Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich dem Abgeordneten Collet zu seinem 65. Geburtstag, den er am 15. September 1986 gefeiert hat, und der Abgeordneten Frau Dr. Wisniewski zu ihrem 60. Geburtstag im Namen des Hauses sehr herzlich gratulieren.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Zusatzpunkte 2 bis 8 sind in der Ihnen vorliegenden Liste aufgeführt:
2. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Stopp der Kohleimporte aus Südafrika
— Drucksachen 10/2417, 10/4754 —
Berichterstatter: Abgeordneter Müller
3. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Ergebnis der GATT-Konferenz von Punta del Este
4. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Verbot biologischer Waffen
— Drucksache 10/6051 —
5. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Verschärfung der Lage in Chile
— Drucksache 10/6039 —
6. Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zur geplanten Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes Cattenom
7. a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Gremium zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste
— Drucksache 10/6045 —
b) Wahl der Mitglieder des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste
— Drucksache 10/6046 —
8. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" — Drucksache 10/6040 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Weiterhin ist bezüglich Punkt 24 der Tagesordnung interfraktionell vereinbart worden, den Gesetzentwurf zum Zusatzabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit auf Drucksache 10/6023 ohne Debatte an die Ausschüsse zu überweisen. Diese Vorlage soll vor Punkt 23 aufgerufen werden.
Außerdem sollen die Einsetzung des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste und die Wahl seiner Mitglieder am Freitag unmittelbar nach der Aktuellen Stunde aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung zu erweitern um die Beratung des Antrags Einheitliche Europäische Akte — Drucksache 10/6013 —. Der Antrag liegt auf den Drucksachenwagen in der Eingangshalle vor.
Wird hierzu das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? — Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Porzner.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten wollen mit diesem Antrag erreichen, daß der Deutsche Bundestag möglichst bald, und zwar, da es in dieser Woche nicht mehr geht, in der nächsten Woche, den Gesetzentwurf zur Einheitlichen Europäischen Akte beraten kann.Der Stand ist: Im Februar dieses Jahres hat der Rat der Europäischen Gemeinschaft diese Akte beschlossen. Im April hat die Bundesregierung den dafür erforderlichen Gesetzentwurf zur Ratifizierung dem Bundesrat zugeleitet. Im Mai hat der Bundesrat dieses Gesetz auf der Tagesordnung gehabt. Der Bundesrat hat dazu eine Stellungnahme abgegeben, in der gegenüber der Bundesregierung und gewiß dann auch gegenüber dem Bundestag Änderungen vorgeschlagen worden sind.
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17958 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
PorznerWir haben erwartet, daß die Bundesregierung nun das Gesetzgebungsverfahren weiter betreibt. Aber der Gesetzentwurf ist nicht da. Die Bundesregierung hatte vor 14 Tagen ihr Einverständnis erklärt, daß der Tagesordnungspunkt „Gesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte" vor 14 Tagen im Bundestag behandelt werden sollte. Aber die Gegenäußerung der Bunderegierung zur Stellungnahme des Bundesrates liegt noch immer nicht vor. Uns ist ein Tagesordnungspunkt abhanden gekommen.
Meine verehrten Damen und Herren, die Art und Weise, wie Sie hier das Thema der europäischen Einigung behandeln, zeigt, daß den großen Worten, die Sie überall gebrauchen, tatsächliche politische Taten nicht folgen.
Wir Sozialdemokraten wollen die europäische Einigung, und wir wollen auch diesen kleinen Schritt tun. Aber der Bundestag kann sich erst dazu äußern, wenn ihm der Gesetzentwurf vorgelegt wird. Ich vermute, daß der Gesetzentwurf nach der bayerischen Landtagswahl, wenn man innerhalb der Regierung weniger Sorgen hat, daß es zu Kontroversen mit der Mehrheit oder mit dem Bundesrat kommen könnte, vorgelegt wird. Nur wird die Zeit für den Bundestag dann sehr knapp; denn das, was im Bundesrat beschlossen und verlangt wurde, nämlich Beteiligungsrechte des Bundesrats, weil bei der europäischen Politik auch Zuständigkeiten der Länder berührt sind, hat es j a in sich. Darauf kann ich jetzt nicht eingehen.Aber vom Bundestag zu erwarten, daß er das Gesetz im Eilverfahren berät — es ist auch noch von Grundgesetzänderungen die Rede —, ist ihm nicht zuzumuten.
Übrigens ist ja auch die schleppende Behandlung des Beschlusses des Europäischen Parlaments über einen Vertrag zur Gründung einer europäischen Union im Auswärtigen Ausschuß nur ein Hinweis, wie man diese Dinge bewertet und wie man mit ihnen umgehen will.Stimmen Sie bitte dem Antrag zu, damit die Bundesregierung aufgefordert ist, schon in dieser Woche die Gegenäußerung abzugeben, damit der Bundestag handeln kann und der Bundesrat dann im zweiten Durchgang auch die Möglichkeit hat, sich damit zu befassen. Schließen Sie nicht von vornherein aus, daß es ein Vermittlungsverfahren gibt. Das dauert Zeit. Da die Akte am 1. Januar in Kraft treten soll — andere Länder sind im Ratifizierungsverfahren weiter —, eilt es jetzt.Danke schön.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Bohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch die CDU-Bundestagsfraktion legt Wert auf eine gute, solide und ausführliche Beratung des vorliegenden Vertragsentwurfes.
Ich kann nur noch einmal in Erinnerung rufen, daß ja diese Europäische Akte von der Bundesregierung maßgeblich mit initiiert und gestaltet worden ist und daß sie für die Entwicklung und Zukunft der Europäischen Gemeinschaft von großer Bedeutung ist.Es gibt ja auch schon eine erste positive Stellungnahme des Deutschen Bundestages, als er eine Bewertung des Rates in Luxemburg vorgenommen hat.Allerdings muß ich den Vorwurf, hier werde eine Verschleppungstaktik betrieben, mit Entschiedenheit zurückweisen; denn die Entwicklung ist ja ganz klar. Herr Kollege Porzner hat darauf hingewiesen, daß der Gesetzentwurf, bei dem es sich um ein Zustimmungsgesetz handelt, dem Bundesrat — das ist ja auch wichtig, weil damit der besonderen Bedeutung des Gesetzes im Hinblick auf die Bundesländer Rechnung getragen worden ist — zugeleitet worden ist. Der Bundesrat hat nun eine Stellungnahme abgegeben
mit den Stimmen der SPD-Länder und hat die Ratifikation davon abhängig gemacht, daß auch das Verfahren über die Beteiligung der Länder an EGEntscheidungsprozessen mitgeregelt wird. Dieses Junktim ist mit den Stimmen der SPD-Länder im Bundesrat beschlossen worden.
Nun hat die Stellungnahme des Bundesrates in der Tat eine Reihe schwieriger, auch rechtlich schwieriger Fragen aufgeworfen, die einer gründlichen Prüfung bedürfen.
Ich möchte darauf hinweisen — das werden Sie von der SPD ja bestätigen können —, daß die lange Vorgeschichte darüber, wie die Länder am EG-Entscheidungsprozeß zu beteiligen sind, schon immer erhebliche Meinungsverschiedenheiten in dieser Frage gezeigt hat. Die bestehende Praxis hat ebenfalls immer offene Fragen für alle Beteiligten bestehenlassen.Deshalb ist es völlig richtig, daß die Bundesregierung bei dieser Sachlage zunächst alle Möglichkeiten ausschöpft, um zu einer konsensfähigen und rechtlich einwandfreien Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrats zu kommen, damit eben gerade, Herr Porzner, ein Vermittlungsverfahren überflüssig bleibt und die Zustimmung des Bundesrats gesichert ist.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 17959
BohlIch bin jedenfalls der Meinung: Wir sollten die Europäische Akte sehr sorgfältig prüfen.
Dazu ist eine solide Gegenäußerung der Bundesregierung, Herr Ehmke, unerläßlich.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen — das geht vielleicht ein wenig unter; Herr Ehmke, auch das sollten Sie zur Kenntnis nehmen —: Wir haben als einziges Land in der EG eine so ausgeprägte föderale Ordnung. Daß bei dieser Integration auf der europäischen Ebene Interessen der Länder in besonderer Weise bei uns berührt werden, ist offenkundig. Daß es dafür einen besonderen Abstimmungsbedarf gibt, der über den Abstimmungsbedarf in anderen Ländern weit hinausgeht, ist auch offenkundig. Das sollte nicht kritisiert werden.Wir sind der Meinung, daß auf der einen Seite das föderale Prinzip zu wahren ist, auf der anderen Seite aber auch die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung sichergestellt werden muß. Das ist der Konflikt, den es hier gibt. Dieser muß gelöst werden. Dafür wird die Stellungnahme der Bundesregierung sicherlich eine gute Grundlage bieten.
Lassen Sie mich abschließend darauf hinweisen, Herr Kollege Porzner, daß Sie nicht recht haben, wenn Sie sagen, wir bildeten bei dem Fahrplan zur Ratifikation ein Schlußlicht. Ich erinnere im Gegenteil daran, daß Frankreich, Irland, die Niederlande, Portugal und Spanien noch nicht einmal das parlamentarische Zustimmungsverfahren eingeleitet haben.Deshalb ist gar keine Eile am Platze. Sie brauchen hier keinen Alarm zu schlagen. Wir werden eine Stellungnahme der Bundesregierung haben, die eine breite Zustimmung in diesem Hause und auch im Bundesrat finden wird. Deshalb wollen und werden wir dem Begehren der SPD, heute diesen Punkt auf die Tagesordnung zu nehmen, nicht stattgeben.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die großen Worte der SPD sind nicht am Platze. Die SPD-regierten Länder haben zusammen mit Bayern eine Fülle von Ergänzungsvorschlägen vorgetragen, u. a. die Änderung des Grundgesetzes. Ein Justizminister Vogel hätte hier ebenfalls eine sehr sorgsame und sehr umfassende Prüfung angemerkt.
Ich habe Verständnis für die Vorstellungen der Länder, wenn sie hier auch zusätzliche Kompetenzen erwerben wollen. Aber das muß man sorgfältig prüfen. Hier sind Verfassungsrechte aufgerufen, und hier sind auch Stellungen von Verfassungsorganen aufgerufen. Es ist deswegen nicht am Platze, von einer Verschleppungstaktik zu reden, wenn Ihre eigenen Länder diese Dinge besonders in den Raum gestellt haben.
Vielleicht haben die SPD-Länder Ihnen das nicht mitgeteilt. Wir hören j a in letzter Zeit, daß die Kommunikation nicht besonders gut sein soll.
Übrigens hat es, als die Dinge am Beginn waren, einen Brief des früheren Bundeskanzlers Schmidt an den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Rau gegeben. Damals hätte man sich auch auf Ihrer Länderseite auf diese Problematik einrichten können.
Im übrigen haben bis jetzt nur zwei Länder der Europäischen Gemeinschaft, Dänemark und Belgien, das Ratifizierungsverfahren abgeschlossen. Beide Länder haben keine so föderalistische Struktur wie die Bundesrepublik. Vielleicht muß man das auch bei dieser Gelegenheit mit berücksichtigen.
Wir meinen: Wir müssen uns in dieser Verfassungsfrage sorgfältig und umfassend mit den Ländern auseinandersetzen, ihre Argumente gewichten und entsprechende Prüfungen einleiten und behandeln. Wir müssen dies mit allen Ländern tun; denn wir wollen dann auch ein abgestimmtes Verfahren haben, Herr Kollege Vogel.
Die FDP will Europa. Sie will es Zug um Zug, aber sie will es nicht überhastet und überstürzt. Blinder Eifer schadet auch da nur.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung. Wer der Rufsetzung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung sowie den Zusatztagesordnungspunkt 2 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Verheugen, Bindig, Brück, Dr. Hauchler, Herterich, Dr. Holtz, Dr. Kübler, Frau Luuk, Neumann (Bramsche), Schanz, Schluckebier, Frau Schmedt (Lengerich), Toetemeyer, Voigt (Frankfurt), Dr. Vogel und der Fraktion der SPDMaßnahmen zur Abschaffung der Apartheid — Drucksachen 10/3994, 10/5822 —
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17960 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Abgeordnete Dr. Hornhues
Verheugen
Schäfer
Frau Borgmann
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Stopp der Kohleimporte aus Südafrika — Drucksachen 10/2417, 10/4754 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Müller
Zu Tagesordnungspunkt 2 liegt ein Änderungsantrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 10/6050 vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Beratung des Tagesordnungspunkts 2 und des Zusatztagesordnungspunkts 2 zwei Stunden vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir brauchen hoffentlich nicht mehr darüber zu streiten, was vom System der Rassenherrschaft in Südafrika zu halten ist. Breyten Breytenbach, dem südafrikanischen Schriftsteller, der als Weißer lange im Gefängnis saß, ist zuzustimmen, wenn er die Apartheid eine „eiternde Wunde im Gewissen der Welt" nennt — eine eiternde Wunde im Gewissen der Welt!
Ich gehe davon aus, daß die große Mehrheit unseres Volkes mit Rassendünkel und Rassenherrschaft auch anderswo nichts zu tun haben will. Eine solche Ablehnung ist aus Gründen der politischen Moral und eines wachen Geschichtsbewußtseins dringend geboten, also auch wegen der Rassismusschande, die die Nazis über unser Volk gebracht hatten.Außerdem haben wir ein unübersehbares Interesse daran, nicht die Voraussetzungen einer Zusammenarbeit zu zerstören, von der wir hoffen müssen, daß sie uns in näherer Zukunft mit denen verbinden wird, die in dem Land, um das es geht, die große Mehrheit sind.Kaum jemand wird hier noch bezweifeln wollen, was Apartheid bedeutet, nämlich die Verweigerung von Menschenrechten. Das Apartheidsregime hat außerdem einen weltpolitischen Gefahrenherd entstehen lassen. Es ist für die friedliche Entwicklung der Region zu einem Hindernis geworden. Dies wird nicht besser dadurch, daß man Namibia auf sich beruhen läßt. Wer diesen Herausforderungen ausweicht, lädt sich Mitverantwortung für ein schreckliches Blutbad auf, das sich über Jahre erstrecken kann, wenn nicht bald die Weichen anders gestellt werden.
Das läßt sich nicht hier in Bonn, auch nicht in London, nicht einmal in Washington machen. Aber beeinflussen könnten wir, der Westen, schon, ob die Weichen auf Chaos gestellt bleiben oder sich doch noch auf Verhandlung setzen lassen.Was sich hierzu Anfang voriger Woche in Brüssel nicht getan hat und wie die Rolle des offiziellen Bonn anderswo beurteilt wird, das verdient gewiß kritisch und besorgt unter die Lupe genommen zu werden. Da versammeln sich vor der Sommerpause, im Juni, die Regierungschefs der EG-Staaten im Haag und drohen mit umfassenden Sanktionen, wenn sich die Machthaber in Pretoria nicht ernsthaft bewegen. Dann wird der britische Außenminister auf Reisen geschickt und muß sich demütigend behandeln lassen. Inzwischen spricht sich — für viele unerwartet — eine deutliche Mehrheit im Kongreß der Vereinigten Staaten für umfassende Maßnahmen aus. Danach sagen die EG-Minister unter dem Druck einer tonangebenden Minderheit, zu der der deutsche Kollege gehört: Alles nicht so ernst gemeint; wir machen es auch milder oder billiger — ich stelle anheim. Herr Genscher stimmt dann Restsanktionen zu, während Herr Kohl von Unsinn spricht.Meine Damen und Herren, zu kritisieren ist natürlich nicht, daß die Bundesregierung am Bemühen um ein gemeinsames westeuropäisches Signal beteiligt war. Zu bemängeln ist die extreme Bescheidenheit dessen, was beschlossen wurde.
Nichts Halbes und nichts Ganzes, wie eine große überregionale Zeitung in diesem Fall zutreffend feststellte. Zu bedauern ist auch die Tatsache, daß Bonn die Funktion des Schlußlichts übernahm im ohnehin wenig beeindruckenden Geleitzug der europäischen Regierungen und daß die Winzigkeit des Beschlossenen auch noch entwertet wurde durch die herabsetzenden Kommentare beim ThatcherKohl-Treffen, auch durch die zu Protokoll gegebenen Vorbehalte von CSU-Ministern im Kabinett.
Ich sage dem Bundeskanzler und dem Außenminister: Dem Ansehen der Bundesrepublik bekommt dies nicht gut.
Erst alle Register ziehen, um einen europäischen Beschluß zu verwässern, und dann noch verhöhnen lassen, was übriggeblieben ist. In Pretoria wird das mit Feixen quittiert, anderswo wird es als Zynismus verstanden.
Meine Freunde und ich sind natürlich nicht dagegen, daß für einige Gruppen der schwarzen Bevölkerung etwas Geld zur Verfügung gestellt wird. Zu Lob bleibt freilich nicht viel Anlaß, wenn man die hierfür vorgesehenen Mittel in ein Verhältnis setzt zum Umfang der unbehelligt bleibenden Geschäfte.Ich denke, meine Damen und Herren, niemandem unter uns sollte es gleichgültig sein, in wel-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 17961
Brandtchem Ansehen unser Staat bei denen steht, die in Südafrika für die Mehrheit sprechen.
Mich hat es geschmerzt, vor wenigen Monaten an Ort und Stelle hören zu müssen, daß unsere Bundesrepublik für eine der letzten stärkeren Stützen des Apartheidsregimes gehalten wird.Der Bundeskanzler weiß ebenso wie der Außenminister — die Vertreter des Südafrikanischen Kirchenrats haben es ihnen jedenfalls noch Ende der letzten Woche gesagt —, einen wie verheerenden Eindruck die amtliche deutsche Halbherzigkeit hinterlassen hat. Solche Enttäuschungen lassen sich leicht verstehen. Sie haben einen galligen Beigeschmack noch dadurch bekommen, daß Bergarbeiter darüber belehrt werden sollten, was sie als ihr Interesse zu betrachten hätten.
Auf die Einfuhr südafrikanischer Kohle — für eine bestimmte Zeit — verzichten, so das Argument, hätte verheerende Wirkungen für die schwarzen Arbeitnehmer in den Kohlegruben, auch für solche Arbeitnehmer, die in Nachbarstaaten zu Hause sind. Solche Zusammenhänge gibt es. Wer wollte das bestreiten? Ohne Hilfen für die Nachbarländer — die sogenannten Frontstaaten — wird die südafrikanische Krise, die ja erst noch richtig auf uns Europäer zukommt, kaum zu meistern sein. Aber ich muß in allem Ernst die Frage stellen, ob die Interessen von Arbeitnehmern in anderen Teilen der Welt durch die deutsche Regierung — oder den bayerischen Ministerpräsidenten — besser interpretiert werden als durch deren eigene Vertrauensleute.
Ich frage, ob es nicht arrogant ist, sich an die Stelle derer setzen zu wollen, die es unmittelbar angeht.Der Generalsekretär der südafrikanischen Bergarbeitergewerkschaft war Ende August bei uns in der Bundesrepublik. Meines Wissens hat er auch den Bundesaußenminister gesehen. Er hat gesagt, nach seiner Überzeugung und der seiner Kameraden seien Wirtschaftssanktionen — ich zitiere — „das einzige friedliche Mittel, mit dem das südafrikanische Regime zu fundamentalen Veränderungen gezwungen werden kann". Herr Ramaphosa hat hinzugefügt, er und seine Kollegen hätten keine Illusionen, doch die Leiden der Unterdrückten setzten ja bekanntlich nicht erst jetzt, im Frühherbst 1986, ein.
Das Argument, meine Damen und Herren, wirtschaftlicher Druck dürfe schon deshalb nicht ausgeübt werden, weil er die schwarze Mehrheit träfe, wurde von allen Vertretern dieser Mehrheit, mit denen ich in Südafrika habe sprechen können, scharf zurückgewiesen. Ob Kirchenführer — und ich nehme sie alle —, Gewerkschaftsvorsitzende oder Repräsentanten humanitärer Organisationen, alle sagten sie: Wir wollen die Sklaverei nicht für uns angenehmer machen, sondern wir sind sogar zu noch größeren Opfern bereit, um endlich Freiheit und Gleichberechtigung zu erlangen. Von dieser gemeinsamen Grundhaltung läßt sich auch durch den Hinweis auf Stammesunterschiede nichts abstreichen.Ich will nicht verschweigen, daß ich selber erhebliche Zweifel gehabt habe, ob wirtschaftliche Maßnahmen geeignet seien, den gebotenen politischen Druck zu bewirken. Aber ich konnte nicht überhören, was fast alle diejenigen sagten, die für die übergroße Mehrheit ihrer Landsleute sprechen. Es kommt hinzu, daß Sanktionen nach internationalem Recht ausdrücklich solche Maßnahmen sind, die in Fällen von Friedensstörung zur Anwendung vorgesehen sind.Meine Damen und Herren, ich möchte an die Bemühungen erinnern, die in der ersten Hälfte dieses Jahres eine Gruppe hervorragender Persönlichkeiten im Auftrag des Commonwealth unternahm. Bevor deren Bericht veröffentlicht wurde, waren Anfang Juni der frühere australische, liberal-konservative Ministerpräsident Malcolm Fraser und der nigerianische Expräsident Obasanjo hier in Bonn. Die Herren haben der Regierung ebenso wie mir gegenüber von ihrer Überzeugung gesprochen, daß nur noch starker Druck in der Lage sei, ein fürchterliches, sich lange hinziehendes Blutbad zu vermeiden. Wenn dies nicht gelänge, so sagten sie, würden zusätzlich zu den Opfern an Menschenleben gewaltige wirtschaftliche Werte aufs Spiel gesetzt werden; und die Chancen, am runden Tisch eine Regelung auszuhandeln, mit der Mehrheit und Minderheit — oder Minderheiten — leben könnten, würden immer geringer. Dies entsprach und entspricht meiner eigenen Einschätzung.Doch solche Hinweise reichten nicht aus, bei unserer Regierung einen Umschwung zu bewirken, einen Umschwung, der menschenrechtlich geboten war und außerdem noch dem wohlverstandenen längersichtigen Interesse an Zusammenarbeit entspräche. Ich finde, daß dieser Mangel an Einfühlungsvermögen und Vorausschau deprimierend bleibt.
Der eben erwähnte Australier und seine Kollegen hatten den Rechtsanwalt Nelson Mandela im Gefängnis besuchen dürfen. Sie hatten dessen afrikanische Überzeugungen bestätigt gefunden, wie er sie seinerzeit seinen Richtern entgegenhielt. Malcolm Fraser dem Sinne nach: Wenn sich das Minderheitsregime nicht doch noch rasch bewege, könne die Führung der schwarzen Mehrheit wohl auch an heute unbekannte und unberechenbare Kräfte übergehen.Pieter Willem Botha, der ungewöhnlich sture und selbstgerechte Präsident der weißen Minderheit, meint immer noch, den seit einem Vierteljahrhundert eingekerkerten Führer des African National Congress, Nelson Mandela, als Kommunisten und Terroristen abtun zu können. Tatsächlich war und ist der ANC als eine immer noch eher gemäßigte Kraft einzustufen, die ganz offiziell zur Kenntnis zu nehmen auch für uns geboten wäre.
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17962 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
BrandtMeine Damen und Herren, gewiß sind die weitsichtigeren Führer einem erheblichen Druck ihrer Basis — mit einer sich weiterhin radikalisierenden Jugend — ausgesetzt. In solchen Situationen entpuppen sich die Bothas dann als besonders wirksame Förderer dessen, was sie Kommunismus oder Anarchismus nennen.
Die afrikanische Nationalbewegung, ursprünglich auf Gewaltfreiheit festgelegt, ist im Laufe der Jahre dazu übergegangen, sich gezielt auch gewaltsamer Aktionen zu bedienen. Für die Machthaber in Pretoria ist dies „ruchloser Terrorismus". Der ANC macht geltend, daß es sich um legitime Gegengewalt handle, Gewalt gegen einen Staat, eine Staatsmacht, die auf dem Grundsatz gebaut ist, die Mehrheit der Menschen aus Rassegründen diskriminieren zu dürfen, gegen einen Staat, dessen verfassungsmäßige Ordnung auf der These beruht, die weiße Rasse sei höherwertig und dadurch legitimiert, der Mehrheit grundlegende politische, soziale und wirtschaftliche Rechte vorzuenthalten. Weniger als 5 Millionen Weiße bestimmen also über 28 Millionen Nichtweiße, davon 24 Millionen Schwarzafrikaner.Ich sage trotz gewisser Reformen der letzten Zeit: Die Mehrheit darf weiterhin nicht darüber bestimmen, wer sie regiert. Wer zur Mehrheit gehört, kann nicht darüber entscheiden, wo er wohnen, wohin er reisen, welchen Beruf er ausüben will.
Fast alles Land gehört den Weißen. Den Schwarzen werden entscheidende soziale Rechte vorenthalten. Sie dürfen sich nicht versammeln und vereinigen, wie sie es für richtig halten. Wer nicht kuscht, wandert ins Gefängnis, wird nicht selten mißhandelt. Ich meine, dazu dürfen wir nicht schweigen, sondern das zu Ende bringen zu helfen sollten wir alle uns aufgefordert fühlen.
Ich füge hinzu: Wenig ist damit gewonnen, wenn besonders ins Auge springende Erscheinungsformen der sogenannten kleinen Rassentrennung verschwinden. Was hilft es — so hat man uns vor Ort gefragt —, wenn das Eingehen einer „Mischehe" nicht mehr verfolgt wird, die Verheirateten aber keine Wohnung finden, oder wenn Schwarze in Gaststätten dürfen, deren Preise sie nicht bezahlen können? Außerdem, so Oliver Tambo, der Auslandschef des ANC, mit dem neuerdings auch die Beauftragten des amerikanischen Außenministers sprechen, in einer Unterhaltung mit uns hier in Bonn — ich zitiere ihn —:Wir haben doch nicht 74 Jahre gekämpft, um mit den Weißen mal ein Glas Bier trinken zu dürfen.Diese 74 Jahre bestimmen den Zeitraum seit der Gründung jenes African National Congress.Andere im Lande sagten: Es geht nicht darum, daß die Weißen netter zu uns sind, sondern darum, daß wir nicht weiter rechtlos bleiben.Die Erfahrung hat gezeigt, meine Damen und Herren: Das menschenfeindliche System der Apartheid läßt sich nicht reformieren, es läßt sich nur abschaffen.
Aber es wird sich wohl noch einige Zeit behaupten, wenn es nicht durch fühlbaren Druck zum Einlenken bewegt wird.
Dies ist das Problem. Vielleicht kann Druck von außen doch noch bewirken, daß die Weichen neu gestellt werden. Die internationale Gemeinschaft hat dies wiederholt gefordert, so erst gerade die Gipfelkonferenz der Blockfreien in Harare.Für uns sollte das heißen: unmißverständliche Parteinahme statt einer Neutralität, die keine ist,
das Regime nicht mehr stützen, sondern es isolieren helfen, den Hebel nutzen, durch den die allein noch ausreichende große Reform bewegt werden kann.Ich denke, in Südafrika sollten sich die heute noch Mächtigen klarmachen: Wer ums Verhandeln nicht herumkommt, tut gut daran, seine voraussehbaren Verhandlungspartner nicht länger zu beleidigen, zu kujonieren, zu terrorisieren. Wer eine friedliche Regelung will, wird besser spät als endgültig zu spät zu begreifen haben, daß dazu nicht nur das gleiche Wahlrecht gehört, sondern auch der Abbau ökonomischer und sozialer Vorrechte.
Wer künftig als Minderheit für legitim gehaltene Rechte geltend machen will, darf sich nicht länger dem verschließen, was das Recht der Mehrheit ist.Es geht nicht mehr darum, darüber zu verhandeln, daß die Apartheid abgewickelt wird. In den Kirchen drunten, aber auch zum Teil bei uns zu Hause und sonst in Europa, weiß man das besser als anderswo. Auch in unserem Auswärtigen Dienst ist bekannt, daß es über die Aufhebung der Apartheid nichts mehr zu verhandeln gibt und daß man unentbehrliche Verhandlungspartner tunlichst auf freien Fuß setzt und deren politische Organisationen, die der Mehrheit, sich endlich ungehindert entfalten läßt.Ich fürchte, meine Damen und Herren, daß auf dem Wege zum hilfreichen Verhalten die deutsche Regierung ernster Korrekturhinweise bedarf. Trägheit des Herzens und konzeptionelles Durcheinander jedenfalls bringen den Menschen keine Hilfe.
Sie entschärfen nicht die Krise; sie kommen imübrigen auch dem Ansehen unseres Staates nichtzugute. Ich beschwöre diejenigen, die für die Bun-
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Brandtdesrepublik Deutschland zu sprechen haben: Bringen Sie unseren Staat aus dem Zwielicht heraus
und orientieren Sie sich an dem, was europäische Interessen und deutsche Geschichte gleichermaßen gebieten.Mittlerweile gibt es ja bei uns nicht wenige, zumal in den Gruppen engagierter junger Menschen, für die Südafrika zu einer Frage des Gewissens geworden ist. Auch auf seiten der Wirtschaft, sogar an Ort und Stelle, gibt es solche, die erkannt haben, daß der Kurs der sturen Buren in die Katastrophe führt und daß man niemandem hilft, wenn man alte Loyalitäten höher setzt als Menschenrecht, Grundwerte der Demokratie und nüchtern eingeschätztes Eigeninteresse. Es könnte, meine Damen und Herren, einiges bedeuten, wenn wir in dieser Richtung möglichst geschlossen zusammenfänden.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie erlauben mir zunächst ein kurzes Wort zu den sehr persönlichen Bemerkungen — denn Gewissensentscheidungen gehören ja nun ganz gewiß zum persönlichen Bereich —, die der Kollege Brandt eben hier gemacht hat. Herr Kollege Brandt, ich glaube, es gibt in diesem Hause niemanden, der nicht mit Ihnen der Überzeugung ist, daß der jetzige Zustand in Südafrika unhaltbar ist, daß er geändert werden muß und daß wir als Bundesrepublik Deutschland nach bestem Wissen und Gewissen hierbei unseren Beitrag zu leisten haben. Wir haben ihn zu leisten — —
— Ich weiß nicht, ob Ihre Zwischenrufe — schade, daß man sie nicht hört — angemessen sind. Der Herr Kollege Brandt hat diese persönliche Note hier aus gutem Grunde hereingebracht, und ich antworte ihm in einer entsprechenden Weise. Wenn Sie das nicht ertragen können, finde ich das bedauerlich.
Herr Kollege Brandt, es ist auch richtig, daß ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland oder ein Volk wie das deutsche auf Grund der geschichtlichen Erfahrungen gerade dieses Jahrhunderts in einer besonders sensiblen und offenen Weise seine Meinung überprüfen und auch öffentlich darstellen muß. Aber die Diskussion, um die es hier geht, ist ja, auf den Kern gebracht, die Diskussion über die Frage: Sind Sanktionen richtig und nützlich oder nicht? Das ist, so meine ich, wirklich keine Gewissensfrage, sondern eine Frage, in der man auch sachrationale Überlegungen anstellen muß.
Sie selbst haben ja — ich finde das auch gut undrichtig — zweifelnde Bemerkungen gemacht undhaben gesagt, Sie hätten sich dann zu dieser Meinung durchgerungen, auch auf Grund von Gesprächen und Erfahrungen.Ich bin auf Grund meiner Gespräche und Erfahrungen genau umgekehrter Meinung. Zu den Erfahrungen gehört, Herr Kollege Brandt — dem werden Sie wohl kaum widersprechen können —, daß weder Ihnen noch mir aus der jüngeren Geschichte ein Fall bekannt ist, in dem Sanktionen wirklich Nützliches im Sinne derjenigen, die solche Sanktionen herbeiführten, erreicht haben.Herr Kollege Brandt, noch in diesem Jahr hatten wir doch die ungewöhnliche Situation, daß Sie mir in einer politischen Aktivität zustimmten, nämlich als ich mich dem Drängen unserer amerikanischen Freunde entzog und mich gemeinsam mit den Europäern — unser Votum war dort von einiger Bedeutung — Sanktionen in Sachen Libyen nicht angeschlossen habe. Sie erinnern sich noch an diesen Vorgang aus dem Frühjahr dieses Jahres.Es geht also nicht darum, daß wir uns hier gegenseitig darin übertreffen wollten, für unsere Überzeugung in Sachen Achtung der Menschenrechte überall in der Welt einzutreten. Ich bin hier weder auf dem linken noch auf dem rechten Auge blind.
— Wir können über Menschenrechte in der Welt sehr wohl mit Ihnen reden!
Wenn Sie das in die Debatte einzuführen belieben: Wir haben keine Parteibeziehungen mit einer Partei, die Menschenrechte mit Füßen tritt.
Herr Kollege Brandt, Trägheit des Herzens ist es auch nicht, denn jeder von uns weiß: Wer Südafrika und den dort lebenden Menschen helfen will, den Schwarzen, den Farbigen und den Weißen, wird auf dem Weg der Revolution nichts erreichen. Es würde ein Meer von Blut und Tränen zur Folge haben. Wir müssen den ganz gewiß schwierigen, langwierigen, oft von Erfolglosigkeit gekennzeichneten Weg der evolutionären Entwicklung gehen.Ich füge ein Weiteres hinzu: Für mich ist das Thema Südafrika aus dieser Gewissensüberzeugung heraus auch kein Thema der innenpolitischen Profilierung, weder in den USA vor Wahlen noch in der Bundesrepublik noch in irgendeinem anderen Land. Sie gestatten mir — ich beziehe das ausdrücklich nicht auf Sie; das sage ich vorweg —, daß ich darauf hinweise, daß ich in der internationalen Diskussion auch eine Menge Heuchelei dabei erlebt habe. Wenn ich sehe, wer alles für Sanktionen gegenüber dem Krügerrand eintritt, aber gleichzeitig den Export von Goldbarren duldet, und wenn ich die Entwicklung des Goldpreises in den letzten zwei Monaten beobachte, dann stellt sich für mich schon sehr die Frage, wo hier Heuchelei betrieben wird.
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17964 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Bundeskanzler Dr. KohlMeine Damen und Herren, der seit Jahrzehnten schwelende Rassenkonflikt in der Republik Südafrika hat sich aus Gründen, die hier schon genannt wurden, zusehends verschärft. Die Polarisierung der politischen Lager hat weiter zugenommen. Gewalt und Gegengewalt haben ein neues Stadium der Eskalation erreicht. Wir als Bundesregierung verfolgen gemeinsam mit unseren europäischen Partnern und auch mit den Partnern unter den großen Industrienationen — wir haben auch in Tokio darüber gesprochen — die Entwicklung dort mit großer Sorge. Die Erfahrungen im Alltag der schwarzen Bevölkerung, der die elementarsten Menschen- und Bürgerrechte vorenthalten werden, führen zu immer mehr Enttäuschung, Verzweiflung und dann auch zur Radikalisierung. Die Aussichten auf einen friedlichen Wandel sind geringer geworden. Politische Instabilität, wirtschaftliche Rezession, wachsende Gewalt bilden ein zunehmendes Hindernis für konstruktive Lösungen. Es wächst ein weltpolitisch gefährlicher Krisenherd.Vor diesem Hintergrund haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft beim Treffen des Rates der Regierungschefs in Den Haag am 28. Juni neue Ansätze diskutiert und erwogen, um ihren, den Europäischen Beitrag zur Lösung des Konflikts zu leisten.Die Staats- und Regierungschefs der Zwölf haben dann der südafrikanischen Regierung konkrete Schritte auf einem Weg vorgeschlagen, der die Apartheid überwindet und den Rassenkonflikt durch friedlichen Wandel beendet.Wir haben an die Regierung Botha appelliert, umgehend in einen umfassenden Dialog mit Vertretern aller Bevölkerungsgruppen einzutreten, um eine Eindämmung der Gewalt und damit auch eine faire Teilhabe aller Südafrikaner an der politischen Willensbildung einzuleiten.Herr Kollege Brandt, wir haben deutlich gemacht — das hat auch diese Bundesregierung und das habe ich selbst bis in die letzten Tage hinein immer wieder in direktem Kontakt versucht —, daß wir von Südafrika als ersten Schritt die Freilassung aller politischen Gefangenen und die Aufhebung der bestehenden Verbote politischer Parteien und Organisationen erwarten. Ich habe bei jedem nur denkbaren Kontakt unsere südafrikanischen Gesprächspartner darauf hingewiesen, daß es, wenn wir wenigstens zu einem Aussetzen von Gewalt auf Zeit kommen, wenn schon das Ziel einer Verfemung der Gewalt nicht erreichbar ist, notwendig ist, daß wir entweder in Südafrika oder außerhalb Südafrikas zu einem Verhandlungstisch kommen, an dem die beteiligten Parteien — im weitesten Sinne des Wortes — Platz nehmen und diskutieren können.Ich habe diesen Vorschlag in Den Haag genauso unterbreitet wie in den Tagen und Monaten danach. Wir haben ein umfassendes Unterstützungsprogramm für die von Apartheid Betroffenen befürwortet, um die Dialogbereitschaft zu fördern. Großbritannien als die derzeitige EG-Präsidentschaft wurde beauftragt, Gespräche im südlichen Afrika zu führen, um diesen Dialog zu ermöglichen.Wir haben schließlich in Den Haag beschlossen, innerhalb einer Frist von drei Monaten mit den anderen Industrieländern — und das waren besonders Japan und die USA — Konsultationen zur Abstimmung weiterer Maßnahmen aufzunehmen. Die Maßnahmen, Herr Kollege Brandt, bezogen sich auch auf die Erwägung des Verbots neuer Investitionen sowie künftiger Einfuhren von Kohle, Eisen, Stahl und Münzen. Niemand auf dem Europäischen Rat konnte am Ende der Sitzung einen Zweifel über meine Position haben. Ich habe dort übrigens gemeinsam mit anderen Kollegen erklärt, daß ich keinen Sinn darin sehe, Sanktionen dieser Art zu verhängen, da diese Sanktionen die Umgehungstatbestände in sich tragen. Das ist j a gerade auch bei der Kohle-Sanktion durch die Erklärung Japans in den letzten Tagen ganz besonders deutlich geworden.Am 16. September, drei Monate nach der Erklärung des Europäischen Rates zu Südafrika, haben dann die Außenminister der zwölf EG-Staaten im Lichte dieser Erklärung erneut beraten. Ausgangspunkt war der Bericht des britischen Außenministers über seine Gespräche im südlichen Afrika, die er auf Bitten der Staats- und Regierungschefs führte. Die Außenminister haben dann mit Bedauern feststellen müssen, daß die Erklärung des Europäischen Rates und die Gespräche der Präsidentschaft nicht zu den erhofften Ergebnissen geführt haben.Die südafrikanische Regierung hat — Sie haben das anerkannt, Herr Kollege Brandt — in den letzten Jahren eine Reihe von Entscheidungen zugunsten des Abbaus der Apartheidpolitik getroffen. Leider wurden diese Entscheidungen spät, j a, sehr spät und nach meiner Überzeugung nicht in der ausreichenden Dimension getroffen. Bis jetzt hat die südafrikanische Regierung noch nicht ihre Bereitschaft erkennen lassen, die auch von mir als notwendig erkannten Schritte zur Einleitung eines echten nationalen Dialogs über die Unterschiede von Hautfarbe, Rasse und Religion hinweg zu unternehmen.Vor diesem Hintergrund haben die Außenminister der Zwölf eine Erklärung abgegegeben, die wesentliche Elemente enthält:Erstens: Die Hilfsmaßnahmen der Zwölf im europäischen und nationalen Rahmen zugunsten der schwarzen Bevölkerungsmehrheit in Südafrika, vor allem im Bereich von Aus- und Fortbildung, sollen jetzt verstärkt in die Wege geleitet werden. Ich will darauf hinweisen, daß die Bundesregierung im Rahmen der EG ganz wesentlich an dem Beschluß mitgewirkt hat, diese Aktion aus der EG zu starten. Ich will darüber hinaus darauf hinweisen, daß ich selbst mich gegenwärtig in Gesprächen mit der deutschen Wirtschaft befinde, und zwar mit dem Ziel, aus Mitteln der deutschen Wirtschaft und aus Mitteln, die wir aus dem Bundeshaushalt zusätzlich aufbringen, ein Ausbildungsprogramm für die schwarze und farbige Bevölkerung auf den Weg zu bringen.
Ich bin sehr damit einverstanden, daß die EG etwas tut; aber nach meinen bisherigen Erfahrungen vermute ich, daß dies in einer Dimension statt-
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Bundeskanzler Dr. Kohlfinden wird, die ich als nicht ausreichend empfinde. Aus diesem Grunde werde ich alsbald auch dem Hohen Hause und den zuständigen Ausschüssen des Deutschen Bundestages Vorschläge unterbreiten, wie wir als Bundesrepublik Deutschland in einer gesonderten Hilfsaktion zur Ausbildung beitragen können. Ich halte das für eines der wichtigsten Themen,
wobei ich allerdings der Auffassung bin, daß dies nicht nur aus Mitteln der Steuerzahler geschehen sollte, sondern daß auch die Wirtschaft ihren Beitrag dazu leisten sollte. Ich könnte mir auch denken, daß die Kirchen ihren Beitrag dazu erbringen können.
— Und weil hier der Zwischenruf gemacht wird: Ich könnte mir auch vorstellen, daß es sich als günstig erweisen würde, wenn in diesem Falle einmal Gewerkschaftsmittel für eine besonders sinnvolle Sache eingesetzt würden.
Zum zweiten: Die Zwölf werden Südafrika nicht aus der Verpflichtung entlassen, die Voraussetzungen für einen umfassenden nationalen Dialog zu schaffen. Wir werden eine neue politische Initiative unternehmen, und zwar innerhalb der EG und auch national — ich sagte das schon —, um endlich die Freilassung Nelson Mandelas und anderer politischer Häftlinge und, Herr Kollege Brandt, die Aufhebung des Verbotes des ANC und anderer Organisationen und Parteien der Nichtweißen durchzusetzen.Drittens: Schließlich haben die Zwölf entschieden, angesichts der bis jetzt fehlenden Bereitschaft der südafrikanischen Regierung, konstruktive Schritte zu tun, ein Verbot neuer Investitionen in Südafrika sowie ein Verbot der Einfuhr von Eisen, Stahl und Goldmünzen aus Südafrika in die Länder der Europäischen Gemeinschaft zu verhängen.Ich sage hier ganz offen, ich stand in dieser Entscheidung in einem Interessenkonflikt, zwischen meiner Überzeugung in Sachen Sanktionen und der Bereitschaft, einen gemeinsamen europäischen EG-Beschluß zu ermöglichen, einen Beschluß, der auch in einem gewissen Zusammenhang mit den amerikanischen Beschlüssen zu sehen ist.Ich habe mich dann dafür entschieden, in dieser Frage der Gemeinschaft die Möglichkeit eines gemeinsamen Beschlusses zu geben. Und, Herr Kollege Brandt, es ging dabei doch nicht nur um die Bundesregierung; das wissen Sie so gut wie ich. Von unserer Entscheidung hing ja wesentlich mit ab, daß sich auch andere so entschieden haben. Auch im Bereich der EG war ja — damit trete ich niemandem zu nahe — eine sehr breite Überzeugung vorhanden, daß das, was wir letztlich vorgeschlagen haben, auch wirklich vernünftig und akzeptabel ist.Ich sage noch einmal, wir haben diesen Maßnahmen im Interesse eines einheitlichen Handelns der Europäischen Gemeinschaft zugestimmt. Damit ändert sich nichts an meinen grundsätzlichen Vorbehalten gegen Sinn und Wirksamkeit solcher Einschränkungen des Handelsverkehrs.Wir haben darüber hinaus — ich deutete es schon an — an einem politischen Signal an die Adresse der Regierung Südafrikas mitgewirkt. Wir wollen deutlich machen, daß die Maßnahmen, die beschlossen sind, eine klare Mißbilligung der mangelnden Bereitschaft der weißen südafrikanischen Regierung zu einem partnerschaftlichen Dialog mit ihren nichtweißen Mitbürgern darstellen.Meine Damen und Herren, auch das muß man in der Debatte sagen: Jedem, der sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigt, ist hinlänglich bekannt, daß die Regierung Südafrikas seit langem für den Fall wirtschaftlicher Abschnürung umfassende Vorsorge getroffen hat.
— Das glauben Sie doch wohl selbst nicht!
— Dann fragen Sie den Kollegen Brandt! Er soll einmal eine Umfrage in der Sozialistischen Internationale halten, welche sozialistischen Regierungschefs bei diesen Umgehungsvorsorgen mitgeholfen haben. Sie werden dann interessante Adressen finden.
Die südafrikanische Wirtschaft hat ein beachtliches Maß an Autarkie erreicht. Zur Neutralisierung wirtschaftlicher Restriktionen ist ein Netz von umfassenden Umgehungsmöglichkeiten geknüpft worden.
Wirtschaftlicher Druck von außen wird nur eine zusätzliche politische und wirtschaftliche Selbstabschottung und eine weitere Verhärtung der politisch Verantwortlichen mit sich bringen.Meine Damen und Herren, man kann — das sage ich noch einmal — in der Frage, ob man für oder gegen Sanktionen ist, unterschiedlicher Meinung sein. Ich wehre mich nur entschieden dagegen, daß man dem Ja zu Sanktionen einen moralischen Untergrund und einen moralischen Anspruch beimißt und dem verantwortlichen Nein zu Sanktionen sozusagen zuweist, dies sei eine Billigung von Apartheidpolitik. Das ist völlig abwegig!
Herr Kollege Brandt, Sie zitieren j a auch heute wieder gerne internationale Stimmen. Nun, Helen Suzman, eine führende Abgeordnete der parlamentarischen Opposition in Südafrika, hat im „New York Times Magazine" — das ist eine Stimme, die nicht gerade für Apartheid ist — geschrieben — ich zitiere —:Diejenigen, die glauben, daß die Verhängungvon Sanktionen die Regierung in Pretoria als-
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Bundeskanzler Dr. Kohlbald in Schwierigkeiten bringen und innerhalb kurzer Zeit zu ihrem Zusammenbruch führen würde, sind falsch informiert. Hielte ich dies für möglich,so sagt diese oppositionelle Abgeordnete, die gegen Botha steht,würde ich Sanktionen voll und ganz unterstützen. Weitaus wahrscheinlicher ist jedoch der Rückzug in eine Notstandswirtschaft, mehr Unterdrückung und mehr Gewalt.Ich bin genau dieser Meinung. Wie Sie wissen, haben wir uns aus diesen Gründen auch nicht bereit gefunden, einem Importverbot für Kohle aus Südafrika zuzustimmen. Das ist eine Position, die übrigens auch von der portugiesischen Regierung eingenommen wird und die von befreundeten Regierungen in der EG — wie Sie wissen, Herr Kollege Brandt — auch bei anderer Abstimmung und in der Diskussion im Rat zumindest mit Sympathie gesehen wird.Ein europäisches Importverbot für südafrikanische Kohle würde — dies ist unbestreitbar — zur Arbeitslosigkeit für viele Zehntausende schwarze Arbeitnehmer im südafrikanischen Kohlebergbau führen. Von der Entlassung wären in gleicher Weise schwarze Bergarbeiter aus der Republik Südafrika selbst wie auch Gastarbeiter aus den Nachbarstaaten betroffen.Jeder hier im Saal, der sich mit dem Thema beschäftigt, weiß auch, daß man bei der Gesellschafts- und Familienstruktur dieses Landes damit rechnen kann, daß auf jeden Lohnempfänger fünf bis sechs Familienangehörige kommen. Ein System sozialer Sicherheit besteht für die schwarzen Minenarbeiter nicht. Die Folgen von Massenentlassungen lassen sich daher leicht voraussehen: Hunger, Existenznot und wachsende Radikalisierung.Meine Damen und Herren, auch die Wirkung auf das südliche Afrika insgesamt war zu bedenken. Die südafrikanische Regierung hat immer wieder deutlich gemacht, daß sie willens ist, Sanktionsfolgen an die schwarzen Nachbarstaaten weiterzugeben. Die Konsequenzen — das wissen Sie doch auch, meine Damen und Herren von der SPD — sind angesichts der schwachen Wirtschaftsstruktur dieser Länder und ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit doch klar vorauszusehen.Ein deutscher Missionar, der seit 30 Jahren in Südafrika tätig ist, schrieb mir zu den Folgen, die er von Sanktionen erwartet:Ich leite eine Missionsfarm. Ich habe hier über 35 schwarze Arbeiter angestellt. Schon jetzt sind es sicher zehn, vor allem junge Männer, zuviel. Wenn nun Sanktionen kommen, werden noch viele Männer und Frauen nach Arbeit und Brot fragen, obwohl ich jetzt schon nicht mehr weiß, wie ich allen helfen kann.Die von mir geführte Bundesregierung ist nicht bereit, Maßnahmen mitzutragen, die ein Heer von Arbeitslosen in Südafrika und seinen Nachbarländern zur Folge haben, die für Hunderttausende Hunger und Not bedeuten, die die Radikalisierung anheizen und die die Chancen für eine friedliche Lösung, die schwer genug ist, endgültig zunichte machen.
Wer Sanktionen fordert, der muß sich auch in der Sprache des Herzens, wie Sie sagten, Herr Kollege Brandt, fragen, ob er diese Folgen tragen kann.Halten Sie mir bitte in dieser Debatte nicht vor, daß viele Führer der Schwarzen in Südafrika selbst umfassende Sanktionen fordern. Auch ich, Herr Kollege Brandt, habe viele Gespräche geführt. Aus diesen Gesprächen muß ich Ihnen allerdings berichten, daß mir in diesem Zusammenhang nicht wenige sagten: Ich muß wegen der Gegebenheiten zu Hause, wegen der Diskussionen, die dort stattfinden, und wegen Bedrohungen für Sanktionen eintreten, obwohl ich mir über die Konsequenzen völlig im klaren bin.
Sie wissen wie ich, Herr Kollege Brandt, daß jahrzehntelange Not und Verzweiflung — auch das ist doch ein Argument — häufig die Vorstellung erwekken, das eigene Leid und das Leid derer, für die man sich verantwortlich fühlt, könnten nicht größer werden. Aber die Sache sieht doch ganz anders aus, wenn die Not so anwächst, daß das tägliche Brot und das Überleben in Frage gestellt sind. Immerhin ziehen 1,5 Millionen schwarzer Gastarbeiter den Aufenthalt in Südafrika dem Verbleiben in den benachbarten Frontstaaten vor, weil sie in Südafrika eben — trotz aller Umstände, über die wir ja einig sind — immer noch Arbeit und Brot finden.Die Frontstaaten haben beim AußenministerTreffen in Luanda und beim Gipfel der Blockfreien in Harare die Welt und vor allem den Westen zu Sanktionen aufgefordert. Sie haben sich aber um des eigenen Überlebens willen gehütet, selbst eine Verpflichtung zu Sanktionen einzugehen. Wir kennen die Verwundbarkeit dieser Staaten. Unsere eigenen Hilfsmöglichkeiten und auch die unserer Partner würden nicht ausreichen, um wirksam helfen zu können.
Meine Damen und Herren, ich habe diese Situation in Südafrika bereits bei der Regierungsübernahme vor jetzt gerade vier Jahren vorgefunden. Die dramatische Entwicklung war schon damals, wie Sie, Herr Kollege Brandt, wissen, in vollem Gange. Sie sollten doch, wenn Sie moralische Anklagen erheben — Sie haben das heute weniger getan als in jenem Dokument, das Sie auf Ihrem Parteitag verabschiedet haben —, auch noch die Frage beantworten, Herr Kollege Brandt: Was haben Sie eigentlich in Ihren 13 Jahren in Sachen Südafrika getan?
Ich wehre mich dagegen, daß wir eine so schwierige Frage wie diesen Rassenkonflikt und diese Auseinandersetzung in Südafrika zunächst einmal
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Bundeskanzler Dr. Kohlmit Gefühlsaufwallungen und demonstrativen Gesten beantworten.
Das ist meines Erachtens eine Lösung, mit der sich viele die Dinge viel zu leicht machen. Das Thema des Rassenkonflikts ist zu ernst, um daraus innenpolitischen Profit schlagen zu wollen. Ich sage noch einmal: Wir alle sind uns — so hoffe ich jedenfalls— in dem Ziel einig, die Apartheid abzuschaffen. Wir alle wissen — ich hoffe, auch das ist unsere gemeinsame Meinung —, daß dies nur auf dem Weg der Evolution möglich ist.
— Was soll dieser Zuruf? Sie wissen so gut wie ich, daß der Kollege Strauß Apartheid ablehnt. Das wissen Sie; das hat er oft genug gesagt.
Er lehnt allerdings auch jene Art der ideologischen Betrachtung, die Sie hier eingeführt haben, ganz gewiß ab.
Da ich j a erwartet habe, daß Sie die Debatte auf diese Art und Weise führen, auch dazu eine Stimme, eine Stimme, die Sie gerne zitieren, etwa im Zusammenhang mit anderen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Marion Gräfin Dönhoff hat im August in der „Zeit" geschrieben:Auch die Außenstehenden, die Organisation der Afrikanischen Staaten, ... die Commonwealth-Konferenz, ... die reisenden Politiker, sie alle handeln nicht besonders weise, wenn sie die letzte Stufe als erste betonen: die Abschaffung der Apartheid. Viel wichtiger wäre es, darauf zu bestehen, daß Nelson Mandela aus dem Gefängnis entlassen wird, die Regierung sich mit ihm an einen Tisch setzt, damit der Prozeß beginnen kann, an dessen Ende die Aufhebung des Apartheid-Systems steht.Meine Damen und Herren, ich habe unsere Position hier deutlich gemacht. Wir halten nichts von Sanktionen. Wir haben uns diesem Schritt aus Gründen der europäischen Solidarität angeschlossen. Wir halten sehr viel davon, Gespräche zu führen, ohne Beschimpfung unserer Gesprächspartner— auch wenn diese bei Mißerfolgen, Herr Kollege Brandt, manches Mal naheliegen — und ohne eine Charakterisierung, wie Sie sie vorgenommen haben. Ich weiß, das ist ein ganz mühseliger Weg.Wir bleiben bei der Grundentscheidung:
Die Gefangenen müssen befreit, die politischen Gruppierungen zugelassen werden. Es muß eine Möglichkeit gefunden werden, in Südafrika oder außerhalb Südafrikas einen Verhandlungstisch aufzustellen, um die Gewalt zu beenden. Wir sollten in der Zwischenzeit nicht nur darüber reden, was andere tun, sondern auch selbst einen Beitrag leisten,
indem wir, meine Damen und Herren, etwas für die Ausbildung junger Farbiger dort tun. Denn das ist die beste Möglichkeit, langfristig einen wirklichen Beitrag zu einer friedlichen Entwicklung dieses Landes zu leisten. Ich lehne es ab — ich sage es noch einmal —, dieses Thema zu einem Thema innenpolitischer Profilierung zu machen. Es steht Ihnen frei, das zu tun. Wer wirklich nach seinem Gewissen entscheiden will, muß hier den langwierigen, schwierigen Weg der Vernunft gehen und nicht jenen der Emotion und der Gefühlsaufwallung, die ganz gewiß das ruhige, kluge Wort vermissen lassen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Eid.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Herr Bundeskanzler, auch nach Ihrer Rede bleiben wir dabei: Die unzureichenden Sanktionsbeschlüsse der EG gegen Südafrika sind beschämend,
und die Bundesregierung hat sich erneut mit Erfolg als Bremserin betätigt. Auf Wink des starken Mannes aus München hat sie nur wirkungslose Sanktionen passieren lassen. Allerdings, Herr Bundeskanzler, läßt sich die bundesdeutsche und internationale Öffentlichkeit durch dieses Spiel nicht täuschen.
Die Kritik an den Maßnahmen war im In- und Ausland vernichtend; denn es hat sich erneut erwiesen, daß die Bundesregierung einer der letzten Verbündeten und eine der letzten Schutzmächte für das bedrängte Apartheidregime ist und bleibt.
Es ist deshalb auch konsequent, wenn die Staaten der Dritten Welt nun der Bundesregierung die für 1987 angestrebte Mitgliedschaft im UNO-Sicherheitsrat verweigern wollen. Die EG-Maßnahmen sind wirkungslos und zu Recht zum Gespött in Südafrika geworden. Nach Berechnungen der EG-Kommission betreffen die jetzt beschlossenen Sanktionen doch nicht einmal 4 % des gesamten südafrikanischen Exports. Durch die Einbeziehung der Kohle in den EG-Importstopp wären die Ausfuhren aus Südafrika um rund 20 % vermindert worden, und die Sache hätte wenigstens einen kleinen Biß bekommen; aber da hätte der wilde Mann aus Bayern ja die Koalition aufgekündigt.Ihre Sorgen, meine Herren und Damen von der Bundesregierung, daß die schwarze Bevölkerung am meisten unter effektiven Sanktionen zu leiden
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17968 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Frau Eidhätte, sind pure Heuchelei, und Ihr Gerede von der Wirkungslosigkeit von Sanktionen ist widersprüchlich und unglaubwürdig.
Ein Blick in die Handelsstatistiken fördert Ihre wahren Motive zutage. Es geht Ihnen um nichts mehr und um nichts weniger als um die Verteidigung bundesdeutscher Wirtschaftsinteressen.
Politisch völlig instinktlos wird es, wenn in einer halbamtlichen bundesdeutschen Zeitung, nämlich den „Nachrichten für Außenhandel" vom 28. August dieses Jahres dann auch noch nachzulesen ist, welche Umgehungsmöglichkeiten bestehen, wenn Sanktionen voll wirksam werden sollten.Der Bundesregierung geht es jedoch nicht nur um die Verteidigung bestehender Wirtschaftsbeziehungen mit Südafrika. Schlimmer noch: Unter dieser Bundesregierung gelang es der bundesdeutschen Wirtschaft sogar, ihre Handelsaktivitäten mit dem Apartheidregime auszubauen. So ist z. B. Südafrika mittlerweile zum wichtigsten Kohlelieferanten für die Bundesrepublik geworden. Kamen 1984 noch 29 % aller Kohleimporte aus Südafrika, so steigerte die Bundesrepublik diese Importe in der ersten Hälfte dieses Jahres um ein Drittel auf jetzt 44 % aller importierten Kohle. Das ist unmoralisch.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch ein paar Worte zu einigen Ausstiegsszenarien aus der Atomenergie sagen. Bei einigen Szenarien, auch bei der SPD, werden die weltweit niedrigsten Importpreise für Kohle aus Südafrika zugrunde gelegt. Die GRÜNEN lehnen diese Art von Alternativrechnungen ab; denn sie laufen darauf hinaus, ungerechte Strukturen in Südafrika zu verfestigen. Fragen Sie doch einmal, meine Herren und Damen von der Bundesregierung, wie es zu dem im Weltmaßstab niedrigsten Preis von 111 DM pro Tonne südafrikanischer Kohle kommt. Die 550 000 schwarzen Bergwerksarbeiter gehören zu den am schlechtesten bezahlten schwarzen Arbeitern in Südafrika; mit 392 Rand im Monat liegen sie noch weit unter dem ohnehin miesen Durchschnittslohn. Die Sicherheitsstandards in den südafrikanischen Minen gehören zu den niedrigsten der Welt, was erst kürzlich bei dem tragischen Unglück deutlich wurde, bei dem in den Kinross-Goldminen 177 schwarze Arbeiter ums Leben kamen.
Daß die häufigen Unfälle in südafrikanischen Minen kein Werk des Zufalls sind, sondern unmittelbar mit den auf Rassentrennung gründenden Arbeitsbedingungen zusammenhängen, belegt eine Studie der ILO, die am Wochenende in Genf der Presse vorgestellt wurde: Allein zwischen 1973 und 1984 sind in den südafrikanischen Bergwerken 8 500 Bergwerksarbeiter umgekommen — ein allzu blutiger Preis für die billige Kohle aus Südafrika, meine ich.
Es liegt Ihnen heute der Antrag der GRÜNEN zum Stopp der Kohleimporte aus Südafrika vor. Leider hat auch die SPD bei der Beratung im federführenden Wirtschaftsausschuß fast geschlossen gegen unseren Antrag gestimmt.
Aber inzwischen hat sich j a bei den Sozialdemokraten einiges bewegt.Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, bei der heutigen Abstimmung über unseren Antrag haben Sie die Gelegenheit, Ihre veränderte Haltung zu Sanktionen zu dokumentieren.
Stimmen Sie deshalb der vorliegenden Beschlußempfehlung des Wirtschaftsausschusses nicht zu.Ich möchte allerdings noch sagen: Der Stopp der Kohleimporte ist nur ein erster Schritt in Richtung auf umfassende Wirtschaftssanktionen.
Einzig bedeutsam für die Abschaffung der Apartheid ist der sofortige Stopp der Kreditvergabe bundesdeutscher Banken, insbesondere an südafrikanische Staatsunternehmen, weil damit direkt der militärische Gewaltapparat des Botha-Regimes finanziert wird.
Wenn Ihre Sorge um die schwarze Bevölkerung echt wäre, Herr Bundeskanzler, dann würden Sie den verzweifelten Bitten der Schwarzen nach Sanktionen folgen und gleichzeitig Unterstützungsmaßnahmen für den südafrikanischen Widerstand und die Frontstaaten ergreifen. Aber das Gegenteil ist der Fall: Für die Konferenz für das südliche Afrika, SADCC, in der die Frontlinienstaaten zusammengeschlossen sind, sind z. B. im Haushaltsplan des BMZ lächerliche 5 Millionen DM an Entwicklungshilfe vorgesehen.
Noch ein Wort zu Ihnen, Herr Minister Warnke: Zum erstenmal planen Sie, direkte staatliche Entwicklungshilfe an das Apartheid-Regime zu geben.
Bisher hatten Sie sich auf die Finanzierung von Hilfeleistungen nichtstaatlicher bundesdeutscher Träger beschränkt. Die GRÜNEN halten die Absicht und das Vorgehen der Bundesregierung, nämlich geschickt am Parlament und an der Offentlichkeit vorbei Gelder aus dem Studien- und Fachkräftefonds der GTZ dem Apartheid-Regime zur Verfügung zu stellen, für einen handfesten Skandal.
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Frau EidStatt zur weltweiten Isolierung des weißen Unrechtsregimes beizutragen, intensiviert die Bundesregierung mit der neu aufgenommenen staatlichen Hilfe die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit mit dem Apartheid-Regime.Da von dieser Bundesregierung kein wirklicher Druck auf Pretoria zu erwarten ist, muß der Sanktionsdruck von unten intensiviert werden, weshalb z. B. am 29. November in Bonn eine bundesweite Apartheid-Boykottdemonstration stattfinden wird.
Wir begrüßen es, daß sich der Rat der EKD deutlich zur Unterstützung von Boykottschritten durchgerungen hat.
Allerdings greifen seine Vorschläge für ausgewählte und begrenzte Maßnahmen zu kurz. Der Aufruf der EKD fällt damit hinter die Harare-Erklärung des ökumenischen Rates vom Dezember 1985 zurück, der sofortige und umfassende Sanktionen gefordert hat.Die katholischen Bischöfe in der Bundesrepublik verweigern ihren südafrikanischen Brüdern und Schwestern weiterhin ihre Solidarität. Angeblich dürfe die Kirche zu tagespolitischen Fragen keine Stellung beziehen.
Unsere Hoffnungen sind deshalb nicht die zaghaften Amtskirchen, sondern die vielen Basisaktivisten der Kirchen, die keine Waren aus Südafrika kaufen und ihre Konten bei bundesdeutschen Banken, die weiterhin mit Krediten die blutige Maschinerie der Apartheid ölen, kündigen.Wir fordern die SPD auf, ihre vielfältigen Möglichkeiten in von ihr regierten Kommunen und Bundesländern zur aktiven Umsetzung eines Kohleboykotts zu nutzen.
Modell für ein solches Vorgehen ist die Stadt Wuppertal, wo vor kurzem eine rot-grüne Mehrheit den Verzicht der Stadtwerke auf südafrikanische Kohle beschlossen hat.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Die schwarzen Oppositions- und Widerstandsorganisationen wissen um die Nachteile von umfassenden Wirtschaftssanktionen, und dennoch verlangen sie sie eindringlich. Winnie Mandela sagte einmal in einem Gespräch: Wenn es sein muß, wollen wir hungernd für unsere Freiheit kämpfen.
Gerade in dieser Haltung spiegeln sich die Stärke und das Selbstbewußtsein des schwarzen Widerstands, und diese Stärke ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß die wirtschaftlichen Auswirkungen von Sanktionen nicht wirkungslos verpuffen, sondern politisch umgesetzt werden.
In die Abschaffung der Apartheid. Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, die Debatte heute vormittag macht deutlich, daß das Thema zu ernst ist, als daß es innenpolitisch mißbraucht werden kann. Das hat der Bundeskanzler in seiner Rede deutlich gemacht; aber auch bei Herrn Brandt waren diese Töne zu hören. Ich hielte es auch für gut, wenn wir diesen Debattenton fortsetzen könnten, ohne uns gegenseitig Heuchelei, Unmoral oder böse Absichten, Vorteile und Profit vorzuwerfen.Meine Damen und Herren, ich habe vor einigen Wochen in einem Interview meine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, daß die Bundesregierung zu ihrer gemeinsam mit den anderen europäischen Staaten getroffenen Entscheidung stehen wird, mit allen europäischen Staaten zusammen dann Sanktionen zu vollziehen, wenn die Dreimonatsfrist, die im Juni dieses Jahres vom Europarat in Den Haag gesetzt wurde, nicht eingehalten würde, wenn bis dahin die Mission des britischen Außenministers im Auftrag der EG gescheitert sei. Ich habe in diesem Zusammenhang gesagt, daß die Bundesregierung bei einer solchen Entwicklung sicherlich nicht das Schlußlicht sein würde.Es ist inzwischen zu solchen Maßnahmen gekommen, auf die ich nachher noch eingehen will, weil durchaus kritisch beurteilt werden sollte, ob solche Maßnahmen ausreichend sind oder nicht.Ich halte es zunächst für sehr wichtig, daß der Bundeskanzler heute über den Katalog der positiven Maßnahmen hinaus, die von den europäischen Außenministern Mitte September in Brüssel beschlossen wurden, nationale Maßnahmen angekündigt hat; denn uns allen erschien ein Sonderprogramm „Südliches Afrika" für 3,5 Millionen DM sehr dürftig. Uns erschienen auch 10 Millionen Ecu auf der Ebene von 12 europäischen Staaten sehr wenig. Insofern war es gut, daß der Bundeskanzler heute morgen erklärte, er selbst werde dafür sorgen, daß nicht nur der Bundeshaushalt eine höhere Summe ausweisen werde; vielmehr werde auch die deutsche Industrie von ihm gebeten, einen größeren Beitrag zu leisten.Wir haben das eigentlich alle schon seit langen Jahren erwartet, und wir haben der deutschen Industrie bei unseren Gesprächen in Südafrika immer wieder empfohlen, das zu tun und damit dem amerikanischen Vorbild nachzueifern. Ich hoffe, daß sie dazu bereit sein wird.Meine Damen und Herren, ich halte solche Maßnahmen für sehr wichtig, weil es sicher ganz falsch
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17970 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Schäfer
wäre, wenn der Eindruck entstünde, wir wollten Südafrika durch Sanktionen bestrafen. Das will ja niemand. Aber ich glaube, es muß hier einiges an Auffassungen zurechtgerückt werden, wie sie jeden Tag unwidersprochen in der deutschen Presse herumgeistern. Ich denke beispielsweise an die Behauptung, die Sanktionsbeschlüsse vom 15. September seien ein „Sündenfall", der dazu führen werde, daß wir auch in allen anderen Fällen Sanktionen treffen müßten. Ich darf daran erinnern, meine Damen und Herren, daß es unrichtig ist, wenn man behauptet, daß die EG jetzt zum erstenmal von ihren Möglichkeiten Gebrauch mache, Sanktionen zu verhängen. Sie hat das wiederholt getan. Sie hat es im Falle des sogenannten Falkland-Malvinen-Konflikts getan. Dort traf die EG eine Entscheidung gegen Argentinien. Die EG hat es auch im Zusammenhang mit Afghanistan gegen die Sowjetunion getan.Ich wundere mich manchmal über die Schreiben, die man aus der Bundesrepublik Deutschland bekommt, wenn man der Auffassung ist, daß die politischen Mittel bis zur Stunde leider nicht ausgereicht haben, um in Südafrika einen Wandel herbeizuführen. Für mich ist die Einstellung zu Südafrika auch so etwas wie die vom Bundesaußenminister so oft beschworene Lackmusprobe auf die eigene Gesinnung im Hinblick auf Ferne oder Nähe zum Faschismus. Ich muß das einmal in aller Deutlichkeit sagen, meine Damen und Herren.
Was hier an Briefen, an Unrat auf einen zukommt, wenn man der Auffassung ist, daß die europäischen Staaten gut daran tun, alles zu unternehmen, daß sich dort die Situation ändert, läßt einen allerdings manchmal erschrecken. Es ist auch nicht richtig, wenn hier der Vorwurf erhoben wird: Wenn Sie schon Sanktionen zustimmen, dann machen Sie doch einmal etwas gegen Afghanistan bzw. gegen die Sowjetunion.Das ist ja schon geschehen. Es hat ja Sanktionen gegen die Sowjetunion im Zusammenhang mit Afghanistan gegeben. Das muß man unseren Landsleuten gelegentlich wieder in Erinnerung rufen.
Wenn man bei Sanktionen überhaupt von Sündenfall sprechen will, dann muß man auch sagen, daß der erste Sündenfall das Röhrenembargo gegen die Sowjetunion in den 50er Jahren gewesen ist. Man soll bitte nicht so tun, als würden wir zum allererstenmal solche Maßnahmen erwägen. Ich teile allerdings die Auffassung des Bundeskanzlers und auch die Bedenken, die Herr Kollege Brandt geäußert hat, daß Sanktionen sicher ein sehr zweifelhaftes Mittel sind und der totale Wirtschaftsboykott nicht nur zweifelhaft, sondern sinnlos ist. Das haben wir auch in unseren Parteiaussagen deutlich gemacht. Aber bei allen Zitaten, die hier heute vormittag gebracht werden, muß man doch bedenken: Alle diejenigen, die Sanktionen radikal ablehnen, sagen leider nicht, auf welche Weise es eigentlich gelingen soll, die südafrikanische Regierung zu einer Änderung ihres Verhaltens zu bringen. Dann soll man doch bitte nicht so tun, als hätten wir nicht alle, die hier zu diesem Thema sprechen, seit Jahren das versucht, als hätten es nicht die USA massiv versucht, als hätten es nicht die Europäer versucht. Herr Howe ist doch gedemütigt von seiner Reise zurückgekommen. Was der Eminent Persons Group bei ihrem Besuch zugemutet worden ist, indem man sie „freundlicherweise" mit einem militärischen Überfall auf drei Nachbarstaaten überrascht hat und sie damit zum Abbruch ihrer Verhandlungen brachte, das kann man sich eigentlich langsam vielleicht ersparen.
Allerdings wünsche ich — Kollege Rühe und andere haben die Idee gehabt, und es hat sich jetzt in dem Beschluß von Brüssel niedergeschlagen —, daß ein neuer, ein nochmaliger massiver Versuch — ein massiverer Versuch, wenn Sie so wollen — der Europäer, der Vereinigten Staaten und — wie ich höre — auch einiger Industriestaaten aus dem pazifischen Raum vielleicht dazu führen möge, die Südafrikaner zu bewegen. Allerdings machen alle Analysen, die uns vorliegen, deutlich, daß die südafrikanische Regierung eben nicht vorhat, die Kontrolle aus der Hand zu geben, eben nicht vorhat, zu einer Verfassung zu kommen, in der allen die gleichen Rechte gewährleistet werden, sondern nach wie vor versucht, eine Lösung zu finden, die die Vorrechte der Weißen weiterhin garantiert. Es ist ganz schlecht, wenn Herr Kissinger im Vorgriff auf eine solche Konferenz jetzt schon den Vorschlag macht, an dieser Konferenz, an dem Dialog mit den Kräften in Südafrika sollten sich nur die gemäßigten Gruppen beteiligen dürfen. Ich halte das allerdings für eine ganz gefährliche Aussage, meine Damen und Herren.
— Lesen Sie einmal die „Los Angeles Times", da steht es drin. Er hat eine solche Konferenz, einen Dialog vorgeschlagen, aber nur mit den gemäßigten Gruppen. Es ist doch der alte Vorwand der Südafrikaner zu sagen: Bewegungen — die übrigens aus den Kirchen heraus entstanden sind — wie die SWAPO und der ANC, die dann oppositionell geworden sind, die eines Tages aus dem Lande getrieben und gebannt worden sind, sind am Schluß nach dem alten Strickmuster natürlich Kommunisten, und die werden zu den Gesprächen nicht zugelassen, weil sie Gewalt nicht ablehnen.Nur muß man an die südafrikanische Regierung immer wieder die Frage richten, was sie eigentlich tut und wie ihr Handeln im Hinblick auf Gewaltanwendung zu verstehen ist.
Da muß ich allerdings einmal sagen — und ich glaube, das ist von dieser Stelle aus sehr notwendig, auch zur Aufklärung einiger Leute in unserem Staat —, daß die südafrikanische Regierung bis zur
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 17971
Schäfer
Stunde keinen einzigen völkerrechtlichen Vertrag auf dem Gebiet des Menschenrechtsschutzes ratifiziert hat
mit Ausnahme der Sklavereikonvention, der Konvention über Menschenhandel und interessanterweise auch der Konvention über die Ausbeutung von Prostitution. Sie hat sonst nichts dergleichen unterzeichnet.Fragen wir doch einmal, warum sie das nicht tut und wie es möglich ist, daß bei einem Ausnahmezustand 180 Tage lang Menschen ohne Rechtsmittel eingesperrt werden können und Folterungen andauern.Meine Damen und Herren, es wird oft gesagt, es gebe in 102 Staaten der Welt Menschenrechtsverletzungen. Wir sollten diese doch als mindestens so schlimm oder schlimmer ansehen. Ich sage Ihnen, das System an sich, die Apartheid an sich ist eine Menschenrechtsverletzung.
Und es ist auch ein Unterschied, meine Damen und Herren, ob sich ein Land — das habe ich in früheren Reden schon gesagt — als westlich und gar noch als christlich bezeichnen kann. Ich frage mich immer, welche Art eines pervertierten Christentums hier zum Maßstab des Handelns gemacht wird.
Meine Damen und Herren, ein solches Land muß sich andere Maßstäbe gefallen lassen. Auch die Sowjetunion und der Ostblock werden von uns kritisiert. Es ist nicht wahr, daß wir ihr Vorgehen in Afghanistan nicht verurteilen. Wir haben ein Hearing zu Afghanistan gehabt; wir haben das Morden in Afghanistan immer wieder verurteilt, meine Damen und Herren. Aber wir müssen diesen Staat Südafrika mit den Maßstäben messen, die wir für unsere westlichen Staaten in Anspruch nehmen.
Ich sage Ihnen, unsere Jugend läßt sich hier nicht täuschen, und sie wird die Frage stellen, wie wir es damit halten.Insofern sollten wir, glaube ich, zur Frage von Sanktionen, in der wir uns j a völlig einig sind, daß sie kein gutes Mittel sind, daß sie nur ein letztes Mittel sind, genau abwägen. Aber wir werden hier leider nicht umhinkönnen, Sanktionen zu treffen. Ich weiß auch nicht, ob in Brüssel das letzte Wort gesprochen worden ist, wenn die südafrikanische Regierung sich nicht anders verhält, wenn sie nicht den seit Jahren aufgestellten Forderungen nachkommt. Wieso ist Herr Mandela noch in Haft, wieso gibt es keine Gespräche? Pik Botha hat mir vor einem Jahr gesagt, in wenigen Tagen könne Herr Mandela frei sein. Er hat gelogen. Ich sage das von dieser Stelle aus, und zwar nicht zum erstenmal. Wir haben schon früher Gespräche geführt, 1978.Wir lassen uns doch ständig mit Versprechungen und mit Behauptungen leimen, die absolut nicht wahr sind. Ich, so Herr Botha, führe jeden Tag Gespräche mit Schwarzen. Wo? Mit wem? Meine Damen und Herren, wir lassen uns nichts vormachen.Noch etwas anderes: Ich bin durchaus mit dem Bundeskanzler der Überzeugung, daß es gefährlich ist, wenn wir sagen: Kohleimportverbot, daß wir dadurch sehr viele schwarze Minenarbeiter treffen. Das ist mir klar, das ist eine ganz kritische Sache. Ich halte auch nichts davon, daß wir einseitig Maßnahmen treffen — zur SPD gewandt —, die dann von anderen nicht mitvollzogen werden, die unterlaufen werden. Deswegen ist Ihrem Antrag heute nicht zuzustimmen, weil er j a nicht abstellt auf eine gemeinsame Aktion, sondern auf eine Aktion der Bundesregierung allein. Außerdem enthält er Forderungen, die Sie niemals durchsetzen können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Herr Mann, ich muß zu Ende kommen; ich schaffe es sonst nicht.Ich darf noch einen Hinweis auf eine andere falsche Behauptung geben. Diejenigen, die gegen Sanktionen in Südafrika sind, sollten sich nicht immer auf einen Kronzeugen allein berufen, nämlich auf Herrn Buthelezi. Das erscheint mir sehr gefährlich. Ich erkenne an, daß Herr Buthelezi eine wichtige Führungsfigur ist, eine Führungsfigur, die wir nicht übersehen können. Er ist immerhin der Chief der Zulus. Aber er ist bei den Schwarzen umstritten. Wer das nicht weiß, war noch nicht in Südafrika. Meine Damen und Herren, wenn während des Ausnahmezustandes, wo es verboten worden ist, sich selbst in geschlossenen Räumen zu versammeln, wo Mitglieder der Gewerkschaften und der Kirchen, wo ganze Kirchengemeinden verhaftet worden sind, im Juni dieses Jahres, Herr Buthelezi als einziger eine Massenveranstaltung, geschützt von südafrikanischen Sicherheitskräften, abhalten darf und mit einem Hubschrauber der südafrikanischen Sicherheitskräfte eingeflogen wird, dann frage ich mich — ich will es nicht weiter kommentieren —, ob Herr Buthelezi der richtige Kronzeuge für alle Schwarzen in Südafrika ist.
Meine Damen und Herren, Herr Buthelezi — ich betone das — ist eine Person, mit der man zu rechnen hat, aber er ist sicher nicht der Kronzeuge.Ich will zum Schluß kommen. Ich bin der Meinung, daß man durchaus gute Argumente gegen Sanktionen anführen kann, daß man über Sanktionen nicht glücklich zu sein braucht, daß man sagen kann, Sanktionen können zu bösen Folgen führen. Wir müssen aber auch berücksichtigen, daß eine umgekehrte Verhaltensweise — Frau Eid hat darauf hingewiesen — international dazu führen kann, daß man sagt, diejenigen, die Sanktionen so entschieden ablehnen, tragen zur Stabilisierung des Systems bei. Insofern müssen wir uns sehr genau überlegen, was wir eigentlich tun und inwieweit wir
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17972 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Schäfer
auch die deutsche Öffentlichkeit aufmerksam machen sollten. Die amerikanische Öffentlichkeit ist viel wachsamer beim Kauf südafrikanischer Produkte.
Wir sind leider nicht so sensibilisiert. Ich meine, es ist sicherlich besser, als einen Generalstreik in Südafrika zu fordern, die deutschen Käufer darauf aufmerksam zu machen, welche Produkte sie einkaufen, wen sie damit unterstützen. Das wäre auch eine gewisse Hilfe.
Ich darf auf meinen Vorschlag von vor einem Jahr zurückkommen. Ich habe damals gesagt: Wir wollen hier endlich auch einmal die Oppositionspolitiker aus Südafrika sehen, denen die Ausreise nicht erlaubt wird. Ich habe seinerzeit ein Hearing im Auswärtigen Ausschuß vorgeschlagen.
Wir haben gemeinsam überlegt, ob es aus technischen Gründen noch vor Ende dieses Jahres Sinn macht. Gestern ist deutlich geworden, daß die Überzeugung gewachsen ist, gerade nach den Brüsseler Beschlüssen noch in diesem Jahr ein solches Hearing zu veranstalten. Sicher wird Herr Buthelezi dabei sein, aber neben Herrn Buthelezi auch Schwarze, die eine andere Auffassung vertreten und die sicher nicht Kommunisten sind. Ich glaube, es wäre sehr wichtig, insbesondere wenn auch weiße Oppositionspolitiker einmal hier wären. Manche Kollegen beziehen ihre Kenntnis in Südafrika dadurch, daß sie, ich möchte einmal sagen, nur die weiße Schokoladenseite des Landes kennengelernt haben und die eigentlichen Schwarzen nicht so recht zu Gesicht bekamen. Sie hätten Gelegenheit, das bei diesem Hearing nachzuholen.Meine Damen und Herren, wir wollen nicht mit Sanktionen operieren. Wir halten sie nur für das allerletzte Mittel der Politik. Wir sind der Meinung, daß eine neue Konferenz, ein neuer politischer Vorstoß des Westens in Ordnung ist. Aber wir müssen uns das vorbehalten, was sich die südafrikanische Regierung auch vorbehält: Herr Retief, der Botschafter, und Ministerpräsident Botha haben erklärt, sie hätten militärisch noch längst nicht alle Mittel ausgeschöpft. Wenn Sie die erst einmal ausschöpften, dann sollten wir einmal sehen, was sie alles noch anrichten können. Für diesen Fall würde ich sagen, haben wir auf der Sanktionsebene noch nicht alle Mittel ausgeschöpft und müssen darauf vorbereitet sein, wider Willen und wider unsere Überzeugung, daß nämlich Sanktionen nicht gut sind, solche doch auch als letztes Mittel der Politik anzuwenden, um Blutvergießen und Chaos in Südafrika abzuwenden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hornhues.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist die zweite größere Debatte über Südafrika in dieser Legislaturperiode. Im Februar 1984 haben wir erstmalig umfänglicher über dieses Thema diskutiert. Damals definierte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion, sie sei bestrebt, in Südafrika einen schnellen und friedlichen Wandel zu einer gesellschaftlichen und politischen Ordnung zu begünstigen, die von der Zustimmung aller Südafrikaner getragen wird und in der alle Südafrikaner gerechten Anteil an der Gestaltung der Geschicke ihres Landes haben. Damals habe ich für meine Fraktion erklärt, daß wir dieses Ziel mit allem Nachdruck unterstützen, und dies gilt auch heute noch.Gut zwei Jahre danach stellt sich allerdings die Frage, wie sich die Entwicklung in Südafrika vollzogen hat, und was sich seit jener Zeit getan hat. Sind wir diesem Ziel nähergekommen? Die Antwort heißt leider nein. Im Gegenteil hat man wohl eher den Eindruck, daß man weiter denn je von einer Lösung der Probleme, von der Beendigung der Apartheid entfernt ist. Gewalt und Gegengewalt, Ausnahmezustand und Terror, vor allem in den schwarzen Townships, kennzeichnen die Szene der letzten Jahre.Die Hauptursache für diese Entwicklung, meine sehr geehrten Damen und Herren, liegt darin begründet, daß die Politik der südafrikanischen Regierung, die, wie sie selbst sagt, auf dem Verhandlungswege eine politische und verfassungsmäßige Lösung finden will, die der schwarzen Bevölkerung ein Mitspracherecht auf höchster Ebene ermöglicht, bisher gescheitert ist. Dieses Scheitern ist wesentlich darin begründet, daß dieses Ziel, so wie es von der südafrikanischen Regierung formuliert wird, wesentlich besser klingt, als es tatsächlich ist. Das Problem liegt darin, daß die weiße Regierung zwar die schwarze Bevölkerung in den politischen Entscheidungsprozeß einbeziehen, aber gleichzeitig das Heft in der Hand behalten möchte. Genau diese Grundposition macht es selbst denjenigen, die sich gegen Gewaltanwendung stemmen, unmöglich, sich unter diesen Bedingungen mit dieser Regierung an einen Tisch zu setzen.Auf der Seite der Regierung — der Bundeskanzler hat dies angesprochen — und der sie tragenden Nationalen Partei sind zwar vage Vorstellungen von Reform gewachsen, aber bisher ohne klar definiertes Ziel, ohne Konzept und ohne Zeitplan. Gleichzeitig versucht man, mit Ausnahmezustand und Gewalt der Unruhen Herr zu werden, Unruhen, die organisiert und gestützt werden von Gruppen, Organisationen und Personen, die die Zeit für gekommen halten, die Apartheid in revolutionärer Veränderung zu beseitigen, die weiße Minderheitsherrschaft zu beenden.Meine sehr geehrten Damen und Herren, angesichts dieser von mir nur ganz oberflächlich und grob skizzierten Situation ist der Ruf nach Sanktionen immer lauter geworden: in Südafrika zum Teil selbst, in vielen Ländern der Welt, in der Europäischen Gemeinschaft, in unserem Land, im Deutschen Bundestag. Wir debattieren heute zum wie-
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Dr. Hornhuesderholten Male über diese Frage. Die Brüsseler EGBeschlüsse waren ein Resultat dieser Diskussion und der Entwicklung in Südafrika selbst.Auch heute sind in den Debattenbeiträgen, zwar zögerlich, aber von einigen deutlicher, Sanktionen als mehr oder minder Allheilmittel zur Abschaffung der Apartheid, zur Lösung aller Probleme in Südafrika geschildert worden. Wenn man die öffentliche Diskussion in manchen Teilen verfolgt — und wir haben dies bemerkt, als der Kollege Rühe, der Kollege Klein und ein wenig auch ich versucht haben, im Sommer dieses Jahres den Ball in Richtung auf eine neue politische Initiative ins Rollen zu bringen —, wird deutlich, daß einem im Grunde immer nur eine Frage begegnet: Seid ihr für mehr oder weniger Sanktionen?Meine sehr verehrten Damen und Herren, insoweit also hat man den Eindruck, daß sich die Diskussion immer weiter dahin gehend verlagert hat, Sanktionen als das Mittel zur Abschaffung der Apartheid zu sehen.In der „Zeit" hat Marion Gräfin Dönhoff am 27. Juni dazu gesagt:Sie— die Sanktionen —können das Herannahen des Chaos höchstens beschleunigen ...An anderer Stelle in demselben Artikel schreibt Frau Dönhoff, daß Sanktionen — ich zitiere — „zwangsläufig zur Beschleunigung der Eskalation von polizeilicher Brutalität und schwarzer Radikalität führen" müssen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe schon in anderen Debattenbeiträgen gesagt, und sage es noch einmal: Ich stimme in der Analyse Frau Dönhoff nachdrücklich zu, in der Bewertung der Sanktionen, auch wenn sie Sanktionen zur Ultima ratio der Politik erklärt, also durchaus auch als ein Instrument der Politik sieht.Meine Fraktion teilt die Zweifel und Vorbehalte, die hier von der Bundesregierung geäußert worden sind, ob dieser Einstieg in Sanktionen wirklich ein Einstieg in die Abschaffung der Apartheid werden kann. Wir akzeptieren aber, daß im Hinblick auf eine gemeinsame europäische Politik dieser Schritt wohl unausweichlich war, vor allen Dingen auch angesichts des Verhaltens der südafrikanischen Regierung selbst in den letzten Monaten.Wenn ich das, was der Kollege Brandt heute morgen gesagt hat, hinreichend verstanden habe, auch auf dem Hintergrund dessen, was der Kollege Verheugen in der Vergangenheit an mehreren Stellen geäußert hat, hat sich die SPD nun wohl entschlossen, nachdem sie sich in den Jahren der eigenen Verantwortung dagegengestellt hatte — nebenbei bemerkt: jene Jahre, Herr Kollege Brandt, in denen Sie, Ihre Partei, die Verantwortung getragen hat, waren die Hochjahre unüberbietbarer Totalität der Apartheid, das waren die Jahre, wo die ganz großen Zwangsumsiedlungen stattfanden, das waren die Jahre, wo Soweto war, 1976 —, auf Sanktionen zu setzen, nach dem Motto: Alles andere hilft nicht mehr. Die SPD zielt dabei auf das ab, was die Gräfin Dönhoff geschrieben hat. Sie nimmt nämlich bewußt mehr Blut, Tod, Chaos, Not und Leid in Kauf.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie ha- ben es anders beschrieben, Sie haben versucht, es nicht deutlich werden zu lassen. Der Kollege Verheugen bedauert im „Express" — das ist ja das neue Spezialblatt für Südafrikapolitik — am 17. September dieses Jahres ausdrücklich, daß die von der EG beschlossenen Sanktionen nicht genug negative Auswirkungen auf die Arbeitsplätze in Südafrika hätten.
— Herr Kollege Verheugen, ich bitte Sie ausdrücklich, mal die Passage Ihres relativ kurzen Interviews dort durchzulesen.Herr Kollege Verheugen, Sie stellen das in einem „Stern"-Interview in einen Zusammenhang mit der Strategie des Widerstandes in Südafrika, die sagt: Interner Druck, das Land unregierbar machen, plus entsprechender Druck von außen, sprich: Wirtschaftssanktionen, Embargo, dies in der Mischung ergibt genau das, was die südafrikanische Regierung an den Verhandlungstisch zwingt.Ich bitte Sie, das, was Sie fordern und unterstützen, in der letzten Konsequenz zu durchdenken und genau zu sagen, was dies heißt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Sie bedauern, daß durch den Fortfall des Kohleembargos nicht mehr Arbeitsplätze in Südafrika zur Disposition gestellt werden,
dann bedeutet dies: Sie bedauern, daß der interne Druck der Arbeitslosen, der noch Elenderen auf die Regierung nicht dadurch wächst. Dies ist j a wohl offensichtlich Ziel der ganzen Strategie.Meine sehr geehrten Damen und Herren, man könnte darüber diskutieren, ob dies sinnvoll sei, wenn es eine Perspektive gäbe, daß angesichts eines solchen Drucks schnell wirksam, in wenigen Wochen, eine Regierung wie diese Apartheidsregierung das Land verläßt, sich fluchtartig zurückzieht. Wenn Sie — und Sie waren einige Male in Südafrika — sich hoffentlich hinreichend mit der Gesamtsituation beschäftigt haben, werden Sie das Illusionäre dessen, was Sie da vortragen, deutlich, so hoffe ich, begriffen haben. Zu glauben, man müsse da nur ein bißchen mehr Dampf machen, und dabei zu vernachlässigen, was das denn heißt, was das für die Menschen im einzelnen bedeutet, halte ich für nicht verantwortbar, solange wir nicht alle anderen Mittel der Politik ausgeschöpft haben. Wir haben von daher im Sommer dieses Jahres eine neue Initiative mit dem Schlagwort vom Gipfel zu Südafrika ins Rollen zu bringen versucht und sind zufrieden — der Kollege Klein wird dazu gleich noch einiges sagen —, daß dieser Ball ins Rollen gekommen ist.
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Dr. HornhuesWir sind allerdings der Überzeugung, daß, wenn wir nein zu Sanktionen sagen, die Verpflichtung für uns um so nachdrücklicher, energischer als je zuvor ist, den politischen Weg tatsächlich zu suchen. Ich stehe nicht an zuzugeben und zu sagen: So, wie Sie das, was Sie hätten tun können, nicht getan haben in der Zeit, als Sie Verantwortung trugen, haben wir bisher sicherlich auch nicht unsere Chancen zur wirklichen Veränderung genutzt. Nur, bevor man zur Ultima ratio kommt, meine sehr geehrten Damen und Herren, sollte man wirklich alles versuchen, was möglich ist. Dem dient unsere Vorstellung, dem dient das Vorgehen hin auf eine Konzentration — die hat es bisher noch nie gegeben — der Kräfte des Westens mit dem Ziel der Abschaffung der Apartheid in Südafrika.Herzlichen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Verheugen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß die Südafrikadebatte in diesem Hause jetzt endlich nach Jahren an dem Punkt angekommen ist, an den sie gehört, nämlich nicht bei allgemeinen Betrachtungen über die Lage in Südafrika und allgemeinen Verurteilungen der Apartheid, sondern ganz konkret bei der Frage: Was haben wir eigentlich damit zu tun und was können wir dagegen tun?Was uns umtreibt, das ist wirklich die Sorge, daß die Bundesrepublik Deutschland versagen könnte vor der größten moralischen Herausforderung unserer Zeit, einer der größten moralischen Herausforderungen dieses Jahrhunderts: eine millionenfache tägliche Menschenrechtsverletzung und sicherlich ein System von Menschenrechtsverletzungen, mit dem wir außerhalb Europas am meisten und auch am unmittelbarsten verbunden sind. Das ist die Frage, vor der wir stehen. Es geht nicht allein um die Frage: Wie können wir die unmenschlichen Zustände in Südafrika verändern? Die Frage, die davor gestellt werden muß und über die heute morgen noch nicht gesprochen worden ist, lautet: Was haben wir eigentlich bisher dazu beigetragen, und was tragen wir noch dazu bei, daß diese Zustände so sind, wie sie sind? Wo liegt unsere eigene Verantwortung?Es geht um Menschenrechte, und man darf über Menschenrechtsverletzungen nicht schweigen, ganz egal, wo sie auftreten. Man muß etwas dagegen unternehmen. Die Frage, was man dagegen unternimmt — da stimme ich dem Bundeskanzler durchaus zu —, ist nicht eine Gewissensfrage, sondern ist in der Tat eine Frage der politischen Zweckmäßigkeit. Hier muß die Frage nach Zweck und Mittel gestellt werden. Was in dem einen Fall ein geeignetes Mittel sein kann — wirtschaftlicher Druck —, kann in einem anderen Fall ein ungeeignetes Mittel sein. Wir haben doch Erfahrungen mit dieser Politik. Das weiß doch jeder hier.Die Frage für uns heißt doch wohl: Wie schaffen wir das, was wir hoffentlich alle zusammen jetzt wollen? Ich darf in Klammern bemerken: Da hat sich ja im Laufe der letzten Jahre etwas verändert. Kollege Hornhues hat die Debatte vom Januar 1984 zitiert. Da war das noch nicht klar, da war das noch nicht übereinstimmende Meinung hier, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um Apartheid abzuschaffen: daß Nelson Mandela freigelassen werden muß, daß die Organisation zugelassen werden muß. Das war damals noch nicht Ihre Meinung. Ich freue mich, daß Sie dazugelernt haben.Die Frage also ist: Wie kriegen wir den friedlichen Wandel zustande, den wir diesem Land wünschen? Wir wollen ja nicht Chaos oder Bürgerkrieg. Der Bundeskanzler sagt: Wir wollen einen Verhandlungstisch eröffnen. Es war noch sehr unpräzise, wie er das gesagt hat. Ich habe verstanden, daß Ziel dieser Verhandlungen sein soll, zunächst einmal eine Art Aussetzen der Gewalt, einen beiderseitigen Gewaltverzicht herauszuverhandeln.Ich kenne diese Einstellung. Ich kenne diese Versuche. Die Sozialdemokratische Partei ist seit Monaten an diesen Gesprächen beteiligt, die das zustande bringen wollen. Ich will meine Skepsis darüber nicht verhehlen, ob das gelingen kann. Mein Eindruck ist, daß es nicht möglich sein wird, die authentischen Führer der Mehrheit in Südafrika zu solchen Verhandlungen zu bringen, wenn nicht vorher vollkommen klargestellt ist, daß die Apartheid abgeschafft wird.Sie haben heute mehrfach Gräfin Dönhoff zitiert, weil Ihnen ihre Südafrikaposition besser gefällt als die Position, die sie in anderen politischen Fragen hat. Das sei Ihnen unbenommen. Gräfin Dönhoff, die Südafrika sehr gut kennt, weiß auch und hat es in vielen ihrer Artikel beschrieben, was der Hintergrund der Gewalt in Südafrika ist. Es ist heute ja nicht etwa so, daß es dort eine politische Organisation gäbe, die die jungen Menschen zu Gewaltaktionen auffordert. Wer das einmal gesehen hat, wer sich nicht nur im Hubschrauber über Soweto hat fliegen lassen, wer sich nicht nur die Villen von 0,001 % reichen Schwarzen angesehen hat, sondern wer in Crossroads gewesen ist und mit den Menschen gesprochen hat, die dort leben, wer in Alexandra gewesen ist wie Willy Brandt, der weiß, wo die Gewalt in Südafrika herkommt:
aus der tiefen Verzweiflung, der Not und dem Elend, die gerade die jungen Menschen in diesen Townships haben. Es ist keine politische Organisation, die sagt: ihr müßt kämpfen, sondern die hassen alles, was weiß ist, weil sie die Weißen für die schreckliche Lebenssituation, die Hoffnungslosigkeit, in der sie sich befinden, verantwortlich machen.
Ich sage: Ich habe Zweifel, ob das gelingen kann. Es kann nur gelingen — das ist meine feste Überzeugung —, wenn die südafrikanische Regierung vorher dazu gebracht wird, endlich einen fundamentalen Wandel ihrer Politik einzuleiten statt der
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Verheugenpaar kosmetischen Korrekturen wie bisher. Hören Sie bitte auf damit, uns zu erzählen, daß die Regierung Botha eine Reformregierung sei. Was die Regierung Botha macht, ist nichts anderes als die Anpassung des Systems der Apartheid an veränderte ökonomische und technische Gegebenheiten, weiter nichts. Sie passen das System an.
In einer modernen Industriegesellschaft passen bestimmte Erscheinungen der sogenannten „petty Apartheid" nicht mehr. Aber was spielt es für eine Rolle, ob Schwarz und Weiß auf einer Bank zusammen sitzen dürfen, solange das Gesamtsystem als ein System der politischen Unterdrückung zum Zwecke der ökonomischen Ausbeutung immer weiter perfektioniert wird? Das ist die Lage, in der wir uns in Südafrika befinden.
Der Bundeskanzler hat auf meinen Zwischenruf, mit unserer Hilfe sei es geschehen, daß sich die weißen Südafrikaner von dem Druck, der in der Welt ausgeübt wird, unabhängig machen können, zu mir gesagt: Das glauben Sie doch selber nicht. — Er ist nicht mehr da. Er wird es nachlesen können.
— Ja, ich kritisiere das doch gar nicht. — Ich will ein paar Beispiele dafür bringen, worin die deutsche Hilfe besteht. Da gibt es z. B. das Ölembargo der OPEC-Staaten gegenüber Südafrika. Dieses Ölembargo wird auf zweifache Weise unterlaufen, einmal durch südafrikanische Projekte, bei denen Öl aus Kohle gewonnen wird. Diese Projekte, für die inzwischen mehr als zehn Milliarden Dollar ausgegeben worden sind, sind im wesentlichen von deutschen Firmen gebaut worden, von deutschen Banken finanziert worden, mit Hermes-Absicherungen der Bundesregierung.
Das reicht aber noch nicht aus.
— Das ist in den letzten Jahren gewesen.
Es sind deutsche Unternehmen, die, ohne daß die Bundesregierung bereit ist, etwas dagegen zu unternehmen, obwohl wir die einzelnen Tanker-Bewegungen auf Tag und Datum und Hafen genau der Bundesregierung genannt haben, unter Bruch des Ölembargos der OPEC 01 nach Südafrika transportieren.Oder nehmen wir das Rüstungsembargo. Die jetzige Bundesregierung hat auf unsere Fragen mehrfach einräumen müssen, daß sie Ausfuhren nachSüdafrika genehmigt, die unter die Abschnitte A, B und C der Ausfuhrliste fallen, also Waren, die z. B. in Staaten des Warschauer Paktes nicht geliefert werden dürfen. Sie hat auch zugestanden, daß sie Ausfuhren speziell unter dem Abschnitt A genehmigt. Dieser Abschnitt ist überschrieben mit „Waffen". Waffen, meine Damen und Herren! Die Bundesregierung ist aber nicht bereit, uns zu sagen, welche Art von Waffen sie denn nun zur Ausfuhr nach Südafrika genehmigt hat. Ich bin der Meinung, dies ist Gegenstand für einen Untersuchungsausschuß.
Nachdem sich der Bundeswirtschaftsminister vier Jahre lang weigert, im Parlament Antwort zu geben auf die Frage, was für Genehmigungen für Waffenlieferungen nach Südafrika er erteilt hat, muß das Gegenstand einer Untersuchung sein.
Und bei der Gelegenheit, Herr Klein, kann man ja auch gleich einmal mit untersuchen, welche Firmen und Verbände in der Bundesrepublik auf Parteien des Deutschen Bundestages mit welchen Mitteln Einfluß genommen haben, Sanktionen gegen Südafrika zu verhindern. Das kann man ja bei der Gelegenheit gleich einmal mit untersuchen.
Das kann sehr interessant werden.
Nachdem Sie schon dazwischengerufen haben: „Neue Heimat" und auch der Bundeskanzler gemeint hat, hier den Deutschen Gewerkschaftsbund angreifen zu müssen, will ich Ihnen eines sagen: Wenn es eine Organisation in der Bundesrepublik Deutschland gibt, die von sich sagen darf, daß sie einen ganz wesentlichen Beitrag zur Überwindung der Apartheid geleistet hat, dann ist es der Deutsche Gewerkschaftsbund.
Denn keine Gewerkschaft in der Welt und keine Organisation in der Welt hat in den siebziger Jahren schon so viel getan, um die Rechte der schwarzen Arbeiter in Südafrika zu verstärken und ihnen zu helfen. Das verdient der DGB nun wirklich nicht.
— Herr Kollege Klein, als sich andere von der südafrikanischen Regierung noch haben einladen lassen und deren Geld in Südafrika ausgegeben haben, da sind die deutschen Gewerkschaften in Südafrika
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17976 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Verheugenmit ihrem Geld tätig gewesen, um den Schwarzen zu helfen.
Deutsche Firmen liefern Südafrika die Technologie, die es braucht, um unabhängig zu werden auf den Gebieten Rüstung, Kommunikation, Transport und Energie. Deutsche Firmen in Südafrika sind nicht die Wohltäter der Menschheit und die Wohltäter der Schwarzen, als die sie dargestellt werden. Sie haben strukturelle Arbeitslosigkeit nach Südafrika gebracht; daran gibt es heute überhaupt keinen Zweifel mehr. Sie beschäftigen insgesamt keine 30 000 Schwarzen mehr. Die Ausbildungsoffensive, von der hier gesprochen wurde: Ich warte seit Jahren darauf, denn die deutsche Industrie, mit der wir ja auch reden, kündigt sie uns auch schon seit Jahren an. Zur Zeit jedenfalls sind es gerade 300 schwarze Lehrlinge, die von der mächtigen deutschen Industrie in Südafrika ausgebildet werden.Ich sage Ihnen zu den Sanktionen noch etwas. Es ist eine Frage nach Zweck und Mitteln und eine Frage nach Gefahren und Chancen. Wir wollen hier niemanden bestrafen. Als erstes wollen wir, daß die deutsche Unterstützung dieses Systems aufhört.
Die Rede, die der Bundeskanzler, heute gehalten hat, gibt den 28 Millionen Schwarzen, also Nichtweißen, in Südafrika keine Hoffnung. Da war keine Hoffnung in dieser Rede.
Da sagen Sie: Warum habt ihr das früher nicht gemacht? Sie wissen ganz genau, daß über viele Jahre eine Politik betrieben worden ist, die das Ziel hatte, die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Südafrika zu verändern. Man hatte die Hoffnung und die Absicht, daß sich daraus dann politische Veränderungen ergeben würden. Wir haben einsehen müssen, daß diese Politik den gewünschten Erfolg nicht gehabt hat. Nun werfen Sie uns das doch nicht vor! Irgendwann muß doch jeder mal begreifen, daß eine Politik gescheitert ist. Irgendwann werden auch Sie einsehen, daß Ihr sogenannter kritischer Dialog mit Südafrika gescheitert ist.
Wenn ich nun die Brüsseler Beschlüsse bewerte: Ich kann die Position verstehen, die sagt: Wir machen keine Sanktionen. Ich kann die Position verstehen, die die meine ist, die sagt: Wenn Sanktionen, dann so, daß sie tatsächlich wirken, aber nicht die Schwarzen ins Elend stürzen, Kollege Hornhues, wie Sie mich falsch zitiert haben, sondern es sollen diejenigen getroffen werden, die von der Arbeitskraft der Schwarzen profitieren.
Die sollen zu ihrer Regierung gehen und sagen: Ändert das!Diese beiden Positionen kann ich verstehen, nicht aber, was die Bundesregierung gemacht hat: gegen ihre eigene Überzeugung, auch gegen starke moralische Verurteilungen, die sie vorgenommen hat, zu handeln. Der Bundeskanzler hat sich j a nach Den Haag nicht so differenziert geäußert, wie er es hier tat. Dort hat er alle, die sich für Sanktionen einsetzen, der Heuchelei bezichtigt. Zu sagen: 30 000 schwarze Bergarbeiter, na j a, das ist zuviel, die wollen wir nicht ins Elend stürzen, aber 5 000 Arbeiter in der Eisen- und Stahlindustrie, das können wir in Kauf nehmen, damit wir wenigstens eine gemeinsame europäische Position haben!, das kann ich nicht verstehen. Da wäre es mir immer noch lieber gewesen, Sie hätten gesagt, da machen wir gar nichts, als auf dem Altar einer Einigkeit, die Sie j a selbst verhindern, die eigene Überzeugung zu opfern und dann noch hinzuzufügen: Das bringt ja alles sowieso nichts, und auch noch klar zu machen, daß Sie die notwendigen Schritte, die folgen müßten, eben nicht unternehmen wollen.Die Schwarzen in Südafrika sind heute nicht mehr dieselben wie vor 10 oder 15 Jahren. Das müssen Sie wissen. Denen können Sie nicht mit dem Argument kommen: Ihr schadet euch mit Sanktionen selbst! Es handelt sich nicht nur um die authentischen Führer, wer immer das sein mag, sondern die haben inzwischen begriffen, daß für ihre Lage und für ihr Elend ein System verantwortlich ist, und daß sie dieses System wahrscheinlich nur wegkriegen, wenn sie für eine bestimmte Zeit noch mehr Leiden auf sich nehmen. Da ist keine Heuchelei, denn sie leiden ja heute schon. Es ist auch keine Heuchelei bei den Frontstaaten. Lassen Sie sich einmal von der SADCC vorrechnen, was die südafrikanische Destabilisierungspolitik in den letzten Jahren die Frontstaaten allein wirtschaftlich gekostet hat.
Lassen Sie sich einmal von Präsident Kaunda oder Präsident Mugawe erzählen,
lassen Sie sich einmal von diesen Männern erklären, was die südafrikanische militärische Destabilisierungspolitik bedeutet.
Diese Länder sind in Not, jawohl; sie sind deshalbin Not, weil von Südafrika unterstützte Terroristendie Verbindungswege zu den Häfen stören können.
Erst werden diese Länder in Not und Elend gestürzt, und dann geht die Regierung in Pretoria hin
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Verheugenund sagt: Wollt ihr denn, daß es bei uns so wird wie bei denen? Dazu kann ich nur sagen: Pfui Teufel!
Wir haben unsere Botschaft in erster Linie an die Weißen in Südafrika zu richten. Wir wissen ganz genau, daß die Macht in den Händen der Weißen liegt; und wir wissen ganz genau, daß sie Möglichkeiten der Unterdrückung und der Gewalt haben, die sie bisher noch nicht eingesetzt haben; wir wissen das. Aber wir sind auch ganz fest davon überzeugt, daß es im Interesse der Weißen in Südafrika liegt, die vielleicht letzte noch schwache Chance zu ergreifen, ihr eigenes Überleben in diesem Land sicherzustellen. Wir wollen doch nicht, daß sie dort weggehen müssen, sondern wir wollen, daß in diesem Land ein Modell für ein friedliches, fruchtbares Miteinander der Rassen entsteht. Die Weißen in Südafrika müssen lernen, daß sie keine Freunde in der Welt haben, und daß sie niemanden haben, der hinter ihnen steht, wenn sie dieses System fortsetzen.
Sie dürfen sich nicht darauf verlassen, wie sie es tun, daß der Westen die weißen Südafrikaner am Ende doch nicht fallenlassen wird, weil er die sogenannte geostrategische Bedeutung Südafrikas höher einschätzt. Hören Sie doch auf mit dem Argument von den Rohstoffen und der Schiffahrtsroute um das Kap!
Mir kann doch kein Mensch erzählen, daß die südafrikanischen Rohstoffe in dem Augenblick nicht mehr da sind, in dem sie sich in den Händen einer schwarzen Mehrheitsregierung befinden. Da sind sie noch genauso da wie jetzt. Kein Mensch kann mir erzählen, daß die Weißen deshalb an der Macht bleiben müssen,
weil in Südafrika die Rohstoffe sind. Nein, das ist alles nur vorgeschoben; das sind alles nur Argumente, mit denen man das eigene Handeln, die Verweigerung der Moral kaschieren will.
Von einer Beruhigung des eigenen Gewissens wird oft gesprochen. Kollege Klein fällt mir als einer ein, der das sagt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier geht es nicht um eine Beruhigung des Gewissens. Vielleicht hängt das davon ab, wie weit einer sein Gewissen dehnen kann. Auf unser Gewissen kann das nicht mehr gehen, was da in Südafrika geschieht. Nichts von dem, was wir jetzt noch tun können und von dem wir meinen, daß es geschehen soll, kann ausreichen, das Gewissen zu beruhigen; denn das ist etwas, was wir mit uns herumtragen müssen: zu wissen, daß wir zu lange und zu sehr Geduld gehabt haben,
gehofft haben, die Weißen in Südafrika würden von selbst zur Einsicht kommen, zu wissen, daß wir ihnen zu viel Verständnis, zu viel Toleranz, vielleicht aber auch zu viel eigenen Egoismus entgegengebracht haben. Das wissen wir. Deshalb kann von einer Beruhigung des Gewissens nicht die Rede sein, sondern es kann nur davon die Rede sein, jetzt das zu tun, was notwendig ist, damit aufzuhören, dieses Regime zu unterstützen, sondern diejenigen zu unterstützen, die es im Sinne einer demokratischen Mehrheitsregierung verändern wollen.Ich weiß nicht, ob Sanktionen, wie wir sie vorgeschlagen haben, mit Garantie dieses zweite Ziel erreichen. Ich weiß das nicht; ich behaupte nicht, das zu wissen. Ich weiß nicht, ob das garantiert werden kann. Aber eines weiß ich: daß die Maßnahmen, die wir vorgeschlagen haben, auf jeden Fall dazu führen, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht länger als ein Land betrachtet werden kann, das in Südafrika auf der falschen Seite steht.
Das Wort hat der Herr Staatsminister im Auswärtigen Amt Möllemann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sprecher der Opposition haben der Regierung Vorwürfe gemacht, die ich in fünf knappen Punkten zurückweisen will.Erstens. Hier ist unterstellt worden, es gebe keine klare Position der Regierung und der sie tragenden Koalition zum System der Apartheid. Deswegen stelle ich hier klar: Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen fordern Präsident Botha und seine Regierung auf: Beenden Sie den Ausnahmezustand! Lassen Sie endlich Mandela und die anderen politischen Gefangenen frei! Entbannen Sie den ANC und die anderen politischen Gruppierungen! Beginnen Sie den nationalen Dialog mit der schwarzen Opposition in Ihrem Land und erhalten Sie, solange noch Zeit dafür ist, Südafrika und allen Südafrikanern die Chance einer gemeinsamen friedlichen Zukunft!
Das ist die Haltung der Koalition und der Regierung; die tragen wir gemeinsam. Deswegen gibt es keinen Grund, hier moralische Diskreditierungen vorzunehmen. Die haben in der Rede des Bundeskanzlers keinerlei Rechtfertigung gefunden.
Zweitens. In den letzten Monaten, auch in den Jahren davor ist viel über den Sinn und Unsinn von Sanktionen gestritten worden. Heute reduziert sich die Diskussion in Wahrheit schon wieder fast nur darauf. Ich versage denjenigen nicht den Respekt,
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Staatsminister Möllemanndie Sanktionen als eine Möglichkeit betrachten. Aber lassen Sie den moralischen Ton weg, wenn Sie uns kritisch vorhalten, daß wir nein zu Sanktionen sagen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, was machen wir eigentlich, wenn — und das wird kommen — in allernächster Zeit auch aus diesem Hause Wirtschaftssanktionen gegen Afghanistan verlangt werden wegen des andauernden Verbrechens des Krieges? Fünfhunderttausend Tote, dreieinhalb Millionen Vertriebene — ist das nicht wirklich eine der schlimmsten Menschenrechtsverletzungen, die wir heute haben?
Was machen wir, wenn Bündnispartner Ähnliches gegen Nicaragua, Polen oder Libyen fordern? Sie haben doch verstanden und es bisher selber mitgetragen, daß wir dies aus einer prinzipiellen Haltung heraus bisher abgelehnt haben. Deswegen bitte ich Sie, den Respekt vor einer solchen Position hier nicht mit moralischen Argumenten in Frage zu stellen.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Verheugen?
Nein.
Dritter Punkt: Der Bundeskanzler hat hier etwas vorgeschlagen, was in den Beiträgen möglicherweise nicht hoch genug eingeschätzt worden ist. Wenn die Zweifel an Sanktionen begründet sind, wenn man weiß, daß am Ende nur alle handelnden Parteien gemeinsam den Wandel bewerkstelligen können, dann ist das von der Bundesregierung von Bundeskanzler Kohl, von Außenminister Genscher vorgeschlagene internationale Forum — vielleicht dem Beispiel der Lancaster-House-Konferenz folgend —, das Treffen der daran interessierten Staaten des Westens mit der weißen Regierung und den Repräsentanten aller wichtigen politischen Gruppierungen, der Inder, der Farbigen und der Schwarzen, vielleicht die einzige praktikable Alternative. Deswegen wollen wir uns mit allem Nachdruck dafür einsetzen, wiewohl wir nicht wissen, ob es zustande kommen wird.
Vierte Bemerkung: Mit allem Nachdruck sollte sich das Haus bereit finden, die Ankündigung des Bundeskanzlers zu unterstützen, deutlich mehr Mittel als bisher — als von allen Regierungen bisher — für Maßnahmen bereitzustellen, die die schwarze Mehrheit dort, die Schüler, die Lehrlinge, unterstützen sollen.
Wir werden bei den Haushaltsberatungen jetzt Gelegenheit dazu haben. Das Auswärtige Amt wird ein Ausbildungsprogramm ausarbeiten, das mit diesen Mitteln umgesetzt werden kann. Wir hoffen sehr darauf, daß die Unternehmen dies mit nennenswerten, namhaften Beträgen unterstützen werden.
Und die letzte Bemerkung: Herr Kollege Verheugen, ich weiß nicht, was Ihre etwas kryptische Andeutung zum Thema eines Untersuchungsausschusses sollte. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß sich dessen zeitliche Tätigkeit sicher auf die Genehmigungspraxis vieler Regierungen konzentrieren wird.
Hier sitzen dann sicherlich viele, die die Genehmigungen des Bundessicherheitsrates zu diesem Thema präzise kennen. Ich kann nur sagen: Für den Zeitraum, den ich jetzt überblicken kann, werden Sie keine einzige Genehmigung für Waffenexporte nach Südafrika finden.
— Ich wiederhole: Sie werden keine Genehmigung für Waffenexporte nach Südafrika finden.
Aber es steht Ihnen frei, den Zeitraum von 1972 an mit einzubeziehen.
Ich erwähne das deswegen, meine Damen und Herren — abschließend sei das gesagt —, weil der Kollege Hornhues doch nicht ohne Grund darauf hingewiesen hat, daß die Geschichte des Verhaltens der verschiedenen Bundesregierungen — auch solcher, die ich als Abgeordneter mitgetragen habe — zum Thema Südafrika, auch während der schwärzesten Phasen der Apartheid, keiner Partei dieses Hauses Grund zur Überheblichkeit gibt — keiner Partei dieses Hauses!
— Nein, das tue ich überhaupt nicht.
Ich möchte der Sprecherin der GRÜNEN, die hier nach dem gleichen Verhaltensmuster vorgegangen ist, wie Sie das dauernd tun — Frau Borgmann sprach in einer Presseerklärung von moralischer Verkommenheit der Bundesregierung —, sagen: Sie haben von Ihrem eigenen politischen Verhalten und Ihrer Programmatik her kein Recht, mit jener moralischen Überheblichkeit aufzutreten, mit der Sie dieses Parlament ständig belästigen.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Klein .
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 17979
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Debatte um ein sehr ernstes, weitreichendes Thema hat heute früh mit einem sehr ernsthaften Dialog zwischen dem Kollegen Brandt und dem Bundeskanzler begonnen. Ihr Auftritt aber, Herr Kollege Verheugen, hat der Debatte eine Wendung gegeben, die ihr nicht angemessen ist. Ich hatte den Eindruck, Sie haben in paar Jahre Juso-Betätigung nachzuholen, und das versuchen Sie in diesem Zusammenhang.
Es gab allerdings eine Frage, die Sie gestellt haben, die ich ernst nehmen will, die Frage: Was tragen wir dazu bei, was haben wir dazu beigetragen, daß die Zustände in Südafrika so sind, wie sie sind? Ich will jetzt nicht aufrechnen, welche Regierung wann was getan hat. Das erscheint mir ein bißchen sehr billig.
Aber wie wir zu Sanktionen oder anderen Formen der Einflußnahme stehen, das scheint mir der Punkt zu sein, an dem sich die Geister scheiden.
Der Bundeskanzler hat sehr schlüssig dargelegt, warum die Maßnahmen in dieser Form in Brüssel gefaßt wurden, gefaßt werden mußten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich halte es für gefährlich, moderate schwarze Sprecher, die meiner Meinung nach wirklich die Mehrheit der Schwarzen vertreten, wie Gatsha Buthelezi und viele andere, die dem Westen beschwörend von Sanktionen abraten, als nicht repräsentativ zu behandeln oder, Herr Kollege Schäfer, politisch zu verdächtigen, die Radikalen aber, die auf gewaltsamen Umsturz zielen, als authentische Führer der schwarzen Mehrheit zu bezeichnen.
Wir müssen uns in diesem Zusammenhang die Frage stellen: Wie stehen wir zur Gewalt?
Ist Gewalt für die auf Gewaltverzicht eingeschworene Bundesrepublik Deutschland plötzlich wieder ein akzeptables Mittel der Politik? Machen wir unser Urteil über den internationalen Terrorismus neuerdings von seinen tatsächlichen oder vorgeblichen Zwecken abhängig?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Fraktion der CDU/CSU begrüßt die Ankündigung des Bundeskanzlers, besondere Hilfsmaßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zu beschließen. Sie ist aber auch der Überzeugung, daß es der Westen
noch immer in der Hand hat, das Schicksal der Menschen im ganzen südlichen Afrika zum Guten wenden zu helfen. Dazu gehört — mein Kollege Hornhues hat das angekündigt; ich bin jetzt natürlich in großer Zeitnot und kann das nur mit wenigen Stichworten umreißen —, daß sich der Westen zusammensetzt und einen groß angelegten und finanziell großzügig ausgestatteten Plan erarbeitet, um damit die rasche Überwindung der Apartheid, die volle Beteiligung aller Rassen und Bevölkerungsgruppen am politischen Entscheidungsprozeß, die schulische und berufliche Ausbildung bislang Benachteiligter, die Entwicklung tragfähiger, allseits akzeptierter demokratischer Strukturen und den Aufbau eines die Privatinitiative fördernden, aber sozial abgesicherten Wirtschaftssystems voranzutreiben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist billig, anderen Opfer abzuverlangen. Wenn wir es ernst meinen, müssen wir selber bereit sein, Opfer zu bringen.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Waldburg-Zeil.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Debatte sind wir uns in drei Punkten einig gewesen, einig in der Verurteilung der Apartheid, einig in der Forderung nach Wandel und einig in der Forderung nach friedlichem Wandel. Diese drei Punkte können wir sicher als Gemeinsamkeit heute am Ende dieser Debatte sehen.Ich meine, daß wir uns auch in der Frage der Sanktionen in dem Sinne nähergekommen sind, daß die einen verstehen, daß die Befürworter von Sanktionen ein Zeichen zu setzen wünschen, aber sehr wohl wissen, daß dieses Zeichen mit Nebenwirkungen verbunden ist, und daß die anderen diese Nebenwirkungen in ihrer Auswirkung auf die breite Masse der schwarzen Bevölkerung in Südafrika fürchten.Ich möchte noch einmal den dritten Punkt unserer Gemeinsamkeit, die Forderung nach friedlichem Wandel, unterstreichen; denn in Menschenwürde zu leben ist nur möglich, wenn nicht in einem Blutbad und in Zerstörung die Infrastruktur verlorengeht, die es ermöglicht, nach vollzogenem Wandel, in Menschenwürde weiterzuleben.Das ungute Gefühl am Ende einer solchen Debatte ist natürlich immer dies: Ist das nun genug?Darf ich vielleicht ein paar Punkte zur Debatte stellen, von denen ich meine, sie sollten dazu führen, daß wir nicht die Hände jetzt in Unschuld waschen,
sondern auf dem Wege voranschreiten, zu helfen, die Apartheid zu beseitigen und ein menschenwürdiges System in Südafrika aufzubauen.
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17980 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Graf von Waldburg-ZeilIch meine, daß zunächst einmal eine Dialogoffensive notwendig wäre. Herr Kollege Brandt, Sie haben von den „sturen Buren" gesprochen. Wer dort war, weiß, was Sie gemeint haben. Aber es gibt natürlich viele Buren, die gar nicht stur sind, mit denen man reden kann, und auch unter denen, die dort „Verkrampte" heißen, gibt es viele, mit denen man noch reden kann. Ich meine, daß in der ganzen Diskussion um die Ostpolitik immer wieder das Anliegen zur Geltung kam: Wenn man Wandel will, muß man reden, und man muß versuchen, sich in den Gesprächspartner hineinzufinden. Man kann ihn nicht von vornherein vollständig abwerten. Man muß versuchen, das aufzunehmen, was er meint. Herr Kollege Toetemeyer, Sie verstehen sehr gut, worauf ich hinaus will. Offensive zum Dialog also mit den Weißen, die das Sagen dort noch haben, Offensive zum Dialog aber auch mit den schwarzen Gruppen in Südafrika. Hier, meine ich, ist es ganz besonders wichtig, daß wir nicht den Fehler begehen, nun von uns aus in authentische und nichtauthentische Führer einzuteilen. Wir dürfen nicht vorwegnehmen, was eine Wahl als Ergebnis bringen soll. Wir müssen die Chance, mit allen zu sprechen, nutzen. Jeder muß sich überlegen: Mit welchen von der anderen Seite habe ich noch nicht geredet?Dabei ist noch eines wichtig: Mit derselben Beharrlichkeit, die wir dem weißen Gesprächspartner gegenüber an den Tag legen müssen, daß hier eine Änderung vonnöten ist, müssen wir dem schwarzen Diskussionspartner gegenüber auch sagen, daß die brennende Halskrause für uns keine Lösung ist.
Ein Zweites, was wir starten müssen, ist eine Entwicklungsoffensive. Es ist in dieser Debatte schon mehrfach angeklungen, daß in der gesamten entwicklungspolitischen Diskussion der letzten Jahrzehnte die Vorbereitung auf die Fähigkeit, Unabhängigkeit zu gestalten, eine bedeutsame Rolle gespielt hat. In Südafrika ist das Bildungswesen wesentlich weiterentwickelt als im übrigen Schwarzafrika. Aber der Ansatzpunkt für uns ist, zusätzliche Qualifikationen im beruflichen Bereich und im Bereich des Managements zu geben. Hier gibt es in der Tat die Möglichkeit, einiges zu tun, um positiv die Entwicklung nach Apartheid vorzubereiten.Ein Letztes: Ich meine, wir sollten so etwas wie eine positive Zug-um-Zug-Politik entwickeln. Ich halte es für ungeheuer gefährlich, bei der Formulierung von Zielen eine Alles-oder-Nichts-Politik zu betreiben. Ich möchte Ihnen das an einem Beispiel deutlich zu machen versuchen. Einige sehr eifrige Befürworter haben gesagt: Wir müssen die Sanktionen gleich auch auf Südwest, auf Namibia ausdehnen. Dort ist aber eine ganz gewaltige Entwicklung in Gang gekommen, die über die in Südafrika hinausgeht. Was soll das für die Südafrikaner für ein Beispiel sein, wenn sie das Gefühl haben: Wir können tun, was wir wollen, wir werden zum Schluß doch immer die Prügelknaben sein? Zug um Zug: Macht ihr diesen Schritt, kommen wir mit jenem entgegen. Wenn es ein Verbot für Neuinvestitionen gibt: Wann fangen wir wieder an? — Jetzt nicht, aber dann müssen wir sagen, wann wir wieder anfangen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, darf ich zusammenfassen: Wenn es um Recht und Würde, aber auch um Leben und Gesundheit sowie um den Grundstandard für ein menschenwürdiges Leben in wirtschaftlicher Hinsicht für Millionen geht, genügt es nicht, Verurteilungen auszusprechen, Resolutionen zu fassen und Sanktionen zu verhängen. Ein darüber hinausgehender positiver Ansatz, eine Dialogoffensive, eine Entwicklungsoffensive und ein Zug-um-Zug-Programm positiver Maßnahmen beim Abbau der Apartheid mag schwieriger sein, ist aber letzten Endes erfolgversprechender.Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Das Wort zu einer persönlichen Erklärung hat der Abgeordnete Dr. Rumpf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muß hier persönlich erklären, daß ich für Sanktionen stimme, obwohl ich dagegen bin, obwohl ich der Meinung bin, daß Sanktionen weder richtig noch sinnvoll sind.
Ich weiß, daß ich mich da in einer Gemeinsamkeit mit unserer Partnerpartei in Südafrika, der Progressive Federal Party, befinde, die in der Opposition steht — das wurde vorhin vom Herrn Bundeskanzler erwähnt —, die ebenfalls gegen Sanktionen ist.
Ich stimme aber dafür, weil diese Sanktionen auf einem europäischen Konsens beruhen. Wenn es auch ein kleiner Nenner ist, so hat für mich der europäische Konsens dennoch Priorität. Es ist ein Konsens, der zwischen Portugal und den Niederlanden gefunden werden mußte.
Im übrigen darf ich anmerken, daß das sozialistische Schweden keine Sanktionen gegen Südafrika einleitet.
Frau Eid, Ihnen muß ich sagen: Die Evangelische Kirche ist gegen Sanktionen. Sie hat sich gegen einen Boykott ausgesprochen.
Herr Abgeordneter, Sie müssen sich an die persönliche Erklärung halten.
Die persönliche Erklärung geht insofern weiter, als ich in bezug auf Namibia in Fortführung dessen, was Graf Waldburg-Zeil gesagt hat, sagen muß, daß Sanktionen auf keinen Fall auf Namibia wirken dürfen; denn drei Hauptforderun-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 17981
Dr. Rumpfgen, die wir gegenüber Südafrika erheben, sind in Südwestafrika längst Wirklichkeit geworden.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf hinweisen, daß Ihre Ausführungen über eine persönliche Erklärung hinausgehen. Eine persönliche Erklärung enthält nur die Möglichkeit, Ihr eigenes Abstimmungsverhalten zu verdeutlichen, ohne noch einmal eine Debatte zu führen.
Ich verdeutliche, daß ich für Sanktionen bin, obwohl ich fürchte, daß sie gegen Namibia wirken könnten.
Das ist in der Tat schwierig zu erklären.
Namibia hat bereits drei Hauptforderungen erfüllt: die Freilassung der politischen Gefangenen — Toivo ya Toivo ist auf freiem Fuß —, Wahlen nach dem Motto „one man, one vote" und Zusammenarbeit aller politischer Kräfte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich spreche hier nicht nur für mich, sondern für einen ganz großen Teil der Abgeordneten in diesem Hohen Hause, auch aus den Reihen der Sozialdemokraten.
Diese dürfen leider nichts sagen und werden durch Fraktionszwang immer wieder zum Schweigen verurteilt.
Aber ich weiß, daß es sie gibt, und ich weiß auch, daß sie bald resigniert haben und auf den Listen schon gar nicht mehr erscheinen können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind gegen Sanktionen, die Auswirkungen auf Namibia haben. Wir wollen diesem Land im Gegenteil durch Entwicklungszusammenarbeit helfen, daß die Sanktionen, die sich auswirken könnten, auf jeden Fall wettgemacht werden.
Ich bedanke mich.
Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Abstimmung, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6050. Die Fraktion der SPD verlangt hierzu gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung.Meine Damen und Herren, Sie kennen das Verfahren. Wir probieren es allerdings in diesem Saal zum erstenmal. Ich bitte um ein bißchen Geduld. Die Wahlurnen stehen an den beiden Seiten.Ich eröffne die namentliche Abstimmung.Darf ich für die Schriftführer bekanntgeben, daß alle Schriftführer zur Auszählung außerhalb des Saales vom Präsidenten aus gesehen rechts in den zweiten Stock hinaufgehen. Dort ist das für die Auszählung vorgesehene Zimmer.Meine Damen und Herren, darf ich vorschlagen, daß sich die Kollegen, die bereits abgestimmt haben, aus den Gängen entfernen, damit die anderen Kollegen den Weg zur Urne etwas leichter finden können. Dann geht das auch etwas schneller.Meine Damen und Herren, gibt es noch ein Mitglied des Hauses, das seine Stimme nicht abgegeben hat, dieses aber zu tun wünscht? Können wir abschließen? —Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Ich möchte die Kollegen darauf aufmerksam machen, daß wir nach der Auszählung eine weitere Abstimmung und anschließend noch eine namentliche Abstimmung haben. Ich bitte deswegen, in der Nähe zu bleiben. Wir müssen zunächst das Ergebnis vorliegen haben; deswegen wird jetzt ausgezählt und dann das Ergebnis bekanntgegeben.Das von den Schriftführern mitgeteilte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6050 lautet: Abgegebene Stimmen 346, davon keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 148 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 197 Abgeordnete; ein Abgeordneter hat sich der Stimme enthalten.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 346; davonja: 148nein: 197enthalten: 1JaSPDAmlingBachmaier BahrBambergBecker BernrathBerschkeit BindigFrau BlunckBrandtBrückBüchler
Dr. von Bülow Buschfort CatenhusenConradi Delorme Dreßler DuveEgertDr. Ehmke Dr. EmmerlichEwenFischer Frau Fuchs (Köln) GilgesGlombig Dr. Glotz HaarHaehserHansen Frau Dr. Hartenstein HauckDr. Hauff Heimann Herterich HettlingHeyennHiller
Dr. Holtz Frau Huber HuonkerIbrüggerImmer
Jahn
JaunichDr. JensJung
Junghans Kastning KiehmKisslingerKlein
Kretkowski Dr. Kübler Kuhlwein Lambinus Frau Dr. LepsiusLiedtkeLöfflerLohmann
Frau Luuk Matthöfer MeininghausDr. Mertens Müller (Düsseldorf)Müller
Dr. Müller-EmmertDr. NöbelFrau Odendahl
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17982 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Vizepräsident WestphalPaternaDr. PennerPeter
PfuhlPorzner PoßPurpsRanker Reimann Frau RengerReschke ReuterRohde SanderSchäfer SchanzSchlaga SchlatterSchluckebierFrau Schmedt
Dr. Schmidt Frau Schmidt (Nürnberg) Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeDr. Schöfberger SchreinerDr. Schwenk SielaffFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellDr. SpöriStahl
Stiegler StocklebenDr. StruckFrau TerborgTietjenFrau Dr. Timm ToetemeyerUrbaniakVahlbergVerheugenDr. VogelVogelsangVoigt
Vosen WaltematheWartenberg Weisskirchen (Wiesloch) Dr. WernitzWestphalFrau Weyelvon der Wiesche Wimmer WischnewskiWitekDr. de WithWolfram
Frau ZuttDIE GRÜNENAuhagenFrau BorgmannFrau DannFrau EidFischer FritschLange MannRuscheDr. SchierholzSchmidt
Schulte
Senfft TatgeVogel
VolmerFrau Wagner Frau ZeitlerNeinCDU/CSUFrau AugustinDr. Barzel BayhaDr. Becker Dr. BlankDr. Blens Dr. Bötsch BohlBohlsenBoroffkaBraunBrollBrunnerBühler
Dr. BuglBuschbom ClemensDr. CzajaFrau Dempwolf Dörflinger DolataDossDr. Dregger EigenEngelsbergerEylmannDr. FaltlhauserFellnerFrau Fischer Fischer Francke (Hamburg) FunkFrau Geiger Dr. GeißlerDr. von GeldernGerlach
GlosGötzerGüntherHaungsHauser HedrichFreiherr Heeremanvon ZuydtwyckFrau Dr. Hellwig Herkenrath HinrichsHinskenHöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau HürlandDr. Hupka Graf Huyn Dr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJung
Frau KarwatzkiKellerKlein
Dr. Köhler KolbKrausKreyKroll-SchlüterDr. KronenbergDr. Kunz LamersDr. Lammert LandréDr. Langner LattmannDr. LaufsLink LinsmeierLintnerDr. LippoldLohmann Dr. h. c. LorenzLouvenLowackMaaßFrau Männle MaginMarschewski MetzDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. MikatDr. Miltner MilzDr. MöllerMüller Müller (Wadern)Frau Dr. Neumeister NiegelDr. Olderog PetersenPfeffermann PfeiferDr. PingerPöpplPohlmannDr. Pohlmeier Dr. ProbstRaweRepnikDr. Riesenhuber Rode Frau Rönsch
Frau Roitzsch
Rossmanith Rühe
RufSauer(Salzgitter)Sauer
SaurinSauter
Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz SchemkenSchlottmann Schmidbauer Schmitz von Schmude Schneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder . SchulhoffDr. Schulte
Schultz (Wörrstadt) Schulze (Berlin) Schwarz
Dr. Schwörer SeehoferSeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerDr. SprungDr. Stark Dr. Stercken StockhausenStommel Straßmeir StücklenStutzerSussetTillmannDr. TodenhöferUldallFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarrikoffWeirichWeißWerner
Frau Will-FeldFrau Dr. Wilms WindelenFrau Dr. WisniewskiDr. WittmannWittmann Dr. WörnerWürzbach ZinkSPDEickmeyer FDPBaumBeckmann Bredehorn Eimer
Engelhard ErtlGallusGattermannDr. HaussmannDr. HirschKleinert KohnMischnick Möllemann Neuhausen PaintnerDr. Rumpf Schäfer
Frau Dr. Segall Wolfgramm
EnthaltenFDPFrau Dr. Hamm-BrücherDer Änderungsantrag ist damit abgelehnt.Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 10/5822 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3994 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung — also Ablehnung eines SPD-Antrages — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 17983
Vizepräsident Westphaldagegen? — Enthaltungen? — Dann ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Zusatztagesordnungspunkt 2. Es handelt sich um die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 10/4754 zum Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2417. Die Fraktion DIE GRÜNEN verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung.Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2417 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich mit Ja zu stimmen. Wer dagegen stimmen oder sich der Stimme enthalten will, sollte die entsprechende Abstimmungskarte benützen.Ich eröffne die namentliche Abstimmung.Meine Damen und Herren, sind noch Abgeordnete im Saal, die sich an der Abstimmung beteiligen wollen und das bisher noch nicht getan haben? Dann bitte ich, das jetzt zu tun.Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir können aber in der Debatte fortfahren.Ich möchte zunächst noch bekanntgeben: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen der Tagesordnungspunkt 18 und der Zusatztagesordnungspunkt 4 nach Zusatztagesordnungspunkt 3, also nach der Regierungserklärung zum Thema GATT, aufgerufen werden. Auch dies wird noch vor der immer mehr zusammenschrumpfenden Mittagspause geschehen — an die ich nicht mehr glaube.Sind Sie damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Das Auszählungsergebnis warten wir ab.*)Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 auf:a) Beratung des Antrags des Abgeordneten Ströbele und der Fraktion DIE GRÜNENErklärung des Europaparlaments gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Bekräftigung des Grundrechts auf Asyl und konkrete Schritte gegen Fremdenfeindlichkeit— Drucksache 10/5982 —b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDPErklärung gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit— Drucksache 10/6041 —Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b 60 Minuten vorgesehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stercken.*) Siehe Seite 17985 A
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Europäische Parlament, der Rat, die im Rat vertretenen und vereinigten Vertreter der Mitgliedstaaten und die Kommission haben eine Erklärung gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit abgegeben. Damit haben wir uns heute zu beschäftigen.Ich nehme vorweg, daß wir uns gewiß alle diese Erklärung zu eigen machen. Es kann keinen Demokraten, insbesondere im Deutschen Bundestag, geben, der diesen Grundsätzen und Forderungen nicht zustimmt. Das ist jedoch nicht eine Frage der Opportunität, sondern Verfassung, Recht, Gesetz und Gewissen fordern von uns, aus diesen Grundsätzen Konsequenzen zu ziehen und dies durch politisches Handeln unter Beweis zu stellen.In diesem Deutschen Bundestag, meine Damen und Herren, ist noch kein Wort gefallen, in dem Rassismus oder Ausländerfeindlichkeit zum Ausdruck gekommen wäre. Im Gegenteil, schon eine flüchtige Durchsicht der Protokolle zeigt, daß alle Fraktionen zu allen Zeiten vor solchen Entwicklungen in Deutschland, in Europa und in aller Welt warnen wollten. Das Thema eignet sich also nicht für einen Parteienstreit oder gar einen Wahlkampf. Die heutige Debatte — dies wäre jedenfalls meine Empfehlung — sollte nicht der Versuchung erliegen, Fronten aufzubauen.
Wir sind alle auf diese rechtlichen und ethischen Grundsätze verpflichtet. Diese Verantwortung wird sich in der Öffentlichkeit kaum erkennen lassen, wenn im Parlament mit weniger Toleranz diskutiert wird, als wir sie anderen Bürgern und Gästen in unserem Land zuteil werden lassen wollen. Auch und gerade Politiker sollen unserem Volk, insbesondere unserer Jugend, ein Beispiel geben. Es hängt von uns ab, ob wir die heute zur Debatte stehenden Grundsätze glaubhaft erörtern oder ob wir die Gelegenheit mißbrauchen, um in einer dem Ernst des Themas nicht angemessenen Selbstgerechtigkeit den Konsens zu zerstören, den unser Volk braucht, um in Achtung vor jedem Menschen tolerant und gerecht zu sein.Die nationalsozialistische Führung hat an anderen Völkern und am eigenen, an jüdischen Mitbürgern, an ausländischen Zwangsarbeitern, an politischen Gegnern, an Vertretern der Kirchen aus allen Konfessionen so viele mörderische Verbrechen vorgeblich im Namen des deutschen Volkes begangen, daß uns Theodor Heuss einmal Kollektivscham empfohlen hat, damit wir für alle Zeiten gegen solchen Wahn gefeit sein sollten. Die Wiedergutmachung konnte nur ein Zeichen des guten Willens sein. So hat dies jedenfalls Konrad Adenauer empfunden, als er das Luxemburger Abkommen unterzeichnete.Wir beobachten sehr sorgsam, daß sich in der deutschen Politik nicht wieder Rassismus als Methode einstellt; denn dies ist ja oft nur eine Taktik, um von eigenen Problemen und Unzulänglichkeiten abzulenken. Als jemand, der diese Entwicklung in
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17984 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Dr. Sterckenaller Welt sehr sorgsam beobachtet, kann ich unserem Volk nur das Zeugnis ausstellen, daß keine politisch ernst zu nehmende Kraft Gedankengut repräsentativ vertritt, das dem heute zu beschließenden Antrag entgegenstünde. Das enthebt uns nicht weiterer Wachsamkeit.Doch im internationalen Vergleich sind wir Gott sei Dank ein besonders freiheitlicher und toleranter Staat geworden. Dieses Urteil ist besonders gerechtfertigt, wenn wir an den kommunistischen Machtbereich, an die Diktaturen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas denken, insbesondere an die rassistischen Kämpfe zwischen Singhalesen und Tamilen, an Stammesfehden in vielen afrikanischen Staaten, an den Kampf zwischen Schwarz und Weiß in Südafrika, an die Auseinandersetzungen zwischen Weißen und Indianern in süd- und mittelamerikanischen Staaten. Auch in Europa setzt sich zu unserem Leidwesen religiöser und nationalistischer Fanatismus und Separatismus in nicht enden wollenden Kämpfen in Irland und Spanien fort.
Im Kosowo gerät die Einheit eines föderativen Staates ebenso in Gefahr wie im Libanon. Überall Unduldsamkeit, Intoleranz, Gewalt, Bürgerkrieg, Unterdrückung aus rassischen, politischen und religiösen Gründen. In einer solchen Situation haben wir keine Veranlassung, den ermutigenden Befund im eigenen Volk in Frage zu stellen. Wir sollten dafür dankbar sein und Verdächtigungen entgegentreten, die sich nicht als Ansporn und Ermunterung auswirken können.
Das Verhalten unseres Volkes hat auch etwas mit der Weisheit seiner Politiker zu tun. Ich meine, wir sollten weiterhin Mut machen, tolerant und verständnisvoll zu sein.
Nur so unterstützen wir die guten Absichten des Europäischen Parlaments wirkungsvoll.Wir ächten, meine Damen und Herren, bei dieser Gelegenheit auch jedwede Form von Fremdenfeindlichkeit.
In drei Jahrzehnten haben wir in der Europäischen Gemeinschaft Freizügigkeit verabredet. Man kann nicht von europäischer Integration reden und sich drücken, wenn es ernst wird.
Der Binnenmarkt wird den Freizügigkeitsprozeß weiter fördern. Wir wollen das so! Die Europäer werden sich daher noch stärker aneinander gewöhnen müssen.Über eine Million Türken haben wir als Arbeitskräfte in unser Land gerufen. Ludwig Erhard meinte damals, es wäre besser, die Arbeit zu denMenschen zu bringen. Doch sie sind jetzt bei uns. Ich meine, wir lassen sie nicht im Stich.
Ich spreche aus der Praxis, weil ich als Vorsitzender einer deutsch-griechischen und einer deutsch-türkischen Freundschaftsvereinigung wirke. Wir versuchen miteinander Schwierigkeiten auszuräumen und Spannungen abzubauen. Ärgern tun wir uns am meisten über die notorischen Kritiker, die keine praktische Arbeit leisten und sich auf Resolutionen beschränken. Konstruktive Zusammenarbeit findet leider weniger öffentliches Interesse als Krawall und Verbalismus.
Zu der Weisheit, von der ich eben sprach, gehört auch die Erkenntnis, den Bogen nicht zu überspannen. Es gibt ausländische Minoritäten, die sich nur schwer in unseren Breiten integrieren lassen, weil sich nicht überall unterschiedliche Lebensformen nebeneinander und miteinander einrichten lassen. Das gilt insbesondere für Asiaten und Afrikaner. Darüber muß man, meine ich, freimütig sprechen können. Ob Vietnamesen, Kambodschaner oder Tamilen, es wäre für sie und auch für viele Afrikaner besser, wenn sie unter ihren gewohnten Lebensverhältnissen in ihren Kontinenten eine neue Heimat finden könnten, wenn sie das Land ihrer Väter aus politischen, religiösen oder rassischen Gründen verlassen müssen.Ich bedauere aufrichtig, daß fast alle Regierungen in den betroffenen Regionen bislang, auch unter der Voraussetzung finanzieller Hilfe aus aller Welt, eine derartige Ansiedlung ausgeschlagen haben. Auch hier hat sich die Bundesrepublik Deutschland bisher großzügiger erwiesen als viele asiatische und afrikanische Nachbarländer, in denen sich die Bedrohten und Verfolgten auch hätten sicher fühlen können.Viele fragen heute nach dem Sinn solcher Entwurzelungen aus orientalischen Kulturen. Wir sollten sie verstehen! Die Logik kann nicht heißen, daß alle Probleme dieser Welt nur in Deutschland gelöst werden können. Unsere Außenpolitik muß daher bemüht sein, in den Ländern selbst oder in den Regionen den Frieden und die Bereitschaft zu fördern, am Ort des Geschehens eine Lösung zu ermöglichen. Zu dieser Weisheit gehört also hinzu, daß wir die Bereitschaft unserer Mitbürger nicht überfordern. Auch solche Klugheit kann dazu beitragen, daß sich ein unbeschwertes Klima gegenüber allen Ausländern entwickelt.Ich komme zum Schluß. Ich bin überzeugt, meine Damen und Herren, daß wir das schaffen können. Es gibt viele gute Beispiele in Städten und Gemeinden. Der Deutsche Bundestag sollte mit seiner heutigen Entschließung Ermutigung geben, doch gleichzeitig die Grenzen des Machbaren verdeutlichen, damit aus der Tugend keine Not wird.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 17985
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, gebe ich Ihnen das von den Schriftführern mitgeteilte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 10/4754 bekannt. Es wurden 343 Stimmen abgegeben. Davon war keine ungültig. Mit Ja haben 197 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 94. Es hat 52 Enthaltungen gegeben.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 343; davonja: 197nein: 94enthalten: 52JaCDU/CSUFrau AugustinBayhaDr. Becker Dr. BlankDr. Blens Dr. BötschBohlBohlsen Boroffka BraunBrollBrunnerBühler
Dr. Bugl Buschbom Clemens Dr. CzajaFrau Dempwolf Dörflinger DolataDossDr. DreggerEigenEngelsbergerEylmannDr. FaltlhauserFellnerFrau FischerFischer Francke (Hamburg) FunkFrau GeigerDr. GeißlerDr. von Geldern Gerlach
GlosGötzerGüntherHauser HedrichFreiherr Heeremanvon ZuydtwyckFrau Dr. Hellwig Helmrich HerkenrathHinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau HürlandDr. HupkaGraf HuynDr. Jahn
Dr. Jenninger Dr. JobstJung Frau Karwatzki KellerKlein
Dr. Köhler KolbKrausKreyKroll-Schlüter Dr. KronenbergDr. Kunz LamersDr. Lammert LandréDr. Langner LattmannDr. LaufsLink LinsmeierLintnerDr. LippoldLohmann Dr. h. c. LorenzLouvenLowackMaaßFrau Männle MaginMarschewski MetzDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. MikatDr. MiltnerMilzDr. MöllerMüller Müller (Wadern) Frau Dr. Neumeister NiegelDr. OlderogPetersenPfeffermann PfeiferDr. PingerPöpplPohlmannDr. Pohlmeier Dr. ProbstRaweRepnikDr. Riesenhuber Rode Frau Rönsch
Frau Roitzsch
Rossmanith RüheRufSauer
Sauer
SaurinSauter
Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz SchemkenSchlottmann Schmidbauer Schmitz von Schmude Schneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schultz (Wörrstadt) Schulze (Berlin) Schwarz
Dr. Schwörer SeehoferSeesingSeitersDr. SprungDr. Stark Dr. Stercken StockhausenStommelStraßmeirStücklenStutzerSussetTillmannDr. Todenhöfer UldallFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarrikoffWeirichWeißWerner Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms WindelenFrau Dr. WisniewskiDr. Wittmann Wittmann Dr. WörnerWürzbachZinkSPDFrau Renger VosenFDPBaumBeckmann BredehornCronenberg Eimer (Fürth) EngelhardErtlGallusGattermannFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannDr. HirschKleinert
KohnMischnick Möllemann Neuhausen PaintnerDr. Rumpf Schäfer
Frau Dr. SegallWolfgramm
NeinSPDAmlingBachmaier BambergBecker BernrathBerschkeit BindigBrandtBrückBüchler
Dr. von BülowBuschfort CatenhusenDelorme DuveFischer
Glombig Dr. Glotz HaarHansen
HauckHeimann Hettling Heyenn Hiller
Dr. Holtz Huonker Ibrügger Immer
Dr. Jens KiehmKisslinger Klein
Kretkowski Dr. Kübler Kuhlwein Lennartz LiedtkeLohmann MatthöferDr. Mertens Müller (Schweinfurt)Dr. Nöbel Dr. Penner Peter
Porzner PurpsRankerReimann ReuterRohde
SanderSchäfer
SchanzSchlaga SchluckebierFrau Schmedt
Frau Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeSielaffFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellStahl
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17986 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Vizepräsident WestphalStieglerDr. Struck Frau Terborg VahlbergVoigt Waltemathe Wartenberg (Berlin)Dr. Wernitzvon der WiescheWitekDr. de WithDIE GRÜNENAuhagenFrau BorgmannFrau DannFrau EidFischer FritschLangeMannRuscheDr. SchierholzSchmidt
Schulte
SenfftTatgeVogel
VolmerFrau WagnerFrau ZeitlerEnthaltenSPDBahrFrau BlunckConradi Dreßler EgertDr. Ehmke EickmeyerDr. EmmerlichEwenFrau Fuchs
GilgesHaehserFrau Dr. HartensteinDr. Hauff Herterich Frau HuberJahn
JaunichJung
Junghans Kastning Lambinus Frau Dr. LepsiusLöfflerFrau Luuk MeininghausMüller
Dr. Müller-EmmertFrau OdendahlPaterna PfuhlPoßReschkeDr. Schmidt
Dr. SchöfbergerSchreinerDr. Schwenk
Dr. Spöri Stockleben TietjenFrau Dr. TimmUrbaniak Verheugen Dr. Vogel VogelsangWeisskirchen WestphalFrau Weyel Wimmer Wischnewski
Frau ZuttDamit ist der Antrag des Ausschusses angenommen.Jetzt gebe ich das Wort in unserer Debatte dem Abgeordneten Dr. Schmude.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Für die Sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüße ich die am 16. Juni dieses Jahres vom Europäischen Parlament zusammen mit dem Rat und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften abgegebene Erklärung gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.
Daß jetzt in der Sache — wie ich hoffe — alle Bundestagsfraktionen dieser Erklärung zustimmen, mag selbstverständlich sein. Es ist gleichwohl ein wertvoller Gewinn für die politische Kultur in unserem Land.Weil in der öffentlichen Behandlung einzelner Themen und Vorhaben immer wieder verwirrende und unvertretbare Äußerungen erfolgen, ist es nötig, dem menschenunwürdigen Umgang mit Fremden, die bei uns Aufenthalt haben oder Zuflucht suchen, von Zeit zu Zeit eine eindeutige und unmißverständliche Absage zu erteilen.
Wichtig ist, daß wir das gemeinsam tun. Wir geben damit Orientierung, wir ziehen Grenzen, und wir binden uns selbst in der Auseinandersetzung über streitig gebliebene Punkte. Diese besondere Chance des gemeinsamen Vorgehens wollen wir nutzen.Gewiß sind wir uns darin einig, daß die große Mehrheit der Bürger unserer Bundesrepublik Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ebenso ablehnt, wie wir es tun. Ebenso klar ist, daß einzelne und auch kleinere Gruppen sich in Worten und gelegentlich sogar in Taten rassistisch und feindselig gegen Ausländer betätigen. Und leider sind es gar nicht so wenige, bei denen sich Ansätze für Mißtrauen, Geringschätzung und sogar Haß gegen Ausländer finden.Nachdem in Deutschland zwölf schlimme Jahre lang Rassismus und auch Fremdenfeindlichkeit, begleitet von menschenverachtender nationaler Überheblichkeit die offizielle Politik mit mörderischen Konsequenzen bestimmt haben, müssen wir uns auch durch bloße Ansätze zu solcher verderblichen Haltung alarmieren und zur Abwehr aufrufen lassen.Es gibt in diesen Monaten leider wieder Anlaß, alarmiert zu sein und die Maßstäbe nachdrücklich zurechtzurücken. Hetze, Gewaltakte und Mordanschläge gegen asylsuchende Ausländer sind kriminelle Einzelerscheinungen, deren Zahl aber gerade in diesem Sommer bedrohlich zugenommen hat. Die anonymen und oft sogar mit vollem Absender geschriebenen Briefe, in denen Ausländer allgemein und Asylsuchende im besonderen unbarmherzig angefeindet und unflätig beschimpft werden, sind für die Meinung der meisten Bürger unseres Landes nicht typisch. Aber auch diese Briefe sind mehr geworden; sie ergießen sich bei bestimmten Anlässen sogar als Flut auf die Schreibtische derjenigen, die zum versöhnlichen und humanen Umgang mit den Fremden aufgerufen haben.
Darüber hinaus gibt es ein verbreitetes Rumoren, das sich in kalten, abweisenden, manchmal auch hysterischen Äußerungen artikuliert, mit denen wir Politiker zum Durchgreifen gegen die angeblich drohende Überfremdung aufgefordert werden.Solche Bewegung ist nicht zufällig entstanden. Sie ist auch bei weitem nicht das Ergebnis objektiver Veränderungen. Die bis jetzt noch anhaltende Asyldebatte dieses Sommers mit dramatischen und agressiven Erklärungen von Politikern ist es, die solche gefährliche Stimmung entfacht hat.
Wer lautstark Begriffe wie „Schwemme" und „Flut" verwendet, wer durch spekulative Hochrechnungen den Eindruck erweckt, als würden wir demnächst von Asylsuchenden erdrückt werden, der setzt die Signale, auf die viele Menschen mit Reaktionen der Angst und des Abscheus gegen die Fremden antworten.
Wer den Bürgern eine Überlastung der Bundesrepublik unter dem Ansturm der Asylsuchenden vor
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 17987
Dr. SchmudeAugen führt, mobilisiert Rücksichtslosigkeit, die gar nicht mehr fragt, was aus abgewiesenen oder abgeschobenen Menschen wird. Laute Klagen über den Mißbrauch des Asylrechts, über sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge und über die hohen Kosten, die der deutsche Steuerzahler dafür aufbringen muß, sorgen zusätzlich für Geringschätzung der zu uns kommenden Flüchtlinge und für das Gefühl der moralischen Überlegenheit bei ihrer rigorosen Abweisung.In aller Nüchternheit wollen wir bedenken und auch bei unseren Entscheidungen berücksichtigen, daß bei weiterem und vielleicht noch ausgeweitetem Zustrom von Flüchtlingen aller Art die Aufnahmefähigkeit unseres Landes an Grenzen kommt. Je nach dem Maß der aktuellen Not lassen sich diese Grenzen verschieben oder erweitern. Aber es wird nicht möglich sein, Not und Elend in vielen Ländern der Welt dadurch auszugleichen, daß alle bedrängten Menschen, die es wollen, bei uns Aufnahme finden können.Wir sollten bereit sein, nach Maßgabe unserer Mittel und Möglichkeiten unseren Beitrag zur Behebung der Not in der Welt zu leisten durch verstärkte Hilfe für die bedrängten und bedürftigen Menschen in ihren Heimatländern und auch durch die Aufnahme eines Teils der Flüchtlinge, die ihre Heimat verlassen mußten. Beides ist nur in begrenztem Maße möglich.Der damit verbundenen Aufgabe müssen wir uns aber auch stellen. Unserer Verantwortung dürfen wir nicht ausweichen. Auch die Berufung auf Meinung und Willen der Bürger rechtfertigt kein unverantwortliches Handeln, zumal dann nicht, wenn Politiker diese Meinung durch die von ihnen gegebenen Hinweise und Signale erst herbeigeführt haben.
Kennzeichnend ist doch, daß viele Briefschreiber Besorgnis oder auch Angst über die Zahl und das Verhalten der fremden Flüchtlinge äußern, die selbst keinen Umgang und keine Erfahrung mit solchen Menschen haben.
Da genügen dann oft der flüchtige Blick auf die Tamilen auf der Parkbank oder auf die Ghanaer in der Straßenbahn und natürlich der Blick in die Zeitungen, um weitreichende und harte Urteile zu begründen.Politiker, meine Damen und Herren, handeln nachlässig, wenn sie sich von solchen Äußerungen treiben lassen; und sie handeln verwerflich, wenn sie die zugrunde liegenden Meinungen und Stimmungen auch noch schüren.
Das Gegenteil ist unsere Pflicht, das Gegenteil für uns als Abgeordnete und Minister ist die Pflicht der sonst auch in besonderer Verantwortung stehenden Personen des öffentlichen Lebens, nämlich gegenzuhalten, wo Stimmungen überschäumen wollen, auch einer scheinbaren Mehrheit deutlich zu widersprechen, wenn von uns die Verletzung von Menschenrechten und Menschenwürde verlangt wird. Solcher Widerspruch, verbunden mit sachlicher Information über die Lage und Darstellung von Handlungskonzepten ist das Signal, das wir den Bürgern schulden. Wir haben es bisher in unserem Land geschafft und bleiben weiterhin verpflichtet, dafür zu sorgen, daß Haß und Überheblichkeit gegenüber den Ausländern schlechthin als unanständig gelten. Wer immer sich zu solchen Haltungen bekennt, muß weiterhin auf die geschlossene Ablehnung aller namhaften Kräfte unserer Gesellschaft stoßen; nicht die kleinste Ermutigung darf ihm zuteil werden.
Wir Politiker müssen uns dem verheerenden und abwegigen Ansinnen widersetzen, das politische Geschäft müsse auch einmal mit rücksichtsloser Härte betrieben werden, bei der Menschlichkeit als Humanitätsduselei schädlich sei. Solche Aufträge zur Pervertierung unserer Arbeit müssen wir zurückweisen, und zwar auch im Interesse derer, die solche Ansinnen stellen, denn alle Erfahrung zeigt: Sie würden die Härte und Rücksichtslosigkeit gegenüber Fremden, wenn sie erst einmal politische Praxis ist, auch selbst zu spüren bekommen. Unmenschlichkeit ist nicht einseitig nur gegenüber bestimmten Menschen zu haben, und Menschlichkeit andererseits läßt sich nicht aufteilen, läßt sich nicht von der Verpflichtung gegenüber allen Menschen entbinden.Bei nur abstrakter Betrachtung ist vieles möglich, auch die Garnierung unmenschlichen Vorgehens mit moralischen Phrasen. In der Begegnung von Mensch zu Mensch versagen die Hilfskonstruktionen und pauschalen Erwägungen. In der Distanz können Mißtrauen und Abneigung entstehen, kann sich die Bereitschaft zur Härte entwickeln. In der Begegnung mit fremden Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, wird deren Person, wird deren Schicksal sichtbar. Da schiebt und weist es sich nicht mehr so leicht ab. Im Gegenteil, die persönliche Bekanntschaft mit bei uns lebenden Ausländern, auch mit Asylsuchenden, bringt viele Deutsche dazu, sich weit über alles rechtlich vertretbare Maß für den anderen einzusetzen.Diese Dimension des Menschlichen müssen wir gerade in der jetzigen Diskussion der Asylproblematik wirksam werden lassen. So darf es nicht schlechthin um Probleme, um Größenordnungen, um Geldbeträge gehen, sondern stets muß der Mensch in den Blick kommen. „Zahlen und Organisationsprobleme dürfen uns den Blick auf den bedrängten einzelnen nicht verstellen", heißt es in der Stellungnahme des Rates der EKD zur Aufnahme von Asylsuchenden im Juli dieses Jahres.Bei solcher Begegnung wird sich auch das übliche Bild vom Asylmißbrauch oder gar vom Schmarotzer, der es sich hier auf unsere Kosten gutgehen läßt, nicht halten lassen. Die Zufluchtsuchenden sind nach unseren Maßstäben durchweg arme Men-
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Dr. Schmudesehen, die oft ihr letztes Geld für die Reise aufgewandt haben.
Auch wo wir nicht politische Verfolgung erkennen, sind die Fluchtgründe durchweg nicht geringzuachten. Bittere materielle Not, Arbeitslosigkeit und Hunger, Bürgerkrieg im Heimatland, ein grausames Regime oder die drohende Opferung im Krieg — siehe das Beispiel Iran —, das alles sind Gefahren, denen auch jeder von uns auszuweichen versuchen würde.
Dieses Ausweichen und auch die Flucht vor wirklicher politischer Verfolgung werden schwerer. Mehr und mehr entscheiden, besonders nach den Ankündigungen der DDR, wenn sie denn so verwirklicht werden, die Konsularabteilungen unserer Botschaften mit der Erteilung oder Versagung des Visums, ob jemand noch Gelegenheit bekommt, einen Asylantrag überhaupt zu stellen.Wenn diese Entwicklung so eintritt, wird sie uns vor neue Herausforderungen stellen. Es darf nicht dazu kommen, daß zwar das Grundrecht auf Asyl als Eingang für Flüchtlinge in freundlichem Licht erhalten bleibt, gleichzeitig aber durch hermetische Absperrungen im Vorfeld jedermann am Erreichen dieses Eingangs gehindert wird.
Um der verfolgten Menschen willen sollten wir uns schon jetzt darauf einstellen, daß wir — z. B. durch großzügigere Visaerteilung — unseren angemessenen Anteil an der Lösung des internationalen Flüchtlingsproblems auch dann tragen, wenn ohne besondere Zulassung kaum mehr jemand in der Lage ist, bei uns Asyl zu bekommen.Mit Erleichterung sehen wir Sozialdemokraten, daß sich maßgebliche Sprecher der CDU inzwischen dagegen ausgesprochen haben, das Asylproblem zu einem der Hauptthemen des Wahlkampfes zu machen. Wir sehen es auch mit Genugtuung; denn offenbar haben der von vielen Seiten nachdrücklich geäußerte Widerspruch gegen die emotionale Behandlung der Asylfrage und ihre bewußte Einbeziehung in den Bundestagswahlkampf gewirkt, leider nicht vollständig. Wesentliche Teile der Union halten an ihren früheren Absichten fest.Nun liegt es nicht allein im Belieben der Politiker, welches Thema im Wahlkampf behandelt oder ausgespart wird.
Sehr wohl aber können sie durch publizistische Kampagnen, mit denen Stimmungen entfacht oder vorhandene Stimmungen verstärkt werden, erheblichen Einfluß auf den Inhalt der Wahlkampfauseinandersetzung nehmen. Streit um das Asylproblem, in einem Wahlkampf auf der Grundlage der bisher schon geschürten Emotionen geführt, muß notwendig beschämende Erscheinungsformen annehmen. Da würde dann auch die jetzt so einmütig vertretene Erklärung gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nur noch die Peinlichkeit steigern. Denn eben die Äußerungen von Intoleranz und Feindseligkeiten gegen Fremde, die Angriffe auf ihre Persönlichkeit und Menschenwürde, gegen die die gemeinsame Erklärung Stellung nimmt, wären der Alltag der Wahlkampfauseinandersetzungen.Wenn unsere Einigung auf die heutige Erklärung mehr als ein bald wieder vergessenes Formular sein soll, dann lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, daß Ängstigung und Verunsicherung der Bürger über das Asylproblem aufhören und wir dieses Thema nur in angemessener und sachlicher Weise behandeln.
— Wir können uns nicht drücken, wenn wir danach gefragt werden. Aber wir sind zur Sachlichkeit und zum verantwortlichen Umgang damit verpflichtet,
statt mit Schlagworten die Signale für Unsicherheit und Verängstigung zu geben. Das schlägt auf uns zurück.
Was nun die Fragen des Ausländeraufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland allgemein anlangt, so können wir feststellen, daß die noch vor zwei Jahren anzutreffende Aufgeregtheit und teilweise Hysterie einer sehr viel ruhigeren Betrachtungsweise gewichen sind. Die Erinnerung an die Jahre 1983 und 1984 lehrt uns aber, daß jederzeit wieder ein Rückfall möglich ist.Auch damals sind die falschen Signale ausgegeben worden. Sie kamen von der Bundesregierung. Bundesinnenminister Zimmermann war es, der die Gefahr der Überfremdung damals beharrlich beschwor und ihr mit einem neuen Ausländergesetz mit drakonischen Maßnahmen entgegenwirken wollte. Da waren die Beschränkung des Nachzugsalters für Kinder auf sechs Jahre, die weitergehende Einschränkung des Ehegattennachzugs und schließlich, u. a., die Möglichkeit der Ausweisung nach Begehung einer Straftat auch ohne Strafverfahren beabsichtigt. Das alles wären nicht nur einschneidende, die betroffenen Ausländer stark benachteiligende Rechtsänderungen gewesen, sondern sie hätten auch mit ihren menschenunwürdigen Konsequenzen das staatlich geprägte Signal gegeben, daß die betroffenen Ausländer Menschen mit minderem Rechtsstatus, ja, mit einem minderen Menschenrechtsstatus sind. Wenn schon der Staat diese Feststellung trifft, wieviel mehr können dann diejenigen ihre Überzeugung von der Minderwertigkeit unserer ausländischen Mitbürger entwickeln und auch äußern, die dafür anfällig sind?
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Dr. SchmudeDas Gesetzesvorhaben des Bundesinnenministers konnte unter solchen Vorzeichen nur Unsicherheit und Verwirrung auslösen. Die Betroffenen fürchteten Schlimmes. Das Klima des Zusammenlebens wurde kühler, das Vertrauen schwand. In frostiger Atmosphäre aber kann man nicht aufeinander zugehen, kann man Vorbehalte nicht abbauen, kann man nicht zu einem gedeihlichen Zusammenleben in gegenseitiger Achtung kommen.
Wir Sozialdemokraten haben nachdrücklich gefordert, durch eine Neufassung des Ausländerrechts überschaubare und zuverlässige Grundlagen für die Lebensplanung der bei uns auf Dauer wohnenden Ausländer zu schaffen. Diese sind ausgeblieben. Wiederholten Ankündigungen des Bundesinnenministers, auch der Bundesregierung in der Regierungserklärung, es werde nun ein neues Ausländergesetz alsbald vorgelegt, ist nichts gefolgt. Die damals gestellten Fragen sind offengeblieben. Die Gefahr neuer Beunruhigung ist nicht gebannt.Der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, Frau Lieselotte Funcke, gebührt dauerhafte und dankbare Anerkennung dafür, daß sie mutig und sachkundig gegen die Verschlechterung der Lage der Ausländer gestritten hat und für ein gleichberechtigtes vertrauensvolles Miteinander eingetreten ist.
Erst jetzt wieder hat sie auf den großen Nutzen des Wirkens ausländischer Arbeiter in unserer Wirtschaft hingewiesen. In der Tat, die meisten dieser Menschen sind angeworben, sind hierher eingeladen worden, weil man sie brauchte, und das muß doch auch Maßstäbe für den Umgang mit ihnen prägen, und vor allem muß es ausschließen, daß man Ausländer unter veränderten wirtschaftlichen Bedingungen bedrängt und verunsichert, um sie loszuwerden.Entsprechend der Grundlinie unserer heutigen Erklärung mußte es auch der Hauptinhalt meiner Anmerkungen dazu sein, auf Nachteile und Gefahren hinzuweisen und gegenüber den vorhandenen Ansätzen der Fremdenfeindlichkeit zur Besinnung aufzurufen. Das Bild wäre aber ganz unvollständig, wenn ich nicht auch erwähnte, daß es bei uns in großer Zahl Gruppen und einzelne Deutsche, Einrichtungen und Verbände gibt, die sich mit großem Einsatz um ein menschliches Zusammenleben mit Asylsuchenden und anderen Ausländern bemühen. Sie vertreten deren Interessen, sie sprechen für sie, sie leiden mit ihnen. Diesen Menschen, den Ausländer- und Asylinitiativen, den karitativen Einrichtungen, Kirchen und Gewerkschaften danken wir für ihre beispielhafte humanitäre Arbeit.
Sie geben j a nicht nur den betreuten Ausländern Mut, sondern auch vielen anderen Menschen, die sich feindseligen Stimmungswogen entgegenstellen und sich dabei besorgt fragen, wie lange sich schlimme Entwicklungen noch verhindern lassen.Wir müssen sie aber verhindern, auch in Zukunft und hoffentlich mit Hilfe unserer heutigen gemeinsamen Erklärung. Denn eine Bundesrepublik Deutschland, deren Rechts- und Gesellschaftsordnung und deren öffentliche Meinung von Geringschätzung und Feindseligkeit gegenüber unseren ausländischen Mitbürgern und auch den Asylsuchenden geprägt würde, wäre als freiheitlicher Rechtsstaat im Kern beschädigt.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist eine wichtige, eine sehr aktuelle Debatte. Die Entschließung des Europäischen Parlaments trifft auf eine innenpolitische Situation, die uns alle eigentlich beunruhigen sollte.Selbstverständlich ist es richtig, daß die große Mehrheit unseres Volkes von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit weit entfernt ist. Aber ebenso ist es richtig, daß in der letzten Zeit — das bringt das Europäische Parlament hier zum Ausdruck — eine Zunahme fremdenfeindlicher Einstellung, Bewegungen und Gewaltakte in der Gemeinschaft, auch in unserem Lande festzustellen sind. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, diese Resolution, die wir gemeinsam als Demokraten tragen, mit Leben zu erfüllen.
Da gibt es Prüfsteine in der politischen Praxis: In einer freiheitlichen Demokratie sind die Freiheit und die Toleranz jeden Tag gefährdet, auch wenn die große Mehrheit hinter diesen Prinzipien steht. Es ist gar kein Zweifel, daß in unserem Lande gerade in den letzten Wochen und Monaten Fremdenfeindlichkeit aufgeflackert ist, daß es wieder, wie schon früher, Gewalttätigkeiten gegenüber Minderheiten gibt. Es gibt junge Leute, die sich von diesem Gift der Fremdenfeindlichkeit, von dem Gift des Neonazismus infizieren lassen, die sich Verführern anschließen,
trotz aller Bemühungen in unseren Schulen zur demokratischen Erziehung.In jedem Volk gibt es latente Fremdenfeindlichkeit; aber schon die alttestamentarischen Schutzgebote waren Schutzgebote für Fremde, und die ganze christliche Lehre ist, meine ich, Ausdruck der Zuwendung zu denen, die schwach sind, die bedürftig sind, die anders sind. In einem Volk, das in diesem Jahrhundert von einer Gewaltherrschaft betroffen war, die Minderheiten bis zum Völkermord bekämpft hat, muß alles getan werden, damit Fremdenfeindlichkeit auch nicht in Ansätzen entsteht.
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17990 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
BaumHier ist die besondere Verpflichtung, die wir als Deutsche haben.
Wir haben als einen wichtigen Prüfstein das Flüchtlingsproblem. Ich benutze das Wort Asylant nicht mehr; es ist zu einem Schimpfwort geworden. Wir sollten schon bei unserer Sprache aufpassen, daß wir die Wirklichkeit nicht verzerren und verändern.Es gibt keine Asylantenflut, es gibt keinen Asylantenstrom, und es gibt keine Überfremdung der Bundesrepublik Deutschland. Wir müssen den Bürgern sagen: Auch wenn es in diesem Jahre 100 000 sind, so ist das keine Überfremdung der Bundesrepublik Deutschland; wir behalten unsere Identität.
Wir möchten dem Mißbrauch entgegenwirken. Wir werden alles tun, um dem Mißbrauch entgegenzuwirken. Aber wir müssen die Bürger doch aufklären. Gegen eine Verhetzung ist die Wahrheit das beste Mittel. Einige bei uns arbeiten schon mit falschen Zahlen.
Schon da fängt es ja an: Die Zahlen werden manipuliert. Es sind nicht 100 000. Nach allen unseren Erfahrungen sind es sehr viel weniger, weil viele unser Land eben nicht als Einwanderungsland betrachten. Die griechischen Emigranten sind heute alle wieder in Griechenland. So wird es auch mit denen sein, die aus dem Iran und dem Libanon kommen. Das ist heute die Hauptzahl der Flüchtlinge.Wir müssen also schon mit den Zahlen sehr vorsichtig sein. Es gibt überhaupt keinen Anlaß zu Katastrophenszenarien. Wer Katastrophenszenarien malt, fördert diese latente Fremdenfeindlichkeit,
der wirkt einer latenten Volksstimmung nicht entgegen, sondern treibt sie gerade noch an.
Herr Abgeordneter, gestattet Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schierholz?
Herr Präsident, ich habe so wenig Zeit. Ich bitte um Verständnis: Keine Fragen.Um noch ein Beispiel zu sagen: Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland nicht 670 000 Asylbewerber. Die Zahl ist wesentlich geringer.
— Und Flüchtlinge. Auch diese Zahl, Herr Kollege Olderog, stimmt nicht.Ich persönlich, der ich mich in dieser Frage immer wieder auch öffentlich engagiert habe, bin erschreckt über das Echo, daß ich aus Teilen, aus Minderheiten der Bevölkerung bekomme. Dieses Echo ist von Haß und Unbarmherzigkeit geprägt. Es wird in unserer Gesellschaft überhaupt nicht darauf geachtet, wo doch viele von uns selbst Flüchtlinge waren — ich war jetzt in Zirndorf und habe mich an das Flüchtlingslager erinnert, in dem ich mit meiner Mutter nach dem Kriege war —,
wir waren doch Flüchtlinge, viele Millionen. Es wird nicht darauf geachtet, daß es immer auch um Menschenschicksale geht und nicht um eine trockene, abstrakte Statistik.
Es geht um die Mutter mit ihren Kindern aus dem Libanon, die geflüchtet ist, weil sie fürchtet, in den Kriegshandlungen unterzugehen. Es geht um die jungen Männer aus dem Iran, die fürchten, in diesem Krieg geopfert zu werden. Das sind nach unserer Auffassung in vielen Fällen keine politischen Flüchtlinge aber es sind Flüchtlinge, die unserer Zuwendung und Hinwendung bedürfen, auch wenn sie nicht auf Dauer in unserem Lande bleiben und nicht als Flüchtlinge anerkannt werden können.
Die Politik der Abschreckung — es gibt ja Verfechter einer solchen Politik — steht mit dem Geist dieser europäischen Erklärung des Europäischen Parlaments nicht im Einklang.
Es wird dort klar gesagt, daß wir die Ausländer, ganz gleich, um wen es sich handelt, nicht ausgrenzen dürfen. Hier sind wir gefordert. Wir sehen die Probleme. Wir sehen die Probleme in den Gemeinden. Aber vielfach werden sie auch herbeigeführt. Es werden Konflikte geradezu provoziert. Wir sehen also diese Probleme. Wir wollen die Probleme lösen; wir wollen die Verfahren beschleunigen; das wird noch in dieser Legislaturperiode mit einem Gesetz geschehen. Aber Art. 16 des Grundgesetzes ist gerade angesichts unserer Geschichte der Ausdruck dieser humanitären Verpflichtung der Bundesrepublik;
das ist ein Erbe, das wir bewahren sollten. Dieser Anspruch des politischen Flüchtlings — der ist dort gemeint; die Verfassung meint den politischen Flüchtling, nicht die anderen Flüchtlinge — darf nicht zu einem Gnadenakt von Behörden verkommen, die nach Belieben jemanden aufnehmen oder abweisen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 17991
BaumWir fordern eine Versachlichung der Asyldebatte. Wir wollen dafür in der Bevölkerung werben, damit sie sieht: Dieses Problem, mit dem wir jetzt konfrontiert sind, ist Ausdruck eines Weltflüchtlingsproblems, von dem nicht nur die Bundesrepublik Deutschland betroffen ist. Darin spiegelt sich vieles wider, was auf dieser Welt nicht in Ordnung ist: das Nord-Süd-Gefälle, die Krisenherde, die es in der Welt gibt. Das ist alles Ursache für einen ungeheuren Flüchtlingsstrom auf der Welt von 14, 15 Millionen Menschen, die wir natürlich nicht aufnehmen können und nicht aufnehmen werden. Aber wir müssen dieses Flüchtlingsproblem einordnen.Wir halten an der UN-Flüchtlingskonvention fest, die die Bundesrepublik unterschrieben hat. Manche Vorschläge dieser Tage laufen darauf hinaus, daß sich die Bundesrepublik Deutschland aus der Gemeinsamkeit der Völker, die sich in dieser Flüchtlingskonvention widerspiegelt, verabschiedet. Das werden wir nicht zulassen.
Meine Damen und Herren, ein letztes Wort. Ich unterstütze zusammen mit meiner Partei und meiner Fraktion nachdrücklich das, was Frau Funcke für die Ausländer getan hat. Ich unterstütze ihre Vorschläge, die sie gerade vor einigen Tagen publiziert hat.
Wir haben die Ausländer gerufen. Wir müssen dazu stehen, und wir müssen sie nach den Prinzipien unserer Verfassung behandeln. Das muß sich auch niederschlagen, wenn wir Gesetze für Ausländer machen. Unsere Wirtschaft würde nicht funktionieren, wenn wir keine Ausländer beschäftigen würden.
Wir müssen uns demgemäß verhalten.Es gibt da eine ganze Reihe von Vorschlägen, die wir für wichtig halten: der ungehinderte Nachzug von Ehegatten und minderjährigen Kindern ohne Wartezeiten; der Verzicht auf Ausweisung bei mehrjährigem Aufenthalt, bei Arbeitslosigkeit oder dem Bezug von Sozialhilfe, die Erleichterung der Einbürgerung. Das alles und anderes mehr sind Vorschläge, die den Ausländern, die bei uns legal leben, die Lebensplanung erleichtern sollen, die es ihnen erleichtern sollen, in unserer Mitte zu leben.Meine Damen und Herren, in diesem Antrag drückt sich eine große Gemeinsamkeit aus. Wir werden ihn gemeinsam annehmen. Ich möchte dafür plädieren, daß wir diese Gemeinsamkeit unter den Demokraten bewahren. Nur dann wird es uns wirklich gelingen, Entwicklungen in unserem Volk entgegenzuwirken, die eines Tages noch gefährlicher werden könnten. Ich möchte davor warnen, kurzfristige Vorteile zu sehen, möglicherweise im Hinblick auf eine Wahl. Der Preis ist zu hoch, meine Damen und Herren. Bewahren wir die Gemeinsamkeit der Demokraten bei der Verteidigung der Prinzipien unserer Verfassung!
Das Wort hat der Abgeordnete Fischer .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Ihre Fraktionen Anfang dieses Monats die Erklärung des Europäischen Parlaments gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit als möglichen gemeinsamen Antrag in die Debatte gebracht haben, bestand aus unserer Sicht — trotz der schon beschriebenen, schier unerträglichen und menschenfeindlichen Kampagne der letzten Monate gegen die sogenannte Asylantenflut — zumindest hier im Hause noch die Chance zu einer offenen und, wenn nötig, kontroversen Diskussion über die Gefahren des Rassismus in diesem Land, gerade vor dem Hintergrund unserer besonderen Verantwortung gegenüber der eigenen Geschichte.Mit Herrn Stercken — er ist leider nicht mehr da — und auch mit anderen Kollegen weiß ich mich in diesem Bemühen aufrichtig einig. Wir sind gemeinsam der Überzeugung, daß diese Erklärung eine ganz wichtige Bedeutung hat.Wir als GRÜNE haben die Erklärung des Europäischen Parlaments trotzdem nicht zu unserem eigenen Antrag machen können, weil sie uns zu allgemein, zu unverbindlich, zuwenig konkret die tatsächliche Fremdenfeindlichkeit in der Bundesrepublik beschreibt,
weil die Erklärung keinerlei konkrete Vorstellungen darüber enthält, wie die politischen und sozialen Rechte von Millionen von ausländischen Arbeitsmigranten und ihren Familien, die zum großen Teil seit Jahrzehnten unter uns leben, gesetzlich und politisch abgesichert werden sollen, weil uns klare und eindeutige Aussagen vor allen Dingen zur uneingeschränkten Absicherung des Grundrechts auf Asyl fehlen.Sie finden in dieser Erklärung keine Aussagen zu einem Bleiberecht von Menschen, die zu uns kommen, in eines der reichsten Länder der Welt, die zu uns flüchten, weil sie auf Grund der katastrophalen Verhältnisse in den Herkunftsländern um Gesundheit und Leben fürchten müssen. Es werden keine Aussagen zu einem Bleiberecht mit einem gesicherten Rechtsstatus gemacht.Sie finden in dieser Erklärung keine einzige Aussage zum Wahlrecht, zum Niederlassungsrecht — auch wenn das jetzt in den Reden teilweise völlig zu Recht angesprochen worden ist —, zur politischen Gleichberechtigung von Arbeitsmigranten und Flüchtlingen, was dem Reichtum und auch der politischen und historischen Verantwortung unseres Landes entspräche.
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17992 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Fischer
Das sind für uns die Gründe für unseren ergänzenden, die notwendigen politischen Entscheidungen präzisierenden Antrag, mit dem wir gleichzeitig die uneingeschränkte Bereitschaft vieler Menschen in der Bundesrepublik unterstreichen, den Flüchtlingen ohne Vorbehalte zu helfen, die durchaus vorhandene Bereitschaft vieler Menschen zu einem multikulturellen Zusammenleben unterschiedlichster Nationalitäten, auch — wie Herr Stercken in Frage stellte — mit Asiaten und Afrikanern.Wir wissen, daß Kirchen und Initiativen ihr Engagement auch als Chance begreifen, als Chance der Wiedergutmachung mit Blick auf die Verbrechen von zwölf Jahren Faschismus und offenem Rassismus in diesem Land.Die öffentlich geschürte Angst vor Überfremdung, die sich in Begriffen wie „Asylantenschwemme", „Asylantenflut" und ähnlichen menschenfeindlichen Formulierungen niederschlägt, am ehesten wohl aber — diese Kritik kann ich den anderen Parteien nicht ersparen — die Angst um Wählerstimmen beschert uns statt dessen seit voriger Woche eine bisher einmalige Situation: Auch die SPD kann ich von dieser Kritik nicht verschonen. Sich gegenseitig auf die Schulter klopfend präsentieren uns die Altparteien — übrigens beider deutschen Staaten, von der CDU/CSU über die SPD und FDP bis zur SED in der DDR — eine große Koalition zur Ausgrenzung politischer Flüchtlinge.
Das „Berliner Loch" wird zugemacht. Diese „Koalition der Vernunft" bewirkt, daß die DDR ihre Heizkraftwerke kriegt, und bewahrt ihr internationales Renommee. Die Altparteien der Bundesrepublik stehlen sich aus der politischen Verantwortung, in die sie die Verfasserinnen und Verfasser des Grundgesetzes mit der eindeutigen Formulierung des Art. 16 gestellt haben. Obwohl ich große Teile Ihrer Ausführungen, Herr Schmude, nachhaltig unterstütze, kann ich auch der SPD den Vorwurf nicht ersparen, daß sie versucht, sich aus dieser Verantwortung zu stehlen.
Zusammen mit den visarechtlichen Beschlüssen der Bundesregierung haben wir demnächst nämlich die unerträgliche Situation — das ist für uns der politische Skandal —, daß das Grundgesetz nicht geändert werden muß. — Darin sind wir alle mit einigen Ausnahmen hier in der Mitte des Hauses — uns eh einig. Aber weil die, die es schützen soll, seinen Schutz nicht mehr in Anspruch nehmen können, da sie den Geltungsbereich des Grundgesetzes überhaupt nicht mehr erreichen, kann man sich die Debatte um die Änderung des Grundgesetzes ersparen.Unabhängig davon, wie Sie alle hier über unseren Antrag abstimmen, werden auch wir der Erklärung des Europarates als kleinem Schritt in die richtige Richtung zustimmen — das ist für uns klar —, aber es bleibt für uns die bittere Erkenntnis, daß diese Erklärung angesichts der tatsächlichen Flüchtlings- und Ausländerpolitik in diesem Land, wenn wir nicht wirklich gemeinsam daran arbeiten, nur eine Ansammlung leerer und unverbindlicher Absichtserklärungen zu bleiben droht, die den Menschen, die seit Jahrzehnten ohne jegliche politischen Rechte unter uns leben, den vielen Millionen Arbeitsmigranten und ihren Familien, Sand in die Augen zu streuen droht. Wenn man das nur so als Worte stehenläßt, wenn man das nicht mit entsprechenden gesetzlichen Initiativen begleitet, die vor allem den Menschen außerhalb unserer Grenzen, die unseren Schutz vor Verfolgung dringend brauchen und die jetzt nicht mehr kommen können, zugute kommen, wird klar, daß hehre Menschenrechtsbeteuerungen und tatsächliche Politik bei uns offensichtlich oft überhaupt nichts miteinander zu tun haben.Die Ausführungen der SPD — dieses als letztes Wort — zu einer notwendigen Erleichterung von Visabestimmungen verlagern die „Asylfront" — wenn man das so nennen soll — in die Herkunftsländer und in die Hände von Botschaftsangehörigen, die das nicht entscheiden können. Es wird den Iranern und anderen Leuten, die überhaupt kein Visum beantragen können, weil sie bereits verhaftet würden, wenn sie vor irgendeiner deutschen Botschaft stünden und ein Visum beantragten, keine Chance gegeben, zu uns zu kommen.
Deswegen besteht die heutige Debatte nur aus schönen Worten. Die politische Wirklichkeit sieht leider auf Grund Ihrer öffentlich gefeierten Vereinbarungen zur Situation in Berlin ganz anders aus.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Olderog.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir unterstützen das europäische Dokument, um ein Bekenntnis zur Demokratie, zur Würde eines jeden Menschen und gegen Ausländerfeindlichkeit abzulegen. Ich möchte aber gleichzeitig betonen, daß ich die Zustandsbeschreibung, wie sie in dem Dokument zum Ausdruck kommt, für die Bundesrepublik Deutschland nicht teile. Von wachsendem Rassismus und Ausländerfeindlichkeit kann nach meiner Überzeugung nicht die Rede sein.
Was ist denn Ausländerfeindlichkeit? Die Ablehnung anderer Menschen aus rassischen, religiösen oder kulturellen Gründen. Man kann doch nicht ernsthaft den Deutschen dies vorwerfen. Das beschränkt sich doch auf eine verschwindend kleine Gruppe im extremistischen Bereich.
Ausländer-raus-Parolen haben nie eine bemerkenswerte Resonanz in der Bevölkerung gefunden. Die letzten Umfragen, Herr Mann, die der Innenminister veröffentlicht hat, zeigen das ja. Das zeigen auch und vor allem die Wahlergebnisse. Ausländerfeindliche Gruppierungen haben keine Chance. In
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Dr. OlderogFrankfurt haben — bei 20 bis 25% Anteil von Ausländern an der Wohnbevölkerung — in den Wahlkreisen mit dem höchsten Ausländeranteil betont ausländerfeindliche Gruppierungen kandidiert. Das Ergebnis: 0,2 % der Stimmen haben sie dort erreicht.
Sie sind also praktisch chancenlos. In den vielen Bürgerversammlungen, die der Frankfurter Magistrat in verschiedenen Stadtteilen abgehalten hat, hat nur ein einziges Mal das Thema „Ausländer" mit negativem Akzent in Ansprachen von Bürgern eine Rolle gespielt.
Ich berufe mich auf den Bundespräsidenten, der ja als Berliner Bürgermeister seine besonderen Erfahrungen gehabt hat. Am 24. Mai vorigen Jahres hat zum erstenmal ein Bundespräsident eine Diskussion mit Ausländern geführt und hat gesagt, daß die Ausländerfeindlichkeit als solche nicht zugenommen, sondern abgenommen hat. Das sind auch die Erfahrungen, die ich gemacht habe. Er hat darauf verwiesen, daß in den 80er Jahren in den politischen Auseinandersetzungen das Thema „Ausländer" bei uns keine nennenswerte Rolle gespielt hat. Natürlich gibt es Entgleisungen. Wer wollte das leugnen? Es gibt böse Fälle, die wir entschieden verurteilen und gegen die wir reagieren.
Aber es ist doch absurd, etwa davon zu sprechen, daß eine rassistische Grundströmung in großen Teilen unserer Bevölkerung vorhanden wäre.
Lassen Sie mich, bevor ich etwas zum Asylrecht sage, noch folgendes betonen. Ich schließe dabei an das an, was der Kollege Stercken gesagt hat. Statt Einzelfälle, die wir verurteilen, zu verallgemeinern und breit in die Öffentlichkeit hineinzutragen, sollten wir lieber die vielen, vielen guten Beispiele einer hervorragenden Nachbarschaft zwischen Deutschen und Ausländern ins öffentliche Bewußtsein rücken. Da gibt es großartige Beispiele auch von politischen Leistungen, etwa in Frankfurt, wo 250 Sprachkurse der Volkshochschule für Ausländer durchgeführt werden, wo 2,5 Millionen DM an freiwilligen Leistungen für zusätzliche Lehrkräfte an Grund- und Hauptschulen für Ausländerkinder zur Verfügung gestellt werden.
In der Stadt Sindelfingen ist eine wöchentliche Busverbindung nach Sizilien eingerichtet worden. Es findet ein Austausch von Klassen und dergleichen mehr statt. Eine mehrsprachige Zeitung gibt es dort. Mit 40 Millionen DM hat Frankfurt die Sanierung von Wohnungsbeständen für Ausländer vorgenommen. Manches andere mehr könnte man hier berichten. Das ist doch Gott sei Dank der Alltag! Davon lesen wir zwar wenig in der Presse, aber es ist so.Und nun zur Asyldiskussion: Ich bekenne mich dazu, daß ich der Meinung bin, daß wir den von Jahr zu Jahr und jetzt wieder ansteigenden — ich sage es so — Strom der Asylbewerber in die Bundesrepublik Deutschland so nicht länger hinnehmen können.
Ich stimme Ihnen, Herr Schmude, darin zu, daß diese Diskussion verantwortungsbewußt und nicht in der üblichen Wahlkampfmanier geführt werden muß.
— Genau das ist die Frage! Den deutschen Politikern, die sich besorgt fragen, ob es denn mit der sich weiter steigernden Zahl so weitergehen kann, kann man doch nicht den Vorwurf des Rassismus oder der Ausländerfeindlichkeit machen. Das geschieht doch nicht aus religiösen oder kulturellen Gründen, und hier werden doch nicht Menschen abgelehnt, sondern hier wird genau die Frage gestellt, die Sie soeben aufgeworfen haben, die Frage nach der Grenze dessen, was man einem Volk zumuten kann, was ein Volk verkraften kann, was ein Volk an Integration leisten kann.
— Darüber müssen wir sprechen. Ich definiere das nicht.
Das ist eben eine sehr schwierige Frage. Wir haben eine geistige, politische und auch pädagogische Führungsaufgabe. Dennoch gibt es Grenzen dessen, was man leisten kann.
Ich bekenne mich dazu, daß wir die Verpflichtung haben, politisch Verfolgten zu helfen. Das ist ein Stück unserer politischen Kultur. Das erwächst aus unserem christlichen Verständnis vom Menschen, und das erwächst aus unserem Menschenrechtsverständnis. Aber man kann gutwillig auch zuviel des Guten tun und erreicht dann genau das Gegenteil von dem, was man will.
Wir brauchen nur den Blick in andere Länder zu werfen, um das zu sehen. Wir haben in der Bundesrepublik neben den knapp vier Millionen Gastarbeitern und deren Familienangehörigen — man mag
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17994 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Dr. Olderogim einzelnen über die Zahlen streiten — etwas über 600 000 Flüchtlinge aufgenommen.
Wir haben — und ich berufe mich, verehrter Herr Hirsch, auf die ganz unverdächtige Auskunft des UNHCR — 1975 bis 1984 mit 371 000 von 723 000 Flüchtlingen mehr als die Hälfte aufgenommen, das heißt, mehr als alle anderen Länder in Europa.
Der UNHCR hat jetzt mitgeteilt, daß in den ersten fünf Monaten des Jahres 1986 wir in der Bundesrepublik 60 % aller Asylbewerber aufgenommen haben, die nach Europa gekommen sind. Und warum kommen sie? Sie kommen nicht, weil wir besonders ausländerfeindlich wären, sondern weil sie das Gefühl haben, daß hier ein Land besonders großzügig den Zuwanderern begegnet,
sie großzügig aufnimmt, sie großzügig mit Unterhalt versorgt und ihnen großzügig Rechte gewährt — bei allen Problemen, die man im einzelnen bei der Abwicklung hat.
Meine Damen und Herren, Gastarbeiter plus Flüchtlinge machen etwa 8 % der Bevölkerung aus. Das ist eine respektable Leistung. Die Wahrheit ist also: Kein einziges Land in Europa hat zugunsten der Flüchtlinge so gewaltige Leistungen, soviel Entgegenkommen, soviel Ausländerfreundlichkeit bewiesen wie die Bundesrepublik Deutschland. Deswegen sind wir nicht ein ausländerfeindliches Land, sondern nach unseren Leistungen, Fakten und Taten das ausländerfreundlichste Land in Europa. Das sind die Tatsachen, meine Damen und Herren.
Aber die Toleranz und Hilfsbereitschaft eines Volkes kann auch überfordert werden. Ich berufe mich auf das, was ich beobachte, z. B. in Dänemark. Bevor dort die Grenze hermetisch abgeriegelt wurde, hatte es Woche für Woche schwere tätliche Auseinandersetzungen zwischen Einheimischen und Asylbewerbern gegeben. Oder sehen Sie in Frankreich Le Pen; wie leicht ist es dort, mit ausländerfeindlichen Parolen Wahlerfolge, ja, den Einzug in die Nationalversammlung zu schaffen.
Oder nehmen Sie die Schweiz. Ich möchte Ihnen nur sagen, meine Damen und Herren: Das muß uns doch nachdenklich stimmen, das sind Warnsignale, das sind Feuerzeichen, bei denen wir miteinanderdarüber sprechen müssen, welche Konsequenzen das für uns bedeutet,
und zwar in einer verantwortungsbewußten Weise, nicht in der Wahlkampfmanier, wie es gelegentlich leider geschieht.
Das sage ich ganz deutlich;
aber es muß darüber geredet werden. Der einzelne kann für sich ethische, sittliche, christliche Höchstnormen verbindlich machen und befolgen. Der Staat als Gesetzgeber und im Wege des Zwanges kann der breiten Mehrheit der Bürger ein Verhalten nach solchen ethischen Höchstnormen nicht auferlegen, kann es nicht erzwingen. Dann steht das Volk dagegen eben auf. Deswegen gilt dies: Bei aller Führung, bei aller pädagogischen Führung und geistigen Führung, gilt es, darüber zu sprechen, wie wir mit dem Problem am besten zurechtkommen.
Meine Damen und Herren, um damit zum Schluß zu kommen: Wir werden j a in der kommenden Woche, in der Woche des ausländischen Mitbürgers, wieder gemeinsam mit Vertretern aller Parteien viele eindrucksvolle Beispiele einer guten Nachbarschaft zwischen Deutschen und Ausländern erleben. Ich sage noch einmal: Diese positiven Beispiele sind signifikanter, sind repräsentativer für die Situation in Deutschland als das, was an Horrormeldungen über Ausländerfeindlichkeit gelegentlich verbreitet wird.Schönen Dank!
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist gut, daß wir der Versuchung widerstanden haben, es uns bei dieser Entschließung zu leicht zu machen und zu sagen: Das unterstützen wir alles, und natürlich stimmen wir dem zu. Dafür, daß die Diskussion Tiefgang entwickelt hat, danke ich allen Vorrednern.Ich möchte aus meiner Erfahrung und aus meiner Sicht zu dieser Entschließung ein paar Schlußbemerkungen machen. Natürlich hat hier niemand, Herr Olderog, verallgemeinernd behauptet, wir seien auf dem Wege zu einer großen Ausländeroder Rassenfeindlichkeit. Es geht natürlich auch darum, gute Beispiele anzuerkennen.
Aber worauf es vor allem ankommt — das lassenSie mich als eine Angehörige einer sehr viel älterenGeneration sagen —, ist, den Anfängen zu wehren,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 17995
Frau Dr. Hamm-Brücherdie hier wieder sichtbar und die hier wieder spürbar werden.
Wenn Sie davon sprachen, was man einem Volk zumuten könne, wo die Grenzen lägen, muß ich Ihnen entgegenhalten: Wenn wir es darauf ankommen lassen, werden wir die Bewährungsprobe, vor der wir hier stehen, nicht bestehen. Wir müssen fragen, was man einer Bevölkerung erklären muß, weshalb wir es uns zumuten wollen, sollen und müssen. Das ist das Entscheidende.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Frau Kollegin, wenn der Herr Präsident es nicht anrechnet, wie immer, gerne.
Frau Abgeordnete Hürland, bitte schön.
Frau Kollegin, ich unterstreiche das, was Sie sagen: Wehret den Anfängen, wenn sie in die falsche Richtung gehen. — Aber sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß solche Anfänge, wie der Kollege Olderog sie von Frankfurt geschildert hat, nicht abgewehrt, sondern als Beispiel auch für andere Städte gefördert werden sollten?
Frau Kollegin, ich bin ein Mensch, der findet: Man soll böse Sitten mit guten Beispielen kompensieren und diese damit aus der Welt zu schaffen versuchen. Aber nur, weil Sie das sagen, lese ich Ihnen aus meiner Post einen Leserbrief an die „Stuttgarter Zeitung" vor, zufällig von heute. Da schreibt ein Versicherungsmakler in seinem Briefkopf:
Der nationaldeutsche Versicherungsmakler, der weder Ausländer noch Juden versichert, im Kampf für ein ausländerfreies Deutschland.
Und dann schreibt dieser Herr:
Das deutsche Volk hat weder die Ausländer gerufen, noch wurde es dazu befragt. Wir haben nichts gegen ausländische Gäste auf Zeit, doch wir wollen keine Ausländer in unserem Land.
Meine Damen und Herren, deshalb habe ich gesagt: Wehret den Anfängen. Deshalb halte ich es auch für ein ganz gefährliches Spiel mit dem Feuer, zu meinen, längerfristig daraus Wählerpotential schlagen zu können.
Schauen Sie sich doch in Bayern die Versammlungen des Herrn Schönhuber und der NPD an!
Der wird die Ernte in die Scheuer bringen, nicht wir demokratischen Parteien. Und deshalb meine ich — ich bedaure auch, daß kein Kollege von der CSU anwesend ist; doch, da ist ein Kollege von der CSU, herzlich willkommen — —
— Nein. Ich will nur sagen: Wenn wir das im Wahlkampf verhandeln, dann sollten wir das so verantwortungsbewußt und so einmütig machen, wie wir viele Themen, die die Grundlagen unserer freiheitlichen Ordnung betreffen, gemeinschaftlich verhandelt haben, und uns nicht gegeneinander ausspielen. Das halte ich für ganz entscheidend wichtig.
Ich möchte Ihnen noch einmal sagen, wie auch solche Gefühle in den Bürgern erzeugt werden. Wenn z. B. obere Verwaltungsstellen ganz bewußt, statt die Kommunalvertreter, die Bürgermeister, rechtzeitig, vollständig und offen zu informieren, wann welche Gruppen von Flüchtlingen oder Asylbewerbern kommen, ein Katz-und-Maus-Spiel bis zur letzten Minute treiben,
werden die Hektik und die Angst und die Unsicherheit hochgekocht, und wenn dann auf einmal die Busse mit den Asylbewerbern auf dem Marktplatz stehen, ist die Aufregung geschürt. Das sind Ansatzpunkte, die unverantwortlich sind. Wenn durch solche Maßnahmen und solche Taktiken versucht wird, die Bevölkerung gegen die Ausländer, gegen die Asylbewerber bei uns aufzuhetzen, halte ich es — —
Frau Abgeordnete, nun muß ich Sie an die Redezeit erinnern.
Ich sage den letzten Satz, Herr Präsident: Mir als Frau ist diese ganze Diskussion so schmerzlich und so unerträglich! Ich bitte Sie, meine Herren Kollegen: Seien Sie sich der Verantwortung aus unserer Geschichte, aber auch aus den Vorkommnissen, die wir jetzt in den letzten Wochen und Monaten zu beklagen hatten, bewußt!
Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die Vorlage zu Tagesordnungspunkt 3 a, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5982. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich
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17996 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Vizepräsident Westphalum ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Antrag mit Mehrheit abgelehnt.Wir stimmen jetzt über Tagesordnungspunkt 3b ab, über den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 10/6041. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung ist dieser Antrag angenommen worden.Ich rufe nun den Zusatzpunkt 3 der Tagesordnung auf:Abgabe einer Erklärung der BundesregierungErgebnis der GATT-Konferenz von Punta del EsteHierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6062 vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist zu der Regierungserklärung eine Aussprache von 30 Minuten vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft. Bitte schön!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die neue GATT-Runde ist eröffnet. Nach langen Vorverhandlungen und einer sehr intensiven einwöchigen Verhandlung in Uruguay haben wir einen Erfolg erzielt, mit dem, glaube ich, jedermann, der für den Freihandel eintritt, zufrieden sein kann.
Die Vorbereitungen für die Verhandlungen beginnen bereits im Oktober. Anfang nächsten Jahres soll die neue Runde beginnen.Dieser Erfolg ist uns nicht in den Schoß gefallen. Wir haben über zwei Jahre lang intensiv in allen bilateralen und multilateralen Kontakten dafür geworben. Wir haben eine ganze Reihe informeller Handelsministertreffen durchgeführt, eines davon auch selbst organisiert. Wir haben bei den drei Wirtschaftsgipfeln, die in diese Zeit fielen, dafür geworben und haben insbesondere die Ministerräte der OECD und der Europäischen Gemeinschaft dafür genutzt, bei denjenigen, die noch Bedenken hatten, diese Bedenken zu zerstreuen.Das ist gelungen, obwohl wie Sie sich vorstellen können, bei einer solchen Runde sehr handfeste wirtschaftliche Interessen verhandelt werden. Es ist nicht nur eine Bekundung äußerer Freundschaft in diplomatischen Formeln, die man manchmal auch schon nur schwer erreichen kann; es ist ein sachlicher Kompromiß über Sachinteressen, die zum Teil durchaus gegensätzlich sind, erzielt worden.Um so bemerkenswerter ist, daß die Entscheidung von Punta del Este eine Konsensentscheidung ist. Es gab kein Teilnehmerland, das sich diesemKonsens entzogen hat. Es gab einige Protokollerklärungen, die verschiedene Interpretationen noch einmal festhalten sollten. Es gab aber keine abweichende Meinung in der Schlußabstimmung oder zu der Feststellung des Präsidenten, daß alle Teilnehmer der Erklärung zustimmen.Diese große Übereinstimmung bei doch immer noch vorhandenen Meinungs- und Interessenunterschieden zeigt an, wie sehr sich die Teilnehmer dessen bewußt waren, daß der protektionistische Druck gewachsen ist, daß konkrete Handelskonflikte die Freiheit des Welthandels bedrohen und daß auch das GATT-System in seinen Mechanismen gestärkt werden muß, daß neue Verhandlungsgegenstände aufgenommen werden müssen, wenn man diesem Streben nach Protektionismus widerstehen will.
Meine Damen und Herren, deswegen ist die Tatsache, daß die Teilnehmerstaaten in Punta del Este die Bereitschaft bewiesen haben, die Stärke bewiesen haben, diesem politischen Druck zu widerstehen, nicht hoch genug einzuschätzen. In einer Zeit, in der die internationalen Spannungen vielleicht eher zugenommen haben — jedenfalls im Bereich des Handels und der Wirtschaftspolitik — ist deswegen ein solcher Erfolg sehr hoch zu bewerten. Das bedeutet, meine Damen und Herren, daß der Handel, wie im GATT vorgesehen, aber mit neuen Mechanismen, mit verstärkten Regeln, mit neuen Themen, möglichst frei von Beschränkungen und Verzerrungen bleiben soll, daß alle Teilnehmerstaaten auf der Grundlage von Nichtdiskriminierung und Meistbegünstigung miteinander umgehen wollen. Das bedeutet auch, daß von diesem so ungehinderten Handel neue Impulse für die Entwicklung der Weltwirtschaft ausgehen. Handel ist kein Selbstzweck, sondern über diesen Handel wird das wirtschaftliche Wachstum aller Teilnehmerländer begünstigt werden.
Deswegen ist diese Eröffnung der neuen Runde ein Impuls erster Ordnung für das GATT, für den Welthandel, aber auch für die wirtschaftliche Entwicklung der Welt. Was besonders wichtig ist und was Kollegen hier im Hause übersehen, wenn sie solche Erklärungen oder Beschlüsse vorlegen, wie das hier geschehen ist: Dieser Konsens wurde nicht von Industrieländern erzwungen. Er wurde nicht einmal von den Industrieländern allein vorbereitet und getragen. Eine Vielzahl von Entwicklungsländern hat an diesem Konsens mitgewirkt, weil sie selbst erkannt haben, daß die Freiheit des Handels, daß eine wirtschaftliche Kooperation mit Industrieländern der beste Weg auch für sie ist, wirtschaftliche Not zu überwinden. Es gibt nicht mehr die früher vielleicht einmal vorhandene Vorstellung von der Zweiteilung der Welt in Nord und Süd. In diesem Bereich des Handels hat es nur eine Welt gegeben, keine zwei- oder viergeteilte.
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— Da Sie bekannt dafür sind, daß Sie sich schwer von Ihren Vorurteilen lösen können, wird Ihnen das auch nicht gelingen, wenn ich sage, daß das nicht der Fall ist. Übrigens hätte ich es begrüßt, wenn Sie sich einmal bei einigen Entwicklungsländern informiert hätten.
Sie sollten nicht so tun, als ob Sie Wortführer von Ländern sind, die längst woanders sind, die längst andere Überlegungen anstellen, als Sie es tun. Wenn Sie das, was in diesem Antrag steht, den Entwicklungsländern dort vorgelegt hätten, hätten die über die Art, mit der Sie das Problem behandeln, nur lächeln können,
über die Realitätsferne, die Sie auch da beweisen. Sie vertreten Interessen von Leuten, die erstens von Ihnen nicht vertreten werden wollen und die zweitens, wenn diese Interessen von Ihnen vertreten würden, sehr arm dran wären. Sie würden diesen Ländern überhaupt nicht helfen.
Das bedeutet, daß die Entwicklungsländer auch in der neuen Runde ein wichtiger mitbestimmender Faktor sein werden. Sie brauchen mehr Handel. Sie brauchen in erster Linie mehr Schutz gegen protektionistische Angriffe, weil sie sonst ihre Zahlungs- und Verschuldungsprobleme nicht werden lösen können. Wenn überhaupt jemand einen offenen Weltmarkt dringend braucht, dann sind es die Entwicklungsländer, insbesondere die hochverschuldeten. Sie brauchen mehr Zugang zu Märkten der Industrieländer. Das ist unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe der Lösung der Probleme der Entwicklungsländer kann nicht darin bestehen, bewußt auf Export zu verzichten oder ihnen nicht die Dienstleistungen anzubieten, die sie brauchen. Unsere Aufgabe ist es vielmehr, diese Kooperation zu verstärken, dabei allerdings auch unsere Märkte mehr zu öffnen. Da nehmen Sie eine zutiefst heuchlerische Position ein, weil Sie einerseits beklagen, daß durch die Öffnung von Märkten bei uns angeblich Arbeitsplätze verlorengehen, und im gleichen Augenblick den Protektionismus der Industrieländer beklagen, der die Entwicklungsländer behindere. Sie sind die eigentlichen Heuchler in dieser Diskussion.
Deswegen brauchen wir uns mit Ihnen auch nicht zu beschäftigen.
— Zu Ihnen komme ich noch.Auch für unsere Wirtschaft ist diese Runde von großer Bedeutung.
Alle wissen, daß wir in hohem Maße vom Export abhängig sind. Ein Drittel des Bruttosozialprodukts erwirtschaften wir aus den Außenwirtschaftsbeziehungen, und jeder vierte Arbeitsplatz hängt vom Export ab. Deswegen ist das auch für uns ein wichtiges Datum in der Sicherheit wirtschaftlicher Entwicklung. Ohne die neue Runde wären aus dem protektionistischen Druck in Amerika schnell konkrete protektionistische Maßnahmen geworden. Man soll das nicht unterschätzen. Auch da gibt es ein Potential an demokratischer Demagogie, d. h. die Möglichkeit und Fähigkeit in einer Demokratie, durch das Ansprechen unmittelbarer Interessen von Wählern weitergerichtete Ziele, die letztendlich diese Wähler doch stärker begünstigen würden, kaputtzumachen.
Das gibt es auch und gerade in westlichen Demokratien traditionellen Zuschnitts und mit großer Tradition. Deswegen ist auch bedeutungsvoll, daß wir „stand still" und „roll back" vereinbart haben, also während der Runde nicht neue protektionistische Maßnahmen zulassen wollen und vorhandene Handelsbeschränkungen aufheben wollen.Das ist — wie ich meine — ein schon in sich wichtiges Ergebnis. Die Bundesrepublik und die Bundesregierung müssen daran interessiert sein, daß dieses Ergebnis zunächst einmal erreicht wurde. Wenn Sie sich dann noch die Inhalte ansehen, werden Sie feststellen, daß man vielleicht sogar sagen kann, daß manche Hoffnung übertroffen wurde. Denn wir werden nicht nur die traditionellen Themen behandeln, sondern auch neue Themen, u. a. das auch für uns wichtige Thema, daß die Regeln des GATT verstärkt werden müssen. Ein System, das man, ohne eine Sanktion befürchten zu müssen, verletzen kann, hat natürlich wenig Zweck. Deswegen müssen wir zu Regeln kommen, die den Verletzer stärker betreffen, die ihn daran hindern, eine solche Verletzung der Regeln zu begehen.Auch das Problem der Grauzonenmaßnahmen, der sogenannten freiwilligen Selbstbeschränkungsabkommen, mit denen bisher GATT-Regeln unterlaufen werden konnten, wird Gegenstand der Verhandlungen sein.Wir haben ganz neue Themen — Handel mit Dienstleistungen mit dem Ziel einer fortschreitenden Liberalisierung auch dieses Bereiches — auch hier im Konsens mit Entwicklungsländern aufnehmen können. Die geistigen Eigentumsrechte, also Urheberrechte und andere wirtschaftliche Verwertungsrechte werden besser geschützt. Markenpiraterie wird zum erstenmal Gegenstand dieser Debatte.Wir werden uns auch mit einem Thema von besonderem Gewicht und besonderer Brisanz in der neuen Runde befassen müssen, nämlich mit der Landwirtschaftspolitik. Diese Landwirtschaftspolitik, meine Damen und Herren, war für die EG als Thema besonders schwierig. Denn einerseits waren wir uns mit unseren Partnern darüber einig, daß die Prinzipien und Mechanismen dieser Politik, also
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17998 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Bundesminister Dr. Bangemanndas, was den Grundstock dieser Politik ausmacht, nicht zur Debatte stehen können. Andererseits ist nicht zu übersehen, daß diese Agrarpolitik negative Effekte auf den Welthandel hat, weil z. B. die Überschußproduktion Preise auf dem Weltmarkt kaputtmacht, weil sie Wettbewerbsverhältnisse verfälscht und verschiebt und dadurch nicht nur Entwicklungsländern, sondern auch einigen Industrieländern, wie etwa Australien oder Neuseeland, Schwierigkeiten macht.Deswegen war der Kompromiß, den wir erzielt haben, so wichtig. Da hat sich die deutsch-französische Kooperation voll bewährt. Ich habe mit meinen beiden französischen Kollegen, die dort waren, mit dem französischen Handelsminister und dem französischen Agrarminister, engen Kontakt gehalten und habe mit ihnen zusammen Kompromißformeln ausgearbeitet, die dieses grundsätzliche Ja zur europäischen Agrarpolitik mit der Bereitschaft verbinden, die negativen Effekte dieser Politik auf den Welthandel abzubauen. Das, meine Damen und Herren, geht am besten durch die Beseitigung der Überschußproduktion.Das, was wir uns hier schon vorgenommen haben — Reform der europäischen Agrarpolitik im Interesse der Landwirte durch Abbau der Überschüsse —, paßt sich in diese Strategie des Welthandels, der neuen GATT-Runde, ein. Deswegen bin ich sehr froh, daß wir auch in diesem Punkt ein Ergebnis vorweisen können, das unsere Agrarspezialisten nur vollen Herzens unterschreiben können. Wir haben ihre Interessen wahrgenommen, ohne daß wir die weitergehenden und zum Teil auch manchmal kontroversen Diskussionen bei der Vorbereitung der neuen GATT-Runde dadurch stören mußten.
— Herr Jens, diese Runde war ein voller Erfolg.
Ich hoffe, Sie bringen die Kraft auf, einmal das zu tun, was Sie immer sagen: Wenn Sie die Regierung dann kritisieren, wenn Sie sie für kritikwürdig halten, oder ihr Verhalten dann kritisieren, weil es keinen Erfolg hatte, dann ist das gut; das ist die Rolle der Opposition. Sie sollten aber auch die Ehrlichkeit haben, einmal zu sagen, daß die Regierung einen Erfolg hatte; dazu dann haben Sie heute Gelegenheit.
Herr Minister, die Präsidenten, die hier oben amtieren, bemühen sich alle darum, den personenbezogenen Vorwurf „Heuchler" aus der Debatte und aus den Reden unserer Kollegen zu bringen. Das gilt auch für Minister, selbst wenn sie noch nicht Abgeordnete sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mitzscherling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Folgt man dem Herrn Bundeswirtschaftsminister, dann war diese Vorbereitungsrunde für eine GATT-Runde ein voller Erfolg. Andere, Herr Bangemann, sehen das anders und bezeichnen die Erklärung von Punta del Este als semantische Übungen, so z. B. das „Handelsblatt" am letzten Montag, und vermissen konkrete und zukunftsweisende Ergebnisse, weil die jetzt verabschiedeten Formulierungen — so das „Handelsblatt" — in strittigen Punkten soviel Spielraum bieten, daß sie bei Bedarf jeder nach seinem Gusto verändern kann. So das Zitat.Diese Einschätzung, Herr Bangemann, wird von uns geteilt; denn welchen Wert hat eigentlich eine derartige Erklärung, wie sie in Punta del Este verabschiedet worden ist? Sie ist nicht rechtsverbindlich. Sie ist es ebensowenig, wie die ständigen Selbstverpflichtungen der Regierungschefs in Weltwirtschaftsgipfelkommuniqués, den Protektionismus zu bekämpfen, rechtsverbindlich sind. Sie haben deshalb die Regierungschefs bisher auch nicht davon abgehalten, protektionistische Maßnahmen immer dann zu ergreifen, wenn sie das für opportun gehalten haben. Die Amerikaner haben es nach dem letzten Weltwirtschaftsgipfel gemacht. Glauben Sie wirklich, daß angesichts des anhaltenden amerikanischen Haushalts- und Leistungsbilanzdefizites der Protektionismus in Amerika stirbt, weil es die Erklärung von Punta del Este gibt? Ich glaube, Sie folgen vor allem dem Prinzip Hoffnung.
Aber ich möchte ganz klar sagen — hierin stimme ich Ihnen zu —, auch wir Sozialdemokraten unterstützen selbstverständlich sämtliche Bemühungen der Bundesregierung um eine neue GATT-Runde. Das Ingangsetzen einer neuen GATT-Runde ist ein lohnendes Ziel, und es bleibt uns tatsächlich nur die handelspolitische Flucht nach vorn, wenn wir den weltweiten massiven protektionistischen Druck abwehren wollen.
Es bleibt uns nur dieser Weg, wenn wir die zunehmende Aushöhlung des multilateralen Handelssystems durch bilaterale Vereinbarungen aufhalten wollen. Daß gerade die Bundesrepublik mit ihrer enormen Exportabhängigkeit daran das größte Interesse haben muß, darüber brauchen wir uns nicht zu streiten; insoweit stimme ich Ihnen voll zu. Aber wir müssen darüber streiten, Herr Bangemann, ob die Bundesrepublik ihr Bestes getan hat, um innerhalb der Europäischen Gemeinschaft und im übrigen internationalen Umfeld den GATT-Prozeß voranzutreiben
und den Welthandel zu fördern. Und hier melden wir Zweifel an.Lassen Sie mich drei Punkte herausgreifen. Seit langem wissen wir — Sie haben dieses Thema angesprochen —, daß der Agrarprotektionismus und die Agrarsubventionen, auch die der Europäischen Gemeinschaft, der Agrarwirtschaft anderer — Sie nannten Australien und Neuseeland, ich nenne viele der Entwicklungsländer, aber auch unsere
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 17999
Dr. Mitzscherlingosteuropäischen Handelspartner — Schaden zufügen.
— Weil sie die Produkte, wenn sie lieferfähig sind, nicht exportieren können. Es gibt ja außer Getreide noch andere Agrarprodukte.
— Es kann doch nicht nur von Getreide gesprochen werden, wenn wir von Agrarerzeugnissen reden.Es war daher von vornherein klar: Ohne ein Zurückdrängen dieses Agrarprotektionismus wird es keine neue GATT-Runde geben.Nach dem quälenden Procedere, das Sie angesprochen haben, vor allem unter den EG-Mitgliedsländern,
haben Sie sich dann auf diese Absichtserklärunggeeinigt und geloben globale Besserung. Sie gebendabei im Grunde — das wurde auch heute deutlich— den Franzosen die Schuld. In Wahrheit ist es so, daß Sie sich eigentlich hinter ihnen verstecken, Herr Bangemann; denn bisher hat, ich betone es ausdrücklich, die Bundesregierung keinerlei Konzept für eine grundlegende Reform der Agrarpolitik vorgelegt.
Laut FAZ vom 22. September haben Sie erklärt, Herr Minister, daß die negativen Wirkungen der EG-Agrarpolitik auf dem Gebiet des Welthandels zu beseitigen wären, ohne daß die EG-Agrarpolitik im Kern angegriffen werden müßte.
Wie Sie das machen wollen, ist mir wirklich ein Rätsel. Sie können doch nicht mit der Überschußproduktion der Großproduzierenden weitermachen und die Überschüsse, statt sie auf den Weltmarkt zu werfen, nun in Lagerhäuser stecken. Machen Sie doch hier den Wählern nichts vor: Ohne eine grundlegende EG-Agrarreform wird jede neue GATTRunde platzen.
Zur offenen Agrarfrage tritt noch ein weiteres Problem. EG-GATT-Verhandlungen, Herr Minister Bangemann, wird es nur in einem kooperativen Klima geben. Mit Ihrer heutigen Erfolgsmeldung können Sie doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieses Klima mehr als frostig ist. Zu diesem schlechten Klima trägt die Bundesregierung nach Kräften bei.
Seit Monaten erleben wir gegenseitige Schuldzuweisungen zwischen Bundesregierung, Bundesbank und der Reagan-Administration. Da stellt sich die Bundesregierung hin, die drei volle Jahre lang als Trittbrettfahrer der amerikanischen Konjunktur und des Dollar-Höhenflugs mitgewirkt hat, und preist ihre Wirtschaftspolitik als vorbildlich.Ich wiederhole hier, was ich schon des öfteren an dieser Stelle gesagt habe: Ihre Politik hätte schon längst zu weiter steigender Arbeitslosigkeit geführt, wenn ihr nicht die massiven Anstöße von außen — der amerikanische Konjunkturaufschwung, der Dollar-Höhenflug, der Ölpreisverfall — zu Hilfe gekommen wären. Sie haben keinerlei Grund, Ihre Politik als mustergültig zu preisen.
Ich sage Ihnen, daß Ihre Behauptungen ebenso falsch sind wie die der amerikanischen Regierung, die die Schuld am Scheitern der Reagonomics, die man ja jahrelang gepriesen, die man bejubelt hat, letztlich der Bundesregierung und Japan gibt, was nicht vertretbar ist.Deshalb, Herr Minister Bangemann, sind jetzt nicht gegenseitige Schuldzuweisungen, sondern konstruktives Handeln aller Beteiligten notwendig, um den weltwirtschaftlichen Wachstumsprozeß wieder in Gang zu setzen.Richtig ist, wenn Sie sagen, die USA müßten von ihrem Defizit herunter. Aber sie verschweigen, daß, damit dies nicht zu Lasten des weltwirtschaftlichen Wachstums geht, Japan, Deutschland und Europa für eine Reihe von Jahren ein stärkeres Wachstum haben müssen als die Vereinigten Staaten, und dies ist mit Ihrer Politik alles andere als gesichert.
Ich bin überzeugt: wenn Sie nicht auf einen expansiveren wirtschaftspolitischen Kurs umschalten, werden die USA ihre Drohung wahrmachen und den Dollar weiter heruntermanipulieren, und unter dem Druck sinkender Exporte und wieder wachsender Arbeitslosigkeit wird Ihnen dann nichts anderes übrigbleiben, als letztlich auf eine kooperative Strategie einzuschwenken.
Sie sollten daran denken: Die USA sitzen am längeren Hebel, und sie sind jederzeit in der Lage, die Folgen ihrer eigenen verfehlten Politik auf die Schultern anderer abzuladen. Ich rate Ihnen, es nicht so weit kommen zu lassen. Zeigen Sie endlich Kooperationsbereitschaft, lassen Sie sich nicht durch Verweigern in Bahnen zwingen, die unserer Volkswirtschaft schaden. Nur wenn es mehr internationale wirtschaftspolitische Kooperation und
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18000 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Dr. Mitzscherlingmehr Währungsstabilität gibt, haben wir wirklich Chancen für einen zügigen Beginn der neuen GATT-Runde. Wenn es Ihnen um die Sache geht, Herr Bangemann, müssen Sie vor allem Ihren Kollegen Stoltenberg von seiner restriktiven und vorwiegend an kurzfristigen, nationalen Interessen orientierten wirtschaftspolitischen Linie abbringen. Aber ich fürchte, das wollen Sie nicht oder das können Sie nicht.
Lassen Sie mich abschließend noch die von uns allen gewünschte intensivere wirtschaftspolitische Zusammenarbeit mit unseren osteuropäischen Handelspartnern ansprechen. Sie selbst, Herr Bangemann, bemühen sich darum; aber Sie beklagen sich auch, daß mehr Handel und Kooperation mit diesen Ländern durch die Starrheit derer Wirtschaftssysteme begrenzt werden. Dies wird im RGW, neuerdings auch in der Sowjetunion ebenso gesehen. Die Systeme werden partiell reformiert. Es gibt neue organisatorische Maßnahmen, marktwirtschaftliche Elemente werden eingebaut, sie werden simuliert. Man öffnet sich, um sich stärker am Welthandel beteiligen zu können.Dies liegt auch in unserem Interesse. Wir müssen also alles tun — alles! —, um diese sich anbahnende Entwicklung zu unterstützen. Damit aber ist es unvereinbar, wenn der Sowjetunion der Beobachterstatus beim GATT verwehrt wird, wie es in Punta del Este geschehen ist. Diese von den Amerikanern veranlaßte Verweigerung ist auch deshalb schädlich, weil sie die Befürworter einer wirtschaftlichen Annäherung dort zurückzudrängen droht.Deshalb, Herr Minister, fordern wir Sozialdemokraten Sie auf, das ganze politische Gewicht der Bundesrepublik einzusetzen, um der Sowjetunion zu einem Beobachterstatus beim GATT zu verhelfen.
Dies wäre der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Osten förderlich, und dies wollen wir, glaube ich, alle, weil es der Entspannung dient und weil es den Frieden in Europa sicherer macht.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schwörer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wäre reizvoll, jetzt auf die Äußerungen von Herrn Kollegen Mitzscherling einzugehen,
mit dem wir im Wirtschaftsausschuß immer eine sehr sachliche Zusammenarbeit haben. Aber der Herr Bundeswirtschaftsminister wird nachher sicher noch auf die Dinge eingehen, die Herr Mitzscherling hier angesprochen hat.Wir begrüßen jedenfalls, daß es durch das Ministertreffen in Punta del Este gelungen ist, eine neueGATT-Konferenz einzuleiten. Herr Bundeswirtschaftsminister Dr. Bangemann, wir danken Ihnen ausdrücklich dafür, daß Sie Ihre Rolle dort in sehr erfolgreicher Weise gespielt haben.
Wir wollen mit diesem neuen Beginnen einer GATT-Konferenz Beschränkungen des Welthandels abbauen, dem liberalen Handel neue Impulse geben. Wir wissen, daß es hier Probleme gibt, daß man hier einiges tun muß, daß eine grundlegende, tiefgreifende Revision nötig ist. Wir wissen auch, daß der Welthandel dann, wenn diese Revision gelingt, wieder neue Kraft bekommt und daß das für uns alle nur ein Vorteil sein kann.Die Europäische Gemeinschaft ist — der Herr Bundeswirtschaftsminister hat es fast etwas überspielt — hinsichtlich dieses Vorbereitungstreffens kritisiert worden: Es ist sicher so, daß hier gewisse verschiedene Klänge hörbar geworden sind. Meine Damen und Herren, daß die Gemeinschaft hier mit einer Stimme sprechen muß, ist klar. Sonst sind unsere Chancen, diese Konferenz zu beeinflussen, natürlich sehr gering. Aber daß wir in der Agrarpolitik den Standpunkt einnehmen müssen, den wir in der nationalen Diskussion heute einnehmen, nämlich daß die subventionierte Überproduktion abgebaut werden muß, und zwar weltweit, ist, glaube ich, unbestritten. Das werden auch unsere Kollegen von der SPD nicht abstreiten wollen.
Wir wollen ein Übereinkommen, das diese subventionierten Produktionen verhindert und unseren bäuerlichen Familienbetrieben in der Gemeinschaft langfristig die Überlebenschance gibt, die wir ihnen in der Öffentlichkeit immer in Aussicht stellen.
Das ist das Ziel einer Agrarpolitik auch auf Grund des GATT. Ich glaube, dagegen können auch die Amerikaner nichts haben. Die Agrarfabrik ist auch nicht unbedingt das Ziel der amerikanischen Agrarpolitik.Meine Damen und Herren, lieber Herr Bundeswirtschaftsminister, wir begrüßen, daß es Ihnen gelungen ist, auch zu erreichen, daß die Einführung neuer Handelshemmnisse für die Zukunft nicht möglich sein soll und daß die bestehenden Handelshemmnisse stufenweise abgebaut werden sollen.Wir begrüßen, daß nicht nur über den Handel mit Waren, sondern auch über den Handel mit Dienstleistungen neu verhandelt werden soll. Der Dienstleistungssektor ist ein Sektor in unserer Wirtschaft, der zunehmend wichtiger wird. Es ist gut, daß man auch hierfür eine GATT-Regelung findet. Wie das nun im einzelnen aussieht, ob es extra eine GATTRegelung für Dienstleistungen gibt oder ob sie in das GATT eingebunden werden soll, ist letztlich gleichgültig. Aber es ist gut, wenn dafür auch Regeln gefunden werden.Wir begrüßen besonders, daß Auslandsinvestitionen und auch geistiges Eigentum durch das GATT
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Dr. Schwörerin Zukunft geschützt werden sollen. Hierzu gehören vor allem — Sie haben es angeführt, Herr Bundeswirtschaftsminister — die Verletzungen des Musterschutzes, Markenpiraterie genannt, die einem Teil unserer Industrie, vor allem unserer Textilindustrie, sehr große Sorgen machen. Wenn wir hier Regelungen finden, die dem wehren, dann ist das etwas außerordentlich Positives. Schwieriger ist es allerdings — da ich diesen Bereich hier nun schon erwähnt habe — für unsere Textilindustrie, daß sie nun voll in das GATT integriert werden soll; Stichwort: Welttextilabkommen usw. Aber wir können j a den Unternehmern und den Gewerkschaften, die hier in einer Front um das Welttextilabkommen streiten, sagen: Jetzt ist eine Zeit, in der man sich darauf einstellen kann und in der man damit rechnen muß, daß hier eines Tages andere Regeln gelten als zur Zeit. Ich glaube, es gibt, wenn man an vier Jahre Verhandlungszeit denkt, hier eine gute Möglichkeit, sich in der nächsten Zeit auf neue Regeln oder auf neue Wege dieses Verkaufs von Textilprodukten in der Welt einzustellen.Wir wollen — das sage ich ausdrücklich — den Partnern in der Dritten Welt mit diesem GATT-Abkommen auch zusätzliche Möglichkeiten geben, damit diese Länder langfristig ihre Entwicklung mit eigenen Leistungen bezahlen können. Das ist auch einer Punkte dieses neuen Abkommens, und ich glaube, wir können alle miteinander einig sein, daß auch das in Punta del Este so festgelegt worden ist.Ich möchte zum Schluß nur noch der Hoffnung Ausdruck geben, daß diese Konferenz, die jetzt mit gewissen Hoffnungen verknüpft wird, zum Erfolg führt. Ich glaube, wenn alle Beteiligten in dem kooperativen Geist, der bis jetzt sichtbar geworden ist, auch in der Zukunft verhandeln, können wir damit rechnen, daß die beginnende Welthandelsrunde für uns alle zum Erfolg wird.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Auhagen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Punta del Este sind mit Formelkompromissen Risse gekittet worden. Um die protektionistischen Tendenzen in den USA zu besänftigen, wurde Druck auf Entwicklungsländer ausgeübt, die Dienstleistungen zu einem Verhandlungsgegenstand zu machen. Oder, Herr Bangemann, würden Sie bestreiten, daß sich Brasilien und Indien gegen den Einbezug der Dienstleistungen in die GATT-Verhandlungen gewehrt haben? Dann müßten Sie all diese führenden Wirtschaftszeitungen als unfähig und falsch berichtend darstellen. Denn auch formal außerhalb der GATT-Verhandlungen bleibt die Kopplung bestehen: Realisierung der GATT-Verhandlungen nur bei Liberalisierung von Dienstleistungen. Diesen Zwang, diesen Versuch der Multis, insbesondere auch der Informatik-Multis, in Entwicklungsländern wie Indien und Brasilien einzudringen, lehnen wir ab. Wir GRÜNEN unterstützen daher in unserem Entschließungsantrag das Interesse Brasiliens und Indiens, ihre eigenen Dienstleistungsstrukturen zu erhalten.Die GATT-Verhandlungen sind von einem tiefen inneren Widerspruch gekennzeichnet, was die Bundesregierung angeht. Einerseits pocht die Bundesregierung wie kaum ein anderes Land auf dem Ziel der völligen Liberalisierung des Welthandels, andererseits weiß die Bundesregierung, daß dies nicht nur nicht realisierbar, sondern auch nicht wünschbar ist. Oder sind Sie ernsthaft bereit, auf sämtliche Agrarsubventionen zu verzichten oder sogar, was eigentlich die Forderung nach dem Dogma wäre, freie Agrarimporte zu erlauben?Zweitens. Wären Sie tatsächlich bereit, das Welttextilabkommen von heute auf morgen zu kündigen, oder wären Sie bereit, wenn man den Wirtschaftshaushalt ansieht, auf die 200 Millionen DM Schiffbausubventionen zu verzichten? Versuchen Sie einmal, das den betroffenen Bauern, Schiffbauern oder Textilarbeitern zu erklären! Das ist die Doppelmoral, die wir angreifen, einerseits vom freien Welthandelsdogma zu sprechen, aber andererseits zu wissen, daß es gar nicht realisierbar ist. Statt dessen ist es notwendig, vom Dogmatismus abzugehen und endlich auf eine ehrliche und realitätsnahe Gestaltung der Welthandelsbeziehungen hinzuwirken.
In diesem Zusammenhang haben zwei Themen auf der GATT-Konferenz gefehlt. Erstens ist die Verschuldungsfrage zu nennen. Was steht denn hinter der aggressiven Export- und restriktiven Importpolitik vieler Länder? Ist es denn freiwillig, Herr Bangemann, daß in Brasilien durch drastische Abwertungen, Lohnkürzungen, fehlende Sozialleistungen die Binnennachfrage drastisch abgekurbelt wird, bis zum Massenelend hin, und auf der anderen Seite auf diese Weise die Exporte hochgeschoben werden? Ist das der freiwillige Wunsch der Bevölkerung in diesen Ländern? Brasilien z. B. befindet sich mit den USA in einem Handelskonflikt wegen der 5 Milliarden Dollar Handelsüberschüsse, die Brasilien hat. Dahinter steht doch aber der Zwang, 23 Milliarden DM jährlich an Schulden zu erwirtschaften.
Wer also solche protektionistischen Tendenzen ernsthaft bekämpfen will, der muß zunächst die Schuldenfrage lösen, um den Zwang zum Protektionismus zu überwinden.
Dazu habe ich nichts von Ihnen gehört; da fehlt etwas.Zweitens. Eine immer dringendere Frage ist überhaupt nicht behandelt worden. Es ist die des Dumpings, und zwar des sozialen und ökologischen Dumpings. Ein freier Welthandel, der demjenigen Konkurrenzvorteile ermöglicht, der kostensparend die Umwelt vergiftet und unter unsozialen Bedin-
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Auhagengungen produzieren läßt, ist ein Welthandel des sozialen und ökologischen Dumpings.
Dadurch werden — z. B. bei uns — zunehmend Unternehmen bestraft, die sich Mühe geben, kostenaufwendig umweltfreundlich zu produzieren und ihren Arbeitnehmern akzeptable soziale Bedingungen zu bieten. Die kommen in die Hinterhand und müssen sich auf die Dauer an die Norm der Dritten Welt anpassen. Im Textilhandel ist es ganz deutlich.Damit diese nicht berücksichtigten Fragen endlich zum zukünftigen Gegenstand der GATT-Verhandlungen werden, haben die GRÜNEN den vorliegenden Entschließungsantrag eingebracht.Danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haussmann.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Ergebnis von Punta del Este ist ein Erfolg. Es ist das erste positive Zeichen seit einigen Monaten in der internationalen Handelspolitik. Daran ändert auch nichts ein neuer Nationalismus à la Grün, wie wir ihn j a kennen. Sie haben sich heute sehr zurückgehalten. Aber die Entwicklungsländer bedanken sich für diese Fürspracherolle.
Erstens. Für die Entwicklungsländer ist es entscheidend, daß die entwickelten Länder ihre Märkte endlich öffnen. Darauf hat Martin Bangemann j a zu Recht hingewiesen.
— Verehrter Herr Kollege von der SPD, wir sind uns im Wirtschaftsausschuß eigentlich sehr viel näher in unseren Positionen. Das war eine Pflichtrede der SPD gegen den amerikanischen Handelspartner.
Zweitens. Der Erfolg in Punta del Este war j a, daß die Europäer und andere Schwellenländer die USA zu einer gemeinsamen Verpflichtung im internationalen Waren- und Dienstleistungsverkehr gezwungen haben. Dies ist in der Tat ein Positivum.
Drittens. Wir wissen, daß dies nur der Anfang einer sehr langwierigen Welthandelsrunde ist. Wir wissen aber auch, daß in diesem neuen GATT-Abkommen endlich neue Elemente — wie der Dienstleistungsmarkt — aufgenommen sind. Auch hier hat die Bundesrepublik einen gewissen Nachholbedarf — das sollte man ruhig sagen — gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika, auch gegenüber England, z. B. im Dienstleistungs- und im Versicherungsbereich. Wir können weltweit nur ein Vorreiter für free trade sein, wenn wir uns nicht nur im Güterverkehr, sondern auch im Dienstleistungsverkehr öffnen.
Viertens. Die Konferenz war schwierig. Sie wurde hervorragend vorbereitet. Hier haben viele frühere europäische Kontakte des Wirtschaftsministers geholfen. Die Europäer sind letztlich doch mit einer gemeinsamen Haltung aufgetreten.
— Sie sind am Schluß doch mit einer gemeinsamen Haltung aufgetreten.
Wir laden die Sozialdemokraten ein, sich bei sinnvollen Reformen im Agrarbereich zu beteiligen. Dies ist eine nationale, überparteiliche Aufgabe. Aber es bleibt dabei, was viele nicht wahrhaben wollen: Der Startschuß für die neue GATT-Runde ist gefallen; für ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland, in der jeder dritte Arbeitsplatz vom Export abhängig ist, eine sehr, sehr wichtige Nachricht.
Die deutsche nationale Wirtschafts- und Konjunkturpolitik hatte auch in Uruguay Vorbildcharakter. Wir haben inzwischen ein höheres Wirtschaftswachstum als die Vereinigten Staaten von Amerika. Wir brauchen nicht auf künstliche Weise eine Lokomotivfunktion einzunehmen,
und wir sind auch frei genug — auch als deutsche Regierung —, das nach wie vor zu hohe Haushaltsdefizit der Vereinigten Staaten von Amerika zu kritisieren.
Letztlich erweist sich damit, wie unsinnig der Vorwurf der Sozialdemokraten ist, daß die Bundesregierung nicht in der Lage sei, auf internationalen Konferenzen das Gewicht der Bundesrepublik einzubringen. Sowohl in Uruguay als auch in Stockholm haben Martin Bangemann und Hans-Dietrich Genscher gezeigt, daß deutsche Interessen mit sehr guten Erfolgen international hervorragend vertreten werden.
Insgesamt hoffe ich, daß es bei der Übereinkunft der klassischen Parteien bleibt, daß nicht nur die Union, nicht nur die Freien Demokraten, sondern auch die Sozialdemokraten ihren Konsens in der internationalen Handelspolitik nicht aufkündigen, denn die beginnende GATT-Runde braucht die Unterstützung aller großen klassischen Parteien. Hiervon — da nehme ich Sie beim Wort, Herr Kollege von der SPD — hängen sehr viele Arbeitsplätze ab. Hiervon hängt letztlich auch das Wohlergehen der Dritten Welt ab. Wir wollen ein offenes, freies Welthandelssystem, an dem sich alle beteiligen können.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir stimmen nunmehr über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6062 ab. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Entschließungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.
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Vizepräsident WestphalIch rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 18 und den Zusatztagesordnungspunkt 4 — das haben wir vorhin extra beschlossen — auf:Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNENUmfassendes Verbot biologischer Waffen — Drucksache 10/5984 —Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Verbot biologischer Waffen— Drucksache 10/6051 —Meine Damen und Herren, interfraktionell sind eine gemeinsame Beratung des Tagesordnungspunktes 18 und des Zusatztagesordnungspunktes 4 sowie ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Jahre 1941 testete Großbritannien auf der schottischen Insel Gruinard den Prototyp einer biologischen Waffe, eine Milzbrandbombe. Die Insel kann heute noch nicht betreten werden. Sie ist verseucht und wird es für die nächsten 500 Jahre bleiben. Ich nenne dieses Beispiel für die furchtbare Wirkung dieser biologischen Waffen deshalb, um Ihnen noch einmal die Ernsthaftigkeit des Themas, das unserem Antrag zugrunde liegt, zu dokumentieren.Das Abkommen zum Verbot biologischer Waffen wurde 1972 abgeschlossen. Dadurch schienen die Gefahren, die vom militärischen Einsatz von Krankheitserregern ausgehen könnten, ein für allemal gebannt.
Zum erstenmal, so hieß es, sei es gelungen, eine ganze Art von Waffen aus der Welt zu schaffen.Dieser Optimismus schien um so mehr gerechtfertigt, als selbst die Militärs von biologischen Waffen nichts hielten: Die Gefahr, eigene Truppen oder die eigene Bevölkerung bei ihrem Einsatz in unvorhersehbarer Weise zu treffen, schien auch den Militärs einfach zu groß zu sein.Diese Situation hat sich aber in den letzten Jahren grundlegend gewandelt. Lassen Sie mich als Beispiel den stellvertretenden Unterstaatssekretär Feith vom US-Verteidigungsministerium zitieren, der in einem Bericht für den Kongreß am 8. August dieses Jahres ausgeführt hat — ich darf ihn zitieren —:Wir haben unsere Ansicht über die militärische Nützlichkeit von B-Waffen geändert ... Jetzt sagen wir, daß, gestützt auf die neuen Technologien, biologische Waffen in der Tat ein großartiges Waffensystem sein können.
Diese Einschätzung entspricht ja auch der US-amerikanischen Wirklichkeit: Schon seit Jahren steigen die Ausgaben für die Erforschung der verbotenen B-Waffen sprunghaft an, in den letzten Jahren um über 350 % auf 426 Millionen Dollar im Jahre 1985. 426 Millionen Dollar für die Erforschung der doch eigentlich verbotenen biologischen Waffen im letzten Jahr!
Die völlige Veränderung der Situation ist, wie wir wissen, ein Ergebnis der Entwicklungen im Bereich der Gentechnologie. Diese neue Technologie, auf die sich Feith bezogen hat, ermöglicht es, Krankheitserreger nach militärischen Vorgaben genau zuzuschneiden: auf bestimmte Gruppen von Menschen, auf bestimmte Arten von Reis, eine spezielle Rinderrasse usw.In der „Süddeutschen Zeitung" von heute steht, daß aus einem Labor der amerikanischen Streitkräfte mehrere Liter einer Flüssigkeit, die gefährliche Viren enthält, entwendet worden sind und daß diese Menge ausreicht, um die Erdbevölkerung mehrmals zu infizieren. Im Falle dieses Wirkstoffes führen die Viren zur Verblödung.Hier haben wir es im Grunde genommen mit einem Ausdruck der neuen Kriegsführungsfähigkeit zu tun, die speziell aus der Sicht der Amerikaner innerhalb der NATO zur Geltung kommen soll. Es ist völlig klar: Wer bereit ist, über die Abschrekkung hinaus nukleare, chemische und biologische Waffen einzusetzen, muß sich auch Gedanken machen, wie er das effizient tun kann. In diesem Entwicklungsstadium befinden wir uns. Wir sollten uns rechtzeitig Gedanken darüber machen, wie wir das verhindern können.Biologische Waffen sind also wieder interessant geworden. Ihre Entwicklung wird in den USA im großen Stil vorangetrieben. Dies ist nachweisbar. Auch bei uns setzt, wie so oft, dieser Kreislauf ein. Am 1. September 1985 wurden erstmals Mittel des Verteidigungsministeriums für ein gentechnologisches B-Waffenprojekt an die Fraunhofer-Gesellschaft und die Tierärztliche Hochschule Hannover bereitgestellt. Damals handelte es sich um 5,9 Millionen DM, im Verteidigungshaushalt versteckt im Titel „Sanitäts-, Verpflegungs- und Bekleidungswesen".Diese beängstigende Entwicklung nutzt ein Schlupfloch, welches das Verbotsabkommen gelassen hat. Es erlaubt die Forschung zu defensiven Zwecken. Um aber den Schutz, d. h. meist: die Impfstoffe gegen biologische Waffen des Gegners, entwickeln zu können, muß man diese erst einmal haben. So entsteht die Grauzone zwischen defensiver und offensiver Forschung. Es geht ineinander bruchlos über. Der Vertrag wird zwar formal eingehalten, aber das Arsenal des Schreckens wächst und wächst.Unser Antrag fordert die Bundesregierung auf, auf der gegenwärtigen Überprüfungskonferenz zum B-Waffen-Verbotsabkommen in Genf die Initiative zu einer Weiterentwicklung und Stärkung des Abkommens zu ergreifen, damit das Verbot der
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18004 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
LangeB-Waffen diesen neuen Entwicklungen standhalten kann.
Für erforderlich halten wir insbesondere ein umfassendes Verbot der B-Waffenerforschung unter Einschluß der sogenannten Defensivforschung. Denn in diesem Bereich ist eine Trennung von defensiv und offensiv unmöglich.
Ein solches Verbot ist eine absolute Notwendigkeit; sonst kann das Abkommen seinen Zweck auf Dauer nicht erfüllen.Eine weitere Forderung von uns ist das Verbot militärischer Finanzierung von Gentechnologie. Sie wissen, daß wir diese Technologie grundsätzlich ablehnen. Aber selbst in diesem Falle sollte es Ihnen möglich sein, auch unabhängig von der grundsätzlichen Einstellung dazu überzugehen, daß die Gentechnologie auf keinen Fall in den Dienst militärischer Zwecke gestellt werden darf.
Meine Damen und Herren, wir müssen der Entwicklung, die aus den B-Waffen eine neue Bedrohung der Menschheit und kommender Generationen zu machen droht, endlich energisch entgegentreten. Wir freuen uns, daß die SPD — wenn auch mit Verspätung von über 14 Tagen — einen eigenen Antrag vorgelegt hat. Besser wäre es gewesen, wenn Sie sich unserem Antrag angeschlossen hätten.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich komme zum Ende. Auch in diesem Sinne sehe ich, daß ein Bewußtseinsentwicklungsprozeß in Ihrer Fraktion möglich ist. Wir bitten Sie auf jeden Fall, unserem Antrag zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
Der nächste Redner ist der Abgeordnete Graf Huyn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU hat keinen Nachholbedarf in der Frage der Bekämpfung der Verbreitung biologischer und chemischer Waffen. Ich möchte daran erinnern, daß die Bundesregierung bereits unter Konrad Adenauer am 23. Oktober 1954 auf ABC-Waffen freiwillig verzichtet und sich freiwillig einer internationalen Kontrolle unterstellt hat. Die CDU/CSU hat seit jeher eine Null-Lösung für B- und C-Waffen gefordert. Ich habe die Ehre gehabt, für meine Fraktion diesen Antrag vom 24. Februar 1981 am 8. Mai 1981 einzubringen und zu begründen. Dies ist unsere einstimmige Haltung.Was Sie, Herr Kollege Lange, hier produziert haben, Ihr Zitat aus dem Feith-Bericht vor dem amerikanischen Kongreß, gibt ein wissentlich falschesBild von dem, was dort gesagt worden ist. Was Feith deutlich gemacht hat, ist, daß die Gefahr besteht — ich glaube, dies sollte die Sorge von uns allen sein —, daß das B-Waffenabkommen von 1972 — leider kann man nur sagen — durch neue Entwicklungen der Forschung auf diesem Gebiet technologisch überholt werden kann. Dem müssen wir uns zusammen stellen.Sie haben das aber so dargestellt, als hätte sich die amerikanische Haltung geändert, als wären dies geradezu phantastische neue Möglichkeiten. Darf ich aus dem mir vorliegenden Bericht zitieren: Die amerikanische Politik bleibt dieselbe, wie sie 1969 nach Präsident Nixons einseitigem Verzicht auf biologische Waffen bereits war. Es gibt innerhalb der Administration keinerlei Gedanken, diese Politik zu verändern.Die Sowjetunion hat allerdings eine große Organisation aufgebaut, die der Entwicklung und Produktion von B-Waffen dient. Ich zitiere hier. Erstens. Das Politbüro hat genau zu dem Zeitpunkt, als dieses Abkommen geschlossen wurde, ein BWaffenprogramm beschlossen.Zweitens. Es gibt heute mindestens sieben Forschungsinstitute in der Sowjetunion, u. a. in Kirow und Kalinin, wo verschiedene Kulturen, u. a. Brucellose, Tetanus, Gelbfieber, Pest und Tularaemie entwickelt und getestet werden.Am 3. April 1979 nachmittags hat es in Kaschin, 30 km von Swerdlowsk entfernt, einen Unfall in einem solchen sowjetischen Forschungslabor durch Milzbrandbakterien gegeben, der mindestens 40 Tote gefordert hat. Und die Sowjetunion hat, wie wir wissen — hierüber gibt es sehr feste Anhaltspunkte —, sowohl in Südostasien als auch in Afghanistan Mykotoxine gegen die Zivilbevölkerung angewandt.Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Westen haben demgegenüber, wie ich schon erklärt habe, die Vereinigten Staaten unter Nixon einen einseitigen Verzicht ausgesprochen. Es gibt auch im Westen einschließlich natürlich der Bundesrepublik Deutschland keine Forschung, Entwicklung und Erprobung von B-Waffen, außer für Schutzzwecke und für die Verifizierung. Das ist selbstverständlich auch für die Seuchenabwehr notwendig, weil es keinen Unterschied zwischen ziviler und militärischer Forschung auf diesem Gebiet gibt.Das Problem, vor dem wir stehen, ist die schwere Verifizierbarkeit auf diesem Gebiet. Ich kann nur sagen: Leider hat sich die Sowjetunion trotz aller westlichen Bemühungen bisher einer Verbotskontrolle widersetzt. Die Bundesregierung, auch die frühere Bundesregierung, hat sich bereits darum bemüht, hier Verifizierungen, so schwer sie auch sind, durchzusetzen. Das Problem, vor dem wir stehen, ist, wie man eine Verifizierung sichern kann. Der Zustand der Nichtverifizierbarkeit sollte überwunden werden.Was wir brauchen, sind vertrauensbildende Maßnahmen bei der Forschung. Hier sollten wir alle zusammenwirken. Die Bundesregierung ist hierzu bereit. Bisher hat sich die Sowjetunion dem wider-
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Graf Huynsetzt. Ich meine aber, dies sollten alle unterstützen.Ich beantrage namens meiner Fraktion die Überweisung der Anträge in die Ausschüsse.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Scheer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion hat heute einen Antrag zum Verbot biologischer Waffen gestellt, der darauf abzielt, daß sich der Bundestag künftig verstärkt mit diesem Problem beschäftigt. Der zeitliche Anlaß für unseren Antrag ist die gegenwärtige Überprüfungskonferenz zum Vertrag von 1972, der weltweit die biologischen Waffen ächtet und ihre Produktion und Lagerung verbietet. Dieser Vertrag verzichtete auf eine Kontrolle zur Einhaltung, weil es unglaublich schwer ist, ein geeignetes Kontrollinstrumentarium zu finden. Denn biologische Waffen lassen sich bereits in kleinsten Mengen bei hohem Gefährdungspotential in kleinen Labors produzieren. Außerdem herrschte die Ansicht vor, daß die Selbstgefährdung desjenigen, der biologische Waffen einsetzt, mindestens so groß ist wie die Gefährdung für denjenigen, gegen den diese Waffen eingesetzt werden. Die bisherigen Überprüfungskonferenzen haben durchaus die bisherige Wirksamkeit dieses Vertrages bestätigt. Wir schließen uns also nicht den abwertenden Kommentaren zum B-Waffen-Vertrag an, wie sie in dem Antrag der GRÜNEN und seit einiger Zeit auch von der Reagan-Administration zu hören sind.
Dennoch ist es notwendig, für die Zukunft eine Erweiterung des Vertragswerks anzustreben. Im wesentlichen handelt es sich bei biologischen Waffen um lebende Organismen, die eine Massenvergiftung hervorrufen können, und um ebenso wirksame chemische Gifte, die mit Hilfe lebender Organismen produziert werden.
In der medizinischen und gentechnischen Forschung hat es in den vergangenen zehn Jahren rasante Entwicklungen gegeben. Synthetische Erreger sind entwickelt worden. Hinter solchen Entwicklungen muß nicht von vornherein Negatives oder eine militärische Absicht vermutet werden. Zur Immunisierung gegenüber massenweise auftretenden Vergiftungen können sie dem Menschen Vorteile bringen, etwa gegenüber Schlangenbissen, die bis zu 50 000 Tote im Jahr hervorrufen, gegenüber Skorpionstichen, die bis zu 30 000 Todesfälle im Jahr hervorrufen, und gegen Masseninfektionen durch Gasbrand, Milzbrand und Mykotoxine.
Wer aber auf der Grundlage solcher neuen Möglichkeiten aus Impfstoffen Kampfstoffe machen will, der kann die Produktionsspuren innerhalb kürzester Zeit verwischen. Außerdem ist es heute möglich geworden, eigene Truppen gegen B-Kampfstoffe zu immunisieren, so daß die Selbstgefährdung beseitigt werden kann und nur noch die Gefährdung des Gegners übrigbliebe und daraus ein neues Massenvernichtungsmittel effektiv entwikkelt werden könnte. Und schließlich mehren sich die Hinweise, daß der Vertrag durch Neuentwicklungen biologischer Waffen auf amerikanischer, auf sowjetischer Seite und auch bei anderen ausgespült wird.
Diese Entwicklungen müssen uns dazu veranlassen, die B-Waffen-Problematik strenger zu diskutieren als in der Vergangenheit. Auf Grund der Notwendigkeiten der Immunbiologie ist es aber politisch nicht empfehlenswert, auf die Entwicklung von medizinischen Defensivmitteln gegenüber zivilen Masseninfektionen zu verzichten. Schon aus diesem Grunde ist der Antrag der GRÜNEN nicht annehmbar. Um so stärker muß darauf geachtet werden — man muß sich ein bißchen ernsthafter mit diesem Problem beschäftigen —,
wie ein militärischer Mißbrauch tatsächlich ausgeschlossen werden kann. Dazu wird es notwendig sein, die politischen Bemühungen um ein Verbot chemischer Waffen mit einer Überarbeitung des B-Waffenvertrages zu verknüpfen. Ich glaube, daß es notwendig ist, B- und C-Waffen im Zusammenhang zu betrachten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, das erlaubt die Zeit leider nicht. Aber, wenn Sie nicht abgezogen wird, gerne.
Dazu haben wir keine Möglichkeit.
Wenn wir keine Möglichkeit dazu haben, dann muß ich meine Rede unmittelbar zu Ende führen.Es wird notwendig sein, Konzepte für eine Kontrolle des Produktionsverbots biologischer Waffen zu erarbeiten. Dies ist ungeheuer schwierig und überschreitet alle bisherigen Möglichkeiten der Rüstungskontrolle. Eine flächendeckende Kontrolle wird nicht möglich sein. Kontrollen müßten sich aber dann darauf beziehen, keinerlei Kampftruppen mit biologischen Waffen auszurüsten und auszubilden. Ein Produktionsverbot ließe sich wohl nur ungefähr kontrollieren, nämlich durch rasche und unbürokratische Stichprobenkontrollen, die in Tagesfrist durchgeführt werden können. Vor allem aber — damit komme ich zum Schluß — ist unserer Auffassung nach die Errichtung einer internationalen Kontrollbehörde nach dem Vorbild der Internationalen Atomenergie-Organisation in Wien erforderlich. Eine solche Behörde ist ja auch notwendig für ein Verbot chemischer Waffen.Angesichts der Schwierigkeiten der Abgrenzung von biologischen und chemischen Waffen durch biochemische Technologien sollte eine solche Behörde die Kontrollverfahren gegenüber biologischen Waffen entwickeln helfen.
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18006 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Dr. ScheerWir sind für eine Überweisung unseres Antrages an die Ausschüsse, damit wir uns, hoffentlich gemeinsam, an diese Aufgabe machen können.
Dann spricht der Herr Staatsminister aus dem Auswärtigen Amt, Herr Möllemann.
Ja, das kann man nicht so richtig trennen. Sie trägt j a die Regierung.
Ich möchte Sie bitten, sich an unsere Redevereinbarung zu halten.
Möllemann, Staatsminister: Ja, natürlich. Ich spreche für die Regierung.
Weil ich sonst in Verlegenheit komme, das nicht mehr abwickeln zu können. Wir sind eine Dreiviertelstunde über die Zeit, und wir müssen bis zur Fragestunde noch allerlei erledigen.Möllemann, Staatsminister: Ja, ich versuche es, Herr Präsident.Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der derzeit laufenden zweiten Überprüfungskonferenz zum Übereinkommen über biologische Waffen setzt sich unsere Delegation vor allem für eine Stärkung der Überprüfbarkeit der Vertragstreue ein. Sie trägt damit der Resolution des Deutschen Bundestages Rechnung, der die Bundesregierung aufgefordert hat, ich zitiere: „möglichst unverzüglich die Frage der Verifikation bei B-Waffen zu betreiben, spätestens gelegentlich der zweiten Revisionskonferenz des B-Waffenverbotsvertrags".In der Eröffnungssitzung der Überprüfungskonferenz hat unser Delegationsleiter folgende Maßnahmen zur Stärkung des Abkommens vorgeschlagen — ich glaube, Herr Scheer, das deckt sich auch mit einem Teil Ihrer Anregungen. Erstens eine Auskunftspflicht bei Massenerkrankungen infolge von Unfällen in Laboratorien oder in Produktionseinrichtungen, zweitens eine strenge Einhaltung der bestehenden internationalen Meldepflicht bei Seuchen, drittens eine Auskunftspflicht bei besonderen Sicherheitsmaßnahmen in Impfstoffwerken, viertens die Information über die Durchführung von ausgedehnten Impfungen, die von der Routine abweichen, für die gesamte Bevölkerung oder besondere Gruppen, z. B. Grenztruppen, Polizei und Soldaten und fünftens der Austausch von Impfstoffen, Erregerstämmen, Toxiden usw., der es erst ermöglicht, an den Entwicklungsergebnissen zu partizipieren und neue wissenschaftliche Erkenntnisse nachzuvollziehen.Mit diesen Maßnahmen werden auch die in den Anträgen erwähnten neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der Biotechnologie insbesondere der Gentechnologie erfaßt. Zu diesem Komplex möchte ich bemerken, daß die wissenschaftliche Entwicklung auf dem Gebiet der Biotechnologie einschließlich der Gentechnologie besonders rasch war und deshalb zu Befürchtungen in der Öffentlichkeit über einen möglichen Mißbrauch für B-Waffenzwecke geführt hat.
Nach Ansicht der überwiegenden Zahl der Fachwissenschaftler ist diese Furcht jedoch unbegründet. Auch nach Auffassung der Pugwash-Konferenz, wie sie in der Erklärung des Exekutivkomitees vom 7. Dezember zum Ausdruck kommt, sind die Möglichkeiten für den Mißbrauch dieser Technologien nicht größer, in der Tat vielleicht sogar geringer als zur Zeit der Annahme des B-Waffen-Übereinkommens im Jahre 1972. In den Expertengesprächen während der Überprüfungskonferenz konnte niemand auf gezielte Fragen unserer Experten ein konkretes Beispiel für den tatsächlich realisierten Mißbrauch dieser Technologien nennen.
Alle Befürchtungen dieser Art bewegen sich im Bereich der theoretischen Überlegungen. Trotzdem ist in dieser Frage große Wachsamkeit am Platze.Wir setzen uns daher bei der Konferenz dafür ein, daß auf Grundlage von Art. 10 der Konvention, der einen weitestmöglichen Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen vorsieht, im Jahre 1987 Expertengespräche stattfinden, die sich mit diesen Problemen weiter befassen. Durch die Einigung auf vertrauensbildende Maßnahmen der genannten Art wollen wir ab sofort mehr Transparenz erreichen.Unseren weitergehenden Bemühungen um eine Verbesserung der Verifikation sind insoweit Grenzen gesetzt, als eine Änderung der Vertragsbestimmungen nicht unter das Mandat der Überprüfungskonferenz fällt. Wir setzen uns jedoch dafür ein, daß ein Passus in das Schlußdokument aufgenommen wird, in dem sich die Teilnehmer dafür aussprechen, nach Abschluß eines Chemiewaffenverbotsabkommens eine Konferenz zur Ergänzung des Übereinkommens über biologische Waffen einzuberufen. Das entspricht, glaube ich, auch Ihren Überlegungen, Herr Kollege Scheer. Dann könnten die Verifikationsbestimmungen des Chemiewaffenabkommens, über dessen Überprüfung sich derzeit in der Genfer Abrüstungskonferenz j a zunehmend eine Übereinstimmung heranbildet, in das Abkommen über biologische Waffen aufgenommen werden.Ich kann daher abschließend feststellen, daß die Bundesregierung bereits von sich aus vor und während der Überprüfungskonferenz die Punkte mit Nachdruck vertreten hat, jedenfalls die meisten Punkte, die Gegenstand der Anträge sind. Deswegen sehen wir in Ruhe der Beratung der Anträge in den zuständigen Ausschüssen entgegen.Ich danke Ihnen für Ihr Zuhören.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 18007
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP ist Ausschußüberweisung der Anträge auf Drucksachen 10/5984 und 10/6051 beantragt worden.
Nach unserer Geschäftsordnung ist zunächst über den Antrag auf Ausschußüberweisung abzustimmen.
Wer also diesem Antrag zuzustimmen wünscht — Ausschußüberweisung —, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen ist die Ausschußüberweisung angenommen.
Damit entfällt eine sofortige Abstimmung über die beiden Anträge.
Es wird im übrigen gewünscht, die Anträge auf den Drucksachen 10/5984 und 10/6051 zu überweisen zur federführenden Beratungen an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuß. Gibt es dazu andere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages
— Drucksachen 10/6015 bis 10/6022 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Lammert
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen, aber mir liegt der Wunsch zu einer Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung durch Herrn Abgeordneten Vogel vor.
Danke, Herr Präsident.Ich möchte begründen, warum ich gemäß § 31 der Geschäftsordnung diese Gelegenheit nutze zur Abstimmung zu erklären, warum ich gegen die Aufhebung der Immunität mehrerer Mitglieder meiner Fraktion stimme. Wir haben hier den einmaligen Fall, das mit einem Schlag fast ein Drittel einer Fraktion von der Immunität entbunden werden soll.
Zum Sachverhalt — das möchte ich kurz darstellen, sonst wird es nicht klar, worum es mir geht; es geht aus diesen Drucksachen nicht hervor, ob es sich nun um das ungenehmigte Betreiben einer Atomanlage handelt oder ob es sich um die Wahrnehmung des Rechts auf freie Meinungsäußerung handelt, wie es in diesem Falle ist —: Vor ca. einem Jahr, im September 1985, hat sich ein kleiner spontaner Demonstrationszug gebildet, der vom Kanzleramt zum Auswärtigen Amt zog, wobei Schilder hochgehoben wurden, auf denen stand: „Wirtschaftsboykott gegen Apartheid". Dieser Demonstrationszug versuchte damit seine Solidarität mitden farbigen Apartheidopfern auszudrücken. Nun werden die Teilnehmer dieses Demonstrationszuges von der bundesdeutschen Justiz verfolgt.Verfolgt werden sie nicht deswegen, weil sie vor dem Bundeskanzleramt demonstriert haben, das nur 400 Meter von hier entfernt ist — das Bundeskanzleramt, die Adenauerallee liegen außerhalb der Bannmeile —, sondern sie werden wegen des kurzfristigen Aufstellens vor dem Auswärtigen Amt verfolgt, das ca. 1200 Meter vom Bundestag entfernt ist und innerhalb der Bannmeile liegt. Die Bannmeile soll ja übrigens laut eigener Zielsetzung das Parlament schützen und nicht die Regierung. Dies nur als Anmerkung. Die Teilnehmer werden von der Justiz also nicht deswegen verfolgt, weil sie beim generell zuständigen Kanzler demonstriert haben, sondern vor dem speziell zuständigen Auswärtigen Amt demonstrieren wollten, wo die Unterstützung des Apartheidsystems durch die Bundesrepublik koordiniert wird.
Ich stimme gegen die Aufhebung der Immunität, weil ich es einfach gespenstisch finde, daß die Staatsanwaltschaft Demonstranten verfolgt, nicht jedoch beispielsweise gegen die Firma MBB ermittelt, die Hubschrauber nach Südafrika exportiert, von denen aus auf die schwarze Bevölkerung geschossen wird;
hier wird nicht wegen Beihilfe zum Mord ermittelt. Es wird z. B. von der Bonner Staatsanwaltschaft nicht ermittelt wegen Kreditgewährung deutscher Banken zu Waffenkäufen der südafrikanischen Apartheid-Regierung, obwohl das sehr wohl auch als Beihilfe zum Völkermord angesehen werden kann.
Ich stimme nicht deswegen gegen die Aufhebung der Immunität, weil ich Sonderprivilegien für grüne Abgeordnete in Anspruch nehmen will,
sondern weil ich Ernst machen will mit der Verteidigung des Rechts auf freie politische Betätigung, nicht nur von Abgeordneten.
Gegen die Aufhebung der Immunität stimmen heißt in diesem Fall, ein Signal für die Bonner Staatsanwaltschaft zu setzen, daß die Strafverfahren auch gegen die anderen Teilnehmer ausgesetzt werden sollen. Gegen die Immunitätsaufhebung stimmen ist hier eine Demonstration des Parlaments für das Recht auf freie Meinungsäußerung.
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18008 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Das Wort zu einer weiteren Erklärung hat der Abgeordnete Mann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will das noch kurz ergänzen, was mein Kollege Vogel gesagt hat.
Es geht um eine persönliche Erklärung.
Ich will begründen, warum ich gegen die Aufhebung der Immunität von acht grünen Abgeordneten stimme.
In der Bild-Zeitung war vor etwa einer Woche, interessanterweise nach einer höchst internen Sitzung des Geschäftsordnungsausschusses, zu lesen: Müssen die GRÜNEN — und dann kamen acht Bilder von den Kollegen — ins Gefängnis? Ich meine, deswegen haben wir einfach hier ein Recht darauf, Stellung zu nehmen. Worum es ging, das hat der Kollege Vogel gerade begründet. Ich will das noch einmal ergänzen.
Die Bannmeile ist ein alter Zopf,
politisch, rechtlich und tatsächlich. Ich bin sicher, kaum einer von uns weiß, wo sie genau verläuft. Dies z. B. wird auch Gegenstand der Strafverfahren sein. Sie ist vor allen Dingen politisch ein alter Zopf, weil sie dem Grundrecht auf freie und friedliche Demonstration nicht gerecht wird,
weil z. B. für die Bürger nicht erkennbar ist, wo diese Bannmeile beginnt, und weil wir hier mit gesetzlichen Vorschriften, die aus einer obrigkeitsstaatlichen Tradition stammen,
uns vor einer demokratischen Auseinandersetzung mit der Kundgebung dessen, was die Bevölkerung denkt und fühlt, drücken. — Ich möchte Ihnen, Graf Huyn, von dieser Stelle aus sagen, ...
Nein, keine Debatte, Herr Kollege Mann. Sie haben eine persönliche Erklärung zu Ihrem eigenen Verhalten gewünscht und nicht einen Debattenbeitrag zu leisten. Bitte schön, halten Sie sich daran.
... warum ich der Meinung bin, daß in diesem Fall von dem guten Brauch, daß Abgeordnete grundsätzlich für die Aufhebung der Immunität stimmen — weil sie an einer Klärung strafrechtlich erhobener Vorwürfe ein großes Interesse haben —, abgewichen werden sollte. Es geht hier um den Kernbereich unserer politischen Betätigung als Abgeordnete.
— Daß wir uns innerhalb der Bannmeile politisch betätigen und auch hier in diesem Hohen Hause betätigen, ist doch wohl unstreitig, Herr Kollege Cronenberg.
Ich bitte Sie, sich an das zu halten, was ich Ihnen schon gesagt habe: Sie wünschten eine persönliche Erklärung.
Ich denke, daß diese spontane Demonstration vor etwa einem Jahr
gegen die Apartheidspolitik der südafrikanischen Regierung zum Kernbestandteil unserer Rechte und Pflichten als Abgeordnete gehört.
Deswegen stimmen wir hier heute gegen die Aufhebung der Immunität.
Frau Kollegin Hürland, das ist auch eine Erklärung nach § 31? — Eine andere Möglichkeit gibt es zur Zeit nicht; die Debatte ist beendet. Also bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Recht darauf, Stellung zu nehmen, hat hier jeder, haben auch Sie, immer. „Die Bannmeile ist ein alter Zopf", das ausgerechnet von einem Berufsrichter zu hören, ist schon eine schlimme Sache. Wir alle sind freie Abgeordnete. Ich wollte daran erinnern, daß der Kernbereich parlamentarischer Tätigkeit die Ausschußtätigkeit ist, wo ich mir wünschen würde, daß Sie dann immer da wären und nicht nur dort, wo Sie Öffentlichkeit haben.
Ich hätte es begrüßt, wenn die GRÜNEN auch bei anderen Fällen von Aufhebung der Immunität, wo es z. B. um Trunkenheit am Steuer oder sonst etwas ging,
hier Erklärungen abgegeben hätten.
Ich bitte die Mehrheit dieses Hauses, den Antrag, den die GRÜNEN hier gestellt haben, abzulehnen.
Es hat noch den Wunsch nach einer Erklärung der Abgeordnete Dr. Scheer, ebenfalls nach § 31 der Geschäftsordnung.
Ich möchte zur Abstimmung kurz erklären — auch im Namen meines Kollegen Lutz; er ist der einzige in meiner Fraktion, mit dem
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 18009
Dr. Scheerich mich eben noch kurz darüber verständigen konnte —,
daß ich diesem Antrag auf Aufhebung der Immunität nicht zustimmen möchte. Das bedeutet nicht, daß ich die Erklärung, die der Abgeordnete Mann von den GRÜNEN eben abgegeben hat, teile. Die Beachtung der institutionellen Gegebenheiten wie z. B. auch der Bannmeile halte ich für ein hohes Gut, das kein alter Zopf ist.
— Ich sage, daß man dies sehr beachten muß, daß aber angesichts des konkreten Vorgangs die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht gegeben ist, hier ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren gegenüber Abgeordneten einzuleiten. Dies ist im Grunde genommen der Punkt.
Als Parlamentarier bin ich im Prinzip der Auffassung, daß das Parlament gegenüber staatsanwaltschaftlichen Begehren auf Aufhebung der Immunität etwas zurückhaltender sein sollte.
Das bezieht sich nicht nur auf GRÜNE, das bezieht sich auf Abgeordnete aller Parteien.
Denn meines Erachtens befolgt man hier zu stark jedes Begehren der Staatsanwaltschaft. Da habe ich Beispiele von vielen Abgeordneten aus allen Fraktionen.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Abstimmung.Wer den Beschlußempfehlungen des Ausschusses auf den Drucksachen 10/6015 bis 10/6022 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung sind die Beschlußempfehlungen mit Mehrheit angenommen worden.
Ich hole mir eben das Einverständnis des Parlaments dafür, daß wir vor Beginn der Fragestunde noch die Punkte abhandeln, die hier ohne Debatte zu behandeln sind, und noch eine Reihe von Abstimmungen vornehmen.Ich rufe den Punkt 5 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jaunich, Frau Fuchs , Frau Schmidt (Nürnberg), Egert, Hauck, Delorme, Gilges, Müller (Düsseldorf), Sielaff, Witek,Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Beruf der Orthoptistin/des Orthoptisten— Drucksache 10/3163 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 10/5370 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Augustin
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/3163 abzulehnen.Ich rufe die §§ 1 bis 12, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt — mit einer knappen Mehrheit, muß man feststellen.
Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.Ich rufe den Punkt 6 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 2. März 1983 zur Änderung des Übereinkommens zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen durch Schiffe und Luftfahrzeuge— Drucksache 10/3647 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 10/5613 —Berichterstatter: Abgeordneter Buckpesch
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen ist das Gesetz angenommen.Es ist noch über eine Entschließung abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/5613 unter Nr. 2 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist die Entschließung angenommen.
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18010 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Vizepräsident WestphalIch rufe die Punkte 7 bis 14 der Tagesordnung auf:7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 11. April 1984 zur Änderung des Anhangs zur Satzung der Europäischen Schule— Drucksache 10/5705 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Bildung und Wissenschaft8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Einunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes
— Drucksache 10/5862 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Haushaltsausschuß9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung statistischer Rechtsvorschriften
— Drucksache 10/5964 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung und anderer sozialrechtlicher Vorschriften
— Drucksache 10/5957 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Ausprägung von Scheidemünzen— Drucksache 10/5861 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. April 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen— Drucksache 10/5974 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Fahrpersonalgesetzes— Drucksache 10/5975 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Futtermittelgesetzes— Drucksache 10/5959 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und GesundheitEine Aussprache ist nicht vorgesehen.Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/5705, 10/5862, 10/5964, 10/5957, 10/5861, 10/5974, 10/5975 und 10/5959 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 bis 17 auf:15. Beratung des Antrags der Abgeordneten Tatge, Senfft und der Fraktion DIE GRÜNENBeteiligung der Deutschen Bundesbahn an der Finanzierung des Nahverkehrsverbundes Rhein-Neckar— Drucksache 10/5179 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr Haushaltsausschuß16. Beratung des Antrags des Abgeordneten Vogel und der Fraktion DIE GRÜNENSteuerliche Abzugsfähigkeit von Zuwendungen an gemeinnützige Einrichtungen zur Förderung des Naturschutzes, des Umweltschutzes und der Gleichberechtigung von Männern und Frauen— Drucksache 10/5799 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
InnenausschußAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit17. Beratung des Antrags des Abgeordneten Senfft und der Fraktion DIE GRÜNENErhalt der Bundesbahnstrecke Lauffen am Neckar- Leonbronn— Drucksache 10/5952 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für VerkehrEine Aussprache ist nicht vorgesehen.Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Anträge auf den Drucksachen 10/5179, 10/5799 und
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Vizepräsident Westphal10/5952 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 und 20 auf:19. Beratung des Antrags des Bundesministers der FinanzenEinwilligung in die Veräußerung der bundeseigenen Liegenschaften in Frankfurt/ Main, Gallusanlage 2/Münchener Straße 4 bis 6, gemäß § 64 Abs. 2 BHO— Drucksache 10/5967 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß20. Beratung des Antrags des Bundesministers der FinanzenEinwilligung in die Veräußerung von bundeseigenen Grundstücken in Berlin-Tiergarten gemäß § 64 Abs. 2 BHO— Drucksache 10/5736 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: HaushaltsausschußEine Aussprache ist nicht vorgesehen.Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Anträge auf den Drucksachen 10/5967 und 10/5736 an den Haushaltsausschuß vor. Gibt es andere Wünsche? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der FinanzenEinwilligung in die Veräußerung des bundeseigenen Grundstücks in Helsinki, Kaivopuisto/Östra Brunnsparken Nr. 8, gemäß § 64 Abs. 2 BHO— Drucksachen 10/5546, 10/5783 —Berichterstatter:Abgeordnete Wieczorek Roth (Gießen)SuhrEine Aussprache ist nicht vorgesehen.Der Ausschuß empfiehlt, der Veräußerung zuzustimmen. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/5783 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:a) Beratung der Sammelübersicht 159 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/5988 — Beratung der Sammelübersicht 160 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/5989 —w) Beratung der Sammelübersicht 161 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/5990 —x) Beratung der Sammelübersicht 162 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/5991 — Eine Aussprache ist auch hier nicht vorgesehen.Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses sind bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen worden.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 2. November 1984 zum Abkommen vom 30. April 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit und zu der Vereinbarung vom 2. November 1984 zur Durchführung des Abkommens— Drucksache 10/6023 —Übe rweisungsvorschlag:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Auwärtiger AusschußEine Aussprache ist nicht vorgesehen.Es wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/6023 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es da anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Meine Damen und Herren, nun steht hier das schöne Wort „Mittagspause". Diese kann ich Ihnen leider nicht gönnen, mir auch nicht. Ich übergebe an Herrn Kollegen Cronenberg, der dann die Fragestunde leiten wird.
Meine Damen und Herren, wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung:Fragestunde— Drucksache 10/6029 —Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung steht uns der Staatssekretär Dr. Wagner zur Verfügung.Die Frage 79 des Abgeordneten Stiegler wird nicht mündlich beantwortet, sondern auf dessen Wunsch hin schriftlich. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
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18012 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Vizepräsident CronenbergIch rufe die Frage 80 des Abgeordneten Bindig auf:Kann die Bundesregierung darlegen, wie bei der Abwicklung von Vorhaben nach dem „Rhein-Bodensee-Programm — Programm für Zukunftsinvestitionen" jeweils in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Baden-Württemberg und Bayern in den Fällen verfahren worden ist, bei denen ein Vorhaben einerseits mit regulären Landesfördermitteln nach den jeweiligen Richtlinien zum Bau von Abwasseranlagen gefördert wurde und dasselbe Projekt andererseits auch mit Mitteln aus dem Zukunftsinvestitionsprogramm gefördert werden sollte, hatten dann die Bundesländer besondere ZIP-Programm-Mittel zu erbringen, so daß eine höhere Gesamtförderung entstand?Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den Bestimmungen des RheinBodensee-Programms im Rahmen des Programms für Zukunftsinvestitionen 1977 bis 1980/81 wurden Bundesmittel nur für Vorhaben eingesetzt, die am 23. März 1977 weder veranschlagt noch begonnen waren und die ohne dieses Programm aus finanziellen Gründen nicht oder später in Angriff genommen worden wären . Die Gewährung der Bundesmittel war dabei davon abhängig, daß das betroffene Bundesland aus dem gemeinsamen Programm für Zukunftsinvestitionen Mittel in gleicher Höhe wie der Bund aufbrachte. Eine bereits vorgesehene Veranschlagung regulärer Landesfördermittel schloß eine Förderung der jeweiligen Maßnahme oder Teilmaßnahme nach dem Programm für Zukunftsinvestitionen aus.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Bindig.
Herr Staatssekretär, es hat aber nun in den verschiedenen Bundesländern Fälle gegeben, wo bestimmte Maßnahmen bereits in ganz erheblichem Umfange auch aus Landesmitteln unterstützt worden sind und dann noch zusätzlich aus diesen ZIP-Mitteln unterstützt worden sind. Ist das denn dann alles nicht im Einklang mit den Richtlinien gewesen?
Herr Staatssekretär.
Dr. Wagner, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, nach unseren Erkenntnissen sind sämtliche Fördermaßnahmen in Übereinstimmung mit den Förderrichtlinien abgelaufen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, ich muß noch einmal nachbohren. Sie haben gesagt: Wenn Landesmittel bereits für die Förderung eines Projekts zur Verfügung standen, konnte es nicht noch aus dem ZIP gefördert werden. Es gibt aber eine Fülle von solchen Vorhaben. Es war geradezu die Regel, daß dort Zuschüsse aus Landesmitteln gewährt worden sind und aufsattelnd aus dem ZIP. Ist denn dieses in allen Bundesländern dann regelwidrig gemacht worden?
Dr. Wagner, Staatssekretär: Ich darf wiederholen, Herr Abgeordneter, daß nach unseren Erkenntnissen richtliniengemäß gefördert worden ist. Ich darf allerdings darauf hinweisen, daß nach diesen Richtlinien auch Komplementärmittel der Länder vorgesehen waren.
Danke schön. Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht.
Dann rufe ich die Frage 81 des Abgeordneten Bindig auf:
Konnten sie einen Teil der Beträge, die sie ohnehin aus Landesmitteln zu erbringen hatten, beim Bund als ZIP-Mittel deklarieren und ihre Landesanteile um den Bundesanteil aus dem ZIP-Programm kürzen, so daß sich keine höhere Gesamtförderung ergab?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Wagner, Staatssekretär: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ziel des Programms für Zukunftsinvestitionen war es, kurzfristig zusätzliche Investitionen auch im Bereich des Umweltschutzes auszulösen. Beim Abschluß des Verwaltungsabkommens mit den Ländern zum Rhein-Bodensee-Programm nahm es die damalige Bundesregierung in Kauf, daß auf Grund der hinzutretenden Bundesförderung von seiten der Länder ab 1978 geringere Fördermittel in ihren Haushalten veranschlagt werden konnten. Darüber, ob und inwieweit von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde, liegen der Bundesregierung keine Informationen vor.
Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, ist es denn der Bundesregierung vollkommen gleichgültig, wie die Länder damit verfahren sind? Da sind riesige Millionensummen umgesetzt worden. Sie sagen, es liegen ihr keine Erkenntnisse vor. Ist denn die Bundesregierung bereit, sich darüber einfach mal sachkundig zu machen, was mit ihren vielen Millionen geschehen ist?
Dr. Wagner, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich sagte bereits, daß die Bundesregierung nach wie vor davon ausgehen kann, daß diese Mittel auch richtliniengemäß verausgabt worden sind. Insoweit gibt es auch keinerlei Anlaß zu Zweifeln im Hinblick auf die uns vorliegenden Unterlagen der Länder.
Ihnen steht eine weitere Zusatzfrage zu, bitte.
Herr Staatssekretär, ich habe einen Widerspruch zwischen der Beantwortung der ersten und der zweiten Frage festgestellt. Sie sagten bei Ihrer ersten Beantwortung, es sei nicht möglich gewesen, daß dort die Länder noch Landesanteile aus allgemeinen Landesfördermitteln einbringen; bei der Beantwortung der zweiten Frage haben Sie aber gesagt, daß solche Landesanteile durchaus verrechnet werden können. Was ist denn nun richtig, das, was Sie bei der Beantwortung der Frage 80 gesagt haben, oder das, was Sie bei der Beantwortung der Frage 81 gesagt haben?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 18013
Dr. Wagner, Staatssekretär: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter! Ich sehe in meinen beiden Antworten zu diesen beiden Anfragen von Ihnen keinen Widerspruch. Ich habe lediglich darauf hingewiesen, daß richtliniengemäß auch die Länder Komplementärmittel, und zwar in der gleichen Größenordnung wie der Bund, einzubringen hatten.Im übrigen, Herr Abgeordneter, darf ich darauf hinweisen, daß wir die diesbezüglichen schriftlichen Fragen vom 15. Juli und vom 14. August, die Sie bei uns eingereicht haben, Ihnen auch ausführlich beantwortet haben.
Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit abgeschlossen. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Staatssekretär.
Der Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes braucht hier nicht behandelt zu werden, da der Fragesteller Zander für die Fragen 3 und 4 um schriftliche Beantwortung gebeten hat, so daß ich den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen aufrufen kann.
Zur Beantwortung steht uns Herr Staatsminister Möllemann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten de With auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung die Beratung und Beschlußfassung zur „Europäischen Akte" am 17. September 1986 von der Tagesordnung der Kabinettsitzung wieder absetzen mußte, weil sie es versäumt hatte, mit den Ländern und innerhalb der Koalition rechtzeitig Koordinierungen vorzunehmen?
Herr Staatsminister, bitte.
Herr Kollege de With, Ihre Annahme, die Bundesregierung habe etwas versäumt, trifft nicht zu; diese Bundesregierung versäumt überhaupt nichts.
Sie arbeitet vielmehr seit dem Beschluß des Bundesrates vom 16. Mai 1986, der die Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Einheitlichen Europäischen Akte enthält, intensiv an ihrer Gegenäußerung hierzu. Sie läßt sich dabei von drei Grundgedanken leiten.
Erstens. Die Vorschläge des Bundesrates, wie das Verfahren der Beteiligung der Länder in bestimmten Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaft verbessert werden kann, verdienen es, sorgfältig geprüft zu werden. Die Bundesregierung nimmt die bundesstaatliche Ordnung in unserem Land ernst.
Zweitens. Wenn das 1979 zwischen Bund und Ländern vereinbarte Verfahren verbessert werden soll, so muß das Ergebnis — und dafür werden Sie besonderes Verständnis haben — rechtlich einwandfrei sein, und es darf die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung nicht behindern; sonst würden wir den deutschen Interessen insgesamt schaden.
Drittens. Die Bundesregierung möchte in ihrer Gegenäußerung einen Weg aufzeigen, der es Bundestag und Bundesrat möglich macht, zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Die Bundesregierung hat ja das Vertragsgesetz als zustimmungsbedürftiges Gesetz eingebracht. Eine Regelung, die sich Bundestag wie Bundesrat gleichermaßen zu eigen machen können, kann am ehesten das weitere Gesetzgebungsverfahren beschleunigen.
Aus all diesen Gründen hält es die Bundesregierung für schädlich, nun vorschnell zu handeln. Der Beschluß des Bundesrates vom 16. Mai ist mit den Stimmen von Ländern zustande gekommen, in denen alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien die eine oder die andere Regierung stellen. Ich rechne daher auf das Verständnis dieser selben Parteien und Fraktionen in diesem Hohen Haus, daß die Bundesregierung um sorgfältige Arbeit und Konsens bemüht ist. Beides braucht eben Zeit.
Dem Briefwechsel — und das belegt das — zwischen Bundeskanzler Schmidt und Ministerpräsident Rau von 1979 zum gleichen Thema sind fast zwei Jahre Verhandlungen vorausgegangen. Die jetzige Bundesregierung wird ihre Gegenäußerung wesentlich schneller fertigstellen.
Ich nehme an, Sie wollen eine Zusatzfrage stellen. Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, sind Sie wenigstens bereit, trotz Ihrer voluminösen Erklärungen einzuräumen, daß die Bundesregierung dieses Parlament in allerhöchste Bedrängnis bringt, nachdem sie zugestanden hat, daß die Akte ab 1. Januar 1987 in Kraft treten soll, dieses Parlament aber bis heute keine Vorlage von ihr hat und nach den Ausschüssen noch der Bundesrat Stellung nehmen muß?
Möllemann, Staatsminister: Nein, ich bin nicht dazu bereit, das einzuräumen, Herr Kollege. Ich möchte darauf hinweisen, daß nach der Abstimmung mit den Ländern nach unserer Überzeugung hinreichend Zeit sein wird, um die Fragen, die dann noch offen sind oder die das Parlament als offen betrachtet, zu behandeln.
Zusatzfrage.
Können Sie diesem Hohen Hause wenigsten sagen, warum Sie diesen Punkt von der Tagesordnung der letzten Kabinettssitzung abgesetzt haben, wissend, daß ja Nachträge durchaus in den Beratungen der Ausschüsse hätten nachgereicht werden können, so daß dann die Bedrängnis dieses Hauses nicht so stark gewesen wäre?
Möllemann, Staatsminister: Ja, ich kann Ihnen das sagen. Wir waren der Überzeugung, es sei zweckmäßig, zunächst die noch nicht abgeschlossene Abstimmung mit den Bundesländern herbeizuführen.
Nun eine Zusatzfrage des Abgeordneten Mann. Bitte schön.
Herr Kollege Möllemann, treffen Presseberichte zu, nach denen die Bundesregierung die einzelnen Bundesländer bei dieser Koordina-
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18014 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Manntion und Abstimmung unterschiedlich behandelt, insbesondere daß der Freistaat Bayern und der bayerische Ministerpräsident hier eine Sonderrolle gespielt haben, und gehen Sie davon aus, daß sich nach dem 12. Oktober, nach der bayerischen Landtagswahl, dieses Parlament mit dieser Sache zügig weiter befassen kann?Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Mann, mit den Presseberichten ist das ja so: Die einen schreiben so, die anderen so. In diesem speziellen Fall kann ich Ihnen sagen, daß wir natürlich alle Ministerpräsidenten und Bundesländer gleich behandeln. Sie werden j a auch solche Presseberichte gelesen haben, die in einem ganz bestimmten Zusammenhang ausführlich dargestellt haben, wie etwa mit dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen über dieses Thema gesprochen worden ist. Das wurde zwar in einen anderen Zusammenhang gebracht, in einen unzutreffenden; aber immerhin, bei dieser Gelegenheit wurde dieser Sachverhalt dargestellt.
Danke schön. Ich rufe nunmehr die Frage 9 des Abgeordneten Dr. de With auf:
Ist der Bundesregierung bewußt, daß sie durch diese ihre Verzögerungen — die „Europäische Akte" soll am 1. Januar 1987 in Kraft treten — die europäischen Einigungsbestrebungen erheblich belastet?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege de With, schon Ihre Annahme, die Bundesregierung verzögere etwas, trifft, wie ich eben sagte, nicht zu. Im übrigen hat in fünf Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften, nämlich Frankreich, Irland, den Niederlanden, Portugal und Spanien, das parlamentarische Zustimmungsverfahren zur Einheitlichen Europäischen Akte ebenfalls noch nicht begonnen. Dennoch rechnen die Regierungen auch dieser Staaten ebenso wie die Bundesregierung damit, daß das Ratifizierungsverfahren Ende dieses Jahres abgeschlossen sein wird.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, meinen Sie, daß es eine gute Ausrede ist, wenn man wegen der eigenen Verzögerungen auf die Verzögerungen anderer Staaten hinweist, wo man sich doch selbst immer gern als zuverlässig darstellt?
Möllemann, Staatsminister: Ich behaupte gar nicht, daß die von mir genannten Staaten es verzögern, sondern wollte damit darauf hinweisen, daß offenbar der Ablauf der Beratungen auch bei befreundeten Ländern, die genauso wie wir am Fortschritt der europäischen Einheit interessiert sind, etwas Zeit erfordert und daß es deswegen nicht Ausdruck mangelnden europäischen Einigungswillens ist, wenn man sich gemeinsam in einem solchen Stadium befindet.
Reicht Ihnen die Auskunft? Oder noch eine Zusatzfrage?
Noch eine Zusatzfrage, wenn es gestattet ist.
Aber selbstverständlich. Es ist Ihr gutes Recht, Herr Abgeordneter.
Danke schön. — Herr Staatsminister, wollen Sie wenigstens einräumen, daß es der Bundesregierung bei guter Beobachtung leicht gewesen wäre, schon im Sommer mit den Ländern zu reden, um herauszufinden, wo die Schwierigkeiten liegen, und daß es dann möglich gewesen wäre, unmittelbar nach der Sommerpause entsprechende Vorlagen diesem Hohen Haus zu unterbreiten, daß die Bundesregierung dies aber versäumt hat?
Möllemann, Staatsminister: Nein, wir haben das nicht versäumt, sondern wir haben pflichtgemäß gehandelt.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht.
Dann rufe ich die Frage 10 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Hat die Bundesregierung von dem Interview des Botschafters der Volksrepublik Polen in der Bundesrepublik Deutschland Kenntnis genommen und die falsche Behauptung „In Polen gibt es keine deutsche Minderheit" zurückgewiesen?
Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Dr. Hupka, dem Botschafter der Volksrepublik Polen ist der Standpunkt der Bundesregierung in verschiedenen Gesprächen auch im Hinblick auf das von Ihnen zitierte Interview ausführlich nahegebracht worden. Darüber hinaus hat die Bundesregierung nicht nur gegenüber dem Botschafter der Volksrepublik Polen, sondern auch bei anderen hochrangigen Gesprächskontakten die Regierung der Volksrepublik Polen gedrängt, Rücksicht auf die kulturellen und sprachlichen Wünsche der in der Volksrepublik Polen lebenden Deutschen zu nehmen. Dies ist zuletzt auch bei dem Gespräch geschehen, das der Bundesaußenminister am Rande der Vereinten Nationen mit seinem polnischen Amtskollegen hatte.
Zusatzfrage von Herrn Dr. Hupka. Bitte schön.
Herr Staatsminister, wäre es angesichts der Äußerung des polnischen Botschafters in der Öffentlichkeit nicht angebracht gewesen, dies auch in der Öffentlichkeit zurückzuweisen?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, wir stehen ja des öfteren vor der Situation, daß sich Botschafter von Ländern, die hier akkreditiert sind, öffentlich äußern, nicht immer so, daß wir mit deren Äußerung übereinstimmen. Wir haben da eine sehr zurückhaltende Praxis bei der öffentlichen Stellungnahme dazu. Aber ich bin sicher, daß spätestens die Aussage hier in dieser öffentlichen Sitzung Anlaß auch für die Berichterstattung in den Medien sein kann.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 18015
Herr Staatsminister, können Sie mir darin zustimmen, daß es eine Beleidigung der Deutschen ist, die ausreisen wollen und einen entsprechenden Antrag gestellt haben, wenn der polnische Botschafter hier behauptet, es gebe überhaupt nur noch Ausreisewünsche von angeblichen Deutschen aus ökonomischen Gründen, andere Gründe gebe es nicht?
Möllemann, Staatsminister: Der Sachverhalt der Beleidigung ist für mich nicht das Interessante. Interessant ist aus unserer Sicht im Augenblick, daß der Sachverhalt, der hier behauptet worden ist, nicht gegeben ist. Die Aussage des Botschafters trifft nicht zu.
Nunmehr rufe ich die Frage 11 des Abgeordneten Dr. Hupka auf.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß seit kurzem die deutschen Aussiedler aus Rumänien erst nach Zahlung einer hohen Summe aus der rumänischen Staatsangehörigkeit entlassen werden, und was gedenkt sie dagegen zu tun?
Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Dr. Hupka, der Bundesregierung ist bekannt, daß Aussiedlungsbewerber in Rumänien seit kurzem nicht mehr durch einen genehmigungspflichtigen Verzicht auf die rumänische Staatsbürgerschaft aus dieser entlassen werden. Bekannt ist auch, daß den Aussiedlern empfohlen wird, das Entlassungsverfahren nach der Aufnahme in der Bundesrepublik Deutschland über die rumänische Botschaft in Bonn einzuleiten oder fortzuführen.
Die Auswirkungen dieser Neuregelung, die der Regelung der Sowjetunion und Polens entspricht, werden von uns noch geprüft. Diese Prüfung erstreckt sich auch auf die Frage, ob die Verlagerung des Entlassungsverfahrens in das Ausland, wie behauptet, stauauflösend wirkt, also frühere und vermehrte Ausreisen ermöglicht; wenn es dazu käme, wäre das j a positiv.
Die Zahlung einer Verwaltungsgebühr für die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit ist international üblich. Die rumänische Gebühr ist allerdings im Inland mit 3 000 Lei und im Ausland mit 820 DM relativ hoch.
Zusatzfrage? — Bitte schön.
Herr Staatsminister, ist es für diejenigen, die ausreisen wollen und nachher die Erlaubnis erhalten haben, nicht sehr bedrükkend, daß sie hier dann gleich über 800 DM zahlen müssen, obwohl sie selber kaum Geld in der Tasche haben, und das nur, um aus der rumänischen Staatsangehörigkeit entlassen zu werden?
Möllemann, Staatsminister: Sicher ist es das. Ich würde mir eine Situation wünschen, in der Staaten auf solche Maßnahmen verzichteten. Aber unsere Möglichkeiten, das herbeizuführen, sind begrenzt.
Bitte sehr, Herr Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, Sie haben sich auf Prüfungen bezogen, die durchgeführt werden, seitdem das bekanntgeworden ist. Soweit ich weiß, ist das seit Mai bekannt. Ist da einmal in der Richtung verhandelt worden, daß die Rumänen zu ihrer alten Praxis zurückkehren, weil unsere aussiedlungswilligen Deutschen aus Siebenbürgen und dem Banat auf diese Weise dreimal zur Kasse gebeten werden: durch Steuergelder der Bundesregierung, durch Schmiergelder und jetzt neuerdings auch noch dadurch, daß sie hier dafür zahlen müssen, daß sie endlich aus der rumänischen Staatsangehörigkeit entlassen werden können?
Möllemann, Staatsminister: Herr Dr. Hupka, Sie wissen aus früheren Behandlungen dieses Themas, daß wir einen Teil der von Ihnen angesprochenen Aspekte im bilateralen Verkehr mit den Rumänen bereits behandelt haben. Es hat ja zwischendurch, z. B. im Blick auf die Schmiergeldzahlungen auch Fortschritte gegeben. Aber ich räume ein, daß die Situation nach wie vor unbefriedigend ist. Sobald also die Prüfung der verschiedenen Auswirkungen, von denen ich gesprochen habe, abgeschlossen sein wird, kann ich Ihnen dann weiter berichten, was wir unternehmen werden.
Damit schließe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen ab. Wir bedanken uns, Herr Staatsminister Möllemann.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 65 des Abgeordneten Kißlinger auf:
Besteht aus der Sicht der Bundesregierung die Möglichkeit zur Verbesserung der Anbindung des ostbayerischen Raumes an das Intercity-Netz der Deutschen Bundesbahn durch Ausdehnung der IC-Verbindungen bis nach Passau, oder ist es nicht zumindest möglich, die Linie WürzburgNürnberg-Regensburg-Landshut-München in die IC-Strekkenführung miteinzubeziehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, im Zusammenhang mit der Inbetriebnahme der Neu- und Ausbaustrecken Anfang der 90er Jahre plant die Deutsche Bundesbahn eine Neuordnung des SchienenPersonenfernverkehrs. Ziel dieser Neuordnung ist ein wesentlich verbessertes Leistungsangebot. Die Überlegungen der DB beinhalten auch die Einbeziehung des ostbayerischen Raumes in das IC-Netz. Konkrete Einzelangaben sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht möglich.
Eine Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß die Bundesbahn plant, den Schwerpunkt der Verbindung Frankfurt-Wien umzulegen über München-Freilassing-Linz?Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen dazu nichts sagen. Insbesondere kann ich diese Meinung oder Information nicht bestätigen. Ich
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18016 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Parl. Staatssekretär Dr. Schultekann umgekehrt sagen, daß die Überlegungen der DB auch eine Führung bis Passau beinhalten.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darf ich das so verstehen, daß dort auch der Stundentakt, wie er beim IC-Verkehr üblich ist, eingeführt wird?
Dr. Schulte, Pari. Staatssekretär: Wenn eine Entscheidung für den IC-Verkehr bis Passau fällt, dann wird dies im üblichen Rahmen stattfinden.
Danke schön.
Dann rufe ich die Frage 66 des Abgeordneten Dörflinger auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die in der schweizerischen Öffentlichkeit neuerdings wieder verstärkt diskutierten Pläne für den Ausbau des Hochrheins als Schiffahrtsstraße bis in den Raum Waldshut, dabei insbesondere das „generelle Projekt 1983", das gegenüber von Waldshut umfangreiche Hafenanlagen vorsieht?
Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, an der bisherigen Auffassung des Bundes, wonach weder ein verkehrs- noch ein volkswirtschaftliches Bedürfnis für einen Ausbau des Hochrheins als Schiffahrtsstraße bis in den Raum Waldshut besteht, hat sich nichts geändert.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ist die Schweizerische Eidgenossenschaft über diese durchaus begrüßenswerte Auffassung der Bundesregierung informiert?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß der Verkehrswegeplan des Bundes, der im letzten Jahr beschlossen worden ist, auch zur Kenntnis der schweizerischen Bundesregierung gelangt ist.
Eine Zusatzfrage? — Keine.
Dann rufe ich die Frage 67 des Abgeordneten Dörflinger auf:
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, daß es aus deutscher Sicht keinen Handlungsbedarf gibt und der Ausbau von Schiene und Straße für absehbare Zeit Vorrang hat?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann die Antwort ganz kurz fassen: Für eine Schiffbarmachung des Hochrheins besteht aus der Sicht des Bundes kein Handlungsbedarf.
Eine Zusatzfrage.
Zur Bekräftigung darf ich nachfragen, ob aus diesen Gründen auch nicht beabsichtigt ist, daß die Bundesregierung in irgendeiner Form und in irgendeiner absehbaren Zeit von sich aus initiativ wird.
Dr. Schulte, Pari. Staatssekretär: Sie sehen das genau richtig.
Dann rufe ich die Frage 68 des Abgeordneten Kohn auf:
Welche finanziellen Auswirkungen erwartet die Bundesregierung von der derzeit in Beratung befindlichen Überarbeitung der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Fortschreibung der Anforderungen an Bau, Ausrüstung und Betriebsweise der Eisenbahnen erfolgt nach den Erfordernissen der Sicherheit, nach den neuesten Erkenntnissen der Technik und unter Berücksichtigung der internationalen Abmachungen für einheitliche technische Regeln. Der Stand der Beratungen über die Novellierung der EisenbahnBau- und Betriebsordnung läßt derzeit noch keine Aussage über die Höhe der finanziellen Auswirkungen zu.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kohn, bitte schön.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung nicht bekannt, daß im Rahmen der Beratungen auch im Hause der Deutschen Bundesbahn Vorstellungen existieren, in welcher Größenordnung eine Entlastung des Haushalts der Bundesbahn durch eine Novellierung der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung hergestellt werden könnte?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Deutsche Bundesbahn eine sogenannte Wertanalyse vorgenommen hat. Die Bundesregierung kann aber die Ansicht der Deutschen Bundesbahn nicht teilen. Es werden hier Einsparungsmöglichkeiten genannt, die die Bundesbahn selber schon lange hätte in Angriff nehmen können, ohne daß diese Ordnung geändert werden müßte. Wenn Sie allerdings andere Erkenntnisse haben, dann wäre ich dankbar, wenn Sie mir dieselben mitteilen würden.
Keine weitere Zusatzfrage? — Dann rufe ich die Frage 69 des Abgeordneten Toetemeyer auf:Sind der Bundesregierung Klagen von Anwohnern von Rangierbahnhöfen der Deutschen Bundesbahn über unzumutbare Lärmbelästigung — auch nach 22 Uhr — bekannt, und wie beurteilt sie unbefriedigende Stellungnahmen des Bundesbahnvorstandes zur Minderung von Geräuschimmissionen?Herr Staatssekretär.Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Bundesregierung sind Beschwerden von Anwohnern über Lärmbelästigungen an einzelnen Rangierbahnhöfen der Deutschen Bundesbahn bekannt. Sie geht davon aus, daß Stellungnahmen des Vorstandes der DB zu diesen Fragen der Rechtslage entsprechen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 18017
Herr Abgeordneter Toetemeyer, Sie wünschen eine Zusatzfrage. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen in dem konkreten Fall des Rangierbahnhofs HagenVorhalle bekannt, daß durch Konzentration des Rangierbetriebes auf diesen Rangierbahnhof inzwischen 3 000 benachbarte Bürger nicht mehr bei geöffnetem Fenster schlafen können, und halten Sie den Hinweis der Deutschen Bundesbahn auf Einbau neuer Gleisbremsen im Jahre 1989 für eine befriedigende Antwort auf die berechtigten Sorgen der Anwohner?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, mir persönlich ist weder die Belästigung auf dem von Ihnen genannten Bahnhof bekannt noch die weitere Entwicklung, insbesondere, wie viele Bürger beeinträchtigt sind. Es ist denkbar, daß dies alles zum Herrschaftswissen der Beamten des Bundesverkehrsministeriums gehört. Ich wäre in der Lage, dem nachzugehen, wenn Sie in der Zukunft in Ihren Fragen den Rangierbahnhof nennen würden und vielleicht auch dazu sagen könnten, wie sich die Deutsche Bundesbahn in ihren Antwortschreiben geäußert hat.
Vielleicht kleiden Sie das in Ihre nächste Zusatzfrage?
Herr Präsident, dies ist leider nach der Geschäftsordnung nicht möglich.
Die Geschicklichkeit wird es Ihnen wohl ermöglichen.
Das war schon geschickt genug. Ich hatte so viel Voraussicht beim Bundesverkehrsminister vorausgesetzt, daß er sich denken könnte, daß ein Wahlkreisabgeordneter bei einer allgemeinen Frage einen speziellen Fall meint. Dies ist leider nicht der Fall.
Ich komme zu meiner zweiten Frage. Vizepräsident Cronenberg: Sehr wohl.
Herr Staatssekretär, würden Sie meine Auffassung teilen, daß dieser spezielle Rangierbahnhof nicht anders als etwa der benachbarte Rangierbahnhof in Wuppertal-Barmen behandelt werden sollte, wo aus den gleichen Gründen inzwischen eine Lärmschutzwand erstellt worden ist?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich prüfe diese Frage gerne nach. Ich bitte eines zu bedenken: Auch die Deutsche Bundesbahn macht einen Unterschied bei der Anlage neuer Rangierbahnhöfe oder bei der wesentlichen Änderung von Rangierbahnhöfen einerseits und der Ordnung auf bestehenden Rangierbahnhöfen andererseits. Ich glaube, dies muß bedacht werden.
Durch Ihre zweite Frage wissen wir wenigstens, um welchen es sich gehandelt hat.
Herr Präsident, ich bin sehr dankbar, daß Sie es erfaßt haben.
Ich rufe nunmehr die Frage 70 des Abgeordneten Toetemeyer auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß § 41 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes nach wie vor für die Deutsche Bundesbahn Rechtsgültigkeit hat, und warum ist die in § 43 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vorgesehene Rechtsverordnung durch die Bundesregierung noch immer nicht ergangen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, § 41 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ist auch beim Bau oder bei der wesentlichen Änderung von Strecken der Deutschen Bundesbahn anzuwenden. Ich habe vorher in der Antwort auf Ihre Zusatzfrage bereits gesagt, daß eine solche Abgrenzung existiert.
Die Bundesregierung sieht jedoch zur Zeit keine Notwendigkeit, die Immissionsgrenzwerte für den Lärmschutz beim Bau oder bei der wesentlichen Änderung von Verkehrswegen gesetzlich festzulegen. Es ist sichergestellt, daß beim Verkehrswegebau in keinem Fall höhere Immissionsgrenzwerte als die des Entwurfs eines Verkehrslärmschutzgesetzes zugrunde gelegt werden, den der Deutsche Bundestag im Jahre 1980 beraten hatte. Vielmehr wird auf Grund der Richtlinien für den Verkehrslärmschutz an Bundesfernstraßen aus dem Jahre 1983, die insoweit auch für den Bau und die wesentliche Änderung von Schienenwegen angewendet werden, der jeweilige Lärmgrenzwert zugrunde gelegt, den der Deutsche Bundestag bei den Beratungen des Gesetzentwurfes festgelegt hatte.
Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Staatssekretär — hier spreche ich Sie auch als Kollegen an —, teilen Sie meine Auffassung, daß es nicht das richtige Parlamentsverständnis ist, wenn ein vom Gesetzgeber verabschiedetes Gesetz, das ausdrücklich vorsieht, daß durch eine Rechtsverordnung die Einzelheiten geregelt werden, von der Bundesregierung nicht befolgt wird?Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich sehe überhaupt nicht, daß von der Bundesregierung etwas, was gesetzlich gefordert ist, nicht eingehalten wird. Es gibt im übrigen eine Reihe von Gesetzen, in denen vorgesehen ist, daß eine Verordnung erlassen werden kann, wo dies auch nicht geschehen ist.Wenn Sie ganz konkret den Schutz von Bürgern ansprechen: Ich habe Ihnen ja gesagt, daß wir beim Bau von neuen Verkehrswegen mit Richtlinien arbeiten. Diese Richtlinien gelten zunächst einmal für Straßen, werden aber entsprechend beim Bau oder bei der wesentlichen Änderung von Schienenwegen ebenfalls zugrunde gelegt. Der Vorteil für die Bürger besteht darin, daß in einem konkreten Einzelfall zu ihren Gunsten von diesen Richtlinien abgewichen werden kann, was beim Gesetz so nicht möglich wäre.
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18018 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Ihre letzte Zusatzfrage.
Letzte Frage: Herr Staatssekretär, sind Sie also nach wie vor der Auffassung, daß die Bundesregierung die in § 43 des von mir zitierten Gesetzes vorgesehene Rechtsverordnung — nach meiner Information keine Kann-Bestimmung — in Zukunft nicht erläßt und auch nicht beabsichtigt, dies zu tun?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nachdem Sie mich vorher bereits nach meinem Parlamentsverständnis gefragt haben: Es gab ja einen Antrag Ihrer Fraktion zu den Fragen des Lärmschutzes. Dieser Antrag wurde im Parlament beraten. Der Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages hat z. B. entschieden, daß eine Verordnung nicht erlassen werden soll. Im übrigen heißt es im § 43 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, den Sie vorher angezogen haben: „Die Bundesregierung wird ermächtigt". Die Bundesregierung hat von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch gemacht, sondern hat statt dessen Richtlinien zugunsten der Bürger erlassen.
Dann rufe ich die Frage 71 der Abgeordneten Frau Weyel auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele Überstunden vom Personal im Betriebsdienst der Deutschen Bundesbahn vom Jahr 1982 bis jetzt ohne Ausgleich geleistet wurden und wie hoch die Urlaubsrückstände sind?
Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, der Bundesregierung ist bekannt, daß bei der Deutschen Bundesbahn die auf Grund ihrer Eigenart als Verkehrsunternehmen regelmäßig anfallenden Mehrleistungen seit 1982 ausnahmslos ausgeglichen worden sind. Nach Auskunft der Deutschen Bundesbahn sind z. B. von den 1985 angefallenen Mehrleistungen 1,2 % durch Bezahlung abgegolten worden. Alle übrigen Mehrleistungen wurden durch Freizeitgewährung innerhalb eines Zeitraums von etwa drei Monaten ausgeglichen.
Ab September 1986 haben keine Rückstände aus dem Urlaubsjahr 1985/86 mehr bestanden.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete, bitte schön.
Herr Staatssekretär, halten Sie es unter diesen Umständen für eine außergewöhnliche Ausnahme, daß in einem Bereich, in dem 30 Bedienstete im Betriebsdienst arbeiten, in diesem Jahr, also 1986, schon mehr Überstunden angefallen sind, als zwei Arbeitskräfte an Arbeitszeit abzuleisten gehabt hätten? Ist Ihnen bekannt, daß diese Überstunden auch in diesem Jahr — soweit absehbar ist — nicht ausgeglichen werden können?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich mache Ihnen den Vorschlag, daß Sie mir den Fall nachher konkret nennen. Ich gehe dieser Frage nach.
Mir ist bekannt, daß es räumliche Engpässe gegeben hat. Mir ist auch bekannt, daß es in bestimmten
Betriebsarten das gleiche gegeben hat. Allerdings sagt die Deutsche Bundesbahn, daß ab September 1986 — wir haben noch den September — keine Rückstände mehr aus dem Urlaubsjahr 1985/86 bestehen. An dieser Aussage muß ich nach wie vor festhalten.
Weitere Zusatzfrage zu diesem Punkt.
Soweit mir bekannt ist, gibt es ein Urlaubsjahr 1985/86 nicht.
Aber meine Frage geht dahin: Ist der Bundesregierung bekannt, daß im Hinblick auf vorgesehene Umstrukturierungsmaßnahmen in manchen Dienstbereichen das Durchschnittsalter der Beschäftigten sehr hoch liegt — es kommt nahe an 50 Jahre heran — und in solchen Dienststellen die Mitarbeiter wieder arbeiten, obwohl sie krankgeschrieben sind, weil sie sagen, daß sie ihren Kollegen diese zusätzlich anfallende Arbeit einfach nicht mehr zumuten können?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, hier muß ich um dasselbe bitten wie vorher: Sie müßten mir diese Fälle nennen. Hier sind ja möglicherweise auch Fragen angesprochen, die über eine Schreibtischtätigkeit weit hinausgehen und deswegen den Bundesminister für Verkehr besonders interessieren müssen.
Dann rufe ich die Frage 72 der Abgeordneten Frau Weyel auf:
Wie viele Bedienstete der Deutschen Bundesbahn konnten wegen dienstlicher Beanspruchung in diesem Jahr nicht an den vorgeschriebenen Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Nach Mitteilung der Deutschen Bundesbahn, Frau Kollegin, besucht das Personal die ganzjährig angebotenen Fortbildungsveranstaltungen überwiegend in den verkehrsschwachen Herbstmonaten. Eine Aussage über den derzeitigen Stand im Jahre 1986 ist noch nicht möglich, weil die Verteilung des Veranstaltungsbesuchs auf das Kalenderjahr erst am Jahresende überprüft wird. Die Deutsche Bundesbahn rechnet aber mit einem normalen Ablauf auch in diesem Jahr.
Eine Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für möglich, daß, wenn die Bediensteten diese Fortbildungsmaßnahmen nicht wahrnehmen können — einen konkreten Fall werde ich Ihnen später berichten —, auch Sicherheitsprobleme auftreten könnten?Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich hoffe dies nicht. Vor wenigen Monaten ist eine Behauptung durch die Presse gegangen, die Sicherheit sei nicht gewährleistet. Wir sind dieser Frage in Gesprächen mit dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn nachgegangen. Das Ergebnis war, daß die Sicherheit zu jedem Zeitpunkt gegeben war. Ich hoffe, daß
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Parl. Staatssekretär Dr. Schultehier kein erstmaliger gegenteiliger Fall gegeben ist.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, selbstverständlich.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für möglich, daß Bedienstete, die auf Grund betrieblicher Voraussetzungen dieser Fortbildungspflicht nicht nachkommen können, Nachteile in ihrer beruflichen Laufbahn haben?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Wenn sich Mitarbeiter der Deutschen Bundesbahn schon opfern, um irgendeinem Engpaß im Betriebsdienst entgegenzuwirken, dann hielte ich es nicht für gut, wenn sie deswegen berufliche Nachteile hätten. Ich bin auch gern bereit, Ihnen hierzu etwas Schriftliches zu geben.
Danke schön. Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr abgeschlossen. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Staatssekretär Dr. Schulte.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen.
Ich nehme an, daß mein Kollege Stücklen das Präsidium jetzt übernimmt.
Ich rufe die Frage 82 des Abgeordneten Rusche auf:
Hält die Bundesregierung den Übergang in die Stufe 2 und die damit verbundenen Gebührenerhöhungen bei Btx für zumutbar, obwohl bis zum 30. Juni 1986 lediglich 3 867 Anbieter und 43 594 Teilnehmer angeschlossen waren?
Bitte schön.
Herr Kollege Rusche, die Bundesregierung hält die zum 1. Juli in Kraft getretenen nutzungsabhängigen Gebühren im Bildschirmtextdienst auch bei dem derzeitigen Bestand von 52 000 Anschlüssen nicht nur für zumutbar, sondern wegen der notwendigen qualitativen Weiterentwicklung dieses Dienstes sogar für zwingend erforderlich.
Die bereits seit 1983 bekannten Gebührensätze betreffen im wesentlichen die Btx-Anbieter. Die Gebühren machen nur einen geringen Anteil der Bereitstellungskosten von Btx-Angeboten aus und sind mit etwa 100 DM pro Monat für ein regionales 50-Seiten-Angebot auch für kleinere Unternehmen, so meinen wir, durchaus günstig.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir und den Postkunden einer Meinung, daß es bei einer Prognose von bis zu 2 Millionen Teilnehmern bis 1986 — unter dieser Prognose ist damals diese Gebührenerhöhung beschlossen worden — unredlich ist, wenn bei einer Teilnehmerzahl von — wie Sie sagen — 52 000 Anschlüssen genau dieselbe Gebührenerhöhung getroffen wird wie — wie es ursprünglich vorgesehen war — bei einer Teilnehmerzahl von 2 Millionen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Rusche, Sie wissen so gut wie ich, daß diese Prognose nicht von der Bundesregierung gegeben worden ist, sondern von einem unabhängigen Institut. Sie ist mehrfach auch hier in der Debatte wiederholt worden. Das wissen wir auch. Aber diese Prognose hat bei der Gebührenfestsetzung keine Rolle gespielt, sondern die tatsächlichen Kosten. Ich habe Ihnen gerade gesagt, daß für ein 50-Seiten-Regionalangebot nur ein Preis von praktisch 100 DM entsteht. Da kann man nicht von überhöhten Gebühren reden.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß durch die Verteuerung das Btx-System für Anbieter, vor allem für Kleinanbieter, und auch für private Benutzer zusätzlich zu den bisherigen Anschaffungsgebühren für Decoder usw. noch uninteressanter geworden ist?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bitte um Nachsicht, daß ich Sie korrigieren muß. Die Gebühren sind nicht erhöht worden, sondern die seit 1983 bekannten Gebühren sind zum 1. Juli in Kraft getreten. Das ist ein Unterschied.
Keine weiteren Zusatzfragen? — Dann rufe ich die Frage 83 des Herrn Abgeordneten Paterna auf:
In welchen Zeitschriften wurde die viele Seiten umfassende Werbung „Bundespost, das größte deutsche Unternehmen auf dem Prüfstand ..." in den Sommermonaten eingeheftet, und welche Kosten hat diese Werbeaktion insgesamt verursacht?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich hoffe, daß der Herr Kollege Paterna einverstanden ist, daß ich wegen des Sachzusammenhangs beide Fragen auch gemeinsam beantworte.
Dann rufe ich auch die Frage 84 des Herrn Abgeordneten Paterna auf:Welches Konzept lag dieser gebündelten Werbung für verschiedenartigste Dienstzweige zugrunde, und welche Erfolgskontrolle gibt es für diese Sondermaßnahme?Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, der zwölf Druckseiten umfassende Beitrag „Bundespost, das größte deutsche Unternehmen auf dem Prüfstand ..." ist ausschließlich in der August-Ausgabe der „Südwestdeutschen Illustrierten" veröffentlicht worden. Die Illustrierte wurde im August 1986 in Erstmappen der Lesezirkel-Werbung verbreitet. Die Gesamtkosten für die Deutsche Bundespost betrugen 225 700 DM. Der Beitrag in der „Südwestdeutschen Illustrierten" ist eine PublicRelations-Maßnahme. Sie hat zum Ziel, die Öffentlichkeit über Aufgaben, Unternehmensziele und Dienstleistungen der Deutschen Bundespost zu unterrichten. Dabei kommt es darauf an, die Post als ein modernes, leistungsfähiges, hochtechnisiertes, kundenorientiertes und innovatives Unternehmen darzustellen und auf diese Weise das Ansehen der
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18020 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Parl. Staatssekretär RaweDeutschen Bundespost in der Öffentlichkeit zu verbessern.Der Erfolg einer solchen Maßnahme läßt sich grundsätzlich nicht so einfach quantifizieren wie etwa eine Gebührenänderung, deren Auswirkungen auf den Pfennig genau zu berechnen sind. Inwieweit diese Arbeit des Unternehmens zu einer Imageverbesserung beiträgt, ist nur mittel- oder langfristig durch Meinungsforschung feststellbar. Gute Public Relations sind auf Langzeitwirkung angelegt. Sie sollen auf Dauer Vertrauen und Verständnis zwischen Post und Öffentlichkeit schaffen. Und wir denken, auch dazu trägt diese Maßnahme bei.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, offenbar habe ich in der Sommerpause ein wenig die Übersicht über alle Werbemaßnahmen verloren, die die Post in dieser Art durchführt, und deswegen ein bißchen zu präzise gefragt. Ich habe hier einen Werbeprospekt „Post, Mensch und Technik", der der „Bunten" im Juli beigelegen hat. Das gehört j a in den gleichen Sinnzusammenhang mit dem, was Sie hier gerade erläutert haben. Können Sie zu dieser werblichen Maßnahme, die offenbar in einer Reihe anderer Illustrierten gelaufen ist, einmal ergänzende Informationen geben?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn Sie einverstanden sind, daß ich Ihnen die nachher zustelle, weil ich sie jetzt nicht zur Hand habe, selbstverständlich gern. Da Sie so nett sind und so präzise Fragen stellen, werden Sie mir das nicht verkehrt auslegen wollen.
Eine weitere Zusatzfrage?
Ja. Ich gebe gerne zu, daß hier meine Fragestellung nicht das ganze Spektrum für Sie von vornherein erkennbar abgedeckt hat. Das ist mein Fehler. Sind Sie bereit, in die Beantwortung auch die Frage mit einzubeziehen, ob es gerade unter der von Ihnen genannten Zielsetzung nicht problematisch ist, die Kommunikationstechniken der Deutschen Bundespost als Kommunikationsgesamtunternehmen vorzustellen, dann aber in dieser mir hier vorliegenden Werbemaßnahme von dem gelben Dienst überhaupt nichts zu sagen, sondern ausschließlich auf den Fernmeldebereich abzuheben?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich kann das jetzt nicht präzise beantworten. Aber ich will Ihnen das im einzelnen schriftlich gern zustellen. Wir haben schon früher unterschiedlich agiert, Herr Kollege Paterna. Wir haben auch die sogenannten traditionellen Postdienste ganz bewußt in unsere Marketingwerbung einbezogen. Sie erkennen das sicherlich aus dem einen oder anderen Teil.
Eine weitere Zusatzfrage.
In dem Konzept, Herr Staatssekretär, das Sie uns gerade erläutert haben, kann ich jetzt keinen rechten Zusammenhang finden, wenn eben in dieser werblichen Maßnahme unter anderem eine ganze Seite gefüllt wird — da steht oben links das Symbol „Post" — mit einem Zitat des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung Dr. Norbert Blüm, der sich aber zur Post überhaupt nicht äußert. Können Sie uns vielleicht dazu Aufklärung zuteil werden lassen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Was die Illustrierte außer dem Postbeitrag sonst noch alles aufgenommen hat, lieber Herr Kollege Paterna, das entzieht sich meiner Kenntnis. Denn soviel Mühe habe ich mir mit dem Lesen auch nicht gemacht.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich Sie so verstehen, daß in dieser Werbemaßnahme „Post, Mensch und Technik", wo auf dieser Seite auch das Symbol „Post" ist, dieses eine Eigeninitiative der Illustrierten ist und nicht auf Veranlassung des Ministeriums etwa so eingeheftet wurde?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Mir ist jedenfalls im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bekannt, daß das auf Veranlassung des Bundespostministeriums geschehen ist. Aber ich will diese Frage gern überprüfen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 85 des Herrn Abgeordneten Kißlinger auf:
Wie erklärt die Bundesregierung die Klagen der Fremdenverkehrswirtschaft des Raumes Ostbayern über die lange Zustelldauer von Drucksachen, die über die Deutsche Bundespost versandt werden, und wie gedenkt die Bundesregierung diesen Mißstand zu beheben?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kißlinger, für Briefe, Postkarten und Briefdrucksachen einerseits sind j a nicht die gleichen Laufzeitvorgaben vorgesehen wie bei Drucksachen. Der Bundesregierung sind aus der Fremdenverkehrswirtschaft des Raumes Ostbayern zuletzt vor mehr als einem Jahr, nämlich im Juni 1985, Klagen über Laufzeitverzögerungen bei Drucksachen mit Fremdenverkehrsprospekten von Kurverwaltungen im ostbayerischen Raum bekanntgegeben worden. Wir haben diese untersucht und haben Mängel, die in der organisatorischen Art der Zustellung lagen, abgestellt. Danach sind uns weitere Klagen nicht zu Ohren gekommen. Wenn Sie solche haben, wäre ich Ihnen sehr verbunden, sie mir mitzuteilen. Dann gehe ich dem selbstverständlich gern nach.
Eine Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Heißt das, daß ich Ihnen das Material, das ich bekommen habe, schicken kann, damit Sie mir die Frage schriftlich beantworten?Rawe, Parl. Staatssekretär: In der Tat! Ich wäre an Einzelheiten interessiert, damit ich, wenn wirklich Laufzeitverzögerungen drin sind, sie exakt verfolgen kann. Ich bitte aber nochmals zu berücksichtigen, daß es eben für Drucksachen und für Briefe unterschiedliche Laufzeiten gibt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 18021
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich werde das gerne berücksichtigen. Kann ich noch eine Zusatzfrage stellen?
Eine Zusatzfrage, bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Warum brauchen Drucksachen, die in den Frankfurter Raum kommen, sechs Tage und länger, bis sie verteilt sind, während im Kölner Raum immerhin nach fünf Tagen schon alles abgeschlossen ist.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Das kann man nicht so einfach beantworten, wie Sie es jetzt darstellen, denn häufig hängt es eben auch davon ab, wann sie aufgeliefert werden. Kommen Drucksachen von einer Firma wesentlich nach Dienstschluß, dann kommen sie erst am anderen Tag in den Arbeitsgang. Dann wird es natürlich einen Tag länger dauern. Ich müßte den Fall schon wirklich mit Daten und Auflieferungszeiten kennen. Dann sichere ich Ihnen gerne zu, daß wir ihn sorgfältig untersuchen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Danke schön. Ich werde das überreichen.
Keine weiteren Zusatzfragen? —
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Probst zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 86 des Abgeordneten Herrn Gansel auf:
Wie haben sich die Vorstellungen der Bundesregierung über eine Großforschungseinrichtung für marine Geowissenschaften in den vergangenen Monaten entwickelt angesichts der dramatischen Situation in Schiffbau, Schiffahrt und „maritimer Verbundwirtschaft"?
Herr Kollege Gansel, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung bekräftigt ihre Absicht, die Förderung der Meeresforschung einschließlich der marinen Geowissenschaften zu verstärken, wie dies unter anderem durch den Neubau des Forschungsschiffes „Meteor" sowie die Beteiligungen am Eureka-Projekt „Euromar" und am Nachfolgeprogramm des internationalen Tiefseebohrprojekts „Off-shoredrilling-project" vermittelt wird.
Die Schaffung einer Großforschungseinrichtung für marine Geowissenschaften zeichnet sich derzeit nicht ab. Die insbesondere in Bremerhaven, Hamburg, Hannover und Kiel erfolgreich wirkenden meeresgeowissenschaftlichen Arbeitsgruppen sehen auch nach einer neueren Betrachtung den Schwerpunkt ihrer Forschungen vorrangig in einer kontinuierlich auszubauenden Sacharbeit an ihren derzeitigen Instituten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich, daß im Gegensatz zu der von Ihnen eben behaupteten Haltung z. B. in Kiel sowohl die Landesregierung in Schleswig-Holstein als auch der Magistrat der Stadt Kiel, die Universität Kiel, die Industrie- und Handelskammer Kiel Appelle und Vorschläge an die Bundesregierung zur Gründung eines Großforschungsinstituts „Geomar" gerichtet haben?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist eine vom Bundesminister für Forschung und Technologie allgemein gemachte Erfahrung, daß bei Diskusssionen um einen Standort für eine mögliche größere Forschungseinrichtung sich selbstverständlich lokale Vertreter melden und vorsorglich einen Standort reklamieren. So verstehe ich das.
Eine weitere Zusatzfrage?
Sind Sie bereit, sich dahin gehend zu korrigieren, daß die Stellen in Hannover, Bremen, Hamburg und Kiel, die Sie aufgezählt haben, nicht nur daran interessiert sind, daß ihre bestehenden Einrichtungen ausgebaut werden, sondern daran interessiert sind, daß die Bundesregierung von sich aus eine Initiative ergreift, um ein „Geomar"-Institut an der Küste zu fördern? Ist die Bundesregierung bereit, in Anbetracht der allgemein wirtschaftlich schwierigen Perspektiven an der Küste einen positiven und doch vielleicht sogar optimistisch stimmenden Akzent zu setzen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, zum letzten: selbstverständlich ist die Bundesregierung dazu bereit. Sie hat auch einzelne Aktivitäten hier ergriffen. Es laufen Maßnahmen, und es werden weitere ergriffen. Die Meeresgeowissenschaften sollen verstärkt und ausgebaut werden. Es geht ausschließlich um die Frage, ob das an einer zentralen Großforschungseinrichtung geschehen soll. Es liegt in der Natur der Sache, daß beim Entstehen einer solchen Großforschungseinrichtung ein gewisser personeller Sog in Richtung Großforschungseinrichtung geht und daß die kleineren dann eher einen Nachteil denn einen Vorteil haben. Ich schließe auch nicht aus, daß der eine oder andere Forscher in den genannten Instituten für ein Großforschungsprojekt plädiert. Aber die offiziellen Äußerungen dieser Institute lauten nicht so.
Ich rufe die Frage 87 des Herrn Abgeordneten Gansel auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die Initiativen von Magistrat der Stadt Kiel, Industrie- und Handelskammer Kiel, Universität Kiel und schleswig-holsteinischer Landesregierung für das „Geomar-Institut", und wann wird die Bundesregierung eine Standortentscheidung treffen?Bitte.Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung begrüßt den von der schleswigholsteinischen Landesregierung getragenen Vorschlag zum Ausbau der marinen Geowissenschaften in Kiel. Sie ist grundsätzlich bereit, meeresgeowissenschaftliche Forschungsvorhaben verstärkt in ihre Förderungsüberlegungen einzubeziehen. Eine Entscheidung zugunsten nur eines Standortes ist u. a. wegen der hohen fachlichen Qualität anderer
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18022 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Parl. Staatssekretär Dr. Probstgeowissenschaftlicher Forschungseinrichtungennicht vertretbar.
Zusatzfrage.
Muß ich Ihre Antworten heute so verstehen, daß die Bundesregierung endgültig ihre Pläne für ein Geomar-Großforschungsinstitut zu den Akten gelegt hat?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hat wegen dieser Diskussion um die Frage zentral oder dezentral — und nur darum geht es —, die j a läuft, eine Studie bei der Prognos AG in Auftrag gegeben. Diese Studie wird voraussichtlich Ende Oktober fertig sein. Man wird dann noch einmal alle Gesichtspunkte abwägen und eine Entscheidung treffen.
Zusatzfrage.
In Anbetracht der Tatsache, daß z. B. in Schleswig-Holstein von Land und Stadt Gelder, Grundstücke angeboten, Planungen gemacht worden sind, möchte ich Sie fragen, wann die Bundesregierung zuverlässig eine Entscheidung über ein Großforschungsinstitut Geomar treffen wird.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Nachdem das Gutachten vorliegen und die Bundesregierung den Meinungsbildungsprozeß abgeschlossen haben wird. Es könnte möglicherweise noch Ende dieses Jahres sein.
Die Fragen 88 und 89 des Herrn Abgeordneten Pauli werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Entsprechend einer interfraktionellen Vereinbarung unterbreche ich die Sitzung bis 15.30 Uhr.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgeführt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 sowie den Zusatztagesordnungspunkt 5 auf:
23. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Duve, Bindig, Brück, Klose, Frau Huber, Neumann , Verheugen, Voigt (Frankfurt), Waltemathe, Wischnewski, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
13 Jahre Diktatur in Chile
— Drucksache 10/5973 —
b) Beratung des Antrags des Abgeordneten
Volmer und der Fraktion DIE GRÜNEN
Akute Hilfsmaßnahmen für bedrohte Oppositionelle in Chile
— Drucksache 10/5987 — Zusatzpunkt 5:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Verschärfung der Lage in Chile — Drucksache 10/6039 —
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6048 sowie ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/6054 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 23 a und b sowie des Zusatztagesordnungspunktes 5 und ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Wenn ich etwas leise sprechen mußte: ich bin erkältet. — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Duve.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß, daß man sich nicht an den Präsidenten wenden soll. Trotzdem möchte ich ihm gute Besserung wünschen.Ich hoffe, daß wir in der Debatte die mangelnde Quantität der Kolleginnen und Kollegen durch Qualität unserer Debatte ersetzen.
In Chile herrscht Belagerungszustand: Die Truppen des Generals belagern das chilenische Volk. Mit dem Wort „Belagerungszustand" wird Staatsterror nicht legitimiert, er wird entlarvt.Wir sind froh, daß es nach dem zweiten Besuch von Heiner Geißler in Chile und seiner wichtigen Rede dort keinen Zweifel mehr gibt: die Parteien des Deutschen Bundestages haben nach 13 Jahren, in denen wir oft erschrocken waren über manche Äußerungen konservativer Politiker, zu einer gemeinsamen Grundhaltung gefunden. Das ist gut für die demokratische Opposition Chiles, die auf unsere Unterstützung hofft.Ich glaube, wir sind uns hier alle einig, daß ein Bundesbeamter wie der Militärattaché Hans Müller-Borchert, der von den Gegnern Pinochets als von „Kakerlaken" gesprochen hat, der sich in verfassungsfeindlicher Weise zum beamteten Claqueur des Staatsterrors gemacht hat, eigentlich mit Schimpf und Schande aus dem Dienst gejagt werden müßte, Herr Staatssekretär Würzbach.Seit 13 Jahren wütet in Chile staatlicher Terror. Jahr um Jahr haben wir an die Tausenden erinnert, die dort im Namen des Westens, des Antikommunismus, ja, perverserweise auch im Namen von Demokratie und Freiheit umgebracht, verschleppt und gefoltert worden sind.Vor fast genau 13 Jahren ist unser Kollege Hans-Jürgen Wischnewski nach Santiago geflogen, um Verfolgte vor Mördern zu retten. Vor 13 Jahren hat General Pinochet, der seinen Eid auf die Verfassung geleistet hatte, das Ende von Allende so vorbe-
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Duvereitet — ich zitiere aus einem Protokoll, das im „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" vor 14 Tagen abgedruckt wurde —:Schickt diese Herren mit dem Flugzeug irgendwohin. Man kann sie dann unterwegs auch abstürzen lassen ...Oder:In eine Kiste mit ihm und zusammen mit der Familie ab ins Flugzeug!Das war die Sprache vor 13 Jahren.Heute wird in Chile wieder gemordet und, so müssen wir annehmen, auch wieder gefoltert. Wieder sind Leichen gefunden worden. Wieder nutzen Todeskommandos die nächtliche Ausgangssperre, um Menschen zu verschleppen, zu quälen, ohne daß Polizei eingreift. Journalisten sind ermordet, verhaftet oder auf der Flucht. Ich denke hier an den Auslandsressortchef der tapferen kleinen Zeitschrift „Análisis", José Carrasco. Er wurde am 9. September ermordet. Ich denke an Marcelo Contreras, den manche von uns in Santiago gesehen haben, den Chefredakteur der Zeitschrift „Apsi", der sich den Häschern durch die Flucht entziehen konnte. Ich denke auch an die deutsche Lehrerin Beatrice Brinckmann, die an der deutschen Schule in Valdivia unterrichtet. Wir wissen, daß sie in den Händen der Geheimpolizei ist.In Chile wütet seit dem mißglückten Attentat auf den Diktator der Staatsterrorismus. Nehmen wir alles zusammen, was Pinochet in den letzten Monaten unternommen hat, um die Lage zuzuspitzen, und bewerten wir die Terrorakte des Militärs gegen das Volk im einzelnen, dann stellen wir fest:Diesem grausamen und halsstarrigen Mann kam der Anschlag nur allzu recht. Er nutzt ihn, um seine persönliche Macht zu festigen, um kritische Militärs auszutricksen, um die Opposition zu schwächen, um die Rückkehr zur Demokratie, von der er selbst einst gesprochen hat, unmöglich zu machen. Pinochet hat diesen zweiten Putsch, die Aufhebung der von ihm eingeführten Verfassung, sorgfältig vorbereitet. Er will auch noch in den 90er Jahren Diktator bleiben. Es liegt auch an uns, ob dieser zweite Putsch gelingt oder ob er scheitert. Wir müssen uns alle gemeinsam, nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch in den übrigen westlichen Staaten, einig sein: Pinochet muß weg.
Heiner Geißler hat recht, wenn er sinngemäß gesagt hat, es gehe in Chile nicht darum, einen starken Kommunismus abzuwehren. Kommunisten hätten — so Geißler — in Chile keine große Chance. Wer ihre Chance vergrößere, sei der Diktator.Ich füge hinzu: Es geht aber auch nicht darum, die Menschen moralisch zu verurteilen, die dieses Attentat verübt haben. Es kann nicht darum gehen, diese Attentäter mit den Begriffen der Diktatur zu kennzeichnen. Wir können nicht die Täter des 20. Juli als leuchtendes Beispiel für versuchten Tyrannenmord preisen und zugleich chilenische Attentäter a priori zu Terroristen stempeln.
Das Attentat hat den Diktator zunächst allerdings gestärkt. Darum teile ich die Ansicht meines Freundes, des Schriftstellers Ariel Dorfman, der das Attentat in der „New York Herald Tribune" als falsch bewertet und abgelehnt und vor den grausamen Folgen gewarnt hat. Ich teile ausdrücklich diese Meinung.Wie ist die Lage? Nach einer Phase relativer Hoffnung und Zuversicht, nach großartigen Bemühungen der Kirche und der demokratischen Politiker Valdés, Lagos, Silva Cimma, eine nationale Einigung mit dem „Acuerdo Nacional" herbeizuführen, nach eindrucksvollen Beispielen der demokratischen Kraft der Opposition, auch des publizistischen Widerstandes, 1983 und 1984, hatte schon der Belagerungszustand 1985 ernste Rückschläge gebracht. Zu Beginn 1986 gab es hoffnungsvolle Zeichen. Die Massenrelegation von Studenten an der Universität in Concepción wurde Anfang des Jahres durch Gerichtsbeschluß rückgängig gemacht. Das war für viele ein Lichtblick.Der Diktator selbst hat die Verschärfung der Situation im Sommer herbeigeführt. Warum seine grausame Reaktion? Der philippinische und der haitianische Prozeß, an dem jeweils — endlich — auch die Vereinigten Staaten positiv beteiligt waren, hat die Führungsclique dieser Diktatur nervös gemacht und Streit erzeugt. Es gibt Militärs, auf die der Westen eine Art Philippinen-Hoffnung setzt. Aber Pinochet ist nicht Marcos. Aber — daß führende Militärs diesen Mann lieber heute als morgen los wären, ist auch nach dem Attentat deutlich geworden. Mit Militärs allerdings — auch darin müssen wir uns einig sein —, die zwar Pinochet beerben wollen, die aber nicht den argentinischen Weg der Rückkehr zur Demokratie gehen wollen, kann und darf der Westen nicht zusammenarbeiten. Wir müssen unseren Freunden, den Politikern aller politischen Parteien, die sich zur wirklichen Demokratie bekennen, Mut machen. Wir dürfen nicht hinter ihrem Rücken auf eine gemäßigte Militärdiktatur ohne Pinochet hoffen.Herr Lamers, wir bedauern, daß unser Angebot, zu einer gemeinsamen Erklärung des Bundestags zu kommen, von Ihnen nicht hat aufgegriffen werden können. Aber wenn ich Ihren Antrag nehme, können wir ihn so nicht mittragen. Sie können uns nicht zumuten, daß wir die erste Ursache für die „Zuspitzung der Lage" — ich zitiere aus Ihrem Antrag — mit der Sprache der Diktatur in den „linksextremistischen Terrorakten" sehen. Die erste Ursache liegt in der Diktatur; sie liegt bei denen, die das eigene Volk bekämpfen und belagern, nicht bei jenen, die gegen die Diktatur kämpfen.Ich hoffe jedoch, daß wir uns in den Forderungen unseres Antrags einig sind: Rücktritt Pinochets, Aufhebung des Belagerungszustandes, sofortige Beendigung der Repressionsmaßnahmen, insbesondere die Auflösung und Bestrafung der paralegalen Todeskommandos, die Achtung und Gewährlei-
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Duvestung der Menschenrechte und die Wiederherstellung von Bedingungen, unter denen die chilenische Opposition sich formieren und artikulieren kann.Meine Damen und Herren, in den letzten Tagen erreichten uns Informationen aus Chile, die auch Mut machen und Bewunderung auslösen sollten. Die Menschen leisten Widerstand. Nicht alle — auch in den Machtapparaten nicht alle — gehorchen dem Diktator blind. Viele von den Verfolgten sind vor der drohenden Verhaftung vorher gewarnt worden, und etliche konnten sich retten.Die Fahrzeuge, die die drei ausgewiesenen französischen Geistlichen zum Flugplatz bringen sollten, wurden von den Bewohnern der Poblaciones, der Armenviertel, mehrfach in Solidarität angehalten. Der Erzbischof hat sich geweigert, in Gegenwart von Pinochet zu predigen. Ein Gouverneur im Süden hat an der Gedenkfeier zum Ende der Demokratie 1973 am 11. September teilgenommen. Hohe Militärs versuchen, manchmal direkt, Herr Staatssekretär Würzbach, manchmal durch die Blume, ihre abweichende Haltung kundzutun.Die Menschen in Chile haben auch nach diesem 11. September nicht alle Hoffnung verloren, und vor allem: Ihr Mut hat sie nicht verlassen. Es liegt auch an uns, ob sie spüren: Sie werden mit diesem Mut, mit dieser Hoffnung nicht allein gelassen. Lassen Sie uns gemeinsam bei künftigen Beratungen so viel Gemeinsamkeit aufbringen, wie wir nach 13 Jahren Elend in Chile und 13 Jahren Diskussion hier bei uns aufbringen können. Die Menschen in Chile werden es uns danken.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Lamers.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Duve, wenn wir einen gemeinsamen Antrag hier heute hätten verabschieden wollen, dann wäre es angebracht gewesen, daß Sie versucht hätten, Ihren Antrag, bevor Sie ihn einbringen, mit uns abzustimmen. Sie wissen, wie das Verfahren ist. Aber ich hoffe dennoch, daß wir in entscheidenden Fragen eine Gemeinsamkeit hier in der heutigen Debatte werden erzielen können.Die Union, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wird jedenfalls alles in ihren Kräften Liegende tun, um zu verhindern, daß in Chile eine weitere Polarisierung, eine Steigerung der Gewalttätigkeit stattfindet und damit die Gefahr unabwendbar wird, daß die demokratischen und maßvollen Kräfte der Mitte zerrieben werden. Wir unterstützen die Bundesregierung mit Nachdruck bei ihrer Politik, die genau diesem Ziel dient.Wir haben heute vormittag über Südafrika gesprochen. Die Lage in diesem Land ist in vieler Hinsicht von der in Chile grundlegend unterschieden. Aber es gibt eine strukturelle und eine psychologische Parallelität. Weil rechtzeitige und ausreichende Schritte demokratischer Öffnung unterbleiben, polarisieren sich die politischen Kräfte; die Spannung zwischen den Polen nimmt zu; die Gewalt eskaliert. Weil friedliche Evolution verhindert wird, bahnt sich die Revolution ihren gewaltsamen Weg.Diejenigen, die an der Macht sind, entwickeln eine Wagenburgmentalität und behaupten, das Land vor Chaos, Anarchie und Kommunismus bewahren zu müssen. Die demokratischen Kräfte — das sind auch immer die des Maßes und der Mitte — bleiben auf der Strecke. Das Attentat auf Staatschef Pinochet ist ein trauriger und blutiger Beweis für diese Entwicklung. Die rechtsradikale Reaktion auf diesen linksradikalen Anschlag ist es ebenso.Die erste Verantwortung für die Entwicklung trägt die chilenische Regierung. Eine Regierung hat immer die Hauptverantwortung, weil sie im Besitz der Macht ist. Dies gilt im Falle Chiles um so mehr, weil diese Macht fast unumschränkt und mit niemandem geteilt ist.Ich übersehe selbstverständlich nicht die Gefahr, daß die Lage in Chile durch linksradikale Kräfte ausgenutzt wird. Es wäre merkwürdig, wäre dies nicht der Fall. Die Antwort durch Staatschef Pinochet darf aber nicht lauten: „Ich oder das Chaos, ich oder der Kommunismus"; diese Antwort ist ein altes und abgenutztes Mittel,
um das Sich-fest-Krallen an der Macht zu rechtfertigen und fehlende demokratische Legitimität durch einen pseudohistorischen missionarischen Auftrag zu ersetzen.
Die Geschichte belegt hinlänglich, daß ein solches Festklammern an der Macht ohne ausreichende Legitimität durch das Volk gerade die Gefahr heraufbeschwört, die zu bannen vorgegeben wird. Objektiv bestärkt die Politik Pinochets die linksradikalen Kräfte ebenso wie die rechtsradikalen und droht das Land in eine dramatische und tragische Situation hineinzuführen.Es muß unser aller Interesse sein, das Interesse aller, die es mit Chile gutmeinen, es muß ein unbedingtes Anliegen des Westens sein, eine solche Entwicklung zu verhindern.Dieses Interesse des Westens ist um so legitimer, als es mit dem Interesse des chilenischen Volkes identisch ist, das sich als einen Teil des Westens versteht, und auch die chilenische Regierung beruft sich j a immer wieder auf diese Zugehörigkeit.Wer sich aber darauf beruft — das will ich in diesem Zusammenhang deutlich sagen —, der muß sich auch in seinem Tun an den Wertmaßstäben unserer Kultur messen lassen. Niemand kann ein Teil und ein Freund des Westens sein, der die Menschenrechte mißachtet und die Demokratie nach seinen persönlichen Machtbedürfnissen zurechtbiegt. Dies hat Heiner Geißler mit der notwendigen
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Lamersund wünschenswerten Klarheit auch in Santiago de Chile selber deutlich gemacht.Wenn also eine solche Entwicklung in letzter Minute verhindert werden soll, dann muß dem chilenischen Volk, dann muß den demokratischen Kräften in Chile eine konkrete und auch zeitlich annehmbare Perspektive für den auch von der Regierung oftmals angekündigten Übergang zur Demokratie geboten werden. Dazu reicht nicht die Ankündigung der Zulassung der Parteien und des Wahlregisters, so begrüßenswert und notwendig diese Schritte natürlich auch sind. Entscheidend ist, daß jede Perspektive durch die Aussicht verbaut wird, daß der derzeitige Staatschef Pinochet nicht nur bis 1989 weiter regiert, sondern sich auch 1988 durch die Oberbefehlshaber der Streitkräfte nochmals für weitere acht Jahre als alleiniger Präsidentschaftskandidat hat aufstellen lassen. Das würde mit Sicherheit die Chancen einer friedlichen Lösung des Konfliktes in Chile zerstören, und wir, die CDU/ CSU-Fraktion, appellieren deswegen an alle maßgeblichen Kräfte, an die Kräfte des Maßes in Chile, zusammenzuwirken, um eine zukunftsträchtige und tragfähige Perspektive für das Land zu entwickeln.Wir appellieren ausdrücklich an die einsichtigen Kräfte in den Streitkräften. Das ist kein Spaltungsversuch. Ein solcher schüfe eine dramatische Lage. Aber da die Streitkräfte eine zentrale Verantwortung haben, fordern wir die zweifelsfrei vorhandenen maßvollen Führer in ihren Reihen auf, nicht zuzulassen, daß dem Machtbedürfnis eines einzelnen unter ihnen die Zukunft des Landes geopfert wird und damit auch die Rolle der Streitkräfte in Chile vor der Geschichte völlig diskreditiert wird.Ich anerkenne ausdrücklich, daß es entsprechende Bestrebungen in den Streitkräften gibt und auch Bestrebungen, die Disziplin zu beachten und Menschenrechtsverletzungen zu ahnden.Wir appellieren auch an die demokratische Opposition, sich nicht provozieren zu lassen und ihren Kurs einer gewaltfreien friedlichen Lösung des Zwistes in Chile unbeirrt fortzusetzen. Die umgehende und klare Verurteilung des Attentats auf Pinochet durch den Führer der Opposition Gabriel Valdéz war ein klares Zeichen für den Willen der Opposition, diesen Kurs fortzusetzen. Wir anerkennen ausdrücklich und mit Hochachtung diese maßvolle und realistische Politik der Opposition, wie er in dem kürzlich bekräftigten und erweiterten, von noch mehr Parteien unterschriebenen Acuerdo Nacional zum Ausdruck kommt. Wir unterstützen sie bei dem Versuch, alle demokratischen Kräfte zu sammeln, und bitten sie, diesen Versuch fortzusetzen und zu verstärken. Die Konzentration der demokratischen Opposition in Chile ist eine unbedingte Notwendigkeit. Wir bitten alle, die es angeht, ihre Anstrengungen zur Einigkeit innerhalb und zwischen dem demokratischen Parteien noch zu verstärken.Wir bezeugen unseren Respekt vor den bemerkenswerten Anstrengungen vor allem unserer christdemokratischen Freunde, die ja die Hauptverantwortung in der Opposition tragen, eine programmatische Perspektive für die Zukunft des Landes zu entwickeln.Wir appellieren an die katholische Kirche, ihre hervorragende, vermittelnde und einigende Rolle fortzusetzen. Sie ist unverzichtbar, und sie wird in bewunderungswürdiger Klugheit und Festigkeit zugleich ausgeübt.Wir danken der Bundesregierung für ihre Politik, die von uns uneingeschränkt unterstützt werden kann, da sie den von mir skizzierten Zielen dient.Unsere Botschaft in Santiago de Chile spielt in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle.
Ich bin froh, daß sie gerade in diesem Augenblick einen neuen Chef bekommen hat, von dem ich überzeugt bin, daß er dieser Aufgabe gerecht wird. Er wird es schaffen, daß kleine Irritationen, die in letzter Zeit aufgetaucht waren, in Zukunft unterbleiben.
Wir bitten die Bundesregierung, ihre Anstrengungen, ihre Politik gegenüber Chile mit den anderen Partnern der EG abzustimmen, noch zu verstärken. Alle demokratischen Kräfte in Chile setzen vor allen Dingen auf die Bundesregierung und die Europäer große Hoffnungen.Wir bitten die Bundesregierung aber auch, ihre Politik und die der Europäischen Gemeinschaft mit den Vereinigten Staaten abzustimmen. Die USA spielen für die weitere Entwicklung in Chile ganz ohne jeden Zweifel eine zentrale Rolle. Ihre Politik hat in den letzten Monaten begrüßenswerte Klarheit und eine gute Linie angenommen.Meine Damen und Herren, das chilenische Volk soll wissen, daß die Christdemokraten in der Bundesrepublik Deutschland seinen Kampf um Menschenrechte und Demokratie uneingeschränkt unterstützen. Wir unterstützen unsere christdemokratischen Freunde und die demokratische Opposition. Ich freue mich, daß wir darin einig sind, nicht nur mit unserem Koalitionspartner, den Freien Demokraten, sondern auch den Sozialdemokraten. Auch die chilenische Regierung muß von dieser Solidarität der Demokraten in der Bundesrepublik mit den Demokraten in Chile Kenntnis nehmen. Noch ist es nicht zu spät für eine Wendung der chilenischen Politik. Aber viel Zeit bleibt nicht mehr.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Volmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!Der Tyrannenmord ist sicherlich eine problematische Angelegenheit, vor allem dann, wenn er fehlschlägt. Aber das eigentliche Problem ist und bleibt der Tyrann selber. Wer sich gegen den Tyrannen erhebt, verdient meinen Respekt
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18026 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Volmerund meine Solidarität. Wer so lange zur Tyrannei Pinochets geschwiegen hat, wer beim Tod Allendes nicht getrauert hat, der hat sein Recht verspielt, die Attentäter in Chile heute zu verurteilen.
Dies war ein Zitat von Helmut Frenz, früher Bischof in Chile und dann Präsident von Amnesty International, das er in einem Interview der „Hamburger Rundschau" am 18. September 1986 mitgeteilt hat.
Hiermit ist das Problem der heutigen Debatte umrissen. Wer nicht wahrhaben will, daß es sich bei Pinochet um einen Tyrannen handelt, gegen den auch Widerstandsformen angebracht sind, die unter unseren hiesigen Verhältnissen absurd und zu verurteilen wären, der möge sich ein zweites Zitat anhören. Es stammt von General Leigh, der aus der Pinochet-Junta ausgetreten ist. Er hat es geäußert in einem Interview mit epd-Entwicklungspolitik im September 1984. Leigh sagte wörtlich:Pinochet ist ein Diktator, und zwar vom Typ Hitlers.Ich denke, das sind deutliche Worte.Der Kollege Duve hat eindrucksvoll die Finessen und die Brutalitäten des Pinochet-Regimes geschildert. Ich möchte dem hier nichts weiter hinzufügen.Die Frage ist nur: Welche Konsequenzen müssen gezogen werden?Erstens. Wir sind uns alle einig, daß Pinochet weg muß. Das ist ein sehr großer Fortschritt, den wir begrüßen.
Zweitens. Hier liegt ein Problem. Obwohl meines Erachtens jede Widerstandsform gegen einen Tyrannen legitim ist — siehe Frenz —, versuchen die Altparteien, vor allen Dingen die Union, dem chilenischen Volk Vorschriften darüber zu machen, wie sie sich zu wehren hätten. Während sich alle mittlerweile einig sind, daß das Pinochet-Regime beendet werden muß, versuchen CDU, CSU, FDP und teilweise auch die SPD, heute schon die politischen Weichen für die Nach-Pinochet-Ära zu stellen. Schon heute soll die Linke, die auch zu militanten Widerstandsformen greift, kriminalisiert und aus dem Aufbauprozeß eines neuen Chile ausgegrenzt werden. Herr Lamers' Rede hat von diesen Tendenzen für meine Begriffe ziemlich deutlich Zeugnis abgelegt. Die verantwortungslose Äußerung von Willy Brandt über die angebliche Spirale der Gewalt in Chile zeugt davon ebenso wie die säuberliche Trennung von gemäßigten Oppositionellen und sogenannten Gewalttätern durch die Bundesregierung.Leider gibt es deutliche Anzeichen dafür, daß sich auch die Union daran beteiligt, die Einrichtung einer Mitte-Rechts-Regierung mit starker militärischer Komponente wie in El Salvador, Guatemala oder Honduras auch für Chile zu planen.
Dies ist das konservative Ordnungsmodell für Lateinamerika, in dem viele von denen, die heute gegen die Tyrannen kämpfen, keinen Platz mehr haben werden.Die GRÜNEN unterstützen den Antrag der SPDFraktion. Wir bewerten es als positiv, daß die SPD unsere Initiative, die wir am 13. Jahrestag des Putsches in den Bundestag einbringen wollten, was damals auf Widerstand stieß, nun aufgenommen hat und sich für die Asylgewährung von verfolgten Oppositionellen einsetzt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve?
Bitte.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die SPD den Kampf gegen die Diktatur in Chile in diesem Parlament seit exakt 13 Jahren und nicht erst seit Einbringung Ihres Antrages vorletzte Woche ununterbrochen führt?
Herr Kollege Duve, ich habe gesagt, daß Sie unseren konkreten Antrag, den wir hier vor zwei Wochen, und zwar rechtzeitig, gestellt haben, zu dem Zeitpunkt nicht befassen wollten. Glücklicherweise ist in der Zwischenzeit nichts passiert, was wir bedauern müßten und was darauf zurückzuführen gewesen wäre, daß der Antrag nicht rechtzeitig behandelt wurde. —
Wir unterstützen den Antrag, den Sie nun formuliert haben, weil sich in ihm im wesentlichen die Forderungen wiederfinden, die auch wir aufstellen würden; die Tendenz ist insgesamt akzeptabel. Wir werden allerdings einen eigenen Antrag hinzufügen, um einige konkrete Schritte vorzuschlagen, die meines Erachtens notwendig sind.Wir unterstützen also den Antrag, weisen aber darauf hin, daß die Unterstützung der demokratischen Kräfte in Chile, wie es im SPD-Antrag gefordert wird, alle die einschließen muß, die Widerstand gegen die Militär-Junta leisten. Wir warnen die SPD davor, die Spaltungs- und Selektionspolitik der Bundesregierung mitzubetreiben. Denn dieselben Leute, die am 20. Juli zu Recht eines Stauffenberg gedenken, spielen sich im Falle Chiles zum Richter über ein Volk auf, das in seiner Verzweiflung anders reagiert, als die Planer einer politischen Weltordnung es sich in der Adenauer- und teilweise auch in der Ebert-Stiftung ausdenken. Wir warnen vor solcher Selektion. Es darf nicht geschehen, daß die Menschen, die wegen legitimen militanten Widerstands gegen Pinochet im Gefängnis sitzen, auch von einer künftigen CDU/SPD-nahen Regierung in Chile gesellschaftlich ausgegrenzt werden.Wir fordern, daß sich alle Parteien und die Bundesregierung schon heute offensiv für eine aktive
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 18027
VolmerFluchthilfe für die vom Tode bedrohten Oppositionellen in Chile einsetzen.
Ihnen muß in der Bundesrepublik politisches Asyl ohne eine diskriminierende und vielleicht fluchtvereitelnde Sicherheitsüberprüfung angeboten werden. Um die inhaftierten Widerstandskämpfer vor der Ermordung durch die Pinochet-Schergen oder der Gefangenenhaltung durch eine eventuell folgende konservative Regierung zu schützen, haben die GRÜNEN ihren Antrag eingebracht.Wir fordern erstens, daß die bundesdeutsche Botschaft mehr tut, als zur Zeit der Fall ist. Sie muß unseres Erachtens aktive Fluchthilfe leisten.
Zweitens. Diese Fluchthilfe muß allen politisch Gefährdeten gewährt werden, nicht nur denen, die auf mittelfristige Sicht in ein Konzept passen, das der Union für die Nach-Pinochet-Zeit vorschwebt.Drittens. Dafür muß die Sicherheitsüberprüfung aufgehoben werden. Wir möchten nicht, daß durch die Sicherheitsüberprüfung, die einen Selektionsmechanismus darstellt, bestimmte Leute herausfallen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schreiber?
Bitte.
Herr Kollege, ich möchte Sie zunächst einmal darauf hinweisen — und damit eine Frage verbinden —, daß im Mai dieses Jahres eine internationale Parlamentarierversammlung in Santiago stattgefunden hat, an der Abgeordnete aus elf Nationen teilgenommen haben, die — es war auch ein Kollege von Ihnen, ein GRÜNER, dabei — einstimmig eine Entschließung zur Lage in Chile angenommen haben. Und ich gestatte mir die Frage, warum Sie hier jetzt den Eindruck erwecken, als gäbe es zwischen den Parteien in diesem Hohen Hause unterschiedliche Auffassungen.
Herr Kollege, es gibt keine unterschiedliche Auffassung bei der Forderung, daß das Pinochet-Regime weg muß, es gibt aber sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, was mit der heutigen Opposition passiert und wer nach der Vorstellung der hiesigen Parteien am Wiederaufbau oder am Aufbau eines neuen Chile partizipieren soll. Darum wird die kommende Kontroverse gehen.
Deshalb fordern wir viertens die Bundesregierung auf, sich nicht nur für die Freilassung aller politischen Gefangenen in Chile einzusetzen, sondern sich zur Aufnahme der jetzigen Häftlinge im Rahmen des Asylrechts selbst bereit zu erklären.
Hier gilt das gleiche: keine Trennung und keine Selektion.Zur Zeit gibt es ca. 130 politische Gefangene aus dem letzten Monat. Beatrix Brinkmann wurde gerade schon erwähnt. Wir bitten die Bundesregierung herzlichst, alles zu tun, damit die Frau endlich wieder frei kommt.
Dazu gehört z. B. auch Rafaél Marotto, Sprecher des MIR. Marotto ist Priester und unterstützt auch den militanten Widerstand in Chile. Er ist herzkrank.
Leute wie Marotto sind gefährdet, Herr Klein. Was tun Sie, Herr Klein? Ist Marotto für Sie ein guter oder schlechter Oppositioneller, gehört dieser herzkranke Priester zu den Demokraten oder zu den Gewalttätern? Wenn die Junta ihn umbringt, trauert die CDU dann um ihn, weil er Priester ist, oder nicht, weil er militant ist?
Ist er ein Sicherheitsrisiko oder nicht? Das sind absurde Fragen, aber so behandeln Sie dieses Problem!
Wir bitten also um Zustimmung zu unserem Antrag, damit niemandem hier ein Hintertürchen offenbleibt. Solche Beschlüsse sind notwendig, wie folgendes Beispiel, mit dem ich zum Schluß kommen will, beweist:Im letzten Jahr hat sich der Hamburger Senat bereit erklärt, zwei politische Häftlinge, die Mitglieder des MIR waren und in erster Instanz zum Tode verurteilt waren, Asyl zu gewähren. Bundesinnenminister Zimmermann lehnte die Aufnahme von Victor Suniga und Carlos Garcia ab, da es sich bei beiden um Gewalttäter handele, die ein Sicherheitsrisiko für die BRD darstellten; siehe die Antwort auf meine Kleine Anfrage vom 9. Dezember 1985.
Das „Sicherheitsrisiko" stellte sich allerdings anders dar. Am 18. Oktober 1985 wurde Victor Suniga im Sicherheitstrakt des Gefängnisses in Santiago bei einem angeblichen Aufstand der Häftlinge von den Sicherheitskräften in Chile erschossen. Carlos Garcia wurde schwer verletzt und befindet sich heute noch im Gefängnis. Auf unsere Anfrage nach der Ermordung von Suniga, ob die Bundesregierung im Rahmen der Ablehnung des Begehrens die Sicherheitslage der zum Tode Verurteilten geprüft hätte, antwortete die Bundesregierung — Zitat —: „Ja, diese Prüfung ergab, daß eine akute Gefährdung der Gefangenen nicht gegeben war, denn die
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VolmerUrteile waren nicht rechtskräftig und der gerichtliche Instanzenweg noch nicht ausgeschöpft." Makaber, aber wahr! So wurde nach der Ermordung von Suniga noch amtlich bescheinigt, warum sein Tod auf Grund der Rechtsprechung in Chile nicht geschehen konnte.Sein Fall zeigt, meine Damen und Herren, daß Menschenleben zu retten wären, wenn sich nicht konservative deutsche Politiker widersetzen würden. Deshalb fordern wir das Parlament auf: Helfen Sie mit, die Menschen zu retten, in denen die Hoffnungen eines befreiten Chile liegen!Danke.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir alle, glaube ich, hier im Hause haben die Entwicklung in Chile in den vergangenen Wochen und Monaten als besorgniserregend angesehen und als tief beunruhigend empfunden, und wir alle, die wir hier Gelegenheit haben, zu diesem Thema zu sprechen, haben — wenn ich von Herrn Volmer absehe — schon mehrfach zu diesem Thema gesprochen und empfinden auch unsere Ohnmacht, Herr Volmer, ein Regime von dieser Stelle aus so ändern zu können, wie wir es sehr gern alle täten und wie wir es im Westen auch gern versuchen würden.
Es bleiben Appelle, es bleiben Versuche, es bleibt internationaler Druck, aber es ist immer wieder ein frustrierendes Erlebnis für Abgeordnete, festzustellen, daß die Möglichkeiten der unmittelbaren Einwirkung in Chile international nicht gegeben sind und daß die Lage in Chile nach wie vor alles andere als erfreulich ist.
Wir sind uns einig darüber, daß wir mit größtem Nachdruck die rasche Rückkehr zur Demokratie in Chile fordern müssen, die nur dann Aussichten hat, wenn sich die chilenische Regierung ihrer großen Verantwortung bewußt wird, daß in erster Linie sie zur Überwindung der immer schärfer gewordenen Gegensätze von Gewalt und Terror beitragen muß. Sie muß endlich den Weg des Gesprächs und der Verhandlung einschlagen, für den — davon bin ich nach wie vor überzeugt — die nationale Übereinkunft vom August 1985 einen ernst zu nehmenden und aussichtsreichen Ansatz bietet.
Ich begrüße es daher für meine Fraktion, für die FDP, daß wir heute Gelegenheit haben, erneut über diese Frage zu diskutieren und über mehrere Entschließungsanträge abzustimmen. Ich hätte es allerdings für die FDP auch begrüßt, wenn wir nicht mehrere Entschließungsanträge, sondern einen Entschließungsantrag oder zumindest einen gemeinsamen Antrag der drei sogenannten etablierten Parteien hätten. Wir wollen deshalb auch den Vorschlag machen, daß die Anträge an den Ausschuß überwiesen werden, denn ich bedauere, daß man in Fragen, bei denen man sich im wesentlichen einig ist, verschiedenartige Anträge vorlegt und den einen ablehnt, obwohl man inhaltlich weitgehend übereinstimmt.
Herr Duve, wenn Sie dann, wenn ich den Vorschlag mache, daß wir zu einem gemeinsamen Antrag kommen, zustimmen, ist das sicher im Interesse der Sache Chiles. Den Vorschlag mache ich gerade.
Ich sehe auch bei Herrn Duve, daß eine solche Möglichkeit besteht.
Bitte.
Herr Duve zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich glaube, daß wir die einzigen gewesen sind, die einige Bemühungen gegenüber der größten Fraktion der Regierungsparteien unternommen haben, um am Anfang dieses Antragswerkes abzutasten, ob es einen gemeinsamen Antrag gibt? Meine Telefonnummer steht auch in Ihrem Telefonbuch. Sie hätten auch Herrn Ehmke oder andere ansprechen können.
Herr Kollege Duve, aus meiner langjährigen Tätigkeit im Auswärtigen Ausschuß dürften Sie wissen, daß es manchmal vielleicht besser ist, den kleineren Partner in der Koalition anzusprechen, um schneller zu Ergebnissen zu kommen.
Vielleicht können wir das nachholen. Ich glaube kaum — auch im Blick auf den Kollegen Klein, der dort hinten sitzt —, daß es ein Problem sein wird, einen gemeinsamen Antrag einzubringen.
Daß wir die Rückkehr vieler Staaten in Lateinamerika zur Demokratie in den letzten Jahren begrüßen konnten, daß aber alle diese Demokratien von Peru über Ecuador bis Bolivien — aber auch Argentinien und Uruguay — keineswegs so gefestigt sind, daß man sagen könnte: „Wir können froh sein; dieser Zustand wird für immer andauern", hängt auch damit zusammen, wie die Entwicklung in Chile weiter fortschreiten wird. Ich weiß, daß es in diesen Ländern Besorgnisse gibt, daß es dort Kräfte gibt, die auf das Beispiel Chile verweisen. Hier muß ich, Herr Kollege Volmer, sagen: Natürlich sind wir gemeinsam der Auffassung, daß man der Opposition in Chile helfen muß.
— Der gesamten Opposition. Aber wir sind auch derMeinung, daß es nicht nur rechtsextreme Gruppengibt, sondern auch linksextreme Gruppen. Wir ha-
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Schäfer
ben dafür in der Vergangenheit andere Beispiele in Lateinamerika gehabt, deren Ziel es eben nicht ist, die Befreiung für alle Recht werden zu lassen, sondern die, wenn es darauf ankommt, ganz andere Ziele verfolgen. Wir kennen Länder dieser Art, bei denen man in der Revolutionszeit einig war, wo man aber dann, wenn man die Macht übernommen hat, plötzlich die Macht für sich okkupiert. Sie selbst haben das in Nicaragua mit uns gemeinsam kritisiert.
Wir haben im Auswärtigen Ausschuß schon 1983/ 1984 ausführlich über die Lage in Chile diskutiert. Wir haben damals Ansätze zu einem Dialog gesehen. Wir haben die Möglichkeiten erörtert, die sich für die demokratische Opposition in Chile geboten haben. Aber ich befürchte, auch die demokratische Opposition in Chile hat nicht erkannt, daß der Präsident offensichtlich kein Interesse daran hat, die Macht zu teilen, und daß es zu wirkungsvollen Gesprächen nicht gekommen ist. Der Präsident hat leider inzwischen deutlich gemacht, daß ihm daran liegt, seine Herrschaft auszuweiten. Ich darf jetzt einmal meinen Kollegen Möllemann zitieren, der schon vor langem in einem Interview gesagt hat, Pinochet täte seinem Volk den besten Dienst, wenn er selbst möglichst schnell zurücktreten würde. Ich kann das nur unterstreichen.Der Präsident von Chile hat nach dem Attentat — das haben wir alle verurteilt, weil wir Attentate nicht als geeignetes Mittel der Politik ansehen — natürlich auch ein Alibi gehabt, die Situation in Chile mit der Ausrufung des Belagerungszustandes erneut zu erschweren. Wir haben aber auch feststellen müssen, daß dieses Attentat dazu geführt hat, daß mehrere Oppositionelle — Herr Duve hat darauf hingewiesen — anschließend verschleppt und ermordet worden sind und daß diese Gewalttaten weitergehen, auch wenn es selbst in der Junta Kräfte gibt, die anerkennen, daß dieser Zustand nicht mehr lange dauern kann.Meine Damen und Herren, wir haben 1984 im Februar und im Oktober hier Erklärungen zu Chile abgegeben. Wir haben immer wieder unseren Willen, unsere Hoffnung und unsere Erwartung zum Ausdruck gebracht, daß sich die Opposition in Chile einigt, daß sie in der Lage ist, auch mit Hilfe des Auslandes sich durchzusetzen, daß der Opposition Gelegenheit geboten wird, mit dem Präsidenten, mit der Junta ins Gespräch zu kommen, und daß man nicht weitere Jahre mit irgendwelchen Volksabstimmungen, die man jetzt plant, um den Präsidenten erneut zu etablieren, abwarten soll.Meine Damen und Herren, ich glaube, daß es keinen Zweifel gibt an der Sympathie für alle Chilenen, an der Sympathie für ein Volk, das zum erstenmal in seiner Geschichte einen Militärputsch erlebt hat, der katastrophale Folgen gehabt hat. Aber ich glaube auch, daß es über unsere Bemühungen hinaus, Appelle an die chilenische Regierung zu richten, daß es über unsere Bemühungen hinaus, international den Druck auf die Regierung Pinochet zu verstärken, leider kaum eine Chance gibt, die Verhältnisse von hier aus zu ändern.Herr Volmer, ich stimme mit Ihnen überein: Wenn es Fälle von Menschenrechtsverletzungen gibt, die Sie uns vorlegen, dann ist es notwendig, sie sehr genau zu prüfen, um zu helfen. Es gibt im übrigen — das muß ganz klar gesagt werden — hier auch für politisch verfolgte Chilenen Asylmöglichkeiten. Das ist keine Frage.
— Ich bin gern bereit, Ihren Vorwürfen nachzugehen, die ich heute zum erstenmal höre. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß hier jemand abgelehnt werden soll, dessen Leben in Gefahr ist.
Wir sind bereit, das zu prüfen.Meine Damen und Herren, ich glaube, daß eine Möglichkeit der vernünftigen Einwirkung in Chile und einer Bildung demokratischer Kräfte die Tätigkeit unserer Stiftungen ist. Sie sollten von seiten der GRÜNEN die Arbeit der Ebert-Stiftung und der Adenauer-Stiftung nicht zu diskreditieren versuchen. Ich glaube, es ist besser, sie sind vorhanden. Vielleicht gibt es j a auch bald eine grüne Stiftung. Ich höre, daß Sie auf dem Weg dorthin sind, auch wenn es in Ihrer Partei umstritten ist. Möglicherweise geht diese Stiftung als erstes nach Chile. Ich könnte mir das vorstellen.Die Naumann-Stiftung, die liberale Stiftung, ist dort noch nicht tätig. Ich halte das für einen Nachteil. Ich bin der Auffassung: Wir sollten uns bemühen, alles dafür zu tun, daß in diesem Staat die Opposition eine Chance hat, sich zu treffen, zusammenzukommen, daß sie Möglichkeiten hat, ihre politische Tätigkeit zu erörtern.Meine Damen und Herren, es ist resignierend, an einem Tag, an dem man morgens über Südafrika gesprochen hat und am Nachmittag über Chile spricht, festzustellen — ich darf es noch einmal sagen —, daß uns im wesentlichen nur Appelle bleiben. Daß wir hier über Chile einiger sind, zumindest über die Methode, wie man weiterkommt, als über Südafrika — da ist man vielleicht noch resignierter —, ist, glaube ich, klargeworden. Ich glaube, an dem Willen des Deutschen Bundestages und auch der Bundesregierung wird es nicht fehlen, all das, was wir allein und in Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern, mit dem freien Westen, in Chile erreichen können, auch zu tun. Ich glaube, daß auch die Chance besteht, vom Auswärtigen Ausschuß her einen gemeinsamen Antrag zu verabschieden. Insofern beantrage ich die Überweisung der Anträge an den Ausschuß.Vielen Dank.
18030 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Staatsminister Möllemann.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die Ereignisse der letzten Wochen waren ein schwerer Rückschlag für die Entwicklung in Chile. Dreizehn Jahre nach ihrer Machtübernahme ist die Regierung Pinochet weiter von der nationalen Aussöhnung entfernt als je zuvor. Die Protestdemonstrationen, die gewalttätigen Auseinandersetzungen, von denen das Land seit Anfang 1983 geschüttelt wird, schließlich der Anschlag auf General Pinochet zeigen aller Welt deutlich, wie ernst die Lage in Chile ist, wie nah man dem Bürgerkrieg ist.Die erneute Verhängung des Belagerungszustands, die Einschränkung der Pressefreiheit, vor allem aber die Verhaftung von mißliebigen demokratischen Oppositionspolitikern, von Priestern und Journalisten, die offensichtlich in keinem Zusammenhang mit dem Attentatsversuch steht, sind Ausdruck der Ohnmacht einer Regierung, die sich konsequent weigert, den Dialog mit den verständigungsbereiten demokratischen Kräften aufzunehmen und auf einen Ausgleich und einen Wandel hinzuarbeiten.Durch die jüngsten Maßnahmen hat sie eine noch größere Polarisierung und Verhärtung herbeigeführt und den Feinden der Demokratie auf der Linken wie auf der Rechten erneut in die Hände gearbeitet. Statt die Spirale von Gewalt und Gegengewalt, von der Willy Brandt zu Recht gesprochen hat, zu unterbrechen, hat sie einer weiteren Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung Vorschub geleistet. Die traditionell starken demokratischen Kräfte des Landes drohen zwischen den Extremen zerrieben zu werden.Meine Damen und Herren, daß es zu dieser Entwicklung gekommen ist, war keineswegs zwangsläufig. Im Jahre 1983 schien es, als wolle die chilenische Regierung, wenn auch widerstrebend, dem Trend der lateinamerikanischen Entwicklung folgen und durch einen politischen Dialog mit der demokratischen Opposition die Voraussetzungen für die volle Wiederherstellung der Demokratie schaffen. Dieser Dialog wurde auch tatsächlich begonnen, nach kurzer Zeit aber abgebrochen und bis heute nicht wiederaufgenommen.Die Verantwortung hierfür trägt eindeutig die chilenische Regierung. Während sich die demokratische Opposition im August 1985 auf einen nationalen Akkord zur Wiederherstellung der Demokratie einigte und konkrete Vorschläge unterbreitete, beschränkte sich die Regierung darauf, die Rückkehr zur Demokratie in vager Form für 1989 in Aussicht zu stellen. Bis heute wurden mit Ausnahme des am 11. September dieses Jahres verkündeten Wahlregistergesetzes die seit langer Zeit angekündigten verfassungsausfüllenden Gesetze, vor allem das wichtige Parteiengesetz, nicht verabschiedet. Die demokratischen Parteien sind — obwohl von der Regierung geduldet — offiziell immer noch verboten und operieren ohne gesetzlichen Rahmen.Es scheint auch so, daß es 1989 keine echte Präsidentschaftswahl mit mehreren Kandidaten geben wird, sondern lediglich eine Abstimmung über einen von der Militärjunta vorgeschlagenen Einheitskandidaten, wie es die chilenische Verfassung von 1980 vorsieht. Die demokratische Opposition hat eine Verfassungsänderung vorgeschlagen. Die Regierung hat dies bisher abgelehnt.Die Bundesregierung hat sich gemeinsam mit ihren europäischen Partnern in öffentlichen Erklärungen und in zahlreichen Gesprächen mit den am Demokratisierungsprozeß beteiligten politischen Kräften Chiles wiederholt für eine Beschleunigung der Rückkehr zur Demokratie ausgesprochen und die Wahrung der Menschenrechte verlangt. Ich erinnere an die Erklärung vom 10. September 1985, in der die Außenminister der Zehn die chilenischen Behörden aufforderten, die Menschenrechte zu respektieren und die Wiederherstellung der Demokratie in Übereinstimmung mit den Wünschen des chilenischen Volkes nicht weiter zu behindern. Die auf unsere Initiative hin abgegebene jüngste Erklärung der Außenminister der Gemeinschaft vom 16. September dieses Jahres enthält erneut den dringenden Appell an die chilenische Regierung. Sie läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.Ich selbst habe am 11. September 1986 in einer Erklärung zum 13. Jahrestag der Machtübernahme des Militärs die umgehende Aufhebung des Belagerungszustandes und die Freilassung der verhafteten demokratischen Oppositionsführer als einen ersten Schritt zur Rückkehr zur Demokratie gefordert.Die Bundesregierung begrüßt deshalb den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen und macht sich die darin enthaltenen Forderungen zu eigen. Wir würden es auch begrüßen, wenn es möglich wäre, zwischen den Fraktionen des Hauses zu einer gemeinsamen Position zu gelangen.Wir appellieren erneut an die chilenische Regierung, die aus politischen Gründen Verhafteten freizulassen, und den Belagerungszustand und die weiteren repressiven Maßnahmen, vor allem die Einschränkung der Pressefreiheit, aufzuheben. Wir werden den permanenten Kontakt mit den maßgeblichen Kräften der demokratischen Opposition fortsetzen und weiter versuchen, den Beginn eines fruchtbaren Dialogs zwischen der Regierung und den Parteien das nationalen Akkords zu fördern, der zur Rückkehr zur Demokratie, zu einem demokratischen Zustand — und das heißt natürlich: zum Abtritt der Diktatur und des Diktators — führen muß.
Der Bundesminister des Auswärtigen spricht dieser Tage in New York mit dem chilenischen Außenminister Del Valle und wird ihm persönlich die Haltung der Bundesregierung erläutern.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu den Menschenrechten in Chile machen. Die Bundesregierung hatte Ende 1985 zur Kenntnis genommen, daß Chile dem Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen in Men-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 18031
Staatsminister Möllemannschenrechtsfragen, dem früheren costaricanischen Außenminister Volio, die Einreise nach Chile gestattet und weitreichende Informationsmöglichkeiten eingeräumt hatte.Auch die Einrichtung einer staatlichen chilenischen Menschenrechtskommission in diesem Jahr deutete auf eine wachsende Sensibilität der chilenischen Regierung in Menschenrechtsfragen hin. Um so größer war unsere Enttäuschung, daß es in den letzten Wochen erneut zu schweren Menschenrechtsverletzungen kam. Die bisher nicht aufgeklärten Morde und die Verbrennung von Demonstranten haben zu Recht große Abscheu hervorgerufen. Die Verhaftung zahlreicher Menschen ohne Zusammenhang mit den Ereignissen vom 17. September kann nur als in höchstem Maße willkürlich bezeichnet werden.Die deutsche Botschaft und der Botschafter in Santiago persönlich haben in den letzten Wochen, insbesondere seit dem Attentat und der Ausrufung des Belagerungszustandes, mehrfach beim Außen- und beim Innenminister von Chile zugunsten der Verhafteten demarchiert sowie ständige Verbindungen mit dem Solidaritätsvikariat der katholischen Kirche und der unabhängigen chilenischen Menschenrechtskommission gehabt. Die Botschaft bemüht sich weiter und steht allen Personen, die es wünschen, mit Rat und Tat zur Seite. Botschaftsangehörige besuchen Verhaftete im Gefängnis und halten engen Kontakt zu den Familienangehörigen und zu den politischen Parteien.Für politisch Verfolgte ist auch weiterhin im Rahmen eines Aufnahmeverfahrens die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland möglich. Dieses Aufnahmeverfahren wurde 1973 speziell für die politisch Verfolgten aus Chile eingerichtet. Bis heute haben von dieser Möglichkeit 2 158 Chilenen Gebrauch gemacht.
Die Botschaften, unsere Botschaft wie die anderen, haben sich aber auch — und das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen — an die internationalen Regeln, die für die Tätigkeit von Botschaften gelten, zu halten. Sie können sonst ihre Aufgabe nicht erfüllen. Deswegen wird das die deutsche Botschaft auch weiterhin tun. Im übrigen, meine sehr verehrten Damen und Herren von den GRÜNEN, es wäre gut, wenn Sie bei Ihren gelegentlichen außenpolitischen Reisen die Tätigkeit unserer Botschaften nicht durch willkürliche Botschaftsbesetzungen erschweren würden. Sie beeinträchtigen nämlich damit die Möglichkeit, bedrängten Menschen zu helfen.
Meine Damen und Herren, so negativ sich die Lage in Chile gegenwärtig auch darstellen mag, positiv zu vermerken ist, wenn es denn ernst gemeint ist, daß Präsident Pinochet in seiner Ansprache am 11. September erneut die Demokratisierung des Landes zugesichert und die beschleunigte Verabschiedung der verfassungsausfüllenden Gesetze angekündigt hat.
Die Bundesregierung wird den Präsidenten beim Wort nehmen. Sie wird die chilenische Regierung bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf dieses Versprechen hinweisen und ihr die Gefahren weiterer Verzögerungen vor Augen führen.Wir treten ein für die Achtung der Menschenrechte und helfen dabei, wo wir können. An dieser Stelle sollte ich sagen, daß wir sehr viele Briefe von Chilenen und von Deutschen oder ehemaligen Deutschen bekommen, die in Chile leben und die uns schreiben, sie fühlten, daß ihr Land ungerecht behandelt würde, und die unsere Motive manchmal vielleicht nicht verstehen. Da bekommt man Briefe, in denen Leute an einen schreiben: „Ich lebe gern hier in Chile, in Santiago ist es am schönsten", so wie vielleicht ein Niederrheiner sagen würde, in Apeldorn ist es am schönsten. Der hätte j a auch recht. Wir wollen das tun, was wir heute angekündigt haben, nämlich uns für eine Überwindung des jetzigen Zustandes einsetzen, eben weil wir den Menschen dort die Möglichkeit geben wollen, in Zukunft Demokratie, Freiheit und Menschenrechte in dem von ihnen geliebten Land wieder zu erleben, und weil wir eine traditionelle Freundschaft zum chilenischen Volk haben, nicht, weil wir etwas gegen die Chilenen hätten; im Gegenteil.Zwei Schlußbemerkungen. Herr Duve, ich möchte der Klarheit halber, obwohl es auch schon in den Medien gestanden hat, hier sagen: Gegen den ehemaligen Militärattaché der Bundesrepublik Deutschland in Chile ist ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Wir halten uns an die dafür geltenden Regeln. Ihre etwas saloppen Formulierungen sollten j a wohl nicht den Eindruck erwecken, als könne man das Problem ohne ein geregeltes Disziplinarverfahren lösen. Zu einem solchen Verfahren gehört auch, daß der Betroffene gehört wird. Ich halte das für selbstverständlich.Das zweite, was ich sagen möchte, schließt an das an, was Helmut Schäfer, mein Kollege aus der FDPFraktion, vorhin erklärte. Ich habe das gleiche Empfinden. An einem solchen Tag, an dem man am Morgen über Südafrika und am Nachmittag über Chile spricht, muß man wissen, über wie viele andere Länder man in dieser Reihe auch noch sprechen müßte,
wenn man den letzten Jahresbericht von „amnesty international" zugrunde legt. Meine Damen und Herren, es ist bedrückend, in einem solchen Moment, in dem wir uns auf zwei Länder konzentrieren, zu wissen, daß in über 100 Staaten dieser Welt regelmäßig und systematisch die Menschenrechte verletzt werden. Diese Tatsache beinhaltet den dringenden Appell an uns, uns für die Beseitigung dieses Mißstandes einzusetzen. Dieser Mißstand macht aber auch deutlich, wie schwer es für die leider so wenigen Staaten, in denen Demokratie und
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18032 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Staatsminister MöllemannMenschenrechte herrschen, und für die Menschen in ihnen ist, diesen Zustand zu überwinden, wenn man sich nicht selbst unrealistischen Erwartungen hingeben und seine Kräfte überschätzen will. Deswegen versuchen wir, auf dem Weg, den ich beschrieben habe,
für die Überwindung des jetzigen Zustandes in Chile einzutreten und die baldige Wiedereinführung der Demokratie zu unterstützen.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP ist beantragt worden, die Vorlagen zu diesen Tagesordnungspunkten einschließlich der Änderungsanträge dem Auswärtigen Ausschuß zu überweisen. Nach der Geschäftsordnung ist über diesen Antrag zuerst abzustimmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen.
— Nein, ich bin in der Abstimmung!
— Sie können jetzt nicht eine Gegenrede halten. Das ist nicht möglich!
— Ja, verzeihen Sie, Sie können natürlich dagegen stimmen, aber nicht dagegen reden.
— Hinterher können Sie sich zu Wort melden und sagen, warum Sie so abgestimmt haben. — Also, es besteht doch kein Streit. Das ist doch nun wirklich ein ernstes Thema. Wir wollen doch hier eine vernünftige Lösung finden und wollen — damit das hier ganz klar ist — niemanden abbügeln. Ich glaube, es ist vernünftig, daß wir die Vorlagen an den Ausschuß überweisen, um nachher die ganze Sache noch einmal ins Plenum zurückzubringen. Ich bitte Sie — —
— Lieber Herr Kollege, wahrscheinlich sind Sie dann nicht mehr da; das ist natürlich möglich.
Meine Damen und Herren, ich darf jetzt den, der dieser Überweisung zuzustimmen wünscht, bitten, ein Handzeichen zu geben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist bei einer Enthaltung beschlossen, so zu verfahren.
Sie wünschen das Wort zur Geschäftsordnung?
Ich möchte eine Erklärung abgeben.
Kommen Sie zur Geschäftsordnung!
— Bitte!
Frau Präsidentin! Ich möchte für meine Fraktion und mich selbst begründen, warum wir diese Überweisung für fatal halten.
Wir sind grundsätzlich gar nicht dagegen, daß die Parteien des Deutschen Bundestages, die in vielen Fragen zerstritten sind, in einer Frage möglicherweise Gemeinsamkeiten haben könnten und diese ausloten, um zu einem gemeinsamen Vorgehen zu kommen. Dies ist aber auch dann möglich, wenn wir heute über bestimmte Sofortmaßnahmen abstimmen, die in diesem Problemkomplex äußerst dringend erforderlich sind.
Die allgemeine Politik gegenüber Chile, die allgemeine Politik gegenüber dem jetzigen Pinochet-Regime kann in Resolutionen in den nächsten Wochen und Monaten noch ausführlich dargelegt werden. Dies nutzt aber nicht den Menschen, die heute ganz konkret vom Tode bedroht sind, den 130 Oppositionellen, die im Knast sitzen und die in jedem Moment ermordet werden können, wie die Vergangenheit gezeigt hat.
Wir meinen, daß sich der Deutsche Bundestag nicht durch eine weitere Verschiebung der Diskussion — wir haben j a vor 14 Tagen schon einmal die Diskussion auf den heutigen Tag verschoben — vor einer Entscheidung über Sofortmaßnahmen drükken kann. Der Begriff der Sofortmaßnahme bedeutet, daß die Maßnahmen unmittelbar und unverzüglich umgesetzt werden müssen. Unseres Erachtens reicht die normale Diplomatie, die betrieben wird, nicht, da eine Botschaft zum jetzigen Zeitpunkt meines und unseres Erachtens sowieso nur noch dann legitim ist, wenn sie sich bedingungslos in den Dienst der Opposition stellt.
Herr Kollege Volmer, seien Sie so freundlich und fangen Sie nicht eine neue Debatte an. Ich habe Ihnen zur Geschäftsordnung das Wort gegeben. Ich glaube, Sie haben ausreichend erklärt, aus welchem Grunde Sie eigentlich die Überweisung hätten haben wollen.
— Ich bedanke mich dafür. Es ist bereits entschieden. Es kann j a sein, daß wir in der nächsten Woche darauf schon wieder zurückkommen, wenn wir uns im Auswärtigen Ausschuß beeilen. Danke schön.Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 25 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem von der Fraktion DIE GRÜNEN einge-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 18033
Vizepräsident Frau Rengerbrachten Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der Aussperrung— Drucksachen 10/1635, 10/1663 —Hierzu liegt ein Verfahrensantrag des Abgeordneten Bueb und der Fraktion DIE GRÜNEN vor, über den wir nach Schluß der Aussprache über den Bericht abstimmen werden. Der Bericht und der Verfahrensantrag liegen auf dem Drucksachenwagen in der Eingangshalle vor.Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart. Kein Widerspruch? Dann wird das so gehandhabt.Ich frage, ob der Berichterstatter das Wort erbittet. Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bueb.
Meine Damen und Herren, die SPD und die CDU/CSU, die große schwarz-rote Koalition, versucht aus wahltaktischen Gründen, den 1984 eingebrachten Gesetzentwurf der GRÜNEN zum Verbot der Aussperrung in den Schubladen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu verstecken. In der vorletzten Obleute-Besprechung haben sich die Vertreter von SPD und CDU/CSU mit fadenscheinigen Argumenten geweigert, den Gesetzentwurf zu diskutieren. Der Vorschlag der SPD, im Dezember eine Anhörung durchzuführen, ist ein durchsichtiges Manöver, um die Diskussion über unseren Gesetzentwurf in diesem Jahr noch zu verhindern.
Doch die aktuelle Diskussion in den Gewerkschaften im Vorfeld der Tarifauseinandersetzungen um die 35-Stunden-Woche wird auch gerade die SPD zwingen, zu dieser Frage Farbe zu bekennen.Wir fordern die Behandlung des Gesetzentwurfes der GRÜNEN zum Verbot der Aussperrung im Plenum noch in diesem Jahr. Dazu haben wir einen konkreten Verfahrensvorschlag vorgelegt.
Die Dringlichkeit des Verbots der Aussperrung liegt auf der Hand. Durch die in diesem Jahr durchgepeitschte Änderung des § 116 AFG wird das Streikrecht noch weiter eingeschränkt. Die angestrebte Zurücknahme der Änderung des § 116 AFG entschärft zwar das Problem und wird deshalb auch von den GRÜNEN mit unterstützt; doch die SPD bleibt halbherzig und defensiv auf halbem Wege sitzen. Zum einen käme eine mögliche Zurücknahme der Änderung für den wahrscheinlichen Arbeitskampf um die Arbeitszeitverkürzung zu spät. Außerdem reicht es vor allem für eine offensive Verteidigung der Rechte der organisierten Arbeitnehmerschaft bei weitem nicht aus, den Zustand von 1984 wiederherzustellen. Durch die zunehmende Rationalisierung und Einführung neuer Technologien, durch die die Lagerhaltung sehr stark eingeschränkt wird, durch die zunehmende Verflechtung der Wirtschaft wird die kalte Aussperrung zu einem bedeutenden Kampfmittel der Unternehmer. In allen größeren Arbeitskämpfen der letzten Jahre und vor allem im Arbeitskampf 1984 wurden die heiße und kalte Aussperrung extensiv betrieben. Zur Erinnerung: Auf einen Streikenden kamen bis zu neun Ausgesperrte. 1984 standen z. B. 57 000 Metallern in Baden-Württemberg und Hessen 350 000 Ausgesperrte im ganzen Bundesgebiet gegenüber.Die Bilanz der Rechtsprechung ist für die Gewerkschaften ebenfalls negativ. So steht der weitgehenden Legalisierung der Aussperrung eine Reihe weiterer streikfeindlicher Gerichtsentscheidungen gegenüber. Das von Blüm bestellte Müller-Gutachten zeigt, wohin der Hase laufen soll. Die Angriffsaussperrung soll salonfähig gemacht werden. Damit ist der Weg, den die Regierung gehen will, eindeutig: Im Auftrag ihrer Geldgeber und Hintermänner sollen die Gewerkschaften zu einem Ordnungsfaktor degradiert und die abhängig Beschäftigten mundtot gemacht werden.Eine neue Sauerei steht mit der Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes an, mit der Sie die Spaltung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betreiben wollen.Den Kampf um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen, für mehr Rechte der abhängig Beschäftigten, gegen Sozialabbau, die Durchsetzung einer gesellschaftlich absolut notwendigen radikalen Arbeitszeitverkürzung wollen Sie mit diesen Regelungen unmöglich machen.Eine wesentliche Konsequenz, die in einer Reihe von Gewerkschaften im DGB aus dieser gefährlichen Entwicklung gezogen wird, ist die Forderung nach einem gesetzlichen Verbot der Aussperrung. Auf dem 13. DGB-Bundeskongreß wurde die Forderung nach einem Verbot der Aussperrung noch einmal bekräftigt. In einer Reihe von Anträgen zum IG-Metall-Gewerkschaftstag wird das Verbot der Aussperrung gefordert. Insbesondere wird die Lohnfortzahlungspflicht der Arbeitgeber bei kalter Aussperrung verlangt, wie sie der Gesetzentwurf der GRÜNEN vorsieht. Der Landesbezirk Hessen der IG Druck und Papier verlangt auf dem Gewerkschaftstag:Wir verlangen von Bundestag und Bundesrat ein gesetzliches Verbot der Aussperrung und die Zustimmung zum eingebrachten Gesetzentwurf der Partei DIE GRÜNEN.
Meine Damen und Herren von der SPD und von den Sozialausschüssen der CDU/CSU, reicht Ihnen diese unvollständige Zusammenstellung von Äußerungen aus dem DGB, um einzusehen, daß in den Gewerkschaften ein starkes Interesse an einem raschen Verbot der Aussperrung vorhanden ist?Ich appelliere deswegen an Sie, vor allen Dingen von der SPD: Stimmen Sie unserem Verfahrensantrag zu.
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18034 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Louven.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Richtig, Herr Lutz. Sie sind lernfähig.
Als solcher haben Sie sich in der Tat erwiesen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Gesetzentwurf der GRÜNEN wurde hier im Deutschen Bundestag schon zweimal behandelt, am 27. Juni 1984 und im Oktober 1985. Im Juni 1984 sprach zu diesem Entwurf mein inzwischen leider verstorbener Kollege Dr. Haimo George. Er stellte damals dazu abschließend fest:
Auch den Gewerkschaften muß an einem funktionierenden Tarif- und Arbeitskampfsystem gelegen sein. Und ich warne uns alle: Wäre das Kräftegleichgewicht, die materielle Kampfparität ... auf Dauer ernsthaft gestört, dann wäre es wirklich soweit, daß der Staat handeln müßte!
Ähnlich äußerte sich am 15. Oktober des vorigen Jahres mein Kollege Wolfgang Lohmann.
Diese Bemerkungen, meine Damen und Herren von der Opposition, sind nach wie vor richtig. Es reicht heute die Zeit nicht aus, um noch einmal in allen Einzelheiten auf diese Problematik einzugehen. Ich will mich daher darauf beschränken, einzelne Punkte aus Ihrer Begründung, Herr Bueb, noch einmal kritisch zu beleuchten.
Ich finde, es grenzt schon fast an Zynismus, wenn Sie unter „Kosten" angeben: „keine", dann sogar schreiben, es gebe „im Gegenteil Kostenersparnis für Beschäftigte, Unternehmen, Staat und Sozialversicherungsträger infolge geleisteter Arbeit statt zwangsverordneter Arbeitsniederlegungen durch Aussperrung". Wenn Sie so begründen, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, dann müßten Sie logischerweise auch für ein Streikverbot sein, denn auch dies würde dann zu erheblichen Ersparnissen führen.
Damit hier keine Irrtümer aufkommen: Wir sind natürlich gegen ein Streikverbot.
In der Begründung schreiben Sie dann:
Der Streik ist also das Mittel der sozial Schwächeren, sich gemeinsam durch Arbeitsniederlegungen gegen eine erdrückende wirtschaftliche Übermacht zu wehren. Ohne dieses Mittel solidarischer Gegenwehr wären wesentliche soziale Erfolge, die heute selbstverständlich .. . sind, nicht zustande gekommen.
Wie ist es denn zu erklären, meine Damen und Herren, daß diese sozialen Errungenschaften in einer Zeit zustande gekommen sind, in der es das Instrument der Aussperrung gab? Dies beweist doch für
alle Fälle klar, daß unser Tarifrecht auf der Grundlage der Tarifautonomie bestens funktioniert.
Falsch ist in Ihrer Begründung auch, daß die Unternehmer ein ganzes Arsenal von strategischen Mitteln einsetzen könnten, um ihr Letztentscheidungsrecht abzusichern. Das Bundesarbeitsgericht hat hier Spielregeln vorgegeben, wonach insbesondere auf die Verhältnismäßigkeit abzuheben ist. Wenn es bei Ihnen heißt, dies gehe bis zur Schaffung von Sprecherausschüssen für leitende Angestellte, so darf ich Sie wohl in aller Freundschaft darauf hinweisen, daß diese Sprecherausschüsse nicht von den Unternehmern gefordert worden sind, sondern von uns, von der CDU/CSU- und FDP-Fraktion.
Die Unternehmer haben in der Anhörung im übrigen deutlich gemacht, daß Sie diese nicht wollen. Daß ihnen in der Begründung nichts anderes einfällt, als auf die Aussperrung im Ruhrstreik 1929 zurückzugreifen, beweist, Herr Bueb, wie weit Sie sich von der Wirklichkeit entfernt haben.
Streiks würden durch die Aussperrungen für die Gewerkschaft zu einem unkalkulierbaren Risiko, heißt es weiter. Könnten Sie sich, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, eine Tariflandschaft vorstellen, bei der Aussperrung verboten und ein Streik mit keinerlei Risiko verbunden ist? Chaos wäre die Folge. So etwas scheinen Sie zu wollen.
Schließlich behaupten Sie, die Aussperrungspraxis der Unternehmer sei ein unmittelbarer Angriff auf den verfassungsrechtlichen Schutz der Tarifautonomie. Genau das Gegenteil ist der Fall. Art. 9 Abs. 3 schließt Aussperrungen nicht aus. Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 10. Juni 1980 die Tarifautonomie zum Ausgangspunkt seiner Entscheidung zur Aussperrung gemacht. Das Gericht vertrat die Ansicht, daß unser Tarifvertragssystem damit stehe und falle, daß durch Tarifregelungen ein tatsächlicher Machtausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern geschaffen werde. Das Bundesarbeitsgericht forderte deshalb gleiche Kampf- und Verhandlungschancen zwischen den sozialen Gegenspielern.
Ihr Gesetzentwurf, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, wird dem nicht gerecht. Er ist schon im Ansatz verfehlt. Für uns ist er nicht diskussionsfähig, und mit uns ist ein Gesetz zum Verbot der Aussperrung — und ich sage dies, damit Sie nicht weiter behaupten, wir würden aus wahlkampftaktischen Gründen diesen Gesetzentwurf verschleppen — jetzt und in Zukunft nicht zu machen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lutz. Den Namen kann man nicht verwechseln.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die Beratungsgeschichte Ihres Gesetz-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 18035
Lutzentwurfs, Herr Bueb, des Entwurfs eines Gesetzes zum Verbot der Aussperrung, muß ich nicht lange eingehen. Was dazu zu sagen ist, hat der Ausschußvorsitzende, mein Freund Eugen Glombig, in seinem schriftlichen Bericht, Drucksache 10/6063, an das Parlament minuziös dargelegt. Da ist nichts geschönt.Sie selbst, Herr Bueb — auch wenn Sie das inzwischen vergessen haben sollten —, protestieren mit uns gemeinsam gegen die Beratungshektik und gegen den Beratungsdruck, unter dem der Ausschuß stand und immer noch steht. Sicher, da wäre manches Gesetz der Koalition besser nicht eingebracht worden und besser auch nicht verabschiedet worden.
Aber das lag nicht in unserer Hand. Wir haben uns erbittert dagegen gewehrt.
Wir haben uns da also nichts vorzuwerfen, Herr Bueb, und wir lassen uns in dieser Frage von Ihnen auch nicht vorführen.
— Herr Bueb, wenn Sie jetzt Ihre grauen Zellen bemühen, dann werden Sie vor Schreck verstummen, und ich kann weiterreden.
Wir haben im Obleute-Gespräch in all den Jahren immer wieder Prioritäten zu setzen versucht und zu setzen gehabt. Da gab es viele Monate, in denen wir durchaus den Eindruck gewinnen konnten, daß Sie an einer zügigen Beratung des Entwurfs nicht eben sonderlich interessiert waren.
Wir konnten das gut nachvollziehen. Denn eine ernst zu nehmende parlamentarische Vorlage ist die Drucksache, die Sie uns zumuteten, ganz gewiß nicht.
Gäbe es, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, einen politischen Mindeststandard, Sie wären mit Ihrem Machwerk glatt durchgefallen.
Das ist kein Gesetzentwurf, das ist — ich sage Ihnen das in aller Freundschaft — ein noch dazu hundsmiserabel gemachter Schauantrag.
— Herr Seiters, im Handwerklichen sind wir unübertroffen, möchte ich bemerken,
und in der Zielrichtung natürlich auch.Wir haben deshalb von allem Anfang an erklärt — und dies immer wiederholt —, daß wir vor einer weiteren Beratung der Vorlage ein Anhörungsverfahren für unverzichtbar halten. Das wird jetzt am 3. Dezember stattfinden, zu spät für eine abschließende Beratung des Entwurfs, immer noch rechtzeitig für eine gründliche Erörterung der Aussperrungsproblematik.
Und das ist wichtiger, wichtiger als Ihre Schreibübung. Ein Verbot, eine Achtung der Aussperrung durch den Deutschen Bundestag hätte bei den gegenwärtigen Mehrheitsverhältnissen im Parlament keine Chance. Das wissen Sie. Das weiß jeder draußen. Das müssen wir uns nicht durch alberne Aktionismen immer wieder gegenseitig bestätigen.Worauf es jetzt ankommt, ist dies. Wir müssen ein neues Klima in der Öffentlichkeit, ein neues Bewußtsein beim Bürger, eine neue Mehrheit in diesem Hause schaffen,
und wir werden sie schaffen.
Unsere feste Überzeugung, daß Streik und Aussperrung keine gleichen Waffen im Arbeitskampf sind, wird sich durchsetzen. Wir werden die politischen Mehrheiten für eine Achtung dieses Relikts aus der Frühzeit des Kapitalismus herbeiführen.
Wir werden dies allein tun müssen; denn es gibt in diesem Hause keinen politischen Bundesgenossen dafür, Sie schon gar nicht
mit Ihrer souveränen Mißachtung politischer Gegebenheiten und mit Ihrem zutiefst unpolitischen Herumtrampeln im Porzellanladen des sozialen Kampfrechts.
Wir werden die Ächtung der Aussperrung erreichen. Wir werden § 116 AFG in seiner jetzigen Form abschaffen. Wir werden die Mitbestimmung weiterentwickeln. Wir werden ein modernes Betriebsverfassungsrecht sichern. — Leider allein!
— Sie kann ich da leider nicht zur Mitarbeit auffordern, weil Sie dazu nicht bereit sind.
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18036 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
LutzPardon — Ihren Antrag lehnen wir aus den genannten Gründen natürlich ab. Wir sind gegen Aktionismus und für Politik.
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dies wird weder allein noch zusammen mit den GRÜNEN geschehen.
Zum drittenmal haben wir das Vergnügen und die SPD das Mißvergnügen, uns mit dem Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der Aussperrung zu beschäftigen, und dies, obwohl die Beratungen im Ausschuß noch nicht abgeschlossen sind.
Die Positionen sind im Grunde genommen klar, für die CDU/CSU, für die FDP und auch für die GRÜNEN — das kann man nicht bestreiten. Aber ich habe eigentlich schon lange mit Spannung darauf gewartet, wie denn die SPD-Fraktion den Gesetzentwurf, den sie angekündigt hat, nun formulieren würde. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund sollte ja, so hatte der Kollege Dreßler in der Sitzung am 27. Juni 1984 angekündigt, ein gemeinsamer Vorschlag entwickelt werden. Ich hätte ihn mir — ehrlich gesagt — mit Vergnügen einmal angesehen. Fehlanzeige, vergeblich, es ist nichts geschehen. Das überrascht bei der bekannten Fähigkeit der Kollegen der SPD, zu allem und zu jedem ellenlange Gesetzesvorlagen zu entwickeln. Es überrascht schon, daß in dieser zentralen Frage — wie es damals hieß — von der SPDBundestagsfraktion nichts vorgelegt worden ist.
— Egon Lutz, daran man nichts ändern.
Die SPD hat j a für alle Fälle einen institutionell Zuständigen. Wenn ein Schuldiger gesucht wird, sind wir von der FDP es ja im allgemeinen. Wir ertragen auch dies noch und werden das auf unsere Schultern nehmen.
Wichtiger ist schon, daß in den Parteitagsbeschlüssen der SPD die alte Formulierung vorhanden ist — Egon Lutz hat sie wieder benutzt, die Aussperrung zu ächten.
Aber beachtenswert ist, daß in dem Regierungsprogramm des Kanzlerkandidaten Rau, der sich j a nicht immer in Übereinstimmung mit seiner Partei befindet, ein offensichtlicher Dissens ist. Denn man hat es entweder schlicht vergessen, die Frage anzusprechen, oder Bruder Johannes distanziert sich von dieser Forderung, was ich mindestens hoffe, wenn auch nicht zu glauben wage.
Bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs hatte der grün wegrotierte Kollege Stratmann — wie ich mich dunkel erinnere — in diesem Zusammenhang dafür plädiert, Betriebsbesetzungen vorzunehmen.
Ehrlicherweise sollte man sagen, daß diese natürlich nichts anderes sind als die Abschaffung des Eigentums an Produktionsmitteln.
Ich kann nur — wie damals — auffordern, dies auch deutlich zu sagen. Dann wissen wir, was los ist. Denn so weit gehen in dieser Frage noch nicht einmal die Koalitionspartner in Dauerwartestellung.
Es würde mich überraschen, wenn das nicht hier auch ein wenig geklärt würde.
Es wird niemanden überraschen, daß die FDP den Gesetzentwurf der GRÜNEN ablehnt. Das ist Ihnen ja auch bekannt.
— Ich bekenne mich zu dieser ehrenvollen Berufstätigkeit, wie der Kollege Bueb das ja hoffentlich auch tut. Er ist j a insoweit unternehmerischer Kollege.
Die FDP hat sich immer zur Tarifautonomie und zur Eigenverantwortung der Tarifpartner, die Arbeitsbedingungen und Arbeitsentgelte eigenverantwortlich auszuhandeln, bekannt. Ich tue das hier auch wieder. Voraussetzung für eine funktionierende Tarifautonommie ist aber ein annäherndes Gleichgewicht der Verhandlungspartner.
Deshalb ist das Arbeitskampfrecht mit seinen Ausprägungen wie Streik und Aussperrung ein unverzichtbarer Bestandteil des recht verstandenen Grundrechts der Koalitionsfreiheit.
Abschließend möchte ich noch einmal feststellen: Wir brauchen die Tarifautonomie; wir brauchen freie, ohne staatliche Reglementierung ausgehandelte Arbeitsbedingungen. Dazu gehören als Ultima ratio im Arbeitskampf Streik und Aussperrung. Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit mit seinen Ausprägungen in den verschiedenen Arbeitskampfmitteln wie Streik und Aussperrung ist unverzichtbarer Bestandteil unserer Demokratie. Die Liberalen nehmen die Gelegenheit — die Vorlage des Gesetzentwurfs der GRÜNEN — wahr, dies von dieser Stelle noch einmal ausdrücklich zu betonen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Vogt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege! Frau Präsidentin! Meine Damen und Her-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 18037
Parlamentarischer Staatssekretär Vogtren! Die Forderung der Fraktion DIE GRÜNEN, die Aussperrung in jeder Form zu verbieten, ist schon in ihrem Ansatz verfehlt. Deshalb lehnt die Bundesregierung diese Forderung ab.Die Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf für eine Kodifikation des materiellen Arbeitsrechts. Die Rechtsprechung vor allem des Bundesarbeitsgerichts hat bisher die Aufgabe, im Streitfall Spielregeln für Arbeitskämpfe zu finden und dadurch die Kampf- und Verhandlungsparität zu wahren und zu sichern, im Grundsatz flexibel, angemessen und friedenssichernd gelöst.
Herr Staatssekretär, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Aber selbstverständlich, Frau Präsidentin.
Herr Abgeordneter Lutz, bitte.
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für eine Stilfrage, daß die Regierung zu schweigen hat, wenn sich das Parlament über die Gestaltung seiner Tagesordnung unterhält?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Frau Präsidentin hat mir zuerst einmal das Wort gegeben. Das ist meine formale Antwort.
Außerdem ist hier nicht zum parlamentarischen Verfahren gesprochen worden, sondern Sie und auch andere Kollegen haben auch zum Inhalt gesprochen. Zu dieser Frage nehme ich inhaltlich Stellung, damit über die Haltung der Bundesregierung überhaupt kein Zweifel besteht.
Es wäre nämlich ein absolut falscher Weg, meine Damen und Herren, punktuell in Arbeitskämpfe einzugreifen. Dadurch würde ein sensibles Gefüge aus dem Lot geraten, die Tarifautonomie würde Schaden nehmen. Der Gesetzentwurf der Fraktion Die GRÜNEN beweist, daß die Tarifautonomie in Ihren Händen, Herr Kollege Bueb, in schlechten Händen ist.
Unser Tarifvertragssystem steht und fällt damit, daß zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ein tatsächlicher Machtausgleich besteht. Tarifautonomie erfordert gleiche Kampf- und Verhandlungschancen zwischen den sozialen Gegenspielern. Deshalb ist das Streikrecht unverzichtbar.
Zum anderen muß aber auch die Aussperrung grundsätzlich anerkannt werden. Das gilt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes für die Abwehraussperrung.
Ohne die Möglichkeit, notfalls durch einen Streik zu einem Tarifvertragsabschluß zu kommen, hätten die Arbeitnehmer im Konfliktfall keine andere Wahl, als sich letztlich der anderen Seite zu beugen.
Es gilt aber auch: Durch ein absolutes Verbot der Aussperrung wären den Arbeitgebern die Hände gebunden, auf besondere Kampfmaßnahmen der Arbeitnehmer angemessen zu reagieren.
Die GRÜNEN wollen außerdem, meine Damen und Herren, gleichzeitig mit dem Verbot der Aussperrung auch den von den Fernwirkungen eines Arbeitskampfes betroffenen Unternehmen, also den Unternehmen, die beispielsweise wegen ausbleibender Ersatzteile nicht weiter produzieren können, verbieten, den Beschäftigungs- und Lohnanspruch der Arbeitnehmer ruhen zu lassen. Die Folge liegt auf der Hand: Eine Seite wäre dem Diktat der anderen Seite ausgeliefert.
Der vom Bundesarbeitsgericht entwickelte Grundsatz der materiellen Kampfparität als Grundlage eines funkionierenden Tarif systems wäre aufgehoben. Ich sage: Keine Bundesregierung könnte dem tatenlos zusehen, ganz egal, was die einzelnen Fraktionen in dieser Debatte behaupten mögen.
Keine Bundesregierung könnte dem tatenlos zusehen. Sie wäre zur staatlichen Reglementierung des Arbeitskampfes gezwungen. Eine staatliche Reglementierung auch der Streiks wäre unausweichlich.
Die GRÜNEN hätten den Gewerkschaften einen Bärendienst erwiesen. Das hat auch der Vorsitzende des DGB, Ernst Breit, erkannt, als er in seinem Brief von Juni 1984 bat, den Gesetzentwurf der GRÜNEN sorgfältig unter politischen und rechtlichen Gründen zu prüfen.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch sagen: Die Rechtsprechung hat anerkannt, daß Aussperrungen nicht völlig ausgeschlossen werden dürfen. Die Bundesregierung hält es für richtig, diese Rechtslage bestehen zu lassen. Der Gesetzentwurf der GRÜNEN würde die Balance zwischen den Tarifvertragsparteien zerstören. Das wäre das Ende der Tarifautonomie. Niemand, der Verantwortung trägt, kann hieran ein Interesse haben.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Aber selbstverständlich.
Herr Abgeordneter Bueb, bitte.
Herr Staatssekretär, als wir die öffentliche Anhörung zu § 116 AFG hatten, habe ich Herrn Breit gefragt, ob die Gewerkschaft ein gesetzliches Verbot der Aussperrung befürwortet; er hat dieser Sache ausdrücklich zugestimmt, auch in bezug auf unseren Gesetzentwurf. Ich frage Sie, wie dann Ihre Äußerung jetzt und hier zu werten ist, die Sie mit Bezug auf Herrn Breit hier getan haben.Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bueb, wenn Sie zwischen der Aussage des Kollegen Breit
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18038 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Parl. Staatssekretär Vogtin der Anhörung und seinem Brief vom Juni 1984 einen Widerspruch sehen, würde ich Sie bitten, den Vorsitzenden des DGB, Ernst Breit, zu fragen, wie er diesen Widerspruch aufzuklären gedenkt. Ich habe mich auf den Brief von 1984 bezogen. Da hat er uns gebeten, den Entwurf der GRÜNEN sorgfältig unter politischen und rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen.
Die Kommentierung war sich einig: Das war eine höfliche Absage an Ihre Forderung.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag des Abgeordneten Bueb und der Fraktion DIE GRÜNEN. Der Inhalt ist: Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung wird aufgefordert, seine Beratungen bis zum 5. November 1986 abzuschließen, damit der Bundestag über den Gesetzentwurf an den Sitzungstagen 27. oder 28. November Beschluß fassen kann. — Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes
— Drucksache 10/5842 —
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Pöppl.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der vom Bundesrat eingebrachten Gesetzesvorlage zur Verbesserung des Vermögensschutzes werden zwei sozial und ordnungspolitisch, wie ich meine, wichtige Themenbereiche in die parlamentarische Beratung eingeführt.
Zunächst geht es darum, ein im Jahre 1981 an den sozial Schwachen, insbesondere an den Behinderten, begangenes Unrecht wiedergutzumachen. Zur Rettung aus ihrer finanzpolitischen Mißwirtschaft hat die SPD nicht davor zurückgescheut, die Grundlagen des Sozialhilferechts, nämlich die Befähigung der Hilfesuchenden zur Selbsthilfe, völlig über Bord zu werfen.
Mit dem 2. Haushaltsstrukturgesetz — hören Sie gut zu! — haben Sie insbesondere den Behinderten und ihren Familien große Nachteile zugefügt. Gerade jenen, die wegen eines pflegebedürftigen Angehörigen auf das Wohnen im eigenen Haus oder in der eigenen Wohnung besonders angewiesen sind, wurde dieser Weg verbaut, indem man ihnen die Verwertung des mühsam angesparten und bis dahin als Schonvermögen behandelten Bausparguthabens zumutete.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jaunich?
Nein.
Keine Zwischenfrage.
Bei fünf Minuten Redezeit nein.
Herr Kollege, Entschuldigung.
Herr Jaunich, ich rufe Sie zur Ordnung. Die Worte „Lügen in die Welt setzen" zu dem Abgeordneten sind persönlich gemeint. Das kann ich hier nicht akzeptieren.
Diese Ungerechtigkeit wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzesantrag beseitigen. Dem Bundesrat und insbesondere dem Freistaat Bayern als Initiator gebührt hier unser Dank für das Bemühen, im Zuge der Haushaltskonsolidierung der Selbsthilfebefähigung wieder stärker Geltung zu verschaffen.Der zweite Themenbereich zur Verbesserung des Vermögensschutzes in der Sozialhilfe ist konsequent und folgerichtig auf die von der Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP getragene Wohnungseigentumspolitik ausgerichtet. Die Bildung und Erhaltung von angemessenem Wohnungseigentum erfordert in Zeiten der Bedürftigkeit des Eigentümers oder seiner engsten Angehörigen im Interesse der Hilfesuchenden und in gleicher Weise im Interesse der Steuerzahler eine angemessene Schonung, ohne daß dadurch der Grundsatz der Nachrangigkeit verletzt wird.Dabei ist es meines Erachtens unstrittig, daß die Hilfesuchenden und Hilfebedürftigen einen Anspruch auf Gleichbehandlung haben, ganz egal, wo sie in der Bundesrepublik Deutschland wohnen. Es kann ja wohl nicht richtig sein, daß ein bestimmtes Fertighausmodell auf einem Grundstück an der
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 18039
PöpplWerra oder an der Leine als geschontes Vermögen behandelt wird und ein gleich großes Grundstück an der Isar oder an der Spree dazu führt, daß vom Hilfesuchenden zunächst die Verwertung dieses Immobilienvermögens verlangt wird. Für Hilfebedürftige ist das Familienheim nicht Spekulationsobjekt, sondern Wohnstatt, und zwar unabhängig von den Quadratmeterpreisen des Grundstücks.Neben diesem Aspekt erscheint es mir aber wichtig, in der ersten Lesung schon auf die damit verbundene sozialpolitische Bedeutung dieses Schrittes zu einer besseren Akzeptanz des Sozialhilferechts einzugehen.Im Zusammenhang mit den angekündigten Strukturreformen der gesetzlichen Rentenversicherung und der gesetzlichen Krankenversicherung kommt der künftigen Funktion des Sozialhilferechts eine entscheidende Bedeutung zu. Hierbei ist die Sozialhilfe auf eine wesentliche Steigerung ihrer Akzeptanz und Annahmebereitschaft in der Bevölkerung als Grundsicherungselement für jedermann angewiesen. Die Sozialhilfe hat als unteres Netz die Aufgabe, Lücken zu schließen, die in den übergeordneten Sicherungsbereichen bestehen oder entstehen können. Als tragende Säule innerhalb der sozialen Sicherung der Bundesrepublik Deutschland hat sie die Funktion, die systemgerechte Ausgestaltung übergeordneter Sicherungsformen und deren Anpassung an geänderte wirtschaftliche und gesellschaftliche Verhältnisse zu ermöglichen.
Der teilweise unzureichende Vermögensschutz, Herr Kollege, ist einer der Gründe, weshalb die Hilfemöglichkeiten nach dem BSHG von einem Teil der Bevölkerung bisher als unzumutbar zurückgewiesen wurden. Angesichts der gesellschafts- und sozialpolitischen Situation ausgangs dieses Jahrtausends müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, um die Akzeptabilität der Sozialhilfe als Grundsicherungsmodell zu erreichen. Diese Zielsetzung ist der Inhalt des Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfs auf Verbesserung des Vermögensschutzes in der Sozialhilfe.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Witek.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Anfang der heutigen Sozialhilfe-Debatte steht die erste Lesung eines Bundesratsentwurfs, der, so die Begründung, den sozialhilferechtlichen Schutz des vielzitierten „kleinen Hausgrundstücks" von Sozialhilfebedürftigen verbessern soll. Dieses lobenswerte Anliegen ist, mit Verlaub gesagt, ein alter Hut. Bereits 1980 hatte der Deutsche Bundestag mit der damaligen 4. Novelle zum Bundessozialhilfegesetz eine ähnliche Verbesserung der Schutzvorschriften einvernehmlich beschlossen. Dieses Gesetz scheiterte damals im Vermittlungsverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat.Um so interessanter erscheint die Tatsache, daß der erneute Vorstoß nunmehr von der Ländervertretung selbst unternommen wurde. Es sieht allerdings stark nach Salamitaktik aus, wenn man bedenkt, mit welcher Ruppigkeit die Union mit den Haushaltsbegleitgesetzen 1982/84 Kleinholz in der Sozialhilfegesetzgebung angerichtet hat.
Denn auch die massiven Sozialhilfekürzungen im Rahmen des Haushaltsbegleitgesetzes wurden von der Unionsmehrheit im Bundesrat initiiert. Auch wenn Sie das immer wieder der sozialliberalen Koalition in die Schuhe schieben wollen: Es bleibt doch dabei. Wachsamkeit hinsichtlich der weiteren Behandlung dieses im Grundsatz begrüßenswerten Entwurfs erscheint deshalb angebracht.Die Gegenäußerung der Bundesregierung läßt eigentlich nur den Schluß zu, daß sie den angestrebten Verbesserungen nur unter Bedingungen zuzustimmen bereit ist, die die Absicht des Entwurfs in ihr Gegenteil verkehren werden. Diese Schlußfolgerungen beruhen auf folgenden Überlegungen: Nach ihrer Gegenäußerung ist die Bundesregierung lediglich zur Erwägung eines erweiterten Schutzes selbstbewohnter Hausgrundstücke bereit. Diese windelweiche Formulierung drängt geradezu den Gedanken auf, daß die Bundesregierung mit der Verabschiedung des Entwurfs noch in dieser Legislaturperiode nicht rechnet. Warum sonst hat die Regierung anderslautende Vorstellungen nicht näher präzisiert? Die Bundesregierung will auch dann, wenn sie dem Grundgedanken des Entwurfs näherträte, eine wertmäßige Begrenzung für zu schützende Hausgrundstücke einführen. Der vorliegende Gesetzentwurf beruht aber gerade auf der Erkenntnis, daß einheitliche Maßstäbe für obere Grenzwerte bei Hausgrundstücken nicht definierbar sind. Eine wertmäßige Begrenzung würde ganz besonders in Ballungsgebieten z. B. die Förderung der Pflege im häuslichen Bereich erheblich behindern.Die Bundesregierung versucht auch an dieser Stelle, die nun wirklich unerträgliche und abgestandene Mißbrauchsdebatte wieder hochzuspielen. Wie will uns die Bundesregierung damit weismachen, daß die Sozialämter auf Grund der vorgeschlagenen Verbesserung von Familien mit behinderten und pflegebedürftigen Angehörigen gestürmt würden, um ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse ausbreiten zu dürfen? Daran — so beweist der Entwurf — glauben nicht einmal die Länder, die ja die Kosten zu tragen haben.
Die vom Bundesrat vorgeschlagene Verbesserung des Schutzes von Familienheimen ist mehr als überfällig und sollte daher zügig behandelt werden.
Das schließt nicht aus, daß Einzelheiten und Aus-wirkungen sorgfältig geprüft werden müssen, eine
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WitekArbeit, die in den Ausschüssen geleistet werden muß.Natürlich streben wir Sozialdemokraten weiterhin eine Gesamtreform der Sozialhilfe an, an der wir konstruktiv mitarbeiten, wozu wir uns mehrfach öffentlich angeboten haben. Die Situation der Sozialhilfeempfänger ist jedoch heute nicht zuletzt durch die von der gegenwärtigen Koalition vorgenommenen massiven Einschnitte so beschaffen, daß auch kleinere Verbesserungen so schnell wie möglich umzusetzen sind.
Wir werden unsere detaillierten Vorschläge zu diesem Gesetzentwurf in den Fachausschüssen vortragen und hoffen, daß es uns gelingt, dieses Gesetz sozial verträglich und gerecht zu gestalten.Ich danke Ihnen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, begrüße ich in der Ehrenloge den Präsidenten des Unterhauses von Irland, Herrn Tom Fitzpatrick, und seine ihn begleitende Delegation. Ich habe die Ehre, Sie im Deutschen Bundestag sehr herzlich zu begrüßen, und wir wünschen Ihnen noch einen sehr angenehmen Aufenthalt und nützliche Gespräche in Bonn und auf Ihrer weiteren Reise durch die Bundesrepublik. Unser Dank gilt Ihnen für Ihren Besuch in Berlin und für das Interesse, das Sie damit der besonderen Lage unserer geteilten Stadt entgegenbringen. Ich wünsche Ihnen alles Gute.
Wir fahren fort. Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundesrat betont in seiner Begründung dieses Gesetzentwurfs mit Recht, daß das Wohnen im eigenen Haus für viele einen hohen Wert hat, und mit Recht wird darauf hingewiesen, daß der ideelle Wert des Wohnungseigentums den materiellen Wert übersteigt. Auch den Hinweis, daß angemessene Wohnmöglichkeiten — das bedeutet in diesem speziellen Fall fast immer eigenes Wohneigentum — wesentliche Voraussetzung für soziale Rehabilitation und Pflege des behinderten Angehörigen in der eigenen Familie sind, halten wir für richtig.Wir müssen zugeben, daß die jetzt gültige gesetzliche Lage dies nicht optimal regelt. In der Praxis tritt die Frage des Einsatzes des kleinen Hausgrundstücks fast nur bei der Gewährung von Pflegegeld für bei den Eltern lebende pflegebedürftige Kinder auf. Unbefriedigend ist dabei die von Verwaltungsgerichten und den Sozialhilfeämtern vorgegebene Wertgrenze für die Anrechnung kleiner Hausgrundstücke. Sie reichen je nach Lage und Stadt von 90 000 bis 300 000 DM; eine bundeseinheitliche Regelung gibt es nicht. Das haben meine Vorredner bereits betont.Wir sind auf der anderen Seite noch nicht überzeugt, daß der Entwurf des Bundesrates eine optimale Regelung bedeutet. Wir befürchten, daß dadurch eine Ungleichbehandlung zwischen verschiedenen Sparmöglichkeiten, nämlich zwischen Kapitalvermögen und Wohnvermögen, vorgenommen wird, und das muß zwangsläufig zu einer Gefahr des Mißbrauchs dieser Regelung führen. Auf diesen Punkt hat auch die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme hingewiesen.Nach Auffassung der kommunalen Spitzenverbände ist die vom Bundesrat angestrebte Gesetzesänderung nicht notwendig. Er empfiehlt, in den Fällen, wo pflegebedürftige Kinder zu versorgen sind, die Härtefallregelung, die es in diesem Bereich gibt, zu erweitern.
— Das ist richtig, Herr Kollege. Wir sehen das auch etwas differenzierter.Sowohl der Gesetzentwurf des Bundesrates als auch die unterschiedlichen Stellungnahmen zeigen eines gemeinsam: Es gibt ein Problem, das zu lösen ist; aber eine gute Lösung hat bisher noch niemand gefunden. Ich sehe jedenfalls im Moment, daß wir hier noch sehr lange und vor allem sehr intensiv über eine optimale Lösung nachdenken müssen.
— Herr Kollege, das hängt davon ab, wie kreativ wir im Ausschuß zusammenarbeiten werden. Vorschnelle Versprechungen sind jedenfalls nicht der Stil der Liberalen, meine Kollegen von der Opposition, und gerade vor Wahlen muß man sich zurückhalten, will man nicht in den Geruch kommen, daß man nur Wahlgeschenke verteilen will.
— Aber Herr Kollege, seien wir doch ehrlich: Wir versuchen, das ganze Problem differenziert zu betrachten. Ich bemühe mich gerade, Ihnen das Angebot zu machen, gemeinsam zu einer guten Lösung zu kommen,
und Sie glauben, daß man da stören muß!Wir müssen versuchen, eine gemeinsame Lösung zu finden, bei der der elementarste Lebensraum des Menschen, nämlich die eigenen vier Wände, geschützt ist, und bei der nicht durch den Einsatz des Wohnvermögens und durch den dadurch entstehenden Verlust von Wohnungseigentum die Lebenssituation noch schlechter wird und im Endeffekt die Kosten für Sozialhilfe steigen.Wir müssen aber auf der anderen Seite auch dafür sorgen, daß unterschiedliche Formen von Vermögen nicht unterschiedlich behandelt werden und dadurch Mitnahmeeffekte und Mißbrauchstatbestände ermöglicht werden. Vielleicht muß man auch das Grundprinzip der heutigen Sozialhilfe kritisch
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Eimerbeleuchten. Etwas ähnliches hat ja auch gerade mein Vorredner aus Ihrer Fraktion, meine Damen und Herren von der SPD, angedeutet.Wir wollen uns jedenfalls neuen Erkenntnissen und neuen Lösungsmöglichkeiten nicht verschließen. Wenn dies in dieser Legislaturperiode noch möglich ist, soll es an uns nicht scheitern.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Bueb.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf erscheint uns in mehrfacher Hinsicht inkonsequent und schafft zweierlei Recht. Es geht um die Neubestimmung des geschonten Wohneigentums im Rahmen der Sozialhilfe. Es sollen durch den Gesetzentwurf klare bundeseinheitliche Beurteilungskriterien vorgegeben werden, was zukünftig als zu schonendes Hausgrundstück oder Wohneigentum zu gelten habe. Verhindert werden sollen damit Auslegungsprobleme, die bisher zu Ungleichbehandlungen in diesem Bereich geführt haben.
Als Beurteilungsgrundlage dafür, ob ein vom Sozialhilfeempfänger und seinen nächsten Angehörigen, der sogenannten Bedarfsgemeinschaft, bewohntes Familienheim oder eine Eigentumswohnung als Schonvermögen zu betrachten ist, soll nicht mehr der Verkaufspreis dienen, sondern gewissermaßen der Gebrauchswert. Dabei will der Gesetzgeber nun den Begriff „kleines" durch „angemessenes" Hausgrundstück ersetzen. Als angemessen sollen Wohnflächen gelten, wie sie im Zweiten Wohnungsbaugesetz für Familienheime und Eigentumswohnungen festgelegt sind.
Durch die Ankoppelung an das Zweite Wohnungsbaugesetz wird ausdrücklich auf die heute üblichen Wohnverhältnisse Bezug genommen. Damit erfährt der Begriff „angemessen" im Rahmen der Sozialhilfe eine Interpretation, die der integrativen Zielsetzung des BSHG entspricht. Nur: Was dem einen recht ist, müßte eigentlich dem anderen billig sein. Dieselben Maßstäbe müßten auch bei der Übernahme von Unterkunftskosten im Rahmen der Sozialhilfe gelten. Es kann wohl nicht angehen, daß einem Vierpersonenhaushalt eine Wohnfläche von 130 qm zugesprochen wird, nur weil ihm das Häuschen gehört, während bei der Übernahme von Unterkunftskosten wesentlich restriktiver vorgegangen wird und für eine vergleichbare Familie nur 80 qm zugesprochen werden.
Im Sinne einer Gleichbehandlung müßte daher auch bei der Übernahme der Unterkunftskosten nicht mehr der Mietpreis, sondern die Wohnfläche entscheidend sein, denn ein Sozialhilfeempfänger ist als Mieter ebensowenig für unterschiedliche oder zu hohe Mietpreise verantwortlich zu machen wie der Familienhauseigentümer, der nicht für Grundstückspreise infolge der Bodenspekulation bestraft werden soll.
Zur Klarstellung: Auch wir sind der Meinung, daß jemand, der infolge von Erwerbslosigkeit, Krankheit oder sonstigen Lebensumständen in eine Situation gerät, daß er Sozialhilfe beanspruchen muß, nicht dazu gezwungen werden soll, erst sein Häuschen aufzuessen. Im Falle von Pflegebedürftigkeit haben wir uns ohnehin für einkommen- und vermögensunabhängige Leistungen ausgesprochen.
Den hier zum Ausdruck kommenden Grundgedanken, daß es Aufgabe der Sozialhilfe sei, dem auf die Hilfe Angewiesenen die Hilfestellung zu geben, die er braucht, um in der Gesellschaft integriert weiterleben zu können, möchten wir auf alle Sozialhilfeempfänger angewendet sehen. Dieser Grundgedanke läßt sich nicht mit der derzeitigen diskriminierenden Praxis der Sozialhilfevergabe vereinbaren.
Ein weiterer Punkt, in dem wir die Herbeiführung einer Ungleichbehandlung sehen, betrifft die Wiederherstellung des Schutzes von Sparvermögen zum Zwecke der Beschaffung und Erhaltung von Wohneigentum. In Anbetracht der sonst geltenden niedrigen Vermögensfreigrenzen dürfte es so manchem Sozialhilfeempfänger schwerfallen, diese Regelung als gerechtfertigt anzusehen. Zumindest sollte sich hier der Gesetzgeber zu einer allgemeinen Anhebung der Vermögensfreigrenzen entschließen, wie sie von Sozialrechtlern, Armutsforschern usw. jeden Tag und jedes Jahr gefordert werden. Denkbar wäre z. B. eine Anhebung der Vermögensfreigrenzen im Rahmen der Sozialhilfe auf das Niveau der geltenden Regelungen im Arbeitsförderungsgesetz. Dies würde eine Anhebung der Vermögensfreibeträge von derzeit 2 000 DM auf 8 000 DM bedeuten. Bei der geltenden Regelung ergeben sich Härten und Ungleichbehandlungen, die längst aus dem Sozialhilferecht hätten beseitigt werden sollen.
Ich führe hier nur den Fall eines Arbeitslosen an, dessen Arbeitslosenhilfe zu niedrig ist und der auf zusätzliche Sozialhilfe angewiesen ist. Während er als Arbeitslosenhilfeempfänger immerhin 8 000 DM auf die hohe Kante legen kann, muß er als Sozialhilfeempfänger sein Sparguthaben bis auf 2 000 DM aufzehren.
Ich möchte zum Schluß kommen und zusammenfassen. Wir sind grundsätzlich nicht gegen diesen Gesetzentwurf — gegen die vorgeschlagenen Verbesserungen —, treten aber dafür ein, daß alle Sozialhilfeempfänger davon profitieren. Also soll erstens die Angleichung der Vermögensfreibeträge im BSHG an die im Arbeitsförderungsgesetz von derzeit 2 000 DM auf 8 000 DM erfolgen. Zweitens. Bei der Übernahme der Unterkunftskosten in der Sozialhilfe sollen vergleichbare Wohnflächengrößen als angemessen gelten, wie sie hier für das geschonte Wohneigentum vorgeschlagen worden sind.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
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18042 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Vizepräsident Frau RengerDer Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 10/5842 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor.Gibt es andere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes— Drucksache 10/4662 —aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
— Drucksache 10/5996 —Berichterstatter: Abgeordneter Jaunichbb) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/5998 —Berichterstatter:Abgeordnete Rossmanith WaltematheDr. Müller
b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes— Drucksache 10/2577 —aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
— Drucksache 10/5995 —Berichterstatter: Abgeordneter Delormebb) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/5997 —Berichterstatter:Abgeordnete Rossmanith WaltematheDr. Müller
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/6064 sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6049 vor.Im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b und ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pöppl.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will zunächst in dieser verbundenen Debatte auf den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Erweiterung der Ausnahmeregelung bei den allgemeinen Bestimmungen über den Einsatz des Einkommens im Bereich des Bundessozialhilfegesetzes eingehen.Bei der abschließenden Beratung der Vierten BSHG-Novelle hatte der Deutsche Bundestag in einer Entschließung die Bundesregierung gebeten, die Länder beim Vollzug des Sozialhilferechts zu einer Gleichbehandlung von Kriegsopfern und Verfolgten nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen anzuregen. Der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates ist deshalb die konsequente Folge der vom Deutschen Bundestag angestrebten Entwicklung. Heute behandeln wir in zweiter und dritter Lesung die Gleichstellung von Rentenleistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz mit vergleichbaren Grundrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz bei der Einkommensfreistellung im Sozialhilferecht.Die Erweiterung der Ausnahmeregelung des BSHG, neben der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz nunmehr auch Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz gewährt werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente des BVG nicht zum Einkommen im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes zu rechnen, ist wegen der Vergleichbarkeit der Entschädigungsleistungen berechtigt und im Interesse der Gleichbehandlung der Ansprüche der NS-Opfer mit den Aufopferungsansprüchen der Kriegsopfer geboten. § 76 Abs. 1 BSHG wird also nach diesem Gesetzentwurf dahin gehend neugefaßt, daß zukünftig Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz — soweit sie nach Art der Entschädigung und Personenkreis und nach ihrer Höhe mit der geltenden Ausnahmeregelung für die Grundrente nach dem BSHG korrespondieren — nicht als Einkommen berücksichtigt werden. Ich darf aber an dieser Stelle mit aller Deutlichkeit feststellen, daß die CDU/CSU-Fraktion ein Gleichbehandlungsgebot nur für die beiden genannten Gesetze anerkennt und im übrigen am Prinzip der Nachrangigkeit festgehalten wird.Mit dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen auf Drucksache 10/6064 wird angestrebt, die vorgesehene Gesetzesänderung auch auf jene Fälle auszudehnen, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes noch nicht unanfechtbar abgelehnt sind oder gegen deren Ablehnung bei Inkrafttreten des Gesetzes ein Verfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist.Namens der CDU/CSU-Fraktion empfehle ich Ihnen die Annahme des Gesetzentwurfs in der Form der Beschlußempfehlung und des angeführten Änderungsantrags der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP.Nun zum Gesetzentwurf der GRÜNEN auf Erhöhung der Sozialhilferegelsätze um pauschal 30 %. Es ist meines Erachtens ganz gut, daß wir aus formalen Gründen trotz der schon mit der Vierten BSHG-
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PöpplNovelle beschlossenen Ablehnung nochmals auf ihren Schaufensterantrag zurückkommen müssen.Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, fallen besonders dadurch auf, daß Sie entweder fernab jeder Sachkunde oder aber bewußt plakativ sozialpolitische Forderungen erheben, die nicht realisierbar sind.
Ein solcher bezeichnender Fall ist dieser hier vorliegende Antrag, in dem Sie auch noch verlangen, die entstehenden Mehrkosten aus dem Bundeshaushalt zu tragen.
Diese Forderung von Ihnen verstößt eklatant gegen geltendes Recht. Das wissen Sie wohl auch. Es ist ein Eckpfeiler im Sozialhilferecht, daß das Abstandsgebot des § 22 Abs. 3 BSHG bei Regelsatzanhebung nicht verletzt werden darf. Es stört Sie offenbar überhaupt nicht, daß der Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht befugt ist, Regelsatzveränderungen vorzunehmen, weil er damit unzulässig in die Länderhoheit eingreift. Es stört Sie offenbar überhaupt nicht, daß die entstehenden Kosten von nicht 1,5 Milliarden, sondern mindestens 2,2 Milliarden DM
— so ist es, anscheinend; Weihnachtsmann! — nicht vom Bund, wie von Ihnen angegeben, sondern von den Ländern und Gemeinden zu tragen wären.Es tangiert Ihr Verantwortungsbewußtsein offenbar überhaupt nicht, bei einem solchen Kostenvolumen vor der Antragseinbringung nicht einmal mit den Kostenträgern zu sprechen. Ich meine, es ist Ihnen offenkundig auch völlig egal, daß damit das Scheitern dieses Gesetzes im Bundesrat vorprogrammiert ist.Sie haben bei der Sachverständigenanhörung am 15. Januar für Ihr Ansinnen von den Sachverständigen eine deutliche Abfuhr erhalten.
— Nur die von Ihnen bestellten haben Ihnen zugestimmt, alle anderen nicht! So war es! Selbst der in Ihrer Antragsbegründung als Kronzeuge für Ihre Forderung auf eine pauschale Regelsatzerhöhung von 30 % ins Feld geführte Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge hat sich ausdrücklich von Ihrer Behauptung distanziert. In der Anhörung wurde von Vertretern des Deutschen Vereins darauf hingewiesen, daß er keine Empfehlung zur Höhe der Regelsätze ausgesprochen hat. Im übrigen scheint auch völlig an Ihrer Fraktion vorbeigegangen zu sein, daß seit 1985 die Regelsätze um mehr als 10%, davon 5% durch die teilweise neue Zusammenstellung des Warenkorbs im Rahmen der Vierten Novelle, angehoben worden sind. So liegen die Fakten, meine Damen und Herren.Es ist schon bezeichnend für die Vordergründigkeit eines solchen Gesetzentwurfes, wenn die einbringende Fraktion vor einem solchen Trümmerhaufen steht und dennoch darauf besteht, daß ihr Gesetzentwurf im Plenum auch noch in zweiter und dritter Lesung behandelt wird.Ihnen geht es nicht um eine strukturelle Verbesserung des Sozialhilferechts. Ihnen geht es immer und überall nur darum, Ihr ideologisches Ziel der Zerstörung unserer Sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland voranzubringen und damit die Grundlagen unseres sozialen Sicherungssystems aus den Angeln zu heben.Die Sozialhilfeempfänger, die Behinderten, die Rentner und die Arbeitnehmer, die Sie auf billige Weise hier als Transmissionsriemen für Ihre ideologische Zielsetzung benutzen wollen, unsere Gesellschaftsordnung zu zerstören, haben es nicht verdient, auf diese Weise so mißbraucht zu werden.
Die Unionsfraktion ist jederzeit bereit, in eine ernsthafte Diskussion über die Bedeutung der Sozialhilfe und den Einsatz ihres Instrumentariums einzutreten. Jederzeit! Es rückt beispielsweise heute das wichtigste Ziel der Sozialhilfe, sich selbst überflüssig zu machen, also den Hilfeempfänger zur Selbsthilfe zu befähigen
— das haben Sie wohl noch nicht gehört —, immer mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Soviel Ahnung haben Sie vom Sozialhilferecht! Mein Gott, und so was sitzt im Bundestag! Oh Gott, Oh Gott!Die Änderung der Empfängerstruktur zwingt verstärkt zur Nutzung dieses Instrumentariums, das wir bereits 25 Jahre im Gesetz bereithalten. Solange der alte Mensch der typische Sozialhilfeempfänger war, brauchte man beispielsweise die Hilfe zur Arbeit — lesen Sie mal nach; vielleicht könnten Sie entdecken, daß es drinsteht —, eine vorzüglich geeignete Hilfe zur Selbsthilfe, kaum anzubieten. Heute sind 55% der Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt zwischen 18 und 60 Jahre alt. Ihnen wird im Sinne des Gesetzes volle Hilfe nicht zuteil, wenn ihnen nur das zur Bestreitung des Lebensunterhalts fehlende Geld zur Verfügung gestellt wird. Das ist Ihr Fehler, den Sie da bei Ihrem Vorschlag machen.Was den immer so beklagten Anstieg der Sozialhilfefälle auf Grund von Arbeitslosigkeit betrifft, darf ich unter Bezugnahme auf den Wochenbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Nr. 27 aus 1986 darauf hinweisen, daß im Jahre 1984, also dem letzten Erhebungszeitraum, insgesamt 1,04 Millionen Haushalte außerhalb von Einrichtungen laufende Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten haben. Darunter waren 65 000 Haushalte, die weder Arbeitslosengeld noch Arbeitslosenhilfe bezogen haben. Für knapp 185 000 Haushalte — ich möchte das mal richtigstellen, was Sie hier immer falsch behaupten — wurde als Grund der Sozialhilfegewährung „Verlust des Arbeitsplatzes" — was allerdings nicht identisch ist in der Statistik mit den Erhebungen der Bundesanstalt für Arbeit —
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18044 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Pöpplangegeben; für sie wurde die Sozialhilfe als Aufstockung, also ergänzend zum Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe, gezahlt.Auch darf ich darauf hinweisen, daß die Zunahme der Zahl der Sozialhilfeempfänger nicht nur auf die gestiegene Zahl von Arbeitslosen zurückzuführen ist, sondern neben der steigenden Zahl von Asylbewerbern zu einem erheblichen Teil auch die wirtschaftlichen und sozialen Folgen von Ehescheidungen maßgebend sind. So ist die Zahl der Geschiedenen, die nunmehr Sozialhilfe beziehen, seit 1978 um rund 100 000 Fälle auf etwa 150 000 Fälle im Jahre 1985 angestiegen.Die strukturelle Fortentwicklung des Sozialhilferechts im Zusammenhang mit der weiteren Überarbeitung des Warenkorbes — an dem als Bemessungsgrundlage des Regelsatzes festgehalten werden sollte — ist zwischenzeitlich gut vorangekommen, und es ist sicherlich in der nächsten Legislaturperiode mit einer entsprechenden gesetzlichen Regelung zu rechnen. Deswegen werden wir dem Entschließungsantrag der SPD insoweit nicht folgen.
— Das mußten Sie erwarten, weil der Punkt 2, den Sie in Ihren Entschließungsantrag hineingeschrieben haben, von Ihnen j a wohl bewußt so formuliert wurde, damit Sie dazu eine Ablehnung bekommen.Wir wehren uns entschieden dagegen, ständig und bewußt ohne jede Beweisführung das soziokulturelle Existenzminimum — das von der Sozialhilfe gewährleistet wird — von den GRÜNEN in Frage stellen zu lassen. Wir haben das in der Welt beste soziale Sicherungssystem, um das uns alle Länder beneiden.
In diesem sozialen Sicherungsnetz ist die Sozialhilfe eine der tragenden Säulen. Dieses Grundsicherungselement hat weder etwas mit der früheren Armenpflege zu tun, noch ist es mit Fürsorgegeruch behaftet. Vielmehr ist die Sozialhilfe das untere Netz, auf das die Bürger einen Rechtsanspruch haben.
Ihre Redezeit ist zu Ende.
Zusammenfassend darf ich für die CDU/CSU-Fraktion feststellen, daß wir den Gesetzentwurf der GRÜNEN auf pauschale Erhöhung der Regelsätze um 30 % ablehnen werden. Ich empfehle Ihnen, sich unserer Ablehnung anzuschließen.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Witek.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben jetzt in verbundener Debatte zwei Gesetzentwürfe, die vordergründig das gleiche Thema betreffen, abschließend zu beraten. Beide Entwürfe beschäftigen sich mit dem Bundessozialhilfegesetz. Sie sind dennoch völlig unterschiedlicher Natur. Das zeigt die Spannbreite und die Vielfalt der Sozialgesetzgebung.In Übereinstimmung mit der Tagesordnung und auch deshalb, weil wir alle in diesem Hause nach langem, wie ich meine, viel zu langem Ringen zu einer einvernehmlichen Regelung gefunden haben, möchte ich zunächst einige Bemerkungen zur Fünften Novelle des Bundessozialhilfegesetzes machen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, man könnte hier frei sprechen; aber diese ziemlich komplizierte Materie läßt sich wohl nicht frei abhandeln, weil man das eine oder andere berücksichtigen muß. Im übrigen sehe ich, daß alle Kollegen hier mit Konzepten hingehen. Ich bedauere das. Daß will ich einmal deutlich sagen.
— Ich sage immer das Richtige. Ich möchte mich hier nicht auf eine Diskussion einlassen, ich kann auch polemisieren. Ich will das nur einmal so sagen.Wenn wir heute dieses Gesetz verabschieden, werden damit mehr als 40 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft deren Opfer mit den Kriegsopfern und deren Hinterbliebenen gleichgestellt. Damit wird auch einer Sozialhilfepraxis der Boden entzogen, die wohl dem Buchstaben der bisherigen Gesetzesfassung, aber nicht unbedingt immer seinem Ziel entsprach. Die skandalösen Einzelfälle, die letztlich verschiedene Bundesländer dazu führten, die Initiative zu diesem Änderungsgesetz zu ergreifen, sind beredtes Zeugnis dafür, wie schwer wir uns mit der Aufarbeitung der Folgen nationalsozialistischen Unrechts getan haben und oft noch tun. In diesem Zusammenhang will und muß ich daran erinnern, daß die Mehrheit dieses Hauses am 23. Mai 1985 anläßlich der Verabschiedung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes einen Entschließungsantrag meiner Fraktion abgelehnt hat, dessen Inhalt genau die Regelungen waren, die wir heute einstimmig verabschieden wollen.Wie ich eingangs bemerkte, hat es viel zu lange gedauert, bis wir die Kraft gefunden haben, gemeinsam in diesem für die Erfüllung des Sozialstaatsgebots exemplarisch wichtigen Bereich der Sozialhilfe die Opfer nationalsozialistischer Gewalt mit den Kriegsopfern gleichzustellen. Es ist allerdings zu berücksichtigen, daß sich das Problem in dieser Schärfe, wie wir es heute vorfinden, oft erst in den letzten Jahren stellte.Besonders Sinti und Roma, die in der NS-Zeit in Konzentrationslagern deportiert waren, wurden erst nach langwierigen Ermittlungen und umständlichen Verfahren Entschädigungsrenten wegen erlittener Schäden an Körper und Gesundheit zuerkannt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 18045
WitekAnders als beispielsweise in der Arbeitslosenhilfe oder beim Bundesausbildungsförderungsgesetz wurden diese Entschädigungsleistungen den betroffenen Sozialhilfebedürftigen als Einkommen angerechnet, während für ihre Nachbarn die Kriegsopfergrundrente anrechnungsfrei blieb. Der Umstand, daß die Bundesländer in bezug auf die Anrechnungspraxis unterschiedlich verfuhren, hat sicherlich nicht zur Rechtssicherheit und zu Vertrauen der Betroffenen in die soziale Gerechtigkeit geführt.Die leider sehr selten gewordene Übereinstimmung aller Seiten des Hauses darf allerdings nicht dazu führen, die Frage der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts endgültig als erledigt zu betrachten. Die Erfahrungen der letzten Jahre in diesem relativ kleinen Umfeld sozialhilfebedürftiger NS-Opfer sollten uns allen eine Mahnung sein, daß wir die Schatten der Vergangenheit nicht einfach bürokratisch abschütteln können, wie das in der Praxis offenbar vielfach versucht worden ist.
Unsere Sensibilität gegenüber den Opfern des nationalsozialistischen Gewaltregimes kann nicht groß genug sein. Wir stimmen daher diesem Gesetz zu.Trotz der formalverbundenen Debatte, behandelt der Gesetzentwurf der GRÜNEN einen ganz anderen Bereich. Ein fließender Übergang wäre dazu ohnehin nicht möglich, deshalb auch dieser abrupte Themenwechsel. Der Gesetzentwurf der GRÜNEN sieht die drastische Erhöhung der Regelsätze in der Sozialhilfe um fast ein Drittel vor.
Ein Vorhaben, das bei flüchtiger Betrachtung sehr sympathisch wirkt und sicher auch sehr publikumswirksam sein dürfte.
Sicher gibt es einen hohen Nachholbedarf bei den Sozialhilferegelsätzen. Deckelung und Restriktionen der vergangenen Jahre haben schlimme Löcher in dieses letzte Netz gerissen. Von soziokulturellem Existenzminimum oder gar der Möglichkeit der Hilfe zur Selbsthilfe kann bei den heutigen Regelungen kaum die Rede sein.
— Hören Sie mal, Herr Kollege: Manch einem in diesem Hause — und ich will Sie nun nicht dazu zählen — fehlt die nötige Länge, um irgendwie eine menschliche Größe zu erreichen. Ich sage Ihnen das mal in Härte, und ich will das nicht weiter ausführen. Sonst könnte ich Ihnen mal sagen, was Sie als Christdemokrat zu beten haben, um mal wieder auf Vernunft zu kommen. — Ich kann das auch, wenn das sein muß. Ich versuche hier doch, ordentlich vorzutragen. Nun lassen Sie die dämlichen Zwischenrufe.
Daran ändern auch die sicher gut gemeinten, aber nicht überzeugenden Rechenkunststückchen aus dem Hause Süssmuth nichts. Damit wird versucht, nachzuweisen, der sogenannte Realwert der Regelsätze sei höher als 1970. Das ist alles — —
Herr Abgeordneter, darf ich Sie unterbrechen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pöppl?
Ich gestatte keine Zwischenfrage, weil ich keine vernünftige Frage erwarte und hier nicht die Polemik hochziehen will. Ich könnte das sicherlich. Darauf können Sie sich verlassen.
Aber man braucht das nicht zu begründen. Es genügt, wenn Sie sie ablehnen. Danke schön.
Haben Sie Verständnis dafür. — In Ihrem eigenen Interesse.
Das ist alles Qualm, Nebelwerferei. Damit will die Bundesregierung suggerieren, bei der Sozialhilfe sei alles in schönster Ordnung. Der vorhandene Reform- und Anpassungsbedarf wird ignoriert.Nur ist es mit einer simplen Tischlein-deck-dichPolitik leider nicht getan. Dazu, meine Herren von den GRÜNEN, fehlt uns der Dukatenesel. Die deutlich vorhandenen strukturellen Mängel können auch nicht mit dieser Regelsatzerhöhung um 30% behoben werden. Eine simple Erhöhung um diese Rate würde die Verbrauchsgewohnheiten des Jahres 1970 für Sozialhilfeempfänger einfach fortschreiben. Das ist im übrigen weder unsere Aufgabe noch die der Bundesregierung, sondern Sache der Länder. Es ist auch nicht einsichtig, warum sich die Länder zu Lasten des Bundes eines Teils ihrer sozialpolitischen Verantwortung sollten entledigen können.
Das wäre nämlich der Effekt der in diesem Gesetzentwurf vorgesehenen Mischfinanzierung der Sozialhilfe durch Bund und Länder. Verantwortlichkeiten würden verwischt. Ein neuer Verschiebebahnhof würde eröffnet.Nein, wir Sozialdemokraten wollen die Sozialhilfe wieder zu dem machen, was sie ursprünglich gewesen ist, zur Einzelfallhilfe. Die Sozialhilfeträger müssen wieder in die Lage versetzt werden, den Hilfesuchenden zu raten, zu stützen, ihn zur Selbsthilfe zu befähigen. Dazu muß die Sozialhilfe von der Verpflichtung entlastet werden, Massennotstände zu beheben,
für die sie nicht geschaffen wurde. Dazu gehört vor allem die Massenarbeitslosigkeit.
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18046 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
WitekViel ist in den vergangenen Jahren die Rede davon gewesen, man müsse den angeblich so verbreiteten Mißbrauch der Sozialhilfe einschränken. Der heutige Bundesfinanzminister hat sich schon in seiner damaligen Eigenschaft als Ministerpräsident von Schleswig-Holstein hier immer besonders hervorgetan.
Von wirklichem Mißbrauch der Sozialhilfe, nämlich von ihrem Mißbrauch durch die Bundesregierung, die den Sozialhilfeträgern die Scherben ihrer sogenannten Haushaltskonsolidierung vor die Tür kippte, war bisher noch wenig zu hören.
Der nach unserer Auffassung richtige Ansatzpunkt zur Entlastung der Sozialhilfe liegt in der Stärkung der vorrangigen Sozialversicherungssysteme. In diesem Punkt hat die Bundesregierung ihre Pflicht nicht erfüllt.
Mit unserem Entschließungsantrag, den wir heute zur Abstimmung stellen, soll die Bundesregierung aufgefordert werden, Lösungsvorschläge zur Stärkung der vorrangigen Sicherungssysteme vorzulegen. Außerdem wird die Bundesregierung aufgefordert, ihren Einfluß bei den Ländern dahin gehend geltend zu machen, daß die vor Jahren angelaufenen Vorarbeiten zu einer strukturellen Reform der Regelsätze nun endlich abgeschlossen werden.Wir bitten daher um Zustimmung zu diesem Entschließungsantrag. Dem vorliegenden Gesetzentwurf können wir nach sorgfältiger Prüfung und Überlegung unsere Zustimmung nicht geben.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Weil es die knappste Formulierung ist, zitiere ich aus dem Vorblatt des Bundesratsentwurf s:Nach dem geltenden Recht wird bei Kriegsopfern die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz nicht als Einkommen im Sinne des Bundesozialhilfegesetzes berücksichtigt.Demgegenüber sind Rentenleistungen, die Verfolgte nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen und deren Hinterbliebene aufgrund eines Schadens an Körper oder Gesundheit oder eines Schadens an Leben nach dem Bundesentschädigungsgesetz erhalten, als Einkommen anzurechnen.Diese unterschiedliche Behandlung von Kriegsopfern und Verfolgten ist nicht gerechtfertigt und soll daher beseitigt werden.So steht es also im Vorblatt des Bundesratsentwurfs. Das drückt in präziser und sehr knapper Form aus, was es heute durch Bestätigung des Gesetzentwurfs in dritter Lesung zu lösen gilt.Bereits in der 140. Sitzung wurde darüber gesprochen. Wir hatten damals deutlich gemacht, daß wir eine Änderung in diesem Falle für berechtigt hielten, aber das Problem sehr sorgfältig prüfen wollten und nicht durch Versprechungen Hoffnungen erwecken wollten, von denen nicht abzusehen war, ob und wie sie zu halten sind. Heute sind wir in der Lage, zu handeln und das beschriebene Unrecht zu beseitigen. Die FDP wird deshalb dem Gesetzentwurf des Bundesrates in dritter Lesung zustimmen.Die Gleichstellung der Renten bzw. Beihilfen für Schäden an Körper und Gesundheit und für Schaden an Leben nach dem Bundesentschädigungsgesetz mit den Kriegsopfern, d. h. beide von der Anrechnung freizustellen, ist unserer Überzeugung nach berechtigt. In beiden Fällen handelt es sich um Opfer des Krieges bzw. des nationalsozialistischen Herrschaftsregimes. Wir werden auch dem Änderungsantrag zustimmen, der das Ziel hat, mittels einer Rückwirkungsklausel die Nichtanrechnung bei den noch anhängigen Verfahren gelten zu lassen. Damit können wir ganz wichtige und berechtigte Forderungen der Sinti und Roma erfüllen.Nun komme ich zum Gesetzentwurf der GRÜNEN, der die Regelsätze der Sozialhilfe um 30% erhöhen will. Dieses Gesetz müssen wir ablehnen. Dieses Gesetz ist in seiner technischen Ausführung nicht durchdacht. Es durchbricht das bisherige System und ist finanzpolitisch nicht vertretbar. Meine beiden Vorredner haben ja schon sehr deutlich darauf hingewiesen.Die von den GRÜNEN geschätzten Kosten von 1,5 Milliarden DM dürften von den tatsächlichen Kosten erheblich überstiegen werden. Schätzungen sprechen — auch das wurde ja bereits gesagt — von 2,2 Milliarden DM. Für diese Kosten haben die GRÜNEN wieder einmal keinen Deckungsvorschlag vorgelegt. Wohltaten auf Pump, meine Damen und Herren, sind aber nicht die Politik der FDP. Selbst wenn ich von dem viel zu geringen Betrag von 1,5 Milliarden DM der GRÜNEN ausgehe, klingt der Satz der GRÜNEN im Vorblatt zynisch. Er lautet: „Im Rahmen des gesamten Sozialbudgets ist dieser Betrag unbedeutend."Ich frage mich: Wie kann man den GRÜNEN Verantwortung geben und Vertrauen entgegenbringen, wenn sie 1,5 Milliarden DM, also 1 500 Millionen DM, als unbedeutend bezeichnen? Ich kann das beim besten Willen nicht.
Wir streiten im Haushaltsausschuß in den Haushaltsberatungen um wesentlich kleinere Beträge, weil es gute Sitte von Parlamentariern ist, mit den Geldern der Bürger sehr sorgfältig umzugehen, und
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 18047
Eimer
da erklären die GRÜNEN, 1 500 Millionen DM sind unbedeutend.
— Lenken Sie doch nicht ab! 1 500 Millionen DM sind für Sie unbedeutend.
Ich kann nur noch einmal betonen: Wohltaten auf Pump sind mit uns nicht zu machen; aber diese vermeintlichen Wahlgeschenke sind — —
— Wenn Sie Fragen stellen wollen, ich stehe gerne dafür bereit, Herr Kollege.
— Dann will ich ihn wiederholen: Diese Wahlgeschenke der GRÜNEN sind auch nur vermeintliche Wohltaten. Eine Familie mit zwei Kindern kann heute bis zu 1 860 DM monatlich inklusive Mietzuschuß erhalten. Die Leistungsschwelle dieser Familie liegt also nach den Tabellen bei 2 192,50 DM. Das heißt, verdient der Ernährer weniger als diesen Betrag, so kann er, wenn er das Arbeiten aufgibt, den gleichen Betrag an Sozialhilfe erhalten. Damit wäre aber der Anreiz für den Erwerb von Leistungseinkommen verlorengegangen.Auf die verfassungsrechtlichen Probleme hat mein Vorredner Herr Pöppl bereits hingewiesen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordenter Eimer?
Ja, selbstverständlich. Bitte.
Herr Kollege, wenn Sie diese Tarifeinkommen zitieren, die unter der Sozialhilfe liegen, würden Sie mir damit recht geben, wenn ich feststelle, daß die Einkommen der Arbeitnehmer zu niedrig sind?
Herr Kollege, wir sehen das etwas anders. Die Zwischenrufe zeigen das schon sehr deutlich. Wir sind der Meinung, daß es ein Skandal ist, wenn Einkommen besteuert wird, das unter dem Sozialhilfesatz liegt. Das wollen wir verändern. Deswegen sind wir der Meinung, daß Einkommen, die unter dem Sozialhilfesatz liegen, grundsätzlich steuerfrei sind und nicht wie jetzt besteuert werden dürfen. Wenn Sie wollen, Sie sind eingeladen, bei uns mitzumachen.
Meine Damen und Herren, wenn man das alles betrachtet, so wundert es einen nicht, daß sich die Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände und der Deutsche Verein übereinstimmend gegen den vorliegenden Gesetzentwurf aussprechen.
— Herr Kollege Jaunich, normalerweise sind Sie ein Schnelldenker; normalerweise kommen Sie schneller mit.
Darüber hinaus wird die Finanzierung dieses 30 %igen Zuschlags durch den Bund als eine unzulässige Mischfinanzierung zurückgewiesen. Damit wird deutlich, was der Vorschlag der GRÜNEN ist, nämlich Nonsens, weil dadurch eine finanzverfassungsrechtlich nicht überwindbare Hürde aufgebaut wird.
Der Gesetzentwurf der GRÜNEN hört sich vielleicht für den Laien auf den ersten Blick gut an, ist aber finanzpolitisch und sozialpolitisch unseriös. Er ist eine schamlose Anbiederung mit dem Wissen, daß GRÜNE dieses Versprechen nie einhalten müssen und nie einhalten können. Er wird deshalb von uns abgelehnt.
Herr Abgeordneter Bueb, bevor ich Ihnen das Wort gebe, ein kleiner Hinweis. Sie haben — ich nehme an, das kommt aus dem Bayerischen — das Wort „Sauerei" gebraucht. Ich denke, das ist vielleicht nicht ganz angepaßt.
Damit Sie das nicht wiederholen, sage ich Ihnen das vorher.
— Das ist auch nicht gut. Nun haben Sie aber das Wort, bitte schön.
Meine Damen und Herren! Daß Sie unseren Gesetzentwurf zur Anhebung der Sozialhilferegelsätze gleichzeitig mit zwei Gesetzesinitiativen des Bundesrats diskutieren wollen, durch den jeweils ganz bestimmte Personengruppen eine Verbesserung bekommen, ist bezeichnend für den Stil Ihrer Politik. Mit Teilregelungen wollen Sie vom Wesentlichen ablenken, nämlich der dringenden Notwendigkeit einer Strukturreform der Sozialhilfe sowie des gesamten Systems der sozialen Sicherung.Bevor ich jedoch auf diese grundsätzliche Diskussion komme, möchte ich noch ein paar Worte zu dem gleichzeitig zur Diskussion stehenden Gesetzentwurf des Bundesrats sagen, demzufolge Rentenleistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz nicht mehr auf die Sozialhilfe angerechnet werden sollen.
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18048 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
BuebIn Zukunft sollen Entschädigungsleistungen für NS-Verfolgte ebenso behandelt werden wie die Leistungen für Kriegsopfer. Das ist unserem Empfinden nach eine Selbstverständlichkeit. Traurig finde ich bei dieser Angelegenheit nur, daß die Betroffenen so lange auf eine derartige Regelung warten mußten und nun wohl nur noch wenige von ihnen in den Genuß dieser Leistungen kommen werden. Um so zynischer mutet der Hinweis in der Begründung an, die entstehenden Mehrkosten seien „angesichts der geringen Anzahl der von der Regelung begünstigten Personen ... verhältnismäßig gering". Dies ist eine Beleidigung für all diejenigen, denen Sie bisher berechtigte Entschädigungsansprüche verweigert haben.Ich erinnere hier an die von unserer Fraktion eingebrachten Anträge zur Wiedergutmachung an Roma und Sinti und zur Regelung einer angemessenen Versorgung für alle Opfer nationalsozialistischer Verfolgung, denen Sie Ihre Zustimmung verweigert und damit die Chance einer Verbesserung für die Betroffenen vertan haben.
Nun zu unserem Gesetzentwurf, in dem wir eine 30 %ige Anhebung der Sozialhilferegelsätze fordern. Ich möchte darauf hinweisen, daß wir diesen Gesetzentwurf 1984 eingebracht haben, also zu einem Zeitpunkt, als im Rahmen der Sozialministerkonferenz der Länder über die Notwendigkeit einer Anhebung der Sozialhilferegelsätze und einer Neustrukturierung des Warenkorbes diskutiert wurde. Unsere Forderung ist jedoch nach wie vor aktuell.Auch die im Juli 1985 vollzogene Anhebung der Sozialhilferegelsätze um 8 % hat sie keineswegs überflüssig gemacht. Dies hat nicht zuletzt eine Anhörung im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zu unserem Gesetzentwurf im Januar dieses Jahres aufgezeigt. Einigkeit bestand bei den geladenen Experten darin, daß die Anhebung der Regelsätze im Juli 1985 im besten Falle ein Ausgleich für nicht erfolgte Anpassungen an die Preissteigerungen der vorausgegangenen Jahre gewesen sind. Die Einkommensverschlechterungen der Sozialhilfeempfänger ab Ende der 70er Jahre hat diese auf keinen Fall aufgeholt.Darüber hinaus gibt es eine grundsätzliche Kritik an dem sogenannten neuen Warenkorb '85, mit dem die Notwendigkeit einer nicht länger aufschiebbaren Warenkorbreform kaschiert werden soll. Im einzelnen wird dabei die Bewertung wesentlicher Warenkorbbestandteile mit unseren Quartilpreisen kritisiert, die höchst zweifelhafte Absenkung der Schwundzulage von 20% auf 8%, die willkürlichen Energiebedarfsansätze, die unterbliebene Mehrausstattung von kleinen Bedarfsgemeinschaften oder die Zusammenstreichung des Teilwarenkorbs „persönliche Bedürfnisse" auf das Niveau des Barbetrages von Heimbewohnern.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Also, gut.
Herr Pöppl, bitte,
Herr Kollege, könnten Sie mir erklären, weil Sie so darüber wegwischen, was denn das untere Quartil ist? Könnten Sie mir bitte erklären, weswegen die Schwundzulage von 20 % auf 8% gesenkt wurde? Ich möchte die Frage anfügen, ob Sie vielleicht bemerkt haben, daß das Thema, daß die Sozialhilfehaushalte einen Kühlschrank haben, einer der Punkte war.
Also, Herr Kollege, daß ich Ihnen die unteren Quartilspreise noch erklären muß, das zeigt eigentlich alles.
Sie wissen doch ganz genau, daß es z. B. beim Aldi niedrigere Preise gibt als in einem normalen Geschäft. Wenn Sie also jetzt überall diese niedrigsten Preise, diese Sonderangebote einholen und diese dann als Normalpreise festlegen, so daß die Sozialhilfeempfänger gezwungen sind, obwohl sie in den meisten Fällen kein Fahrzeug haben, dann irgendwo zum Aldi in den Großmarkt hinauszufahren, damit sie nur die untersten Angebote einkaufen können, wenn Sie das als sozial ansehen, sage ich: Ich jedenfalls sehe das nicht als sozial an.
(Abg. Pöppl meldet sich zu einer weiteren
Zwischenfrage)
Herr Pöppl, ich glaube, Sie lassen das mal, und Herr Bueb, Sie fahren in Ihrer Rede fort. Bitte, Herr Kollege Bueb.
Die Behauptung, daß die Anhebung der Regelsätze vom Juli 1985 das Bedarfsprinzip wiederhergestellt hat, ist Schlichtweg substanzlos. Im Gegenteil — und auch hier zitiere ich Meinungen von Experten —: Das Bedarfsprinzip ist damit endgültig zerstört worden.Eine Wiederherstellung des Bedarfsprinzips erfordert nämlich nicht nur eine schon längst überfällige Aktualisierung der Warenkorbbestandteile auf Grund veränderter Verbrauchsgewohnheiten und zu niedriger Ansätze, sondern eine inhaltliche Neustrukturierung der Warenkorb-Zusammensetzung mit Anbindung an die Lohn- und Preisentwicklung.Eine Aushöhlung des Bedarfsprinzips wird auch in der zunehmend restriktiven Handhabung der Praxis der Vergabe von einmaligen Leistungen oder der tatsächlichen Kostenerstattung der Wohn-, Heizungs- und Energiekosten gesehen. Ich erinnere hier nur an die diskriminierende Praxis der Sozialämter, die Hilfebedürftigen auf die Kleiderkammern von karitativen Einrichtungen zu verweisen.Halten wir also fest: Das derzeitige Sozialhilfeniveau ist nach wie vor zu niedrig. Die lineare Anhebung im letzten Jahr wird allenthalben als Über-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 18049
Buebgangslösung bezeichnet. Aber selbst als solche taugt sie nichts, weil sie wider besseres Wissen auf einem Niveau angesetzt ist, das unzulänglich ist und das alle Sonntagsreden von den Errungenschaften unseres Sozialstaates eben Lügen straft.Es ist ein unhaltbarer Zustand. Um diesen unhaltbaren Zustand sofort, ich betone: sofort zu beenden, schlagen wir nun mit unserem Gesetzentwurf das Nächstliegende vor. Wie Ihnen allen bekannt sein dürfte, hat bereits 1981 der vielzitierte Arbeitskreis des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge einen reformierten Warenkorb ausgearbeitet und damit die Regelsatzerhöhung von 30% gefordert. Diese Forderung ist allerdings vom Vorstand nicht angenommen worden.
Ich will mir hier ersparen, zu erklären, aus welchen Gründen.Zu diesen Empfehlungen des Arbeitskreises des Deutschen Vereins möchte ich den Sachverständigen bei der Anhörung Herrn Professor Naegele zitieren, der praktisch nicht von uns benannt worden ist: Sie basieren auf „ernährungsphysiologischen Gutachten, empirischen bzw. verbrauchsstatistischen Daten sowie von Praktikern eingebrachten alltagsweltlichen Kenntniselementen und Bedarfsannahmen". Es bestehe dem zufolge kein Grund, an der Gültigkeit dieses Ergebnisses und der ihm zugrunde liegenden Verfahren zu zweifeln. Die Mehrzahl der Sachverständigen hat unseren Vorschlag unterstützt, eine 30 %ige Anhebung der Sozialhilfe wäre notwendig.
Damit wollen wir aber keinesfalls einer grundsätzlichen Diskussion über eine Reform des Warenkorbes im Wege stehen, wie uns immer unterstellt wird. Wer uns dessen verdächtigt, betreibt hier ein übles Spiel mit Sozialhilfeempfängern — dies sei vor allen Dingen den SPD-Vertretern gesagt, die mit diesen fadenscheinigen Begründungen unseren Gesetzentwurf im Ausschuß abgelehnt haben —,
liegen doch unsere Vorschläge für eine grundsätzliche Reform der Sozialhilfe auf dem Tisch!Der vorliegende Gesetzentwurf macht eine grundsätzliche Diskussion um das Niveau der geforderten bedarfsorientierten Grundsicherung keineswegs überflüssig; er setzt nur eine unterste Grenze, unter die ab sofort die Sozialhilfesätze eben nicht mehr fallen sollen. Die Entscheidung, die hier fällt, betrifft Millionen von Menschen; sie betrifft sie buchstäblich in ihrer nackten Existenz. Wir haben mittlerweile in der Bundesrepublik zwei Millionen registrierter Sozialhilfeempfänger, die Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen. Daß es wesentlich mehr Anspruchsberechtigte gäbe, wissen wir.Bekannt ist auch, wie sehr die Sozialkürzungen der letzten Jahre und die zunehmende Massenerwerbslosigkeit dazu beigetragen haben, die Zahl der Sozialhilfeempfänger zu vergrößern. Sie sind von 1981 von 1,1 Millionen auf 2 Millionen im letzten Jahr gestiegen. Gleichzeitig hat natürlich eine Altersverschiebung nach unten stattgefunden. Immer mehr Menschen im erwerbsfähigen Alter sind auf Sozialhilfe angewiesen.
Ging man ursprünglich, 1962 bei der Neufassung des BSHG davon aus, daß die Hilfe zum Lebensunterhalt eines schönen Tages gar nicht mehr notwendig sein würde, da sie sich durch die Verbesserung anderer, vorgelagerter Sozialleistungen weitgehend erübrigen würde, so zeigt sich heute, daß die Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung verlaufen ist bzw. geleitet wurde. Die vorgelagerten Sicherungssysteme, die ohnehin schon lückenhaft konzipiert waren, sind nach unten, zur Sozialhilfe hin, immer durchlässiger geworden, und zwar nicht von allein. Daran hat diese Regierungskoalition mit ihren Sozialkürzungen die Hauptschuld.Obwohl uns klar ist, daß die vorgeschlagene Sofortmaßnahme die eigentlichen Strukturprobleme in keiner Weise löst, meinen wir doch, daß sie unverzichtbar ist, um das Existenzniveau der aus den anderen sozialen Sicherungssystemen Ausgegrenzten und von Armut Betroffenen zu garantieren.Abschließend möchte ich noch auf den Finanzierungsmodus zu sprechen kommen, weil dieser Punkt hier andauernd kritisiert worden ist. Gerade in Anbetracht der dargelegten Entwicklung, des Anstiegs der Zahl der Sozialhilfeempfänger auf Grund von Leistungskürzungen im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes
halten wir eine Finanzierung der durch den Gesetzentwurf entstehenden Mehrkosten mit Bundesmitteln für angebracht. Es ist überhaupt nicht einzusehen, daß die steigenden Sozialhilfeausgaben von den Kommunen allein getragen werden sollen, während sich der Bund in zunehmendem Maße aus der Verantwortung für Sozialleistungen herausstiehlt.
Das Wort hat Frau Staatssekretärin Karwatzki.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich hier herging, kam der Zwischenruf „Jetzt spricht die FDP". Ich mache darauf aufmerksam, daß ich nach wie vor Mitglied der Christlich-Demokratischen Union bin und auch dieser Fraktion angehöre. Damit sage ich aber nichts gegen die Kollegen von der FDP.
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18050 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986
Parl. Staatssekretär Frau Karwatzki— Sie meinen, ich hätte heute die Farben der FDP an. Nur so viel zu dem Zwischenruf, den anderen habe ich jetzt leider nicht verstanden.
— Ich werde es mir überlegen, Herr Kollege.
— Ja, das stimmt.Meine Damen und Herren, dem Gesetzentwurf des Bundesrates stimmt die Bundesregierung selbstverständlich zu. Sie hält in diesem Falle die Durchbrechung des Nachrangprinzips aus übergeordneten Gesichtspunkten nicht nur für vertretbar, sondern aus Gründen der Gerechtigkeit auch für geboten. Ich würde es begrüßen, wenn dieser Gesetzentwurf ebenso wie im Ausschuß auch bei der abschließenden Beratung hier die Zustimmung aller Fraktionen erhalten würde.Dagegen lehnt die Bundesregierung den Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN, der eine Regelsatzerhöhung für laufende Leistungen zum Lebensunterhalt um 30 % vorsieht, ab.
Die Entwicklung der Regelsätze und die Situation der Sozialhilfeempfänger kann man nicht nach einer so einfachen Formel beurteilen, wie Sie dies tun.
Es ist richtig, daß die Sozialhilfeempfänger in der Zeit zwischen 1978 und Mitte 1984 Kaufkraftverluste haben hinnehmen müssen.
Durch das Haushaltsstrukturgesetz 1982 wurde die Anhebung der Regelsätze in der Sozialhilfe auf einen geringeren Satz begrenzt, als es der Entwicklung der Lebenshaltungskosten entsprochen hätte. Schon in den Jahren seit 1978 waren die Regelsätze fast durchweg geringer erhöht worden, als es der Kaufkraftverlust geboten hätte.
Frau Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jaunich?
Herr Kollege, darf ich das noch eben ausführen? Dann könnte sich die Frage erübrigen.
Es ist ferner richtig, daß Vorschläge, die Regelsätze, wie zu Anfang der 70er Jahre auf Grund eines neuen Warenkorbs auch zu Beginn der 80er Jahre auf eine neue Grundlage zu stellen, an den wesentlich verschlechterten wirtschaftlichen und finanziellen Rahmenbedingungen gescheitert sind. Dabei muß gesehen werden, daß in der Sozialhilfe zwischen 1969 und 1982 die Empfängerzahlen um 57 v. H. und die Ausgaben um 471 v. H. gestiegen sind, die Empfängerzahlen von rund 1,5 Millionen auf 2,3 Millionen
und die Ausgaben von rund 2,9 Milliarden DM auf rund 16,3 Milliarden DM gestiegen sind.
— Frau Kollegin Wagner, das sind keine Rechenspielchen, sondern wir machen gerade im Feld der Sozialhilfe ernsthafte politische Arbeit.
Ich teile die Meinung des Kollegen Witek, daß man hier nicht so frei — bald hätte ich etwas gesagt; ich schlucke es aber schon herunter — einfach von der Leber weg reden kann, ohne die Daten und Fakten zu belegen. So einfach ist Sozialhilfepolitik nun einmal nicht zu machen.
— Herr Kollege Jaunich, entschuldigen Sie bitte. Ist die Frage noch nicht überflüssig geworden? — Dann bitte schön. Frau Präsidentin, ja.
Bitte, Herr Jaunich.
Frau Staatssekretärin, ich wäre Ihnen sehr dankbar gewesen, wenn Sie meine Frage überflüssig gemacht hätten. Meine Frage lautet: Warum verdrängen Sie den Zeitraum ab 1982?
Sie haben hier eben die Sozialhilfedeckelungen eingeführt, die Kürzungen, die durch das Haushaltsstrukturgesetz 1982 auf Betreiben des jetzigen Finanzministers und damaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein stattgefunden haben.
Aber das, was in den Jahren danach von Ihnen zu verantworten ist, haben Sie bis jetzt geflissentlich verdrängt. Ist es Verdrängen? Oder worauf ist das zurückzuführen?
Aber lieber Kollege Jaunich, Sie kennen mich. Erstens. Man kann das jetzt nicht so — Sie waren damals in der Regierung — dem jetzt amtierenden Finanzminister Stoltenberg zuordnen, als sei er schuld gewesen.
Zweitens, Kollege Jaunich, ich nehme auch gleichStellung zu den Bereichen, in denen wir Maßnah-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 232. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1986 18051
Parl. Staatssekretär Frau Karwatzkimen getroffen haben. Ich tue das auch an Hand von Daten und Zahlen, weil ich das für fair halte.
Die Kommunen, deren finanzielle Gesamtsituation durch einen negativen Finanzierungssaldo im Jahre 1981 von 10,1 Milliarden gekennzeichnet war, waren in sehr ernsten Finanzierungsschwierigkeiten. Ursache war nicht zuletzt der Anstieg der Sozialhilfekosten. Dies hat seinerzeit auch dazu geführt, daß der Anstieg der Regelsätze gebremst werden mußte.Die Situation hat sich geändert. Die Finanzlage von Bund, Ländern und Kommunen hat sich verbessert. Bundespolitische Maßnahmen und eigene Sparmaßnahmen der Kommunen führten dazu, daß die Kommunen erstmals inzwischen wieder mit Finanzierungsüberschüssen abschließen konnten. Der so gewonnene sozialpolitische Handlungsspielraum ist für Leistungsverbesserungen auch in der Sozialhilfe genutzt worden. Die Regelsätze wurden im Bundesdurchschnitt zum 1. Juli 1984 um 3,2%, zum 1. Juli 1985 um 8% und zum 1. Juli 1986 um 2,1% erhöht, also jeweils stärker, als die Verbraucherpreise gestiegen sind.Die Kaufkraftverluste der Sozialhilfeempfänger aus der Zeit von 1978 bis 1983/84 sind damit nicht nur ausgeglichen worden. Das Niveau der Regelsätze liegt heute — vor allem infolge der Anhebung im Jahre 1985 — real über dem Niveau nach der Warenkorbreform zu Anfang der 70er Jahre.Der Erhöhung der Regelsätze zum 1. Juli 1985 liegt teilweise ein verbesserter Warenkorb zugrunde, der allerdings nach Auffassung des Bundes wie der Länder nur eine Übergangslösung darstellt. In der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der GRÜNEN über „Armut und Sozialhilfe in der Bundesrepublik Deutschland", die in diesen Tagen dem Parlament zugeleitet worden ist, wird dies im einzelnen nachgewiesen.Es ist nun Sache der Bundesländer, die für eine bedarfsgerechte Bemessung der Regelsätze zuständig sind, zu entscheiden, ob und inwieweit eine darüber hinausgehende Erhöhung der Regelsätze angemessen ist. Die Länder sind um eine Neustrukturierung der Leistungsbemessung bemüht. Dabei sind Erwartungen, wie der Vorschlag der GRÜNEN sie weckt, sicher unrealistisch.Auch für die Zukunft muß es dabei bleiben, daß das Leistungsniveau der Sozialhilfe in einem ausgewogenen Verhältnis zum Einkommensniveau unterer Lohngruppen zuzüglich Kindergeld und Wohngeld steht, wie § 22 Abs. 3 Satz 2 des Bundessozialhilfegesetzes dies vorschreibt. Es wird auch nicht um eine einfache Erhöhung in gleicher Höhe für alle gehen, sondern darum, den Bedarf für verschiedene Bedarfsgemeinschaften differenziert neu zu bemessen. Eine teilweise Übernahme der Sozialhilfekosten durch den Bund, wie die GRÜNEN sie fordern, wäre sowohl verfassungspolitisch als auch unter verwaltungsökonomischen Gesichtspunkten verfehlt.Abschließend: Die Bundesregierung teilt jedoch die Auffassung, daß eine neue, zeitgemäße Bestimmung der Regelsätze in der Sozialhilfe und des zugrunde liegenden Warenkorbs geboten und wünschenswert ist.Ich bedanke mich bei Ihnen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 27 a, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 10/4662.Ich rufe die Art. I und II mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist so beschlossen.Ich rufe Art. III auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/6064 ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Änderungsantrag ist angenommen.Wer Art. III in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist beschlossen.Es bleibt noch über Einleitung und Überschrift abzustimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist so beschlossen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.Meine Damen und Herren, wir können unmittelbar in die dritte Beratung eintreten, obwohl in der zweiten Beratung ein Änderungsantrag angenommen worden ist, wenn zwei Drittel der Anwesenden dafür sind. — Dies ist der Fall, da sich kein Widerspruch erhebt.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist einstimmig so beschlossen.Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 27 b, den Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2577.Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Gesetzentwurf ist in
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Vizepräsident Frau Rengerzweiter Beratung abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/6049 ab. Hier wird von der SPD-Fraktion ziffernweise Abstimmung gewünscht.Ich rufe Ziffer I auf. Wer Ziffer I zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.Ich rufe Ziffer II auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ziffer II ist abgelehnt.Ich rufe Ziffer III auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD abgelehnt.Damit sind wir am Schluß der heutigen Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 26. September 1986, 8 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.