergangenen Jahres 150 000, fast ein Drittel, weniger Asylbewerber in Deutschland geben können. Die törichte Asyldebatte hätte an Nahrung verloren, wenn das politisch gewollt wäre.Wir fordern, daß die Einreise und befristete Aufenthaltsberechtigung ohne Visum und ohne Asylantrag möglich wird. In Sarajevo warten heute seit Wochen 42 Kinder darauf, ausgeflogen zu werden. Es sind Frühgeborene oder durch die Kriegshandlungen verstümmelte Kinder. 18 davon befinden sich in akuter Lebensgefahr; 13 von ihnen sind, weil wir nicht gehandelt haben, bereits gestorben. Jeder Flug aus Jugoslawien hinaus muß Kindern Hilfe und Rettung bringen.Die Einzelfallprüfung ist bei Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem zerfallenden Jugoslawien überflüssig. Ihr Anspruch auf zeitlich begrenzten. Schutz vor Kriegsverfolgung ist eindeutig und unübersehbar. Die Befristung sollte mindestens für ein Jahr, auf jeden Fall aber für das Andauern der Kriegshandlungen gelten. Eine kurzfristige Beruhi-
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Konrad Weiß
gung oder ein Waffenstillstand bieten keine ausreichende Gewähr für eine sichere Rückkehr.Meine Damen und Herren, viele Bürgerinnen und Bürger in unserem Land sind bereit zu helfen. Es gibt Hilfsorganisationen, die an die Öffentlichkeit appelliert haben. Bürgerinnen und Bürger haben bereits viele tausend Unterbringungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt, insbesondere auch in Deutschland lebende Jugoslawen. Ihnen allen sollten wir aktive Hilfe dadurch ermöglichen, daß wir die restriktive Flüchtlingspolitik endlich beenden.Vielen Dank.
Nunmehr erteile ich der Abgeordneten Frau Andrea Lederer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines vorweg: Die Entscheidungen, die in diesem Herbst hier im Deutschen Bundestag fallen sollen, kommen meiner Auffassung nach in ihrer Bedeutung etwa der Entscheidung über die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik im Jahre 1955 gleich. Dessen sollten sich alle hier im Hause, dessen sollte sich die Öffentlichkeit und dessen sollte sich auch das Ausland bewußt sein.
— Das ist eine konsequente Fortsetzung dieser Politik; darin stimme ich völlig mit Ihnen überein.
Aber ich will zunächst auf einige Debattenbeiträge eingehen. Ich möchte Herrn Schäuble dafür danken, daß er den Zusammenhang zwischen Maastricht und der heutigen Debatte über die Frage der Erweiterung eines militärischen Handlungsspielraums hergestellt hat. Das ist aber gar nicht mehr nötig, weil das Herr Rühe dann in einer Weise aufgegriffen hat, die meiner Ansicht nach wirklich skandalös ist. Herr Rühe ist jetzt natürlich nicht mehr da. Er sprach davon, daß wir Europa durch gemeinsame Truppen, die gemeinsam militärische Aktionen durchführen, bauen sollten. Was ist das eigentlich für ein Verständnis von der Entwicklung eines europäischen Kontinents,
wenn sich das ausgerechnet in gemeinsamen militärischen Aktionen dokumentieren und ausdrücken soll! Es ist Schlichtweg entlarvend. Dazu paßt die Petersberg-Erklärung, und dazu passen die Richtlinien über die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Im Prinzip wird das bestätigt, was wir immer gesagt haben: Es geht im Moment vor allem um die Herausbildung einer europäischen Militärgroßmacht. Dabei spielen jedenfalls wir nicht mit.Noch eine Bemerkung zu Herrn Irmer. Es tut mir leid, Herr Irmer, wenn Sie an den Äußerungen und Aktionen der Friedensbewegung nur soweit ein Interesse haben, als es Ihnen für Ihre demagogischen Äußerungen hier in den Kram paßt.
Sie nehmen einfach nicht zur Kenntnis, daß die Friedensbewegung natürlich aktiv ist.
— Ich sage, Sie nehmen es nicht zur Kenntnis.
Leider muß ich an diesem Punkt feststellen, daß der Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit zur Zerrissenheit der Friedensbewegung beiträgt, weil dadurch ebenfalls der Kurs eingeschlagen wird, der darauf hinausläuft, eine Tür zu öffnen, indem man den Blauhelm-Einsätzen, die offenkundig immer mehr einen fließenden Übergang zu Kampfeinsätzen darstellen, zustimmt.
Das ist genau das, wofür wir die SPD schon seit Monaten in Debatten kritisieren.Hier war in einigen Beiträgen mehrfach von Pazifismus die Rede. Ich muß sagen, ich finde es schon ziemlich beschämend, wenn quasi entschuldigend festgestellt wird, daß Pazifisten in irgendwelchen Fráktionen vertreten sind. Ich habe damit meine Probleme. Was soll daran eigentlich zu kritisieren sein?Es wird Kritik an einer militärischen Politik gerade solcher Mächte geäußert, die sich z. B. auf dem G-7-Gipfel in München ins bayerische Licht gesetzt haben, also solcher Mächte, die das Sagen in dieser Welt haben und die beispielsweise auch bestimmen, was in der UNO durchgesetzt wird und was nicht. Was soll eigentlich verwerflich daran sein, das zu kritisieren und zu sagen, diese Mächte, die sich eine eindeutige Interventionspolitik auf die Fahnen geschrieben haben, wollen wir nicht noch durch eine weitere ökonomisch enorm starke Macht, nämlich die Bundesrepublik Deutschland, aufstocken? Mir soll einmal einer erklären, was hieran eigentlich naiv, verwerflich oder töricht sein soll.Die von Herrn Rühe entdeckten pazifistischen Instinkte der deutschen Bevölkerung werden bereits massiv zurückgedrängt. Es gibt eine regelrechte Frontberichterstattung. Ich denke hier an Aussagen in einer Sendung des ZDF, wonach die Jungs auf dem Zerstörer „Bayern" angeblich wie eine Eins nach Jugoslawien ziehen, wobei sich dann aber durch die mutige Erklärung eines Wehrpflichtigen herausstellt, daß sie weder gefragt worden sind noch sich dazu entschieden haben, noch im Prinzip bereit sind, dorthin zu fahren, sondern daß sie nach Hause wollen.Warum wird eigentlich immer wieder behauptet, andere Staaten forderten den Einsatz oder eine Beteiligung der Deutschen, obwohl im Prinzip bestätigt ist, daß nicht ein einziges westeuropäisches Land, geschweige denn ein Land der sogenannten Dritten Welt, z. B. gefordert hat, daß deutsche Truppen in einen solchen Einsatz geschickt werden? Das Außen- und das Verteidigungsministerium, die man, was die Politik anbelangt, mittlerweile im Prinzip auf der
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Andrea LedererHardthöhe zusammenlegen kann, drängen danach, diese Einsätze durchzuführen und im Grunde genommen für Weiteres und Schlimmeres zu üben und zu trainieren.Setzt man das jetzt auch noch ins Verhältnis zum Umgang mit den Flüchtlingen aus Jugoslawien, dann — so muß ich sagen — jagt es mir schlicht und ergreifend einen Schauer über den Rücken. Abschiebung an der Grenze und Visumzwang — nur noch die Äußerung des deutschen Konsuls in Salzburg, der sich darüber beklagt, daß Tapeten und Teppiche im Konsulat durch die lange wartenden Flüchtlinge beschmutzt würden, stellt eine Steigerung dar; vielleicht haben Sie es gelesen, in der „Zeit" ist es dokumentiert — machen deutlich, welches Verständnis hier vorliegt. Wenn man hier noch die Asyldebatte hereinpackt, dann ist es eine Katastrophe.Die Verfassungsdiskussion lenkt aber eigentlich von dem Inhalt der Politik ab, die durch eine Verfassungsänderung gemacht werden soll, und das ist, auch wenn Kollegen aus der SPD im persönlichen Gespräch mir gegenüber das schon bestritten haben, natürlich eine Interventionspolitik. NATO und WEU können keinen Feind benennen. Sie konstruieren Risiken und beschreiben sie in strategischen Papieren. Sie definieren die Außenpolitik zur Weltinnenpolitik und stellen eine Weltpolizei auf, beteiligen Deutsche daran und agieren dann — ich verweise nur einmal auf die an sich innenpolitischen und sicherheitspolitischen Begrifflichkeiten — präventiv in der Welt, und das, um die eigenen Interessen in der Welt durchzusetzen. Das ist genau die Situation. Wer das leugnet und wer auch leugnet, daß die Teilnahme an Blauhelmaktionen — auch das wird leider von Politikern aus Reihen der SPD erklärt — natürlich ein erster Schritt sind und daß danach Weiteres folgen soll, wer das also nicht wahrhaben will, der — so meine ich — handelt verantwortungslos, indem er in diesem Herbst mit dazu beiträgt, daß diese Schritte gemacht werden. Natürlich gibt es Möglichkeiten, daß die Bundesrepublik einer größeren Verantwortung in humanitärer und ziviler Weise gerecht werden kann.Der Einsatz in Kambodscha bewegt sich ebenso in einer verfassungsrechtlichen Grauzone, wie es verharmlosend genannt wurde, wie der Adria-Einsatz bei Jugoslawien. Das haben Sie selbst erklärt; Sie haben zugestimmt. Es kann nicht benannt werden, auf welcher rechtlichen Grundlage dieser Einsatz eigentlich erfolgen soll. Ich weise noch einmal darauf hin, daß mit dem Einsatz der Sanitätssoldaten dort — es hat niemand etwas gegen die medizinische Versorgung der Soldaten — im Grunde genommen für mehr trainiert werden soll. Gleichzeitig werden vier Krankenhäuser der ehemaligen DDR, die dort der Zivilbevölkerung zugute kommen sollten, geschlossen. Was ist das denn für ein Verständnis von gewachsener Verantwortung? Das soll mir einmal einer erklären. Es ist schlicht und einfach eine Interessendurchsetzung und im Grunde genommen der Versuch, durch Fakten die eigenen Interessen zu vertiefen.Wir haben zwei Anträge vorgelegt. Der eine Antrag — durch die vorgezogene Debatte wurden wir gezwungen, ihn jetzt noch kurzfristig einzureichen — beabsichtigt, nachdem von der Bundesregierung dieVerfassung so interpretiert wird, wie es ihr politisch gerade in den Kram paßt, klipp und klar festzustellen: Deutsche Soldaten haben irgendwo anders in der Welt nichts zu suchen, und das ein für allemal.
Leider müssen wir auch feststellen, daß derzeit — ich habe an sich nichts dagegen, deutsche Hoheitsrechte friedenspolitischen supranationalen Organisationen zu übertragen — die Übertragung solcher Hoheitsrechte dazu genutzt wird, um sich einen weiteren Handlungsspielraum zu erkämpfen. Deswegen sind wir der Meinung, daß die Hoheitsrechte für den Einsatz der deutschen Streitkräfte nicht übertragen werden können. Auch das muß verfassungsrechtlich festgeschrieben werden, damit gar nicht erst die Gefahr besteht, daß eine deutsche Beteiligung an militärischen Abenteuern von Militärbündnissen ermöglicht wird.Ferner haben wir einen Entschließungsantrag vorgelegt, der dazu führen soll, daß der Visumzwang aufgehoben wird, daß sämtliche Flüchtlinge, die es wünschen, hierherkommen können und daß endlich die inhumane Politik gegenüber den Folgen dieses Krieges aufhört.Wenn das deutsche Empfinden von Sauberkeit im deutschen Konsulat in Österreich gestört wird, kann ich nur raten: Heben Sie den Visumzwang auf, lassen Sie die Menschen hier hereinkommen, helfen Sie, und gewähren Sie humanitäre Leistungen! Erzählen sie nicht wieder, das Boot sei voll, wie es in der unseligen Asyldebatte ständig thematisiert wird! Tragen Sie endlich dazu bei, daß das Leid dieser Menschen auf humanitärer Ebene gelindert wird. Wenn Sie es ernst meinen und wenn Sie sich der Verantwortung bewußt sind, die Sie mit dem Ingangsetzen dieser Debatte in diesem Herbst tragen, dann können Sie unseren Anträgen eigentlich nur zustimmen.
Nunmehr spricht der Abgeordnete Werner Hoyer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Gansel hat der Bundesregierung klipp und klar Verfassungsbruch vorgeworfen. Wenn Sie ernsthaft dieser Meinung sind, sind Sie nach meiner Auffassung moralisch verpflichtet, mehr zu tun, als zum Bundesverfassungsgericht zu gehen. Dann müssen Sie versuchen, durch eine einstweilige Anordnung diese konkrete Aktion zu stoppen.
Das sind Sie nach meiner Auffassung auch den betroffenen Soldaten der Bundeswehr, die jetzt dort tätig sind, schuldig.Aber, meine Damen und Herren, wir werden uns nicht lange an dem heutigen Fiasko der sozialdemokratischen Initiative erfreuen können; wir werden uns vielmehr darauf konzentrieren müssen, möglichst rasch das zu schaffen, was ich für dringend erforderlich halte, nämlich die grundgesetzliche Klarstellung, die deutlich und dann auch im Konsens unbestreitbar
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8650 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992
Werner Hoyermacht, was die Bundeswehr in Zukunft tun darf und was nicht. Einen Vorschlag zur Änderung des Grundgesetzes werden Sie von uns bekommen. Wir werden uns den Fahrplan nur nicht von Ihnen diktieren lassen.Meine Damen und Herren, mit Recht ist gesagt worden, daß die Frage der internationalen Beteiligung deutscher Streitkräfte und gegebenenfalls die von uns für erforderlich gehaltene Grundgesetzänderung zentrale Weichenstellungen für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik erfordern, vielleicht die wichtigsten und fundamentalsten seit der Entscheidung für die Westintegration, für den europäischen Einigungsprozeß, für die Öffnung nach Osten, für den KSZE-Prozeß und schließlich für den Doppelbeschluß der NATO. Deutschland als wiedervereinigtes, als souveränes Land muß seine Position in der Völkergemeinschaft neu definieren. Wir haben nicht soviel Zeit, wie wir vielleicht selber im Zusammenhang mit der deutschen Einheit geglaubt haben; wir müssen es sehr viel schneller tun.Diese Positionierung fällt schwer für ein Land, das aus seiner Geschichte gelernt hat. Wenn auch manche unserer Freunde und Nachbarn es nicht glauben oder es vielleicht nicht wahrhaben wollen, so bleibt dennoch festzuhalten, daß die Deutschen ihre Lektion nach dem Zweiten Weltkrieg sehr viel besser gelernt haben, als es möglicherweise selbst die damaligen Sieger erwartet hatten. Darauf, meine Damen und Herren, können wir auch ein bißchen stolz sein. Es gibt in der Tat Schlimmeres, als einem Volk einen tiefsitzenden Pazifismus nachzusagen.
Wenn es denn einer ist! Es entsteht aber hin und wieder der Eindruck, daß es bei manchen — weiß Gott nicht bei allen — in der Tat kein Pazifismus ist, sondern eine eher als Eskapismus zu bezeichnende Grundhaltung, die Augen vor den unangenehmen Realitäten dieser Welt zuzumachen, eine Ohne-michMentalität, die hinter einem hehren Ziel wenn nicht Verantwortungslosigkeit, so doch zumindest einen Mangel an Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung dokumentiert.
Genau das kann sich Deutschland nicht leisten. Deutschland, das zum erstenmal in der Geschichte nur von guten Nachbarn und Freunden umgeben ist, ist mit seiner großen Wirtschaftskraft, seinen 80 Millionen Menschen und seiner in jeder Beziehung starken Rolle im Kern Europas für eben diese Nachbarn nur dann zu verkraften, nur dann zu ertragen, wenn es sich voll einbringt in Gemeinsamkeiten, in gemeinsam getragene Verantwortung, in die Europäische Union, in den KSZE-Prozeß und nicht zuletzt in die Allianz. Deutsche Sonderwege in der Sicherheitspolitik — und das gilt dann auch für den engeren Bereich der Verteidigungspolitik — darf es nicht mehr geben. Deutschland muß bündnisfähig, muß integrationsfähig und letztlich auch überhaupt handlungsfähig sein, fähig und bereit, gemeinsam mit anderen Verantwortung zu übernehmen, nicht hingegen ständig anderen Verantwortung zuzuschieben und aus einer moralisierenden Position überlegender Besserwisserei heraus außen vor zu bleiben.
Das alles ändert allerdings nichts daran, meine Damen und Herren, daß wir uns um Konsens bemühen müssen, um einen Konsens, der uns hier in diesem Parlament befähigen würde, uns in die Solidarität guter Nachbarn einzubringen. Deshalb ringen wir um diese Grundgesetzänderung, die nichts anderes sein soll als eine verfassungsmäßige Verankerung und Bekräftigung eines nationalen Grundkonsenses über einen Aspekt des deutschen Beitrags zu kollektiver Verantwortungspolitik, und das eben leider — wie ich betone — notfalls auch mit militärischen Mitteln.Deshalb richtet sich mein Appell an die Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie, an dieser Formulierung des Grundkonsenses mitzuwirken, und zwar über die Formulierung hinaus, die Sie heute hier vorlegen und die meines Erachtens unserer Verantwortung nicht gerecht wird. Wir können in Zukunft nicht mehr a priori ausschließen, daß sich die Bundeswehr an solchen Missionen unter dem Schirm der Vereinten Nationen beteiligen darf, mit denen der Weltsicherheitsrat seinen Resolutionen notfalls auch militärisch Nachdruck verleihen will.Ich bin der Meinung, daß wir uns hier einen politischen Schlagabtausch nicht mehr sehr lange leisten können, weil wir mittlerweile eine dichtere Blockade in diesem Parlament aufgebaut haben, als sie in der Adria wirksam geworden ist. Deshalb können Sie auch erwarten, daß Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie, Brücken gebaut werden. Ich bin immer bereit, Brücken mit zu bauen. Aber irgendwann werden Sie die Brücken selber betreten müssen. Ich denke, dieser Tag sollte nicht allzu weit entfernt sein. Er sollte nicht am Ende eines langen selbstquälerischen Prozesses liegen.Wir müssen uns deshalb darüber unterhalten, wo die Kompromißlinien liegen könnten. Kompromißlinien können doch im wesentlichen in zwei Dimensionen liegen, auf die man sich, meine ich, verständigen könnte, weil die Vernunft sie ohnehin nahelegt.Die eine Dimension ist die Frage, ob wir denn sofort Gebrauch machen sollten von einer gegebenenfalls grundgesetzlich verankerten Handlungsoption, ob also dieses ganze Spektrum der Maßnahmen im Rahmen der Vereinten Nationen, das durch eine Grundgesetzänderung ermöglicht würde, in den nächsten Jahren auch in vollem Umfange wahrgenommen werden sollte oder ob wir uns freiwillig auf Grund einer Vereinbarung in diesem Parlament beschränken sollten, was der Verteidigungsminister für eine absehbare Zeit ohnehin für erforderlich hält.Die zweite Dimension, über die wir uns unterhalten müssen, ist die Frage der parlamentarischen Beteiligung. Als Liberaler sage ich Ihnen, daß mir eine möglichst intensive Beteiligung des Parlaments, das in diesem Staat sowieso mehr und mehr zu kurz kommt,
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juli 1992 8651
Werner Hoyereine wichtige Voraussetzung für einen vernünftigen Weg zum Verfassungskonsens ist.
Aber wenn wir diese Brückenpfeiler, einen nach dem anderen, setzen, dann muß ich Sie bitten, irgendwann auch einmal eine solche — mittlerweile recht stabile — Brücke zu überqueren. Wir müssen diese Diskussion ohne Tabus führen, sonst werden wir diese innerparlamentarische Blockade, die unsere Bevölkerung bald nicht mehr versteht — und unsere Partner im Bündnis erst recht nicht —, nicht beseitigen können.Ich bedanke mich.
Nunmehr hat der Abgeordnete Ortwin Lowack das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, was im einzelnen an furchtbaren Verwüstungen und grausamen menschlichen Schicksalen schon heute Bosnien-Herzegowina zerstört und das Lebenswerk von Generationen von Menschen vernichtet hat. Ich weiß nur, was sich bis Ende April in dem Land abgespielt hat, das ich damals besuchen konnte — Kroatien —, ohne daß dem immer die besondere Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit gegolten hätte: 18 762 zum Teil schwerst Verletzte, 3 623 Tote, 10 Krankenhäuser zerstört, 13 Krankenhäuser schwerst beschädigt — bis zu 80 % —, 340 000 Hektar landwirtschaftliche Fläche und 18 000 Traktoren zerstört, 1 Million Menschen ohne Arbeit, 350 000 Flüchtlinge aus dem eigenen Land, 137 000 Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina — die dreifache Zahl wurde noch erwartet —, das gesamte Land ausgeblutet und in großen Teilen besetzt.Dazu kamen furchtbare Zerstörungen von Kulturgütern, das Werk von Barbaren. 245 historische Siedlungen waren angegriffen und zum großen Teil zerstört worden, außerdem 543 Kulturdenkmäler, 37 Museen, 9 Archive, 22 Bibliotheken. Dubrovnik war zu über 40 % zerstört. Vielfach wurden gerade die historischen Stadtkerne angegriffen und vernichtet. Von 359 Kirchen und Klöstern wurden 88 restlos zerstört und 164 teilweise schwer beschädigt. Viele sakrale Gegenstände wurden aus Kirchen geplündert. 1 640 Bilder wurden allein aus Vukovar gestohlen und nach Belgrad oder Novi Sad gebracht.Neben dem Genozid gab es auch einen Ökozid. 133 000 Tonnen Erdöl wurden allein in Sisak durch Beschuß in den Boden und in die Sava geleitet oder verbrannt. Viele Wälder wurden mit Minenwerfern zerstört. Auch die berühmten Krka-Parks und die Plitvica-Seen wurden schwer in Mitleidenschaft gezogen.Europa hat versagt: seine Ideale, seine Ideen der Menschlichkeit, des Mitfühlens, der wirklichen Hilfe, der christlichen Nächstenliebe, die sicher nicht wehrlos sein darf. Statt zu helfen, leisten wir uns andere großartige Spektakel. Ich frage Sie: Können wir uns Verträge wie beispielsweise den von Maastricht leisten, wenn es vielmehr darum ginge, nicht in verkrusteten Strukturen, sondern so zu investieren, daß sich Europa in den Köpfen und Herzen der Menschen abspielt? Investieren wir hier nicht falsch? Wo ist dieses Europa der Prinzipien? Wo hat es sich hier bewahrheiten können?Auch die deutsche Politik hat versagt. Ich hatte am 5. Februar 1991 — immerhin damals als der noch verantwortliche außenpolitische Sprecher der CSU im Deutschen Bundestag — erklärt und gefordert:Die Bundesregierung ist aufgefordert, dringend eine politische Initiative einzuleiten. Die martialischen Drohungen Serbiens, das ganze Land, insbesondere aber die ihr Selbstbestimmungsrecht beanspruchenden Slowenen und Kroaten, mit einem blutigen Krieg zu überziehen, müssen eine klare Antwort von deutscher Seite erhalten. Wenn ein fürchterlicher Bürgerkrieg, der gravierende Einflüsse auf die gesamteuropäische Entwicklung haben müßte, vermieden werden soll, darf nicht zugewartet werden. Die Bundesregierung sollte umgehend die Europäische Politische Zusammenarbeit oder auch die KSZE zu einer Erörterung der Lage in Jugoslawien bewegen und eine Entscheidung herbeiführen helfen, die Serbien rechtzeitig in die Schranken weist, bevor es zu spät ist.Die Bundesregierung hat damals keinerlei Reaktion gezeigt und wenig später sogar einem Beschluß der Europäischen Gemeinschaft zugestimmt, wonach nur Gesamtjugoslawien, d. h. unter Einschluß Serbiens, jemals eine Chance hätte, Mitglied der Europäischen Gemeinschaft zu werden. Das war Aufmunterung für die serbischen Kommunisten, ihr Zerstörungswerk zu beginnen.Im April 1991 sollte die große Debatte über die rechtlichen Grundlagen für den Einsatz deutscher Soldaten im Rahmen von Maßnahmen der Vereinten Nationen, der NATO und der WEU stattfinden. Diese Debatte, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wurde kurzfristig auf Intervention der Bundesregierung — leider mit Zustimmung der Opposition — abgesetzt. Damals hätten wir die Debatte führen müssen und führen können, zu einem ganz wichtigen Zeitpunkt. Zeit war wahrlich genug.Im Juni 1991 wurde die Bundesregierung vom Parlament aufgefordert, Slowenien und Kroatien als selbständige Staaten anzuerkennen. Die Bundesregierung reagierte mit Schweigen. Erst auf Grund der Bundestagsdebatte im September kam etwas Bewegung in den Regierungsapparat. Dabei war doch längst klar, daß weniger militärische Maßnahmen als vielmehr eine große politische Initiative notwendig wäre: ein mühsamer Überzeugungsprozeß gegenüber den westlichen Verbündeten auf der einen Seite, massive Klarstellungen gegenüber wichtigen Empfängerländern deutscher Hilfe, die Serbien unterstützten, Griechenland, Rumänien, Rußland und Rotchina, auf der anderen Seite. Nur frage ich: Was hat die Bundesregierung effektiv unternommen, um hier ihre politischen Einflußmöglichkeiten wirklich zu nutzen? Nichts ist geschehen, nichts außer Phrasen. Hat Europa denn nichts anderes zu bieten als den unsäglichen Lord Carrington, der zu den bestgehaßten
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Ortwin LowackMännern und -verspotteten in dem vom Bürgerkrieg verwüsteten Land zählt? Hatte nicht der Staatsstreich Serbiens gegen das kroatische Staatsoberhaupt längst ein Eingreifen der Weltgemeinschaft gerechtfertigt? Wir vergessen manchmal, daß das der Ausgangspunkt war, ein völkerrechtswidriger Akt, bevor der Krieg eingeleitet wurde.Diese Fragen zu stellen, ist eigentlich Aufgabe der Opposition. Damit hätte sie im Bewußtsein der Menschen Positives bewirken und Druck auf die Bundesregierung ausüben können. So gibt sie der Bundesregierung sogar noch eine Gelegenheit, sich zu profilieren, wo lediglich über das Versagen in der Vergangenheit hinweggetäuscht wird.Ich kann nur feststellen: armselige Zeiten, in der die einen — ich zitiere den Bundespräsidenten — machtbesessen, aber unbeweglich und leider zu oft zu geistlos und auch die anderen, offenbar angstbesessen, unfähig sind, ihren politischen Auftrag zu erfüllen. Trotzdem: Glückauf, Klaus Kinkel, vor allem zu einer mutigen und erfolgreichen, neue Akzente setzenden deutschen Außenpolitik.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nun erteile ich der Abgeordneten Frau Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist in der Diskussion mehrfach Europa bemüht worden. Aber ich weiß nicht, ob Ihnen aufgefallen ist, daß für Herrn Rühe die Alternative zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit immer nur die militärische Kooperation war. Was wir aber von Europa erwarten, ist eine politische Union, ist der Primat der Politik. Das ist es, worum es geht!
Das ist es ja auch, was wir vermissen. Ich muß ehrlich sagen, ich hätte es besser gefunden, man hätte Schiffe geschickt, um einen Teil der Flüchtlinge zu holen und damit unsere Verantwortung zu tragen, als folgenlose Paraden in der Adria zu vollziehen.
Was wir brauchen, ist eine europäische Flüchtlingspolitik, die dafür sorgt, daß die Flüchtlinge, die heute zum Teil untergebracht werden können, — auch etwa in Kroatien —, noch eine Chance haben, aufgenommen zu werden, um im Winter überleben zu können. Das ist notwendig. Das erwarten wir von Europa.
Wenn die Situation so dramatisch ist, wo bleibt dann die gesamteuropäische Jugoslawienkonferenz, an der alle europäischen Staats- und Regierungschefs beteiligt sind, wo dann einmal Druck auf Griechenland, auf Rumänien, auf Rußland ausgeübt wird, damit die Sanktionen wirklich eingehalten werden?
Wo bleibt diese Konferenz, keine PR-Show wie beim Weltwirtschaftsgipfel und keine Aktion in der Adria, die keinem einzigen Menschen im ehemaligen Jugoslawien real hilft? Aber dazu müssen doch erst einmal die politischen Überzeugungen wirklich übereinstimmen oder abgestimmt sein.
Natürlich sind wir für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Ich wäre die erste und ich bin die erste, die sagt: Wir müssen den Vertrag von Maastricht ratifizieren. Aber ich weise darauf hin: Maastricht beinhaltet gerade nicht den Schritt zur gemeinsamen Verteidigungspolitik, sondern sagt, daß weitergehende Schritte ab 1996 neu geprüft werden sollen. Vorher bleibt der gesamte Bereich der Sicherheitspolitik im Bereich der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit, wird nicht vergemeinschaftet und bekommt keine neue Qualität.An dieser Stelle frage ich: Wie sollen sich eigentlich die Europäer, die von Herrn Kinkel und anderen markig zum militärischen Eingreifen aufgefordert worden sind, beim militärischen Eingreifen einig sein, wenn sie sich über die Frage, was sie tun wollen, damit es in dem ehemaligen Jugoslawien irgendwann politisch weitergeht, nicht einig sind? Immer nur zur militärischen Aktion rufen ist der Gipfel der Einfallslosigkeit von Politik.
Im übrigen will ich darauf hinweisen: Die internationale Gemeinschaft hat am 30. Mai dieses Jahres umfassende Sanktionen beschlossen. So lange hat niemand wirtschaftliche Sanktionen, z. B. beim Erdöl, durchgesetzt.Obwohl die Bundesregierung immer wieder betont hat, deutsche Soldaten könnten im ehemaligen Jugoslawien schon aus geschichtlichen Gründen nicht eingesetzt werden, hat sie doch vor allem durch Außenminister Kinkel immer wieder die Diskussion über Jugoslawien mißbraucht, um das Thema deutscher Kampfeinsätze zu propagieren. Das ist ein mehrfacher Mißbrauch. Da wird durch militärische Präsenz von dem abgelenkt, was das Versagen der Bundesregierung in der deutschen Innenpolitik ist. Das ist ein Ablenkungsmechanismus, der da vorgeführt wird.
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Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen, daß da auch die Sprache völlig verändert wird. Herr Außenminister Kinkel, Sie haben am 1. Juli gesagt, es könne nicht gehen — ich zitiere —, daß wir unsere Interessen auf Dauer von anderen verteidigen lassen. Ja, wenn Verteidigung angesagt ist, ist doch die Bundeswehr diejenige, die zur Verteidigung wirklich berufen ist. Deutsche Interessen aber kann und darf die Bundeswehr nach dem Grundgesetz nicht militärisch durchsetzen.
Es gibt kein einziges nationales deutsches Interesse, das mit militärischen Mitteln durchgesetzt werden könnte und dürfte. Das muß heute sehr klar werden.
Herr Rühe hat gesagt: Es ist doch eine Isolierung, wenn wir in eine andere Richtung fahren als die europäischen Nachbarn. Er ist aber die Antwort schuldig geblieben, was denn passiert, wenn die deutschen Soldaten, die heute in der Adria sind, in die nächste Stufe militärisch verwickelt werden und wenn danach ein möglicher militärischer Kampfeinsatz kommen muß. Dann kommen doch Herr Lamers und Herr Rühe erneut und sagen: Wir dürfen uns als Deutsche nicht isolieren. Aber deutsche Soldaten und ihre Familien haben ein Recht darauf, daß von der Regierungsmehrheit nicht derart mit ihrem Schicksal Politik betrieben wird. Sie haben ein Recht darauf, zu wissen, welches die Perspektive ist, in die sie geschickt werden.
Nun sagt Herr Kinkel auch — am 25. Juni —, die europäische Sicherheitspolitik sei noch nicht ausgegoren. Aber er hat mit dazu beigetragen, daß der gültige Vertrag der Westeuropäischen Union in der Petersberg-Erklärung vom Mai faktisch zweimal gebrochen worden ist. Der gültige Vertrag der Westeuropäischen Union sagt, militärische Doppelstrukturen dürften nicht geschaffen werden. Sie werden aber mit der WEU geschaffen, und sie suchen sich ihre Einsatzmöglichkeiten, denn das war kein UNO-Auftrag für die Patrouille in der Adria, sondern eine Sache, die die WEU sicht selbst gesucht hat.Die Petersberg-Erklärung sagt: Militärische Kampfeinsätze sollen künftig außerhalb des Gebiets der Westeuropäischen Union möglich werden, und zwar — der ehemalige Außenminister Genscher wird entsetzt gewesen sein — ohne jeden Bezug auf einen UNO-Auftrag.Was uns so empört, ist, daß die Westeuropäische Union, die eine Verteidigungsorganisation ist, mit einem solchen Federstreich der Petersberg-Erklärung schlicht zu einer Interventionsorganisation umdefiniert werden soll. Wir sagen: Eine solche Veränderung bedarf der Diskussion im Bundestag. Sie bedürfte im übrigen der neuen Ratifikation eines solchen Vertrages der Westeuropäischen Union.Ich sage Ihnen: Mit uns jedenfalls wäre eine solche Perspektive im Deutschen Bundestag nicht positiv zu ratifizieren.
Die Zuordnung von Truppen zur Westeuropäischen Union, die da und auch schon früher angeklungen ist, hilft im übrigen nicht der europäischen Einigung, sondern sie schreckt ab. Sie schreckt Staaten wie Österreich, Staaten wie Schweden ab, die Mitglied in der europäischen Union werden sollen und müssen und die wir bei uns in dieser politischen Union dringend und notwendig brauchen.
Frau Abgeordnete, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Ich möchte einen Beitrag leisten, den Geräuschpegel auf ein Normalmaß zurückzuführen. Es ist nicht nur unhöflich, es ist unerträglich, wenn ein solcher Geräuschpegel im Saal ist. Dies ist eine dringliche Bitte.
Natürlich ist es richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß sich die Außenpolitik unseres Landes auf die vollständig neue Situation nach dem Wegfall der Blockkonfrontation einstellen muß. Ich lege aber Wert auf den Hinweis, daß die Sozialdemokratische Partei die einzige Partei ist, die ein entsprechendes Konzept entwickelt und einen Zwischenbericht erarbeitet hat, in dem zum erstenmal klar gesagt wird, wie wir die Organisationen — wie die NATO und die Westeuropäische Union — wirklich auf ihre defensive Verteidigungsfunktion begrenzen wollen und was wir machen müssen, um zu verhindern, daß sie nicht europaweit und weltweit zu Militärorganisationen umdefiniert werden.Wir haben ein Konzept für die sicherheitspolitische Neuorganisation Europas entwickelt. Hier sehen wir vor allem die Möglichkeit, die Ansätze der KSZEBlauhelme weiterzuentwickeln, das, was auch in Helsinki zur Frage der Konfliktverhütung und Konfliktvorbeugung im Gebiet der GUS beschlossen und verstärkt werden sollte. Wir waren diejenigen, die gesagt haben: Macht aus der KSZE eine Regionalorganisation der UNO, und versucht auf die Art und Weise, ein Stück gemeinsame Sicherheit zu verwirklichen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre es angesichts all dessen, was sich für Europa, für die Staaten der ehemaligen Sowjetunion, der GUS, an möglichen Konflikten abzeichnet, für all das, was an Aufgaben auf uns zukommt, wäre es angesichts der schier unübersehbaren Möglichkeiten und Notwendigkei-
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Heidemarie Wieczorek-Zeulten dieser Aufgaben nicht eine verantwortungsvolle und vernünftige deutsche Entscheidung, den Auftrag des Grundgesetzes nur um den der Blauhelme und nicht um den der militärischen Kampfeinsätze zu erweitern? Wäre unsere Verantwortung nicht wahrlich ausreichend gefordert, wäre es nicht sinnvoll, verantwortungsvoll und vernünftig zu sagen: Ja, wir sind souverän, wir können souverän entscheiden? In diesem Jahrhundert haben Soldatenstiefel schreckliches Unheil auf diesem Kontinent angerichtet. Unser deutscher Beitrag soll für den Rest dieses Jahrhunderts darauf ausgerichtet sein, daß Friedenserhaltung und humanitäre Leistungen die deutschen Perspektiven sind. Das ist unser Verständnis von deutscher Verantwortung.Ich danke Ihnen.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Breuer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die deutsche Beteiligung an der Beobachtung der Einhaltung der Embargo-Maßnahmen — veranlaßt durch die Vereinten Nationen — in Serbien und Montenegro ist meines Erachtens ein Zeichen für die Bereitschaft, Verantwortung für Frieden und Freiheit in Europa und in der Welt übernehmen zu wollen.
Die deutsche Beteiligung im Rahmen internationaler kollektiver Sicherheitssysteme — wie WEU, wie NATO, wie KSZE oder den Vereinten Nationen — ist unserer Meinung nach Voraussetzung für die Bündnisfähigkeit und für die Glaubwürdigkeit Deutschlands.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Frau Kollegin Wieczorek-Zeul die Westeuropäische Union eben eine Interventionsorganisation genannt hat, und zwar nach der Petersberger Erklärung, dann ist die Frage zu stellen, wo die SPD denn vor dem Hintergrund internationaler Solidarität eigentlich noch zu finden ist.
Auch die Argumentation der SPD um Sinn und Zweckmäßigkeit der Beteiligung an konkreten Embargo-Maßnahmen vor Serbien und Montenegro durch deutsche Marineeinheiten innerhalb eines NATO-Verbandes geht doch am eigentlichen Kern der Problematik vorbei. Sie sprachen eben von folgenlosen Paraden.
Wenn ein NATO-Verband, der im Mittelmeer seinen Auftrag erfüllt, durch die NATO im Rahmen eines UN-Embargos in dieses Gebiet geschickt wird, dann stellt sich die Frage nach deutscher Solidarität in diesen beiden Organisationen und nichts anderes. Alles andere ist Ablenkung von der eigentlichen Frage.
In erster Linie geht es auch nicht um die verfassungsrechtliche Problematik. In Wirklichkeit geht es um die Frage, ob sich Deutschland seiner sicherheitspolitischen Verantwortung in der Welt stellt oder nicht.
Herr Abgeordneter Breuer, der Abgeordnete Ullmann möchte gern eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie bereit, diese zu beantworten?
Bitte.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Ullmann.
Sie haben gerade von Glaubwürdigkeit gesprochen, Herr Kollege. Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang wegen der Glaubwürdigkeit der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eine Frage zu stellen. Aus Seite 3 des Entschließungsantrags steht der Satz: „Es ist zu hoffen, daß diese deutsche Beteiligung" — die Sie gerade beschrieben haben — „zur Beendigung des Mordens und der Gewalthandlungen der serbischen Armee gegen die Bevölkerung von Bosnien-Herzegowina beitragen wird. " Glauben Sie das allen Ernstes?
Herr Kollege Ullmann, ich bin davon überzeugt, daß nichts beeindruckender sein kann als eine Gemeinsamkeit der Weltöffentlichkeit und eine Gemeinsamkeit vorhandener handlungsfähiger internationaler Organisationen. Ich bin froh darüber und stolz darauf, daß wir Deutschen dort eingebunden sind.
Herr Kollege Ullmann, gerade wir Deutschen, die wir die Solidarität der freien Welt erfahren haben, gerade in der Zeit der Teilung, sollten unsere besondere Verpflichtung dabei sehen. Ich meine auch, daß Sie im Hinblick auf Ihr ganz persönliches Schicksal Ihre persönliche Verpflichtung bzw. politische Verpflichtung dabei sehen sollten.Im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien, meine Damen und Herren, sterben Tausende von Menschen, werden Männer, Frauen und Kinder verkrüppelt und aus ihrer Heimat vertrieben. Ich bin bis gestern drei Tage im Krisengebiet gewesen. Bei der Debatte, die wir heute führen, haben wir alle diese schrecklichen Bilder vor Augen. Herr Kollege Gansel, es sind diese Bilder, es sind diese Geschehnisse, die uns veranlassen, über deutsche Politik nachzudenken. Ich fand es schlimm, daß Sie dem Verteidigungsminister Volker Rühe vorhin den Vorwurf machten, er habe nicht genügend Widerstandskraft gegen die Militärs oder die Rüstungsindustrie, die neue Aufgaben suchten. Darum geht es nicht. Es geht darum, den geschundenen, den verkrüppelten, den vertriebenen Menschen in diesem Gebiet zu helfen, und um nichts anderes. Ich finde es schlimm, daß Sie versuchen, hier in dieser Art und Weise abzulenken.Lassen Sie mich zum Schluß noch ein Wort zu der Diskussion über den Einsatz von Wehrpflichtigen auf dem deutschen Schiff in der Adria sagen: Wehrpflichtige haben nach unserem Verständnis die gleichen Rechte, aber auch die gleichen Pflichten wie Soldaten auf Grund einer freiwilligen Verpflichtung. Vom Tage ihres Dienstantritts an werden sie genauso behandelt wie freiwillige Zeit- oder Berufssoldaten. Wehrpflichtige sind eine wichtige Verbindung der Bundeswehr
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Paul Breuermit der Bevölkerung unseres Landes. Natürlich sind auch die Zeit- und Berufssoldaten Söhne unseres Landes. Aber die Wehrpflichtigen stellen für jede Familie glaubwürdig die Verbindung der Bundeswehr mit unserer Bevölkerung dar.Wir wissen, wenn wir hier über so etwas diskutieren, daß wir eine tiefe Sorge für deutsche Soldaten empfinden müssen, für Wehrpflichtige und Zeit- und Berufssoldaten. Es wäre falsch, Wehrpflichtige aus dieser Verpflichtung herauszunehmen, weil dabei mehr verlorenginge, über das man nachdenken muß.Meine Damen und Herren, es geht um die Beteiligung deutscher Streitkräfte an Maßnahmen kollektiver Sicherheitssysteme zur Wahrung und Schaffung des Friedens als Ausdruck der sicherheitspolitischen Verantwortung Deutschlands. Aus dieser Verantwortung werden wir auch die SPD nicht entlassen können.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Freimut Duve hat die Absicht, nach § 30 unserer Geschäftsordnung eine Erklärung abzugeben. Er ist aber bereit, diese schriftlich abzugeben, wenn das Haus damit einverstanden ist. )
— Ich sehe, Sie stimmen dem zu.
Damit kommen wir zur Abstimmung. Zunächst kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P., der Ihnen auf Drucksache 12/3073 vorliegt. Wer für diesen Entschließungsantrag der CDU/CSU und der F.D.P. stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Wir stimmen nunmehr über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD ab, der Ihnen auf der Drucksache 12/3071 vorliegt. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Gruppen abgelehnt worden.
Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/3072. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsabgeordneten bei unterschiedlichem Verhalten der Abgeordneten der PDS/Linke Liste und bei Enthaltung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN abgelehnt worden.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/3058. Wer stimmt für
*) Anlage 2
diesen Entschließungsantrag? — Dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der SPD und der PDS/Linke Liste abgelehnt worden.
Wir kommen nunmehr zum Entschließungsantrag der PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/3057. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsabgeordneten und einigen Stimmen der SPD bei Enthaltungen und auch Gegenstimmen der übrigen Gruppen und Fraktionen abgelehnt worden.
Meine Damen und Herren, interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/2895 und 12/3014 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Der Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/2895 soll zusätzlich an den Innenausschuß überwiesen werden.
Der Gesetzentwurf der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/3055 soll zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß, zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß, den Verteidigungsausschuß, den Innenausschuß und den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Werden weitere Vorschläge gemacht? — Das ist nicht der Fall. Dann sind diese Überweisungen so beschlossen worden.
Meine Damen und Herren, ich rufe nun Zusatzpunkt 2 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses
zu den dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvO 16/92 und 17/92
— Drucksache 12/3059 —
Es handelt sich um die verfassungsrechtliche Prüfung des Schwangeren- und Familiengesetzes.
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen also gleich zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf der Drucksache 12/3059 zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung angenommen worden, und zwar bei unterschiedlichem Stimmverhalten in der CDU/CSU-Fraktion, sowohl Ablehnungen als auch Enthaltungen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß der Tagesordnung. Beim letztenmal ist die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 9. September 1992, um 9 Uhr einberufen worden. Ich hoffe, daß es dieses Mal stimmt.
Ich wünsche Ihnen weiterhin einen angenehmen Urlaub.
Die Sitzung ist geschlossen.