Protokoll:
12095

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 12

  • date_rangeSitzungsnummer: 95

  • date_rangeDatum: 4. Juni 1992

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 14:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:34 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 12/95 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 95. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 7793 A Wahl der Abgeordneten Regina SchmidtZadel zur Schriftführerin als Nachfolgerin der Abgeordneten Ursula Burchardt 7793 D Tagesordnungspunkt 9: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1992 (Nachtragshaushaltsgesetz 1992) (Drucksache 12/2600) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung des Strukturhilfegesetzes und zur Aufstockung des Fonds „Deutsche Einheit" (Drucksache 12/2692) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz (Berlin) und der Gruppe Bündnis 90/ GRÜNE: Kosten für die Sanierung der durch die ehemalige SDAG Wismut verursachten Umwelt- und Gesundheitsschäden (Drucksache 12/2638 [neu]) Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 7794 A Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD 7797B, 7806 D Dr. Theodor Waigel CDU/CSU 7798 A Jochen Borchert CDU/CSU 7803 B Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 7806D Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD 7808B Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste 7809B Manfred Kolbe CDU/CSU 7809 D Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 7811 A Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär BMWi 7812 C Ortwin Lowack fraktionslos 7813 B Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 7814 B Zusatztagesordnungspunkt 5: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Vierten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank (4. BBankGÄndG): (Drucksachen 12/988, 12/1869, 12/2288, 12/2389, 12/2745) 7815 A Tagesordnungspunkt 10: a) — Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (Drucksache 12/989) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Herta DäublerGmelin, Hermann Bachmaier, HansJoachim Hacker, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — Abschöpfung von Gewinnen, Geldwäsche — (. . . StrÄndG) Drucksachen 12/731, 12/2720) II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 — Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Joachim Poß, Hans Gottfried Bernrath, Dr. Ulrich Böhme (Unna), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Unterbindung der Geldwäsche zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (Drucksachen 12/1367, 12/2720) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Gewinnaufspürungsgesetz (Drucksache 12/2704) c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses a) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche b) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überprüfter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche (Drucksachen 12/210 Nr. 61, 12/1003 Nr. 2, 12/2000) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: — Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Beratung in Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit (Drucksache 12/870) — Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Herta Däubler-Gmelin, Hermann Bachmaier, Hans-Joachim Hacker, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen anerkannter Beratungsstellen in Suchtfragen (Drucksachen 12/655, 12/2738) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes (Drucksachen 12/934 , 12/2737) Dr. Hans de With SPD 7816 A Norbert Geis CDU/CSU 7818A Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 7820 C Jörg van Essen F.D.P. 7821 D Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 7823 A Erwin Marschewski CDU/CSU 7825 B Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD . 7825D, 7827 C Ingrid Matthäus-Maier SPD 7826B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 7827 A Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste 7827 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 7829 A Norbert Geis CDU/CSU 7830B Johannes Singer SPD 7830 C Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 7832 D Johannes Singer SPD 7833B, 7834 B Gudrun Schaich-Walch SPD 7834 D Wolfgang Lüder F.D.P. 7836B Dr. Wolfgang Ullmann Bündnis 90/GRÜNE 7837 A Horst Eylmann CDU/CSU 7838 C Roland Sauer (Stuttgart) CDU/CSU 7840 A Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. (Erklärung nach § 31 GO) 7841B Zusatztagesordnungspunkt 8: Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 41 Abs. 5 des Außenwirtschaftsgesetzes zur Kontrolle der Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Drucksachen 12/2709, 12/2733) Tagesordnungspunkt 3: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Übereinkommen vom 10. Oktober 1980 über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Verletzungen verursachen oder unterschiedslos wirken können (VN-Waffenübereinkommen) (Drucksache 12/2460) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung adoptionsrechtlicher Vorschriften (Adoptionsrechtsänderungsgesetz) (Drucksache 12/2506) c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dieter Heistermann, Dr. Andreas von Bülow, Gernot Erler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften (Drucksache 12/2548) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 III d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Wohngeldsondergesetzes (Drucksache 12/2601) e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens vom 22. März 1974 über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebiets (Helsinki-Übereinkommen) (Drucksache 12/2659) f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Walter Kolbow, Hans Gottfried Bernrath, Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Wehrtechnische Zusammenarbeit mit Israel (Drucksache 12/2494) g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz-Alfred Steiner, Dr. Andreas von Bülow, Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verbesserung der Wohnungsfürsorge für Angehörige der Bundeswehr (Drucksache 12/2547) 7843 B Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gerätesicherheitsgesetzes (Drucksache 12/2693) 7844 A Zusatztagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vermögensgesetzes und anderer Vorschriften — Zweites Vermögensrechtsänderungsgesetz) (Drucksache 12/2695) 7844 A Zusatztagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Drucksache 12/1866) . 7844A Zusatztagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des passiven Wahlrechts für Ausländer bei den Sozialversicherungswahlen (Drucksache 12/2734) 7844 B Zusatztagesordnungspunkt 12: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS/ Linke Liste: Aufnahme des Fernsehfilms „Wahrheit macht frei" und des Buches „Drahtzieher im braunen Netz — Der Wiederaufbau der NSDAP" in das Programm der Bundeszentrale für politische Bildung (Drucksache 12/2426) 7844 B Zusatztagesordnungspunkt 13: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Adam, Anneliese Augustin, Richard Bayha, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Gerhart Rudolf Baum, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Maßnahmen zur Verbesserung der Trinkwasserqualität in den neuen Bundesländern (Drucksache 12/2735) . 7844 B Tagesordnungspunkt 4: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 20. Dezember 1990 betreffend die Änderung des Übereinkommens vom 9. Mai 1980 über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) (Drucksachen 12/2149, 12/2578) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die nachträgliche Umstellung von Kontoguthaben, über die Tilgung von Anteilrechten an der AltguthabenAblösungs-Anleihe, zur Änderung lastenausgleichsrechtlicher Bestimmungen und zur Ergänzung des Gesetzes über die Errichtung der „Staatlichen Versicherung der DDR in Abwicklung" (Drucksachen 12/2170, 12/2721, 12/2722) c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt), Dr. Ilja Seifert, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur teilweisen Erstattung des bei der Währungsumstellung am 2. Juli 1990 zwei zu eins reduzierten Betrages für ältere Bürgerinnen und Bürger (Drucksachen 12/1400, 12/2504) d) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Theo Magin, Dirk Fischer (Hamburg), Heinz-Günter Bargfrede, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Ekkehard Gries, Horst Friedrich, Roland Kohn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Festlegung des Anwendungsbereiches und zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1893/91 (Drucksachen 12/2573, 12/2740) IV Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers für Wirtschaft: Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes" — Wirtschaftsjahr 1990 — (Drucksachen 12/1905, 12/2563) f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Einhundertsechzehnte Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz — (Drucksachen 12/2164, 12/2584) g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Einhundertsiebzehnte Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz — (Drucksachen 12/2316, 12/2651) h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Einhundertachtzehnte Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste (Drucksachen 12/2484, 12/2652) i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Neunzehnte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung (Drucksachen 12/2285, 12/2653) j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Einundachtzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung — (Drucksachen 12/2371, 12/2654) k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Zwanzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung (Drucksachen 12/2449, 12/2655) 1) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Einundzwanzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung — (Drucksachen 12/2483, 12/2656) m) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 60 zu Petitionen (Drucksache 12/2634) n) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 61 zu Petitionen (Drucksache 12/2635) 7844 C Tagesordnungspunkt 13: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes, des Bundesversorgungsgesetzes und des Lastenausgleichsgesetzes (Drucksachen 12/2219, 12/2705, 12/2706) 7846A Zusatztagesordnungspunkt 14: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Rechtspflege im Beitrittsgebiet (Rechtspflege-Anpassungsgesetz — RpflAnpG) (Drucksachen 12/2168, 12/2732) 7846A Tagesordnungspunkt 11: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Aufnahme von Krediten durch die Treuhandanstalt (Treuhandkreditaufnahmegesetz) (Drucksachen 12/2217, 12/2744) b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Roth, Hinrich Kuessner, Angelika Barbe, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Treuhandgesetzes (Drucksache 12/2291) c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) und der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Treuhandgesetzes (Drucksache 12/2604) d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Kurswechsel bei der Treuhandanstalt (Drucksache 12/2637) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 15: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Arbeit der Treuhandanstalt (Drucksache 12/2731) Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär BMF 7848A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 V Wolfgang Roth SPD 7849A Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) PDS/ Linke Liste 7851 A Werner Zywietz F.D.P. 7852 D Dr. Emil Schnell SPD 7854 B Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD 7854 D Ingeborg Philipp PDS/Linke Liste . . 7855 C Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 7856 D Dr. Norbert Meisner, Senator des Landes Berlin 7858 B Kurt J. Rossmanith CDU/CSU 7860B Ernst Schwanhold SPD 7860 C Hinrich Kuessner SPD 7862 A Susanne Jaffke CDU/CSU 7864 C Arnulf Kriedner CDU/CSU 7866A Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD 7867 A Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär BMWi 7868 C Tagesordnungspunkt 12: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Willfried Penner, Gerd Wartenberg (Berlin), Günter Graf, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Lage der Polizei in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksachen 12/908, 12/2374) Rolf Schwanitz SPD 7869 B Joachim Clemens CDU/CSU 7870 C Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 7873 A Dr. Wolfgang Ullmann Bündnis 90/GRÜNE 7874 C Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 7875 C Monika Brudlewsky CDU/CSU 7876 C Günter Graf SPD 7878B Dr. Jürgen Schmieder F.D.P. 7882A Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 7883 A Nächste Sitzung 7884 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 7885 *A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 11 (Treuhandkreditaufnahmegesetz, Gesetzentwürfe zur Änderung des Treuhandgesetzes) Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär BMWi 7885 *C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 7793 95. Sitzung Bonn, den 4. Juni 1992 Beginn: 14.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 04. 06. 92 ** Bindig, Rudolf SPD 04. 06. 92 * Böhm (Melsungen), CDU/CSU 04. 06. 92 ** Wilfried Brandt, Willy SPD 04. 06. 92 Dehnel, Wolfgang CDU/CSU 04. 06. 92 Doss, Hansjürgen CDU/CSU 04. 06. 92 Dr. Enkelmann, Dagmar PDS/LL 04. 06. 92 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 04. 06. 92 ** Fuchs (Verl), Katrin SPD 04. 06. 92 Dr. Funke-Schmitt-Rink, F.D.P. 04. 06. 92 Margret Gallus, Georg F.D.P. 04. 06. 92 Dr. Glotz, Peter SPD 04. 06. 92 Göttsching, Martin CDU/CSU 04. 06. 92 Gries, Ekkehard F.D.P. 04. 06. 92 Großmann, Achim SPD 04. 06. 92 Grünbeck, Josef F.D.P. 04. 06. 92 Dr. Hauchler, Ingomar SPD 04. 06. 92 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 04. 06. 92 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 04. 06. 92 Kittelmann, Peter CDU/CSU 04. 06. 92 ** Kors, Eva-Maria CDU/CSU 04. 06. 92 Kretkowski, Volkmar SPD 04. 06. 92 Kubicki, Wolfgang F.D.P. 04. 06. 92 Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 04. 06. 92 Klaus W. Magin, Theo CDU/CSU 04. 06. 92 Marten, Günter CDU/CSU 04. 06. 92 ** Mehl, Ulrike SPD 04. 06. 92 Dr. Meyer zu Bentrup, CDU/CSU 04. 06. 92 ** Reinhard Dr. Müller, Günther CDU/CSU 04. 06. 92 ** Müller (Pleisweiler), SPD 04. 06. 92 Albrecht Dr. Paziorek, Peter Paul CDU/CSU 04. 06. 92 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 04. 06. 92 ** Reddemann, Gerhard CDU/CSU 04. 06. 92 ** Rempe, Walter SPD 04. 06. 92 Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 04. 06. 92 Reschke, Otto SPD 04. 06. 92 Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 04. 06. 92 Dr. Scheer, Hermann SPD 04. 06. 92 ** Schluckebier, Günther SPD 04. 06. 92 ** von Schmude, Michael CDU/CSU 04. 06. 92 ** Dr. Soell, Hartmut SPD 04. 06. 92 ** Steiner, Heinz-Alfred SPD 04. 06. 92 ** Terborg, Margitta SPD 04. 06. 92 ** Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 04. 06. 92 Vogel (Ennepetal), CDU/CSU 04. 06. 92 ** Friedrich Dr. Vondran, Ruprecht CDU/CSU 04. 06. 92 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Waffenschmidt, Horst CDU/CSU 04. 06. 92 Weis (Stendal), Reinhard SPD 04. 06. 92 Zapf, Uta SPD 04. 06. 92 Zierer, Benno CDU/CSU 04. 06. 92 ** * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 11 (Treuhandkreditaufnahmegesetz, Gesetzentwürfe zur Änderung des Treuhandgesetzes) Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Der vorliegende Gesetzentwurf der SPD-Fraktion sieht vor, das Treuhandgesetz zu ändern. Damit soll im Kern der Treuhandauftrag stärker in Richtung Sanierung ausgerichtet werden. Auch die Bundesregierung ist der Auffassung, daß das Jahr 1992 das Jahr der „Sanierung vor Ort" ist. Es ist also völlig klar, daß jetzt auf der Basis von geprüften und gebilligten Unternehmenskonzepten die aktive Sanierungsbegleitung durch die Treuhandanstalt konkretisiert wird. Das Treuhandgesetz enthält schon in seiner gegenwärtigen Fassung den klaren Auftrag, daß saniert werden soll. Ich verweise nur auf § 2 Abs. 6 THA-Gesetz. Danach hat die Treuhandanstalt auch die Aufgabe, „. . . insbesondere auf die Entwicklung sanierungsfähiger Betriebe zu wettbewerbsfähigen Unternehmen ... Einfluß zu nehmen." Das ist eindeutig. Hier besteht überhaupt kein Klarstellungsbedarf durch gesetzgeberisches Handeln. Wir sollten also die notwendige schnelle Umsetzung der Sanierungstätigkeit der Treuhandanstalt nicht durch unnötige politische Diskussionen belasten, sondern wir sollten die Treuhandanstalt in ihrer Arbeit unterstützen. Jeder Mensch weiß, daß die Sanierung von Unternehmen zu den schwierigsten Aufgaben der Unternehmensführung überhaupt gehört. Dabei ist jeder Einzelfall anders zu beurteilen und anders zu handhaben. Insofern kann und sollte es keine generellen Vorgaben geben. Dies würde nur den flexiblen Einsatz und die innovative Weiterentwicklung des bestehenden Sanierungsinstrumentariums hindern. Die Treuhandanstalt hat immer auch eine Sanierungspolitik betrieben: Natürlich haben sich die Gewichte von der Begleitung durch Liquiditätskreditbürgschaften über die Erstellung von Unternehmenskonzepten deutlich im Zeitablauf verlagert. Dies konnte aber nicht anders sein, denn zunächst mußten die Unternehmen analysiert werden, ihre innerbetrieblichen und Marketingprobleme erkannt werden, 7886* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992 um so zu tragfähigen Unternehmenskonzepten zu kommen. Gut 70 % ihrer rund 6 000 Unternehmen sind als sanierungsfähig eingestuft worden. Als Sanierungsbeitrag für ihre Unternehmen hat die Treuhandanstalt bis jetzt Finanzleistungen in Höhe von 70 Milliarden DM für die Übernahme von Altschulden, 30 Milliarden DM für Bürgschaften sowie 8 bis 10 Milliarden DM für Sozialpläne verausgabt. Natürlich kann die Treuhandanstalt die Sanierung nicht selbst durchführen. Der Sanierungserfolg ist abhängig von der Qualität des Managements. Deshalb ist es notwendig, qualifizierte Manager für das Engagement in diesen Betrieben, in den neuen Ländern zu gewinnen. Hier ziehen Treuhandanstalt und Bundesregierung mit entsprechenden Anwerbungen am selben Strick. Innerhalb der Treuhandanstalt ist ein Vertragscontrolling und ein umfassendes System der Beteiligungsführung im Aufbau. Für Unternehmen bis 500 Beschäftigte gibt es den spezifischen Beteiligungsbetreuer als Ansprechpartner. Für Großunternehmen sind Einzelfallösungen vorgesehen. Wie Sie wissen, sind vor kurzem die ersten beiden Management KG's gegründet worden. Sanierungsfähige Unternehmen sollen so besser durch einen erfahrenen Manager geführt, saniert und der Privatisierung zugeführt werden. Wichtiger als die organisatorischen Elemente ist aber selbstverständlich der Inhalt der Sanierungsbegleitung: Die von der SPD genannten Punkte gehören im wesentlichen zum Repertoire des Sanierungsprogramms der Treuhandanstalt. Dies gilt namentlich für die Ausstattung mit branchenüblichem Eigenkapital, die Entschuldung in Einzelfällen und die Begleitung mit Bürgschaften. Meine Damen und Herren, wie Sie sehen, geht die Politik der Bundesregierung in die richtige Richtung. Ich denke, diese Feststellung gilt umso mehr, als auch die größte Oppositionspartei das fordert, was wir praktizieren. In einem Punkt kann ich mit den Vorstellungen der SPD allerdings nicht übereinstimmen. Die Forderung, Treuhandunternehmen — und sei es auch nur in Einzelfällen — in staatliches Beteiligungsvermögen zu überführen, kann nicht unsere Zustimmung finden. Eine neue Verstaatlichung der Wirtschaft wäre sicherlich die falsche Antwort auf die wirtschaftlichen Probleme in den neuen Ländern. Was wir wollen, ist nicht die trügerische Illusion der Stabilität, sondern den sich auf Dauer selbsttragenden Aufschwung Ost.
Gesamtes Protokol
Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1209500000
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
5. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Vierten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank (4. BBankGÄndG) — Drucksachen 12/988, 12/1869, 12/2288, 12/2389, 12/2745 —
6. — Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Beratung in Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit — Drucksachen 12/870, 12/2738 —
— Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Herta Däubler-Gmelin, Hermann Bachmaier, HansJoachim Hacker, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen anerkannter Beratungsstellen in Suchtfragen — Drucksachen 12/655, 12/2738 —
7. Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes — Drucksachen 12/934, 12/2737 —
8. Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 41 Abs. 5 des Außenwirtschaftsgesetzes zur Kontrolle der Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses — Drucksachen 12/2709, 12/2733 —
9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vermögensgesetzes und anderer Vorschriften — Zweites Vermögensrechtsänderungsgesetz (2. VermRÄndG) — Drucksache 12/2695 —
10. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes — Drucksache 12/1866 —
11. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des passiven Wahlrechts für Ausländer bei den Sozialversicherungswahlen — Drucksache 12/2734 —
12. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Aufnahme des Fernsehfilms „Wahrheit macht frei" und des Buches „Drahtzieher im braunen Netz — Der Wiederaufbau der NSDAP" in das Programm der Bundeszentrale für politische Bildung — Drucksache 12/2426 —13. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Adam, Anneliese Augustin, Richard Bayha, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Gerhart Rudolf Baum, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Maßnahmen zur Verbesserung der Trinkwasserqualität in den neuen Bundesländern — Drucksache 12/2735 —14. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Rechtspflege im Beitrittsgebiet (Rechtspflege-Anpassungsgesetz — RpflAnpG) — Drucksachen 12/2168, 12/2732 —15. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Arbeit der Treuhandanstalt — Drucksache 12/2731 —16. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Zinsbesteuerung (Zinsabschlaggesetz) — Drucksachen 12/2501, 12/2690, 12/2736, 12/2743 —
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit es zu einzelnen Punkten der Tagesordnung und der Zusatzpunktliste erforderlich ist, abgewichen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Die Kollegin Ursula Burchardt legt ihr Amt als Schriftführerin nieder. Die Fraktion der SPD schlägt als neue Schriftführerin die Kollegin Regina SchmidtZadel vor. Sind Sie auch damit einverstanden? — Das ist der Fall. Damit ist die Kollegin Regina SchmidtZadel als Schriftführerin gewählt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 a bis 9 c auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1992 (Nachtragshaushaltsgesetz 1992)

— Drucksache 12/2600 —
Überweisung: Haushaltsausschuß
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung des



Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Strukturhilfegesetzes und zur Aufstockung des Fonds „Deutsche Einheit"
— Drucksache 12/2692 —
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß (federführend)

Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz (Berlin) und der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE
Kosten für die Sanierung der durch die ehemalige SDAG Wismut verursachten Umwelt- und Gesundheitsschäden
— Drucksache 12/2638 (neu)
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß (federführend) Ausschuß für Wirtschaft
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind. für die gemeinsame Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Dazu sehe ich keinen Widerspruch. — Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Dr. Waigel.

Dr. Theodor Waigel (CSU):
Rede ID: ID1209500100
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen noch unter dem Eindruck des Abschieds von Karl Carstens. Bevor ich mit meinen Ausführungen beginne, möchte ich auch von dieser Stelle diesem großartigen Mann für vieles an Ermutigung, Wegweisung und Aufmunterung herzlich danken, die er gerade auch mir in den letzten Jahren immer wieder mitgegeben hat.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorgelegten Entwurf für den Nachtragshaushalt 1992 verstärken wir noch einmal die wirtschaftliche Förderung in den jungen Bundesländern. Zugleich verwirklichen wir im Rahmen unserer mittelfristigen Finanzkonzeption einen wichtigen Schritt zur Konsolidierung des Bundeshaushalts.
Trotz unvermeidbarer Mehraufwendungen von rund 6 Milliarden DM kann die Nettokreditaufnahme von 45,3 auf 42,7 Milliarden DM gesenkt werden. Bei Einbeziehung der höheren Steuereinnahmen des Bundes, die sich aus der jüngsten Steuerschätzung ergeben, könnte die Kreditaufnahme sogar noch weiter gesenkt werden. Ich bin sicher: Der Haushaltsausschuß wird sich diese Chance nicht nehmen lassen, Herr Kollege Borchert.
Durch den vorgelegten Entwurf des Nachtragshaushalts 1992 wird noch einmal unterstrichen: Wir haben seit Beginn des Wiedervereinigungsprozesses bei der Finanzplanung des Bundes alle Ziele und Vorgaben eingehalten. Im ersten Jahr der Einheit, 1990, blieb das Defizit im Bundeshaushalt um rund 20 Milliarden DM unter der Planung. Für das Jahr 1991 war durch die Eckwertebeschlüsse vom November 1991 ursprünglich eine Obergrenze für die Kreditaufnahme des Bundes von 70 Milliarden DM eingeplant. Im Ergebnis belief sich die Kreditaufnahme im letzten Jahr auf rund 52 Milliarden DM.
Für den Bundeshaushalt 1992 stand im Finanzplan 1990 bis 1994 noch eine Kreditaufnahme von knapp 50 Milliarden DM. Nach dem Stand des Nachtragshaushalts 1992 werden es allenfalls 42,5 Milliarden DM sein. Das zeigt: Wir haben solide gewirtschaftet, wir sind sparsam mit dem Geld umgegangen, wir haben nichts verschleudert, und wir sind jedesmal von der Wirklichkeit positiv überholt worden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich glaube und hoffe, es wird uns auch in der Zukunft gelingen.
Der Nachtragshaushalt 1992 steht wie unsere gesamte Finanz- und Wirtschaftspolitik unter dem Primat der wirtschaftlichen und sozialen Integration Deutschlands. Wir wollen die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur" im Bereich der ostdeutschen Länder um 300 Millionen DM aufstocken und zusätzlich 1,6 Milliarden DM an Verpflichtungsermächtigungen in den Haushalt einstellen. Das KfW-Wohnraummodernisierungsprogramm, das inzwischen vollständig durch Anträge belegt ist, soll erweitert werden.
Im Rahmen des Nachtragshaushalts werden wir auch, wie im Vermittlungsverfahren vereinbart, die Abschlußzahlungen im Rahmen der Strukturhilfe von 0,8 auf 1,5 Milliarden DM anheben. Durch unser Kompromißangebot haben wir die Umlenkung der Strukturhilfemittel in die jungen Bundesländer ermöglicht.
Ich kann nur immer wieder hoffen, daß wir nicht ideologische Barrieren errichten. Denn letztlich setzt sich im Vermittlungsausschuß, lieber Peter Struck, doch immer wieder die Vernunft durch, wie es sich gestern auch beim Bundesbankstrukturgesetz offensichtlich erwiesen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die unabweisbaren und notwendigen Zusatzausgaben werden durch Einsparungen von 2,4 Milliarden DM, durch EG-Minderabführungen von 2,1 Milliarden DM und durch wachstumsbedingte Steuermehreinnahmen von 3,5 Milliarden DM bei weitem ausgeglichen.
Wenn die SPD behauptet, wir würden mit dem Nachtragshaushalt 1992 die selbstgesetzte Ausgabenlinie überschreiten, dann vergleicht sie Äpfel mit Birnen. Denn nach dem Grunderfahrungsschatz aller Haushaltspolitiker — Peter Struck gehört ja dazu; ich hoffe, Herr Wieczorek, Sie werden es ebenfalls bestätigen — kann man die Ist-Zahlen des abgeschlossenen Vorjahreshaushalts nicht sinnvoll mit den Planzahlen des laufenden Haushalts vergleichen. Minderausgaben im Vorjahr führen automatisch zu einer rechnerischen Erhöhung der Steigerungsrate für das laufende Jahr. Bei sachgerechter Berücksichtigung der Sondereffekte wird der Ausgabenanstieg 1992 einschließlich des Nachtragshaushalts nur etwas über 3 % liegen.
Der Entwurf des Nachtragshaushalts 1992 unterstreicht die Entschlossenheit, mit der wir unsere mittelfristige finanzpolitische Konzeption verwirkli-



Bundesminister Dr. Theodor Waigel
chen. Durch strikte Ausgabendisziplin soll bereits 1995 die Kreditaufnahme des Bundes wieder auf 25 Milliarden DM gesenkt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, werden wir den Ausgabenanstieg beim Bund auf durchschnittlich 2,5 % pro Jahr begrenzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir haben uns eindeutig gebunden. Damit wird allen eine Grenze gesetzt, die die öffentlichen Haushalte und damit unsere Volkswirtschaft insgesamt durch einseitige Interessenvertretung überfordern.
Einigen Kritikern war unsere Finanzkonzeption nicht konkret genug. Aber ich habe bewußt auf die Vorlage von sogenannten Steinbruchlisten verzichtet. Denn nach allen Erfahrungen fallen solche Steinbruchlisten unweigerlich der großen Koalition der Sonderinteressen zum Opfer.
Wir werden der destruktiven Kritik an unserer Finanzkonzeption keinen Raum lassen. Statt dessen muß jeder, der finanzielle Forderungen an den Bundeshaushalt stellt, die strikte Ausgabenbegrenzung und das Moratorium anerkennen.
Der von allen politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen geforderte Konsolidierungskurs bedarf allerdings einer engagierten und einer ehrlichen Unterstützung. Ich bin für Gemeinsamkeiten zwischen den großen Parteien. Aber Finanzierungskonzepte, die unter der Überschrift Sparpaket vor allem Steuer- und Abgabenerhöhungen auflisten, bringen uns nicht weiter,

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

dies vor allen Dingen nicht zu einem Zeitpunkt, zu dem fast alle Länder um uns herum mit Niedrigsteuersätzen, mit Änderungen im Bereich der Steuersätze, vor allem auch der Grenzsteuersätze, arbeiten, um ganz bewußt gerade auch im Hinblick auf den europäischen Binnenmarkt für sich Investitionen und Kapital zu gewinnen. Wir sind nicht nur ein nationaler Markt. Wir sind ein internationaler Markt, und wir müssen auch unsere Finanz-, Steuer- und Abgabenpolitik darauf einstellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir werden mit der Konsolidierung auch nicht vorankommen, wenn sich die sogenannte konstruktive Mitarbeit darauf beschränkt, die notwendige Kostenbegrenzung im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit sofort als Sozialabbau zu diffamieren. Uns auf der einen Seite vorzuwerfen, wir würden in unseren Sparvorstellungen nicht weit genug gehen, und bei jedem Vorschlag — sei es in der allgemeinen Finanzpolitik, sei es in der Gesundheitspolitik oder wo auch immer — sofort zu sagen, wir werden das bis aufs Messer bekämpfen, das ist keine konstruktive Mitarbeit. Meine Damen und Herren von der SPD, es wird notwendig sein, daß Sie sich zu dieser Mitarbeit bekennen. Sie werden sich aus dieser Mitarbeit nicht selber entlassen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die dreistelligen Milliardenbeträge, die wir zur Zeit in die wirtschaftliche und soziale Integration Deutschlands investieren, müssen an anderer Stelle ausgeglichen werden. Denn nur, wenn wir die Belastung der Bürger und der investierenden Betriebe in Grenzen halten, können wir das für die Finanzierung der Einheit unverzichtbare wirtschaftliche Wachstum auch für die Zukunft sichern. Konsolidierung ist nur möglich, wenn wir auch bei der Höhe der Investitionen in die Einheit klare Grenzen der Belastbarkeit beachten.
Wir werden jetzt durch den Nachtragshaushalt 1992 die Mittel für die jungen Bundesländer noch einmal aufstocken. Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich Herrn Ministerpräsident Seite für seine Klarstellung in einem Interview mit der „Rheinischen Post" danken. Im Unterschied zu anderen hat er die erheblichen Anstrengungen zur wirtschaftlichen und sozialen Integration anerkannt, indem er sagte:
Ich werde nicht nachlassen, den Bürgern klarzumachen, welch guten Start wir bereits gemacht haben. Insgesamt sind wir dankbar für die Hilfe von Bund und Altländern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das tut auch einmal den Steuer- und Abgabenzahlern in ganz Deutschland, auch im Westen gut, wenn sie das hören. Wenn mehr solcher Stimmen kämen, wenn man mehr aufeinander zuginge und nicht nur immer voneinander fordern würde, dann würden auch die Solidarität im Westen und die Geduld im Osten stärker aufeinander zugehen und in Übereinstimmung gebracht werden können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es geht jetzt um die möglichst wachstumswirksame Nutzung der bereitgestellten Transfers. Es geht um Infrastrukturinvestitionen, die Voraussetzung für private, arbeitsplatzschaffende Investitionsprojekte sind. Es geht darüber hinaus auch um Einsparungen in den östlichen Länder- und Gemeindehaushalten, die vor allem im Bereich der Personalausgaben noch unbestritten möglich sind.
Wir können den Prozeß der Einheit in finanz- und wirtschaftspolitischer Hinsicht nur gestalten, wenn wir uns nicht an Wunschvorstellungen, sondern an der Realität orientieren. Zu einer realitätsbezogenen Planung gehört auch, die Grenzen der Umverteilung in unserer Gesellschaft zu beachten.
Die Bewältigung der deutschen Einheit ist ohne die Anerkennung der umfassenden Solidarität aller Deutschen nicht zu erreichen. Der gesellschaftliche Konsens ist die Grundvoraussetzung für die Wiedergewinnung der inneren Einheit. Ich brauche da überhaupt keine Belehrungen von Herrn Thierse. Schade, daß er nicht da ist; ich hätte mich gern einmal mit ihm auseinandergesetzt. Die Art und Weise, wie er manchmal über andere, die vielleicht auf unterschiedlichen Wegen gehen wollen, aber mit genau dem gleichen Engagement wie er Deutschland verpflichtet sind, immer wieder Gift verspritzt und andere diffamiert, ist unerträglich. Es steht auch ihm bei aller Betroffenheit dessen, der aus dem Osten kommt, nicht zu, so über andere Kollegen zu urteilen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, wir können den Prozeß der Einheit in finanz- und wirtschaftspolitischer Hin-



Bundesminister Dr. Theodor Waigel
sicht nur gestalten, wenn wir uns nicht an Wunschvorstellungen, sondern wirklich an der Realität orientieren. Ich habe in der letzten Woche beschrieben, wie in den kommenden Jahren eine Konvention zur wirtschaftlichen und sozialen Einheit aussehen könnte: Die Beschäftigten im Westen sollten ihre zusätzlichen Ansprüche an das Bruttosozialprodukt für drei Jahre zurückstellen und sich bei ihren Lohnforderungen auf einen Ausgleich des unvermeidbaren Anstiegs der Verbraucherpreise beschränken. Die Unternehmen im Westen sollten bei verstärkter Selbstfinanzierungskraft alle Investitionspläne noch einmal im Hinblick auf die Chancen in den ostdeutschen Bundesländern überprüfen.
Mit einem jährlichen 25prozentigen Anstieg der Investitionen im Osten Deutschlands könnte bis 1995 das derzeitige Investitionsvolumen auf rund 100 Milliarden DM verdoppelt werden. Die öffentlichen Haushalte richten alle Anstrengungen darauf, eine Erhöhung der Steuer- und Abgabenlast zu vermeiden. Bei stabilitäts- und wachstumsgerechtem Verhalten der Beschäftigten und der Betriebe ist die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte allein über die Ausgabenseite zu erreichen.
Eine solche Konvention würde allen Beteiligten konkrete Vorteile bringen; denn der begrenzte Zuwachs der Lohnsteigerungen würde sich durch rasch sinkende Preissteigerungsraten für die Sparer positiv auswirken. Für die Betriebe bedeuten mutige Investitionsentscheidungen auf mittlere Sicht steigende Nachfrage und steigende Erträge.
Wir haben in der gestrigen Sitzung des Finanzplanungsrates noch einmal die Notwendigkeit umfassender Ausgabenbegrenzung auf allen staatlichen Ebenen unterstrichen. Ich bin auch allen Beteiligten, den Ländern und den Kommunen, dankbar, daß es gelungen ist, in einer so schwierigen Situation trotz verschiedener Ausgangssituationen und Belastungen doch zu dieser Übereinstimmung zu kommen, die ein wichtiges positives Signal für die Wirtschaft und auch für die Finanzmärkte darstellt.
Ich begrüße die deutlichen Konsolidierungsanstrengungen einiger Länder, die für dieses Jahr in ihren Haushaltsplänen den Anstiegswinkel zumindest unter 4 % gedrückt haben. Gerade angesichts der immer noch zu hohen Lohnsteigerungen im Bereich des öffentlichen Dienstes sind mit einem so engen Ausgabenrahmen umfassende Konsolidierungsanstrengungen verbunden.
Aber ich bin nicht sicher, ob schon bei allen Beteiligten in Ost und West, auch auf der Ebene der Städte und Gemeinden, die Konsolidierungsaufgabe ausreichend akzeptiert wird. Wenn wir insgesamt die öffentlichen Defizite begrenzen wollen, müssen sich auch diejenigen einschränken, die auf Grund besonders günstiger Umstände noch über einen vergleichsweise weiten Finanzrahmen verfügen. Nur so können wir von den Ausgabenraten von 7 % im Bereich der Länder und von 9 % bei den Gemeinden im letzten Jahr herunterkommen.
Erfolgreiche Konsolidierungspolitik muß durch wirksame Wachstumsstrategien ergänzt und gefördert werden; denn die öffentlichen Haushalte werden
um so schneller entlastet, je rascher der Aufschwung in den neuen Bundesländern an Kraft und an Breite gewinnt.
Die Treuhandanstalt spielt bei der Festigung dieses Aufschwungprozesses eine entscheidende Rolle. Die inzwischen fast 7 000 privatisierten Unternehmen, Investitionszusagen von rund 130 Milliarden DM und 1,1 Millionen gesicherte Arbeitsplätze sind ein Kernelement künftiger wirtschaftlicher Prosperität, wobei etwas ganz Entscheidendes in der Politik der Treuhand auch bei der so viel gescholtenen Privatisierung zu sehen ist: Mit jeder Privatisierung, bei der ein Investor aus dem internationalen Bereich oder aus dem Westen Deutschlands kommt, kommt ein Stück Markt mit. Denn es ist so eminent wichtig, daß nicht nur ein Verlustausgleich, nicht nur Ausstattung mit Kapital, nicht nur Weiterbeschäftigung und Produktion stattfinden, sondern daß diese Produktion abgesetzt werden kann. Das ist der entscheidende Gewinn bei der Privatisierung, der durch die Treuhandanstalt erzielt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Trotz des hohen Privatisierungstempos hat es zu keinem Zeitpunkt einen Ausverkauf des ehemals volkseigenen Vermögens gegeben. Im Gegenteil: Wir haben bisher schon rund 27 Milliarden DM in die Sanierung von Betrieben gesteckt, bei denen mittelfristig Wettbewerbsfähigkeit erreicht werden kann. In diesem Jahr stehen 25 Milliarden DM zur Verfügung.
Wir werden in unseren Sanierungsanstrengungen nicht nachlassen. Aber es würde den Arbeitssuchenden in den jungen Bundesländern auf Dauer wenig nützen, wenn wir die knappen öffentlichen Mittel für auf die Dauer nicht sinnvolle Erhaltungssubventionen vergeudeten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Im übrigen wären zahlreiche Betriebe zumindest noch auf Zeit überlebensfähig, wenn das unrealistische Ziel der kurzfristigen Angleichung der Lohn- und Einkommensverhältnisse zwischen Ost und West endlich aufgegeben würde. Jeder Prozentpunkt, um den das Einkommensniveau in den östlichen Bundesländern von der dort erzielten Produktion abweicht, bindet 6 bis 7 Milliarden DM an öffentlichen Finanztransfers. Alle ökonomischen Sachverständigen im Inland, die EG-Kommission, die OECD und der Internationale Währungsfonds haben auf die gravierenden Probleme durch die zunehmende Produktivitätslücke hingewiesen. Angesichts der klaren und eindeutigen Analysen darf diese schwerwiegende Fehlentwicklung im Prozeß der Wiedervereinigung nicht länger als unausweichliches Schicksal hingenommen werden. Übrigens gab es auch in dem Punkt eine Übereinstimmung aller Finanzminister über die Parteien hinweg gestern im Finanzplanungsrat.
Die Lohn- und Gehaltsansprüche im Osten müssen begrenzt werden; denn in einem Lohnzuwachsverzicht läge eine wirklich langfristig wirksame Investition in den ökonomischen Integrationsprozeß. Es wäre vor allem eine Investition in zusätzliche Beschäftigung und in die Sicherheit der noch vorhandenen Arbeitsplätze.



Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die wirtschaftliche und soziale Einheit ist die deutsche Aufgabe im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Wir können diese Aufgabe nur bewältigen, wenn wir Deutschland wirklich als Einheit verstehen. Unser Land bliebe dann innerlich gespalten, wenn sich die einen als Interessenvertreter des Westens und die anderen als diejenigen des Ostens verstünden.
Es gibt im vereinigten Deutschland große Finanzierungs- und Investitionsaufgaben. Aber sie unterscheiden sich nicht grundsätzlich von dem, was im Westen in den letzten 45 Jahren bewältigt wurde. Wir können auf einer außerordentlich erfolgreichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und erprobten Solidarität aufbauen. Wer diese Solidarität durch Egoismus oder überhöhte Forderungen angreift, stellt sich gegen die deutsche Einheit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir haben die Aufgabe, die Zukunft des vereinten Deutschlands zum Wohle unserer Bürger zu gestalten. Wenn wir jetzt die richtigen wirtschafts- und finanzpolitischen Entscheidungen treffen, werden wir erfolgreich sein und so auch das Vermächtnis von Karl Carstens verwirklichen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1209500200
Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Helmut Wieczorek.

Helmut Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1209500300
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Nachtragshaushalt 1992 und die Eckwerte für die mittelfristige Finanzplanung der Bundesrepublik werden zu einem Zeitpunkt vorgelegt, an dem die Weichen für das endgültige Gelingen oder Scheitern der deutschen Einheit gestellt werden müssen. In dieser Zeit befindet sich die Bonner Koalition in einem Zustand der Auflösung.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Keinesfalls!)

Sie ist personell und politisch ausgebrannt. Das Schachern um Posten im Kabinett, die Handlungsblockaden zwischen CDU, CSU und F.D.P. und die gegenseitigen Drohgebärden sind nur Symptome einer tiefgreifenden Krise.

(Beifall bei der SPD — Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das war nichts! Fangen Sie noch einmal an!)

Das Instrumentarium dieser Regierung erweist sich als untauglich, die Einheit Deutschlands bei Wahrung des sozialen Friedens und der sozialen Gerechtigkeit zu vollenden. Handlungsunfähigkeit der Bundesregierung und fehlende Wahrhaftigkeit sind die Ursache dafür, daß in der deutschen Bevölkerung die fünf U um sich greifen, von denen Franz Josef Strauß einmal in seiner sehr einprägsamen Art gesprochen hat.

(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Ei, ei, ei!)

— Ich wiederhole sie gerne noch einmal für Sie, Herr
Bötsch: Ungewißheit, Unsicherheit, Unbehagen, Unruhe und potentielle Unzufriedenheit mit der Arbeit der Regierung sind das, was Sie im Lande feststellen können.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE — Dietrich Austermann [CDU/ CSU]: Unfähigkeit der Opposition!)

Dem „Handelsblatt", einem sicherlich nicht sehr links stehenden Blatt in Deutschland, steigt angesichts des Zustandes der Koalition der Modergeruch in die Nase, und die „Süddeutsche Zeitung" kommt zu dem vernichtenden Urteil „Verrottet bis ins Mark". Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Sicher eine ganz alte Zeitung!)

Meine Damen und Herren, gefordert ist ein überzeugendes Konzept,

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Jetzt kommt es!)

das Erfolg verspricht und den Bürgern erklären kann, worum es geht. Daran fehlt es bis jetzt. Es fehlt jede politische Entscheidung darüber, was für unser Land wichtig und vordringlich ist, was zeitlich gestreckt und worauf ganz verzichtet werden kann.
Der Bundesfinanzminister hat eine knallharte Finanzpolitik angekündigt. Aber außer knallhartem Sozialabbau ist sonst nichts gekommen. Das zeigt das politische Tauziehen beispielsweise um den Jäger 90. Hier wird die Politik auf einmal zu einem Vexierspiel. Der Verteidigungsminister nimmt als Libero in der Regierungsmannschaft die ureigenste Aufgabe des Finanzministers mit der Feststellung wahr, daß sich der Jäger 90 angesichts der leeren Staatskassen nicht mehr verwirklichen läßt.

(Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das stimmt doch gar nicht!)

Er erklärt darüber hinaus seine Bereitschaft, nötigenfalls auch über Rüstungsprojekte neu nachzudenken,
die schon in der Vergangenheit beschlossen wurden.

(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Sie verstehen nicht einmal was vom modernen Fußball!)

Ich kann nur sagen: Kompliment, Herr Rühe.

(Beifall bei der SPD — Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr guter Mann!)

Lassen Sie uns aber einen Moment mit dem Bundesfinanzminister beschäftigen, was der in dieser Affäre eigentlich tut. Dieser Bundesfinanzminister taucht nicht nur weg, sondern er macht etwas viel schlimmeres: Er ist in der gegnerischen Mannschaft der Rüstungsindustrie sogar der Spielführer.

(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Unglaublich!)

Während jede Mark zum Aufbau des vereinten Deutschlands gebraucht wird, versucht er, die Entscheidung für den Jäger 90 offenzuhalten.

(Beifall bei der SPD — Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Und der Erich Riedl will die Bundeswehr abschaffen, wenn er den Jäger 90 nicht kriegt!)




Helmut Wieczorek (Duisburg)

Er versucht, die Entscheidung über den Jäger 90 so lange hinauszuziehen, bis die überrumpelte Rüstungslobby wirklich in der Lage ist, sich neu zu formieren und ihre Fronten neu zu ordnen.

(Beifall des Abg. Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD])


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1209500400
Herr Wieczorek, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Waigel?

Helmut Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1209500500
Aber gerne, Herr Abgeordneter Dr. Waigel.

Dr. Theodor Waigel (CSU):
Rede ID: ID1209500600
Sind Sie bereit, Herr Kollege Wieczorek, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich im Gegensatz zu Ihnen ausschließlich immer von meinem Bundestagsmandat oder von den Bezügen als Minister gelebt habe und keine zusätzlichen Einkommen von irgendeiner Firma, wo auch immer, bekommen habe?

Helmut Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1209500700
Das will ich gern zur Kenntnis nehmen, Herr Waigel. Ich habe nie behauptet — und würde mich auch nicht zu einer solchen Behauptung versteigen —, daß Sie auf irgendeiner payroll irgendeines Unternehmens ständen.

Dr. Theodor Waigel (CSU):
Rede ID: ID1209500800
Sie sind also bereit, den Eindruck, den Sie vorher erweckt haben, zurückzunehmen, daß ich der Rüstungslobby zugehörig sei?

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Man kann auch Lobbyist sein, ohne Geld zu kriegen! — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Jetzt entschuldigen Sie sich einmal!)


Helmut Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1209500900
Ich nehme das zur Kenntnis. Aber Sie wären wahrscheinlich zu Ihrer Zwischenfrage nicht gekommen, Herr Minister, Herr Abgeordneter, Herr Kollege, wenn Sie meinen nächsten Satz noch gehört hätten. Dann wäre das nämlich deutlich geworden.

(Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Aber es hat sich schon gelohnt, daß ich Sie gefragt habe!)

Wer so handelt — wollte ich gerade sagen — macht sich mitschuldig am sozialen und politischen Abstieg dieses Landes. Im Widerstreit der Ziele, Herr Abgeordneter Dr. Waigel, zwischen der Konsolidierung der Staatsfinanzen einerseits und landespolitischen Interessen der CSU andererseits entscheiden Sie sich für Ihre Rolle als CSU-Parteivorsitzender und damit gegen Ihre verfassungsmäßigen Pflichten als Bundesfinanzminister.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Unglaublich!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1209501000
Herr Wieczorek, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Waigel?

Helmut Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1209501100
Aber natürlich.

Dr. Theodor Waigel (CSU):
Rede ID: ID1209501200
Würden Sie den gleichen Vorwurf dann auch dem DGB-Mitglied und Betriebsratsvorsitzenden einer bekannten Münchener Firma machen, der gefordert hat, daß aus beschäftigungswirksamen Gründen über die Frage anders gedacht werden muß, als Sie das tun? Würden Sie dem Mann den gleichen Vorwurf machen?

Helmut Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1209501300
Herr Kollege, wenn sich ein Betriebsratsvorsitzender zu Wort meldet, vertritt er die Interessen der Menschen, die ihn gewählt haben. Das ist die Klientel eines Betriebes. Es ist das originäre Recht eines Betriebsratsvorsitzenden, sich so zu verhalten. Ein Bundesminister und ein Parteivorsitzender hat dagegen nicht das Recht, der kleineren Klientel zu folgen, sondern er hat die Verpflichtung, dem gesamten deutschen Volk zu dienen.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1209501400
Herr Wieczorek, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Stockhausen und dann des Abgeordneten Schäuble?

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Irgendwie müssen die aber toll getroffen sein!)


Helmut Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1209501500
Frau Präsidentin, ich glaube, ich habe deutlich gemacht, daß ich mich mit den Fragen sehr gern auseinandersetzen will, aber ich will meine Rede auch gern im Zusammenhang beenden. Ich bitte um Verständnis, Herr Kollege.
Ich möchte jetzt gern danach fragen, wo denn eigentlich eine klärende Entscheidung aus dem Mund des Bundeskanzlers kommt, denn wir sind doch auf die Autorität des Bundeskanzlers angewiesen. Die Menschen erwarten doch einfach, daß sich die Vernunft in diesem Lande endgültig durchsetzt.
Meine Damen und Herren, ein erster Prüfstein für die angekündigte Begrenzung der Bundesausgaben auf eine durchschnittliche Steigerungsrate von 2,5 pro Jahr ist dieser vorgelegte Nachtragshaushalt 1992. Während der Bundesfinanzminister die Länder und Gemeinden öffentlich wegen ihres Ausgabengebarens im letzten Jahr kritisiert, setzt sich der Bund jetzt mit einer Ausgabensteigerung von 6 % für 1992 sogar an die Spitze. Alle Sparpläne, Herr Bundesfinanzminister, werden zu Luftbuchungen, wenn sich bereits hier erweisen sollte, daß Sie nicht in der Lage sind, Mehrausgaben von rund 4 Milliarden DM — das sind 1 % der gesamten Bundesausgaben — durch Sparen, Streichen oder Strecken auszugleichen. Dieser Bundesregierung ist die politische Sensibilität dafür verlorengegangen, daß die Menschen nicht auf Versprechungen für die Zukunft warten, sondern heute Zeichen des politischen Willens sehen wollen. Sie wollen einfach ein Zeichen haben, daß Sie bereit und in der Lage sind, auch an den Stellen zu sparen, wo es weh tut.
Die SPD-Fraktion verlangt, daß in den anstehenden Haushaltsberatungen die geplanten Mehrausgaben



Helmut Wieczorek (Duisburg)

durch Kürzungen an anderer Stelle ausgeglichen werden, damit die erwarteten Steuermehreinnahmen zur Senkung der Nettokreditaufnahme deutlich unter 40 Milliarden DM eingesetzt werden können.

(Beifall bei der SPD)

Herr Dr. Waigel, der von Ihnen gestern im Finanzplanungsrat vorgelegte mittelfristige Finanzrahmen des Bundes ist für mich kein strategisches Konsolidierungskonzept,

(Zuruf von der SPD: Für uns auch nicht!)

sondern er ist nichts anderes als eine modelltheoretische Binsenwahrheit, die da lautet: Wenn die Staatsausgaben geringer wachsen als das Bruttosozialprodukt, so geht die für die Finanzierung der Staatsaufgaben benötigte Neuverschuldung zurück.

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Aber richtig ist das!)

Sie unterstellen modellmäßig ein Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 6 % und eine durchschnittliche Ausgabensteigerung von 2,5 %. Aber zu mehr reicht es nicht. Der Bundesregierung fehlt einfach die Kraft, Gestaltungswillen durch konkrete Sparvorschläge zu demonstrieren und damit die Frage zu beantworten, wie die Struktur eines Haushalts beschaffen sein muß, damit die gewaltigen Transferleistungen für die deutsche Einheit ohne eine Gefährdung des sozialen Friedens in Deutschland bewältigt werden können.

(Beifall bei der SPD)

Was sich auf den ersten Blick als eisernes Sparen anhört, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine Mogelpackung. Die Finanzminister der Länder haben dem Bundesfinanzminister bereits vorgerechnet, daß bei einer strukturellen Bereinigung des Haushalts 1992 um wegfallende Ausgaben, wie beispielsweise das auslaufende Aufbauwerk Ost im Volumen von 12 Milliarden DM, der zusätzliche Ausgabenspielraum für die Aufgaben des Bundes im Jahre 1993 tatsächlich 8 % beträgt. Für 1994 billigen Sie sich dann selbst wieder 4 % Ausgabenwachstum zu.
Insgesamt, meine Damen und Herren, erhöhen sich die Ausgaben des Bundes nach dem Willen des Bundesfinanzministers in den Jahren 1992, 1993 und 1994 um rund 50 Milliarden DM. Sie können das in der mittelfristigen Finanzplanung nachlesen. Wenn das nicht, auf unseren heutigen Stand bezogen, eine Steigerung von 4 % ist, Herr Minister, dann hat Adam Riese ein falsches Rechenbuch geschrieben.
Man fragt sich wirklich: Wo liegt denn eigentlich Ihr Rechentrick dabei? Denn trickreich sind Sie ja bei der Aufstellung des Bundeshaushalts. Er liegt in den Plandaten für 1995. 1994 haben wir Bundestagswahl; da werden wir wieder einmal Geschenke an die Menschen verteilen. 1995 sollen die Bundesausgaben dann ausnahmsweise einmal stagnieren.

(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Der lebt wirklich in der Vergangenheit!)

Dieses Nullwachstum erfolgt, weil das Auslaufen des Fonds Deutsche Einheit den Bund im Volumen von 18,5 Milliarden DM entlastet.
Herr Bötsch, ich weiß nicht, ob Sie mit der Materie so verhaftet sind. Ich weiß auch nicht, ob Sie sich vorstellen können, was eine Milliarde ist; ich traue Ihnen das einfach nicht zu. Darum sage ich es Ihnen noch einmal: Es fallen dann 18,5 Milliarden DM weg, das sind 18 500 Millionen DM. Aber auch das ist, glaube ich, für Sie zu hoch.
Es sind in Wirklichkeit mehr als 2,5 % Ausgabensteigerung im Durchschnitt der Jahre.
Eine derartige Planung, meine Damen und Herren, ausgerechnet für das Jahr 1995 vorzulegen, in dem die Neuordnung der föderativen Finanzbeziehungen ansteht, die den neuen Ländern zu einer tragfähigen Finanzausstattung verhelfen soll, in dem auch noch das von der Bundesregierung bis 1994 befristete Moratorium für Leistungsgesetze ausläuft, bedeutet die Preisgabe jeder gesamtstaatlichen Führungsverantwortung.
Sollten die Bundesausgaben 1995 aber nur um 2 ansteigen, so ist die „knallharte" Finanzpolitik sogar auf dem Papier gescheitert. Die Neuverschuldung würde knickartig wieder ansteigen, die Signale an die Kapitalmärkte wären verheerend.
Zu Recht vermissen die von Ihnen gelobten Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer deshalb die Ausarbeitung eines langfristigen Gesamtkonzepts für den Aufbau Ostdeutschlands. Auf ihre Kosten soll statt dessen gespart werden.
Grundlage für die Finanzplanung, Herr Finanzminister, hätte ein Kassensturz sein müssen und die ungeschminkte Antwort auf die Fragen: Wo stehen wir heute finanziell? Was kommt in den nächsten Jahren unabweisbar auf uns zu? Wie hoch ist der Finanzbedarf für die neuen Länder und Gemeinden in den kommenden Jahren? Mit welchem Konzept sollen diese Leistungen finanziert werden?
In all diesen Fragen bleibt die Bundesregierung konkrete Anworten schuldig. Ihre Kraft reicht bestenfalls noch zur Beschreibung des Problems. Die Menschen aber erwarten und erhoffen Lösungen. Sie werden erneut enttäuscht.
Der Bundesfinanzminister schätzt für die ostdeutschen Länder und Gemeinden ein Gesamtdefizit von 83 Milliarden DM in 1995 und von 86 Milliarden DM in 1996. Das bedeutet Kreditfinanzierungsquoten für die neuen Länder und Gemeinden in Höhe von fast 50 %, wenn nichts geschieht. Da nützt es auch nichts, wenn Sie 10 Milliarden DM zur Neuregelung des Finanzausgleichs in Ihre Haushaltsplanung für 1995 einstellen. 10 Milliarden DM sind angesichts dieser Größenordnungen nur mehr ein Tropfen auf den heißen Stein.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!)

Verursacht werden diese enormen Finanzierungsdefizite aber nicht etwa durch einen Investitionspusch, sondern durch strukturelle Einnahmeschwäche und exorbitante Zinslasten.
Der Anteil der Investitionen an den Gesamtausgaben in den neuen Ländern und Gemeinden erhöht sich nach der Bundesschätzung von 1991 bis 1996 um magere 2 % auf rund 13,5 %. Das ist die Hälfte von dem, was der Sachverständigenrat in seinem letzten



Helmut Wieczorek (Duisburg)

Jahresgutachten als jährlichen Infrastrukturnachholbedarf der östlichen Bundesländer benannte.
Herr Waigel, was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht,

(Zuruf von der SPD: Nichts!)

als Sie die Verschuldung des Kreditabwicklungsfonds und der Treuhandanstalt ab 1994 bzw. 1995 zur Hälfte den neuen Ländern zugewiesen haben? Sie wissen doch, daß die neuen Länder von diesem Schuldenblock erdrückt werden. Beides belastet die neuen Länder allein mit 15 Milliarden DM an Zinszahlungen, die dann noch kreditär finanziert werden müssen.
Nach den neuen Kriterien des Bundesverfassungsgerichts zum Länderfinanzausgleich, die uns gerade vorliegen, befänden sich die jungen Länder damit sofort in akuter Haushaltsnotlage. Sie müßten als Bundesfinanzminister eintreten, um die Lasten zu übernehmen. Haben Sie das wirklich bis zum Ende durchdacht?

(Zurufe von der SPD: Nein! — Dr. Peter Struck [SPD]: Das hat er noch nie gemacht!)

Oder sollte das nur ein Luftballon sein, um zu übertünchen, daß Sie sich bei den Annahmen für die Entwicklung der deutschen Einheit restlos verschätzt haben?

(Beifall bei der SPD)

Im Vergleich zu dem finanzpolitischen Sprengsatz, der in der Finanzierung der deutschen Einheit liegt, relativieren sich fast die absehbaren Mehrbelastungen, die in Ihrem Finanzrahmen ebenfalls nicht enthalten sind, Herr Waigel. Hier liegt meiner Ansicht nach auch der Kern für Ihre interne Auseinandersetzung mit dem Bundeswirtschaftsminister über Ihre unrealistische Finanzplanung. Wenn sich dabei der Wirtschaftsminister mit Zusatzforderungen in Höhe von 18 Milliarden DM selbst zu einem finanzpolitischen Haushaltsrisiko entwickelt, hat das seine eigene Pikanterie.
Ich will gerne die Gelegenheit nehmen, Sie, der ja hier den Eindruck erweckt, als ob das, was er erkennen kann, schon in seine Planungen eingestellt ist, noch einmal aufzufordern, die Dinge, die wir noch auf uns zukommen sehen, mit zu überdenken.
Da komme ich sofort auf den ersten Punkt, und zwar auf die nicht berücksichtigten Transferrubel-Forderungen. Nur unverbesserliche Optimisten, Herr Bundesfinanzminister, können doch noch davon ausgehen, daß diese 23 Milliarden DM nicht zu finanziellen Ausfällen im Bundeshaushalt führen würden. Die Ausfallbürgschaften des Bundes, die internationalen Hilfsprogramme für Mittel- und Osteuropa entwikkeln sich zu bis jetzt unübersehbaren, nicht eingrenzbaren Belastungen.
Ich fahre fort. Für die Altschulden der DDR-Wohnungswirtschaft von über 50 Milliarden DM gibt es nur ein Stillhalteabkommen, aber keine Lösung.
Der erkennbare Modernisierungsbedarf für die Verkehrssysteme wird von der Finanzplanung nur völlig unzureichend berücksichtigt. Nach Auffassung
des Verkehrsministers, Ihres Kollegen im Kabinett, besteht ein Investitionsbedarf von rund 300 Milliarden DM bis zum Jahre 2000.
Die sich abzeichnenden strukturellen Defizite der Sozialversicherungen machen entweder höhere Bundeszuschüsse oder Beitragserhöhungen erforderlich. Der Kurs der Bundesregierung ist Sozialabbau. Aber das, meine Damen und Herren, ist kein Weg.

(Beifall bei der SPD)

Für die steuerliche Verbesserung des Grundfreibetrages, den wir mit rund 20 Milliarden DM annehmen, fehlt jede finanzielle Deckung. Für die gewollten sozialpolitischen Maßnahmen, Herr Bötsch, im Zusammenhang mit § 218, die auch von Ihnen unbestritten sind — über die Höhe unterhalten wir uns noch —, gibt es keinerlei finanzpolitische Vorsorge. Wenn ich die Zahlen Ihrer Ministerin sehe, die sie veröffentlicht hat, in der Größenordnung von 42 Milliarden DM — 42 000 Millionen DM — für Investitionen und 11 Milliarden DM für jährliche Betriebskosten, dann muß ich nicht nur sagen, daß ich diese Dinge haben will, sondern dann muß ich sie auch vorsorglich in meinen Bundeshaushalt aufnehmen. Ich muß meine Finanzplanung auf diese Risiken einstellen. Alles das ist nicht erfolgt. Ich habe mir die Gelegenheit genommen, Ihnen das alles noch einmal zu sagen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es gibt in der Entwicklung der öffentlichen Haushalte natürlich noch ein Problem: die Entwicklung der Personalkosten. Ich gehe daran überhaupt nicht vorbei. Die Härte der Tarifrunde zeigt, daß das soziale Klima in unserem Land einen Tiefstand erreicht hat. Wenn die Bundesregierung weiterhin das Gebot sozialer Gerechtigkeit verletzt, kann sie nicht erwarten, daß sich die Bürger bei Preissteigerungen bis zu 4 % mit linearen Tariferhöhungen um 3 % zufrieden geben. Vorsorge treffen, Herr Minister, ist Ihre Aufgabe an dieser Stelle, der Sie nicht nachkommen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, nur in einem Punkt konnte der Finanzminister nicht länger ausweichen. Unvermeidlich war für ihn das Eingeständnis, mit dem er die von der SPD seit langem genannte Entwicklung der Staatsverschuldung, einschließlich der Sondertöpfe, bestätigen mußte. Ich darf hier noch einmal an unsere sehr erregten Debatten erinnern, als ich Ihnen gesagt habe: Ihre Schattenhaushalte stellen Ihre Schulden dar; Sie haben sie nur versteckt.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben sie versteckt und damit die Glaubwürdigkeit Ihrer eigenen Aussage in Zweifel gestellt.
Der Schuldenstand des öffentlichen Gesamthaushalts, meine Damen und Herren, steigt bis 1995 um 700 Milliarden DM — man muß sich das einmal vorstellen — auf 1 900 Milliarden DM.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Da sind auch die Länder dabei!)




Helmut Wieczorek (Duisburg)

Wir haben 1982, als Sie die Regierung übernommen haben — —(Zuruf von der CDU/CSU)

— Sie kennen die Zahl doch noch gar nicht, Herr Kollege. Reden Sie nicht so laut. — 1 900 Milliarden haben Sie jetzt. 600 Milliarden haben wir Ihnen überlassen. Die Differenz sind Ihre Schulden.

(Beifall bei der SPD)

Diese Schulden hinterlassen Sie Ihren Kindern und Ihren Kindeskindern, und wir werden gemeinsam mit ihnen daran zu tragen haben.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Vom Abbau der Lasten des Sozialismus haben Sie wohl noch nichts gehört!?)

Ich will Ihnen die Blamage ersparen, auszurechnen, was das pro Kopf ausmacht; denn meine Enkelkinder — ich habe deren zehn — sind nicht dafür verantwortlich, was Sie hier an Schulden gemacht haben; ich will Ihnen diese Zahlen ersparen.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Für nichts haben Sie die Schulden gemacht!)

28 000 DM pro Einwohner, egal, ob Kind oder Greis! Sie müssen sich doch einmal überlegen, ob man eine solch große Aufgabe, wie wir sie gemeinsam vor uns haben, auf Pump finanzieren kann oder ob man da nicht gemeinsam andere Wege hätte beschreiten können. Das war alles vorherzusehen.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe bisher nur die Ausgabenseite beleuchtet und kann nur das Fazit ziehen: Ihre Finanzplanung steht nicht auf festem Fundament, sondern auf Treibsand. Sie werden Ihre Last damit bekommen.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich nun zur Einnahmeseite kommen; denn auf der Einnahmeseite gleicht diese Finanzplanung einem Kartenhaus, das bei leisestem konjunkturellem Luftzug zum Einsturz gebracht wird. Sie erwarten einen ungebrochenen konjunkturellen Aufschwung mit jährlich 6%igem Zuwachs des Bruttosozialprodukts. Das ist leichtsinniger Opportunismus oder das Einkalkulieren von erheblichen Preissteigerungen, die man in unserem Land Inflation nennt.
Weil Sie deshalb die Steuerschätzungen für die Jahre bis 1995 um 53 Milliarden DM anheben können, würde es in den Kassen des Bundes in dieser Zeit in der Tat deutlich klingeln. Die Nettokreditaufnahme verringert sich auf dem Papier sogar auf 25 Milliarden DM. Vorsorge für ein zwischenzeitliches Abflachen der Konjunktur ist aber an keiner Stelle getroffen.
Herr Bundesfinanzminister, was Sie auch nicht sagen: Nachdem die breite Masse der Bürger durch das unsoziale Steuer- und Abgabenpaket bereits mit 50 Milliarden DM belastet wurde, sollen die Arbeitnehmer nach dem Willen der Bundesregierung durch die inflationsbedingten heimlichen Steuererhöhungen bis 1996 nun einen weiteren Finanzierungsanteil von fast 60 Milliarden DM übernehmen.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Hört! Hört!)

Denn hinter der Entwicklung der Steuereinnahmen, Herr Bundesfinanzminister, verbirgt sich eine höchst unsoziale Umverteilung der Steuerlast. Der Anteil der Lohnsteuer am gesamten Steueraufkommen erhöht sich um 6 % auf dann knapp 39 %. Die Arbeitnehmer werden zum Hauptfinanzier des Staates.
Gleichzeitig verfolgt die Regierung unter dem Deckmantel einer Unternehmenssteuerreform weiterhin die Absenkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer von 53 auf 46 % . Selbst die „Wirtschaftswoche" entlarvt diese Umverteilungslist als eine „Kriegslist, um unter falscher Flagge die Hochverdienenden von Opfern freizustellen".
Mit dieser Politik betreiben Sie die soziale Spaltung der Gesellschaft. Der Bundespräsident hat mit seiner Forderung nach einem neuen Lastenausgleich diese Gefahr erkannt. Seine Kritik läßt nur einen Schluß zu: Der Bundespräsident hält den Kurs der Regierung Kohl für verfehlt.
Ich halte die Reaktionen der Bundesregierung auf diesen Vorstoß für erbärmlich. Da kanzelt der Bundeskanzler die Idee des Lastenausgleichs damit ab, die zusätzlichen Belastungen der Leistungsträger würden zur Kapitalflucht anregen.

(Zuruf von der SPD: Unglaublich!)

Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Herr Weiß, stößt in das gleiche Horn und befürchtet die Abwanderung von Leistungsträgern ins Ausland.

(Zuruf von der SPD: Lächerlich!)

In welchem Land leben wir eigentlich, im endlich vereinigten Deutschland oder in einer Bananenrepublik?

(Beifall bei der SPD)

Offensichtlich halten Bundeskanzler und BDI die Entsolidarisierung in dieser Gesellschaft für bereits so weit fortgeschritten, daß sich die Leistungsfähigen — nicht die Leistungsträger; das sind heute andere — nicht mehr der Aufgabe verpflichtet fühlen, durch ihr persönliches Zutun die Einheit Deutschlands mitzuschaffen. Meine Damen und Herren, das ist ein ungeheuerlicher Vorwurf an die Menschen, die an führender Stelle diesen Staat aufgebaut haben.
Nun zu dem Begriff der Leistungsträger. Die wahren Leistungsträger im Rahmen der deutschen Einheit sind bisher nicht die Hochverdienenden gewesen, sondern die Durchschnittsverdiener, die kleinen Leute. Sie bringen nämlich mit ihren Steuer- und Beitragszahlungen die dreistelligen Milliardenbeträge auf, die jährlich für die Transferleistungen in die neuen Länder benötigt werden.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Geisteshaltung des Bundeskanzlers ist eine schlimme Verunglimpfung aller jener Millionen von Bürgern, die tagtäglich ihr Bestes geben und erst dadurch ein Bruttosozialprodukt von über 3 000 Milliarden DM ermöglichen.

(Beifall bei der SPD)




Helmut Wieczorek (Duisburg)

Den Gipfel erreichen Sie, wenn Sie das tarifpolitische Aufbegehren gegen Ihre Politik nicht mit einer verteilungspolitischen Kurskorrektur beantworten, sondern mit Lohnschelte an Tarifabschlüssen.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Jetzt meint er Frau Simonis!)

Meine Damen und Herren, die Freien Demokraten versuchen in aller Eile, sich noch schnell das Mäntelchen der sozialen Symmetrie umzuhängen, indem sie jetzt von „Gewinnern der Einheit" sprechen und von ihnen einen Beitrag zur Finanzierung einfordern wollen. Wenigstens ein Eingeständnis eigener Fehler, könnte man sagen, aber ansonsten wirklich nur weiße Salbe. Zweistellige Milliardenbeträge, wie sie dem Gedanken des Lastenausgleichs zugrunde liegen und die einem Ausgleich zwischen oben und unten entsprechen würden, sollen damit nicht bewegt werden. Die F.D.P. ist nur taktisch etwas schlauer als ihr Koalitionspartner.
Meine Damen und Herren, wir brauchen in Deutschland eine neue Politik.

(Beifall bei der SPD)

Wir Sozialdemokraten sind es gewesen, die mit unserem Aufbauplan für die neuen Bundesländer schon vor langer Zeit die Defizite in der Politik dieser Regierung benannten, analysierten und einen Weg aus der Krise aufzeigten.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Haben Sie das wirklich aufgeschrieben?)

Auch heute, zweieinhalb Jahre nach dem Fall der Mauer, scheut sich die Bundesregierung, für Wahrheit und Klarheit zu sorgen, um die Konsequenzen des deutschen Einigungsprozesses offen zu schildern. Wer die Solidarität des Teilens fordert, muß die Menschen in Ost und West als mündige Bürger achten und darf sie nicht länger hinters Licht führen.

(Beifall bei der SPD)

Die Bürger sind zu materiellen Opfern bereit, wenn sie merken, daß es dabei gerecht zugeht.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!)

Aber die Menschen verlangen nach Signalen, daß sich etwas bewegt, daß es vorangeht, daß gehandelt wird, daß das Geld nicht weiter irgendwo versickert.

(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Ja, bei den Pensionen von Lafontaine!)

Den Stillstand der Politik halten wir angesichts der Aufbaukrise im Osten und der sozialen Krise im Westen für unerträglich. Deshalb hat die SPD ihr Konzept im Vorfeld des Gesprächs mit der Bundesregierung konkretisiert. Nicht um die Aufgabenverteilung zwischen Regierung und Opposition zu verwischen, sondern um den Bürgern endlich die fehlende Orientierung zu geben. Wir haben uns deshalb nicht gescheut, an Ihrer Stelle den Bürgern zu sagen, was not tut; daß die Bewältigung der deutschen Einheit ohne Beschädigung ihres sozialen Fundaments durch die Haushaltskonsolidierung allein nicht zu erreichen ist. Dadurch allein können die notwendigen Summen nicht aufgebracht werden. Das ist das, was wir vor jeder Wahl gesagt haben, und wir bleiben auch nach den Wahlen dabei.
Deshalb fordern wir Sozialdemokraten ein wirklich neues soziales Bündnis für unser Land. Wir brauchen einen Ausgleich der Interessen.

(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Ehrenvorsitzender Lafontaine!)

Nur dann besteht die Chance, daß die Belastungen des deutschen Einigungsprozesses bei Wahrung des sozialen Friedens, Herr Bötsch — das schreibe ich Ihnen wirklich noch einmal hinter die Ohren —, sich bewältigen lassen.

(Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Ehrenvorsitzender Lafontaine!)

— Was haben Sie gerade gesagt?

(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Ehrenvorsitzender Lafontaine! — Zuruf von der SPD: Herr Bötsch, Sie Grunzer! Heiterkeit)

— Herr Bötsch, das, was sich um meinen Parteifreund Oskar Lafontaine tut, tut mir nicht gut, tut Ihnen nicht gut und tut uns allen nicht gut.

(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: So ist es! Da haben Sie recht!)

Hüten Sie sich davor, wieder in Ihrer Selbstgerechtigkeit mit dem Finger auf andere Leute zu zeigen; es könnten drei Finger auf Sie selbst weisen.

(Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Ich habe keine Pension, damit das klar ist! Das unterscheidet mich von Ihnen! — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Dann müßte er 300 000 DM bekommen!)

Herr Bötsch, die Kampagne ist ja noch nicht zu Ende. Die Kampagne hat nicht einzelne Leute zum Ziel, sondern sie hat das Ziel, unsere demokratischen Parteien insgesamt zu treffen. Ich sage das hier ganz offen.

(Zuruf von der CDU/CSU)

— Herr Kollege, Ihr Problem ist, daß Sie auf einem Auge nicht sehen können, wobei ich nicht gesagt habe, daß Sie blind sind.
Ich darf unsere Forderungen zusammenfassen; dann bin ich sofort fertig, Frau Präsidentin.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist das beste!)

Unsere Aufgabe Nr. 1 sehen wir darin, den Menschen in Ostdeutschland eine echte Zukunftschance zu geben. Die ungeklärte Eigentumsfrage legt sich wie Mehltau über das Land, unter dem Initiative erlahmt und Gerechtigkeit erstickt wird. Die Treuhand braucht eine klare industriepolitische Ausrichtung zur Sanierung und Privatisierung mittelfristig wettbewerbsfähiger Unternehmen. Das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium muß weiterentwickelt werden, damit endlich Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanziert wird. Unsere Vorschläge dazu decken sich mit den Vorschlägen der Ministerpräsidenten.
Aufgabe Nr. 2 heißt: Mehr Wohnungen bauen und Mietsteigerungen begrenzen, um den sozialen Frieden in Deutschland zu wahren. Eine falsche Wohnungspolitik hat in Deutschland zu einem Fehlbestand von 2,5 Millionen Wohnungen geführt. Der



Helmut Wieczorek (Duisburg)

gnadenlose Verdrängungswettbewerb auf dem Wohnungsmarkt muß beendet werden.
Aufgabe Nr. 3: Durch den Umbau des Gesundheitswesens muß unser soziales Sicherungssystem bewahrt werden. Die Kostenexplosion bei den Krankenkassen bedroht unser Sozialstaats- und Solidaritätsprinzip. Deshalb brauchen wir eine Reform, und zwar nicht auf dem Rücken der Beitragszahler, sondern zu Lasten der wahren Kostentreiber.
Aufgabe Nr. 4 ist die überfällige Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung. 2 Millionen Betroffene können nicht warten, bis eine dahinsiechende Koalition zu Lösungen kommt.

(Beifall bei der SPD)

Aufgabe Nr. 5 sind sichere Finanzen auf sozial gerechter Grundlage. Die Bezieher hoher und höchster Einkommen müssen über viele Jahre hinweg die Finanzierung öffentlicher Aufgaben mittragen. Erst danach können die Bürger mit kleinem und mittlerem Einkommen zu einem Solidarbeitrag aufgerufen werden. Hierzu haben wir ein Finanzierungskonzept mit Vorschlägen zu Einsparungen und für eine sozial gerechte Besteuerung vorgelegt, so daß der Staat über einen zusätzlichen Finanzierungsspielraum von 40 bis 50 Milliarden DM verfügen kann.
Meine Damen und Herren, die Strukturen des sozialdemokratischen Konzepts stehen. Man kann darüber kontrovers diskutieren; vom Tisch wischen kann man es aber nicht. Die Menschen in unserem Land erwarten klare Führung und Mut, auch unpopuläre Dinge, die der Wahrheit entsprechen und sich nicht verändern, offen auszusprechen. Wir müssen im gemeinsamen Ringen das Vertrauen der Menschen wiederherstellen. Dazu bieten wir Ihnen unsere kritische Hilfe an.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1209501600
Als nächster hat der Abgeordnete Jochen Borchert das Wort.

Jochen Borchert (CDU):
Rede ID: ID1209501700
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Haushalts- und Finanzpolitik hat der Kollege Wieczorek wenig Erhellendes beigetragen.

(Michaela Geiger [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

Mir ist dabei eigentlich nur eingefallen, daß den fünf „U" von Franz Josef Strauß jetzt noch als sechstes Unkenntnis und als siebentes Unfähigkeit der Opposition hinzuzufügen wären.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, unser gemeinsames Ziel ist und bleibt es, den Aufbau der neuen Bundesländer ausreichend zu finanzieren und in Deutschland annähernd gleiche Lebensbedingungen zu schaffen.

(V o r s i t z : Vizepräsident Hans Klein)

Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir unsere
finanziellen Mittel konzentrieren, ohne die solide
Finanzierung der öffentlichen Haushalte zu gefährden. Die finanzpolitische Konzeption für die kommenden Jahre ist dabei an folgende Bedingungen geknüpft:
Erstens. Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte muß aus gesamtwirtschaftlichen Gründen über eine Begrenzung der Ausgaben und nicht über neue Steuererhöhungen erfolgen.
Zweitens. Die Konsolidierungsaufgabe betrifft alle öffentlichen Haushalte, sowohl den Bund als auch die Länder und ihre Gemeinden.
Drittens. Die Finanzplanung muß weiterhin alle quantifizierbaren Zukunftsanforderungen einbeziehen und gleichzeitig Vorsorge für noch nicht quantifizierbare Risiken treffen.
Viertens. Die finanzpolitischen Kennziffern für den Bund und den öffentlichen Gesamthaushalt müssen sich so entwickeln, daß die für die europäische Wirtschafts- und Währungsunion festgelegten Konvergenzkriterien erreicht werden.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat am 5. Mai 1992 ohne Gegenstimmen die von der Politik festzulegenden Eckwerte für den Haushalt und den Finanzplan bestimmt. Die wichtigsten Entscheidungen waren die Festlegung der Ausgabenzuwächse des Bundeshaushalts im mittelfristigen Zeitraum auf durchschnittlich 2,5 % und die Verlängerung des Ausgabenmoratoriums bis zum Ende der Legislaturperiode. Das bedeutet, daß der Ausgabenanstieg des Bundes deutlich unter der Zunahme des mit 61/2 % mittelfristig prognostizierten Wachstums des Bruttosozialprodukts bleiben wird. Vorsorge für das Wachstum des Bruttosozialprodukts leisten wir mit einer wachstumsorientierten Finanz- und Wirtschaftspolitik.
Der Beschluß bedeutet, daß die Politik ihre Prioritäten so festlegen muß, daß sie innerhalb dieses Rahmens finanziert werden können. Das heißt, daß neue ausgabenwirksame Leistungen bzw. die Verbesserung bestehender Leistungen nur dann beschlossen werden können, wenn an anderer Stelle gleichgewichtig und dauerhaft eingespart wird. Das bedeutet eine Halbierung des Defizits beim Bund im mittelfristigen Zeitraum und eine Absenkung des Staatsanteils von heute 50 % auf Werte, die wir vor der Wiedervereinigung erreicht hatten.
Wenn die SPD heute fordert, daß wir stärker sparen sollten, dann versucht sie offensichtlich nach ihrem Scheitern in den 70er Jahren jetzt das genaue Gegenteil. Damals haben wir die Ausgabenzuwächse ebenfalls auf 21/2 % beschränkt. Damals hat die SPD diesen Prozeß als „Totsparen" bezeichnet und hat uns vorgeworfen, wir würden damit die Wirtschaft erdrosseln.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Richtig!)

Ich zitiere den Kollegen Wieczorek aus dem Bundestag von 1983

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Lohnt sich das?)

— nein, es lohnt sich eigentlich nicht —:
Eine Ursache für den unzureichenden Aufschwung ist Ihre eigene Haushaltspolitik... .



Jochen Borchert
Wir Sozialdemokraten befürchten, daß Sie in Ihrem Konsolidierungseifer eine Strategie verfolgen, bei der die Konsolidierung zum Selbstzweck wird und absolut keine Rücksicht auf gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge genommen wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Zuruf von der SPD: Richtig! — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Hervorragend! Das gilt auch heute noch!)

Sie alle kennen das Ergebnis unserer Konsolidierungsstrategie aus den 80er Jahren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nachdem Sie mit Ihrem Konzept von damals gescheitert sind, versuchen Sie nun offensichtlich das genaue Gegenteil. Ich muß aber feststellen: Zugelernt haben Sie bis jetzt nichts.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, der Aufbauprozeß in den neuen Bundesländern stellt eine finanzpolitische Herausforderung dar, die in der Geschichte einmalig ist.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das hat die SPD noch gar nicht registriert!)

Wir haben uns die Umstellung leichter vorgestellt.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Aus der Portokasse wolltet ihr das machen!)

Heute wissen wir, obwohl die Deutschen im Beitrittsgebiet mindestens ebenso fleißig waren und in der Regel länger arbeiteten als die Deutschen im Westen, daß die volkswirtschaftliche Substanz zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs mehr als aufgezehrt war.
Das von der SPD groß angekündigte und heute wieder vorgetragene Einsparungs- und Finanzierungspaket beinhaltet alte sozialistische Rezepte aus den 70er Jahren:

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Sonderausgaben für bestimmte Personengruppen wie die Ergänzungsabgabe für Besserverdienende, die Arbeitsmarktabgabe für Beamte und Selbständige, die Investitionshilfeabgabe für die Unternehmen, die ihre Gewinne nicht investieren. Das alles wirkt leistungshemmend, das alles ist investitions- und wachstumsfeindlich.
Die Vorschläge der SPD sind das beste Rezessionsprogramm. Dieses Gerede trägt wesentlich zur Entsolidarisierung der Bevölkerung bei. Es weckt Neidgefühle. Die Menschen im Westen glauben, sie würden überfordert. Die Menschen im Osten glauben, es werde zu wenig getan.
Herr Kollege Wieczorek, wir werden über den Jäger 90 sachlich entscheiden. Wir werden die Entscheidung in einer Arbeitsgruppe sorgfältig vorbereiten. Wir werden uns weder durch Ihre heutige Rede noch durch Ihre Reden in der Vergangenheit zu einem Populismus verführen lassen, den Sie immer wieder praktizieren.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ihr habt euch doch zum Jagen tragen lassen!)

Bisher hat die SPD den Jäger 90 mehr als ein dutzendmal verplant. Vorhin, Herr Kollege Wieczorek, bei Ihrem Vorwurf, der Finanzminister würde die Rüstungslobby vertreten, wäre es nach seiner Zwischenfrage richtig gewesen, Sie hätten sich bei ihm entschuldigt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wohl wahr!)

Die heutige Argumentation der SPD erinnert sehr stark an die Kampagne kurz nach der Übernahme der Regierungsverantwortung durch Bundeskanzler Helmut Kohl im Herbst 1982, als uns die SPD landauf, landab vorwarf, wir würden den Staat kaputtsparen. Die SPD wollte damals den Menschen in Deutschland einreden, Geld ausgeben sei das Gebot der Stunde. Sie hat uns auch damals vorgeworfen, wir betrieben eine Politik der sozialen Unausgewogenheit, und wir betrieben eine Umverteilung von unten nach oben.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Stimmt j a auch!)

Trotz dieser Vorwürfe blieb die Union hart. Im Jahre 1983 wuchsen die Bundesausgaben nur um 0,9 %.
Heute kann man fragen: Was ist aus den Horrorszenarien der SPD geworden? Der längste Wirtschaftsaufschwung in der Nachkriegsgeschichte! Das Bruttosozialprodukt wuchs von 1982 bis 1990 real um fast 25 %. Auf dem Arbeitsmarkt wurden für über 2,5 Millionen Menschen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen, und dies alles bei Preisstabilität. Dank unserer soliden Finanzpolitik wurde die Nettokreditaufnahme von 37 Milliarden DM auf 14 Milliarden DM reduziert.
Wie in den 80er Jahren, so fallen der SPD auch heute wieder die Instrumente ein, mit denen sie schon in den 70er Jahren gescheitert ist: Mehrausgaben, Steuererhöhungen, zusätzliche Schulden, staatliche Industriepolitik, staatlich finanzierte Arbeitsplätze. Das heißt, dies ist der nahtlose Übergang von einer kommunistischen Zwangswirtschaft zur sozialistischen Wirtschafts- und Finanzpolitik à la SPD.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ganz genau! — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wer schreibt Ihnen denn diesen Quatsch auf?)

Die Ergebnisse dieser verhängnisvollen staatlichen Konjunktur- und Wachstumspolitik haben wir alle in den 70er Jahren hinreichend kennengelernt. Meine Damen und Herren, dies sind keine Rezepte zur Bewältigung der Probleme in unseren neuen Bundesländern.
Wir setzen in den alten und in den neuen Bundesländern auf die positiven Wirkungen, die von einer stetigen und dauerhaften Konsolidierung auf der Ausgabenseite ausgehen. Ich finde, es ist schon beschämend, daß einer so großen Volkspartei wie der SPD zur Finanzierung der Aufbauleistungen in den neuen Bundesländern in erster Linie immer wieder Steuererhöhungen einfallen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Skandalös ist das! — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Schuldenmacher!)


Jochen Borchert
Meine Damen und Herren, auch die CDU/CSU-Fraktion bemüht sich in ihrer Politik um eine soziale Ausgewogenheit. Sie trat — und dafür gibt es in der Vergangenheit viele Beispiele — immer wieder dafür ein, daß die Starken mehr schultern können und mehr schultern müssen als die Schwachen. Aber es gibt auch für die CDU eine Grenze der Belastbarkeit.
Sehen wir uns die jüngsten Steuerschätzungen an: In diesem Jahr erwarten wir 10 Milliarden DM, im nächsten Jahr 22 Milliarden DM mehr an Steuereinnahmen gegenüber den letzten Steuerschätzungen. Gegenüber dem Vorjahr kommen damit rund 10 % mehr Steuern in die öffentlichen Kassen.
Wo liegen die Ursachen? Das liegt u. a. an den Verbrauchsteuererhöhungen, die zur Deckung der Kosten der Einheit beschlossen wurden. Es liegt aber auch an dem linear-progressiven Einkommensteuertarif. Die Einkommen steigen, die Steuerprogression greift. Dies ist gewollt. Es trifft die Bezieher höherer Einkommen, den Facharbeiter wie den Selbständigen. Die Steuerzahler leisten damit im Rahmen der höheren Besteuerung einen fühlbaren und nachhaltigen Beitrag zur sozialen Symmetrie.

(Siefried Hornung [CDU/CSU]: Ganz im Gegensatz zu dem, was die SPD sagt!)

Meine Damen und Herren, die finanzwirtschaftlichen Kennziffern sind heute trotz der hohen Belastungen durch die Wiedervereinigung besser als 1982. 1982 lag die Kreditfinanzierungsquote für den Bund bei 15,2 %. 1992 — im Soll — liegt sie einschließlich des Nachtrages bei 10 %. Der Anteil des Bundesdefizits am Bruttosozialprodukt lag 1982 bei 2,4 % und liegt 1992 bei 1,4 %.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist die entscheidende Zahl!)

Das zeigt: Die Bundesfinanzen laufen nicht aus dem Ruder.
Wenn der Kollege Wieczorek immer wieder die Schulden der öffentlichen Haushalte darstellt,

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das tut weh!)

dann spricht er wohlweislich von den Schulden der öffentlichen Haushalte insgesamt, um den Eindruck zu erwecken, dies alles seien Schulden, für die wir verantwortlich seien.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ja, selbstverständlich!)

Sie weisen nicht darauf hin, daß bei der Gesamtverschuldung der Anteil des Bundes 50 % beträgt, der Anteil der Länder über 30

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sehr wahr! Saarland! Nordrhein-Westfalen!)

und daß für die Schulden der Länder in erster Linie Sie verantwortlich sind.

(Beifall bei der CDU/CSU — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Und die restlichen 20 %?)

Das Ziel Ihrer Argumentation, was den Beitrag der
alten Bundesländer zur Finanzierung der neuen Bundesländer anlangt, ist doch, zu kaschieren, daß sich
die alten Bundesländer, vor allen Dingen die SPDregierten Bundesländer,

(Zuruf von der SPD: Sonst gibt es ja kaum welche!)

bisher bei der Finanzierung der neuen Bundesländer weitgehend verweigern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Aber dies alles sind die berühmten Märchenerzählungen der SPD. Wir sollten uns, wenn wir so etwas hören, an die alten Märchen aus den vergangenen Jahren erinnern. So erklärte z. B. der Kollege Wieczorek in der Haushaltsdebatte im Jahre 1985 zum Haushalt 1986: Es ist ein Minus-Haushalt. Die Ausgaben des Bundes steigen deutlich weniger als das reale Sozialprodukt. Mit diesem Haushalt bringen Sie das Wachstum insgesamt nach unten.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Richtig!)

— Herr Kollege, Sie sollten sich überlegen, was die Folgen dieses Haushaltes waren, nämlich ein zunehmendes wirtschaftliches Wachstum. Vielleicht werden Sie dann in Zukunft etwas vorsichtiger.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und 50 Milliarden Steuererstattung!)

Das Ergebnis auch des Haushaltsabschlusses 1991 war, daß die Ist-Zahlen erheblich unter den SollZahlen blieben und daß das Defizit am Ende nur 52 Milliarden DM betrug, obwohl die Kollegin Matthäus-Maier im Jahre 1990 erklärte, es gebe für 1991 eine Finanzierungslücke von über 200 Milliarden DM.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, die hat Mengenlehre gehabt!)

Die Union ist mit dem jetzt erzielten Ergebnis noch nicht zufrieden. Wir werden den Sparkurs konsequent fortsetzen. Ich sage aber: Wer an der Steuerschraube dreht, der spielt mit dem Feuer; wer die Ausgaben weiterhin unangemessen ausweitet, treibt die öffentlichen Haushalte in den Bankrott; wer die rasche Anpassung der Löhne Ost an das Niveau West ohne Rücksicht auf die Produktivität anstrebt, der verhindert Investitionen. Mit einem Satz: Wer dies tut, der behindert wirtschaftliches Wachstum.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Schuldenmacher!)

— Herr Kollege Wieczorek, nicht unsolider Haushaltsvollzug — —

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Schuldenmacher! Schuldenmacher!)

— Ja, ich weiß, in den Bundesländern,

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Hier bei uns! 700 Milliarden zusätzlich!)

vor allen Dingen Lafontaine und Nordrhein-Westfalen; wir können sie uns alle der Reihe nach ansehen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Bremen!)




Jochen Borchert
Nicht unsolider Haushaltsvollzug macht diesen Nachtrag notwendig.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Selbstgefällig und selbstgerecht sind Sie!)

Die Notwendigkeit für diesen Nachtrag ist in der sturen Haltung der SPD bei der Abschaffung der Strukturhilfe begründet. Es ist schon ein Skandal, wie lange es brauchte, bis die westlichen Empfängerländer der Strukturhilfe einsahen, daß die wirtschaftsschwachen Regionen in den neuen Bundesländern liegen.

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

Diese Einsicht muß der Bund mit 1,5 Milliarden DM teuer bezahlen. Dieses Geld fehlt zur Finanzierung des Aufbaus in den neuen Bundesländern. Dafür sollten sich die neuen Bundesländer bei den Ministerpräsidenten Engholm, Schröder, Lafontaine, Rau und Scharping bedanken. So sieht die von der SPD immer wieder eingeforderte soziale Gerechtigkeit in Wirklichkeit aus, wenn es darum geht, zugunsten der neuen Länder in den alten Ländern zu sparen!

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Schuldenmacher!)

Im Bundestag fordern Sie mehr Leistungen für die neuen Bundesländer, aber in den Verhandlungen im Vermittlungsausschuß weigern Sie sich an jeder Stelle, daß die alten Bundesländer auch nur ein bißchen dazu beitragen.

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: So ist es!)

Hier, bei diesen Verhandlungen, hätte die SPD beweisen können, was sie unter sozialer Symmetrie versteht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Bremer Landesbank! — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wieviel hat denn Bayern erbracht?)

Sie haben diese Chance kläglich vertan.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Inzwischen sind weitere Risiken etatreif geworden. Aus Gründen der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit werden diese Posten nunmehr in den Haushalt aufgenommen. Insgesamt betragen die Mehranforderungen rund 6,5 Milliarden DM. 2,5 Milliarden DM werden durch Kürzungen an anderer Stelle finanziert.
Bei den Beratungen im Haushaltsausschuß wird die CDU/CSU-Fraktion gemeinsam mit den Kollegen von der F.D.P. versuchen, durch weitere Kürzungen unserem Grundsatz, sämtliche Steuermehreinnahmen zur Senkung der Nettokreditaufnahme zu verwenden, ein Stück näherzukommen. Ich denke, dies sollte uns gemeinsam gelingen.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort zur Zuwachsrate beim Bund und zu dem Vorwurf der SPD, bereits im ersten Jahr erfülle der Finanzminister und erfülle die Koalition nicht die selbstauferlegten Sparbeschlüsse. Zum einen haben das Kabinett und die CDU/CSU-Fraktion die Ausgabenwachstumsrate für den Zeitraum 1993 bis 1996 auf 2,5 To begrenzt. Am 5. Mai wurde dieser Beschluß in der Fraktion und am
13. Mai im Bundeskabinett gefaßt. Zu diesem Zeitpunkt war der Bundeshaushalt 1992 längst beschlossen und hat eine Zuwachsrate gegenüber dem Ist 1991 von 5 % und gegenüber dem Soll 1991 von 2,9 %. Hier muß man schon Ist mit Ist oder Soll mit Soll vergleichen, wenn man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen will, wie dies der Kollege Wieczorek in seiner Rede wieder mit den 6 % getan hat; aber ich sehe hier durchaus zustimmendes Nicken auch bei der SPD.
Durch den Entwurf des Nachtragshaushalts 1992 wird die Zuwachsrate um einen Prozentpunkt erhöht. Wie bereits angekündigt, ist es unser Ziel, während der parlamentarischen Beratungen diese Zunahme um einen Prozentpunkt zumindest teilweise nach unten zu korrigieren.
Die CDU/CSU-Fraktion bleibt mit diesem Haushalt 1992 und dem Nachtrag im Rahmen ihrer Beschlüsse. Wer anderes behauptet, stellt die Tatsachen auf den Kopf.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist es!) Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1209501800
Meine Damen und Herren, ich gebe jetzt das Wort dem Kollegen Wieczorek zu einer Kurzintervention. Das können Sie auch vom Saalmikrofon aus machen, Herr Kollege. Ich füge erläuternd hinzu, daß wir damit nicht neu einführen wollen, daß der erste Redner als dritter Redner auf den zweiten Redner antwortet. Kollege Wieczorek will sich zu einem bestimmten Punkt äußern,

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sich entschuldigen!)

der an sich von § 30 abgedeckt wäre, aber dann müßten wir warten, bis die Aussprache beendet ist. Ich glaube, es ist besser, wenn es so geht.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Wenn er sich entschuldigt!)

Bitte, Herr Kollege.

Helmut Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1209501900
Wenn wir warten, bis die Aussprache beendet ist, wird sich einiges durch die Diskussion hindurchziehen, was ich nicht gewollt habe. Es war nicht meine Absicht, den Bundesfinanzminister persönlich zu kränken oder zu beleidigen.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das haben Sie getan!)

Ich dachte, ich hätte das im Laufe der Aussprache hier auch entsprechend richtiggestellt. Wenn das nicht der Fall sein sollte, möchte ich es hiermit ganz formell tun: herzliche Bitte um Entschuldigung.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1209502000
Nun erteile ich dem Abgeordneten Wolfgang Weng das Wort.

Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1209502100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Entwurf eines Nachtragshaushalts für 1992 verbinden sich ausschließlich positive Aspekte, weshalb



Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

die F.D.P.-Bundestagsfraktion, wie der Kollege Borchert schon vorauseilend für uns verkündet hat, die Detailberatungen konstruktiv angehen wird. Das heißt, die Bundesregierung kann davon ausgehen, daß die Fraktion der Liberalen die Vorlage in ihren Grundzügen gutheißt. Daß wir uns immer vorbehalten müssen, im Haushaltsausschuß die Dinge noch zu verbessern, ist bekannt.
Die Bundesregierung trägt mit den zusätzlich beantragten Ausgaben einer Reihe von Notwendigkeiten Rechnung, die im wesentlichen durch die deutsche Vereinigung und die Entwicklung im Osten Deutschlands verursacht sind. Die Freien Demokraten begrüßen ausdrücklich, daß dabei die zwei Kernpunkte der deutschen Politik Berücksichtigung finden: erstens der Wiederaufbau in den neuen Bundesländern und zweitens die allgemeine Lage der öffentlichen Finanzen, besonders die Verschuldungssituation des Bundes.
Lassen Sie mich einige wenige der neuen Ausgaben darstellen, die die oben aufgeführten Prioritäten verdeutlichen. Für die Gemeinschaftsaufgabe „Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur" sollen die Mittel des laufenden Jahres um 300 Millionen DM erhöht werden, und die Ausgabenplanung für die kommenden Jahre wird auf einen deutlich höheren Rahmen von insgesamt 4,1 Milliarden DM festgelegt. Hiermit sollen ganz wesentlich weitere Investitionen in der gewerblichen Wirtschaft der neuen Bundesländer gefördert werden. Es ist ja eine bekannte und bedauerliche Tatsache, daß es aus einer Vielzahl von Gründen mit dem Neuaufbau vor allem in der produzierenden Wirtschaft in Ostdeutschland langsamer vorangeht als erhofft. Leider ist bei einer nicht geringen Zahl von Gemeinden eine große Unbeweglichkeit festzustellen, wenn es darum geht, schnell geeignete Flächen für arbeitsplatzschaffende Investitionen zur Verfügung zu stellen. Das ist einer der Gründe für die Verlangsamung.
Es bleibt mir unverständlich — ich bin sicher, es bleibt auch der deutschen Öffentlichkeit unverständlich —, daß bei dem enormen Bedarf im Baubereich einerseits Baufirmen über Mangel an Beschäftigung klagen, andererseits gleichzeitig Arbeitskräftemangel — vor allem im Facharbeiterbereich — herrscht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wohl wahr!)

Dies macht nach meiner Überzeugung zwei Schwachstellen besonders deutlich. Erstens — das ist einer der weniger positiven Aspekte der Hilfe aus dem Westen —: Die Behörden handeln nicht mit der wünschenswerten Geschwindigkeit. Hierbei scheint eine Rolle zu spielen, daß im Zusammenhang mit der Unterstützung des Aufbaus der Verwaltung in den neuen Bundesländern mancher westdeutsche Perfektionismus in den Amtsstuben des Ostens eingezogen ist, wo unbürokratisches Handeln und schnelle Entscheidungen das Dringlichste wären.
So bleiben leider nicht nur einige wenige, sondern eine große Zahl von Entscheidungen über Gebühr lange liegen. Dies gilt auch für Investitionsentscheidungen, die daraus resultieren. Denn natürlich werfen investitionsbereite Unternehmer auch und gerade aus Westdeutschland — allerdings auch aus anderen Ländern — resigniert das Handtuch, wenn sie den Eindruck haben, daß sie hier bürokratisch gehemmt werden.

(Werner Zywietz [F.D.P.]: Leider wahr!)

Zum zweiten aber: Offensichtlich wirken sich Leistungen des sozialen Netzes für den wirtschaftlichen Aufschwung häufig hemmend aus. Welcher Mensch wird sich — das ist menschlich verständlich — mit dem erforderlichen Engagement um einen Arbeitsplatz in der Wirtschaft bemühen, wenn er mit Kurzarbeit oder sogenannten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen praktisch die gleiche finanzielle Ausstattung erreichen kann? Die Beispiele mehren sich, daß sich vor allem Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen als Arbeitsverhinderungsmaßnahmen erweisen. Natürlich gilt das nicht allgemein, aber doch in einer großen Zahl von Fällen. Es muß deshalb dringend Wert darauf gelegt werden, daß überall dort, wo durch Auftragsvergaben an die Wirtschaft Dauerarbeitsplätze geschaffen werden können, der Einsatz von ABM-Kräften unterbleibt.
Man sollte allerdings die positiven Aspekte der Entwicklung im Osten nicht hintanstellen; man sollte sie nicht übersehen. Man sollte nicht nur das Negative beleuchten. Auch wenn die Investitionen, wie gesagt, hinter den ersten optimistischen Erwartungen zurückbleiben und auch wenn sich manches verzögert, so ist doch insgesamt ein Aufwärtstrend festzustellen.
Die vorsichtige Einschätzung des Bundeswirtschaftsministeriums, die ein Wachstum um rund 10 % in den neuen Bundesländern für dieses Jahr voraussagt und von der wir hoffen, daß sie tatsächlich sehr vorsichtig ist und daß es in Wirklichkeit noch besser wird, ist hierfür ein erfreulicher Beleg.
Wir müssen uns die Größe der Aufgabe immer wieder vor Augen halten.

(Dr.Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Es ist, meine Damen und Herren, nicht nur der Umbau einer ganzen Volkswirtschaft mit in großen Teilen verrotteten Produktionsanlagen zu bewältigen. Was das Ganze zusätzlich erschwert und was in der Dimension hier bei den Menschen im Westen vielleicht noch nicht genügend gesehen wird, ist das fast totale Abbrechen der seitherigen Märkte der Wirtschaft in den östlichen Nachbarländern, das den Aufbau zusätzlich behindert. Da es aber zur Bewältigung unserer Aufgabe keine Alternative gibt, ist die Bundesregierung und die sie tragende Koalition mit der verstärkten Investitionsförderung in dem genannten Bereich in jedem Fall auf dem richtigen Weg.
Das gleiche gilt für die deutliche Verbesserung des Wohnraum-Modernisierungsprogramms der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Wer sich heute in den neuen Bundesländern umsieht und wer sich an den Zustand von 1989 erinnert, als die Grenze aufging und als eine große Zahl von Menschen erstmals gesehen haben, wie es dort aussah, der kann den einschneidenden Fortschritt im Bereich der Haus- und der Wohnungsmodernisierung feststellen und begrüßen.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Augenscheinlich! )




Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

Das darf aber nicht die Sicht darauf verstellen, daß gegenüber westlichem Standard noch ein ganz eklatanter Nachholbedarf fortbesteht und daß die Jahrhundertaufgabe der Angleichung der Verhältnisse fortgesetzt werden muß. Gerade die Inanspruchnahme der Kreditanstalt mit ihren dahin gehenden Programmen zeigt, in welchem Maße die private Initiative in den neuen Bundesländern die Aufbauentwicklung voranbringt.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, mit einigen wenigen Worten darauf hinweisen, daß vor allem die Situation in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion weitere Ausgaben des Bundes in diesem Nachtragsetat erforderlich macht. Wir müssen in der Folge von Vereinbarungen, die die westlichen Wirtschaftsnationen mit den GUS-Staaten im Januar 1992 getroffen haben, zusätzliche Belastungen von 1 Milliarde DM auf uns nehmen.
Wenn ich das sagen darf: Hier wird deutlich, daß die Vorhaltungen des SPD-Kollegen Wieczorek nicht korrekt sind. Sie können in einem öffentlichen Haushalt nicht im Sinne einer Sparkasse irgendwo Rückstellungen für Risiken vornehmen. Aber die Risiken sind uns bewußt. Da, wo solche Risiken zum Tragen kommen und wo wir wegen solcher Risiken Ausgabenzuwächse haben, tragen wir dem Rechnung. Es ist nicht das erste Mal, daß wir mit einer großen Summe ausfallende Bürgschaften o. a< aus dem Haushalt abdecken müssen. Wir werden auch zukünftig die Risiken, die zum Tragen kommen, in entsprechender Weise flankieren.
Ebenso wird es einen neuen Schwerpunkt bei den Beratungshilfen zum Aufbau einer marktwirtschaftlichen Struktur, aber auch im Bereich des Umwelt- und des Naturschutzes in den Staaten Mittel- und Osteuropas geben. Daß außerdem durch den Zerfall der Sowjetunion und auch Jugoslawiens eine große Zahl neuer Staaten entstanden ist und daß dies erhöhten Aufwand an Personal für neue diplomatische Vertretungen erforderlich macht — —

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1209502200
Herr Kollege Weng, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wieczorek?

Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1209502300
Ich breche jetzt mitten in einem Satz ab, Herr Präsident, um ihm eine Zwischenfrage zu erlauben, die etwas betrifft, was leider schon drei Minuten zurückliegt. Aber, bitte sehr.

Helmut Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1209502400
Es tut mir leid, ich stehe schon so lange hier.

Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1209502500
Das schadet nichts.

(Heiterkeit)


Helmut Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1209502600
Ich brauche keine Einlagen, Herr Kollege, wenn Sie das meinen. Ich stehe gut und fest auf meinen Füßen.

Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1209502700
Worauf sonst?

Helmut Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1209502800
Würden Sie mir zugeben, Herr Kollege Weng, daß für die von Ihnen erkannten Risiken im Bundeshaushalt weder bei den Haushaltsansätzen noch in der mittelfristigen Finanzplanung irgendwo Vorsorge getroffen ist?

Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1209502900
Herr Kollege Wieczorek, die Risiken sind in die Finanzplanung eingebaut. Sie sind allerdings nicht in Heller und Pfennig in die Finanzplanung eingebaut. Das kann auch nicht sein, weil Sie nicht wissen, in welchem Umfang sie zum Tragen kommen. Ich habe schon früher von dieser Stelle aus gesagt: Es gibt natürlich deutliche Zeichen dafür, daß die größere Zahl von Risiken, d. h. die größere Summe einerseits und die härtere Substanz dieser Risiken andererseits, für die Zukunft zu Sorgen Anlaß gibt. Wir machen hier nur deutlich: Ein Risiko wird fällig, und es wird aus dem Etat getragen. Das werden wir in Zukunft auch so machen. Sie können das nicht in der von Ihnen geforderten Weise buchhalterisch einstellen, weil „Risiko" keine Aussage über das ist, was nachher tatsächlich eintritt.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wir haben keine Buchhaltung!)

— Nein, wir haben in dem Sinne keine Buchhaltung. Wir verhandeln über einen öffentlichen Haushalt, Herr Kollege. Vielleicht ist genau das der Unterschied zwischen unser beider Auffassungen. Sie sollten dann über Ihre einmal nachdenken.
Ich komme darauf zurück, daß die größere Zahl neuer Staaten im Osten neues Personal für die zusätzlichen diplomatischen Vertretungen erforderlich macht. Wir werden sorgfältig prüfen müssen, ob die Eingruppierungen im Verhältnis zu dem angemessen sind, was in anderen Staaten der Fall ist. Ich sehe da hohe Aufmerksamkeit der Berichterstatter für das Außenministerium. Der Regierungsentwurf trägt dem jedenfalls schon Rechnung.
Das sollte meine letzte Anmerkung bezüglich der verschiedenen Ausgaben im Nachtragsetat sein, die hier natürlich nicht vollständig angesprochen werden können; dafür sind nachher noch zu viele Details zu besprechen.
Ich will noch einen wichtigen abschließenden Hinweis auf die haushaltsmäßige Gesamtsituation geben. Die Koalition — der Kollege Borchert hat das in seinem Beitrag für die CDU/CSU-Fraktion schon deutlich gemacht; das gilt auch für meine Fraktion; wir haben in dieser Hinsicht einen einmütigen Beschluß gefaßt
hat ja vor wenigen Wochen nicht nur auf Vorlage des Bundesfinanzministers die bekannten Eckwerte für die künftigen Ausgaben der öffentlichen Hände festgelegt, sondern auch die Verschuldensgrenzen in der mittelfristigen Finanzplanung weiter nach unten gedrückt. Daß die Praxis noch hinter den angenommenen Verschuldensraten zurückgeblieben ist, ist eine auf jeden Fall positive Entwicklung.
Wenn auf Grund von höher geschätzten Steuereinnahmen einerseits und andererseits auf Grund von Ausgabenersparnis im Konsumbereich des Bundes und durch die Reduzierung bei der Rüstungsbeschaflung eine Verringerung der Nettoneuverschuldung für das laufende Jahr erreicht werden kann, so ist dies



Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

ein außerordentlich positives Signal. — Jetzt mache ich eine etwas größere Pause. Vielleicht klatscht dann einmal jemand.

(Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

2,6 Milliarden DM weniger Nettokreditaufnahme beim Bund: Da kann man nur hoffen, daß sich die westlichen Bundesländer und vor allem der wohlhabende Teil der westlichen Kommunen hieran ein Beispiel nehmen, um die Richtzahlen, die wir zwar nicht vorschreiben können, aber die wir als Signal im Zusammenhang mit den Eckwerten des Bundesfinanzministers zur Kenntnis genommen haben, einhalten. Denn das, was die Deutsche Bundesbank als Hüterin der Stabilität der Währung künftig in ihrer Geldmengen- und ihrer Zinspolitik machen wird, wird natürlich davon abhängen, daß sich alle öffentlichen Haushalte stabilitätsbewußt verhalten, so wie es der Bund in vorbildlicher Weise vorgibt.
Der vorgelegte Nachtragshaushalt der Bundesregierung ist ein Dokument finanzpolitischer Handlungsfähigkeit bei klarer Einhaltung der selbstgesetzten Haushaltsziele. Die unbeirrte Fortsetzung dieses Wegs bleibt Garantie für den Aufschwung im Osten, ohne daß die hierfür erforderliche Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft im Westen geschädigt werden. Die Bewältigung der finanz- und haushaltspolitischen Erfordernisse, zu denen der Nachtragshaushalt einen Beitrag leistet, wird das Feldgeschrei wegen anderer, in Wirklichkeit wesentlich weniger wichtiger politischer Probleme schnell vergessen lassen. Die F.D.P.-Fraktion geht an die Detailberatung im Ausschuß mit dem Bewußtsein, daß der Rahmen des Regierungsentwurfs den richtigen Weg aufzeigt.
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1209503000
Meine Damen und Herren, ich habe den Mitgliedern des Ältestenrates zu übermitteln, daß die Sitzung des Ältestenrates erst nach der Abstimmung über den Vermittlungsvorschlag zum Bundesbankgesetz stattfinden wird.
Als nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Dietmar Keller.

Dr. Dietmar Keller (PDS/LL):
Rede ID: ID1209503100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Wochen steht die Haushalts- und Finanzpolitik der Bundesregierung im Blickpunkt der öffentlichen Meinung und im Mittelpunkt der innenpolitischen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen politischen Lagern hier in Bonn. Daß der Deutsche Bundestag angesichts dieser Umstände heute nur 90 Minuten über die Lage der öffentlichen Finanzen debattiert, zeigt offensichtlich auch, daß die Koalition wenig Neigung zu einer Bestandsaufnahme verspürt.

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: So ein Unsinn! Dem haben Sie doch zugestimmt!)

Aber auch die SPD scheint von ihren Alternativen nicht sehr überzeugt zu sein, denn sonst hätte sie eine längere Debatte erzwungen.

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)

Die Worte waren heute recht markig, aber überzeugt haben sie mich leider nicht. Oder haben sich vielleicht beide Seiten darauf geeinigt, hier eine Pflichtübung zu absolvieren, den Schein zu wahren und ansonsten auch weiterhin mit Riesenschritten aufeinander zuzugehen?
Der heute zur ersten Beratung vorliegende Nachtragshaushalt verdient nicht, wie Sie gesagt haben, Herr Wieczorek, die Bezeichnung „Mogelpackung". Das ist zu klein gedacht. Es ist eine klassische, gute „Waigel-Packung" geworden.

(Zuruf von der SPD: Was ist es geworden?)

— Eine Waigel-Packung, denn besser, als er es gemacht hat, kann man Sachen nicht vertuschen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Zusammen mit den Änderungen in der mittelfristigen Finanzplanung, soweit sie sich den sehr allgemein gehaltenen Formulierungen aus dem Eckwertepapier des Bundesfinanzministers entnehmen lassen, wird Konsolidierung nur vorgetäuscht, die Verringerung des Haushaltsdefizits und der Abbau der Verschuldung des Bundes nur wortradikal als Politikziel verkündet.
Ich stimme dem CDU-Abgeordneten Kolbe ausdrücklich zu, der Herrn Waigels Sparkonzept als einen Verschiebebahnhof zu Lasten der Ostländer und der Bundesanstalt für Arbeit bezeichnet hat.

(Zuruf von der CDU/CSU: Er ist ein Besserwossi!)

Die vom Bundesfinanzminister vorgelegten Angaben über die Verschuldung des öffentlichen Gesamthaushalts erfassen mit 1,17 Billionen DM nicht die Schulden der Bahn, der Post, der Treuhand sowie die Altschulden der DDR-Wohnungswirtschaft, —

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1209503200
Herr Kollege Keller, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Dietmar Keller (PDS/LL):
Rede ID: ID1209503300
Wenn ich den Satz ausgesprochen habe, ja. — erfassen also nicht die Gesamtschulden, 'für die die öffentlichen Haushalte aufkommen müssen. — Bitte.

Manfred Kolbe (CDU):
Rede ID: ID1209503400
Herr Keller, die Zustimmung Ihrer Person weise ich ausdrücklich zurück. Ich frage Sie: Meinen Sie nicht, daß Sie am wenigsten geeignet sind, sich hier über die Altschulden der ehemaligen DDR zu beklagen? Sie sind doch seit 40 Jahren dabeigewesen!

Dr. Dietmar Keller (PDS/LL):
Rede ID: ID1209503500
Ich kann damit leben, wenn Sie meine Zustimmung nicht brauchen. Aber Ihre Äußerung ist öffentlich gemacht, und nun müssen Sie mit der Bemerkung, die Sie gemacht haben, in Ihrer Fraktion, in Ihrem politischen Umfeld und mit der Meinung Ihres politischen Gegners leben lernen.



Dr. Dietmar Keller
Und wenn Sie von 40 Jahren Altlast reden, so ist das ein Wort, das Ihnen langsam im Mund verfault.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber die Altlast bleibt! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

Es wird langsam langweilig, darüber zu reden. Lassen Sie uns hier über die Fragen reden, die heute hier anstehen!

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)

Ich habe an diesem Pult mein Bekenntnis zu meiner Schuld in 40jähriger Geschichte abgelegt. Ich habe von vielen von Ihnen weniger selbstkritische Einschätzungen zu Ihrer Verantwortung in 40jähriger Geschichte gehört.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Da gibt es einen kleinen Unterschied! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— So, nun seien Sie ruhig und lassen Sie mich weiterreden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das tut weh!)

— Ich kann mir ja vorstellen, daß es Ihnen wehtut, wenn Ihnen widersprochen wird. Sie sind ja in der letzten Zeit nur Jubelchöre gewohnt.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Um die Bilanzen zu schönen, verschiebt der Bundesfinanzminister in seinem Sparkonzept sowohl die Auflösung des Kreditabwicklungsfonds als auch der Treuhand auf die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl. Die öffentlichen Haushalte waren Ende 1991 zusammen mit Bahn, Post, Treuhand und den Altschulden des DDR-Wohnungsbaus insgesamt mit 1,453 Billionen DM verschuldet. Auf der Basis der Verschuldung zum 31. Dezember 1991 müssen alle öffentlichen Haushalte zusammen Zinsausgaben in einer Höhe finanzieren, die die von der Bundesregierung dem Haushaltsausschuß unterbreiteten Zahlen übertreffen. Das mag vielleicht auch daran liegen, daß der Finanzminister seinen Prognosen einen durchschnittlichen Zinssatz von 6,58 % zugrunde gelegt hat, die „Fünf Weisen" in ihren Prognosen jedoch von einem Zinssatz von 9 % ausgegangen sind. Je nach Zinssatz schwankt die Höhe der Zinsausgaben des öffentlichen Gesamthaushalts, die nicht in der Finanzplanung der Bundesregierung ausgewiesen sind, zwischen 18,7 und 25,6 Milliarden DM.
Das Haushaltsdefizit des Bundes betrug 1991 nur deshalb ca. 3 % des Bruttosozialprodukts, weil die Kreditaufnahme der Schattenhaushalte und Sondervermögen des Bundes in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung dem Unternehmenssektor zugeordnet wurden. Bund, Länder und Gemeinden werden jedoch spätestens ab 1995 die aus zusätzlichen Schulden in Höhe von rund 495 Milliarden DM resultierenden Zinsen und Tilgungsleistungen erwirtschaften müssen. Selbst dann, wenn ich der im Jahresgutachten der „Fünf Weisen" enthaltenen sehr optimistischen Annahme einer Zunahme des Bruttosozialprodukts um 7,2 % folgte, würde der Schuldenstand Ende 1992 rund 48 % des Bruttosozialprodukts betragen, also Tendenz steigend, und nicht, wie vom Bundesfinanzminister behauptet, 45 %. Die Zinslastquote aller öffentlichen Haushalte würde 1995 mindestens 15,2 % der Gesamtausgaben betragen. Die vom Bundesfinanzminister mit großem Aufwand verkündeten Sparziele entpuppen sich deshalb bei näheren Hinsehen als Bluff.
Bereits in der Ende 1991 vorgelegten mittelfristigen Finanzplanung war für 1993 ein Wachstum des Haushalts um nominal 1,4 %, für 1994 und 1995 ein solches um jeweils 2,4 % als Zielvorgabe enthalten. Worin Herr Waigel nun die besondere Leistung des Bundes sieht, jetzt den Anstieg der Ausgaben auf 2,5 % zu begrenzen, bleibt sein Geheimnis. Für 1993 gilt jedenfalls eine höhere Steigerungsrate als 1991; denn der Plafond beträgt dann nicht mehr 423 Milliarden, sondern 426 Milliarden DM. Bei einer Steigerung der Ausgaben um 2,5 % könnten 1993 gegenüber der ursprünglichen Finanzplanung über 8 Milliarden DM zusätzlich ausgegeben werden. Der Bundesfinanzminister kann sich als Sparkommissar präsentieren und die Öffentlichkeit darüber hinwegtäuschen, daß die auf Grund des Nachtragshaushalts 1992 nach oben veränderten Ansätze des Finanzplans in der Summe bis 1995 zu Mehrausgaben von über 30 Milliarden DM führen werden.
In der 1991 vorgelegten Finanzplanung wurde für die Jahre 1992 bis 1995 ein Wachstum der Zinsausgaben um 30 % erwartet. Die Personalausgaben werden mindestens um 17 % steigen. Wenn jedoch für Zinsen und Personal auf keinen Fall eine Begrenzung des Anstiegs der Ausgaben auf 2,5 % erreicht werden kann, dann bleibt es schleierhaft, wie der Bundesfinanzminister beim Bund den Ausgabenanstieg auf durchschnittlich 2,5 % begrenzen will.
Die Streichung des Bundeszuschusses an die Bundesanstalt für Arbeit ist die einzige konkrete Sparmaßnahme, die Herrn Waigels Konzept enthält. Über deren verheerende Folgen für den ostdeutschen Arbeitsmarkt ist hier schon viel gesagt worden. Wie ich dem „Handelsblatt" vom 6. Mai entnommen habe, ist sich der Finanzminister mit Arbeitsminister Blüm darin einig, daß es keine neuen Bundeszuschüsse an die Bundesanstalt geben darf. Alles andere wäre angesichts des eisernen Schweigens des Sozialpolitikers Blüm auch verwunderlich gewesen.
Ich möchte noch daran erinnern, daß der Bund durch die Erhöhung der Sozialabgaben zum 1. April 1991 seinen Zuschußbedarf 1991/92 um insgesamt 44 Milliarden DM verringert hat und daß für 1993 auch ohne die Streichungen mit einem um 20 Milliarden DM verminderten Zuschußbedarf gerechnet werden muß.
Meine Damen und Herren, die PDS ist der Auffassung, daß zur Finanzierung der Kosten der Einheit unbedingt und zuallererst diejenigen beitragen müssen, die sich an ihr buchstäblich dumm und dämlich verdient haben. Laut Monatsbericht der Bundesbank wuchs das Geldvermögen der westdeutschen Unternehmen von 1989 bis 1991 um sage und schreibe 22 auf jetzt 1 673 Milliarden DM, wovon fast 600 Milliarden DM sofort mobilisierbar wären.



Dr. Dietmar Keller
Ich bin gespannt, welche Lösungsvorschläge der Bundesfinanzminister zu dieser Frage vorzutragen hat.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1209503600
Das Wort hat der Abgeordnete Werner Schulz.

Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1209503700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben gehört, daß die Bundesregierung besonders stolz auf die Korrektur der Steuerschätzung ist, die dem Staat für das laufende Haushaltsjahr Mehreinnahmen in Milliardenhöhe bringt. Der Finanzminister hat leider nur vergessen, auf den Umstand hinzuweisen, daß diese Mehreinnahmen vor allem mit der steigenden Geldentwertung zusammenhängen. Bekanntlich führen steigende Inflationsraten zu überproportional steigenden Steuereinnahmen.
Es ist auch nicht weiter verwunderlich, daß unter diesen Umständen die steigende Geldentwertung den Finanzminister sogar freut. Es ist ohnedies eine seltene Ironie, Herr Borchert, daß ausgerechnet diese Bundesregierung zum größten Schuldenmacher und Preistreiber in der jüngsten Geschichte geworden ist. Wir müssen das gar nicht mit vielen U's umschreiben. Sie sollten vor allem diesen Buchstaben kein X vorsetzen, was der Bundesfinanzminister phantastisch beherrscht. Zumindest in diesem Sinne — das ist hier ja kontrovers diskutiert worden — beherrscht er die Form der kreativen Bereicherung.

(Jochen Borchert [CDU/CSU]: Sie waren doch gar nicht da, als darüber gesprochen wurde!)

Meine Damen und Herren, die gesamte öffentliche Verschuldung belief sich zum Jahresende auf 1,2 Billionen DM. Sie wird in den nächsten Jahren weiter dramatisch anwachsen. Der Finanzminister hingegen verkauft seine Politik als Konsolidierungsstrategie. Hier ist das Wort Herodots sicher angebracht: Wer Schulden hat, der muß auch lügen.
Meine Damen und Herren, Sie erinnern sich: Diese Regierung trat ursprünglich mit einem finanzpolitischen Konsolidierungskonzept an, bei dem auf der Einnahmen- und Ausgabenseite gespart werden sollte. Rückzug des Staates aus der Ökonomie wurde dies genannt. Ich will hier gar nicht prüfen, ob diese Politik richtig war. Ein Kennzeichen dieser Politik war damals schon ihre soziale Schieflage. Daran hat sich auch nichts geändert.
Heute müssen wir aber feststellen, daß die Finanzpolitik wie auch andere Politikbereiche überhaupt kein Konzept mehr erkennen lassen. Es ist nicht zu übersehen: Diese Regierung hat nichts mehr, was ihren inneren Zusammenhalt garantiert. Sie hat stattdessen steigende Finanzierungsdefizite, die offensichtlich das Gegenteil bewirken. So herrscht ein Chaos, zu dem sich die letzten Monate der sozialliberalen Koalition vergleichsweise als ein wohlgeordneter Rückzug aus der Regierungsverantwortung darstellen.
Falls Sie daran Zweifel haben, hier einige Beispiele. Ich sehe, Herr Bötsch, Sie grübeln darüber nach.
Erstens. Da rügt die Bauministerin die Wohnungspolitik der Bundesregierung und bezeichnet die Senkung der Mieterhöhungsgrenze als ein falsches Signal. Wir sehen hier das ganz offensichtlich neue Rollenverständnis für die Ausübung eines Ministeramtes. Frau Schwaetzer will die Regierungspolitik nicht nur darstellen und vollziehen, sondern sie will sie in der Öffentlichkeit auch kritisch begleiten.
Zweitens. Der Finanzminister möchte nicht auf den Jäger 90 verzichten, während Minister Rühe deutliche Einsparungen am Verteidigungsetat will. Auch hier zeigt sich eine verkehrte Welt. Der Finanzminister übernimmt den Part von Erich Riedl, und Herr Rühe nähert sich den Abrüstungsvorschlägen der Opposition.
Drittens. Strittig war und ist, ob die bestehende Investitionszulage und das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost verlängert werden. Wirtschaftsminister Möllemann plädiert für die Fortsetzung, während der Finanzminister dies ablehnt. Hier sind zumindest die Positionen der jeweiligen Ministerrollen angemessen.
Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Bei allem Zweifel, wer in dieser Regierung wirklich das Sagen hat, herrschen auf jeden Fall deutlich Dissonanzen: so beim Thema Pflegeversicherung und dem unfruchtbaren Streit über den Sanierungsauftrag der Treuhandanstalt; es herrscht Uneinigkeit bei der Arbeitsmarktpolitik, und es gibt auch einen Dissens bei der Regelung der Eigentumsprobleme in den neuen Bundesländern. Ein Ende des Streits ist keineswegs in Sicht. Die Bundesregierung konnte sich nur zu einer Vertagung der Entscheidungen einigen.
Es verwundert nicht mehr, daß das Ansehen des Bundeskanzlers — von ihm sollten schließlich die Richtlinien der Politik ausgehen — auf einem neuen Tiefstand angelangt ist. Wer glaubt, es könnte nicht noch schlimmer kommen, der wird sich wundern, dann nämlich, wenn es zum Schwur über die Ausgestaltung des Haushalts für das Jahr 1993 kommt.
Nicht einmal der bayerische Finanzminister sieht sich in der Lage, die Eckwerte des Bundesfinanzministers einzuhalten.

(Zuruf des Abg. Jochen Borchert [CDU/ CSU])

Wie vor einigen Tagen im „Handelsblatt" zu lesen war, hat auch Herr Lambsdorff — wie so oft schon — leichte Zweifel an der Durchführbarkeit des vorgeschlagenen Sparkurses. Dies betrifft die politische Durchführbarkeit.
Insgesamt gilt aber — und ich habe dies hier schon mehrfach betont —, was das Wirtschaftsministerium in einem vertraulichen Papier festgestellt hat. Dort werden die konjunkturellen Annahmen des Finanzministeriums für die mittelfristige Finanzplanung in Zweifel gezogen, das Eintreten der optimistischen Wachstumsannahmen sei keineswegs gewährleistet.
Darüber hinaus stellt das Wirtschaftsministerium fest, daß unabhängig vom Konjunkturverlauf die Haushaltspolitik in den kommenden Jahren mit einer Fülle von Unwägbarkeiten und potentiellen Störgrößen konfrontiert ist, die alle dahin tendieren, die



Werner Schulz (Berlin)

öffentlichen Defizite noch zu vergrößern und damit die Verwirklichung der mittelfristig angelegten Haushaltskonsolidierung erheblich gefährdet erscheinen lassen. Meine Damen und Herren, ich glaube, über diese Finanzpolitik der Bundesregierung ist damit ein klares Urteil gesprochen.
Die verfehlte Finanzpolitik korrespondiert mit der schlimmen ökonomischen und sozialen Lage in den neuen Bundesländern. Dies zeigt sich nicht zuletzt am Stand der Sanierung der Umweltschäden der ehemaligen SDAG Wismut. Das vollständige Sanierungskonzept wird noch immer vor der Öffentlichkeit und dem Parlament geheimgehalten.
Gleichzeitig explodieren die Kostenschätzungen. Die Regierung muß hier endlich die Fakten auf den Tisch legen, und dies muß noch vor der Haushaltsberatung 1993 geschehen. Wir verlangen einen umfassenden Bericht über das vorgesehene Sanierungskonzept für die Wismut. Die Bundesregierung muß auch Auskunft darüber geben, wie die bereits eingeleiteten Sofortmaßnahmen bisher gegriffen haben, und eine realistische Kostenschätzung vorlegen.
Meine Damen und Herren, ich will hier abschließend noch ein Wort zur Finanzierung des Aufbaus in den neuen Bundesländern sagen.
Die Bundesregierung hat es bisher versäumt, die Verteilung der Lasten gerecht auf die sozialen Gruppen in der Bundesrepublik zu verteilen. Darauf hat der Bundespräsident zu Recht verwiesen. Ihm kommt nun auch das Verdienst zu, daß über die Verteilung der Einheitskosten endlich eine Debatte in Gang gekommen ist. Wir brauchen eine Finanzierungskonzeption, bei der die Begüterten und die Gewinner der deutschen Einheit stärker als bisher an den Lasten beteiligt werden.
Der Bundespräsident hat zu Recht festgestellt: Die Vereinigung kostet mehr, als der Staat allein durch Verschuldung oder Einsparung aufbringen kann. — Wenn wir uns darüber keine aufrichtige Rechenschaft ablegen, werden wir anderswo nur draufzahlen müssen.
Daraus ergibt sich die Aufgabe, die Lasten in der ganzen Gesellschaft zu tragen und sie sozial gerecht auszugleichen.
Das Problem ist nur, daß die Bundesregierung offensichtlich nicht in der Lage ist, ein entsprechendes Konzept zu entwickeln. Zur Lösung dieses Problems werden sich neue Mehrheiten im Parlament finden müssen. Der Bundeskanzler sollte den Weg dazu freigeben.
Ovid sagte einmal: Das Ende krönt das Werk. Da Herr Kohl das offenbar nicht erfaßt, sollte ihm zumindest seine Fraktion dabei helfen.

(Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE — Zuruf von der CDU/CSU: So ein Quatsch!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1209503800
Herr Kollege Schulz, ich glaube, jetzt wird Erich Riedl den Part von Erich Riedl selber übernehmen. — Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft Dr. Erich Riedl.

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID1209503900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aber nicht zu dem vom Herrn Kollegen Schulz erhofften und erwarteten Thema — das machen wir später —, sondern, Herr Kollege Schulz, zu dem Antrag Ihrer Gruppe betreffend Kosten für die Sanierung der durch die ehemalige SDAG Wismut verursachten Umwelt- und Gesundheitsschäden.
Die Bundesregierung bittet das Hohe Haus, diesen Antrag abzulehnen. Wer diesen Antrag genau liest, wird erkennen, daß die Bundesregierung — obwohl sie sehr weitsichtig und sehr klug ist —

(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Natürlich!)

geradezu hellseherische Fähigkeiten, Herr Kollege Schulz, haben müßte, wenn sie dem Antrag von Ihnen, nämlich den Finanzbedarf der gesamten von der Wismut verursachten Umwelt- und Gesundheitsschäden zu beziffern, nachkommen würde.
Es handelt sich bei der Sanierung dieser Altlasten — ich möchte das jetzt mit großem Ernst und auch viel Traurigkeit sagen — um ein riesiges Umweltproblem, das leider Gottes sicherlich nicht in wenigen Jahren abgewickelt werden kann. Ich glaube, daß ich nicht übertreibe, wenn ich sage, daß die Wismut heute die wohl weltweit größte Umweltbaustelle ist, und das mitten in Deutschland! Seit über einem Jahr sind wir dabei — und wir sind noch lange nicht am Ende —, allein das Ausmaß der ökologischen Probleme einigermaßen real zu ermitteln. Erst wenn wir dieses Ausmaß kennen, sind wir in der Lage, die für die Sanierungserfordernisse notwendigen Kostenschätzungen abzugeben.
Die Bundesregierung hat seit der deutschen Einheit eine Reihe von Maßnahmen durchgeführt, damit wenigstens die brennendsten Probleme, nämlich die Stillegung der Uranbergwerke der Wismut und die Sanierung und Rekultivierung kontaminierter Flächen und Anlagen, in Angriff genommen werden konnten. Man ist dabei; man ist an der Arbeit.
Für die Durchführung der Stillegung und Sanierung hat die Wismut im August 1991 ein Gesamtkonzept vorgelegt, über dessen Inhalt wir die Öffentlichkeit bereits informiert haben. Herr Kollege Schulz, Sie kennen dieses Konzept. Den Vorwurf, das Sanierungskonzept werde als Verschlußsache behandelt, muß ich deshalb zurückweisen. Da gibt es nichts zu verschließen. Das muß ganz offen und breit in die Öffentlichkeit kommen. Wer das wahre Ausmaß dieser Katastrophe immer verheimlicht hat, waren die Machthaber in der früheren DDR, die dies als die geheimste Kommandosache des Staates betrachtet haben, weil sie schon wußten, welche Katastrophe sie angerichtet hatten.
Richtig ist, daß wir die Wismut beauftragt haben, standortbezogene allgemeinverständliche Fassungen auszuarbeiten. Diese sind den jeweiligen Landkreisen und Kommunen der betroffenen Regionen Ende des vergangenen Jahres übergeben worden und dort in einer Vielzahl von Gesprächen mit Vertretern der Wismut erörtert worden.
Die derzeit von der Bundesregierung veranschlagte Höhe der Kosten für die Stillegung und Sanierung der



Parl. Staatssekretär Dr. Erich Riedl
im Eigentum der Wismut befindlichen Grundstücke und Anlagen — man höre und staune — von ca. 13 Milliarden DM in zehn bis 15 Jahren erscheint nach heutigem Kenntnisstand relativ sachgerecht. Zugleich sind allerdings die Kosten mit erheblichen Unsicherheiten behaftet, insbesondere für die Maßnahmen, für die Lösungen in den kommenden Jahren erst erarbeitet werden müssen.
Die für das Haushaltsjahr 1993 — und darum geht es ja im Augenblick in dieser Debatte — angesetzten Mittel sind für Einzelsanierungen vorgesehen, für die Problemlösungen bereits vorliegen und für die die Genehmigungsverfahren auch schon in Gang gesetzt worden sind.

(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Jetzt reden wir über den Nachtrag 1992, wenn ich mich nicht täusche!)

— Herr Kollege Bötsch, die Etatisierung 1992 ist schon erfolgt, aber es war hier das Problem, daß in dem Nachtrag 1992 Mittelansätze für 1993

(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Jetzt reden wir über 1992!)

mit entsprechenden Verpflichtungsermächtigungen ausgebracht werden sollten.

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das muß man aber nicht zehn Minuten diskutieren! Der ganze Zeitplan kommt durcheinander!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nun noch ein Wort zu den Kosten für die Erfassung der radiologischen Bergbaufolgelasten für das Bundesamt für Strahlenschutz. Der voraussichtliche Aufwand für die Erfassung der radiologischen Bergbaufolgelasten durch das Bundesamt für Strahlenschutz ist entgegen der Darstellung in Ihrem Antrag, Herr Kollege Schulz, abschätzbar. Grundlagen sind die in den Jahren 1991 und 1992 durchgeführten Erhebungen. Der Finanzplanung liegt ein mehrjähriges Arbeitsprogramm zugrunde, auf dessen Grundlage auch im Jahre 1992 Aufträge erteilt werden. Aus den nur in knapper Form genannten Gründen erachtet es die Bundesregierung deshalb nicht für erforderlich, weitere Festlegungen für die Verabschiedung des Bundeshaushalts 1993 heute und hier zu treffen.
Ich bitte deshalb nochmals, den Antrag von Bündnis 90/GRÜNE abzulehnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1209504000
Das Wort hat der Abgeordnete Ortwin Lowack.

Ortwin Lowack (CSU):
Rede ID: ID1209504100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was als „Theos Sparkonzept" in die Geschichte eingehen soll, ist eine besonders grobe Täuschung der Öffentlichkeit und wohl nicht mehr als oberrohe oder oberrohrer Schlitzohrigkeit zu entschuldigen, obwohl wir alle wissen, daß der Theo ein Schlitzohr ist. Ob das ausreicht, auch ein guter Finanzminister zu sein, ist eine andere Frage.

(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Besser ein Schlitzohr als etwas anderes! Da fallen mir bei dir ganz andere Dinge ein!)

Denn alles, was in den letzten Jahren mit negativen Haushaltsentwicklungen und einer ungeheuren Anhäufung von öffentlichen Schulden verbunden war, trägt die Unterschrift dieses Finanzministers.
Ich frage, um das hier wieder einmal bewußt zu machen: Wer hat denn eigentlich den Vertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion unterzeichnet, gegen den der damalige Bundesbankpräsident schwerwiegende Bedenken vorgetragen hatte, ein Vertrag, von dem wir wissen, daß er ein schädliches Aufblähen des Konsums zu Lasten der öffentlichen Haushalte und viel zu wenig Anreize für Investitionen enthielt — mit der ungeheuren Folge des Verlustes von zahllosen Arbeitsplätzen in den neuen Bundesländern, in denen in weiten Landstrichen Arbeitsplätze vernichtet wurden und auch in den nächsten Jahren nicht blühende Landschaften zu erwarten sind?

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1209504200
Herr Kollege Lowack, darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen? —
Es finden im Augenblick zu viele Minikonferenzen im Saal statt. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, voraus, daß wir in etwa 8 bis 9 Minuten die strittige Abstimmung haben werden. Wer also bis dahin noch wichtige Themen mit Partnern zu besprechen hat, kann das vielleicht außerhalb des Saales tun. Der Redner hat immer ein bißchen Anspruch auf Zuhörerschaft, auch auf Zwischenrufe, wenn es sein muß.

(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Nicht unbedingt!)


Ortwin Lowack (CSU):
Rede ID: ID1209504300
Vielen Dank, Herr Präsident!
Wer war denn maßgeblich an den ungeheuren Transfers in die alte Sowjetunion beteiligt, die uns in der Zwischenzeit mit über 80 Milliarden DM belasten und die uns im Augenblick fehlen, die wir aber dringend bräuchten, um wirklich echte Hilfe leisten zu können.
Ich frage: Wer hat denn eigentlich den Vertrag von Maastricht unterzeichnet, ohne die Bevölkerung darüber aufzuklären, was es letztlich die Deutschen kostet? Wer bemüht sich nach Kräften, ihr Sand in die Augen zu streuen, um gerade darüber nicht aufklären zu müssen? Welche Konsequenzen hat denn — nur um ein Beispiel herauszugreifen — der sogenannte Adhäsionsfonds, der schon im ersten Delors-II-Vorschlag mit 49 Milliarden DM beziffert wird? Wie hoch wird der deutsche Anteil sein?
Noch ein Wort zur europäischen Zentralbank.

(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Lowack als Finanzpolitiker ist etwas ganz Neues!)

Wenn es der Finanzminister so darstellt, als ob diese Einrichtung bereits an Deutschland vergeben wäre, dann sagt er die Unwahrheit.
Ich sage auch noch etwas voraus: Diese europäische Zentralbank wird nicht wie die Deutsche Bundesbank funktionieren, sondern wird im Grunde genommen von den anderen Teilnehmern angesehen wie eine zweite Kommission. Wir werden uns wundern, was davon zu erwarten ist.



Ortwin Lowack
Wenn es im Gesetzentwurf zum Nachtragshaushalt 1992, den wir heute debattieren, heißt, er diene vorrangig der Finanzierung des erhöhten Bedarfs auf Grund der aktuellen Entwicklung in den neuen Bundesländern und außerdem der Finanzierung der Sofortmaßnahmen für die GUS- und MOE-Staaten, so frage ich den Finanzminister: Für was ist denn eigentlich das Geld ausgegeben worden, das wir über das Solidaritätsgesetz vom Bürger abverlangt haben? Dieses Gesetz enthielt doch genau die gleichen Begründungen. Müßte ein Finanzminister nicht erst einmal sagen, was ausgegeben wurde und nicht durch das Solidaritätsgesetz abgedeckt war, jetzt aber durch den Nachtragshaushalt abgedeckt werden müßte? Diese Aufklärung müßte hier erfolgen. Das ist man dem Parlament schuldig, noch dazu in einer Zeit, in der die Steuereinnahmen astronomische Höhen erreicht haben, den höchsten Stand in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Es gäbe noch vieles zu fragen. Eins möchte ich aber festhalten: Ich halte diesen Finanzminister für restlos überfordert, die Finanzen in den Griff zu bekommen. Ich bitte Sie, Regierung wie Regierungskoalition und Opposition, sehr herzlich: Bitte entscheiden Sie jetzt darüber, daß möglichst schnell, am besten sofort, eine Enquete-Kommission eingesetzt wird, die sofort Einsparmöglichkeiten erarbeitet, damit sie möglichst schnell beschlossen werden und bei den Haushalten berücksichtigt werden können.
2,4 Billionen DM, d. h. 2 400 Milliarden DM Schulden Ende 1995 bedeuten, daß auf eine Familie mit zwei Kindern monatlich bereits 1 000 DM Zinsen für öffentliche Schulden zukommen. Ich weiß nicht, ob vielen bewußt ist, was hier eigentlich passiert und welche schwerstwiegenden Schäden für unsere Volkswirtschaft zu erwarten sind.
Wenn es im Bericht des Wirtschaftsministers heißt: „Die Konjunktur in den alten Bundesländern erweist sich weiterhin als widerstandsfähig", dann ist das an Zynismus kaum noch zu überbieten. Wie soll denn die Wirtschaft weiter widerstandsfähig bleiben angesichts dieser ungeheuren Belastung?
Ich bitte Sie: Verhindern Sie heute, was unsere Zukunft zerstören kann! Dieses Parlament muß handeln, wenn es die Regierung nicht mehr kann; sonst handeln die Menschen bald auf der Straße.

(Zustimmung des Abg. Werner Schulz [Berlin] [Bündnis 90/GRÜNE])


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1209504400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ulrich Briefs.

Dr. Ulrich Briefs (PDS/LL):
Rede ID: ID1209504500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die ständigen Mahnungen der Opposition an die Adresse der Regierung zeigen offensichtlich Wirkung: Der vorgelegte Nachtragshaushalt ist ein vergleichsweise disziplinierter Nachtrag. Zu begrüßen ist im Prinzip insbesondere die geplante Rückführung der Nettokreditaufnahme für 1992 um 2,6 Milliarden DM auf 42,7 Milliarden DM. Der galoppierenden Verschuldung, die uns bereits in wenigen Jahren eine gesamte Staatsverschuldung in der Höhe des Bruttosozialprodukts einzubringen
droht, wird damit jedoch kaum Einhalt geboten werden können.
Zu begrüßen ist weiterhin die Erhöhung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsstruktur" und die vorrangige Zielsetzung, Investitionen der gewerblichen Wirtschaft und der wirtschaftsnahen regionalen Infrastruktur in den neuen Bundesländern zu fördern.
Wenn man allerdings sieht, daß bei einer Steigerung der Investitionen — eine optimistische Annahme — in den fünf neuen Bundesländern um 25 in diesem Jahr auf insgesamt 90 Milliarden DM doch erst zwei Drittel der Pro-Kopf-Investitionen im Westen erreicht werden — und das bei dem riesigen Nachholbedarf im Osten —, muß man die alte Kritik laut und deutlich wiederholen: Es wird gekleckert, wo geklotzt werden müßte.
Und das gilt selbst für die staatlichen Infrastrukturinvestitionen. Zwar haben die im Osten inzwischen das Niveau des 1,3fachen der entsprechenden Investitionen im Westen erreicht; nur bei dem riesigen Fehl- und Nachholbedarf im Osten wäre ein Vielfaches dieser Investitionen notwendig.
Zu begrüßen ist auch die vorgelegte Gesetzesänderung zum Gesetz zur Aufhebung des Strukturhilfegesetzes. Die vorgesehene Aufstockung der Überbrükkungshilfe von 800 Millionen auf 1,5 Milliarden DM trägt unserer im vorigen Jahr geäußerten Kritik teilweise Rechnung.
Zu begrüßen ist im Prinzip auch die Aufstockung des Wohnraummodernisierungsprogramms in den neuen Bundesländern. Auch hier gilt allerdings: Angesichts des Bedarfs im Osten an solchen Modernisierungsmaßnahmen im Wohnungsbereich und angesichts des Bedarfs an Arbeitsplätzen ist auch das viel zuwenig.
Der Nachtragshaushalt — das ist trotz, wie gesagt, etlicher begrüßenswerter Detailpunkte festzustellen — kann die Bundesregierung nicht vor ihrer Schußfahrt in die Verschuldungskrise retten. Er trägt dem Bedarf an Investitionen und Infrastrukturmaßnahmen im Osten bei weiten nicht Rechnung. Viel tiefere Einschnitte in die Haushaltsstrukturen sind notwendig.
Angesichts des ersatzlosen Wegfalls — das kann man nicht oft genug ansprechen — des traditionellen Feindes im Osten hätte die Bundesregierung z. B. erhebliche Mittel aus dem Rüstungsetat umschichten können. Diese Aufgabe bleibt also für die kommenden Haushaltsrunden.
Abschließend möchte ich — trotz der Ausführungen, die wir eben vom Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Riedl gehört haben — nachdrücklich den Antrag vom Bündnis 90/GRÜNE unterstützen, Transparenz hinsichtlich der Behandlung des Komplexes der sowjetisch-deutschen Aktiengesellschaft Wismut zu schaffen. Vergessen wir nicht: Von dieser Hinterlassenschaft des sozialistischen Weltsystems in Thüringen und Sachsen sind Zehntausende von Menschen, und zwar nicht finanziell, sondern persönlich mit ihrer Gesundheit und womöglich ihrem Leben betroffen. Es muß schleunigst sichtbar werden — ich



Dr. Ulrich Briefs
denke das ist in diesem Zusammenhang auch ein Aspekt —, ob und wie diese Bundesregierung mit den Folgen der Atomtechnik und der Atomwirtschaft, die wir gleichzeitig auch hier bei uns haben, fertig wird.
Herr Präsident, ich danke Ihnen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1209504600
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/2600, 12/2692 und 12/2638 (neu) an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? — Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 unserer Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Vierten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank (4. BBankGÄndG)
— Drucksachen 12/988, 12/1869, 12/2288, 12/2389, 12/2745 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heribert Blens
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß über die Änderung im Deutschen Bundestag gemeinsam abzustimmen ist. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses ist angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkte 10 sowie die Zusatzpunkte 6 und 7 auf:
10. a) — Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG)

— Drucksache 12/989 —— Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Herta Däubler-Gmelin, Hermann Bachmaier, Hans-Joachim Hacker, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — Abschöpfung von Gewinnen, Geldwäsche — (. . . StrÄndG)

— Drucksache 12/731 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 12/2720 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Geis Joachim Hörster
Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Jörg van Essen

(Erste Beratung 42. Sitzung) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Joachim Poß, Hans Gottfried Bernrath, Dr. Ulrich Böhme (Unna), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Unterbindung der Geldwäsche zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität
— Drucksachen 12/1367, 12/2720 —Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Geis Joachim Hörster
Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Jörg van Essen
ZP6 — Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Beratung in Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit
— Drucksache 12/870 —— Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Herta Däubler-Gmelin, Hermann Bachmaier, Hans-Joachim Hakker, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen anerkannter Beratungsstellen in Suchtfragen
— Drucksache 12/655 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 12/2738 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Geis Dr. Eckhart Pick

(Erste Beratung 42. Sitzung)

ZP7 Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes
— Drucksache 12/934 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (15. Ausschuß)

— Drucksache 12/2737 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Schaich-Walch

(Erste Beratung 42. Sitzung)

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten

(Gewinnaufspürungsgesetz — GewAufspG —)

— Drucksache 12/2704 —Überweisungsvorschlag: Innenausschuß (federführend) Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Gesundheit Haushaltsausschuß mitbratend und gemäß § 96 GO



Vizepräsident Hans Klein
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuß)

a) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche
b) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überprüfter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche
— Drucksachen 12/210 Nr. 61, 12/1003 Nr. 2, 12/2000 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Renate Hellwig
Zu Tagesordnungspunkt 7 hat die Gruppe Bündnis 90/GRÜNE einen Entschließungsantrag vorgelegt.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgesehen. Dagegen gibt es keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Hans de With das Wort.

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1209504700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer gestern die in München herausgegebene „Süddeutsche Zeitung" aufgeschlagen hat, konnte diese Meldung lesen: „Mafiakiller in der Sonnenstraße geschnappt" . Nach einem Bericht des Innenministers von Nordrhein-Westfalen vom 23. März 1992 — ich zitiere — „wurden Aktivitäten der Mafia, Sacra Crona Unita, 'Ndrangheta, Camorra festgestellt, insbesondere im Ballungsraum Ruhrgebiet". Wir wissen auch von chinesischen Triaden, der Mafia entsprechenden Organisationen, in Norddeutschland. Außerdem gab es vor geraumer Zeit eine rein deutsche Gruppierung, die sogar einen Staatsanwalt in einem nördlichen Bundesgebiet eingebunden hatte.
Für Schauergemälde bin ich nicht geeignet: Ein Schauergemälde scheint auch nicht gerechtfertigt. Aber wir müssen in aller Nüchternheit zur Kenntnis nehmen, daß die Bundesrepublik nicht nur sogenannter Ruheraum von Mitgliedern der „Ehrenwerten Gesellschaften", wie sie sich zum Hohn selbst nennen, war und wohl noch ist, sondern daß organisierte Kriminalität auch bei uns schon gewirkt hat und ihr Unwesen treibt.
Wer freilich den Bericht der polizeilichen Kriminalstatistik 1991 im Bulletin der Bundesregierung vom 29. Mai 1992 gelesen hat, wird dort vergeblich nach verwertbaren Zahlen zur organisierten Kriminalität suchen. Die organisierte Kriminalität läßt sich bisher statistisch noch nicht erfassen.
Immerhin aber läßt sich bei allen Vorbehalten gegenüber Statistiken aus jener polizeilichen Statistik für die Beurteilung der Kriminalitätsentwicklung an Schlußfolgerungen folgendes herleiten: Erstens. Die Kriminalitätsrate steigt bisher unaufhaltbar, sowohl in absoluten Zahlen als auch nach der Häufigkeitszahl; letztere ist die auf 100 000 Einwohner entfallende Zahl der Straftaten. Beide Zahlen haben sich
von 1965 bis 1991 mehr als verdoppelt, und das bei sinkender Aufklärungsquote.
Zweitens: Die Gewaltkriminalität ist etwas stärker gestiegen als die Gesamtkriminalität, besonders im letzten Berichtsjahr.
Drittens: Langfristig ist besonders extrem die Rauschgiftkriminalität in die Höhe geschossen, und zwar nach der Häufigkeitsziffer von 2 im Jahr 1965 auf sage und schreibe 180 im Jahr 1991. Was sich an der Zahl der Rauschgifttoten, die wir alle kennen, und der Menge des beschlagnahmten Rauschgifts bereits abgezeichnet hat, ist jetzt damit statistisch deutlich untermauert.
Das kann nur heißen: Wir sind mehr als aufgerufen, das Ansteigen der Kriminalität mit Nachdruck ins Visier zunehmen. Das betrifft die Massenkriminalität, die Schwerkriminalität und die organisierte Kriminalität. Dabei kann sich — das ist für Sozialdemokraten wesentlich — unsere Arbeit nicht nur auf die bloße Änderung der Strafprozeßordnung und der Strafgesetze sowie die Verbesserung und Stärkung der Polizei beschränken, so notwendig das ist — das ist anerkannt —, sondern ebenso ist in Betracht zu ziehen, was die Verelendung von Bevölkerungsteilen, die steigenden Unterschiede zwischen Arm und Reich, hier und da verbunden mit auffallender Protzerei, bedeuten; was unzuträgliche Wohngelegenheiten, fehlende soziale Einbindung und zum Teil unzureichende Ausstattung von Städten, insbesondere unserer Großstädte, bewirken.

(Unruhe)

— Ich finde es ja ganz nett, wenn sich die Regierungsbank unterhält und möglicherweise das noch nachholt — —

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1209504800
Herr Kollege de With, wir haben hier eine Konferenz an der Regierungsbank, wir haben hier hinten eine Konferenz und dort noch eine. — Ich bitte Sie doch herzlich, Gespräche, die Sie führen wollen, außerhalb des Plenarsaals zu führen, und diejenigen, die an der Debatte teilnehmen wollen, bitte ich, das zu tun. — Danke.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1209504900
Ich bedanke mich, Herr Präsident, wiewohl wir alle wissen, daß in der Tat die Bundesregierung unter wirklich großem Druck steht.
Ich darf fortfahren. Die steigende Kriminalität bedeutet ja auch — so wurde es empfunden — Einengung und Beschränkung der persönlichen Bewegungsspielräume und damit letztlich der Freiheit. Der Wohlhabende mag sich noch eine Zeitlang schützen können; der Kleine muß es am ehesten tragen. Falls es zutreffen sollte, daß wir heute schon mehr — in Anführungsstrichen gesprochen — private Polizei haben als solche vom Staat, wird das nur bestätigt.
Wir Sozialdemokraten arbeiten an dieser Problematik, und wir werden in der Sommerpause ein sehr umfängliches Anhörungsverfahren hierzu durchführen und, denke ich, im September/Oktober erste Zeichen setzen.



Dr. Hans de With
Im übrigen haben wir schon 1989 einen Gesetzentwurf zur Bestrafung der Geldwäsche und zur Abschöpfung kriminell erworbener Gewinne vorgelegt, sicher nur ein Teilaspekt, aber ein wesentlicher. Die Bundesregierung hat sich hier allzu lange Zeit gelassen, obwohl auch vom Europarat aus deutliche Anforderungen vorliegen und die Bundesrepublik so ziemlich der letzte bedeutende Staat ist, der hier Lücken zu schließen hat. Das Gewinnaufspürungsgesetz, das im notwendigen Zusammenhang mit der Bestrafung der Geldwäsche zu sehen ist, wurde gar so spät in den Bundestag eingebracht, daß wir heute erst die erste Lesung haben und es deswegen nicht „schlußberaten" können. Ein Kommentar erübrigt sich.
Unsere Vorstellungen sind nach den Ausschußberatungen keineswegs alle erfüllt worden. Das betrifft die Geldwäsche genauso wie das Betäubungsmittelrecht und das Aussageverweigerungsrecht. Wir haben darüber hinaus deutliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die sehr unbestimmte Fassung und die Praktikabilität der Vorschrift über die Vermögen-strafe. Dennoch ist das Ganze — ich sage das — endlich im wirklichen Sinn der Bedeutung des Worts ein Fort-Schritt, zu dem wir, die Länder und die Öffentlichkeit schon lange gedrängt haben. Wir werden deshalb unsere Änderungsanträge stellen, aber in dritter Lesung zustimmen; beim Betäubungsmittelrecht werden wir uns allerdings in dritter Lesung der Stimme enthalten.
Nun hat — jetzt kommt für viele der wichtigste Punkt — in den Medien die Frage Furore gemacht, ob wir den sogenannten großen Lauschangriff heute mit verabschieden werden, das heißt die Möglichkeit der Strafverfolger, auch in Privaträumen Gespräche mit Wanzen oder Richtmikrofonen abhören zu können, selbst wenn kein verdeckter Ermittler anwesend ist.
Die meisten unserer Länder können schon heute auf Grund ihrer Polizeiaufgabengesetze zur Gefahrenabwehr den großen Lauschangriff praktizieren, und zwar in Eilfällen sogar ohne Richter. Merkwürdigerweise hat die Öffentlichkeit hiervon bisher keine Notiz genommen.
In die heute zu verabschiedenden Bestimmungen hatte der Bundesrat nur den sogenannten „kleinen Lauschangriff " aufgenommen, d h. das Abhören mit Wanzen oder Richtmikrofonen in Privaträumen, wenn sich darin ein verdeckter Ermittler aufhält.
Nun ist es offenkundig, daß es bisher noch niemals einem verdeckten Ermittler gelungen ist, in den inneren Zirkel der Mafia oder der RAF einzudringen, so daß diese im Grunde sicher sein können, von Strafermittlern nicht abgehört zu werden. Diese — ich formuliere es milde — etwas merkwürdige und vom normalen Menschen kaum zu verstehende Wirklichkeit — das ist die Wirklichkeit — hat den Rechtsausschuß dazu gebracht, diese Problematik vertieft zu erörtern.
Weil nun der „große Lauschangriff" nur erlaubt werden kann, wenn — das ist Gott sei Dank die übereinstimmende Meinung des Rechtsausschusses — hierzu das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung geändert würde, hat dieser — wieder übereinstimmend — die Beratung des großen und kleinen
Lauschangriffs abgekoppelt, mit dem Ziel, diese Problematik nach der Verabschiedung dieses Gesetzes sorgfältig und ohne Hast zu prüfen. Das kann nur nach der Sommerpause geschehen.
Nun kann natürlich gefragt werden: Wieso brauchen „die da" eigentlich so lange, um diese Frage zu klären? Es geht hier schließlich um die bei weitem massivste Form der Kriminalität. Es geht aber auch um ein Grundrecht, um ein sehr gewichtiges, nämlich um das Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung, letztlich um das Recht auf ungestörte Privatheit. Dieses Grundrecht bündelt sich nicht nur in dem englischen Sprichwort „My home is my castle", sondern es gehört zu den Errungenschaften der Aufklärung und der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung; ich nenne hier Hamilton und Jefferson. Es geht letztlich — das ist für viele sicher erstaunlich — zurück auf Epikur, der zum erstenmal die Wertigkeit des Privatlebens definierte und auch feierte.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Hat der auch schon mit Wanzen abgehört? — Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/ GRÜNE]: Weit hergeholt!)

— Die meisten kennen eben leider nur das „Carpe diem" und nicht mehr.
Deshalb, denken wir, ist bedachtsam zu verfahren.
Dazu darf ich — hören Sie zu; es wird jetzt ernst — den sicher unverdächtigen Eberhard Schmidt zitieren, einen der großen Mentoren unseres Strafverfahrensrechtes. Er sagte 1951:
Jede Handhabung von Macht involviert die Möglichkeit des Mißbrauchs. Von den kriegerischen Auseinandersetzungen der Machthaber abgesehen hat der Menschheit nichts soviel Leid, Qual und Tränen verursacht als die in staatlicher Straftätigkeit sich verwirklichende staatliche Macht. Es ist daher die große Idee des Rechtsstaates, daß der Staat sich selbst mißtraut, seine Macht zügelt und bindet und den erschütternden Erfahrungen Rechnung trägt, die in der Geschichte des Strafrechts mit der Handhabung obrigkeitlicher Macht sich eingestellt haben und sich jedem überwältigend aufdrängen.
Bei den Überlegungen zum großen Lauschangriff wird es im Kern — ich sage das in aller Kürze — um drei Abwägungen gehen. Erstens. Worin besteht die besondere Gefährlichkeit organisierter Kriminalität? Zweitens. Ist zur Ermittlung der große Lauschangriff wirklich nötig und vor allem praktikabel? Drittens. Wenn ja, kann dabei gleichwohl das Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung gesichert werden?
Die Gefährlichkeit der organisierten Kriminalität in ihrer Höchstform zeichnet sich — das läßt sich jetzt schon sagen — durch eine Ballung von mehreren Kriterien aus, die für sich allein schon schrecken: Sie ist auf Dauer angelegt und wird in ihrer Höchstform regelrecht vererbt. Sie beschränkt sich fast nie auf einen Bereich und beinhaltet deshalb Schwer- und Schwerstkriminalität in vielerlei Formen. Zur Durchsetzung ihrer Ziele werden Abschreckungskriterien bis hin zum Mord von vornherein eingeplant. Sie



Dr. Hans de With
versucht, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu unterwandern. Italien schreckt.
Die Beantwortung der beiden anderen Fragen steht noch aus. Die Schlußfolgerung aus all dem wird nur nach einer breiten und sorgfältigen Diskussion in der Öffentlichkeit gezogen werden können. Der demokratische Rechtsstaat darf nicht wehrlos sein und auch nicht wehrlos wirken. Das ist das eine.
Das andere ist: Ein weiterer Eingriff in den Bereich der Unverletzlichkeit der Wohnung, mag er rechtsstaatlich auch noch so abgesichert sein, stellt eine gravierende Qualitätsveränderung dar.
Deswegen soll, kann und darf hier nur mit einem breiten Konsens in der Öffentlichkeit und im Deutschen Bundestag gehandelt werden. Polemik — ich sage das nicht ohne Grund — ist dabei nicht am Platze. Auch mit Rücksicht auf unsere letzte Rechtsausschußsitzung: Parteitaktische Spielchen sollten dabei bitte schön unterbleiben.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1209505000
Herr Kollege Norbert Geis, Sie haben das Wort.

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1209505100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist allgemeine Überzeugung, daß wir einer großen Welle von Gewalt und Kriminalität gegenüberstehen. Die Mafia, die Rauschgifthändler haben im letzten Jahr in Westeuropa 200 Milliarden DM umgesetzt. Dealer, Dunkelmänner, Kriminelle schließen sich zu Organisationen zusammen, führen diese Organisationen streng und bezahlen ihre Helfershelfer sehr gut. Sie bringen auf diese Weise ihr Rauschgift unter die Bevölkerung und zerstören dabei oft die Persönlichkeit eines Betroffenen bis zum Grund und bringen viel Leid — das wissen wir — über die Familien, über die Verwandten und die Freunde.
Der Staat kann vor dieser Kriminalität nicht wegtauchen. Er darf sich nicht ducken, sondern muß sich mit aller Kraft gegen diese anrollende Welle der Gewalt und Kriminalität stemmen. Denn das ist seine erste Aufgabe: Er muß Sorge dafür tragen, daß im Land Frieden herrscht, daß sich die Menschen in Freiheit begegnen, daß sie in Freiheit leben können und daß ihre Sicherheit gewährleistet ist. Das ist sie nicht, wenn Menschen abends nicht mehr auf die Straße gehen können, wenn insgeheim oder offen Kriminalität ausgeübt und Gewalt angewendet wird. Die Gewinne, die im Rauschgifthandel gemacht werden, und die Verlockungen, sich daran zu beteiligen, sind hoch.
Unser Strafrecht ist auf die Erfassung solcher Verbrechen nicht zugeschnitten. Deshalb müssen wir es ergänzen. Diese Einsicht ist in allen großen Parteien vorhanden.
Allerdings, so meine ich, dürfen wir nicht auf halbem Weg stehenbleiben. Wir müssen gesetzliche Regelungen schaffen, die Polizei und Staatsanwaltschaft in die Lage versetzen, die Verbrechen wirksam zu verfolgen. Bei diesem Kampf werden unsere Bürgerinnen und Bürger auch Einschränkungen hinnehmen. Nicht der Staat allein kann Verbrechen bekämpfen, sondern er muß mit der Mithilfe der Bürger rechnen dürfen, und er muß den Bürgern dann auch einiges zumuten dürfen, auch einiges an Einschränkungen, die notwendig sind, damit man solche Verbrechen überhaupt bekämpfen kann.
Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf kann deshalb nur der erste Schritt sein. Niemand kann ernsthaft glauben, daß die jetzt geschaffenen Instrumente ausreichen, den massiven Angriff der Organisierten Kriminalität auf die innere Sicherheit unseres Landes erfolgreich zu bekämpfen. Immerhin aber ist dieser Gesetzentwurf ein Beginn, der nicht geringgeachtet werden darf. Die Regierung, die Landesjustizministerien, die Koalition und auch die SPD haben an diesem Entwurf mitgewirkt, oft mit großen Mühen und in vielen Einzelgesprächen.
Der Gesetzentwurf unterstreicht, wie ich meine, die Fähigkeit des Rechtsstaates, gemeinsam Probleme anzugehen und zu lösen. Manche Unkenrufe in der letzten Zeit wollen uns weismachen, unser Parlamentarismus sei den Herausforderungen unserer Zeit nicht mehr gewachsen. Dieses Gesetz beweist das Gegenteil. Alle verantwortungsbewußten Politiker in Bund und Ländern haben nicht nur den Willen, sondern auch die Kraft aufgebracht, neuartige Bedrohungen unseres Staates mit neuen und wirkungsvollen Mitteln zu bekämpfen. Die heutige Abstimmung und das Verfahren im Bundesrat werden zeigen, ob und inwieweit sich dieser gute Wille durchsetzen wird.
Die sollen nicht recht behalten, die propagieren, man müsse erst rechtsradikal wählen, um in unserem Land Ordnung zu schaffen und für bessere Sicherheit zu sorgen. Allerdings — ich betone es noch einmal —: Wir dürfen nicht auf halbem Weg stehenbleiben. Die Koalition jedenfalls ist fest entschlossen, im Herbst über eine gesetzliche Regelung auch des Einsatzes technischer Mittel in Privatwohnungen zu diskutieren.
Ich entnehme Ihren Äußerungen, Herr de With, daß auch Sie bereit sind, diesen Schritt mitzumachen. Wir hatten uns bereits im Rechtsausschuß in einer Entschließung dazu bereit erklärt; wir kennen die Umstände, weshalb es dann nicht gelungen ist, den Entwurf heute hier so vorzulegen, wie wir es ursprünglich geplant haben.
Nun soll man uns, der Koalition, aber bitte nicht vorwerfen, Herr de With, wir würden ein parteitaktisches Spielchen machen, weil wir nicht die alte Resolution, sondern eine andere auf den Tisch legen, die die Dinge etwas offener gestaltet und nicht — wie Sie, Herr Ullmann, im Rechtsausschuß gesagt haben — nur ein Blatt Papier ist; so ist es auch wieder nicht.
Dieser heute vorliegende Gesetzentwurf wurde — das muß auch erwähnt werden — von schrillen Tönen begleitet. So war in der letzten Woche in einer großen Zeitung in dicken Buchstaben zu lesen, das Gesetz stelle einen brutalen Angriff auf die Privatsphäre dar. Der Autor malt die Schreckensvision des an jeder Ecke stehenden Großen Bruders an die Wand



Norbert Geis
und appelliert mit viel Pathos, wie ich meine, am Schluß eines Artikels an die Bürger: Schützt eure Verfassung! Jawohl, schützen wir unsere Verfassung gegen Kriminalität und gegen Gewalt, schützen wir unsere Verfassung aber auch gegen die, die aus Verblendung und Unvernunft die Gefahr der wachsenden Kriminalität nicht erkennen wollen und nicht die richtigen Mittel dafür ergreifen wollen!
In diesem Zusammenhang weisen wir den Vorwurf zurück, wir wollten die Bundesrepublik Deutschland in einen Polizeistaat umwandeln.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Völlig absurd!)

Wir lassen nicht zu, daß unsere Polizei — nur weil sie Verbrechen bekämpft, und zwar in unser aller Auftrag — als Dunkelmänner hingestellt wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind nicht für den Polizeistaat und nicht für den Schnüffelstaat. Das weiß jeder, und das kann uns auch keiner nachreden. Wir sehen in unserer Polizei uneingeschränkt den Garanten der inneren Sicherheit und der Freiheit jedes einzelnen Bürgers. Wir wollen durch das vorliegende Gesetz und durch weitere gesetzliche Maßnahmen die Arbeit der Polizei stärken. Dies heißt aber nicht Einengung und Beschnüffelung, sondern Sicherung der Freiheit und der Entfaltungsmöglichkeit jedes einzelnen Bürgers.
Der Kern dieses Gesetzes stellt eine maßvolle Erweiterung polizeilicher Ermittlungsmethoden dar. Das gilt für den verdeckten Ermittler, für dessen Einsatz wir die rechtlichen Voraussetzungen schaffen wollen. Es ist aber kein Geheimnis, daß meine Fraktion eine Erweiterung dieser Möglichkeit ins Auge gefaßt hatte. Wir waren und sind noch heute der Meinung, daß ein verdeckter Ermittler, den wir in ein bestimmtes Milieu schicken, damit er Straftaten verhindert und aufklärt, sich dann natürlich milieugerecht verhalten muß oder daß er — wie ein Sachverständiger bei der Anhörung am 22. Januar 1992 gesagt hat — mitspielen kann.
Wir meinen, daß der Vorwurf, der verdeckte Ermittler würde in einem solchen Fall gegen unsere Rechtsordnung handeln, falsch ist. Wenn sich der verdeckte Ermittler in ein solches Milieu begibt, ohne sich angleichen zu können, dann soll man ihn erst gar nicht hineinschicken, denn dann ist sein Leben von vornherein gefährdet.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Einem verdeckten Ermittler, der sich auf milieugerechtes Handeln versteht, kann man doch nicht vorwerfen, er würde unsere Rechtsordnung angreifen, wenn er doch gerade mit seiner Handlung unsere Rechtsordnung schützen will, zumal er dafür sogar sein eigenes Leben einsetzt. Ich meine, daß dieser Vorwurf absurd ist.
Ich meine auch, daß wir mit dem weiteren Punkt, mit dem wir bei diesem Gesetzentwurf noch nicht durchgedrungen sind, den wir aber erneut debattieren werden — und das ist die feste Absicht der Koalition, und das unterstreicht sie auch mit der Entschließung, die wir heute hier verabschieden wollen —, neben den jetzt bereits vorgesehenen Möglichkeiten auch
die Möglichkeit zu eröffnen, technische Mittel dann einzusetzen, wenn es um Aufklärung von Straftaten und um Planung von Straftaten in Privatwohnungen geht.
Natürlich lebe ich lieber in einem Staat, in dem sich die Polizei auf Verkehrsregelungen beschränken kann. Aber jeder von uns weiß doch, daß dies nicht der Fall ist und daß wir — darüber sind wir uns doch einig — als Parlament etwas dazu tun und leisten müssen, daß die Polizei die Möglichkeit hat, Straftaten solchen Ausmaßes zu verhindern und zu verfolgen, wie sie jetzt auf uns zukommen und in der Bundesrepublik Deutschland bereits vorhanden sind.
Wenn dies aber so ist, dann kann es eigentlich doch nicht richtig sein, daß die Privatsphäre der Wohnung, die verfassungsrechtlich geschützt ist und für deren Schutz auch ich nach wie vor eintrete, dazu mißbraucht werden darf, Verbrechen zu planen. Unser Grundgesetz schützt Grundrechte doch nicht, damit sie mißbraucht werden, sondern wir müssen die Grundrechte schützen, damit wir sie in Anspruch nehmen können. Diejenigen aber, die in der staatlich geschützten Privatsphäre der Wohnung Verbrechen planen, Strategien entwickeln, mißbrauchen dieses Grundrecht, und für die besteht der Schutz unseres Grundgesetzes nicht. Das ist jedenfalls meine Auffassung.
Gut, man kann darüber streiten, ob man deswegen Art. 13 des Grundgesetzes ändern muß. Man sollte darüber diskutieren und es genau prüfen; aber ich meine nicht, daß wir dann, wenn es denn notwendig sein sollte, Art. 13 des Grundgesetzes zu ändern, davon Abstand nehmen sollten.
Ich richte meine Bitte ganz ernsthaft an alle Parteien, weil es um vieles geht. Es geht um den Schutz unserer Bürger, und es geht auch um die Zukunft vieler unserer Kinder. Denken Sie daran, daß heute schon in den Schulen Rauschgift verteilt wird und daß sich die Verbrecherorganisationen der Mafia bei uns im Land eingenistet haben und sie, weil viel Geld dabei verdient werden kann, natürlich versuchen, sich überall auszubreiten. Denken Sie daran: Alle Sachverständigen, alle Praktiker sagen — Herr Hirsch, auch in der Anhörung vom 22. Januar dieses Jahres haben sie es uns gesagt —, daß es dann notwendig ist, auch technische Mittel einzusetzen. Da muß der Bürger Einschränkungen hinnehmen, von denen ich vorhin gesprochen habe.
Deswegen bitte ich Sie alle sehr herzlich, daß wir mit großem Ernst und mit genau derselben Offenheit, Herr Meyer, mit der wir dieses Gesetz beraten haben, auch diesen zweiten wichtigen Schritt im Herbst gemeinsam diskutieren und, wenn es notwendig ist, auch eine Zweidrittelmehrheit finden, um eine Verfassungsänderung durchzusetzen.
Lassen Sie mich auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen, der in der Öffentlichkeit und in der Fachwelt diskutiert worden ist, wobei man uns gesagt hat, es seien unter Umständen verfassungsrechtliche Bedenken vorhanden. Ich meine die Vermögensstrafe. Die Verbrecher finden sich zu großen Organisationen zusammen, um leicht und schnell Geld zu machen. Das ist die eigentliche Motivation. In der Tat



Norbert Geis
machen sie schnell viel Gewinn und häufen große Vermögen an. Wenn wir an diese Vermögen herankämen, würden wir sie an ihrer empfindlichsten Stelle treffen. Wir könnten ihnen nämlich das Vermögen nehmen, das sie sich auf diese Weise erworben haben.
Das wollen wir über die Vermögensstrafe erreichen. Ich meine, dieses Vorgehen wird verfassungsrechtlichen Überlegungen standhalten.

(Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Aber nicht auf diese Weise!)

— Herr Meyer, ich weiß, daß Sie anderer Meinung sind. Lassen Sie mich aber meinen Gedanken zu Ende führen; Sie können ja gleich nachher Stellung nehmen.
Ich glaube, daß dies möglich sein muß. Dies ist eine ganz exzellente Handhabe, diese Verbrecherorganisationen dort zu treffen, wo es ihnen um das Eigentlichste geht; es geht ihnen ja nur darum, große Gewinne zu machen.

(Dr. Hans de With [SPD]: Wir wollen das ja auch, aber nicht auf diesem bedenklichen Weg!)

Wir meinen, daß die Strafe so gestaltet werden kann, daß der Richter an das Vermögen herankommen kann und daß nicht erst der Beweis erbracht werden muß, daß es sich hier um Gewinne handelt, die aus dieser Straftat hervorgegangen sind. Man kann in vielen Einzelfällen ja gar nicht beweisen, daß das Geldvermögen, das sich einer angeschafft hat und das er sich vielleicht irgendwo hat waschen lassen, aus Straftaten stammt.
Deswegen wollen wir die Vermögensstrafe. Wir meinen, daß dies ein gutes und richtiges Instrument ist. Wir hoffen, daß wir auch mit diesem Instrument in der Lage sein werden, die Mafia und diese großen kriminellen Organisationen zu bekämpfen. Jedenfalls nehmen wir ihnen einen wichtigen Teil ihrer Motivation.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch einmal einen Appell an Sie richten. Wir werden die Verbrechen in der Bundesrepublik Deutschland nur dann bekämpfen können, wenn alle zusammenstehen. Das gilt nicht nur für das Parlament, sondern natürlich ebenso für die Regierung, vor allem aber für die Bevölkerung draußen.
Ich komme zurück auf das Problem des Großen Lauschangriffs, wie es draußen genannt wird, auf den Einsatz technischer Mittel in Privatwohnungen. Dies wird im kommenden Herbst der hart umkämpfte Teil sein. Wir müssen von unserer Bevölkerung Einschränkungen verlangen, damit wir eine wichtige Aufgabe erfüllen können, nämlich dafür Sorge zu tragen, daß die Menschen in unserem Land in Sicherheit und in Freiheit leben können.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1209505200
Frau Kollegin Ulla Jelpke, Sie haben das Wort.

Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1209505300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Äußerst dürftig ist in dem Gesetzentwurf definiert, was organisierte Kriminalität sein soll. Noch weniger präzise ist meines Erachtens die Darstellung der Entwicklung dieses Phänomens in der Bundesrepublik. Gearbeitet wird nämlich seit Jahren mit Einzelfällen und nicht mit sogenannten organisierten Tätern.
Einer der Gutachter bei der Sachverständigenanhörung schlug für den Gesetzentwurf als Alternative die Überschrift „Gesetz zur Mitorganisierung der Kriminalität" vor.
Im Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität werden gefordert: Rasterfahndung, verdeckte Ermittler, Video- und Tonbandüberwachung, Zeugenschutz — d. h. Geheimhaltung von Polizeizeugen und Akten —, polizeiliche Beobachtung, Ausdehnung der Beobachtung und Bespitzelung auf sogenannte Kontakt- und Begleitpersonen sowie weitere Abkehr vom Legalitätsprinzip.
Die Legalisierung dieser Mittel in großem Maßstab wird die Strafprozeßordnung völlig verändern. Die Sicherheitsorgane werden die Strafprozesse beherrschen. Zudem wird diese Art von präventiver Polizeiarbeit sich immer weiter von gesetzlich definiertem Unrecht lösen, dafür aber immer spezialisiertere geheime Sonderbereiche der Polizei und der Staatsanwaltschaften produzieren.
In Verbindung mit anderen Gesetzesvorhaben aus der jüngsten Zeit — Asylverfahrensgesetz, Bundesgrenzschutzaufgaben, Justizentlastungsgesetz und Ratifizierung des Schengener Abkommens — werden Änderungen vorgenommen, die von ihren Auswirkungen im Alltag her betrachtet die Notstandsgesetze meines Erachtens weit übertreffen werden. Zur Disposition stehen heute schon im innenpolitischen Bereich die Grundgesetzartikel 2, 13, 16, 19 und 24.
„Wider besseres Wissen" so der 16. Strafverteidigertag in einer Resolution — wird behauptet, mit diesen Mitteln könnte es gelingen, an die Spitze krimineller Organisationen zu gelangen und sie von daher „auszutrocknen". Solange der Drogenmarkt nicht entkriminalisiert wird und solange an der Fiktion einer „drogenfreien" Gesellschaft festgehalten wird, wie es in diesem Haus noch vor wenigen Wochen diskutiert wurde, werden verdeckte Ermittler mit ihren nunmehr erweiterten Möglichkeiten Erfolge vortäuschen und kleine Dealer und Abhängige zu großen Fischen machen.
Nirgendwo haben die beschworenen Mittel die Entwicklung der organisierten Kriminalität verhindert. Bekannt ist dagegen, daß gerade der verstärkte Einsatz verdeckter Ermittler und anderer Geheimdienstmethoden die Verflechtung staatlicher, wirtschaftlicher und krimineller Bereiche gefördert und stabilisiert hat. Das reicht von individueller Korruption und dem Abtauchen der Ermittler bis hin zum Aufbau organisierter Strukturen.
Es muß doch nachdenklich machen, wenn ca. 25 der Menge Kokain, die in der Bundesrepublik insgesamt sichergestellt worden ist, von 1988 bis 1991 in Bayern auf Veranlassung eines V-Mannes und eines verdeckten Ermittlers des Landeskriminalamts eingeschleust worden sind, wie auf dem Hamburger Straf-



Ulla Jelpke
verteidigertag bekannt wurde. So erlebte beispielsweise Hamburg, die Stadt, die sehr früh und sehr intensiv auf die Entwicklung geheimer Polizeiarbeit gesetzt hat, Anfang der 80er Jahre prompt seinen großen Polizeiskandal mit seiner Verflechtung des geheimpolizeilichen und kriminellen Milieus. Gegen über 500 Polizeibeamte wurde im übrigen ermittelt.
Der Versuch, Rasterfahndung, verdeckte Ermittler und Lauschangriffe an bestimmte Bedingungen und Deliktskataloge zu knüpfen, wird von Kritikern nur noch belächelt: Ein Anfangsverdacht läßt sich im Zweifel leicht begründen. Mit dem Bezug auf den Straftatenkatalog des § 100a der Strafprozeßordnung sind rund 80 Straftatbestände, darunter eine lange Reihe von Staatsschutzdelikten, einbezogen, Tatbestände, die meines Erachtens keinerlei Bezug zur dürftig definierten organisierten Kriminalität haben.
Die SPD schlägt heute die Konsequenz vor, den „großen Lauschangriff" durch Änderung des Grundgesetzes einzuführen.

(Dr. Hans de With [SPD]: Sie haben nicht zugehört! — Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Sie haben noch nicht einmal richtig Zeitung gelesen!)

Die Logik ist vom Feinsten: Weil Telefonüberwachung immer häufiger und erfolgloser praktiziert wird, muß der Einschnitt in die Grundrechte her. Das mindeste, was die SPD mit ihrem Vorstoß erreicht hat, ist, daß ein Teil dieses Hauses das vorliegende Gesetz mit dem Gefühl verabschieden wird, etwas Schlimmeres zu verhindern. Das Gegenteil ist meiner Meinung nach der Fall.
Nicht zu Unrecht fragt der Hamburger Rechtsanwalt Strate angesichts der Legalisierung dieser uferlosen Überwachungsversuche — —

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1209505400
Frau Kollegin, Sie sind ein großes Stück über Ihre Redezeit hinaus.

Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1209505500
— ich komme zum letzten Satz —, ob die Zukunft der BRD möglicherweise die Vergangenheit der DDR sei.
Danke.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1209505600
Ich erteile dem Kollegen Jörg van Essen das Wort.

Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1209505700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die F.D.P. sagt ja zu dem heute zu verabschiedenden Gesetz, das eine bessere Bekämpfung der organisierten Kriminalität ermöglichen soll. Gerade Liberalen fällt es schwer, dem Staat mehr Kompetenz einzuräumen. Die Angst vor dem Orwellschen Großen Bruder ist auch nach den Erfahrungen mit der übermächtigen Krake Stasi groß.
Besonders im Bereich des Strafrechts und des Strafprozeßrechts gilt das liberale Credo: sowenig Staat wie möglich. Wir ringen heftig; aber wir sind nach sorgfältiger Beratung und Abwägung auch bereit, den Staat dort zu stärken, wo es notwendig ist. Wir lassen uns dabei von der anderen Seite der liberalen Medaille leiten, die „So viel Staat wie nötig" heißt. Der
Rechtsstaat, den gerade wir als F.D.P. fördern und wahren wollen, ist in akuter Gefahr, wenn er sich nicht mehr gegen eine andere Krake, nämlich das organisierte Verbrechen, wehren kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Natürlich ist Deutschland noch nicht Italien; aber wir stehen alle in der Verantwortung, daß es nicht dazu kommt. In unserem südlichen Nachbarland erleben wir in eben diesen Tagen, daß der Kampf gegen die Mafia angesichts ihrer auch politischen Übermacht aussichtslos erscheint. Daß diese Organisation nicht nur eine italienische Erscheinung ist, konnten Sie vor wenigen Tagen lesen. In einer länderübergreifenden Aktion wurden Mafiosi nicht nur in Italien, sondern auch in unserer unmittelbaren Nähe, in Dortmund, festgenommen.
Auch an etwas anderes gilt es zu erinnern: Zu dem zu schützenden liberalen Rechtsstaat gehört auch der Rechtsfriede des Bürgers, der in vielfältiger Weise Opfer organisierter Kriminalität ist. Wir Juristen denken viel zu wenig an ihn, sondern vorzugsweise an den Täter, mit dem wir uns als Verteidiger, Staatsanwalt oder Richter sehr viel intensiver beschäftigen müssen. Auch das Gefühl, als Opfer nicht ernstgenommen zu werden, trägt zu der verbreiteten Unzufriedenheit bei den von uns Vertretenen bei, die wir alle im Augenblick besonders spüren. Die Bürger erwarten von der Politik zu Recht glaubwürdige Antworten.
Der Gesetzentwurf gibt der Justiz, der erfreulich unabhängigen dritten Gewalt in diesem Staat, notwendige und erfolgversprechende Mittel in die Hand, um die organisierte Kriminalität, hier insbesondere die Betäubungsmittelkriminalität, besser und auf einer sicheren Rechtsgrundlage zu bekämpfen.
An die Spitze stelle ich hier aus gutem Grund die besseren Möglichkeiten der Abschöpfung krimineller Gewinne. Hier bietet das zu verabschiedende Gesetz den Gerichten gleich zwei neue Möglichkeiten an: die Vermögensstrafe und den erweiterten Verfall. Natürlich übersehe ich nicht, daß verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Vermögensstrafe laut geworden sind.

(Dr. Hans de With [SPD]: Teilen Sie sie?)

Aber es kann beachtlich begründet werden, daß weder der Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 des Grundgesetzes noch das Schuldprinzip verletzt worden sind. Mir ist vor allem ein Argument in diesem Zusammenhang besonders wichtig. Die organisierte Kriminalität arbeitet gerade mit nach außen hin legalen Unternehmen. Angesichts der legalen Einkünfte ist es außerordentlich schwierig, zu unterscheiden, ob Gegenstände durch eine rechtswidrige Tat oder aus ihr erlangt worden sind, wie es der erweiterte Verfall voraussetzt. Ich bejahe deshalb den Versuch zur Einführung einer Vermögensstrafe. Der erweiterte Verfall, den ich soeben erwähnt habe, ist eine gute und notwendige Ergänzung. Auch hier ist es nach meiner Auffassung gelungen, die Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen einzuhalten.
Schließlich gehört in dieses Paket zu Recht der Tatbestand der Geldwäsche. Hier hat es Diskussionen



Jörg van Essen
darüber gegeben, ob nur die leichtfertige, im allgemeinen Sprachgebrauch also die grob fahrlässige oder die fahrlässige Unkenntnis der illegalen Herkunft unter Strafe gestellt werden soll. Wir befinden uns da in einem eindeutigen Zielkonflikt zwischen einer effizienten Strafverfolgung und der Sicherheit des allgemeinen Geschäftsverkehrs. Ich meine, daß wir einen ordentlichen Kompromiß eingegangen sind, und teile nicht die Kritik der SPD, der Straftatbestand sei zu wenig effizient.
Diese Geldwäsche muß eine notwendige Ergänzung im Gewinnaufspürungsgesetz finden, das wir heute ebenfalls in erster Beratung behandeln. Hier wird man selbstverständlich über die eine oder andere Grenze diskutieren können. Ich bin jedoch der Auffassung, daß der vorgelegte Vorschlag eine brauchbare Grundlage für die Diskussion im Rechtsausschuß ist. Eines ist klar: Wir stehen auch bei diesen Beratungen unter Zeitdruck. Denn die Bestimmungen des Gewinnaufspürungsgesetzes sind eine notwendige Ergänzung zum Tatbestand der Geldwäsche.
Bereits in der ersten Beratung habe ich auf die Notwendigkeit eines verbesserten Zeugenschutzes hingewiesen. Wir als F.D.P. haben uns gegen Vorstellungen gewandt, Vernehmungen durch einen beauftragten Richter ohne Anwesenheit der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft zu ermöglichen. Gerade das persönliche Erleben eines Zeugen ist wichtig, da jeder, der selber einmal in der forensischen Praxis tätig war, weiß, wie häufig der persönliche Eindruck eines Zeugen von seiner schriftlichen, von einem Polizeibeamten verfaßten Aussage abweicht.
Es gehört für mich zu den unverzichtbaren Grundsätzen des Strafverfahrens, daß der Verteidiger, aber auch der Staatsanwalt die Möglichkeit haben müssen, einem Zeugen auf den Zahn zu fühlen. Mit der jetzigen Regelung des § 68 StPO sind ein wirksamer Zeugenschutz, aber auch eine rechtsstaatliche Verteidigung möglich. Ich erhoffe mir davon zusätzlich, daß die Zahl der Sperrerklärungen, die in der Vergangenheit oft zum Schutz von Zeugen notwendig waren, zurückgeht. Dies dient ebenfalls der Rechtsstaatlichkeit der Verfahren.
Wir als Liberale sagen auch ja zur Rasterfahndung und zum Einsatz verdeckter Ermittler, wie sie nun beschlossen werden sollen.
Die Rasterfahndung ist ein modernes Fahndungshilfsmittel, das eine gute und — für uns wichtig — auch dem Datenschutz gerecht werdende rechtliche Grundlage hat.
Auch den verdeckten Ermittler bejahen wir, weil er eine Möglichkeit ist, in den inneren Kreis der organisierten Kriminalität besser einzudringen.
Der verdeckte Ermittler — das sei nicht verschwiegen — ist ein schwieriges Instrument. Ein Polizeibeamter unterliegt dem Legalitätsprinzip und hat Straftaten grundsätzlich sofort zu verfolgen. Hier hat er das Gegenteil seiner normalen Aufgabe. Er soll im kriminellen Strom mitschwimmen und erst danach dem Legalitätsprinzip zum Erfolg verhelfen.
Die Beamten, die im Regelfall dem gehobenen Dienst angehören, sind vielfältigen Anfechtungen ausgesetzt und üben ihren Beruf, wie kürzlich ein Mord in Mannheim gezeigt hat, unter hoher Lebensgefahr aus. Gerade daher sind wir in der Politik verpflichtet, alles ihrer Fürsorge Dienende zu tun.
Eben deshalb habe ich mich dagegen ausgesprochen, bestimmte Straftaten von verdeckten Ermittlern im Gesetz straffrei zu stellen. Durch das grundsätzliche Verbot von Straftraten besteht für den verdeckten Ermittler in seinem eigenen Interesse eine gewichtige Hürde, so daß er sich nur in den Fällen, in denen eine Straftat unumgänglich und zu rechtfertigen ist, dazu entschließt.
Es hilft dem verdeckten Ermittler nicht, wenn wir der organisierten Kriminalität durch einen Katalog die Möglichkeit geben, etwaige Nagelproben dann eben höher als den Katalog anzusetzen. Er kann ohne Regelung, Herr Kollege Geis, vielleicht viel besser so mitschwimmen, wie Sie es gewünscht haben.
Anregungen der Anhörung haben wir aufgegriffen, indem wir die für die Rasterfahndung und den verdeckten Ermittler vorgesehenen Kataloge generalklauselartig erfaßt und weitgehend angeglichen haben.
Schließlich möchte ich noch über einen Punkt sprechen. Einer alten Forderung der Liberalen ist in diesem Paket erfreulicherweise ebenfalls entsprochen worden, nämlich dem Zeugnisverweigerungsrecht für Drogenberater. Dies wird die wichtige Aufgabe der Drogenberatung stärken.
Es würde sich lohnen, noch auf das eine oder andere näher einzugehen. Lassen Sie mich aber einige Worte zu der Entschließung sagen. Liberale wünschen den Austausch von Argumenten, das Ringen um die beste Lösung.

(Dr. Hans de With [SPD]: Wer hat den Antrag eingebracht?)

Die Diskussion in den vergangenen Tagen und Wochen über den Einsatz technischer Mittel in Wohnungen haben gezeigt, daß die Abwägung zwischen dem Grundrecht auf Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung, dem möglichen Eindringen in die engste und privateste Sphäre des Bürgers auf der einen Seite und dem notwendigen Überführen der abgeschotteten Spitzenetagen der organisierten Kriminalität auf der anderen Seite sehr schwierig ist.
Wir als Liberale bekräftigen erneut, daß wir eine offene und sachliche Diskussion führen werden, wie sie auch der Entschließungsantrag des Bundestags von allen fordert. Ich werde in diese Beratung meine Position einbringen — es ist kein Geheimnis, ich bin für den Einsatz von technischen Mitteln in Wohnungen unter hohen rechtsstaatlichen Hürden —, die ich im Rechtsausschuß bereits vertreten habe.

(Beifall des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU])

Gerade weil die Gegenmeinung beachtliche Argumente vorzubringen hat, freue ich mich auf die Diskussion. Diese muß auch geführt werden, um zu klären, ob überhaupt die Notwendigkeit einer solchen Regelung besteht oder wie sie ausgestattet werden könnte.



Jörg van Essen
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1209505800
Ich erteile dem Kollegen Jürgen Meyer das Wort.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD):
Rede ID: ID1209505900
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Dokument der gemeinsamen Überzeugung aller Bundestagsfraktionen, daß die organisierte Kriminalität zu einer Herausforderung und Bedrohung für Staat und Gesellschaft geworden ist. Internationale Drogen- und Waffenhändler, grenzüberschreitend operierende Einbrecherbanden und Menschenhändler erzielen weltweit Gewinne von jährlich weit mehr als 500 Milliarden DM.
Nach einer kriminologischen Untersuchung des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht liegen die Gewinne aus dem Heroinhandel allein in der Bundesrepublik bei jährlich etwa 1,5 Milliarden DM. Diese Gewinne müssen gewaschen werden, denn ohne Geldwäsche ist die organisierte Kriminalität bekanntlich nicht existenzfähig.
Es ist ein trauriges Ergebnis der jahrelangen Untätigkeit dieser Bundesregierung, daß unser Land inzwischen zum westeuropäischen Dorado für Geldwäscher geworden ist.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat bereits im Oktober 1989 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Strafbarkeit auch der fahrlässigen Geldwäsche vorsah. Heute, mehr als zweieinhalb Jahre später, liegt uns nun ein von der Bundesregierung unterstützter Entwurf des Bundesrates vor, der die schwarzen Schafe des Kreditgewerbes, auf deren Hilfe die organisierte Kriminalität angewiesen ist, unangemessen schont und Geldwäsche nur bei Vorsatz oder Leichtfertigkeit, nicht aber bei einfacher Fahrlässigkeit mit Strafe bedroht. Dieser Vorgang ist der Beweis für ein doppeltes Versagen der Bundesregierung im Kampf gegen die organisierte Kriminalität.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Denken Sie doch bitte an Ihren eigenen Vorschlag!)

Erstens hat sie sich in dieser Legislaturperiode noch nicht einmal dazu aufraffen können, einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen. Auch die Regierungskoalition, verehrter Kollege Geis, hat nichts vorgelegt.

(Beifall bei der SPD — Norbert Geis [CDU/ CSU]: Wir haben doch weitere Vorschläge gemacht!)

Der einzige Entwurf aus dem Bundestag stammt von der SPD, und wir freuen uns, daß unser Entwurf sich wenigstens teilweise im Rechtsausschuß durchsetzen konnte.
Zweitens haben insbesondere die Beratung der Strafbarkeit der Geldwäsche und auch der heute zur ersten Beratung vorliegende Entwurf eines Gewinnaufspürungsgesetzes deutlich gemacht, daß die Bundesregierung davor zurückschreckt, entschlossen gegen die kriminellen Helfershelfer mit den weißen Kragen vorzugehen. Wer die organisierte Kriminalität
glaubwürdig bekämpfen will, muß das nach unserer Rechtsüberzeugung ohne Ansehen der Person tun.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE — Norbert Geis [CDU/CSU]: Jetzt verschieben Sie aber die Gewichte, Herr Meyer!)

Im krassen Gegensatz zu ihrem Einknicken vor den Wünschen des Kreditgewerbes

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau!)

läßt die Bundesregierung gegenüber den sogenannten gemeinen Kriminellen gelegentlich rechtsstaatliches Augenmaß vermissen und nimmt dadurch erhebliche verfassungsrechtliche Risiken in Kauf.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist reine Polemik, was Sie da machen! — Gegenruf der Abg. Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die Wahrheit!)

Damit bin ich bei den im Gesetzentwurf vorgesehenen neuen Sanktionen, dem größten Schwachpunkt des gesamten Entwurfs. Der heute ebenfalls zur Abstimmung stehende Gegenentwurf der SPD —

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Warum sind Sie gegen die Vermögensstrafe?)

— nur Geduld, ich komme gleich dazu —, will der Forderung „Verbrechen dürfen sich nicht lohnen" durch eine neue, obligatorische Nebenstrafe Rechnung tragen. Danach wäre der Täter, der sich durch seine Verbrechen unrechtmäßig bereichert hat, zur Zahlung eines dem Wert des Erlangten entsprechenden Geldbetrages zu verurteilen.
Zu unserer Überraschung halten aber Bundesregierung und Regierungskoalition trotz zwischenzeitlicher gegenteiliger Signale auch nach der Sachverständigenanhörung an der sogenannten Vermögensstrafe fest,

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Weil wir an das Geld der Kriminellen wollen, Herr Meyer!)

die von allen Kommentatoren des Strafgesetzbuches, die sich bisher dazu geäußert haben, für verfassungswidrig gehalten wird.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Es gibt auch andere Stimmen, Herr Meyer!)

Diese Auffassung beruht u. a. darauf, daß die Vermögensstrafe, die nach einem auch Eingeweihten bisher völlig unbekannten Maßstab das gesamte Tätervermögen erfassen kann, erklärtermaßen auch dann verhängt werden soll, wenn der Verurteilte den völlig legalen Erwerb seines Vermögens nachweisen kann.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Also wollen wir doch ans Geld der Täter!)

Den Verfechtern der Vermögensstrafe, verehrter Kollege Geis, ist offenbar entgangen, daß diese in der NS-Zeit gegen angebliche Hoch- und Landesverräter verhängt werden konnte und wegen offensichtlichen Mißbrauchs im Jahre 1946 durch das Kontrollratsgesetz Nr. 11 abgeschafft worden ist.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist ein völlig deplaziertes Beispiel!)




Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Aber: Wer nach der Devise „Augen zu und durch" handelt, der übersieht auch, daß viele Staaten des Europarates bereits angekündigt haben — das sind ja wohl Rechtsstaaten —, uns keine Rechtshilfe bei der Durchsetzung der Vermögensstrafe, die sie für rechtsstaatswidrig halten, zu gewähren. Die grenzüberschreitende Kriminalität kann aber nach unserer Überzeugung nur durch internationale Zusammenarbeit — auch bei den dringend erforderlichen Gewinnabschöpfungsmaßnahmen — wirksam bekämpft werden.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken sind bei der Sachverständigenanhörung auch gegen den erweiterten Verfall geltend gemacht worden. Dieser setzt immerhin voraus, daß es Anhaltspunkte gibt bzw. Umstände die Annahme rechtfertigen, daß die betreffenden Gegenstände deliktischen Ursprungs sind. Auch hier wird das Bundesverfassungsgericht das letzte Wort haben.
Die bereits erwähnte weiche Linie von Bundesregierung und Regierungskoalition

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das müssen Sie uns gerade vorwerfen! Das ist wirklich ein Hohn!)

bei Einführung des Straftatbestandes der Geldwäsche setzt sich bei dem vom Bundesinnenminister vorgelegten und heute in erster Beratung zu behandelnden Entwurf eines Gewinnaufspürungsgesetzes fort.
Es ist zwar ausdrücklich anzuerkennen, daß es künftig eine Meldepflicht, insbesondere der Kreditinstitute bei größeren Kapitalbewegungen, und auch eine Anzeigepflicht in Verdachtsfällen geben soll. Aber warum sollen diese Pflichten nicht strafbewehrt, sondern nur bußgeldbewehrt sein? Warum sollen Verstöße nur nach dem Opportunitätsprinzip verfolgt werden können? Wieso genügt auch hier für die Sanktionierung nicht einfache Fahrlässigkeit? Und warum schließlich wird die einschlägige EG-Richtlinie nicht beachtet, wonach die Meldepflicht bereits bei Einzahlung von 15 000 ECU gelten soll?

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Bei den anderen Ländern ist dies nicht anders, Herr Meyer! Das wissen Sie doch!)

Ein Vertreter der Bundesregierung hat im Rechtsausschuß allen Ernstes erklärt, man müsse bei der Geldwäsche und dem Gewinnaufspürungsgesetz auch auf die Akzeptanz der neuen Gesetze beim Kreditgewerbe achten. Das ist nun allerdings eine ganz neue Art der Kriminalpolitik.

(Beifall bei der SPD)

Immerhin geht es hier um die Existenzgrundlage der organisierten Kriminalität, die nur durch die Hilfestellung seitens der schwarzen Schafe eines ansonsten ehrbaren Gewerbes gesichert werden kann.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die Banken sind denen wichtiger als unsere Kinder! — Gegenruf des Abg. Norbert Geis [CDU/ CSU]: Das müssen gerade Sie sagen!)

Will die Bundesregierung künftig auch in anderen Fällen die Normadressaten befragen, wie sie es denn gern hätten? Eine solche Regierung muß sich dann doch fragen lassen, ob sie es nicht vorzieht, auf das Regieren ganz zu verzichten.

(Zurufe von der SPD: Das tut sie doch!)

Ich komme zum prozeßrechtlichen Teil des Gesetzentwurfs. Hier will ich zunächst unserer Freude darüber Ausdruck geben, daß der Rechtsausschuß unseren Vorschlag einer effektiven Beschlagnahmeregelung befolgt und insoweit den SPD-Entwurf angenommen hat.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das stand ja schon vorher drin, Herr Meyer!)

Es ist von großer praktischer Bedeutung, daß sich die internationalen Drogen- und Waffenhändler künftig nicht mehr, wenn sie von einem gegen sie laufenden Verfahren Wind bekommen, mit ihrem Vermögen über die Grenze absetzen, sich so dem Strafverfahren entziehen und ihr Kapital auf der anderen Seite der Grenze weiter für ihr kriminelles Tun einsetzen können. Dem wird durch die Aufnahme typischer Tatbestände der organisierten Kriminalität in die geltende Strafprozeßordnung — § 443 — ein Riegel vorgeschoben. Allerdings ist die vorläufige Beschlagnahme des Vermögens für den Zweck der Verfahrenssicherung erst dann möglich, wenn wegen der im Gesetz aufgeführten Straftaten Anklage erhoben worden oder, was praktisch bedeutsamer sein wird, Haftbefehl ergangen ist. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist dadurch gewahrt, daß die vorläufige Beschlagnahme auf einzelne Vermögensgegenstände beschränkt werden kann.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Herr Meyer, das ist Ihr Steckenpferd, das bringt aber nichts! Das können Sie in der Uni sagen!)

Zu begrüßen ist auch, daß der Einsatz verdeckter Ermittler nunmehr gesetzlich geregelt wird. Dadurch wird eine seit langem existierende Grauzone in das Licht parlamentarischer Diskussion gebracht und rechtsstaatlichen Regeln unterworfen, eine Aufgabe, die uns auch in anderen Bereichen der Strafprozeßordnung — wozu mein Kollege Hans de With gesprochen hat — noch bevorsteht.

(V o r s i t z: Vizepräsidentin Renate Schmidt)

Die SPD hat sich dafür eingesetzt, den Anwendungsbereich des seit langem praktizierten Instruments verdeckter Ermittler auf schwere Straftaten zu beschränken.
Vor allem aber sind derartige Aktionen unter einen strengen Richtervorbehalt zu stellen. Die Landespolizeigesetze tragen dem nach unserer Auffassung für den Bereich der Gefahrenabwehr nicht immer ausreichend Rechnung.
Was die bundesrechtliche Regelung angeht, halten wir es für unakzeptabel, daß bei Gefahr im Verzuge für den Einsatz verdeckter Ermittler zur Verbrechensaufklärung sogar auf das Erfordernis der Zustimmung der Staatsanwaltschaft verzichtet werden soll. Damit nähern wir uns bedenklich der von mir seit vielen



Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Jahren kritisierten Praxis, die dem Leitgedanken „jedem Schupo seinen V-Mann" entspricht.
Erfreulicherweise hat der Rechtsausschuß dem vor allem aus Bayern und Baden-Württemberg an ihn herangetragenen Ansinnen widerstanden, milieubedingte Straftaten verdeckter Ermittler gesetzlich zuzulassen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das war ein Fehler, Herr Meyer!)

Die SPD lehnt dieses aus grundsätzlichen und aus praktischen Erwägungen ab.

(Beifall bei der SPD)

Der Staat, der seine Beamten Straftaten begehen läßt, hört auf, ein Rechtsstaat zu sein, und er beschädigt selbst, was er zu schützen versucht.
Im übrigen würde der Gesetzgeber, der die den verdeckten Ermittlern gestatteten Straftaten auflistet,

(Norbert Geis [CDU/CSU]: In anderen Ländern haben wir das!)

den einschlägigen Kreisen explizit mitteilen, welche Art von Mutprobe sie dem neuen „Kollegen" abverlangen müssen, um ihn sicher zu enttarnen.
Ich komme zur abschließenden Bewertung des Gesetzentwurfes. Er enthält, wie dargelegt, viel Schatten, aber auch viel Licht. Im Rechtsausschuß haben wir uns deshalb der Stimme enthalten. Wir wollen unsere Ablehnung der verfassungsrechtlich bedenklichen neuen Sanktionen in zweiter Lesung noch einmal deutlich machen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie wollen sich vor der Verantwortung drücken! Das ist es!)

Soweit wir in dritter Lesung dem Gesetzentwurf zustimmen, wollen wir damit ein Signal setzen, daß der Kampf gegen die organisierte Kriminalität eine gemeinsame Aufgabe aller demokratischen Parteien ist.
Ich danke Ihnen!

(Beifall bei der SPD)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1209506000
Nun hat das Wort der Kollege Erwin Marschewski.

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1209506100
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Professor Meyer! Kriminalitätsbekämpfung sollte gemeinsame Aufgabe aller Demokraten sein.

(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

Vorwürfe gegen die Union, die maßgeblich dieses Gesetz gestaltet hat, sind unbegründet; denn diese Vorwürfe trennen und teilen. Sie bringen nichts zusammen. Das ist der Vorwurf gegen Sie.
Ein zweites: Kriminalitätsbekämpfung ist nicht ausschließlich ein Feld intellektueller Betrachtungen. Es geht darum, Verbrechen tatsächlich zu bekämpfen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!)

Deswegen ist das Ergebnis für Sie zwangsläufig Stimmenthaltung, meine Damen und Herren. Dem können wir nicht zustimmen, daß die Verbrechensbekämpfung — —

(Dr. Hans de With [SPD]: Wir stimmen doch zu! Das tun Sie doch auch! Beide Ohren öffnen! — Gegenrufe von der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren — —

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir bedauern, daß Sie sich der Stimme enthalten!)

— Das bedauern wir. Das ist das Ergebnis Ihrer Betrachtungen! Das führt zu Handlungsunfähigkeit. Deswegen vertreten wir eine andere Meinung!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die Zahlen, die einfachen Zahlen, erschüttern. Wir haben 1975 195 Drogentote zu beklagen gehabt. 1989 waren es bereits 1 000; im vergangenen Jahr sind es mehr als 2 000 gewesen. Ich meine, dies sind grausame Fakten, und dies zeigt, daß wir Abwehrmaßnahmen brauchen, die immer dringender werden.
Meine Damen und Herren, es ist vorhin der Bereich des Gewinnaufspürungsgesetzes angesprochen worden.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1209506200
Herr Kollege Marschewski, würden Sie eine Zwischenfrage gestatten?

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1209506300
Sehr gern, Frau Präsidentin.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1209506400
Wunderbar. Dann sind wir wieder einig. — Herr Kollege.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD):
Rede ID: ID1209506500
Herr Kollege Marschewski, ist Ihnen entgangen, daß ich, ebenso wie mein Kollege Hans de With, angekündigt habe, daß die SPD-Fraktion bei der zweiten Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität einzelnen Teilen, und zwar dem Art. 1, der die neuen, verfassungsrechtlich bedenklichen Sanktionen enthält, nicht zustimmen wird, aber in der dritten Lesung auf Grund einer Gesamtabwägung, auch als ein Signal, das wir setzen wollen, diesem Gesetzentwurf zustimmen wird? Ist Ihnen das entgangen?

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Was soll dann dieser Schaukampf? Was ist denn das für ein Irrsinn?)


Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1209506600
Herr Kollege Meyer, in einer Abstimmung enthalten Sie sich, in der zweiten Abstimmung stellen Sie eine Menge Änderungsanträge, in der dritten bekommen Sie ein ganz schlechtes Gewissen und stimmen dann zu.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!)

Ich freue mich darüber. Aber das ist der Fakt, das ist das Ergebnis ihrer intellektuellen Spielereien, die Sie da betreiben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)




Erwin Marschewski
Es geht darum, meine Damen und Herren, Verbrechen zu bekämpfen und nicht das zu tun, was Sie hier machen.
Ein Wort, meine Damen und Herren, zum Bereich des Gewinnaufspürungsgesetzes: Da sagt die Kollegin Matthäus-Maier — man muß sich das einmal vorstellen! —, Banken seien der Union wichtiger als Kinder.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau das! — Zuruf von der SPD: So ist es!)

Sehr geehrte Frau Kollegin, wenn Sie damit den Betrag von 50 000 DM meinen, falls Sie überhaupt Kenntnis haben von dem von uns eingebrachten Gewinnaufspürungsgesetz, sage ich Ihnen: Wir als Union sind bereit, über diesen Betrag zu reden. Das ist keine Frage. Darüber muß man reden, darüber muß man nachdenken. Aber das führt doch nicht zu der Schlußfolgerung, die Sie gerade gezogen haben.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Doch! Genau das!)

Diese Äußerung gegenüber der Union — ich wiederhole sie —, Banken seien der Union wichtiger als Kinder,

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist ungeheuerlich! Das ist eine Unverschämtheit! — Zuruf von der CDU/CSU: Unverschämtheit! Eine Frechheit ist das!)

würde ich zurückgeben und sagen, Frau Kollegin Matthäus-Maier: Dies paßt in die Zeit vor Godesberg.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das zeigt eine bestimmte Mentalität!)

Nur waren Sie damals noch kein Mitglied der ehrenwerten Sozialdemokratischen Partei. Das ist das Problem dabei, Frau Kollegin.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Da ist ein Ordnungsruf fällig! — Uwe Lambinus [SPD]: Bei Ihnen ist öfter einer fällig, Herr Geis!)

Ich komme zur Sache zurück, zum Thema Kriminalisierung in der Bevölkerung.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1209506700
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1209506800
Bitte schön.

Ingrid Matthäus-Maier (SPD):
Rede ID: ID1209506900
Herr Marschewski, wollen Sie mir zustimmen, daß die Grenzen, ab denen Identifizierungspflichten eintreten, z. B. in den USA deutlich geringer sind als bei uns, daß sie mit ausdrücklicher Rücksicht auf die Kreditinstitute unsere Grenzen nicht auf den niedrigen Satz wie in den USA absenken und daß daher, weil der Kern der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Schutz unserer Kinder etwas mit der Bekämpfung der Drogengeldwäsche zu tun hat, mein Zwischenruf „Banken sind Ihnen wichtiger als Kinder" sehr wohl seine Berechtigung hat?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1209507000
Frau Kollegin, dies ist, zum dritten Mal gesagt, ein sehr, sehr schlimmer Satz.
Zum zweiten: Dieses Parlament hat eine Funktion, und wir werden — ich wiederhole das — in diesem Parlament über diese Beträge reden. Deswegen diskutieren wir doch darüber; das ist keine Frage. Ich meine, daß das, was in den Vereinigten Staaten geschieht, was in Frankreich, in Italien passiert, durchaus Beispiel sein kann.

(Zuruf von der SPD: Na also! Dann machen wir es doch!)

Aber, meine Damen und Herren, das kann doch nicht zu diesem Satz berechtigen, den Sie vorhin geprägt haben. Dies paßt nicht in diese Debatte.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Üble Machart!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will mich insbesondere dem Bereich der polizeilichen Maßnahmen widmen, weil der Innenbereich dafür eher zuständig ist. Ich meine die Bereiche „verdeckter Ermittler" und „Rasterfahndung". Ich begrüße es, daß wir in beiden Bereichen den Katalog entsprechend ausgedehnt haben. Das ist doch ein typisches Beispiel, Herr Kollege Johannes Singer, daß dieses Parlament in der Lage ist, wenn es sich aus der Anhörung ergibt, Notwendigkeiten zu vollziehen. Das war eine gute Leistung: Erweiterung des Katalogs hinsichtlich des verdeckten Ermittlers

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das wollten wir ja immer! Sie von der SPD haben nicht mitgemacht!)

und Erweiterung des Katalogs bezüglich der Rasterfahndung.
Ein weiterer Punkt, meine Damen und Herren, neben diesen beiden sehr gut geregelten Punkten, der, so meine ich, angesprochen werden muß, ist der sogenannte Lauschangriff. Meine Damen und Herren, dieser Begriff ist falsch. Es geht nicht darum, daß die Polizei in die Rechte unbescholtener Bürger eingreift. Genau das Gegenteil ist der Fall. Den Ermittlungsbehörden sollen die Mittel in die Hand gegeben werden, den in den kriminellen Aktivitäten von Straftätern liegenden Angriff auf Leben, Freiheit, Leib und Eigentum unserer Bürger abzuwehren.

(Zuruf des Abg. Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.])

— Nein, Herr Kollege Hirsch — ich sage dies noch einmal —: Es geht nicht darum, anständige, normale, vernünftige Bürger abzuhören. Es geht um das Abhören von Verbrechern. Es geht um das Verhindern von Straftaten. Es geht um die Ergreifung von Verbrechern. Das ist der Punkt, meine Damen und Herren.

(Uwe Lambinus [SPD]: Was hat das mit Verbrechern zu tun? Schön sauber bleiben bei der Argumentation!)

— Melden Sie sich doch einmal zu Wort. Ich bin bereit, auf Ihre Frage zu antworten.
Es kann nicht richtig sein, Straftätern Freiräume für ihr verwerfliches Tun zu bieten. Zur Beschränkung der Abwehrmöglichkeit besteht auch auf dem Hinter-



Erwin Marschewski
grund der Länderpolizeigesetze keine Veranlassung. Es ist doch eigentlich widersprüchlich, im Bereich der Prävention die Möglichkeit des Abhörens zu geben, im Bereich der Verbrechensverfolgung, der Repression, dies nicht zu tun.

(Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Wo liegt denn, meine Damen und Herren, der Unterschied im Bereich der organisierten Verbrechen?

(Zuruf des Abg. Wolfgang Lüder [F.D.P.])

— Natürlich, aber das Grundgesetz, Herr Kollege Lüder, wurde zu anderen Zeiten geschaffen. Es gibt moderne Verbrechensmethoden. Es gibt mittlerweile Mafia und Verbrecherbanden, die alle diese Mittel haben. Deswegen muß auch die Polizei entsprechend handeln. Das ist die Problematik dabei.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1209507100
Herr Kollege Marschewski, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Hirsch?

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1209507200
Immer wieder.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1209507300
Immer wieder? Es ist die erste Frage.
Herr Kollege Marschewski, ist Ihnen nicht der Unterschied bekannt, den der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung immer wieder betont hat, nämlich der Unterschied zwischen der Abwehr einer konkreten Gefahr, um das unmittelbar bedrohte Leben eines Menschen zu retten — das ist Polizeirecht —, und dem Anstellen von Ermittlungen, nicht etwa, wie Sie darstellen, gegen einen überführten Verbrecher, sondern gegen eine Person, die aus irgendwelchen Gründen in Verdacht geraten ist und durchaus unschuldig sein kann? Ist Ihnen dieser Unterschied wirklich nicht bekannt?

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1209507400
Herr Dr. Hirsch, dieser Unterschied ist mir wohl bekannt. Es geht letzten Endes darum, daß es beim organisierten Verbrechen keinen Unterschied mehr geben kann zwischen Einzelhandlung, Fortsetzungszusammenhang, Planung in die Zukunft. Ich weiß nicht, warum der Gesetzgeber damals diesen Schritt vollzogen hat.
Übrigens, was das Max-Planck-Institut dazu schreibt, sind doch sicherlich Dinge, über die man letzten Endes nachdenken sollte. Wenn Sie beispielsweise sagen: Das Grundgesetz ist nach der berühmten Grundgesetzlehre insoweit einschränkbar, daß die Möglichkeit besteht, bei schweren Verbrechen, bei verrufenen oder an verrufenen Orten abzuhören, wo gibt es dann, Herr Dr. Hirsch, Begrenzungen?
Ich wiederhole, was ich vorhin gesagt habe: Unser Ziel muß es sein, Verbrechen zu bekämpfen und nicht ausschließlich intellektuelle Spiele durchzuführen. Das ist das Problem dabei.

(Abg. Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Bitte schön.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1209507500
Sie haben aber nicht mehr viel Zeit, Herr Kollege.

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1209507600
Das liegt nicht an mir. Die Kollegen wollen ein bißchen fragen. Ich bin gerne bereit, in diesem netten Kreis von Rechtspolitikern diese wichtigen Fragen der Verbrechensbekämpfung auszudiskutieren.
Wenn Herr Kollege Meyer fragen möchte, sehr gern.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD):
Rede ID: ID1209507700
Herr Kollege Marschewski, räumen Sie ein, daß die von Ihnen angesprochene Lehre von den immanenten Schranken der Grundrechte dort ihre Grenze findet, wo der klare Wortlaut des Grundgesetzes entgegensteht, und daß Art. 13, der die Unverletzlichkeit der Wohnung betrifft, in Abs. 3 einen Eingriff nur für präventive Zwecke, nicht aber für die Zwecke der Repression, also der Verbrechensaufklärung, zuläßt?

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1209507800
Ich räume dies ein; das ist richtig. Das zeigt aber natürlich, Herr Kollege Meyer, die Kompliziertheit dieser Materie. Präventive Maßnahmen, repressive Maßnahmen, immanente Grundrechtsschranken — dann kann ich auch sagen: Wir gehen einen weiteren Schritt, ändern das Grundgesetz und geben der Polizei dann die Möglichkeit, in Wohnungen abzuhören, falls wirklich Leben und Gesundheit der Bürger auf dem Spiel stehen, falls es darum geht, Verbrechen zu bekämpfen, auch in der Zukunft, in der Planung, durch Repression; das spreche ich bewußt an.
Ich meine, daß wirklich Bedarf sei. Das war ja auch Ihre Meinung. Es ist doch gerade von Ihrem Institut ein Papier vorgelegt worden, in dem Sie das ausdrücklich gefordert haben. Wir sind da einer Meinung.
Ich fordere alle Parteien des Hauses auf, das zu tun, was Sie, meine Damen und Herren, gemacht haben, und das, was insbesondere die Polizei fordert.
Ich habe neulich, Frau Präsidentin, ein Gespräch mit dem Vorstand der Polizeigewerkschaft auf Bundesebene geführt. Ich habe mit Herrn Hermann Lutz gesprochen. Er hat mich gefragt: Was ist denn wichtiger — hier wird die Sache auf den Punkt gebracht —, das Leben von Polizeibeamten oder die Wanzen in Wohnungen? Ich glaube nicht, daß einer aus diesem Hause dem Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft widersprechen kann.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1209507900
Jetzt hat Kollege Professor Uwe Heuer das Wort.

Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS):
Rede ID: ID1209508000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundestag soll ein Gesetz mit dem täuschenden Titel „Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität" beschließen.
Der Abgeordnete Marschewski hat eben, wie mir schien, zwei Sphären unterschieden, die Sphäre des Handelns — das ist die Sphäre der Polizei — und die



Dr. Uwe-Jens Heuer
Sphäre intellektueller Spinnereien — das ist die Verfassung. Ich halte eine solche Teilung für außerordentlich gefährlich.
Bereits der Kleine Lauschangriff stellt einen Eingriff in Grundrechte nach Art. 13 dar. Das in der Wohnung nicht öffentlich gesprochene Wort soll unter bestimmten Voraussetzungen abgehört und aufgezeichnet werden dürfen, soweit es im Beisein eines nicht offen ermittelnden Beamten geäußert wird.
Wer aber an die Strafprozeßordnung denkt, die hier geändert werden soll, denkt auch an das Beweisverfahren im Strafprozeß, so daran, inwieweit das im Wege des Kleinen Lauschangriffs aufgezeichnete Wort als Beweis verwertet werden darf. Das darf nämlich im Falle schwerster Verbrechen geschehen. Aber diese Beschränkung gilt nicht für Lichtbilder und Bildaufzeichnungen. Diese dürfen für alle in § 100 a StPO genannten Straftaten als Beweis gewertet werden. Das ist ein Beweis dafür, daß es entgegen der Überschrift durchaus nicht nur um organisierte Kriminalität geht.
Dieser Lauschangriff ist nach meiner Auffassung weder durch Artikel 13 Abs. 2 noch durch Abs. 3 gerechtfertigt. Strafprozessuale Maßnahmen sind keine Maßnahmen der Gefahrenabwehr; das ist hier eben auch schon gesagt worden. Das hat auch der Sachverständige Prof. Krey in seinem schriftlichen Gutachten zur Anhörung vor dem Rechtsausschuß erklärt. Das hat seinen konkreten Grund in der Unterscheidung von Gefahrenabwehr und strafrechtlicher Verfolgung, eventueller Bestrafung bereits begangener Straftaten. In diesem Sinne hat auch das Landgericht Stuttgart einen entsprechenden Beschluß im Jahre 1985 gefaßt.
Mit den Regelungen des Gesetzentwurfs zum Kleinen Lauschangriff wird also, nach meiner Auffassung, dieses in alter demokratischer, rechtsstaatlicher Tradition stehende System der Beweisverwertungsgebote aus den Angeln gehoben. Dies wird im Ergebnis vorwiegend mit Schwerkriminalität begründet.
Der Abgeordnete Burkhard Hirsch ist hier vom Abgeordneten Geis kritisiert worden. Hirsch schrieb:
Wer telephoniert, weiß, daß viele mithören können. Es kann auch sein, daß der Mensch, mit dem ich spreche, mich anzeigt. Aber soll es nicht mehr gelten, daß ein Gespräch unter vier Augen auch unter vier Augen stattfindet? Daß ein Wort nicht „in diesen vier Wänden" bleibt, weil sie präpariert sind?
Nachzulesen in der „Zeit" vom 29. Mai.
Herr Geis hat gesagt: Wer etwas in seiner Wohnung plant, der mißbraucht das Grundrecht. Aber ich meine, ob er wirklich etwas plant, erfährt man ja erst durch diesen Angriff. Und das ist nach meiner Ansicht das eigentliche Problem.
Das organisierte Verbrechen kann sich mit relativ preiswerten Methoden dem Großen Lauschangriff entziehen. Herr Uwe Günther, der Geschäftsführer des Republikanischen Anwalt-Vereins, hat meiner Ansicht nach zu Recht gesagt: Wenn es zutrifft, daß durch organisiertes Verbrechen Milliarden Mark unterschlagen werden, so werden die daran Beteiligten sich auch für ein paar Tausender Dechiffrieranlagen oder Zerhacker leisten können.
Wir sehen die Gefahr, daß entgegen dem Legalitätsprinzip und dem Gebot der konkreten Gefahrenabwehr Kriminalität bloß überwacht, gegen sie aber nicht eingeschritten wird.
Der Rechtsanwalt Gössner hat in der Anhörung am 22. Januar gesagt: Die organisierte Kriminalität wird zur populären und zeitgemäßen Legitimation für sicherheitsstaatliche Aufrüstungsmaßnahmen und Gesetzesverschärfungen, vergleichbar mit den anderen großen Legitimationsformeln in der Neuzeit, nämlich der „Gefahr des Kommunismus" in den 50er und 60er Jahren, des „Linksextremismus" und insbesondere des „Terrorismus" in den 70er und 80er Jahren.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das war aber doch der Fall!)

— Damals ist es Ihnen aber nicht so gelungen; Sie fahren jetzt damit fort.
Meine Damen und Herren, wir haben hier um 17.12 Uhr einen Entschließungsentwurf erhalten, über den heute beschlossen werden soll. Ich nehme nicht an, daß alle Abgeordneten ihn schon kennen. Dieser Entschließungsentwurf hat eine tragikomische Geschichte. Er sollte zunächst einmal einen gemeinsamen Kurs auf den Übergang zum Großen Lauschangriff eröffnen, sagen wir mal, eine Tür aufmachen. Ein Abgeordneter charakterisierte die Annahme dieses Entschließungsentwurfs bei der Sitzung des Rechtsausschusses in Halle als einen Vorgang, der sich in konspirativer Weise abspielt.
Glücklicherweise, muß ich sagen, fiel dieser Entschließungsentwurf dann einem Veto der Mehrheit der SPD-Fraktion zum Opfer. Es gab offenbar auch Probleme in der Freien Demokratischen Partei. Er sollte dann zurückgezogen werden. Heute mittag erhielten wir diesen Entschließungsentwurf erneut.
Ich habe die Befürchtung, daß dieser Entschließungsentwurf, von dem ich hoffe, daß er abgelehnt wird, vielleicht als Vorbote für eine Große Koalition vorbereitet wird, und zwar als Erlaubnis zum Großen Lauschangriff ohne Polemik und Streit, wie formuliert wurde.
In der Anhörung hat der Oberstaatsanwalt Köhler aus Frankfurt am Main den Großen Lauschangriff gefordert. Er sagte: „Was den Lauschangriff betrifft, ist es mit dem Kleinen Lauschangriff nicht getan. " Aus der Sicht des Praktikers meinte er: „Ich sage Ihnen, wenn man schon so weit geht — nämlich bis zum Kleinen Lauschangriff —, dann wird auch die weitere notwendige Hürde genommen werden. " Ich sehe hier Probleme. Uns wird diese Frage im Herbst weiter beschäftigen. Ich hoffe, daß wir diesen Weg nicht weitergehen.
Noch ein Wort an Herrn Geis: Sie haben gesagt, der Staat solle sich nicht ducken. Aber deswegen muß er ja nicht gleich lauschen.
Danke schön.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)





Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1209508100
Nun hat die Ministerin der Justiz, Frau Sabine Leutheusser-Schnarrenberg, das Wort.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1209508200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Uns alle verbindet ein Ziel: die Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität. Die organisierte Kriminalität ist zu einem großen Übel unserer Zeit geworden. Das Unrecht, das durch sie verursacht wird, muß der Staat entschieden bekämpfen.
In den letzten Monaten ist verstärkt die Diskussion darüber geführt worden, mit welchen Mitteln sich der Staat zur Wehr setzen soll. Der Staat muß wehrhaft sein, er muß reagieren können. Ebenso sind dem staatlichen Handeln aber auch Grenzen gesetzt.

(Beifall bei der F.D.P.)

Während der Diskussion um dieses Gesetzesvorhaben sind Möglichkeiten und Grenzen der Verbrechensbekämpfung aufgezeigt worden. Ich bin über diese Diskussion sehr froh, hat sie uns doch auch die Werte, die unser Grundgesetz geschaffen hat, deutlich gemacht. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Herr Herzog, hat es gestern in Potsdam so gesagt:
Die Grundrechte sind nicht die Feinde des Staates.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber auch nicht der Menschen!)

Die Grundrechte gehören zum inneren Charakter des Staates; sie sind selbstverständlich im Staatswesen verankert.

(Beifall bei der F.D.P.)

Das heißt, dem Staat sind die Grundrechte immanent, und er muß sie schützen. Das schafft — das haben wir in der Diskussion und in den letzten Monaten gesehen — ein schwieriges Spannungsfeld zwischen dem Schutz der Grundrechte und dem berechtigten Ziel der effektiven Verbrechensbekämpfung.
Die Diskussion der letzten Monate war überwiegend sehr sachlich und konstruktiv. Deshalb kann auch niemandem hier Blockade- oder Verhinderungspolitik vorgeworfen werden. Ich bin froh über doch weitgehende Übereinstimmung in vielen Punkten, die auch die heutige Diskussion zum Ausdruck gebracht hat.
Mit dem jetzt zur Verabschiedung vorliegenden Gesetzentwurf haben wir einen guten Kompromiß zwischen den beiden Zielen, zwischen Verbrechensbekämpfung auf der einen Seite und dem Schutz der Rechte des einzelnen auf der anderen Seite, gefunden. Er bietet ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Gebot effizienter Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Wahrung unverzichtbarer Freiheitsrechte des Bürgers.
Verbrechensorganisationen sind zu einer großen Gefahr geworden. Drogensucht und Beschaffungskriminalität nehmen zu. Hauptursache für die organisierte Kriminalität sind die enormen Gewinne, die vor allem beim Drogenhandel erzielt werden.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es! Jawohl!)

Gesetzgeberische Maßnahmen müssen daher bei der Abschöpfung des illegal erworbenen Vermögens und der Gewinne aus Straftaten ansetzen. Den Tätern muß die finanzielle Basis für weitere Verbrechen genommen werden. Denn nur so packen wir langfristig das Übel an der Wurzel.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Das soll mit der Einführung der Vermögensstrafe, dem erweiterten Verfall und der neuen Strafvorschrift gegen Geldwäsche erreicht werden.

(Beifall des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU])

Mit dem erweiterten Verfall sollen Vermögensgegenstände erfaßt werden, die aus anderen als der gerade abzuurteilenden Tat stammen. Die Beratungen haben aber gezeigt, daß das allein noch nicht ausreicht; denn häufig sind die Gelder, die durch Verbrechen der organisierten Kriminalität erlangt werden, zumindest teilweise in Firmen angelegt, die nach außen hin reguläre, sprich „legale" Geschäfte machen. Diese Werte sind durch den erweiterten Verfall in aller Regel nicht zu erfassen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!)

Angesichts der enormen Gefahren, die von der organisierten Kriminalität drohen, erscheint es trotz gewisser Bedenken auch unter dem verfassungsmäßigen Gesichtspunkt des Schuld- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vertretbar, die Täter in gravierenden Fällen neben einer hohen Freiheitsstrafe mit einer Vermögensstrafe zu belegen.
Mit diesen Maßnahmen liegt jetzt ein Gesamtkonzept vor, das die zur Zeit unzureichenden rechtlichen Möglichkeiten zur Abschöpfung von Gewinnen aus Straftaten erheblich verbessert. Die Maßnahmen zur Abschöpfung von Gewinnen aus Straftaten werden durch schärfere Strafvorschriften gegen Bandenkriminalität, illegales Glücksspiel und Betäubungsmittelkriminalität ergänzt. Dabei sollen die Maßnahmen zur Verschärfung und Erweiterung der Betäubungsmitteldelikte nicht kleine oder durchschnittliche Betäubungmittelstraftäter treffen, sondern nur schwere und schwerste Fälle.
Zum Schutz von Kindern und Jugendlichen soll, wie von der Bundesregierung vorgeschlagen, auch der Mißbrauch Minderjähriger zum Betäubungsmittelverkehr unter Strafe gestellt werden.

(Beifall bei der F.D.P.)

Das neue Zeugnisverweigerungsrecht für Drogenberater, das Gegenstand eines eigenen Gesetzentwurfs des Bundesrates ist, wird bei Drogenabhängigen und Drogenkonsumenten mehr Vertrauen schaffen und sicherstellen, daß sie sich bei der Drogenberatung offenbaren und Hilfe annehmen können. Ich hoffe, daß der Drogenberater, der seinem Gesprächspartner nun erstmals absolute Vertraulichkeit zusagen kann, wirksamer als bisher dazu beitragen kann,



Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
die Nachfrage nach illegalen Drogen verringern zu helfen.

(Beifall bei der F.D.P.)

Zum Ermittlungsinstrumentarium der Strafverfolgungsbehörden hat sich die Diskussion bis zuletzt im wesentlichen auf die Punkte konzentriert, die schon bei der Abstimmung der Stellungnahme der Bundesregierung zum Länderentwurf am schwierigsten waren.
Zum einen geht es um die gesetzliche Regelung der Zulässigkeit von Straftaten verdeckter Ermittler, dem sogenannten milieugerechten Verhalten. Dem ist schon in der Koalitionsvereinbarung eine Absage erteilt worden. Ein Rechtsstaat kann und darf nicht in Straftatbeständen aufzählen, welche Straftaten verdeckte Ermittler begehen dürfen. Ich glaube, der jetzt beschrittene Weg ist der richtige.
Zum zweiten geht es um die Zulässigkeit des Abhörens in bzw. aus Wohnungen. Der jetzt nach etwas schwierigen und sorgfältigen Koalitionsgesprächen gefundene Konsens sieht vor, ein Abhören in Wohnungen im jetzigen Gesetzentwurf nicht zu regeln und den entsprechenden Vorschlag aus dem Bundesratsentwurf herauszunehmen. Aus verfassungspolitischer Sicht muß meines Erachtens sehr sorgfältig bedacht werden, ob die Erweiterung von Abhörmöglichkeiten in einer Zeit, in der die Folgen eines Überwachungsstaates der Öffentlichkeit deutlich vor Augen stehen, wirklich zwingend erforderlich ist.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/GRÜNE])

Der Gedanke an eine Verfassungsänderung, die für die Ermöglichung des sogenannten Großen Lauschangriffs notwendig wäre, sollte angesichts der Bedeutung des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung nur dann in Erwägung gezogen werden, wenn ohne die Einschränkung des Grundrechts dem Rechtsstaat eine anders nicht zu beseitigende Gefahr droht.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Besteht die nicht schon?)

Meine Damen und Herren, ich bin bisher noch nicht überzeugt, daß ein so schwerwiegender Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung unbedingt erforderlich ist.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/GRÜNE])


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1209508300
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Geis?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1209508400
Ja.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1209508500
Kollege Geis, bitte.

Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1209508600
Frau Ministerin, darf ich Ihre Worte so deuten: Wenn offensichtlich wird, daß
sich in der Bundesrepublik Deutschland mafiaähnliche Verbrecherorganisationen eingenistet haben und die Sicherheit so bedrohen, wie das beispielsweise in Italien schon der Fall ist — und eine solche Gefahr ist nach meiner Auffassung jetzt schon vorhanden — stimmen Sie dann einer Einschränkung der Privatsphäre, also einer Änderung des Art. 13 GG, zu, um eine Abhörung auch in der Wohnung zu ermöglichen und um auf diese Weise Verbrechen besser aufklären zu können?

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P]: Spekulative Fragen!)


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1209508700
Herr Geis, die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland sind mit denen in anderen Staaten Europas nicht vergleichbar.

(Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

Für mich ist bei dieser sehr wichtigen Güterabwägung ausschlaggebend, daß überzeugend dargelegt wird und der Beweis erbracht werden muß, daß für eine effektive Verbrechensbekämpfung, sprich: auch eine erhöhte Aufklärung von Verbrechen und Straftaten, dieses Mittel zwingend erforderlich ist.

(Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

Weil dieser Punkt so schwierig ist, haben wir mit guten Gründen gesagt: Wir wollen sorgfältig prüfen, sorgfältig abwägen. Wir wollen jetzt nicht ein Ergebnis präjudizieren. Wir gehen vorurteilsfrei an diese Prüfung, die im Entschließungsantrag enthalten ist, heran. Ich glaube, das Thema ist so ernst, daß es gut ist, wenn wir die sachliche Diskussion dazu im Herbst fortsetzen.

(Beifall bei der F.D.P.)

Ich bin zuversichtlich, daß mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine gute Grundlage für die Arbeit der Ermittlungsbehörden und ebenso der Strafverfolgungsbehörden geschaffen wird. Ich freue mich auf die Fortsetzung einer sachlichen Diskussion im Herbst.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1209508800
Als nächster hat der Kollege Johannes Singer das Wort.

Johannes Singer (SPD):
Rede ID: ID1209508900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn ich mich richtig erinnere, Frau Bundesministerin der Justiz, war das Ihre erste Rede im neuen Amt.

(Bundesministerin Sabine LeutheusserSchnarrenberger: Im Plenum, ja!)

Wir Sozialdemokraten freuen uns auf die Zusammenarbeit mit Ihnen, vor allem auch deshalb, weil Sie persönlich für die bisherige Untätigkeit der Bundesregierung bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität keinerlei Vorwurf trifft.

(Beifall bei der SPD)




Johannes Singer
Sie können hier wirklich unbelastet auftreten. Ich glaube, daß wir dann zusammen auch etwas zustande bekommen.
Der Gesetzentwurf zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität — darauf muß ich noch einmal besonders hinweisen — ist kein Produkt der Koalitionsfraktionen oder der Bundesregierung. Er kommt vom Bundesrat, er kommt von den Ländern.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Er kommt von Bayern! Das ist richtig!)

— Er kommt von Nordrhein-Westfalen, Herr Geis. Bayern durfte da ein bißchen mitspielen. Wie die Mehrheit im Bundesrat aussieht, das wissen Sie doch ganz genau. So ist es mit Ihrer Mehrheitsherrlichkeit doch nicht mehr bestellt. Das ist vorbei.
Der Gesetzentwurf zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität hat Licht und Schatten. Er enthält Vorschriften, die uns nicht gefallen. Mein Kollege Meyer hat die Vermögensstrafe erwähnt. Ich erwähne die Hochsetzung der Strafrahmen des Betäubungsmittelgesetzes und wundere mich an der Stelle, wie wenig Anhörungen im Rechtsausschuß offenbar die Gesetzesberatungen beeinflussen können. Alle Praktiker haben uns erklärt, also insbesondere die Richter und Staatsanwälte, daß höhere Strafrahmen nichts bringen, höhere Strafrahmen keinen Verbrecher beeindrucken, sondern sich ein Verbrecher bei seinem Handeln davon leiten läßt, ob er das Risiko des Erwischtwerdens eingeht oder nicht. Das heißt: Schnelle Ergreifung und Ermittlung und Überführung ist für einen Verbrecher interessant oder eben gefährlich, aber nicht die Höhe der angedrohten Strafe. Nun sind wir der Meinung, daß es nicht allzuviel verschlägt und wir deswegen den Gesetzentwurf, weil er sehr viele Forderungen der SPD übernimmt und durchsetzt, nicht ablehnen sollten.
Wir begrüßen z. B. den Zeugenschutz. Wir haben uns lang überlegt, ob dadurch die Wahrheitsfindung vor Gericht erschwert werden könnte. Ich halte nämlich gar nichts davon, wenn Polizei und Staatsanwaltschaft Zeugen präsentieren, deren Glaubwürdigkeit vom Strafverteidiger nicht massiv in Frage gestellt und hinterfragt werden kann. Das muß sichergestellt bleiben. Es darf keine Geheimzeugen geben, über deren Hintergründe man nichts erfährt und nichts weiß. Wir haben einige schlechte Beispiele aus der Vergangenheit erlebt und müssen das verhindern. Ich glaube, die Regelung, wie sie getroffen worden ist, ist gut, ist rechtsstaatlich vertretbar und kann, um das Leben des gefährdeten Zeugen zu schützen, auch so durchgehen. Eine Alternative war nicht da.
Ähnliche Bedenken hatte ich zunächst bei der Rasterfahndung und bei der beobachtenden Fahndung. Für alle diese Dinge wird es richterliche Kontrollen und richterliche Entscheidungen vor den entsprechenden Maßnahmen geben. Ich sage zu Herrn Heuer ganz kurz: Von solchen rechtsstaatlichen richterlichen Kontrollen vor einer Ermittlungs- und Fahndungsmaßnahme hätte Herr Heuer in dem Staat, in dem seine Partei einmal die Macht gehabt hat, nur träumen können.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)

Solche Vergleiche anzustellen und sich als Wächter des Rechtsstaats aufzuspielen, finde ich ein bißchen abwegig.
Zum Gewinnaufspürungsgesetz. Jetzt kommt ein massiver Vorwurf an CDU und CSU. Herr Seiters hat in seiner Rede vom 8. April erklärt

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wiederholen Sie nicht das, was Herr Meyer gesagt hat!)

— der ist auf die Rede von Herrn Seiters am 8. April nicht eingegangen; das tue ich jetzt —, daß die Strafbarkeit der Geldwäsche — die die SPD schon vor vier Jahren beantragt hat und die erst jetzt Gesetz wird — nur Sinn macht, wenn man gleichzeitig das Gewinnaufspürungsgesetz verabschiedet. Nun haben wir vom Innenministerium etwas bekommen. Aber es wird wieder Monate dauern, bis es umgesetzt ist. Dazu enthält es Schwellenwerte, über die man nur lachen kann. 50 000 DM ist der Bargeldannahmebetrag, von dem man erst gemeldet und identifiziert werden soll, wenn es sich nicht um eine reine finanzielle Transaktion, sondern um eine Einzahlung handelt. Die Amerikaner haben 10 000 Dollar. Die EG-Richtlinie schreibt uns 15 000 ECU vor. Die EG-Richtlinie muß von uns als Bundesgesetzgeber umgesetzt werden. Im Gewinnaufspürungsgesetz gibt es den ganz schwammigen § 5, der eine Art Indexierung ermöglicht. Wie das rechtlich funktionieren soll und ob es so überhaupt in Ordnung ist, wage ich sehr zu bezweifeln. Dieses Gesetz beraten wir heute nur in erster Lesung. Es wird uns im Ausschuß noch beschäftigen. Wir werden diesen Positionen gesteigerte Aufmerksamkeit widmen und Sie hochnotpeinlich befragen, wie Sie sich das in der Umsetzung vorstellen. Hier darf man nicht vor der Bankenmacht und vor der Lobby in die Knie gehen. Hier muß man Nägel mit Köpfen machen und gerade die Drogenhändler, die internationalen Kartelle an dem Punkt treffen, wo es ihnen weh tut: am Geldbeutel.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Vermögensstrafe, kann ich nur sagen!)

Wir haben gesagt: Gewinnabschöpfung ist die bessere Alternative.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Die machen wir ja auch!)

Wir wollen das Geld abnehmen, aber auf verfassungsrechtlich einwandfreie Weise.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist doch verfassungsrechtlich einwandfrei!)

— Nein, das ist es eben nicht, weil das Schuldprinzip verletzt wird — das haben alle Professoren bestätigt — und weil es nicht rechtshilfefähig ist, Herr Geis. Ich möchte auch Drogenhändler in ganz Europa und in der Welt verfolgen können, wenn sie von hier abhauen, nachdem sie etwas pekziert haben, und nicht nur hier. Die internationale Zusammenarbeit ist dabei wichtig.
Wie lange haben Sie sich mit dem Zeugnisverweigerungsrecht für Suchtberater und Drogenberater Zeit gelassen! Wir werden heute nur den Teil für die Drogenberater verabschieden. Allerdings sind wir der Meinung, daß die Suchtberater einbezogen werden sollten. Es wird nicht ganz so praktisch werden wie bei



Johannes Singer
den Drogenberatern, aber nötig wäre es. Auch das ist ein Gesetzentwurf, der von der SPD stammt und seit vier Jahren im Schoße des Deutschen Bundestages schlummert. Sein Fehlen hat die Arbeit der Drogenberatungsstellen ganz erheblich beeinträchtigt. Wie soll ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Kranken und Abhängigen und seinem Berater hergestellt werden, wenn er immer befürchten muß, der Drogenberater sagt eines Tages vor Gericht gegen ihn aus? Das ist eine Forderung, die von allen in der Therapie und in der Beratung, in der Prävention Tätigen seit Jahren erhoben wird. Sie haben sich unheimlich schwergetan, hier zuzustimmen. Vollen Herzens tun Sie es auch jetzt nicht, Herr Geis.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Hier gibt es auch rechtsstaatliche Bedenken! Das wissen Sie!)

Ich bin froh, daß das heute kommt. Wir werden hier noch einiges verändern.
Was ich sehr bedaure, ist, daß Sie immer noch nicht sauber unterscheiden, . wo die strafrechtliche Abschreckungswirkung neuer Vorschriften Sinn macht, auch solcher Vorschriften, die wir einführen, um Lücken zu schließen, etwa bei der Geldwäsche oder bei der Gewinnabschöpfung, und wo eine abschrekkende strafrechtliche Wirkung völlig versagt, nämlich beim Kranken, beim Abhängigen. Wir haben gesagt, einen Rauschgiftkonsumenten, der nichts anderes im Kopf hat, als möglichst schnell an seinen Stoff zu kommen, werden Sie mit massiven Strafandrohungen nicht beeindrucken. Es macht keinen Sinn, die Polizei und die Justiz hinter ihnen herzuhetzen und deren Zeit zu verplempern.

(Roland Sauer [Stuttgart] [CDU/CSU]: „Wir bekämpfen die Straftaten, indem wir sie abschaffen!" Was ist das für ein Unsinn!)

Ich habe mich — das wissen Sie ganz genau — deutlich und klar gegen Legalisierung und gegen Freigabe von Rauschgift ausgesprochen. Gleichzeitig muß aber nach holländischem Modell eine Entkriminalisierung von Konsumenten, Fixern, Junkies und Kiffern erfolgen.

(Roland Sauer [Stuttgart] [CDU/CSU]: Das ist ohne Wirkung!)

Die Holländer haben damit hervorragende Erfolge erzielt. Die können Sie nicht einfach leugnen. Sie haben die Zahl der Drogentoten in den letzten vier Jahren halbiert, und sie haben die Zahl der Erstkonsumenten stabil gehalten.

(Roland Sauer [Stuttgart] [CDU/CSU]: Indem sie die Strafbarkeit abgeschafft haben!)

Das ist klipp und klar nachgewiesen worden; das können Sie überall nachlesen. Es hat keinen Sinn, ein solches Faktum zu bestreiten, Herr Sauer. Fahren Sie doch einmal nach Amsterdam, lassen Sie sich das vortragen, und zwar querbeet, auch von Leuten, die Ihnen politisch nahestehen! Es ist also unsinnig, wie bisher fortzufahren und Polizei und Justiz mit der Verfolgung dieser Kleinstraftäter, die praktisch gar
nicht anders können, als ewig auf der Jagd nach dem Suchtstoff zu sein, zu beschäftigen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wollen Sie es den Dealern so leicht machen?)

— Nein, den Dealern will ich es so schwer machen wie irgend möglich. Auch dem Dealer geht es in Holland keineswegs besser als bei uns; gegen den nichtabhängigen Dealer wird mit aller Unnachsichtigkeit und Härte des Gesetzes vorgegangen. Nehmen Sie das als Beispiel, und lösen Sie lieber Ihre Versprechungen ein, die internationale Zusammenarbeit zu forcieren!
Ich wundere mich, daß der Bundesinnenminister heute nicht hier ist, der uns hier die Einrichtung der europäischen Rauschgiftzentrale Europol versprochen hat. Es handelt sich dabei nur um Ankündigungen; ich befürchte, daß sie ein ähnliches Schicksal erleben werden, wie manch anderes, was auf dem europäischen Gebiet zur Zeit vonstatten geht. Die europäische Zusammenarbeit brauchen wir dringend in diesem Bereich; meine Hoffnungen sind da aber nicht allzu groß.
Leider ist meine Redezeit abgelaufen; acht Minuten sind verdammt knapp, um hier zu dem ganzen Bereich Stellung zu nehmen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ein Schicksal, das uns alle verfolgt!)

Ich habe einiges ausgelassen, denn ich halte mich diszipliniert an die mir vorgegebene Redezeit.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1209509000
Herr Kollege Singer, die Präsidentin hat Ihnen eine Minute und zehn Sekunden zum Geburtstag geschenkt und beglückwünscht Sie zu demselbigen Geburtstag.

(Beifall)

Nun hat der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner das Wort.

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1209509100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Singer, ich möchte schon richtigstellen: Das Bundesinnenministerium ist sehr wohl hier vertreten.

(Zuruf von der SPD: Er hat den Bundesinnenminister gemeint!)

Der Bundesinnenminister hat einen unaufschiebbaren Termin, und deshalb müssen Sie — wie es in der parlamentarischen Praxis allgemein üblich ist — mit dem Parlamentarischen Staatssekretär vorlieb nehmen.
Meine Damen und Herren, Hintergrund der vorliegenden Gesetzesinitiative ist die Kriminalitätsentwicklung der letzten Jahre. Sie ist von einem gravierenden Anstieg von Straftaten — vor allem mit Rauschgiftbezug und aus anderen Bereichen der organisierten Kriminalität — gekennzeichnet. Dies wird beispielsweise durch das sprunghafte Ansteigen von Rauschgiftsicherstellungsmengen und auch durch die dramatischen Zahlen der Rauschgifttoten und der



Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
Erstkonsumenten nachdrücklich belegt. Ich will die Zahlen jetzt nicht noch einmal vortragen, Sie kennen sie alle. Die Sicherstellungsmengen von Rauschgift — als ein Beispiel — sind aber so alarmierend: Etwa 1,5 t Heroin, rund 1 t Kokain, 100 kg Amphetamine, über 10 t Cannabisharz, 1,5 t Marihuana, 13 887 LSD-Trips wurden sichergestellt, 31 Labore zur illegalen Herstellung von Drogen wurden entdeckt.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das macht auf die SPD keinen Eindruck!)

— Das macht offensichtlich keinen Eindruck, da gebe ich Ihnen recht, Herr Kollege Geis.
Herr Singer, das, was Sie als Schlußfolgerung empfohlen haben — nämlich das Abschaffen der Straf barkeit des Handels oder des Besitzes von Betäubungsmitteln — ist längst ausdiskutiert und als ein nicht geeigneter Weg erkannt worden, um etwa das Ausbreiten der Rauschgiftkriminalität einzudämmen. Im übrigen gibt es nicht nur das holländische Beispiel, sondern es gibt sehr viele andere Beispiele in der ganzen Welt, Schweden will ich nennen oder einzelne amerikanische Staaten, wo diese Versuche schon gemacht worden sind und wo man sehr schnell wieder zur Strafbarkeit zurückgekommen ist, weil die Tatsache, daß sich das so krebsartig und geschwind ausgebreitet hat, nicht zu verantworten war.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1209509200
Herr Kollege Lintner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Singer?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1209509300
Ja.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1209509400
Herr Singer.

Johannes Singer (SPD):
Rede ID: ID1209509500
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich mit der Empfehlung der Nachahmung des holländischen Modells lediglich die Ausweitung des Opportunitätsprinzips und eine Entkriminalisierung, aber keine Abschaffung von Strafbarkeit im Auge habe?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1209509600
Das ist eben der Trick, den Sie dabei anwenden; denn wenn die Täter wissen, daß sie im Grunde genommen nicht verfolgt werden, dann kommt das faktisch einer Abschaffung der Strafbarkeit gleich. Entsprechend sind auch die Wirkungen, wie Sie erkennen werden, wenn Sie sich die Sachverhalte vor Ort in den Niederlanden einmal gründlich angesehen haben.

(Johannes Singer [SPD]: Es gibt aber einen Unterschied zwischen Ausweitung des Opportunitätsprinzips und Strafbarkeitsausschluß!)

Meine Damen und Herren, auch wenn für den Bereich der übrigen organisierten Kriminalität keine exakten Zahlen genannt werden können, so ist doch unzweifelhaft davon auszugehen, daß hier eine parallele Entwicklung abläuft. Das vom Bundeskriminalamt erarbeitete Lagebild „Organisierte Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1991" und die vor kurzem bekanntgegebene polizeiliche Kriminalstatistik für 1991 bestätigen ganz eindeutig diese Einschätzung.
Lassen Sie mich nun speziell zu dem Thema „Gewinnaufspürungsgesetz" einige Ausführungen machen. Straftäter aus dem Bereich der organisierten Kriminalität, insbesondere der Rauschgiftkriminalität, erzielen durch die von ihnen begangenen Taten Gewinne in ganz beträchtlichen Größenordnungen, wobei konkrete Beträge nur sehr grob geschätzt werden können. Tatsache ist aber — und da sind wir uns, glaube ich, alle einig —, daß sie Dimensionen erreichen, mit denen ernst zu nehmender Einfluß auf die Wirtschaft und auch auf die Gesellschaft ausgeübt werden kann, was sich dann zu einer Bedrohung für eine freiheitlich, demokratisch und rechtsstaatlich verfaßte Gesellschaftsordnung auswachsen kann. Wir müssen deshalb, meine Damen und Herren, alles daransetzen, daß es in Deutschland erst gar nicht so weit kommt. Abschreckende Beispiele dafür gibt es ja auch in Europa.
Diese Gewinne aus Straftaten sind das Hauptmotiv der Täter. Dieses Geld stellt gewissermaßen die Triebfeder, aber zugleich auch die Achillesferse des organisierten Verbrechens dar. Eine erfolgreiche Bekämpfung der organisierten Kriminalität muß deshalb konsequenterweise auch an diesem Punkt ansetzen. Es muß, meine Damen und Herren, ein Weg gefunden werden, den Tätern diese Gewinne wieder abzunehmen, um so Straftaten auch in der Form organisierter Kriminalität unrentabel zu machen. Verbrechen darf sich auch in diesem Bereich nicht lohnen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Sehr wahr, machen wir mal!)

Ein erster Schritt hierzu ist die Strafbarkeit der Geldwäsche. Es darf nicht länger straflos möglich sein, illegal erworbene Vermögenswerte in den legalen Finanzkreislauf zurückzuschleusen. Mit der Schaffung des Straftatbestandes „Geldwäsche" im Rahmen der jetzt abschließend zu beratenden Gesetze wird eben diese höchst notwendige Konsequenz gezogen.
Meine Damen und Herren, wir brauchen aber daneben auch die weiteren in diesem Gesetzentwurf enthaltenen Instrumente zur Abschöpfung von Gewinnen aus Straftaten, so die Vermögensstrafe und den sogenannten erweiterten Verfall. Das sind aus unserer Sicht entscheidende Rechtsinstrumente für eine wirksame Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Dazu kommt dann noch die im Gesetzentwurf vorgesehene Einführung des Bruttoprinzips beim Vermögensverfall, eines Prinzips, das ja schon bei der Novellierung des Außenwirtschaftsgesetzes verwirklicht wurde.
Mit den soeben erwähnten Rechtsinstrumenten allein ist es aber immer noch nicht getan; denn Straftatgewinne sind als solche nicht ohne weiteres erkennbar. Im Gegenteil, Geldwäscher unternehmen erfahrungsgemäß natürlich allergrößte Anstrengungen, um die Herkunft von Vermögenswerten aus Straftaten zu verschleiern. Geldwäsche ist deshalb in aller Regel ein sehr heimliches Geschäft. In der Mehrzahl der Fälle sind Geldwäschevorgänge auch hervorragend getarnt und lassen sich von legalen



Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
Finanztransaktionen auf den ersten Blick gar nicht unterscheiden.
Um Geldwäsche überhaupt erkennen zu können, muß daher der Hintergrund von Finanztransaktionen transparent werden und müssen dazu die Beteiligten identifiziert werden. Das gilt im übrigen auch für Treuhandgeschäfte, wo die Anonymität der Hintermänner erst beseitigt werden muß. Bei strafprozessualen Ermittlungsverfahren muß man dann auf diese Unterlagen zurückgreifen können. Das heißt, den Strafverfolgungsbehörden müssen alle erkennbaren Anhaltspunkte für Geldwäschetransaktionen dadurch verfügbar gemacht werden, daß die Banken von sich aus auch Verdachtsfälle melden müssen. Das zwingt die Banken und die anderen Betroffenen übrigens erwünschterweise zu Maßnahmen, um sich dagegen zu schützen, als Geldwäscheinstrumente mißbraucht zu werden.
Herr Singer, Sie haben angeführt, daß die Schwellenwerte nicht niedrig genug seien. Sie müssen bedenken, daß Gesetze nur dann einen Sinn machen, wenn sie praktikabel sind. Sie wissen, daß die Banken von uns sehr viel höhere Schwellenwerte gefordert haben, auf die sich die Bundesregierung nicht eingelassen hat im Interesse der Effizienz des Gesetzes. Daraus mögen Sie schon sehen, daß Ihr Vorwurf, wir seien Lobby der Banken gewesen, geradezu absurd ist. Ich möchte ihn wirklich ausdrücklich zurückweisen.

(Abg. Johannes Singer [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Bitte schön.

Johannes Singer (SPD):
Rede ID: ID1209509700
Herr Staatssekretär, ist die Regelung in den USA, die seit vielen Jahren angewendet wird und bei der der Schwellenwert 10 000 Dollar beträgt, ebenfalls unpraktikabel?

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1209509800
Herr Singer, Sie kennen wahrscheinlich genausogut wie ich den Unterschied zwischen den Finanzmärkten beider Länder. In den USA sind beispielsweise Bareinzahlungen sehr viel unüblicher als bei uns, und bei uns sind die Überweisungsvorgänge sehr viel zahlreicher als in den USA. Deshalb hat auch die EG nicht auf die Werte in den USA zurückgegriffen, sondern hat von sich aus bereits auf die Besonderheiten des europäischen Finanzmarkts Rücksicht genommen. Sie sehen also: Es gibt durchaus sachgerechte Gründe, von den Werten, wie sie in den USA bestehen, abzuweichen.
Auch auf der Seite der Strafverfolgungsbehörden sind die organisatorischen, personellen und sachlichen Voraussetzungen zur Bewältigung der neuen Aufgabe erst noch zu schaffen. Hierzu gehört z. B. die Übertragung der Verfolgungsaufgabe an Institutionen, die über die geeignete personelle wie sachliche Ausstattung, das erforderliche Know-how und die für die Erfüllung dieser Aufgabe unverzichtbaren internationalen Verbindungen verfügen. Soweit es um die Bekämpfung der international organisierten Geldwäsche geht, wird daher in Zukunft das Bundeskriminalamt verstärkt gefordert sein.
Geldwäschebekämpfung — auch da, so glaube ich, sind wir uns einig — muß in internationalen Zusammenhängen gesehen werden. Dieser Entwurf, der heute zur ersten Lesung ansteht, berücksichtigt deshalb eine Reihe von internationalen Vorgaben, beispielsweise auch die europäische Geldwäscherichtlinie; sie wurde vorhin bereits genannt. Er berücksichtigt auch die Forderung des Wiener Suchtstoffübereinkommens von 1988, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den zuständigen Behörden die Ermittlung von Erträgen und Vermögensgegenständen aus Betäubungsmittelstraftaten zu ermöglichen. Er trägt ferner den sogenannten „40 Empfehlungen" Rechnung, die auf Grund einer Initiative der Regierungschefs der G 7-Staaten erarbeitet wurden. Die vom Weltwirtschaftsgipfel eingesetzte Arbeitsgruppe mit der Bezeichnung „Finanzielle Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche" hat in Ausfüllung des Wiener Suchtstoffübereinkommens ebenfalls eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, die im Entwurf aufgegriffen worden sind. Gleiches gilt übrigens für die meisten Änderungsvorschläge des Bundesrats.
Meine Damen und Herren, ich bin deshalb der Auffassung, daß der Ihnen nun vorgelegte Entwurf eine ausgewogene Palette von Maßnahmen zur Entdeckung und Bekämpfung von Geldwäsche enthält. Deshalb konnte sich die Bundesregierung im Interesse der Wirksamkeit der neuen Bestimmungen nicht dazu verstehen, in so wichtigen Punkten, wie z. B. der Verwendungsbeschränkung von Straftatgewinnaufspürungsdaten aus Geldwäschebekämpfung oder den von mir erwähnten Schwellenwerten von ihrer Auffassung abzurücken.
Der vorliegende Entwurf ist ein sinnvoller Ausgleich dieser widerstreitenden Interessen. Ich bitte Sie auch im Hinblick auf die Dringlichkeit der Maßnahme um eine zügige Beratung und möglichst baldige Verabschiedung des Gesetzentwurfs.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. — Dr. Hans de With [SPD]: Sie hätten den Entwurf viel eher einbringen müssen! Das ist sehr spät! — Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Der Gesetzentwurf ist erheblich verbesserungsbedürftig! )


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1209509900
Nun hat die Kollegin Gudrun Schaich-Walch das Wort.

Gudrun Schaich-Walch (SPD):
Rede ID: ID1209510000
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, Sie haben meiner Meinung nach entweder vorhin etwas mißverstanden, oder Sie haben die falsche Ausgangslage. Wir haben davon gesprochen, daß nicht die Täter, sondern die Opfer entkriminalisiert werden sollen.

(Zuruf von der SPD: Das ist der feine Unterschied!)

Die Opfer sind bei uns die Drogenabhängigen. Wir bezeichnen nicht die Opfer als Täter. Sie sind für uns nicht Täter.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)




Gudrun Schaich-Walch
Herr Kollege Marschewski hat vorhin gesagt, daß es die CDU sehr bedauert, daß wir ihre Anträge nicht alle annehmen und ihren Vorschlägen nicht folgen konnten. Ich muß Ihnen sagen: Das gleiche gilt auch für uns. Auch wir haben hier etwas zu bedauern, und nicht nur wir haben etwas zu bedauern. Alle Drogenabhängigen, die Menschen, die mit ihnen verwandt und befreundet sind, und auch die Leute, die in der Drogenhilfe arbeiten, haben zu bedauern, daß Sie heute hier nichts anderes gemacht haben, als die Waagschale auf die Seite des Rechts zu bringen, und es versäumen, die vorliegende Bundesratsanregung so zu handhaben, daß sie tatsächlich eines brächte, nämlich eine gesundheitspolitische Verbesserung für die Menschen, die an Drogensucht leiden.

(Beifall bei der SPD)

Das einzige, zu dem Sie sich durchringen konnten, waren sanfte Tendenzen der Entkriminalisierung, und das das muß ich Ihnen sagen — reicht bei weitem nicht aus. Auf die tatsächlichen Probleme der Kranken sind Sie nicht eingegangen. Sie haben es zwar sehr bedauert, daß wir in diesem Jahr schon über 500 Drogentote haben. Aber die fatale Situation, die besteht, lassen Sie so. Sie geben den Ländern und den Kommunen keine Rechtsmittel an die Hand, ihr Hilfsangebot auszuweiten.
Es fehlt Ihnen einfach an der Einsicht, daß mit den herkömmlichen Mitteln der Repression, die wir bis jetzt haben, in der Drogenhilfe nichts zu erreichen ist. Ich bin der festen Überzeugung, daß Ihnen der Weg zu anderen Erkenntnissen versperrt bleibt, weil Sie einem Trugschluß nachhängen: Sie glauben, daß Sie mit Repression erreichen können, daß alle Menschen bei uns in der Bundesrepublik ein suchtfreies Leben führen werden. Das ist zwar ein erstrebenswertes Ziel — dieses Ziel haben auch wir , aber Sie müssen die Realität erkennen, daß dieses Ziel nicht zu erreichen ist.

(Roland Sauer [Stuttgart] [CDU/CSU]: Sie tun nur zu wenig in den Ländern der SPD! Sie haben die wenigsten Therapieplätze! — Widerspruch bei der SPD)

Wenn Sie dieses Ziel nicht erreichen können, dann heißt das ganz einfach nicht, daß Sie sagen können: Es ist uns im Prinzip ganz egal, was wir anbieten.
Jetzt gehe ich auf Sie und Ihre Therapieplätze ein. Sie haben schon recht: Es fehlen uns Therapieplätze.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: In den SPD-Ländern!)

Aber es fehlen Therapieplätze nicht nur in SPD-Ländern. Wir haben in den letzten Jahren CDU-Länder übernommen. Da haben wir Ihre Defizite aufzuarbeiten, die sich sehen lassen können.

(Beifall bei der SPD Roland Sauer [Stuttgart] [CDU/CSU]: Ich bringe Ihnen die Zahlen nachher! — Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Es gibt kaum noch CDU-Länder! Das ist das Problem!)

— Ich hoffe, das bleibt auch noch länger so.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist wirklich ein Problem zu Lasten der Opfer!)

Aber jetzt möchte ich Ihnen noch eines sagen: Sie mahnen Langzeittherapieplätze an und verkennen ganz offensichtlich, daß es bei allen Personen, die in eine Langzeittherapie gehen, eine maximale Erfolgsquote von 40 % gibt.

(Roland Sauer [Stuttgart] [CDU/CSU]: Das ist sehr viel!)

Das heißt, bei 60 % der Personen, die sich in eine solche Therapie begeben, ist sie erfolglos.
Der zweite Bereich, der meiner Meinung nach wichtig ist: Sie sollten sich einmal darum kümmern, wie groß überhaupt die Gruppe ist, die von dieser Therapie angesprochen wird. Etwa 80 % werden von dem Langzeittherapieangebot nicht angesprochen. Ich meine, Sie müssen sich doch endlich einmal klar werden, daß das ein Zustand ist, der beendet werden muß, und daß Sie flexibel in der Drogenpolitik eingreifen müssen, wenn Sie das Überleben der Abhängigen sichern wollen, wenn Sie dafür Sorge tragen wollen, daß sich die Gesundheitsschäden bei den Menschen in Grenzen halten, und wenn Sie — auch das ist nach meiner Meinung sehr wichtig — endlich dafür sorgen, daß die soziale Umgebung dieser Menschen nicht unter unerträglichen Beeinträchtigungen leidet.

(Beifall bei der SPD)

Ziele, die wir mit unseren Änderungsvorschlägen zur Bundesratsanregung erreichen wollten, sind: die klare Regelung der Substitutionsbehandlung, die Spritzenvergabe und auch die Einrichtung von Gesundheitsräumen. Diesen geringen Ansatz in der Bundesratsanregung haben Sie mit Ihrem Änderungsantrag zu § 29 zunichte gemacht.
Das einzige, was Sie erreicht haben, ist die Spritzenabgabe. Damit vollziehen Sie etwas nach, was bereits seit mehreren Jahren geübte Praxis in allen Bundesländern ist. Sie haben keinen Fortschritt erreicht; Sie haben nur endlich etwas zur Kenntnis genommen.
Genauso wird es Ihnen mit den Gesundheitsräumen gehen.

(Roland Sauer [Stuttgart] [CDU/CSU]: Das sind Fixerstuben!)

Sie verlangen von den großen Städten, daß es keine „ Spritzplätze" bei uns gibt. Solche Räume sind ein Gesundheitsangebot in der Krisenintervention. Sie können nicht erwarten, daß die großen Städte dafür sorgen, daß die Szenen aufgelöst werden, wenn Sie nicht gleichzeitig Hilfsangebote zur Verfügung stellen.
Eines der Hilfsangebote sind Gesundheitsräume, in denen es Hilfe zum Überleben gibt, in denen es etwas zu essen und zu trinken und die Gelegenheit zum Duschen gibt und in denen es neue Kleider gibt. Sie können nicht verlangen, daß alles Personal, das dort arbeitet und erste Kontaktstelle für niedrigschwellige Angebote der Drogenhilfe ist, sicherstellt, daß sich kein Mensch in diesen Räumen irgendwelche Betäubungsmittel verabreicht. Was Sie machen, ist, daß Sie von den Städten Hilfsangebote verlangen, ihnen aber nicht das rechtliche Instrumentarium an die Hand geben, damit sie die Angebote dann tatsächlich auch



Gudrun Schaich-Walch
in ihrer kommunalen Verantwortung umsetzen können.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben mit unserem Antrag außerdem eine klare Regelung der Entkriminalisierung— ich sage es noch einmal deutlich — der Drogengebraucher und -gebraucherinnen erreichen wollen, nämlich die Freistellung des Besitzes kleiner Mengen. Wir wollen weiterhin eine Erleichterung der Strafeinstellung. Wir wollen ferner eine erweiterte Möglichkeit der Strafvollstreckungsaussetzung haben. In dem Zusammenhang sollten endlich niedrigschwellige Angebote anerkannt werden. Was wir jetzt haben, ist, daß jemand in eine Langzeittherapie geht, um den Knast zu vermeiden. Aber was wir brauchen, ist, daß Strafvollzug über den Weg von Substitutionsangeboten und von niedrigschwelligen Angeboten vermieden wird. Denn nur dann wird man eine wirklich erhöhte innere Bereitschaft zur Therapie erreichen, die nichts damit zu tun hat, daß Therapie den Leuten aufgezwungen wird.

(Beifall bei der SPD)

Was ich genannt habe, sind Dinge, die relativ schnell notwendig sind. Es hilft uns nichts, wenn Sie im Gesundheitsausschuß sagen: Die Leute müssen noch Geduld haben. Sie müssen nicht Geduld haben, sondern sie brauchen Hilfe, die den einzelnen Bedürfnissen angepaßt ist und die als eine ganz flexible Palette zusammengestellt werden kann.

(Beifall bei der SPD)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1209510100
Als nächstes hat der Kollege Wolfgang Lüder das Wort.

Wolfgang Lüder (FDP):
Rede ID: ID1209510200
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst beim Rechtsausschuß dafür bedenken, daß er die Entschließung so gefaßt hat, wie sie uns heute vorliegt. Während der Erörterung im Hause ist die Drucksache nun endlich verteilt worden, so daß wir alle nachlesen können, daß in dieser Resolution keine Festlegung dahin erfolgt, daß etwas geschehen muß. Vielmehr wollen wir die Offenheit der Prüfung so, wie von der Bundesministerin und von Herrn van Essen dargestellt: Offenheit der Argumente zum Lauschangriff, zur Frage der Notwendigkeit, der Möglichkeit und auch der Gefahren. Diese Offenheit war für uns in der ersten Fassung der Resolution nicht enthalten. Deswegen können wir dem nicht zustimmen, was gestern von unserem Koalitionspartner, Herr Geis, zu der Resolution in der damaligen Fassung gesagt worden ist.

(Beifall bei der F.D.P.)

Wir sind frei in der Prüfung. Wir sind nur an die heutige Resolution gebunden und an nichts anderes. Dies will ich mit Nachdruck für die Fraktion klarstellen.

(Beifall bei der F.D.P.)

Ich weiß sehr viel über den Weg, der gegangen worden ist, ohne daß ich das in den drei Minuten Redezeit ausführen kann. Die Resolution gibt uns zugleich Klarheit darüber, daß Interpretationen des Gesetzes — das will ich auch vorsorglich sagen —,
nach denen Wanzen in Wohnungen für zulässig erklärt werden — es gibt so ein paar mißverständliche Sätze —, falsch wären. Wir wollen mit dem zu verabschiedenden Teil des Gesetzes nicht etwa die Plazierung von Wanzen in Wohnungen für den Lauschangriff für zulässig erklären. Auch dieses muß klargestellt sein.
Die Debatte ist mir zu einseitig geführt worden, weil wir immer nur die Kriminellen, die Gefahren und d i e Drogen gesehen haben. Natürlich ist die Gefahr groß. Natürlich kann niemand verheimlichen, welche Herausforderung sich für den Rechtsstaat durch die organisierte Kriminalität ergibt. Aber was für mich zu kurz gekommen ist — deswegen habe ich mich noch einmal gemeldet —: Wir müssen bei jedem Gesetz bedenken, daß von jeder Maßnahme des Staates auf dem Weg der Straftatenbekämpfung auch Tausende unschuldiger Bürger betroffen werden.

(Beifall bei der F.D.P.)

Bei jeder Rasterfahndung, die wir durchführen und bei der wir nach ein, zwei oder drei Gruppen suchen, werden Tausende von Bürgern in Verfahren und auf Grund unseres — vom amerikanischen Verwertungsprinzip abweichenden — geltenden Verwertungsprinzips dann auch möglicherweise in Strafverfahren einbezogen. Jeder Verteidiger weiß das.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Durch vorherige richterliche Genehmigung!)

— Natürlich. Aber jeder Verteidiger weiß, daß die Bürger, die mit organisierter Kriminalität nichts zu tun haben, die anständigen und ordentlichen Bürger, die sich vielleicht ein bißchen Steuerhinterziehung haben zuschulden kommen lassen, auf einmal in Verfahren einbezogen werden.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht wahr! Sie haben das Gesetz nicht gelesen!)

— Ich kenne das Gesetz, und ich kenne die Praxis. Ich war lange genug Staatsanwalt und lange genug Rechtsanwalt.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich habe nicht den Eindruck!)

Was hier vorgesehen ist, wird von uns ja akzeptiert.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Warum machen Sie dann so ein Drumherum?)

Ich warne nur im Hinblick auf zukünftige Erwägungen und sage, daß wir den ordentlichen und anständigen Bürger, von dem Herr Marschewski gesprochen hat, im Auge behalten sollten. Er darf nicht von Maßnahmen betroffen werden, die wir unter dem Vorwand der Bekämpfung der organisierten Kriminalität ergreifen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das sind Gespenster, von denen Sie reden!)

— Das sind keine Gespenster, das sind tagtägliche Realitäten. Ich lade Sie herzlich ein, Herr Kollege, einmal in eine Praxis zu kommen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich weiß nicht, wo Sie wohnen!)




Wolfgang Lüder
Wir sind dafür, daß die Werte des Rechtsstaates, an dessen Grenzen wir uns mit dem Gesetz, das wir verabschieden, bewußt und gewollt bewegen, auch aufrechterhalten werden. Wir haben die Sorge, daß die nach der Entschließung vorgesehene Prüfung des Lauschangriffs nur einseitig durchgeführt wird. Wir wollen die offene Prüfung, wie sie von der Bundesministerin dargestellt wurde. Wir sind offen, aber nicht festgelegt.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Orientierungslos!)

— Wir sind nicht orientierungslos — darauf lege ich für die Fraktion Wert —, sondern orientiert am Rechtsstaat und an der Freiheit der ordentlichen und anständigen Bürger.

(Beifall bei der F.D.P.)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1209510300
Als nächster hat nun der Kollege Dr. Wolfgang Ullmann das Wort.

Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1209510400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit diesem Gesetzentwurf wird eine der Hauptaufgaben der Innenpolitik in Angriff genommen, die alle Verfassungsorgane unseres Landes gemeinsam herausfordert. Insofern ist es eines der wichtigsten Gesetze dieser ganzen Legislaturperiode.
Auf welchem Hintergrund führen wir diese Debatte? Vor unseren Augen die Trümmer des Wagens von Richter Falcone, ein erschreckendes Schlaglicht auf eine von sozialen Seuchen heimgesuchte Gesellschaft, in der immer neue Anfälle irrationaler Gewalt manifestieren, wie gefährdet der Frieden in dieser Gesellschaft ist. Nicht mehr an den Grenzen richten sich Waffen aufeinander. Mitten im friedlichen Alltag werden Wehrlose überfallen, mißhandelt und getötet, in einer Gesellschaft, die sich mehr und mehr daran zu gewöhnen scheint, daß Friede wieder die Ausnahme ist wie in jenen Zeiten, da es diese Gesellschaft noch gar nicht gab, sondern nur ihre Vorstufen in klösterlichen oder militärischen Inseln inmitten einer unabgrenzbaren Wildnis.
Um so mehr schulden wir denen Dank, die wie Richter Falcone, aber auch deutsche Staatsanwälte und Polizisten alles tun und getan haben — oft unter Gefährdung ihrer eigenen Sicherheit —, um Bürger und Bürgerinnen vor Ausfällen der Gewalt und den Demoralisierungen der Sucht zu bewahren. Dafür schulden wir ihnen Dank. Ich fühle mich verpflichtet, ihn von dieser Stelle aus öffentlich auszusprechen.
Nicht zuletzt die Interventionen derer, die ständig mit dem Alltag der Kriminalität zu tun bekommen, sind es gewesen, die zu dem uns vorliegenden Gesetzentwurf geführt haben. Seine Grundgedanken bestehen in Neuregelungen im Bereich des Strafgesetzbuches und der Strafprozeßordnung, in Novellierungen des Betäubungsmittelrechtes sowie neuen Kontroll- und Meldevorschriften im Bank- und Kreditwesen sowie den Folgeregelungen in einschlägigen anderen Gesetzen.
Im ersten Fall geht es vor allem um die Einführung einer neuen Strafart, der Vermögensstrafe mit allen Folgewirkungen, den Einsatz technischer und konspirativer Mittel zum Zweck extensiver Fahndung
und Prävention. Die Novellierung des Betäubungsmittelrechtes sieht Rechtsverordnungsermächtigungen für erweiterte Kontrollen über Herstellung und Handel mit zur Drogenbereitung geeigneten Stoffen sowie die Neuformulierung von Betäubungsmittelstraftaten vor. Die freilich alles andere als unumstrittene Einführung der Vermögensstrafe zieht weitere Gesetzgebungsaufgaben nach sich, deren wichtigster Teil, das Gewinnaufspürungsgesetz, als Entwurf der Bundesregierung schon vorliegt.
Aus der Arbeit im federführenden Rechtsausschuß kann ich sehr wohl ermessen, wieviel an Fach- und Sachkompetenz in diesen umfangreichen Gesetzgebungskomplex investiert worden ist. Wenn das Ergebnis keineswegs befriedigt, sondern eher Besorgnis und Beunruhigung auslöst, dann auch wegen der zahlreichen rechtsstaatlichen, verfahrensrechtlichen und sogar verfassungsrechtlichen Bedenken, wie sie von den Kollegen, aber auch von den Anwalts- und Richterverbänden mit leidenschaftlichem Nachdruck geäußert worden sind.
Mir geht es jetzt um etwas anderes. Das Gesetz soll die Justiz in die Lage versetzen, organisierte Kriminalität wirksam zu bekämpfen. Was das anbelangt, so kann man nur knapp und deutlich resümieren: Thema verfehlt. Das Gesetz beschäftigt sich mit Symptomen: dem Aufspüren von Dealern, dem Großstadtelend der Süchtigen und der Beschaffungskriminalität im Kneipenmilieu.
Diejenigen, die fernab in Luxusvillen und Strohfirmenbüros über eine Logistik gebieten, die der der sogenannten verdeckten Ermittler mindestens ebenbürtig ist, werden von den Strafverschärfungen und Abhörtechniken des Gesetzes ebenso wenig behelligt wie ein berühmter Ex-Oberst am Tegernsee.
Worum geht es eigentlich? Es geht darum, den schwarzen Markt zu liquidieren, der die Preise ermöglicht, die eine wirtschaftliche Basis der organisierten Kriminalität sind. Man sage nicht, hier handele es sich nicht auch um rechtliche Aufgaben. Die Entkriminalisierung des Drogenkonsums ist eine ganz wichtige Voraussetzung, um die Gewinne aus Schwarzmarktpreisen zu verhindern. Ist es nicht anachronistisch, dieselben Fehler, die der amerikanische Abolitionismus gegenüber dem Alkohol beging, nach einem Menschenalter jetzt noch gegenüber den Drogen auf Grund der mehr als fragwürdigen Unterscheidung von legalen und illegalen Drogen zu wiederholen?
Ich bitte um unvoreingenommene Prüfung der Anträge vom Bündnis 90/GRÜNE zu dieser Sache. Sie berücksichtigen in allen Fällen den Status quo unserer Gesetzgebung und verlangen eine in jeder Hinsicht maßvolle Korrektur der augenblicklich falschen Politik.
Wer gegenüber der organisierten Kriminalität eine aktive Politik zu ihrer Destruktion betreiben will, statt lediglich eine konservative Therapie der Symptome, der kann sich hinsichtlich des Geldtransfers nicht auf die recht harmlos angedachten Maßnahmen der Gewinnaufspürung beschränken, die die Möglichkeiten ihrer Umgehung gleich im Gesetzestext mitliefern. Ich weiß nicht, was es für das Bankgeheimnis bedeuten mag, aber erst dann, wenn die internationalen



Dr. Wolfgang Ullmann
Geldströme genauso rigoros durchleuchtet werden wie die Passagiere der Luftfahrt, werden wir den Großunternehmen der Geldwäsche das Handwerk legen können.
Schließlich frage ich: Was ist das Strukturgeheimnis der organisierten Kriminalität? Sie organisiert sich überall da, wo es nicht öffentliche bewaffnete Gewalt gibt: in Diktaturen und Geheimdiensten. Sie sind gewissermaßen die Wirtsorganismen dieser parasitären Systeme. Auch unter dem Gesichtspunkt der Demobilisierung aller nichtöffentlichen Gewalten sollte über die Rolle der Geheimdienste in unserer Gesellschaft und ihre Rolle bei der Rekrutierung des Personals, der Logistik und der Strukturen organisierter Kriminalität nachgedacht und daraus Konsequenzen gezogen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin durchaus in der Lage, zwischen einem vom Staatsanwalt kontrollierten und auf richterlichen Beschluß durchgeführten und insofern legalen Abhörvorgang und dem Gegenteil zu unterscheiden. Aber daß Wanzen, Spitzel, Kollaborateure — um einmal die vornehm klingenden Worte des Gesetzentwurfes wegzulassen —, flächendeckende Datenerfassung ein Schutz der Menschen- und Grundrechte sein sollen, das wird mir niemals einleuchten. Die gefährdete demokratische Freiheit ist nicht durch ihre Außerkraftsetzung zu schützen, sondern einzig und allein durch die wirksame Destruktion aller Organisationen, die aus ihrer Bekämpfung ein Geschäft machen.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zum Schluß noch eine Anmerkung zu dem Entschließungsantrag. Es tut mir wirklich leid, daß ich den Dank, den Herr Lüder dem Rechtsausschuß ausgesprochen hat, für meine Person jedenfalls nicht aussprechen kann. Wir haben heute einen Text vorliegen, in dem folgender Satz steht:
Der Deutsche Bundestag konnte die mit dem Einsatz technischer Mittel in Wohnungen i. S. des Artikels 13 GG verbundenen schwierigen rechtlichen, insbesondere auch verfassungsrechtlichen Fragen im Rahmen der Beratungen des vorliegenden Gesetzentwurfs nicht mit der erforderlichen Sorgfalt klären.
Daß man etwas nicht kann, ist keine Schande. Das passiert allen Leuten einmal. Aber daß man das der deutschen Öffentlichkeit auch noch schriftlich geben muß, halte ich für einen exorbitanten Vorgang dieses Hohen Hauses.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich vermute, daß die deutsche Öffentlichkeit mit einem ganz kurzen lateinischen Satz darauf reagieren wird, den ich nicht ins Deutsche zu übersetzen wage, nämlich: Si tacuisses . . .

(Norbert Geis [CDU/CSU]: „philosophus mansisses" geht es weiter!)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1209510500
Als nächster hat nun das Wort der Kollege Horst Eylmann.

Horst Eylmann (CDU):
Rede ID: ID1209510600
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Schluß etwas allgemeiner, aber auch deutlicher werden.
Das heute zur Verabschiedung anstehende Gesetz soll dazu dienen, durch Strafverschärfungen und durch ein verbessertes Strafverfolgungsinstrumentarium die effektivere Bekämpfung der organisierten Kriminalität zu ermöglichen. Es wird dieses Ziel nur teilweise erreichen, ja ich befürchte, es wird dieses Ziel weitgehend verfehlen. Wem diese Beurteilung zu pessimistisch erscheint, dem will ich gerne in drei oder vier Jahren an Hand der dann vorliegenden Kriminalitätszahlen Rede und Antwort stehen.
Die Kriminalität ist eine Wachstumsbranche. Wir wissen es: Die Zahl der Straftaten nimmt zu, insbesondere bei Gewaltdelikten und im Rauschgifthandel, aber auch in anderen Bereichen.
Das Vertrauen der Bürger in die Schutzfunktion der Polizei und der Strafverfolgungsorgane ist auf einem Tiefpunkt. Alle Umfragen weisen aus, daß der Wunsch, besser vor Verbrechen geschützt zu werden, in der Skala der Forderungen an den Staat ganz oben steht.
Die Bürger nehmen in zunehmendem Maße ihren Schutz selbst in die Hand und lassen sich das auch was kosten. Das private Bewachungsgewerbe boomt. Es soll jetzt schon mehr Wachmänner als beamtete Polizisten in unserem Lande geben. Man könnte auch sagen: Der Trend geht hin zur Privatisierung der Polizei. Der Staat nimmt seine vielleicht elementarste Aufgabe, für die innere Sicherheit zu sorgen, also die Bürger vor Räubern und Banditen zu beschützen, nicht mehr ausreichend wahr. Die Polizei, die dafür keine Verantwortung trägt, ist verunsichert und frustriert, fühlt sich von der Politik allein gelassen.
Das ist eine nüchterne Beschreibung der Lage. Wer sie für übertrieben oder dramatisiert hält, spricht nicht mit den Menschen, die nachts in der U-Bahn von randalierenden Skinheads terrorisiert werden. Er spricht auch nicht mit den Polizisten oder er verdrängt das, was er dort erfährt. Manchen Politikern wird das Verdrängen ja auch dadurch erleichtert, daß sie selten U-Bahn fahren und auch nicht z. B. im Hamburger Karolinenviertel wohnen, sondern irgendwo im Grünen in einem gut gesicherten Einfamilienhaus.
Was tun wir im Bundestag gegen diese Entwicklung? Seit Jahren verschärfen wir die Strafen und schaffen auch neue Straftatbestände. Das tun wir auch mit diesem Gesetz, und zwar in durchaus angemessener Weise. Nur ist damit wenig gewonnen. Der Kollege Singer hat ja recht. Wenn die Kriminalitätsbekämpfung auf manchen Feldern so wenig effektiv ist, liegt es doch nicht daran, daß wir keine Straftatbestände haben. Mord ist strafbar, Körperverletzung ist strafbar, Diebstahl ist strafbar usw.
Ursache der beklagenswerten Entwicklung ist doch vielmehr, daß wir die Täter nicht zu fassen kriegen, insbesondere dann nicht, wenn sie mit grenzüberschreitenden, gut getarnten und mit vielfältigen konspirativen Methoden arbeitenden Organisationen tätig sind, deren technische Ausstattung hinter der der Polizei nicht zurücksteht, sondern sie oft noch übertrifft.



Horst Eylmann
Also müßten wir das Instrumentarium der Strafverfolgungsbehörden verbessern. Der Bundesrat hat es mit diesem Gesetzentwurf versucht. Nun wurden ihm aber eine Fülle rechtsstaatlicher Bedenken entgegengehalten. Natürlich sind diese Bedenken ernst zu nehmen und sorgfältig zu prüfen. Natürlich können wir nicht mit den Methoden des Herrn Mielke bei uns für Sicherheit und Ordnung sorgen, eines Herrn Mielke, der uns kürzlich einmal im Untersuchungsausschuß vorhielt, als seine Staatssicherheit noch funktioniert habe, hätten die Berliner abends im Park sicher spazierengehen können. Niemand will einen Polizeistaat, aber wir sind auch meilenweit von einem Polizeistaat entfernt. Wer das nicht sehen will, dem sind einige Maßstäbe abhanden gekommen, oder er hat ein gestörtes Verhältnis zum Staat schlechthin.
Aber was ich vermisse, meine Damen und Herren, ist die Bereitschaft, im manche Güterabwägung neu einzutreten. Daß das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Bürgers bei einer Volkszählung ein größeres Gewicht hat als dann, wenn es darum geht, Leib und Leben der Bürger zu schützen, sollte selbstverständlich sein. Aber es ist augenscheinlich nicht selbstverständlich. Ich kann auch nicht verstehen, daß immer nur die Grundrechte auf der einen Seite in die Waagschale geworfen werden. Ist etwa die körperliche Unversehrtheit der Bürger, also Schutz vor Verbrechen, kein Wert, der zu schützen ist?

(Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!)

Oder nehmen wir den Zeugenschutz. Wir regeln ihn in diesem Gesetz neu, aber nach meiner Auffassung nach wir vor unzureichend. Als Zeuge, der über die Machenschaften einer skrupellosen kriminellen Organisation auspacken will, würde ich mich nicht im geringsten auf den Schutz verlassen, den mir der neue § 68 der Strafprozeßordnung gewährt. Ich würde alles daransetzen, nicht als Zeuge vor Gericht aufzutreten. Ich wünschte, Herr Kollege van Essen, Sie hätten Recht mit Ihrer anderslautenden Auffassung. Aber ich glaube es nicht.
Was wir tun müßten, und zwar alle gemeinsam, wäre, dem Bürger klarzumachen, daß er gewisse Einschränkungen der Freiheitsrechte hinnehmen muß, wenn er einen besseren Verbrechensschutz verlangt. Wir müssen ihn davon überzeugen, daß er keine Sorge vor einem Mißbrauch neuer Strafverfolgungsinstrumente zu haben braucht, weil wir deren Anwendung von einer unabhängigen Richterschaft kontrollieren lassen.
Aber was geschieht tatsächlich bei uns? Da erklärt der saarländische Innenminister Läpple, wer versuche, Gespräche verdächtiger Personen akustisch zu überwachen, der greife die Bürger an und schieße mit Kanonen auf Spatzen. Herr Läpple würde wahrscheinlich auch noch die italienischen Mafiabosse als Zaunkönige bezeichnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich muß mich natürlich in einem Punkt berichtigen: Herr Läpple hat nicht von der akustischen Überwachung gesprochen, sondern wie fast alle vom großen Lauschangriff. Da erfindet irgend jemand vor längerer Zeit eine solche Vokabel, um das, was beabsichtigt wird, in öffentlichen Mißkredit zu bringen, und wir alle plappern es nach. Wir sind so verblendet, daß wir den Bürgern suggerieren, sie sollten angegriffen werden und nicht etwa die Verbrecher.

(Freimut Duve [SPD]: Nach dem Mordanschlag in Italien war das unter Niveau!)

— Ein bißchen Ironie gestatten Sie mir heute auch.
Wir sitzen in einem wunderschönen Gebäude, auf dem vorne mit goldenen Lettern Rechtsstaat steht. Das Gebäude hat viele schöne Räume. In der Beletage tagt regelmäßig im exklusiven Ambiente eines toskanischen Herrenhauses ein wesentlicher Teil der SPD-Fraktion — die Rechtspolitiker sind dort nicht zugelassen — und ergötzt sich bei Wein und Käse an hochintellektuellen Gesprächen über Utopia.

(Zuruf des Abg. Freimut Duve [SPD])

Ein Stockwerk höher, noch ein bißchen weiter entfernt vom irdischen Niveau, poliert Herr Hirsch in einem sehr kleinen, aber feinen Zimmer seine wunderschönen rechtsstaatlichen Pretiosen. Und irgendwo im Hinterzimmer wohnt, als Musterknabe des Rechtsstaats verkleidet, Herr Gysi.

(Freimut Duve [SPD]: Sie sind auf dem falschen literarischen Dampfer!)

Daß den Leuten draußen dieses Haus allmählich etwas fremd vorkommt und sogar einige beginnen, einen Bogen darum zu machen, bemerken sie nicht. Wenn die Bewohner ab und zu aus dem Kellergeschoß verdächtige Geräusche hören und die Fundamente etwas knistern, dann schrecken sie zwar kurz auf, wie es ja auch in diesem Hause nach den Wahlen in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg geschah. Aber sie haben eben kein Langzeitgedächtnis. Das geht auch vielen bei uns so. Sie wenden sich dann wieder ihrer Lieblingsbeschäftigung zu: dem liebevollen Austüfteln immer neuer, komplizierter und durchaus schön anzuschauender rechtsstaatlicher Gedankengebilde.
Lassen Sie mich eins noch in vollem Ernst sagen: Wenn es uns nicht gelingt, den Bürgern zu vermitteln, daß die in diesem Parlament vertretenen Parteien in der Lage sind, für ein Mehr an öffentlicher Sicherheit zu sorgen, dann werden im 13. Deutschen Bundestag auch die Republikaner oder ähnliche Gruppierungen sitzen. Sie werden auf der rechten Seite sitzen, Herr Hirsch.
Wir alle wollen das verhindern. Dann müssen wir uns aber auch nach der Sommerpause zusammensetzen, um dieses Gesetz zu verbessern. Natürlich wollen wir sorgfältig beraten. Aber unsere Beratungen dauern nun schon Jahre.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1209510700
Herr Kollege Eylmann, würden Sie bitte zum Schluß kommen. Sie haben heute nämlich nicht Geburtstag.

Horst Eylmann (CDU):
Rede ID: ID1209510800
Ich bin beim letzten Satz.
Die Bürger bewerten unsere Arbeit nicht an Entschließungen, die wir fassen und wieder aufheben, ändern und wieder neu fassen, sondern daran, ob wir durch neue Gesetze in der Tat für mehr Sicherheit sorgen.



Horst Eylmann Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1209510900
Als nächster hat nun das Wort der Kollege Roland Sauer.

Roland Sauer (CDU):
Rede ID: ID1209511000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte als Gesundheitspolitiker zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes kurz Stellung beziehen.
Wir haben im letzten Jahr die befürchtete Eskalation im Drogenbereich gehabt. Sie setzt sich auch im Jahre 1992 fort: Wir haben im ersten Quartal schon wieder 503 Drogentote zu beklagen. Dies ist sicher eine besorgniserregende Entwicklung. Nun gibt es aber Stimmen, die alles in Frage stellen, die die gesamte bisherige Drogenpolitik über Bord werfen wollen, eine Drogenpolitik, die auf Abstinenz — ich betone dies — fußt.
Dabei sollte aber diesen vorschnellen Kritikern klar sein: Das Drogenproblem ist begrenzbar, es ist nicht lösbar. Es gibt keine Patentrezepte mit schneller, durchgreifender Wirkung, es gibt keinen Königsweg. Darüber muß man sich im klaren sein. Es kann nur darum gehen, im geduldigen Zusammenspiel aller Beteiligten die Maßnahmen auszubauen, zu intensivieren und zu verbessern. Dies gilt besonders im Hinblick auf den Binnenmarkt, der uns eine große Drogenschwemme bringen kann, wenn wir nicht aufpassen.
Es geht letztlich um die Frage der Reduzierung des Angebots und der Nachfrage. Dabei haben wir drei gleichwertige Bereiche zu sehen: die Prävention und Prophylaxe, die Therapie und Behandlung sowie den Kampf gegen die Drogenmafia, die Repression. Auf diesen drei Säulen steht der nationale Rauschgiftbekämpfungsplan.
Die Legalisierung der Drogen sowie die Einführung umfassender Methadonprogramme brächten diese Säulen zum Einsturz. Die Freigabe der Drogen würde die bis jetzt vergleichsweise geringe Zahl von Probierern und Leichtkonsumenten entscheidend ansteigen lassen. Es würden sich Probleme der Kontrolle und Strafandrohung des Konsums für Minderjährige ergeben. Die Verelendung würde nicht abnehmen; das zeigen die Beispiele vom Züricher Platzspitz und auch von Amsterdam.
Herr Singer, Sie müssen immer wieder nach Amsterdam gehen. Sie müssen auch die wissenschaftlichen Studien über die Verelendung in Amsterdam lesen, z. B. die letzte, die von Professor Kreuzer, einem führenden deutschen Kriminologen, herausgegeben worden ist.

(Johannes Singer [SPD]: Da gebe ich Ihnen aber nicht recht!)

Letztendlich würde die Freigabe von Drogen die Prävention gerade bei jungen Menschen völlig unglaubwürdig machen. Wir lehnen daher diesen falsch verstandenen Liberalismus entschieden ab.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es darf in einer verantwortungsvollen Drogenpolitik keine Scheinlösung geben. Flächendeckende Substitutionsprogramme nützen weniger den Drogenabhängigen als vielmehr der Beruhigung des Gewissens so mancher Kommunal- und Landespolitiker; denn diese sind — das muß man wissen — für Beratung, für Behandlung sowie für die drogenfreie Therapie zuständig. Hier ist ein großer Nachholbedarf zu beklagen.
Es ist doch bezeichnend: Es sind gerade die SPD-geführten Länder, die eine erschreckend geringe Anzahl an Therapieplätzen auf die Beine stellen, aber laut nach Methadon schreien. Ich nenne Ihnen jetzt einmal die Zahlen von lange Zeit — nicht von übernommenen — SPD-geführten Ländern. Dies betrifft beispielsweise Hamburg und Nordrhein-Westfalen. In Hamburg gibt es bei 10 000 Drogenabhängigen lediglich 135 Therapieplätze.

(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

In Nordrhein-Westfalen gibt es bei über 20 000 Drogenabhängigen lediglich 568 Therapieplätze.
Nun nenne ich das Land Baden-Württemberg. In Baden-Württemberg gibt es bei 10 000 Drogenabhängigen derzeit 650 Therapieplätze. Das ist noch zuwenig, aber wesentlich mehr als in den SPD-geführten Ländern.

(Johannes Singer [SPD]: Und was haben Sie damit erreicht?)

Methadonprogramme beschränken die Möglichkeiten drogenfreier Therapie, da Drogenabhängige, die einmal den Entschluß gefaßt haben, den Entzug vorzunehmen, dies praktisch nicht mehr vollziehen, wenn es den einfacheren Weg des Methadonkonsums gibt.
Auch die immer wieder ins Feld geführte Chance von Methadon bei der Minderung der Beschaffungskriminalität ist — ich zitiere den Leiter eines renommierten Münchener Suchtforschungsinstituts — ein Märchen. Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch vor kurzem Professor Kreuzer, der in einer Studie nachgewiesen hat: In Amsterdam ist bei einem großzügigen, umfassenden Methadon-Programm weder die Beschaffungskriminalität noch die Gewalt noch die Prostitution zum Erwerb von Drogen zurückgegangen.
Die Union lehnt daher die unkontrollierten Substitutionsprogramme entschieden ab.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sind für Methadon in besonders begründeten und kontrollierten Einzelfällen. Dabei sind streng umrissene Indikationen sowie eine strenge ärztliche Kontrolle unabdingbar. Dies ist auch die Haltung der Bundesärztekammer.
Frau Kollegin Schaich-Walch, ich darf Sie kurz ansprechen: ein Wort zu Ihren Gesundheitsräumen. Die sind in Wirklichkeit Fixerstuben und Drückerräume.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dies hat mit niederschwelligen Angeboten nichts zu tun. Die müssen ausgebaut werden, aber nicht die niederschwelligen Möglichkeiten, die letztlich von Staats wegen erlaubte Fixerstuben beinhalten.



Roland Sauer (Stuttgart)

Mit der Änderung des Betäubungsmittelgesetzes soll ein Ausbau des Grundsatzes „Hilfe vor Strafe" erfolgen. Dies ist sinnvoll, weil Drogenabhängige in der Regel kranke Menschen sind, denen wir helfen müssen. Wir dürfen sie nicht stigmatisieren und auch nicht kriminalisieren.
Wir müssen alles tun, damit angefangene Drogenkarrieren möglichst schnell beendet werden. Die jungen Menschen müssen in die Therapie und nicht ins Gefängnis.
Darum sind wir auch für ein Zeugnisverweigerungsrecht der Drogenberater in anerkannten Beratungsstellen. Wenn wir das Vertrauensverhältnis von Drogenabhängigen zu den Beratern verbessern, so dienen wir auch dem Ziel, die Drogenkarrieren schnell zu beenden.
Ich möchte aber nicht mißverstanden werden, und damit komme ich zum Schluß. Wir müssen den Drogenabhängigen helfen, von ihrer Sucht wegzukommen. Aber genauso entschieden müssen wir die professionellen Dealer und Drogenbosse bekämpfen, damit sie mit ihrem Teufelszeug nicht weiter unsere junge Generation verführen und ihr schmutziges Geschäft betreiben.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1209511100
Bevor wir zur Einzelberatung und Abstimmung kommen, hat noch der Kollege Hirsch das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1209511200
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Rede des Abgeordneten Geis hat mein Abstimmungsverhalten verändert. Ich werde trotz meiner Bedenken zur Vermögensstrafe, wie sie dargestellt worden sind, dem Gesetz zustimmen und die Entschließung des Rechtsausschusses ablehnen.
Der Entschließungsantrag enthält nach der erklärten Absicht der Fraktionen nur noch einen Prüfauftrag über die Möglichkeit und Notwendigkeit des heimlichen Abhörens in Wohnungen, ohne das Ergebnis dieser Prüfung vorwegnehmen zu wollen. Eine solche Entschließung ist nach meiner Überzeugung überflüssig. Als Gesetzgeber entscheiden wir selbst, was entscheidungsreif ist. Und wenn wir darüber hinaus etwas prüfen wollen, dann brauchen wir uns dazu nicht selber zu beauftragen.

(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

Man kann sicher prüfen, ob etwa eine Tiefgarage unter den Wohnungsbegriff unserer Verfassung fallen muß. Es geht hier aber um mehr als nur um eine juristische Fachfrage oder ein Problem der reinen Zweckmäßigkeit oder um die Grundregel dessen, was bisher bei Ermittlungshandlungen zu den Grundsätzen eines fairen Vertrages gehört.
Es geht um die Zulassung von Wanzen in Wohnungen, um das heimliche Belauschen des im privaten Bereich gesprochenen Wortes, und zwar nicht etwa das des überführten Verbrechers, sondern einer Person, die, aus welchen Gründen auch immer, in Verdacht geraten ist oder die auch nur das Pech hat, mit
einer solchen Person in Kontakt zu stehen. Das heimliche Belauschen des im privaten Bereich gesprochenen Wortes einer solchen Person wäre ein tiefer Eingriff in diejenigen Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens, die eine freie Gesellschaft ausmachen. Ein Rechtsstaat muß sich selbst Grenzen setzen. Das ist sein Wesen. Man darf über die Grenzen nicht nur schwadronieren und reden; man muß sie bestimmen. Der Staat darf nicht alles. Er darf nicht fordern, nach seiner Entscheidung überall und heimlich dabei sein zu können.
Wir leben deswegen nicht in einem anderen Staat. Wir wollen weiter in einem Staat leben, der es nicht allein zu einer Frage der Zweckmäßigkeit macht, ob und wieweit er die Privatsphäre seiner Bürger respektiert.
Deswegen lehne ich den Entschließungsantrag des Rechtsausschusses auch in der jetzigen Form ab.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS/Linke Liste — Norbert Geis [CDU/CSU]: Der aus Ihrer Fraktion kommt!)


Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1209511300
Wir kommen nun zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität auf den Drucksachen 12/989 und 12/2720. Die Fraktion der SPD hat zu einer Reihe von Vorschriften getrennte Abstimmungen verlangt.
Ich rufe Art. 1 Nr. 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 12/2742 unter Nr. 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die Art. 1 Nr. 1 in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Art. 1 Nr. 1 ist damit in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 2 auf. Hierzu liegt ebenfalls auf Drucksache 12/2742 unter Nr. 2 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Ich bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die Art. 1 Nr. 2 in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Art. 1 Nr. 2 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe jetzt Art. 1 Nr. 3 bis 20 und 21 Abs. 1 bis 4 in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind damit in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 21 Abs. 5 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 12/2741 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe? — Stimmenthaltungen? —Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.



Vizepräsidentin Renate Schmidt
Ich bitte diejenigen, die Art. 1 Nr. 21 Abs. 5 in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist Art. 1 Nr. 21 Abs. 5 in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 21 Abs. 6 bis 10 in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt für diese Vorschriften? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind damit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 22 bis 24 in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt für diese Fassung? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind damit so angenommen.
Ich rufe jetzt Art. 2 bis 17, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Diese Vorschriften sind bei wenigen Gegenstimmen so angenommen.
Damit ist der Gesetzentwurf in der Ausschußfassung in zweiter Beratung insgesamt angenommen.
Wir treten nun in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen und wenigen Gegenstimmen ist dieser Gesetzentwurf so angenommen.
Der Rechtsausschuß empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/2720, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/731 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist damit so angenommen.
Unter Nr. 3 wird empfohlen, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/1367 ebenfalls für erledigt zu erklären. Wer stimmt dafür? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Auch diese Beschlußempfehlung ist damit angenommen.
Unter Nr. 4 empfiehlt schließlich der Rechtsausschuß, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Entschließung? — Wer stimmt gegen die Entschließung? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist damit angenommen.
Wir kommen nun zum Zusatzpunkt 6 und damit zur Einzelberatung und Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Beratung in Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit auf den Drucksachen 12/870 und 12/2738. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei wenigen Gegenstimmen angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei wenigen Stimmenthaltungen ist dieser Gesetzentwurf damit einstimmig angenommen.
Der Rechtsausschuß empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/2738, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/655 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist damit bei wenigen Enthaltungen einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zum Zusatzpunkt 7 und damit zur Einzelberatung und Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes. Dabei handelt es sich um die Drucksachen 12/934 und 12/2737. Dazu liegen je ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/2739? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei wenigen Stimmenthaltungen ist damit dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache 12/2761? —

(Zurufe: Niemand!)

— Ich kann das selber feststellen, meine Herren. Ich stelle die Frage nochmals: Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache 12/2761? — Es ist tatsächlich niemand.

(Heiterkeit)

Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Änderungsantrag ist damit bei wenigen Stimmenthaltungen abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Niemand. Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei wenigen Stimmenthaltungen einstimmig angenommen.
Wir treten nun in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit bei einer großen Zahl von Enthaltungen einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache 12/2760. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? —

(Zurufe: Null! — Heiterkeit)

Niemand. Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei wenigen Stimmenthaltungen ist dieser Entschließungsantrag damit einstimmig abgelehnt.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 10 c und stimmen ab über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu den Richtlinienvorschlägen der EG zur Verhinderung der Geldwäsche auf Drucksa-



Vizepräsidentin Renate Schmidt
che 12/2000. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? —

(Zuruf von der SPD: Sehr zögerlich! Ein bißchen unsicher!)

— Soll ich noch einmal sagen, was es ist, damit Sie wissen, worum es sich handelt? — Nein, wunderbar. Wer stimmt gegen diese Beschlußempfehlung? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung ist damit bei einigen Stimmenthaltungen einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 10b. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gewinnaufspürungsgesetzes an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Dieses scheint nicht der Fall zu sein. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 8 auf:
Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 41 Abs. 5 des Außenwirtschaftsgesetzes zur Kontrolle der Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses
— Drucksachen 12/2709, 12/2733 —
Die Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. schlagen auf Drucksache 12/2709 die Kollegen Horst Eylmann, Wolfgang Zeitlmann, Peter Paterna, Dr. Hans de With und Gerhart Rudolf Baum vor.
Die Gruppe Bündnis 90/GRÜNE schlägt auf Drucksache 12/2733 die Kollegin Ingrid Köppe vor.
Ich lasse zuerst über den Wahlvorschlag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE abstimmen. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei einer Zahl von Enthaltungen und einigen positiven Stimmen ist dieser Wahlvorschlag abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. ab. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Wahlvorschlag ist bei einer Enthaltung und wenigen Gegenstimmen angenommen.
Damit sind die im Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. genannten Kollegen zu Mitgliedern des Gremiums gemäß § 41 Abs. 5 des Außenwirtschaftsgesetzes zur Kontrolle der Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses gewählt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 und 14 sowie die Zusatzpunkte 9 bis 13 auf:
3. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Übereinkommen vom 10. Oktober 1980 über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Verletzungen verursachen oder unterschiedslos wirken können (VN-Waffenübereinkommen)

— Drucksache 12/2460 —
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung adoptionsrechtlicher Vorschriften (Adoptionsrechtsänderungsgesetz — AdoptRÄndG)

— Drucksache 12/2506 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß (federführend) Ausschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Frauen und Jugend
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dieter Heistermann, Dr. Andreas von Bülow, Gernot Erler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften
— Drucksache 12/2548 —
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß (federführend) Petitionsausschuß
Innenausschuß
Rechtsausschuß
d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Wohngeldsondergesetzes
— Drucksache 12/2601 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (federführend)

Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Familie und Senioren
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens vom 22. März 1974 über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebiets (Helsinki-Übereinkommen)

— Drucksache 12/2659 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend)

Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Verkehr
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Walter Kolbow, Hans Gottfried Bernrath, Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Wehrtechnische Zusammenarbeit mit Israel
— Drucksache 12/2494 —
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß (federführend) Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz-Alfred Steiner, Dr. Andreas von Bülow, Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD



Vizepräsidentin Renate Schmidt
Verbesserung der Wohnungsfürsorge für Angehörige der Bundeswehr
— Drucksache 12/2547 —
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuß (federführend)

Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gerätesicherheitsgesetzes
— Drucksache 12/2693 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Ausschuß für Wirtschaft
ZP9 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vermögensgesetzes und anderer Vorschriften — Zweites Vermögensrechtsänderungsgesetz (2. VermRÄndG) —— Drucksache 12/2695 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß (federführend)

Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
ZP10 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes
— Drucksache 12/1866 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend)

Sportausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
ZP11 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des passiven Wahlrechts für Ausländer bei den Sozialversicherungswahlen
— Drucksache 12/2734 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Innenausschuß
Ausschuß für Gesundheit
ZP12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS/Linke Liste
Aufnahme des Fernsehfilms „Wahrheit macht frei" und des Buches „Drahtzieher im braunen Netz — Der Wiederaufbau der NSDAP" in das Programm der Bundeszentrale für politische Bildung
— Drucksache 12/2426 —
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß (federführend) Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
ZP13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Adam, Anneliese Augustin, Richard Bayha,
weiterer AI geordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Gerhart Rudolf Baum, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Maßnahmen zur Verbesserung der Trinkwasserqualität in den neuen Bundesländern — Drucksache 12/2735 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuß
Dabei handelt es sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie mit diesem wirklich revolutionären Vorschlag einverstanden? — Das freut mich ungeheuer. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 und 13 sowie Zusatzpunkt 14 auf:
4. Abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 20. Dezember 1990 betreffend die Änderung des Übereinkommens vom 9. Mai 1980 über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF)

— Drucksache 12/2149 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr (16. Ausschuß)

— Drucksache 12/2578 —
Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Dionys Jobst

(Erste Beratung 85. Sitzung)

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die nachträgliche Umstellung von Kontoguthaben, über die Tilgung von Anteilrechten an der Altguthaben-Ablösungs-Anleihe, zur Änderung lastenausgleichsrechtlicher Bestimmungen und zur Ergänzung des Gesetzes über die Errichtung der „Staatlichen Versicherung der DDR in Abwicklung"
— Drucksache 12/2170 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des
Finanzausschusses (7. Ausschuß)

— Drucksache 12/2721 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Hampel Rosemarie Priebus
bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 12/2722 —



Vizepräsidentin Renate Schmidt
Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen Borchert
Helmut Wieczorek (Duisburg)


(Erste Beratung 85. Sitzung)

c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt), Dr. Ilja Seifert, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur teilweisen Erstattung des bei der Währungsumstellung am 2. Juli 1990 zwei zu eins reduzierten Betrages für ältere Bürgerinnen und Bürger
— Drucksache 12/1400 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß)

— Drucksache 12/2504 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Adolf Roth (Gießen) Helmut Wieczorek (Duisburg) (Erste Beratung 57. Sitzung)
d) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Theo Magin, Dirk Fischer (Hamburg), Heinz-Günter Bargfrede, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Ekkehard Gries, Horst Friedrich, Roland Kohn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Festlegung des Anwendungsbereiches und zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1893/91
— Drucksache 12/2573 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr (16. Ausschuß)

— Drucksache 12/2740 — Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Daubertshäuser

(Erste Beratung 92. Sitzung)

e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu dem Antrag des Bundesministers für Wirtschaft
Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur
Sicherung des Steinkohleneinsatzes"
— Wirtschaftsjahr 1990 -
— Drucksachen 12/1905, 12/2563 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Kurt J. Rossmanith Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Helmut Wieczorek (Duisburg)
f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Einhundertsechzehnte Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste
— Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz —— Drucksachen 12/2164, 12/2584 —
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Lutz G. Stavenhagen
g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Einhundertsiebzehnte Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste
— Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz —— Drucksachen 12/2316, 12/2651 — Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Kittelmann
h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Einhundertachtzehnte Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Drucksachen 12/2484, 12/2652 — Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Kittelmann
i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Neunzehnte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung — Drucksachen 12/2285, 12/2653 — Berichterstattung:
Abgeordneter Heinrich Kolb
j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Einundachtzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung -
- Drucksachen 12/2371, 12/2654 — Berichterstattung:
Abgeordneter Ernst Schwanhold
k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Zwanzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
— Drucksachen 12/2449, 12/2655 — Berichterstattung:
Abgeordneter Ernst Schwanhold
l) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Einundzwanzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
— Drucksachen 12/2483, 12/2656 — Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Kittelmann
m) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) Sammelübersicht 60 zu Petitionen
— Drucksache 12/2634 —



Vizepräsidentin Renate Schmidt
n) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) Sammelübersicht 61 zu Petitionen
— Drucksache 12/2635 —13. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes, des Bundesversorgungsgesetzes und des Lastenausgleichsgesetzes
— Drucksache 12/2219 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie und Senioren (13. Ausschuß)

— Drucksache 12/2705 — Berichterstattung:
Abgeordnete Brigitte Lange
Ortrun Schätzle
b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 GO — Drucksache 12/2706 — Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Uelhoff
Dr. Sigrid Hoth
Dr. Konstanze Wegner (Erste Beratung 88. Sitzung)

ZP14 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Rechtspflege im Beitrittsgebiet (Rechtspflege-Anpassungsgesetz — RpflAnpG)

— Drucksache 12/2168 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 12/2732 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Geis Dr. Eckhart Pick

(Erste Beratung 57. Sitzung)

Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 a auf. Dabei handelt es sich um die Zweite Beratung und Schlußabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr auf Drucksache 12/2149.
Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Drucksache 12/2578, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Gibt es Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit, wenn ich es richtig gesehen habe, bei einer Stimmenthaltung einstimmig angenommen.
Ich komme nun zum Tagesordnungspunkt 4 b. Dabei handelt es sich um den Regierungsentwurf über die nachträgliche Umstellung von Kontoguthaben, die Tilgung bestimmter Anteilrechte, die Änderung von Lastenausgleichsvorschriften sowie zur Ergänzung des Gesetzes über die „Staatliche Versicherung der DDR in Abwicklung".
Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/2721, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei wenigen Stimmenthaltungen einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit bei zwei Enthaltungen einstimmig angenommen.
Wir kommen damit zum Tagesordnungspunkt 4 c. Dabei handelt es sich um die Abstimmung über den Gesetzentwurf der Gruppe PDS/Linke Liste zur Erstattung des bei der Währungsumstellung reduzierten Betrages für ältere Bürgerinnen und Bürger.
Der Haushaltsausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/2504, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/1400 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit großer Mehrheit abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen nun zu Punkt 4 d der Tagesordnung. Dabei handelt es sich um die Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung einer Verordnung der Europäischen Gemeinschaft über gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen auf der Drucksache 12/2573.
Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Drucksache 12/2740, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zum Punkt 13 der Tagesordnung. Dabei handelt es sich um die Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes, des Bundesversorgungsgesetzes und des Lastenausgleichsgesetzes auf den Drucksachen 12/2219 und 12/2705.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei wenigen Stimmenthaltungen ist der



Vizepräsidentin Renate Schmidt
Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf bei wenigen Stimmenthaltungen einstimmig angenommen.
Wir kommen zum Zusatzpunkt 14 und damit zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Rechtspflege-Anpassungsgesetzes auf den Drucksachen 12/2168 und 12/2732.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei wenigen Stimmenthaltungen einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf bei wenigen Stimmenthaltungen einstimmig angenommen.
Wir kommen zum Punkt 4 e der Tagesordnung. Wir stimmen ab über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zur Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes" auf den Drucksachen 12/1905 und 12/2563 ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung bei wenigen Stimmenthaltungen einstimmig angenommen.
Wir kommen zu den Punkten 4 f bis 41 der Tagesordnung. Wir kommen zur Abstimmung über sieben Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung, der Einfuhrliste und der Ausfuhrliste. Wenn Sie damit einverstanden sind, lasse ich über diese Beschlußempfehlungen gemeinsam abstimmen. Hat irgend jemand eventuell etwas dagegen? — Das ist nicht der Fall; ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit sind diese Beschlußempfehlungen einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zu den Punkten 4 m und 4 n der Tagesordnung und damit zur Abstimmung über die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 12/2634 und 12/2635. Es sind die Sammelübersichten 60 und 61. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen sind damit einstimmig angenommen.
Nun rufe ich den Punkt 11 der Tagesordnung und den Zusatzpunkt 15 auf:
11. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Aufnahme von Krediten durch die Treuhandanstalt (Treuhandkreditaufnahmegesetz — THA KredG)

— Drucksache 12/2217 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß)

— Drucksache 12/2744 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Arnulf Kriedner
Helmut Wieczorek (Duisburg)


(Erste Beratung 86. Sitzung)

b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Roth, Hinrich Kuessner, Angelika Barbe, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Treuhandgesetzes
— Drucksache 12/2291 —
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß (federführend)

Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) und der Gruppe der PDS/ Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Treuhandgesetzes
— Drucksache 12/2604 —
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß (federführend)

Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz (Berlin) und der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE
Kurswechsel bei der Treuhandanstalt — Drucksache 12/2637 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Haushaltsausschuß
Finanzausschuß
ZP15 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) und der Gruppe der PDS/Linke Liste
Arbeit der Treuhandanstalt — Drucksache 12/2731 —
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß (federführend) Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft



Vizepräsidentin Renate Schmidt
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgesehen. Regt sich dazu irgendeine Art von Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache, erteile dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Manfred Carstens das Wort und verabschiede mich von Ihnen.

(Vorsitz : Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg)


Manfred Carstens (CDU):
Rede ID: ID1209511400
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es hier mit drei Gesetzentwürfen zu tun, die mit der Treuhandanstalt im Zusammenhang stehen: zum einen das Treuhandkreditaufnahmegesetz, von der Bundesregierung eingebracht, zum anderen zwei Änderungsgesetzentwürfe der SPD und der PDS.
Bei dem Antrag der SPD habe ich den Eindruck, als hätte man bei der SPD gemeint, es müßte wieder einmal etwas zur Treuhandanstalt gesagt werden.

(Zuruf von der SPD: Es muß auch etwas gesagt werden!)

Das ist so, als wenn es mit der Arbeit der Treuhandanstalt jetzt erst losginge; in Wirklichkeit ist die Arbeit voll aufgenommen worden und hoffentlich schon bald — in einem oder zwei Jahren — beendet.
Über den Antrag der PDS kann man sich nur wundern. Die Vorgänger, die die Karre so richtig in den Dreck gezogen haben, meinen jetzt, Vorschläge für eine Bewältigung der Probleme unterbreiten zu können. Meine verehrten Damen und Herren, das scheinen die ungeeigneten Kräfte in diesem Hause zu sein, die solche Anträge stellen.
In Leipzig habe ich unlängst zum Ausdruck gebracht, daß sich die Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR — unsere Landsleute — nicht mit den Ländern vergleichen sollten, die über Jahrzehnte in der Sozialen Marktwirtschaft leben konnten. Wenn sie sich mit denen vergleichen, die ebenfalls unter dem Sozialismus gelitten haben, dann haben sie recht gute Ergebnisse vorzuweisen. Wenn es aber so ist, daß die Deutschen selbst den Sozialismus über 40 Jahre nicht erfolgreich praktizieren konnten, dann ist das ein historischer Beweis dafür, daß der Sozialismus nirgendwo auf der Welt erfolgreich betrieben werden kann.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Insofern gehen wir den Weg, den wir bei der Bewältigung der Aufgaben, die der Treuhandanstalt gestellt sind, beschritten haben, weiter. Es sind große, schwierige Aufgaben. Es ist nicht so, als wenn man einfach nur einmal privatisierte, wie diese Anträge von der SPD und der PDS glauben machen wollen. Vielmehr geht es darum, daß man eine Bestandsaufnahme vornehmen mußte, daß ein hochqualifiziertes Team über 2 000 Betriebe untersucht hat, um festzustellen, ob man sie sanieren kann. Wenn man sich sofort entschieden hätte, zu privatisieren oder stillzulegen, dann hätte wahrscheinlich mindestens die Hälfte der Betriebe stillgelegt werden müssen.
Es ist viel Geld eingesetzt worden, sehr viel Geld; und es wird weiterhin sehr viel Geld eingesetzt, um das Überleben der vorhandenen Betriebe in weitestmöglichem Umfang zu sichern, damit sich daran eine Privatisierung anschließen kann. Es stehen noch etwa 4 000 bis 5 000 Betriebe zur Sanierung an. Die Treuhandanstalt ist zuversichtlich, es Ende des Jahres nur noch mit rund 2 500 Betrieben zu tun zu haben.
Daß viele schwierige, auch strukturelle Fragen in dem Zusammenhang zu regeln sind, ist völlig klar; das sehen wir so, das ist die Aufgabe der Treuhandanstalt; sie ist schon jetzt gesetzlich geregelt. Das dafür notwendige Geld wird auch zur Verfügung gestellt. Nicht zuletzt deswegen haben wir unseren Gesetzentwurf eingebracht, der eine Nachfolgeregelung für das, was im Einigungsvertrag bis 1991 schon geregelt war, darstellt; es geht nun um die Jahre 1992 bis 1994. Hier kann es gelingen, am Kapitalmarkt, am Kreditmarkt die Gelder der Treuhandanstalt zu ähnlichen Bedingungen aufnehmen zu können, ähnlich günstig wie die Mittel, die der Bund aufnimmt. Das verbilligt die Arbeit der Treuhandanstalt nicht unerheblich. Es gibt auch Sicherheit für die, die die Kredite zur Verfügung stellen. Das alles ist durchdacht und vor allen Dingen auch so abgesichert, daß Kredite nur mit Genehmigung des Bundesfinanzministers aufgenommen werden können.
Es ist sichergestellt, daß der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages eingeschaltet ist. Wir haben sichergestellt, daß die Wirtschaftspläne der Treuhandanstalt rechtzeitig von dem zuständigen Unterausschuß in Augenschein genommen werden können.

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Endlich!)

— Okay, auf den Zwischenruf, Herr Kollege Diederich, gehe ich gerne ein. Mit dem Wort „endlich" haben Sie nicht ganz unrecht. Das ändert aber nichts an der Richtigkeit meiner Aussage. Insofern meine ich, daß alle Voraussetzungen dafür gegeben sind, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, so daß es dann nicht mehr nur ein Entwurf ist, sondern eine sichere gesetzliche Ausgangsbasis, von der aus an die weitere Arbeit gegangen werden kann.
Wie gesagt, wir haben gerade auch im Finanzministerium in Abstimmung mit dem Bundeswirtschaftsministerium — der Kollege Dr. Riedl wird ja gleich noch das Wort nehmen — dafür gesorgt, daß die Voraussetzungen dafür geschaffen worden sind, daß die Treuhandanstalt gute Arbeit leisten kann. Sie leistet gute Arbeit, und wenn von Ihnen weitere Anregungen dazu kommen sollten, wie die gute Arbeit noch verbessert werden kann, nehmen wir diese Anregungen gerne auf.
Nun geht es darum, die Privatwirtschaft in den neuen Ländern in Gang zu bringen. Das ist einmal die Aufgabe der Treuhandanstalt bei ihrer Arbeit. Aber zum anderen geht es darum, daß Tausende, möglicherweise Hunderttausende mittelständischer Betriebe, die schon gegründet sind oder sich in Existenzgründung befinden, so schnell wie möglich — das soll, muß und wird gelingen — Anschluß an die große wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gewinnen, die im Westen unseres Vaterlandes schon gegeben ist. Je



Parl. Staatssekretär Manfred Carstens
schneller es gelingt, desto besser für alle. Daran wollen wir alle mitarbeiten.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1209511500
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Wolfgang Roth.

Wolfgang Roth (SPD):
Rede ID: ID1209511600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich gerade die Rede des Herrn Staatssekretärs hörte, dachte ich wirklich, ich hätte in den letzten Monaten die neuen Bundesländer nicht besucht, hätte die vielen Treuhandbetriebe nicht gesehen, die unter größten Existenzschwierigkeiten ohne wirkliche Zukunftserwartungen derzeit dahindämmern. Ich habe den Eindruck, Sie befassen sich nicht ernsthaft mit den wirklichen Problemen der Treuhandbetriebe im industriellen Sektor in Ostdeutschland.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und beim Bündnis 90/GRÜNE)

Während Hunderte von Betrieben, die jeweils den industriellen Kern ganzer Regionen darstellen, derzeit ohne Hoffnung dastehen, weil sie überhaupt keinen westlichen Partner finden und trotz monatelanger, ja, jahrelanger Versuche, die Betriebe an den Mann zu bringen, ihre industrielle Basis verlieren, tun Sie so, als ob wir auf einem guten Weg seien, als ob die Probleme eigentlich leicht zu lösen seien, als ob das praktisch schon hinter uns sei.
Meine Damen und Herren, ich werfe Ihnen nicht vor — eigentlich ist das Gegenteil der Fall —, daß Sie sagen, es sei eine gewaltige Aufgabe, es sei eine fast unlösbare Aufgabe. Das habe ich Ihnen vor zwei Jahren im Bundestag mehrfach gesagt. Was ich Ihnen, Herr Staatssekretär, und der gesamten Regierung vorwerfe, ist, daß Sie diese gewaltige Aufgabe in ihrer ganzen Problematik überhaupt nicht erkennen und den Menschen nicht darstellen, so daß inzwischen Hoffnungslosigkeit und Perspektivlosigkeit in den Treuhandbetrieben des industriellen Kerns in Ostdeutschland eingetreten ist und die Leute überhaupt nicht mehr wissen, wie es weitergeht. Das werfe ich Ihnen vor!

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und beim Bündnis 90/GRÜNE)

Wie gesagt, ich habe vor zwei Jahren immer wieder betont, daß es sehr schwer sein wird, ein Land, das über 45 Jahre von der Weltwirtschaft getrennt war, wieder in die Weltwirtschaft hineinzuführen, und daß man, wenn man überhaupt eine Industrie in Ostdeutschland erhalten wolle, mit intensiver Förderung und im Übergang auch mit Schutzmaßnahmen eingreifen müsse. Sie haben damals all diese Worte im Deutschen Bundestag als Miesmacherei, als Kassandra-Rufe und als unnötigen Pessimismus denunziert. An dieser Stelle haben mehrere Redner, darunter der Bundeskanzler, permanent davon gesprochen, daß jetzt in Ostdeutschland das Wirtschaftswunder kommen werde. Sie haben davon geredet, nun entstünden eine Mittelstandslandschaft und ein sich selbst tragendes Wirtschaftswachstum. Sie haben davon
gesprochen, in zwei, vielleicht in drei Jahren habe die Treuhand keinerlei Aufgabe mehr.
Die logische Folge dieser Fehleinschätzung war der völlig verfehlte Treuhandauftrag. Zu diesem Thema haben wir nun einen Gesetzentwurf eingebracht, nachdem wir monate-, ja jahrelang Forderungen gestellt haben. Die Devise war, schnell zu privatisieren. Was übrig bleibe, was nicht verkauft werden könne, solle eben liquidiert werden. Das reiche dann — so war zu hören — trotzdem als industrielle und wirtschaftliche Basis aus.
Nun bestreite ich gar nicht, daß es Bereiche gibt, wo das gelungen ist: Hotels, Versicherungen, Banken,

(Parl. Staatssekretär Dr. Erich Riedl: Beim Mittelstand! — Kurt J. Rossmanith [CDU/ CSU]: Handwerk, Bauwirtschaft!)

kleinere Dienstleistungsbetriebe. In all den Bereichen, in denen wir nur regionale Nachfrage bedienen, also nicht exportieren müssen und nicht im weltwirtschaftlichen Konkurrenzkampf stehen, ist es ganz gut gegangen. Das hängt auch damit zusammen — das ist richtig, und das wollen wir gar nicht kritisieren —, daß auf der Konsumseite ein gewaltiger Finanztransfer von West nach Ost fließt. Im Dienstleistungssektor dort gibt es wirklich blühende Inseln.
Aber der harte Kern des Problems, über den wir seit zwei Jahren mit Ihnen wirklich ernsthaft zu diskutieren versuchen, wird von Ihnen offenbar einfach nicht wahrgenommen: Für den industriellen Kern in Ostdeutschland gab es in der Situation internationaler Konkurrenzkräfte, im harten — mancher wird sagen: brutalen — weltwirtschaftlichen Wettbewerb, überhaupt keine Chance zu überleben, es sei denn, man versucht, mit Förderung und Schutz einen Weg in die Zukunft zu bahnen.

(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Weil die alles kaputtgemacht hatten!)

Dort ist der Bund, dort ist der Staat insgesamt, dort ist die Treuhand in der Übergangsphase gefordert.
Um nur eine Zahl zu nennen: Als wir über dieses Thema zu diskutieren anfingen, hatten die im Besitz der Treuhand befindlichen Betriebe 4 Millionen Beschäftigte. Zum jetzigen Zeitpunkt sind 1,65 Millionen übriggeblieben, d. h. weit weniger als die Hälfte.
Sie verschweigen und die Treuhand verschweigt — aber gerade in Ihrem Auftrag, unter Ihrer Politik der Verharmlosung —, daß die Probleme vieler großer industrieller Treuhandunternehmen völlig ungelöst sind. Wenn die Treuhand permanent Zahlen veröffentlicht dahin gehend, man habe 1 000, jetzt 1 500 und noch mehr Betriebe privatisiert, geht dies an der Wirklichkeit vorbei; denn sie hat jedenfalls die großen, strukturbestimmenden Industrieunternehmen in Ostdeutschland in bezug auf Sanierung, Privatisierung und Strukturerneuerung noch nicht einmal angefaßt. Das ist die Wahrheit!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE — Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch gar nicht!)




Wolfgang Roth
— Soll ich die Namen nennen? Was ist mit Magdeburg und SKET? Bis heute gibt es keine Lösung, kein Sanierungskonzept. Was ist mit der Elektroindustrie im Raum Berlin? Mit ganz wenigen Ausnahmen — ich muß Siemens loben; die haben ein bißchen mehr gemacht als andere — ist die Elektroindustrie in Ostdeutschland dabei, zusammenzubrechen. Gleiches gilt für den Industriezweig Optik/Feinmechanik; 80 % der Kapazitäten sind schon verschwunden.
Wir hatten bisher die Hoffnung, daß Treuhand und Bundesregierung für die Maschinenbauindustrie in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt ein Sanierungskonzept entwickeln würden. Inzwischen bekommen wir Woche für Woche Meldungen der Hoffnungslosigkeit und vom Zusammenbruch dieser Maschinenbauindustrien. Dabei müssen wir betonen, daß diese Unternehmen von der Technologie und von der Qualität der Arbeitnehmer her überhaupt nicht zusammenbrechen müßten — bei allen Erschwernissen, die durch das Wegbrechen der Ostmärkte derzeit auftreten.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung sagt immer wieder, man habe sich, was die Entwicklung in Ostdeutschland und die wirtschaftlichen Möglichkeiten dort betrifft, insgesamt geirrt. Dazu will ich noch einmal klar sagen: Wir haben uns in dieser Frage nicht geirrt. Wir haben in diesem Deutschen Bundestag Ihnen seit zwei Jahren permanent klarzumachen versucht, daß in der Übergangsphase staatliche Instrumente notwendig sind, gerade wenn man auf Dauer privatisierte Unternehmen auch in Ostdeutschland haben will.
Die Alternative ist doch nicht: sanieren oder privatisieren. Die Alternative ist immer mehr geworden: privatisieren oder liquidieren. Wir sind der Auffassung: Gerade wenn man in Ostdeutschland langfristig eine existenzfähige Industrie haben will, dann muß man bereit sein, im Übergangsprozeß Sanierungsstrategien wahrzunehmen und das Risiko aus öffentlicher Hand mitzutragen. Dies ist erforderlich, gerade wenn man für private Unternehmen mittelfristig vom Ausland, von Westdeutschland und vor allem von innen Managementgründungen bewerkstelligen und in Gang setzen will.
Meine These ist also, daß Sie die Treuhand im Grunde in eine Privatisierungsschlacht geschickt haben, die sie überhaupt nicht gewinnen konnte, jedenfalls nicht im industriellen Bereich. Was bei Hotels, Restaurants usw. aufgegangen ist, ist im industriellen Bereich wegen des internationalen Sachzusammenhangs, über den ich seit zwei Jahren hier rede, natürlich nicht aufgegangen.
Meine Damen und Herren, die ganze Geschichte ist für uns auf Dauer auch strategisch und finanzpolitisch unheimlich wichtig. Was wir an aufwachsenden Betrieben in Ostdeutschland haben, sind Betriebe für die Bedienung des Binnenmarkts, der Region, Betriebe, die aber nicht exportieren. Die Exporttätigkeit in Ostdeutschland ist praktisch zusammengebrochen.
Ich werfe Ihnen nicht vor, daß sie zusammengebrochen ist, was die Nachfolgestaaten der alten Sowjetunion anbetrifft. Ich werfe Ihnen nicht vor, daß weniger in die Tschechoslowakei, nach Polen, Ungarn und in einige andere, kleinere Staaten in Osteuropa exportiert werden kann. Das sind Entwicklungstendenzen, die keiner zu verantworten hat. Nur, ich werfe Ihnen vor, daß Sie in dieser Situation nicht ein klares Exportsicherungskonzept für diese Staaten entwickelt haben und daß Sie nicht Marketinghilfen über die Treuhand nach dem Westen organisiert haben, mit denen neue Märkte für ostdeutsche Betriebe ausfindig gemacht werden. Das heißt, die wegbrechende Nachfrage war vorhersehbar.
Nun komme ich auf den finanzpolitischen Sachverhalt zurück. Wenn die ostdeutschen Industriebetriebe nicht mehr in der Lage sind, Exporte zu tätigen, muß für die dann nicht beschäftigten Menschen permanent Geld, insbesondere das Arbeitslosengeld, oder vergleichbare Surrogate ABM und Qualifizierungsmaßnahmen — aus Transfers gezahlt werden. Man erwirtschaftet ja in diesen Betrieben regional nichts mehr.
Meine Damen und Herren, in dieser falschen Treuhandstrategie ist auch das Problem, das Sie in dem Gesetz nun formuliert haben, verborgen, daß Sie über Jahre hinweg Kredite von 30 Milliarden DM für die Treuhand vorsehen müssen. Diese Kredite wären akzeptabel, wenn das Geld von der Treuhand vor allem für Investitionen und Innovationen verwendet würde. Das würde man akzeptieren können. Man kann derartige Kredite gut rechtfertigen, wenn man sagt: Man stellt die Betriebe auf eine neue Basis, und sie sind dann international konkurrenzfähig und leistungsfähig. Aber schauen Sie sich an, wofür das Geld verwendet wird. Es ist nicht so, daß es investiv und innovativ verwendet wird. In der Regel sind es vielmehr Liquidierungszuschüsse und Zuschüsse, um das Weitermachen ohne Zukunftsperspektive durchzufinanzieren.
Ich selbst bin in zwei Betrieben im Aufsichtsrat tätig und weiß, worüber ich zu reden habe. Es ist außerordentlich schwierig, von der Treuhand Geld für Innovationen und Investitionen zu bekommen, weil sie im Abwickeln und im Bezahlen von Sozialplänen und reinen Liquiditätszuschüssen erstickt.
Der enge Finanzrahmen, der ihr gegeben wird, bedeutet natürlich, daß diese Zukunftsinvestitionen überhaupt nicht stattfinden. Wenn ich aber einen Betrieb habe, der derzeit weltweit überhaupt nicht konkurrenzfähig ist, dann muß ich doch die Frage stellen: Wodurch kann ich ihn konkurrenzfähig machen? Ich brauche nicht in die Qualität der Arbeit zu investieren. Die Leute sind gut. Das bestätigt jeder, der dort tätig ist. Ich brauche auch nicht große neue Fabrikhallen zu schaffen. Aber ich muß einen andauernden Innovationsprozeß garantieren.
Was aber geschieht bei den Treuhandbetrieben? Die Forschungs- und die Entwicklungsabteilungen werden geschlossen, werden zugesperrt. Zu der Konkurrenzschwäche kommt eine Innovationsschwäche hinzu. Das heißt, die Treuhandstrategie, die die Bundesregierung vorgegeben hat, ist genau in die falsche Richtung gegangen. Es geht nach unten, nicht nach oben. Das ist meine feste Überzeugung.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)




Wollgang Roth
Unser Gesetzentwurf sieht nun eine Veränderung der Treuhandstrategie vor. Wir beauftragen die Treuhand, zu sanieren und Innovationen und Investitionen für die Zukunft vorzunehmen. Wir wissen, daß das nicht einfach ist. Ich halte es auch für völlig falsch, die Treuhandleute permanent als die Schuldigen abzufilmen. Ich bin der Meinung, daß der falsche Treuhandauftrag, daß die restriktive Strukturpolitik, daß die restriktive Investitionspolitik und daß die Perspektivlosigkeit der Bundesregierung die Ursache für die Verfehlungen innerhalb der Treuhand sind. Der mangelnde Spielraum ist die Ursache für das, was wir derzeit beobachten. Wir beobachten in ganzen Regionen der ostdeutschen Länder eine Entindustrialisierung, eine Tendenz zur industriellen Verwüstung. Das können wir uns nicht leisten, und das wollen wir uns nicht leisten. Ich wäre dankbar, wenn der zweite Staatssekretär, wenn er heute abend redet, nicht mit dieser lässigen, schnoddrigen, unmenschlichen Art über die Probleme redete, sondern sich ein Stück für das engagierte, was in den nächsten Jahren in Ostdeutschland notwendig ist.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1209511700
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schumann.

Dr. Fritz Schumann (PDS/LL):
Rede ID: ID1209511800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie, daß ich an den Beginn meiner Ausführungen ein Zitat aus einer Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses stelle:
Die Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. empfehlen übereinstimmend die Ablehnung des Gesetzentwurfs der PDS. Sie sind der Ansicht, daß sich das Treuhandgesetz in seiner bisherigen Fassung als flexibel genug erwiesen habe, um notwendigen Änderungen, denen die Treuhandanstalt nachzukommen habe, gerecht zu werden.
Wie dieses Zitat belegt, gab es Mitte Februar 1992 — zu dem Zeitpunkt ist es entstanden — auf der Seite der Koalition noch eine breite Front, um in wahrhaft konstruktiver Opposition einen Gesetzentwurf der PDS zur Reorganisation und Verwertung des ehemaligen volkseigenen Vermögens der DDR abzulehnen, der z. B. Anforderungen an die Durchführung der Sanierung und Modernisierung von Unternehmen im Besitz der Treuhand enthielt und die Treuhandanstalt verpflichten wollte, zu prüfen, ob und wie Unternehmen innerhalb eines Zeitraums von bis zu fünf Jahren saniert und wettbewerbsfähig umgestaltet werden könnten.
Nun kann ich Ihre grundsätzlich ablehnende Haltung gegen alles, was von der PDS kommt, durchaus nachfühlen. Aber ich glaube, auch in unserem Antrag waren genügend inhaltliche Punkte enthalten, und vielleicht können gerade wir, die damit leben mußten, auch einen Beitrag dazu leisten, was bei der Privatisierung und, vorangestellt, bei der Sanierung der Wirtschaft in der ehemaligen DDR geleistet werden kann und müßte.
Das fraktionsübergreifend konstatierte und dokumentierte Einverständnis mit der Arbeit der Treuhandanstalt war aber noch nicht in den Postfächern der Abgeordneten, da präsentierte die SPD — ich bin dankbar dafür — ihren eigenen Gesetzentwurf. Er sollte eigentlich keinen Aufschub dulden. Es ist trotzdem ein Vierteljahr zwischen der Einbringung und der Behandlung heute vergangen. Jetzt wird etwas Tempo gemacht. Aber trotzdem: Die SPD hat das Thema wieder aufgegriffen, und es ist gut, daß erneut darüber geredet wird. Ich hoffe auch, daß diesmal endlich wirkliche Veränderungen eintreten. Herr Roth hat ausführlich begründet, was zur Zeit abläuft. Ich kann mich dem eigentlich nur anschließen.
Anträge des Bündnisses 90/GRÜNE sowie unser eigener Antrag liegen ja heute zu dieser Debatte ebenfalls vor. Es geht, Herr Staatssekretär, nicht darum, daß einfach nur wieder einmal darüber geredet wird, sondern darum, daß tatsächlich etwas verändert wird.
Der Entwurf der SPD hat zu Recht das Kernproblem eines der Treuhandanstalt zu erteilenden Sanierungsauftrages zum Inhalt. Er läßt jedoch unseres Erachtens eine Präzisierung der Rahmenbedingungen außer acht. Ohne die Verpflichtung der Bundesregierung und der Landesregierungen zur Erarbeitung miteinander verzahnter Strukturkonzepte kann doch nicht erfolgreich saniert werden. Es geht um aktive Wirtschaftspolitik, die das wichtigste Potential, die Menschen, in den Mittelpunkt stellt. Die haben doch Erfahrung, die haben Ausbildung!
Es fehlt bis jetzt eine klare inhaltliche Ausfüllung des Sanierungsauftrages und eine klare und unzweideutige Präferenz der Sanierung, denn solange die Rangfolge Privatisierung, Sanierung und Verwertung gilt, behält die Privatisierung oberste Priorität. Eben nach diesem Motto handeln auch alle Mitarbeiter der Treuhand; und ich nehme es ihnen auch gar nicht übel. Aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht werden Betriebe saniert, um sie verkaufsfertig zu machen, und das Ganze geschieht noch unter Zeitdruck, natürlich mit großem Engagement der Mitarbeiter; das wollen wir keinesfalls bestreiten. Für diese Aufgaben sind sie ausgebildet, haben auch große Erfahrungen im bisherigen Berufsleben gesammelt und sind sicher auch unter diesen Gesichtspunkten ausgewählt worden.
Es geht doch aber um volkswirtschaftlich-gesellschaftliche Dimensionen. Deshalb verstehen wir unter Sanierung einen Komplex von Maßnahmen, der am Ende, bitte schön, auch in Privatisierung mündet, der aber Übergangsperioden kennt, der Strukturpolitik verwirklicht und auch alle Möglichkeiten des öffentlichen Eigentums und der staatlichen Beteiligung einschließt. Für uns reicht das im vorliegenden Gesetzentwurf der SPD für Einzelfälle vorgesehene staatliche Beteiligungsvermögen nicht aus.
Unser bereits abgelehnter Gesetzentwurf und der heute neu eingebrachte gehen in diesem Punkt eben nicht von der Ausnahme, sondern von der Notwendigkeit der Regel aus. Es gab ja auch schon einmal Forderungen ostdeutscher CDU-Parlamentarier, die heute leider nicht hier im Raum sitzen, die im letzten Herbst für strukturbestimmende Großunternehmen gemeinsame Bund-Länder-Holdings forderten und



Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt)

dabei den Kapitalanteil privater Investoren unter 50 halten wollten, damit deren betriebswirtschaftliche Überlegungen die strukturpolitischen Entscheidungen nicht verzögern könnten. Ich möchte ihnen gern zurufen: Nur Mut, Kollegen! Aber sie sind leider nicht hier.
Es geht um die Änderung eines Konzepts, nicht einfach nur um Kritik an der Treuhandanstalt, die nur ausführendes Organ ist. Um so mehr bitte ich die SPD auch um eine Konkretisierung dessen, was sie unter „langfristig sanierungsfähig" bzw. unter „volkswirtschaftlich förderungswürdig" verstanden wissen will. Ich entnehme dem Gesetzentwurf allerdings, daß die SPD der Bundesregierung die Begleitung des Sanierungsprozesses und damit das Monopol der Definition des Begriffs Sanierung ans Herz legen möchte.
Meine Damen und Herren, die Möglichkeit der Beteiligung unmittelbar Betroffener und ihrer gewerkschaftlichen Vertreter an solchen Entscheidungsprozessen halten wir für unabdingbar. Geeignete Formen der Arbeitnehmerbeteiligung, die der besonderen Risikosituation Rechnung tragen und die die SPD in ihrem Entwurf erwähnt, reichen uns noch nicht aus. Es geht um ganz konkrete Fragen: Was wird mit Investivlohnkonzepten? Liebäugelt die SPD vielleicht damit? Wann beginnt die Mitbestimmung der Beschäftigten? Wie wird sie organisiert und institutionalisiert? Wie steht es um die Möglichkeit, Unternehmen in Belegschaftseigentum zu übertragen? Sollen die Beschäftigten auch an der Begleitung des Sanierungsprozesses durch die Treuhandanstalt beteiligt werden? Wenn ja, wie?
Die Zeit wäre reif, zumindest ein klares Bekenntnis zur Forderung der IG Metall nach Aufbau einer Industrieholding zur Sanierung für die als sanierungsfähig eingestuften Betriebe abzulegen.
Den Gesetzentwurf der PDS hat die SPD neben anderen Parteien damals auch aus folgendem Grund abgelehnt: Um Lösungsvarianten für die Sanierungsaufgabe zu finden, müßten außerhalb der Treuhandanstalt neue Überlegungen eingebracht werden, und zwar im Rahmen einer separaten oder angegliederten Behörde.
Ich frage Sie jetzt: Wo ist in Ihrem Gesetzentwurf von einer solchen Behörde die Rede, die Sie im PDS-Entwurf damals so schmerzlich vermißt haben? Mein Eindruck ist, daß die SPD an dem anstaltsinternen Controlling überhaupt nichts ändern will. Sie tut so, als gäbe es die Berichte über ich darf es hier zurückhaltend formulieren — anstaltsinterne Unregelmäßigkeiten bei der Privatisierung nicht.
Eine organisatorische Trennung der Sanierungsaufgaben und der Verkaufsaktivitäten innerhalb der Treuhandanstalt wäre nach Meinung der PDS/Linke Liste kein geeignetes Mittel, um das Geschäftsgebaren der Treuhandanstalt und die Seriosität ihrer Geschäftspartner effektiver als bisher kontrollieren zu können.
Unsere Forderungen gehen deshalb weiter: Mitbestimmung und Erhöhung der Transparenz der Arbeit und der Entscheidungsfindung der Treuhandanstalt gehören in ein reformiertes Treuhandgesetz unbedingt hinein. Die Praxis zeigt ja bereits, daß es selbst
unter CDU-regierten Ostländern Ansätze in dieser Richtung gibt. Die Vereinbarung zwischen Sachsen und der Treuhandanstalt setzt erste Signale, wie mit mehr Transparenz und in gemeinsamer Verantwortung gehandelt werden kann.
Die PDS vermißt auch eine Verpflichtung zur Rückübertragung des bis 1952 bestehenden Landeseigentums an land- und forstwirtschaftlichem Boden in die Regie der Länder, damit diese es selbst und vor allem im Interesse der ortsansässigen Bauern und der Länderfinanzen verwenden können.
Nicht zum Schluß haben wir einen Antrag gestellt, die Bundesregierung zu beauftragen, nun endgültig bis zum 30. Juni dieses Jahres die gesamten D-
Mark-Eröffnungsbilanzen aller am 1. Juli 1990 zur Treuhand gehörenden Betriebe auf den Tisch zu legen. Für mich ist es unverständlich, wie man einerseits Leitlinien und Richtlinien für die Tätigkeit der Treuhandanstalt vorgeben will und wie andererseits eine Bewertung der Treuhandtätigkeit ermöglicht werden kann, wenn man keine Ausgangsbilanz hat. Jedes Unternehmen in der privaten Wirtschaft wäre von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Herr Staatssekretär Carstens, Sie haben hier selbst eingangs bestätigt, daß eine Bestandsaufnahme notwendig war. Bitte, sorgen Sie dafür, daß diese auf den Tisch kommt und daß, davon ausgehend, hier weitere Entscheidungen getroffen werden können.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1209511900
Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Werner Zywietz das Wort.

Werner Zywietz (FDP):
Rede ID: ID1209512000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dieser erneuten Debatte zu Fragen der Treuhand, der vier Anträge zugrunde liegen — einer vom Bündnis 90 über einen Kurswechsel bei der Treuhand, dann ein Antrag der PDS, die ebenfalls eine Änderung des Treuhandgesetzes vorsieht, ein Antrag der SPD, die das Sanierungsziel in das Treuhandgesetz eingebracht wissen will, und ein Kreditermächtigungsgesetz —, habe ich den Eindruck, lieber Kollege Roth, daß Sie versuchen, hier das Dauerabonnement für Treuhandklagelieder — so möchte ich einmal sagen — zu erlangen. Und wenn ich richtig zur PDS hinübergehört habe — aber das lohnt vielleicht nicht so sehr —, dann strotzt das, was Sie hier beantragen und eben in der Debatte dargelegt haben, nur so vor Widersprüchlichkeiten.

(Zuruf von der SPD: Und Sie von Ignoranz!)

— Wie bitte?

(Werner Schulz [Berlin] [Bündnis 90/ GRÜNE]: „Ignoranz" war das Stichwort! Bei Ihnen!)

— Für die PDS?

(Zurufe von der SPD: Bei Ihnen!)

— Bei mir? Nur gut, daß ich das nicht gehört habe.

(Heiterkeit)




Werner Zywietz
Aber wir haben ja noch Zeit für die Debatte.
Erst einmal bleibe ich bei den Widersprüchlichkeiten der PDS, und da wird sich schon so manches aufklären. Sie bestehen nämlich darin, daß Sie, Herr Kollege, dargelegt haben, wie in der Treuhand saniert werden soll, wie anders vorgegangen werden soll. Bloß, ich habe den Antrag vielleicht etwas genauer durchgelesen, als Sie es getan haben. Darin steht schlichtweg, daß das Wort „Privatisierung" gestrichen werden soll.

(Wolfgang Roth [SPD]: Ja, eben! Deshalb haben wir ihn ja auch abgelehnt!)

Sie wollen die Unternehmen verbessern, aber was soll denn am Ende geschehen? Die Unternehmen in Staatshand belassen, das heißt, den Schlendrian, der zu dieser Situation geführt hat, in etwas variierter Form zu belassen, sozusagen wieder auf eine oder mehrere große Staatsholdings zuzusteuern, die mit Steuergeld unterhalten werden müssen, soweit sie selbst dazu nicht in der Lage sind. Aber ich verstehe den ganzen Sinn Ihres Antrages nicht, wenn schlichtweg aus dem Treuhandgesetz die Zielsetzung Nr. 1, die Privatisierung, gestrichen werden soll. Das ist ein Unding.

(Dr. Fritz Schumann [Kroppenstedt] [PDS/ Linke Liste]: Als Nr. 1 soll sie gestrichen werden!)

— Nein, daß Sie sie überhaupt streichen wollen, das ist der Kernpunkt. Dann brauchen wir über alles Weitere, was Sie hier ausgeführt haben, überhaupt nicht mehr zu reden. Schauen Sie sich Ihren Antrag an, und Sie werden das feststellen. Es steht da nämlich mehrfach: Die Worte „Privatisierung" werden gestrichen.

(Dr. Fritz Schumann [Kroppenstedt] [PDS/ Linke Liste]: An dieser Stelle!)

Ich habe mir das herausgeschrieben. Damit ist der ganze Sinn Ihrer Darlegung weg.
Sie, Herr Schulz, werden ja noch reden. Ihr Antrag ist freundlicher, sanfter. Sie plädieren für eine aktive Sanierungspolitik. Nun, das ist das neue Stichwort, das umgeht: Sanieren. Aber eines ist doch wohl klar: Wir sanieren nicht nur mit erheblichem Aufwand und klaren Zielsetzungen bei der Treuhand, sondern sanieren in den fünf neuen Bundesländern immens in allen möglichen politischen Gestaltungsbereichen. Was ist es denn, was im Bereich des Straßenbaus, im Bereich der Forschungslandschaft, im Bereich der Telekommunikation, der Bahn, des Flughafenausbaus geschieht? Was ist denn das alles? Das ist Sanierungsaufwand, Sanierungsarbeit in der Infrastruktur.

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Komm doch mal zur Treuhand!)

— Und dazu kommt auch noch ein Auftrag im Rahmen der Treuhand. In diesem Zusammenhang brauchen wir keine Gesetze mehr zu ändern. Das, was hier geändert werden soll, wird rechtzeitig geschehen. Wenn die Aufgabe als solche erledigt ist, werden auch die Änderungen abgeschlossen sein.
Detlev Karsten Rohwedder kam doch politisch aus Ihren Reihen. Es ist doch schon fast ein Ondit, daß man sagt: privatisieren, sanieren und stillegen. Da laufen wir doch offene Türen ein. Das Problem liegt eher
darin, die Grenzen zu finden und alles etwas genauer zu definieren.
Wenn Sie, Herr Roth, in diesem Zusammenhang beklagen, daß zu wenig im Detail gemacht wird, dann kann ich nur sagen: Andere in Ihrer Partei beklagen das hohe Engagement, das finanzielle Engagement der Treuhand und in der Deutschlandpolitik überhaupt. Vor vier Wochen ist in diesem Haus von Ihrer Fraktion ein Antrag gestellt worden, der dahin ging, alle Altschulden mit einem Federstrich zu beseitigen. Jetzt plädieren Sie für ein differenziertes Vorgehen. Vor vier Wochen wollten Sie 30 Milliarden DM Altschulden beseitigen.
Ist das die Zielgenauigkeit, ist das die neue Treuhandstrategie, die Sie uns hier vorschlagen wollen? — Da ist das Vorgehen der Regierung aber um einiges besser.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Na, mein lieber Kollege! — Heiterkeit bei der SPD — Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Du machst aber jetzt einen schlechten Eindruck!)

— In dieser freundlichen Runde lasse ich mich nicht provozieren.
In den soeben angesprochenen Fragen liegen aber die Probleme.
Ich nehme jetzt einmal den Begriff des Sanierens auf. Keiner hat hier gesagt, was man darunter verstehen soll. Mit dem Wort „Sanieren" können wir uns durchaus anfreunden. Situationen verbessern, sanieren — so weit, so gut. Ich habe ja auch soeben gesagt, daß wir das im öffentlichen Bereich — auch im Treuhandbereich — tun. Wenn ich dazu auch noch die SPD-Parteiprogramme, andere Parteiprogramme und über Jahrzehnte entwickelte Verhaltensweisen zu Hilfe nehme, dann weiß ich aber doch, was aus diesem Stichwort wird. Aus dem Stichwort „Sanieren" wird ein größerer Staatsanteil. Dann werden mehr Unternehmen an der Brust des Staates erhalten. Dann werden mehr Steuergelder gebraucht. Dann werden mehr Beamte und weitere öffentliche Bedienstete benötigt. Das alles wäre die Quintessenz; denn durch den Begriff „Sanieren" können wir durchaus ein bißchen durchschauen, um uns vorzustellen, was dabei am Ende herauskommt.
Ich sage Ihnen ganz klar: Wir von der F.D.P. sind weiterhin für den Vorrang des Privatisierens. Das ist die beste Sanierung, weil sie damit mehrere Ressourcen, mehrere Kapitalgeber, mehr persönliches Engagement und mehr Verantwortung in den Aufbau der fünf neuen Bundesländer hereinbringen, als dies der Staat schaffen könnte. Der Staat wird an dieser Stelle maßlos überschätzt. Er darf nicht alles. Das ist in einem anderen Teil der Debatte heute deutlich geworden. Er kann auch nicht alles. Diese Aufgabe so auf den Staat und auf das Sanierungsverlangen zuzuspitzen, heißt schlichtweg, nicht voranzukommen, weil Sie so die Ressourcen überstrapazieren oder deutlich mehr Abgaben und Steuern vom Bürger erheben müßten. Das ist das Kernproblem.
Auf der einen Seite wollen Sie zwar mehr, auf der anderen Seite aber beklagen Sie die Kreditfinanzie-



Werner Zywietz
rung und den Aufwand des Staates. Das müssen Sie erst einmal erklären, wie Sie diese beiden Enden zusammenbringen wollen. Ihre diesbezüglichen Vorstellungen sind voller Widersprüchlichkeiten.

(Wolfgang Roth [SPD]: Sie bezahlen doch Leute fürs Nichtstun, unglaublich viele Leute, die nichts tun dürfen!)

— Leute an die Arbeit zu bringen, das ist sicher eine Aufgabe, die uns allen noch besser gelingen müßte. Darüber bin ich mir im klaren. Aber ich halte, um dies ganz klar zu sagen, den Begriff des Sanierens in dem Treuhandgesetz — dort heißt es jetzt: privatisieren und verwerten — für problematisch. Darüber kann man nachdenken. Er wird jedoch bereits dort praktiziert, wo dies ökonomisch sinnvoll ist, deshalb muß er nicht mehr unbedingt in das Gesetz aufgenommen werden. Hierbei handelt es sich bereits um einen praktizierten Sachverhalt.
Wenn Sie dennoch für eine gesetzliche Aufnahme sind, es sich also um einen einklagbaren Anspruch handeln soll, dann bekommen wir eine andere Wirtschaftspolitik, bei der am Ende die Subventionen und der Staatsanteil deutlich höher liegen werden. Ich sehe nicht, wo die Besserung liegen wird. Das wird zu einer öffentlichen Geldverschwendung großen Stils. Das ist bereits jetzt sehr deutlich geworden.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Roth [SPD])

— Herr Kollege Roth, sagen Sie mir einmal, wo der Staat besonders gute Referenzen als effizienter Sanierer hat. Ich habe mir einmal überlegt, wo der Staat, wenn er managt, das besonders gut gemacht hat. Mir ist dazu nichts eingefallen. Stattdessen — gerade wenn ich zu Ihnen herüberschaue — fallen mir einige Dinge ein, die besonders mißlungen sind. Ich will jetzt aber nicht nur die Neue Heimat erwähnen.

(Wolfgang Roth [SPD]: Ich hoffe, Sie haben Aktien bei der VIAG! Das ist ein schönes Papier geworden!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1209512100
Herr Abgeordneter Zywietz, gestatten Sie zwei Zwischenfragen?

Werner Zywietz (FDP):
Rede ID: ID1209512200
Ja, wenn sich die beiden Fragesteller auf die Reihenfolge verständigen können, dann bin ich gern dazu bereit.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1209512300
Bitte sehr, Herr Dr. Schnell.

Dr. Emil Schnell (SPD):
Rede ID: ID1209512400
Kollege Zywietz, teilen Sie die Ansicht, daß es Listen gibt, in denen sanierungsfähige Betriebe aufgeführt sind, daß man diese tatsächlich saniert, und zwar aktiv, massiv und möglichst schnell, und daß man dies in der augenblicklichen Phase, in der wir uns derzeit befinden, auch an der Brust der Bundesrepublik — vielleicht in diesem Falle an der Brustwarze — tun muß?

Werner Zywietz (FDP):
Rede ID: ID1209512500
Na, ob die soviel bringt? — Ich bin sehr dankbar für diese Nachfrage, Herr Kollege. Ich bin in der Tat folgender Meinung: Wir müssen uns darüber unterhalten, was wir eigentlich unter Privatisierung verstehen. Man kann Unternehmen — soviel verstehe ich auch davon — in schwierigen Phasen in ein ökonomisches Gleichgewicht bringen, indem man Aktiva verkauft, das geschieht auch bei uns bei Firmen, die ein bißchen notleidend sind. Dann wird Tafelbesteck verkauft, sprich Grundstücke und, und, und. Dann haben Sie eine ausgeglichene Bilanz. Nur, was Sie nicht haben, ist ein saniertes Unternehmen. Sie haben eine Periode, wo Ausgaben und Einnahmen in Übereinstimmung sein mögen, aber Sie haben deswegen noch lange kein Unternehmen, das saniert ist und sein Geld am Markt verdienen kann. Sie können eine Trabifabrik durch Veräußerung von Grundstücken ein Jahr in die Balance bringen, aber die Trabis werden Sie nach wie vor nicht am Markt verkaufen können. Wenn ich so die Sanierung verstehe, dann müssen Sie weiß Gott mehr tun, als nur mit etwas Staatsknete mal für eine Periode eine ausgeglichene Bilanz hinzubekommen.

(Zuruf von der SPD: Davon redet kein Mensch!)

Das ist der Kern der Dinge! Das kann nicht Vater Staat. Wer soll denn das machen?
Da ist mir die Privatisierung und das Engagement der Geschäftsführung, der Vorstände, der Aufsichtsräte zigmal lieber.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1209512600
Herr Abgeordneter Zywietz, wenn ich Ihnen die Antwort nicht anrechnen soll, darf sie aber auch nicht allzu lang sein, denn sonst kommen wir in große Schwierigkeiten. Ich bitte daher, vielleicht die nächste Frage stellen zu wollen.

Dr. Emil Schnell (SPD):
Rede ID: ID1209512700
Meine zweite Frage ist natürlich —

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1209512800
Nein, das gilt entsprechend der Geschäftsordnung für den Kollegen, der hinter Ihnen steht, wenn Sie sich einmal umschauen würden.

(Heiterkeit)

Bitte schön!

Dr. Nils Diederich (SPD):
Rede ID: ID1209512900
Lieber Kollege Werner Zywietz, ich freue mich ja, daß wir jetzt hier in den Dialog kommen; nur reicht es ja nicht aus, auf dem Begriff „Sanierung" einfach herumzuhacken.
Sind wir uns nicht aus den Diskussionen im Unterausschuß einig, daß wir feststellen, daß die Treuhand unter dem Zwang, möglichst schnell privatisieren zu müssen, in der Regel so stark abspeckt, daß eben nur noch das Tafelbesteck, sprich Grundstücke und Immobilien, übrigbleiben?
Könnten Sie mir beipflichten, daß es insbesondere im Interesse des Erhalts von eigenständigen Unternehmungen, die eben nicht nur verlängerte Werkbänke sind, sinnvoll wäre, hier längerfristige Übergangsräume vorzusehen, die eine Sanierung vor die Privatisierung schalten?

Werner Zywietz (FDP):
Rede ID: ID1209513000
Es wird täglich saniert, und das Abspaltungsgesetz hat ja den Zweck, daß wir eigenständige, in sich funktionierende Unternehmen



Werner Zywietz
schaffen wollen in erhöhter Zahl. Das ist doch die Linie, den Weg beschreiten wir.
Was das Sanieren anbelangt, kann ich nur noch einmal sagen: Es geht darum, marktfähige Produkte in den Unternehmen herzustellen, Leistungen oder Produkte, um das exakt zu sagen. Solange das nicht gelingt, geht alles am Kern der Sache vorbei! Das ist ein Faß ohne Boden.
Wenn ich mich frage: Wer kann Unternehmen auf marktfähige, verkaufbare Leistungen und Produkte umstellen, dann fällt mir bei Vater Staat so unendlich viel nicht ein. Dann schaue ich auf Geschäftsführung, dann schaue ich auf Vorstände, dann schaue ich auf Aufsichtsräte, und ich achte darauf, daß ich Leute in Verantwortung bekomme, daß ich die Belegschaft motiviere. Dann verbessere ich im Sinne von Sanieren die Position von Unternehmen und damit auch die Lebenspositionen von Arbeitnehmern und damit Mitbürgern.
Daran ist uns gelegen. Deswegen ist Privatisieren nichts Schlechtes, sondern der richtige Weg, die Lebenssituation von Unternehmern, möchte ich beinahe einmal sagen, deren Arbeitnehmern und Mitbürgern zu schaffen, und nicht ein etwas sanftes Tuch darüberzuhängen, daß wir hier mit einem staatlichen Schnipp die Dinge in die Reihe bekommen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1209513100
Nunmehr, Herr Abgeordneter Zywietz, lasse ich die Uhr wieder laufen.

Werner Zywietz (FDP):
Rede ID: ID1209513200
Ich möchte bei dem Punkte, der mir nicht ganz uninterressant zu sein scheint — das machen die Reaktionen ja deutlich — sagen: Wir sind doch alle davon beseelt, der wirtschaftlichen Situation in den neuen Bundesländern voranzuhelfen. Über den Weg diskutieren wir an einigen Stellen kontrovers.
Ich sage schlichtweg: Ich bleibe auf der Linie, die von der F.D.P. vertreten wird: Vorrang für Privatisierung, wo es geht, und wenn es nicht in den großen Einheiten geht, wie wir sie geerbt haben, dann müssen sie sinnvoll aufgeteilt werden. Das ist der Weg! Sanieren im Sinne von Verbessern läuft täglich. Das ist auch meine Erwartung. Da kann man noch mehr Nachdruck machen in den Unternehmen. Die haben doch bezahlte Geschäftsführer. Diese sind doch nicht dazu da, nur etwas zu verwalten, sondern diese können ihre Berufskunst darin erproben, wie sie die ihnen anvertrauten Unternehmen täglich oder allmonatlich in einen besseren Zustand bringen. Ich weiß auch, daß die besten Stücke, wenn man einmal so sagen darf, privatisiert worden sind und daß es im weiteren Verlauf etwas schwieriger wird zu privatisieren und daß man eine Vorbereitung braucht.

(Zuruf von der SPD: Ich zeige dir gerne in meine Wahlkreis Beispiele, die das widerlegen, was du sagst!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1209513300
Herr Abgeordneter Zywietz, die Abgeordnete Frau Philipp möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Sie gestatten das. Bitte sehr, Frau Abgeordnete.

Ingeborg Philipp (PDS):
Rede ID: ID1209513400
Die Menschen in den neuen Ländern — und das sind nicht wenige — stehen unter einem Kapitalismusschock, der ganz, ganz tief sitzt. Sie sind sehr tief verunsichert, sie wagen keinen Widerstand und sitzen in der Ecke. Ich möchte Sie fragen: Die westliche Welt hat einen Ruf zu gewinnen oder zu verlieren. Wie wollen Sie diesen Anforderungen begegnen?

(Werner Schulz [Berlin] [Bündnis 90/ GRÜNE]: Das ist eine philosophische Frage! Sie haben eine Stunde Zeit zur Beantwortung dieser Frage!)


Werner Zywietz (FDP):
Rede ID: ID1209513500
Herr Schulz, Sie sind ein Scherzbold.

(Heiterkeit)

Wir tun das doch auch und brauchen uns hier nichts wechselseitig vorzuhalten. Ich habe die Situation nicht so geschaffen, wie sie ist, aber wir bemühen uns redlich, sie mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu verbessern. Das sollten Sie auch einmal in aller Fairneß zur Kenntnis nehmen. Man kann sich nicht nur hinstellen und sagen: Uns muß geholfen werden, wir machen alles richtig, und die anderen müssen mehr liefern und kräftiger in die Speichen greifen, um die Überlegenheit der Marktwirtschaft zu dokumentieren. Das ist doch nicht die Arbeitsteilung im vereinten Deutschland, sondern es ist im Moment eine Leistungsbereitschaft mehr im westlichen Teil des Landes gegeben, soweit sie sich über die Steuermittel ausdrückt, aber auf der anderen Seite muß auch mitgearbeitet werden, damit dort Gewerbeflächen vorhanden sind, damit die administrativen Abläufe schneller gehen und und und. Das ist eine Eigenleistung, die sie zu erbringen haben. Das abgeschickte Geld reicht allein nicht aus, wenn nicht auch die Bereitschaft gegeben ist, es sozusagen aufnahmefähig zu machen für Investitionen und Firmenführung. Das ist doch der entscheidende Punkt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das muß einmal gesagt sein!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1209513600
Meine Damen, meine Herren, Herr Abgeordneter Zywietz, wenn nicht durch dieses Zwischenspiel Ihre Redezeit verdoppelt werden soll, dann bitte ich um Verständnis, daß ich jetzt weitere Zwischenfragen nicht mehr zulasse.
Bitte schön, fahren Sie bitte in Ihrer Rede fort.

Werner Zywietz (FDP):
Rede ID: ID1209513700
Ich lege Wert darauf, für die F.D.P. noch einmal festzustellen, daß der Vorrang der Privatisierung gegeben ist und daß nicht ein Gleichklang von Privatisierung und Sanierung der richtige Weg ist. In Ausnahmefällen ja, aber es ist eine Nachrangigkeit. Die Gleichwertigkeit führt nur zu einem teuren, unproduktiven Ausweiten des Staatsanteils mit einem Subventionsschwanz, an dem wir noch lange zu kauen haben. Dies ist ein verkehrter Weg, wenn er zur Generallinie erhoben wird durch Einbringen der Begriffe privatisieren, sanieren, stillegen oder verwerten. Das ist nicht der richtige Weg.
Ich möchte Ihnen auch noch sagen: Stillegen, liquidieren, wie das auch heißt, ist ein hartes Wort, aber manchmal ist es besser, rechtzeitig zu klaren Erkennt-



Werner Zywietz
nissen zu kommen, Schlußfolgerungen daraus zu ziehen und etwas Neues aufzubauen.
Ich sage Ihnen auch: Es gab auch auf unserer Seite einmal Diskussionen, ob die Borgward-Werke in Bremen — fällt mir gerade ein — stillgelegt werden sollen. Da hat man gesagt: Ganz schlimm! Heute ist man froh darüber, denn an der gleichen Stelle auf dem gleichen Gelände stehen heute die Mercedes-Werke, und die Stadt und die Bevölkerung und die Arbeitnehmer können sich freuen, daß sie über ein anderes Management ein gutes Produkt erbringen können und Arbeitsplätze haben. Ich will damit nicht ein Loblied auf Stillegung singen, aber nur zu sagen, Stillegung ist unsozial, ist kalt, ist sinnlos, stimmt auch nicht, sondern man muß — —

(Dr. Uwe Jens [SPD]: Aber 50 % Arbeitslosigkeit! — Das funktioniert doch so nicht!)

— Wenn ich ein Produkt nicht mehr verkaufen kann, hat eine künstliche Beatmung irgendwann keinen Sinn mehr. Tot ist dann tot, und dann müssen Sie etwas Neues aufbauen, wenn Sie es gut meinen mit den Arbeitnehmern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Da helfen alle Wortverdrehungen nicht. Dann nutzen Sie lieber die Flächen, die vorhandenen Arbeitnehmer, sofern sie einsatzbereit sind, und die anderen Produktionsfaktoren, die da sind und fangen mit neuem Schwung und neuen Konzepten an, bevor das ein schleichendes Siechtum ist, das nur Geld kostet und keinem etwas Vernünftiges bringt. Das ist der Punkt der Angelegenheit.

(Wolfgang Roth [SPD]: Sie wissen wirklich nicht, worüber Sie reden in der Industrie! Wo sind denn die lustfreundlichen Unternehmer?)

— Kollege Roth, wenn Sie mich hier so anmachen: Sie gehören doch eher zu der Kategorie, die von der Universität gleich ins politische Geschäft gewechselt ist. Ich habe da wenistens noch ein paar Jahre richtig handfest gearbeitet. Darüber können wir uns einmal austauschen.

(Wolfgang Roth [SPD]: Sie haben es ja nötig!)

Wenn Sie schon so anfangen, dann können wir das auch. Dann stehen Sie zu Ihrem Lebensweg. Ich habe da ein bißchen mehr von der Praxis mitbekommen. Verlassen Sie sich darauf!
Die Wortkunst reicht nicht, wenn die Taten fehlen; ich will jetzt nicht Lafontaine nennen. Ich bin sehr allergisch und sehr sensibel, wenn man so stramme Worte nennt wie das „große Teilen", dann aber für sich einteilt. Man soll einmal richtig hinter die Begriffe schauen.

(Wolfgang Roth [SPD]: Mein Gott, auf welches Niveau rutschen Sie jetzt!)

— Nein, das ist das richtige Niveau.

(Wolfgang Roth [SPD]: Ist es das, was Sie zustande kriegen?)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1209513800
Herr Abgeordneter, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre Rede fortführen.

Werner Zywietz (FDP):
Rede ID: ID1209513900
Lassen wir das an dieser Stelle.
Ich möchte feststellen, daß die Strategie, die wir eingeschlagen haben, die richtige ist, wenn auch nicht mängelfrei. Wir setzen aber erhebliche Ressourcen ein und setzen auch die Treuhand weiterhin instand durch einen Kreditermächtigungsrahmen von 30 Milliarden DM pro Jahr auf einer Basis von 150 Milliarden DM, über die die Treuhand schon jetzt per Kreditaufnahme zur Verbesserung der Wirtschafts- und Lebenssituation verfügt hat. Das heißt, mit Ablauf dieser Legislaturperiode werden 250 Milliarden DM auf diese Weise für Privatisierungs- und Sanierungsarbeiten zum Wohle der Bevölkerung eingesetzt sein. Das ist ein erheblicher Betrag.
Was wir uns von seiten der F.D.P. wünschen, ist die Tatsache, daß die Treuhand nicht durch eine Ermächtigung 30 Milliarden DM an Dispositionskredit bekommt und sich ansonsten von Parlament und politischer Verantwortung und Kontrolle weit entfernt fühlt. Wir legen vielmehr großen Wert darauf, daß über die Verwendung dieser Mittel im strategischen Ansatz und in der Effizienz ein vernünftiger Dialog mit dem Parlament und insbesondere den Teilen im Finanz- und Haushaltsbereich, die dafür eine besondere Verantwortung tragen, gepflegt wird. Die Aufgabe ist viel zu groß, die Mittel, die bereitgestellt werden, sind viel zu hoch, als daß sie in einer großen Wundertüte verabreicht werden könnten.
Ich sage, was die Kontrolle anbelangt, ganz klar: Was die Aspekte der größeren Einflußnahme auf die Budgetgestaltung der Treuhand und die Budgetkontrolle anbelangt, bin ich seitens der F.D.P. mit einigem, was ich dem Antrag vom Bündnis 90 entnommen habe, voll einer Meinung. Es bleibt aber dabei: Privatisierung hat Vorrang. Der Einbau des Sanierungsziels ist nicht vonnöten, weil bereits in den richtigen Grenzen praktiziert.
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1209514000
Das Wort hat der Abgeordnete Werner Schulz.

Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1209514100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben hier schon oftmals fruchtlos über die Treuhandanstalt, ihre Politik und ihren gesetzlichen Auftrag debattiert. Ich habe Sie, Herr Kollege Zywietz, in diesem Zusammenhang schon oft das Klagelied über die Treuhand anstimmen gehört, sicherlich besser und vielsagender, als Sie das heute getan haben.
Mir ist lediglich aufgefallen, daß Sie dieses wirtschaftspolitische Desaster nicht in vollem Umfang erkennen. Ich glaube, das hat Methode,

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

weil es an politischem Gestaltungswillen mangelt. Was sich hier ereignet, ist unterlassene Hilfeleistung.



Werner Schulz (Berlin)

Das, was Ihrer Partei, auch der CDU, zu Recht zugebilligt wird, daß sie wirtschaftspolitische Kompetenz besitzt, bezweifle ich in diesem Falle. Ich glaube, es rührt aus den Gründungs- und Aufbaujahren der Bundesrepublik her. Diese sind längst abgeschlossen.
Sie haben das Problem überhaupt nicht erfaßt. Wir befinden uns in einer einzigartigen Transformationskrise: Ein Wirtschaftssystem ist auf das andere ein-oder umzustellen. Sie haben einen Aufwertungsschock ausgelöst, nicht den Schock, von dem Sie gesprochen haben und den ich nicht kenne. Daran ist diese Wirtschaft zerbrochen. Nun weigern Sie sich, diesen Beinbruch in irgendeiner Weise zu schienen.
Es überzeugt mich überhaupt nicht, wenn Sie sagen: Der Staat ist ein schlechter Sanierer. Meinetwegen, ich nenne Ihnen genauso viele Privatunternehmen, die schlechte Sanierer sind. Man kann genügend Beispiele entgegensetzen. Wenn aber niemand saniert, dann doch bitte schön wenigstens der Staat. Selbst wenn er das schlecht macht, ist es an dieser Stelle doch noch besser als gar nichts.
Ich will darauf hinweisen, daß unsere Gruppe bereits vor einem Jahr einen umfassenden Gesetzentwurf zur Neuregelung der Arbeit der Treuhandanstalt eingebracht hat, der diesen Sanierungsauftrag und die auch von Ihnen zugestandenen notwendige demokratische Kontrolle und Transparenz, die ökologische Orientierung, die Entlastung von sachfremden Finanzleistungen — worauf es ja ganz besonders, glaube ich, bei der Treuhandanstalt auch ankommt — und weitere Gesichtspunkte berücksichtigt.
Die Notwendigkeit dieser Initiative wird durch die zaghaften Akzentverschiebungen, welche die Bundesregierung mittlerweile bei der Treuhandanstalt zugelassen hat, überhaupt nicht beeinträchtigt.
Immer noch hängt die Hälfte der industriellen Unternehmen Ostdeutschlands am Tropf dieser verunglückten Treuhandanstalt, der gerade von der lebenserhaltenden Infusionslösung nur soviel durchläßt, daß der Patient nicht vorzeitig aus dem Handelsregister scheidet.
Eigentlich sollte die Zeit des Redens, wie wir das gerade erlebt haben, vorbei sein und die Zeit des entschiedenen Handelns gekommen sein. Aber die Bundesregierung scheut sich nach wie vor, diesen unhaltbaren Zustand zu beenden und entschiedene Kurskorrekturen vorzunehmen.
Sie fürchtet offenbar, den westlichen Unternehmen unliebsame Konkurrenten im eigenen Land heranzuziehen, wenn die Treuhandanstalt mit dem Sanieren ernst macht. Eben diese Angst ist es auch, die aus der Stellungnahme der Wirtschaft, etwa dem Positionspapier des Gemeinschaftsausschusses der Deutschen Gewerblichen Wirtschaft, zur Treuhandanstalt herauszulesen ist. Überall da, wo ernsthafte Konkurrenz von Treuhandunternehmen entstehen könnten, wird von Wettbewerbsverzerrungen, Subventionierung unrentabler Unternehmen und Strukturkonservierung gesprochen oder diese gewittert.
Natürlich sind die meisten Treuhandunternehmen heute unrentabel. Natürlich haben sie eine der Marktsituation unangemessene Struktur. Aber gerade deswegen müssen sie ja neu strukturiert und rentabel gemacht werden. Eben das ist das Ziel der Sanierungspolitik, das die westdeutsche Industrielobby gern verhindern möchte.
Die Rolle der westdeutschen Wirtschaft für die Entwicklung in Ostdeutschland ist — Ausnahmen bestätigen diese Regel — alles andere als förderlich gewesen. Selbst Herr Schöde, der Pressesprecher der Treuhandanstalt, räumt heute ein, daß die ostdeutschen Unternehmen, die frühzeitig Kooperationen mit westdeutschen Firmen eingegangen sind, in aller Regel schlechter damit gefahren sind als diejenigen, die sich allein haben durchbeißen müssen. Sie erkennen diese Joint-Venture-Vorhaben, die es damals gegeben hat.
Die westdeutschen Unternehmen haben an der deutschen Einheit glänzend verdient. Aber die im Osten entstandenen Gewinne sind nicht für Investitionen in Ostdeutschland verwendet worden, sondern haben lediglich die Liquiditätspolster der Westunternehmen gefüttert. Das ist nachweisbar. Schauen Sie sich die geringen Investitionen an, die da eingesetzt werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch gar nicht!)

— Aber selbstverständlich. Das ist selbst dem Bundespräsidenten aufgefallen. Wenn es Ihnen nicht auffällt, dann weiß ich nicht, was man da noch aufrütteln kann.
Wir fordern deshalb die Einführung einer Investitionshilfeabgabe der westdeutschen Wirtschaft, mit anderen Worten, ein Re-Investitionsgebot-Ost.
Ich glaube, wir müssen uns folgender Erkenntnis stellen: Wenn die Treuhandanstalt zu einer entscheidenden Sanierungspolitik nach volkswirtschaftlichen Kriterien übergeht — und sie entgegen allen Unkenrufen damit auch erfolgreich ist —, dann wird dies auch Folgen für Umsätze, Gewinne und Arbeitsplätze in Westdeutschland haben. Denn es gibt im Grunde genommen keine anderen Märkte für die ostdeutschen Unternehmen als die, auf denen die westdeutschen heute schon sind. Die traditionellen Ostmärkte sind eigentlich dahin und weggebrochen, obwohl die Bundesregierung hier natürlich mehr tun könnte durch Hermes-Kredite, durch Kompensationsgeschäfte. Diese Dreiecksgeschäfte sind, glaube ich, frühzeitig aufgegeben worden. Hier würde sich manches noch machen lassen. Aber diese Ostmärkte, wenn sie eines Tages wieder aufnahmefähig sein werden, werden dann sicherlich nicht exklusiv nur für ostdeutsche Anbieter zur Verfügung stehen.
„Teilen verbindet", diese Formulierung ist schon so abgedroschen. Es ist das Leitthema der Gewerkschaften. Es ist aktueller denn je. In unserem Kontext bedeutet dies, den ostdeutschen Unternehmen die Chance zu geben, auf diese traditionellen Märkte der westdeutschen zu kommen und erfolgreich zu sein, auch ohne die Voraussetzung, vorher von Westunternehmen gekauft worden zu sein.
Ich will kurz auf die hier vorliegenden Gesetzentwürfe eingehen. Zum Gesetzentwurf der PDS ist wenig zu sagen. Es handelt sich hier um eine Neuauf-



Werner Schulz (Berlin)

lage des bereits im vergangenen Jahr im Bundestag abgelehnten Gesetzentwurfes. Das Kernanliegen, den Sanierungsauftrag der Treuhandanstalt in den Vordergrund zu rücken, wird allerdings nicht dadurch weniger berechtigt — Herr Carstens ist nicht mehr da —, daß es auch von der PDS vertreten wird.

(Zurufe: Doch!)

— Ach so, Sie haben die Reihe gewechselt. — Danke.

(Zuruf von der CDU/CSU: Er ist immer präsent!)

— Ich hätte mich auch gewundert; er ist sonst immer ein aufmerksamer Zuhörer im Haushaltsausschuß.
Die SPD hat sich ausgesprochen schwergetan, einen eigenen Gesetzentwurf zustande zu bringen. Wenn ich mich nicht täusche, hat es über ein Jahr gedauert, um die Ankündigung dieses Entwurfs in die Tat umzusetzen. Allzuviel Neues ist hei diesen Bemühungen jedoch auch nicht herausgekommen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß ein Teil der SPD-Fraktion den vorliegenden Entwurf nur sehr halbherzig trägt und sich redlich bemüht hat, ihn zu verzögern, offenbar mit Erfolg.
Aber immerhin hat sich nun die SPD-Fraktion als ganze dazu durchgerungen, den Sanierungsauftrag deutlich in das Treuhandgesetz hineinzuschreiben. Unseren Glückwunsch an dieser Stelle.
Wie Sie vielleicht wissen, hat sich der Wirtschaftsausschuß auf eine Anhörung zur Treuhand verständigt, die hoffentlich im Herbst dieses Jahres stattfinden kann. Dort wird noch einmal Gelegenheit sein, dieses Thema zu erörtern und die Gründe für die Blockade der Bundesregierung gegenüber entschiedener Sanierung durch die Treuhandanstalt offenzulegen. Diese Verweigerungshaltung muß die Bundesregierung endlich aufgeben. Sie kostet Tag für Tag Arbeitsplätze und Zukunftschancen; letztlich zerstört sie, soweit überhaupt noch vorhanden, die industrielle Substanz der ostdeutschen Wirtschaft. Dies nützt kurzfristig einigen, schadet vielen, am Ende wahrscheinlich sogar allen.

(Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1209514200
Nunmehr erteile ich dem Senator für Wirtschaft und Technologie des Landes Berlin, Dr. Meisner, das Wort.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1209514300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie, daß ich als ein Wirtschaftspolitiker, der in einem Teil alter Bundesrepublik und in einem Teil ehemaliger DDR die Verantwortung habe, hier das Wort ergreife. Das heißt also, ich habe Kenntnis und stehe in der Tradition der alten Bundesrepublik. Ich sehe im Ostteil meiner Stadt, wie sie als Teil Ostdeutschlands mit den besonderen Problemen einer Großstadt und der ehemaligen Hauptstadt der DDR mitten in diesem Strukturumbruch drinsteht.
Ich habe auf die Traditionen der alten Bundesrepublik hingewiesen, weil dazu natürlich auch der Begriff der Sozialen Marktwirtschaft gehört. Was heißt denn aber Soziale Marktwirtschaft eigentlich anderes, als daß notwendiger Strukturwandel begleitet wird, und zwar so, daß er sozial abgefedert ist und daß er für die Menschen erträglich gemacht wird? Das hat der alten Bundesrepublik Stabilität verliehen, soziale und wirtschaftliche Stabilität.
Nun frage ich mich als Ostdeutscher, warum das, was in Westdeutschland über Jahrzehnte galt und sich bewährt hat, für die Menschen in Ostdeutschland jetzt nicht gelten soll. Als Wirtschaftspolitiker bin ich natürlich darüber besorgt, daß hier offensichtlich auf einen Faktor an Stabilität verzichtet werden soll. Ich muß sagen, ich bin über die Rede des Herrn Staatssekretär Carstens, die ich vorhin hören durfte, den ich gut kenne und persönlich sehr schätze, doch einigermaßen entsetzt. Zum einen wirft das bei mir natürlich wieder die Frage auf, ob es richtig ist, daß die Treuhand dem Bundesfinanzministerium nachgeordnet ist, die sie offensichtlich ausschließlich unter fiskalischen Gesichtspunkten sieht.

(Beifall bei der SPD, dem Bündnis 90/ GRÜNE und der PDS/Linke Liste)

Zum anderen muß ich dagen: Herr Carstens, diese Debatte sollte schon einmal vor ein paar Tagen in Berlin stattfinden. wenn sie jetzt aber hier stattfindet und ich Sie höre, frage ich mich: Wie weit weg sind Sie eigentlich von den Problemen, die tatsächlich im Gebiet der ehemaligen DDR vorhanden sind?

(Beifall bei der SPD, dem Bündnis 90/ GRÜNE und der PDS/Linke Liste)

Worum geht es denn? -- Ausweislich aller Zahlen und aller Einsichten wird bei den Betrieben, die noch von der Treuhand gehalten werden — das sind eine ganze Menge —, zuwenig saniert. Zuwenig saniert heißt: Es werden zuwenig Innovationen von Betrieben vorangetrieben, es wird zuwenig investiert, zuwenig modernisiert. Gleichzeitig kann die Treuhand in der derzeitigen konjunkturellen Situation auch nicht schnell genug privatisieren. Die Folgen für die Industriestruktur Ostdeutschlands, für die soziale Lage der Menschen und für die Zukunft des gesamten Wirtschaftsstandorts sind absehbar und sind hier auch schon von einigen Vorrednern geschildert worden.
Die Bundesregierung und die Treuhandanstalt weisen nun auf die hohen Summen hin — Herr Carstens hat das eben wieder getan, auch Herr Abgeordneter Zywietz —, die sie in die ostdeutschen Betriebe hineinstecken. Aber die Gelder versickern eben dort im bloßen Erhalt der Betriebe. Der Begriff „am Leben erhalten" wird dann immer gebraucht.

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Es wird nicht investiert!)

Die Gelder werden nicht in Sanierungen hineingesteckt. Die Betriebe werden kleiner und entlassen Menschen. Sie verlieren ständig an Substanz, aber kommen dadurch natürlich der Konkurrenzfähigkeit am Markt keinen Schritt näher.

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Im Gegenteil!)




Senator Dr. Norbert Meisner (Berlin)

In vielen Betrieben werden Sanierungspläne aufgestellt. Aber diese Pläne werden nicht umgesetzt, weil die Treuhand jeweils in Privatisierungsverhandlungen steht. Dann wird gesagt: Wartet doch einmal; da ist ein Investor, vielleicht hat der ein anderes Konzept; haltet einmal an! So werden Betriebe in Berlin schon eineinhalb Jahre „privatisiert". Ich sage: Sie werden zermahlen. Eineinhalb Jahre erfolgloser Privatisierungsbemühungen ohne Sanierung heißt eben: eineinhalb Jahre weiter weg vom Markt.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

Meine Damen und Herren, ich spreche hier nicht von Einzelfällen. Ich kann eine ganze Latte von Ostberliner Betrieben aufzählen, die im Verfolg der Privatisierung so zermahlen werden, wie gesagt. In manchen Betrieben gibt es auch gar keine Sanierungspläne. Ich weiß, Vertreter der Treuhandanstalt verdrehen manchmal die Augen und sagen: Na ja, die Sanierungspläne, die von dort kommen, sind doch Utopien. Immerhin sind diese Sanierungspläne von Vorständen und Geschäftsführern aufgestellt, die die Treuhand selber eingesetzt oder bestellt hat.
Was diese Praxis für eine Industriegroßstadt bedeutet, mögen Sie aus den Zahlen erkennen, die das DIW einmal geliefert hat. Von rund 180 000 Industriearbeitsplätzen im Ostteil Berlins sind zur Zeit noch 60 000 vorhanden. Das DIW schätzt, daß, wenn keine Korrekturen an der Treuhandpolitik vorgenommen werden, der freie Fall von 180 000 auf 20 000 heruntergeht. Der Senat von Berlin und die Treuhand haben sich im Frühjahr 1991 auf eine Liste von 65 Betrieben verständigt, die nach unserer Auffassung die Struktur des Wirtschaftsstandorts Berlin bestimmen. Das sind Chemie, Maschinenbau, Elektrotechnik. Diese 65 Betriebe sind in der Summe ungefähr das, was in anderen Regionen die Werften oder die Steinkohle sind.
Wir meinen, daß der Kern dieser Branchen erhalten bleiben muß, wenn Berlin auch in Zukunft eine Stadt mit leistungsfähiger industrieller Produktion sein soll. Diese 65 Betriebe sind, wie gesagt, alles Betriebe, die von der Treuhand als sanierungsfähig eingestuft worden sind. Die haben uns das erläutert. Der Ausschuß, der das dort vornimmt, hat es sich damit nicht einfach gemacht. Von diesen 65 Betrieben sind bis zum heutigen Tag 10 privatisiert. Bei den übrigen 55 Betrieben sank die Beschäftigtenzahl im Verlauf eines Jahres, des Jahres 1991, von ungefähr 100 000 auf 38 000.

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Die werden systematisch auf die Stillegung vorbereitet!)

Die 38 000 würde ich ja hinnehmen, wenn es sich um Strukturwandel gehandelt hätte, um Rationalisierung, um aktive Sanierung. Aber gerade das war nicht der Fall. Wird in diesen Betrieben nicht bald saniert, und das heißt, wie gesagt, investiert, modernisiert, dann ist die Zeit absehbar, wo wir uns um den Kern der Industriestruktur Ostdeutschlands gar nicht mehr zu kümmern brauchen.
Meine Damen und Herren, ich habe seit Herbst vergangenen Jahres dem Bundeswirtschaftsminister wiederholt vorgeschlagen, in der Treuhandanstalt
eine eigenständige Sanierungsabteilung einzurichten. Diese dritte Unternehmenssäule „Sanierung" wie sie auch der Gesetzesantrag der SPD-Fraktion jetzt fordert, böte zumindest die organisatorische Voraussetzung dafür, daß die Treuhandanstalt ihren Sanierungsauftrag bewältigen kann. Der Bundeswirtschaftsminister hat mir damals — übrigens brieflich — zurückgeschrieben, er finde diesen Gedanken interessant; der Gedanke sei in seinem Hause auch schon ventiliert worden,

(Beifall bei der SPD)

allerdings sei er der Meinung, daß die Treuhandanstalt selber ihre organisatorische Form finden müsse. Nun muß ich sagen: Das ist ein kleines bißchen wenig für einen Wirtschaftsminister in dieser wirtschaftlichen Situation Deutschlands.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, eine solche Sanierungssäule kann die Starthilfe bieten. Das ist keine Garantie, Herr Abgeordneter Zywietz, aber sie kann die Starthilfe bieten, die viele Unternehmen brauchen, um später einmal eine reelle Chance zur Privatisierung zu bekommen. So haben sie diese Chance auf keinen Fall. Das gäbe diesen Betrieben die notwendige Planungssicherheit und schaffte zugleich für Zulieferer und Kunden das notwendige Vertrauen in den Bestand des Unternehmens. Nun hören Sie sich einmal an, was Leute aus Treuhandunternehmen sagen, wenn sie mit Kunden zusammenkommen: Ihr habt ein gutes Angebot. Was seid ihr? Treuhandbetrieb? Dann lassen wir es sein. Wir wissen ja gar nicht, ob es euch morgen oder übermorgen überhaupt noch gibt.
Meine Damen und Herren, die Forderung nach einem eigenständigen Sanierungsbereich wird mittlerweile in Ostdeutschland weit über die Parteigrenzen hinaus getragen. Die Kollegen Wirtschaftsminister aus Brandenburg — das ist ein Kollege Ihrer Partei, Herr Abgeordneter Zywietz — und aus Sachsen — das ist ein Kollege Ihrer Partei, Herr Carstens — haben diese Forderung nach einer Sanierungssäule bei der Treuhandanstalt öffentlich unterstützt. Die gleiche Forderung wird auch von den beiden Regierungsfraktionen der großen Koalition in Berlin erhoben. CDU und SPD fordern, daß das Land Berlin Initiativen zur Festlegung neuer Prioritäten des Auftrags der Treuhandanstalt ergreift. Dieser gemeinsame Antrag von CDU und SPD in Berlin stimmt in weiten Teilen mit dem überein, was heute Grundlage der Debatte im Deutschen Bundestag ist und was von der SPD-Fraktion vorgelegt wurde.
Ich richte deshalb meine Bitte besonders an die Kollegen der CDU und fordere sie im Interesse der Menschen und der Betriebe in Ostdeutschland auf: Prüfen Sie doch diesen Gesetzesantrag der SPD-Bundestagsfraktion ernsthaft und verständigen Sie sich hier auf eine gemeinsame Position mit der SPD-Bundestagsfraktion!

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE — Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Die sind nicht konsensfähig!)

7860 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode 95. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Juni 1992
Senator Dr. Norbert Meisner (Berlin)

Meine Damen und Herren, es wird immer wieder ein Beitrag auch der ostdeutschen Länder eingefordert. Dabei wird manchmal vergessen, gerade bei dem Kreditrahmen, der heute erweitert wird, daß ohnehin von jeder Mark, die die Treuhand ausgibt, 50 Pfennig das Konto der ostdeutschen Länder belasten wird. Aber wir sind darüber hinaus bereit, einen Prozeß der aktiven Sanierung nach unseren Kräften zu unterstützen. Sachsen und Berlin haben ihr gesamtes Förderinstrumentarium für die Sanierung in Treuhandunternehmen zur Verfügung gestellt. Ich habe gerade der Frau Präsidentin der Treuhandanstalt angeboten, daß wir für Investitionen in Berliner Treuhandunternehmen, wenn sie denn nur getätigt werden, noch in diesem Jahr Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe in Höhe von 150 Millionen DM zur Verfügung stellen. Selbstverständlich bieten wir Landesbürgschaften an, wenn Treuhand und Bankensektor ihrerseits mit entsprechenden Investitionen überkommen.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie: Nutzen Sie den vorliegenden Gesetzesantrag, um ein gemeinsames und über Parteigrenzen hinausgehendes Zeichen zu setzen, ein Zeichen, das den Menschen in Ostdeutschland Mut macht, und das den sanierungsfähigen Betrieben die Kraft für einen Neuanfang gibt!
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1209514400
Das Wort erteile ich nunmehr dem Abgeordneten Rossmanith.

Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1209514500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht die erste Debatte, die wir hier zum Thema Treuhand führen. Ich muß sagen, es wird von Mal zu Mal anstatt sachlicher immer noch gespenstischer.

(Widerspruch bei der SPD)

— Natürlich. Das, was Sie vorbringen, insbesondere Herr Roth, entspricht in keinster Weise der Realität. Lassen Sie sich das doch einmal sagen! Ich will hier einmal wirklich festhalten: Bei aller berechtigten Kritik, die da und dort an der Treuhand zu üben ist — natürlich werden auch dort Fehler gemacht, gerade weil schnell gearbeitet und konstruktiv angegangen werden muß —, sage ich Ihnen, daß es dazu keine Alternative gibt.
Die Treuhandanstalt hat, gestützt auf den gesetzlichen Auftrag, der Privatisierung und Sanierung mit einschließt, auch die Grundlage geliefert, damit unternehmerische Freiheit an die Stelle von Sozialismus und freier Wettbewerb an die Stelle von Anweisungen des DDR-Staates, wie es damals eben war, treten konnten. Die desolate wirtschaftliche Situation — das muß man sich immer wieder vor Augen führen — in den neuen Bundesländern hat nach dem Zusammenbruch des DDR-Unrechtsstaates die Arbeit der Treuhandanstalt so schwierig gestaltet. Es werden doch hier nicht Verzögerungen oder ähnliches bewußt in Kauf genommen bzw. vorangetrieben. Wir müssen uns doch erinnern an die Ostmärkte, die weggebrochen sind, planungs-, genehmigungs- und eigentumsrechtliche Hindernisse, Chancenlosigkeit für ostdeutsche Produkte im gesamtdeutschen Wettbewerb, fehlende Infrastruktur, eine Beschäftigung, die man als solche gar nicht bezeichnen konnte. Die Menschen waren nur beschäftigt oder in Arbeitsverhältnissen. Sie waren nicht in Arbeit. Das ist die Situation, vor der wir heute stehen. Die Produktivität kann in keiner Weise mit dein mithalten, was heute marktwirtschaftlich geboten und gefordert ist. Das muß man sich immer wieder vor Augen halten, wenn man heute die Zwischenbilanzen der Treuhandanstalt ansieht.

(Zuruf von der PDS/Linke Liste: Vielleicht waren das alles Analphabeten! — Abg. Ernst Schwanhold [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1209514600
Sie sind bereit, die Zwischenfrage zu beantworten? — Bitte schön.

Ernst Schwanhold (SPD):
Rede ID: ID1209514700
Herr Kollege, ist Ihnen das Papier aus dem Wirtschaftsministerium von Wirtschaftsminister Möllemann, Aufschwung Ost, Teil 2, bekannt, in dem er genau jene Teile beklagt, die wir in unseren Gesetzentwurf aufgenommen haben, und zusätzlich beklagt, daß der falsche Vermögensanspruch „Rückgabe vor Entschädigung" noch immer aufrechterhalten wird?

Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1209514800
Da ich selber im Haushaltsausschuß Berichterstatter für das Wirtschaftsministerium bin, dürfen Sie sicher sein, daß ich die Papiere, die aus diesem Hause vom Wirtschaftsminister Möllemann kommen, natürlich auch kenne. Das ist ein Thema, über das man sich natürlich unterhalten muß. Es ist auch eine Frage des Rechtsstaates. Natürlich ist die eigentumsrechtliche Situation mit ein Punkt -- ich habe es vorhin gesagt —, der uns Schwierigkeiten macht. Aber ich trete aus rechtsstaatlichen Gründen nach wie vor für das Grundprinzip — ich sage ganz bewußt: für das Grundprinzip — Rückgabe vor Entschädigung ein. Ich glaube, so schlecht sind wir damit bisher nicht gefahren.

(Zuruf von der SPD: Ja, sind Sie auch nicht! — Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

— Wenn Sie das so lächerlich finden, ist das Ihre Sache. Ich nehme die Sache ernst. Ich freue mich über jede Privatisierung, über jedes dieser 6 500 von insgesamt 11 600 Unternehmen, die die Treuhand bisher schon privatisieren konnte. Ich freue mich über die Investitionszusagen von über 133 Milliarden DM und die Beschäftigungszusagen für 1,2 Millionen Arbeitnehmer. Darüber lache ich nicht, wie Sie es soeben getan haben.
9 400 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche wurden privatisiert. Über 7 000 Objekte der Treuhandliegenschaften wurden privatisiert. Das ist bei cien wirtschaftlichen Bedingungen, die vorgefunden wurden, eine großartige Leistung, die wir anerkennen sollten. Wir sollten uns nicht immer nur in verbaler Kritik gefallen.
Diese Zahlen zeigen auch, daß die Treuhandanstalt auf dein richtigen Weg ist und daß der gesetzliche Auftrag so erfüllt ist, wie wir ihn ihr gegeben haben.



Kurt J. Rossmanith
Herr Kollege Roth, sicherlich widerspricht Ihnen niemand, wenn Sie sagen, daß in Teilen der Wirtschaft die Belebung noch nicht in ausreichendem Maße eingetreten ist. Wir wissen das. Wir müssen aber auch sagen, was die Ursachen sind. Das ist nicht eine verfehlte Politik der Koalition und der Bundesregierung, sondern das ist der Einbruch der Wirtschaftsbeziehungen zu Osteuropa. Dennoch können wir sagen: Einzelne Lichtblicke sind durchaus erkennbar.
Betrachten wir einmal die Bauindustrie: Nur noch ein Viertel der Unternehmen ist zu privatisieren. Die Baukooperation zwischen west- und ostdeutschen Firmen ist gestiegen. Die westdeutschen Firmen investieren verstärkt. Herr Kollege Schulz, was Sie gesagt haben, tut einem schon weh. Ich sage Ihnen das in aller Deutlichkeit. Schauen Sie sich in ihrem Wahlkreis und darüber hinaus um! Ich bin sehr viel in cien alten und in den neuen Ländern der Republik unterwegs. Dort kann man hören, daß kleine, mittlere und auch größere Unternehmen zum Teil mit hohem persönlichem Einsatz Investitionen vornehmen, nicht nur nach dem vermeintlichen Profit trachten, sondern wirklich in Verantwortung für die Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern investieren. Dort will man wirklich die Probleme beseitigen helfen. Dann hört man von Ihnen, hier wird nichts getan, und wer sich engagiert, will nur möglichst viel Profit herausholen.

(Werner Schulz [Berlin] [Bündnis 90/ GRÜNE]: Zuwenig im Verhältnis zum Problem!)

So ist es nicht. — Daß es mehr sein könnte, steht außer Frage. Wir können nur jeden auffordern, in den neuen Bundesländern zu investieren. Ich tue das Tag für Tag. Ich tue das in meinem Wahlkreis und darüber hinaus. In jedem Betriebsgespräch weise ich auf die Möglichkeiten hin, die gegeben sind.
Ich glaube, daß gerade jetzt — wir haben heute ja die Zahlen gehört, daß sich das Wirtschaftswachstum wieder belebt — in diesem positiven Klima die Sanierung und die Privatisierung in den ostdeutschen Unternehmen weiter voranzubringen sein muß. Ich glaube aber, Grundvoraussetzung ist, daß von diesen Unternehmen auch DM-Eröffnungsbilanzen und sinnvolle Unternehmenskonzepte vorgelegt werden. Das ist für mich das A und O überhaupt in diesem Bereich. Ich glaube, dann kann die Treuhandanstalt durch Entschuldung von Altkrediten und Ausstattung mit branchenüblichem Eigenkapital weiterhelfen. In den meisten Fällen wird sie auch noch für die ökologischen Altlasten, die aus dem rücksichtslosen Umgang der damaligen DDR-Verantwortlichen mit ihrer Wirtschaft, mit Wasser, Boden und Luft entstanden sind, eintreten müssen.
Während in den beiden letzten Jahren den über 10 000 neu gegründeten Unternehmen erst einmal mit Liquiditätskrediten geholfen werden mußte, ohne die eine Sanierung heute gar nicht möglich wäre, weil die Unternehmen nicht überlebt hätten, gibt es heute eine ganze Reihe — auch das sollten wir erwähnen — von Möglichkeiten für eine finanzielle Begleitung der Sanierung und Privatisierung durch die Treuhandanstalt.
Neben Entschuldung und Liquiditätsbürgschaften können die Unternehmen z. B. auch Darlehen, Investitionsfinanzierungen und Unterstützung von Exportfinanzierungen auf schwierigen Märkten erhalten.
Bisher hat die Treuhandanstalt 70 Milliarden DM für die Übernahme von Altschulden, 30 Milliarden DM für die Übernahme von Bürgschaften sowie knapp 10 Millliarden DM für die Sozialpläne ausgegeben. Um weiter ihrem gesetzlichen Auftrag nachkommen zu können, muß die Treuhandanstalt auch in der Lage sein, ihren Kreditbedarf decken zu können.
Wir haben über den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf in erster Lesung bereits im März dieses Jahres in diesem Hohen Haus beraten. Wir haben auch im Unterausschuß Treuhand und im Haushaltsausschuß den Gesetzentwurf besprochen und mit Mehrheit diesem Entwurf zugestimmt.
Mit der Verabschiedung des Gesetzes hätte die Treuhandanstalt die Möglichkeit — mit Einwilligung des Haushaltsausschusses und des Finanzministers —, bis zu 30 Milliarden DM Kredit im Jahr aufzunehmen und bei unabweisbarem Mehrbedarf darüber hinaus noch einmal his zu 8 Milliarden DM im Jahr. Damit wäre die Grundlage für weitere Hilfen gelegt, um sanierungsfähige Unternehmen auf wettbewerbsfähiges Niveau zu bringen und schließlich dann auch privatisieren zu können. Dies setzt allerdings einen gezielten Einsatz der finanziellen Hilfen und kein Gießkannenprinzip voraus; davon hätte niemand etwas.
Nicht sanierungsfähige Unternehmen dürfen nicht die Mittel binden, die für die gesunden oder für die gesund zu erhaltenden oder wieder zur Gesundung hinzuführenden Unternehmen gebraucht werden.
Die Treuhandanstalt hat inzwischen eine differenzierte und konzentrierte Sanierungsbegleitung entwickelt, die den Unternehmen z. B. sogenannte Beteiligungsbetreuer zur Seite stellt, cien Verkauf von Unternehmen über Investmentbanken abwickelt oder auch Einzellösungen erarbeitet. Ich begrüße die Konzentration der Kräfte und die Intensivierung der Anstrengungen; auch im Bemühen, erfahrenes Management zu gewinnen, darf meines Erachtens nicht nachgelassen werden.
Eine gesetzliche Lösung, wie sie von der SPD vorgeschlagen wird lassen Sie mich das am Schluß noch sagen —, führt mit Sicherheit nicht zu einer schnelleren Sanierung oder zu einer schnelleren Privatisierung. Dies gilt übrigens auch für den PDS-Entwurf. Beide Entwürfe versuchen im Endeffekt nicht, der Treuhandanstalt mehr unternehmerische Freiheit zu gehen, sondern im Gegenteil, ihr eher noch Fesseln anzulegen, sie gesetzlich einzuengen. Wenn die PDS sogar das sogenannte volkseigene Vermögen nicht privatisieren, sondern reorganisieren will, dann muß ich sagen, ist das hier nur ein Mogelpaket; hier soll eine Bevormundung durch eine andere ersetzt werden. Wir werden deshalb beide Entwürfe ablehnen.
Ich meine, die Treuhandanstalt hat gezeigt, daß sie mehr und mehr in der Lage ist, die Herausforderung als Eigentümer zu meistern und ihre Unternehmen in



Kurt J. Rossmanith
die freie Marktwirtschaft zu führen. Ich bin der Überzeugung, daß sie dazu auch unsere Unterstützung verdient, wozu ich Sie alle auffordere.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1209514900
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Hinrich Kuessner.

Hinrich Kuessner (SPD):
Rede ID: ID1209515000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir schätzen die Situation im Osten unterschiedlich ein. Es hängt sehr stark davon ab, woher wir kommen. Wir sollten aber nicht verlernen, aufeinander zu hören.
Aus meiner Sicht spitzt sich die Situation in den neuen Ländern ganz erheblich zu. Zwischen dem ruhigen Leben in Bonn und dem Leben in meiner Region, in Vorpommern, stehen Welten. Der Ausgang der Wahlen in Berlin — mit dem hohen PDS-Anteil im Osten — war kein Zufall. Wenn politisch Rahmenbedingungen nicht verändert werden, rutschen wir in eine gefährliche Ost-West-Konfrontation.

(Zurufe von der SPD: Sehr wahr!)

Letzte Woche war ich mit einem CDU-Bürgermeister und dem Geschäftsführer eines Schlachthofes bei der Treuhand in Berlin. Die Kommune will den Schlachthof übernehmen. Das ist betriebswirtschaftlicher Unsinn. Alle Privatisierungsversuche sind bisher mißglückt. Der Betrieb muß abgerissen und neu aufgebaut werden. Das kostet Millionen, die die Kommune nicht hat. Es macht ganz sicher keinen Sinn, daß sich Kommunen dafür verschulden. Aber wir Politiker aus dem Osten können nicht mehr vor unsere Bürgerinnen und Bürger treten und sagen: Dieser Betrieb wird geschlossen. Kommunalpolitiker können das schon gar nicht, sie können nicht nach Bonn ausweichen, wie wir es tun. Die Menschen bei uns interessiert es nicht, wer Schuld am Niedergang der ostdeutschen Wirtschaft hat; sie wollen wissen, wie es vorangeht.

(Zurufe von der SPD: Sehr wahr!)

Sie erwarten von uns im Bundestag und von den Politikern in den Landtagen und in den kommunalen Vertretungen, daß wir Wege in die Zukunft aufzeigen.
Ich bin mir nicht mehr sicher, daß wir die innere Einheit Deutschlands ohne Schiffbruch zustande bringen. Gerade weil das so ist, müssen wir uns hier im Bundestag endlich zusammenraufen und für diese außergewöhnliche Aufgabe neue Wege gehen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

Es gibt kein Lehrbuch, in dem man hierzu Problemlösungen nachlesen kann. Man kann dies auch nicht vom Schreibtisch von Bonn aus entwickeln. Man muß die Maßnahmen zusammen mit den Menschen bei uns entwerfen und abarbeiten.
Als erstes gehört für mich dazu, daß eine regionale Strukturpolitik entworfen wird. Man kann nicht alles einfach dem Markt überlassen. In den neuen Ländern muß Politik gestaltend eingreifen, damit produktive
Arbeitsplätze erhalten werden und entstehen; nur mit ihnen ist ein Aufschwung Ost zu erreichen.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und beim Bündnis 90/GRÜNE)

Was wir brauchen, ist eine Strukturpolitik, die den einzelnen Regionen machbare Zukunftsbilder vormalt. Nur so werden wir vorankommen. Das Gesicht von Möllemann in allen Zeitungen und auf vielen Plakaten in den neuen Ländern und einige einfallslose Worte dazu, das reicht einfach nicht aus.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und beim Bündnis 90/GRÜNE)

Wenn die Bundesregierung diese Strukturpolitik hätte, könnte die Treuhand ihre Aufgabe besser wahrnehmen. Privatisierung und Sanierung und auch Stillegung von Betrieben wären eingebaut in ein Gesamtkonzept. Weil dies nicht so ist, muß jeder Betrieb alles für sich allein entwickeln.
Wogegen wir Sozialdemokraten uns besonders wenden, ist, daß Betriebe nur dann eine Chance erhalten, wenn sie sofort privatisiert werden. Es kann nicht sein, daß Betriebe, die auf dem Markt Überlebenschancen haben, zugrundegewirtschaftet werden, weil ihnen keine Investitionsmittel zur Verfügung gestellt werden. Sanierung muß endlich gleichwertig neben der Privatisierung als Aufgabe der Treuhand festgeschrieben werden.

(Beifall bei der SPD)

Es darf nicht weitere Zeit verlorengehen; denn sie ist oft nicht mehr einzuholen. Stillstand ist der Anfang vom Ende. Hier die Akzente richtig zu setzen, ist Sache des Parlaments. Die Treuhand ist ein ausführendes Organ der Bundesregierung. Die Mehrheiten im Parlament bestimmen die Grundzüge dieses politischen Handelns. Zum Glück erkennen das die Menschen in den neuen Ländern auch immer deutlicher. Am 22. Mai forderten die Regierungschefs der sechs neuen Länder von der Treuhand eine aktive Sanierungspolitik. Die Berliner Treuhand wird aufgefordert, ihre Verantwortung für regional bedeutsame Unternehmen zu verlängern, wenn sie noch nicht privatisiert werden können.
Genau das ist unsere Meinung. Tun wir dies doch endlich, damit wir aus der Sackgasse kommen; denn viel Zeit bleibt uns dafür nicht mehr. In den nächsten Monaten fallen bei den nicht privatisierten Betrieben die Entscheidungen, ob sie am Leben bleiben oder sterben. Manche Regionen sind dann voraussichtlich frei von produktiven Arbeitsplätzen. In einer Region muß festgestellt werden, welches Unternehmen saniert werden soll. Kann man es nicht verkaufen, ist das Unternehmenskonzept umzusetzen und damit die Sanierung zu bedienen.
Auch eine Privatisierung kann nicht immer einfach dem sogenannten freien Markt überlassen werden. Das negativste Beispiel für mich ist hier die Privatisierung der Werften. In einem ersten Schritt hat man die Werften in Wismar, Rostock und Wolgast verkauft. Man hat es getan, ohne die Konsequenzen der EG-Entscheidung über die Werftenkapazität für Mecklenburg-Vorpommern einzuplanen. Jetzt wird gekämpft,



Hinrich Kuessner
um die Reduzierung der Kapazität in Grenzen zu halten.
Die Sache ist jetzt so eilig, weil Auftraggeber Termine gesetzt haben. Dazu muß man sagen, daß sie schon länger auf diese Entscheidung warten. Ohne eine Entscheidung in Brüssel können die erhöhten Werftenhilfen nicht gezahlt werden. Ohne Aufträge können die Werften nicht leben, auch wenn sie später Kapazitätszuweisungen bekommen. Vielleicht sind die Werftstandorte dann ganz kaputt und hat sich wieder ein Industriestandort in nichts aufgelöst.

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Wo bleibt der schlaue Herr Möllemann?)

In der Vergangenheit hat die Bundesregierung zuviel Zeit ungenutzt verstreichen lassen. Wenn wir das jetzt nicht packen, verabschieden wir Politiker in Mecklenburg-Vorpommern uns von unserer Bevölkerung.
Strukturpolitik ist der erste Schritt einer sinnvollen Sanierung. Neben der Bereitstellung von Finanzhilfen ist die Treuhand dabei als Dienstleister gefragt. Dabei geht es um Hilfen zur Erstellung der Unternehmenskonzepte, Managementhilfen, Unterstützung bei der Beschaffung notwendiger Finanzmittel, Hilfen zur Einrichtung neuer, marktgerechter Produktionslinien sowie um Unterstützung bei der Lösung sanierungshemmender vermögensrechtlicher Fragen.

(Beifall bei der SPD)

Die Treuhand hat bei der Sanierung von Unternehmen in den letzten Monaten durchaus kleine Schritte in die richtige Richtung gemacht. Nach einer Vorlage für den Verwaltungsrat der Treuhand vom 7. Januar dieses Jahres sollen in diesem Jahr 11 bis 16 Management-KGs gebildet werden, die ihre Portfoliounternehmen führen, sanieren und veräußern. Das Ganze soll in einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren geschehen.

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Na bitte!)

Erstaunlich ist, daß das Bundesfinanzministerium den Treuhandunterausschuß hierüber erst am 21. Mai, auf meine Anfrage hin, informiert. Es handelt sich hier um einen Geschäftsvorfall von grundsätzlicher Bedeutung, der der Zustimmung des Treuhandunterausschusses bedarf. Denn nach Einschätzung der Treuhandanstalt geht es insgesamt um rund 200 Unternehmen mit einem Umsatz von ca. 24 Milliarden DM und 160 000 Beschäftigten.
Für die Durchführung von Sanierung vor der Privatisierung wird die Koalition grundsätzlich unsere Zustimmung erhalten. Eine Politik der Geheimhaltung macht hier keinen Sinn. Allerdings bin ich skeptisch; denn bisher kann ich nicht erkennen, daß die Regierung wirklich aktive Sanierungspolitik betreiben will.
Auch der Bericht des Bundesfinanzministeriums am 21. Mai zeigt, daß man heute hinter den eigenen Vorgaben bleibt. Denn das Primat der Bundesregierung liegt bei schneller Privatisierung und treibt in der Treuhandanstalt erstaunliche Blüten. Durch ein Bonussystem sollen Führungskräfte für eine schnelle Privatisierung motiviert werden. Wenn man dazu im Bericht des Rechnungshofes liest, wer alles zu den
Führungskräften gehört, nämlich auch junge, berufsunerfahrene Mitarbeiter, versteht man manches Fehlverhalten.
Ein ganz wichtiger Effekt bei der Sanierung von Unternehmen, die jetzt noch nicht privatisiert werden können, ist, daß so Menschen aus dem Osten aktiv am Geschehen beteiligt werden können. Viele Menschen entwickeln brauchbare Ideen, aber sie werden nicht gefragt. Viele Menschen sind ausgegrenzt und sehen keine Möglichkeit, an der Gestaltung des Neuen mitzuwirken. Dieser politische Grundfehler bei der Gestaltung der Einheit muß endlich durch uns beseitigt werden.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

Den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Ländern müssen Chancen für den Start in die Marktwirtschaft gegeben werden. Die Sanierung von Unternehmen ist dabei ein wichtiges Element. Anderes gehört dazu: die schnelle Klärung der Eigentumsfragen zugunsten derer, die unter dem DDR-Regime gelitten haben und die in der Region zu Hause sind; langfristige Verpachtung von landwirtschaftlichen Flächen für Wiedereinrichter und juristische Personen; Entschuldung von landwirtschaftlichen Betrieben, damit sie kreditwürdig werden; Entschuldung von Wohnungsbaugesellschaften.
Diese Chancen für einen positiven Start in die Marktwirtschaft können den neuen Ländern insgesamt verwehrt werden, wenn das Bundesfinanzministerium weiterhin die Linie verfolgt, daß die neuen Länder die Hälfte der Schulden der Treuhandanstalt zu übernehmen haben. Es wird erwartet, daß diese Schulden bis 1994 auf 250 Milliarden DM ansteigen. Unserer Meinung nach ist die Auffassung des Finanzministeriums falsch. Sie widerspricht dem geltenden Recht des Einigungsvertrages. Die Treuhandanstalt ist nach Art. 25 des Einigungsvertrags eine bundesunmittelbare Anstalt öffentlichen Rechts. Damit liegen die Aufgaben und die Finanzverantwortung ausschließlich beim Bund. Das ist anders als beim Kreditabwicklungsfonds, bei dem eine gemeinsame Schuldentragung des Bundes, der neuen Länder und der Treuhandanstalt festgelegt ist.
Es macht auch keinen Sinn, die neuen Länder so hoch zu verschulden, daß sie auf absehbare Zeit am Finanztropf des Bundes hängen. Politisch ist diese Diskussion fatal. Die Sparschraube wird für die neuen Länder immer mehr angezogen. Unter diesem Druck werden Entscheidungen gefällt, die den Start in die Marktwirtschaft bremsen und auf Dauer immer teurer machen.
Die überstürzten Entlassungen von Mitarbeitern an Hochschulen, z. B. in Mecklenburg-Vorpommern, ist für mich eine solche falsche Entscheidung. An der Greifswalder Universität sollen sehr schnell rund 1 000 Mitarbeiter entlassen werden. Zum großen Teil sind dies flexible Mitarbeiter, die die Region verlassen werden. Mit wem wollen wir neue Arbeitsplätze in der Produktion schaffen, wenn wir diesen Leuten den Stuhl einfach vor die Tür setzen?

(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist aber kein Treuhandunternehmen!)

7864 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 95. Sitzung. Borin, Donnerstag, den 4. Juni 1992
Hinrich Kuessner
— Das gehört in diesen Zusammenhang. Wir brauchen Leute, die gerade in Treuhandunternehmen Wissenschaft und Technik entwickeln.
Es breitet sich bei uns eine Stimmung aus, mit der man neue Ufer nicht erreichen kann.
Die SPD wird dem Treuhandkreditaufnahmegesetz nicht zustimmen.

(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Nicht zu fassen!)

Eine Anschlußregelung für die Kreditaufnahme der Treuhand ist notwendig. Aber mit dem Gesetz wird kein Beitrag zur Lösung der Finanzprobleme geleistet, die mit der Einheit Deutschlands aufgeworfen sind. Die Regierung schiebt das Problem nur weiter vor sich her.

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Richtig! Richtig!)

Die Verschuldung der Treuhand wird der Bund übernehmen müssen. Die tatsächliche Gesamtbelastung des Bundeshaushalts wird so nur verschleiert.

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Wolkenschieberei!)

Mißtrauisch muß man auch werden, da die Bundesregierung weder den Haushaltsausschuß noch den Treuhand-Unterausschuß an der substantiellen Beratung des Wirtschaftsplans der Treuhand für 1992 beteiligt hat. Der Planentwurf wurde nicht bei den Haushaltsberatungen 1992 eingebracht, obwohl es möglich war.

(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das soll sich jetzt ja ändern!)

Ein Entwurf war rechtzeitig erarbeitet. Dazu waren die Vorlage und darum auch die Beratung völlig unbefriedigend. Es ist richtig: Für 1993 soll sich zum Glück etwas ändern, weil endlich alle Fraktionen erkannt haben, daß das notwendig ist.

(Arnulf Kriedner [CDU/CSU]: Richtig! — Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Auch Sie!)

Eine Bewilligung des vorgelegten Verschuldensvolumens für einen Nebenhaushalt hebelt das parlamentarische Budgetrecht aus. Es darf nach unserer Meinung nicht bei der von der Bundesregierung vorgesehenen pauschalen Kreditermächtigung bleiben. Das Parlament kann hier nicht ausgeschaltet werden; denn sonst befaßt es sich damit erst bei der Übernahme der Schulden durch den Bundeshaushalt. Alle finanzwirksamen Entscheidungen der Treuhand laufen dann am Parlament vorbei. Darum fordern wir eine begleitende institutionelle oder einzelfallbezogene Parlamentskontrolle der Kreditvergabe.

(Beifall bei der SPD)

In der schon besprochenen Werftenproblematik wäre das ein nützliches Verfahren gewesen.

(Arnulf Kriedner [CDU/CSU]: Dann können wir die Treuhand allerdings gleich zumachen!)

— Das glaube ich nicht.
Es ist und bleibt unverständlich, daß das Mitspracherecht des Parlaments bei dieser großen Aufgabe völlig unterentwickelt ist. Dies muß anders werden,

(Beifall bei der SPD)

weil wir sonst in unproduktiven Debatten steckenbleiben und die Chance der politischen Gestaltung verpassen. Die Bewertung der Bevölkerung, daß wir vor allem Parteigezänk veranstalten, hat hier leider reale Ursachen.
Für die Entwicklung in den neuen Ländern ist es wichtig, daß die Bürgerinnen und Bürger erleben, daß wir Politik für sie und mit ihnen machen und daß die Treuhand alles dafür tut, daß die Regionen eine Chance für eine wirtschaftliche Entwicklung erhalten.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und beim Bündnis 90/GRÜNE)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1209515100
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Susanne Jaffke.

Susanne Jaffke (CDU):
Rede ID: ID1209515200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Redeliste durchgeschaut. Ich freue mich, daß es in den Reihen der Union Frauen gibt, die zu wirtschaftspolitischen Dingen Stellung nehmen können, dürfen und sollen. Ich bedaure sehr, daß die SPD mit ihrer Quotenregelung es nicht so gehandhabt hat.

(Wolfgang Roth [SPD]: Jetzt sind Sie aber in den Keller gegangen!)

Herr Kollege Kuessner, wir kommen zweifellos aus der gleichen Region. Sie haben sich um einen Schlachthofneubau, der zwischen unseren beiden Heimatstädten entsteht, bemüht. Noch einen an derselben Stelle zu bauen wäre wirtschaftlich unsinnig. Aber das ist das Problem: auf der einen Seite sehr viel fordern, was auf der anderen Seite sehr viel Geld kostet.
Wenn es um die Länderfinanzverteilung und die Aufteilung der Schulden geht, die die Treuhand für diese vielen Forderungen macht, dann werden wir die Solidarität der ganzen A-Länder testen.
Ich werde mich jetzt mit den Finanzen und mit dem Finanzrahmen befassen. Ich meine, über Wirtschaftliches ist schon genug gesprochen worden.
Gemäß Art. 25 Abs. 4 des Einigungsvertrags war die Treuhandanstalt ermächtigt, in den Jahren 1990 und 1991 Kredite bis zu einer Höhe von 25 Milliarden DM aufzunehmen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Regelung der Kreditaufnahme durch die Treuhandanstalt ist eine Anschlußregelung für den Zeitraum von 1992 bis 1994 beabsichtigt. Darüber hinaus sollen die Kreditaufnahme der Treuhandanstalt an den Kapitalmärkten erleichtert bzw. optimiert sowie neue Refinanzierungsmöglichkeiten erschlossen werden.
Der Gesetzentwurf sieht u. a. vor, daß die Treuhandanstalt in den Jahren 1992 bis 1994 Kredite bis zu 30 Milliarden DM pro Wirtschaftsjahr aufnehmen kann. Dieser Kreditrahmen kann mit Zustimmung des Bundesfinanzministeriums und des Haushaltsaus-



Susanne Jaffke
schusses um bis zu 8 Milliarden DM aufgestockt werden, wenn von der Treuhandanstalt ein unabweisbarer Mehrbedarf nachgewiesen werden kann. Diese flexible gesetzliche Regelung erscheint auf Grund der Prognoseunsicherheit bei der Finanzvorschau für die kommenden Jahre absolut notwendig. Bei der Übernahme sogenannter Altkredite von Unternehmen, an denen die Treuhandanstalt nicht beteiligt ist, werden diese nicht wie bisher auf den Kreditrahmen angerechnet.
Zweierlei muß allerdings sichergestellt sein: Zum einen sollte die Treuhandanstalt nur mit der Zustimmung des Bundesfinanzministeriums Kreditverpflichtungen eingehen können, nicht zuletzt um die notwendige Koordination zwischen BMF und Treuhandanstalt zu gewährleisten. Zum anderen sollte der jährliche Wirtschaftsplan der Treuhandanstalt jeweils rechtzeitig zu den beginnenden Haushaltsberatungen vorliegen.
Durch die Haftungsregelung in § 4 des Treuhandkreditaufnahmegesetzes wird die Kreditaufnahme der Treuhandanstalt erheblich erleichtert und verbilligt, da der Bund als gesetzlich Haftender in der Lage ist, Kredite zu weitaus günstigeren Konditionen auf dem Weltkreditmarkt aufzunehmen. Weiterhin werden die Schuldverschreibungen der Treuhandanstalt mit denen des Bundes, seiner Sondervermögen und der Länder gleichgestellt, was die Kreditaufnahme der Treuhandanstalt weiter erleichtert, insbesondere durch die erleichterte Zulassung ihrer Schuldverschreibungen zum Börsenhandel. Das BMF verspricht sich von der damit verbundenen Zinseinsparung eine jährliche Ersparnis von ca. 100 Millionen DM.

(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Auch die von der SPD und der PDS geforderte Änderung des Auftrags der Treuhandanstalt — in welche Richtung auch immer — wird auf Dauer keine konkurrenzfähigen Arbeitsplätze schaffen. Der Glaube der Sozialisten und wohl auch noch einiger Sozialdemokraten, daß der Staat Dinge gesetzlich nur vorzuschreiben braucht und diese dann per Staatsräson durchgesetzt werden können, ist illusionär.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch die SPD müßte langsam begriffen haben, daß sozialistische Denkmodelle auf dem Müll der Geschichte landen.

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Das ist doch kein Denkmodell! Das ist ein praktischer Vorschlag!)

— Das ist ein Denkmodell, Herr Nils Diederich. Sie wissen doch, daß ich aus dem anderen Teil Deutschlands komme. Das macht unsere Unterschiede in den Auffassungen deutlich. Deshalb bin ich in der anderen Partei.

(Zuruf von der SPD: Aus welcher Partei kommen Sie denn? — Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Gott sei Dank nicht aus Ihrer! — Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Aus der Block-CDU!)

Die Treuhandanstalt bleibt aufgefordert, weiterhin ihren erfolgreichen und schnellen Weg der Privatisierung zu gehen. Nach Auffassung meiner Fraktion sichert die Sanierung in privater Hand mehr Arbeitsplätze als eine Sanierung unter dem Dach des Staates.

(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Die Privatisierung hat sich seit dem Tag der wirtschaftlichen Einigung, dem 1. Juli 1990, als die wirksamste Hilfe für die Modernisierung der Unternehmen in Ostdeutschland erwiesen. Mehr als 130 Milliarden DM wurden bisher in private Unternehmen investiert. Allerdings muß auch den Menschen in den neuen Bundesländern klar sein, daß zu einer sozialen Marktwirtschaft auch ein Konkursverfahren gehört. Es wäre falsch, wenn der Staat den Eindruck vermittelte, ein gesetzlicher Auftrag könne dies verhindern.

(Renate Jäger [SPD]: Haben wir noch nicht genug Konkursverfahren?)

— Es mag sein, daß es noch nicht genug sind. Ich komme nicht aus einem Institut. Ich habe mein Leben lang an der Basis gearbeitet. Ich gehöre zu den 30 % der Leute, die wirklich echt gearbeitet haben. Wir haben gewußt, was wir alles auf Halde produzieren. Ich verstehe nicht, daß man das alles innerhalb von zwei Jahren so schnell vergißt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die einfachen Arbeiter haben das nicht vergessen.

(Renate Jäger [SPD]: Wer hat hier vergessen?)

— Das ist das Problem: Wer hat hier vergessen? Was wollen wir denn auf Halde produzieren, wenn es niemand kaufen will? Fragen Sie doch einmal die ostdeutsche Hausfrau! Gehen Sie in den Supermarkt und gucken Sie, was sie kauft! Vor lauter guter Überzeugung kauft sie nicht irgendwelche Ostprodukte, die ihr nicht attraktiv erscheinen. Sie will etwas Schönes haben. Das ist nun einmal so.

(Dr. Fritz Schumann [Kroppenstedt] [PDS/ Linke Liste]: Darum geht es doch gar nicht!)

— Natürlich geht es darum. Wir müssen investieren und das herstellen können, was gewünscht wird. Genauso ist es, Herr Schumann. Sie wissen doch, wie es auf der LPG war: 75 Traktoren; davon brauchten sie 40 zur Ersatzteilgewinnung.
Um es noch einmal deutlich zu machen: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung stellt sicher, daß die Treuhandanstalt für ihre Kreditaufnahme verantwortlich bleibt und außerdem der enge Kreditrahmen von 30 Milliarden DM eine Grenze für das Schuldenmaß bildet.
Auch wenn verläßliche Schätzungen bezüglich der Einnahmen bzw. der Ausgaben der Treuhandanstalt nicht möglich sind, wird das neue Treuhandkreditaufnahmegesetz helfen, immer neue finanzielle Forderungen an die Treuhandanstalt abzuwehren.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1209515300
Der Abgeordnete Arnulf Kriedner hat das Wort.




Arnulf Kriedner (CDU):
Rede ID: ID1209515400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind ja hier in einer vertrauten Runde, die an anderer Stelle wegen dieser Themen immer wieder zusammentritt und darüber auch streitet. Ich muß gestehen — ich sage ganz freimütig und gucke dabei auf alle Seiten des Hauses, aber ganz besonders in meine eigene Fraktion —: Mich enttäuscht die Anwesenheit bei dieser Debatte, vor allem die der Kollegen aus den östlichen Ländern. Das gilt für alle. Deshalb können nur die klatschen, die hier sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich meine, bei einer solchen Debatte, bei der es ja um etwas geht und die bisher bis auf einige Ausrutscher sehr fair geführt worden ist, sollten mehr Abgeordnete, die in den Wahlkreisen betroffen sind, anwesend sein.

(Zuruf von der SPD: Wir sind hier alle Ossis, alle, die auf dieser Seite sitzen!)

— Das ist ja sehr schön. Aber davon abgesehen, würde ich mir auch ein paar mehr westdeutsche Abgeordnete hier wünschen; auch die sollen ja etwas mitbekommen.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

Aber, Herr Kuessner, damit Ihre Freude nicht überschäumt: Ich habe Sie in manchem verstanden, aber in einem nicht, nämlich als Sie sagten, Sie stimmen dem Kreditgesetz nicht zu, noch nicht einmal dem Rahmen. Das steht im Widerspruch zu allem, was gesagt worden ist.

(Hinrich Kuessner [SPD]: Wir werden uns der Stimme enthalten! Sie wissen ja, wie wir es im Ausschuß gemacht haben!)

— Gut, gut; okay. Sie haben das ja erläutert.
Ich sage trotzdem: Ich habe es auch im Ausschuß nicht so recht verstanden; denn Sie hätten eigentlich zwischen dem Rahmen und der Überschreitung der acht Milliarden DM differenzieren müssen. Daß der Rahmen für die Arbeit der Treuhandanstalt notwendig ist, darüber brauchen wir nicht zu streiten. Es ging ja mehr oder minder darum, wie wir auch parlamentarisch die 8 Milliarden behandeln, die als Überschreitungsrahmen möglich sein sollen.

(Hinrich Kuessner [SPD]: Das können Sie in dem Bericht nachlesen, den auch Sie unterschrieben haben!)

Da haben wir uns eigentlich sehr fest gebunden. Wir haben von Anfang an gesagt: Diese Überschreitung verknüpfen wir mit einer Anzahl wichtiger Bedingungen. Ich zähle sie noch einmal auf, und die Bundesregierung soll das getrost noch einmal hören, Kollege Carstens, weil es wichtig ist. Wir hatten ja den einen oder anderen Anlaß, nicht nur die Treuhand, sondern auch das zuständige Ministerium wegen der Informationspolitik zu kritisieren.
Ich sage also noch einmal: Wir erwarten in der Tat, daß der Wirtschaftsplan der Treuhandanstalt rechtzeitig und nicht erst irgendwann vorgelegt wird.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)

Zweitens. Wir wollen bei so wichtigen Fragen wie denen, die hier besprochen worden sind, wenn es etwa um Bonussysteme oder dergleichen für Mitarbeiter der Treuhand geht, vorher und nicht hinterher informiert werden. Es ist ein Unding, was mit uns getrieben wird.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und beim Bündnis 90/GRÜNE)

Drittens — das hat die Debatte erbracht —: Wir wollen mit weiterer Zustimmung im Rahmen dieser Kreditermächtigung die Forderung verbinden, daß die Treuhand die Kredite zu denselben Konditionen wie der Bund aufnimmt und nicht ein Prozent mehr bezahlt. Wo kommen wir denn hin, wenn wir ohnehin Schulden machen und dann die Kreditzinsen noch besonders teuer sind! Das merken wir hier ausdrücklich an.

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Fürwahr!)

Eine solche Debatte erbringt immer sehr unterschiedliche und differenzierte Standpunkte; der eine betont dieses mehr, der andere jenes. Ich muß Ihnen sagen: Ich bin durch viele Beiträge an den Titel eines Werks des wohl berühmtesten deutschen Dichters erinnert worden. Er lautet: „Dichtung und Wahrheit" . Man kann sich natürlich seine Wahrheit immer so zurechtlegen, wie man sie braucht.

(Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/ GRÜNE]: Dann ist es nicht die Wahrheit! Hinrich Kuessner [SPD]: Manche Wahrheit erlebt man!)

— Die Wahrheit kann man sich auch zurechtlegen und dann zur Dichtung packen, Kollege Ullmann.

(Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/ GRÜNE]: Nach der Wahrheit muß man sich richten!)

Aber ich muß Ihnen sagen: Wissen Sie, wenn ich den Gesetzentwurf der SPD lese, dann stelle ich fest: Darin steht außerordentlich viel Richtiges.

(Beifall bei der SPD)

— Klatschen Sie nicht zu früh!

(Hinrich Kuessner [SPD]: Was richtig ist, muß man beklatschen!)

Ich wollte mich jetzt eigentlich mehr auf die Parenthesen beziehen, die Sie da gebracht haben. Das betrifft den zweiten Teil. Dort stimmen wir vielem zu. Aber wir lehnen es ab — ich bitte Sie, das zu verstehen; darüber ist hier viel gesprochen worden —, an irgendeiner Stelle Staatswirtschaft durch eine neue Staatswirtschaft zu ersetzen. Ich prophezeie Ihnen: Wenn Sie unproduktive Betriebe, die früher in Staatswirtschaft waren, übernehmen, sanieren und fortführen, dann wird der Staat auf diesen Betrieben hängenbleiben.

(Hinrich Kuessner [SPD]: Wie ist das in Bayern?)

— Dort bleibt er ja auch auf ihnen hängen! Das ist das schlechte Vorbild. Solche schlechten Vorbilder gibt es übrigens nicht nur im Osten, sondern auch im Westen. Wenn wir in unsere westlichen Nachbarstaaten



Arnulf Kriedner
schauen, etwa nach Großbritannien oder Italien, und die dortigen heutigen Privatisierungsbemühungen sehen, dann müßte es uns schrecken, so etwas an einer Stelle noch einmal zu versuchen.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1209515500
Herr Abgeordneter Kriedner, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Diederich zu beantworten?

Arnulf Kriedner (CDU):
Rede ID: ID1209515600
Von dem außerordentlich liebenswerten Berliner Nils Diederich immer!

Dr. Nils Diederich (SPD):
Rede ID: ID1209515700
Lieber Kollege Kriedner, Sie haben ja gerade in der geteilten Stadt Berlin im Westen viele Jahre politische Erfahrungen sammeln können. Würden Sie mir auf dem Hintergrund dieser Erfahrungen zustimmen, daß wir gerade in West-Berlin, aber auch in der alten Bundesrepublik — ich nenne das Stichwort Salzgitter — eine große Zahl von Unternehmungen und Betrieben gehabt haben, die überhaupt erst privatisierungsfähig geworden sind, nachdem die Bundesrepublik hier viele hundert Millionen Mark investiert hatte, um diese Betriebe zu sanieren und auf eine privatisierungsfähige Größe zu bringen? Und würden Sie mir nicht zustimmen, daß man aus diesen Beispielen vielleicht auch für die neuen Bundesländer Nutzen ziehen kann?

Arnulf Kriedner (CDU):
Rede ID: ID1209515800
Also, Herr Kollege Nils Diederich, ich muß Ihnen dazu folgendes sagen: Ich kann Ihnen da gar nicht zustimmen, weil ich der Meinung bin, daß viele Milliarden fehlinvestiert worden sind. Hätte man früher investiert, hätte man Fehlinvestitionen, die der Staat unternommen hat, vermeiden können. Ich kann mich durchaus nicht Ihrer Meinung anschließen. Wenn Sie an einige Berliner Betriebe denken — das wissen wir beide doch recht gut —, dann kann ich nur sagen: Wenn man sie ein paar Jahre früher privatisiert hätte, hätten das Land Berlin und der Bund viel Geld gespart, und sie wären trotzdem vernünftig saniert worden. Das sind für mich keine Beispiele.
Damit wir nicht in einen schrägen Streit geraten: Für mich ist auch die historische Vergleichbarkeit nicht gegeben, Kollege Diederich. Ich stehe ja zu einem Sanierungsauftrag der Treuhandanstalt. Ich will ja nicht so mißverstanden werden, als wollte ich die Privatisierung ganz hoch und die Sanierung ganz niedrig hängen. Ganz im Gegenteil, ich will durchaus eine Gleichwertigkeit. Allerdings streiten wir möglicherweise um den Begriff, welche Betriebe sanierungsfähig sein sollen.

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Darüber können wir uns unterhalten!)

—Darüber müssen wir uns unterhalten!
Und jetzt will ich sagen, was mich vorhin ein bißchen gestört hat: Es gibt bei der Wahrnehmung der Aufgabe der Treuhandanstalt höchst unterschiedliche Erfahrungen. Diese Erfahrungen machen wir, die wir im Treuhandausschuß sitzen, gerade ganz lebhaft. Es sind höchst unterschiedliche Erfahrungen. Ich finde, es ist unfair, wenn wir hier alles über einen Leisten ziehen und so tun, als ob die Treuhandanstalt damit wird dann natürlich automatisch die Schuld der Bundesregierung unterstellt — nur — ich sage das einmal auf deutsch — Mist bauen würde!

(Hinrich Kuessner [SPD]: Wer hat das gesagt?)

— Also wenn der Kollege Roth, der bedauerlicherweise nicht in der Lage war, der Debatte bis zum Ende zuzuhören — vielleicht hat ihn der Kollege Zywietz zu sehr gereizt; ich weiß es nicht —, noch da wäre, würde ich sagen: Der Kollege Roth hat hier ein Bild gemalt, bei dem es keinerlei positive Stellen gab, sondern nur Schatten, nur Negatives.
Damit tun wir auch unseren Mitbürgern im anderen Teil dieses Landes — ich sehe, da oben sitzt eine Schulklasse aus Südthüringen — keinen Gefallen.

(Dr. Fritz Schumann [Kroppenstedt] [PDS/ Linke Liste]: Bestellt!)

— Das ist sehr schön, wenn das so ist!

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Zufällig aus deinem Wahlkreis?)

— Zufällig aus meinem Wahlkreis. Wir tun den Menschen drüben keinen Gefallen, wenn wir ihnen hier ein solches Bild malen. Wer, Herr Schumann, täglich wie ich dann, wenn wir nicht in Bonn tagen, im Wahlkreis unterwegs ist, der kennt die Belastung, der kennt die Nöte, die der Kollege Kuessner hier vorgeführt hat, und der weiß, was zu tun ist. Wir reden hier aber über ein Gesetz, das für meine Begriffe nicht nur im Ansatz — wie Sie gesagt haben —, sondern immer mehr ganz so gehandhabt wird, wie wir es wollen. Für mich hat eine andere Frage viel stärkeres Gewicht: Wie sind denn die inneren und äußeren Kontrollmechanismen geregelt? Was tun wir als Parlament?
Herr Kuessner, dabei müssen wir uns alle an die Brust schlagen. Wir haben ein gutes Jahr verschenkt. Wir haben ein Jahr verschlafen, ehe wir wach geworden sind.

(Dr. Fritz Schumann [Kroppenstedt] [PDS/ Linke Liste]: Sie!)

— Entschuldigen Sie, Herr Schumann; Sie haben doch überhaupt nicht mitgeredet. Ich muß Ihnen sagen: Wenn es um die Anwesenheit der PDS-Leute im Treuhand-Sonderausschuß ginge, dann bräuchte der gar nicht erst zu tagen. Dann sollten wir die Tagungen lieber einstellen. Dazu sollten Sie wirklich schweigen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das gilt übrigens, Herr Kollege, auch für die Teilnahme am Haushaltsausschuß. Ich empfehle Ihnen, die Teilnahmestärke der PDS dort einmal zu überprüfen. Sie selber sind ja direkt nicht betroffen. Wenn Sie dies tun, dann werden Sie feststellen, wie selten Ihre Kollegen dort anwesend sind und was sie dort treiben oder vielmehr wie wenig sie dort treiben. Das lassen wir jedenfalls auf uns nicht sitzen.



Arnulf Kriedner
Ich sage: Wir haben es verpaßt, die Sanierung, diesen wichtigen Schwerpunkt, entsprechend zu betonen.

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Das ist richtig!)

Das ist völlig korrekt.

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Sie waren damals noch nicht Vorsitzender!)

— Vielleicht liegt es daran. Wir sind jetzt auf der Linie, diesen Schwerpunkt zu begreifen und auszubauen. Da ist — ich sage das auch durchaus selbstkritisch — natürlich in der Zwischenzeit viel Schlimmes passiert.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Wir müssen, und das sage ich mit allem Verlaub, meine Herren Staatssekretäre — Herr Lintner ist im Gegensatz zu den beiden anderen anwesenden Staatssekretären in diesem Zusammenhang nicht gemeint —, der Bundesregierung und natürlich auch der Treuhandanstalt noch ein bißchen mehr auf die Finger sehen.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

Ich glaube, das muß man als Abgeordneter, der diesem gesegneten Teil des Hauses angehört, sagen dürfen.

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Sehr guter Mann! Leider in der falschen Partei!)

— Das will ich nicht gehört haben. Ich könnte Sie in diesem Zusammenhang mit großem Ärger überraschen, Herr Kollege.
Ich sage noch einmal: Wir werden uns die Elemente Ihres Gesetzentwurfs sehr genau ansehen. Wir werden, wo es nötig ist, daraus lernen; aber wir werden ihn am Schluß nicht annehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir werden heute allerdings das Kreditaufnahmegesetz annehmen. weil wir der Meinung sind, daß dies erst die Voraussetzungen bietet, die Sanierungsaufgabe bei der Treuhand vernünftig anzupacken. Ich hoffe, meine Herren Kollegen, daß Sie dann an unserer Seite sind, wenn die Treuhand für Sanierungsaufgaben Kreditnachschläge haben will. Ich hoffe, daß wir Sie dann in unserem Boot finden und daß Sie dann mit uns mitziehen. Das möchte ich trotz Ihrer Stimmenthaltung anmahnen.
Ich muß noch ein letztes sagen. Herr Kollege von der PDS — damit komme ich zu dem Gesetzentwurf der PDS —, ich bin bereits — das hat der Kollege Zywietz ja auch schon zum Ausdruck gebracht — ein bißchen über die Sprache in Ihrem Entwurf gestolpert.
Ich muß Ihnen sagen: Wer heute noch im Vorblatt eines Gesetzentwurfs vom „Übergang von der zentralistischen Planwirtschaft zur kapitalistischen Marktwirtschaft" spricht, der hat etwas geschlafen. Der hat auch etwas verschlafen.
Sie sollten lernfähig sein, so wie Sie bei uns die Lernfähigkeit anmahnen. Sie sollten lernfähig sein, daß es eine — Gott sei Dank — kapitalistische Marktwirtschaft nicht mehr gibt, sondern daß es eine Soziale
Marktwirtschaft gibt, zu der wir immer gern hinzufügen, daß sie auch ökologisch verpflichtet sein muß, weil wir uns dann so gut mit der Opposition in diesem Haus treffen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal sagen: Debatten wie diese sind wichtig und finden inzwischen auch vor einem größeren Auditorium statt. Ich mahne noch einmal an, daß wir diese Aufgabe allesamt ernst nehmen und daß alle Kollegen die Arbeit im Treuhandausschuß, im Unterausschuß des Haushaltsausschusses, unterstützen. Ich bitte Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kollegen von der SPD-Fraktion: Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß und stimmen Sie wie wir dem Kreditaufnahmegesetz zu.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1209515900
Zum Schluß der Debatte erteile ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Erich Riedl das Wort.

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID1209516000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf mich zunächst im Namen der Bundesregierung sehr herzlich für diese Debatte bedanken, die von manchen für überflüssig gehalten wurde, aber — wenn man sie ganz, auch wenn sie kritisch war, verfolgt hat — doch sehr nützlich war.
Ich darf, Herr Kollege Kriedner, den Abgeordneten Wolfgang Roth entschuldigen; er hat sich bei uns entschuldigt; er mußte abreisen, weil er zur Beerdigung des Kollegen Stavenhagen nach Pforzheim mußte. Ich glaube, die Fairneß gebietet es, diese Entschuldigung anzunehmen.

(Arnulf Kriedner [CDU/CSU]: Ich korrigiere meine Äußerung von hier aus!)

Herr Präsident, da ich sehe, daß die Koalition im Augenblick eine satte Mehrheit hat, möchte ich mir erlauben, meine Rede zu Protokoll zu geben, und den Herrn Präsidenten bitten, abstimmen zu lassen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1209516100
Meine Damen und Herren! Ihrem Beifall entnehme ich, daß Sie mit dieser von der Geschäftsordnung abweichenden Abwicklung einverstanden sind. — Das ist offensichtlich der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Treuhandkreditaufnahmegesetzes. Er liegt Ihnen auf der Drucksache 12/2217 vor.
Der Haushaltsausschuß empfiehlt auf der Drucksache 12/2744, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — In der zweiten Beratung ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der SPD und der Gruppen angenommen.



Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünschen, bitte ich, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in der dritten Beratung mit dem selben Mehrheitsverhältnis angenommen, wenn ich unterstellen darf, daß Sie, Frau Abgeordnete Brudlewski, nicht absichtlich sitzen geblieben sind. — So ist es.
Nun komme ich dazu, Ihnen mitzuteilen, daß interfraktionell vorgeschlagen wird, die Vorlagen auf den Drucksachen 12/2291, 12/2604, 12/2637 und 12/2731 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Antrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf der Drucksache 12/2637 — es handelt sich um den Antrag „Kurswechsel bei der Treuhandanstalt" soll außerdem zur Mitberatung an den Finanzausschuß überwiesen werden. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist und darf das als beschlossen feststellen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Willfried Penner, Gerd Wartenberg (Berlin), Günter Graf, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Lage der Polizei in der Bundesrepublik Deutschland
Drucksachen 12/908, 12/2374 —
Es werden eineinhalb Stunden Debattenzeit vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? — Dies scheint der Fall zu sein. Ich darf das als beschlossen feststellen und dem Abgeordneten Rolf Schwanitz das Wort erteilen. Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.

Rolf Schwanitz (SPD):
Rede ID: ID1209516200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD hat im Juli 1991 diese Große Anfrage „Lage der Polizei in der Bundesrepublik Deutschland" eingebracht. Nun liegt die Antwort auf dem Tisch.
Das Ziel der Sozialdemokraten war, über die gegenwärtige Lage der Polizei und die künftige Entwicklung zu debattieren. Die Bundesregierung hat sich in der Antwort diesem Ziel angeschlossen. Wir begrüßen das ausdrücklich.
Die Antworten und die Einschätzungen jedoch, die uns die Bundesregierung hier in dieser Drucksache vorlegt, werden von uns nur zum Teil geteilt. Dies gilt besonders für die Aussagen zur Situation der Polizei in den neuen Bundesländern.
Ich möchte Ihnen dazu einige Beispiele aus der Antwort vortragen:

(Vorsitz : Vizepräsident Helmuth Becker)

Zur sicherheitspolitischen Situation in den neuen Bundesländern erklärt die Bundesregierung in dieser Antwort u. a., daß sie keine so erhebliche Verunsicherung in der Bevölkerung erkennen kann. Nachdem die Bundesregierung natürlich auf den Anstieg der Kriminalität im Osten hingewiesen hat, was sicherlich
an Realitätssinn zu begrüßen ist, wird hier jedoch erneut gesagt, daß dies generell wesentlich niedrigere Werte seien, als sie für das alte Bundesgebiet zuträfen. Wir finden ferner den Satz, daß der Kernbereich der Gewährleistung der inneren Sicherheit nicht in Frage gestellt sei. Zum Schluß vielleicht noch ein Hinweis: Letztendlich formuliert die Bundesregierung auch, daß es keine Anhaltspunkte dafür gebe, daß die Bevölkerung in den neuen Bundesländern die Entwicklung im Sicherheitsbereich überwiegend negativ beurteilt.

(Zuruf von der SPD: Wo leben die denn?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist sicherlich unbestritten, daß es, seitdem wir diese Anfrage eingebracht haben, seit nunmehr einem Jahr, positive Entwicklungen und Fortschritte gegeben hat, was den Aufbau der Polizei in den neuen Bundesländern betrifft. Das will ich hier nicht verschweigen, und das soll auch nicht geleugnet werden. Aber diese optimistische Einschätzung geht an der Realität meilenweit vorbei.
In meinem Wahlkreis im Vogtland im südwestlichen Sachsen, einem Gebiet mit insgesamt etwa 310 000 Einwohnern — und ich will vorausschicken: das ist kein Gebiet, welches wir nach der sicherheitspolitischen Situation als ein problematisches Gebiet bezeichnen können —, sieht die Situation ein wenig anders aus. Nach dem Programm für die innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland von 1974 — die Bundesregierung führt übrigens in der Antwort zur Frage 8 in diesem Papier ausdrücklich noch einmal dieses Programm an — wird eine Planungsgröße, eine Zielgröße für die Polizeidichte von einem Beamten pro 400 Einwohner angeführt. Das würde für das Vogtland bedeuten, daß wir insgesamt 775 Polizisten in diesem Bereich haben müßten, eine Größe, die in etwa — das will ich auch sagen — der Soll-Stärke tatsächlich entspricht. Die Soll-Stärke liegt nur geringfügig unter dieser Größe. Tatsächlich haben wir jedoch nur 585 Polizisten in diesem Bereich. Nach dem zuständigen Leiter der Dienststelle müssen wir davon ausgehen, daß durchschnittlich 15 % von dieser Anzahl permanent in Schulung sind, also nicht zum Einsatz zur Verfügung stehen. Die effektive Einsatzstärke liegt damit im Schnitt bei 497 Personen. Das sind nicht einmal zwei Drittel von der Dichte, die wir in diesem Programm für innere Sicherheit als Planungsgröße vorfinden. Dabei ist das Vogtland — lassen Sie mich das bitte noch einmal sagen — kein Problemgebiet.
Ich will auch gar nicht darauf abstellen, daß diese Richtgröße, die ich angeführt habe, 18 Jahre alt ist. Die Sozialdemokraten haben sehr oft an verschiedenen Stellen angemahnt, daß dieses Programm fortzuschreiben ist, zu aktualisieren ist. Ich will auch gar nicht darauf abstellen, daß sich natürlich die Kriminalitätsentwicklung in diesen 18 Jahren verändert hat, was sicherlich auch auf die Größe eine Auswirkung gehabt hätte, und ich will auch gar nicht ins Feld führen, daß natürlich die materiell-technische Situation der Polizei in den neuen Bundesländern unvergleichlich schlechter und schwieriger ist. Alles in allem also eine deutliche Unterbesetzung, obwohl es sich hier nicht um eine Problemregion handelt.



Rolf Schwanitz
Die Bundesregierung — ich kann das nur noch einmal zitieren kommt zu der Einschätzung, daß der Kernbereich der inneren Sicherheit nicht in Frage gestellt wird. Ich kann nur sagen: Das ist eine Flucht in das statistische Mittelmaß; das ist eine Flucht, um Einzelsituationen nicht zu sehen und nicht darstellen zu müssen.
Natürlich gibt es auch Positives zu berichten, beispielsweise was die materielle Ausstattung, die Ausrüstung der Polizei im Verhältnis zu der Situation vor einem Jahr betrifft. In meinem Wahlkreis hat sich etwas bewegt, was die Ausrüstung mit Streifenwagen angeht. Hier ist die Einsatzfähigkeit der Polizisten durchaus verbessert worden, auch wenn das nach wie vor zu langsam geht und mitunter wie ein Tropfen auf den heißen Stein wirkt.
Aber dieser Aufbau vollzieht sich bei einem enormen Anstieg der Kriminalitätsrate. Im Vogtland haben wir mittlerweile eine Kriminalitätsbelastung, die genauso hoch ist wie im benachbarten Bereich Hof, also wie im fränkischen Bereich in 30 Kilometer Entfernung unmittelbar gegenüber. Wir haben also tatsächlich das vergleichbare Westniveau erreicht, ohne daß wir dadurch die Dynamik in der Kriminalitätsentwicklung eingebüßt hätten. Wir haben beispielsweise in der Region, aus der ich komme, im ersten Quartal 1992 eine Kriminalitätsbelastung, die im Verhältnis zum gleichen Quartal 1991 um 20 % höher ist. Das sind Zahlen, die, denke ich, Bände sprechen. Wer meint, daß, nur weil wir mittlerweile das fränkische Niveau erreicht haben, nun ein weiterer Anstieg in dieser Situation des Aufbaus ausbleiben würde, der betreibt Schönfärberei und macht sich selbst etwas vor.
Meine Damen und Herren, es geht natürlich beim Aufbau der Polizei in den neuen Bundesländern nicht nur um personelle, nicht nur um materielle Probleme. Es steht nach wie vor ein enormes immaterielles Problem im Raum: Noch immer hat die Polizei große Akzeptanzprobleme.
Es gibt nach wie vor das Mißtrauen, das der Polizei als ehemaligem Unterdrückungsorgan in den 40 Jahren DDR entgegengebracht wird. Dies hat sowohl im Polizeibild der Bevölkerung als auch in den Köpfen der Polizisten selbst tiefe Spuren hinterlassen. Es existiert ein Spannungsfeld, welches darin besteht, daß auf der einen Seite die demonstrierenden Bevölkerungsteile, die in den ersten Tagen im Oktober 1989 auf die Straße gingen, nicht zuletzt prügelnden Polizisten gegenüberstanden; die friedliche Revolution war auch ein Sieg gegen polizeiliche Autorität. Auf der anderen Seite muß die Polizei lernen, vom Ausüben polizeilicher Machtvollkommenheit während der SED-Zeit heute nicht in ein anderes Extrem, in eine übergroße Zurückhaltung, zurückzufallen; die Polizisten müssen aktiv für die Verteidigung der Demokratie eintreten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das personelle Vertrauen — um das scheint es mir hier zu gehen — muß wiederhergestellt werden. Das ist ganz zentral für die Akzeptanz der Polizei in den neuen Bundesländern.
Ich glaube, daß auch die Personalüberprüfungen durch die Gauck-Behörde, so umstritten sie sind, ein wichtiger Schritt für die Erhöhung der Akzeptanz der Polizei in der Bevölkerung sind.
Ich glaube, daß wir auch eine Umstellung im Verhalten der Polizisten selbst gegenüber dieser Überprüfung fördern sollten. Die Polizisten werden mit diesen immateriellen Problemen aus meiner Sicht besser zurechtkommen, wenn die Personalüberprüfung nicht als Belastung, nicht als lästiges Übel empfunden wird, sondern als notwendiger Baustein, um die berufliche Glaubwürdigkeit wiederherzustellen und zu festigen.
Der Bundesregierung ist zu empfehlen, daß der Blick auch auf die extremen Einzelsituationen zu wenden ist und daß endlich Unterstützungen im erforderlichen Umfang Platz greifen müssen, die über das bisherige Ausmaß hinausgehen. Der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit gebührt beim Aufbau in den neuen Bundesländern oberste Priorität. Dies kann kein Gegenstand für Sparpolitik sein.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE sowie bei Abgeordneten der PDS/ Linke Liste)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1209516300
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Joachim Clemens das Wort.

Joachim Clemens (CDU):
Rede ID: ID1209516400
Herr Vorsitzender! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schwanitz, zu den Länderpolizeien in den neuen Bundesländern wird meine Kollegin Frau Brudlewsky reden. Wenn Sie aber der Bundesregierung einiges vorwerfen, dann tun Sie das zu Unrecht. Sie wissen, daß für die Polizei in erster Linie die Länder zuständig sind, nicht der Bund. Sicherlich gibt es auch im Bereich des BGS-Ost einige Probleme — das gebe ich zu —, nicht aber in dem Maße, wie Sie sie eben dargestellt haben.

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es!)

Lassen Sie mich zunächst einmal ganz allgemein danken. Ich danke der Opposition; es ist ihr Verdienst, durch ihre Große Anfrage die Bundesregierung dahin gebracht zu haben, die Lage der Polizei sehr ausführlich darstellen zu können. Dafür bedanke ich mich auch bei der Bundesregierung.
Ich begrüße es außerordentlich, daß wir im Plenum wieder einmal über Polizei reden können. Ich gebe zu: Ich hätte mir gewünscht, zu einer etwas früheren Stunde; wenn es aber sein muß, dann auch zu dieser Zeit.

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Heute war eine besondere Situation, Herr Kollege!)

Ich meine, es ist gut, daß wir im Plenum einmal über die Polizei, ihre Probleme und ihre Bedeutung für den Bürger diskutieren können. Dies gibt mir zunächst einmal die Möglichkeit, mich bei den Polizeien der Länder und des Bundes für die hervorragende treue Pflichterfüllung für unseren Rechtsstaat namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu bedanken.

(Beifall des Abg. Jürgen Augustinowitz [CDU/CSU])




Joachim Clemens
Beim Schutz der inneren Sicherheit und der Aufrechterhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung und beim Kampf gegen das Verbrechen findet die Polizei in Bund und Ländern die CDU/CSU an ihrer Seite.
Es entspricht allerdings — das möchte ich deutlich sagen — nicht der Wahrheit, wenn die SPD in der einleitenden Begründung ihrer Großen Anfrage die Polizei auf Grund angeblich umstrittener politischer Entscheidungen als Objekt des Unmuts und als politischen Gegner vieler Bürger darzustellen sucht.

(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)

Genau das Gegenteil ist der Fall. Alle Umfragen beweisen, daß der überwiegende Teil der Bürger der Polizei für ihre Arbeit dankt. Die regelmäßig jedes Jahr vorgelegten Berichte des Instituts für praxisorientierte Sozialforschung sprechen eine deutliche Sprache.

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Sie belegen eindeutig, daß die Bundesbürger Vertrauen in unsere Polizei haben. Von allen Einrichtungen des öffentlichen Lebens genießt die Polizei nach dem Bundesverfassungsgericht und den übrigen Gerichten allgemein das höchste Vertrauen. In bezug auf die Bedeutung der Behörden rangieren das Bundeskriminalamt an vorderster und der Bundesgrenzschutz an vorderer Stelle. Also, es kann überhaupt keine Rede davon sein, daß hier irgendwo ein Buhmann auf seiten der Polizei aufgebaut werden muß. Die Polizei ist nicht Gegner der Bürger dieses Staates, sondern Gegner von Kriminalität und Gewalt zum Schutze der Bürger.

(Günter Graf [SPD]: Wer hat das bestritten?)

— Lesen Sie mal die Einleitung zu Ihrer Anfrage, da steht das in der Tat so drin. Das haben Sie aus einem früheren Antrag übernommen. Ich habe das noch einmal nachgelesen.
Wissen Sie, das ist immer so typisch. Weil nun andere die Regierung stellen, sagt man: Da gibt es umstrittene Entscheidungen. Aber das ist nun einmal das Wesen einer Demokratie, daß die Mehrheit entscheidet und daß, wenn die Polizei davon betroffen ist, die Polizei logischerweise diese Mehrheitsentscheidung auch ausführen muß, auch wenn vielleicht der einzelne Polizeibeamte nicht einer Partei angehört, die die Bundesregierung stellt. Das ist normal, das ist Rechtsstaatlichkeit, und das ist Demokratie.
Der Bürger in unserem Staat hat einen grundrechtlich verfaßten Anspruch auf Schutz vor Kriminalität. Zu dieser Gewährleistung ist zunächst einmal notwendig, daß wir eine ausreichende Polizeidichte haben.
Wir haben ein Programm für die innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahr 1974 — man höre gut zu. Seit dem Jahr 1974 gibt es ein solches Programm — das feiert bald sein 20jähriges Bestehen —, und das ist bis heute nicht fortgeschrieben, was dringend notwendig ist. In diesem Programm war schon eine Polizeidichte von 1 :400 angestrebt worden. Ich habe mir gerade erzählen lassen, daß insbesondere die SPD-geführten Länder sich weigern,
dieses Programm fortzuschreiben und insbesondere auch diese Polizeidichte zu gewährleisten. Es fehlt aber in den Ländern und auch beim Bund an Polizeivollzugsbeamten, und hier muß einiges getan werden, um diese Misere zu beseitigen.
Nun kann man bei uns in der Bundesrepublik Deutschland genügend geeignete Polizisten nur anwerben, wenn man ein attraktives Berufsbild für den Polizeivollzugsbeamten entwirft bzw. wenn es vorliegt und wenn die Besoldungsstruktur für die Gesetzes- und Ordnungshüter verbessert wird, und zwar erheblich verbessert wird, wohlgemerkt, die Besoldungsstruktur und nicht etwa die Besoldung. Das ist ein entscheidender Unterschied; das möchte ich hier deutlich hervorheben.
An dieser Stelle kann man vielleicht noch offenlassen, ob es unter Berufung auf das Kienbaum-Gutachten zur Einführung der sogenannten zweigeteilten Laufbahn, nämlich unter Wegfall des mittleren Dienstes und mit einer Fachhochschulausbildung für alle Beamten, und einer Neustrukturierung und -definition der Aufgaben der Polizei kommen soll. Ich habe dafür gewisse Sympathien. Ich sage auf der anderen Seite aber auch sehr deutlich, daß es Probleme gibt, wenn man alle Aufgaben der Polizei dem gehobenen und höheren Dienst zuordnen will. Da sehe ich einen gewissen Pferdefuß. Aber es muß auf jeden Fall eine Verbesserung der Besoldungsstruktur erfolgen. Darüber muß man nachdenken, und zwar sehr schnell.
Qualifizierter Nachwuchs läßt sich für die Polizeien von Bund und Ländern gegen die Konkurrenz der freien Wirtschaft auf dem Arbeitsmarkt nur gewinnen, wenn, wie gesagt, das Berufsbild, die Ausbildung und die Kasse stimmen. Nur mit qualifiziert ausgebildetem Polizeivollzugspersonal läßt sich der Kampf gegen die Kriminalität gewinnen. Die alte Polizei ist tot. Mit Pickelhaube und Trillerpfeife kann unser Rechtsstaat gegen modernst ausgerüstete und ausgekochte organisierte Verbrecher nichts ausrichten, damit kann man ihn nicht verteidigen.
Der Bund müßte in bezug auf die Verbesserung der Besoldungsstruktur eine Vorreiterrolle übernehmen. In der Nachwuchsgewinnung haben nämlich die Länderpolizeien Vorteile, weil sie eine heimatnähere Ausbildung als der Bund betreiben können. Deswegen ist es geboten, daß die Bundesregierung hier zu schnellen Entscheidungen kommt. Wenn in den Ländern die zweigeteilte Laufbahn eingeführt wird, ist es nur eine Frage der Zeit, ab wann sich die jetzt schon vorhandenen Probleme in der Nachwuchsgewinnung verstärken und wann Abgänge der qualifizierten Vollzugsbeamten beim Bund zu verzeichnen sind.
Darüber hinaus muß insbesondere beim Bundesgrenzschutz — das ist nun einmal die Polizei des Bundes — die Besoldung flexibler gestaltet werden. Polizeivollzugsbeamte werden sich in Zukunft für Ballungsräume, z. B. für die Flughäfen Frankfurt und München, aber auch für andere Großstädte — später ganz besonders für Berlin —, nur finden lassen, wenn sie eine attraktive monatliche Ballungsraumzulage erhalten. Mit einer einmaligen Zulage kann man die wesentlich höheren Lebenshaltungskosten nicht ausgleichen. Ich sage es ganz offen: Nur ein gut motivier-



Joachim Clemens
ter Polizist ist ein guter Polizist; er sichert uns die innere Sicherheit.
Ein Weiteres kommt hinzu: Der Bund muß, so wie es z. B. der Zoll in Frankfurt getan hat, Wohnungsfürsorge betreiben; er muß den Polizisten in den Ballungszentren Wohnungen zu erschwinglichen Mietpreisen zur Verfügung stellen. Dies ist sicherlich auch zu bedenken, wenn man in Zukunft, wie gesagt, gut motivierte Polizeibeamte in diesem Bereich tätig werden lassen will.
Durch das Gesetz zur Übertragung der Aufgaben der Bahnpolizei und der Luftsicherheit auf den Bundesgrenzschutz und durch die Neukonstruktion und -struktur des Bundesgrenzschutzes ist sicherlich ein Schritt in die Richtung auf mehr Berufsvielfalt, auf ein attraktiveres Berufsbild gemacht worden, auch wenn dieser Schritt nicht überbewertet werden darf.
Mit der Übertragung der beiden neuen Einzeldiensttätigkeiten ist das Spektrum der BGS-Aufgaben abgerundet und der Wegfall der Kontrollaufgaben an der früheren innerdeutschen Grenze und die Reduzierung an den Grenzen zu Frankreich und den BeneluxStaaten mehr als kompensiert worden.
Durch die Übernahme dieser Aufgaben wird aber die bisherige Struktur des Bundesgrenzschutzes nicht unerheblich verändert. Bei einer Sollstärke von rund 30 000 Polizeivollzugs- und Verwaltungsbeamten — es ist sehr positiv zu bewerten, daß jetzt alles unter einem Dach ist, nämlich der verbandlich strukturierte Teil, der Grenzschutzeinzeldienst und die Verwaltung — wird der Anteil der Einzeldiensttätigkeit wesentlich zu Lasten der für die innere Sicherheit dringend benötigten Bundesgrenzschutzverbände aufgestockt.
Die Zunahme dieser Einzeldiensttätigkeiten wirkt sich auf das Berufsbild der Polizeibeamten sicherlich sehr positiv aus. Aber auf der anderen Seite stellen diese verbandsmäßig gegliederten Einsatzkräfte des BGS ein Rückgrat der Bundespolizei zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit dar. Das ist, wie gesagt, ein entscheidendes Faktum.
Auf Grund unbesetzter Planstellen in einer Größenordnung von 4 000 mit einer Tendenz zu 5 000 und insbesondere auf Grund eines personalmäßig unzureichend ausgestatteten Einzeldienstes sind die neuen Grenzschutzpräsidien gezwungen, erhebliche Kräfte aus den Verbandseinheiten für die neuen Einzeldienstaufgaben abzustellen. Das führt zu Schwierigkeiten, wenn es zu ungünstigen Sicherheitslagen kommt. Dann fehlen nämlich die Kräfte bei Einsätzen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung.
Des weiteren kommt erschwerend hinzu, daß bei den Bereitschaftspolizeien leider nur relativ wenig Einsatzkräfte verfügbar sind. Es soll sogar Länder geben, bei denen diese Zahlen nur auf dem Papier stehen; es sind also keine Ist-Zahlen vorhanden. Beides zusammen kann zu großen Schwierigkeiten bei ungünstigen Sicherheitlagen in der Bundesrepublik Deutschland führen.
Nun kann diese Zahl der unbesetzten Planstellen beim Bundesgrenzschutz auf jeden Fall nicht sehr
schnell beseitigt werden. Wir brauchten eigentlich eine personelle Aufstockung. Sie wird aber aus finanziellen Gründen und weil man nicht so schnell geeigneten Nachwuchs findet, nicht sofort zu beseitigen sein. Deswegen erscheint es dringend notwendig, daß die Länderpolizeien, nämlich die Bereitschaftspolizeien der Länder, und der Bund zusammenarbeiten und daß dieses von mir schon zitierte Sicherheitskonzept fortgeschrieben wird. Diese Fortschreibung ist eine entscheidende Notwendigkeit.
In der Antwort der Bundesregierung fällt auf, daß bisher nur der Arbeitskreis IV einen aktualisierten Entwurf zum Thema Verfassungsschutz erarbeitet hat. Der Arbeitskreis II, der für die Zusammenarbeit der Polizeien zuständig ist, meldet leider weiterhin Funkstille. Wie gesagt, es ist sehr bedauerlich, daß man in diesen Fragen nicht weiterkommt. Mir wurde berichtet, daß sich hier leider die Länder, und zwar insbesondere die A-Länder, sehr zurückhalten. Verstehen tue ich das allerdings nicht. Das muß ich sehr deutlich sagen.
Ich sagte schon vorhin, daß dieses Sicherheitsprogramm aus dem Jahr 1974 stammt. Es muß dringend fortgeschrieben werden, weil es veraltet ist. Nur so kann auf Dauer die innere Sicherheit gewährleistet sein.
Es kommt noch etwas anderes hinzu. Der Bundesgrenzschutz — ich sage es noch einmal: das ist die Polizei des Bundes; von der reden wir heute, ich zumindest, an erster Stelle — ist eine gut ausgerüstete Bundespolizei. Nun komme ich einmal auf die neuen Bundesländer. Da bin ich völlig anderer Meinung als Sie, Herr Schwanitz, weil ich nämlich feststellen mußte, daß sich die Funkgeräte und Fahrzeuge dort wirklich nicht in hervorragendem Zustand befinden, sondern daß sie zum Teil gar nicht mehr funktionstüchtig sind. Ich finde es unverantwortlich, wie von mir selber festgestellt, wenn in Berlin am Bahnhof Zoo ein noch nicht einmal in die BGS-Farben oder in andere Polizeifarben umgespritzter ehemaliger DDR-Wagen steht. Da kann ich nur sagen: Damit kann man allerdings beim Bürger keine Akzeptanz erreichen. — Ich müßte eigentlich in diese Richtung gucken. — Ich wäre sehr dankbar, wenn man dies abstellte. Ich wäre auch sehr dankbar, wenn man einige moderne Wagen in diese Bereiche gäbe. Ich gebe zu, es war bei der Bahnpolizei. Sie geben es an den Finanzminister weiter. Okay, ich habe das verstanden. Nichtsdestotrotz kann man aber auch aus den verbandsgegliederten Einheiten einiges umstellen. Dies möchte ich vielleicht noch sehr deutlich dazu sagen.
Ich glaube, wenn man nicht genug Einsatzpotential für ungünstige Sicherheitslagen hat, dann ist eines notwendig. Dann braucht man nämlich mehr Technik. Man braucht z. B. Hubschrauber, mit denen man Einsatzkräfte schnell dort hinbringen kann, wo Demonstrationen stattfinden oder Gewalt verübt wird. Davon haben wir nicht genug. Ich sage ganz offen: Ich verstehe nicht, warum der Bundesrechnungshof einen Abbau dieser Hubschrauber vornehmen will. Er will Ausmusterungen von über 20 Hubschraubern vornehmen, weil er sagt, daß die Grenzkontrolltätigkeiten ausgelaufen seien. Ich erinnere diejenigen, die dabei waren, als wir neulich französische Gäste hat-



Joachim Clemens
ten, daran, daß die moniert haben, daß an der ganzen Grenze zu Polen ganze drei Hubschrauber im Einsatz sind. Damit kann man eine solche Grenze in der Tat nicht überwachen. Jeder weiß, daß es da einige Probleme gibt. Ich will dies hier nur monieren. Hier muß einiges passieren. Wir müssen luftbeweglicher werden, wenn wir nicht genug Einsatzpotential haben.
Verstärkt wird das ganze noch zum 1. Januar 1993, wenn der Wegfall der Kontrollen an den Binnengrenzen erfolgt. Wie gesagt, es gibt ein weiteres Sicherheitsdefizit. Wir müssen hier noch mehr tun. Nur eine erstklassig ausgebildete, modernst ausgerüstete, gut besoldete und attraktive Polizei kann in Zusammenarbeit mit den Polizeien der europäischen Staaten den Kampf gegen das Verbrechen gewinnen. Unsere Bürger haben darauf einen verfassungsrechtlichen Anspruch.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1209516500
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Dr. Burkhard Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1209516600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Clemens hat in seiner Rede eine ganze Reihe von Punkten angeschnitten, in denen wir ihm zustimmen können, die leider in der Antwort der Bundesregierung nicht enthalten sind. Auch wir hätten es begrüßt, wenn sich die Bundesregierung nicht nur mit der Polizei als solcher, sondern auch mit der Lage des einzelnen Polizeibeamten befaßt hätte; denn ohne Berufsfreude kann er ja keine Erfolge haben.

(Beifall bei der SPD)

Er muß gleichzeitig freundlich und zivil sein, er soll trotzdem Autorität entwickeln, um sich durchzusetzen. Er macht Wechselschichtdienst. Die Wachen und Aufenthaltseinrichtungen sind häufig schlecht und wenig angenehm eingerichtet. Vernehmungen finden in einer räumlichen Enge statt, daß man von einem Schutz der Privatsphäre beim besten Willen häufig nicht mehr sprechen kann. Die Aufstiegschancen sind selbst bei beruflicher Bewährung begrenzt.
Unsere Polizei braucht in ihrer Leistung und Effektivität keinen Vergleich mit anderen Polizeien zu scheuen. Das gilt insbesondere im Vergleich zur häufig apostrophierten amerikanischen Polizei, die eher von unserer Organisation und Ausbildung lernen könnte als umgekehrt.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

Wenn die Politik ihre Verantwortung gegenüber der Polizei und den Polizeibeamten wahrnehmen will, dann muß sie nicht dauernd neue Gesetze machen, dann muß sie nicht so tun, als ob sie durch neue Instrumentarien der Polizei völlig neue Handlungsmöglichkeiten erschließen müßte, sondern dann müßte sie sich mehr um den einzelnen Beamten und um seine Lage kümmern, um seine Besoldung, um seine berufliche Zufriedenheit, um eine ausreichende
personelle Stärke, und sie müßte sehr viel intensiver darüber nachdenken, daß die Polizei niemals ein Mittel dafür sein kann, unterlassene politische Überzeugungsarbeit durch staatliche Macht zu ersetzen.
Wenn wir eine bürgernahe Polizei haben wollen, dann muß die Personalstärke stimmen, dann muß nämlich wieder mehr Streife gegangen werden, und zwar von Beamten, die dazu körperlich in der Lage sind, dann muß die Zahl der Bezirksbeamten erhöht werden, die zu den Einwohnern seines Bezirkes Kontakt aufbauen können und akzeptiert werden, dann muß man sorgfältig darauf achten, daß das Vertrauensverhältnis zwischen Polizei und Bürger nicht gestört wird, ohne das sie keinen Erfolg haben kann. Das setzt Zurückhaltung bei der Wahl polizeilicher Mittel voraus, damit die Polizei Partner bleibt und nicht gefürchtet wird. Dann kann man sich nicht damit herausreden, daß die Polizei den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten muß. Wenn die Politik der Polizei bestimmte Befugnisse und bestimmte technische Mittel zur Verfügung stellt, dann wird die Polizei von ihnen auch Gebrauch machen müssen, weil sie sonst bei einem Mißerfolg den empörten Vorwurf bekommen wird, warum sie denn diese oder jene Methode nicht angewendet habe.
Gerade die liberalen Innenminister haben für die personelle Verstärkung der Polizei, für ihre Ausrüstung mit modernem Gerät, für die Einführung der EDV in die Polizeiarbeit und für die Ausbildung außerordentlich viel getan. Darum hätten wir es wirklich sehr begrüßt, wenn die Polizeiführungsakademie in Hiltrup ausdrücklich erwähnt worden wäre, die eine unverzichtbare Einrichtung der Ausbildung aller führenden Polizeibeamten von Bund und Ländern ist und unsere Unterstützung verdient. Das gilt insbesondere bei allen Anstrengungen, die Polizei in den neuen Bundesländern auszubilden, ihr Selbstbewußtsein zu stärken, ihr Ansehen zu verbessern und ihr Verständnis vom modernen Rechtsstaat zu vertiefen.
Wir beklagen es als einen Kardinalfehler der deutschen Innenpolitik, daß das gemeinsame Sicherheitsprogramm von Bund und Ländern seit den siebziger Jahren nicht mehr umfassend fortgeschrieben worden ist und daß die Innenminister, lieber Herr Kollege Clemens — nicht der A-Länder oder der B-Länder, sondern alle Innenminister —, in den letzten zehn Jahren nicht in der Lage waren, sich in den dazu eingesetzten Gremien zu einigen. Das hat zu ernsthaften Fehlentwicklungen geführt.

(Zuruf von der SPD)

Erstens. Trotz verringerter Arbeitszeit, wachsenden Aufgaben und unterschiedlicher Aufgabenteilung zwischen Schutz- und Kriminalpolizei ist die dafür erforderliche Polizeistärke weder erreicht noch fortgeschrieben worden.
Zweitens. Die Beförderungschancen haben sich zwischen Bundes- und Länderpolizei, zwischen Schutz- und Kriminalpolizei, zwischen den einzelnen Bundesländern erheblich auseinanderentwickelt. Das hat für die Motivation der Beamten verheerende Auswirkungen. Jeder von uns weiß, was es bedeutet,



Dr. Burkhard Hirsch
wenn man mit Mitte 30 in dem Spitzenamt der Laufbahn angekommen ist.
Drittens. Die Polizeigesetze haben sich seit dem Ende der siebziger Jahre erheblich auseinanderentwickelt, zum Nachteil für die länderübergreifende Zusammenarbeit. Das gilt auch für die Datenverarbeitungssysteme der Länderpolizeien.
Viertens. Es gibt unterschiedliche Konzeptionen der sogenannten vorbeugenden Straftatbekämpfung, also hinsichtlich der Tätigkeit der Polizei bevor oder, besser: ohne daß eine Straftat vorliegt. Wir halten es für eine sowohl für die Polizei wie für den Bürger außerordentlich gefährliche Entwicklung, wenn die Polizei tätig werden soll, ohne daß eine konkrete Straftat vorliegt oder ohne daß eine konkrete Gefahr droht. Dann würde ihr Betätigungsfeld geradezu uferlos werden. Das gilt auch für den Umfang der dann zulässigen oder erforderlichen Datensammlungen. Es ist eine unglaubliche Verschwendung polizeilicher Arbeitskraft, wenn als Folge der Sammelwut vergangener Jahre hunderte von Mann-Jahren von Arbeitszeit aufgewendet werden müssen, um die mit Schrott verschmutzten Datensammlungen zu reinigen und sie auf diese Weise überhaupt erst wieder praktikabel zu machen.
Wir stellen fest, daß es keine gemeinsame Konzeption zur Bekämpfung der Ausländerkriminalität gibt. Natürlich muß nicht nur die internationale Zusammenarbeit der Polizeien verbessert werden, sondern wir fordern, daß Bund und Länder die gesetzlichen Voraussetzungen dafür schaffen, geeignete Ausländer, insbesondere in die Kriminalpolizei zu übernehmen, damit bessere Fahndungseinsätze für bestimmte Tätergruppen und für bestimmte Deliktsgruppen gefunden werden können. Daß das erforderlich ist, kann ja wohl ernsthaft nicht bestritten werden.
Sechstens. Schließlich ist das BGS-Gesetz überfällig: mit der Modernisierung des geradezu antiken Bundespolizeirechts, mit einer exakten Aufgabenbeschreibung und natürlich mit der Abschaffung des Kombattantenstatus.
Lassen Sie mich noch eine abschließende Bemerkung machen: Jede Gesellschaft hat eine ihr spezifische Kriminalität. Wenn man versuchen wollte, sie auszurotten, müßte man einen gigantischen Überwachungsapparat aufbauen, der letztlich die Autorität des Staates zerstört. Jeder, auch der konservative Politiker darf sich nicht um die Frage herumdrücken, wo er die notwendige Grenze polizeilicher Überwachungs- und Ermittlungsarbeit ziehen will und ziehen muß. Er darf sich auch nicht um die Frage herumdrükken, welche anderen als polizeilichen Mittel notwendig und angemessen sind, um die sozialen und die soziologischen Ursachen zu beseitigen, die häufig Anlaß für Kriminalität sind und ohne deren Beseitigung die Kriminalität auch nicht überwunden werden kann. Schließlich werden Sie daran denken müssen, daß die ganze polizeiliche Arbeit dann für die Katz ist, wenn die anschließenden gerichtlichen Verfahren erst enorme Zeit später beginnen und noch später zu Ende geführt werden.
Die deutsche Polizei besitzt in der Bevölkerung eine breite Vertrauensbasis. Das ist vollkommen richtig. Ihr
Ansehen ist größer, als sie selbst glaubt. In der Tat braucht die deutsche Polizei nach Ausbildungsstand und Leistung keinen Vergleich mit den Polizeien anderer Staaten zu scheuen. Dafür verdient sie unseren Dank und unsere Anerkennung.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1209516700
Nächster Redner ist unser Kollege Dr. Wolfgang Ullmann.

Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1209516800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich danke der SPD, daß sie eine Anfrage in dieser wichtigen Sache eingereicht hat. Ich danke natürlich auch der Bundesregierung, daß sie zwar spät, aber doch ausführlich geantwortet hat.

(Parl. Staatssekretär Eduard Lintner: Gründlich!)

Ich denke, daß es dem Respekt und dem Dank an die Bundesregierung nicht widerspricht, wenn ich an zwei oder drei Stellen zu dem, was die Bundesregierung gesagt, Widerspruch anmelde.

(Joachim Clemens [CDU/CSU]: Das ist ganz normal! Das gehört da auch hin! Das machen ja sogar wir!)

Der erste Widerspruch gilt dem Satz, auf den vom Herrn Kollegen Schwanitz schon einmal angespielt worden ist — er bezieht sich in der Tat auf die Ostländer —:
In diesem Zusammenhang
— so sagt die Bundesregierung —
muß betont werden, daß für eine Verunsicherung der Bevölkerung auch kein Anlaß besteht, .. .
Der Grund dafür ist nach Meinung der Bundesregierung, daß „die Kriminalitätsbelastung, d. h. die Anzahl der Straftaten bezogen auf die Bevölkerung, in den neuen Bundesländern z. Z. noch wesentlicher liegt als im alten Bundesgebiet" .
Solche Zahlenverhältnisse mögen die beruhigen, die auf solche unbequemen Fragen antworten müssen. Bei den Leuten sieht es etwas anders aus. Neulich wurde im Fernsehen gezeigt, wie sich zwei kleine Berliner Jungen unterhielten und die Lage der Gesellschaft so charakterisierten: Seit der Wende haben wir ein Sicherheitsschloß an der Wohnung und einen Spion an der Tür.

(Dr. Jürgen Schmieder [F.D.P.]: Früher war er in der Wohnung drin! — Lachen bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD)

Ich muß in der Beurteilung der Polizeisituation in den neuen Ländern, besonders in Sachsen, wo ich mich auskenne, leider mehr dem Kollegen von der CDU/CSU zustimmen, Herr Schwanitz. Als ich das letzte Mal in Hoyerswerda war und über die Vorfälle des vorigen Herbstes sprach, haben mir die Polizisten erklärt, es hänge in der Tat auch mit ihrer schlechten Ausrüstung zusammen, daß sie dort so wenig effektiv werden konnten. Sie mußten noch in den alten Uniformen herumlaufen, und eine vorhandene erfahrene Einsatztruppe konnte nicht in der nötigen Zeit heran-



Dr. Wolfgang Ullmann
gebracht werden. Ich denke, all das kann so nicht bleiben. Aber — nun bin ich wieder anderer Meinung als Sie, Herr Kollege — das hat auch etwas mit Bundesproblemen zu tun nämlich mit der Finanzmisere der neuen Länder. Die Auswirkungen in der Innenpolitik sind ganz besonders gefährlich. Wenn, wie Staatssekretär Ermisch in der letzten Sitzung der Föderalismuskommission sagte, die Dinge so weiterlaufen und die Arbeitslosigkeit in Sachsen demnächst die 50%-Grenze erreicht, ist eine solche Polizeisituation gefährlich.
Der zweite Punkt ist die Aussage der Bundesregierung, sie teile nicht die Auffassung, daß der Polizei vorrangig die Last der Durchsetzung umstrittener politischer Entscheidungen aufgebürdet werde. Man kann darüber streiten.
Ich will nur folgendes anmerken: Ich bin unlängst alarmiert worden, als ich von einem Taxifahrer das Angebot erhielt, er könne einen Kontakt zu einer Taxifahrer-Organisation herstellen, die gleichzeitig Bodyguards vermittle. Auf so etwas war ich natürlich nicht gefaßt.
Aber noch mehr, muß ich sagen, hat mich die Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem Problem alarmiert. Sie sagt nämlich:
Die Inanspruchnahme privater Unternehmen in diesem Bereich erleichtert der Polizei die präventive Gefahrenabwehr, ohne sie in ihrer Aufgabenwahrnehmung zu beeinträchtigen.
Das ist nun in der Tat eine höchst interessante Auffassung von Gewaltenteilung, zu der ich ausdrücklich sagen möchte: Ich teile sie in gar keiner Weise und kann mir schwerlich vorstellen, daß es dem Ansehen unserer Polizei dienlich ist, wenn sie beispielsweise am Hamburger Hauptbahnhof die Drogenszene gerade zerstreut hat, die Drogensüchtigen woandershin wandern, dort dann von einem privaten Sicherheitsdienst vertrieben werden und dann zum Hauptbahnhof zurückkommen. Was soll die Polizei nun eigentlich tun? Sie soll sich vermutlich mit diesen privaten Sicherheitsdiensten absprechen.
Ich muß schon sagen, es ist ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß wir gerade heute über das Gesetz gegen organisierte Kriminalität beraten haben. Ich stelle hier fest: Die Bundesregierung vertritt die Meinung, daß sich die Polizei ihre Aufgabe sehr gut mit privaten Sicherheitsdiensten teilen könne. Das ist, meine ich, durchaus nicht im Sinne des Ansehens unserer Polizei, die durch diesen Gesetzentwurf auch noch in den Untergrund geschickt wird.
Ich denke, hier gehen umstrittene politische Entscheidungen durchaus zu Lasten unserer Polizei. Es wird ihr auch noch angesonnen, sich ihre Aufgabe mit Organisationen zu teilen, deren Waffenbesitz in meinen Augen jedenfalls keine Sicherung, sondern eine Gefährdung der Demokratie und sicherlich auch eines der Keimfelder organisierter Kriminalität ist. Davor meine ich nun doch warnen zu müssen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.] — Joachim Clemens [CDU/CSU]: Herr Ullmann, so steht das da aber nicht drin!)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1209516900
Unsere nächste Rednerin ist Frau Kollegin Ulla Jelpke.

Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1209517000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Antwort zum Punkt Drogenkriminalität der Großen Anfrage der SPD erklärt die Bundesregierung zusammenfassend — ich zitiere —:
Die Polizei hat eine Vielzahl an Initiativen entwickelt, um die Rauschgiftkriminalität effizient bekämpfen zu können ... Die darin enthaltenen taktischen und strategischen Maßnahmen werden ständig der aktuellen Entwicklung angepaßt und weiterentwickelt.
Erst vor knapp zwei Monaten hat in diesem Hause eine Debatte darüber stattgefunden, warum eine grundsätzliche Wende in der staatlichen Drogenpolitik notwendig sei. An einige Eckpunkte möchte ich erinnern:
Die Polizeikapazitäten auf dem Gebiet der Drogenbekämpfung wurden in den letzten 20 Jahren fast verdreißigfacht. Die Kapazitäten des Bundeskriminalamtes haben sich sogar versiebzigfacht. In demselben Zeitraum sind die Therapieangebote für Drogenabhängige nicht einmal verdoppelt worden.
Die Behauptung, effiziente Mittel zur Verfügung zu haben, wird aber nicht einmal mehr von der Polizei getragen. Hier nur ein Beispiel für Äußerungen von Polizeibeamten; der Dortmunder Polizeipräsident Schulz erklärt:
Wir müssen schlicht feststellen, daß die bisherige Drogenbekämpfung mit polizeilichen Mitteln nicht zum Erfolg führen kann.
Er lehnt den auch von der Bundesregierung und dem BKA getragenen Weg der Bekämpfung auf der Basis des klaren Verbots rundherum ab. 60 bis 80 % der sogenannten Rauschgiftdelikte sind Konsum- und Beschaffungsdelikte. Experten gehen davon aus, daß sich etwa 75 % der in der Kriminalstatistik geführten Straftaten auf geringe Mengen beziehen.
In diesem Zusammenhang beziehen sich Fahnder und Justiz allerdings gerne auf das Legalitätsprinzip, das eine Verfolgung auch dieser Vergehen erzwinge.
Aus diesem unsinnigen, ineffektiven und rein polizeilich geführten sogenannten Kampf gegen die Drogenkriminalität ergeben sich bekannte Folgen: Oberlastung der Polizei und Justiz, Verschleuderung von Geldern, die allemal sinnvoller für Therapie- und soziale Maßnahmen eingesetzt werden könnten. Das heute verabschiedete OrgKG wird diesen Kampf auf neuer Ebene fortführen.
Konsequent verzichtet wurde und wird auf die Entkriminalisierung der Konsumenten. Aufrechterhalten wird dadurch der illegale Markt mit all seinen Folgen für die Kriminalitätsentwicklung in diesem Bereich.
Meine Damen und Herren, die Konzeption, mit Verpolizeilichung auf gesellschaftliche und politische Konflikte zu reagieren und damit wachsende Kriminalitätsraten in vielen Bereichen erst zu produzieren, gehört zum Kernbestand dieser Politik.



Ulla Jelpke
Der Kürzung von Ausgaben z. B. für kulturelle, soziale und bildungsmäßige Zwecke im Jugendbereich steht ein verbissenes Beharren auf der Verfolgung von Bagatelldelikten gerade im Jugendbereich gegenüber. Schwarzfahren, Ladendiebstähle und ähnliche Dinge belasten Polizei und Justiz und führen zu frühzeitiger Kriminalisierung von Jugendlichen.
Jedes einigermaßen aktive Jugendzentrum hat nicht nur mit Finanz- und Raumproblemen zu kämpfen, sondern steht zudem unter schärfster polizeilicher Überwachung durch örtliche Sonderkommandos der Polizei. Der Grund dafür ist die in der Antwort hochgehaltene umfassende Präventionsarbeit der Polizei. Praktisch bedeutet sie, daß jede Bürgerin und jeder Bürger, gleich welchen Alters, grundsätzlich ein Sicherheitsrisiko darstellen könnte und deshalb auch unter vorsorgliche Beobachtung gestellt werden sollte.
Die Folge ist dann z. B., daß 30 bis 75 % der Durchsuchungsbefehle für Wohnungen „nicht einmal verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen" genügen, wie der Deutsche Anwalt-Verein feststellt, daß Telefonüberwachungen von der Ausnahme zum Regelfall entwickelt werden, daß, wie aus Hamburg bekanntgeworden ist, Kinder unter 14 Jahren datenmäßig erfaßt, zum Teil erkennungsdienstlich behandelt werden und auf diese Weise ihre Daten auch in den länderübergreifenden Datenverbundsystemen landen.
Meine Damen und Herren, im Bereich des Staatsschutzes der Polizei erfährt diese Konzeption ihre absurde Vollendung. In Hamburg beispielsweise ist das Personal der Staatsschutzabteilung 1992 um eben mal lockere 25 % verstärkt worden. Etatmäßig bedeutet das eine Aufstockung von 7,5 auf ca. 10 Millionen DM.
Staatsschutzabteilungen, die seit Jahren bundesweit eine enorme Aufblähung erfahren, müssen natürlich auch Arbeit haben. Die Hamburger Abteilung verdoppelte in gut zwei Jahren die Anzahl ihrer Ermittlungsverfahren auf über tausend. Mehr als 50 % davon richten sich auf Delikte mit politischem Bezug. Dieser politische Bezug wird dann vom Staatsschutz so interpretiert, daß er sich auf so revolutionäre Aktionen bezieht wie beispielsweise auf die Straßenblockaden in der Stresemannstraße, also auf sogenannte Verkehrsberuhigungen.

(Jürgen Augustinowitz [CDU/CSU]: Hafenstraße!)

Wer die Geschichte kennt, der weiß auch, daß dort mehrere Kinder umgekommen sind.
60 % bis 70 % derartiger Ermittlungsverfahren kommen bundesweit erst gar nicht zur Anklage. Die Verurteilungsquote liegt zeitweilig bei unter 5 %. Das ist nicht einer liberalen Justiz zu verdanken, sondern der Tatsache, daß diese Ermittlungsverfahren der Strafverfolgung kaum dienen, um so mehr allerdings der Ausspähung der polizeilichen Gegenüber, und das sind eben die Bürgerinnen und Bürger. — Dies ein Beispiel aus den Ländern.
Die sogenannte terroristische Bedrohung ist heute ja kaum noch zu beschwören, und dennoch werden der Auf- und Ausbau des Staatsschutzes weiter vorangetrieben und perfektioniert. Andererseits ist z. B. von dem nach Hoyerswerda angekündigten entschiedenen Vorgehen gegen die Neofaschisten kaum mehr die Rede, von einer entsprechenden Praxis ganz zu schweigen. Hier sind nun die Klagen über fehlendes Personal und fehlende Ausrüstung bei der Polizei völlig fehl am Platze. Nach wie vor werden antifaschistische Aktionen ins Zwielicht gerückt, polizeilich und juristisch verfolgt — wie z. B. auch hier in Bonn am letzten Samstag.
Andererseits sieht sich beispielsweise der Parlamentarische Staatssekretär Lintner nicht einmal mehr veranlaßt, monatlich detailliert Auskunft über rassistische Aktionen und Angriffe auf Gesundheit und Leben von ausländischen Bürgerinnen und Bürgern zu geben, so jedenfalls die Antwort von Herrn Lintner auf eine meiner Fragen zu diesem Thema.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1209517100
Meine Damen und Herren, ich glaube, in einem besteht Übereinstimmung hier im Hause — ich hoffe, ich habe Sie nicht falsch verstanden —: daß die Telefonüberwachung in der Bundesrepublik nicht der Regelfall ist, denn andernfalls müßte ich dem aus meinen eigenen Erfahrungen sehr widersprechen.
Als nächste hat unsere Frau Kollegin Monika Brudlewsky das Wort.

Monika Brudlewsky (CDU):
Rede ID: ID1209517200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über die Lage der Polizei in Deutschland. Man möchte an dieser Stelle eigentlich immer weniger die Unterschiede, sondern mehr die Gemeinsamkeiten all unserer 16 Bundesländer herausheben. Aber wir würden die Augen verschließen, wenn wir nicht doch immer wieder noch Unterschiede zwischen alten und neuen Bundesländern erkennen. Wichtig ist nur, daß wir nicht nur darüber klagen und darüber nicht hinauskommen. Wir müssen Ursachen für die Unterschiede erkennen und Lösungen suchen, die alle zufriedenstellen.
In vielen Dingen muß ich Herrn Schwanitz recht geben. Es ist schwierig bei uns. Aber es hat in Bund und Ländern auch sehr viele Hilfsleistungen gegeben. Ich möchte das jetzt nicht im einzelnen aufzählen; es ist in der Beantwortung dabeigewesen.
Die Lage der Polizei in den alten und neuen Bundesländern ist — abgesehen vom Neuaufbau — vor allem von einem tiefgreifenden psychologischen Problem geprägt. Genau das ist die Hauptursache der Schwierigkeiten.
Als Vertreterin aus den neuen Bundesländern habe ich, die ich 1946 geboren wurde, mein Leben lang Polizei wie Armee in der ehemaligen DDR als etwas sehr bedrohliches empfunden. Begegnungen mit der Volkspolizei haben dieses Bild vertieft. Ich kann mich noch genau an Verhaftungen vor unserem Wohnhaus erinnern, obwohl ich damals, 1953, nicht begriff, was dort wirklich geschah. Später stand ich mit meiner Mutter stundenlang vor dem Polizeigebäude an, um eine Aufenthaltsgenehmigung bzw. einen Reise-

Monika Brudlewsky
paß zu beantragen. Man mußte sich von den Polizeibeamten erniedrigende Reden anhören. Ich kann mich auch noch gut an die Kontrollen im Zug an den Grenzübergängen erinnern, wenn ich in den Ferien meine Schwester in Düsseldorf besuchen durfte. Bis 1961 war das ja möglich. Wir haben vor den Uniformierten gezittert, wenn wir ein Pfund Kaffee zuviel und z. B. Westillustrierte versteckt hatten. Dann der Bau der Mauer, die Opfer an der Grenze, Verhaftungen hin und wieder in meinem Wohnort. Es wurde leise erzählt, daß der Nachbarssohn Walter Ulbricht auf einem Bild in der Zeitung die Augen ausgestochen hatte. Er wurde denunziert. Polizisten holten ihn ab; er bekam zwei Jahre. Die Nachbarsleute vergingen vor Gram. — Das sind Gefühle, die bei uns allen tief drinnen saßen. Dagegen kann man erst einmal wenig tun.
Diese persönliche Befindlichkeit, die ich jetzt schilderte, damit es vorstellbar wird, müssen wir in den fünf neuen Bundesländern abbauen.

(Zuruf von der PDS/Linke Liste: CourtsMahler!)

— Das ist nicht Courts-Mahler, das ist Tatsache gewesen.
Bei unseren Menschen ist auch der Wille da, auf die Polizei zuzugehen und ihre Arbeit anzuerkennen.
Während der Wende nahm ich mir einmal die Zeit, im Polizeigebäude die Werbung für den Polizeiberuf durchzulesen. Das stand noch aus Zeiten der DDR dort. Der Eintritt in die SED war eine der Voraussetzungen. Wer in der Schule nicht die gewünschten Leistungen erbrachte, aber die richtige Einstellung zum Staat aufwies, konnte zwar kaum Koch oder Elektriker werden, aber Polizist. Man hielt im Volk nicht viel von diesem Beruf, und es gab die bösesten Witze über die Polizisten. Diesen Ruf galt und gilt es abzuwenden. Polizist zu werden muß für unsere Jugendlichen wieder attraktiv werden.

(Zustimmung bei der CDU/CSU, der F.D.P. und bei Abgeordneten der SPD)

Während der Montagsdemonstration in meinem Heimatort stellte ich mit freudigem Erstaunen fest, daß es bei den bisher sehr verschlossenen Beamten durchaus schon vorsichtige Annäherungen gab. Ich kann mich noch erinnern: Es war dichter Nebel, wir kamen mit Kerzen aus der Kirche, um zur Demonstration zu gehen. Die Polizei sperrte die Wege für uns ab, und ein Polizist verteilte unsere Flugblätter. Das fand ich ein sehr positives Zeichen.
Die Vereinigung Deutschlands in Freiheit hat uns allen die Perspektive eröffnet, in Frieden und Rechtsstaatlichkeit zu leben. Zum Schutz unserer Freiheit und zur Erhaltung des inneren Friedens brauchen wir eine gute, anerkannte Polizei. Nun aber kommt der Unterschied: Während die Polizei in den alten Bundesländern diese Rolle seit 40 Jahren ausgeübt und sich eine gewisse Stellung erobert hat, ist man in den neuen Bundesländern noch mitten in Problemen, die die Polizei in ihrer Arbeit und Anerkennung behindern.
In organisatorischer Hinsicht gilt es, den Übergang von einem zentralistisch geführten Polizeiapparat zu einer demokratisch handelnden Länderpolizei zu vollziehen. Die Menschen haben oft noch Scheu vor den Beamten, auch wenn diese schon in neuen Uniformen auftreten. Sicher sind gleich nach der Wende viele schwer belastete Polizisten entlassen worden oder auch freiwillig gegangen, besonders in der Altersgruppe über 50.
Die Kriminalität in den neuen Bundesländern stieg leider schlagartig an. Es gibt viele Ursachen für den derzeitigen Anstieg der Gewalt und des Extremismus. Suche nach Orientierung und Ausleben der Freiheit sind wichtige Gründe. Nach 40 Jahren Unfreiheit meinen die Menschen im Überschwang oft, sich nun alles erlauben zu können. Es würde zu weit führen, dies jetzt im Detail zu erklären. Aber mit Sicherheit ist nicht die Ursache für den Anstieg der Kriminalität, daß der Sozialismus fort ist.
Früher wurde in den Medien selten über Straftaten berichtet, weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte. Das Bild des Sozialismus durfte nicht befleckt werden. So verschwieg man viele kriminelle Delikte und erfaßte in den Statistiken längst nicht alles, besonders nicht kriminelle Handlungen von Ausländern, die wir uns damals schon ins Land geholt hatten.
Weitere Ursachen des schwierigen Übergangs — ich brauche nicht alles zu nennen —: Unterbesetzung der Polizeidienststellen, wenig Nachwuchs, weil der Beruf bei uns noch zu wenig attraktiv ist und sich zur Zeit sicher viel gefährlicher darstellt als zu ruhigen Zeiten, die Unsicherheit der Beamten, die da sind und ihre Schwäche empfinden, u. a. weil sie zögerlicher sind, um die Befindlichkeit unserer Bürger nicht zu treffen — sie haben Angst, als die alten Beamten angesehen zu werden; das möchten sie vermeiden —, verstärktes Rowdytum, extreme Gruppen von rechts und links, besonders Extremisten aus den alten Bundesländern, die unsere Extremisten unterstützen — ich wohne im ehemaligen Grenzgebiet; da ist das ganz besonders stark —, größere Anzahl von Asylbewerbern und eine relativ hohe Kriminalitätsrate bei diesen.
Besonders hervorzuheben wäre noch die Situation in den Großstädten. In Berlin geht man von einer Sondersituation aus. Der Fall der Berliner Mauer hat aus dem geschlossenen Kriminalitätsraum Berlin (West) nach der Vereinigung eine offene Stadt mit neuen Kriminalitätsformen und einer Steigerung der Kriminalitätsrate gemacht. Ursache ist die größere Fluktuation reisender Täter mit dem Wegfall früher gegebener Kontrollmöglichkeiten.
Die Situation der Polizei in Berlin ist eine andere als die der Polizei in den fünf neuen Bundesländern. In Berlin wurden die Polizeikräfte vermischt. Ehemalige Volkspolizisten verrichten ihren Dienst in ganz Berlin zusammen mit West-Kollegen. Das führt dazu, daß krasse Unterschiede auf Grund der Zusammenarbeit an einem Schreibtisch deutlich werden, z. B. die unterschiedliche Bezahlung. Dadurch gibt es zusätzliche zwischenmenschliche Probleme.
Der Ruf nach einer starken Hand wird immer lauter. Der Rechtsruck beweist, daß man auch mit zuviel Liberalität beim Bürger auf Unwillen stößt. Der Bürger möchte Ruhe und Frieden sowie Gesetze, die dies



Monika Brudlewsky
gewährleisten. Viele Menschen in unserem Land verlangen für die Gewalttäter härtere Bestrafung. Es darf nicht sein, daß ein Gewalttäter nach einigen Stunden wieder auf freiem Fuß ist und neues Unheil anrichten kann. Für Polizisten ist dies nicht motivierend, um einzuschreiten, sondern eher ein Anlaß zu resignieren. Es ist nötig, die Gesetze neu zu überdenken, wenn der Bürger durch sie nicht genügend geschützt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte auch darum bitten, einmal darüber nachzudenken, ob man immer mehr auf Forderungen von RAF-Tätern eingehen sollte, ob man Blumentöpfe mit Drogen zulassen sollte oder ob man Lauschangriffe abwenden sollte, anstatt dem einfachen, normal lebenden Bürger zu helfen ohne Angst zu leben.
Es ist bedauerlich, daß sogar schon Diskussionen um die Todesstrafe, zumindest bei Terroranschlägen, stattfinden. Töten kann nie eine Lösung sein. Auch Selbsthilfegruppen, z. B. in der Taxi-Branche, sind etwas, das hin und wieder passiert. Das stimmt.
Mit all diesen Problemen wird indirekt auch die Polizei konfrontiert. Es gibt auch Leute bei uns, vor allem die ewig Gestrigen, die sagen, in der ehemaligen DDR seien wir besser geschützt gewesen und hätten weniger Verbrechen gehabt. Weniger Verbrechen wäre zu untersuchen, vor allem bei den Schreibtischtätern, in den Zuchthäusern und in den Zollstuben. Es käme sehr viel heraus, nur in einer anderen Qualität und ganz versteckten Art.
Wie wir jetzt erfahren, waren viele Straftaten zur Zeit der DDR — wie sich jetzt durch die leidigen Gerichtsverhandlungen mit SED-Tätern herausschält — legitimiert. Gezielte Schüsse auf harmlose Flüchtlinge waren rechtens. Die Polizei durfte hier nicht einschreiten, um den Bürger zu schützen, sondern sie wurde zum Handlanger dieser Verbrecher degradiert.
Gut geschützt waren wir allerdings, das stimmt. Wir hatten rings um unser Land eine Mauer mit einigen Türen, die gut bewacht waren. Aber ich glaube — da sind wir sicherlich alle einer Meinung —, wir wollen nicht mehr tauschen, auch wenn es jetzt sehr schwer ist. Wir wollen eine gut ausgebildete, sichere und anerkannte Polizei, aber niemals wieder einen Polizeistaat.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1209517300
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist Kollege Günter Graf.

Günter Graf (SPD):
Rede ID: ID1209517400
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich feststellen, daß die Debatte alles in allem in sehr sachlicher Form abgelaufen ist. Ich darf wohl auch für die SPD-Fraktion sagen, daß es eine Menge an Übereinstimmung in der Bewertung der Situation der Polizei in dieser Republik gibt.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

An die Adresse von Frau Jelpke von der PDS/Linke Liste gewandt, möchte ich eines in aller Deutlichkeit
zurückweisen: Wenn sie davon gesprochen hat, daß die Bundesrepublik Deutschland ein Überwachungsstaat ist, dann ist dieses für mich, schlichtweg gesagt, eine Unverschämtheit. Ich sage Ihnen auch ganz deutlich: Als langjähriger Angehöriger der Polizei fühle ich mich selbst betroffen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)

Bevor ich mit meiner eigentlichen Rede beginne, möchte ich noch eine Bemerkung an den Kollegen Clemens richten. Er sagte eingangs, die A-Länder würden sich weigern, die Polizeidichte von 400 : 1 einzuhalten. Ich muß den Kollegen Clemens daran erinnern, daß die Innenminister- und Innensenatorenkonferenz 1976/77, als eine Ad-hoc-Kommission eingesetzt wurde, das Land Niedersachsen beauftragt hat, die quantitative und qualitative Zunahme der Arbeit der Polizei zu untersuchen, wobei auch über die Polizeidichte gesprochen worden ist. Damals ist die CDU-geführte Landesregierung zu dem Ergebnis gekommen, daß die abstrakte Polizeidichte von 400 :1 kein Maßstab der Bewertung sein kann. Denn es gibt zu viele Unterschiede, was die Größe, die Besiedlung und die besonderen Strukturen angeht. Ich wollte das nur in aller Klarheit sagen, damit kein falscher Eindruck entsteht.

(Beifall bei der CDU/CSU — Joachim Clemens [CDU/CSU]: Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß man das weiter beibehält! Jetzt haben wir eine andere Landesregierung!)

— Ich wollte nur sagen, es gibt keine Relation von 400 : 1, die für alle Länder dieser Republik Maßstab sein kann.
Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir sind einig darüber, daß wir in den letzten Jahren und Monaten einen erheblichen Anstieg der Kriminalität und eine zunehmende Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft haben erkennen können und daß vielerorts Zweifel an der Fähigkeit des demokratischen Staates erkannt worden sind, mit den Gefahren fertig zu werden.
Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes erwarten von uns, von den Verantwortlichen in der Politik, klare Aussagen darüber, wie den sich darstellenden Problemen begegnet werden soll. Sie erwarten aber auch von uns, daß es nicht beim Reden bleibt, so wie wir es heute tun, sondern daß diesem Reden auch Taten folgen.
Kein Verständnis — auch da muß ich dem Kollegen Clemens ein wenig widersprechen — hat die Öffentlichkeit dafür, wenn der Polizei die Last der Durchsetzung umstrittener politischer Entscheidungen aufgebürdet wird.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der F.D.P.)

Dieses wird in der Antwort der Bundesregierung anders dargestellt. Aber ich nenne nur das Stichwort „Wackersdorf". Das hat uns sehr deutlich vor Augen geführt, zu welch verheerendem Ergebnis es führt, wenn Polizeibeamte jahrelang ihre Knochen für ein Objekt hinhalten müssen, das dann über Nacht mit



Günter Graf
einem Federstrich durch das Kapital beseitigt wird. Dies kann nicht Sinn und Zweck sein. Man muß sich schon vorher sehr sorgsam überlegen, ob es richtig ist, solche Entscheidungen mit aller Gewalt durchzusetzen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der F.D.P. — Joachim Clemens [CDU/CSU]: Wenn die SPD in Hamburg verhindert hat, daß sie an die Hafenstraße herangegangen ist, dann ist das auch nicht in Ordnung!)

— Hafenstraße ist ein Thema, über das wir hier schon gesprochen haben. Wir sind uns sicherlich einig, wie wir das zu werten haben.

(Joachim Clemens [CDU/CSU]: Wir beide ja!)

Hier geht es einfach darum, daß wir festzustellen haben: Es kann nicht sein, daß man, wenn für bestimmte politische Entscheidungen in der Öffentlichkeit keine Mehrheit herzustellen ist, mit aller Gewalt und um jeden Preis Polizei einsetzt, um den Bau eines umstrittenen Objekts durchzuführen.
Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch eine Feststellung machen: Die von der Bundesregierung gegebenen Antworten können vielfach nicht befriedigen. Ich muß das in aller Deutlichkeit sagen. Darauf haben auch schon Vorredner hingewiesen. Diese Antworten sind zum Teil unzureichend, widersprüchlich, und lassen durchweg nicht erkennen, was die Bundesregierung im Einvernehmen mit den Ländern zu tun gedenkt, um dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung Rechnung zu tragen.
Ich empfinde es als Resignation und Kapitulation, wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort ausführt, daß für eine Verunsicherung der Bevölkerung kein Anlaß besteht, da die Kriminalitätsbelastung, d. h. die Anzahl der Straftaten, bezogen auf die Bevölkerung in den neuen Bundesländern, zur Zeit noch wesentlich niedriger liegt als im alten Bundesgebiet, wenn auch ein Anstieg auf das dort vorhandene Niveau nicht ausgeschlossen werden kann. Kollege Ullmann hat das auch bereits erwähnt.
Ich stelle nur fest: Es darf ja wohl nicht das erstrebenswerte Ziel sein, daß die Kriminalität in den neuen Ländern die Bundesregierung erst dann zum Handeln veranlaßt, wenn sie den dramatischen Stand in den alten Ländern erreicht hat. Hieran allein wird das Höchstmaß an Hilflosigkeit deutlich, dem Phänomen der dramatisch angestiegenen Kriminalität zu begegnen.
Nun ist es sicherlich richtig, daß die Gewährleistung der inneren Sicherheit grundsätzlich in den Verantwortungsbereich der Bundesländer fällt. Darauf ist mehrfach hingewiesen worden. Die Verantwortlichkeiten des Bundes werden vor allem im Bundeskriminalamt, im Bundesgrenzschutz und im Bundesamt für Verfassungsschutz sichtbar.
An der aus guten Gründen zwischen Ländern und Bund geteilten politischen Verantwortung für die innere Sicherheit halten auch wir Sozialdemokraten fest. Ich sage dies mit aller Deutlichkeit, um Mißverständnissen von vornherein vorzubeugen. Dennoch bleibt festzustellen, daß Kriminalität für Bürgerinnen
und Bürger unseres Landes nicht an den Landesgrenzen haltmacht. Daher war es richtig, daß sich die Ständige Konferenz der Innenminister und Innensenatoren des Bundes und der Länder im Februar 1974 zusammengesetzt und das Programm für innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet hat.
Mit diesem Sicherheitsprogramm von Bund und Ländern wurden einheitliche, der Entwicklung angepaßte Grundsätze über Aufgaben, Organisation, Ausrüstung und Ausbildung der Sicherheitsorgane aufgestellt. Diese Grundsätze sollten helfen, Einheitlichkeit, die teilweise schon in den Ländern bestand, dort, wo es für ein wirksames Handeln der Sicherheitsorgane erforderlich ist, auch im Bereich zwischen den Ländern und im Bund-Länder-Verhältnis wirksam werden zu lassen.
Heute — darauf ist schon mehrfach hingewiesen worden —, 18 Jahre später, ist es notwendiger denn je, dieses Sicherheitsprogramm neu zu überdenken, es zu überarbeiten und fortzuschreiben, um der veränderten Situation gerecht zu werden. Es hilft uns an dieser Stelle herzlich wenig, wenn sich Bund und Länder gegenseitig die Verantwortung zuschieben. Feststehen sollte eines — und da ist die Bundesregierung gleichermaßen gefragt —: Man muß sich an einen Tisch setzen, um mit den neuen Problemen fertigzuwerden, um zu einem vernünftigen gemeinsamen Ergebnis zu kommen, was die Fortschreibung dieses Programms angeht.
Dies ist auch in den verschiedensten Sitzungen, besonders im Innenausschuß, von den Kollegen der F.D.P. — ich denke an den Kollegen Hirsch —, aber auch von Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU — ich sehe den Kollegen Clemens — immer nachhaltig gefordert worden. Es ist auch in der heutigen Debatte nochmals bestätigt worden.
Wenn wir heute über die Lage der Polizei debattieren, darf nicht der Eindruck entstehen, als sei die Polizei in ihrer Gesamtheit in der Lage, die vielfältigen Konflikte allein zu lösen. Dies kann nicht Aufgabe der Polizei sein. Wer dies nicht erkennt, wird auch künftig die Polizei überfordern.
Ist es nicht so, daß die Zerstörung der Umwelt, die dramatisch ansteigende Wohnungsnot, die zunehmende Arbeitslosigkeit, die fehlenden Zukunftsperspektiven junger Menschen, die soziale Not, die Unterdrückung und Ungerechtigkeit den Nährboden geschaffen haben, auf dem sich Konflikte entwickeln und weiter verschärfen werden? Für die Sozialdemokraten beantworte ich diese Frage mit einem klaren Ja. Ich frage die Bundesregierung, ob sie nicht selbst zu dem Ergebnis kommt, daß die unsoziale Politik in wesentlichen Teilbereichen den Egoismus in dieser Gesellschaft gefördert hat.
Ganz selbstkritisch will ich allerdings auch anmerken, daß wir uns viel mehr als bisher mit dem Phänomen auseinanderzusetzen haben, daß nach meinem Dafürhalten Wertvorstellungen in unserer Gesellschaft im Grunde genommen kaum noch vorhanden sind. Ist es nicht so, daß vielfach der einzige Wert, den es in unserer Gesellschaft noch gibt, der materielle Wohlstand ist? Trifft es nicht zu, daß die

Günter Graf
mangelnde Bereitschaft, für andere dazusein, sich in Vereinen, Organisationen und sonstigen Vereinigungen zu engagieren und dort aktiv mitzuarbeiten, nachgelassen hat?
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine weitere Frage stellen: Woran liegt es eigentlich, daß ganz offensichtlich die Mithilfe der Bevölkerung bei der Aufklärung von Straftaten und im Bereich der Prävention nachgelassen hat? Wer wie die Bundesregierung in der Beantwortung der Großen Anfrage hierzu letztlich nur zu dem Ergebnis kommt, daß hier in erster Linie die Länder gefordert sind, läßt Ratlosigkeit und Resignation erkennen. Eine Polizei, die sich der Unterstützung der Öffentlichkeit nicht mehr sicher ist, wird kaum in der Lage sein, den vielfältigen Aufgaben gerecht zu werden.
Lassen sie mich an dieser Stelle noch einige Anmerkungen zu den Aufgaben und zur Personalentwicklung der Polizei machen. Zunächst möchte ich feststellen, daß sich die Zahl die Aufgaben in den Jahren von 1974 bis 1986, wie Untersuchungen belegen, in allen Bereichen sowohl qualitativ als auch quantitativ erheblich gesteigert hat. Die Steigerungsraten liegen deutlich über 50 % und beziehen sich auf die Tätigkeitsfelder Kriminalitätsbekämpfung, Verkehrsaufgaben, Einsätze im Demonstrationsgeschehen, Objekt- und Personenschutzmaßnahmen sowie im Bereich der Prävention.
Gegenüber dieser 50prozentigen Steigerung ist die Gesamtzahl der Polizeivollzugsbeamten in Bund und Ländern um deutlich weniger als die Hälfte angestiegen, nämlich nur um knapp 10 %. Dies bedeutet im Klartext, daß der Anstieg bei den Ländern bei ca. 24 % und der Anstieg beim Bund bei etwa 4 % liegt.
Im gleichen Zeitraum ist allerdings — und dies sollte man nie. übersehen — die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten um genau 6,3 % gesunken, bedingt durch Verkürzung der Wochenarbeitszeit und durch Änderung der Urlaubsregelung. Dies bedeutet im Klartext, daß einzelne Polizeiangehörige im Jahre 1986 bei kürzerer Arbeitszeit mehr und schwierigere Aufgaben zu bewältigen hatten, als es im Jahre 1974 der Fall war. Im übrigen kann davon ausgegangen werden, daß die Anforderungen an die Polizei trotz rückläufiger Bevölkerungszahlen qualitativ und auch quantitativ weiter steigen werden.
Der ständig steigende Aufgabenzuwachs bei der Polizei muß zwangsläufig dazu führen, daß die Prävention durch die Polizei immer weniger stattfindet. Die Diskrepanz zwischen Bedarf und Angebot von Prävention wird ständig größer. Ein Beweis für diese Behauptung ist darin zu sehen, daß sich das Wach- und Sicherheitsgewerbe, die sogenannten privaten Sicherheitsdienste, ständig ausgeweitet hat. Hierauf ist auch schon von einem meiner Vorredner — ich glaube, Sie, Herr Ullmann, waren es — eingegangen worden.
Ich will an diesem Punkt, da wir uns gerade mit Grenzschutz befassen, auf folgendes hinweisen. Ich hatte vorgestern abend ein Gespräch mit den Präsidenten der Bundesbahndirektionen des norddeutschen Raumes. Dort habe ich erfahren, daß die Bundesbahn jetzt wegen zunehmender Sicherheitsrisiken auf den Bahnhöfen und in den Zügen private Sicherheitsdienste beauftragt, die Sicherheit der Fahrgäste zu gewährleisten. Wir haben die Übertragung der Aufgaben der Bahnpolizei aber u. a. unter dem Aspekt vorgenommen, dem Bundesverkehrsminister etwa 180 Millionen DM — die genaue Zahl habe ich nicht im Kopf — zu ersparen. Hier zeigt sich eine sehr bedenkliche Entwicklung, die wir so nicht hinnehmen können.
Wenn man darüber hinaus weiß, daß allein im privaten Sicherheitsgewerbe gegenwärtig ca. 280 000 Personen beschäftigt werden, hingegen bei den Sicherheitskräften in Bund und Ländern 250 000 beschäftigt sind, wenn man weiß, daß der Bundeshaushalt im Bereich der Sicherheitsdienste 2,5 Milliarden DM veranschlagt und daß sich erwartete Umsatzvolumen der privaten Sicherheitsdienste auf annähernd 3 Milliarden DM im Jahre 1992 beläuft, dann ist dies eine Entwicklung, die sehr bedenklich ist. Diese negative Entwicklung führt letztlich dazu, daß das staatliche Gewaltmonopol ausgehöhlt wird.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/GRÜNE])

Hierzu darf ich aus der Antwort der Bundesregierung zitieren:
Die Bundesregierung sieht in der Entwicklung der Zahl der Sicherheitsunternehmen derzeit keine Beeinträchtigung oder Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols oder eine Privatisierung von Angelegenheiten der öffentlichen Sicherheit.
Auch hieran, denke ich, ist die Ratlosigkeit in dieser Frage mehr als deutlich erkennbar.
Was die Verantwortlichkeit der Bundesregierung im Bereich der inneren Sicherheit angeht, so darf ich mit einigen wenigen Bemerkungen auf den Komplex der Regierungs- und Vereinigungskriminalität eingehen. Über dieses Thema haben wir in diesem Hause schon verschiedentlich diskutiert. Wir Sozialdemokraten haben uns leider nicht damit durchsetzen können, dem Bundeskriminalamt gemäß § 5 des Bundeskriminalamtgesetzes diese Aufgaben federführend zu übertragen. Das, was sich heute vollzieht, ist praktisch eine Farce. Da geht es um Schäden in Milliardenhöhe. Im Grunde genommen sind die Ermittlungsbehörden in Berlin kaum in der Lage, damit fertigzuwerden, was dazu führt, daß Verfahren eingestellt werden. Wenn ich dann höre, daß der Bund bisher 19 Beamte entsandt hat — einer fehlt noch — und daß zukünftig noch 20 hinzukommen sollen — bei einer Schadenshöhe von zig Milliarden DM —, bin ich der Meinung, daß etwas geschehen muß.

(Parl. Staatssekretär Eduard Lintner: Bei 1 500 Beamten!)

— Es kommt nicht auf die Zahl der Beamten an. Es kommt darauf an, daß hier ein Schaden in Milliardenhöhe vorhanden ist. Es entsteht in der Öffentlichkeit der Eindruck, daß sich das Motto „Die Kleinen werden gehängt, die Großen läßt man laufen" durchsetzt.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)


Günter Graf
Da geht es nämlich um ein bißchen mehr. Das kann nicht sein. Ich denke, auch hieran wird deutlich, daß die Bundesregierung, was diesen Punkt angeht, ihrem eigentlichen Auftrag und ihrer eigentlichen Verpflichtung nicht gerecht geworden ist.
Noch ein Wort zur Personalsituation der Polizei. In bezug auf die Länderpolizeien gibt es überall einen erheblichen Fehlbedarf. Letztlich sind immer die finanziellen Nöte die Ursachen dafür, das notwendige Personal nicht in entsprechender Zahl vorhalten zu können.
Hier will ich nur anmerken, daß die Ursache hierfür vor allem auch darin zu sehen ist, daß die Finanzpolitik des Bundes dazu geführt hat, daß die Länder nicht zuletzt durch die Belastungen, die sich aus der Vereinigung ergeben haben, nicht in der Lage sind, die notwendigen Maßnahmen zur Personalgewinnung durchzuführen. Insoweit fordere ich die Bundesregierung auf, darüber nachzudenken, ob und in welcher Weise sie den Ländern weitaus wirksamer helfen kann, die Probleme im Bereich der inneren Sicherheit besser bewältigen zu können.
Durch die Neustrukturierung des Bundesgrenzschutzes und die Aufgabenübertragung im Bereich der Bahnpolizei und der Luftsicherheit hat sich der Einzeldienstanteil in bezug auf die Gesamtstärke des Bundesgrenzschutzes auf 40 % erhöht. Dies bedeutet gleichermaßen, daß weiterhin 60 % in den Verbänden Dienst verrichten. Für uns Sozialdemokraten — das haben wir in der Vergangenheit immer wieder betont — scheint es hier, insbesondere bei der Fortschreibung des Konzepts für innere Sicherheit, notwendig zu sein, Verbände des BGS noch weiter zurückzufahren; dies alles unter der Voraussetzung, daß die Länder entsprechend ihrer Größe und Notwendigkeit eine entsprechende Anzahl von Bereitschaftspolizei vorhalten.

(Joachim Clemens [CDU/CSU]: Auf dem Papier!)

Bezüglich der Personalsituation im Bundesgrenzschutz gibt es insbesondere im Bereich der neuen Länder ganz erhebliche Probleme. Die Zeit reicht leider nicht aus, um dies im einzelnen in der Gesamtheit darzustellen.
Ich möchte nur einige wesentliche Punkte ansprechen, an denen auch deutlich wird, wie sich die Bundesregierung in sozialen Fragen gegenüber den Beamten des Bundesgrenzschutzes verhält. Zum einen geht es darum, daß es 38 Bedienstete bei der Bahnpolizeiwache Zoo gegeben hat, die West-Berliner waren, die im Westteil der Stadt Berlins gearbeitet und auch dort gewohnt haben, aber quasi in einer Art Organleihe für die Reichsbahn tätig waren. Sie sollen jetzt verbeamtet werden, und zwar im Bereich des BGS Ost. Ihre Besoldung sollen sie allerdings nach den Westbedingungen bekommen, jedoch mit der Maßgabe, daß sie an Einkommenssteigerungen, die ausgehandelt werden, nicht teilhaben werden. Da geht es also um lediglich 38 Personen. Mittlerweile hat sich die Zahl, wie ich gehört habe, ein wenig reduziert. Dies kann sicher nicht richtig sein.

(Joachim Clemens [CDU/CSU]: Das Problem ist gelöst!)

— Noch nicht endgültig. Das steht zwar in dem Bericht von Herrn Staatssekretär Neusel, aber dieser letzte Punkt ist noch unklar. Wir werden uns am 17. Juni 1992 im Innenausschuß über dieses Thema unterhalten.
Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich kurz noch auf ein weiteres Problem hinweisen. Per 1. April 1991 wurden nach grenzschutzärztlicher Untersuchung etwa 330 BGS-Beamte für dienstunfähig erklärt. Diese Beamte stehen vor einer ungewissen Zukunft. Einerseits ist ihnen bekannt, daß sie ihren Dienst nicht weiter ausüben können. Andererseits wissen sie nicht, wie es mit ihnen weitergeht. Formulierungen der Bundesregierung wie „es ist beabsichtigt" oder „es ist vorgesehen" oder „es soll baldmöglichst dieses oder jenes geschehen" helfen den Betroffenen wenig. Hier ist die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gefragt, den Beamten möglichst bald Klarheit über ihre zukünftige Verwendung zu verschaffen.
Meine Redezeit geht zu Ende. Lassen Sie mich deshalb noch einmal zusammenfassend für die SPD-Bundestagsfraktion feststellen: In bezug auf die Situation im Bereich der inneren Sicherheit haben sich die Zustände in unserem Land erheblich zugespitzt. In weiten Teilen der Bevölkerung ist das Gefühl entstanden, dieser Staat stehe dem Phänomen der Kriminalitätsentwicklung rat- und tatenlos gegenüber.
Die soziale Lage innerhalb der Polizeien von Bund und Ländern ist in vielen Bereichen an einem Punkt angelangt, wo Beamtinnen bzw. Beamte auf Grund der hohen Lebenshaltungskosten insbesondere durch die hohen Mieten in den Ballungszentren in die Nähe von Sozialhilfeempfängern gelangen. Um dies zu verdeutlichen, weise ich daraufhin, daß ein etwa 27jähriger Polizeibeamter bzw. eine Polizeibeamtin in der Besoldungsstufe A 7, verheiratet, monatlich mit einem Gehalt von etwa 2 300 DM auszukommen hat. Wenn man bedenkt, daß insbesondere in den Ballungszentren allein für die Anmietung einer etwa 65 m2 großen Wohnung Mieten zwischen 1 000 und 1 700 DM zu zahlen sind, dann wird daran deutlich, daß hier etwas nicht in Ordnung sein kann. Hier ist Handeln unbedingt angesagt.
Im übrigen muß es auch allen zu denken geben, wenn man weiß, daß etwa 10 bis 15 % der Polizeibeamtinnen und -beamten genehmigte nebenberufliche Tätigkeiten ausüben, um ihre Finanzsituation zu verbessern, ganz zu schweigen von den Jobs, die nicht wenige ungenehmigt ausüben.
Gerade den Beschäftigten der Polizei, die unter Einsatz ihres Lebens für uns Tag und Nacht, an jedem Wochenende, an jedem Feiertag da sind, um ein Stück an Sicherheit für uns zu gewährleisten, muß eine entsprechende angemessene Besoldung zuerkannt werden. Da stimmen die Redner in diesem Hause überein. Ich hoffe, daß nun bald endlich auch dort etwas geschieht.
Wenn man von Besoldung redet, darf man das Laufbahnrecht nicht vergessen. Insoweit möchte ich hier nur darauf hinweisen, daß man in den Bundesländern durchweg der zweigeteilten Laufbahn das Wort redet. Einige Länder haben erste Schritte dahin gehend bereits eingeleitet. Hier darf ich insbesondere auch auf das rot-grün regierte Hessen hinweisen, wo



Günter Graf
die zweigeteilte Laufbahn bereits in Angriff genommen worden ist. Die Bundesregierung muß überlegen, dies auch für den Bundesgrenzschutz zu tun. Hier ist sie in Zugzwang geraten.
Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir stimmen in einem überein: Wenn wir von innerer Sicherheit, die wir alle gemeinsam wollen, reden, dann ist es unverzichtbar, daß wir diejenigen, die diese innere Sicherheit ganz maßgeblich zu gewährleisten haben, dafür auch in angemessener Weise bewerten und besolden. Dies sage ich nicht zuletzt vor dem Hintergrund, daß eine gut motivierte, eine gut ausgebildete und eine gut ausgerüstete und gerecht besoldete Polizei sicherlich ein besserer Garant für die innere Sicherheit ist als eine Polizei, in der Mißmut, Unzufriedenheit und Perspektivlosigkeit herrschen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1209517500
Meine Damen und Herren, nunmehr erhält das Wort unser Kollege Dr. Jürgen Schmieder.

Dr. Jürgen Schmieder (FDP):
Rede ID: ID1209517600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Herren von der SPD, ich muß sagen, ich habe mich schon leicht gewundert

(Gerd Wartenberg [Berlin] [SPD]: Wissen Sie, so fangen Sie immer an, Herr Schmieder! Machen Sie doch einmal einen anderen Reim!)

— diesmal paßt es aber absolut: Sie stellen am 4. Juli 1991 eine zweigeteilte Anfrage. Punkt eins lautet: Lage der inneren Sicherheit und der Polizei in den alten Ländern; Punkt zwei: Die Zukunft des BGS. Die neuen Länder waren im Juli 1991 für die SPD nicht interessant.

(Beifall bei der F.D.P.)

Deshalb habe ich mich insbesondere gefreut, daß Rolf Schwanitz auf dieses Problem eingegangen ist. Ich muß aber sagen: Ich stimme mit ihm nicht völlig überein.
Richtig ist unbestritten, daß die Umgestaltung der Polizei in den neuen Bundesländern von einem Unterdrückungsinstrument im Sinne der SED-Diktatur zu einer rechtsstaatlichen Einrichtung, die das Vertrauen der Bürger genießt, mit erheblichen Auswirkungen verbunden ist. Insbesondere betrifft das den Aufbau neuer Polizeiorganisationsstrukturen, die Neubesetzung von Führungsfunktionen, Überprüfung des vorhandenen Personals. Nicht zuletzt mündet das in der Verunsicherung der Polizeiangehörigen im persönlichen, politischen und rechtlichen Umfeld.
Von den verbliebenen Polizeiangehörigen ist Großes geleistet worden. Das darf ich im Namen der F.D.P.-Fraktion sagen. Aber streckenweise sind diese eben doch überfordert, nicht zuletzt durch den andauernden Personalmangel.
Als Beispiel darf ich den Freistaat Sachsen anführen. Dort fehlen 2 500 Polizeikräfte, nicht zuletzt dadurch, daß insbesondere durch den Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft Lutz Bestrebungen unternommen werden, daß Seiteneinsteigern keine Chance geboten wird. Ich denke aber, gerade für die Übergangsphase wäre das eine recht praktikable Lösung. Hier sind vor allem die Länder gefordert.
Die Ausrüstung und der Ausstattungsgrad der Polizei ist auf alle Fälle schlechter als im Altbundesgebiet, insbesondere im Bereich der mobilen Technik. Dort dominieren im Bild noch der Wartburg und der Lada, auch wenn sie jetzt neu gespritzt worden sind. Die Bewaffnung ist schlecht, und die Möglichkeiten im verwaltungstechnischen Bereich lassen hier zu wünschen übrig.
Welche Auswirkungen ergeben sich daraus für den Bereich der Kriminalität? Wenn man den Mediendarstellungen folgt, bietet sich ein katastrophales Bild. Die Bürger der neuen Länder sind erschrocken, insbesondere deshalb, weil vorher alles geheimgehalten wurde und jetzt praktisch neue Zahlen geboten werden.
Fakt ist laut Einschätzung der Oberstaatsanwaltschaft Chemnitz, daß die Kriminalität im Raum Chemnitz im Steigen begriffen ist, aber insgesamt nicht beängstigend. Die Kriminalitätsdichte entspricht der im Gebiet Oberfranken, obwohl in die Region Chemnitz immerhin die Großstadt Chemnitz integriert ist. Ein Vergleich der Kriminalität der Großstädte im Altbundesgebiet mit denen im Osten sieht so aus, daß die Kriminalität im Osten etwa die Hälfte beträgt.
Auffallend ist allerdings folgendes Problem: daß der Anteil der Jugendlichen im Alter von 14 bis 21 Jahren im Altbundesgebiet an der Kriminalität etwa 20 bis 25 % ausmacht; im Raum Chemnitz sind es 35 %. Daraus sollte man aber nicht voreilige Schlüsse ziehen. Der Anteil der Kleinkriminalität ist unbestritten sehr hoch.
Die Anzahl der Banküberfälle hat sehr zugenommen, wobei die Täter vorwiegend aus dem Altbundesgebiet kommen.

(Monika Brudlewsky [CDU/CSU]: Ja, das stimmt!)

Nach Aussage der Staatsanwaltschaft gibt es im Raum Chemnitz keinerlei Rauschgiftdelikte mit harten Drogen. Im Raum Zwickau sind zwei solche Delikte im Moment anhängig. Daraus schließe ich, daß die subjektive Furcht der Bevölkerung vor der Kriminalität nicht mit der objektiven Gefahr, die von dieser ausgeht, übereinstimmt.
Zum Abschluß lassen Sie mich noch sagen, daß zur Unterstützung der polizeilichen Arbeit durch die Dezernenten für Recht, Ordnung und Sicherheit im Mai 1992 in den Städten Dresden, Leipzig und Chemnitz der Aufbau einer kommunalen Schutztruppe beschlossen worden ist. Das geht, zumindest was Chemnitz betrifft, auf einen Vorschlag von mir aus dem Januar dieses Jahres zurück. Diese kommunale Schutztruppe soll vorrangig eingesetzt werden für den Schutz von Veranstaltungen und insbesondere von Einrichtungen des öffentlichen Nahverkehrs. Freilich ist hier zu konstatieren, daß die kommunalen Schutztruppen nicht losgelöst von der Polizeistrukturen wir-



Dr. Jürgen Schmieder
ken können, sondern nur im koordinierten Einsatz. Diese Schutztruppen dürfen sich auf alle Fälle nicht verselbständigen.
Damit trotzdem die polizeilich-hoheitlichen Rechte wahrgenommen werden können, ist es angemessen, in den Abend- und Nachtstunden gemischte Einsätze vorzusehen. Insgesamt müssen diese Aktivitäten dahin münden, daß Ordnung und Sicherheit und der Schutz der Bürger gewährleistet werden und sich das Vertrauen in die Polizeikräfte wieder einstellt.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1209517700
Meine Damen und Herren, zum Schluß der Debatte erteile ich das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, unserem Kollegen Eduard Lintner. Bitte sehr.

Eduard Lintner (CSU):
Rede ID: ID1209517800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir vorweg eine Bemerkung, Frau Jelpke, weil das Thema heute schon einmal eine Rolle gespielt hat. Ich möchte einfach richtigstellen, daß der nationale Rauschgiftbekämpfungsplan, den die Bundesregierung erarbeitet hat, ausdrücklich davon ausgeht, daß Prävention, Repression, Nachfrage, Reduzierung und Produktionseinschränkung gleichwertig nebeneinander stehen. Deshalb muß ich schon darauf bestehen, daß das auch in der Rede richtig dargestellt wird. Es kann also überhaupt keine Rede davon sein, daß es uns nur darum ginge, repressive Maßnahmen auf diesem Sektor einzusetzen.
Die Bundesregierung macht in ihrer Antwort erneut deutlich, daß sie einer nachhaltigen Verstärkung der Kriminalitätsbekämpfung in Bund und Ländern große Bedeutung zumißt. Das Vertrauen der Bevölkerung in unseren Rechtsstaat darf nicht erschüttert werden. Dieses Vertrauen beruht im wesentlichen auf der Akzeptanz des staatlichen Gewaltmonopols. Das ist wiederum die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben.
Die Lage der Polizei in Bund und Ländern ist auch davon gekennzeichnet, daß sich in der Entwicklung ihrer Aufgaben bedeutende Veränderungen ergeben haben. Dies betrifft insbesondere — um nur einige wenige Schwerpunkte zu nennen — den starken Anstieg der Rauschgiftdelikte, verbunden mit dem Ausbau von Strukturen der organisierten Kriminalität, sowie z. B. den Anstieg der Diebstähle und Betrugshandlungen. Aber auch Zuwächse in der Umwelt- und in der Computerkriminalität finden ihren Niederschlag in den Anforderungen an die Polizei.
Die Bundesregierung muß deshalb — das ist ja auch eingefordert worden — mit Nachdruck auf koordinierten Initiativen von Bund und Ländern bestehen und insbesondere fordern, daß das besagte Programm für die innere Sicherheit aus dem Jahre 1974 endlich fortgeschrieben wird, damit die gemeinsamen Grundsätze über Aufgaben, Organisation, personelle und sachliche Ausstattung sowie Ausbildung der Sicherheitsorgane mit den vor uns liegenden Herausforderungen in Übereinstimmung gebracht werden.
Herr Schwanitz und Herr Kollege Graf, hier geht die Bundesregierung mit Ihren Forderungen ja durchaus einig. Aber die Fortschreibung scheitert eben nicht
an den Bemühungen der Bundesregierung. Die jüngsten sind erst wenige Tage alt. Die Länder verweigern hier die Mitarbeit. Deshalb darf ich Ihren Vorwurf an die damit eigentlich gemeinten Länder weitergeben.

(Joachim Clemens [CDU/CSU]: Sehr erstaunlich, muß man sagen!)

In diesem Zusammenhang ist vor einem weiteren Auseinanderdriften des Polizei- und Sicherheitsrechts — das ist noch gar nicht angesprochen worden —

(Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Das habe ich schon erwähnt!)

und auch der personellen, finanziellen und technischen Ausstattung der Sicherheitsorgane innerhalb Deutschlands zwischen den Bundesländern dringend zu warnen und zur Wahrung der innerstaatlichen Rechtseinheit aufzurufen.
Herr Kollege Hirsch, daß die Polizeiführungsakademie in Hiltrup nicht genannt worden ist, ist wahrscheinlich ein Versehen. Ich kann Ihnen versichern: Sie genießt das uneingeschränkte Vertrauen und auch die Hochachtung der Bundesregierung. Das zeigen auch regelmäßige Besuche aus dem Leitungsbereich des Ministeriums bei der Polizeiführungsakademie.
Im Zusammenhang mit der Wiedererlangung der Einheit Deutschlands ist die Umgestaltung der Polizeien in den neuen Bundesländern von einem Unterdrückungsinstrument zu einer rechtsstaatlichen Einrichtung mit erheblichen Auswirkungen verbunden. Das wissen wir alle. Der Aufbau einer neuen Polizeiorganisation verlangt aber tiefgreifende Änderungen, die eben auch das Selbstverständnis der davon betroffenen Bediensteten berühren. Deshalb kann diese gewaltige Aufgabe nicht in wenigen Monaten bereits zu 100 % erledigt werden.
Die damit derzeit noch verbundene unterschiedliche Beeinträchtigung der Einsatzbereitschaft geht einher mit einem Anwachsen der Kriminalität, so daß daraus eine gewisse Verunsicherung der Bevölkerung in den neuen Bundesländern entstanden ist; so übrigens auch in unserer Antwort, nur einige Absätze vor den Zitatstellen, die Sie verwendet haben.
Die Bundesregierung und die Regierungen der alten Bundesländer haben den sich daraus ergebenden Handlungsbedarf frühzeitig erkannt und die erforderlichen Maßnahmen getroffen, damit die neuen Bundesländer sowohl in personeller Hinsicht als auch im Ausstattungsbereich über die erforderliche Unterstützung verfügen können. Ich bin sicher daß die gemeinsamen Anstrengungen eine gesicherte Grundlage dafür bieten, daß der Sicherheitsstandard, der sich im bisherigen Bundesgebiet bewährt hat, auch in den neuen Bundesländern demnächst flächendeckend erreicht sein wird.
Herr Dr. Ullmann und Herr Kollege Graf, wenn Sie immer den Versuch machen, hinsichtlich der allgemeinen Klagen über einen erhöhten Finanzbedarf der neuen Bundesländer gegenüber der Bundesregierung einen Vorwurf zu konstruieren, so, muß ich sagen: Sie wollen sich einfach an der Frage der Zuständigkeit vorbeimogeln. Zuständig für die Polizei sind im allgemeinen die Länder. Deshalb gehen 90 % der Klagen, die Sie angeführt haben, in diese Rich-



Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
tung und treffen überhaupt nicht die Bundesregierung.

(Dr. Wolfgang Ullmann [Bündnis 90/ GRÜNE]: Sie haben etwas mit dem Finanzgebaren des Bundes zu tun! — Günter Graf [SPD]: Dazu ist aber noch ein bißchen mehr gesagt worden, Herr Staatssekretär! So einfach können Sie es sich nicht machen! Da müssen Sie schon konkreter werden!)

— Dann habe ich es jetzt nachgeholt. Im übrigen, Herr Kollege Graf, Sie wissen es noch besser als ich; Sie sind in dem Sektor ja schon länger tätig als ich. Sie hätten nur aus Ihrem Wissen schöpfen müssen. Dann hätten Sie es bereits von sich aus richtiggestellt.
Auswirkungen auf die Polizei werden auch der bevorstehende Abbau der Kontrollen an den Grenzen der Schengener Vertragsstaaten und die Realisierung des europäischen Binnenmarktes haben. Wenn auch die heute schon sehr stichprobenartigen Grenzkontrollen nicht das vorrangige Instrument zur Bekämpfung der Kriminalität darstellen, sind dennoch Ausgleichsmaßnahmen notwendig, um die innere Sicherheit auch weiterhin gewährleisten zu können. Dazu gehören u. a. Kontrollen mit einheitlichem Standard an den Außengrenzen, ein gemeinsamer Fahndungsapparat, Erleichterungen und Vereinfachungen im Bereich der internationalen Rechtshilfe und auch der Auslieferung.
Darüber hinaus wurden die Sichtvermerkspolitik und die Einreisebedingungen für Drittausländer weitgehend harmonisiert sowie ein System der grenzüberschreitenden Observation und die sogenannte Nacheile durch die Polizei entwickelt.
Von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang ist dann noch, daß auf der Grundlage der Entwicklung in Europa in die verstärkte polizeiliche Zusammenarbeit nunmehr auch unsere östlichen Nachbarn einbezogen werden können, was insbesondere für die neuen Bundesländer von erheblicher Bedeutung ist. Zu diesem Zweck hat die Bundesregierung schon viele bilaterale Vereinbarungen mit ost- und südosteuropäischen Staaten geschlossen.
Meine Damen und Herren, die Komplexität der polizeilichen Aufgabenerfüllung erfordert im Inneren unseres Landes gemeinsames Handeln der Polizeien der Länder und des Bundes, d. h. einschließlich des Bundesgrenzschutzes und des Zolls. Der BGS hat die mit der Erlangung der staatlichen Einheit verbundene Erweiterung seiner Aufgaben größtenteils bereits erfolgreich bewältigt. Seit dem 1. April hat er darüber hinaus durch das sogenannte Aufgabenübertragungsgesetz auch eine erheblich größere Verwendungsbreite im Rahmen des polizeilichen Sicherheitssystems erhalten. Er ist seither für die Gewährleistung der inneren Sicherheit von noch größerer Bedeutung als bisher. Auf die Einzelheiten ist bereits hingewiesen worden.
Wir haben damit im übrigen natürlich auch den Ländern, glaube ich, einen sehr wichtigen Gefallen getan. Wir haben nämlich die Landespolizeien im Aufgabenbereich des Bundes mit der Folge entlastet, daß sie sich nun verstärkt ihren originären polizeilichen Aufgaben widmen können. Dieser Entlastungseffekt ist vor allem im Bereich der Luftsicherheitsaufgaben evident, tritt aber auch bei den bahnpolizeilichen Aufgaben ein, da die Landespolizeien — anders als bisher — allenfalls noch in Ausnahmefällen um Unterstützung in diesem Bereich gebeten werden müssen.
Dabei muß ich, Herr Kollege Graf, darauf hinweisen: Was Sie hinsichtlich der Einsatzstärke des BGS beklagt haben, beklagen wir mit Ihnen. Sie wissen, daß wir etwa 5 000 offene Stellen haben und daß wir wirklich alle Anstrengungen unternehmen, um diese Stellen besetzen zu können. Wenn diese Stellen noch nicht besetzt sind und die Leute bei der praktischen Arbeit fehlen, dann liegt das auch daran, daß es eben sehr, sehr schwierig geworden ist, für die Polizei Nachwuchskräfte zu gewinnen.
Darauf komme ich noch kurz zu sprechen. Die Lage der Polizei wird zwar im wesentlichen von ihren Aufgaben, ihrer Organisation und auch ihren rechtlichen Möglichkeiten bestimmt, aber sie ist natürlich u. a. auch von der Personalsituation geprägt. Bund und Länder haben vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung Schwierigkeiten, in ausreichender Zahl geeignete Bewerber für den polizeilichen Nachwuchs zu gewinnen.
Um so mehr müssen wir um eine wirksame Verbesserung der Attraktivität des Polizeidienstes bemüht sein. Ich darf auf all die bekannten Vorschläge, die in dem Zusammenhang zur Zeit beraten werden, verweisen. Insbesondere geht es darum, durch eine Verbesserung im Zulagenwesen die von Ihnen zu Recht beklagte Situation in bestimmten Ballungsgebieten für die Polizeibeamten in den unteren Rängen zu verbessern. Auch da sind wir uns einig.
Aber wie überall kann hier der Bund nicht allein handeln, sondern muß im Grunde genommen die Länder dazu gewinnen. Wie schwer die Einigkeit herzustellen ist, wissen Sie. An uns jedenfalls vom Bund her gesehen wird diese Verbesserung nicht scheitern.
Meine Damen und Herren, zum Schluß möchte ich darauf hinweisen, auch dieser Gedanke ist schon genannt worden: Es muß eigentlich deutlich sein, daß Kriminalitätsbekämpfung nicht ausschließlich Angelegenheit der Polizei ist, sondern eben eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt. Daher sind für die Bewältigung der an uns alle gerichteten Herausforderungen neben einer schlagkräftigen Polizei wir alle in Politik, Verwaltung und Bevölkerung zu tatkräftigem Handeln und zum Unterstützen der Polizei bei ihrer schwierigen Aufgabe verpflichtet.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1209517900
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD zur Lage der Polizei. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir sind damit auch am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 5. Juni, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.