Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 8. Februar 1971 mitgeteilt, daß das Mitglied des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt, Frau Lisa Korspeter, aus dem Kontrollausschuß ausscheidet. Dafür hat die Fraktion der SPD den Abgeordneten Hofmann benannt. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Abgeordnete Hofmann als Mitglied des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt gewählt.
Ferner hat die Fraktion der SPD mit demselben Schreiben für die aus dem Verwaltungsrat der Lastenausgleichsbank ausscheidende Frau Lisa Korspeter für deren restliche Amtsdauer im Verwaltungsrat Herrn Walter Haack benannt. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist Herr Walter Haack als Mitglied des Verwaltungsrates der Lastenausgleichsbank gewählt.
Meine Damen und Herren, wir haben gestern die Tagesordnungspunkte III bis X nicht mehr behandeln können. Ich gehe davon aus, daß wir heute trotzdem mit Punkt XI der Tagesordnung beginnen und dann im Anschluß an die Debatte über Punkt XI die restlichen Punkte der Tagesordnung erledigen.
Ich rufe Punkt XI der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Berichts Mitbestimmung im Unternehmen der Sachverständigenkommission zur Auswertung der bisherigen Erfahrungen bei der Mitbestimmung
— Drucksache VI 334 —
b) Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht der Mitbestimmungskommission
— Drucksache VI/ 1551 —Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die befristete Fortgeltung der Mitbestimmung in bisher den Mitbestimmungsgesetzen unterliegenden Unternehmen
— Drucksachen VI/ 1785, zu VI/ 1785 — Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Betriebsverfassungsgesetzes
— Drucksachen VI/ 1786, zu VI/ 1786 —
c) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Betrieben und Unternehmen
— Drucksache VI/... —
Zur Begründung der Punkte XI b) bis d) hat der Herr Bundesminister Arendt das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung legt Ihnen heute den Entwurf eines neuen Betriebsverfassungsgesetzes vor, mit dem sie ihre Zusage aus der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 einlöst. Gleichzeitig unterbreitet die Bundesregierung Ihnen den Entwurf zu einem Gesetz über die Fortgeltung der Mitbestimmung in der Montan-Industrie. In sachlichem Zusammenhang mit diesen beiden Vorlagen steht der Bericht der Sachverständigenkommission über die „Mitbestimmung im Unternehmen", zu dem Ihnen die Bundesregierung ihre Stellungnahme im Dezember 1970 zugeleitet hat.Meine Damen und Herren, das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer in der Wirtschaft ist ein Thema von außerordentlicher gesellschaftspolitischer Bedeutung. Das gilt nach seinem Umfang besonders für den Bereich der Betriebsverfassung. Darin stimmen alle Beteiligten, Regierung, Parlament und Parteien ebenso wie Arbeitnehmer und Arbeitgeber, bei unterschiedlichen Standorten und unterschiedlichen Interessenlagen überein. Wenn es notwendig wäre, einen zusätzlichen Nachweis dafür zu erbringen, daß die Mitbestimmung tatsächlich ein zentrales Thema unserer gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung ist, dann brauchte ich nur an die leidenschaftliche Diskussion zu erinnern, mit der die Mitbestimmung kürzlich in Düsseldorf behandelt worden ist. Ich sage das ohne Anflug von Schadenfreude.
— Da haben Sie zum erstenmal Betriebsräte aus der Nähe gesehen, Herr Barzel.
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5804 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Bundesminister ArendtSeit Kriegsende ist das öffentliche Gespräch überdie Mitbestimmung bei uns nicht abgerissen. Der Austausch von Meinungen und die Darlegung von Standorten zu dieser komplexen Materie wird gründlicher und sachlicher fortgeführt werden müssen, nachdem die Mitbestimmungskommission der Wissenschaftler in ihrem Gutachten eine Fülle von Material aus der praktischen Erfahrung vorgelegt hat. Das Thema Mitbestimmung und Mitverantwortung wird auch in Zukunft für die politische Auseinandersetzung aktuell bleiben. Daran kann kein Zweifel bestehen.Die Auseinandersetzung über die Mitbestimmung im allgemeinen darf uns aber nicht dazu verleiten, die spezielleren Fragen der Betriebsverfassung zu vernachlässigen. Für viele Millionen Arbeitnehmer sind Mitbestimmung und Mitverantwortung, wie sie im Betriebsverfassungsgesetz festgelegt werden, die einzige für sie relevante Form der Mitbestimmung. Mir scheint aber, daß gerade die Betriebsverfassung in der öffentlichen Aufmerksamkeit zu kurz gekommen ist. Vielleicht ist es deshalb gar nicht so erstaunlich, daß im Verlauf von 18 Jahren kein einziger Versuch, das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 den gewandelten betrieblichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeiten anzupassen, zum Ziel geführt hat.Wie notwendig Anpassungen, Ergänzungen und Verbesserungen für dieses wichtige, die Betriebe demokratisierende, die Arbeit humanisierende Gesetz gewesen wäre, zeigt schon die Tatsache, daß es mindestens nicht ausreichend funktioniert hat. Im Jahre 1968 ist die Mehrzahl der Betriebsräte zum letzten Mal gewählt worden. Damals wurde aber nur in 25 000 von 400 000 betriebsratsfähigen Betrieben gewählt. Das heißt, daß für die Arbeitnehmer in 94 % aller Betriebe, die unter dieses Gesetz fallen, eben dieses Gesetz nur auf dem Papier existiert.Diese Zahlen beruhen auf Angaben der Tarifparteien und auf Schätzungen des Bundesarbeitsministeriums. Eine amtliche Statistik wird weder über die Zahl der gewählten Betriebsräte noch über die Zahl der betriebsratsfähigen Betriebe geführt. Zwar sind in den 6 % der Betriebe, in denen Betriebsräte bestehen, etwa zwei Drittel aller Arbeitnehmer beschäftigt. Aber selbst wenn diese Zahl nach oben korrigiert werden müßte, selbst wenn die Zahl der Betriebe ohne Betriebsrat um ein paar Prozent niedriger liegen sollte, wäre das ein schlechter Trost. Es bleibt dabei, daß mehrere Millionen Menschen nicht unter dem Schutz des Betriebsverfassungsgesetzes arbeiten, und das ist ein unbefriedigender Zustand. Das ist die eine Seite.Eine ähnliche Problematik haben die revolutionierenden technischen und wirtschaftlichen Umwälzungen ausgelöst, die mit dem Beginn des Wiederaufbaus in der Bundesrepublik eingesetzt haben. Ein äußeres Kennzeichen dieser Umwälzungen ist der immer noch zunehmende Grad von Rationalisierung, Mechanisierung und Automatisierung in den Betrieben. Die Produktionsabläufe vollziehen sich heute ungleich schneller als am Anfang der fünfziger Jahre. Maschinen und Geräte entlasten zwar dieArbeitnehmer von körperlicher Anstrengung, sie schaffen aber auch neue Belastungen, und sie fördern nicht unbedingt die Humanisierung des Arbeitslebens. Ich glaube, ich brauche das nicht zu vertiefen. Die Wirkungen wirtschaftlicher Veränderungen machen an den Betriebsgrenzen nicht halt. Sie reichen praktisch immer ins individuelle und ins gesellschaftliche Leben hinein. Auch unter dem Blickwinkel der Sozialpolitik ist „die Wirtschaft", um ein Wort von Walter Rathenau aufzugreifen, „unser Schicksal".Der einzelne Arbeitnehmer ist dem Druck des wirtschaftlichen Wandels doppelt ausgesetzt: einmal durch wachsende Anforderungen an sein Können und seine Kenntnisse und an seine Fähigkeit, neue Kenntnisse und neue Fertigkeiten zu erwerben; zum anderen am Arbeitsplatz selbst, der wachsende Anforderungen an die Verantwortungsbereitschaft des Arbeitnehmers stellt und ihm Anpassungsfähigkeit an immer rationellere, nach Maßgabe von Technik und Wirtschaftlichkeit verfeinerte Produktionsmethoden abverlangt. Solche Methoden werden nicht in jedem Fall mit viel Rücksichtnahme auf den Menschen entwickelt und eingeführt.Auf diesen wirtschaftlichen und sozialen Wandel reagiert der Arbeitnehmer gewöhnlich mit ganz entgegengesetzten Empfindungen: mit steigendem Selbstbewußtsein und zugleich mit unabweisbarem Ohnmachtsgefühl. Das begründete und zunehmende Selbstbewußtsein der Arbeitnehmer spielt ohne Zweifel eine bedeutende Rolle in den gestiegenen Ansprüchen an eine moderne Betriebsverfassung. Der Arbeitnehmer sieht sich aber in seinem Betrieb einem Mechanismus ausgeliefert, dessen Funktionieren er nur schwer erkennen kann. Er ist sich völlig klar über seine Abhängigkeit von diesem Mechanismus. Auch diese Erfahrung, verstärkt durch die Erlebnisse aus der Zeit der Rezession von 1966/67, zieht höhere Anforderungen an Schutz durch die Betriebsverfassung nach sich. Allein und auf sich gestellt wäre der Arbeitnehmer dem Betrieb, dem wirtschaftlichen und sozialen Wandel hilflos ausgesetzt.An diesem gesellschaftlichen Ort steht das Betriebsverfassungsgesetz. Es bietet dem Arbeitnehmer den Schutz, den er auf keine andere Weise erreichen könnte. Es eröffnet ihm aber zugleich Chancen der Mitbestimmung und Mitverantwortung, die seinem gestiegenen Selbstbewußtsein entsprechen. Die Meinungen allerdings, wie Schutz und Mitwirkung richtig bemessen werden sollen, gehen weit auseinander.Arbeitnehmer und Arbeitgeber verbinden mit der Betriebsverfassung Vorstellungen, die sich auf weite Strecken scharf voneinander abheben. Aber auch unter den organisierten Arbeitnehmern bestehen unterschiedliche Auffassungen über die richtige Form der Betriebsvertretung. Trotz jahrelanger Praxis mit dem Betriebsrätegesetz aus dem Jahre 1920 und dem Betriebsverfassungsgesetz aus dem Jahre 1952 tauchen einige Grundfragen immer wieder auf: Kann der einzelne Arbeitnehmer selbst seine Interessen ausreichend wahrnehmen? Oder braucht er dazu eine kollektive Vertretung? Besitzt die Belegschaft schon die beste Interessenvertretung in einem gemein-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5805
Bundesminister Arendtsamen Betriebsrat? Oder wäre es noch besser, zusätzliche Vertretungen für jede Abteilung oder sogar für jede Arbeitsgruppe zu wählen? Kann der Betriebsrat seine Aufgaben allein bewältigen? Oder ist er auf die unmittelbare Unterstützung durch die Gewerkschaft angewiesen?Obwohl die soziale Situation von 1971 nur bedingt mit der sozialen Situation von 1920 vergleichbar ist, steht, was 1920 umstritten war und worüber auch 1952 gestritten wurde, heute immer noch im Widerstreit der Meinungen. In solchen Streitfragen steckt gesellschaftspolitischer Zündstoff von erheblicher Sprengkraft. Denn die Regeln der Betriebsverfassung greifen ins Zentrum unserer gesellschaftlichen Ordnung ein.Die Bundesregierung legt diesem Hohen Hause ihren Entwurf für ein fortschrittliches, den Forderungen der Zeit entsprechendes Betriebsverfassungsgesetz nicht als einen Entwurf vor, der, sozusagen in Stein gemeißelt, für die Ewigkeit bestimmt ist. Wir haben kein Gesetz entworfen, das die nächsten hundert Jahre überdauern soll. Es soll noch nicht einmal für die kommenden 18 Jahre — wie sein Vorgänger — tabu sein.
Der technische und wirtschaftliche Wandel, der von den Betrieben ausgeht und die soziale Umwelt mitverwandelt, geht weiter. Und die Gesetzgebung wird sich ihm über kürzere oder längere Frist anpassen müssen. Die Bundesregierung legt ihren Entwurf aber in dem Bewußtsein vor, daß sie ihre Verpflichtung eingehalten hat, auch die Bereiche weiter zu demokratisieren und menschlicher zu gestalten, in denen die Arbeitnehmer ein Drittel ihres Tages verbringen.
Bei ihren Überlegungen für ein besseres Betriebsverfassungsgesetz hat die Bundesregierung Erfahrungen aus 18 Jahren Gesetzespraxis genutzt. Daraus ergaben sich folgende Leitlinien. Erstmals sollen die Rechte des einzelnen Arbeitnehmers im Betrieb und am Arbeitsplatz in der Betriebsverfassung festgelegt werden. Der Betriebsrat soll stärkere Rechte der Mitbestimmung und Mitwirkung in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten erhalten. Außerdem sollen seine Befugnisse auf Bereiche ausgedehnt werden, die ihm bis zum Augenblick verschlossen sind. Das Verhältnis von Betriebsrat, Arbeitgeber und Gewerkschaften und die Präsenz der Gewerkschaften in den Betrieben soll neu gestaltet werden. Die Jugendvertretung in Betrieb und Unternehmen soll organisatorisch voll ausgebaut werden und mehr Rechte erhalten. Außerdem enthält der Entwurf eine lange Liste von weiteren Verbesserungen.Die Bundesregierung hat sich nicht damit begnügt, einzelne Paragraphen des bestehenden Gesetzes zu verbessern. Ganze Komplexe von Vorschriften des Entwurfs sind im geltenden Recht überhaupt nicht enthalten. Die Bundesregierung hat vielmehr eine neue Konzeption der Betriebsverfassung entwickelt. Dabei hat sie sich leiten lassen von der Bemühung um ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen Forderungen für den Menschen und Notwendigkeiten für die Produktion, zwischen dem einzelnen Arbeitnehmer und seinen kollektiven Vertretungen, zwischen unternehmerischer Entscheidungsfreiheit und Mitbestimmung der Arbeitnehmer mit dem Ziel größerer sozialer Gerechtigkeit.Lassen Sie mich zu den Schwerpunkten des Gesetzentwurfs einige Bemerkungen machen. In der Regelung der Rechte des einzelnen Arbeitnehmers erschließt der Entwurf Neuland. Die Vorschläge gehen auf Erfahrungen und auf neuere Erkenntnisse der Sozialwissenschaften zurück. Danach entziehen sich selbst bei umfassender kollektiver Vertretung bestimmte Bereiche, vor allem in Großbetrieben, dem Einfluß des Betriebsrates. Insbesondere kann der Betriebsrat Vorgänge am einzelnen Arbeitsplatz und in dessen engerer Umgebung nur schwer erfassen. Der tägliche kleine Arger, die Besonderheiten jedes Arbeitsplatzes, die Aufstiegsmöglichkeiten, die Zusammensetzung und die Nachprüfung des Lohnes, der Inhalt der Personalakte und ähnliches sind Sachverhalte, die den einzelnen Arbeitnehmer oft stark beschäftigen. In seinem engeren Erfahrungsbereich ist er überdies durchaus bereit und in der Lage, eigene Verantwortung zu übernehmen und seine Rechte selbst zu vertreten. Darauf geht der Gesetzentwurf ein. Selbstverständlich darf die Übertragung von Rechten an den einzelnen Arbeitnehmer die gemeinsame Interessenvertretung über den Betriebsrat nicht schwächen. Die Bundesregierung hat viel Sorgfalt darauf verwendet, abzuwägen, in welchem Umfang der einzelne Arbeitnehmer eigene Rechte sinnvoll selbst wahrnehmen kann.Der Entwurf gibt jedem Arbeitnehmer abgestufte Rechte der Unterrichtung, Anhörung und Erörterung in Angelegenheiten, die ihn und seinen Arbeitsplatz unmittelbar betreffen. Unter anderem erhält er das Recht, vom Arbeitgeber Auskunft über seine Aufgabe und Verantwortung, die Einordnung seiner Arbeit in den betrieblichen Ablauf und über Veränderungen an seinem Arbeitsplatz zu verlangen. Der Arbeitnehmer erhält das Recht, in betrieblichen Angelegenheiten, die seine Person betreffen, gehört zu werden; das Recht auf Erörterung seiner beruflichen Aufstiegsmöglichkeit; das Recht auf Erläuterung, wie sein Arbeitsentgelt zusammengesetzt ist, und das Recht auf Einsicht in die Personalakte. Weiterhin schafft der Entwurf der Regierung erstmals ein gesetzliches Beschwerderecht.Jeder Arbeitnehmer soll das Recht haben, sich bei Benachteiligung und ungerechter Behandlung beschweren zu können. Er kann den Betriebsrat mit seiner Beschwerde befassen und ihr dadurch nötigenfalls Nachdruck verleihen. Hält der Betriebsrat die Beschwerde für berechtigt, soll er bei Meinungsverschiedenheiten mit dem Arbeitgeber die Einigungsstelle anrufen können, die alsdann entscheidet. Ich bin der Überzeugung, daß die richtige Handhabung dieser und ähnlicher Bestimmungen den Freiheitsraum des abhängig arbeitenden Menschen spürbar ausweiten wird.
Der zweite Schwerpunkt des Gesetzentwurfs liegt in den Vorschriften über den Betriebsrat. Der Ent-
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5806 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Bundesminister Arendtwurf führt eine Anzahl von Änderungen ein, die die Wahl und die Arbeit des Betriebsrates erleichtern werden. Auch in Zukunft soll es zunächst Sache der Arbeitnehmer eines Betriebes sein, für die Wahl eines Betriebsrates zu sorgen. Dieser Grundsatz ist aber ergänzungsbedürftig, wenn er dazu führt, daß nur in einer Minderheit aller betriebsratsfähigen Betriebe Betriebsräte gewählt werden. Ich darf Sie an die Zahlen erinnern, die ich vorhin genannt habe; 94 °/o aller Betriebe, für die dieses Gesetz gemacht worden ist, wenden es nicht an. Das ist ein deutliches Anzeichen dafür, daß etwas nicht stimmt. Im Interesse der Millionen von Arbeitnehmern in diesen Betrieben kann die Bundesregierung daran nicht vorbeisehen.Zustimmung bei der SPD.)Deshalb sollen die Gewerkschaften stärkere Anstoßrechte erhalten für Betriebe, in denen es schwierig ist, Wahlvorstände für die Betriebsratswahl zu bilden oder Listen für die Betriebsratswahl aufzustellen. Das Arbeitsgericht soll auch betriebsfremde Gewerkschaftsangehörige in den Wahlvorstand berufen können. Die Mitglieder des Wahlvorstandes und die Wahlbewerber sollen künftig gegen Kündigungen ebenso geschützt sein wie Betriebsratsmitglieder.Unzulänglichkeiten des geltenden Gesetzes waren auch in bezug auf den Schutz und auf die Erleichterung der Betriebsratsarbeit auszuräumen. Ich nenne aus dem Entwurf nur wenige Vorschriften. Erstmals wird die Zahl der ständig von der Berufsarbeit freigestellten Betriebsratsmitglieder in dem Regierungs) entwurf festgelegt. Diese Bestimmung soll bewirken, daß die Interessenvertretung der Belegschaftsmitglieder nicht unter der Überlastung einiger weniger Kollegen im Betriebsrat leidet.
Außerdem kann diese Bestimmung einen alten Streitpunkt zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber erledigen.Ebenfalls zum ersten Mal erhält jedes Betriebsratsmitglied während der Amtsperiode den Anspruch auf drei Wochen bezahlte Freistellung zur Schulung und Weiterbildung für seine Aufgaben.
Die Bundesregierung ist überzeugt, daß dort, wo der soziale Wandel entsteht und neue Probleme aufwirft, einige dieser Probleme auch gelöst werden müssen, nämlich im Betrieb. Dazu ist Rat und Information notwendig. Deshalb sollen Betriebsratsmitglieder Zeit und Gelegenheit erhalten, durch den persönlichen Austausch von Erfahrungen, durch Gespräch und Unterrichtung auf der Höhe der Entwicklung zu bleiben. Diese Vorschrift räumt den gewählten Vertretern der Belegschaften die gleiche Chance ein, die das Führungspersonal der Unternehmen schon lange besitzt und für die es schon seit Jahren „freigestellt" wird.Weiterhin dehnt der Gesetzentwurf den Kündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder auf ein Jahr nach dem Ende ihrer Amtstätigkeit aus. Die fristlose Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes soll nur mitZustimmung des Betriebsrates zulässig sein. Dadurch soll ausgeschlossen werden, daß der Arbeitgeber einen ihm nicht genehmen Belegschaftsvertreter aus dem Betrieb hinauskündigt. Sollte ein Betriebsratsmitglied seine Amtspflichten grob verletzen, so verweist der Entwurf den Arbeitgeber auf ein besonderes Ausschlußverfahren.Ich hoffe, mit diesen Hinweisen die verbesserten organisatorischen Voraussetzungen ausreichend angedeutet zu haben. Sie sind nach unserer Meinung geeignet, einige Schwierigkeiten aus der Welt zu schaffen, denen die Bildung und die Arbeit von Betriebsräten bisher ausgesetzt war.Der Gesetzentwurf spricht den Betriebsräten stärkere Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten zu. Diese neuen Vorschriften enthalten ein Kernstück der Reform der Betriebsverfassung. Im sozialen Bereich will die Bundesregierung den Katalog der mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten beträchtlich ausweiten. Der Betriebsrat soll künftig auch mitbestimmen bei der Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage, bei vorübergehenden Verkürzungen und Verlängerungen der betriebsüblichen Arbeitszeit, bei der Einführung und Anwendung von Instrumenten, die Verhalten oder Leistung der Arbeitnehmer überwachen, bei der Art der Auszahlung des Arbeitsentgelts und bei der Zuweisung und der Kündigung von Wohnungen, die der Arbeitgeber für die Arbeitnehmer zur Verfügung hat.Nach der Absicht der Bundesregierung erhält der Betriebsrat durch den Ausbau des Katalogs umfassende Mitbestimmungsrechte in nahezu allen sozialen Angelegenheiten.Auch in personellen Fragen sollen dem Betriebsrat bessere Rechte zustehen. Es ist kein Geheimnis, daß die Forderungen der Gewerkschaften weiter reichen. Auf der anderen Seite lehnen die Arbeitgeber jede Einflußerweiterung ,des Betriebsrats im personellen Bereich strikt ab. Zwischen beiden Standpunkten hat der Entwurf einen Mittelweg gewählt. Es kann aber nicht bestritten werden, daß auch bei diesem Mittelweg für den Betriebsrat auf diesem Wege mehr zu erreichen ist als im Augenblick.Bei Einstellungen, Ein- und Umgruppierungen und bei Versetzungen muß der Betriebsrat grundsätzlich zustimmen. Er soll seine Zustimmung jedoch nicht uneingeschränkt verweigern können, sondern muß sich an vorgegebene Gründe halten.Ein Sonderproblem stellt das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei Kündigungen dar. Der Entwurf will auch an dieser Stelle die Rechte des Betriebsrats und der Arbeitnehmer verbessern. Zunächst muß der Arbeitgeber jede Kündigung gegenüber dem Betriebsrat begründen. Jede, auch jede fristlose Kündigung ist ohne Anhörung des Betriebsrates rechtsunwirksam.Außerdem hat der Betriebsrat bei ordentlichen Kündigungen das Recht zum Widerspruch, wenn der Arbeitgeber soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt hat, wenn die Kündigung gegen
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5807
Bundesminister Arendteine personelle Auswahlrichtlinie verstößt, wenn eine Beschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz des Unternehmens möglich ist oder wenn der Arbeitnehmer nach Umschulung oder Fortbildung oder unter geänderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigt werden kann und damit einverstanden ist.Zusätzlich soll der Arbeitgeber den gekündigten Arbeitnehmer schriftlich vom Widerspruch des Betriebsrats unterrichten. Diese Regelung stärkt die Position von Arbeitnehmer und Betriebsrat, vor allem im Hinblick auf ein eventuell nachfolgendes Kündigungsschutzverfahren.Das geltende Recht beteiligt den Betriebsrat an personellen Veränderungen erst, wenn Einstellungen, Versetzungen oder Kündigungen entscheidungsreif sind. Aus dem Vorfeld solcher Entscheidungen, also aus dem gesamten Bereich der Personalplanung und Personalführung, der Beurteilung, der Einstellungsrichtlinien und der dazugehörigen Fragebogen ist der Betriebsrat bisher ausgesperrt. Das heißt, daß der Betriebsrat in den meisten Fällen vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Er kann gerade noch soziale Feuerwehr spielen. Von seinen Mitwirkungsrechten bleibt ihm ein praktisch unverwertbarer Torso. Diese Bereiche gewinnen jedoch, wiederum vor allem in Großbetrieben, fortgesetzt an Bedeutung. Eine rationelle und zugleich sozial verantwortbare Beschäftigung der Belegschaftsmitglieder ist nur über eine sorgsame Personalplanung zu erreichen. Hier eröffnen sich für den Betriebsrat ganz neue Aufgaben und neue Arbeitsbereiche.
Der Entwurf sieht deshalb vor, daß der Arbeitgeber den Betriebsrat über seine Personalplanung rechtzeitig und umfassend unterrichten muß. Das Gewicht solcher Planungen rechtfertigt es, dem Betriebsrat das Recht zu geben, von sich aus Vorschläge für Ein- und Durchführung einer Personalplanung zu machen.Ein anderes neues Mitwirkungsrecht räumt der Entwurf dem Betriebsrat bei der Aufstellung von Personalfragebogen, Beurteilungsgrundsätzen und insbesondere von Richtlinien für die Auswahl bei Einstellungen, Versetzungen und Kündigungen ein. Damit sollen personelle Entscheidungen versachlicht werden. Für größere Betriebe schlägt der Entwurf vor, daß der Betriebsrat das Recht haben soll, die Einführung solcher Richtlinien zu erzwingen.Schließlich soll der Betriebsrat neue Beteiligungsrechte bei der Arbeitsplatzgestaltung und beim Arbeitsablauf erhalten. Mit diesen Vorschriften möchte die Bundesregierung die Interessen der Arbeitnehmer an menschengerechten Arbeitsbedingungen absichern, und zwar schon im Stadium der Planung.Die gesicherten Erkenntnisse der Arbeitswissenschaft sollen den Maßstab setzen. Die Arbeitsmediziner werden uns sagen müssen, wie lange ein Mensch eine bestimmte Arbeit leisten kann, ohne seine Arbeitskraft vorzeitig zu verschleißen. Die Arbeitsphysiologen werden beschreiben müssen, wie ein Arbeitsplatz beschaffen sein muß, damit ein Mensch von normaler Konstitution den Anforderungen gewachsen bleibt. Und die Arbeitspsychologen werden uns erklären müssen, welche Hemmnisse am Arbeitsplatz auftreten und wie sie vermieden werden können.Es erscheint nur angemessen, daß der Betriebsrat Änderungen oder Ausgleich soll erzwingen können, wo gegen die menschengerechte Gestaltung der Arbeit grob verstoßen worden ist.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt die Mitwirkungsrechte des Betriebsrates bei wirtschaftlichen Vorgängen darstellen.Der Entwurf hält bei Betrieben mit mehr als 100 Arbeitnehmern im Grundsatz am Wirtschaftsausschuß fest, wie er im geltenden Recht besteht. Die Bundesregierung empfiehlt aber folgende Änderungen:Die Besetzung des Wirtschaftsausschusses bestimmt künftig der Betriebsrat allein.Der Betriebsrat kann die Aufgaben des Wirtschaftsausschusses selbst übernehmen.Die Informationspflicht des Unternehmers vor dem Wirtschaftsausschuß wird erweitert auf das Investitionsprogramm, die finanzielle Lage des Unternehmens, die Einschränkung, Verlegung oder Stillegung von Betrieben oder Betriebsteilen und die Änderung der Betriebsorganisation oder des Betriebszwecks.Der Unternehmer soll mindestens einmal im Vierteljahr schriftlich, in kleineren Betrieben mündlich, über Lage und Entwicklung des Unternehmens berichten.Bei unternehmerisch-wirtschaftlichen Entscheidungen überträgt der Gesetzentwurf dem Betriebsrat Mitwirkungsrechte von unterschiedlicher Stärke, je nachdem, ob es sich um die unternehmerische Entscheidung selbst oder um ihre Auswirkungen für die Arbeitnehmer handelt.Bei Entscheidungen, die nachteilige Wirkungen auf die Arbeitnehmer haben können, soll der Betriebsrat das Recht auf gründliche Information und auf Beratung erhalten. Wenn aber solche nachteiligen Wirkungen ausgeglichen werden müssen, erkennt der Entwurf dem Betriebsrat volle Mitbestimmungsrechte zu.Arbeitgeber und Betriebsrat sollen verpflichtet sein, einen Sozialplan über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile zu vereinbaren, wenn bestimmte Mindestzahlen von Arbeitnehmern betroffen sind. Können Unternehmer und Betriebsrat sich über den Sozialplan nicht verständigen, dann stellt ihn die Einigungsstelle auf.Dies ist eine außerordentlich wichtige, vielleicht sogar die wichtigste neue Bestimmung des Gesetzentwurfs. Sie verändert die Rechtslage von Grund auf. Die Vorschrift bedeutet, daß Rationalisierungen oder Stillegungen im Verlauf struktureller Wirtschaftsänderungen nicht mehr allein zu Lasten der Arbeitnehmer gehen, wie es in der Vergangenheit zu oft geschehen ist.
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5808 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Bundesminister ArendtMeine Damen und Herren, bis hierher habe ich versucht, Ihnen darzulegen, welche Stellung die Bundesregierung dem einzelnen Arbeitnehmer und dem Betriebsrat in einem modernen Betriebsverfassungsgesetz zuweisen möchte. Ich möchte jetzt die dritte Leitlinie des Gesetzentwurfs darstellen, mit der die Präsenz der Gewerkschaften im Betrieb neu bestimmt werden soll.Das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 geht von den unterschiedlichen Aufgaben der Gewerkschaften und der Betriebsräte aus. Es hat sich deshalb für die organisatorische Unabhängigkeit der Betriebsräte von den Gewerkschaften entschieden. Gleichwohl erkannt auch das geltende Gesetz die Notwendigkeit an, daß Betriebsräte und Gewerkschaften zusammenarbeiten. In vielen Einzelvorschriften sind die Gewerkschaften in die Betriebsverfassung einbezogen.Zusammenarbeit mit den Betriebsräten setzt eine ausreichende Präsenz der Gewerkschaften im Betrieb voraus. Die bloße Existenz von Gewerkschaftsmitgliedern in der Belegschaft reicht ,dafür bei weitern nicht aus.Der Gesetzentwurf entwickelt diesen Grundgedanken weiter. Lassen Sie mich die wichtigsten Änderungen nennen:Die einleitenden Grundsatzvorschriften sichern ,die Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Betriebsrat und die Unterstützung des Betriebsrates durch die Gewerkschaft.Die Gewerkschaftsvertreter erhalten grundsätzlich das Recht, im Rahmen ihrer Aufgaben den Betrieb und die Arbeitnehmer am Arbeitsplatz aufzusuchen.Betriebsratsmitglieder sollen durch ihr Amt nicht mehr gehindert sein, Aufgaben für ihre Gewerkschaft im Betrieb zu übernehmen.
In den Betriebsversammlungen können sozial- und tarifpolitische Themen diskutiert werden.Selbstverständlich behalten auch in Zukunft Betriebsräte und Gewerkschaften ihre besonderen Aufgaben. Mit ihren Vorschlägen möchte die Bundesregierung erreichen, daß sich beide Formen der Arbeitnehmervertretung besser ineinander verzahnen und einander ergänzen können.Die Bundesregierung hat auch eine wichtige Regelung über das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat in ihrem Entwurf geändert. Das geltende Recht verpflichtet den Betriebsrat auf ein Höchstmaß an Wohlverhalten. Der Entwurf der Bundesregierung führt die absolute Friedenspflicht, die in dem jetzt geltenden Recht verankert ist, auf ihren berechtigten Kern zurück, auf den Schutz des Betriebsfriedens und auf die Sicherheit des Arbeitsablaufs. Der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bleibt bestehen, denn jede Verfassung kann ihren Zweck nur bei einem Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen erfüllen.In diesen Problemkreis gehört auch das strikte Verbot parteipolitischer Betätigung im Betrieb.Meine Damen und Herren, es ist ein offener Widerspruch, mehr politisches Engagement und mehr politisches Mitdenken zu verlangen, zugleich aber jede politische Diskussion in den Betrieben zu verbieten.
Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, die Betriebe zu parteipolitischen Tummelplätzen zu machen. Sie will aber auch nicht, daß die Betriebe weiße Flecken auf der Landkarte der Demokratie bleiben.
Die Rechtsprechung hat das Verbot der parteipolitischen Betätigung bis zu einem Verbot jeglicher politischer Stellungnahme im Betrieb ausgelegt. Es ist aber falsch, aus Furcht vor radikalen Elementen, die ein Verbot ohnehin nicht schreckt und die es nicht beachten, allen Arbeitnehmern einen Maulkorb umhängen zu wollen.
— Schauen Sie sich doch einmal die Betriebe an! — Künftig soll politisches Engagement im Betrieb dort seine Grenze finden, wo Arbeitsablauf oder Betriebsfrieden beeinträchtigt werden.Endlich hat die Bundesregierung auch die Verpflichtung auf ein nur schwer zu definierendes Gemeinwohl aus ihrem Entwurf gestrichen.Ich hoffe, daß ich bisher einen ausreichenden Aufriß der drei Leitlinien gegeben habe. an die sich die Bundesregierung bei ihrer Konzeption für eine moderne Betriebsverfassung gehalten hat.Die Bundesregierung weiß, daß sie nicht allen Vorstellungen und Wünschen gerecht geworden ist. Der gesellschaftliche Ort der Betriebsverfassung ist mit ideologischen Spannungen geladen, die Materie ist komplex, die Auffassungen sind konträr. Die Arbeitgeber befürchten eine Bürokratisierung der Betriebe, die Gewerkschaften eine Einengung ihrer Bewegungsfreiheit. Was in einem Lager als zu stark, wird im anderen Lager als zu schwach empfunden. Daraus könnte die Bundesregierung ableiten, daß sie ausgewogene Vorschläge gemacht hat. Aber sie nimmt Kritik nicht auf die leichte Schulter.So hat eine der großen gesellschaftlichen Gruppen, der Deutsche Gewerkschaftsbund, dem Gesetzentwurf neben guten auch schlechte Noten gegeben. Lassen Sie mich aber klarstellen, daß die Bundesregierung in keinem Fall geltendes Recht verschlechtert hat. Ich möchte das an zwei besonders vom DGB bemängelten Vorschriften nachweisen.Ich beziehe mich zuerst auf den § 2 des Entwurfs, nach dem die Gewerkschaftsvertreter „im Benehmen" mit dem Arbeitgeber Zugang zum Betrieb und zu den Arbeitnehmern am Arbeitzplatz haben. Zur Verdeutlichung muß ich daran erinnern, daß ein ausdrückliches und allgemeines Zutrittsrecht der Gewerkschaftsvertreter zu den Betrieben im geltenden Recht nicht enthalten ist. Dieses Zugangsrecht ist vielmehr aus den Vorschriften über die Teilnahme von Gewerkschaftsvertretern an Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen entwickelt worden.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5809
Bundesminister ArendtAber — ich muß noch einmal darauf zurückkommen — dieses Recht gilt nur für 6 % der betriebsratsfähigen Betriebe in der Bundesrepublik.
Aus der Formel „im Benehmen" hat der DGB geschlossen, ein Gewerkschaftsvertreter werde nur mit Genehmigung des Arbeitgebers den Betrieb betreten dürfen. Das trifft nicht zu. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß „im Benehmen" weder Zustimmung noch Einverständnis noch Genehmigung heißt. Ich erkläre, daß die Bundesregierung diese Formel als Ankündigung des bevorstehenden Besuchs, als Wahrung der Höflichkeit interpretiert.
Aus ihrer Stellung am Anfang des Gesetzes kann auch nicht geschlossen werden, daß es sich um eine Generalklausel handelt. Für die Teilnahme der Gewerkschaftsvertreter an Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen bleibt es beim geltenden Recht. Das neue Betriebsverfassungsgesetz würde auch nicht hindern, daß es für das Zutrittsrecht bei der bestehenden Praxis bleibt. Der Entwurf fixiert Mindestrechte, zieht aber für ihre Erweiterung keine Grenze.Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat weiterhin den § 5 kritisiert, in dem von den leitenden Angestellten gesprochen wird. Die Abgrenzung dieser Gruppe ist ungewöhnlich schwierig. Sogar nach dem Selbstverständnis der leitenden Angestellten ist nicht eindeutig bestimmbar, wer leitender Angestellter ist und wer nicht. Ich sage offen, daß auch die Bundesregierung keine allseits befriedigende Regelung gefunden hat.Trotzdem bringt der Entwurf einen erkennbaren Fortschritt. Bisher mußte ein leitender Angestellter auch ein „besonderes persönliches Vertrauen" des Arbeitgebers besitzen. Dieses nahezu beliebig dehnbare und formbare Kriterium ist verschwunden. An seine Stelle sind eindeutige Merkmale und objektivere Kennzeichen getreten. Der Gesetzentwurf hat ein überständiges patriarchalisches Element beseitigt. Im übrigen hält er sich an das geltende Recht.Meine Damen und Herren, ich habe nur zwei Punkte erwähnt, die kritisch gesehen wurden. Es gibt noch andere. Vielleicht werden aber die Beratungen im Ausschuß für Arbeit und Sozialpolitik neue Erkenntnisse vermitteln, die bei diesem bedeutsamen Gesetz hilfreich sind.Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß ich Ihnen gezeigt habe, wo überall in der Betriebsverfassung der Gesetzentwurf der Bundesregierung neue Zuständigkeiten und in einigen Vorschriften gerade neue Dimensionen für den einzelnen Arbeitnehmer und für den Betriebsrat eröffnet. Für einen guten Überblick fehlen aber noch einige Hinweise auf die neue Situation der Jugendvertretung und der betrieblichen Berufsbildung.Im geltenden Gesetz führt die Jugendvertretung ein Schattendasein. Der Entwurf faßt die verstreuten Vorschriften in einem eigenen Teil zusammen und gibt der Jugendvertretung schon damit einen deutlich höheren Rang. Der Entwurf erweitert aber auch die Rechte der Jugend und ihrer gewählten Vertreter und bestimmt Organisation, Aufgaben und Stellung neu.Folgende Änderungen sind wesentlich:Die Jugendvertretung wird angemessen vergrößert.Für das passive Wahlrecht fällt die untere Altersgrenze fort.Die Jugendvertretung erhält das Recht auf eigene Sitzungen und auf eigene Betriebsjugendversammlungen.Die Jugendvertretung hat Teilnahme- und Stimmrecht bei Tagesordnungspunkten des Betriebsrates zu Jugendfragen.Die Jugendvertreter haben das Recht, an den gemeinsamen Besprechungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber teilzunehmen, wenn Angelegenheiten der jugendlichen Arbeitnehmer behandelt werden.Ein Jugendvertreter kann an den Sprechstunden des Betriebsrates zur Beratung jugendlicher Arbeitnehmer teilnehmen.Schließlich wird für Unternehmen, in denen mehrere Jugendvertretungen bestehen, eine Gesamtjugendvertretung zwingend vorgeschrieben.Ich denke, daß dieser Katalog die Aufmerksamkeit bezeugt, die die Bundesregierung der Jugend, und gerade der berufstätigen Jugend in den Betrieben, widmet. Wer es ernst mit der Demokratie meint, muß der Jugend aber vor allem die Möglichkeit geben, Demokratie auszuüben. Das ist hier geschaffen.
In einem gewichtigen Zusammenhang mit der Jugend steht die berufliche Bildung. Über ihre Bedeutung ist in diesem Hohen Hause lange und gründlich genug gesprochen worden, so daß ich auf Wiederholungen in diesem Augenblick verzichten kann. Die Bundesregierung mißt der beruflichen Bildung großes Gewicht zu. Deshalb verleiht sie in ihrem Entwurf für das neue Betriebsverfassungsgesetz dem Betriebsrat entscheidende Mitspracherechte in der betrieblichen Berufsbildung. In einer allgemeinen Verpflichtung werden Arbeitgeber und Betriebsrat angehalten, zusammen mit den außerbetrieblich zuständigen Stellen die betriebliche Berufsbildung zu fördern und dabei die besonderen Interessen der älteren Arbeitnehmer zu berücksichtigen.
Bei der Gestaltung der Berufsbildung im Betrieb soll der Betriebsrat das Recht zur Mitbestimmung erhalten. Er soll der Einstellung eines Ausbilders widersprechen oder seine Entlassung verlangen können, wenn er der Auffassung ist, der Ausbilder sei fachlich oder persönlich ungeeignet oder vernachlässige seine Aufgaben. Ferner kann der Betriebsrat von sich aus Arbeitnehmer zur Teilnahme an der betrieblichen Berufsbildung vorschlagen. Kommt er darüber mit dem Arbeitgeber zu keiner Verständigung, soll die Einigungsstelle verbindlich entscheiden.
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5810 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Bundesminister ArendtMeine Damen und Herren, gestatten Sie mir jetzt noch einen Satz darüber, daß die Bundesregierung ein Versprechen eingelöst hat, das die deutschen Seeleute vor 18 Jahren, im Jahre 1952, erhalten haben. Damals ist ihnen ein Sondergesetz für ihre betriebliche Interessenvertretung zugesagt worden.
Jetzt haben die Vorschläge der Bundesregierung über die Belegschaftsvertretung der seefahrenden Arbeitnehmer die Zustimmung der Beteiligten gefunden.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist sich klar darüber, daß nicht alle Vorschläge in ihrem Entwurf für ein modernes Betriebsverfassungsgesetz letztgültige Lösungen darstellen. Dennoch sehe ich mich berechtigt zu sagen, daß die vielen Änderungen gegenüber dem geltenden Recht mehr Demokratie in die Betriebe bringen, das Arbeitsleben humaner machen, die Mitwirkungskraft der Arbeitnehmer und der Betriebsräte stärken und den Schutz jedes einzelnen verbessern werden.
Alles zusammengenommen ist dieser Entwurf ein großer Fortschritt. Das werden auch die Arbeitnehmer in der Praxis erkennen, wenn die Betriebsräte nach neuem Recht an die Arbeit gehen werden.
Meine Damen und Herren, zu Beginn meiner Einführung habe ich auf das Gutachten der Sachverständigenkommission zur Mitbestimmung der Arbeitnehmer hingewiesen und erklärt, es habe die Diskussion bereichert und sei geeignet, sie zu versachlichen. Aber unter den gesellschaftlichen Gruppen besteht weder Übereinstimmung noch auch nur überwiegende Zustimmung zu den unterschiedlichen Modellen, die in der beteiligten Öffentlichkeit auf breiter Linie besprochen werden.Das Gutachten der Wissenschaftler hat die Problemstellung vertieft, aber auch neue Probleme in die Diskussion eingeführt. Dabei ist deutlich geworden, daß eine Entscheidung über die zweckmäßigste Form einer Beteiligung der Arbeitnehmer an der Leitung und Kontrolle der Unternehmen die Prüfung insbesondere gesellschaftsrechtlicher Fragen erfordert. Dazu darf ich auf die Stellungnahme der Bundesregierung zum Sachverständigenbericht verweisen, die Bundestag und Bundesrat im Dezember 1970 zugeleitet worden ist.Die Diskussion ist in vollem Gang. In dieser Situation hat sich die Bundesregierung entschieden, zunächst die Betriebsverfassung neu zu regeln. Die Mitbestimmung in den Unternehmensorganen aber soll dort, wo sie besteht, weitergelten, bis auch diese Materie neu und zeitgerecht gestaltet werden kann. Deshalb werden die §§ 76 und 77 des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952, in denen die Beteiligung der Arbeitnehmer an den Aufsichtsräten festgelegt ist, vom neuen Entwurf einer Betriebsverfassung nicht berührt.Meine Damen und Herren, außerdem legt Ihnen die Bundesregierung den Entwurf für ein Gesetz über die Fortgeltung der Mitbestimmung im Montanbereich vor. Danach soll der Status quo bis zum 31. Dezember 1975 in angemessenem Umfang erhalten bleiben. Die Bundesregierung möchte vermeiden, daß Veränderungen der Produktionsstruktur in paritätisch mitbestimmten Unternehmen und Konzernen zu wiederholtem Wechsel der Mitbestimmungsform führen. Das Fortgeltungsgesetz soll jedoch solche Unternehmen oder Konzerne nicht betreffen, die keine oder nur eine unbedeutende Montanproduktion betreiben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich übergebe Ihnen und Ihrer gesetzgeberischen Arbeit zwei Vorlagen, die für das Arbeitsleben von 23 Millionen Menschen in der Bundesrepublik größte Bedeutung haben. Ihre Beratungen und Entscheidungen haben historisches Gewicht für die Arbeitnehmer in Deutschland. Die Arbeitnehmer wollen keine Wohltaten erwiesen haben, sondern Rechte in Anspruch nehmen können, die dem mündigen Bürger auch im betrieblichen Alltag zustehen. Von dieser Überzeugung hat sich die Bundesregierung bei den Vorbereitungen für die Reform der Betriebsverfassung leiten lassen.
Im Namen der Bundesregierung möchte ich Sie bitten, beide Gesetzentwürfe so gründlich, aber auch so dringlich zu behandeln, wie es ihrer Bedeutung entspricht. Ich bin sicher, daß Ihnen die übergebenen Unterlagen bei Ihrer Arbeit nützlich sein werden.Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung.
Das Wort zur Begründung des CDU/CSU-Gesetzentwurfs zur Mitbestimmung hat Herr Abgeordneter Ruf. Für ihn sind 60 Minuten Redezeit beantragt.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5811
während sich CDU und CSU auf ein einheitliches Konzept verständigt haben.
Die Regierung sagt in der allgemeinen Begründung — ich empfehle Ihnen, einmal zuzuhören —, ihr Entwurf enthalte keine Regelung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Unternehmensorganen, „da" - so heißt es wörtlich — „die Unternehmensverfassung aus rechtssystematischen Gründen nicht in das Betriebsverfassungsgesetz paßt".
Diese Auffassung teilt die CDU/CSU-Fraktion keineswegs;denn schon das heutige Gesetz war nie ein reines Betriebsverfassungsgesetz.
Es regelt, wie Sie alle wissen, in den §§ 76 und 77 die Beteiligung der Arbeitnehmer an den Aufsichtsräten von Kapitalgesellschaften. Außerdem wird nach dem Betriebsverfassungsgesetz auf Unternehmensebene ein Gesamtbetriebsrat gebildet, und auch der Wirtschaftsausschuß ist im Unternehmen tätig. Wir haben die Unternehmensmitbestimmung mit angepackt, nicht bloß, weil wir die von mir erwähnten Zusammenhänge beachten wollten, sondern auch, weil wir den Streit um die Beteiligung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten nicht weiter vor uns herschieben, sondern endlich entscheiden wollten.
— Warten Sie ab!Die Sachverständigenkommission hat uns dazu eine wertvolle Entscheidungshilfe geboten. Das sagt übrigens auch die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme. Wir haben uns — das ist bekannt — die Entscheidung wahrhaftig nicht leicht gemacht.
— Sie brauchten sich ja nicht zu entscheiden; deswegen brauchten Sie es sich nicht schwer zu machen.
Sie wissen, daß wir lange Zeit sehr intensiv um manches Detail gerungen haben, daß es unter uns während der vorhergegangenen Beratungen unterschiedliche Auffassungen und unterschiedliche Standpunkte gegeben hat. Warum soll man das nicht sagen, warum soll man das leugnen? Aber wir haben uns, wie es sich für eine demokratischePartei gehört, zusammengefunden und legen heute einen Gesetzentwurf vor, der mehr Mitbestimmung, mehr Mitwirkung, mehr Initiativrechte, mehr Informationsrechte der Arbeitnehmer im Betrieb und im Unternehmen bringt als das geltende Recht und als der von der Bundesreigerung eingebrachte Entwurf.
Mit diesem Gesetzentwurf hat die Bundestagsfraktion der CDU/CSU eine klare, in die Zukunft weisende Mitbestimmungskonzeption entwickelt.
Ich will Ihnen das im einzelnen dartun.
Sie sind ja nur neidisch, daß Sie keinen besseren Entwurf haben.
Meine Damen und Herren, im ersten Teil behandeln wir die Grundrechte der einzelnen Arbeitnehmer am Arbeitsplatz und im Betrieb. Wir haben einen Katalog solcher Rechte an die Spitze unseres Gesetzentwurfs gestellt. Ich erwähne nur das Recht auf persönliche Entfaltungsfreiheit, das Recht auf Gleichbehandlung, ich erwähne das Recht auf Unterrichtung über den Aufgaben- und Verantwortungsbereich, das Recht auf Erörterung der beruflichen Situation, das Recht auf Einsicht in die Personalakte, auf Leistungsbeurteilung bei Arbeitsplatzwechsel und das Recht auf einen angemessenen Arbeitsplatz. Gegenüber diesem Grundrechtskatalog, den wir aufgestellt haben, ist das, was die Regierung gemacht hat, geradezu mager ausgefallen.
Schauen Sie es sich doch einmal an!Mit der Voranstellung dieser Grundrechte wollen wir klar machen, daß es bei ,der Mitbestimmung in erster Linie um den einzelnen Arbeitnehmer und die ihn unmittelbar berührenden Fragen geht. Damit befinden wir uns übrigens in voller Übereinstimmung mit der Sachverständigenkommission, die — ich zitiere — „in der sachgerechten Lösung der Autoritätsbeziehung am Arbeitsplatz eines der Hauptprobleme der Mitbestimmung" sieht.Durch den Grundrechtskatalog wird unser Gesetzentwurf nicht mehr „nur" — ich sage „nur" in Anführungszeichen —
zu einem Gesetz der Betriebsräte und anderer Vertretungsorgane der Arbeitnehmer, sondern dadurch kommt zum Ausdruck, daß der mündig gewordene einzelne in der Lage ist, seine Rechte selbst in die Hand zu nehmen und zu vertreten.
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5812 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Ruf Herr Kollege Arendt, man könnte meinen, wir hätten das voneinander abgeschrieben; Sie haben sich eben genauso ausgedrückt.
Aber leider merkt man in Ihrem Entwurf in den §§ 81 bis 86 davon viel zuwenig.Wenn wir nun die Stellung und die Rechte der Einzelpersönlichkeit in der betrieblichen Organisation so hervorheben und deren eigenständiges Gewicht betonen, so wollen wir damit nicht sagen, daß die kollektivrechtliche Vertretung der Arbeitnehmerinteressen weniger wichtig geworden wäre. Im Gegenteil! Wir geben die Wahrung und Sicherung der Rechte des einzelnen in die Obhut der Betriebsräte. Wir wollen darüber hinaus dafür sorgen, daß mehr Vertretungsorgane der Arbeitnehmer, mehr Jugendvertretungen, mehr Wirtschaftsausschüsse usw. gebildet werden und daß die Mitbestimmungs-, Mitwirkungs- und Informationsrechte dieser Organe erweitert werden.Als Arbeitnehmer gelten — auch das steht im ersten Teil unseres Entwurfs — Arbeiter, Angestellte und leitende Angestellte. Die Regierung behandelt die leitenden Angestellten demgegenüber— wie das geltende Recht — als Nicht-Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes. Sie läßt sie wie bisher betriebsverfassungsrechtlich in der Luft hängen. Für die leitenden Angestellten gelten nach dem Regierungsentwurf nicht einmal die wenigen dort vorgesehenen Erörterungs- und Beschwerderechte. Wir sind der Meinung, daß die leitenden Angestellten, die ihre besonderen und sehr differenzierten Anliegen haben, zur Wahrnehmung dieser Interessen eine eigene Vertretung erhalten sollen.
Wir nennen sie „Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten". Die leitenden Angestellten erhalten also nach unserem Entwurf nicht das aktive und passive Wahlrecht zum Betriebsrat.
— Nach Ihrem Entwurf bekommen sie in der Tat keine Rechte. Sie fallen nicht unter die Zuständigkeit des Betriebsrats, denn dieser kann nicht die Interessen der Arbeiter und Angestellten und gleichzeitig auch die Interessen derjenigen vertreten, die im Betrieb im Auftrag des Unternehmers unternehmerische Teilfunktionen ausüben.Die Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten stehen übrigens betriebsverfassungsrechtlich nicht abseits, denn wir schlagen vor, daß einmal im Vierteljahr eine gemeinsame Sitzung der Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten mit dem Betriebsrat stattfinden soll und daß im übrigen die Vorsitzenden des Betriebsrats und des Sprecherausschusses wechselseitig an den Sitzungen des Betriebsrates teilnehmen.
Eine ähnliche Verzahnung haben wir auch für die anderen Sondervertretungen und Vertretungsorgane, für die Jugendvertretungen und Arbeitsgruppen vorgesehen. Nach unserem Entwurf, Herr Buschfort, bleibt der Betriebsrat nach wie vor das Hauptorgan, das Führungsorgan der Betriebsverfassung.Der zweite Teil ist dem Betriebsrat gewidmet. Wir haben, im Gegensatz zum bisherigen Recht, die „Aktionsrechte" des Betriebsrats an den Anfang gestellt und die technisch-organisatorischen Vorschriften folgen lassen. § 22 unseres Entwurfs enthält die grundsätzlichen Bestimmungen über die Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Betriebsrat. Die Vorschriften des für das geltende Betriebsverfassungsgesetz grundlegenden § 49 haben wir voll übernommen. Wir haben im Gegensatz zur Regierung daran nichts, keinen Buchstaben geändert.
— Das ist 18 Jahre gutgegangen. Wir halten am Grundgedanken der Partnerschaft, an der vertrauensvollen Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Betriebsrat zum Wohl des Betriebes, wie es heißt, und seiner Arbeitnehmer unter Berücksichtigung des Gemeinwohls fest.
Wir sagen auch wie bisher, daß Arbeitgeber und Betriebsrat alles zu unterlassen haben, was geeignet ist, die Arbeit und den Frieden des Betriebes zu gefährden. Wir bleiben also auch bei der absoluten Friedenspflicht,
und zwar im Unterschied zur Regierung, die diese Friedenspflicht aufweichen will.Der partnerschaftliche Grundgedanke des Betriebsverfassungsgesetzes des Jahres 1952 hat wesentlich zu den wirtschaftlichen Erfolgen der letzten Jahre und zur allgemeinen Steigerung des Lebensstandards beigetragen. Meine Damen und Herren, wir wollen und können nicht zulassen, daß an seine Stelle der Gegensatz, die Polarisierung, der Klassenkampf im Betrieb tritt. Das wollen Sie, wir aber nicht.
Die Leidtragenden wären alle am wirtschaftlichen Geschehen Beteiligten, nicht zuletzt die Arbeitnehmer selber.
Wir können ja in anderen Ländern — blicken Sie nach Großbritannien, nach Frankreich usw. — warnende Beispiele beobachten.
— Eben nicht! Deswegen Partnerschaft, deswegen Friedenspflicht!
— Deswegen kein Klassenkampf!Natürlich wird es in den Betrieben laufend Konflikte geben. Diese sollen aber mit friedlichen Mitteln ausgetragen werden. Unser Arbeitnehmer- Mitbestimmungsgesetz bietet dazu gegenüber dem bis-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5813
Rufherigen Recht neue Möglichkeiten. Damit sich die Arbeitnehmer nicht als soziale Gegenspieler des Arbeitgebers, sondern immer mehr als dessen Partner fühlen, die mit ihm durch gemeinsame Aufgaben und gemeinsame Interessen verbunden sind, geben wir den Arbeitnehmern und ihren Vertretungsorganen mehr Mitbestimmungsrechte, mehr Mitwirkungsrechte und mehr Informationsrechte.Ausfluß der Pflicht, für den Frieden im Betrieb zu sorgen, ist auch das Verbot jeder parteipolitischen Betätigung in den Betrieben.
Auch hier unterscheiden wir uns ganz klar von der Bundesregierung. Sie finden die entsprechende Bestimmung bei uns in § 22; übrigens sind wir hier mit dem Bundesrat einer Meinung. Wir wollen eine eindeutige Regelung, d. h. das generelle Verbot, was auch bedeutet, ,daß weder Arbeitgeber noch der Betriebsrat eine parteipolitische Betätigung im Betrieb dulden dürfen. Dies heißt wiederum nicht, wie Herr Minister Arendt vorhin meinte, daß das Recht der freien Meinungsäußerung beschnitten, den Arbeitnehmern im Betrieb ein Maulkorb vorgehängt wird und sich die einzelnen Arbeitnehmer nicht auch über politische und parteiliche Fragen untereinander im Betrieb unterhalten dürfen.
Der Betrieb, insbesondere ,die Betriebsversammlung, darf nicht der Ort sein für Parteipropaganda
und für Auseinandersetzungen der im Streit sich befindenden Parteien. Das ist keine Frage der Demokratie im Betrieb, sondern des Friedens im Betrieb.
— In der Unruhe kann man nicht arbeiten! Es kommt doch darauf an — das wollen Sie doch wohl auch —, daß der Betriebszweck erfüllt wird, und zwar im Interesse der Arbeitnehmer.
In der Frage des Verhältnisses der Gewerkschaften zu den Betriebsverfassungsorganen, vor allem zum Betriebsrat, haben wir ebenfalls eine klare Entscheidung getroffen. Ausgangspunkt dieser Entscheidung ist die Aufgabenstellung des Betriebsrats, alle Arbeitnehmer im Betrieb zu vertreten, auch die nicht gewerkschaftlich organisierten. Der Betriebsrat wird daher ausdrücklich ermächtigt, seine Aufgaben in Zusammenarbeit und mit Unterstützung der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften durchzuführen. Durch diese Bestimmung wird die Unabhängigkeit des Betriebsrats von den Gewerkschaften hervorgehoben. Der Betriebsrat darf nicht zum Organ der Gewerkschaften und auch nicht zu deren verlängertem Arm werden.
— Ja, selbstverständlich. Sie werden doch wohl nicht leugnen, daß nur etwa 30 % aller Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert sind, Herr Wehner!
-- Sehen Sie, das ist Ihr Demokratieverständnis.
Herr Kollege Ruf, wir sind in der Begründung und noch nicht in der Debatte. Ich wäre dankbar, wenn Sie und das Haus sich danach richteten.
Und das Haus, Frau Präsidentin!
Auf Zwischenrufe, Frau Präsidentin, werde ich immer antworten. Es ist das gute Recht eines Abgeordneten, auf einen Zwischenruf zu antworten. Das lasse ich mir nicht nehmen.
-- Wir sind für Demokratie hier in diesem Hause.
Die Betriebsräte sollen allerdings, wenn sie es für notwendig halten, die Gewerkschaften zur Unterstützung und Beratung heranziehen können, Damit soll andererseits nicht in Frage gestellt werden, daß die Gewerkschaften gegenüber den Arbeitnehmern und den Betriebsräten wichtige Hilfs- und Schutzfunktionen haben, auf die nicht verzichtet werden kann. Ich empfehle, auch einmal diesen Satz zu lesen. Deshalb werden die im bisherigen Betriebsverfassungsrecht bestehenden Rechte der Gewerkschaften uneingeschränkt aufrechterhalten. Allerdings werden dadurch nicht die Betriebe vergewerkschaftlicht.
— Wir kommen nachher in der Debatte darauf zurück.Kernstück jeder betriebsverfassungsrechtlichen Regelung sind die Bestimmungen, die sich mit der Rolle, d. h. mit den Befugnissen und der Organisation des Betriebsrates beschäftigen. Diese Priorität stellt unser Entwurf, auch wenn er die Individualrechte und damit die Bedeutung des Individuums hervorkehrt, nicht in Frage. Der Betriebsrat ist und bleibt der Integrationsfaktor des Betriebes schlechthin. Er ist das Organ, durch das sich die berechtigten Anliegen der Arbeitnehmer eines Betriebes mit dem notwendigen Gewicht gegenüber dem Arbeitgeber artikulieren können und Ansprüche durchsetzen lassen. Er ist auch der Filter, der den Arbeitgeber vor Querulantentum bewahrt. Er ist aber auch
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5814 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Rufdie Vermittlungsstelle, die den Arbeitnehmern unangenehme, aber betriebsnotwendige Entscheidungen transparent und verständlich machen soll.
Wir sind der Auffassung, daß diese Integrationsfunktion des Betriebsrats durch eine erhebliche Ausweitung seiner Mitbestimmungs-, Mitwirkungs- und Initiativrechte ein neues Gewicht bekommen sollte. Wir haben allerdings großen Wert auf die Verstärkung gerade solcher Mitbestimmungsrechte gelegt, die den einzelnen Arbeitnehmer und die Belegschaft unmittelbar berühren. Bei alledem ist es für uns eine Selbstverständlichkeit, daß die spezifischen unternehmerischen Entscheidungen in der verantwortlichen Zuständigkeit des Unternehmers verbleiben. Alles andere wäre nicht funktionsgerecht.Lassen Sie mich nun einige Punkte herausgreifen, von denen ich meine, daß wir die erheblich bessere und modernere Lösung als die Regierung gefunden haben.
— Ich hoffe, daß Sie den Entwurf schon gelesen haben, Herr Professor Schellenberg.
Anscheinend noch nicht. — Im Bereich der personellen Mitbestimmung räumt der Regierungsentwurf dem Betriebsrat bei ordentlichen Kündigungen ein Widerspruchsrecht ein. Wenn man solches unvoreingenommen liest und hört, dann erwartet man selbstverständlich, daß ein derartiger Widerspruch auch rechtliche Konsequenzen hat. Aber weit gefehlt. Ich will mich vorsichtig ausdrücken; mit diesen Bestimmungen zur Kündigung wird der Öffentlichkeit von der Regierung Sand in die Augen gestreut. Nichts als Augenwischerei. Da, wo die Schwierigkeiten anfangen, hat die Bundesregierung gepaßt. Die Regierungsvorlage läßt den Widerspruch ohne jede Rechtsfolge im Raume stehen. So einfach kann man sich die Dinge nicht machen. Ich will Ihnen sagen, daß wir in unserer Mitbestimmungskommission monatelang allein um dieses Problem der Kündigung mit äußerster Zähigkeit gerungen haben. Wir hätten das Thema, so wie Sie es praktisch getan haben, ausklammern können. Sie können sicher sein, wir hätten in diesem Fall unseren Entwurf früher vorgelegt. Wir hätten sogar das Risiko in Kauf genommen, daß Sie uns mit Ihrem Entwurf zuvorkamen.
— Warum wir bis zum Parteitag warten mußten, ist Ihnen zur Genüge bekannt. Wir wollten aber keinen Entwurf einbringen, der uns in dieser wichtigen Frage, bei der das persönliche Schicksal eines Menschen so im Vordergrund steht, nicht einen guten Schritt voranbringt.Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, Sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, daß Sie auch in dieser Frage wie in vielen anderen vor dem Tatbestand ihrer gesellschaftspolitischen Gegenläufigkeit resigniert haben. Weil es Ihnen selber an Entscheidungskraft mangelt, schieben Sie die Verantwortung für die Weiterentwicklung des kollektiven betriebsverfassungsrechtlichen Kündigungsschutzes dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat zu, indem Sie diesen die Möglichkeit eröffnen, andere Regelungen durch Betriebsvereinbarung zu schaffen. Lesen Sie Ihren § 102 Abs. 5. Dies ist eine Zumutung für alle Beteiligten. Damit setzen Sie Ihrer Handlungsunfähigkeit die Krone auf und nehmen es in Kauf, daß möglicherweise von Betrieb zu Betrieb unterschiedliche Kündigungsbestimmungen gelten. Mehr noch: Sie eröffnen die Möglichkeit eines closed shop durch diese Regelung mit der Betriebsvereinbarung.Unsere Lösung sieht dagegen vor, daß die Kündigungsfristen bis zum Ende eines Kündigungsschutzprozesses ausgesetzt werden, wenn der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung widerspricht, weil er sie für sozial ungerechtfertigt hält. Damit wollen wir verhindern, daß der Arbeitnehmer bis zum Ende des Prozesses außerhalb des Betriebs steht und selbst nach günstigem Urteil nicht zurückkehren kann, weil die psychische Belastung für ihn vielfach zu groß wäre.
Um daraus nun im Einzelfall nicht Situationen entstehen zu lassen, die für den Betrieb unzumutbar sind, und um Willkür auszuschließen, haben wir dem Arbeitgeber die Möglichkeit eingeräumt, unter bestimmten Voraussetzungen eine einstweilige Verfügung zu beantragen. Wir sind der Meinung, daß das eine funktionsgerechte Weiterentwicklung des geltenden Rechts ist,
die dem sozialen Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer in besonderer Weise 'Rechnung trägt.Lassen Sie mich auch einiges zum Thema wirtschaftliche Mitbestimmung des Betriebsrates sagen. Ich kann leider nicht alles behandeln. Es werden noch mehr Kollegen der CDU/CSU am Rednerpult erscheinen und unseren Entwurf begründen. Die Integrierung des Arbeitnehmers in unsere Wirtschafts- und Sozialordnung wird uns um so eher gelingen, als wir bei ihm auf Verständnis dafür rechnen können, daß Rationalisierung, Automatisierung, Strukturwandel etc. und die damit verbundenen betrieblichen Vorgänge notwendige Erscheinungen eines marktwirtschaftlichen Systems sind.Dieses Verständnis wird aber weitgehend davon abhängig sein, daß die sozialen Folgewirkungen solcher Vorgänge immer besser unter Kontrolle gebracht werden. Weil wir dieses Ziel der Integration der Arbeitnehmer ernst nehmen, halten wir es nicht mehr für gerechtfertigt, Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszweckes oder der Betriebsanlagen sowie die Einführung neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren nur unter bestimmten Voraussetzungen als Betriebsänderungen anzuerkennen.Unser Entwurf zieht zwischen der unternehmerischen Entscheidung, ob und welche Betriebsände-Deutscher Bundestag 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5815Rufrungen durchgeführt werden, und ihren sozialen Folgen eine klare Trennungslinie. Über die sozialen Folgen soll der Betriebsrat in jedem Fall mitbestimmen können. Wir diskriminieren die Betriebsräte, wenn wir ihnen die Fähigkeit, Betriebsänderungen und soziale Folgewirkungen miteinander in Einklang zu bringen, teils zuerkennen und teils absprechen.Der Regierungsentwurf vermeidet nicht nur jeden Fortschritt auf diesem Gebiet, sondern geht noch beträchtlich hinter das geltende Recht zurück. Das haben sogar die DGB-Sachverständigen erklärt.
— Ich verwechsle das nicht. Ich bin doch viel zu sehr in diesen Dingen drin.Es wird ein neues System der wirtschaftlichen Mitbestimmung eingeführt, das das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates von geplanten Maßnahmen abhängig macht, die zu Massenentlassungen führen. Mit dieser scheinbaren Vereinfachung des geltenden Rechts durch den Regierungsentwurf wird jedoch nichts erreicht. Wer die einschränkende Klausel des § 111 Abs. 2 Satz 2 des Regierungsentwurfs sorgfältig liest und analysiert, wird sich fragen müssen, was an wirtschaftlichem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats überhaupt noch übrigbleibt.Die Formulierung nämlich, das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats „gilt nicht, wenn Maßnahmen nach Absatz i durch nicht geplante Einschränkungen der Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb, insbesondere auf Grund einer Veränderung der Auftragslage oder der wirtschaftlichen Lage des Betriebs bedingt sind" bedeutet im. Vergleich zum geltenden Recht eine weitgehende Außerkraftsetzung des wirtschaftlichen Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrats.
Das ist kein Fortschritt, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, sondern ein ausgesprochener Rückschritt.
Zu den Fragen der Organisation des Betriebsrates will ich im einzelnen nicht Stellung nehmen. Wir sind uns aber darüber im klaren, daß z. B. die Bestimmungen über die Errichtung von Betriebsräten nicht so perfekt sein können, daß in Zukunft jeder betriebsratsfähige Betrieb zwangsweise eine betriebliche Vertretung erhält.
— Zwangsweise, das ist unmöglich. — Weil wir im Sinne der Partnerschaft für möglichst jeden Betrieb einen Betriebsrat mit einem Optimum an Wirkung wünschen, wollen wir die rechtliche Stellung der Mitglieder des Betriebsrates so verbessern, daß sie sich ihren Aufgaben gegenüber der Belegschaft und den betrieblichen Zielen mit Sachkunde, Einsatz und ohne Gefahren für das persönliche berufliche Fortkommen widmen können.
Vor- und nachwirkender Kündigungsschutz, Freistellungs- und Bildungsurlaubsansprüche und andere Maßnahmen zur beruflichen Sicherstellung zugunsten der Betriebsratsmitglieder sollen in Zukunft geeigneten Arbeitnehmern die Entscheidung für eine Betriebsratstätigkeit erleichtern.Daß wir auf die Bildung von Jugendvertretungen besonderen Wert legen, brauche ich nicht zu betonen. Die jugendlichen Arbeitnehmer sollen die Möglichkeit erhalten, in den sie berührenden Angelegenheiten mitzuwirken, und sie sollen lernen, möglichst frühzeitig auch im Betriebsverfassungsbereich für andere Verantwortung zu übernehmen.Unser Entwurf siht auch die Bildung von Arbeitsgruppen und die Wahl von Arbeitsgruppensprechern in Betrieben mit mehr als 2000 Arbeitern vor. Diese sollen das Interesse der einzelnen Arbeitnehmer am betrieblichen Geschehen und die Verbindung zu den einzelnen Arbeitnehmern fördern. Sie sind nicht als Konkurrenz zum Betriebsrat gedacht. Sie sollen im Gegenteil mit dem Betriebsrat zusammenarbeiten und den Betriebsrat in seiner Arbeit unterstützen.Die Bildung von Arbeitsgruppen hat übrigens unter dem Stichwort „möglichst viele Elemente direkter Demokratie" Kollege Matthöfer von der SPD- Fraktion im letzten Bundestag angeregt. Er hat damals, meines Erachtens mit Recht, gesagt:Was eine Gruppe selbst regeln kann, das sollte nicht der übergeordnete Gesellschaftsverband für sich beanspruchen.
Meine Damen und Herren, das ist genau das Subsidiaritätsprinzip. Dieses Subsidiaritätsprinzip durchzieht unseren ganzen Entwurf, beginnend bei den Individualrechten der Arbeitnehmer bis hinauf zu den einzelnen Vertretungsorganen in Betrieb und Unternehmen.Der Integration der Arbeitnehmer im Unternehmen soll auch der Wirtschaftsausschuß dienen. Wir legen auf ihn einen besonderen Wert. Er gewährleistet die gegenseitige Information und die gemeinsame Beratung im Unternehmen. Daher halten wir, wiederum, meine Damen und Herren, im Gegensatz zur Bundesregierung, an der partnerschaftlichen Besetzung dieses Organes fest. Wir halten nichts davon, daß nach Ihrem Entwurf dieser Wirtschaftsausschuß unter Umständen bis auf 142 Mitglieder ausgedehnt werden kann.
In einem solchen Mammut-Wirtschaftsausschuß gibt es doch keine Information, meine Damen und Herren. Da gibt es nicht mehr Information, sondern weniger Information.
Nun komme ich zur Mitbestimmung auf Unternehmensebene.
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5816 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
RufIn unserer schriftlichen Begründung haben wir darauf hingewiesen, daß die diesbezüglichen Vorstellungen und Forderungen von der Beibehaltung der heutigen Drittelbeteiligung bis zur paritätischen Besetzung des Aufsichtsrates reichen. Wir hätten eigentlich noch sagen müssen, daß es auch Forderungen gibt, die auf ein Übergewicht der Arbeitnehmer oder gar, wie bei Ihren Jungsozialisten, auf die Alleinvertretung durch die Arbeitnehmer hinauslaufen.
— Auf das Rätesystem. Ein solches Übergewicht der Arbeitnehmer wäre theoretisch selbstverständlich denkbar. Aber es wäre nicht mehr vereinbar mit den Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft.
Dann müßten wir in der Tat jugoslawische Verhältnisse übernehmen,
d. h. man müßte dann auch die Arbeitnehmer wie in Jugoslawien in die Haftung einbeziehen, so wie es unser neuer Kollege Farthmann auf dem Saarbrücker Parteitag der SPD erklärt hat.
Man müßte die Einkommen der Arbeitnehmer vom Betriebsergebnis abhängig machen und sie gegebenenfalls auch am Verlust beteiligen, so wie es in Jugoslawien üblich ist.
Gott sei Dank, meine Damen und Herren, stehen solche Pläne bei uns in diesem Hause nicht zur Diskussion.
— Man weiß aber nie, was kommen kann.
— Ja natürlich, denken Sie doch an Ihre Jusos!
Der von uns vorgelegte Entwurf enthält zur Beteiligung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten zwei wichtige Entscheidungen, erstens eine klare Absage an das Prinzip der Parität im Aufsichtsrat und zweitens die stärkere Beteiligung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sowie eine erhebliche Stützung deren Position durch verschiedene Maßnahmen.Die Absage an eine paritätische Mitbestimmung begründen wir sowohl wirtschaftspolitisch wie auch gesellschaftspolitisch. Nach unserer Auffassung ist paritätische Mitbestimmung unvereinbar mit einem marktwirtschaftlichen, durch die Prinzipien des Wettbewerbs und des privaten Eigentums auch an den Produktionsmitteln gekennzeichneten Ordnung.
— Ich spreche für die Fraktion,
Ich will Ihnen sagen, Herr Kollege Schellenberg: Herr Kollege Katzer ist Manns genug, Ihnen selber zu antworten.
Ich kann Ihnen auch schon sagen, was er sagen wird.
— Ja natürlich, das ist echte Demokratie, so wie wir sie bei uns praktizieren.
Er wird Ihnen sagen: „Ich bin zwar in manchen Punkten anderer Meinung als dieser Ruf hier, aber ich bin loyal genug, das zu tragen, was die Fraktion beschlossen hat. Das ist für uns ganz selbstverständlich."
Unverzichtbares Element dieser unserer Ordnung ist die Möglichkeit der Unternehmen, auf die wechselnden Gegebenheiten des Marktes im Sinne einer langfristigen Rentabilitätsorientierung zu reagieren. Nur eine solche Grundorientierung der Einzelunternehmen gewährleistet gesamtwirtschaftlich die größtmögliche Effizienz. Sie ist damit auch die unverzichtbare Grundlage für die Erhaltung und den Ausbau der sozialen Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft. Die institutionelle Ausgestaltung der Unternehmensorgane muß diesen Erfordernissen Rechnung tragen. Eine paritätische Vertretung von Aktionären und Arbeitnehmern im Aufsichtsrat birgt im Falle eines Interessenkonflikts die Gefahr einer entscheidungslähmenden Pattstellung. Die zur Vermeidung einer solchen Pattstellung in den Montan-Mitbestimmungsgesetzen eingeführte Institution eines solchen neutralen Aufsichtsratsmitglieds hat sich — lesen Sie bei Biedenkopf nach — nicht bewährt.
Diese im Bericht der Sachverständigenkommission ausdrücklich bestätigte Feststellung gilt grundsätzlich für jeden Versuch, durch eine wie auch immer im einzelnen ausgestaltete neutrale Kraft die Entscheidungsfähigkeit des Aufsichtsrates wiederherzustellen. Abgesehen davon, daß diese neutrale Kraft im Konfliktsfall letztlich allein entscheiden müßte, was wohl alles andere als demokratisch wäre, böte sie auch keine institutionelle Gewähr für eine im Sinne der Rentabilitätsorientierung richtige Entscheidung. Hierfür bedarf es vielmehr einer institutionell abgesicherten Mehrheit der Eigentümervertreter im Aufsichtsrat, da die Anteilseigner wegen der aus dem Eigentum sich ergebenden Haftung am nachhaltigsten das Rentabilitätsinteresse zur Geltung bringen.
Bei dieser Feststellung, meine Damen und Herren,übersehen wir ebensowenig wie die Sachverständigenkommission das Interesse der Arbeitnehmer an
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5817
Rufder Erhaltung ihrer Arbeitsplätze und damit am Bestand und an der Entwicklung des Unternehmens.Es wird jedoch berücksichtigt, daß im Konfliktfallzwischen langfristigerem Interesse an der Rentabilität des Unternehmens und dem kurzfristigeren Interesse an der Erhaltung der Arbeitsplätze von denbetroffenen Arbeitnehmern die Geltendmachung desRentabilitätsinteresses nicht erwartet werden kann.
Mit dieser Absage an die Parität sind die äußersten Grenzen für die Ausgestaltung einer Mitbestimmung in Unternehmen innerhalb eines marktwirtschaftlichen Ordnungssystems gezogen. Der Entwurf schöpft diese Grenzen funktionsgerecht aus. Lassen Sie mich das im einzelnen entwickeln.Wir erweitern, meine Damen und Herren, die Zahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat so, daß die Zahl der Sitze der Arbeitnehmervertreter zu Lasten der Zahl der Sitze der Vertreter der Aktionäre absolut und relativ steigt. In einem 12er-Aufsichtsrat sollen die Vertreter der Aktionäre 7 und die der Arbeitnehmer 5 Sitze erhalten. In einem 24er-Aufsichtsrat soll die Zahl der Aktionärsitze von 16 auf 13 herabgesetzt werden, die der Arbeitnehmer jedoch von heute 8 Sitzen auf 11 Sitze steigen.
Das heißt, relativ gesehen, wird die Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat von heute 33 1/3% auf 41,7% im 12er-Aufsichtsrat und auf 45,8 % im 24er-Aufsichtsrat ansteigen.
Schon allein, Kollege Schellenberg, durch die Vermehrung der Sitze, die hart an die Grenze der Parität geht
— ja, hart an die Grenze, ich bleibe dabei —, erhalten die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ein Gewicht, das es in Zukunft schwerer machen wird, sie zu überstimmen, und darauf kommt es doch an.Sie dürfen aber, meine Damen und Herren, nicht nur auf diese Vermehrung der Zahl der Aufsichtsratssitze der Arbeitnehmer sehen. Mindestens ebenso bedeutsam, wenn nicht bedeutsamer sind die weiteren Vorkehrungen, die wir in unserem Entwurf vorgesehen haben.So bestimmt z. B. der § 139, daß bei der Besetzung des Aufsichtsratspräsidiums und aller Ausschüsse— ich betone: aller Ausschüsse —, wenn diese nach der Geschäftsordnung gebildet sind, die Arbeitnehmer angemessen beteiligt werden müssen.
— Nicht gnädig! — Sie müssen beteiligt werden. Das verlangen und erwarten wir, im Gegensatz zur bisherigen Praxis.
Dadurch wird verhindert, daß wichtige Fragen in Ausschüsse verlagert werden, in denen die Arbeitnehmer nicht vertreten sind. Das führt zu mehr Mitbestimmung, zu mehr Beteiligung und zu mehr Information der Arbeitnehmer.
Sind die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat von den Anteilseignern überstimmt worden, so muß die Mehrheitsentscheidung schriftlich begründet werden. Also der Begründungszwang!
In ■diesem Fall werden sie von ihrer Schweigepflicht insoweit befreit, als der Vorstand den Aktionären gegenüber zur Auskunft verpflichtet ist. Diese sogenannte Konfliktspublizität wird es den Arbeitnehmervertretern ermöglichen, sich der Unterstützung der Belegschaftsmitglieder zu vergewissern. Sie wird es den Anteilseignervertretern im Aufsichtsrat in Zukunft schwer machen, die Arbeitnehmerseite ständig zu überstimmen. Konflikte sollen nicht verheimlicht und nicht vertuscht werden; sie sollen gegebenenfalls auch an die Öffentlichkeit gelangen. Dies zwingt zur Einigung, dies stärkt die Position der Arbeitnehmer und erweitert ihren Freiheitsraum, und darauf kommt es an.
Durch eine Ergänzung des § 84 des Aktiengesetzes wird bewirkt, daß beim Verfahren für die Bestellung und Abberufung des Vorstandes eine Beteiligung der Arbeitnehmervertreter gewährleistet ist. Über diese wichtige Bestimmung gab es in der letzten Woche unter uns einige Diskussionen; das will ich nicht leugnen. Diese Diskussionen beweisen aber, daß wir es uns nicht leicht gemacht haben, eine sachgerechte Lösung zu finden.Ich darf Ihnen ausnahmsweise der Einfachheit halber den vollen Wortlaut dieser Bestimmung vorlesen. Sie lautet:Die der Bestellung zum Vorstandsmitglied ... oder dem Widerruf der Bestellung ... vorausgehenden Besprechungen führt der Aufsichtsratsvorsitzende oder ein anderes vom Aufsichtsrat beauftragtes Aufsichtsratsmitglied.— Das kann selbstverständlich auch ein Arbeitnehmervertreter sein.
— Selbstverständlich!Über diese Besprechungen beraten das Aufsichtsratspräsidium oder ein mit dieser Aufgabe beauftragter Ausschuß. Das Beratungsgremium ist über die Besprechungen laufend zu unterrichten.... Sind nach der Geschäftsordnung ein Aufsichtsratspräsidium oder ein solcher Ausschuß nicht gebildet, berät der Aufsichtsrat.Meine Damen und Herren, in der Vergangenheit hat sich die Beteiligung der Arbeitnehmer nicht selten, wie die Sachverständigenkommission berichtet hat, auf die Mitwirkung bei der Ratifikation der Vorstandsbestellung beschränkt. Bei der Voraus-
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5818 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Rufwahl waren die Arbeitnehmer oft nicht beteiligt, wie die Befragungen durch die Sachverständigenkommission ergeben haben. Jetzt soll durch unsere Vorschrift auch bei der Vorklärung und Vorauswahl eine frühzeitige und rechtzeitige Beteiligung der Arbeitnehmervertreter sichergestellt werden.Außerdem haben wir der wachsenden Bedeutung des Personal- und Sozialwesens dadurch Rechnung getragen, daß wir in § 77 des Aktiengesetzes eine Vorschrift einfügen, wonach die Verantwortung für das Personal- und Sozialwesen einem Vorstandsmitglied übertragen werden muß.Wenn Sie, meine Damen und Herren, all diese Vorschriften zur Unternehmensmitbestimmung zusammennehmen, also die Vermehrung der Aufsichtsratsitze mit dem Verhältnis 7 : 5, den Begründungszwang, die Konfliktspublizität, das Verfahren bei der Vorstandsbestellung, die Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsratspräsidium und in allen Ausschüssen, werden Sie zugeben müssen, daß wir hier eine Regelung treffen, die zwar die eigentliche Entscheidung bei den Vertretern der Anteilseigner beläßt, die es diesen aber schwermacht, die Arbeitnehmervertreter laufend zu majorisieren. Und nur darauf kommt es doch an.
Damit hat sich die CDU/CSU-Fraktion in Sachen Mitbestimmung von den vorhandenen Alternativen wahrhaftig nicht das Minimum ausgesucht. Wir haben uns unter den vorhandenen Alternativen nicht das Minimum, sondern das Optimum ausgesucht. Das Meiste, das Maximale, ist bekanntlich nicht immer das Beste.
Das Minimum in der Unternehmensmitbestimmung wäre — das habe ich heute in einer Zeitung gelesen —, alles beim alten zu lassen, bei der Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat. Dies tut diese Regierung, meine Damen und Herren.
Das ist das Minimum. Das Maximum wäre — das fordern die Jungsozialisten — die Alleinvertretung der Arbeitnehmer nach jugoslawischem Muster.
Im letzten Bundestag hat es geheißen: Die Sozialdemokratische Partei ist die einzige Kraft in diesem Hause, die geschlossen für die Mitbestimmung — gemeint war damals die sogenannte qualifizierte Mitbestimmung — eintritt.
Wie sich doch die Zeiten ändern!
— Die glauben es immer noch nicht. Heute ist es die CDU/CSU-Fraktion, die für mehr Mitbestimmung auf allen Ebenen pocht,
und heute — das können Sie doch gar nicht bestreiten — ist es die CDU/CSU-Fraktion, die allein in der Lage ist, ein geschlossenes Konzept der Arbeitnehmermitbestimmung vorzulegen.
Allerdings gibt es zwischen uns einen kardinalen Unterschied. Wir wollen funktionsgerechte und nicht die paritätische Mitbestimmung.Lassen Sie mich zusammenfassen, meine Damen und Herren. Die CDU/CSU-Fraktion legt dem Hohen Hause und der Öffentlichkeit ein einheitliches Arbeitnehmermitbestimmungsgesetz vor. Dieses Gesetz bringt den einzelnen Arbeitnehmern und den von ihnen gewählten Vertretungen mehr Mitbestimmungs-, Mitwirkungs-, Informations- und Initiativrechte, sichert dem Betriebsrat und den anderen betrieblichen Institutionen die notwendige Unabhängigkeit, sorgt aber andererseits dafür, daß die Hilfs- und Schutzfunktion der Gewerkschaften den Arbeitnehmern und deren Vertretungen in vollem Umfang erhalten bleibt. Auf Unternehmensebene bringt das Gesetz mehr Mitbestimmung, mehr Beteiligung der Arbeitnehmer. Es stärkt die Einfluß- und Einwirkungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer in einem bisher nicht gekannten Umfang. Aber, meine Damen und Herren — und das ist ebenso wichtig —, diese Form der Mitbestimmung stärkt unsere soziale Marktwirtschaft.
Und angesichts dessen wagt der DGB zu sagen, unser Entwurf, der CDU/CSU-Entwurf, sei ein reaktionärer Entwurf!
Ich meine, diese Herren, die das sagen, sollte man endlich an ihre Pflicht zur parteipolistischen Neutralität erinnern. Man sollte ihnen sagen, sie sollten sich nicht an uns, sondern an Sie wenden; denn Sie machen weniger als wir.
Meine Damen und Herren, Aufgabe der Opposition ist es, Alternativen zur Regierung zu entwickeln. Hier ist für ein bedeutsames Feld der Gesellschaftspolitik die Alternative der CDU/CSU. Sie ist die bessere Alternative. Sie von den Koalitionsfraktionen werden sie ernst nehmen müssen. Sie werden nicht daran vorbeigehen können. Wir hoffen, daß Sie es im Ausschuß nicht so machen werden, wie die Regierung es mit den Vorschlägen des Bundesrates in diesen Tagen getan hat. Die Stellungnahme der Bundesregierung zu den Vorschlägen des Bundesrates ist nichts anderes als ein Affront gegenüber dem Bundesrat.
Die Bundesregierung lehnt ziffernweise die Vorschläge, die der Bundesrat gemacht und begründet hat, ab, ohne diese Ablehnung auch nur mit einer Silbe zu begründen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5819
RufDabei sagen Sie immer, meine Damen und Herren,Sie wollten mehr Demokratie. Mehr Demokratieheißt aber auch auf das eingehen, was andere sagen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes sagen. Niemandem von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD und FDP, fällt eine Perle aus der Krone, wenn er sich guten Ideen der Opposition anschließt. Schließlich geht es um die Menschen in den Betrieben und in den Unternehmen. Ihr Wohl muß für uns entscheidend sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Liehr. Für ihn sind 30 Minuten Redezeit beantragt worden.
Frau Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt die Vorlage der Bundesregierung für ein neues Betriebsverfassungsgesetz ebenso wie den Gesetzentwurf über die befristete Fortgeltung der Mitbestimmung und die Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht der Mitbestimmungskommission.Mir liegt sehr daran, zunächst eine generelle Feststellung zu treffen. Wir Sozialdemokraten empfinden große Genugtuung darüber,
daß mit einer zeitlichen Präzision und einer sachgerechten Sorgfalt wie nie zuvor in den 25 Jahren deutscher Nachkriegspolitik diese Bundesregierung ihre Versprechen einlöst und Zug um Zug
wichtige Vorhaben verwirklicht.
In der Tat, diese Koalition nimmt ihr Regierungsprogramm sehr ernst. Noch nie zuvor sind im ersten Jahr einer Legislaturperiode so viele und bedeutsame und nicht zuletzt sozialpolitische Gesetze verabschiedet worden wie im Jahre 1970.
Deshalb ist es mehr als eine Formsache,
daß wir dem Herrn Bundesarbeitsminister und all seinen Mitarbeitern sehr herzlich danken, nicht zuletzt auch für die Vorlage des Betriebsverfassungsgesetzes.
Meine Damen und Herren, noch im November des vergangenen Jahres
verschanzte sich die CDU/CSU in ihrer inneren Zerstrittenheit hinter den Vorwand,
daß die Amtszeit der Betriebsräte allein schon deshalb nicht verlängert werden sollte, weil die Bundesregierung in absehbarer Zeit gar nicht in der Lage sei, den Entwurf eines Betriebsverfassungsgesetzes vorzulegen.
Man muß sich noch einmal in Erinnerung rufen: die CDU/CSU stimmte gegen die Verlängerung der Amtszeit der Betriebsräte, obwohl auch sie wissen mußte, daß dies sozusagen der generelle Einstieg für eine Weiterentwicklung und Forführung einer modernen Betriebsverfassung war.
— Herr Stücklen,
die zum Teil gehässigen Unkereien der CDU/CSU- Fraktion gerade in Zusammenhang mit dem Gesetz über die Verlängerung der Amtszeit der Betriebsräte sind in der Zwischenzeit — wie so vieles andere auch — im Schneegestöber aufgelöst worden.Statt dessen hat die Bundesregierung zügig den Entwurf eines Betriebsverfassungsgesetzes vorgelegt. Die Bundesregierung hat uns alle gebeten, sie bei den Beratungen dieser Gesetze zu unterstützen. Wir werden im federführenden Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung unverzüglich mit der Beratung beginnen und vorher noch in der freien Woche eine öffentliche Sachverständigenanhörung vorausgehen lassen. Wir werden dazu beitragen, daß vom Haus aus die Entwürfe so rechtzeitig verabschiedet werden können, daß sich alle Betroffenen ausreichend mit dem neuen Recht vertraut machen können, nach dem schließlich auch die Neuwahlen der Betriebsräte stattfinden werden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit den heute beginnenden Beratungen einer modernen Betriebsverfassung wird ein neues Blatt in der deutschen Sozialgeschichte beschrieben.
Dies ist wohl ein besonders geeigneter Augenblick, all denen zu danken, die in den zurückliegenden 18 Jahren mit dem Instrument des Betriebsverfassungsgesetzes — bei aller Unzulänglichkeit des Gesetzes — die Demokratisierung unseres Arbeitslebens vorangetrieben haben.
Der Dank gilt in allererster Linie den Mitgliedern der Betriebsräte und Jugendvertretungen, er gilt aber auch jenen Mitgliedern und Beauftragten von Unternhemensleitungen, die als aufgeschlossene Partner der Betriebsräte an der Entwicklung eines modernen Betriebsverfassungsrechts mitgewirkt
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Liehrhaben. Nicht zuletzt verdienen aber auch die Gewerkschaften Anerkennung, die durch Beratungen der Betriebsvertretungen, die durch Fortbildung der Betriebsräte und Vertrauensleute,
kurzum, die durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Betriebsräten erst die Grundlage für die Funktionsfähigkeit des Gesetzes geschaffen haben.
Sie alle haben mit ihrer Kritik, mit ihrem Sachverstand und auch mit Verbesserungsvorschlägen ein neues modernes Betriebsverfassungsrecht vorbereiten helfen, das nach 18 Jahren nun weiß Gott mehr als überfällig ist.Für die Sozialdemokratie stand die Humanisierung des Arbeitslebens von Anfang an im Mittelpunkt ihrer nun mehr als hundertjährigen Geschichte. In den Fertigungshallen, in den Büros, in den Warenhäusern, vor Ort, überall dort vollzieht sich das Schicksal von Millionen Frauen und Männern unseres Volkes, die in den Betrieben und Verwaltungen eben nicht nur ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, sondern die durch ihre Arbeit zugleich auch den Wohlstand unseres ganzen Volkes begründen und sichern. Diese Menschen haben einen Anspruch darauf, daß Demokratie als Lebensform, daß demokratische Verhaltensformen nicht am Arbeitsplatz halt machen. Wir halten jedenfalls als Sozialdemokraten an der Überzeugung fest, daß auch die Führung in der Wirtschaft der demokratischen Legitimation und Kontrolle bedarf. Es geht eben nicht nur darum, daß Arbeitsbedingungen geregelt werden, daß der Arbeitsrhythmus funktionieren muß, sondern es geht zugleich auch immer um die Lebensbedingungen der Menschen. Deshalb handelt es sich nicht nur um privatwirtschaftliche, sondern ebenso um gesellschaftspolitische Entscheidungen, die für jeden Betrieb anstehen.
Diese Feststellungen, die unser ehemaliger Fraktionsvorsitzender Helmut Schmidt bei der Einbringung unserer Vorlagen in der vergangenen Legislaturperiode an dieser Stelle gemacht hat, haben auch heute nach wie vor ihre Gültigkeit. Von dieser Wirklichkeit gilt es auszugehen, und wir müssen auch das rechte Augenmaß für den sozialen Fortschritt bewahren.
Es geht hier um mehr soziale Gerechtigkeit, und es geht auch um mehr soziale Sicherheit.
Unsere Arbeitswelt bedarf eben der sozialen Normen, um gerade auch in einem Konfliktsfall die Würde des Menschen zu wahren. Daran ist dieser Regierungsentwurf orientiert, und darin liegt auch seine eigentliche Größe.Meine Damen und Herren, in der Öffentlichkeit ist viel über diesen Regierungsentwurf spekuliert und sind viele Erwartungen daran geknüpft worden. Ich will allerdings keinen Zweifel daran lassen, daß die Opposition dieses Hauses die geringste Veranlassung hat, in diesem Zusammenhang etwa lautstarke Forderungen zu erheben.
Die Redlichkeit unserer Auseinandersetzungen gebietet es, hier festzustellen,
daß alle Bemühungen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, und zwar auch zur Zeit der Großen Koalition, ein modernes Betriebsverfassungsrecht zu schaffen, einzig und allein am Widerstand der CDU/ CSU-Fraktion dieses Hauses gescheitert sind.
Schon 1967, und nicht etwa erst am Ende der vergangenen Legislaturperiode,
hat die CDU/CSU ein Gesetz zur Neuregelung der Betriebsverfassung abgelehnt.Wir haben es statt dessen in diesem Hause mit einem Gesetzentwurf der CDU/CSU, über den wir im Dezember 1967 beraten haben, zu tun gehabt, dessen wesentlicher Bestandteil ein extremer Ausbau der Rechte von Minderheiten war. Ich gebe allerdings zu, daß auch Kollegen von der CDU/CSU die unerwünschten Konsequenzen links- und rechtsradikaler Art erkannt haben. Dieser Entwurf der CDU/ CSU ist dann auch schnell wie eine heiße Kartoffel wieder fallengelassen worden, weil man zu der Einsicht gekommen war, daß das nie und nimmer auch nur annähernd ein Ersatz für eine generelle, moderne Betriebsverfassung sein könnte. Der CDU/ CSU-Entwurf verschwand ebenso schnell wieder von der Tagesordnung des Hauses, wie er daraufgesetzt worden war.
Wir Sozialdemokraten haben dann im Dezember 1968 diesem Hause eine Serie von Entwürfen vorgelegt, die ebenfalls nicht die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion fanden und auch nicht über die erste Lesung hinauskamen. Es ist überhaupt bezeichnend für den Stil früherer Bundesregierungen, die von der CDU/CSU gestellt wurden,
daß sie bestrebt waren und dies auch durchsetzten,Konflikte auszuklammern, statt sie zu lösen. Die
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LiehrCDU/CSU neigte schon immer dazu, Probleme vor sich herzuschieben.
— Gerade deshalb bedarf es hier der nüchternen Feststellung, daß frühere Bundesregierungen speziell auf diesem Felde zu nichts, buchstäblich zu nichts gekommen sind, daß sie einfach keinen Mut hatten, sich den Interessenkonflikten in unserer Gesellschaft zu stellen oder sie gar konstruktiv anzugehen.
Meine Damen und Herren, ein neuerliches Musterbeispiel dafür bietet der Programmparteitag der CDU in Düsseldorf. Es ist ganz interessant, sich noch einmal die verschiedenen Etappen dieses Programmparteitags in Erinnerung zu rufen.
— Ich glaube nicht, daß Sie das alles in diesem Zusammenhang sehen. Sonst müßten Ihre Konsequenzen daraus auch in bezug auf die Vorlagen, über die wir hier zu beraten haben, konstruktiver sein als das, was Sie anbieten.
Für uns ist es schon sehr interessant, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, daß im Vorgeplänkel Ihres Bundesparteitags Herr Katzer zunächst einmal großsprecherisch versuchte, uns gesellschaftspolitisch gewissermaßen linksaußen zu überholen.
Wir haben uns seine Erklärung an die Adresse seiner Freunde bei der CDU sehr aufmerksam angesehen. Dann ergab sich jedoch eine interessante Szenenveränderung, als plötzlich die gesamte Führung der CDU das, was man offenbar vorher, jedenfalls mit einem Teil, ausgehandelt hatte, schnell und ohne jede Hemmung im Stich ließ.
Der gesamte Parteitag fand sich schließlich in der Rechtsaußenecke wieder.
Aber, meine Damen und Herren, wenn Sie Zweifel daran haben, daß es sich dabei eben nicht um eine unbedeutende Minderheit der CDU gehandelt hat,
muß ich Ihnen noch einmal in Erinnnerung rufen, daß sich vier Fünftel der Delegierten auf dem CDU- Parteitag für eine konservative Regelung ausgesprochen haben. Das darf man Ihnen doch hier wohl noch einmal in Erinnerung rufen.
Kurzum, hier wird also für alle klar: Wer in der CDU/CSU mitbestimmen will, darf nicht für die Mitbestimmung eintreten.
Dies ist eine Konzequenz, die sich für die gegenwärtige Führung der CDU ganz deutlich abzeichnet. Auch hier hat der Parteitag der CDU keine Probleme konstruktiv lösen können. Man hat sich höchstens auf einigen Teilgebieten solche Regelungen abtrotzen lassen, ich füge hinzu: abtrotzen lassen in einer ausgesprochen antigewerkschaftlichen Grundhaltung.
Herr Kollege Liehr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke? — Bitte schön!
Herr Kollege Liehr, wenn Sie sich so sehr unseren Kopf zerbrechen, darf ich fragen, wann Sie denn anfangen wollen, sich Ihren eigenen Kopf zu zerbrechen, und wann Sie Ihre eigenen Parteitagsbeschlüsse hier auf den Tisch legen wollen.
Herr Kollege Franke, wir sind bereit, vieles hier auf den Tisch legen zu lassen und dies auch selbst zu tun.
Ich komme noch darauf zurück. Mir geht es auch nicht anders als Ihnen: man kann nur einen Satz nach dem anderen sprechen. Sie werden sicher noch auf Ihre Kosten kommen. Das kann ich Ihnen schon jetzt zusagen, Herr Franke.Ich möchte an dieser Stelle an eine Bemerkung anknüpfen, die mein Fraktionskollege Hans Jürgen Junghans gemacht hat, der da sagte: Die CDU-Sozialausschüsse sind als soziale Badehose der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion
durch den Druck der Arbeitgeber günstigstenfallsnoch so als Feigenblatt der CDU/CSU zu gebrauchen.
Wenn ich dies sage, Herr Müller-Hermann, dann in gar keiner Weise, um etwa die Kollegen in den Sozialausschüssen hier der Lächerlichkeit preiszugeben oder um gar Schadenfreude darüber zu empfinden. Aber es kommt doch wohl darauf an und muß auch in diesem Hause legitim sein, einmal vor aller Öffentlichkeit den Stellenwert deutlich zu machen, den die Sozialausschüsse im Rahmen der CDU/CSU tatsächlich haben.
Die CDU/CSU ist nach wie vor keine Reformpartei, und sie ist schon gar nicht eine Partei für die Ar-
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Liehrbeitnehmer. Ganz im Gegenteil! Da Sie sich immer so gern mit Jungsozialisten befassen, möchte ich Ihnen doch einmal hier vor Augen führen, was der stellvertretende RCDS-Vorsitzende Wolfgang Reeder im Anschluß an Ihren Parteitag in Düsseldorf gesagt hat. Er hat gesagt — ich zitiere —:Das CDU-Programm wird niemandem Antwort geben auf die Fragen nach unserer Zukunft, es sei denn diese: daß die Union sich für unsere Zukunft nicht zuständig fühlt.Dem ist nicht hinzuzufügen, meine Damen und Herren.
Herr Kollege Liehr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dichgans?
Ja, sehr gern!
Herr Kollege, wollen Sie bestreiten, daß der Anteil von fünf Sitzen bei insgesamt zwölf Aufsichtsratssitzen, den der Entwurf der CDU für fünfhundert große Industriegesellschaften schaffen will, jedenfalls progressiver ist als der Anteil von vier an zwölf Sitzen, den Sie etwas konservativ einfrieren wollen?
Herr Kollege Dichgans, hier geht es — ich sage es noch einmal — um die Redlichkeit der Argumentation.
Und wer den Arbeitnehmern ihr Recht verschaffen will, kann sich nicht darum herummogeln und etwa so tun, als komme es für die Arbeitnehmer darauf an, ein oder zwei Aufsichtsratsmandate mehr zu bekommen. Wenn man den Arbeitnehmern zu ihrem Recht verhelfen will, geht es einzig und allein um die paritätische Mitbestimmung.
Ich mache keinen Hehl daraus, daß dies nach wie vor die Position der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion bleibt. Alles andere, Regelungen, wie Sie sie jetzt ein wenig unkeuscherweise vorschlagen, sollen nur dazu beitragen, das Feld zu vernebeln.
Im Grunde verbauen Sie damit die paritätische Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland.
Herr Kollege Liehr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Herr Franke, ich bin hier erst im Anlaufen. Geben Sie mir Gelegenheit, noch ein bißchen wärmer zu werden. Sie werden Ihre Freude daran haben.Ich möchte fortfahren und der CDU/CSU gleich noch etwas in ihren Stammbaum ritzen. Ich will keinen Zweifel daran lassen, daß es bei den Beratungen des Betriebsverfassungsgesetzes in diesem Hause keine wechselnden Mehrheiten geben wird. Ich sage das nur für den Fall, daß jemand darauf spekulieren sollte.
Der vorliegende Regierungsentwurf wird von SPD und FDP gemeinsam getragen und auch gemeinsam verantwortet.
— Bitte schonen Sie doch Ihre Stimme. Sie werden im Laufe dieses Tages auch noch Gelegenheit haben, hier etwas zur Unterhaltung beizutragen. Bei den Abstimmungen über den Entwurf des Betriebsverfassungsgesetzes werden wir jedenfalls nicht das Spielchen Verwechselt das Bäumelein spielen. Keiner aus Ihren Reihen sollte meinen, er könnte dann im Trüben mitfischen.
Wir sagen hier ganz deutlich, daß wir zusammen mit der FDP, daß diese Koalition diesen Regierungsentwurf gemeinsam tragen werden.Das bedeutet nicht, daß wir uns, die FDP- und die SPD-Fraktion dieses Hauses, nicht zusammen um weitere Verbesserungen der Vorlage bemühen werden. Es gibt in der Tat manches zu verbessern. Ich mache keinen Hehl daraus. Wir werden — das werden Sie bei den bevorstehenden Beratungen hier im Hause sehr schnell spüren — darauf zurückkommen. Wir werden in die kritische Überprüfung des Entwurfs auch das einbeziehen, was in der Sachverständigenanhörung,
die in der sitzungsfreien Woche in wenigen Tagen hier stattfinden wird, an Anregungen und Stellungnahmen vorgetragen wird.Meine Damen und Herren, wenn dieser Entwurf auch nicht alle Erwartungen erfüllt und wohl auch nicht erfüllen kann, so ist die Regierungsvorlage in ihrer gegenwärtigen Form doch schon ein großer, weitreichender Schritt hin zu einer weiteren Qualifizierung der Mitbestimmung, die modernen gesellschaftspolitischen Ansprüchen gerecht wird. Im übrigen werden auch noch weitere Sprecher meiner Fraktion auf diesen Tatbestand näher eingehen.Ich beschränke mich in diesem Zusammenhang darauf, elf herausragende Vorzüge des Regierungsentwurfs, die in ihrer Schwergewichtigkeit für sich
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Liehrselbst sprechen, hervorzuheben. Folgende elf Punkte des Entwurfs sind besonders hervorzuheben.
Erstens: die beträchtliche Ausweitung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates in sozialen Angelegenheiten.Zweitens: die erstmaligen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bei der Arbeitsplatzgestaltung und dem Arbeitsablauf zur Sicherung einer menschengerechten Gestaltung der Arbeit.Drittens: erstmalige Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei der Personalplanung und in sonstigen Fragen der Personalwirtschaft.Viertens: der Ausbau der Rechte des Betriebsrats in allen Fragen der beruflichen Bildung.Fünftens: die wesentliche Erweiterung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in personellen Angelegenheiten, insbesondere bei Kündigungen, durch die für die Arbeitnehmer ein besserer Kündigungsschutz erreicht wird.Sechstens: die Verpflichtung zur Aufstellung von Sozialplänen, d. h. Ausbau des Rationalisierungsschutzes.Siebentens: die Verstärkung der Initiativrechte der Gewerkschaften bei der Bildung von Betriebsräten und der Berechtigung zur Teilnahme an Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen.Achtens: die Schaffung eigener Anhörungs-, Unterrichtungs- und Erörterungsrechte des einzelnen Arbeitnehmers in den seinen Arbeitsplatz, seine Stellung im Betrieb und die berufliche Entwicklung betreffenden Fragen.Neuntens: die Regelung des Beschwerderechts unter Einschaltung des Betriebsrats in das Verfahren.Zehntens: die Neugestaltung der Jugendvertretung und die Stärkung ihrer Rechte.Elftens: die erhebliche Verbesserung des Kündigungsschutzes für Betriebsratsmitglieder, Jugendvertreter, Wahlvorstandsmitglieder und Wahlkandidaten.Meine Damen und Herren, neben der Erweiterung der Betriebsratsrechte und der Schaffung neuer sozialer Normen liegt uns ganz besonders daran, die Position der Gewerkschaften im Betrieb zu fördern. Heute wird generell die Ordnungsfunktion der Gewerkschaften in unserem demokratischen Gemeinwesen anerkannt. Man kann sich aber nicht nur, und dann meist noch zu feierlichen Anlässen, zu diesen gewerkschaftlichen Ordnungsfunktionen in Staat und Gesellschaft bekennen, aber dann, wenn es wie hier zum Schwur kommt, wenn es um die alltägliche Verankerung der Gewerkschaften im Betrieb geht, den Gewerkschaften dieses ihnen in der Öffentlichkeit zugestandene Recht verwehren.
Herr Kollege Ruf, uns fehlt das Verständnis dafür, wenn Sie in diesem Zusammenhang von einer Vergewerkschaftung sprechen.
Was soll eigentlich der Ansatz dieser Diffamierung der Gewerkschaften in unserem Staat, die weiß Gott nie einen Zweifel daran gelassen haben, auf welcher Seite sie in der Stunde der Not für das demokratische Gemeinwesen stehen.
Ich denke, daß wir es unterlassen sollten, sich in dieser sehr herabsetzenden Weise mit dem Bemühen der Gewerkschaften auseinanderzusetzen.
Ganz im Gegenteil: wer die Arbeit eines gut funktionierenden Betriebsrats kennt, weiß, daß die enge Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaft und Betriebsrat
noch immer zum Nutzen der Arbeitnehmer gewesen ist und zugleich auch einem vernünftigen Arbeitsklima und der Produktivität des Betriebes zugute kam. Ich denke, das sollten wir hier einmal in aller Form positiv feststellen.
Zur Mündigkeit der Arbeitnehmer gehört aber auch das politische Engagement, gehört die politische Diskussion im Betrieb. Das heißt eben nicht, Herr Kollege Ruf, daß wir mit dazu beitragen wollen, daß etwa der Betrieb zum Tummelplatz parteipolitischer Auseinandersetzungen wird. Nein, hier geht es dem Grunde nach um etwas ganz anderes. Hier geht es darum, daß, wie es in den letzten Jahren zunehmend der Fall ist, Links- und Rechtsradikale in den Betrieben Fuß zu fassen versuchen, die sich einen Dreck um eine wie auch immer geartete Betriebsverfassung kümmern, während sich auf der anderen Seite das strikte Verbot der parteipolitischen Tätigkeit im Betrieb vor allem auf die demokratischen Parteien und ihre Wirkungsmöglichkeiten im Betrieb nachteilig ausgewirkt hat.Hier geht es nicht zuletzt auch darum, daß die CDU/CSU noch im Jahre 1967 durch einen Entwurf, auf den ich schon vorhin zu sprechen kam, einen extremen Minderheitenschutz gesetzlich verankern und damit einer solchen negativen Entwicklung zusätzlich Tür und Tor öffnen wollte. Dieser verhängnisvollen Fehleinschätzung der CDU/CSU muß endlich wirksam begegnet werden.Es kommt in der Tat darauf an, daß den Arbeitnehmern — unter dem vollen Schutz für den Produktionsablauf und für das, was man die Wahrung des Betriebsfriedens nennt — endlich die gesetzliche Legitimation vermittelt wird, im Betrieb auch politisch und engagiert tätig zu werden. Anders gesagt: Es kommt eben auch darauf an, die persönliche Entfaltungsfreiheit der Arbeitnehmer im Betrieb zu
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Liehrerweitern und damit die Rechte, die der Arbeitnehmer im Betrieb hat, denen anzugleichen, die nach dem Grundgesetz gewährt werden. Kurzum: zur Demokratisierung unserer Gesellschaft gehört auch der Betrieb, gehört auch eine zeitgemäße Betriebsvertassung.Der Herr Bundesarbeitsminister hat schon darauf hingewiesen, daß der Entwurf für ein Betriebsverfassungsgesetz so, wie er vorgelegt worden ist, kein Ersatz für die Neugestaltung der Unternehmensverfassung ist. Wir unterstützen auf die Auffassung des Bundesarbeitsministers und befinden uns mit ihm in Übereinstimmung in bezug auf seine Schlußfolgerungen, die er am Ende seiner Darstellung dem Hohen Hause gegenüber gegeben hat. Auch dazu werden sich noch Kollegen meiner Fraktion äußern.Ich will hier abschließend sagen: Wir als Sozialdemokraten halten, auch in Übereinstimmung mit dem Koalitionspartner, nach wie vor sehr viel davon, daß wir eine gediegene, eine seriöse Gesetzgebung machen, für die das ganze Haus letzthin verantwortlich zeichnet. Wir halten nichts davon, daß Gesetzentwürfe sozusagen mit hängender Zunge und im allerletzten Augenblick eingebracht werden, wie dies beim Entwurf der CDU/CSU der Fall ist. Es bedurfte nicht der Erfahrung des letzten CDU-Parteitags, um zu wissen, daß, wo immer sich hier gesellschaftlicher Fortschritt zeigt, die Repräsentanten der alten, verfestigten Strukturen sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen wehren werden.Wir würdigen die sehr kritische Distanz, die der Herr Arbeitsminister dem Gesamtproblem zugewandt hat. Wir unterstreichen noch einmal, daß dieser Regierungsentwurf auch internationalen Vergleichen standhält. Auch bei Annahme eines solchen und weiterhin verbesserten Entwurfs können wir zwar nicht davon ausgehen, daß sich nun etwa die Probleme und Konflikte künftighin nicht mehr stellen. Aber indem wir hier menschlich orientierte Normen setzen, schaffen wir die Möglichkeit, die Konflikte, die anfallen, humaner als bisher zu lösen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt . Für ihn sind seitens seiner Fraktion 60 Minuten Redezeit beantragt worden.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesarbeitsminister hat vorhin in der Begründung des Regierungsentwurfs von einer entscheidenden Stunde gesprochen und von einer entscheidenden Aufgabe, die vor uns liegt. Wir Freien Demokraten teilen diese Darstellung voll. Wir teilen voll die Auffassung, daß mit dieser heutigen Diskussion die Frage der Mitbestimmung als eine zentrale Frage der Zukunft hier im Deutschen Bundestag angepackt wird. Sie wird sicher viele Jahre weiter diskutiert werden. Dabei wird man auch zu Zwischenergebnissen kommen.Wir sind der Auffassung, daß der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf einer Novelle zum Betriebsverfassungsgesetz genau dem entspricht, was in der Regierungserklärung der Regierung Brandt/ Scheel zu dieser Frage gesagt worden ist. Wir danken der Bundesregierung, wir danken dem Bundesminister für Arbeit für diese zeitgerechte, den Vorstellungen auch der FDP voll entsprechende Vorlage, die zusammen mit der Diskussion um den Biedenkopf-Bericht und zusammen mit dem Mitbestimmungssicherungsgesetz heute hier zur Debatte steht. Diesen Dank an den Bundesarbeitsminister möchte ich eingangs gleich auf die Mitarbeiter seines Hauses ausweiten.
— Ich könnte sagen, Herr Kollege Stücklen, auch auf die Mitarbeiter Ihrer Fraktion, die sich bemüht haben, noch rechtzeitig etwas vorzulegen, zu dem ich nachher etwas sagen werde.
Den Mitarbeitern Ihres Hauses, Herr Bundesarbeitsminister, möchte ich für die viele Arbeit, die in diesem Entwurf steckt, und für die abgewogene Lösung danken, die Sie hier namens der Bundesregierung und damit auch namens der Koalitionsfraktionen vorgelegt haben.Der Herr Bundesarbeitsminister hat schon auf die Gründe hingewiesen, die diese Vorlage so notwendig machten, die dieser Vorlage ,die Priorität in der Diskussion um die Lösung der Mitbestimmungsfragen einräumen, die wir voll bejahen. Lassen Sie mich einen Grund hinzufügen — ich möchte nichts wiederholen, die achtzehn Jahre und all das —, der vielleicht auch mitberücksichtigt werden sollte.Es war bedauerlich — wir Freien Demokraten haben das besonders bedauert und in der Vergangenheit auch oftmals deutlich gemacht —, daß das 1952 in diesem Hohen Hause verabschiedete Gesetz leider nur sehr wenig zum Tragen kam. Ich möchte das ganz deutlich sagen: Leider deshalb, weil beide Partner — wenn ich einmal so sagen darf , sowohl die Arbeitgeber- und Unternehmerverbände als auch die Gewerkschaften das Gesetz damals nicht so angenommen und sich so darum bemüht haben, wie das sicherlich im Interesse der Sache und der Arbeitnehmer gewesen wäre. Manche Diskussionen in den letzten Jahren wäre versachlicht worden, wenn eben nicht nur praktisch 6 % der Betriebe in den Genuß dieses Gesetzes gekommen wären.Wir Freien Demokraten sehen seit langem in einer gründlichen Novellierung des 18 Jahre alten Betriebsverfassungsgesetzes die vordringlichste Aufgabe im Bereich des Komplexes Mitbestimmung am Arbeitsplatz und im Betrieb bzw. Unternehmen. Wir halten die Novellierung, ja die Neuordnung der Betriebsverfassung für wesentlich wichtiger, weil sie alle Arbeitnehmer betrifft, weil sie keine Zweiklassensituation im Arbeitnehmerbereich ermöglicht und weil sie wirklich allen das bringt, was das bisherige Betriebsverfassungsgesetz an Rechten leider nicht gebracht hat.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5825
Schmidt
Lassen Sie mich aber auch einige Worte der Anerkennung und auch des Dankes dem Kollegen Ruf sagen. Ich habe ihn wirklich bewundert in seinem redlichen Bemühen, von der Rednertribüne des Deutschen Bundestages aus vor der Öffentlichkeit und vor allem vor diesem Hohen Hause das nun schon reichlich vorhandene Durcheinander über die Vorstellungen der CDU/CSU zu diesen Fragen noch zu vergrößern und dabei doch so sachlich und bemüht zu sein, aus seinen langjährigen Erfahrungen, die er in diesen Dingen hat, beizutragen. Denn der Verlegenheitseintopf, Herr Kollege Ruf, dessen Koch Sie nicht sind, aber den Sie ja hier sozusagen servieren sollten,
— an dem Sie zweifellos beteiligt waren; aber ich möchte sagen, Sie sind nicht sein Koch, und Sie haben auch nicht die scharfen Gewürze hineingetan, die ihn so ungenießbar machen — ist doch zusammengestückelt worden — das bezieht sich nicht auf Sie, Herr Kollege Stücklen —,
aus ein bißchen Berlin — seinerzeit „Berliner Programm" —, ein bißchen Düsseldorf, ein bißchen Kohl, ein bißchen Dregger,
ein bißchen Katzer, ein bißchen Kloy oder Dr. Pohle, zwei Maschen Sozialausschüsse, zwei Maschen Wirtschaftsrat. Das wurde dann zum Schluß noch einmal ein bißchen von Herrn Barzel und Herrn Stücklen umgerührt, wobei Herr Strauß mit dem drohenden Finger im Hintergrund stand.
Und schließlich ist das Eintopfgericht doch nur, wie sich herausgestellt hat, unter Zähneknirschen sowohl der Vertreter der Sozialausschüsse als auch der CSU mit Mühe und Not in der Fraktion über die Bühne gegangen.
So sieht dieser Verlegenheitseintopf aus. Herr Kollege Ruf, noch einmal meine Anerkennung, daß Sie sich doch bemüht haben, ihn so anzubieten.
Aber wie gesagt, er ist für meine Begriffe ungenießbar.
— Sicherlich. — Auf einiges werde ich noch zurückkommen. Sie wissen, Ich äußere mich auch zu den Details.
— Herr Kollege Stücklen, ich darf Ihnen gleich dazu etwas sagen.
— Ich weiß, was Sie wollen. Sie kennen mich als einen sehr diskussionsfreudigen Redner. Ich habe das gestern auch wieder unter Beweis gestellt. Ich stehe Rede und Antwort. Ich möchte aber heute einmal, zumal sich noch 17 Damen und Herren Ihrer Fraktion zu Wort melden werden, in dieser ersten Rede meine Gedanken in aller Ruhe zu Ende führen. Wir werden im Laufe des Tages sicherlich noch Gelegenheit zu Frage- und Antwort-Duellen haben.
Meine verehrten Damen und Herren, noch einmal kurz — ich wurde ja gerade unterbrochen — zum Verlegenheitseintopf. Zwischen dem, was Sie, Herr Kollege Katzer, in einer Presseerklärung am 3. Dezember zur Vorlage des Regierungsentwurfs so alles gesagt haben — ich will mir das Zitieren ersparen; Sie kennen es —, und dem, was der Herr Kollege Ruf sich hier zu verkaufen bemüht hat, ist doch ein erheblicher Unterschied.Es hat mich auch etwas humorvoll berührt, Herr Kollege Ruf, daß Sie am Anfang gleich gesagt haben: Wir legen einen einheitlichen Gesetzentwurf über Betriebsverfassungs-, Unternehmungsverfassungsfragen vor,
über den wir reden wollen. Sie haben den Ausdruck „reden wollen" gebraucht.
Sie sind sich also darüber klar, und ich glaube, viele in Ihrer Fraktion waren sich von Anfang an, als sie dem zustimmten, darüber klar, daß man hierüber vielleicht einmal reden kann, daß aber diese Sache sowieso keine Chance hat.
— Herr Kollege Ruf, Sie können das gern von hier tun. Ich habe heute einmal die Absicht, in Ruhe zu sprechen, zumal ich etwas länger rede. Aber wir können uns ja über das gern auseinandersetzen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, bevor ich auf den Regierungsentwurf und auf den Entwurf der Opposition eingehe, scheint es mir notwendig, einige grundsätzliche Bemerkungen zum Komplex Mitbestimmung zu machen, weil hier ja eine erste Stufe, ein erstes erreichtes Ziel, nämlich mehr Mitbestimmung in der Betriebsverfassung, zur Diskussion steht. Zweifellos hat der Bundesarbeitsminister recht, wenn er in seiner Begründung davon spricht, daß es sich hier um ein Thema von außerordentlicher gesellschaftspolitischer Tragweite handelt. Das ist gar keine Frage, das wissen wir alle, das ist in jeder Fraktion deutlich.Aber wenn man an die Lösung dieser Probleme herangehen will, ist es notwendig, daß man einmal etwas definiert, daß man sich etwas über das klarSchmidt
wird, was an Schlagworten im Raum ist, und daß man sich auch einmal darüber klar wird, daß das Wort „Mitbestimmung", wenn man es einfach in den Raum stellt, sehr verführerisch klingt und jeder von uns dazu eigentlich sagen müßte: Ja, wunderbar! Aber wenn dann die Frage des Wie kommt, muß man sehr konkret werden und ins Detail gehen. Dann genügen die Schlagworte, die Ideologien nicht mehr.Wir wissen auch, daß es ein sehr schillerndes Wort ist, weil es eben sehr unterschiedlich ausgelegt worden ist. Wir wissen aber auch, daß es ein notwendiges Wort ist, weil es sich beim Suchen nach einer wirklich vernünftigen, ja, der besten Lösung dieser Frage ohne Zweifel um einen Auftrag handelt, der an uns alle, der an unsere Gesellschaft, der an die Demokratie gestellt ist und der zweifellos des Schweißes der Edlen wert ist.Wenn wir darangehen wollen — das werden wir in den nächsten Jahren ja weiter tun, allerdings nicht im Zusammenhang mit Ihrer Unternehmensverfassung, denn die ist da untauglich, worauf ich noch komme —, dann heißt es: Heraus aus der babylonischen Sprachverwirrung über den Begriff „Mitbestimmung"! Dann heißt es aber auch: Weg von den Schlagworten „Parität", „Machtmißbrauch", „Demokratisierung der Wirtschaft", Fremdbestimmung" und von all diesen Schlagworten, die ohne Hintergrund, ohne Detaillierung oftmals in den Raum gestellt werden! Es heißt allerdings auch: Weg von Augenwischerei, wie sie ein bißchen doch wohl durch den Entwurf der CDU/CSU, mit diesem Rattenschwanz Unternehmensverfassung, den Sie in Ihrem Entwurf haben, versucht wird!Notwendigerweise bedeutet das auch, einmal zu fragen — der Kollege Liehr hat vorhin für die SPD- Fraktion dazu schon etwas gesagt, und dafür haben wir volles Verständnis; denn hier bestehen ja unterschiedliche Auffassungen, über die wir uns hinsichtlich der Bewertung geeinigt haben —: Ist die paritätische Mitbestimmung so, wie sie bisher im Montanmodell praktiziert worden ist, wirklich die beste? Gibt es nicht bessere Lösungen? Ich habe vorhin schon gesagt: Darüber nachzudenken ist des Schweißes der Edlen wert. Wir müssen die bestmögliche Lösung suchen im Sinne einer klaren, weitgehenden Vertretung der Arbeitnehmerinteressen auf allen Ebenen, und wir müssen die Leitungsfunktion als eine notwendige Funktion überdenken. Als Bindeglied zwischen Arbeit und Kapital soll sie unabhängig von irgendwelchen Einflüssen sein, die mit der Leitungsfunktion nichts zu tun haben.Deshalb lassen Sie mich hier noch einmal einige Bedenken der Freien Demokraten sagen, weshalb wir das jetzige Modell der paritätischen Mitbestimmung, weshalb wir eine Parität in dem Sinne, wie sie schlagwortartig in der Diskussion ist, nicht für im Interesse der Arbeitnehmer, der Wirtschaft und unserer sozialen Marktwirtschaft liegend halten.Einmal sind wir der Auffassung, daß sich durch Aufsichtsratsveränderungen — gleich, ob nach Ihrer oder anderer Art — die Situation des einzelnen Arbeitnehmers, seine Sorgen und Probleme kaum oder gar nicht ändern.Zum zweiten wird eine reine Parität im Endeffekt jede Entscheidung verhindern, weil sie nämlich immer zu irgendeinem Patt führt, das durch irgendeine Art und Weise — jedenfalls meist nicht durch eine sachliche — überwunden werden muß.Zum dritten liegt die Parität eigentlich nicht im wohlverstandenen berechtigten Interesse der durch die Gewerkschaften zu vertretenden Arbeitnehmer. Denn damit werden die Gewerkschaften in eine gewisse Interessenkollision, in eine gewisse Problematik hinsichtlich der Tarifautonomie, gebracht.
-- Herr Kollege, wir werden uns darüber unterhalten. Ich habe vorhin gesagt: Wir werden uns bemühen, den bestmöglichen Weg zu suchen. Aber Sie wissen auch — das wußte ebenfalls der Kollege Liehr, als er vorhin für Ihre Fraktion von der Parität sprach — , daß wir da etwas andere Auffassungen haben. Sie werden erlauben, daß ich das sage.
-- Ach, Herr Kollege Stücklen! Herr Kollege Liehr hat deutlich gesagt, was wir heute hier tun. Aber es ist doch notwendig, daß wir, wenn Sie Fragen der Unternehmensverfassung hineinzumogeln versuchen, dazu etwas auch aus unserer Sicht sagen.
— Herr Kollege Stücklen! Aber ich will jetzt nichts zu Zwischenfragen sagen, obwohl man immer wieder versucht ist.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe eingangs bereits betont, daß uns die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes als vordringliche, alle Priorität genießende Maßnahme im Rahmen des Mitbestimmungskomplexes erscheint. Wir sehen nun einmal den Arbeitnehmer im Mittelpunkt des Betriebsgeschehens — nicht der Organisation — und auch in seinem nicht zu vermeidenden Abhängigkeitsverhältnis. Seine individuellen Rechte, seine Rechtsstellung wesentlich zu verstärken und auszubauen und den von ihm mit der Vertretung seiner Rechte und der Rechte der Betriebsangehörigen insgesamt Beauftragten in Betriebsrat und Wirtschaftsausschuß erheblich mehr Mitwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten zu geben ist die erste Antwort für uns auf die Frage nach mehr Mitbestimmung und eine alte Forderung der FDP. Dieser alten Forderung entspricht die Regierungsvorlage.Wir hätten es begrüßt, wenn bereits manche der Dinge, die wir jetzt im Rahmen der Betriebsverfassung mit regeln müssen, im letzten Deutschen Bundestag entschieden worden wären. Alle Kolleginnen und Kollegen, die dem 5. Deutschen Bundestag angehört haben, insbesondere die Mitglieder des zuständigen Ausschusses, wissen sehr genau, daß wir Vorlagen aller drei Fraktionen zu einer Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes hatten. Ich willSchmidt
jetzt nicht auf die Details eingehen, weshalb es — weder so noch so — nicht zu einer Verabschiedung kam. Aber eine frühere Regelung wäre zweifellos besser gewesen. Anregungen haben wir mehrmals gegeben, sowohl im Ausschuß als auch an anderer Stelle.Mit dieser Regierungsvorlage wird also die Reihenfolge, wie wir in moderner, fortschrittlicher, an die Zeit angepaßter Weise die Verwirklichung der Mitbestimmung sehen, nicht nur eingehalten, sondern von der Bundesregierung in ihrer Vorlage auch bestätigt. Wir Freien Demokraten haben beim Durchlesen der Regierungsvorlage mit Befriedigung festgestellt, daß eine ganze Reihe von Gedanken, die wir in der Vergangenheit bereits für eine Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes zur Diskussion gestellt hatten, hier ihre Verwirklichung gefunden haben.Ich denke da einmal an die wesentliche Verstärkung der Individualrechte des Arbeitnehmers, auf die im Detail ja auch der Herr Bundesarbeitsminister schon hingewiesen hat, eine Verstärkung, die in den wenigen Paragraphen von 81 bis 86 konkret angesprochen worden ist. Herr Kollege Ruf — damit komme ich, wie immer, wenn es um die Parallelen geht, zu den Vorstellungen, die die CDU/CSU in ihrem Entwurf entwickelt hat —, Sie haben einen wunderbaren Katalog vorgelegt, einen Katalog, der eine Menge von, ich möchte beinahe sagen, Grundrechten beinhaltet. Aber wenn Sie diesem Katalog konkret nachgehen und einmal vergleichen — ich will Ihnen gern eine Gegenüberstellung zur Verfügung stellen —, wo eigentlich diese individuellen Rechte besser und klarer angesprochen worden sind, in Ihrem Katalog von § 1 bis § 16 oder in den entsprechenden Paragraphen des Regierungsentwurfs, dann werden zum mindesten die Experten bei Ihnen sehr schnell darauf kommen, daß die Individualrechte in dem Sinne, wie wir sie gesichert sehen wollen, von der Anhörung über die Information bis zur Beschwerde und zur Einsicht in die Personalakte im Regierungsentwurf wesentlich besser verankert sind, als das mit der deklamatorischen Aussage bei Ihnen geschieht.
— Herr Kollege, darüber können wir uns ja gelegentlich einmal unterhalten. Im übrigen könnte ich einen unverdächtigen Zeugen dafür bringen. Als der Kollege Ruf nämlich noch nicht wußte, daß er heute hier einen, sagen wir, Eintopfentwurf begründen mußte, und als er die Vorstellungen der Regierung gelesen hatte, schrieb er unter dem 1. Dezember 1970 — erlauben Sie, bitte, Herr Präsident, daß ich zitiere —:Der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung zum Betriebsverfassungsgesetz entwickelt das Recht der Betriebsverfassung nicht nur fort, er beschreitet auch neue Wege, so daß mit Recht von einer Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzesgesprochen werden kann. Die Erweiterungen und Neuerungen im sozialen, personellen und wirtschaftlichen Bereich halten am bisher geltenden Prinzip der Abstufung der Mitbestimmung und Mitwirkung der Arbeitnehmer fest und scheinen insofern funktionsgerecht gestaltet zu sein, als in den wichtigsten Fragen die Entscheidungsfreiheit des Unternehmers erhalten bleibt und sich die Mitbestimmung und Mitwirkung der Arbeitnehmer im Rahmen der Betriebsverfassung in der Hauptsache auf die Fragen bezieht, die den einzelnen oder die Belegschaft betreffen. Zahlreiche Einzelheiten sind meines Erachtens sinnvoll und angemessen geregelt. Sie bedeuten für die einzelnen Arbeitnehmer einen Fortschritt und sind für die Arbeitgeber durchaus als akzeptabel zu bezeichnen.Das war das erste Urteil des Kollegen Ruf. Heute klang es etwas anders. Nun gut, es sind drei Monate vergangen, es gab eine Diskussion Ihrer Partei, und ich habe dem Kollegen Ruf dafür ja auch schon die Anerkennung ausgesprochen.Ein Weiteres, was wir in dem Gesetzentwurf sehr begrüßen, ist die Verankerung der erheblich stärkeren Informationspflichten für den Arbeitgeber gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer und gegenüber allen Betriebsangehörigen. Das ist auch etwas, was zweifellos im bisherigen Recht in keiner Weise geregelt war.Auch die Stärkung der Rechte des Betriebsrates in allen personellen und sozialen Bereichen ist weitgehend. Der Herr Bundesarbeitsminister und der Kollege Liehr sind schon darauf eingegangen. Ich will daher nur drei Dinge herausgreifen, weil Herr Kollege Ruf hier Kritik angemeldet hat.Herr Kollege Ruf, Sie haben erklärt, in Ihrem Entwurf sei mehr wirtschaftliche Mitbestimmung.
Da müssen Sie mir erst einmal nachweisen,
wo mehr wirtschaftliche Mitbestimmung unter Wahrung der Unternehmerentscheidungsfreiheit ist als im Regierungsentwurf. Denn dort werden alle wirtschaftlichen Entscheidungen, Betriebsveränderungen, alles, was in dem Betrieb geschieht, überall dort der Mitbestimmung unterstellt, wo es den Arbeitnehmer, wo es die Arbeitsbedingungen, wo es soziale Fragen, wo es sogenannte soziale Rückstoßfragen betrifft. Der Arbeitgeber wäre schlecht beraten, der nach Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs nicht vor jeder seiner Entscheidungen alle die Kosten, die mit Umsetzung, Umschulung und der Lösung anderer Fragen verbunden sind, die aus seiner wirtschaftlichen Entscheidung heraus entstehen, von vornherein mit einplante, weil er sonst das Veto des Betriebsrats bekäme. Hier ist auf der einen Seite eine klarere Abgrenzung in Richtung Entscheidungsfreiheit, auf der anderen Seite aber wesentlich mehr wirtschaftliche Mitbestimmung in allen die Arbeitnehmer im einzelnen und in der Gesamtbelegschaft interessierenden und angehenden
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Fragen als in Ihrer Lösung, wo sich die Dinge wieder einmal hin- und herschieben.
Ein Zweites. Wir begrüßen auch sehr, daß im Regierungsentwurf der Bereich der Personalplanung zum erstenmal in dieser Form in das Gesetz eingeführt wird und somit der Betriebsrat von vornherein über die personellen Entwicklungen und Notwendigkeiten auf dem laufenden gehalten wird.Wenn diese beiden Dinge, Personalplanung und diese, ich möchte es einmal nennen: indirekte wirtschaftliche Mitbestimmung, die bis zu den Sozialplänen geht, schon vor Jahren im Gesetz gestanden hätten, hätten wir manche Probleme, beispielsweise im Bergbau, nicht gehabt.
-- Wir hätten sie aber von vornherein durchgeführt. Wir mußten sie erst schaffen, durch Tarifverträge und alles mögliche. Wir hätten die Dinge weitgehend in einem Gesetz geregelt gehabt, auch in allen anderen Bereichen, wo es in der Vergangenheit zu Schwierigkeiten kam und die sich daraus für die Arbeitnehmer ergebenden Regelungen erst ausgehandelt werden mußten.
Nun ein Drittes. Herr Kollege Ruf, Sie haben die bessere Regelung des Kündigungsschutzes in Ihrem Entwurf angesprochen.
Ich habe eine Gegenüberstellung vorliegen. Die Anhörung ist gleich: bei der Bundesregierung § 102, bei Ihrem Entwurf § 39. Die Widerspruchsmöglichkeit ist gleich, allerdings bei Ihnen nur im Rahmen des Kündigungsschutzgesetzes, während sie nach dem Regierungsentwurf nach einem erheblich erweiterten Katalog gegeben ist, z. B. bei Verstoß gegen eine personelle Richtlinie, Weiterbeschäftigung nach zumutbarer Umschulung oder Fortbildung, Weiterbeschäftigung unter geänderten Vertragsbedingungen mit Einverständnis des Arbeitnehmers und dergleichen mehr. Bei Ihnen ist es nur der Fall des Kündigungsschutzgesetzes. Der Regierungsentwurf hat einen Katalog weiterer Einspruchsmöglichkeiten. Also geht er schon im Einspruch weiter.Nach beiden Entwürfen kann der Arbeitgeber kündigen. Nach dem Regierungsentwurf muß der Arbeitgeber aber dem Gekündigten die Bedenken des Betriebsrats mitteilen, wenn Widerspruch eingelegt worden ist. Bei Ihnen ist nichts dergleichen vorgesehen. Der Arbeitnehmer erfährt also nicht, warum ihm gekündigt worden ist. Die Kündigungsschutzklage ist nach beiden Entwürfen gegeben, wobei im Regierungsentwurf wieder der zusätzliche Katalog wirkt, während bei Ihnen nur das Kündigungsschutzgesetz in Frage kommt.Nun haben Sie in Ihrem Entwurf festgelegt, daß der Arbeitnehmer im Betrieb bleibt, was im Regierungsentwurf anders ist. Das mag zunächst einmal optisch sehr schön aussehen.
Aber durch die Hintertür der einstweiligen Verfügung, wenn die Dinge finanziell zur Belastung werden, heben Sie das wieder auf, was Sie oben sagen.
Oder glauben Sie, daß ein Betrieb es sich leisten kann, 60 000 bis 75 000 DM in Kauf zu nehmen — wenn wir nur von einem Jahreslohn einschließlich aller Kosten von 20 000 bis 25 000 DM ausgehen; denn ein solches Verfahren kann bis zu drei Jahre dauern —, weil er nicht weiß, wie die Klage ausgeht? Er wird die einstweilige Verfügung beantragen, muß es tun, und damit ist das, was Sie oben hineingeschrieben haben, bereits wieder vom Tisch. Wo ist nun also Ihr besserer Kündigungsschutz in Ihrem Gesetzentwurf?
Ein Weiteres. Ich bin mit meiner Zeit schon etwas fortgeschritten und will deshalb auf die nächsten Punkte etwas kürzer eingehen. Ich muß etwas zur Frage des Minderheitenschutzes sagen, weil wir Freien Demokraten hier eine Auffassung von uns verankert sehen, die wir bereits in unserer im 5. Deutschen Bundestag vorgelegten Novelle zum Ausdruck gebracht haben, nämlich daß die soziologischen Gruppen in den Betrieben entsprechend einer stärkeren Demokratisierung der Betriebe auch ihre Minderheitenrechte bei der Abgrenzung nach unten -- nicht bis in das Minimum der Zersplitterung — und dergleichen mehr haben sollen. Wir halten diese Lösung für sehr gut. Wir haben sie immer gewünscht, leider früher nicht durchgesetzt. Sie ist jetzt in einer abgewandelten Form vorhanden. Wir danken dem Bundesarbeitsminister, daß er das in den Entwurf hineingenommen hat, ebenso wie wir ihm dafür danken, daß er unsere Anregungen zur Stärkung der Jugendvertretung weitgehend in den Entwurf aufgenommen hat.Ganz besonders begrüßen wir allerdings, daß der von uns zuerst bereits vor vielen Jahren als notwendig angesehene Bildungs- oder Schulungsurlaub — wie Sie es nennen wollen für Arbeitnehmervertreter im Betriebsrat, Wirtschaftsausschuß und Aufsichtsrat Eingang in den Gesetzentwurf gefunden hat. Wir wissen sehr genau und können uns sehr genau erinnern, welche Bedenken und auch Widerstände in vielen Jahren uns in dieser Frage immer entgegengehalten wurden. Wir freuen uns, daß nunmehr ein Gedanke Berücksichtigung in dem Entwurf gefunden hat, der zweifellos zur besseren Vertretung der Arbeitnehmerinteressen durch die von Ihnen Gewählten beitragen wird. Wir können nur hoffen, daß nach Inkrafttreten des Gesetzes sobald wie möglich Schritte zur Verwirklichung unternommen werden. In diesem Falle, wie auch in vielen anderen , haben Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, ohne Zweifel direkt von uns abgeschrieben. Damit es nicht so aussieht, haben Sie in bestimmten Fällen eine zusätzliche Woche angehängt. Daß diese Idee vieler Kollegen von mir schon vor vielen Jahren in diesem Hause vertreten wurde, wissen Sie.Der Regierungsentwurf zeigt also in vielen Fällen Gedanken der Freien Demokraten in Zusammen-
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arbeit mit den Sozialdemokraten, Gedanken, die wieder einmal die sozial-liberale Handschrift dieser Regierung zum Ausdruck bringen.
Ich möchte diese Stunde auch dazu benutzen, etwas zu den Punkten zu sagen, die in den letzen Wochen und Monaten zu erheblichen Diskussionen in der Öffentlichkeit beigetragen haben. Die Diskussion entzündete sich insbesondere an vier Punkten: dem Zutrittsrecht der Gewerkschaften, den tarifvertraglichen Änderungen, der politischen Betätigung und den leitenden Angestellten.Es ist etwas merkwürdig und eigentlich nicht ganz zu verstehen, daß sich die gesamte öffentliche Diskussion überhaupt nur an drei Punkten entzündet hat, die eigentlich in die allgemeinen Vorschriften hineingehören, und daß die gesamte öffentliche Diskussion überhaupt zur Kenntnis genommen hat, welches moderne, fortschrittliche Gesetz für den Arbeitnehmer, für den Betriebsrat hier vorgelegt wird.
Es ging doch in den ganzen letzten Monaten — ich habe Zeitungsberge davon — bloß noch darum, ob diese drei Fragen so oder so gelöst werden. Was in Wirklichkeit Betriebsverfassungsrecht werden soll, was in Wirklichkeit Schutz, Sicherung, Mitwirkung, Mitbestimmung ergeben soll, blieb von der Diskussion ausgeschlossen oder wurde als nicht wichtig angesehen.Insbesondere uns Freien Demokraten ist dabei der Vorwurf gemacht worden insbesondere ist das von seiten des Deutschen Gewerkschaftsbundes geschehen —, wir hätten, weil wir in diesen Fragen anderer Auffassung waren, dafür gesorgt, daß dieser Gesetzentwurf, wie es neulich einmal hieß, ein Rückschritt hinter das Jahr 1952 sei. Nun, meine sehr geehrten Damen und Herren, der Bundesarbeitsminister hat bereits in seiner Begründung gesagt: In keinem Fall geht dieser Gesetzentwurf hinter geltendes Recht zurück. Das werden inzwischen wohl auch diese Kritiker, die zum Teil aus den Reihen des DGB, aber auch aus der Presse kamen, gemerkt haben. Es ist aber notwendig, einige Klarstellungen zu bringen, damit diese Diskussion etwas versachlicht wird.Zum ersten dieser Diskussionspunkte, zur Frage der Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften. Es ist notwendig und richtig — wir Freien Demokraten haben das in der Vergangenheit auch immer als selbstverständlich angesehen —, daß die Rechtsstellung und Sicherung der Präsenz der Gewerkschaften im Gesetz verankert ist. Sie ist wesentlich stärker verankert, als das im geltenden Recht der Fall war. Darauf hat der Herr Bundesarbeitsminister schon hingewiesen.
Es ist notwendig und richtig, daß den Vertretern der Gewerkschaften der Zugang zu den Betrieben ermöglicht wird. Genauso notwendig und richtig ist es aber nach unserem Dafürhalten, daß dies im Benehmen mit Unternehmensleitung oder Arbeitgeber und Betriebsrat geschieht. Auch wir legen diesen Begriff, dieses Wort „Benehmen", so aus, wie es die Bundesregierung, wie es der Herr Bundesarbeitsminister hier vorgetragen hat. „Benehmen" hat nichts mit Zustimmung oder dergleichen zu tun, sondern mit Unterrichtung, und wir halten es für selbstverständlich, daß diese Unterrichtung, daß diese Wahrung des Hausrechtes so kann man es auch nennen — im Gesetz verankert ist und auch weiterhin so gesehen wird.
Ich glaube, daß wir die Diskussion um diesen Begriff gar nicht mehr brauchen.
— Herr Kollege Ruf, lesen Sie sich für diese Diskussion vorher einmal durch, was Herr Kollege Katzer am 3. Dezember für die CDU/CSU-Fraktion gesagt hat und was Sie heute dazu gesagt haben!
Da hat er nämlich gesagt, im Regierungsentwurf sei viel zu wenig; jetzt haben Sie darin zu viel gesehen. Schauen Sie sich das also sehr genau an, Herr Kollege Ruf! Es ist immer gut, sich vorher zu informieren. Ich kann es Ihnen auch geben; ich habe es da.
Es erhebt sich aber die Frage — und hieran hat sich die Diskussion entzündet —, ob der DGB wirklich gut beraten war, als er über diese Regelung hinaus, wie wir sie im Gesetz verankert haben, größere Möglichkeiten wollte. Er will sie noch, wie wir in einem Rundschreiben gesehen haben. Wir sind der Auffassung, daß diese Präsenz, diese Rechtsstellung gesichert sein soll, daß aber der ganz klare Mittelpunkt des Gesetzes, nämlich der Betriebsrat, noch den Vorrang hat. Diese Zusammenarbeit, diese Rechtsstellung sichert das Gesetz. Der Betriebsrat ist aber nach diesem Gesetz das oberste Organ und nicht umgekehrt, wie es sich vielleicht manche vorgestellt haben.
Zu dem zweiten Vorwurf, daß es doch möglich sein sollte, wie es vielleicht ursprünglich einmal gedacht war, den Tarifpartnern in Tarifverträgen Möglichkeiten einzuräumen, erhebliche Teile des Gesetzes zu ändern. Hier möchte ich nur sagen, wir sind uns schon darüber einig, und wir können uns wohl auch mit den Gewerkschaften sehr schnell darüber einigen, daß die jetzige Lösung die richtige ist. Ich glaube nicht, daß es sich ein Gesetzgeber in Wahrung seiner Aufgabe gestatten kann, wesentliche Regelungen, die er in dem Gesetz verankert, durch Beratungen und Verhandlungen außerhalb des Parlaments aussetzen oder verändern zu lassen. Wenn Änderungen erfolgen sollen --- der Herr Bundesarbeitsminister hat gesagt, das sei kein Gesetz für die nächsten 18 .Jahre —, muß der Gesetzgeber sie vornehmen. Es ist nicht vertretbar, daß wesentliche Passagen irgendeines Ge-5830 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971Schmidt
setzes außerhalb des Parlaments durch andere Möglichkeiten einfach außer Kraft gesetzt werden. Das wäre allenfalls bei kleinen Teilen, aber nicht bei wesentlichen Passagen denkbar. Deshalb ist, glaube ich, die jetzige Regelung jedenfalls aus der Sicht der Freien Demokraten — wesentlich besser, und zwar auch für die Klarstellung der von uns hundertprozentig anerkannten und im Grundgesetz verankerten Tarifautonomie auf der einen sowie für den Gesetzgeber auf der anderen Seite.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenige Worte zu der in der Diskussion befindlichen politischen Betätigung und der hier vorgesehenen Änderung. Das, was die Opposition an Gründen dafür anführt, daß die politische Betätigung wieder ganz verboten werden müßte, kann man genausogut — so sehen wir es jedenfalls — zur Begründung der Notwendigkeit einer beschränkten politischen Betätigung im Interesse des Betriebsfriedens und der Sicherheit des Arbeitsablaufs anführen.
Denn bisher besteht die Praxis, daß sich kleine und kleinste Gruppen, die wir alle in diesem Hause nicht gern sehen, politisch sehr aktiv betätigen. Das haben wir auch durch das Parteienverbot nicht verhindern können.
Wir sind der Überzeugung, daß die demokratischen Parteien mit den Möglichkeiten, die ihnen das Gesetz einräumt, durchaus in der Lage sind, diesen Gruppen, die in den Betrieben arbeiten, im Interesse des Betriebsfriedens und der Sicherheit des Arbeitsplatzes entgegenzutreten und mit demokratischen Mitteln das zu verhindern, was diese Gruppen anzustellen beabsichtigen. Wir glauben, daß die demokratischen Parteien besser dagegen ankommen.
— Herr Kollege Ruf, ich gebe zu, daß es eine Frage der Einstellung sein kann, wie man die Aufgabe der demokratischen Parteien sieht. Die Frage ist auch, wieweit sich die demokratischen Parteien dieses Hauses — aus unserer Sicht ist das ein Auftrag, den ich ihnen stellen möchte — im Rahmen des vorliegenden Gesetzes engagieren, um links- und rechtsradikalistische Grüppchenbildungen zu verhindern bzw. ihnen entgegenzuwirken. Wir bieten mit dem, was im Regierungsentwurf steht, dafür eine legale Basis.
Wir werden die Betriebe nicht politisieren. Lesen Sie die Begründung nach und das, was der Herr Bundesarbeitsminister gesagt hat, und denken Sie einmal darüber nach, auch Sie von der CDU/CSU, ob es nicht besser wäre, wenn wir in der Lage wären, dem, was wir überall, insbesondere in denGroßindustrien der Ballungsräume, beklagen, durch unsere auch in den Betrieben tätigen Mitglieder und Parteifreunde legal entgegenzutreten, was wir jetzt nach dem Gesetz nicht dürfen.
-- Herr Kollege Stücklen, ich habe vorhin schon gesagt, daß ich heute einmal ohne Unterbrechung reden möchte, obwohl es mich reizen würde, etwas dazu zu sagen. Aber ich möchte in den mir zur Verfügung stehenden 60 Minuten noch einige meiner Vorstellungen vortragen. Deshalb muß ich mir eine Antwort auf Ihren Zwischenruf versagen.
Lassen Sie mich noch etwas zur Lösung des Problems der leitenden Angestellten sagen. Wir sind uns alle in diesem Hause bewußt, daß es hier fließende Entwicklungen gibt, daß die Gruppe der leitenden Angestellten in unserer Wirtschaft eine immer größere Bedeutung bekommt und die Lösung dieses Problems zu diesem Zeitpunkt sehr, sehr schwierig war. Wir Freien Demokraten sind uns jedenfalls bewußt — ich glaube, es geht aus dem Regierungsentwurf hervor, daß sich auch die Koalitionsfraktionen dessen bewußt sind —, daß die leitenden Angestellten legitime Interessen haben.Wir haben nun eine Lösung gefunden, die zweifellos im wesentlichen dem entspricht, was wir Freien Demokraten bereits dem 5. Deutschen Bundestag mit unserem Gesetzentwurf vorgelegt haben. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben ebenfalls eine Lösung gefunden. Sie schlagen zwar in Ihrem Entwurf auch eine Abgrenzung vor, wünschen aber eine gesetzliche Verankerung von Sprecherausschüssen.Es erhebt sich die Frage: was ist besser, was ist richtig? Ist eine gesetzliche Verankerung, die Sie vorschlagen, besser? Hier gäbe es immerhin eine Konkurrenz unterhalb des Betriebsrates. Ich will auf die Details nicht eingehen. Es bleiben noch eine Reihe von Fragen übrig. Dazu gehört z. B. die Frage: Wer bestimmt überhaupt, wer leitender Angestellter ist? Im Endeffekt bestimmt das auf Grund des Katalogs der Betriebsrat. Oder wer soll das bestimmen? Eindeutige Bestimmungen darüber sind nicht da, wer festlegt: wer gehört noch dazu und wer nicht. Es gibt die Arbeitsgerichtsurteile; das weiß ich auch.
— Doch! Es gibt keinen konkreten Hinweis, wie die Dinge bei Ihnen weiter gestaltet werden.
-- Zeigen Sie mir den Paragraphen!
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Es erhebt sich, Herr Kollege Ruf, insbesondere -davon ging ich aus — die grundsätzliche Frage: soll man das im Gesetz verankern oder nicht? Wir sind der Auffassung, die Bundesregierung hat in ihrem Entwurf deutlich gemacht, daß es richtiger ist, der Gruppe der leitenden Angestellten, die klar abgegrenzt ist, ihren eigenen freien Raum zu geben, den sie dann selbst mit ihren Möglichkeiten, mit ihren Sprecherausschüssen, mit ihren verbandsmäßigen, zum Teil auch tarifvertragsmäßigen Möglichkeiten ausfüllen können und sollen.Daß das nicht nur Illusion ist, dazu drei Beispiele. Das eine kennen Sie. Sie wissen, daß so etwas bei IG-Farben Hoechst seit langem praktiziert wird. Ich habe gerade eine Pressemeldung vom 2. Februar 1971 vorliegen, daß bei den Chemischen Werken Hüls für 900 leitende Angestellte in diesen Tagen eine solche freiwillige Organisierung geschehen ist. Ich habe die Nachricht von der Wacker-Chemie in München, daß dort in diesen Tagen ebenfalls so etwas geschieht. Wir schaffen mit dem Gesetz für die leitenden Angestellten den freien Raum, in welchem sie die Vertretung ihrer Interessen durch Bildung von Sprecherausschüssen — die aber nicht vom Gesetz vorgeschrieben ist — ohne weiteres wahrnehmen können und wahrnehmen werden, wie wir aus vielen Resonanzen zu diesem Regierungsentwurf bereits wissen. Wir erwarten allerdings auch, daß die ihrem freien Raum gegenüberstehenden leitenden Angestellten und ihre Organisationen sich nunmehr bemühen, diesen freien Raum aktiv und initiativ auszufüllen. Wir erwarten allerdings auch, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich aufgeschlossen für solche Lösungen zeigen, wie sie jetzt im freien Raum möglich sind.Lassen Sie mich die letzten fünfzehn Minuten, die mir nach der Uhr noch verbleiben, zu wenigen zusätzlichen Bemerkungen nutzen! Einige weitere Sprecher meiner Fraktion werden ja zu den Fragen im Detail noch Stellung nehmen. Lassen Sie mich noch einige Anmerkungen machen, speziell zu Ihrem Entwurf, Herr Kollege Ruf!Zunächst noch etwas zum Betriebsverfassungsteil. Sie schreiben in Ihrer Pressemitteilung: Mehr für den Arbeitnehmer, mehr für den Betriebsrat, einheitliches Gesetz zur Mitbestimmung in Betrieb und Unternehmen, und Sie haben vorhin gesagt — insoweit stimme ich Ihnen zu —: Weiterentwicklung des geltenden Rechts. Natürlich! Daß Sie nicht nur das alte Gesetz abgeschrieben, sondern es auch etwas weiterentwickelt haben, das haben wir von der Opposition angenommen. Das ist doch nicht etwa ein großes Plus oder etwas, was nun schon viel Lob verdient, wenn Sie ein Gesetz aus dem Jahre 1952 nicht nur abgeschrieben, sondern weiterentwickelt haben.
Von „mehr für die Arbeitnehmer" — ich habe vorhin schon darauf hingewiesen — kann nicht die Rede sein. Konkret ist das nicht der Fall. Wir können es gern im Detail in einer späteren Runde noch einmal gegenüberstellen. Auch von „mehr für den Betriebsrat" kann, wenn Sie es genau nehmen, nicht dieRede sein. Das ähnelt hier dem Regierungsentwurf. Von den wirtschaftlichen Dingen habe ich im Detail gesprochen. Und kann man wegen des Anhängsels Unternehmensverfassung wirklich von einem einheitlichen Gesetz sprechen? Als mehr kann man das doch nicht bezeichnen.
— Herr Kollege Ruf, auf diesem Bein hat die CDU/ CSU im letzten Jahr sechsmal „Hosianna" geschrien, von dem Beschluß vor etwa einem Jahr, daß man so etwas tun werde, bis zu den großen Tönen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, bis zu den Tönen bei der Bildung der Kommission — wir können das auch an Hand von Zeitungsbelegen usw. darstellen —,
bis zu den Tönen, die Herr Katzer noch am 3. Dezember bei der Vorlage des Regierungsentwurfs für richtig hielt, bis zu dem, was sich noch vor Düsseldorf zeigte, und dem, was heute davon noch übriggeblieben ist.
Herr Kollege Ruf, von Herrn Biedenkopf sind Sie sehr weit entfernt.
Ich kann Ihnen gern vorlesen, was Herr Biedenkopf zu dem Ergebnis des Düsseldorfer Parteitages Besag t hat. Sagen Sie mir doch einmal, was sich in der Vorlage gegenüber dem Düsseldorfer Ergebnis geändert hat. Oder beziehen Sie sich vielleicht darauf, daß Sie hinten im Teil „Aktienrecht" ein bißchen gemauschelt haben?
— Darüber werden wir im einzelnen diskutieren. Lesen Sie einmal nach, was Herr Biedenkopf über die Besetzung des Vorstandes usw. sagt, und vergleichen Sie es mit dem, was Sie im Teil „Aktienrecht" verankert haben. Ich will jetzt nicht in die Details gehen. Das würde zu weit führen. Lesen Sie es selbst einmal nach. Stellen Sie die Dinge einmal gegenüber.
Von Herrn Biedenkopf sind Sie also sehr weit entfernt.
— Herr Kollege Stücklen, wir wollen jetzt die Diskussion von Düsseldorf nicht fortsetzen. Ich weiß, daß Sie anderer Meinung als Herr Biedenkopf und auch Herr Kohl waren.
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— Herr Kollege Ruf, Sie werden mir nicht vorwerfen können, daß ich hier im Hause Zwischenfragen abgelehnt hätte. Heute tue ich das bei der Debatte über einen so wichtigen Komplex, zu dem ich zu Beginn der Aussprache einige grundsätzliche Dinge sagen möchte. Das werden Sie mir doch sicher genauso zubilligen, wie es Ihnen bei der Begründung zugebilligt worden ist, wo man ja auch Zwischenfragen hätte stellen können.
— Sicher, ich spreche als erster Sprecher meiner Fraktion und werde die Dinge doch wohl einmal in Ruhe darlegen können. Wir werden uns heute noch auseinandersetzen, auch wir zwei.Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Anhängsel „Unternehmensverfassung" sehe ich so ein bißchen unter der Überschrift: Wasch mir den Pelz, und mach mich nicht naß. Mehr ist, glaube ich, in dieser Hinsicht aus Ihrer Vorlage nicht herauszulesen. Ich hoffe, Sie glauben nicht, damit eine Sprengbombe oder gar eine Zeitbombe gelegt zu haben.
— Man kann noch nicht einmal von einem Blindgänger reden, denn ihn müßte man noch entschärfen. Diesen Blindgänger braucht man nicht zu entschärfen; man kann ihn sogar ungestört liegenlassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Diskussion über die Mitbestimmung und über die beste Form der Unternehmensverfassung wird in diesem Hause weitergehen. Sie wird aber nicht im Zusammenhang mit der Vorlage der Bundesregierung zum Betriebsverfassungsgesetz weitergehen, weil wir entsprechend der Auffassung, die der Herr Kollege Liehr vorhin schon vorgetragen hat, diese Fragen jetzt gemeinsam im Sinne dieser Regierungsvorlage regeln werden und über die Frage der besten Möglichkeiten der Unternehmensverfassung im Sinne der Regierungserklärung und unter Anlehnung an Gedanken von Herrn Biedenkopf und alle möglichen anderen, die dazu schon etwas gesagt haben, weiter diskutieren und beraten werden. Dabei gibt es für uns Freie Demokraten einige Gedanken, die in dieser weiteren Diskussion über Unternehmensverfassungsfragen nicht aus den Augen verloren werden sollten.Mitbestimung kann man nie ganz ohne Mitverantwortung sehen. Leitungsfunktionen sind in unserer Wirtschaft unter den Aspekten unserer Gesellschaftsordnung und des Weiterentwickelns und Weiterlebens dieser Wirtschaft ein vordringlicher Komplex, den man nicht durch — manchmal vielleicht zu viel -- Ideologie überspielen kann. Das Dreieck derKräfte „Arbeit, Kapital und Disposition" muß immer entsprechend berücksichtigt werden.Wenn man sich über die Frage einer besseren Vertretung der Arbeitnehmerseite — auch wir sind der Meinung, daß in dieser Hinsicht einiges anzusprechen ist— unterhalten wird, darf auch die Frage des Depotstimmrechts auf der Kapitalseite nicht tabu sein. Wir werden ebenfalls aufmerksam betrachten müssen, was auf diesem Gebiet um uns herum in den EWG-Ländern geschieht, weil auch das bei unseren Überlegungen über zukünftige Lösungen der Unternehmensverfassung eine Rolle spielen muß. Wir Freien Demokraten suchen noch — ich glaube, wir alle sollten es tun — die bestmögliche Vertretung der Interessen aller Arbeitnehmer im Betrieb, auch der leitenden Angestellten, in einem zukünftigen Unternehmensaufsichtsrat unter eindeutiger Wahrung der wirtschaftlichen Leitungs- und Entscheidungsfunktion.Bemerkungen zum Biedenkopf-Gutachten und zum Mitbestimmungssicherungsrecht möchte ich mir jetzt, auch der Zeit wegen, ersparen; meine Kollegen werden Gelegenheit haben, dazu etwas zu sagen.Für die Freien Demokraten darf ich abschließend folgendes erklären. Die Bundesregieung hat im Gegensatz zur Opposition einen klaren, ausgewogenen Gesetzentwurf zur Verbesserung und Sicherstellung der Rechte der Arbeitnehmer und der Betriebsverfassungsorgane vorgelegt, der in seinen einzelnen Zielsetzungen voll von der FDP mitgetragen wird. Dieser Entwurf eines neuen Betriebsverfassungsgesetzes stellt einen Markstein in der Erfüllung der Regierungserklärung der Bundesregierung Brandt/ Scheel dar. Der Entwurf bestätigt eindeutig die Priorität der Neuregelungsnotwendigkeit der Betriebsverfassung im Rahmen der Mitbestimmungsdiskussion. Diese Diskussion wird in diesem Hause und in der Öffentlichkeit weitergehen; wir halten dies für nötig und gut.Hier und heute geht es um jeden einzelnen Arbeitnehmer und seine Rechte, um jede Arbeitnehmervertretung und ihre Rechte sowie um deren Verbesserung, nicht um Aufsichtsratsmanipulation, wie dies die Opposition will. Wir hoffen und wünschen, ja, wir sind der Überzeugung, daß der ausgewogene Regierungsentwurf nach guten und eingehenden Beratungen im Ausschuß und nach Anhörung aller Betroffenen eine fristgerechte Verabschiedung im Herbst dieses Jahres findet, zum Wohle der Arbeitnehmer und der Betriebsverfassungen ab 1972.
Das Wort hat der Abgeordnete Ziegler. Für ihn sind von der Fraktion der CDU/CSU 30 Minuten Redezeit angemeldet worden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst einige generelle Bemerkungen zu den allgemeinen Ausführungen der Kollegen Liehr und Schmidt . Herr Kollege Liehr hat es für richtig gehalten, auf die großen reformerischen Leistungen der Bun-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5833
Zieglerdesregierung, besonders des Herrn Bundesarbeitsministers, hinzuweisen, die bereits nach eineinviertel Jahren Regierungszeit erbracht worden sein sollen.
Ich möchte hier nicht boshaft werden, aber doch sagen: es gehört fast zum Stil dieser Regierung und der sie tragenden Koalitionsparteien, daß Sie unzulängliche Regelungen oder Regelungen, die größtenteils auf der Fortentwicklung von Konzeptionen der CDU/CSU beruhen,
als eigene große Leistungen darstellen und entsprechend in der Öffentlichkeit verkaufen.
Ich denke hier z. B. an die völlig unbefriedigende Regelung beim Kindergeld. Sie sind sich wohl selbst darüber im klaren, daß diese Regelung keine große reformerische Leistung war. Ich erinnere Sie daran, in welcher Weise sie in der Öffentlichkeit dargestellt und verkauft wurde.Ich denke auch an die Regelung bei der Kriegsopferversorgung, die deshalb unbefriedigend ist,
weil die Ausgangsbasis für die dynamische Anpassung, die auch von uns mitgetragen worden ist, zu niedrig war.
Ich denke daran, daß das, was z. B. auf dem Gebiet der Krankenversicherung an wirklich reformerischen Dingen geschehen ist, etwa hinsichtlich der Vorsorge, von uns in die Beratung eingebracht worden ist und nicht eine originäre Leistung dieser Bundesregierung ist.
Auch der jetzt vorliegende Entwurf stößt keineswegs in neue Dimensionen vor. Er zieht die Erfahrungen aus der Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes über achtzehn Jahre, aus der Fortentwicklung der Rechtsprechung, aus dem, was an Wünschen herangetragen worden ist. Aber wirklich neue Konzeptionen, reformerische Dinge, die in die Zukunft weisen, sind, soweit ich das bisher feststellen konnte — ich habe den Entwurf sehr genau gelesen —, in diesem Entwurf nicht enthalten.
Ich habe mit einigem Erstaunen festgestellt, daß der Kollege Liehr es für richtig hielt, auch auf die Serie von Gesetzentwürfen hinzuweisen, die die SPD-Fraktion 1968 eingebracht hat, und uns die Schuld dafür zu geben, daß diese Dinge nicht in die gesetzgeberische, in die parlamentarische Beratung eingeführt werden konnten. Herr Kollege Liehr, Sie wissen doch selbst sehr gut und sehr genau — Sie waren ja damals mit einer der Hauptträger der Arbeit —, wie die Arbeitslast, die Geschäftslage im Ausschuß für Arbeit war, welche großen reformerischen Dinge die allerdings im wesentlichenauf Konzeptionen der CDU/CSU, wie sie von Hans Katzer entwickelt worden sind, zurückgingen —beim Arbeitsförderungsgesetz, bei der beruflichen Bildung usw. im Ausschuß zu bewältigen waren, so daß einfach von der Geschäftslage her ihre Vorlagen absolut nicht mehr behandelt werden konnten.
Mit der Einbringung dieser Serie von Gesetzentwürfen haben Sie eine Pflichtübung gegenüber dem DGB erfüllt, und es kann keine Rede davon sein, daß von uns aus irgendwie ein Verschulden vorliegt, daß dieselben nicht mehr beraten werden konnten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Buschfort?
Ich möchte es genauso halten — ich bin an sich für das Interesse sehr dankbar —, wie es die Kollegen Liehr und Schmidt vorher geübt haben, und als erster Sprecher meiner Fraktion nicht auf Zwischenfragen eingehen.
Sie haben dann noch auf unseren Entwurf, den wir 1967 eingebracht haben, hingewiesen. Auch hier war Ihnen klar, daß das mit dem, was hier heute vorliegt, gar nichts zu tun hat. Wir haben uns damals in klarer Weise auf ein Detailproblem beschränkt, nämlich auf eine Verbesserung, auf eine Verstärkung, auf einen Ausbau der Minderheitenrechte sowohl der soziologischen Minderheiten als auch der demokratischen Meinungsgruppen. Wir haben alles, was weiterging, auf Grund der damals bestehenden Absprache in der Großen Koalition zurückgestellt. Was wir damals mit unserem Entwurf wollten und was dann nicht mehr beraten wurde, ist jetzt in unserem umfassenden Entwurf, der eine ganz andere, sehr viel größere und weiter angelegte Konzeption hat, aufgenommen und enthalten.
-- Herr Kollege Liehr, Sie haben wieder einmal den in den letzten Tagen und Wochen in diesem Haus sooft gemachten Versuch wiederholt, uns in die Rechtsaußenecke abzudrängen.
Sie sollten das endlich einmal lassen. Damit erweisen Sie den demokratischen Parteien keinen Dienst.
Vor kurzem wurde von einem Kollegen aus Ihren Reihen gesagt, daß der Stil immer bedenklichere Formen annehme. Wenn Sie diese Dinge immer wieder herausstellen, brauchen Sie sich nicht zu wundern, daß wir uns dagegen verwahren und daß von uns aus eine Gegenreaktion erfolgt. Sie können nun einmal eine Partei wie die CDU/CSU, die die größte und erste Volkspartei in diesem Lande ist,
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5834 Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Zieglernicht nach rechtsaußen abdrängen; Sie werden das nicht schaffen. Wir sind die große Partei der Mitte, und wir werden es auch bleiben.
Nun haben Sie, Herr Kollege Liehr, uns unterstellt, wird verträten mit unserem Entwurf antigewerkschaftliche Tendenzen.
Ich glaube, auch diese Dinge sollte man nicht so betreiben. Sie wissen sehr gut — wir machen gar keinen Hehl daraus; das entspricht durchaus unserer Auffassung —, daß wir mit dem Entwurf nicht die Forderungen des DGB erfüllt haben. Sie werden das sicherlich auch nicht erwartet haben. Unsere Auffassung von einer pluralistischen Gesellschaft ist eben mehr als nur das, was dem DGB gefällt. Deshalb kann man uns keine antigewerkschaftliche Einstellung unterstellen.
Herr Kollege Schmidt, einige Bemerkungen zu Ihnen. Sie haben gesagt, daß die CDU/CSU in diesem Entwurf — und auch auf anderen Gebieten; an Hand des Programms der CDU haben Sie das herausgestellt — für jeden und von jedem etwas bringt: Ein Stück Sozialausschüsse, ein Stück Wirtschaftsrat und was Sie noch alles aufzuführen für richtig gehalten haben. Ich frage mich, was Sie denn eigentlich von uns erwarten. Wir sind eine Volkspartei, in der alle Gruppen und Schichten der Bevölkerung, der Wirtschaft und der Gesellschaft vertreten sind,
und alle tragen ihr Teil zu dem bei, was von der Gesamtpartei vertreten wird.
Herr Kollege Schmidt, Sie haben dann davon gesprochen, wir hätten einiges abgeschrieben und in unseren Entwurf eingefügt. Ich frage mich, wer tatsächlich von wem abgeschrieben hat.
Ich spreche zwar als Vertreter der Gesamtfraktion der CDU/CSU, aber bei dieser Gelegenheit möchte ich doch als CSU-Mitglied einmal herausstellen, daß die CSU-Landesgruppe im Mai 1970 in Deidesheim als erste ein umfassendes, richtungweisendes Konzept der Betriebsverfassung entwickelt und vorgelegt hat.
Wenn ich den Regierungsentwurf in einigen Teilen so betrachte, weiß ich nicht, Herr Bundesminister — oder soll ich vielleicht besser Herrn Ministerialdirektor Fitting als einen der geistigen Väter dieses Gesetzentwurfs ansprechen? , wer wo was abgeschrieben hat.
— Herr Kollege Schmidt, 'wir bleiben bei Ihrer Übung.Nun zu den eigentlichen Entwürfen. Bei der Debatte um die Verlängerung der Amtszeit der Betriebsräte am 13. November des vergangenen Jahres hat der Kollege Müller im Namen unserer Fraktion die Ablehnung Ihrer Vorlage damit begründet, daß für die Beratung eines neuen Betriebsverfassungsgesetzes die zur Verfügung stehende Zeit angesichts der schwierigen Materie zu kurz sei. Das galt schon für die damals noch zu erwartende Regierungsvorlage, die sich wegen unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten in der Koalition auf eine Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes beschränkte und hinsichtlich der Mitbestimmung keine Regelung vorsah. Die Befürchtung wurde aber noch deutlicher untermauert durch die Ankündigung, die Fraktion der CDU/CSU werde einen eigenen Entwurf zur Gesamtproblematik der Betriebsverfassung und der Mitbestimmung vorlegen.Herr Kollege Müller warnte damals davor, das Beratungsrecht und die Beratungspflicht des Parlaments zu beschränken. Wie ernst und richtig diese Warnung war, glaube ich, geht aus der Begründung der beiden heute eingebrachten Gesetzentwürfe hervor. Ich fürchte sehr, Herr Kollege Schellenberg, die uns zur Verfügung stehende Zeit wird angesichts der umfassenden komplexen Materie, die nun zur Beratung steht, nicht ausreichen.
Wir haben uns allerdings zur Verfügung gestellt und haben bereits für 'die übernächste freie Woche Ihrem Wunsch entsprechend unsere Bereitschaft erklärt, hier einzusteigen. Wir hoffen, daß Sie bei der Beratung unseres Entwurfs in derselben Weise verfahren werden.
Wir haben unsere damalige Ankündigung mit der Einbringung unseres umfassenden Gesetzes zur Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Betrieb und Unternehmen wahr gemacht. Sie wissen, daß das für uns nicht leicht war. Herr Kollege Ruf ist darauf eingegangen, und keiner von uns wird es leugnen. Aber wir haben uns nicht, wie man von Ihnen sagen könnte, um diese schwierige Mitbestimmungsfrage herumgedrückt, wir haben sie nicht ausgeklammert. Wir meinen, die Zeit ist reif, daß dieses Problem einer Lösung zugeführt wird. Wir haben uns für eine Lösung, wie sie uns richtig erschien, entschie-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5835
Zieglerden. Es scheint uns dabei höchste Zeit zu sein, daß die in der Wirtschaft herrschende Unsicherheit beendet wird -- das gilt für alle Teile der Wirtschaft, sowohl für die Arbeitgeber- als auch für die Arbeitnehmerseite und daß für absehbare Zeit klare Verhältnisse geschaffen werden.Unser Entwurf bringt eine ausgewogene Gesamtkonzeption, die die Mitbestimmungs-, Mitwirkungs- und Initiativrechte der Arbeitnehmer und ihrer institutionellen Einrichtungen dem geltenden Recht gegenüber wesentlich verstärkt, auch bei den unternehmerischen Entscheidungen. Der Entwurf trägt dem gestiegenen Selbstbewußtsein der Arbeitnehmer Rechnung und schafft damit die Voraussetzung für eine immer stärkere Integration des einzelnen Arbeitnehmers im Betrieb. Wir wissen aber auch um die bestehenden Abhängigkeiten und ziehen daraus die Konsequenzen durch Ausbau der Rechte des Betriebsrates.Es liegt jetzt an Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Koalitionsparteien, zu zeigen, wie weit es Ihnen ernst ist mit dem, was der Herr Bundeskanzler vor einigen Monaten in diesem Hohen Hause aus einem anderen Anlaß gesagt hat:
daß wir in ein Ringen um die bessere Lösung eintreten sollen. Hier liegen nun zwei voneinander abweichende Konzeptionen vor, und hier sollten Sie zeigen, wie ernst es Ihnen damit ist, in ein Ringen um die bessere Lösung einzutreten.) Trotz des Zeitdrucks, den Sie gegen unsere Warnung damals herbeigeführt haben, erwarten wir, daß Sie den Beratungen in den Ausschüssen den erforderlichen Raum geben, wie es der Bedeutung dieses zentralen Problems gemäß ist, das für den Bestand unserer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung von entscheidender Bedeutung ist.Der Herr Kollege Schmidt hat allerdings die Bemerkung gemacht — er sprach den Kollegen Ruf an —: Sie glauben doch nicht im Ernst, daß Ihr Entwurf, wie Sie ihn heute eingebracht haben, eine Chance hat. Wenn ich das richtig verstanden habe, dann muß ich mich allerdings fragen, ob es wirklich im Ausschuß zu einer so breiten Beratung, wie es der Materie gemäß wäre, kommen kann.
Herr Kollege Schellenberg, wir werden uns durchIhre weitherzige Verbandlungsführung überraschen lassen.
Mit dem unternehmensrechtlichen Teil unseres Entwurfs und den Unterschieden der von uns getroffenen Regelung zu den Empfehlungen der Biedenkopf-Kommission wird sich mein Kollege Dr. Kley noch befassen. Ich möchte mich jetzt darauf beschränken, festzustellen, daß unsere Vorschläge eine erhebliche Verstärkung der Arbeitnehmervertretung in Unternehmen mit mehr als 2000 Beschäftigten mit sich bringen werden. Dabei gehen wir davon aus, daß derjenige, der Arbeitnehmerinteressen in Betrieb oder Unternehmen vertritt, von der Belegschaft gewählt werden muß. Dies gilt auch für die ein bis zwei Arbeitnehmervertreter, die von den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften vorgeschlagen werden können und die nicht in Betrieb oder Unternehmen beschäftigt sein müssen, also auch von außerhalb kommen können. Aber gerade die uneingeschränkte Wahlentscheidung durch die Belegschaft war uns so wichtig, daß wir schon deshalb der Empfehlung der Biedenkopf-Kommission zur Kooptierung von Aufsichtsratsmitgliedern nicht folgen konnten.Die Entscheidung für feste Zahlen, wie sie in unserer Regelung vorgesehen sind, fiel im übrigen aber auch wegen des Interesses an klaren Verhältnissen und an der Vermeidung von Konflikten, die am Ende in aller Regel wahrscheinlich doch im Wege des Kompromisses zum gleichen Ergebnis führen werden, wie wir es mit unseren festen Zahlen konzipiert haben.Ich möchte dabei auf eine Bemerkung von Ihnen, Herrn Kollege Liehr, eingehen. Sie meinten, alles was unterhalb der Parität liege, sei kein Maßstab für eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Genau das ist es, worin wir uns unterscheiden. Wir glauben nicht, daß ausschließlich die paritätische Besetzung des Aufsichtsrats der Maßstab für die gleichberechtigte und gleichwertige Mitbestimmung und Mitwirkung der Arbeitnehmer in Betrieb und Unternehmen ist; dazu gehört sehr, sehr viel mehr.
— Herr Kollege Stücklen, ich möchte bei der allgemeinen Übung bleiben. Ich darf jetzt nicht aus der Reihe tanzen.
Die Zeit drängt.
Auf das Verfahren, das wir für die Abberufung und die Bestellung von Vorstandsmitgliedern gefunden haben, wird Herr Kollege Dr. Kley ebenfalls noch eingehen. Wir glauben, daß mit der gefundenen Regelung eine rechtzeitige und frühzeitige Beteiligung der Arbeitnehmer an diesen sehr, sehr schwierigen und diffiziellen Besprechungen bei der Vorauswahl gewährleistet ist.
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5836 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
ZieglerIm betriebsverfassungsrechtlichen Teil haben wir im Gegensatz zur Bundesregierung an der strengen Friedenspflicht im Betrieb festgehalten. Wir wollen nicht — und das ist bereits ausgesprochen worden — die Betriebe der Gefahr aussetzen, daß sie zum Tummelplatz parteipolitischer Agitation werden. Die Stellungnahme des Bundesrats, daß jede parteipolitische Betätigung die Gefahr in sich birgt, den Betriebsfrieden zu stören, wird von uns voll geteilt. Die Bundesregierung hätte nach unserer Auffassung gut daran getan, der Stellungnahme zu entsprechen und auch in ihrem Entwurf einer eindeutigen Regelung den Vorzug zu geben. Wie und wer soll in der Praxis feststellen, ob und wann im Einzelfall Anhaltspunkte für die Befürchtung bestehen, eine politische Betätigung beeinträchtige den Arbeitsablauf und den Frieden des Betriebs? Was ist, wenn z. B. nach Schichtwechsel die Mitglieder einer dann möglichen parteipolitischen Gruppe, sei es eine CDU-, eine CSU-, eine SPD-Gruppe oder auch eine extreme NPD- oder KPD-Gruppe oder was sonst immer, sich sammelt und mit Sprechchören und Transparenten durch den Betrieb zieht? Die Produktion wird nicht gestört, weil die Kollegen der ablösenden Schicht an den Maschinen stehen. Wird der Betriebsfrieden gestört, wenn jemand solchen Demonstrationen entgegentritt? Wer will das entscheiden, wer will eingreifen? Das sind ja Dinge, wie sie aus einer plötzlichen Situation heraus entstehen. Sie öffnen damit allen Möglichkeiten Tür und Tor. Ich glaube, damit haben Sie sich selbst einen schlechten Dienst erwiesen.
Mit unserem Entwurf werden die bewährten Formen der Partnerschaft im Betrieb weiterentwickelt. Auch wenn Sie, meine Herren von der SPD, es nicht wahr haben wollen, das Betriebsverfassungsgesetz war eines der großen Reformgesetze der Nachkriegszeit und hat mit dazu beigetragen, daß die schweren Jahre des Aufbaus so gut überstanden werden konnten. Wir haben uns nicht darauf beschränkt, die in achtzehnjähriger Anwendung gemachten Erfahrungen, die aufgetretenen Wünsche und die inzwischen von der Rechtsprechung ergangenen Anregungen bei der gesetzlichen Neuregelung zu berücksichtigen. Wir haben auch neue Regelungen gefunden, die sich aus dem Wandel der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse ergeben.Hierher gehört unsere Einordnung der leitenden Angestellten, über die Kollege Dr. Böhme noch sprechen wird. Die leitenden Angestellten sind eine der großen Entdeckungen des 20. Jahrhunderts
und typisch für die moderne Industriegesellschaft. Sie kristallisieren sich in allen Betrieben immer mehr als eine besondere gestaltende Kraft, und niemand, der an eine Neuordnung des Rechts der Betriebsverfassung und des Unternehmensrechts denkt, kann in dieser Tatsache vorübergehen.Ein besonders wesentliches Anliegen war uns die Schaffung gesicherter Mitbestimmungsrechte für den einzelnen Arbeitnehmer. Wir haben sie — Kollege Schmidt hat schon darauf hingewiesen — gleichsam als Grundrechte dem Teil, der die kollektive Vertretung der Arbeitnehmerinteressen regelt, vorgeschaltet. Diese gesetzliche Fixierung der Einzelrechte, zu deren Sicherung Arbeitgeber und Betriebsrat verpflichtet sind, erscheint uns für den Abbau der Objektstellung des Arbeitnehmers mindestens ebenso wichtig wie die Mitwirkung der Arbeitnehmerschaft an der unternehmerischen Entscheidung durch Entsendung von Vertretern in den Aufsichtsrat. Sie ist Voraussetzung dafür, daß Unterordnungsverhältnisse so weit wie möglich durch Zusammenarbeit ersetzt werden können. — Auf den umfassenden Katalog ist Kollege Ruf schon eingegangen; ich möchte es mir, auch in Anbetracht der knapp werdenden Zeit ersparen, darauf noch einmal einzugehen.Für Betriebe mit mehr als 2000 Beschäftigten sieht unser Entwurf die Einrichtung von Arbeitsgruppensprechern vor.
— Allerdings ist das ein Fortschritt. In der betrieblichen Praxis gibt es fast immer Arbeitsgruppen, für die auch Sprecher auftreten. Wir haben es für sinnvoll gehalten, sie in das Gesetz einzubauen und institutionell abzusichern. Der Sprecherbereich umfaßt eine in sich geschlossene betriebliche Einheit, deren Interessen durch den Arbeitsgruppensprecher artikuliert werden sollen. Die Institution der Arbeitsgruppensprecher soll ferner dem besseren Informationsfluß dienen. Vor allen Dingen in größeren Unternehmen und Betrieben ist der Betriebsrat nicht immer in der Lage, dem Informationsbedürfnis bis herunter zum letzten Mann gerecht zu werden. Der Arbeitsgruppensprecher soll — und das wird sich bei der Beratung zeigen, wenn wir uns mit diesem Komplex eingehend befassen — auch keine Konkurrenz zum Betriebsrat sein. Er soll und wird vielmehr dessen Arbeit unterstützen.Für die Betriebsräte und die Jugendvertreter, aber auch für die Arbeitsgruppensprecher haben wir in unserem Entwurf einen Anspruch auf Freistellung für drei Wochen innerhalb einer Amtszeit zur Teilnahme an Bildungsveranstaltungen vorgesehen. Wir gehen damit weit über den Regierungsentwurf hinaus: Arbeitsgruppensprecher, Jugendvertreter, nicht nur Betriebsräte. Wir gehen auch insofern darüber hinaus, als wir für solche, die erstmals das Amt eines Arbeitsgruppensprechers, eines Jugendvertreters oder eines Betriebsrats wahrnehmen, zusätzlich eine weitere Woche vorsehen, also insgesamt einen Anspruch von vier Wochen in einer Amtszeit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Wir haben uns mit unserem Entwurf auf vielen Gebieten auf Neuland begeben. Dabei nehmen wir nicht für uns in Anspruch, auf Anhieb optimale, letzte Lösungen gefunden zu haben. Wir haben uns aber darum bemüht und glauben, den Weg gezeigt zu haben, wie die Verfassung der Betriebe und der Unternehmen in der modernenDeutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den il. Februar 1971 5837ZieglerIndustrie- und Leistungsgesellschaft gestaltet sein muß. Diese stellt an alle in der Wirtschaft Tätigen immer höhere Anforderungen und verlangt höheres Engagement. Wir haben mit unserem Entwurf dieser Tatsache Rechnung getragen. Nur wenn es uns gelingt, die Arbeitnehmer immer stärker am betrieblichen Geschehen zu interessieren und zu beteiligen, kann die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gesichert und damit die Vollbeschäftigung garantiert werden. Unser Entwurf dient diesem Ziel.
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg. Für ihn hat die SPD-Fraktion eine Redezeit von 45 Minuten beantragt. Wir werden damit etwas später in die Mittagspause eintreten. Aber ich glaube, Sie sind wie ich der Auffassung, daß wir die Zeit nutzen müssen. Sonst kommen wir heute abend nicht zu einem zeitgerechten Abschluß.
Bitte schön, Herr Dr. Schellenberg!
Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein wenig erstaunlich, daß Herr Kollege Katzer, der in der Öffentlichkeit jahrelang die großartigsten Versprechungen hinsichtlich Mitbestimmungsinitiativen gemacht hat, bis jetzt schweigt. Vielleicht ist das eine Folge der schweren Niederlage, die er persönlich und die Sozialausschüsse in Düsseldorf erlitten haben. Vielleicht wollte Herr Katzer auch nicht in der Nähe von Herrn Ruf sprechen. Denn Herr Ruf hat bekanntlich erklärt: Die Sozialausschüsse sind eine nicht so gewichtige Gruppe in der Partei. Das hat Herr Kollege Katzer sicher als eine schwere Kränkung empfunden.
Aber Herr Ruf das zeigte Düsseldorf — hat mit
seiner Bemerkung, „eine nicht so wichtige Gruppe", recht behalten.
- Das haben Sie selbst schriftlich von sich gegeben.
— Nein, es ist ein Interview, das Herr Ruf dem „Volkswirt" abgegeben hat. Ich kann es Ihnen vorlesen, Herr Kollege Ruf.
Einen Moment! Herr Abgeordneter Ruf, Sie können doch nicht einfach ein Mikrophon ergreifen. Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen?
Dann müßte Ihnen das Wort dazu erteilt werden. Sie können hier nicht einfach ein Mikrophon ergreifen.
Lassen Sie eine Zwischenfrage zu, Herr Abgeordneter Schellenberg?
Herr Abgeordneter Schellenberg, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Ja, bitte.
Herr Kollege Schellenberg, würden Sie die Freundlichkeit haben, mir dieses angebliche Interview einmal vorzulesen? Würden Sie mir glauben, daß ich dem „Volkswirt" seinerzeit kein Interview gegeben habe? Würden Sie mir zugeben, daß nicht jeder für das verantwortlich ist, was über ihn geschrieben wird? Da haben Sie den Katalog von Fragen.
Herr Kollege Ruf, ich werde im Laufe des heutigen Tages das Interview hier genau vorlesen.
Ich möchte sagen, daß der jetzt schweigende Herr Katzer — das wird er nicht bestreiten — die Mitbestimmungsfrage sogar dazu benutzen wollte, die CDU wieder aus der Opposition herauszubringen. In einem Interview zur Mitbestimmungsfrage in der „Welt" vom 14. November 1969 erklärte Herr Katzer:Wir müssen einfach eine gemeinsame Lösung finden; denn nur so erhalten wir die Möglichkeit, eines Tages wieder in die Regierung zurückzukehren.
Diese Illusion ist inzwischen gründlich, und zwar in doppelter Weise, zerstört worden.
Einmal kann die Einbringung des jetzigen Entwurfs wohl nicht darüber hinwegtäuschen, daß die CDU in dem Grundsatz der Mitbestimmung mehr denn je zerstritten ist.
Zum anderen ist doch wohl die Hoffnung, Herr Kollege Katzer, durch ein gesellschaftliches Konzept der Mitbestimmung, wie Sie sagten, wieder in die Regierung zu kommen, zerplatzt wie eine Seifenblase.
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5838 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Dr. Schellenberg3 Herr Kollege Katzer, in diesem Zusammenhang muß ich etwas erwähnen, was in der Aussprache schon eine Rolle spielte,
nämlich die Ablehnung des Verlängerungsgesetzes durch die CDU am 13. November 1970, die Sie damit begründeten, die Bundesregierung sei ja doch nicht imstande, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Wie waren die Tatsachen?
Noch keine drei Wochen nach diesem 13. November war der Regierungsentwurf dem Bundesrat zugegangen und damit auf den Weg der Gesetzgebung gebracht. Aber der von Ihnen, Herr Katzer, so großartig angekündigte eigene Gesetzentwurf konnte wegen der Zerrissenheit der CDU
erst vorgestern, am Dienstag, an alle Abgeordneten und die Presse verteilt werden. Ich will nicht verschweigen, daß schluckweise einige Exemplare an einzelne Sprecher der Regierungsparteien verteilt wurden.
Aber als wir am Dienstag eine Fraktionssitzung hatten, war der CDU-Entwurf noch nicht ausgedruckt. Das ist für eine Vorlage mit 145 Paragraphen in der Geschichte dieses Hauses wirklich ein einmaliger Vorgang, einer Mißachtung nicht nur des gesamten Hauses, sondern auch. der Öffentlichkeit und der Presse,
wenn zwei Tage vor der Beratung im Plenum ein solcher Gesetzentwurf von 145 Paragraphen Umfang noch nicht zur Verfügung steht.
Die großen Worte von Herrn Ruf und Herrn Ziegler können die gesellschaftspolitische Zwiespältigkeit der CDU nicht überdecken. Heute haben Herr Ruf und dann Herr Ziegler darin gewetteifert, den CDU-Entwurf als progressiv darzustellen.
Als es aber in Düsseldorf um die politische Grundsatzentscheidung über die Mitbestimmung in Unternehmen ging, hat die konservative Mehrheit der CDU,
um ein Wort des Siegers von Düsseldorf, Herrn Dregger, zu gebrauchen,
die Mitbestimmung als Modernismus abqualifiziert.Das ist der politische Unterschied: Bei Ihnen siegendie, die sagen: „Mitbestimmung ist Modernismus",und wir wollen „das moderne Deutschland". Das ist der Unterschied.
Nun ein weiterer Tatbestand. Bei der Mitbestimmung in den Unternehmen
— ich komme darauf; Sie hören alles ganz genau — geht es, so erklärte Herr Kollege Katzer, und da stimme ich ihm zu,
um die Gleichgewichtigkeit von Kapital und Arbeit. Diese Gleichgewichtigkeit von Kapital und Arbeit hat der CDU-Parteitag — das war sein politischer Höhepunkt und für Sie, Herr Kollege Katzer, und die Sozialausschüsse der politische Tiefpunkt — mit erdrückender Mehrheit verworfen.
Diese Ablehnung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Unternehmen findet ihren Niederschlag im Inhalt des Gesetzentwurfes.
Meine Damen und Herren, in Verdrehung der bisherigen Gesetzessprache — Herr Kollege Benda, Sie werden nachher noch sprechen, wie ich gehört habe — gibt die CDU ihrem Gesetzentwurf den Propagandatitel „Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Betrieben". Diese Überschrift steht nicht im Einklang mit dem Gesetzesinhalt; denn von den 145 Paragraphen geben drei Paragraphen Mitbestimmungsrechte im Sinne der bisherigen Gesetzessprache. Nach Ihrer Legaldifinition in § 29 liegt Mitbestimmung dann vor, wenn Angelegenheiten nur gemeinsam geregelt werden können. Und nun nennen Sie den ganzen Gesetzentwurf von 145 Paragraphen in Abwandlung der bisherigen Gesetzessprache „Mitbestimmung"!Ich möchte ganz klar und deutlich sagen, einem Gesetzentwurf eine Überschrift zu geben, die nicht den Gesetzesinhalt kennzeichnet, war bisher bei uns und nach meiner Kenntnis in demokratischen Staaten nicht üblich.
Durch ihren Propagandatrick mit der falschen Überschrift will die CDU offensichtlich den Eindruck erwecken, als ob ihr Gesetzentwurf nunmehr die Mitbestimmung als Gleichgewicht von Kapital und Arbeit bringe. Tatsächlich regelt aber der Entwurf der CDU ähnlich wie das Betriebsverfassungs-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5839
Dr. SchellenbergBesetz 1952 Fragen der Betriebsverfassung. Der Propagandatitel des CDU-Entwurfes ist eine Irreführung der Öffentlichkeit, ein Verstoß gegen den Grundsatz der Klarheit und Wahrheit.
Abgesehen vom falschen Titel des Gesetzentwurfs ist auch sein Inhalt hinsichtlich der Mitbestimmung im Betrieb frisiert. Die CDU setzt in ihrem Entwurf
- hören Sie genau zu! —
in einer Abschnittsüberschrift des Zweiten Teils— Sie können das vergleichen — im Gegensatz zum geltenden Recht den Begriff Mitbestimmung vor den der Mitwirkung. Diese Wortumstellung ist reine Optik.Was die Vertretung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat betrifft, so bedeutet die Gewährung eines weiteren bzw. weiterer Arbeitnehmersitze im Aufsichtsrat keine Änderung — und das ist politisch entscheidend — in der Substanz.
Einer der Ihren hat gesagt, und ich zitiere:Ich halte es für relativ belanglos, ob die Arbeitnehmer mit einer oder zehn Stimmen dem Partner Anteilseigner unterlegen sind.
Mit einer solchen Erhöhung der Zahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, die keine Änderung in der Substanz bringt, ist im Grundsatz nichts erreicht, und eine solche Optik — das möchten wir Ihnen freimütig sagen — werden wir nicht mitmachen.
Die Haltung der SPD in der Frage der Mitbestimmung war und ist eindeutig.
Die SPD hat in ihren programmatischen Erklärungen stets ein eindeutiges Bekenntnis zur gleichgewichtigen Mitbestimmung in den Unternehmungen abgelegt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke?
Ja, bitte schön!
Herr Kollege Schellenberg, wenn Sie hier so für die Parität eintreten, darf ich Sie fragen: Warum hat der von Ihnen gestellte Minister für das Post- und Fernmeldewesen die Drittelparität bei der Neubesetzung des Postverwaltungsrates durchgesetzt?
Herr Kollege Franke, diese Frage steht im Zusammenhang mit dem, was wir hier behandeln, nämlich Betrieb und Unternehmen. Über den öffentlichen Bereich werden wir im im Zuge der Neugestaltung der Personalvertretung — —
— Nein, darf ich folgendes sagen. Wir kommen auch noch zum Personalvertretungsgesetz.
— Ja, bitte, Herr Kollege Franke!
Herr Kollege Schellenberg, kennen Sie z. B. die Bestrebungen der ÖTV, die Parität auch in öffentlichen Betrieben durchzusetzen, und wie verträgt sich das mit der Äußerung zur Drittelparität, die Sie gerade gemacht haben?
Herr Kollege Franke, ich darf Ihnen folgendes sagen. Das, was sich jetzt in einigen Kommunen und Kommunalverbänden vollzieht, ist, daß Aktionäre im Wege des Vertrages Rechte abtreten. Wir behandeln hier gesetzliche Regelungen. Sie erklären durch die Überschrift ihres Entwurfes, sie würden die Mitbestimmung bringen. Ich sage: Inhalt Ihres Entwurfes ist keine Mitbestimmung. Das ist der politisch entscheidende Punkt.
Ich möchte Ihnen noch etwas sagen, damit das völlig klar ist. Nach den Ergebnissen der Bundestagswahl vom 28. September 1969 erklären wir freimütig, daß eine Verwirklichung unserer Parteitagsbeschlüsse zur paritätischen Mitbestimmung in Großunternehmungen heute gesetzgeberisch nicht möglich ist. Das ist bereits bei der Aussprache über die Regierungserklärung, Herr Kollege Mischnick, ausdrücklich gesagt worden. Ich möchte es hier bestätigen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pinger?
Ja, bitte!
Herr Kollege Schellenberg, wenn Sie die Verbesserung der Vertretung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat von einem Drittel auf 7 : 5 als unwesentlich bezeichnen, würden Sie
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5840 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Dr. Pingerdann umgekehrt auch eine Verminderung der Zahl der Sitze der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat, also weniger als ein Drittel, für unwesentlich halten?
Ich sage, es geht um Wandlungen in der Struktur der Unternehmen. Das ist das Entscheidende.
Ich werde Ihnen auch darlegen, weshalb wir der Auffassung sind, daß Ihre Zahlenmethode
keine Klärung des zentralen Problems der Gleichgewichtigkeit von Kapital und Arbeit bringt. Das hat auch Herr Katzer in Düsseldorf klar gesagt. Das ist kein Schritt, um in der Großwirtschaft eine demokratische Unternehmensverfassung weiterzuentwickeln. Darauf kommt es an.
Ihr Gesetzentwurf — Herr Franke, hören Sie zu! --
bringt nur Scheinlösungen, die eine echte Regelung der Probleme auf lange Sicht behindern. Klare und dauerhafte Entscheidungen liegen aber nicht nur im Interesse der Arbeitnehmer, sondern auch im Interesse der gesamten Wirtschaft.
Wenn Herr Katzer in Düsseldorf gesagt hat, es werde keine Ruhe geben, solange nicht die Gleichgewichtigkeit von Kapital und Arbeit hergestellt sei, so bestätigt er unsere Auffassung.
— Meine Fraktion setzt sich dafür ein, daß das zur Sicherung der gleichgewichtigen Mitbestimmung Notwendige getan wird.
Die Bundesregierung schlägt in der Drucksache VI/ 1785 vor, durch Gesetz den Status quo bei der paritätischen Mitbestimmung zu sichern, damit im Bereich der Montan-Mitbestimmung das Erreichte gewahrt wird.
Es ist höchst bezeichnend für den CDU-Gesetzentwurf, daß er dort nichts über die Sicherung der paritätischen Mitbestimmung enthält, wo sie heute wegen Produktionswandlungen gefährdet ist.
Der CDU-Entwurf mit dem falschen Titel „Mitbestimmung der Arbeitnehmer" führt somit in bezug auf die paritätische, die effektive Mitbestimmung zu einem Status quo minus.
— Das ist doch das politische Ergebnis. Es ist doch ganz offensichtlich, daß in Teilen der Montan-Industrie im Zusammenhang mit den Strukturwandlungen die Mitbestimmung gefährdet ist, die echte Mitbestimmung im Sinne der bisherigen Gesetzessprache. Dazu sagt der CDU-Gesetzentwurf kein Wort.
Aber jetzt zum Betriebsverfassungsgesetz.
Obwohl dieses Gesetz aus dem Jahre 1952 seit langem nicht mehr der gewandelten Arbeitswelt entspricht, haben die von der CDU/CSU geführten Bundesregierungen es unterlassen, die Betriebsverfassung den gewandelten Bedingungen unseres Arbeitslebens anzupassen. Herr Kollege Katzer, in Ihrer Ministerzeit haben Sie nichts dafür getan, durch einen besseren Ausgleich der unterschiedlichen Interessen im Arbeitsleben dafür zu sorgen, daß der Freiheitsraum des einzelnen in diesem Bereich erweitert wird. — Bitte schön, Herr Kollege Franke!
Eine Zwischenfrage, Herr Kollege Franke.
Ich habe mit dem Herrn Präsidenten geliebäugelt: er wollte mich hier etwas zurückhalten mit Recht, wegen der Zeit. Ich mache es ganz kurz, Herr Präsident. — Herr Kollege Schellenberg, warum haben Sie dann nicht vorher als Oppositionspartei ebenfalls einen Entwurf zum Betriebsverfassungsgesetz vorgelegt, statt erst dann, als Sie in der Regierung waren?
Herr Kollege Franke, Sie kennen die Geschichte dieses Hauses und auch die Geschichte der Großen Koalition leider nicht genau. Deshalb darf ich Ihnen etwas vorlesen.
Vermerk über ein Koalitionsgespräch zum Betriebsverfassungsgesetz am 23. Oktober 1967,
als wir gemeinsam in der Regierung waren.
Damals haben wir auch über eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes verhandelt. Dabei haben Sie uns durch die, die damals für die CDU/CSU unsere Gesprächspartner waren, folgendes erklärt. In einer Notiz über diese Gespräche heißt es: „Herr Winkelheide wendet gegen einen gemeinsamen Entwurf ein, daß ein solcher gemeinsamer Entwurf in wenigen Wochen nicht fertig sein könne".
Die CDU wollte aber einen Entwurf vor den Betriebswahlen - März bis Mai 1968 - fertig haben.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5841
Dr. SchellenbergDeshalb ist es zu keiner gemeinsamen Initiative gekommen.
Nach dem Scheitern der damaligen Koalitionsgespräche von 1967 haben wir dann im Jahre 1968 hier eine Initiative ergriffen.
Wir haben uns also in der Koalition mit der CDU sehr bemüht, zu gemeinsamen Regelungen zu kommen, aber die CDU wollte nur Regelungen für die nächste Betriebsratswahl, alles andere haben Sie abgelehnt.Meine Damen und Herren, ich muß mich noch weiterhin an Herrn Kollegen Katzer und Herrn Kollegen Blank ich sehe ihn im Augenblick nicht — wenden. Herr Kollege Katzer, Sie und Ihre Vorgänger wußten natürlich, daß Sie mit der Betriebsverfassung in das Spannungsfeld sehr unterschiedlicher Interessen in Ihrer eigenen Partei geraten würden.
Das haben Sie gewußt. Deshalb haben die CDU- Arbeitsminister es nicht gewagt, diese für viele Millionen Arbeitnehmer wichtige Frage gesetzgetierisch anzupacken.
Im Zuge der inneren Reformen hat die Regierung Brandt/ Scheel ungeachtet des erheblichen Konfliktstoffes, der naturgemäß in dieser Materie liegt, unverzüglich die Arbeiten zu einer grundlegenden Neugestaltung des Betriebsverfassungsgesetzes aufgenommen und zu Beginn des zweiten Jahres ihrer Amtszeit auf den Weg der Gesetzgebung gebracht. Diese Initiative der Bundesregierung und insbesondere des Arbeitsministers — in dieser Hinsicht möchte ich die Ausführungen meines Kollegen Liehr unterstreichen — verdient Anerkennung.
Der CDU/CSU blieb unter dem Zugzwang der Regierungserklärung und der präzisen Aussagen des Sozialberichts der CDU/CSU dann nichts anderes übrig, als — ungeachtet ihrer internen Schwierigkeiten — nun ebenfalls einen Gesetzentwurf zu erarbeiten.
Jetzt will ich Ihnen einmal sagen, was Ihr Gesetzentwurf wirklich beinhaltet. Der Gesetzentwurf der CDU/CSU mit dem falschen Titel ist ein Mixtum aus dreierlei. Erstens sind in ihm über 40 Paragraphen des Gesetzes von 1952 inhaltlich übernommen.
Zweitens sind 31 neue Regelungen des Regierungsentwurfs übernommen worden.
Diese lange Reihe — ich habe mir das zusammenstellen lassen und kann es Ihnen vorlesen — reicht vom Recht des einzelnen auf Einsichtnahme in Personalakten über den Ausbau der Rechte der Betriebsvertretung bis hin zur Errichtung von Konzernbetriebsräten. Wenn wir heute noch lange tagen, wird Ihnen die Liste von 31 Punkten vorgelesen werden, die Sie aus dem Regierungsentwurf abgeschrieben haben.
— Abschreiben war ja gut. Sie hätten nur nochmehr abschreiben sollen; das wäre besser gewesen.
In anderen Punkten — das wollte ich als drittes sagen — sind Sie dem Regierungsentwurf leider nicht gefolgt. Die CDU/CSU verharrte hier entweder in ihren konservativen Vorstellungen oder geht mit den eigenen Vorschlägen gesellschaftspolitisch in die Irre. Darüber werden wir heute noch eingehend zu sprechen haben.Der Entwurf der Bundesregierung stärkt das Recht und den Rechtsschutz jedes einzelnen Abeitnehmers, erweitert den Freiheitsraum am Arbeitsplatz und im Betrieb und bringt mehr Demokratie im Arbeitsleben. In diesen Punkten ist der Regierungsentwurf der CDU/CSU-Vorlage entscheidend überlegen.Herr Kollege Ruf, Sie haben vorhin von der besseren Alternative der Opposition gesprochen. So habe ich es mir jedenfalls aufgeschrieben. Ich möchte Ihnen an drei Beispielen darlegen, wo die Regierungsvorlage gegenüber dem Entwurf der CDU den entscheidenden gesellschaftspolitischen Durchbruch bringt. Meine Kollegen werden das im Laufe des heutigen Nachmittags und Abends noch weiter belegen.
Ich komme auf einen ersten Punkt zu sprechen, auf den Herr Ruf besonders stolz war. Der Regierungsentwurf verbessert die Lage des einzelnen Arbeitnehmers dadurch, daß er seine Rechte in den Angelegenheiten, die ihn und seinen Arbeitsplatz unmittelbar betreffen, erheblich verstärkt. Was den materiellen Inhalt betrifft, so hat die CDU/CSU die Regierungsvorlage übernommen. Der pathetische Ausdruck „Grundrechtskatalog" für den einzelnen Arbeitnehmer, der auch hier gefallen ist und der den Eindruck sehr fortschrittlicher Konzeptionen machen will, erweckt unerfüllbare Hoffnungen.
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5842 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Dr. SchellenbergDie CDU/CSU hat den Abschnitt über Individualrechte des Arbeitnehmers mit weitschweifenden Proklamationen versehen,
die kaum verbindliche Wirkungen haben und im Konfliktfall nur ausnahmsweise durchsetzbare Rechte bieten. Während die Regierungsvorlage prägnante Begriffe enthält, werden die von der CDU/CSU angekündigten Rechte in entscheidenden Punkten durch Kautschuk-Begriffe wie „soweit wie möglich" wieder eingeschränkt.
Dadurch macht die CDU den Schutz des einzelnen Arbeitnehmers — und darauf kommt es doch im Arbeitsleben an — weniger effektiv als der Regierungsentwurf.
Die CDU hat über ihre schönen Ankündigungen und Proklamationen — Grundrechte des Arbeitnehmers usw. — vergessen, daß der einzelne Arbeitnehmer isoliert, auf sich gestellt, im betrieblichen Alltag als der wirtschaftlich Schwächere unterlegen ist. In der Begründung der CDU-Vorlage heißt es im Zusammenhang mit den Individualrechten, man muß die Mündigkeit des einzelnen Arbeitnehmers und die Fähigkeit, seine Interessen selbst in die Hand zu nehmen, respektieren
und dafür zu sorgen, daß. seine Freiheit und Unabhängigkeit gewahrt bleibt und er nicht in neue Abhängigkeiten gerät.
Wer solche Formulierungen wählt, setzt sich dem Verdacht aus, daß er ungeachtet aller verbalen Beteuerungen, die auch Herr Kollege Ziegler gemacht hat, den einzelnen Arbeitnehmer von der organisatorischen Durchsetzung seiner Interessen abhalten will. Das ist ein entscheidender Punkt.
Damit schwächt der CDU-Entwurf aufs Ganze gesehen die Position des einzelnen Arbeitnehmers im Spannungsfeld des Betriebes.
Deshalb müssen zum Schutz des einzelnen Arbeitnehmers die Rechte des Betriebsrats und der Gewerkschaften gesichert und gestärkt werden.Dies tut der Regierungsentwurf. Ich will Ihnen das in Erweiterung der Ausführungen meines Kollegen Liehr verdeutlichen. Wichtigste Bereiche für den Arbeitnehmer sind und bleiben leistungsgerechte Entlohnung und menschengerechte Gestaltung der Arbeit. Der Regierungsentwurf schafft hier neue Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats. Der Betriebsrat erhält ein gleichberechtigtes Mitbestimmungsrecht bei allen Änderungen der Arbeitsplatzgestaltung und des Arbeitsablaufs, durch die der Arbeitnehmer besonderen Belastungen ausgesetzt ist. Der Betriebsrat kann laut Regierungsentwurf Maßnahmen zur Abwendung, Milderung und zum Ausgleich dieser Belastungen des Arbeitnehmers verlangen. Das ist ein entscheidender Fortschritt in unseren Bemühungen, das Arbeitsleben humaner zu gestalten. Die CDU/CSU hat diesen Bereich völlig vergessen. Den hätten Sie als Punkt 32 Ihrer Abschreibliste abschreiben sollen!
Der Betriebsrat erhält über die Gestaltung von Akkordlöhnen hinaus ein echtes Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung aller leistungsbezogenen Entgelte. Der CDU-Entwurf regelt nur Verfahrensfragen; er ist auch hier im alten verharrt. Es zeigt sich, sobald man den Putz des CDU-Entwurfs abkratzt, immer wieder der harte Kern der vom konservativen Flügel durchgesetzten Forderungen.Das möchte ich im Zusammenhang mit der Friedenspflicht näher erläutern, auf die Sie, Herr Kollege Ruf, besonders stolz sind. Auch Herr Ziegler hat das für so wichtig gehalten.
Sie reden wohltönend von der Friedenspflicht des Betriebsrates und des Arbeitgebers, aber Sie übersehen dabei, daß nach dem geltenden Recht Verstöße des Arbeitgebers gegen die Friedenspflicht ohne gesetzliche Sanktionen bleiben. Nach dem geltenden Recht, das Sie übernehmen, werden lediglich Pflichtverletzungen von Betriebsratsmitgliedern geahndet.
Das ist die Ungleichheit in bezug auf die Friedenspflicht.Der Regierungsentwurf geht diese Frage an und packt sie ungeachtet der Schwierigkeiten und Probleme an, indem er festlegt, daß bei groben Verstößen des Arbeitgebers gegen seine gesetzlichen Verpflichtungen gerichtliche Strafen, Geldstrafen, gegen ihn verhängt werden können.
Der Regierungsentwurf zeigt das Bemühen, Gleichheit zu schaffen und nicht die Ungleichheit zu konservieren, die das Merkmal Ihres Gesetzentwurfs ist.
Nun zur Frage der politischen Betätigung. Hier sind Sie auch besonders stolz, daß Sie es beim alten lassen, Herr Kollege Ruf. Aber das Entscheidende des Regierungsentwurfs ist — ich kann voll unterstreichen, was Herr Minister Arendt in dieser Hinsicht gesagt hat —, daß politische Betätigung dann nicht untersagt wird, wenn der Arbeitsablauf und der Frieden des Betriebs ungestört bleiben. Das ist doch eine Formulierung, zu der sich erfreulicherweise auch der Sprecher der FDP, Herr Kollege Schmidt , ausdrücklich bekannt hat.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5843
Dr. Schellenberg— Ich habe gesagt, daß die Materie Konfliktstoffe enthält. Das braucht man nicht zu verschweigen. Wir sind stolz darauf, daß wir eine gemeinsame Lösung erarbeitet haben,
während seit 1952 unter CDU-Arbeitsministern nichts geschehen ist.
Es wurde schon von Herrn Kollegen Liehr und Herrn Kollegen Schmidt gesagt, daß Ihre Einwände einen erstaulichen Mangel an Vertrauen zu den demokratischen Kräften in unserer Gesellschaft erkennen lassen. Sie folgen damit dem, was Herr Heck wiederholt von sich gegeben hat. Ich zitiere Herrn Heck:Für uns ist die Demokratie unsere Form der politischen Herrschaft im Staate. Es hat wenig Sinn, mit einer Demokratisierung den Bereich des Staates zu überschreiten.So Herr Heck im DUD. Gestern hat er es noch einmal unterstrichen, indem er im DUD von Demokratisierungsideologie sprach, die man ablehnen müsse. Hier liegen entscheidende Unterschiede zwischen Ihnen und uns.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Horten?
Herr Professor Schellenberg, kennen Sie die sehr interessante, sich weitgehend mit den Gedankengängen von Herrn Heck berührende Auslegung des Demokratiebegriffs von Herrn Professor Richard Löwenthal, die er kürzlich hier in Bonn vor einem Kreise — mit vielen Mitgliedern auch Ihrer Fraktion — gegeben hat, worin er gerade gegen die Parität aus seinem Demokratieverständnis die größten Bedenken anmeldete?
Lieber Herr Kollege Horten, es gibt Gott sei Dank in dieser Frage einen lebhaften Gedankenaustausch auch von Wissenschaftlern und Politikern. Wir machen hier handfeste Gesetze, und darauf kommt es an.
Die CDU/CSU will weiter an dem Ausschluß der Politik aus dem Arbeitsleben festhalten.
Wir wollen unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und betrieblichen Fakten die Dinge auflokkern. Wir wollen das Gespräch und die kritische Partnerschaft mit dem Menschen im Arbeitsleben. Das ist im alten Recht, an dem Sie festhalten wollen, nicht gewährleistet. Dieses starre Festhalten am antiquierten Recht ist lebensfremd.Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus der praktischen Arbeit dieses Hauses geben. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat auf Vorschlag meinerFraktion einmütig, also auch mit den CDU/CSU- Stimmen, beschlossen, bei der Anhörung zu diesem Gesetz nicht nur Vertreter der Organisationen, sondern erstmals auch Sachkundige aus allen Bereichen der betrieblichen Praxis zu hören. Von diesen 40 Sachkundigen werden 30 Betriebsräte aus allen Teilen der Bundesrepublik, aus Groß-, Mittel- und Kleinbetrieben sein.
-- Jetzt komme ich auf das geltende Recht. Diese Betriebsräte würden nach geltendem Recht an den Rand der Legalität geraten, wenn sie dann auf der nächsten Betriebsversammlung auf Grund ihrer beim Ausschußhearing gewonnenen Kenntnisse die Gesetzentwürfe wertend verglichen.
Dieses Beispiel zeigt, wie notwendig es ist, das strikte Verbot politischer Stellungnahmen aufzulokkern, weil es nämlich an der Wirklichkeit des Arbeitslebens vorbeigeht. Das Parlament muß jede Möglichkeit nutzen, zum Volk, zu den Betriebsräten Kontakt herzustellen bei Gesetzen, die sie betreffen.Damit Sie sich im klaren darüber sind, worauf wir hinauswollen: Wenn sich die Anhörung von Betriebsräten bei uns bewährt, dann bin ich sicher, daß sich diese Praxis fortsetzen wird. Auch Landtage und Kommunalparlamente werden dann im Rahmen ihrer Aufgaben zu ähnlichen Anhörrungen kommen. Denn Informieren und Sich-Informieren über politische Fragen gehört zum Wesen unserer Demokratie.
Wir als Gesetzgeber müssen dafür sorgen, daß das Arbeitsleben nicht vom politischen Leben ausgeschlossen bleibt. Dadurch, daß die Regierungsvorlage politische Betätigung nur bei Beeinträchtigung des Arbeitsablaufs und des Betriebsfriedens untersagt, wahrt sie die betrieblichen Erfordernisse und verwirklicht unsere Zielsetzung, die Demokratie in allen Bereichen, also auch im Arbeitsleben zu stärken.Die Demokratie beginnt nicht erst nach Arbeitsschluß und in der Freizeit, sondern wir müssen zweckentsprechende Regelungen treffen, um die Prinzipien der Demokratie mehr in die Arbeitswelt hineinzubringen und dürfen sie nicht durch gesetzliche Maßnahmen den Menschen im Arbeitsleben verbieten, wie Sie es weiterhin wollen.Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt den Regierungsentwurf. Mein Kollege Liehr sagte, dennoch wollen wir uns bemühen, dieses und jenes auf Grund größerer Kenntnisse im Ausschuß noch zu verbessern. Wenn Sie dazu beitragen wollen, stehen wir selbstverständlich jedem Gedankenaustausch aufgeschlossen gegenüber. Unser Grundsatz lautet: Wir begrüßen den Entwurf, weil er für die Betriebsverfassung zukunftsweisende Neueregelungen bringt. Es geht — das ist unser Prinzip — bei
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5844 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Dr. Schellenbergdieser wichtigen Reform darum, den Freiheitsraum des einzelnen Arbeitnehmers zu erweitern und der Vermenschlichung des Arbeitslebens zu dienen.
Meine Damen und Herren, bevor ich die Sitzung wegen der Mittagspause unterbreche, möchte ich Sie auf folgendes hinweisen. Um 14.00 Uhr findet die Fragestunde statt. Da nur eine begrenzte Zahl von Fragen vorliegt, werden wir schon nach etwa 30 bis 40 Minuten mit der Fragestunde fertig sein. Anschließend werden wir sofort diese Debatte fortsetzen. Ich bitte Sie, sich darauf einzurichten; das gilt insbesondere für dejenigen, die reden werden, auch für die Regierung. Wir werden also möglicherweise bereits zwischen 14.30 und 14.40 Uhr mit der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt fortfahren.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14.00 Uhr.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Wir beginnen mit Punkt I der Tagesordnung: Fragestunde
Drucksache VI/ 1807
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß, nachdem sie sich unter Vorausgang Frankreichs, Italiens und Belgiens anschickt, bilaterale Kontakte auf dem Technologiesektor mit der Sowjetunion aufzubauen, nunmehr versucht werden sollte, diese parallelen Bestrebungen aufeinander abzustimmen und über die europäischen Gemeinschaften ZU koordinieren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Dr. Walz, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß eine Abstimmung unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften wünschenswert ist. Sie hat deshalb die häufigen bilateralen Kontakte mit anderen Mitgliedstaaten auch zur Konsultation über die wissenschaftlichtechnischen Beziehungen mit der Sowjetunion benutzt. Allerdings muß man wissen, daß die Europäische Gemeinschaft keine Kompetenz für diese Koordination hat. Man muß selbstverständlich auch bedenken, daß die technologische Zusammenarbeit eine zarte Pflanze ist und daß der Aufwand nachher in einem vernünftigen Verhältnis zum Erfolg stehen muß. Man weiß ja, wie kompliziert letzten Endes jeder Koordinationsmechanismus ist.
Eine Zusatzfrage.
Würden Sie mir zustimmen, Herr Minister, daß gerade durch eine solche Kooperation, von der Sie soeben gesprochen und die Sie gleichzeitig als eine zarte Pflanze bezeichnet haben, ein eventuelles Mißtrauen gegenüber den deutschen bilateralen Bestrebungen abgebaut, das Risiko eines Fehlschlags solcher Beziehungen vermindert und die europäische Solidarität gleichzeitig gestärkt werden könnte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich würde Ihnen zum letzten Punkt, Frau Dr. Walz, sehr gern zustimmen. Das wir damit ein Mißtrauen abbauen müßten, dieser Begründung würde ich nicht meine Zustimmung geben, weil ich nicht glaube, daß es notwendig ist, hier Mißtrauen abzubauen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Walz.
Glauben Sie, Herr Minister, daß die Politik, in diesem Zusammenhang Institute statt bestimmter Spezialgebiete, an denen dann Fachleute aus allen Instituten hätten arbeiten können, gerade für diese Zusammenarbeit vorzuschlagen, besonders erfolgreich ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Welche Institute haben Sie denn jetzt gemeint? Ich habe das nicht verstanden.
Sie dürfen das erklären, Frau Walz.
Sie haben bestimmte Institute für die Zusammenarbeit vorgeschlagen, darunter auch solche an bestimmten Sitzorten, was die Sache erschwert hat. Ich stellte die Frage, ob es nicht praktischer wäre, bestimmte spezielle Wissenschaftsgebiete vorzuschlagen und dann an diesen Spezialfragen Wissenschaftler aus allen Instituten arbeiten zu lassen. Glauben Sie nicht, daß das in diesem Zusammenhang die bessere und sicherere Politik wäre?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich nehme an, daß wir jetzt von einem anderen Sachgebiet sprechen, Frau Dr. Walz, als dem, das Ihrer Ursprungsfrage zugrunde liegt. Wir sprechen jetzt offensichtlich von der deutschsowjetischen Zusammenarbeit als solcher ohne Bezugnahme auf die EWG.
— Wie in allen solchen Fällen ist es hier natürlich so, daß man mit dem Sachgebiet anfängt und sich dann überlegt, welche Institute daran wohl beteiligt werden könnten. Über die Institute kommt man dann zu den Personen, die daran beteiligt werden sollen. Das ist doch ein Vorgang, der nicht nur in diesem Fall, sondern immer bei solchen Vereinbarungen über eine Zusammenarbeit stattfindet.
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Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5845
Es tut mir leid.
Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Pfeifer auf:
ist die Bundesregierung der Ansicht, daß es verfassungsrechtlich zulässig ist, Abiturienten, die nicht nur vorübergehend ihren Wohnsitz im Nahbereich einer Hochschule haben, im Falle eines Numerus clausus bei der Zulassung zur Hochschule besonders zu berücksichtigen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wie Ihnen bekannt ist, hat sich die Bundesregierung in ihrem Entwurf für ein Hochschulrahmengesetz gegen die Anwendung des sogenannten Landeskinderprinzips ausgesprochen und in § 31 des Entwurfs festgelegt, daß die Zulassung eines Studienbewerbers, der Deutscher im Sinne des Grundgesetzes ist, nicht davon abhängig gemacht werden darf, in welchem Land der Bundesrepublik Deutschland der Geburtsort oder der Wohnsitz des Studienbewerbers oder seiner Angehörigen liegt. Das gleiche gilt hinsichtlich des Landes, in dem der Studienbewerber die Qualifikation für das Hochschulstudium erworben hat.
Die Bundesregierung hat sich dabei von der Auffassung leiten lassen, daß Art. 3 GG, der auch bei der Anwendung des Art. 12 GG zu berücksichtigen ist, jede Benachteiligung oder Bevorzugung eines Studienbewerbers wegen seines Herkunftslandes verbietet. Diese Ansicht schließt nach Auffassung der Bundesregierung nicht die Möglichkeit aus, daß im Einzelfall Studienbewerber, die ihren ständigen Wohnsitz am Hochschulort oder in unmittelbarer Nähe haben — dazwischen kann dann sogar eine Landesgrenze liegen —, an dieser Hochschule zugelassen werden, weil ihnen das Studium an heimatfernen Hochschulen aus sozialen Gesichtspunkten nicht zugemutet werden kann.
§ 30 Abs. l des Entwurfs für ein Hochschulrahmengesetz läßt eine solche Entscheidung zu, da dort die soziale Härte für den Bewerber als eines von mehreren Kriterien aufgeführt worden ist, nach denen die Anuswahl erfolgen soll. Diese Vorschrift soll dem Schutz und der Förderung einkommensschwacher Schichten dienen, die von unserem heutigen Bildungswesen noch weitgehend benachteiligt werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Pfeifer.
Herr Minister, da Ihnen sicher bekannt ist, daß im Hochschulrechtsrahmengesetzentwurf der CDU/CSU eine ähnliche Regelung wie im Entwurf der Bundesregierung vorgesehen ist, möchte ich Sie fragen: Könnten Sie sich vorstellen, daß im Hochschulrechtsrahmengesetzentwurf der Bundesregierung nicht nur die sozialen Härten berücksichtigt werden, sondern aus dem Grund, der in der Anfrage genannt ist, jede besondere Härte bei der Zulassung zum Hochschulstudium im Falle eines Numerus clausus berücksichtigt wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann mir das deswegen vorstellen, weil, wie ich sagte, in dem Entwurf die soziale Härte nur einer der Punkte ist, die für besondere Zulassungsverfahren maßgeblich sein können.
Zu einer weitere Zusatzfrage, bitte!
Herr Minister, würden Sie die Regelung, die durch das sogenannte Landeskindergesetz in Bayern getroffen wurde, als zulässig ansehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, ich würde es nicht als zulässig ansehen, schon deswegen nicht, weil es, wie ich andeutete, sehr unsozial sein kann, wenn man aus einer unmittelbar benachbarten Hochschule aus Gründen des Landeskindergesetzes ausgeschlossen oder mindestens benachteiligt wird. Wir haben eine ganze Reihe von Hochschulen, die an Landesgrenzen liegen, wo die Kinder aus dein anderen Lande schlicht benachteiligt werden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 20 ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Die Frage 21 wird auf Wunsch des Fragestellers wegen des Sachzusammenhangs mit Frage 24 bis zur Beantwortung dieser Frage zurückgestellt.
Ich rufe die Fragen 22 und 23 des Abgeordneten Schmidt auf:
Ist es richtig, daß dos Gebäude des Instituts für Transurane der Euratom in Karlsruhe, hic das Euratom insgesamt 9,25 Millionen US-Dollar investiert hat, infolge der personellen Unterbesetzung unzureichend ausgenutzt und daß wegen der nur teilweisen Auslastung kostspieliger Apparaturen des Instituts der Euratom große finanzielle Schäden verursacht werden, weil die Investitionen in keinem Verhältnis zum Effekt stehen?
Ist es richtig, daß rund die Hälfte des Investitions- und Forschungshaushalts der Euratom in die Kasse von Organisationen der nationalen Verwaltungen von Universitätsinstituten und von privaten Firmen fließt und daß auch sonst die Europäischen Gemeinschaften hohe Zuwendungen an juristische und natürliche Personen außerhalb ihrer Verwaltung zahlen, ohne daß eine zureichende Kontrolle dieser teilweise sehr hohen Zuschüsse gewährleistet ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist zwar richtig, Herr Abgeordneter, daß das Transurane-Institut infolge der Einschränkung der Euratom-Forschungsprogramme nicht die ursprünglich vorgesehene Personalstärke erreicht hat. Es wäre aber nicht richtig, in diesem Zusammenhang von großen oder überhaupt von finanziellen Verlusten zu sprechen. Das Institut leistet im Gegenteil hervorragende Arbeiten auf mehreren Gebieten. Ich will nur nennen: das Gebiet der Brennstoffentwicklung für Schnelle Brutreaktoren. Hier kommen die Arbeiten sowohl dem französischen als auch besonders dem deutsch-belgisch-niederländisch-luxemburgischen SchnellbrüterProgramm zugute.
Geräte, die tatsächlich in der Erwartung einer größeren Beschäftigtenzahl einstmals angeschafft worden sind, aber nicht mehr benötigt werden, sind in andere Anlagen der gemeinsamen Forschungsstelle von Euratom verbracht und dort einer nützlichen Verwendung zugeführt worden.
Zu Ihrer zweiten Frage antworte ich: nein, es fließen lediglich etwa 20 % der Mittel des Forschungs-
5846 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101., Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Bundesminister Dr.-Ing. Leussink
und Investitionshaushalts durch sogenannte indirekte Aktionen an Institute in den Mitgliedstaaten und an das DRAGON-Projekt in Großbritannien. Die Kontrolle der Mittel ist in vollem Umfang durch die Kommission gesichert, die in den betreffenden Entscheidungsgremien ihren Sitz hat. Sie ist weiterhin gesichert durch den Kontrollausschuß der Europäischen Gemeinschaften und durch die nationalen Rechnungsprüfungsbehörden, die zu allen wesentlichen Unterlagen Zugang haben.
Ich rufe die Frage 24 des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke auf:
Erwartet die Bundesregierung, daß die Ad-hoc-Arbeitsgruppe „Fernstudium im Medienverbund" der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung rechtzeitig und gemeinsam mit den anderen Ausschüssen der Kommission konkrete Arbeitsergebnisse als Teil des Bildungsgesamtplanes vorlegen kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Dr. Meinecke, die Beratungen in der Ad-hoc-Arbeitsgruppe der Bund-LänderKommission für Bildungsplanung über das Fernstudium im Medienverbund sind bekanntlich auf Bitten der Herren Ministerpräsidenten der Länder Anfang November 1970 unterbrochen worden. Die Ministerpräsidenten waren der Auffassung, daß zunächst eine Meinungsbildung unter den Ländern erforderlich sei. Hierfür haben die Ministerpräsidenten eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Aus diesem Grunde konnten bisher die Beratungen über das Fernstudium in der Arbeitsgruppe der Bund-Länder-Kommission nicht wiederaufgenommen werden.
Obwohl von den Ministerpräsidenten angestrebt wird, ihre Auffassung bis Ende März festzulegen, wird es mindestens sehr schwierig werden, zu erreichen, daß die Ad-hoc-Gruppe rechtzeitig und gemeinsam mit den anderen Ausschüssen der Kommission konkrete Arbeitsergebnisse vorlegen kann. Im Bildungsgesamtplan werden die Ratschläge der Ministerpräsidenten-Arbeitsgruppe allerdings noch berücksichtigt werden können.
Die von den Ministerpräsidenten der Länder eingesetzte Arbeitsgruppe hat den Auftrag, Vorschläge für ein Finanzierungsabkommen zwischen Bund und Ländern und für einen Staatsvertrag der Länder alber die Errichtung eines Verbundsystems zu erarbeiten.
An der ersten Sitzung dieser Arbeitsgruppe hat auch ein Vertreter der Bundesregierung teilgenommen. Ob eine ständige Beteiligung des Bundes zugestanden wird, steht zur Zeit noch nicht fest.
Die Bundesregierung bedauert diese Verspätung. Sie wird darauf dringen, daß sie an den weiteren Beratungen der Arbeitsgruppe beteiligt wird und Gelegenheit erhält, die Grundsatzfragen eines Fernstudiums im Medienverbund mit den Ländern gemeinsam zu erörtern.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, da Sie von den Grundsatzfragen gesprochen haben, frage ich Sie: Richten sich die grundsätzlichen Bedenken der Ministerpräsidenten gegen die Tatsache, daß ein leistungsfähiges Fernstudienproprogramm nur dadurch zu erreichen ist, daß man einen zentralen Verbund in der Rechtsform der Körperschaft des öffentlichen Rechts gründet oder eine privatrechtliche Lösung wählt, die die Koordinierung vornimmt, oder richten sich die Bedenken der Ministerpräsidenten gegen die gemeinsame Finanzierung von Bund und Ländern?
Dr.-Ing. Leussink, Bundesminister für Bildung und Wissenschaft. Ich glaube, im Rahmen der verschiedenen Auffassungen, die man über Kompetenzen auf diesem Gebiet haben kann, handelt es sich bei den beiden von Ihnen angedeuteten Punkten nur um Details. In diesen Diskussionen spielen noch eine Fülle weiterer Überlegungen eine Rolle. Mir scheint, soweit man das bisher erkennen kann, klar zu sein, daß die Länder glauben, daß der Bund in erster Linie bei der Sektion Forschung in diesem Gesamtverbund mitwirken könnte, nicht aber bei der viel größeren Sektion Lehre, — wenn man das überhaupt auseinanderteilen kann.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Meinecke.
Herr Minister, glauben Sie, daß gewährleistet ist, daß die Ministerpräsidenten oder ihre Kommission bei ihren gemeinsamen Beratungen zur Kenntnis genommen haben und davon ausgehen, daß sich erstens die Westdeutsche Rektorenkonferenz Anfang dieses Jahres erneut hinter die von Kultusministern erarbeiteten Vorschläge gestellt hat und daß zweitens die beschlußreifen Vorlagen der Kultusministerkonferenz eine gute Ausgangsbasis darstellen, und wird diese Ausgangsbasis genutzt, oder beginnen die Überlegungen ganz von vorn und unabhängig davon?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Dr. Meinecke, soviel ich weiß, hat bisher erst eine Sitzung dieser Arbeitsgruppe stattgefunden, in der es natürlich auch sehr um Verfahrensfragen ging. Ob das zutrifft, was Sie hier fragen, ob also in den Verhandlungen faktisch davon Kenntnis genommen worden ist, kann ich jedenfalls im Moment nicht sagen. Ich würde aber bis zum Beweis des Gegenteils glauben, daß man an diesen Unterlagen, die Sie genannt haben, nicht vorbeigehen kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Pfeifer.
Herr Minister, nachdem Sie eben zu Recht bedauert haben, daß hier Verzögerungen eingetreten sind, möchte ich Sie folgendes fragen: Welche konkreten Vorstellungen haben Sie, um die Weiterführung des Deutschen Instituts für Fernstudien in Tübingen, das ein funktionierendes Institut ist, auch nach dem 1. Januar 1972 zu sichern?
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5847
Herr Kollege, ich glaube nicht, daß diese Frage mit der Ursprungsfrage zusammenhängt. Das ist ein ganz spezieller Fall. Vielleicht stellen Sie einmal eine gesonderte Frage dazu.
Bitte, Herr Kollege Raffert!
Herr Minister, in den beiden Sitzungen, die bisher in der Ad-hoc-Kommission für das Fernstudium im Medienverbund und im Rahmen der Bund-Länder-Kommission stattgefunden haben, hat auch das Problem eine Rolle gespielt, wie die Hochschulen und die Rundfunkanstalten vertraglich eingebunden werden könnten. Ich frage Sie: Ist die Bundesregierung mit mir und mit den Empfehlungen des Vorbereitungsausschusses, den die Kultusministerkonferenz eingesetzt hat, der Auffassung, daß die Hochschulen und die Rundfunkanstalten in einem möglichst frühen Zeitpunkt der Bildung des Verbunds eingeschaltet und möglichst eng in den ganzen Vorgang einbezogen werden sollten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Raffert, die Bundesregierung steht hinter den Empfehlungen des Vorbereitungsausschusses der KMK. Von daher beantwortet sich, glaube ich, der erste Teil Ihrer Frage. Wir sind der Meinung, daß das geschehen muß, was Sie angedeutet haben.
Keine weitere Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Raffert auf:
Sieht die Bundesregierung die Gefahr, daß der Ausbau schon vorhandener Einrichtungen für das Fernstudium im Medienverbund behindert ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, daß die Antwort gleichzeitig eine Antwort auf Ihre Zusatzfrage sein wird.
Der Bundesregierung ist bewußt, daß die Verzögerung der Entscheidungen über die künftige Entwicklung im Bereich des Fernstudiums eine Unsicherheit über die Zukunft des Instituts für Fernstudien an der Universität Tübingen und eine Abwanderung gerade die qualifiziertesten Mitarbeiter herbeiführen kann. Da nun aber die Arbeit des Deutschen Instituts für Fernstudien, dem für den Aufbau des Fernstudiums eine wesentliche Bedeutung zukommt, nicht gefährdet werden soll, hat sich der Bund gegenüber den Ländern schriftlich bereit erklärt, sich ab 1. Januar 1972 im Rahmen eines Abkommens mit den Ländern zur Hälfte an der Finanzierung des Deutschen Institus für Fernstudien zu beteiligen. Die Länder haben jedoch über die Frage der Bundesbeteiligung noch nicht entschieden. Die Frage wird erneut auf der nächsten Sitzung der BundLänder-Kommission für Bildungsplanung am i . März erörtert werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Raffert.
Herr Minister, nachdem Sie die Frage auf dieses Institut eingeengt haben, möchte ich Sie in einer ersten Zusatzfrage um Auskunft darüber bitten, ob aus den 6 Millionen DM, die jetzt in Ihrem Etat für das Fernstudium im Medienverbund stehen, bereits Mittel für dieses Institut in diesem Jahr zur Verfügung gestellt werden können. Denn 5 Millionen DM von den 6 Millionen DM sind für laufende Kosten vorgesehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das wird ohne eine Vereinbarung mit den Ländern sicher nur für bestimmte Projekte möglich sein. Aber wir streben ab 1. Januar 1972 eine laufende Bezuschussung dieses Instituts an.
Eine weitere Zusatzfrage.
Gibt es andere Einrichtungen, die in diesem Felde arbeiten, wie etwa die Pädagogische Arbeitsstelle des Volkshochschulverbandes, deren Bezuschussung aus Ihrem Haus durch die eingetretenen Verzögerungen behindert werden könnte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Selbstverständlich ist nicht nur das' Tübinger Institut in unsere Überlegungen einbezogen worden, sondern das gilt für alle relevanten Institutionen auf diesem Gebiet.
Herr Kollege Pfeifer, wollen Sie jetzt eine Zusatzfrage stellen? Jetzt würde Ihre Frage besser passen.
— Gut. Schönen Dank.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft beantwortet worden. Ich danke dem Herrn Bundesminister Leussink.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung ist Herr Staatssekretär MangerKoenig anwesend.
Ich rufe die Frage 70 des Herrn Abgeordneten Gallus auf. Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Dann rufe ich die Frage 71 des Herrn Abgeordneten Varelmann auf:
In welchen europäischen Ländern wird das Kindergeld aus Beiträgen von der Lohnsumme und in welchen Ländern aus dem Haushalt gezahlt?
Bitte schön!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
An Hand der Unterlagen des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit kann ich Ihre Frage für den Bereich der EWG sowie für Dänemark, die DDR, Griechenland, Großbritannien, Irland,
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5848 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Staatssekretär Dr. von Manger-KoenigIsland, Jugoslawien, Norwegen, Osterreich, Portugal, Schweden, die Schweiz und Spanien beantworten. In der Bundesrepublik, in Dänemark, in der DDR, in Großbritannien, Irland und Norwegen wird das Kindergeld ausschließlich aus allgemeinen Steuermitteln finanziert. In den übrigen Ländern bestehen reine Beitragssysteme oder aber gemischte Systeme, so in Belgien, Holland, Italien, Island, Luxemburg, Österreich, der Schweiz und Spanien. Bei diesen Systemen werden die Leistungen aus Beiträgen und aus Zuschüssen der öffentlichen Hand finanziert.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Varelmann.
Herr Staatssekretär, bildet nicht die Bundesrepublik in den Kindergeldleistungen innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft das bescheidene Schlußlicht? Was gedenkt die Regierung zu tun, um von diesem Platz wegzukommen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir sind nicht der Auffassung, daß wir das bescheidene Schlußlicht sind. Die Leistungen, die wir für das Kindergeld zahlen, sind durchaus ansehnlich. [ch meine, im Augenblick ist kein Anlaß zur Anpassung gegeben.
Keine weiteren 3) Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 72 des Herrn Abgeordneten Varelmann auf:
Wenn nach dein Beitragsschlüssel des Jahres 1963 von der Lohnsumme für das Kindergeld ein Beitrag erhoben würde, welche Summe würde sich daraus ergeben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, vor dem Inkrafttreten des Bundeskindergeldgesetzes wurde von den gewerblichen Familienausgleichskassen ein Beitrag in Höhe von durchschnittlich 1 v. H. der Lohnsumme erhoben. Im Jahre 1971 wird sich die Bruttolohn- und Gehaltssumme schätzungsweise auf 328,5 Milliarden DM belaufen. Ich verweise insoweit auf den Finanzbericht 1971, Seite 41. 1 v. H. hiervon sind 3,28 Milliarden DM. Dieser Betrag mindert sich allerdings mit Rücksicht darauf erheblich, daß in der seiner Berechnung zugrunde gelegten Bruttolohn- und Gehaltssumme auch die Löhne und Gehälter der Angehörigen des öffentlichen Dienstes enthalten sind, für deren Kinder aber kein Kindergeld gewährt wird. Ich darf wiederholen, daß im Bundeshaushalt für das Kindergeld 3,29 Milliarden DM angesetzt worden sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Varelmann.
Mit der Überleitung der Kindergeldleistungen von der Wirtschaft auf den Bund war allgemein die Hoffnung verbunden gewesen, daß auf diesem Wege größere Chancen bestünden, die Leistungen zugunsten der Kinder zu verbessern. Diese Hoffnungen sind anscheinend nicht erfüllt worden. Ich meine, es war eher ein Rückschlag auf dieseln Wege.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, in der gestrigen Debatte ist dazu bei der Beratung des Einzelplans 15 schon ausführlich Stellung genommen worden. Frau Minister Strobel hat darauf hingewiesen, daß sie bemüht ist, im Rahmen der Weiterentwicklung des Budgets dem Ausbau der Kindergeldleistungen besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir den Beitragssatz nennen, der in Italien, Frankreich und Belgien von der Lohnsumme für die Zahlung des Kindergeldes erhoben wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aus den Informationen, die ich soeben gegeben habe, Herr Abgeordneter, haben Sie ersehen, daß es sich um außerordentlich unterschiedliche Systeme, teilweise um Mischsysteme handelt. Es ist mir deshalb nicht möglich, Beitragssätze im einzelnen zu nennen. Ich bin aber gern bereit, Ihnen entsprechende Informationen aus unseren Unterlagen schriftlich zu geben.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 73 der Frau Abgeordneten Dr. Walz auf:
Hat die Bundesregierung Überlegungen dazu angestellt, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sich der Bund an der Finanzierung von Lehrkrankenhäusern beteiligen sollte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, die Überlegungen der Bundesregierung, ob und in welchem Umfange die Lehrkrankenhäuser in die Förderung des Bundes im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Ausbau und Neubau von Hochschulen" mit einbezogen werden können, sind noch nicht abgeschlossen. Diese Frage wird voraussichtlich Anfang März in dem auf Grund des Hochschulbauförderungsgesetzes eingesetzten Planungsausschuß erörtert werden. Es ist mir deshalb im Augenblick noch nicht möglich, eine abschließende Antwort zu geben.
Keine Zusatzfrage.Die Frage 74 des Abgeordneten Dr. SchmittVockenhausen wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5849
Vizepräsident Frau FunckeIch rufe die Frage 75 des Abgeordneten Burger auf:Wie hoch ist die Gesamtsumme der Haushaltsmittel, die bisher vom Bund für die Entwicklung von orthopädischen und anderen Hilfsmittel für Dysmeliekinder verausgabt wurden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, zur Entwicklung und Erprobung von Hilfen für Kinder mit schweren Mißbildungsformen wurden in den Jahren 1962 bis einschließlich 1970 insgesamt 9,3 Millionen DM aus Bundesmitteln gezahlt. Für das Jahr 1971 sind weitere 1,2 Millionen DM vorgesehen.
Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 76 des Herrn Abgeordneten Burger auf:
Welche von diesen Hilfsmitteln sind im Handel erhältlich, so daß sie auch für die Versorgung anderer behinderter Kinder zur Verfügung stehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Vielfalt der beim sogenannten DysmelieSyndron zu verzeichnenden Schäden machte eine prothetische Versorgung der Dysmelie-Kinder mit verkleinerten Erwachsenenprothesen unmöglich und erforderte die aus Bundesmitteln finanzierte spezielle Forschung zur Entwicklung solcher Hilfen. Daraus ergibt sich, daß eine große Zahl verschiedener Hilfsmittel für Einzelfälle oder kleine Gruppen von Dysmelie-Kindern mit gleichartigen Schäden
entwickelt werden mußte. Vielfach sind die Hilfsmittel auf den Einzelfall zugeschnitten und lassen sich nicht für andere Behinderte verwerten. Deshalb, Herr Abgeordneter, eignen sie sich auch nicht zur Serienherstellung durch die Industrie.
Auf die Hilfsmittel, die auch anderen Behinderten zugute kommen können, sind die Orthopädie-Handwerker und Industriebetriebe von den vom Bunde geförderten Forschungszentren durch persönliche Kontakte, durch Veröffentlichungen in Fachblättern, durch die Bundesfachschule für das Orthopädiehandwerk und letztlich auch durch die vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit herausgegebenen vier Dysmelie-Monographien eingehend aufmerksam gemacht worden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Burger.
Herr Staatssekretär, hat die Entwicklung von Hilfmitteln für Dysmelie-Kinder auch neue Möglichkeiten für die Versorgung Erwachsener gebracht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Selbstverständlich ergeben sich hier aus einer sehr intensiven Forschungsarbeit, an der eine große Anzahl von Kliniken und Werkstätten beteiligt ist, auch manche Anregungen, die der prothetischen Versorgung Erwachsener zugute kommen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 77 des Herrn Abgeordneten Bay auf:
Hält es die Bundesregierung für notwendig, das Recht der Nichtraucher auf Schutz ihrer Gesundheit gegen die Belästigungen und die anerkannt schädlichen Auswirkungen des ungewollten Mitrauchens zu sichern, und was gedenkt sie gegebenenfalls in diesen, Sinne zu tun?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, es ist leider nicht zu bestreiten, daß der Nichtraucher durch starkes Rauchen belästigt und bei länger dauernder intensiver Einwirkung auch gesundheitlich beeinträchtigt wird. Wir alle sollten uns deshalb darum bemühen, daß sich in der Einstellung der Gesellschaft zum Rauchen ein Wandel zumindest dergestalt vollzieht, daß es als Verstoß gegen die Regeln des Zusammenlebens gilt, den Mitbürger zum passiven Mitrauchen zu zwingen. Die Materie eignet sich jedoch kaum für eine generelle gesetzliche Regelung.
Ich darf insoweit auf die schriftliche Antwort vom 30. Januar 1970 28. Sitzung, Seite 1230 — auf eine Mündliche Anfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Bechert verweisen.
Ich möchte noch ergänzend sagen, Herr Abgeordneter, wir sollten es hier mit Montesquieu halten: „Man soll nicht durch Gesetze zu erreichen versuchen, was sich durch die Sitte zuwege bringen läßt. Diese Sitte müssen wir aber alle erst prägen.
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Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bay.
Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht eine gewisse Analogie zwischen der Umweltverschmutzung in der Luft, von der jedermann jetzt annimmt, daß sie auch durch Gesetze, nicht nur durch die gute Sitte verändert werden muß, und der Umweltverschmutzung innerhalb geschlossener Räume durch Rauchen, die mindestens genauso stark und gefährlich ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Beim Umweltschutz, etwa bei der Bekämpfung der Luftverschmutzung und der Abwässerbelastung der Flüsse, haben wir es im allgemeinen mit der Industrie und kommunalen Institutionen zu tun. Hier wird es notwendig sein, gesetzliche Regelungen zu treffen, da sich der einzelne selbst nicht schützen kann. Was dagegen das Rauchen in der Bevölkerung an sich betrifft, entzieht sich dieser Lebenstatbestand, wie ich meine, einer dirigistischen Regelung.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bay.
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5850 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Herr Staatssekretär, um dem möglichen Vorwurf zu entgehen, daß ich mit meiner Frage ein Verbot des Rauchens überhaupt erreichen wollte, möchte ich Sie noch folgendes fragen. Sehen Sie prinzipiell keine Möglichkeit, an einigen Stellen dennoch gesetzlich vorzugehen, nämlich dort, wo, wie etwa in einräumigen Verkehrsmitteln, Nichtraucher gezwungen sind, mitzurauchen, oder, was mir besonders wichtig erschiene, am Arbeitsplatz, wo es dem Nichtraucher nicht ohne weiteres gelingen wird, seinen Anspruch auf Schutz vor dem, was der Raucher produziert. durchzusetzen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, was den Schutz am Arbeitsplatz angeht, darf ich noch einmal auf die ausführliche Antwort vom 30. Januar 1970 verweisen, die auf eine entsprechende Frage des Herrn Abgeordneten Bechert gegeben worden ist.
Was das Rauchverbot in öffentlichen Verkehrsmitteln betrifft, so sind dort, wo genügend Verkehrsmittel für ein ausreichendes Wagenangebot zur Verfügung stehen, von den Verkehrsträgern schon entsprechende Vorkehrungen getroffen worden. Nicht nur bei der Bundesbahn, sondern auch in Straßenbahnen setzt es sich mehr und mehr durch, Raucher- und Nichtraucherbereiche vorzuhalten. Ich glaube, .daß dieses Problem sich nicht von oben her gesetzlich regeln läßt. Wir müssen vielmehr an die Verantwortung der Beschlußkörperschaften — z. B. in den Kommunen — und der kommunalen Eigenbetrieben appellieren.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein.
Herr Staatssekretär, wäre dem Anliegen des Kollegen Bay Rechnung getragen, wenn die Bundesregierung das Priemen stärker fördern würde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das ist Geschmackssache.
Keine weitere Zusatzfrage. Die Frage 78 des Herrn Abgeordneten Bay ist zurückgezogen worden.
Die Frage 79 des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär Dr. von Manger-Koenig.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rosenthal anwesend.
Ich rufe die Frage 46 des Herrn Abgeordneten Vogt auf:
Kann die Bundesregierung die Presseinformation der Verbraucherzentrale Niedersachsen vom 26. Januar 1971 bestätigen, wonach die Bundesregierung die Errichtung einer Verbindungsstelle der Verbraucherzentralen der Länder in Bonn als Gesprächspartner der Bundesregierung in verbraucherpolitischen Fragen begrüßt?
Bitte schön!
Herr Kollege, sind Sie damit einverstanden, daß ich Ihre beiden Fragen gemeinsam beantworte?
Sie bekommen vier Zusatzfragen. Ich rufe dann noch die Frage 47 auf:
Welche Gründe haben die Bundesregierung bewogen, entgegen früheren Zusicherungen die Errichtung einer Verbindungsstelle der Verbraucherzentralen, wodurch es zu der von der Bundesregierung früher beklagten Aufsplitterung der Vertretung der Interessen der Verbraucher kommt, zu unterstützen?
Herr Kollege, Ihre Frage ist mißverständlich; ,sie gibt mir aber die Gelegenheit, dieses Mißverständnis aufzuklären. Sie fragen nämlich, ob es die Bundesregierung begrüße, daß sich die Verbraucherzentralen jetzt auch verbraucherpolitisch betätigen. In unserer Abmachung mit den Verbraucherzentralen heißt es ausdrücklich, die Verbindungsstelle nur der Koordinierung verbraucherberatender Aufgaben dienen soll. Das ist auch in der von Ihnen zitierten Pressenotiz — das betrifft allerdings schon Ihre zweite Frage —von den Verbraucherzentralen deutlich gesagt worden.
Herr Staatssekretär, deuten nicht die Verlautbarungen der Vertreter der Verbraucherzentrale Niedersachsen darauf hin, daß die Verbindungsstelle verbraucherpolitische Aufgaben erfüllen soll, und muß nicht der Hinweis, sie wolle nur Beratungsfunktionen erfüllen, als Kaschierung der eigentlichen Absichten angesehen werden?
Ich sehe das nicht so, Herr Kollege. Gerade das haben wir in unserem Abkommen eindeutig festgelegt. Selbstverständlich begrüßen wir — damit komme ich zu Ihrer ersten Frage zurück — eine bessere Koordinierung; denn durch eine Koordinierung der Verbraucherzentralen können die verbraucherberatenden Funktionen, an denen wir alle interessiert sind, nur gefördert werden. Ich kann natürlich nicht wissen, was sich der eine oder andere im stillen Kämmerlein dabei denkt. Ich muß mich an die Äußerungen der Verbraucherzentralen und an ihre Abmachungen mit uns halten, von denen auch die Förderung abhängt.
Zweite Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5851
Herr Staatssekretär, steht die Bundesregierung zu ihren früheren Aussagen, daß sie keine Haushaltsmittel für die Arbeit der Verbindungsstelle der Verbraucherverbände zur Verfügung stellen wird?
Ja, Herr Kollege Vogt. Nur haben wir gesagt, daß wir für die Reisekosten einstehen werden, die durch diese Verbindungsstelle, die übrigens mit keinem Büro in Bonn verbunden ist, entstehen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 48 und 49 werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 50 des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider auf:
Wie hoch war der Preisanstieg für Bauleistungen im Bereich der gemeindlichen Infrastrukturmaßnahmen von 1968 bis 1970?
Herr Kollege Schneider, es ist sehr schwierig, die Frage genau zu beantworten, da die statistischen Aussagen über den Preisanstieg der Bauleistungen bei gemeindlichen Infrastrukturmaßnahmen nicht ausreichen. Die Preisindizes des Statistischen Bundesamtes sind damit nicht voll kongruent. Ich möchte Ihnen trotzdem diejenigen Preisindizes geben, die eine Verbindung aufzeigen. Im Tiefbaubereich das ist allerdings der allgemeine Straßenbau und nicht nur der Gemeindestraßenbau — sind die Preise im Jahresdurchschnitt 1970 gegenüber 1968 um 20,2 % gestiegen. Im Wirtschaftswegebau sind sie im gleichen Zeitraum um 19,9 % angestiegen. Noch ungenauer wird es bezüglich eines verläßlichen Index, wenn wir in den Hochbaubereich kommen. Einen Anhaltspunkt — mit Vorsicht zu genießen — bietet die Entwicklung der veranschlagten Baukosten bei Nichtwohnbauten der Gemeinden. Im September 1970 zeigte sich hier beim Kubikmeterpreis für Nichtwohnbauten gegenüber April 1968 eine Steigerung von 12,7 %, bei Schulgebäuden eine solche von 17,4 %.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider.
Herr Staatssekretär, im Städtebaubericht der Bundesregierung wird u. a. festgestellt, daß der Preissteigerungsindex im kommunalen Bereich in den vergangenen Jahren im Durchschnitt bei etwa 3,5 % gelegen hat. Ich frage also: Ist die Bundesregierung bereit, zuzugeben, daß die Gemeinden infolge der von Ihnen festgestellten Preissteigerungen nicht mehr imstande sind, auch nur annähernd den Investitionsbeitrag im Rahmen der inneren Reformen zu leisten, der ihnen ursprünglich von der Bundesregierung zugedacht wurde?
Herr Kollege Schneider, wir kommen hier wieder in ein Thema, über das wir eine allgemeine Debatte führen könnten. Ich darf aber folgendes sagen. Wir müssen von den Indizes ausgehen, die für die Zukunft erwartet werden. Hier rechnen wir mit einer ruhigeren Preisentwicklung. Dafür spricht auch, daß nach der Januar-Ermittlung des Ifo-Instituts bei den befragten Firmen die erwarteten Baupreiserhöhungen um die Hälfte zurückgegangen sind. Diejenigen, die mit einem schlechteren Ergebnis rechnen, sind um 20 % angestiegen. Wir können also zuversichtlich mit einer Beruhigung auf diesem Gebiet rechnen, besonders dann, wenn sich die Beteiligten an die Orientierungsdaten meines Dienstherrn halten.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist, nachdem Sie jetzt noch keine präzisen Angaben machen konnten, damit zu rechnen, daß noch im Laufe dieses Jahres präzise Zahlen für die Gemeinden vorgelegt werden können? Dies wird ja — was Sie sicherlich zugeben werden — für die weitere Investitionsplanung und mittelfristige Finanzplanung der Gemeinden von ausschlaggebender Bedeutung sein.
Herr Kollege, es geht etwas über meine eigene Autorität und Möglichkeit, hierzu im Moment etwas zu sagen. Aber ich darf Ihnen zusagen, daß das geprüft wird.
Keine Zusatzfrage.
Die Fragen 51 und 52 werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst auf:
Ist die Bundesregierung bereit, ihre bisherige Haltung aufzugeben, wonach die Investitionszulage nur dann gewährt werden soll, wenn die Ansiedlung eines Betriebes in einem Schwerpunktort erfolgt?
Herr Kollege Jobst, die Antwort auf Ihre Frage ist: grundsätzlich nein. Ich darf verweisen auf die Antwort auf die Kleine Anfrage Drucksache VI/ 1120 vom 28, August 1970 der Kollegen Warnke, Höcherl und Genossen, in der diese Frage im einzelnen beantwortet ist. Daß die Investitionszulage hauptsächlich in Schwerpunktgebieten gewährt wird, ergibt sich einfach aus der Notwendigkeit, den wirtschaftlichen Einsatz der hier zur Verfügung gestellten Mittel sicherzustellen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst.
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5852 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß es in gewissen Bereichen doch sinnvoll wäre, diese Förderung, insbesondere die Investitionszulage, auch außerhalb von Schwerpunktorten zu gewähren?
Herr Kollege Jobst, es ist hier wie bei allen solchen Regelungen. Es gibt immer Bereiche, die benachteiligt sind. Das gebe ich Ihnen gern zu. Von uns sind schon einige Ausnahmen vorgesehen worden. Nach dem Schwerpunktprinzip wird z. B. nicht im Falle der Fremdenverkehrsbetriebe und im Falle von Betrieben, die hauptsächlich die Schaffung von Arbeitsplätzen für Frauen fördern, verfahren. Auch Rohstoffnähe oder eine Gefährdung bzw. Belästigung in Wohngebieten können Gründe sein, um von diesem Grundsatz abzugehen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, das strenge Korsett der derzeitigen Vorschriften, die im Verwaltungswege ergangen sind, zu lockern und vor allen Dingen zu überprüfen, ob nicht auch in dünner besiedelten Gegenden Industrieansiedlungen, die außerhalb eines Schwerpunktortes notwendig sind, mit diesen Förderungen bedacht werden können?
Herr Kollege, auf den zweiten Teil Ihrer Frage muß ich mit Nein antworten. Das Prinzip der Schwerpunktbildung soll ja dazu führen, die Infrastruktur in bestimmten Gebieten und damit auch ein Gegengewicht zu den Ballungsräumen zu schaffen. Der Planungsausschuß ist dabei, zu untersuchen, ob andere Ausnahmen möglich sind. Bisher sind die Schwerpunktorte ja genau festgelegt. Auch die Schwierigkeiten mit dem statistischen Material kennen Sie. Ich kann dieser Prüfung aber nicht vorgreifen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Dr. Hauser auf:
Erscheint der Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß die Deutsche Bundesbank eine Senkung der Mindesteserven trotz immer wieder geforderter Krediterleichterungen versagt, nicht die Anregung an den Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank erwägenswert, von der Möglichkeit des § 16 des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank Gebrauch zu machen und „bestimmte Verbindlichkeiten bei der Berechnung auszunehmen", um so beispielsweise Kreditinstitute, die Darlehen für den sozialen Wohnungsbau gewährt haben, zu entlasten und damit wieder etwas Luft gerade für die Finanzierung des Wohnungsbaus zu geben, der ob der niedrigen Zahl an fertiggestellten Sozialwohnungen in den Jahren 1969 und 1970 dringend einer Belebung bedarf?
Herr Kollege, ich muß Ihre Frage negativ beantworten. Die Bundesbank als Hüterin der Währung kann kreditpolitische Instrumente nur global anwenden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hauser.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß gerade diejenigen Bankinstitutsgruppen, die traditionell — ich füge inzu: dankenswerterweise — den sozialen Wohnungsbau immer besonders gestützt haben, von der derzeitigen Mindestreserveregelung in außerordentlichem Maße betroffen sind und deshalb eigentlich auch eine besondere Hilfe der Bundesregierung im Sinne meiner Anfrage verdienen, weil sie zweifellos in erster Linie wieder im Hinblick auf Kredite für den sozialen Wohnungsbau angesprochen werden, wenn jetzt wieder in größerem Umfang gebaut werden soll?
Herr Kollege, das ist mir wohlbekannt. Bedenken Sie aber bitte, daß den Ausnahmen, wenn die Bundesbank solche machte, keine Grenze gesetzt wäre. Es müßten dann auch anderen Sektoren wie der Landwirtschaft oder der Werftindustrie entsprechende Zugeständnisse gemacht werden. Es ist meiner Ansicht nach so, daß aus Gründen der Stabilität auch im Wohnungsbau eine gewisse zeitliche Streckung hingenommen werden muß.
Keine weitere Zusatzfrage.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches. Ich danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Rosenthal.
Wir sind zugleich am Ende unserer heutigen Fragestunde.
Wie vorhin schon angekündigt, werden wir, obwohl es noch nicht 15 Uhr ist, die Aussprache zu Punkt XI der Tagesordnung — Mitbestimmung — fortsetzen. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kley.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige Bemerkungen zum Gutachten der Biedenkopf-Kommission und zu der schriftlichen Stellungnahme machen, die die Bundesregierung uns zu diesem Thema zugeleitet hat.Die Kommission hat schon vor Jahresfrist der Bundesregierung auftragsgemäß ihren Bericht zugeleitet; er trägt die Überschrift „Mitbestimmung im Unternehmen". Wie man ihn auch im einzelnen beurteilen mag, den neun Professoren gebührt sicherlich Dank für die umfassende und wichtige Untersuchung. Wie wohl kein Beitrag zuvor hat sie seitdem die Mitbestimmungsdiskussion beeinflußt.Meine Damen und Herren, Sie kennen den Bericht. Der zeitliche Rahmen, der dieser Debatte gesetzt ist, erlaubt es nicht, umfassend zu den Feststellungen, Überlegungen und Empfehlungen der Kommission Stellung zu nehmen. Eine Vielzahl von Kommentaren, Analysen, Stellungnahmen aus allen
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5853
Dr. KleyBereichen beweist, daß die inzwischen vergangene Zeit genutzt wurde, zumindest genutzt werden konnte. Heute muß deshalb die Summe gezogen werden, und zwar — entsprechend der Aufgabe dieses Hauses — die politische Summe. Hierbei ist sicherlich unsere gemeinsame Auffassung in allen Parteien, daß der Bericht -der Biedenkopf-Kommission eine sehr wichtige Entscheidungshilfe für das Parlament darstellt, daß er uns aber die politische Entscheidung nicht abnehmen und daß unsere Aufgabe nicht darin bestehen kann, die Empfehlungen der Kommission in allen Punkten abzuschreiben.Zwei politische Stellungnahmen zum Gutachten liegen Ihnen als Drucksache vor: der Gesetzentwurf der CDU/CSU und die schriftliche Stellungnahme der Bundesregierung zum Biedenkopf-Gutachten. Die CDU/CSU hat den Bericht der Sachverständigenkommission nicht nur geprüft, sondern auch ihre Stellungnahme zu diesem Gutachten als Gesetz vorgelegt. Sie hat geprüft, sie hat sich entschieden, und sie hat gehandelt. Die in unserem Gesetzentwurf vorgesehene Regelung zur Mitbestimmung im Unternehmen ist das Ergebnis.Dagegen läßt die Stellungnahme der Bundesregierung die Fragen, die wir gelöst haben, ungelöst, und dort, wo wir uns mühsam genug, wie wir zugeben — entschieden haben, hat sich die Bundesregierung entschieden, nicht zu entscheiden. In diesem Licht muß die Stellungnahme der Bundesregierung betrachtet werden.Zentrales Ergebnis des Sachverständigenberichts — mag man das nun schön finden oder nicht — ist die Ablehnung der paritätischen Mitbestimmung. Zwar enthält die Stellungnahme der Bundesregierung sehr viele Zitate aus dem Gutachten, doch dieses zentrale Ergebnis wird nur beiläufig, fast verschämt, erwähnt. Statt sich hierzu klar und eindeutig zu äußern, ist die Bundesregierung einer solchen Stellungnahme ausgewichen. Das war zweifellos nicht leicht, und man wird Verständnis dafür haben, daß es hierfür fast ein Jahr offensichtlich intensiven Nachdenkens bedurfte. Verlegenheit führte die Feder, und dort, wo man erwarten durfte, das Ergebnis sorgfältiger Prüfung zu erfahren, wurde sorgfältige Prüfung lediglich angekündigt.Es ist in diesem Zusammenhang interessant, daß der am Schluß der vorigen Legislaturperiode, kurz vor den Wahlen, eingebrachte Gesetzentwurf der SPD, zu dem sich Herr Liehr heute noch mit einer gewissen Emphase bekannt hat, in der Stellungnahme der Bundesregierung mit keinem Wort erwähnt wird. Das ist eigentlich nicht nett gegenüber einer so großen Koalitionspartei!
Zwar betont die Bundesregierung bei ihrer einleitenden Würdigung des Berichts ausdrücklich ihre Erwartung, daß die Arbeiten der Biedenkopf-Kommission — so sagt sie; ich darf es zitieren — es erleichtern würden, „zu dem Problem der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Unternehmensorganen eine fundierte Meinung zu entwickeln". Von dieser Erleichterung hat die Bundesregierung selbst offensichtlich keinen Gebrauch gemacht. Statt zum Kern der Problematik vorzustoßen, folgt eine umfangreiche Wiederholung des Kommissionsberichts zur Rechtfertigung der Mitbestimmung an sich. Sicherlich kann man gerade bei diesem Teil des Berichts sehr lange verweilen; denn die Begründung der Kommission ist im einzelnen recht problematisch. Außer Streit ist jedoch das Ergebnis, nämlich das Votum für das Prinzip der Mitbestimmung.Die Kommission ist bei ihrer Rechtfertigung dieses Prinzips durchaus zutreffend davon ausgegangen -ich darf zitieren , daß Mitbestimmung jede Form einer institutionellen Teilnahme der Arbeitnehmer oder ihrer Vertreter an der Gestaltung und inhaltlichen Festlegung des Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses im Unternehmen bedeutet, und zwar ohne Rücksicht auf Art und Umfang einer Teilnahme von Arbeitnehmervertretern in den Unternehmensorganen. Da dieses Prinzip Mitbestimmung seit langem im geltenden Betriebsverfassungsgesetz verwirklicht und anerkannt ist, trägt die Bundesregierung Eulen nach Athen, wenn sie sich in ihrer Stellungnahme für ein Ergebnis engagiert, dessen Gültigkeit ohnehin von keiner der an der Diskussion beteiligten Parteien und Gruppen bestritten wird.Klar zu trennen vom Prinzip der Mitbestimmung ist aber nun die Frage nach der konkreten Ausgestaltung des Prinzips. Mir scheint, die Bundesregierung wirft beides durcheinander, wenn sie feststellt — ich darf wieder zitieren —:Die Ansicht, daß es sich bei der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Unternehmensorganen um nicht mehr als eine willkürliche politische Forderung interessierter Kreise handle, wird nun kaum noch vertreten werden.Ja, meine Damen und Herren, wer hat denn das behauptet? Der Streit geht nicht um die Mitbestimmung, sondern um Art und Maß der Ausgestaltung eines von allen anerkannten Prinzips.
Mag das nun eine logische Fehlleistung oder eine bewußte Tendenz sein, fehlende Differenzierungen zwischen dem unbestrittenen Grundsatz der Mitbestimmung und der durchaus umstrittenen Frage nach ihrer konkreten Ausgestaltung finden sich auch anderenorts in der Stellungnahme der Bundesregierung.Die Eindeutigkeit und Ausführlichkeit, mit der sich die Bundesregierung zum ohnehin unstreitigen Grundsatz der Mitbestimmung äußert, steht in auffälligem Widerspruch zu der Zurückhaltung, mit der sie zur Frage nach der konkreten Verwirklichung dieses Grundsatzes im Unternehmen Stellung nimmt. Die Sachverständigenkommission hat auf diese Frage eine sehr konkrete Antwort gegeben. Doch dort, wo der Bericht der Kommission konkret wird, wird die Stellungnahme der Bundesregierung allgemein.
Sie beschränkt sich darauf, die Ansicht von etwas einseitig ausgesuchten Kritikern des Berichts zu referieren, die zwischen den Feststellungen der Kom-
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5854 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Dr. Kleymission und ihren Empfehlungen eine Diskrepanz behaupten. Nach Ansicht dieser Kritiker, die von der Bundesregierung zitiert werden, sind die von der Kommission festgestellten Erfahrungen mit der paritätischen Mitbestimmung sehr positiv zu beurteilen. Wenn sich die Kommission dennoch gegen eine paritätische Zusammensetzung des Aufsichtsrats und für eine Mehrheit der Eigentümervertreter ausgesprochen habe, so müsse dies als logischer Bruch empfunden werden. So sagen die Kritiker des Berichts.Die Bundesregierung hängt sich mit der ihre gesamte Stellungnahme kennzeichnenden Doppeldeutigkeit an diese Kritik an, indem sie feststellt, daß die Empfehlung zur Zusammensetzung des Aufsichtsrats — ich zitiere —, „in der Tat diese Überlegung nahelege." Es wäre nun zu erwarten gewesen, daß die Bundesregierung zumindest versucht hätte, dieser von ihr zitierten fremden Kritik durch eine eigene Begründung Schlüssigkeit zu verleihen. Doch das tut sie nicht! Sie deutet nur an, und mit Andeutungen läßt sich sehr schlecht argumentieren. Wir sollten offen sagen — das gilt auch für die Bundesregierung —, was im Sachverständigengutachten unsere Zustimmung findet und was von uns kritisiert wird.Deshalb möchte ich ganz kurz auf den vorgenannten empirischen Teil des Berichts, auf seinen ordnungspolitischen Teil und auf die Empfehlungen eingehen. Die Stellungnahme der Bundesregierung verweilt sehr eingehend bei den empirischen Feststellungen des Berichts, denen die Bundesregierung — wenn ich es recht verstehe — offensichtlich einen höheren Stellenwert im Rahmen des Gesamtberichts zuerkennen will, als ihnen nach der Berichtskonzeption zukommt. Sie zitiert — ziemlich unsystematisch und aus dem Zusammenhang gerissen — eine Reihe von Feststellungen, die teils den Bereich der Montan-Mitbestimmung und teils den des Betriebsverfassungsgesetzes betreffen. Ich will die Zitatensammlung aus der Stellungnahme nicht weiter ergänzen, obwohl die Versuchung groß ist. Ich nenne nur Stichworte: Festgestellte Versuche der Fernsteuerung, Verzögerungen und Vertagungen von Beschlußfassungen in der Montan-Industrie, Nichtbewährung des „neutralen" Aufsichtsratsmitglieds. Ich will nur festhalten, daß das positive Resümee, das die Bundesregierung aus den Feststellungen der Kommission zieht, sich generell auf die Mitbestimmung der Arbeitnehmer erstreckt, also gleichermaßen auf beide Mitbestimmungsbereiche. Das scheint wichtig.Im übrigen konnte die Basis für neue Entscheidungen durch die Anhörungen und schriftlichen Befragungen der Kommission nicht annähernd geschaffen werden. Insgesamt 55 Anhörungen, davon nur 21 aus dem ja weit größeren Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes, alle zudem in den Schleier einer absoluten Vertraulichkeit gehüllt, reichen einfach nicht aus, um einen wirklich zuverlässigen Einblick in die Praxis zu erhalten, um so mehr als wir über die Anhörungen nur aus zweiter, wenn auch hoher Hand, nämlich durch die Kommission, unterrichtet worden sind.Hinzu kommt, daß das verfahrensrechtliche Instrumentarium, das der Kommission zur Verfügung stand, für eine umfassende empirische Untersuchung nicht ausreichend war. Darüber hinaus hat die Kommission selbst davor gewarnt, ihre empirischen Feststellungen, soweit sie den Montan-Bereich betreffen, zur Entscheidungsgrundlage für eine allgemeine Mitbestimmungsregelung zu machen. Sie hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die paritätische Mitbestimmung — der sie übrigens an keiner Stelle ihres Berichts eine besondere Bewährung attestiert hat — auf zwei Industriezweige begrenzt ist
— ja, ich habe ihn gelesen —, die durch exzeptionelle Umstände gekennzeichnet sind. Im übrigen hat die Kommission beklagt, daß es ihr nicht möglich war, Zeugen zu vernehmen. Sie hat die paritätische Mitbestimmung jedenfalls als unvereinbar mit wesentlichen Elementen einer marktwirtschaftlichen Ordnung abgelehnt. Ich halte diese Entscheidung für richtig und wohl begründet. Unser Gesetzentwurf trägt dem Rechnung.Noch ein Wort zu den Empfehlungen der Kommission. Sie sehen eine weitreichende Verstärkung der Arbeitnehmerposition im Aufsichtsrat vor, nicht nur durch zahlenmäßig andere Zusammensetzung, sondern auch der Sache nach. Diese Empfehlung haben wir für richtig gehalten und in unserem Gesetzentwurf verwirklicht. Wir hatten dabei gleichzeitig zu bedenken, daß die von uns vorgesehene weitreichende Verstärkung der Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte auf betrieblicher Ebene in ihren Auswirkungen auf das Gesamtgefüge der Mitbestimmung im Betrieb und Unternehmen berücksichtigt werden muß. Auch darin sind wir der Kommission gefolgt.Wir sind ihr auch darin gefolgt, daß eine rechtzeitige Beteiligung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat bei der Berufung von Vorstandsmitgliedern und beim Widerruf von Bestellungen gesichert werden soll.Nicht gefolgt sind wir Erwägungen der Kommission für ein paritätisches Aufsichtsratspräsidium oder ähnliche Gremien
— jawohl - , weil uns hier eine Diskrepanz zuallem, was die Kommission sonst gesagt hat, vorzuliegen schien.
Auch zeigen sowohl der Bericht als auch spätere Äußerungen des Herrn Biedenkopf, daß nicht an Patentlösungen gedacht war, sondern daß es der Kommission — das bitte ich nachzulesen — mit besonderem Vorrang darauf ankam, die Beteiligung der Arbeitnehmer zu sichern und ferner zu sichern, daß sie rechtzeitig stattfindet.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5855
Dr. KleyBegrüßt hätten wir es, wenn die Kommission manchen Problemen noch intensiver nachgegangen wäre. Sie hat leider davon Abstand genommen, die Gruppe der leitenden Angestellten angemessen in ihre Untersuchung einzubeziehen, obwohl es aus der Montan-Industrie — nicht nur, aber gerade auch von dort — viele Stimmen gibt, die hier sehr spezifische Probleme sehen. Mit der Ruhrkohle AG hat sich die Kommission nicht befaßt, obwohl gerade hier sehr interessante Antworten auf manche Fragen zu finden gewesen wären, insbesondere nach der Praxis der Montan-Mitbestimmung.Den so wichtigen europäischen Aspekt hat die Kommission so gut wie ganz ausgeklammert, obwohl wir alle wissen, welche Schwierigkeiten für die Harmonisierung hier schon auf Grund des geltenden Rechts bestehen.Eine Frage hätte auch behandelt werden sollen, obwohl das Eisen so heiß ist, daß niemand es anfassen will, weder die Unternehmer noch die Gewerkschaften. Aber ich will es doch gesagt haben. In der Mitbestimmungsdiskussion taucht immer wieder das Argument auf ich wiederhole: das Argument —, eine sich übe die ganze Wirtschaft erstreckende Mitbestimmung müsse am Ende zu einem Bündnis von Managern und Gewerkschaftsvertretern führen, das sich dann auf dem Rücken der Verbraucher und der Allgemeinheit verwirklichen würde. Dazu hätte die Kommission sich äußern und Stellung nehmen sollen. An einer Stelle des Berichts klingt dieses Motiv ganz leise an, im Bereich der Streichinstrumente. Da hört man dieses Motiv, aber gleichsam erschrokken verstummt es wieder.Noch einmal zur Stellungnahme der Bundesregierung. Wie sie zur Parität steht, bleibt offen. Letztlich zieht sie sich darauf zurück, daß — ich zitiere — die „Auswirkungen einer institutionellen Mitbestimmung auf die marktwirtschaftliche Ordnung, das Eigentum, die Tarifautonomie und die Auswahl des Führungspersonals einer sorgfältigen Prüfung bedürfen". So ist es in der Tat. Seit Jahren ist bekannt, daß hier die entscheidenden Probleme, die Grenzen für die Ausgestaltung jeder institutionellen Mitbestimmung in den Unternehmen liegen, und seit über einem Jahr ist der Bericht der BiedenkopfKommission bekannt. Indem die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu erkennen gibt, daß sie diese Fragen immer noch nicht sorgfältig geprüft hat — sonst hätte sie ja eine Entscheidung vorgelegt —, erklärt sie sich letztlich ,außerstande, sich hier und heute an der Debatte zur Mitbestimmung im Unternehmen zu beteiligen.
Aber in drei Punkten, die mir wichtig erscheinen, ist der Bundesregierung trotz aller Vorsicht in ihrer Stellungnahme eine klare Antwort, ich möchte sagen: unterlaufen, und zwar durchaus im Sinne des von meiner Fraktion eingebrachten Gesetzentwurfs.Erstens. Die Bundesregierung erkennt mit der Kommission an, daß jede institutionelle Mitbestimmung in ihren Wirkungen arbeitnehmerbezogen gesehen werden muß. Das muß ja wohl heißen, daß die Beschäftigtenzahl als das Kriterium anzusehen ist.Zweitens. Durch die kommentarlose Wiedergabe einer Feststellung Professor Biedenkopfs anerkennt sie offenbar auch — ich zitiere —, daß „durch Auswertung der bisherigen Erfahrungen, vor allem mit der Montan-Mitbestimmung, keine ausreichende Grundlage für eine allgemeine Entscheidung über die Ausweitung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Unternehmen gewonnen werden konnte" und daß „die Mitbestimmungsfrage nicht allein auf Grund partieller empirischer Erfahrungen, sondern nur nach der Durchdringung des Gesamtkomplexes und nach einer Analyse aller möglichen externen Auswirkungen" beantwortet werden kann.Drittens erkennt die Bundesregierung den „untrennbaren Zusammenhang zwischen Mitbestimmungsregelungen auf Unternehmens- und auf Betriebsebene" an. Sie erkennt an, daß deshalb bei der Mitbestimmung auf Unternehmensebene die Konsequenzen einer ausgeweiteten Mitbestimmung auf betrieblicher Ebene zu berücksichtigen sind, wenn die Unternehmensverfassung ausgewogen sein soll.Schließlich geht die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme auf einige Empfehlungen der Kommission im einzelnen ein. Was wir zu diesen Empfehlungen zu sagen haben, kommt in unserem Gesetzentwurf zum Ausdruck. In der Stellungnahme der Bundesregierung jedoch beginnt oder endet fast jeder Absatz mit der Erkenntnis: „Es ist zu prüfen". Man kann nur sagen: Es hätte schon längst geprüft werden können und müssen; dafür war ausreichende Zeit vorhanden.
Die Stellungnahme der Bundesregierung enttäuscht, vor allem wenn man sie mit der Elle der großen Worte von den „inneren Reformen" mißt, die wir so oft gehört haben. Davon ist hier gar nichts zu spüren.
— Sie wollten nicht. Gut, dann sagen Sie es auch nicht!Ich würde meine Kritik an der Stellungnahme der Bundesregierung gern zusammenfassen. Aber das fällt schwer, weil in Wahrheit eine Stellungnahme der Bundesregierung gar nicht vorliegt und nur eine Fülle weiterer Prüfungen zugesagt worden ist. Die Bundesregierung ist einer Stellungnahme ausgewichen. Doch gerade dieses Ausweichen, dieser Verzicht auf klare Fronten und der allzu deutliche taktische Kompromiß ist im Grunde doch sehr aufschlußreich.Wir unsererseits haben uns der Entscheidung gestellt und eine, wie ich meine, gute Lösung gefunden, die den wahren Interessen der Arbeitnehmer sehr viel gerechter wird als der auf die Betriebsverfassung beschränkte und im übrigen sehr anfechtbare Entwurf der Regierung.
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5856 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Das Wort hat der Abgeordnete Buschfort für 20 Minuten.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Auftrag ist es, zum Inhalt des von der Bundesregierung vorgelegten Entwurfs eines neuen Betriebsverfassungsgesetzes einige Ausführungen zu machen. Aber zunächst möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, doch einiges mit auf den Weg geben.
Heute morgen wurde hier gesagt, wir seien in der letzten Legislaturperiode so überlastet gewesen, daß es unmöglich gewesen wäre, ein Betriebsverfassungsgesetz zu verabschieden. Ich darf noch einmal daran erinnern — ich wiederhole es, auch wenn Sie immer widersprechen —: Wir haben am 23. Oktober 1967 mit Ihren Herren Winkelheide, Exner, Ziegler und Lepszy ein Koalitionsgespräch geführt. Dabei hat Herr Winkelheide erklärt, er sei an einem gemeinsamen Entwurf nicht interessiert, da seine Fraktion noch für die Betriebsratswahlen 1968 den Minderheitenschutz unter Dach und Fach bringen wolle. Ich kann das verstehen und sage hier noch einmal deutlich, daß Sie damals daran interessiert waren, dem blutarmen Christlichen Gewerkschaftsbund nochmals zu helfen. Aber daß Sie den gleichen Gedankengang in Ihrem Gesetz jetzt noch einmal berücksichtigen und einen Toten wiederbeleben wollen, dafür habe ich allerdings kein Verständnis mehr; denn Ihre gesetzliche Einlassung bedeutet, daß Sie nicht mehr dem Christlichen Gewerkschaftsbund, sondern nur noch den extremen Gruppen ein Spielfeld innerhalb der Betriebe geben.
Nichts anderes bedeutet es doch, wenn Sie jetzt die Zulässigkeit für die Einreichung von Wahllisten auf ein Zwanzigstel der betrieblichen Stimmen herunterdrücken, so daß bei 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern die Möglichkeit besteht, 20 Listen einzureichen. Überdenken Sie diesen Vorgang noch einmal!
Herr Ziegler, Sie sagten heute morgen, die Minderheitsgruppen müßten einen soziologischen Eingang in die Betriebsverfassung erhalten. Darf ich fragen, ob Ihr Erinnerungsvermögen so kurz ist oder ob Sie hier bewußt etwas Falsches gesagt haben. Ich darf jetzt einmal aus der gleichen Besprechung zitieren:
Herr Ziegler erklärte, daß Betriebe heute Spiegelbild des politischen und demokratischen Lebens darstellen. Der Entwurf soll deshalb nicht den Minderheitenschutz im soziologischen Sinne verbessern, sondern er soll auch den Gewerkschaften und sonstigen Gruppen die gleiche Chance geben.
Das deckt sich genau wieder damit, den extremen Gruppen ein Tummelfeld in den Betrieben zu gewährleisten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke?
Ja. Ich darf es vielleicht so machen — ich habe die Taktik längst erkannt —: ich werde Ihnen insgesamt während meiner Redezeit zwei Zwischenfragen erlauben. Dann können Sie sich einigen, wer sie stellen soll.
Herr Kollege Buschfort: wir beide bedauern sicherlich, daß nur etwa 28 % aller Arbeitnehmer organisiert sind. Aber sehen Sie nicht auch, daß Sie mit dem Schreckgespenst des Zitierens extremer Gruppen gewissen Minderheiten, die völlig auf dem Boden stehen, auf dem auch wir beide stehen, eine Mitwirkung innerhalb der Betriebe durch eine größere Barriere verwehren?
Nein, das hat nichts mit dem Organisationsgrad zu tun, Herr Franke. Was wir hier behandeln, hat etwas mit der Präsenz der Betriebsräte zu tun. Der Organisationsgrad ist auf einem ganz anderen Felde zu Hause.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weigl? —
Herr Buschfort, halten Sie Wahlvorschläge, auf die 30, 35 oder 40 % der Stimmen entfallen, für extreme Minderheiten in den Betrieben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, Herr Weigl, dieser Meinung bin ich überhaupt nicht. Ich halte es nur für eine schlechte Lösung, wenn man mit fünf Stimmen in einem Betrieb mit 100 Wahlberechtigten bereits eine Liste einreichen kann und damit durch die Listenwahl die Persönlichkeitswahl völlig zerstört, und genau das ist Ihr Ziel.
Und jetzt darf ich meinem Referat doch etwas mehr Platz widmen.Meine Damen und Herren, bei meinen vorbereitenden Überlegungen habe ich mehr und mehr den Eindruck gewonnen, daß Ihre Anstrengungen in Zusammenhang mit dem Betriebsverfassungsgesetz gut in die vorolympische Zeit passen, so ungefähr nach dem Motto: Dabeisein ist alles. Und wenn ich mir das Gesetz ansehe, dann kann ich Ihnen heute schon sagen: in diesem Wettspiel werden Sie als zweiter Sieger durchs Ziel gehen.Auch ein anderer Vergleich wäre möglich, nämlich Sie in Ihrer Oppositionsrolle als parlamentarisches Kleinkind zu bezeichnen, hier nach dem Motto: weil der eine etwas hat, möchte ich es auch haben.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5857
Buschfort— Wir haben Ihnen, Herr Barzel, schon oft gesagt: Wenn der Wäschekorb mit den mitgenommenen Gesetzen erst einmal leer ist, dann wird es für Sie etwas schwerer, und genau an dieser Stelle sind Sie jetzt angekommen.
Denn vom Inhalt her können Sie der Öffentlichkeit ohnehin nicht mehr klarmachen, insbesondere nicht mehr nach dem Düsseldorfer Parteitag, daß Ihre Partei eine progressive Einstellung zu den Fragen der Betriebsverfassung hat. Dazu hätte es aber auch gar nicht erst des Parteitages der CDU/CSU bedurft.
Ja, aber mit CSU-Ergebnissen!
Denn die Koalitionsgespräche des Jahres 1967 haben meines Erachtens dafür schon genug Beweis erbracht. Ich gehe sogar so weit, Ihnen heute zu sagen: Ihre gesamten Anstrengungen zu dem jetzt anstehenden Fragenkomplex hätten Sie sich sparen können; denn mit dem, was Sie uns heute morgen hier angeboten haben, werden Sie keinen Hund hinter dem Ofen hervorlocken.
Dabei fällt mir eine Bemerkung ein, die ein bekannter Politiker anläßlich der Beratungen zum BVG 1952 im Plenum gemacht hat. Er sagte:Man kann nicht mit den Einstellungen vongestern und den Begriffen von vorgestern die Notwendigkeiten von heute und die Aufgaben von morgen begreifen. Wer es trotzdem tut, ist ein Reaktionär.
— Die Ausführung war nicht von mir, die war von Ihrem Herrn Strauß.
Ich überlassen es Ihnen, welchen Satz ich eigentlich an dieser Stelle anführen wollte.
— Doch, dazu komme ich gleich noch eingehend, Herr Barzel. Beruhigen Sie sich, unser BVG können wir sehr wohl vorweisen.
Die Regierungsvorlage trägt den betrieblichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen von heute Rechnung. Sie garantiert auf der Basis eines klaren Gesamtkonzepts mehr Demokratie und mehr soziale Gerechtigkeit im Arbeits- und Wirtschaftsbereich. Sie stimmt auch inhaltlich weitgehend mit den Vorstellungen überein, die die SPD-Fraktion schon im Gesetzentwurf von 1968 entwickelt hat, ja, sie geht an einigen Stellen sogar noch darüber hinaus. Die Rechte des einzelnen Arbeitnehmers werden verstärkt. Die Befugnisse des Betriebsrats werden ausgedehnt, und die Gewerkschaften erhalten mehr Möglichkeiten, über die Einhaltung der betriebsverfassungsrechtlichen Vorschriften zu wachen und in den Betrieben tätig zu werden.Der Arbeitnehmer hat künftig die Möglichkeit, auf seine Probleme besser und eingehender als bisher hinzuweisen, sich Fragen beantworten zu lassen oder Entscheidungen herbeizuführen. Der einzelne Arbeitnehmer erhält das Recht, in Angelegenheiten, die ihn im Betrieb unmittelbar betreffen, von den zuständigen Personen angehört zu werden und ihnen Vorschläge zu unterbreiten. Er darf seine Personalakte einsehen und ihr eigene Erklärungen anfügen. Er kann beim Arbeitgeber und beim Betriebsrat Beschwerden einreichen, die — und das ist wichtig — beantwortet werden müssen. Ältere Arbeitnehmer haben einen Anspruch darauf, vom Betriebsrat mit besonderer Aufmerksamkeit und Fürsorge behandelt zu werden. Diese Verbesserung fügt sich sinnvoll an das bereits verabschiedete Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz an.Zahlreiche Vorschriften bringen wesentliche Neuerungen für den Organisations- und Wirkungsbereich des Betriebsrats. Mißstände heim betrieblichen Wahlrecht werden beseitigt. Während bisher nur Arbeitnehmer aus EWG-Ländern wählbar waren, sollen nach unserer Vorlage Arbeitnehmer jeder Nationalität Mitglied des Betriebsrats werden können.Hier darf ich Ihnen wieder einige besondere Formulierungen widmen. Gestern haben Sie hier zum Anliegen der ausländischen Arbeitnehmer unwahrscheinlich getönt. Ich habe das mit Verwunderung aufgenommen. Ich habe auch nicht begreifen können, mit welchem Mut Sie das gemacht haben. Jetzt, bei der Betriebsverfassung, hätten Sie die Möglichkeit gehabt, den ausländischen Arbeitnehmern Rechte zuzuweisen, sie auch wählbar machen zu lassen. Da haben Sie gekniffen.
Sie haben es beim bisherigen Recht belassen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ruf?
Herr Ruf, bei Ihnen speziell ja.
Herr Kollege Buschfort, haben Sie vielleicht übersehen, daß wir in unserem Entwurf vorgesehen haben, daß auf Grund einer Vereinbarung von Arbeitgebern und Betriebsrat Vertrauensleute aller ausländischen Arbeitnehmer in Angelegenheiten, die sie selber betreffen, an allen Betriebsratssitzungen teilnehmen können? Ich glaube, diese Bestimmung haben Sie übersehen.
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5858 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Herr Ruf, darf ich darauf antworten. Es ist mir unverständlich, wie Sie als Fachmann diesen Vergleich ziehen können. Der Vertrauensmann hat längst nicht die Funktionen eines Betriebsratsmitglieds. Außerdem hat der Vertrauensmann nicht annähernd die Ausführungsmöglichkeiten, und wenn er an einer Betriebsratssitzung teilnehmen kann, sind das noch keine Befugnisse, die gleichwertig mit denen eines Betriebsratsmitglieds sind.
Sie kennen doch den unseligen Zustand, daß in der Bundesrepublik der holländische Arbeitnehmer wählbar ist, der Österreicher aber nicht. Sie kennen das unglückliche Beispiel, daß der Italiener wählbar ist, aber der Jugoslawe nicht. Wollen Sie denn nun nicht endlich im Arbeitsleben gleiche Verhältnisse für alle Arbeitnehmer schaffen, für alle, die in den Betrieben produzieren, anstatt nach dem Prinzip vorzugehen: weil wir etwas anderes sind, haben die anderen mindere Rechte? So geht es nicht, Herr Ruf.
Gestatten Sie eine zweite Frage?
Herr Kollege Buschfort, darf ich eine zweite Frage an Sie stellen?
Bitte.
Sie haben also zugegeben, daß auch nach unserem Entwurf Arbeitnehmer aus dem EWG-Bereich voll wählbar zum Betriebsrat sind. Diese haben die gleichen Rechte wie die anderen inländischen Arbeitnehmer. Es handelt sich also nur um die Arbeitnehmer, die nicht aus der EWG kommen.
Herr Kollege Buschfort, meinen Sie nicht, daß wir in der betrieblichen Wirklichkeit auf erhebliche Schwieigkeiten stoßen würden, wenn wir Ihren Vorstellungen folgten? Haben Sie nicht überlegt, wie schwer es sein wird, für Vertretungen zu sorgen? Denken Sie doch einmal: hier die Türken, hier die Griechen. Sie sprechen von den Jugoslawen. Dann müßten Sie sagen: die Slowenen, die Kroaten usw. Ich meine, daß wir diesen Schwierigkeiten mit unseren Vorstellungen besser Rechnung tragen.
Frau Präsidentin, ich bitte, daß dieses Zwischenreferat nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
Herr Ruf, ich sage zu dem, was Sie gerade ausgeführt haben, nein. Sie können mir doch hier nicht erklären, daß es beispielsweise mit einem Osterreicher komplizierter sein soll als mit einem Italiener, wenn er von der Belegschaft als Betriebsrat gewählt werden soll. Das ist doch glatter Hohn.Es ist im Verhältnis auch nicht schwieriger, mit einem Jugoslawen umzugehen als mit einem Franzosen. Das gibt es doch nicht. Sie wollen den alten Status beibehalten. Oder Sie haben zu wenig überlegt, etwas Besseres zu formulieren.
Durch die Erhöhung der Mitgliedszahl von bisher maximal 35 auf die neue Höchstzahl von 71 Mitgliedern werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die einzelnen Anliegen der Arbeitnehmer vor allem in Großbetrieben besser bearbeitet werden können.Die arbeitsrechtlichen Verhältnisse der Betriebsratsmitglieder, insbesondere Art und Umfang ihrer Freistellung von der Arbeit, werden stark verbessert. Für den Besuch von Schulungs- und Bildungsveranstaltungen, die für die Arbeitnehmer im Betriebsrat notwendig sind, sind jetzt Freistellungen möglich. Für den Besuch anerkannter Schulungsstätten muß jedes Betriebsratsmitglied in seiner Amtszeit drei Wochen freigestellt werden. Das ist der erste Schritt zum Bildungsurlaub. Eine weitere Ausdehnung der Verbesserung an Freistellungen liegt darin, daß ein Betriebsratsmitglied für die entsprechende Zeit von der Arbeit freigestellt wird. Auch hier darf ich wiederum eine kritische Bemerkung machen. Ich habe mir den Gesetzentwurf der Sozialausschüsse angesehen, ich habe mir auch den Gesetzentwurf der CSU angesehen. Vor wenigen Wochen hatten Sie in einem Betrieb mit 1000 Beschätigten noch drei Freistellungen vorgesehen. In Ihrem jetzigen Entwurf bringen Sie es noch auf eine ganze Freistellung. Sie können einmal überlegen, wie wohl diese Veränderung zustande gekommen ist, ob Sie mit den Notwendigkeiten im Betrieb oder Ihren neueren Erkenntnissen zusammenhängt oder ob es mit der Struktur Ihrer Partei und der Einflußnahme der Untenehmer auf dieses Gesetz zusammenhängt. Ich bin überzeugt, das letzte trifft zu.
Für den Bereich der Betriebsversammlungen ist ein neuer Versammlungstyp entwickelt worden. Neben den bekannten und bewährten Betriebs- und Teilversammlungen wird es künftig Abteilungsversammlungen geben. Es hat sich nämlich gezeigt, daß wichtige Anliegen einzelner Arbeitnehmer und einzelner Gruppen in Großbetrieben nicht gebührend berücksichtigt werden konnten.Der Katalog der Themen, die auf Betriebsversammlungen behandelt werden können, wird erheblich ausgeweitet. Hieß es bisher, behandelt werden dürfen nur solche Angelegenheiten, die den Betrieb und seine Arbeitnehmer berühren, so können künftig alle Probleme behandelt werden, die den Betrieb und die Arbeitnehmer in tarifpolitischer, sozialpolitischer und wirtschaftspolitischer Hinsicht betreffen.
— Wenn Sie die Wirklichkeit kennen
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Buschfortund wissen, daß auch Ihre Minister in Betriebsversammlungen gesprochen haben, daß auch Ihre Abgeordneten in Betriebsversammlungen gesprochen haben, die nach altem Recht das nicht durften, und wenn wir in ein Gesetz jetzt das hineinbringen, was der Wirklichkeit entspricht, dann können Sie doch nicht sagen, das sei unsere Politisierung. Das ist doch glatter — — Na, ich sage es nicht.
— Nach altem Recht durften Sie es nicht. Nach altem Recht durfte man nur über die den Betrieb berührenden Fragen sprechen. Wollte ein Arbeitnehmer, ein Betriebsratsmitglied oder ein Betriebsinhaber beispielsweise über die Rentenversicherung sprechen, mußte er zunächst einen betrieblichen Aufhänger suchen, um dann in das Thema hineinzukommen. Er hat nämlich zunächst einmal mogeln müssen, um die Ausführungen machen zu dürfen, die er wollte. Das haben alle gemacht, und weil das Blödsinn ist, regeln wir es jetzt von vornherein vernünftig.
Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates auf sozialem, wirtschaftlichem und personellem Gebiet gehören zu den wichtigsten Neuregelungen. Ich will nur wenige Punkte nennen. Da ist zunächst einmal zu sagen, daß die Einführung von Kontrolleinrichtungen, z. B. Maschinenlastschreibern, Fernsehanlagen, Fließbandüberwachungsanlagen und ähnliches, der Mitbestimmung unterliegen. Bei den Sozialeinrichtungen erhält der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht, auch in bezug auf die Rechtsform, damit Umgehungsgeschäfte ausgeschlossen werden. Neu ist auch die Mitbestimmung des Betriebsrates bei der Vergabe von Wohnungen und der Festlegung der Nutzungsbestimmungen. Hier würde ich wieder empfehlen: Schauen Sie sich Ihren Gesetzentwurf einmal daraufhin an, was Sie daraus gemacht haben! Ein weiteres Mitbestimmungsrecht erhält der Betriebsrat bei der Lohngestaltung, den leistungsbezogenen Entgelten, der Prämienentlohnung und der Festlegung der Zeit- und Geldfaktoren. Die beiden letzten Worte überlegen Sie einmal ganz genau: bei der Festlegung der Zeit- und Geldfaktoren! Herr Ruf, ich würde Ihnen empfehlen, hier in Ihrem Entwurf nachzulesen, was Sie in diesem, ich möchte sagen, wichtigsten Mitbestimmungsbereich der sozialen Angelegenheiten gemacht haben. Sie haben nämlich genau diesen Punkt nicht berücksichtigt.
Darf ich eine Frage an Sie richten?
Bitte!
Herr Kollege Buschfort, glauben Sie mir, daß wir gerade diesen Punkt ganz bewußt so gestaltet haben?
Ja, das glaube ich Ihnen.
Sind Sie sich darüber im klaren, Herr Kollege Buschfort, daß Sie in erheblichem Umfange vom bisherigen Verfahren abweichen? Bisher waren wir uns einig, daß durch solche Betriebsvereinbarungen, durch solche Mitbestimmungsrechte eben die materiellen Arbeitsbedingungen nicht geregelt werden sollen. Sie kommen jetzt aus dem Tarifbereich in die Betriebsvereinbarungen hinein und regeln materielle Arbeitsbedingungen. Das halten wir nicht für richtig.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Ruf, entschuldigen Sie, aber ich muß Ihnen das zurückgeben. Entweder haben Sie unseren Gesetzentwurf nicht gelesen, oder Sie kennen in diesem Punkt nichts vom Arbeitsrecht;
denn in unserem Gesetzentwurf steht: das gilt natürlich nur insoweit, wie es keine tarifvertraglichen Regelungen gibt. Das ist aber etwas ganz anderes, als wenn man es ganz draußen läßt.
Ein wesentlicher Punkt, der ebenfalls zu beachten ist, ist das zukünftige Recht darauf, über die Gestaltung der Arbeitsplätze informiert zu werden, wobei der Betriebsrat in Beratung mit dem Arbeitgeber darauf drängen kann, daß gesicherte Erkenntnisse der Arbeitswissenschaft und die menschengerechte Gestaltung der Arbeitsplätze berücksichtigt werden. Dieser Absatz wird, so schätze ich, zukünftig außerordentliche Bedeutung erlangen. Das wird nämlich bedeuten, daß durch die herrschende Meinung in diesem Bereich ein ständiger Anpassungsprozeß in der Arbeitsplatzgestaltung stattfinden wird. Das bedeutet, daß wir zu menschenerträglichen Arbeitsplatzgestaltungen, zu arbeitsmedizinisch untermauerten Arbeitsplatzgestaltungen kommen.Beachtet der Arbeitgeber diese Erkenntnisse nicht, so haben die Arbeitnehmer einen durchsetzbaren Anspruch auf entsprechende Verbesserung und gegebenenfalls auf Schadensersatzausgleich.Hier wurde von Herrn Ruf heute morgen — oder es war von Herrn Ziegler — innerhalb der Debatte noch die Frage gestellt, ob wir uns wohl den Vorgang Wirtschaftsausschuß richtig überlegt hätten, und zwar mit der Formulierung: Dann gibt es ja zukünftig im Maximalfalle einen Wirtschaftsausschuß mit 142 Mitgliedern. Auch hier möchte ich sagen, hätten Sie nur den Absatz 3 gelesen, dann würde das zutreffen. Verbinden Sie aber diesen Vorgang mit dem Absatz 1 im gleichen Paragraphen, so finden Sie dort, wie groß der Wirtschaftsausschuß zu sein hat, auch wenn er ausschließlich vom Betriebsrat gebildet wird: 3 bis höchstens 7 Mitglieder, und wenn Sie ihn dann verdoppeln, kann er im Großkonzern 14 Personen umfassen. Sie dürfen das nicht trennen, und wenn Sie hier Kritik üben, sollten Sie sich das vorher gründlich durchlesen.
Grundlegende Verbesserungen gibt es auch im Bereich der wirtschaftlichen Mitbestimmung. Der Arbeitgeber muß den Wirtschaftsausschuß über geplante Investitionen, Rationalisierungsmaßnahmen,
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5860 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Buschfortdie Einführung neuer Arbeitsmethoden und diefinanzielle Lage des Unternehmens informieren.Auf Verlangen des Betriebsrates müssen neu zu besetzende Stellen zunächst einmal im Betrieb ausgeschrieben werden, damit der betriebsinterne Arbeitsmarkt intensiviert wird und Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb des Betriebs genutzt werden können. Bei der Festlegung von Beurteilungsgrundsätzen, bei der Gestaltung von Personalfragebogen und der Festlegung von Auswahlrichtlinien für persönliche und fachliche Voraussetzungen erhält der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht.Stärkere Einwirkungsmöglichkeiten erhält der Betriebsrat jetzt auch bei Einstellungen, Umgruppierungen und ähnlichen Maßnahmen. Verweigert er seine Zustimmung an Hand des dafür vorgesehenen Katalogs, kann sich der Arbeitgeber innerhalb von drei Tagen an das Arbeitsgericht wenden mit dem Antrag, der Einstellung zuzustimmen.Die bei Kündigungen einzuholenden Stellungnahmen des Betriebsrates müssen den betroffenen Arbeitnehmern in Zukunft mitgeteilt werden, so daß dieses Material in einem eventuellen Prozeß vor dem Arbeitsgericht verwertet werden kann.Herr Ruf, Sie haben vorhin in Ihrem Vortrag gesagt, wir würden im Bereich der Kündigungen unterschiedliches Recht schaffen.
— Durch Betriebsvereinbarungen! Ich darf zunächst einmal feststellen, daß wir in unseren Formulierungen den Betriebsräten, den Jugendvertretern, den Vertretern im Wirtschaftsausschuß, den Wahlkandidaten und Wahlvorständen einen umfassenden Kündigungsschutz, und zwar auch vor fristloser Entlassung, geben. Sie dagegen werden der Praxis wiederum nicht gerecht. Die Erfahrung lehrt doch, daß jemand, der in einem Betrieb, wo man das nicht gern sieht, mit der Bildung eines Betriebsrates beginnt, schlicht und einfach hinausgeschmissen wird. Dagegen tun Sie nichts. Diesen Vorgang haben Sie, wie Ihr Entwurf zeigt, wieder nicht erkannt. Sie haben außer acht gelassen, daß Betriebsräte und Jugendsprecher oder Funktionsträger bestimmte Rechte erhalten müssen, durch die sie umfassend geschützt werden.Frau Präsidentin, bedeutet das Aufleuchten der roten Lampe, daß ich jetzt aufhören muß?
Ja. Ich habe Ihre Redezeit schon um fünf Minuten verlängert.
Entschuldigen Sie vielmals, Frau Präsidentin!
Ich komme zum Schluß meiner Ausführungen. Wir werden mit dem vorgelegten Betriebsverfassungsgesetz ein fortschrittliches Gesetz schaffen.
Ich stelle fest, daß dafür langjährige Vorarbeiten geleistet worden sind und wir alle uns zugänglichen arbeitsrechtlichen Erkenntnisse zusammengetragen haben. Ich bin der festen Überzeugung, daß wir mit den Vorstellungen von heute ein Gesetz für morgen machen. Ihnen dagegen sage ich noch einmal, daß Sie mit den Erkenntnissen von gestern ein Gesetz für vorgestern machen wollen. Das werden wir zu verhindern wissen.
Meine. Damen und Herren, ich habe es vorhin versäumt, Herrn Dr. Kley zu seiner Jungfernrede zu gratulieren. Das möchte ich hiermit herzlich tun.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Katzer zu einer kurzen Stellungnahme.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die letzte Bemerkung des Herrn Kollegen Buschfort vermag ich nicht zu unterstreichen. Ich freue mich aber, daß er ansonsten seine Ausführungen in sachlichem Ton gemacht hat. Sie hoben sich wohltuend von einigen polemischen Bemerkungen ab, die wir heute morgen haben hören müssen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich, weil gerade von den Sozialausschüssen die Rede war und ich persönlich mehrmals von einigen Rednern angesprochen worden bin, drei kurze Bemerkungen machen.Erstens. Hier ist gesagt worden: „Herr Katzer macht Versprechungen in der Öffentlichkeit, hier hüllt er sich in Schweigen." Außerdem ist auf den Parteitag in Düsseldorf hingewiesen worden. Meine Damen und Herren, dazu kann ich nur sagen: Das, was Sie hier in Szene setzen, ist ein grandioses Ablenkungsmanöver.
Herr Kollege Schellenberg, Sie glauben wohl, die Debatte sei beendet, wenn Sie gesprochen haben. Das ist keineswegs der Fall, sondern dann fangen wir meist erst an.
Ihre Beiträge sind ein Ablenkungsmanöver. Die Sozialdemokratie hat — und davon wollen Sie ablenken, das wollen Sie verschleiern — im Wahlkampf 1969 die paritätische Mitbestimmung versprochen für den Fall, daß sie die Regierungsmehrheit erhält.
Da stehen Sie im Wort. Das haben Sie versprochen.Sie haben das heute wiederholt. Nur legen Sie keine
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5861
Katzerentsprechenden Gesetzentwürfe hier auf den Tisch des Hauses.
-- In diesem Punkte bin ich wirklich absolut mit Ihnen einig: ich weiß, warum. Genau!
Herr Kollege Katzer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich halte mich an die heute geübte Regelung des Hauses, daß wir jetzt keine Zwischenfragen machen — auch mit Rücksicht auf den Kollegen Benda, der jetzt gleich sprechen wird.
Meine Damen und Herren, ich halte fest: Sie haben es im Wahlkampf 1969 versprochen und sind jetzt nicht in der Lage, das zu halten.
Die CDU hat auf ihrem Parteitag 1968 in Berlin die Frage der Mitbestimmung diskutiert. Sie hat diese Frage offen gelassen. Wir hatten auch eine ganz klare Aussage im Wahlkampf: 1, wir werden das Biedenkopf-Gutachten abwarten, 2. die Entscheidung fällt auf dem Düsseldorfer Parteitag. Nichts anderes ist gesagt worden. Nichts anderes habe ich im Wahlkampf in meinen Reden gesagt, nichts anderes hier im Parlament wie draußen im Lande in jeder Veranstaltung.
Wir haben entsprechend dem Düsseldorfer Parteitag heute ein einheitliches Gesetz für Betriebsverfassung und Unternehmensverfassung vorgelegt. Nichts anderes habe ich übrigens in der Presseerklärung vom 3. Dezember 1970 angekündigt, die heute morgen hier zitiert wurde.
Die CDU-Sozialausschüsse haben auf dem Parteitag in Düsseldorf ein eigenes Modell zur Mitbestimmung vorgelegt. Wir haben dafür keine Mehrheit gefunden. Es gab 21 O/0 der Stimmen für dieses unser Modell. Wir haben für dieses Modell ebensowenig eine Mehrheit gefunden wie Ihr früherer Fraktionsvorsitzender, Herr Schmidt, als er bei der ersten Lesung im Februar 1969 hier sagte, er persönlich hätte dem, was die Sozialausschüsse jetzt modifiziert vorgelegt hätten, Sympathie entgegenbringen können. Er hat sich bei Ihnen nicht durchsetzen können. Genauso ist es uns hier gegangen.
— Er hat für sich persönlich gesprochen.
Wir haben nach dieser Entscheidung von Düsseldorf — ich mache gar kein Hehl daraus, daß die Sozialausschüsse, meine Freunde und ich, gern eine weitergehende Regelung gesehen hätten , die wir als Demokraten selbstverständlich respektieren — —
— Ist das denn bei Ihnen anders? Hörten wir nicht heute morgen von Ihnen sogar, daß Sie im Ausschuß über Ihre Vorlage abstimmen werden, ohne sich mit unserem Entwurf auseinanderzusetzen? Das war doch das, was Herr Liehr heute morgen ganz klar gesagt hat.
Einen solchen Parteitagsbeschluß zu respektieren, ist also demokratische Gepflogenheit. Ebenso ist es demokratische Gepflogenheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, daß die Kollegen, die in einer Sachentscheidung die Mehrheit gehabt haben, diese Entscheidung auch hier im Plenum vertreten. So ist heute hier verfahren worden.
Herr Kollege Liehr sprach zu diesem Punkt von „sozialer Badehose", „Feigenblatt" und was weiß ich welche Sprüche. Wenn man bei dieser Ausdrucksweise bleiben will, kann ich nur sagen, meine Damen und Herren von der SPD, der Arbeiterpartei von gestern: Dann stehen Sie in dieser Frage in der heutigen Debatte wirklich bloß und nackt vor uns.
Lassen Sie mich dazu noch eine dritte und letzte Bemerkung machen! Ohne die Union --- das können Sie doch nicht leugnen; Ihr Zwischenruf von vorhin war doch so erfreulich klärend: wir wissen, woran es liegt, wir wissen es ja; deshalb ist der Satz, glaube ich, um so richtiger — gäbe es kaum eine Mitbestimmungsdiskussion in diesem Ausmaß in Deutschland.
Das zeigt am deutlichsten die heutige Debatte, denn worüber hätten Sie eigentlich diskutiert, wenn Sie sich nicht mit dem Entwurf der CDU/CSU-Fraktion hätten auseinandersetzen können? Das war doch der Hauptpunkt in der Diskussion.
-- Herr Liehr, Sie haben mich heute enttäuscht. Das werde ich Ihnen an anderer Stelle noch einmal sagen. Ich will jetzt nur soviel sagen: Die Sozialausschüsse dieser Union sind die tragende Kraft in dieser Diskussion — das tut Ihnen zwar weh, aber das können Sie nicht bestreiten —, und ich verspreche Ihnen, daß das auch in Zukunft so bleiben wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Benda.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe meinem Freunde Katzer sehr gern ein paar Minuten meiner Redezeit abgetreten. Frau Präsidentin, ich hatte gebeten, 40 Minuten sprechen zu können. Ich glaube, daß es mir möglich sein wird — ich will mich darum
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Bendabemühen -, jetzt um so viel kürzer zu sprechen,daß die Zeit, die Herr Kollege Katzer mit Recht und mit gutem Sinn soeben in Anspruch genommen hat, von mir nicht ausgefüllt zu werden braucht.Über das meiste, was heute vormittag und bis eben hier gesagt worden ist, will ich nicht viel sagen. Vielleicht ein Wort an Sie, Herr Kollege Schellenberg. Es sind heute viele Bilder gebraucht worden. Herr Schmidt hat die Kochkunst und Herr Buschfort hat den Sport bemüht. Herr Schellenberg, das alles kommt mir ein bißchen so vor wie die Schaubühne Hansa vom Halleschen Tor. Das reimt sich sogar.
Wenn also die künstlerische Darstellung hier zu einem mäßigen Vers inspiriert hat, so ist das ja immerhin etwas. Mein Berliner Kollege Schellenberg weiß, was ich meine. Sowohl für die Schauspielbühne Hansa als auch für Sie gilt: gute Schauspielkunst, aber sehr oft problematische Texte.Das wollte ich hier sagen.
Ich stimme meinem Freunde Katzer völlig darin zu, daß in unserer Diskussion seit heute morgen im Grunde die Mitbestimmungsdebatte und die Mitbestimmungsentscheidung des Düsseldorfer CDU- Parteitages eine ganz wesentliche Rolle gespielt hat. Wir werden von Ihnen darüber ja vermutlich noch mehr hören. Meine Fraktion hat überhaupt keinen Grund, diesen Gang der Debatte zu bedauern. Im Gegenteil! Es steht doch fest, daß — wie immer man die Vorschläge unseres Gesetzentwurfes im einzelnen beurteilen mag — sich das Interesse nicht nur dieses Hauses, sondern auch der deutschen Öffentlichkeit gar nicht auf die Vorstellungen der Bundesregierung, sondern auf den von der Opposition vorgelegten Entwurf konzentriert.
Wenn man die Texte vergleicht, ist das völlig natürlich.„Am Thema Mitbestimmung zeigt sich, daß Politik auch heute die Kunst des Möglichen ist" —
so der Bundeskanzler
am 27. April 1970 gegenüber dem Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes bei einem Abendessen, das er dem Bundesvorstand gegeben hat. Das bedeutet nun, ganz nüchtern gesagt — auch die Debatte hat es erneut erwiesen —, daß die Regierungskoalition einen von beiden Parteien der Koalition getragenen Mitbestimmungsentwurf eben nicht vorlegen kann. Sie muß vielmehr, dies zeigt auch die Stellungnahme der Bundesregierung zum Biedenkopf-Bericht und ebenfalls die bereits erwähnte Rede des Herrn Bundeskanzlers vom 27. April 1970, weiter -- und hier wieder ein Zitataus dieser Rede — „auf einen fruchtbaren Dialog zwischen den verschiedenen Gruppen unserer Gesellschaft hoffen". Das ist auch gut so. Die Hoffnung geht aber auch dahin, daß dieser Dialog mindestens bis zum Ablauf der Wahlperiode weitergeht, also die Entscheidung, die einmal unvermeidlich sein wird, hinauszögert.Der Opposition, uns, ist es dagegen möglich, hier und heute unsere Vorstellung auf den Tisch zu legen und eine solche Stellungnahme auch von den Kollegen der anderen Fraktion zu erzwingen.
Wenn Fortschritt die Fähigkeit beinhaltet, ja voraussetzt, zu konkreten Sachentscheidungen zu gelangen, dann stellen wir uns sehr gern jeder kritischen Prüfung der Frage, wer heute die Probleme anfaßt und wer sie ausklammern muß.
Die Beobachter der Düsseldorfer Mitbestimmungsdebatte, die ja nicht sämtlich einem Freundeskreis der CDU angehören,
haben mit großem Fleiß die unterschiedlichen Meinungen der Sozialausschüsse einerseits und der der Wirtschaft verbundenen Delegierten des Parteitags andererseits registriert. Mein persönlicher Eindruck ist, daß bei dieser Beobachtung, bei der Berichterstattung, die Meinung der großen Mehrheit. des Parteitags, die weder der einen noch der anderen Seite von vornherein zugerechnet werden kann, vielleicht etwas zu kurz gekommen ist.
Nun will niemand bestreiten -- das ist genau das Gegenteil von dem, was Sie zu unterstellen versuchen —, daß es in den Sachfragen der Mitbestimmung in Düsseldorf unterschiedliche Meinungen gegeben hat. Ob ausgerechnet — auch das sage ich dem Herrn Zwischenrufer — eine Koalition, die eine öffentliche Debatte über die bei ihr bestehenden Streitfragen in puncto Mitbestimmung gar nicht führen kann, ohne sich damit ernstlich in Gefahr zu bringen, ob ausgerechnet eine solche Koalition besonders zur Schadenfreude legitimiert ist, will ich einmal dahingestellt sein lassen.
Wir dagegen können und werden die von uns auf dem Parteitag und von der Fraktion getroffenen Entscheidungen gemeinsam tragen, weil wir eben nichts ausgeklammert, weil wir keine Kontroversen gescheut, weil wir die unterschiedlichen Meinungen in gegenseitiger Achtung voreinander ausgetauscht, uns in einer demokratischen Weise entschieden, uns nicht zuletzt alle miteinander bereit erklärt haben, das erreichte Ergebnis solidarisch zu tragen.Nun mag mancher meinen, dies seien alles nur taktisch bedingte Kompromisse, die wir vorlegen. Wer so denkt, sollte sich zunächst einmal genauer
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5863
Bendaüber Verlauf und Ergebnis der Düsseldorfer Verhandlungen unterrichten.
-- Die wird es geben.
In ihnen wird Wort für Wort alles aufgezeichnet sein. Herr Kollege, Sie sollten über die Praxis unserer Parteitage und ihre demokratische Offenheit etwas besser unterrichtet sein.Die wirklich zentrale Frage, welcher keine Debatte über Mitbestimmung in irgendeinem gesellschaftlichen Bereich ausweichen sollte, liegt für mein Empfinden gar nicht so sehr in den schwierigen und wichtigen Fragen der Unternehmensverfassung. Sie liegt vielmehr — hierüber möchte ich einige Worte sagen — in dem in vielfachen Variationen, übrigens auch heute morgen, immer wieder geäußerten Gedanken der „Demokratisierung der Gesellschaft". Das ist bereits in der Regierungserklärung von 1969 vom Bundeskanzler angesprochen worden. Hier liegt der entscheidende Punkt, von dem aus sich alles andere leichter ergibt.Auch hierüber haben wir auf unserem Düsseldorfer Parteitag gesprochen, allerdings in einer weniger dramatischen, deswegen vielleicht von der Öffentlichkeit weniger intensiv beobachteten Weise als in der eigentlichen Mitbestimmungsdebatte.Viele wissen, daß über den Demokratiebegriff lange gestritten wird. Der Parteivorsitzende der SPD, der jetzige Bundeskanzler, hat in einem Aufsatz in der „Neuen Gesellschaft" vom Mai 1969 den Standpunkt seiner Partei so formuliert ich darf dies zitieren —:Für die SPD bedeutet Demokratie ein Prinzip, das alles gesellschaftliche Sein der Menschen beeinflussen und durchdringen muß.Dies bedeutet, wenn ich es richtig interpretiere, im Bereich der wirtschaftlichen Mitbestimmung wohl die Parität im Sinne der gewerkschaftlichen Forderungen, dagegen, wie ich annehme, nach der Mehrheitsmeinung bei Ihnen nicht Wirtschaftsdemokratie in dem von Fritz Naphtali 1928 formulierten Sinne — ich nehme an, daß ich in diesem Zusammenhang die Meinung bei Ihnen richtig interpretiere —, nämlich als Vorstufe zur Sozialisierung. Es bedeutet sicher auch nicht Arbeiterkontrolle oder Betriebsparlamentarismus.Immerhin wissen die Kollegen der SPD, daß die Diskussion über diese Vorstellungen aktuelle Bedeutung hat. Stellvertretend für manche jüngeren Theoretiker in den Gewerkschaften erwähne ich Herrn Rudolf Kuda vom Hauptvorstand der IG Metall, der in einem Vortrag vor den ostwestfälischen Sozialdemokraten im Dezember 1970 meinte.
— sicher, beim Hauptvorstand der IG Metall, da sind wir uns einig — ich zitiere Herrn Kuda —, daß die Arbeitnehmerschaft ihre Interessenvertretung selbst in die Hand nehmen müsse und das nicht demStaat überlassen dürfe. Es gehe um den Aufbau einer Gegenmacht zur Einleitung einer gesellschaftlichen Umgestaltung mit dem Ziel sozialer Gerechtigkeit. Mitbestimmung dürfe daher nicht den Effekt einer Anpassung an das spätkapitalistische System haben, sondern sie müsse Chancen zur Systemänderung eröffnen. So weit Herr Kuda.Bei anderen leben Vorstellungen wieder auf, die der Gewerkschaftler Wilhelm Haferkamp 1964 mit vollem Recht als den Versuch charakterisiert hat, den Mitbestimmungsgedanken dadurch in Mißkredit zu bringen, daß er zu einer abwegigen Form der betrieblichen Urdemokratie karikiert werde. Immerhin hat sich schon Josef Schumpeter gegen die „lächerliche Idealisierung" einer zukünftigen sozialistischen Ordnung gewandt, die absurde Vorstellungen wie die enthalte, daß „die Arbeiter mittels intelligenter Diskussion, während sie sich von angenehmen Spielen ausruhen, zu Entscheidungen gelangen, worauf sie sich erheben, um sie in freudevollem Wetteifer auszuführen".Das klingt vielen sicher wie eine überflüssige Erinnerung an Utopien vergangener Zeiten. Wer die Lage an manchen unserer Universitäten kennt, der weiß aber, daß dort solche Vorstellungen gar nicht mehr nur in der Theorie, sondern heute bereits in der Praxis exerziert werden, mit dem einzigen Unterschied, daß die angenehmen Spiele, die der notwendigen Vorbereitung dienen, natürlich nicht am eigentlichen Arbeitsplatz, sondern in Berlin etwa auf der Spielwiese am Kranzler-Eck oder an ähnlichen Ecken stattfinden.
Und die Theoretiker, die das als Modell für eine vernünftige Gesellschaftsordnung erklären, beginnen, den einen oder anderen Lehrstuhl einzunehmen. In wenigen Jahren werden die Nationalökonomen, so nehme ich an, mit professoraler Autorität verkünden, daß dies auch für die wirtschaftliche Mitbestimmung die richtigen Vorstellungen seien. Wir alle werden uns dann damit auseinanderzusetzen haben.Es wäre ungerecht — und ich tue das nicht —, solche Utopien etwa der SPD anzulasten. Aber Sie fordern eine Präzisierung darüber, was mit dem Begriff der Demokratisierung der Wirtschaft, der auch heute von Ihnen, von Herrn Schellenberg und anderen, gebraucht worden ist, denn nun konkret gemeint sei. Es gibt eine öffentliche Kontroverse mit unserem Kollegen Dr. Bruno Heck, bei der der Parteivorsitzende der SPD — Herr Schellenberg hat es heute zitiert,. und deswegen will ich es noch einmal aufnehmen — den Kollegen Dr. Heck in nicht korrekter Weise zitiert hat und diesem nicht korrekt unterstellt hat, daß er und mit ihm die CDU die Demokratie zwar für gut für den Staat, aber gar nicht gut für die Gesellschaft hielten. Ich habe die Zitate alle da, Sie können die Texte gern nachprüfen, wenn notwendig. Herr Kollege Heck wird das sicher auch von sich aus tun. Da steht von alledem kein Wort.Wir haben in Düsseldorf in unser Programm geschrieben — dies ist unsere Position, und ich zitiere
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5864 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Bendadie entsprechende Ziffer des Düsseldorfer Programms der Christlich-Demokratischen Union -:Die Grundwerte der Demokratie gelten nicht nur für den staatlichen Bereich. Die schematische Übertragung der Strukturprinzipien parlamentarischer Demokratie auf den gesellschaftlichen oder privaten Bereich ist aber nicht möglich. Wir fordern mehr Öffentlichkeit, Durchsichtigkeit, Mitwirkung und Information in Staat und Gesellschaft.Dies ist unsere Position, und dies halten wir für den notwendigen und richtigen Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen.Demokratie setzt den mündigen Bürger voraus. Die Entscheidung der Verfassung für die unbedingte Wahrung der Menschenwürde, das Bekenntnis zur freien Entfaltung der Persönlichkeit, zur Achtung des sozial gebundenen Eigentums gelten für alle und in allen Bereichen, übrigens auch für die Unternehmer. Gerade um dieser Grundwerte willen muß dem einzelnen in seiner persönlichen Sphäre ein Bereich verbleiben, in dem er in gleicher Weise vor dem Zugriff des Staates wie vor dem Zugriff der gesellschaftlichen Kräfte unbedingt geschützt und frei bleiben muß.
Andererseits wissen wir wohl, daß der gesellschaftliche Bereich, zu dem ohne Zweifel die wirtschaftlichen Unternehmen und ganz gewiß die Großunternehmen gehören, nicht einfach Privatsache — weder der Unternehmer noch der Anteilseigner noch der Arbeitnehmer noch etwa der Gewerkschaften — ist. Er stellt vielmehr Anforderungen an die im Grundgesetz dem Sozialstaat vorgegebene Gestaltungsaufgabe.Die wirkliche, praktische Schwierigkeit liegt gar nicht so sehr in diesen Grundentscheidungen, von denen ich glaube, daß sie in einer freiheitlichen Demokratie an und für sich selbstverständlich sein sollten, sondern natürlich in der Notwendigkeit, unverzichtbare Rechte des einzelnen und die Ansprüche der Gemeinschaft miteinander in Einklang zu bringen, d. h. also das nicht ganz aufhebbare Spannungsverhältnis zwischen beiden doch so weit, als das eben möglich ist, auszugleichen.Ich finde, daß wir uns dieser Aufgabe auch in dieser Debatte mit dem Ernst widmen sollten, der der Schwierigkeit und Gewichtigkeit dieser Aufgabe entspricht. Wir sollten sie nicht mit Sprüchen wie dem überdecken, den ich heute erwartungsgemäß mehrfach gehört habe, daß sich CDU und CSU in der Mitbestimmungsfrage wieder einmal als erzkonservative Unternehmerparteien entpuppt hätten.
Niemand in diesem Hause, wo immer er sitzen möge, wird Sprache oder Inhalt jener Eingabe des Gesamtverbandes Deutscher Metallindustrieller an den Reichstag um die Jahrhundertwende aufnehmen wollen oder können, der damals erklärte:In der Politik und vor dem Gesetz hat der Arbeiter in unserem Vaterland die volle Gleichberechtigung. In wirtschaftlicher und sozialer Beziehung ist er von ihr durch unsere bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung unbedingt ausgeschlossen. Als unser Recht nehmen wir in Anspruch, daß der Arbeitgeber Herr in seinem Betriebe sein und bleiben muß. Für eine Mitwirkung bzw. Mitbestimmung der Arbeiter gibt es weder Raum noch Recht.Soweit die Sprache der Jahrhundertwende.Der Vergleich zwischen dieser Äußerung und dem heute vorgelegten Entwurf der Fraktion der CDU/CSU zeigt, wie weit der Weg ist, den wir alle miteinander zurückgelegt haben.
— Wir alle miteinander, Herr Kollege Liehr. Politiker und Gewerkschaftler gerade der christlich-sozialen Prägung haben im Kampf für die Anerkennung der Mündigkeit — und das heißt für die Anerkennung der Menschenwürde — des arbeitenden Menschen in vorderster Linie gestanden. Das sollte in dieser Debatte wohl auch einmal gesagt werden.
Auf diese Tradition sind wir in der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union stolz, und diese Tradition verpflichtet uns.
— Herr Kollege Buschfort, ich möchte meinen Gedankengang fortsetzen. Ich bitte dafür um Verständnis. Ich mache es wie einige meiner Vorredner.Keine Partei braucht sich zu schämen, daß sie ihre Meinung zu den großen Fragen der Zeit in einer lebendigen, ja in einer leidenschaftlichen Debatte bildet. Ich sage ganz freimütig, daß wir es in der CDU sehr viel bequemer gehabt hätten, wenn wir nicht die Mitbestimmungsdebatte von Berlin 1968, von Düsseldorf vor wenigen Wochen und in der letzten Woche in der Fraktion in Bonn gehabt hätten, aber wir wären auch ärmer gewesen und ärmer geworden, als wir heute sind. Wer hofft, daß am Ende die Fortsetzung des Meinungsstreites und nicht die Solidarität aller steht, der wird diese seine Hoffnung enttäuscht sehen.
Die Koalition sieht sich dagegen heute und für den Rest der Zeit ihrer Zusammenarbeit nicht in der Lage, zur Frage der Mitbestimmung ein übereinstimmendes Konzept vorzulegen. Auch hier sind Meinungsverschiedenheiten keine Schande. Aber ich finde, es ist von einer über das Thema des heutigen Tages hinausgehenden grundsätzlichen Bedeutung, ob die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien ein Mindestmaß an Übereinstimmung erreichen können, ohne daß grundlegende gesellschaftspolitische Fragen — und nur diese Fragen verdienen den anspruchsvollen Rang der inneren Reformen — überhaupt nicht bewältigt werden können.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5865
BendaDie Sozialdemokratie hat, meine ich, mit ihrer Forderung nach Demokratisierung aller Lebensbereiche eine klare Position bezogen. Die Freien Demokraten werden entscheiden müssen, ob sie hier ihrem Partner folgen können. In der Mitbestimmungsfrage, Herr Kollege Schmidt, hat die FDP dies wiederholt verneint, und ich nehme an, daß dies nicht nur aus taktischen, sondern aus grundsätzlichen Erwägungen geschehen ist. Das bedeutet, daß man sich vielleicht in den Einzelfragen pragmatisch verständigen kann, aber eben kein geschlossenes und in sich folgerichtiges Konzept innerer Reformen finden kann. Ich sage das ganz ohne Vorwurf. Hier, meine Damen und Herren, und nicht etwa nur in den wahrscheinlich bevorstehenden finanziellen oder konjunkturpolitischen Schwierigkeiten der näheren Zukunft liegt das eigentliche Problem dieser Koalition auf innenpolitischem Gebiet.in einem Vortrag vor der Katholischen Akademie Bayern hat Waldemar Besson vor einem Jahr gesagt, die politische Aufgabe der siebziger Jahre sei die Stabilisierung der staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen auf neuem Niveau. Heute geht es um die Bewältigung einer wichtigen Teilaufgabe. Wir werden sehr bald, bei der Beratung des Hochschulrahmengesetzes, neben anderen Fragen vor der im Kern genau gleichen Frage stehen. Auch in dem z. B. in Nordrhein-Westfalen noch ungelösten Streit der Parteien uni die Mitbestimmung der Eltern in den Schulen geht es um gar nichts anderes. Ist es denn wirklich ein Zufall, daß die Düsseldorfer Landtagsmehrheit der Sozialdemokraten und Freien Demokraten sich seit Jahren weigert, entsprechend den Vorschlägen der CDU den Eltern ein angemessenes, sachbezogenes, funktionsgerechtes Maß an Mitbestimmung im schulischen Bereich zu ermöglichen? Kann es nicht vielmehr sein, daß man hier genauso wie im Hochschulbereich und bei der wirtschaftlichen Mitbestimmung dem Grundirrtum erlegen ist, der die Ausführungen des Kollegen Schellenberg über weite Strecken durchzogen hat, dem Grundirrtum, daß man schematisch und unkritisch die Organisationselemente der parlamentarischen Demokratie auf diesen wichtigen gesellschaftlichen Bereich — und den Bereich der Hochschule und Schule genau entsprechend — übertragen kann, ohne zu bedenken, daß die Hauptaufgabe, nämlich die Stärkung der Rechte des arbeitenden, des lehrenden oder des lernenden Menschen, und die Erziehungsaufgabe der Eltern dabei dann notwendigerweise zu kurz kommen müssen?Unser Modell für den Hochschulbereich entspricht nicht urdemokratischen Utopien, wie sie bei der wirtschaftlichen Mitbestimmung von den Gewerkschaften mit Recht als bloße Karikatur abgelehnt werden. Unser heute vorgelegtes Mitbestimmungsmodell im Bereich der Unternehmen denkt zuallererst an den Menschen am Arbeitsplatz, an die Rechte der von ihm unmittelbar und demokratisch gewählten Vertreter im Betriebsrat oder in Arbeitsgruppen und an die Wirkung des Integrations- und Kooperationszwanges in den Unternehmensorganen, von welchen die Biedenkopf-Kommission mit Recht gesagt hat, daß sie die eigentliche Aufgabe, das eigentliche Ziel und die eigentliche Rechtfertigung derMitbestimmung im - Bereich der Unternehmensleitung seien.Meine Damen und Herren, wir haben heute von der Bundesregierung die Forderung nach paritätischer Mitbestimmung, die im Mittelpunkt der gewerkschaftlichen Vorstellung steht, nicht zu hören bekommen. Dies würde die Koalition auch nicht tragen können. Es gibt in der Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht der Biedenkopf-Kommission durchaus erwägenswerte Gedanken über viele hiermit zusammenhängende Fragen. Was dort als ein Mittel gedacht ist, die Entscheidung der Koalition zu vertagen, muß hier und heute ausgetragen werden. Wir brauchen keiner Frage auszuweichen, sondern haben sie mit der Vorlage unseres Modells beantwortet. Herr Kollege Dr. Kley hat bereits erwähnt — ich möchte dies ganz gerne wiederholen --, daß auf Seite 6 der Stellungnahme der Bundesregierung zum Biedenkopf-Bericht in der Drucksache VI/ 1551 eine der wesentlichsten Fragen aufgeworfen, aber nicht beantwortet worden ist. Es wird nämlich gesagt, daß die Auswirkungen einer institutionellen Mitbestimmung auf die marktwirtschaftliche Ordnung, das Eigentum, die Tarifautonomie und die Auswahl des Führungspersonals einer sorgfältigen Prüfung bedürften. Auch hierüber ist in einer nunmehr seit zwei Jahrzehnten andauernden Diskussion um Mitbestimmung so oft nachgedacht worden, daß man sich doch wohl eine eigene Stellungnahme der Bundesregierung zu dieser zentralen Frage hätte wünschen können. Auch Biedenkopf hat nicht so sehr in dem Bericht der Kommission, sondern in einem von ihm persönlich verfaßten Artikel, erschienen im Jahre 1966 in der „Zeit", den Tarifvertrag als die wichtigste Form der Mitbestimmung im Unternehmen bezeichnet und als eine Form der Mitbestimmung im Unternehmen, bei der die Arbeitnehmer, vertreten durch ihre Gewerkschaften, den Arbeitgebern gleichberechtigt gegenüberstehen.Hier, meine Damen und Herren, liegt jedenfalls nach meiner Überzeugung der zentrale, der entscheidende Einwand gegen die paritätische Mitbestimmung; denn das Recht der Tarifvertragsparteien zur Regelung der Arbeitsbedingungen schließt die Möglichkeit ein, Wirtschaftspolitik zu betreiben. Hierbei kommt der öffentlichen Meinung, wie Biedenkopf sagt, eine unentbehrliche Kontrollfunktion zu, weil sie das labile Gleichgewichtsverhältnis unter den Tarifvertragsparteien zugunsten einer Beachtung des öffentlichen Wohls stabilisiere. Die paritätische Mitbestimmung, so folgert Biedenkopf in dem erwähnten Aufsatz, ist die Große Koalition der Wirtschaftsdemokratie. Das ist ein Umstand, der doch mindestens viele unter uns über Sinn und Problematik der paritätischen Mitbestimmung nachdenken lassen sollte.Das Mitbestimmungs- und Betriebsverfassungskonzept, das meine Fraktion vorlegt, entspricht unserer Vorstellung von der sozialstaatlichen Aufgabe unserer Zeit. Wir wehren uns in gleicher Weise gegen die Gleichgültigkeit, mit der ein liberalistisch eingestellter Staat das Entstehen und das kaum kontrollierte Tätigwerden industrieller Herrschaftsverhältnisse zuließ, wie gegen das ebenso überlebte5866 Deutscher Bundestag — G. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971BendaAufnehmen klassenpolitischer Vorstellungen, die auch nur ein Rückfall in das 19. Jahrhundert sind.
Ich habe vor einigen Jahren an anderer Stelle meine eigenen Vorstellungen zu der sozialstaatlichen Aufgabe einmal zu formulieren versucht, und ich würde ganz gern, wenn ich mich selbst zitieren darf, dies in wenigen Sätzen abschließend vortragen. Ich meine, daß es vielleicht bei der Begründung unseres Entwurfs in dieser oder ähnlicher Formulierung auch gesagt werden kann. Ich habe damals geschrieben:Der heute überholte Klassenkampfgedanke entwickelte seine mitreißende Anziehungskraft für die Arbeiterbewegung vielleicht vor allem deswegen, weil damals als Ergebnis eines allerdings bitteren und langen Kampfes die vollständige Umwälzung der Verhältnisse in Aussicht gestellt wurde, zumal damals ja jede Art der Veränderung der unzureichenden Situation der Arbeitnehmer vorzuziehen schien. Dagegen fehlt der sozialstaatlichen Idee jede Dramatik. Sie ist, wie das Ideal der Demokratie, leise und unaufdringlich, oft auch innerlich unsicher und den eigenen Leistungen gegenüber skeptisch. Diese eigentümliche Mischung von Skepsis und Zuversicht verlangt weniger kämpferischen Schwung als vielmehr Vertrauen, daß nicht weniger anspruchsvoll, aber vielleicht stiller ist. Der Sozialstaat bietet keine schnellen Lösungen an und er verzichtet auf dramatische Veränderungen, ohne doch das Verfahren im Status quo zu seinem Leitbild zu machen.Mit diesen Vorstellungen sollte sich auch die Koalition auseinandersetzen. Sie kann dabei natürlich verabreden, wie es ein Kollege der SPD formuliert hat und wie wir es von Herrn Schmidt von der FDP in anderer Variation heute gehört haben, jeden von der CDU/CSU gestellten Antrag abzulehnen, selbst wenn wir hier das Godesberger Programm in Form eines Antrags vorlegen würden; Sie kennen ja das Zitat und den Kollegen, der es gebraucht hat. Aber die Koalition kann nicht verabreden, daß sie unsere Gedanken hier totschweigen wird. Wir legen — Herr Kollege Ruf, ich darf eine Äußerung von Ihnen etwas modifizieren — in der Mitbestimmungsfrage gar nicht so sehr eine Alternative vor, weil Regierung und Koalition hier in Wirklichkeit gar nichts anderes anzubieten haben als die — allerdings feste — Absicht, untätig zu bleiben. Wir legen eine Initiative vor, und an dieser werden Sie alle beiden Fraktionen, SPD und FDP, nicht vorbeigehen können.
Das Wort hat der Abgeordnete Nölling. Seine Fraktion hat für ihn eine Redezeit von 40 Minuten erbeten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bis vor etwa einer halben Stunde mußten wir davon ausgehen, daß der Kollege Katzer hier gar nicht sprechen würde.
Wir mußten davon ausgehen, weil es entsprechende Pressemitteilungen der CDA gegeben hat, wie mir soeben noch einmal von Presseleuten berichtet worden ist, daß die Vertreter der CDA sich geweigert hätten, an dieser Debatte überhaupt teilzunehmen. Hätte Herr Kollege Schellenberg ihn nicht so wunderschön provoziert, wären wir allerdings um das Vergnügen dieser schwachen Vorstellung des Herrn Katzer gekommen.
Herr Kollege Katzer, wenn man Ihre Aussagen hier — dieses Dreipunkte-Entschuldigungsprogramm — einmal dem gegenüberhält, was Sie großspurig Anfang Januar und im Dezember vor Ihrem Parteitag gesagt haben, dann wird, glaube ich, ganz besonders deutlich, wie tief deprimierend Ihre Niederlage in Düsseldorf gewesen ist.
Ich will Ihnen einmal vorlesen, was Herr Kollege Katzer gesagt hat, und zwar im „Handelsblatt" am 15. Januar 1971:
Es besteht die Chance, daß dieser Parteitag als Tag der Erneuerung und Stärkung in die Geschichte unserer Partei eingeht.
Besinnung auf die geschichtlichen Notwendigkeiten, aber auch Mut zum Neuen werden die CDU befähigen, ihre bisherige Haltung in der Opposition auch in Zukunft zu führen.Herr Kollege Katzer, wollen Sie bestreiten, daß Sie dies in bezug auf die Mitbestimmungsdiskussion in Ihrer Partei gesagt haben?
In seiner Not, hier herausgefordert, muß Herr Katzer tatsächlich zu meinem Fraktionskollegen Helmut Schmidt Zuflucht nehmen, damit er jemand zitieren konnte, der bereit gewesen wäre, für seine Vorstellungen zu kämpfen. Das brauchten Sie gar nicht zu tun; jeder in diesem Hause weiß, vor allem aus der Rede, die Helmut Schmidt damals in der ersten Lesung zur Mitbestimmung gehalten hat, welche Mitbestimmungsregelung er für richtig hält.
— Natürlich, er hat für die Fraktion gesprochen, Sie werden sich erinnern. Dann hat Herr Katzer heute noch gesagt: „Ohne die Union keine Mitbestimmungsdebatte." Erstens ist das sachlich und historisch falsch. M i t der Union allerdings, Herr Kollege Katzer, wenn Sie es heute oder morgen oder im Sommer beschließen könnten, wäre die Debatte über die Mitbestimmung zu Ende.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5867
Dr. Nölling– Selbstverständlich wäre sie zu Ende. Herr Kollege Ruf hat ja heute morgen gesagt, wenn Sie Ihr Modell durchgesetzt hätten, dann wäre eine endgültige Regelung gefunden worden.
Herr Kollege Benda hat in einem schönen Vortrag auf Schumpeter hingewiesen. Darauf werde ich gleich noch kurz kommen. Er hat aber, glaube ich, ein Ablenkungsmanöver starten wollen, um von den inneren Schwierigkeiten der CDU, die nach wie vor bestehen, wie wir ja sehen, abzulenken. Er hat über die Universitäten gesprochen, er hat über die Schulen gesprochen; nur über die Demokratie im Betrieb, im Unternehmen hat er nicht gesprochen.
— Das müssen ausgerechnet Sie mir sagen mit Ihrer melodischen Stimme und in Ihrer charmanten Art.
Ich finde es recht merkwürdig, daß sowohl der Kollege Benda als auch andere von der Opposition dauernd dieser Regierungskoalition vorwerfen, sie wolle die Parität nicht, obwohl gerade diese Partei, die CDU/CSU, die Parität abgelehnt hat. Was ist das für eine Logik, meine Herren!
Herr Kollege Benda, da Sie schon Schumpeter zitiert haben, unvollständig natürlich
- einen so großen Mann hier auszuschlachten istnatürlich unmöglich —, wollte ich eines ergänzend hinzufügen. Wie immer seine Definition ist, ob Sie oder wir damit übereinstimmen, eines ist klar: Dem Sozialismus gehört die Zukunft! Das hat Schumpeter mit aller Deutlichkeit gesagt.
Meine Damen und Herren, wir haben mehrere Jahre lang beobachten können, wie bei der CDU die Berge gekreißt haben, um einmal dieses Bild zu gebrauchen, und heute wird nun tagsüber der Eindruck erweckt, als ob ein Elefant dabei herausgekommen wäre, also etwas ganz Großartiges, etwas Neues.
Sie wissen ja, wie das dann weitergeht. Es ist eine Maus herausgekommen, und da gibt es Größenunterschiede. Wir würden sagen, es ist eine ganz kleine Maus. Man sieht sie kaum. Da sie so klein ist, bestreiten wir ihr auch ihre Lebensfähigkeit. Wir haben das Gefühl, daß es sich fast um eine Totgeburt gehandelt hat, und deshalb würden wir sagen: mausetot ist der ganze Gesetzentwurf.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie wollen aus der Tatsache, daß Sie einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, der die Neuregelung der Unternehmens- u n d Betriebsverfassung vorsieht, vor diesem Hause und der deutschen Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, daß Sie tatsächlich ein modernes und fortschrittliches Unternehmensrecht gestaltet haben. Die Wahrheit ist anders. Ich darf Ihnen sagen, daß hier zum zweitenmal für Sie die Stunde der Wahrheit schlägt und daß Sie mit solchen Behauptungen aus diesem Parlament nicht herauskommen.
— Das werde ich Ihnen gleich sagen. Ich bin nämlich der Meinung, daß man zu den Grundfragen der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung hier fundiert Stellung nehmen muß, und diese Stellungnahme der SPD gebe ich Ihnen. Die werden Sie nachher hören können.Die Opposition geht davon aus, daß man den sozialen Frieden und die sachlich gebotene Weiterentwicklung unserer Sozialordnung zu dem niedrigsten, von ihr gefundenen Nenner haben kann, und das ist ein großer Irrtum.Worum geht es in Wirklichkeit? Herr Kollege Ruf hat heute morgen gesagt, wir seien neidisch auf das, was Sie in Düsseldorf produziert haben.
Na, wissen Sie, wie können wir neidisch sein auf Rückständigkeiten, die mit verbalen Tricks garniert und serviert werden? So ist es doch.
Unsere Forderung, die Forderung der Sozialdemokraten nach qualifizierter oder paritätischer Mitbestimmung gehört, wie Sie wissen, zu unseren Kernbereichen, zu den Kernbereichen unserer eben noch nicht als ausgewogen, noch nicht als sozial, noch nicht als human zu bezeichnenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.
— Ich komme darauf, immer ruhig, Herr Härzschel. Sie kriegen die Antwort, die Sie verdienen und mit der Sie etwas anfangen können.Bei Herrn Kollegen Heck reduziert sich diese gundsätzliche Fragestellung auf einen ganz kleinen Kern. Ich will gar nicht auf seinen Demokratiebegriff hier kommen. Er hat ja in der Zeitschrift „Marktwirtschaft" vor ein paar Tagen erst noch einmal dazu Stellung genommen und gesagt: Demokratie sei mit einem Expander zu vergleichen. Natürlich, wenn man Herrn Heck an diesen Expander heranließe, — der würde nicht viel ziehen, der ist nicht sehr stark. Aber was er in diesem Artikel gesagt hat, das reduziert die Forderung nach einer Veränderung dieser Wirtschaftsordnung im Interesse der Arbeitnehmer auf das „Dazwischenreden"-Können der Arbeitnehmer. Das sind die Ausdrücke von Herrn Heck.
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5868 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Dr. NöllingDer Kollege Schellenberg hat heute morgen schon gesagt, Herr Dregger, auf den ich gleich noch etwas ausführlicher zu sprechen kommen werde, habe von „Modernismus" gesprochen. Herr Katzer sagte, die CDU-Sozialausschüsse seien die Frontkämpfer auf dem Gebiet der Mitbestimmung gewesen; der paritätischen, muß ich natürlich sagen. Und Herr Dregger spricht von Modernismus — ich darf ihn weiter zitieren —, dem man — d. h. die großartige Fraktion und Partei CDU — „nicht mit hängender Zunge nachzulaufen" habe. Das ist seine Beurteilung.
Herr Abgeordneter Nölling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Horten?
Noch einen Satz zu Ende. — Ich will jetzt nicht auch noch Herrn Schlamm zitieren. Was der gesagt hat, liegt etwa auf derselben Ebene. Aber ich will das nicht tun. Möglicherweise paßt er in diese Gesellschaft hinein. Ich will es einmal offenlassen.
Bitte schön, Herr Kollege!
Herr Nölling, der Sie sich so viel mit den angeblichen Uneinigkeiten in unserer Partei beschäftigen, sind Sie sich nicht darüber im klaren, in welch peinliche Lage Sie Ihre eigene Partei bringen, wenn Sie Ihre Ausführungen mit dem vergleichen, was Herr Professor Richard Löwenthal, der sehr bemerkenswert gerade die SPD gegenüber der KPD abgegrenzt hat, neulich auch einem Teil Ihrer Fraktion sehr deutlich nicht nur über die Hochschulmitbestimmung, sondern auch über die wirtschaftliche Mitbestimmung gesagt hat?
Ich freue mich, daß Sie die Frage wieder aufbringen. Sie haben sie heute morgen gestellt.
Wollen Sie nun eine von mir haben? Oder was wollen Sie?
Herr Professor Löwenthal ist ein sehr intelligenter Mann.
In unserer Partei gibt es natürlich Möglichkeiten, seine Meinung auszudrücken, was Sie manchmal bestreiten wollen. Im übrigen, mein lieber Herr Kollege Horten, ich möchte das gern einmal sehen, was der Herr Löwenthal geschrieben oder gesagt hat. Hier so einfach etwas in den Raum zu stellen, das geht nicht. Warum haben Sie sich denn in der Zwischenzeit nicht das Papier herausgeholt und lesen es hier vor? Das könnte doch vielleicht hilfreich sein.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten sind in bezug auf die Demokratisierung unserer Wirtschaft anderer Meinung als d i e Kreise der CDU/CSU, die auf dem Düsseldorfer Parteitag gewonnen haben. Herr Härzschel, nun hören Sie bitte zu, damit Sie das ein für allemal klar verstehen und nicht immer wieder mit Zwischenfragen kommen, die einfach an der Sache vorbeigehen.
Wir machen eine ehrliche Politik in bezug auf unsere Forderung nach Mitbestimmung.
Auf dem Parteitag der SPD in Saarbrücken im Jahre 1970
ist mit allem Nachdruck unsere Forderung aus dem Godesberger Programm bestätigt und untermauert worden.
— Nun, das Godesberger Programm — das wissen Sie doch, Sie sind doch historisch gebildet — ist doch schon seit 1959 in Kraft.
Herr Abgeordneter Nölling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller ?
Herr Kollege Müller, ich möchte das eben zu Ende bringen. Das ist so wichtig für Sie, damit Sie das nun endlich einmal verstehen.
Wir wollen, daß diejenigen mitbestimmen, die von den Unternehmerentscheidungen vor allem betroffen werden. Herr Kollege Kley mußte beispielsweise wieder einmal erzählen, wie sich ein Unternehmer die Ausweitung der Rechte der Arbeitnehmer vorstellt. Das haben wir mit aller Deutlichkeit gehört. Wir wollen von diesem Patriarchalismus weg, daß nämlich die Unternehmer bestimmen, what is good for labor, um es einmal auf Englisch auszudrücken.
Nein, das machen die Arbeitnehmer in Selbstbestimmung selbst, und wir helfen ihnen dabei.
Herr Abgeordneter Dr. Nölling, der Herr Abgeordnete Müller wartet noch auf die Möglichkeit, eine Frage zu stellen.
Sofort.Wir wollen, daß diejenigen, die vor allem von den Unternehmerentscheidungen betroffen werden — das müssen Sie verstehen —, deren Existenz von dem abhängig ist, was auf der Unternehmensebene ent-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5869
Dr. Nöllingschieden wird, am Zustandekommen der Entscheidungen maßgeblich und nicht nur pro forma bebeteiligt werden.
— Ich habe Ihnen versprochen, Herr Kollege Schmidt,
daß wir eine ehrliche Politik gegenüber der deutschen Öffentlichkeit machen. Ich habe Ihnen auch versprochen, daß wir gegenüber dem Koalitionspartner ehrlich bleiben und die Abmachungen einhalten.
Herr Kollege Müller, bitte schön!
Herr Kollege Nölling, Sie sagten vorhin, daß Sie andere Vorstellungen von Demokratisierung haben als wir. Können Sie uns wenigstens in ein paar Sätzen vortragen, was Sie darunter verstehen?
Was ich darunter verstehe, ist sehr leicht gesagt. Ich identifiziere mich mit dem Gesetzentwurf, den die Sozialdemokraten im Dezember 1968 in diesem Deutschen Bundestag eingebracht haben.
Woher nehmen Sie das Recht, die Sie damals in der Großen Koalition diese Parität sowieso nicht wollten, uns den Vorwurf zu machen, daß das 1969 nicht geklappt hat? Glauben Sie denn, nachdem Sie es nicht geschafft haben, Herr Kollege Stark, die Koalition links zu überholen, daß wir uns die Schwierigkeiten in dieser Regierung selbst machen, nachdem Sie es nicht fertiggebracht haben, Sie, die es theoretisch, ganz theoretisch
hätten fertigbringen können, diese Koalition mit einer Parität à la Katzer in Schwierigkeiten zu bringen! Meinen Sie, wir machen uns diese Schwierigkeiten selbst? Ich werde Ihnen die Antwort geben, wie wir Sozialdemokraten uns die Lösung für die Unternehmensverfassung vorstellen, und zwar mache ich das am Schluß meiner Rede. Haben Sie solange noch Geduld.
Herr Abgeordneter Nölling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stark?
Ich möchte im Moment keine Zwischenfragen beantworten. Vielleicht später.Meine Damen und Herren, nun ein paar Worte zum Biedenkopf-Gutachten. Das Gutachten ist hier vor allem von dem Kollegen Kley und auch von dem Kollegen Benda angeführt worden. Der Kollege Kley hat die Kurzfassung jener längeren Ausarbeitung der BDA zu Protokoll gegeben. Wenn man das liest, weiß man: vieles bleibt offen, vieles wird einseitig gesehen. Das ist heute ganz deutlich geworden, weil der Kollege Kley nur einen einzigen positiven Punkt aus den Erfahrungen mit der paritätischen Mitbestimmung in einer positiven Würdigung genannt und alle anderen nicht für wert gehalten hat, sie diesem Parlament zur Kenntnis zu bringen. Das ist die typische Art, herauszuholen, was einem paßt, und wegzulassen, was einem nicht paßt.
— Nun, Herr Kollege Kley, in die Versuchung geraten wir alle. Das ist vielleicht nicht anders möglich bei einem solchen Gutachten, das hin und wieder auch verschiedene Interpretationen zuläßt. Sie müßten aber eines verstehen, und deshalb legen wir Wert darauf, daß dieses Gutachten auch in seinen positiven empirischen Ergebnissen nicht untergeht: man kann heute nicht mehr daran vorbei, daß in diesem Gutachten bestätigt worden ist, daß dort die Begründung steht, warum Mitbestimmung nicht nur politisch gefordert und historisch gegeben, sondern auch sachlich notwendig ist. Das steht in dem Gutachten drin. Ich meine, das sollte hier einmal zu Protokoll genommen werden.
Nun zu unserer Stellungnahme, zur Stellungnahme unserer Partei. Hier ist auch über die Stellungnahme der Bundesregierung diskutiert worden. Ich kann das nicht in der Ausführlichkeit tun, wie das der Kollege Kley in seinem Sondervortrag hier gemacht hat. Lassen Sie mich aber folgendes sagen: wir Sozialdemokraten lehnen die politischen Empfehlungen ab, weil sich ein Widerspruch in dem Gutachten befindet. Wir lehnen sie nicht nur wegen dieses Widerspruchs ab, sondern wir lehnen sie auch zusätzlich deswegen ab, weil die dem Gutachten zugrunde liegenden neoliberalen Ordnungsvorstellungen nicht unsere Ordnungsvorstellungen für diese Gesellschaft sind. Das muß auch einmal deutlich werden.
Ich will Ihnen noch etwas sagen. Wie soll man bei Gutachten einsehen können, daß die Kommission erst die Parität lobt, dann die Ausdehnung nicht will, sie ablehnt,
weil sie sich aus neoliberalen Überlegungen dazu nicht entschließen konnte, dann aber doch nicht sagt: Schafft doch die Montan-Mitbestimmung ab. Meine Damen und Herren, die Entscheidung für oder gegen die paritätische Mitbestimmung bedeutet mehr als eine Sachentscheidung auf einem der wichtigsten gesellschaftspolitischen Gebiete überhaupt.
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5870 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Dr. NöllingDiese Entscheidung dafür oder dagegen hat Signalcharakter. Sie ist Symbol für die Grundentscheidung, für die Grundrichtung einer Partei. Wie in einem Brennglas spiegelt sich hier wider, ob eine Partei fortschrittlich ist, ob sie gesellschaftspolitischen Fortschritt will oder nicht, ob sie in die Vergangenheit zurückflüchten will oder nicht. Das muß ich mit aller Deutlichkeit sagen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ruf?
Im Moment nicht. Ich werde Ihnen gleich Gelegenheit geben.Wie in einem Brennglas, so habe ich gesagt, spiegelt sich das wider. Die Resonanz der Öffentlichkeit, meine Damen und Herren von der Opposition, können Sie doch nicht bestreiten. Die Arbeitgeber haben in einem Artikel, aus dem ich Ihnen gleich etwas zitieren werde, gesagt: Jawohl, in der Frage der paritätischen Mitbestimmung hat sich die CDU in Düsseldorf am stärksten profiliert. Das heißt, dort ist die Richtungsänderung der Gesellschaftspolitik der CDU eindeutig eingetreten und für alle erkennbar geworden. Sie hat jetzt zum erstenmal, so würde ich sagen, seit vielen Jahren ihre Schaukelpolitik aufgegeben, und zwar demonstrativ in Düsseldorf ihre Schaukelpolitik aufgegeben, ob sie nach links oder nach rechts schaukeln soll oder kann.
Ich möchte noch folgendes sagen. Der Herr Kollege Katzer — —
— Moment! Fragen Sie doch und halten Sie sich bitte an die Geschäftsordnung!
Meine Damen und Herren, das, was der Herr Kollege Katzer am 15. Januar 1971 gesagt hat, entbehrt nicht einer gewissen Komik, um es einmal so auszudrücken. Er hat damals gesagt, und zwar auch wieder in einem Interview: „Wir dürfen uns von der SPD nicht nach rechts abdrängen lassen. „Er hat die Gefahr klar gesehen, daß die CDU auf Rechtskurs gehen könnte. Dazu muß ich Ihnen sagen, Herr Kollege Katzer: Das „Verdienst", daß es dazu gekommen ist, nehmen wir gar nicht in Anspruch. Das ist die Leistung von Herrn Strauß und den 411 Delegierten, die das in Düsseldorf besorgt haben. Das brauchten wir gar nicht.
Wir drängen die CDU nicht nach rechts; das hat sie selbst getan.
Ich habe Ihnen ein Zitat aus dem „Arbeitgeber" versprochen, um Ihnen deutlich zu machen, in welcher atmosphärischen Veränderung wir seit dieser Rechtswendung auf dem Parteitag in Düsseldorf in der Bundesrepublik leben.
In einem Artikel von einem Herrn Heinrichsbauer im „Arbeitgeber" vom 5. Februar 1971 über Mitbestimmung heißt es Herr Kollege Katzer, hören Sie bitte zu, denn er hat auch Sie gemeint —:
Die Revolutionäre sind nicht nationalistisch, sondern sozialistisch; sie sind nicht braun, sondern rot.Herr Breidbach, Sie sind auch gemeint. Hören Sie zu, wenn ich zum Schluß komme!
Sie gehen nicht auf die Straße, sie sitzen am Schreibtisch. Es sind keine Trommler, es sind Termiten.
Diese Sprache wird heute in einem Organ der Arbeitgeberverbände gepflegt. Es ist möglich, Menschen, die man nicht mag, als „Ungeziefer" zu bezeichnen.
— Nein, das habe ich damit nicht behauptet.
Ich habe nur gesagt, daß diese Verteufelung von jungen Menschen,
die sich um die Glaubwürdigkeit dieser Gesellschaftsordnung bemühen, aufhören muß.
Wir sehen nach diesem Parteitag auch die Rolle der Sozialausschüsse deutlicher. Wir sind auf begründete Vermutungen gar nicht mehr angewiesen. Jahrelang hat man sie auf der gesellschaftlichen
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5871
Dr. NöllingSpielwiese experimentieren und trainieren lassen. Die CDU-Sozialausschüsse waren ständig im Training für mehr Parität. 1967 hatte man ein sogenanntes „Offenburger Modell" gefunden; man hatte sich darauf geeinigt und dazu durchgerungen. Drei Jahre später entschied man sich für ein anderes Modell, nämlich für das „Horn-Modell". Dieses wiederum wies eine andere Parität auf. Herrn Kollegen Katzer ist nun leider dasselbe Schicksal wie dem Erfinder des „Horn-Modells" beschert worden: man hat ihn in die Wüste geschickt. Er spielt keine Rolle mehr. Er ist in dieser Partei in die Rolle eines Mannes gedrängt worden, dem man ein für allemal gesagt hat: Hier im „Ring" der CDU bestimmen andere.
Herr Dregger hat gesagt: Nun wollen wir einmal eine Entscheidung haben, und er hat gefragt: „Wer ist Chef im ,Ring' der CDU?" Herr Katzer oder Herr Dregger? Die Entscheidung ist bekannt: Er ist der Wirtschaftssprecher der CDU.
Herr Kollege Katzer, eine wichtige Frage an Sie, die wirklich ernst gemeint ist! In einem Interview im „Volkswirt", wo von einer „Attacke von links" die Rede war, haben Sie, Herr Kollege Katzer, ge- sagt, warum Sie mit Ihrer sozialistischen Einstellung nicht in die SPD gegangen seien. Sie haben erklärt, die SPD habe 1949 oder wann auch immer den Klassenkampf gewollt.
Sie haben gesagt, Sie hätten bei der CDU Zuflucht gefunden, weil Sie für die Idee der Partnerschaft seien. Herr Kollege Katzer, nun erklären Sie aber der deutschen Öffentlichkeit und allen deutschen Arbeitnehmern gegenüber immer wieder, daß zur Partnerschaft die Gleichberechtigung gehöre und daß Gleichberechtigung für Sie Parität bedeute.
Wie stehen Sie nun dazu, daß Ihnen Ihre Partei den Glauben, daß Sie dort jemals zur Partnerschaft über die Parität kommen könnten, genommen hat? Wie erklären Sie sich das?
Meines Erachtens haben Sie
in dieser Partei praktisch Ihre Basis verloren, und ich bin auch der Meinung, daß Sie Ihre Glaubwürdigkeit verloren haben.
Herr Kollege Katzer, man muß eben Macht haben.
20 °/o genügen nicht auf einem Parteitag.
Das ist das Wichtige.
40 % im Aufsichtsrat genügen auch nicht. Das muß doch klar sein.
Herr Kollege Katzer, ich kann Ihnen nur sagen: ich wünsche Ihnen viel Glück — aufrichtig viel Glück —auf Ihrer Reise durch die nächsten Parteitage, um diese Entscheidung in Düsseldorf zu revidieren.
Was der Kollege Ruf und andere zur Begründung des Gesetzentwurfs als besonders positiv herausgestellt haben, nämlich daß die Unternehmensverfassung und die Betriebsverfassung in einem Gesetz geregelt werden, ist so, wie es sich die CDU/ CSU vorstellt, kein Vorteil, sondern ein gesellschaftspolitischer Nachteil.
Ich bin der Meinung, Herr Kollege Ruf — das werde ich auch noch kurz begründen —, daß die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zum BiedenkopfGutachten zu Recht auf den Sachzusammenhang hingewiesen hat. Das hat auch Biedenkopf getan.
Er hat darauf hingewiesen, daß diese Fragen zusammengehören. Das ist richtig. Aber daraus ziehen wir nicht die Schlußfolgerung, daß dies zum selben Zeitpunkt geschehen muß. Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß das im zeitlichen Nacheinander geschehen kann und geschehen muß. So, nun haben Sie die Antwort auf Ihre Fragen, die Sie so sehr interessieren.
Wir sind der Meinung, daß das von der Regierung vorgelegte Betriebsverfassungsgesetz eine überaus fortschrittliche Lösung ist.
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5872 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Dr. Nölling- Nun, das ist ja deutlich geworden. Herr Kollege Katzer, Sie lachen so schön. Es freut mich sehr, daß Sie wieder Humor haben, daß Ihre Lebensgeister zurückgekommen sind.
Ich hoffe sehr, daß Ihre Partei Ihnen nicht weiterhin wie bisher Enttäuschungen bereitet, so daß Sie wieder traurig gestimmt sein müssen.
Die CDU will die Frage der Unternehmensverfassung, ihrem rückschrittlichen Parteitagsbeschluß entsprechend, endgültig zementieren. Die CDU geht davon aus, daß die deutschen Arbeitnehmer, wenn man ihnen ein paar Aufsichtsratssitze zusätzlich gibt, zufrieden sind. Sie glaubt, man könne die Arbeitnehmer damit ködern,
daß man ihnen die Möglichkeit gibt, ein paar Aufsichtsratssitze mehr zu bekommen.
— Entschuldigen Sie, ob ich einen Aufsichtsratssitz habe oder nicht, ist hier ohne Bedeutung.Ich bin der Meinung, Parität muß sein; unter Parität gibt es nichts. Wenn hier gesagt wird, die CDU/CSU habe sich hart an die Parität herangearbeitet, so kann ich nur sagen: Ich weiß um ihre Schwierigkeit, an diesen Punkt zu gelangen, ich weiß aber auch, wie weit Sie noch von der Parität weg sind.
Ich muß auch in aller Deutlichkeit sagen: Selbst wenn Sie 49,95 % geben, ändert das an den Machtverhältnissen immer noch nichts,
dann ist immer noch keine Gleichberechtigung zwischen Kapital und Arbeit da. Wir aber gehen davon aus, daß das der Fall sein muß.
Herr Abgeordneter Nölling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dichgans?
Herr Kollege, verstehe ich Sie richtig dahin, daß Sie die etwa 2000 Aufsichtsratssitze in großen Gesellschaften, die Ihnen der Entwurf der CDU/CSU für die Arbeitnehmer bietet, hiermit ablehnen?
Entschuldigen Sie, wie kann ich so mißverstanden werden?
— Nein.
Ich kann doch nicht so mißverstanden werden, wie Sie es in der Frage unterstellten, daß ich die 2000 zusätzlichen Aufsichtsratssitze nach Ihrem Modell etwa begrüßen würde. Wie können Sie mich so mißverstehen, daß Sie mir das unterstellen?
Nein, unter keinen Umständen.
Jemand hat nach dem Parteitag in Düsseldorf gefragt: Marschiert die CDU rückwärts in die siebziger Jahre? Meines Erachtens wäre es richtiger, im Hinblick auf die Mitbestimmung zu fragen: Marschiert die CDU/CSU rückwärts in die 20er Jahre?
Vielleicht wissen die meisten von Ihnen gar nicht, Herr Russe, daß die Gesetzgebung der Weimarer Zeit schon 1922 den Arbeitnehmern Aufsichtsratssitze in einer Minderheitsposition zugestanden hat. Heute, im Jahre 1971, wollen Sie im Grunde nicht weiter gehen,
als man schon damals im Jahre 1922 war.
Da kann ich nur sagen: Wo bleiben die progressiven Leitlinien, die fortschrittlichen Gedanken der CDU/ CSU?
Meine Damen und Herren, woher nehmen Sie das Recht, die Öffentlichkeit und dieses Parlament für so dumm zu halten, wie Sie es tun?
Wieso konnten Sie überhaupt in der Begründung des CDU/CSU-Entwurfs den folgenden Satz schreiben? Dort steht, man sei zu einer „gleichwertigen Berücksichtigung wirtschaftlicher Notwendigkeiten und soznaler Erfordernisse in einem marktwirtschaftlichen Ordnungssystem gekommen". Da steht doch tatsächlich das Wort „gleichwertig". 7 : 5 ist für Sie also gleichwertig?! Das muß man sich vorstellen! Wir diskutieren hier über Ordnungsprobleme und darüber, ob sich die paritätische Mitbestimmung mit dem marktwirtschaftlichen System verträgt. Es geht hier um das marktwirtschaftliche, nicht um das neoliberale System, Herr Kollege Katzer. Wie Sie wissen, gibt es ja viele Versionen von Mitbestimmungsmodellen. Sie halten ja auch andere als das dem CDU/CSU-Entwurf zugrunde liegende für richtiger. Die Sprecher der Opposition sagen uns, daß das dem CDU/CSU-Entwurf zugrunde liegende Modell in das marktwirtschaftliche System passe, während Herr
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Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5873
Dr. NöllingKatzer doch immer gesagt hat — wir können das überall nachlesen —, daß seine Vorstellungen auf das „marktwirtschaftlichste" Modell hinzielten, das man sich denken könne.
Herr Abgeordneter Dr. Nölling, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Franke?
Bitte schön!
Herr Kollege Nölling, ist Ihnen aufgefallen, daß Ihre Ausführungen so interessant sind, daß Ihr Koalitionspartner bis auf einen Platzhalter den Saal verlassen hat?
Herr Kollege Franke, Sie hätten besser auf meine Ausführungen geachtet als darauf, wieviel Vertreter unseres Koalitionspartners noch hier sind.
Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie in dieser Debatte hier noch einen Rest an Glaubwürdigkeit behalten wollen, dann hören Sie bitte auf, so, wie Herr Kollege Ruf es getan hat, in neuen Verfahrensregelungen, im Aktiengesetz und anderswo, in der Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat und Betriebsrat eine rechtliche und faktische Verstärkung der Arbeitnehmerposition zu sehen. Das Gegenteil ist der Fall.
— Ich habe Biedenkopf ja nun auch gelesen. Herr Kollege Ruf, heute ist gesagt worden, die CDU/CSU habe eine Stellungnahme zum Biedenkopf-Gutachten abgegeben, und das sei dieser Gesetzentwurf. Wir wissen doch in diesem Hause ganz genau, daß Sie als Vorsitzender der Mitbestimmungskommission, daß der Bundesvorstand Ihrer Partei genau dieses Biedenkopf-Gutachten haben wollten, daß Sie das Biedenkopf-Modell auf dem Parteitag zur Abstimmung gestellt haben. Wie der Vorstand — ich will mir kein Urteil über den Vorstand erlauben — dann zu seinem eigenen Vorschlag gestanden hat, ist ja bekanntgeworden.
Warum schreiben Sie einfach so hin, daß Verfahrensregelungen über die Zusammenarbeit zu einer rechtlichen und faktischen Verstärkung der Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer im Betrieb führten? Wenn Sie Biedenkopf schon folgen, müssen Sie auch der Begründung folgen, die den Empfehlungen zugrunde liegt. Das habe ich heute vermißt. Warum haben Sie denn dem Parlament und der Öffentlichkeit heute nicht wenigstens erklärt, warum Sie den paritätisch besetzten Aufsichtsrat nicht haben wollen? Sie sagen, es bestünde ein Mitbestimmungsrecht bei der Auswahl der Vorstandsmitglieder. Sie wissen ganz genau, daß das nicht stimmt, denn Biedenkopf spricht nur dann von einem Mitbestimmungsrecht, wenn im Aufsichtsratspräsidium Parität herrscht. Diese Parität wollen Sie nicht nur nicht gewähren; Herr Kollege Ruf, Sie entziehen sich auch dem von Professor Biedenkopf geforderten Begründungszwang, wenn man sein Modell nur in bestimmten Teilen, nicht aber in allen Teilen übernimmt. Wir wissen alle, welche Schwierigkeiten Sie hatten, als der Parteitag vorbei war und die Arbeitnehmerschaft in der CDU retten wollte, was sie noch retten zu können glaubte. Dann sind halt die Diskussionen in Gang gekommen: Wie besetzen wir das Aufsichtsratspräsidium zur Vorauswahl oder zur Auswahl von Vorstandsmitgliedern? Das Ergebnis ist bekannt. Angemessene Beteiligung bedeutet eben keine Parität; das ist klargeworden.
Herr Abgeordneter Dr. Nölling, gestatten Sie zunächst eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg?
Bitte schön!
Herr Kollege Nölling, nach Ihrer Kritik an der Union und auch an den Regierungen, die von der CDU/CSU geführt wurden, darf ich Sie fragen: In welchen Staaten der Welt, einschließlich der Staaten, in denen es sozialdemokratische Regierungen über längere oder kürzere Zeiträume gegeben hat, ist die Mitbestimmung Ihrer Kenntnis nach weiter entwickelt, als dies in der Bundesrepublik Deutschland unter den Regierungen von Adenauer bis Kiesinger geschah?
Wissen Sie, diese Frage interessiert mich überhaupt nicht.
Sie interessiert mich einfach deshalb nicht, weil, wenn ich mir Gedanken über die soziale Ordnung in diesem Staat mache, ich mir Gedanken über die Strukturelemente und die sachlichen Erfordernisse in diesem Staat unter diesen Bedingungen mache.
Wollen Sie etwa bestreiten, Herr Kollege SchulzeVorberg, daß beispielsweise die deutsche Sozialversicherungsgesetzgebung — denken Sie etwa an 1880 — vorbildlich für die ganze Welt war? Wir wissen, warum sie zustande gekommen ist; das hatte nicht nur karitative Gründe.Ich darf aus dem Gutachten der Mitbestimmungskommission zitieren:Seit Bestehen der Bundesrepublik— so sagt die Kommission, und ,das unterstreiche ich voll und ganz —ist um wenige Probleme der Wirtschafts- und Sozialpolitik mit solcher Leidenschaft gestritten worden wie um die Bedeutung und Bewährung der qualifizierten Mitbestimmung.
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5874 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Dr. NöllingDamit will ich Ihnen nur sagen, daß es sich eben nicht um ein Scheinproblem handelt. Die Diskussionen vor und auf Ihrem Parteitag haben klargemacht, daß es kein Scheinproblem ist, das von irgend jemandem hochgejubelt worden ist. Es ist unter den Bedingungen unserer Gesellschaftsordnung sachlich und historisch notwendig. Ich bin davon überzeugt — denn Herr Kollege Katzer will ja auch weiterhin dafür kämpfen —, daß die paritätische Mitbestimmung kommt.
Herr Abgeordneter Dr. Nölling, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg?
Bitte schön!
Herr Kollege Nölling, nachdem Sie ausdrücklich einen früheren sozialdemokratischen Vorgang als vorbildlich bezeichnet haben und wohl die Parallele naheliegt, daß auch die Mitbestimmung bei uns in der Bundesrepublik Deutschland von Adenauer bis Kiesinger vorbildlich entwickelt wurde, darf ich noch einmal meine Frage wiederholen: In welchem Staat der Welt gibt es vergleichbare Entwicklungen, auch in den Ländern, in denen sozialdemokratisch geführte Regierungen heute noch die Macht haben?
Ich unterschreibe diese Unterstellung nicht, die Sie hineingebracht haben, daß es dem sozialpolitischen Wirken von Herrn Adenauer zu verdanken sei, daß wir die paritätische Mitbestimmung bekommen haben.
Aber die Frage beantworten Sie nicht?
Ich bestreite nicht, daß wir eine Mitbestimmungsregelung haben, die im Verhältnis zu anderen Ländern fortschrittlich ist. Das ist gar keine Frage.
Es gibt keinen Vergleich, Herr Kollege!
Schön. — Es gibt andere Formen der Mitbestimmung. Sie können das akzeptieren oder nicht akzeptieren; das ist Ihre Sache. Wir sind mit den CDU-Sozialausschüssen der Meinung,
daß die Sozialordnung in der Bundesrepublik auf diesem Gebiet im Sinne der Paritätsforderung unseres Programmes weiterentwickelt werden muß.
Wir können uns in zehn oder zwanzig Jahren Wiedersprechen; dann werden wir eine Bilanz ziehen
und vielleicht feststellen — eventuell voller Stolz —, daß überall in Europa die paritätische Mitbestimmung eingeführt wurde. Das ist nicht ganz auszuschließen.
Herr Abgeordneter Dr. Nölling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ruf?
Bitte schön!
Sind Sie bereit zuzugeben, daß die CDU/CSU-Fraktion mit dem heute vorgelegten Entwurf in nahezu allen Punkten — bis auf einen Punkt — den Empfehlungen der Biedenkopf-Kommission gefolgt ist? Darf ich sie der Reihe nach aufführen und sind Sie bereit, mir das zu bestätigen?
Das brauchen Sie nicht; es langweilt nur, wenn Sie das aufzählen.
Das langweilt gar nicht., das unterrichtet das Hohe Haus. Ich halte es für notwendig, daß man dem Hohen Hause das sagt.
Herr Kollege Ruf, minimieren Sie doch nicht diesen entscheidenden Unterschied zu Biedenkopf! Warum verkleinern Sie ihn? Er ist der entscheidende Unterschied.
— Herr Kollege Ruf, das habe ich nun deutlich gemacht.
— Herr Kollege Ruf, dann machen wir es ganz systematisch noch einmal. Der entscheidende Unterschied zu dem, was Biedenkopf als ausgewogenes -wohlgemerkt: in seinem Sinne ausgewogenes — Modell vorgeschlagen hat, gemessen an dem, was Sie uns hier vorgelegt haben, ist, daß das Aufsichtsratspräsidium nicht entsprechend dem Vorschlag von Professor Biedenkopf und seiner Kommission paritätisch besetzt ist.
— Nein, das stimmt nicht, was Sie da sagen. Ich habe den Bericht nun oft genug gelesen.
— Nein, ich bin viel zu bescheiden dazu. Wenn Sie sagen, das stimme nicht, muß ich Sie auf den Text verweisen. Ich habe ihn hier, ich kann es Ihnen nachher zeigen.
Herr Abgeordneter Nölling, gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage?
Nachdem Sie unseren Parteitag so genau verfolgt haben, darf ich Sie fragen: Haben
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5875
RufSie auch die Rede von Herrn Biedenkopf gehört oder wenigstens nachgelesen, in der er expressis verbis erklärt hat, daß die Biedenkopf-Kommission mit ihrer Empfehlung bezüglich des Auswahlverfahrens zum Vorstand nicht an ein paritätisch zu besetzendes Aufsichtsratspräsidium gedacht hat? Sind Sie bereit, zuzugeben, daß auch im Gutachten steht, daß es entscheidend auf die rechtzeitige Beteiligung ankomme und nicht auf die paritätische Besetzung?
Ich stimme Ihrer Interpretation nicht zu. Ich habe die Empfehlungen der Kommission anders und, so glaube ich, richtig in Erinnerung. Im übrigen möchte ich das, was Professor Biedenkopf, nachdem er das Gutachten abgeliefert hatte, sozusagen zu seinem eigenen Kind gesagt hat, gar nicht zum Gegenstand von Debatten machen. Das würde ich ablehnen.
Herr Abgeordneter Dr. Nölling, ich habe noch drei Meldungen für Zwischenfragen, zunächst eine Zwischenfrage von der Frau Abgeordneten Kalinke. Würden Sie diese Zwischenfrage zulassen?
--- Danach kommen Sie, Herr Kollege Kliesing.
Herr Kollege, nachdem Sie hier mehrmals erklärt haben, daß Sie Ihre persönliche Meinung gesagt haben, darf ich präzise fragen: Werden diese Ihre Aussagen in dieser Stunde von Ihrer Fraktion als Fraktionsmeinung gestützt, und wann wird Ihre Fraktion hier eine Vorlage zur paritätischen Mitbestimmung einbringen, die über die Vorlage der CDU/CSU hinausgeht?
Frau Kollegin Kalinke, Ihre Frage unterstellt doch, daß durch unsere Partei, durch unsere Fraktion so tiefe Risse gehen, wie das bei Ihnen der Fall ist. Das stimmt einfach nicht.
— Das können Sie machen. Sie haben ja den historischen Beweis dafür. Frau Kollegin Kalinke, Sie waren doch im Parlament, als die SPD die paritätische Mitbestimmung in Form eines Gesetzentwurfs eingeführt hat. Glauben Sie, wir hätten uns zurückentwickelt? Das ist doch sehr unwahrscheinlich.
— Dann müssen Sie das einmal begründen.
Frau Kollegin Kalinke, Sie haben im Augenblick nicht das Wort.
Dann gebe ich Ihnen die Antwort jetzt noch einmal: Ich spreche für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion.
Herr Abgeordneter Dr. Nölling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing?
Gleich. - Und da es zwischen der CDU/CSU-Fraktion und der entsprechenden Partei wahrscheinlich auch Differenzen gibt —ich will das aber jetzt nicht untersuchen —, erkläre ich hiermit, daß ich in dieser Frage auch für die Sozialdemokratische Partei spreche. Hoffentlich genügt Ihnen das.
Herr Kliesing, Sie hatten noch eine Frage.
Herr Abgeordneter Kliesing, bitte nehmen Sie die Möglichkeit der Frage wahr!
Bedeutet Ihre Forderung nach Parität, daß Sie in den Ausschußberatungen bzw. in der zweiten Lesung unseres Gesetzentwurfs die einschlägigen Änderungsanträge stellen werden?
Ich habe das Gefühl, daß Sie nicht immer hier waren.
Herr Kollege Kliesing, da ich nicht gern etwas behaupte, ohne es zu beweisen, werde ich Ihnen die Stellen aus dem Protokoll zugänglich machen, wo ich genau diese Frage beantwortet habe.
Ich möchte zum Schluß kommen.
Es ist heute in der Debatte deutlich geworden, und es wird weiterhin noch klarer werden, daß beide Teile des CDU/CSU-Entwurfs für die SPD unannehmbar sind.
Wir machen jetzt in der ersten Etappe ein gutes Betriebsverfassungsgesetz. Das haben wir in der Regierungserklärung versprochen, und das halten wir. Wir werden uns die Legitimation für die Durchsetzung der paritätischen Mitbestimmung am Tage der Bundestagswahl 1973 holen.
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5876 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Lassen Sie mich beim jetzigen Stand der Diskussion lediglich drei Feststellungen treffen. Erstens. Die Diskussion hat ergeben, daß die sozialdemokratische Fraktion, wie sie es seit langem gesagt hat, die paritätische Mitbestimmung wünscht.
Die CDU/CSU hat in Düsseldorf und hier ganz klar zum Ausdruck gebracht, daß sie die paritätische Mitbestimmung nicht wünscht.
Die FDP hat durch mich heute früh zum Ausdruck bringen lassen, daß sie die Form der paritätischen Mitbestimmung, wie sie zur Zeit zur Diskussion steht, nicht wünscht. Damit ist für diese Frage in diesem Hause zur Zeit keine Mehrheit vorhanden.
Zweiten. Die Opposition hat heute früh in ihrem Entwurf eine Unternehmensverfassung mit einer Aufsichtsratsbesetzung 7 : 5 vorgelegt.
Die SPD hat erklärt, daß sie diese Zusammensetzung nicht für richtig hält. Die FDP hat heute früh durch mich erklären lassen, daß sie ebenfalls eine andere Lösung wünscht. Also ist für diese Art der Unternehmensverfassung in diesem Hause zur Zeit keine Mehrheit vorhanden.
Drittens. Die diese Bundesregierung tragenden Fraktionen der SPD und FDP haben sich darüber geeinigt -- das können Sie in der Regierungserklärung nachlesen , daß sie die Fragen der Unternehmensverfassung in dieser Legislaturperiode diskutieren und versuchen werden, zu anderen Lösungen zu kommen.
— Soll ich Ihnen das jetzt vorlesen, Herr Kollege Katzer? — Sie haben sich darüber hinaus geeinigt, daß schnellstens ein Betriebsverfassungsgesetz vorgelegt und beraten werden soll. Das Betriebsverfassungsgesetz liegt im Entwurf der Bundesregierung und in einem Entwurf von Ihnen heute nach 15 Monaten dieser Bundesregierung auf dem Tisch dieses Hauses.
Ich bin der Auffassung, daß es wenig sinnvoll ist, hier stundenlang über Möglichkeiten der Zukunft zu diskutieren,
sondern daß es besser wäre, sich zunächst einmal
den Dingen zuzuwenden, für die es in diesem Hause
politische Mehrheiten geben wird und auch klare
Erklärungen der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen gibt. Sicherlich wird man sich im Ausschuß noch über manches unterhalten müssen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Franke .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Heftigkeit der Ausführungen des Kollegen Nölling ist mir völlig verständlich. Wenn man bei einer so heißen Frage nichts auf den Tisch zu legen hat, ist es völlig klar, daß die Flucht nach vorn angetreten und mit billiger Polemik versucht werden muß, den Gegner zu diffamieren.
Zum Regierungsentwurf hat der Herr Kollege Nölling nichts, aber auch gar nichts gesagt. Der Inhalt Ihrer Ausführungen, verehrter Herr Kollege Nölling, läuft letztlich darauf hinaus, daß Sie Ihren Koalitionspartner heute oder morgen noch fragen müssen, bzw. daß er Sie fragen muß, ob die Koalition aufgekündigt werden soll, oder daß Sie Ihren Entwurf zur paritätischen Mitbestimmung auf den Tisch legen müssen.
Herr Abgeordneter Franke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ott?
Sofort. Herr Kollege Schellenberg, Sie haben uns heute morgen zum Vorwurf gemacht, daß wir in den letzten 20 Jahren keinen Entwurf zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes auf den Tisch gelegt hätten. Ich gebe Ihnen die Frage zurück: warum haben Sie in der Opposition dann nicht die Koalition seinerzeit angetrieben und einen Entwurf der Opposition auf den Tisch gelegt, wie wir ihn heute auf den Tisch gelegt haben?
Herr Kollege Franke, stimmen Sie mir angesichts der Erklärung des Herrn Kollegen Schmidt , nach der die SPD die paritätische Mitbestimmung will und die FDP sie nicht will, zu, daß damit der Herr Bundeskanzler es aufgegeben hat, die Richtlinien der Politik zu bestimmen?
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5877
Diesen Eindruck hatte ich nicht erst heute, sondern schon etwas länger.
Herr Abgeordneter Franke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt ?
Ja, sofort. Herr Kollege Buschfort, Sie haben uns ebenfalls zum Vorwurf gemacht, daß wir in der Vergangenheit keinen Entwurf auf den Tisch gelegt hätten. Das ist die gleiche Frage, die der Herr Kollege Schellenberg gestellt hat. Ich kann Ihnen hier nur sagen: dieser Entwurf liegt jetzt auf dem Tisch. Wir haben mit dem alten Betriebsverfassungsgesetz 18 Jahre lang gute Erfahrungen gemacht, und wir verkennen nicht die Tatsache, daß wir dieses Betriebsverfassungsgesetz jetzt den neuen wirtschaftlichen, technologischen und soziologischen Verhältnissen anpassen müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach diesen kurzen Vorbemerkungen möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf einige Besonderheiten unseres Gesetzentwurfs lenken. Im Gegensatz zum Regierungsentwurf enthält unser Entwurf viele positive, wenn Sie so wollen: Besonderheiten, z. B. im Hinblick auf das Gruppenrecht und den Minderheitenschutz.
Herr Abgeordneter Franke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Buschfort?
Wenn ich diesen Absatz beendet habe, Herr Präsident.
Ohne jetzt weiter in Einzelheiten einsteigen zu wollen, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf unseren § 50 lenken, der das Gruppenrecht behandelt. Während wir hier beim Vergleich mit dem § 10 des Regierungsentwurfs noch von gleichen Inhalten sprechen können, gehen die Konzeptionen über die Berücksichtigung der Gruppen schon bei der Errichtung des geschäftsführenden Ausschusses, oder wie es bei Ihnen im Regierungsentwurf heißt: des Betriebsausschusses auseinander. Bei uns heißt es, daß „die Gruppen in getrennter, geheimer Wahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl die auf sie entfallenden Mitglieder" wählen. Hier sehen Sie ganz deutlich einen Unterschied zwischen der Konzeption des Regierungsentwurfs und unserem Entwurf. Wir wollen diese Unterschiedlichkeit deutlich herausstellen und insbesondere den Gruppen, die in der Regel die Minderheit in den Betrieben darstellen, eine bessere Wirkmöglichkeit innerhalb der Betriebe geben. — Bitte schön!
Herr Franke, entschuldigen Sie, ich muß jetzt noch einmal auf den vorletzten Bereich zurückkommen. Sind Sie ernsthaft der Auffassung, daß sich Ihr Gesetz, wie Sie es bezeichnen, aus dem Jahre 1952 bewährt hat angesichts der Tatsache, daß es in 94 % aller betriebsratsfähigen Betriebe heute keinen Betriebsrat gibt?
Lieber Herr Kollege Buschfort, ich weiß, daß Sie jahrelang Betriebsratsmitglied in dem Betrieb gewesen sind, in dem auch ich jahrelang Betriebsratsmitglied gewesen bin. Mit Ihrer Ansicht stellen Sie den Arbeitnehmern und den — sie vertretenden — Gewerkschaften ein schlechtes Zeugnis aus; denn die Initiative muß ja von den Kollegen ausgehen.
Nach dem geltenden Recht haben wir die Initiative in den Betrieben zu ergreifen. Oder wollen Sie etwa, daß der Arbeitgeber oder eine außerbetriebliche Instanz jetzt nach dem alten Recht dazu auffordert, Betriebsräte zu errichten?
Ich weiß, Herr Kollege Buschfort, daß Sie heute bei der Gewerkschaft hauptamtlich tätig sind. Wenn Sie diese Frage hier mit einem derart polemischen Unterton stellen, mache ich auch Ihnen persönlich den Vorwurf, daß Sie Ihre Wirkmöglichkeiten in Ihrem Bereich nicht ausgenutzt haben, um den Anteil der Betriebe ohne Betriebsrat, jetzt 94 % zu erhöhen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Buschtort?
Herr Franke, in meinem Bereich sieht das Prozentverhältnis wesentlich besser aus. Aber glauben Sie nicht auch, daß es der unwahrscheinliche Widerstand der Unternehmer sein kann, der ein besseres Verhältnis nicht ermöglicht?
Verehrter Herr Kollege Buschfort, ich kann Ihre Erfahrungen hier nicht bestätigen. Aus dem Bereich, aus dem ich komme, wo wir im übrigen auch ein besseres Verhältnis bei der Zahl der errichteten Betriebsvertretungen haben, kann ich diesen Widerstand nicht feststellen. Ich kenne in meinem Bereich keinen Unternehmer — dort, wo ich selber tätig geworden bin —, der irgendwelche Tricks benutzt hätte, um die Errichtung eines Betriebsrats zu verhindern.Lassen Sie mich meine Ausführungen zu diesen, wie ich sage, Besonderheiten weiterführen. Unsere Konzeption, die stärkere Berücksichtigung der Gruppen, setzt sich z. B. bei den notwendigen Freistellungen der Betriebsratsmitglieder fort. In § 77 regeln wir die Freistellung. Hiernach sollen ebenfalls die Gruppen entsprechend den Grundsätzen der Verhältniswahl berücksichtigt werden. Wir finden in Ihrem Gesetzentwurf, den Sie hier auch verteidigen zu müssen glauben, keinerlei entsprechende Regelung. Der Regierungsentwurf billigt in § 38 jeder Gruppe ein eigenes Mitbestimmungsrecht bei der Freistellung von Kollegen des Betriebsrats erst zu, wenn mehr als ein Drittel einer Gruppe der Mitglieder eine entsprechende Zahl erreicht hat. Wir
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5878 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Franke
halten das nicht für ausreichend und werden im Ausschuß versuchen, die Unterstützung der FDP für diese Regelung zu bekommen. Denn sie hat, soweit wir wissen, einigen Organisationen in dieser Richtung — ich will es einmal so sagen einige Hoffnungen gemacht. Wir hoffen, daß Sie in der Ausschußberatung zu diesem Ihren Bekenntnis stehen werden.Diese Beispiele zur Frage des Gruppenrechts mögen erst einmal genügen.Bei der Auseinandersetzung hier ist der sachliche Inhalt des Betriebsverfassungsgesetzes etwas zu kurz gekommen. Ich darf mir erlauben, hier noch einmal eine Frage anzuschneiden, die auch in unserer Fraktion eine sehr heftige Diskussion heraufbeschworen hat, die Frage der leitenden Angestellten. Alle Kollegen, die in unserer Partei und unserer Fraktion an dem Entwurf gearbeitet haben, waren sich der Problematik des alten Betriebsverfassungsgesetzes in § 4 Abs. 2 Buchstabe c bewußt. Ich will hier ganz ehrlich aus meiner eigenen Erfahrung sagen, daß diese alte Bestimmung zu vielen Spannungen und Mißverständnissen — um es etwas sanft auszudrücken — in den Betrieben geführt hat. Die genaue Definition, wer leitender Angestellter ist, war nicht voll befriedigend.Unser Entwurf macht in § 18 Buchstabe c den Versuch, zu einer neuen Definition und einer besseren Regelung zu kommen. Ich sage noch einmal: das war in unseren Reihen nicht ganz unumstritten. Auch ich als Angestellter -- nicht leitender Angestellter — habe mich letztlich zu diesem Entwurf bekannt, um hier ein Experiment zu wagen, um eine ganz wichtige Gruppe, die bislang in den Betrieben, wenn Sie so wollen, weder Fisch noch Fleisch waren, in das Betriebsleben zu integrieren und uns — jetzt spreche ich als Arbeitnehmer — das Potential zu sichern, welches die leitenden Angestellten im Betrieb für dessen Ausgestaltung darstellen.§ 18 Buchstabe c definiert, wer leitender Angestellter ist. Dafür, ob die hier umschriebenen Voraussetzungen vorliegen, soll dem Betriebsrat in den Betrieben ein Mitbestimmungsrecht gegeben werden. Arbeitgeber und Betriebsrat stellen gemeinsam fest, wer die Voraussetzungen für die Position des leitenden Angestellten erfüllt.Für die Vertretung der Belange der leitenden Angestellten sollen Sprecherausschüsse eingerichtet werden. Die Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Sprecherausschuß regeln wir in § 103. Hier wird eindeutig vorgeschrieben, daß sich Sprecherausschuß und Betriebsrat einmal im Vierteljahr zusammensetzen müssen, um gemeinsame Probleme miteinander zu erörtern. Ich sage noch einmal: das ist ein Versuch. Wir sollten ihn wagen. Er wird sich nach meiner Auffassung lohnen.Lassen Sie mich einen dritten Punkt ansprechen, die Frage der Arbeitsgruppensprecher. Das ist auch eine Neuerung in unserem Entwurf. Die Arbeitsgruppensprecher sind ein Versuch, in großen Betrieben ab 2000 Arbeitnehmern die Transparenz, aber auch die Kommunikation zwischen Betriebsrat und Belegschaft zu verbessern. Diese Arbeitsgruppensprecher sind keine Konkurrenz zu den bestehenden Betriebsräten; vielmehr sollen sie die Tätigkeit des Betriebsrates unterstützen, und sie sollen vor allem die Anliegen der Kollegen in den Betrieb an die Betriebsvertretung herantragen.Das sind Einrichtungen, über die man sich im Ausschuß unterhalten sollte. Wir wären dankbar, wenn sich der etwas festgefügte Block der Koalition bemühte, hier etwas aufzutauen, und bereit wäre, unseren Anliegen in diesen Fragen seine Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Böhm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem heute die Neuordnung des Betriebsverlassungsrechts überwiegend von der grundsätzlichen Seite her bewertet wurde, möchte ich einige Bemerkungen mit Blick auf die praktische Anwendung machen. Ich tue dies in der Hauptsache aus der Sicht eines Betriebsratsvorsitzenden in einem Großbetrieb. Herr Kollege Franke, auch Sie haben sich auf die praktischen Erfahrungen bezogen. Ich kann nur annehmen, daß Ihre praktischen Erfahrungen als Betriebsrat etwas lange zurückliegen; sonst wären Sie nicht zu diesen Ergebnissen gekommen. Ich komme jedenfalls zu einer anderen Betrachtung Ihres Gesetzentwurfs.
Der vorliegende Regierungsentwurf bringt eine wirkliche Neuordnung, so daß sich die Stellung der Arbeiter und Angestellten in den Betrieben grundlegend verbessert. Dieses Konzept ist in der Tat geeignet, die Abhängigkeiten der Arbeitnehmer abzubauen. Insoweit berührt er die Arbeitnehmer in den erwähnten Betrieben mittelbar und unmittelbar. Es liegt mir daran, das hervorzuheben, weil die Diskussion manchmal so geführt wird, als gehe es darum, Betriebsräten und Gewerkschaftern mehr Macht zu ihrer eigenen Ausübung einzuräumen. Was z. B. Herr Dregger von Betriebsräten und Gewerkschaftern hält, hat er ja kürzlich auf dem CDU- Parteitag gesagt: ihm sind „diese Leute" suspekt und nicht geheuer. Es gibt auch von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, Äußerungen, die genau in diese Richtung weisen.
Auch Herr Ruf hat doch heute gesagt: Wir wollen keine Vergewerkschaftung der Betriebe.
Was heißt denn das? Sie wollen doch unterscheiden zwischen guten Betriebsräten und bösen Betriebsräten und guten Gewerschaftern und bösen Gewerkschaftern. Das ist doch Ihre Methode.
Herr Abgeordneter Böhm, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stark?
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5879
Nein, Herr Präsident, ich habe nur 15 Minuten Redezeit.
— Das ist keine unwahre Behauptung. Das hat doch Herr Dregger wörtlich gesagt: Wir können doch „diesen Leuten" nicht noch mehr Macht in die Hände geben. Darum geht es doch, daß man hier von vornherein Mißtrauen sät, daß man von vornherein meint, daß die Betriebsräte und Gewerkschafter dieses Betriebsverfassungsrecht mißbrauchen würden. Das ist doch die Grundtendenz bei Ihnen in der CDU/CSU.
Nun zu einigen Punkten der Gesetzentwürfe, die heute in erster Lesung zur Beratung stehen.Die Regierungsvorlage sieht eine zahlenmäßige Vergrößerung der Betriebsräte vor. Das ist auf Grund der Erfahrungen der letzten Jahre durchaus folgerichtig. Wenn dem Betriebsrat zur Erfüllung seiner Aufgaben mehr Befugnisse gegeben werden, sind dazu natürlich auch personelle Voraussetzungen notwendig. Nur so ist eine funktionsgerechte Besetzung der Fachausschüsse möglich. In diesen Fachausschüssen des Betriebsrats wird doch heute schon in den Großbetrieben genauso die Hauptarbeit geleistet wie in den Fachausschüssen des Deutschen Bundestages.
Deswegen begrüßen wir die Übertragung von bestimmten Aufgaben an Ausschüsse. Das ist ja heute schon geübte, aber umstrittene Praxis. Damit haben wir in den Großbetrieben sehr viel Arger bekommen. Da gibt es arbeitsgerichtliche Entscheidungen, die durchaus nicht in dieser Richtung liegen. Es ist zu begrüßen, daß mit der gesetzlichen Regelung endlich dieser Streitpunkt beseitigt wird.Der CDU/CSU-Gesetzentwurf trägt diesen neuen vielfältigen Aufgaben der Betriebsräte nicht Rechnung. Nach den Vorstellungen der Unionsfraktion soll die Zahl der Betriebsratsmitglieder nur geringfügig erhöht werden. Im wesentlichen wurden die möglichen Höchstzahlen des alten Rechts übernommen, die durch Abstimmung herbeigeführt werden konnten. Herr Ruf, Sie sind stolz darauf — das habe ich jedenfalls Ihren Ausführungen entnommen —, daß Sie so viel vom geltenden Recht übernommen haben. Haben Sie daran gedacht, daß dieses geltende Recht 18 Jahre in Kraft ist, daß es in vielen Bereichen überhaupt nicht mehr praktikabel ist und daß man sich im Betrieb durch Vereinbarungen mit dem Unternehmer usw. helfen mußte,
daß viele Bestimmungen einfach nicht dem neuesten Stand der technischen und der wirtschaftlichen Entwicklung entsprechen?
Ja, wissen Sie, Ihre Anpassung geht mir zu weit an das geltende Recht zurück. Das ist eine Anpassung, wie wir sie nicht wollen.
Wir möchten hier gern etwas fortschrittlicher sein.
Meine Damen und Herren, was nützt denn die Ausweitung der Rechte und Befugnisse, wenn sie nur unvollkommen wahrgenommen werden können, weil nicht genügend Betriebsratsmitglieder zur Verfügung stehen? Ohne personelle Voraussetzungen — das will ich Ihnen aus einer 20jährigen praktischen Erfahrung ganz offen sagen stehen viele Rechte nur auf dem Papier.
Ich habe manchmal den Eindruck, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, daß Sie genau das wollen, daß das Gesetz zwar nach außen hin sehr schön aussieht, daß aber durch die personelle Einengung der Betriebsräte vieles, was Sie in Ihren Gesetzentwurf hineingeschrieben haben, wirklich nur auf dem Papier steht.
Die gleiche Schlußfolgerung liegt doch nahe bei kritischer Bewertung Ihrer Vorschläge für die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich sage Ihnen noch einmal: Wenn Sie bei der Einengung der personellen Möglichkeiten bleiben, sind viele der Bestimmungen, die Sie heute so gepriesen haben, nur Deklamationen; dann sind das wirklich nur Absichtserklärungen.Im übrigen finden sich im Entwurf der Oppositionsparteien viel Optik und viel kosmetische Verschönerungen. Damit ist aber in der praktischen Arbeit im Betrieb nichts anzufangen. Wenn man 20 Jahre als Betriebsrat tätig ist, kann man nur den Kopf schütteln über das, was Sie heute hier als fortschrittliche Lösungen anbieten. Herr Ruf hat heute früh von Partnerschaft gesprochen. Als Sie das sagten, Herr Ruf, hatte ich das Gefühl, daß Sie und die Unternehmer Partnerschaft sagen, aber weitgehend Alleinbestimmung der Unternehmer meinen.
Das hat auch Herr Dr. Kley heute ausgeführt. Das war doch ganz eindeutig. Es scheint mir, als wollten Sie über Ihren Entwurf sogar noch den Ausbau des Direktionsrechts. Der Arbeitgeber ist doch im Betrieb durch sein Direktionsrecht von vornherein in der stärkeren Stellung. Das können Sie doch gar nicht bestreiten. Da verstehe ich nicht, daß Sie hier den Betriebsräten so wenig Rechte einräumen wollen.
Denken Sie nur an Ihren § 79! Dort schreiben sie sinngemäß: Wenn der Arbeitgeber es beantragt, ist ein Gesamtbetriebsrat zu errichten. Nun frage ich Sie: Ist es denn Aufgabe des Arbeitgebers, darüber
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5880 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Böhmzu entscheiden, ob ein Gesamtbetriebsrat errichtet wird?
— Ja, eben, oder ein Betriebsrat. Wenn der Betriebsrat es aber nicht beantragt, entscheidet nach Ihrem Entwurf der Arbeitgeber allein darüber, und das, meine Damen und Herren, ist doch Sache des Gesetzgebers.
— Lesen Sie doch Ihren Entwurf durch! Dort steht drin: „wenn ein Betriebsrat oder der Unternehmer dies beantragen".
— Und wenn der Betriebsrat nicht beantragt? Wenn er nicht beantragt, dann entscheidet der Arbeitgeber allein darüber. Und das ist doch Sache des Gesetzgebers oder des Betriebsrates selbst.
Herr Abgeordneter Böhm, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dichgans.
Bitte sehr!
Herr Kollege, wissen Sie, daß in den meisten Großbetrieben die Schwierigkeiten bei der Gründung eines Gesamtbetriebsrates, den die Unternehmensleitungen durchaus wollten, bei den einzelnen Betriebsräten lagen, die ihn nicht wollten?
Selbstverständlich weiß ich das. Das hatte auch seine Ursachen. In aller Regel war die Unternehmensleitung daran schuld, weil sie nämlich nur einen Gesamtbetriebsrat nach ihrer Vorstellung haben wollte. Ich kenne solche Fälle in einem deutschen Großbetrieb.Nun geben Sie den Unternehmern allein die Möglichkeit, einen Gesamtbetriebsrat zu errichten, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob das der Betriebsrat überhaupt will oder nicht. Das ist doch die Frage.
— Nun, dann formulieren Sie das besser! Wenn Sie etwas anderes meinen, dann müssen Sie das konkreter und klarer formulieren.
— Wissen Sie, darüber kann man streiten.Es sollte nicht übersehen werden, daß die im Regierungsentwurf vorgeschriebenen Abteilungsversammlungen in mittleren und großen Betrieben eine wichtige Funktion zu erfüllen haben. Eine wirkliche Diskussion über den Tätigkeitsbericht des Betriebsrats und die gründliche Erörterung von speziellen Belangen der Arbeitnehmer sind eben nur in solchen Abteilungsversammlungen möglich. Auch die Behandlung von sozialpolitischen, wirtschaftlichen und tarifpolitischen Angelegenheiten kann dort intensiver erfolgen als in großen Betriebsversammlungen mit mehreren tausend Teilnehmern.Die CDU/CSU meint auf Abteilungsversammlungen verzichten zu können. Hier zeigt sich bei der Unionsfraktion die mangelnde Vertrautheit mit der betrieblichen Wirklichkeit.
Offenbar sind bei der eiligen Zusammenstellung des CDU-Gesetzentwurfes erfahrene Praktiker aus den Betrieben nicht zu Rate gezogen worden, oder ihr Rat wurde nicht befolgt. Ich kenne einige Kollegen aus Ihren Reihen, bei denen ich mir gar nicht vorstellen kann, daß sie damit einverstanden sind.Der vage Hinweis in Ihrem Entwurf, Betriebsräte und Arbeitgeber könnten sich darüber einigen, daß Teilversammlungen bzw. Abteilungsversammlungen stattfinden, spricht doch für sich. Das ist nicht mehr als eine schwache Absichtserklärung, weil in Ihrem Entwurf nicht einmal die Anrufung der Einigungsstelle vorgesehen ist. Wenn Sie das ernsthaft wollten, dann hätten Sie hineingeschrieben, daß Abteilungsversammlungen durch die Einigungsstelle erzwungen werden können. Aber hier ist doch nur eine Erklärung, die offenbar mehr für die breite Öffentlichkeit bestimmt ist als für diejenigen, die mit diesem Gesetz arbeiten müssen.Sie wollen offensichtlich keine Teilversammlungen. Zu diesem Schluß muß man kommen. Sie wollen offenbar weniger und nicht mehr Demokratie in Betrieben und Unternehmungen. Diese Teilversammlungen sind doch ein Forum, wo betriebliche Fragen auch mit dem Unternehmer und auch mit den Vertretern der Unternehmer ausdiskutiert werden können. Dort kann das geschehen, aber nicht in den großen Versammlungen, wo die Arbeitnehmer befangen sind, wo sie nicht an das Mikrophon gehen, weil Tausende von Kollegen und Kolleginnen zuhören. Sie — von der CDU/CSU wollen diese Abteilungsversammlungen nicht.Nach der Regierungsvorlage wird der Betriebsrat bereits bei der Personalplanung eingeschaltet. Er kann die Aufstellung von Richtlinien über die personelle Auswahl bei Einstellungen, Versetzungen und Kündigungen verlangen. Hier besteht also ein klares Initiativrecht. Der Betriebsrat ist damit in der Lage, über die Einigungsstelle seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen; und das ist außerordentlich wichtig. Im Zusammenhang mit dem Mitbestimmungsrecht ergibt sich bei personellen Einzelmaßnahmen die Möglichkeit, durch betriebliche Abmachungen den Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes auszufüllen.Die Bestimmungen über die Gestaltung der Arbeitsplätze und des Arbeitsablaufes halte ich für außerordentlich bedeutsam, ja ich möchte sagen — das ist ganz sicher keine Übertreibung —, das ist
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5881
Böhmwirklich für die betriebliche Arbeit ein Durchbruch. Hier werden dem Betriebsrat und den Gewerkschaften wichtige Hilfen gegeben. Bei sachgerechter Einflußnahme auf die Arbeitsorganisation, auf die sich ändernden Produktionsmethoden, lassen sich die Arbeitsbelastungen für die Arbeitnehmer erträglicher gestalten.Wenn Sie daran denken, meine Damen und Herren, daß technische und organisatorische Veränderungen im Betrieb sehr tief in das Leben der Arbeitnehmer eingreifen, werden Sie die Bedeutung dieser Bestimmungen erkennen. Wir wollen in der Tat eine menschengerechtere Gestaltung der Arbeit.Ich bin mir darüber klar, daß dies schwer erreichbar ist und daß wir diesem Ziel nur Schritt für Schritt näherkommen. Dabei wird es entscheidend sein, daß es für diese Aufgaben sachkundige und qualifizierte Betriebsratsmitglieder zur Verfügung stehen. Und da stoßen wir wieder auf die Notwendigkeit spezieller Schulung und Bildung. Ich möchte bei dieser Gelegenheit daran erinnern, daß die Gewerkschaften Beachtliches für die Schulung und Weiterbildung der Betriebsräte geleistet haben.
Die Gewerkschaften haben damit dieser Demokratie einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Der Kollege Ziegler hat heute vormittag davon gesprochen, was alles mit radikalen Gruppen möglich sei. Daß diese radikalen Gruppen in den Betrieben keine Chance haben, verdanken Sie den Gewerkschaften, meine Damen und Herren!
Deswegen ist es eine Geschmacklosigkeit, Herr Kollege Ruf, wenn Sie heute in abfälliger Weise davon sprechen: Wir wollen keine Vergewerkschaftung der Betriebe. Sie sollten die Tatsachen sehen und sollten diesen Gewerkschaften dankbar sein.
Es kann doch kein Zweifel bestehen: nur in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften können die Betriebsleiter die Interessen der Arbeitnehmer wirkungsvoll vertreten.In der Regierungsvorlage ist die Zuständigkeit der Einigungsstelle gegenüber dem geltenden Recht ausgedehnt. Ihre Befugnisse sind auch klarer gefaßt worden. Diese Einigungsstelle hat jetzt nach meiner Einschätzung eine Schlüsselfunktion. Bei richtiger Handhabung wird sie die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten ermöglichen und zur Entschärfung von Konflikten beitragen. Sie bringt aber auch eine Stärkung der Position des Betriebsrates.
Herr Abgeordneter Böhm, ich muß Sie leider darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Ich komme zum Schluß. — Sie bringt aber auch eine Stärkung der Position des Betriebsrates. Das möchte ich noch einmal unterstreichen. Wichtige Aufgaben werden der Einigungsstelle bei der Durchsetzung von Mitbestimmungsrechten und bei der Aufstellung von Sozialplänen zugewiesen. Das alles unterstreicht doch ihre Bedeutung.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben ,heute die Dinge so dargestellt, als wäre es möglich, die Betriebe zu einer Stätte der Harmonie zu machen. Ich kann Ihnen nur sagen; in jedem Betrieb gibt es Konflikte.
Sie haben das auch angedeutet, Herr Kollege Ruf. Es kommt nur darauf an, diese Konflikte auf vernünftige Art und Weise zu lösen.
Sie werden niemals die Betriebe so gestalten, wie Sie das heute so idealistisch vorgeführt haben.
Zum Schluß möchte ich zusammenfassend feststellen: Der Bundesregierung ist es gelungen, ein geschlossenes klares Konzept für die moderne Neugestaltung des Betriebsverfassungsrechts vorzulegen.
— Wissen Sie, ich habe im wesentlichen positive Stimmen gehört.
Bei kosequenter Anwendung der neuen Gesetzesbestimmungen sind Betriebsräte und Gewerkschaften in der Lage, die Arbeitnehmer vor ungerechtfertigten personellen Maßnahmen zu schützen. Die Einflußnahme auf die Gestaltung der Arbeitsplätze und den Arbeitsablauf ist eine große Chance, die unbedingt im Interesse der Arbeitnehmer genutzt werden muß. Das Gesetz ist auch ein Auftrag an Gewerkschaften und Betriebsräte, das neue Recht voll zur Wirkung zu bringen. Es kann einfach nicht bestritten werden, daß die Reform der Betriebsverfassung nach den Vorstellungen der Bundesregierung die Arbeitnehmer in den Betrieben freier macht und ihr Selbstbewußtsein stärkt.
Dieses Reformwerk ist ein bedeutender Schritt zu mehr Demokratie in den Betrieben, zu mehr Demokratie in unserer Gesellschaft.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Böhme.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Nachdem zum Regierungsentwurf bisher, mit Ausnahme der offiziellen Begründung aus dem Lager der Koalition, eigentlich nur sehr wenig Begrüßenswertes gesagt werden konnte, lassen Sie mich in meinen Ausführungen doch einiges zu seiner Ehre sagen. Sicherlich enthält auch er einige Punkte und Ansätze, die nachher zu einer weiteren Diskussion in den Ausschüssen beitragen können.
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5882 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Dr. BöhmeIch möchte, w ie schon Herr Franke, einiges zum Aufgabenkreis und zur Frage der leitenden Angestellten ausführen. Beide heute eingebrachten Entwürfe enthalten eine Neuabgrenzung des Personenkreises der leitenden Angestellten, indem sie, im Gegensatz zum geltenden Recht, von einem Arbeitnehmerbegriff ausgehen, der grundsätzlich auch die leitenden Angestellten mit einbezieht. Durch diese generelle Einstufung trägt man der sozialen Wirklichkeit Rechnung und klärt den rechtlichen Status der leitenden Angestellten, der bisher unklar und unvollständig geregelt war und der heutigen Bedeutung dieser nach Tätigkeitsmerkmalen und soziologischen Faktoren umschriebenen Betriebsgruppe nicht mehr gerecht werden konnte.Dieser Konsens im Ausgangspunkt, den beide Entwürfe aufweisen, ist zu begrüßen. Ebenso ist die Tatsache zu begrüßen, daß sich die Abgrenzung der leitenden Angestellten von Arbeitern und Angestellten nach objektiveren Kriterien richtet, da sich das im geltenden Recht fixierte subjektive Abgrenzungsmerkmal des besonderen persönlichen Vertrauens des Arbeitgebers im Interesse einer eindeutigen Begriffsbildung als zu unbestimmt erwiesen hat.Wenn auch jetzt, unbeschadet der terminologischen Verschiedenheit in beiden Entwürfen, im wesentlichen der gleiche Personenkreis erfaßt ist wie bisher, so kann doch an einer Realität nicht vorbeigegangen werden. Das ist die durch die fortschreitende Modernisierung und Spezialisierung einer seit 20 Jahren stark expandierenden Wirtschaft erfolgte Positionsverbreiterung der leitenden Angestellten innerhalb der betrieblichen Organisation. Diese Entwicklung wird von niemandem bestritten, auch nicht im Regierungsentwurf, wo es in der Begründung zur Vorlage heißt, in den letzten 18 Jahren seit Inkrafttreten des geltenden Betriebsverfassungsgesetzes hätten sich umwälzende technische und gesellschaftliche Veränderungen auf das betriebliche Geschehen erstreckt, und dieser Umstand, dem das geltende Recht nicht mehr Rechnung trage, erfordere nun dringend eine grundlegende Neugestaltung mit dem Ziel, das Betriebsverfassungsgesetz mit der betrieblichen Wirklichkeit wieder in Einklang zu bringen.Um so unverständlicher erscheint es dann aber, wenn die Folgerung aus dieser Veränderung im Hinblick auf die leitenden Angestellten seltsamerweise im Regierungsentwurf nicht gezogen wird, die Konsequenz nämlich, angesichts der stetig angestiegenen Bedeutung der leitenden Angestellten eine eigenständige, selbstgewählte Vertretung innerhalb des Betriebs zu schaffen. Warum sind Sie nicht bereit, die Chance zu nutzen, um zu beweisen, daß Sie Spannkraft genug haben, die Realitäten, die Minister Arendt soeben selbst zutreffend zitiert hat, und den allseitigen Wunsch der leitenden Angestellten nach einer eigenen Repräsentation im Betrieb zu respektieren?An der Sachgerechtigkeit dieser Forderung kann kein Zweifel bestehen, wenn man sich vor Augen hält, daß sich der Ausstoß der Industrieproduktion nach 20 Jahren nahezu verzehnfacht hat — wohlgemerkt: bei einer lediglich auf das Anderthalbfache angestiegenen Anzahl der Arbeitnehmer. Darum muß sich folgerichtig die Gewichtigkeit der Inhaber von Leistungs- und Stabsfunktionen, also der leitenden Angestellten, angesichts des sich immer höher entwickelnden Niveaus und der immer komplizierter werdenden Sachzusammenhänge auch gehoben haben.Es sind immer mehr Betriebe mit immer verzweigteren Aufgabengebieten geschaffen worden, so daß sich durch die quantitative Zunahme der leitenden Angestellten auch ihr prozentualer Anteil im Verhältnis zu den anderen Arbeitnehmern nicht unwesentlich gesteigert hat und weiter steigern wird. Daraus mögen Sie die Bedeutung dieser Gruppe erkennen, die in der betrieblichen Organisation zwischen dem Unternehmer, in dessen Wirkungskreis sie schon durch die notwendige Einheit der Unternehmensführung eingeschlossen ist, und den Arbeitnehmern, deren Betriebsvorgesetzte sie sind, angesiedelt ist.Darüber hinaus ist nicht zu übersehen, daß die leitenden Angestellten eine Ordnungsfunktion innehaben. Ihre Entscheidungen müssen den im wirtschaftlichen Interesse des Betriebes und angesichts seiner sozialen Verantwortung nötigen Ausgleich mit den Interessen des Arbeitnehmers suchen und betriebliche Konflikte vermeiden.Daß der Regierungsentwurf solche Tatsachen und Entwicklungen nicht zur Kenntnis nehmen will, sich statt dessen einfach mit der Erklärung der Nichtanwendbarkeit des Betriebsverfassungsgesetzes auf die leitenden Angestellten begnügt, kann gewiß nicht dem großangelegten Ziel dienen, die betriebliche Wirklichkeit sich im Gesetz widerspiegeln zu lassen.Möglicherweise sind — wie aus den zu begrüßenden Worten des Herrn Abgeordneten Schmidt zu ersehen ist — in der Regierungskoalition Strömungen vorhanden, die in dieser Frage ein ähnliches Denken zeigen wie der CDU/CSU-Entwurf, sich jedoch angesichts des imposanten Trommelfeuers, das der DGB in letzter Zeit zum Thema leitende Angestellte entfacht hat, zurückhalten. Dabei sind die Argumente des DGB eigentlich altes klassenkämpferisches Vokabular.Wie durchsichtig und interessenegoistisch eine solche Argumentation ist, zeigt sich daran, daß jeder begründete Anhaltspunkt, der auf eine soziologische Homogenität einer solchen Berufsschicht hinweisen könnte, einfach nicht vorhanden ist, wenn man nicht schon das bloße Streben nach Eigenbestimmung als verwerflich und im Sinne einer sicherlich zu verhindernden Klassenbildung qualifizieren oder disqualifizieren will. Wenn sich hier etwas Neues herausbildet, so ist es eine neue Bewußtseinsschicht, zu der jeder Zugang hat, jeder Arbeitnehmer, der z. B. mit Hilfe des Arbeitsförderungsgesetzes auf der Basis der bewußten Kenntnis- und Erfahrungsanreicherung die verschiedenen Stationen durchläuft. Diese Bewußtseinsschicht ist nicht bloß von Akademikern besetzt; sie ist in ihrer Zusammensetzung durchaus heterogen. Sie arbeitet auf der Grundlage der individuellen Persönlichkeit und wird gestaltend tätig, um eine nicht vorgebene Unternehmensent-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5883
Dr. Böhmescheidung vorzubereiten, zu treffen oder durchzuführen.Für den DGB liegt das Problem darin, daß er dieser Bewußtseinsschicht weder intellektuell noch materiell das zu bieten hat, was sie fordert, es sei denn in einer Begrenzung der steuerlichen Begünstigung der Vermögensbildung. In bewußter Negierung des Prinzips der Leistungsgesellschaft versucht der DGB, die Ausprägung von Leistungskapazitäten zu verhindern, weil dies nicht in sein Machtkonzept paßt, wie der Kollege Vathmann es auf dem Verbandstag des VdF offen ausgesprochen hat.
— Der Verband der Führungskräfte.
Warum respektiert man nicht das Selbstverständnis einer Gruppe, die ihren Standort zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer sieht, die gerade eine Kollision zwischen ihren Interessen als Arbeitnehmer und der ihnen zu treuen Händen delegierten Unternehmerfunktion durch die institutionelle Ausprägung ihrer Eigenbestimmung vermeiden will und deren Anliegen schon von vielen Unternehmen auf freiwilliger Basis Rechnung getragen wird? Warum diskriminiert man diese Personengruppe, die statusrechtlich zwar zu den Arbeitnehmern gehört, doch infolge der Nichtanwendbarkeit des Betriebsverfassungsgesetzes auf sie im Regierungsentwurf kein aktives und passives Wahlrecht für den Aufsichtsrat eingeräumt bekommen hat?Hier geht der CDU/CSU-Entwurf andere Wege, die — ich glaube, das können Sie nicht bestreiten -moderner und gerechter sind.
Ich war erfreut zu hören, daß zumindest in der FDP Überlegungen im Gange sind, neben Kapital und Arbeit auch das Merkmal der Disposition zu berücksichtigen.Abschließend noch eine Anmerkung zu den inhaltlichen Merkmalen, die die Begriffsbestimmung der leitenden Angestellten zum Gegenstand hat. Im Unterschied zum CDU/CSU-Entwurf enthält der Regierungsentwurf eine sehr enggehaltene Terminologie. Die Funktionsbeschreibung der leitenden Angestellten stützt sich im wesentlichen auf formale Kriterien, einmal auf die Möglichkeit der selbständigen Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern und zum anderen auf die Wahrnehmung übertragener Arbeitgeberbefugnisse.Der CDU/CSU-Entwurf, auch hier sachgerechter in der Einschätzung der wirtschaftlichen und betrieblichen Realitäten, sieht dagegen die Übertragung der unternehmerischen Funktionen als wesentlichstes Merkmal an. Dieser Begriff beinhaltet einen umfassenderen Wirkungskreis, welcher der persönlichen Dispositionsbefugnis des leitenden Angestellten und seiner Freiheit im Hinblick auf Einzelweisungen entspricht.Es ist meines Erachtens wirklichkeitsfremd, lediglich das engere arbeitsrechtliche Vorgesetztenverhältnis als Abgrenzungsmerkmal zu nehmen. Vielmehr müssen die Teilhabe an dem unternehmerischen Entscheidungsprozeß und auch die Tatsache, daß der leitende Angestellte programmierend tätig wird, zum Ausdruck kommen. Ich war daher erfreut zu hören, daß die Regierung die Definition im Ausschuß noch vervollständigen lassen will.Die hier aufgezeigten unterschiedlichen Tendenzen in beiden Entwürfen lassen sich leicht an Hand des jeweils verschieden strukturierten Wirtschaftsausschusses verdeutlichen. Nach dem Regierungsentwurf soll der Wirtschaftsausschuß nur aus Arbeitnehmern zusammengesetzt sein. Es ist lediglich die Möglichkeit der Hinzuziehung der leitenden Angestellten als sachkundige Arbeitnehmer vorgesehen. Hier dokumentiert sich eine gewisse Nivellierungsabsicht.Der CDU/CSU-Entwurf hält dagegen an der paritätischen Zusammensetzung des Wirtschaftsausschusses fest. Die leitenden Angestellten repräsentieren sachlogisch die ihnen übertragenen unternehmerischen Funktionen; sie sind also sozusagen Unternehmervertreter im Wirtschaftsausschuß.Meine Damen und Herren, ich habe versucht, die Verschiedenheiten und die gleichen Ausgangspunkte beider Entwürfe aufzuzeigen. Ich hoffe sehr, daß die im CDU/CSU-Entwurf enthaltenen Formulierungen, die einer Entwicklung offen sind, zu überzeugen vermögen und auch in den Ausschüssen Ihre Billigung finden werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Im Verlauf der Debatte hatte man manchmal den Eindruck, also ob es hier um Probleme ginge, bei denen sich die Weltanschauungen konträr gegenüberstehen. In Wirklichkeit geht es doch darum, daß alle drei Fraktionen dieses Hauses sich entschlossen haben, das seit 18 Jahren bestehende Betriebsverfassungsgesetz zu ändern. Es geht darum, daß alle drei Fraktionen bereit sind, die Rechte des einzelnen Arbeitnehmers im Betrieb zu stärken.Der Unterschied ergibt sich in der Frage, auf welchem Weg und bis wohin das zu geschehen hat. Die besondere Pointe ist dadurch entstanden, daß die Christlich-Demokratische Union auf ihrem Parteitag in Düsseldorf beschlossen hat, nicht nur das Betriebsverfassungsgesetz zu ändern, sondern auch die Unternehmensverfassung noch mit hineinzunehmen.
Herr Kollege Benda hat dazu einige beachtens- und nachdenkenswerte Ausführungen im Zusammenhang mit der Sozialstaatlichkeitsklausel gemacht. Mein Kollege Schmidt hat zu drei wichtigen Punkten dazu bereits eine Feststellung getroffen, die ich nicht zu wiederholen brauche.Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie sollten nicht so tun, als ob mit der Annahme Ihres
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5884 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
SpitzmüllerAntrages zur Unternehmensverfassung dieses Thema vom Tisch ist; denn das Gegenteil hat nicht hier, aber auf Ihrem Parteitag Herr Kollege Katzer angekündigt. Auch wir Freien Demokraten sind der Meinung, daß selbst dann, wenn Sie — mit wessen Hilfe auch immer — eine Mehrheit für die 7 : 5-Lösung finden, das Thema nicht vom Tisch ist;
denn das Entscheidende im Betrieb ist doch das Verhalten von Mensch zu Mensch. Alle Versuche können doch nur dem Ziel dienen, dieses Verhalten in einer für alle Beteiligten sinnvollen Weise zu fördern. Wir Freien Demokraten sind der Meinung, daß die institutionelle Regelung in Form und Inhalt nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zu diesem Ziel sein kann.Ich habe bei allen Paritätsdiskussionen, ob es nun um das Verhältnis 7 : 5, 6 : 2 : 4, 6 : 6 oder um welche Zahlenspielereien auch immer ging, stets den Eindruck gehabt — das erfüllt mich mit großem Bedenken —, daß bei der Diskussion in dieser Weise der Zahlenspielereien Prestigegesichtspunkte in den Mittelpunkt gerückt werden, die sich dann hochschaukeln können.Wir sollten uns bei der Frage der Unternehmensverfassung einmal vor Augen halten, daß es auch eine europäische Entwicklung gibt. Das, was Sie hier vorschlagen, ist sicherlich keine praktikable und sinnvolle Lösung für ein Jahrzehnt oder mehrere .Jahrzehnte.
Diese Regierung hat in der Regierungserklärung angekündigt, daß sie zum Betriebsverfassungsgesetz eine große Novelle vorlegen werde. Diesen Auftrag und diese Ankündigung hat sie erfüllt. Die Novelle liegt auf dem Tisch, und um diese Novelle geht es in erster Linie.
Wir wollen nicht verkennen, daß die Gedanken, welche die Opposition zu diesen Fragen in den Raum gestellt hat, diskutiert und beachtet werden müssen. Es muß aber auch beachtet werden, was die Sachverständigenanhörung am Aschermittwoch und am folgenden Tag erbringen wird. Wir sollten versuchen, heute, da wir die Sachverständigen noch nicht gehört haben, die Ausschußberatung nicht schon hier in aller Breite vorzunehmen.
Trotzdem möchte ich zu einem Punkt Stellung nehmen, den Herr Kollege Ruf heute morgen sehr stark in den Mittelpunkt seiner Erörterungen gestellt hat. Er hat dabei gesagt, daß in dieser Hinsicht Gefahren auftauchen könnten. Es handelt sich um das bisher bestehende politische Betätigungsverbot einerseits und die bedingt zulässige politische Betätigung andererseits, wie sie der Regierungsentwurf vorsieht.Das geltende Recht kennt ein striktes politisches Betätigungsverbot für Arbeitgeber und Betriebsrat im Betrieb. Aber es ist doch kein Geheimnis, daß dieses Verbot in vielen Fällen nicht beachtet wurde, und zwar auf Arbeitnehmerseite ebenso wie auf Arbeitgeberseite. Die Problematik ergibt sich daher wie folgt. Entweder lassen wir es bei dem bisherigen Zustand — wie es die CDU will in Kenntnis des Mißbrauchs, oder wir versuchen einen anderen Weg, der den betrieblichen Interessen und denen des einzelnen nicht widerspricht. Das ist ein Wagnis, das bekennen wir ganz offen und ehrlich. Aber die Koalitionsfraktionen und die Regierung haben hierfür einen neuen Weg gewiesen, sich in der Form entschieden und das im Entwurf niedergelegt.Die Einwendungen, die dagegen immer wieder vorgetragen werden und auch heute vorgetragen wurden, beziehen sich nicht auf die demokratischen Parteien, sondern auf radikale Kräfte, deren bisher illegales Verhalten nunmehr angeblich legalisiert werden würde. Meine Damen und Herren, dieser Einwand ist formaler Natur. Er geht nach unserer Meinung am Kernproblem völlig vorbei. Die Frage ist, ob und warum radikale Kräfte Ansätze für ihr Tun im Betrieb finden und warum entsprechende Gegenreaktionen im Betrieb nicht erfolgen. Sie erfolgen heute mit Sicherheit eben zum Teil deshalb nicht, weil viele im Betrieb diesem gesetzwidrigen Verhalten radikaler Kräfte nicht durch ein gesetzwidriges Verhalten demokratischer Kräfte begegnen wollen.Die Regelung, die wir nunmehr anstreben, stellt hohe Anforderungen an Mitglieder und Anhänger demokratischer Parteien und an demokratische Kräfte im Volk und im Betrieb. Die neue Regelung ermöglicht sogar, ja, sie fordert geradezu Aktivitäten der demokratischen Kräfte gegen undemokratische links- und rechtsradikale Kräfte heraus.Niemand wird uns Freien Demokraten unterstellen wollen, daß wir den Betrieb zum Tummelplatz parteipolitischer Auseinandersetzungen machen wollen. Aber wir wollen ihn — vor dem Hintergrund eines einseitigen Verbots, wie es jetzt besteht —auch nicht zum Tummelplatz verfassungswidriger oder zumindest undemokratischer Kräfte werden lassen. Wenn wir alle, wie ich annehme, von den Möglichkeiten und der Überlegenheit unseres freiheitlichen demokratischen Systems überzeugt sind, dürfen wir uns einer geistigen Auseinandersetzung mit anderen Kräften nicht aus dem Wege stehlen, sondern wir müssen uns stellen. Wir wissen ganz genau, daß bei denen, die heute radikalen Thesen anhängen, nicht ausschließlich solche Kräfte engagiert sind, die radikal sind, sondern manchmal auch solche, die sich politisch verführen lassen. Da ist es notwendig, daß diesen politisch Verführten mit legalen Mitteln auch engagierte demokratische Mitglieder des Betriebes entgegentreten können und sich nicht in die Gefahr des illegalen Verhaltens begeben müssen.
Diese neue Regelung ist ein Versuch, aber ein Versuch, der der Mühe wert ist. Wir Freien Demokraten nehmen Hinweise aus der Praxis wie auch gewisse Warnungen nicht leichtfertig hin. Aber wir sind nicht bereit, uns zu denen zu zählen, die sich schon dadurch ein geistiges Armutszeugnis ausstel-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5885
Spitzmüllerlen lassen, daß sie behaupten, die demokratischen Kräfte seien prinzipiell nicht in der Lage, sich gegen radikale Elemente durchzusetzen, es sei denn mit Verboten.
Wir halten es deshalb für ein notwendiges politisches Zeichen, das wir setzen müssen, das wir politische Verantwortung auch hier verankert wissen wollen und legalisiert wissen wollen.
Niemandem in unserem Volk ist dadurch oder durch ähnliche Versuche gedient, wenn demokratische Kräfte anfangen würden, sich gegenseitig zu verteufeln. Das ist Gott sei Dank nicht geschehen. Aber ich möchte auch deutlich in den Raum stellen: Nachdem es bis jetzt nicht geschehen ist, sollten wir damit auch nicht in Zukunft beginnen.Ich wollte Ihnen mit diesen Ausführungen deutlich machen, auf welchem Hintergrund wir diese Dinge sehen. Wenn wir die Dinge so sehen, dann gehen wir davon aus, daß wir aus dem Wirtschaftsuntertanen des vergangenen und des Beginns des jetzigen Jahrhunderts den Wirtschaftsbürger heranziehen wollen. Wir reden immer vom mündigen Staatsbürger. Das ist das Ziel unserer bildungspolitischen Bemühungen. Zu dem Ziel der bildungspolitischen Bemühungen gehört auch, daß wir die legalen Möglichkeiten schaffen, damit sich demokratische Kräfte im Betrieb auf legale Weise mit undemokratischen Kräften auseinandersetzen können.Ein Letztes zu vielen Ausführungen, die hier gemacht worden sind. Die CDU/CSU macht nicht ganz ungeschickt den Versuch, die Koalition auseinanderzudividieren,
indem sie da und dort darauf hinweist, daß selbstverständlich - und ich möchte sagen: Gott sei Dankin bestimmten Punkten zwischen der FDP und der SPD unterschiedliche und in manchen Punkten sogar grundsätzlich unterschiedliche Vorstellungen herrschen.
Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, bei diesen Bemühungen, uns auseinanderzudividieren, wird Ihnen der Erfolg versagt bleiben, weil wir uns eben auf all den Gebieten geeinigt haben, auf denen wir uns einigen konnten. In dieser Legislaturperiode wird das Betriebsverfassungsgesetz novelliert, werden die Rechte des einzelnen im Betrieb wesentlich gestärkt und erweitert. Es wird Aufgabe des nächsten Deutschen Bundestages sein, sich mit der Änderung der Unternehmensverfassung zu befassen,
wenn nämlich auch Ergebnisse aus dem EWG-Raum vorliegen.Noch ein Wort zu meinem letzten Vorredner, der meinen Parteifreund — er ist Wirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen — angesprochen hat. Gerade die Ausführungen, die Sie gemacht haben, machen deutlich, daß auch in unserer Partei diese Fragen nicht am Anfang, aber auch schon gar nicht am Ende der Diskussion stehen. Wir Freien Demokraten sind der Meinung, daß die Diskussion über die Frage einer besseren, vernünftigeren, gerechteren und dem einzelnen Arbeiter und Angestellten mehr Möglichkeiten und Rechte einräumenden Anderung der Unternehmensverfassung noch nicht ausgereift ist. Viele klammern sich immer noch zu sehr an irgendwelche Zahlen und verlieren dabei die Modelle ein bißchen aus dem Auge, die nicht vom Zahlenspiel, sondern von praktischen Mitwirkungsmöglichkeiten der Betriebsangehörigen ausgehen, die auch davon ausgehen, daß sich durch einen neuen Ansatz in der Vermögensumverteilung des Vermögenszuwachses neue Möglichkeiten ergeben, bei denen das Zahlenspiel über die Besetzung von Aufsichtsräten, das in den letzten Jahren eine so große Rolle gespielt hat, mindestens in eine zweit- oder drittklassige Rangstufe absacken könnte.Unter diesem Gesichtspunkt sind wir der Auffassung: Betriebsverfassungsgesetz jetzt und in dieser Legislaturperiode, das andere jedoch noch wohl überdenken, weil auch hier ein Wort Konrad Adenauers gilt jenes Politikers, den manche bekämpft haben, dem manche zugejubelt haben, aber dem niemand absprechen kann, daß er ein großer Politiker gewesen ist , das er hier einmal ausgesprochen hat: „Kein Mensch kann mich hindern, täglich klüger zu werden". Ich glaube, niemand kann uns in allen drei Fraktionen hindern, auch in der Frage, wie die Unternehmensverfassung neu gestaltet werden kann und soll, täglich klüger zu werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Urbaniak.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Horten, sind Sie bereit, Ihren Fraktionskollegen zur Kenntnis zu geben, daß Herr Professor Löwenthal, der heute ein paar Mal zitiert worden ist, mir gegenüber soeben erklärt hat, daß er bei seinem Referat in der „Parlamentarischen Gesellschaft" überhaupt nicht zum Problem der Mitbestimmung in Betrieben gesprochen hat,
sondern nur zu Hochschulproblemen, und daß er ausdrücklich erklärt, daß er sich in Fragen der betrieblichen Mitbestimmung nicht in einen Gegensatz zur SPD-Fraktion manipulieren läßt, sondern derartige Versuche als einen ausgesprochenen Mißbrauch seines Namens betrachtet.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Horten?
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5886 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Ich gestatte jetzt keine Zwischentrage.
In welch peinliche Lage sind Sie jetzt geraten! Sie haben das zweimal erwähnt. Ich würde mich an dieser Stelle entschuldigen, wenn ich in dieser Lage wäre.Noch ein Wort zu Herrn Franke, der von den großen Alternativen sprach, die sich aus dem CDU/ CSU-Entwurf beispielsweise bei der gemeinsamen Wahl ergeben. Herr Kollege Franke, die konkrete Ausgestaltung des § 13 Abs. 5 des jetzigen Gesetzes ist durch eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vorgenommen worden. Es hat dazu im Wege der Rechtsanalogie zu Art. 42 des Grundgesetzes in Verbindung mit der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages die Entscheidung gefällt, die heute Gegenstand des Regierungsentwurfs ist. Was sich in der Praxis der Betriebe bewährt hat, wird auch in diesen Entwurf hineingenommen. Herr Rollege Franke, Sie wollen aber praktische Solidarität von Angestellten und Arbeitern unnötig erschweren.Nun zur Frage der gewerkschaftlichen Rechte und zum Ausbau der Jugendvertretung im Betrieb. Auch die im Betrieb vertretenen Gewerkschaften haben nach dem neuen Gesetz eine weit stärkere Position als bisher. Ihnen fällt die Funktion zu, darüber zu wachen, ob Arbeitgeber und Betriebsrat sich an die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes halten. Zahlreiche Betätigungsmöglichkeiten, insbesondere das Recht zur Stellung von Anträgen, sichern diese Position ab. So haben die Gewerkschaften die Möglichkeit, durch das Arbeitsgericht einen betriebsfremden Wahlvorstand einsetzen zu lassen, wenn in einem betriebsratsfähigen Betrieb noch keine Arbeitnehmervertretung besteht. Damit können in Tausenden von Betrieben erstmals Betriebsräte überhaupt gebildet werden. Auch kann jede im Betrieb vertretene Gewerkschaft zur ersten Betriebsversammlung einladen, auf der dann ein Wahlvorstand für die Betriebsratswahlen gebildet werden kann. Ihnen ist ja bekannt, daß wir in mehr als 90 % der betriebsratsfähigen Betriebe überhaupt keine Betriebsräte haben. Die Gewerkschaften erhalten künftig auch ein Recht auf Zutritt zum Betrieb und damit direkt zu den Arbeitnehmern.
Den Gewerkschaften müssen auch über Zeitpunkt und Tagesordnung der Betriebs- und Abteilungsversammlungen die notwendigen Informationen zugehen. Hat in einem Halbjahr keine Betriebsversammlung oder Abteilungsversammlung stattgefunden, so kann die im Betrieb vertretene Gewerkschaft verlangen, daß sie innerhalb von 14 Tagen stattfindet.Ein weiteres Antragsrecht haben die Gewerkschaften bei den Strafvorschriften. Auch sie können jetzt, wenn einer der dort aufgezählten Tatbestände vorliegt, Strafanzeige erstatten.
— Hören Sie doch einmal zu, Herr Kollege Ruf! Wir werden uns über die praktische Gestaltung noch in den Ausschüssen unterhalten. Da sind wir ganz weit vorn, und dann gehen Sie höchstwahrscheinlich auch mit Ihren Anträgen, wie wir so schön an der Ruhr sagen, den Bach herunter.Die Position der Gewerkschaften insgesamt wird damit erheblich verstärkt. Sie tragen zu betriebspolitischer Aktivität bei; denn es kommt darauf an, daß die Organe mit Hilfe der Gewerkschaften die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben überhaupt ermöglichen. Bei der Opposition finden wir auf diesem Gebiet überhaupt nichts.Herr Kollege Ruf, ich war selber Betriebsratsvorsitzender in einem großen Betrieb. Ich weiß die Unterstützung der Gewerkschaften zu schätzen. Um so verständlicher ist mir die Reaktion des Deutschen Gewerkschaftsbundes, die heute im Bonner „Generalanzeiger" veröffentlicht wurde: „Der Mitbestimmungsentwurf der Union ist reaktionär". Hier nachzulesen!Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Betriebsverfassung widmet der Jugendvertretung einen eigenen, sehr wichtigen Abschnitt. Damit will man ganz besonders die jungen Menschen in Betrieb und Büro auf die Bedeutung dieses Gesetzes aufmerksam machen. Es darf nicht übersehen werden, daß in den sich wandelnden Strukturen von Industrie und Gewerbe den jungen Arbeitnehmern bessere Wege für eine eigene Vertretung im Betrieb eröffnet werden müssen. Der Ausbau der Jugendvertretung und die Verstärkung ihrer Rechte entspricht den grundsätzlichen Vorstellungen der Regierungskoalition und der Gewerkschaften. Wir sehen diesen Abschnitt des Gesetzentwurfs — Organisation, Aufgaben, Stellung und Rechte der Jugendvertretung — im wesentlichen unter dem Gesichtspunkt der Aktivierung der Teilnahme der Jugendlichen am betrieblichen Geschehen.Hier einige Punkte, die als neue Regelungen in dem Gesetzentwurf zu erwähnen sind:Die Jugendvertretung wird entsprechend vergrößert, das passive Wahlrecht erweitert. Die Jugendvertretung erhält ein eigenes Recht, im Einvernehmen mit dem Betriebsrat Sitzungen bzw. Betriebsversammlungen Betriebsjugendversammlungen durchzuführen. Der Jugendvertreter kann an sämtlichen Betriebsratssitzungen teilnehmen. Die Jugendvertretung insgesamt hat das Recht der Teilnahme an solchen Sitzungen, wenn dort Fragen der Jugendlichen behandelt werden. Nach diesem Entwurf wird auch Stimmrecht im Betriebsrat gewährt. Es wird weiter das Recht eingeräumt, an Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber teilzunehmen. Darüber hinaus können Sprechstunden für die Jugendvertretung eingerichtet werden, und zwar in Verbindung mit dem Betriebsrat. Daß wir auch die Konzentration der Jugendvertretung wie beim Gesamtbetriebsrat gesehen haben, versteht sich aus diesem Entwurf dadurch, daß die Gesamtjugendvertretung obligatorisch eingeführt wird.Die allgemeinen Aufgaben der Jugendvertretung werden erstmals in einer besonderen Vorschrift
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5887
Urbaniakumrissen. Hierbei ist § 70 des Regierungsentwurfs zu nennen, der sich an die für den Betriebsrat geltende Regelung anlehnt. Dieser Katalog wird die Arbeit der Jugendvertretung sehr interessant und wirksam gestalten können, weil konkrete Maßnahmen der Berufsbildung Gegenstand der eigenen und der Betriebsratssitzungen, in denen sie vertreten sind, sein können.Das eigene Antragsrecht der Jugendvertretung ermöglicht den Jugendlichen ganz erhebliche Initiativen. Der Aufgaben-Katalog sieht weiter vor, daß der Jugendvertretung eine Kontrollbefugnis eingeräumt wird. Denn sie hat darüber zu wachen, daß die zugunsten der jugendlichen Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen auch tatsächlich durchgeführt werden.Nicht zu unterschätzen ist dabei die Verpflichtung des Betriebsrats, die Jugendvertretung rechtzeitig und umfassend zu unterrichten.Die Jugendvertretung kann ferner verlangen, daß ihr der Betriebsrat die zur Durchführung ihrer Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung stellt.Die Jugendversammlung wird den jungen Arbeitnehmern die Möglichkeit geben, ihre Angelegenheiten selbst zu erörtern. Hierin sehen wir eine gute Chance, daß das Demokratieverständnis bei den jungen Arbeitnehmern im Berufs- und Ausbildungsstadium zum Tragen kommt. Betriebsräte, Gewerkschaften, Arbeitgeber und die Jugendvertretung sind auf eine gute Zusammenarbeit angewiesen, um die Probleme, die sich bei jungen Arbeitnehmern aus Arbeitsplatz und Berufsbildung ergeben, sinnvoll zu lösen. Dieser Gesetzentwurf gibt ihnen dazu ausreichende Möglichkeiten. Die hohe Wertigkeit der Betriebsjugendvertretung, verbunden mit dem Ausbau wichtiger Rechte, die zu einem noch besseren Funktionieren ihrer eigenen Vertretung führen, wird durch den Regierungsentwurf im besonderen dokumentiert.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine Vorbemerkung. Ich muß noch einmal auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Liehr zurückkommen und der Redlichkeit halber noch einmal feststellen, wie es wirklich war. Herr Kollege Liehr, Sie haben uns den Vorwurf gemacht, wir hätten unseren eigenen Antrag im Jahre 1967 selbst fallenlassen.
— Warten Sie ab, Herr Kollege Liehr. Erstens war dieser Entwurf kein umfassender Entwurf zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes.
- Eben, Herr Kollege Schellenberg, mit Rücksichtauf jene Koalitionsabsprache, die Sie heute hier zitiert haben.Zweitens — das wissen Sie genau, Herr Kollege Liehr — habe ich im zuständigen Ausschuß für Arbeit wiederholt den Antrag gestellt, es zu behandeln, und jedesmal kam die Einrede von der SPD schade, daß der Kollege Buschfort nicht hier ist ---
— Nein, das muß ich hier zu Ehren des damaligen Vorsitzenden einmal sagen: Sie haben die Einrede gemacht mit dem Hinweis, daß Sie selbst einen Entwurf einbringen wollten, und es war damals noch so — etwas anders als heute —, daß man Rücksicht genommen hat, wenn eine solche Absichtserklärung abgegeben wurde.
Gut, daß Sie das gesagt haben, Herr Professor Schellenberg. 1968 kam dann Ihr Entwurf, und in der ersten Sitzungswoche im Februar 1969 war wohl die erste Lesung.
— Verzeihung, lassen Sie mich doch wenigstens einmal ausreden und prüfen Sie dann, ob das, was ich sage, richtig ist. 1967 haben wir unseren Entwurf eingebracht. Ihr Entwurf war vom Dezember 1968 und ist in der ersten Februarwoche 1969 hier in erster Lesung behandelt worden.
— Herr Kollege Liehr, Sie als Mitglied des Ausschusses für Arbeit mußten und müssen wissen, daß seinerzeit ihr Antrag gar nicht mehr behandelt werden konnte, weil wir uns mitten in der Beratung des Arbeitsförderungsgesetzes und des Berufsbildungsgesetzes befanden, in einem Unterausschuß, dessen Vorsitzender Sie selber waren. Meine Damen und Herren, Ihr Antrag war nichts anderes mehr als eine Pflichtübung für die nahe bevorstehenden Bundestagswahlen.
— Ich habe Ihnen ausdrücklich erklärt, wir waren fairerweise bereit, Ihrer Einrede stattzugeben, und haben deshalb wiederholt meinen Antrag auf Behandlung zurückgestellt, also unseren Antrag nicht fallenlassen.Meine Damen und Herren, es ist auch sehr interessant, daß Sie hier mit großer Emphase ankündigen, daß wir keine Illusionen haben sollten, in Ausschußberatungen mit wechselnder Mehrheit irgend etwas beschließen zu können. Diese Illusionen haben wir nach den Erfahrungen im Ausschuß in dieser Legislaturperiode überhaupt nicht. Ich möchte aber hinzufügen: Gehen Sie umgekehrt keine Fehlspe-
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kulation ein! Sie haben uns die Lehre erteilt, wie man sich verhält und nicht wie in der Vergangenheit versucht, sich zu überzeugen, sondern einfach durch Abstimmung durchsetzt, was man will.
Nun zur Sache! Herr Kollege Urbaniak, darf ich die ersten Sätzen in der Hauptsache an Sie richten. Kaum ist unser Gesetzentwurf dem Hohen Hause zugeleitet worden und der Öffentlichkeit bekanntgeworden, waren Sie es, der uns arbeitnehmer- und gewerkschaftsfeindliche Absichten unterstellte. Diese Behauptung ist einfach sachlich falsch
— doch, ich habe zugehört — und vergiftet außerdem noch unnötigerweise die Atmosphäre. Sie ist nicht geeignet, gemeinsame Beratungen zu fördern, um ein für die Arbeitnehmer fortschrittliches und effektives Gesetz zu schaffen. Aber Sie haben hier im Laufe der Diskussion ja wiederholt kundgegeben, daß Sie unsere Stimmen nicht haben wollen, gerade mit dem Hinweis, daß Sie keine Abstimmungen mit wechselnden Mehrheiten wollen. Wir haben in § 22 unseres Gesetzentwurfs die Grundsätze niedergelegt, von denen Sie gesprochen haben, nach denen sich die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem Arbeitgeber, der Arbeitnehmervertretung — sprich: Betriebsrat — und den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften richten sollte, damit die Funktionsfähigkeit der betriebsverfassungsrechtlichen Organe und, ja, der Friede im Betrieb gewahrt bleiben.Im übrigen darf ich bei dieser Gelegenheit nur einmal in Erinnerung rufen, daß das derzeitige Betriebsverfassungsgesetz im Jahre 1952 gegen die Stimmen der SPD verabschiedet wurde. Vielleicht geschah dies damals aus der gleichen ideologischen Vorstellung, mit der Sie unseren jetzigen Entwurf verteufeln. Interessanterweise beginnt jedoch — und das auch an Herrn Kollegen Dr. Nölling; vielleicht ist das auch eine Antwort an meinen Herrn Kollegen Schulze-Vorberg — die Begründung des Regierungsentwurfs mit folgenden interessanten Sätzen:Das geltende Betriebsverfassungsgesetz wurde im Jahre 1952 nach harten politischen Auseinandersetzungen im Bundestag verabschiedet ... Trotzdem hat es sich zumindest in den ersten Jahren seiner Geltung im großen und ganzen bewährt. Es verbesserte gegenüber dem vorhergehenden Recht die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Betrieben erheblich und fand deshalb u. a. auch im Ausland starke Beachtung.Soweit das Zitat. — Eine eindeutigere Bestätigung für die damalige gute Arbeit der CDU/CSU bzw. der Koalition ist wohl nicht mehr nötig.Unserer Meinung nach ist es besser, eine gute Sache fortzuentwickeln, als mit Experimenten das Risiko größerer Konflikte und volkswirtschaftlicher Schäden im Sinne des Gemeinwohls einzugehen; ja, des Gemeinwohls.
Erlauben Sie mir zur gesetzlichen Ausgestaltung der Stellung der Gewerkschaften im Betrieb noch folgende Bemerkung. In § 22 Abs. 2 unseres Entwurfs — Abs. 1 entspricht dem geltenden Recht — heißt es:Der Betriebsrat ist berechtigt, seine Aufgaben in Zusammenarbei und mit Unterstützung der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften durchzuführen.Aus dem Gesamtverständnis dieser Vorschriften ergibt sich doch ganz eindeutig, daß von einer Gewerkschaftsfeindlichkeit in keiner Weise die Rede sein kann. Jede andere Behauptung ist reine — erlauben Sie mir diesen Ausdruck — Demagogie. In Absatz 2 unserer Vorschrift ist das Recht des Betriebsrates auf Zusammenarbeit mit
lesen Sie doch den Text! — und auf Unterstützung durch Gewerkschaften postuliert.Zur Klarstellung möchte ich feststellen, daß nach unserer Auffassung nur der Betriebsrat der alleinige Rechtsträger im Betrieb sein kann. Und dies auch zu Recht! Er wird von allen Arbeitnehmern im Betriebe gewählt und trägt damit auch die Verantwortung gegenüber der Belegschaft.Unverständlich bleibt mir überhaupt, was die Regierungsvorlage mit der Formulierung in § 2 Abs. 3 eigentlich will, es sei denn, daß sie ursprünglich etwas anders ausfallen sollte, als es jetzt heißt und was auch in der Begründung dazu gesagt wird. Es heißt hier:Zur Wahrnehmung der in diesem Gesetz genannten Aufgaben und Befugnisse der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften ist deren Beauftragten im Benehmen mit dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat Zugang zum Betrieb zu gewähren, . . .Der Betriebsrat ist also berechtigt, mit Unterstützung der im Betrieb vertretenen Gewerschaft seine Aufgabe durchzuführen. Dann ist es doch selbstverständlich, daß deren Vertreter auch Zugang zu dem Betrieb haben müssen, um diese Aufgabe zu erfüllen. Darüber täuscht auch die Erläuterung, Herr Minister, die Sie heute gegeben haben, nicht hinweg. Was soll diese doppelte Rechtsträgerschaft? Sie ist nicht fortschrittlich, sondern sogar gefährlich. Sie führt zu Konflikten zwischen Betriebsrat und Gewerkschaften, die sich als eine schwere Belastung im Betriebsklima erweisen könnten.
Abgesehen davon, daß der Begriff „im Benehmen" — das ist heute schon gesagt worden — rechtlich sehr fragwürdig ist, wollen wir nicht, daß auch noch Konflikte zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft entstehen, die auch heute schon im Betrieb präsent sein können und sind.Unverständlich bleibt uns auch trotz des Hinweises in der Begründung, daß in der Regierungsvorlage in § 2 Abs. 1 die Gemeinwohlklausel fortgefallen ist. Wir haben dagegen bewußt die Verpflich-
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tung des geltenden Rechts in unserem Entwurf wiederaufgenommen, weil wir jeden Betrieb in die gesamtwirtschaftliche Verantwortung eingeschlossen wissen wollen. Wenn die Gemeinwohlverpflichtung nicht mehr im Aktienrecht enthalten ist, so ist sie deshalb noch nicht weniger wichtig geworden.Untragbar ist nach unserem Verständnis wirtschaftlicher Eigengesetzlichkeit auch der Wegfall des Verbots der parteipolitischen Betätigung. Wir haben dieses Verbot des geltenden Rechtes, wie bereits in der Einleitung der Begründung von meinem Kollegen Ruf erklärt, in § 22 Abs. 5 übernommen. Hier heißt es schlicht und einfach:Arbeitgeber und Betriebsrat haben jede parteipolitische Betätigung im Betrieb zu unterlassen.Meine Damen und Herren, wer glaubt, demokratische Regelungen ohne Rücksicht auf Freiheitsverluste auf jeden Lebensbereich radikal übertragen zu können, geht an der wirklichen demokratischen Verantwortung vorbei.
-- Sie kommen noch dran, Herr Professor Schellenberg. Auch das geltende Recht läßt es zu, daß diePartner des Betriebs ihre politische Meinung äußern.Herr Kollege Buschfort, Sie haben zu diesem Thema gesprochen. Fragen Sie doch mal Ihren Herrn Kollegen Professor Schellenberg, wie oft er in Berliner Großbetrieben, von den Betriebsräten eingeladen, Ausführungen über Sozialpolitik, soziales Recht usw. gemacht hat!
Noch niemand hat ihm das verboten, und niemand kann ihm das verbieten, wenn er sich im Rahmen dieser Möglichkeiten hält.
Sie sind jedoch verpflichtet, den Betriebsfrieden nicht zu stören und die betriebliche Organisationseinheit nicht parteipolitisch zu mißbrauchen. Gerade diese Gefahren erhalten jetzt nach dem Willen der Regierung einen institutionellen Unterbau. Dies muß mit Entschiedenheit abgelehnt werden. Der ungestörte Betriebsablauf und Betriebsfrieden ist nur zu erhalten, wenn er gesetzlich abgesichert ist. Die Begründung der Regierung ist insoweit nicht nur hohle Propaganda, sie ist sogar besorgniserregend. Wer unserer Wirklichkeit den Vorwurf macht, die bisherige gesetzliche Regelung habe sich auf die legitimen gesetzlichen Wirkungsmöglichkeiten der politischen Parteien nachteilig ausgewirkt, weiß kaum, wovon er redet.
Die Gefahren können doch nicht geleugnet werden, daß nunmehr die bisherigen Möglichkeiten, konfliktbeschränkende Ordnung in eine Konfliktordnung umzufunktionieren, ausgeweitet werden.
Mit der Zulassung parteipolitischer Aktivität werden erfahrungsgemäß — Herr Kollege Spitzmüller, ich wollte das auch Ihnen sagen — sämtlicheProbleme eingeschleust, die für den parteipolitischen Bereich, ob Sie es bedauern oder nicht, kennzeichnend sind. Es wird dann in naher Zukunft parteipolitisch einseitig orientierte Betriebe geben. Hoch lebe also die geschlossene Gesellschaft, die dann Arbeitnehmer anderen politischen Geistes nicht mehr zuläßt!
Diese Möglichkeit ist dann nicht nur dem Vertreter der Arbeitnehmer, sondern auch dem Arbeitgeber gegeben.
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir wollen nicht, daß in wenigen Jahren in bestimmten Betrieben nur noch Arbeitnehmer mit einem bestimmten Parteibuch eingestellt werden,
gar nicht zu reden von dem Zirkus, der möglich ist, wenn parteipolitische Werbung im Betrieb getrieben werden kann oder wenn auch die Betriebe noch voll in den Wahlkampf einbezogen werden können, was manchmal sowieso schon geschieht. Auch das ist, wenn Sie wollen, eine Förderung der Produktivität unserer Wirtschaft oder auch nicht.
Zur wirtschaftlichen Mitbestimmung möchte ich, da meine Zeit abgelaufen ist, nur noch auf eins hinweisen, und ich glaube, da befinden wir uns sogar in guter Gesellschaft mit den Gewerkschaften. Ich stelle nämlich mit Befriedigung fest, daß wir uns in der Frage der wirtschaftlichen Mitbestimmung in der Gesellschaft der Gewerkschaften befinden, wenn der DGB in einem Brief an alle Abgeordneten schreibt, daß nach § 111 Abs. 2 der Regierungsvorlage nunmehr in keinem Fall ein Mitbestimmungsrecht gegeben sein soll, wenn
Maßnahmen durch nicht geplante Einschränkungen der Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb, insbesondere auf Grund einer Veränderung der Auftragslage oder der wirtschaftlichen Lage des Betriebs bedingt sind.
Wir haben dagegen in unserem neuen § 43 das, was man unter Betriebsveränderungen im Sinne des Mitbestimmungsrechts in dem bisherigen Katalog verstand, aufrechterhalten und das ganz konkret ausgedrückt, nur haben wir durch die Streichung der letzten Halbsätze in den Buchstaben d und e
den Betriebsräten ein Mitbestimmungsrecht in vollem Umfang eingeräumt, nämlich auch dann, wenn solche Betriebsveränderungen auf einer Veränderung der Marktlage beruhen oder durch technischen Fortschritt notwendig werden.
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5890 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Herr Abgeordneter Müller, für Sie ist keine Verlängerung der Redezeit beantragt worden, Ich muß Sie daher bitten, zum Schluß zu kommen.
Gut, dann werde ich mit folgender Bemerkung schließen.
Meine Damen und Herren, nach unseren Erfahrungen wollen die Arbeitnehmer in den Betrieben in Wahrheit weniger Ideologie. Sie wollen mehr Menschlichkeit im Betrieb,
sie wollen die Sicherung ihres Arbeitsplatzes,
sie wollen wissen, wie es darum in Zukunft bestellt ist
und wollen selbst mitreden. Das wollen wir auch mit unserem Entwurf erreichen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Farthmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Einige Vertreter der Opposition haben sich darüber mokiert, daß der Entwurf der CDU/CSU und die Konsequenzen aus dem Düsseldorfer Parteitag im Vordergrund der heutigen Diskussion gestanden hätten. Ich halte das für durchaus angemessen, denn der Düsseldorfer Parteitag war in der Tat ein entscheidender Wendepunkt für die Mitbestimmungsdiskussion in der Bundesrepublik. Das sollten wir nicht verkennen und auch nicht verkleinern. Ich glaube, daß alle, denen die Mitbestimmung am Herzen liegt — zu denen darf ich mich zählen —, gewünscht hätten, daß auf dem Düsseldorfer Parteitag eine andere Entscheidung gefallen wäre als die, die nun einmal gefallen ist.
Wir, die wir die Mitbestimmung bejahen, bedauern es zutiefst, daß die Kollegen um den Abgeordneten Katzer auf eine kleine Splittergruppe von 20 % reduziert sind. Das ist eine Tatsache, daran ist nichts zu ändern.
Das Mitglied des CDU-Vorstands Norbert Blüm hat selbst gesagt: „Dieser Parteitag ist in der Tat den Empfehlungen der Unternehmer gefolgt."
Eines aber hat dieser Parteitag erfreulicherweise gebracht, er hat nämlich Klarheit gebracht, und er verhindert, daß künftig in der Mitbestimmungsfrage bestimmte Gruppen mit ungedeckten Schecks arbeiten.
Das klarzustellen, dient dem öffentlichen Interesse und der politischen Diskussion.
Lassen Sie mich noch eine zweite Vorbemerkung machen. Meine Damen und Herren, rührend finde ich Ihr Bemühen, sich als Befürworter der Mitbestimmungsidee zu betätigen.
Herr Abgeordneter Farthmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weigl?
Wenn Sie mir die Zeit gutschreiben, Herr Präsident, gern.
Ja, die Zeit wird jetzt gestoppt.
Herr Kollege Farthmann, darf ich Sie, wenn Sie hier schon den Beschluß des Düsseldorfer Parteitages kritisieren, fragen, ob Sie mir plausibel erklären können, warum DGB und SPD auf nationaler Ebene für die Parität der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten eintreten, dagegen auf europäischer Ebene einem Beschluß des Europäischen Bundes Freier Gewerkschaften zugestimmt haben, der vorsieht, daß die Arbeitnehmerseite nur zu einem Drittel an den Aufsichtsräten beteiligt werden sollen?
Herr Weigl, ich möchte Ihnen empfehlen, sich die Äußerungen zur Mitbestimmung künftig genauer anzusehen. Der DGB hat nämlich Parität immer als Gleichheit von Kapital- und Arbeitnehmervertretern interpretiert. Das ist auch in dem Brüsseler Beschluß der Fall gewesen. Wenn daneben eine dritte Gruppe vertreten ist auch das haben wir in der Diskussion hier immer wieder gesagt —, ändert das nichts an der Parität. Im übrigen weiß ich nicht, was diese Frage mit meiner Gedankenführung zu tun hat.Ich hatte gesagt, ich fände es rührend, wie sehr Sie sich alle als Befürworter der Mitbestimmung hervorgetan und sich bemüht haben, in der CDU die gleiche „Mitbestimmungsintensität" an den Tag zu legen wie die SPD. Wollen Sie denn den Unterschied verwischen, der darin besteht, daß die SPD sich schon zur paritätischen Mitbestimmung bekannt hat,
als es Ihre Partei noch gar nicht gab? Die SPD hat die paritätische Mitbestimmung auf ihrem letzten Bundesparteitag einstimmig unterstützt.
-- Nein, auf dem letzten Parteitag mit Schillers Stimme. Auf dem vorletzten war er noch dagegen. Inzwischen hat er sich überzeugen lassen.Die SPD bekennt jetzt um der Erreichung anderer politischer Ziele willen, nämlich um die Koalition nicht zu gefährden, in aller Offenheit, daß die paritätische Mitbestimmung im Augenblick nicht machbar ist. Wollen Sie das mit der Haltung der CDU/ CSU identifizieren, die die paritätische Mitbestimmung ausdrücklich abgelehnt hat und sich zu einer
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5891
Dr. FarthmannKrypto-Mitbestimmung bekennt, auf die ich gleich noch zu sprechen kommen werden?
Gestatten Sie mir noch ein paar Worte zu dem Entwurf, den Sie vorgelegt haben! Er beginnt mit den Einzelrechten der Arbeitnehmer. Ich halte sie für erfreulich. Bloß sollten wir sie nicht allzu sehr hochloben; denn was an sogenannten Grundrechten darinsteht, ist in der Arbeitsrechtswissenschaft seit 50 Jahern ein alter Hut. Es ist zwar juristisch nicht formuliert, wie vieles im Arbeitsrecht ungeschriebenes Recht und Richterrecht ist, aber es gilt bereits. Der Entwurf bringt also insofern nichts Neues. Im übrigen ist ein Charakteristikum der Gesetzes-technik Ihres Entwurfs hervorzuheben: Er enthält unzählige sogenannte unbestimmte Rechtsbegriffe, durch die seine Regelungen unklar gemacht und praktisch entwertet werden.Der zweite Hauptpunkt sind die Mitbestimmungsrechte, wo Sie zweifellos Verbesserungen gebracht haben. Wenn Sie das nicht getan hätten, wäre es ja eigentlich mehr oder weniger sinnlos gewesen. Ich möchte aber — ich greife, Herr Ruf, nur die kritischen Punkte auf; Sie werden das verstehen; wir wollen ja hier eine Klärung herbeiführen — drei Punkte in dem wichtigen sozialen Sektor ansprechen:Die Berufsausbildung kommt in dem Entwurf der CDU/CSU ausgesprochen dünn weg. Das wird der Bedeutung, die die Berufsausbildung heute hat, in keiner Weise mehr gerecht.
Sie schließen zweitens mit dem CDU/CSU-Entwurf ausdrücklich die Mitbestimmung bei der Festsetzung der Höhe des Mietzinses der Werkswohnungen aus. Das ist ein ganz erheblicher Mangel, den die Betriebsräte draußen im Lande zur Kenntnis nehmen sollten, damit sie sehen, was auf sie zukommt. Das war bisher nicht so.
Bisher war das streitig. Es wurde vom Bundesarbeitsgericht abgelehnt. Sie schließen es jetzt ausdrücklich aus.Das gleiche gilt für eine Frage, die noch wichtiger ist: die Frage der Akkorde. Ich möchte an alle die Kollegen appellieren, die aus der Arbeitnehmerschaft kommen, die wissen, wie wichtig die Mitbestimmung des Betriebsrats beim Akkord ist. Das alte Schlagwort „Akkord ist Mord" gibt es immer noch. Sie unternehmen es hier, in Verschlechterung des bisherigen Gesetzes von 1952 die Mitbestimmung des Betriebsrats ,bei den einzelnen Akkordsätzen ausdrücklich auszuschließen, wenn die Arbeitsleistung gemessen wird. Wir wissen alle, daß sie nicht meßbar ist.Ich bin Herrn Ruf sehr dankbar, daß er heute morgen in dem Zusammenhang gesagt hat, die CDU/CSU wolle keine Mitbestimmung des Betriebsrats bei materiellen Angelegenheiten. Das war ein klares Wort. Dafür bin ich dankbar. Nur muß man sich darüber klar sein, Herr Kollege Ruf, daß sich dann die Mitbestimmung des Betriebsrats reduziert auf eine Spielwiese und nichts weiter.
Es ist doch gar keine Frage: Das Interessante am Arbeitsplatz für den Arbeitnehmer sind die materiellen Dinge.Sie haben zweifellos eine gewisse Verbesserung gebracht im Bereich der personellen Angelegenheiten. Nur dürfen Sie auch da das Widerspruchsrecht des Betriebsrats nicht überschätzen. Denn er hat ein Widerspruchsrecht nur aus den Gründen, die schon seit dem Jahre 1951 im Kündigungsschutzgesetz stehen. In der Sache wird die Kündigungsmöglichkeit des Arbeitgebers auch nicht um einen Millimeter eingeschränkt. Sie schaffen lediglich eine vierte Instanz. Das dient der Verlängerung des Weges, es dient aber nicht der Sache.
— Jawohl, allerdings weitgehend, Herr Kollege Müller, aufgehoben durch die Möglichkeit der einstweiligen Verfügung. Hier ist der Entwurf sehr rechtsschöpferisch tätig geworden; denn die einstweilige Verfügung zur Schaffung neuer Rechte kannte das deutsche Recht bisher nicht. Aber bitte!Der dritte Punkt sind die wirtschaftlichen Angelegenheiten mit dem berühmten Sozialplan. Da schreiben Sie in der Tat vor, daß die Vermittlungsstelle auch gegen den Willen des Arbeitgebers einen Sozialplan empfehlen kann. Ich möchte Ihnen nur zu bedenken geben: Ein Sozialplan hat nur dann Sinn, wenn er Ansprüche für die einzelnen Arbeitnehmer schafft. Sonst können Sie sich den Sozialplan sonstwohin hängen. Sie knüpfen die Rechtsfolge nicht in der Form an, daß die Ansprüche klagbar sind, sondern lediglich in der Form, daß Schadenersatzpflichten entstehen, wenn der Arbeitgeber vom Sozialplan abweicht. Wie der Arbeitgeber von individuellen Ansprüchen abweichen kann, das ist eine Novität, die es bisher im deutschen Recht nicht gegeben hat, die ich mir auch nicht erklären kann. Ich wollte das nur zu bedenken geben.Nun zu einem für mein Gefühl noch wichtigeren Punkt, dem Problem der Organisation des Betriebsrats.Sie sehen Arbeitsgruppensprecher vor, und zwar Arbeitsgruppensprecher, die zum Konkurrenten des Betriebsrats werden können. Da nützen nun alle Beteuerungen nichts, daß die Arbeitsgruppensprecher nach Ihrer Meinung dem Betriebsrat dienen sollen. In der Gesetzessprache gilt die Erklärungstheorie; da gilt das, was in dem Gesetz steht. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Arbeitsgruppensprecher zu konkurrierenden Gesprächspartnern für den Arbeitgeber werden. Dann ist der Betriebsrat kaputt.
— Das steht aber im Gesetzentwurf! Und Sie werden nicht daran gemessen, was in Ihrem treuenHerzen schwebt, sondern daran, was im Gesetz steht.
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Dr. FarthmannSie entziehen somit dem Betriebsrat die Basis oder gefährden sie zumindest erheblich. Sie verstärken ferner die Minderheiten- und Gruppenrechte und setzen damit die zugegebenermaßen schon im geltenden Recht vorhandene Aufsplitterung des Betriebsrates fort.Schließlich wollen Sie Sprecherausschüsse für die leitenden Angestellten einrichten. Ich will die Schwierigkeit des Problems der leitenden Angestellten nicht verkennen. So einfach, wie es sich Herr Böhme in seiner Vorlesung eben gemacht hat, ist es nicht.
In einer Zeit, in der sich die Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten Gott sei Dank mehr und mehr verwischen, sollte man es sich sehr überlegen, ob man in einer zukunftsweisenden Lösung neue Gräben in der Belegschaft aufwirft,
.
Gräben, die im Grunde Standesdünkel und Überheblichkeit provozieren. Das ist eine zusätzliche Gefahr.
Ich bitte Sie zu überlegen, ob die Zeit jetzt schon reif ist, hier das Fallbeil fallenzulassen.Meines Erachtens zeichnet sich hier eine künftige Entwicklung ab, die ich nur als verhängnisvoll bezeichnen kann. Der Betriebsrat würde verstümmelt. Man kann es auch plastisch schildern: Durch die Arbeitsgruppensprecher werden ihm die Beine abgesägt, durch die Minderheiten wird er aufgesplittert, und durch die Sprecherausschüsse wird er enthauptet. Meine Damen und Herren, ein solcher Betriebsrat wäre nicht mehr effektiv. Wenn diese Regelung Gesetz wird, wäre das zum Schaden des Betriebsrates und der Arbeitnehmer.
Eine solche Regelung bringt auch keine Integration, sondern eine Desintegration mit sich.
Nun noch ein letztes Wort zum Aufsichtsrat. Herr Ruf, Sie haben mich heute morgen im Zusammenhang mit der jugoslawischen Arbeiterselbstverwaltung wieder falsch zitiert. Ich will zu Ihren Gunsten — genauso wie zugunsten Ihres neuen Mitbestimmungsstars, des Herrn Dregger, der sich in Düsseldorf ja auch zu diesem Thema geäußert hat — unterstellen, daß Sie das Protokoll gar nicht gelesen haben.
— Wenn Sie es vollständig gelesen hätten, Herr Ruf — ich möchte Sie wirklich um der Wahrheit willen bitten, das künftig zu tun —, wäre Ihnen klar, daß ich mich auf dem Parteitag in Saarbrücken gegen diese Konsequenzen ausgesprochen habe und vor diesen Konsequenzen gewarnt habe.
— Dann habe ich Sie mißverstanden. Herr Dregger hat mich fälschlicherweise im umgekehrten Sinn zitiert.
-- Herzlichen Dank!Wie sieht nun die Mitbestimmung auf Unternehmensebene aus, die Sie uns anbieten? Sie wollen den Aufsichtsrat im Verhältnis von 7 : 5 besetzen. Heute ist er im Verhältnis von 8 : 4 besetzt. Meine Damen und Herren, wir wollen uns doch nichts vormachen: Das ist reine Augenwischerei. Hier läßt sich ein profaner Vergleich zum Fußball ziehen: Ob eine Mannschaft 5 : 0 oder 5 : 4 verliert, ist für die Punktevergabe uninteressant.
In gleicher Weise ist es völlig unerheblich, wenn Sie den Arbeitnehmern einen Sitz mehr einräumen. Es ist geradezu eine Zumutung für die Arbeitnehmer: Hier wird der Eindruck erweckt, als ob es um Posten ginge.
Was Herr Stücklen heute morgen dazu gesagt hat, ist ganz bezeichnend. Als es um diesen einen Aufsichtsratssitz mehr ging, hat er zu uns herübergerufen: Ist das gar nichts? Meine Damen und Herren, das ist bezeichnend für die Kategorien, in denen hier über die Mitbestimmung gedacht wird.
Uns geht es — lassen Sie mich auch das noch einmal deutlich sagen bei der Mitbestimmung um die Legitimation der Unternehmensleitung, um nichts weiter! Die Unternehmensleitung soll genau wie bisher ein Expertengremium aus sachverständigen, hochqualifizierten Vorstandsmitgliedern sein. Wir meinen aber, daß die Vorstandsmitglieder großer Unternehmen künftig nicht mehr ausschließlich von 50, 60 Großaktionären und drei Banken, wie es heute geschieht, bestellt werden sollten. Vielmehr sollten an dieser Bestellung die Arbeitnehmer, die von den Entscheldungen dieser Vorstandsmitglieder täglich uni stündlich betroffen sind, beteiligt werden. Nur darum geht es. Die Verschiebung des Verhältnisses von 8 :4 auf 7 :5 ändert an der bisherigen Situation auch nicht einen Deut. Sie können von uns nicht verlangen, daß wir die intensive Diskussion über die Mitbestimmung in so ein kümmerliches Gesetz, in so eine Augenwischerei ausmünden lassen.
Herr Abgeordneter Farthmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mick?
Bitte schön!
Herr Kollege, ich bin begeistert von Ihren Ausführungen. Können Sie sich vorstellen, daß ich noch begeisterter wäre, wenn Sie einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegten?
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5893
Diese sehr witzige Frage wird jetzt das dritte Mal gestellt. Sie ist dreimal klar beantwortet worden: weil wir an der Koalition um anderer Ziele willen, die Sie in 20 Jahren auch nicht verwirklicht haben, festhalten wollen.
Zum Schluß noch ein Wort zum Arbeitsdirektor. Ich darf Ihren eigenen Entwurf zitieren. Dort heißt es:
Unbeschadet der Gesamtverantwortung des Vorstandes muß die Verantwortung für das Personal- und Sozialwesen in der Gesellschaft einem Vorstandsmitglied übertragen werden.
Ich möchte wirklich die Experten aus der Industrie fragen — die bei Ihnen ja in reichlicher Zahl vertreten sind —, ob es auch nur einen Vorstand gibt, bei dem das nicht der Fall ist. Es wäre ein Verstoß gegen das Aktienrecht, wenn es irgendeinen Bereich im Unternehmen gäbe, für den nicht ein Vorstandsmitglied verantwortlich wäre. Es gibt keinen unbedeckten Bereich.
Worauf es beim Arbeitsdirektor ankommt — das haben Sie in grandioser Weise verkannt oder übersehen wollen , ist, daß dieses Vorstandsmitglied besonders und allein oder zumindest überwiegend für die sozialen Fragen zuständig ist, damit nicht, wie das heute der Fall ist, von einem Techniker oder Kaufmann unter „Ferner liefen" irgendwann die Sozial- und Personalangelegenheiten erledigt werden.
Ich sage auch mit allem Ernst: wenn die Position des Arbeitsdirektors sinnvoll sein soll, muß dieser eine besondere Vertrauensbasis bei den Arbeitnehmern haben, sonst wird der Bock zum Gärtner gemacht. Auch das ist Augenwischerei und keine Lösung.
Ich darf zusammenfassen: Ich glaube, daß es bei der Betrachtung der konkreten Gesichtspunkte, die ich vorgetragen habe, jedem, der die Mitbestimmung effektiv und ernsthaft voranbringen will, nicht schwerfallen kann, den CDU-Entwurf abzulehnen.
Der Abgeordnete Dr. Farthmann hat soeben seine Jungfernrede gehalten.
Seine erste Rede zeigte bereits, daß er zur Belebung der parlamentarischen Debatte beizutragen weiß. Ich gebe ihm die besten Wünsche für seine weitere Arbeit mit.
Das Wort hat der Abgeordnete Weigl.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf mir eine ganz kurze Bemerkung zu den Äußerungen des Kollegen Farthmann erlauben, weil er auf die Kernfrage nicht eingegangen ist, die ich ihm hier gestellt habe. Selbstverständlich ist mir bekannt, daß auf europäischer Ebene von Ihrem Gewerkschaftsbund eine sogenannte Dreiteilung vertreten wird, in der immer noch das allgemeine und öffentliche Interesse als dritter Schwerpunkt neben Anteilseignern und
Arbeitnehmern gesehen wird, obwohl Biedenkopf diese Lösung längst verworfen hat.
Meine Frage an Sie war, warum unterschiedliche Auffassungen in dieser sehr bedeutsamen Frage zwischen dem Europäischen Bund Freier Gewerkschaften, dem Deutschen Gewerkschaftsbund und der SPD bestehen. Sie haben mir diese Frage nicht beantworten können. Vielleicht hängt die Beantwortung dieser Frage auch mit den sicherlich großen Bedenken zusammen, die auch von Ihrer Seite her gegen die Parität vorgebracht werden.
Eine solche Entwicklung wäre unter der Formel der Parität in der Praxis eine neue Form und Spielart von Syndikalismus, den die Gewerkschaften Ende des vergangenen Jahrhunderts schon als Tagungspunkt aus ihrer Diskussion hinausgetragen haben.Das ist eine Bemerkung, die ich mir hier nicht verkneifen konnte, da Sie dauernd den Eindruck erwecken, als sei die Frage der Parität unbestritten.Ich habe mich aber aus einem anderen Grund zu Wort gemeldet, und zwar deshalb, weil heute hier so oft von der Humanisierung, von der Demokratisierung des Arbeitslebens gesprochen wurde. Vor allem der Herr Kollege Liehr hat diese Worte sehr oft gebraucht. Ich habe sie mir notiert, und zwar deshalb, weil Ihre Worte, Herr Kollege Liehr, in einem starken Widerspruch zur Praxis in den Betrieben stehen. Es ist vielfach so, daß demokratische Grundsätze in den Betrieben gegenüber starken Minderheiten — ich möchte ausdrücklich sagen: gegenüber starken Minderheiten, nicht gegenüber extremen Minderheiten — mißachtet werden. Wenn Sie wollen, sind wir auch bereit, den Beweis dafür anzutreten.Sie werden mir doch wohl zugeben, daß es sich bei Listen, auf die 20, 30 oder noch mehr Prozent entfallen, nicht um eine unbedeutende Minderheit handelt. Nach geltendem Recht ist sichergestellt, daß die Betriebsratszahl nach der Anzahl der Stimmen festgesetzt wird. Aber in der Praxis ist es so, daß dieser Wählerwille sowohl bei der Besetzung der Betriebsausschüsse als auch bei der Freistellung der Betriebsräte völlig ungenügend beachtet wird. Ich darf darauf hinweisen, Herr Bundesarbeitsminister, daß wir in einer Kleinen Anfrage von der Bundesregierung Auskunft verlangen, ob z. B. in einem Betrieb, in dem 19 Betriebsräte gewählt wurden —14 auf einer Liste und 5 auf der anderen — sämtliche 12 Betriebsräte von der Mehrheitsliste freigestellt wurden. Ob das demokratisch ist, das muß angezweifelt werden.Ich bedaure es, daß die FDP, die nach diesem Wahlverfahren — wenn ich noch weitergehe: nach dem Verfahren der Wahl der Arbeitnehmer zum Aufsichtsrat nicht im Bundestag vertreten wäre, bereit war, einem Entwurf der Bundesregierung zuzustimmen, der diese Mißstände in den Betrieben nicht abstellt. Wenn Sie die Verhältniswahl und die
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5894 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
WeiglGruppenwahl wollen, müssen Sie die Verhältniswahl nicht nur bei der Zusammensetzung des Betriebsrats anwenden, sondern auch bei der Zusammensetzung der Betriebsausschüsse und bei der Freistellung der Betriebsräte, und zwar innerhalb der Gruppen der Arbeiter und Angestellten.Meine Damen und Herren, ich gestatte mir noch einen kurzen Hinweis auf einen weiteren Widerspruch in Ihrem Vorschlag, auf den Widerspruch in § 14, der auf der einen Seite verlangt, daß bei vorhandenem Betriebsrat bei der Einreichung von Wahlvorschlägen mindestens ein Zehntel der wahlberechtigten Gruppenangehörigen unterschreiben müssen, in Abs. 6 aber
— Herr Kollege Schellenberg, wir müssen auf diese Dinge hinweisen im Falle des nicht vorhandenen Betriebsrats ohne ein Unterschriftenquorum die Einreichung einer Liste ermöglicht. Herr Kollege Schellenberg, daß darin ein Widerspruch besteht, das werden wir auch im Ausschuß besprechen. Aber ich möchte auch in aller Öffentlichkeit darauf hingewiesen haben.Meine Damen und Herren von der SPD, versuchen Sie nicht, diesen Problemen mit dem Hinweis auf extreme Minderheiten aus dem Wege zu gehen. Wir sind gern bereit, mit Ihnen die Frage zu besprechen, wie extreme Minderheiten — ob das Minderheiten von rechts oder von links sind — nicht zum Zuge kommen. Hier wird etwas zum Vorwand genommen, um ein berechtigtes Anliegen ) nicht zum Zuge kommen zu lassen.Ich darf noch einmal sagen: ich apelliere vor allem an die FDP, in der Frage der Wahlvorschriften die Vorschläge des Regierungsentwurfs nochmals zu überprüfen. Denn es ist ein innerer Widerspruch, wenn Sie die Zahl der Betriebsräte nach der Verhältniswahl feststellen, aber dann die gewählten Betriebsräte von der Mitarbeit in den Betriebsausschüssen und auch von der Freistellung ausschließen. -
Das Wort hat der Abgeordnete Ruf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier sind im Laufe des Tages einige Pressezitate vorgelesen worden, die sich etwas negativ über unseren Entwurf geäußert haben. Um das Gleichgewicht — die Parität; hier bin ich für Parität, meine Damen und Herren von der Linken — herzustellen, darf ich einmal andere Pressestimmen zitieren, so z. B. die FAZ, die zu unserem Entwurf schreibt: „Mit der Nase vorne.
Der nun vorliegende Entwurf verdient es, ernst genommen zu werden.
Der Koalition wird es schwerfallen, über diesen Entwurf der Union einfach hinwegzugehen."
Und die „Süddeutsche Zeitung" — das ist doch sicherlich keine CDU-Zeitung, Herr Wehner -schreibt: „Union über Mitbestimmung einig: Parität in den Aufsichtsräten verworfen. Der — sogenannte — linke Flügel verspricht Loyalität."
Wie loyal alle Gruppen unserer Fraktion sind, haben Sie heute erleben können. Es war wieder einmal eine Freude, Mitglied einer solchen Fraktion, einer großen, breiten Volkspartei zu sein, und das miterleben zu dürfen.
Ich führe andere Stimmen an: „Ohne progressives Rankenwerk. Katzer nennt den Entwurf der CDU/ CSU fortschrittlich."
In der „Rhein-Neckar-Zeitung" heißt es z. B. „Die Opposition wird immerhin verbuchen können: Brandt und Scheel brachten nicht einmal diese Formel zustande." Das war nur ein kurzer Auszug aus den Pressestimmen.
Es wurde ab und zu gesagt: ja, Eure Einzelrechte, die Ihr den Arbeitnehmern am Arbeitsplatz im Betrieb geben wollt — alles schön und gut, das ist nichts Neues. Herr Farthmann sagt, das ist ein alter Hut. Ein anderer sagt, das sind unbestimmte Rechtsbegriffe, mit denen man nicht viel anfangen kann, das sind Deklamationen, das ist Blabla usw.
Ich rate Ihnen sehr, diese Dinge etwas ernster zu nehmen. Denken Sie daran, daß wir diese Rechte des einzelnen nicht umsonst als Grundrechte des einzelnen in der Betriebsverfassung bezeichnet haben. Wir dachten dabei auch — lassen Sie mich das sagen an die Grundrechte, die dem einzelnen nach unserem Grundgesetz zustehen. Wenn Sie von den Grundrechten, die im Grundgesetz festgehalten sind, den einen oder anderen Artikel lesen, würden Sie dann auch sagen: Das sind ja alles Selbstverständlichkeiten, wozu ist das überhaupt in einem Grundgesetz festgehalten? — Die Grundrechte im Grundgesetz sichern unseren Freiheitsraum in unserer Gesellschaft, für Sie, für mich, und für uns alle.
— Nehmen Sie das doch, so wie wir es sagen, ernst. Das ist keine Phraseologie. Diese Rechte begründen Rechtsansprüche; das sind auch Orientierungspunkte, an denen sich die betriebliche Praxis und auch die Rechtsprechung in Zukunft halten werden.
Darum geht es uns.Dann ist gesagt worden: Das habt Ihr ja nur abgeschrieben. Dazu will ich Ihnen folgendes sagen. Wir haben uns eben an die Bibel gehalten und an das Wort — ich hoffe, daß es in der Bibel steht —, das heißt: „Suchet das Gute überall dort, wo Ihr es findet."
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5895
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wehner?
Herrn Kollegen Wehner gestatte ich gern eine Zwischenfrage.
Herr Kollege Ruf, weil es mir so sympathisch ist, wie Sie über das Grundgesetz und die Übertragung in diesen Ihren Entwurf sprechen, erlaube ich mir die Frage: Müßten nicht in einem Gesetz wie diesem Bestimmungen enthalten sein, die nicht nur deklarieren, sondern sicherstellen, daß das erfüllt wird?
Das ist natürlich ein Problem, Herr Kollege Wehner.
Sie haben im Entwurf der Bundesregierung an einer Stelle versucht, das Problem zu lösen, nämlich beim Beschwerderecht. Da haben Sie eben gezeigt, daß es unmöglich ist, bei diesen Einzelrechten Sanktionen herbeizuführen. Was die Bundesregierung vorschlägt, ist völlig unmöglich: Wenn sich jemand beschwert und seiner Beschwerde nicht abgeholfen wird, wird die Einigungsstelle angerufen, die dann obligatorisch entscheidet. Wenn man diesem Entwurf der Bundesregierung folgte, wäre eine Einigungsstelle erforderlich, die in Permanenz tagt — es gibt ja auch Querulanten in den Betrieben, wie überall —, um Beschwerden zu erledigen. Das ist kein praktikabler Weg.
Sie haben mich unterbrochen. Ich darf zur Frage der Einzelrechte des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz fortfahren. Ich habe gesagt, daß wir unsere Vorstellungen da und dort geholt haben. Aber insbesondere habe ich diese Einzelrechte den Kollegen bei den Beratungen vorgeschlagen aus einem Vortrag eines Betriebsratsvorsitzenden aus dem hessischen Raum, Georg Schreiber; einem Vortrag, der mich sehr stark beeindruckt hat. Ich habe das für richtig gehalten, und ich bin insofern auch unseren Sozialausschüssen gefolgt, die gesagt haben: Diese Individualrechte gehören an die Spitze unseres Gesetzes. Die CSU hatte diese Inidividualrechte zwar auch schon, aber ganz bescheiden, so bescheiden, wie eben die CSU ist.
Sie waren mitten im Gesetz, in § 67, versteckt enthalten. Wir haben sie dann aufgegliedert und an die Spitze des Gesetzes gestellt.
Nun muß ich noch etwas zu unserem Verhältnis zu den Gewerkschaften sagen. Ich habe heute in meiner Rede gesagt: das ist eine Vergewerkschaftung der Betriebe. Einige Herren der Linken haben mir das übel genommen. Ich will Ihnen etwas sagen. Zählen Sie einmal zusammen, was vorhin unser Kollege Johannes Müller aufgezählt hat: diese ganzen neuen Bestimmungen, die über das geltende Recht hinausgehen und auf Grund deren die Gewerkschaften zusätzliche Rechte bekommen.
Ich will jetzt nicht mehr im einzelnen darauf zurückkommen, was Herr Kollege Arendt zum Recht der Gewerkschaften auf Zugang in die Betriebe, an den Arbeitsplatz, zum einzelnen Arbeitnehmer usw. sagte. Ich will aber doch wiederholen, was ich heute morgen in meiner Rede zur Begründung unseres Entwurfs ausdrücklich erklärt habe. Wir wollen die Schutz- und Hilfsfunktion unserer Gewerkschaften gerade im Rahmen der Betriebsverfassung gewahrt wissen. Wir kennen und respektieren die Ordnungsfunktion der Gewerkschaften und erkennen auch an, daß unsere Gewerkschaften auf dem Boden unserer freiheitlichen Ordnung stehen. Daran gibt es keinen Zweifel.
Herr Abgeordneter Ruf, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sonst gern, aber ich möchte allmählich zum Ende kommen. Sonst verderbe ich es mit meinen Kollegen, und das darf ich doch auch nicht.Aber, meine Damen und Herren, wir sind dafür, daß in unserer Gesellschaft die Kompetenzen richtig verteilt werden und richtig verteilt bleiben. Darum geht es uns. Lassen Sie mich nun dazu nicht Biedenkopf, sondern ein anderes Mitglied der Sachverständigenkommission zitieren, und zwar Professor Willgerodt aus dem neuesten Ordo-Band. Er sagt dazu folgendes:Gewerkschaften sollen ihre Funktion als außerhalb der Unternehmensleitung stehende Wächter wahrnehmen. Wohin sonst soll sich der einzelne Arbeitnehmer wenden, wenn ihm die Gewerkschaften nicht mehr helfen, weil sie sich in den Unternehmensleitungen angesiedelt haben, für die Handlungen der Unternehmensspitze mit verantwortlich sind und sie deswegen decken müssen?Meine Damen und Herren, bitte, denken Sie darüber nach! Wir verstehen so die funktionsgerechte Mitbestimmung.Herr Kollege Farthmann, ich freue mich, daß wir uns nun auch auf diesem Boden begegnen. Wenn Ihre Kollegen im Laufe des heutigen Tages durchweg so sachkundig und auch so „sachlich" — ein kleines Anführungszeichen mache ich dazu — gesprochen hätten, hätte die Debatte heute, insgesamt gesehen, noch ein viel besseres Niveau ge-
Ich habe es sehr bedauert, meine Damen und Herren, daß es kein einziges Mitglied der SPD oder der FDP für notwendig gehalten hat, auf die hervorragenden Ausführungen unseres Kollegen Benda einzugehen.
Er hätte es wirklich verdient gehabt, daß wir einmal auf der höheren Ebene über die Fragen der Mitbestimmung miteinander diskutiert hätten.Lieber Herr Farthmann, Sie sagen: Auf dem Düsseldorfer Parteitag seid ihr den Unternehmern gefolgt, und hier habt ihr einen Unternehmerentwurf gemacht. Ich will Ihnen etwas sagen. Schauen
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5896 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
RufSie sich einmal die Pressestimmen an! Wir werden von den Unternehmern getadelt.
Wenn wir von den Gewerkschaften auf der einen Seite und von den Unternehmern auf der anderen Seite getadelt werden, dann liegen wir, glaube ich, gut in der Mitte. Ich würde Ihnen das ganz gerne entwickeln.Herr Kollege Nölling, ich habe an Sie die Frage gerichtet: Sind Sie bereit, zuzugeben, daß die CDU/ CSU-Fraktion mit dem heute vorgelegten Entwurf in nahezu allen Punkten, bis auf einen Punkt, den Empfehlungen der Biedenkopf-Kommission gefolgt ist? Da wollte ich sie der Reihe nach aufführen und von Ihnen erfahren, ob Sie das bestätigen. Sie hatten lediglich noch die Antwort gegeben: Das brauchen Sie nicht; das langweilt nur. — Meine Damen und Herren, wenn Sie so argumentieren, will ich jetzt noch — Herr Präsident, habe ich noch ein bißchen Redezeit?; er bejaht es, ich habe noch Redezeit — das im einzelnen mal vortragen. Sie wissen, daß man manchmal auch fürs Protokoll sprechen muß, damit die Dinge dort stehen. Davon mache ich jetzt Gebrauch.Biedenkopf empfiehlt, die Mitbestimmung in Unternehmen auf dem heute bestehenden Gesellschaftsrecht aufzubauen. Das haben wir getan; wir haben es nicht verändert. In Punkt 1 der Biedenkopf-Empfehlungen heißt es: relative Vermehrung der Zahl der Sitze der Arbeitnehmervertreter. Das haben wir getan, und zwar im Verhältnis 7 : 5.In Punkt 2 heißt es: Wahl aller Vertreter der Arbeitnehmer unter Einbeziehung der vom Gesetz vorgesehenen externen Arbeitnehmervertreter durch die Belegschaft. Das haben wir getan.In dem folgenden Punkt weichen wir ab. Biedenkopf sagt: Verhältnis 6 : 4; 2 weitere Mitglieder werden gemeinsam kooptiert. Da hat der Parteitag anders entschieden. Er hat entsprechend unserem Willen gesagt, daß alle Mitglieder von der Belegschaft gewählt und nicht einige vom Rumpfaufsichtsrat kooptiert werden sollen. Da haben wir gleich das Verhältnis 7 : 5 festgelegt.
— Nein, jetzt nicht mehr.Dann heißt es in den Empfehlungen der Biedenkopf-Kommission: Das Gesetz soll Vorschriften über die Organisation und Arbeitsweise des Aufsichtsrats, das Zustandekommen und den Inhalt der Geschäftsordnung enthalten. Wir haben erstmalig eine solche Bestimmung aufgenommen.Zweitens wird das Verfahren bei der Berufung von Vorstandsmitgliedern dargelegt. Das haben wir gemacht. Zu § 84 des Aktiengesetzes, meine Damen und Herren, hat Professor Biedenkopf auf unserem Parteitag erklärt, es komme entscheidend darauf an, daß die Arbeitnehmervertreter rechtzeitig beteiligt werden.Dann heißt es: Vertretung der Arbeitnehmer im Aufsichtsratspräsidium und in den Aufsichtsratsausschüssen. Das haben wir im Gesetz; das steht drin; das haben wir gemacht. Weiter heißt es: Einführung der Begründungspflicht. Das haben wir beschlossen; es steht im Gesetz. Dann: Protokollierung von Abstimmungsergebnissen, Minderheitsquoten usw. Das steht im Gesetz, das können Sie alles nachlesen. Wir haben da eine wunderbare Arbeit geleistet, -
insonderheit bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter in die Aufsichtsräte von Konzerngesellschaften; das steht drin. Ferner: beschränkte Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht, Konfliktspublizität. Das und noch vieles andere mehr steht doch alles in unserem Gesetz.Herr Kollege Farthmann, im gegenseitigen Gespräch, in der gegenseitigen Auseinandersetzung sollten wir es uns nicht mehr leisten, zu sagen: Das ist eine Gewerkschaftsgeschichte, jenes eine Unternehmensgeschichte. Wir haben auf unserem Parteitag nicht so viele Unternehmer, die diesen Beschluß zustande gebracht haben könnten.Leider wurde von Herrn Kollegen Farthmann gesagt: Wir empfehlen, den Entwurf der CDU/CSU abzulehnen. Ich habe heute früh gesagt, Sie sollten mit uns im Ausschuß über den Entwurf diskutieren und die Opposition ernst nehmen und daran denken, daß wir, Sie eingeschlossen, uns um die Menschen, um die es hier geht, und nur um diese kümmernwollen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß die heutige Debatte meine Ausführungen von heute vormittag bei der Begründung der Regierungsvorlagen bestätigt hat, nämlich daß die Frage der Mitbestimmung ein gesellschaftliches Problem allererster Ordnung ist und daß es in der nächsten Zeit noch auf der Tagesordnung bleiben wird.
Sie haben einen Entwurf gemacht, meine Damen und Herren von der Opposition, der die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder, soweit die Arbeitnehmer in Frage kommen, erhöht und bei größeren Aufsichtsräten, obwohl sie sehr selten sind, entsprechend mehr Vertreter der Arbeitnehmer vorsieht. Ich will das nicht im einzelnen darlegen. Aber lassen Sie es mich in einem Satz sagen: Dort, wo paritätische Mitbestimmung herrscht, wird argumentiert, wird diskutiert und wird dann entschieden, und dort, wo keine paritätische Mitbestimmung herrscht, auch bei Ihrem Modell, Herr Ruf, wird gezählt. Das ist der Unterschied zwischen Parität und dem, was unter der Parität bleibt.
Aber diese Frage bleibt auf der Tagesordnung, davon bin ich überzeugt.Darüber sollten wir aber nicht vergessen, daß 94 % der betriebsratsfähigen Betriebe keinen Betriebsral haben und daß wir diesen anderen Bereich der Betrichstiverlassung neu regeln sollten. Die Bun-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971 5897
Bundesminister Arendtdesregierung hat nicht nur im vergangenen Jahr mit der Verlängerung der Amtszeit der jetzt tätigen Betriebsräte den Startschuß gegeben, sondern sie hat auch termingerecht den Entwurf einer Neuordnung des Betriebsverfassungsgesetzes vorgelegt. Ich glaube, wir sollten dabei die Grundsätze noch einmal sehr deutlich sehen: Stärkung der Rechte des einzelnen Arbeitnehmers am Arbeitsplatz, Verstärkung der Positionen des Betriebsrats und — weil das einfach dazu gehört — eine Verstärkung der Präsenz der Gewerkschaften in den Betrieben, damit die Betriebsräte überhaupt arbeits- und aktionsfähig werden können.
Ich bin davon überzeugt, meine Damen und Herren, daß die Koalitionsfraktionen nicht die Abstimmungsguillotine in Bewegung setzen werden, sondern sie werden die Sachverständigenanhörungen vornehmen, und da das Bessere der Feind des Guten ist, wird man sich gemeinsam darum bemühen, denke ich, solche Formulierungen zu finden, die diesen Bereich des betrieblichen Geschehens auf eine Basis stellen. Ich hätte die Bitte, daß die Beratungen im Ausschuß so zügig abgeschlossen würden, -
— natürlich gründlich, aber zügig, Herr Kollege Katzer, gründlich und zügig — damit die nächsten Betriebsrätewahlen auf der Basis eines fortschrittlichen, modernen Betriebsverfassungsgesetzes stattfinden können.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Die Rednerliste ist erschöpft. (Zurufe: Wir auch!)
Ich schließe die Aussprache.Sie haben die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates zu den verschiedenen Vorlagen unter Punkt XI der Tagesordnung vor sich liegen. Ich nehme an, daß diesen Vorschlägen allgemein zugestimmt wird. -- Widerspruch erhebt sich nicht; es ist so beschlossen.Damit sind überwiesen: der Bericht Drucksache VI/334 und die Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Bericht Drucksache VI/ 1551 an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend— und an den Ausschuß für Wirtschaft; die Gesetzentwürfe Drucksachen VI/ 1785, VI/ 1786 und VI/ 1806 an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung federführend — sowie an den Rechtsausschuß und den Ausschuß für Wirtschaft.Dann rufe ich den Punkt III der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Deutsche aus der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und dem sowjetisch besetzten Sektor von Berlin
— Drucksache VI/ 1720 --Das Wort zur Begründung hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der Zustimmung, die das Wort „erschöpft" aus dem Munde des Herrn Präsidenten gefunden hat, will ich mich kurz fassen.
Hauptziel des Regierungsentwurfs ist eine kräftige Anhebung der Einkommensgrenze bei der Gewährung einer Einrichtungshilfe. Die zur Zeit bestehende Einkommensgrenze von 500 DM monatlich soll um 50 °/o erhöht werden. Dasselbe gilt für die Zuschläge. Wir wollen vor allem erreichen, daß die Rentner, die im Wege der Familienzusammenführung aus Mitteldeutschland in die Bundesrepublik Deutschland kommen, diese Einrichtungshilfe, wenn die anderen Voraussetzungen gegeben sind, erhalten können.
Es geht außerdem um eine Verbesserung der Situation der sogenannten Stichtagsversäumer der Vertriebenen, die ebenfalls für die Beschaffung von Hausrat eine entsprechende Erhöhung der Einkommensgrenze erfahren.
Um Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich sagen, daß hierdurch die Rechte derjenigen, die den Flüchtlingsausweis C haben, weder im positiven noch im negativen Sinne berührt werden, weil sie heute schon den Vertriebenen gleichgestellt sind.
Meine Damen und Herren, angesichts der Entwicklung insgesamt, vor allem der Einkommensentwicklung, erscheint es notwendig, daß der Deutsche Bundestag zügig diese Novelle verabschiedet. Wir bitten um Ihre Zustimmung.
Das Wort hat der Abgeordnete Freiherr von Fircks.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat entsprechend einer Reihe früherer Erklärungen auch der Koalitionsparteien einen ersten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Deutsche aus der sowjetischen Besatzungszone und dem sowjetisch besetzten Sektor von Berlin vorgelegt. Dieses Gesetz soll, wie der Minister eben erläuterte, der Verbesserung des Rentenniveaus entsprechen und soll, so meine ich auch herausgelesen zu haben, eine gewisse Angleichung zumindest zweier bisher rechtlich und materiell ungleich behandelter Gruppen der Sowjetzonenflüchtlinge bringen.Die Situation ist die, daß wir 3 Millionen Flüchtlinge aus der Zone haben, davon nur ein Sechstel, nämlich 500 000, mit Ausweis. Diese 500 000 sind über den Härtefonds den Vertriebenen gleichgestellt. Der Prozentsatz der Antragsberechtigten nach dem Flüchtlingshilfegesetz war bisher außerordentlich gering, weil von den Flüchtlingen mehr als 50 % Jugendliche sind, die wegen der Einkommensgrenze nicht von dem Gesetz Gebrauch machen können. Es ist praktisch ein Gesetz für die Rentner gewesen.Ich meine, daß hier ein Problem einmal grundsätzlich anzusprechen ist. Die ganze Problematik — das ist auch bei den Haushaltsberatungen deutlich geworden — ist doch die Sicherung unserer Zukunft
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5898 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Freiherr von Fircksauch durch Maßnahmen im sozialpolitischen und im gesellschaftspolitischen Bereich. Dazu kommt das uns immer wieder bewegende Problem, daß wir die Hypothek der Kriegs- und Kriegsfolgelasten noch nicht abgetragen haben und daß wir den Menschen, die Heimat, Besitz, Existenz, aber zum großen Teil verloren, auch die Alterssicherung haben und die auf die Hilfe der Allgemeinheit angewiesen sind, noch etwas schuldig sind. Ich meine, daß die Obhutspflicht uns zwingt, gleiche Tatbestände auch einer gleichen Behandlung zu unterziehen. Das ist der Leitgedanke unseres Grundgesetzes. Dieser Leitgedanke ist aber in diesem Gesetz leider mit keinem einzigen Schritt verwirklicht worden.Ich darf Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, an die Erklärungen Ihrer Sprecher aus dem Jahre 1965, als dieses Gesetz aus der Taufe gehoben wurde, erinnern. Ich will hier nicht zitieren, weil das unnütz Zeit in Anspruch nimmt. Es ist eindeutig zu erkennen, daß auch von Ihren Parteien dieses Gesetz damals als ein erster Schritt zu einer vollen Gleichstellung der Sowjetzonenflüchtlinge sowohl mit den Heimatvertriebenen als auch untereinander angesehen wurde.Durch das Inkrafttreten der 23. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz sind heute alle Entschädigungsleistungen gleich. Ich meine, daß wir spätestens zu diesem Zeitpunkt bei dem einzigen Gesetz, das die Ungleichheit der Sowjetzonenflüchtlinge untereinander beseitigen könnte, auch die Möglichkeit ergreifen sollten, sie tatsächlich zu beseitigen. Die seinerzeit vorgesehene Laufzeit von zehn Jahren für dieses Gesetz hat jetzt ihre Halbzeit hinter sich. In dieser Halbzeit sind von den damals veranschlagten 450 Millionen DM für die Gewährung von Einrichtungshilfen noch keine 30 Millionen DM, nämlich nur 29,6 Millionen DM, in Anspruch genommen worden, also nur 7 %. Von dem Gesamtvolumen für dieses Gesetz von insgesamt 1,7 Milliarden DM sind noch keine 3 % in Anspruch genommen worden. Unter diesen Umständen haben wir jetzt wirklich die Möglichkeit, nun auch tatsächlich die volle Gleichstellung zu verwirklichen.Ich sagte schon, dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung bringt im Grunde genommen nur eine Anpassung an die gestiegenen Renten für den gleichen Personenkreis und diejenigen, die neu in das Rentenalter hineingewachsen sind, sowie, wie Herr Minister Genscher bereits ausführte, auch für diejenigen, die jetzt als Rentner neu zu uns herüberkommen. Aber es schafft keine gleichen Voraussetzungen für jüngere Menschen aus der sowjetisch besetzten Zone. Gerade sie müssen bei der Einrichtungshilfe wie auch bei der Darlehensgewährung für den Wohnungsbau und eventuell auch den Existenzaufbau mindestens ebenso bedacht werden.Alle anderen Regelungen für die Sowjetzonenflüchtlinge sind in der 23. Novelle untergebracht worden. Es sollte beraten werden, ob es notwendig ist, daß allein für diesen Bereich ein eigenes Gesetz besteht. Wenn man allerdings zu dem Schluß kommt, daß auch dieses Gesetz mit dem Gesamtkomplex der Lastenausgleichsgesetzgebung zusammengefaßt werden sollte, müßte natürlich die Kostenfrage neu durchdacht werden. Die Mittel hierfür müßten aus dem Bundeshaushalt, wo sie ja ausgewiesen sind, dem Lastenausgleichsfonds zugeführt werden.Die Bundesregierung hat in diesem Gesetzentwurf vorgeschlagen, und zwar mit einer recht verschämten Begründung, den Namen des Gesetzes zu ändern. Es ändert sich aber doch nichts an der Tatsache, daß es sich um Flüchtlinge aus der sowjetisch besetzten Zone handelt. Sie sind geflüchtet, weil sie das dortige Regime zur Flucht veranlaßt und gezwungen hat. Hier wird wieder einmal deutlich, wovon der Kollege Wörner schon einmal sprach und was die politische Taktik zu sein scheint, daß man nicht mehr bereit ist, die Realitäten beim Namen zu nennen. Meine Damen und Herren, das führt zu einer Vernebelung. Wir sollten uns überlegen, ob eine solche Vernebelung für unser Volk wie für die Öffentlichkeit gut und richtig ist.Diese Probleme sollten in den Ausschüssen beraten werden. Ich würde mich freuen, wenn man auch im Hinblick auf die Gemeinsamkeit der früheren Erklärungen mit dem Ziel der absoluten Gleichstellung zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen könnte.Die CDU/CSU-Fraktion beantragt, wie vom Ältestenrat empfohlen, den Gesetzentwurf dem Innenausschuß, zur Mitberatung dem Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen und dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen.
Das Wort hat der Abgeordnete Hofmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich will Sie nicht zu lange auf die Folter der Geduld spannen. Ich will es kurz machen und gleich zu Beginn ein Wort des Dankes sagen, daß die Bundesregierung in ihren ersten 15 Monaten diesen Schritt zur Gleichstellung der Vertriebenen und Flüchtlinge mit vorantreibt.
In den letzten Jahren waren ja Heimatvertriebene und Flüchtlinge und die Flüchtlinge untereinander noch einmal in zwei Gruppen unterschiedlich gestellt, und sie wurden gesetzlich verschieden behandelt und berücksichtigt. Mit diesem Gesetz soll eine erste Änderung erfolgen. Es bemüht sich, eine Gleichstellung zu erreichen.
Herr Kollege von Fircks, es ist nicht ganz so, daß dieses Gesetz ein erster Schritt ist. Wir werden in den Beratungen darauf zurückkommen. Wir haben uns schon damals bemüht, keine Einschränkungen vorzusehen. Wir sind damals nicht ganz durchgegangen. Wir sind froh, wenn Sie es heute so sehen, wie es damals Herr Kuntscher bei der zweiten Lesung schon ankündigte, 'daß die Änderung Zug um Zug so erfolgt, daß Vertriebene und Flüchtlinge gleichgestellt werden. Die Verabschiedung dieses Gesetzes war nur ein erster Schritt. Es brachte aber nicht gleich, was wir uns erhofft und woran wir in unserem Entwurf gedacht hatten.
Bei der jetzt vorgesehenen Steigerung der Grenze um 50 % kann eine Familie mit einem Einkommen von 1020 DM Einrichtungshilfe bekommen. Vorher lag es bei 680. Das ist also ein gewaltiger Schritt
Hofmann
nach vorn, der von uns als erfreulich angesehen wird.
Es ist klar, daß mit diesem Ersten Änderungsgesetz nun auch Anregungen zu Überlegungen gegeben werden, ob es überhaupt noch notwendig ist, dieses Gesetz in der Form zu ergänzen und zu erweitern. Wir sind der Meinung, daß wir hier mit verschiedenen Denkmodellen herangehen sollten, um zu überlegen, ob wir nicht ganz auf dieses Gesetz verzichten könnten, vielleicht in der Form, daß wir dieses Gesetz in den § 301 a des Lastenausgleichsgesetzes einbauen. Dazu müßte die Rechtsverordnung geändert werden. Wir hätten damit ein Gesetz weniger, hätten eine größere Übersicht und kämen mit einem Schritt ohne Stiftung zum Härtefonds. Denkbar ist auch ein zweites Modell — das wird die Ausschußberatung noch ergeben —: Wir heben das Flüchtlingshilfegesetz und den § 301 a des Lastenausgleichsgesetzes auf und bauen alles in die Bestimmungen über die Zonenschäden des Lastenausgleichsgesetzes ein. § 301 bleibt dann nur noch für die Stichtagsversäumer, das sind Vertriebene und Flüchtlinge zusammen. Wir hätten dann nur den einen Begriff „Kriegsschadenrente" und nicht mehr „Beihilfe zum Lebensunterhalt" und wie alle anderen Beihilfemöglichkeiten heißen.
Meine Damen und Herren, das sind alles Überlegungen, die noch nicht als Antrag zu verstehen sind. Ich weiß, daß man das nicht in Ad-hoc-Entscheidungen wird durchführen können. Daher bin ich der Meinung wie der Herr Minister, der sagte, wir sollten diese erste Änderung nicht durch lange Überlegungen verzögern. Was wir jetzt schnell erledigen können, sollten wir sofort machen und diese Probleme eventuell in die Überlegungen für eine 24. Novelle mit einbeziehen. Wir alle, vor allem die Kollegen, die in der 4. Legislaturperiode hier waren, wissen, daß allein die Einführung und die Beratung dieses Gesetzes zwei Jahre gebraucht hat. So lange wollen wir die Betroffenen nicht noch einmal warten lassen.
— Natürlich, aber selbst wenn wir heute die Überlegungen, die Sie kurz angesprochen haben und die ich als die zwei Denkmodelle dargelegt habe, verfolgen, dauert das viel länger, als wenn wir im Ausschuß schnell herangehen und sagen, wir gehen auf diese 50%ige Steigerung der Grenze ein. Ich glaube, ich bin Ihrer Meinung und wohl auch der Meinung des ganzen Hauses, daß wir hier nicht durch taktische Überlegungen und durch langes Nachdenken die Betroffenen noch länger warten lassen sollten. Deshalb bitte ich auch Sie im Namen meiner Fraktion, daß wir diesen Entwurf eines Änderungsgesetzes den vorgeschlagenen Ausschüssen überweisen. -
Das Wort wird nicht mehr gewünscht.Meine Damen und Herren, Sie haben den Überweisungsvorschlag des Ältestenrates gehört, er liegt Ihnen auch gedruckt vor. Widerspruch erhebt sich nicht? — Dann ist der Gesetzentwurf an den Innenausschuß — federführend —, an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen — mitberatend — sowie an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte IV bis VIII auf:
— Drucksache VI/ 1810 —Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Verträgen vom 14. November 1969 des Weltpostvereins— Drucksache VI/ 1789-Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 27. Mai 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Liberia über die Benutzung liberianischer Gewässer und Häfen durch das N.S. „Otto Hahn"— Drucksache VI/ 1970 —Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. September 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Rechts- und Amtshilfe in Zoll-, Verbrauchsteuer- und Monopolangelegenheiten- Drucksache VI/ 1797 —Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Januar 1969 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Königreichs Belgien über die Einziehung und Beitreibung von Beiträgen der Sozialen Sicherheit— Drucksache VI/ 1798 —Das Wort wird nicht gewünscht.Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Zusätzlich wird aus der Mitte des Hauses vorgeschlagen, bei Tagesordnungspunkt VI den Ausschuß für Wissenschaft zur Mitberatung vorzusehen. Es erhebt sich gegen diese Vorschläge kein Widerspruch? — Dann ist in diesem Sinne überwiesen:— das ERP-Wirtschaftsplangesetz 1971 an den Ausschuß für Wirtschaft — federführend — sowie an den Haushaltsausschuß,— der Entwurf eines Gesetzes zu den Verträgen vom 14. November 1969 des Weltpostvereins an den Ausschuß für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen,— der Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 27. Mai 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Liberia an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — federführend — sowie zur
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5900 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 101. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Februar 1971
Vizepräsident Dr. JaegerMitberatung an den Auswärtigen Ausschuß undden Ausschuß für Bildung und Wissenschaft,— der Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. September 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich anden Finanzausschuß und- der Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommenvom 29. Januar 1969 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Königreichs Belgien an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung.Ich rufe Punkt IX der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Einbeziehung von Teilen des Freihafens Hamburg in das Zollgebiet— Drucksache VI/ 1543 —Schriftlicher Bericht des Finanzauschusses
— Drucksache VI/ 1399 —Berichterstatter: Abgeordneter Löbbert
Ich danke dem Berichterstatter für seinen schriftlichen Bericht. Eine Ergänzung ist nicht notwendig.Ich rufe in zweiter Beratung die §§ 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.Ich komme zurdritten Beratung.Das Wort in der allgemeinen Aussprache wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Dann ist es einstimmig verabschiedet.Wir kommen nunmehr zu Punkt X der Tagesordnung:BerichtigungenEs ist zu lesen:98. Sitzung, Seite 5502 B, zwischen Zeile 3 und 4 von unten ist einzufügen:
Ja, das ist mir bekannt.
99. Sitzung, Seite 5625 C, linke Spalte, zwischen Zeile 9 und 10, und Seite 5630 A, rechte Spalte, zwischen Zeile 26 und 27, ist einzufügen: „Hermsdorf "
100. Sitzung, Seite 5787, Zeile 24 und 25, statt „im wesentlichen verbessert worden ist": „wesentlich zu verbessern"
100. Sitzung, Seite 5787, linke Spalte, Zeile 11 von unten, statt „eine Deduktion": „meine Deduktion"
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der EG-Kommission für eine
Verordnung des Rates zur Ergänzung der Verordnung Nr. 170 /67 /EWG über die gemeinsame Handelsregelung für Eieralbumin und Milchalbumin durch die Möglichkeit der Einführung von Vermarktungsnormen
Verordnung des Rates zur Verlängerung der in Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung Nr. 130 /66/ EWG über die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik gesetzten Frist
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 70/ 66/ EWG hinsichtlich der Durchführung einer Grunderhebung in Italien
Verordnung des Rates zur Verlängerung für das Jahr 1970 der in Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 /64/ EWG über die Bedingungen für die Beteiligung des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft vorgesehenen Frist
— Drucksachen VI/ 1445, VI/ 1536, VI/ 1537, VI/ 1539, VI/ 1392 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schmidt
Die verschiedenen Verordnungen der EWG liegen Ihnen vor. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich darf feststellen, daß das Haus im Sinne des Antrags des Ausschusses diese Vorschläge der EG-Kommission zur Kenntnis genommen hat.
Damit, meine Damen und Herren, stehen wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung ein auf morgen, Freitag, den 12. Februar, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.