Protokoll:
7202

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 7

  • date_rangeSitzungsnummer: 202

  • date_rangeDatum: 26. November 1975

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:37 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 202. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 26. November 1975 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dr. Beermann . . 13931 A Nachruf auf den verstorbenen spanischen Staatschef Francisco Franco 13931 D Glückwünsche zum Geburtstag des Abg Ollesch 13931 D Überweisung einer Vorlage an Ausschüsse Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . . 13931 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung nebst der Vereinbarung hierzu vom 9. Oktober 1975 — Drucksache 7/4310 — in Verbindung mit Unterrichtung durch die Bundesregierung über die Vereinbarungen mit der Volksrepublik Polen, die am 9. Oktober 1975 in Warschau unterzeichnet worden sind — Drucksache 7/4184 — Genscher, Bundesminister AA . . . . . 13932 D Friedrich SPD 13939 A Dr. Kohl, Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz . . . . . . 13945 B, 13976 A Brandt SPD 13954 C Dr. Carstens (Fehmarn) CDU/CSU . . . 13959 B Mischnick FDP 13963 D Schmidt, Bundeskanzler 13969 D Arendt, Bundesminister BMA 13979 C Franke (Osnabrück) CDU/CSU . . . 13981 B Sund SPD 13983 C Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident 14008 A Fragestunde — Drucksache 7/4322 vom 21. 11. 1975 — Zuständigkeit für Anträge von Gehörlosen zur Übernahme von Kosten für optische Klingelanlagen und Lichtweckuhren MdlAnfr Al 21.11.75 Drs 07/4322 Dr. Enders SPD Antw PStSekr Zander BMJFG . . 13988 A, B ZusFr Dr. Enders SPD . . . . . . . . 13988 A II Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. November 1975 Pressemeldungen über die Reduzierung des Angebots von Sportbegegnungen des staatlich gelenkten Ostberliner Turn- und Sportbundes an den Deutschen Sportbund sowie Schlußfolgerungen der Bundesregierung aus der auch auf dem Gebiet des Sports ständig zunehmenden Konfrontations- und Abgrenzungspolitik Ost-Berlins MdlAnfr A4 21.11.75 Drs 07/4322 Dr. Riedl (München) CDU/CSU Antw PStSekr Herold BMB . 13988 C, D, 13989 A ZusFr Dr. Riedl (München) CDU/CSU . . 13988 D ZusFr Scheffler SPD . . . . . . . . . 13989 A Äußerungen des DDR-Außenministers Fischer gegenüber schwedischen Journalisten über Möglichkeiten zu Reisen von DDR-Bürgern in die Bundesrepublik Deutschland MdlAnfr A5 21.11.75 Drs 07/4322 Jäger (Wangen) CDU/CSU Antw PStSekr Herold BMB . . . 13989 B, C, D ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . . 13989 C Äußerungen des amerikanischen Rechtsanwalts Belli, der Witwen verunglückter deutscher Starfighter-Piloten gegenüber US-Herstellerfirmen vertritt, über Informationen der Bundesregierung in dieser Sache MdlAnfr A6 21.11.75 Drs 07/4322 Reiser SPD Antw PStSekr Schmidt BMVg 13989 D, 13990 B, C ZusFr Reiser SPD . . . . . . . . . 13990 B ZusFr Hansen SPD . . . . . . . . . 13990 B Verhältnis der Zahl der bei Verkehrsunfällen ums Leben kommenden jungen Soldaten im Vergleich zur Zahl der Unfalltoten gleichaltriger Zivilisten MdlAnfr A7 21.11.75 Drs 07/4322 Sauter (Epfendorf) CDU/CSU Antw PStSekr Schmidt BMVg . . . . 13990 C, D, 13991 A, B Zusfr Sauter (Epfendorf) CDU/CSU . . . 13990 D ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 13991 A, B Umfrage eines deutschen Meinungsforschungsinstituts bei Soldaten über die Bundeswehr MdlAnfr A8 21.11.75 Drs 07/4322 Conradi SPD MdlAnfr A9 21.11.75 Drs 07/4322 Conradi SPD Antw PStSekr Schmidt BMVg . . . 13991 B, D ZusFr Conradi SPD 13991 C, D Informierung des Deutschen Bundestages über das Ergebnis der Berechnungen der Deutschen Bundesbahn über die Länge ihres betriebswirtschaftlich optimalen Strekkennetzes sowie Befassung des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages vor Beginn der Verwirklichung des Streckenstillegungsplans mit dem Vorhaben der Bundesbahn MdlAnfr A17 21.11.75 Drs 07/4322 Milz CDU/CSU MdlAnfr A18 21.11.75 Drs 07/4322 Milz CDU/CSU Antw PStSekr Jung BMV 13992 B, C, D, 13993 A ZusFr Milz CDU/CSU 13992 B, C, D ZusFr Dr. Sperling SPD . . . . . . 13992 D ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 13993 A Entzug der Existenzgrundlage kleinerer Speditionsunternehmen, insbesondere sogenannter Vollmachtspediteure, durch die Einschränkung der Selbstabholung für Stückgut bei der Deutschen Bundesbahn sowie Übertragung des gesamten Bahnstückguts auf große Speditionsunternehmen MdlAnfr A19 21.11.75 Drs 07/4322 Dr. Luda CDU/CSU MdlAnfr A20 21.11.75 Drs 07/4322 Dr. Luda CDU/CSU Antw PStSekr Jung BMV 13993 B, C, D, 13994 A, B ZusFr Dr. Luda CDU/CSU . 13993 B, C, D, 13994 A ZusFr Scheffler SPD 13994 A ZusFr Dr. Fuchs CDU/CSU 13994 B Entwicklung des Fluggastaufkommens im Inlandsverkehr im Laufe der letzten drei Jahre sowie Auslastung der bundesdeutschen Flughäfen, insbesondere des Flughafens München MdlAnfr A24 21.11.75 Drs 07/4322 Frau Dr. Riedel-Martiny SPD Antw PStSekr Jung BMV . . 13994 C, D, 13995 A ZusFr Frau Dr. Riedel-Martiny SPD . . . 13994 D Aufforderung der Verbraucher zu Nachzahlungen nach Bezahlung ihrer Umzugskostenrechnung MdlAnfr A25 21.11.75 Drs 07/4322 Frau Dr. Riedel-Martiny SPD Antw PStSekr Jung BMV . . . . . . 13995 A, B ZusFr Frau Dr. Riedel-Martiny SPD . . . 13995 B Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. November 1975 III Pläne zur Neuorganisation der Postverwaltung im ostfriesischen Raum MdlAnfr A26 21.11.75 Drs 07/4322 Schröder (Wilhelminenhof) CDU/CSU Antw PStSekr Jung BMP . . . . . . 13995 C, D ZusFr Schröder (Wilhelminenhof) CDU/CSU 13995 D Vermeidung von Gebührenerhöhungen im Ortsverkehr für die Telefonseelsorge MdlAnfr A27 21.11.75 Drs 07/4322 Dr. Althammer CDU/CSU Antw PStSekr Jung BMP . . . .13996 A, B, C, D, 13997 A ZusFr Dr. .Althammer CDU/CSU . . . . 13996 B ZusFr Frau Berger (Berlin) CDU/CSU . . 13996 C ZusFr Roser CDU/CSU . . . . . . . . 13996 D ZusFr Ey CDU/CSU . . . . . . . . . 13997 A Benachteiligung der Fernsprechteilnehmer des Zonenrandgebietes bei der Festlegung der Nahbereiche des Fernsprechnetzes MdlAnfr A28 21.11.75 Drs 07/4322 Dr. Fuchs CDU/CSU Antw PStSekr Jung BMP 13997 B, C, D, 13998 A ZusFr Dr. Fuchs CDU/CSU . . . . . 13997 B, C ZusFr Böhm (Melsungen) CDU/CSU . . . 13997 D ZusFr Frau Berger (Berlin) CDU/CSU . . 13998 A Entscheidung über die Einrichtung von Nahverkehrsbereichen im Telefondienst und über die Einführung der Zeitzählung im Ortsnetz sowie Gebührenhöhe für eine Gesprächseinheit im Ortsverkehr bei Verzicht der Bundespost auf die Einführung einer Zeitzählung MdlAnfr A29 21.11.75 Drs 07/4322 Frau Dr. Rehlen SPD MdlAnfr A30 21.11. 75 Drs 07/4322 Frau Dr. Rehlen SPD Antw PStSekr Jung BMP . 13998 B, C, D, 13999 A ZusFr Frau Dr. Rehlen SPD 13998 C, D ZusFr Dr. Arndt (Hamburg) SPD . . . 13998 D ZusFr Dreyer CDU/CSU 13998 D Einplanung einer Sondermarkenserie mit Zuschlag zugunsten der Deutschen Sporthilfe für 1976; Höhe der in den letzten Jahren an Philatelisten im Abonnement als Dauerkunden ausgegebenen Stückzahlen von Zuschlagserien im Verhältnis zur Auflagenhöhe MdlAnfr A31 21.11.75 Drs 07/4322 Stahl (Kempen) SPD MdlAnfr A32 21.11.75 Drs 07/4322 Stahl (Kempen) SPD Antw PStSekr Jung BMP . . . 13999 A, B, C, D, 14000 A, C ZusFr Stahl (Kempen) SPD 13999 B, C, D, 14000 A ZusFr Dr. Sperling SPD . . . . . . . 14000 B ZusFr Schirmer SPD . . . . . . . . 14000 B Zahl der von den Behörden der DDR in den Jahren 1974 und 1975 an Absender in der Bundesrepublik Deutschland zurückgesandten Paketsendungen sowie Zahl der verlorengegangenen Paket- und Einschreibesendungen; Aufwendungen der Deutschen Bundespost seit 1970 für den Ersatz der für Empfänger in der DDR bestimmten Paket- und Einschreibesendungen MdlAnfr A33 21.11.75 Dr 07/4322 Böhm (Melsungen) CDU/CSU MdlAnfr A34 21.11.75 Drs 07/4322 Böhm (Melsungen) CDU/CSU Antw PStSekr Jung BMP 14000 C, D, 14001 A, B, C ZusFr Böhm (Melsungen) CDU/CSU . . . 14000 D, 14001 A ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 14001 B ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 14001 C Zeitungsmeldungen über das Betreten des südwestlichen Ufers der Elbe durch DDR-Grenztruppen; Schutz des Bundesgebiets zu Land und zu Wasser vor derartigen Übergriffen Ost-Berlins MdlAnfr A37 21.11.75 Drs 07/4322 Dr. Kunz (Weiden) CDU/CSU Antw PStSekr Baum BMI . . 14001 D, 14002 B, C ZusFr Dr. Kunz (Weiden) CDU/CSU . . 14002 A, B ZusFr Dr. Sperling SPD 14002 B Statistische Angaben über die Zahl der jährlich in der Bundesrepublik verschwindenden Kinder MdlAnfr A38 21.11.75 Drs 07/4322 Dr. Meinecke (Hamburg) SPD MdlAnfr A39 21.11.75 Drs 07/4322 Dr. Meinecke (Hamburg) SPD Antw PStSekr Baum BMI . 14002 C. D, 14003 A B ZusFr Dr. Meinecke (Hamburg) SPD . . 14003 A, B Gründe für die Trauerbeflaggung aus Anlaß des Todes von Francisco Franco MdlAnfr A41 21.11.75 Drs 07/4322 Meinike (Oberhausen) SPD Antw PStSekr Baum BMI . . 14003 C, 14004 A, B ZusFr Meinike (Oberhausen) SPD . . 14004 A, B IV Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. November 1975 Beachtung der für Bundesbehörden angeordneten Trauerbeflaggung von allen Bundesländern MdlAnfr A44 21.11.75 Drs 07/4322 Niegel CDU/CSU Antw PStSekr Baum BMI . 14004 C, D, 14005 A, B ZusFr Niegel CDU/CSU 14004 C, D ZusFr Meinike (Oberhausen) SPD . . 14005 A ZusFr Frau Berger (Berlin) CDU/CSU . 14005 A Unterrichtung der Öffentlichkeit über die in Kriegsgefangenenlagern der Sowjetunion gestorbenen deutschen Kriegsgefangenen MdlAnfr A45 21.11.75 Drs 07/4322 Dr. Hupka CDU/CSU Antw PStSekr Baum BMI . . . . . . 14005 B, C ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU . . . . . . 14005 C Befürchtung ökonomischer Nachteile durch die bisher bekannten Ergebnisse der Arbeiten der UNCITRAL zur Reform des internationalen Seefrachtrechts für die deutsche Verkehrswirtschaft; Verhinderung der Verteuerung der Haftungsversicherungskosten MdlAnfr A49 21.11.75 Drs 07/4322 Dr. Arndt (Hamburg) SPD MdlAnfr A50 21.11.75 Drs 07/4322 Dr. Arndt (Hamburg) SPD Antw PStSekr Dr. de With BMJ . . . . 14005 D, 14006 B, C, D, 14007 A ZusFr Dr. Arndt (Hamburg) SPD . . . 14006 B, D Vereinbarkeit der Zulassung eines ehemaligen Reichsamtsleiters der NSDAP als Rechtsanwalt mit den Bestimmungen der Bundesrechtsanwaltsordnung MdlAnfr A53 21.11.75 Drs 07/4322 Dr. Sperling SPD MdlAnfr A54 21.11.75 Drs 07/4322 Dr. Sperling SPD Antw PStSekr Dr. de With BMJ . . 14007 B, D ZusFr Dr. Sperling SPD . . . . . .14007 B, D Nächste Sitzung 14008 A Anlagen Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 14009* A Anlage 2 Teilnahme des Bundesministers für Forschung und Technologie an Betriebsversammlungen sowohl im Bereich der staatlichen Forschungszentren als auch in der Wirtschaft seit dem 1. Januar 1975; Reden des Bundesministers für Forschung und Technologie seit dem 1. Januar 1974 in Betriebsversammlungen bei Unternehmen, die gleichzeitig Forschungsgelder des Bundes erhalten MdlAnfr A2 21.11.75 Drs 07/4322 Pfeffermann CDU/CSU MdlAnfr A3 21.11.75 Drs 07/4322 Pfeffermann CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Hauff BMFT . . . 14009* C Anlage 3 Erklärung des Pressesprechers des Bundesverteidigungsministers gegenüber Journalisten über die Gründe der Verwendung des damaligen Leiters des Studentenbereichs der Bundeswehrhochschule München, Oberstleutnant Schmidt, als Geschäftsführer einer Seilbahn in Oberstdorf MdlAnfr A10 21.11.75 Drs 07/4322 Frau Tübler CDU/CSU SchrAntw PStSekr Schmidt BMVg . . . . 14010* C Anlage 4 Pressemeldungen über den Einflug von Waren und Personal nach Moskau mit einer Bundeswehrmaschine für einen Empfang aus Anlaß des Besuchs des Bundespräsidenten in der Sowjetunion MdlAnfr A11 21.11.75 Drs 07/4322 Dr. Wittmann (München) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Schmidt BMVg . . . . 14010* D Anlage 5 Ausbau der Jade im Interesse der Sicherung der Energieversorgung und des Umweltschutzes MdlAnfr A14 21.11.75 Drs 07/4322 Ollesch FDP MdlAnfr A15 21.11.75 Drs 07/4322 Ollesch FDP SchrAntw PStSekr Jung BMV 14011 * A Anlage 6 Fertigstellung aller Arbeiten einschließlich des Baus der Radarkette und der Funkpeilsysteme an der Tiefwasserrinne der Jade MdlAnfr A16 21.11.75 Drs 07/4322 Geldner FDP SchrAntw PStSekr Jung BMV 14011* B Anlage 7 Einbeziehung der Bundesautobahn Würzburg—Ulm in die Dringlichkeitsstufe 1 a MdlAnfr A23 21.11.75 Drs 07/4322 Dr. Wernitz SPD SchrAntw PStSekr Jung BMV 14011* C Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. November 1975 13931 202. Sitzung Bonn, den 26. November 1975 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 200. Sitzung, Seite 13797 A, Zeile 3 ist statt „Investitionsfällen" zu lesen: „Interventionsfällen". Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Adams * 28. 11. Dr. Ahrens * 28. 11. Dr. Aigner * 28. 11. Alber** 28. 11. Amrehn 28. 11. Dr. Artzinger * 28. 11. Dr. Bayerl * 26. 11. Behrendt * 28. 11. Blumenfeld *** 28. 11. Büchner (Speyer) ** 26. 11. Dr. Dollinger 28. 11. Dr. Eppler 28. 11. Dr. Evers 12. 12. Fellermaier * 28. 11. Flämig * 27. 11. Frehsee * 28. 11. Gewandt 12. 12. Graaff 12. 12. Härzschel * 28. 11. Höcherl 28. 11. Dr. Jahn (Braunschweig) * 28. 11. Dr. Kempfler 28. 11. Dr. h. c. Kiesinger 28. 11. Dr. Klepsch *** 28. 11. Dr. Lohmar 28. 11. Lücker ' 28. 11. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller 28. 11. Müller (Mülheim) * 28. 11. Dr. Müller (München) *** 27. 11. Müller (Remscheid) 26. 11. Mursch (Soltau-Harburg) * 26. 11. 011esch 26. 11. Orgaß 28. 11. Frau Dr. Orth 28. 11. Pieroth 26. 11. Richter ** 28. 11. Dr. Schäuble 26. 11. Schmidt (München) * 28. 11. von Schoeler 28. 11. Dr. Schwencke (Nienburg) ** 27. 11. Dr. Schulz (Berlin) * 26. 11. Dr. Schwörer * 28. 11. Seefeld* 28. 11. Springorum * 28. 11. Tillmann 28. 11. Vahlberg 28. 11. Dr. Vohrer ** 27. 11. Dr. h. c. Wagner (Günzburg) 12. 12. Walkhoff * 28. 11. Walther 5. 12. Frau Dr. Walz * 28. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments **für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Dr. von Weizsäcker 4. 12. Dr. Wörner 27. 11. Wohlrabe 27. 11. Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hauff auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Pfeffermann (CDU/CSU) (Drucksache 7/ 4322 Fragen A 2 und 3) : An welchen Betriebsversammlungen hat der Bundesminister für Forschung und Technologie seit dem 1. Januar 1975 teilgenommen, sowohl im Bereich der staatlichen Forschungszentren als auch in der Wirtschaft? Bei welchen Unternehmen, die gleichzeitig Forschungsgelder des Bundes erhalten, hat der Bundesminister für Forschung und Technologie seit dem 1. Januar 1974 bei Betriebsversammlungen gesprochen? Zu Frage A 2: Bundesminister Matthöfer hat seit dem 1. Januar 1975 an 23 Betriebs-, Personal- und Belegschaftsverstmmlung von Unternehmen, staatlichen Forschungszentren und sonstigen Einrichtungen teilgenommen. Eine Übersicht liegt bei. Zu Frage A 3: Bundesminister Matthöfer hat seit dem 1. Juli 1974 in 16 Betriebsversammlungen von Unternehmen, die Forschungsmittel des Bundesministeriums für Forschung und Technologie erhalten, Ansprachen gehalten. Eine Übersicht liegt bei. Teilnahme von Bundesminister Matthöfer an Betriebsversammlungen im Jahre 1975 1. Hahn-Meiter Institut für Kernforschung GmbH, Berlin 21. 1. 1975 2. Firma Ford-Werke AG, Köln 3. 3. 1975 3. Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schifffahrt mbH, Geesthacht 4. 3. 1975 4. Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt e. V., Forschungszentrum Braunschweig 10. 3. 1975 5. Firma Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft, Forschungsinstitut Ulm 21. 3. 1975 6. Firma Interatom, Bensberg 25. 3. 1975 7. Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt e. V. und Gesellschaft für Weltraumforschung, Porz 2. 4. 1975 B. Bundesbahnzentralamt, Minden 21. 4.1975 9. Stiftung Deutsches Elektronen Synchrotron, Hamburg 29, 4. 1975 10. Firma Dornier System GmbH, Friedrichshafen 23. 6. 1975 11. Firma Waggonfabrik Uerdingen 21. 7. 1975 12. Firma Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft, Forschungsinstitut Frankfurt/Main 7. 8. 1975 13. Biologische Anstalt, Helgoland 18. 8. 1975 14. Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik, Garching bei München 21. 8. 1975 15. Firma Fahrzeugwerkstätten Falkenried, Hamburg 25. 8. 1975 16. Firma Honeywell, Dörnigheim 1. 9. 1975 17. Firma Krupp Maschinenbau, Bremen 4. 9. 1975 18. Firma Vereinigte Flugtechnische Werke Fokker GmbH, Bremen 4. 9. 1975 19. Firma VDO-Luftfahrtgerätewerk, Frankfurt/Main 3. 10. 1975 20. Firma MAN, München 20. 10. 1975 21. Battelle-Institut, Frankfurt/Main 27. 10. 1975 22. Firma Brown, Boveri & Cie, Mannheim 17. 11. 1975 23. Firma Klöckner Werke, Osnabrück 24. 11. 1975 Ansprachen von Bundesminister Matthöfer seit 1. 7. 1974 in Betriebsversammlungen von Unternehmen, die Förderungsmittel des Bundesministeriums für Forschung und Technologie erhalten. 1. Firma Messerschmidt-BölkowBlohm GmbH, Ottobrunn 4. 10. 1974 2. Firma DEMAG-Fördertechnik-, Wetter /Ruhr 11. 10. 1974 3. Firma ERNO, Bremen 31. 10. 1974 4. Firma Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft, Forschungsinstitut Ulm 21. 3. 1975 5. Firma Interatom, Bensberg 25. 3. 1975 6. Firma Dornier System GmbH, Friedrichshafen 23. 6. 1975 7. Firma Waggonfabrik Uerdingen 21. 7. 1975 8. Firma Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft, Forschungsinstitut Frankfurt/Main 7. 8. 1975 9. Firma Fahrzeugwerkstätten Falkenried, Hamburg 25. 8. 1975 10. Firma Honeywell, Dörnigheim 1. 9. 1975 11. Firma Krupp-Maschinenbau, Bremen 4. 9. 1975 12. Firma Vereinigte Flugtechnische Werke Fokker, Bremen 4. 9. 1975 13. Firma VDO-Luftfahrtgerätewerk, Frankfurt/Main 3. 10. 1975 14. Battelle-Institut, Frankfurt Main 27. 10. 1975 15. Firma Brown, Boveri & Cie, Mannheim 17. 11. 1975 16. Firma Klöckner Werke, Osnabrück 24. 11. 1975 Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Schmidt auf die Mündliche Frage der Abgeordneten Frau Tübler (CDU/CSU) (Drucksache 7/4322 Frage A 10) : Trifft es zu, daß der Pressesprecher des Bundesverteidigungsministers gegenüber Journalisten erklärt hat, der damalige Leiter des Studentenbereichs der Bundeswehrhochschule München, Oberstleutnant Schmidt, sei nach seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr aus einer großen Zahl von Bewerbern für die Aufgabe des Geschäftsführers einer Seilbahn in Oberstdorf deshalb ausgewählt worden, weil er familiäre Bindungen zum Besitzer dieses Unternehmens gehabt habe? Es trifft zu, daß am Rande eines Pressegesprächs des Generalinspekteurs nach der Kommandeurtagung der Bundeswehr in Wiesbaden eine kontroverse Diskussion zwischen einem Journalisten und dem Leiter des Informations- und Pressestabes des Bundesministeriums der Verteidigung über den umstrittenen Beitrag des ZDF-Magazins über Stellenbesetzungen an der Hochschule der Bundeswehr in München stattfand. Im Laufe dieser am Rande geführten Unterhaltung hat der Leiter des Informations- und Pressestabes nach seiner Erinnerung sinngemäß auf die Möglichkeit sorgfältigeren journalistischen Arbeitens hingewiesen und dabei von einer ihm zugegangenen Information Gebrauch gemacht, derzufolge verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Oberstleutnant Schmidt und Angehörigen seiner jetzigen Firma bestünden, die seine Einstellung dort sichern würden. Der Leiter des Informations- und Pressestabes hat vor der Presse weder den Namen des betroffenen Offiziers noch den der Firma genannt. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Schmidt auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Wittmann (München) (CDU/CSU) (Drucksache 7/4322 Frage A 11) : Treffen Pressemeldungen zu, wonach für einen Empfang aus Anlaß des Besuchs des Bundespräsidenten in der Sowjetunion eine Bundeswehrmaschine Waren und Personal nach Moskau bringen mußte und die Kosten hierfür 50 000 DM betrugen? Es trifft zu, daß für einen Empfang aus Anlaß des Besuches des Herrn Bundespräsidenten in der Sowjetunion eine Bundeswehr-Maschine Waren und Personal nach Moskau gebracht hat. Die Kosten hierfür betrugen ca. 35 000,- DM. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. November 1975 14011* Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jung auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Ollesch (FDP) (Drucksache 7/4322 Fragen A 14 und 15) : Entspricht der Plan für den Ausbau der Jade auf 18,5 m unter Seckartennull (SKN) den im Jahr 1974 in Brüssel von der Ständigen Internationalen Vereinigung der Schiffahrtskongresse herausgegebenen Empfehlungen der 2. Internationalen ÖltankerKommission? Ist die Bundesregierung der Meinung, daß im Interesse der Sicherung der Energieversorgung und des Umweltschutzes die noch fehlenden Ausbauarbeiten im Bereich der Jade beschleunigt durchzuführen sind? Zu Frage A 14: Der Plan, die Jade bis auf eine Tiefe von 18,5 m unter Seekartennull auszubauen, wurde 1970 zwischen den Finanzierungspartnern Bund, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Stadt Wilhelmshaven und Nord-West-Ölleitung GmbH vereinbart. Seit April 1974 befahren Tanker mit 20 m Tiefgang und rd. 250 000 tdw unter Inkaufnahme gewisser Beschränkungen und Erschwernisse die Jade. Eine Anpassung der Jadeausbautiefen an die großzügigen und unverbindlichen Empfehlungen des Ständigen Verbandes der Internationalen Vereinigung der Schiffahrtskongresse wäre nur mit erheblichen zusätzlichen Investitionen (geschätzt rd. 100 Millionen DM) möglich. Forderungen auf eine weitere Vertiefung, als Folgerung aus den Empfehlungen, liegen weder der Bundesregierung noch den Finanzierungspartnern des Jadeausbaus vor. Zu Frage A 15: Die Bundesregierung ist der Meinung, daß die noch fehlenden Ausbauarbeiten — im wesentlichen Bau der Radarkette Jade und Restbaggerungen — so schnell wie technisch möglich und wie es die Haushaltslage erlaubt, durchgeführt werden sollen. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jung auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Geldner (FDP) (Drucksache 7/4322 Frage A 16) : Welche konkreten Schritte sind unternommen worden, und wann ist mit der Fertigstellung aller Arbeiten einschließlich dem Bau der Radarkette und der Funkpeilsysteme an der Tiefwasscrrinne der Jade zu rechnen? Mit der Fertigstellung aller im 18,5-m-Ausbauplan von 1970 vorgesehenen Arbeiten kann bis Ende 1976 gerechnet werden mit Ausnahme von Restbaggerungen infolge verstärkter Wiedereintreibungen von Sand nach dem Ausbau und mit Ausnahme der Fertigstellung der Radarkette Jade. Mit verstärkten Wiedereintreibungen von Sand in das Fahrwasser muß grundsätzlich mehrere Jahre nach Beendigung der erstmaligen Vertiefung gerechnet werden. Die Fertigstellung der Radarkette ist technisch nicht vor 1979 möglich. Unter Berücksichtigung der beim Jadeausbau infolge Preissteigerungen entstandenen Mehrkosten ist bei der derzeitigen mittelfristigen Finanzplanung die Fertigstellung der Radarkette nicht vor 1982 möglich. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jung auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Wernitz (SPD) (Drucksache 7/4322 Frage A 23) : 1st die Bundesregierung bereit, dem Vorschlag des Bayerischen Staatsministers des Innern für die Einbeziehung der Bundesautobahn Würzburg—Ulm in die Dringlichkeitsstufe I a voll bzw. modifiziert zu entsprechen? Der bayerische Staatsminister Dr. Merk hatte zunächst mit Fernschreiben vom 10. Oktober 1975 vorgeschlagen, den Abschnitt Würzburg-Gollhofen (B 13) unter Kürzung anderer bayerischer BAB- Neubaustrecken in die Dringlichkeit I a aufzunehmen. Zur Sicherstellung der Finanzierung sah hierfür der Bundesminister für Verkehr als wichtigste Voraussetzung an, daß andere Maßnahmen gleichen Kostenumfanges der Dringlichkeit I a in Bayern zurückgestuft werden müßten. Herr Dr. Merk ist in seinem neuerlichen Schreiben vorn 10. November 1975 auf diesen Hinweis nur insoweit eingegangen, als er die Möglichkeit des einbahnigen Ausbaues des Abschnittes WürzburgGollhofen zur Diskussion stellt. Allerdings soll auch dies nur durch Streckung anderer Maßnahmen geschehen. Eine zeitliche Streckung, wie es Bayern vorschlägt, führt zu unwirtschaftlicher Bauausführung und muß daher vom Bundesminister für Verkehr abgelehnt werden. Da inzwischen am 6. November 1975 das Bundeskabinett den revidierten Bedarfsplan beschlossen und zur parlamentarischen Beratung weitergeleitet hat, kann über neue Vorschläge nunmehr noch das Parlamente entscheiden
Gesamtes Protokol
Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0720200000
Die Sitzung ist eröffnet.

(Die Abgeordneten erheben sich)

Am Montag, dem 24. November 1975, gegen 20 Uhr erlöste in einem Bonner Krankenhaus der Tod unseren Kollegen Dr. Friedrich Beermann von einer langen, schweren, mit viel Haltung ertragenen Krankheit.
Friedrich Beermann war am 9. Oktober 63 Jahre alt geworden. Er wurde 1912 als Kaufmannssohn in Moskau geboren. Seine Familie kehrte während des ersten Weltkriegs nach Deutschland zurück. Nach dem Besuch des Hamburger Wilhelm-Gymnasiums und begonnenem Jura-Studium trat er im Jahre 1934 als Fahnenjunker in die Wehrmacht ein und war als Offizier in Königsberg (Preußen) stationiert. Bei Kriegsende kommandierte er als Oberstleutnant ein Artillerieregiment.
Nach einer bis Juni 1946 andauernden Kriegsgefangenschaft verdiente sich Beermann als Arbeiter in einer Lübecker Konservenfabrik sein Brot und schloß sich im Jahre 1947 der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands an. Im Jahre 1948 setzte er sein unterbrochenes Jura-Studium in Hamburg fort und ließ sich nach erfolgreichem Abschluß 1955 als Rechtsanwalt in Hamburg nieder. Von Januar 1955 an betätigte er sich als militär-technischer Berater der SPD-Bundestagsfraktion.
Am 14. Juni 1959 trat Beermann in den Dienst der Bundeswehr ein, zunächst als Mitarbeiter beim deutschen militärischen Vertreter in der NATO-Kommission in Washington. Danach war er Militärattaché in Neu-Delhi und später in Katmandu. 1966 wurde er beim Stabe der 3. Panzerdivision in Buxtehude als Oberst eingesetzt. Am 1. April 1968 wurde er im Range eines Brigadegenerals zum deutschen Bevollmächtigten bei der NATO-Gruppe Nord in Mönchengladbach ernannt. Im Jahre 1969 zog Dr. Friedrich Beermann über die Landesliste Schleswig-Holstein als Abgeordneter in den Deutschen Bundestag ein und errang 1972 in der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag ein Direktmandat im Wahlkreis 10, StormarnHerzogtum Lauenburg.
Schwerpunkte seiner parlamentarischen Arbeit im 6. Deutschen Bundestag waren auswärtige Politik, Rechtspolitik und Haushaltspolitik. Im 7. Deutschen
Bundestag war er als ordentliches Mitglied im Auswärtigen Ausschuß und als stellvertretendes Mitglied im Verteidigungsausschuß tätig.
Mit Friedrich Beermann verliert der Deutsche Bundestag einen in Verteidigungs- und auswärtiger Politik fachkundigen, leidenschaftlich engagierten Streiter, der sich nicht scheute, eine von ihm als richtig erkannte, auch unpopuläre Meinung auszusprechen und zu ihr zu stehen.
Ich spreche den Hinterbliebenen des Verstorbenen, insbesondere seiner Witwe, und der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands die tiefempfundene Anteilnahme des Hauses aus. Der Deutsche Bundestag wird Dr. Friedrich Beermann ein würdiges und dankbares Andenken bewahren.
Wir gedenken heute auch des verstorbenen spanischen Staatschefs Francisco Franco. Er hat nach dem schweren Leidensweg des spanischen Volkes im Bürgerkrieg seit über 36 Jahren die staatliche Ordnung und Politik dieses Landes geprägt. Sein Tod beendet für Spanien eine historische Epoche.
Mit der Anteilnahme am Tode des spanischen Staatsoberhauptes verbindet der Deutsche Bundestag die Hoffnung, daß das spanische Volk, mit dem wir uns in Freundschaft verbunden fühlen, einer gesicherten und friedlichen Zukunft entgegengeht und daß Spaniens künftige innen- und außenpolitische Entwicklung zu einer engen Verbindung mit dem demokratischen Europa führt.
Ich danke Ihnen. —
Am 20. November 1975 hat der Abgeordnete Ollesch seinen 60. Geburtstag gefeiert. Wir gratulieren ihm nachträglich.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, es liegt Ihnen eine Vorlage vor, die keiner Beschlußfassung bedarf und die gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden soll:
Betr.: Bericht der Bundesregierung über die Integration in den Europäischen Gemeinschaften

(Berichtszeitraum April 1975 bis September 1975 im Anschluß an den Bericht vom 24. April 1975 —Drucksache 7/3575)

— Drucksache 7/4227 —
zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend), Haushaltsausschuß



Präsident Frau Renger
Erhebt sich gegen die vorgeschlagene Überweisung Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 7. November 1975 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:
Gesetz zur Durchführung der Ersten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Ausnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) vom 24. Juli 1973 — Erstes Durchführungsgesetz /EWG zum VAG
Gesetz zu dem Abkommen vom 17. September 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Malta zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
Gesetz zu dem Abkommen vom 25. April 1974 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik auf dem Gebiet des Gesundheitswesens
Gesetz zur Änderung mietrechtlicher und mietpreisrechtlicher Vorschriften im Land Berlin
Gesetz zu den Verträgen vom 5. Juli 1974 des Weltpostvereins
Gesetz zur Ergänzung des Benzinbleigesetzes (BzBl ErgG) Gesetz zur Änderung des Gesetzes für Jugendwohlfahrt Gesetz zum Abschluß der Währungsumstellung.
Der Bundesrat hat in der gleichen Sitzung beschlossen, dein Gesetz zur Förderung von Wohnungseigentum und Wohnbesitz im sozialen Wohnungsbau nicht zuzustimmen. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/4296 verteilt.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 21. November 1975 beschlossen, hinsichtlich des Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur (Haushaltsstrukturgesetz — HStruktG) zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/4325 verteilt.
Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vorn 20. November 1975 mitgeteilt, daß sie nachfolgende Vorlagen zurückzieht:
Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Erziehungsgeld (Bundeserziehungsgeldgesetz — BEEG) (Drucksache 7/2031)
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Fortzahlung im Krankheitsfalle und über Änderungen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung (Drucksache 7/1284)

Antrag betr. Gründung eines Instituts für Familienforschung (Drucksache 7/3862).
Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 6. November 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Sprung, Höcherl, Dr. Müller-Hermann, Dr. Häfele, Dr. Zeitel und der Fraktion der CDU/CSU betr. Politik der Bundesbank (Drucksache 7/4159) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/4294 (neu) verteilt.
Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 10. November 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lenzer, Pfeffermann, Benz, Engelsberger, Dr. Franz, Roser, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz und der Fraktion der CDU/CSU betr. Änderungen bei Fachprogrammen des Bundesministers für Forschung und Technologie (Drucksache 7/4207) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/4304 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 10. November 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Wörner, Sauter (Epfendorf), Dr. Stavenhagen, Burger, Dr. Häfele, Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Dr. Jenninger und Genossen betr. Uhrenindustrie im südwestdeutschen Raum (Drucksache 7/4199) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/4305 verteilt.
Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vom 7. November 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Engholm, Frau Grützmann, Hölscher, Dr.-Ing. Laermann, Dr. Meinecke (Hamburg), Möllemann, Frau Schuchardt, Wimmer (Eggenfelden) und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Fortführung der Aufgaben des Deutschen Bildungsrates (Drucksache 7/4223) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/4311 verteilt.
Der Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen hat mit Schreiben vom 13. November 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Wohlrabe, Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Dr. Jobst, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Straßmeir, Schröder (Lüneburg), Breidbach und Genossen betr. Prüfverfahren für Kraftfahrzeugreifen (Drucksache 7/4204) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/4312 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat mit Schreiben vom 12. November 1975 im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern, der
Justiz, der Finanzen, für Wirtschaft, für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft die Kleine Anfrage der Abgeordneten Pfeifer, Dr. Köhler (Wolfsburg), Dr. Hammans, Dr. Kreile, Dr. Gölter, Frau Benedix, Benz, Ey, Dr. Fuchs, Dr. Hornhues, Dr.-Ing. Oldenstädt, Pieroth, Röhner, Dr. Schäuble, Frau Schleicher, Dr. Waigel, Dr. Jenninger und der Fraktion der CDU/CSU betr. Konsequenzen der Bundesregierung aus dem Bericht der Bundesregierung über die wirtschaftliche und soziale Lage der künstlerischen Berufe (Künstlerbericht) (Drucksache 7/4219) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/4313 verteilt.
Der Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vom 24. November 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hussing, Böhm (Melsungen), Dr. Dregger, Dr. Wallmann, Pfeifer, Dr. Fuchs, Dr. Gölter, Frau Dr. Walz, Dr. Probst, Dr. Schäuble, Dr.-Ing. Oldenstädt, Pfeffermann, Link, Schmidt (Wuppertal), Frau Benedix, Lenzer und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Finanzierung des Modellversuchs „Schüler schulen Schülervertreter" des hessischen Landesschülerrats durch den Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (Drucksache 7/4278) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/4329 verteilt.
Der Vorsitzende des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat mit Schreiben vom 12. November 1975 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgende, bereits verkündete Vorlage keine Bedenken erhoben hat:
Mitteilung der Kommission an den Rat betreffend eine zweite Tranche der Nahrungsmittelsoforthilfe zugunsten der Bevölkerung in Südvietnam
Verordnung (EWG) des Rates über die Lieferung von Butter-oil an das Amt des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge als Nahrungsmittelhilfe im Rahmen des Programms 1975 für die notleidende Bevölkerung Südvietnams
Verordnung (EWG) des Rates zur Abweichung von der Verordnung (EWG) Nr. 1693/72 in bezug auf die Verfahren für die Heranführung der Nahrungsmittelhilfe zugunsten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (Drucksache 7/3888)
Wir treten nunmehr in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 2 auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung nebst der Vereinbarung hierzu vom 9. Oktober 1975
— Drucksache 7/4310 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Auswärtiger Ausschuß
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
b) Unterrichtung durch die Bundesregierung über die Vereinbarungen mit der Volksrepublik Polen, die am 9. Oktober 1975 in Warschau unterzeichnet worden sind
— Drucksache 7/4184 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Auswärtiger Ausschuß
Rechtsausschuß
Dazu hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen das Wort.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0720200100
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Die Bundesregierung legt dem Deutschen Bundestag heute den Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung nebst der Vereinbarung hierzu vom 9. Oktober 1975 vor. Es handelt sich um einen sozialversicherungsrechtlichen Vertrag, der die deutsch-polnischen Beziehungen auf dem Gebiet der Renten- und Unfallversicherung regeln soll.



Bundesminister Genscher
Die Bundesrepublik Deutschland hat seit ihrem Bestehen schon eine Reihe von Verträgen dieser Art geschlossen. Dennoch ist es verständlich, daß dieser Vertrag ein so hohes Maß an Aufmerksamkeit beansprucht, wie sich das während der Verhandlungen, nach dem Abschluß der Verhandlungen sowie seit Beginn des Gesetzgebungsverfahrens gezeigt hat. Allen an der Entscheidung über diesen Vertrag Beteiligten muß bewußt sein, daß er in seiner Bedeutung weit über den eigentlichen Inhalt eines sozialversicherungsrechtlichen Abkommens hinausweist. Dieser Vertrag muß mit den anderen Vereinbarungen im Zusammenhang gesehen werden, die dem Deutschen Bundestag zugeleitet worden sind. Zwar regelt jede dieser Vereinbarungen eine — auch für sich allein genommen — wichtige Frage, nämlich das Rentenproblem, die Gewährung eines Finanzkredits an Polen, die langfristige wirtschaftliche Kooperation und für uns, wie jeder verstehen wird, an erster Stelle die Ausreise von Deutschen aus Polen. In ihrer Gesamtheit aber steht die Lösung dieser Sachbereiche zugleich und vor allem im Dienste einer der großen Aufgaben, die die Geschichte unserer Generation gestellt hat, nämlich der Versöhnung mit dem polnischen Volk. Das ist die Perspektive, in der die Einigung mit Polen zu sehen ist. Sie gibt ihr den historischen Rang, der es uns erlaubt, die Vereinbarungen in einem Atemzug mit dem Warschauer Vertrag von 1970 zu nennen. Eine andere Perspektive, meine Damen und Herren, würde der Bedeutung und dem Sinn unserer Bemühungen nicht gerecht werden.
Die Versöhnung mit dem polnischen Volk ist mit der deutsch-französischen Aussöhnung in den 50er Jahren vergleichbar, und in unseren Motiven bewegen uns sehr stark auch moralische Kategorien.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das gilt für alle!)

Ich bin sicher, daß über das Ziel der Versöhnung mit dem polnischen Volk und über den Rang dieses Ziels Einigkeit im deutschen Volk besteht. Diese Einigkeit kann und darf nicht durch die Tatsache beeinträchtigt werden, daß Polen und Deutsche in verschiedenen staatlichen und gesellschaftlichen Systemen leben. Wir alle sollten uns gemeinsam vornehmen, die Debatte des heutigen Tages so zu führen, daß dieses Ziel und der Gedanke der Versöhnung keinen Schaden leiden.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Neben dem Willen zur Versöhnung tritt auch die Hoffnung vieler Menschen, die heute noch unter den Folgen des Krieges leiden, daß auch ihr ganz persönliches Schicksal oder das ihrer Nächsten in einem Prozeß deutsch-polnischer Verständigung erleichtert wird.
Deutsche und Polen sind durch eine gemeinsame Geschichte miteinander verbunden. Es ist — insbesondere angesichts der so leidvollen jüngsten Vergangenheit — notwendig, daran zu erinnern, daß sie über weite Strecken eine Geschichte des friedlichen Zusammenlebens, fruchtbaren Austauschs und gegenseitiger Unterstützung war. Erst vor diesem Hintergrund wird die unheilvolle Entwicklung,



Bundesminister Genscher
1971 mit ihrer parallelen Veranstaltung der Kieler Woche in Gdingen im darauffolgenden Jahr oder auf die kürzlich veranstalteten Polnischen Tage in Hamburg, denen Hamburger Tage in Danzig folgen werden.
Parallel zum kulturellen Austausch haben sich auch die Begegnungen zwischen den Wissenschaftlern beider Länder stark intensiviert. In gemeinsamen Schulbuchkonferenzen arbeiten Historiker und Pädagogen beider Länder an der so wichtigen Aufgabe, Vorurteile und unrichtige Klischees abzubauen. Deutsche Literatur spielt eine wichtige Rolle in Polen, polnische Literatur in der Bundesrepublik Deutschland.
Stark zugenommen hat der Reiseverkehr in beiden Richtungen. Die Zahl der polnischen Besucher in der Bundesrepublik Deutschland stieg von 45 000 im Jahre 1970 auf 118 000 im Jahre 1974. Noch stärker stieg die Zahl der Reisenden nach Polen, nämlich von 36 000 im Jahre 1970 auf 237 000 im Jahre 1974. Viele tausend Deutsche haben dabei ihre früheren Heimatorte jenseits von Oder und Neiße besuchen können und dort fast ausnahmslos eine gastfreundliche Aufnahme gefunden.
Überaus dynamisch haben sich die wirtschaftlichen Beziehungen entwickelt. Die deutschen Ausfuhren nach Polen stiegen in den Jahren 1970 bis 1974 von 0,6 Milliarden auf 3,6 Milliarden DM. Sie haben sich damit versechsfacht. In derselben Zeit verdoppelten sich unsere Einfuhren aus Polen von 0,7 Milliarden auf 1,4 Milliarden DM. Mit einem Handelsvolumen von 5 Milliarden DM war im vergangenen Jahr die Volksrepublik Polen nach der Sowjetunion unser zweitgrößter Handelspartner in Osteuropa. Umgekehrt steht für Polen die Bundesrepublik Deutschland im Handel an erster Stelle unter den westlichen Ländern.
Sprunghaft wie der Handel wuchs auch die industrielle Kooperation. Es bestehen heute mehr als 150 000 Kooperationsverträge. Über 50 weitere Vorhaben mit einem Projektwert von 3,7 Milliarden DM wird verhandelt. Die polnische Industrie ist durch ihr beachtliches Potential an technischem Wissen für die deutschen Unternehmen heute auch ein interessanter Partner, um gemeinsam neue Verfahren und Produkte zu entwickeln. Der Rohstoffreichtum Polens eröffnet uns zugleich die Möglichkeit, unsere Rohstoffversorgung zu diversifizieren. Über ein gemeinsames großes Kupferprojekt wird erfolgversprechend verhandelt.
Diese Hinweise mögen genügen, um zu zeigen: Polen mit seiner Wirtschaft ist schon heute zu einem wichtigen Partner für die deutsche Wirtschaft geworden. In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, daß die osteuropäischen Staaten 1975 fast 10 °/o unserer gesamten Ausfuhr aufnehmen werden. Die Möglichkeiten unserer wirtschaftlichen Beziehungen zu den osteuropäischen Ländern sind dabei noch keineswegs ausgeschöpft. Das gilt gerade im Verhältnis zu Polen. Wir erwarten von dem in Warschau unterzeichneten langfristigen Programm für die industrielle Kooperation, das Ihnen vorliegt, günstige Impulse.
Im November haben beide Seiten darüber hinaus ein ergänzendes Abkommen zum zehnjährigen Kooperationsabkommen paraphiert. Dieses neue Abkommen sieht eine langfristige Zusammenarbeit im Rohstoff- und Energiebereich vor. Es sieht ferner in Ausfüllung der Schlußakte von Helsinki eine Reihe von konkreten Maßnahmen vor, um die Geschäftskontakte zwischen deutschen und polnischen Unternehmen zu fördern. Das wird insbesondere den kleinen und mittleren deutschen Unternehmen die Anbahnung von Geschäften wesentlich erleichtern.
So wird auf Grund einer Absprache zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem polnischen Parteichef in Helsinki noch Anfang Dezember dieses Jahres eine polnische Expertendelegation zahlreiche deutsche Betriebe besuchen und dort über neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit verhandeln. Das zusätzliche Kooperationsabkommen ist Ausdruck des Willens beider Seiten zum Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.
Jedoch, meine Damen und Herren, so günstig sich im kulturellen und im wirtschaftlichen Bereich die beiderseitigen Beziehungen seit 1970 entwickelten, so ergaben sich andererseits auch ernste Probleme Damit komme ich zur Vorgeschichte der Ihnen vorliegenden Vereinbarungen.
Im wirtschaftlichen Bereich entstanden, verbunden mit der starken Ausweitung des Handels, steigende polnische Defizite. Die Auswirkungen dieses Ungleichgewichts wurden in diesem Jahr spürbar Polen mußte die Einfuhren aus der Bundesrepublik Deutschland einschränken. Unsere Exporte fielen in den ersten acht Monaten um 18 % zurück. Zu den ungelösten Problemen gehört auch der Bereich dei Renten- und Unfallversicherung.
Die schwerwiegendsten Belastungen des deutschpolnischen Verhältnisses ergaben sich aber aus zwei humanitären Fragen, in denen noch einmal die Wunden der Vergangenheit fühlbar werden. Die polnische Seite forderte Entschädigungszahlungen für die noch lebenden Opfer der Konzentrationslager. Diese Forderung konnten und können wir aus rechtlichen und politischen Gründen nicht erfüllen. Das ist dei polnischen Seite bekannt. Die Forderung nach Wiedergutmachung stellt sich nicht weiter. Das wird gegenüber der polnischen Öffentlichkeit auch durch die Verbesserungen der Leistungen für KZ-Opfer deutlich, die nach den Gesprächen von Helsinki beschlossen worden sind.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns darüber im klaren sein: Vielen Menschen in Polen wird es schwerfallen, diese Haltung, die wir in der Entschädigungsfrage einnehmen müssen, zu begreifen Es soll deshalb noch einmal ausdrücklich klargestellt werden, daß wir nicht vergessen, was geschehen ist. Unser Respekt und unser Mitgefüh: gelten den Opfern, den lebenden und den toten. Wir werden alles in unserer Kraft Stehende tun, damil sich das Geschehene in Europa niemals wiederholen kann.

(Beifall bei der FDP, der SPD und vereinzelt bei der CDU/CSU)

Das ist ein wesentliches Ziel unserer Politik.



Bundesminister Genscher
Für die Bundesregierung steht im Mittelpunkt der Erwartungen an die Volksrepublik Polen ein humanitäres Problem, das uns die Vergangenheit ebenfalls ungelöst überliefert hat, nämlich die Frage der Umsiedlung in Polen lebender Deutscher. Die polnische Regierung hat auf Grund der 1970 an die Bundesregierung gegebenen Information seit Anfang 1970 insgesamt 60 000 Deutschen die Ausreise aus Polen ermöglicht. Nach den Unterlagen des Deutschen Roten Kreuzes liegen noch mindestens 280 000 Wünsche auf Umsiedlung in die Bundesrepublik Deutschland vor. Diese Frage bedarf einer befriedigenden Regelung. Die gute und unbelastete Partnerschaft mit Polen, die wir mit aller Kraft anstreben, werden wir nur erreichen, wenn auch dieses Problem wirklich gelöst wird. Wir verkennen dabei keineswegs die innenpolitischen Schwierigkeiten, die sich hierdurch für die polnische Seite ergeben.
Meine Damen und Herren, die beiden hier aufgezeigten humanitären Probleme drohten zu einer immer stärkeren Belastung der deutsch-polnischen Beziehungen zu werden, einer Belastung, die auf die Dauer auch die günstige Entwicklung in den anderen Bereichen lähmen mußte. In über zweijährigen sehr schwierigen Verhandlungen haben beide Regierungen um eine Lösung gerungen. Der Durchbruch gelang in den Verhandlungen des Bundeskanzlers mit dem ersten Sekretär der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, Gierek, am Rande der KSZE-Konferenz in Helsinki. Das Ergebnis liegt Ihnen in Gestalt der Vereinbarungen vor. Ich möchte die einzelnen Vereinbarungen erläutern, um im jeweiligen Sachzusammenhang schon hier auf Bedenken und Fragen einzugehen, die auch im Bundesrat am 7. November dieses Jahres geäußert worden sind.
Erstens. Das Abkommen über Renten- und Unfallversicherung strebt eine Regelung der sehr komplizierten rentenrechtlichen Situation an, die sich im deutsch-polnischen Verhältnis auf Grund einer von zwei Weltkriegen und ihren Folgen gekennzeichneten historischen Entwicklung ergeben hat. Eine Regelung dieser Situation war sowohl im Interesse der Anspruchsberechtigten wie der Versicherungsträger in beiden Ländern wie auch schließlich im Interesse des Gesamtverhältnisses beider Staaten geboten. Die Bundesregierung hat sich deshalb entschlossen, diesen Fragenkomplex in Form eines bilateralen Abkommens unter Vereinbarung einer Pauschalzahlung zu regeln, wie das bereits früher im Verhältnis zu anderen Ländern, z. B. Österreich, Luxemburg, den Niederlanden und Jugoslawien, geschehen ist. Dabei war grundsätzlich zu entscheiden, ob das Abkommen nach dem Leistungsexportprinzip oder nach dem Eingliederungsprinzip geschlossen werden sollte. Wir haben uns nach sorgfältiger Abwägung des Für und Wider für das Eingliederungsprinzip entschieden, nicht zuletzt weil die praktische Anwendung des Leistungsexportprinzips im Verhältnis zu Polen auf große Schwierigkeiten gestoßen wäre.
Eine umfassende Besitzstandsgarantie — hierin liegt eine im Interesse der Betroffenen notwendige Durchbrechung des Eingliederungsprinzips — sichert die Weiterzahlung von Renten, die bisher in das andere Land gezahlt wurden oder für die bei Inkrafttreten dieses Abkommens ein Anspruch auf Pflichtleistung besteht. Die Lage der einzelnen Rentenberechtigten wird in verschiedener Hinsicht durch das Abkommen verbessert; ihre Situation wird rechtlich geklärt.
Für die Bemessung der Pauschale zur wechselseitigen Abgeltung aller Ansprüche in Höhe von 1,3 Milliarden DM, deren Zahlung durch die Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem Abkommen vereinbart worden ist, sind Berechnungen zugrunde gelegt worden, die von den Experten auf Grund der vorhandenen deutschen Unterlagen und der polnischen Angaben angestellt worden sind. Einzelheiten der Berechnungen werden im Ausschuß ebenso dargelegt werden wie — das sollten wir in der Bedeutung nicht unterschätzen — eine Einschätzung des Risikos eines anhängigen Musterprozesses.
Die Regelung ist ein für die deutschen Sozialversicherungsträger günstiges Ergebnis. Nicht nur daß sie jetzt Klarheit über die Belastungen haben, die auf sie zukommen — Belastungen, die auch ohne das Abkommen unvermeidbar gewesen wären, in diesem Falle aber eine gänzlich andere, nämlich größere Dimensionen erreichen würden. Darüber hinaus ist es so, daß die vereinbarte Pauschale, die in drei Jahresraten zahlbar ist, nur zur Hälfte von den Sozialversicherungsträgern übernommen wird. Die andere Hälfte, soweit sie die knappschaftliche Rentenversicherung und die Unfallversicherung betrifft, muß vom Bund aufgebracht werden. Unbeschadet der Tatsache, daß 30 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg eine präzise Aufrechnung von Forderungen und Gegenforderungen nicht mehr möglich ist, ergeben die angestellten Erhebungen, daß die ausgehandelte Pauschalsumme niedriger ist als der zu erwartende Jahresbetrag eines Abkommens nach dem Leistungsprinzip wäre. Diese Feststellung gilt uneingeschränkt, auch wenn man von Mindestansätzen ausgeht, die mit dem Leistungsexportprinzip von polnischer Seite zu zahlenden Renten für Aussiedler absetzt und für die im Deutschen Reich entstandenen Anwartschaften die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nur im Verhältnis ihrer Bevölkerung zur Bevölkerung der DDR zugrunde legt.
Am Rande sei bemerkt, daß die gefundene Lösung unseren Versicherungsträgern auch bedeutenden Verwaltungsaufwand erspart. Die Pauschale wird der polnischen Sozialversicherung zufließen.
Zweitens. Die Zweckbestimmung des deutsch-polnischen Abkommens über die Gewährung eines Finanzkredits kommt in der Präambel zum Ausdruck, in der es heißt daß der Kredit die Entwicklung der wirtschaftlichen und industriellen Kooperation fördern soll. Beim Abschluß dieses Kreditabkommens hat sich die Bundesregierung von wirtschaftlichen und von politischen Gesichtspunkten leiten lassen. Unsere Beziehungen zu Polen — ich erwähne dies noch einmal — unterliegen besonderen historischen und aktuellen psychologischen und faktischen Bedingungen. Wenn uns ernsthaft an einer Versöhnung mit Polen liegt, so muß das die Bereitschaft einschließen, besondere Anstrengungen auf



Bundesminister Genscher
uns zu nehmen, um die dafür erforderlichen praktischen Voraussetzungen zu schaffen und auch zu sichern.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Wehner [SPD] : Sehr wahr! — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das leugnet niemand!)

Zu den entscheidenden Voraussetzungen gehört die Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen zu einem zukunftsorientierten Verhältnis gleichberechtigter Partner. Grundsätzlich können sich die Volkswirtschaft unseres Landes und die polnische Volkswirtschaft in positiver Weise ergänzen. Langfristig wollen wir in den deutsch-polnischen Wirtschaftsbeziehungen strukturelle Verbesserungen im Warenaustausch — vor allem durch den Ausbau der industriellen Kooperation — erzielen. Der Finanzkredit soll also dazu beitragen, eine entsprechende Entwicklung in den deutsch-polnischen Wirtschaftsbeziehungen zu fördern.
Drittens. Die mit dem Protokoll vereinbarte Erteilung von Ausreisegenehmigungen für 120 000 bis 125 000 Personen bedeutet für einen erheblichen Teil der Ausreisebewerber die Erfüllung ihrer Hoffnungen innerhalb der nächsten vier Jahre, wobei insbesondere Härtefälle vordringlich gelöst werden sollen. Für den danach noch verbleibenden Kreis von Ausreisebewerbern wird der Anspruch, auf der Grundlage der Information auszureisen, ausdrücklich aufrechterhalten. Das Ausreiseprotokoll sieht vor, daß Personen, welche die in der Information genannten Kriterien — nämlich deutsche Volkszugehörigkeit oder Familienzusammenführung — erfüllen, auch nach Abwicklung der im Ausreiseprotokoll vereinbarten Zahlen diesen Anspruch geltend machen können. Das heißt, daß der Inhalt der Information weiter gilt, wenn die Vereinbarungen des jetzigen Protokolls erfüllt sind. Es können also auch dann noch unter den Bedingungen der Information von 1970 Ausreiseanträge gestellt werden. „Unter den Bedingungen der Information" bedeutet: nach günstigeren Regeln als den normalen polnischen Emigrationsbestimmungen.
Es ist deshalb unzutreffend, meine Damen und Herren, wenn ungeachtet der entsprechenden Bestimmungen des Ausreiseprotokolls die Wirkung der sogenannten Offenhalteklausel bestritten wird. Die Behauptung, das Ausreiseprotokoll werde für die durch das Protokoll noch nicht erfaßten Ausreisewilligen die Ausreise endgültig unmöglich machen, ist darüber hinaus geeignet, die Rechtsposition dieses Personenkreises zu beeinträchtigen.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wir haben uns gegen das „Alles oder nichts" dafür entschieden, das heute Erreichbare zu sichern.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Natürlich hätte es auch die Bundesregierung vorgezogen, die endgültige Erledigung aller Ausreisewünsche in einem festgesetzten Zeitraum zu vereinbaren. Die Bundesregierung hat allerdings berücksichtigt, daß die vereinbarte Abwicklung eines großen Teils der Ausreisewünsche innerhalb von vier Jahren die anschließende Lösung des verbleibenden Problems erleichtern wird. Sie geht davon aus, daß die jetzt getroffenen Vereinbarungen insgesamt zu Fortschritten in den deutsch-polnischen Beziehungen führen werden, die eine beschleunigte und vollständige Lösung des Ausreiseproblems begünstigen. Die Bundesregierung wird sich im Sinne der Information und der jetzt im Ausreiseprotokoll getroffenen Vereinbarungen im Kontakt mit der polnischen Regierung darum bemühen.
Daneben ist vorgesehen, auch die Zusammenarbeit der Rotkreuzgesellschaften wieder aufzunehmen. Bei den Gesprächen, die ich im Oktober in Warschau geführt habe, wurde vereinbart, daß ein Zusammentreffen der Rotkreuzgesellschaften noch in diesem Jahr stattfinden soll. Das wird nunmehr in der zweiten Dezember-Hälfte geschehen.
In den Diskussionen über das Ausreiseprotokoll wurde auch die Lage der noch in Polen lebenden Deutschen erörtert. Fortschritte in unserem Sinne werden wir nur entsprechend den Fortschritten im deutsch-polnischen Verhältnis erreichen können. Das Thema bleibt für uns auf der Tagesordnung.
Meine Damen und Herren, in der Öffentlichkeit ist die Frage der völkerrechtlichen Verbindlichkeit des Ausreiseprotokolls gestellt worden. Die Bundesregierung stellt hier eindeutig fest, daß sich das Ausreiseprotokoll, was die völkerrechtliche Wirksamkeit und Bestandskraft der in ihm enthaltenen Regelungen betrifft, nicht von den beiden anderen Vereinbarungen unterscheidet. Es ist ein zweiseitiges, von beiden Außenministern gezeichnetes Instrument, in dem die polnische Seite eine konkrete Zusage über die Schaffung von Ausreisemöglichkeiten für 120 000 bis 125 000 Personen macht, die von unserer Seite angenommen und mit einer Gegenerklärung beantwortet wird.
Die in diesem Protokoll gegebene Zusage erzeugt eine völkerrechtliche Bindung der polnischen Seite. Diese wird nicht dadurch gemindert, daß das Ausreiseprotokoll aus verfassungsrechtlichen Gründen der anderen Seite nicht die Form eines völkerrechtlichen Vertrages erhalten hat. Überhaupt erklärt sich die unterschiedliche Rechtsform der einzelnen Vereinbarungen — ratifizierungsbedürftiger völkerrechtlicher Vertrag beim Rentenabkommen, Regierungsabkommen beim Finanzkredit und zweiseitiges Protokoll in der Ausreisefrage — allein aus verfassungsrechtlichen Gegebenheiten in beiden beteiligten Staaten. Die völkerrechtliche Bindungswirkung ist in allen Fällen gleich.
Der polnische Ministerpräsident hat in seiner Rede vom 23. Oktober 1975 bekräftigt, daß die polnische Regierung ihren Willen erklärt, die mit der Bundesrepublik Deutschland getroffenen Vereinbarungen voll und ganz zu verwirklichen. Von dieser Erklärung hat die Bundesregierung mit Befriedigung Kenntnis genommen. Ich kann für die Bundesregierung die gleiche Entschlossenheit bekräftigen.
Meine Damen und Herren, ich möchte nun im Lichte dessen, was ich dargestellt habe, zu den elf



Bundesminister Genscher
Fragen, die im Bundesrat am 7. November aufgeworfen wurden, nochmals im einzelnen wie folgt Stellung nehmen.
Erstens. Das Ausreiseprotokoll hat dieselbe völkerrechtliche Bindungswirkung wie das Rentenabkommen und die Gewährung eines Finanzkredits.
Zweitens. Für Ausreisegenehmigungen bleiben die Kriterien bestehen, die in der Information aus dem Jahre 1970 aufgestellt worden sind. Auch nach Ablauf der im Protokoll genannten vier Jahre wird über Anträge weiterer Ausreisewilliger entsprechend der Information von 1970 entschieden. Die Möglichkeit der Ausreise aller Deutschen aus Polen, die das wünschen, ist damit offengehalten.
Drittens. Der innere Zusammenhang zwischen den hier dargestellten Vereinbarungen besteht in der für alle Vereinbarungen maßgebenden Zielsetzung, zu einer dauerhaften positiven Entwicklung des deutsch-polnischen Verhältnisses beizutragen, nicht aber in einem zeitlichen Gleichklang bei der Durchführung dieser Vereinbarungen. Im übrigen, meine Damen und Herren, muß jeder, der die Frage des inneren Zusammenhangs dieser Vereinbarungen aufwirft, sehen, daß diese Frage nicht einseitig gestellt werden kann.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Denn natürlich wird die Lösung der Ausreisefrage nur im Gesamtzusammenhang der mit diesen Vereinbarungen verfolgten Politik möglich.
Viertens. Die polnische Regierung hat gegenüber der Bundesregierung erklärt, daß sie durch entsprechende Anweisungen an die zuständigen Behörden sichergestellt habe, daß Benachteiligungen von Ausreisebewerbern, die es in den vergangenen Jahren tatsächlich gegeben hat, jetzt ausgeschlossen sind. Es ist vereinbart, daß Fälle, in denen sich Benachteiligungen ergeben, von der deutschen Botschaft in Warschau mit dem polnischen Außenministerium geklärt werden. Die Lage der in Polen lebenden Deutschen war und bleibt Gegenstand von Gesprächen mit der polnischen Regierung.
Fünftens. Das Abkommen verbessert die Situation der einzelnen Menschen. Aussiedler, auch wenn sie nicht unter § 1 des Fremdrentengesetzes fallen, haben durch den Vertrag Vorteile, weil jedem Berechtigten seine Rente nach den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Vorschriften gezahlt wird, wobei die in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten so berücksichtigt werden, als seien sie in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt worden Auch für die Deutschen, die in Polen verbleiben, bringt das Abkommen Vorteile. Versicherungszeiten, die im früheren Deutschen Reich zurückgelegt worden sind, werden künftig von den polnischen Versicherungsträgern in vollem Umfang angerechnet. Das Abkommen enthält auch eine umfassende Besitzstandsgarantie. Soweit Renten in das jeweils andere Land gezahlt werden oder beim Inkrafttreten des Abkommens Ansprüche auf Pflichtleistungen bestehen, werden diese Rechte nicht eingeschränkt.
Sechstens. 30 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg ist es nicht mehr möglich, eine buchhaltungsmäßige Abrechnung von Forderungen und Gegenforderungen vorzunehmen. Trotzdem sind aus den noch vorhandenen deutschen Unterlagen und den polnischen Angaben Berechnungen angestellt worden. Dabei sind Tatbestände einander gegenübergestellt worden, die dem einen oder dem anderen Vertragsstaat zuzurechnen sind. Bei der Gegenüberstellung dieser Tatbestände hat sich ergeben, daß die nach Art. 1 der Vereinbarung zu zahlende Pauschale, auch nach Mindestansätzen errechnet, niedriger liegt als der erwartete Jahresbetrag eines Abkommens nach dem Leistungsexportprinzip, selbst wenn man die danach von polnischer Seite zu zahlenden Renten für Aussiedler absetzt und für die im Deutschen Reich entstandenen Anwartschaften die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nur im Verhältnis der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland zur Bevölkerung der DDR berücksichtigt. Die Pauschale belastet die Versicherungsträger erheblich weniger als laufende Rentenleistungen nach innerstaatlichem Recht, die den Betroffenen mit Sicherheit nicht in dem Umfang zugute kämen, der dem finanziellen Aufwand der Versicherungsträger entspräche.
Siebtens. Die Pauschale wird der polnischen Sozialversicherung zufließen und nicht, wie befürchtet, sozialversicherungsfremden Zwecken.
Achtens. Es trifft nicht zu, daß die Pauschale in Höhe von 1,3 Milliarden DM von den Versicherungsträgern in der Bundesrepublik Deutschland allein aufgebracht wird. Nach Art. 5 Abs. 1 des Entwurfs des Zustimmungsgesetzes sollen von dem Betrag von 1,3 Milliarden DM 643,5 Millionen DM von der knappschaftlichen Rentenversicherung und damit vom Bund und 6,5 Millionen DM vom Bund als Träger der Unfallversicherung aufgebracht werden, so daß die deutschen Sozialversicherungsträger etwa 650 Millionen DM zu tragen haben werden.
Neuntens. Gemäß Art. 1 Abs. 3 sind mit dem Inkrafttreten der Vereinbarung in den gegenseitigen Beziehungen zwischen den Versicherungsträgern der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland und damit zwischen den Staaten alle Ansprüche im Bereich der Renten- und Unfallversicherung erloschen. Die Vereinbarung enthält keine Kündigungsklausel. Erneute finanzielle Ansprüche der Volksrepublik Polen gegen die Bundesrepublik Deutschland kommen daher nicht mehr in Betracht. Das Abkommen selbst hat wie alle auf unbestimmte Zeit angelegten Sozialversicherungsabkommen in Art. 18 eine Kündigungsklausel. Tritt das Abkommen infolge Kündigung außer Kraft, so gelten jedoch die Bestimmungen für die bis zu seinem Außerkrafttreten erworbenen Ansprüche und Anwartschaften weiter. Das bedeutet, daß die Versicherungsträger der Bundesrepublik Deutschland für die Versicherungszeiten, die vor Außerkrafttreten des Abkommens zurückgelegt wurden, bzw. für die Unfälle, die vor Außerkrafttreten des Abkommens eingetreten sind, Leistungen nur nach Maßgabe des Abkommens, nämlich bei gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, zu erbringen haben.



Bundesminister Genscher
Zehntens. Gemäß der Präambel des Regierungsabkommens über die Gewährung eines Finanzkredits vom 9. Oktober 1975 soll der Finanzkredit die Bedingungen für die Entwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und industriellen Kooperation im Sinne einer Verbesserung der allgemeinen Voraussetzungen für diese Zusammenarbeit fördern. Über diese Zweckbestimmung des Finanzkredits besteht volles Einvernehmen mit der polnischen Seite. Deren Erfüllung dienen auch die festgelegten Bedingungen. Eine Lieferbindung ist nach internationalen Regeln nicht üblich.
Elftens. Der Kredit wird nicht aus Haushaltsmitteln gewährt. Kreditgeber ist die Kreditanstalt für Wiederaufbau, zu deren gesetzlichen Aufgaben es unter anderem gehört, Kredite zu gewähren, die im besonderen staatlichen oder wirtschaftlichen Interesse der Bundesrepublik Deutschland liegen. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau nimmt den Kreditbetrag zu marktüblichen Konditionen am Kapitalmarkt auf. Aus dem Bundeshaushalt sind die erforderlichen Zinszuschüsse zu tragen. Hierzu ist die Bundesregierung durch die gesetzgebenden Körperschaften mit dem Nachtragshaushalt 1975 ausdrücklich ermächtigt worden, in dem eine Verpflichtungsermächtigung zur Zahlung dieser Zinszuschüsse erteilt worden ist. Die Zinszuschüsse verteilen sich auf die Gesamtlaufzeit des Darlehensvertrages. Finanzielle Forderungen anderer Staaten können aus der Gewährung dieses Finanzkredits nicht hergeleitet werden, weil er im Gesamtzusammenhang des deutsch-polnischen Verhältnisses zu sehen ist.
Meine Damen und Herren, ich habe versucht, die Zielsetzung der Vereinbarungen und ihre Bedeutung im Gesamtzusammenhang der deutsch-polnischen Beziehungen darzustellen. Den Vereinbarungen ist die Zielsetzung gemeinsam, die zukünftigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen positiv zu gestalten. Sowohl die Bundesregierung als auch die polnische Regierung sehen die Vereinbarungen als eine Einheit. Das hat nicht nur politisches, sondern auch rechtliches Gewicht. Das müssen wir beachten, indem wir bei der Entscheidung über das vorliegende Sozialversicherungsabkommen die anderen Vereinbarungen, insbesondere das Ausreiseprotokoll, nicht aus den Augen verlieren. Ich wiederhole, was ich am 7. November 1975 vor dem Bundesrat gesagt habe:
Krieg und Vertreibung, Verlust der Heimat, haben das Schicksal von Millionen unserer Mitbürger geprägt. Sie alle haben früher oder später die Chance des Neubeginns hier in der Bundesrepublik Deutschland gefunden. Das in gemeinsamem Aufbau Erreichte hat uns nie vergessen lassen, daß es noch eine große Zahl von Deutschen gibt, die in der Volksrepublik Polen leben und die, läge es allein in ihrer Hand, längst unter uns wären.
Alle Bundesregierungen — ungeachtet ihrer parteipolitischen Parteizusammensetzung — haben sich diesem Problem immer wieder gestellt. Und dennoch ist es nicht möglich gewesen — weder früher noch in den letzten Jahren —, auch hier eine endgültige, zufriedenstellende Lösung zu erreichen.
Das Ausreiseprotokoll, das noch der Zustimmung des polnischen Staatsrats bedarf, bringt uns diesem Ziel einen wesentlichen Schritt näher; einen Schritt, der für 120 000 bis 125 000 Deutsche die Erfüllung dessen bedeutet, was sie seit Jahren und Jahrzehnten ersehnen.
Die ausreisewilligen Deutschen in Polen warten auf unser Ja. Wir dürfen ihre Hoffnung nicht enttäuschen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Wer wollte es ernsthaft auf sich nehmen, die jetzt gebotene Möglichkeit auszuschlagen!
Meine Damen und Herren, niemand kann sich darüber wundern, daß der Vertrag von Warschau nicht sämtliche Probleme auf einen Schlag gelöst hat.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Versöhnung nach solchen Belastungen braucht Zeit, braucht das gegenseitige Vertrauen, das nicht durch einen einmaligen Akt, sondern nur durch lange, beharrliche Zusammenarbeit geschaffen werden kann.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Die Unterzeichner des Vertrages von 1970 haben das gewußt. Sie haben oft betont, daß der Vertrag nur ein Beginn sei.
Mit den Vereinbarungen von 1975 tun wir einen weiteren wesentlichen Schritt. In diesen Vereinbarungen konnte keine Seite alle ihre Wünsche durchsetzen. Verhandeln heißt eben nicht, einen Forderungskatalog mitzubringen und ihn von der anderen Seite unterschreiben zu lassen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Verständigung heißt nicht, vom anderen zu erwarten, daß er die eigenen Vorstellungen uneingeschränkt akzeptiert. Und Versöhnung ist mehr als nur ein Vertragsschluß.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Bewerunge [CDU/CSU]: Das ist eine Phrase!)

Die deutsch-polnische Annäherung nützt nicht nur den beiden Ländern selbst, sondern sie stellt zugleich einen deutsch-polnischen Beitrag zur Sicherung des Friedens und zur Förderung der Zusammenarbeit in Europa dar.
Der Bundesregierung ist bewußt, daß wohl noch nie ein sozialversicherungsrechtliches Abkommen — und um ein solches geht es in unserer Debatte — mit einem anderen Staat soviel Widerstreit der Gefühle ausgelöst, aber auch soviel Verantwortungsbewußtsein von jedem an der Entscheidung Beteiligten verlangt hat. Weil hier nicht nur dieses Abkommen, sondern weil das deutsch-polnische Verhältnis insgesamt zur Debatte steht und damit auch das Schicksal der Deutschen in Polen, die zu uns wollen und bisher nicht konnten, ist ein jeder von uns, meine Damen und Herren, aufgerufen, seine Entscheidung so zu treffen, als hinge das Schicksal



Bundesminister Genscher
der betroffenen Menschen von ihm allein und seiner Entscheidung allein ab.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Marx [CDU/CSU] : Das Schicksal aller Betroffenen! — Seiters [CDU/CSU] : 160 000! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Dieser Entscheidung kann sich niemand entziehen.

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Auch nicht die Bundesregierung!)

Nach seiner Haltung wird jeder von uns gefragt werden von denen, die uns täglich begegnen, und von denen, die jenseits der Grenzen auf unser Ja hoffen.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Schmöle [CDU/CSU] : Und von denen, die dableiben!)

Die Bundesregierung bittet Sie um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0720200200
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Friedrich.

Bruno Friedrich (SPD):
Rede ID: ID0720200300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der ersten Lesung der zur Ratifikation eingebrachten deutsch-polnischen Vereinbarungen geht es vor allem anderen um die Beantwortung zweier Fragen. Die erste Frage: Was bedeuten diese Vereinbarungen für das Bemühen, zwischen Polen und Deutschen eine bessere, eine von Zusammenarbeit und gegenseitiger Achtung geprägte Nachbarschaft zu begründen? Die zweite Frage: Was würde angesichts der Haltung der CDU/ CSU-regierten Länder im Bundesrat ein Scheitern der Ratifizierung für das deutsch-polnische Verhältnis bewirken?
Die Heftigkeit und Leidenschaft, mit der diese Vereinbarungen in der Bundesrepublik, aber auch in Polen öffentlich diskutiert werden, lassen keinen Zweifel an der Tatsache aufkommen, daß mit der Abstimmung über diese Verträge auch darüber entschieden wird, wie die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik Polen künftig miteinander umgehen. Soll der überlieferte Satz: Der Pole kann nicht mit dem Deutschen, der Deutsche kann nicht mit dem Polen, zu einem für alle Zeiten gültigen Naturgesetz erklärt werden? Das darf nicht sein. Aber es könnte fortdauern, hätten bei uns jene CDU/CSU-Politiker recht, die zu den letzten deutschpolnischen Vereinbarungen — und das ständig wiederholend — nur zu sagen wußten: Menschenhandel durch Erpressung, auch Schlimmeres; was auf der Gegenseite in Polen den Vorwurf auslöste, daß die Politiker der Bundesrepublik, die von Menschenhandel sprechen, nicht bereit seien, jene zu verurteilen, die die Polen in die Krematorien getrieben haben.

(Wehner [SPD] : Leider wahr!)

So löst die Provokation den anderen Vorwurf aus.
Das Eis, auf dem die beiden Völker die ersten Schritte zur Aussöhnung zu tun versuchen, ist dünn.
Deshalb muß, wer von sich behauptet, daß er die Aussöhnung mit Polen im Prinzip will — und dies erklären alle drei Parteien des Bundestages —, deshalb muß der CDU-Vorsitzende Kohl, der ein prinzipienfester Kanzler werden möchte, sein Wollen in der Tat auch glaubhaft beweisen. Nicht nur das Prinzip, die Tat ist gefordert.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wie soll dies in der Demokratie anders geschehen als durch die Abstimmung für das Werk der Aussöhnung im Parlament?
Die Bundestagsfraktion der SPD, die sozialliberale Koalition weigern sich, davon auszugehen, das polnische und das deutsche Volk seien von der Geschichte auserwählt, als ständige Feinde und unfähig zu gegenseitiger Freundschaft nebeneinander, Grenze an Grenze, dahinzuleben.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Wer sagt das denn?)

Das wäre verhängnisvoll für beide Völker. Es hat ihnen Elend und Krieg, es hat den einen millionenfachen Tod und den anderen millionenfache Vertreibung gebracht, auch das, was dies alles wieder neu erzeugt, nämlich Haß und blindwütigen Chauvinismus. Es war verhängnisvoll, daß es in der Politik der beiden Staaten, aber auch im Denken der Völker selbst zu lange dominierende Kräfte gegeben hat, die sich nur allzu willig der Überzeugung einer unauslöschbaren Feindschaft zwischen Polen und Deutschen hingegeben haben,

(Beifall bei der SPD und der FDP)

mit dem einen, aber doch wohl wesentlichen Unterschied, daß vor der Teilung Polens, eines Staates, der damals von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer reichte, von 1772 an bis zum Untergang Warschaus 1944 die Deutschen, wir, die Mächtigeren, die Stärkeren waren. Ein deutscher Fürst, Friedrich II., war es, der den Anstoß zur Teilung Polens gab. Himmler gab 1943 den Befehl zur Vernichtung des Warschauer Ghettos und Hitler ein Jahr später den zur Zerstörung Warschaus.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Vorher war es der deutsch-sowjetische Vertrag von 1939!)

Als bleibende Denkmäler — davon muß heute in diesem Hause gesprochen werden — ließ das nationalsozialistische Deutschland die Vernichtungslager von Auschwitz und andere Konzentrationslager in Polen zurück.
Es wäre eine für unser Volk gefährliche Selbsttäuschung, zu meinen, dies dürfe allen Betroffenen heute nur noch Historie sein. Noch lebt Kardinal Wyszyński, der 1965 in einer Ansprache vor Warschauer Studenten das Grauen dieser Jahre festgeschrieben hat, als er sagte — ich darf zitieren, Frau Präsidentin —:
Der Schock, den wir im letzten Krieg erlebten, ist sehr heilsam. Ich vergesse den schrecklichen Eindruck nie, den ich empfand, als ich noch Bischof in Lublin war. Man sagte mir, daß bei Majdanek riesige Halden der in den Krema-



Friedrich
torien verbrannten menschlichen Gebeine lägen, zwischen ihnen wüchsen Rüben und Kohl, darüber hin trampelten Tiere, und niemand wolle sich dessen annehmen. Man schrieb das Jahr 1947. Ich machte mich dorthin auf, und was sah ich? Riesige Stöße von über zehn Meter Länge, einer neben dem anderen, jeder mindestens zwei Meter hoch und an der Basis drei Meter breit. Genauso wie auf dem Feld des Ezechiel! Ich dachte damals: Ecce homo! Ecce homo! Das kann eine Welt des Unglaubens aus dem Menschen machen, wenn der Glaube verlorengeht, daß der Mensch ein Kind Gottes sei! Ich nahm mir ein kleines Knöchelchen mit nach Hause, legte es auf meinen Arbeitstisch und habe es bis zum heutigen Tag. Die Kirche bewahrt verschiedene Reliquien auf und fügt sie in die Altäre ein. Dieser Knochenrest aus Majdanek war doch eine außergewöhnliche Reliquie! Eine Erinnerung daran, was man im Unglauben mit dem Menschen machen kann!
So sprach Kardinal Wyszyński vor polnischen Studenten.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Dem stimmen wir alle zu!)

Wer genau hinsieht, wem das Wort von der Wichtigkeit der deutsch-polnischen Aussöhnung nicht als bequem-gängige Floskel über die Lippen geht, der erkennt, daß die Kluft zwischen Polen und Deutschen zumindest genauso tief ist wie zwischen Deutschen und Juden; denn in Polen war die Vernichtung des einzelnen verbunden mit der geplanten Vernichtung einer jahrhundertealten staatlichen Existenz, die nach dem Willen Hitlers nie wieder entstehen sollte. Deshalb als erste Maßnahme die planmäßige Ausrottung der polnischen Intelligenz.
Hier soll keine einseitige Rechnung eröffnet werden. Als das Pendel der Macht am Ende des zweiten Weltkrieges zurückschlug, als die Deutschen die Unterlegenen und die Polen auf der anderen Seite die Stärkeren und die Sieger waren, als Polen dann seine staatliche Einheit in neuen Grenzen auf bis dahin deutschem Boden suchte, haben Millionen Deutsche für die 177 Jahre andauernde Vergewaltigung büßen müssen: durch Tod, durch Vertreibung, durch Verlust der Heimat, durch Verlust ihres Vermögens, auch durch den Zwang, als Minderheit in einem fremden Volke leben zu müssen.
Wer angesichts dieser Wirklichkeit den Mut hat, über die deutsch-polnische Aussöhnung zu sprechen, fasse dieses Gebirge aus Gewalt und Brutalität, aus Menschenopfer und mißhandelten Menschen, aus Rassenhaß und aus Völkerhaß fest ins Auge. Dieses Gebirge abzutragen, verlangt Mut und Geduld, fordert Hoffnung und Verantwortung, zugleich am Anfang auch um Vergebung bittende Demut von der Art, wie sie Bundeskanzler Willy Brandt den Opfern des Warschauer Gettos kniend erwiesen hat.

(Beifall bei der SPD — Dr. Jenninger [CDU/ CSU] : „Sicherheitsrisiko"!)

Dieses Gebirge der bitteren Erfahrungen und der schlimmen Vorurteile ganz abzutragen, wird die Arbeit von Generationen verlangen. Das Werk der
Aussöhnung wird nur gelingen, wenn beide Völker es wollen und wenn sie beide behutsam dafür arbeiten. Das nenne ich die Aufgabe deutscher PolenPolitik.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Die Wegstrecke einer gemeinsamen Außenpolitik aller vier Parteien des Deutschen Bundestages endete mit dem Beginn der Ostpolitik des Kabinetts Brandt /Scheel. Dabei soll unbestritten bleiben, daß sich die Union im Prinzip immer für die Aussöhnung mit dem Osten erklärt hat. Dies gilt besonders für die Notwendigkeit der Aussöhnung mit Polen. So hat Bundeskanzler Konrad Adenauer bereits am 10. März 1961 erklärt:
Polen kann man, glaube ich, nicht ohne weiteres mit den anderen östlichen Staaten gleichstellen. Polen ist ein besonderer Fall, und zwar sowohl was die Polen, die polnische Bevölkerung selbst, angeht, als auch was das Verhältnis Deutschlands zu Polen angeht. Ganz allgemein ausgesprochen habe ich den Wunsch, daß das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen im Laufe der Zeit ein gutes Verhältnis wird. Ich habe weiter, namentlich aus den Schilderungen von zurückkehrenden Kriegsgefangenen, den Eindruck gewonnen, daß dieser Wunsch auch in der polnischen Bevölkerung geteilt wird. Das Verhalten der Bevölkerung gegenüber den zurückkehrenden deutschen Kriegsgefangenen war ausgezeichnet. Ich glaube, wir Deutsche sollten, ganz gleichgültig, wann das möglich sein wird, auch wenn es noch längere Zeit dauern wird, meinetwegen noch Jahre dauern wird, immer im Auge behalten, ein gutes Verhältnis zu Polen herzustellen.

(Beifall des Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU])

Diese Erklärung Konrad Adenauers liegt fast 15 Jahre zurück. Warum hat sich die CDU/CSU bei der erklärten Bereitschaft zum Prinzip der Aussöhnung mit dem Osten von der konkreten, von der tatsächlichen Aussöhnung mit Polen immer weiter entfernt? Warum stehen durch das Verhalten der Unions-Länder im Deutschen Bundesrat nach der Aussöhnung im Jahre 1970 Polen und Deutschland vor der Gefahr eines schweren Rückschlages? Ein Staat in der geographischen Lage und mit dem ökonomischen Potential der Bundesrepublik kann sich in seiner Außenpolitik nicht entgegen den Realitäten der Weltpolitik orientieren.

(Abg. Jäger [Wangen] [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0720200400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bruno Friedrich (SPD):
Rede ID: ID0720200500
Nein.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0720200600
Keine Zwischenfrage.

Bruno Friedrich (SPD):
Rede ID: ID0720200700
Ein Land in der Lage der Bundesrepublik, das durch sein Bündnis mit dem Westen seine Sicherheit und Souveränität — besonders die



Friedrich
Berlins — behauptet, kann sich dem allgemeinen Entspannungsbedürfnis seiner eigenen Hauptverbündeten nicht entgegenstellen, ohne sich dabei international total zu isolieren.
Die totale Isolation der Union, sichtbar am alleinigen Nein der Union in Europa zu den Ergebnissen der KSZE — hätte nicht nur verhängnisvolle Folgen für die Bundesrepublik, wäre die Union Regierungspartei. Sie läßt uns zugleich ein großes Fragezeichen hinter die Feststellung der Union setzen, sie wolle die Aussöhnung mit Polen im Prinzip.

(Zuruf von der CDU/CSU: Unverschämt!)

Denn ein Prinzip, das gegen alle Wirklichkeiten der tatsächlichen Welt aufrechterhalten wird, taugt nicht als Prinzip zum Handeln, sondern wird zur Lebenslüge. Die Regierungsparteien des Bundestages müssen es aber ablehnen, die Lebenslüge der Union zur Lebenslüge der Nation zu erheben.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Unverschämtheit!)

Das Deutsche Reich war einst die Hegemonialmacht Mitteleuropas und wollte die Hegemonial-macht ganz Europas und damit große Weltmacht werden.

(Seiters [CDU/CSU]: Er redet wie Brandt! — Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Mit Polen wollen Sie Frieden, und hier säen Sie Haß!)

Im Scheitern dieses Weges und der damit verbundenen Katastrophe liegt die Unmöglichkeit begründet, gegenüber der Sowjetunion, gegenüber Polen, gegenüber der CSSR die Ergebnisse des zweiten Weltkrieges mit Gewalt zu korrigieren.
Die Einsicht in die Notwendigkeit des Gewaltverzichts, die Einsicht in die tatsächlichen Grenzpositionen Polens nach dem zweiten Weltkrieg ist nicht eine taktische Frage der Politik, sondern sie ist eine prinzipielle Frage der Aussöhnung. Sie ist aber auch eine Existenzfrage für die Bundesrepublik Deutschland, denn wir würden im Entspannungsprozeß von unseren eigenen Verbündeten verlassen, wollten wir Grenzänderungen im Osten zur Vorbedingung der Aussöhnung erheben.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Wer will denn das?!)

Wenn es eine historische Chance für den Neubeginn zwischen dem polnischen und dem deutschen Volk gibt, dann deshalb, weil Deutschland heute nicht mehr Hegemonialmacht ist, Polen nicht mehr der Pufferstaat zwischen Deutschland und der anderen Hegemonialmacht im Osten ist, sondern weil die Bundesrepublik und Polen nach dem zweiten Weltkrieg in einer neuen Konstellation verbunden sind. Polen ist in der Entspannungspolitik in Europa die mitteleuropäische Macht des Ostens, so wie die Bundesrepublik die mitteleuropäische Macht des Westens als Brücke zum Osten ist.
Die Bemühungen um Frieden in Europa, die nicht enden dürfen, stehen auf dem Fundament der Ostverträge zwischen 1970 und 1973. Ohne dieses Fundament der Ostverträge gibt es in Europa keine Hinwendung zu dauernden friedlichen Beziehungen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

So sieht es inzwischen die ganze Welt. Solange die Union nicht bereit ist, auf diesem Fundament der Ostverträge mitzuarbeiten, solange sie statt dessen den Willen hat, dieses Fundament der Ostverträge mit Hilfe des Bundesrates zu zerstören, so lange wird es keine gemeinsame deutsche Außenpolitik aller Parteien im Deutschen Bundestag geben.

(Beifall bei der SPD — Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Das ist doch eine falsche Behauptung! — Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Sie säen Haß!)

Die Vereinbarungen von Warschau vom 9. Oktober dieses Jahres sind der beiderseitige Versuch, die 1970 begonnene Aussöhnung fortzusetzen, so wie die Reaktion der Union dazu die Fortsetzung der Ablehnung der Ostverträge ist.
Wir wollen nicht verschweigen oder beschönigen — dies hat auch der Außenminister nicht getan —, daß der 1970 begonnene Versuch der Aussöhnung sich in der Durchführung als ein sehr schwieriger Weg erweisen sollte. Dies ist nie bestritten worden. Was sich inzwischen überdeutlich bestätigt hat, ist, daß der Alles-oder-nichts-Standpunkt mit Sicherheit ins Nichts, d. h. in die Isolation führen muß. Die staatsmännische Einsicht in die Wirklichkeit unserer Beziehungen

(Leicht [CDU/CSU] : ... haben Sie sicher nicht!)

besteht im Mut beider Seiten, die Notwendigkeit des Kompromisses zu bejahen.

(Seiters [CDU/CSU] : Staatsmann Friedrich!)

Wir begrüßen deshalb die Haltung der Bundesregierung Schmidt /Genscher, und wir achten die Bereitschaft des polnischen Parteiführers Gierek und der Regierung Jaroszewicz, daß sie — beide Regierungen — gemeinsam den Mut haben, die Notwendigkeit eines Kompromisses vor ihren Bürgern zu vertreten, weil das Werk der Aussöhnung ohne diesen Kompromiß nicht fortgesetzt werden könnte.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Deshalb bejaht meine Fraktion die Vereinbarungen von Helsinki und Warschau, und deshalb danken wir Bundeskanzler Helmut Schmidt und dem Bundesminister des Auswärtigen, Hans-Dietrich Genscher, für die konsequente Fortsetzung der Ostpolitik der Regierung Brandt /Scheel.

(Beifall bei der SPD und FDP)

Wir halten diese Vereinbarungen für einen guten Kompromiß, vor allem aber für etwas völlig anderes als das, was eine von nationaler Verantwortung sich lösende CDU/CSU in der Diskussion aus diesen Vereinbarungen gemacht hat.

(Erneuter Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

Wir bekennen uns zu diesen Vereinbarungen, wir
bekennen uns dazu aus Gründen der nationalen Ver-



Friedrich
antwortung, wegen der Notwendigkeit der Wahrung unserer wirtschaftlichen Interessen

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

und aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit, und wir bekennen uns dazu aus dem Bewußtsein unserer humanitären Verpflichtung gegenüber 125 000 Deutschen.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Fortgesetzte Zurufe von der CDU/CSU)

Aus Gründen der nationalen Verantwortung bekennen wir uns zu den Vereinbarungen, weil die Fortsetzung der Friedenspolitik wichtig ist für unser Land, für Europa und für die Welt. Wir vertreten den Wirtschaftskredit von 1 Milliarde DM für Polen als notwendige Wahrung unserer wirtschaftlichen Interessen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Der Bundesaußenminister hat bereits darauf hingewiesen, daß sich der deutsche Außenhandel mit Polen seit 1970 außergewöhnlich günstig entwickelt hat. 1970 betrug unsere Ausfuhr nach Polen 660 Millionen DM, 1974 beträgt sie 3 610 Millionen DM, d. h. sie hat sich fast versechsfacht. Der deutsche Exportüberschuß betrug 1974 2 190 Millionen DM. Hier werden Tausende von Arbeitskräften gesichert!

(Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen bei der CDU/CSU)

Die Bundesrepublik Deutschland ist mit Abstand Polens wichtiger Handelspartner im Westen und steht nach der Sowjetunion an der zweiten Stelle aller Lieferländer.
Frankreich hat 1974 — man soll sich dies einmal genau ansehen — nur für 1,8 Milliarden DM nach Polen exportiert, aber es hat Polen in den letzten drei Jahren einen zinsverbilligten Kredit in Höhe von 4,5 Milliarden Francs und hat für die nächsten drei Jahre weitere sieben Milliarden Francs als zinsverbilligten Kredit gewährt.

(Dr. Althammer [CDU/CSU] : Wie hoch war denn der Zinssatz? — Dr. Jenninger [CDU/ CSU] : Zu welchem Zinssatz?)

Wer — wie die Union -- unseren Kredit für Polen verweigern will, der will sich freiwillig vom Platz des bedeutendsten Handelspartners Polens zurückziehen und Arbeitsplätze für die deutschen Arbeitnehmer aufgeben.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Die Koalition wird die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Polen fortsetzen, weil diese beiden Staaten Nutzen bringt.

(Seiters [CDU/CSU] : Eine fürchterliche Rede! Unter Niveau! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Wir begrüßen das Rentenabkommen, denn die soziale Gerechtigkeit verlangt diesen Kompromiß. Meine Fraktion wird das Rentenabkommen im Verlauf dieser Debatte sehr gründlich behandeln. Um die Beantwortung einer Frage wird die Opposition dabei nicht herumkommen. Italiener, Griechen, Jugoslawen, Spanier, Türken können zu Recht Rentenansprüche geltend machen, wenn sie entsprechende Leistungen für die deutsche Rentenversicherung erbracht haben.

(Dr. Althammer [CDU/CSU]: Als Person!)

Warum sollen eigentlich die Deutschen und die Polen, die vor 1945 an die reichsdeutsche Rentenversicherung Beiträge geleistet haben, als einzige von diesem Anspruch ausgenommen werden?

(Beifall bei der SPD und der FDP — Franke [Osnabrück] [CDU/CSU] : Wenn sie etwas bekämen! — Dr. Althammer [CDU/CSU] : Die kriegen ja nichts! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Wer diese Problematik mit dem Wort „Menschenhandel" verknüpft,

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

wie Sie das nun wochenlang getan haben, vergiftet die Atmosphäre, die wir brauchen, um das Problem der Familienzusammenführung zu lösen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Polen weist das Wort vom Menschenhandel als diskriminierende Unterstellung mit dem Hinweis zurück,

(Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Das glaube ich!)

daß zwischen 1950 und 1970, in zwanzig Jahren, 420 000 Deutsche ausgereist sind, ohne daß finanzielle Forderungen gestellt worden wären.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Das war unter CDU-Regierungen!)

Seit Abschluß des Warschauer Vertrages sind 54 000 Deutsche in die Bundesrepublik gekommen.

(Dr. Althammer [CDU/CSU] : Warum also dafür bezahlen?)

Weitere 125 000 sollen in den kommenden vier Jahren ausreisen. Die Bundesrepublik wird sich bemühen, diesen 125 000 Menschen auch angesichts einer schwierigen Arbeitsmarktlage im eigenen Land die Sicherheit der Existenz zu garantieren. Wenn wir die mit Polen im Protokoll vereinbarte Zahl akzeptieren, dann nicht deswegen, weil wir die Wahl zwischen 280 000 und 125 000 hätten, sondern weil es um die Frage ging: 125 000 ausreisende Deutsche oder überhaupt keine Lösung.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Wie ist es denn mit der KSZE in Helsinki, Herr Friedrich?)

Mit diesem Protokoll werden nicht die Zahlen des Deutschen Roten Kreuzes — dem wir für seine mühevolle Arbeit ausdrücklich danken — in Frage gestellt.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Korb 3! Helsinki!)

Wir hoffen, daß nach der Ausreise auch jene, die dann auf der Grundlage der Vereinbarungen der KSZE die Familienzusammenführung beantragen werden, dies nicht vergebens tun werden. Wir werden uns darum bemühen. Die im Protokoll gefundene Lösung sollte an die Stelle der Emotionen den



Friedrich
Willen treten lassen, den aus Polen Kommenden die Eingliederung zu ermöglichen.
Wenn im Rahmen der getroffenen Vereinbarungen die polnische Regierung die Möglichkeit sieht, den polnischen KZ-Opfern angesichts der Entlastung des polnischen Sozialetats die Rente zu erhöhen — ohne die von uns ausgesprochene Anerkennnung von Schadenersatzansprüchen und nicht in dem erhofften Umfang —, so wird deutlich, wie schwierig es beiden Seiten war, diesen Kompromiß zu erreichen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bittet die Bevölkerung der Bundesrepublik, die Notwendigkeit dieses Kompromisses zu bejahen und ihn mitzutragen.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Bei so schwachen Argumenten wird diese Bitte wohl vergeblich sein!)

Wir danken all denen in unserem Volk, die Aussöhnung nicht als ein abstraktes Prinzip, sondern als ein
verpflichtendes Handeln begreifen und auch vollziehen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Gerade in diesen Tagen ist nachlesenswert, was
Juni 1974 Klaus von Bismarck, Intendant des Westdeutschen Rundfunks, aus Anlaß einer polnischen Woche in Bremen erklärt hat. Er hat hervorgehoben, daß — Zitat —

(Beifall bei der SPD und der FDP — Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Das heißt doch nicht mehr „Vertreibung", das heißt jetzt „Bevölkerungsverschiebung"!)

Diese Bremer Rede Klaus von Bismarcks ist ein großes Dokument der Aussöhnung.
Das bedeutendste aber bleibt wohl die evangelische Denkschrift über die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn aus dem Jahre 1965. Sie hat vielen Menschen das Tor zur Versöhnung geöffnet — nicht als bequeme Tröstung. Wir spüren dies, wenn in diesem Monat der Vizepräsident der EKD, Erwin Wilkens, in einer polnischen Zeitung sagt — ich darf zitieren —:
Viele der Gläubigen in der Bundesrepublik Deutschland fragen ihre Priester: „Erwartet die Kirche von uns, daß wir unsere Heimat aufgeben?"
Und er sagte dann:
Diese Frage hat die Kirche immer mit Ja beantwortet.
Auch jetzt hat der Vorsitzende der EKD sich zur Nowendigkeit der Aussöhnung bekannt.
Im katholischen Raum hat der Bensberger Kreis mit seinen Memoranden, an deren Abfassung auch
Vertriebene beteiligt sind, zwischen 1968 und heute für die Aussöhnung mit Polen gewirkt — wie viele andere einzelne in den Bistümern, die über das Bekenntnis zum Prinzip der Aussöhnung hinaus der schwierigen täglichen Arbeit der tatsächlichen Aussöhnung nie ausgewichen sind.
Zitieren möchte ich für alle aus dem Bereich der katholischen Kirche aus einer Erklärung katholischer polnischer Geistlicher vom 29. April dieses Jahres:
Wir, die hier im Sanctuarium der Sankt Josefs-Kirche in Kalisch am 30. Jahrestag der Befreiung des ältesten nazistischen Konzentrationslagers, Dachau, in dem eine riesige Schar polnischer Geistlicher inhaftiert, jeder Dritte zu Tode Gefolterte ein Pole war und jeder zweite polnische Priester ums Leben gekommen ist, Versammelten entbieten den ehemaligen Häftlingen der nazistischen Vernichtungslager in allen Ländern brüderliche Grüße und appellieren in diesem Jubiläumsjahr der Erneuerung und Versöhnung an sie, sich unablässig für die aufrichtige Versöhnung zwischen allen Menschen und allen Völkern einzusetzen.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Warum erwähnen Sie nicht die Korrespondenz zwischen den deutschen und den polnischen Bischöfen?!)

— Das können ja Sie tun, Herr Mertes. Ihnen ist es doch nicht verwehrt, hier auch zu zitieren.
Der Übergang vom grundsätzlich bejahten Prinzip der Aussöhnung zu der Aufforderung dieser in das Konzentrationslager verschleppten polnischen Priester, sich, wie sie sagen, für die Aussöhnung einzusetzen, markiert letzten Endes die gemiedene oder die überschrittene Wegmarke der politischen und auch der moralischen Glaubwürdigkeit.
Deshalb nur einige wenige Sätze zur Haltung der CDU/CSU.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Jetzt kommt wieder die Haßtirade!)

— Sie sprechen von Haß. Ich werde dazu gleich zitieren. — Es gibt eine breite, in ihren äußeren Positionen weit auseinanderliegende Skala von Positionen der CDU/CSU-Fraktion. An dem einen Ende, dort, wo die schrillen Töne liegen, ist der Abgeordnete Reddemann, der den ersten Mann des Landes, in dem Millionen Menschen wie Ungeziefer vergast worden sind, Edward Gierek, mit Hitler und seinem Lastwagengeschäft — dem Geschäft mit den Lastwagen und den Juden — verglichen hat.

(Wehner [SPD] : Hört! Hört!)

Wir müssen es angesichts der noch vorhandenen Öfen in Ausschwitz ablehnen, mit dem CDU-Geschäftsführer Reddemann über diesen Vorwurf auch nur zu diskutieren.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Mir selbst bleibt nur die Feststellung, daß ich mich als Mitglied des Deutschen Bundestages des CDU- Abgeordneten Reddemann schäme.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)




Friedrich
Auf der entgegengesetzten Seite der Union haben wir die Abgeordneten, die zustimmen wollen: die Abgeordneten Barzel, Katzer, Blüm, Becker, Vogt, Mikat, Müller, Schröder, von Weizsäcker, Kiep und — von der CSU — Schulze-Vorberg. Was immer ihre Motive sein mögen, es ist gut, daß zumindest diesmal für die Vereinbarungen mit Polen auch einige Abgeordnete der CDU/CSU stimmen wollen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Das politische Gewicht ihrer Namen ist größer als ihre Zahl, auch wenn im Parlament letzten Endes die Zahl entscheidet.
Bezüglich derjenigen, die ablehnen, sollen drei Positionen hervorgehoben werden, zuerst diejenigen, die sich die Sprecher der Vertriebenen nennen.

(Seiters [CDU/CSU]: Tolle Analyse!)

Sie nehmen in Kauf, daß beim Scheitern der Vereinbarungen auf dem Ratifizierungsweg 125 000 Deutsche zunächst für lange Zeit die Hoffnung auf Ausreise begraben müssen.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Das ist eine böswillige Unterstellung!)

Diese Haltung, eingenommen von denen, die sich als Vertreter derer erklären, die dadurch in Polen festgehalten würden, ist schon schwer zu erklären; zu begreifen ist sie nicht.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Haßtiraden!)

Die Absurdität, die Verhärtung, die Versteinerung ihres Denkens kann man am ehesten an einem alttestamentarischen Beispiel verdeutlichen: Auf das Drängen des Moses will der Herr um 50 Gerechter willen der Stadt Sodom vergeben. Und dann bohrt, feilscht Moses, wendet diese Zahl: Wenn es fünf weniger wären oder vierzig, dreißig, zwanzig, schließlich zehn. Der Herr antwortete: Ich will sie nicht verderben um der zehne willen. — Doch die Vertriebenensprecher Czaja, Becher, Hupka sind um ihrer versteinerten Selbstgerechtigkeit willen bereit, 125 000 ihrer Landsleute, die aus Polen zu ihren Familien wollen, abzuschreiben und aufzugeben.

(Beifall bei der SPD — Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Bösartige Verleumdung! Bösartigster Stil! — Weitere anhaltende Zurufe von der CDU/CSU: Haßtiraden!)

Diese Haltung bedarf keiner weiteren Bewertung. Eine große Zahl von CDU/CSU-Abgeordneten lehnt die Vereinbarung mit Polen ab, weil der —(Seiters [CDU/CSU] : Die Haßstrategie von
Brandt! — Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Sie
wollen nur Haß säen, Haß säen, Haß säen,
nichts anderes! — Weitere Zurufe von der
CDU/CSU: Haßtiraden! — Abtreten! —
Glocke des Präsidenten)

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0720200800
Fahren Sie in Ihrer Rede fort.

(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)


Bruno Friedrich (SPD):
Rede ID: ID0720200900
Eine große Zahl von CDU/CSU- Abgeordneten lehnt die Vereinbarung mit Polen ab, weil der CSU-Vorsitzende Strauß sie ablehnt.

(Seiters [CDU/CSU]: Giftspritzer! — Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Nur Haß säen Sie!)

Strauß, der, wenn er nur will, in die verschiedensten Richtungen entscheiden kann, bringt nationalistische Polemik; Gründe nennt er nicht.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Wer polemisiert denn hier?)

Das hat seine Ursache in der geistigen Position des
von Strauß vertretenen konservativen Nihilismus.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Wer genau hinsieht, erkennt, daß das einzig Schöpferische des Abgeordneten Strauß in seinem politischen Leben die ständige Erneuerung der Verneinung ist. Deshalb gibt es in diesem Parlament zwei Gruppen: entweder ist man ein Strauß-Gegner oder sein Mitläufer.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Schwätzer! — Dr. Hupka [CDU/CSU]: Zur Sache! — Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Dummes Geschwätz! — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/ CSU] : Das ist doch unter Niveau!)

Damit komme ich zur dritten Position. Der CDU-Vorsitzende Kohl — —

(Fortgesetzte Zurufe von der CDU/CSU)

— Sie verzögern mit Ihren Zwischenrufen nur die Rede Ihres Parteivorsitzenden Kohl. Ich habe genügend Zeit zu warten, bis Sie ihn hier zu Wort kommen lassen. Ich habe genügend Zeit.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Sie haben doch kein Recht, von Versöhnung zu reden! — Dr. Zimmermann [CDU/CSU] : Sie können nicht einmal einen halben Satz frei sprechen!)

Deshalb zwei Feststellungen zum CDU-Vorsitzenden Kohl. Helmut Kohl hat, als es darauf ankam, eine ethische, eine moralische, eine christliche Haltung gegen eine unbequeme Strömung durch Mut zum Handeln zu beweisen, die ethische Position des christlichen Politikers der taktischen Machtfindung in seiner eigenen Partei geopfert.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Wenn Sie Haß säen, reden Sie von Ethik! — Seiters [CDU/CSU]: Widerwärtige Heuchelei! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Die zweite Feststellung. Der Kanzlerkandidat Kohl ist bereit, entgegen dem Votum der in der Bundesrepublik angesehensten CDU-Außenpolitiker den Bundesrat zu mißbrauchen, indem er ein zustimmungsbedürftiges Rentengesetz als Mittel benutzt, die internationalen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland durch Entscheidung der CDU/ CSU-Länder in ein außenpolitisches Trümmerfeld zu verwandeln.

(Beifall bei der SPD und der FDP)




Friedrich
Schließlich noch eine abschließende Feststellung. Es wird bei der Beratung dieser Vereinbarungen in den Ausschüssen weit mehr gefordert als politische Alltagsarbeit. Nirgendwo in einem Buch menschlicher Geschichte vor 1945 finden wir aufgezeichnet, was im Raum zwischen Brest und Breslau von 1939 bis 1945 geschehen ist. Wenn es dennoch möglich sein soll, danach vom Werk der Aussöhnung zwischen Polen und Deutschen zu sprechen, dann nur, weil die Barbarei schon immer eine Herausforderung des Willens zur Menschlichkeit war. Damit Versöhnung

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Reden Sie doch nicht von Versöhnung, wenn Sie nur Haß säen! Das ist die schlimmste Heuchelei, die es gibt!)

als Wirklichkeit möglich ist, sind auch diese Vereinbarungen notwendig. Die Fraktion der SPD wird ihnen zustimmen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0720201000
Das Wort hat der Herr Ministerpräsident Dr. Kohl.

(Wehner [SPD] : Sehr komisch! Sehr komisch! — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/ CSU] : Was ist hier komisch? — Weiterer Gegenruf von der CDU/CSU: Sie sind komisch, Herr Wehner!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0720201100
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen — —

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Wir sind doch nicht in der Volkskammer! — Weitere Zurufe)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Abgeordneter Wehner, was Sie komisch finden oder nicht, ist Ihre Sache. Ich stehe hier aus eigenem Recht und spreche für meine Freunde in der CDU/CSU Deutschlands.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

Gott sei Dank ist es in dieser Republik noch nicht so weit, daß Sie darüber bestimmen, wer hier spricht oder nicht!

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Sportpalast! — Weitere Zurufe von der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0720201200
Herr Ministerpräsident, nur eine Bemerkung: Sie sind natürlich als Mitglied des Bundesrates hier; Sie sprechen selbstverständlich auch für Ihre Freunde von der CDU/CSU. Das ist klar.

(Beifall bei der SPD)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0720201300
Verehrte Frau Präsidentin, auch als Mitglied des Bundesrates habe ich hier nicht hinzunehmen, daß, wenn ich ans Pult gehe, das mit dem Ausdruck „Sportpalast" bezeichnet wird.

(Erneuter lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU — Zurufe von der CDU/CSU: Aber das wird nicht gerügt! — Wo bleibt der Ordnungsruf? — Volkskammer! — Zurufe von der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann nur sagen: Wenn wir hier über Versöhnung im Außenverhältnis der Bundesrepublik Deutschland sprechen und im Innenverhältnis untereinander Begriffe wie „Sportpalast" und „totaler Krieg" gebrauchen, dann ist das die Sprache ,des Untermenschen und nicht des deutschen Parlaments.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Des Unmenschen, nicht des Untermenschen! -Zurufe von der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Herr Bundesaußenminister hat aus gutem Grund in seinen Schlußworten hier einen leidenschaftlichen Appell zur Versöhnung mit allen unseren Nachbarvölkern ergehen lassen. Er hat darüber gesprochen — und ich stimme dem zu —, ,daß wir die Last der deutschen Geschichte, das, was im deutschen Namen geschehen ist, auch wenn es der einzelne von uns persönlich nicht zu verantworten hat, aus der Kontinuität der deutschen Geschichte heraus zu vertreten haben. Er hat gesagt, es sei wichtig, daß wir aus dieser gemeinsamen Verantwortung heraus handeln.
Aber, meine Damen und Herren, wer über die Werke des Friedens spricht, wer über Versöhnung spricht, der darf Versöhnung nicht nur dann in die Diskussion einbeziehen, wenn es um die Versöhnung nach außen geht; denn Versöhnung unter den Völkern ist nur möglich, wenn die Völker auch im Verhältnis untereinander die einzelnen Gruppen und die einzelnen Meinungen gemäß dem Wesen der politischen Kultur unserer freiheitlichen Demokratie zu Wort kommen lassen. Das, Herr Abgeordneter Friedrich, was Sie hier eben gesagt haben, war nicht eine politische Auseinandersetzung,

(Leicht [CDU/CSU] : Eine Haßtirade!)

sondern das war der Versuch, Haß in dieses Volk hineinzutragen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer gibt Ihnen eigentlich das Recht, angesichts der Geschichte dieser Bundesrepublik seit 1949 einen einzelnen, eine Gruppe oder eine Partei, die anders denken als Sie, pauschal des Entzugs der politischen und nationalen Verantwortung zu bezichtigen?

(Zurufe von der SPD)

Wir haben in diesem Lande in 20 wichtigen Jahren die Hauptverantwortung für diese unsere Bundesrepublik getragen, und niemand hat das Recht, den Patriotismus unserer Gesinnung zu bestreiten, auch Sie nicht, Herr Abgeordneter Friedrich!

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Leicht [CDU/CSU])




Ministerpräsident Dr. Kohl
Es ist Ihre Sache, wenn Sie nun auf allen Ebenen der Politik Selbstgerechtigkeit und Hybris des Anspruchs als Mittel der Politik einführen. Nur, meine Damen und Herren, wir werden nicht hinnehmen, was heute früh auch von dieser Stelle aus geschah, daß einzelne Mitglieder des Parlaments, ganze Gruppen oder Führer von Gruppen pauschal verdächtigt werden und ins Abseits gestellt werden sollen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Herr Abgeordneter Friedrich, ich habe noch gut in Erinnerung, welche Äußerungen führende Vertreter der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vor den letzten Bundestagswahlen gegenüber jenen Führern der Vertriebenenverbände hinsichtlich ihrer Arbeit gemacht haben, die Sie hier soeben in einer solchen Form zu charakterisieren beliebten.

(Zuruf von der SPD: Da hat er recht gehabt!)

Ich war vor wenigen Wochen dabei, als der Herr Bundesinnenminister — ich kann nur Wort für Wort unterstützen, was er damals gesagt hat — bei der 25jährigen Wiederkehrfeier der Charta der Vertriebenenverbände in Stuttgart die Leistung der Vertriebenen und auch der Führer der Vertriebenenverbände gewürdigt hat. Die gleichen Männer diffamieren Sie hier in einer gänzlich unerträglichen Weise.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Wolfram [Recklinghausen] [SPD])

Ich rate Ihnen, Herr Abgeordneter Friedrich, Sie sollten weniger die Heilige Schrift — ob das Alte Testament oder das Neue Testament — im Munde führen, sondern darüber nachdenken, welche Bemerkungen Sie hier in diesem Zusammenhang gemacht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer sind Sie eigentlich, Herr Abgeordneter Friedrich,

(Zuruf von der SPD: Wer sind Sie denn!)

daß Sie den Kollegen Strauß oder auch mich hier öffentlich auf unsere moralisch-ethische Position ansprechen!

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Ehrenberg [SPD] : Sind Sie sakrosankt oder wie? — Weitere Zurufe von der SPD)

Woher nehmen Sie eigentlich das Recht, woher nehmen Sie die Kompetenz und woher nehmen Sie die Legitimation,

(Seiters [CDU/CSU] : Von Brandt!)

gegenüber einem Manne wie Franz Josef Strauß die Behauptung eines — —

(Anhaltende Zurufe von der SPD)

— Meine Damen und Herren, das weiß ich: Wenn die Argumente nicht mehr ausreichen, dann schreien Sie. Das ist dann Ihr Beitrag.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Herr Abgeordneter Friedrich, ich muß Sie fragen,
ernsthaft fragen — ich will Ihnen dabei nicht zu
nahe treten —, ob Sie wirklich wissen, was Sie sagen, wenn Sie einem Mitglied dieses Hauses, einem Mann, der seinen Beitrag, wie immer Sie ihn beurteilen mögen, zur deutschen Politik geleistet hat, hier ganz primitiv konservativen Nihilismus unterstellen.

(Zurufe von der SPD)

Ich fürchte, Sie wissen gar nicht,

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Er ist zu dumm dazu!)

wovon Sie reden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, es muß leider befürchtet werden, daß auch der Auftritt des Herrn Abgeordneten Friedrich hier in dieser letzten Stunde nur noch sehr wenig mit der sogenannten Polen-Debatte zu tun hat,

(Leicht [CDU/CSU] : Fortsetzung von Mannheim!)

sondern daß er vielmehr ein Stück der geplanten Strategie der Verteufelung und der Diffamierung in der Bundesrepublik Deutschland ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren von der SPD, Sie sind mit Ihrem Latein in der Politik am Ende.

(Beifall bei der CDU/CSU — Lachen und Zurufe von der SPD)

Statt Argumenten liefern Sie nur noch Verteufelung und Beschimpfung.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Liefern Sie doch welche!)

Meine Damen und Herren, Sie sollten auch zurückhaltend sein, sich auf die jüngste deutsche Geschichte, auf das Ende der Weimarer Republik zu beziehen, wenn Sie genau den gleichen Fehler jener Jahre wiederholen: statt politische Gegnerschaft politische Feindschaft und Haß in dieses Land zu tragen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Das ist der Geist Ihres Mannheimer Parteitags, der hier aus dem Abgeordneten Friedrich sprach.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Denn, meine Damen und Herren — und das müssen unsere Mitbürger wissen —, zehn Monate vor der Bundestagswahl sind Sie nicht ausgezogen, über Politik zu reden und zu diskutieren und um den besten Weg der deutschen Politik zu ringen. Statt dessen versuchen Sie, pauschal die 50 % der Bürger, die nicht so denken wie Sie, zu diffamieren und abzuschreiben.

(Beifall bei der CDU)

Und, Herr Abgeordneter Brandt, ich will es in aller Ruhe sagen: — —

(Zuruf von der SPD: Wann sprechen Sie endlich für den Bundesrat?)




Ministerpräsident Dr. Kohl
— Ich spreche so, wie ich es hier für richtig halte. Denn noch haben wir nicht Ihre Zensur — ich sage es Ihnen noch einmal — in diesem Lande.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Herr Abgeordneter Brandt, ich will das, was ich zu Ihrer Äußerung zu sagen habe, in aller Ruhe sagen, und ich will auch nicht auf die Interpretationsversuche der letzten Tage eingehen, mit denen Sie versucht haben, statt männlich zu dem zu stehen, was Sie gesagt haben, jetzt die Dinge umzufunktionieren.

(Zurufe von der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Ich kann nur sagen, Herr Abgeordneter Brandt: Wer in dieser konkreten Lage unseres Volkes und angesichts der Probleme im Inneren und Äußeren in diesem Jahr — und das ist ja nicht das erste Mal — damit beginnt, daß er das Recht des Wählers auf eine freie Entscheidung durch den Faktor Angst einzuschränken versucht, indem er sagt, für den Fall eines Regierungswechsels drohten soziale Unruhen, wer dann fortfährt — und das war einer Ihrer Freunde — und davon spricht, daß das Land im Fall einer Regierungsübernahme durch die CDU/CSU unregierbar sei, und wer jetzt als letztes in diesem Monat sagt, daß die CDU/CSU — so war es zu verstehen, und so wollten Sie es draußen auch verstanden haben — ein Sicherheitsrisiko für die Zukunft dieses Landes ist,

(Beifall eines SPD-Abgeordneten)

— wer dann noch dazu klatscht, verräterisch klatscht wie jener Kollege aus Ihrer Fraktion, der, meine Damen und Herren, zerschneidet das Handtuch der Gemeinsamkeit unter deutschen Demokraten.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Abgeordneter Brandt, ich kann Ihnen nur sagen: Wer sich wie Sie gern im Ausland als ein Mann des Friedens darstellen läßt,

(Zuruf von der SPD: Unverschämt!)

der hätte zunächst die Pflicht, dem Frieden im Inneren unseres Landes zu dienen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Und wer jene Entwicklung genommen hat wie Sie —

(Lachen des Abg. Wehner)

— Herr Abgeordneter Wehner, Sie können dazu gut lachen. Ihre Äußerungen über Willy Brandt liegen ja gedruckt jedermann vor, das, was Sie wirklich meinen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Wo bleiben die roten Rosen?)

Herr Abgeordneter Brandt, auch das will ich nur ganz knapp sagen: Jeder, der es gut mit Ihnen meint und der es gut mit der Sozialdemokratie meint, der sollte Ihnen den Rat geben, daß Sie das Wort „Sicherheitsrisiko" als allerletzter in diesem Lande in den Mund nehmen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren von der SPD, Sie mögen das alles so halten, wie Sie wollen. Nur, Sie werden niemanden in diesem Lande daran hindern, kritisch zu sehen, auf welch einen Weg Sie sich jetzt aufgemacht haben.
Herr Abgeordneter Brandt, Sie haben in Mannheim einen Satz gesprochen, der verräterischer ist als alles andere, was man kommentierend dazu sagen kann. Sie haben — ich zitiere — gesagt:
Wir, die SPD, leben in einem unkündbaren Verhältnis mit der Vernunft der Bürger.

(Lachen bei der CDU/CSU — Beifall bei Abgeordneten der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Schmarren! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Wer so denkt und wer so formuliert, der hat sich aufgemacht, dem Pluralismus unserer Bundesrepublik eine andere Qualität zu geben.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] und Dr. Jenninger [CDU/CSU] : So ist es! — Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, ich kann nur die Kollegen aus der FDP fragen, wo da eigentlich noch Platz für einen weiteren Partner bei dieser Entwicklung für die Zukunft sein soll.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD — Dr. Ehrenberg [SPD] : Nicht nur Wahlreden, auch noch Koalitionsangebote!)

Meine Damen und Herren, nun zum eigentlichen Thema.

(Lachen und Zurufe bei der SPD)

— Ich weiß, meine Damen und Herren, daß Sie groß sind in der Verleumdung anderer, aber sehr schwach im Entgegennehmen einer ganz natürlichen Reaktion auf diese Ihre Verteufelungspolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wer die Rede des Herrn Bundesaußenministers heute früh, auch die im Bundesrat, aufmerksam gehört oder gelesen hat, der hat einen weiteren Beweis dafür erhalten, daß die vorliegende deutsch-polnische Vereinbarung ein beredtes Dokument der verfehlten Ostpolitik der Bundesregierung seit 1970 ist.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Den Beweis für diese Tendenz kann niemand besser antreten als die Bundesregierung selbst. Allzusehr gleichen sich die Argumente für die Vereinbarung von heute und die vom Dezember 1970, als der Vertrag von Warschau unterzeichnet wurde. Wieder einmal heißt es, Herr Bundesaußenminister, daß die Verhandlungsergebnisse dem Ziel dienen, die deutsch-polnischen Beziehungen von Belastungen aus der Vergangenheit zu befreien. Am 7. Dezember 1970 hatte der damalige Bundeskanzler Brandt über alle Rundfunk- und Fernsehstationen der Bundesrepublik dem deutschen Volk erklärt: Der Vertrag von Warschau soll einen Schlußstrich setzen unter Leiden und Opfer einer bösen Vergangenheit. Er fuhr dann fort, daß dieser Vertrag „den Weg dafür öffnen soll, daß getrennte Familien wieder zusammen-



Ministerpräsident Dr. Kohl
finden können. Und daß Grenzen weniger trennen als bisher."
Meine Damen und Herren, Millionen unserer Mitbürger haben doch die Diskussion um den Vertrag von Warschau, auch die tiefen geschichtlichen Einschnitte, die dieser Vertrag bedeutet, so verstanden, wie es der damalige Bundeskanzler selbst formuliert hat: als einen Schlußstrich. Wenn deutsche Sprache noch deutsche Sprache ist, ist doch „Schlußstrich" der Begriff für etwas Abschließendes im Vorgang des Lebens eines Volkes.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit keinem Wort wurden damals zahlenmäßige Beschränkungen erwähnt.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : So ist es!)

Im Gegenteil, die Bundesregierung sprach von der polnischen Versicherung, daß die auf Grund der derzeit den polnischen Behörden vorliegenden Unterlagen genannten Ziffern keine obere Begrenzung der Umsiedlungsmöglichkeiten bedeuten sollen.

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Sehr wahr! — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Genauso war es!)

Meine Damen und Herren, das sind doch keine Erfindungen von uns, das sind Ihre eigenen Äußerungen,

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Vor dem Bundestag!)

die Sie jetzt fünf Jahre danach einfach nicht wahrhaben wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Ergebnis waren 58 000 Deutsche, die seit 1970 Polen verlassen durften. Die polnische Regierung hat dann wiederholt erklärt, daß sie damit ihre Zusage im Rahmen der „Information" voll erfüllt habe. Heute, meine Damen und Herren, nach vier Jahren, liegt ein neues Abkommen vor, das 125 000 Deutschen die Umsiedlung ermöglichen soll. Aber auch dieses Abkommen — das muß deutlich ausgesprochen werden — enthält keine endgültige Regelung. Erneut muß die Bundesregierung erklären, daß sie „es lieber gesehen hätte, wenn sie mit dem Ausreiseprotokoll" — ich zitiere Sie gerade, Herr Kollege Genscher — „eine endgültige Erledigung aller Ausreisewünsche in einem festgesetzten Zeitraum hätte vereinbaren können". Dieses Eingeständnis ist hier gemacht worden. Nur, es nützt den betroffenen Deutschen in Polen wenig.
Wir können nur feststellen, daß auch die neuen Vereinbarungen noch immer keinen Schlußstrich unter die ungelösten humanitären Probleme der Vergangenheit bedeuten. Obwohl die Bundesregierung erneut erhebliche Leistungen gegenüber der polnischen Regierung erbringt, werden wir auch in Zukunft mit den gleichen ungelösten Problemen zu tun haben. Und nach all den Erfahrungen seit 1970 ist man kein Prophet, wenn man sagt, daß dies zu neuen Belastungen im deutsch-polnischen Verhältnis führen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vergleicht man die Ergebnisse von heute mit den Erklärungen und Ankündigungen der Bundesregierung von 1970, so bleibt eben nur der eine Schluß möglich, daß die Bundesregierung und der Bundeskanzler des Jahres 1970 — das muß hier ausgesprochen werden — das deutsche Volk getäuscht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben Erwartungen und Hoffnungen geweckt,

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Propaganda gemacht!)

die zu keinem Zeitpunkt den wirklichen Ergebnissen dieser Politik entsprochen. haben. Nur fünf Jahre später müssen neue Leistungen für Ergebnisse erbracht werden, die nach der Aussage des damaligen Bundeskanzlers Brandt schon 1970 hätten erreicht sein sollen.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Wenn überhaupt etwas, dann beweist dieser Vorgang, wie berechtigt der Vorwurf in jenen Jahren war, daß diese Verträge mit einer ungewöhnlichen Leichtfertigkeit ausgehandelt wurden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Er beweist auch die These, daß selbst gesetzter, aus innenpolitischen Gründen verfügter Zeitdruck zu schlechten Texten führen muß und daß ein Dissens im Text immer auch den Weg für neue Spannungen öffnet. Er beweist, daß die Bundesregierung — aus welchen Gründen auch immer — die polnische Beurteilung des Vertrages von 1970 nicht zur Kenntnis nahm oder nicht zur Kenntnis nehmen wollte.
Die Vereinbarungen von heute sind die Konsequenz der schlechten Vertragspolitik von 1970. Die Bundesregierung hat aber aus den Fehlern von damals nichts gelernt, sondern ist dabei, diese Fehler fortzusetzen.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Sehr richtig! — Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: So ist es!)

Ich will dazu eine ganz und gar ungewöhnliche Stimme zitieren: „Damals, in den Jahren 1970, 1971, 1972, folgte eine Periode der Euphorie und der Begeisterung, die, wie es sich erweist, keine Deckung mit der Wirklichkeit gefunden hat. Später begannen Tauziehen und Kuhhandel." Der das sagte, ist — auch aus Ihrer Sicht — kein kalter Krieger, sondern einer der Chefkommentatoren von Radio Warschau. Gesprochen wurde dies im Juni dieses Jahres im Blick zurück auf die letzten fünf Jahre.
Das ist beispielhaft für die Periode der deutschpolnischen Beziehungen seit 1970; denn diese Periode war auf Grund von unterschiedlichen Erwartungen der Vertragspartner von neuen Enttäuschungen und Spannungen geprägt. Die polnische Regierung hatte in dem Vertrag von Anfang an nur die Grundlage gesehen, auf der die bestehenden Probleme erst noch gelöst werden sollten. Dieser Beurteilung stand die entgegengesetzte Wertung der Bundesregierung gegenüber. Auf die höchst nachteiligen Folgen der Mehrdeutigkeit der Verträge



Ministerpräsident Dr. Kohl
haben wir seitens der CDU/CSU im Bundestag und Bundesrat immer wieder hingewiesen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese Auslegung setzt sich ja fort bis hin zur Frage der Oder-Neiße-Grenze. Die gemeinsame Entschließung aller im Bundestag vertretenen Parteien vom 17. Mai 1972, in der unmißverständlich festgestellt wurde, daß der Vertrag mit Polen keine Rechtsgrundlage für die heute bestehenden Grenzen schaffe, wird ja aus Gründen dieses Dissenses vom Vertragspartner, von der polnischen Regierung, bis heute entschieden abgelehnt. Ja, wir müssen sogar fragen, ob unser Gesprächspartner in Polen hinreichend informiert ist. Ich frage dies, meine Damen und Herren, weil es doch unerträglich ist, daß das Ergebnis des Vertrages von 1970 u. a. auch darin besteht, daß häufig polnische Gesprächspartner hier bei uns ihrer Enttäuschung über eine gewisse Unredlichkeit, wie sie sich ausdrücken, der deutschen Vertragsseite Ausdruck geben.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Hört! Hört!)

Wem das deutsch-polnische Verhältnis wirklich am Herzen liegt — und ich unterstelle, das gilt für uns alle in diesem Saal —, der muß dafür Sorge tragen daß wirkliche Klarheit über die Absichten auf beiden Seiten besteht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das gilt auch in bezug auf die Auslegung der einseitigen Information. Die polnische Seite hat nach dem, was wir wissen, offenbar nie einen Zweifel an der Zahl von 60 000 Aussiedlern gelassen. Diese Zahl wurde hier von der Regierung nicht veröffentlicht. Dies hat Sie aber, Herr Brandt, nicht gehindert, damals als Bundeskanzler in der Offentlichkeit den Eindruck einer abschließenden Lösung zu erwecken. Meine Damen und Herren, dies sind drei Beispiele für das Verhalten der Regierung, die geradezu dazu angetan sind, neues Mißtrauen zu säen und wirklich wichtige Chancen zur Annäherung beider Staaten von vornherein zunichte zu machen.
Wenn heute die für uns alle bedrückenden Vorwürfe der gegenseitigen Erpressung und des Menschenhandels im Raume stehen, dann ist das doch die unmittelbare Folge jener Vertragspolitik. Meine Damen und Herren, die Verknüpfung der polnischen Kreditwünsche mit der Frage der Aussiedlung von Deutschen ist doch letztlich Ihr eigenes Eingeständnis dafür, daß es Ihnen 1970 nicht gelungen ist, die deutschen Interessen in befriedigender Weise zu wahren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich sage es ganz nüchtern: Der Versuch, das Versäumte über den Hebel der polnischen Kreditwünsche nachzuholen, mußte doch logischerweise zu der polnischen Reaktion führen, nun ihrerseits die Frage der Aussiedlung mit der Erfüllung finanzieller Forderungen zu verbinden. Die Gleichung „Mensch gegen Geld" ist doch nicht eine böswillige Unterstellung der Opposition, sie ist der unvermeidliche Ausdruck Ihrer unzulänglichen Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Vertragsverhandlungen zu dieser Vereinbarung hätten in der Tat auch aus unserer Sicht die Chance eines Neubeginns sein können. Sie, Herr Bundeskanzler, sprachen von einem Neuanfang. Aber die Fehler von 1970 fortzusetzen, das ist kein Neuanfang, das ist neuer Dilettantismus — um es klar und deutlich auszusprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Natürlich weiß ich um die Schwierigkeiten, auch durch die geschichtliche Belastung, beim Aushandeln solcher Abmachungen. Aber diese Vereinbarungen sind wiederum schlecht ausgehandelt — und es ist legitim, das im deutschen Parlament zu sagen —; sie berücksichtigen unseres Erachtens die deutschen Interessen nicht im erforderlichen Maß.
Ich will dazu im einzelnen feststellen: Die pauschale Abgeltung der Rentenansprüche aus der Renten- und Unfallversicherung in Höhe von 1,3 Milliarden DM wirft zwangsläufig eine Reihe von Einzelfragen auf, die die Regierung noch in den Parlamentsausschüssen in Bundestag und Bundesrat zu beantworten hat:
Erstens. Wie ist diese Pauschalsumme ermittelt worden?
Zweitens. Für welchen Personenkreis und in welchem Umfang wird eine Besserstellung erreicht?
Drittens. Wie ist sichergestellt worden, daß Polen auf Grund der Kündigungsklausel des Abkommens nicht neue finanzielle Ansprüche gegenüber der Bundesrepublik Deutschland erheben kann?
Viertens. Auf welche Weise hat die Bundesregierung Sorge dafür getragen, daß auf Grund dieses Abkommens nicht andere Staaten ähnliche finanzielle Forderungen an uns stellen?
Fünftens. Wie beurteilt die Bundesregierung die Gefahr — und das ist ein wichtiger Punkt —, daß mit diesem Abkommen das Londoner Schuldenabkommen unterlaufen und ausgehöhlt wird?

(Vorsitz: Vizepräsident von Hassel)

Generell — lassen Sie mich das hier nochmals aufwerfen, Herr Bundesaußenminister — muß doch die Frage gestellt werden, ob nicht die individuelle Abgeltung der Rentenansprüche, so schwierig und — ich füge hinzu — auch durchaus teuer sie im Einzelfall sein mag, einen wirksameren und gerechteren Beitrag für eine Politik der Aussöhnung zwischen unseren Völkern hätte leisten können als diese pauschale Leistung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Bundeskanzler Brandt hat damals, 1970, davon gesprochen, daß Politik für die Menschen in beiden Staaten gemacht werden muß. Ich stimme dem zu. Aber wäre es nicht gerade im Interesse dieses Denkens gewesen, den berechtigten Forderungen im Einzelfall zu entsprechen

(Dr. Dregger [CDU/CSU] : Sehr gut!)

und so eben die Menschen zu den Menschen zu
bringen und den sehr persönlichen Bezug auch zur



Ministerpräsident Dr. Kohl
Bundesrepublik Deutschland und ihrer Haltung zur jüngsten Geschichte herzustellen?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Natürlich sehen wir, daß die polnische Regierung ein Zeichen setzen will, indem sie jetzt die Renten der ehemaligen KZ-Häftlinge erhöht. Aber, meine Damen und Herren, es ist doch wenigstens erlaubt, hier die Frage zu stellen, warum die polnische Regierung dabei jeglichen Hinweis darauf unterlassen hat, daß diese Maßnahme eine Folgewirkung des vorgelegten Abkommens ist, wenn wir uns jetzt aufmachen, Versöhnung zu bringen. Hier ist der Vergleich mit Israel gebracht worden. Dort gab es doch gar keinen Zweifel, daß die Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Menschen im Staat Israel einen entscheidenden Schritt getan hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Entspannungspolitik, wenn sie erfolgreich sein soll, darf nicht nur auf der Ebene von Regierungen stattfinden. Sie wird letztlich und in ihrem historischen Gehalt nur erfolgreich sein können, wenn sie die Menschen, wenn sie die Familien, die Alten und die Jungen in diesen Ländern einbezieht. Ich fürchte, mit dieser Vorlage wird eine wichtige Chance auf diesem Wege verspielt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir verkennen nicht den humanitären Aspekt, daß 125 000 Deutschen die Ausreise erlaubt werden soll. Wer das damit abtut, daß er sagt, wir wollten die Lebenslüge der CDU zur Lebenslüge unseres Volkes machen, der disqualifiziert sich in dieser Diskussion selbst.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber, meine Damen und Herren, die Bundesregierung weiß doch wie wir, daß nach dem neuesten Stand bereits über 280 000 Anträge auf Ausreise beim Deutschen Roten Kreuz vorliegen und das Schicksal von 160 000 Deutschen in Polen ungewiß bleibt. Die Bundesregierung hat sich erneut auf eine zahlenmäßige Beschränkung der Ausreisemöglichkeiten eingelassen, und sie erklärt — ich sage es mit meinen Worten —: Mehr war jetzt nicht drin. Herr Bundeskanzler, wer angesichts dieser Aussage als Kritiker der Vereinbarung des Mangels an humanitärer Gesinnung bezichtigt wird, der muß doch die Frage nach der humanitären Gesinnung in bezug auf die 160 000 Deutschen stellen, die jetzt unberücksichtigt bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ergibt sich aus der Natur der Sache, daß jede zahlenmäßige Begrenzung immer ein Akt der Willkür sein muß.

(Dr. Dregger [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

Sie, Herr Bundeskanzler, berufen sich auf die Kriterien der einseitigen polnischen „Information". Diese mußten auch schon 1970 für jene 125 000 Deutschen gelten, die jetzt ausreisen dürfen.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Ja!)

Es stellt sich doch dann die Frage: Was soll jetzt das Protokoll, von dem Sie gesprochen haben?

(Beifall bei der CDU/CSU)

So ist jetzt zum zweitenmal eine Kontingentierung erfolgt, zum Preise neuer deutscher Leistungen, und eine Wiederholung dieses Vorgangs ist nicht auszuschließen. In diesen Wochen las ich in einem Kommentar in der Hamburger „Zeit" ein paar Sätze, die bemerkenswert sind. Sie sind vor allem deshalb bemerkenswert, Herr Bundeskanzler, weil sie von einem Mann geschrieben wurden, der bisher außerhalb jeglichen Verdachts, ich muß sogar sagen, des Anflugs jeglichen Verdachts, stand, über diese Regierung oder über Sie ein böses Wort zu sagen. Er schreibt:
Wahrscheinlich hat kein deutscher Politiker heute die Kraft zu sagen: Dies ist das allerletzte Geschäft dieser Art, das wir in dieser Sache unterschreiben. Es ist ja auch nicht ganz ausgeschlossen, daß man in Polen für die nächsten 125 000 deutschstämmiger Umsiedler auch die nächste Tranche nach der Zahlung von 2,3 Milliarden DM haben möchte. Dies wäre schlimm, weil dann die Vokabel „Menschenhandel" und die Vokabel „Erpressung" nachträglich gerechtfertigt würden.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Das, was hier nüchtern geschrieben und ausgesprochen ist, ist durchaus berechtigt. Im Zusammenhang mit diesem Protokoll ist noch die Frage hinzuzufügen: Warum gibt es keine Regelung für die Härtefälle? Diese Frage ist in diesem Zusammenhang durchaus berechtigt. Es gibt keine Festlegung über die Regelung von Einsprüchen, wenn Antragsteller abgewiesen werden, über die Kosten der Ausreise, über die Frage des Eigentums und darüber, wie es verbleibt, und alles, was dazugehört.
Meine Damen und Herren, wem es wirklich entschieden um eine Versöhnung mit Polen geht, der muß sich auch die Frage stellen, inwieweit Ausreisewillige Nachteile in bezug auf Arbeitsplatz und Wohnung erleiden oder anderen Schikanen ausgesetzt werden, wenn sie sich zur Ausreise melden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dieser Vorgang ist wiederum keine Erfindung von uns. Sie, Herr Bundesaußenminister, haben in der Sitzung des Bundesrates am 17. November 1975, also vor ein paar Tagen, schließlich mit gutem Grund davon gesprochen, daß die Bundesregierung wegen der Benachteiligung von Antragstellern bei der polnischen Regierung vorstellig werden mußte.
Die Bundesregierung hat es erneut versäumt, sich für die nationalen Volksgruppenrechte der verbleibenden Deutschen einzusetzen. 1970 sagte die Regierung zum gleichen Thema, sie gebe ihrer Hoffnung Ausdruck, daß im Laufe des Normalisierungsprozesses auch sprachliche und kulturelle Erleichterungen für Personen deutscher Muttersprache in Polen möglich werden. Meine Damen und Herren, so wie dies in der Sowjetunion, in Ungarn oder



Ministerpräsident Dr. Kohl
Rumänien möglich ist, muß es auch in Polen möglich sein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zu den schweren inhaltlichen Bedenken gegenüber dem Protokoll kommt einmal mehr die Tatsache hinzu, daß die von der Bundesrepublik Deutschland zu erbringenden Leistungen in förmlichen völkerrechtlichen Verträgen festgelegt sind, während die von Polen angekündigten Gegenleistungen in einem Protokoll festgelegt sind, das keinen vergleichbaren rechtlichen Rang besitzt.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Herr Bundesaußenminister, Sie haben dazu auch hier — wie schon im Bundesrat — erklärt, daß sich die polnische Regierung nicht in der Lage gesehen hat, Verwaltungsakte gegenüber Personen, die sie als eigene Staatsangehörige in Anspruch nimmt, zum Gegenstand eines ratifizierungsbedürftigen Vertrages mit der Bundesrepublik Deutschland zu machen. Ich muß ganz offen sagen, ich verstehe diese Einlassung nicht; sie kann mich nicht überzeugen. Es ist doch ein historisches Datum, daß die gleiche Volksrepublik Polen am 25. März 1957 ein völkerrechtlich gültiges Abkommen über die Repatriierung polnischer Staatsbürger aus der UdSSR abgeschlossen hat.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Dr. Marx [CDU/CSU] : Das wurde alles unterschlagen!)

Es handelt sich — dies werden Sie feststellen, wenn Sie den Inhalt des Textes einmal betrachten — in der Sachmaterie um einen durchaus vergleichbaren Gegenstand.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dieses Abkommen ist sowohl vom Präsidium des Obersten Sowjets wie vom polnischen Staatsrat ratifiziert worden.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, dieses Abkommen ist auch kein Einzelfall. In den Jahren 1944, 1945, 1949 und 1951 hat Polen durchaus analoge Schritte getan und Umsiedlungsabkommen mit der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik, mit der UdSSR und mit der CSSR abgeschlossen. Unser Einwand ist also doch überhaupt nicht unberechtigt. Es ist doch ein Einwand aus der Sorge heraus, daß hier eine verschiedene Qualifikation vorgenommen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer zu gutnachbarschaftlichen Beziehungen ja sagt
— und wir tun dies —, muß dann doch auch dieses Argument zumindest wägen.

(Zuruf von der SPD: Das ist makaber!)

— Ich weiß nicht, was Sie daran als makaber empfinden.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Ich muß Ihnen ganz offen sagen, verehrte gnädige Frau: Ich empfinde es als makaber, wenn im deutschen Parlament in aller Ruhe Argumente abgewogen werden und Sie das als makaber empfinden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist doch genau der Punkt, den ich ansprechen will, daß in einem bestimmten Teil der deutschen Öffentlichkeit und auch zumindest bei Teilen der Bundesregierung und vor allem bei Teilen der SPD zunehmend die Neigung besteht, sich sachlichen Auseinandersetzungen in diesen Fragen, die man doch führen muß — das ist doch unsere Pflicht —, von vornherein zu entziehen.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU)

Dann wird gesagt — und das ist dann sozusagen die Markierung, der sich jedermann zu fügen hat —, mehr sei jetzt nicht erreichbar. Und es wird gesagt, bei einem Standpunkt des „Alles oder nichts" wäre überhaupt kein Ergebnis zustande gekommen. — Meine Damen und Herren, wer von uns in diesem Hause hat denn je, wer, der politische Vernunft gelten läßt, wird je Politik nach dem Prinzip „Alles oder nichts" machen? Das wäre ja wider die menschliche Natur. Und weil dies so ist, muß es wirklich sein, daß wir miteinander über diese Texte reden und daß die Kritik an diesen Texten dann eben nicht zu vordergründigen Schutzbehauptungen führt.
Ich meine, meine Damen und Herren, wir alle sollten auch daran denken, daß Menschlichkeit ein zu hohes Gut ist, als daß damit ständig die eigene Politik oder gar die eigene Partei geschmückt werden könnte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hier geht es um ein Stück Menschlichkeit, hier geht es um das Austragen einer geschichtlichen Last, hier geht es darum, auch Humanität zu üben. Aber das alles schließt doch ein, daß man über den Weg, den man gehen will, vernünftig miteinander reden muß.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Genau das wollen die Sozialdemokraten nicht!)

Und es muß endlich Schluß damit sein, daß jeder, der sich hier im Parlament oder draußen kritisch mit derlei Formen der deutschen Ostpolitik beschäftigt, pauschal als Feind des Friedens, als Entspannungsgegner, als kalter Krieger oder gar als unmenschlich diffamiert wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dies unterscheidet uns doch als freies Land von jeglicher Diktatur: daß es natürlich zur Politik — auch zur Politik der Regierung — eine Alternative gibt und daß es zu Ihren politischen Entscheidungen Alternativen geben muß.

(Möllemann [FDP] : Haben Sie eine?)

— Ich kann nicht verstehen, daß Sie, der Sie doch ein Liberaler sein wollen,

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Der ist doch nicht liberal!)

dieses Prinzip überhaupt anzweifeln wollen. Denken Sie doch einmal an Ihre Ausgangsposition und an Theodor Heuss! Das war ein Satz, der ihm gut aus dem Munde gekommen wäre.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der FDP und Gegenrufe von der CDU/CSU)

13952 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode —, 202. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. November 1975
Ministerpräsident Dr. Kohl
Wenn es zu dem vorliegenden Abkommen mit Warschau wirklich keine Alternative gegeben haben sollte — ich bezweifle dies —, dann, Herr Bundeskanzler und Herr Bundesaußenminister, müssen wir doch fragen, ob Sie und noch mehr eigentlich Ihr Vorgänger nicht selbst erheblich zu dieser ausweglosen Situation beigetragen haben.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Vor allen Dingen der Vorgänger!)

Wie erklären Sie sich beispielsweise die doch unleugbare Tatsache, daß in den Jahren von 1950 bis 1969, also in der Regierungszeit der CDU/CSU, über 400 000 Deutsche ausreisen konnten?

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Sehr wahr!)

Dies ist doch im Jahresdurchschnitt fast die Hälfte mehr, als seit 1969 ausreisen durften,

(Beifall bei der CDU/CSU)

ohne daß hier spektakulär geredet worden wäre.
Wir sind auch dankbar für die Haltung der polnischen Seite in jenen Jahren; wir haben das selbstverständlich immer anerkannt. Diese Ergebnisse sind erzielt worden unter Wahrung der deutschen Interessen, auf der Grundlage einer pragmatischen Politik der kleinen Schritte und ohne spektakuläre PR-Arbeit. Das erforderte Fingerspitzengefühl und Differenzierungsvermögen, aber es stellten sich bei Geduld auch unleugbar unbestreitbare Erfolge ein.
Meine Damen und Herren, was Sie seit jenen Jahren erreicht haben, geht nicht wesentlich über das hinaus, was ohne Verträge in den sechziger Jahren in dieser Frage erreicht wurde.

(Zurufe von der CDU/CSU: Es ist weniger!)

Die Kritik an den vorliegenden Vereinbarungen kann auch nicht mit dem Vorwurf abgetan werden, dies sei der Ausfluß eines Mißtrauens gegen Polen, das nicht gerechtfertigt sei. Sie behaupten, die Abkommen seien der Beweis dafür, daß beide Seiten das Mißtrauen überwunden hätten und auf der Grundlage des gegenseitigen Vertrauens zusammenarbeiten wollten. Lassen Sie mich dazu mit großem Ernst sagen — auch an die Adresse unserer polnischen Nachbarn und des polnischen Volkes —: Soweit heute Mißtrauen gegenüber der polnischen Regierung bei vielen Deutschen vorhanden ist — und das ist sicherlich in keiner sehr konkreten Form so zu sehen —, so hat dieses eher zugenommen dadurch, daß eben nach 1970 sehr unterschiedliche Vorstellungen dieser Politik in unserem Lande dargeboten wurden. Es besteht bei uns überhaupt kein Verständnis für die Meldungen über Repressionen und Schikanen, die deutsche Landsleute erdulden müssen, nur weil sie einen Antrag auf Ausreise gestellt haben.
Meine Damen und Herren, wir haben nicht vergessen, wie der polnische Außenminister Ende 1973 in Bonn von 150 000 Deutschen sprach, die innerhalb von drei Jahren ausreisen könnten, und dabei zugleich von 3 Milliarden DM deutschen Gesamtzahlungen ausging. Die Bundesregierung — und natürlich auch die polnische Regierung muß sich doch in diesem Zusammenhang fragen lassen, welchen
Wert die Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hat,

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

wenn die Grundrechte dort feierlich bekräftigt werden, die Praxis des Alltags aber von finanziellen Überlegungen abhängig ist.
Ich spreche dabei noch gar nicht und dies muß
hier auch gesagt werden — von der Anerkennung des Rechts auf Auswanderung als eines individuellen Menschenrechts in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen, in der Europäischen Menschenrechtskonvention und in den internationalen Pakten der UNO über politische und bürgerliche Rechte. Wir sind fest entschlossen, die Schlußakte von Helsinki ernst zu nehmen, Buchstabe für Buchstabe und Satz für Satz. Wir verlangen dies aber in gleicher Weise von allen Unterzeichnerstaaten, und zwar für alle Teile der Schlußakte von Helsinki.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wir wissen, daß es angesichts der Last der Geschichte sehr schwierig ist, die Berge des Mißtrauens abzubauen. Neues Vertrauen kann nur gewonnen werden, wenn es auf Gegenseitigkeit beruht, wenn man aufeinander zugeht, wenn man, soweit dies menschlich möglich ist — ich sage dies mit aller Zurückhaltung , bereit ist, auf beiden Seiten Schlimmes zu vergessen, wenn beide Seiten auch mehr Verständnis für die Interessen und die Lage des anderen aufbringen. Dies ist nicht leicht. Zu sehr ist noch die jüngste Vergangenheit im Bewußtsein beider Völker lebendig.
Keiner in diesem Hause bestreitet die moralische Verpflichtung, die sich daraus für unsere Politik ergibt. Von dieser Stelle aus hat der erste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland bei seiner ersten Regierungserklärung zu diesem Thema unvergeßliche Worte schon 1949 gesprochen. Wir alle — ich sage dies jetzt auch für meine Freunde in der CDU/CSU — haben die Lektion der Geschichte, haben die Lektion der Nazi-Barbarei begriffen. Wir wissen, welch hohes Gut Frieden ist und wie wichtig es für unsere und für die nach uns kommende Generation ist, gute Nachbarschaft mit allen unseren Nachbarn zu haben. Aber gerade weil wir darum wissen, gerade weil wir bereit sind, die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen, sind wir nicht gewillt, uns daran hindern zu lassen, auch die Maßnahmen der Regierungen daraufhin zu prüfen — und diese Vereinbarung ist eine solche Maßnahme —, inwieweit sie wirklich und auf Dauer dem Ziel der Aussöhnung mit dem polnischen Volk dienen; denn daß wir die Aussöhnung wollen, ist gänzlich unbestritten, dies ist ein Teil unserer Geschichte, zu dem wir selbstverständlich stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, gerade weil das so ist und weil ich davon ausgehe, daß das für alle in diesem Hause gilt, ist es gänzlich unmöglich, die sachliche und ernsthafte Auseinandersetzung über diesen Text von vornherein mit der moralischen Ver-



Ministerpräsident Dr. Kohl
pflichtung unmöglich zu machen. Das eine ist notwendig, wie das andere selbstverständlich ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist unerträglich, wenn wir die Bürger in diesem Land in Gruppen einteilen, die einen mit einer höheren Moral, weil sie für Menschlichkeit und Aussöhnung sind, und die anderen, denen diese moralische Position abgesprochen wird. Herr Abgeordneter Friedrich, Sie haben das hier vorhin mit der CDU/ CSU versucht. Ich kann nur sagen: Wir sind eine Parteiengemeinschaft, für die die Gewissensfreiheit ganz selbstvertändlich ist, in der die Freiheit des einzelnen ein Stück der Existenz und der Geschichte unserer Partei ist. Dementsprechend ist es das freie Recht des einzelnen Abgeordneten, wie es die Verfassung niedergeschrieben hat, abzustimmen, wie er es für richtig hält.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber es ist gänzlich unerträglich, daß Sie daraus Schlüsse darauf ziehen und dies zu einem Moment Ihrer Propaganda machen wollen —, wo in diesem Zusammenhang die moralisch Höherwertigen und die weniger Gewichtigen etwa bei der CDU/CSU zu suchen seien. Es ist Ihre Sache, wie Sie mit Ihren Problemen fertig werden, und es ist unsere Sache, wie wir mit unseren Problemen fertig werden. Aber wir werden gemeinsam mit den Problemen dieser deutschen Demokratie nur fertig, wenn wir uns nicht gegenseitig verteufeln und verdächtigen, sondern respektieren in der Meinung, die wir haben.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das schafft der Wehner nicht!)

Meine Damen und Herren in der Koalition und vor allem in der SPD, wenn Sie so fortfahren, wie Sie 1970 begonnen haben, unser Volk in den Fragen der Ostpolitik zu spalten, anstatt es zusammenzuführen, dann gelingt Ihnen auf Dauer auch nicht die Aussöhnung mit unserem Nachbarn;

(Beifall bei der CDU/CSU)

denn eine Aussöhnung mit dem polnischen Volk, dem polnischen Nachbarn — dies gilt gerade wegen der moralischen Position, die hier mitschwingt — ist nur möglich, wenn sie vom ganzen deutschen Volk mitgetragen wird, ist nur möglich — Herr Abgeordneter Friedrich, überlegen Sie noch einmal, was Sie gesagt haben! —, wenn jene ungeheure geistige Weite, jener Sinn für Toleranz und wirklich ethische Grundlagen des Dokuments der Stuttgarter Vertriebenencharta von 1950 alle Gruppen in Deutschland beseelt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In diesem Zusammenhang will ich noch ein Thema ansprechen, das leider auch hier, wie ich finde, sehr einseitig dargestellt wurde, nämlich das historische Zusammenleben zwischen unseren beiden Völkern. In der aktuellen Diskussion wird das Verhältnis zwischen Polen und Deutschland fast ausschließlich unter dem Aspekt der letzten 80, 60 oder gar der letzten 40 Jahre gesehen. Auch der Abgeordnete Friedrich hat dies hier getan. Ich halte diese Betrachtungsweise unserer wechselseitigen Beziehungen für verhängnisvoll; denn sie ist historisch verkürzt, drängt die offenkundigen historischen Gemeinsamkeiten zurück und überbetont das Trennende, das sich natürlich auch zwischen unseren Völkern abgespielt hat. Ich verkenne nicht, daß es überall in der Welt Kreise gibt, die ein Interesse daran haben, daß dieser Ausgleich nicht stattfindet. Aber das kann doch nicht unser, das deutsche Interesse sein. Gerade wenn wir uns aufgemacht haben, das Trennende zu überwinden und zu einer neuen Verständigung zu kommen, dann sollten wir uns auch daran erinnern und es den Kindern durch die Schulbücher in beiden Ländern sagen und es sie lernen lassen, daß diese beiden Völker jahrhundertelang auch in enger und friedlicher Nachbarschaft miteinander gelebt haben.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

Erst die polnischen Teilungen und der Verlust der polnischen Unabhängigkeit haben zu jenen gesteigerten nationalen Auseinandersetzungen, zumal dann auch im Zeitalter des Nationalstaates, geführt. Das Gegeneinander ist also erst seit rund hundert Jahren stärker als das Miteinander.. Aber, meine Damen und Herren — das ist doch das Entscheidende —, Regierungen und Parlamente kommen und gehen, die Völker bleiben. Mit keinem Nachbarvolk gab es doch eine solche gegenseitige intensive siedlungsmäßige Durchdringung, eine solch weitgehende kulturelle und technische Beeinflussung und so vielfache Familienverbindungen wie zwischen Deutschen und Polen. Auch das ist doch deutsche Geschichte!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das kann und darf uns doch ermuntern, für die Zukunft auf eine neue Gemeinsamkeit. trotz allem, was da war, zwischen Deutschland und Polen zu hoffen. Es gibt ebensowenig eine deutsch-polnische Erbfeindschaft, wie es in der Bundesrepublik Deutschland einen modernen Revanchismus gibt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es gibt in unserem Volke quer durch alle Lager der Politik den ehrlichen Willen, mit den Nachbarn und mit den Polen zusammenzuleben. Heute ist doch die Enkelgeneration jener, die dies alles noch erlebten, herangewachsen. Sie schaut doch nach vorn. Sie will Geschichte so begreifen, daß sie aus der Geschichte und den Fehlern der Väter und Großväter lernt. Deswegen ist es jetzt an der Zeit, aufzubrechen und in diesem Sinne aufeinander zuzugehen. Das muß aber mit klaren Abmachungen geschehen, mit Abmachungen, die für beide Seiten vertretbar und klar verständlich sind.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

Aus diesem Grunde sehen wir uns außerstande, der vorliegenden Vereinbarung in dieser Fassung zuzustimmen. Wir fürchten, daß dies ein Schritt ist, der nicht Ungerechtigkeit beseitigt, sondern neue Zweideutigkeit schafft. Neue Konflikte mit neuen polnischen Forderungen sind ja nicht gänzlich auszuschließen.
Wir sind zutiefst überzeugt, daß der Wille zur Verständigung, zu intensiver Zusammenarbeit und
13954 Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. November 1975
Ministerpräsident Dr. Kohl
verstärkten Kontakten in beiden Völkern vorhanden ist. Wir wissen um die Gegensätze, die uns trennen und die nicht einfach totgeschwiegen werden können. Aber wir wissen auch, daß es, wenn die Menschen und die Politik in Polen und in Deutschland Großzügigkeit, Mut und Phantasie aufbringen und bereit sind, die gegenseitigen Beziehungen unter dem Prinzip gegenseitiger Achtung zu normalisieren, möglich ist, einen Ausgleich über das Trennende hinweg zu finden. Voraussetzung sind mehr Verständnis für den andern, auch und gerade dort, wo Verschiedenheit besteht, und die Bereitschaft, den guten Willen selbstverständlich nicht in Frage zu stellen.
Herr Abgeordneter Friedrich, für uns alle ist selbstverständlich — pacta sunt servanda — der Vertrag von 1970 rechtsgültig. Er gilt mit dem Vorbehalt, daß völkerrechtlich endgültige Bestimmungen über Deutschland als Ganzes erst in einem Friedensvertrag für ganz Deutschland getroffen werden. Dies entspricht dem Grundgesetz; dies entspricht dem Deutschlandvertrag. Dies ist auch die Basis der gemeinsamen Entschließung des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 1972.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

Gerade wir wollen darauf hoffen, daß die Polen für unsere Lage mehr Verständnis haben als alle anderen, weil es kein Volk in Europa gibt, das das Schicksal der Teilung, ja sogar der Aufteilung, so hart am eigenen Leibe erleben mußte wie unsere polnischen Nachbarn. Gerade wer den Standpunkt der polnischen Nation durch viele Jahre der Geschichte leidenschaftlich verfolgen konnte, der weiß, daß dieses Volk und diese Nation niemals die Identität der eigenen polnischen Nation aufgegeben hat, sondern daß sie einen langen Atem vor der eigenen Geschichte hatte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wer das ganz selbstverständlich Polen zubilligt, ja, wer es mit einem großen historischen Respekt vor der Leistung des polnischen Volkes ausspricht, der darf auch erwarten und darum bitten, daß für die Fragen, die aus der deutschen Teilung des einen deutschen Vaterlandes entstanden sind, überall in der Welt, auch in Polen, Verständnis herrscht.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

Die bestehenden Fragen können nur gelöst werden, wenn sich beide Seiten von dem Willen leiten lassen, dem einzelnen Menschen zu helfen. Dies setzt Verständnis, Toleranz und auch Verzicht auf diskriminierende politische Propaganda voraus. Auch der Abschluß dieses Kapitels könnte einen guten Beitrag für die Entwicklung der Zukunft bilden.
Meine Damen und Herren, ich sagte, daß Konrad Adenauer schon 1949 in diesem Saal und von dieser Stelle aus für Aussöhnung und gute Nachbarschaft mit Polen geworben hat. Wir stehen in der Kontinuität dieser Politik. Wir sind zu dieser gutnachbarlichen Zusammenarbeit bereit, mit allen unseren Nachbarn, vor allem auch mit Polen, von dem uns manches in der Geschichte getrennt hat, mit dem uns aber viel mehr verbindet.
Wir wollen die Überwindung der Teilung Deutschlands und die Überwindung der Teilung Europas. Wir wollen den Frieden und den Ausgleich, auch mit Polen.

(Langanhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0720201400
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.

(Zahlreiche Abgeordnete der CDU/CSU verlassen den Saal — Zurufe von der CDU/ CSU: Sicherheitsrisiko!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0720201500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde auf die Aufgeregtheiten, mit denen Herr Ministerpräsident Kohl seine Ausführungen begonnen hat, eingehen.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Provoziert von Herrn Friedrich!)

Ich möchte mich zunächst zu dem äußern, was hier und heute auf der Tagesordnung steht, und ich möchte mich auch zu dem äußern, was Herr Kohl dazu eben gesagt hat.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Hätte Herr Friedrich das doch auch nur getan! — Seiters [CDU/CSU]: Sicherheitsrisiko!)

Es geht aus meiner Sicht und aus der Sicht meiner politischen Freunde — Bruno Friedrich hat darauf eindringlich hingewiesen — um ein wichtiges Teilstück der Vereinbarungen mit Polen und damit um einen wichtigen Teil der Politik, die Spannungen abbauen, die Vergangenheit überwinden, neues Vertrauen schaffen, bessere Zusammenarbeit bewirken und damit den Frieden sicherer machen will. Ich hätte mir gewünscht, diese Vereinbarungen, über die das Hohe Haus heute berät, hätten schon früher vorliegen können. Aber es ist besser, sie liegen jetzt vor, als wenn dieser Teil der Weiterentwicklung und Ausfüllung des Warschauer Vertrages noch länger gedauert hätte.
Herr Kohl, ich muß Ihnen zwei Dinge sagen. Ich bedauere zutiefst, daß sich hier jemand von der Bundesratsseite äußert — was sein gutes Recht ist — und in Anspruch nimmt, zugleich für die beiden Parteien CDU und CSU zu sprechen, der die Akten so wenig gut gelesen und so wenig bei dem zugehört hat, was der Herr Bundesaußenminister hier vorhin gesagt hat.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das stimmt ja gar nicht!)

Sie haben aus Ihrem Manuskript die Einwände vorgelesen, die der Bundesrat behandelt hat — Sie waren bei dieser Bundesratssitzung nicht dabei; es war nur ein einziger Regierungschef von CDU- und CSU-Seite dabei —, ohne auch nur in einem einzigen Punkt das zu berücksichtigen, wo-



Brandt
rauf der Bundesaußenminister in aller Sachlichkeit eingegangen ist.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Studieren Sie lieber die Akten von Herrn Guillaume!)

Das ist kein Beitrag zu einer sachlichen Debatte.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Das zweite, Herr Ministerpräsident Kohl: Sie haben sich etwas aufschreiben lassen mit einem Zitat aus einer damaligen Rede und haben sich nicht die Mühe gemacht, auch nur )die Überschrift zu lesen, die über dem Vertrag vom Dezember 1970 steht; sonst wüßten Sie, daß der Vertrag, unter den Walter Scheel und ich unsere Namen gesetzt haben, heißt: „Vertrag ... über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen". Die Interpretation sagt: Dies war eben nötig, weil wir nach allem, was zwischen den beiden Ländern und Staaten passiert ist, noch nicht so weit waren.

(Beifall bei .der SPD und der FDP — Seiters [CDU/CSU] : Was haben Sie denn damals alles erzählt? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Dies haben Walter Scheel und ich

(Dr. Häfele [CDU/CSU] : Warum zitieren Sie laufend den Scheel?)

Ihren Kollegen in den Ausschüssen,

(Zurufe von der CDU/CSU)

in kleineren Besprechungen mit Ihrer Fraktionsführung dargelegt.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Dieser Mann ist die Mehrdeutigkeit in Person! — Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Lesen Sie die Akten Guillaume! Das ist gescheiter!)

Ich komme gleich darauf zurück, Herr Kohl. Denn das ist ein zweiter Punkt, wo Sie die Akten nicht gelesen haben. Wenn man das nicht getan hat, dann sollte man sich nicht mit einem solchen überheblichen Anspruch äußern, wie Sie das soeben getan haben.

(Beifall bei ,der SPD und der FDP)

Es geht um drei Dinge: Es geht erstens eben um den notwendigen Teil jener Normalisierung, für die schon dem Vertragstext nach im Dezember 1970 die Grundlagen gelegt waren. Ich weise mit allem Nachdruck den Vorwurf der Täuschung zurück, Herr Kollege Kohl. Dies ist einfach nicht wahr.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Voll wahr! Voll begründet war er!)

Wenn Sie sich erkundigten, dann wüßten Sie ,das. Lesen Sie doch einmal das Bundestagsprotokoll. Wenn Sie keine Zeit haben, setzen Sie einen Ihrer vielen Referenten daran — in Mainz oder anderswo —, daß er Ihnen sagt,

(Dr. Dregger [CDU/CSU] : Getäuscht haben Sie! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

was hier, was in den Ausschüssen und was gegenüber Herrn Barzel und Herrn Stücklen über die
Verhandlungen damals dargelegt worden ist. Dann
können Sie nicht die Behauptungen aufrechterhalten, die Sie hier soeben erhoben haben, schon gar nicht den Vorwurf der Täuschung!

(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Brandt ist ein Wahrheitsrisiko!)

So redet man nicht, zumal wenn man einen solchen Anspruch erhebt, wie Sie ihn hier heute haben erheben wollen.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Das zweite ist: Es geht ganz schlicht um eine späte Regelung von Fragen, zumal von solchen aus dem letzten Krieg, nämlich um eine Abgeltung — Pauschalierung hat es der Bundesaußenminister genannt — für das, was Arbeitnehmer, Arbeiter aus einem anderen Land hier doch zweifellos bezahlt haben, oder nicht?!

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Die kriegen ja nichts dafür!)

Drittens geht es, Herr Ministerpräsident Kohl, um den Zusammenhang mit dem Schicksal einer großen Zahl von Deutschen, die auf die Ausreise warten. Hier kommt die Begründung dafür, Herr Ministerpräsident Kohl, daß ich noch einmal sage: Sie haben entweder die Papiere nicht gelesen oder sagen etwas,

(Zuruf von der SPD: Wider besseres Wissen!)

wovon Sie wissen müßten, daß es nicht stimmt. Denn: Wenn Sie behaupten, nach der damaligen Vereinbarung, die zunächst der Staatssekretär Duckwitz, dann der Bundesaußenminister Scheel ausgehandelt haben, sei der Inhalt der damaligen Information, seien die von 'den Herren damals ausgehandelten Ziffern nicht bekanntgegeben worden, dann sagen ich Ihnen wieder: Fragen Sie Ihre Kollegen, die damals Ihre Fraktion, die damals Sie in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages vertreten haben! Dann werden Sie nicht bestätigen können, daß Sie hier einen Vorwurf zu Recht erhoben haben, sondern dann müssen Sie zugeben, daß Sie hier leichtfertig Vorwürfe erheben, die so nicht aufrechterhalten werden können.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Was Sie sagen, stimmt nicht! — Seiters [CDU/CSU] : Aus Ihrem Munde nimmt sich das Wort „leichtfertig" sehr gut aus!)

Und nun, Herr Ministerpräsident Kohl, in diesem Zusammenhang etwas zu meiner Mannheimer Rede, die Ihnen nicht gefallen hat; ich habe sie ja auch nicht deshalb gehalten, damit sie Ihnen gefiele,

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

sondern ich habe sie gehalten, um meinen politischen Freunden das zu sagen, was ich als meine Meinung sagen wollte.

(Franke [Osnabrück] [CDU/CSU] : Sie sind ein Sicherheitsrisiko!)




Brandt
Jetzt will ich Ihnen mal sagen, was zu unserem Gegenstand ausgeführt wurde; das paßt nämlich sehr schön in diese Debatte.

(Seiters [CDU/CSU]: Ihre subjektive Überzeugung ist das!)

Ich sagte — darf ich das, Herr Präsident, dem Hohen Hause vortragen, nachdem es in die Debatte eingeführt ist —:

(Dr. Jenniger [CDU/CSU] : Sie beleidigen die Menschen!)

Als ein Trauerspiel bezeichne ich, was die Führer der Unionsparteien am Beispiel der Vereinbarungen mit Polen aufführen.

(Beifall bei der SPD)

— Das war eine der Feststellungen, die ich getroffen habe. Ich sagte weiter:
Da ist nicht nur Opportunismus im Spiel, sondern bei einigen der Beteiligten auch Schlimmeres. Als ob man jahrelange Bemühungen um die Menschen an innerparteilichem Streit scheitern lassen dürfte! Als ob man Aussöhnung als etwas Erledigtes abhaken dürfte, während es sie doch sorgsam zu pflegen gilt!
Gewiß, die Vereinbarungen mit der Volksrepublik Polen sind ein Kompromiß in den Ziffern, aber sie sind nach gemeinsamem Willen ein Durchbruch in eine Zukunft, die nicht mehr durch die Vergangenheit belastet werden soll. Ich meine, es ist ein Armutszeugnis der Opposition, daß sie zum Kompromiß schwankt und zum Durchbruch schweigt. So entwickeln die Unionsparteien ihre Art von Tradition: In Lebensfragen der Nation schwanken sie zwischen Enthaltung und Zersplitterung.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)

Und dann habe ich zu diesem Punkt noch hinzugefügt:
Ich meine, weder unser Land noch Europa haben Zeit oder Lust, mit dem Fortschritt zu warten,
— dem jetzt möglichen, Herr Ministerpräsident Kohl, in der Beziehung zu diesem Land, über das Adenauer zu Recht so gesprochen hat, wie Sie es uns in Erinnerung rufen —
bis CDU und CSU ihre Isolierung wenigstens gegenüber ihren europäischen Schwesterparteien überwunden haben.

(Beifall bei der SPD)

Das habe ich hierzu gesagt, und das wollte ich dem Hohen Hause nicht vorenthalten.

(Seiters [CDU/CSU] : Ist das alles?)

Nun ergeben sich in unmittelbarem Zusammenhang mit dem heutigen Thema folgende Fragen:
Erstens: Dient die durch diese Abmachung ein Stück weiterentwickelte, konkretisierte Politik der Entspannung, dient sie der Sicherheit unseres Landes, der Zukunft unseres Volkes? Dazu kann man verschiedene Meinungen haben, natürlich. Aber wir sind dieser Meinung. Wir haben diese Frage mit Ja beantwortet und beantworten sie mit Ja.
Zweitens: Ist diese Politik eingebettet in die Politik der Atlantischen Allianz? Das kann man nun schon nicht mehr bestreiten, da gibt es gar keine Kontroverse, sondern diese Frage muß einfach auf Grund der Kommuniqués des Atlantischen Bündnisses mit Ja beantwortet werden. — Also ein subjektives Ja und ein objektives.
Und nun frage ich drittens: Will die Union konkret an dieser Politik weiterarbeiten, oder will sie sich nur mit relativ wolkigen Reden, wie sie Herr Kohl dazu gehalten hat, um das Thema selbst herummogeln?

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wenn man das jetzt beanstandet, hat das gar nichts mit moralischer Aufteilung zu tun, sondern das ist eine ganz nüchterne Frage der politischen Beurteilung.
Meine Mannheimer Einschätzung ist eine Frage einer ganz nüchternen, harten — gebe ich zu — politischen Beurteilung und nicht einer moralischen Kategorisierung.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Wenn die Antwort auf die dritte Frage nein ist, d. h. wenn die Union diese Politik, schwierig wie sie ist, in Frage stellt, gegen sie agitiert, mir auch heutzutage ein bißchen leicht auf das Biertischgerede zu diesem Thema hört — mehr als auf das, was an eigentlichen neuen Notwendigkeiten jetzt vor uns steht —,

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Wir trinken nicht nur Kognak!)

dann müssen Sie den Anhängern der Politik, die in den Verträgen und Vereinbarungen zum Ausdruck kommen, einräumen, daß sie sagen — und ich sage dies —: Ihr Infragestellen der Weiterführung dieser Politik, Ihre Agitation gegen diese Politik führt uns weg vom Ausgleich, führt uns weg auch von einer mit den Verbündeten gemeinsam entwickelten Politik, droht uns in die Isolierung zu führen und wird damit, ob Sie es wollen oder nicht, objektiv zu einem Risiko für unsere Sicherheit. Das ist das Problem!

(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Jawohl, Herr Major! Herr Major, Sie kennen sich aus in Sicherheitsfragen! — Seiters [CDU/CSU] : Chef von Guillaume! — Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Herr von Guillaume ist das! — Weitere lebhafte Zurufe von der CDU/ CSU — Demonstrativer Beifall bei der SPD)

Wer lesen und hören konnte, der konnte verstehen,

(Zurufe von der CDU/CSU: Guillaume!)

daß hier bei dem Ausdruck, der Sie besonders gestört hat, nicht

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Armes Deutschland!)




Brandt
im technischen oder bürokratischen Sinne von einem „security risk" die Rede war — das wäre unsinnig —, sondern von dem, wovon ich gesprochen habe, einem Risiko für die Sicherheit unseres Landes, einer Gefährdung dieser Sicherheit, wie es heißt,

(Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU — Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Sie waren doch Spion! — Beifall bei Abgeordneten der SPD)

in der Außen- wie in der Innenpolitik, wirtschaftlich wie sozial. Darum geht es in der Sache.

(Beifall bei der SPD — Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Wer war denn Spion in Schweden? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Da ist es leicht, einen Pappkameraden aufzubauen
und dann auf den zu schießen. Hier geht es um

(Seiters [CDU/CSU] : Um Guillaume!)

politischen Streit, und zu dem muß ich Ihnen jetzt, da Sie es gerne hören wollen, noch zusätzlich etwas sagen.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Haß wollen Sie säen!)

— Ach, das ist doch grober Unfug, Herr Kollege, wenn Sie von Haß sprechen. Das Gegenteil ist doch der Fall.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Nein, Sie wollen Haß! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU -Dr. Dregger [CDU/CSU]: Haßerzeuger sind Sie! — Gegenrufe von der SPD)

Selbst nach der Rede, die Herr Kohl hier gehalten hat, sage ich: Ich bin mit ihm doch nicht auseinander, sondern ich treffe mich doch mit ihm, wo es um die Sorge geht, um die Sicherheit im Inneren und im Äußeren. Aus dieser Sorge heraus habe ich meinem Parteitag sagen müssen, was ich von Ihnen halte.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

Herr Kollege Kohl, ich habe Sie in Mannheim gefragt, wo eigentlich bei Ihrer Partei oder Ihrem Parteienbündnis rechts aufhört. Die Antwort darauf würde nämlich auch etwas zum Vertrauensverhältnis zwischen den demokratischen Parteien beitragen.

(Beifall bei der SPD — Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Wo hört denn bei Ihnen links auf? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Ich frage Sie heute, wo eigentlich Ihre Empörung war, wo eigentlich Ihre Aufgeregtheit war, als Herr Carstens in Anspruch nahm, seine Partei oder Parteiengruppe vertrete allein

(Wehner [SPD]: Hört! Hört! — Zurufe von der CDU/CSU: Geschlossen! — Windelen [CDU/CSU] : Geschlossen und entschlossen!)

die freiheitliche Ordnung in unserem Lande; oder
als Herr Dregger versuchte, die größte Partei dieses Landes in die geistige Nähe des Terrorismus zu rücken;

(Wehner [SPD] : Hört! Hört! — Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Die billigste Methode, die es gibt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

oder als Herr Strauß den beiden Koalitionsparteien in diesem Hause anlastete,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das sind doch Tatsachen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

in ihren Reihen säßen Sympathisanten, wie er sich ausdrückte, der Baader-Meinhof-Verbrecher;

(Wehner [SPD] : Hört! Hört! — Zurufe von der CDU/CSU: Gruppe!)

oder als andere uns als Wegbereiter des Kommunismus denunzieren wollten, bis hin zu Herrn Jaegers russischen Truppen am Rhein, die angeblich hierherkämen, wenn es einen Regierungswechsel gäbe;
— oder, Herr Windelen, da Sie sich eben selbst bemerkbar gemacht haben, bis hin zu Ihrer ausdrücklichen Bestätigung des bösen Wortes vom Untergang Deutschlands. Sie sollten den Mund halten, statt sich aufzuregen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD — Seiters [CDU/CSU] : Warum mußten Sie denn zurücktreten? Stücklen [CDU/CSU] : Herr Brandt, so weit sind wir noch nicht!)

— Sollte; ich gebe ja nur einen guten Rat, Herr Kollege Stücklen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Ich darf doch noch einmal, damit unter uns klar und damit es auch im Protokoll des Deutschen Bundestages verzeichnet ist, folgendes sagen.

(Franke [Osnabrück] [CDU/CSU] : Er badet gern lau! — Seiters [CDU/CSU] : Der Regierung fehlt ein Kopf!)

Ich habe am 15. November 1975 folgendes wörtlich ausgeführt:
... es ist nun einmal leider so, daß die Politik der Union — und nur darum geht es —— die Politik der Union —
meiner Überzeugung nach ein Risiko bedeutet — nein, mehr als ein Risiko —

(Zuruf von der CDU/CSU: Was denn?)

für die Sicherheit unseres Landes und für das Wohlergehen unseres Volkes.

(Dr. Dregger [CDU/CSU] : Sie sind die Unsicherheit! Sie persönlich!)

Um diese politische Aussage geht es und nicht um etwas, was man mir sonst noch zu unterschieben versucht hat.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Sie sind doch das Risiko! — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/ CSU] : Sie sind Deutschlands Sicherheitsrisiko Nummer eins! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Das von einem Mann, der es ist!)




Brandt
— All Ihr Dazwischenreden zeigt ja nur, daß Ihnen das peinlich ist. Sie wollen von einer Ihnen politisch unangenehmen Situation ablenken. Das wird Ihnen nicht gelingen.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Wer hat Brandt abgelöst? — Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Warum hat Herr Wehner Sie als Sicherheitsrisiko davongejagt? — Dr. Stark (Nürtingen] [CDU/CSU] : Sie sind menschlich gescheitert! — Weiter anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)

Deshalb darf ich fortfahren:
Ich will noch einmal begründen, worum es dabei geht. Uns allen klingen doch noch jene berüchtigten Äußerungen des CSU-Vorsitzenden Strauß im Ohr, man könne gar nicht genug an allgemeiner Konfrontierung schaffen;

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Ein seltsamer Nobelpreisträger!)

nur anklagen und warnen, keine Rezepte nennen.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sie tun es!)

Ich habe gesagt

(Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Das wandelnde Sicherheitsrisiko!)

bzw. gefragt:
Haben denn die Nachdenklichen hierzulande so schnell wieder vergessen, was geschah, als sich Bundesregierung und Koalition mühten, die wirtschaftliche Lage unseres Landes trotz der Kriseneinflüsse von außen zu sichern?

(Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Warum hat der Wehner ihn denn weggejagt!?)

Da zogen Panikmacher durchs Land und verbreiteten Unsicherheit — also das Gegenteil von Sicherheit — und Angst.
Das ist das eine. Das andere ist die außenpolitische Isolierung, in die uns die Union führen würde, wenn man ihren Wortführern folgte.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Sie sind das Sicherheitsrisiko Nummer eins!)

Sie haben sich um Ihrer internen Auseinandersetzung willen — oder aus welchen Gründen auch immer — dem jetzt notwendigen Schritt der Aussöhnung mit Polen entzogen.
Das zeigt auch der heutige Tag.
Sie wollten, daß unser Stuhl auf der Europäischen Sicherheitskonferenz als einziger unter 35 Staaten — Albanien einmal außen vorgelassen — leer bleiben sollte, obwohl — neben anderem — gerade auf dieser Konferenz die Geschlossenheit des westlichen Bündnisses und die weitgehende Übereinstimmung mit den Neutralen so stark zur Geltung kam wie selten zuvor.
Ich kann die CSU und die CDU nicht daran
hindern, sich selbst für regierungsunfähig zu
erklären. Ich kann schon gar nicht erzwingen, daß der CDU-Vorsitzende Kohl den riskanten Weg seines Rivalen Strauß verläßt.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Denken Sie an Herrn Guillaume!)

Aber ich kann in einer klaren Sprache feststellen, was — aus meiner Sicht — ist.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Warum hat Herr Wehner Sie denn davongejagt? — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/ CSU] : Warum sagte Herr Wehner, .die SPD brauche einen Kopf?)

Die CDU/CSU geht mit ihrer heutigen Politik das Risiko ein, daß unsere innere Stabilität und Sicherheit ausgehöhlt werden. Ihre Politik, wenn man sie ernst nimmt — und das muß man doch wohl von der anderen Seite her erwarten —, bedeutet ein Risiko für die Entspannung und für die Sicherheit nach außen. Und nun liegt es nicht an uns, sondern es liegt an der Union, aus einem Risiko eine Alternative für unser Land zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Auch noch dies, Herr Ministerpräsident Kohl:

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Es wird nicht besser, je mehr Sie auch reden!)

Das Wort von der gemeinsamen Verantwortung der Demokraten muß für alle gelten, die verantwortungsvoll die Macht 'in der Demokratie anstreben. Der Hunger nach der Macht ohne Verantwortung ist und bleibt ein ernstes Risiko, nein, eine Gefahr. Und auch darüber muß gesprochen werden.

(Beifall bei der SPD — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Sie sind eine Gefahr! — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das ist die Methode „Haltet den Dieb" !)

Das ist das, worum es geht. Davon bringen Sie mich durch Ihre Zurufe nicht ab.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Warum mußten Sie denn zurücktreten? — Seiters [CDU/CSU] : Hat Wehner Sie zurückgetreten? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Ich habe niemanden verdächtigt. Ich tue es selbst nach den dummen, törichten Zwischenrufen, die Sie hier machen, nicht.

(Beifall bei der SPD — Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Das sind doch Tatsachen!)

Ich sage Ihnen nur: Von dem, was ich auf Grund meiner politischen Überzeugung mit dem Auftrag meiner Freunde, der größten Partei dieses Landes, zu sagen habe, bringen Sie mich auch durch persönliche Verunglimpfung nicht ab, weder hier noch anderswo!

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)




Brandt
Ich spreche bei allem, was Ihnen nicht gefällt, als ein Mann, der von Ihnen Nachhilfeunterricht in Sachen der Demokratie nicht nötig hat.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/ CSU] : Denken Sie an Golo Mann, der von Goebbelschen Methoden sprach!)

Ich spreche als Vorsitzender der deutschen Sozialdemokraten,

(Franke [Osnabrück] [CDU/CSU] : Wir zitieren nur Wehner!)

die nie behauptet haben, daß sie der Staat seien oder gar unfehlbar seien oder alleine im Pakt mit der Vernunft seien, sondern die sich wie jeder andere nur bemühen können, dem, worum es hier geht, so nahe wie möglich zu kommen, die sich aber, Herr Kohl und meine Kollegen von der CDU/CSU,

(Zurufe von der CDU/CSU: Sicherheitsrisiko!)

von niemandem einschüchtern lassen, ihre Auffassungen so zu vertreten, daß jeder draußen im Lande sie verstehen wird.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und der FDP — Seiters [CDU/CSU] : Wo bleiben die Rosen von Wehner?)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0720201600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Carstens (Fehmarn).

Dr. Karl Carstens (CDU):
Rede ID: ID0720201700
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Wer von jetzt ab den Kollegen Brandt sieht, der wird immer sofort an das Wort erinnert werden, welches er vor einigen Tagen auf dem Mannheimer Parteitag der SPD mit Bezug auf seinen politischen Gegner gebraucht hat, an das Wort Sicherheitsrisiko. Herr Kollege Brandt, Ihr Gesicht wird in Zukunft, da Sie das Wort ausgesprochen haben, mit diesem Begriff verbunden bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber die Bürger in unserem Lande werden dabei an etwas ganz anderes denken als an das, Herr Kollege Brandt, woran Sie gedacht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bürger in unserem Lande werden sich nämlich daran erinnern, daß die Sicherheit der Arbeitsplätze in den letzten 20 Jahren noch nie so gering war wie jetzt, da Ihre Partei zusammen mit der FDP regiert.

(Beifall bei der CDU/CSU — Franke [Osnabrück] [CDU/CSU]: Leider wahr!)

Die Bürger in unserem Lande werden sich daran erinnern, daß die Sicherheit der Sparguthaben durch Inflation in den letzten 20 Jahren noch nie so gefährdet war wie jetzt, wo Ihre Regierung hier regiert.

(Beifall bei der CDU/CSU — Lachen des Abg. Dr. Ehrenberg [SPD])

Auch eine 6 °/oige Geldentwertung führt dazu, daß
sich die Sparguthaben in 12 Jahren in ihrem Wert
auf die Hälfte reduzieren. Tun wir doch nicht so,
als ob 6 % Geldentwertung eine Bagatelle wären!

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Dr. Ehrenberg [SPD])

Die Bürger in unserem Lande werden sich daran erinnern, daß die SPD des Herrn Brandt — leider auch hier wieder zusammen mit der FDP — in den Gesetzesinitiativen, die sie vor diesem Hohen Hause noch vor ganz kurzer Zeit vertreten hat,

(Zuruf von der SPD: Wo waren denn Ihre!)

den kommunistischen Verfassungsgegnern den Weg in den öffentlichen Dienst unseres Landes eröffnet hat.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Ehrenberg [SPD]: Das ist eine Uraltlegende! — Weitere Zurufe von der SPD)

Wenn Sie sich gegen Äußerungen von mir oder von meinen Freunden verwahren, Herr Kollege Brandt, dann zitieren Sie uns bitte wenigstens richtig. Ich habe gesagt und ich wiederhole es angesichts der Feststellung, die ich soeben getroffen habe, daß die CDU/CSU die einzige politische Kraft ist, die geschlossen

(Lachen bei der SPD)

— ich betone: geschlossen — für die Sicherheit unseres Landes eintritt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Ehrenberg [SPD]: Die geschlossene CDU/CSU!)

Herr Kollege Brandt, wenn Sie von „Sicherheitsrisiko" sprechen, wird natürlich ganz unvermeidlicherweise die Verbindung zu dem Manne hergestellt werden, der jetzt wegen Spionage vor dem Gericht in Düsseldorf steht und der jahrelang Ihr enger Mitarbeiter war, zu Herrn Guillaume.

(Seiters [CDU/CSU]: So ist es! — Dr. Ritz [CDU/CSU]: Und mehr!)

Herr Kollege Brandt, der Herr Generalbundesanwalt hat in seinem Plädoyer in Düsseldorf als strafmildernd für den Spion Guillaume ins Feld geführt, daß es ihm durch grobe Leichtfertigkeit

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

ermöglicht worden sei, seine Spionagetätigkeit auszuüben.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Marx [CDU/CSU] : Und da hat er die Stirn, hier zu reden! — Weitere lebhafte Zurufe von der CDU/CSU)

Damit, Herr Kollege Brandt, waren Sie gemeint. Diesen Schuh sollten Sie sich anziehen und nach dem Grundsatz handeln: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.

(Erneuter Beifall und weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Herr Kollege Brandt, wenn man Sie jetzt reden hört, hat man den Eindruck, als wenn Sie einer der erfolgreichsten Bundeskanzler der deutschen Ge-



Dr. Carstens (Fehmarn)

schichte gewesen wären, und man fragt sich: Wie
ist es denn eigentlich zu Ihrem Rücktritt gekommen?

(Beifall bei der CDU/CSU — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Wehner hat ihn aus dem Verkehr gezogen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Sind es nicht Ihre eigenen politischen Freunde gewesen, die Sie zum Rücktritt gezwungen haben, weil sie mit Ihrer Amtsführung unzufrieden waren, weil sie das Gefühl hatten, daß Sie der Lage, in der Sie sich damals befanden, nicht mehr gewachsen waren?

(Seiters [CDU/CSU]: So ist es!)

Herr Kollege Brandt, Sie vergessen — Sie haben ein sehr selektiv funktionierendes Gedächtnis, wie mir scheint — die Ihnen unangenehm erscheinenden Dinge. Aber wir anderen erinnern uns ganz genau daran, daß Sie nach Ihrem Rücktritt dem Sinne nach gesagt haben, ein deutscher Bundeskanzler dürfe nicht erpreßbar sein. Ja, was meinten Sie denn damit, Herr Kollege Brandt?

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

Und dann, Herr Kollege Brandt, haben Sie soeben die ungeheuerliche Behauptung aufgestellt,

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Er schämt sich überhaupt nicht!)

daß die CDU/CSU mit den Lebensfragen der Nation leichtfertig umgehe.

(Beifall bei der SPD — Dr. Marx [CDU/ CSU] : Dieser Mann! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Ich muß Sie daran erinnern, Herr Kollege Brandt, daß es Ihr damaliger Beauftragter

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Dieser Bankrotteur!)

Bahr war, der im Mai 1970 in Moskau ein Papier mit dem sowjetischen Außenminister Gromyko vereinbarte, das sogenannte Bahr-Gromyko-Papier, in dem mit Ihrer Zustimmung, Herr Kollege Brandt, Forderungen der sowjetischen Politik uns gegenüber entweder vollständig oder teilweise erfüllt wurden, und daß in diesem Papier das Wort „menschliche Erleichterungen", das Wort „Familienzusammenführung", das Wort „Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes" oder „Einheit der deutschen Nation", ja, daß in diesem Papier das Wort „Berlin" nicht vorkommen.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Dr. Marx [CDU/CSU]: Dieses Sicherheitsrisiko!)

Wo hat es jemals einen leichtfertigeren Umgang mit den Lebensinteressen unseres Volkes gegeben als damals im Mai 1970?

(Lebhafter Beifall und Zurufe von der CDU/CSU)

Sie berufen sich immer wieder darauf, daß Sie im Einklang mit den Alliierten gehandelt hätten und handelten. Herr Kollege Brandt, vielen von uns in diesem Hohen Hause, die im Ausland waren, ist es aber so ergangen, wie es mir ergangen ist, daß uns nämlich die alliierten Freunde, mit denen wir damals sprachen, entgegenhielten: Wir — Engländer, Franzosen und Amerikaner — können doch nicht deutscher sein als die deutsche Bundesregierung. — Damit waren Sie gemeint, Herr Kollege Brandt.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Damit wurde zum Ausdruck gebracht, daß, wenn die deutsche Bundesregierung auf alle diese Positionen verzichtete, man von den Alliierten nicht verlangen könnte, daß sie weiter dafür kämpften.
Wir werden unsere Politik, die CDU/CSU-Politik, im Einklang mit den Alliierten — vor allen Dingen mit den drei Westmächten führen. Daran hat es nie einen Zweifel gegeben. Wir werden uns aber auch gegenüber unseren alliierten Freunden für das einsetzen, was wir als die vitalen Interessen unseres Volkes ansehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Daß Sie das nicht getan haben, werfen wir Ihnen vor.
Meine Damen und Herren, ich möchte nunmehr auch zu dem Thema, das uns heute in erster Linie beschäftigt, einiges sagen.

(Zuruf von der SPD: Jetzt schon?)

— Erwarten Sie von mir, daß ich auf das, was Herr Brandt hier eben gesagt hat, nicht antworte? Dann haben Sie aber eine merkwürdige Vorstellung von parlamentarischen Debatten!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Unser Freund Helmut Kohl hat in umfassender Weise die Ziele der CDU/CSU zur Ostpolitik und speziell zur deutschen Polenpolitik dargelegt. Ich will das, was er gesagt hat, nicht wiederholen. Ich möchte nur noch einmal unterstreichen, daß die Aussöhnung mit dem polnischen Volk von jeher ein Ziel der CDU/CSU gewesen ist und daß die CDU/ CSU in der Vergangenheit auch einiges dafür getan hat. Herr Bundesaußenminister, Sie haben von der Aufnahme derdiplomatischen Beziehungen unter der Regierung Brandt gesprochen. Es wäre fair gewesen, wenn Sie hinzugefügt hätten, daß die ersten amtlichen Beziehungen zu Polen unter der Regierung Erhard aufgenommen wurden und daß es damals dem deutschen Unterhändler — ich nenne seinen Namen noch einmal, weil er es verdient, in den Annalen auch dieses Hauses festgehalten zu werden —, dem damaligen Botschafter Allardt, gelang, Berlin in die Vereinbarungen voll mit einzubeziehen. Die Einbeziehung Berlins in die Verträge mit den Ostblockstaaten — um diese Einbeziehung kämpfen Sie jetzt, sechs Jahre nach Beginn Ihrer neuen Ostpolitik, vergeblich , ist der von der CDU/CSU geführten Regierung damals in vollem Umfange gelungen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich sage es noch einmal: Wir sind für eine Versöhnung mit dem polnischen Volk. Wir wenden uns aber dagegen, daß im Zuge dieser Versöhnungsbemühungen eine vollkommen einseitige Darstellung des Verlaufs der Geschichte gegeben wird.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)




Dr. Carstens (Fehmarn)

Wir wenden uns auch dagegen, daß in 'den Schulbüchern im Zusammenhang mit der Vertreibung von zwölf Millionen Menschen jetzt von „Bevölkerungsverschiebungen" gesprochen werden soll.

(Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!)

Meine Damen und Herren, wir wollen nicht, daß das bagatellisiert wird, was durch Deutsche geschehen ist. Wir wollen, daß es durch eine Darstellung der positiven Leistungen ergänzt wird, die Deutsche im deutsch-polnischen Verhältnis seit Jahrzehnten, ja, seit Jahrhunderten erbracht haben. Wir wollen und werden aber nicht zulassen, daß das unsägliche Leid, welches Deutsche am Ende des Krieges und nach dem Kriege erlitten haben, durch solche verschleierten Formeln unterdrückt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Unsere Einwendungen gegen die deutsch-polnischen Vereinbarungen sind dreifacher Art. Wir werfen der Regierung zunächst vor, daß sie für dieselbe Zusage, die sie jetzt erhält — nämlich die Zusage auf Genehmigung von Ausreisen von Deutschen —, jetzt schon zum drittenmal einen Preis zahlt. Das erste Mal hat sie im Zusammenhang mit dem Warschauer Vertrag von 1970 einen Preis dafür gezahlt. Damals ist die historische Stunde versäumt worden. Der Warschauer Vertrag sollte — wie Sie selbst gesagt haben, Herr Kollege Brandt — die Grundlage für eine dauernde Aussöhnung sein. Dann gehörte aber das Schicksal der etwa einen Million Deutschen in Polen in den damaligen Zusammenhang hinein, und zwar sowohl der Deutschen, die hierherkommen wollen, als auch der Deutschen, die dableiben wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das haben Sie versäumt. Sie haben sich mit einer sogenannten „Information" zufriedengegeben, die sich hinterher als unzulänglich erwiesen hat. Sie geben mit dem, was Sie hier eben gesagt haben, eine falsche Darstellung des wirklichen Ablaufs, Herr Kollege Brandt!

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Der damalige Bundesaußenminister, Herr Scheel, hat im zuständigen Ausschuß des Deutschen Bundestages erklärt, mit dieser „Information" sei keine zahlenmäßige Begrenzung für die Ausreise von Deutschen aus Polen verbunden.

(Zustimmung 'bei der CDU/CSU)

Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition und von der Regierung, haben einen Preis zum zweitenmal mit der KSZE in diesem Jahr bezahlt. Wie wurde uns denn das Ergebnis der KSZE dargestell? Doch so, daß wir damit die Familienzusammenführung erreichen würden, daß wir damit ein Mehr an Menschlichkeit für die Menschen in den osteuropäischen Ländern erreichen würden. Nichts davon — nichts davon! — ist eingetreten. Statt dessen hat noch am Tage der Unterzeichnung der KSZE-Schlußakte in Helsinki der Bundeskanzler mit ,dem polnischen Parteichef ein Abkommen getroffen, welches uns jetzt vorliegt. Mit diesem Abkommen wird zum drittenmal für die Genehmigung der Aussiedlungen ein Preis gezahlt, diesmal in Gestalt von Geldzahlungen in Höhe von 2,3 Milliarden DM. Und ich sehe voraus, meine Damen und Herren: In vier Jahren würde — wenn dann hier noch dieselben Parteien regieren würden, was wir mit allen Kräften zu verhindern trachten —

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Genscher hier erneut mit trauriger Miene vor uns stehen, und Herr Friedrich würde seinen Leichenbittergesang erneut anstimmen, und Herr Brandt würde erneut von Entspannung und der Notwendigkeit, diese Politik fortzusetzen, sprechen, und dann würde uns die vierte Rechnung präsentiert werden. Sehen Sie, meine Damen und Herren, so kann eben Politik nicht gemacht werden!

(Zustimmung bei ,der CDU/CSU)

Bei allem Wunsch, zur Versöhnung zu kommen, bei allem Wunsch, auch einen Beitrag zur Versöhnung zu leisten: Es muß doch eine ernsthafte Politik sein, die das betreibt, und nicht eine Politik, die sich mühsam von Stufe zu Stufe fortbewegt und jedesmal das wegwischen will, was sie auf der vorangegangenen Stufe erklärt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber auch die jetzt getroffenen Vereinbarungen sind ja wieder — Helmut Kohl hat es schon gesagt — in einer ganz seltsamen Weise unausgewogen. Unsere Leistungen sollen in völkerrechtlich zu ratifizierenden Verträgen niedergelegt werden; die Ausreise von 120 000 bis 125 000 Deutschen ist Gegenstand eines „Protokolls". In der polnischen Übersetzung heißt es „Protokollnotiz" ; das scheint noch weniger zu sein als „Protokoll". Ist denn nun, so frage ich die Bundesregierung, dieses Protokoll oder diese Protokollnotiz eigentlich unterzeichnet worden? Wir stehen vor der merkwürdigen Tatsache, daß im Bulletin ein Text veröffentlicht wird, unter dem die Namen der beiden Außenminister stehen, und hier in den uns zugeleiteten Unterlagen stehen diese Namen nicht.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Das alles sind doch Dinge, die einen von vornherein mißtrauisch machen müssen, und da können Sie sich doch nicht darauf herausreden, daß die Polen solche Vereinbarungen nicht in anderer Form zu schließen pflegten.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Eine unseriöse Politik!)

Ich möchte Ihnen die Zahlen noch einmal vorhalten, weil mir das sehr wichtig zu sein scheint. In den Jahren von 1955 bis einschließlich 1969, also in den Jahren, als CDU und CSU hier regierten, sind aus diesen Gebieten auf Grund einer RotKreuz-Vereinbarung 360 000 Personen — im Jahresdurchschnitt 22 000 — in die Bundesrepublik Deutschland ausgesiedelt worden. Diese Zahl wurde polnischerseits 1970 auf 5 600 gedrosselt, um auf die deutsche Verhandlungsführung und auf die inzwischen gebildete SPD-FDP-Regierung Druck ausüben zu können.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : So war es, ganz genau so!)




Dr. Carstens (Fehmarn)

Nach Unterzeichnung des Warschauer Vertrages bis zu dessen Ratifizierung erhöhte die polnische Regierung die Zahl der Aussiedlungsgenehmigungen auf 24 000 im Jahre 1971 und auf 12 000 im Jahre 1972. Aber sofort nach der Ratifizierung des Warschauer Vertrages wurden die Ausreisegenehmigungen wieder gedrosselt auf 6 000 im Jahre 1973 und 5 800 im Jahre 1974, obwohl und das möchte ich doch auch in Ihre Erinnerung zurückrufen — der polnische Außenminister bei seinem Besuch in Bonn im Dezember 1973 für das Jahr 1974 die Ausreise von 50 000 Deutschen in Aussicht gestellt hatte. Sie können es doch niemandem in unserem Lande verdenken, meine Damen und Herren, wenn er angesichts dieser Vorgeschichte das Protokoll oder die Protokollnotiz kritisch unter die Lupe nimmt. Und da muß eben festgestellt werden, daß die klare, bindende Verpflichtung zur Genehmigung der Ausreise von 125 000 Deutschen darin nicht enthalten ist.
Aber das ist nur die eine Seite der Sache. Helmut Kohl ist schon darauf eingegangen: Es bleiben eben 160 000 zurück. Dadurch werden deutsche Familien und Gemeinden auseinandergerissen werden. Die Entscheidung darüber, wer ausreisen wird und wer nicht, treffen ausschließlich die polnischen Behörden. Wir haben keinerlei Einfluß darauf. Und wir haben erschütternde Briefe bekommen von deutschen Gemeinden, die das Schicksal vor sich sehen, auseinandergerissen zu werden, und die uns sagen: wir wollen lieber noch warten, bis eine umfassendere Lösung möglich wird, als uns jetzt auseinanderreißen zu lassen mit der Folge, daß das Schicksal der Zurückbleibenden noch schwerer werden wird, als es jetzt schon ist.
Meine Damen und Herren, das sind doch humanitäre Erwägungen, die man auch anstellen muß. Das können Sie doch nicht beiseite schieben, als wäre das nichts.
Die Offenhalteklausel, auf die uns der Außenminister in diesem Zusammenhang verweist, trägt nicht. Im letzten Halbjahresbericht der Bundesregierung können Sie alle nachlesen, daß von denen, die Anträge gestellt hatten, einige ausreisen durften, nachdem sie sechsmal einen solchen Antrag eingereicht hatten. Andere durften ausreisen, nachdem sie 25mal solche Anträge gestellt hatten. Mit der Verweisung auf die Möglichkeit, auch in Zukunft Anträge zu stellen — und das ist doch der Inhalt der Offenhalteklausel; mehr ist es doch nicht —, können Sie niemanden über diese ernsten Sorgen hinwegtrösten.
Ein Wort zu den Rentenansprüchen. Auch hier muß darauf geachtet werden, daß sich nicht eine falsche Darstellung Breitmacht. Es geht nicht darum, daß die Stellung der individuellen Rentenberechtigten, die vor Jahrzehnten einmal Beiträge zur deutschen Rentenversicherung geleistet haben, jetzt durch dieses Abkommen verbessert wird,

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Im Gegenteil!)

sondern die 1,3 Milliarden DM, die wir zahlen werden, fließen in die Kasse des polnischen Staates,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

und der polnische Staat kann darüber nach seinem Ermessen verfügen. Die Rentenberechtigten aber verlieren durch diesen Vertrag ihren bisherigen Anspruch gegen die deutschen Rentenversicherungsträger.

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Und das muten die uns zu zu feiern!)

Das ist das Gegenteil von dem, was ich eine humanitäre Lösung nennen würde.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

Wir werden bei der Lektüre dieser Texte und auch bei den Begründungen, die hier vorgetragen werden, das Gefühl nicht los, daß es der Bundesregierung gar nicht in erster Linie um die Rentenberechtigten ging, sondern darum, einen Grund zu finden, der polnischen Seite noch weitere 1,3 Milliarden DM aushändigen zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es wird gesagt, einem Teil der Rentenberechtigten würden jetzt Zeiten angerechnet, die bisher nicht angerechnet wurden. Wie viele das sind, kann uns niemand sagen. Ob sie im Endeffekt dann auch nur einen Pfennig mehr an Rente erhalten werden, als sie jetzt erhalten, kann uns niemand sagen. Wir müssen diesem Argument gegenüber einen Vorbehalt anmelden und dahinter ein Fragezeichen setzen.
Aber wenn nun schon globale Leistungen zur Abgeltung von Verpflichtungen der deutschen Rentenversicherung aus der Zeit vor 1945 an die polnische Seite geleistet werden, dann muß doch legitimerweise die Frage aufgeworfen werden: Warum zahlt in diesem Zusammenhang eigentlich immer nur die Bundesrepublik Deutschland, und warum kommt niemand auf die Idee, dafür auch die DDR verantwortlich zu machen?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Da wird uns gesagt: Die Bundesrepublik Deutschland hat auch früher an dritte Staaten solche Ansprüche erfüllt. Ja, meine Damen und Herren, aber doch unter einer völlig anderen Voraussetzung, nämlich unter der, daß die damaligen Bundesregierungen — übrigens, Herr Kollege Brandt, mit Unterstützung unserer Alliierten — für sich das Recht in Anspruch nahmen, für das ganze deutsche Volk, für alle Deutschen allein zu sprechen, während die DDR im damaligen Zeitpunkt nicht anerkannt wurde. In der damaligen Situation war es folgerichtig, daß die Bundesrepublik Deutschland solche Forderungen, wie sie hier gestellt werden, an Länder erfüllte, die in dieser deutschlandpolitischen Frage dieselbe Haltung einnahmen, wie wir es taten.
Jetzt ist das alles total verändert. Mit Hilfe von SPD und FDP ist die DDR in die Vereinten Nationen aufgenommen worden. Mit Hilfe dieser beiden Parteien und der von ihnen gestellten Regierungen ist die DDR ein von allen Staaten anerkannter zweiter deutscher Staat geworden. Von dem Alleinvertretungsanspruch der 50er und 60er Jahre, meine Damen und Herren, spricht die Bundesregierung nicht mehr. Sie verfälschen diesen Alleinvertretungsanspruch in eine Alleinzahlungsverpflichtung.

(Beifall bei der CDU/CSU)




Dr. Carstens (Fehmarn)

Das ist allerdings etwas, wofür ein vernünftiger Grund nicht zu erkennen ist.
Herr Kollege Friedrich hat dann noch von dem Finanzkredit in Höhe von 1 Milliarde DM zu 2,5 % Zinsen gesprochen und gemeint, dies sei ein hervorragendes Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Bundesrepublik Deutschland.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, es zeigt doch die ganze Hilflosigkeit der Regierung und der Regierungskoalition, daß sie ihre Zuflucht zu solch absurden Argumenten nehmen muß.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Friedrich, mit 1 Milliarde DM könnten Sie 5 000 mittelständischen Betrieben Kredite von je 200 000 DM einräumen. Und wenn Sie diese mit nur 2,5 % Zinsen belasten, dann wäre das, das garantiere ich Ihnen, ein hervorragendes Programm zur Arbeitsbeschaffung in der Bundesrepublik Deutschland!

(Beifall bei der CDU/CSU)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0720201800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Friedrich?

Dr. Karl Carstens (CDU):
Rede ID: ID0720201900
Herr Kollege Friedrich, ich schließe mich Ihrem Brauch an und antworte auf Zwischenfragen nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, schließlich dürfen wir, glaube ich, nicht übersehen, daß es mit den Zahlungsverpflichtungen, die jetzt zur Abgeltung von Rentenansprüchen übernommen werden, präjudizielle Wirkungen einhergehen könnten, auf die sich andere berufen könnten. Wir können diese Gefahr nicht ausschließen, besonders nach den Erklärungen, die die Bundesregierung zur Begründung dieser von ihr geschlossenen Vereinbarung vorgetragen hat.
Ich möchte wiederholen, was ich zu Anfang gesagt habe: Es ist das Ziel der Politik der CDU/CSU, eine Aussöhnung zwischen den beiden Völkern herbeizuführen. Wir knüpfen dabei an Konrad Adenauer — er ist mehrfach zitiert worden — und an das, was er in den 50er Jahren gesagt hat, an. Aber wir verlangen, daß vertragliche Regelungen, die zwischen der Bundesrepublik und Polen getroffen werden, den beiderseitigen Interessen gerecht werden und den betroffenen Menschen, vor allem auch dem Interesse der Deutschen, die dort leben, dienen.
In dieser Hinsicht weisen die uns vorgelegten Vereinbarungen schwere Mangel auf. Die Rentenzahlung von 1,3 Milliarden DM kommt den einzelnen Berechtigten nicht zugute. Sie erfüllt also den humanitären Zweck, dem sie angeblich dienen soll, nicht. Es besteht die Gefahr, daß den Deutschen, die ausreisen wollen, aber denen die Ausreise nicht genehmigt wird, weiterhin Nachteile erwachsen, so wie wir es leider in der Vergangenheit haben erleben müssen. Über die Hälfte derer, die ausreisen wollen, dürfen nicht ausreisen. Auf die Auswahl der Ausreisenden hat die deutsche Seite keinen Einfluß. Die Lage der dann Zurückbleibenden wird noch schwerer sein, als sie jetzt schon ist, zumal ihnen Rechte auf Gebrauch der eigenen Sprache und kulturelle Eigenständigkeit nicht eingeräumt werden.
Auch die Regierung Schmidt /Genscher hat sich mit dieser Vereinbarung in die Kette ihrer Vorgänger eingereiht, in diese Kette — „Teufelskreis" hat der Außenminister gesagt — von sich immer wiederholenden und sich immer wieder steigernden Forderungen, die gegen uns erhoben werden. Die CDU/ CSU tritt den Vereinbarungen aus diesem Grunde entgegen und nicht, weil sie nicht mit Energie und zielbewußt für die Versöhnung zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk eintreten wollte.
Die CDU/CSU betont aber auch die grundgesetzliche Obhuts- und Schutzpflicht der Bundesrepublik Deutschland für alle im polnischen Hoheitsbereich lebenden Deutschen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie fordert, daß diesen Deutschen die völkerrechtlich immer von neuem, zuletzt auf der Konferenz von Helsinki verbrieften Rechte auf Freizügigkeit gewährt werden. Sie fordert vertragliche Vereinbarung mit der Republik Polen, durch die die Lage der dort lebenden Deutschen rechtlich und tatsächlich verbessert wird. Dies müssen die Zielvorstellungen einer deutschen Politik sein, die auf einen wahren Ausgleich ausgerichtet ist. Ihnen fühlt sich die CDU/CSU verpflichtet. Sie wird sie zu verwirklichen suchen, sobald sie die Regierungsverantwortung in diesem Lande übernimmt.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0720202000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0720202100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Ministerpräsident Kohl hat vorhin hier sein Recht betont, als Bundesratsmitglied sprechen zu können. Dieses Recht ist völlig unbestritten.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0720202200
Herr Abgeordneter, ich möchte Sie einen Augenblick unterbrechen und zur Geschäftslage folgendes sagen. Es liegen noch eine Reihe von Wortmeldungen vor. Wir tagen ohne Mittagspause durch. Die Fragestunde wird entsprechend verschoben.
Bitte schön, Herr Abgeordneter!

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0720202300
Herr Ministerpräsident, das Recht, hier als Bundesratsmitglied zu sprechen, ist unbestritten. Sie haben dann deutlich gemacht, daß Sie als Parteivorsitzender sprechen. Man kann sich natürlich fragen, ob das die Väter des Grundgesetzes bei der Formulierung, daß jederzeit der Bundesrat das Wort ergreifen könne, im Auge hatten. Aber auch darüber will ich hier nicht rechten und streiten. Herr Kollege Kohl und Herr Kollege Carstens, daß Sie aber die Einführung Ihrer Reden zu



Mischnick
den deutsch-polnischen Vereinbarungen hier benutzt haben, um eine Art Vorverlegung des Bundestagswahlkampfes durchzuführen, das beweist einmal mehr, wie wenig Sie das Gewicht dieser Verträge achten und wie hoch Sie die innerpolitische Auseinandersetzung ansehen. Das ist doch das Betrübliche.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Haben Sie die Rede von Herrn Friedrich denn nicht gehört? Das hat er doch zumindest mitprovoziert!)

Damit ist natürlich der Ton zur Sache mit bestimmt.
Man darf sich dann nicht wundern, daß manche
Reaktionen eben in der gleichen Weise geschehen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat denn vor Herrn Kohl geredet!)

„Wenn wir den Sinn des Vertrages in der Aussöhnung mit Polen sehen, dann müssen wir uns im klaren darüber sein, daß es mehr auf das Verhalten der Deutschen als auf den Wortlaut des Vertrages ankommt." Dies hat der, wie ich meine, auch sicherlich bei der CDU hochangesehene Publizist Klaus Mehnert als Mahnung im November 1970 geschrieben, als der „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen" zur Diskussion stand. Klaus Mehnert, der sich ausdrücklich als „patriotischer Deutscher" bezeichnete, warnte vor wilden Reden, warnte vor erbitterten Kämpfen gegen den Vertrag und warnte vor einer lediglich knappen Mehrheit im Deutschen Bundestag für das Vertragswerk. Seine Warnung war damals leider vergebens.
Es wurden damals wie heute Emotionen geschürt; das ist heute früh wieder der Fall gewesen. Es wurde von der Opposition gegen diese Verträge, ganz gleich, wo und wie sie organisiert waren, kleinlich hin und her taktiert, und es wurde die Chance verspielt, durch eine eindrucksvolle Mehrheit im Deutschen Bundestag den doch von allen Parteien immer wieder beschworenen Willen zur Aussöhnung mit dem polnischen Volk auch in weitgehender Geschlossenheit zu manifestieren.
Der bisherige Verlauf der Debatte und vor allen Dingen die Entwicklung der vergangenen Wochen nähren die Befürchtung, daß erneut eine Chance vertan wird, daß gerade noch das Notwendigste gerettet werden kann. Die Ursache dafür, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist doch nicht zuletzt in dem von der CDU/CSU sorgsam gepflegten Mißverständnis zu suchen, daß die Politik der Entspannung — in diesem Fall speziell die Aussöhnung mit Polen — der rechte Stoff für innenpolitische Kontroversen sei. Dieser grundlegende Irrtum, der durch die unionsinternen Machtkämpfe noch zusätzliche Nahrung erhält, macht die Diskussion doch so schwer.
Dieses alles läßt das Signal über die deutschpolnische Grenze hinweg eben nicht so deutlich ausfallen, wie es sein könnte und in unser aller Interesse sein müßte. Ich weiß nicht, ob die Verantwortlichen in CDU und CSU das nicht sehen wollen oder nicht sehen können. Beides spräche gegen sie.

(Wehner [SPD]: Sehr wahr!)

Ich stelle für die Freien Demokraten unmißverständlich fest: Wir wollen die Aussöhnung und die Verständigung mit Polen, und wir setzen diesen Willen auch in praktische Entscheidungen um; darauf kommt es an.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Deshalb bejahen wir das Abkommen über die Renten- und Unfallversicherung, das zweiseitige Protokoll über die Ausreise von 120 000 bis 125 000 Deutschen in die Bundesrepublik und das Abkommen über die Gewährung eines Finanzkredits sowie das ebenfalls vereinbarte langfristige Programm für die Entwicklung der wirtschaftlichen, industriellen und technischen Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten.
Wir tun das in dem Wissen um die Tatsache, daß nach jahrelangen zähen Verhandlungen ein Kompromiß erreicht wurde, der beiden Seiten Abstriche von ihren Ausgangspositionen zumutet. Aber vor die Frage gestellt, ob das heute Erreichbare oder die Vertröstung auf ein ungewisses Übermorgen bevorzugt werden soll, wird sich jeder vernünftige und weitsichtige Politiker für das heute Mögliche entscheiden müssen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren, die Haltung „Alles oder nichts" ist unpolitisch. Das Warten auf ein besseres Morgen hat doch die Deutschland- und die Ostpolitik immer nur zu einer Verschlechterung ihrer Position gebracht.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Wer sagt denn das?)

Die Zeit während der Hauptverantwortung der CDU/CSU-geführten Regierung hat eben nicht für uns, sondern gegen uns gearbeitet. Heute brächte uns Zuwarten auch nicht weiter, sondern nur in schwierigere Positionen. Das ist doch ein Tatbestand.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Sie argumentieren gegen ein Gespenst!)

Wir sollten doch nicht vergessen, daß eine ähnliche Diskussion, wie wir sie hier führen, auch in Polen geführt wird. Die Probe auf die Fähigkeit zum fairen Interessenausgleich mußte und muß hüben wie drüben jetzt durchgestanden werden. Niemand in diesem Hause sollte so tun, als ob hier nur einseitige Leistungen erbracht würden. Niemand sollte so tun, als ob die Ausreise von mehr als 120 000 Menschen aus Polen für diesen Staat so einfach wäre. Und niemand sollte so tun, als ob es keine leidvolle deutsch-polnische Vergangenheit zu bewältigen gilt, zu überwinden gilt, die doch für uns alle eine moralische Herausforderung darstellt.
Als der deutsch-polnische Vertrag unterzeichnet wurde, schrieb die „Wiener Kronen-Zeitung" — ich zitiere —:



Mischnick
Kämpfen und töten, beherrschen und morden, hassen und rächen und wieder töten — diese Vokabeln dienten allzu lange zur sogenannten Verständigung zwischen Deutschen und Polen. Unzählige Menschen verloren Leben oder Heimat. Sie litten und starben, egal in welcher Sprache ihre letzten Worte geflüstert wurden.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das ist allgemein bekannt!)

Nur der Haß, der starb nicht.
Wir haben uns zum Ziel gesetzt, diesen Haß zu überwinden.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das haben wir doch alle gemacht!)

Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, die in der Vergangenheit aufgerissenen Abgründe zu überbrücken und einander näherzukommen.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das haben wir doch alle getan, Herr Kollege, und nicht nur Sie!)

— Ich spreche im Augenblick von „wir". Ob wir von der Koalition dies alleine sind, wird sich bei cien Entscheidungen ja erweisen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Das ist ein Gebot der Moral, der Menschlichkeit wie auch der politischen Vernunft. Aber, Herr Kollege Mertes, es genügt eben nicht, nur Worte zu machen, nur zu reden.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Es muß auch praktiziert werden. Darum geht es!

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Man muß doch über die Qualität von Verträgen diskutieren können!)

— Aber natürlich kann man über die Verträge diskutieren. Aber wenn man schon die Fraktion, bevor überhaupt in den Ausschüssen diskutiert wird, auf eine einheitliche Haltung einschwört, damit ja niemand ausbricht, so zeigt das doch, was Sie von der Diskussion halten. Das ist doch der Punkt.

(Beifall bei der FDP und ,der SPD)

Meine Damen und Herren, nicht zum erstenmal können wir uns in außenpolitischen Fragen dabei auch auf Konrad Adenauer berufen, dessen herausragende Leistung unbestritten die Aussöhnung mit Frankreich ist und der die Notwendigkeit einer Aussöhnung mit Polen in den gleichen Rang erhob. Jedermann mag sich seine Gedanken darüber machen, wie sich dieses Postulat Adenauers mit der Haltung der CDU/CSU-Führung zu den deutsch-polnischen Vereinbarungen verträgt. Dazu will ich keinen publizistischen Gegner der Union hier zitieren, sondern aus der „Welt" vom 26. Oktober den folgenden Satz von Georg Schröder nehmen. Er schrieb:
Zumindest für eine Gruppe namhafter CDU- Politiker geht es schon nicht mehr vordringlich um die Frage der Zustimmung oder Ablehnung ides Polen-Abkommens, sondern um die offen-
bar gewordene Führungskrise in den Unionsparteien.

(Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Oh je, oh je! Leier, Leier!)

So Schröder.
Und Herr Strauß sagte ja vor der Fraktion der CDU/CSU nach der „Süddeutschen Zeitung" vom 5. November —ich zitiere —:
Hier geht es nicht um irgendeine Entscheidung, sondern um die Einheit und Geschlossenheit der Union.
Wenn man so argumentiert, dann ist natürlich die Behauptung, man wolle prüfen, man habe das Recht dazu, in den luftleeren Raum gestellt. Dann hat man sich entschieden, bevor man geprüft hat. Dann will man andere zwingen, sich so zu entscheiden, wie es vorprogrammiert ist, ohne die Chance zu geben, andere Informationsmöglichkeiten zu nutzen. Dagegen wehren wir uns.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren, wer noch immer nicht begriffen hat, daß die Vereinbarung mit Polen in der CDU/CSU nur als Mittel zum innerparteilichen und innenpolitischen Zweck genutzt worden ist

(Dr. von Bismarck [CDU/CSU] : Sie sollten sich schämen, so etwas zu sagen!)

— Sie werden sich gleich wundern, was ich jetzt zitiere —, der wurde am 5. Oktober im „Deutschland-Union-Dienst" vom CDU-Sprecher Weiskirch ganz offiziell aufgeklärt. Er kommt dort nämlich nach Darstellung der fraktionsinternen Abstimmung über die Abkommen und die Vereinbarungen aufatmend zu dem Schluß — jetzt das wörtliche Zitat —: „Polen-Verträge — causa finita". Man muß das zweimal lesen, um die Kaltschnäuzigkeit zu sehen, die hier dahintersteckt. Man war das Problem los, aber die Sache wurde nicht mehr diskutiert.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Das ist das, was ich angreife.

(Dr. von Bismarck [CDU/CSU] : Das ist eine Fälschung! Sie wissen das und tun es trotzdem! — Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Das hat er doch aufgeschrieben, und nun muß es auch gesagt werden!)

Meine Damen und Herren, nur weil die Aussage einheitlich sein sollte, wurde das Votum angesehener Kollegen — das ist doch nicht zu bestreiten — von Schröder bis Barzel, von Mikat bis Kiep mit Mehrheit überstimmt, und man verrannte sich in ein Nein. Man ist sozusagen erleichtert, daß man die Sache, die da so viel Unruhe gebracht hat, hinter sich hat.

(Zuruf von der FDP)

Meine Damen und Herren, so einfach können wir es uns mit einer solchen Vereinbarung nicht machen. Sie tragen in hohem Maße Mitverantwortung, vor allem durch Ihre Einflußnahme über den Bundesrat. Sie können nicht einfach nur so ein bißchen von Versöhnung reden und sich im übrigen



Mischnick
vorrangig darum kümmern, wie der Familienstreit erledigt wird. Sie sollten sich statt dessen daran erinnern, daß Sie auch ein C in Ihrem Namen tragen. Sie sollten sich daran erinnern, daß der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Julius Döpfner, die Bedeutung der Aussöhnung mit dem polnischen Volk hervorgehoben und auf die Opfer hingewiesen hat, die dafür zu bringen sind. Der Sekretär der Bischofskonferenz hat am 10. November ausdrücklich festgehalten: „Diese Aussage gilt nach wie vor."

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0720202400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes (Gerolstein)?

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0720202500
Ich immer.

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0720202600
Herr Kollege Mischnick, ist Ihnen bekannt, daß der von Ihnen zitierte Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz dem Sinn nach aber auch hinzugefügt hat, keine der in dieser politischen Sache streitenden Parteien könne für sich allein in Anspruch nehmen, Versöhnung im christlichen Sinne zu praktizieren?

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0720202700
Das behaupte ich auch gar nicht. Ich bin ja noch lange nicht fertig. Sie werden feststellen, daß ich Ihre Aussöhnungsbereitschaft durchaus erwähnt habe und nur gesagt habe: Bei Worten darf es nicht bleiben, es müssen Taten folgen. Darauf kommt es an.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Die CDU/CSU sollte sich auch an das erinnern, was in der Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands über die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn steht: Sie tritt dafür ein,
das Verhältnis der Völker, namentlich das zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk, neu zu ordnen und dabei Begriff und Sache der Versöhnung auch in das politische Handeln als einen unentbehrlichen Faktor einzuführen.
Soweit die Denkschrift der evangelischen Kirche.
Es war doch dann nur konsequent, daß die vor kurzem in Freiburg tagende Synode der evangelischen Kirche uns Parlamentarier mit eindringlichen Worten an die Verantwortung für die Menschen erinnert hat. Wörtlich heißt es dort — ich zitiere —:
Annahme oder Ablehnung der jetzt zur parlamentarischen Behandlung anstehenden Verträge und Protokolle haben entscheidenden Einfluß darauf, ob Deutsche und Polen auf diesem Weg vorankommen oder ob die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur Volksrepublik Polen schwer absehbaren Folgen ausgesetzt sein werden. Daher bittet die Synode die politisch Verantwortlichen, diese Versöhnung bei voller Würdigung aller gegen die Vereinbarung vorgebrachten Bedenken nicht scheitern zu lassen.
Soweit das Zitat.
Meine Damen und Herren, es wirft ein bedenkliches Licht auf den Zustand und die Verantwortungsfähigkeit der Union, daß als einzige Resonanz auf diese Stimme bisher vom CSU-Kollegen Roser zu hören war, die evangelische Kirche möge sich gefälligst nicht in das politische Geschehen einmischen. Wie ist das? Sollen sich die Kirchen nur äußern dürfen, wenn es um Reform des Eherechts und um § 218 geht?

(Sehr richtig! bei der SPD)

Oder sind die Christen nicht mindestens in gleichem Maße aufgefordert, wenn Aussöhnung zwischen Völkern und Hilfe für viele Menschen zur Entscheidung anstehen? Sie sind dabei, Ihren Anspruch auf politisches Handeln aus christlicher Verantwortung selbst ad absurdum zu führen, wenn diese einzelne Stimme eine allgemeine Meinung werden sollte. Es wäre gut, wenn noch hier von dem Parteivorsitzenden der Unions-, nein, der CDU — ich hätte bald gesagt: der Unionsparteien — ein klares Wort dazu gesagt würde.
Bei all dem kann ich nur sagen: Es tut weh, wenn man nur zu der Feststellung kommt: Wir sind alle für die Aussöhnung zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk, und dann keine Konsequenzen zieht. Gewiß, nur reichen die Worte „Aussöhnung und Verständnis, Bereitschaft zu schmerzhaften Opfern" nicht aus — so wörtlich Ihr früherer Kollege Dr. Dichgans damals in der Zeitschrift „Publik". Für die CDU/CSU ist dieser Hinweis unverändert aktuell, einfach deshalb, weil sich die Union trotz gegenteiliger Beteuerungen noch immer nicht mit den Verträgen abfinden kann, die zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen sowie mit der Sowjetunion geschlossen worden sind. Sie haben sich zu sehr in ihre undifferenzierte Gegnerschaft zur praktischen Entspannungspolitik treiben lassen, als daß Sie noch ohne Anspannung aller Kräfte aus dieser Sackgasse zurückführen oder herausfinden können.
Bei „führen" fällt mir natürlich ein, daß Heinz Schweden geschrieben hat: „Der CSU-Chef führt in der Polenfrage, der CDU/CSU-Kanzlerkandidat müßte es tun." Sehen Sie, das ist doch das Schlimme und auch die bittere Wahrheit, die ein Mann wie Robert Schmelzer, der doch nicht in die Reihen der Koalition gehört, sondern in seiner Grundeinstellung zur Opposition zu rechnen ist, in der „Frankfurter Neuen Presse" vom 27. Oktober ausspricht:
Was der CSU-Vorsitzende Strauß von seinen Abgeordnetenkollegen im Bundestag gefordert hat, ist das imperative Mandat von oben.
So Robert Schmelzer. Er führt weiter aus:
Strauß ... läßt völlig außer acht, daß die auch von der CDU gewünschten guten Beziehungen zu Polen bei einem Nein zu Eis erstarren würden.
Meine Damen und Herren, ich habe diese Zitate aus dem Lager, das Ihnen, der Opposition, nähersteht, deshalb ins Bewußtsein gerufen, weil vor allem ,die Verquickung der deutsch-polnischen Versöhnungsidee mit unionsinternen Personalfragen



Mischnick
auch in der Union nahestehenden Kreisen auf immer mehr Unverständnis stößt und immer weniger verstanden wird. Ich weiß nicht, vermag sich die Oppositnon überhaupt vorzustellen, welche Betroffenheit ihre Haltung erst recht bei jenen auslösen muß, um die es jetzt im einzelnen geht? 120 000 bis 125 000 Menschen können in den nächsten vier Jahren ausreisen, wenn den Vereinbarungen nichts in den Weg gelegt wird. Ein Anfang ist bereits gemacht worden. Die polnische Regierung hat im Oktober über 2 500 Deutschen die Erlaubnis zur Umsiedlung in die Bundesrepublik erteilt. Umgerechnet sind das im Jahr 30 000 und in vier Jahren 120 000. Aber weil das eben noch nicht alle Ausreisewilligen sind, sollen sie sich, bitte schön, noch eine ganze Weile gedulden, meinen die Gegner der Vereinbarung. Ihre Logik richtet sich gegen die Menschen, die jetzt endlich die Chance haben, zu uns zu kommen. Das ist in meinen Augen eine unmenschliche Logik.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren, hinzu kommt dann die Angstmacherei, daß nach Abschluß der deutschpolnischen Vereinbarungen andere Staaten mit hohen finanziellen Forderungen aufwarten würden. Kann man sich bei der Unionsführung eigentlich nicht vorstellen, daß gerade mit solchen Behauptungen gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland argumentiert wird, daß damit der kapitale Fehler wiederholt wird, den sich die CDU/ CSU leistete, als sie die Ostverträge in spitzfindigem Aberwitz zugunsten der anderen Staaten interpretierte? Wer so argumentiert, nur um seiner Regierung etwas anhängen zur können, dient allen möglichen Interessen, aber nicht den Interessen unseres Landes.

(Beifall bei der FDP)

Mir scheint, daß hier das Mißtrauen aus anderen Gründen so ausgeprägt ist, daß man den klaren Blick, wie die Oppositionsredner heute bewiesen haben, für das, was jetzt wirklich ansteht, völlig verloren hat. Anders kann ich mir auch nicht die verschiedenen und unterschiedlichen und widersprüchlichen Auslassungen zu den einzelnen Sachpunkten erklären.
Nehmen wir das Ausreiseprotokoll, das die Opposition — wiederum gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland — als unverbindlich abtut. Meine Damen und Herren von der Union, es stimmt doch einfach nicht, was Sie da behaupten. Das Dokument trägt die Unterschrift des polnischen und des deutschen Außenministers.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Warum fehlt sie in der Drucksache?)

— Es wird gerade nachgeprüft, weshalb sie nicht in der Drucksache aufgenommen ist. Es trägt aber beide Unterschriften.
Durch diese Unterzeichnung ist das Protokoll bindend geworden. Wer den Wert dieses Protokolls mindert, mindert doch in Wahrheit jegliche Unterschrift und jegliches Vertragswerk. Er offenbart, daß er in Wirklichkeit nicht nur gegen bestimmte Abmachungen, sondern überhaupt gegen darartige
Vereinbarungen im Zuge der Entspannungspolitik ist.
Nichts als Mißtrauen, das sich auf Tatsachen gar nicht stützen kann, lenkt doch auch den Sinn und die Zunge, wenn der polnischen Seite unterstellt wird — wie das draußen zum Teil geschieht —, vor allem nur alte und erwerbsunfähige Bürger ausreisen zu lassen. In Wahrheit handelt es sich doch in den meisten Fällen um Familien, die sich um die Ausreise bemühen, so daß die Altersstruktur durchaus dem Bevölkerungsdurchschnitt entsprechen dürfte. Aus der Altersstatistik über die Aufnahme im Durchgangslager Friedland für die zweite Jahreshälfte 1974 läßt sich das sehr gut ableiten. Über 26 % der Aussiedler waren Kinder unter 15 Jahre, rund 10% befanden sich im Alter zwischen 15 und 20 Jahren, 7 % zwischen 21 und 30 Jahren, fast 19% zwischen 31 und 40 Jahren, über 13 % zwischen 41 und 50 Jahren und lediglich 6,7 % zwischen 51 und 60 sowie zwischen 61 und 65 Jahren, 11 % waren älter als 65 Jahre. Warum dann draußen die Behauptung, es ginge hier nur darum, ältere Menschen aussiedeln zu lassen?
Ich weiß, solche Zahlen verfangen natürlich dort nicht, wo Realitäten nur als störend empfunden werden und die Pflege von Vorurteilen als Politik begriffen wird. Dieses Prinzip findet nach meiner Überzeugung auch bei der Wertung des Renten- und Unfallversicherungsabkommens Anwendung. Sie wollen doch einfach nicht wahrhaben, daß eine Abgeltung von Sozialversicherungsansprüchen in Form von Pauschalzahlungen auch von CDU/CSU-geführten Regierungen — etwa mit Jugoslawien, Osterreich und den Niederlanden — vereinbart wurde.

(Zuruf des Abg. Dr. Czaja [CDU/CSU] — Natürlich sind Pauschalvereinbarungen getroffen worden. Daß sie in ihrer Durchführung unterschiedlich sind, wissen wir. Sie möchten doch auch einfach darüber hinwegpolemisieren, daß diese Abkommen für Deutsche in Polen wie in der Bundesrepublik selbst bestimmte Vorteile bringen. So werden Deutsche, die in Polen leben, voll in das polnische Rentenund Unfallversicherungssystem eingegliedert. Fürsorgeähnliche Leistungen, die sie jetzt erhalten, werden durch echte Leistungsansprüche ersetzt. Weiter werden deutsche Versicherungszeiten von polnischen Versicherungsträgern künftig in vollem Umfang angerechnet. Und Bürger der Bundesrepublik Deutschland, die in Polen versichert waren, erhalten künftig sozialversicherungsrechtliche Vergünstigungen, soweit sie diese nicht schon als Vertriebene hatten und die nun entsprechend umgestellt werden. (Franke [Osnabrück] [CDU/CSU] : Muß man dazu einen internationalen Vertrag abschließen? — Gegenruf des Abg. Dr. Arndt [Hamburg] [SPD] : Natürlich!)

— Ja, um alles das zu erfassen, was eben durch unsere Gesetzgebung nicht erfaßt war.
Ich könnte die Liste der Vorteile noch verlängern. Ich habe nur das eigenartige Gefühl, daß Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU,



Mischnick
sich nicht gern mit Fakten auseinandersetzen wollen. Es ist offensichtlich verlockender, erfolgsträchtiger, Zahlen, die nicht zusammengehören — wie etwa die aus dem Rentenabkommen und die über die Gewährung eines Finanzkredits — aufeinanderzutürmen und mit Bosheiten zu versehen. Um nur wieder einige dieser Bosheiten zu nennen: Die Deutschen in Polen würden zu „Geiseln und Handelsobjekten", Menschlichkeit und Versöhnung würden „zu unbegrenzten östlichen Erpressungshebeln politischer und finanzieller Art erniedrigt". Wenn ein solches Abkommen mit solchen Sätzen gekennzeichnet wird, kann einen nur schaudern.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Diese Kennzeichnungen zielen nicht auf Verständigung und auf den Verstand, sondern auf Gegeneinander und Emotionen, so wie das heute früh zum Teil auch geschah.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Sie meinen den Kollegen Friedrich?)

Wie sagte doch unser verehrter Herr Kollege Dregger unter rauschendem Beifall der Hamburger CDU? Er sagte doch wörtlich — so aus der Presse entnommen —: „Wir dürfen uns vor Emotionen nicht fürchten, wir müssen sie wecken."

(Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Hört! Hört!)

Sie nicken mir zu, Herr Kollege Dregger. Diese Strategie und dieses Hoffen auf eine bestimmte Art von Volksempfinden ist nicht neu, aber sie können verheerende Folgen haben.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Dregger [CDU/CSU] : Das ist sehr schmutzig! — Dr. von Bismarck [CDU/CSU] : Schämen Sie sich!)

Ich warne vor dem Spiel mit dem Feuer. Ich warne vor dem riskanten Unterfangen, Ressentiments zu züchten und Geister zu rufen, die sich gegen den inneren und äußeren Frieden richten,

(Dr. Dregger [CDU/CSU] : Es gibt auch gute Gefühle!)

ganz gleich, von welcher Seite das geschieht. Wer immer diese Sorge und diese Warnung mit Empörung beantwortet, der sollte sie an die richtige Adresse richten, an die nämlich, die Emotionen wecken, statt Politik zu machen.
Wenn Worte noch einen Sinn haben, dann lese ich aus denen, die Franz Josef Strauß in dem Brief an die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion und die Ministerpräsidenten der CDU/CSU-regierten Länder gewählt hat, die unbedingte Absicht zur rücksichtslosen Konfrontation auch um den Preis der erneuten Zerstörung mühsam geknüpfter Verbindungen zu unserem östlichen Nachbarn.
Ein Kollege vom Kollegen Strauß, nämlich Staatsminister Heubl aus Bayern, hat sich kürzlich im Bundesrat um moderatere Töne bemüht und vier Punkte genannt, auf die sich die Demokraten in diesem Lande verständigen können und sollen. Er sagte, die gemeinsame Überzeugung sei, daß Politik und moralische Verantwortung nicht zu trennen seien. Er versicherte auch: „Wir alle sind für die
Entspannung". Er hob die Anerkennung eines Sonderverhältnisses zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich auf der einen Seite und zwischen der Volksrepublik Polen und den Deutschen auf der anderen Seite hervor,

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das ist alte CDU/CSU-Tradition!)

und er stellte fest: Wir haben gemeinsam die Verantwortung für den Menschen. Jeder dieser vier Punkte findet unseren Beifall.
Das Betrübliche daran ist doch nur: Sie tragen den Stempel der Unverbindlichkeit, solange sie durch die Drohgebärden des mächtigsten Mannes der CSU nicht umgesetzt werden können, sondern Worte bleiben, nur verbal bleiben. Das ist doch das Problem.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn von Pseudomenschlichkeit gesprochen wird, wenn 120 000 Menschen ausreisen können, dann ist das eine Behandlung dieser Frage, die wir ablehnen müssen.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Herr Kollege Strauß meint die 160 000, die bleiben müssen!)

Auch dazu werde ich noch etwas sagen. Daß dabei auch noch die gesamte Unionsführung mit in dieses Abseits gedrängt wurde, ist eine Hypothek nicht nur für die Union, sondern für uns alle.
Unser Kollege Gerhard Schröder, der Mann — das ist jedenfalls mein Urteil —, der die höchstentwikkelten außenpolitischen Fähigkeiten in der Union hat, mußte mit dem Versuch scheitern, die Auseinandersetzungen innerhalb der CDU/CSU auf den Kern zu führen. Er hat im Deutschen Fernsehen am 25. Oktober erklärt — ich zitiere —:
Für mich ist die entscheidende Frage die: Was wird aus den Menschen, die hierher kommen wollen? Ich habe die Meinung, wir müssen alles tun — da es sich um eine große Anzahl von Menschen handelt, um so mehr —, das zu unterstützen. Und ich glaube, wir müssen gleichzeitig eine Linie ziehen, die in die Zukunft hineinwirkt.
Aus diesen Sätzen sprechen Verantwortungsbereitschaft, Nüchternheit und mitmenschliches Engagement.
Muß es nicht jeden nachdenklichen Bürger bedenklich stimmen, daß solche Wertbegriffe bei der CDU/CSU nicht mehr allgemein auf fruchtbaren Boden fallen, zumindest nicht mehr von ausschlaggebender Bedeutung für die Gesamtentscheidung sind? Ich hoffe noch, daß es vielleicht mehr werden, die dies alles erkennen und sehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, innerhalb aller dieser Vereinbarungen hat für uns das Ausreiseprotokoll den höchsten Stellenwert. Im Zusammenhang mit dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen hatte damals die



Mischnick
polnische Regierung eine Information über Maßnahmen zur Lösung humanitärer Fragen abgegeben.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. SchmittVockenhausen)

Seit Anfang August 1971 konnten nahezu 58 000 Menschen aus der Volksrepublik Polen ausreisen. Nun bringt das Ausreiseprotokoll einen weiteren erheblichen Fortschritt. Die polnische Regierung hat sich gegenüber der Bundesregierung verpflichtet, etwa 120 000 bis 125 000 Personen im Laufe der nächtsen vier Jahre die Genehmigung zur Ausreise zu geben. Es ist auch — entgegen anderslautenden Behauptungen — nicht richtig, daß nach diesen vier Jahren keine Ausreiseanträge mehr gestellt werden können und daß sie von vornherein als erledigt angesehen werden. Erst in diesen Tagen hat die Regierung in Warschau betont, daß nach Ablauf der vier Jahre und nach Ausreise der genannten Zahl der Deutschen auf der Grundlage der „Information von 1970 weiterhin Ausreiseanträge gestellt werden können. Das ist übrigens in der Offenhalteklausel ausdrücklich gesichert worden.
Meine Damen und Herren, wenn man dies alles zusammennimmt und nun die gesamten Vereinbarungen würdigt, dann steht für uns Liberale der Einsatz für den Menschen und die Menschlichkeit im Mittelpunkt des politischen Handelns, innenpolitisch wie außenpolitisch. Aus ihm leiten wir die Aufforderung zu unmittelbaren politischen Entscheidungen und zur Beachtung konkreter Tatsachen ab. Das bedeutet aber auch, daß wir uns nicht damit begnügen können feststellen, daß nach den fast 60 000 Deutschen, die auf Grund des Abschlusses des Warschauer Vertrages gekommen sind, jetzt weitere 120 000 bis 125 000 Deutschen die Umsiedlung ermöglicht werden soll. Wir müssen und werden auch alles daran setzen, daß den Mitbürgern, die jetzt zu uns kommen, das Einleben erleichtert wird. Viele von ihnen werden nicht nur wirtschaftlich, sondern auch menschlich schwierige Situationen zu meistern haben. Das gilt nicht zuletzt für die jungen Menschen, die aus ihrem bisherigen Lebensbereich herausgerissen werden und noch keinerlei Beziehungen zum Vaterland ihrer Eltern haben. Sie brauchen mitfühlende Fürsorge.
Deser Appell geht nicht nur an die Parteien und Behörden, sondern auch an die Kirchen und an die Bürger insgesamt. Die Umsiedler aus Polen sollen spüren, daß sie willkommen sind und daß Integrationsprobleme, vor die sie gestellt werden, am besten gemeinsam gelöst werden können. Man unterschätze die Schwierigkeiten nicht, die darin liegen, daß ein Wechsel der Gesellschaftsform vorgenommen wird, die durch die Unterschiede in den Ausbildungs- und Berufsgängen und durch die sprachliche Umstellung auftreten. Für Nachbarn und Arbeitskollegen, für Lehrer und Mitschüler, aber auch für die Verbände sowohl karitativer Art als auch für den Bund der Vertriebenen stellen sich hier zusätzliche Aufgaben. Gerade diejenigen, die immer wieder an zu geringen Umsiedlerzahlen Kritik geübt haben, sollten jetzt konsequent sein und aktiv mithelfen, daß die Ubersiedlung nicht zur Enttäuschung wird.
Die vorliegenden Vereinbarungen mit Polen bringen uns auf humanitärem, auf wirtschaftlichem und rentenrechtlichem Gebiet einen Schritt voran. Es ist ein Schritt weg von einer unseligen Vergangenheit und ein Schritt in eine von Verständnis und Zusammenarbeit bestimmte Zukunft. Wir haben keinen Anlaß, etwas anderes darzustellen, als was ist. Der Kollege Carstens hat mir in einer der letzten Sitzungen vorgeworfen, ich betriebe Täuschung. Dazu kann ich nur feststellen: Derjenige täuscht, der die Fakten nicht so nüchtern und klar darstellt, wie wir es uns hier immer zu tun bemüht haben, und Emotionen weckt, um damit die Fakten vom Tisch wischen zu wollen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren, es wäre für uns alle gut und für die Völker von größter Bedeutung, wenn alle Parteien den Willen zur Aussöhnung nicht nur gemeinsam beschwörten, sondern auch durch tatkräftiges Handeln unterstützten und verwirklichten.

(Erneuter Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720202800
Diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die sich auf die Fragestunde vorbereiten, möchte ich darauf hinweisen, daß sie erst nach Beendigung der Debatte beginnt.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0720202900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst die elf Antworten unterstreichen, die Herr Kollege Genscher im Detail auf die elf Fragen gegeben hat, die die Opposition im Bundesrat aufgeworfen hatte. Der Herr Ministerpräsident Kohl, der gegenwärtig genausowenig anwesend ist wie der Oppositionsführer, Herr Professor Carstens,

(Zurufe von der CDU/CSU: Na, Na! — Er ist gerade rausgegangen! — Sie sind auch nicht immer anwesend! — Er wird schon wiederkommen!)

hat darauf verzichtet, auf die Antworten des Herrn Bundesministers des Auswärtigen einzugehen, die ihm anderthalb Stunden, bevor er selber sprach, gegeben worden sind. Er hat statt dessen einfach noch einmal die alten Fragen vorgelesen.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Weil sie nicht beantwortet waren!)

Auch die zugegebenermaßen etwas kleineren apparativen Möglichkeiten der Staatskanzlei eines deutschen Landes sollten es ermöglichen, eine Debatte so zu führen, daß man auf das eingeht, was der Vorredner gesagt hat.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Franke [Osnabrück] [CDU/CSU] : Sie waren wohl — wie so oft — nicht anwesend, als er das gemacht hat!)




Bundeskanzler Schmidt
Ich habe mich heute mittag nur zu Wort gemeldet, um auf das einzugehen, was die beiden Redner der CDU/CSU, nämlich Herr Ministerpräsident Kohl und Herr Professor Carstens, gesagt haben. Ich muß allerdings mit einer mehr formalen Bemerkung an die Adresse des Herrn Ministerpräsidenten Kohl — ich mache diese Bemerkung nicht nur für den heutigen Tag — beginnen. Er hätte — natürlich unter den Gesichtspunkten, die für die bisherige Einlassung der Mehrheit des Bundesrates entscheidend oder maßgeblich gewesen sind — die Antworten des Herrn Außenministers kritisch betrachten können. Er hätte aber nicht — ich bitte ihn, das in Zukunft bei seinen Auftritten in diesem Hause zu bedenken — am Beginn seiner Rede die Bemerkung machen dürfen, er spreche hier als Vorsitzender der CDU.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Lagershausen [CDU/CSU] : Das hat er nicht gesagt! Sie haben so schlecht wie in Warschau aufgepaßt! — Franke [Osnabrück] [CDU/CSU] : Warum darf er das nicht?)

— Ich habe genau aufgepaßt. Sie werden das im Protokoll nachlesen können.

(Franke [Osnabrück] [CDU/CSU] : Er darf das ruhig sagen, obwohl er es so nicht gesagt hat!)

— Ich freue mich über diesen Zuruf; Sie meinen, er dürfe das sagen. Das bestätigt die Richtigkeit der Empfehlung, die ich Ihnen geben möchte. Sie haben Juristen nicht nur in Ihrer Fraktion, sondern auch in Mainz. Ich bitte Sie, sich das Grundgesetz und die einschlägigen Kommentare zu Art. 43 genau anzusehen.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Ja und?)

Art. 43 unterscheidet sich von dem entsprechenden Artikel der Weimarer Reichsverfassung.

(Dr. Althammer [CDU/CSU] : Vorsicht mit Weimar!)

Nach der Weimarer Reichsverfassung hatten die Landesregierungen im damaligen Reichstag das Recht, ihre Auffassungen darzulegen. So stand es in der Verfassung.

(Lagershausen [CDU/CSU] : In der Geschichte sind Sie nicht kapitelfest!)

Aus wohlerwogenen Gründen steht in Art. 43 des Grundgesetzes, daß die Vertreter des Bundesrates im Bundestag jederzeit das Wort ergreifen können, aber eben nur in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Bundesrates, nicht einmal in ihrer Eigenschaft als Vertreter einer Landesregierung und schon gar nicht als Vorsitzende einer Partei. Jedenfalls möchte ich im Hinblick auf zukünftige Debatten empfehlen — —

(Dr. Häfele [CDU/CSU]: Wie wollen Sie das denn trennen?)

— Ich will Herrn Kohl nicht in zwei Hälften trennen; er hat es mit den beiden Hälften schwer genug, die er in seiner Polemik bedienen muß.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP)

Der Herr Ministerpräsident Kohl hat in diesem Hause Rederecht nur in seiner Eigenschaft als Mitglied des Bundesrates und in keiner sonstigen Eigenschaft.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Franke [Osnabrück] [CDU/CSU]: Die anderen Eigenschaften bringt er aber mit!)

Mir ist allerdings durchaus klar gewesen, zu welchem Zweck der Herr Ministerpräsident in seiner einleitenden Polemik als Parteivorsitzender hat sprechen wollen. Mir ist das von dem Augenblick an klar gewesen,

(Stücklen [CDU/CSU]: Dann ist es ja gut!)

wo er am 7. November aus wohlerwogenen politischen Gründen darauf verzichtet hat, bei der Verhandlung derselben Sache, die heute auf der Tagesordnung ,des Bundestages steht, im Bundesrat überhaupt auch nur anwesend zu sein.

(Zurufe von der SPD: Hört! Hört! — Unerhört! — Das ist so üblich!)

— Ich weiß nicht, ob das unerhört ist. Es ist interessant, darüber nachzudenken, warum er seinerzeit nicht hat anwesend sein wollen.

(Stücklen [CDU/CSU] : Das „Unerhört" kam von Ihrer Seite!)

— Ja, sicher, und ich habe auch auf unsere Seite geantwortet. Sie sollten aber auch zuhören, Herr Stücklen. Denn in Wirklichkeit ist es doch so: Ihr Parteifreund im engeren Sinne, der Herr Abgeordnete Strauß, hatte an sämtliche von der CDU geführten Landesregierungen einen öffentlich lesbaren, der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Brief geschrieben,

(Zurufe von der CDU/CSU: Äußerst kümmerlich! — Darf der keine Briefe schreiben?)

in dem diese Landesregierungen in einer sehr deutlichen Tonart aufgefordert wurden, bitte im Bundesrat für Ablehnung der deutsch-polnischen Abmachungen zu sorgen. Und der Herr Ministerpräsident von Mainz wollte sich — das verstehe ich sehr gut — nicht dem Eindruck aussetzen, als ob er öffentlich gegebene Weisungen seines Kernmannschaftsmitgliedes Strauß im Bundesrat befolgte.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Ihre Fraktion hat Weisungen befolgt! — Lagershausen [CDU/CSU] : Das hätten Sie wohl gern! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Statt dessen hat Herr Kohl hier heute morgen Worte gebraucht, die in einer polemisch geführten Bundestagsdebatte durchaus einmal vorkommen mögen; ich will auf sie nicht weiter eingehen. Nur wird er auf die Dauer dann, wenn es seine Art bleiben sollte, die Pflichten, die er nach dem Grundgesetz — und dort heißt es, die Länder wirken bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mit; das ist der Wortlaut des Art. 50 — im Bundesrat zu erfüllen hat, nicht erfüllt, wenn er aber zugleich hier



Bundeskanzler Schmidt
im Bundestage über das, was ihm geboten ist, hinauszugehen wünscht,

(Zuruf von der CDU/CSU: Oberzensor!)

seinerseits mit denselben Worten rechnen müssen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Oberlehrer!) wie er sie hier gebraucht hat.


(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Häfele [CDU/CSU] : Wie oft erfüllen Sie Ihre Pflicht, hier anwesend zu sein, nicht, Herr Bundeskanzler?)

Ich will Ihnen eines sagen, Herr Ministerpräsident. Sie dürfen — ich sage das ohne jede Polemik — —(Lachen bei der CDU/CSU — Franke [Osnabrück] [CDU/CSU] : Den Finger herunter!)

— Ich habe bisher noch kein polemisches Wort gesprochen,

(Beifall bei ,der SPD — Lachen bei 'der CDU/CSU)

ich könnte das, wie Sie sehr wohl wissen, auch, aber der Gegenstand ist dazu schlecht geeignet.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Sie, Herr Ministerpräsident Kohl, dürfen bei Prüfung Ihrer zukünftigen Möglichkeiten in ,dem Amt, das Sie zwar nicht erreichen werden, aber doch gegenwärtig anstreben,

(Zuruf von der CDU/CSU: Hellseher!)

Sie dürfen bei Prüfung der Aufgaben und Pflichten, die in jenem Amt auf Sie warten würden, die Auseinandersetzungen um die deutsch-polnischen Abmachungen nicht zum Instrument im Führungswettkampf innerhalb Ihrer Parteigruppierung machen.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Häfele [CDU/CSU] : Das ist Ihnen unangenehm, daß er gesprochen hat! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Wenn die Opposition im Bundesrat, Herr Ministerpräsident — —

(Zuruf von der CDU/CSU: Er mag ihn nicht! — Franke [Osnabrück] [CDU/CSU] : Herr Kohl ist auch größer als der!)

Wenn die Opposition im Bundesrat — —

(Franke [Osnabrück] [CDU/CSU] : Der Schmidt kann große Männer nicht leiden! — Heiterkeit und Beifall bei oder CDU/CSU — Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Höhere Schuhe anziehen!)

— Ich kann nur hoffen, daß alle diese Zwischenrufe im Deutschen Fernsehen und auch im Zweiten Deutschen Fernsehen übertragen werden, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD und der FDP — Franke [Osnabrück] [CDU/CSU]: Aber ja!)

Wenn die Opposition im Bundesrat mit dem Renten- und Unfallversicherungsabkommen eine der drei von uns vereinbarten Regelungen, die alle ein und demselben Versöhnungsziel dienen, zu Fall brächte,

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : So wäre es aus!)

so würde ein irreparabler Schaden eintreten.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Das haben wir schon so oft gehört, Herr Bundeskanzler! Das überzeugt keinen Menschen mehr!)

Erstens würde die Aussicht verschüttet sein auf eine weitere deutsch-polnische Annäherung und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Zweitens würden die von beiden Seiten und von Dritten allüberall in Europa mit Hoffnungen begleiteten geschaffenen ersten Ansätze zerstört werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Der eine kassiert, der andere opfert!)

Drittens würde für diejenigen Deutschen, die aus Polen hierher ausreisen möchten — für den größeren Teil derer, die jetzt noch dort sind, haben wir

(Zuruf von der CDU/CSU: Nichts getan!)

einen Weg eröffnet, damit ihnen das möglich wird, damit sie hier eine Heimat finden —, der Weg dazu versperrt werden. Das Gesamtergebnis käme einem Bruch mit der Volksrepublik Polen gleich und würde der von uns und auch von Ihnen — so haben wir gehört — gewollten dauerhaften friedlichen Gestaltung unseres Verhältnisses zu den osteuropäischen Nachbarvölkern einen unentbehrlichen Teil der Grundlage entziehen.
Die Enttäuschung würde nicht nur bei jenen 125 000 Deutschen in Polen, die sich jetzt darauf vorbereiten, im Laufe der nächsten vier Jahre auszureisen, eintreten, sondern — das versichere ich Ihnen aus meiner Befassung mit der Sache — in anderen europäischen Hauptstädten auch. Die Enttäuschung würde eintreten nicht nur in Warschau und in Polen, nicht nur in Osteuropa, sondern genauso in Nordeuropa, Westeuropa und Südeuropa. Sie stünden, wenn Sie wirklich jenes Amt bekämen, das Sie erstreben, dann vor der Lage, Scherben kitten zu müssen, zu denen Sie heute morgen beigetragen haben.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Häfele [CDU/CSU] : Wer hat denn den Vertrag gemacht?)

Sie kämen dann, wenn Sie in der Fortsetzung des außenpolitsichen Geschäfts anfingen, in die Situation, von Ihren Verhandlungspartnern gefragt zu werden, wie es eigentlich stehe mit der Vertragsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland. Diese setzen Sie gegenwärtig auch mit aufs Spiel.

(Wehner [SPD] : Sehr wahr! Das ist das Schlimmste!)

Es ist hier in den letzten Tagen von der CDU/CSU eingewandt worden, wir hätten uns halt vorher bei der Mehrheit des Bundesrats erkundigen sollen, was die Vertragsfähigkeit angeht, nachdem die Mehrheit im Deutschen Bundestag hinsichtlich der Ratifikation ja nicht bezweifelt werden kann. Ich will hier öffentlich erklären: Der Bundesminister des Auswärtigen



Bundeskanzler Schmidt
und der Bundeskanzler haben sich erkundigt und zureichende Antworten bekommen.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Ich will mich darüber hinaus mit diesem Punkt nicht näher beschäftigen.
Allen Beteiligten ist klar, daß die besonders starken historischen Belastungen des deutsch-polnischen Verhältnisses nur dann weggeräumt werden können und daß dieses Verhältnis auf eine zukünftige Zusammenarbeit nur dann ausgerichtet werden kann, wenn sich keine der beiden Seiten berechtigten Forderungen entzieht, die die andere Seite stellt, wenn beide Seiten auf maximale Forderungen verzichten, oder mit anderen Worten: wenn beide Seiten zu einem ausgewogenen und fairen Kompromiß willens sind. Man kann das auch anders ausdrücken und kann im Gegensatz zu Redensarten in früheren Zeiten der deutschen Geschichte den Satz aufstellen: Wer zum fairen Kompromiß mit seinen außenpolitischen Verhandlungspartnern und Nachbarn nicht fähig ist, wer gar zum Kompromiß nicht willens ist, der taugt nicht für eine Außenpolitik des Friedens.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU — Dr. Marx [CDU/CSU]: Zum fairen Kompromiß!)

Diese Feststellung wirft die Frage auf: Wann ist ein Kompromiß fair? Das ist in jedem konkreten Einzelfall konkret zu beurteilen.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Eben, darum geht es!)

Es gibt jedenfalls für politische Menschen eine als erster Anhalt dienende allgemeine politische Lebenserfahrung, die nicht nur aus der Außenpolitik, sondern auch aus dem innenpolitischen Kompromiß fließt. Auch in der Innenpolitik ist es ja so, daß derjenige, der vorn Prinzip her den Kompromiß ablehnt — etwa weil er ihn vom Prinzip oder von falscher Erziehung her für faul hält; es gibt auch faule Kompromisse —, zu einer demokratischen Gestaltung der Innenpolitik nicht zu gebrauchen ist.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Was nun den ersten Anhalt angeht, mit dem man einen Kompromiß als Politiker beurteilen kann, sei es ein außenpolitischer oder ein innenpolitischer Kompromiß, so ergibt sich der erste Augenschein, der sehr viel aussagt, daraus, daß man sieht, daß entweder beide Seiten gleich zufrieden sind oder beide Seiten gleich unzufrieden sind. Wenn beide Seiten mit einem ausgehandelten Kompromiß gleich unzufrieden sind, dann haben sie einen fairen Kompromiß zustande gebracht.
Ich habe überhaupt keinen Zweifel, daß so, wie Sie hier gegenwärtig die deutsche Bundesregierung kritisieren, Herr Ministerpräsident Kohl, auch die polnische Führung im eigenen Land unter anderen Gesichtspunkten durchaus nicht ohne Kritik gelassen wird.

(Dr. Hupka [CDU/CSU] : Es lebe die polnische Demokratie!)

— Dieser Zuruf, Herr Kollege, ist abermals ein Zeichen dafür, daß die Lippenbekenntnisse zur Versöhnung eben nicht ausreichen.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Franke [Osnabrück] [CDU/CSU] : Herr Bundeskanzler, Sie können doch nicht leugnen, daß es in Polen keine Meinungsfreiheit gibt! — Gegenruf des Abg. Wehner [SPD] : Halten Sie doch den Mund!)

Der Erste Sekretär der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei, Herr Edward Gierek, vor dem ich persönlich einen großen Respekt habe — wenn ich das hier sagen darf, ohne Ihre menschlichen Gefühle zu verletzen —, hat es sicherlich — sein Außenminister ebenso — genauso schwer gehabt wie der deutsche Bundesminister des Auswärtigen und der deutsche Bundeskanzler, einen Kompromiß mit herbeiführen zu helfen und ihn schließlich zu billigen, wie er heute vorliegt.

(Windelen [CDU/CSU] : Nach dem schlechten Warschauer Vertrag; das mag sein!)

Natürlich sind diesem Kompromiß zwischen zwei Völkern, die um des Friedens willen in Europa darauf angewiesen sind, sich auf dem Wege des Kompromisses zu verständigen,

(Beifall bei der SPD und der FDP)

schon früher Kompromisse vorangegangen, und es werden in manchen Fragen auch in der Zukunft Kompromisse notwendig sein. Derjenige von Ihnen, der Außenminister war oder der Staatssekretär im Auswärtigen Amt gewesen ist oder der Bundeskanzler werden möchte — Sie können sich das ja noch vorstellen oder werden es sich schon vorstellen können —, jemand, der Außenpolitik zu treiben hat, nicht nur Richtung Osten, sondern auch Richtung Westen, auch Richtung Süden, auch Richtung neutrale Staaten, auch was die Dritte Welt angeht — ob es sich nun um wirtschaftliche oder politische Probleme handelt —, der ist überall darauf angewiesen, faire Kompromisse zustande zu bringen.

(Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das ist doch selbstverständlich!)

Insofern — ich benutze gern die Gelegenheit, dies hier zu sagen — fühle ich mich und fühlen wir uns — ich darf es auch für meinen Kollegen Genscher und für das ganze Kabinett aussprechen — allerdings durchaus in der Kontinuität, in der Stetigkeit einer Außenpolitik gegenüber unseren osteuropäischen Nachbarstaaten und gegenüber unseren osteuropäischen Nachbarvölkern einschließlich der Völker der Sowjetunion und dem Staat der Sowjetunion, für die seinerzeit Brandt und Scheel die Grundlagen gelegt haben.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Für meine Person will ich das noch deutlicher sagen: Ich bekenne mich zur Kontinuität des auf Kompromiß angelegten Ausgleichs mit den Nachbarn im Osten genauso wie mit dem Westen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich habe erlebt, wie in jener langen Nacht in Helsinki schließlich wenige Männer auf beiden Sei-



Bundeskanzler Schmidt
ten nach Jahren der Vorverhandlungen in der finnischen Hauptstadt das zustande gebracht haben, was Sie jetzt ablehnen wollen. Ich erinnere mich an die Fragen, die auf deutscher Seite bestanden: „Was werden Herr Carstens und Herr Strauß dazu sagen?" Ich erinnere mich deutlich, auch die polnischen Sorgen in mich aufgenommen zu haben. Ich erinnere mich, daß Herr Gierek und ich darüber miteinander gesprochen haben, und ich erinnere mich, daß Herr Gierek gesagt hat: „Wissen Sie, wer in den Wald geht, der darf das Heulen der Wölfe nicht scheuen." Er hatte damit zum Ausdruck bringen wollen, daß — das wußten wir ohnehin —, wenn wir mit diesem Kompromiß nach Hause kommen, wir beide auch Kritik finden würden.

(Lagershausen [CDU/CSU] : Worin lag der Kompromiß?)

Die Kritik ist natürlich auch durchaus zulässig. Sie muß in einem gewissen Maße und zu gewissen Zeiträumen auch deswegen erfolgen, um die Verhandlungspositionen der jeweils eigenen Regierungen zu stärken und zu stützen.
Nun hat die konkrete Kritik im Falle dieses konkreten Kompromisses Ihrerseits an manchen einzelnen Punkten angesetzt. Nachdem sich Herr Genscher mit elf Punkten beschäftigt hat, will ich nun nicht noch zwei oder drei weitere daraufsetzen. Aber ich will einen oder zwei Punkte noch einmal wiederaufnehmen, weil sie von Herrn Kohl und von Herrn Professor Carstens aufgenommen worden sind.
Herr Ministerpräsident Kohl muß sich angesichts der erneuten Kritik der CDU/CSU an dem Kredit vorhalten lassen, was er selber an anderer Stelle zum Thema von Krediten an östliche Vertragspartner vor nicht allzu langer Zeit gesagt hat. Herr Kohl, ich zitiere aus der „Neuen Rhein-Zeitung". Sie erscheint in Ihrem Lande, in Koblenz. Dort haben Sie ein langes Interview gegeben, das ich seinerzeit mit Interesse gelesen und mir aufbewahrt habe, weil ich es in mancher Hinsicht bemerkenswert fand. In diesem Interview fragt der Redakteur der „Neuen Rhein-Zeitung" : „Sind Sie bereit, den Russen Großkredite zu günstigen Bedingungen zu geben?" Die Antwort von Herrn Kohl: „Das ist eine Frage, die man in der konkreten Situation erörtern und entscheiden muß, aber nicht theoretisch hier in diesem Gespräch."

(Demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU)

— Ich finde Ihren Beifall dankenswert, denn ich möchte ja gerade an dieser Aussage Herrn Kohl festhalten. Man muß also über Kredite in der konkreten Situation entscheiden. Herr Kohl wird im Lauf des Interviews nochmals nach Details gefragt. Da sagt er dann, daß er Details aus Vier-Augen-Gesprächen, die er in Moskau geführt hat, hier natürlich nicht ausbreiten könne.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ein kluger Mann! — Stücklen [CDU/CSU] : Jedenfalls diskreter als Herr Wehner gestern! — Heiterkeit, Beifall und weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

— Mir kommt es gerade darauf an, Herr Stücklen, herauszuarbeiten, daß Herr Kohl einerseits diskret scheint, sich andererseits öffentlich eine politische Hintertür für die Gewährung von Krediten aus politischen Gründen in Richtung Osten geöffnet hat. Herr Kohl hat gut daran getan, sich diese Tür zu öffnen.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Wenn es irgendwo eine konkrete Situation gibt, in der man Vorteile für den eigenen Staat oder für das eigene Volk oder für Menschen des eigenen Volkes erreichen kann, in der man z. B. auch — Adenauer, der hier heute morgen zitiert wurde, hat das längst gewußt und hier im Deutschen Bundestag im Klartext ausgesprochen — mit finanziellen Leistungen helfen kann, etwas zustande zu bringen, dann muß man — „konkrete Situationen", Herr Ministerpräsident! — konkret auch dazu bereit sein. Dann genügen nicht abstrakte Bekenntnisse zur Versöhnung; dann muß man sich im einzelnen Fall konkret entscheiden.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

Sie werden sich konkret vorstellen müssen, was etwa passierte, wenn Sie sich im Bundesrat mit der Ablehnung des Rentenabkommens durchsetzten, wenn infolgedessen das ganze Paket nicht zustande käme und jene 125 000 Menschen nicht kämen; Sie müssen sich nicht nur vorstellen, was in den Seelen dieser Menschen vorgeht, sondern Sie müssen sich auch vorstellen, was in den Seelen der Menschen anderswo und in den Seelen der Flüchtlinge vorgeht, Herr Kollege Czaja, die das Glück hatten, etwas früher in die Bundesrepublik reisen zu dürfen, als jene, die noch drüben sind.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720203000
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0720203100
Nein; ich möchte das genauso wenig wie meine Vorredner heute. Wenn uns dann in Zwischenrufen heute morgen drei- oder viermal — bei Herrn Kollegen Mertes habe ich genau erkennen können, daß er einer derjenigen war; ich will niemandem nahetreten, wenn ich ihn auslasse und nicht nenne — gesagt wurde „Aber was ist mit den anderen 160 000?", will ich mich nicht damit begnügen, auf die Antwort hinzuweisen, die hier schon für die Regierung gegeben wurde, sondern ich will darauf hinweisen, daß es, als die erste Regierung Brandt/ Scheel ihr Amt übernahm, noch 350 000 waren.
Dann waren es nur noch 280 000, und hiernach kommen wieder 120 000 bis 125 000. Das Problem ist zu keiner Zeit — auch nicht, Herr Professor Carstens, in der Zeit, in der Sie Staatssekretär des Auswärtigen Amtes waren —

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Es kamen dreimal so viel wie heute!)




Bundeskanzler Schmidt
auf einen Streich gelöst worden. Es war auch zu keiner Zeit auf einen Streich lösbar.

(Dr. Hupka [CDU/CSU] : Diese Zahlen stimmen nicht! — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/ CSU] : Ihre Zahlen stimmen nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Was ich von all Ihren Argumenten seit sechs Jahren höre und verstehe, ist im Grunde nur, daß Sie nein sagen wollen.

(Beifall bei der SPD und der FDP) Dieses Nein vom Grunde her,


(Zuruf des Abg. Dr. Marx [CDU/CSU])

wobei die Argumente im einzelnen nur noch eine ausschmückende Rolle spielen,

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Das Nein zu einer miserablen Politik! — Beifall bei der CDU/CSU)

ist ja kein ganz eindeutig von allen Ihren Kolleginnen und Kollegen geteiltes Nein.
Nun will ich nicht in dem Unbehagen herumwühlen, das in der CSU oder in der CDU — oder in beiden Parteien — natürlich eine Rolle spielen muß, wenn einige Kollegen in einer so wichtigen Frage eine andere Meinung vertreten und das öffentlich hörbar tun.

(van Delden [CDU/CSU] : Wären denn bei Ihnen alle für ein Ja, wenn die Abstimmung frei wäre?)

Aber ich meine, Sie sollten sich doch einmal überlegen, was es bedeutet, wenn sich diejenigen positiv entscheiden, die jahrelang für die CDU/CSU — teils auf der Tribüne des Deutschen Bundestages sprechend, teils für die Bundesrepublik Deutschland in noch höherer Verantwortung als Mitglied früherer Bundesregierungen sprechend, wie eben Herr Schröder oder Herr Barzel oder Herr von Weizsäcker oder Herr Kiep, wer auch immer es sein mag —, sicherlich auch nicht mit Begeisterung, genauso-wenig, wie wir begeistert sind — wer kann sich für einen Kompromiß begeistern? —,

(Zuruf von der CDU/CSU: Herr Friedrich!)

aber doch in Abwägung der geschichtlichen Notwendigkeit, in Europa zur Versöhnung und zur Festigung des Friedens zu gelangen, sich positiv einsetzen und insoweit den ganzen Schleier der vielfältigen Detailargumente, die Sie hier vortragen, Herr Ministerpräsident, durchstoßen, weil sie in ihrem Urteil innerlich und gedanklich zum Kern der Sache vorstoßen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich persönlich nehme dem Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz ab, ich glaube ihm, ich setze keinen Zweifel darin, daß sein heute morgen hier abgegebenes, öffentlich abgegebenes Bekenntnis zur Versöhnungsbereitschaft subjektiv vollständig ehrlich ist; ich habe keinen Zweifel daran.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber!)

Nur, es kommt doch nicht nur auf den eigenen
guten Willen und auf die Rettung der eigenen
Seele an, Herr Ministerpräsident, sondern es kommt
darauf an, daß der Friede und die Versöhnung konkret gestiftet werden — jeden Tag und jede Woche!

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wenn ich einen Unterschied zwischen Objektivität, objektiver Betrachtung der Lage, und subjektiver Gesinnung mache

(Seiters [CDU/CSU] : Willy Brandt!)

— an der subjektiven Gesinnung habe ich nicht zweifeln wollen und will ich auch keinen Zweifel zulassen; ich würde auch in meiner eigenen Partei daran keinen Zweifel Ihnen gegenüber zulassen wollen —, so müssen Sie sich dann doch auch die objektive Seite Ihres Verhaltens vor Augen führen. Und die objektive Seite ist, daß die CDU/CSU immer dann, wenn sie im Laufe der letzten sechs Jahre einen konkreten Beitrag hätte leisten können, sich versagt hat.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Das Verhalten von sechs Jahren, Herr Ministerpräsident, von 1969 bis 1975 — das wird ja mit Sicherheit noch ein Jahr bis zum Oktober 1976 so weitergehen, und ich gehe mit großer Sicherheit davon aus, es wird dann auch bis 1980 noch einmal vier Jahre so weitergehen —,

(Beifall bei der SPD und der FDP)

die kontinuierliche Verhaltensweise Ihrer Parteigruppierung, für die Sie hier mit dem Anspruch, die Regierung der Bundesrepublik Deutschland zu führen, auftreten, läßt die Erwartung zu, nein, drängt jedermann die Erwartung auf, daß Sie sich, da Sie sich nicht selber Lügen strafen werden und das gewiß auch nicht wollen, so wie bisher so auch in Zukunft verhalten werden.
Mit solchen Vorstellungen und solchen Erwartungen komme ich dann allerdings schon sehr nahe an die Rechtfertigung meiner Vorstellungen heran, die ich auch nicht zum erstenmal öffentlich ausspreche: daß diese Art der polemischen, lautstark geführten innenpolitischen Auseinandersetzung über eine Lebensfrage des Friedens in Europa allerdings eine Gefahr darstellt — nicht nur für uns Deutsche, sondern für viele Menschen, die auch außerhalb der deutschen Grenzen in Europa leben.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Stücklen [CDU/CSU] : Das ist eine ganz üble Unterstellung! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Ich rede hier von objektiven Tatbeständen

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

und unterstelle weder dem Herrn Stücklen noch dem Herrn Tandler noch dem Herrn Strauß noch dem Herrn Professor Carstens etwas. Ihnen allen unterstelle ich pauschal, obwohl man sich da auch noch anders ausdrücken könnte, subjektiv die besten Absichten. Von Ihnen allen habe ich aber erlebt — haben wir alle, hat das deutsche Volk, haben die Völker Europas sechs Jahre lang erlebt —,



Bundeskanzler Schmidt
daß Sie der Verständigung objektiv immer wieder nur Knüppel zwischen die Beine geworfen haben.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP — Fortgesetzte Zurufe von der CDU/CSU)

Ich muß Sie, Herr Ministerpräsident Kohl, um Nachsicht bitten, daß ich an dieser Stelle eine Indiskretion zu begehen die Absicht habe.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie immer!)

Ehe Herr Genscher nach Warschau fuhr, haben Sie mit ihm und mir ein Gespräch über die Abmachungen geführt, die Herr Genscher in Warschau zu unterschreiben die Absicht hatte. Sie sind übrigens alle unterzeichnet, Herr Professor Carstens, ich kann Sie hier beruhigen. Sie sind alle unterschrieben.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Dann muß die Drucksache berichtigt werden!)

— Dann muß die Drucksache berichtigt werden. Das mag so sein. — Aber ehe Herr Genscher nach Warschau fuhr, mußte natürlich — ich deutete es vorhin an — die Bundesregierung mit Ihnen sprechen. Im Laufe dieses Gesprächs haben Sie eine mich bewegende Sache gesagt, Herr Ministerpräsident. Sie haben Herrn Genscher und mich darauf hingewiesen, daß Sie sich in mancher Beziehung in der Tradition des alten Zentrums fühlten, und Sie haben daran erinnert, daß es die Zentrumsfraktion in Berlin gewesen sei, bei der die polnischen Minderheitsabgeordneten seinerzeit regelmäßig zu hospitieren pflegten. Es hat mich bewegt, daß Sie diesen Hinweis gaben und daß Sie so denken. Sie haben das ja nicht einfach nur so aus dem Handgelenk gesagt, sondern es kam Ihnen ja aus der Gesinnung, es kam aus Ihrer Vorstellung von dem Verhältnis, das sich zwischen unserem Volk und dem polnischen Volk entwickeln muß.

(Zuruf von der CDU/CSU: Dagegen ist ja nichts einzuwenden!)

— Nein, es ist wirklich nichts dagegen einzuwenden. Dieser Hinweis war gut. Aber gerade, wenn man so denkt, wie es zum Beispiel aus jener Bemerkung des Herrn Ministerpräsidenten Kohl hervorging, dann frage ich mich, ob denn auch Sie diesmal, Herr Kohl, bei all dem, was Sie innerlich empfinden, wirklich um eines ohnehin nicht mehr herzustellenden Eindrucks willen, nämlich nur um des Eindrucks willen, die CDU/CSU sei in dieser Frage geschlossen, anders handeln wollen, als Sie innerlich denken.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Sie sind ein Wolf im Schafspelz, Herr Bundeskanzler! — Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Mit Ihnen kann man überhaupt keinen Satz mehr reden! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Infam ist das! — Das ist unanständig!)

— Das ist nicht unanständig, sondern das war die Wahrheit. Die Wahrheit kann niemals unanständig sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD unid der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

Ehe Sie nun allzu schnell auf das replizieren, was ich vortrage, würde ich Sie bitten, auch noch mit zu bedenken, wie Sie denn eigentlich als Kanzlerkandidat, der Sie im Augenblick Auslandsreisen in alle möglichen Hauptstädte machen möchten, was ich gut verstehe,

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie waren doch auch in Peking!)

in Warschau auftreten wollen oder wie Sie später, wenn Sie es würden, als Bundeskanzler in Warschau empfangen werden wollen nach den Reden, die Sie heute für Ihre Partei hier halten

(Beifall bei der SPD) und wie Sie in Paris auftreten wollen;


(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Mit so unseriösen Leuten sollte man keine Gespräche führen!)

oder — angesichts der konjunktur- und wirtschaftspolitischen Passagen, die Herr Kollege Carstens in seine Auseinandersetzungen ,mit dem Polenabkommen eingeflochten hat —: Versuchen Sie sich einmal vorzustellen, wie Sie mit der Rede von Herrn Professor Carstens auf dem Gipfeltreffen in Rambouillet hätten auftreten wollen!

(Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident Kohl, bei Ihrer heutigen Rede ist mir einerseits klargeworden, daß Sie sich in einer schwierigen Position befinden; das verstehe ich sehr gut.

(Dr. Hauser [Sasbach] [CDU/CSU]: Sie auch! — Heiterkeit)

— Wissen Sie, bei manchen Zwischenrufen muß der Redner am Pult eine lange Pause machen, damit es jeder in sich aufnehmen kann, was der Zwischenrufer gesagt hat.

(Erneute Heiterkeit — Zuruf des Abg. Franke [Osnabrück] [CDU/CSU] und weitere Zurufe der CDU/CSU)

Mir ist einerseits klargeworden, daß Sie sich in einer schwierigen Lage befinden. Mir ist andererseits bei der Art und Weise, wie Sie sich ausdrücken, auch deutlich geworden, daß Sie in Wirklichkeit nicht damit rechnen, Regierungschef dieses Staates zu werden.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wenn Sie es aber würden, Herr Ministerpräsident, und wenn das bedeuten muß, daß Sie sich weiterhin, um es zu werden, all den Strömungen anschließen, anpassen, unterwerfen — welchen Ausdruck Sie auch immer als angemessen nehmen wollen —, die in Ihrer Partei gegenwärtig das große öffentliche Wort führen, dann allerdings bedeutete dies für unser Land, daß Sie unser Land international in dieselbe Isolierung brächten, in die Sie Ihre eigene Partei bereits gebracht haben.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU)

Gute Nachbarschaft und Versöhnung sind nicht mit Bekenntnissen allein, obwohl sie wichtig sind, zu erreichen, sondern nur im konkreten Handeln.

(Zuruf des Abg. Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU])




Bundeskanzler Schmidt
Jede Gewissensentscheidung ist konkret, ebenso das Handeln, das aus ihr fließt. Was von Ihnen erwartet wird, Herr Ministerpräsident Kohl, ist nicht Ihre Fähigkeit zur Polemik, sondern Ihre Gewissensentscheidung.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720203200
Meine Damen und Herren, ich mache noch einmal darauf aufmerksam, daß die Sitzungen der Ausschüsse

(Zuruf des Abg. Stücklen [CDU/CSU])

erst 20 Minuten nach Beendigung der Fragestunde beginnen, die im Anschluß an die Aussprache stattfindet.
Meine Damen und Herren, gemäß § 47 der Geschäftsordnung erteile ich dem Herrn Ministerpräsidenten Kohl das Wort.

(Möllemann [FDP] : Warten Sie doch einen Moment, bis Herr Strauß da ist! — Gegenrufe von der CDU/CSU — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Dummer Junge!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0720203300
Herr Präsident! Meine Mamen und Herren! Ich kann Ihnen dazu nur sagen, Herr Kollege, wenn wir uns über solche Fragen wie die hier anstehenden in diesem Stil unterhalten und Sie als ein liberaler Politiker diesen Beitrag leisten, richtet sich das gegen Sie und Ihre ganze Partei.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat es für nötig befunden, an Stelle einer politischen Argumentation in der ihm eigenen Weise moralische Noten zu verteilen, die er in dieser konkreten politischen Situation für richtig hält.

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Nur schaustellerische Fähigkeiten!)

Herr Bundeskanzler, es ist völlig Ihre Sache, hier fortdauernd im Conditionalis davon zu sprechen, ob wir oder ich die Regierung übernehmen oder nicht. Sie ähneln dabei einem Manne, der laut im Wald singt, weil er Angst hat — Angst vor dem Oktober ,des Jahres 1976.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Was soll es, wenn wir uns hier so anreden? Warten Sie doch getrost das Urteil des Wählers im Oktober 1976 ab.

(Beifall bei der CDU/CSU — Beifall bei ,der SPD)

Und, Herr Bundeskanzler, Sie sehen, in dieser
Sache bin ich sogar der Zustimmung Ihrer eigenen
politischen Freunde sicher, denn auch sie klatschen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Was soll überhaupt jenes Bild eines chinesischen
Schattenboxens von CDU und CSU, von Franz Josef Strauß, Karl Carstens und Helmut Kohl, das
Sie hier entworfen haben? Das gibt es doch gar nicht.

(Lachen bei der SPD und der FDP)

Dieses Bild ist doch das Schlachtgemälde, das Sie sich für das nächste Jahr wünschen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, Sie sind der Regierungschef.

(Demonstrativer Beifall bei der SPD)

— Meine Damen und Herren, mit Ihnen muß es schon weit gekommen sein, wenn Sie sich selbst über diese Feststellung so erfreuen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Die Angst muß schon sehr groß sein


(Lachen bei der SPD)

und auch der Wille zum Festhalten an der Macht,
wenn Sie in einer solchen Situation so reagieren.

(Zurufe von der SPD)

Herr Bundeskanzler, es ist klar, daß Sie als Regierungschef Ihre Rechte wahren. Ich bedanke mich im übrigen für Ihre Fürsorge um mich,

(Konrad [SPD] : So sind wir!)

für die Möglichkeit, hier sprechen zu dürfen, und für Ihre Interpretation der Verfassung. Nur, ich habe gesagt: Ich stehe hier kraft der Verfassung aus eigenem Recht und spreche auch für meine Freunde in der CDU/CSU Deutschlands.

(Dr. Dregger [CDU/CSU] : Sehr gut!)

Den Satz wiederhole ich jeden Tag; denn hier geht es nicht um eine Proseminar des Staatsrechts, sondern hier geht es um deutsche Politik im deutschen Parlament.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler,

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Außerdem versteht er nichts von Verfassungsrecht! — Dr. Marx [CDU/CSU] : Ein Beckmesser ist er!)

Sie belieben in diesem Zusammenhang ja häufig den Bundesrat anzusprechen. Nur, ich bin erstaunt, wie kurz Ihr Gedächtnis ist.

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Warum erstaunt?)

Im Juni dieses Jahres, vor ein paar Wochen, nahm ich aus sehr zwingenden Gründen, die Sie kannten, nicht an der Debatte über die KSZE in diesem Haus teil. Damals standen Sie auch an diesem Pult, und damals haben Sie kritisiert, daß das Mitglied des Bundesrats Helmut Kohl nicht hier sei und nicht spreche.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Marx [CDU/CSU] : Ein vollkommener Opportunist ist er!)

Mit all dem soll doch nur auf das kurze Gedächtnis der Mitbürger reflektiert werden, die jetzt diese Debatte im Fernsehen verfolgen. Es wird doch fast der Eindruck erweckt, als geschehe hier etwas, was nicht ganz im Rahmen der Verfassung ist.



Ministerpräsident Dr. Kohl
Meine Damen und Herren, ich stehe hier als Mitglied des Bundesrats und als ein deutscher Ministerpräsident. Ich bin auch keine geteilte Persönlichkeit: Vorsitzender der CDU und Kanzlerkandidat der CDU/CSU.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich kann nur sagen: Wir sollten über dieses Thema nicht so miteinander sprechen.

(Konrad [SPD]: Zur Sache!)

Ein Zweites, Herr Bundeskanzler. Es steht Ihnen nicht gut an, als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, als Kanzler aller Bürger nach unserem Verfassungsverständnis,

(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

— ja, meine Damen und Herren, wir haben nicht, wie Sie zu Zeiten Konrad Adenauers, jeweils eine solche Trennung vollzogen; wir sind immer für das Ganze dieser Republik gewesen —,

(Beifall bei der CDU/CSU)

wörtlich zu sagen, wir, CDU und CSU, machten diese Debatte, wenn wir unsere Besorgnis im Zusammenhang mit der vertraglichen Abmachung mit Polen vortrügen, zu einem Mittel der innerparteilichen oder gar personalen Auseinandersetzung. Herr Bundeskanzler, vor mir sprach Ihr Kollege Friedrich. Er hat die Einstimmung in diese Debatte gegeben.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Er war der Sprecher der SPD. Und wer dann noch gar den Herrn Abgeordneten Brandt hörte, der wußte doch, was die Glocke zehn Monate vor der Bundestagswahl geschlagen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dann haben Sie von der Meinungsvielfalt gesprochen. Weiter haben Sie davon gesprochen, daß es die Aufgabe der Regierung sei, die Scherben zu kitten — ich sage das jetzt mit meinen Worten —, die heute morgen entstanden seien. Herr Bundeskanzler, wenn das der Umgangston untereinander wird, dann bedeutet ja schon jedes Wort der Kritik an einer Ihrer Taten die Besorgnis, daß die Interessen unseres Landes darunter Schaden leiden. Sie sind Bundeskanzler und nicht ein Denkmal in der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Freiheitliche Demokratie lebt von der Alternative Regierung und Opposition, lebt von der Möglichkeit, Meinungen auszutragen und Meinungen zu ertragen, auch wenn Ihnen in der SPD das heute immer schwerer fällt.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Das ist eine Kaderpartei!)

Wenn Sie dann, Herr Bundeskanzler, sagen — und das ist ganz der Stil Ihrer heutigen Ausführungen gewesen —: „Wer zu einem fairen Kompromiß nicht fähig ist" — ich habe mir das extra aufgeschrieben —, „der taugt nicht zu einer Politik des Friedens", dann erlauben Sie mir die Frage: Wen meinen Sie denn eigentlich mit diesem Zitat? Meinen Sie damit Teile von totalitär verfaßten Parteien in der deutschen Geschichte? Da sind wir uns gleich einig; ich hoffe, das ist hier ganz unstreitig. Oder meinen Sie irgendeine demokratische Gruppierung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland? Herr Bundeskanzler, ich will zu Ihren Gunsten unterstellen, daß das Letztere nicht der Fall ist; denn wenn Sie es meinen sollten, stehen Sie unmittelbar im Schulterschluß zu dem Kollegen Brandt, der wortreich versucht hat, zu vertuschen, daß er das Frontenaufreißen, das Diffamieren und das Verhetzen unseres Volkes zu einem Mittel der Politik machen will.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das waren zwei Begriffe, das waren zwei Schlüsselworte, die Sie gebraucht haben, nämlich „Kompromiß" und „objektiv". Herr Bundeskanzler, in einer freiheitlichen Demokratie gibt es keine Stelle, die ex cathedra darüber entscheidet,

(So ist es! bei der CDU/CSU)

ob ein Kompromiß gut ist, und was „objektiv" bedeutet. Sie müssen sich schon daran gewöhnen — auch wenn es Ihnen schwerfällt —, von uns zu hören, daß nicht alles das, was Sie als objektiv und kompromißfähig halten, auch für uns schon kompromißfähig ist,

(Beifall bei der CDU/CSU)

zumal ich bei Ihnen in den letzten Jahren viele Wandlungen erlebt habe und ich dann oft nicht weiß, ob der Kompromiß von gestern oder die Meinung von heute zu diesem Punkt das Richtige ist.
Was soll es, wenn Sie, der Sie viele Jahre Weggenosse der deutschen Politik waren, sich hier auf Adenauer beziehen? Lassen Sie mich einmal dieses Erlebnis offen aussprechen: Es wird für ein CDU-Mitglied beinahe immer schwieriger, sich auf Adenauer zu beziehen; denn jetzt beziehen sich alle die auf Adenauer, die seine Politik bis aufs Messer bekämpft haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dann sagen Sie — und Sie sagen ,das in die Partei Konrad Adenauers hinein —, wir wollten der Verständigung Knüppel zwischen die Beine werfen.
Meine Damen und Herren, das, was Sie als Verständigung in den letzten sechs Jahren ausgegeben haben, wird von dem objektiven Urteil der Geschichte nicht automatisch als Verständigungspolitik gewertet werden. Da seien Sie ganz unbesorgt!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist doch das Natürlichste, daß wir um diesen Weg miteinander ringen. Ich habe heute früh — ich will mich nicht wiederholen — jene Stimme eines polnischen Kommentators zitiert — das war doch keine Erfindung von mir —, der all das, was wir an Besorgnissen für die Entwicklung wegen der miserablen Verhandlungen damals vor fünf Jahren schon prognostizierten, bestätigt hat.
Sie haben — und ich bin nicht böse über diese Indiskretion, wie Sie es nannten — hier eben ein Zitat gebracht, das für mich eigentlich ganz selbst-



Ministerpräsident Dr. Kohl
verständlich ist. Ich muß umgekehrt sagen: Der nächste CDU-Parteitag müßte mich abwählen, wenn ich mich nicht in der Tradition auch der Deutschen Zentrumspartei verstünde.

(Zurufe von der SPD)

Es ist halt eine historische Tatsache, Herr Bundeskanzler, daß die Deutsche Zentrumspartei aus ihrem Politikverständnis heraus immer ein besonderes Verhältnis zu Minderheiten in unserem Lande hatte, nicht nur zu sozialen, sondern auch zu völkischen Minderheiten, wie man in jener Zeit sagte. Es gibt viele Gründe, die uns aus der Geschichte der Unionsparteien, aus der Geschichte unserer Vorläuferparteien, vom Zentrum über die Bayerische Volkspartei bis hin zum breiten Spektrum der Weimarer Parteien, besonders auch mit der Polen-Frage verbinden. Aber, Herr Bundeskanzler, dieses selbstverständliche Stehen zur eigenen Geschichte entbindet mich doch nicht davon, in der konkreten Situation so zu handeln,

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Sehr gut!)

wie ich es aus Gründen rationaler Überlegung für notwendig halte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer gibt Ihnen dann das Recht — ich kann nur sagen, ich würde es mir nie gegenüber einem anderen Politiker herausnehmen —, sozusagen Forschungen im Bereich des Tiefenpsychologischen anzustellen,

(Dr. Marx [CDU/CSU]: Infam war das!)

was ich gern täte und was nicht?

(Zuruf von der SPD: Er traute Ihnen Tiefe zu!)

Herr Bundeskanzler, ich liege nicht bei Ihnen auf der Psychiatercouch, um das klar und deutlich zu sagen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU und Gegenrufe von der SPD)

Es ist Ihre Sache und es ist Ihr Verständnis von Stil und menschlichem Miteinander, diesen Versuch hier öffentlich unternehmen zu wollen. Tun Sie das, und Sie werden erneut ein Beispiel dafür geben, daß weitere Gräben in diesem Lande im Bereich der inneren Politik aufgerissen werden.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Das will er ja! — Dr. Dregger [CDU/CSU] : Kein Gesprächspartner! — Dr. Häfele [CDU/CSU] : Er ist kein Partner mehr! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Meine Damen und Herren, ich meine — lassen Sie mich das jetzt auch einem Zwischenrufer aus der eigenen Partei sagen , so sollten wir trotz der Härte einer solchen Debatte nicht miteinander sprechen. Ich bin entschieden dafür, daß wir leidenschaftlich miteinander ringen und daß wir auch austragen, was unerträglich ist, auch dort, wo es im Menschlichen unerträglich ist. Aber ich halte dafür, daß wir aus den Fehlern von Weimar lernen und daß
wir fähig sind, auch solche Schwierigkeiten zu beseitigen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Ehmke [SPD] : Das ist sehr gut! — Huonker [SPD] : Lesen Sie mal die Beiträge im „Deutschlandmagazin" !)

— Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, was das soll. Wir reden hier miteinander in einer leidenschaftlich geführten parlamentarischen Debatte. Wenn Ihr einziger Beitrag irgendwelche Lesefrüchte sind, dann ist das ein sehr kläglicher Beitrag.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Ehmke [SPD]: Es sind doch Ihre!)

Ein Letztes, Herr Bundeskanzler. Sie haben mich gefragt, wie wir denn in dem Fall, daß wir die Wahl gewinnen, wie Sie sich auszudrücken beliebten, überhaupt Außenpolitik machen wollten; wir seien doch ringsherum — jetzt sage ich es mit meinen Worten — isoliert. Nun, meine Damen und Herren, haben Sie wirklich den Eindruck gehabt, hat irgendein Bürger in diesem Lande den Eindruck gehabt, daß diese Bundesrepublik in den Jahren von 1949 bis 1969 isoliert war?

(Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

Wer hat denn damals dieses zerschlagene und geschundene Land mit der moralischen Last am Ende der Nazi-Barbarei wieder in die Gesellschaft der freien Völker zurückgeführt und zu einem geachteten Partner der freien Welt gemacht?

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Soll ich Ihnen jetzt die Stationen aufzeigen, wo Sie hier standen und alle standen und alles andere taten, als förderliche Politik zu treiben, sondern Konrad Adenauer wirklich Knüppel zwischen die Beine geworfen haben?

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Er war damals „Schmidt-Schnauze"!)

Wir bekennen uns entschieden zu allen Entscheidungen jener Jahre, zu dem irreversiblen Votum für die freie Welt, dem Vorrang von Freiheit vor Einheit, der Überwindung des Nationalstaats des 19. Jahrhunderts und zu der Öffnung nach dem neuen Europa. Wir waren, sind und bleiben entschlossene Anhänger einer Politik des Friedens und der Versöhnung. Herr Bundeskanzler Schmidt, lange vor Ihrer Amtszeit haben der Bundeskanzler Ludwig Erhard und der Außenminister Gerhard Schröder schon deutlich gemacht, daß wir, diese Bundesrepublik Deutschland, entschlossen auf Politik als ein Mittel der Gewalt verzichten.

(Dr. Ehmke [SPD]: Darum stimmt er ja auch zu!)

Das alles war Zeichen dafür, daß Politik der CDU/ CSU immer Politik der Versöhnung, des Friedens und der Öffnung gegenüber unseren Nachbarn bedeutet.

(Zuruf von der SPD: Deswegen ja zum Polen-Vertrag!)




Ministerpräsident Dr. Kohl
— Ich weiß, meine Damen und Herren von der SPD, Sie wollen darüber entscheiden, wer ein guter CDU/CSU-Mann bzw. ein schlechter CDU/CSU- Mann ist.

(Widerspruch bei der SPD)

Sie wollen das tun, weil Sie sich gar nicht mehr einigen können, wenn es darum geht, zu definieren, was ein SPD-Mann ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir bekennen uns zu einer Politik des Friedens und des Ausgleichs.
Herr Bundeskanzler, es ist allerdings legitim und liegt im Rahmen unserer Pflichten, daß wir dann auch die Frage nach der Ausgewogenheit der Interessen stellen. Genau dies habe ich heute früh hier getan. Ich habe den Prozeß des Nehmens dem des Gebens gegenübergestellt und kam dabei zu einem Urteil, das ich persönlich verantworte. Hier brauche ich keine Handlungsanleitungen von Ihnen oder von anderen. Meine Damen und Herren, ich habe dies im Rahmen meines Verfassungsauftrages gesagt —wie jeder von Ihnen auch. Ich habe es für meine Freunde von der CDU und CSU gesagt, aus unserem Verständnis als deutsche Patrioten und deutsche Demokraten heraus, in dem Willen und in der Überzeugung, daß es, weil wir Frieden wollen, nicht möglich sein darf, daß in Abmachungen ein Dissens auftritt, der den Frieden stört und neue Zwietracht zwischen den Völkern mit sich bringen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In diesem Sinne, Herr Bundeskanzler, sehe ich mit großer Gelassenheit —

(Zuruf des Abg. Wehner)

— Herr Kollege Wehner, daß Sie sich zu dieser Stunde melden müssen, ist ganz klar. Sie sind in der letzten Stunde offensichtlich zu kurzgekommen.
Herr Bundeskanzler, in diesem Sinne wollen wir uns der Herausforderung stellen und die Auseinandersetzung um die geistige und politische Führerschaft in der Bundesrepublik Deutschland austragen, und zwar nicht im Conditionalis, nicht in der „würde"-Form. Wir beide werden das miteinander tun — ebenso wie die beiden großen politischen Gruppierungen. Jeder von uns, der in den nächsten Jahren dann diesen schweren Weg beschreitet — —

(Möllemann [FDP] : Wir auch!)

— Auf Ihren Zwischenruf, Herr Kollege, kann ich nur sagen: Herr Kollege, Sie sind doch auf der falschen Seite.
Meine Damen und Herren, wir werden diese Auseinandersetzung miteinander führen. Ich rate uns aber auch in dieser Stunde, sie in einer solchen Form und in einem solchen Miteinander zu führen, daß am Ende nicht harte, unüberwindbare Fronten stehen, sondern ein vernünftiges Gespräch nicht gänzlich unmöglich gemacht wird.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD]: Quark am Ende!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720203400
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

Walter Arendt (SPD):
Rede ID: ID0720203500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dieser — wie der Herr Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz gesagt hat — leidenschaftlichen Debatte über den Wahlausgang am 3. Oktober 1976 möchte ich mir erlauben, ein paar Anmerkungen zu dem heute auf der Tagesordnung stehenden Punkt, nämlich zu dem Rentenabkommen und dem Sozialversicherungsabkommen mit der Volksrepublik Polen zu machen.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Das müssen Sie einmal dem Bundeskanzler sagen, Herr Bundesminister!)

— Herr Carstens, wenn Sie solche charmanten Zwischenrnufe machen, erinnern Sie mich immer an die Richtigkeit des Wortes, daß die Schlimmsten jene sind, die sich mit dem Eifer von Novizen als alte Kämpfer gebärden.

(Große Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FPD — Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Das kommt leider zu spät! Das wäre vor drei Jahren angebracht gewesen!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte in meine Ausführungen auch einige Fragen einbeziehen, die von der Opposition immer wieder aufgeworfen werden und die auch von den Sprechern der Opposition — sowohl von Herrn Kohl als auch von Herrn Carstens — angesprochen wurden. Vorab möchte ich aber drei Feststellungen machen.
Erstens. Das Abkommen mit Polen über die Renten- und Unfallversicherung sowie die dazu gehörende Vereinbarung über die pauschale Abgeltung von Ansprüchen sind ein wichtiger Bestandteil unserer Entspannungspolitik.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Die mit Polen getroffenen Regelungen sind nicht etwas Einmaliges oder Außergewöhnliches. Ähnliche zweiseitige Vereinbarungen wurden bereits von früheren Bundesregierungen mit anderen Staaten — z. B. mit den Niederlanden im Jahre 1951, mit Jugoslawien im Jahre 1956 und mit Luxemburg im Jahre 1959 — abgeschlossen.
Drittens. Die Neuregelungen mit Polen schaffen auf dem Gebiet der Renten- und Unfallversicherung für beide Seiten klare Verhältnisse. Sie sind nach dem sogenannten Eingliederungsprinzip gestaltet. Das bedeutet: Jeder Berechtigte soll seine Rente aus
der Rentenversicherung seines der Wohnlandes nach
den dort geltenden Vorschriften erhalten. Bei der Feststellung der Rente werden auch die Versicherungszeiten im anderen Vertragsstaat so berücksichtigt, als wären sie im Inland zurückgelegt. Entsprechendes gilt für die Unfallversicherung. Renten, die schon jetzt in das andere Land gezahlt werden, sollen auch in Zukunft weitergezahlt werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige Anmerkungen zu den



Bundesminister Arendt
großen Widersprüchen im bisherigen Recht machen. Die Situation, mit der wir uns heute befassen müssen, ist vorwiegend eine Folge des Anspruchs auf Alleinvertretung des deutschen Volkes. Auf Grund dieses Alleinvertretungsanspruchs wurden in erheblichem Umfange Verpflichtungen der ehemaligen deutschen Reichsversicherung zur Rentenzahlung an Berechtigte ins Ausland übernommen, und zwar lagen diesen Verpflichtungen Versicherungszeiten zugrunde, die außerhalb des Bundesgebietes zurückgelegt worden sind. Dabei waren aber Personen, die in den Ostblockstaaten wohnten, von der Rentenzahlung grundsätzlich ausgeschlossen. Die wenigen Rentenzahlungen an Berechtigte in Polen blieben bis heute auf Zentralpolen beschränkt. Demgegenüber wurden in die früheren deutschen Ostgebiete überhaupt keine Renten gezahlt, weil das innerstaatliche deutsche Recht nur Zahlungen in das Gebiet eines auswärtigen Staates zuläßt.
Sie werden mir sicher zugeben, meine Damen und Herren, daß diese widersprüchlichen Regelungen nicht länger haltbar sind. Sie passen einfach nicht mehr in unsere Zeit. Mit diesem Abkommen, das Ihnen heute zur ersten Beratung vorliegt, schaffen wir für die Zukunft endlich Klarheit.
Lassen Sie mich zu einigen Einzelfragen, die immer wieder aufgebracht werden, kommen. Da ist zunächst die Frage, in welchem Umfang die Lage der einzelnen Berechtigten durch das Rentenabkommen verbessert wird. Dazu ist folgendes zu sagen.
Das Abkommen verbessert die Situation vieler Menschen. Das gilt für Personen, die aus Polen in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind und noch kommen werden, und das gilt für Deutsche, die in Polen geblieben sind und dort auch bleiben wollen. Für Personen, die aus Polen zu uns gekommen sind, findet in den meisten Fällen das Fremdrentengesetz unmittelbar Anwendung, da sie in der Regel Vertriebene im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes sind. Davon ausgenommen sind Personen, die nicht die Vertriebeneneigenschaft besitzen. Das wird jetzt geändert. Auch für diesen Personenkreis werden künftig die sozialversicherungsrechtlichen Vergünstigungen für Vertriebene und Flüchtlinge hinsichtlich der polnischen Beschäftigungszeiten gelten. Jeder anspruchsberechtigte Aussiedler erhält künftig eine Rente nach den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Vorschriften. Wir werden Nachweise über polnische Versicherungszeiten erhalten und können die Versicherungszeiten dann in vollem Umfang anrechnen. Damit wird auch eine alte Forderung der Vertriebenenverbände erfüllt.
Dieses Abkommen verbessert aber auch die rentenrechtliche Situation für die in Polen bleibenden Deutschen. Sie werden nach dem Rentenabkommen, also durch völkerrechtliche Verpflichtung, voll in das polnische Renten- und Unfallversicherungssystem eingegliedert und in ihren Rechten den übrigen polnischen Staatsbürgern gleichgestellt. Die im früheren Deutschen Reich und die nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegten Versicherungszeiten werden in Polen im vollen Ausmaß angerechnet. Bei der Berechnung der polnischen Rente werden Familienangehörige auch dann berücksichtigt, wenn sie in der Bundesrepublik Deutschland wohnen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt einige Erläuterungen zu der Pauschale von 1,3 Milliarden DM geben. 30 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg war es nicht mehr möglich, eine buchhaltungsmäßige Abrechnung von Forderungen und Gegenforderungen vorzunehmen. Vielmehr wurden nach unseren Unterlagen und nach den Angaben der polnischen Seite Tatbestände einander gegenübergestellt, die der Bundesrepublik Deutschland oder der Volksrepublik Polen zuzurechnen sind.
Diese Gegenüberstellung ergibt folgendes Bild. Etwa 100 000 bis 180 000 Deutsche, die noch heute in Polen leben, haben vor 1945 Beiträge zur deutschen reichsgesetzlichen Sozialversicherung geleistet. Viele Personen haben in den im Zweiten Weltkrieg eingegliederten Gebieten — z. B. in Ostoberschlesien und teilweise im sogenannten Generalgouvernement — Beiträge zur deutschen reichsgesetzlichen Sozialversicherung entrichtet. Unsere Rentenversicherung hat die vor 1940 bei polnischen Versicherungsträgern zurückgelegten Zeiten vieler Personen als deutsche Versicherungszeiten übernommen. Deutsche, die heute in der Bundesrepublik Deutschland leben, haben in der Volksrepublik Polen Versicherungszeiten zurückgelegt; bei diesem Personenkreis handelt es sich um die Aussiedler, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind oder noch kommen. Polnische Staatsangehörige, die vor 1945 in Polen Versicherungszeiten zurückgelegt haben, sind nach 1945 in der Bundesrepublik Deutschland geblieben.
Auf Grund dieser Gegenüberstellung der dem jeweiligen Vertragsstaat zuzurechnenden Tatbestände wurde die Pauschale von 1,3 Milliarden DM vereinbart. Diese Vereinbarung ist nach langen, intensiven Verhandlungen zustande gekommen. Sie stellt einen fairen und tragfähigen Kompromiß ,dar.
Die nach der Vereinbarung zu zahlende Pauschale von 1,3 Milliarden DM wird der polnischen Sozialversicherung zufließen. Sie wird der allgemeinen Verbesserung der Einkommenssituation, besonders auch der in Polen bleibenden Deutschen, dienen.
In dem Entwurf des Zustimmungsgesetzes zu dem Abkommen über die Renten- und Unfallversicherung ist die Verteilung der Pauschale geregelt. Danach sollen von dem genannten Betrag von 1,3 Milliarden DM 643,5 Millionen DM von der knappschaftlichen Rentenversicherung und damit vom Bund und 6,5 Millionen DM vom Bund als Träger der Unfallversicherung aufgebracht werden. Die deutschen Sozialversicherungsträger haben somit insgesamt 650 Millionen DM, also die Hälfte dieser Pauschale, zu tragen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch zu der Frage, ob die Volksrepublik Polen für zukünftige Versicherungsleistungen — etwa nach Kündigung der jetzt getroffenen Regelung — erneut finanzielle Ansprüche gegen die Bundesrepublik



Bundesminister Arendt
Deutschland erheben könnte, ein paar Bemerkungen machen. Die Vereinbarung über die Pauschale sieht vor, daß mit ihrem Inkrafttreten in den gegenseitigen Beziehungen zwischen den Versicherungsträgern der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland und damit zwischen den Staaten alle Ansprüche im Bereich der Renten- und Unfallversicherung erlöschen. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß diese Vereinbarung keine Kündigungsklausel enthält. Mit erneuten finanziellen Ansprüchen ist daher nicht zu rechnen. Das Abkommen selbst hat wie alle auf unbestimmte Zeit vereinbarten Sozialversicherungsabkommen eine Kündigungsklausel. Tritt dieses Abkommen durch Kündigung außer Kraft, so gelten jedoch die Bestimmungen für die bis zu seinem Außerkrafttreten erworbenen Ansprüche und Anwartschaften weiter. Das hat zur Folge, daß die deutschen Versicherungsträger für Versicherungszeiten, die vor Außerkrafttreten des Abkommens zurückgelegt wurden, Leistungen nur nach Maßgabe des Abkommens, nämlich bei gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, zu erbringen haben.
Meine Damen und Herren, zum Schluß noch einige allgemeine Bemerkungen. Das Abkommen mit Polen ist in sich gerechtfertigt, weil es für die betroffenen Menschen Vergünstigungen bringt und unhaltbare Verhältnisse bereinigt.

(Beifall bei der SPD)

Dies wäre auch ohne die von Polen zugesagte Aussiedlung notwendig gewesen. Es ist deshalb weit verfehlt, das Abkommen und die Vereinbarung als Preis für die Aussiedlung zu betrachten. Richtig ist jedoch daß die neuen Regelungen dazu beitragen, andere, humanitäre Fragen zu lösen und das deutschpolnische Verhältnis allgemein zu verbessern. Das ist eine begrüßenswerte zusätzliche Wirkung dieses Vertragswerks.
Meine Damen und Herren von der Opposition, wie Sie es auch drehen und wenden mögen — das Abkommen ist notwendig, und es ist an der Zeit, diesem Vertragswerk die Zustimmung zu geben, worum ich Sie namens der Bundesregierung bitte.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Hupka [CDU/CSU] : Ein Protokoll, kein Vertragswerk! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720203600
Das Wort hat der Abgeordnete Franke (Osnabrück).
Franke (Osnabrück) (CDU/CSU)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte zunächst ein Wort an Herrn Mischnick richten zu dürfen.

(Dr. Marx [CDU/CSU]: Aber nicht zuviel! Das wäre Verschwendung!)

Herr Mischnick, Sie haben uns hier heute sozusagen vorgeworfen, daß alle Mitglieder unserer Fraktion — zumindest diejenigen, die Sie als die Führungskräfte unserer Fraktion und unserer Parteien be-
zeichnet haben — vor dem Bekanntwerden des Textes der Verträge festgelegt worden seien

(Mischnick [FDP] : Vor den Beratungen in den Ausschüssen!)

— oder vor den Beratungen in den Ausschüssen. Herr Kollege Mischnick, wenn Sie, die Sie sich eine liberale Partei schimpfen

(Genscher [FDP] : Das ist eine Ehre und kein Schimpf! — Gegenruf von der CDU/CSU: Im gegenwärtigen Zustand schon!)

— oder: nennen; ich nehme das zurück —, eine solche liberale Haltung, wie in unserer Fraktion seit 1949 geübt, in der Lage sind an den Tag zu legen, dann können Sie erst wirklich von liberaler Haltung sprechen. Sie dürfen das jetzt nicht umkehren und uns den Vorwurf machen, wir hätten vor der Aufnahme der Beratungen die Kollegen hier festgelegt. Nichts anderes haben Sie und die Sozialdemokraten doch wohl getan. Heben Sie den Fraktionszwang, der offensichtlich bei Ihnen herrscht, auf! Dann haben Sie die gleichen Effekte auch unter dem Rubrum liberaler Politik — wie bei uns — zu verzeichnen.

(Bravo-Rufe und Beifall bei der CDU/CSU — Mischnick [FDP] : Wir haben keinen Fraktionszwang! Das gibt es doch nicht!)

— Herr Mischnick, ich will Ihnen zugestehen, daß das Institut des Fraktionszwangs in der Geschäftsordnung Ihrer Fraktion nicht vorhanden ist.

(Mischnick [FDP] : Weder in der Geschäftsordnung noch praktiziert! — Kiep [CDU/ CSU]: Er meint es subjektiv ehrlich!)

— Ich will Ihnen auch zugestehen, daß Sie so etwas von Ihrer eigenen persönlichen Gesinnung her sicherlich auch nicht so handhaben wollen. Aber die objektive Situation zeigt doch ganz eindeutig, daß aus Ihrer Fraktion und aus der Fraktion der SPD nicht eine einzige kritische Stimme zu diesen Verträgen gekommen ist; sondern Sie haben alle Ihre Mitglieder zu Bejublern dieses miesen Kompromisses degradiert. Nichts anderes war das!

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Hupka [CDU/CSU] : Das war auch bei den Ostverträgen so! — Dr. Marx [CDU/CSU]: Damals haben Sie die Leute im Ausschuß ausgewechselt!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720203700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mischnick?

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0720203800
Herr Kollege Franke, können Sie sich nicht vorstellen, daß man aus innerer Überzeugung zu einer gemeinsamen Haltung kommen kann und daß das bei uns möglich war?

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0720203900
Aber selbstverständlich, Herr Kollege Mischnick, kann ich mir das vorstellen.

(Mischnick [FDP] : Vielen Dank!)

13982 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 202. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 26. November 1975
Franke (Osnabrück)

Nur dürfen Sie uns dann nicht umgekehrt vorwerfen, daß wir unsere Leute festgelegt hätten, wenn sich die große Mehrheit der Fraktion aus eigener Überzeugung eine solche Meinung gebildet hat. Ich wollte Sie eigentlich nur herauslocken, dieses Letztere noch zu sagen, um deutlich zu machen, daß Sie einen sehr schlechten Vorwurf erhoben haben, der sich gegen Sie selbst kehrt.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, komme ich zum Rentenabkommen. Hier darf man fragen, Herr Minister Arendt, für welchen Personenkreis sich etwas ändert. Sie haben eben die Behauptung aufgestellt, es würde sich durch das Rentenabkommen mit der Volksrepublik Polen für einen ganz großen Personenkreis etwas ändern. Lassen Sie mich den Personenkreis einmal aufgliedern.
Erstens, die Aussiedler. Meine Damen und Herren, für die Aussiedler ändert sich gar nichts. Sie werden nach deutschem Recht behandelt. Dieses Recht besteht schon seit 1956/57 bzw. seit der Ergänzung durch das Fremdrentengesetz.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Das heißt, hier werden, wenn die Aussiedler herüberkommen, lediglich ihre Rentenansprüche realisiert.
Der Bundeskanzler hat sich eben mit erhobenem Zeigefinger darüber mokiert, daß Herr Kohl und Herr Carstens zu Beginn seiner Rede nicht anwesend gewesen seien. Herr Arendt kommt jetzt auch gerade erst herein. Ich wollte gerade monieren, daß Sie, Herr Arendt, die Ausführungen des Oppositionsredners nicht hören wollten. Ich bedanke mich, daß Sie wieder da sind.
Zweitens: Versicherungszeiten von Deutschen, die Ansprüche an die ehemalige Reichsversicherung haben. Es wird nun behauptet, diese Versicherungszeiten würden jetzt wieder aufleben. Das stimmt gar nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Nach polnischem Rentenrecht erwächst ein Anspruch für Männer nach 25 Jahren und für Frauen nach 20 Jahren. Die Deutschen, die in Polen seit 1945 diese Wartezeit erfüllt haben, werden nach polnischem Rentenrecht genauso behandelt wie ein polnischer Bürger, der die gleichen Wartezeiten erfüllt hat. Das heißt, auch hier ändert sich durch diesen Vertrag gar nichts. Darum muß man die Frage stellen, warum für diesen Personenkreis also dieser Vertrag gebraucht werde.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Sie sind von dem Wohnsitzprinzip ausgegangen. Sie feiern das als einen riesengroßen Erfolg, obwohl

(Abg. Buschfort [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— sofort, Herr Kollege Buschfort — üblicherweise das Leistungsexportprinzip angewendet wird. Hier können Sie auch die Beispiele Österreich, Luxemburg und Niederlande — lassen Sie mich die einmal separat behandeln — gar nicht als Vergleich heranziehen, weil hier eine Komposition von Leistungsexportprinzip und Wohnsitzprinzip angewendet worden ist.
Ein einziger Vergleich wäre mit heranzuziehen, nämlich der mit Jugoslawien. Da wird es eindeutig nach dem Territorialprinzip, also dem Wohnsitzprinzip, gehandhabt. — Bitte schön, Herr Kollege!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720204000
Bitte, Herr Kollege Buschfort!

Hermann Buschfort (SPD):
Rede ID: ID0720204100
Können Sie sich vorstellen, daß es in Polen auch Rentner gibt, die in den Rentnerstand kamen, bevor sie die 20jährige oder 25jährige Wartezeit erfüllt hatten, d. h. also, daß es Personen gibt, die in den Jahren 1950/1960 bis 1965 oder — bei einer 25jährigen Frist — vor 1970 Rentner wurden? Geben Sie mir zu, daß diese Personen jetzt einen Rechtsanspruch haben, daß sich also nicht, wie Sie gerade sagten, für diesen Personenkreis nichts ändert?

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0720204200
Herr Kollege Buschfort, wenn Sie uns das nachweisen — wir haben Sie ja oft genug in den vielen Besprechungen gebeten: „Quantifizieren Sie einmal den Personenkreis, nennen Sie uns einmal die Zahlen derjenigen, die davon betroffen werden!" , dann können Sie mit uns über diesen Punkt als solchen verhandeln und sagen: Das ist sicherlich ein Erfolg.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Wo steht das im Vertrag?)

Aber Sie sind bislang nicht in der Lage gewesen, diesen Personenkreis zu quantifizieren und uns aus dem Vertrag die Sicherheit zu geben, daß diese Personen ihre Rechte auch erhalten werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang — ich wollte das an anderer Stelle plazieren — noch folgendes sagen: Wir gehören nicht etwa zu denen, welche die erworbenen Rentenansprüche abschneiden wollen. Ich beziehe mich auf das, was Karl Carstens und Helmut Kohl hier gesagt haben: Wir wollen, daß die individuellen Ansprüche der Rentner auch individuell befriedigt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir lassen uns von diesem humanitären, von diesem menschlichen Prinzip leiten, daß die individuellen Rentenansprüche auch individuell aus der deutschen Rentenversicherung befriedigt werden müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU]: Das ist der entscheidende Punkt!)

In der öffentlichen Diskussion heißt es — der Redner nach mir wird sich darauf beziehen, zumindest muß man das seiner Presseerklärung vom Oktober entnehmen —, ehemalige Zwangsarbeiter — ich füge hinzu: und KZ-Häftlinge — bekämen aus diesen Rentenversicherungsabkommen Leistungen. Meine Damen und Herren, aus diesen Rentenabkommen und den Rentenzahlungen, die wir an Polen



Franke (Osnabrück)

leisten, erhalten diese Leute keinen einzigen Pfennig, denn durch die pauschale Abgeltung und durch das Territorialprinzip, das Wohnsitzprinzip, werden individuelle Ansprüche an die Rentenversicherungen, ob im KZ, durch Arbeit oder durch Zwangsarbeit erworben, überhaupt nicht befriedigt.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die CDU/CSU — ich sage das noch einmal — ließe mit sich reden, wenn individuelle Ansprüche aller Anspruchsberechtigten befriedigt werden könnten. Hier findet jedoch keine persönliche, individuelle Befriedigung aus den Rentenansprüchen aus den jeweils verschiedenen Anspruchskategorien heraus statt. Durch die Nichterfüllung von Leistungsansprüchen werden die meisten Anspruchsberechtigten sogar schlechter gestellt, weil nämlich unterschiedliche Leistungszahlungen jeweils nach deutschem und nach polnischem Rentenrecht erfolgen, da Sie auf das Leistungsexportprinzip verzichten, welches üblicherweise in den Abkommen mit anderen Ländern — mit ganz geringen Ausnahmen — gilt, beispielsweise mit allen westlichen Ländern, wenn ich die Doppelkomposition Österreich /Luxemburg /Niederlande einmal ausklammere. Dadurch stellen Sie die Deutschen in Polen, die dort bleiben und nicht ausreisen können, schlechter.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Sie verweisen diese Leute an den polnischen Rentenversicherungsträger. Die Leistungen, die von diesem gewährt werden, sind aber oft kein vollwertiger Ersatz für die Ansprüche an den deutschen Rentenversicherungsträger.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : So ist es!)

Sie schädigen also durch Ihre Handlung, durch den aus unserer Sicht schlechten Kompromiß in bezug auf das abgeschlossene Rentenabkommen diejenigen Deutschen, die in Polen verbleiben müssen und Ansprüche an Rentenversicherungsträger haben.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Das ist ja unwahrscheinlich!)

Nun wollen Sie durch den Verzicht den in den unter polnischer Verwaltung stehenden Gebieten lebenden Menschen den Rechtstitel nach dem Fremdrentengesetz streitig machen. Meine Damen und Herren, ich erlaube mir ein kleines Zitat aus einem Kommentar zum Angestellten- und Arbeiterrentenversicherungsrecht aus dem Jahre 1973. Wenn ich es richtig sehe, ist der Verfasser kein geringerer als der Staatssekretär Eicher aus dem Bundesarbeitsministerium. Der sagt angesichts der Entscheidung, die seinerzeit das Landessozialgericht in Nordrhein-Westfalen getroffen hat — ich gebe das mit meinen eigenen Worten wieder —: Entgegen der Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vertritt die Bundesregierung — auch in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht —die Auffassung, daß alle Gebiete in den Grenzen des Reiches von 1937 außerhalb des Bundesgebietes nicht „Ausland" sind. Eicher beim Bundesarbeitsministerium schreibt in seinem Kommentar „Die
Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten", Ausgabe September 1973, also nach Abschluß der Ostverträge, allerdings, glaube ich, wohl vor dem Grundvertragsurteil, daß die Rente nach § 1318 RVO an Personen nicht zu zahlen sei, die ihren Wohnsitz in den „unter polnischer Verwaltung stehenden Gebieten" haben. Wörtlich sagt Eicher: „Diese Gebiete sind im Verhältnis zur Bundesrepublik kein Ausland." Nun drehen Sie das völlig um. Diese Ansprüche, die sich hieraus ergeben, wo allerdings gesagt wird, daß nach § 1318 RVO im Augenblick keine Ansprüche befriedigt werden, werden jetzt durch diesen Vertrag als solchen völlig abgeschnitten. Das ist inhuman, meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist, wenn Sie so wollen, in deutsch gesagt, keine menschliche Handlung dieser Bundesregierung und der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD] : Das war klar!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720204300
Meine
Damen und Herren, da die Aussprache noch andauert und wir den Wunsch haben, daß die Ausschüsse tagen können, bitte ich, daß die Ausschüsse in jedem Fall ah 16 Uhr tagen können. Die Fragestunde findet anschließend an die Debatte statt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sund.

Olaf Sund (SPD):
Rede ID: ID0720204400
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich will versuchen, nach einigen allgemeinen und grundsätzlichen Bewertungen auf die Positionen einzugehen, die hier vom Herrn Kollegen Franke in bezug auf das vorliegende Abkommen zur Diskussion gestellt worden sind und von denen hier der Eindruck erweckt worden ist, als ob es sich um Positionen handele, die die geltende Rechtssituation verschlechterten. Ich glaube, einen solchen Eindruck kann man nun mit dem allerbesten Willen, Herr Kollege Franke, hier nicht entstehen lassen. Ich meine, daß es gut tut, hier wirklich einmal Position für Position durchzugehen.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Was Herr Franke sagt, sind Tatsachen!)

Eines vorweg: Der Ausgangspunkt aller unserer Überlegungen und Diskussionen über das Abkommen muß die Erkenntnis sein, daß es entweder dieses Abkommen mit Polen geben wird oder gar keines.

(Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU] : Ist das eine Feststellung? — Jäger [Wangen] [CDU/ CSU]: Das ist Ihre alte Behauptung!)

Das leitet sich schon aus der Tatsache ab, daß internationale Vereinbarungen von den Parlamenten nicht verändert, sondern nur als Ganzes gebilligt oder abgelehnt werden können; davon war heute morgen die Rede.
Nachdem die Bundesregierung und ihr Verhandlungspartner in nahezu zweijährigen schwierigen und intensiven Verhandlungen einen ausgewogenen Kompromiß erreicht haben, gibt es im Falle einer Ablehnung für die nächsten Jahre nicht die geringste Aussicht auf Neuverhandlungen. Ein Scheitern der Verträge würde darüber hinaus dazu führen,



Sund
daß die durch die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition in Gang gesetzte Verständigung mit den Völkern Osteuropas jäh unterbrochen würde. Das ist doch wohl heute morgen in aller Schärfe und Deutlichkeit klargeworden. Verhärtung, Enttäuschung, Mißtrauen und Furcht müßten die Folge sein. Es muß also jetzt entschieden werden, ob die menschlichen Erleichterungen und die sozialpolitischen Verbesserungen, die durch das Abkommen in eine greifbare Nähe gerückt worden sind, zustande kommen werden oder ob es weitere Ausreisemöglichkeiten und eine Beseitigung sozialpolitischer Härtefälle auf absehbare Zeit überhaupt nicht geben wird.
Wir werden uns dieser Entscheidung stellen müssen, und wir werden uns hier nicht mit irgendwelchen allgemeinen Bekenntnissen herausmogeln können, die darauf verzichten, in der Sache ja oder nein zu sagen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Pauschalformeln wie diese, daß das Abkommen schlecht ausgehandelt sei und daß mehr hätte herausgeholt werden müssen, helfen kein Jota weiter. Sie sind auch nicht zu begründen, sie bleiben Behauptungen ohne Beweis. Vor allem aber vernachlässigt der, der so zu argumentieren versucht, auch die einfache Tatsache, daß ein bilateraler Vertrag zwei Unterschriften tragen muß.
Da die Interessen- und Ausgangslagen nun einmal unterschiedlich sind, kann es einen Vertrag, der alle unsere Wünsche erfüllt, nicht geben. Wer also bei der Diskussion über das Abkommen mit der Volksrepublik Polen mit Maximalforderungen operiert, setzt sich dem Verdacht aus, daß er in Wirklichkeit gar keinen Vertrag will.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Marx [CDU/CSU] : Dieser Vertrag ist doch dummes Zeug! Das wissen Sie doch, Herr Sund! Das ist doch nur üble Nachrede!)

Wie kompliziert die Einzelfragen sind, deren Materie in diesem Abkommen geregelt wird, das ist schon in den Diskussionen deutlich geworden, die dieser Debatte vorausgegangen sind. Ich will einräumen, daß diese Diskussionen durch manches Mißverständnis gekennzeichnet waren, durch Mißverständnisse, die gar nicht immer in der Absicht der am Gespräch oder am Streit Beteiligten gelegen haben mögen. Allerdings muß ich an dieser Stelle sagen, daß ein Mißverständnis bei jemandem, der sich im sozialpolitischen Bereich auskennt, nicht herbeigeführt werden darf, nämlich daß, wenn die Rede von Zwangsarbeitern ist, von Polen, die im Gebiet des Deutschen Reichs gearbeitet haben und denen man von ihren Löhnen die Sozialversicherungsbeiträge abgezogen hat, diese sozialversicherungsrechtlich nicht mit KZ-Opfern gleichzusetzen sind. Diese Gleichsetzung ist in der Diskussion von unserer Seite nicht vorgenommen worden.
In der Diskussion gerade über den sozialversicherungsrechtlichen Teil, der das Herzstück des Vertragswerkes darstellt, wäre mehr an Sachlichkeit und auch mehr an Sachkenntnis geboten. Lassen Sie mich dazu einige Feststellungen treffen, die sich für denjenigen erübrigen mögen, der sich nicht mit oberflächlicher Polemik begnügt, sondern sich sachkundig macht und sich dann ein Urteil bildet.
Erstens. Das Rentenabkommen ist kein besonderes, ostpolitisch motiviertes Geschenk an Polen. Daß der Text zusammen mit Verhandlungen über eine Kredithilfe für die polnische Wirtschaft und über die Aussiedlung Deutscher aus Polen vereinbart wurde, ändert nichts an der Tatsache, daß der Abschluß eines Sozialversicherungsabkommens an sich — und ich weiß, was ich jetzt sage — eine ganz normale Angelegenheit ist, die völlig unabhängig von der Ostpolitik ihren Sinn hat. Es ist ebenso selbstverständlich wie die Tatsache, daß wir mit der Schweiz, mit Österreich, mit Kanada, mit der Türkei und mit anderen Staaten Sozialversicherungsabkommen geschlossen haben. Wir wissen doch: sobald zwischen zwei Staaten in einem nennenswerten Umfang Wanderungsbewegungen stattfinden, müssen die sozialpolitischen Probleme, die daraus entstehen, durch Abkommen geregelt werden. Eine vernünftige Sozialpolitik kann eine solche internationale Verflechtung nicht außer acht lassen. Daß die erheblichen — und ich weiß jetzt wieder, was ich sage, wenn ich dieses Wort benutze — Wanderungsbewegungen, die zwischen dem heutigen Gebiet der Bundesrepublik und Polen in der Vergangenheit stattgefunden haben, nun auch sozialpolitisch in Ordnung gebracht werden, müßte eigentlich etwas Selbstverständliches sein. Rentenabkommen sind eben ein unverzichtbarer Bestandteil einer geordneten Sozialpolitik, wie sie auch ein notwendiges Element normaler internationaler Beziehungen sind.
Zweitens. Jeder, der sich die Mühe macht, die zahlreichen Probleme zu durchdenken, die mit dein Abkommen gelöst werden müssen, wird zu dem Ergebnis kommen, daß als Lösung von vornherein nur ein Abkommen nach dem sogenannten Eingliederungsprinzip in Betracht kommen konnte. Beide Länder werden also bei ihrer Rentenberechnung Versicherungszeiten, die im jeweils anderen Vertragsland zurückgelegt worden sind, so behandeln, als wären sie im eigenen Land nachgewiesen worden. Ein Abkommen nach dem sogenannten und hier auch angesprochenen Exportprinzip, bei dem individuelle Rentenzahlungen über die Staatsgrenzen hinweg geleistet werden, würde im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen zu kaum vertretbaren Ergebnissen führen. Wer behauptet, ein Rentenabkommen nach dem Eingliederungsprinzip sei schlechter als ein Abkommen nach dem Exportprinzip, und daraus eine Kritik an dem Vertrag ableitet — wie hier geschehen —, der beweist nur mangelnde Sachkenntnis. Man darf doch einfach nicht vernachlässigen, daß der Export individueller Rentenansprüche ins Ausland dazu führt, daß auch jeweils das Sozialleistungsniveau und die Sozialleistungssystematik des Inlandes in das Ausland übertragen werden. Bei Ländern, deren Lebensstandard und Sozialleistungssystem sich so stark voneinander unterscheiden, wie das zwischen der Bundesrepublik und Polen der Fall ist, würde das bedeuten, daß wir nach Polen Renten zahlen müß-



Sund
ten, die nicht selten höher wären als die dortigen Arbeitnehmereinkommen.

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Finden Sie das unmoralisch?)

Demgegenüber wären die aus Polen nach Deutschland zu zahlenden Renten viel zu niedrig. Es kann doch nicht Sinn eines Rentenabkommens sein, in Polen eine Rentneraristokratie, in der Bundesrepublik aber ein begrenztes Rentnerproletariat zu schaffen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Sollen etwa getreu dem Exportprinzip die deutschen Aussiedler aus Polen später einmal mit einer für unsere Verhältnisse extrem niedrigen polnischen Rente vorliebnehmen?

(Zuruf des Abg. Dr. Marx [CDU/CSU])


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720204500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger (Wangen)?

Olaf Sund (SPD):
Rede ID: ID0720204600
Ich möchte meine Ausführungen im Zusammenhang vortragen, wie dies hier heute grundsätzlich geschieht.

(Franke [Osnabrück] [CDU/CSU] : Stehen die Antworten da nicht drin? Sollen sie etwa, wie das beim Exportprinzip unvermeindlich ist, außerdem noch das Wechselkursrisiko tragen? Es gibt noch weitere Gründe, aus denen die Anwendung des Exportprinzips im Verhältnis zu Polen ausscheidet. Diese Gründe sind auch alle Gegenstand von gemeinsam angestellten Überlegungen von Vertretern aller Fraktionen im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung in einer ständigen Konsultation mit dem Bundesarbeitsministerium gewesen. Es gibt noch weitere Gründe, hatte ich gesagt, die gegen dieses Exportprinzip sprechen. Zur Vermeidung von Doppelzahlungen hätte man nämlich im Vertragswerk bis in alle Einzelheiten hinein genau klären müssen, welche Zeiten bei der deutschen Rentenversicherung und welche Zeiten bei der polnischen Rentenversicherung anerkannt werden sollen. (Dr. Marx [CDU/CSU] : Ja und? Was spricht dagegen?)

Die damit zwangsläufig verbundenen Probleme wären kaum oder nicht zu lösen gewesen. Man muß sich nur das gigantische Ausmaß der vielfältigen Bevölkerungsbewegungen vorstellen, die zwischen den beiden L ändern stattgefunden haben,

(Zurufe der Abg. Dr. Marx [CDU/CSU] und Dr. Hupka [CDU/CSU])

angefangen von denen polnischer Zwangsarbeiter im zweiten Weltkrieg bis zu denen deutscher Heimatvertriebener und denen deutschstämmiger Aussiedler.
Hinzu kommt, daß auch einzelne Gebiete wie die Provinz Posen, Westpreußen, Ostoberschlesien mehrfach wechselnd dem deutschen und dem polnischen
Versicherungssystem angehört haben. Dies alles genau nachzuvollziehen, hätte unüberwindbare Schwierigkeiten bei der Formulierung des Abkommens verursacht, ganz zu schweigen von der Kompliziertheit der Einzelfälle in der späteren Verwaltungspraxis.
Schließlich — das ist eines der wichtigsten Argumente — haben sowohl die Bundesrepublik als auch Polen in ihrem innerstaatlichen Recht das Eingliederungsprinzip bereits weitgehend vorweggenommen. Denken Sie doch an das von Ihnen angesprochene Fremdrentenrecht. Auch die polnische Rentenversicherung erkennt unter bestimmten Bedingungen bereits heute deutsche Versicherungszeiten an. Das Abkommen ist in diesem Sinne nichts Umwälzendes und Neues, sondern die organische Fortführung und der endgültige Abschluß einer Entwicklung, die in den Rentengesetzen beider Länder schon lange vorgezeichnet war, und zwar, was die Bundesrepublik angeht, unter der Verantwortung der CDU/CSU. Wollte man jetzt das Problem der rentenrechtlichen Verflechtung mit Polen auf Basis des Exportprinzips bereinigen, würden die Sozialversicherungssysteme beider Länder völlig aus den Fugen geraten. Diejenigen, die gegen das Rentenabkommen mit Polen zu Felde ziehen, sollten einmal darüber nachdenken, welche verheerenden Folgen eine Anwendung des Exportprinzips für die deutsche Rentenversicherung hätte. Man müßte nämlich den deutschen Versicherten alle Rentenansprüche aus polnischen Versicherungs- und Beschäftigungszeiten, die wir heute nach dem Fremdrentengesetz anerkennen, wieder wegnehmen und ihnen dann sagen, daß sie statt dessen die viel niedrigeren Renten aus Polen gezahlt bekämen.

(Zuruf des Abg. Dr. Czaja [CDU/CSU])

Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die Sie dem Abkommen die Zustimmung verweigern wollen, sich doch noch einmal die Konsequenzen ihrer eigenen Vorstellungen von einem Rentenabkommen zu vergegenwärtigen.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Es gibt doch schon Deutsche in Polen, die nach unserem Rentenrecht Renten beziehen! Das ist inkonsequent, was Sie sagen! — Dr. Czaja [CDU/CSU] : Die 1 700 bekommen es doch!)

Wer die Möglichkeit eines Abkommens nach dem Exportprinzip wirklich vorurteilslos überprüft, kann nur zu der Schlußfolgerung kommen, daß es zu der zwischen der Bundesregierung und der polnischen Regierung ausgehandelten Konstruktion überhaupt keine brauchbare Alternative gibt.

(Dr. Marx [CDU/CSU]: Quatsch ist das!)

Es ist auch eine unzutreffende Vereinfachung, wenn gesagt wird, die in Polen lebenden Rentner hätten von dem Abkommen keinen individuellen Vorteil zu erwarten.

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Haben Sie auch nicht! — Dr. Hupka [CDU/CSU] : Welchen haben sie denn?)

In Wirklichkeit wird es in vielen Fällen — warten
Sie doch ab! — zur Beseitigung von Härten in der



Sund
Altersversorgung und der Unfallentschädigung kommen.
Allerdings ist es nicht zu bestreiten, daß teilweise auch heute schon Beitragszeiten bei deutschen Sozialversicherungsträgern in Polen anerkannt werden. In diesen Fällen führt das Abkommen in Polen natürlich nicht zu Rentenerhöhungen. Das liefe ja auch auf eine doppelte Anrechnung von Versicherungszeiten hinaus. Das kann niemand verlangen.
Es ist auch unbestritten, daß sich nach dem polnischen Recht, anders als in der deutschen Rentenversicherung für denjenigen Versicherten, der die Wartezeit bereits erfüllt hat, die zusätzliche Anerkennung — darauf ist hingewiesen worden — weiterer Zeiten nicht in jedem Fall in einer Rentenerhöhung auswirkt. Aber es kann ja auch nicht der Sinn eines Sozialversicherungsabkommens sein, daß ein Land dem anderen seine Rentenversicherungssystematik aufzwingt.
Daß das Rentenabkommen aber ungeachtet dieser Einschränkung zahlreiche noch bestehende Härten beseitigen wird, will ich an Hand von zwei polnischen und zwei deutschen Einzelschicksalen beispielhaft verdeutlichen.
Ein Deutscher, geboren 1903, hat von 1930 bis 1944 in Berlin gearbeitet, ist dann nach Oberschlesien übergesiedelt und ist später dort geblieben. Er hat in Oberschlesien von 1944 bis 1968 gearbeitet. Dieser Mann hat heute keinen Rechtsanspruch auf eine Altersrente, weder gegenüber der deutschen noch gegenüber der polnischen Rentenversicherung, weil er in keinem der beiden Versicherungssysteme die jeweils erforderliche Wartezeit erfüllt hat. Nach Inkrafttreten des Abkommens wird er eine polnische Rente erhalten.
Zweiter Fall. Ein Pole, geboren 1917, war vor dem Krieg in Polen selbständiger Landwirt und war dann von 1940 bis 1945 in Stuttgart als Zwangsarbeiter beschäftigt. Nach seiner Rückkehr hat er in Polen von 1945 bis 1947 versicherungspflichtig gearbeitet und ist dann durch Krankheit erwerbsunfähig geworden. Er hat weder auf eine polnische noch auf eine deutsche Rente Anspruch. Nach Inkrafttreten des Abkommens wird er eine polnische Rente bekommen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was sagt das denn aus!)

— Sie fragen doch immer nach den individuellen Auswirkungen. Dann hören Sie sich doch einmal an, was tatsächlich Bestandteil und Auswirkung dieses Abkommens ist!

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich weiß, daß das sprödes Rentendeutsch ist, was ich spreche. Aber das ist die Sprache, die sich in eine praktische Hilfe für denjenigen umsetzt, der einen Vorteil von diesem Abkommen hat.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Dritter Fall. Ein Pole, geboren 1910, war von 1926 bis 1943 in Polen beschäftigt und war dann von 1943 bis 1945 Zwangsarbeiter im Ruhrgebiet. Diese Lebensläufe sind unsere Geschichte. Bei Kriegsende ist er freiwillig in der Bundesrepublik geblieben, wo
er die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat und bis 1975 versicherungspflichtig beschäftigt war. Bei der Berechnung seiner Altersrente werden ihm nach dem jetzigen Recht die 18 Jahre in Polen nicht anerkannt. Nach Inkrafttreten des Abkommens werden diese Zeiten von der deutschen Rentenversicherung berücksichtigt.
Und ein vierter Fall. Ein Deutscher, geboren 1920, hat 1940 in Hamburg einen Arbeitsunfall erlitten. Danach war er wohnhaft in Breslau und ist dort wohnhaft geblieben. Er erhält weder nach deutschem noch nach polnischem Recht eine Unfallrente. Nach Inkrafttreten des Abkommens wird er eine polnische Unfallrente beziehen.

(Dr. Czaja [CDU/CSU] : Warum keine deutsche?)

Auch die Kritik an der von den deutschen Sozialversicherungsträgern zu entrichtenden Ausgleichszahlung ist unzutreffend. Die Systematik eines Abkommens nach dem Eingliederungsprinzip bringt es mit sich, daß die finanzielle Abwicklung durch eine Pauschalzahlung zwischen den Sozialversicherungsträgern zu erfolgen hat. Darin kann beim besten Willen kein Mangel des Abkommens liegen. Daß es per Saldo zu einer finanziellen Belastung der deutschen Versicherungsträger kommt — das hat das deutsch-polnische Abkommen mit vielen anderen Sozialversicherungsabkommen gemeinsam —, ist die Konsequenz der Tatsache, daß es mehr Personen in Polen gibt, die Ansprüche gegen die deutsche Rentenversicherung erworben haben, als umgekehrt Personen in der Bundesrepublik, die Renten gegenüber Polen zu beanspruchen haben.

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Wie ist das errechnet worden?)

— Wenn Sie sich die Mühe machen, das Protokoll der Bundesratssitzung, in der darüber gesprochen worden ist, nachzulesen und sich die dort ausgewiesenen Beispiele und Größenordnungen, mit denen gerechnet worden ist, anschauen, haben Sie dazu einen Anhaltspunkt.

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Das Protokoll kenne ich wohl! Aber das ist keine Antwort auf die Frage! — Seiters [CDU/CSU] : Wissen Sie denn, wie die Rechnung ist?)

Daß unter diesen Bedignungen die deutsche Seite mehr zahlen muß, als sie erhält, das kann doch — und darin sollten wir wirklich übereinstimmen — nicht anstößig sein.

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Dunkel, o Herr, ist der Sinn Deiner Rede!)

Angesichts der erheblichen Vorleistungen, die die polnische Sozialversicherung bereits durch die Anerkennung deutscher Versicherungszeiten seit Jahren erbracht hat, und angesichts der neuen Verpflichtungen, die sie durch das Abkommen übernehmen wird, ist die einmalige Zahlung von 1,3 Milliarden DM keinesfalls überhöht.

(Dr. Hupka [CDU/CSU] : Zufällig!)

Die polnische Seite ist uns in diesem Punkt weit
entgegengekommen. Es ist doch ein offenes Geheim-



Sund
nis, daß die finanzielle Belastung der deutschen Ren tenversicherungsträger ohne das Abkommen wegen einer mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Bundessozialgerichtsentscheidung sicherlich nicht geringer sein würde, als sie das durch die vereinbarte Pauschalzahlung sein wird!
Die Opposition sollte das deutsch-polnische Sozialversicherungsabkommen als das werten, was es ist, als einen sozialpolitisch sinnvollen und vernünftigen Kompromiß,

(Dr. Marx [CDU/CSU]: Ein Flickenteppich!)

wie er zwei Staaten angemessen ist, die normal und in Frieden nebeneinander leben wollen.
Meine Damen und meine Herren, es ist doch wohl eines richtig: Aussöhnung und Regelung von regelungsbedürftigen Sachverhalten unter dem Maßstab der Normalität haben miteinander zu tun. Wir sprechen demzufolge auch Sachverhalte mit den Worten und Begriffen des Normalen an. Wir verhandeln wie mit jedem anderen Partner in Wahrung unserer Interessen. Wir reden von Wanderungsbewegungen;

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Das ist natürlich ein falscher Ausdruck! — Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Das sind doch Bevölkerungsverschiebungen!)

und doch wissen wir, daß es sich dabei zugleich um das Schicksal von Millionen Zwangsverschleppten handelt, um Menschen, die von Deutschen in das damalige Reich deportiert wurden und denen man von ihren Arbeitslöhnen die Sozialversicherungsbeiträge abgezogen hat. Es wäre doch ein armseliges und verachtenswertes Unterfangen,

(Dr. Marx [CDU/CSU] : Einen Schleier über die Wirklichkeit zu ziehen!)

wollte man die mit dem Abkommen verbundene einmalige Ausgleichszahlung in eine billige tagespolitische Münze umschlagen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Es geht doch um berechtigte Ansprüche, für die vorher genausogut Beiträge in Heller und Pfennig gezahlt worden sind, wie das von anderen Leistungsberechtigten auch geschah. Hier wird nichts verschenkt. Niemand, der Verantwortung trägt, darf den Eindruck erwecken, als ob das geschehe. Wir wissen, daß es Versuche gegeben hat, hier ein mieses Einverständnis nach dem Motto herzustellen: Wir müssen sparen, und dort wird das Geld zum Fenster des Landes hinausgeworfen.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Wir entziehen es den deutschen Rentnern!)

In Wirklichkeit ist es so, daß viele Ansprüche über Jahre aufgelaufen sind, die bei uns im Rahmen unserer Gesetzgebung, so gut es ging, berücksichtigt wurden und die auch in Polen Berücksichtigung fanden, weil bisher die Sozialversicherungsbeziehungen zwischen unseren Ländern nicht wie zwischen anderen Ländern geordnet werden konnten.
Insoweit wird eine längst fällige Klärung herbeigeführt, die auch durch Fairneß und Verständnis auf der polnischen Seite ermöglicht wurde. Es ist unser aller gemeinsame Aufgabe, dies noch deutlicher nachzuzeichnen und das, was so oft abstrakt als die gemeinsame Verantwortung beschworen wird, an diesem Gegenstand Wirklichkeit werden zu lassen.
Dann — das soll meine letzte Bemerkung sein, meine Damen und Herren — wird aber vollends deutlich, daß eben neben den vertraglichen Vereinbarungen, die am Maßstab des Normalen gemessen werden, noch eine andere Dimension zum Tragen kommt. Es geht nämlich zugleich um das Verhältnis von Politik und Moral. Wir können hier nicht nur mit dem Rechenstift hantieren und so tun, als ob ein Vertrag eine Sache sei und Moral eine andere. Wir würden mit der niedrigen Gesinnung des Rechthabers und mit der Beschränktheit des Beckmessers das unmöglich machen und zerstören, was wir hier für die Zukunft gestalten können, nämlich eine faire und annehmbare Regelung für ein vielfach verknotetes Problem,

(Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Eben, eine annehmbare Regelung, keine ungerechte!)

praktische Hilfe für Menschen und ein Stück Wegs zur Ordnung der Beziehungen zwischen Polen und Deutschen. Wir alle sind uns das schuldig.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720204700
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage unter 2 a) an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend —, dem Auswärtigen Ausschuß und dem Rechtsausschuß — mitberatend — sowie dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung und die Vorlage unter 2 b) an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend — sowie den Auswärtigen Ausschuß und den Rechtsausschuß — mitberatend — zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit können wir in die Fragestunde
— Drucksache 7/4322 —
eintreten. Ich werde eine Minute Pause machen, bevor wir beginnen. —Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, daß wir auch in dieser Woche zwei Fragestunden — abweichend von den Richtlinien für die Fragestunde — mit einer jeweiligen Dauer von 90 Minuten durchführen. Nach § 127 unserer Geschäftsordnung muß diese Abweichung von der Geschäftsordnung beschlossen werden. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Zur Beantwortung der Frage 1 steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Zander zur Verfügung. Die Frage ist von dem Herrn Kollegen Enders gestellt worden:
Wer ist nach Ansicht der Bundesregierung für Anträge von Gehörlosen zur Übernahme von Kosten für optische Klingelanlagen und Lichtweckuhren verantwortlich, da sich in vorliegenden Fällen weder AOK noch Sozialamt für zuständig erklärten?
Bitte, Herr Staatssekretär!




Karl Fred Zander (SPD):
Rede ID: ID0720204800
Herr Kollege Dr. Enders, optische Klingelgeräte und Lichtweckuhren für Gehörlose gehören nicht zu den Leistungen der Reichsversicherungsordnung und sind somit keine Leistungen für die gesetzlichen Krankenversicherungsträger. Dagegen ermöglicht der Leistungsrahmen der Sozialhilfe die Versorgung von Gehörlosen mit den genannten Hilfsmitteln. Diese Maßnahme muß im Einzelfall erforderlich sein, um eine Behinderung zu verhüten, zu beseitigen oder zu mildern und den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern. Es darf ferner kein anderer Sozialleistungsträger zur Leistung verpflichtet sein, und der Behinderte muß die maßgebenden einkommens- und vermögensmäßigen Voraussetzungen erfüllen. Weckuhren für Hörbehinderte beispielsweise werden in der nicht abschließenden Aufzählung von Hilfsmitteln in § 9 Abs. 2 der Eingliederungshilfe-Verordnung sogar ausdrücklich erwähnt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720204900
Eine Zusatzfrage.

Dr. Wendelin Enders (SPD):
Rede ID: ID0720205000
Herr Staatssekretär, können Sie dazu beitragen, in der Offentlichkeit deutlich zu machen, daß nach Ihren Ausführungen soeben die Sozialämter unter gewissen Voraussetzungen verpflichtet sind, den Gehörlosen diese Einrichtungen zur Verfügung zu stellen bzw. zu bezahlen?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Enders, soweit der Bundesgesetzgeber hier angesprochen ist, ist dies durch die Verabschiedung des Sozialhilfegesetzes und seine Novellierung geschehen. Soweit die Bundesregierung dazu beitragen kann, tut sie dies durch die Verordnungen, die sich darauf stützen. Im übrigen ist es natürlich Sache der Aufklärung, insbesondere auch im Rahmen dieser Fragestunde, darauf hinzuweisen, wo Menschen, die solche Ansprüche haben, diese befriedigt bekommen, nämlich beim örtlichen oder überörtlichen Träger der Sozialhilfe.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720205100
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Weitere Fragen zu Ihrem Geschäftsbereich liegen nicht vor.
Die beiden von dem Herrn Abgeordneten Pfeffermann zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie eingereichten Fragen werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich gehe zum Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen über. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Herold zur Verfügung. Die Frage 4 ist vom Herrn Abgeordneten Dr. Riedl (München) eingereicht worden:
Treffen Meldungen zu, der staatlich gelenkte Ostberliner Turnund Sportbund habe in seinem Angebot an den Deutschen Sportbund die ohnehin schon völlig unzulängliche Zahl von 62 Begegnungen im Jahr 1975 um rund 30 % auf ganze 42 Begegnungen im Jahr 1976 reduziert, und welche Schlußfolgerungen zieht die Bundesregierung — bejahendenfalls — aus der auch auf dem
Gebiet des Sports ständig zunehmenden Konfrontations- und Abgrenzungspolitik Ost-Berlins?
Herr Staatssekretär!

Karl Herold (SPD):
Rede ID: ID0720205200
Herr Präsident, ich darf die Frage des Herrn Kollegen Riedel wie folgt beantworten:
Das Verfahren zur Aufstellung der Wettkampfkalender zwischen den beiden Sportverbänden DSB und DTSB beginnt jeweils mit der Vorlage von Terminpositionen, über welche dann verhandelt wird. Für das Jahr 1976 hat der DTSB 42 Vorschläge unterbreitet, im Vorjahr waren es 45 — also etwa die gleiche Zahl. Die vorgeschlagenen Positionen sind nicht — obwohl das in einigen Presseveröffentlichungen zum Ausdruck gebracht wurde — mit dem endgültigen Wettkampfkalender identisch. Der Wettkampfkalender ist ein Ergebnis der Verhandlungen über die Vorschläge beider Seiten. So hat der Deutsche Sportbund in diesem Jahr 90 Begegnungen vorgeschlagen und hofft, daß es zu einem möglichst umfangreichen Wettkampfkalender für 1976 kommt, trotz der Olympischen Spiele und trotz der Tatsache, daß in diesem Jahr von unserer Seite einige der vereinbarten Sportwettkämpfe mit Mannschaften aus der DDR leider abgesagt wurden. Wegen der nahezu unveränderten Zahl der vom DTSB angebotenen Treffen scheinen mir Rückschlüsse auf eine möglicherweise veränderte allgemeine Tendenz in der innerdeutschen Sportentwicklung nicht sinnvoll zu sein.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720205300
Eine Zusatzfrage.

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0720205400
Herr Staatssekretär, könnten Sie vielleicht einige der Gründe nennen, die dazu geführt haben, daß bereits vereinbarte Sportbegegnungen abgesagt wurden?
Herold, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Riedl, das waren zum Teil recht merkwürdige Gründe. In einem Fall z. B. lag der Grund darin, daß Damen deutscher Mannschaften drüben nicht an Festessen teilnehmen durften. Ähnliche Kleinigkeiten waren auch in anderen Fällen der Grund. Ich möchte dies jetzt nicht erweitern, bin aber gerne bereit, Ihnen die Gründe persönlich näher zu erläutern. Es handelt sich schließlich um Einzelfälle, und diese sollte man hier nicht ausbreiten, damit es keinen falschen Zungenschlag gibt. In anderen Fällen mußten Sportbegegnungen aus finanziellen Gründen oder deshalb, weil die Mannschaften nicht zusammenkamen, abgesagt werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720205500
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Erich Riedl (CSU):
Rede ID: ID0720205600
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung mit dieser von Ihnen genannten Zahl von 90 vom Deutschen Sportbund beantragten Begegnungen zufrieden? Wie beurteilen Sie diese für mich sehr bescheidene Gesamtzahl?



Herold, Parl. Staatssekretär: Ich teile Ihre Auffassung, daß es eine bescheidene Zahl ist. Die Bundesregierung würde natürlich noch viel mehr Begegnungen wünschen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720205700
Eine Zusatazfrage des Herrn Kollegen Scheffler.

Hermann Scheffler (SPD):
Rede ID: ID0720205800
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die heutige Erörterung weder den Wünschen des Deutschen Sportbundes noch den Bemühungen dient, die Zahl der innerdeutschen Sportbegegnungen für 1976 auf ein einigermaßen befriedigendes Niveau zu bringen, und daß die beiden deutschen Sportbünde deshalb für die laufenden Kommissionsverhandlungen Vertraulichkeit vereinbart haben?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720205900
Herr Kollege, ich bedauere, den unmittelbaren Zusammenhang mit der Ausgangsfrage nicht erkennen zu könen. Ich lasse die Zusatzfrage nicht zu.

(Abg. Scheffler [SPD] meldet sich zu einer weiteren Zusatzfrage)

— Herr Kollege, Sie haben leider nur eine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 5 des Herrn Kollegen Jäger (Wangen) auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Äußerungen des DDR- Außenministers Fischer gegenüber schwedischen Journalisten, daß die Bürger der DDR, die in die Bundesrepublik Deutschland reisen wollten, auch reisen könnten, und wird die Bundesregierung die Ostberliner Regierung in Gesprächen über Reisemöglichkeiten beim Wort nehmen?
Bitte!
Herold, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, ich beantworte Ihre Frage wie folgt. Da Ihnen, wie ich annehme, der Wortlaut des Interviews schwedischer Journalisten mit dem Außenminister der DDR vorliegt, wissen Sie, daß deren Fragen Herrn Fischer in einige dialektische und sonstige Schwierigkeiten gebracht haben. Für die Bundesregierung kann ich zu diesem Pressegespräch nur feststellen, daß die Möglichkeiten für DDR-Bewohner, in die Bundesrepublik Deutschland zu reisen, nach wie vor durch die Anordnungen über Regelungen im Reiseverkehr von Bürgern der DDR vom 17. Oktober 1972 und 14. Juni 1973 bestimmt sind. Hiernach können DDR- Bewohner, die das gesetzliche Rentenalter erreicht haben oder Invaliden sind, ebenso in das Bundesgebiet reisen wie andere DDR-Bürger anläßlich dringender Familienangelegenheiten. Darüber hinaus bestehen im Augenblick keine Reisemöglichkeiten für DDR-Bewohner. Daran ändern auch Erklärungen wie die des Herrn Ministers Fischer nichts. Ich bedauere, dies hier ausdrücklich feststellen zu müssen.
Die Bundesregierung hat aber die Äußerungen des DDR-Außenministers mit Interesse zur Kenntnis genommen und wird sich selbstverständlich nach wie vor bemühen, eine Verbesserung des Reiseverkehrs von der DDR in die Bundesrepublik Deutschland zu erreichen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720206000
Eine Zusatzfrage.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0720206100
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß der Außenminister der DDR, Herr Fischer, rein formal sogar recht hatte, wenn man sich nämlich auf den Buchstaben a) im Korb 3 der Vereinbarungen von Helsinki bezieht, wonach ja eine umfassende Reiseerlaubnis vorgesehen ist, und bedeutet dies, daß Herr Fischer sich damit bereit erklärt hat, das praktische Verhalten der DDR für die Zukunft an diese erweiterten Reisemöglichkeiten anzugleichen?
Herold, Parl. Staatssekretär: Wir können nur begrüßen, daß er sich auf die Vereinbarungen von Helsinki stützt. Da Sie das Interview gelesen haben, wissen Sie, daß Herr Fischer auf das letzte Drittel der Fragen nur geschwiegen und keine Antwort erteilt hat.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720206200
Herr Kollege Jäger, Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0720206300
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung bereits konkrete Schritte eingeleitet, um mit der DDR-Regierung über die hier von Herrn Fischer — mindestens in seiner Ausdrucksweise — angedeuteten Erweiterungsmöglichkeiten konkrete Gespräche zu führen?
Herold, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, seit Abschluß der Verträge bemüht sich diese Bundesregierung mit sichtbarem Erfolg, die Reisemöglichkeiten zu erweitern, und sie wird das auch in Zukunft tun.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720206400
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Schmidt zur Verfügung.
Frage 6 ist von Herrn Abgeordneten Reiser eingereicht:
Wie stellt sich die Bundesregierung zu der Äußerung des amerikanischen Anwalts Belli, der Witwen verunglückter deutscher Starfighter-Piloten gegenüber US-Herstellerfirmen vertritt, auf Pressekonferenzen, wonach die Bundesregierung nur spärliche Informationen in der Sache geliefert und zu spät für Gerichtsverfahren Zeugen zur Verfügung gestellt habe?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0720206500
Herr Kollege, es trifft zu, daß Rechtsanwalt Belli seit Jahren versucht, die Flugunfallberichte, die Einsicht in die Verträge zwischen der Firma Lockheed und der Bundesrepublik Deutschland sowie die Genehmigung zur Aussage deutscher Offiziere zu erhalten. Es trifft nicht zu, daß die Bundesregierung zu spät Zeugen für Gerichtsverhandlungen zur Verfügung gestellt habe.



Parl. Staatssekretär Schmidt
Die Herausgabe der Flugunfallberichte ist abgelehnt worden, weil diese ausschließlich innerdienstlichen Zwecken dienen und nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind. Eine Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Herausgabe gibt es nicht.
Der geforderten Einsichtnahme in die zwischen der Firma Lockheed und der Bundesrepublik Deutschland geschlossenen Verträge konnte nicht zugestimmt werden, weil diese Verträge nur das Verhältnis zwischen den Vertragspartnern regeln und daher zur Auswertung durch Dritte nicht geeignet sind. Im übrigen dürfte es für die Hinterbliebenen unerheblich sein, welches Recht zwischen den Vertragsparteien vereinbart worden ist, da dieses Recht nur zwischen diesen gilt, die Hinterbliebenen jedoch keine Ansprüche aus dem Vertrag, sondern eigene Schadenersatzansprüche geltend machen.
Anträge, deutsche Offiziere vor ausländischen Gerichten über Gegenstände aussagen zu lassen, die dienstliche Belange berühren, sind bisher grundsätzlich — nicht nur in diesem Fall — abgelehnt worden. Über ein Rechtshilfeersuchen des amerikanischen Gerichts auf Vernehmung benannter deutscher Offiziere vor einem deutschen Gericht, das über das Auswärtige Amt einging, konnte noch nicht entschieden werden, da in Ermangelung eines beigefügten Beweisbeschlusses nicht bekannt ist, worüber die deutschen Offiziere aussagen sollen.
Zusätzlich sei bemerkt, daß die Bundesregierung ihren Verpflichtungen aus der Fürsorge gegenüber den Hinterbliebenen der verunglückten Piloten durch Gewährung der gesetzlich vorgesehenen Versorgungsleistungen nachkommt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720206600
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege!

Hermann P. Reiser (SPD):
Rede ID: ID0720206700
Da ich davon ausgehe, Herr Staatssekretär, daß Sie derartige juristische Verfahren gerade in einem solchen Punkt sehr aufmerksam verfolgen: Gibt es denn auf Grund dieser Erfahrungen Hinweise, Erkenntnisse in bezug auf Mängel bei diesen besonderen Flugzeugen des deutschen Typs?
Schmidt, Parl. Staatssekretär: Ich müßte Spezialisten, Fachleute fragen, aber von mir aus kann ich aus meiner langjährigen Erfahrung nur sagen, daß das nicht der Fall ist. Die Beurteilung ist ja sehr verschieden, aber ich möchte meinen, daß es keine Mängel gibt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720206800
Keine weitere Zusatzfrage? — Dann Herr Kollege Hansen, bitte!

Karl-Heinz Hansen (SPD):
Rede ID: ID0720206900
Herr Staatssekretär, würden Sie die von Ihnen erwähnten Unfallberichte den Mitgliedern dieses Hauses oder zumindest den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses zur Einsichtnahme zuleiten können?
Schmidt, Parl. Staatssekretär: Diese Berichte sind für den internen Hausgebrauch. Ich möchte aber meinen, daß die Mitglieder des Verteidigungsausschusses sicher Einsicht nehmen können; ich würde sie ihnen aber nicht zuleiten und damit dann diese Berichte praktisch öffentlich machen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720207000
Ich rufe Frage 7 des Herrn Abgeordneten Sauter (Epfendorf) auf:
Kann die Bundesregierung Presseberichte bestätigen, daß die Zahl der bei den Verkehrsunfällen ums Leben kommenden jungen Soldaten vergleichsweise nahezu doppelt bis dreifach so hoch ist wie die der gleichaltrigen Zivilisten?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Schmidt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sauter, die Bundesregierung kann derartige Presseberichte nicht bestätigen. Das Bundesministerium der Verteidigung hat vielmehr am 29. Oktober 1975 in den „Mitteilungen an die Presse" folgendes erklärt:
Der durch Presseveröffentlichungen erweckte Eindruck, die Bundeswehr vernachlässige die Verkehrserziehung, ist falsch. Falsch ist auch die in Presseveröffentlichungen genannte Zahl von mehr als 500 Soldaten, die bei Verkehrsunfällen außerhalb des Dienstes jährlich ums Leben kamen. Richtig ist vielmehr, daß die Verkehrserziehung in der Truppe nicht ohne positive Wirkung geblieben ist.
Ich darf, Herr Kollege Sauter, noch einmal darauf hinweisen — ich hatte das bereits in meiner Antwort auf Ihre Frage in der Fragestunde vom 9. April 1975 zum Ausdruck gebracht —, daß die überwiegende Zahl der Soldaten zu den besonders gefährdeten jungen Kraftfahrern gehört und die Bundesregierung diesem Problem seit Jahren ihre besondere Aufmerksamkeit gewidmet und entsprechende Maßnahmen getroffen hat.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720207100
Eine Zusatzfrage.

Franz Sauter (CDU):
Rede ID: ID0720207200
Herr Staatssekretär, dann bestreiten Sie also die in den Presseberichten enthaltene Aussage, daß die Quote der Unfälle mit Todesfolge bei Bundeswehrsoldaten zwei- bis dreimal höher als bei Zivilisten ist?
Schmidt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sauter, ich bin nicht so gläubig, daß ich alles das, was in den Zeitungen steht, für absolut richtig halte. Ich bin der Meinung, daß das, was ich soeben gesagt habe, die Wahrheit ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720207300
Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Franz Sauter (CDU):
Rede ID: ID0720207400
Herr Staatssekretär, darf ich Sie daran erinnern, daß sich diese Pressenotiz auf eine Mitteilung des ADAC bezieht und daß an sich kein Zweifel zu bestehen braucht, daß diese ADAC-Mitteilung der Wahrheit entspricht, und darf ich Sie zusätzlich — —




Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720207500
Herr Kollege, so hätten Sie das nicht sagen sollen; Sie dürfen zusätzlich nicht mehr fragen. Jetzt sind wir beim Fragezeichen.
Schmidt, Parl. Staatssekretär: Soll ich darauf jetzt antworten?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720207600
Ja bitte, Herr Staatssekretär.
Schmidt, Parl. Staatssekretär: Zunächst einmal möchte ich noch einmal auf das hinweisen, was soeben zu dieser Frage gesagt worden ist. Auf der anderen Seite ist es selbstverständlich, daß sehr viele Untersuchungen angestellt werden, auch in bezug auf die Unfallhäufigkeit. Ich kann Ihnen nur sagen, daß wir von uns aus auch in den Einheiten alles tun, um die Verkehrserziehungsmöglichkeiten auszunutzen und die jungen Leute auf die Gefahren hinzuweisen — vielleicht in einem sehr viel stärkeren Maße, als das draußen überhaupt möglich ist. Von uns aus haben wir die Fürsorgepflicht — und darum geht es ja —, soweit es möglich ist, erfüllt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720207700
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0720207800
Herr Staatssekretär, wir sind ja gern bereit, der Bundesregierung zu glauben, wenn wir Zahlen bekommen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720207900
Herr Kollege, bitte fragen Sie.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0720208000
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, dem Hause, wie Sie das dem Kollegen Sauter schon im April zugesagt haben, nun die nach Ihrer Auffassung richtigen Zahlen der Bundesregierung vorzulegen?
Schmidt, Parl. Staatssekretär: Dazu bin ich bereit.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720208100
Herr Staatssekretär, die Fragen 8 und 9 des Herrn Abgeordneten Conradi stehen in einem gewissen Zusammenhang. Wollen Sie sie einzeln beantworten? — Ich rufe dann die Fragen 8 und 9 des Herrn Abgeordneten Conradi auf:
Trifft es zu, daß derzeit ein deutsches Meinungsforschungsinstitut eine Umfrage über die Bundeswehr veranstaltet, hei der Soldaten der Bundeswehr befragt werden?
Trifft es zu, daß Soldaten der Bundeswehr „nahegelegt" worden ist, im Fall, daß sie im Rahmen dieser Umfrage befragt werden, die Aussage zu verweigern und ihren Disziplinarvorgesetzten zu verständigen?
Schmidt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Conradi, Ende September /Anfang Oktober 1975 wurden im Auftrag einer deutschen Illustrierten 300 Soldaten der Bundeswehr durch ein deutsches Meinungsforschungsinstitut zum Ansehen der Bundeswehr, zum Uniformtragen, zur Notwendigkeit der allgemeinen Wehrpflicht, zu ihrer beruflichen Vorliebe und zu ihrer Bereitschaft, im Ernstfall ihr Leben einzusetzen und im Falle militärischer Auseinandersetzungen mit der Deutschen Demokratischen Republik auf Deutsche zu schießen, befragt. Das Bundesministerium der Verteidigung war vorher um sein Einverständnis gebeten worden, hatte dies jedoch auf Grund ernster sachlicher Bedenken nicht erteilen können.
Zu der zweiten Frage: Nachdem dem Bundesministerium der Verteidigung bekannt wurde, daß Interviewer sich unter der wahrheitswidrigen Angabe, sie hätten die Erlaubnis des Bundesministeriums der Verteidigung, Eingang in die Kasernen verschafft hatten, wurden alle Einheiten der Bundeswehr am 3. Oktober 1975 davon in Kenntnis gesetzt, daß diese Umfrage ohne Einverständnis des Bundesministeriums der Verteidigung durchgeführt werde und daher innerhalb militärischer Anlagen untersagt sei. Sie wurden angewiesen, die Soldaten entsprechend zu belehren und Befragungsversuche dem Bundesministerium der Verteidigung zu melden. Es wurde jedoch keinerlei Anweisung erteilt, den Soldaten nahezulegen, im Falle ihrer Befragung die Antwort zu verweigern.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720208200
Herr Kollege, nach der Beantwortung Ihrer beiden Fragen haben Sie jetzt vier Zusatzfragen.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID0720208300
Herr Staatssekretär, nachdem dieser von Ihnen zitierte Erlaß Einheiten der Bundeswehr vor dem Ausrücken in das Wochenende mit dem Hinweis vorgetragen worden ist, eine Teilnahme an der Befragung außerhalb des militärischen Geländes sei Befehlsverweigerung und werde entsprechend geahndet, muß ich Sie fragen, ob der Erlaß Ihres Hauses, der diese Befragung auf militärischem Gelände untersagte, auf diesen Tatbestand beschränkt war oder auch das außerdienstliche Verhalten der Soldaten betraf.
Schmidt, Parl. Staatssekretär: Ich darf auf das hinweisen, was ich geantwortet habe: Das war auf den militärischen Bereich, etwa den Bereich der Kaserne, beschränkt.

Peter Conradi (SPD):
Rede ID: ID0720208400
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, Vorgängen nachzugehen, bei denen, offenbar in falscher Auslegung des Erlasses Ihres Hauses, Offiziere der Bundeswehr, Soldaten der Bundeswehr angewiesen haben, auch außerhalb militärischer Anlagen nicht an der Umfrage teilzunehmen und Befragungsversuche zu melden, und angedroht haben, eine Nichtbefolgung käme einer Befehlsverweigerung gleich? Wären Sie bereit, dies zu verfolgen?
Schmidt, Parl. Staatssekretär: Dazu bin ich bereit. Ich bin auch bereit, Ihnen dazu schriftlich eine Antwort zu geben.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720208500
Damit sind die beiden Fragen beantwortet.



Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Meine Damen und Herren, zu der Frage 10 der Abgeordneten Frau Tübler und der Frage 11 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann haben die Fragesteller um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen; damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Jung zur Verfügung.
Die Fragen 12 und 13 des Abgeordneten Dr. Müller-Hermann werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 14 und 15 des Abgeordneten Ollesch werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 16 des Abgeordneten Geldner wird schriftlich beantwortet, da der Fragesteller nicht im Saal ist. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Nunmehr rufe ich die Fragen 17 und 18 des Abgeordneten Milz auf:
Hat die Deutsche Bundesbahn die Berechnungen über die Länge ihres betriebswirtschaftlich optimalen Streckennetzes abgeschlossen, und wann wird der Deutsche Bundestag über das Ergebnis informiert?
In welcher Weise wird der Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages vor Beginn der Verwirklichung des Streckenstilllegungsplans mit dem Vorhaben der Deutschen Bundesbahn beschäftigt?
Bitte, Herr Staatssekretär!

Kurt Jung (FDP):
Rede ID: ID0720208600
Herr Kollege Milz, die Untersuchungen des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn über ein betriebswirtschaftlich optimales Netz, ausgedrückt in Kilometern, liegen dem Bundesminister für Verkehr noch nicht vor. Wenn der Vorstand der Deutschen Bundesbahn dem Bundesminister für Verkehr Anfang 1976 seine Vorstellungen übermittelt haben wird, wird der Bundesverkehrsminister insbesondere gemeinsam mit den zuständigen Ressorts und den Ländern die gesamtwirtschaftliche Prüfung vornehmen. Diese Prüfung wird voraussichtlich erst Anfang 1977 abgeschlossen werden können. Der Deutsche Bundestag wird dann über das Ergebnis unterrichtet werden. Der Bundesminister für Verkehr beabsichtigt jedoch, den Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages auch schon über die einzelnen Zwischenergebnisse der Prüfung zu unterrichten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720208700
Eine Zusatzfrage.

Peter Milz (CDU):
Rede ID: ID0720208800
Herr Staatssekretär, wären Sie in der Lage, dieses „Anfang 1976" etwas konkreter zu fassen?
Jung, Parl. Staatssekretär: Nein, dazu bin ich im Augenblick nicht in der Lage; denn dies ist Sache des Vorstands der Deutschen Bundesbahn. Ich bin nicht darüber informiert, zu welchem konkreten Zeitpunkt der Bundesbahnvorstand in der Lage ist, dieses Konzept vorzulegen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720208900
Weitere Zusatzfrage.

Peter Milz (CDU):
Rede ID: ID0720209000
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß es, wenn schon der Zeitbegriff so vage dargestellt werden muß, unmöglich ist, daß sich der Vorsitzende der Deutschen Bundesbahn, Herr Vaerst, mehrfach in der Presse über seine Absichten äußert und dadurch zu der Unruhe in der Bevölkerung beiträgt?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Milz, dies ist eine Wertung über den Vorsitzenden des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn, der ich mich nicht anschließe. Ich teile aber die Meinung generell, daß die vielen Veröffentlichungen — ich meine jetzt allerdings nicht nur diejenigen des Vorstandes der Bundesbahn, sondern auch solche von Abgeordneten — natürlich mit dazu beitragen können, unter den Betroffenen eine gewisse Unruhe hervorzurufen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720209100
Eine weitere Zusatzfrage.

Peter Milz (CDU):
Rede ID: ID0720209200
Herr Staatssekretär, würde die Bundesregierung bereit sein, gegenüber dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn zum Ausdruck zu bringen, daß angesichts der Brisanz dieses Themas Zurückhaltung auch dort ein hohes Gebot ist?
Jung, Parl. Staatssekretär: Dies hat die Bundesredierung bereits getan, Herr Kollege.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720209300
Noch eine Zusatzfrage.

Peter Milz (CDU):
Rede ID: ID0720209400
Herr Staatssekretär, kann man davon ausgehen, daß die zeitliche Abfolge, die Sie eben dargestellt haben, auch im Zusammenhang mit der Bundestagswahl 1976 zu sehen ist?
Jung, Parl. Staatssekretär: Nein, davon können Sie nicht ausgehen, Herr Kollege.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720209500
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID0720209600
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß der Präsident der Bundesbahn, Herr Vaerst, verpflichtet ist, in der Öffentlichkeit Aufklärung zu geben, wenn irreführende Pressemeldungen aufgetaucht sind, damit die tatsächlichen Planungen der Bundesbahn und nicht falsche Darstellungen dieser Planungen diskutiert werden können?
Jung, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege.




Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720209700
Zu einer
letzten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jäger (Wangen).

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0720209800
Herr Staatssekretär, werden bei den Überlegungen, die die Bundesregierung nach Ihren Worten zusammen mit dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn anstellen wird, auch landesplanerische Gesichtspunkte gebührende Berücksichtigung finden?
Jung, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege Jäger. Dies wird allein schon aus meiner Antwort deutlich. Ich habe ja besonders darauf hignewiesen, daß auch die Länder eine Rolle spielen. Hier werden landes- und regionalplanerische Gesichtspunkte von den Ländern mit Sicherheit in die Diskussion eingeführt. Das habe ich bereits durch die Antwort auf Ihre Frage bestätigt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720209900
Ich rufe
die Fragen 19 und 20 des Abgeordneten Dr. Luda auf:
Was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu tun, daß mit der Einschränkung der Selbstabholung für Stückgut bei der Deutschen Bundesbahn, wie sie in der 83. Änderungsverordnung zur Eisenbahn-Verkehrsordnung durchgesetzt wurde, vielen kleineren Speditionsunternehmen, insbesondere sogenannten Vollmachtspediteuren, die Existenzgrundlage entzogen wird?
Wie beurteilt die Bundesregierung das Verhalten der Deutschen Bundesbahn, die durch eine drastische Kündigungswelle kleinere Spediteure aus dem Bahnstückgutgeschäft drängt, um in der Regel jeweils bei einem Stückgutbahnhof einem großen Speditionsunternehmen die gesamte Verteilung des Bahnstückguts zu übertragen?
Bitte!
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Luda, zur Verbesserung der Kostenertragssituation im Stückgutverkehr hat sich der Vorstand der Deutschen Bundesbahn für eine Konzentration des Beförderungsangebots im Rahmen des sogenannten Modells 400 entschieden. Um den damit angestrebten wirtschaftlichen Erfolg zu ermöglichen, löst sich die Deutsche Bundesbahn grundsätzlich von dem bisherigen reinen Beförderungsvertrag von Station zu Station und ersetzt diesen generell durch einen Beförderungsvertrag von Haus zu Haus. Der bisherige Anspruch des Empfängers in § 77 der Eisenbahnverkehrsordnung auf Selbstabholung des Stückguts oder durch Beauftragung Dritter ist infolge der vom Bundesrat beschlossenen Fassung der 83. Verordnung zur Änderung der Eisenbahnverkehrsordnung durch die grundsätzliche Hauszuführung von seiten der Deutschen Bundesbahn ersetzt worden. Dieser Grundsatz läßt aber auch Vereinbarungen zwischen der Deutschen Bundesbahn und einzelnen Empfängern zu, Selbstabholung durch den Empfänger oder seinen Bevollmächtigten - hierunter fallen auch Vollmachts- oder Vertragsspediteure — vorzusehen. Von einer Bedrohung der Existenz der Vertragsspediteure kann daher nicht generell gesprochen werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720210000
Eine Zusatzfrage.

Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0720210100
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß, nachdem jetzt in allen Bezirken die Bahnkundschaft ein Schreiben bekommen hat, wonach jeweils nur noch eine Firma zuständig ist und alle anderen aus dem Speditionsgeschäft somit abgedrängt werden, diese Maßnahme für viele kleine und mittlere Speditionsfirmen doch eine ganz erhebliche Existenzbeeinträchtigung, -gefährdung und eine soziale Härte in sehr vielen Fällen darstellt, und meinen Sie nicht mit mir — —

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720210200
Fragezeichen, bitte!
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Luda, das ist möglicherweise im Einzelfall nicht zu bestreiten. Es wird nunmehr auf die Verhandlungen ankommen, die ich Ihnen als möglich mitgeteilt habe. Dann wird sich ja erst herausstellen, ob diese Befürchtungen überhaupt zutreffen. Insofern müßten Sie mir konkrete Einzelfälle mitteilen. Ich wäre dann gern bereit, durch die hierfür allerdings allein zuständige Deutsche Bundesbahn diese Einzelfälle überprüfen zu lassen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720210300
Zusatzfrage!

Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0720210400
Herr Staatssekretär, da es sich bei diesen Einzelfällen um sämtliche Speditionsfirmen im jeweiligen Bezirk handelt, die den Auftrag der Bundesbahn in Zukunft also nicht bekommen, möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht mit mir der Meinung sind, daß es sich bei diesem Abdrängen sämtlicher anderer Speditionsfirmen um einen Eingriff in den Gewerbebetrieb handelt, der verfassungsrechtlich und zivilrechtlich geschützt ist, so daß es für die Bundesbahn und vielleicht auch für die Bundesregierung entsprechende rechtliche Konsequenzen geben könnte.
Jung, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Luda; ich glaube, so kann man das nicht sehen. Es ist kein Eingriff, denn es ist ja, wie gesagt, noch offen, inwieweit einzelne Firmen mit der Bundesbahn die Vereinbarung treffen, auch künftig das Stückgut durch Spediteure ihrer Wahl abholen zu lassen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720210500
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0720210600
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß die Bundesbahn in Wahrheit beabsichtigt, in aller Kürze den Stückgutvekerhr generell abzustoßen, und ist es dann nicht widersinnig, wenn sie jetzt erst einmal eine neue Organisation in diesem Stil aufzieht?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Luda, die Bundesbahn wird ab 1. Januar 1976 von dem bisherigen Modell der über tausend Stückgutbahnhöfe auf das Modell 400, nämlich auf rund 400 Stückgutbahnhöfe zurückgehen. In diesem Zusammenhang nun davon auszugehen, die Bundesbahn habe die Absicht, den Stückgutverkehr überhaupt aufzugeben, ist irrig, wenngleich ich natürlich bestätige, daß die

Parl. Staatssekretär Jung
Bundesbahn im Augenblick rund 200 DM pro Tonne für das Stückgut zusetzt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720210700
Sie haben eine letzte Zusatzfrage.

Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0720210800
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß sichergestellt ist, daß alle Stückgutkunden bleiben, wenn Sie jetzt so verfahren, und glauben Sie somit, daß jeder Kunde damit einverstanden ist, in Zukunft von dem einzigen Spediteur bedient zu werden, der jetzt von der Bundesbahn monopolartig benannt worden ist?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Luda, das wird natürlich davon abhängen, wie sich dieses Modell bewährt. Der Bundesminister für Verkehr hat seine Zustimmung zu diesem Modell ja auch unter dem Gesichtspunkt gegeben, daß nach einer gewissen Zeit eine Erfolgsbilanz von seiten der Bundesbahn vorgelegt wird, die auf der einen Seite klarmacht, ob sich das bessere wirtschaftliche Ergebnis mit diesem Modell durchgesetzt hat, und die auf der anderen Seite Auskunft darüber gibt, ob der Kunde mit dieser neuen und, wie ich meine, kundenfreundlicheren Bedienung von Haus zu Haus zufrieden ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720210900
Herr
Kollege Scheffler, eine weitere Zusatzfrage.

Hermann Scheffler (SPD):
Rede ID: ID0720211000
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Ausführungen so verstehen, daß der Versender von Stückgut nach wie vor berechtigt ist zu verfügen, daß am Zielbahnhof das Stückgut dem Empfänger avisiert wird und dieser das Recht hat, die Selbstabholung vorzunehmen?
Jung, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege; aber ich muß eine gewisse Einschränkung machen: sofern die Einrichtungen bei der Bundesbahn am Empfängerort vorhanden sind. Das ist ja der Grund dafür gewesen, daß die Bundesbahn dieses Modell eingeführt hat, weil die hohen Kosten — ich habe eben schon gesagt, daß es 200 DM pro Tonne sind, die die Bundesbahn bei diesem Stückgutverkehr zusetzt — durch Lagerhaltung usw. entstanden sind. Hier ist es, wie gesagt, notwendig, daß die Voraussetzungen bei der Bundesbahn vorhanden sind.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720211100
Eine
letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Fuchs.

Dr. Karl Fuchs (CSU):
Rede ID: ID0720211200
Herr Staatssekretär, in wieviel Prozent der Fälle, glauben Sie, wird nach wie vor die Möglichkeit bestehen, daß der Empfänger am Zielbahnhof seine Güter selbst abholt?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Fuchs, Sie werden verstehen, daß ich diese Frage aus dem Stand heraus nicht beantworten kann. Ich bin gern bereit, mit der Bundesbahn Rücksprache zu nehmen und Ihnen dann schriftlich eine Antwort auf diese Ihre Zusatzfrage zu geben.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720211300
Die Fragen 21 und 22 des Herrn Kollegen Dr. Kraske werden auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet. Dasselbe gilt für die Frage 23 des Herrn Kollegen Dr. Wernitz. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 24 der Frau Abgeordneten Riedel-Martiny auf:
Wie hat sich das Fluggastaufkommen im Inlandverkehr im Laufe der letzten drei Jahre entwickelt, von welchen Prognosen für die nächsten Jahre geht die Bundesregierung aus, und wie beurteilt sie die damit zusammenhängende Auslastung der bundesdeutschen Flughäfen, insbesondere des Flughafens München?
Herr Staatssekretär!
Jung, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, der Fluggastverkehr im Inland hat sich in den letzten drei Jahren auf Grund äußerer Einflüsse schwankend entwickelt. Die Zahl der Inlandsflugreisen im gewerblichen Verkehr zwischen den Verkehrsflughäfen einschließlich des Berlin-Verkehrs betrug 9 028 000 im Jahre 1972, 7 523 000 im Jahre 1973 und 8 017 000 im Jahre 1974.
Die gegenwärtige Tendenz der Inlandsflugreisen gegenüber dem Vorjahr ist leicht ansteigend. Die Bundesregierung geht davon aus, daß der Luftverkehr weiterhin zunehmen wird. Vorliegende Schätzungen sehen eine globale Steigerung des Fluggastaufkommens in der Bundesrepublik Deutschland, und zwar Zu- und Aussteiger ohne Transit, zwischen 1974 und 1985 von rund 18 % vor.
Die mit dieser Steigerung verbundene Zunahme der Flugbewegungen würde bei einigen Flughäfen — darunter auch München — hinsichtlich der Kapazität zu Engpässen führen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720211400
Zusatzfrage.

Dr. Anke Riedel-Martiny (SPD):
Rede ID: ID0720211500
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung die Kapazitätsausweitung, wie sie für den Neubau des Flughafens München II vorgesehen ist, für sinnvoll? Hält sie insbesondere eine Ausweitung — —

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720211600
Frau Kollegin, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich zunächst mit einer Zusatzfrage begnügten. Bitte, Herr Staatssekretär!
Jung, Parl. Staatssekretär: Die Untersuchungen, insbesondere der bayerischen Staatsregierung, die ja hierfür zuständig ist, gehen davon aus, daß diese Kapazitäten, die mit dem neuen Flughafen München. II geschaffen werden, für die Zukunft erforderlich sind.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720211700
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin!

Dr. Anke Riedel-Martiny (SPD):
Rede ID: ID0720211800
Herr Staatssekretär, nun ist der Bund durch einen Konsortialvertrag in die Finanzierung des Flughafens München II eingeschaltet, und insofern besteht ein Interesse, hier



Frau Dr. Riedel-Martiny
realistisch zu kalkulieren. Hält die Bundesregierung die Planungen für den Flughafen München II unter diesem Aspekt für sinnvoll und rentabel?
Jung, Parl. Staatssekretär: Ja, die Bundesregierung hält dies für sinnvoll und rentabel.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720211900
Dann rufe ich die Frage 25 der Frau Abgeordneten Dr. Riedel-Martiny auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Verbraucher nach Bezahlung ihrer Umzugskostenrechnung häufig zu Nachzahlungen aufgefordert werden, die sie gemäß § 23 des Güterkraftverkehrsgesetzes verpflichtet sind zu zahlen, obwohl sie von der Richtigkeit der Entgeltberechnung ausgehen mußten, und ist die Bundesregierung bereit, diesen für die Verbraucher unzumutbaren Tatbestand zu beseitigen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Jung, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, der Tatbestand, daß bei Umzügen ein Beförderungsentgelt unter Tarif berechnet wird, kommt gelegentlich vor, und dies ist der Bundesregierung auch bekannt. Nach § 23 Güterkraftverkehrsgesetz hat der Unternehmer das zu niedrig berechnete Entgelt vom Frachtzahler nachzufordern. Hat der Frachtzahler Einwendungen gegen den Nachzahlungsanspruch, so kann er diese gegenüber dem Unternehmer, gegebenenfalls im Zivilprozeß, geltend machen. Nach Auffassung der Bundesregierung ist diese Regelung für den Verbraucher nicht unzumutbar, zumal sie ihn im umgekehrten Fall auch vor der Berechnung übertariflicher Entgelte schützt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720212000
Eine Zusatzfrage!

Dr. Anke Riedel-Martiny (SPD):
Rede ID: ID0720212100
Herr Staatssekretär, nun sind die Fälle der Unterzahlung zahlenmäßig geringer als die der Überzahlung. Infolgedessen besteht für den Verbraucher hier doch eine gewisse Unzumutbarkeit. Sieht die Bundesregierung deswegen eine Möglichkeit, durch eine Vereinfachung der Berechnungen der Tarifentfernungen einen Teil der Ursachen für die Nachforderungen bei Umzugsrechnungen auszuräumen?
Jung, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, Sie wissen wohl, daß es sich um Einzelfälle, um seltene Einzelfälle handelt. Ich bin nicht in der Lage, Ihnen zu sagen, ob eine Vereinfachung des Berechnungsverfahrens Ursachen für die Nachforderungen künftig ganz ausschließen wird. Ich will aber diese Anregung gerne prüfen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720212200
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Anke Riedel-Martiny (SPD):
Rede ID: ID0720212300
Könnte durch Übernahme der Reichskraftwagentarifentfernung oder durch eine Anhebung der Bagatellgrenze, die derzeit bei 20 DM liegt, eine Verbesserug für den Verbraucher erreicht werden?
Jung, Parl. Staatssekretär: Ich will auch diese Frage prüfen und, wenn Sie gestatten, dann Ihnen die Antwort dazu schriftlich übermitteln.

Dr. Anke Riedel-Martiny (SPD):
Rede ID: ID0720212400
Herzlichen Dank!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720212500
Ich rufe die Frage 26 des Herrn Abgeordneten Schröder (Wilhelminenhof) auf:
Hält die Bundesregierung an den Plänen zur Neuorganisation der Postverwaltung im ostfriesischen Raum fest, obwohl die Betriebsräte ernsthafte Bedenken angemeldet haben und die gewünschten Personaleinsparungen und Rationalisierungserfolge anzweifeln?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schröder, der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat wegen der Planung zur Straffung der Verwaltungsarbeit bei den Postämtern im ostfriesischen Raum entsprechend den Bestimmungen des Bundespersonalvertretungsgesetzes mit dem Hauptpersonalrat verhandelt. Demnächst wird über die Planung endgültig entschieden. Nach dem Ergebnis gründlicher Untersuchungen werden die erwogenen Maßnahmen die Personalkosten für interne Verwaltugnsarbeit senken und die Wirksamkeit in diesem Bereich steigern. Die Deutsche Bundespost wird durch diese Rationalisierungsmaßnahmen mehr als 500 Arbeitsposten einsparen. Sie kann jetzt und in Zukunft auf die Erzielung derartiger Kostenminderung nicht verzichten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720212600
Eine Zusatzfrage!

Diedrich Schröder (CDU):
Rede ID: ID0720212700
Herr Staatssekretär, da die Personalräte geltend gemacht haben, daß bei einer Zentralisierung der Postverwaltung die Gefahr der Kostensteigerung durch erhöhte Fahrtkosten, Trennungsgelder und eventuell auch durch Stellenanhebungen in der Zentrale besteht, möchte ich Sie fragen: Glauben Sie denn dann wirklich noch an eine Kosteneinsparung, wie Sie sie soeben genannt haben?
Jung, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege Schröder, ich glaube daran, zumal sich die Zahl der betroffenen Arbeitsplätze in diesem konkreten Fall nur auf neun bzw. in einem anderen Fall nur auf fünf, glaube ich, beläuft.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720212800
Sie haben noch eine letzte Zusatzfrage.

Diedrich Schröder (CDU):
Rede ID: ID0720212900
Bedeutet Ihre Aussage, Herr Staatssekretär, daß damit im Grunde genommen schon die Entscheidung für die Zentralisierung der Postverwaltung mit dem Sitz
Emden gefallen ist?
Jung, Parl. Staatssekretär: Das können Sie daraus zwar nicht schließen, aber die Absicht der Bundesregierung, die Postverwaltungsämter in Wilhelmshaven und in Emden zu konzentrieren, ist Ihnen ja bekannt. Ich möchte hier noch hinzufügen, daß damit überhaupt keine Beeinträchtigung des Kundendienstes der Post verbunden ist. Denn, wie gesagt, der



Parl. Staatssekretär Jung
Kunde ist mit dem Postverwaltungsamt überhaupt nicht konfrontiert.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720213000
Ich rufe die Frage 27 des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer auf:
Sieht das Bundespostministerium eine Möglichkeit, für die Telefonseelsorge im Ortsverkehr Kostenerhöhungen zu vermeiden, um damit diese wichtige Aufgabe, bei der es u. U. um Menschenleben gehen kann, weiter ungeschmälert fortführen zu können?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Althammer, die Einführung der Zeitzählung im Ortsdienst wird für die Telefonseelsorge zu keiner wesentlichen Kostenerhöhung führen. Mit der Einführung des Nandienstes — und nur in Verbindung mit diesem ist die Zeitzählung im Ortsdienst zu sehen — wird vielmehr der Aktionsradius der Telefonseelsorge bei etwa gleichbleibender Gebührenbelastung erheblich erweitert werden. Die Mehrzahl der bisher als Ferngespäche geführten Betreuungsgespräche kann dann nämlich zu den stark ermäßigten Gebührensätzen des Nahverkehrstarifs abgewickelt werden.
Mit Vertretern der Kirchen, Herrn Bischof Dr. Kunst und Prälat Wöste, wurden die mit der Telefonseelsorge zusammenhängenden Fragen erörtert. Es wurde vereinbart, daß die Deutsche Bundespost die an der Telefonseelsorge beteiligten und interessierten Organisationen und Personen in einer Gesprächsrunde demnächst über die anstehenden Probleme aus der Sicht der Deutschen Bundespost informiert.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720213100
Zusatzfrage.

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0720213200
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß das besondere Problem darin liegt, daß insbesondere Selbstmordgefährdete in dieser kurzen Zeit am Telefon nicht umgestimmt werden können, und daß sich hier wegen der Zeitzählung bei Ortsgesprächen unter Umständen sehr große Probleme ergeben?
Jung, Parl. Staatssekretär: Ja, natürlich, Herr Kollege Althammer. Dieses und andere Beispiele waren ja ein zentraler Punkt dieser Aussprache auch mit Bischof Dr. Kunst. Ich muß aber noch einmal darauf verweisen: Es kann nicht generell gesagt werden, daß die Telefonseelsorge durch die Einführung des Nandienstes Schaden erleidet. Unter Umständen tritt das Gegenteil ein, insbesondere in den Randgebieten der Städte, die bisher nur über Fernverkehr mit der Telefonseelsorge verbunden werden konnten. In diesen Fällen braucht nicht mehr im Fernverkehr von Ort zu Ort gesprochen zu werden, sondern es kann zu dem wesentlich günstigeren Nahtarif gesprochen werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720213300
Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0720213400
Dies zugegeben, Herr Staatssekretär, bestände denn für die Post technisch die Möglichkeit, etwa in Form von R-Gesprächen oder ähnlichem, diesen Zeitfaktor, der hier bei den Ortsgesprächen eine große Rolle spielt, zugunsten solcher Gefährdeter zu verbessern?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Althammer, ich will nicht mit einem absoluten Nein antworten. Aber ich muß Ihnen sagen, daß eine derartige Sonderregelung umfangreiche und kostenaufwendige technische Entwicklungen und Montagearbeiten in den jeweiligen Vermittlungsstellen notwendig machen würde. Die beachtlichen Kosten dafür könnte die Deutsche Bundespost nicht übernehmen, da sie als Sondervermögen des Bundes nach dem Postverwaltungsgesetz verpflichtet ist, ihre Ausgaben aus den eigenen Einnahmen zu bestreiten und hierzu — das wissen Sie ja besonders gut als eine der herausragenden Persönlichkeiten im Haushaltsausschuß — keine Steuermittel aus dem Bundeshaushalt erhält. Die Kosten müßten daher durch entsprechende Gebühren von den Bedarfsträgern ausgeglichen werden. Insofern möchte ich sagen: Technisch ist es kaum möglich, so etwas durchzuführen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720213500
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Berger.

Lieselotte Berger (CDU):
Rede ID: ID0720213600
Herr Staatssekretär, vor dem Hintergrund dieser Antworten möchte ich Sie fragen, ob Sie wegen der völlig unterschiedlichen Verhältnisse im Lande Berlin bereit sind, die Frage der Einbeziehung Berlins in diese Neuregelung der Kosten für den Ortsverkehr einer erneuten Prüfung zu unterziehen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720213700
Frau Kollegin, ich bitte um Verständnis, daß ich an dieser Stelle keine Möglichkeit sehe, diese Zusatzfrage zuzulassen.

(Zuruf der Abg. Frau Berger [Berlin] [CDU/ CSU])

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Roser, Bitte! — Herr Abgeordneter, haben Sie sich nun zu einer Zusatzfrage gemeldet? Ich dachte gerade, daß Sie sich schon aus beruflichen Gründen für die Frage interessieren. Bitte!

Hans Roser (CSU):
Rede ID: ID0720213800
So ist es in der Tat, Herr Präsident. Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die technischen, praktischen und finanziellen Möglichkeiten, bei den einzelnen Telefonseelsorgestationen Apparate der Deutschen Bundespost einzuführen, ähnlich wie sie auch Bediensteten der Deutschen Bundespost zur Verfügung gestellt werden, um diesen Seelsorgedienst auf dem Rückrufverfahren möglichst kostensparend ausübbar zu machen?
Jung, Parl. Staatssekretär: Ich würde durchaus diese Möglichkeit zur Lösung des Problems sehen. Nur bezweifle ich, Herr Kollege Roser, ob damit überhaupt der Telefonseelsorge geholfen werden kann. Denn wer sich an die Telefonseelsorge wendet



Parl. Staatssekretär Jung
— das hat auch das Gespräch mit den dafür Zuständigen gezeigt —, gibt in der Regel nicht seinen Namen und die Telefonnummer an, sondern nutzt bei der Inanspruchnahme der Telefonseelsorge den Vorzug der Anonymität. Das heißt, das Problem liegt ganz einfach darin, daß man nicht weiß, von welchem Privatapparat oder von welchem Fernsprechapparat eine Person die Telefonseelsorge anruft, und darin liegen zugleich die großen Schwierigkeiten, die ich eben kurz darzulegen versucht habe, für eine technische Lösung.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720213900
Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ey zu.

Richard Ey (CDU):
Rede ID: ID0720214000
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, wie viele Telefonseelsorgeeinrichtungen im Bundesgebiet existieren?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin auf die Frage nicht vorbereitet und würde Ihnen die Antwort gerne schriftlich mitteilen. Sie werden verstehen, daß dazu natürlich erst einmal entsprechende Feststellungen getroffen werden müssen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720214100
Ich rufe als nächstes die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs auf:
Ist die Bundesregierung bereit, Maßnahmen zu treffen, um die erhebliche Benachteiligung, die den Fernsprechteilnehmern des Zonenrandgebiets bei der Festlegung der Nahbereiche des Fernsprechnetzes entstehen, zu verhindern?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fuchs, der in den grenznahen Orten aufkommende Nahgesprächsverkehr wird in erster Linie nicht von dem Umfang der im Nandienst erreichbaren Fläche, sondern vielmehr von den stärkeren Sprechbeziehungen zu einigen bestimmten landeinwärts gelegenen Ortsnetzen bestimmt. Da jedoch durch den Nandienst die Tarifgrenzen von den Ortsnetzgrenzen gelöst werden, ergeben sich auch für die ländlichen Ortsnetze im Zonenrandgebiet erhebliche Vorteile für den Fernsprechverkehr in benachbarte Ortsnetze. Die Bundesregierung bedauert, daß der Vorteil aus der Einführung des Nahverkehrs für Zonenrandbewohner nicht ebenso groß ist wie für andere Fernsprechkunden. Sie sieht jedoch leider keine Möglichkeit, die Vorteile der neuen Regelung für grenznahe — das Problem stellt sich nicht nur im Zonenrandgebiet, wie Sie wissen — und grenzferne Bereiche sowie dichter und dünner besiedelte Gebiete absolut gleich zu gestalten. Im übrigen muß darauf hingewiesen werden, daß es zwischen der Bundesrepublik und der DDR noch keinen vollautomatischen
Fernsprechverkehr gibt. Die Tarife für den handvermittelten Dienst enthalten jedoch ganz besondere Vergünstigungen, speziell im Nahverkehr.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720214200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Dr. Karl Fuchs (CSU):
Rede ID: ID0720214300
Herr Staatssekretär, da Sie angeschnitten haben, daß dieses Problem nicht nur im Zonenrandgebiet auftritt, sondern auch an anderen Grenzen, darf ich Sie fragen, ob nicht darin ein Unterschied besteht, daß z. B. an der deutschen Westgrenze in den EG-Raum hinein auch über die Grenze angewählt werden kann, während dies im Zonenrandgebiet nicht der Fall ist.
Jung, Parl. Staatssekretär: Ja, es ist richtig, daß an der Westgrenze auf Grund besonderer Regelungen eine Telefongebühr für den grenznahen Verkehr eingeführt ist, die besondere Vergünstigungen bringt, d. h. einen längeren Gesprächszeitraum für eine Gebühreneinheit. Ich muß aber doch noch einmal darauf verweisen, Herr Kollege Fuchs, daß der automatische Selbstwählfernverkehr zwar im Westen, nicht aber im Verhältnis zur DDR möglich ist. Der handvermittelte Fernsprechverkehr in die DDR weist aber ähnliche Vergünstigungen im Tarif auf wie der eben von Ihnen erwähnte Fernsprechverkehr im Westen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720214400
Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Dr. Karl Fuchs (CSU):
Rede ID: ID0720214500
Herr Staatssekretär, warum ist die Bundesregierung nicht bereit, die unleugbare Benachteiligung im Zonenrandgebiet durch die —technisch durchführbare — Erweiterung des Radius für den Nahbereich auf 40 km zu beseitigen?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fuchs, das würde Berufungsfälle schaffen, und ich glaube, das ist nicht durchführbar. Wenn der Nandienst durchgeführt werden soll, muß er in der Form durchgeführt werden, wie er vom Bundespostministerium geplant ist, um eine Gleichheit der Chancen überall im Bundesgebiet zu schaffen. Ich muß hier noch einmal erwähnen, die Nachteile, die Sie für das Zonenrandgebiet anführen, werden durch das Vorhandensein des handvermittelten Verkehrs in die DDR einigermaßen ausgeglichen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720214600
Herr Abgeordneter Böhm, Sie haben eine Zusatzfrage.

Wilfried Böhm (CDU):
Rede ID: ID0720214700
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß gerade die unvergleichbare Situation entlang der innerdeutschen Grenze und der gesetzliche Auftrag des Zonenrandförderungsgesetzes die Bundesregierung zu dem Verhalten animieren sollten, das der Kollege Fuchs hinsichtlich der Erweiterung des Radius vorgeschlagen hat?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Böhm, es ist sehr wohl möglich, daß man noch einmal die Frage überprüft, inwieweit das Zonenrandförderungsgesetz die Bundesregierung anhält, den Nahverkehr in diesem Bereich anders zu regeln, als das beabsichtigt ist. Aber ich bin im Augenblick nicht in der Lage, dazu eine verbindliche Erklärung abzugeben.




Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720214800
Eine
letzte Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Berger.

Lieselotte Berger (CDU):
Rede ID: ID0720214900
Herr Staatssekretär, nachdem ich Ihren Antworten auch auf diese Frage entnehmen mußte, daß nicht alle Städte und Gebiete in gleicher Weise von den Vorteilen der Gebührenneuregelung profitieren, frage ich Sie: Wären Sie vor diesem Hintergrund bereit, die Einbeziehung Berlins in die neue Ortsverkehrskostenregelung einer nochmaligen Überprüfung zu unterziehen?
Jung, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, richtig ist, daß der Nahverkehr deswegen eingeführt wird, weil das flache Land bislang gegenüber den Ballungszentren gerade im Nachteil ist. Weil wir einen Ausgleich schaffen wollen und die Vorteile, die beispielsweise in den Großstädten Berlin, Hamburg oder München derzeit gegenüber dem flachen Land bestehen, ausgleichen müssen — auch wegen der mittlerweile in fast allen Ländern durchgeführten Verwaltungsreformen und der damit einhergehenden Gebietszusammenschlüsse —, bin ich der Meinung, daß man die von Ihnen so dargestellten „Nachteile" in gewissen Gebieten in Kauf nehmen muß, um eben die von mir genannten gleichen Verhältnisse überall herzustellen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720215000
Meine Damen und Herren, nach Berlin kommt Hamburg. Ich rufe die Frage 29 der Abgeordneten Frau Dr. Rehlen auf:
Hat der Postverwaltungsrat anläßlich seines am 29. September 1975 gefaßten Beschlusses, Nahverkehrsbereiche im Telefondienst einzurichten und die Zeitzählung im Ortsnetz einzuführen, Alternativen geprüft und, wenn ja, welche?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, wenn Sie gestatten, würde ich die beiden Fragen gern im Zusammenhang beantworten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720215100
Die Fragestellerin ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 30 der Abgeordneten Frau Dr. Rehlen auf:
Wie teuer müßte eine Gesprächseinheit im Ortsverkehr sein, wenn die Deutsche Bundespost auf die Einführung der Zeitzählung verzichten würde, trotzdem aber ihre Pläne, Nahverkehrsbereiche einzurichten, durchführte?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Jung, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, bevor der Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost mit dem Nandienst befaßt wurde, hat die Deutsche Bundespost eine Vielzahl von Alternativlösungen überprüft. Sie hat dem Verwaltungsrat nach sorgfältiger Auswertung die Ihnen bekannte Lösung vorgelegt, die vom Verwaltungsrat auch beschlossen wurde.
Auch die Anhebung der Gebühren für eine Gesprächseinheit an Stelle der Einführung des Zeittaktes wurde geprüft. Dieser Gedanke wurde jedoch deswegen verworfen, weil die dabei erforderliche beträchtliche Anhebung in sehr undifferenzierter Weise einzelne Teilnehmergruppen getroffen hätte. Eine hohe Anhebung des Preises für eine Gebühreneinheit würde sich besonders bei den Selbstwählferndienstgesprächen auswirken. Die Zeitzählung im Ortsdienst und insbesondere bei den Nahgesprächen dient jedoch zwei weiteren wichtigen Zielen: der besseren Ausnutzung der kostspieligen technischen Einrichtungen und Leitungen durch Verteilung des Gesprächsverkehrs über alle Tageszeiten sowie einer angemessenen Gebührenbelastung der Dauerverbindungen, die von Fernsprechteilnehmern aus den verschiedensten Gründen, unter denen der steten Ausweitung der Datenübertragung besondere Bedeutung zukommt, ohne entsprechende Gegenleistung aufrechterhalten werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720215200
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin.

Dr. Wiltrud Rehlen (SPD):
Rede ID: ID0720215300
Herr Staatssekretär, habe ich Sie recht verstanden, daß Sie im Zusammenhang mit der angesprochenen Alternative — nämlich: Wie teuer müßte ein Ortsgespräch sein, wenn die Bundespost auf das Zeittaktverfahren verzichten, gleichwohl aber ihre Pläne, die Nahverkehrsbereiche einzurichten, durchführen würde? — die Berechnung nicht weiter quantifiziert haben, weil das kostenmäßig zu unvertretbaren Gebühren geführt hätte?
Jung, Parl. Staatssekretär: Ja, Sie haben richtig verstanden, Frau Kollegin. Die Bundespost hat das zwar geprüft, aber die Erhöhung hätte einen derartigen Umfang, daß es keinen Sinn hat, sie nun hier zu quantifizieren.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720215400
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin? — Frau Dr. Rehlen (SPD) : Danke schön.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720215500
Herr Kollege Arndt, eine Zusatzfrage.

Prof. Dr. Claus Arndt (SPD):
Rede ID: ID0720215600
Herr Staatssekretär, ist der Beschluß des Postverwaltungsrates vom 29. September 1975 einstimmig oder, wenn nicht einstimmig, jedenfalls ohne Gegenstimmen gefaßt worden?
Jung, Parl. Staatssekretär: Ja, ohne Gegenstimmen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720215700
Herr Kollege Dreyer, eine letzte Zusatzfrage.

Nicolaus Dreyer (CDU):
Rede ID: ID0720215800
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, im Zusammenhang mit dieser Frage noch einmal vor der Öffentlichkeit klarzustellen, ob die Gebührenerhöhung, also die Einführung der Zeitzählung, im Zusammenhang mit der Einführung der Nahverkehrsbereiche steht, also erst nach technischer Fertigstellung der Nahverkehrsbereiche erfolgt oder ob die Zeitzählung bereits zu einem Zeitpunkt eingeführt wird, in dem die Nahverkehrsbereiche technisch noch nicht bestehen?



Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Frage ist ein bißchen kompliziert. Die Einführung des Nandienstes und die damit verbundenen technischen Vorbereitungen laufen an. Sie wissen, daß wir bereits einige Gebiete zur Durchführung von Versuchen ausgewählt haben. Der zeitliche Ablauf kann aber hier noch nicht dargestellt werden. Es ist Ihnen bekannt, daß etwa ein Zehnjahreszeitraum zur vollständigen Einführung im Bundesgebiet notwendig ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720215900
Die nächste Frage ist von dem Herrn Abgeordneten Stahl (Kempen) eingebracht worden. Es handelt sich um die Frage 31, in der es um die Sondermarke für die Sporthilfe, den letzten Nachklang einer langen Debatte, geht:
Welche konkreten Gründe waren entscheidend, daß die Bundesregierung eine Sondermarkenserie mit Zuschlag zugunsten der Deutschen Sporthilfe für 1976 eingeplant hat, obwohl dadurch gerade wieder die Briefmarkensammler verstärkt zur Kasse gebeten werden?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, gestatten Sie, daß ich die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten wegen des sachlichen Zusammenhangs auf einmal beantworte, wenn der Herr Kollege damit einverstanden ist?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720216000
Ich nehme an, der Herr Kollege Stahl ist einverstanden.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Einverstanden!) Dann rufe ich auch die Frage 32 auf:

Wie hoch sind die in den letzten Jahren an Philatelisten im Abonnement als Dauerkunden verausgabten Stückzahlen von Zuschlagserien fin Verhältnis zur Auflagenhöhe?
Jung, Parl. Staatssekretär: Mit Herausgabe von Zuschlagsmarken für die Deutsche Sporthilfe im Olympischen Jahr 1976 folgt die Bundesregierung einem einstimmigen Votum des Sportausschusses des Deutschen Bundestages und zahlreichen entsprechenden Forderungen von Vertretern aller Fraktionen des Hauses. Der Anteil, der an die Philatelisten verkauften Zuschlagsmarken schwankt von Jahr zu Jahr geringfügig. Nach den Verkaufsergebnissen des Jahres 1974 sind rund 84 0/o der Jugendmarken und 80 0/o der von der Post vertriebenen Wohlfahrtsmarken von Sammlern gekauft worden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720216100
Bitte, Herr Kollege Stahl, Sie haben eine Zusatzfrage.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID0720216200
Herr Staatssekretär, stellt sich dann hier nicht die Frage, ob auf Kosten der Philatelisten, der Briefmarkensammler, ein Fonds zugunsten der Deutschen Sporthilfe geschaffen wird?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, in den Gesprächen, die bisher zu diesem Problemkreis geführt wurden, hat sich insbesondere auch der deutsche Sport erboten, den Vertrieb dieser Marken in dem Fall aktiv zu unterstützen, so daß die Annahme, daß nur die Philatelisten zu einem großen Teil dazu beitragen werden, hier nicht zutrifft. Ich könnte mir vorstellen, daß durch den Einsatz aktiver Sportler die Benutzung dieser Sportbriefmarken durch die Öffentlichkeit ganz allgemein in der Zukunft stärker gefördert wird.

(Dr. Arndt [Hamburg] [SPD] : Volenti non fit iniuria!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720216300
Zusatzfrage!

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID0720216400
Herr Staatssekretär, selbst nach Ihrer Aussage ist das, was Sie jetzt darstellen, nur eine Annahme. Tatsache ist jedenfalls, daß die Briefmarkensammler etwa zu 80 % derartige Zuschlagsmarken kaufen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720216500
Herr Kollege, bitte fassen Sie sich kurz!

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID0720216600
Ich werde es versuchen, Herr Präsident.
Wäre es unter den Umständen nicht notwendig, eine andere Finanzierungsquelle zu erschließen, da Ihre Darstellung, daß die Sportler zunehmend oder zusätzlich derartige Postwertzeichen erstehen, nicht zutrifft?
Jung, Parl. Staatssekretär: Andere Finanzierungsquellen für den Sport sind ohnehin schon erschlossen. Aber der Umfang der notwendigen Mittel ist so groß, daß sich, wie gesagt, Mitglieder aller Fraktionen dieses Hauses und auch der Sportausschuß des Deutschen Bundestages in vielen Eingaben dafür eingesetzt haben, daß im Jahr der Olympischen Spiele diese Sonderbriefmarke herausgegeben wird.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720216700
Herr Kollege, eine weitere Zusatzfrage.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID0720216800
Herr Staatssekretär, treffen Meldungen oder Aussagen zu, daß selbst Herr Neckermann z. B. in einer derartigen Situation Poststempler benutzt, wenn diese Marken ausgegeben werden?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann darauf wirklich keine Antwort geben. Es ist in die Entscheidung des Herrn Neckermann gestellt, inwieweit er für seinen Versand auch die Sportbriefmarke nutzt.

(Dr. Hauser [Sasbach] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

Ich nehme an, daß er als einer der Hauptbefürworter einer solchen Sportbriefmarke dies auch in entsprechendem Umfang tun wird.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720216900
Sie haben eine letzte Zusatzfrage, Herr Kollege.


Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID0720217000
Herr Staatssekretär, die Ausgabenpolitik der Bundespost ist im letzten und im vorletzten Jahr ziemlich großzügig gewesen. Das heißt, daß auch die normalen Serien, die die Bundespost herausgibt, im Wert immer teurer werden, was bedeutet, daß immer mehr Sammler mehr Geld zur Verfügung stellen müssen. Glauben Sie nicht, daß es schon allein unter diesem Gesichtspunkt nicht zweckmäßig ist, zu diesem Zeitpunkt eine Zuschlagserie mit derart hohen Zuschlägen aufzulegen?

(Böhm [Melsungen] [CDU/CSU] : Ausbeutung der Sammlerleidenschaft!)

Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, richtig ist, daß die Serien in den letzten Jahren teurer wurden und daß sich die Erlöse aus dem Verkauf der früheren Zuschlagsmarken für die Olympiade von 1967 bis 1972 von rund 9,7 Millionen DM auf etwa 12,3 Millionen DM erhöht haben. Aber, wie gesagt, hier ist ja die Entscheidung gefallen, daß diese Marke für das Jahr 1976 herausgegeben wird. Ich kann nur hoffen, daß sich der Erlös aus dem Verkauf dieser Marke nicht nur zu 80 % aus dem Verkauf an Philatelisten ergibt, sondern daß die gesamte sportlich interessierte Öffentlichkeit diese Olympia-Sondermarke bei ihrem Briefverkehr benutzt, um dadurch zu einer entsprechenden Förderung des deutschen Sports im olympischen Jahr beizutragen.

(Stahl [Kempen] [SPD] : Ihr Wort in Gottes Ohr!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720217100
Herr
Kollege Sperling, Sie wollen auch noch einen Sportbeitrag leisten? — Bitte!

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID0720217200
Herr Staatssekretär, müßten nicht die Briefmarkensammler besonders froh sein, wenn sehr wenige andere die Briefmarken mit Zuschlagserie kauften, weil dann der Sammlerwert der Marken besonders hoch werden wird?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sperling, dies ist zwar richtig; aber Sie werden hierauf nach meinen bisherigen Antworten keine Antwort erwarten. Ich hoffe jedenfalls, daß diese Sportbriefmarke ihren Sinn erfüllt, wenn sie in großer Zahl im nächsten Jahr von den Bürgern der Bundesrepublik verwendet wird.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720217300
Herr
Kollege Schirmer, ich hatte schon fast befürchtet, Sie würden nicht mehr fragen. Bitte!

Friedel Schirmer (SPD):
Rede ID: ID0720217400
Herr Staatssekretär, nachdem das Präsidium des Deutschen Sportbundes seine Bereitwilligkeit erklärt hat, alle Mitglieder aufzufordern, diese Sportmarken zu kaufen, und auch Herr Neckermann als Vorsitzender der Stiftung Deutsche Sporthilfe diese Absicht bekundet hat, wären Sie bereit, vom Bundesinnenministerium aus die Verbindung aufzunehmen, damit die Befürchtungen des Kollegen Stahl nicht eintreten?
Jung, Parl. Staatssekretär: Sehr gerne, Herr Kollege Schirmer.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720217500
Ich rufe
die Frage 33 des Kollegen Böhm auf:
Wie hoch ist die Zahl der von den Behörden der DDR im Jahr 1974 und im Jahr 1975 bis jetzt (soweit die Zahlen vorliegen) an Absender in der Bundesrepublik Deutschland zurückgesandten Paketsendungen, und wie hoch ist die Zahl der verlorengegangenen Paket- und Einschreibsendungen?
Herr Staatssekretär!
Jung, Parl. Staatssekretär: Sind Sie damit einverstanden, Herr Präsident, daß ich die beiden Fragen zusammen beantworte?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720217600
Ich wollte gerade vorschlagen, daß Sie sie gemeinsam beantworten. Der Herr Fragesteller ist damit einverstanden. Ich rufe also noch die Frage 34 des Herrn Abgeordneten Böhm auf:
Wie hoch waren die Aufwendungen der Deutschen Bundespost in den Jahren seit 1970 bis jetzt für den Ersatz verlorengegangener Paket- und Einschreibsendungen, die für Empfänger in der DDR bestimmt waren?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Böhm, im Jahre 1974 wurden 303 110 Paketsendungen von den DDR-Behörden an Absender in der Bundesrepublik Deutschland zurückgesandt. In den ersten neun Monaten des Jahres 1975 waren es 71 420 Paketsendungen.
Im Jahre 1974 erreichten 24 412 Pakete und 6 078 Einschreibsendungen nicht die Empfänger in der DDR und in Berlin (Ost). In den ersten neun Monaten des Jahres 1975 waren es 17 965 Pakete und 4 956 Einschreibsendungen.
Für nicht angekommene Paket- und Einschreibsendungen in die DDR und Berlin (Ost) leistete die Deutsche Bundespost von 1970 bis einschließlich 1974, also in einem Zeitraum von fünf Jahren, Ersatz in Höhe von 7 Millionen DM.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720217700
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Böhm.

Wilfried Böhm (CDU):
Rede ID: ID0720217800
Herr Staatssekretär, da jährlich, wie Sie soeben bestätigt haben, Hunderttausende von Paketen ihren Empfänger in der DDR nicht erreichen, entweder verlorengehen oder zurückgeschickt werden, frage ich Sie, welche Bemühungen die Bundesregierung bisher unternommen hat, um auf die Regierung der DDR dahin gehend einzuwirken, zu einer anderen, besseren Regelung zu kommen.
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Böhm, die Ursachen sind verschieden. Im Hinblick auf die Zurückweisungen bzw. eine Verbesserung der Zustellung ohne Verluste sind von der Bundesrepublik im Verlaufe der derzeit geführten Postverhandlungen bereits Vorstellungen bei den DDR-Behörden gemacht worden. Es ist auch festzustellen, daß die Gesamtentwicklung seit Anfang 1974 gegenüber den Vorjahren nicht ungünstiger, sondern etwas günstiger — ich muß das natürlich relativieren — verlau-



Parl. Staatssekretär Jung
fen ist. So ist z. B. die Zurückweisungsquote im ersten Halbjahr 1975 gegenüber dem ersten Halbjahr 1974 um 40 % gesunken.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720217900
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Böhm.

Wilfried Böhm (CDU):
Rede ID: ID0720218000
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir überein, daß die — wenn man so sagen darf — Dunkelziffer bei den nicht angekommenen Paketen sehr hoch ist, weil ja nicht jeder Bürger in der Bundesrepublik Deutschland, wenn ein Paket verlorengegangen ist, das auch meldet?
Jung, Parl. Staatssekretär: Das ist wohl zutreffend, Herr Kollege.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720218100
Eine weitere Zusatzfrage.

Wilfried Böhm (CDU):
Rede ID: ID0720218200
Herr Staatssekretär, würden Sie die Gelegenheit dieser Fragestunde nutzen, an die Bürger in der Bundesrepublik zu appellieren, bei jeder verlorengegangenen Sendung sofort das zuständig Postamt zu informieren, und ist gewährleistet, daß solche Meldungen bei Ihnen dann sofort zentral zusammenlaufen?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Böhm, wir haben bereits in den vorangegangenen Fragestunden — Sie selbst haben sich ja wiederholt dieser Sache angenommen — darauf verwiesen, daß die Deutsche Bundespost daran interessiert ist, solche Meldungen zu bekommen, um einen möglichst genauen Überblick zu erhalten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720218300
Herr
Dr. Hupka!

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0720218400
Herr Staatssekretär, können Sie uns darüber Auskunft geben, welches eigentlich die Motive der Postverwaltung Ost-Berlins dafür sind, daß so viele Pakete den Empfänger nicht erreichen?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hupka, dies liegt im wesentlichen in den Bestimmungen der DDR bzw. — anders gesagt — in der teilweisen Nichtbeachtung dieser Bestimmungen durch die Versender in der Bundesrepublik begründet. Die Bestimmungen werden in der DDR strenger ausgelegt, und das hat zu diesen Zurückweisungen geführt.
Ich wiederhole aber noch einmal, daß die zur Zeit geführten Postgespräche zwischen der DDR und der Bundesrepublik immer wieder Anlaß waren, darauf zu verweisen, und daß in der letzten Zeit eine günstigere Entwicklung, was diese Zurückweisungen angeht, zu verzeichnen ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720218500
Zu der
letzten Zusatzfrage hat der Herr Abgeordnete Jäger (Wangen) das Wort.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0720218600
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, ob das praktische Verhalten der DDR-Behörden jeweils mit den Vorschriften übereinstimmt, ob also die Zurücksendung von Paketen und Einschreibsendungen tatsächlich in Übereinstimmung mit dem dortigen Postrecht erfolgt, oder werden Sendungen auch willkürlich zurückgeschickt, die an sich in Ordnung waren?
Jung, Parl. Staatssekretär: Im großen und ganzen, Herr Kollege Jäger, trifft es wohl zu, daß die Vorschriften der DDR — recht eng ausgelegt — Grund der Zurückweisung sind. Wir haben also keine Erkenntnisse, daß in der Masse — ich will Einzelfälle nicht ausschließen —willkürliche Zurückweisungen erfolgt sind.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720218700
Herr
Staatssekretär, ich danke Ihnen. Damit sind die zahlreichen Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für 'das Post- und Fernmeldewesen beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf.
Die Frage 35 ist von dem Herrn Abgeordneten Wolf eingereicht. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 36 ist von dem Herrn Abgeordneten Dr. Lenz eingereicht. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saale. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz (Weiden) auf:
Trifft die Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 14. November 1975 zu, daß ein bewaffnetes Streifenboot der DDR"-Grenztruppe eine Zeitlang am südwestlichen Ufer der Elbe gelegen habe und Insassen des Boots sogar das Ufer betreten hätten, und wie wird die Bundesregierung — bejahendenfalls — in Zukunft das Bundesgebiet zu Land und zu Wasser vor derartigen Übergriffen Ost-Berlins schützen?
Herr Staatssekretär Baum beantwortet die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID0720218800
Herr Präsident! Herr Kollege! In der ersten Mitteilung des Grenzschutzkommandos Nord vom 12. November 1975 ist in der Tat die Vermutung geäußert worden, daß zwei Grenzsoldaten eines DDR-Schnellbootes kurzzeitig das Bundesgebiet bei Elbkilometer 473 oberhalb von Schnackenburg betreten haben. Diese Vermutung läßt sich jedoch nicht mit letzter Sicherheit erhärten. Es konnte festgestellt werden, daß zwei Personen in dunkler Kleidung sich auf dem Elbufer der Bundesrepublik Deutschland aufhielten. Die Sichtbedingungen waren schlecht. Die Dunkelheit begann. Die beiden Personen gingen, nachdem sie gesichtet waren, in Deckung. Unmittelbar darauf fuhr ein Streifenboot der DDR-Grenztruppe in Richtung auf das DDR-Ufer. Obwohl die Suche nach den Personen kurze Zeit später aufgenommen wurde, konn-



Parl. Staatssekretär Baum
ten diese nicht aufgefunden werden. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, daß sie auf anderem Wege als mit dem Streifenboot das Gelände verlassen haben. Es konnte nicht festgestellt werden, daß das Streifenboot der DDR eine Zeitlang am westlichen Elbufer lag. Weiter konnte auch nicht festgestellt werden, daß Personen vom Streifenboot aus das Ufer betreten bzw. vom Ufer aus vom Boot aufgenommen worden sind.
Ich möchte noch darauf hinweisen, Herr Kollege, daß in der Fahrt des Streifenboots entlang des Elbufers der Bundesrepublik keine Grenzverletzung zu sehen ist. Für den Verlauf der Grenze im Elbabschnitt ist bisher, wie allgemein bekannt, von der gemeinsamen Grenzkommission der Bundesrepublik Deutschland und der DDR noch keine Festlegung erfolgt. Regelungen für die Betätigung von Hoheitsbooten der DDR auf der Elbe bestehen nicht; jedoch hat sich seit Jahrzehnten die Praxis herausgebildet, daß Hoheitsfahrzeuge der DDR bei ihren Streifenfahrten das Fahrwasser benutzen, auch wenn es unter dem westlichen Ufer verläuft.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720218900
Eine Zusatzfrage? — Bitte!

Prof. Dr. Max Kunz (CSU):
Rede ID: ID0720219000
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß diese Streifenboote der „DDR" das Fahrwasser benutzen dürfen, nicht nur die Fahrrinne?
Baum, Parl. Staatssekretär: Sie haben mich richtig verstanden, und das geht auf eine jahrzehntelange Praxis zurück. Sie, Herr Kollege, wissen wie dieses Haus insgesamt, daß gerade diese Frage jetzt Gegenstand von Verhandlungen in der Grenzkommission ist. Darüber ist hier im Hause berichtet worden, und in Kürze werden sich zwei Ausschüsse an Ort und Stelle ein Bild machen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720219100
Eine Zusatzfrage.

Prof. Dr. Max Kunz (CSU):
Rede ID: ID0720219200
Herr Staatssekretär, die Bundesregierung betrachtet also das Anlegen eines Bootes der „DDR" am westdeutschen Ufer nicht als einen Übergriff?
Baum, Parl. Staatssekretär: Dazu habe ich nicht Stellung genommen, Herr Kollege. Ich habe nur gesagt, daß nicht festgestellt werden konnte, ob das Boot angelegt hat. Es war also kein Raum für einen Protest. Wenn es angelegt hätte, wäre das eine andere Situation.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720219300
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID0720219400
Herr Staatssekretär, muß ich Ihrer Antwort angesichts der Schreibweise der Abkürzung „DDR" durch den Fragesteller entnehmen, daß es sich in Wirklichkeit gar nicht um ein Streifenboot, sondern um ein Boot in Anführungsstrichen gehandelt hat?
Baum, Parl. Staatssekretär: Das könnte man bei der Dunkelheit, die damals geherrscht hat, beinahe annehmen.

(Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU] : „Quatschkopf" in Anführungszeichen!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720219500
Herr Kollege, ich finde diese Art von Zwischenrufen nicht sehr fein. Auch wenn es im süddeutschen Raum gelegentlich etwas zwangloser zugeht, so sollte man dies doch hier im Plenum anders machen.
Ich rufe Frage 38 des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke (Hamburg) auf:
Kann die Bundesregierung die in dem Bericht „16 000 Kinder verschwinden jedes Jahr" des deutschen Wochenmagazins „Stern" (Nr. 46 vom 6. November 1975) gemachten statistischen Angaben bestätigen?
Bitte!
Baum, Parl. Staatssekretär: Kann ich beide Fragen gemeinsam beantworten?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720219600
Ja, der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich zusätzlich Frage 39 des Abgeordneten Dr. Meinecke (Hamburg) auf:
Sollte die Angabe von 20 % ungeklärter Fälle pro .Jahr zutreffen, ist dann davon auszugehen, daß hier Kriminaltatbestände vorliegen, die in der allgemeinen Kriminalstatistik der Bundesrepublik Deutschland und in der besonderen Statistik der Tatursachen unberücksichtigt bleiben?
Baum, Parl. Staatssekretär: Im Jahre 1974 sind in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt 44 089 Personen als vermißt gemeldet worden. Dabei handelte es sich um 5 862 Kinder, 16 627 Jugendliche und 21 600 Erwachsene. Es trifft auch zu, Herr Kollege, daß sich bei vermißten Kindern und Jugendlichen rund 80 °/o der Fälle erfahrungsgemäß in den ersten Wochen nach Erstattung der Vermißtenanzeige nahezu von allein aufklären, indem die Gesuchten freiwillig zurückkehren, sich melden oder aufgegriffen werden. Hieraus kann aber nicht der Schluß gezogen werden — und das hat auch der „Stern" nicht getan —, daß 20 % der Fälle pro Jahr ungeklärt bleiben.
Bis zum 24. November 1975 waren von den im Jahre 1974 als vermißt gemeldeten Personen tatsächlich nur noch 10 Kinder, 75 Jugendliche und 141 Erwachsene vermißt. Ungeklärt blieben damit aus dem Jahre 1974 bisher 0,5% aller in der Bundesrepublik Deutschland erstatteten Vermißtenanzeigen.
Über die Gründe des Verschwindens der heute noch vermißten Personen, insbesondere der Kinder und Jugendlichen, kann es naturgemäß nur Vermutungen geben. Diese reichen vom Ertrinken oder einem sonstigen unbemerkten Unfalltod oder Freitod über absichtliches Verlassen des bisherigen Lebenskreises bis hin zum Verdacht, daß sie einer strafbaren Handlung zum Opfer gefallen sind.




Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720219700
Eine Zusatzfrage.

Dr. Rolf Meinecke (SPD):
Rede ID: ID0720219800
Herr Staatssekretär, ich gebe Ihnen zu, daß meine zweite Frage den „Stern" falsch interpretiert hat, indem die Zahl von 20 % nicht in den nächsten Wochen geklärter Fälle nicht bedeutet, daß 20 % der Fälle überhaupt ungeklärt bleiben, nehme aber gleichwohl an, daß Ihre Feststellung hinsichtlich der 0,5 %) die Schlagzeile, die Überschrift und den Sinn des „Stern“-Artikels doch erheblich relativiert.
Baum, Parl. Staatssekretär: Das ist richtig, soweit es die Frage betrifft, ob die Zahlenangaben im „Stern" stimmen. Das andere ist nicht unbedingt mit den Zahlenangaben in Zusammenhang zu bringen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720219900
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Rolf Meinecke (SPD):
Rede ID: ID0720220000
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt und empfindet sie es wie ich als Mangel, daß, wie eine Durchsicht des Statistischen Jahrbuchs 1975 mit einer Unzahl von Daten — auch über den Verbrauch von Zitronen und ähnlichen Dingen — zeigt, der Ausdruck „Vermißte" in der deutschen Statistik nicht existiert?
Baum, Purl. Staatssekretär: Ich werde diesem Mangel gern nachgehen, Herr Kollege. Es gibt in der Statistik ohnehin so manche Ungereimtheiten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720220100
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Rolf Meinecke (SPD):
Rede ID: ID0720220200
Darf ich Ihre Antwort so deuten, daß es in Wirklichkeit keine vollkommene Statistik über Vermißte gibt, sondern nur eine Kartei?
Baum, Parl. Staatssekretär: Es gibt beim Bundeskriminalamt eine Kartei, von der wir annehmen, daß sie auf dem neuesten Stande ist. Aus dieser Kartei stammen auch die Zahlen, die ich Ihnen, Herr Kollege, soeben genannt habe.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720220300
Eine
letzte Zusatzfrage.

Dr. Rolf Meinecke (SPD):
Rede ID: ID0720220400
Herr Staatssekretär, würden Sie trotzdem meine Meinung teilen, daß eine Statistik angestrebt werden sollte, die uns Aufschluß gibt über Motive und Verhaltensweisen insbesondere jener Jugendlichen, die, wenn auch nur für vier Wochen, verschwinden? Denn dies bedeutet doch immerhin 16 000mal sehr viel Leid und Sorge für die betroffenen Eltern und Familien.
Baum, Parl. Staatssekretär: Ich gebe Ihnen zu, daß das eine interessante Frage ist. Ich weiß, daß das
Bundeskriminalamt beginnt, dieser Frage nachzugehen, also hier eine Motivforschung einzuleiten. Ich bin gern bereit, Sie über den Fortgang dieser Untersuchungen zu unterrichten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720220500
Die
Frage 40 der Abgeordneten Frau Dr. DäublerGmelin ist von der Fragestellerin zurückgezogen.
Ich rufe die Frage 41 des Herrn Abgeordneten Meinike auf:
Welche Gründe haben die Bundesregierung veranlaßt, aus Anlaß des Todes des Diktators Franco Trauerbeflaggung anzuordnen?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt beantworte ich die Frage wie folgt.
Es entspricht internationaler Übung, daß beim Ableben des Oberhauptes eines Staates, mit dem diplomatische Beziehungen unterhalten werden, Trauerbeflaggung angeordnet wird. Besondere internationale Vereinbarungen hierüber gibt es nicht; es handelt sich um eine in der Praxis des internationalen Staatenverkehrs entwickelte, seit langem geltende Tradition. Dieser Übung ist die Bundesregierung in ihrem Erlaß über die Beflaggung der Dienstgebäude des Bundes vom 28. August 1959 in der Fassung des Änderungs-Erlasses vom 13. April 1964 gefolgt. Es heißt dort:
Trauerbeflaggung aus Anlaß des Ablebens eines ausländischen Staatsoberhauptes ordnet der Bundesminister des Innern im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt an. Es flaggen die obersten Bundesbehörden im Raume Bonn am Tage des Ablebens oder, falls an diesem Tage nicht mehr durchführbar, am folgenden Tag sowie am Tage der Beisetzung.
Der internationalen Übung und dein angeführten Erlaß entsprechend ist in den letzten Jahren stets verfahren worden; dies ist auch bei Anlaß des Ablebens des spanischen Staatsoberhauptes geschehen.
Die für die Beflaggung in den Ländern zuständigen Landesbehörden werden bei Trauerbeflaggung aus Anlaß des Ablebens eines ausländischen Staatsoberhauptes regelmäßig nicht benachrichtigt, dementsprechend auch nicht gebeten, sich dieser Maßnahme anzuschließen.
Nach einer ebenfalls tradierten internationalen Übung findet eine Trauerbeflaggung dann nicht statt, wenn der Tod eines fremden Staatsoberhauptes im Zusammenhang mit einem gelungenen Umsturz eingetreten ist. Dies beruht darauf, daß die Geste einer Trauerbeflaggung zwar ihren Anlaß im Ableben des Staatsoberhauptes hat, jedoch nicht in erster Linie der Person des Verstorbenen, sondern dem durch diesen repräsentierten fremden Staate erwiesen wird. Mit einem gelungenen Umsturz geht die Repräsentation des fremden Staates aber auf einen neuen Inhaber der faktischen Herrschaft über. Eine Trauerbeflaggung auf Grund eines Umsturzes in einem fremden Staat würde eine offene Bestreitung des Vertretungsrechts der neuen Staatsspitze signalisie-



Parl. Staatssekretär Baum
ren und damit eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten bedeuten.
Grundsätzlich, Herr Kollege, ist zu sagen, daß im internationalen Staatenverkehr das Zeigen von Flaggen aus Anlaß von Ereignissen in fremden Staaten keine Bewertung dortiger Vorgänge oder dortiger Regierungen darstellt. Mehr noch als im gesellschaftlichen Verkehr zwischen Privatpersonen fehlt es den Höflichkeitsformen im internationalen Staatenverkehr an wertender Substanz. Bei internationalen Höflichkeitsformen wie der Beflaggung aus Anlaß von Ereignissen in einem fremden Staat handelt es sich allein um die Befolgung traditioneller Gebräuche im Verkehr zwischen Staaten, die miteinander diplomatische Beziehungen unterhalten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720220600
Zusatzfrage.

Erich Meinike (SPD):
Rede ID: ID0720220700
Herr Staatssekretär, darf ich Sie Fragen, ob Sie meine Einschätzung teilen, daß die Mehrheit der Bevölkerung die von Ihnen vorgenommene Differenzierung nicht vornimmt und in der Trauerbeflaggung in erster Linie eine positive Würdigung des Verstorbenen, in diesem Falle eines Verantwortlichen für Hinrichtungen, für Terror und Unterdrückung, sieht?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe hier die Einschätzung der Bundesregierung dargestellt. Möglicherweise trägt das dazu bei, die Debatte in der Bevölkerung zu versachlichen und die Motive für die Beflaggung noch deutlicher zu machen, als das bisher schon geschehen ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720220800
Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Erich Meinike (SPD):
Rede ID: ID0720220900
Darf ich Sie dennoch fragen, ob Sie es nicht für notwendig halten — auch im Hinblick auf zurückliegende Ereignisse —, eine Überprüfung dieses üblichen Rituals vorzunehmen.
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe Ihnen dargelegt, daß dies eine internationale Gepflogenheit ist, die einseitig nicht überprüft werden kann, wenn man sich nicht den internationalen Gepflogenheiten einseitig entziehen will, was die Bundesrepublik nicht vorhat.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720221000
Die Fragen 42 und 43 des Abgeordneten Schreiber werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Niegel auf:
Dient es nach Ansicht der Bundesregierung den Interessen und dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland, wenn bei für Bundesbehörden angeordneter Trauerbeflaggung einige Bundesländer sich demonstrativ nicht anschließen, und wie hat die Bundesregierung sichergestellt, daß auch in den Bundesländern, die beim Tode des spanischen Staatschefs die Trauerbeflaggung boykottiert haben, die dort gelegenen Bundesbehörden die angeordnete Trauerbeflaggung zeigten?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Niegel, im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt beantworte ich die Frage wie folgt.
Die Ihrer Frage zugrunde liegende Annahme, die Bundesregierung habe die Länder darum gebeten, sich einer von ihr angeordneten Trauerbeflaggung anzuschließen, trifft nicht zu. Der Bundesminister des Innern hat vielmehr im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt, wie für solche Fälle im Beflagqungserlaß vorgesehen, aus Anlaß des Ablebens des spanischen Staatsoberhaupts Trauerbeflaggung für die obersten Bundesbehörden im Raum Bonn, ausschließlich im Raum Bonn, angeordnet und gleichzeitig die übrigen Verfassungsorgane im Raum Bonn sowie die Landesvertretungen in Bonn gebeten, entsprechend zu verfahren. Bundesbehörden außerhalb Bonns wurden, was der Beflaggungserlaß auch nicht vorsieht, in die Anordnung nicht einbezogen.
Die Länder wurden wie üblich nicht um Trauerbeflaggung gebeten. Sie entscheiden über die Beflaggung ihrer Dienstgebäude kraft eigenen Rechts. Den auswärtigen Belangen der Bundesrepublik Deutschland, Herr Kollege, wird dadurch Genüge getan, daß internationale Höflichkeitsformen von der Bundesregierung bezeigt werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720221100
Zusatzfrage.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0720221200
Herr Staatssekretär, aus welchem Grund hat die Bundesregierung dann nicht sofort klargestellt, daß die Beflaggung der öffentlichen Dienstgebäude üblicherweise nur die obersten Bundesbehörden im Raum Bonn betrifft, und dadurch die Möglichkeit des schlechten Eindrucks gegeben, daß praktisch Erklärungen provoziert wurden wie die des Regierungschefs von Bremen, daß er in seinem Land demonstrativ nicht flaggen läßt?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720221300
Herr Kollege, das war eine sehr lange Zusatzfrage.
Baum, Parl. Staatssekretär: Ich werde eine kurze Antwort zu geben versuchen.
Herr Kollege, die Bundesregierung hat keine Möglichkeit, auf die Länder einzuwirken. Sie hat das hier nicht getan und hat auch keinerlei Anlaß zu Mißdeutungen gesetzt. Die Praxis, die ich soeben geschildert habe, ist jedermann bekannt, der sich ein wenig mit der Sache befaßt hat.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720221400
Noch eine Zusatzfrage.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0720221500
Herr Staatssekretär, Sie sprachen von Absprache mit dem Auswärtigen Amt. In welcher Form hat sich die Bundesregierung gegenüber Spanien für das diplomatisch und politisch fragwürdige Verhalten einzelner Bundesländer entschuldigt?




Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720221600
Keine
Bewertung, bitte, Herr Kollege!
Baum, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat keinerlei Anlaß gesehen, sich bei der spanischen Regierung für irgend etwas zu entschuldigen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720221700
Ich lasse noch zwei Zusatzfragen der Abgeordneten Meinike und Frau Berger zu. Bitte, Herr Meinike!

Erich Meinike (SPD):
Rede ID: ID0720221800
Herr Staatssekretär, dürfte man unter Umständen der Versuchung unterliegen, das Verhalten einiger Länder, wenn es sich bei der Trauerbeflaggung überhaupt nur um eine Bundesangelegenheit handelt, doch als eine positive Würdigung dieses Verstorbenen zu betrachten?
Baum, Parl. Staatssekretär: Diese Würdigung muß ich ihnen überlassen. Die Bundesregierung hat das getan, was sie in solchen Fällen zu tun verpflichtet ist. Das wird so zu bewerten sein, wie ich das hier darzulegen versucht habe.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720221900
Frau Abgeordnete Berger zu einer Zusatzfrage.

Lieselotte Berger (CDU):
Rede ID: ID0720222000
Herr Staatssekretär, aus welchen Gründen ist es denn nun unterblieben, für Bundesbehörden außerhalb Bonns ebenfalls Trauerbeflaggung anzuordnen?
Baum, Parl. Staatssekretär: So ist seit vielen Jahrzehnten verfahren worden, Frau Kollegin. Es wird nur im Raum Bonn geflaggt, und zwar in der Weise, wie ich es hier dargelegt habe. Das entspricht dem Erlaß, der Übung und auch dem Verfahren in anderen Ländern, die dieses Verfahren ja auch ihrerseits praktizieren.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720222100
Ich rufe die Frage 45 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Kann die Bundesregierung die in der Presse aus der noch nicht der Offentlichkeit vorgelegten Dokumentation über die Kriegsgefangenenlager mitgeteilten Angaben bestätigen, daß in den Kriegsgefangenenlagern der Sowjetunion 30 Prozent der deutschen Kriegsgefangenen gestorben sind, und wann gedenkt die Bundesregierung, diese Dokumentation jedermann zugänglich zu machen?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hupka, in der Dokumentation zur Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen des zweiten Weltkrieges sind in Band VII zum ersten Teil Ihrer Frage folgende Angaben enthalten:
In sowjetischem Gewahrsam sind nach den sowjetischen Frontberichten 3 155 000 deutsche Kriegsgefangene gelangt. Davon sind in der Kriegsgefangenschaft zirka 1 110 000 verstorben. Das bedeutet, daß ungefähr 30 % der in sowjetischen Gewahrsam gelangten Kriegsgefangenen dort verstorben sind.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage möchte ich darauf hinweisen, daß sich die Dokumentation in rund 430 in- und ausländischen öffentlichen Bibliotheken befinden und dort frei zugänglich ist. Der Band, aus dem ich eben zitiert habe, befindet sich seit 1966 in der Bibliothek dieses Hauses. Außerdem möchte ich mitteilen, daß nach den Informationen des Verlages die gesamte Dokumentation vom Dezember an über den Buchhandel bezogen werden kann.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720222200
Eine Zusatzfrage.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0720222300
Werden damit auch die Ankündigungen erfüllt, die Sie im vorigen Jahr abgegeben haben, daß noch Erkundungen einzuziehen sind, ob überhaupt diese Dokumentation in den Buchhandel kommen würde?
Baum, Parl. Staatssekretär: Ich habe meiner Mitteilung nichts hinzuzufügen, Herr Kollege.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0720222400
In welcher Auflagenhöhe wird diese Dokumentation in den Buchhandel kommen? Ist die Zahl richtig, daß sich beim Verlag lediglich 200 Exemplare befunden haben und 200 andere Exemplare beim Innenministerium? Heißt „Buchhandel" : 200 Exemplare?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das wird von Band zu Band sehr unterschiedlich sein. Ich bin gerne bereit, Ihnen darüber Auskunft zu geben. Es sind ja sehr viele Bände, wie Sie wissen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720222500
Die Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. Wernitz und des Herrn Abgeordneten Hoffie werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern beantwortet. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. de With zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 49 des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt (Hamburg) auf:
Teilt die Bundesregierung die Meinung, daß von den bislang bekannten Ergebnissen der Arbeiten der UNCITRAL zur Reform des internationalen Seefrachtrechts (Haager Regeln) ökonomische Nachteile für die deutsche Verkehrswirtschaft, insbesondere eine wesentliche Erhöhung der Haftungsversicherungskosten, zu befürchten sind?

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID0720222600
Der Ausschuß der Vereinten Nationen für internationales Handelsrecht (UNCITRAL) wird im Jahre 1976 den Entwurf eines neuen internationalen Seefrachtübereinkommens beraten, welches das Übereinkommen von 1924 über Konnossemente, die sogenannten Haager Regeln, ersetzen soll. Zu einem von einer Arbeitsgruppe von UNCITRAL ausgearbeiteten Vorentwurf sind die Staaten um Stellungnahme gebeten worden. Dieser Vorentwurf sieht vor, daß die in dem Übereinkommen von 1924 — und dementsprechend im deutschen Seehandelsrecht — vorgesehenen gesetzlichen Haf-



Parl. Staatssekretär Dr. de With
tungsausschlüsse für ein Verschulden der Schiffsbesatzung bei der Führung oder sonstigen Bedienung des Schiffes und bei Feuer entfallen sollen.
Die Haftungsausschlüsse für sogenanntes nautisches Verschulden und für Feuer bedeuten, daß der Seebeförderer gesetzlich davon freigestellt ist, für — auch gröbstes — Verschulden des Kapitäns und der Besatzung bei der Erfüllung der vertraglichen Hauptpflicht zur sicheren Beförderung der Ladung einstehen zu müssen. Eine solche Regelung weicht nicht nur von den Rechten aller anderen Transportmittel ab, sondern auch von den das gesamte Zivilrecht beherrschenden Grundsätzen; sie erschwert zu dem die auf längere Sicht wünschenswerte Vereinheitlichung des Rechts der verschiedenen Transportmittel. Besonders aus diesem Grunde ist von der großen Mehrzahl der Staaten, die — vor Eintritt der Bundesrepublik Deutschland in die Vereinten Nationen — an der Ausarbeitung des Vorentwurfs mitgewirkt haben, die Beseitigung dieser Haftungsausschlüsse verlangt worden.
Daß diese Verschärfung der Haftung, die damit dem Grund und ihrer voraussichtlichen Begrenzung nach immer noch weit hinter der gesetzlichen Haftung aller anderen Beförderungsmittel zurückbleibt, zu einer Erhöhung der Haftpflichtversicherungsprämien des Beförderers führt, kann nicht ausgeschlossen werden. Der Verband Deutscher Reeder befürchtet infolge dieser Änderung eine zusätzliche, in die Frachtberechnung eingehende Haftpflichtversicherungsbelastung von etwa einem Prozent der Fracht. Wettbewerbsnachteile für die deutsche Seeverkehrswirtschaft würden hieraus jedoch nicht entstehen, da das neue Übereinkommen von der Bundesrepublik Deutschland nur gemeinsam mit anderen bedeutenden Schiffahrtsstaaten ratifiziert werden würde.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720222700
Eine Zusatzfrage.

Prof. Dr. Claus Arndt (SPD):
Rede ID: ID0720222800
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß die Bundesregierung beabsichtigt, dieser Regelung zuzustimmen und dem Deutschen Bundestag ein entsprechendes Ratifikationsgesetz vorzulegen?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Dies würde ich bei Frage 2 beantwortet haben. Ich möchte vorweg sagen, daß dieses Abkommen noch nicht endgültig ist. Es muß noch einmal geprüft werden.

Prof. Dr. Claus Arndt (SPD):
Rede ID: ID0720222900
Herr Präsident, ich rege an, daß erst die zweite Frage noch mit beantwortet wird.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720223000
Ja, dann rufe ich diese Frage auf:
Ist die Bundesregierung bereit, der Verteuerung der Versicherungskosten und damit der Gesamttransportkosten des Seeverkehrs insbesondere infolge der vorgeschlagenen Streichung der Haftungsausschlüsse für „Feuer" und sogenanntes „Nautisches Verschulden" dadurch entgegenzuwirken, daß sie sich in den zuständigen Gremien der Vereinten Nationen gegen die heabsichtigte Streichung der genannten Haftungsausschlüsse ausspricht?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Arndt, die Bundesregierung hat sich in ihrer Stellungnahme zu dem Entwurf dafür ausgesprochen, die wirtschaftlichen Auswirkungen der beabsichtigten Haftungsverschärfung nochmals sorgfältig zu prüfen. Hierzu werden die im kommenden Jahr bevorstehenden Verhandlungen im Rahmen des Schiffahrtsausschusses der Welthandelskonferenz (UNCTAD) und im Rahmen von UNCITRAL Gelegenheit geben. Dabei wird insbesondere zu prüfen sein, ob — wie die deutschen Verlader befürchten — nicht nur eine Mehrbelastung der Seebeförderer eintritt, die diese mit der Fracht auf die Verlader abwälzen würden, sondern darüber hinaus auch eine Verteuerung der Gesamttransportkosten. Dies ist deshalb nichts ausgeschlossen, weil der in die Fracht eingehenden Erhöhung der Haftpflichtversicherungsprämien möglicherweise keine entsprechende Senkung der vom Verlader zu tragenden Transportversicherungsprämien gegenübersteht. Zwar könnte der Transportversicherer im Rahmen der erweiterten Haftung des Seebeförderers künftig gegen diesen Regreß nehmen, doch müssen Regresse in der Praxis häufig wegen zu hoher Kosten und zu geringer Erfolgsaussichten unterbleiben. Dabei wird auch zu bedenken sein, daß die befürchtete Erhöhung der Haftpflichtversicherungskosten des Beförderers auf längere Sicht nur in dem Maße eintreten dürfte, in welchem Geschädigte die Haftpflichtversicherung der Beförderer tatsächlich in Anspruch nehmen und damit einen Vorteil aus der Regelung erlangen werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720223100
Zusatzfrage.

Prof. Dr. Claus Arndt (SPD):
Rede ID: ID0720223200
Herr Staatssekretär, werden sich die neuen Regelungen sowohl auf die Haftung für Verschulden als auch auf die Haftung für Vorgänge beziehen, die nicht verschuldet sind, z. B. Feuer?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Ich sagte eben, daß in zwei Fällen Haftungsausschlüsse nicht mehr möglich sein werden. Diese Fälle betreffen das nautische Verschulden ebenso wie schlechterdings das Feuer. Endgültiges kann gleichwohl nicht gesagt werden, da der Termin für die diplomatische Konferenz noch nicht festgelegt und da noch nicht sicher ist, ob es bei dem, was ausgehandelt wurde, bleibt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720223300
Eine weitere Zusatzfrage.

Prof. Dr. Claus Arndt (SPD):
Rede ID: ID0720223400
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung zusagen, daß sie bei den weiteren Beratungen berücksichtigt, daß die Bundesrepublik Deutschland ein Land ist, das einen besonders hohen Welthandelsanteil und damit einen hohen Transportanteil hat, so daß sich infolgedessen die Erhöhung der Transportkosten immer zu Lasten des deutschen Handels auswirken wird?



Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Ich habe bereits dargelegt, daß die Bundesregierung sehr sorgfältig prüfen wird, ob und gegebenenfalls zu welchen Erhöhungen dies führen wird. Ich bitte aber zu bedenken, daß sich die Bundesrepublik einer internationalen Regelung nicht entziehen kann, wenn sicher ist, daß praktisch alle wichtigen Handelsnationen, welche die Weltmeere befahren, dem zustimmen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720223500
Da der Herr Abgeordnete Schäfer (Appenweier) nicht im Saal ist, werden die Fragen 51 und 52 schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 53 und 54 des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Ist es nach der Bundesrechtsanwaltsordnung möglich, daß jemand, der als Reichsamtsleiter der NSDAP tätig war, ohne Überprüfung daraufhin, ob er jederzeit und ständig die Gewähr bietet, aktiv für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten, als Rechtsanwalt zugelassen wird, und wird die Bundesregierung bejahendenfalls eine entsprechende Gesetzesänderung in die Wege leiten?
Ist es nach der Bundesrechtsanwaltsordnung möglich, daß Anwälte ihre Zulassung behalten, die einen Kollegen, wie den o. g., bei dem Versuch unterstützen, eine Klärung der Voraussetzungen der Zulassung zum Anwaltsberuf auf Grund der o. g. Tätigkeit zu verhindern, und wird die Bundesregierung bejahendenfalls eine entsprechende Gesetzesänderung in die Wege leiten?
Herr Kollege Sperling, ich schlage vor, daß wir die beiden Fragen miteinander verbinden, damit im Hinblick auf den Ablauf der Fragestunde eine Gesamtbeantwortung möglich ist.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID0720223600
Sehr gern. Ich kann auch versprechen, daß es sehr kurz wird, was die Zusatzfragen angeht.
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Die Kriterien, nach denen im Zulassungsverfahren für Rechtsanwälte die politische Vergangenheit und die Einstellung des Bewerbers zu unserer politischen Grundordnung zu prüfen ist, sind anders als die von Ihnen erwähnten. Die Gewähr, daß der Bewerber jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt, ist Voraussetzung für die Übernahme in den öffentlichen Dienst. Für die Zulassung zu dem freien Beruf des Anwalts sind die vergleichbaren Schranken niedriger gezogen.
Es muß zunächst geprüft werden, ob der Bewerber die freiheitliche demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpft. Ist dies der Fall, so wird gemäß § 7 Nr. 6 der Bundesrechtsanwaltsordnung die Zulassung versagt.
Der Bewerber, der unsere demokratische Grundordnung wahren möchte, kann aber auch wegen eines schwerwiegenden Versagens in der Vergangenheit für den Rechtspflegeberuf des Anwalts nicht tragbar erscheinen. Gemäß § 7 Nr. 5 der Bundesrechtsanwaltsordnung — dies ist möglicherweise die Vorschrift, auf die Sie hinzielen — ist die Zulassung zur Anwaltschaft nämlich dann zu versagen, wenn der Bewerber sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen läßt, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben. Der Senat für Anwaltssachen beim Bundesgerichtshof hat in zwei Entscheidungen aus dem Jahre 1962 die Anwendbarkeit des § 7 Nr. 5 der Bundesrechtsanwaltsordnung für möglich gehalten, wenn der Bewerber eine leitende Tätigkeit in einer NS-Organisation ausgeübt hat, die durch Verbreitung von Furcht und Schrecken eine der wesentlichsten Stützen des nationalsozialistischen Unrechtsstaates gewesen ist.
Ich bin gern bereit, auf eine entsprechende Frage hin die wesentlichen Leitsätze hier noch mitzuteilen.
Über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und die Zurücknahme der Zulassung entscheiden nicht die Rechtsanwaltskammern, sondern nach § 8 und § 14 der Bundesrechtsanwaltsordnung die Landesjustizverwaltungen. Es ist daher nicht möglich, daß der Vorstand einer Rechtsanwaltskammer die Klärung der gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung oder die Anwendung der betreffenden Vorschriften im einzelnen Fall verhindert. Außerdem ist durch die Rechtsprechung des Senats für .Anwaltssachen beim Bundesgerichtshof grundsätzlich geklärt, daß eine leitende Stellung in bestimmten Organisationen des NS-Staates den Bewerber um die Zulassung als nicht tragbar erscheinen lassen kann.
Wenn eine Rechtsanwaltskammer, deren Anhörung bei der Zulassung oder deren Zurücknahme gesetzlich vorgeschrieben ist, ihren gesetzlichen Aufgaben nicht nachkommt, so wird sich hiermit gegebenenfalls die nach § 62 Abs. 2 der Bundesrechtsanwaltsordnung bestehende Staatsaufsicht zu befassen haben. Gegen den einzelnen Rechtsanwalt können bei einer schuldhaften Verletzung beruflicher Pflichten Maßnahmen verhängt werden, die je nach der Schwere der Verfehlung auch zur Ausschließung aus dem Beruf führen können. Die beruflichen Pflichten werden in § 43 Bundesrechtsanwaltsordnung grundsätzlich dahin umschrieben, daß der Rechtsanwalt seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und sich innerhalb und außerhalb des Berufs der Achtung und des Vertrauens würdig zu erweisen hat, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert.
Die Bundesregierung hält eine Änderung dieser Vorschriften wegen des von Ihnen, Herr Kollege, erwähnten Falls nicht für notwendig. Es ist Aufgabe der zuständigen Landesbehörden, zu prüfen, ob Pflichtverletzungen vorgekommen sind und welche Bedeutung ihnen zukommt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720223700
Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID0720223800
Herr Staatssekretär, darf man davon ausgehen, daß ein Mann, der sich offensichtlich nicht traut, unter dem Namen aufzutreten, den er als Reichsamtsleiter der NSDAP führte, sich selber nicht für sehr würdig hält, als Rechtsanwalt tätig zu sein?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Hier ist kein bestimmter Mann direkt angesprochen, aber ich meine, indirekt ist offenkundig, wen Sie meinen. Ich muß zunächst sagen, daß der Name, den dieser jetzt führt, nach den Ermittlungen, die angestellt sind, der korrekte Name ist. Die andere Frage ist eine Frage der Bewertung; die steht einem jeden zu.




Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0720223900
Meine
Damen und Herren, wir stehen am Ende der Fragestunde.
Der Herr Abgeordnete Dr. Jenninger hat während der Rede des Herrn Abgeordneten Brandt diesen in einem Zwischenruf beleidigt. Ich rufe ihn dafür nachträglich zur Ordnung.

(Eigen [CDU/CSU] : Was hat er denn gesagt? — Memmel [CDU/CSU] : Herr Präsident, was hat er denn gesagt?)

Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der heutigen Sitzung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 27. November 1975, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.