Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden um den Antrag betreffend zivil-militärisches Flugsicherungskonzept in Sobernheim — Drucksache 10/1185 — und um zwei erste Beratungen, nämlich Drittes Gesetz zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes — Drucksache 10/1184 — und Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes — Drucksache 10/1189 —.Ich gehe davon aus, daß mit der Aufsetzung der beiden Gesetzentwürfe gleichzeitig von der Frist für den Beginn der Beratung dieser Vorlagen abgewichen wird. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen.Meine Damen und Herren, zu meiner großen Freude sehe ich auf der Ehrentribüne als unsere Gäste den Herrn Präsidenten der Nationalversammlung der Republik Frankreich, Herrn Louis Mermaz, mit seiner Gattin und seiner Delegation.
Wie Sie merken, Herr Präsident, meine Kolleginnen und Kollegen, freuen wir uns von Herzen, daß Sie bei uns sind. Wir sehen in diesem Besuch den Ausdruck der Freundschaft, die wir festigen, vertiefen und der nächsten Generation weitergeben wollen.
Ich stimme gerne und vor dem Deutschen Bundestag, Herr Präsident, Ihrer gestrigen Erklärung zu, in der Sie sagten: „Diese Freundschaft ist eine tiefgreifende und unantastbare Tatsache." Wir danken für dieses Wort.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung des Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand— Drucksachen 10/880, 10/985 —aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 10/1175 —Berichterstatter:Abgeordnete KolbHeyennCronenberg Hossbb) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/1197 —Berichterstatter:Abgeordnete Sieler Dr. FriedmannFrau Seiler-Albring
b) Zweite Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Zuschüsse zum tariflichen Vorruhestandsgeld
— Drucksache 10/122 —aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 10/1175 —Berichterstatter:Abgeordnete KolbHeyennCronenberg Hoss
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4282 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Präsident Dr. Barzelbb) Bericht des Haushaltsausschusses
— Drucksache 10/1198 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Friedmann Frau Seiler-AlbringSieler
c) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Rechts der Arbeitsförderung und der gesetzlichen Rentenversicherung an die Einführung von Vorruhestandsleistungen— Drucksachen 10/893, 10/965 —aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 10/1176 —Berichterstatter:Abgeordnete KolbHeyennCronenberg Hossbb) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/1199 —Berichterstatter: Abgeordnete Sieler FriedmannFrau Seiler-Albring
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung im Ältestenrat sind die gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c und eine Aussprache von zweieinhalb Stunden vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht. — Bitte, Herr Kollege Heyenn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir als Berichterstatter einige Bemerkungen zum Verlauf der Beratungen im zuständigen Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. Ich möchte dabei ausdrücklich die Ausschußkollegen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP von Vorwürfen ausnehmen, denn ich weiß, daß sie ähnlich wie die sozialdemokratischen Ausschußmitglieder Unbehagen über den unerhörten Zeitdruck empfinden, mit dem auch diesmal wieder eine komplizierte Gesetzesmaterie beraten und entschieden werden mußte.
Der Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion wurde bereits im Juni vergangenen Jahres eingebracht und am 15. September dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überwiesen. Obwohl genügend Zeit gewesen wäre, fand eine Detailberatung über diesen Gesetzentwurf im Ausschuß nicht statt, weil die Koalitionsmehrheit — aus ihrer Interessenlage verständlich — den angekündigten Gesetzentwurf der Bundesregierung abwarten und zur Beratungsgrundlage machen wollte. Wegen der Schwierigkeit, die Koalitionsparteien und die Ressortinteressen unter einen Hut zu bringen, dauerte es monatelang, bis die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf präsentieren konnte. Erst am 20. Januar wurde der Gesetzentwurf der Bundesregierung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überwiesen, obwohl das Projekt von vornherein mit dem politischen Ziel verknüpft war, als Gegengewicht zur 35-Stunden-Woche in die Tarifverhandlungen dieses Frühjahrs eingebracht zu werden.Meine Damen und Herren, ich will diese Absicht an dieser Stelle nicht politisch bewerten, aber in aller Deutlichkeit feststellen, daß die Bundesregierung das Parlament damit unter einen Zeitdruck gesetzt hat, der, streng genommen, eine gründliche und verantwortungsbewußte Gesetzesberatung unmöglich gemacht hat.
Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat, wenn man von der öffentlichen Anhörung am 22. Februar absieht, insgesamt an nur zwei Tagen über den Gesetzentwurf der Bundesregierung beraten. Das erste Mal geschah dies in einer zwei- bis dreistündigen allgemeinen Aussprache am 25. Januar. Die Einzelberatung mußte in einer einzigen Sitzung am 14. März durchgezogen werden, wobei der Ausschuß vom Spätnachmittag bis 23 Uhr getagt hat.Dabei mußten nicht nur die zahlreichen Einzelvorschriften der beiden Gesetzentwürfe der Bundesregierung beraten werden, sondern auch noch ein Paket von Änderungsanträgen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP, das insgesamt nicht weniger als 58 Seiten komplizierten Gesetzestextes enthielt.
Die Mitglieder der Oppositionsfraktionen bekamen diese Anträge erst eine Stunde vor dem angekündigten Sitzungstermin erstmals zu Gesicht.
Da sich der Beginn der Ausschußberatungen wegen einer inzwischen angesetzten Aktuellen Stunde verschob, blieb wenigstens die Zeit, vor der Sitzung einen flüchtigen Blick hineinzuwerfen. Eine gründliche Prüfung dieser Änderungsanträge vor Sitzungsbeginn war nicht möglich.Nach der Sitzung am 14. März hatte der Ausschuß nur noch knapp bemessene Zeit für die notwendige Abstimmungsprozedur, die am Abend des 15. März stattfand. Beratungsmöglichkeiten gab es nicht mehr.Der Ausschußbericht wurde in beispielloser Eile und Hektik zusammengezimmert. Zehn Stunden
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4283
Heyennvor dem Termin, zu dem der Ausschußbericht nach der Geschäftsordnung in den Fächern der Abgeordneten liegen muß, konnten die vier Berichterstatter ihre Arbeit abschließen.Meine Damen und Herren, dies alles geschah, damit die zweite und die dritte Lesung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung heute stattfinden können, damit die Bundesratssitzung am 6. April erreicht wird und damit das Gesetz zum 1. Mai in Kraft treten kann.
Ich möchte an dieser Stelle nicht die politischen Motive kritisieren, die der Terminplanung der Bundesregierung zugrunde liegen, aber ich möchte klarstellen, daß eine gründliche und verantwortungsvolle Gesetzesberatung, die im Interesse aller Bürger liegt, auf diese Weise unmöglich gemacht wird. Wenn die Bundesregierung einen derartigen Zeitdruck ausübt und wenn die Koalitionsfraktionen, die die Bundesregierung tragen und über die Geschäftsordnungsmehrheit im Plenum und im Ausschuß verfügen, diesem Zeitdruck nicht aus eigener Selbstachtung Widerstand leisten, werden auf Dauer nach unserer Meinung die Souveränitätsrechte des Bundestages und auch die Grundlagen des Parlamentarismus ausgehöhlt.
Es ist das gute Recht der Bundesregierung, bestimmte Projekte mit Eile zu betreiben. Dann muß sie aber selbst ihre Entscheidungen rechtzeitig und rasch treffen. Sie darf sich nicht in endlosen Reibereien und Entscheidungsschwierigkeiten verzetteln, dabei wertvolle Zeit vergeuden und das Ganze dann vom Parlament ausbaden lassen.
Die SPD-Fraktion hat im Ausschuß diesmal bewußt darauf verzichtet, die geschäftsordnungsmäßigen Möglichkeiten bis zum letzten auszuschöpfen, um dadurch Zeit für gründlichere Beratungen zu gewinnen. Wir haben dies in der Überzeugung getan, daß eine politisch legitimierte Mehrheit auch die Möglichkeit zur Durchsetzung ihres politischen Willens haben muß. Im Namen meiner Kollegen möchte ich aber betonen, daß wir in Zukunft nicht mehr in gleicher Weise kooperationsbereit sein können, wenn sich der Wunsch wiederholen sollte, das Parlament aus politischen Motiven derart unter Zeitdruck zu setzen.
Das Wort als Mitberichterstatter hat Herr Abgeordneter Cronenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Mitberichterstatter möchte ich mich vorab im Namen der Kollegen für die Exkulpation der Ausschußmitglieder der Regierungsfraktionen bedanken. Ich möchte aber auch darauf aufmerksam machen, daß Ihr Gesetzesvorhaben, das ja nicht für sich alleine gestanden hat, sondern begleitet war von dem von Ihnen eingebrachten Gesetzentwurf, mit einem anderen Gesetz
gekoppelt war. Sie haben dann Ihren Gesetzesvorschlag — wie ich meine, aus guten Gründen — zurückgezogen. Nur, bei der Gesamtwürdigung, Herr Kollege Heyenn, sollte man dies nicht völlig außer acht lassen.
— Zurückgestellt. Trotz der verständlichen Kritik, die Sie hier geäußert haben, glaube ich, daß es für dieses Gesetz wichtig ist, festzustellen, daß nicht zuletzt dank Ihrer Verhaltensweisen eine verantwortungsbewußte und sachliche Beratung auch unter diesem Zeitdruck möglich gewesen ist. Und ich möchte es nicht versäumen, mich für die Kooperation in dieser Frage sehr herzlich bei der Opposition zu bedanken.
Ich gebe aber zu, daß Ihre Kritik am Verfahren nicht völlig unbegründet ist und wir uns hier, meine verehrten Kollegen, in einer unseligen Kontinuität befinden, die auch in anderen Konstellationen bis zum Exzeß praktiziert worden ist.
So wie ich in der Vergangenheit Gelegenheit nehmen mußte, mich bei den Kollegen der CDU/CSU als Opposition zu bedanken, so ist es mir jetzt Pflicht und Vergnügen, den Dank nach hierhin auszurichten. Wir alle, meine ich, sollten uns bemühen, in Zukunft solches Verfahren zu vermeiden. Ich weiß mich hier auch einig mit dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Blüm, der uns zugesichert hat, uns nicht wieder in einen solchen Beratungszwang zu bringen.
Nur mit Rücksicht darauf, daß dies auf meine Redezeit angerechnet wird, habe ich mir längere Ausführungen erspart und bitte hierfür um Verständnis.
Meine Damen und Herren, bevor ich die Aussprache eröffne, habe ich eine amtliche Mitteilung nachzuholen. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 27. März 1984 den Gesetzentwurf zur Änderung des Einkommensteuergesetzes — Drucksache 10/1029 —, Punkt 24 der Tagesordnung, zurückgezogen und sich dem entsprechenden interfraktionellen Gesetzentwurf auf der Drucksache 10/1189 angeschlossen.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an den Beginn meiner Rede auch den Dank an die Mitglieder dieses Hohen Hauses richten für die Kooperation, für die Arbeit, ganz besonders an die Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, die unter hoher Arbeitslast eine zügige Beratung ermöglicht haben, auch an die Berichterstatter. Herr Kollege Heyenn, ich
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4284 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Bundesminister Dr. Blümkann Ihre Klage sehr wohl verstehen. Ich bitte Sie nur, auch für unsere Lage Verständnis zu haben. Wir leben in ungewöhnlichen Zeiten, und die Arbeitslosigkeit ist nun wirklich nicht der Normalfall. Deshalb, glaube ich, sollten Sie im Interesse der Arbeitslosen für das Vorgehen Verständnis haben, wobei ich hinzufüge, daß auch aus meiner Sicht das nicht der Normalfall sein darf. Ich füge noch hinzu: Der Zeitdruck wäre natürlich nicht vorhanden gewesen, hätten wir dieses Gesetz schon vor 13 Jahren verabschiedet.
Meine Damen und Herren, die Vorruhestandsregelung ist ein Mittel zum Zweck. Es geht um die Arbeitslosen. Über allem Streit um die Mittel sollten wir heute und überhaupt in der Auseinandersetzung nicht vergessen, um wen es geht — um die Arbeitslosen — und daß uns hier eine gemeinsame Sorge quält. Ich unterstelle niemandem in diesem Hause, daß er nicht mit allen Kräften zur Vollbeschäftigung zurückkehren wollte, im Interesse der Menschen. Wir streiten uns über die Mittel, wir streiten uns nicht über das Ziel.Die Arbeitslosigkeit bedeutet nicht nur einen materiellen Verlust. Der Arbeitslose muß auf einen Teil seines Einkommens verzichten. Er fällt im Lebensstandard zurück. Die Volkswirtschaft verliert ebenfalls dabei. Wenn 2 Millionen Arbeitslose in Arbeit wären, könnte das Sozialprodukt um 120 Milliarden DM größer sein. Wir hätten 120 Milliarden DM mehr zur Verteilung. Aber der materielle Verlust ist nur der kleinere Teil des Schadens.Der schwerere Teil des Verlustes liegt darin, daß die Arbeitslosigkeit auch sozialer Ausschluß aus der Gemeinschaft der Arbeitenden ist. Es ist dem Menschen ein Recht auf Mitarbeit angeboren. Wer arbeiten will und arbeiten kann, aber nicht arbeiten darf, der fühlt sich abgewertet. Keine noch so hohe Unterstützung kann ihm den Mangel an Selbstwert nehmen.
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Beck-Oberdorf?
Bitte.
Frau Beck-Oberdorf.
Herr Blüm, heißt das, daß die Bundesregierung darüber nachdenkt, das Recht auf Arbeit einzuführen?
Das Recht auf Arbeit wird nicht dadurch verbessert, daß wir es in den Grundrechtskatalog aufnehmen. Ich halte es für ein angeborenes Naturrecht. Es kommt mehr auf die Verwirklichung durch die Gesetze an.
Ich halte es für ein angeborenes Naturrecht. Ich fürchte, wenn wir es in den Katalog aufnähmen, würden wir eher Hoffnungen wecken, die wir durch Appelle nicht lösen können, sondern durch konkrete Politik.
Deshalb rate ich uns, unsere ganze Kraft auf die konkrete Politik zu richten.
Erlauben Sie eine Zusatzfrage?
Bitte.
Frau Beck-Oberdorf.
Meinen Sie nicht, wenn Sie das Recht auf Arbeit als Naturrecht bezeichnen, daß es dann sinnvoll wäre, über Appelle hinauszugehen und es in der Tat ins Grundgesetz einzuführen?
Nicht alle Naturrechte befinden sich im Grundgesetz. Das Grundgesetz ist nicht der Katalog der Naturrechte.
Ich darf vielleicht noch nachtragen: Ich bestreite dieses Recht nicht. Ich will noch einmal ausdrücklich festhalten, daß ich das für der Natur des Menschen entsprechend halte.
Deshalb wollen wir daran festhalten, daß Vollbeschäftigung eine Forderung nicht nur aus materiellen Gründen ist, sondern auch aus Gründen der Selbstverwirklichung des Menschen, auf die jeder Anspruch hat.
Die Härte der Arbeitslosigkeit ist nicht nur von der Höhe der Arbeitslosenzahl abhängig, sondern auch von ihrer Dauer. Je länger die Arbeitslosigkeit dauert, um so geringer werden die Rückkehrchancen für Langzeitarbeitslose. Im September 1983 waren 28,5% aller Arbeitslosen länger als ein Jahr arbeitslos. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen wächst. Die Bundesregierung wird diesem Personenkreis eine besondere Beachtung schenken.Im Rahmen des in Vorbereitung befindlichen Gesetzes zur Förderung der Beschäftigung geht es nicht in erster Linie um Schutz derjenigen, die Arbeit haben, sondern um die Chance derjenigen, die vor der Tür stehen, in die Arbeit zurückzukehren. Das ist ein bevorzugter Blickwinkel unserer Politik. Wir wollen keine neuen Klassenschranken. Wir haben das 19. Jahrhundert mit seinem unversöhnlichen Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit überwunden. An seine Stelle darf jetzt nicht eine neue Kluft treten, nämlich die Kluft zwischen Arbeitsbesitzern und Arbeitslosen.Die größte Gefahr für die Arbeitslosen besteht darin, daß sich die Gesellschaft mit der Arbeitslo-
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Bundesminister Dr. Blümsigkeit abfindet. Die Gewöhnung an soziale Mißstände ist eine Schwester der Resignation. Unser Vorruhestandsangebot ist ein Gesetz gegen Resignation. Die beste Beschäftigungspolitik ist eine florierende Wirtschaft. Denn auch hohe Sozialleistungen ersetzen nicht den Arbeitsplatz, gerade im Hinblick darauf, daß Arbeit mehr ist als nur Verdienst.Aber es gibt ja auch wieder Grund zur Zuversicht. Das Wachstum steigt. Investitionen rechnen sich wieder. Die saisonbereinigte Zahl der Arbeitslosen — also unter Absehen von der witterungsbedingten Arbeitslosigkeit — nimmt seit August 1983 ab. Die Kurzarbeiterzahl haben wir halbiert. Kurzarbeit ist ja auch eine Form von Arbeitslosigkeit, eine Teilarbeitslosigkeit. Die Zahl der offenen Stellen nimmt wieder zu. Sie lag im Februar um 16 % über dem Stand des Vorjahres. Offene Stellen sind der Indikator für die Vermittlungschancen. Wenn wir keine offenen Stellen haben, sind die Chancen der Arbeitslosen auf Arbeit gleich Null. Der Stellenzugang bei den Arbeitsämtern war um 31 % höher als im Februar 1983.Ich nenne das, damit nicht Resignation einzieht. Ich nenne das nicht, um hier den Eindruck zu erwecken, es gäbe nichts mehr zu tun. Zur Selbstzufriedenheit gibt es keinen Grund. Was ich hier vortrage, bedeutet also nicht Entwarnung im Hinblick auf unsere Anstrengungen.Was uns in diesem Aufbruch, diesem Aufschwung jetzt allerdings nicht passieren darf — ich sage es ohne Umschweife —, ist ein Arbeitskampf.
Ich will es noch einmal feststellen: Streik gehört zu unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung. Das ist Preis der Freiheit. Bei uns muß man — im Unterschied zum Osten — nicht bedingungslos arbeiten. Bei uns können die Arbeiter und ihre Gewerkschaften Bedingungen stellen. Sie können die Arbeit verweigern. Die polnischen Arbeiter wären froh, hätten sie dieses Recht. Dieses elementare Freiheitsrecht bedeutet aber nicht Streikpflicht. Mit dieser Waffe muß sorgfältig umgegangen werden, und es muß gefragt werden, gegen wen sie sich richten kann.
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?
Bitte.
Herr Blüm, wenn Sie bei uns wiederholt vor Streiks warnen, weil sie angeblich den kleinen Aufschwung gefährden, und dann auf das leuchtende Beispiel der Solidarność in Polen hinweisen, frage ich: Wie schätzen Sie das Argument der Militärdiktatur in Polen ein, das dem Ihrigen vollkommen gleicht, daß nämlich mögliche Streikmaßnahmen und Arbeitskampfmaßnahmen der Solidarność die wirtschaftlich schlimme Situation in Polen noch weiter verschärfen?
Sie dürfen Solidarność nicht dadurch beleidigen, daß Sie ihren Kampf um Freiheit mit unserem Arbeitskampf verwechseln.
Zu dem Vergleich mit der Militärregierung will ich gar nichts sagen.
— Sie können das ja in Ihrer Rede richtigstellen. Ich sage, daß der Freiheitskampf der polnischen Arbeiter mit dem Kampf um Arbeitszeitverkürzung unvergleichbar ist.
Sozialer Friede ist kein Geschenk des Himmels. Alle müssen bereit sein, aufeinander zuzugehen: Gewerkschaften, Arbeitgeber und Regierung. Eitelkeit und Prestige, Recht-haben-Wollen sind ein sozialer Luxus, den wir uns nicht leisten können. Es geht nicht darum, wer Recht behalten hat, sondern darum, wie wir den Arbeitslosen gemeinsam helfen.Sozialer Friede ist eine Aufschwungsbedingung. Unser Vorruhestandsgesetz ist ein Friedensangebot. Es hat nur Erfolg, wenn Staat, Gewerkschaften und Arbeitgeber zusammenwirken. Das Gesetz ist ohne Mitwirkung der Tarifpartner nur von dem Wert des Papiers, auf dem es gedruckt ist. Zum Unterschied von anderen Gesetzen heißt es hier nicht: beschlossen und Durchführung. Hier heißt es: beschlossen und Kooperation. Wir laden zur Kooperation ein. Wir strecken den Gewerkschaften und den Arbeitgebern die Hand aus. Wer sie zurückweist, muß das vor den Arbeitslosen verantworten. Ich appelliere an die Gewerkschaften, sich nicht auf die 35-Stunden-Woche zu fixieren. Fixierungen sind immer nur Ausdruck von Erstarrung und Verkalkung.
Die Vorruhestandsregelung ist ein Ausweg aus der Sackgasse der derzeitigen arbeitszeitpolitischen Verkrampfung, unter der die Sozialpartner leiden.
An die Arbeitgeber appelliere ich, nicht kleinlich zu sein. Ein großzügiges Vorruhestandsangebot ist eine weitsichtige Investition in sozialen Frieden und Zusammenarbeit der Sozialpartner.Auch dieser soziale Frieden verlangt seinen Preis. Es geht auch darum, den Gewerkschaften zu helfen. Schwache Gewerkschaften schaden auch den Arbeitgebern. Sie sind kein verläßlicher Partner für Vereinbarungen. Schwächung der Gewerkschaften wäre ein Pyrrhussieg, — und der Herr hat sich bekanntlich übernommen.Deshalb appelliere ich an die Kompromißfähigkeit der Tarifpartner. Die Vorruhestandsregelung
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4286 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Bundesminister Dr. Blümerweitert den Spielraum der Kompromißmöglichkeiten und ist ein wichtiger Beitrag zur Arbeitszeitverkürzung. Und, meine Damen und Herren, jeder weiß doch, daß die Lebensarbeitszeitverkürzung viel, viel populärer ist, auch bei den Arbeitnehmern, als die Wochenarbeitszeitverkürzung.
Niemand von uns ist doch ein Vormund der Arbeitnehmer. Die Wünsche der Arbeitnehmer sind auch ein Maßstab für unsere Politik. Das zu tun, was die Arbeitnehmer wollen, kann doch nicht gegen die Gewerkschaften gerichtet sein. Sonst würde man unterstellen, Gewerkschaftswünsche würden im Gegensatz zu Arbeitnehmerwünschen stehen. Gegen eine solche Unterstellung muß ich die Gewerkschaften in Schutz nehmen.
Unsere Politik kann nicht gegen die Gewerkschaften gerichtet sein.Noch etwas: Keine noch so intelligente Arbeitszeitdiskussion kann an der Tatsache vorbeigehen, daß es nicht 35-Stunden-Woche und Lebensarbeitszeitverkürzung — mit 58 Jahren — gibt, daß man auch in dieser Situation wählen muß.Meine Damen und Herren, wer die 35-StundenWoche ideologisiert, wer sie zur Machtfrage der Gesellschaft und der Gewerkschaften hochstilisiert, wer sie gar mit der Existenzfähigkeit der Demokratie identifiziert, der blockiert eine pragmatische Lösung der Arbeitszeitfrage. Die Demokratie hat bei 48 Wochenstunden bestanden; sie besteht bei 40 Wochenstunden, und sie wird auch bei 35 Wochenstunden bestehen. Das ist eine pragmatische Arbeitszeitfrage und keine Frage der Ideologie.
Und wer sie ideologisiert, muß wissen: Die Ideologen haben nie den Arbeitnehmern geholfen. Die beste Gewerkschaftspolitik war immer eine pragmatische Gewerkschaftspolitik.
Ich will auch auf ein doppeltes Dilemma der 35Stunden-Woche in dieser Zeit hinweisen. Die Vorruhestandsregelung kann ein Ausweg aus diesem Dilemma sein.Das erste Dilemma ist: Die 35-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich wird eine große Zahl von not-leidenden Betrieben in den Bankrott jagen. Wir verlieren dabei nicht nur Unternehmer, sondern auch Arbeitsplätze. Den Arbeitslosen wäre damit nicht geholfen.Das zweite Dilemma: Die 35-Stunden-Woche ohne vollen Lohnausgleich hängt die Rentner vom Fortschritt ab. Darüber wird ja viel zuwenig gesprochen. Es gibt in dieser Situation Gott sei Dank — auch dank unserer Politik; das sage ich voller Selbstbewußtein — wieder etwas zu verteilen. Es gibt wieder Wachstum. Wenn das, was zuwächst, allein in mehr Freizeit umgesetzt wird, gehen die Rentner leer aus. Erstens haben die Freizeit, und zweitens hängt ihre Rente davon ab, wie die Löhne steigen.Wenn es etwas zu verteilen gibt, ist es rücksichtslos gegenüber den Rentnern, dies allein in Freizeit umzusetzen. —
Das ist das erste Dilemma: Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich ist gegen die Arbeitslosen, ohne vollen Lohnausgleich gegen die Rentner.Und es gibt noch eine solche peinliche Alternative. Die 35-Stunden-Woche auf einen Schlag durchgesetzt, also fünf Stunden in einem Schritt, halten viele Betriebe weder organisatorisch noch betriebswirtschaftlich aus. Das hieße k.o. für diese Betriebe. Wieder wäre den Arbeitslosen nicht geholfen.Die 35-Stunden-Woche, in kleinen Schritten realisiert, zunächst nur mit einer Arbeitsstunde weniger, führte, wie die französischen Erfahrungen beweisen, in Arbeitsverdichtung. Mit anderen Worten: Da laufen die Fließbänder ein bißchen schneller; Pausen werden zusammengestrichen; die Arbeiter leiden mehr unter Streß; den Arbeitslosen und den Arbeitnehmern wäre nicht geholfen. — Das ist das zweite Dilemma.
Die Verkürzung der Wochenarbeitszeit um eine Stunde würde mehr kosten als die Vorruhestandsregelung. Für eine Wochenarbeitszeitverkürzung von einer Stunde würden 2,6 % der Bruttolohn- und -gehaltssumme in Anspruch genommen. Die Vorruhestandsregelung ist um mehr als 1 % kostengünstiger. Bei der Vorruhestandsregelung bleibt also noch etwas für die Lohntüte übrig. Bei der 35-StundenWoche würde, wenn sie durchgesetzt würde, für die Lohntüte nichts übrigbleiben. Es würde mehr Kuchen verteilt, als Kuchen gebacken ist. Jeder weiß, daß das im Leben nicht geht, daß man nicht mehr Kuchen essen kann, als gebacken wurde. So ähnlich ist der Versuch mit der 35-Stunden-Woche: mehr zu verzehren, als gekocht wurde.
Ich nenne vier Vorzüge der Vorruhestandsregelung. In diese Vorruhestandsregelung sind vier Rücksichten eingebaut.Erstens: Die Rücksicht auf die Arbeitslosen; um die geht es j a. Die Vorruhestandsregelung ist mit einem Einstellungsgebot für Arbeitslose verbunden. Geld bekommt nur der Betrieb, der anstelle des ausgeschiedenen älteren Arbeitnehmers einen Arbeitslosen einstellt. Diese Garantie hat die Wochenarbeitszeitverkürzung nicht. Da steht nirgendwo geschrieben, daß zum Ausgleich der verkürzten Wochenarbeitszeit ein Arbeitsloser eingestellt wird. Nur wir verbinden die Einstellung mit einer Arbeitszeitverkürzung. Das ist die einzige Arbeitszeitverkürzung, die diese Sicherheit, diesen Zusammenhang zwischen Freizeit für die einen und Arbeit für die anderen herstellt. Diesen Zusammenhang gibt es, mit Geld unterstützt, nur bei der Vorruhestandsregelung.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4287
Bundesminister Dr. BlümDer zweite Vorzug, die zweite Rücksicht: Die Rücksicht auf die älteren Arbeitnehmer. Die Belastung der Arbeitnehmer ist doch höchst unterschiedlich. Die Belastung nach einem vollen Erwerbsleben ist doch eine andere als die eines jungen Mannes. Sehen wir uns doch einmal die Arbeitnehmer an, die sich in den nächsten Jahren für Vorruhestand entscheiden können. Das sind die Kinder des Hungers aus der Weimarer Zeit. Das sind die Jugendlichen aus den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs. Und das sind die jungen Leute des Wiederaufbaus, die Hand angelegt haben, als ihre Väter noch in Gefangenschaft waren. Das sind die, die den Wiederaufbau zustande gebracht haben, das, was wir als das Wirtschaftswunder bezeichnen. Die nachwachsende Generation steht auf ihren Schultern. Ich denke, es ist ein Stück Wiedergutmachung und Anerkennung, daß wir ihnen einen vorzeitigen Ruhestand gönnen. Sie haben die größten Lasten dieses Jahrhunderts getragen.
Die dritte Rücksicht: Diese Vorruhestandsregelung nimmt Rücksicht auf die Lehrlinge. Für die Vorruhestandsregelung werden in den Kleinbetrieben die Einstellung eines jeden Lehrlings und in allen Betrieben die Übernahme von Ausgebildeten angerechnet, die sonst arbeitslos würden. Auch hier wieder: jung und alt in einem Geben und Nehmen. Wir sollten doch gemeinsam sehen, daß die Ausbildungsplatzfrage eine der wichtigsten Fragen der Jahre 1984, 1985, 1986, 1987, 1988 ist, gerade in den Jahren, in denen diese Vorruhestandsregelung gilt. Wir helfen den Alten, indem sie in Frieden aus der Erwerbsarbeit gehen können, wenn sie wollen; und wir helfen den Jungen, daß sie einen Ausbildungsplatz bekommen. Alt und jung sind von unserer Vorruhestandsregelung in Rücksicht genommen.Die vierte Rücksicht: die Rücksicht auf die Kleinbetriebe. Diese Feinsteuerung hat die Wochenarbeitszeitverkürzung nicht. Die funktioniert mit der Empfindlichkeit einer Dampfwalze. Die Vorruhestandsregelung schützt die Betriebe vor Überforderung. Ein überdurchschnittlicher Anteil von älteren Arbeitnehmern wird keinen Durchschlag in die Kostenbelastung der Betriebe haben, weil eine fünfprozentige Überforderungsklausel oder eine Ausgleichskasse oder beides zusammen bei dieser Regelung vor Wettbewerbsverzerrungen schützt.Etwas noch zur Höhe des Vorruhestandsgeldes. Da ist zunächst einmal die Höhe des Vorruhestandsgeldes so, wie es die Bemessungsgrundlage für unseren Zuschuß ist. Aber es steht nirgendwo geschrieben, daß diese Bemessungsgrundlage die Höchstgrenze des Vorruhestandsgeldes ist. Die Tarifpartner können doch noch draufsatteln. Ich versteht den Zweifel nicht bei Leuten, die die 35-Stunden-Woche, die sehr viel teurer ist, ohne staatlichen Zuschuß durchsetzen wollen.
35% Zuschuß sind auf alle Fälle mehr als null Zuschuß zur Wochenarbeitszeitverkürzung.
Aber auch diese Mindestgrenze liegt über der Höhe des Arbeitslosengeldes, liegt über der Höhe der Rente, die ein gleichaltriger Rentner erhalten würde, und sie liegt auch über der Höhe nach der sogenannten 59er-Regelung. Selbst bei einem 65 %igen Vorruhestandsgeld beträgt das Nettoeinkommen mehr als 70% des Arbeitslosengeldes. Für die Arbeitnehmer ohne Kinder — das werden ja in der Mehrzahl die älteren Arbeitnehmer sein — beträgt es bekanntlich nur 63%. Das Arbeitslosengeld wird nur ein Jahr gezahlt, während das Vorruhestandsgeld im Durchschnitt, in der Regel fünf Jahre gezahlt wird.Auch die Rente liegt nach 40 Beitragsjahren bei einem Niveau von 65%. Vor allen Dingen: Bei dem, der mit dem Alter in Rente ginge, mit dem der Vorruhestandsgeldbezieher in Rente geht, wächst die Rente nicht mehr mit. Für die Zeit des Vorruhestandes wird weiter Rentenbeitrag bezahlt, die Rente steigt also noch. Auch hier haben es die Tarifpartner in der Hand, eine Höherversicherung zu ermöglichen.Ich will, meine Damen und Herren, auch noch etwas zu der sogenannten 59er-Regelung sagen: Für die 59jährigen Arbeitslosen ändert sich nichts; das will ich noch einmal feststellen. Sie können wie bisher mit 60 in die Rente gehen. Für die Betriebe allerdings, die sich auf diesem Schleichweg ohne Not an die Arbeitslosenversicherung, an die Rentenversicherung herangemacht haben, die ihre betriebliche Personalpolitik mit den Beiträgen der Arbeitnehmer bezahlen ließen, verändert sich etwas. Die müssen der Arbeitslosenversicherung und der Rentenversicherung die Kosten bezahlen, und das ist nicht mehr als recht und billig.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in meiner Einführung, meiner Darstellung, meiner Verteidigung dieses unseres Gesetzes noch einmal beleuchten, daß das jetzt nicht die Stunde von Taktikern, von Buchhaltern ist. Jetzt ist die Stunde, dem sozialen Frieden einen Tribut zu zahlen, die Erstarrungen an der Tariffront aufzulösen, den Arbeitslosen eine neue Chance zu geben. Die Tarifpartner haben das letzte Wort. Unsere Vorruhestandsregelung ist eine Arbeitszeitverkürzung mit Freiheit. Die Arbeitnehmer sollen selbst entscheiden, ob sie mit 58 in den Vorruhestand gehen oder länger in der Erwerbsarbeit bleiben. Freiheit ist immer besser als Zwang. Deshalb ziehen wir immer Arbeitszeitverkürzungen vor, bei denen der einzelne selbst entscheidet, ob er sie in Anspruch nimmt, und sie nicht als Befehl erfährt.
Ich richte mein Wort auch an die Kollegen, die den Vorruhestand in Anspruch nehmen werden. Wer aus der Erwerbsarbeit ausscheidet, darf nicht aus unserer Gesellschaft ausscheiden. Wir brauchen die älteren Mitbürger. Eine Welt, die das Alter verdrängt, wäre eine Welt, in der nur noch Karrieren gelten, in der nur noch der Egoismus die Plätze anweist. Wir brauchen die Erfahrung der Alten: in Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Vereinen, in Familien und Nachbarschaft. Eine Politik, aus Er-
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4288 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Bundesminister Dr. Blümfahrung der Alten gespeist, ist mir jedenfalls lieber als eine Politik, die von den Ideologien mancher junger Zeitgenossen indoktriniert wird.
Unser Angebot eines Vorruhestandes verbindet deshalb dieses Angebot mit der ausdrücklichen Einladung an die älteren Mitbürger, in der Gesellschaft mitzuarbeiten, Ruhestand nicht als eine Zeit der Passivität, sondern als eine Zeit zu verstehen, in der die Familien, die Gesellschaft, die Vereine, die Parteien auf sie angewiesen sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Stratmann.
Ich bin überrascht, sofort auf meinen Gewerkschaftskollegen Blüm antworten zu können, was ich mir auch vorgenommen habe. Ich wünsche zunächst allen einen guten Morgen,
besonders allerdings den Kolleginnen und Kollegen aus den Gewerkschaften und insonderheit dem Gewerkschaftskollegen Blüm.Herr Blüm, Sie haben während der ersten Lesung zur Vorruhestandsregelung Ihrem Gesetzentwurf drei Funktionen zugewiesen: „die Chancen des sozialen Friedens zu erhöhen, den Arbeitslosen zu helfen und die Altersgrenze zu humanisieren". Vor diesem Hintergrund möchte ich mich mit Ihrem Versuch auseinandersetzen, die Vorruhestandsregelung bewußt und gezielt als Torpedo gegen die 35Stunden-Woche einzusetzen. Mit der IG Metall, der IG Druck und Papier und anderen Einzelgewerkschaften sind wir GRÜNEN der Auffassung, daß in der aktuellen tarifpolitischen Auseinandersetzung die 35-Stunden-Woche klaren Vorrang vor anderen Formen der Arbeitszeitverkürzung haben muß.Das möchte ich in drei Argumenten ausführen. Erstes Argument: Eine wirksame Humanisierung der Arbeit muß an der Erleichterung der täglichen Arbeit ansetzen. Die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit ist ein notwendiger, wenn auch nicht hinreichender Schritt in diese Richtung. Sie, Herr Blüm, reduzieren dagegen mit Ihrer Vorruhestandsregelung die Humanisierung der Arbeit auf die Humanisierung der Altersgrenze.Sie schreiben in Ihrem Büchlein „Die Arbeit geht weiter", erschienen im November 1983:Die Stechuhr ist das Symbol einer Kolonnengesellschaft, in der sich der einzelne, seiner Zeitsouveränität beraubt, fremden Arbeitszeitvorgaben unterordnen muß. Die entlaufenen Bauern- und Handwerkersöhne wurden so in dieDisziplin der beginnenden Industriekultur gezwungen.
Herr Blüm, ich stimme Ihnen zu: Dies war so im Frühkapitalismus, und dies ist heute noch so im Spätkapitalismus, wobei Sie hier „spät" ruhig mit th schreiben können.
Dies, Herr Blüm, ist ebenfalls so — da möchte ich Ihnen auch zustimmen — im real existierenden Stalinismus.
Herr Blüm, die Folgen der unmenschlichen Arbeitsbedingungen Tag für Tag und nicht nur am Ende der Lebensarbeitszeit sind Ihnen bekannt. Sie wissen, daß 1982 ca. jeder zweite Industriearbeiter schon mit 54 in Rente gegangen ist; nicht, weil er keine Lust mehr hatte zu arbeiten, sondern weil die täglichen unmenschlichen Arbeitsbedingungen in unserer sogenannten Sozialen Marktwirtschaft ihn kaputtgemacht haben.Wenn Sie auf der einen Seite den Eindruck erwecken, Sie wollten die Arbeit humanisieren, und dann nur noch — ich kritisiere das „nur noch" — von der Humanisierung am Ende der Lebensarbeitszeit sprechen, halte ich dies im Ergebnis für eine unverantwortliche Verkürzung des Problems.
Angesichts dieser Situation der unmenschlichen Arbeitsbedingungen in einer sogenannten Sozialen Marktwirtschaft kommen Sie, Kollege Blüm, mit einem weiteren Ablenkungsmanöver. Es heißt „Flexibilisierung der Arbeitszeit". In Ihrem Büchlein bringen Sie dazu das beredte Beispiel eines Münchner Textilkaufhauses, in dem das Instrument der Zeitkontrolle zum „Schlüssel zur absolut zurückgewonnenen Zeitsouveränität der rund 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geworden ist". Sie schreiben weiter:Wenn sie eine Besorgung machen oder einfach vorzeitig nach Hause gehen wollen, stecken sie ihre Identifikationskarte in den Kontrollautomaten und „buchen sich aus".
Ihre Sprache allein, Herr Blüm, verrät es: Der Große Bruder bucht mit. Dieser Große Bruder heißt in den Betrieben „Personalinformationssysteme".
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4289
StratmannHerr Blüm sagt: Zeitkontrolle ist Zeitsouveränität. Der Große Bruder nickt und echot: Freiheit ist Zwang.
Und für diese kapitalistische Freiheit schaffen Blüm und andere mit einem „Chip-Heil" auf den Lippen die technologischen Voraussetzungen.
Die Sozialdemokraten können nicht anders, als sich — wie dieser Tage DGB-Bundesvorstandsmitglied Bleicher kritisch vermerkte — mit lautem „Chip, Chip Hurra" in den Technologietaumel hintennachzustürzen.
— Kollege Lutz, das ist nicht entbehrlich; denn Ihre Übereinstimmung in Sachen Technologietaumel mit den Koalitionsfraktionen ist tatsächlich frappierend, und sie nimmt von Tag zu Tag zu.
Ganz auf dieser Linie liegt die Bereitschaft führender Sozialdemokraten und Gewerkschaftsfunktionäre wie Franz Steinkühler, faule Kompromisse einzugehen zwischen der Wochenarbeitszeitverkürzung und der kapazitätsorientierten Flexibilisierung der Arbeitszeit; so z. B., wenn er vor zwei, drei Wochen in einem „Spiegel"-Interview andeutete, daß die 36-Stunden-Woche ja auch mit zusätzlicher Samstagsschicht eingeführt werden könnte. Frei nach dem Motto: Einen Schritt vor, einen Schritt zurück; denn samstags gehorcht Vati wieder dem Unternehmer.Mein Fraktionskollege Willi Hoss wird später zur Arbeitszeitordnung darstellen,
wie wir GRÜNEN uns eine arbeitnehmerorientierte Flexibilisierung der Arbeitszeit vorstellen. Ich möchte jetzt ausführen, wie wir GRÜNE die 35Stunden-Woche anstreben und ohne Konkurrenz dazu — das ist das Entscheidende: ohne Konkurrenz dazu — gleichzeitig den vollkommen verständlichen Wünschen der älteren Arbeitnehmer nach Vorruhestandsregelung entgegenkommen.
Wir GRÜNEN haben im Ausschuß für Arbeit und Soziales einen Antrag eingebracht.
Die Elemente unserer Vorstellungen haben wir dort in Form eines Antrags zur Abstimmung gestellt. Erwartungsgemäß sind sie allesamt abgebügelt worden.Diese Elemente sind: Wir sind für eine gesetzliche Reduzierung der flexiblen Altersgrenze auf 58 Jahre. Der Ton liegt hier auf gesetzlicher Reduzierung
— warten Sie doch ab — im Gegensatz zu der tarifvertraglich durchgesetzten. Gleichzeitig mit der Reduzierung der flexiblen Altersgrenze auf 58 Jahre sind wir aber auch dafür — diese Möglichkeit sollte gesetzlich vorgesehen werden —, auf freiwilliger Grundlage länger als 65 Jahre zu arbeiten.Darüber hinaus schlagen wir für zukünftige tarifvertragliche Vereinbarungen vor, daß für ältere Arbeitskollegen in Abhängigkeit von dem Alter die Jahres- und die Wochenarbeitszeit reduziert wird. Dafür gibt es schon in Schweden praktizierte Modelle.
— Herr George, um so besser. Wenn Sie mir durch Zuruf zustimmen, dann frage ich Sie, warum Sie das nicht längst auf breiter Ebene eingeführt haben.
— Herr George, wenn Sie genau zugehört hätten, hätten Sie verstehen müssen, daß ich gerade für diese altersabhängige Reduzierung der Jahres- und Wochenarbeitszeit auch die tarifvertragliche Durchsetzung vorgeschlagen habe. Das könnte so aussehen, daß von 50 bis 55 Jahren, wie allgemein, die 35Stunden-Woche gilt, von 55 bis — sagen wir —60 Jahren die 30-Stunden-Woche, von 60 bis 65 Jahren eine noch kürzere Wochenarbeitszeit.
Das ist ein Vorschlag, also keine Maßnahme, die wir schon endgültig beschlossen hätten. Ab 65 Jahren, d. h. für noch ältere Arbeitskollegen, die freiwillig weiterarbeiten wollen, könnte — sagen wir — die 20- oder 15-Stunden-Woche gelten.Herr Kollege Blüm, Sie sagen, wir müßten zu einer Neubewertung des Alters kommen. Ich stimme Ihnen insoweit völlig zu. Wenn wir das aber gemeinsam sagen, müßten Sie mir auch zustimmen, daß wir von einer starren Altersgrenze wegkommen müssen, die sozusagen wie mit einem Fallbeil die älteren abhängig Beschäftigten von einem Tag auf den anderen in die Passivität eines Vorruhestandes befördert. Aber genau diese Fallbeilwirkung hat die von Ihnen vorgeschlagene Vorruhestandsregelung.
Ein Element der von uns vorgeschlagenen Vorruhestandsregelung ist — ich habe es gesagt — die Reduzierung der flexiblen Altersgrenze auf 58 Jahre, wobei wir, was die finanzielle Absicherung anbetrifft, der Meinung sind, daß dabei gewährleistet sein muß, daß 75 % des Bruttoeinkommens
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4290 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Stratmannin einer Vereinbarung zwischen Staat und Arbeitgebern durchgesetzt werden. Hier stimme ich auch Ihren Argumenten zu, daß der Staat einen Finanzierungsbeitrag leisten soll, weil nämlich im Falle von Neueinstellungen die Bundesanstalt für Arbeit hinsichtlich Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfezahlungen entlastet wird.Wir fordern im Unterschied zu Ihrer Vorruhestandsregelung, daß eine solche Regelung zeitlich unbefristet sein muß. Die zeitliche Befristung auf 5 Jahre in Abhängigkeit von der konjunkturellen Arbeitsmarktentwicklung, Herr Blüm, zeigt, daß für Sie Humanisierung der Arbeit und Humanisierung der Altersgrenze nicht das erste Gebot sind, sondern eine funktionale Variable, abhängig von der Arbeitsmarktentwicklung und abhängig von den Interessen der Unternehmer.
Für uns ist in der aktuellen politischen Auseinandersetzung, die eine gesellschaftspolitische Dimension gewonnen hat, ganz entscheidend, daß eine solche Vorruhestandsregelung nicht in tariflicher Konkurrenz zu den tariflichen Auseinandersetzungen über die 35-Stunden-Woche erfolgt, sondern auf gesetzlichem Wege. Hier möchte ich mich insbesondere an die Sozialdemokraten und — ich habe es mit Freude zur Kenntnis genommen — auch an den sozialdemokratischen Abgeordneten Herrn Rappe, gleichzeitig Vorsitzender der IG Chemie, wenden. Ich habe es Ihnen schon im Mai letzten Jahres gesagt, Herr Rappe. Sie haben mir darauf mit einem Brief geantwortet.
— Herr Roth, hören Sie doch einmal zu und tun Sie nicht so, als ob Sie da mit Herrn Rappe in einem Boot sitzen. Ich hoffe, daß das nicht so ist.Ich habe Ihnen, Herr Rappe, schon vor einem Jahr gesagt, daß Ihre gesetzliche Initiative zwangsläufig dazu führt, daß Sie den grundsätzlichen Gegnern der 35-Stunden-Woche im Unternehmerlager und auf seiten der Bundesregierung ins offene politische Messer laufen, und dies tun Sie auch mit Ihrem Gesetzentwurf zur Vorruhestandsregelung. Bei Blüm ist das gewollt. Er will gezielt ein Torpedo gegen die 35-Stunden-Woche. Bei der IG Chemie und den anderen Einzelgewerkschaften wird das hingenommen. Was Sie mit Ihrem Gesetzentwurf zur Vorruhestandsregelung mit Kritik an Blüms Entwurf leisten, ist lediglich, daß Sie einen noch besseren Torpedo gegen die 35-Stunden-Woche anbieten.
Die SPD erweist sich wieder einmal als eine typische Jein-Partei; mit einem Auge schielt sie auf die 35-Stunden-Woche, mit dem anderen, Herrn Rappes Auge, schielt sie dagegen auf die Tarifrente. — Wie auf der Alm die Kuh, die kneift das Auge auf und zu.
So ist es nicht verwunderlich, daß der SPD-MdB Rappe ein öffentliches Bettgeflüster mit Norbert Blüm über eine Große Koalition anfängt.
— Herr Blüm, Sie brauchen nicht den Finger zu heben, denn ich bin nicht gegen Bettgeflüster. Ich bin nur gegen Bettgeflüster, die eine Große Koalition zum Thema haben. Und nach unserem Wahlerfolg in Baden-Württemberg
ist auch gar nicht auszuschließen, daß 1987 aus diesem Bettgeflüster tatsächlich einmal die große Frucht des großen Übels wird.Ein zweites Argument, Herr Blüm — ich will es nur andeuten, ich kann es aus Zeitgründen nicht ausführen — ist: Wenn Sie mit der Vorruhestandsregelung den Arbeitslosen helfen wollen, dann wissen Sie ganz genau — das sagen Ihnen alle Arbeitsmarktforscher —,
daß der Arbeitsplatzeffekt der 35-Stunden-Woche das Vierfache der von Ihnen und der SPD vorgeschlagenen Vorruhestandsregelung beträgt.
Angesichts dieser Situation zu sagen, Sie würden mit Ihrer Vorruhestandsregelung den Arbeitslosen helfen, und gleichzeitig diese Regelung gegen die 35-Stunden-Woche auszuspielen, zeigt, daß Sie nicht in der Lage sind, nicht einmal im Ansatz, die Arbeitsmarktprobleme zu lösen.
Meine Zeit ist um. Das was ich sagen wollte, konnte ich leider nicht alles sagen.Ich danke Ihnen.
Es gab hier vorher ein Mißverständnis — nicht bei Ihnen, Herr Stratmann.
Das Wort hat der Abgeordnete Heyenn.
— Ich habe das nicht verstanden, Herr Kollege Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte gern, wie üblich, gleich auf den Herrn Bundesarbeitsminister geantwortet. Ich möchte das jetzt nachholen und ihm sagen: Herr Blüm, wenn Sie davon reden, daß wir in ungewöhnlichen Zeiten leben, dann gebe ich Ihnen recht; aber wenn Sie damit den Beratungsdruck im Ausschuß entschuldigen wollen, muß ich Ihnen widersprechen, denn Sie wollen doch mit diesem Hinweis auf
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4291
Heyenndie ungewöhnlichen Zeiten nur vertuschen, daß dieser Gesetzentwurf so spät vorgelegt wurde, weil es ein monatelanges Hickhack zwischen Ihnen auf der einen und Stoltenberg und Lambsdorff auf der anderen Seite gegeben hat.
Das zweite, Herr Kollege Blüm: Wenn Sie hier den Rentnern Rentenkürzungen durch eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit androhen, dann halte ich das für schlichtweg makaber, nachdem Sie gerade die Rentenzuwächse gekappt und die Beiträge zur Rentenversicherung erhöht haben.
Wenn Sie hier, Herr Kollege Blüm, in wohltönenden Worten von der Wiedereinstellungsgarantie reden, dann kann ich Ihnen doch nur Ihren eigenen Gesetzentwurf vorhalten, wo Sie selbst nur mit 50 % Wiedereinstellung rechnen. Sie wissen, daß auch das bei der Form Ihres Entwurfes noch brüchig ist.
Meine Damen und Herren, wir haben 2,5 Millionen Arbeitslose. Vor diesem Hintergrund wird seit Jahren die Diskussion über den Vorruhestand geführt. Wir Sozialdemokraten wollen ein arbeitsmarktpolitisch wirksames Rahmengesetz,
mit dessen Attraktivität in den nächsten Jahren die Neueinstellung Hunderttausender heute Arbeitsloser kommen könnte.
Die Regierung will einen Beschäftigungspakt durch Taten, sie will ein Friedensangebot, sie will Rücksicht auf die Kinder des Hungers, die Menschen aus den Bombennächten nehmen, und dann legt sie einen Gesetzentwurf vor, dessen Auswirkungen nicht Hunderttausende, sondern bestenfalls Zehntausende betreffen, vielleicht 25 000 Arbeitslose, und das bei 2,5 Millionen Arbeitslosen, die wir haben.
Einen stärkeren Widerspruch zwischen Worten und Taten habe ich hier von dieser Stelle aus selten erlebt.
Ich kann nur sagen: Ein Bonner Trauerspiel, Regie Stoltenberg, Hauptdarsteller Norbert Blüm, ein Schauspiel, das jenseits der Realität von 2,5 Millionen Arbeitslosen auf den Spielplan gesetzt wurde.
Meine Damen und Herren, wenn es um Solidarität mit dem beschriebenen Personenkreis geht, dann brauchen wir einen Gesetzentwurf mit einem wirksamen Rahmengesetz, mit einem interessanten Versorgungsniveau, mit einem großzügigen Finanzierungszuschuß des Staates, mit einer strikten Wiederbesetzungspflicht, mit einer Weiterzahlung der Beiträge zur Sozialversicherung. Unser Entwurf entspricht diesen Anforderungen in vollem Umfang; er zeigt den richtigen Weg, um Tarifverträge zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit überhaupt in Gang zu bringen. Das Motiv für die Tarifpartner fehlt bei Ihrem Entwurf.Herr Stratmann, ich halte jeden Glaubensstreit über die Form der Arbeitszeitverkürzung für sinnlos, ob Wochen- oder Lebensarbeitszeit. Nach unserer Auffassung sind beide Formen notwendig, und es kann den Tarifvertragsparteien überlassen bleiben, welcher Weg vorrangig beschritten werden sollte.
Man sollte nicht, wie Herr Blüm, zu den Tarifvertragsparteien, die sich auf die 35-Stunden-Woche konzentrieren, sagen, das sei eine Fixierung, und Fixierung habe etwas mit Verkalkung zu tun. Dies ist Verhöhnung, Herr Bundesarbeitsminister.
Bei Ihnen ist doch die Höhe der Leistung — darüber haben Sie wohlweislich geschwiegen —, ist doch der staatliche Zuschuß so gering, daß es keinerlei Anreize für die Tarifpartner, keinerlei Entlastung auf dem Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang gibt, weil nicht die Nachfrage besteht, was Sie behaupten. Herr Blüm, ich halte diesen Beschäftigungspakt, dieses Friedensangebot für unseriös.Ich würde Ihren Entwurf wie folgt kennzeichnen: modisch, dem Konzept der Wende entsprechend,
nämlich oben ohne, aber auch innen ohne. Es ist bedauerlich, aber es ist so, Herr Kollege Blüm.
Meine Damen und Herren, wir fordern ein Vorruhestandsgeld auf Grund eines Tarifvertrages, das mindestens in einer Höhe von 75 % des letzten Bruttoarbeitsentgelts gezahlt wird. Wir wollen anders als Sie den älteren Arbeitnehmer veranlassen, freiwillig seinen Arbeitsplatz für einen jüngeren Arbeitnehmer freizumachen, aber wir wollen ihm dann auch ein entsprechendes Angebot vorlegen und nicht ein Angebot, das in Einzelfällen in der Grenze des Sozialhilfesatzes liegt. Das ist nämlich die Konsequenz aus Ihrem Entwurf.
— 70 % des Nettos wird in den seltensten Fällen erreicht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
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4292 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Bitte, Herr Kollege.
Kollege Heyenn, können Sie mir vielleicht sagen, ob der sozialdemokratischen Fraktion 1,8 Millionen Arbeitslose zuwenig waren, um während Ihrer Regierungszeit ein Lebensarbeitszeitverkürzungsmodell vorzulegen, das die Gewerkschaften ja schon seit 1970 fordern?
Lieber Herr Kollege, wir haben im vergangenen Jahr ein Gesetz vorgelegt.
Sie waren sich so uneinig, daß Sie ein halbes Jahr länger gebraucht haben. Woran es vorher gescheitert ist, zu einer vernünftigen Vorruhestandsregelung zu kommen, was den Arbeitsministern Ehrenberg und Westphal verweigert worden ist, da fragen Sie doch Graf Lambsdorff, der eine vernünftige Regelung bis dahin immer verhindert hat.
Meine Damen und Herren, wir lehnen die sogenannte Kleinbetriebsklausel ab. Wir halten nichts von dieser Mittelstandsideologie, die hier meines Erachtens blind gewütet hat. Wir glauben, daß dies ein unzulässiger Eingriff in die Tarifautonomie ist; denn die möglichen Probleme der kleineren Betriebe, Herr Kollege Kolb, hätte man durch im Tarifvertrag zu vereinbarende Ausgleichskassen lösen können. Weil wir einen wirklichen Anreiz schaffen wollen, sprechen wir uns für einen staatlichen Zuschuß in Höhe von 662/3 % des durch Tarifvertrag zu vereinbarenden monatlichen Vorruhestandsgeldes aus. Mit 35%, wie Sie es jetzt hineingeschrieben haben, sinkt doch das Interesse an Vereinbarungen gegen Null.
Kein Geringerer als Ernst Albrecht hat ganz treffend gesagt, was das bedeutet. Das Vorruhestandsgeld mit 35% Zuschuß sei ein Schuß in den Ofen, hat Ernst Albrecht gesagt.
Er bemängelt auch, daß dies jetzt für die Arbeitgeber zu teuer würde.
Von den Arbeitgebern haben Sie doch auch entsprechende Reaktionen. Es gibt auch schon Reaktionen in Tarifverhandlungen. Ich denke an das wenig koschere Angebot der Arbeitgeber im Bereich Bau, Steine, Erden, die eine Vorruhestandsregelung mit einer Anhebung der Wochenarbeitszeit im Sommer verkoppeln.Meine Damen und Herren von der Regierung, auch der Bundesrat hat gesagt, ein höherer Zuschuß sei erforderlich. Der DGB sagt, was Sie an Zuschuß machen, bringe nicht einmal 25 % des letzten Bruttogehalts.
Ich sage dies, um einmal darzustellen, was ein vernünftiges, von den Gewerkschaften und den Arbeitnehmern akzeptiertes Vorruhestandsangebot wäre; das ist nicht Ihres, das ist das unsere.
Wir fordern die Weiterzahlung der Sozialversicherungsbeiträge; denn es ist doch nicht einzusehen, daß ein älterer Arbeitnehmer den Arbeitsplatz freimachen soll und das Ergebnis ist, daß ihm dann noch gegenüber unserem Entwurf, wenn er in Rente geht, später 40 oder 60 Mark im Monat fehlen. Dieser Vorruhestand ist dann eine Strafe.
Ich kann auch hier nur sagen: gewogen und zu leicht befunden.Noch ein paar Worte zur Wiederbesetzung. Wir wollen eine strikte Kontrolle unter Einbeziehung der Betriebs- und Personalräte und der Arbeitsämter. Deshalb rechnen wir auch mit einer Wiederbesetzungsquote von 90 %. Sie rechnen mit einer Wiederbesetzungsquote von 50%. Das ist, weil Sie auf Kontrollen verzichten, auf die Beteiligung der Betriebsräte verzichten, noch ein relativ hoher Ansatz für Ihren Entwurf.Sie betonen, Sie wollten die Wiederbesetzung nicht kontrollieren, weil dies zu bürokratisch sei. Ich bitte Sie, sich wenige Monate zurückzuerinnern. Wie war es denn bei der Einbeziehung der Einmalzahlungen in die Beitragspflicht zur Sozialversicherung? Einen Gesetzentwurf mit höherem Bürokratisierungsaufwand als Folge hat es selten gegeben.
Nun aber, wo es um die Arbeitslosen geht, verweigern Sie sich einer vernünftigen — sicher auch etwas bürokratischen — Regelung. Ich kann Ihnen nur sagen, bei dieser Ihrer Entscheidung muß ich Ihnen von hier aus den Vorwurf mangelnder Ernsthaftigkeit bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit machen.
Meine Damen und Herren, wir gehen von 900 000 Arbeitnehmern in der Bundesrepublik aus, die 58 sind, die Ansprüche geltend machen könnten, wenn es Tarifverträge gibt. Wir rechnen damit, daß bei Verabschiedung unseres Entwurfs,
der ein umfassendes, vernünftiges Angebot enthält, rund 100 000 Arbeitnehmer in absehbarer Zeit das Vorruhestandsgeld in Anspruch nehmen würden
und daß bis 1989 400 000 oder 500 000 Anspruchsfälle auftreten könnten. Dies kostet die Tarifparteien rund 800 Millionen DM und den Bund einen Nettoaufwand von 520 Millionen DM. Es bringt Mehreinnahmen in der Rentenversicherung von gut 300 Millionen DM und geringfügige Entlastungen bei den Ländern.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4293
HeyennWenn die Regierungsparteien sagen, dies sei unseriös, kann ich dem nur entgegensetzen: Sie haben falsch gerechnet, weil Sie mit einer falschen Wiederbesetzungsquote rechnen.
Die Bundesregierung hat es tunlich vermieden, Einschätzungen der Auswirkungen ihres Gesetzentwurfes konkret zu benennen. Da haben wir auch von Herrn Blüm nichts gehört, keine Zahl dazu, welche Entlastung dies auf dem Arbeitsmarkt bringt. Deshalb will ich zu den Zahlen, damit das objektiver wirkt,
jemand anderen zitieren, Professor Christoph Helberger von der Technischen Universität Berlin, der im Januar in einem Artikel in der „Frankfurter Rundschau" Ihr Vorruhestandsmodell einen Beschäftigungsbluff genannt hat.
Er geht zwar noch von 59 aus, aber — und das ist von Bedeutung — er betont, daß Interesse bisher nur von Gewerkschaften zum Ausdruck gebracht wurde, die 15% der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik vertreten. Den öffentlichen Dienst hat die Bundesregierung faktisch schon ausgeschlossen. Einzelvertragliche Regelungen finden wegen der hohen Belastung des Arbeitgebers kaum statt. Helberger kommt auf 110 000 potentiell in Frage kommende Arbeitnehmer. Er rechnet dann mit einer Inanspruchnahmequote von 50 %, weil Sie bei Ihren Berechnungen die Überforderungsklausel für Kleinbetriebe — ein Drittel aller Betriebe — nicht eingerechnet haben.
Er rechnet mit 50% Inanspruchnahme. Er rechnet anders als Sie, Herr Bundesarbeitsminister — und da ist Ihre Berechnung, daß das Vorruhestandsgeld fünf Jahre bezogen wird, falsch —, damit, daß die Mehrzahl dieser Arbeitnehmer mit knapp 62 in Rente geht, und kommt zu dem Ergebnis, daß nach dieser Rechnung der Entlastungseffekt auf dem Arbeitsmarkt — bei 59 Jahren — 13 000 beträgt.Nun rechne ich die 58jährigen großzügig mit 50 % hinzu und komme auf unter 20 000. Wenn ich jetzt sage, mittelfristig bringt Ihr Entwurf, wenn es überhaupt zu Tarifverträgen kommt, auf dem Arbeitsmarkt eine Entlastung von 25 000, so habe ich die Situation mit Sicherheit richtig eingeschätzt. Ich will Ihnen sagen, ich betrachte es nicht einmal als zynisch, wenn ich hier betone, daß es mir bei dieser Rechnung — bei der Rechnung! — auf 5 000 Arbeitslose mehr oder weniger nicht ankommt; ich will Ihnen nämlich nur zeigen, daß Ihre bombastische Ankündigung, der Vorruhestand sei ein Durchbruch in der Arbeitszeitverkürzung, sei ein Friedensangebot, sei ein Ausweg aus der Sackgasse, in sich selbst zerflossen ist. Herr Bundesarbeitsminister, vom Vorruhestandsgedanken ist nichts übriggeblieben — außer Lächerlichkeit.
Ich möchte zur 59er Regelung nichts sagen; das wird mein Kollege Eugen von der Wiesche tun.Wenn ich auf das Vorhergesagte kurz zusammenfassend noch einmal eingehe,
so kann ich sagen: Das Vorruhestandsgeld, dieser vernünftige Gedanke zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit und zur Entlastung des Arbeitsmarktes, ist tot, es lebe die Forderung nach der 35-StundenWoche.
Ich hatte ausgeführt, meine Damen und Herren, daß der Vorruhestand in der Form StoltenbergBlüm keine Bedeutung hat; denn keiner wird hingehen. Dieser Vorruhestand hat seine psychologische Bedeutung für die Regierungsparteien im Kampf gegen jeden Ansatz zur Durchsetzung der 35-Stunden-Woche. Dies ist ein Kampf lediglich gegen Gewerkschaften und gegen die Arbeitslosen. Die diskriminierende Qualifizierung des Bundeskanzlers „dumm und töricht" zur Forderung nach der 35Stunden-Woche hat Gustav Fehrenbach richtig bezeichnet, indem er sagte: „Das durfte nicht kommen." Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Hat es je eine Bundesregierung gegeben, die sich wie diese in der Frage der Arbeitszeitverkürzung so umfassend mit den Forderungen der Arbeitgeber identifiziert hat?
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Burgmann?
Bitte.
Herr Kollege, können Sie uns bitte erklären, warum dieser eben gemachte Vorwurf, daß diese Vorruhestandsregelung, die vorgelegt ist, genau gegen die 35-Stunden-Woche zielt, für den SPD-Entwurf nicht zutrifft?
Das kann ich Ihnen kurz erläutern; das hätten Sie meinen Ausführungen entnehmen können: Weil unser Entwurf Hunderttausende von Arbeitslosen mittelfristig in neue Arbeitsplätze bringt und weil dies beim Regierungsentwurf nur Zehntausende sind. Unser Entwurf ist ein lukratives Angebot für Arbeitnehmer und Gewerkschaften, dieses auch in Anspruch zu nehmen.
Ich möchte weiter fragen: Hat es je einen Bundesarbeitsminister gegeben, der bei den Forderungen von Gewerkschaften zur Arbeitszeitverkürzung die Standpunkte der Arbeitgeber einnimmt, vom
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4294 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
HeyennVerzehr von Lohnpunkten spricht, statt — er ist ja auch noch Gewerkschaftler —, wie es eigentlich erforderlich wäre, auf den Produktivitätszuwachs in den vergangenen Jahren bei den Unternehmen hinzuweisen,
der es versäumt, auf den Lohnverzicht der Arbeitnehmer in den vergangenen drei bis vier Jahren hinzuweisen?
Ich halte diese Richtung, in die unsere Regierung geht, für das Gegenteil von Friedensangebot, für das Gegenteil von Friedenspflicht, Herr Minister.
Herr Blüm, Sie sagen auch, dieser Entwurf sei eine vertrauensbildende Maßnahme. Ich glaube nicht, daß Sie selber hinter dieser Aussage stehen. Dieser Entwurf schafft kein Vertrauen, nicht bei Arbeitnehmern, nicht bei Gewerkschaften und nicht bei Arbeitgebern.Eines muß ich Ihnen allerdings von dieser Stelle aus bescheinigen: Ihr Mut zur öffentlichen Darstellung ist ungebrochen. Sie sitzen in der Frage des Vorruhestandes zwischen allen Stühlen, und das ist wirklich keine bequeme Position. Aber so unbequem diese Position auch ist, Sie versuchen noch, zwischen den Stühlen am Boden sitzend, dem Bürger Sand in die Augen zu streuen.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten sagen daher folgendes. Erstens. Nur der sozialdemokratische Entwurf bringt eine spürbare und dringend erforderliche Entlastung für den Arbeitsmarkt. Zweitens. Die Bundesregierung läßt durch die Mehrheit der Koalitionsfraktionen einen Entwurf verabschieden, von dessen Untauglichkeit inzwischen selbst der Bundesarbeitsminister überzeugt sein müßte. Drittens. Wir stellen fest, daß wir in der Ablehnung des Regierungsentwurfes mit allen Gewerkschaften im Deutschen Gewerkschaftsbund übereinstimmen.
Viertens. Wir danken den Einzelgewerkschaften, die sich um Vorarbeiten zum Vorruhestand verdient gemacht haben und nun von den Regierungsparteien so schmählich enttäuscht werden. Hier gilt unser Dank besonders Günter Döding von der NGG. Fünftens. Wir beantragen zu unserem Entwurf in zweiter Lesung namentliche Abstimmung. Wir lehnen den Regierungsentwurf ab, wobei wir einzelnen Regelungen unsere Zustimmung nicht versagen werden.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion um die Arbeitszeitverkürzung jedweder Form hat in der
Tat, wie Kollege Stratmann ausgeführt hat, einen gesellschaftspolitischen Aspekt. Nur die Tatsache, daß diese Diskussion gleichzeitig mit den Diskussionen um die laufenden Tarifverträge geführt wird, ist Ursache für manch schrillen Ton. Ich meine, daß man nicht alle Äußerungen so ernst nehmen sollte, wie sie gelegentlich genommen werden.
Die Zeit der Tarifvertragsverhandlungen ist nicht die Zeit ausgewogener Aussagen. Es wird auf die Pauke gehauen, um sich eine vermeintlich bessere Ausgangsposition zu besorgen,
und dies auch zu Beginn der diesjährigen Tarifrunde. Nicht alles muß auf die Goldwaage gelegt werden.
Lassen Sie mich zu Beginn noch einmal feststellen, daß es meiner festen Überzeugung nach ein einheitliches Wollen zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit gibt und daß niemand niemandem den guten Willen absprechen kann und sollte. Ich bin sicher, daß wir uns alle bewußt sind, daß niemand im Besitz der alleinseligmachenden Wahrheit ist, Patentrezepte gibt es nun einmal nicht.
Die FDP hat sich in dieser Erkenntnis in ihren Leitlinien zur Überwindung der Arbeitslosigkeit schon 1981 für eine Politik vieler kleiner Schritte entschieden. Liberale Beschäftigungspolitik gibt — niemand wird das überraschen — selbstverständlich neuen Arbeitsplätzen den Vorrang vor allen Maßnahmen, die eine Umverteilung bedeuten. Niemand von uns leugnet, daß die Vorruhestandsregelung auch eine Umverteilungsmaßnahme ist.
Wenn wir uns fragen: Sind die Maßnahmen, die die neue Regierung ergriffen hat, erfolgreich gewesen?, dann sollten wir dies auch an der Tatsache messen, daß unsere heutige Situation um vieles besser ist, als sie einmal prognostiziert worden ist. Kollege Dreßler — ich sehe Sie gerade —, erinnern Sie sich Ihrer Prognose vom Juni 1983 — wenn ich es richtig in Erinnerung habe — wo Sie uns für den Winter 1983/84 drei Millionen Arbeitslose,
über drei Millionen Arbeitslose prognostiziert haben?
Herr Abgeordneter Cronenberg, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heyenn?
Cronenberg [FDP]: Herr Präsident, ich bin bereit eine oder zwei Zwischenfragen zuzulassen. Ich bitte aber auch um Verständnis, daß ich bei meiner begrenzten Redezeit dieselben nicht am laufenden Band gewähren kann. Die Herren mögen sich einigen.
Herr Abgeordneter Heyenn.
Herr Cronenberg, vielen Dank. — Sie sprachen davon, daß das vorliegende Instru-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4295
Heyennment auch Umverteilungscharakter habe. Widersprechen Sie damit Herrn Boenisch, der vor kurzem für die Bundesregierung in der Pressekonferenz gesagt hat, der Vorruhestand habe nichts mit Umverteilung der Arbeitszeit zu tun, sondern diene der Selbstregulierung von Problemen auf dem Arbeitsmarkt?
Ich kenne nicht alle Äußerungen von Herrn Boenisch. Wenn ich zufällig im Widerspruch dazu sein sollte, ist das für mich keine Veranlassung, meine Meinung hier zu korrigieren.
Herr Abgeordneter Dreßler, bitte schön.
Kollege Cronenberg, unter Berücksichtigung der veröffentlichten Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit von 2,539 Millionen im Vormonat, derjenigen 210 000, die in Maßnahmen zur beruflichen Fortbildung stehen, der ABM-Beschäftigten und der stillen Reserve: Würden Sie mir da nicht zustimmen, daß die Arbeitslosenzahl die 3 Millionen bereits überschritten hat?
Nein, das würde ich nicht, Herr Kollege Dreßler. Ich glaube auch nicht, daß Sie sich mit dieser aus Ihrer Sicht sozusagen feststellenden Frage aus Ihrer Prognosefehleinschätzung herausmogeln können.
Ich meine, wir beide sollten gemeinsam froh sein, daß es weniger Arbeitslose sind, als wir gemeinsam befürchtet haben. Ich glaube, daß das eine Feststellung ist, der Sie im Interesse der Menschen, die nicht mehr arbeitslos sind, es früher aber waren, eigentlich müßten zustimmen können.
Es gibt eben positive Ansätze. Sie gehen mir zwar noch nicht weit genug, aber wir sollten über dieselben nicht jammern, sondern gemeinsam froh darüber sein.Notwendige schwierige Aufgaben für die Zukunft machen es nämlich erforderlich, daß diese Lösungen nicht gegeneinander, sondern miteinander versucht werden. In diesem Zusammenhang sind die Tarifvertragsparteien ganz besonders gefordert. Sie können einen entscheidenden Beitrag leisten, daß technische Neuerungen und Arbeitszeitregelungen in Einklang kommen. Auch der Gesetzgeber muß seinen Teil dazu beitragen, indem er Schwierigkeiten, die einer Flexibilisierung der Arbeitszeit entgegenstehen, aus dem Wege räumt. Deswegen haben wir in unserer liberalen Wahlaussage gesagt:Die Liberalisierung der Arbeitszeit muß in Angriff genommen werden. Maßnahmen der Arbeitszeitverkürzung müssen freiwillig, rücknehmbar und gesamtwirtschaftlich kostenneutral sein.In der Regierungserklärung — wen überrascht es? — heißt es dann:... die Bundesregierung bejaht eine flexiblere Gestaltung des Arbeitslebens. Eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit darf jedoch nicht zu einer zusätzlichen Gesamtbelastung der Wirtschaft und der öffentlichen Finanzen führen.Vor diesem Hintergrund sind die Ihnen jetzt vorliegenden Gesetze zu sehen und zu würdigen. Der Gesetzentwurf zur Vorruhestandsregelung stellt ein eindeutiges Angebot an die Tarifvertragsparteien dar. Der Gesetzgeber hat damit seine von vielen — auch von den Gewerkschaften — geforderten Schulaufgaben erledigt. Wir alle wissen, daß in der Vergangenheit alle Formen der freiwilligen Lebensarbeitszeitverkürzung — auch und trotz beachtlicher Einkommensverluste — in hohem Umfang angenommen worden sind, wenn wir ehrlich miteinander sind: in höherem Umfang angenommen worden sind, als wir selber das im Zusammenhang mit der flexiblen Altersgrenze einmal angenommen haben.Ein solches Angebot sollte nach liberalen Vorstellungen so gestaltet sein, daß es den Tarifvertragsparteien nicht nur Annahme oder Ablehnung ermöglicht. Ihnen sollte ein weiter Gestaltungsspielraum für die Besonderheiten auch der jeweiligen Branche gegeben werden. So ist dieses Gesetz auch konzipiert. Er verletzt deswegen auch nicht, wie gelegentlich behauptet wird, die Tarifautonomie.Wer die Diskussion über die Vorruhestandsregelung aufmerksam verfolgt hat, wird anerkennen müssen, daß wir — manchmal ist mir das schwergefallen — Anregungen und Argumente aufgegriffen haben. Trotz erheblicher ordnungspolitischer Bedenken halten wir die nunmehr vorgesehene Regelung für vertretbar. Ich habe mich nicht leichten Herzens für das Zugangsalter von 58 Jahren entschieden. Konsequenterweise mußten wir uns, wenn wir unserem eigenen Anspruch der volkswirtschaftlichen Kostenneutralität und möglichst der betriebswirtschaftlichen Kostenneutralität gerecht werden wollten, mit einem Zuschuß von 35 % bescheiden.Meine Damen und Herren, manches in der Diskussion um die verschiedenen Formen der Arbeitszeitverkürzung im allgemeinen und im besonderen im Zusammenhang mit der Vorruhestandsregelung ist mir unverständlich geblieben. Ich verstehe nicht, daß von keinem maßgebenden Gewerkschafter in der letzten Zeit deutlich gesagt wird, daß man die Kostenproblematik mindestens der kleinen und mittleren — meist lohnintensiven — Betriebe bei allen Formen der Arbeitszeitverkürzung berücksichtigen muß. Es gibt doch einen Zusammenhang zwischen Kosten für Arbeit und Arbeitszeit. Deswegen sind Arbeitszeitverkürzungen, die zu überproportionalen Kostensteigerungen führen, Gift für die Arbeitsplätze, Gift wie der saure Regen für den Wald.
Es ist für mich auch in diesem Zusammenhang selbstverständlich gewesen, meine Achtung, mei-
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4296 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Cronenberg
nen Respekt — trotz gelegentlicher Gegensätze in Sachfragen — vor verantwortungsbewußten Gewerkschaften und Gewerkschaftern zu bezeugen. Und ich tue das gerne auch hier. Starke Gewerkschaften sind meiner festen Überzeugung nach notwendig. Sie sind zu begrüßen. Sie können einen wichtigen Beitrag zum sozialen Frieden leisten.
Warum aber sagen in der letzten Zeit Gewerkschafter nicht auch einmal öffentlich, wie wichtig es ist, daß es möglichst viele tüchtige Unternehmer, die möglichst viele neue Arbeitsplätze schaffen, geben muß, daß sie in unserer freien Marktwirtschaft eine wichtige, eine notwendige Funktion wahrnehmen? Warum wird denn eigentlich nicht zugegeben, daß kleine und mittlere Betriebe, in denen der größte Teil der Beschäftigten arbeitet, mit der Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich vor fast unlösbare Probleme gestellt würden? Warum, verehrte Kollegen von der SPD, wird die Regelung, die die Tarifvertragsparteien verpflichtet, auf die Altersstruktur der Betriebe Rücksicht zu nehmen, die sogenannte Überlastklausel, rigoros abgelehnt? Sehen Sie denn das Problem nicht? Und wenn Sie es sehen — ich hoffe und glaube das —: Warum stimmen Sie denn einer solchen sinnvollen Regelung nicht zu? Ich habe es wirklich nicht begriffen.
Es ist doch einfach nicht falsch, wenn wir sagen: Wir wollen möglichst viele Arbeitsplätze in möglichst vielen gesunden Betrieben, Steuern zahlenden Betrieben, nicht Steuern verbrauchenden, subventionsträchtigen Betrieben. Warum haben Sie sich denn eigentlich nicht bereitgefunden — ich habe es einfach nicht begriffen —, bei kleinen Betrieben Auszubildende auf die Wiederbesetzung anzurechnen? Dies ist doch nun wirklich eine Regelung, die sowohl den ausbildungsplatzsuchenden Jugendlichen dient wie der Problematik der kleineren Betriebe gerecht wird. Es sind doch gerade die kleineren Betriebe, wie wir gerade gemeinsam im Berufsbildungsbericht festgestellt haben, die überproportional ausbilden.
Herr Abgeordneter, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dreßler?
Gern. Bitte, aber ganz kurz.
Bitte schön.
Herr Kollege Cronenberg, warum wollen Sie nicht einsehen, daß nach Auskunft der IG Bau-Steine-Erden 80 % aller Betriebe im dortigen Organisationsbereich unter 20 Beschäftigte haben, im Bereich Nahrung-Genuß-Gaststätten 50 %, und insoweit ein Verteilungsspielraum, der den Tarifvertragsparteien in der Tarifrunde zur Verfügung stünde, faktisch nur für einen begrenzten Teil von Arbeitnehmern anwendbar wäre, wenn diese sogenannte Mittelstandsklausel weiter aufrechterhalten bliebe? Warum wollen Sie das nicht einsehen?
Aber, Herr Kollege Dreßler, nun bin ich wirklich erstaunt. Nun muß ich Ihnen den Vorwurf machen, daß Sie entweder den Gesetzentwurf nicht richtig gelesen oder die Systematik der Regelung nicht begriffen haben. Und das muß mich wirklich verblüffen. Wir sagen doch nicht, Kollege Dreßler, daß in den Betrieben mit unter 20 Beschäftigten keine Vorruhestandsregelung praktiziert werden solle, wir sagen doch nur, daß die Tarifvertragsparteien vereinbaren sollten, daß die Betriebe, wenn sie den Zuschuß haben wollten, auf diese Problematik Rücksicht zu nehmen hätten. Das ist doch nicht Ausschluß der Betriebe mit unter 20 Beschäftigten, sondern das ist eine Vorgabe für die Tarifvertragsparteien, eine Regelung für den Fall zu finden, daß der Zuschuß gezahlt werden soll. Die können vereinbaren, was sie wollen; dann gibt es möglicherweise eben nur keinen Zuschuß. Und dies ist doch nicht ein Ausschluß dieser Betriebe. Das steht im Gesetzentwurf.
Und noch einmal: Die von uns durchgesetzte Überlastsicherung ist doch für die Tarifvertragsparteien akzeptabel. Sie läßt den Tarifvertragsparteien die notwendige Freiheit, den Bedürfnissen ihrer Branche entsprechende Regelungen zu finden. Egal, ob sie die 5 %-Begrenzung vornehmen, ob Arbeitgeberausgleichskassen gegründet werden oder ob bestehende gemeinsame Einrichtungen benutzt werden,
in jedem Fall ist gewährleistet, daß überproportionale Belastungen für die Betriebe — und die können Sie doch nicht wollen — vermieden werden.Lassen Sie mich auch noch einige Bemerkungen zur volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Kostenneutralität machen. Natürlich gibt es einen Zusammenhang zwischen den 35% und der Kostenneutralität. Herr Kollege Heyenn, das Potential ist 1 Million. Wie sich das insgesamt auswirken wird, kann heute noch kein Mensch sagen. Das hängt davon ab, wie die Tarifvertragsparteien in den Tarifverträgen die Vereinbarungen treffen.
Und deswegen kann natürlich auch nichts Endgültiges über den tatsächlichen Umfang der Wiederbesetzung und damit der Entlastung bei der Bundesanstalt gesagt werden.Aber wie ich schon einmal von dieser Stelle zum Ausdruck gebracht habe, bin ich persönlich ausnahmsweise optimistisch, daß die Schätzungen bei der Wiederbesetzung deutlich überschritten werden. Kleine, mittlere Unternehmen wollen, können und werden nicht in dem Umfang mogeln, wie einige pessimistische Beamte des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung dies einkalkuliert haben.
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Cronenberg
Die betriebswirtschaftliche Kostenneutralität hängt natürlich auch von den Tarifvertragsabschlüssen ab. Entscheiden ist, in welchem Umfang die Tarifvertragsparteien die Kosten der Vorruhestandsregelung bei der allgemeinen Lohnerhöhung berücksichtigen und verrechnen werden. Dann kann man beurteilen, ob die gewünschte Kostenneutralität erreicht wird.Es gibt, wie Sie sich denken können, einige wichtige Unterschiede zum Oppositionsentwurf.
Ein entscheidender Unterschied ist, daß die Opposition einen perfekten Kontrollmechanismus für die Wiederbesetzung verlangt.
Kollge Heyenn hat das soeben noch gesagt.
Selbstverständlich sollten mit dieser Kontrolle die Mitarbeiter der Arbeitsämter belastet werden. Glaubt denn jemand, daß es zur Zeit dort freie Kapazitäten gibt? Ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Beschäftigten der Arbeitsämter ist zur Zeit bedauerlicherweise wirklich nicht erforderlich.Worauf es ankommt, ist, daß die für die Gewährung des Zuschusses erforderliche Wiederbesetzung möglichst unbürokratisch und praxisnah gehandhabt werden kann.Die parallel erfolgte Einschränkung der sogenannten 59er Regelung ist in meinen Augen nicht nur notwendig, sondern sinnvoll. Es ist ja eine alte Forderung der FDP, daß dieses Großunternehmensprivileg abgebaut wird. Wir sind dankbar, daß wir nun hierzu gekommen sind.
Zusammenfassend darf ich also feststellen: Wir haben eine Regelung getroffen, die dem einzelnen Arbeitnehmer die Freiheit läßt, zu entscheiden, wann er aus dem Arbeitsleben ausscheidet. Er allein, niemand anders, kann und soll nach Abwägung aller Vor- und Nachteile entscheiden, wie er sich verhält. Wir wehren uns auch ganz entschieden gegen alle Bestrebungen, Arbeitnehmer schon ab Mitte 50 als altes Eisen zu deklarieren, sie aus dem Arbeitsleben herauszudrängen. Wenn Arbeit ein Stück Selbstverwirklichung ist — und wir sind dieser Meinung —, wenn es ein Recht auf Arbeit gibt — und wir sind dieser Meinung —, dann endet dieses Recht nicht mit 58.Mein Appell an alle: Nutzen Sie diese sinnvolle Möglichkeit, den sich anbahnenden Konflikt zu vermeiden. Niemand verliert sein Gesicht, wenn er eine beschäftigungspolitisch sinnvolle Regelung mit einem sozialpolitischen Anliegen verbindet, und dies alles, ohne unsere Wirtschaft wegen zu hoher Kosten zu überfordern.Herr Kollege Heyenn, das Vorruhestandsgeld ist nicht tot. Eigentlich müßte, auch gemessen an den eigenen Ansprüchen, die SPD-Fraktion bei objektiver Bewertung und bei allem Verständnis für die Kritik im Detail diesem Gesetzentwurf zustimmen.Wenn Sie das aber schon nicht tun, dann bitte ich den Kollegen Egon Lutz ebenso wie den Kollegen Hinsken, im Interesse der Beschäftigten und der Beschäftigungslosen dem Beginnen der Regierung und der Koalition mindestens Erfolg zu wünschen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete von der Wiesche.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte in meinem Beitrag auf zwei Dinge eingehen: auf die Veränderungen gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf, die die Koalitionsfraktionen CDU/ CSU und FDP im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung beschlossen haben, und auf die besondere Problematik der sogenannten 59er Regelung, die durch das ergänzend zum Vorruhestandsgeldgesetz vorgelegte Begleitgesetz empfindlich eingeschränkt werden soll.In den Veränderungen, die die Ausschußmehrheit gegenüber dem Regierungsentwurf vorgenommen hat, kann die sozialdemokratische Bundestagsfraktion keine Verbesserung sehen. Nach unserer Auffassung handelt es sich eher um zusätzliche Verschlechterungen.
Das ist nicht unsere parteipolitisch gefärbte Einstellung, sondern die Einschätzung der Gewerkschaften, die doch nach dem Willen der Bundesregierung und des Bundesarbeitsministers das Gesetz annehmen und mit ihm praktische tarifpolitische Arbeit leisten sollen.Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Ernst Breit, hat in einem Schreiben an die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen und an die Ministerpräsidenten der Länder klargemacht:Wir stellen mit Enttäuschung fest, daß der Gesetzentwurf über die Vorruhestandsregelung auch nach den jüngsten Koalitionsabsprachen völlig unzureichend ist.
Nach seiner Meinung sind sowohl die finanziellen Regelungen als auch die beschäftigungspolitische Wirksamkeit dieses Gesetzentwurfes problematisch und genügen keinesfalls den Erfordernissen.
Der 1. Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten, Günter Döding, der eigentliche geistige Vater des Vorruhestandsgeldgesetzes, hat in einem Beitrag in der Presse unter der Überschrift „Ein Schritt vor, zwei zurück" die Koalitionsbeschlüsse als ein Bonner Trauerspiel bezeichnet,
das an die Echternacher Springprozession erinnere.Er schreibt: „Was nützt der Regierung ein Gesetz,
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von der Wieschewenn es mangels Attraktivität im nachhinein niemand in Anspruch nimmt?"
Die gewichtigste Änderung gegenüber dem Regierungsentwurf ist die Herabsetzung der Altersgrenze für das Vorruhestandsgeld vom 59. auf das 58. Lebensjahr.
Isoliert gesehen begrüßen wir natürlich diese Veränderung, aber im Gesamtzusammenhang ist diese Korrektur völlig wertlos. Denn ihr Preis besteht in einer generellen Verschlechterung des Gesetzes,
nämlich in einer weiteren Verringerung des ohnehin schon viel zu niedrigen staatlichen Zuschusses von 40 % auf 35 %.
In dieser Kombination ist die Herabsetzung der Altersgrenze nicht mehr als eine kosmetische Verbesserung des Gesetzes. Die Arbeitsmarktwirkung wird dadurch jedenfalls nicht verbessert.
Die Ausdehnung des potentiell berechtigten Personenkreises wird durch die Verschlechterung gesetzlicher Konditionen ausgeglichen, die das Gesetz für die Tarifvertragsparteien noch unattraktiver machen, so daß noch weniger Arbeitnehmer von der im Gesetz vorgesehenen Regelung Gebrauch machen werden. Es ist ohnehin zu befürchten, daß dieses Gesetz nicht angenommen wird; lesen Sie dazu den Kommentar von Günter Döding, der sich für eine Vorruhestandsregelung am energischsten eingesetzt hat. Er sagt:Endlich hat sich die Einsicht im Kabinett eingestellt, daß aus arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitischen Erwägungen heraus die Absenkung des Eintrittsalters vom vorgesehenen unzureichenden 59. Lebensjahr auf 58. erforderlich ist. Mit diesem richtigen und von uns geforderten Schritt werden ca. 280 000 zusätzlich Anspruchsberechtigte von der Vorruhestandsregelung erfaßt und die Chancen für Jugendliche und Arbeitslose am Arbeitsmarkt im gleichen Umfang verbessert.
Aber gleichzeitig brachte der Finanzminister die Vorruhestandsregelung über diesen Schritt ins Stolpern und die Bundesregierung, was ihre Glaubwürdigkeit in Sachen Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik betrifft, erneut in Mißkredit. Mit der gleichzeitigen Absenkung des Bundeszuschusses von bisher 40 % auf 35% rollte er einen Brocken auf den Verhandlungstisch der Tarifvertragsparteien, an dem sichdiese, beim Versuch, ihn zu heben, einen Bruch holen werden.
So Günter Döding.
Eine weitere gravierende Änderung betrifft die sogenannte Kleinbetriebsklausel. Sie hat einen anderen Namen bekommen und soll nun „Überforderungsklausel" heißen. An die Stelle einer starren Grenze bei einer Beschäftigtenzahl von 20 Arbeitnehmern ist nun eine Grenzziehung bei 5 % Inanspruchnahme des Gesetzes getreten. Aber, meine Damen und Herren, der Kardinalfehler der „Kleinbetriebsklausel" ist damit nicht behoben, nämlich der Versuch des Gesetzgebers, indirekt in die Tarifautonomie einzugreifen.
Die Tarifparteien sollen gezwungen werden, bestimmte und vom Gesetzgeber erwünschte Regelungen zu treffen bzw. Ausnahmen von tarifvertraglichen Regelungen zuzulassen. In unseren Augen ist dies Ausdruck einer direkt gegen die Gewerkschaften gerichteten Politik. Es geht dabei nicht um die Kleinbetriebe oder um die Vorruhestandsregelung, sondern um den Versuch, die Gewerkschaften in ihrer Arbeit zu schwächen.
Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt die sogenannte Kleinbetriebsklausel auch in der geänderten Fassung ab. Wir tun das nicht, weil uns die Interessen und die besonderen Probleme der kleineren und mittleren Betriebe gleichgültig wären, sondern weil wir meinen, daß bei einem vernünftig konstruierten Gesetz eine solche Klausel entbehrlich ist und daß den berechtigten Interessen der Kleinbetriebe auch auf andere Weise Rechnung getragen werden kann.Dies müßte auf zweierlei Weise geschehen: Erstens müßte der staatliche Zuschuß zum Vorruhestandsgeld eine ausreichende Höhe haben, und zweitens müßte der staatliche Zuschuß auf diejenigen Fälle beschränkt sein, in denen ein Tarifvertrag über ein Vorruhestandsgeld vorliegt. Dann könnte man nämlich besondere Schutzvorkehrungen gegen eine Überforderung von Klein- und Mittelbetrieben den Tarifparteien überlassen, ohne die Tarifautonomie auszuhöhlen.
Die dritte Gruppe von Änderungen, die die Koalitionsfraktionen vorgenommen haben, betrifft die hier schon mehrfach zitierte Wiederbesetzungspflicht für Arbeitsplätze. Schon im ursprünglichen Gesetzentwurf stand die Wiederbesetzungspflicht nur auf dem Papier, weil es keinerlei Vorschrift über eine wirkungsvolle Kontrolle gab. In der Ausschußfassung ist die Wiederbesetzungspflicht auch noch weiter aufgeweicht worden.Das zeigen drei ganz gravierende Punkte. Erstens ist die ursprüngliche Formulierung, nach der der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitsamt die Wiederbesetzung darzulegen hat, gestrichen worden. Angeblich ist dies zwar nur eine redaktionelle Ände-
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von der Wiescherung, da sich eine Darlegungspflicht bereits aus der allgemeineren Vorschrift des Sozialgesetzbuchs ergibt. Aber diese Änderung zeigt doch, meine Damen und Herren, in welchem Geist und in welcher Absicht die Koalitionsfraktionen den Gesetzestext geändert haben, nämlich in dem Bemühen, alles, was zu einer konkreten und einklagbaren Wiederbesetzungspflicht führen und was eine Rechtsauslegung in dieser Richtung fördern könnte, aus dem Gesetzentwurf herauszustreichen.
Zweitens. Die Frist für die sogenannte Nachwiederbesetzung ist von zwei auf drei Monate verlängert worden. Dabei geht es um den Fall, daß ein Arbeitnehmer, der anstelle eines Vorruheständlers eingestellt worden ist, seinerseits ausgeschieden ist und ersetzt werden muß. Das einzige Motiv für diese Änderung ist in der Absicht zu sehen, die Wiederbesetzungspflicht weiter aufzuweichen; denn es kann doch nicht im Ernst die Rede davon sein, daß es bei der gegenwärtigen Arbeitsmarktsituation mit über 2,5 Millionen Arbeitslosen unmöglich ist, binnen zweier Monate einen Arbeitsplatz neu zu besetzen.
Drittens ist die Klausel, derzufolge die Beschäftigung von Auszubildenden als Wiederbesetzung zählt, für den Bereich der Kleinbetriebe derart ausgeweitet worden, daß massive Mitnahmeeffekte vorprogrammiert sind.
Es soll nicht mehr darauf ankommen, daß zusätzliche Auszubildende eingestellt werden, sondern es sollen auch diejenigen Ausbildungsverträge als Wiederbesetzung gewertet werden, die ohnehin abgeschlossen worden wären.
Damit ist für den gesamten Bereich der Kleinbetriebe praktisch auf eine Wiederbesetzungspflicht verzichtet worden.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion kann dieser weiteren Aufweichung der Wiederbesetzungspflicht natürlich nicht zustimmen.
In der jetzt vorliegenden Ausschußfassung entspricht das Gesetz noch weniger als der ursprüngliche Regierungsentwurf den elementaren Anforderungen, die an ein arbeitsmarktpolitisch wirkungsvolles Ruhestandsgeld zu stellen sind. Ohne eine klare Wiederbesetzungspflicht und ohne wirkungsvolle Kontrolle muß jedes Vorruhestandsgeldgesetz also in dieser Form ein Torso bleiben. Es kann nicht mehr sein als ein Gesetz über staatliche Zuschüsse zum betrieblichen Personalabbau.Den ergänzenden Gesetzentwurf zur Einschränkung der Möglichkeit, nach einjähriger Arbeitslosigkeit mit Vollendung des 60. Lebensjahres Altersrente zu beziehen, halten wir für überflüssig, ja wir halten ihn für schädlich. Wir glauben, daß mit dem Gesetz praktisch eine Regelung demontiert wird, die in der Vergangenheit eine beträchtliche arbeitsmarktentlastende Wirkung gehabt hat. Wir halten es für unvertretbar, daß sich der Staat aus der finanziellen Mitbeteiligung an Sozialplänen der herkömmlichen Art zurückzieht und den Tarifparteien zumutet, letztlich zu Lasten des Lohnanstiegs der Arbeitnehmer die Kosten hierfür selbst zu übernehmen.Im Grunde ist es ein ganz falscher Denkansatz, die sogenannte 59er Regelung und das Vorruhestandsgeld als konkurrierend zu betrachten. Es handelt sich um zwei grundverschiedene Dinge. Die 59er Regelung und die darauf aufbauenden herkömmlichen Sozialpläne sollen denjenigen Unternehmern helfen, die auf Grund der Wirtschaftslage ihren Beschäftigungsstand nicht halten können. Der Sinn ist, den unvermeidbaren Personalabbau sozial zu flankieren. Die Vorruhestandsregelung soll hingegen bei unveränderter Beschäftigungszahl den Arbeitsplatzaustausch zwischen den älteren und jüngeren Arbeitnehmern ermöglichen. Das ist ein ganz anderer Fall als der, der bei der 59er Regelung im Vordergrund steht.Wir sind der Meinung, daß ein vernünftig konstruiertes und finanziell ausreichend ausgestattetes Vorruhestandsgeldgesetz durchaus neben der 59er Regelung nach geltendem Recht bestehen könnte. Voraussetzung dafür wären allerdings ein angemessenes Versorgungsniveau, ein attraktiver Bundeszuschuß und eine konsequente Wiederbesetzungspflicht. Dazu gehört auch ein Tarifvertragsvorbehalt, der dazu führt, daß die Vorruhestandsregelung über Tariffonds abgewickelt wird, so daß das Vorruhestandsrisiko von den Arbeitgebern eines gesamten Tarifbereiches gemeinschaftlich getragen wird. Das alles sind Bedingungen, die das vorliegende Gesetz der Bundesregierung nicht erfüllt.Die praktische Demontage der Rente mit 60 für Arbeitslose zeigt weiterhin in aller Deutlichkeit, daß die Bundesregierung diejenigen Gewerkschaften, die für die 35-Stunden-Woche eintreten, erpressen will. Auch die Gewerkschaften, die den Weg des Vorruhestandsgeldes beschreiten wollen, werden vor den Kopf gestoßen. Man mutet ihnen zu, in Tarifverträgen die Lücke zu schließen, die durch den Sozialabbau der Bundesregierung überhaupt erst aufgerissen wird.Sie können nicht erwarten, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion das mitmacht.
Das Wort hat der Abgeordnete Kolb.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich ganz kurz noch etwas zur Berichterstattung sage. Ich stimme den Kollegen der Opposition zu, wenn sie sagen, daß wir gewaltig gejagt worden sei-
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Kolben. Wir werden in Zukunft darauf achten müssen, daß das etwas angenehmer wird.Ich erlaube mir, Herr Minister, Ihnen in Erinnerung zu bringen: Es wäre ganz gut, wenn in manchem Entwurf mehr Punkte und weniger Kommas enthalten wären. Den Punkt gibt es ja nicht umsonst in der deutschen Sprache. Das, was wir im Zusammenhang mit § 385 RVO erlebt haben, hat doch gezeigt, was man alles falsch machen kann. Vielleicht erinnern wir uns in Zukunft daran.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte namens meiner Fraktion den Mitarbeitern des Ausschußsekretariats und auch den Mitarbeitern der Fraktion herzlichen Dank für das sagen, was sie geleistet haben. Sie waren diejenigen, die gefordert gewesen sind. Herr Kollege Heyenn, wir sind nicht zum Kaffeekränzchen hier, wir sind dazu hier, daß wir viel arbeiten sollen. Ich habe diese Arbeiten gerne gemacht.
Herr Kollege Heyenn, noch zwei Bemerkungen zu Ihren Ausführungen. Der Bundesarbeitsminister sprach nicht von einer Rentenkürzung, sondern er sagte: Wenn das Mögliche für Freizeit verfrühstückt wird, dann wird auf Grund unserer Rentenformel für die Rente nicht mehr drin sein, und die Rentner werden die Leidtragenden sein.Zweitens. Wenn Sie das Betriebsverfassungsgesetz lesen, dann wissen Sie, welche Rechte die Betriebsräte haben. Das, was Sie moniert haben, ist alles im Betriebsverfassungsgesetz enthalten.
Ich mußte mir als Nichtjurist von einem Juristen einmal sagen lassen: Der Blick ins Gesetzbuch würde manche Schwierigkeit von vornherein verhindern.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, daß ich ein paar grundsätzliche Bemerkungen mache. Es ist soeben wieder angeklungen, welche Verpflichtung der Staat habe. Wenn wir zum Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes, der Freiheit der Tarifpartner, stehen,
— Frau Fuchs, ich habe Sie gut in Erinnerung —, dann müssen wir diese Freiheit auch voll erhalten. Dabei muß ich Sie daran erinnern — ich habe das erst letzte Woche gesagt —, daß hier eine Vollbeschäftigungsklausel gegeben wurde, während die Gewerkschaften in jener Zeit sagten, wir müßten die Rationalisierungspeitsche schwingen, damit die Unternehmer endlich rationalisierten. Das war 1970/72. Angesichts dieser Tatsachen sollten wir diedamalige Tollkühnheit mit all ihren Folgen in Erinnerung behalten.
Zweite Bemerkung, zu den Lohn- und Lohnnebenkosten! Es wird immer so getan, als ob sie nichts gelten und überhaupt keine Rolle in bezug auf den Preis spielen würden. Ich habe Verständnis dafür, Kollege Lutz, daß Sie bei mir den Kopf schütteln und sagen: Ein Mittelständler erzählt das!
Aber für Sie ist es doch sehr einfach, einmal Nachhilfe bei einem Herrn Otto von Coop zu nehmen. Wenn Sie es immer noch nicht glauben, dann darf ich Sie an jemanden erinnern, der sich in der Zwischenzeit vom Saulus zum Paulus gewandelt hat: Das ist Ihr Kollege Frister. Seitdem er bei der Neuen Heimat Arbeitsdirektor ist, hat er erkannt, was es bedeutet, wenn die Lohnkosten zu hoch werden.
— Lieber Kollege Lutz, zuhören ist auch eine Kunst.Eine dritte Bemerkung. Die Politik muß endlich aufhören, Faktoren zu ignorieren, die bekannt sind. Zu diesen Faktoren gehört eine Geburtenentwicklung, die in den 90er Jahren für uns dramatische Folgen haben wird. Wir müssen aufhören, nach dem Motto zu arbeiten „Was nicht sein soll, das darf nicht sein", und darüber reden wir nicht.Deswegen hat die Koalition der Mitte sich mit dieser Vorruhestandsregelung aufgemacht, eine „Notstandsbehebung" vorzunehmen. Herr Kollege von der Wiesche, der Staat ist nicht verpflichtet, die Fehler der anderen permanent zu korrigieren. Wir haben gesagt, wir sind zu dieser Regelung bereit, und zwar aus einem ganz anderen Grund, nämlich im Interesse der jungen Menschen, die nichts dafür können, daß sie dadurch in eine solche Situation getrieben wurden, daß andere meinten, wir könnten über unsere Verhältnisse leben.
Von 1984 bis 1986 werden rund 2 Millionen Menschen ihre Lehre beenden, d. h. sie suchen einen Arbeitsplatz. In der gleichen Zeit — 1984 bis 1986 — werden 2,2 Millionen junge Menschen eine Lehrstelle nachfragen. Aber 1994/96 wird sich das Potential der Lehrstellenbewerber auf 1,3 Millionen verringern. Das, was wir im Augenblick im Überfluß haben wird in den 90er Jahren zum Mangel. Deswegen haben wir zu Recht gesagt, wir begrenzen dieses Gesetz auf fünf Jahrgänge. Wir machen es reversibel. Wir greifen nicht in das alte Gesetz ein und sagen: ohne Rücksicht auf Verluste, das wird schon kommen.Nun gibt es welche, die sagen: es ist wesentlich einfacher, wenn wir den Mangel verteilen. Herr Stratmann, ich habe das gehört, und das war für mich schon interessant. Wenn ich Studienrat wäre,
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Kolbwürde ich mich auch nicht um die Kosten draußen in der Wirtschaft kümmern.
Vielleicht darf ich Ihnen den Artikel von Starbatty „Marx wäre dagegen" in der „Wirtschaftswoche" empfehlen. Da sagt Starbatty am Schluß:Das Fazit: Der Ökonom Karl Marx hätte in der Frage der verordneten Arbeitszeitverkürzung eine ganz dezidierte Meinung: Sie schadet der Volkswirtschaft, sie senkt das Realeinkommen der Arbeiterschaft, sie schafft Arbeitslosigkeit.
— Nachher, Herr Kollege.Wenn Sie dies insgesamt betrachten, dann müssen Sie erkennen, daß wir hier eine andere Regelung vorgeschlagen haben. Wir haben gesagt: den Älteren, die in den Vorruhestand gehen wollen, geben wir eine Chance; damit schaffen wir den Jüngeren einen Arbeitsplatz. Wir verfallen nicht in diese 35-Stunden-Euphorie, weil sie genauso falsch ist wie die damalige Kaufkrafttheorie.Bitte schön, Herr Stratmann.
Herr Abgeordneter Stratmann, bitte schön.
Herr Kolb, ich kenne diese Marx-Exegese der „Wirtschaftswoche". Wie stehen Sie zu der anders lautenden Marx-Exegese des „Bayernkurier", letzte Ausgabe, wo unter der Überschrift „Karl Marx läßt grüßen" unsere arbeitszeitpolitischen Vorstellungen, die der GRÜNEN, kommentiert werden? Schließen Sie sich der Marx-Exegese der „Wirtschaftswoche" oder der Marx-Exegese des „Bayernkurier" an?
Ich stehe zur Marx-Exegese der „Wirtschaftswoche". Ich darf Ihnen sagen: Wenn Marx heute hören würde und wüßte, was seine Jünger aus seinen Vorstellungen gemacht hätten, er müßte sich im Grabe umdrehen.
— Lieber Kollege Lutz, ich weiß doch, wie Wahrheiten weh tun, und deswegen erlaube ich mir, Ihnen ein Zitat zu geben:Europäische Arbeitnehmer , haben zu lange geglaubt, in Alices Wonderland zu leben, wo man für immer weniger Arbeit immer mehr Lohn bekommt, den gleichen Arbeitsplatz, am gleichen Ort, mit der gleichen Fertigungstechnik 30 Jahre lang behalten kann. Aus diesem Paradies der Arbeitswelt haben uns die Ostasiaten — leider — für immer hinausgetrieben.Dies hat Ihr Kollege Haferkamp gesagt, der, wie ich glaube, Ihnen nähersteht als mir. Deswegen sollten wir aufhören, in dieser falschen Richtung der 35Stunden-Woche zu gehen, und deswegen sollten wir den Gewerkschaften, die um ihre Verantwortungwissen, die nicht die Planwirtschaft wollen, die die freie Soziale Marktwirtschaft bejahen und die eine freie Gesellschaftsordnung wollen, helfen.
— Ich weiß, meine sehr verehrten Damen und Herren, es tut nichts mehr weh als die Wahrheit; aber deswegen müssen Sie sie trotzdem hören.
Lassen Sie mich nun zu den Kosten für diese Vorruhestandsregelung kommen. Der Preis ist hoch, aber er ist nicht zu hoch, und Sie müssen folgendes endlich zur Kenntnis nehmen. Herr von der Wiesche, Sie haben hier eben wieder einmal dieses Tohuwabohu aufgerissen.
Die Verteilungsmasse ist nicht zweimal herzunehmen:
Entweder gebe ich sie in die Verkürzung der Arbeitszeit, oder ich gebe sie in die Verkürzung der Lebensarbeitszeit, oder ich nehme sie als Lohnerhöhung. Aber dieser Wunsch von Ihnen in der Vergangenheit, dies öfter zu verfrühstücken, läßt sich nicht erfüllen. Ein Teil der Gewerkschaften, die die Vorruhestandsregelung kannten, sagten zu Recht: Wir wissen, was dies kostet.Nun lassen Sie mich zu dem kommen, was die Wirtschaft draußen ein bißchen falsch diskutiert.
— Lieber Herr Kollege Lutz, Sie müssen noch einiges hören, auch wenn es Ihnen nicht angenehm ist.
Die Makrorechnung sagt: Wenn alle diejenigen, die könnten, die Vorruhestandsregelung in Anspruch nehmen würden, kostet dies 1,5 % der Lohnsumme. 1,5% der Lohnsumme ist bei Forderungen, die zur Zeit zwischen 4 und 3% liegen, sicher nicht eine unerfüllbare Größe. Aber dies wird nur machbar sein, wenn die Arbeitgeber erkennen, daß sie auch eine Solidargemeinschaft sein müssen. Die zu Recht beklagte Überforderungsklausel als Schutz muß doch sein, wenn keine Ausgleichskassen dasind. Sind Ausgleichskassen vorhanden, ist die Überforderungsklausel nicht notwendig. Sind Ausgleichskassen da, wird auch die Frage, was es kostet, in der nächsten Tarifrunde sehr deutlich gestellt. Es ist also nicht eine nebulöse, gegriffene Größe.Drittens. Ich halte es für sehr wichtig, Herr Kollege von der Wiesche, es wird nicht die weitere Vernichtung der Klein- und Mittelbetriebe geben. Wenn wir heute das Problem der Arbeitslosigkeit haben — —
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Kolb— Ja, Herr Kollege Peter, das ist auch nicht angenehm zu hören. — Von 1960 bis 1982 haben 1 Million Selbständige das Handtuch geworfen und 1,85 Millionen mithelfende Familienangehörige. Das ist sicher ein Grund, weshalb wir heute diese Arbeitslosigkeit haben.
Ich kann nur zu dem, was Sie vorhin vorgetragen haben, sagen: Sie erinnern mich an die Besetzung Roms, wo der Gallier Brennus sein Schwert draufgeschmissen hat und sagte: „Vae victis!" Wehe den Besiegten! Er hat den Römern dann noch mehr Gold abgenommen.
— Ja, Herr Fischer, Geschichte sollte man auch noch kennen.
Nun noch zu Ihrem § 128 AFG. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Großindustrie hat in einer schändlichen Art und Weise § 128 AFG für sich so wahrgenommen, daß sie heute zu Recht sagen kann, sie haben keine 59jährigen mehr. Ja, es gibt inzwischen Großunternehmen, die sagen, sie hätten keine 55jährigen mehr. Was haben sie denn gemacht? Sie haben sie der Rentenversicherung, der Krankenversicherung und der Arbeitslosenversicherung zum Fraße vorgeworfen. Die Kleinen durften dort ungefragt mitbezahlen. Die 1,8 Millionen Klein- und Mittelbetriebe — 60% der Beschäftigten, 70% der Lehrlinge — sind in diesem Wirtschaftskreislauf genauso notwendig, denn ohne sie würde die Großindustrie nicht bestehen. Deswegen kann ich nur sagen, die Überforderungsklausel besteht zu Recht. Wenn sich die Arbeitgeber darauf zurückziehen und die Ausgleichskasse als richtig erkennen, dann wird das richtig gehen, und wir werden nicht die Schwierigkeiten haben.Haben wir uns eigentlich einmal der Mühe unterzogen, die Ursachen der Arbeitslosigkeit zu ermitteln, eine Analyse zu machen, was der Grund für das ist, was wir heute so beklagen? Ich habe die Vermutung, daß manche nicht gerne die Fehler sehen und hören möchten, die wir begangen haben. Ich frage nicht nach den Fehlern, um Schuldige zu suchen — die gibt es fast überall —, sondern ich möchte, daß wir die Fehler in Zukunft nicht mehr wiederholen und daß wir endlich davon weg kommen, daß der Staat der 15. Nothelfer ist, daß der Staat der Deus ex machina ist, der dann hilft.
— Lieber Herr Luzifer, möchte ich dann sagen, den Deus ex inferno gibt es dann auch. Das gilt dann mehr für Sie. Aber hier, Herr Kollege Lutz, müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen: Wenn es draußen schiefgeht, dann kommt man hierher und sagt: Der Staat muß helfen.Lassen Sie mich auch folgendes beim Namen nennen. Es gibt genügend Betriebe, die allein auf Grund ihrer Größe von vornherein sagen: Für uns ist alles ausgeschlossen. Sie sagen, wenn es schiefgeht, wird der Druck auf die Landesregierung und auf die Politiker so groß werden, daß sie den Beutel aufmachen und weiterhin all unsere Fehler salvieren. Hier werden wir einen Einschnitt bringen müssen. Es kann doch nicht angehen, daß für die Großen Narrenfreiheit herrscht, während die Kleinen dem Strukturwandel unterworfen sind.Nun, liebe Frau Kollegin Fuchs, ich muß zu Ihnen doch etwas deutlich sagen: Sie sprachen neulich in einem Zeitungsartikel davon, daß die Änderung des § 128 AFG eine Erpressung sei.
Es sei nicht erträglich, daß man die Sozialstrukturen, die die Betriebe ändern wollten, den Betrieben überlasse. § 128 AFG ist unter ganz anderen Voraussetzungen von uns allen geschaffen worden. Er sollte dem 59jährigen helfen, der in Schwierigkeiten kam, er sollte ihn dann nicht jahrelang arbeitslos sein lassen. Die Großbetriebe haben mit ihren Juristen erkannt, daß man hier die Sozialkassen herrlich plündern kann.
— Liebe Frau Kollegin, wenn das Plündern der Sozialkassen zur Selbstverständlichkeit gehört und nicht sozialer Mißbrauch ist, dann sind wir natürlich auf dem falschen Weg.
— Mein lieber Kollege, hier habe ich einen ganz besonderen Fall,
und das trifft Sie, weil Sie aus Köln kommen. Frau Kollegin Fuchs, ich habe von Ihnen nicht gehört, daß Sie etwas dagegen sagen, was die Herren Ossig und Bleffert von den Klöckner-Humboldt-Deutz Werken machen, daß sie nämlich die Leute zwischen 50 und 58 Jahren in ein Sabbatjahr schicken, hochbezahlt, damit sie sie dann mit 59 weiterhin nach dem § 128 AFG rausbringen können. Ist es Kölner Brauch, auf Staatskosten zu leben? Ich halte das für sozialen Mißbrauch!
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist dieses Vorruhestandsgesetz, wie wir es gestaltet haben, auch die strikte Anwendung des Art. 20 des Grundgesetzes. Das Sozialstaatsgebot beinhaltet nicht, daß jeder, der zugreifen möchte, unterstützt wird. Das Sozialstaatsgebot geht vielmehr dahin, daß die Ressourcen an die zu verteilen sind, die es nötig haben. Wer etwas anderes tut, handelt pflichtwidrig.Wir müssen doch auch einmal die Frage stellen: Was ist eigentlich eine Tarifpartnerschaft? Ist die Tarifpartnerschaft nur noch für gute Tage da, oder
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4303
Kolbgilt die Tarifpartnerschaft auch für schlechte Tage? Sind die Tarifpartner nicht auch dazu verpflichtet, in stürmischen Wettern einen richtigen Kurs zu finden, statt die Steuerkasse zu suchen?Meine Damen und Herren, es ist hier heute schon ein paarmal erwähnt worden, die 35-Stunden-Woche wäre das Richtige. Herr Kollege Stratmann, wenn Sie die vier Grundrechenarten richtig beherrschen,
können Sie zusammenzählen, was dabei herauskommt.
— Man muß auch subtrahieren können. Addieren allein reicht nicht.
— Die Frage muß von Ihnen kommen!
— Ja, die Mengenlehre!
Wissen Sie, wie die Mengenlehre bei Ihnen aussieht? Wenn drei Menschen in einem Raum sind, schicken Sie fünf hinaus, und anschließend schikken Sie wieder zwei herein, damit es stimmt.
Herr Kollege Stratmann, ich würde Ihnen doch einmal empfehlen, das Buch von Günter Schmölders mit dem Titel „Der Wohlfahrtsstaat am Ende" zu lesen, für das der Autor zu Recht den Untertitel „Adam Riese schlägt zurück" gewählt hat. Dort ist eindeutig darauf hingewiesen, was die Folgen sind, wenn man all diese Dinge einfach vernachlässigt und nicht wahrhaben will.Meine Damen und Herren von der SPD, die Herren Janßen und Steinkühler sind wesentlich ehrlicher als ein Teil von Ihnen. Die Herren Janßen und Steinkühler sagen: Wir wollen mit der 35-StundenWoche nicht nur Arbeitsplätze schaffen, sondern auch die Machtverhältnisse verändern. — Dies ist sicher richtig, und die sind ehrlich. Sie erklären, wir machen den Arbeitnehmer zum Esel, wir sagen, du mußt für die 35-Stunden-Woche kämpfen, weil das für dich gut sei; aber in Wirklichkeit wollen sie nur die Macht der Funktionäre.
Meine Damen und Herren, im nächsten Jahr schreiben wir das Jahr 1985. Bei Ihnen gab es einmal ein Programm '85; darin sprachen Sie von einer Staatsquote von rund 50 %. Bei der sind wir schon seit Jahren. Da haben Sie sich schnell hingehangelt.Aber als es kritisch wurde, waren Sie ja nicht so ehrlich, den Pfusch zuzugeben, sondern haben nichts anderes gemacht, als auf Kosten der Zukunft zu leben. Wenn es Ihnen auch nicht gefällt: In diesem Jahr 1984 zahlen wir alle aus unserem Haushalt für die Schulden vom 31. Dezember 1982 22,76 Milliarden DM Zinsen und 39,29 Milliarden DM Tilgung. Wir zahlen, meine Damen und Herren, sehr viel Geld für das, was wir in den 70er Jahren uns leisten zu können glaubten.Deswegen sind wir heute dagegen, daß hier neue Fehler gemacht werden. Deswegen hat die Regierung auch vor dem Unsinn gewarnt, eine 35-Stunden-Woche einzuführen, die einer Dampfwalze gleich über Gartenbeete fährt. Sie fordern die 35Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich und einen höher bezahlten Vorruhestand. Sie sagen, das kriegen wir mit einer Maschinensteuer oder — das ist das Neueste — mit einer Wertschöpfungsteuer in Ordnung. Meine Damen und Herren, dies ist keine Medizin! Es ist ein tödliches Mittel für die Wirtschaft. E 605 wäre da noch angenehm.
— Kollege Lutz, wir haben aufgezeigt, welchen Weg es gibt, wenn ihn die Tarifpartner in Anspruch nehmen, aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen. Wir wissen, daß dies Anstrengungen bedeutet, und zwar Anstrengungen von allen Beteiligten. Wir wissen auch, daß dieses Vorruhestandsgesetz nicht der Stein der Weisen ist. Aber bei Abwägung der Übel muß ich mich für das kleinere Übel entscheiden.
— Wo immer der Staat eingreift, ist es von Übel, weil der Staat erst seinen Bürgern gibt und das dann wieder zurückholt.
— Ja nun, Sie würden den Staat j a in eine gewaltige Kostensumme treiben. Sie sind in Ihren Forderungen groß, aber in der Bezahlung ganz anders.
Meine Damen und Herren, die Tarifpartner haben bei diesem Gesetz sehr viel Chancen, noch die Ausgestaltung in den einzelnen Branchen vorzunehmen. Wir haben als Gesetzgeber bewußt nicht soviel hineingeschrieben. Wir haben gesagt, wir können die Tarifpartner draußen nicht beschränken, weil die Tarifpartner in einzelnen Branchen und wahrscheinlich auch in einzelnen Betrieben ganz unterschiedliche Situationen vorfinden.Und weshalb die Polemik gegen dieses Gesetz? Der § 128 AFG war, wenn er ehrlich angewandt wurde, in seiner Leistung geringer. Er hat zweitens die Rentenversicherung zusätzlich belastet. Dies tut das Vorruhestandsgesetz nicht. Die normalen Renten ohne Zuschüsse liegen heute bei einem Netto von 64 %, nicht mit den Sonderleistungen, womit Sie immer rechnen. Das Vorruhestandsgesetz, wie wir es machen, liegt bei 70% netto.
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4304 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
KolbMeine Damen und Herren, was sollen wir eigentlich noch mehr anbieten, um eine Notstandssituation zurechtzubiegen? Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben uns aufgemacht, Mut zu zeigen, Mut zu belohnen, und wir wollen weg von der Situation, die Sie immer beherrscht: Angst zu machen. Wir sagen, wir haben die Chance, wenn wir wollen, den Jungen, die einen Arbeitsplatz suchen, ihn zu geben. Wir haben hier die Chance geboten, daß die Älteren, wenn sie wollen, in den Vorruhestand gehen. Wir wissen aber auch eines — und da erinnere ich an das Zitat Ihres Freundes Haferkamp —: Wir stehen in einem internationalen Wettbewerb, und dort wird nicht danach gefragt, wo die Produkte gefertigt sind, sondern es wird gefragt, was sie kosten. Dies haben wir alles gewußt, und dies haben wir in dieses Gesetz alles mit hineingepackt. Die Tarifpartner haben eine Chance. Wenn sie sie wahrnehmen, kann dieses Gesetz ein gutes werden.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Peter.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich zitiere: „Sind Fertigpackungen so gestaltet, daß durch das Packmittel größere Füllmengen vorgetäuscht werden, zum Beispiel hochgezogene Böden, Hohlräume, doppelte Wandungen, übergroße Verschlüsse, liegt ein Verstoß gegen § 17 a Eichgesetz vor."
Ich habe zitiert aus den allgemeinen Grundsätzen für die Gestaltung von Fertigpackungen im Sinne von § 17 a Eichgesetz. Die Rede ist vom Verbraucherschutz und von Mogelpackungen.
Um „Täuschung durch Gestaltung", „Verringerung der Füllmenge, durch unzulässige Freiräume" geht es auch, wenn es gilt, an das Vorruhestandsgesetz der Bundesregierung die politische Meßlatte anzulegen.
Wie es beim Verkauf von Mogelpackungen auf den richtigen Marktschreier ankommt, so spielt auch beim Verkauf politischer Mogelpackungen die Person des Chefverkäufers eine entscheidende Rolle. Das muß Ihnen der Neid lassen, Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben im Verkauf von Mogelpakkungen erstaunliche Fähigkeiten entwickelt. Ein richtiger Verpackungskünstler, gewissermaßen der Christo der Bundesregierung sind Sie geworden.
Da es bei Mogelpackungen auf die Verpackung ankommt und jede Änderung des Inhalts den erwarteten Verkaufsgewinn schmälert, handeln Sie konsequent, wenn Sie unsere Änderungsanträge ablehnen — die Kolleginnen und Kollegen von den Sozialausschüssen und der KAB sicherlich zähneknirschend, da sie als Verbraucher natürlich wissen, was wir mit unseren Anträgen versucht haben, wenigstens nachträglich das in die Packung nachzufüllen, was den Erwartungen der Verbraucher beim ersten Anblick der Verpackung entsprochen haben mag. Aber Sie leben ja von der Verpackung und vom Verkäufer. Herr Kollege Kolb, Sie sind dabei der Hilfsverkäufer, allerdings auch ein begabter, der dabei ist, Latein als Verhandlungssprache im Bundestag einzuführen. Ich will das gerne aufgreifen. Bei der Beurteilung Ihres Gesetzes fällt mir ein: „Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes."
Das heißt: Was immer es sei, die Vorschläge dieser Regierung fürchte ich, auch wenn sie so aussehen wie Geschenke.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kolb?
Herr Kollege Peter, ist Ihnen bekannt, wo dieses Zitat gefallen war?
Ja. Das ist gefallen, als man davor warnte, das Pferd des Odysseus bei Troja einzuschmuggeln.
Dabei sind Sie ja jetzt gerade.Unsere Aufgabe wird es sein, den Verbraucher über die Ware aufzuklären. Das fängt mit dem Etikett des Gesetzes an: „Gesetz zur Erleichterung des Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand". Das reiht sich würdig ein in eine Reihe anderer Mogelpackungen aus dem Hause Blüm, wo auch jeweils etwas anderes herauskommt, als die Pakkung verspricht: „Gesetz zur Förderung der Rückkehrbereitschaft von Ausländern" als Beispiel aus der Vergangenheit, „Gesetz zur Förderung der Beschäftigung" als Ankündigung von Maßnahmen zur Durchsetzung des Unternehmerstaats, auf die Zukunft bezogen.Schon die Logik sagt uns, daß da etwas nicht stimmen kann. Eine Bundesregierung, die sich dem Krisenlösungskonzept der Unternehmer verschrieben hat, kann im sozialpolitischen Bereich dieses Konzept gar nicht unterlaufen. Wer die Gewinnbedingungen der Wirtschaft durch Sozialabbau bei den Armen und Steuergeschenke für die Reichen verbessern will, koste es sonst, was es wolle, wer die Verfügung der Unternehmer über die Arbeitskraft durch Abbau von Schutzrechten und Mitbestimmungsrechten absolut herstellen will, wer die Arbeitslosigkeit als Druckmittel zur Durchsetzung dieser Strategie braucht und einsetzt, wer die Ellenbogengesellschaft predigt und damit Aufspaltung und Entsolidarisierung rechtfertigt, indem er von Individualismus und von Leistung, die sich wieder lohnen muß, spricht, der kann nicht so tun, als sei
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4305
Peter
diese Strategie mit einigen Sozialgesetzen aus der Welt. Das soll einmal ganz deutlich gesagt werden.
Der Schluß kann nur lauten: Der Regierungsentwurf ist eine taktische Finte, die die Arbeitnehmer irritieren soll, innerhalb der wirtschafts- und sozialpolitischen Gesamtstrategie der Rechtsregierung.
Sie ist programmatisch, sie ist propagandistisches Manöver und Hilfestellung der Regierung für die Wirtschaft in deren Auseinandersetzung um die Arbeitszeitverkürzungsforderungen der Gewerkschaften. Hier liegt der eigentliche Sinn Ihrer Bemühungen, dieses Gesetz jetzt durchzupauken. Es soll von der berechtigten Forderung nach mehr Humanisierung der Arbeitswelt durch Verkürzung der Wochenarbeitszeit ablenken.
„Flexibilisierung", „Individualisierung", „Absage an Kollektivierung", „Zeitautonomie" und viele andere dreist formulierte Euphemismen aus dem Munde des Arbeitsministers sollen darüber hinwegtäuschen, daß Regelungen, die für die Unternehmer Kostenfaktoren darstellen, aber sozialpolitisch notwendig sind, nur als Mogelpackung verkauft werden können.
Meine Damen und Herren, ich bitte Platz zu nehmen. Es ist eine außerordentliche Unruhe im Saal.
Deshalb, meine Damen und Herren und ganz besonders Herr Kollege Feilcke, wird ja wohlweislich bei allen Ihren Diskussionen die Frage ausgespart: Wem nützt das eigentlich? Das ist wahrscheinlich die Ursache dafür, daß es Ihnen bisher noch gelungen ist, diese Mogelpakkung relativ erfolgreich zu verkaufen.
Beim Vorruhestandsgesetz fiel das natürlich schwerer, weil die Regierung sich an dem SPD-Entwurf messen lassen mußte, der sich an den Interessen der vielen älteren Arbeitnehmer orientierte,
die einen früheren Übergang in den Ruhestand anstrebten und dabei mit dem Ziel der Entlastung des Arbeitsmarktes den Unternehmern echte Solidaritätsopfer abverlangt hätten.
Der Arbeitsminister hat immerhin anerkannt, daß das Verdienst, diese Idee geboren zu haben, den Gewerkschaften gebührt. Die Herausforderung für den Arbeitsminister bestand allerdings darin, diesen Gesetzentwurf mit den Interessen, die er ver-tritt, zu vereinen. Das aber sind nicht die Interessen der Arbeitnehmer.
Die Erwartungen der Rechtsregierung an das Gesetz haben viele Vertreter von Ihnen, darunter auch Vertreter des Arbeitnehmerflügels, formuliert: „Entkrampfung erstarrter Fronten", „Lockerung festgefahrener Positionen", „Entkrampfung möglicher Tarifkonflikte". Herr Müller sprach von einem „wichtigen Impuls zur Entkrampfung der tarifpolitischen Auseinandersetzung"; das Gesetz solle so rechtzeitig verabschiedet werden, daß es bei den Tarifverhandlungen noch wirksam werden könne. Herr Hauser von der CDU-Mittelstandsvereinigung erwartet von den Gewerkschaften, daß sie es durch entsprechend niedrigere Tarifabschlüsse honorieren. Mit dem Linsengericht der Vorruhestandsregelung will die Regierung als freundschaftlichen Beitrag für BDI und BDA als Partner den Gewerkschaften die lohnpolitische Zurückhaltung und den Verzicht auf Arbeitszeitverkürzung abhandeln.Die Chuzpe, mit der die Rechtsregierung dieses Gesetz verkauft, weist darauf hin, daß es eine Waffe aus dem Arsenal der Abteilung für psychologische Kriegsführung ist, die beim Vorstand der CDU in der Arbeitsgruppe „Semantik" installiert ist. Sie wollen mit diesem Gesetz davon ablenken, daß Sie bisher beschäftigungspolitisch nichts getan haben. Dabei besteht die besondere Raffinesse Ihres Vorschlages darin, daß Sie mit der ungenügenden Ausgestaltung die Gewerkschaften zur Ablehnung provozieren, das Scheitern dann aber den Sozialpartnern anlasten können. Am Ende stände Herr Blüm wie Pilatus da: Er habe es ja gewollt, aber die „Klassenkämpfer mit Eiszeitniveau" — Originalzitat Blüm — hätten es verweigert.Was mit diesem Gesetz gemacht werden kann, wird deutlich, wenn ich aus dem Bericht des Bundesvorstandes der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden über den bisherigen Verlauf der Tarifverhandlungen zitiere. Dort heißt es:Die Arbeitgeber stellten klar, daß ein Tarifvertrag über eine Vorruhestandsregelung für die Laufdauer des Gesetzes abgeschlossen werden müsse. Zugleich müsse die Wochenarbeitszeit im Bundesrahmentarifvertrag — Bau mit unverändert 40 Stunden bis 1988 festgeschrieben werden. Außerdem — und dies sei der Preis, der den Arbeitgebern nach Lage der Dinge überhaupt einen Abschluß ermögliche — müsse die Laufzeit des Bundesrahmentarifvertrags um weitere drei Jahre bis Ende 1987 verlängert werden.Hier sehen Sie, was die Arbeitgeberseite aus dem Gesetzentwurf macht. Er ist als Grundlage für Tarifverhandlungen ungeeignet. Er ist bestenfalls geeignet, die Tarifautonomie dadurch zu unterlaufen, daß man individuelle Vereinbarungen mit Arbeitnehmern schließt. Das sage ich Ihnen aber schon jetzt: Dann werden von seiten der Gewerkschaften die alten Lohnforderungen und die Forderungen nach der Arbeitszeitverkürzung in der Woche wie-
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Peter
der auf der Tagesordnung stehen. Die Gewerkschaften verdienen dabei die Unterstützung eigentlich aller verantwortungsvollen Mitglieder dieses Hauses.
Der Aufkleber auf der Mogelpackung „Es brächte Arbeitsplätze" ist von Herrn Kollegen Heyenn ja heute morgen gewissermaßen entblättert worden. Wenn es nur 25 000 sein sollten, ist dieser Werbespruch „Unser Pfund wiegt in Zukunft nur 400 Gramm" sehr bald wieder durch die Forderung „Das Tchibo-Pfund ist wieder da" zu ersetzen.
Und zum Aufkleber „Freiwilligkeit": Die Freiwilligkeit unterlaufen Sie durch den Ausschluß des öffentlichen Dienstes selber. Hier befinden sich die meisten Arbeitnehmer, die älter als 58 Jahre sind. Hier sind Sie allerdings Arbeitgeber — und entlarven sich auf diese Weise,
durch den Ausschluß der Kleinbetriebe und die sogenannte Überforderungsschutzklausel. Ich habe schon vorher gefragt: Wann werden sich der Herr Kolb von der ASU und der Herr Schnitker vom Bundesverband des Deutschen Handwerks durchsetzen und endlich den Notausgang finden, damit die Freiwilligkeit für die Arbeitnehmer in die absolute Freiwilligkeit für die Arbeitgeber uminterpretiert werden kann, was den Arbeitnehmern dann alle Möglichkeiten nimmt, eigenständig zu entscheiden, wann sie in den Ruhestand gehen wollen? Sie sind dann abhängig von dem Unternehmen. Und das ist doch wohl nicht der Sinn dieses Gesetzentwurfes, so, wie wir ihn immer verstanden haben.
Dieser Gesetzentwurf muß auch als ein frauenfeindlicher Gesetzentwurf bezeichnet werden. Alle Einwände, die heute morgen gegen die geringe Effektivität dieses Gesetzentwurfs formuliert worden sind, gelten für Frauen in weit stärkerem Maße. Schon jetzt liegt das durchschnittliche Rentenzugangsalter bei Frauen unter 56 Jahren. Die finanziellen Einbußen der Vorruhestandsregelung treiben alleinstehende Frauen, die allein auf ihre Rente angewiesen sind, an die Armutsgrenze. Benachteiligungen der Mädchen im Ausbildungs- und Bildungssystem, die daraus abgeleitete Abdrängung auf gesundheitsgefährdende, schlecht bezahlte Arbeitsplätze,
die Benachteiligung durch Unterbrechungen der Berufstätigkeit für die Kindererziehung haben dazu geführt, daß Vorruhestandsregelungen insgesamt für Frauen nicht angemessen sind, sondern gerade für Frauen Humanisierungsmaßnahmen und Verkürzung der Wochenarbeitszeit richtige Antworten darstellen.
Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren,
und greife dabei nochmals auf das Eichgesetz zurück. Wenn wir Ihrer Mogelpackung durch unser Nein in der Schlußabstimmung eine Absage erteilen, ist das nicht mehr, allerdings auch nicht weniger als politisch verstandener Verbraucherschutz.Wir bedanken uns.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende unserer Aussprache. — Wenn Sie wenigstens jetzt bitte Platz nehmen wollen, damit wir die Abstimmung ausführen können. Herr Peter, ich muß mich entschuldigen, daß es mir nicht möglich war, Ihnen hier soviel Ruhe zu verschaffen, daß Sie zu verstehen waren.
— Ich bitte, die Damen und Herren, Platz zu nehmen, sonst können wir die Abstimmung nicht vornehmen, und ich muß die Sitzung unterbrechen.
— Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, jetzt Platz zu nehmen.
Das Wort zu einer Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Hinsken.
— Abgeordneter Hinsken!
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte folgende Erklärung zu diesem Gesetzentwurf abgeben: Ich stimme diesem Gesetzentwurf trotz größter Bedenken zu, weil ich die Vorruhestandsregelung für eine besseres Instrument zur Verminderung der Arbeitslosigkeit halte als den Einstieg in die 35-StundenWoche bei vollem Lohnausgleich. Dazu möchte ich allerdings einige Bedenken, von denen ich weiß, daß nicht nur ich allein sie habe, anmelden.Erstens. Verschiedene betroffene Betriebe werden überfordert sein. Die Überforderungsklausel ist mit 5 % meiner Meinung nach zu hoch angesetzt.Zweitens. Falls es nicht u. a. zur Schaffung von Ausgleichskassen bei Unternehmerverbänden kommt, befürchte ich, daß manche Betriebe im Extremfall nicht in der Lage sind, diese finanzielle Mehrbelastung zu tragen. Das bedeutet, daß gar mancher Betrieb, der aus sozialer und humanitärer Einstellung, aber auch der Tüchtigkeit wegen ältere betroffene Mitarbeiter beschäftigt, in den Ruin getrieben wird.Drittens. Aufschlußreiche Zahlen, wieviel Belastung auf wieviel Betriebe in den verschiedenen Größenordnungen zukommen, liegen leider noch nicht vor.Viertens. Sollte sich in nächster Zeit herausstellen, daß meine Befürchtungen zutreffen, so gehe ich davon aus, daß die Härteregelung — in dem Fall die
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4307
HinskenÜberforderungsklausel — auf annehmbarer Basis auch für die Wirtschaft korrigiert wird.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung, und zwar zunächst über Punkt 6 a der Tagesordnung: von der Bundesregierung eingebrachter Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung des Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand — Drucksachen 10/880, 10/985 —.Dazu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/1194 vor, der mehrere selbständige Bestimmungen betrifft. Der Aufruf erfolgt bei den einzelnen Vorschriften. Da der Antrag schriftlich begründet ist, erübrigt sich, glaube ich, eine weitere Begründung.Vielen Dank.Ich rufe Art. 1 § 1 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen angenommen.Ich rufe Art. 1 § 2 in der Ausschußfassung auf. Hierzu werden auf Drucksache 10/1194 unter Ziffer 1 Änderungen und bei Annahme unter den Ziffern 6, 7 a und 10 a Folgeänderungen in Art. 3, Art. 4 Nr. 1 und Art. 6 Nr. 1 beantragt. Dies würde sich später wiederholen.Ich lasse hier jetzt insgesamt über diesen Antrag abstimmen. Wer diesem Antrag der SPD zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Gegenstimmen und Enthaltungen ist dieser Antrag abgelehnt.Wer Art. 1 § 2 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Art. 1 § 2 ist in der Ausschußfassung angenommen.Ich rufe Art. 1 § 3 in der Ausschußfassung auf.Hierzu werden ebenfalls auf Drucksache 10/1194 unter Ziffer 2 Änderungen und bei Annahme unter den Ziffern 7 b, 8, 9, 10b und 11 Folgeänderungen in Art. 4 Nr. 1 und 6, Art. 5 Nr. 1, Art. 6 Nr. 1 und 2 beantragt.Ich lasse hierüber wiederum insgesamt abstimmen. Wer diesem SPD-Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen und Gegenstimmen ist dies abgelehnt.Wer Art. 1 § 3 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Art. 1 § 3 ist in der Ausschußfassung angenommen.Ich rufe Art. 1 § 4 in der Ausschußfassung auf.Wer der aufgerufenen Bestimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen angenommen.Ich rufe Art. 1 § 5 in der Ausschußfassung auf.Hierzu wird auf Drucksache 10/1194 unter Ziffer 3 eine Änderung beantragt. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist abgelehnt.Wer Art. 1 § 5 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In der Ausschußfassung angenommen.Ich rufe Art. 1 §§ 6 bis 10 in der Ausschußfassung auf.Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen angenommen.Ich rufe Art. 1 § 11 in der Ausschußfassung auf.Hierzu wird auf Drucksache 10/1194 unter Ziffer 4 eine Änderung beantragt. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wer Art. 1 § 11 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Art. 1 § 11 ist in der Ausschußfassung angenommen.Ich rufe Art. 1 § 11 a in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen angenommen.Auf Drucksache 10/1194 wird unter Ziffer 5 die Einfügung eines § 11b beantragt. Wer diesem Antrag der SPD zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist abgelehnt.Ich rufe Art. 1 §§ 12 bis 14, die Art. 2 bis 13, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Vorschriften sind in zweiter Lesung angenommen.Meine Damen und Herren, wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 6 b: von der Fraktion der SPD eingebrachter Entwurf eines Gesetzes über Zuschüsse zum tariflichen Vorruhestandsgeld — Vorruhestandsgeldgesetz —, Drucksache 10/122. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf abzulehnen.Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung.Ich rufe die §§ 1 bis 18, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer dagegenstimmen oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechenden Abstimmungskarten in die hier vorne aufgestellten Urnen zu legen.Ich eröffne die namentliche Abstimmung. —
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4308 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Vizepräsident Frau RengerMeine Damen und Herren, haben alle anwesenden Mitglieder ihre Stimmkarte abgegeben? — Ich schließe die Abstimmung und bitte auszuzählen. —Ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Solange das nicht geschehen ist, werde ich das Abstimmungsergebnis nicht verkünden.Die namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes über Zuschüsse zum tariflichen Vorruhestandsgeld — Vorruhestandsgeldgesetz — hat folgendes vorläufiges Ergebnis: abgegebene Stimmen 477, keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben 177 Mitglieder des Hauses, mit Nein 299 Mitglieder des Hauses gestimmt; es gab eine Enthaltung.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 476; davonja: 177nein: 298enthalten: 1JaSPDAmlingAntretter Bachmaier BahrBambergBecker BernrathBerschkeit BindigFrau BlunckBrandtBrosiBrückBuckpesch Büchler
Büchner Buschfort CatenhusenColletConradiFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubershäuserDelormeDr. Diederich DreßlerDuveEgertDr. Ehmke
Dr. EhrenbergDr. EmmerlichDr. Enders EstersEwenFiebigFischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover)Frau Fuchs
Frau Fuchs GanselGerstl
Glombig Gobrecht GrunenbergDr. Haack HaarHaase
HaehserFrau Dr. Hartenstein Dr. HauchlerHauckDr. Hauff Heimann HeistermannHerterich Hettling HeyennHiller Hoffmann (Saarbrücken) Dr. HoltzHornFrau HuberIbrüggerImmer Jahn (Marburg)JansenJaunich Dr. JensJung Junghans Jungmann KastningKiehmKirschner Kisslinger Klein
Dr. KlejdzinskiKloseKolbowKretkowski Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lennartz Leonhart LöfflerLohmann
LutzFrau LuukFrau Matthäus-Maier MatthöferMeininghausMenzelDr. MitzscherlingMüller
Dr. Müller-EmmertMünteferingNagelNehmNeumann
Dr. NöbelFrau Odendahl OostergeteloPauliDr. Penner Peter
PfuhlPolkehn PoßPurpsRapp
Rappe ReimannFrau RengerReschke ReuterRohde
RothSanderSchäfer SchanzDr. Scheer Schlaga Schlatter SchluckebierFrau Schmedt Dr. Schmidt (Gellersen) Frau Schmidt (Nürnberg) Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchreinerSchröder Schröer (Mülheim) Schulte (Unna)Dr. Schwenk SielaffSielerFrau SimonisFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellDr. SperlingDr. Spöri Dr. Steger SteinerFrau SteinhauerStiegler StobbeStockleben Dr. Struck Frau TerborgTietjenFrau Dr. Timm ToetemeyerFrau TraupeUrbaniak Vahlberg Verheugen Vogelsang Voigt
VosenWaltematheWaltherWartenberg WeinhoferWeisskirchen Dr. WernitzWestphal Frau Weyel Wiefelvon der WiescheWimmer
Dr. de With Wolfram
Zander
ZeitlerFrau ZuttNeinCDU/CSUDr. AbeleinDr. AlthammerFrau Augustin Austermann Dr. Barzel BayhaDr. Becker BergerFrau Berger BiehleDr. Blank Dr. BlensDr. BlümBöhm
Dr. Bötsch BohlBohlsenBorchertBoroffkaBraunBreuerBrollBrunnerBühler
Dr. BuglBuschbom Carstens
Carstensen ClemensConrad Dr. CzajaDr. Daniels DawekeFrau DempwolfDeresDörflinger DolataDr. Dollinger DossDr. Dregger Echternach EhrbarEigenErhard
Eylmann
Dr. FaltlhauserFeilckeFellnerFrau Fischer Fischer Francke (Hamburg) FrankeDr. FriedmannGanz
Frau Geiger Dr. Geißler Dr. von GeldernDr. George Gerlach GersteinGerster
GlosDr. Göhner GüntherDr. Hackel Dr. HäfeleHanz Hartmann HaungsHauser Hauser (Krefeld) HedrichFreiherr Heeremanvon ZuydtwyckFrau Dr. Hellwig HelmrichDr. Hennig
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4309
Vizepräsident Frau Renger HerkenrathHinrichs Hinsken HöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau HürlandDr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger
JagodaDr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJung
KalischDr.-Ing. KansyFrau KarwatzkiKellerKiechleKittelmannKlein
Dr. Köhler
Dr. Köhler KolbKrausDr. Kreile KreyKroll-SchlüterFrau Krohne-AppuhnDr. KronenbergDr. Kunz
LamersDr. LammertLandréDr. Langner Lattmann Dr. Laufs Lemmrich LenzerLink
Link
Linsmeier LintnerDr. Lippold LöherLohmann LouvenLowackMaaßFrau MännleMaginMarschewskiDr. MarxDr. Mertes MetzDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. Mikat Dr. Miltner MilzDr. MöllerMüller
Müller
Müller
NelleFrau Dr. Neumeister Dr.-Ing. OldenstädtDr. Olderog PeschPetersen Pfeffermann PfeiferDr. Pinger Pohlmann Dr. PohlmeierDr. Probst RaweReddemann Regenspurger RepnikDr. Riedl
Dr. Riesenhuber Rode Frau Rönsch Frau Roitzsch
Dr. Rose
Rossmanith Roth RüheRufSauer Sauer (Stuttgart) SaurinSauter Sauter (Ichenhausen)Dr. Schäuble Schartz SchemkenScheuSchlottmann Schmidbauer Schmitz
von Schmude Schneider
Dr. Schneider Freiherr von Schorlemer SchreiberDr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schulze (Berlin) Schwarz
Dr. Schwarz-SchillingDr. Schwörer SeehoferSeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerSprangerDr. SprungGraf StauffenbergDr. Stavenhagen Dr. Stercken StockhausenDr. Stoltenberg StraßmeirStrubeStücklenStutzerSussetTillmannDr. Todenhöfer UldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel Vogt (Duren)Dr. Voigt
Dr. VossDr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarrikoffDr. von Wartenberg WeirichWeiskirch WeißWernerFrau Will-Feld Frau Dr. Wilms WilzWimmer WindelenFrau Dr. WisniewskiWissmannDr. Wittmann Dr. WörnerWürzbachDr. WulffZiererZinkFDPFrau Dr. AdamSchwaetzer BaumBeckmannBredehornCronenberg Eimer (Fürth) EngelhardErtlDr. Feldmann GallusGenscherGrünbeckGrünerFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannDr. HirschHoffieHoppeKleinert KohnDr.-Ing. Laermann MischnickMöllemannNeuhausenPaintnerRonneburgerDr. RumpfSchäfer Frau Seiler-AlbringDr. SolmsDr. WengWolfgramm WurbsDIE GRÜNENFrau Dr. BardFrau Beck-Oberdorf BurgmannDr. Ehmke Fischer (Frankfurt) Frau GottwaldFrau Dr. Hickel HoracekHossDr. JannsenKleinert
Frau Nickels Frau Potthast ReentsFrau ReetzSauermilchSchilySchneider Schwenninger StratmannVerheyen
fraktionslosVoigt
EnthaltenDIE GRÜNENVogt
Der Gesetzentwurf ist abgelehnt.Ich rufe jetzt zur Abstimmung in zweiter Beratung über die Vorlage unter Tagesordnungspunkt 6 c auf: Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Rechts zur Arbeitsförderung und der gesetzlichen Rentenversicherung an die Einführung von Vorruhestandsleistungen, Drucksachen 10/893, 10/965.Ich rufe die Art. 1 bis 10, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieses Gesetz ist in zweiter Beratung angenommen.Wir kommen jetzt zurdritten Beratungund Schlußabstimmung über die Vorlage unter Punkt 6 a der Tagesordnung: Entwurf eines von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzes zur Erleichterung des Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand, Drucksachen 10/880 und 10/985.Für dieses Gesetz ist aus verfassungsrechtlichen Gründen — obwohl es darüber Meinungsverschiedenheiten gibt — die Mehrheit der Mitglieder des Bundstages erforderlich. Das sind 250 Stimmen.
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4310 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Vizepräsident Frau RengerDie Fraktion der CDU/CSU verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung.Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer dagegen stimmen oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechenden Abstimmungskarten in die hier aufgestellten Urnen einzulegen.Ich eröffne die namentliche Abstimmung.Haben alle anwesenden Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarten abgegeben? — Ich schließe die Abstimmung und bitte auszuzählen.Meine Damen und Herren, wenn Sie freundlicherweise Platz nehmen würden, dann könnten wir noch die dritte Lesung des in zweiter Lesung verabschiedeten Gesetzentwurfes jetzt während der Auszählung vornehmen. Darf ich Sie alle bitten, sich hinzusetzen, sonst kann ich nicht sehen, wer aufsteht und wer sitzenbleibt. —Meine Damen und Herren, sind Sie damit einverstnden, daß ich jetzt die dritte Lesung des in zweiter Beratung verabschiedeten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Rechts der Arbeitsförderung und der gesetzlichen Rentenversicherung an die Einführung von Vorruhestandsleistungen vornehme? Ist das möglich? — Ich danke Ihnen schön.Ich rufe diedritte Beratungdes unter Tagesordnungspunkt 6 c aufgeführten Gesetzentwurfes auf. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz zur Anpassung des Rechts der Arbeitsförderung und der gesetzlichen Rentenversicherung an die Einführung von Vorruhestandsleistungen ist in der dritten Lesung angenommen.Wir müssen jetzt auf die Auszählung warten. —Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu dem Gesetz zur Erleichterung des Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand bekannt. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 458 ihre Stimme abgegeben; keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben 265 Mitglieder des Hauses gestimmt.
Mit Nein haben 192 Mitglieder des Hauses gestimmt.
1 Mitglied des Hauses hat sich der Stimme enthalten.20 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben, davon keine ungültige Stimme. Mit Ja haben 11, mit Nein haben 9 Mitglieder des Hauses gestimmt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 457 und 20 Berliner Abgeordnete; davonja: 264 und 11 Berliner Abgeordnetenein: 192 und 9 Berliner Abgeordneteenthalten: 1JaCDU/CSUDr. AbeleinDr. AlthammerFrau Augustin AustermannDr. BarzelBayhaDr. Becker BergerBiehleDr. BlankDr. BlensDr. BlümBöhm
Dr. BötschBohlBohlsenBorchertBraun Breuer BrollBrunnerBühler
Dr. BuglCarstens Carstensen
Clemens
Conrad Dr. CzajaDr. DanielsDawekeFrau DempwolfDeres DörflingerDr. DollingerDossDr. Dregger EchternachEhrbar Eigen Erhard
Eylmann
Dr. Faltlhauser FellnerFrau FischerFischer Francke (Hamburg) FrankeDr. FriedmannGanz Frau GeigerDr. GeißlerDr. von GeldernDr. GeorgeGerlach GersteinGerster
GlosDr. GöhnerGüntherDr. HäfeleHanz HartmannHaungsHauser Hauser (Krefeld)HedrichFreiherr Heeremanvon ZuydtwyckFrau Dr. Hellwig HelmrichDr. Hennig Herkenrath HinrichsHinskenHöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau HürlandDr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger
JagodaDr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJung
Dr.-Ing. KansyFrau KarwatzkiKellerKiechleKlein
Dr. Köhler Dr. Köhler (Wolfsburg) KolbKrausDr. Kreile KreyKroll-SchlüterFrau Krohne-Appuhn Dr. KronenbergDr. Kunz LamersDr. LammertLandréDr. Langner Lattmann Dr. Laufs Lemmrich LenzerLink
Link Linsmeier LintnerDr. Lippold LöherLohmann LouvenLowackMaaßFrau MännleMaginMarschewskiDr. MarxDr. Mertes MetzDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. Mikat Dr. Miltner MilzDr. MöllerMüller
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4311
Vizepräsident Frau RengerMüller
Müller
NelleFrau Dr. Neumeister Dr.-Ing. OldenstädtDr. Olderog PeschPetersen Pfeffermann PfeiferDr. Pinger Pohlmann Dr. PohlmeierDr. Probst RaweReddemann RegenspurgerRepnikDr. Riedl
Dr. RiesenhuberRode
Frau RönschFrau Roitzsch
Dr. Rose Rossmanith Roth
RüheRufSauer
Sauer
SaurinSauter
Sauter
Dr. SchäubleSchartz
Schemken ScheuSchlottmannSchmidbauerSchmitz
von SchmudeSchneider
Dr. Schneider Freiherr von Schorlemer SchreiberDr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schwarz
Dr. Schwarz-SchillingDr. SchwörerSeehofer SeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SprangerDr. SprungGraf StauffenbergDr. StavenhagenDr. Stercken Stockhausen Dr. StoltenbergStrubeStücklen StutzerSussetTillmannDr. TodenhöferUldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. VossDr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-ZeilDr. WarrikoffDr. von Wartenberg WeirichWeiskirch WeißWernerFrau Will-Feld Frau Dr. Wilms WilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. WittmannDr. WörnerWürzbachDr. WulffZiererZinkBerliner AbgeordneteFrau Berger BoroffkaBuschbom DolataFeilckeDr. Hackel KalischKittelmann Schulze StraßmeirFDPFrau Dr. AdamSchwaetzerBaumBeckmann BredehornCronenberg EngelhardErtlDr. FeldmannGallusGattermann Genscher GrünerFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannDr. Hirsch HoffieKleinert KohnDr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen PaintnerRonneburgerDr. Rumpf Schäfer
Frau Seiler-AlbringDr. Solms Dr. WengWolfgramm WurbsBerliner Abgeordneter HoppefraktionslosVoigt
NeinCDU/CSU SpilkerSPDAmlingAntretter Bachmaier BahrBambergBecker BernrathBerschkeit BindigFrau BlunckBrandtBrosiBrückBuckpesch Büchler
Büchner Buschfort CatenhusenColletFrau Dr. CzempielFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubershäuserDelorme Dreßler DuveDr. Ehmke
Dr. EhrenbergDr. EmmerlichDr. Enders EstersEwenFiebigFischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover)Frau Fuchs
Frau Fuchs
GanselGerstl
Glombig Gobrecht GrunenbergDr. Haack HaarHaase
HaehserFrau Dr. HartensteinDr. HauchlerHauckDr. Hauff HeistermannHerterich Hettling HeyennHiller Hoffmann (Saarbrücken) Dr. HoltzHornFrau HuberIbrüggerImmer Jahn (Marburg)JansenJaunich Dr. JensJung Junghans Jungmann KastningKiehmKirschner Kisslinger Klein
Dr. KlejdzinskiKloseKolbowKretkowski Dr. Kübler Kühbacher KuhlweinLennartzLeonhartLohmann
LutzFrau Matthäus-Maier MatthöferMeininghaus MenzelMüller
Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNehmNeumann
Dr. NöbelFrau Odendahl Oostergetelo PaternaPauliDr. Penner Peter PfuhlPolkehnPoßPurpsRapp
Rappe ReimannFrau Renger ReschkeReuterRohde
RothSanderSchäfer
SchanzDr. ScheerSchlagaSchlatterSchluckebier Frau Schmedt
Dr. Schmidt
Frau Schmidt Schmitt (Wiesbaden)Dr. Schmude Dr. Schöfberger SchreinerSchröder Schröer (Mülheim)Schulte
Dr. Schwenk
SielaffSielerFrau SimonisFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellDr. Sperling Dr. SpöriDr. StegerSteinerFrau SteinhauerStieglerStockleben Dr. StruckFrau Terborg TietjenFrau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe UrbaniakVahlbergVerheugen VogelsangVosenWaltemathe Walther WeinhoferWeisskirchen
Dr. Wernitz WestphalFrau Weyel
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4312 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Vizepräsident Frau Renger Wiefelvon der WiescheWimmer
Dr. de WithWolfram
Zander Zeitler Frau ZuttBerliner AbgeordneteDr. Diederich EgertHeimannLöffler Frau LuukDr. MitzscherlingStobbeWartenberg
FDP*Eimer GrünbeckDIE GRÜNENFrau Dr. BardFrau Beck-OberdorfBurgmannDr. Ehmke Fischer (Frankfurt) Frau GottwaldFrau Dr. Hickel HoracekHossDr. JannsenKleinert Frau NickelsFrau Potthast ReentsFrau ReetzSauermilchSchilySchwenninger StratmannVerheyen
Berliner Abgeordneter Schneider
EnthaltenDIE GRÜNENVogt
Das Gesetz ist in dritter Lesung mit der erforderlichen Mehrheit angenommen.Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung des von den Abgeordneten Frau Fuchs , Buschfort, Egert, Glombig, Lutz, Dreßler, Heyenn, Kirschner, Peter (Kassel), Reimann, Schreiner, Frau Steinhauer, Urbaniak, Weinhofer, von der Wiesche und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Arbeitszeitgesetzes (ArbZG)— Drucksache 10/121 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 10/1177 —Berichterstatter: Abgeordneter Lutz
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat die Vereinbarung getroffen, daß für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen sind. Ist das Haus damit einverstanden? — Es erhebt sich keine Gegenstimme; dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Lutz.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den abzulehnen Sie heute offenbar wild entschlossen sind, war einer der ersten der 10. Legislaturperiode. Er war nach unserer Einschätzung auch einer der wichtigsten. Denn er würde sich als wirksame Waffe zum Abbau von Arbeitslosigkeit erweisen, hätte er nur dieChance, Ihr dogmatisch verkleistertes, steriles Nein zu durchbrechen.
Wir haben bis zuletzt versucht, Ihnen die Zustimmung zu erleichtern. Wir haben Positionen beibehalten, die wir in den 70er Jahren mit unserem damaligen Koalitionspartner FDP ausgehandelt hatten, und wir haben nicht „draufgesattelt", obwohl wir uns in einer ganzen Reihe von Fragen noch fortschrittlichere Regelungen hätten vorstellen können. Es kam uns nicht darauf an, einen propagandistischen Vorwurf zu liefern. Es ging uns um die Sache. Um so enttäuschter müssen wir registrieren, daß Sie unser faires Angebot zur Zusammenarbeit nicht aufgegriffen haben, sondern trotzig und unbelehrbar in Ihrer reaktionären Wagenburg verharren.
Es wird Sie zwar kaum umstimmen, aber ich möchte Ihnen dennoch vor Augen halten, was Sie heute ablehnen werden.Sie werden ein Nein sagen zur gesetzlichen Festlegung der 40-Stunden-Woche und damit ein weiteres Mal die Tatsache ignorieren, daß für 98 % der tariflich gebundenen Arbeitnehmer dies bereits Wirklichkeit ist. Sie verdrängen damit das Bewußtsein einer selbstverständlichen Pflicht des Gesetzgebers, nämlich die Tarifwirklichkeit auch für die sozial Schwächsten per Gesetz nachzuvollziehen. Ab 90 % wäre die Schwelle gegeben, da müßte man es machen; bei 98 % verweigern Sie sich.Sie sagen ein weiteres Mal nein zu einem Gesetz, das das Überstundenunwesen auf flexible, aber wirksame Weise zurückgeschnitten hätte. Damit verewigen Sie den unerträglichen Zustand, daß für eine wachsende Zahl von Menschen die Arbeitszeit auf null reduziert wird, weil man sie nämlich in die Arbeitslosigkeit jagt, und eine schrumpfende Zahl von Menschen, häufig sogar gegen ihren Willen, zur Mehrarbeit genötigt wird.Und Sie werden nein sagen zu unserem Vorschlag, die Beschwernisse, die aus regelmäßiger Nachtarbeit erwachsen, durch eine bezahlte Freischicht pro Quartal auszugleichen. Sie leisten damit jener bedrohlichen Tendenz Vorschub, die sich in immer häufigeren Verschleißprozessen und in immer mehr Frühverrentungsvorgängen niederschlägt.
Ich wäre ja schon zufrieden, wenn Sie ob Ihres Neins wenigstens ein schlechtes Gewissen hätten. Aber Ihre Herzlosigkeit ist eine grenzenlose.
Sie sagen nein zu dem Versuch, einen ersten Rechtsrahmen für gleitende Arbeitszeiten zu schaffen, und vereiteln damit Sicherheitsvorkehrungen gegen Arbeitszeitvereinbarungen, die etwa auf eine 40-Stunden-Woche in vier Arbeitstagen hinauslau-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4313
Lutzfen und wovor alle Arbeitsmediziner nur dringend warnen können.Schließlich sagen Sie nein zu der von uns beabsichtigten Vereinheitlichung der Ruhepausenregelung für Männer und Frauen und bemühen sich noch nicht einmal um eine Begründung für ein solches anachronistisches Verhalten.Nicht zuletzt sagen Sie auch nein zu dem Versuch, ein NS-Gesetz aus dem Jahre 1938 mitsamt seinem unappetitlichen Vokabular durch eine moderne demokratische Regelung abzulösen.
Dieses vielfache Nein wird an Ihnen klebenbleiben wie Pech. Sie werden gar nicht genug Puste haben, Ihre permanente Verweigerung vor dem Bürger zu rechtfertigen.
Versuchen werden Sie es trotzdem, und zwar mit einem Wechselbalg, den Sie Arbeitszeitschutzgesetz nennen wollen und der offenbar im Augenblick zwischen den verschiedenen Häusern herumgereicht wird. Ich beziehe mich auf Ihren Erkenntnisstand vom 21. Februar und kann dazu nur sagen: Klassenziel verfehlt, Wirklichkeit verschlafen, Sozialstaatsgebot mißachtet.
Man faßt es kaum, aber man liest es dennoch: Sie wollen allen Ernstes die 48-Stunden-Woche, zu leisten an 6 Werktagen, gesetzlich absichern.
Damit haben Sie einen Saldo zurück ins Jahr 1918 geschlagen. Denn just das ist damals Gesetz geworden.
Man faßt es kaum,
aber Sie entdecken in diesem Wechselbalg Ihre Sympathie für tarifvertragliche Lösungen immer nur dann, wenn sie auf ein Unterlaufen der gesetzlichen Minimalstandards hinauslaufen.
Ihr Arbeitszeitschutzgesetz ist auf die Kurzformel zu bringen: Die tägliche Arbeitszeit beträgt acht Stunden, falls sie nicht neun Stunden oder zehn oder in Ausnahmefällen zwölf Stunden beträgt.
So kann man ein Gesetz natürlich auch machen. Das kann man. Ob man es sollte, ist die andere Frage. Das Gesetz gilt, falls es nicht durch Tarifvertrag — so schreiben Sie in diesem Wechselbalg weiter — oder durch behördliche Anordnung außer Kraft gesetzt wird. Das setzt nun wirklich der Flexibilität die Krone auf. Ich kann Sie dazu nicht beglückwünschen.Diese Vorschau auf ein höchst merkwürdiges Gesetzesvorhaben war deshalb notwendig, weil Sieheute damit offensichtlich Ihre Ablehnung motivieren wollen. Ich weiß nicht, wie lange der Entwurf in Ihren Kreisen noch zirkulieren wird. Ich weiß nicht, welche Änderungen noch angebracht werden. Aber ich weiß, daß es nicht einmal diesen Entwurf geben würde, wenn wir Sie nicht mit unserem Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes in Zugzwang gebracht hätten. Nur: Hätten Sie bei uns abgeschrieben, Sie stünden heute besser da als mit Ihrer nostalgischen Rückerinnerung an den Anfang unseres Jahrhunderts.
Unwillkürlich muß man sich natürlich fragen, warum Sie so eine panische Angst davor haben, die 40-Stunden-Woche per Gesetz festzuschreiben.
Die Antwort ist höchst einfach. Sie verstehen sehr gut, daß eine gesetzliche Festlegung auf die 40-StundenWoche von den Gewerkschaften als Ermunterung verstanden würde, weitere Arbeitszeitverkürzungsschritte zu gehen. Da haben Sie sogar recht. Genau das liegt in der Intention unseres Gesetzentwurfs begründet.
Wie schon vorher beim Vorruhestandsgesetz, dessen Erstgeburtsrecht Sie uns wohl kaum bestreiten können und wo Sie eine sehr miserable zweite Fassung heute angenommen haben, fahren wir eine Strategie, die darauf abzielt, die Tarifvertragsparteien zu Arbeitszeitverkürzungsschritten auf den verschiedensten Ebenen und orientiert an den jeweils günstigsten beschäftigungspolitischen Wirkungen zu ermuntern, weil — man kann es nicht oft genug wiederholen — sonst die mieseste und inhumanste Form von Arbeitszeitverkürzungspolitik stattfindet, die man sich vorstellen kann, nämlich: Man läßt eine schrumpfende Zahl von Menschen 40 Stunden und mehr in der Woche arbeiten und schickt eine wachsende Zahl von Menschen in die Arbeitslosigkeit.
Zurück zu unserem Arbeitszeitgesetz. Es ist mir immer wieder ein Bedürfnis, Ihnen die Vorgeschichte dieses Entwurfs in Erinnerung zu rufen. Den haben wir nämlich Absatz für Absatz, Paragraph für Paragraph mit den Herren Schmidt , Hölscher und Cronenberg ausgehandelt. Zwei der Herren gehören diesem Hause bedauerlicherweise nicht mehr an. Der dritte leidet in Sachen Arbeitszeitgesetz derzeit offensichtlich unter Gedächtnistrübungen.
Es ist ihm nicht mehr erinnerlich, daß der Entwurf praktisch schon unterschriftsreif war, bis ein gewisser Graf kam, die Notbremse zog und die drei Herren zu unserer Überraschung erklären mußten, man hätte ihnen das Verhandlungsmandat entzogen, und somit gelte alles nicht mehr, was sie vorher mit uns vereinbart hatten.
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4314 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
LutzDie Zeit heilt Wunden. Dennoch meine ich, es wäre ein untauglicher Versuch, die Geschichte nun nachträglich umschreiben zu wollen. Ich erinnere mich noch sehr lebhaft an die belämmerten Gesichter der drei Herren damals. Ich hatte damals — bei allem Ärger — Mitleid mit unseren Partnern, denn an deren Fairneß hatte ich ja nicht gezweifelt.Leider ist es in der Politik so, daß es nicht darauf ankommt, recht zu haben, sondern daß es darauf ankommt, die richtige Erkenntnis auch in Recht umsetzen zu können. Da schaut es nun in der Tat für unseren Entwurf trübe aus. Sie haben seit dem 6. März 1983 eine komfortable Mehrheit, um jeder vernünftigen Arbeitszeitpolitik den Garaus zu machen. Diese Mehrheit nutzen Sie auch aus. Uns bleibt eigentlich nur die wenig dankbare Aufgabe, diese Politik anzuprangern und ihre bedenklichen Folgen öffentlich zu beklagen. Der Zynismus, mit dem Sie Ihre Mehrheit ausnutzen, verdient fast schon Bewunderung. Sie haben im ganzen Beratungsvorgang auch nicht den leisesten Versuch unternommen,
mit eigenen Vorschlägen, mit Änderungsanträgen oder auch nur mit Beiträgen zur Debatte zu einer einvernehmlichen Lösung des Problems beizutragen.
Sie haben, genau genommen, nur immer wieder Ihre Reihen durchgezählt und befriedigt festgestellt: Die Mehrheit ist gegeben; niemand kann uns mehr zum Nachdenken zwingen. — So kann man auch Politik machen. Aber ist es denn wirklich so falsch, sich dem Nachdenken nicht zu verweigern? Geht es denn an, sich einer Politik gegen ein Anwachsen der Arbeitslosigkeit zu verweigern?Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen — ich hatte mir vorgenommen, Ihnen noch eine Menge ins Stammbuch zu schreiben; ich will es nicht tun —: Ihr Daumen, der heute nach unten zielt, signalisiert den Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt, den Arbeitslosen weitere Hoffnungslosigkeit und die Verewigung der derzeitigen Entsolidarisierungswelle. Da kann ein Rechtskoalitionär wie Sie kühl rechnen. Sie können kühl feststellen, daß die Zahl derjenigen, die als Arbeitsplatzbesitzer apostrophiert werden — obwohl diese den Arbeitsplatz j a nicht besitzen, sondern nur auf ihm sitzen —, größer ist als die Zahl derjenigen, die in Arbeitslosigkeit stehen — samt deren Familienangehörigen. Es kann auch ein Grüner, wie wir heute erleben werden, unser Gesetz aus lauter Schusseligkeit ablehnen wollen, weil er sich ein noch viel schöneres Gesetz vorstellen möchte und könnte.
— Wir könnten das auch tun. Wir wollen überhaupt ein Gesetz — darum geht es —, das in die Richtung geht, wie ich sie angedeutet habe.
Was Sie auch immer tun: Für die Arbeitslosen hatIhre heutige Verweigerung die gleiche verhängnisvolle Wirkung: Es geschieht nichts. Dagegen stemmen wir uns. Wir sind gegen die Herzlosen und gegen die Rechthaber. Wir sind für praktizierte Solidarität.
Sie könnten sie heute beweisen. Schlimm genug, daß Sie es nicht tun.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hartmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum drittenmal befaßt sich dieses Haus mit dem Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes der SPD, wenn wir die erste Beratung des Entwurfs in der 9. Periode mitzählen. Aller guten Dinge sind zwar in der Regel drei, aber das gilt leider nicht für diesen Gesetzentwurf.Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, Sie haben darauf bestanden, die Beratungen Ihres Arbeitszeitgesetzes zeitgleich mit denen über Ihren Entwurf eines Vorruhestandsgesetzes vorzunehmen, weil damit angeblich der inhaltliche Zusammenhang gewahrt werde. Wir sind während der Ausschußberatungen statt dessen dafür eingetreten, und zwar CDU/CSU und FDP,
die weitere Beratung des Gesetzentwurfs so lange zurückzustellen, bis die seitens der Bundesregierung angekündigten eigenen Gesetzentwürfe, und zwar der Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Beschäftigung und der Entwurf eines Arbeitszeitschutzgesetzes, zur Beratung anstünden. Diese beiden Entwürfe befassen sich inhaltlich mit den Materien, die Gegenstand des vorliegenden Entwurfes sind.
Gestatten Sie mir zu dieser Vorgehensweise eine Anmerkung. Sie verlassen mit Ihrer unnachgiebigen Haltung zum Verfahren die langjährige parlamentarische Übung, sachlich zusammenhängende Gesetzentwürfe auch sachlich zusammenhängend zu beraten.
Sie müssen halt auch die Opposition erst wieder lernen. Aber ich prophezeie Ihnen: Sie werden dazu lange Zeit haben, und Sie werden auch lange Zeit haben, sie zu praktizieren.
Ihr Bestehen auf einer zeitgleichen Beratung mit dem Vorruhestandsgesetz Ihrer Fraktion zeigt aber auch deutlich den falschen sachlichen Ansatzpunkt Ihres Gesetzentwurfs. Er soll eben nicht dem Arbeitsschutz dienen, sondern Sie verstehen ihn als ein beschäftigungspolitisches Instrument. Herr Kollege Lutz hat dies sehr deutlich gesagt.
Mir wäre es lieber gewesen, meine Damen und Herren, wir hätten Übereinstimmung erzielt, die geltende Arbeitszeitordnung aus dem Jahre 1938,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4315
Hartmanndie dringend überarbeitungsbedürftig und in vielen Punkten nicht mehr zeitgerecht ist, durch vernünftige Neuregelungen zu ersetzen.
Sie versuchen uns doch sogar unterzujubeln, Herr Lutz — wenn ich Sie richtig verstanden habe —, wir wollten an einem unappetitlichen Nazigesetz festhalten,
eine Ihrer üblichen Insinuierungen, die ins Leere gehen.
Ich gebe mich keinen Illusionen hin: Nicht um eine wichtige sachliche Übereinstimmung geht es heute hier, sondern Sie wollen uns in eine arbeitnehmerfeindliche Ecke drängen, Herr Kollege Lutz.
Das wird Ihnen heute so wenig gelingen wie mit Ihren bösartigen Presseerklärungen nach dem Sachverständigenhearing und dem Abschluß der Ausschußberatungen.
Sie unterstellen uns Herzlosigkeit,
ausgerechnet Sie, der Sie an Zynismus nicht zu übertreffen sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dreßler?
Ich habe eine kurze Redezeit zugemessen bekommen; die möchte ich ausnutzen.
Keine Zwischenfrage. Danke schön.
Ich erwarte auch keine konstruktiven Beiträge.
Sie unterstellen uns permanente Verweigerung und anderes Teufelszeug.
Und damit soll der Eindruck erzeugt werden, die SPD sei in Besitz wirkungsvollen Instrumentariums zum Abbau der Arbeitslosigkeit, während sich die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien am Schicksal der Arbeitslosen erfreuten.
Meine Damen und Herren, das ist die Methode „Haltet den Dieb", mit der Sie Ihr 13jähriges Versagen in Sachen Arbeitsplatzerhaltung zudecken wollen.
Was der Sachverständigenrat zu denjenigen meint, die sich im Besitz allgemeingültiger Wahrheiten wähnen, möchte ich Ihnen gerne zitieren:Ub man mit Arbeitszeitverkürzungen die angestrebten Ziele erreicht, hängt auch davon ab, ob sich innerhalb der neuen Regelungen die Wünsche der einzelnen Bürger verwirklichen lassen. Diese Wünsche sind weder Politikern noch Tarifparteien noch Ökonomen hinreichend bekannt. Aus diesem Grund sollten Regelungen für die Arbeitszeiten nicht starr sein, sondern möglichst viel Freiraum für individuelle Vereinbarungen lassen.Und der Sachverständigenrat fährt an einer anderen Stelle fort:Besser, als an die Stelle alter Starrheiten neue zu setzen, wäre es, Regelungen zu schaffen, die den individuellen Unterschieden in den Bedürfnissen von Arbeitnehmern wie auch den Erfordernissen von Unternehmen Rechnung tragen. So sollte von der Möglichkeit der Teilung von Arbeitsplätzen, der Teilzeitarbeit sowie des Schichtbetriebs bei individuell verkürzter Arbeitszeit vermehrt Gebrauch gemacht werden.Damit bin ich bei der inhaltlichen Bewertung Ihres Entwurfs. Ihr Entwurf sieht die 40-Stunden-Woche unter Einbeziehung von Sonn- und Feiertagsarbeit vor, wovon Sie in einer Kombination mit einer restriktiven Überstundenregelung zusätzlich entlastende Effekte für den Arbeitsmarkt erwarten. Sie haben dabei immer Durchschnittswerte im Kopf.
Es läßt sich nicht leugnen, daß wir eine durchschnittliche Überstundenzahl pro Arbeitnehmer und Woche von 1,5 Stunden haben. Aber wir können doch durch Gesetz nicht einfach eine Kappungsgrenze einführen. Wissen Sie eigentlich, wie unterschiedlich Mehrarbeit anfällt und was ihre Gründe sind?
Ich will Ihnen dafür einige aufzählen. Lieber Kollege, haben Sie schon mal eine Schaufel in der Hand gehabt? Ich habe mir mein Studium zweieinhalb Jahre lang als Arbeiter verdient. Das können Sie wahrscheinlich nicht von sich behaupten.
— Ach, wissen Sie, ich habe Ihr Geplärre aus der ersten Lesung noch im Ohr, und ich will mir heute wie damals versagen, im einzelnen darauf einzugehen; dafür ist mir meine Redezeit viel zu schade.
Ich will Ihnen die Gründe für Mehrarbeit nennen. Das sind zum einen nicht zu umgehende kurze Lieferzeiten oder unaufschiebbare Reparaturarbeiten. Oft kommt der Druck hoher Konventionalstrafen hinzu. Da sind saison- und wetterabhängige Arbeiten. Da sind technologische Gründe, die es erfordern, daß nur ganz bestimmte qualifizierte Arbeitnehmer die Arbeit ausführen. Die können nicht einfach durch die nächste Schicht ersetzt werden. Da
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4316 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Hartmanngibt es die bekannten Personalengpässe durch urlaubs- und krankheitsbedingte Abwesenheit.Diese vielfältigen Lebenssachverhalte kann man doch nicht einfach kodifizieren. Auch Verbote mit Erlaubnisvorbehalten sind hier untauglich. Glauben Sie denn, Sie bekommen an einem Freitag spätnachmittags um 14.30 Uhr von der Gewerbeaufsicht noch einen Ausnahmebescheid nach Ihrem Gesetz?
— Ja, die sind schon längst nicht mehr da, wenn es die 35-Stunden-Woche geben sollte — was nicht der Fall sein wird.Hier geht Ihr Gesetzentwurf an der Lebenswirklichkeit vorbei. Und ich sage Ihnen: Je stärker die Reglementierung, desto größer der beschäftigungshemmende Effekt. Ihr Entwurf schränkt in äußerst bedenklicher Weise die gerade jetzt notwendige Flexibilität von Betrieben und Arbeitnehmern ein.
Mit der Schaufel wollen Sie den Aufschwung erschlagen.
Eine neue Regelung des Arbeitsschutzes muß sich am notwendigen Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer orientieren.
Es ist meines Erachtens ganz und gar nicht verwunderlich, daß der SPD-Entwurf mit seinen zwei Hauptzielrichtungen nicht gelingen konnte. Wenn man es sich zum Ziel setzt, Arbeitszeitregelungen und Arbeitszeitreglementierungen vorrangig zu einem Instrument der Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsumverteilung zu machen, so kann das gar nicht gelingen.Ich erinnere mich an eine Aussage von Olof Palme vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats im September des vergangenen Jahres, wo er ausdrücklich gesagt hat, daß Änderungen an der Arbeitszeit als Arbeitsmarktinstrument nicht taugen.
Ich empfehle Ihnen, sich das Zitat mal heraussuchen zu lassen.Besonders angreifbar sind Ihre Erwartungen hinsichtlich der Entlastungswirkungen Ihres Entwurfs. Die falschen Hoffnungen, die Sie damit in der Bevölkerung wecken, könnnen Sie auch nicht mit der Formel „rein rechnerisch" relativieren. Wenn Sie behaupten — „rein rechnerisch" natürlich —, Ihre Regelungen würden zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten für rund 150 000 Arbeitnehmer bedeuten und hinzu kämen möglicherweise 230 000zusätzliche Arbeitsplätze, so ist das unverantwortlich. Das ist abenteuerlich, was Sie hier betreiben.
97,7 % aller Betriebe haben weniger als 50 Arbeitnehmer. In diesen Betrieben sind über ein Drittel aller Arbeitnehmer in unserem Land beschäftigt. Weit mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmer sind in Betrieben mit bis zu 200 Arbeitnehmern beschäftigt. Hier können entstehende Lücken durch Arbeitszeitverkürzungen oder rigorose Überstundenbeschränkung nicht einfach mit Neueinstellungen aufgefüllt werden. Das Ergebnis würden höhere Anforderungen an die Arbeitnehmer oder weitere Rationalisierungsmaßnahmen sein, die Sie doch so sehr anprangern. Das aber führt entweder zu dem von Ihnen beklagten höheren Leistungsdruck oder eben zu negativen Beschäftigungswirkungen. Auch wenn das Arbeitsvolumen tatsächlich zurückgeht, ist das alles andere als beschäftigungswirksam.Interessant war in diesem Zusammenhang auch die Stellungnahme der Bundesanstalt für Arbeit bei der öffentlichen Sachverständigenanhörung zu Ihrem Gesetzentwurf. Nach der Bundesanstalt für Arbeit würde die durch die Reduzierung der regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 48 auf 40 Stunden bewirkte Verringerung des Arbeitsvolumens kaum ins Gewicht fallen, da heute nur noch etwa 11)/0 der Arbeitnehmer, tarifvertraglich bedingt, mehr als 40 Stunden pro Woche leistet und da diese Ausnahmetarifverträge fast ausschließlich 41 Stunden vorsehen.Viele Bestimmungen Ihres Gesetzentwurfs, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, zur Einschränkung des regulären Arbeitsvolumens würden aber — lassen Sie mich das in aller Deutlichkeit sagen — zu einer Ausweitung von Schwarzarbeit und zu einer Ausweitung illegaler Beschäftigung führen. Wie wollen Sie denn damit Arbeitslosigkeit bekämpfen.
Die Koalitionsparteien werden sich schon in naher Zukunft mit einem ganzen Maßnahmebündel zur Verbesserung der Beschäftigungschancen befassen. Dabei gehen wir davon aus, daß Überstunden zur Erhaltung der notwendigen Flexibilität der Betriebe nicht generell zu vermeiden sind. Ob und wie wir sinnvollerweise — unter Berücksichtigung der betrieblichen Belange — zu vernünftigen Eingrenzungen von verzichtbaren Überstunden gelangen, soll den Beratungen dieses dann so zu nennenden Beschäftigungsförderungsgesetzes vorbehalten bleiben. Allerdings — und das ist der wesentliche Unterschied zu Ihrer Vorgehensweise — werden wir die Thematik dort beraten, wo sie hingehört, nämlich in einem abgestimmten Paket, um zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten zu eröffnen, und nicht in einem Arbeitsschutzgesetz.Die Bundesregierung hat auch den Entwurf eines Arbeitszeitschutzgesetzes angekündigt, mit dem
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Hartmannwir uns ebenfalls bald näher auseinandersetzen werden.
— Ich nicht mehr, da haben Sie völlig recht.
— Ach, wissen Sie, das, was Sie hier sagen, geht bei mir da hinein und da hinaus,
weil ich in bezug auf Ihre Anwürfe und Polemiken auf Durchzug gestellt habe. Das schont meine Nerven, das ist Seelenhygiene, und die braucht man, wenn man mit Ihnen umgeht. Wenn Sie darauf anspielen, daß ich dieses Hohe Haus bald verlassen werde, um eine andere Position anzutreten: Einen Vorteil hat das auf alle Fälle, nämlich daß ich mich z. B. nicht mehr mit Kollegen, wie Sie einer sind, Herr Lutz, auseinandersetzen muß. —
Also: Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Arbeitszeitschutzgesetzes angekündigt, und damit werden wir die überholte Arbeitszeitordnung aus dem Jahre 1938 ersetzen. Dieser Gesetzentwurf wird sich aber auf den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer konzentrieren und nicht Anliegen miteinander vermengen, die sachlich nicht in ein Arbeitszeitschutzgesetz gehören. Mit unserem Entwurf wird dann vor allem das Ziel verfolgt, den Tarifvertragsparteien bei der Festlegung der zulässigen Höchstarbeitszeit im Interesse eines praxisnahen Arbeitsschutzes mehr Befugnisse und mehr Verantwortung zu übertragen. Die Tarifautonomie — um ein aktuelles Stichwort hier aufzugreifen — ist für uns nämlich mehr als ein Lohnaushandlungsinstrument. So haben wir es bei unserem Vorruhestandsgesetz gehalten, und so werden wir es auch beim Arbeitszeitschutz halten.Im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, trauen wir den Tarifvertragsparteien nämlich mehr Verantwortungsbewußtsein zu. Wir lassen den Tarifpartnern den Freiraum, den sie brauchen. Alles gesetzlich vorzugeben, wie Sie das in Ihren Gesetzentwürfen tun, engt die Tarifautonomie unnötig ein. Den Tarifvertragsparteien sollte unseres Erachtens auch im Arbeitszeitschutz ein weiter Rahmen geboten werden, der von ihnen dann je nach den unterschiedlichen Bedürfnissen in den einzelnen Branchen ausgefüllt werden kann. Ein Arbeitszeitschutzgesetz soll in der Arbeitszeit weder eine Grenzlinie nach unten ziehen, noch sollen aus Arbeitsschutzgründen unbedenkliche Überstunden verhindert werden. Unsere hochentwikkelte und vielfältig strukturierte Industriegesellschaft, meine sehr verehrten Damen und Herren, braucht auch im Arbeitszeitrecht ein Rahmengesetz, das den Anforderungen der Praxis gerecht wird. Die Gängelbandmethode ist längst antiquiert.
Auch aus diesem Grund, meine Damen und Herren von der SPD, ist Ihr Gesetzentwurf für uns nicht zustimmungsfähig.
Daß in Ihrem Entwurf auch durchaus erwägenswerte Bestimmungen enthalten sind,
sehen wir ja. Nur kann man wegen dieser paar Brotkrümel nicht das ganze Gesetz schlucken, das Sie hier eingebracht haben. Soweit auch erwägenswerte Bestimmungen enthalten sind, werden wir bei der Beratung unseres Pakets Gelegenheit haben, nochmals in die Sachdiskussion einzutreten. Dieses Gesetz aber werden wir ablehnen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bitte haben Sie Verständnis dafür, daß ich in einem kurzen Satz eine Bitte ausspreche, die mich sehr bewegt. Bitte kümmern Sie sich als Abgeordnete, gleich, welcher Fraktion Sie angehören, um die Menschenrechtsverletzungen, die durch Schlagen und Foltern in den Militärgefängnissen unseres NATO-Verbündeten Türkei geschehen.
Herr Abgeordneter, so sehr ich das unterstütze, was Sie eben gesagt haben: Es gehört jetzt nicht zur Tagesordnung. Ich muß es der Geschäftsordnung halber hier anmerken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte um Entschuldigung. Mir ist das bekannt, aber ich mußte es einfach sagen.Der anstehende Gesetzentwurf zur Ablösung der Arbeitszeitordnung, eines Gesetzes, das zu Zeiten der Deutschen Arbeitsfront 1938 geschaffen wurde, findet in der Intention die Zustimmung der Fraktion DIE GRÜNEN. Wir wundern uns allerdings, daß die sozialdemokratische Fraktion diesen Gesetzentwurf erst jetzt eingebracht hat. Es wäre sicher schon zu ihrer Regierungszeit möglich gewesen, eine Änderung dieses Gesetzes zu betreiben.
Unsere Vorstellungen, die wir mit der Änderung der Arbeitszeitordnung, die längst überfällig ist, verwirklichen wollen, bestehen in der Beachtung zweier Punkte. Erstens sollen die vorhandenen Belastungen, die im Laufe der Technologieentwicklung in der Arbeitswelt entstanden sind, durch die neue Arbeitszeitordnung abgebaut werden. Wir wissen, daß nur der geringste Teil der Arbeitnehmer,
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HossMänner wie Frauen, das Alter von 63 Jahren im Arbeitsleben erreichen. Die meisten scheiden schon vorher aus. Zweitens muß die Änderung der Arbeitszeitordnung angesichts von 2,5 Millionen Arbeitslosen arbeitsmarktpolitische Wirkungen haben.Der SPD-Entwurf hätte wegen einer Reihe von Punkten, die wir unterstützen — vor allem die Herabsetzung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 48 auf 40 Stunden —, unsere Unterstützung gefunden, wenn er nicht einige wesentliche Punkte enthielte, denen wir nicht beitreten können. Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf insgesamt ab und sind dabei, einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen, von dem ich hoffe, daß in diesem Hause eine entsprechende Zusammenarbeit möglich ist.Welches sind die wesentlichen Punkte unserer Kritik? Als erstes ist das Problem der Flexibilisierung zu nennen, die sowohl in dem vorgelegten Gesetzentwurf der SPD als auch in den Papieren, die aus dem Hause Blüm und von der CDU/CSU/FDPFraktion kommen, enthalten ist. Hier tritt die Flexibilisierung als Instrument der Rationalisierung auf. Sie führt eine stärkere Auslastung von Kapazitäten sowie eine stärkere Anpassung des Menschen an die vorhandene Technologieentwicklung und an die Maschinerie herbei.Der SPD-Entwurf enthält in diesem Bereich leider nur Vorstellungen, die von betrieblichen und unternehmerischen Bedürfnissen ausgehen, wie das noch stärker bei den Vorschlägen aus der CDU/ CSU-Fraktion und aus dem Hause Blüm zu erkennen ist. Man geht weniger auf die individuellen Bedürfnisse des Arbeitnehmers ein und schafft auch keinen Freiraum für die Interessen der Arbeitnehmer. Das gilt besonders, wie man sehen kann, für die §§ 8 und 18. Während von der 40-Stunden-Woche die Rede ist, wird in diesen Paragraphen die Möglichkeit eröffnet, durch die Zusammenlegung von Stunden regelmäßiger Arbeitszeit innerhalb von acht Wochen bespielsweise in vier Wochen 48 Stunden zu arbeiten und in den weiteren vier Wochen 32 Stunden. Dabei ist nicht klar, ob bei der Regelung dieser Arbeitszeit in jedem Fall der Betriebsrat eingeschaltet ist.Aber es kommt noch schlimmer: In § 8 Abs. 4, wo es um die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit geht, ist festgelegt, daß sie grenzenlos verlängert werden kann, wenn diese mehr gearbeitete Zeit in anderen Jahreszeiten durch kürzeres Arbeiten ausgeglichen wird. Das sind Vorschläge, wie sie bei VW schon diskutiert und auch praktiziert werden: Bei einem Boom, wenn also ein großer Produktionsanfall gegeben ist — meinetwegen im Frühjahr —, können die Arbeitnehmer verpflichtet werden, 60 Stunden die Woche zu arbeiten, während man dann im Herbst eben nur 20 Stunden in der Woche arbeitet. Das bedeutet im Endeffekt eine Rationalisierung der Arbeitsorganisation. Man hat die Arbeitskräfte immer dann zur Verfügung, wenn Hochbetrieb ist. Die Arbeit wird intensiviert, und die Vernutzung der Arbeitskraft findet in größerem Maße statt.Das führt zu einer noch stärkeren Unterordnung des Menschen unter die Bedingungen der Produktion, was wir ablehnen, weil es zugleich auch arbeitsmarktpolitisch zu einer Einsparung von Arbeitsplätzen führt. Diese Maßnahmen haben also nicht zum Ziel, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen; denn die im Betrieb vorhandenen Arbeitnehmer werden stärker ausgenützt, und damit werden Arbeitsstunden eingespart.
Ebenso verhält es sich mit den Überstunden. Das ist der zweite wichtige Kritikpunkt, den wir vorbringen. Wir wissen, daß im Jahre 1982 in der Bundesrepublik 2 Milliarden Überstunden geleistet worden sind. Das sind umgerechnet bei einem 8-Stunden-Tag in einem Jahr zirka 1 Million Arbeitsplätze. Man sollte annehmen, daß die neue Arbeitszeitordnung, von der SPD vorgeschlagen, die Überstundenfrage in einer Weise abhandelt, daß sie zu einer Reduzierung der Überstunden führt. Das aber ist nicht der Fall; denn in dem Gesetzentwurf wird z. B. von einer Zusammenlegung von Überstunden gesprochen. Nach dem Entwurf sind zwar im Höchstmaß vier Stunden pro Woche zugelassen, aber durch die Zusammenlegung von Überstunden kann man zu Arbeitszeiten kommen, die so aussehen, daß man in zwei Wochen 48 Stunden und in den anderen zwei Wochen dann die normale Zeit von 40 Stunden arbeitet.Noch erheblich problematischer ist, daß eine Aufsichtsbehörde, wie in § 18 Abs. 2 festgelegt, unter Umgehung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates auf Antrag des Arbeitgebers darüber bestimmen kann, ob sogar in einem Zeitraum von sechs Monaten die Arbeitszeit zusammengelegt werden kann. Das heißt, die Aufsichtsbehörde könnte auf Antrag des Arbeitgebers entscheiden, daß drei Monate lang jede Woche 48 Stunden gearbeitet wird und in den folgenden drei Monaten 40 Stunden. Nach § 18 Abs. 2 soll dazu nur eine Stellungnahme des Betriebsrates notwendig sein. Wo bleibt da § 87 des Betriebsverfassungsgesetzes? Hier sind also die Mitbestimmungsrechte ausgeschaltet.In einem von uns vorzulegenden Entwurf werden wir die Frage der Flexibilisierung und Mehrarbeit im Sinne der Arbeitnehmer und der individuellen Gestaltung von Arbeitszeit beantworten. Mehrarbeit muß in einem Gesetzentwurf definiert sein, etwa so, daß Mehrarbeit auf Fälle unplanmäßiger, außergewöhnlicher Gelegenheiten zu beschränken ist. Man muß Routinemehrarbeiten in den Griff kriegen und verhindern, d. h. Mehrarbeit nur für Reparaturen, bei Produktionsausfällen oder zu Vor- und Abschlußarbeiten.Wenn die Mehrarbeit zu dauernder Arbeit ausartet, muß das Recht des Betriebsrates auf Neueinstellungen gesichert sein, damit an Stelle der gemachten Überstunden neue Arbeitsplätze geschaffen werden können.So wie zur Mehrarbeitsregelung haben wir auch Vorstellungen in bezug auf die Flexibilisierung. Wir meinen, so wie man die Mehrarbeit regelt, muß man auch die Möglichkeit von Minderarbeit, von
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Hossweniger Arbeit regeln. Es muß also die Möglichkeit geschaffen werden, daß man für Bildungs- und Studienzwecke Antrag auf unbezahlten oder bezahlten Urlaub — je nachdem, um was es sich handelt — einreichen kann, daß man individuelle Vorhaben wie Reisen, Eigenarbeit beim Hausbau durchführen kann, daß man Urlaub beantragen kann — in den ersten Wochen bezahlten, dann unbezahlten — für Kindererziehung, für die Pflege von erkrankten Kindern. Auch müßte es möglich sein, einen Antrag auf verkürzte Arbeitszeit zu stellen — ein 7-Stunden Arbeitstag oder 6-Stunden-Arbeitstag —, natürlich in einer geregelten Form.Nun komme niemand und sage, das sei nicht möglich. Es gibt ein Beispiel, bei dem das glänzend funktioniert. Wenn jemand als junger Mensch zum Bund mull, dann wird er für anderthalb Jahre beurlaubt mit Arbeitsplatzgarantie. Nach anderthalb Jahren kann er bei seiner Firma wieder anfangen. Ich denke, daß das die Richtung ist, in die wir gehen sollten und die dazu führt, daß zum einen arbeitsmarktpolitische Folgen eintreten und zum zweiten ein größerer Freiraum auch für die Arbeitnehmer individuell erreicht wird.Danke schön.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Adam-Schwaetzer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Lutz, ich kenne Dieter Julius Cronenberg lange genug, um genau zu wissen, daß er nicht an Gedächtnisschwund leidet.
Ich weiß außerdem durch eine ganze Reihe von Gesprächen sowohl mit ihm wie auch mit den ehemaligen Kollegen Schmidt und Hölscher, daß die Verhandlungen zwischen Sozialdemokraten und Freien Demokraten in den Jahren 1979 und 1980 eben nicht so ausgegangen sind, wie Sie das gerade dargestellt haben. Es ist zwar richtig, es hat belämmerte Gesichter gegeben, aber diese belämmerten Gesichter hat es gegeben, weil es bei dem eigentlichen Knackpunkt — das ist die Überstundenregelung — eben keine Einigung gegeben hat. Das ist natürlich genau der Grund, weshalb wir heute — wie damals — diesem Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt haben, nicht werden zustimmen können.
Sie haben gesagt, wir hätten offensichtlich panische Angst davor, die 40-Stunden-Woche gesetzlich festzuschreiben. Nein, lieber Herr Lutz, wir haben keine panische Angst davor. Aber wir kennen die betriebliche Realität, und wir wissen ganz genau, daß eine Arbeitszeitordnung die Flexibilität der Betriebe nicht so einschränken darf, daß kurzfristige
Aufträge nicht mehr durchgeführt werden können. Es ist die Sorge um Arbeitsplätze, die uns dazu bringt, diese Einschränkung von Überstunden nicht mitzumachen; ganz einfach deshalb, weil wir nicht damit einverstanden sein können, die Möglichkeiten der Betriebe in einer unzumutbaren Weise einzuschränken.
Außerdem wollen wir, daß der Rahmen der gesetzlichen Arbeitszeitregelung den Auftrag erfüllt, für den er gemacht gewesen ist: Gesundheitsschutz für die Arbeitnehmer, Humanisierung des Arbeitslebens. Das sind die zwei Ziele, die damit verfolgt werden müssen und die auch vom Gewerkschaftsbund immer wieder in der Diskussion um die Arbeitszeitordnung in den Vordergrund gerückt worden sind. Wir können nicht zustimmen, daß dieses Instrument jetzt zu einem Instrument der Arbeitsmarktpolitik gemacht wird.
Das ist einer der Gründe, die uns dazu bringen, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der SPD, lällt ein tiefes Mißtrauen gegenüber den Betriebsräten erkennen. Ich darf Ihnen — —
— Warum, so frage ich Sie, wollen Sie denn eigentlich die Möglichkeit von Unternehmern und Betriebsräten, Überstunden zu vereinbaren, einschränken, wenn nicht das Mißtrauen gegenüber der Fähigkeit der Betriebsräte, ihre Verantwortung wahrzunehmen, im Mittelpunkt Ihrer Überlegungen stünde'?
Ich darf Ihnen zur Untermauerung der Aussage, daß Unternehmer und Betriebsräte ihrer Verantwortung sehr wohl nachgekommen sind, einmal die Zahlen darstellen, wie sich Überstunden in den Jahren 1980 bis 1983 entwickelt haben: 1980: 2,38 Milliarden, 1981: 2,17 Milliarden, 1982: 1,92 Milliarden, 1983: 1,88 Milliarden. Das bedeutet einen Rückgang der abgeleisteten Überstunden in den letzten drei Jahren um jeweils einen ganz erklecklichen Betrag. Dies hängt sicherlich auch mit der konjunkturellen Entwicklung zusammen, aber es zeigt eben ganz deutlich, daß Unternehmen und Betriebsräte die von der Arbeitszeitordnung vorgesehene Flexibilität verantwortungsbewußt ausgelegt haben.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßler?
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Es tut mir schrecklich leid, ich habe so wenig Zeit, Herr Dreß1er. Ich möchte gerne weitermachen.
Es ist in der Tat notwendig, die Arbeitszeitordnung zu ändern, vor allen Dingen auch um uralte Zöpfe abzuschneiden, wie den, daß in bestimmten Berufen Ausbildung und Beschäftigung von Frauen auch heute noch verboten ist, wie in den Bauhauptberufen. Das muß weg, und das werden wir abschaffen.
Es ist auch zu begrüßen, daß in Ihrem Gesetzentwurf eine Vereinheitlichung von Pausenregelungen vorgesehen worden ist. Die Frage ist nur, auf welchem Niveau dies dann letztendlich stattzufinden hat.
Wir stimmen auch darin überein, daß Nachtarbeit auch und vor allen Dingen aus gesundheitlichen Gründen möglichst vermieden werden muß. Die derzeitige Nachtarbeitsregelung ist sowieso schon unzumutbar durchlöchert, u. a. auch dadurch, daß sie umgangen wird, indem Arbeiterinnen zu Angestellten gemacht werden und damit dann auch in der Nachtarbeit beschäftigt werden können. All das
sind Ansatzpunkte, über die man sich wird unterhalten müssen. In der Zukunft brauchen wir einen optimalen Arbeitsschutz, und den kann man nicht mit der Sense in einem Gesetzentwurf machen, sondern der muß nach den unterschiedlichen Bedürfnissen von Branchen und Betrieben möglich sein. Das werden wir mit einem anderen Gesetzentwurf, der hier im Plenum noch zu diskutieren sein wird, anstreben.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schreiner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will versuchen, mich mit einigen zentralen Einwendungen auseinanderzusetzen, die soeben hier vorgetragen worden sind.Mich überrascht, daß der grundlegende Einwand oder gar Vorwurf an die Adresse der sozialdemokratischen Fraktion lautet: Sie versuchen, sich ein beschäftigungspolitisches Instrument zur Arbeitszeitverkürzung über den Umweg einer Novellierung der Arbeitszeitordnung zu verschaffen. Dieses Argument ist geradezu absurd vor dem Hintergrund der Tatsache von 2,5 Millionen registrierten Arbeitslosen, 1 Million Dunkelziffer, vielen hunderttausend Kurzarbeitern, absurd vor dem Hintergrund der Prognosen für den Rest dieses Jahrzehnts, 1 Million Überhang von jungen Leuten, die auf den Arbeitsmarkt strömen, im Verhältnis zu den kriegsgeschwächten Jahrgängen, die den Arbeitsmarkt verlassen, absurd vor dem weiteren Auseinandergehen der Schere zwischen Wachstum und Produktivitätsfortschritt, ebenfalls ein Grund für Massenarbeitslosigkeit. Wenn vor diesem Hintergrund gesagt wird, der Staat habe keine Verantwortung im Bereich des Arbeitszeitschutzes für die Arbeitslosenheere zu tragen, dann bedeutet dies im Ergebnis, daß der Staat jegliche Verantwortung auf der Arbeitszeitebene zur Reduzierung von Massenarbeitslosigkeit ablehnt.
Dann bedeutet dies im Ergebnis, daß Sie Ihre wenigen Kabinettssitzungen in diesem Bereich gegen Null gehen lassen können. Das war die erste Feststellung.
Zweite Feststellung: Ich habe den nachhaltigen Eindruck, daß in den Chefetagen sowohl der Arbeitgeberverbände als auch der konservativen Regierung kein prinzipielles Interesse an einem drastischen Herunterfahren der Arbeitslosenquote besteht.
Dies wäre nicht verwunderlich, weil die klassische Funktion von Arbeitslosenheeren als industrielle Reservearmee dazu gedient hat und dazu dient, die Betriebsangehörigen einzuschüchtern, die Angst um ihre eigenen Arbeitsplätze zu verstärken, sie wehr- und hilflos zu machen und draußen die Ar-
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Schreinerbeitslosen selbst dazu zu bringen, Arbeit um nahezu jeden Preis annehmen zu wollen.
Diese doppelte Schere Angst, Willkür in den Betrieben und die Hilflosigkeit, die Bereitschaft der Arbeitslosen, um jeden Preis Arbeit annehmen zu wollen, dient den Konservativen dazu,
das Einkommensniveau abzubauen, erreichte sozialpolitische Leistungen abzubauen, und dient im Kern dazu, das erreichte Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften nachdrücklich zu Lasten der Gewerkschaften zu schwächen.
Das ist der entscheidende strategische Punkt, um den es geht.
— Wenn Sie zu mir „Klassenkämpfer" sagen, dann darf ich Ihnen entgegenhalten, daß die gegenwärtige Bundesregierung seit Beginn ihrer Amtszeit nicht eine einzige Maßnahme durchgesetzt hat, die zu Lasten des großen Geldes ging, sondern die kleinen Arbeitnehmer, die Rentnerinnen und Rentner, die Sozialhilfeempfänger, die Witwen und viele andere sozial Schwache unerträglich belastet hat.
Sie betreiben in brutalster Weise Klassenkampf von oben zu Lasten der sozial Schwachen.
Zweiter Einwand, der von seiten der Konservativen immer wieder vorgetragen worden ist. Er lauet,--
Einen Moment! Verzeihen Sie, Sie können Ihren Satz noch zu Ende führen, dann wollte ich Sie fragen wegen der Zwischenfrage.
Bitte schön.
Herr Kollege, würden Sie bestätigen, daß wir auf Grund der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zum erstenmal seit Jahren kein Sinken der Reallöhne der Arbeitnehmer haben? Würden Sie das bestätigen?
Das kann ich nicht bestätigen. Nach meinen Zahlen haben wir 1984 ein zu erwartendes Reallohnniveau auf dem Stand von 1978. Nach den Zahlen, die mir zur Verfügung stehen, hatsich das Reallohnniveau in den Jahren 1982 und 1983 relativ erheblich gesenkt. 1984 wird man sehen, die Ergebnisse werden das zeigen.Insgesamt — und damit bin ich dank Ihrer hilfreichen Zwischenfrage bei der Problematik der Überstunden — wird argumentiert, wir würden durch gesetzliche Reglementierungen das notwendige Maß an Überstunden abbauen wollen. Ich darf Ihnen dazu einiges sagen. Nach dem Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion wird die Überstundenzahl auf maximal vier Stunden begrenzt. Es gibt eine Reihe von flexiblen Ausnahmeregelungen. Ich hätte mir persönlich vorstellen können, daß die Überstundenbegrenzung, die obere Begrenzung der Überstunden, weitergegangen wäre, daß man das etwas nachdrücklicher hätte machen können. Ich bin mir aber der Situation bewußt, daß dank des ständigen Druckes der Regierung auf die Gewerkschaften, des beständigen Versuches der Schwächung der Gewerkschaften, daß dank des sozialpolitischen Kahlschlags von Herrn Blüm, was immerhin bewirkt hat, daß 1983 das soziale Leistungsniveau für die sozial Schwachen um insgesamt 16 Milliarden abgesenkt worden ist, viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hart am Rande des Existenzminimums verdienen. 40 % der bundesdeutschen Arbeitnehmerschaft verdienen am Rande des Existenzminimums, immerhin auch etwa 20 % der deutschen Beamtenschaft. Vor diesem Hintergrund ist es natürlich gar nicht möglich, eine noch weitergehende Absenkung der Überstunden zu wollen, weil dies viele, viele Millionen Haushalte in ernsthafte existentielle Gefährdungen hineintreiben würde. Das ist auch das Ergebnis der Sozialpolitik dieser Bundesregierung. Wenn wir gesagt haben, laßt uns das doch auf vier Stunden begrenzen, mit einer Fülle von Einzelregelungen, die da, wo Stoßaufträge da sind, wo verstärkte Nachfrage in kurzen Zeiträumen auftritt, eine Menge von Ausweichmöglichkeiten bieten, dann denke ich, daß dies ein Schritt wäre, die rund 2 Milliarden Überstunden zu begrenzen und neue Arbeitsplätze zu schaffen.Es ist nicht richtig, wenn die Kollegin Adam-Schwaetzer sagt, die Zahl der Überstunden sei in den letzten Jahren gesunken. Nach den Statistiken des Statistischen Bundesamtes ist von Oktober 1982 auf Oktober 1983 die Zahl der Überstunden angewachsen. Wenn bei 2 Milliarden Überstunden hier argumentiert wird, es ginge uns darum, die Überstunden zu reglementieren, muß man dazu sagen, daß man überhaupt keine Möglichkeit sehen will, die Arbeitslosenquote zu senken.Wenn uns der Vorwurf gemacht wird, das Gesetz läge jenseits jeder Realität, darf ich Ihnen — insbesondere den Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion — in Erinnerung rufen, daß der Kreisverband der Katholischen Arbeiterbewegung im Bereich Augsburg auf der letzten KAB-Bundestagung gefordert hat, die Gesamtheit der möglichen Überstunden je Arbeitnehmer auf 20 im Jahr zu begrenzen. Ich frage den Kollegen Müller von Ihrer Fraktion, den KAB-Bundesvorsitzenden, ich frage den Kollegen Höpfinger, CSU, Diözesansekretär in Augsburg, wie
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Schreinerdenn das bei ihnen diskutiert wird, wie sie hier abstimmen werden. Die Forderungen der Katholischen Arbeiterbewegung gehen in diesen Bereichen weit über das hinaus, was wir Sozialdemokraten gefordert haben.
Lassen Sie mich, da der Minister vermutlich noch reden wird, eine Bemerkung zu dem zentralen Argument des Ministers machen, der unser Gesetz immer eher kabarettistisch vorführt. Bei der Arbeitszeitordnung, bei unserem Gesetzentwurf erleidet der Minister regelmäßig einen Wasserrohrbruch in seiner privaten Wohnung. Spätestens im vierten Satz machen dann seine Kinder eine Kahnpartie im ersten Stock. Diese Argumentation ist, Herr Minister, nachgerade an den Haaren herbeigezogen, weil § 22 unseres Gesetzentwurfes vorsieht, daß in akuten Notfällen, in Fällen unabweisbaren Bedarfs, die vorangegangenen Regelungen natürlich nicht gelten, so daß Sie nicht Ihre Kahnpartie zu organisieren haben, wenn der Wasserrohrbruch tatsächlich einmal eintritt.
— Das hat mit dem Arbeitsamt überhaupt nichts zu tun, Herr Kollege Cronenberg!Ich finde allerdings, es reicht nahezu an eine Beleidigung des Parlaments heran, wenn in einer wichtigen gesetzgeberischen Frage der zuständige Minister kabarettistische Lügenmärchen auftischen muß,
um von diesem Gesetzentwurf abzulenken, und nicht mehr in der Lage ist, auch nur einen einzigen sachlichen Beitrag zu diesem Gesetz zu formulieren.
Für „Lügenmärchen" möchte ich Sie rügen, Herr Kollege.
Ich bemühe mich darum, den Gesetzentwurf in seinen zentralen Strängen darzustellen, und will zum Schluß noch eine Bemerkung zum Gesundheitsschutz machen.
Jedermann weiß, daß die tödlichen Unfälle in der Bundesrepublik im Betriebsbereich, daß die schweren Unfälle mit langwierigen körperlichen Leiden der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu mehr als 50 % im Uberstundenbereich passieren.
— Wir haben es versucht. Unsere Erblast, Graf Lambsdorff, hat das damals schon verhindert. Das ist unsere einzige Erblast, die Sie freiwillig übernommen haben.
Wenn Sie vor dem Hintergrund dieser Zahlen, vor dem Hintergrund alltäglichen Sterbens in den Betrieben Regelungen ablehnen, sind Sie mitverantwortlich für das Sterben von morgen und übermorgen in unseren Betrieben.
Wenn Sie mit dem Kostenargument kommen, bitte ich, doch einmal in Erwägung zu ziehen. warum denn immer nur die Kosten für den Produktivfaktor Kapital diskutiert werden, warum denn von Ihnen nie die unsäglichen menschlichen Kosten, die Humanleiden des Produktivfaktors Arbeit diskutiert werden, warum in Ihre Diskussionen und Rechnungen nie die Tatsache eingeht, daß Hunderttausende von Familien mit schwerkranken Arbeitnehmern leben müssen, mit Familienvätern leben müssen, die sich in ihrem Betrieb kaputtmalocht haben, wofür die Überstunden in ganz erheblichem Maße der Grund sind, die Tatsache, daß Millionen von Familien darunter leiden müssen, daß die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in diesen Familien gesundheitlich schwer angeschlagen sind. Sind das denn keine Kosten? Sind das keine humanen Kosten, die wir in unsere gesamtgesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Kosten mit einbeziehen müßten, wenn es darum geht, über notwendige Arbeitszeitverkürzungen nachzudenken?
Ich darf Sie deshalb nachdrücklich dazu aufrufen, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen, zumal er in keinem einzigen Bereich die legitimen Interessen der Kleinbetriebe vernachlässigt. Es gibt eine ganze Fülle von Ausweichmöglichkeiten, auf die Kleinbetriebe zurückgreifen können. Wenn dann tatsächlich einmal die Situation auftritt, daß trotz der sehr flexiblen Haltung unseres Gesetzes in einzelnen Kleinbetrieben Probleme auftauchen, wäre ja die Frage zu stellen, warum da nicht neu eingestellt wird, warum da nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, das Arbeitslosenheer ein billchen zu verringert.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie versuchen würden, Herr Minister, in Ihrem Beitrag auf die konkreten Anliegen dieses Gesetzentwurfes einzugehen, wenn Sie nicht auf den Notfall Ihres Wasserrohrs rekurrieren — mir scheint der Notfall für die Arbeitnehmer eher in der Gestalt des Ministers zu liegen — und wenn Sie sich endlich einmal bemühen würden, hier vor dem Plenum des deutschen Parlaments einige Sätze zur Sache beizutragen.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Auf ausdrücklichen Wunsch meines verehrten Kollegen Schreiner will ich mein Beispiel variieren. Es handelt sich diesmal nicht um einen Wasserrohrbruch, sondern um eine eingeschlagene Scheibe, und es ist nicht ganz klar, wann die Wiederher-
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Bundesminister Dr. BlümStellung, die Einziehung einer ganzen Scheibe ein unabweisbarer Bedarf ist und wann sie ein abweisbarer Bedarf ist. Im Winter, nehme ich an, ist es ein unabweisbarer Bedarf, die Scheibe auch in Überstunden sofort einzuziehen, weil ich, meine Kinder und meine Frau sonst erfrieren. Im Sommer könnte jemand auf die Idee kommen, daß es ein abweisbarer Bedarf ist. Im Frühjahr wird es kritisch. Da brauchen wir am Freitagabend wieder die Gewerbeaufsicht, um zu entscheiden, ob es abweisbar oder unabweisbar ist. Wir können die Beispiele fortsetzen. Solche Gummibegriffe — abweisbar, nicht abweisbar — sind keine Begriffe, mit denen man das Problem Überstunden auf verläßliche Weise regeln kann. Ich halt nichts von jenen Protokoll- und Reglementierungsbehörden, ich halte sehr viel mehr von den Absprachen der Tarifpartner und von der Rahmengesetzgebung des Gesetzgebers.
Jetzt kommen wir auf die Fragen des Arbeitszeitschutzes wie des Arbeitsschutzes überhaupt zurück. Da gibt es zwei Möglichkeiten, das Problem zu lösen. Erstens: Wir verlangen vom Gesetzgeber, daß er alle möglichen Fälle bedenkt und regelt. Das ist entweder nur möglich, wenn er das Leben vergewaltigt oder seine Gesetzgebung mit tausend Ausnahmen versieht. So ähnlich sieht auch unser Arbeitszeitschutz, unser Arbeitsrecht aus. Wir haben erstens den Anspruch auf Perfektion und lösen ihn anschließend durch Ausnahmen wieder auf. Denn das Leben hat immer einen Fall mehr, als der Gesetzgeber sich ausdenken kann, selbst einen Fall mehr, wenn man so bürokratisch begabt ist wie Sie; selbst dann hat das Leben noch einen Fall mehr. Deshalb glaube ich, es ist besser, der Gesetzgeber beschränkt sich auf die Rahmen, auf die Mindestnorm, und innerhalb dieser Rahmen füllen die Tarifpartner die Lücken aus. Ich glaube, daß die Tarifpartner das immer besser können als der Gesetzgeber. Sie sind viel näher am Ball, sie sind viel näher an der Praxis. Und ein zweites: sie können auch der Dynamik der Wirtschaft besser folgen. Der Gesetzgeber arbeitet immer mit Gesetzen, die den Anspruch haben, auf Jahrzehnte zu gelten. In die Tarifverträge ist Überprüfung eingebaut, weil sie nur von zeitlich begrenzter Geltungsdauer sind. Also ist auch die Überprüfung eingebaut, ob Maßnahmen von gestern übermorgen noch stimmen. So kann der Schutz viel unmittelbarer folgen. Die Verhältnisse sind nun höchst unterschiedlich.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Dr. Blüm: Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Bitte.
Darf ich folgendes fragen. Sie sagen, daß die Tarifvertragsparteien näher dran sind. Ist es nicht immer so gewesen, daß gesetzliche Bestimmungen auch den Personenkreis erfassen sollen, der gerade tarifvertraglich nicht erfaßt ist? Was machen Sie mit den 10 Millionen Unorganisierten, was machen Sie mit den Arbeitgebern, die nicht tarifgebunden sind? Genau für diese Betriebe und
Arbeitnehmer entsteht doch durch Ihre Vorstellung die nicht zu vertretende Lücke.
Verehrter Herr Kollege Buschfort, wenn es das Problem nicht gäbe, könnte man ganz auf den Gesetzgeber verzichten. Aber gerade weil es dieses Problem gibt, bin ich dafür, daß der Gesetzgeber Rahmen setzt. Im übrigen läßt auch der Tarifvertrag die Möglichkeit der Allgemeinverbindlichkeit zu. Es müßte den Gewerkschafter Buschfort doch interessieren, daß möglichst viele Arbeitnehmer den Wert von Tarifpartnerschaft und Gewerkschaftsmitgliedschaft erkennen. Wenn Sie alles durch den Staat machen wollen, dann werden viele Arbeitnehmer denken: Wofür noch Gewerkschaften? Der Blüm holt mir ja die Kohlen aus dem Feuer.
Sie sehen: Gerade eine Überlegung wie die meine hilft auch den Wert der Mitgliedschaft in Gewerkschaften plausibler zu machen.Ich frage: Wenn es die Tarifpartner oder als Alternative der Gesetzgeber regeln sollen, wer ist dann mehr für die Tarifautonomie, wir, die wir für den Tarifvertrag sind, oder Sie, die Sie mehr für den Gesetzgeber sind'? Wo gibt es mehr Spielräume für Tarifautonomie'?
Das sage ich angesichts einer aktuellen Diskussion, in der der Regierung und den Koalitionsfraktionen dauernd unterstellt wird, sie seien die Feinde der Tarifautonomie.In unserer Politik — das halte ich fest — gibt es mehr Spielräume. Die Subsidiarität schafft mehr Spielräume als der Staatssozialismus. Das ist eine alte Erfahrung, die auch für die Zukunft gilt.
Ich glaube, daß Differenzierung ein Gebot der Stunde ist. Der soziale Fortschritt der Zukunft wird mehr in der Differenzierung liegen. Das unterscheidet ihn auch von den Notwendigkeiten des 19. Jahrhunderts. 80 % der Bevölkerung sind Arbeitnehmer. Zu glauben, die seien in all ihren Lebensbedürfnissen völlig homogen, die hätten die gleichen Lebens- und Arbeitsbedingungen, das ist ein Irrtum. Gott sei Dank gibt es die Vielfalt innerhalb der Arbeitnehmerschaft. Ich sehe in Vielfalt auch eine Politik, die mehr Wahlmöglichkeiten gibt. Differenzierung ist ein Stück Freiheit. Nur die uniforme Gesellschaft verhindert Wahlmöglichkeiten, verhindert Alternativen. Insofern muß das Arbeitsrecht auch dem alten Freiheitsverlangen gerecht werden. Es hat nicht nur soziale Schutzfunktion, es hat auch die Funktion, Freiheit und Wahlmöglichkeiten zu erweitern.Meine Damen und Herren, deshalb glaube ich, daß im Vordergrund des Arbeitszeitschutzgesetzes der Gesundheitsschutz stehen muß. Wir schreiben den Achtstundentag, eine große Errungenschaft der Arbeiterbewegung, fest. Zur Wochenarbeitszeit sagen wir gar nichts. Wie kommt eigentlich jemand
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Bundesminister Dr. Blümdazu, wir würden die 48 Stunden vorschreiben? Wir sagen zur Wochenarbeitszeit überhaupt nichts. Denn ich glaube, daß die Kategorie Wochenarbeitszeit angesichts der zukünftigen Entwicklung geradezu wie ein Korsett aus dem Mittelalter wirken wird. Die Arbeitszeiten der Zukunft werden sehr viel gemischter sein. Da werden Arbeitnehmer fünf Tage hintereinander arbeiten und vier Tage frei haben oder vier Tage hintereinander arbeiten und fünf Tage frei haben. Es wird bunter und gemischter sein. Warum wollen wir das in das Korsett einer Wochenarbeitszeitregelung zwängen?Ich glaube, unser Verlangen sollte es sein, den Sonntag freizuhalten, nicht nur aus religiösen Gründen.
— Auch. Ich bedanke mich ganz besonders für diese Unterstützung aus liberaler Sicht. Ich denke, daß der Sonntag auch ein Rastplatz der Familie sein muß, damit sich die Familie nicht nur an der Omnisbushaltestelle trifft. Aber laßt uns im übrigen doch die Arbeitszeit mischen. Ist es nicht ein Stück Verschwendung: Montags stehen die Schwimmbäder leer, samstags sind sie überfüllt? Eine neue Arbeitszeitordnung entlastet auch die Raumordnung.Sie sehen: Unsere Überlegungen gehen weit aus der Scheuklappenperspektive heraus, mit der Sie die Arbeitszeitgesetzgebung bedacht haben.Ich will aber doch noch auf ein paar Besonderheiten Ihres Gesetzentwurfs hinweisen. Sie schreiben die Vierzigstundenwoche fest und feiern das hier als großen sozialen Fortschritt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?
Lassen Sie mich diesen Gedanken noch zu Ende führen.
Geben Sie bitte ein Zeichen.
99 % der Arbeitnehmer haben die tarifvertraglich garantierte Vierzigstundenwoche. Und jetzt feiern Sie hier die Festschreibung der Vierzigstundenwoche. Da fällt mir nur das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern ein.
Bitte, Herr Stratmann.
Herr Stratmann zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Blüm, ich habe vor längerer Zeit gelesen, daß Sie aktiver Sportler sind. Deswegen ist Ihnen im Zusammenhang mit der Arbeitszeitordnung wahrscheinlich das Schwimmbad eingefallen und daß eine alternative Arbeitszeitordnung auch Probleme der Raumordnung löst. Sie haben bewußt ausgelassen, wie Sie zu einem freien Samstag stehen. Ich frage Sie als ehemals aktiver Fußballer: Wie wollen Sie die Probleme der ersten und der zweiten Bundesliga lösen, wenn die Stadien einerseits am Sonntag durch die zweite und am freien Samstag durch die erste Bundesliga ausgelastet sind?
Herr Stratmann, die Sorge um die Bundesligaspiele überlasse ich Ihnen.
Ich bin ganz sicher, daß es, auch wenn samstags gearbeitet wird, noch genügend Spiele gibt, die Arbeitnehmer ansehen können. Ich glaube nicht, daß wir eine Arbeitszeitordnung brauchen, die sicherstellt, daß alle Arbeitnehmer samstags Bundesligaspiele sehen können.
Ich will auch zum Thema der Mehrarbeit etwas sagen. Ich teile Ihre Kritik daran, daß die einen null und die anderen mehr arbeiten. Insofern ist Mehrarbeit als Normalzustand ein Skandal, eine Rücksichtslosigkeit, auch ein Solidaritätsverstoß. Aber auch hier werden wir, so denke ich, mit Reglementierungen das Problem nicht treffen. Auch hier werden die Tarifpartner näher am Ball sein. Ich nenne auch die Betriebsräte. Es muß auch gegen Egoismus innerhalb der Arbeitnehmerschaft vorgegangen werden. Ich wünsche mir — wie Sie — nicht, daß der Aufschwung von denen, die Arbeit haben, dadurch aufgefangen wird, daß sie in die Sonderschichten gehen, in die Überstunden gehen, die anderen aber null Stunden machen. Das ist auch nicht unsere Gesellschaft.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns doch auch eine Bandbreite ermöglichen, in der Arbeitszeit schwanken kann. Ich stelle nur einmal ein paar Fragen. Ist es denn vernünftig, daß die Bauarbeiter im Sommer bei schönem Wetter die gleiche Wochenarbeitszeit haben wie im Winter, wenn der Frost klirrt? Ist das eigentlich die höchste Vernunft, der größte soziale Fortschritt: im Sommer um 5 Uhr den Hammer fallen lassen und im Winter auch, wenn es kalt ist? Könnten wir hier nicht eine Jahresarbeitszeit und auch eine normale Wochenarbeitszeit vereinbaren? Können wir nicht atmen, so wie das Leben atmet? Frühere Arbeitszeitformen waren nie so starr. Dem Bauer wäre es früher nicht eingefallen und fällt es auch heute nicht ein, seine Arbeit so stur nach einer Stechuhr zu organisieren. Ich frage mich, ob wir den technischen Fortschritt nicht auch dazu nutzen können, wieder zu natürlichen Lebensmustern zurückzukehren. Die Technik hat einen Stand erreicht, bei dem sie uns aus der Kolonnenorganisation des Lebens austreten läßt, bei dem es wieder individuelle Spielräume gibt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4325
Bundesminister Dr. BlümDie Kollektivisten werden das nie begreifen. Sie werden immer glauben, nur im kollektiven Muster sei Fortschritt möglich.Lassen Sie mich auf meine eigene Lebenserfahrung zurückgreifen. Zu meinen Opel-Zeiten haben wir ab November meistens für die Sportplätze Autos produziert. Es ist keine Geschäftsschädigung, wenn ich das sage; das war in allen Automobilfirmen so. Die Überproduktion wurde auf den Sportplätzen abgestellt Die Autos wurden unter Aufwendung von viel Geld eingeölt, um im März wieder entölt zu werden. Das Geld hätte ich lieber für die Arbeitnehmer. Die Einmottung von Autos, die im Winter produziert, aber im Winter nicht gebraucht werden, kostet nämlich Hunderte von Millionen jährlich. Hätten wir eine Arbeitszeitform, bei der man in der einen Jahreszeit etwas mehr arbeitet, um in der anderen Zeit etwas weniger zu arbeiten, so hätten wir Geld zur Verteilung zur Verfügung, das heute für eine sinnlose Lagerhaltung verplempert wird. Dieses Geld hätte ich lieber in der Lohntüte der Arbeitnehmer.
Sie sehen, wir werden mit den alten Gewohnheiten ganz einfach nicht weiterkommen. Es muß uns einiges einfallen, das Leben vielfältiger zu machen und auch in der Differenzierung einen Fortschritt zu sehen.Ich kann es auch nicht für einen Fortschritt halten, daß wir auf jeden Frauenarbeitsschutz verzichten. Ich glaube schon, daß mancher Frauenarbeitsschutz die Vermittlungschancen der Frauen gemindert hat. Aber nun das Kind mit dem Bade auszuschütten, nicht darauf Rücksicht zu nehmen, daß es doch Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt, was die Belastbarkeit, auch die körperliche Belastbarkeit angeht, halte ich für einen Rückschritt. Ich glaube, daß manches — ich sage es noch einmal — nicht Schutz, sondern Sperre ist. Deshalb werden wir es überprüfen. Daraus aber den Schluß zu ziehen, man brauche gar keinen Frauenarbeitsschutz mehr, hielte ich für eine emanzipative Übertreibung. Ich bin gegen jede Übertreibung.
. Meine Damen und Herren, wir werden unsere Arbeitszeitordnung vorlegen. Wir haben dazu nicht 13 Jahre gebraucht, sondern zusammen mit unserem Koalitionspartner sind wir schon nach zwei Jahren so weit. Sie sehen: Unser Tempo ist, wenn ich richtig gerechnet habe, um fast 700% schneller, als es das Ihre war. Ich gestehe auch, daß wir mit der Arbeitszeitordnung, die wir jetzt haben, nicht weiterleben können, schon der Sprache wegen. Die Arbeitnehmer sind nicht die Gefolgschaftsmitglieder, und ich fühle mich nicht als der Reichstreuhänder der Arbeit. Bei allem Wohlwollen: Das will ich nicht. Auch die Sprache muß unserer demokratischen Gesinnung entsprechen. Auch in der Sprache werden Gesinnungen programmiert. Diese Gesinnung jedenfalls haben wir gemeinsam überwunden. Deshalb brauchen wir eine neue, unbürokratischeArbeitszeitordnung, die auf Kooperation mit den Tarifpartnern angelegt ist.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aussprache angekommen.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich rufe die §§ 1 bis 30, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. —
Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Gesetzentwurf ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung jede weitere Beratung.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Mittagspause möchte ich darauf aufmerksam machen, daß für die Fragestunde, die um 14 Uhr beginnen wird, nur noch 19 Fragen offen sind. Es könnte sein, daß wir früher fertig werden. Wir würden dann sofort im Anschluß daran mit der Agrardebatte beginnen.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die unterbrochene Sitzung.
Ich rufe den Punkt 2 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 10/1171 —
Zunächst ist der Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts dran. Zur Beantwortung steht uns Herr Staatssekretär Dr. Schreckenberger zur Verfügung.
Wie ist gegenwärtig der Stand der vom Chef des Bundeskanzleramtes Professor Schreckenberger schon vor einigen Monaten mehrfach öffentlich angekündigten Überprüfung der Arbeits- und Geschäftsabläufe im Bundeskanzleramt durch den Bundesrechnungshof, die er — um Kritik an seiner Amtsführung zu entkräften — einleiten wollte?
Herr Staatssekretär Dr. Schreckenberger, Sie sind dran. — Herr Dr. Schreckenberger, die Frage liegt Ihnen schriftlich vor. Sie können sie beantworten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mit Einverständnis des Herrn Abgeordneten Schröder möchte ich die Fragen 1 und 2 zusammen beantworten.
Sie haben mein Einverständnis.
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4326 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Dr. Schreckenberger, Staatssekretär: Sie sind einverstanden.
Ich rufe auch die Frage 2 des Abgeordneten Schröder auf:
Welche Ergebnisse dieser Prüfung liegen bereits vor, und bis wann ist mit einem endgültigen Bericht zu rechnen?
Dr. Schreckenberger, Staatssekretär: Ausgangspunkt meiner Überlegungen für die Reorganisation des Bundeskanzleramts war, daß jede Organisation einen instrumentalen Charakter hat — nicht nur, aber auch einen instrumentalen Charakter — und die Organisation des Bundeskanzleramts den Bedürfnissen der jeweiligen Regierung — und damit auch der jetzigen Regierung — angepaßt werden muß.
Ich habe unter diesem Gesichtspunkt die Organisation sowie die Arbeits- und Geschäftsabläufe im Bundeskanzleramt überprüft. Das Ergebnis dieser Überprüfung fand seinen Ausdruck in der Neufassung des Organisationsplans sowie des Geschäftsverteilungsplans des Bundeskanzleramts vom 1. Februar 1984.
Eine Überprüfung des Bundeskanzleramts durch den Bundesrechnungshof wurde bislang nicht durchgeführt, da die Prüfungstermine des Bundesrechnungshofs bereits längerfristig festgelegt waren. Über die Frage einer Prüfung des Bundeskanzleramts durch den Bundesrechnungshof entscheidet wie in allen anderen Fällen das Kollegium des Bundesrechnungshofs, das seine Entscheidungen in
) richterlicher Unabhängigkeit trifft.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schröder.
Herr Präsident, ich weiß nicht, ob das eine Zusatzfrage ist. Ich hätte eigentlich ganz gern Antwort auf meine Frage. Denn das, was der Herr Staatssekretär vorgelesen hat, war keine. Ich frage also jetzt in Form der Zusatzfrage: Herr Staatssekretär, haben Sie denn damals angekündigt, daß der Bundesrechnungshof nach Ihrer Auffassung die Organisationsabläufe in Ihrem Amt überprüfen sollte, und was ist aus dieser Ankündigung geworden, bzw. sind Sie in bezug auf den Bundesrechnungshof tätig geworden, um ihn dazu zu bewegen, die Überprüfung mindestens zu beginnen?
Dr. Schreckenberger, Staatssekretär: Die Frage einer Überprüfung der Organisationsstruktur und des Geschäftsablaufs des Bundeskanzleramts habe ich im Herbst 1983 mit dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofs erörtert. Angesichts der langfristig festgelegten Prüfungstermine sowie der schon genannten richterlichen Unabhängigkeit, in der das Kollegium des Bundesrechnungshofs seine Entscheidungen trifft, ist mit einer Überprüfung allerdings in Kürze nicht zu rechnen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schröder.
Ich weiß jetzt nicht, Herr Präsident: Habe ich zwei oder vier Zusatzfragen?
Herr Kollege Schröder, Sie haben zu zwei Fragen je zwei Zusatzfragen. 2 mal 2 ist 4.
Dann habe ich die weitere Zusatzfrage, Herr Staatssekretär, ob Sie, nachdem Sie es ja wohl notwendig gefunden haben, daß die Organisationsabläufe durch den Bundesrechnungshof überprüft werden, Ihr Drängen in bezug auf den Bundesrechnungshof fortsetzen und verstärken werden, damit diese Überprüfung nun mal endlich beginnt.
Dr. Schreckenberger, Staatssekretär: In der Tat werde ich dieses Drängen fortsetzen. Ich bin der Auffassung, daß der Rechnungshof auf Grund unabhängiger Sachverständiger in der Lage ist, Fragen der Wirtschaftlichkeit und Fragen der Zweckmäßigkeit einer Organisation zu prüfen. Die Änderung des Organisations- und Geschäftsverteilungsplans hat uns allerdings gezeigt, daß Verbesserungen im Geschäfts- und Arbeitsablauf möglich waren, ohne daß wir dieses Gremium eingeschaltet hatten. Nunmehr ist eine aufgabenorientierte Organisation des Bundeskanzleramtes hergestellt.
Angesichts der jetzigen Organisation und der jetzigen Aufgabenverteilung erscheint der Personalbestand — danach werde ich immer wieder gefragt; ich darf mir erlauben, diese Frage hier mit einzubinden — als ausreichend. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß ein Teil des vorhandenen Personals unter dem Gesichtspunkt eines anderen organisatorischen Konzepts eingestellt worden ist und daher teilweise den Bedürfnissen der jetzigen Bundesregierung nicht in vollem Umfang entspricht. Ob dies allerdings dann letztlich der Fall ist, soll die Prüfung durch den Rechnungshof und durch unabhängige Sachverständige ergeben.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Schröder.
Ich habe die weitere Zusatzfrage, ob denn jene Schwachstellen — in der Öffentlichkeit als Bermuda-Dreieck bekannt —, die Sie offenkundig veranlaßt haben, die Überprüfung zu fordern, durch Sie selbst abgestellt worden sind oder ob es verträglich ist, daß sie bestehen bleiben, bis der Bundesrechnungshof geprüft hat.
Dr. Schreckenberger, Staatssekretär: Ich habe in der Bezeichnung „Bermuda-Dreieck" mehr eine Zeitungsente denn eine ernstzunehmende Kritik am Bundeskanzleramt gesehen.
Das war nicht meine Frage. Da ich mit meinen Zusatzfragen sehr sparsam umgehen muß — —
Herr Kollege Schröder, Sie haben genau noch eine.
Ja, ich weiß. Darum bitte ich, meine dritte Zusatzfrage zu beantworten.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4327
Schröder
Ich hatte nämlich gefragt — das wird das Protokoll, Herr Staatssekretär, ergeben — —
Herr Kollege Schröder, tut mir leid, aber ich muß Sie unterbrechen. — Das Problem ist: Sie können fragen, und die Regierung kann antworten. Sie kann antworten, was sie will. Ob Sie damit zufrieden sind oder nicht, ist eine Sache, die ich hier nicht zu beurteilen habe.
Herr Präsident, das muß ich zur Kenntnis nehmen. Als relativer Neuling hatte ich allerdings geglaubt, ich kriegte als Abgeordneter auf meine Fragen von einer Regierung auch Antworten. Das, was der Herr Staatssekretär soeben geboten hat, war nicht einmal der Versuch einer Antwort.
Nun formulieren Sie bitte Ihre letzte Frage.
Aber ich will trotzdem meine letzte Zusatzfrage formulieren. — Herr Staatssekretär Schreckenberger, angesichts der als Bermuda-Dreieck bekannten Schwachstellen, die ja wohl bis zur Überprüfung des Rechnungshofes fortbestehen werden: Besteht nicht aus Ihrer Sicht die Gefahr, aus meiner Sicht die Hoffnung, daß der Bundeskanzler selbst im selbigen Bermuda-Dreieck eines Tages verlorengeht, jedenfalls für Sie?
Dr. Schreckenberger, Staatssekretär: Ich habe Ihnen bereits geantwortet, daß ich den Vorwurf eines Bermuda-Dreieckes zurückweise und darin keine ernstzunehmende Kritik am Bundeskanzleramt sehe.
Meine Damen und Herren, das war der Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Ich danke Herrn Staatssekretär Dr. Schreckenberger für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Uns steht Herr Staatsminister Möllemann zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 41 des Abgeordneten Sauermilch auf:
Welche Möglichkeiten hat die Bundesregierung ab welcher Zeit zugunsten der Gesundheit und Verbesserung der Haftbedingungen des seit dem 15. Oktober 1983 in Edirne/Türkei wegen des Verdachts der Schmuggelei inhaftierten und wegen der Haftbedingungen schwer lungenkranken Spediteurs Rudolf Rautenberg aus dem schwäbischen Westerheim/AlbDonau-Kreis ausgeschöpft?
Herr Staatsminister.
Herr Kollege Sauermilch, die Bundesregierung hat sich seit Beginn der Inhaftierung von Herrn Rautenberg in Edirne am 18. Oktober 1983 für eine beschleunigte Lösung dieses Falles gegenüber den türkischen Justizbehörden und der türkischen Regierung bei allen sich bietenden Gelegenheiten eingesetzt. Sowohl das Generalkonsulat Istanbul als
auch die Botschaft Ankara haben sich darum bemüht, daß Herrn Rautenberg Haftverschonung gewährt wird.
Bundesminister Genscher hat bei seinem Besuch in Ankara am 6. und 7. März 1984 gegenüber seinem türkischen Amtskollegen den Fall angesprochen und um Verfahrensbeschleunigung sowie Freilassung auf Kaution gebeten. Leider haben diese Demarchen bisher noch nicht den erhofften Erfolg gehabt.
Die medizinische Versorgung von Herrn Rautenberg, der im übrigen nicht an der von Ihnen genannten Krankheit leidet, konnte durch Übergabe von Medikamenten und durch klinische Untersuchungen in Edirne sichergestellt werden. Nach Ansicht von Herrn Rautenberg ist die medizinische Versorgung ausreichend. Er äußerte demgegenüber einem Konsularbeamten am 17. März 1984, es gehe ihm den Umständen entsprechend erträglich.
Die Verbesserung der Haftbedingungen für Deutsche in türkischen Strafanstalten ist ein ständiges Anliegen des Auswärtigen Amts und unserer Auslandsvertretungen. Auch im Fall von Herrn Rautenberg hat sich das Generalkonsulat bei den regelmäßigen Konsularbesuchen hierum nachdrücklich bemüht.
Zusatzfrage des Abgeordneten Sauermilch.
Herr Staatsminister, Sie sagten, daß sich die Bundesregierung von Anfang an bemüht habe. Meine Frage dazu: In welcher Weise hat sich die Bundesregierung gleich zu Anfang, nachdem ihr der Fall bekanntgeworden war, um Herrn Rautenberg bemüht? Nach unserer Information ist dieses nämlich erst sehr viel später der Fall gewesen. Bitte Ihre konkrete Aussage.
Möllemann, Staatsminister: Es ist unzutreffend, daß dies sehr viel später der Fall gewesen sei. Es ist auf den üblichen Wegen geschehen: zunächst unter Einschaltung unseres Konsulats und der Botschaft, danach bei anfallenden politischen Begegnungen. Nun wird man eine Außenministerbegegnung nicht wegen eines Haftfalls vorziehen oder verlegen. Aber das Instrumentarium, das uns zur Verfügung stand und steht, ist eingesetzt worden.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Sauermilch.
Wie erklären Sie sich denn dann die Tatsache, daß bis zum heutigen Datum noch nicht einmal der Anklagevertretung die nötigen Unterlagen — ich erinnere an die T. I. R. — zur Verfügung gestellt werden konnten?
Möllemann, Staatsminister: Das ist, Herr Kollege, wohl präzise der Gegenstand Ihrer zweiten Frage. Ich möchte sie dementsprechend gleich beantworten.
Ich rufe deshalb auch die Frage 42 des Abgeordneten Sauermilch auf:
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Vizepräsident WestphalWie erklärt die Bundesregierung den Zustand, daß die türkische Anklagevertretung bis heute noch nicht im Besitz der Internationalen Transportvorschriften ist und die türkische Anklagevertretung der Verteidigung bis zum heutigen Tage noch nicht die anklageentlastenden Fertigungsnummern der angeblich „geschmuggelten" Einspritzdüsen übermittelt hat, obwohl nach Zusicherung der Bundesregierung an die betroffene Ehegattin Anneliese Rautenberg die diplomatische Vertretung der Bundesregierung in der Türkei zugunsten des nunmehr seit sechs Monaten einsitzenden und schwerkranken Angeklagten tätig geworden wäre?Möllemann, Staatsminister: Die Bundesregierung kann sich zur Beweislage des gegen Herrn Rautenberg in der Türkei geführten Verfahrens nicht äußern. Herr Rautenberg ist anwaltlich vertreten. Entsprechende Schritte im Verfahren müssen deshalb diesem Anwalt vorbehalten bleiben.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Sauermilch.
Sie sagten, der Betroffene habe die Auskunft gegeben, daß er einigermaßen erträglich untergebracht oder medizinisch versorgt sei. Teilt die Bundesregierung mit mir die Meinung, daß eine solche Auskunft, die aus einer sehr prekären Situation heraus zu uns gekommen ist, möglicherweise doch nicht zutrifft, d. h. daß wir darauf achten müssen — vor allen Dingen ist es die Pflicht der Bundesregierung, darauf zu achten —, daß die Umstände tatsächlich einigermaßen so sind, daß — menschenrechtlich gesehen — die Voraussetzungen für die notwendige Versorgung gegeben sind?
Möllemann, Staatsminister: Die Bundesregierung teilt natürlich nicht die Auffassung, daß sie absichtsvoll falsche Auskünfte gebe. Die Standards in der Türkei und hier sind sehr unterschiedlich. Das ist unbestreitbar so. Deswegen sagte ich ja: Wir setzen uns dafür ein, daß in solchen Fällen, in denen Deutsche inhaftiert sind, diese Personen entsprechend unseren Vorstellungen und Standards, soweit man sie zur Geltung bringen kann, anständig behandelt werden.
Ich wollte Ihnen nur noch zur Konkretisierung sagen: Wir haben ja um Haftverschonung und um Freilassung gegen Kaution gebeten. Als das nicht möglich war, ist Herr Rautenberg durch das Konsulat mit warmer Kleidung und zusätzlichen Lebensmitteln versorgt worden. Auch eine klinische Untersuchung wurde zustande gebracht. Das alles ist für den Betroffenen aus seiner persönlichen Sicht und aus der Sicht seiner Familie sicherlich nicht hinreichend. Wir können diese Betrachtungsweise verstehen. Deswegen setzen wir unseren Einsatz für Herrn Rautenberg fort.
Letzte Zusatzfrage.
Ich formuliere meine Zusatzfrage jetzt folgendermaßen, weil nach meiner Ansicht eine weitere Frage von vorhin noch nicht beantwortet wurde: Wie sieht es mit der Versorgung des Gerichts mit den notwendigen Unterlagen aus, wozu die Botschaft ebenfalls verpflichtet ist? Ich meine die T.I.R. und die Beweise für die Angelegenheiten mit den Einspritzdüsen.
Möllemann, Staatsminister: Das ist Gegenstand des Gerichtsverfahrens. Die Bundesregierung kann sich beim besten Willen nicht in ein Gerichtsverfahren einmischen. Herr Rautenberg ist, wie ich sagte, anwaltlich vertreten. Er muß die gerichtliche Auseinandersetzung führen. Das ist keine Angelegenheit, die wir machen können.
Frau Kollegin Hürland zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, können Sie Auskunft darüber geben, ob sich die Anklage nur auf geschmuggelte Einspritzdüsen beschränkt oder ob es weitere Anklagepunkte wegen Schmuggels gibt?
Möllemann, Staatsminister: Es handelt sich um ein Gerichtsverfahren, dem der Schmuggelvorwurf zugrunde liegt. Aber ich möchte zur Substanz dieses Verfahrens bewußt weiter nichts sagen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, ist es aber nicht so, daß die Bundesregierung, wenn unter Umständen Grundrechte des betroffenen Deutschen berührt werden, auch eine gewisse Rechtsschutzaufgabe hat?
Möllemann, Staatsminister: Ich sagte bereits, der dort Inhaftierte, Herr Rautenberg, ist anwaltlich vertreten. Die Bundesregierung hat mit den verschiedenen Schritten, die ich beschrieben habe, versucht — angefangen von einer sehr praktischen Betreuung bis hin zu dem Bemühen um Haftverschonung und Freilassung gegen Kaution —, alles nur Denkbare zu tun. Der Bundesaußenminister hat das Thema mehrfach persönlich angesprochen. Mehr Möglichkeiten haben wir in einem solchen Fall eigentlich nicht.
Wir kommen zur Frage 43 des Abgeordneten Toetemeyer:Ist der Bundesregierung bekannt, daß die südafrikanische Regierung im Widerspruch zum Völkerrecht seit 1978 mindestens 100 Frauen und Kinder in einem streng geheimen Internierungslager in Mariental/Namibia „illegal" festhält, und wie gedenkt sie, auf diese Völkerrechtsverletzung gegenüber der südafrikanischen Regierung zu reagieren?Herr Staatsminister.Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Toetemeyer, nach den der Bundesregierung vorliegenden Informationen werden in dem Lager bei Mariental 146 Personen gefangengehalten. Unter ihnen sollen sich auch einige Frauen befinden.Ein erheblicher Teil der Lagerinsassen wurde im Frühjahr 1978 von südafrikanischen Streitkräften bei deren Angriff auf Cassinga in Südangola gefangengenommen und nach Namibia verbracht. Die übrigen Personen wurden offenbar auf Grund der in Namibia angewendeten Sicherheitsgesetze, insbesondere der Verordnung AG 9 des südafrikanischen Generalverwalters, inhaftiert.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4329
Staatsminister MöllemannDas Lager konnte mehrmals von Vertretern des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes besucht werden, zuletzt Mitte Februar dieses Jahres.Die Bundesregierung hat bei der südafrikanischen Regierung immer wieder gegen die Inhaftierung von Personen auf Grund ihrer politischen Haltung sowohl in der Republik Südafrika wie in Namibia protestiert und die Freilassung aller Gefangenen gefordert, gegen die ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren weder durchgeführt worden noch in Vorbereitung ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt — ich habe Sie so verstanden, daß Sie meine Auffassung teilen, wonach das eine völkerrechtswidrige Internierung ist —, daß wegen dieser völkerrechtswidrigen Internierung sowohl der Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ovambo-Kawango als auch der Bischof der Anglikanischen Kirche von Namibia als auch der katholische Bischof von Windhuk, also alle drei Kirchen, Klage erhoben haben, und wie beurteilt die Bundesregierung diesen Tatbestand?
Möllemann, Staatsminister: Wir sind der Überzeugung, daß es sich bei der Militäraktion gegen Cassinga und den dabei vollzogenen Verhaftungen um eine flagrante Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität Angolas handelt. Wir haben sie als solche auch scharf verurteilt.
Ich füge hinzu: Wenn bei dieser völkerrechtswidrigen Militäraktion Personen unter Zwang aus Angola nach Namibia verbracht wurden, so muß auch dieses Vorgehen der südafrikanischen Streitkräfte und das weitere Festhalten der Gefangenen in Mariental als völkerrechtswidrig betrachtet werden.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Staatsminister, Sie haben zugegeben, daß diese völkerrechtswidrige Internierung bereits seit sechs Jahren erfolgt. Wann hat die Bundesregierung zum letztenmal auf die südafrikanische Regierung eingewirkt, um diesen völkerrechtswidrigen Zustand zu beenden?
Möllemann, Staatsminister: Über dieses Thema ist zuletzt bei den deutsch-südafrikanischen Regierungsgesprächen anläßlich des letzten Besuchs in Bonn gesprochen worden.
Wir kommen zur Frage 44 des Abgeordneten Dr. Czaja:
Welche Schritte werden derzeit in der Europäischen Politischen Zusammenarbeit geprüft und vorbereitet, die der schrittweisen Überwindung der Spaltung Deutschlands und Europas dienen könnten und stärker als bisher die Deutschlandpolitik zur aktuellen Aufgabe europäischer Friedenspolitik machen?
Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Czaja, die Überwindung der Spaltung Europas und damit Deutschlands ist nur als Ergebnis eines langen historischen Prozesses denkbar. Unter den gegenwärtigen Umständen halten es die Zehn für richtig, daß die Europäer ihren Beitrag dazu leisten, die West-Ost-Beziehungen fortzusetzen und zu intensivieren. Sie messen dabei der Durchführung der Schlußakte von Helsinki eine besondere Bedeutung für den Frieden und die Sicherheit in Europa zu. Der KSZE-Prozeß dient dem Ziel, die Spaltung Europas zu überwinden.
Auch die Stockholmer Konferenz über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen ist ein wichtiges Instrument, um die West-Ost-Beziehungen auf eine langfristig stabile Grundlage zu stellen. Die zehn Staaten der Gemeinschaft treten zusammen mit ihren Freunden in den USA und Kanada für wirksame Maßnahmen ein, die zu mehr Vertrauen zwischen West und Ost führen.
Der Bundeskanzler erklärte dazu in seinem Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland am 15. März dieses Jahres:
Vertrauen ist unverzichtbare Voraussetzung für die von uns angestrebte europäische Friedensordnung, in der wir Deutsche unser Selbstbestimmungsrecht frei verwirklichen können.
Die Zehn sind ferner der Auffassung, daß die Zusammenarbeit zwischen Staaten in Ost und West dem einzelnen Menschen zugute kommen muß. Sie treten deshalb für freiere Kontakte zwischen den Menschen in beiden Teilen Europas, insbesondere in beiden deutschen Staaten, ein. Insofern ist unsere Deutschlandpolitik aktuelle Aufgabe europäischer Friedenspolitik.
Sie finden dies im übrigen noch einmal konkretisiert in der Schlußerklärung des Europäischen Rates in der vergangenen Woche am 19. und 20. März in Brüssel, in der die Außenminister noch einmal gesagt haben:
Ihr Ziel ist es, einen Zustand des Friedens und der Sicherheit in Europa herbeizuführen, in dem das Recht der Menschen auf freie Entfaltung und das Recht der Völker auf Selbstbestimmung anerkannt und respektiert werden.
Herr Kollege Dr. Czaja zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wird der Herr Bundesaußenminister nach dieser ersten Erklärung der europäischen Außenminister, die man zur Kenntnis nehmen sollte und die Sie jetzt in Auszügen dankenswerterweise vorgetragen haben, und nach den Aussagen in dem Presseaufruf „Europapolitik sei Deutschlandpolitik, und Deutschlandpolitik sei Europapolitik" von Anfang März, den er selbst unterschrieben hat, auch in den nächsten Treffen der europäischen Außenminister die Einzelfragen der Teilung Europas zum Beratungsgegenstand machen und dabei schrittweise — Sie haben von einem langfristigen Prozeß gesprochen — Fragen der Teilung Europas und des fortbestehenden Deutschlands und der freien Selbstbestimmung in die aktuellen europapolitischen Bemühungen einbringen?
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4330 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Czaja, man kann sich dabei, denke ich, nur ein gestuftes Verfahren vorstellen. Die erste Stufe ist, daß die Westeuropäer, die Zehn, ihren nun nicht gerade glücklichen Zustand einer gewissen Uneinigkeit überwinden, um bei dem Ost-West- oder West-OstGespräch überhaupt als Partner ihre Belange — und damit auch die deutsche Frage — zur Geltung bringen zu können. Das heißt also — das hat der Bundesaußenminister damit sagen wollen —: Die Verstärkung der Bemühungen um die europäische Integration und die Zusammenarbeit der Zehn ist eine Voraussetzung dafür, daß wir die deutsche Frage stärker zur Geltung bringen können.Zum anderen wird ja gerade im fortgesetzten Dialog im KSZE-Prozeß — so, wie ich das dargestellt habe — auf der Grundlage einer gemeinsamen Position der Zehn versucht, praktische Verbesserungen und Erleichterungen für die Menschen in allen Unterzeichnerstaaten und damit auch in den beiden deutschen Staaten herbeizuführen.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Czaj a.
Da ich in meiner Frage im Moment weniger den KSZE-Prozeß — der auch wichtig ist — angesprochen habe, sondern die Europäische Politische Zusammenarbeit, die bereits 14 Arbeitskommissionen hat, möchte ich doch noch fragen: Wird Ihr Haus bemüht sein, zur Erhaltung der Kontinuität Deutschlands und der freien Selbstbestimmung des deutschen Volkes das Stadium allgemeiner verbaler Aussagen zu verlassen und diese Themen wieder zum konkreten aktuellen Gegenstand praktischer internationaler Gespräche auch in Verknüpfung mit Sicherheitsfragen zu machen?
Möllemann, Staatsminister: Ja sicher.
Ich rufe die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Wieviel Ministerien und gegebenenfalls welche haben außer dem Auswärtigen Amt Referate für Völkerrecht und in welcher Zahl?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, außer im Auswärtigen Amt werden im Bundesministerium des Innern, im Verteidigungsministerium und im Verkehrsministerium völkerrechtliche Grundsatzfragen in je einem Referat bearbeitet. Für spezielle völkerrechtliche Angelegenheiten sind die jeweiligen Fachreferate zuständig. Im Bundesministerium der Justiz bestehen je ein Referat für Völkerrecht und Recht der völkerrechtlichen Verträge.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ich weiß jetzt nicht, ob Sie mir die zusammenfassende Zahl der Völkerrechtsreferate genannt haben. Sie haben auf das Justizministerium verwiesen. Ich weiß, es gibt solche wohl auch im Verteidigungsministerium. Meine Frage: Wäre es nicht besser, wenn die Referate weitgehend beim Auswärtigen Amt
konzentriert, die dortige Arbeit entsprechend erweitert, aber auch gestrafft werden könnte, um ebenso eine notwendige Rationalisierung wie eine verstärkte Effizienz und Abstimmung in völkerrechtlichen Fragen zu erreichen?
Möllemann, Staatsminister: Es ist für mich etwas schwierig zu beurteilen, ob es besser wäre, wenn dieser gesamte Bereich im Auswärtigen Amt konzentriert würde.
Ich fürchte, daß z. B. das Bundesministerium der Verteidigung wohl mit gutem Grund darstellen kann, daß die vielen völkerrechtlichen Fragen, die im Bereich der Bündnispolitik auftreten, in der Tat auch dort behandelt werden müssen, damit sie entsprechend in die Planung einfließen können. Gleiches wird möglicherweise bei den anderen Ressorts, die ich genannt habe, auch der Fall sein. Ich will Ihrer Frage gern noch einmal nachgehen.
Herr Dr. Czaja zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ich gebe zu, daß das humanitäre Kriegsrecht völkerrechtlich ins Verteidigungsministerium gehört. Aber ich frage: Wäre es nicht sinnvoll, daß beispielsweise die menschenrechtlichen Fragen in Ihrem Haus konzentriert würden, um diese Fragen im Ausland möglichst effizient zu vertreten und zu behandeln?
Möllemann, Staatsminister: Ich muß dem nachgehen, Herr Kollege Dr. Czaja, ob das zweckmäßig ist. Ich kann das im Moment nicht beurteilen.
In der Zwischenzeit wird Herr Dr. Czaja die anderen Ressorts fragen, ob sie bereit sind, ihre Referate aufzugeben, fürchte ich.
Ich rufe die Frage 46 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wie viele Bürger der Bundesrepublik Deutschland befinden sich nach dem Wissensstand der Bundesregierung aus politischen Gründen — nach gerichtlichen Urteilen oder als Untersuchungshäftlinge — in Gefängnissen der Tschechoslowakei?
Möllemann, Staatsminister: Herr Dr. Hupka, in der Tschechoslowakei befinden sich zur Zeit 31 Bürger der Bundesrepublik Deutschland in Haft, darunter 12 in Untersuchungshaft. Bei den rechtskräftig Verurteilten lautet der Vorwurf in 12 Fällen auf „Beihilfe zum unerlaubten Verlassen der Republik" . 4 Untersuchungshäftlinge sind wegen des gleichen Delikts angeklagt. Bei den übrigen Fällen kann nicht ausgeschlossen werden, daß im Einzelfall auch politische Motive eine Rolle spielen.
Herr Dr. Hupka, eine Zusatzfrage.
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Ist der Bundesregierung bekannt, daß es, so lange eine Ermittlung läuft, nicht möglich ist, seitens der Botschaft in Prag behilflich zu sein?
Möllemann, Staatsminister: Ja, diese Schwierigkeiten sind uns bekannt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.
In welcher Weise bestehen überhaupt Kontakte zwischen der Botschaft in Prag einerseits und den Inhaftierten und Untersuchungshäftlingen?
Möllemann, Staatsminister: Wir schöpfen die konsularischen Betreuungsmöglichkeiten in jedem Fall voll aus und hoffen, auf diese Art und Weise die Situation der dort Inhaftierten, soweit man das kann, zu erleichtern.
Ich rufe die Frage 47 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Welche Zusagen gibt es seitens der Bundesregierung für eine deutsche Fernsehstunde in Jordanien, und welche Gründe sprechen dafür?
Möllemann, Staatsminister: Die Bundesregierung hat gegenüber Jordanien keine festen Zusagen hinsichtlich einer „deutschen Stunde" im fremdsprachigen Kanal des jordanischen Fernsehens abgegeben. Die Bundesregierung hat für ein derartiges Projekt, an dem die jordanische Seite großes Interesse zeigte, zunächst mit den Rundfunk- und Fernsehanstalten mehrere Modellvarianten erörtert. Die eventuelle Realisierung des Vorhabens hängt noch von einer Reihe offener, insbesondere finanzieller und organisatorischer Fragen ab.
Das Vorhaben wäre nicht als Einzelmaßnahme nur für Jordanien zu sehen, sondern in programmlicher Hinsicht als Pilotprojekt für mögliche Auslandsfernsehaktivitäten der Zukunft. Das Interesse und die Kooperationsbereitschaft des jordanischen Fernsehens, das über seinen fremdsprachigen Kanal bereits eine englische und eine französische Stunde sendet und mit der Aufnahme einer deutschen Stunde hierzu ein gewisses Gleichgewicht herstellen möchte, schaffen hierfür geeignete und notwendige Voraussetzungen.
Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, Sie haben gesagt, es seien keine festen Zusagen erteilt worden. Sind aber irgendwelche Ankündigungen in Richtung einer deutschen Stunde im jordanischen Fernsehen gemacht worden?
Möllemann, Staatsminister: Von uns jedenfalls nicht. Ich kann nicht ausschließen, daß die laufenden Gespräche, insbesondere zwischen den fachlich Verantwortlichen auf jordanischer Seite und den Fernsehanstalten bei uns so interpretiert worden sind. Es hat aber keine Zusagen gegeben. Dazu war einfach der Rahmen noch nicht ausreichend geklärt. Ich selbst war mit dieser Frage befaßt, habe auch die Gespräche geführt. Es gibt keine Zusage.
Weitere Zusatzfrage von Herrn Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, sind schon irgendwelche finanziellen Überlegungen angestellt worden? Stimmt es, daß ein Posten von etwa 2 bis 3 Millionen DM in Frage käme, der von den einzelnen Häusern zu leisten wäre? Wer soll diese Fernsehstunde bezahlen?
Möllemann, Staatsminister: Zu den Kosten kann ich etwas Konkreteres sagen. Die Kosten für ein deutschsprachiges Programm einmal wöchentlich, gegebenenfalls mit arabischen Untertiteln, belaufen sich auf ca. 1,6 bis 2 Millionen DM. Die Empfangbarkeit des fremdsprachigen Kanals des jordanischen Fernsehens auch außerhalb der Grenzen Jordaniens in Israel und in den südlichen Teilen des Libanons und Syriens würde einer deutschen Stunde insgesamt ein ausreichend großes Publikum erschließen, das den finanziellen Aufwand in dieser Größenordnung auch lohnen würde. Das Programm könnte darüber hinaus weiteren interessierten Fernsehstationen in der Region angeboten werden.
Danke schön. Wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers des Auswärtigen. Vielen Dank, Herr Staatsminister Möllemann, für die Beantwortung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gallus zur Verfügung.
Zu den Fragen 72 und 73 des Abgeordneten Dr. Ehmke ist um schriftliche Beantwortung gebeten worden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 74 des Abgeordneten Antretter:
Welche Konsequenzen sieht die Bundesregierung aus der Ablehnung der Europäischen Tierschutzkonvention durch die Parlamentarische Versammlung des Europarats für die nationale Gesetzgebung?
Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, der Entwurf eines Europäischen Übereinkommens zum Schutz von Wirbeltieren, die zu Versuchs- und anderen wissenschaftlichen Zwecken verwendet werden, hat in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats die für eine Empfehlung erforderliche Zweidrittelmehrheit knapp verfehlt. Der zur Zeit von der Bundesregierung vorbereitete Gesetzentwurf zur Änderung des Tierschutzgesetzes wird über die bisher in der Konvention vorgesehenen Bestimmungen hinausgehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Antretter.
Kann ich also Ihre Antwort so verstehen, Herr Staatssekretär, daß die Bundesre-
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4332 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Antrettergierung versuchen wird, den Gesetzentwurf im Sinne der Empfehlung des Bundesaußenministers und anderer Tierschützer an die Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarats zu formulieren, bei der es ihnen vor allem darauf ankam, die Europäische Tierschutzkonvention abzulehnen, da wichtige Voraussetzungen für einen wirksamen Tierschutz, z. B. eine stärkere Bindung, sich bei Tierversuchen der In-vitro-Methode zu bedienen, nicht berücksichtigt wurden?Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie sprechen von zwei Dingen. Auf der einen Seite hat der Herr Bundesaußenminister die Anregung in bezug auf die Konvention gegeben. Deshalb ist sie auch abgelehnt und zurückgestellt worden. Das betrifft Ihre zweite Frage. Wir werden in unserem Gesetzentwurf so weit gehen, wie wir überhaupt auf Grund der Verfassung gehen können, weil in Deutschland Forschung und Lehre nach der Verfassung frei sind.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Antretter. — Keine. Dann kommen wir zur nächsten Frage des Abgeordneten Antretter, die Frage 75:
Wird der Vertreter der Bundesregierung dafür eintreten, daß die Europäische Tierschutzkonvention in der vorliegenden Form auch im Ministerkomitee des Europarats abgelehnt wird, so wie es die Parlamentarische Versammlung empfohlen hat?
Herr Staatssekretär.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Bundesminister des Auswärtigen hat in der letzten Sitzung des Komitees der Ministerbeauftragten des Europarats eine Vertagung der Beratung des Übereinkommensentwurfs beantragt. Die Bundesregierung wird ihre Haltung in dieser Angelegenheit noch festlegen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Antretter.
Darf davon ausgegangen werden, Herr Staatssekretär, daß der Bundesaußenminister im Ministerkomitee die gleiche Haltung vertreten wird, die er selbst dem Europarat empfohlen hat und die von der gesamten deutschen Delegation und vielen anderen, vor allem aber allen deutschen Parlamentariern, akzeptiert wurde?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Herr Bundesaußenminister wird seine Meinung danach bilden, wie die Konvention nach der Zurückweisung neu vorgelegt wird.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Antretter.
Herr Staatssekretär, kann es sein, daß sich der Herr Bundesaußenminister in dieser Frage innerhalb des Bundeskabinetts alleine befindet?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Entschuldigung, ich habe das letzte nicht verstanden: alleine befindet?
Darf ich es anders formulieren: Kann es sein, Herr Staatssekretär, daß die übrigen Kabinettsmitglieder die Meinung des Bundesaußenministers, die zu übernehmen er dem Europarat empfohlen hat, nicht teilen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Ihre Frage enthält eine reine Vermutung, und zu Vermutungen kann ich keine Antwort geben.
Nun sind wir am Schluß dieser Frage.
Ich komme zu Frage 76 des Abgeordneten Dr. Scheer, der aber nicht im Raum ist. Deswegen wird die Frage entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Wir kommen zu Frage 77 des Abgeordneten Lattmann:
Ist der Bundesregierung das von dem Ratzeburger Ingenieur Alexander Kückens entwickelte Verfahren „Carborain" zur Stärkung der Widerstandskraft von Pflanzen und Bäumen bekannt, und wie beurteilt sie es?
Herr Staatssekretär.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das Carborain-Verfahren ist der Bundesregierung in seiner Funktion grundsätzlich bekannt. Es handelt sich dabei um ein Verfahren, mit dem gärtnerischen Kulturen über das Gießwasser das zur Assimilation notwendige Kohlendioxid in Gasform zugeführt wird.
Soweit mir bekannt ist, wird das Verfahren seit kurzem an verschiedenen gärtnerischen Versuchsanstalten der Länder untersucht. Untersuchungsergebnisse liegen deshalb zur Zeit noch nicht vor. Eine Beurteilung des Verfahrens ist aus diesem Grunde noch nicht möglich.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lattmann.
Herr Staatssekretär, sieht sich die Bundesregierung unter dem Gesichtspunkt, daß sich ja gerade im Bereich des deutschen Waldes eine erhebliche Verschlechterung ergeben hat und daß deshalb alles, was dem entgegenwirken könnte, untersucht werden sollte, in der Lage, hier weitere Überprüfungen anzustellen und gegebenenfalls diese Untersuchungen oder dieses Verfahren zu unterstützen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es befassen sich eine ganze Reihe von Lehr- und Versuchsanstalten mit diesem Verfahren, so die Lehr-und Versuchsanstalt für Zierpflanzenbau, Baumschulen und Floristik in Bonn, die Rheinische Lehr-und Versuchsanstalt für Gemüse- und Gartenbau in Straelen, die Hamburgische Gartenbauversuchsanstalt und die Gartenbauversuchsanstalt in Würzburg.
Wir werden, wenn Sie das wünschen, gern Auskunft geben, wenn die Versuchsergebnisse vorliegen.
Da wäre gut. Danke schön.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4333
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Schönen Dank, Herr Staatssekretär Gallus.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Vogt zur Verfügung.
Zuerst wird Frage 78 des Abgeordneten Amling aufgerufen:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Situation bei der Förderung des Behindertensports und die damit verbundene Kritik, z. B. des Deutschen Behindertensportverbandes, an der unzureichenden Mittelbereitstellung für den Versehrtensport nach § 11 des Bundesversorgungsgesetzes ?
Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, nach der Verordnung zur Durchführung des § 11 des Bundesversorgungsgesetzes werden den mit der Durchführung der Versehrtenleibesübungen beauftragten Landesverbänden des Deutschen Behindertensportverbandes die Kosten für die Durchführung der Versehrtenleibesübungen vom Haushaltsjahr 1981 an pauschal erstattet.
In der Begründung zu dieser Verordnung ist ausgeführt, daß in zweijährigen Abständen geprüft werden soll, ob infolge der Kostensteigerungen eine Neufestsetzung des Ausgangsbetrages der Pauschalierung erforderlich ist. Auf diese Aussage gestützt, hat der Deutsche Behindertensportverband im Jahre 1982 einen Antrag auf Erhöhung des Pauschbetrages für die Durchführung der Versehrtenleibesübungen nach dem Bundesversorgungsgesetz gestellt. Die Anhebung des Pauschbetrages wurde nach Eingang der erforderlichen Unterlagen im Jahre 1983 geprüft, infolge der Haushaltslage des Bundes jedoch ausgeschlossen.
Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat die Frage der Anhebung des Pauschbetrages Anfang 1984 erneut aufgegriffen und mit Vertretern des Deutschen Behindertensportverbandes erörtert. Es wird sich nach dem Ergebnis dieser Erörterung bei den Vorbereitungen für den Haushalt 1985 um die für eine Anhebung des Pauschbetrages erforderlichen Haushaltsmittel bemühen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Amling.
Ist es möglich, das Ergebnis dieser Beratungen als Mitglied des Sportausschusses zu erhalten?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen, daß die Bundesregierung erst in der Vorbereitung des Etats 1985 steht. Deshalb kann Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt natürlich keine verbindliche Auskunft über das Ergebnis der Beratungen gegeben werden.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Hürland.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, um welchen erhöhten Betrag es sich handelt, den der Deutsche Behindertensportverband beantragt hatte?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es tut mir leid, diese Frage kann ich Ihnen im Augenblick nicht beantworten. Ich bin gern bereit, Ihnen diese Frage schriftlich zu beantworten.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, Sie haben, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, eben gesagt, daß Sie sich für den Haushalt 1985 um die Erhöhung der Zuschüsse für den Behindertensport bemühen werden. Im vorigen Jahr war das die gleiche Situation. Kann ich davon ausgehen, daß das nicht nur eine rhetorische Bemerkung ist, sondern daß Sie sich hier ernsthaft anstrengen werden, die Mittel zu erhöhen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat sich im vorigen Jahr ernsthaft um die Anhebung des Pauschbetrages bemüht. Er wird dies in diesem Jahr mit der gleichen Ernsthaftigkeit tun. Ich hoffe, daß wir diesmal zu einem einvernehmlichen Ergebnis bei der Anhebung kommen.
Jetzt kommen wir zur Frage 79 des Abgeordneten Amling:
Sind der Bundesregierung die negativen Auswirkungen für den Behindertensport bekannt, die durch die Streichung bzw. Einschränkung der Freifahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln für die behinderten Mitbürger entstanden sind, und welche Folgerungen zieht sie daraus?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, negative Auswirkungen der von Ihnen angesprochenen Art sind der Bundesregierung nicht bekannt. Trotz einer Fülle von Eingaben zur Neuordnung der Freifahrt hat es noch keine Beschwerden darüber gegeben, daß auf Grund der Neuregelung der Ort des Behindertensports nicht mehr oder in Anbetracht der Fahrtkosten nur mit nicht mehr zumutbarem Aufwand erreichbar sei.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Amling.
Ist die Bundesregierung bereit, nach einiger Zeit zu überprüfen, ob der Behindertensport durch diese Beschneidungen nicht doch behindert wurde?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Wir werden auf Grund der Eingaben natürlich auch diesen Sachverhalt aufmerksam verfolgen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Amling.
Hat in diesen Fragen der Bundesbeauftragte für Behinderte einen engen Kontakt zu Ihrem Haus, Herr Staatssekretär?
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4334 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Vogt, Parl. Staatssekretär: Der Bundesbeauftragte für die Belange der Behinderten hat einen sehr engen Kontakt nicht nur zur entsprechenden Fachabteilung des Hauses, sondern auch zur politischen Leitung des Hauses.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Steinhauer.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß die Beunruhigung bei den Behinderten durch die Einschränkung bzw. Streichung der Freifahrten bis zur Bundesregierung durchgedrungen ist, und gibt es Überlegungen, diese in den ganzen Streichungspaketen enthaltenen unsozialen Einschränkungen rückgängig zu machen bzw. teilweise rückgängig zu machen oder aber den Behinderten wenigstens die Möglichkeit einzuräumen, eine Teilzahlung des erforderlichen Eigenbetrages von 120 DM vorzunehmen? Denn manche Behinderte sind sehr schwer belastet, wenn sie ihn auf einmal zahlen müssen.
Sie haben das, was Sie eben gefragt haben, mit dem Wort Sport verbunden?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Präsident, ich nehme an, daß das mit dem Wort Sport verbunden gewesen ist. Deshalb bin ich gern bereit zu antworten, Frau Kollegin. Natürlich sind uns — Sie haben das j a aus der Antwort ersehen — sehr viele Eingaben wegen dieses Sachverhalts, den Sie allgemein angesprochen haben, zugegangen. Aber zu der Frage des Kollegen Amling liegen bisher eben keine Beschwerden oder Eingaben vor. Im übrigen hat die Bundesregierung hier im Haushaltsbegleitgesetz nicht nur ihre Auffassung dargelegt, sondern das Hohe Haus hat dieses Haushaltsbegleitgesetz auch beschlossen. Ich kann hier Änderungen dieser Beschlußlage nicht ankündigen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lutz.
Herr Staatssekretär, können Sie mir mitteilen, ob der Bundesbeauftragte für Behinderte bei Ihnen schon vorstellig geworden ist, um im Sinne der Fragesteller eine Änderung zu erreichen, oder hat dieses Problem ihn noch nicht bewegt?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lutz, Sie können davon ausgehen, daß der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Behinderten mit diesem Problem befaßt ist und in dieser Angelegenheit auch an die politische Leitung des Hauses herangetreten ist.
Nein, das geht nicht. Es gibt immer nur eine Zusatzfrage eines anderen Kollegen.
Wir kommen zur Frage 80 der Abgeordneten Frau Steinhauer:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Förderung sogenannter für den Arbeitsmarkt zweckmäßiger Berufsförderungsmaßnahmen außer den gesetzlichen Einschränkungen zur Zeit fast total eingeschränkt ist, weil bei der Bundesanstalt für Arbeit keine Mittel mehr zur Verfügung stehen, und was gedenkt sie zu tun, um die berufliche Qualifikation weiter zu fördern?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die nach der Änderung des § 44 Abs. 2 a des Arbeitsförderungsgesetzes in diesem Jahr aufgetretenen Übergangsschwierigkeiten sind auf einen unerwartet starken Anstieg der Darlehensempfänger in der zweiten Jahreshälfte 1983 zurückzuführen. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat auf diese Entwicklung reagiert und im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen die vom Verwaltungsrat der Bundesanstalt am 1. März 1984 beschlossenen Mehrausgaben in Höhe von 87 Millionen DM genehmigt. Damit werden die derzeitigen Übergangsschwierigkeiten in Kürze bereinigt sein.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, ich gehe davon aus, daß Sie sicher die „Sozialpolitische Umschau" Nr. 36/84 des Bundespresse- und Informationsamtes kennen. In dieser Umschau ist noch einmal ganz eindringlich darauf hingewiesen, daß es Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt leichter haben, seltener arbeitslos werden, stärker gefragt sind. Hier geht es ja um die Zweckmäßigkeit. Sind Sie nicht der Auffassung, daß die derzeitigen Mittel noch verstärkt werden müssen, um gerade diesem Problem nachzukommen, damit wir nicht weiterhin erleben, daß Unqualifizierte von der Arbeitslosigkeit bedroht werden und damit dem Staat noch teurer kommen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich will noch einmal darauf hinweisen, daß die Mittel für die Aufstiegsförderung um 87 Millionen DM aufgestockt worden sind. Diese Mittel reichen nach unserer Auffassung aus, um allen Antragstellern gerecht zu werden, die in diesem Jahr diese Darlehensförderung beantragen.
Weitere Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß außer diesen individuellen Problemen für den einzelnen auch noch institutionelle Probleme entstanden sind und entstehen, indem nämlich durch Ihre Einschränkungen Bildungsinstitute in ihrer Existenz gefährdet werden und hier Schäden entstehen, die nie mehr wiedergutzumachen sind, für den einzelnen, für diese Bildungsinstitute und unter Umständen auch für die Region noch negative arbeitsmarktpolitische Konsequenzen entstehen?Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wir können die Befürchtungen, die Sie hier angesprochen haben, nicht ausschließen. Im Augenblick weicht jedoch Ihre Zusatzfrage sehr weit vom ursprünglichen Gegenstand ab. Ich kann Ihnen jetzt natürlich
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4335
Parl. Staatssekretär Vogtnicht aus der Hand sagen, ob die Befürchtung, die Sie angesprochen haben, in einem Fall schon Wirklichkeit geworden ist.
Wir haben eine Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben die 87 Millionen DM zusätzlicher Mittel genannt, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Angesichts des Drucks etwa beginnender Meisterkurse bereits Anfang April: Wann werden die Mittel den zuständigen Arbeitsämtern tatsächlich zur Verfügung stehen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Diese Mittel stehen den Arbeitsämtern sofort zur Verfügung.
— Seit dem Tag, an dem diese zusätzlichen Mittel bewilligt worden sind. Ich kann die, deren Anträge in den letzten Wochen abschlägig beschieden worden sind, weil die Mittel noch nicht bewilligt waren, nur darauf hinweisen, bei der Arbeitsverwaltung wieder vorstellig zu werden, damit ihr Antrag bedient wird.
Zusatzfrage des Abgeordneten Keller.
Herr Staatssekretär, auf Grund der Wichtigkeit dieser Maßnahme zur beruflichen Bildung darf ich noch einmal nachfragen, ob alle Anträge nun in diesem Jahr 1984 bewilligt werden können und ob Sie eventuell bestätigen können, daß in Zukunft in diesem wichtigen Bereich kein finanzieller Engpaß mehr entsteht.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Keller, ich kann Ihnen bestätigen, daß nach unserer Übersicht allen vorliegenden und noch eingehenden Anträgen im Jahre 1984 entsprochen werden kann. Denn durch diese 87 Millionen DM an zusätzlichen Mitteln stehen für das Jahr 1984 insgesamt 243 Millionen DM zur Verfügung, nach 216 Millionen DM im Vorjahr.
Im übrigen ist es Aufgabe der Selbstverwaltung der Bundesanstalt, geeignete Kriterien für die künftige Vergabe der Unterhaltsdarlehen festzulegen, die eine den arbeitsmarktlichen Bedürfnissen entsprechende und sozial ausgewogene Verteilung der zur Verfügung stehenden Mittel gewährleisten.
Nun kommen wir zur Frage 81 der Abgeordneten Frau Steinhauer:
Hält die Bundesregierung es für nicht notwendig, daß wegen der in absehbarer Zeit nicht erfüllten Erwartungen hinsichtlich der positiven Entwicklung des Arbeitsmarktes flankierende Maßnahmen zur Stützung des Arbeitsmarktes eingeleitet werden und diese insgesamt in ein Arbeitsförderungsprogramm zur Verbesserung der Beschäftigung einfließen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Bundesregierung hat die Voraussetzungen für eine nachhaltige Verbesserung der Beschäftigungslage geschaffen. Sie hat die Rahmenbedingungen für ein
dauerhaftes Wirtschaftswachstum nach Jahren wirtschaftlicher Schrumpfung gesetzt. Die Folge sind arbeitsplatzschaffende Investitionen mit zusätzlichen Beschäftigungsmöglichkeiten.
Erste Erfolge dieser Politik sind sichtbar. Der Arbeitsmarkt hat sich im letzten Jahr besser entwikkelt, als vorherzusehen war.
Neben Voraussetzungen für Investitionen und Wirtschaftswachstum schafft die Bundesregierung die notwendigen Bedingungen für eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit auf freiwilliger Basis — darüber hat dieses Hohe Haus heute vormittag beraten und beschlossen — und für mehr Flexibilität der Arbeitszeit. Das geplante Beschäftigungsförderungsgesetz ist hier zusätzlich zu nennen.
Außerdem wird das vorhandene arbeitsmarktpolitische Instrumentarium des Arbeitsförderungsgesetzes seit 1983 offensiver gefahren als in den Jahren davor. So stieg beispielsweise die Zahl der in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Beschäftigten jahresdurchschnittlich von 29 000 im Jahre 1982 auf fast 45 000 im Jahre 1983 an. 1984 sollen jahresdurchschnittlich 70 000 Arbeitslose in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beschäftigt werden. Das ist die höchste Zahl seit Bestehen des Arbeitsförderungsgesetzes. Ebenso begannen 1983 197 000 Arbeitslose mit Maßnahmen zur beruflichen Förderung. 1982 waren es 50 000 weniger. Für dieses Jahr ist ein weiterer Anstieg vorgesehen.
Nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit konnten durch Einsatz der arbeitsmarktpolitischen Instrumente im vergangenen Jahr rund 400 000 Arbeitsplätze geschaffen bzw. erhalten und die Zahl der Arbeitslosen um rund 300 000 gemindert werden.
Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß es besser ist, das bestehende arbeitsmarktpolitische Instrumentarium voll zu nutzen, statt zu unkoordinierten Sonderprogrammen Zuflucht zu nehmen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß die derzeitigen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen — ich sage das als Mitglied eines Verwaltungsausschusses — völlig vom Zufall abhängig sind, dringend einer Koordinierung bedürfen und in ein Beschäftigungsprogramm einmünden müssen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Nein, Frau Kollegin, dieser Auffassung bin ich nicht, denn es ist der Sinn der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nach dem Arbeitsförderungsgesetz, individuell zu helfen, also einem Arbeitslosen, der eine schlechtere Arbeitsmarktchance hat, eine bessere Arbeitsmarktchance dadurch zu verschaffen, daß er über eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme wenigstens zeitweilig beschäftigt wird.
Eine weitere Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Steinhauer.
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4336 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Bei aller Unterstreichung, daß eine zeitweilige Beschäftigung notwendig ist, denke ich aber doch, daß es dringend notwendig ist, diese Maßnahmen in ein Beschäftigungsprogramm einmünden zu lassen, damit wieder eine dauerhafte Beschäftigung erfolgt. Sind Sie nicht der Auffassung, daß Sie insbesondere die öffentliche Hand ermuntern müssen, dringend notwendige Maßnahmen, die Arbeitsplätze schaffen, zu beantragen und begleitend zu fördern? Ich denke z. B. an Maßnahmen im Bereich des Umweltschutzes, an Energiesparmaßnahmen usw.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wir haben ja aus der zweiten Hälfte der 70er Jahre und aus der Zeit Anfang der 80er Jahre unsere Erfahrungen mit Wirkungen, die solche angeblichen Beschäftigungsprogramme haben. Daß solche Programme gefahren worden sind, hat ja nicht verhindert, daß die Arbeitslosigkeit weiter zugenommen hat. Die Bundesregierung glaubt, das beste Beschäftigungsprogramm besteht darin, daß die Bedingungen für Investitionen verbessert werden. Auf Grund der Daten, die auch diese Bundesregierung gesetzt hat, rechnen sich heute Investitionen wieder. Es rentiert sich, in Sachkapital zu investieren. Es rentiert sich nicht mehr so, wie das in der letzten Zeit der Regierung Schmidt der Fall gewesen ist, das Geld sozusagen festverzinslich in Bundesschätzchen anzulegen. Das ist eine wesentliche Änderung, die die Beschäftigungschancen für die deutschen Arbeitnehmer auf Dauer verbessert.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lutz.
Herr Staatssekretär, da Sie vorhin so andachtsvoll dargestellt haben, wie Sie die Mittel für arbeitsbeschaffende Maßnahmen aufgestockt haben: Würden Sie nicht mit mir auch meinen, daß das selbstverständlich ist, nachdem Ihre Regierung den Nachkriegsrekord bei der Arbeitslosigkeit erreicht hat?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ich will nicht bewerten, durch welche sachlichen Bemerkungen Sie in eine andächtige Haltung gedrängt werden. Das ist Ihre Angelegenheit, Herr Kollege. Ich will nur darauf hinweisen — das wissen Sie doch genauso gut wie ich —, daß in Ihrer Frage kein sachlicher Kern steckt; denn der Arbeitsmarkt ist konjunkturell ein Spätindikator, und die Arbeitsmarktsituation, die wir heute haben, ist auf die Fehlentwicklungen in der zweiten Hälfte der 70er Jahre und zu Beginn der 80er Jahre zurückzuführen. Darüber kann kein Irrtum bestehen.
Im übrigen möchte ich darauf verweisen — und diese Zahlen können Sie nicht vom Tisch wischen —: Es ist eben seit September 1983 gelungen, den Anstieg der Arbeitslosenzahl — saisonbereinigt — zu bremsen. Die Zahl der Arbeitslosen, Witterungseinflüsse herausgerechnet, ist zum erstenmal seit dem Herbst des Jahres 1980 gesunken. Und daß es gelungen ist, die Zahl der Kurzarbeiter im Jahre 1983 um die Hälfte zurückzufahren, macht doch
ebenfalls deutlich, daß sich erste positive Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt zeigen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kirschner.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich, wenn Sie die von der vorhergehenden Bundesregierung aufgelegten Beschäftigungsprogramme so ins Abseits stellen, daß die Zahl der Erwerbstätigen in den Jahren 1976 bis 1981 ausweislich des Statistischen Bundesamtes um rund 1,2 Millionen gestiegen ist?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin deshalb sicher, eine richtige Aussage getroffen zu haben, weil die verschiedenen Beschäftigungsprogramme, die Sie aufgelegt hatten, im Wege der Neuverschuldung finanziert worden sind, auch mit der Folge, daß wir ein verhältnismäßig hohes Zinsniveau hatten — nicht nur wegen der hohen amerikanischen Zinsen, wie Sie das immer behauptet haben, sondern eben wegen der Verschuldenspolitik im Inland. Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, das Zurückfahren der öffentlichen Neuverschuldung, hat eben mit dazu beigetragen, daß sich jetzt die Bedingungen für Investitionen entscheidend verbessert haben. Ich weise noch einmal darauf hin: Es lohnt sich wieder, in Sachkapital zu investieren, statt das Geld im Wege des Kaufs von Bundesschätzchen festverzinslich dem Staat zu geben.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Hürland.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, warum die Zahl seit 1981 nicht mehr gestiegen ist?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Die Zahl der ...?
Die von Herrn Kollegen Kirschner erwähnte Zahl der Beschäftigten auf Grund der Förderungsprogramme. — Ich darf vielleicht wiederholen: Herr Kollege Kirschner hat gesagt, daß die Zahl auf Grund der Förderungsprogramme bis 1981 gestiegen sei. Warum ist die nur bis 1981 und nicht darüber hinaus gestiegen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Weil sich in den Jahren 1981 und danach die wirtschaftlichen Fehlentwicklungen auf dem Arbeitsmarkt niedergeschlagen haben. Ich will noch einmal wiederholen: Der Arbeitsmarkt ist konjunkturell ein Spätindikator. Das merken wir beim wirtschaftlichen Abschwung; das merken wir leider auch bei der wirtschaftlichen Erholung. Deshalb wollen wir als Bundesregierung ein Programm zur Förderung der Beschäftigung vorlegen, um die Eintrittschancen für Arbeitslose in einer Phase der wirtschaftlichen Belebung zu verbessern.
Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, werden die Betroffenen durch die Nennung der
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4337
Immer
Zahl der Leistungsempfänger auf die Frage nach der Zahl der Arbeitslosen nicht darüber hinweggetäuscht, daß diejenigen, die keine derartigen Leistungen mehr erhalten und auf die Sozialhilfe angewiesen sind, ebenfalls Arbeitslose sind? Man schätzt doch die Zahl dieser Betroffenen auf über 1 Million.Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir könnten in die Details des Arbeitsförderungsgesetzes eintreten und die Frage erörtern, wer als Arbeitsloser registriert und von der Arbeitsverwaltung ausgewiesen wird. Ich will hier aber nur sagen: Dazu gehören nicht nur die Leistungsempfänger, also die Arbeitslosengeld- und die Arbeitslosenhilfebezieher, sondern auch diejenigen, die sich mindestens in dreimonatigem Abstand als vermittlungsfähig bei der Arbeitsverwaltung melden. Im übrigen können Sie aus der Tatsache, daß ein gemeldeter Arbeitsloser keine Leistungen von der Arbeitsverwaltung erhält, nicht schließen, daß er der Sozialhilfe anheimgegeben ist. Denn die Arbeitslosenhilfe wird nur im Fall der Bedürftigkeit gewährt. Wenn von zwei Ehegatten der eine arbeitslos geworden, aber der andere noch voll erwerbstätig ist, ist die Voraussetzung für die Gewährung von Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe gar nicht gegeben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Ehmke .
Herr Staatssekretär, befürchten Sie nicht mit uns, daß wir bei aller Freude über konjunkturelle Belebung bei den jetzt vorliegenden Zahlen davon ausgehen müssen, daß wir in den nächsten Abschwung mit einem höheren Arbeitslosensockel hineingehen, als es das vorige Mal der Fall war, d. h. daß sich die Situation strukturell doch weiter verschlechtert?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Ehmke, wenn ich Ihre Frage so nähme, wie ich sie jetzt empfunden habe, müßte ich darauf antworten: Das wäre eben dann auch ein Teil der Erblast, die wir im September 1982 übernommen haben. Nur gehe ich davon aus, daß es auch in einem mittelfristigen Wachstumsprozeß gelingen kann, den nächsten konjunkturellen Einbruch hinauszuschieben. Wir haben ja auch gar kein Interesse etwa an einem steilen Aufstieg, der dann vielleicht in einer Kurve wieder bricht. Ein stetiges Wachstum in diesen 80er Jahren mit der entsprechenden beschäftigungspolitischen Wirkung ist uns lieber.
Also, meine Damen und Herren: Die Frage war breit angelegt; die Antworten waren noch breiter. Ich lasse noch zwei Zusatzfragen zu. Dann kehren wir zu der Fragestunde an einer anderen Stelle zurück.
Das Wort zu einer Zusatzfrage hat der Abgeordnete Dr.-Ing. Kansy.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß das von den Kollegen der SPD eben etwas negativ angesprochene statistische Verfahren zehn oder mehr Jahre alt und nicht eine Erfindung dieser Tage ist?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Natürlich. In diesen Punkten ist das Arbeitsförderungsgesetz seit dem September 1982 nicht geändert worden. Nach den Kriterien, nach denen heute die Arbeitslosenstatistik aufgeführt wird, tun wir das im Prinzip seit 1969.
Zusatzfrage des Abgeordneten Peter.
Eine knappe Frage, Herr Staatssekretär. Ich hoffe auf eine knappe Antwort. Stimmen Sie mir zu, daß sich die Zahl der Erwerbstätigen im Jahr 1983 gesenkt und daß sich damit die Relation zwischen Erwerbstätigen und Arbeitslosensockel verschoben hat?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann Ihnen dies so jetzt nicht bestätigen, weil ich im Moment das Statistische Handbuch nicht vorliegen habe.
Die Fragen 82 und 83 des Abgeordneten Kuhlwein sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 84 des Abgeordneten Kirschner:
Wieviel ausländische Arbeitnehmer haben bisher die bis zum 30. Juni 1984 befristete Rückkehrhilfe in Anspruch genommen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, bis Mitte März 1984 haben 30 000 türkische Arbeitnehmer und rund 4 000 portugiesische Arbeitnehmer einen Antrag auf Erstattung der Rentenversicherungsbeiträge sowie 5 438 ausländische Arbeitnehmer einen Antrag auf Rückkehrhilfe gestellt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kirschner.
Herr Staatssekretär, wie war denn das Plan-Soll der Bundesregierung bis zum heutigen Tag auf Grund des von Ihnen vorgelegten und hier verabschiedeten Gesetzentwurfs?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir sind davon ausgegangen, daß bis zum 30. Juni 1984 — bis zum 30. Juni 1984 können j a Anträge auf Beitragsrückerstattung bzw. Rückkehrhilfe gestellt werden — etwa 50 000 Anträge auf Beitragserstattung und etwa 19 000 Anträge auf Rückkehrhilfe kommen werden. Ich glaube also, daß sich die Zahlen, die wir Mitte März vorliegen hatten, etwa im Rahmen dessen bewegen, was Voraussetzung und Prognose bei diesem Gesetz gewesen ist.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Kirschner?
Nein.
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4338 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Wir kommen zur letzten Frage. Es ist die Frage 85 des Abgeordneten Kirschner:
Welche Initiativen für die Behinderten, die aus Zuschriften und auf persönliche Ansprache dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Behinderten diesem im Zusammenhang mit den Änderungen durch die haushaltsbegleitenden Gesetze '83 und '84 vorgetragen wurden, hat dieser aufgegriffen, und was wurde von ihm bewirkt?
Herr Staatssekretär.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Behinderten ist seinen Aufgaben während der Beratungen über die Haushaltsbegleitgesetze 1983 und 1984 voll nachgekommen. Seinem Auftrag entsprechend hat er Kontakt zu den Behinderten, ihren Organisationen, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und Rehabilitationsträgern gesucht und gefunden. Die hierbei gewonnenen Erfahrungen hat er in die Beratungen der Haushaltsbegleitgesetze insgesamt eingebracht. Wegen der Notwendigkeit, Einsparungen auch im sozialen Bereich vorzunehmen, konnten allerdings nicht alle Wünsche Berücksichtigung finden.
Im übrigen greift der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Behinderten alle an ihn herangetragenen Anliegen auf und verfolgt sie weiter.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kirschner.
Herr Staatssekretär, meine Frage lautete, welche Initiativen der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Behinderten ergriffen hat. Ich denke hier beispielsweise an die einschneidenden Kürzungen in den Haushaltsbegleitgesetzen, insbesondere was die Streichung der Freifahrtregelungen, der Kfz-Steuerbefreiung oder der Behindertenrente betrifft. Meine Frage lautet: Welche konkreten Initiativen — ich gehe davon aus, daß man hier seitens der Behinderten und ihrer Verbände ganz gezielt an den Beauftragten herangetreten ist — hat der Behindertenbeauftragte ergriffen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Der Behindertenbeauftragte hat sich beispielsweise dafür eingesetzt, von einer Kostenbeteiligung der Rehabilitanden an auswärtiger Unterbringung abzusehen. Bei diesem Einsatz hat er Erfolg gehabt; seine Bemühungen sind von Erfolg getragen gewesen.
Er hat sich dafür eingesetzt, daß die Gehörlosen wegen ihrer sozialen Isolation die Freifahrtmöglichkeit im öffentlichen Personenverkehr behalten. Hier ist der Gesetzgeber seinen Vorstellungen nicht gefolgt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kirschner.
Herr Staatssekretär, Sie behaupten, daß der Behindertenbeauftragte für die Behinderten initiativ geworden sei. Wie erklären Sie sich dann, daß laut eines Zeitungsartikels vom 13. März
1984 in der „Frankfurter Rundschau", eines offenen Briefes — ich gehe davon aus, daß Sie ihn kennen —, ein Arbeitskreis, in dem Eltern aus mehr als 60 Behinderteneinrichtungen in Bayern vertreten sind, erklärt, daß er sich von dem Behindertenbeauftragten der Bundesregierung hinters Licht geführt fühle, und in diesem Zusammenhang von einem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Bundesregierung spricht?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann natürlich den Unmut verstehen, der in Bevölkerungskreisen entsteht, wenn soziale Leistungen zurückgenommen werden müssen und mußten. Aber der Beauftragte für die Belange der Behinderten hat sich im Rahmen seiner Zuständigkeiten für diesen Personenkreis eingesetzt. Es liegt nicht am Beauftragten für die Belange der Behinderten, wenn nicht allen Wünschen Rechnung getragen werden konnte.
Zusatzfrage des Abgeordneten Lutz.
Herr Staatssekretär, da der Bundesbeauftragte für Behinderte dem Sozialausschuß nach wie vor ein unbekanntes Wesen geblieben ist, darf ich Sie fragen, ob Sie ihm die gleiche Effizienz wie seinem Vorgänger bescheinigen möchten.
Vogt, Parl. Staatssekretär: Ja, das tue ich ganz ausdrücklich. Im übrigen hätten Sie ja die Möglichkeit, im Ausschuß zu beantragen
— Sie können es ja erneut beantragen —, daß der Beauftragte für die Belange der Behinderten im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung befragt wird und dort die Chance zu einer Stellungnahme bekommt.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer.
Herr Staatssekretär, da Sie sagen, daß der Beauftragte für Behindertenfragen seinen Aufgaben so hervorragend nachgekommen sei, frage ich: Können Sie dokumentieren, in welcher Weise er gerade gegen die Einschränkung der Freifahrten für Behinderte vorgegangen ist und wie die entsprechende Antwort der Bundesregierung ausgesehen hat?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe vorhin bei einer anderen Zusatzfrage darauf hingewiesen, daß sich der Beauftragte für die Belange der Behinderten dafür eingesetzt hat, daß die Gehörlosen wegen ihrer sozialen Isolation die Freifahrtmöglichkeit im öffentlichen Personenverkehr behalten. Aber hier ist er mit seinem Einsatz nicht erfolgreich gewesen; der Gesetzgeber hat anders entschieden.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Hürland.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4339
Herr Staatssekretär, abgesehen davon, daß einschneidende Maßnahmen gegen die Behinderten bereits im 1. Haushaltsstrukturgesetz durchgeführt worden sind, frage ich Sie: Gehen Sie mit mir einig, daß der Bundesbeauftragte für Behinderte seine Aufgaben eher bei den Behindertenverbänden und vor Ort sieht als im Ausschuß?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es ist in der Tat seine Aufgabe, mit den betroffenen Personen, ihren Organisationen und Institutionen Kontakt zu suchen, vor Ort die Probleme kennenzulernen und auch praktisch zu helfen. Dieser Aufgabe wird der Beauftragte voll gerecht.
Im übrigen kann ich nur darauf hinweisen, daß natürlich auch frühere Regierungen angesichts der Notwendigkeit, öffentliche Leistungen dem finanziellen Rahmen anzupassen, Leistungskürzungen beschlossen haben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Egert.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie die Frage meines Kollegen Kirschner mit wirklich bemerkenswerten Sätzen von erhabener Allgemeinheit beantwortet haben und an zwei Punkten konkret geworden sind, habe ich die Frage, ob der Behindertenbeauftragte, nachdem die Kollegin Hürland hier gefragt hat, was er sonst noch alles getan hat, tatsächlich noch mehr getan hat. Ich komme auf die Frage zurück: Könnten Sie dies dokumentieren? Und sind Sie mit mir der Auffassung, daß sich der Behindertenbeauftragte am Beispiel der Ausländerbeauftragten orientieren könnte, damit man hörbar etwas von seinen Aktivitäten spüren könnte?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Die Wirksamkeit eines Beauftragten der Bundesregierung hängt nicht in jedem Fall davon ab, wieviel öffentliche Resonanz er findet oder schafft, sondern es kommt auf die effektive Leistung an. Hier hat der Beauftragte für die Belange der Behinderten eine erfolgreiche Arbeit vorzuweisen.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade von der effektiven Leistung gesprochen. Herr Kirschner wollte ja wissen, welche Initiativen aufgegriffen wurden. Wir haben ganz wenige gehört. Vorhin haben Sie eine Frage nicht beantwortet, weil sie zu speziell war. Ich möchte einmal wissen: Hat der Behindertenbeauftragte das Problem der Freifahrtregelung aufgegriffen? Sieht er Chancen, daß da etwas geändert wird? Sieht er insbesondere Chancen, daß die Behinderten, die nicht in der Lage sind, den Betrag auf einmal zu zahlen, eine Teilzahlungsmöglichkeit eingeräumt bekommen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe darauf hingewiesen, daß sich der Beauftragte für die Belange der Behinderten auch um diesen
Problemkreis gekümmert hat. Ich sagte das im Zusammenhang mit dieser Frage und auch im Zusammenhang mit einer vorhin in der Fragestunde gestellten Frage.
Selbstverständlich gehen bei ihm auch die entsprechenden Schreiben und Bitten ein. Er bearbeitet sie in der Weise, wie ihm das als Auftrag gegeben ist. Die Änderung von gesetzlichen Bestimmungen beschließt dieses Hohe Haus.
Zusatzfrage des Abgeordneten Peter.
Herr Staatssekretär, wenn in dem von Herrn Kirschner vorhin zitierten Protestbrief der 60 Behinderteneinrichtungen in Bayern geschrieben wird, daß der Behindertenbeauftragte in seinem Referat den Kanon der breitgefächerten finanziellen Kürzungen als „Hilfe zur Selbsthilfe" bezeichnet hat, sind Sie dann der Meinung, daß der Behindertenbeauftragte damit seinem Auftrag, die Interessen der Behinderten gegenüber der Bundesregierung zu vertreten, gerecht wird?
Vogt, Pari. Staatssekretär: Was der Beauftragte für die Belange der Behinderten da gesagt hat, widerspricht ja nicht der Tatsache, daß er sich für diesen Personenkreis einsetzt. Im übrigen hat auch der Beauftragte der Bundesregierung in seinen Aktionen die Rahmendaten, die er vorfindet, mit zu berücksichtigen. Ich meine, ein Beauftragter der Bundesregierung würde seinen Auftrag nicht erfüllen, wenn er gegenüber dem Personenkreis, den er vertritt, Erwartungen erzeugt, von denen er selbst weiß, daß sie nicht zu erfüllen sind.
Ich möchte Sie darauf hinweisen, Herr Kollege Peter, daß die Änderungen bezüglich der Freifahrt Vorschläge waren, die breit über alle politischen Parteien hinweg geäußert worden sind. Ich kann mich sehr gut an entsprechende Äußerungen des Ministers für Arbeit und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen, des Kollegen Farthmann, erinnern, der gerade auf diesem Gebiet einen großen Handlungsbedarf gesehen hat.
Meine Damen und Herren, ich habe noch vier Wortmeldungen. Ich habe die Absicht, dann abzuschließen. Mir scheint, hier bahnt sich an, daß wir über das Behindertenthema noch einmal zu einer anderen Zeit gründlich sprechen müssen.
Herr Abgeordneter Keller ist der nächste.
Herr Staatssekretär, auf Grund der vorangegangenen Diskussion möchte ich Sie fragen, ob Sie eventuell belegen können, daß der frühere Behindertenbeauftragte alle — oder, wie ich einschränkend sagen möchte, fast alle — Wünsche, die an ihn herangetragen worden sind, zur Zufriedenheit erledigen konnte.
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4340 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Vogt, Parl. Staatssekretär: Auch der Vorgänger des jetzigen Amtsinhabers war kein Herkules, Herr Kollege.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jannsen.
Herr Staatssekretär, können Sie bitte erläutern, in welcher Weise sich der Beauftragte für Behindertenfragen für die schwerstbehinderten Heimbewohner eingesetzt hat, die bei 100 DM Taschengeld im Monat jetzt 120 DM für die Jahreskarte bezahlen müssen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Der Beauftragte für die Belange der Behinderten hat sich dafür eingesetzt, daß diese Kürzungsmaßnahme nicht vorgenommen wird. Der Gesetzgeber hat anders entschieden.
Im übrigen werden wir ja in absehbarer Zeit den Bericht über die Behinderten vorliegen haben. Das Kabinett wird in nächster Zeit darüber entscheiden. Wir werden dann in den zuständigen Ausschüssen und auch im Plenum alle Aspekte der Behindertenpolitik ausgiebig diskutieren können.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hettling.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, in wie vielen Fällen der Beauftragte der Bundesregierung für die Behinderten konkret Anregungen der Verbände entgegengenommen hat und ob diese Anregungen in dem Bericht, den Sie gerade ankündigen, auch dokumentiert sind?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe im Augenblick keine Strichliste vorliegen, die Auskunft darüber gibt, wann und wie oft der Beauftragte für die Belange der Behinderten bei entsprechenden Personen, Organisationen gewesen ist. Ich glaube, es hilft den Behinderten auch nicht, wenn eine solche Strichliste geführt wird. Es kommt vielmehr darauf an, daß er die Interessenlage dieses Personenkreises in dem Rahmen, in dem er tätig werden muß, artikuliert. Das tut dieser Beauftragte für die Belange der Behinderten jetzt ebenso, wie es sein Vorgänger getan hat.
Eine letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Kastning.
Herr Staatssekretär, da es in der Tat nicht um Erbsenzählen und Strichlistenführen geht, sondern um grundsätzliche Probleme, möchte ich Sie fragen: Darf ich aus einer der vorausgegangenen Antworten schließen, daß der Behindertenbeauftragte im Verständnis der Bundesregierung zuallererst die Aufgabe hat, die Kürzungspolitik der Bundesregierung den Behinderten verständlich zu machen, statt umgekehrt diesen die ernsten Probleme der Bundesregierung nahezubringen?
Vogt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn Sie die Frage so stellen, haben Sie eine Aussage von mir zumindest falsch mitbekommen. Gerade auch auf die letzte Frage habe ich ausdrücklich gesagt: Es ist Aufgabe dieses Beauftragten, die Interessen des betroffenen Personenkreises zu vertreten. Ich habe darauf hingewiesen, daß der Beauftragte für die Belange der Behinderten das tut.
Ich kann den Vorwurf, der in Ihrer Frage steckt, nicht akzeptieren. Aber ich muß ebenfalls darauf hinweisen, daß kein Beauftragter der Bundesregierung dem Personenkreis, den er vertritt, sozusagen einen guten Dienst leistet, wenn er öffentlich Erwartungshorizonte erzeugen sollte, von denen er selbst weiß, daß sie kaum zu erfüllen sind.
Das heißt nicht, daß er sich nicht intern für die Belange seines Personenkreises intensiv einsetzt. Aber dieser Einsatz und die Schaffung von nicht erfüllbaren Erwartungshorizonten sind etwas Verschiedenes.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Fragestunde. Wir haben das seltene Ergebnis zu verzeichnen, während des Verlaufs der zwei Fragestunden dieser Woche alle Fragen beantwortet zu haben.Ich danke Herrn Staatssekretär Vogt für die Beantwortung der Fragen.Ich rufe die Punkte 3 bis 5 der Tagesordnung auf:8. Beratung des Agrarberichts 1984 der Bundesregierung— Drucksachen 10/980, 10/981 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Haushaltsausschuß4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNENEinführung der offenen Deklaration
— Drucksache 10/1053 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Bard und der Fraktion DIE GRÜNENErgänzungsbedürftigkeit rahmenrechtlicher Vorschriften des Bundesjagdgesetzes zum Schutz der Waldfunktionen vor Schäden durch Schalenwild— Drucksache 10/1054 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenZu Punkt 3 der Tagesordnung liegen Ihnen Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/1188 und der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/1190 vor.
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Vizepräsident WestphalNach einer Vereinbarung des Ältestenrats sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 3 bis 5 und eine Aussprache von vier Stunden vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann eröffne ich die Aussprache. Zuerst hat das Wort Herr Dr. Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Anfang meines Beitrages zwei Vorbemerkungen machen. Die erste: Ich möchte namens meiner Kollegen allen denen danken, die an der Erstellung und optimalen Ausgestaltung des Berichts im BML und anderswo beteiligt waren.
Eine zweite Bemerkung: Zu dem Bericht selber, zum Zahlenwerk, zu den Ergebnissen und den politischen Absichten werden mein Kollege Müller und andere Kollegen Stellung nehmen.In der gestrigen Einbringungsrede des Bundesernährungsministers hat die EG-Argarpolitik verständlicherweise eine besondere Rolle gespielt. Zur Lage der EG allgemein ist gestern hier im Hause ausführlich Stellung genommen worden. Ich kann darauf jetzt verzichten.In meinem heutigen Beitrag möchte ich mich nur mit wenigen EG-Agrarfragen befassen.Es trifft zu, daß es noch nie einen solchen Stau von Problemen in der Gemeinschaft gegeben hat. Es ist auch richtig, Herr Bundesminister, daß Sie eine schwierige Lage in der Agrarpolitik vorgefunden haben und diese Lage nicht von heute auf morgen entstanden ist. Aber Sie selber, Herr Minister, sind von der Mitverantwortung nicht frei. Sie selber haben unsere Brems- und Korrekturversuche um die Jahrzehntwende — die auch in dem sogenannten Apel-Papier zum Ausdruck kamen — an dieser Stelle als bauernfeindlich abgestempelt.
Die gehandhabte Preis- und Interventionspolitik ging Ihnen nicht weit genug, Sie wollten immer noch mehr. Dafür gibt es Belege; wir können sie Ihnen herholen.
Gestern haben Sie, Herr Bundesminister, das abgestritten. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie in einem Jahr Ministertätigkeit Ihr Erinnerungsvermögen so eingebüßt haben, daß Sie sich an Ihre früheren Aussagen nicht mehr erinnern können.
Heute sind Sie, Herr Bundesminister, Mitglied derBundesregierung. Ich bin gerne bereit zuzugeben,daß Sie ein sehr schwieriges Amt in schwierigen Zeiten verwalten.
Es muß Sie bitter schmerzen, daß Ihre bäuerlichen Berufskollegen schon nach einem Jahr Ihrer Amtsführung auf die Straße gehen und lautstark gegen Ihre Politik demonstrieren. Das Dortmunder Pfeifkonzert hat nicht einmal Hermann Höcherl erleben müssen.Ich empfinde — lassen Sie mich das ganz ehrlich sagen — darüber wahrhaft keine Schadenfreude. Aber ich kann auch die Landwirte verstehen. Ich war in Dortmund dabei. Meine Stimmungslage erkennen Sie aus einem kleinen Wortwechsel mit einem Journalisten, den Sie alle kennen. Er fragte mich vor der Kundgebung, ob ich jetzt, in der Opposition stehend, nicht endlich glücklich sei angesichts der Stimmung der 22 000 Menschen und der unzähligen gegen die Bundesregierung gerichteten Plakate und Transparente. Meine Antwort: Die ganze Sache sei viel zu ernst, als daß ich Schadenfreude und Vergnügen empfinden könne. — Das konnte er nur schwer begreifen; aber er hat es dann begriffen.
Sie haben, Herr Minister, grundlegende Änderungen in der Agrarpolitik eingeleitet. Deren negative Konsequenzen die Landwirtschaft spürt und, noch zu spüren bekommen wird, und das sowohl in der europäischen als auch in der nationalen Agrarpolitik. In der gemeinsamen Agrarpolitik sind Sie, Herr Minister, für zwei entscheidende, einschneidende Veränderungen verantwortlich. Ich meine die Änderung des Währungsausgleichssystems und die Einführung einer Quotenregelung — mit Ihren Worten eine Garantiemengenregelung — bei Milch.Lassen Sie mich ganz kurz mit dem Währungsausgleich beginnen. Er war das notwendige Übel einer gemeinsamen Preispolitik, die durch Währungsverschiebungen sonst aus den Fugen geraten wäre. In dem später geschaffenen EWS sahen wir den Anfang einer gemeinsamen Währungspolitik, die alle Agrarpolitiker seit Anfang der 60er Jahre hier im Hause unentwegt gefordert hatten, weil ohne eine solche gemeinsame Währungspolitik die Agrarpolitik nicht funktionieren könne. Das hat bisher getrogen. Trotzdem muß man an der Weiterentwicklung des EWS hart weiterarbeiten.Wir alle wissen seit Jahr und Tag, daß der Abbau des deutschen Währungsausgleichs für Frankreich eine innenpolitisch hochsensible Frage war. Ich habe auch Verständnis dafür, daß eine Regierung in einer für sie wichtigen Frage hart verhandelt, auch einem Partner gegenüber, zu dem sie besonders enge Beziehungen hat. Keinerlei Verständnis habe ich aber für eine Bundesregierung, die diesem Drängen sang- und klanglos nachgibt. Mehr noch: Die Bundesregierung entwickelt selbst das Modell,
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Dr. Schmidt
mit dem der Abbau ohne Berücksichtigung anderer Faktoren geregelt werden und vonstatten gehen kann. Das heißt doch nichts anderes, um es bildlich auszusprechen, als daß der Delinquent den Strick selbst liefern darf, mit dem er aufgehängt wird.
Hier wäre, Herr Bundesminister, mehr Stehvermögen erforderlich und auch möglich gewesen. Das Beispiel der von der Regierung Schmidt/Genscher erreichten Vereinbarung des sogenannten Gentlemen's Agreement von 1979 anläßlich der Einführung des EWS zeigt, wie man auch unter stärkstem Druck erfolgreich standhalten kann, ohne Freundschaften zu gefährden. Eine solche Chance hat diese Bundesregierung aber gleich nach ihrem Amtsantritt vorigen Jahres vertan. Bei der damaligen Wechselkursanpassung im EWS zugunsten Frankreichs akzeptierte sie eine überproportionale DM-Aufwertung ohne die Zusage, daß Frankreich auf einen Abbau des neu entstandenen deutschen Währungsausgleichs verzichtet.
Damals entstanden gerade jene fünf Punkte — Währungsausgleich —, die nach der jetzigen Vereinbarung Anfang nächsten Jahres abgebaut werden müssen.Was bedeutet nun diese Einigung über das neue System? Kurz gesagt, nach meiner Auffassung nichts Gutes. Der erste Schritt, 3% unseres positiven Grenzausgleichs in einen 3 %igen negativen Grenzausgleich für die Abwertungsländer umzuwandeln, verschafft diesen ein Geschenk. Im zweiten Schritt ist die Senkung des positiven Grenzausgleichs um 5% zum 1. Januar 1985 vorgesehen. Dafür soll die deutsche Landwirtschaft zwar einen gewissen Preissenkungsausgleich in Höhe von etwa 1,8 Milliarden DM pro Jahr erhalten, doch stellt dies weder einen vollständigen Ausgleich für die dem einzelnen Betriebsinhaber entstandenen Einkommensverluste dar, noch ist eine bestimmte Zeitdauer dieses Ausgleichs gesichert.Wer Erfahrungen mit der Brüsseler Bühne hat, weiß, daß nunmehr bei jeder Preisrunde von den Mitgliedstaaten ein neues Feilschen einsetzen wird. Der Streit um die eng begrenzte Gemeinschaftsbeteiligung am nationalen Ausgleich ist ein warnendes Signal für uns alle.Dagegen ist etwas anderes um so sicherer: Die Preise für die deutsche Landwirtschaft werden in Zukunft eingefroren, nachdem man sie erst einmal gesenkt hat. Die Abwertungsländer — nun kommt der Punkt — erhalten dagegen zusätzliche Preisanhebungsspielräume in nationaler Währung. Sie werden diese nutzen, wenn es ihnen politisch opportun erscheint. Dadurch entstehen neue Produktionsanreize in diesen Ländern, gerade bei den Überschußprodukten mit entsprechenden Kosten für den Gemeinschaftshaushalt, von der weiteren Inflationsgefahr in diesen Ländern ganz zu schweigen.Zu keinem besseren Urteil kommt man bei der Bewertung des Systems der Milchquoten oder, wieSie es gern hören, der Garantiemengen. Hier dürfen Sie, Herr Kollege Kiechle, für sich in Anspruch nehmen, ein Spiel „Einer gegen alle" begonnen und beendet zu haben. Ich wage allerdings zu bezweifeln, ob Sie es schließlich gewinnen werden.In jedem Fall ist der Eifer anzuerkennen, mit dem Sie sich diesem Spiel hingegeben haben. Die widerstrebenden Bundesländer, ein liberaler Wirtschaftsminister, schließlich die Kommission und die Mitgliedstaaten, alle mußten bekehrt werden und sind bekehrt worden. Gleichwohl sind offenbar ernste Zweifel geblieben, die Sie bisher nicht ausräumen konnten. Unsere und andere landwirtschaftliche Marktorganisationen, selbst Ihr Koalitionspartner, der wissenschaftliche Beirat Ihres Hauses, die Agrarökonomen und viele andere bleiben auch heute noch bei ihrer warnenden Haltung.
Auch der französische Vorsitzende des Agrarministerrats, Herr Rocard, stellte dort kürzlich fest: „Hätte man uns Landwirtschaftsministern etwas mehr Zeit gelassen, dann hätten wir doch etwas Klügeres" — Klügeres! — „als Quoten gefunden." Solche Zweifel scheinen Sie, Herr Kollege Kiechle, nicht gehabt zu haben. Ich frage Sie: Haben Ihnen Ihre Mitarbeiter nicht von der ständigen schweren Auseinandersetzung über dasselbe Problem in der Schweiz berichtet? Hat das relativ einfache Beispiel Zucker bei Ihnen keine Bedenken aufkommen lassen, diese Quoten so nach vorn zu treiben?Nun wollen wir ganz kurz beantworten: Was bringt diese Regelung bei Milch? Zunächst einmal — das muß man festhalten — wird in Deutschland neben Großbritannien die größte Menge aus dem Interventionsschutz herausgenommen. Das Basisjahr 1981 ist für uns in der Bundesrepublik ungünstig. Wir wollen aber nicht kleinlich sein. Viel gravierender ist, daß mit der Milchquotenregelung eine tiefgreifende Wende in der Agrarpolitik eingeleitet worden ist. Wir haben in Europa damit den Marsch in den Dirigismus angetreten.Nun, insgesamt ist die Bundesregierung dafür verantwortlich. Sie hat das abgesegnet. Sie, Herr Minister Kiechle, werden damit sicher in die Agrargeschichte dieses Jahrzehnts eingehen. Aber ich sage Ihnen voraus — sonst bin ich kein Hellseher —, Ihnen wird es so gehen, wie dem Hexenmeister, der die Geister rief und sie dann nicht mehr los wurde.Bundeskanzler Kohl sprach in seiner Regierungserklärung von mehr Freiheit für den Bürger, von größerer Selbstverantwortung und von einer Rückführung staatlicher Eingriffe in den privaten Entscheidungsspielraum. Vor wenigen Wochen verkündete das Kabinett hehre Absichten, Bürokratie und Regelungsdichte in deutschen Gesetzen drastisch abzubauen. Herr Minister Kiechle, Sie selbst haben die Verordnungsflut hier an diesem Pult in jedem Jahr kritisiert und von der Blockierung der politischen Arbeit gesprochen, von der Überbordung der Bürokratiekosten. Das wird noch schlimmer werden, als es bisher war. Jetzt stellen Sie sich
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Dr. Schmidt
hin und wollen uns diese Milchkontingentierung als eine marktwirtschaftliche Lösung anbieten, als die einzig denkbare Lösung. Herr Rocard sah das ganz anders. Da helfen auch gar keine Beschwichtigungsformeln. Ich will nur sagen: wenn Sie auch noch andere Marktbereiche nach denselben Prinzipien reglementieren, sogenannte Garantieschwellen und noch mehr einführen wollen, dann muß ich in der Tat an dem gesamten Konzept Ihres Amtes und Ihrer Regierung zweifeln.Ich will nicht auf Einzelheiten der Kontingentierung eingehen, ich will nur einen Aspekt, der mir sehr wichtig erscheint, hier hervorheben. Mit dieser Kontingentierung schreiben Sie, Herr Minister, bewußt die bestehenden Strukturen fest. Sie nehmen damit den kleinen und mittleren Betrieben jede Chance, sich weiterzuentwickeln und zu überleben. Das wird sich verheerend auf die jungen Landwirte auswirken, besonders auf diejenigen, die sich in der Ausbildung befinden. Sie sind chancenlos. Warum sollen sie einen Betrieb übernehmen, der keinerlei Handlungsmöglichkeiten mehr hat. Es sind gerade die tüchtigen jungen Leute — wir haben Gott sei Dank noch eine Menge davon —, die dies mit Verbitterung aufnehmen müssen. Das habe ich wiederholt auch am Rande der Dortmunder Kundgebung vernehmen können. Die Milch der frommen Denkungsart — Sie kennen das Wort — wird zum permanenten Streitobjekt in unseren Dörfern und Regionen. Da brauche ich gar kein Hellseher zu sein, das kann ich mir an den fünf Fingern abzählen. Wer in einem Dorfe lebt, der weiß, was da auf uns zukommt.Es mag sein — ich unterstelle das, Herr Bundesminister —, daß Sie in guter Absicht gehandelt haben, daß Sie möglichst vielen Betrieben eine Existenz sichern wollten. Das Gegenteil wird aber der Fall sein. Sie wollten den Strukturwandel verhindern, aber Sie werden ihn mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung in aller Schärfe bekommen. Warten wir also ab.Nun wird man mir möglicherweise von Ihrer Seite den Vorwurf der üblichen Schwarzmalerei der Opposition machen. Ich nehme diesen Vorwurf, wenn er gemacht wird, mit um so größerer Gelassenheit hin, als ich mir der Richtigkeit meiner Kritik, mit der ich ja nicht allein stehe, sicher bin.Ungelöst bleibt für mich aber eine Frage: Warum hat der von mir doch so hoch geschätzte Ignaz Kiechle das alles gemacht? Warum hat er gegen eine zunächst widerstrebende Mehrheit zwei für die deutsche Landwirtschaft vitale Probleme gleichzeitig durch Systeme zu lösen versucht, von denen schon jedes für sich allein nicht gut für uns alle ist?Ich habe Sie, Herr Bundesminister, frühzeitig eindringlich vor einem solchen Vorgehen zu warnen versucht. Meine Warnungen sind leider ungehört geblieben. Ich erinnere an meinen ausführlichen Artikel über die Problematik in „AGRA EUROPE" vom November 1983 mit der Überschrift „Agrarpolitik am Scheideweg" und an andere Artikel und Presseerklärungen. Sie waren zwar sehrkritisch, aber sämtlich in einer wohlwollenden Diktion abgefaßt.Die Antwort auf die Frage, die ich eben gestellt habe, ist wohl nur im Irrationalen zu suchen: Es sollte die sogenannte Erblast mit einem Schlage buchstäblich um jeden Preis beseitigt werden.Meine Damen und Herren, in den nächsten Monaten werden noch weitere bedeutsame EG-Entscheidungen anstehen. Die Agrarstrukturrichtlinien der Gemeinschaft sind bis zum 30. Juni dieses Jahres verlängert. Ich würde Sie, Herr Bundesminister, dringend bitten, mit dem Ausschuß zusammen in Beratungen darüber einzutreten, ob und unter welchen Gesichtspunkten eine gemeinsame Agrarstrukturpolitik künftig auch unter dem Aspekt der Erweiterung von 10 auf 12 Mitgliedstaaten zu entwickeln ist.Mehr möchte ich an dieser Stelle nicht sagen, aber hinzufügen, daß ich als Zeuge der Konferenz von Stresa nur bestätigen kann, daß immer nur vom Gleichklang der Struktur-, Sozial- und Marktpolitik die Rede war und die Handhabung dieser Politiken nach den Möglichkeiten des Art. 40 des Vertrages offenblieb.Lassen Sie mich abschließend noch einige andere grundsätzliche Bemerkungen zur Agrarstrukturpolitik in unserem Lande machen. In den 50er und 60er Jahren gab es eine bemerkenswerte Übereinstimmung über die Ziele und die Wege der Strukturpolitik. Alle Parteien waren dafür, daß der Landwirtschaft die Anpassung an die Veränderungen der Gesamtwirtschaft zu erleichtern ist. Nach der Beseitigung der Flurzersplitterung ging es vor allem um Wegebau, Verbesserung der Dorf- und Hofanlagen usw. usf., und selbst das erste Agrarsozialgesetzgebungswerk über die Altershilfe hatte einen strukturellen Hintergrund.Über die Parteigrenzen hinweg wollten wir die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft in der Gemeinschaft sichern. Sie sollte sich in der Konkurrenz mit den anderen Gemeinschaftsländern behaupten können.Meine Damen und Herren, in der Großen Koalition wurden dann weitere Schritte zur Stärkung der bäuerlichen Betriebe eingeleitet. Sie haben auch dazu beigetragen, daß Elends- und Krisenherde auf dem Lande nicht entstanden sind.Die Gemeinsamkeiten in der Agrarstrukturpolitik gingen Anfang der 70er Jahre zu Ende. Das, was die sozialliberale Koalition dazu entwickelt hat, ist von Ihnen nicht mitgetragen worden. Sie sind — so hieß es — gegen die Politik des „Wachsen oder Weichen", die es im Grunde genommen nie gegeben hat.Unser Land ist von bäuerlichen Betrieben geprägt, deren Formen und Inhalte sich natürlich gewandelt haben. Auch ich will nicht die Strukturpolitik von gestern unverändert fortsetzen. Mit der Investitionsförderung bei Milch mußte schon längst Schluß gemacht werden. Wo die Märkte überquellen und die Überschüsse nicht mehr finanziert wer-
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Dr. Schmidt
den können, ist eine produktionsstimulierende Investitionsförderung nicht mehr vertretbar.
In diesem Punkt sind wir uns ja alle einig.
Aber was für einen Sinn hat ein Agrarkreditprogramm, das kleine und mittlere Betriebe in die Verschuldung treibt, ohne ihnen eine Dauerexistenz zu sichern?
Was macht es für einen Sinn, diesen Betrieben durch die Kontigentierung der Produktion jede Entwicklungsmöglichkeit zu nehmen und sie gleichzeitig zu Investitionen anzuregen? Das wird ein Doppelschlag, der das Dahinsiechen vieler kleiner Betriebe fördert und ihnen erst recht die Luft zum Überleben nimmt.Meine Damen und Herren, einen letzten Satz. Ohne Strukturanpassungen, die sozial abgesichert werden müssen, setzen Sie die Landwirte in ein Glashaus, und aus diesem Glashaus werden sie gleichzeitig mit Steinen werfen. Ist das die Politik der Bundesregierung? Auf die Dauer kann das doch nicht gut gehen. Meine Sorge ist vielmehr, daß Sie, Herr Minister, das Gegenteil von dem erreichen, was Sie und wir alle doch gemeinsam wollen: möglichst viele selbständige bäuerliche Existenzen zu erhalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Susset.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Schmidt, nachdem Sie seit 1949 im Deutschen Bundestag sind
und seit 1969 die Politik der früheren Bundesregierungen mitgetragen haben, hätten Sie es doch heute nicht nötig, eine Rede zu halten, in der genau das Gegenteil dessen gesagt wird, was gestern Ihr Fraktionsvorsitzender, Ihr Kanzlerkandidat Herr Dr. Vogel, hier in diesem Hause gesagt hat.
Sie haben, Herr Kollege Dr. Schmidt, Ihre Brems- und Korrekturversuche im Apel-Papier verteidigt. Hier an diesem Pult haben Ihre Kollegen abgeleugnet, daß dieses Apel-Papier mehr sei als ein Diskussionsentwurf des Parteivorstandes, weil die Diskussion zu diesem Papier ja damals mit Sätzen wie „Es muß endlich aufhören, daß die Landwirte mit vergoldeter Mistgabel im Stall sind" und ähnlichen Bemerkungen geführt wurde.
— Bitte, lesen Sie es nach. — Ich sage noch einmal, Herr Schmidt, Sie haben es nicht nötig, das Gegenteil von dem zu sagen, was Ihr Fraktionsvorsitzender gestern sagte. Aber ich kann es mir ersparen, darauf einzugehen.
Gestern sagte der Herr Dr. Vogel, es müsse endlich aufhören, daß die europäischen Regierungschefs über die Nöte der Landwirtschaft viele Stunden, j a insgesamt Tage, wenn nicht Wochen, über die Nöte der Arbeitnehmer jedoch nur am Rande reden. Meine Damen und Herren, Sie wissen doch genau, daß die Agrarpolitik — das zeigen doch die Verhandlungen in der Vergangenheit — eigentlich erst die Grundvoraussetzung dafür bietet, daß bei uns Arbeitsplätze im industriellen Bereich erhalten werden können. Diese 48 % der Güter, die unsere Exportwirtschaft in die Europäische Gemeinschaft zollfrei liefern kann, erhalten doch Arbeitsplätze. Deshalb ist Agrarpolitik auch Politik für die Arbeitnehmer.
Ihr Vorsitzender hat gestern auch erklärt, Mitbestimmung müsse endlich den gleichen Rang einnehmen wie die Sorgen von zahlenmäßig viel kleineren Gruppen, es dürfe nicht so bleiben, daß die Arbeitnehmer die Milliarden aufbringen, die den anderen zufließen und die sogar noch bewirken, daß die Arbeitnehmer für die so geförderten Produkte überhöhte Preise zahlen müssen. Meine Damen und Herren, da wird doch die landwirtschaftsfeindliche Haltung des Mannes, der Ihr Fraktionsvorsitzender ist, deutlich.
Die Europäische Gemeinschaft und die Agrarpolitik haben mit dazu beigetragen, daß heute der Durchschnittshaushalt 18
seines Einkommens für Lebensmittel aufbringt. Ich
glaube, das ist doch Beweis dafür, daß der Verbraucher hier mitprofitiert hat. Und das ist auch gut so.
Herr Abgeordneter Susset, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller ?
Herr Kollege Müller, wenn ich mit der Zeit gut auskomme, ganz kurz.
Ganz kurz. — Herr Kollege Susset. Haben Sie nicht immer behauptet, daß das Geld, das die EG-Agrarpolitik kostet, zum wesentlichen Teil gar nicht der Landwirtschaft zugute kommt? Wie stehen Sie nach Ihren heutigen Ausführungen dazu?
Ich meine, Herr Kollege Müller, daß Land- und Ernährungswirtschaft eine Einheit sind und daß Mittel, die für die EG-Agrarpolitik ausgegeben werden, nicht voll der Landwirtschaft, sondern auch den Gewerbebereichen zugute kommen, die mit der Land- und Ernährungswirtschaft
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4345
Sussetzu tun haben. Ich denke an die ganzen Marktordnungsausgaben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte zunächst einmal herzlich danken für die Erstellung des Agrarberichts — beim Minister, bei den Damen und Herren des Hauses, bei den Bundesländern, bei den Kreisen und besonders auch bei den Testbetrieben, die sich bereit erklären, die Angaben zu machen, damit dieser Agrarbericht entstehen kann.
Es wird nicht abgeleugnet, daß zur Zeit die Stimmung unter den Landwirten in der Bundesrepublik Deutschland nicht besonders gut ist.
Wir wissen, daß der Einkommensrückgang im laufenden Wirtschaftsjahr vielen die Freude am Beruf des Landwirts beträchtlich trübt.
Die Landwirtschaft hat also allen Grund, die Bevölkerung auf ihre ernsten Probleme aufmerksam zu machen. Während viele in diesen Tagen für mehr Freizeit protestieren, geht es in der Landwirtschaft tatsächlich um die Existenz der Höfe. Es geht uns Politikern darum — und muß uns darum gehen —, das Vertrauen der Landwirte zurückzugewinnen. Und das betrifft uns alle, gleich, in welcher politischen Partei. Wir müssen unsere Pflicht tun.Aber es kann in dieser Situation gar nicht hoch genug bewertet werden, daß sich die Agrarminister der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel endlich einmal auf etwas geeinigt haben. Ich hoffe, daß auch die Einigung über die Finanzierung bald erfolgt, damit diese ungute Zeit der Unsicherheit vorübergeht.Diese Einigung wurde möglich durch die intensiven und kräfteraubenden Vorarbeiten der EG-Landwirtschaftsminister. Hier gilt mein ganz persönlicher Dank unserem Kollegen Ignaz Kiechle,
der durch höchsten politischen Einsatz und durch klare Zielvorstellungen wesentlich zu diesem Erfolg beigetragen hat.Die intensiven Bemühungen der Minister wurden getragen von dem Gedanken, daß es keine Alternative zu Europa gibt. Es gilt, das Erreichte zu bewahren und in den Anstrengungen zur Lösung der vor uns liegenden Aufgaben fortzufahren. Denn alle Volkswirtschaften der Partnerstaaten haben von diesem engen Zusammenschluß profitiert, und jeder einzelne Bürger der Europäischen Gemeinschaft spürt das. Der Wohlstand konnte wesentlich gesteigert werden. Europa hat uns Frieden und Freiheit gesichert. Auch das muß man dazusagen.Der Kollege Schmidt hat den Milchmarkt angesprochen. Sicherlich ist auf dem Milchmarkt durchdie notwendig gewordene Reduzierung der Menge, für die eine Preisgarantie gilt, von dem seitherigen Prinzip abgegangen worden, daß alles zu festgesetzten Marktordnungspreisen verkauft werden kann. Es ist zu begrüßen, daß hier eine Regelung — um auch dies anzusprechen, Herr Kollege Schmidt — gefunden werden konnte, die für die kleinen Milchproduzenten zunächst für die kommenden zwei Jahre eine zusätzliche finanzielle Unterstützung vorsieht.Beim Währungsausgleich konnte Einigung über das von deutscher Seite vorgeschlagene dreistufige Modell erzielt werden. Danach ist mit dem Beginn des Wirtschaftsjahres 1984/85 eine Umwandlung des bestehenden positiven Währungsausgleichs in negative Währungsausgleichsbeträge in Höhe von 3 % vorgesehen. Ab 1. Januar 1985 wird der positive deutsche Währungsausgleich um weitere 51)/0 abgebaut. Wir haben hier gestern vom Bundeskanzler gehört — der Außenminister hat es in der Debatte bestätigt —, daß der Ausgleich hierfür national erstattet wird. Wenn Herr Vogel mit der Einstellung, mit der er gestern gesprochen hat, je Bundeskanzler geworden wäre, hätte die deutsche Landwirtschaft nichts bekommen.
— Sie mögen vielleicht das baden-württembergische Wahlergebnis noch nicht ganz verdaut haben. Das müssen Sie aber in Ihrer Partei tun.Der Bundeskanzler hat sich gestern bei den Bauern bedankt. Ich möchte mich diesem Dank ausdrücklich anschließen. Eines ist in der gestrigen Debatte aber deutlich geworden. Von SPD-Rednern war kein Satz zu hören, wie die Lage der Landwirtschaft durch einen positiven Beitrag hätte verbessert werden können.
Den Bauern wurde hier in eindringlicher Weise vor Augen geführt, wer ihre Interessen in diesem Lande vertritt.
Es sind nicht nur die Interessen der Landwirtschaft, sondern die des gesamten ländlichen Raumes und der vielen Wirtschaftszweige, die von der Landwirtschaft abhängig sind.
In Anbetracht der gegenwärtigen Probleme im Agrarbereich ist es zu begrüßen — ich habe das schon ausgeführt —, daß die Agrarminister in Brüssel einen Ausweg aufgezeigt haben. Der Lösungsansatz bringt zwar Belastungen für die Bauern, aber es konnte doch, gemessen an dem Kommissionsvorschlag — das war ja das Papier, das im August letz-
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4346 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Sussetten Jahres auf dem Tisch lag —, Schlimmeres verhindert werden. Wenn es gelingt, den gefundenen Kompromiß in konkrete Beschlüsse umzusetzen, werden wir hier in der Bundesrepublik Deutschland, glaube ich, auch Wege finden, dies durch nationale Agrarpolitik so zu begleiten, daß die Landwirtschaft — wie in der Vergangenheit — ihr Einkommensziel erreichen kann.Die Gemeinschaft hat bei vielen wichtigen Erzeugnissen ihre volle Selbstversorgung überschritten. 1957, als die Verträge von Rom unterzeichnet wurden und damit die EG gegründet wurde, konnte die Nahrungsmittelerzeugung innerhalb der Gemeinschaft nur etwa 88 % des Bedarfs abdecken. Es hat 16 Jahre, also bis 1973 gedauert, bis der Selbstversorgungsgrad auf 94 % angestiegen ist. Allein in den letzten zehn Jahren hat sich die Erzeugung so entwickelt, daß wir heute, wenn wir alle Produkte zusammennehmen, bei einem Selbstversorgungsgrad von 112% angekommen sind. Das bedeutet eine Steigerung um 18% in zehn Jahren.In Anbetracht dieser Entwicklung gilt es, die Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik, die in Art. 39 des EWG-Vertrages aufgeführt sind, einmal näher zu betrachten. Art. 39 ist unter dem Eindruck beträchtlicher Unterversorgung mit Nahrungsmitteln in der EWG formuliert worden. In der heutigen Situation mit zum Teil erheblichen Überschüssen hat insbesondere das Produktivitätsziel nicht mehr uneingeschränkte Gültigkeit. Eine Produktivitätssteigerung ist künftig nicht mehr über eine unkontrollierte Zunahme der Erzeugung, sondern, wenn, dann über eine Senkung der Kosten anzustreben. Bis auf die Erreichung eines angemessenen Lebensstandards für die Landwirte konnten die übrigen Ziele in Art. 39 erreicht werden. Die Märkte sind stabil, jedoch überfüllt. Preisschwankungen bei Marktordnungsprodukten gab es in der Vergangenheit nicht. Die Versorgung der Verbraucher mit qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln und zu angemessenen Preisen ist sichergestellt. Und die Preise für Nahrungsmittel konnten einen wesentlichen Beitrag zur Inflationsdämpfung leisten, so daß die Lebenshaltungskosten ständig sinken konnten.Parallel mit der Entwicklung der Produktion ist natürlich auch der Finanzbedarf der Europäischen Gemeinschaft gestiegen, mit dem Ergebnis, daß wir dies 1983 praktisch nicht mehr finanzieren konnten. Und so konnte und kann es nicht weitergehen; das muß hier einfach auch von der Opposition erkannt werden.
— In der Regierung habt ihr j a nichts gemacht.Auf Grund der angespannten Finanzlage vieler Importländer müssen die Absatzmöglichkeiten auf dem Weltmarkt pessimistisch beurteilt werden. Einige Staaten, insbesondere im Ostblock, verfügen über beträchtliche Produktionsreserven. Andere Industrieländer, beispielsweise die USA, haben ebenfalls große Probleme mit ihren Agrarmärkten. Die Zahlungsunfähigkeit ist also keine Utopie, sondernsie stünde ins Haus. Und das wäre das Schlimmste, was der Landwirtschaft passieren könnte.Ich weise gern noch einmal darauf hin, daß den Landwirten mit den Brüsseler Beschlüssen eine ganze Menge zugemutet wird. Die deutschen Landwirte sind von den Entscheidungen unmittelbar betroffen. Und es darf nicht sein, daß einer Berufsgruppe allein ständig neue Opfer für die europäische Integration abverlangt werden.
Die deutschen Bauern haben in der Vergangenheit oft genug bewiesen, daß sie bereit sind, ihren Beitrag zu einem gemeinsamen Europa zu leisten. Bei ihrer gegenwärtigen Einkommenslage ist jedoch kein Spielraum für weitere Opfer sowohl im europäischen als auch im nationalen Bereich vorhanden.Der Agrarbericht 1984 belegt: Die deutschen Landwirte haben im Wirtschaftsjahr 1982/83 durchschnittlich besser verdient als im Jahr zuvor. Es gab das beste Ergebnis nach dem Jahre 1975/76, zumindest nominal, d. h. ohne Berücksichtigung der Inflation.Bedauerlicherweise kündigen sich nach dieser positiven Entwicklung bereits heute dunkle Wolken am Horizont an. Nach den vorliegenden Prognosen muß für das laufende Wirtschaftsjahr mit einem Einkommenseinbruch von durchschnittlich über 20% gerechnet werden. Und selbst die EG-Kommission bringt zum Ausdruck, daß die Landwirte in der Bundesrepublik Deutschland am unteren Ende der Einkommensskala stehen. Nur die Bauern in Italien und Griechenland verdienen noch schlechter als die deutschen Landwirte. Das möchte ich allen jenen sagen, die Vergleiche anstellen. Nehmen Sie einmal die Löhne in Italien oder Griechenland, und vergleichen Sie sie mit denen in der Bundesrepublik.Unter den gegenwärtigen Bedingungen fällt also für die nähere Zukunft bei verschiedenen Produkten die Möglichkeit der Produktionsausweitung zur Einkommensverbesserung aus. Aber es gilt für uns, trotzdem Agrarpolitik zu machen. Die zukünftige Agrarpolitik der CDU/CSU wird sich an dem orientieren, was Ihnen in dem 13 Punkte umfassenden Entschließungsantrag vorgelegt wurde.Punkt 1 befaßt sich mit dem Abbau des Währungsausgleichs. Es gilt die Zusage des Bundeskanzlers, des Außenministers, des Finanzministers und — durch diesen Entschließungsantrag — auch der Fraktionen von CDU/CSU und FDP, daß für den durch den Abbau des Währungsausgleichs entstehenden Einkommensschwund ein Ausgleich gewährt wird.Zweiter Punkt: Für die künftige Existenzsicherung bäuerlicher Familien wird es darum gehen, daß den Konzentrationstendenzen in der tierischen Erzeugung umgehend durch wirksame Maßnahmen entgegengewirkt wird. Es kann nicht hingenommen werden, daß der in Zukunft sicher äußerst
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Sussetknappe Spielraum bei der Produktion von einigen wenigen Großbetrieben beansprucht wird.
Zum Schutze des bäuerlichen Familienbetriebes ist daher, wenn steuerliche und umweltpolitische Maßnahmen nicht zum Ziel führen, die Einführung von Bestandsobergrenzen anzustreben.
Wir fordern die Bundesregierung auf, einen ersten Schritt in die richtige Richtung zu tun, um im Steuerbereinigungsgesetz 1985 eine Entlastung landwirtschaftlicher Tierhalter bei der Grundsteuer vorzusehen, damit das Ungleichgewicht zwischen gewerblicher und landwirtschaftlicher Tierhaltung abgebaut wird.
Der Agrarbericht weist auch eine außerordentlich hohe Belastung insbesondere kleiner und mittlerer landwirtschaftlicher Betriebe durch Ausgaben für die soziale Sicherung aus. Deshalb haben wir in unserem Entschließungsantrag die Bundesregierung ersucht, „zu prüfen, ob und inwieweit die vom Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung ermittelten strukturwandelbedingten Defizite in der Unfallversicherung für Landwirte durch den Bund abgedeckt werden können", obwohl das, was in der mittelfristigen Finanzplanung von SPD-Finanzministern an Kürzungen vorgesehen war, zur Finanzierung der sozialen Sicherung von CDU/CSU umgedreht wurde.
Auch das ist ein Beispiel dafür, daß wir die Leistung der Landwirtschaft akzeptieren.Meine Damen und Herren, wir wollen angesichts der Diskussion über die Vorruhestandsregelung, die wir heute vormittag geführt haben, weiter, daß die Verkürzung der Lebensarbeitszeit nicht bei den Landwirten haltmacht. Deshalb haben wir in Punkt 4 unseres Entschließungsantrages die Bundesregierung ersucht, uns Vorschläge zu unterbreiten, wie es ermöglicht werden kann, vor Erreichen des 65. Lebensjahres den Betrieb abzugeben, damit insbesondere auch jungen Landwirten — da stimme ich dem Kollegen Schmidt zu — künftig die Möglichkeit eröffnet wird, ihre Betriebe durch Pacht aufzustocken.Das Problem der parzellenweisen Verpachtung wird gleichfalls in diesem Entschließungsantrag angesprochen. Es muß einfach aufhören, daß die parzellenweise Verpachtung eines Betriebes zu Steuerbelastungen führt, ohne daß irgendwo ein Pfennig verdient wurde. Die parzellenweise Verpachtung muß der Betriebsverpachtung im ganzen gleichgestellt werden.
Wir haben das Problem der Verschuldung der Landwirte in Punkt 6 unseres Entschließungsantrages aufgegriffen und ersuchen die Bundesregierung, durch die Wiedereinführung eines Freibetrages für die Gewinne aus Grundstücksverkäufen die Möglichkeit zu schaffen, daß dies dann zur Schuldentilgung verwendet werden kann. Denn immerhin wird von Kreditfachleuten darauf hingewiesen, daß heute — das gilt nicht erst seit einem Jahr — ein Drittel der landwirtschaftlichen Betriebe eine existenzbedrohende Verschuldung aufweist.Zu unserer Politik für den bäuerlichen Familienbetrieb gehört auch die Erhaltung des Branntweinmonopols. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wendet sich mit Entschiedenheit gegen Pläne, das Branntweinmonopol abzuschaffen, bevor eine europäische Marktordnung für Alkohol ins Leben gerufen ist. Diese Pläne sind ein Relikt aus den Zeiten der SPD-geführten Regierung und tragen die Handschrift sozialdemokratischer Finanzminister.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Löffler?
Herr Kollege Löffler, es tut mir leid, aber meine Redezeit ist fast abgelaufen. — Eine Auflösung des Branntweinmonopols oder eine allmähliche Aushöhlung würde eine große Zahl von Betrieben sehr stark treffen.In Punkt 8 unseres Entschließungsantrags greifen wir das Verbot der Verwendung von Saccharose für die Verbesserung von Wein auf. Wir fordern die Bundesregierung auf, in Brüssel heute und künftig dafür einzutreten, daß dies nicht verboten wird. Meine Damen und Herren, wir sind in der Europäischen Gemeinschaft zwar zu vielem bereit, aber man sollte ob der vielen Probleme in Europa doch endlich einmal die Finger davon lassen vorzuschreiben, wie man in Deutschland Bier, Wurst oder Wein herstellt. Das ist doch eine nationale Angelegenheit, meine Damen und Herren.
— So ist das.Wir haben in Punkt 9 das Problem der Substitute aufgegriffen, weil wir meinen, daß die Substitute einen wesentlichen Beitrag zu den Überschüssen im Veredelungsbereich leisten. Wir fordern die Bundesregierung auf, auf dem Verhandlungsweg dafür zu sorgen, daß es eine Beschränkung gibt. Wenn nicht, dann muß ich doch die Frage stellen: Warum öffnen beispielsweise die Amerikaner ihren Markt nicht stärker für europäische Milch- und Fleischerzeugnisse? In Punkt 9 gehen wir auf dieses Problem noch einmal ein.Meine Damen und Herren, auch der Schutz der Umwelt ist zu einer der vordringlichen politischen Aufgaben geworden, gerade weil in der Vergangenheit aus Umweltbelastungen viele Probleme und Gefahren erwachsen sind. Nun, die Bundesregierung hat hierzu ein zukunftsorientiertes Umweltprogramm eingeleitet und im vergangenen Jahr beispielsweise eine Reihe von konkreten Maßnahmen gegen das bedrohliche Ausmaß des Waldsterbens in Angriff genommen. Der Forstwirtschaft ste-
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Sussethen auf Grund der neuartigen Waldschäden noch erhebliche Belastungen bevor. Der Holzeinschlag ist infolge der Schneebruchschäden nochmals zurückgegangen. Auf Grund der schwierigen Nachfragesituation gaben außerdem die Marktpreise wieder nach.Meine Damen und Herren, wir werden auch das Problem des Nitrateintrages in das Grundwasser angehen. Wir ermuntern den Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, die bereits in Vorbereitung befindliche, umfassende Bodenschutzkonzeption so bald wie möglich zu erarbeiten.Die Medien bitten wir, sich künftig mehr der Probleme
des modernen Landbaus, wie er sich in den letzten Jahren entwickelt hat, anzunehmen und darüber zu berichten,
damit in der Öffentlichkeit nicht ein falsches, emotionales Bild entsteht.
Wir haben die Bundesregierung in diesem Entschließungsantrag ersucht, darauf hinzuwirken, daß die Öffentlichkeit über diese produktionstechnischen und agrarpolitischen Zusammenhänge stärker informiert wird.Es ist an den landwirtschaftlichen Berufsstand schon mehrfach appelliert worden, einem größeren Kreis von Mitbürgern Einblick in die heutige Form der Landbewirtschaftung zu gewähren. Als geeignet dafür haben sich beispielsweise Ferien auf dem Bauernhof und Aktionen wie „Tag der offenen Tür" erwiesen. Vor allem jungen Menschen sollte in verstärktem Maß Gelegenheit gegeben werden, auf Bauernhöfen, etwa in der Ferienzeit, eigene Kenntnisse über die ganzen Zusammenhänge zu gewinnen. Und: Wir wollen künftig natürlich mehr darauf hinweisen, daß beispielsweise Naturschutz und Landschaftspflege genauso ein Produkt — ein kostenloses Produkt — der Landwirtschaft sind wie beispielsweise Fleisch und Getreide.
In Verbindung mit den modernen Produktionstechniken, meine Damen und Herren, ist es ja gelungen, daß die Hungersnot heute bei uns keine Rolle mehr spielt. Trotzdem ersuchen wir die Bundesregierung, in Brüssel darauf hinzuwirken, daß die Nahrungsmittelprogramme künftig besser bedient werden.
Wir wollen uns auch des Problems der nachwachsenden Rohstoffe annehmen. Der Kollege Brunnerwird sich nachher näher damit befassen. Dort gibt es noch Zukunftsperspektiven.Die CDU/CSU stellt zusammen mit der FDP nun seit über einem Jahr die Bundesregierung. Wir haben die Verantwortung in einer schweren Zeit übernommen. Die finanziellen Schwierigkeiten nicht nur im nationalen Haushalt erfordern insbesondere im Bereich der Agrarpolitik und darüber hinaus weitreichende Entscheidungen. Hinzu kommt der Zeitdruck zur Lösung all der Probleme, die ich auf Grund der beschränkten Redezeit nur ganz kurz ansprechen wollte.Aber wir haben in den 13 Punkten Lösungsvorschläge aufgezeigt, zu denen sich Bundeskanzler, Bundesregierung und beide Fraktionen bekannt haben. Wir müssen uns nun an die Verwirklichung machen.
Die zukünftige Agrarpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird sich an unserem Entschließungsantrag zum Agrarbericht 1984 orientieren. Wir haben der Bundesregierung und uns darin hohe Ziele gesteckt und schwere Aufgaben zugewiesen. Aber wir müssen uns als Politiker genauso wie die Landwirte den großen Anforderungen stellen, um die schweren Aufgaben der Zukunft zu bestehen.
Die Landwirte, meine sehr verehrten Damen und Herren, können sich darauf verlassen, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion weiß, daß jeder sechste Arbeitsplatz in der Bundesrepublik Deutschland in oder von der Landwirtschaft abhängig ist.Ich danke schön.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Vollmer.
Wir freuen uns, daß ich schon als Dritte drankomme. Wir haben sozusagen schon baden-württembergische Verhältnisse hier im Parlament.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Kiechle, wir haben heute den 29. März. Das ist sozusagen ein Jubiläum für Sie wie für mich, jeder an seinem Platz; Grund genug, dieses Datum als Anlaß für die Bilanz von einem Jahr Agrarpolitik unter der „Regierung der Wende" zu nehmen.Dabei gehe ich von der Einschätzung aus, daß dieses Jahr nicht so war wie jedes andere.
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Frau Dr. VollmerFür Sie, Herr Minister Kiechle, hat dieses Jahr vor wenigen Tagen sehr bitter geendet, als Sie in Dortmund von 20 000 Bauern ausgepfiffen wurden. Ich sage das ebenso wie Herr Schmidt ohne persönliche Freude, denn ich weiß auch, daß dort noch ganz andere ausgepfiffen gehört hätten. Aber Sie sind nun einmal der verantwortliche Minister,
und darum mußten Sie dort auch stehen als Adresse für die berechtigte Wut der Bauern.
Ich will versuchen, eine Chronik dieses Jahres aufzuzeichnen mit den Ereignissen, die uns besonders wichtig erscheinen. Der Agrarbericht bezeichnet ja das letzte Jahr einkommensmäßig als ein Jahr positiver Entwicklung, weist aber selbst schon darauf hin, daß dieses eine Scheinblüte war, weil für das kommende Jahr Einkommensverluste von 25 % zu erwarten sind.
Ich kenne keinen anderen Bereich, bei dem eine Vorhersage von 25 % Einkommensverlust für das nächste Jahr getroffen wird! Dabei sind solche Durchschnittszahlen ungewöhnlich trügerisch. Wirklich an Einkommen gewonnen haben auch in dem letzten positiven Jahr besonders große Betriebe in Schleswig-Holstein. Die Betriebe in den süddeutschen Ländern, insbesondere in Hessen, blieben auch in diesem positiven Jahr weit unter dem Durchschnitt. Der Einkommensabstand in der Landwirtschaft zwischen dem sogenannten obersten Viertel, den gut verdienenden, und dem sogenannten untersten Viertel der Betriebe hat sich erheblich vergrößert und beträgt inzwischen 54 000 DM Differenz.
Dabei ist interessant, daß im untersten Viertel in diesem guten Jahr ein Monatseinkommen pro Familie von 220 DM herausgekommen ist.Ihre Betriebe mußten im letzten Jahr 20 380 Bauern aufgeben. Das macht insgesamt einen Verlust von 51 000 Arbeitsplätzen im ländlichen Bereich, und das angesichts einer Situation, in der es praktisch keine Alternativen für die Bauern gab.Diese Situation der vernichteten Arbeitsplätze im ländlichen Raum ist der eigentlich dramatische Hintergrund der Beschlüsse, die in den letzten Wochen in Brüssel gefaßt wurden oder so gut wie gefaßt wurden. Schon durch die Festsetzung der Quoten auf der Basis des Jahres 1981 werden die Kleinbetriebe mit diesen geringen Einkommen auf eine Produktion festgeschrieben, bei der sie so gut wie kein Einkommen erwirtschaften und von der Substanz zehren müssen. Eine solche Regelung können die Kleinbetriebe, können die benachteiligten Regionen, können auch die benachteiligten Länder wie z. B. Irland überhaupt nicht annehmen,wenn sie nicht ihren eigenen sicheren Untergang selber mit unterschreiben wollen.Aber nicht genug damit: Interessant ist, wie die Bundesregierung und ganz besonders Sie, Herr Minister Kiechle, zu dieser Regelung Stellung genommen haben. Zunächst einmal haben Sie gesagt — diese Debatte hat dann das ganze letzte Jahr bestimmt —, daß keine andere Regelung als die Quotenregelung innerhalb der EG konsensfähig sei. Ich bestreite, daß das richtig ist.Die Franzosen — immerhin das führende Agrarland Europas — waren eindeutig für die gestaffelte Mitverantwortungsabgabe, wobei zu bemerken ist, daß die sozialistische Regierung schon einmal mit dem unseres Erachtens richtigeren Konzept der gestaffelten Preise in die Wahlen gegangen war und dafür auch viele Bauernstimmen gewonnen hatte. Die Franzosen waren also für die Mitverantwortungsabgabe. Bisher hat mir noch nie jemand erklären können, wieso das, wenn sich die Franzosen als die führende Agrarnation und die Deutschen in dieser Frage einig gewesen wären, dann in Europa nicht hätte durchgesetzt werden können angesichts dessen, was Sie sonst in Europa durchsetzen.
Aber auch die Entwicklung der Vorschläge innerhalb der Bundesrepublik ist höchst bemerkenswert. Der Bundesrat nämlich war in der Frage, ob Quotenregelung oder gestaffelte Mitverantwortungsabgabe, gespalten. Er hat seine Entscheidung wiederholt hinausgeschoben. Die Stellungnahme der südlichen Länder, also Ihrer Heimat, war eindeutig zugunsten der gestaffelten Mitverantwortungsabgabe,
ebenso die Stellungnahme aller südlichen Landesverbände des Bauernverbandes. Es bleibt schon eine befremdliche Tatsache, daß ausgerechnet der Bayer und der Milchbauer Ignaz Kiechle entgegen der Meinung der Bauern seiner Heimat die Quotenregelung innerhalb der Bundesrepublik durchsetzte.
Oder sollte gerade das die besondere Absicht des Bundeskanzlers Kohl gewesen sein, mit dem Landwirtschaftsminister aus Bayern eine Regelung durchzusetzen, die zwar den Vorstellungen der Schleswig-Holsteiner, keinesfalls aber denen der Allgäuer Milchbauern entsprach?
— Nein. Das ist noch nicht alles
— hören Sie doch einmal zu, Herr Eigen; Sie können doch auch noch etwas lernen —:
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Frau Dr. VollmerDie konkrete Ausführung der Quotenfestsetzung, die bei uns erfolgt ist, bringt zusätzliche Verschärfungen für die Kleinbetriebe, noch über das hinaus, was in Brüssel festgelegt wurde. Während nämlich der Ministerrat eine Quote von 1981 plus 1% festgesetzt hat, wird für die Bundesrepublik — wie es heißt: zur Vermeidung von allzu vielen Sonder- und Härtefällen — statt dessen die Quote von 1983 minus 7 bis 12,15% festgesetzt. Damit aber — das ist jetzt das, was man begreifen muß — wird genau den Betrieben die Milchmenge abgezogen, die von 1981 bis 1983 — und häufig auch früher — ihre Menge gerade nicht gesteigert haben.
Welche Betriebe sind das? Ganz sicher ist das die absolute Mehrzahl der Nebenerwerbsbetriebe. Ganz sicher sind es auch viele kleinere Betriebe. Durch die bundesrepublikanische Ausführung wird also die Milch verstärkt von den kleineren Betrieben auf die Wachstumsbetriebe umverlagert.
Genau um diese Sicherung der Wachstumsbetriebe geht es offensichtlich. Dies wird besonders deutlich aus den angestrebten Härtefallregelungen. Als Härtefall, so Minister Kiechle, werden all die Betriebe angesehen, die zwischen 1981 und 1983 aufgestockt haben
und Ende 1983 noch nicht ihr volles Betriebsvolumen erreicht haben. Laut den Auskünften im Ausschuß ist keine Härtefallregelung für die Betriebe vorgesehen, die kein Einkommen erwirtschaften konnten. Kein Härtefall ist vorgesehen für die Betriebe in den benachteiligten Regionen, die keine Alternative zur Milchproduktion haben. Kein Härtefall ist vorgesehen für Existenzneugründungen, kein Härtefall ist vorgesehen für Nebenerwerbslandwirte, die arbeitslos geworden sind und wieder allein von der Landwirtschaft leben wollen. Kein Härtefall ist vorgesehen für Betriebsumstellungen, wo allein aus Gründen des Wiederaufbaus ökologischer Kreisläufe die Bauern die Kühe wieder neu anschaffen wollen.Im Molkereisektor wird mit der Quotenregelung ein gesteigerter Verdrängungswettbewerb stattfinden, weil der Kampf um die Milch verschärft wird. Zur Auslastung ihrer Kapazitäten werden die großen Molkereien versuchen, die kleinen zu schlukken. Schon die Vergangenheit, in der wir das reichlich erlebt haben, hat gezeigt, daß eine solche Entwicklung für die Bauern aus vielen Gründen schlecht ist. Sie verlieren mögliche Arbeitsplätze in den Molkereien. Durch die längeren Anfahrtszeiten und die daraus folgende Zwei- bis Dreitagesabholung der Milch müssen sie neue Kühlaggregate kaufen und darin investieren. Und der Erzeugerpreis in den größeren Molkereien fällt in der Regel nach kurzen Anfangszeiten.
— Das stimmt, das kann ich belegen!Es wird nun von der Aussicht auf mögliche Prämien für den Ausstieg aus der Milchproduktion in Form einer Verrentung von Betriebsleitern ab 55 Jahren gesprochen. Sie haben das auch in Ihrem Entschließungsantrag. Das befürwortet auch — was ich überhaupt nicht begreifen kann — der Deutsche Bauernverband, und zwar für Betriebe bis 25 Kühe. Was ist das für ein Plan, wenn man bedenkt, daß 75% all unserer Milchbetriebe Betriebe mit bis zu 20 Kühen sind? Das heißt, daß all diese möglicherweise zur Verrentung vorgesehen sind.
Das heißt, daß diese nie wieder in die Milchproduktion einsteigen können.
Ein Punkt soll hier noch besonders erwähnt werden. Das Paket in Brüssel enthält nämlich einen Punkt, auf den ich sehr neugierig war. Da stand unter dem schönen Titel „Entlastung der Kleinerzeuger", daß für diese Entlastung in der Bundesrepublik 79 Millionen DM vorgesehen seien. Was bleibt davon bei näherem Zusehen? Die Kleinerzeuger sollen von der vorgesehenen Erhöhung der linearen Mitverantwortungsabgabe für die Jahre 1984/85 zum Ausgleich ausgenommen werden. Das ist nun wirklich eine Regelung, die billig ist, wenn der Name „Mitverantwortungsabgabe" überhaupt noch einen Sinn haben soll. Denn diese Kleinerzeuger haben ja — das läßt sich beweisen — keinerlei Verantwortung für die Mehrproduktion, also auch keinerlei Mitverantwortungsabgabe zu zahlen. Konkret kommt unter diesem Titel kein einziger Pfennig mehr für die Milch bei den Kleinbetrieben an. Dennoch wird ihnen, die keinerlei Schuld an den Kosten des EG-Agrarmarktes haben, ihnen, die keinerlei Einkommen erwirtschaften, zugemutet, noch unter ihre Quoten von 1981 zu gehen.
Sie, Herr Minister Kiechle, haben im Ausschuß als Begründung in Ihrer Stellungnahme gesagt: Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche fassen.
Ich stelle dagegen auch einen Spruch, einen indianischen Spruch, und der heißt: Wenn ein Mann etwas verloren hat, und seien es seine Kleider, dann muß er umkehren und es aufheben, dann kann er seinen Weg wieder fortsetzen.
Dieses gilt wohl auch, wenn man seine Kleider verloren hat. Es könnte einem sonst allzuschnell pas-
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Frau Dr. Vollmersieren, daß ein Kind auf der Straße entdeckt, daß der Kaiser gar keine neuen Kleider anhat.
Mit dem Bild dieser Kleider meine ich tatsächlich im Ernst, daß Sie durch diese Regelung etwas verloren haben, nämlich ein Stück von Vertrauen und von Hoffnung der Bauern gerade in Ihre Person.
Wie eine solche andere Agrarpolitik aussehen könnte, zeigen die von Bauern der Arbeitsgemeinschaft „Bauernblatt" selbst geführten Agrarverhandlungen in Hessen mit der SPD. Für uns ist dies das zweitwichtigste Ereignis des letzten Jahres. In dem Land, dessen Betriebe laut Agrarbericht die schwierigsten Einkommenssituationen zu verzeichnen haben, haben wir versucht, die Ansätze einer wirklich grundsätzlichen Wende in der Agrarpolitik einzuleiten, und wir raten der SPD sehr, diese unterschriebenen Verhandlungen auch einzuhalten, was Herrn Börner nach den Wahlergebnissen in Baden-Württemberg vielleicht etwas leichter fallen dürfte.Folgende Maßnahmen sind hier vorgesehen. Für Kleinbetriebe wird eine Einführung gestaffelter Stützungszulagen vorgesehen, weil damit sowohl bäuerliche Arbeitsplätze gesichert werden als auch eine ökologisch sinnvolle Landwirtschaft unterstützt wird. So erhält ein Betrieb mit bis zu zehn Kühen je Kuh 250 DM. Das wird dann bis zu Beständen von 25 Kühen abgestaffelt. Dieses wird an einen Gründlandanteil gebunden. Mit dieser Maßnahme kommt bei einem Kleinbetrieb mit zehn Kühen ein Einkommen von 2 500 DM pro Jahr an, was angesichts der Vergleichszahlen des Agrarberichts sehr bedeutend ist. Soweit wir sehen, ist dieses etwas völlig Neues in der Agrarpolitik der Nachkriegszeit, da zum ersten Mal Kleinbetriebe und Nebenerwerbsbetriebe, die voll eingeschlossen sind, nicht eine Erschwerung, sondern eine Stützung ihrer Produktionsform erhalten. Sie müssen sich einmal vorstellen, was diese Regelung außer dem Lohnzuwachs an gesellschaftlicher Anerkennung für Betriebe bedeutet, die immer verachtet worden sind!
Des weiteren sehen die Verhandlungen folgende Regelungen vor.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Schorlemer?
Da antworte ich mit meinem Minister: nein.Es wird keine weitere staatliche Unterstützung für die Zentralisierung in der Molkereistruktur und der landwirtschaftlichen Großgenossenschaften mehr geben. Im Pachtrecht dürfen Betriebe, deren landwirtschaftlich genutzte Fläche die Wachstums-schwelle des Landkreises um 100 % überschreiten, nicht weiter zupachten. Als Pächter kann nur der auftreten, der das Land selbst bewirtschaftet. Voll-und Nebenerwerbsbetriebe haben gleiches Pachtrecht. Die Domänen des Landes Hessen werden vorrangig an Bauern verpachtet, die geeignet, in der Lage und gewillt sind, ökologisch zu wirtschaften. Flurbereinigungsverfahren werden nicht mehr eingeleitet, und an Schulen und in der Förderung und in der Beratung wird dem ökologischen Landbau besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
Noch ein Punkt aus der Chronik dieses Jahres: Vor gut einem Jahr haben Sie, Herr Minister Kiechle, angekündigt, Sie wollten die Futtermittelimporte reduzieren. Tatsächlich sind diese eine der schwersten Belastungen für die europäische Landwirtschaft. Sie sind die eigentliche Ursache der Überschüsse, sie sind die Ursache dafür, daß die Agrarproduktion zunehmend in die Küstenregionen Europas wandert und damit weite Teile des Südens und der Grönlandstandorte zu Grenzlandstandorten macht. Sie sind, wie gerade der Futtermittelskandal in Niedersachsen bewiesen hat, häufig mit Pestiziden belastet, deren Einsatz bei uns bereits verboten, deren Export in die Dritte Welt aber noch nicht unterbunden wird. Auf diese bloße Ankündigung hin hat der US-Landwirtschaftsminister auf der Grünen Woche in Berlin eine beispiellose Rede gehalten. Er hat in der massivsten Weise gedroht, daß die USA mit Sanktionen antworten würden. Auf diese Drohung haben Sie wieder mit einem Spruch geantwortet. Sie haben gesagt: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg' auch keinem anderen zu." Ich fürchte, das wird nicht reichen, um den aggressiven Tendenzen der amerikanischen Außen- und Agrarpolitik Widerstand entgegenzusetzen. Die Bauern bei uns fordern schon lange die offene Deklaration. Wir haben diese Forderung aufgenommen und als Antrag gestellt, der Ihnen in der heutigen Debatte vorliegt.
Sie, Herr Minister Kiechle, legen Wert darauf, daß man Ihren Worten glaubt. Sie wissen wie ich, daß die offene Deklaration eine deutliche Reduzierung der Importe von Futtermitteln zur Konsequenz hätte. Sie kennen wie ich die Gegner: die Futtermittelindustrie, die großen küstennahen Wachstumsbetriebe mit Ihnen, Herr Carstensen, auch die chemische Industrie und die Spitze des Bauernverbandes mit den Abgeordneten Heereman und Borchert. Sie wissen aber auch wie ich, wen Sie bei einer Unterstützung dieses Antrages auf Ihrer Seite hätten, nämlich die überwiegende Mehrzahl von Bäuerinnen und Bauern aus der Bundesrepublik Deutschland. Sie haben wiederholt gesagt, daß Sie deren Interessen vor allem verpflichtet sind. Ich weiß wie Sie, daß dieses in der Frage der Futtermittel zu vertreten außenpolitisch und auch innerhalb Ihres Kabinetts allen Mut erfordern würde. Ich
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Frau Dr. Vollmerweiß aber auch, daß Sie dafür von den Bauern statt Pfiffen Applaus bekämen.
Ein allerletzter Punkt aus der Chronik dieses Jahres.
Dieses Jahr hatte viele Opfer, die uns wehtun. Dazu gehörten z. B. die 45 über 200 Jahre alten Eichen, die ein Umweltverbrecher wie Anton Pohlmann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion fällen ließ. Zu diesen Opfern gehören die offensichtlich verschüchterten und ohnmächtigen Bauern, die gegen einen solchen Agrargiganten machtlos sind. Dazu gehört die korrupte behördliche Genehmigung für Kathmanns Sauenfabrik in Vechta mit Liegeplätzen für 4 100 Sauen.
Sorgen Sie dafür, daß das verboten wird!
Dazu gehört die wissenschaftlich höchst anfechtbare Studie dreier Professoren gegen den ökologischen Landbau, die sich von der chemischen Industrie diese Dienstleistung gut bezahlen ließen.
Gegen diese zunehmenden Tendenzen zur Bildung von Agrarfabriken, die niemand, kein Minister und kein Bauer, mehr kontrollieren kann, wehren sich die Bauern überall. Die besondere Chance der agrarpolitischen Situation in der Bundesrepublik liegt darin, daß es sich noch lohnen würde, sich zu wehren. Wir haben noch Kleinbetriebe, wir haben noch dörfliche Strukturen, wir haben noch reizvolle Landstriche, deren Überlebenschancen im letzten Jahr nicht besser geworden sind. Wir bitten Sie aber, mit uns zusammen darüber zu diskutieren, wie eine ganz andere Zukunft für die Landwirtschaft aussähe.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Paintner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Vollmer, ich möchte Ihnen nur sagen, daß es eine alte Gepflogenheit dieses Parlamentes ist, daß man im Wechsel von Opposition und Regierungsparteien hier die Vorträge vorbringt. Das war der Grund, nicht das württembergische Ergebnis.
Nun möchte ich Ihnen sagen, unter dem Zeichen „Wir brauchen, wir wollen Europa, wir wollen den bäuerlichen Familienbetrieb und brauchen ihn" steht der Agrarbericht 1984.
Sie wissen genau, daß gerade wir als FDP mit Ihnen 13 Jahre lang dafür gesorgt haben, daß diese Agrarpolitik, daß dieser bäuerliche Familienbetrieb gut über die Runden gekommen ist.
Ich danke von dieser Stelle aus nochmals meinem Freund Josef Ertl, der sich hier ausgezeichnet hat.
Ich sage Ihnen zugleich als Partner dieser Regierung, daß auch wir volle Hoffnung in Minister Kiechle setzen, mit dem wir die Probleme bewältigen werden und müssen.
Ich meine, die Sache ist zu ernst, als daß wir von Hexenmeisterei oder ähnlichen Dingen sprechen können.
Hier sind wir alle gefordert, und zwar zu jeder Tages- und Nachtzeit.Der Agrarbericht für das Wirtschaftsjahr 1982/83 beweist uns wieder einmal, wie wichtig diese Berichte sind. Er zeigt uns ein ungeschminktes Bild der Landwirtschaft und des ländlichen Raumes. Wenn man das Ergebnis sieht, könnte man sich zunächst über einen Bericht freuen, der belegt, daß sich das durchschnittliche Einkommen in der deutschen Landwirtschaft im Wirtschaftsjahr 1982/83 um 14,8 % erhöht hat. Dies ist nun einmal auch eine Tatsache.
Letzten Endes reden wir heute aber über den Agrarbericht 1984, und wir als FDP-Fraktion könnten uns zusätzlich darüber freuen, daß dieses Ergebnis überwiegend in die Zeit fällt — konkret: in die Zeit bis zum 6. März 1983 —, in der unser alter FDP-Minister Josef Ertl zuständig war. Es ist erfreulich für Minister Kiechle, daß dieser Bericht — wenn auch nur für ein Quartal — positiv ist und daß er, wie ich meine, alle in diesem Zusammenhang stehenden Fragen auch für den Verbraucher widerspiegelt.Die Freude wird aber — das ist heute schon angedeutet worden — schnell durch die knallharte Realität getrübt, nämlich dadurch, daß wir für den kommenden Agrarbericht, d. h. im laufenden Wirtschaftsjahr, mit Einkommenseinbußen von über 20 % rechnen müssen.Hauptgegenstand dieser verbundenen Debatte soll — das habe ich eben angedeutet — der Agrarbericht 1984 sein. Dieser Agrarbericht weist im Durchschnitt aller Vollerwerbsbetriebe des Bundes-
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Paintnergebietes für 1982/83 gegenüber dem vorangegangenen Wirtschaftsjahr, das bereits eine Verbesserung um 7,7 % gebracht hatte, eine Erhöhung von 14,8 % aus. Das Einkommen lag mit 26 282 DM je Familienarbeitskraft um gut 1 000 DM höher als im Ausnahmejahr 1975/76.Bei den Betriebsformen, den Betriebsgrößen und den Regionen gab es wie immer große Unterschiede. So hatten die Futterbaubetriebe mit 20,9 % die größte Einkommensverbesserung; trotzdem liegen diese Futterbaubetriebe mit 24 047 DM an letzter Stelle aller Betriebsformen. Die Marktfruchtbaubetriebe lagen bei 33 118 DM je Familienarbeitskraft mit einer Steigerung um 17 % an der Spitze. Die Veredelungsbetriebe mußten nach dem guten Vorjahresergebnis auf Grund rückläufiger Schweinepreise einen durchschnittlichen Rückgang von 4,3% auf 32 142 DM hinnehmen. Die Gemischtbetriebe verbesserten sich um 9,3% auf 24 754 DM, und die Dauerkulturbetriebe konnten einen Anstieg von 9,7 % auf 29 222 DM je Familienarbeitskraft verzeichnen.Regional — in der Darstellung nach Bundesländern — lag Schleswig-Holstein an der Spitze, und zwar mit einem Zuwachs von 65,6% und somit mit einem Familieneinkommen von 37 178 DM. Das dürfte einmalig sein. Auf dem zweiten Platz folgen nach einer Verbesserung um 17,9 % mit 29 800 DM je Familienarbeitskraft die Betriebe in Niedersachsen. An dritter Stelle liegt nach einem Anstieg um 14,9% Nordrhein-Westfalen mit 29 257 DM. Auf dem) vierten Platz liegt mit einem Zuwachs von 9,7 % auf 24 333 DM je Familienarbeitskraft Bayern; das Einkommen liegt da schon um mehr als 10 000 DM niedriger als in Schleswig-Holstein. Den fünften Platz nimmt nach einem Anstieg um 19,4 % auf 23 675 DM je Familienarbeitskraft Baden-Württemberg ein. Rheinland-Pfalz, dessen Betriebe je Familienarbeitskraft nur einen Zuwachs um 2,2% erreichten, folgt mit 23 546 DM auf dem sechsten Platz, und an letzter Stelle liegen trotz eines Anstieges um 20,3% mit 17 519 DM je Familienarbeitskraft die Betriebe in Hessen.Nach der Untersuchung über die Streuung der Einkommen zwischen dem besten und dem schlechtesten Viertel der Betriebe erreichten die besten 25% durchschnittlich 56 988 DM je Familienarbeitskraft, während die schlechtesten 25 % nur auf 2 810 DM je Familienarbeitskraft kamen. Rechnet man nicht nach Familienarbeitskraft, sondern je Unternehmen, so kam bei einem Durchschnitt von 33 791 DM Gewinn je Unternehmen das beste Viertel auf durchschnittlich 74 743 DM, das schlechteste auf nur 2 648 DM.Hier wird deutlich, wo die Problematik der Agrarpolitik überhaupt liegt, nämlich im unteren Bereich der Vollerwerbsbetriebe. Die Einkommenssituation der Zu- und Nebenerwerbsbetriebe hat sich im Berichtszeitraum erfreulich entwickelt und macht gleichzeitig deutlich, daß diejenigen, die sich vor Jahren nach einem außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplatz umgesehen haben, gut über die Runden gekommen sind.Erfreulich ist, daß im Bericht auch der alternative Landbau ausgewiesen ist, wo deutlich wird, daß dort der Betriebserfolg auf niedrigen Kosten und höheren Preisen beruht. Man darf gespannt sein, wie die Betriebe sich in den nächsten Jahren weiterentwickeln, zumal der Markt für alternative Produkte noch nicht ausgeschöpft zu sein scheint.So weit ganz kurz zu dem sehr aufschlußreichen Bericht, für dessen Erstellung ich auch den Beamten des Ministeriums Dank sagen möchte, ebenso wie dem Minister und den Staatssekretären.Lassen Sie mich nun einige Ausführungen zur EG-Agrarpolitik machen, deren Ergebnisse leider noch nicht endgültig beschlossen sind. So sehr wir es begrüßen, daß es höchstwahrscheinlich gelingen wird, die Steine für eine Einigung in den schwierigen EG-Fragen aus dem Weg zu räumen, kann niemand die Augen vor der Tatsache verschließen, daß für unsere Bauern die nächsten Jahre nicht einfach werden. Bei leeren Kassen und einer Ausschöpfung des EG-Mehrwertsteuerbeitrages von 1 % ist das, was erreicht wurde, politisch ein Erfolg,
einschließlich des nationalen Ausgleichs, der mit der Mehrwertsteuer vorgesehen ist. Dem Bauern aber, welcher mit seinen Kosten fertig werden muß, kann man es nicht verargen, daß er damit nicht zufrieden ist. Ich glaube, keiner hat mehr Verständnis als wir praktischen Landwirte dafür, wo unsere Landwirte zur Zeit der Schuh drückt. Wir haben größtes Verständnis für das, was in Dortmund passiert ist. Hier sage ich Ihnen, das war nicht nur allein eine Demonstration gegen diese Bundesregierung, es war eine Demonstration für diesen bäuerlichen Bereich und seine Sorgen. Ich meine, jeder Agrarpolitiker einschließlich des Müller Rudi hat es längst begriffen, was hier im Gang ist.
Tatsache ist, daß trotz Überschußproduktion die Einkommensverhältnisse der deutschen Landwirtschaft im letzten Wirtschaftsjahr nur bis auf 20 % an die Vergleichszahlen herangeführt werden konnten. Als verantwortliche Agrarpolitiker müssen wir uns aber auch dazu durchringen, daß ohne eine Neuausrichtung der EG-Agrarpolitik die Marktordnungen der EG in Gefahr kämen und die Konsequenz daraus viel schlimmer würde als alles, was jetzt beschlossen worden ist. Dies ist, meine ich, letzten Endes der Punkt. Wir sind aber als Politiker gleichermaßen gut beraten, daran zu denken, wieweit man überhaupt der Landwirtschaft noch weitere Einkommenseinbußen zumuten kann bzw. welche flankierenden Maßnahmen ergriffen werden müssen, um unsere bäuerlichen Familienbetriebe über die Runden zu bringen. Welcher Berufsgruppe könnte man zumuten, einkommensmäßig auf Mitte der 70er Jahre zurückzufallen? Ich glaube, niemandem in diesem Staat würde es einfallen, irgendeiner Berufsgruppe zuzumuten, ein Einkommen hinzunehmen, wie sie es 1976 hatte. Die Frage der Erhaltung des bäuerlichen Familienbetriebs wird uns in den nächsten Jahren nicht mehr loslassen. Ob es ihn im Jahre 2000 noch gibt, wird in den nächsten Jahren entschieden werden. Dies ist unsere große
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PaintnerSorge. Das laufende landwirtschaftliche Einkommen steht auf dem Vergleichsjahr 1976, die Landwirtschaft steht beim Einkommensvergleich mit den übrigen EG-Staaten an vorletzter Stelle — dies in einer Zeit, in der mit den längst angekündigten EG-Agrarreformen Ernst gemacht wird, die hauptsächlich im landwirtschaftlichen Bereich Einkommenseinbußen hervorrufen werden.Ich bedanke mich bei allen Politikern,
neben dem Bundeskanzler — auch beim Wimmer Hermann, selbstverständlich —
ganz besonders bei unserem Vizekanzler, unserem Außenminister Hans-Dietrich Genscher, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit — auch gestern wieder in diesem Hohen Hause —,
ganz besonders auf europäischer Ebene, diesen bäuerlichen Familienbetrieb verteidigt hat,
und bei unserem Bundesminister Ignaz Kiechle, den Minister Genscher bei der Durchsetzung deutscher landwirtschaftlicher Interessen auf EG-Ebene unterstützte.
Dies, meine ich, muß gesagt werden.
Wir dürfen auch nicht müde werden in der Darstellung der Folgen für den ländlichen Raum, die Landwirte und Verbraucher hinnehmen müßten, die einträten, wenn diese bäuerlichen Familienbetriebe durch die Politik Schaden leiden würden. Wir müssen uns angesichts der schwierigen Lage unserer Landwirte die Frage vorlegen: Welchen Stellenwert räumen wir der Ernährungssicherung und Erhaltung der Kulturlandschaft überhaupt noch ein?
Welchen Stellenwert haben für uns rund 800 000 bis 900 000 Arbeitsplätze? So viele zusätzliche Arbeitslose wären nämlich die Konsequenz, wenn diese bäuerlichen Familienbetriebe in Schwierigkeiten kämen.
Welchen Stellenwert hat für diesen Staat eine Landwirtschaft, die jährlich mit Milliardenbeträgen als Käufer auf dem Markt auftritt? Es ist schon erwähnt worden: Jeder sechste Arbeitsplatz hängt mit der Landwirtschaft eng zusammen.
Wir müssen durch unser Handeln zeigen, was uns die Landwirtschaft wert ist.Das ist die Frage an den Verbraucher. Diese Frage muß an den Verbraucher gestellt werden. Ich meine, der Verbraucher ist mit der Regelung bis jetzt nicht schlecht gefahren.
Sie wissen genau, was Herr Vogel gestern gesagt hat. Ich war schockiert. Denn er muß doch wissen, daß ein Vierpersonenhaushalt vor 15 Jahren noch 30 % für Ernährung ausgegeben hat, und heute sind es 17 % bis 19 %.
An all die, die so klagen, daß dies alles zu teuer sei: Mich wundert immer wieder, daß in den USA, wo die Farmen zehnmal so groß sind wie bei uns, für diese Farmen prozentual fast genausoviel Geld ausgegeben wird wie bei uns.Niemand kann verstehen, daß wir in Nahrungsüberschüssen ersticken, der Hunger in der Welt aber noch nicht gebannt ist. Ich verweise hier auf die große politische Bedeutung der Versorgung der Menschen auf dieser Erde mit Nahrungsmitteln. Der Letzte hat inzwischen sicher schon erfahren, daß täglich 40 000 Kinder an Hunger sterben und daß 600 Millionen Menschen permanent an Hunger leiden. Wir wollen und müssen wenigstens soviel Nahrungsmittel produzieren, daß der schlimmste Hunger auf der Welt auch mit unserer Hilfe gestillt werden kann.
Ich weiß genauso wie Sie, daß dieses Problem auf lange Sicht nicht von uns gelöst werden kann, sondern in den entsprechenden Gebieten der Welt die Eigenproduktion entwickelt werden muß.Kann demgegenüber der Verbraucher überhaupt noch abschätzen, was es heißt, um das tägliche Brot nicht bangen zu müssen? Ein Vierpersonenhaushalt gab für Lebensmittel — ich habe es vorhin gesagt —'30 % seines Einkommens aus. Heute sind es 17 % bis 19 %. So hat z. B. im Jahre 1950 ein Industriearbeiter 117 Minuten für ein Pfund Butter und 83 Minuten für ein Pfund Schweinekotelett arbeiten müssen. Bis 1980 ist der entsprechende Zeitaufwand auf 26 bzw. 23 Minuten gesunken. Vor diesem Hintergrund ist es ohne weiteres zu verantworten, Rahmenbedingungen zu schaffen, die den bäuerlichen Familienbetrieben eine Möglichkeit geben, zu überleben. Die Verbraucherverbände und sehr viele in unserem Lande beklagen die zu hohen Kosten, die die Agrarpolitik verursacht; sie schätzen das Risiko der Ernährungssicherung als äußerst gering ein. Trotzdem möchte ich nicht die gegenteilige Situation wünschen und erleben, daß diese Gesellschaft eines Tages wieder einmal den Mangel zu spüren bekommt.Bei dieser Gelegenheit möchte ich nicht vergessen darauf hinzuweisen, daß die Überschüsse nicht
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Paintnerauf den europäischen Äckern und Wiesen gewachsen sind. Sie sind zum überwiegenden Teil handelspolitischen Ursprungs. Man darf gespannt sein, wie sich die USA zu einer Begrenzung der Substitute im GATT stellen werden.Im übrigen ist es höchste Zeit, daran zu denken, Flächen, auf denen heute Überschüsse erzeugt werden, anderen Produktionszielen zuzuführen. Unser bekannter Agrarjournalist aus Bayern, Erich Geiersperger, hat doch, wie ich meine, recht, wenn er sagt, auch das Anlegen von Golfplätzen und Flächen für den Natur- und Landschaftsschutz könnte dazu dienen, Flächen, die bis jetzt zur Überproduktion verwendet wurden, für andere Zwecke zu nutzen.
Allerdings sage ich Ihnen: Auch dies muß jemand bezahlen. Die Bauern können ihr Land letzten Endes nicht verschenken.Von ganz besonders großer Bedeutung wäre es, wenn die Forschung den nächsthöheren Gang einlegen würde und danach forschte, wie ein rohstoffarmes Land wie die Bundesrepublik Deutschland nachwachsende Rohstoffe verwenden kann.
Ich denke in diesem Zusammenhang nicht nur an eine 10 %ige Beimischung von Biosprit. Es könnten allein 900 000 ha aus der Produktion genommen werden. Auch mit der chemischen Industrie kann man über diese Frage sprechen. Ich glaube, sie ist hier sehr aufgeschlossen. Wir stehen hier bestimmt erst am Anfang einer Entwicklung. Im Augenblick werden wir sicherlich darauf angewiesen sein, daß die Forschung noch weiter intensiviert wird.Ich sehe, daß meine Redezeit leider abgelaufen ist. Ich möchte zum Schluß kommen. Ich möchte an dieser Stelle noch auf unseren Antrag hinweisen, zu dem mein Kollege Bredehorn sicherlich noch einige Takte sagen wird. Ich möchte diese Gelegenheit noch nutzen, allen Bäuerinnen und Bauern, allen Winzern, allen Förstern, allen Waldbauern und allen Fischern — was gibt es noch alles? —
— Sie haben recht — hier recht herzlich für die Aufgabe zu danken, die Sie im Jahre 1984 wiederum für dieses Volk und für diesen Staat übernommen haben. Ich möchte dieser Regierung und uns als FDP-Fraktion wünschen, daß es uns gelingt, im nächsten Jahr alles zu tun, damit wir viele bäuerliche Familienbetriebe erhalten können, und zwar, wie ich nochmals mit besonderer Betonung sage, Familienbetriebe mit einem entsprechenden Einkommen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst zwei Vorbemerkungen.
Erstens. Die gestrige Einbringung des Agrarberichts, Herr Minister Kiechle, hat mich zwangsläufig an manche Ihrer Reden als Oppositionspolitiker in diesem Hohen Hause erinnert. Ich will nicht urteilen, ob Sie jetzt ein Paulus oder ein Saulus geworden sind. Überrascht wurde ich allerdings von Ihrer Behauptung, Herr Ertl wollte eine Änderung der EG-Agrarpolitik, aber er fand nicht die rechte Unterstützung. Ist Ihnen entgangen, Herr Kollege Kiechle, daß die Vorschläge der SPD zur Eindämmung der Überschüsse, vorsichtige Preispolitik, Einschränkung der Dauerinterventionen,
gestaffelte Mitverantwortungsabgabe und direkte Einkommensbeihilfen in Härtefällen, damals auch von der FDP mitgetragen worden sind? Ist Ihnen nicht bekannt, Herr Kiechle, daß die FDP auch heute noch Ihre Quotenlösung für falsch und nach wie vor die gestaffelte Mitverantwortungsabgabe für die bessere Lösung hält,
wie übrigens auch die meisten Bundesländer und die Milchwirtschaft?Wir Sozialdemokraten, meine sehr verehrten Damen und Herren,
sind nach wie vor der Meinung, daß unsere Vorschläge nicht nur besser und problemloser, sondern auch auf EG-Ebene konsensfähiger wären.
Ich habe hier ein Zitat von Frankreichs Landwirtschaftsminister Rocard. Er sagte,
er zweifele, ob die von ihm selbst durchgesetzte Begrenzung der Milcherzeugung der Weisheit letzter Schluß sei. Sie sei ihm nicht zuletzt von seinem deutschen Kollegen, Herrn Kiechle, aufgedrückt worden.
Ist Ihnen entfallen, Herr Minister, daß gerade Sie mit allen Mitteln diese unsere Vorschläge hier und draußen bekämpft haben? Was sagten Sie noch am 25. März 1982 in der Agrardebatte? Ich zitiere:Seit Jahren betreibt diese Regierung eine Politik des Preisdrucks gegenüber den Bauern,
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und es ist das erklärte Ziel ihrer Politik,— damit war die damalige Bundesregierung gemeint —damit eine Produktionseinschränkung zu erreichen. Sie nennt es zwar „vorsichtige Preispolitik", im Klartext ist das aber ein eindeutiges Unter-Druck-Setzen dieses mittelständischen Wirtschaftszweiges.
Vergleichen Sie doch diese harte Kritik, Herr Minister, mit den Brüsseler Ergebnissen, die Sie den Landwirten jetzt als Erfolg Ihrer Politik verkaufen wollen. Das ist doch die Politik des Mengen- und Preisdrucks in ihrer reinsten Form. Oder etwa nicht?
Zweite Vorbemerkung. Herr Minister Kiechle, Sie haben gestern hier und vorher auch schon anderenorts davon gesprochen, die bäuerliche Landwirtschaft biete die besten Voraussetzungen für umweltfreundliche Tierhaltung und naturgemäße Anbaumethoden. Wir stimmen Ihnen da uneingeschränkt zu.
Wir fragen Sie aber: Wo ist denn die Novelle zum Tierschutzgesetz?
Sie haben Ihre Vorlage doch wieder verschoben. Ursprünglich hieß es: Beginn des Jahres. Dann sollte es im April sein, und jetzt wird sie vielleicht im April überhaupt erst ins Kabinett kommen.
Sie wollen die Landwirtschaft, so sagten Sie gestern, für ihre ökologischen Leistungen honorieren. Aber Sie sagen nicht, wie. Das schaffen Sie nicht mit einer Kontingentierung der Agrarproduktion. Sie schaffen es nur, wenn Sie dafür ein Leistungsentgelt zahlen. Sie müssen schon Ihrem Finanzminister in die Tasche greifen, Herr Minister.
Wie sieht eigentlich die Organisation der Natur- und Umweltschutzpolitik in Ihrem Hause aus? Wie steht es um Ihren Einfluß und um die Aufgabenverteilung innerhalb der Bundesregierung? Sind Sie für Bodenschutz zuständig, oder ist es der Innenminister? Beschäftigt man sich im Landwirtschaftsministerium wirklich ernsthaft mit grundsätzlichen Fragen des Arten- und Biotopenschutzes. Nicht nurden Mund spitzen, Herr Minister, pfeifen Sie doch endlich einmal!
— Wir haben doch keine Wende versprochen. Das waren doch Sie. Darauf warten doch die Bauern. Darauf warten doch die Naturschützer. So tun Sie doch endlich etwas!
— Ich stelle fest: Sie haben immerhin Ihr Gewissen entdeckt; das ist erfreulich.Wir diskutieren heute den von der Bundesregierung vorgelegten Agrarbericht 1984. Dieser Agrarbericht vermittelt einen Überblick über die Situation der Landwirtschaft im Wirtschaftsjahr 1982/83, über einen Zeitraum also, der im wesentlichen noch von der sozialliberalen Koalition geprägt wurde und wo die vielzitierte Wende für die Landwirtschaft noch nicht eingetreten war. Welch ein Glück für die Landwirte, kann man im Hinblick auf die im Bericht geschilderte Vorausschätzung nur sagen. Immerhin kamen die deutschen Landwirte im Wirtschaftsjahr 1982/83 auf ein Ergebnis, das das Spitzenergebnis des Jahres 1975/76 — nebenbei: auch während der sozialliberalen Koalition — noch um 1 000 DM überschreitet. Herr Ertl: ein gemeinsamer Erfolg! Das zeigt doch, daß unsere nationale Agrarpolitik nicht so schlecht war, wie sie heute manche gern sehen.
Natürlich kann und will ich nicht leugnen, daß auch in jenem Wirtschaftsjahr nicht alles eitel Freude war. Es gibt Unternehmen, die seit Jahren als Problemfälle im Agrarbericht auftauchen: das untere Viertel der Vollerwerbsbetriebe und Betriebe auf ungünstigen Standorten. Diese kämpfen seit Jahren um ihre Existenz. Doch nach einigen Monaten Ihrer Regierung und den Rezepten, die Sie ihnen verschreiben, muß man sich heute wirklich fragen: Was wird nun aus diesen einkommensschwachen Betrieben? Wie wollen Sie denen helfen, Herr Minister?
Hierauf hätten wir gern eine Antwort von Ihnen.Nach den von Ihnen veröffentlichten Vorausschätzungen werden die landwirtschaftlichen Einkommen im ersten Wirtschaftsjahr, das Ihre Regierung voll zu verantworten hat, um 22 % zurückgehen.
Damit haben die deutschen Landwirte in der EG die schlechtesten Einkommensaussichten überhaupt.
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Wir Sozialdemokraten, Herr Kiechle, sind so fair und lasten das nicht Ihrer Politik an.
Wir wissen, welche Rolle Klima, Mengen, Preise und Betriebsmittelkosten spielen.
— Sie sagen: „Genau". Wissen Sie: Ich hätte es begrüßt, wenn Sie in unserer Zeit ebenfalls so fair gewesen wären.
Aber angesichts dieser Zahlen müssen Ihnen, Herr Minister, doch die Ohren klingen, wenn Sie sich an die wohltönenden Sprüche erinnern, mit denen Sie als maßgeblicher Agrarpolitiker der damaligen Opposition den Bauern das Blaue vom Himmel herunter versprochen haben. Noch in der Agrardebatte vom 2. April 1981 warfen Sie uns Sozialdemokraten vor, die Bauern im Stich gelassen zu haben. Sie sagten, allein bei der CDU/CSU fänden die Landwirte Sympathie und Verständnis für ihre Anliegen und Sorgen.
Noch schärfer war es in der Agrardebatte 1982. Die Bauern geben Ihnen heute dafür die Quittung. Denken Sie an Freitag!
Damals, in der Agrardebatte 1982, sagten Sie, die Preisanhebungen seien Ihnen zu gering, und Sie forderten lautstark eine aktive Preispolitik,
und das bei Brüsseler Preisbeschlüssen von rund 9 %, die der Herr Kollege Ertl mit heimbrachte.
Herr Kiechle, damit ist es Ihnen gelungen, uns Sozialdemokraten in weiten Kreisen der Landwirtschaft den Ruf anzuhängen, wir hätten nichts für die Bauern übrig und täten nichts für sie.
Es ist ganz natürlich, daß unsere realistischen und im Einzelfall auch unangenehmen Forderungen weniger gern gehört wurden als die von Ihnen, Herr Kiechle, und von vielen Ihrer Mitstreiter, die bei jeder Gelegenheit goldene Zeiten für die Bauern verkündeten.
Doch wer den Mund so voll nimmt,
wie Sie es jahrelang getan haben, der muß es sich auch gefallen lassen, daß irgendwann einmal seine Taten und Erfolge an diesen Worten gemessen werden.
Und dieser Zeitpunkt ist nun gekommen, Herr Minister.Aber es ist nicht meine Aufgabe, ihnen eine Note zu geben.
— Das erledigen die Landwirte draußen, Herrn von Heereman mit eingeschlossen.
Die rasante Talfahrt ihrer Einkommen treibt sie zu Tausenden in die Protestveranstaltungen, wo Sie, Herr Kiechle, einem ja fast leid tun können.
Schließlich ist es doch so — und das geben wir ohne weiteres zu —, daß Preissteigerungen, wie sie, sich die meisten Bauern wünschen und sicher auch brauchen könnten, gar nicht mehr möglich sind. Es ist unmöglich, wenn 20 % oder noch mehr Milch über den Verbrauch produziert wird, weiter steigende Preise für diese Übermengen zu garantieren.
Daran hätte auch eine sozialdemokratische Regierung — das sage ich hier ganz offen — nichts ändern können.
— Ich komme gleich darauf zurück, Herr Kollege. Lassen Sie mich nur noch zwei Sätze sagen.
Nur — und das ist der Punkt, den Sie sich vorwerfen lassen müssen —: Wir haben diese Entwicklung seit Jahren kommen sehen
und die Landwirte immer darauf hingewiesen. Wir wären sehr froh gewesen, wenn Sie uns unterstützt hätten. Das gilt auch für die Berufsvertretung sowie für COPA. Wir wissen auch, daß die vollen Kassen hier Begehrlichkeiten geweckt haben und es Herr Ertl sehr, sehr schwer hatte, manches durchzusetzen. Beim Rindfleisch ist es uns ja ein bißchen gelungen — seien Sie doch ehrlich —,
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während Sie trotz der auch Ihnen bekannten Entwicklung vor den zwangsläufigen Konsequenzen die Augen schlossen und in Sonntagsreden den Landwirten eine rosige Zukunft unter einer CDU/ CSU-Regierung vorgaukelten.In Ihrer Einbringungsrede, Herr Minister, sagten Sie — ich zitiere —:Nun, ich verteidige nicht gern etwas Unerfreuliches, wenn ich dafür nicht einmal verantwortlich bin, sondern — im Gegenteil — stets davor gewarnt habe.Und an anderer Stelle heißt es:Ich dränge auf Lösungen, Lösungen, die eigentlich schon längst überfällig sind, die eigentlich schon vor Jahren fallen mußten.
— Gut! Dann hören Sie jetzt bitte genau zu! Wie Ihre Lösung, Herr Minister, am 2. April 1981 in der damaligen Agrardebatte aussah, will ich Ihnen nicht vorenthalten.
Ich zitiere wieder:Wir schlagen der Bundesregierung und damit den sie tragenden Fraktionen Sofortmaßnahmen und mittelfristig sich auswirkende agrarpolitische Entscheidungen vor. Dazu gehören angemessene Agrarerzeugerpreise.
Was Sie eingebracht haben, Herr Minister, kann unseren Beifall leider Gottes nicht finden,
weil die Nettoanhebungsrate nicht unterhalb der Inflationsrate sein dürfte und darf.
Es wird dann in unverantwortlicher Weise von Überschüssen geredet. Der Bundeskanzler und der Bundesminister lamentierten nur noch über angeblich zu hohe Kosten. Und das — ich sage es noch einmal — bei Preisbeschlüssen in Brüssel von 9,6 %.
Vergleichen Sie damit einmal die heutigen Beschlüsse in Brüssel!
Vorausgesetzt, Herr Minister, der von Ihnen ausgehandelte Kompromiß wird verabschiedet, dann wird am 1. Januar 1985 der deutsche Grenzausgleich um fünf Prozentpunkte abgebaut. Nach Berechnungen Ihres Hauses bedeutet jeder Prozentpunkt einen Einkommensverlust von 450 Millionen DM für die deutsche Landwirtschaft. Wie man hört, soll der Gesamtverlust durch eine Anhebung der Vorsteuerpauschale um drei Prozentpunkte ausgeglichen werden. Bei diesem Preissenkungsausgleich, Herr Minister, bringt ein Punkt Vorsteuerpauschale ungefähr 600 Millionen DM. Nach Adam Riese bleibt also ein Einkommensverlust von 400 Millionen DM bis 500 Millionen DM, der nicht ausgeglichen wird. Von dem Restbetrag, der im Grenzausgleich noch übrig ist, will ich jetzt überhaupt nicht reden. Nur: Um das auszurechnen, braucht man auch keine Mengenlehre; dazu genügt auch das kleine Einmaleins.Aber das ist nicht das einzige, was uns an Ihren Plänen mißfällt. Ein umsatzbezogener Ausgleich über die Vorsteuer wirkt wie eine Gießkanne: Alle kriegen ein bißchen, auch diejenigen, die gar keine oder nur geringe Verluste dadurch erleiden.
Ich will nicht in Einzelheiten gehen, aber es darf doch nicht unter den Tisch gekehrt werden, daß bei Schweine- und Geflügelproduzenten, bei den Erzeugern von Obst und Gemüse der Abbau des Grenzausgleichs nur teilweise durchschlägt. Trotzdem sollen sie einen Preissenkungsausgleich über die Vorsteuer bekommen. Das ist ungerecht! Was wollen Sie, Herr Minister Kiechle, eigentlich den vielen kleinen und mittleren Milchproduzenten erzählen?
Sie nehmen ihnen die Mengen weg, auch wenn sie ihre Produktion nicht ausgedehnt haben. Und Sie muten ihnen ab 1. Januar 1985 auch noch eine Preissenkung in der Größenordung von 2 % zu,
denn bei Milch schlägt der Abbau des Grenzausgleichs j a voll durch.Wir sind für einen vollen Ausgleich, wir sind aber für eine gerechte und sozial vertretbare Kompensation der Verluste durch einen Direktausgleich.
Wir fordern Sie in unserem Entschließungsantrag auf, diesen Weg zu gehen.
— Bitte schauen Sie in unseren Entschließungsantrag. Da steht es drin.
— Ich sage es Ihnen. Es steht im Entschließungsantrag: Wir wollen einen Flächenausgleich wie damals— 1969 — bei der Getreidepreissenkung. Das ist möglich, Herr Kollege. Aber das nur ganz kurz.Herr Kiechle, Sie haben die Kommissionsvorschläge als Provokation, ja gar als Kriegserklärung an die deutschen Bauern bezeichnet. Noch Anfang März 1984 bescheinigen Sie der EG-Kommission einen unüberbrückbaren Mangel an politischem Fingerspitzengefühl. Was anderes als den Kommissionsvorschlag haben Sie eigentlich nach Hause gebracht? Sie haben die Quotenregelung bei Milch auf der Basis von 1981 bekommen. Martin Schmidt, unser Kollege, hat vorhin schon auf die Situation Frankreichs und der Bundesrepublik in bezug auf
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die Basismenge hingewiesen. Sie haben die Halbierung des Grenzausgleichs, wenn auch erst ab 1. Januar 1985. Es gibt also Preissenkungen von etwa 5%, auch wenn Sie einen Ausgleich für die Einkommensverluste geben wollen. Im Agrarpreispaket selbst mußten Sie als einziger nominale Preissenkungen hinnehmen. „Sprüche nützen nichts"
— ja, sehr gut! —, sagte Herr Minister Kiechle auf einer Veranstaltung am 2. März 1984 in Koblenz.
Herr Minister, diese Aufforderung war wohl mehr an Sie selbst gerichtet, denn bis zuletzt haben Sie den deutschen Bauern eingeredet: Eine Minusrunde wird es nicht geben. Sie haben jetzt keine Minusrunde, Sie haben eine Minus-Minusrunde.
— Entschuldigung, das hat der Herr Minister Kiechle in seiner Einbringungsrede gestern selbst gesagt. Er sagte — ich darf zitieren —: Im großen und ganzen war es ein Null-Runde. — „Im großen und ganzen": Wäre es mehr als Null, hätte er es hier wohl lauthals verkündet. Warum hat er es nicht getan? Warum hat er dann die Einschränkung „im großen und ganzen" gebraucht? Doch wohl deswegen, weil es unter Null ist, oder? Das ist doch logisch, nicht?
Fest steht auch: Die Quotenregelung ist mit einem gewaltigen Verwaltungsaufwand verbunden. Sogar der Direktverkauf von Milch ab Hof wird mit in das System einbezogen. Ich frage mich: Wie wollen Sie das in der EG kontrollieren?
— Ja, zu jeder Milchkuh, nehme ich an. — Hinzu kommt, daß — trotz Ausnahmeregelungen, die insgesamt das System nur verwässern werden — viele Härtefälle entstehen. Die großen Betriebe, die in den letzten Jahren kräftig aufstockten, kommen noch relativ gut weg. Die soziale Situation vieler bäuerlicher Familienbetriebe, die Ihnen doch angeblich so am Herzen liegen, wird sich weiter verschlechtern.Wir fordern Sie daher in unserem Entschließungsantrag auf, bei der Verteilung der Milchkontingente, wenn sie sich dann nicht mehr vermeiden lassen sollten, gerecht zu verfahren.
Die bodenabhängige Milchproduktion in Klein- und Mittelbetrieben ohne Alternativen muß von Kürzungen ausgenommen werden.
Welch unheilvolle Einrichtung eine Quotenregelung darstellt, zeigt sich daran, daß schon jetzt, wo die Milchquoten noch gar nicht endgültig feststehen, der Ruf nach weiteren Quoten, z. B. für Wein und andere Produkte, laut wird. Wo bleibt bei sovielVerwaltung dann die Entscheidungsfreiheit des Landwirts als Unternehmer? Wo bleibt sie?
Schließlich möchte ich darauf hinweisen, daß die Einkommensminderung durch Quoten und andere Regelungen für das Jahr 1983/84 in Ihrer Vorausschätzung gar nicht berücksichtigt ist. Man kann sich nur wünschen, daß die Prognose des Präsidenten des bayerischen Bauernverbandes, Herrn Sühler, es kämen noch weitere 25% durch die EG-Politik hinzu, zu pessimistisch ist.Ich frage daher aber die Bundesregierung ernsthaft, welche praktikablen Wege sie gehen will, um einkommensschwachen kleinen und mittleren bäuerlichen Betrieben in dieser schwierigen Situation zu helfen. Wer, wie wir Sozialdemokraten,
so heftige Unterstellungen und Angriffe einstecken mußte, wie sie von seiten der damaligen Opposition in bezug auf unsere Agrarpolitik erfolgten,
hat jetzt wohl das Recht zu sagen, Herr Kollege Kunz: Nun zeigt mal, was ihr könnt.
Aber da zeigt sich nicht viel.Die Bundesregierung ist auf Grund der Entwicklung in Brüssel wohl in der Lage, sich noch eine Weile mit Vertröstungen und Ausflüchten über die Runden zu retten. Wenn Sie es aber mit ihren Bekenntnissen ernst meint, sollte sie z. B. bei ihrer Milchregelung sicherstellen, daß Betriebe mit bis zu 20 Kühen — meinetwegen auch bis zu 100 000 kg Milchablieferung — nicht in der gleichen Weise unter der Kontingentierung zu leiden haben wie diejenigen, die heute schon 450 000 kg Milch oder mehr produzieren.
Die genannten Betriebe könnten z. B. von der Mitverantwortungsabgabe freigestellt werden.Bekanntlich liegen die Einkommen der kleineren Familienbetriebe in den benachteiligten Gebieten — das sind häufig Betriebe, die auf die Milchproduktion angewiesen sind — noch um fast ein Drittel unter dem durchschnittlichen Einkommen der Landwirtschaft, was, wie wir zugeben müssen, außerordentlich unbefriedigend ist. Wenn die Bundesregierung schon nicht für direkte Einkommensübertragungen ist — ich verweise noch einmal auf unseren Entschließungsantrag —, sollte sie alle anderen Möglichkeiten ausnützen.Die Sozialpolitik — das war immer unser Bemühen — muß mithelfen, das abzumildern, was jetzt
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auf die Landwirtschaft zukommt. Gerade die Agrarsozialpolitik — —
— Seien Sie friedlich. Schauen Sie in den Haushalt 1984: Sie haben gekürzt. Schauen Sie sich die Altershilfe an. Bei uns waren es noch 79,5%, und jetzt sind es nur noch 75%. Bitte, dann wollen wir ehrlich miteinander diskutieren.
— Die Unfallversicherung wollte Ihre Regierung ja auch kürzen. Wenn wir im Ausschuß nicht so gedrängt hätten, wären wir heute nicht bei diesen 280 Millionen DM.
Gerade die Agrarsozialpolitik wäre eine hervorragende Möglichkeit, den einkommensschwachen Betrieben über eine Beitragsstaffelung in der Altershilfe einen Ausgleich zu gewähren.
— Weil Sie das Gesetz verhindert haben. Die Existenzangst der Bauern ist groß, und sie ist nicht unberechtigt.
Während der Zeit sozialdemokratisch geführter Regierungen hat man trotz mancher Probleme und Schwierigkeiten auch die Bauern zu ihrem Recht kommen lassen.Sie sagen, wir hätten alles tun können. Wissen Sie, wir haben nie ein Minus von 22 % gehabt, fragen Sie den Kollegen Ertl. Wir haben aber einmal ein Plus von 26% gehabt. Das unterscheidet uns von Ihrer Regierung.
Wir haben auch vieles für die Bauern getan, fragen Sie sie selbst.Die bisherige Agrarpolitik der Bundesregierung läßt sich dagegen mit einem Satz zusammenfassen, nämlich: Wenn die Landwirtschaft von schönen Reden leben könnte, ginge es ihr hervorragend; von schönen Reden, die von Ihrer Seite kommen.
Die Lage der Landwirtschaft war noch nie so bedrohlich wie heutzutage, und die Aussichten waren auch noch nie so trübe.
Auch wenn das schon des öfteren aus den Reihen der Landwirtschaft behauptet worden ist, man muß sagen, daß es heute leider stimmt. Die Bauern können einem fast leid tun, wenn man sieht, wie sehrsie auf die Wende gesetzt haben und wie sehr sie jetzt enttäuscht sind.
Wir Sozialdemokraten haben uns immer für eine gesunde einheimische bäuerliche Landwirtschaft eingesetzt, weil das im Interesse unseres Landes liegt.
Wie in der Industrie sind wir auch im Agrarbereich gegen eine übermäßige, durch reine Kapitalmacht erzwungene Konzentration. Ich verweise wiederum auf unseren Entschließungsantrag.Im Gegensatz zu dem, was uns immer vorgeworfen wird, sind wir immer zu Hilfe dort bereit, wo tatsächlich Not am Mann ist.
Das gilt auch für Bürger, die nicht gerade zu unseren begeisterten Anhängern gehören. Aus diesem Grunde fordern wir die Bundesregierung zu einer Politik im Interesse unserer Landwirtschaft und im Interesse unseres ländlichen Raumes auf. Wenn Sie das tun, dann werden Sie auch unsere Unterstützung haben.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Brunner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie auch mir einige Vorbemerkungen. Erstens. Die die Regierung tragenden Parteien haben anläßlich dieser Agrardebatte mit Sicherheit nichts zu verschweigen.
Zweitens. Wir werden mit aller Klarheit und ohne kosmetische Ummalung die gegebene Geschäftslage darlegen und werden auch die sich daraus ergebenden Entscheidungen in voller Verantwortung als Regierung und Regierungsparteien zu treffen haben.Eine Bemerkung zu Ihnen, Frau Dr. Vollmer. Ich möchte nicht unhöflich zu Damen sein, aber ich würde Sie doch in Ihrem eigenen Interesse darum bitten, daß Sie Ihren Intellekt nicht immer dazu verwenden, in fast billiger Art — wie Sie das bei jeder Gelegenheit tun — Klassenkampf in den Bauernstand hineinzutragen zu versuchen. Wir leben nicht in einer sozialistischen Gesellschaft, wir leben in einer freiheitlichen Demokratie. Es wird Ihnen auch nicht gelingen, diesen Bauernstand, der sich nach diesem Kriege in einem Verband zusammengefunden hat, auseinanderzubringen. In seinem eigenen Interesse wird Ihnen das nicht gelingen. Das möchte ich Ihnen ganz deutlich sagen.
Ein kurzes Wort auch zu Ihnen, Herr Kollege Müller, als Oppositionspolitiker, so sehr ich Sie
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4361
Brunnerauch schätze. Die These der SPD in Sachen Agrarpolitik lautete doch immer, daß die Agrarpolitik nur über Preissenkungen bewältigt werden kann. Nun, Sie hatten 13 Jahre Zeit, hier sich etwas einfallen zu lassen. Aber Sie kamen über die Diskussion nicht zu einer Konzeption. Deswegen haben Sie auch jetzt nicht das Recht, uns Vorwürfe zu machen, wenn vorhandene Schwierigkeiten zu bereinigen sind.
Wir werden von unseren Bauern verstanden — darauf können Sie sich verlassen —, auch wenn die Situation noch so schwer ist.Meine sehr verehrten Damen und Herren, Aufgabe des Agrarberichts der Bundesregierung ist es, einerseits die aktuelle Situation in der Landwirtschaft darzustellen. Darüber hinaus stellt er aber auch die Grundlage dar, die es erlaubt, die bisherige Agrarpolitik zu überprüfen und neue politische Akzente zu setzen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Landwirtschaft als ein von den natürlichen Voraussetzungen abhängiger Wirtschaftszweig mit jährlichen und regionalen Unterschieden zu leben hat.Dies vorausgeschickt, müssen wir feststellen, daß im Wirtschaftsjahr 1982/83 zwar ein deutlicher Einkommenszuwachs erzielt wurde, damit aber gerade der Einkommensstand von 1975/76 wieder erreicht ist bzw. etwas überschritten wird. In realen Geldwerten gemessen, wurde das Niveau aus den 70er Jahren bei weitem leider nicht erzielt. Der Abstand zum gewerblichen Vergleichslohn ist sogar größer geworden.
Lediglich 20% aller Vollerwerbsbetriebe erreichten die im Landwirtschaftsgesetz definierten Vergleichsansätze.
40% kamen noch nicht einmal auf die Hälfte der Vergleichsansätze.
Dies ist die erste Feststellung, die das Parlament heute zu treffen hat.Zweitens können wir bereits jetzt die voraussichtliche Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft im laufenden Wirtschaftsjahr abschätzen. Ich darf hierzu zunächst auf den vor wenigen Tagen revidierten Bericht der EG verweisen, wonach ohne Berücksichtigung der Inflationsrate die Nettowertschöpfung je Arbeitskraft im Kalenderjahr 1983 in der Europäischen Gemeinschaft um 1,2% und in der Bundesrepublik Deutschland um 19,4 % gesunken ist. Auch unter Berücksichtigung der in fast allen Mitgliedsstaaten höheren Inflationsraten bilden die deutschen Bauern leider Gottes das Schlußlicht in der Gemeinschaft. Dieser Bericht bestätigt die im Agrarbericht getroffene Vorschätzung, wonach die Bauern im laufenden Wirtschaftsj ahr einen drastischen Einkommenseinbruch von mehr als 20 % hinzunehmen haben beziehungsweise bereits verkraften mußten.Die dritte Feststellung, die wir bei unseren parlamentarischen Schlußfolgerungen berücksichtigen müssen, bezieht sich auf das bevorstehende Wirtschaftsjahr 1984/85, dessen Verlauf in erheblichem Umfang von den Brüsseler Agrarverhandlungen bestimmt wird. Hier hat — das sollten wir alle anerkennen — Bundesminister Kiechle eine undankbare Aufgabe, für die er unsere volle Unterstützung benötigt. Wir sprechen ihm ausdrücklich unseren Dank für seine geschickte und zähe Verhandlungsführung aus, die einfach notwendig ist.
Soll der finanzielle Rahmen der Gemeinschaft nicht gesprengt werden, müssen alle Opfer bringen: die Bauern in den Mitgliedstaaten, die Regierungen und damit auch unsere Bauern — leider Gottes — und unsere Regierung. Ich meine aber auch, daß sich andere Wirtschaftsgruppen eventuell erforderlich werdenden Mehrbelastungen im Interesse der Gemeinschaft nicht grundsätzlich verschließen dürfen.Wir brauchen ein gemeinsames Europa, ein starkes Europa und ein handlungsfähiges Europa. Europa bedeutet für unsere Volkswirtschaft Absatz der Produktion und damit Sicherung von Arbeitsplätzen. Über 50% der industriellen Produktion werden in der Freihandelszone des vereinten Europas abgesetzt, und 26 Milliarden DM Devisenüberschüsse erwuchsen im letzten Jahr aus diesen geschäftlichen Beziehungen. Auch der Absatz von Agrargütern, wie Milch und Fleisch, besonders nach Italien, aber auch in andere europäische Staaten, hat eine erhebliche Bedeutung für unsere Landwirtschaft.Haben denn nicht auch — diese Frage sei mit gestattet — die Verbraucher größte Vorteile aus diesem Markt gezogen? Ein Warenkorb von qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln auf günstigstem Preisniveau ist heute für alle in unserem Volk eine Selbstverständlichkeit.Die Anmerkung sei gestattet, daß die europäische Agrarpolitik nicht nur den Preis für den industriellen Freihandel darstellt, sondern auch die einzige voll funktionsfähige Klammer ist, die Europa wirtschaftlich und politisch zusammenhält. Sie würde allerdings handlungsunfähig, wenn sie nicht finanziell unterstützt würde. Wer Sicherheit in Frieden und Freiheit erhalten will — und dies wollen alle in Europa, denen die Demokratie als die beste Staatsform von allen erscheint —, der muß auch bereit sein, finanzielle Opfer zu bringen. Wenn es aus sicherheits-, gesellschafts- und wirtschaftspolitischer Sicht notwendig ist — ich möchte das deutlich unterstreichen —, die Gemeinschaft im Süden zu erweitern, dann müssen gleichzeitig die notwendigen zusätzlichen Mittel für diese strukturschwachen Regionen bereitgestellt werden. Auf den Rücken der Landwirtschaft können wir allerdings keine neuen Lasten legen.Für die deutschen Landwirte wirkt sich der zur Entscheidung anstehende Agrarkompromiß im
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Brunnerkommenden Wirtschaftsjahr zweifellos negativ aus, insbesondere durch die geplante Garantiemengenbegrenzung bei Milch und die Absenkung der Preise für einige wichtige pflanzliche Erzeugnisse. Diese Zugeständnisse mußten auf EG-Ebene gemacht werden, allein mit dem Ziel, Schlimmeres zu verhindern, das dann allen von leeren EG-Kassen diktiert würde.Angesichts langfristig unbefriedigender Einkommensentwicklungen bis zum Wirtschaftsjahr 1982/ 83, schlechter Voraussagen für das laufende Wirtschaftsjahr und ungünstiger EG-agrarpolitischer Erwartungen für das kommende Wirtschaftsjahr wird es schwer werden, in der Landwirtschaft Verständnis für diese staatliche Agrarpolitik zu erlangen. Daher muß die Politik klare Ziele aufzeigen. Die nächsten drei bis vier Jahre werden sicher für die deutschen Bauern harte Prüfungen bringen, doch Resignation bringt uns nicht weiter. Wir müssen durch diesen Schlamm, auch wenn es einmal an den Seiten aufspritzt.Nach dem Landwirtschaftsgesetz soll die Landwirtschaft in den Stand versetzt werden, die bestehenden naturbedingten wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen, die Produktivität zu steigern und ihre soziale Lage an die vergleichbaren Berufsgruppen anzupassen. Die Politik der Bundesregierung hat den bäuerlichen Familienbetrieb als tragende Säule der deutschen Agrarverfassung herausgestellt und gleichzeitig die Bedeutung der Zu- und Nebenerwerblandwirte verankert. Nunmehr gilt es, diese Landwirtschaftsverfassung zum Zwecke einer ausreichenden Sicherstellung der Ernährung auch in Krisenzeiten zu erhalten und damit eine für alle lebenswerte Kulturlandschaft und Umwelt dauerhaft zu sichern.Vorwürfe von verschiedenen uns Landwirten nicht gewogenen Kreisen und Personen in permanenter und teilweise diskriminierender Form sind hierfür wahrlich nicht dienlich. Wir Landwirte vergiften nicht die Menschheit,
sondern wir versorgen sie mit Nahrungsmitteln bester Qualität.
Wir ruinieren nicht die Umwelt, sondern wir pflegen sie, und das kostenlos. Wir Landwirte tragen unser Grün nicht wie ein Sanctissimum vor uns her, sondern wir sind die Grünen der Tat
und nicht die, die sich in Sprüchen und Phantasien ergehen. Mit Phantasien und Ideologien sind diese für alle Bürger lebenswichtigen Fragen keineswegs zu bewältigen.Seit 1973 hat sich die Zahl der Betriebe in der Bundesrepublik um rund 240 000 vermindert. Rund 900 000 Arbeitskräfte mußten sich um eine anderweitige Beschäftigung bemühen. Ich meine, dieser Umstrukturierungsprozeß darf nicht weiter durch eine negative Einkommenspolitik beschleunigt werden, vielmehr sind Hilfen erforderlich, die auch denLandwirten, ihren Familien und Kindern eine Zukunft auf ihren Höfen aufzeigen.Aus dieser Überlegung heraus unterstützen wir die Bundesregierung in der Absicht, die zum 1. Januar 1985 geplante Preissenkung auf Grund des Abbaus des Währungsausgleichs durch nationale Maßnahmen auszugleichen. Wir gehen davon aus, daß durch ergänzende Ausgleichsmaßnahmen am Ende dieses Jahres sichergestellt wird, daß die Warenströme durch den Abbau des Grenzausgleichs mitten im Wirtschaftsjahr nicht behindert werden und kein weiterer Druck auf die Erzeugerpreise bereits im Herbst 1984 ausgeübt wird.Die gravierendsten Einkommenseinbußen werden die Landwirte im Milchbereich ertragen müssen. Hier geht es aber nun darum, den Brüsseler Plan, wenn er so beschlossen wird, mit möglichst geringem Verwaltungsaufwand und möglichst wenigen weiteren Differenzierungen umzusetzen. Verbleibende Härtefälle müssen durch eine Sonderregelung aufgefangen werden.Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die vorgesehene Quotenregelung den Strukturwandel hemmt. Daher müssen ergänzende Maßnahmen, z. B. eine Ausgleichszahlung für Betriebe, die ihre Produktion einschränken oder einstellen, weiter geprüft werden. Im übrigen sollten die Belastungen für die Milcherzeuger nicht noch weiter durch eine Umbewertung der Fett-Eiweiß-Relation, wie von der EG-Kommission vorgeschlagen, erhöht werden.
Hierdurch würden mit großen Anstrengungen teuer erkaufte Märkte leichtfertig aufgegeben. Es muß auch bezweifelt werden, ob sich der Absatz von Butter durch eine solche Preissenkung den Erwartungen gemäß erhöhen läßt.Darüber hinaus erscheint mir wesentlich — dies gilt auch für alle anderen Marktordnungen —, daß die Beschlüsse des Ministerrates nicht nachträglich durch autonome Entscheidungen der EG-Kommission ausgehöhlt werden.
Auch Verwaltungsentscheidungen wie z. B. die Verlängerung der Zahlungsziele für die Interventionen wirken sich natürlich nachteilig auf die Erzeugererlöse aus.Nach Abschluß der Brüsseler Preisverhandlungen wird man auch die unterbrochenen Verhandlungen in anderen Bereichen fortsetzen müssen. So sollte man über eine weitere Beschneidung z. B. des deutschen Branntweinmonopols und damit der Absatzmöglichkeiten einer Vielzahl kleiner Brennereibetriebe in strukturschwachen Räumen erst dann nachdenken, wenn hierfür eine Absicherung im Rahmen einer gemeinsamen Alkoholmarktordnung erreicht werden kann, die allerdings auch den deutschen Interessen gerecht wird.
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BrunnerDem Bereich nachwachsender Rohstoffe ist zur Regulierung der Agrarmärkte größte Aufmerksamkeit zu schenken.
Zum Beispiel könnten zur Reinhaltung der Luft, zur Rehabilitierung unserer Wälder und zur Erhaltung der Bodengesundheit nützliche Beiträge auch und vor allem dadurch geleistet werden, daß man etwa den im Überschuß vorhandenen Agraralkohol dem Treibstoff beimischt.
Ich nehme auch an, daß das geschieht.
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Ja, ich bemühe mich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich gäbe es in dem Zusammenhang noch eine Reihe von Anmerkungen zu machen, ob es nun den Bereich der Kartoffeln oder andere Dinge angeht. Ich möchte mich hier auf einige wenige Dinge beschränken, darf aber noch kurz — —
Nein, Herr Abgeordneter, Sie müssen sich nicht nur auf einige wenige Punkte beschränken, sondern zum Schluß kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte, zum Schluß zu kommen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Wirtschaft zeigt hoffnungsvolle Zeichen der Erholung, des Aufwärtsstrebens. Die Agrarwirtschaft befindet sich in einer außerordentlich kritischen Situation. Ich darf Regierung und Parlament bitten, alles zu tun, daß dieser Zustand abgekürzt wird und die Landwirtschaft zum Nutzen aller vor weiterem Schaden bewahrt bleibt.
Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bredehorn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Einkommensentwicklung im abgelaufenen Wirtschaftsjahr, sozusagen im letzten Amtsjahr unseres so erfolgreichen Landwirtschaftsministers Josef Ertl,
sind die Landwirte zufrieden gewesen. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die gegenwärtige Situation in der Landwirtschaft sehr schlecht aussieht. Nach dem Einkommensplus werden wir es in diesem Wirtschaftsjahr aller Voraussicht nach mit einem 22 %igen Einkommensrückgang zu tun haben.Zusätzlich liegen jetzt aber auch die Vorschläge der Agrarministerkonferenz zur Eindämmung der Milchüberschüsse auf dem Tisch. Wenn diese Vorschläge verwirklicht werden — und alles deutetdarauf hin —, bedeutet das für die über 400 000 milchproduzierenden Betriebe in der Bundesrepublik, die zum größten Teil Gott sei Dank noch bäuerliche Familienbetriebe sind, eine weitere Einkommensminderung um schätzungsweise 15 %. Angesichts dieser Situation wächst bei den Bauern die Unruhe, die Unsicherheit und die Mutlosigkeit. Die Großkundgebung in der letzten Woche in Dortmund hat ganz klar gezeigt, daß die Landwirte den Politikern, der Regierung im Augenblick nicht viel Sympathie entgegenbringen. Ich meine, wir sollten alles daransetzen, daß nicht jetzt auch noch unter den Bauern ein nicht mehr tragbarer Unruheherd entsteht.Unsere Bauern haben ein Recht auf eine wahrhaftige Antwort auf die Frage, ob wir den bäuerlichen Familienbetrieb in Zukunft noch wollen. Bundesminister Kiechle hat gestern in seinen Ausführungen gesagt, daß für ihn der bäuerliche Familienbetrieb im Zentrum seiner politischen Bemühungen steht. Auch spricht er davon, daß die Bauern die Chance haben müssen, auf ihren Betrieben natur- und umweltgerecht zu produzieren. Auch im Agrarbericht steht, daß die wirtschaftliche Existenz einer möglichst großen Zahl bäuerlicher Betriebe gesichert werden müsse, und zwar speziell die bodenabhängig wirtschaftenden Betriebe. Hier müssen nun aber Taten und entsprechende politische Entscheidungen folgen.Die Zahlen des Agrarberichts sollten uns hier doch zu denken geben. Die Gesamtzahl der Betriebe nahm in den letzten 30 Jahren um 800 000 auf heute noch 744 000 Betriebe, davon 50 % Vollerwerbsbetriebe, ab. Das ist ein Rückgang um 54 %. Drei Millionen Menschen — das sind 70 % der in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen — mußten in dieser Zeit aufhören. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche ist inzwischen auf 12 Millionen Hektar gesunken. Allerdings, dieser Strukturwandel hat sich ohne große soziale Erschütterung vollzogen. Noch wird die deutsche Landwirtschaft durch eine Vielzahl von bäuerlichen Familienbetrieben, von Voll-, Zu- und Nebenerwerbsbetrieben, geprägt. Aber wir müssen uns doch fragen, wie lange noch.Die ökonomischen Zwänge zeichnen den Strukturwandel förmlich vor. Steter Kostendruck, unzureichende Einkommen, übermäßige Arbeitsbelastung führen zu einem Verdrängungsprozeß der klein- und mittelbäuerlichen Betriebe. Der Agrarbericht sagt dazu: „Die Konzentration in der Veredlungsproduktion hat stark zugenommen. In den letzten zehn Jahren erhöhte sich der einzelbetriebliche Bestand an Milchkühen und Mastschweinen um rund 70 %." In der Geflügelproduktion gibt es heute keine Bauern mehr. In der Schweineproduktion schickt die Agrarindustrie sich an, auch hier die bäuerlichen Betriebe an den Rand zu drängen. Die Agrarökonomen rechnen uns vor, die Agrarproduktion der Bundesrepublik sei heute von 3 500 Schweinemastbetrieben à 3 000 Mastplätzen, von 70 000 Milchviehbetrieben à 65 Milchkühen und von 30 000 Ackerbaubetrieben mit je 175 Hektar zu erstellen. Das stimmt theoretisch sicherlich. — Wir
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BredehornLiberale wollen keine Agrarindustrie und keine Tierfabriken, wir wollen keine Pohl- und Kathmänner usw.; wir wollen den bäuerlichen Familienbetrieb.
Wir wollen ihn aus ökonomischen Gründen. Er produziert gesunde, vielseitige und preiswerte Nahrungsmittel und garantiert uns eine sichere Versorgung. Wir wollen ihn aus ökologischen Gründen, weil er nicht durch übermäßigen Gülleeinsatz unser Grundwasser mit Nitrat verseucht, weil er durch vielseitigen Pflanzenb au und abwechslungsreiche Bewirtschaftung etwas zur Landschaftserhaltung und Landschaftsgestaltung tut und weil er der Landschaftsmonotonie und der Bodenerosion, z. B. durch zu einseitigen Anbau von Mais, entgegenwirkt.
Wir wollen ihn aus gesellschaftspolitischen Gründen. Eine möglichst große Zahl vieler selbständiger Existenzen dient auch der Verwirklichung von Freiheit. Wir wollen ihn aus Arbeitsmarktgründen. In einer Zeit, wo in meiner Heimat an der Nordseeküste die Arbeitslosenziffern teilweise über 20 % liegen, bieten diese bäuerlichen Betriebe einen Arbeitsplatz, wo zwar nicht immer das meiste verdient wird, wo aber die Leute glücklich und zufrieden sind und damit der ländliche Raum attraktiv bleibt.Viele Kollegen haben sich kürzlich den engagierten Film zweier Journalisten über die Absichten und Möglichkeiten der Agrarindustrie und der Massentierhaltung am Beispiel Südoldenburg angesehen. Angesichts der erschreckenden Praktiken und Möglichkeiten dieser Art von Betrieben ist sicherlich die Frage nach der gesellschaftlichen Leistung des bäuerlichen Familienbetriebes zu stellen. Läßt sich diese Leistung auf die Produktion beschränken, oder stellt die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und der Kulturlandschaft auch einen solchen Beitrag dar?Wenn man dem zustimmt, daß die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit, die Erhaltung unserer Kulturlandschaft, des gesunden Wasserhaushalts usw. auch eine Leistung ist, insbesondere für künftige Generationen, sollte klar sein, daß der Bauer für die Allgemeinheit einen Dienst erbringt, der am Markt nicht vergütet wird. Deshalb hat meiner Ansicht nach der Bauer einen Anspruch darauf, daß sein Eigentum, seine Existenz geschützt wird gegen jene Konkurrenten, die deshalb einen Marktvorteil haben, weil sie diese Leistung nicht erbringen, sondern ohne Rücksicht auf Belastung von Natur und Umwelt wirtschaften. Die Agrarindustrie kann im Augenblick vielleicht ein Produkt etwas billiger erzeugen als der bäuerliche Familienbetrieb. Für die Gemeinschaft kann das aber sehr viel teurer werden.
Jetzt sind Wahrheit und Klarheit gefordert und nicht so sehr salbungsvolle Reden über bäuerliche Landwirtschaft,
sozusagen als Opium für unsere Bauern. Jetzt sind wir Politiker gefordert, ob wir dem bäuerlichen Familienbetrieb eine Chance geben.
Dazu müssen einige politische Rahmendaten neu gesetzt werden, z. B. im Steuerrecht durch Begünstigung landwirtschaftlicher Betriebe bei der Grundsteuer, durch Einführung einer absoluten Obergrenze, ab der ein Betrieb gewerblich wird, durch Zuschläge zur Gewerbesteuer für gewerbliche Tierhaltung, durch Ausschluß der gewerblichen Tierhaltung bei der Anhebung der Vorsteuerpauschale um drei Prozentpunkte usw.
— Ich freue mich, wenn Sie das alles mit unterstützen wollen. Das ist ja hervorragend.
Dann kommt das alles ja sicher sehr bald.Hier sind allerdings, meine Damen und Herren, die Finanz- und Steuerpolitiker aller Fraktionen gefordert, die sich nicht weiter hinter der Ausrede, dieses sei steuersystematisch alles nicht machbar, verstecken dürfen, wenn wir es mit dieser Aussage ernst meinen.
In der Umweltgesetzgebung brauchen wir in allen Ländern eine wirksame Gülleverordnung. Baugenehmigungen für Ställe sollten nur gegeben werden, wenn für die vorgesehene Tierzahl auch ausreichende Flächen nachgewiesen werden. Das Landpachtschutzgesetz sollte zum Schutze bäuerlicher Landwirtschaft novelliert werden. Hier müssen nach jahrelangen Bemühungen nun auch einmal die Rechtspolitiker der Fraktionen über ihren Schatten springen.Wenn die eben skizzierten Maßnahmen nicht wirken oder man sie politisch nicht will, dann fordern wir Liberalen Bestandsobergrenzen. Eine solche Beschränkung ist sicher nur dann gerechtfertigt, wenn ein dringendes öffentliches Interesse dies erfordert und andere, weniger einschränkende Mittel, nicht zur Verfügung stehen.Ich möchte Sie bitten, Herr Bundesminister Kiechle, daß trotz der Bedenken in Ihrem Hause noch einmal über eine solche Begrenzung nach oben intensiv nachgedacht wird.
Die FDP-Bundestagsfraktion brachte bereits — man höre und staune — im Januar 1966 einen Antrag zur Stückzahlbegrenzung für alle Legehennen-, Geflügelmast- und Schweinemastbetriebe ein.
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BredehornDamals wurden als Obergrenze 5 000 Legehennen, 20 000 Stück Mastgeflügel — wenn man sich das heute ansieht, sind das illusorische Zahlen —, 500 Schweine gefordert. Durch die anschließende Bildung der Großen Koalition wurde dieser Antrag dann allerdings erledigt. Deshalb freut es mich, daß der Herr Kollege Susset vorhin erklärt hat, daß jetzt auch die CDU
uns hier mit unterstützen will. Ich hoffe und wünsche, Herr Kollege Susset, daß Sie z. B. auch meinen CDU-Landwirtschaftsminister, Herrn Glup, davon überzeugen können. Das würde mich sehr freuen.
Auch die Führung des Deutschen Bauernverbandes steht jetzt wohl unserer Forderung positiv gegenüber. Wir begrüßen das.Herr Bundesminister Kiechle, ich meine, wir müßten sehr schnell noch ein anderes Problem in den Griff kriegen. Sie wissen, daß in Niedersachsen in letzter Zeit einige Fälle von Pflanzenschutzmittelrückständen in Mischfutter bekanntgeworden sind. Ein solcher Skandal darf sich nicht wiederholen. Ein erster Schritt in Richtung mehr Transparenz wäre mit Sicherheit, die offene Deklaration der Gemengeteile zwingend vorzuschreiben.
So sah es die Futtermittelverordnung vor 1976 vor, und so ist es z. B. in den Vereinigten Staaten und Dänemark gebräuchlich.
Bereits Anfang des letzten Jahres, im April 1983, hat die FDP die Einführung der offenen Deklaration gefordert. Bisher ist noch nichts geschehen.
Auch große Teile des bäuerlichen Berufsstandes sprechen sich für mehr Information bei Zukauf sfuttermitteln aus. Der Landwirt ist für die Erzeugung gesunder Nahrungsmittel verantwortlich. Deshalb muß er auf den ersten Blick feststellen können, welche Komponenten in dem von ihm gekauften Futtermittel enthalten sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Kontingentierung ist mit Sicherheit der Weg in die falsche Richtung.
Eine Kontingentierung widerspricht ureigensten deutschen Interessen.Wenn wir wissen, daß die durchschnittliche Kuhzahl je Betrieb im Vereinigten Königreich 56, in den Niederlanden 38 und in der Bundesrepublik 14 beträgt, können wir uns leicht vorstellen, wer sehr schnell unter Einkommensdruck gerät.
Eine solche generelle Kontingentierung führt die Agrarproduktion aber auch immer weiter aus einer marktwirtschaftlichen Ordnung heraus, schreibt die Strukturen fest und führt zu gefährlichen sozialen Spannungen innerhalb des bäuerlichen Berufsstandes — das kann uns ja wohl allen nicht recht sein —, nimmt kleineren und mittleren bäuerlichen Betrieben die Existenz und läßt jungen Landwirten keine Zukunftschancen.Herr Minister, Sie haben in Ihrer Rede die Zukunft der jungen Landwirte angesprochen, die sich in erfreulich großer Zahl wieder in der Ausbildung befinden. Was soll ich aber draußen einem jungen Landwirt sagen — wissen Sie eine Antwort? —, der nach seiner Meisterprüfung den Betrieb übernehmen will, aber das Pech hat, daß sein Vater im Jahre 1983 nur 20 Kühe hatte, während der Nachbar mit einem vergleichbaren Betrieb von seinem Vater 100 Kühe übernehmen kann? Ich muß dem einen sagen: Du hast nie eine Chance!, während der andere vom Staat auf Dauer eine Garantie bekommt, ein lukratives Einkommen zu erzielen, woran der Steuerzahler in erheblichem Maße beteiligt ist.
Ich halte das für sozial nicht gerade verantwortlich.Wir haben eine große Chance verpaßt, durch eine nach der Milchmenge gestaffelte Erzeugerabgabe unseren bäuerlichen Milcherzeugern ihre Zukunftschance zu belassen und die Betriebe mit einem hohen Milchaufkommen an den Kosten der Überschußverwertung stärker zu beteiligen.Damit ich hier nicht falsch verstanden werde: Auch ich halte eine Beschränkung der Überschußproduktion für unbedingt erforderlich. Die jetzt vom Agrarministerrat beschlossene Garantiemengenregelung bringt der Bundesrepublik eine Garantiemenge von jährlich 23,2 Millionen t Milch. Das sind 7,6% oder 2 Millionen t weniger als 1983.Herr Bundesminister Kiechle, wir haben jetzt die große Chance, dieses nationale Kontingent von 23,2 Millionen t einigermaßen sozial gerecht zu verteilen. Deshalb fordere ich Sie hier heute alle auf, mitzuarbeiten und uns dabei zu unterstützen, daß wir zu einer differenzierten Quotenregelung kommen, die den bäuerlichen Betrieben ihre Existenz-
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Bredehornchance beläßt, während Milchfabriken stärker zur Verantwortung gezogen werden.
Wir unterstützen auch alle Überlegungen, Überschußmengen aus dem Markt herauszukaufen,
indem man Landwirten über 55 Jahre bei Nichtlieferung der Milchmengen eine zeitlich begrenzte Rente zahlt. Eine solche Regelung wäre für die EG-Kasse immer noch bedeutend billiger, als wenn man die Überschußmilch mit Kosten von ca. 53 Pfennig je Liter auf dem Weltmarkt unterbringen müßte.Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen hier eine Fülle agrarpolitischer Probleme vorgetragen. Es gibt aber für alle Probleme — das ist meine feste Überzeugung — auch Lösungen. Wir Liberalen werden uns diesen Anforderungen stellen und Entscheidungen treffen, damit die augenblickliche Unsicherheit beendet wird und unsere Bauern, die ihre Höfe mit Können und Fleiß bewirtschaften, auch in Zukunft eine Chance haben.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Bard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß jetzt wieder auf einen anderen Überschuß in unserem Lande hinweisen, der heute noch nicht zur Sprache gekommen ist. Wir haben einen Antrag auf Änderung des Bundesjagdgesetzes gestellt. Unter Fachleuten ist es ein offenes Geheimnis, daß die Schalenwildbestände bei uns viel zu hoch sind.
und die Verbißschäden den Aufwuchs von gesunden Mischwäldern nicht mehr erlauben. Dies ist ein besonderes Problem in den Alpengebieten. Es gibt dazu eine Übereinstimmung aller Wildbiologen, die davon etwas verstehen. Sicher hat das Wild nichts mit dem jetzigen Waldsterben zu tun, und sicher ist es auch so, daß im Zusammenhang mit Verbiß auch noch andere Faktoren eine Rolle spielen. Aber es bleibt eine ganz wunderliche Tatsache bestehen: Eine Reihe von Tierarten, die in unseren Wäldern heimisch sind, sind vom Aussterben bedroht und stehen auf der Roten Liste. Bei Rotwild und Rehwild ist das nicht so, obwohl auch ihr Lebensraum eingeengt worden ist. Durch Monokulturen in der Forstwirtschaft sind die Bestände dieser Tierarten nicht zurückgegangen.
Hier wieder ökologische Verhältnisse einzuführen, scheint für Politiker offensichtlich sehr heikel zu sein. Das liegt wohl daran, daß sie die Diplomatenjagd gefährdet sehen.
Statt dessen werden sehr eigenartige Vorschläge gemacht, die die Probleme eher verschleiern — Vorschläge wie Anlegen von Wildäckern, Vermehrung der Winterfütterung, Einrichtung von Wintergattern besonders für das Rotwild.
In früheren Zeiten — das gilt besonders für Süddeutschland — hat sich die Bevölkerung gegen überhöhte Bestände einfach dadurch gewehrt, daß sie zum Gewehr gegriffen hat.
Und in Bayern sind diese Leute, die gegen die überhöhten Bestände angegangen sind, sogar zu Volkshelden geworden. Ich erinnere an Jennerwein und andere.
Wir wollen so eine Lösung hier nicht vorschlagen, damit keine Mißverständnisse auftreten. Wir sind aber sehr wohl der Meinung, auch gegen eine starke Jägerlobby — die gibt es offensichtlich auch hier —,
daß diese Tierbestände reduziert werden müssen.
Es gibt auf Länderebene einige Versuche und einige Ansatzmöglichkeiten, die — —
Augenblick, Frau Abgeordnete. — Meine Damen und Herren, ich bitte doch um etwas mehr Ruhe. Bitte sehr.
Was Jagd angeht, scheint Politiker immer zu irritieren.
Die Möglichkeiten, die die Länder haben, sind in der Praxis leider nicht genutzt worden. Wir halten es deshalb für notwendig, auf Bundesebene nach Lösungen zu suchen. Was wir hauptsächlich geändert haben wollen, ist die Abschußplanfeststellung. Wir sind der Meinung, daß zu diesen Abschußplanfeststellungen die zuständigen Naturschutzbehörden hinzugezogen werden müßten.
Und wir halten es für wichtig, daß in Zukunft zwei Kriterien beachtet werden. Das eine ist der Zustand der Vegetation. Wir haben dazu einen Vorschlag gemacht. Das zweite ist die tatsächliche Kondition der Tiere, die man an Hand des Abschusses der letzten Jahre feststellen kann.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4367
Frau Dr. BardAls weitere Maßnahme, um endlich zu erzwingen, daß die Bestände in notwendigem Umfang reduziert werden, halten wir ein Verbot der Winterfütterung für nötig. Nur so kann erreicht werden, daß im Herbst auch wirklich die schwächeren Tiere abgeschossen werden. Wir sehen Winterfütterung, besonders mit Kraftfutter, mit Sorge. Zum einen stellt sie, denken wir, einen Eingriff in natürliche Abläufe dar. Zum anderen halten wir sie vom Standpunkt der Ökologie und des natürlichen Umfangs der Wildbestände her für nicht richtig. Reh- und Rotwild sind keine Haustiere, denen man, statt sie im Stall zu füttern, irgendwo draußen eine Krippe mit Kraftfutter hinstellt.
Und es rächt sich auch, was da passiert.
Die zu hohen Tierbestände führen zu erhöhter Krankheitsanfälligkeit, zu einer Schwächung der Kondition der Tiere, die wir jetzt haben. Das ist das, was die Wildbiologen uns erzählt haben.
. Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Milz?
Das geht leider nicht mehr.
Ist gut. Das ist Ihre Entscheidung.
Die Jäger sollten endlich lernen, daß sie die Tiere nicht mästen sollen, sondern die Aufgabe zu erfüllen haben, die früher der Wolf und der Fuchs bei uns hatten, nämlich die überschüssigen Tierbestände zu reduzieren und im übrigen einen gesunden Bestand zu gewährleisten.
Wir wollen Rot- und Rehwild nicht als Haustiere, wo der Wald zu einer Kulisse von Haustierhaltungen im Freien verkommt.
Wir wollen einen gesunden ökologischen Bestand. Und um den zu erreichen, müssen wir mit einer Reduktion anfangen, die die jetzigen Wälder tatsächlich vertragen.
Das Wort hat der Kollege Handlos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich auch im Namen meines Kollegen Ekkehard Voigt zu dem Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 10/1054 „Ergänzungsbedürftigkeit rahmenrechtlicher Vorschriften des Bundesjagdgesetzes zum Schutz der Waldfunktionen vor Schäden durch Schalenwild" deshalb zu Wort gemeldet, weil dieser Antrag, auch wenn er hier so flüchtig vorgetragen wurde, in letzter Konsequenz nichts anderes zum Ziel hat — das erkennt man, wenn man ihn genau liest — als die Ausrottung des Rotwilds in Berglandschaften und anderswo. Ich kann nur sagen: Es ist ein Skandal, daß die GRÜNEN einen solchen Antrag überhaupt einreichen.
Ich werde das jetzt im einzelnen begründen. In Ihrem Antrag, Frau Bard — hören Sie jetzt bitte mal genau zu! —,
steht, die Fütterung von Schalenwild in sogenannten Notzeiten sei ganzjährig zu untersagen usw.; den Rest erspare ich mir. Als Begründung dazu heißt es:
Der Wiederherstellung bzw. Begründung standortgerechter und insofern stabiler, leistungsfähiger Wälder steht nach übereinstimmender Auffassung der Experten die Belastung durch überhöhte Schalenwildbestände entgegen.
Ich möchte ausdrücklich erklären: Ich bin kein Jäger;
aber ich bin Tierschützer. — Hören Sie mal zu: Sie sind dagegen — auch ich —, daß Robbenbabys in Grönland totgeschlagen werden. Aber daß das Rotwild verhungert, dafür sind Sie offensichtlich, kann ich hier nur sagen.
Ich möchte hier etwas ausdrücklich erklären.
— Sie kommen gleich dran. Es ist bedauerlich, daß Sie, wenn Sie Tierärztin sind, einen solchen Vorschlag hier einbringen.
Herr Kollege Handlos, sind Sie mit einer Zwischenfrage der Frau Kollegin Dr. Bard einverstanden?
Ja, bitte.
Ist Ihnen bekannt, daß diese erhöhten Tierbestände zu Problemen bei ge-
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4368 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Frau Dr. Bardnau diesen Tieren führen, daß die Rehe im Frühjahr nicht genug Ruhe finden,
weil die Abstände zwischen den Kitzsetzen so nah sind, daß sie ihre kleinen Tiere verlassen müssen, weil diese künstlich zu hohen Beständen genau dem Tierschutz und den gesunden Beständen entgegenstehen?
Verehrteste Kollegin! Sie sind Theoretikerin. Ich erzähle Ihnen dann Beispiele aus der Praxis, damit Sie einmal sehen, wie es in der Praxis läuft.
Ich sage hier noch einmal: Ich bin zutiefst enttäuscht darüber, daß die GRÜNEN einen solchen Antrag einbringen, und ich darf im Namen der Republikaner sagen, daß es so bei Gott nicht geht.
Nicht das Wild hat den Wald gestört und zerstört, sondern der Mensch. Darüber sind wir uns wohl klar.
Und für dieses Waldsterben können Hirsche oder Gemsen oder Rehe wirklich nichts. Offensichtlich soll nunmehr, nachdem der Wald stirbt, auch noch das Wild sterben, das in Deutschland wirklich Jahrhunderte seine Existenzberechtigung gehabt hat.
Wissen Sie, was „In Notzeiten" heißt? Wenn zwei Meter Schnee in den Bergen, in den Alpen oder anderswo liegen, dann darf nach Ihrer Version nicht mehr gefüttert werden. Können Sie sich das einmal vorstellen? Das ist ein unmöglicher Antrag.
Ich sage Ihnen noch einmal: Im Bundestag wurde über den Tod der Robbenbabys in Grönland diskutiert. Wir alle haben nein gesagt. Aber wissen Sie denn, was Ihr Antrag in der Praxis bedeutet? Die Praxis sieht folgendermaßen aus:
Wir hatten in Ostbayern, gnädige Kollegin, in diesem Winter einen Forstdirektor, der auf 4 000 ha die Rotwildfütterungsstellen zunageln ließ. Was war das Ergebnis? Es gab fast keine Rotwildschäden. Aber die Tiere haben vor Hunger bei 1,50 m Schneehöhe und 20 Grad Kälte die Balken angefressen, weil sie innen das Heu gerochen haben. Das ist doch der Punkt. Schließlich haben wir doch erreicht, daß die Rotwildfütterungen wieder aufgenommen wurden; die Bevölkerung hat diesen Forstdirektor dazu gezwungen. Ich sage noch einmal: Die Baumschäden sind in diesem Raum überproportional groß, nachdem das Wild nicht mehr gefüttert worden ist.
Nicht das Tier, Frau Kollegin, sondern der Mensch hat die Natur geändert. Daher spricht nichts dagegen, die Tiere im Winter zu füttern, worauf sie auch angewiesen sind.
Um Wald und Wild im Gleichgewicht zu halten, gibt es Abschußpläne. Das, was hier vorliegt, um das Bundesjagdgesetz zu ändern — das darf ich für die Republikaner noch einmal sagen —, ist ein Ausrottungsplan — und sonst nichts. Ich betone noch einmal: Trotz des Waldsterbens muß das Wild seine Existenzberechtigung haben. Oder glaubt jemand allen Ernstes, daß durch diesen wildfeindlichen Antrag im Bundestag, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, die Gesundung unserer Wälder bewirkt werden kann?
Deshalb für die Republikaner abschließend nochmals folgende zusammenfassende Feststellung: Wenn Ihr Antrag hier im Parlament angenommen werden würde, könnten unsere Kinder und Kindeskinder Hirsche, Rehe und Gemsen mittelfristig in einigen Exemplaren nur noch im Zoo bewundern. Wenn dem Waldsterben Einhalt geboten werden soll, müssen dafür wirklich andere Maßnahmen ergriffen werden. Insofern kann ich von der Annahme dieses Antrages nur dringend abraten.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Weyel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Kiechle, Sie haben gestern am Schluß Ihrer Ausführungen einige Sätze über die Verdienste der Bäuerinnen bei der Bewältigung der Arbeit in der Landwirtschaft verloren. Das ehrt Sie sehr, aber es erinnert mich fatal an den Blumenstrauß, der bei der Ehrung verdienter Männer zum Schluß an die Gattin überreicht wird, weil sie so lange auf ihren Mann verzichten mußte.
Eine Gruppe von Menschen, Herr Minister, haben Sie völlig vergessen, nämlich die Landarbeiter. Ich glaube, diese Gruppe haben Sie überhaupt nicht in Ihrer Rechnung; die sind auch in der ganzen Debatte heute noch nicht vorgekommen. Immerhin sind auch das Menschen, die meistens bis zu 50 Stunden arbeiten, denen im Winter oft ein Zwangsurlaub auferlegt wird
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4369
Frau Weyelund die im gesamten Verlauf der sozialen Sicherung bisher etwas zu kurz gekommen sind. Ich bitte Sie, auch darüber einmal nachzudenken.
— In den größeren, Herr von Schorlemer. Ich nehme an, Sie haben noch so etwas; ich weiß es nicht genau.Aber zurück zu den Frauen. Die Frauen stellen ein Drittel der Arbeitskräfte. Sie stellen sogar fast zwei Drittel der vollbeschäftigten Familienarbeitskräfte in der Landwirtschaft. Im Agrarbericht ist Ihnen, wenn man einmal alles zusammensucht, etwa eine Seite gewidmet; daß finde ich ein bißchen wenig.Der Status und die Arbeitsbelastung der Frauen in der Landwirtschaft sind außerordentlich unterschiedlich, unterschiedlicher als die Spannweite der Betriebssituation und der Einkommen. Die Frauen treten als Betriebsinhaberinnen oder -mitinhaberinnen, als mithelfende Familienangehörige, nur als Hausfrauen oder auch als im Nebenerwerb Beschäftigte auf. Ihre Arbeit kann sich im weiteren Sinne auf den Haushalt beschränken, der allerdings eine größere Personenzahl als der Durchschnitt der Haushalte aufweist. Im nördlichen Deutschland ist das immerhin weitgehend heute noch der Fall,
während die Arbeit der Frauen in den landwirtschaftlichen Betrieben in Mittel- und Süddeutschland sehr weitgehend im Betrieb und vor allen Dingen in der Viehhaltung stattfindet und der Haushalt so nebenher erledigt werden muß.
Es leben zum Teil bis zu vier Generationen in den einzelnen Betrieben. Das wirft besondere Probleme auf. Es gibt allerdings auch besondere Chancen; das will ich gern zugeben.Angesichts dieser Situation erhebt sich die Frage nach der zweckmäßigen Ausbildung. Die Zahl der Auszubildenden in der ländlichen Hauswirtschaft ist in der letzten Zeit gestiegen. Nebenbemerkung: für viele Mädchen wahrscheinlich deshalb, weil sie sonst keine Chance hatten.Aber wenn man den Inhalt der Ausbildung auch in der ländlichen Hauswirtschaft betrachtet, dann muß man feststellen, daß hier das Bild der Hausfrau vorherrscht und damit die Rollentrennung von Mann und Frau eigentlich verstärkt wird, obwohl das in vielen unserer bäuerlichen Familienbetriebe in der Realität heute überhaupt nicht mehr der Fall ist. Deswegen machen viele Mädchen, vor allem Hoferbinnen, nicht mehr die Ausbildung in der ländlichen Hauswirtschaft, sondern die sogenannte männliche Ausbildung als Landwirt. Diesen Mädchen fehlt dann das Können für die Führung des Haushalts. Sie brauchen aber beides.
Deswegen müssen wir überlegen, welche Form wir da wählen.Hinzu kommen die jungen Frauen, die durch Einheirat Bäuerin werden. Ihnen muß vor allen Dingen die Möglichkeit gegeben werden, neben ihrem Beruf, neben ihrer Tätigkeit im Betrieb, in den sie eingeheiratet haben, das zu lernen, was sie nötig haben. Das kann durch Beratung, durch Zusatzkurse geschehen.In diesem Zusammenhang unterstützen wir auch den Wunsch der Landfrauen im Landfrauenverband, die Kosten für die Lehrlingsausbildung im Betrieb steuerlich zu berücksichtigen.Herr Kiechle hat auch eine eigene Altersversorgung für die Bäuerinnen durch Einbeziehung der Familienmitglieder als Pflichtmitglieder in der Alterssicherung in Aussicht gestellt. Hier warten wir auf konkrete Vorschläge. Dabei sollte man vielleicht auch noch einmal über die Frage des Mutterschaftsgeldes nachdenken, nicht für alle Frauen, sondern für die Frauen, die in der Landwirtschaft ihren Beruf ausgeübt haben.
— Gut, darüber reden wir später noch.Festzustellen ist aber, daß in den landwirtschaftlichen Betrieben den Frauen eine sehr große Leistung bei der Pflege alter und kranker Familienangehöriger abverlangt wird, während die sozialen Dienste auf dem Lande schlechter ausgestattet sind als in den Städten. Vor allem ist zu bedenken, daß im Zuge des Abbaus überzähliger Betten in den Krankenhäusern viele kleine ländliche Krankenhäuser geschlossen werden. Man muß sehen, wie die Situation ist, wenn das nächste Krankenhaus 50 km entfernt ist und am Wochenende nicht ein einziges öffentliches Verkehrsmittel zur Verfügung steht. So ist nämlich die Situation.
— Nein, das passiert jetzt.
— Da gibt es Pläne, Herr von Schorlemer. Sie sind aber nicht ausgeführt worden. Ausgeführt werden sie jetzt unter Ihrer Regierung.
Schließlich möchte ich noch eine Kleinigkeit ansprechen, nämlich das Defizit der Bäuerin im Bereich der politischen Arbeit. Politik ist in vielen ländlichen Gegenden immer noch Männersache.
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4370 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Frau Weyel— In Norddeutschland ist vieles anders, aber bei uns ist es noch so.Dem steht nicht entgegen, daß sehr viele Frauen im Landfrauenverband organisiert sind. Aber meistens sind das eben unpolitische Veranstaltungen, außer in der Bundesspitze; die ist sehr politisch.Fazit: Der Bundesminister sollte den Ansatz, den er gemacht hat, nutzen, um im nächsten Agrarbericht etwas ausführlicher die Situation der Frauen in den bäuerlichen Betrieben zu beleuchten.
Besonders stark belastet sind die Frauen in den Nebenerwerbsbetrieben. Ich möchte jetzt nicht auf das berühmte Einmaleins eingehen, das es erlaubt, sehr leicht auszurechnen, wie stark die Belastung dort ist, vor allem wenn man berücksichtigt, daß die Nebenerwerbsbetriebe bei den Sonderkulturen häufig besonders arbeitsintensiv sind. Da sind die Nebenerwerbsbetriebe besonders stark vertreten.So stellt der Agrarbericht fest, daß der betriebliche Arbeitsaufwand der Frauen in Nebenerwerbsbetrieben, in denen sie die Betriebsleitertätigkeit ausüben, überdurchschnittlich hoch ist. Das ist der Preis, den die Frauen und die Familien für die angeblich bessere materielle Situation in den Nebenerwerbsbetrieben zahlen.Überhaupt muß man sagen: Zwischen Vollerwerbsbetrieben und Nebenerwerbsbetrieben besteht zur Zeit ein Konkurrenzdenken, das manchmal schon Formen der Gegnerschaft annimmt. Den Nebenerwerbsbetrieben wird das höhere Gesamteinkommen vorgeworfen. Die Vollerwerbslandwirte werfen ihnen vor, daß sie die Preise verderben,
weil sie ja nicht so darauf angewiesen sind. Umgekehrt beschweren sich die Nebenerwerbslandwirte, daß sie in Fragen der Landzuteilung, des Pachtrechtes und in bezug auf viele Fördermöglichkeiten schlechter behandelt werden. Wenn sich beide Seiten beschweren, haben wahrscheinlich beide recht, aber sie werden eben ungleich behandelt.Die Frage ist: Wie viele Nebenerwerbsbetriebe gibt es eigentlich?
Der Agrarbericht sagt 40%, das Statistische Bundesamt sagt 50%, weil man hier von unterschiedlichen Voraussetzungen ausgeht.Aber viel bedeutender ist eine andere Entwicklung. Bei dem Generationswechsel, der sich in den nächsten Jahren vollzieht, werden viele jetzt noch als Vollerwerbsbetriebe bestehende Betriebe Nebenerwerbsbetriebe werden. Ich darf zu den Verhältnissen in meinem eigenen Dorf sagen: Wir hatten früher 30 Vollerwerbslandwirte; heute haben noch wir sieben. Diese sieben sind alle etwa in meinem Alter. Alle sagen mir: „Wenn wir aufhören, wird unser Betrieb bestenfalls noch ein Nebenerwerbsbetrieb sein. Vielleicht wird es ihn auch gar nicht mehr geben." Das heißt also, daß die Zahl der Nebenerwerbsbetriebe doch sehr viel stärker zu-nimmt und daß diese Betriebe unserer verstärkten Obhut bedürfen.Eine besonders hohe Konzentration der Nebenerwerbslandwirtschaft haben wir in strukturschwachen und benachteiligten Gebieten sowie im Umland, zum Teil eben auch bei den Sonderkulturen und beim Wein. Damit kommt diesen Betrieben aber, vor allen Dingen wenn es eben keine Vollerwerbsbetriebe in diesen Bereichen mehr gibt, eine besonders große Aufgabe bei der Pflege der Kulturlandschaft zu.
— Bei Ihnen ist die Entwicklung vielleicht umgekehrt, bei uns verläuft sie so.
— Ich kann Ihnen in meinem Kreis eine Menge von Dörfern zeigen, wo kein einziger Vollerwerbslandwirt mehr tätig ist.
Dazu kommt in der Umgebung der Städte die Versorgung mit Frischgemüse und Obst. Gleichzeitig bilden die Nebenerwerbsbetriebe auch einen sicheren Rückhalt bei Arbeitsmarktproblemen.Der Agrarbericht vernachlässigt allerdings die kleineren Nebenerwerbsbetriebe, wie übrigens auch der Bauernverband in seiner Kritik daran schon festgestellt hat. Gerade unter den Nebenerwerbstestbetrieben befindet sich überhaupt kein kleinerer Betrieb, sondern das sind nur die größeren Betriebe.
— Ja, sicher, eben weil es die größeren sind. Kleinere Nebenerwerbsbetriebe kommen bei diesen Testbetrieben überhaupt nicht vor. Dies ist das Problem. Man darf aber feststellen, daß viele dieser Betriebe eben einfach noch zu arbeitsintensiv organisiert sind, wobei die hohe Belastung dann wieder besonders auf den Frauen liegt.Wenn wir die Nebenerwerbsbetriebe nun als notwendig anerkennen, muß ihnen die Möglichkeit zu sinnvoller Entwicklung gegeben werden. Das geht über die Beratung, über die Förderung der Fachkenntnisse bis zur gemeinsamen Vermarktung. Betriebsvereinfachungen und arbeitsextensive Verfahren sollten gefördert werden.Hier muß ich einmal fragen: Was ist eigentlich aus den Modellvorhaben des BML zur Extensivierung der Nebenerwerbsbetriebe geworden? Vielleicht können wir auch darüber in einem Jahr einmal Auskunft bekommen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4371
Frau Weyel— Ja, sicher, das muß verstärkt werden; das ist wichtig.
— Es ist gut, wenn Sie dabei sind. Aber sicherlich reicht das noch nicht, was wir in diesem Bereich im Moment haben.Wenn ich also berücksichtige, daß die Nebenerwerbsbetriebe eine wichtige Rolle spielen und mindestens in den strukturschwächeren Gegenden in der Ausdehnung begriffen sind, dann ist zu fragen, ob sie nicht ebenso wie die Vollerwerbsbetriebe behandelt werden müssen. Das ist z. B. auch bei Vorhaben wie der Novellierung des Pachtrechts zu berücksichtigen.Zum Schluß möchte ich noch ein paar Worte zum Wein sagen, obwohl der Herr Schartz das nachher sicher viel ausführlicher und bestimmt auch sachkundiger tun wird; aber immerhin. Von den Winzerbetrieben sind 75% Nebenerwerbsbetriebe. Allerdings bewirtschaften sie etwa nur ein Drittel des deutschen Reblandes. Der Gewinn je Unternehmen im Schnitt betrug in dieser Gruppe 1982/83 etwa 13 000 DM und lag damit höher als in den landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieben allgemein. Das gleiche gilt für die Gesamteinkommen der Familien mit etwa 50 000 DM. Bei Vollerwerbsbetrieben lag es mit 46 000 DM etwas niedriger, aber der Unterschied ist nicht so groß.Wurde im Herbst 1982 — das ist ja das Jahr, das in den Agrarbericht eingegangen ist — die gute Ernte noch freudig begrüßt, so war im Herbst 1983 wieder das Problem der Überproduktion da. Die Mostpreise sanken. Wir müssen befürchten, daß das Betriebseinkommen auch bei den Winzern im folgenden Agrarbericht nicht mehr so gut aussieht.Ich möchte zu der Frage der Überproduktion nur noch drei Bemerkungen machen. Wenn die deutsche Weinwirtschaft bestehen will, muß sie auf Qualität und ihre Eigenart setzen.
Das bedeutet, daß wir den EG-Vorschlag, Produktionskapazitäten für rektifiziertes Traubenmostkonzentrat zu schaffen, ablehnen.
Wir lehnen es auch ab, dies für die nördlichen Weinbaugebiete an die Stelle des — ich sage es jetzt deutlich — Zuckers zu setzen. Saccharose hört sich besser an, ist aber dasselbe.
Eine Begrenzung der Zahl der Anbauflächen ist einer Garantiemengenregelung wie bei der Milch ganz sicher vorzuziehen.Da aber insbesondere bei Wein Menge und Qualität in Deutschland stark variieren, müssen die Reserven an Lagerkapazität so bemessen sein, daß zwei aufeinanderfolgende quantitativ gute Jahre kein wirtschaftliches Unglück sind. Schließlich muß Wein nicht in kurzer Zeit verbraucht werden.
Bei genügender Lagerkapazität kann man einen guten Jahrgang wie den 83er über längere Zeit gut verkaufen.
Dann kann auch der Spruch wahr werden, mit dem ich jetzt wieder an den Anfang meiner Ausführungen komme, daß nämlich gute Weine wie wir Frauen sind: Sie werden besser, wenn sie älter werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Eigen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zwei Vorbemerkungen machen.Liebe Frau Weyel, Ihre Rede war so sympathisch wie Ihre letzte Äußerung. Wirklich! Weil wir in der Landwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland eben zu 90 % reine Familienbetriebe und tatsächlich nur 50- bis 60 000 Landarbeiter haben — man kann sie so nennen; wir sagen heute Mitarbeiter oder Facharbeiter zu ihnen —, passiert es natürlich leicht, daß man derer in einer solchen Debatte nicht gedenkt. Ich bedanke mich dafür, daß Sie uns darauf aufmerksam gemacht haben.Ich will für die CDU/CSU sagen, daß wir natürlich die Arbeit der Landfrau, die Arbeit unserer Mitarbeiter ehren und daß wir alles tun werden — wir haben gerade ein Gespräch mit der Gewerkschaft gehabt — —
— Auch mit Zahlen. Wir haben gerade in bezug auf die Ruhestandsbezüge ein Gespräch mit der Gewerkschaft geführt. Ob Ihnen das paßt oder nicht, wir können wohl mit der Gewerkschaft sprechen. Wir wissen, was wir wollen, wenn wir Landarbeitern etwas Gutes tun.
Sie, Frau Weyel, haben auch völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß es immer einen inneren Konflikt zwischen Nebenerwerbslandwirten und Vollerwerbslandwirten vor allen Dingen in dem Bereich gibt, in dem sie sich treffen; das heißt, wo der größere Nebenerwerbslandwirt neben dem kleinen Vollerwerbslandwirt wirtschaftet, muß es Spannungen geben. Weil es diese Spannungen gibt, ist es so
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4372 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Eigenschändlich, Frau Dr. Vollmer, daß Sie immer wiederin dieser penetranten Art Klassenkampf betreiben.
Frau Dr. Vollmer, jeder kann sein Weltbild haben, Sie auch,
Sie das Ihre, wir das unsere. Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden. Nur: Es muß ehrlich vorgestellt werden. Sie tun immer so, als ob Sie mit Ihrem Weltbild — ohne Chemie usw.; Sie wissen, was ich meine — auch noch sozial wirkungsvoll dienen könnten. Im Gegenteil, das unsozialste Weltbild, das es überhaupt auf der Welt gibt, ist das Ihre. Das versuchen Sie immer zu vertuschen, indem Sie sich stets ganz besonders sozial geben. Das ist doch ganz selbstverständlich! Wer kauft denn im Reformhaus ein? Sie müssen sich einmal diejenigen angucken, die da reingehehen und einkaufen.
Sie kaufen da vielleicht ein, aber nicht der Arbeiter, der, nachdem er seine Miete bezahlt hat, 1 200 DM oder 1 300 DM im Monat übrig hat. Der ist auf eine leistungsfähige Landwirtschaft angewiesen, die alle Möglichkeiten wissenschaftlicher Forschung ausschöpft, um hervorragende Lebensmittel preiswert zur Verfügung zu stellen. So ist die Wirklichkeit!
Ich will Ihnen eines sagen, meine Damen und Herren von den GRÜNEN: Mir ist gerade zugespielt worden, daß auf Platz 4 Ihrer Liste für die Europa-Wahl eine Dame aus Niedersachsen steht, die 900 Morgen Acker und 300 Morgen Wald besitzt.
Aber Sie tun hier so, als ob es eine Schande wäre, Eigentum zu haben. Das ist das Verlogene.
Ich habe nichts gegen die Dame, sie kann von mir aus besitzen, was sie will. Nur: Sie sollen hier nicht in dieser Form Klassenkampf machen. Aber wenn Sie es tun, dann müssen Sie uns gestatten, das vor der Öffentlichkeit aufzudecken,
damit Sie keinen Schaden anrichten können. Die Wahl in Baden-Württemberg hat schon wieder gezeigt, daß Sie tatsächlich Schaden anrichten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Agrardebatte 1984 — daran gibt es überhaupt keinen Zweifel — findet in einer für die Landwirt-schaft außerordentlich schwierigen Zeit statt, in einer Zeit, in der die gesamte Volkswirtschaft den Aufschwung erlebt. Wir erleben jetzt die Anfänge und sind sicher, daß der Aufschwung der gesamten Volkswirtschaft mit den Maßnahmen dieser Bundesregierung vonstatten gehen wird. Wir gehen sicher mit unserer Politik davon aus.
Gerade in einer solchen Zeit kann man den Bauern leider keine großen Versprechungen machen.
Man muß alles unternehmen, damit unsere Landwirtschaft diese ganz schwierige Zeit überwindet. Diese schwierige Zeit ist ihr nicht von Politikern aufoktroyiert worden, sondern liegt in der Tatsache begründet, daß wir immer mehr produzieren — mit immer mehr Ergebnissen von Wissenschaft und Technik, mit tüchtigen Bauern, die gut ausgebildet sind —, während wir leider in Europa — besonders in Deutschland — immer weniger Menschen haben, die diese Nahrungsmittel verbrauchen. Hier liegt die große Schwierigkeit. Angesichts dessen hat Minister Kiechle versucht, mittels einer Politik der Wende ein klein wenig mitzuhelfen, den richtigen Weg zu gestalten; ich will mich einmal ganz vorsichtig ausdrücken.
— Nun hört doch mal zu; das war doch schön!
Laßt es mich doch mal erläutern!Diese ganz schwierige Wende in der Agrarpolitik müssen unsere Bauern mitvollziehen, und zwar gerne, nicht im Zorn. Es muß sichergestellt sein — das ist das Wichtigste, was wir heute zu bearbeiten haben —, daß die Versprechungen dieser Bundesregierung eingehalten werden. Bundeskanzler Kohl hat gestern morgen von diesem Platz aus gesagt, daß die Einkommensverluste, die durch die Wende der Agrarpolitik in Brüssel sowohl in bezug auf den Milchmarkt als auch in bezug auf den Währungsausgleich und die Maßnahmen der Kommission bezüglich Getreide entstanden sind, voll ausgeglichen werden.
Meine Damen und Herren, ich will jetzt versuchen, einen Weg aufzuzeigen, wie man dies kann, ohne die Staatskassen, die öffentlichen Haushalte, über Gebühr zu belasten. Mit einer leichten Anhebung der Mehrwertsteuer für Nahrungsmittel kann man eine solche Sonderfestsetzung der Vorsteuerpauschale durchaus finanzieren. Ich habe dazu ein Modell erarbeitet, das ich der Regierung mitteile. Meine Zeit reicht nicht aus, um das hier ausreichend erklären zu können. Es gibt also diese Möglichkeit.Wenn dann die Mittel aus Brüssel, die mit etwa 300 Millionen ECU angesetzt sind, im sozialen Bereich verwandt werden, so daß auch für die kleine-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4373
Eigenren bäuerlichen Familienbetriebe eine spürbare Entlastung erfolgen kann, dann, bin ich der Meinung, könnten wir es schaffen, daß unsere Bauern diesen Weg der Wende mitvollziehen.
— Die Großen müssen auch mit einem Betrieb wirtschaften, der mehr Kosten erfordert.
— Das ist ja Ihr Problem, meine Damen und Herren von der SPD, daß Sie von Wirtschaft nur kennen, daß es da Bier gibt.
So ist das.
Mehr wißt ihr nicht von Wirtschaft. Das ist euer Problem. Deswegen konntet ihr auch nicht regieren, deswegen mußtet ihr abgelöst werden. Das war nach 13 Jahren allerhöchste Eisenbahn.
Herr Kollege Schmidt , nun zu Ihrem Vortrag von vorhin.
— Ja, das war meiner Ansicht nach im Gegensatz zu vielen anderen eine gute Rede, die Sie gehalten haben. Sie war maßvoll. Daß natürlich genau wie Rudi Müller die Opposition jetzt in die Wunden, die natürlich vorhanden sind — da gibt es keinen Zweifel —, mit Lust und Wonne hineinsticht, dafür habe ich sogar parlamentarisches Verständnis.Die Rede war maßvoll, und ich bedanke mich dafür. Es waren nur einige falsche Ansätze,
und die will ich zu korrigieren versuchen. Sowohl eine Preissenkung bei Milch, wie die Kommission sie vorgeschlagen hat, als auch eine gestaffelte Mitverantwortungsabgabe in erträglichem Rahmen lösen beide das Problem nicht, nämlich das Problem, daß wir 1983 125 % unseres Bedarfs in Europa produziert haben. Die Quote liebt keiner. Sie müssen nicht glauben, daß wir gerne die Quote wollen. Um Gottes willen!
— Nein, wirklich nicht. — Es ist eine Lösungsmöglichkeit, daß man tatsächlich in verhältnismäßig kurzer Zeit auf das richtige Maß zurückkommen und damit sicherstellen kann, daß auch im Milchbereich eine vernünftige Preispolitik durchgeführt wird. Sie können mit Sozialmaßnahmen Not lindern und verhindern, Sie können aber mit Sozialmaßnahmen keine Wirtschaftspolitik betreiben. Darüber muß sich jedermann im klaren sein.
Deswegen ist das System, das Ignaz Kiechle in Brüssel durchgesetzt hat, zwar kein gutes — —
— Kann man mit euch denn nicht ehrlich diskutieren? Du meine Güte! Ich muß doch nicht lieben, was ich aus Not anerkenne. Das heißt, wir wollen die Quote nicht, aber wir erkennen sie aus der Not heraus an, weil wir ohne sie mit dem Problem nicht fertig werden. So sieht das in Wirklichkeit aus.Meine sehr geehrten Damen und Herren, die einzige Lösung, die es für diese Gesamtproblematik gibt, ist schon vom Kollegen Paintner aufgezeigt worden, der j a eine bemerkenswert andere Rede hielt als sein Kollege Bredehorn.
Insofern ist das bei euch eine ziemliche Spanne. Da müßt ihr euch wohl noch an die neue Koalition gewöhnen.
Das kriegen wir wohl hin.
Meine Damen und Herren, wir sind in folgender unendlich schwierigen Situation. Diese Situation ist nicht im letzten Jahr entstanden, und sie ist auch ohne politische Schuld in den 13 Jahren davor entstanden. Hier soll kein Schuldkomplex aufgebaut werden; das wäre Unsinn. Geringere Preise hätten die Bauern in den Jahren auch nicht abkönnen, und mit Ihrem Apel- oder Dohnanyi-Papier, das nur mit Preissenkungen arbeitet und dann, sozial gestaffelt, Bakschisch für die kleinen Leute vorsieht, ist auch keine Landwirtschaft zu sanieren. Nein, nein, das war schon richtig so, nur sind die Zwänge anders geworden, und diese Zwänge müssen wir bewältigen.Auf der einen Seite steigt die Produktion ständig, und sie wird auch bei der Quotenregelung ständig steigen, denn die Quote hat natürlich einen Verdrängungseffekt.
Wenn man in einem Bereich eine Quote festsetzt, kommt automatisch eine gewisse Verdrängung in anderen Bereichen.
Das heißt, ich kann partiell ein Problem lösen, ich kann aber das Gesamtproblem nicht lösen.Deswegen müssen wir auf der anderen Seite ein Ventil haben. Denn die Menschen, die Nahrungsmittel verzehren, werden leider weniger; zumindest werden diejenigen Menschen, die Nahrungsmittel bezahlen können, weniger. Deswegen ist es wichtig, daß wir alle Forschung, die nur möglich ist, ansetzen, damit wir so schnell wie möglich mit Biomasse in den industriellen Bereich hineinkommen.
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4374 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
EigenDa liegt der Schlüssel, und das ist auch der einzige Silberstreif, den ich mit gutem Gewissen unseren Bauern vortragen kann,
der einzige!
Denn mit großen Überschüssen auf der einen Seite und mit weniger Nachfrage auf der anderen Seite werden wir kein System finden, das ohne ein zusätzliches Absatzventil für unsere Bauern ein ausreichendes Einkommen sicherstellt.Meine Damen und Herren, ich sehe, meine Uhr geht auf Null.
Ich muß also leider meine Ausführungen beenden und darf in meinem Schlußsatz noch einmal feststellen, daß der bäuerliche Familienbetrieb für uns,
für die CDU/CSU,
nach wie vor das gesellschaftspolitische Leitbild ist,
daß dieser bäuerliche Familienbetrieb sowohl ökonomisch wie ökologisch unter allen Gesellschaftsformen der Landwirtschaft in der Welt der leistungsfähigste ist
und daß wir, die CDU/CSU, den Bauern und Bäuerinnen, den Landarbeitern, den Jägern, den Fischern, den Gärtnern
herzlich für ihre große Leistung danken, die sie im letzten Jahr für unser deutsches Volk — nicht nur, aber auch im ökologischen Sinne — erbracht haben.Ich bedanke mich.
Herr Kollege Eigen, wer Landwirtschaftsdebatten dieses Hauses aus einigen Jahren oder gar Jahrzehnten kennt, weiß, daß jetzt zu Ihnen noch eine Steigerung kommt. Herr Ertl ist der nächste Redner.
Herr Präsident, danke schön für das Kompliment! — Meine Damen und Herren, darf ich vorweg eine Bemerkung zu dem Antrag der GRÜNEN machen. Ich fand die Ausführungen von Herrn Handlos außerordentlich bemerkenswert,und es tut mir leid, daß mein Kollege Rumpf wegen der in diesem Hause üblichen Zeitbegrenzung nicht in der Lage ist, dazu zu sprechen. Ich bedaure überhaupt — lassen Sie mich als einen Älteren das sagen —, wie hier mit der Zeit umgegangen wird, weil auch ich mit Müh und Not nur 10 Minuten zum Reden habe. Ich werde versuchen, damit auszukommen.Im Zusammenhang mit der Agrardebatte will ich ein anderes Thema aufgreifen. Ich habe nochmals im Protokoll gelesen, daß wir nicht zulassen, daß die Landwirte als Prügelknaben für die Verfehlungen früherer Jahre herhalten müssen. Ich muß sagen, da fühle ich mich betroffen. Ich fühle mich ganz freiwillig betroffen, denn ich trage voll die Verantwortung auch für Fehler, die ich gemacht habe, und ich hoffe, daß jeder meiner Nachfolger das am Ende seiner Zeit auch einmal so sagen kann.
Damit komme ich gleich zu einer grundsätzlichen Frage. Schon in der Schule lernt man: Irren ist menschlich. Ein Politiker, der keine Fehler macht, ist ein Narr
oder ein ganz übler Demagoge.
Ich sage das, weil ich langsam ein bißchen Lebenserfahrung weitergeben darf. Darin sehe ich den Zweck meiner Anwesenheit in diesem Hohen Hause. Ich sage das in aller Freimütigkeit, Herr Kollege Kiechle, weil ich Sie dann zitieren werde. Sie wissen, ich bin Ihnen freundschaftlich verbunden. Ich habe Ihnen meinen ganzen Rat zur Verfügung gestellt. Es ist Ihre Sache, ob Sie ihn nutzen wollen oder nicht.
Sie wissen, ich bin ein fröhlicher Mensch. Aber in persönlichen Dingen bin ich manchmal auch sehr ernst. Vielleicht können nur fröhliche Menschen zuweilen auch ganz ernst sein. Bei Ihnen kam das gestern auch öfter vor. Ich verstehe durchaus die Situation. Ich war in ähnlichen Situationen, ich habe sie schon hinter mir. Es ist ganz schwierig, wenn man jahrelang in der Opposition war und dann Verantwortung trägt. Ich habe diesen Schicksalsweg hinter mir und bin darüber sehr froh. Ich verfolge das also aus der Distanz. Aber ich bin nun — um etwas fröhlicher zu werden — gleich entsprechend meiner Glaubensprägung bei der Gewissensforschung. Da sagte ich mir: ich habe doch immer die Kiechle-Reden gehört; der Mann hat doch so wuchtige Reden gehalten; er hat gesagt, die Garantieregelung müßte schon seit zehn Jahren gekommen sein. Ich lese alle Protokolle nach. Aber kein Wort davon steht drin. Das ist Ihnen nie eingefallen. Ich dachte, vielleicht habe ich einen Fehler, einen großen Fehler gemacht.Ich komme gleich zu einem Zitat, weil ich so etwas sehr ernst nehme und es das Schlimmste ist,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4375
Ertlwenn man bewußt etwas versäumt. Daß man dennoch nicht perfekt ist, das liegt in der Natur des Menschen. Gott sei Dank. Lassen Sie mich dazu sagen, ich sehe wahnsinnig gern einen unvollkommenen Menschen. Vollkommene Menschen gibt es nicht. Ich wünsche, daß die Menschheit so bleibt. Wenn die Menschheit nämlich vollkommen ist, lebt sie unfrei.
Da lese ich aus dem Jahre 1982: „Wir richten unseren Blick nicht engstirnig auf vielleicht gerade momentan vorhandene Lebensmittelüberschüsse und glauben nicht, dann sofort die ganze EG-Agrarpolitik reformieren zu müssen." So Ignaz Kiechle 1982. Ich gratuliere zu der Erkenntnis.
Jetzt komme ich, weil ich bei der Bewältigung bin, zu der Erkenntnis vor 20 Jahren. Ich will die kurze Zeit noch dazu benutzen, zwei wesentliche Punkte anzuschneiden. Ich zitiere, wenn Sie gestatten, Herr Präsident, aus dem Bundestagsprotokoll vom 10. Dezember 1964:Der Ausbau eines gemeinsamen Agrarmarktes hat dabei größere Fortschritte gemacht als die Harmonisierung im Bereich der Wirtschafts-, der Sozial- und Finanzpolitik. Daher muß hier die Frage gestellt werden, ob es überhaupt möglich ist, den Agrarmarkt isoliert von den übrigen Bereichen der Volkswirtschaft zu harmonisieren, oder ob nicht eine Gesamtharmonisierung mit dem Ziel einer politischen Vereinigung herbeigeführt werden muß. Die kommenden Verhandlungen in Brüssel werden beweisen, inwieweit die deutschen Zugeständnisse für die Harmonisierung des europäischen Agrarmarktes— sprich: Getreidepreissenkung; das habe ich jetzt hinzugefügt, das steht nicht im Zitat drin —sich tatsächlich auch auf die politische Einigung Europas fördernd auswirken werden.Ich darf stolz sagen: Josef Ertl 10. Dezember 1964.Genau da ist die Ursache der Fehlentwicklung. Im Grunde genommen ist die gemeinsame Agrarpolitik für die Konstruktion der Europäischen Gemeinschaft eine ökonomische Fehlkonstruktion.
Ich bekenne freimütig, als ich gesehen habe, daß ich an diesem politischen Widerstand nicht vorüberkomme, weil das nämlich die existentielle Frage der Gemeinschaft ist — es gibt keine Zollunion ohne diese Agrarpolitik —, habe ich begonnen, mich mit den Kompromissen — jetzt sage ich es ganz bayerisch —, mit der Wurschtelei abzufinden. Allerdings habe ich nach 13 Jahren gesagt, jetzt reicht es mir. Wer ernsthaft eine agrarpolitische Reform will, muß die Ursache bekämpfen. Er muß sagen: entweder Wirtschafts- und Währungsunion — und dann muß er heute sagen: die ist in zehn Jahren nicht möglich; dann kann dieses System der Agrarpolitik nicht bestehen — oder aber wir haben morgen Zöllean der Grenze, und der deutsche Export nach Frankreich geht um 20 bis 30 % zurück.
Nun kommt — wegen der Kürze der Zeit — nur noch die Quintessenz. Wenn dem so ist — jeder soll sich einmal die Handelsbilanz anschauen; ich sage, mit dieser Agrarmarktordnung werden wir noch jahrzehntelang leben müssen —, dann darf ich nicht die Landwirtschaft allein zum Verantwortlichen für Fehlentwicklungen machen.
Das darf ich nicht machen. Und dann kann ich mit Quoten nichts lösen.
Denn das steht im Widerspruch zu den grundsätzlichen nationalen Zielsetzungen. Ich sage das hier noch einmal in aller Deutlichkeit: Holland hat 270 % bis 300 % Butterproduktion gegenüber Eigenkonsum, Irland dasselbe, Dänemark auch.
— Das ist schon seit 20 Jahren passiert, verehrter Freund. Sie werden das nicht beheben können. Denn sonst würde der Beitritt für Holland uninteressant; wenn die Franzosen nicht mit unserer finanziellen Hilfe ihre Weinüberschüsse beseitigen können, wäre ihr Beitritt — als unser wichtigster Handelspartner — ökonomisch uninteressant.
Das muß man einmal sagen. Hier muß man vernünftige Lösungen finden. Ich habe auch überhaupt nichts gegen die Quotenlösung, Herr Kollege Kiechle, damit Sie mich nicht falsch verstehen. Sie können sie machen. Aber dann müssen Sie eine nationale Verursacherhaftung herbeiführen. Sie können nicht bei denen mit zwölf Kühen die Schraube fester anziehen als bei denen, die 300 % ihres Eigenbedarfs produzieren.
Ich sage Ihnen aus großer Verantwortung, Herr Kollege Kiechle: Sie schaffen den Nährboden für einen neuen Nationalismus, der von den Bauern über die Mittelstände ausgeht, gegen Europa.
Gegen Europa!Lassen Sie mich ein Letztes sagen. Wer diese Fehlursache und die Zusammenhänge des Agrarmarktes kennt und den Grenzausgleich in dieser Weise abbaut, der muß sagen, was passiert, wenn eine neue Franc-Abwertung zwischen 5 % und 10 % erfolgt. Wie oft kann man deutschen Landwirten dann Null-Runden zumuten? Diese Frage stellt sich vor allem.
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4376 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
ErtlDas will ich hier einmal gesagt haben, damit Sie sehen, wie schwierig es war, zu wurschteln. Ich habe mit 2 %, 3 % Grenzausgleichsabbau zugegebenermaßen gewurschtelt. Das mag ein Fehler gewesen sein. Nur so aber war das System überhaupt bis heute zu retten. Allerdings hat sich jetzt das Gewicht sehr einseitig zuungunsten der deutschen Landwirtschaft verlagert. — Ich hätte mir manchmal gewünscht, einen so freundlichen Eigen erlebt zu haben.
Das wäre für mich wirklich eine nette Erinnerung. Aber meine Leidensfähigkeit ist ja sehr groß geworden.Jetzt zitiere ich das rheinische Bauernblatt bzw. die Presseinformation der Rheinischen Landwirtschaftskammer — ich habe sie hier —: Zu den bestehenden 22 % ein Plus von 12 % an Einkommensverlusten.
Ich höre hier und heute: voller Ausgleich. Wir sprechen uns bei Philippi wieder.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Schartz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Ertl, Sie haben hier sehr grundsätzliche Ausführungen gemacht. Ich will Ihnen bei allem persönlichen Respekt sagen: Ich konnte mich einer gewissen Peinlichkeit nicht erwehren, nicht zuletzt auch deswegen, weil der Kollege Kiechle Ihnen gestern auf sehr massive Angriffe hin beigestanden hat.
Meine sehr geehrten Damen und meine Herren, ich möchte diese Debatte über die Lage der deutschen Landwirtschaft nicht dazu benutzen — wie es hier offensichtlich das Schema verlangt —, als Sprecher der Regierung über die Leistungen der Opposition herzufallen, wie offensichtlich die Opposition dann über die Leistungen der Regierung herzufallen hat.Ich sage in aller Ernsthaftigkeit auch als Bauer: Wir haben in der Agrarpolitik eine neue Situation zu konstatieren. Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß wir die auch in Zukunft steigenden Kosten nicht mehr durch steigende Produktion beantworten können. Wenn die Bauern nicht mehr die Möglichkeit haben, steigende Kosten durch steigende Produktion aufzufangen, so habe ich den festen Eindruck — Dortmund hat das gezeigt, auch in meinem eigenen Verband spüre ich es —: Wir, die Politiker, wir, die Regierung, die Politiker aller Parteien haben jetzt die Aufgabe, auf der Basis dieser neuen Situation neue agrarpolitische Konzepte, neueagrarpolitische Zielsetzungen auszuarbeiten, die die Bauern auch für sich anerkennen können.
— Verehrter Herr Kollege Immer, ich will auf diese Art Zwischenrufe nicht allzuoft eingehen. Ich glaube, es ist das große Verdienst von Herrn Minister Kiechle, daß er ein Problem angepackt hat, das in anderen Zeiten nicht angepackt worden ist.
Wenn wir heute über Quotierungen und Einschnitte reden müssen, so ist das letzten Endes die Konsequenz aus der Tatsache, daß über viele Jahre die politische Kraft in der Europäischen Gemeinschaft nicht ausgereicht hat, die Probleme zu regeln. Wäre das vor etlichen Jahren möglich gewesen, so wären heute nicht so drastische Einschnitte notwendig.
Meine sehr geehrten Damen, meine Herren, bei einer Begrenzung der Produktion auf eine Gesamtmenge ist nach meiner Auffassung bei einem neuen agrarpolitischen Konzept diese Gesamtmenge auf möglichst viele landwirtschaftliche Betriebe zu konzentrieren und zu verteilen. Ich nehme hier ein Wort auf, das in dieser Debatte eben gesagt wurde. Ich weiß, daß es nicht überall Zustimmung finden wird. Ich persönlich glaube, daß wir, wenn wir möglichst viele landwirtschaftliche Betriebe an der Veredlungsproduktion, die die Voraussetzung für die Existenz ist, teilhaben lassen wollen, nicht daran vorbeikommen, Bestandobergrenzen für die Veredlungsproduktion einzuführen.
Man mag dem entgegenhalten, das sei nicht mit dem Grundsatz einer liberalen Wirtschaftspolitik vereinbar. Das ist nur dann wahr, wenn man die Aufgabenstellung der Landwirtschaft allein in der Produktion von Nahrungsmitteln sieht und die anderen Aufgaben der Landwirtschaft — nämlich Erhaltung der Kulturlandschaft, Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Landschaft, Erhaltung der Besiedlungsfähigkeit des ländlichen Raums — außer acht läßt.Ich bin auch der Meinung, daß in der heutigen Zeit die Beschränkung der Tierzahlen ein probates Mittel wäre, die Umweltbelastung durch die Veredlungsproduktion, die sich j a auf einzelne Bereiche konzentriert, zu mildern. Bäuerliche Veredlungsproduktion mit ihren Viehbeständen belastet die Umwelt nicht.Wenn wir eine begrenzte agrarische Gesamtproduktion haben, verbleiben nach meinem Dafürhalten nur zwei Wege, um die Einkommen der Bauern zu sichern. Zum einen ist die Erhöhung der Produktpreise zu nennen. Der Ministerrat — dies zeichnet sich dort ab — wird diese Maßnahme nicht ergreifen. Den grundsätzlichen Anspruch der Land-
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wirtschaft als eines Wirtschaftsbereiches, der in seinem Produktionsumfang dann begrenzt ist, die Wirtschaftlichkeit eben dieses Wirtschaftsbereiches über Preiserhöhungen zu sichern, will ich aber auch hier deutlich hervorheben.
Es bleibt ein zweiter Bereich: die Notwendigkeit und die Möglichkeit der Kostensenkung. Im Bereich der Produktion wird dies nur in engem Rahmen möglich sein. Ich will ein Problem ansprechen, das sich der deutschen Landwirtschaft mit besonderer Schärfe stellt. Der Agrarbericht weist aus, daß ein Viertel der deutschen landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebe ein Standardbetriebseinkommen von unter 20 000 DM hat. Diese Betriebe wenden 26,5% ihres Reineinkommens für die soziale Sicherung auf. Ich meine, für diese 70 000 landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebe — das betrifft jeden vierten dieser Betriebe in der Bundesrepublik Deutschland — muß etwas getan werden, was die Entlastung von sozialen Beiträgen angeht.
— Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme gleich zu dem, was Sie wollen. — Diese Betriebe wenden im Durchschnitt 4 322 DM für die soziale Sicherung auf. Für die Bestreitung der Lebenshaltungskosten und für die Durchführung von Investitionen bleibt ihnen nur der Betrag von rund 12 000 DM im Jahr. Das sind 1 000 DM im Monat. Wir alle wissen, daß von diesen 1 000 DM im Monat eine Zwei-Generationen- oder sogar eine Drei-Generationen-Familie in diesem landwirtschaftlichen Familienbetrieb unterhalten werden muß. Ich will meine Meinung ganz deutlich sagen. Ich halte das, was schon unter der Regierung von SPD und FDP Beschlußlage war, nämlich eine Umverteilung bei den Beiträgen zur Altershilfe, für nicht ausreichend. Ich halte auch das, was sich jetzt abzeichnet, eine Umverteilung, die nur die Betriebe mit weniger als der sechsfachen Mindesthöhe begünstigt, für nicht ausreichend. Ich werde dazu meine Zustimmung nicht geben.Ich will ausdrücklich die heutige Bundesregierung loben. Sie hat es fertiggebracht, die Sozialkostenmehrbelastung, die die alte Bundesregierung vorgenommen hatte und die sich darin ausgewirkt hätte, daß ab 1986 für die Unfallversicherung kein Pfennig Bundeszuschuß mehr gegeben worden wäre, zu verhindern und die Beträge wieder aufzustocken.
Ich meine, es gilt in diesem Bereich ein Problem zu lösen. Wir sollten uns dabei aber nicht das Blickfeld durçh unsere bisherigen Gedankengänge verengen. Ich erlaube mir deshalb, hier den Gedanken einzuwerfen, ob es nicht richtig wäre, per Gesetz einen landwirtschaftlichen Sozialfonds zu gründen, aus dem man dann die einkommenschwachen Betriebe unterstützen könnte.Ich begrüße ausdrücklich das, was die Koalition in ihrem Entschließungsantrag gefordert hat: die Herabsetzung der Altersgrenze für den Bezug vonAltersgeld. In einer Zeit, in der unser Land wegen der 35-Stunden-Woche an den Rand einer Auseinandersetzung gebracht wird
und in der die Bauern, wie der Bericht aussagt, 63,7 Stunden in der Woche arbeiten müssen, in einer Zeit, in der der Europäische Gewerkschaftsbund für das Jahr 2000 die wahnwitzige Vorstellung verkündet, 25 Stunden in der Woche zu arbeiten, und auch auf dem Hintergrund der Beschlüsse, die wir heute morgen gefaßt haben, ist es notwendig, die Altersgrenze für die Bauern herabzusetzen.
Lassen Sie mich einiges über meinen ureigenen Bereich, den des Weines, sagen. Ich sehe hier ähnliche Probleme kommen, wie wir sie zur Zeit bei der Milch zu lösen haben. Die Europäische Gemeinschaft produziert schon heute mehr Wein als verbraucht wird. Frankreich produziert 168 % des dortigen Bedarfs. Für Italien sind die Zahlen ähnlich. Und wir werden erleben, daß beim Beitritt des größten Weinbau treibenden Landes der Erde, nämlich Spaniens — dann wird die Rebfläche der EG von heute 2,4 Millionen ha auf 4,5 Millionen ha ansteigen —, die Probleme im Bereich Wein wesentlich größer sein werden.
Ich bitte die Bundesregierung im Zusammenhang mit den Verhandlungen über den Beitritt Spaniens und Portugals darauf zu achten, daß nicht vor Eintritt dieser Länder in die EG dort Anpflanzungen vorgenommen werden, die nachher die europäische Kasse und die europäischen Winzer belasten würden.
Meine Damen und Herren, ich habe mit Freude vernommen, daß in den Gesprächen des Ministerrates seitens der Bundesregierung die Frage der Verwendung von eingedicktem italienischem Traubenmost für die Anreicherung deutscher Qualitätsweine mit Härte und entschiedener Ablehnung behandelt wurde.
Herr Minister Kiechle, dafür danke ich Ihnen sehr, und ich ermuntere Sie, Ihren Kollegen Heiner Geißler auf denselben Weg der Tugend zu bringen.
— Herr Kollege, wir in der CDU können — und das trübt unsere Solidarität keineswegs — auch Kritik und Mahnungen an unsere eigenen Leute vorbringen. Ich glaube, das ist ein Vorteil gegenüber Ihnen,
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den GRÜNEN, bei denen das nur optisch so ist. In Wirklichkeit ist das bei Ihnen nicht so.
Meine Damen und Herren, die Probleme der Weinwirtschaft werden größer werden. Die Probleme des deutschen Weines werden noch wachsen, weil die Konkurrenz der ausländischen Weine stark geworden ist. Wir bitten die Bundesregierung mit allem Nachdruck, dafür zu sorgen, daß die Kontrolle der eingeführten ausländischen Weine verstärkt wird. Vielleicht wäre hier die Einführung einer zentralen Importmeldestelle richtig. Ich begrüße, daß Österreich einen Teil seiner Prädikatsweine nur mehr in abgefülltem Zustand exportieren will.
Und ich klage die Weinpolitik der EG an. Sie äußert sich in über 1 100 Weinverordnungen. Sie äußert sich in der Unbeeinflußbarkeit und der Arroganz der europäischen Administration.Und ich sage als Präsident der Moselwinzer, Herr Minister Kiechle:
Wir haben Probleme existentieller Art in diesem ältesten deutschen Weinbaugebiet.
Mit allem Respekt und mit allem Nachdruck und mit aller Leidenschaft, zu der ich fähig bin, bitte ich Sie, Herr Minister, die schwierige Frage in Europa zu lösen, daß man den Moselwinzern die traditionellen Weinbereitungsmethoden beläßt, die letzten Endes die Voraussetzungen dafür sind, daß unsere Betriebe existieren können.
Wir brauchen die Anreicherung um 36°. Wir brauchen die Naßverbesserung. Wir brauchen eine wahrheitsgemäße Bezeichnung für in Deutschland hergestellten Sekt. Eines der niederschmetterndsten Erlebnisse, die ich in diesem Hohen Haus hatte, war, daß bei der einstimmigen Verabschiedung des Weingesetzes 1982, wenn meine Berichte stimmen, ein Beamter der EG-Kommission auf der Tribüne gesagt hat: Laß sie beschließen, was sie wollen: wir entscheiden, was angewendet werden darf. Wenn es heute eine Bewegung unter den deutschen Winzern gibt,
die auf den Boykott der Europawahl hinausläuft, dann nicht, weil die Winzer gegen Europa sind, sondern weil sie gegen die Eurokraten sind. Dieses Wort ist j a mittlerweile ein Schimpfwort geworden, und ich verwende es bewußt als Schimpfwort.
Ich will zum Schluß meiner Ausführungen — jeder ist ja in der Zeit leider begrenzt — ein persönliches Wort an den mutigen Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle richten.
Man mag sehr wohl mit vielen Gründen darüber streiten, ob diese oder jene Entscheidung in der EG richtig gewesen wäre. Eines ist sicher: Ohne den persönlichen und den politischen Mut unseres Ministers Ignaz Kiechle wäre die europäische Landwirtschaft und nicht zuletzt, sondern zuerst die deutsche Landwirtschaft in einen Strudel der Existenzvernichtung hineingeraten. Daß er versucht, durch politische Einflußnahme dies zu verhindern, dafür schulden wir ihm, glaube ich, alle Dank.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Oostergetelo.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine werten Kollegen Eigen, Susset und Schartz, ich bewundere eigentlich, mit welchem Mut Sie Ihr Gedächtnis ausradieren.
Was haben Sie alles in früheren Zeiten gefordert, und was haben Sie alles abgelehnt! Sie hätten die Staffelung, Herr Schartz, schon lange haben können. Wenn es nicht genug ist, können wir reden. Aber weshalb lehnen Sie ab, wenn wir etwas verbessern wollen? Aber anscheinend kann man sich für Menschen nur dann einsetzen, wenn man in der Regierung ist: in der Opposition darf man das Gegenteil machen.Sehr geehrter Herr Minister, ich habe Ihnen vor einem Jahr zur Übernahme Ihres Amts alles Gute und eine glückliche Hand bei Ihrer schweren Aufgabe gewünscht
und Ihnen die besten Absichten unterstellt. Herr Minister, gerade weil ich mit Ihnen in Grundsatzfragen und in Grundzielen einig bin, nämlich der Erhaltung einer bäuerlichen Struktur in Haupt-, Neben- und Zuerwerb, muß meine Kritik am Ergebnis Ihrer bisherigen Politik intensiv ausfallen. Daß Sie die richtigen Ziele anvisieren, kann nicht darüber hinwegtrösten, daß Sie durch die Wahl der falschen Mittel und auf falschen Wegen in vielem die Sache noch verschlimmert haben.
Dies gilt besonders für Ihre Taktik in den EG-Verhandlungen, sowohl was die deutschen Interessen im allgemeinen als auch was die bäuerlichen Interessen im besonderen betrifft.Die Bilanz Ihres ersten Jahres ist negativ. Denn die Maßnahmen waren mehrheitlich falsch. Gegenüber Ihren Forderungen in der Oppositionszeit sind Sie, Herr Minister, die personifizierte Wende gewor-
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Oostergeteloden. Noch 1981 haben Sie gegenüber der „Augsburger Allgemeinen" 15%ige Preiserhöhungen für richtig gehalten.
Was war für sie laut „Bayernkurier" vom 29. März 1980 das Schlimmste für die Landwirtschaft? Preisstopp und Mengenbegrenzung als Drohung. Was machen Sie heute? Mehr als Preisstopp, nämlich Preissenkung gravierender Art, und Mengenbegrenzung obendrein. Herr Minister, daß wir uns nicht falsch verstehen: Ich sage nicht, daß begrenzende Maßnahmen falsch sind. Aber ich sage: Mit der Art und Weise, wie Sie es machen, erreichen Sie das Gegenteil von dem, was bisher Ihre Forderungen waren. Wie sagten Sie anläßlich der Agrardebatte 1980, an Minister Ertl und die damalige Bundesregierung gerichtet? Zitat:Hilflos stimmt sie doch in Brüssel immer wieder sich widersprechenden Beschlüssen zu, beklagt dann deren Auswirkungen oder Einstimmigkeit — ohne Einstimmigkeit geht es nicht —, laboriert wie ein Pfuscher mit irgendeiner Heilsalbe immer am Symptom herum.Mit dieser vernichtenden Kritik hat der damalige Abgeordnete Kiechle die schlimmen Verhältnisse beklagt, übrigens auch im folgenden Jahr. Im Agrarbericht haben wir gesehen, daß die Durchschnittseinkommen darauf dann um 471 DM gefallen sind.Wie ist der Stand der Dinge heute? Der vorliegende und zur Debatte stehende Agrarbericht nennt die Fakten. Durchschnittseinkommen: 26 282 DM; oberstes Viertel: 56 988 DM; unterstes Viertel: gerade noch 2 810 DM. Das sind gerade 7,70 DM Gewinn pro Tag für die oft zwölfstündige Arbeit einer Familienarbeitskraft. Und die Aussichten fürs nächste Jahr?
— Dies sind Fakten, ich stelle nur Fakten fest. — Und die Aussichten fürs nächste Jahr? Diese Regierung und Minister Kiechle muß eingestehen, daß die durchschnittlichen Gewinne im laufenden Wirtschaftsjahr, also in diesem Wirtschaftsjahr, um sage und schreibe 6 000 DM nach unten gehen. Wenn das die Wende sein soll, Herr Minister, dann ist es eine Wende rückwärts. Ich vergleiche das oft mit den modernen Traktoren: Man kann den Sitz umdrehen. Dann hat man den Eindruck, man fährt vorwärts, obwohl man rückwärts fährt.
Herr Minister, sind Sie nicht auch der Ansicht, daß Ihre Worte von 1980 viel mehr die heutige Situation als die letzten der siebziger Jahre charakterisieren? Wenn Sie so weitermachen, werden die Bauern bald Grund genug haben, die letzten Jahre sozialliberaler Regierungs- und Agrarpolitik die goldenen 70er Jahre zu nennen.
Ihre prophetische Rede von 1980 — Sie haben uns gestern ja ermuntert, sie nachzulesen — ist noch in anderer Hinsicht eine wahre Fundgrube. Sie werfen der sozialliberalen Regierung von damals vor, daß sie um Europas willen unter dem Druck der Einstimmigkeit zähneknirschend Regelungen akzeptiert, von deren Sinnhaftigkeit sie selbst nur mit Maßen überzeugt ist. Das ist nun zum Glück anders! Wenn heute über den milcherzeugenden Betrieben der Gemeinschaft das Damoklesschwert der Quotierung schwebt — Sie kennen diese Geschichte —, dann ist das nicht ein Opfer Ihrerseits für Europa, das Sie zähneknirschend mittragen — so war das damals —, sondern es ist Ihre ureigene Idee,
mit der Sie die freie bäuerliche Landwirtschaft letztlich ruinieren. Daß Sie das von Ihren Zielvorstellungen her nicht wollen, kann niemanden — erst recht nicht die betroffenen Bauern — trösten.
Herr Kollege Oostergetelo, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gallus?
Bitte sehr.
Herr Kollege, wollen Sie wenigstens der Ehrlichkeit halber hier zugeben,
daß dieses Parlament zweimal, und zwar zum erstenmal im Juni 1979 und zum zweiten Mal im November 1982, beschlossen hat, daß die EG-Agrarpolitik nicht mehr als 1 % kosten darf, und daß sich als Konsequenz daraus nun ergeben hat, daß kein Geld mehr in der EG-Kasse ist und dieser Minister nun versuchen muß, damit fertigzuwerden? Oder haben Sie damals eventuell gegen diesen Antrag gestimmt?
Herr Staatssekretär, mir ist sehr wohl bekannt, daß es damals eine Gegenstimme gab.
— Drei sogar. Wenn Sie jetzt diesen Entlastungsangriff starten, will ich Ihnen sagen: Ich bin der Meinung, daß es besser wäre, wenn wir uns gemeinsam darum bemühten, das zu erreichen, was wir früher gefordert haben.
Die bäuerlichen Existenzen können nicht daran zugrunde gehen, ob man in der Opposition oder in der Regierung ist.
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OostergeteloWir wissen doch, daß dieser Beschluß bezüglich des einen Prozents mehrheitlich durch alle Fraktionen gefaßt worden ist. Führen Sie hier doch keine Täuschung durch.Sie sollten lieber Ihren Grafen Lambsdorff fragen, was er denn dazu sagt, wenn wir jetzt die Quotenplanwirtschaft einführen.
Fragen Sie ihn doch einmal, ob Liberale im Kabinett das mittragen können! Sie wissen es doch besser. Das werfe ich Ihnen ja auch nicht persönlich vor.Ich bin der Meinung: Wenn das so bleibt, hat der Minister die Chance, den Lenin-Orden zu bekommen, und zwar für die Umsetzung marxistischer Theorien, aber dann natürlich mit Gold und Brillanten.
Nicht nur Sozialdemokraten sagen das. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung urteilt hierüber — ich zitiere aus dem Wochenbericht 11/84:Die Einführung von Kontingenten ist hauptsächlich aus ordnungspolitischen Gründen zu kritisieren. Sie wäre nicht nur eine Absage an das Postulat der Marktwirtschaft, sondern durch eine Kontingentenregelung würde auch die unternehmerische Entscheidungsgewalt weitgehend durch staatliche Regulierung abgelöst.
Aber zu der Frage, ob diese Momente der Planwirtschaft in unser System der Sozialen Marktwirtschaft eingepaßt werden können, schweigen auch die redseligen Mitglieder dieser Regierung, in auffallender Weise übrigens. Das einzige Argument, das der Minister gebracht hat, lautet, daß nur diese Möglichkeit konsensfähig sei. Das haben wir dann in Athen, anfangs in Stuttgart und nun auch in Brüssel bis heute gesehen.Wenn die Quotierung also ordnungspolitisch nicht in unsere Landschaft paßt, politisch aber auch nicht ohne weiteres durchsetzbar ist, außer man muß sie sehr teuer bezahlen, dann heiligt vielleicht der Zweck, in diesem Fall die zu erwartenden Ergebnisse, die Mittel.Welches sind die zu erwartenden Ergebnisse? muß man fragen. Die Quotierung bürokratisiert, die Quotierung schreibt fest, sie zementiert die völlig unzureichenden Einkommen in den Klein- und Mittelbetrieben. Betriebe ohne Produktionsalternative stehen vor dem Nichts. Meine Damen und Herren, hier können auch Sie nicht anders argumentieren. Sie dürfen sich allerdings weiter verschulden, bis der Konkurs eintritt; dies alles bei gleichzeitigen Mehrkosten für den deutschen Steuerzahler in einer Höhe von -zig Milliarden.
Herr Kiechle, Sie lieben ja neuerdings klassische Zitate. Wenn Sie wirklich die Quotierung zum All-heilmittel Ihrer Agrarpolitik machen wollen, dann kann ich Ihnen zu den Folgen nur mit Schiller antworten: Das eben ist der Fluch der bösen Tat, daß sie, fortzeugend, Böses muß gebären! Wenn es heute um die Milch geht, geht es morgen um den Wein und übermorgen um das Rindfleisch.
Was bedeutet das für die betroffenen Betriebe? Ich weiß, das ist peinlich, aber es ist die Wahrheit. Fragen Sie doch unsere Bauern im unteren und mittleren Einkommensbereich einmal, was sie davon halten, nicht nur die Funktionäre!Was bedeutet die Garantiemengenregelung? Die ist nicht einkommensneutral. Es ist auch keine Nullrunde. Sie beinhaltet allein schon einen Verlust von 8 bis 9%.
Hinzu kommen im Negativsaldo die begleitenden Maßnahmen: der Vorsteuerausgleich, der im Milchbereich nicht ausreicht, die Wirkung der eingeführten Zahlungsfristen, auch die Umbewertung von Fett und Eiweiß und die schlechte Auslastung der Molkereien. Dies ist noch gar nicht errechenbar. Leute, die davon etwas verstehen, sollten das doch auch zugeben.Was ist das für eine Bilanz! Wir brauchen uns doch nicht zu unterstellen, daß nur der eine oder andere weiß, daß wir in schwierigen Zeiten sind. Was für eine Bilanz! Es gehört wenig Prophetengabe dazu, vorauszusagen, daß das laufende Wirtschaftsjahr mit über 20% minus von einem Jahr mit weiteren mindestens zweistelligen Minuszahlen gefolgt wird. Herr Minister, und dieses Ergebnis wagen Sie „einkommensneutral" oder „Nullrunde" zu nennen? Das kann doch nicht wahr sein.Die meisten Landwirte sind zu Opfern bereit. Das ist wahr. Aber, Herr Minister, trotz dieser Opferbereitschaft darf doch die bäuerliche Struktur nicht geopfert werden. Das ist doch das Ergebnis.Der Bundeskanzler sagte gestern: „Ich bin mir bewußt, daß mit diesem Ergebnis im Einzelfall Härten für die betroffenen deutschen Landwirte verbunden sind." So ist diese Aussage falsch; denn durch die Quotierung werden nicht einzelne, sondern wird die überwiegende Mehrzahl der Klein- und Mittelbetriebe in ihrer Existenz bedroht.
Die jetzt wirtschaftende ältere Generation und erst recht die jungen Betriebsleiter von morgen bekommen keine Chance für die Zukunft. Hier hat Herr Bredehorn recht. Ich frage uns alle, der ich ja jedem unterstelle, daß er diese bäuerliche Struktur will: Was sollen wir dieser jungen landwirtschaftlichen Generation eigentlich sagen?Im unteren Bereich ist jegliche Entwicklung verbaut. Das bedeutet Exitus. Im mittleren Bereich werden die Betriebe durch die Kombination von
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OostergeteloQuote und Preisrückgang existentiell gefährdet. Nur im oberen Bereich wird die industrielle oder quasi industrielle Produktion geradezu abgesichert.
Wer die höchsten Überschüsse erzeugt, bekommt zur Belohnung noch die höchsten Quoten.Ich behaupte j a überhaupt nicht, was unsere werte Kollegin Frau Dr. Hellwig gestern behauptet hat, daß die große Mehrzahl dort schon erzeugt werde. Ich weiß vielmehr, daß diejenigen gesegnet werden, die den meisten Überschuß erzeugt haben. Das gilt nicht nur für Holland, das gilt auch für Hafennähe. Führen Sie sich diese Konsequenzen vor Augen! Sorgen Sie wenigstens dafür, daß die bodenabhängige Produktion, die Milchproduktion in Klein-und Mittelbetrieben, die keine Alternative haben, nicht von der Kürzung betroffen wird!Ich fordere Sie auf, auch dem Appell von HansJochen Vogel zu folgen, ergänzend die Einkommensübertragung für einkommensschwächere Betriebe einzuführen, da gerade sie einen besonders wichtigen Beitrag zur Erhaltung einer ökologischen und gesunden ländlichen Umwelt leisten.
Herr Abgeordneter Oostergetelo, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Borchert?
Ich muß meine Zeit einhalten, Herr Kollege. Wir können weiter streiten; wir sehen uns oft genug.
Nicht nur in Europa wird Landwirtschaftspolitik gemacht. Auch die nationale Ebene des Bundes bietet noch viele Möglichkeiten, Zeichen zu setzen und falschen Entwicklungen entgegenzutreten. Hier kann der Minister, wenn er will, manches bewegen. Zum Beispiel Futtermittelrecht: Die vom Agrarausschuß anläßlich der Änderung im Jahr 1976 geäußerte Hoffnung und Aufforderung, daß die Mehrzahl der Futtermittelhersteller auch in Zukunft die Gemengeteile freiwillig deklarieren werde bzw. solle, haben sich nicht erfüllt. Der Sachstand heute: Der Getreideanteil im Futtermittel ist von 34 % im Jahre 1976 auf etwa 20 % zurückgegangen.Das ist für sich genommen noch nichts Schlimmes. Aber es verursacht Überproduktion und hohe Kosten im Rahmen der Getreidemarktordnung. Schlimm ist, daß an Stelle des Getreides den Tieren mit dem Mischfutter vielfach etwas zum Fraß vorgesetzt werden kann, das die Tierhalter so gar nicht kennen. Einige Ersatzstoffe haben doch nur in der Theorie ihren Nährwert, weil der Tiermagen eben nicht mitmacht.Viele Länder haben keine oder nur laxe Vorschriften im Pflanzenschutzmittelrecht. So mußtenschon mehrfach Futtermittel oder -produktionen aus dem Verkehr gezogen werden — letztlich auch in dem neuen Fall im Emsland —, weil die Futtermittel gesundheitsschädliche Belastungen enthielten. Man weiß auch, daß es den Behörden in der Praxis kaum möglich ist, vor der Verfütterung festzustellen, welche Substitute wie und in welchem Maße nicht in Ordnung sind. Dies muß anders werden, meine Freunde. Wir müssen erreichen, daß möglichst wenig gefährdende Stoffe überhaupt gebraucht werden. Wir können dabei die Chance nutzen, daß die Tierhalter im Wahlfalle die getreidereiche Futtermittelmischung vorziehen.
Die Einschätzung der Dinge wurde und wird von allen Fraktionen des Hauses im großen und ganzen geteilt, auch von der Führung des Hauses, auch wenn die Gewichtung in der Begründung differieren mag. Dies ist der Sachstand. Stand der Lage ist, daß der Bundestagsausschuß den Minister am 26. Oktober 1983 in dieser Richtung aufgefordert hat. Ich verkenne nicht, Herr Minister, daß es die gegenwärtige Situation in unserem Agrar-Europa mit sich bringt, daß der Minister sein Augenmerk wichtigen Dingen widmen muß. Aber diese Behandlung des einstimmigen Wunsches kann nicht hingenommen werden. Die Fraktion der GRÜNEN hat nun beschlossen, durch formellen Antrag eine Entscheidung herbeizuführen. Da wir von der SPD ursprünglich davon ausgegangen sind, daß dies sein muß, und wir keinen Grund zur Änderung haben, möchten wir alles unterstützen, was in die Richtung führt, eine offene oder halboffene Deklaration verbindlich zu machen.
Setzen wir doch die Landwirte und nicht ihre Vordenker, die es ihnen vorschreiben wollen, in den Stand, durch eine Verbesserung der Produktionsinformation in eigener Verantwortung das zu tun, was uns allen nur Vorteile bringen kann!
Die Änderung der Futtermitteldeklaration, Herr Kiechle, ist nämlich ein marktwirtschaftlich konformes Mittel, um Fehlentwicklungen abzuschwächen und die Gesundheit der Bürger besser zu schützen und den Bauern wichtige zusätzliche Informationen vor dem Kauf des Mischfutters zu geben.Aber vielleicht haben Sie sich in letzter Zeit vorwiegend mit Planwirtschaftsmodellen beschäftigt und deshalb die Sache ein wenig aus den Augen verloren. Herr Minister, wir erwarten Ihr Handeln, damit die Bauern vor dem Kauf erfahren, aus welchen Gemengteilen das Mischfutter besteht, und somit auch Einfluß auf die notwendige und gewünschte Kontinuität in der Zusammensetzung des Futters bekommen.Ich darf am Abschluß noch dem Kollegen Eigen zur Wahl als Bauernpräsident von Holstein gratulieren. Das fällt mir gerade ein, da ich noch eine Sekunde habe.
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4382 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Oostergetelo— Schleswig-Holstein.
Aber ich sage: Mönchlein, Mönchlein, paß auf, dein Gang wird schwer sein. —
Man kann nicht so mit Andersdenkenden umgehen, lieber Kollege Eigen, und schon gar nicht negieren wollen, was es für Schwierigkeiten im unteren und mittleren Bereich gibt.
Hoffentlich finden wir uns zusammen, meine Freunde, die wir doch alle die bäuerliche Struktur wollen, daß wir alle Fakten, egal wer sie sagt, untersuchen, wie sie auf die bäuerliche Struktur wirken. Leider Gottes muß ich hier feststellen, daß die eingeschlagenen Wege für alles andere geeignet sind, als unser Wollen zu unterstützen.
Das Wort hat der Abgeordnete Michels.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bauern, die hier auf der Tribüne sind, und die, die uns über Rundfunk usw. folgen, die wollen nicht, daß wir uns streiten, sondern die wollen auf ihre Fragen Antwort haben.
Herr Minister, Sie waren vor drei Wochen bei mir im Wahlbezirk und haben vor 1 800 Bauern gesprochen. Bis heute sind die Bauern meines Wahlbezirks begeistert davon, mit welcher Deutlichkeit und Ehrlichkeit Sie Ihnen die Gegebenheiten der Agrarpolitik europäischer Art vorgetragen haben.
Die Bauern wissen genau, was hier los ist: daß die Märkte vollgelaufen sind. Die Bauern wissen auch, daß etwas geschehen muß, um sie wieder entsprechend in Ordnung zu bringen.
Wenn ich mir die Beiträge von Frau Dr. Vollmer anhöre, dann muß ich feststellen, daß Sie, Frau Dr. Vollmer — sie ist im Moment nicht da —, hier den Eindruck vermitteln, als könnte man durch eine andere Handhabung der gesamten Regulierung des Preises der Landwirtschaft insgesamt eine Steigerung der Produktion und des Ertrags vermitteln. Wer die Zahlen nicht genau kennt, fällt natürlich sehr schnell vielleicht auch hier dieser Versuchung anheim. Wir haben 536 000 Betriebe, die eine Fläche unter 20 ha haben. Wir haben 207 000 Betriebe in der Bundesrepublik, die eine Fläche von 20 ha und mehr bewirtschaften. Die Durchschnittsgröße liegt in der Bundesrepublik bei 16 ha. Nur 6 % der Kühe — hier müssen Sie irgendwo das Geld herholen, welches Sie haben wollen, um unten die Milchmenge weiter steigen lassen zu können und die Preise zu steigern — stehen in Ställen mit über 60 Kühen. 90 % der Milch wird in Betrieben mit weniger als 50 Kühen produziert, und davon sind in den vergangenen Jahren sehr viele mit staatlichen Mitteln, die auch Sie von der SPD und FDP zur Verfügung gestellt haben — das war gut so —, gefördert worden. Das wollen wir nicht beklagen, weil sie dann auch nach der Förderungsschwelle wirtschaftsfähig sein sollten, ein Einkommen haben sollten, welches über dem Durchschnittseinkommen im außerlandwirtschaftlichen Bereich liegt. Deshalb mußten diese Betriebe 50 Kühe und mehr halten. Diese Betriebe haben heute derart hohe Schulden, daß sie, nun in Milchpreis und -mengen gekappt, dann eventuell alles verlieren würden, was sie heute noch ihr Eigen nennen. Diese Betriebe haben sich auf die staatlichen Richtlinien verlassen, und die können wir heute nicht bestrafen, indem wir nun sagen: Das sind die großen, die zuviel produzieren. Das sind meist Betriebe mit sehr geringer Fläche.
55 % der Kühe stehen in Ställen mit weniger als 20 Kühen. Wo wollen Sie also, wenn Sie jetzt eine gestaffelte Mitverantwortungsabgabe einrichten, dieses Geld wegnehmen? Bei den Betrieben mit 20 Kühen und darunter, die dieses Einkommen absolut gebrauchen, um z. B. ihr Familieneinkommen zu erzielen, oder sollen die 9 % Betriebe, die über dieser Menge von 50 Kühen liegen, nun allein diese Summe tragen? Das nimmt Ihnen bei genauer Betrachtung niemand ab, und aus dem Grunde muß das hier auch einmal entsprechend richtiggestellt werden.
Die Garantiemengenregelung, Herr Müller, ist mit Sicherheit nicht der Weisheit letzter Schluß. Glauben Sie ja nicht, daß der Minister gern der Garantiemengenregelung zugestimmt hat! Meinen Sie nicht, es wäre für ihn viel leichter, heute wie vor 10 Jahren hierherzukommen, als der Markt noch aufnahmefähig war und als man hier noch höhere Preise und ungehinderte Produktion vertreten konnte?
Aber das ist nicht der Fall, und weil das nicht der Fall ist, muß er, der Realität folgen, nun versuchen, eine Regelung zu finden, mit der die meisten Bauern dann hoffentlich einigermaßen überleben können. Er würde gern etwas anderes tun. Aber wenn das noch nicht reicht, dann empfehle ich doch, daß man sich einmal die Rede durchliest, die der Oppositionsführer, Dr. Vogel, gestern gehalten hat. Er hat davon gesprochen, daß dieses Geld hier der Landwirtschaft zugeschoben wird und die Verbraucher dann dafür als Konsequenz noch höhere Preise für die Nahrungsmittel bezahlen müssen.
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Michels— Lesen Sie das bitte nach! — Ich meine, daß man so und so keinen klaren Weg gehen kann.Frau Weyel, Sie haben soeben beklagt, daß zuwenig für die Landfrauen getan wird. Wir haben das allgemeine Agrarkreditprogramm verabschiedet. In Nordrhein-Westfalen gibt es eine reine SPD-Regierung. Diese hat es bis vor 14 Tagen abgelehnt, das allgemeine Agrarkreditprogramm auf die Wohnhausförderung in der Landwirtschaft anzuwenden,
und zwar mit der Begründung, daß man die Landwirte nicht anders behandeln könne als den übrigen Teil der Bevölkerung. Erst nachdem alle Gruppen aktiv geworden waren, hat man sich entschlossen, dies zu ändern.
Sie haben weiter beklagt, daß es auf dem Lande an sozialen Einrichtungen fehle. Das ist in der Tat hier und da der Fall. Aber dazu müssen Sie auch wissen, daß die Landwirtschaft allein aus eigenem Beitragsaufkommen die Betriebshilfsdienste aufgebaut hat und unterhält, daß diese Betriebshilfsdienste, diese Familienhilfsdienste fast überall auf dem Land aktiv sind und daß sie überall — außer Bremen und Nordrhein-Westfalen — von den Ländern gefördert werden.
In Nordrhein-Westfalen werden die Betriebshilfsdienste, die das, was Frau Weyel als notwendig dargestellt hat, von sich aus leisten, mit keinem Pfennig gefördert.
Herr Minister, wir haben nun wiederholt gehört, daß die Vorsteuerpauschale als Ausgleich für den Abbau des Währungsausgleichs angehoben werden soll. Sie haben auch schon erwähnt, daß diese Mittel nur diejenigen bekommen sollen, die als Landwirte, als Erzeuger tätig sind. Ich darf Sie herzlich darum bitten, auf dieser Linie zu bleiben. Diese 3 % Vorsteuerpauschale dürfen nur den Erzeugern und nicht für die Erzeugnisse gewährt werden. In diesem Fall bleiben die gewerblichen Tierhalter draußen vor. Dann werden wir für die Stützung des Familienbetriebes mehr tun, als wir durch kluge Reden hier eventuell erreichen können.
Jeder sechste Arbeitsplatz insgesamt hängt von der Landwirtschaft ab. Im ländlichen Raum, meine Damen und Herren, sind 25 % der Arbeitsplätze im vor- und nachgelagerten Bereich von der Landwirtschaft abhängig. 25 %!
Ich weiß, Herr Minister, daß Sie hier direkt wenighelfen können. Aber indem wir uns gemeinsamdarum bemühen, möglichst viele selbständige bäuerliche Existenzen zu erhalten, erhalten wir gleichzeitig auch die Infrastruktur im ländlichen Raum, und davon haben alle Menschen einen entsprechenden Vorteil. Über die Belange des ländlichen Raumes ist viel gesprochen worden, und darüber wird sicherlich noch viel gesprochen werden. Heute ist es aber kaum möglich, irgendwelche Arbeitsplätze in den ländlichen Raum hineinzubekommen. Um so mehr müssen wir uns darum kümmern, die vorhandenen zu erhalten.Ich habe im Bereich des Anbaus von Obst und Gemüse feststellen können, daß wir in den letzten zehn Jahren z. B. bei der Herstellung von Gemüsekonserven
— Herr Fischer, hören Sie zu; davon verstehen Sie nichts —
in der eigenen Produktion auf 15 % zurückgefallen sind. Wir sind bald restlos auf Importe aus anderen Ländern angewiesen. Wenn ich dann lese, Herr Minister, daß z. B. die Förderung für die Kirschen, die in Sirup gelagert werden, um 60 % gekürzt werden soll, dann möchte ich Sie herzlich bitten, sich dafür einzusetzen, daß das unterbleibt, damit nicht noch weitere Betriebe aus diesem wichtigen Bereich auf der Strecke bleiben.Meine Damen und Herren, zugegeben: Die Agrarpolitik, über die wir heute hier diskutiert haben, ist außerordentlich kompliziert. Die wenigsten von uns kennen diesen Mechanismus. Aus dem Grunde ist es richtig, daß wir die Bundesregierung in unserem Entschließungsantrag auffordern, dafür Sorge zu tragen, daß mehr für die Information der Bevölkerung getan wird.
Wenn die Bevölkerung wüßte, daß man nicht 100 % des Bedarfs produzieren kann, wenn man sicherstellen will, daß zu jeder Zeit jedermann an jeder Stelle jede gewünschte Menge an Nahrungsmitteln in hoher Qualität soll erwerben können, dann muß man mehr als 100 % produzieren.
Es geht mir zum Schluß um die Jugend auf dem Lande. Unsere jungen Bauern sind auch heute in großer Zahl hier gewesen oder sie sind es noch. Sie verfolgen diese Debatte.
Sie fragen sich: Welche Chance haben wir in Zukunft? Aus diesem Grunde, Herr Minister, müssen wir dafür sorgen, daß Großbetriebe, wie z. B. in der Geflügelhaltung — 38 Betriebe halten 25 % der Legehennen —, bald der Vergangenheit angehören.
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4384 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
MichelsDiese Produktion gehört in bäuerliche Betriebe. Wir müssen darauf achten, daß wir bei der übrigen Produktion nicht gleiche Schwierigkeiten bekommen.Waren es in der Vergangenheit bis zu 4 % der Betriebe,
die pro Jahr aus der Landwirtschaft ausschieden, so darf das in Zukunft in diesem Tempo nicht weitergehen.
Selten oder noch nie haben so viele junge Leute nach ihrer praktischen Ausbildung die landwirtschaftlichen Fachschulen und Universitäten besucht. Unsere jungen Landwirte haben ein hervorragendes Wissen. Sie wollen in die Landwirtschaft hinein. Sie setzen in unsere Entscheidungen hohe Erwartungen. Agrarfabriken bieten unserer Jugend keine Zukunft. Tun wir also alles, um möglichst viele Existenzen im ländlichen Raum zu erhalten. Unsere Jugend wird uns dies mit Sicherheit danken. Sie wird unsere Landschaft erhalten und gestalten, vielleicht noch schöner, als sie heute fern jeder Ideologie ist. Sie wird uns und viele unserer Mitmenschen, die Hunger haben, ernähren. So ist eine richtige Agrarpolitik von heute auch gleichzeitig die beste Vorsorgepolitik für eine Jugend, die morgen auch eine Chance haben will.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich bei allen Kollegen, die das Wort ergriffen haben, bedanken. Ich bin bei weitem nicht mit allem, was gesagt wurde, einverstanden. Die Kollegen sind es auch nicht mit mir. Aber jeder trägt durch seinen Beitrag dazu bei, daß wir durch Nachdenken,
vielleicht auch durch gelegentliches Überprüfen der einen oder anderen Entwicklung noch dazulernen können. Ich bemühe mich dazuzulernen. Ich gehöre nicht zu denen, die glauben, sie seien unfehlbar oder würden sich nie irren. Ganz im Gegenteil! Dafür bin ich jetzt lange genug Mitglied des Parlaments gewesen, um zu wissen, daß Entwicklungen auch manche gute Idee überholen. Deswegen mein Dank.Es sind eine Reihe von Fragen gestellt worden. Im Rahmen einer kurzen Entgegnung ist es nicht möglich, auf alle einzugehen. Da es ja auch Entschließungsanträge gibt, die im Parlament weiterberaten werden, gibt es sicherlich auch die eine oder andere Gelegenheit, darüber noch weiter zu diskutieren.Ich möchte ein paar Fragen herausgreifen. Ich weiß nicht, ob der Herr Kollege Müller noch da ist. — Ja, danke schön. Er hat gefragt: Wo ist die Tierschutznovelle? — Sie wird noch vor der Sommerpause vom Kabinett verabschiedet werden. Sie sollte am 4. April dort sein. Der Herr Bundeskanzler und ich sind aber übereingekommen, sie noch einmal dahin gehend zu überprüfen, inwieweit in Abwägung der vielen Interessen und in Verantwortung vor der Gesundheit des Menschen Tierversuche in medizinischer oder sonstiger Hinsicht noch mehr eingeschränkt werden können. Wir lassen uns lieber da ein paar Monate mehr Zeit, als daß wir so im Eilverfahren oder, wenn Sie so wollen, nicht mit genügend Überlegung bei dieser Sache vorgehen.
Sie werden dann darüber diskutieren können, ob diese Novelle gut ist.Es ist nach dem Bodenschutzkonzept gefragt worden. Ich habe gestern in meiner Einbringungsrede dazu schon Stellung genommen. Überhaupt hatte ich — Sie mögen es mir nicht nachtragen, wenn ich das sage — den Eindruck, daß es vielleicht für den einen oder anderen kein Schaden gewesen wäre, die Einbringungsrede noch einmal durchzulesen, bevor er seine eigene Rede macht.
Aber das ist jedermanns eigene Sache. Dies nur als Hinweis. Am Bodenschutzkonzept wird sehr umfassend gearbeitet. Auch hier gilt es, vieles abzuwägen. Wir haben unsere Umweltschutzabteilung, die gleichzeitig Forstabteilung ist, verstärkt. Wir haben versucht, beste Leute bei uns an diese Aufgabe zu setzen. Wir werden in Zusammenarbeit mit allen übrigen beteiligten Ressorts sicherlich noch in diesem Jahr eine Diskussionsgrundlage für dieses Bodenschutzkonzept schaffen.Der Herr Kollege Müller hat ebenfalls eine Rechnung zur Mehrwertsteuerpauschale aufgemacht und hat da schlicht und einfach gesagt, ein Ausgleich von 3 % Mehrwertsteuer sei zuwenig. Ich setze mich gern mit ihm im Ausschuß einmal auseinander. Ich habe hier nicht genügend Zeit, um das in allen Details zu tun. Aber ich möchte dazu doch folgendes sagen. Was ist denn jetzt — die Mehrwertsteuerpauschale soll ja als Entschädigung für den Grenzausgleich gegeben werden — der Grenzausgleich? Nach einer Regelung, die einem Vertrag entspricht — den nicht ich unterzeichnet habe, aber wir stehen j a immer in der rechtlichen Kontinuität —, sieht es wie folgt aus, Herr Kollege Müller. Unterstellt, es gäbe in den nächsten paar Jahren keine Währungsangleichungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, dann müßte nach den derzeit geltenden Regelungen dieser Grenzausgleich für nichts auch abgebaut werden, und zwar immer im Tausch gegen Preiserhöhungen in Brüssel. Das bitte ich Sie bei Ihren Rechnungen zu bedenken, bevor polemisiert wird. Dann sieht nämlich die Rechnung möglicherweise etwas anders aus.Sie haben etwas spöttisch gefragt: Wie soll man denn Ab-Hof-Verkauf im Bereich der Garantiemenge kontrollieren? Ein solches Beispiel eignet
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Bundesminister Kiechlesich für eine ironische Frage, zugegebenermaßen. Es wird hier mit Sicherheit bei uns keine überzogenen Kontrollregelungen geben. Ich weise aber auf folgendes hin; deswegen wurde dies so formuliert. Im Gegensatz dazu, daß etwa, wie früher auch schon einmal geschehen, der eine Abschlachtprämien und der andere Kälberprämien und ein Dritter Kuhprämien bekommt, ist dies eine EG-einheitliche Regelung. Es gibt insbesondere in Frankreich eine beträchtliche Menge Milch, die dort dergestalt direkt verwertet wird, daß von den Bauern Landbutter hergestellt und auf Wochenmärkten verkauft wird. Diese Landwirte melden trotzdem die Milchmenge, die sie dazu verwendet haben, an den vorbestimmten Stellen an, um die Beihilfe für die Magermilchverwertung zu bekommen, weil sie über den Butterpreis allein nicht in der Lage sind, den Richtpreis für Milch zu erwirtschaften. Um die mitzuerfassen, damit da nicht ungeahnte Türen geöffnet werden, ist diese Regelung geschaffen worden.Es ist die generelle Frage gestellt worden, wo die Entscheidungsfreiheit der Bauern bei Garantiemengen bleibt. Ich frage dagegen, Herr Kollege Müller — und dies ist wohl auch die zentrale Frage —: Wo bleibt die Entscheidungsfreiheit unserer Bauern hinsichtlich ihrer Produktion, wenn der Staat oder die Gemeinschaft der europäischen Staaten sich nicht mehr in der Lage sieht, ständig neu hinzukommende Mengen an Produktion aufzukaufen und sie zu halben Preisen oder weniger zu verkaufen, und die Preise notwendigerweise sinken werden, weil die Marktordnungen nicht mehr funktionsfähig sind? Wo bleibt die Entscheidungsfreiheit dann, wenn diese Preise um 20% oder 25% nach unten gleiten?
Niemand hat da eine Entscheidungsfreiheit.
Mir geht es darum — das ist der Hintergrund der ganzen Politik, die ich in diesem Jahr eingeleitet habe —, z. B. die Milchmarktordnung und ihren garantierten Mindestpreis langfristig zu erhalten. Dafür bin ich bereit, mich hinzustellen. Ich habe es von Anfang an getan, und ich habe es, wie ich meine, mit der richtigen Begründung getan. Ich habe auch niemanden im unklaren hinsichtlich dieser Begründung gelassen. Ich bin lieber bereit, hinsichtlich der Menge Konzessionen zu machen als hinsichtlich des Preises.Die Gegenkonzepte, die hier vorgetragen werden oder vorgetragen worden sind, sind einfach. Ich zitiere Sie, Herr Kollege Müller. Ich darf das ohne jede Polemik tun, denn hier unterscheiden wir uns sicher in unseren Grundauffassungen. Sie sagten am 12. Oktober 1983 hier in einer Aktuellen Stunde im Zusammenhang mit der garantierten Mindestmenge für Milch an diesem Pult folgendes — ich bin immer mit drei Jahre alten Reden zitiert worden, aber dieses Zitat ist nicht drei Jahre alt, sondern es ist sehr aktuell —:Wir— die SPD —sind für eine restriktive Preispolitik, die überlängere Zeit durchgehalten werden muß ... Wirsind für eine Lockerung der Interventionsmechanismen, weil es keine unbegrenzte Preis- und Absatzgarantie mehr geben kann.
... Wir sind für eine Erhöhung der Erzeugerabgabe, und zwar— fügten Sie hinzu; da will ich korrekt Ihnen gegenüber sein —unter Berücksichtigung der benachteiligten Gebiete, der kleinen Vollerwerbsbetriebe und auch der bodenabhängigen Produktion.Ich zitiere noch einmal: „restriktive Preispolitik über längere Zeit", „Lockerung der Interventionsmechanismen" und „Erhöhung der Erzeugerabgabe". Dies ist allerdings eine Konzeption, die ich nicht mittrage.
Darüber werden wir uns noch eine längere Zeit im Streit — im edlen Streit, möchte ich gern hinzufügen; so war es im Ausschuß auch — miteinander zu unterhalten haben.Ich möchte nicht auf verschiedene andere Bemerkungen eingehen. Das scheint mir weder angesichts des zeitlichen Rahmens noch manchmal auf Grund der Bemerkungen notwendig zu sein.Ich möchte noch etwas zu der ersten Rede sagen, die Herr Dr. Schmidt — ich wage sogar hinzuzufügen: ein Mann, den ich ebenfalls sehr hoch schätze — für die SPD-Fraktion gehalten hat. Herr Kollege Schmidt (Gellersen), Sie haben das richtig angesprochen. Es sind zwei Dinge, die sich in diesem Jahr in der Agrarpolitik grundsätzlich geändert haben und ändern. Sie sind jetzt noch nicht endgültig rechtlich bestätigt, aber sie werden wohl so laufen.Das eine ist die Einführung des Garantiemengenprinzips in die europäische — nicht in die deutsche! — Agrarpolitik. Kein Mensch hätte es für möglich gehalten, daß dies je einmal funktionieren wird. Wir haben ja auch beschlossen, mit der Oberproduktion von Tomaten Schluß zu machen oder die Produktion zumindest auf dem jetzigen Stand einzufrieren. 4,6 Millionen t wird die Garantiemenge sein. Wir haben auch beschlossen, daß sich die Rosinen Griechenlands der Menge nach nicht unbeschränkt entwickeln dürfen; sie werden bei 80 000 t oder 85 000 t — ich weiß es nicht mehr ganz genau — aus der vollen Preisgarantie. herausgenommen. Nicht nur für Milch sind diese Dinge jetzt schon konkretisiert worden. Ich bitte Sie, auch zu bedenken: Man hat in der Politik nie die Wahl zwischen absoluten Wünschen, sondern immer nur die Wahl zwischen dem, was politisch machbar, und dem, was sachlich notwendig ist. Dazu muß ich hinzufügen: Mir geht es darum, dafür zu sorgen, daß ein Marktordnungsprinzip erhalten bleiben kann, das gewisse Garantien zugunsten aller Bauern ent-
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Bundesminister Kiechlehält, insbesondere aber auch zugunsten der mittleren und kleineren.
Dabei denke ich an den Beitritt weiterer Länder, an die vor uns liegenden Risiken bei Oliven, bei sonstigem Obst und Gemüse.Genau diejenigen, die sich heute hier hingestellt und der freien Produktion so sehr das Wort geredet haben, regen sich mit manchmal sehr, sehr merkwürdigen Formulierungen dann auf, wenn irgendwo ein paar tausend Tonnen an Obst und Gemüse nicht verkäuflich sind und z. B. aus Interventionsgründen verderben müssen; ich will es einmal so formulieren. Dann wird sofort von der bewußten Vernichtung geredet. Sie, Frau Blunck, gehören dazu, wenn Sie es wissen wollen.
Deswegen bin ich durchaus der Meinung, daß auch hier Garantiemengen dafür sorgen müssen, daß diese Dinge nicht ins Uferlose wachsen. Deswegen dieses Prinzip.Herr Kollege Schmidt, man kann darüber streiten. Ich stelle mich auch allen Einwendungen. Ich weiß selbst, daß das nichts 100 %ig Richtiges ist. Ich möchte die Situation aber einmal an Hand eines Beispiels verdeutlichen. Unterstellen Sie einmal, ein Auto fährt mit 80 km/h auf gerader Straße — gemeint ist hier das Auto der Produktivität — auf einen Abgrund zu. Der Abgrund ist nichts anderes als die letztlich nicht mehr finanzierbare Preisgarantie. In diesem Auto sitzt nun eine ganze Reihe von Leuten. Ich unterstelle nicht, daß diese Leute, sofern sie sich der Gefahr bewußt sind, die durch diesen Abgrund droht, sich darüber unterhalten, wer auf dem besten Platz ist, daß also etwa der Ire sagt: Du, Holländer, sitzt vorn, und ich sitze hinten!, und der Deutsche sagt: Aber du bist noch ein bißchen besser bedient als ich. Wenn sie gut beraten sind, unterhalten sie sich vielmehr darüber, wie schnell sie bremsen können. Genau dies ist die Funktion der Garantiemenge.
Denn wenn das Ganze den Abgrund — und zwar den preislichen Abgrund — hinunterstürzt, sitzen sie alle in dem Auto, die Kleinen, die Vollerwerbler, die Nebenerwerbler, die Holländer, diejenigen aus dem Norden und dem Süden, diejenigen aus den benachteiligten Gebieten oder woher sie auch immer kommen.
Wenn sie dann mit ihrem Wagen unten im Abgrund liegen, können sie sich darüber unterhalten, wer auf dem besten Platz gesessen hat. Genau dies möchte ich verhindern. Das ist der eine Punkt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Oostergetelo?
Nein, es gab heute schon so viele Zwischenfragen.
Zweitens komme ich auf die Frage des Währungsausgleichs zu sprechen. Ich habe vorhin schon in einer kurzen Beantwortung dessen, was der Kollege Müller angeführt hat, gesagt, wie der Ist-Zustand ist. Er ist mit diesem Beispiel ja wohl abgedeckt. Der Ist-Zustand ist, daß die Deutschen ihren positiven Grenzausgleich beständig gegen Preiserhöhungen abbauen müssen. Herr Kollege Dr. Schmidt — wir kennen uns genügend lange —, solange die Preiserhöhungsraten erheblich waren und die realignments, also die Währungsveränderungen, periodisch nicht allzuoft und nicht allzuweit in der Größenordnung auseinander waren, hat dieses System funktionieren können. Wir sehen aber jetzt bei einer Inflationsrate von 20% in Griechenland, von 14 % in Italien und von 9 % in Frankreich — bei allen liegt die Rate über derjenigen bei uns, ausgenommen vielleicht gerade noch die Niederländer —, daß es dieses realignment der Währungen im EWS-System immer öfter geben wird und wir dieses System trotzdem nicht aufgeben können, andererseits aber die Preiserhöhungsmöglichkeiten bei den gefüllten Lagern, für die ich Ihnen gestern Zahlen darlegen konnte, entweder gleich Null oder sehr, sehr beschränkt sind. Bei dieser Sachlage kann ein Gegenrechnen von ständig sich wiederholenden positiven Grenzausgleichen gegen angebliche oder nicht mehr mögliche Preiserhöhungen nicht mehr funktionieren. Deswegen haben wir uns dieses System einfallen lassen. Es mag zwar auch seine Schwächen haben, aber es stellt zumindest eine echte Reform dar.Was übrigens den Ausgleich der Einkommensverluste, die im nächsten Wirtschaftsjahr auf Grund der Beschlüsse entstehen können, betrifft, so mag jeder nachlesen, was der Bundeskanzler gestern dazu gesagt hat. Dies und nicht mehr, aber auch nicht weniger wird es sein. Das werden wir aber auch halten und einhalten. Vielleicht können wir im Sozialbereich noch zusätzlich etwas tun. Meine Damen und Herren, soviel wollte ich dazu antworten.Ich möchte Ihnen noch sagen, es ist kein Spaß, im Augenblick Agrarpolitik machen zu müssen. Es kommt darauf an, daß alle Maßnahmen — selbst die, die mir persönlich genausowenig gefallen wie wahrscheinlich unseren Bauern — EG-einheitlich gestaltet werden, daß eine Reihe von Beihilfen — Kälberprämien, Rindfleischprämien und alle diese Dinge — im Zuge dieser Reform verschwinden oder zumindest von der Tendenz her in einem Beschluß jetzt zum Abbau gebracht werden.
Es kommt darauf an, den Weg für den Beitritt Spaniens und Portugals zu bereiten. Es kommt darauf an, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß
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Bundesminister Kiechlerestliche Fehlbedarfsmengen an Finanzen auch 1984 und 1985 noch finanziert werden können und durch Beschlüsse sichergestellt wird, daß der 1 %Mehrwertsteuer-Plafonds den Notwendigkeiten eines erweiterten Europas angepaßt wird. All dies erfordert eine Konzeption und nicht nur ein Werten der Beschlüsse, was die Preise oder ähnliches betrifft, von einem Jahr zum anderen.Ich habe gestern gesagt, daß ich mit den Beschlüssen zwar nicht glücklich bin — ich habe auch Verständnis für die Demonstrationen und den Ärger der Bauern, wenn sie sich dies auf den ersten Blick ansehen —,
aber ich weiß, daß ich letztlich mit dieser Konzeption sowohl vor den Bauern als auch den Verbrauchern und den Steuerzahlern werde bestehen können. Meine Damen und Herren, wir brauchen den Konsens auch mit diesen Gruppen.
— Wieso denn? Sie haben ihn doch angegriffen, nicht ich.
— Lassen Sie mich doch reden. Lesen Sie bitte das, was ich gestern bei der Einbringung des Agrarberichts gesagt habe, wenn Sie Interesse daran haben, nach.Lassen Sie mich am Schluß nur noch eines sagen: Ich warne davor, von einem Milchmarkt zu reden, dessen Volumen noch steigerbar wäre. Einige haben das hier getan, insbesondere Frau Vollmer. Zusätzlichen Bedarf an Milch, den Sie noch befriedigen könnten, gibt es doch nicht. Jeder vierte Liter im Augenblick in Europa produzierter Milch ist nicht zu normalen Preisen absetzbar. Das müsen wir doch erkennen, daraus Konsequenzen ziehen und nicht warten, bis das System zusammenbricht und wir vor einem Trümmerhaufen stehen.
— Von welchen Kunden, Verbrauchern, die diese noch zu produzierende Milch kaufen sollen, reden Sie eigentlich, Frau Blunck? Von den Kindern, die zusätzlich geboren werden, nicht, nehme ich an. Jedenfalls in Europa haben wir ständig sinkenden Verbrauch auf diesem Gebiet. Wer soll denn diese Fertigprodukte oder Trinkmilch kaufen, wenn Sie die Milchproduktion dauernd noch steigern wollen?Genau da ist doch anzusetzen: Die Bauern haben zwar eine Existenzgarantie insofern, als sie etwas produzieren, was jeder Mensch jeden Tag braucht; aber sie haben eben auch das Kreuz, daß sie bei steigendem Wohlstand leider nicht in der Lage sind, ihre Mitmenschen zu veranlassen, mehr zu essen.Jeder ißt nur genug. Ein zweites Auto kann man anpreisen; das kann man auch loswerden. Aber essen kann der Mensch nicht viermal, bloß weil er mehr verdient. Sie tun es schon gar nicht, ich vielleicht noch — aber Sie da hinten ganz bestimmt nicht.
Das alles muß man betrachten, wenn man über diese Dinge redet.
Und deswegen stelle ich mich auch dieser unangenehmen Diskussion nicht so bissig — charmante Damen sollten es auch nicht sein —,
sondern mit Zahlen und mit Fakten.
Und damit am Ende wenigstens etwas Humor auch von einem Minister, der im Augenblick, weil er morgen zum wiederholten Mal nach Brüssel muß — ich weiß noch nicht, ob es umsonst ist; ich hoffe, daß es diesmal wenigstens nicht mehr ganz umsonst ist — —
— Gut, ich kann Ihnen auch noch sagen, was wir für die kleinen Bauern tun.Erstens haben wir das Förderungsprogramm geändert. Es gibt keine Förderwürdigen und keine Förderunwürdigen mehr.Zweitens haben wir einen Agrarkredit eingeführt, der zum Beispiel auch den Frauen in ganz Deutschland, nicht nur in Bayern, in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein, die Möglichkeit eröffnet, über Wohnhausförderung etwas Arbeitserleichterung zu bekommen.
Wir haben mit durchgesetzt, daß bei dieser neuen Regelung am Milchmarkt die kleinen Betriebe weiterhin eine Entlastung erhalten. Da wir sie diesmal auf um die 100 000 Liter Bezugsberechtigung begrenzen werden, wird das sogar höher sein als beim letztenmal.
Wir werden bei der Mehrwertsteuerausgleichsfrage dadurch, daß wir die gewerblichen Veredler nicht bedenken, gerade für die bäuerlichen Familienbetriebe Erhebliches tun und nicht nur darüber reden. Wir haben die Bundesmittel für die Unfallversicherung aufgestockt. Das wirkt gerade bei den kleinen und mittleren Betrieben. Wir werden eine Beitragsentlastung bei Altershilfen einbeziehen.
— Ach: Almosen. Hören Sie doch auf!
Hier nimmt doch kein Mensch jemandem eine Existenz weg.
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4388 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Bundesminister Kiechle— Über das, was Sie nicht verstehen, sollten Sie nicht reden.
Da kann ich Ihnen also nur sagen: Die Existenz der mittleren und kleineren Betriebe ist bisher besonders dadurch gefährdet gewesen, daß ein Verdrängungswettbewerb und ein Verdrängungsdruck durch großes Wachstum der Produktion auf anderen Seiten vorhanden waren.
Genau das wird jetzt abgestellt. Ich weiß nicht, ob das so schwer zu begreifen ist. Über Preissenkungen kann man das nicht abstellen,
aber über Mengenbegrenzungen.
Wir haben in § 14 Satz 1 Einkommensteuergesetz eine jedenfalls für die kleineren landwirtschaftlichen Betriebe sehr günstige Änderung für den Fall vorgenommen, daß sie veräußern wollen.Wir haben eine ganze Reihe weiterer Dinge gemacht. Ich habe nur ein paar Beispiele genannt. Nur eines werden wir nicht machen, und das können wir auch nicht; das können nur Sie. Sie hätten das in 13 Jahren tun können. Ich weiß nicht, wo es geblieben ist. Ich meine: ein Programm oder ein Gesetz machen, in dem steht: Alle Kleinen so viel, alle Mittleren so viel, alle Großen bloß noch so viel.
Ich hätte gewünscht, Sie hätten das getan, wenn Sie das für durchführbar halten. Wenn Sie es nicht für durchführbar halten, sollten Sie das jetzt nicht anschneiden.Trotzdem will ich noch ein freundliches Wort sagen, ein spaßhaftes, nämlich:
Frau Bard hat gesagt: Früher waren in Bayern die Wilderer sozusagen fast Helden. Frau Bard, vergessen Sie nicht: Da sind auch viele erschossen worden. Deswegen sollte man auf die Wilderer, meine ich, nicht setzen. Aber wir sollten jetzt auch nicht plötzlich den Volkszorn auf Bambis ansetzen. Denn auch dies ist, meine ich, falsch. Da, wo es zu viel Wild gibt — es kann sein, daß so was da ist, aber mehr oder weniger nur in manchen Revieren —, reicht das vorhandene Gesetz aus, um dafür zu sorgen, daß dies reduziert wird. Nicht immer gleich Gesetze ändern wollen! Nicht immer glauben, man könne durch staatliche Eingriffe von oben alles regeln! Ich bin jedenfalls für die Bambis.
Ein Wort noch zu Frau Weyel. Es hat mir so gut gefallen, daß sie gesagt hat: Ältere Frauen werden besser, so wie der Wein. Bisher habe ich im rheinischen Lied zwar etwas anderes gehört: Alt soll der Wein und jung die Frauen sein!
Aber ich möchte Ihnen noch ein schönes Gedicht hinzufügen:Alter Wein und junge Frauen Sind im Leben ein Genuß. Beide können selig machen, Ohne daß man sterben muß.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 3 bis 5 auf den Drucksachen 10/980, 10/981, 10/1053, 10/1054 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats ersehen Sie aus der Tagesordnung.
Für die Entschließungsanträge auf den Drucksachen 10/1188 und 10/1190 ist Überweisung an dieselben Ausschüsse beantragt. Sind Sie mit diesen Überweisungen einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die dreizehnte Anpassung der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz
— Drucksache 10/1149 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch dagegen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Louven.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach langer Agrardebatte kehren wir nunmehr zu dieser späten Stunde wieder zur Sozialpolitik zurück. Der uns auf Drucksache 10/1149 vorliegende Entwurf des 13. Anpassungsgesetzes zeigt, daß die Kriegsopferversorgung auch heute noch, viele Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, einen hohen Stellenwert in der Sozialpolitik einnimmt. Es gilt, dies auch jetzt wieder deutlich zu machen, insbesondere vor
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Louvendem Hintergrund, daß die Verantwortung für diese Politik zunehmend Männern und Frauen zuwächst. die den Krieg nicht mehr aus eigenem Erleben oder eigener Anschauung kennen. Die alljährliche Vorlage des Anpassungsgesetzes soll den Kriegsopfern die Gewißheit geben, daß ihre Opfer nicht vergessen sind. Ihr Anspruch auf eine gerechte Versorgung ist anerkannt und unstreitig.Die Zahl der Kriegsopfer war bei Ende des Krieges unübersehbar groß. Zunächst waren es mehr als 4,5 Millionen Beschädigte und Hinterbliebene. Heute, 39 Jahre nach Ende des Krieges, gibt es immer noch 1,75 Millionen Versorgungsberechtigte.Das Bundesversorgungsgesetz von 1950 war das Ergebnis intensiver Bemühungen, die Versorgung der Kriegsopfer gesetzlich zu regeln — ein damals bescheidener, jedoch hoffnungsvoller Anfang. Schon damals haben Vertreter aller Parteien im Deutschen Bundestag darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik Deutschland die Kriegsopferversorgung als tragende Säule ihres Systems der sozialen Sicherung betrachtet. Sechs Novellen, drei Neuordnungsgesetze und nunmehr 13 Anpassungsgesetze machen die Fortentwicklung dieses Gesetzes deutlich. Große finanzielle Schwierigkeiten waren fast immer zu überwinden. Konsequent hat der Deutsche Bundestag dabei das Bundesversorgungsgesetz zu einem echten sozialen Entschädigungsrecht ausgestaltet.Die in diesem Gesetz geglückte Verbindung von entschädigungsrechtlichen und fürsorgerischen Elementen macht eine umfangreiche Absicherung der Versorgungsberechtigten und ihrer Familien möglich. Auch schwere Schadenstatbestände sind nach diesem Gesetz befriedigend auszugleichen. Es ist wohl nicht übertrieben, wenn ich feststelle, daß das Bundesversorgungsgesetz als eine Art Grundgesetz für die soziale Entschädigung der Kriegsopfer bezeichnet werden kann.Seit 1970 sind die Rentenleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz dynamisiert. Sie stehen damit im Verbund mit den Anpassungen in der gesetzlichen Rentenversicherung. Dieser Anpassungsverbund hatte in der Vergangenheit eine beträchtliche Steigerung aller Rentenleistungen der Kriegsopferversorgung zur Folge. Daran sollten vor allen Dingen die Kritiker denken, die die Richtigkeit dieses Anpassungsverbundes heute in Zweifel ziehen. Sicher wirken sich die stärkere Aktualisierung der Anpassung in der Rentenversicherung und die Berücksichtigung von Krankenversicherungsbeiträgen der Rentner mittelbar auf die Leistungen der Kriegsopferversorgung aus. Man darf hierüber aber nicht vergessen, daß dieser Anpassungsverbund letztlich die Garantie dafür ist, daß sich die Renten der Kriegs- und Wehrdienstopfer auch in Zeiten schwieriger Haushaltslage weiterentwickeln. Er sichert den Kriegsopfern weiterhin die Teilnahme an der allgemeinen Einkommensentwicklung.Der Gesetzentwurf sieht eine Steigerungsrate von 1,02% vor. Inzwischen hat das Statistische Bundesamt neuere Feststellungen getroffen, nach denen die Entgeltsteigerung 1983 nicht 3,1 %, sondern 3,4 % betragen hat. Daraus ergibt sich dann eine Steigerung der Renten um 1,31 %, wie auch in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wird die im Entwurf stehende Erhöhung von 1,02 % entsprechend nach oben auf 1,31 % verbessert werden.
1,75 Millionen Kriegsopfer stellen eine bedeutsame sozialpolitische Aufgabe dar. Nahezu 13 Milliarden DM werden in diesem Jahr für ihre Versorgung aufgewandt. Eine Anpassung um 1,31 % bedingt Mehraufwendungen von 63 Millionen DM in diesem Jahr und von 125 Millionen DM im nächsten Jahr.Mit Genugtuung stellen wir fest, daß sich diese Bundesregierung entsprechend der Aussage des Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung ihrer besonderen Verantwortung gegenüber den Kriegsopfern bewußt ist und dafür Sorge trägt, daß die Versorgungsberechtigten nicht von der allgemeinen Einkommensentwicklung abgekoppelt werden. Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir deutlich machen, daß die Kriegsopfer die Gewißheit haben können, daß ihre Opfer nicht vergessen sind und ihr Anspruch auf eine angemessene und würdige Versorgung außer Frage steht. Dabei wollen wir auch nicht vergessen, daß auch unsere Kriegsopfer unter schweren Opfern und Bedingungen einen wertvollen Beitrag zum Aufbau unserer Republik geleistet haben.Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt der Überweisung an die Ausschüsse zu. Wir hoffen, daß dieses Gesetz zügig beraten wird, damit es wie vorgesehen zum 1. Juli in Kraft treten kann.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Steinhauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Für die SPD-Bundestagsfraktion möchte ich zur ersten Beratung des Gesetzentwurfs über die dreizehnte Anpassung der Kriegsopferversorgung folgende Ausführung machen. Es gehört schon sehr viel Mut dazu, wenn von der CDU-Fraktion gesagt wird, daß die Kriegsopferversorgung einen hohen Stellenwert habe. Wenn man das mit dem Stellenwert Ihrer Sozialpolitik vergleicht, womit es ja zusammenhängt, kann ich nur sagen: die Wertigkeit ist ziemlich niedrig.Welch ein Glück im Unglück — Glück für die Kriegsopfer im Unglück einer sich unsozial verhaltenden CDU/CSU/FDP-Regierung —, daß es 1969 eine der ersten sozialdemokratischen Handlungen war, die Kriegsopfer ab 1970 nach langen Jahren stiefmütterlicher Behandlung durch konservative Regierungen endlich in die Automatik der Renten-
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Frau Steinhaueranpassung der Arbeiter und Angestellten einzubeziehen.
Es gehört schon viel Phantasie dazu, sich das totale Vergessen der Kriegsopfer durch diese Regierung vorzustellen,
wenn man Revue passieren läßt, was CDU/CSU und FDP in den letzten Monaten alles an den sozial Schwächeren in diesem Lande eingespart haben.
Was an sozialpolitischen Bedenken, Einwänden und Vorwürfen gegen die Rentenpolitik dieser Regierung vorzutragen ist, haben die Sprecher meiner Fraktion bereits am 26. Januar dieses Jahres anläßlich der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung dargelegt. Ich meine aber, daß es einige Dinge gibt, die man erneut zum Ausdruck bringen muß, ohne jemanden hier mit Wiederholungen überzustrapazieren. Im übrigen verweise ich auf das Protokoll der 50. Plenarsitzung vom 26. Januar 1984.Sehr prägnant und komprimiert haben die Regierungen der Länder Bremen, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen die Sorge und die Enttäuschung aller im wahrsten Sinne des Wortes Betroffenen anläßlich der 531. Sitzung des Bundesrats am 3. Februar 1984 formuliert. Diese wenigen Sätze sind es unbedingt wert, heute erneut wiederholt zu werden. Es heißt dort — ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten —:Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist für die Betroffenen unzumutbar, da er zu einem beträchtlichen Absinken ihres Realeinkommens führt. Die Bundesregierung rechnet für das laufende Jahr mit einem Ansteigen der Verbraucherpreise um zirka 3 v.H. Für die Kriegsopfer und anderen Rentenempfänger des sozialen Entschädigungsrechts soll es dagegen nach ihrer Vorlage bei einem nominalen Einkommenszuwachses von nur 0,5 v.H. bleiben.
Real bedeutet dies eine Einkommensminderung um 2,5 v.H. Eine solche Entwicklung steht nicht nur in eklatantem Widerspruch zu der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 4. Mai 1983, in der den Kriegsopfern die besondere Fürsorge der Bundesregierung zugesichert und ihre soziale Sicherung gewährleistet wurde. Sie erscheint auch deshalb unerträglich, weil die Bundesregierung sich in anderen Bereichen, insbesondere bei den Unternehmensteuern, zu beträchtlichen Entlastungen bereitgefunden hat.
Über die jetzt kurzfristig mitgeteilte Änderung brauchen wir uns nicht zu unterhalten. Das sind 0,65% auf das Jahr verteilt.
An dieser Tatsache wird auch nichts dadurch geändert, daß Sie 1,31% sagen. Sie haben nämlich verschwiegen, daß das erst ab 1. Juli gilt.Natürlich wurde dieser von mir eben zitierte Antrag von immerhin vier Bundesländern von den konservativ-liberalen Vertretern der übrigen Länder niedergestimmt. Aber dieses Abstimmungsergebnis ändert nichts an der Eindringlichkeit der Sorge von Sozialdemokraten, die sich wieder einmal als alleinige Wahrer der Interessen der Bürger beweisen,
die für unser Land die schwersten Opfer erbracht haben, nämlich die an Leben und Gesundheit.
— Lesen Sie einmal die alten Protokolle nach. Dann werden Sie sehen, was Sie alles noch mehr gefordert haben.
Um Mißverständnisse auszuschließen: Die sozialdemokratische Fraktion befürwortet nicht die Besserstellung der Kriegsopfer gegenüber den Rentnern der Sozialversicherung. Dafür hat sich die Solidarität dieser Gruppe zu sehr bewährt. Wir haben sie j a auch erst hergestellt. Aber wir nehmen die erste Beratung des Dreizehnten Anpassungsgesetzes für Kriegsopfer zum Anlaß, um in aller Öffentlichkeit eine Regierung anzuprangern, die Unternehmern Geschenke macht auf Kosten der Schwächsten unseres Volkes.
Wenn das keine Verteilung von unten nach oben ist, was denn sonst?In all den Jahren nach Einführung der Dynamisierung der Kriegsopferversorgung — die sich ja noch mehr als stabilisierender Faktor erweist, als wir vor 14 Jahren geglaubt haben — ist niemals so tief in das Leistungsrecht und damit eben in das materielle Lebensniveau der Betroffenen eingegriffen worden wie in den letzten eineinhalb Jahren. Unvergessen bleibt mir jedenfalls: Wenn vor einigen Jahren nur einige relative Korrekturen vorgenommen wurden, haben die CDU/CSU und vor allem die Sozialpolitiker aus den Sozialausschüssen das zum Anlaß genommen, zügellose Anklagen zu erheben. Heute hört man nichts dergleichen, wenn das Absenken des Lebensniveaus der wirtschaftlich
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Frau SteinhauerSchwächeren Inhalt der Politik der derzeitigen Regierungsmehrheit ist.
In aller Öffentlichkeit wird täglich deutlicher, wie sich die Summe der Belastungen für die Kriegsopfer, ihre Witwen und z. B. auch — um nur noch eine Gruppe zu zitieren, die auch von diesem Gesetz erfaßt wird — für die Impfgeschädigten erhöht. Ich sage Ihnen: Sie verringern weiterhin die Stabilität des sozialen Netzes, das wir geschaffen haben.
Wenn Sie auch den Kriegopfern einen Krankenversicherungsbeitrag abziehen, so ist das absolut irreführend. Dann sollten Sie schon ehrlich sagen, daß der angebliche Krankenversicherungsbeitrag rein fiskalischer Art ist.
Die Maßnahmen zur Behebung der hausgemachten Finanzprobleme, die wir bei der Rentenanpassung schon hervorgehoben haben und die ihre Ursache u. a. insbesondere in den niedrigeren Beitragsleistungen für die Arbeitslosen haben, dienten schon nicht der Konsolidierung der Rentenversicherung; ihr wahrer Grund ist der Rückzug, d. h. die finanzielle Entlastung des Bundes. Bei den Kriegsopfern wird das nun weitergeführt, sozusagen als Opfer der Kriegsbeschädigten, deren Witwen und der sonstigen Entschädigungsberechtigten, die von dem Gesetz auch erfaßt werden:
zur Verbesserung der Bundesfinanzen auf dem Rücken der sozial Schwächeren.
Diese Regierung scheut sich in der vorliegenden Drucksache nicht, sogar auch noch schriftlich festzulegen, daß sie sich außerstande sehe, auch nur einer einzigen minimalen strukturellen Leistungsverbesserung zuzustimmen.
Wir jedoch haben in schwierigen Zeiten mit einer Fülle von Verbesserungen das Kriegsopferrecht weiterentwickelt. Das war, meine Herren und Damen, Sozialpolitik in der Bewährung für den Menschen.Es ist schon eine besondere Einstellung dieser Bundesregierung — von Dank wollen wir gar nicht reden — gegenüber einer Generation einschließlich ihrer Hinterbliebenen, die die schwersten Opfer ganz persönlich auf sich nehmen mußte.Heute morgen haben wir einmal etwas davon gehört, daß man eine Verantwortung gegenüber dieser Generation habe; das ist übrigens auch die Generation, die Kinder des Hungers waren. Gerade die Witwen z. B. haben unter schwersten Verhältnissen ihre Kinder erzogen, haben seinerzeit unter schwersten Verhältnissen Entbehrungen auf sichnehmen müssen. Diesen Menschen muten Sie heute weitere Opfer zu.Abschließend: Die Kürzungen treffen die Anspruchsberechtigten nicht nur in der Gegenwart. Was Sie, meine Herren und Damen, hier erneut tun, wird zur Dauerlast und ist deshalb auch eine Hypothek auf die Zukunft.
Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach meinem Vorredner, Kollegen Louven, kann mein Beitrag sehr kurz werden.Je größer die Distanz zum Ende des Krieges wird, um so mehr wächst auch die Gefahr, daß das Verständnis für diejenigen schwindet, die nach wie vor unter den Kriegsfolgen zu leiden haben oder bei denen sich jetzt verstärkt negative Folgen gesundheitlich, beruflich oder versorgungsmäßig bemerkbar machen. Wer die Dinge kennt, weiß, daß die Hypotheken, die uns der Krieg hinterlassen hat, auch noch in den nächsten Jahrzehnten von uns abzutragen sind. Wir müssen uns der Opfer bewußt sein, die diese Generation auf sich genommen hat. Und wir sind uns dessen bewußt.Meiner unmittelbaren Vorrednerin muß ich sagen, daß die Koppelung der Kriegsopferversorgung an die Renten ein gemeinsamer Antrag von SPD und FDP war und daß die FDP dies schon zur Zeit der Großen Koalition gefordert hatte, aber daß das damals nicht durchsetzbar war.Ich möchte hier auch sagen, daß man nur das verteilen kann, was man in der Tasche hat.
Vor kurzer Zeit wußte das auch noch die SPD, und sie mußte danach handeln. Frei von Verantwortung für die Regierung heißt natürlich nicht: Frei von Verantwortung für die Kasse, denn die Kasse ist Sache des Parlaments.
Ich meine auch, ein seriöser Politiker zeichnet sich dadurch aus, daß er in der Regierung und in der Opposition das gleiche sagt.
Seit der Einführung der Dynamisierung in der Kriegsopferversorgung im Jahre 1970 werden die Renten im selben Umfang wie die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung angepaßt. Konsequenterweise muß sich mit der Änderung der Renten in der gesetzlichen Rentenversicherung auch die Versorgung der Kriegsopfer ändern. Entsprechend den Regelungen in den Haushaltsbegleitgesetzen werden sich die Renten aus der Rentenversicherung mit Wirkung zum 1. Juli 1984 voraussichtlich um 3,1 % erhöhen. Da sich gleichzeitig der entsprechende Anteil der Krankenversicherungsbeiträge der Rentner um 2 % erhöht, nehmen die verfügbaren Renten nur um etwas über 1 % zu. Sicher werden wir diese Zahlen im Laufe der Beratungen
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Eimer
— Herr Kollege Louven hat bereits darauf hingewiesen — aktualisieren müssen.Das ist sicher in den Augen mancher Betroffener ein mageres Ergebnis. Wir müssen allerdings auch berücksichtigen, daß die wirtschaftliche Lage, die notwendige Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und der Haushalte der sozialen Sicherungssysteme gerade in der gegenwärtigen Situation keine großen Sprünge zulassen. Die Tatsache, daß wir die Renten überhaupt und jetzt erhöhen können, ist durch notwendige und für viele sehr schmerzhafte Sparopfer erkauft worden. Nur durch eine solche Politik des Sparens, eine notwendige Aktualisierung der Rentenanpassung sowie einer möglichst gleichgewichtigen Entwicklung zwischen Arbeitseinkommen und Einkommen der Rentner können wir letztlich eine langfristige Sicherung und Finanzierbarkeit der gesamten sozialen Sicherheit erreichen.Zu begrüßen sind hier auch die Bemühungen, durch Verkürzung des bei der Berechnung heranzuziehenden Berechnungszeitraums von drei auf zwei Jahre eine Aktualisierung zu erreichen. Wir werden die vorgelegten Änderungen, die zum Teil nur technischer Art sind, im Rahmen der Ausschußberatungen sorgfältig prüfen.Eine sorgfältige Prüfung möchte ich auch hinsichtlich der Äußerungen des Bundesrates zusagen. Im Grundsatz halte ich es für sinnvoll, durch eine flexible Kann-Vorschrift auch Kriegsopfer im Ausland in etwa so wie die im Inland zu stellen. Dabei sei angemerkt, daß dies in weiten Bereichen schon erfolgt ist. Die aus dem Land Bremen geschätzten Mehrkosten erscheinen mit 10 000 bis 14 000 DM allerdings recht gering. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, so hätte ich großes Verständnis dafür, den Anregungen des Bundesrates zu folgen. Vorher möchte ich allerdings im Rahmen der Ausschußberatungen sehr deutlich und sehr klar von der Bundesregierung zu diesem Problem eine Stellungnahme erhalten.Zusammenfassend läßt sich sagen: Mit diesem Gesetz wird im Rahmen der begrenzten finanziellen Mittel die notwendige und mögliche Anpassung der Renten auch im Bereich der Kriegsopferversorgung vollzogen. Ich bin zuversichtlich, daß bei fortschreitender Belebung der wirtschaftlichen Tätigkeit sowie der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und der sozialen Sicherungssysteme die soziale Sicherung für alle Bürger gestärkt und gefestigt wird.Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/1149 wie folgt zu überweisen: zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung
an den Haushaltsausschuß. Sind Sie mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN Einstellung der Bauarbeiten am Rhein-Main- Donau- Kanal
— Drucksache 10/1110 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß
Hier ist vorn Ältestenrat für die Aussprache ein Redebeitrag von höchstens 10 Minuten je Fraktion vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist diese Regelung so beschlossen.
Ich darf fragen, ob das Wort zur Begründung gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Drabiniok.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Es ist schon bemerkenswert und bedauerlich zugleich, daß bei der Debatte zu diesem Thema nur so wenige Abgeordnete anwesend sind.
— Bei uns auch, aber prozentual sind wir immer noch besser als Sie besetzt. Sicherlich ist es nicht nur das zu dieser Stunde übliche Desinteresse, sondern wohl auch das schlechte Gewissen, das jeder Kanalbefürworter haben muß.
In einer Kleinen Anfrage habe ich im November letzten Jahres von der Bundesregierung wissen wollen, wie die durch den Bau des Rhein-Main-Donau-Kanals verursachten schwerwiegenden Eingriffe in die Natur überhaupt mit dem Bundesnaturschutzgesetz in Einklang zu bringen sind. Die Antwort des Verkehrsministers war ein Sammelsurium von vagen Absichtserklärungen und Ausflüchten. Wie die Behauptung, beim Kanalbau würden die Erfordernisse des Naturschutzes gewahrt werden, zu kommentieren ist, läßt sich heute der „Süddeutschen Zeitung" entnehmen — Zitat —:Es ist eine Verhöhnung des Naturschutzgedankens, wenn brutalste, nicht ausgleichbare Naturzerstörungen mit einigen Alibibiotopen kaschiert werden und dies als Vollzug des Bundesnaturschutzgesetzes deklariert wird.Dennoch zeigte die Antwort eindeutig: Für die erheblichen Eingriffe durch den Kanalbau kann weder ein Ausgleich, noch ein Ersatz geschaffen werden. Das Wort „erheblich" hat man übrigens, wie die Lücke im Antwortschreiben zeigt, im letzten Moment wegretuschiert. Doch lassen sich weder die gravierenden Eingriffe in die Natur und Landschaft
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Drabinioknoch die Tatsache wegretuschieren, daß es für eine derartige Naturzerstörung keinen Ersatz gibt.
Dieser Ersatz ist allerdings nach § 8 des Bundesnaturschutzgesetzes vorgeschrieben. Somit stellt der Bau des Rhein-Main-Donau-Kanals einen eklatanten Verstoß gegen geltende Gesetze dar. Auch mußte die Bundesregierung zugeben, daß bisher zu keinem Zeitpunkt eine Umweltverträglichkeitsprüfung stattgefunden hat. Allein aus diesen Gründen müßte sich jeder Demokrat gegen einen Weiterbau zur Wehr setzen. Dennoch will ich in meiner Rede die wesentlichen Argumente, die gegen dieses Projekt sprechen, zusammenfassen, weil wohl nur einige meiner Kollegen unseren ausführlichen Antragstext gelesen haben dürften.Lassen Sie mich mit den ökologischen Gründen beginnen. Der Rhein-Main-Donau-Kanal bedroht eine der großartigsten letzten weitgehend naturbelassenen Flußlandschaften in Mitteleuropa, das Altmühltal. Aber auch Sulzbachtal und Ottmaringer Tal, beide von wunderbarer Schönheit und hohem ökologischen Wert, könnten zum größten Teil noch gerettet werden. Überall dort, wo die Kanalbauer noch nicht zugeschlagen haben, schlängeln sich glasklare Flüsse durch sattgrüne Wiesen zwischen bizarren Jurafelsen.
Entgegen den Aussagen der Rhein-Main-Donau-Aktiengesellschaft könnten durch einen sofortigen Baustopp 80% dieser Landschaftsidylle erhalten werden.Ebenso wertvoll ist das vom Ausbau bedrohte Donautal zwischen Regensburg und Passau. Auch hier handelt es sich um einen artenreichen vielfältigen Naturraum, um ein Biotop, das viele seltene Tier-und Pflanzenarten beherbergt. Insgesamt haben wir es mit dem größten Wiesenvogelbrutgebiet Deutschlands, einem Überwinterungsort für Watund Schwimmvögel von internationaler Bedeutung und dem größten mitteleuropäischen Blaukehlchenvorkommen zu tun.All dem soll der Garaus gemacht werden, genauso wie den 114 von 116 kostbaren Altwassern an der Donau. Mehr noch, von den in der Bundesrepublik so seltenen Auwiesen und Auwäldern sollen über 500 ha für immer zerstört werden. Doch das spielt für die Politiker kaum eine Rolle, ebensowenig für die Brieftaschen der Aufsichtsratmitglieder und für die Aktionäre der Baugesellschaften. Was zählt es schon für sie, daß hier über 100 vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten leben und bald ausgerottet werden! Nicht nur die Natur- und Umweltschutzverbände fragen sich, wofür hier in gigantischem Ausmaß ein unersetzbares Stück Natur sterben soll. In einer Zeit des katastrophalen Waldsterbens soll der Ausverkauf intakter Landschaft noch weiter beschleunigt werden.Dabei wird der wirtschaftliche Nutzen des Projekts schon seit Jahren in Frage gestellt.
Bereits 1966 kommt der Bayerische Oberste Rechnungshof in einem Gutachten zu dem Schluß: „Ein wirtschaftliches Bedürfnis für den Weiterbau der Schiffahrtsstraße über Nürnberg hinaus ist nicht feststellbar. Die Eigenwirtschaftlichkeit ist nicht gewährleistet." Damals sollte der unsinnige Kanal 2 Milliarden DM kosten, und man rechnete mit 13 Millionen Tonnen Transportleistung. Heute sind die Baukosten auf über 5 Milliarden DM in die Höhe geschnellt, während das voraussehbare Frachtaufkommen laut Gutachten auf lediglich 2,7 Millionen Jahrestonnen gesunken ist. Deshalb muß mit einem Kosten-Nutzen-Faktor von lediglich 0,5 gerechnet werden, d. h. jeder investierten Mark steht lediglich ein Nutzen von 50 Pfennig gegenüber. Hinzu kommen jährliche Folgekosten von sage und schreibe 800 Millionen DM.Dies, meine Damen und Herren, ist kein Schlag, sondern ein Tritt in das Gesicht des Steuerzahlers. In einer Zeit, in der die Regierung tiefe Einschnitte in das soziale Netz vornimmt, muß eine derartige Steuerverschwendung für ein solches Zerstörungsbauwerk als ein Verbrechen an allen sozial Schwachen angesehen werden.Ich muß an dieser Stelle auf eine weitere wirtschaftliche Gefahr hinweisen, die von dieser Wasserstraße ausgeht. Der Grund, weshalb Österreich so vehement auf die Fertigstellung drängt, ist die dann mögliche Senkung der Transportkosten für seine Stahlindustrie. Damit subventionieren wir die ausländische Stahlwirtschaft und tragen zur Verschärfung der eigenen Stahlkrise bei.Aber auch aus verkehrspolitischer Sicht ist der Kanal ein Flop. Für die Binnenschiffahrt bringt er nur eine zusätzliche Konkurrenz. Nach Fertigstellung werden nämlich die Ostblockflotten diese Schiffahrtsstraße zu staatlich subventionierten Dumpingpreisen befahren.Doch ein wesentlich schlimmeres Schicksal droht der Deutschen Bundesbahn. Die Bahn wäre gezwungen, auf ihren Parallelstrecken zum Kanal nach seiner Fertigstellung die Tarife drastisch zu senken, um der dort zu 93% subventionierten Binnenschiffahrt Paroli bieten zu können. Fazit: jährliche Einnahmeverluste von 260 Millionen für die Bahn. Der steuerzahlende Bundesbürger müßte ein zweites Mal tief in die Tasche greifen, um diesen Schwachsinnskanal zu bezahlen. Auf der einen Seite werden Tausende Kilometer von Bahnstrekken stillgelegt, nicht zuletzt in Bayern, um nur wenige Millionen einzusparen, und gleichzeitig wird für Milliardensummen ein überflüssiger Kanal gebaut, der wiederum das Defizit der Bahn erhöht,
meiner Meinung nach eine verkehrspolitische Schizophrenie par excellence.Bleiben noch die außerverkehrlichen Ziele, auf die ich aus zeitlichen Gründen nicht näher eingehen will, zumal auch diese Argumente längst widerlegt sind. Aber das Zusatzargument des bayerischen Innenministers Gerold Tandler möchte ich dabei doch spaßeshalber erwähnen. Auf der 18. Europäischen Transportkonferenz im März 1982 in
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DrabiniokMünchen versuchte Tandler, das Argumentationsdefizit der Kanalbefürworter aufzufüllen, indem er behauptete, der Kanal sei ja auch zur schnelleren Heranführung von Reserven im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung von strategischer Bedeutung.
Vielleicht glaubt der bayerische Innenminister an einen Zeitlupenkrieg; immerhin braucht ein Schiff von Mainz bis Nürnberg nur gut sechs Tage.Meine Damen und Herren, so skandalös die Entscheidung der Wende-Regierung war, auf Drängen der bayerischen Rhein-Main-Donau-Landesregierungs-AG den Kanal vollenden zu wollen,
so unglaublich ist das Verhalten der FDP in dieser Frage. Die vierte politische Kraft in unserem Lande hatte sich in der letzten Legislaturperiode für eine qualifizierte Beendigung der Bauarbeiten ausgesprochen. Noch im letzten Wahlkampf hatte die FDP mehrmals ihre ablehnende Haltung dem Wähler deutlich zu machen versucht. Doch nach dem Wendemanöver im Herbst 1982 folgte die Wählertäuschung im Frühjahr 1983, denn nach der Wahl, genau am 22. Juni 1983, hob der Haushaltsausschuß die Finanzierungssperre mit Stimmen der FDP wieder auf.Diese Partei, die die katastrophalen Auswirkungen erkannt hatte und das Projekt selbst als Unsinn bezeichnete, hat unter Ausschluß der Öffentlicheit klammheimlich diesem Unsinn zugestimmt. Dazu kann ich nur sagen: eine Niederlage der Vernunft, aber ein Sieg der Machthurerei!
Wir haben diesen Antrag nicht zuletzt deshalb in das Parlament eingebracht, damit alle Parteien und jeder Politiker demnächst bei der namentlichen Abstimmung Farbe bekennen muß. All die in der letzten Zeit so oft gehörten grünen Sprüche von Baum bis Zimmermann nützen der Umwelt und unseren natürlichen Lebensgrundlagen überhaupt nichts. Nur eine konsequente Umweltpolitik kann uns noch vor der drohenden Katastrophe retten. Wer aber diesem ökologischen Skandalprojekt zustimmt, wer für die Zerstörung des Altmühltals und der Donau eintritt, betreibt nicht nur Frevel an der Natur, sondern kann auch in keiner zukünftigen Umweltdiskussion mehr ernstgenommen werden.Danke.
— Auf Wiedersehen!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jobst.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben bei diesem Thema nicht, wie der Herr Vorredner gemeint hat, ein schlechtes Gewissen. Eigentlich müßten doch die GRÜNEN, die die Antragsteller dieses Antrages sind, stark vertreten sein, und nicht mit diesem kleinen Häuflein.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer heute einen Baustopp beim Main-Donau-Kanal fordert, leugnet feststehende Tatsachen, verweigert dem revierfernen strukturschwachen Ostbayern die notwendige Verkehrsanbindung und nimmt die Vernichtung von Tausenden von Arbeitsplätzen auf den dortigen Baustellen in Kauf. Es wäre eine Verschleuderung von öffentlichen Geldern, wenn der Kanal in seinem letzten kurzen Teilstück nicht zu Ende gebaut würde.
Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden Sie nicht überrascht sein, wenn wir den Antrag der GRÜNEN, den ich für nicht vernünftig halte, ablehnen werden.Dieser Kanal ist keine Prestigeangelegenheit Bayerns. Hier geht es um die Einlösung von rechtlichen Verpflichtungen, um wirtschafts- und verkehrspolitische Erfordernisse.
Die Entscheidung über den Bau des Kanals wurde 1966 nach eingehener Prüfung getroffen. Die SPD-Bundesregierung hatte bis 1980 keinerlei Zweifel an der Notwendigkeit der Fertigstellung des Kanals. Erst als dem Bund das Geld ausgegangen war, als keine Investitionsmittel mehr vorhanden waren, wollte der damalige Bundesverkehrsminister Hauff eine qualifizierte Einstellung.Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie ist die Situation? Nach den vom Bund und von Bayern am 29. Januar 1982 gemeinsam festgestellten Daten haben wir heute beim Main-Donau-Kanal zwischen Nürnberg und Kehlheim einen realen Fertigstellungsgrad von 60 % erreicht. Dazu kommt, daß die Gemeinden ihre ganzen Planungen und Baumaßnahmen mit dem Kanalbau abgestimmt haben.
Von 9 Schleusen sind 7 fertig oder im Bau; von 99 km Strecke sind 47 km fertig oder im Bau. Von 67 Kreuzungsbauwerken sind 46 fertig oder im Bau.
Bei einer Einstellung des Weiterbaus hätten die Gemeinden und Anlieger einen Anspruch darauf, daß der alte Zustand wiederhergestellt wird. Das Ifo-Institut in München hat in seiner Studie vom September 1982 festgestellt, daß die Restkosten für die Fertigstellung des Baus 1,28 Milliarden DM betragen; die qualifizierte Beendigung würde aber 1,12 Milliarden DM kosten.
Dazu kommt noch ein unkalkulierbares Risiko. Diequalifizierte Beendigung wäre also teurer als die
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Dr. JobstFertigstellung. Die Beendigung des Kanalbaus widerspräche aller Vernunft; sie wäre der größte Witz in der Geschichte des Wasserstraßenbaus. Dies nicht mit uns!
Der Kanal bringt dringend notwendige strukturund verkehrspolitische Verbesserungen für Ostbayern. Diese Region braucht dringend Arbeitsplätze für ihre Menschen. Ostbayern mit seiner Randlage braucht gute und preiswerte Verkehrsanbindungen an die Wirtschaftszentren, um bei der Schaffung der notwendigen Arbeitsplätze Erfolg zu haben. Das flache Land, meine sehr verehrten Damen und Herren, darf nicht zum Blutspender für die Ballungsräume degradiert werden, wie es durch die SPD-Politik in den vergangenen Jahren geschehen ist und wie es die GRÜNEN jetzt offenbar fortsetzen möchten.
Welche positiven Elemente, welche Auswirkungen von neuen Verkehrswegen ausgehen, hat das Batelle-Institut erst jüngst am Beispiel der A 6 in Westmittelfranken nachgewiesen.Es wird immer das Frachtaufkommen — mein Vorredner hat es auch getan — als Kriterium herangezogen. Ich will auf die einzelnen Prognosen gar nicht eingehen, die 2,8 bis 8 Millionen Jahrestonnen voraussagen. Ich weise nur darauf hin, daß die Vereinigten Österreichischen Stahlwerke in Linz ein Frachtpotential von über 5 Millionen Jahrestonnen haben, das heute zum größten Teil auf dem OderWasserweg liegt und das sich sicherlich auf den Rhein-Main-Donau-Weg verlagern würde.Es ist nicht zu leugnen, daß die Bundesbahn gewisse Frachteinbußen erleiden wird;
aber damit läßt sich die Einstellung des Kanalbaus nicht begründen. Es gibt den alten Erfahrungssatz: Verkehr bringt Verkehr. Der wirtschaftliche Aufschwung in dieser Region wird dazu beitragen, daß die Schiene neue Transporte bekommt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt keinen Ersatz für den Kanal bei dem Ziel, die wirtschaftliche Situation Ostbayerns zu verbessern. Die Fertigstellung des Kanals ist deshalb auch aus volkswirtschaftlichen Gründen sinnvoll.
— Sie können so viele Zwischenrufe machen, wie Sie wollen!Für uns von der Union ist der Natur- und Umweltschutz kein leerer Begriff.
Diese Aufgabe nehmen wir sehr ernst, und Bayern kann sich auf diesem Gebiet ganz besonders sehen lassen. In der Zeit der von der SPD geführten Bundesregierung ist über Umweltschutz viel geredet worden. Die Bundesregierung Kohl hat gehandeltund hat gerade auf diesem Gebiet in kurzer Zeit in grundlegender Weise die Weichen gestellt. Zwischen Ökologie und Ökonomie gibt es ein gewisses Spannungsverhältnis; aber es gibt keinen unüberwindlichen Gegensatz. Die Welt, in der wir leben, ist eine solche von Menschen und Maschinen. Daraus können wir nicht aussteigen.Es ist keine Frage: Der Kanalbau bringt gewisse Eingriffe in die Natur mit sich.
Auch die Baustellen auf den Autobahnen sind alles andere als schön. Es ist dafür Sorge getragen worden, daß alle Anstrengungen unternommen werden, um die Eingriffe in die Landschaft so gering wie möglich zu halten, sie möglichst auszugleichen.Für die Kanalbaustrecke ist entsprechend dem bayerischen Naturschutzgesetz bereits 1974 ein umfassender Landschaftsschutzplan erstellt worden, der damals in seiner Gesamtkonzeption vom Bund Naturschutz in Bayern positiv beurteilt worden ist.Die Bevölkerung dieser Region will den Kanal. Das kommt doch nicht von ungefähr! Die Menschen dort sind ganz besonders heimatgebunden. Gegen den Willen der dortigen Bevölkerung wäre eine solch große Maßnahme nicht durchsetzbar. Ich kann Ihnen nur den Rat geben — auch Ihnen von den GRÜNEN —, einmal in das Altmühltal zu fahren und sich nicht nur die Baustellen anzusehen,
sondern auch die Strecken, die bereits fertig sind und die bereits eingewachsen sind. Das ökologische Horrorgemälde, das heute wieder an die Wand gemalt worden ist, wird dann schnell verblassen.Die GRÜNEN, die sich sonst so basisdemokratisch gebärden, sollten die Meinung der am Kanal wohnenden Bevölkerung genauso ernst nehmen wie die der Gegner, die in ihrer überwiegenden Mehrheit merkwürdigerweise weit weg davon wohnen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das nord- und westdeutsche Kanalsystem wird seit 1970 mit einem Milliardenaufwand erneut und für das Europaschiff ausgebaut. Darüber wird kein Wort verloren. Auch da gibt es Eingriffe in die Natur. Es wird beim Finanziellen übersehen, daß Bund und Bayern für den Kanalbau lediglich Vorfinanzierung leisten, daß die Darlehen für den Rhein-Main-Donau-Kanal ab dem Jahre 2000 zurückgezahlt werden. Es wird kein Frachtendumping auf dem Kanal geben. Der Kanal ist eine nationale Wasserstraße. Die Verkehrshoheit steht der Bundesrepublik Deutschland zu.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die SPD in Bayern ist genauso wie die Union für den Kanal.
Nur hat sich der Kanzlerkandidat Vogel beim Bundestagswahlkampf 1983 in Bayern darüber ausgeschwiegen; außerhalb Bayern ist er gegen den Kanalbau eingetreten.
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Dr. JobstMeine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte der Bundesregierung dafür danken, daß sie sich für die Fertigstellung des Kanalbaus entschieden hat. Der Kanal hat europäische Bedeutung. Die Schließung der Lücke zwischen der Nordsee und dem Schwarzen Meer ist sinnvoll und notwendig. Es geht nicht darum, daß jemand „den Kanal vollkriegt", sondern es geht darum, daß eine wirtschaftlich sinnvolle Maßnahme zu Ende geführt wird. Die Landschaft in dieser Region bleibt weiterhin schön und liebenswert.Deshalb werden wir uns weiter dafür einsetzen, daß die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, daß der Kanal bald fertiggestellt wird, damit sein verkehrs- und wirtschaftspolitischer Nutzen alsbald zum Tragen kommt.
Das Wort hat der Abgeordnete Bamberg.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn es eine Eigenart von Politikern wäre, ein schlechtes Gewissen zu haben, dann müßten Sie, Herr Dr. Jobst, in zweierlei Hinsicht ein schlechtes Gewissen haben: erstens als ehemaliger Bundesbahndirektor, als Eisenbahner, der weiß, was da auf die Bahn zukommt. Er ist j a auch nicht unumstritten gewesen. Auch Dollinger, der ihn bejaht, hat den mindestens 200 Millionen nie widersprochen. Zum zweiten: Wenn ich richtig informiert bin — ich bin ja noch nicht so lange da —, hat Volker Hauff niemals die Frage der Einstellung des Kanals als haushaltspolitisch motivierte Frage gesehen, sondern er hat die 950 Millionen DM der Bayerischen Staatsregierung sogar angeboten,
um vernünftige Infrastrukturmaßnahmen einleiten zu können. Vielleicht ist meine Information nicht richtig. Sie wissen ganz genau, daß andere Motive dafür maßgebend waren. Ich glaube, es gehört zur politischen Redlichkeit, das zuzugeben.
Zur Anwesenheit: Ich finde es ein bißchen gespenstisch, wenn auch von den Antragstellern nur ein paar hier sind. Ich glaube aber, das liegt an etwas anderem. Jedes politische Thema, auch wenn es noch so bedeutend scheint, verliert irgendwann mit der Häufigkeit der Wiederholungen, wenn keine neuen Argumente mehr genannt werden können, weil es sie offensichtlich nicht gibt, an Aufmerksamkeitswert. Ich glaube nicht, daß es neuerdings neue Fakten für oder gegen den Kanal gibt, die nicht — manche sagen: bis zum Überdruß — bereits ausdiskutiert worden wären.Die Standpunkte sind ja fast unverändert geblieben. In der SPD allerdings nicht. In der SPD hat sich in Bayern etwas bewegt.
— Herr Dr. Jobst, das können doch nur die als negativ empfinden, die sich keine Gedanken machen.Jede Partei, die sich über so schwerwiegende Fragen Gedanken macht, muß doch unterschiedliche Meinungen haben. Das gehört doch dazu. Vogel hat doch im Wahlkampf in Bayern klipp und klar dazu Stellung genommen.
— Er war j a nicht nur außerhalb Bayerns.
— Ich würde ja gerne in ein Privatissimum eintreten. Ich habe aber nur zehn Minuten.
Und dies ist meine erste Rede. Das würde ein bißchen schwierig. Die politische Verantwortung hat sich geändert.Ich möchte aber auch folgendes klarstellen. Mit jedem Tag, an dem der Weiterbau fortschreitet, wird eine Einstellung des Baues — es ist ja das Wort von der qualifizierten Beendigung gefallen — einfach unrealistischer, weil dann irgendwann einmal die Überschneidung kommt, daß ein Abreißen der Bauten teurer und nicht unbedingt umweltfreundlicher wird.
Was vor ein paar Jahren bei dieser Güterabwägung noch durchaus möglich und vertretbar gewesen wäre, muß doch, wenn man geradlinig bleibt, zwangsweise dem um die Sache ringenden Kanalgegner ebenso — der Zeitpunkt scheint erreicht — als Schildbürgerstreich vorkommen wie dem kritikfähigen Befürworter, der weiterbaut, der doch auch erkennt, welcher volkswirtschaftliche Unsinn hier begangen worden ist. Ich stelle ganz klipp und klar fest: Das Schiff wird wohl abgefahren sein, der Preis dafür ist hoch: ökologische Eingriffe, ein ökonomisch fast unvertretbarer Aufwand. Wir können es nicht ändern.Ich habe mir eigentlich vorgenommen, nicht die bekannten Argumente, die ausdiskutiert sind, widerzukäuen. Ich möchte die erneute Diskussion um den Kanal vielleicht als ein typisches Beispiel dafür herausstellen dürfen, wie sehr oft Reden und Handeln bei politisch verantwortlichen Menschen — da beziehe ich alle mit ein — auseinanderklaffen. Welche Anstrengungen machen Politiker, machen Regierungen — auch diese Bundesregierung, bei der es meiner Meinung nach am unbegründetsten überhaupt ist —, Zuversicht auszustrahlen! Man suggeriert ununterbrochen — da fällt mir immer der niederbayerische Kabarettist, Zimmerschild ein —: Wir machen alles, wir können alles, wir drucken alles. Wie klein und bescheiden ist dagegen das, was übrigbleibt!Man hat — nach meinem Dafürhalten — nicht einmal Bereitschaft erkennen können, die Verträge— den von 1921, vielleicht sogar den von 1966 — rückgängig zu machen. Es ist immer nur damit argumentiert worden: Wir haben einen Vertrag, den man nicht rückgängig machen kann. Basta! Oder
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Bambergwürde denn heute noch einmal ein solcher Vertrag abgeschlossen werden? Ich glaube doch nicht. Damals, in der Mentalität der Zeit und unter anderen Bedingungen, war das etwas anderes.Mir fällt in diesem Zusammenhang auch ein, wie dann gerade nach Wahlen — wer den Ministerpräsidenten Späth am Sonntag gehört hat — festgestellt wird: Jetzt muß man sich doch endlich Gedanken machen, warum die junge Generation immer mehr die Protestparteien wählt. Ich glaube, die Antwort ist doch ganz einfach: Auch der Kanal ist ein typisches Beispiel dafür, daß sie wegen dieses Geschwätzes Protestparteien wählen. Man kann nichts mit Reden, sondern nur mit Handeln etwas erreichen. Es hätte Möglichkeiten gegeben. Man war im Grunde genommen niemals dazu bereit.Ein weiteres, was mich, obwohl schon diskutiert, trotzdem bewegt: die Bahn. Es gibt doch für die Bahn nicht mehr so viele Existenzgrundlagen. Sie hat doch nicht einmal mehr ein Drittel des gesamten Güterverkehrsaufkommens in Deutschland. Mit diesem Kanal nimmt man der Bundesbahn wieder ein Stück Existenzgrundlage weg. 200 Millionen DM: das ist doch nicht wenig. Da nimmt man doch der Bahn etwas weg.
— Mir ist gerade erzählt worden, daß Sie sich jetzt zu einer Brigade für den Weiterbau des Kanals gemeldet hätten. Stimmt das, Herr Lemmrich? — Ich glaube nicht. Ich weiß nicht, ob es stimmt. Aber es ist mir gerade gesagt worden.
Ich sage es noch einmal: Ich halte es — ich kann auch deutlicher werden; ich habe versucht, ganz moderat zu sein — für einen politischen Skandal, daß z. B. der bayerische Ministerpräsident und der bayerische Wirtschaftsminister jede Streckenstilllegung bedauern und verbal — mit Worten, die ich hier gar nicht wiederholen kann und möchte — immer wieder der Bahn die Unterstützung zusagt, aber selbst dafür Verantwortung tragen, daß solche unsinnigen Projekte immer wieder unterstützt werden.
Ich sage es noch einmal: Der Zug ist abgefahren, aber das ist ein politischer Skandal.
— Ich habe so wenig Zeit; ich habe nur noch zwei Minuten, Herr Dr. Jobst. —Dann wird gesagt, die Bürger hätten sich gegen die Bahn entschieden. Niemals wird die Frage gestellt: Warum haben sich denn die Bürger gegen die Bahn entschieden? — Das hat doch Gründe! Das Angebot ist schlechter geworden. Deswegen haben sich doch die Bürger gegen die Bahn entschieden,aus keinem anderen Grund. Ich sage dazu: Nein, die Politik, die Politiker, haben sich gegen die Bahn entschieden. Die Politik war es.
Während man immer bereit war, anderen Verkehrsträgern die notwendigen politischen Rahmenbedingungen einzuräumen, hat man sie der Bundesbahn nicht eingeräumt.
— Herr Lemmrich, immer wieder dasselbe: Das habt ihr falsch gemacht. — Ich fühle mich nicht betroffen. Ich habe das draußen gesagt; ich sage das, was ich früher draußen gesagt habe, hier auch. Ich gehöre zu denen, die sagen: Wir haben auch nicht alles richtig gemacht. — Nur eines: Ein Volker Hauff hat manches aufgehalten, was Sie jetzt noch kaputt machen. Das sage ich auch dazu. Daran gibt es für mich überhaupt keinen Zweifel.
Ich meine halt, man hat sich nie bemüht, hier etwas für die Bahn zu machen. Das halte ich einfach nicht für richtig. Dann sagen Sie doch: Wir wollen eine andere. Sie sagen ja ganz etwas anderes. Wir haben uns schon im Ausschuß darüber unterhalten.Ich komme zum Ende. Ich glaube, wer solche Entscheidungen mitträgt — das gilt für den Eisenbahner; ich bin auch Eisenbahner —, der ist mitverantwortlich, um das Wort von Dollinger zu gebrauchen, am Siechtum der Bahn. Das werde ich draußen überall sagen. Das ist völlig klar. Er ist mitschuldig daran. Das muß man erkennen.
Ich komme zu dem Ergebnis — ich habe versucht, die Dinge darzustellen —: Der Zug ist abgefahren, das Donau-Schiff ist abgefahren. — Herr Bürgermeister Hinsken, es heißt ja: Bäcker bleib' bei deinen Brötchen!
Ich glaube, darüber sollten wir uns auch unterhalten.
— Ich habe nur noch eine Minute. — Es ist nicht die Frage, wo man wohnt, sondern wie man sich damit befaßt und vor allem, wie man es gedanklich auffassen kann, und wo man steht. Ich glaube, daß das wichtig ist. — Ich komme zu meinem letzten Satz.
— Entschuldigung, Herr Lemmrich; wenn ich Sie provoziert hätte, dann wäre das gewollt gewesen.
— Jawohl, dann wäre es gewollt gewesen. — Entschuldigung. — Ich glaube, das Schiff ist abgefahren. Ich sage es noch einmal: Für mich bleibt der Kanalbau genau das, was Volker Hauff gesagt hat:
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Bambergdas dümmste Bauwerk seit dem Turmbau von Babel.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ja nun inzwischen etwa sieben Jahre her,
als ich namens der FDP-Bundestagsfraktion versucht habe, mit nun wirklich einer ganzen Serie von Fragen
hier im Deutschen Bundestag den unveränderten Weiterbau des Rhein-Main-Donau-Kanals zu verhindern.
— Herr Fischer, Sie können sich ja nachher hier noch zu Wort melden, wenn das irgendwie möglich ist. —
Das war zu einer Zeit — 1977 —, Herr Fischer, als es die GRÜNEN überhaupt noch nicht gab
und Sie sich mit dem Thema überhaupt noch keine einzige Minute beschäftigt haben.
Damals haben wir die Bundesregierung aufgefordert, durch entsprechende Verhandlungen mit dem Land Bayern nicht nur den Bau zu stoppen, sondern auch Milliardenbeträge zu sparen. Damals sind wir auch bei der SPD auf wenig Gegenliebe gestoßen. Wir haben von der Regierung Antworten bekommen, die so lauteten: Angesichts der klaren vertraglichen Bindungen sieht die Bundesregierung keine Möglichkeit ... usw. In einer nächsten Beantwortung hieß es: „Vertragstreue war der ausschlaggebende Gesichtspunkt". Alles, was damals erreicht werden konnte, waren Verhandlungen mit dem Land Bayern auf der Grundlage einer Kosten-Nutzen-Analyse. Das Ergebnis war, daß dann immerhin Einsparungen von rund 100 Millionen DM erzielt werden konnten und daß sich der damalige SPD-Verkehrsminister genötigt sah, auch auf Umweltschutzbelange einzugehen.
Er konnte dabei allerdings immerhin auf die Aufstellung eines Landschaftsplanes Altmühltal verweisen, der gemeinsam mit dem Vorsitzenden desBundes Naturschutz in Bayern erarbeitet worden war. Die Zustimmung des Bundes war also vorhanden.
— Ja. — Damals wurde argumentiert, der Kanal sei das größte Wasserbauvorhaben des letzten Jahrhunderts. Schon damals wurde gesagt, der Kanal entsorge die Donau von Hochwasser und versorge das wasserarme Westmittelfranken mit Trinkwasser. Und schon damals war klar, daß jeder vernünftige Mensch in Wahrheit diesen Kanal überhaupt nicht haben wollte und daß er sich im Rahmen des Verkehrswegeplans überhaupt nicht rechnet.
Dann hat die FDP, Herr Kollege Drabiniok, weitere Anläufe unternommen, um das Bauwerk zu verhindern. 1982 scheiterten wir daran, daß der Altbundeskanzler Schmidt die Fertigstellung des Kanals dem österreichischen Bundeskanzler Kreisky als Wahlgeschenk zugesagt hatte.
Dann sind wir zugegebenermaßen 1983 wieder gescheitert, als es nicht gelang, die Zusagen des nächsten, des amtierenden Bundeskanzlers Kohl gegenüber Herrn Strauß zu verhindern, auch im Rahmen der Koalitionsverhandlungen zurückzudrehen.Heute, über sieben Jahre nach unseren ersten und alleinigen Bemühungen,
kommen die Versuche der GRÜNEN, das Projekt jetzt noch zu stoppen, natürlich zu spät.
Einsparungen sind entgegen Ihren abenteuerlichen Berechnungen nicht mehr zu erreichen. Im Gegenteil: Wegen der dann nötigen Rückbaumaßnahmen an den bereits fertiggestellten Anlagen, wegen der Rückübereignungen und Ersatzmaßnahmen — nicht nur wegen der Schadensersatzforderungen —
z. B beim Bau der Fernwasserleitung muß sogar damit gerechnet werden, daß eine Beendigung des Projekts mehr Kosten als seine Fertigstellung verursacht.
60% der veranschlagten Mittel sind bereits verbaut, weitere Mittel sind festgelegt, abgesehen von den vertraglichen Bindungen, die natürlich weiter bestehen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4399
HoffieUnd vor Ort, gerade im Altmühltal, ist man mit den bisherigen Bauergebnissen sogar recht zufrieden.
und wünscht sich die Fertigstellung so schnell wie möglich. Wer vor Ort war, weiß das.Da hilft es jetzt überhaupt nichts mehr, wenn wir uns — übrigens in allen Parteien, auch in der FDP — weiter mit einigen bayerischen Parteifreunden auseinandersetzen, die — und das soll überhaupt nicht verschwiegen werden — den Weiterbau des Kanals wollen und die immer für den Kanal waren. Und da hilft es auch nichts, wenn sich die SPD im Bund heute anders verhält und anders entscheidet als 1977 oder 1982 oder daß Ihre Genossen in Bayern heute noch für den Kanal sind und Sie noch bis vor ganz kurzer Zeit, nämlich bis sich Herr Hauff das erste Mal meiner und unserer Meinung in der FDP anschloß, auch noch für den Kanalweiterbau waren.
Da hilft auch das verfälschte und polemische Berichterstattungsbild, das wir inzwischen aus vielen Fernsehsendungen gerade aus Bayern kennen, überhaupt nichts. Da werden Bilder aus dem Altmühltal mit malerischer Landschaft und Schilfbewuchs im Vordergrund gezeigt. Dahinter fließt Wasser; Wiesen und Häuser werden gezeigt. Und da wird dann manipulierend behauptet, dieses schöne Bild werde bald dem Bagger zum Opfer fallen, obwohl es in solchen Fernsehsendungen in Wahrheit Bilder waren, die genau längst den Kanal selber zeigen, der da als Umweltidylle hinter dem Schilfbewuchs vorbeifließt; das war das wahre Bild.Heute lohnt es sich nicht mehr, darüber zu reden, ob Kosten-Nutzen-Analysen neu überdacht werden müßten. Da kann man sinnvollerweise nur noch die Fertigstellung des Projekts so schnell wie möglich verlangen.Angesichts dieser Situation kann ich es mir sparen, auf Einzelheiten des Antrags der GRÜNEN einzugehen. Der Deutsche Bundestag ist als Gesetzgeber natürlich seinerseits zuallererst Recht und Gesetz verpflichtet. Ich sage Ihnen das, weil ich den Eindruck habe: Die GRÜNEN haben das bei der Formulierung ihres Antrags vergessen. Der Bundestag soll in Ihrem Antrag ja nicht etwa die Bundesregierung auffordern, erneut über das Projekt als solches nachzudenken und mit dem Land Bayern nun sinnvoll noch einmal zu verhandeln. Wir sind auch nicht aufgefordert, zu beschließen, Haushaltsmittel für den Kanal zu streichen, was übrigens ja nur zur Folge hätte, daß sich die RheinMain-Donau-Gesellschaft das nötige Baugeld dann zu Lasten des Bundes überteuert auf dem Kapitalmarkt besorgen könnte, wozu sie j a vertraglich berechtigt wäre.Was heute hier von uns in Wirklichkeit verlangt wird, bedeutet nichts anderes, als daß wir per Beschluß die Bundesregierung auffordern sollen, den Staatsvertrag des Deutschen Reiches mit Bayernvon 1921 und den Duisburger Vertrag von 1966 zu brechen.
Nun war ich bisher immer der Meinung, auch in der Fraktion der GRÜNEN gebe es den einen oder anderen Juristen, Herr Fischer. Ich weiß nicht, ob gerade denen der Satz „Pasta sunt servanda" entfallen ist. Ich habe mir sagen lassen, daß Juristen das schon im ersten Semester lernen.Kein Wunder auch, daß die GRÜNEN bei der letzten bayerischen Landtagswahl ausgerechnet im Altmühltal keine Rolle gespielt haben und weit unter ihrem Landesdurchschnitt geblieben sind.
Für die FDP dagegen waren die Ergebnisse überall dort, wo man sich für den Kanal eingesetzt hatte, besser. Meine Damen und Herren, gerade vor Ort scheinen die Verträge mehr zu gelten als bei Ihnen. Dort hat man nicht festgestellt, daß z. B. die Artenvielfalt der Fischfauna bedroht ist, sondern daß in den neu angelegten stehenden Gewässern gerade der Karpfen, den es dort früher nicht gab, hervorragend gedeiht. Bitte, ich räume gerne ein, daß Sie es nicht gewußt haben, weil Sie sich irgendwo irgendwelche Gutachten schreiben lassen, sich aber nie wirklich mit den Verhältnissen vor Ort befaßt haben.
rechtzeitig und gemeinsam eingesetzt hätten, dann hätten wir darüber heute in aller Ruhe anders reden können, Herr Drabiniok. So gehen Ihre Angriffe, die Angriffe der GRÜNEN, gegen die FDP ins Leere.
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4400 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Herr Abgeordneter Fischer, ich möchte Sie bitten, sich mit Ihren Zwischenrufen etwas zu mäßigen. Das ist unerträglich.
Jawohl, Herr Präsident. —
Wir werden Ihren vorgelegten Antrag deshalb ablehnen. Es lohnt sich nicht einmal, ihn an die zuständigen Ausschüsse zu überweisen.
Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 10/1110 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Verkehr und zur Mitberatung an den Innenausschuß, an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Sind Sie mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:Beratung des Vierten Berichts des Auswärtigen Amtes über den Stand der Reform des Auswärtigen Dienstes— Drucksache 10/882 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß InnenausschußHaushaltsausschußDas Wort wird offensichtlich nicht gewünscht.Der Ältestenrat schlägt vor, den Bericht auf Drucksache 10/882 zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Innenausschuß sowie den Haushaltsausschuß zu überweisen. Sind Sie mit den Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 27. Januar 1983 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Paraguay zur Vermeidung der Doppelbesteuerung der Einkünfte aus dem Betrieb internationaler Luftverkehrsdienste— Drucksache 10/834 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 10/1058 —Berichterstatter: Abgeordneter Krizsan
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist das Gesetz bei zwei Enthaltungen angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 bis 15 auf:12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 27. April 1983 zur Änderung des Vertrags vom 31. Mai 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über zoll- und paßrechtliche Fragen, die sich an der deutsch-österreichischen Grenze bei Staustufen und Grenzbrücken ergeben— Drucksache 10/1067 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Titels III der Gewerbeordnung und anderer gewerberechtlicher Vorschriften— Drucksache 10/1125 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 31. Januar 1983 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg über den Bau und die Unterhaltung einer Grenzbrücke über die Sauer zwischen den Gemeinden Langsur und Mertert— Drucksache 10/1081 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für VerkehrHaushaltsausschuß gemäß § 96 GO15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 15. Juli 1982 zur Gründung der Europäischen Fernmeldesatellitenorganisation „EUTELSAT"— Drucksachen 10/1082, 10/1147 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen Haushaltsausschuß gemäß § 96 GOEs handelt sich um die ersten Beratungen von Gesetzentwürfen, die von der Bundesregierung vorgelegt worden sind. — Das Wort wird nicht gewünscht.Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/1067, 10/1125, 10/
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984 4401
Vizepräsident Wurbs1081, 10/1082 und 10/1147 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats ersehen Sie aus der Tagesordnung.Sind Sie mit den Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll Tagesordnungspunkt 16 — Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu der Verfassungsstreitsache Antrag von Dr. Helmut Kohl und Dr. Friedrich Zimmermann sowie 229 weiterer Mitglieder des Deutschen Bundestages gegen § 2 des Haushaltsgesetzes 1981, Drucksache 10/1154 — abgesetzt werden. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:Beratung der Übersicht 6 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht— Drucksache 10/1123 —Wird das Wort zu dieser Vorlage gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/1123, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt zu den in der vorgenannten Drucksache aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. Sind Sie mit dieser Regelung einverstanden?— Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:a) Beratung der Sammelübersicht 27 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/1124 —b) Beratung der Sammelübersicht 28 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/1127 —Wird das Wort zu der Vorlage gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses, die in den Sammelübersichten 27 und 28 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen?— Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses sind angenommen.Ich rufe die Punkte 19 bis 21 der Tagesordnung auf:19. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der BundesregierungAufhebbare Fünfundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung— Drucksachen 10/813, 10/1046 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Mitzscherling20. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der BundesregierungAufhebbare Neunundachtzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz— Drucksachen 10/853, 10/1047Berichterstatter: Abgeordneter Kittelmann21. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der BundesregierungAufhebbare Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksachen 10/820, 10/1048 —Berichterstatter: Abgeordneter KittelmannDer Ausschuß empfiehlt, die Aufhebung der Verordnungen nicht zu verlangen. Wird das Wort zu den Vorlagen gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich lasse jetzt über die Vorlagen gemeinsam abstimmen. Wer den Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft auf den Drucksachen 10/ 1046, 10/1047 und 10/1048 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen sind angenommen.Ich rufe Punkt 22 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Sechste Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 69/169/EWG zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Befreiung von den Umsatzsteuern und Sonderverbrauchsteuern bei der Einfuhr im grenzüberschreitenden Reiseverkehr— Drucksachen 10/873 Nr. 23, 10/1043 —Berichterstatter: Abgeordneter SchlatterWird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 10/1043 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke schön. Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist einstimmig angenommen.Ich rufe den Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN
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4402 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. März 1984
Vizepräsident WurbsZivil-militärisches Flugsicherungskonzept in Sobernheim— Drucksache 10/1185 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr VerteidigungsausschußWird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Es wird vorgeschlagen, den Antrag auf Drucksache 10/1185 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Verkehr und zur Mitberatung an denVerteidigungsausschuß zu überweisen. Sind Sie mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Freitag, den 30. März 1984, 8 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.