Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich teile Ihnen zunächst mit, daß ich einem Wunsche des Haushaltsausschusses entsprechend gemäß § 96 Abs. 2 Satz 3 der Geschäftsordnung den Entwurf eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes — Drucksache VI/1432 — in der Fassung der Beschlüsse des Verteidigungsausschusses dem Haushaltsausschuß überwiesen habe.
Punkt 25 unserer Tagesordnung kann also erst aufgerufen werden, wenn der Bericht gemäß § 96 der Geschäftsordnung vorliegt.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister des Innern hat am 11. Dezember 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Baier, Dr. Althammer, Dr. Jenninger, Picard, Dr. Riedl , Dr. Schneider (Nürnberg), Frau Tübler und Genossen betr. personelle Ausstattung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf — Drucksache VI/1431 beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1589 verteilt.
Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom 8. Dezember 1970 mitgeteilt, daß ihr Antrag betr. Privatisierung der Vereinigten Industrieunternehmungen AG — Drucksache VI/652 — durch die Einbringung ihres Gesetzentwurfs zur weiteren sozialen Privatisierung von Bundesunternehmen im Rahmen der Vermögensbildung — Drucksache VI/1434 — erledigt sei.
Der Ausschuß für Wirtschaft und der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten haben gegen die nachfolgenden, vom Rat der EG inzwischen verkündeten Verordnungen keine Bedenken erhoben:
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 1467 vom 23. Juli 1969 über die Einfuhr von Zitrusfrüchten mit Ursprung in Marokko;
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 1472 vom 23. Juli 1969 über die Einfuhr von Zitrusfrüchten mit Ursprung in Tunesien
— Drucksache VI/1182 —
Verordnung des Rates zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Mandarinen
Verordnung des Rates zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Süßorangen
— Drucksache VI/1469 —
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
EWG-Vorlagen
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 950/68 über den Gemeinsamen Zolltarif und zur Aussetzung bestimmter autonomer Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs
— Drucksache VI/1532 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Ausdehnung des Anhangs der Verordnung (EWG) Nr. 109/70 des Rates vom 19. Dezember 1969 zur Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die Einfuhr aus Staatshandelsländern auf weitere Einfuhren (3. Erweiterung)
— Drucksache VI/1533 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates
— über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Gerbstoffauszüge aus Eukalyptus der Tarifstelle ex 32.01 D des Gemeinsamen Zolltarifs
— über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung der Gemeinschaftszollkontingente für auf Handwebstühlen hergestellte Gewebe aus Seide oder Schappeseide oder aus Baumwolle der Tarifnummern ex 50.09 und ex 55.09 des Gemeinsamen Zolltarifs
— über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Leinengarne, roh , der Tarifstelle ex 54.03 B I a) des Gemeinsamen Zolltarifs, mit einer Lauflänge je kg von 30.000 m oder weniger zum Herstellen von gezwirnten Garnen für die Schuhindustrie oder von gezwirnten Kabelabbindegarnen (1971)
-- über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Ferrosilizium der Tarifstelle 73.02 C des Gemeinsamen Zolltarifs
— über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Ferrosiliziummangan der Tarifstelle 73.02 D des Gemeinsamen Zolltarifs
— über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Ferrochrom, mit einem Gehalt an Kohlenstoff von 0,10 Gewichtshundertteilen oder weniger und an Chrom von mehr als 30 bis 90 Gewichtshundertteilen der Tarifstelle ex 73.02 E I des Gemeinsamen Zolltarifs (1971)
— über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Rohaluminium der Tarifstelle 76.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs
— über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Rohmagnesium der Tarifstelle 77.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs
— Drucksache VI/1534 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 816/70 des Rates
— Drucksache VI/1535 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Verlängerung der in Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung Nr. 130/66/EWG über die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik gesetzten Frist
— Drucksache VI/1536 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 70/66/EWG hinsichtlich der Durchführung einer Grunderhebung in Italien
— Drucksache VI/1537 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates zur Aufhebung der Richtlinie des Rates vom 26. Juni 1969 über den aktiven Veredelungsverkehr einiger Erzeugnisse der Nummern 18.06 und 21.07 des Gemeinsamen Zolltarifs
— Drucksache VI/1538 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Verlängerung für das
Jahr 1970 der in Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung
Nr. 17/64/EWG über die Bedingungen für die Beteiligung des
4782 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970
Präsident von Hassel
Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft vorgesehenen Frist
— Drucksache VI/1539 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung des von der belgischen und der luxemburgischen Interventionsstelle angewandten Ankaufspreises für Butter und Magermilchpulver
— Drucksache VI/1540 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates mit den allgemeinen Regeln für die Gewährung der Ausgleichsentschädigung an die Erzeuger von Thunfischen für die Konservenindustrie
— Drucksache VI/1541 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung Nr. 2376/70 des Rates vom 23. 11. 1970 zur Änderung der Verordnung Nr. 950/68 über den Gemeinsamen Zolltarif
— Drucksache VI/1542 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates zur Durchführung koordinierter Konjunkturstatistiken in der Industrie und im Waren produzierenden Handwerk
— Drucksache VI/1543 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft , Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 804/68 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse; Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 823/68 zur Festlegung der Erzeugnisgruppen und der besonderen Vorschriften für die Berechnung der Abschöpfungen für Milch und Milcherzeugnisse hinsichtlich Frischmilch
— Drucksache VI/1544 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Aufhebung der Verordnung Nr. 168/67/EWG des Rates und zur Änderung der Verordnungen Nr. 19/69 und Nr. 171/67; Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 142/67 EWG betreffend die Vorausfestsetzung der Erstattung für Ölsaaten
— Drucksache VI/1545 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache VI/ 1581 —
Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf, und zwar die Frage 1 des Abgeordneten Matthöfer:
Teilt die Bundesregierung die Ansicht Gunnar Myrdals, daß die Zahlung von Schmier- und Bestechungsgeldern durch Firmen der Industrieländer an Beamte und Politiker in Entwicklungsländern die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder in erheblichem Ausmaß behindert?
Der Abgeordnete ist im Saal. Zur Beantwortung, Herr Bundesminister Dr. Eppler.
Herr Kollege Matthöfer, die Gepflogenheiten beim Abschluß von Verträgen mit Entwicklungsländern richten sich nach den dortigen Auffassungen. Diese Auffassungen entsprechen nicht immer den Erfordernissen einer optimalen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Matthöfer.
Herr Minister, da Sie die Frage nach meiner Auffassung nicht deutlich genug beantwortet haben, darf ich Sie noch einmal fragen, ob Sie gemeinsam mit Myrdal Korruption als für die wirtschaftliche Entwicklung schädlich betrachten.
Herr Kollege Matthöfer, natürlich tue ich das. Nur ist hier sehr schwer zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden. Die Frage ist: kommt die Unterentwicklung aus der Korruption oder die Korruption aus der Unterwicklung?
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Matthöfer.
Wenn Sie dieser Meinung sind, Herr Minister, stimmen Sie dann mit Myrdal auch darin überein, daß es zu den Erfordernissen einer guten Entwicklungspolitik gehört, die Korruptionsversuche dort zu stoppen, wo sie zum großen Teil ihren Ausgang nehmen, nämlich in den Industrieländern?
Herr Kollege Matthöfer, ich würde hier sagen: im Prinzip ja, ohne an irgendwelche Vorbilder zu erinnern, die auch im Prinzip ja sagen. Ich wäre bereit, dieses Thema mit dem Bundesminister ,der Finanzen einmal eindringlich zu erörtern.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Werner.
Herr Minister, sind Sie tatsächlich wie der Kollege Matthöfer der Meinung, daß in diesen Fällen die Korruptionsversuche im wesentlichen von den entwickelten Ländern ausgehen?
Das habe ich nicht gesagt, sondern ich habe in meiner Antwort davon gesprochen, Herr Kollege Werner, daß sich die Gepflogenheiten beim Abschluß von Verträgen mit Entwicklungsländern nach den dortigen Auffassungen richten und hier natürlich der Versuch gemacht wird, sich den dortigen Auffassungen anzupassen. Die Frage des Kollegen Matthöfer ging wohl dahin, was wir tun könnten, um die dortigen Auffassungen vielleicht im Laufe der Zeit etwas zu verändern.
Keine Zusatzfragen. Ich danke für die Beantwortung.
Gedenkt die Bundesregierung, die zuletzt mit Wirkung vom 1. Oktober 1965 neu bestimmten Pfändungsgrenzen der wirtschaftlichen Entwicklung entsprechend zu erhöhen?
Der Abgeordnete ist anwesend. Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Bayerl.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970 4783
Herr Präsident, gestatten Sie bitte, daß ich beide Fragen des Sachzusammenhangs wegen gemeinsam beantworte.
Keine Bedenken. Bitte schön! Dann ist auch die zweite Frage des Abgeordneten Brandt aufgerufen:
Ist die Bundesregierung der Ansicht, daß der in § 850 f Abs. 1 Buchstabe b ZPO genannte „besondere Umfang der gesetzlichen Unterhaltspflichten" durch eine ausdrückliche Berücksichtigung der Ausbildungskosten ergänzt werden sollte?
Herr Kollege Brandt, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Pfändungsfreigrenzen des § 850 c ZPO erhöht werden sollten. In meinem Hause ist hierzu ein Referentenentwurf ausgearbeitet worden, der in diesen Tagen den beteiligten Bundesressorts, den Landesjustizverwaltungen und interessierten Verbänden zugeleitet werden wird. In dem Entwurf ist eine beträchtliche Anhebung der pfändungsfreien Grundbeträge vorgesehen. Er berücksichtigt die Erhöhung der Lebenshaltungskosten und auch die Steigerung der Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz. Insbesondere soll durch das in Aussicht genommene Dritte Gesetz zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen den Belangen der Schuldner, die ein verhältnismäßig geringes Arbeitseinkommen haben, Rechnung getragen werden.
Zur zweiten Frage. Eine ausdrückliche Berücksichtigung der Ausbildungskosten in § 850 f Abs. 1 Buchst. b ZPO erscheint dagegen nicht geboten.
Keine Zusatzfrage. Ich danke für die Beantwortung.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Frage 36:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß sich der Preis für leichtes und schweres Heizöl in Süddeutschland im Vergleich zum November 1969 im November 1970 bis zu 38 Prozent erhöht hat?
Der Abgeordnete Fellermaier ist im Saal. Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rosenthal.
Herr Kollege Fellermaier, ich darf Sie zunächst auf die Kleine Anfrage zur Preisentwicklung auf dem Energiesektor hinweisen, die am 23. Oktober seitens der Bundesregierung ausführlich beantwortet worden ist. Speziell zu Ihrer Frage kann ich Ihnen sagen, daß es sich hier nicht lediglich um Süddeutschland handelt; die Preissteigerungen beispielsweise bei leichtem Heizöl betragen in Hamburg 41 %, in Düsseldorf 40 % und in München 44%. Wenn man die unterschiedlichen Frachtkosten berücksichtigt, besteht hier also kein eklatanter Unterschied.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fellermaier.
Herr Staatssekretär, worauf führen Sie die beträchtlichen Preiserhöhungen in
den verschiedenen Regionen der Bundesrepublik zurück?
Herr Kollege Fellermaier, hauptsächlich auf drei Gründe. Erstens auf die große Expansion der Nachfrage. Wir haben auf dem Mineralölsektor generell eine Steigerung von über 12 % und bei schwerem Heizöl von über 17 %. International spielt die enorm gestiegene Nachfrage der Japaner eine große Rolle.
Der zweite Grund liegt in der Erhöhung der Frachtkosten infolge der Unterbrechung der TransArabian-Pipeline und der Notwendigkeit der Verschiffung um Kap Horn.
Der dritte Grund liegt in den Förderungsbegrenzungen Libyens z. B., die Ihnen bekannt sind.
Keine weitere Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 37 des Abgeordneten Fellermaier auf:
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß die Mineralölindustrie die derzeit angespannte Situation auf dem Weltenergiemarkt dazu nutzt, die Preise ohne Rücksicht auf die Verbraucher laufend anzuheben, wie dies auch in der bereits jetzt angekündigten Erhöhung um weitere 10 DM je Tonne ab Anfang nächsten Jahres zum Ausdruck kommt?
Herr Kollege, es ist sicherlich richtig, daß auch die Mineralölgesellschaften die Marktlage auszunützen versuchen. Man muß aber zugeben, daß die Erlössituation im Jahre 1969 und Anfang 1970 für die Mineralölgesellschaften nicht sehr gut war.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fellermaier.
Herr Staatssekretär, welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung langfristig einzuleiten, um dem ständigen Preisdruck zu begegnen, der bei Heizöl bis zu 40% des industriellen und privaten Verbrauchs ausmacht?
Herr Kollege, gerade weil wir in Deutschland hier eine Wettbewerbssituation haben, liegen wir in Europa in diesen Preisen verhältnismäßig günstig, bestimmt beim leichten Heizöl. Beim schweren Heizöl ist zu bedenken, daß wir mit die höchste Steuer haben.
Was wir tun? Sie wissen, daß wir das Einfuhrkontingent aus der Sowjetunion wesentlich erhöht haben. Das zweite ist die Stützung der DEMINEX, um die Wettbewerbssituation der deutschen Mineralölgesellschaften zu verbessern. Aber im Vergleich liegen wir in Europa, gerade weil wir einen wirksamen Wettbewerb haben, verhältnismäßig günstig.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fellermaier.
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Herr Staatssekretär, besteht nicht die Gefahr, daß im selben Augenblick, in dem sich die Heizölsteuer nach dem Entwurf der Bundesregierung stufenweise senkt, gleichzeitig durch solche Preiserhöhungen das in der Mineralölindustrie vorweggenommen wird?
Ich glaube, das wird eine Frage der Nachfrage und des Wettbewerbs sein.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kempfler.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Auffassung, daß sich eine Aufhebung der Heizölsteuer auf die Preise namentlich in den revierfernen Gebieten, die ja durch diese Steuer hauptsächlich belastet sind, günstig auswirken würde?
Herr Kollege, Herr Präsident, diese Frage geht von der ursprünglichen Frage ab; sie müßte separat gestellt werden.
Sie müssen sie also neu einreichen.
Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Peters
auf. Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet; die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Die Frage 90 wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 91 des Abgeordneten Schirmer auf. — Der Fragesteller ist nicht im Saal. Seine Fragen — 91 und 92 — werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 93 des Abgeordneten Dr. Haack auf:
Ist die Bundesregierung bereit, den Kultusministern der Länder zu empfehlen, mehr als bisher im Sozialkundeunterricht der Schulen Diskussionen der Schüler mit Politikern zu veranstalten?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr, von Dohnanyi.
Herr Kollege Haack, Diskussionen mit Politikern erscheinen der Bundesregierung selbstverständlich wünschenswert als ein Teil von Unterrichtsveranstaltungen im Bereich der politischen Bildung und des Sozialkundeunterichts. Sie können aber nach der Natur der Sache sicher nicht fest in den Lehrplan einbezogen werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Haack.
Herr Staatssekretär, ich habe die Frage gestellt, weil ich der Auffassung bin, daß in manchen Bundesländern — ich spreche hier speziell von Bayern — von der Kultusverwaltung aus gewisse Vorbehalte bestehen. Deshalb meine Zusatzfrage, ob Sie bereit sind, den Ländern nahezubringen, daß die Diskussionen dieser Art mehr als bisher veranstaltet werden.
Herr Kollege Haack, ich haben den Eindruck, daß das Bedürfnis der Politiker nach Diskussionen in den Schulen, seitdem das Wahlalter auf 18 Jahre herabgesetzt worden ist, ohnehin zugenommen hat. Aber wir werden diese Frage selbstverständlich noch einmal erörtern.
Ich rufe die Frage 94 des Abgeordneten Meister auf:
Sind der Bundesregierung Pressemeldungen bekannt, denen zufolge das in Leopoldshafen bei Karlsruhe liegende Transurane-Institut nach Ispra/Italien verlegt werden soll, und billigt die Bundesregierung eine derartige Maßnahme, oder was gedenkt sie dagegen zu unternehmen?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Meister, der Bundesregierung sind Pressemeldungen des von Ihnen zitierten Inhalts bekannt. Die Herren Kollegen Seefeld und Corterier haben sich in dieser Angelegenheit bereits an mich gewandt. Der Gedanke einer verwaltungsmäßigen Konzentration der vier Anlagen der gemeinsamen Forschungsstelle von Euratom, darunter auch des Transurane-Institut bei Karlsruhe, wurde im Rat der Europäischen Gemeinschaft im Zusammenhang mit der Erörterung der Neuorganisation der Euratom-Forschungstätigkeit von einer Delegation vorgebracht. Dabei war nicht an eine Verlegung der Anlagen des Transurane-Instituts nach Ispra gedacht. Es handelt sich um einen Vorstoß in Richtung auf eine Zusammenfassung verwaltungsmäßiger Natur.
Die Pressemeldungen stimmen also nicht.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Meister.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen die jüngsten Berichte des Europäischen Parlaments zu dieser Gesamtfrage Euratom bekannt, die ja in bezug auf den Wirkungsgrad diese Organisation durchaus nicht so positiv bewerten?
Herr Kollege Meister, mir sind diese Stellungnahmen bekannt. Ich habe selber den Ratspräsidenten in der letzten Sitzung des Europäischen
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970 4785
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Dohnanyi Parlaments in Sachen Euratom vertreten. Wie Sie wissen, wird der Ministerrat heute mittag zu einer erneuten Sitzung in Sachen Euratom in Brüssel zusammentreten.
Ich rufe die Frage 95 des Abgeordneten Meister auf:
Ist sich die Bundesregierung über die Folgen einer Verlegung, also der erneuten Investitionskosten, Personalschwierigkeiten und Fortbestand der Europäischen Schule in Karlsruhe, im klaren?
Ich darf bei der Beantwortung der Frage 95 auf die Frage 94 zurückkommen. Da die Pressemeldungen nicht zutreffen, Herr Kollege Meister, sind die von Ihnen angestellten Überlegungen im Augenblick natürlich ohne konkreten Hintergrund.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Meister.
Herr Staatssekretär, hat man sich überhaupt schon Gedanken über den Kostenaufwand an sich gemacht, und steht dieser in einem gewissen Verhältnis zum Wirkungsgrad, der von einer solchen Zentralisation gegebenenfalls überhaupt zu erwarten wäre?
Herr Kollege Meister, ich habe Sie nicht ganz verstanden. Meinen Sie den Wirkungsgrad von Euratom im allgemeinen oder des Transurane-Instituts im besonderen?
— Der Wirkungsgrad von Euratom ist im Augenblick sicherlich nicht so, wie er sein sollte. Deswegen hat ja die deutsche Delegation im Ministerrat im vergangenen Dezember einen Vorstoß gemacht, dessen Ziel die grundsätzliche Reorganisation von Euratom ist. Wir werden heute nachmittag und nacht, so nehme ich an, zu dieser Frage Beschlüsse fassen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 96 des Abgeordneten Dr. Meinecke auf:
Wie erklärt die Bundesregierung, daß die Verwirklichung der schon am 30. Juni 1970 vorgelegten entscheidungsreifen Beschlüsse des vorbereitenden Ausschusses der Kultusministerkonferenz zum Fernstudium im Medienverbund erneut verzögert wurde?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär.
Die von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung eingesetzte Ad-hoc-Gruppe „Fernstudium im Medienverbund" konnte ihre Arbeit mit Rücksicht auf die Koordinierung der Kultusminister untereinander erst im Oktober aufnehmen. Die Beratungen über das Fernstudium im Medienverbund wurden Anfang November auf Bitten der Ministerpräsidenten wieder unterbrochen, weil diese der Auffassung waren, daß zunächst eine Meinungsbildung in den Länderregierungen und erst dann auf der Ebene der Ministerpräsidentenkonferenz erforderlich sei. Diese Konferenz, Herr Kollege, findet am 17. Dezember, also morgen, statt. Soweit die Bundesregierung unterrichtet ist, sind es dabei auch verfassungsrechtliche und rundfunkrechtliche Bedenken, die auf seiten einiger Länder vor allem gegen eine Bundesbeteiligung an der rechtlichen Trägerschaft für das Fernstudium im Medienverbund bestehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Meinecke.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, zu erklären, wie es kommt, daß die Arbeiten an diesem Projekt seit einem Jahr laufen, die Kultusministerkonferenz ihrer Unterkommission einen Auftrag gegeben hat, die entscheidungsreifen Vorschläge im Sommer dieses Jahres veröffentlicht wurden und erst jetzt die Ministerpräsidenten entdecken, daß es zu einer Meinungsbildung innerhalb ihrer Kabinette kommen muß oder gar verfassungsrechtliche Bedenken bestehen?
Es ist für die Bundesregierung schwer, Herr Kollege Meinecke, zu sagen, welche organisatorischen Schwierigkeiten zwischen den Kultusministern der Länder bestanden haben bzw. welche Schwierigkeiten hier in der Abstimmung der Kabinette bestehen. Sicher ist der Tatbestand, den ich Ihnen eben wiedergegeben habe, wonach die Ministerpräsidenten dieses Problem innerhalb der Ministerpräsidentenkonferenz behandeln wollen, und das wird morgen geschehen. Ich kann Ihnen versichern, daß die Bundesregierung in der Bund-Länder-Kommission großen Wert darauf gelegt hat, daß es zu schnellen Entscheidungen kommen kann.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke.
Herr Staatssekretär, darf ich nun einmal ganz klipp und klar wissen: Wer ist in der Angelegenheit nun eigentlich federführend, die Kultusministerkonferenz oder ihr Unterausschuß, die Bildungsplanungskommission von Bund und Ländern nach Art. 91 b oder die Rundfunkkommission der Ministerpräsidentenkonferenz?
Federführend im Sinne der Initiative war bisher in der Tat die Kultusministerkonferenz bzw. deren Unterausschuß. Eine gemeinsame Lösung zwischen Bund und Ländern wird sich nur im Sinne einer Kooperation nach Art. 91 b finden lassen. Die
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Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Dohnanyi Frage, wer federführend ist für ein Projekt, an dem sich Bund und Länder beteiligen würden, ist in dieser Weise noch nicht gestellt worden. Die Frage würde sicherlich im Zusammenhang mit der BundLänder-Kommission zu lösen sein.
Ich rufe die Frage 97 des Herrn Abgeordneten Raffert auf:
Welche Vorschläge gedenkt die Bundesregierung in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung zu machen, um das Fernstudium im Medienverbund zu verwirklichen, und mit welchen finanziellen Mitteln ist sie bereit, sich hieran zu beteiligen?
Bitte, zur Beantwortung.
Herr Kollege Raffert, zur Verwirklichung des Fernstudiums im Medienverbund strebt die Bundesregierung in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung, von der ich eben zu Herrn Kollegen Meinecke sprach, ein Abkommen mit den Ländern über die Errichtung eines Verbundsystems für das Fernstudium an, das auf Art. 91 b GG gestützt werden könnte. Die an der Vorbereitung des Abkommens beteiligten Bundesressorts haben sich im Prinzip für das Sachprogramm der Empfehlungen des Vorbereitungsausschusses ausgesprochen. Die Beteiligung des Bundes an der Finanzierung des Fernstudiums im Medienverbund hängt von dem Inhalt der Vereinbarung ab. Nach den zur Zeit vorhandenen Vorstellungen wird die Finanzierung zunächst je zur Hälfte von Bund und Ländern übernommen werden. Die Meinungsbildung darüber ist allerdings ) innerhalb der Bundesregierung noch nicht ganz abgeschlossen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Raffert.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen: Wenn es darum geht, im Zusammenhang mit dem Studium im Medienverbund Begleitunterrichte und Begleitkurse anzubieten und zu veranstalten, denken Sie daran, sich hierbei bereits bestehender Organisationen z. B. des Deutschen Volkshochschulverbands — und ihrer Möglichkeiten zu bedienen oder neue Einrichtungen zu schaffen?
Ich kann hier, Herr Kollege Raffert, möglichen Entscheidungen der Bund-Länder-Kommission selbstverständlich nicht vorgreifen. Aber ich bin sicher, daß wir bei den Schwierigkeiten, die wir ohnehin haben, Institutionen im Bildungsbereich rechtzeitig auf neue Kapazitäten auszubauen, unter allen Umständen all das verwenden werden, was hierfür irgendwie einsatzfähig ist. Ich bin sicher, der Bund wird auf eine solche Lösung in der BundLänder-Kommission drängen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 98 des Abgeordneten Zebisch auf:
Was unternimmt die Bundesregierung, um Kommunalpolitiker aus kleineren und mittleren Städten mit dem Konzept der Gesamtschule vertraut zu machen und zu Schulversuchen anzuregen, und wieviel Gesamtschulversuche konnte sie auf diesem Wege bereits anregen?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung stellt auf Wunsch einzelner Interessenten oder Gruppen Informationsmaterial zur Verfügung. Dies geschieht laufend gegenüber Besuchergruppen, die auch durch Referate und Diskussionen informiert werden, sowie auch gegenüber einzelnen Fragestellern. Im übrigen ist durch die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände, die jetzt in der Bund-Länder-Kommission beteiligt sind, die Möglichkeit gegeben, den Informationsfluß noch wesentlich zu verbessern.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Zebisch.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß die Städte und Gemeinden, wenn notwendig, auch an Sie persönlich herantreten können und die Bundesregierung in Absprache mit den Ländern oder ohne die Länder dieses Material zur Verfügung stellen würde?
Es ist ganz selbstverständlich, daß wir alles Informationsmaterial, das zur Verfügung steht, unmittelbar an jeden geben, der sich in diesen Fragen an uns wendet. Hier besteht auch zwischen Bund und Ländern völlige Übereinstimmung, daß man in Fragen der gegenseitigen Information keine Zuständigkeitsprobleme aufwirft.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 99 des Abgeordneten Hansen auf. Ist der Abgeordnete im Saal? — Er ist nicht anwesend; die Fragen 99 und 100 werden also schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. — Ich danke für die Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Frage 39 des Abgeordneten Dr. Häfele:
Glaubt die Bundesregierung, in den Höhengebieten, z. B, im Schwarzwald, eine Landwirtschaft aufrechterhalten zu können, die im Interesse der Allgemeinheit die notwendige Landschaftspflege auf die billigste Weise vornimmt, ohne daß der Landwirtschaft als Entgelt ein Bewirtschaftungszuschuß oder ein Erschwerniszuschlag für Milch gewährt wird?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Logemann.
Herr Dr. Häfele, die Bundesregierung ist sich darüber klar, daß die Landschaftspflege in Höhengebieten, die bei der großen Besiedlungsdichte überwiegend als Erholungslandschaft offengehalten werden müssen, mit einer Landwirtschaft in der
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970 4787
Parlamentarischer Staatssekretär Logemann
derzeitigen für diese Regionen spezifischen strukturellen Zusammensetzung in weiten Teilen nicht möglich ist.
Es wird zur Zeit im Rahmen des bis zum 31. März 1971 von ,der Bundesregierung zu erstellenden Umweltschutzprogramms geprüft, in welchem Umfang Grenzertragsböden in Höhengebieten aus der Landbewirtschaftung ausscheiden werden und welche Möglichkeiten der Landschaftspflege durch moderne Landbewirtschaftungsformen für die übrigen Flächen bereits vorhanden sind oder hierfür geschaffen werden müssen.
Darüber hinaus haben Bund und Länder entsprechend dem Gesetzesauftrag der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" räumliche Schwerpunkte zu bilden, die auch den Verhältnissen der Höhengebiete Rechnung tragen werden. Bis zum Inkrafttreten der Gemeinschaftsaufgabe wird die verstärkte Förderung der von Natur benachteiligten landwirtschaftlichen Gebiete, zu denen die Höhengebiete ausnahmslos zählen, fortgesetzt werden.
Ein Erschwerniszuschlag für die Milchproduktion in Höhengebieten kann nicht gewährt werden, da hier die Bestimmungen der Europäischen Gemeinschaft — Art. 24 der Verordnung 804/68 — im Hinblick auf produktbezogene Beihilfen entgegenstehen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Häfele.
Was können Sie zu einem Bewirtschaftungszuschuß sagen?
Ich habe eben schon erklärt, daß wir einen solchen Bewirtschaftungszuschuß, bezogen auf ein Einzelprodukt, nicht gewähren dürfen, da dem europäische Verordnungen entgegenstehen.
Auch einen globalen Bewirtschaftungszuschuß nicht?
Auch einen globalen Bewirtschaftungszuschuß nicht. Da kann ich aber jetzt keine konkrete Aussage machen. Ich habe ja angedeutet, daß wir Überlegungen auf diesem Gebiet anstellen.
Ich rufe die zweite Frage — Nr. 40 — des Abgeordneten Dr. Häfele auf:
Wer sollte nach Ansicht der Bundesregierung einen Bewirtschaftungszuschuß oder einen Erschwerniszuschlag finanzieren?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Die zweite Frage ist eigentlich erledigt durch die Beantwortung der Frage eins, nämlich
durch den Hinweis, daß wir nicht in der Lage sind, produktbezogene Beihilfen zu geben.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Häfele.
Herr Staatssekretär, sind Sie sich darüber im klaren, daß die Zeit drängt, hier konkrete Entscheidungen zu treffen?
Durchaus, Herr Kollege. Deshalb ja auch unser Bemühen, bis zum 31. März dieses Jahres — ich habe es eben ausgeführt — im Rahmen des zu erstellenden Umweltschutzprogrammes entsprechende Maßnahmen zu überlegen und einzuleiten.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Häfele.
Und Sie können mir bestätigen, daß auch die Frage eines Bewirtschaftungszuschusses geprüft wird?
Die wird sicherlich in diesem Zusammenhang mit geprüft werden müssen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Susset.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie gerade erklärt haben, daß ein produktbezogener Zuschuß nicht gegeben werden kann, könnten Sie dann nicht prüfen, ob man nicht Flächenzuschüsse gibt?
Das ist ja eben auch schon gesagt worden. Das werden wir prüfen. Es wird mit überlegt werden müssen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Früh.
Herr Staatssekretär, wenn die Bewirtschaftungszuschüsse noch nicht möglich sind, sind Sie dann nicht auch der Meinung, daß die jetzigen Förderungsmöglichkeiten für solche Gebiete — die Schwelle nur um 10 % zu senken — zu gering sind?
Herr Kollege, wir haben uns ja schon bemüht, im Rahmen des einzelbetrieblichen Förderungsprogramms besondere Begünstigungen zu erreichen. Es geht ja nicht nur um die 10 %, sondern bei entsprechender Eignung des Betriebsleiters können noch 5 % zusätzlich in Abzug gebracht wer-
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Parlamentarischer Staatssekretär Logemann
den. Hinzu kommt auch noch die Möglichkeit, daß man ein Einkommen aus nichtlandwirtschaftlicher Tätigkeit in Abzug bringen kann.
Ich rufe die Frage 41 des Abgeordneten Dr. Abelein auf. Er ist nicht anwesend. Die Fragen 41 und 42 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 43 des Abgeordneten von Alten-Nordheim auf. Ist der Abgeordnete anwesend? — Das ist nicht der Fall; die Frage 43 wird schriftlich beantwortet, 44 ebenfalls. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 45 des Abgeordneten Dr. Früh auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Leistungsfähigkeit der deutschen Obst- und Gemüseverwertungsindustrie zu erhalten bzw. auszubauen, insbesondere auch um nachteilige Rückwirkungen auf die deutsche Landwirtschaft als Rohwarenlieferant für diesen Industriezweig zu vermeiden?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatssekretär!
Die wirtschaftliche Entwicklung der deutschen Obst- und Gemüsekonservenindustrie gibt schon seit über zehn Jahren zu immer ernster werdenden Sorgen Anlaß. Während die Produktionskosten ständig gestiegen sind, sanken die Verbraucherpreise für die gängigsten Konserven nach den Feststellungen des Statistischen Bundesamtes auf etwa 75 % der schon 1962 als nur mäßig anzusehenden Verbraucherpreise ab. Da eine Krisensituation bei der Obst- und Gemüsekonservenindustrie in der gesamten EWG entstanden ist, wird sie im wesentlichen auch nur gemeinschaftlich zu lösen sein. Ein wichtiger Teilbereich, nämlich die Drittlandeinfuhren insbesondere aus Niedriglohnländern, ist seit geraumer Zeit Gegenstand von Beratungen in Brüssel. Nach ihrem Abschluß wird zu prüfen sein, welche zusätzlichen nationalen Maßnahmen noch notwendig und möglich sind. Schon jetzt werden zur Rationalisierung der Konservenindustrie aus den EWG-Fonds Förderungsmittel gewährt, die bestimmungsgemäß durch weitere Zuschüsse aus Bundes- bzw. Ländermitteln ergänzt werden. Außerdem hat die Bundesregierung durch eine behutsame Handelspolitik stets versucht, große Preiseinbrüche zu vermeiden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Früh.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Ansicht, daß die begründete Vermutung besteht, da aus den Drittländern fast alle Einfuhren nur in die Bundesrepublik gehen, daß andere Länder durch ihr Lebensmittelrecht und sonstige administrative Maßnahmen diese Einfuhren zurückdrängen?
Das ist durchaus möglich, das müßte im
einzelnen nachgeprüft werden. Wir versuchen, diese Einfuhren laufend zu beobachten. Ich kann dazu jetzt keine konkretere Aussage machen.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Früh.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung sich bemühen, offensichtliche Wettbewerbsverzerrungen gerade für die deutsche gemüseverarbeitende Industrie nach Möglichkeit zu überprüfen und Maßnahmen zu treffen, sie abzustellen?
Herr Kollege, das werden wir sicherlich tun. Wir haben auch schon einiges unternommen. Ich darf darauf hinweisen, daß wir uns bemüht haben, zu einer Begrenzung von Kontingentwünschen bei neuen Handelsverträgen mit Drittländern zu kommen. Wir haben aber auch umfangreiche zusätzliche Lieferwünsche von Drittländern abgelehnt, vor allem bei Erzeugnissen, die für die einheimische Verarbeitungsindustrie von besonderer Bedeutung sind. Das alles ist geschehen, und wir wollen uns bemühen, auch noch weitere Schutzmaßnahmen nach Art. 114 des EWG-Vertrages zur Verhinderung von Umwegeinfuhren einzuleiten.
Ich rufe die Frage 46 des Abgeordneten Susset auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in der Bundesrepublik Deutschland als dem bedeutendsten Importland für Obst- und Gemüsekonserven die deutsche Obst- und Gemüseverwertungsindustrie einem äußerst harten Verdrängungswettbewerb durch zunehmende Lieferungen von Obst- und Gemüsekonserven aus Drittländern mit Niedrig- und Niedrigstlöhnen ausgesetzt ist?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Susset, der Bundesregierung ist bekannt, daß der Wettbewerb auf dem Markt für Obst- und Gemüsekonserven allgemein sehr scharf geworden ist. Diese Entwicklung ist aber nicht allein auf Lieferungen aus Drittländern mit niedrigen Produktionskosten zurückzuführen. Beweise für einen gezielten Verdrängungswettbewerb dieser Länder fehlen in der Regel.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Susset.
Herr Staatssekretär, sehen Sie keine Möglichkeit, nun einzugreifen, da im Moment ungefähr 60 % der Gemüsekonserven und 55,8 % der Obstkonserven aus Niedrigpreisländern allein auf die Bundesrepublik zukommen?
Wir bemühen uns gerade hier um Lösungen, die einen solchen Verdrängungswettbewerb, den Sie ansprechen, verhindern können. Ich kann Ihnen dazu aber keine konkreten Aussagen machen,
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Parlamentarischer Staatssekretär Logemann
weil die Verhandlungen in Brüssel geführt werden und in diesem Zusammenhang noch keine Einzelergebnisse vorliegen.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Susset.
Die Verhandlungen werden in Brüssel geführt. Welche Vorstellungen entwickeln Sie in Brüssel, damit diese ungünstige Situation verbessert werden kann?
Ich habe schon bei der Beantwortung der vorigen Frage erklärt, daß die Bundesregierung sich bemüht hat, gerade die Drittlandeinfuhren sehr genau zu beobachten und darauf zu achten, daß auch die einheimische Konservenindustrie so weit wie möglich vor Schaden bewahrt wird.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Rollmann.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung nicht der Auffassung, daß die Obst- und Gemüsekonserven aus Drittländern, für die in Deutschland keine Produktionsmöglichkeiten bestehen, sehr geeignet sind, das Preisniveau in Deutschland zu beruhigen?
Herr Kollege Rollmann, um diese Einfuhren geht es hier gar nicht. Es geht hier lediglich um Einfuhren, die mit Produkten konkurrieren, die in der Bundesrepublik erzeugt werden. Hierbei aber wägen wir sehr wohl ab mit den handelspolitischen Interessen und auch der Sicherheit hinsichtlich der Rentabilität unserer Konservenindustrie.
Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Susset auf:
Welche Forderungen hat die Bundesregierung in den Verhandlungen des EG-Ministerrats an eine gemeinschaftliche Drittlandregelung für Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse gestellt oder wird sie stellen, um der deutschen Obst- und Gemiiseverwertungsindustrie einen zumutbaren und mit den anderen Partnerländern vergleichbaren Wettbewerb mit Einfuhren aus Drittländern zu gewährleisten?
Die anstehenden Schwierigkeiten, Herr Kollege Susset, können nur EWG-einheitlich behoben werden. Die Bundesregierung unterstützt daher eine solche einheitliche Lösung. Der von der Kommission vorgelegte Vorschlag, der auf ein Mindestpreissystem für einige Erzeugnisse hinausläuft, wird von der Mehrheit der Mitgliedsländer nicht unterstützt, weil er dem Gesamtanliegen nicht genügend Rechnung trägt. Zur Zeit wird im Ministerrat über die verschiedensten Lösungsmöglichkeiten beraten, wobei die Bundesregierung Lösungen unterstützen wird, die dem berechtigten Schutzbedürfnis der
Konservenindustrie und den handelspolitischen Belangen Rechnung tragen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Susset.
Wären Sie bereit, gerade im Interesse der Verbraucher dafür einzutreten, daß hier auch für die Zukunft günstige Einkaufsmöglichkeiten bestehen, nämlich dadurch, daß wir unsere Gemüseproduzenten und die verarbeitende Industrie entsprechend stützen?
Dahin geht ja unser Bemühen. Wir wollen die deutsche Konservenindustrie leistungsfähig erhalten. Das liegt durchaus auch im Interesse unserer deutschen Verbraucher.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kempfler.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Auffassung, daß die kommende EWG-Marktordnung auf diesem Gebiet die Lage wesentlich verbessern wird?
Ich hoffe, daß damit Verbesserungen erreicht werden. Die Verhandlungen gehen ja um 1 diese Verbesserungen. Im Augenblick ist leider ein Stadium erreicht, in dem man noch keine konkrete Aussage machen kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Früh.
Herr Staatssekretär, da aus Ihren Auskünften hervorgeht, daß sich auf der EWG-Ebene sicherlich in absehbarer Zeit keine Regelung erreichen läßt, frage ich Sie: Wären Sie bereit, wenn die Obst und Gemüse verarbeitenden Betriebe bei uns weiterhin so stark zurückgehen und damit auch die Anbauverträge der Landwirtschaft nicht mehr realisierbar sind, zu versuchen, in solchen Fällen auch Regelungen auf nationaler Basis zu finden, die einen größeren Schaden verhindern?
Herr Kollege, dazu wären wir an sich durchaus bereit. Aber die nationalen Möglichkeiten sind ja durch EWG-Bestimmungen eingeschränkt, so daß ich hier auch nicht einfach einen konkreten nationalen Weg ausweisen kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Häfele.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, dem Kollegen Rollmann — da Sie
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Dr. Häfele
seine Zusatzfrage meines Erachtens nicht ganz zutreffend beantwortet haben — zu sagen, daß es auch in Deutschland Gebiete gibt, in denen Obst und Gemüse produziert wird?
Durchaus.
Herr Kollege 'Rollmann, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, Herrn Kollegen Häfele davon zu unterrichten, daß in Deutschland eine Reihe von Obst-und Gemüsesorten aus klimatischen Gründen nicht produziert werden kann und daß es mir vor allen Dingen darum gegangen ist?
Ich glaube, darauf habe ich schon eine Antwort gegeben.
Die Frage 48 wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereichs. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Ich rufe die Frage 49 der Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus auf:
Ist die Bundesregierung bereit, entsprechend der Entschließung des Deutschen Frauenrates vom 13. November 1970 alsbald einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den wenigstens die dringendsten Notstände bei der unzureichenden sozialen Sicherung der Frauen behoben werden?
Zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär Rohde.
Herr Präsident, ich darf bitten, die Fragen 49 und 50 wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantworten zu dürfen.
Beide Fragen sollen zusammen beantwortet werden. Ich rufe daher noch die Frage 50 der Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus auf:
Wird die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode eine Gesamtkonzeption darüber vorlegen, wie eine eigenständige soziale Sicherung der Frau erfolgen könnte?
Frau Kollegin, das mit der Entschließung angesprochene Problem einer Verbesserung der sozialen Sicherung der Frau hat in der öffentlichen Diskussion besonderes Gewicht erhalten. Es ist auch von Bedeutung für die Reform des Ehescheidungsrechts und der Scheidungsfolgen, die vom Bundesminister der Justiz vorbereitet wird.
Die Bundesregierung stimmt mit der Auffassung überein, daß das traditionelle System der sozialen Sicherung im Hinblick auf das heutige Verständnis der Gleichberechtigung von Mann und Frau überprüft werden muß. Deshalb werden in meinem Hause bereits seit einiger Zeit Lösungsmöglichkeiten sowohl für eine Anpassung des geltenden Sozialversicherungsrechts an die geplante Eherechtsreform als auch für eine Einbeziehung der nicht erwerbstätigen Frau in die Rentenversicherung überdacht und Berechnungen über die finanziellen Auswirkungen der einzelnen Lösungsmöglichkeiten durchgeführt.
Nach dem bisherigen Stand der Vorarbeiten ist zu erwarten, daß die Bundesregierung im Laufe des kommenden Jahres erste Schritte in der Gesetzgebung einleiten wird. So sollen im Rahmen der Öffnung der Rentenversicherungen für weitere Gesellschaftsgruppen auch den nicht erwerbstätigen Frauen Möglichkeiten zu einer eigenständigen sozialen Sicherung gegeben werden. Ich bitte jedoch, Frau Kollegin, um ihr Verständnis dafür, daß ich den Einzelheiten im gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht vorgreifen kann.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Staatssekretär, ich habe durchaus Verständnis für Ihren letzten Satz, aber ich darf Sie, da Sie selbst von einer eigenständigen Versicherung der Frauen gesprochen haben, fragen: Soll das bedeuten, daß als Endziel ein Ausbau des Systems der Sozialversicherung angestrebt wird, bei dem eben immer von eigenen Ansprüchen des Mannes und der Frau ausgegangen werden soll und nicht mehr am patriarchalischen Bild unserer jetzigen Sozialversicherung festgehalten wird?
Vom patriarchalischen Bild wird sicherlich in der Zukunft nicht mehr ausgegangen werden können. Wir werden auch die verschiedenen Regelungen — beispielsweise im Rahmen des Eherechts und des Rechts der Rentenversicherung — als einzelne Schritte in eine Gesamtkonzeption für die Entwicklung auf diesem Gebiet einordnen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Diemer-Nicolaus.
Herr Staatssekretär, ist denn damit zu rechnen, daß im Zusammenhang mit der Reform des Scheidungsrechts wenigstens eine stufenweise Lösung möglich wird?
Frau Kollegin, Sie wissen aus Ihren Arbeiten im Rechtsausschuß, daß die Bundesregierung die Absicht hat, 1971 einen Gesetzentwurf zur Reform des Ehescheidungsrechts vorzulegen. Sie wird dabei bereits auch
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ihre Vorstellungen zur Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung für alle bisher nicht Versicherten konkretisieren.
Keine weitere Zusatzfrage. — Die Frage 51 des Abgeordneten Dr. Bardens wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich komme zu Frage 52 des Abgeordneten Röhner:
Stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, daß die in der Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs. 3 und 4 des Bundesversorgungsgesetzes festgelegten Vergleichsmaßstäbe für Angehörige des öffentlichen Dienstes durch die strukturellen Verbesserungen im Besoldungsrecht überholt sind?
Der Abgeordnete ist anwesend; zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Präsident, ich darf bitten, auch diese Frage gemeinsam mit der folgenden beantworten zu können.
Keine Bedenken. Auch Frage 53 des Herrn Abgeordneten Röhner wird aufgerufen:
Ist die Bundesregierung bereit, diese Verordnung alsbald an die geänderte Besoldungsstruktur im öffentlichen Dienst anzupassen?
Herr Kollege, in einer Antwort vom 12. November 1970 auf eine Frage von Herrn Kollegen Dröscher ist für den Bereich des mittleren Dienstes bereits näher dargelegt worden, daß das Vergleichseinkommen, wie es sich aus der von Ihnen genannten Durchführungsverordnung ergibt, durch die Änderungen im Besoldungsgefüge — insbesondere durch die Schaffung eines neuen Spitzenamtes — nicht überholt ist.
Diese Antwort gilt nach eingehenden Prüfungen durch das Bundesministerium des Innern entsprechend für sämtliche Laufbahngruppen. Das ist bei einer Bewertung der Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs. 3 und 4 des Bundesversorgungsgesetzes zu berücksichtigen. Selbstverständlich — das will ich hinzufügen — wird die Bundesregierung nach jeder Änderung des Besoldungsrechts von neuem prüfen, ob im Anschluß daran eine Anpassung der fraglichen Durchführungsverordnung erforderlich ist. So werden wir den Herrn Bundesminister des Innern auch nach Verabschiedung des nächsten Gesetzes zur Änderung des Besoldungsrechts unverzüglich bitten, festzustellen, ob die in der Verordnung festgelegten Vergleichseinkommen noch angemessen sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Röhner.
Herr Staatssekretär, können Sie eine nähere Angabe darüber machen, nach welcher Zeit jeweils mit einer Anpassung gerechnet werden kann?
Herr Kollege, das hängt mit dem Gang der von mir genannten Gesetzgebung zusammen.
Keine weitere Zusatzfrage. — Wir kommen zu Frage 54 des Abgeordneten Pieroth. — Der Fragesteller 'ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, und die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 55 des Abgeordneten Müller auf:
Ist es richtig, daß die Bundesanstalt für Arbeit im Rahmen ihrer Berufsförderungsprogramme die Ausbildung von Flugzeugführern für die private Luftfahrt materiell fördert?
Der Fragesteller ist anwesend. Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, ich würde die Fragen 55 und 56 gern zusammen beantworten.
Keine Bedenken. Auch Frage 56 ist aufgerufen:
Warum werden die vorgesehenen Leistungen Anspruchsberechtigten vorenthalten, die nach dem vorzeitigen Ausscheiden aus der Bundeswehr eine Ausbildung für den Beruf eines Flugzeugführers anstreben?
Die individuelle Bildungsförderung nach dem Arbeitsförderungsgesetz setzt u. a. voraus, daß die Bildungsmaßnahme und der Teilnehmer bestimmte Mindestanforderungen erfüllen und die Förderung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zweckmäßig erscheint. Unter diesen Voraussetzungen fördert die Bundesanstalt für Arbeit auch die Teilnahme an bestimmten Lehrgängen im Bereich der Luftverkehrsberufe. Zu nennen sind z. B. Lehrgänge im Rahmen der beruflichen Fortbildung, die zu besonderen Qualifikationsstufen im Flugzeugführerberuf führen. Die Förderung der eigentlichen Ausbildung zum Flugzeugführer kommt dagegen nur dann in Betracht, wenn es sich um eine Umschulung im Sinne des Arbeitsförderungsgesetzes handelt.
Sofern die gerade von mir genannten Voraussetzungen erfüllt sind, werden die im Arbeitsförderungsgesetz vorgesehenen Bildungsleistungen auch ehemaligen Berufssoldaten gewährt, die vorzeitig aus der Bundeswehr ausgeschieden sind. Allerdings bereitet es häufig nicht unerhebliche Schwierigkeiten, im Hinblick auf 'die unterschiedlichen Gegebenheiten des Einzelfalles das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzung eindeutig festzustellen. Dabei scheint es in letzter Zeit zu unterschiedlichen Entscheidungen der Arbeitsämter gekommen zu sein. Mein Haus hat daher sofort nach Bekanntwerden dieses Sachverhalts die erforderlichen Prüfungen eingeleitet. Sollten Ihnen bestimmte Einzelfälle bekannt sein, Herr Kollege, wäre ich Ihnen für eine Mitteilung dankbar. Ich hoffe, daß die aufgetretenen
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Parlamentarischer Staatssekretär Rohde
Schwierigkeiten in Kürze befriedigend gelöst werden können.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Müller .
Herr Staatssekretär, halten Sie es trotz der Schwierigkeiten, die ich gerne anerkennen will, für erträglich, daß einige Betroffene nunmehr schon seit fast drei Monaten ohne die Möglichkeit der Versorgung ihrer Familie dastehen, weil Interpretationsschwierigkeiten hei der Bundesanstalt bestehen?
Ich kann das nicht für erträglich in dem von Ihnen erfragten Sinne halten, Herr Kollege. Deshalb mein Angebot, das ich Ihnen gemacht habe, mir diese Fälle zur Kenntnis zu bringen, damit sie in die eingeleiteten Prüfungen einbezogen werden können.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 57 des Abgeordneten Peiter auf. — Der Abgeordnete ist nicht anwesend; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dann die Frage 58 des Abgeordneten Dröscher. — Der Abgeordnete ist nicht anwesend; die Frage wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereiches. Ich danke Ihnen für die Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Die Fragen 59 und 60 des Abgeordneten Schulte werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 61 des Abgeordneten Horstmeier auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß für eine Reihe von Wehrpflichtigen aus der Landwirtschaft eine Benachteiligung entsteht, weil der zur Bundeswehr eingezogene Sohn zwar noch nicht urkundlich Betriebsinhaber ist und damit nach § 13 des Unterhaltssicherungsgesetzes u. a. nicht die Kosten für eine Ersatzkraft gestellt werden, obwohl er praktisch jedoch schon allein selbstverantwortlich den Betrieb leitet, entweder weil der Vater zu alt oder krank oder weil die Mutter verwitwet ist?
Der Abgeordnete ist anwesend. Zur Beantwortung bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan!
Herr Präsident, darf ich die Fragen 61 und 62 im Zusammenhang beantworten?
Dann rufe ich auch noch die Frage 62 des Abgeordneten Horstmeier auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, damit solche Betriebe ebenfalls in den Genuß der Ausgleichszahlungen gelangen, zumal in der Landwirtschaft der Betrieb in der Regel erst sehr spät überschrieben wird?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist richtig, daß das Unterhaltssicherungsgesetz eine Erstattung der Kosten für eine Ersatzkraft in den vorgenannten Fällen nicht vorsieht. Die in diesem Zusammenhang auftretenden Fälle sind so vielschichtig, daß sich ihre gesetzliche Regelung nicht in befriedigender Weise verwirklichen läßt. Nach dem Unterhaltssicherungsgesetz kann jedoch, wenn sich aus den Vorschriften des Gesetzes besondere Härten ergeben, ein Ausgleich gewährt werden, wobei alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind. Auf der Grundlage dieser Bestimmung lassen sich sicher die von Ihnen angesprochenen Fälle lösen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordnete Horstmeier.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß aus Gründen der späteren Inanspruchnahme der Altershilfe die Betriebsleiter ihre Höfe oft gar nicht frühzeitig übergeben können und somit in große Schwierigkeiten kommen? Fallen auch diese Betriebsleiter unter die Härteklausel?
Herr Kollege, wenn von Härtefällen die Rede ist, bedeutet dies, daß jeder einzelne Fall geprüft werden muß. Wenn solche Fälle bekanntwerden, fordern Sie bitte diese Landwirte auf, daß sie sich um die Anerkennung ihres Härtefalls bemühen. Es gibt dafür vorgeschriebene Verfahren.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 63 des Abgeordneten Maucher auf:
Ist der Bundesregierung das Schreiben des Bundeswehrverwaltungsamtes vom 9. September 1970 an die Wehrbereichsvcrwaltungen bekannt, wonach auf Seite 1 über die Befreiungsvorschrift bzw. Nichteinberufung von Söhnen von Schwerkriegsbeschädigten und Kriegerwitwen darauf hingewiesen wird, daß die Befreiungsvorschrift bei einer Minderung der Erwerbstätigkeit von 80 °,'n und mehr anzuwenden sei und auf Seite 2, Absatz 2, mitgeteilt wird, „die Kreiswehrersatzämter sind angewiesen, bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mehr als 80 °;ó die persönliche Hilfsbedürftigkeit des Schwerkriegsbeschädigten ohne Prüfung zu unterstellen"?
Der Abgeordnete ist anwesend. Zur Beantwortung bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Präsident, auch hier würde ich gerne die zweite Frage gleich mitbeantworten.
Einverstanden. Dann wird auch noch die Frage 64 aufgerufen:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß das Bundesverteidigungsministerium im gleichen Schreiben mitteilt, daß nachgewiesen werden muß, daß die notwendige Unterstützung des Schwerbeschädigten tatsächlich durch den zur Einberufung anstehenden Sohn erfolgt?
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Herr Kollege, die Verfügung des Bundeswehrverwaltungsamtes vom 9. 9. 1970 an die Wehrbereichsverwaltungen ist der Bundesregierung bekannt. Mit dieser Verfügung wurde lediglich ein Schreiben des Bundesministers der Verteidigung an den Verband der Kriegsteilnehmer und Hinterbliebenen Deutschlands e. V. und den Bundesverband der Kriegs- und Zivilbeschädigten e. V. vom 13. 8. 1970 den Wehrbereichsverwaltungen auszugsweise mitgeteilt. In diesem Schreiben ist auszugsweise wörtlich ausgeführt:
Ihre Auffassung, daß die Befreiungsvorschrift des § 11 Abs. 2 des Wehrpflichtgesetzes auch auf die Söhne von Schwerbeschädigten mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80 % und mehr anzuwenden sei, ist mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht vereinbar.
Dieser Satz erscheint in der Verfügung des Bundeswehrverwaltungsamtes auf der ersten Seite. Da insoweit nur die Meinung des VdK und des BVK wiedergegeben wird, besteht kein Widerspruch zu den späteren Ausführungen. Es ergibt sich vielmehr eindeutig aus dem Schreiben, daß die persönliche Hilfsbedürftigkeit des Schwerkriegsbeschädigten erst bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mehr als 80% ohne Prüfung unterstellt werden kann. Diese Auffassung der Bundesregierung, und zwar der gegenwärtigen Bundesregierung, aber auch ihrer Vorgängerin, wurde vor dem Hohen Hause bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht.
Es ist der Bundesregierung auch bekannt, daß in dem angeführten Schreiben des BMVg auf die Notwendigkeit hingewiesen wurde, stets zu prüfen, ob der wehrpflichtige Sohn dem hilfsbedürftigen Vater tatsächlich Hilfe leistet. Diese Zurückstellung vom Wehrdienst wegen der Kriegsbeschädigung des Vaters setzt, wie in anderen Fällen, voraus, daß durch die Einberufung des Wehrpflichtigen eine besondere Härte entsteht. Davon kann aber nicht gesprochen werden, wenn der zur Einberufung heranstehende Sohn seinem Vater tatsächlich keine Hilfe leistet. In diesem Falle wird dem Schwerkriegsbeschädigten durch die Einberufung seines Sohnes die notwendige Hilfe nicht entzogen. Das gleiche gilt auch, wenn die Hilfe durch eine dritte Person geleistet werden kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Maucher.
Herr Staatssekertär, sind Sie mit mir der Meinung, daß diese Regelung, wonach Söhne von Schwerbeschädigten und Kriegerwitwen vom Wehrdienst befreit werden können, eigentlich kaum zum Zuge kommen kann, wenn mehrere Söhne da sind? Würden Sie mir zustimmen, daß es in der Praxis nur ganz wenige Fälle gibt, die auf Grund dieses Rundschreibens überhaupt hierfür in Betracht kommen?
Herr Kollege Maucher, ich weiß nicht, ob es viele oder wenige
Fälle sind. Ich weiß aber aus meiner Büropraxis, daß es eine Anzahl von Fällen gibt, und ich kann Ihre Auffassung nicht teilen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Maucher.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, ist nicht der Ausgangspunkt dieser Überlegungen von Anfang an gewesen, daß man von mehreren Söhnen von Schwerbeschädigten und Kriegerwitwen einen deshalb nicht zum Wehrdienst heranziehen sollte, weil auch eine große Vorleistung, ein besonderes Opfer vorliegt, das dabei ganz besonders mit berücksichtigt werden sollte, und daß auf der anderen Seite — so hieß es immer — bei Beschädigten mit 80 % und mehr — das ist die Kernfrage, die ich gestellt habe — diese Härte einfach unterstellt wird?
Herr Kollege, Sie sind ein ganz alter Fahrensmann im Deutschen Bundestag und wissen, daß Sie auch Zusatzfragen kurz zu formulieren haben. Ich darf Sie bitten, das das nächste Mal zu berücksichtigen.
Herr Kollege Maucher, es heißt erstens „von mehr als 80 %". Das möchte ich jetzt hier eindeutig feststellen, weil Sie wieder den Terminus „80 % und mehr" eingeführt haben. Zum anderen halte ich es für ausgeschlossen, daß ohne Prüfung eine Freistellung vom Wehrdienst erfolgt. Ich habe Respekt vor dem, was Sie Vorleistung nannten, weise jedoch darauf hin, daß das eine Vorleistung des Vaters bzw. der Mutter ist und nicht eine Vorleistung des Wehrpflichtigen selbst.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Maucher.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir bestätigen, daß Sie vor etwa sieben Monaten, als ich die Frage stellte, zugegeben haben, das heiße nicht: mehr als 80 %, sondern: ab 80 %?
Ich gebe das zu, Herr Kollege Maucher. Daher habe ich mich auch hier wiederholt und habe jetzt ausdrücklich für uns beide klargemacht, daß es sich um mehr als 80 °/o handelt. Aber Sie werden wohl auch mir gestatten, daß ich etwas dazulerne.
Ich rufe dann die Frage 65 der Frau Abgeordneten Dr. Henze auf:
Sind der Bundesregierung Fälle von Rauschmittelmißbrauch in der Bundeswehr bekannt?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Herr Präsident, dürfte ich auch hier gleich die nächste Frage mit beantworten?
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Keine Bedenken! Ich rufe auch die Frage 66 der Frau Abgeordneten Dr. Henze auf :
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um Rauschmittelmißbrauch in der Bundeswehr zu verhindern?
Sehr verehrte Frau Kollegin, da der Rauschmittelmißbrauch in der Bundeswehr kein spezifisches Bundeswehrproblem ist, gelten für seine Unterbindung in erster Linie die für die gesamte Bevölkerung auf diesem Gebiet in Angriff genommenen Maßnahmen. Hier ist vor allem das Aktionsprogramm der Bundesregierung zu nennen. Die Bundeswehr hofft, daß die empfindlichen Strafdrohungen des novellierten Opiumgesetzes den Handel mit Rauschmitteln empfindlich treffen und damit auch die Zahl der Konsumenten in der Bundeswehr sinken lassen werden.
Daneben wird die Bundeswehr in Anlehnung an das Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit durch vorbeugende Maßnahmen den Mißbrauch eindämmen und zu unterbinden suchen. Hierzu gehören laufende Aufklärungsaktionen über die Gefahren des Rauschmittelkonsums.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Dr. Henze.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß in der Bundeswehr mehr getan werden muß, um ihre ständige Einsatzbereitschaft zu erhalten?
Frau Kollegin, ich habe mich in dieser Hinsicht extra noch einmal bei unserem höchsten Mediziner, bei dem Generalarzt Dr. Daerr, erkundigt. Die Situation in der Bundeswehr ist nicht besorgniserregend. Ich stimme Ihnen jedoch darin zu, daß die disziplinaren Vorgesetzten und die nachgeordneten Vorgesetzten dann, wenn Fälle erkannt werden, sich um den einzelnen jungen Mann kümmern. Ich schließe dabei die Kameraden dieses in Gefahr geratenen jungen Mannes ein.
Keine weitere Zusatzfrage von Frau Dr. Henze. Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Klepsch.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung unter „Besondere Vorkommnisse" solche Fälle bekanntgeworden?
Herr Kollege Dr. Klepsch, ich kann diese Frage leider weder mit Ja noch mit Nein beantworten. Ich bin überfragt.
Wir kommen zur Frage 67 des Abgeordneten Dröscher. — Er ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung Ihrer Fragen.
Wir kommen dann zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Ich rufe die Frage 68 des Abgeordneten Rollmann auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung Programm und Ablauf der Europäischen Jugenddelegiertenkonferenz vom 2. bis 6. Dezember 1970 in München?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Westphal.
Herr Kollege Rollmann, auf Ihre Frage, wie die Bundesregierung Programm und Ablauf der Europäischen Jugenddelegiertenkonferenz vom 2. bis 6. Dezember in München beurteilt, möchte ich sagen: im Grundsatz positiv. Die Konferenz stellt den ersten Versuch dar, in der Bundesrepublik ein gesamteuropäisches Treffen von Repräsentanten der Jugendverbände durchzuführen. Das Programm bot die Möglichkeit, neben zwei Plenumsveranstaltungen in fünf Arbeitsgruppen über die Ansichten der Jugendverbände zum Europäischen Jugendwerk, zur Frage einer europäischen Friedensordnung sowie zur Zusammenarbeit west- und osteuropäischer Jugendorganisationen zu diskutieren. Von dieser Möglichkeit wurde mit unterschiedlicher Intensität Gebrauch gemacht. Die Konferenz verlief in ruhiger Atmosphäre und war von dem Bemühen der Teilnehmer gekennzeichnet, trotz gegensätzlicher Auffassungen in verschiedenen Punkten scharfe Konfrontationen zu vermeiden. Veranstalter und Teilnehmer haben davon abgesehen, Resolutionen zu verabschieden. Die Berichte der Arbeitsgruppen zeigen eine Vielfalt der angesprochenen, meist politischen Themen. In einzelnen Fällen wurden Berichtsteile in der abschließenden Plenumsdiskussion wegen nicht genügender Objektivität kritisiert und korrigiert. Die Wiedergabe einiger herausgegriffener Äußerungen in der Presse kann daher auch keinen vollständigen Eindruck über die Diskussionen vermitteln.
Besondere Bedeutung ist den Gesprächen beizumessen, die zwischen den einzelnen west- oder osteuropäischen Delegationen am Rande der Konferenz stattfanden. Dabei hergestellte Kontakte und auch Absprachen über eine weitere Konferenz in einem osteuropäischen Land im nächsten Jahr zeigen, daß die Konferenz starke Impulse für die internationalen Kontakte der Jugendorganisationen gegeben hat.
Wenn jetzt von einigen Seiten her Kritik am Verlauf des Kongresses laut wird — übrigens nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch aus der UdSSR —, so sollte man eines nicht übersehen: Auf einem vom Deutschen Nationalen Komitee für internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik und dem in Westeuropa organisierten Europäischen Jugendrat CENYC auf dem Boden der Bundesrepublik organisierten Kongreß mit offenen Diskussionen, an denen alle politischen Richtungen mitgewirkt haben, sind die osteuropäischen Staaten mit namhaften Delegationen erstmals vertreten gewesen.
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) Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Rollmann.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß das Meinungsbild und letzten Endes auch die Berichtsergebnisse politisch zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten angesiedelt waren?
Herr Kollege Rollmann, in den Berichten ist eine ganze Reihe von Äußerungen zu erkennen, die in verschiedenen politischen Lagern angesiedelt sind, darunter durchaus auch Äußerungen aus dem Kreis derjenigen, die in den Bereich der konservativen politischen Gruppierungen in Europa einzuordnen sind.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Rollmann.
Herr Staatssekretär, betrachtet die Bundesregierung die Ergebnisse dieser Konferenz in bezug auf die Bildung eines Europäischen Jugendwerkes als eine Unterstützung ihrer Politik?
Ich glaube, daß es gut wäre dazu ein Wort mehr zu sagen. Es hat zwei interessante Tendenzen in dieser Frage gegeben. Von seiten der Osteuropäer, die ja, wie Sie wissen, erstmalig an einer solchen Konferenz teilgenommen haben, war die Tendenz zu erkennen, daß es nicht in ihrem Sinne wäre, daß jetzt auf westeuropäischer Ebene ein Europäisches Jugendwerk gestaltet wird; sie haben zum Ausdruck gebracht, sie hielten sich noch nicht für fähig, jetzt schon über dieses Thema mitzureden und mitzudiskutieren. Die westeuropäischen Partner sind in München von einer Auffassung ausgegangen, die sagte: Es wäre ganz interessant, wenn wir das, was die Bundesregierung auch erklärt hat, nämlich ein Europäisches Jugendwerk offen gegenüber Osteuropa zu gestalten, jetzt schon verwirklichen könnten, aber so lange, wie das wohl brauchen würde, können wir nicht warten. Wir brauchen ein solches Europäisches Jugendwerk möglichst bald, also jetzt.
Insofern sind die Ergebnisse des Kongresses in dieser Richtung durchaus realistisch. Sie sind in einiger Hinsicht als Unterstreichung dessen zu sehen, um was die Bundesregierung in dieser Richtung in Zusammenarbeit mit ihren westeuropäischen Partnern auf der Ebene des Europarats zustande zu bringen sich bemüht. Es gibt allerdings auch einige Aussagen anderer Art, die auf dem Kongreß gemacht worden sind, wie das ja bei diesem Kongreß, der keine Entschließungen, sondern Berichte verabschiedet hat, nebeneinander zur Darstellung gekommen ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Fuchs.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zugeben, daß aus den Pressseberichten doch der Eindruck entstehen mußte, daß bei dieser Delegiertenkonferenz Tendenzen vertreten worden sind, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind?
Ich habe vorhin in meiner ersten Antwort schon deutlich gemacht, daß die Presseberichte keinen vollständigen Überblick über ,das gaben, was sich wirklich ereignet hat; sie haben nur einige Punkte herausgepickt. Was die Frage der Berührung des Grundgesetzes und die Übereinstimmung mit der Grundlage, die wir in unserem Land haben, um Meinungsfreiheit zuzulassen und zu gestalten, betrifft, möchte ich sagen, daß ich eigentlich keine Ereignisse in München miterlebt habe — ich bin fast die ganze Zeit dabeigewesen —, die diesbezügliche Zweifel aufkommen lassen könnten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Meister.
Herr Staatssekretär, beurteilen Sie die Jugenddelegiertenkonferenz, die vor wenigen Monaten in Brüssel stattgefunden hat, auch so positiv?
Ich glaube, daß es sich dort, wenn es auch ein völlig anderer Kreis war, der auf Einladung der Europäischen Kommission zusammengewesen ist, um eine Veranstaltung gehandelt hat, die in ihrem Wesen recht viele problematische, unterschiedliche Positionen verschiedener Gruppierungen enthalten hat. Ich glaube ferner, daß die Wertung, die die Hohe Kommission der Veranstaltung gegeben hat, von der Bundesregierung durchaus bejaht werden kann. Diese Wertung ist im Grunde recht positiv, nämlich daß man das aufgreifen will, was aus dem Kreis der Jungen an kritischen Überlegungen kommt, um es innerhalb der Gremien der europäischen Hohen Kommission zu verarbeiten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten von Fircks.
Herr Staatssekretär, sind Sie rückblickend und rückwertend der Auffassung, daß es richtig war, ,den ,Bundespräsidenten um die Schirmherrschaft über diese Veranstaltung zu bitten?
Ja, das bin ich.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Wehner.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist es für einen Staat wie unsere Bundes-
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Wehner
republik Deutschland nicht eine wesentliche Sache, daß unser Staat unbeschadet der Tendenzen, die bei solch einer Veranstaltung natürlich zum Ausdruck und zum Austragen kommen, die Rolle eines Gastgeberorts für ein solches Treffen, das vielleicht entwicklungsfähig ist, spielt?
Herr Kollege Wehner, ich möchte Ihnen vollauf bestätigen, daß dies die Auffassung ist, die im zuständigen Bundesministerium vertreten wird und die auch die Zustimmung der Bundesregierung gefunden hat. Die Bundesregierung hat ja erklärt, daß sie die Durchführung eines solchen Kongresses begrüßt. Sie hat das dadurch zum Ausdruck gebracht, daß Frau Bundesminister Strobel den Kongreß begrüßte, und sie hat zugestimmt, daß der Herr Bundespräsident die Schirmherrschaft übernimmt und ein Grußtelegramm entsendet. Ich glaube, das war in diesem Sinne eine gute Sache.
Ich rufe die Frage 69 des Abgeordneten Varelmann auf:
Sieht die Bundesregierung nicht auch einen Mißbrauch der Solidaritätsgemeinschaft darin, daß bei langanhaltendem Gebrauch von Rauschgiften und Drogen die Betreuung durch die Krankenversicherung erfolgt, und wäre hier nicht die Einschaltung der Sozialhilfe notwendig?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär!
Herr Kollege Varelmann, auf Ihre frühere, im wesentlichen gleichlautende Frage hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung bereits in der Fragestunde am 4. Dezember 1970 darauf hingewiesen, daß es für die Leistungsgewährung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nur darauf ankommt, daß eine Krankheit vorliegt. Das Bundessozialgericht hat durch Urteil vom 17. Oktober 1969 entschieden, daß Trunksucht eine Krankheit im versicherungsrechtlichen Sinne ist, wenn sie ohne ärztliche Behandlung nicht mit Aussicht auf Erfolg geheilt, gebessert oder vor Verschlimmerung bewahrt werden kann.
Dieser Grundsatz gilt analog auch für die Rauschgift- und Drogensucht mit der Folge, daß die Krankenkasse zur Leistungsgewährung verpflichtet ist. Leistungen der Krankenhilfe dürfen auch dann nicht versagt werden, wenn Ursache für die Krankheit ein langanhaltender Gebrauch von Rauschgiften und Drogen ist.
Die Leistungen der Krankenhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz sind nachrangig. Sie kommen nur dann in Betracht, wenn ein anderer Leistungsträger nicht vorhanden ist. Das kann der Fall sein, soweit eine Krankenversicherung nicht besteht oder trotz Bestehens einer Krankenversicherung Krankenpflege wegen Überschreitens der satzungsmäßig festgelegten Höchstgrenze nicht gewährt wird.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Varelmann.
Herr Staatssekretär, besteht nicht ein großer Unterschied zwischen dem Alkoholgenuß und dem verbotenen Gebrauch von Rauschgiften und Drogen? Hier handelt es sich um eine strafbare Handlung, die der Betreffende begangen hat, und zwar nicht um eine einmalige, sondern eine dauernd wiederholte strafbare Handlung. Wird damit nicht der Bogen der Solidarität in der Sozialversicherung weit überspannt?
Herr Kollege Varelmann, ich will nicht bestreiten, daß es sich hierbei um einen großen Unterschied handelt, ganz und gar nicht. Aber das Problem ist, daß bei der Versichertengemeinschaft genauso wie bei der Sozialhilfe, wo dasselbe Prinzip gilt, nicht die Frage gestellt ist, ob jemand schuldig oder unschuldig in diese Lage geraten ist. Vielmehr ist hier nur festzustellen, daß er in diese Lage geraten ist, und dann treten eben der Schutz und die Hilfe ein.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Varelmann.
Herr Staatssekretär, sind hier nicht besondere Verhältnisse gegeben, die die Bundesregierung veranlassen sollten, dieses Anliegen nochmals zu prüfen, damit die Sozialversicherung nicht in Mißkredit gerät?
Ich will Ihnen gern zusagen, daß wir das noch einmal überprüfen werden. Aber es ist eine abgesicherte Position, und zwar abgesichert auch durch Gerichtsentscheidungen in diesem Bereich.
Wir sind am Ende unserer Fragestunde von 60 Minuten angelangt.
Die drei Fraktionen haben sich dahin verständigt, daß wir jetzt die Sitzung für 30 Minuten unterbrechen, um der CDU/CSU-Fraktion die Möglichkeit zu einer Fraktionssitzung zu geben.
Ich unterbreche für 30 Minuten.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Wahl eines Vertreters der Bundesrepublik
Deutschland im Europäischen Parlament
Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 10. Dezember 1970 mitgeteilt, daß der Abgeordnete Haage sein Mandat im Europäischen Parlament mit Wirkung vom 1. Januar 1971 zur Verfügung stellt. Als sein Nachfolger wird der Abgeordnete Borm von der Fraktion der FDP benannt. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; der Abgeordnete Borm ist als
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Präsident von Hassel
Mitglied des Europäischen Parlaments mit Wirkung vom 1. Januar 1971 gewählt.
Bei dieser Gelegenheit darf ich darauf hinweisen, daß in der 25. Sitzung des Deutschen Bundestages am 21. Januar 1970 auf Vorschlag der Fraktion der FDP der Abgeordnete Dr. Starke gewählt worden ist und daß er sein Mandat im Europäischen Parlament nunmehr für die Fraktion der CDU/CSU ausübt.
Ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
— Drucksache VI/ 1298 —
b) Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Bardens, Dr. Brand , Bay, Schmidt (Kempten), Dr. Rutschke, Kleinert, Krall und der Fraktionen der SPD, FDP
betr. Umweltschutz
— Drucksachen VI/ 1275, VI/ 1519 —
c) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU
betr. Umweltfragen, insbesondere Maßnahmen zur Lärmbekämpfung, Reinhaltung der Gewässer und der Luft sowie zur Abfallbeseitigung
— Drucksache VI/795 —
d) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm in der Umgebung von Flughäfen
— Drucksache VI/4 —
aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache VI/1489 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jenninger
bb) Schriftlicher Bericht des Innenausschusses
— Drucksache VI/ 13i7 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Gruhl
Abgeordneter Konrad
e) Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm in der Umgebung von Flughäfen
— Drucksache VI/7 —
Schriftlicher Bericht des Innenausschusses
— Drucksache VI/ 1377 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Gruhl
Abgeordneter Konrad
Wir behandeln die einzelnen Punkte im Zusammenhang und kommen zur ersten Beratung des Regierungsentwurfs. Das Wort zur Einbringung hat der Herr Bundesminister des Innern, Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, mit dem die Kompetenz des Bundesgesetzgebers für Vollregelungen in den wichtigen Bereichen des Umweltschutzes vorgeschlagen wird, erfordert einige grundsätzliche Bemerkungen zu diesen jeden Bürger betreffenden und oft sehr belastenden Fragen. Das Hohe Haus würde einen Fehler machen, wenn diese Verfassungsänderung losgelöst vom Hintergrund der Gesamtproblematik des Umweltschutzes diskutiert und wenn sie gleichsam nur als eine Frage funktionaler Machtverteilung zwischen Bund und Ländern behandelt würde.
Meine Damen und Herren, zu den Lebens- und Existenzfragen der gesamten Menschheit wie Friedenssicherung und Ernährung ist im letzten Drittel dieses Jahrhunderts der Umweltschutz getreten. Der Umweltschutz ist zu einer gesellschaftspolitischen Aufgabe ersten Ranges geworden. Die Bundesregierung ist weit davon entfernt, einer Umwelthysterie das Wort zu reden. Die Folgen wären nur Resignation und Fatalismus. Die Gefahren, die uns drohen, sind ernst, aber die Menschheitsgeschichte lehrt uns, daß menschlicher Verstand und Tatkraft auch mit scheinbar unlösbaren Aufgaben fertig geworden sind.
Das Grundgesetz kennt das Wort „Umweltschutz" noch nicht. Im Grundrechtskatalog fehlt ein Menschenrecht auf unschädliche Umwelt. Dennoch ist der Schutz der Umwelt des Menschen eine Pflicht aller staatlichen Gewalt, die ihr mit den Grundentscheidungen unserer Verfassung aufgegeben ist. Nichts Geringeres als die Würde des Menschen wird durch die Zerstörung und Schädigung seiner Umwelt angetastet. Die Menschenwürde ist getroffen, wenn der Mensch zum wehrlosen Objekt seiner Umwelt wird.
Zum menschenwürdigen Dasein gehört, daß der Mensch frei atmen kann, ohne befürchten zu müssen, mit jedem Atemzug schädliche Stoffe aufzunehmen. Zum menschenwürdigen Dasein gehört, daß der Mensch Wasser trinken kann und daß er sich mit sauberem Wasser waschen kann. Und es gehört dazu, daß er ein Recht auf von Motoren- und Maschinenlärm nicht gestörten Schlaf hat.
Dieses Recht auf menschenwürdiges Dasein zu schützen ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt. Das sagt sich leichter, als es in der Praxis zu verwirklichen ist. Verwaltungsbehörden und Gerichte werden weit mehr als bisher darauf achten müssen, daß bei der tagtäglichen Abwägung der Interessen derartige geschriebene oder ungeschriebene Rechte des einzelnen Menschen auf unschädliche Umwelt nicht verletzt werden. Das Recht auf ungestörten Schlaf ist genauso schätzenswert wie das auf Eigentum oder auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Das Recht auf reine Luft ist schon deshalb so schutzwürdig, weil
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Bundesminister Genscher
der Mensch den Gefahren der Luftverunreinigung nicht ausweichen kann.
Umweltschutz kann in Anbetracht dieser Bedrohung nicht mehr rein defensiv, sozusagen polizeilich betrieben werden. Wir dürfen nicht warten, bis Schäden auftreten, und erst dann nach Abhilfe suchen. Die Zeit verlangt vorbeugenden Schutz auf Grund weitsichtiger Planung und darauf beruhender Forschung und Entwicklung. Umweltschäden sind Folgen von Produktionsprozessen und Konsumverhalten. Umweltfreundlichen Produkten oder Verfahren müssen Chancen gegeben werden, sich im Wettbewerb gegenüber den umweltfeindlichen Produkten durchzusetzen. Der Verbraucher muß als bester Verbündeter des Umweltschutzes gewonnen werden.
In der Ihnen vorliegenden Antwort auf die Große Anfrage weist die Bundesregierung auf die Notwendigkeit hin, die qualitativen Aspekte menschlichen Lebens gegenüber den quantitativen Aspekten des wirtschaftlichen Wachstums nicht zu übersehen. Das verlangt eine Neuorientierung der gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen aller gesellschaftlichen Kräfte. Es wäre aber falsch, aus dieser Aussage den Schluß zu ziehen, daß Maßnahmen des Umweltschutzes stets auf Kosten des Wirtschaftswachstums gehen müssen. Zwar werden in den kommenden Jahrzehnten den einzelnen Bürgern und auch der gesamten Volkswirtschaft für Aufgaben des Umweltschutzes weit höhere Lasten aufgebürdet werden müssen, als sie heute schon getragen werden, aber wir haben auf diesem Gebiet lange Zeit über unsere Verhältnisse gelebt und müssen das heute teuer bezahlen. Wirtschafts- und unternehmenspolitische Entscheidungen werden in Zukunft weit mehr daran gemessen werden, welche schädlichen Folgen das angestrebte Ziel, das neue Verfahren oder Produkt für den Zustand unserer Umwelt hat. Wachstum, Produktivität und Umweltschutz sind keine gegensätzlichen Zielvorstellungen. Sie bedingen und ergänzen einander vielmehr. Wir müssen diese Lasten aufbringen für Maßnahmen, ohne die ein wirtschaftliches Wachstum langfristig nicht möglich ist. Es handelt sich dabei um ebenso notwendige Ausgaben für Infrastruktur, wie es die für Bildung und Straßenbau sind. In Zukunft wird es ein Unternehmen schwer haben, Mitarbeiter zu finden, wenn es ihnen nicht saubere Luft, lärmfreie Wohnungen und leicht erreichbare Erholungslandschaften bieten kann. Hinzu kommen die Lasten, die die Volkswirtschaft durch umweltbedingte Krankheiten zu tragen hat.
Wir dürfen vor allen Dingen nicht übersehen, daß die Zukunftsaufgabe Umweltschutz für ein der Zeit aufgeschlossenes Unternehmertum vielfache Chancen bietet. Bei zahlreichen Herstellungsverfahren wurde schon jetzt aus der Not eine Tugend gemacht. Es wurden Verfahren entwickelt, die nicht nur die Umweltbelastung verringern, sondern die wegen des damit verbundenen Gewinns an Rohstoffen und Energie wesentlich rentabler sind als die bisher üblichen sogenannten schmutzigen Verfahren. Der weltweite Markt für saubere Produkte und Verfahren wird ständig wachsen.
Ich wiederhole, meine Damen und Herren, nicht nur die Produktion ist umweltrelevant, es ist eben-sosehr das Konsumverhalten selbst. Wir dürfen nicht der Gefahr erliegen, allein den industriellen Störer der Ökologie im Auge zu haben. Durch das Konsumverhalten jedes einzelnen Bürgers werden der Umwelt nicht geringere Lasten aufgebürdet. Vom Verpackungsluxus über das lärmstarke Gartengerät bis hin zur vielleicht unbedachten Verwendung von Giftstoffen reicht die Verantwortung jedes einzelnen von uns.
Vorausschauende Umweltpolitik verlangt nach Lösungen, um dieses Konsumverhalten zu beeinflussen. Letztlich kann ein freiheitlich verfaßter Staat ohne das verantwortliche Mitwirken jedes Bürgers auch hier keine Besserung erreichen. Schon aus diesem Grunde kann Umweltpolitik nur erfolgreich sein, wenn der einzelne Subjekt und nicht Objekt einer solchen Politik ist.
Meine Damen und Herren, wir alle, die wir im politischen Raum Verantwortung tragen, haben die Pflicht, das Umweltbewußtsein in unserem Land zu stärken. Das gilt nicht nur für das Konsumverhalten, er gilt genauso für die Bewertung der dem Schutz unserer Umwelt dienenden Vorschriften. Wer die Umweltvorschriften verletzt, meine Damen und Herren, begeht nicht nur ein Kavaliersdelikt; er verhält sich in Wahrheit sozial gefährlich, seine Handungen haben einen hohen kriminellen Gehalt. Das muß in den Strafvorschriften zum Ausdruck kommen. Es muß sich aber auch im Urteil der Mitbürger niederschlagen.
— Auch das, Herr Kollege!
— Ja, darüber wollen wir ja hier sehr ernsthaft diskutieren. Aber man muß ja nicht immer gleich daran denken, Herr Kollege.
Die Bundesregierung sieht die Bewältigung der Umweltgefahren als einen Schwerpunkt ihres Programmes innerer Reformen an. Das Sofortprogramm vom 17. September dieses Jahres mußte sich notwendigerweise auf diejenigen Maßnahmen beschränken, die mit den vorhandenen Kompetenzen und Mitteln jetzt schon getan werden können. Die wesentlichen Aufgaben dieses Sofortprogramms und die dabei gesetzten Prioritäten entnehmen Sie der Antwort auf die Große Anfrage. Ich möchte sie an dieser Stelle nicht wiederholen. Aber die Vorarbeiten für ein Gesamtprogramm der Bundesregierung, das über den ersten Schritt des Sofortprogramms hinaus die Zielvorstellungen und die Methoden zu ihrer Verwirklichung umfassend untersuchen und darstellen wird, laufen. Eine Reihe von Arbeitsgruppen haben mit den Vorarbeiten begonnen. In ihnen arbeiten Experten des Bundes, der Länder, der Industrie, der Sachverständigenverbände und wissenschaftlichen Institute zusammen. Dieses Gesamtprogramm soll mit den Ländern und anderen
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Bundesminister Genscher
interessierten Einrichtungen abgestimmt werden und
wird dann Richtmaß für unsere weitere Arbeit sein.
Unbefriedigend ist noch die Zuständigkeitsregelung und die Koordinierung zwischen dem Bund einerseits und den Ländern andererseits. Sie bedarf dringend der Regelung. Auch dann, wenn die Gesetzgebungskompetenz, wie ich hoffe, dem Bund zugesprochen wird, werden die Länder diese Gesetze durchführen müssen. In dieser Durchführung liegt zweifellos die schwerere Aufgabe. Die Länder haben jahrelang in Erfüllung dieser meist undankbaren und bis vor kurzem recht unpopulären Aufgaben Vorbildliches geleistet. Ich betone dies hier schon deshalb, um den Eindruck zu vermeiden, als liege in dem notwendigerweise stärkeren Engagement des Bundes ein Werturteil über die bisherigen Leistungen der Länder.
Erschwert wird die Koordinierung zwischen Bund und Ländern durch die unterschiedlichen Zuständigkeiten in den Ländern selbst. Die Innenministerkonferenz scheidet als Koordinierungsorgan aus, weil in einer Reihe von Ländern wesentliche Bereiche des Umweltschutzes in anderen Ministerien bearbeitet werden. Ich halte es deshalb für zweckmäßig, daß eine Ministerkonferenz geschaffen wird, in der die die Aufgaben des Umweltschutzes koordinierenden Minister des Bundes und der Länder regelmäßig zusammenkommen, um auf diese Weise die teilweise noch unbefriedigende Zusammenarbeit zu verbessern.
Für die Politik der Bundesregierung zur Verbesserung des Umweltschutzes ist der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf zur Ergänzung des Grundgesetzes von zentraler Bedeutung. Durch ihn sollen die bisher bestehenden Kompetenzen für eine Rahmengesetzgebung des Bundes auf den Gebieten des Wasserhaushalts sowie des Naturschutzes und der Landschaftspflege in konkurrierende Kompetenzen übergeführt werden. Außerdem soll nach ihm eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung geschaffen werden.
Die Bundesregierung — das sage ich aus aktuellem Anlaß — will diese neuen Zuständigkeiten nicht für sich, sondern unser politisches Ziel ist es, daß dieses Hohe Haus, der Bundesgesetzgeber, in die Lage versetzt wird, für diese wichtigen Gebiete die Vollkompetenz zu haben. Ein Bundesstaat wie die Bundesrepublik Deutschland, in dem den Parlamenten der Gliedstaaten von Verfassungs wegen auch gesetzgeberische Aufgaben obliegen, muß notwendig mit einem gewissen Maß unterschiedlicher Regelungen leben. Die Bundesregierung weiß und bejaht das. Sie hat sich gleichwohl entschlossen, diesen Entwurf einzubringen, und zwar in der Überzeugung, daß wir der Herausforderung, die die zunehmende Belastung und Verschmutzung der Umwelt für den Menschen der 70er und 80er Jahre bedeutet, nur begegnen und diese Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der vom Menschen geschaffenen Technik nur bestehen können, wenn die einheitlichen und gemeinschaftlichen Anstrengungen aller Kräfte in unserem Volk nicht durch eine Rechtszersplitterung behindert werden.
Eine Vereinheitlichung der im Bundesgebiet geltenden Normen ist schon deshalb ununmgänglich, weil in wesentlichen Bereichen des Umweltschutzes eine Rechtsangleichung der europäischen Staaten und teilweise auch mit außereuropäischen Rechtsordnungen notwendig geworden ist. Die Erfordernisse zeitgemäßen Umweltschutzes verlangen eine Anpassung der nationalen Rechtsordnungen derjenigen Staaten, durch die bestimmte gemeinsame Naturgüter wie Gewässer, Meere und auch die Luft in Anspruch genommen werden.
Meine Damen und Herren, eine Verstärkung der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes ist unabdingbar. Zusammenarbeit und Erfahrungsaustausch sparen Geld. Viele Umweltprobleme können nur gemeinsam gelöst werden. Unterschiedliche Rechtsnormen, etwa unterschiedliche Vorschriften über Autoabgase, können geradezu zu einer Einschränkung des Welthandels führen. Die Lasten aus der Bekämpfung der Umweltgefahren können die einzelnen Volkswirtschaften in Wahrheit nur dann tragen, wenn sich kein Land ausschließt, um für sich Wettbewerbsvorteile auf dem Weltmarkt zu schaffen.
Es darf keine billigen Flaggen des Umweltschutzes geben.
Aus diesem Grunde ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes verstärkt werden muß. Ohne ausreichende Gesetzgebungskompetenz indessen kann die Bundesregierung in Zukunft ihren Verpflichtungen aus internationalen Abkommen über den Umweltschutz nur schwer gerecht werden. Wir können nicht auf internationale Rechtsangleichung drängen, wenn wir sie im nationalen Bereich nicht selbst bewältigen können.
Für den Wasserhaushalt hat die Bundesregierung schon in der vergangenen Legislaturperiode versucht, die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zu erreichen und so zu Maßnahmen gegen typische Verschmutzungen in Ballungsgebieten zu kommen. Es gibt Beispiele dafür, daß auf diesem Gebiet eine Reihe von Problemen viel besser gelöst werden könnte, wenn wir eine Bundeskompetenz hätten. Der Deutsche Bundestag hat dieses Vorhaben in der letzten Legislaturperiode mit der für Verfassungsänderungen erforderlichen Mehrheit gebilligt; es ist aber im Bundesrat gescheitert.
Der neue Anlauf der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode geschieht nicht aus Rechthaberei. Die Bundesregierung hofft vielmehr, daß sich der Bundesrat bei einer neuerlichen Überprüfung der Dringlichkeit des Anliegens, der Dringlichkeit der Schaffung bundeseinheitlichen Wasserrechts nicht verschließen wird. Es sind verschiedene Faktoren, die bei einer solchen neuen Prüfung auch in diesem Haus noch schwereres Gewicht haben werden als vor einigen Jahren. Die Belastung der Gewässer hat weiter zugenommen. Das Problem der Abfallbeseitigung insgesamt und besonders auch seine Bedeutung für den Wasserhaushalt ist noch stärker in den Vordergrund getreten.
4800 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970
Bundesminister Genscher
Wie Sie wissen, gibt es elf verschiedene Wassergesetze der Länder, die in wesentlichen Teilen, wie der Regelung der Gewässerbenutzung, den Anforderungen an das Einleiten von Abwässern und dem Lagern wassergefährdender Stoffe, voneinander abweichen. Der Bundesrat hat gegen die Verfassungsänderung eingewandt, daß eine Vereinheitlichung des geltenden Rechts nur hinsichtlich der Lagerung wassergefährdender Stoffe notwendig sei. Diese könne der Bund auch auf Grund seiner Rahmenkompetenz vornehmen. Für den Gewässerschutz und für die rechtliche Ausgestaltung der Gewässerbenutzung bedürfe es keines einheitlichen Rechts, da solche Regelungen nur abgrenzbare Lebensräume beträfen und keine übergebietliche Bedeutung hätten.
Dieser Argumentation vermag die Bundesregierung nicht zu folgen. Ein Gewässer hat zwar sicher sein abgrenzbares Einzugsgebiet, es hält sich dabei aber nicht an Landesgrenzen. Unsere Bundeswasserstraßen, deren Reinhaltung uns besonders große Sorgen bereitet, fließen durchweg durch mehrere Länder. Die Anforderungen für die Reinigung der Abwässer müssen schon deshalb im ganzen Bundesgebiet von den gleichen Grundsätzen ausgehen, weil regional unterschiedliche Anforderungen zu unzumutbaren Wettbewerbsverzerrungen für Industrie und Gewerbe führen würden.
In Zukunft wird man auch Wege suchen müssen, um den Verursacher der Verunreinigung über Abwasserabgaben zu den Kosten. der Gewässerreinhaltung heranzuziehen. Derartige Abwasserabgaben sind rechtspolitisch und wirtschaftlich nur vertretbar, wenn sie nach einheitlichen Maßstäben erhoben werden. Anderenfalls würde man Gefahr laufen, daß regionale Großzügigkeit gegenüber dem Verschmutzer mit wirtschaftlicher Anziehungskraft belohnt würde.
Für die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung gilt nichts anderes. Auch insoweit hat der Deutsche Bundestag die Initiative der Bundesregierung zur Schaffung einer konkurrierenden Kompetenz schon in der vergangenen Legislaturperiode gebilligt. Auch insoweit hat der Bundesrat geglaubt, ihr nicht zustimmen zu können. Ich will die Gründe, die für diese Grundgesetzergänzung sprechen, hier nicht im einzelnen wiederholen; sie sind Ihnen bekannt. Sie ergeben sich auch aus der Ihnen vorliegenden schriftlichen Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen.
Mir liegt daran, hier etwa ausführlicher auf den Vorschlag der Bundesregierung einzugehen, auch die Rahmenkompetenz für Naturschutz und Landschaftspflege in eine konkurrierende Kompetenz umzuwandeln. Dieser Vorschlag ist im Bundesrat — übrigens im Gegensatz zu den anderen Anträgen — auf nahezu einhellige Ablehnung gestoßen — zu Unrecht, wie ich meine. Der Bundesrat hat vor allen Dingen eingewandt, daß für eine der Vielgestaltigkeit der Landschaften gerecht werdende Regelung die Rahmenkompetenz ausreiche. Der Bund habe von ihr bisher keinen Gebrauch gemacht.
Die Bundesregierung ist dagegen der Ansicht, daß landschaftspflegerische Maßnahmen, die nicht mehr wie früher rein konservierend, sondern gestaltend und vorsorgend sein müssen, auf Grund der Rahmenkompetenz nicht möglich sind. Die Vielgestaltigkeit der Landschaft, die ja auch innerhalb der meisten Länder vorherrscht, fordert nicht eine Vielgestaltigkeit des Rechts.
Einzelmaßnahmen im Umweltschutz, so dringlich sie geworden sind, bleiben Einzellösungen, wenn sie nicht im größeren Zusammenhang gesehen und betrieben werden. Einer dieser Zusammenhänge ist das komplexe System des Naturhaushalts der Landschaft. Wir können darin nicht ein einzelnes Element isoliert behandeln, ohne daß die anderen Glieder der ökologischen Wirkungsketten davon berührt wären. Isoliertes oder bloß sektorales Vorgehen birgt die Gefahr in sich, die natürlichen Kreisläufe empfindlich zu stören oder gar zu unterbrechen.
Was wir zur Erhaltung und Wiedergewinnung einer menschenwürdigen Umwelt für die Zukunft brauchen, ist ein ökologisch fundiertes Management der Landschaft, unserer natürlichen Umwelt. Genauso wie ihre Einzelelemente — Luft und Wasser — nicht an irgendwelchen Verwaltungsgrenzen haltmachen, ist die Landschaft nur als Ganzes zu erfassen und nur als Ganzes zu gestalten. Das ist der Grund dafür, daß wir eine Bundeskompetenz wünschen.
Als überzeugendes Beispiel für die Einsicht in diese Tatsache darf ich hier den Beschluß zitieren, den die Konferenz der Landesbeauftragten für Naturschutz und Landschaftspflege als der gesetzlichen Fachberater der Länderregierungen während des Deutschen Naturschutztages 1970 in Berlin einstimmig gefaßt hat. Dieser Beschluß lautet:
Die Konferenz der Landesbeauftragten für Naturschutz und Landschaftspflege begrüßt die Absicht, dem Bund im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung Zuständigkeiten für den Wasserhaushalt, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung sowie Naturschutz und Landschaftspflege zu übertragen, und richtet deshalb an die gesetzgebenden Organe die dringende Bitte, der Ergänzung des Grundgesetzes zuzustimmen.
Der heutigen Aussprache ist es nicht angemessen, längere verfassungspolitische Ausführungen zu machen. Lassen Sie mich deshalb in aller Kürze in der Sache wiederholen, was ich im Bundesrat bei der ersten Beratung dieses Entwurfs zur Ergänzung des Grundgesetzes gesagt habe: Erstens. Dieser Entwurf ist nicht Teil eines Anschlags der Bundesregierung auf die Eigenstaatlichkeit der Länder. Er bringt keine grundlegenden Verschiebungen der Kompetenzen, sondern er baut auf bereits bestehenden Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes auf. Der Bereich der Zuständigkeiten der Länder für die Gesetzgebung wird nur am Rande berührt.
Zweitens. Dieser Entwurf ist auch keine Absage an das Institut der Rahmengesetzgebung schlechthin, das wir vom Grundsatz her bejahen.
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Bundesminister Genscher
Drittens. Mit Recht ist gesagt worden, ein wirksamer Umweltschutz setze nicht nur Gesetzgebungskompetenzen des Bundes voraus, er erfordere auch und vor allem umfangreiche und kostspielige Investitionen. Dieses Problem, ein Problem auch der Fortführung der Finanzreform, stellt sich für die Enquete-Kommission. Weder die Bundesregierung noch die Enquete-Kommission noch später der Deutsche Bundestag selbst werden ihm ausweichen können. Das schließt aber die Notwendigkeit nicht aus, vorerst und vordringlich zu einer bundeseinheitlichen Gesetzgebung zur Bewältigung der Umweltfragen zu kommen. Diesem ersten Ziel dient der Ihnen vorliegende Entwurf.
Ich habe am Anfang meiner Ausführungen darauf Bezug genommen, daß es notwendig sein wird, in unserem Land das Umweltbewußtsein jedes einzelnen Bürgers zu stärken. Ich möchte allerdings sagen: Wir werden nicht allein mit einer solchen Stärkung des Umweltbewufitseins in unserem Land auskommen. Es ist genauso notwendig, daß der Begriff der Umweltmoral, den wir für das Zusammenleben der einzelnen Menschen brauchen, auch im Zusammenleben der Völker untereinander gilt. Wenn der Minister eines anderen europäischen Landes im Zusammenhang mit einer aktuellen Frage erklärt hat, was ein Staat mit seinem Anteil an einem Gewässer mache, sei allein seine Sache,
so mutet das an wie ein Rückfall in die ökologische Steinzeit.
Das sollte aus dem internationalen Verkehr verschwinden.
Meine Damen und Herren, unsere Bitte an das Hohe Haus, der Verfassungsänderung zuzustimmen, dient nicht zuletzt auch dem Ziel, neben der Schaffung der Zuständigkeiten in unserem Lande zu zeigen, daß wir die Gestaltung unserer Umwelt und die Bekämpfung der Umweltgefahren als eine umfassende Aufgabe in unserem Bundesstaat betrachten. Deshalb erbitten wir Ihre Unterstützung.
Ich danke dem Herrn Bundesminister.
Wir treten in die Aussprache ein, die miteinander verbunden wird. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Gruhl für die CDU/CSU-Fraktion, der in seinen Ausführungen gleichzeitig den Antrag zum Tagesordnungspunkt 3 c) begründen wird. Es ist eine Redezeit von 40 Minuten beantragt worden. Ihm folgt dann Herr Dr. Bardens.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Gruhl!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie, daß ich anläßlich der ersten Debatte dieses Hohen Hauses über Fra-
gen des Umweltschutzes das Problem in die ihm zukommende Größenordnung rücke; denn wir haben es hier mit einer Gefahr zu tun, die sich nicht so spektakulär ankündigt wie seinerzeit das Aufblitzen der Atombombe. Wir haben uns inzwischen daran gewöhnt, mit der Atombombe zu leben. Die Gefahr aber, daß wir uns an die laufende Gefährdung unserer Umwelt gewöhnen, ist sehr groß, weil sich dieser Prozeß langsam und unaufhörlich vollzieht.
In den letzten Jahren ist diese Gefahr ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gedrungen. Doch sie wächst von Jahr zu Jahr, und die Menschen aller Länder arbeiten Tag für Tag an ihrer Erhöhung, meist ohne daß sie es wissen. Sie haben die gute Absicht, den Menschen mehr Güter, mehr Komfort, ein besseres Leben mit unbeschränkten Möglichkeiten zu bieten. Mit immer höherer Produktion, mit steigenden Wachstumsraten glauben sie das Glück aller Menschen erzwingen zu können. Die Zahlen des steigenden Konsums werden gleichgesetzt mit wachsendem Wohlbefinden, ja, mit dem moralischen Aufstieg aller Menschen.
Gigantische Produktionen wurden und werden aufgebaut, die Massen von Gütern ausstoßen, die unser aller Leben verändert haben und in immer stärkerem Maße verändern. Aber zugleich fallen unvorstellbare Berge von Abfallprodukten, und zwar schon bei der Rohstoffgewinnung und bei der industriellen Verarbeitung, an. Diese sind nicht nur schmutzig, sondern weitgehend auch giftig. Dennoch werden diese Abfälle bis heute in die Gewässer geleitet, in die Meere getragen, in die Luft gewirbelt. In früheren Jahren waren es kleine Mengen. Aber der menschliche Geist ersann die automatisierte Ausbeutung der Erde mittels immer größerer Maschinen. Das führte besonders in den letzten beiden Jahrzehnten zu einer immer größeren Steigerung des Zivilisationsabfalls aller Art, so daß wir diesen Abfall auf jedem Einzelgebiet heute nur noch in Millionen von Tonnen messen können.
Aber auch die fertigen Erzeugnisse werden dann wieder in den Abfalleimer Erdball geworfen. Der zukünftige Müllanfall wird die heutigen Ausmaße darum noch weit übertreffen. So wird z. B. die Lawine der Autowracks erst in Jahrzehnten ihren äußersten Umfang erreichen. Dennoch arbeiten die Menschen aller Erdteile an immer noch raffinierteren Systemen zur Ausbeutung des Erdballs. Was sie brauchen, nehmen sie; den größten Teil aber lassen sie liegen, versenken ihn im Meer oder verbrennen ihn.
Das Luftmeer und die Gewässer der Ozeane erschienen den Menschen noch vor Jahrzehnten beängstigend groß, unendlich und unerschöpflich, so daß er glauben konnte, jedes Gift verflüchtige sich darin, als sei es nur der Inhalt eines Fingerhuts gewesen. Aber inzwischen wissen wir, daß unsere Erde samt ihren Ozeanen und samt der Lufthülle viel zu klein ist, um die Folgen des mechanisierten Raubbaues zu überstehen. Die Grundlagen allen Lebens auf diesem Stern — und das sind Erdboden, Luft und Wasser — stehen uns keineswegs unbeschränkt zur Verfügung, sondern leider nur sehr
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Dr. Gruhl
begrenzt. Wenn wir diese Substanzen weiterhin so angreifen, dann zerstören wir uns selbst.
Bereits in den letzten Jahren ist das Leben in so riesigen Binnengewässern wie dem Eriesee in Nordamerika erstorben. Unser Bodensee ist im Begriff, ein totes Gewässer zu werden, und Ostsee wie Mittelmeer sind bereits von Giften angereichert. Es ist grotesk, meine Damen und Herren, während einige Wissenschaftler noch große Pläne zur Nutzung der Weltmeere für die Ernährung der Menschheit entwerfen, weisen andere bereits nach, daß die Meere jetzt schon verseucht sind; denn sie sind zum Müllabladeplatz aller Länder geworden. Wieder andere bauen Tanker von 100 000, 200 000, 250 000 Tonnen, die bei einer einzigen Havarie die Küsten ganzer Kontinente verpesten werden.
Die Atmosphäre der gesamten nördlichen Halbkugel ist bereits verunreinigt; denn hier liegen alle Industrienationen: die Vereinigten Staaten, die westeuropäischen Länder, die UdSSR und .Japan. Die Luftströmungen tragen den Dunst rund um die Erde. Darum können wir, wie bei den Weltmeeren, die Bekämpfung nur gemeinsam mit den anderen Völkern betreiben. Wann aber werden alle Völker das tun und so weit sein? Selbst internationale Abkommen, die geschlossen werden, sind dann schwer in der Durchführung zu überwachen. Wenn wir von Umweltschutz sprechen, dann müssen wir vom Zustand des ganzen Erdballs ausgehen, der unsere Umwelt ist.
Was bedeutet der Begriff Umweltschutz? Wir meinen damit Schutz des Lebens überhaupt, damit auch Schutz des Lebens der Menschen. Doch Schutz wovor? Vor dem Menschen selbst, vor seinem eigenen Tun und dessen Folgen, die vor Jahren noch nicht in diesem Ausmaß zu übersehen waren. Dank Presse, Rundfunk und Fernsehen ist jedoch die Kenntnis in den letzten Jahren sehr gewachsen, wenn auch längst noch nicht verbreitet genug. Aber wir können nicht darauf warten, bis dies alle erkennen. Wir müssen beginnen zu handeln, weil keine Zeit mehr zu verlieren ist.
Lassen Sie mich einen weiteren Gedankengang anstellen, meine Damen und Herren. Die Menschheit wird sich bis zum Jahre 2010 fast verdoppeln, von 31/2 auf 7 Milliarden. Auf diese bedrohliche Entwicklung will ich hier gar nicht ausführlich eingehen, sondern nur hoffen und unterstellen, daß sich die Erdbevölkerung bei 7 Milliarden stabilisieren wird; denn das ist schon alarmierend genug. Ich will sogar kühn unterstellen, daß diese 7 Milliarden dann ernährt werden können.
Hier steht aber die Umwelt in ihren Grundlagen zur Debatte. Alle Voraussagen und alle Anstrengungen der Wirtschaft gehen dahin, die industrielle Produktion bereits in 20 Jahren zu verdoppeln. Damit wären wir bei einer Vervierfachung der Produktion von heute, ohne noch den gewaltigen Rückstand der Bevölkerung in den Entwicklungsländern berücksichtigt zu haben. In den Vereinigten Staaten werden bereits heute 16 Tonnen Naturstoffe pro
Einwohner und Jahr abgebaut. Das entspricht im Volumen einem verbrauchten Gebirge in der Größe des halben Harzes.
Aber was tun wir in Europa? Bereits heute haben wir in der Bundesrepublik 315 000 Hektar Sozialbrache. Das ergibt eine Fläche des Unkrauts und der Steppe von der Größe des Saarlandes. Bei der heutigen Politik wird diese Entwicklung weitergehen; denn der Staat zahlt Prämien für die Aufgabe des Landes, schult Menschen um, beachtet aber nicht in dem Maße die liegengebliebenen Flächen. Der letzte Landwirt soll zum rein wirtschaftlichen Denken erzogen werden, von dem wir aber im Bereich der Natur abkommen müssen. Die heute angeblich moderne Landwirtschaftspolitik verwirklicht Grundsätze, die bereits 1980 überholt sein werden. Nicht einmal die Aufforstung der Ödflächen ist ein taugliches Mittel, da ein endloses Waldgebiet auch für den Fremdenverkehr und für die Erholungsuchenden uninteressant ist.
Die Raumplanung und Landespflege haben trotz aller guten Absichtserklärungen eine verhängnisvolle Entwicklung nicht aufhalten können: den Zug in die ungesunden Ballungszentren. Als wäre es ein Naturgesetz, wird heute verkündet, daß im Jahre 1980 90% der Bevölkerung in Städten leben werden. Ja, warum das? Warum zieht man heute noch Menschen in die unzuträglichen Ballungsräume? In wenigen Jahren wird man dafür werben und Prämien zahlen, daß Menschen wieder hinausgehen, um das Land zu pflegen, welches vordem verlassen wurde. Mit großen öffentlichen Mitteln und ohne den heute gepriesenen wirtschaftlichen Nutzen wird man die Ländereien in Ordnung halten, deren heutiger, wenn auch bescheidener Ertrag immerhin auch noch einen wirtschaftlichen Erfolg gewährleistet.
Dafür werden aber immer weniger Flächen immer intensiver bestellt, d. h. nicht nur mit großen Mengen von Kunstdünger angereichert, sondern auch mit Pestiziden und Herbiziden. Deren Gefährlichkeit für Tier und Mensch ist heute schon erkannt, aber längst noch nicht in ihrer Vielfältigkeit erforscht. Welche Folgen werden sich erst einstellen, wenn diese Mittel nach jahrzehntelanger Anwendung permanent das Grundwasser vergiften und schließlich ins Trinkwasser gelangen?
Ich fasse das Ergebnis dieser kurzen Ausführungen darüber zusammen: Wir müssen die Landwirtschaftspolitik von Grund auf überprüfen.
Ich will die Betrachtung in der Richtung nicht vertiefen, wieweit die unterernährten zwei Drittel der Menschheit, die täglich von weniger als einem Pfund Getreide leben, in Zukunft ernährt werden können. Kann es aber hingenommen werden, der Erde nur die begehrtesten Güter zu entreißen und sie dabei völlig aus dem Gleichgewicht zu bringen? Denn eine Menge von organisch nicht abbaubaren Stoffen wird damit freigesetzt und bringt die Natur zum Absterben.
Ich finde es erstaunlich, wie wenig die angeführten Zusammenhänge bei den auf das Jahr 2000 fixierten Überlegungen und Prognosen unserer
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Futurologen eine Rolle spielen. Die meisten ihrer optimistischen Aussagen gehören wahrscheinlich heute schon in den Papierkorb.
Rechnen wir einmal vorsichtig und bleiben wir bei einer Verdoppelung der Erdbevölkerung bis zum Jahre 2010 und bei einer Verdoppelung des Abfalls je Einwohner, dann erwartet uns eine Steigerung um 400 %, d. h. es geht dann viermal mehr Staub, Rauch, Gas, Gift in die Luft, viermal mehr Kot, Salz, Chemiemüll in die Flüsse und in die Weltmeere. Das bedeutet viermal mehr Lärm in dieser Welt —denken Sie an den Überschallknall , eine viermal so große Ausbeutung der Rohstoffvorräte und mindestens doppelten Konsum an Pflanzen und Tieren durch die Menschheit. Dabei sind die besonderen Probleme des atomaren Mülls und die Gefahren der radioaktiven Strahlung noch gar nicht berücksichtigt.
Wenn wir es so weiterlaufen lassen, meine Damen und Herren, dann werden wir uns bald in einem Stadium der Selbstausrottung befinden, die einer atomaren Katastrophe gleichkommt, und die Hälfte von uns hier im Saal kann noch den Anfang davon erleben.
Denn berücksichtigen Sie bitte das zusätzliche Faktum: Die Welle der naturzerstörenden Wirkungen unserer Zivilisation tritt mit einer in der Sache begründeten, jedoch unausweichlichen Verzögerung ein. Darum würde man selbst bei einem radikalen Stopp der Verunreinigungen auf dem heutigen Stand die gesteigerten Nachwirkungen nicht verhindern; denn die Produktion, die heute anläuft, landet erst in Jahren auf dem Müllplatz, in den Weltmeeren, in der Luft und die chemischen Anteile wieder in Pflanze, Tier und Mensch.
Der UNO-Generalsekretär U Thant sprach darum im Sommer dieses Jahres von einem multiplikatorischen Effekt der Umweltverschmutzung und kam zu folgendem Schluß: „Wenn die gegenwärtige Tendenz anhält, ist die Zukunft des Lebens auf der Erde in Gefahr." Soweit U Thant. Wir haben allen Grund, aufs höchste alarmiert zu sein; denn die Verschmutzung ist tatsächlich eine atomare Bombe mit Zeitzünder, eine zweite Weltgefahr gleicher Größenordnung. Sie kann sogar noch gefährlicher werden, weil wir bis heute alle unablässig daran mitwirken und eine Automatik in all unser Tun und Denken gekommen ist, die eine Umkehr schwer macht. Hier muß erst einmal die Erkenntnis einzelner zur Vernunft und zum Handeln aller führen.
Wenn wir jedoch weiter so verfahren wie bisher, dann kommen wir an den Punkt ohne Rückkehr, von dem die Amerikaner bereits sprechen, wo es nicht mehr gelingen wird, das Rad zurückzudrehen und das Absterben der Natur aufzuhalten. Hier hilft auch eine Besserung an dieser oder jener Stelle nicht, hier hilft kein Kurieren an Symptomen. Es gibt nur einen einzigen Ausweg: der Eingriff der Technik in den Naturkreislauf, der bisher weitgehend zerstörte, muß sich die Wiederherstellung zum Ziel setzen. Denn solange wir auch nur einen beträchtlichen Teil unseres Ausstoßes an Stoffen der Natur anlasten, wird sie im Laufe der Jahrzehnte oder Jahrhunderte dennoch aufgezehrt werden. Bedenken Sie bitte: wir betreiben den Abbau
der Natur in diesem gigantischen Stil ja erst seit etwa 50 Jahren.
Eine neue vielseitige Wissenschaft, die Ökologie
auf deutsch: die Haushaltkunde der Natur — muß großzügig ausgebaut werden, d. h. die Forschung darüber, wie menschliche Nutzung so gestaltet werden kann, daß ihre Eingriffe von der Natur ohne Schaden verkraftet werden können. Wir müssen sofort Maßnahmen einleiten, wo Schädigungen auf der Hand liegen.
Die Forschungsaufgaben sind auch so groß und differenziert, daß wir uns eine Zersplitterung nicht leisten können. Die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten des Bundes, der Länder, der Wissenschaft und der Wirtschaft müssen in einer Institution beim Bund zusammengefaßt werden. Wie diese im einzelnen auszusehen hat, wollen wir den gemeinsamen Beratungen überlassen. Die CDU/CSU hat in ihrem Antrag vom 20. Mai 1970, der heute auf der Tagesordnung steht, einen vielseitigen Katalog von Maßnahmen vorgeschlagen. Nicht alles davon ist sofort zu verwirklichen. Aber einiges sollte doch unverzüglich eingeleitet werden, vor allem das, was die Erforschung der wissenschaftlichen Grundlagen angeht. Denn das kostet noch keine Milliarden, muß aber dann erarbeitet sein, wenn es an die Verwirklichung geht.
Darum sind wir heute in der Lage, die Forschung auf dem Gebiete der unsichtbaren Gifte schnellstens forcieren zu müssen. Es wäre aber unsinnig, wenn wir erst Jahre und Jahrzehnte zu ergründen suchten, wieviel Schwefeldioxyd z. B. der Mensch gerade noch erträgt, ehe ihm die Luft ausgeht. Wenn schon ein geringer Anteil schädlich ist, dann muß die Forschung darauf gerichtet sein, die Gifte überhaupt drastisch zu verringern.
Wer soll aber damit beginnen, die gesunde Umwelt wiederherzustellen, wenn nicht wir, eine der Industrienationen? Einerseits haben wir einen solchen Lebensstandard erreicht, daß man uns die Aufwendungen dafür zumuten kann und muß. Auf der anderen Seite gehören wir in der Bundesrepublik leider zu den größten Verschmutzern dieser Welt. Die Vereinigten Staaten sind bereits ein großes Stück weiter in ihrem Programm des Umweltschutzes. Japan ist im Begriff, ein radikales Programm in die Tat umzusetzen.
Ich komme zu einigen praktischen Anwendungsbereichen in der Bundesrepublik. Hier haben einzelne Länder und auch Kommunen bereits Hervorragendes geleistet. Aber leider ist das sehr unterschiedlich. Dabei kann in unserer räumlichen Enge sehr wohl ein Gebiet mit vorbildlichen Anlagen für die Abwässer- und Abfallbeseitigung die von der Nachbarschaft verursachten Abwässer und Abgase schlucken müssen. Darum müssen alle Abwässer der Industrie und der privaten Haushalte biologisch so geklärt werden, daß sie das Leben der Flüsse nicht mehr länger gefährden und kein Gift mehr in die Meere tragen. Das erfordert in wenigen Jahren einen Aufwand von mindestens 35 Milliarden DM.
Alle Abfälle müssen so beseitigt werden, daß sie weder Boden, Grundwasser noch Luft verunreinigen.
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Dazu sind komplizierte Verfahren der Verbrennung und Kompostierung nötig. Aus Gründen der gleichen Lebensbedingungen für unsere Bürger und der gleichen Wettbewerbsbedingungen für die Industrie und im Hinblick auch auf zu schließende Abkommen mit anderen Ländern sind bundeseinheitliche Regelungen nötig.
Insofern stimmt unsere Fraktion mit den Ausführungen des Herrn Innenministers im Grundsatz überein. Die CDU/CSU-Fraktion ist daher bereit, auf den Gebieten der Luftreinhaltung, der Lärmbekämplung und des Wasserhaushalts dem Bund zu geben, was er braucht. Voraussetzung für unsere Zustimmung in der zweiten und dritten Lesung der von der Bundesregierung beantragten Verfassungsänderung ist allerdings, daß die Bundesregierung bis dahin ihre Geestzesvorlagen im Bundestag eingebracht hat
und damit in einer für uns sachlich befriedigenden Weise auch darstellt, wie sie die Gesetzgebungskompetenz des Bundes auszufüllen gedenkt.
Wir sollten uns auch überlegen, ob die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht auf das Gebiet der Abfallwirtschaft ausgedehnt werden muß. Unseres Erachtens sind für das ganze Bundesgebiet Pläne zu erstellen, in denen die günstigsten Standorte für Anlagen der Müllbeseitigung und für die Klärung der Abwässer sowie ihre — möglichst großen — Einzugsgebiete festzulegen sind. In die Betrachtung einzubeziehen ist die Planung für die Trinkwasserversorgung über die nächsten fünfzig bis hundert Jahre. Auch hier werden große finanzielle Aufwendungen nötig sein.
Die Kosten wird — wie in der Industrie — der einzelne Verursacher tragen müssen; das ist hier auch der einzelne Bürger, dessen steigender Konsum zu dieser desolaten Situation mit geführt hat. Der Staat wird im Prinzip nur dort fördernd eingreifen können, wo besondere Erschwernisse vorliegen, z. B. in Gebieten geringer Bevölkerungsdichte und bei schwierigen Geländeverhältnissen. Bei der Industrie gilt das dort, wo sonst die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Branchen nicht mehr aufrechterhalten werden könnte.
Der Bund wird ohnehin große Summen bereitstellen müssen, um die Grundlagenforschung zu betreiben, um ein dichtes Kontrollnetz von Meßstationen sowohl zur Luft- als auch zur Wasserüberwachung zu unterhalten. Andere Länder haben damit bereits begonnen. Bei uns laufen viele Versuche, besonders bei Instituten. Erst bei einer lückenlosen Überwachung kann jeder Verstoß sofort entdeckt und auch verfolgt werden.
Leider werden heute nicht einmal die bestehenden Vorschriften durchgesetzt. Das gilt vor allem gegenüber der Industrie, deren komplizierte Emissionen ohnehin schwer in den Griff zu bekommen sind. Aber mehr Kompetenz, mehr Mut ist hier vonnöten.
Auch die Ausbildung des entsprechenden Fachpersonals gehört zu den unmittelbaren Aufgaben.
Jeder Bürger wirkt an den beiden stärksten Luftverunreinigungen mit, unter denen wir leiden, an der durch den Hausbrand und an der durch die Autoabgase. Gas- und Elektroheizung brächten die vollkommene Lösung, doch sie werden nicht überall einzuführen sein, abgesehen von dem Problem, den steigenden Bedarf an Elektroenergie auch in Zukunft sicherstellen zu können. Man wird darum in den Städten auch an Sammelheizungen mit der Verpflichtung zum Anschluß denken müssen.
Die Autoabgase werden wir letzten Endes nur beseitigen und den Lärm mindern können, wenn die Einführung einer neuen Antriebsart gelingt. Der amerikanische Präsident will in 5 Jahren ein solches Fahrzeug entwickeln lassen. Selbst dann würde die Ablösung der bisherigen Wagen noch Jahrzehnte dauern. Darum werden wir um eine Nachverbrennung der Abgase nicht herumkommen. Zur Zeit befinden wir uns in der absurden Situation, daß das VW-Werk bei den zum Export nach den USA bestimmten Fahrzeugen die Verbrennung entsprechend den dortigen Bestimmungen verbessert, bei uns aber diese Wagen noch nicht in diesem Maß verkauft.
Eine gründliche Nachverbrennung ist allerdings erst bei entsprechenden Neukonstruktionen der Fahrzeuge möglich. Wir leisten uns in der Bundesrepublik die umweltschädlichste Besteuerung, die es gibt, nämlich die nach dem Hubraum.
Obwohl wir das alle wissen, wird nichts daran geändert, weil man sich auf keine andere Bemessungsgrundlage einigen kann.
Die Regierung hat in Beantwortung einer Kleinen Anfrage von uns am 26. November dieses Jahres erklärt, daß sie — ich zitiere — „prüft, ob der Hubraum als Besteuerungsgrundlage für Personenkraftwagen noch beibehalten werden kann". Ich sehe den Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen im Augenblick nicht hier, der diese Antwort unterschrieben hat, möchte aber dazu sagen: Da gibt es gar nichts mehr zu prüfen. Wir können auch nicht auf das Dritte Steuerreformgesetz warten, das 1974 oder 1975 einmal in Kraft treten könnte.
Um diesen unhaltbaren Zustand schnell zu überwinden, wird die CDU/CSU-Fraktion selbst einen Entwurf zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes einbringen.
Bis die neuen Motoren serienmäßig produziert werden können, vergehen schließlich noch Jahre. Diese Motoren werden dann auch den Bleizusatz unnötig machen. Trotzdem muß der Bleizusatz schneller gesenkt werden, als es die Bundesregierung plant. Für 1976 kann das Ziel nur ein nahezu bleifreies Benzin sein; denn die Wirkung der Verminderung auf 0,15 Gramm je Liter, die vorgeschlagen wurde, würde bei einer Verdoppelung des Verkehrs fast wieder zunichte. Die CDU/CSU wird auch hierzu ihre Vorstellungen einbringen.
Darüber hinaus werden wir beantragen, batteriegetriebene Fahrzeuge, die überhaupt kein Abgas
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entwickeln und außerdem leiser sind, steuerlich ganz erheblich zu begünstigen. Dies tun andere Länder auch, was zu der erfreulichen Folge geführt hat, daß dort schon Zehntausende von Fahrzeugen dieser Art laufen.
Unsere Aufgabe als Politiker besteht darin, die Wirtschaft und die Industrie durch Gesetze und Verordnungen dahin zu bringen, daß sie bei allen Weiter- und Neuentwicklungen nicht nur die Frage nach dem Bedürfnis, sondern auch die Frage nach den ökologischen Konsequenzen stellt. Die ökologische Betrachtungsweise muß die Folgewirkungen auf die komplexen Beziehungen aller Lebewesen in der Umwelt zur Grundlage des Kalküls machen. Wir können nicht mehr wie bisher alles unter dem ausschließlichen Gesichtspunkt des Nutzens für das wirtschaftliche Wachstum betrachten.
Die ökologische Kalkulation vor Beginn jeder zukünftigen Produktion muß so aussehen:
1. Sind die Bodenschätze so reichlich, daß ihre Verwendung für diesen Zweck zu verantworten ist?
2. Welche umweltschädigenden Wirkungen entstehen
a) bei Ausbeutung der Bodenschätze,
b) im Laufe der Verarbeitung,
c) bei den Transporten auf Straßen, Luft- und Wasserwegen,
d) bei Anwendung und Verbrauch?
3. Wie läßt sich das Produkt, sobald es unbrauchbar geworden ist, ökologisch schadlos beseitigen und zu welchem Preis, oder läßt es sich weiterverarbeiten, was ein positives Faktum wäre?
Wenn bei Berücksichtigung dieser Kriterien die Nachteile größer sind als die Vorteile, muß in Zukunft die Herstellung eines Produkts unterbleiben. Hier stehen wir als Gesetzgeber vor ganz neuen Aufgaben. Wir werden um die Verantwortung nicht herumkommen, für bestimmte, die Umwelt schädigende Stoffe Verwendungsbeschränkungen, ja, auch Verbote zu erlassen. Bisher war man der irrigen Meinung, daß die Inanspruchnahme der natürlichen Substanzen unserer Umwelt durch die Wirtschaft nichts koste. Jetzt wissen wir: Die Kosten trägt zwar nicht die Wirtschaft, aber die Kosten tragen wir alle in einer jetzt schon unzumutbaren Weise.
Wenn man die Frage nach den ökologischen Folgen voranstellt, wird der Rahmen, in dem sich die wirtschaftliche Entwicklung abspielt, zwar enger als bisher, wo man alles das produziert, was technisch machbar ist und für das ein Bedürfnis bestehen oder geweckt werden könnte. Aber haben Wirtschaftler und Techniker erst einmal den Gesinnungswandel vollzogen, werden sich ihnen auf dem Gebiet qualitativer Kombinationen und Entwicklungen ebenfalls wieder Entscheidungsmöglichkeiten eröffnen, und zwar genau in dem Maße, in dem sie auf blindwütige expansive, vorwiegend quantitative Steigerung, Ausbeutung, Vergeudung verzichten.
Einige Industriezweige haben bereits aus wirtschaftlichen Gründen den Weg beschritten — wie der Herr Innenminister auch erwähnte —, aus Abfällen der bisherigen Produktion neue Erzeugnisse zu fabrizieren. Dies wird künftig in großem Maße geschehen müssen, auch dort, wo es bei reiner Kostenrechnung nicht rentabel wäre, und auch aus den Resten verbrauchter Waren müssen in Zukunft all die Stoffe herausgezogen werden, die einer neuen Verarbeitung zugänglich sind. Den gleichen Grundsatz hat der amerikanische Präsident Anfang dieses Jahres aufgestellt, als er darlegte, wie leichtfertig wir bisher mit den Gütern dieser Erde umgegangen sind.
Hier sind wir wieder beim Kern des Problems. Das Ziel des Umweltschutzes wird nicht erreicht, wenn wir es in der Haltung der Defensive anstreben. Wir müssen die Gefahren ,bereits an ihren Quellen abstellen, indem wir mit einer neuen Gesinnung vorausschauend für eine ferne Zukunft arbeiten, indem wir die „Umweltvorsorge" zum obersten Grundsatz erheben.
Meine Damen und Herren, wenn Sie die riesigen Aufwendungen bedenken, die die Industrie wird erbringen müssen, um ihre schädlichen Emissionen wesentlich zu vermindern, und wenn Sie die vorhin genannten Maßnahmen der Städte und Gemeinden hinzuzählen, wird klar, daß dies alles zusammen zu einer erheblichen Verteuerung der bisherigen Lebenshaltung führen wird. Das wird Folgen für die Struktur unserer Gesellschaft haben, die heute noch nicht zu übersehen sind.
Wer angesichts dieser noch gar nicht abzuschätzenden Kosten von einer Verdoppelung des Verbrauchs an Gütern je Einwohner bis zum Jahre 1985 spricht, handelt meines Erachtens unverantwortlich. Eine solche Ankündigung kann nur machen, wer unterstellt, daß wir unser Verhalten nicht ändern werden und demnach 1985 in der Bundesrepublik — verglichen mit der heutigen Situation — mehr als die doppelte Belastung für jeden einzelnen Menschen hinnehmen wollen. Aus solchen Erklärungen auch von seiten der Bundesregierung spricht eine beachtliche Unwissenheit, so daß wir befürchten müssen, daß dort noch die alte blinde Ideologie des Wachstums um jeden Preis herrscht, die zu unserer Selbstvernichtung führen muß. Meine begründete Meinung ist hingegen die, daß sich der materielle Lebensstandard, wie er zur Zeit in den Vereinigten Staaten und bei uns erreicht ist, nicht mehr wesentlich steigern läßt. Aber sind nicht das klare Wasser, die reine Luft und die Möglichkeit, sich in gepflegten Landschaften zu erholen, auch Steigerungen unseres Lebens?
Das Problem, das wir von heute ab hier behandeln und das uns immer wieder beschäftigen wird, ist längst keines der Romantik mehr, sondern eines der harten, kalten Notwendigkeit. Wir befinden uns in der Lage eines Schwerkranken, und ich hoffe, wir wollen weiterleben. Der Schwerkranke fragt in
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seiner Not nicht nach mehr Wohlstand, sondern setzt seine letzten Kräfte und Mittel ein, um zunächst einmal wieder gesund zu werden.
In dieser Lage befindet sich die Bundesrepublik heute. Umfragen haben ergeben, daß dies in der Bevölkerung auch bereits erkannt ist und daß unsere Bürger durchaus bereit sind, auch auf manches zu verzichten, wenn die Umwelt gesünder wird.
Damit habe ich die Größe der Aufgabe umrissen, die wir jetzt anzupacken haben, damit wir die Grundlagen für ein lebenswertes Dasein für uns und unsere Nachkommen bewahren. Diese Aufgabe ist so umfangreich, daß sich noch nicht genau in Zahlen ausdrücken läßt, was für ihre Lösung getan werden muß.
Demgegenüber ist das, was heute an praktischen Maßnahmen aus der Tagesordnung des Hohen Hauses steht, kaum ein bescheidener Anfang. Ich meine das Fluglärmgesetz in seiner jetzigen Fassung. Dieses Gesetz wird aber immerhin verhindern, daß Fehlentwicklungen weitergehen, daß heute noch dort Wohnungen gebaut werden, wo in einigen Jahren der Lärm dann bereits wieder unerträglich sein wird. Daher liegt der bedeutende Fortschritt der heutigen Vorlage darin, daß die Grenzen der beiden Lärmbereiche so zu ziehen sind, daß sowohl der Flugbetrieb auf zehn Jahre im voraus als auch die zu erwartende Ausbaustufe des jeweiligen Flughafens mit einbezogen werden.
Wenn dieses Gesetz auch längst noch nicht alle Wünsche erfüllt, so sind wir doch der Meinung und stimmen dabei mit den anderen Parteien völlig überein, daß wir hier einen Anfang setzen müssen. Die Umweltvorsorge ist das Thema der Menschheit, das nie aufhören wird, uns zu beschäftigen, wenn wir auch nur auf dem heutigen Stand der Kultur weiterleben wollen. Ist das nicht eine große Aufgabe für unsere Jugend, die sich Ziele setzen will? Hier findet sie einen Gegenstand für enorme Anstrengungen, der ihre Erfindungskraft, soziale Verantwortung, ihre Bereitschaft für Lasten und Verzichte voll und ganz in Anspruch nimmt, eine Aufgabe, die aber auch ein großes Versprechen auf ein lebenswertes Dasein für unser Volk zum Inhalt hat, ein Versprechen, das auch erfüllbar ist, denn es hat Vorgänger. Denken Sie an die großen Unternehmungen der Vergangenheit, die wir vollbracht haben: Wiederaufbau, Lastenausgleich. Auch das waren am Anfang Visionen, auch da waren am Anfang Fristen. Wenn wir die kommenden Lasten gerecht verteilen, können wir wiederum Großes erreichen. Aber wir haben gar keine andere Wahl, wir müssen eine heile Umwelt schaffen, damit wir weiterleben können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es war die erste Rede des Herrn Kollegen Dr. Gruhl in diesem
Hohen Hause. Ich beglückwünsche Sie dazu und wünsche Ihnen weiterhin alles Gute.
Bevor ich dem Herrn Kollegen Dr. Bardens das Wort erteile, gebe ich noch bekannt, daß entsprechend einer interfraktionellen Vereinbarung die Fraktionen zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes der Ihnen mit Drucksache VI/ 1009 zusammen mit einem Bericht des Rechtsausschusses auf Drucksache VI/1585 vorliegt, etwa um 12.45 Uhr Erklärungen abgeben werden. Ich werde dazu die Beratung der aufgerufenen Tagesordnungspunkte unterbrechen.
Das Wort hat nunmehr der Herr Kollege Dr. Bardens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in der Bundesrepublik eine Periode der Entwicklung hinter uns, die ganz der Sicherung des wirtschaftlichen Fundaments unseres Staates, der wirtschaftlichen Grundlage für alle Politik, die wir treiben wollen und müssen, und der Mehrung auch des privaten Wohlstandes diente. Es war verständlich und nach dem totalen Zusammenbruch gerechtfertigt, daß all das im Vordergrund stand, denn die meisten von uns mußten ohne Besitz und zunächst auch scheinbar ohne große Chancen neu beginnen. Unser Volk hat unter schwierigsten Umständen diese enorme Aufbauleistung vollbracht. Dabei ist aber ein bedenklicher Rückstand an öffentlichen Investitionen eingetreten, soweit sie nicht unmittelbar der wirtschaftlichen Infrastruktur dienten. Das gilt für Teile des Gesundheitswesens ebenso wie für Bildungseinrichtungen. Besonders gravierend aber macht sich bemerkbar, daß jahrzehntelang zuwenig für die Sicherung einer menschenwürdigen Umwelt getan wurde. Ich sage ausdrücklich „menschenwürdig", weil ich von anderen Umweltschutzmotiven, die nicht am Menschen orientiert sind, nicht viel halte. Auch Umweltschutz muß auf den Menschen mit seinen gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnissen bezogen sein. Anders dient er dem Ziel nicht. Der Mensch hat von einer auch puristischen Ansprüchen genügenden Umwelt nichts, wenn er in dieser Umwelt verhungert oder wenn er die Möglichkeiten der Technik in dieser Umwelt nicht mehr vernünftig nutzen kann.
Diese hinter uns liegende Entwicklungsphase ist noch durch eine andere Fehlhaltung gekennzeichnet. Man hat sich in diesen Jahren so verhalten, als ob Boden, Luft und Wasser Konsumgüter des täglichen Bedarfs wären, die man beliebig reproduzieren könnte. Der falsche Umgang mit dem Boden hat schon ziemlich allen von uns klargemacht, daß es so nicht weitergehen kann. Daß auch Wasser und Luft nur in begrenzter Menge, wenn nach der verwertbaren Qualität gefragt wird, zur Verfügung stehen, muß erst noch allen bewußt werden. Wir wollen hier keiner sozialen oder politischen Gruppe den Vorwurf machen, sie sei allein oder überwiegend schuld an dieser Fehlentwicklung. Wir Sozialdemo-
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kraten wollen, obwohl wir ganz günstige Voraussetzungen haben, auch keinen Streit um die Ideenpriorität auf diesem Gebiet entfachen. Das wäre sinnlos; denn die Aufgabe, die vor uns steht, ist zu groß, als daß sie zum parteipolitischen Schlachtfeld gemacht werden dürfte. Wir alle müssen sehr nüchtern, sehr ernst daran mitarbeiten. Wer sich aus politischen Gründen verweigern will, stellt sich meines Erachtens in der Öffentlichkeit bloß und schadet sich selbst.
In den vergangenen Jahren ist mancher von uns, der auf Grund seiner beruflichen Erfahrung oder auf Grund anderer Informationen schon früh auf die Umweltproblematik hinwies, belächelt worden. Auch mancher Politiker meinte, es sei ein Nebenschauplatz, um den man sich nicht so sehr kümmern müsse. Das hat sich ja jetzt etwas geändert. Es gab auch viele Bagatellisierungsversuche von interessierten Gruppen draußen. Auch sie scheinen langsam zurückzugehen. Aber ich habe noch ganz gut im Ohr, was mir gelegentlich in öffentlichen Versammlungen entgegengehalten wurde, nämlich daß man nur eins von beiden könne: entweder Kurtaxe oder Gewerbesteuer kassieren. So einfach ist die Alternative doch wirklich nicht.
Das, was wir tun müssen, liegt irgendwo in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen Kurtaxe und Gewerbesteuer. Man muß übrigens diese Bemerkung auch beiden extremen Gruppen, die sich in der Diskussion über den Umweltschutz gegenüberstehen, vorhalten.
— Ja, auch der Fremdenverkehr kann Gewerbesteuer bringen.
Ich meine, daß wir für die nächsten Jahrzehnte die Voraussetzungen dafür sicherstellen müssen, daß wir alle oder unsere Kinder und Enkel noch einigermaßen menschenwürdig überleben, dabei aber auch noch verdienen und unseren Wohlstand mehren können. Das ist eine Aufgabe, die schwer erfüllbar ist, die aber angepackt werden muß. Nur so kann sie gesehen werden.
In den letzten zwei Jahren hat sich das öffentliche Bewußtsein zu Umweltschutzproblemen offenbar geändert. Alle Zeitungen sind voll mit Umweltschutz, auch alle Illustrierten, und im Fernsehen kommt immer wieder etwas zu diesen Problemen. Auch die Politiker reden, wie ich vorhin schon sagte, heute lieber über Umweltschutz als noch vor einigen Jahren.
Diese Änderung des öffentlichen Bewußtseins haben wir sicher auch vielen bürgerschaftlichen Verbänden draußen zu verdanken, die sich um diese Sachen kümmern. Das kann aber auch Gefahren in sich bergen, die wir nicht übersehen dürfen. Die Art der Darstellung, vor allem in den publizistischen Me-
dien, könnte draußen zu der Vorstellung führen, daß die Rückstände, die in Jahrzehnten auf diesem Gebiet aufgetreten sind, nun plötzlich durch den allmächtigen Staat in kurzer Zeit beseitigt werden könnten. Falls diese Auffassung draußen entstünde, wäre wahrscheinlich — weil es eben nicht so schnell geht die Reaktion der Mehrheit der Bevölkerung dann Resignation, und Resignation gegenüber unseren Umweltaufgaben wäre schlimmer als die vorher weit verbreitete Ignoranz auf diesem Gebiet.
Auch die Industrie hat sich in letzter Zeit intensiver mit dieser Problematik befaßt. Wir sollten dankbar dafür sein, daß man auch dort über all das nachdenkt. Ich war im Juli dieses Jahres auf der Jahrestagung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Dort sind von der Industrie selbst neue Vorschläge gemacht worden, die Abhilfemöglichkeiten beinhalten, und es ist sogar von finanziellen Mitteln gesprochen worden, auch von Größenordnungen, die die Industrie in Zukunft bereitstellen wolle.
Sicher führen nicht nur altruistische Motive zu diesen Entscheidungen. Wer ist in unserer heutigen Gesellschaft schon so opferwillig, daß er aus purem Altruismus so entscheiden würde? Wahrscheinlich hat man aber auch in der Industrie erkannt, daß z. B. Wasser als Produktionsfaktor, als industrieller Rohstoff in Zukunft nur dann noch brauchbar ist, wenn es reingehalten wird. Reaktionswasser oder Kühlwasser kann man auch nur dann verwenden, wenn es einigen technischen Reinheitsbedingungen entspricht. Wahrscheinlich hat man sich auch überlegt, daß die Aufbereitung stark verschmutzten und verdorbenen Wassers inzwischen teurer wird als die primäre Reinhaltung der Abwässer. Ich meine, daß in der Wirtschaft vielleicht auch etwas daran gedacht wird — diese Formulierung klingt aus dem Munde eines Arztes jetzt vielleicht etwas inhuman —, daß man den Produktionsfaktor „menschliche Arbeitskraft" in Zukunft etwas mehr pflegen muß, als man es bisher getan hat.
Zu dieser Pflege gehört eben auch etwas mehr Umweltschutz als bisher.
Vor einigen Wochen hat in meinem Wahlkreis in Ludwigshafen eine große Demonstration stattgefunden, die die Schüler der Ludwigshafener Schulen veranstaltet haben, wohl ziemlich spontan; ich weiß nicht, ob irgendwelche Organisationen im Hintergrund standen. Es ist jedenfalls eine begrüßenswerte Sache, daß die jungen Menschen sich engagieren und die Alten auf bestimmte Aufgaben aufmerksam machen wollen. In diesem Demonstrationszug befand sich auch eine kleine Gruppe, die ununterbrochen gerufen hat: Jetzt das Übel an der Wurzel packen, die Großkonzerne knacken! So manche Aversion in der Öffentlichkeit gegen die Industrie, wenn über Umweltschutz geredet wird, ist verständlich. Aber wir wollen sicher nicht die Kuh schlachten, die teilweise die Milch für den Umweltschutz geben muß.
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Das kann nicht unsere Aufgabe sein. Man muß in diesem Zusammenhang aber von der Finanzierung und von der Aufbringung der notwendigen Mittel reden. Wenn man darüber redet, muß man sicher auch sagen, daß dann, wenn alle für die Lösung dieser Gemeinschaftsaufgabe mehr aufwenden müssen, auch die Gewinne der Industrie beschnitten werden müssen. Im übrigen werden wir aus vielen Gründen beim Verursachungsprinzip bleiben müssen, nicht nur wegen der zunächst doch gerecht erscheinenden Art der Beitreibung der Mittel, sondern auch deshalb, weil es technisch ziemlich vernünftig und einfach ist, mit der Finanzierung an der Quelle der Verunreinigung oder Schädigung der Umwelt anzusetzen. Daß diese Finanzierung auf dem Wege des Verursachungsprinzips natürlich auch ungerechte Folgen haben kann z. B. weil dadurch die Produktionskosten steigen und die Belastung über die Warenpreise ziemlich breit gestreut wird —, wissen wir. Wir müssen aber überwiegend beim Verursachungsprinzip bleiben. Es wird für uns eine der wichtigsten Aufgaben in der Zukunft sein, uns Gedanken über eine das Verursachungsprinzip korrigierende, soziale Verteilung der Belastung zu machen. Darüber werden wir noch viel reden müssen.
Die Wassergewinnung wird immer teurer. Die Fachleute haben schon für das Jahr 1972 eine technisch bedingte Erhöhung des durchschnittlichen Wasserpreises in der Bundesrepublik um etwa 30 bis 40 % vorausgesagt. Auch die Müllbeseitigung wird aufwendiger. Alle diese Kosten, die hier entstehen, müssen letzten Endes vom Benutzer, nämlich I vom Bürger, über Gebühr getragen werden. Ich meine, wir müssen klar sagen, daß sich derjenige einfach demagogisch verhält, der nur vom Umweltschutz redet, aber dem Bürger draußen nicht klarmacht, daß der Umweltschutz von allen auch höhere Leistungen fordert, als sie bisher erbracht wurden.
Wir sollten das gemeinsam klarmachen, damit es in unserer Gesellschaft wirklich wirksam wird.
Nun noch kurz einige Bemerkungen über die Forschungsvorhaben, die in der nächsten Zukunft intensiver als bisher angepackt werden müssen. Immerhin ist es erlaubt, darauf hinzuweisen, daß nicht erst etwas geschieht, seit die neue Regierung im Amt ist,
sondern auf diesem Gebiet wird schon seit einigen Jahren etwas getan. Die diesbezüglichen Aufwendungen sind laufend gesteigert worden und werden in Zukunft auch noch weiter gesteigert werden.
Für das Jahr 1970 sind für Forschungsvorhaben, die ausschließlich dem Umweltschutz zugute kommen sollen, 103 Millionen DM im Haushalt vorgesehen; bis 1974 sollen diese Mittel bis gegen 170 Millionen DM ansteigen. Auch in der mittelfristigen Finanzplanung ist unserem Anliegen schon weitgehend Rechnung getragen. Ob wir nicht noch wesentlich höhere Aufwendungen machen müssen, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Bardens, wären Sie bereit, dem Hause die Zahl für 1969 mitzuteilen, damit man die Steigerungsrate etwas besser erkennt?
1969 waren es 91 Millionen DM. Es war nicht meine Absicht — das habe ich in einem Vorwegsatz zu erkennen gegeben —, hier etwas zu verbergen und etwas anderes allzusehr herauszustellen. Ich glaube, das kann heute nicht unser Streit sein.
Nun aber zurück zur Jahrestagung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Dort ist gefordert worden, in der Bundesrepublik einheitliche moderne Gesetze für den Umweltschutz zu schaffen. Das führt zur Erörterung der Notwendigkeiten zu Verfassungsänderungen, die vor uns stehen. Ich meine, daß man die Verfassungsänderung gegenüber der Öffentlichkeit und gegenüber den Ländern unter anderem so begründen muß:
Erstens. Die bisherige Ordnung ist trotz vieler Bemühungen in den Ländern ineffektiv geblieben. Trotz all dieser Bemühungen, die hier und da punktuell Verbesserungen gebracht haben, hat die Gesamtbelastung in den letzten Jahren weiter stark zugenommen.
Zweitens. Durch die unterschiedliche Gesetzgebung der Länder sind inzwischen tatsächlich auch schon Wettbewerbsverzerrungen innerhalb des Bundesgebietes aufgetreten, die auf die Dauer für die Wirtschaft nicht erträglich sind.
— Auch das.
Drittens. Internationale Abkommen können von der Bundesregierung nur dann mit Aussicht auf Erfolg angestrebt werden, wenn unser nationaler Standard hoch ist und modernen Anforderungen entspricht. Wir haben ja Erfahrungen auf dem Gebiet der Harmonisierung von Rechtsvorschriften, die auch den gesundheitlichen Bereich angehen. Wenn das Niveau des deutschen Lebensmittelrechts nicht so hoch gewesen wäre, wären die schließlich erreichten EWG-Vorschriften wahrscheinlich auf einem wesentlich niedrigeren Niveau angesiedelt worden. Eine gute, wirksame nationale Gesetzgebung ist Voraussetzung für internationale Verhandlungen und Vereinbarungen.
Schließlich sind es auch natürliche Bedingungen, die uns zur Vereinheitlichung der Gesetzgebung zwingen. Luft und Wasser richten sich eben nicht nach Verwaltungsgrenzen oder nach Zuständigkeitsgrenzen. Die Stadt Düsseldorf muß nun einmal bei der Trinkwassergewinnung mit den Phenolen fertig werden, die am Oberrhein eingeleitet werden. Wir müssen die Systeme, um die es sich handelt, nämlich die Atmosphäre, den Boden und das Wasser in den großen Flüssen und in den stehenden Oberflächengewässern, als jeweils zusammenhängende einheitliche Systeme ansehen, sonst kann man keine
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Dr. Bardens
vernünftigen, wirksamen Regelungen für diesen Bereich finden.
Niemand von uns will die bundesstaatliche Ordnung aushöhlen. Im Gegenteil, wenn wir hier endlich wirksame Arbeit leisten, schützen wir damit sogar unseren Bundesstaat. Wenn wir ihn leistungsfähig halten, können wir auch die bundesstaatliche Ordnung erhalten. Wenn wir aber vor der Öffentlichkeit immer deutlicher werden lassen, daß die jetzige Ordnung die Leistungsfähigkeit unseres Staates mindert, wird möglicherweise irgendwann auch unsere föderalistische Ordnung ins Rutschen kommen.
Ich hatte noch auf eine Feststellung eingehen wollen, die der Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein in der letzten Legislaturperiode zu den Verfassungsänderungswünschen der damaligen Regierung machte; das hat sich fast erübrigt. Ich wollte Sie nicht durch ein Zitat aus der letzten Legislaturperiode festlegen, sondern nur Ihre Verdienste in diesem Zusammenhang herausstellen.
Ich meine, daß man nicht bei der Kompetenz für die Bekämpfung des Lärms sowie für die Wasser- und Luftreinhaltung stehenbleiben darf. Wir müssen vielmehr, wenn wir wirksamen Umweltschutz betreiben wollen, auch Naturschutz und Landschaftspflege als dazugehörig sehen. In dem Referat von Herrn Dr. Gruhl klang immer wieder an, daß man den Naturschutz und die Landschaftspflege nicht losgelöst vom Generalproblem des Umweltschutzes sehen dürfe. Wenn wir etwas Wirksames tun sollen, müssen wir die Kompetenz für den Gesamtbereich haben.
— Herr Kollege, es wäre gut, wenn wir solche Dinge in Zukunft gemeinsam, d. h. durch den Bund u n d die Länder, die ihre Regionalprobleme haben, lösen könnten. Aber zunächst einmal müssen die Gesetze
über ihre Ausführung kann man reden — einheitlich und wirksam werden.
Sie sind es bisher nicht. Ich will in diesem Zusammenhang nicht nach den Wasserreinhaltungsordnungen fragen.
Herr Kollege Dr. Bardens, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt?
Bitte sehr!
Wollen Sie denn außer der Ausweitung der Gesetzeskompetenz auch noch eine Finanzierungskompetenz mit Gemeinschaftsaufgabencharakter entgegen der Finanzverfassungsreform des letzten Jahres einführen?
Nein. Zumindest im Augenblick steht eine solche Entscheidung nicht an.
— Ja, aber ich möchte darauf aufmerksam machen, daß schon diese Kompetenzänderung, das politische Hintasten und Hinarbeiten darauf, schwierig genug war. Wir werden noch über die Sache reden müssen, auch in anderen Gremien; Sie wissen, wo wir uns sonst noch über die Frage unterhalten. Aber ich glaube, daß wir im Augenblick zunächst einmal mit der vorgeschlagenen Verfassungsänderung zu Rande kommen müssen, bevor wir auch noch über andere Dinge reden.
Ich komme nun zur Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktionen der SPD und FDP. Ich möchte zunächst der Regierung im Namen unserer Fraktion für die gründliche Beantwortung Dank sagen. Dieser Dank wird sicherlich nicht dadurch eingeschränkt oder gemindert, daß ich einleitend noch das eine oder andere kritisch bemerke.
In der Antwort auf die Frage 1 heißt es, eine der Ursachen für die verstärkte Umweltbelastung sei die zunehmende Verstädterung. Diese Feststellung könnte zu falschen Schlüssen führen, z. B. daß alles Schlechte nur aus der Stadt komme, wie so gesagt wird. Der Antwort ist übrigens eine Graphik beigefügt, aus der etwas anderes hervorgeht. Danach hat der Anteil der städtischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung auf dem Gebiet der Bundesrepublik von 1939 bis 1968 um 2,5 % abgenommen. Trotzdem sind die Ballungsräume gewachsen. Das Wichtigste ist wohl, daß sich die Verhaltensweisen der Gesamtbevölkerung verändert haben, und zwar sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Die Konsumgewohnheiten und auch der Stil des Wohnens und Lebens überhaupt haben sich verändert. Von dorther kommen zusätzliche Belastungen.
Ich möchte an dieser Stelle, bevor ich mich mit der Antwort weiter auseinandersetze, darauf hinweisen, daß vor allem im Gesundheitsministerium — das sage ich auf Grund eigener Erfahrungen und meiner Mitarbeit in der Vergangenheit — in der letzten Legislaturperiode schon recht weitgehende Vorarbeit bis hin zur Ausarbeitung von Gesetzentwürfen geleistet worden ist. Allerdings konnte das Gesetzgebungsverfahren damals wegen der fehlenden Verfassungsänderung nicht in Gang gesetzt werden.
Die Antwort auf die Frage 1 unserer Großen Anfrage bringt eine erschreckende Zustandsdarstellung, die manchen Skeptiker und auch diejenigen, die darüber immer nur gelächelt haben, doch überzeugen müßte. Ich will nur ein Beispiel aus der Antwort herausgreifen, das auch mich überrascht hat, obwohl ich am Rhein wohne, nämlich das Beispiel der zunehmenden Rheinwasserverschmutzung. Wir haben während der letzten Jahre immer nur
4810 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970
Dr. Bardens
absolute Zahlen in den Berichten gehört, die über den Grad der Rheinwasserverschmutzung angegeben wurden. Jetzt wird durch die Umrechnung auf die jeweilige Wasserführung erkennbar, daß die Rheinwasserbelastung während der letzten 10 Jahre auf das Zehnfache gegenüber dem Ausgangswert zugenommen hat. Das ist nun wirklich eine erschreckende und sehr bedrohliche Entwicklung, die aufrütteln sollte. Auch die Skeptiker sollten hier merken, wie wichtig es ist, anzupacken und nach Lösungen zu suchen.
In der Antwort auf unsere Frage 2 hat die Bundesregierung nach unserer Meinung klare Prioritäten für ihre Maßnahmen und geordnete Zielvorstellungen erkennen lassen. Seit Veröffentlichung des Sofortprogramms ist offenbar weiter gedacht und auch gearbeitet worden. Ich meine, das Parlament wird nach den Ankündigungen in dieser Antwort auf unsere Anfrage im nächsten .Jahr Arbeit bekommen. Einige wichtige Gesetze sollen nach der Ankündigung der Bundesregierung bereits im nächsten Jahr ins Parlament kommen.
Eine weitere Feststellung möchte ich herausheben, die in der Antwort enthalten ist, nämlich die Feststellung der vollen Kooperationsbereitschaft der Bundesregierung gegenüber den Bundesländern und den Gemeinden. Es ist klar — das hängt auch mit der Zwischenfrage zusammen, die vorhin kam —, daß gute Gesetze allein noch keinen Umweltschutz garantieren, daß es auch auf die Ausführung der Gesetze ankommt, daß es auf eine leistungsfähige Verwaltung und Organisation in der Peripherie, nämlich in den Ländern und den Gemeinden mit ankommt, und daß wir nur in enger Kooperation auch für eine gute Ausführung der Gesetze sorgen können. Wir werden uns auch Gedanken darüber machen müssen, wie wir diese Institutionen an der Peripherie unseres Staates — unmittelbar an der Front, wenn man so will — so ausstatten können, daß sie diesen Aufgaben auch nachkommen können, die wir ihnen vorschreiben.
Dazu kommt die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit den anderen Industrieländern, auf die heute schon hingewiesen worden ist. Auch hier hat die Bundesregierung ihre Bereitschaft dargestellt. Wir wissen, daß sie auch schon in der Vergangenheit im Rahmen ihrer Möglichkeiten so gehandelt hat. Erfreulich ist meines Erachtens auch der Hinweis darauf, daß Zusammenarbeit mit den Industriestaaten östlich der Bundesrepublik notwendig ist und daß wir sie möglich machen müssen. Das ist, wenn man von Umweltschutz redet, eine politische Entscheidung, die unausweichlich ist.
Ich bin der Meinung, daß wir die Bundesregierung bei ihren Bemühungen nachdrücklich unterstützen sollten. Manches in der Antwort auf unsere Große Anfrage ist zunächst noch Ankündigung. Aber ich weiß, wie ernst diese Ankündigung gemeint ist, schon von der Regierungserklärung her. Wir sollten diese Ernsthaftigkeit nicht in Zweifel ziehen, sondern wir sollten die Regierung nachdrücklich unterstützen, um überhaupt etwas auf diesem Gebiet zu erreichen, was unseren Bürgern dient.
Auf einen Aspekt unseres Anliegens will ich zum Schluß noch eingehen. Umweltschutz ist nicht eine Aufgabe, die von staatlichen Instanzen oder Industrie oder was weiß ich von welcher Instanz, allein bewältigt werden könnte. Wenn nicht alle Bürger diese Aufgabe als ihre, in diesem Sinne als eine wirkliche Gemeinschaftsaufgabe begreifen, wird vieles von dem, was wir hier beschließen, unzulänglich bleiben.
Erst neulich machte ich einen Spaziergang in einem rekultivierten Braunkohlengebiet hier ganz in der Nähe. Dort hat man die Schäden an der Landschaft in vorbildlicher Weise korrigiert. Mitten in dieser Wald- und Erholungslandschaft liegt ein kleiner See. Er ist inzwischen nach zwei Jahren schon zu einem der übelsten und ekelerregendsten Schuttabladeplätze geworden, die ich je gesehen habe. Ich glaube, daß noch viel Erziehungsarbeit zu leisten ist, um unsere Mitmenschen zum rechten sozialen und demokratischen Verhalten gegeneinander und in ihrer Umwelt zu bewegen.
Das ist eine Aufgabe, die wir vor uns haben, die nicht mit Geld allein zu lösen ist, sondern die auch die Mitarbeit aller erfordert. Vielleicht erreichen wir dann, daß wenigstens die nächste Generation ein vernünftigeres Verhältnis zu ihrer Umwelt entwickelt, als wir selbst es zustande gebracht haben.
Der biblische Auftrag an uns, uns die Erde untertan zu machen, darf, so meine ich, nicht dahin verstanden werden, unsere Umwelt zu vergewaltigen, sondern heißt, sie für den Menschen zu gestalten. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Rutschke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bisher war das Wort „Fortschritt" fast ein absoluter Begriff. Jeder wollte fortschrittlich sein. Jeder legte dieses Attribut als ein Positivum aus. Wir sehen aber durch diese Debatte, daß auch der Fortschritt sehr relativ ist; denn der technische Fortschritt, den wir in den letzten Jahrzehnten zweifellos erlebt haben, war eben nur ein technischer und nicht unbedingt immer auch ein Fortschritt für die Menschheit oder unsere Bevölkerung.
Heinrich von Treitschke hat vor etwa 100 Jahren gesagt:
Die menschliche Geschichte verläuft nicht geradlinig, sondern in Spirallinien. Große Fortschritte werden erkauft durch schwere Verluste. Die Anschauung aber, der Fortschritt bestünde darin, daß der Komfort des äußeren Lebens zunimmt, ist eine so niedrige, plumpe Verirrung, daß man nicht nötig hat, sie zu widerlegen.
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Dr. Rutschke
Nun, diese Wort könnten genau auf unsere heutige Debatte bezogen werden. Ich glaube, daß Treitschke schon vor 100 Jahren vorausgeahnt hat, mit welchen Problemen wir uns hier einmal — im Jahre 1970 — auseinandersetzen müssen.
Meine Damen und Herren, wir haben den technischen Fortschritt des Autos, müssen aber auch feststellen, daß wir dafür jährlich den Tribut zahlen. Wir haben zahlenmäßig etwa die Bevölkerung einer Kleinstadt als Verkehrstote pro Jahr zu beklagen, und die Zahl der Verletzten entspricht etwa der Anzahl der Bewohner einer Großstadt. Wir sehen hier also, daß der technische Fortschritt mit der Erkenntnis verbunden sein muß, daß die Menschen seiner Herr werden müssen. Aber die menschlichen Schwächen sind miteinbezogen. Wir sollten uns daher bemühen, dort, wo menschliche Verhaltensweise entscheidend ist, durch entsprechende Gesetze diese negativen Zeichen des Fortschritts auszuschalten, soweit es eben möglich ist. Wir dürfen also die technisierte und industrialisierte Welt nicht zum Moloch werden lassen.
Wir haben lange damit gewartet, meine Damen und flerren. Der Bund hatte sich bereits Mühe gegeben, diese Sachen in den Griff zu bekommen. Aber die Gegenliebe der Länder und des Bundesrats war nicht allzu groß, so daß hier eine wirksame, durchgreifende Änderung leider nicht möglich war. Deshalb ist ja auch die Verfassungsänderung das Problem, das uns heute beschäftigt und an das wir von allen Seiten mit Intensität herangehen sollten.
Herr Kollege Dr. Rutschke, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Rutschke, haben Sie nicht in Erinnerung, daß durch die Initiative dieses Hauses, aller drei Parteien, z. B. im Jahre 1963 das Detergentiengesetz verabschiedet wurde, welches für Bund und Länder den Erfolg gehabt hat, daß unsere Abwässer etwa zu 80 % von Detergentien bereinigt worden sind, und zwar durch die Anstrengungen der deutschen Industrie, die wir gesetzlich angeregt hatten?
Herr Kollege, das widerspricht nicht dem, was ich hier zum Ausdruck bringen wollte. Ich wollte nur sagen, daß wir auch hätten weitergehen können. Aber hier waren, wie es der Herr Bundesminister in seiner Rede zumindest hat anklingen lassen, doch schwierige Verhältnisse. Ich denke an die Wasserregelung usw.
Wir haben beim Bundesrat eben nicht das erreichen können, was eigentlich zu erreichen gewesen wäre; das meinte ich. Ich behaupte keinesfalls, daß hier nichts getan worden ist. Aber es war leider nicht genügend. Das haben wir heute alle festgestellt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Glauben Sie nicht, daß die rechtliche Gestaltung eine finanzielle Ergänzung brauchte, die wir nicht in dem Ausmaß leisten konnten, wie das notwendig wäre, 30, 40 oder 50 Milliarden DM? Das sind Zahlen, die heute morgen genannt worden sind. Das hat nichts mit Zuständigkeit zu tun.
Ja, natürlich; daß das nur schrittweise gemacht werden kann, ist mir völlig klar. Aber ich glaube, wenn wir seinerzeit mit den Ländern schneller vorangekommen wären — ich denke z. B. an das Wasserhaushaltsgesetz —, wäre eine schnellere Änderung der Verhältnisse möglich gewesen.
Meine Damen und Herren, die wirklich alarmierenden Zeichen, von denen auch die Bevölkerung aufgeschreckt worden ist, waren die Smog-Katastrophen in London und in Los Angeles, die deutlich machten, daß die Bevölkerung so intensiv von der Luftverschmutzung betroffen wird, daß sie sich damals in diesen Städten unter besonderen klimatischen Verhältnissen nur mit Masken aus Stoff oder anderem Atemschutz bewegen konnte. Durch das Unglück mit der „Torrey Canyon" ist deutlich geworden, welche Gefahren hinsichtlich der Wasserverschmutzung — in diesem Fall der Seeverschmutzung — eintreten können, weite Landstriche an der englischen Küste waren davon betroffen. Das hat das Gute gehabt, daß die Bevölkerung sah, welche Probleme auf uns zukommen, und daß das Bewußtsein der Bevölkerung, sich mit diesen Problemen auseinandersetzen zu müssen, stärker wurde. Das ist ein wichtiges Moment, das wir mit unterstützen sollten, daß die Bevölkerung sieht, daß sie selbst mit Anteil haben muß, daß sie auch etwas dazu tun muß, um die gesteckten Ziele zu erreichen.
Nun, die Probleme sind bereits genannt worden. Ich kann mich jetzt vielleicht doch etwas kürzer fassen, weil ich nicht alles wiederholen will, was hier von meinen Kollegen von der SPD und von der CDU/CSU schon vorgetragen worden ist und. dem ich durchaus zustimme. Durch die Verseuchung von Seen, Flüssen und Meeren ist klargeworden, daß man hier Schutzmaßnahmen ergreifen muß. Veröffentlichungen in der letzten Zeit haben deutlich gemacht, daß der Bodensee zu einem Brackwasser wird, wenn wir nichts tun. Auf die Verseuchung des Rheins und die Schwierigkeiten, die dort aufgetreten sind, hat Herr Kollege Dr. Bardens bereits hingewiesen. Von 1949 bis 1968 hat sich dort eine zwanzigfache Verschmutzung ergeben. Herr Bardens sprach vorhin von den zehn Jahren, in denen eine zehnfache Verschmutzung eingetreten ist. Auch die Lärmentwicklung und die Müllbeseitigung sind Fragen, die in diesen Bereich hineingehörten und wo wir Änderungen vornehmen müssen.
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Dr. Rutschke
Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage in der Drucksache VI/1519 dankenswerterweise die Probleme sehr eingehend dargestellt. Diese Antwort, meine Damen und Herren, sollten Sie eingehend lesen; denn sie ist sehr ausführlich und sehr übersichtlich. Ich kann mich deshalb hier darauf beschränken, darauf zu verweisen, daß auch die Luftreinhaltung — auf Seite 3 dieser Drucksache — und die Abfallbeseitigung sowie das Lärmproblem — auf den Seiten 5 ff. — eingehend besprochen worden sind. Ich würde Ihnen das Studium dieser Drucksache wirklich empfehlen.
Nun erhebt sich immer wieder die Frage: Wie kann man das ändern, und wer ist der Schuldige? Ich glaube — ich habe das vorhin schon angedeutet —, daß wir in der Tat alle daran schuld sind und alle mithelfen können, natürlich jeweils in begrenztem Rahmen. Wir müssen das Umweltbewußtsein stärken. Jeder kann sehr viel dazu tun, hier Änderungen herbeizuführen, insbesondere bei der Müllbeseitigung. Ich würde, wenn ich die Auswahl hätte, eben nicht die Einwegflasche nehmen, sondern eine andere Verpackung. Denn ich trage sonst dazu bei, daß ein sehr kostenbewußter Unternehmer meint, die Einwegflasche sei kostenmäßig für ihn günstiger, dabei aber nicht daran denkt, daß auch die Beseitigung der Einwegflasche Kosten verursacht, die er auf andere Schultern abwälzt. Das ist vielleicht kein besonders glückliches Beispiel, aber mir fällt im Augenblick kein anderes ein.
Jeder kann, wie gesagt, durch sein Verhalten mit dazu beitragen, die anstehenden Probleme zu lösen. Herr Kollege Dr. Bardens hat darauf hingewiesen, daß die Industrie schon in der Vergangenheit erfreulicherweise erkannt hat, daß sie hier etwas tun mußte. Man weiß, daß z. B. die chemische Industrie in den letzten Jahren etwa 1 Milliarde DM für diese Aufgaben — Reinhaltung des Wassers und vermehrte Bekämpfung der Luftverschmutzung — aufgebracht hat. Das sind recht beachtliche Beträge, die zur Verfügung gestellt worden sind. Aber auch die Mineralölindustrie hat sich bereit erklärt, etwa eine Milliarde zu investieren, um den Bleizusatz, der in den jetzigen Treibstoffen vorhanden ist, auf den Satz von 0,4 % zurückzuführen.
An den Gesetzgeber müssen wir die Forderung richten, die Gesetzgebung auch im Hinblick auf den Umweltschutz zu koordinieren. Wir sollten uns also bei jedem Gesetz überlegen, inwieweit die Umwelt nachteilig beeinflußt werden kann. Vorhin wurde das Beispiel der Kfz-Hubraumsteuer angeführt. Es wurde gesagt, infolge der Hubraumsteuer würden besonders schädliche Gase konzentriert in die Luft abgegeben und die Gesetzgebung auf dem Gebiet sei deshalb überholt. Es gibt aber auch andere Meinungen dazu. Gleichwohl möchte ich die Hubraumsteuer nicht verteidigen; ich habe sie auch aus anderen Gründen für unzweckmäßig gehalten. Aber wenn man sie nicht hätte, hätten die Motoren einen größeren Hubraum und gäben dann größere Gasmengen ab. Es wäre also gehupft wie gesprungen. Das ist die andere Meinung von Fachleuten. Aber ich habe darüber kein Urteil, da ich nicht Fachmann auf diesem Gebiet bin.
Eine wichtige Erklärung hat die Bundesregierung auf den Seiten 8 und 9 der Drucksache VI/ 15l9 abgegeben. Dort erklärt sie, daß der Umweltschutz Priorität genießen muß und auch im Hinblick auf das Wachstum der Wirtschaft Priorität genießt. Das ist eine entscheidende Frage. Denn wir werden uns darüber klar sein müssen, daß entsprechende Auflagen an die Wirtschaft als Kostenelement in die Preise eingehen werden und damit die Aufbringung der Kosten natürlich verlagert wird, indem sie dann auf die Allgemeinheit, auf die Verbraucher übertragen werden. Davon wird natürlich in gewisser Hinsicht auch das Sozialprodukt tangiert. Das müssen wir in Kauf nehmen, weil die Frage des Umweltschutzes eine Priorität besitzt, die einfach nicht zu übersehen ist, die wir vielmehr mit aller Intensität jetzt durchsetzen müssen.
Wir werden uns überlegen, inwieweit man Steuerabzugsfähigkeit hierfür einführen kann — das wird eine Frage der Zweckmäßigkeit sein —, um die Industrie anzuregen, vielleicht mehr zu tun — und dies rechtzeitig zu tun —, als es von Gesetzes wegen vorgeschrieben werden könnte. Wir müssen bei der internationalen Zusammenarbeit darauf achten — auch darauf haben meine Herren Kollegen bereits hingewiesen —, daß keine Wettbewerbsverzerrungen entstehen. Denn ein Land, das der Industrie sehr strenge Bestimmungen im Hinblick auf den Umweltschutz auferlegt, würde dadurch in den Wettbewerbsnachteil kommen, daß es höhere Kosten hat als ein anderes Land, das sich an diese Bestimmungen nicht hält. Deshalb müssen wir auch auf dem internationalen Gebiet eine Regelung finden, die allen dienlich ist.
Als Mitglied des Europarats habe ich Gelegenheit gehabt, in diesen internationalen Bereich einen Einblick zu nehmen. Hierzu darf ich Ihnen folgendes sagen. Eine Reihe spektakulärer Anlässe wie die Vergiftung des Rheins oder die Ölverschmutzung des Meeres durch den gestrandeten Tanker „Torrey Canyon" haben so alarmierend gewirkt, daß das Problem im Bereich der europäischen Staaten nun als äußerst akut empfunden wurde, so akut, daß man ihm nicht mehr mit vereinzelten Maßnahmen auf nationaler oder regionaler Ebene allein beizukommen versuchte. Eine ganze Reihe von internationalen Organisationen haben sich der Sache angenommen. Es wird allenthalten davon gesprochen, in der Interparlamentarischen Union, bei der NATO, in der UNO und in der OECD, bei internationalen Gemeindekonferenzen oder bei der Europäischen Raumordnungsministerkonferenz, die im September in Bonn stattfand. Es wird viel davon geredet, aber sicher nicht genug getan.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit etwas über die Tätigkeit des Europrates auf diesem Gebiet sagen, weil ich, wie ich bereits sagte, diese Probleme aus eigener Erfahrung in der Beratenden Versammlung kenne und weil ich meine, daß das, was dort geschieht, unsere Aufmerksamkeit und Unterstützung verdient. Vielleicht tut auch der Europarat nicht genug, aber das liegt nun einmal an seiner Konstruktion. Die Beratende Versammlung jedenfalls läßt es an Hinweisen und Anregungen nicht fehlen. Fragen
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Dr. Rutschke
des Umweltschutzes und der Umwelthygiene sind in den letzten Jahren zu einem ihrer Hauptdiskusionsthemen geworden. Wenn der Ministerrat nicht die gewünschten Konsequenzen daraus zieht und wenn die Regierungen sich nur schwer entschließen, diese Anregungen aufzugreifen, so ist das eine andere Sache, die die Beratende Versammlung nicht mehr beeinflussen kann.
Immerhin hat der Europarat allein in diesem Jahr die Europäische Naturschutzkonferenz im Februar nach Straßburg und die Konferenz der europäischen Raumordnungsminister nach Bonn einberufen. Die beiden Konferenzen hatten zumindest das Ergebnis, daß man übereingekommen ist, den Umweltschutz auf europäischer Ebene zu aktivieren und sich um neue Methoden der Zusammenarbeit zu bemühen, um eines der drängendsten Probleme unserer Zeit der Lösung näherzubringen. Es versteht sich wohl von selbst, daß auf die Dauer nur internationale Bemühungen zu echten Erfolgen führen können. Auch die Europäische Gemeindekonferenz, die im Oktober im Europahaus in Straßburg tagte, hat sich sehr eingehend mit diesen Fragen beschäftigt und ihre Mitglieder aufgefordert, auf kommunaler Ebene alles zu tun, um weiteren Umweltschäden Einhalt zu gebieten.
Im Arbeitsprogramm, das der Europarat vor kurzem für die nächsten zwei Jahre aufgestellt hat, ist ein umfangreiches Kapitel mit detaillierten Vorschlägen für konkrete Aufgaben enthalten. Seit 1963 gibt es im Rahmen des Europarates ein besonderes Komitee zur Erhaltung von Natur und natürlichen Hilfsquellen und seit 1967 ein Expertenkommitee für die Luftverunreinigung. Diese Komitees haben den Auftrag, die im Arbeitsprogramm vorgesehene Untersuchung über die Reinhaltung des Süß- und des Meereswassers, über die Luftverschmutzung und Lärmbekämpung, über Bodenerosion und Aufforstung, über Natur- und Landschaftsschutz durchzuführen und konkrete Vorschläge auszuarbeiten. Auf ihre Tätigkeit geht es zurück, daß im Jahre 1968 von der Beratenden Versammlung eine Europäische Wasser-Charta angenommen werden konnte, die zunächst zwar nur auf das bedrohliche Problem der Süßwasserverschmutzung aufmerksam machte und die zuständigen Stellen sowie alle Bürger auf ihre Verantwortung hinwies. Inzwischen ist aber auch schon eine europäische Konvention in Vorbereitung, in der die Regierungen zu konkreten Maßnahmen zur Reinhaltung des Wassers verpflichtet werden.
Während der letzten Tagung der Beratenden Versammlung des Europarats berichtete der französische Kommandant Cousteau als international anerkannter Sachverständiger vor mehreren Ausschüssen des Europarats aus seinem Fachgebiet, der Verschmutzung des Meeres. Nach seinen Angaben findet man im Meereswasser bis zu 100 m unter seiner Oberfläche Rückstände von schädlichen Chemikalien, die aus den Flüssen ins Meer getragen werden und eine ernste Gefährdung der Meeresfauna darstellen. Nach neueren Schätzungen sollen in einem Jahr allein an den holländischen Küsten zwischen 20 000 und 50 000 Vögel an den Folgen der Verschmutzung
zugrunde gehen. Er forderte drakonische nationale und internationale Regelungen, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten.
Im Sozialausschuß und in anderen zuständigen Ausschüssen der Beratenden Versammlung wird laufend über eine den Zivilisationsgefahren angemessene moderne Umwelthygiene gesprochen, und sie wird auch eines der Hauptthemen sein, die ein europäisches Parlamentarierkolloquium im nächsten Jahr in Stockholm behandeln wird.
In den letzten Jahren wurden in der Beratenden Versammlung Berichte vorgelegt über Gefahren beim Gebrauch von Schädlingsbekämpfungsmitteln, über Lärmbekämpfung, Luftverunreinigung, Verschmutzung der Binnengewässer und Meere, Abfallbeseitigung, und was alles zur Verschlechterung unserer Umweltbedingungen beiträgt und in der Zukunft katastrophale Auswirkungen haben kann. An Iniatiativen der Versammlung und ihrer Ausschüsse für eine umfassende und großzügige Gesetzgebung auf dem Gebiete der Umwelthygiene fehlt es also nicht. Aufgabe des Ministerkomitees wäre es nur, diese Initiativen auch zu berücksichtigen und Normen aufzustellen, die für alle Mitgliedstaaten verbindlich wären.
Immerhin ist im Europarat bereits ein europäisches Abkommen über die Verwendung bestimmter Detergentien in Wasch- und Reinigungsmitteln vorgelegt und auch von der Bundesregierung unterzeichnet worden. Es wäre nur zu wünschen, daß bald ähnliche Abkommen zum Schutz unserer Umwelt mit sehr präzisen Vorschriften folgen.
In einer Entschließung hat die Versammlung außerdem angeregt, in den nationalen Parlamenten ein besonderes Auskunftssystem für Umweltprobleme einzurichten, um sowohl die nationale Gesetzgebung zu beeinflussen als auch die Zusammenarbeit der verschiedenen Parlamente zu intensivieren. Mir scheint, das sollten wir uns auch im Bundestag zu eigen machen.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es erstaunlich, daß wir trotz der Bemühungen des Europarats und seiner Beratenden Versammlung heute leider Anlaß haben, uns mit einem Antrag zu befassen, den alle Fraktionen gemeinsam auf Umdruck 96 *) eingebracht haben. Es ist erstaunlich, daß gerade die holländische Regierung erklärt haben soll, es gehe einen Nachbarstaat nichts an — das hat sie quasi gesagt —, was Holland in bezug auf die Wassereinleitung machen, oder nicht machen wolle.
Das läuft den Intentionen des Europarats genau zuwider. Wir bitten daher mit diesem Entschließungsantrag die Regierung, alles zu tun — vielleicht auch über den Europarat oder andere internationale Gremien —, um der holländischen Regierung klarzumachen, daß ihr Verhalten in keiner Weise gebilligt werden kann.
*) Siehe Anlage 2
4814 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwach, den 16. Dezember 1970
Dr. Rutschke
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß in einigen Ausführungen noch die Stellungnahme der Freien Demokraten zu dem Gesamtproblem aufzeigen und ihre Forderungen mitteilen! Ich glaube, daß wir mit dieser Stellungnahme die Probleme so sehen, wie sie gesehen werden müssen.
Oberstes Ziel der Verfassungs- und Gesellschaftsordnung in der Bundesrepublik ist der Schutz der Würde des Menschen. Dieses Grundrecht kann nicht nur durch staatliche und wirtschaftliche Maßnahmen verletzt werden, sondern auch durch die Zerstörung unserer Umwelt. Es ist das Ziel einer liberalen Umweltschutzpolitik, jedem Bürger ein Höchstmaß an Entfaltungsmöglichkeiten und körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu garantieren. Dies erfordert neben einem Negativschutz vor eingetretenen Umweltschäden vorausschauende Planung des Umweltschutzes, um jedem Bürger ständig die von ihm gewünschte und gewollte Qualität des Lebens zu ermöglichen. Das bedeutet: die Erhaltung der höchstmöglichen Qualität des Lebens genießt in der Planung des Umweltschutzes Vorrang vor wirtschaftlichen Zielen wie Vermehrung des Wohlstandes und Maximierung des Gewinns. Alle wirtschafts- und unternehmenspolitische Entscheidungen werden in Zukunft daran gemessen werden, welche schädlichen Folge- und Nebenwirkungen das angestrebte Wachstumsziel, die Einführung einer neuen Technologie oder die Einführung eines neuen Produkts auf dem Markt für den Zustand unserer Umwelt haben.
Umfassender Umweltschutz muß die folgenden Punkte berücksichtigen. Erstens. Umweltschutzpolitik ist Gesellschaftspolitik. Sie verlangt eine Änderung der Wertvorstellungen in der Industriegesellschaft. Umweltzerstörung und -vergiftung muß als strafwürdige Handlung angesehen werden. Der Verursacher haftet grundsätzlich für die von ihm angerichteten Umweltschäden. Umweltschutz hat für die Industriegesellschaft im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts die gleiche Bedeutung, die im ersten Drittel die soziale Frage und im zweiten die Bildungsplanung hatte. Umweltschutzplanung ist nicht ein abstraktes Thema für Spezialisten, sondern Sache aller gesellschaftlichen Gruppen und der sozialen Verantwortung jedes einzelnen Bürgers.
Zweitens. Ausgaben für den Umweltschutz müssen in den öffentlichen Haushalten Priorität erhalten. Sie betragen zur Zeit noch nicht ein Zehntel der Ausgaben für die äußere Sicherheit. Der ERP-Fonds sollte in einen Umweltschutzfonds umgebildet werden, aus dem wichtige Umweltschutzmaßnahmen wie der Bau von Kläranlagen und die Entwicklung sauberer Technologien finanziert werden können. Ähnlich wie in Holland und Schweden müssen vor allem von Großverschmutzern besondere Abgaben erhoben werden. Ferner sollten neue Formen steuerlicher Anreize für den Bau von Umweltschutzanlagen und die Einführung sauberer Technologien gefunden werden. Neue Möglichkeiten einer Vorfinanzierung wichtiger Umweltschutzaufgaben über Privatinitiativen sollten erwogen werden.
Drittens. Umweltschutz bedarf einer genauen Kenntnis der komplizierten Zusammenhänge zwischen unbelebter und belebter Natur und deren
Wechselwirkungen mit der Kulturwelt des Menschen. Die Kenntnisse der schädlichen Folgewirkungen der technischen Entwicklung auf Gesundheit und Umwelt des Menschen sind bisher unzureichend. Gundlagenforschung, Institute für angewandte Umweltforschung und Zukunftsforschung sowie Aufklärung der Bevölkerung durch Testinstitute, Umweltwochen und Einschaltung der Kommunikationsmedien sind notwendig.
Viertens. Die bisher nur punktuell behandelten Fragen z. B. der Luftverunreinigung, des Wasserhaushalts, des Lärmschutzes und der Biozidforschung müssen in einem breit angelegten Gesamtprogramm der Bundesregierung mit klaren Zielwerten, auf die sich die Industrie und alle anderen gesellschaftlichen Gruppen einstellen können, zusammengefaßt werden. Das Gesamtprogramm muß Angaben über die Kosten vorgeschlagener Maßnahmen enthalten und Wege zu ihrer Finanzierung aufzeigen.
Das Gesamtprogramm muß sicherstellen, daß die Erforschung und Berücksichtigung der schädlichen Folge- und Nebenwirkungen neuer Produkte oder Verfahren in Zukunft nicht hinter der Entwicklung dieser Produkte und Verfahren zurückbleibt.
Fünftens. Dem Bund muß die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz auf den Gebieten der Luftreinhaltung, der Müllbeseitigung, des Wasserhaushalts, des Naturschutzes und der Landschaftspflege gegeben werden. Ein Planungs-Informations-System für alle Bereiche des Umweltschutzes muß aufgebaut werden, das modernste Meßverfahren und -methoden berücksichtigt und eine Bewertung der schädlichen Nebenwirkungen bestimmter Verfahren und Produkte ermöglicht. Nur dann können die notwendigen Gesetze mit Festlegung von Richtwerten für die Herabsetzung des Verschmutzungsgrades unserer Umwelt erlassen werden. Bundesanstalten für Entwicklung und Erprobung neuer Umweltschutzverfahren müssen gegründet werden.
Sechstens. Auf allen Gebieten des Umweltschutzes sind internationale Konventionen und Abkommen notwendig, schon wegen des grenzüberschreitenden Charakters der Umweltbelastungen, aber auch wegen der bestehenden wirtschaftspolitischen Interdependenz. Ein internationaler Gerichtshof sollte auf die Einhaltung dieser Konventionen achten. Wettbewerbsverzerrungen müssen vermieden werden. Auf der anderen Seite darf der Hinweis auf schlechteren Umweltschutz in Nachbarländern kein Grund für die Verzögerung des deutschen Umweltschutzprogramms sein.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Beratung dieser Tagesordnungspunkte und erteile das Wort zur
Abgabe von Erklärungen der Fraktionen betreffend die Einfügung eines Art. 74 a in das
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970 4815
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Grundgesetz .
Das Wort hat für die Fraktionen der SPD und der FDP der Abgeordnete Professor Dr. Schäfer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf für die Fraktion der SPD und für die Fraktion der FDP folgende Erklärung abgeben:
Die Bundesregierung hat am 4. Juli 1970 einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes, Art. 74 a, eingebracht: Erweiterung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Besoldungsrecht. Der Gesetzentwurf hat im ersten Durchgang im Bundesrat die Billigung des Bundesrates erhalten. Die Ausschüsse des Bundestages, der Innenausschuß
mitberatend — und der Rechtsausschuß — federführend —, haben die Behandlung dieses Gesetzentwurfes abgeschlossen. Die beiden Fraktionen, für die zu sprechen ich die Ehre habe, waren deshalb der Auffassung, daß es richtig und sachlich geboten ist, diesen Gesetzentwurf in dieser Woche zu verabschieden. Zur Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes bedarf es, da es eine Änderung des Grundgesetzes ist, der Zweidrittelmehrheit. Die CDU/CSU-Fraktion hat sich dieser Auffassung nicht angeschlossen, weshalb der Gesetzentwurf nicht so verabschiedet werden kann, .wie wir es für richtig halten.
Ich darf im einzelnen dazu folgendes sagen. Um welche Problematik geht es? Nach geltendem Verfassungsrecht hat der Bund auf dem Gebiet des Besoldungs- und Versorgungsrechts der Beamten die ausschließliche Kompetenz für die Besoldung im Bundesbereich und die Rahmenkompetenz für die Besoldung im Länderbereich. Das Besoldungsgefüge im Bund und in den Ländern hat sich in wachsendem Maße uneinheitlich entwickelt. Die bestehende Rahmenkompetenz des Bundes für die Länderbesoldung reicht für eine einheitliche Regelung des gesamten Besoldungsrechts nicht aus.
Wir teilen die Auffassung der Regierung, daß die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltungen auf allen drei Ebenen, Bund, Länder und Gemeinden gleichrangig ist, und sind deshalb mit der Bundesregierung der Auffassung, daß die Besoldungsverhältnisse auf allen drei Ebenen gleich sein sollen. Es ist erfreulich, daß bei einem solchen Gesetzentwurf, der die Zuständigkeit der Länder für die Zukunft sehr wesentlich berührt, die Länder dem Gesetzentwurf mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit zustimmen wollen. Der Finanzausschuß des Bundesrates hat sich gestern an mich in meiner Eigenschaft als Vorsitzender des Innenausschusses gewandt und dringend darauf hingewiesen, daß es nach seiner Auffassung notwendig sei, diesen Gesetzentwurf noch in dieser Woche zu verabschieden. Dieser Beschluß des Finanzausschusses ist mit zehn Stimmen gegen eine Stimme gefaßt worden. Ich sehe gerade in diesem Beschluß des Finanzausschusses des Bundesrates einen dringenden Hinweis auf das Erfordernis der schnellen Verabschiedung des Gesetzentwurfes. Denn wir wollen doch wohl alle verhindern, daß sich die Auseinanderentwicklung im öffentlichen Dienst
in den nächsten Wochen und Monaten weiterhin verstärkt. Der 1. Januar 1971 bietet sich dafür an, auch und gerade wenn wir zu diesem 1. Januar 1971 lineare Erhöhungen durchführen wollen.
Die CDU/CSU-Fraktion macht dagegen geltend, daß sie einer Grundgesetzänderung erst zustimmen könne, wenn ein nach ihrer Auffassung überzeugendes Besoldungskonzept erarbeitet worden sei. Die CDU CSU beruft sich dabei darauf, daß es in diesem Flohen Hause wiederholt so gehandhabt worden sei, daß Grundgesetzänderungen nur dann verabschiedet wurden, wenn zur gleichen Zeit die Ausführungsgesetze fertig vorlagen. Das ist richtig, bedarf aber einiger Bemerkungen.
Wenn wir z. B. bei der Finanzverfassungsreform einen ganz neuen Begriff eingeführt haben, nämlich den der Gemeinschaftsaufgabe, dann ist es sachlich notwendig, richtig und geboten, daß die Konkretisierung dieser neuen Institution erst deutlich wird, erst ganz bis zu Ende durchdacht wird und sofort in dem ausführenden Gesetz umrissen wird, um dann praktikabel zu sein. Bei der Änderung des Art. 74 a GG aber geht es nicht um institutionelle oder endgültig ausführende Gesetze, sondern hier — das ist ein wesentlicher Unterschied — geht es um die Art und Weise, wie in Zukunft von dieser Kompetenz des Bundes Gebrauch gemacht werden soll. Es ist deshalb auch nur folgerichtig, wenn die Bundesregierung am 10. Dezember, die Verabschiedung dieser Grundgesetzänderung voraussetzend, ein Erstes Gesetz zur Vereinheitlichung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern vorgelegt und damit schon deutlich gemacht hat, daß weitere Gesetze folgen werden und folgen müssen, um im Laufe der nächsten Jahre zu einer einheitlichen Konzeption für Bund und Länder zu kommen.
Wenn man sich das vergegenwärtigt, dann muß man, meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, zu der Auffassung kommen, daß man jetzt nicht und in zwei Monaten nicht eine abschließende Konzeption für die Besoldungsstruktur erarbeitet haben kann, sondern nur eine erste Stufe einer möglichen Besoldungsstruktur, daß man also auch nicht in zwei Monaten eine für alle Zukunft oder für eine weite Zukunft gültige Konstruktion haben kann, um dann erst der Verfassungsänderung zuzustimmen.
Wir sind also der Meinung, daß die Verabschiedung heute sachlich geboten wäre. Sie kann nicht erfolgen, da sich die CDU/CSU leider dieser Erkenntnis nicht angeschlossen hat und wir damit in diesem Hohen Hause eine Grundgesetzänderung nicht beschließen können.
Die CDU/CSU schlägt vor, eine Arbeitsgruppe zu bilden, die in den nächsten Monaten ein Konzept erarbeiten soll. Sie schlägt vor, vier Mitglieder von jeder Fraktion dafür zu benennen. Wir nehmen diesen Vorschlag an und werden die entsprechenden Kollegen unverzüglich benennen. Wir gehen dabei davon aus, daß die Arbeit zügig unmittelbar nach den Feiertagen aufgenommen wird und daß wir uns gemeinsam bemühen, wie es in Ihrem Vorschlag heißt, bis Ende Februar zu einer Konzeption zu kommen.
4816 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970
Dr. Schäfer
Wir meinen aber, daß wir dem Bundesrat und den Ländern heute von diesem Platz aus unmißverständlich sagen sollen, daß wir willens sind, diese Grundgesetzänderung zu verabschieden und die damit zusammenhängenden Fragen auf den 1. Januar 1971 zu regeln. Wir müssen diese Erklärung heute hier abgeben, damit die Landesregierungen und die Länderparlamente nicht in ihrer seitherigen Situation belassen werden und damit sie nicht ins Gedränge kommen, die lineare Erhöhung durch Ländergesetze zum 1. Januar beschließen zu müssen.
Für die Fraktion der CDU/CSU hat der Herr Abgeordnete Benda das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte für die CDU/CSU-Fraktion folgende Erklärung abgeben.
Erstens. Die Fraktion der CDU/CSU des Deutschen Bundestages hat in mehreren Beschlüssen ihre Haltung zur Frage der Grundgesetzänderungen dahin gehend präzisiert, daß sie von der Bundesregierung oder der Regierungskoalition gewünschten Änderungen des Grundgesetzes nur zustimmen wird, wenn über die davon betroffenen Sachfragen eine Verständigung herbeigeführt wird. Das gilt auch für die jetzt anstehende Grundgesetzänderung im Hinblick auf das Besoldungsrecht.
In dieser Frage ist von den Vertretern meiner Fraktion im Innenausschuß des Deutschen Bundestages bereits seit längerer Zeit erklärt worden, daß die Zustimmung unserer Fraktion zu der beabsichtigten Änderung des Art. 74 a GG davon abhängig gemacht wird, daß die Bundesregierung darlegt, in welcher Weise sie von einer solchen erweiterten Zuständigkeit Gebrauch machen will, und daß eine Verständigung mit der Opposition über die Neuordnung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern herbeigeführt wird. Diese Problematik ist dem Hohen Hause bereits aus den in diesem Hause geführten Diskussionen über die Einräumung der Rahmenkompetenz nach Art. 75 GG in der heute geltenden Fassung bekannt. Auch hierüber hat es zwischen den Fraktionen des Deutschen Bundestages, auch zwischen der damaligen Regierung und der damaligen Opposition, lebhafte Auseinandersetzungen gegeben.
Noch am Tage der Verabschiedung des Art. 75 in dem hier interessierenden Teil im Deutschen Bundestag am 11. Dezember 1968 hat der damalige Sprecher der Fraktion der SPD, der gegenwärtig amtierende Herr Präsident, Herr Kollege SchmittVockenhausen, erklärt — ich zitiere aus dem Protokoll —:
Wir
— nämlich die SPD-Fraktion —
haben in der Vergangenheit immer wieder mit Erfolg eine Zurückstellung der Verhandlungen um die Grundgesetzänderungen erreicht.
Der Sprecher der damaligen Opposition, der damalige Kollege Dr. Miessner von der Fraktion der FPD, hat gegen die Ergänzung des Art. 75 GG mit dem Argument votiert, daß hierin eine Zumutung für die Länder liege. Er erklärte — ich zitiere ihn —:
Sie
— die Länder —
sollen nämlich zu diesem Zeitpunkt, in dem sie noch gar nicht wissen, was von dem Regierungsentwurf des zweiten Besoldungsneuregelungsgesetzes eines Tages tatsächlich Gesetz wird, gewissermaßen die Katze im Sack kaufen.
Er schloß diese Passage mit der Bemerkung: Das ist gewiß eine starke Zumutung . . .
Zweitens. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat in der Frage des Besoldungsrechts engen Kontakt mit den Landtagsfraktionen der CDU und CSU gehalten. Die Konferenz der Vorsitzenden und Geschäftsführer der Landtags- und Bürgerschaftsfraktionen der CDU und CSU hat am 14. Dezember 1970 einen Beschluß gefaßt, in dem es heißt — ich zitiere diesen Beschluß in dem hier interessierenden Teil —:
Die Konferenz unterstützte den von der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion eingenommenen Standpunkt, daß vor einer Grundgesetzänderung eine umfassende besoldungspolitische Konzeption vorliegen muß. Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Die Fraktionsvorsitzenden begrüßen das Angebot der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, gemeinsam mit der Koalition eine befriedigende Lösung kurzfristig zu erarbeiten. Sie werden sich dafür einsetzen, daß innerhalb dieser Frist in den Ländern keine weitergehenden Regelungen getroffen werden. Die Fraktionsvorsitzenden waren sich darüber einig, daß eine Abschlagszahlung hinsichtlich der linearen Besoldungserhöhungen bei den Grundgehältern und Ortszuschlägen sowie der zusätzlichen Anhebung der Ortszuschläge mit Wirkung vom 1. Januar 1971 erfolgen sollte.
Von dieser Seite her ist also Vorsorge dafür getroffen, daß in der nahen Zukunft jedenfalls in den von der CDU und CSU regierten Ländern Besoldungsregelungen, die eine weitere Auseinanderentwicklung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern zur Folge hätten, nicht getroffen werden.
Drittens. Meine Fraktion begrüßt die eben von Herrn Kollegen Schäfer mitgeteilte Entscheidung der Koalitionsfraktionen, auf den bereits am 11. Dezember 1970 von der CDU/CSU gemachten Vorschlag einzugehen, eine Arbeitsgruppe der Besoldungs- und Haushaltsexperten der Fraktionen und der Bundesregierung zu bilden, die alsbald Vorschläge für eine Gesamtkonzeption zur Neuordnung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern auf der Grundlage der von der Bundesregierung und der CDU/CSU-Fraktion eingebrachten Gesetzentwürfe erarbeiten soll.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970 4817
Benda
Hierbei wird auch die Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen — 7. Besoldungsänderungsgesetz — selbstverständlich alsbald zu prüfen und zu bearbeiten sein.
Die CDU/CSU-Fraktion gibt der Hoffnung Ausdruck, daß diese Arbeitsgruppe, zu der wir heute morgen unsere Vertreter benannt haben, unverzüglich ihre Arbeit aufnimmt, mit dem Ziel, eine einverständliche Regelung der Besoldungsneuordnung zu erreichen, die dann auf eine breite Zustimmung im Deutschen Bundestag rechnen kann.
Damit sind die Erklärungen der Fraktionen zu der Frage der Einfügung eines Art. 74 a in das Grundgesetz — Erweiterung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Besoldungsrecht — abgegeben.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.
Meine Damen und Herren! Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort. Wir sind noch immer bei Punkt 3 a bis e. — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein; für ihn sind 20 Minuten Redezeit vorgesehen.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Die bisherige Debatte hat deutlich gezeigt, daß in bestimmten Sachfragen große Übereinstimmung unter den Kollegen vorhanden ist. Das wundert auch nicht weiter, denn eine ganze Reihe von Kollegen arbeiten — etwa in der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft — in diesen Sachproblemen zusammen; hervorragende Initiativen sind von der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft zu den Fragen des Umweltschutzes bereits dem Hohen Hause vorgelegt worden.
Ich meine aber, daß es der Debatte gut bekommt, wenn man auch einige kritische Anmerkungen hier vorbringt, weil ich meine, daß sowohl das Sofortprogramm wie auch die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage einige kritische Bemerkungen rechtfertigen.
Zunächst einmal, Herr Minister, hätte ich es für wünschenswert gehalten, wenn in der Antwort auf die Große Anfrage noch stärker der Hinweis auf die bsiherigen Leistungen im Bereich des Umweltschutzes zum Ausdruck gekommen wäre, der Leistungen nicht nur des Bundes, sondern vor allem auch der Länder und Gemeinden. Eine solche Aufstellung und Zusammenfassung wäre für die Diskussion über die Prioritäten im Umweltschutz notwendig gewesen.
Gerade weil Sie in Ihrer Einführungsrede heute morgen darauf hingewiesen haben, daß wir uns auch vor einer Hysterie im Umweltschutz hüten sollten, wäre es, glaube ich, gut und nützlich, wenn man aufzeigte, daß wir im Bereich des Umweltschutzes in
der Bundesrepublik Deutschland nicht heute am Nullpunkt anfangen.
Nicht zuletzt hat ja auf Grund dieser Tatsache der amerikanische Innenminister vor einigen Jahren einmal in einem Bericht an den Präsidenten der Vereinigten Staaten darauf hingewiesen, daß die Pionierarbeit, die man in Deutschland in bestimmten Bereichen des Umweltschutzes, sei es auf der Bundes-, sei es auf der Landesebene, geleistet hat, durchaus Aufmerksamkeit verdient.
Sie haben in Ihrer Antwort auf die Anfrage der SPD und der FDP ausgeführt, daß dem Umweltschutz ein besonderer Vorrang in dem Programm der inneren Reformen zukommt. Diese Behauptung haben wir zur Kenntnis genommen. Allerdings, so meine ich, fehlen dafür noch Beweise. Einmal sind zu der Frage der Prioritäten im Bereich der inneren Reformen bisher eine ganze Reihe widerspruchsvoller Äußerungen seitens der Regierung bekanntgeworden. Wir wissen von dem Wettlauf der Minister, von diesem Kuchen der inneren Reformen einen möglichst großen Happen abzubekommen. Nicht zuletzt hat dazu der Herr Bundeskanzler mit der Äußerung beigetragen, daß man das interne Arbeitsprogramm dieser Bundesregierung zur Innenpolitik nicht bekanntgegeben wird. Daher muß die Bundesregierung möglichst bald mitteilen, welchen Vorrang der Umweltschutz im Programm der inneren Reformen haben wird. Darauf hat auch der Kollege Dr. Rutschke mit Recht hingewiesen.
Ganz entscheidend ist ja mit dieser Frage auch das Problem der Finanzierung dieser Ausgaben, die mittelfristige Finanzplanung verbunden. Hier, so kann ich nur sagen, fehlt diese Übersicht bisher noch völlig; und ich bedaure sehr, daß auch die Antwort auf die Anfrage von meinem Kollegen Dr. Gruhl und mir und der CDU-Fraktion hinsichtlich der finanziellen Situation für den Umweltschutz dem Hohen Hause bisher nicht bekanntgegeben worden ist.
Ich wundere mich um so mehr darüber, daß das Ministerium hier sogar um eine Fristverlängerung bitten läßt, um diese Frage zu beantworten, weil Sie doch selbst, Herr Minister, in Ihrem Schreiben vom 31. 8. 1970 zur Kabinettsvorlage die Ansicht geäußert haben, daß die Aufstellung einer solchen Finanzierungsübersicht erforderlich ist, um jede Gefahr unkoordinierter Tätigkeit oder auch nur ihren Anschein auszuschließen. Dieser Auffassung kann ich nur zustimmen, nur müssen hier diese Zahlen auf den Tisch, einmal für die weitere Arbeit in diesem Hohen Haus, zum anderen für die Planung nicht nur des Bundes, sondern auch der Länder. An und für sich bin ich Ihnen dankbar, daß Sie in der Antwort auf die Große Anfrage mitteilen, daß Sie an eine Aufstockung der Mittel für Wasser- und Abwasserwirtschaft aus dem ERP-Vermögen denken, wobei Sie die zusätzlichen Mittel über den Kapitalmarkt beschaffen wollen. Im Interesse der Gemeinden kann ich nur sagen, daß das eine gute Sache ist; denn wir wissen, daß allein für ein Jahr Anträge in der Größenordnung von 260 Millionen DM vorliegen. Sie müssen bei einer solchen Finanzierungsart aber von Anfang an auch daran denken, daß die Belastungen des Bundeshaushalts oder des ERP-Vermögens durch
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Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
die Kreditaufnahme sehr schnell den Punkt erreichen, an dem der Schuldendienst höher ist als das,
was Sie an Krediten zur Verfügung stellen können.
In der Antwort auf die Große Anfrage wird u. a. festgestellt, daß ebenso wie in vielen anderen Industrieländern auf dem komplexen Gebiet des Umweltschutzes bestimmte Bestandsaufnahmen fehlten. Das ist eine wichtige Feststellung. Aber ich hätte mir gewünscht, daß Sie den Mut besessen hätten, auch zu sagen, daß diese Aufstellung auch heute noch nicht endgültig ist, daß sie noch nicht einmal erstellt ist. Aus dem Text ergibt sich nämlich zumindest der Eindruck, als ob eine solche Bestandsaufnahme inzwischen schon vorhanden wäre. Auch dies ist noch hinzuzufügen: Sie sagen: ebenso wie in vielen anderen Industrieländern. Auch da sollte man im Interesse der Aufklärung der Öffentlichkeit sagen, daß praktisch in allen Industrieländern eine solche Aufstellung fehlt, daß sie aber für die zukünftige Arbeit notwendig ist. Bei der Bestandsaufnahme dessen, was geschehen ist und was zu geschehen hat, stellt auch der finanzielle Teil einen entscheidenden Faktor dar. Auch das muß hier noch einmal ganz klar zum Ausdruck gebracht werden.
Der Herr Bundeskanzler hat anläßlich der Abschlußkundgebung des Deutschen Naturschutzringes gesagt: „Zur Lösung der dringendsten Probleme hat die Bundesregierung auf Vorschlag des Kabinettsausschusses für Umweltfragen am 17. September ein Sofortprogramm verabschiedet". Ich meine, mit dieser Beurteilung können wir alle, die wir im Umweltschutz tätig sind, nicht übereinstimmen. Wir erkennen an, daß ein Einstieg in diese Materie versucht worden ist. Aber Sie können nicht für sich in Anspruch nehmen, daß schon dieses Sofortprogramm die Lösung der dringendsten Probleme bringt. Davon kann man nicht sprechen.
Es ist außer Zweifel, daß der Antrag der CDU/ CSU-Fraktion vom 20. Mai dieses Jahres entsprechende Aktivitäten in der Bundesregierung ausgelöst hat: Der Kabinettsausschuß ist gegründet worden, die Anfrage der SPD und der FDP ist zustande gekommen, und schließlich ist als erstes Ergebnis das Sofortprogramm aufgestellt worden, von dem ich noch einmal sagen möchte, daß bisher präzise Zielvorstellungen nicht vorhanden sind und auch Lösungsalternativen nicht dargestellt werden.
— Eine Umweltschutzdebatte, lieber Herr Kollege Bardens, wäre wahrscheinlich im Frühjahr, wenn nämlich die Grundlinien zum Umweltschutzprogramm, das dem Kabinett gleichfalls vorgelegt worden ist, zu einem endgültigen Programm zusammengefaßt werden, besser. Wahrscheinlich können wir uns dann in der Sache hier noch intensiver unterhalten und auseinandersetzen.
Es ist außer Zweifel, daß in diesem Sofortprogramm einige neue Initiativen angeboten werden, mit deren konkreter Erarbeitung allerdings erst begonnen werden soll. Es sind auch Fortschritte -
etwa in der Entwicklung des Programms — erkennbar. Denken Sie nur an die Bleizusätze, wo erst
Fristen vorgesehen wurden, die dann schon in der Antwort auf die Große Anfrage eine Verbesserung erfahren haben.
Wie Sie wissen, war die Öffentlichkeit nach der großen Ankündigung dieses Programms dann enttäuscht über das, was kam. Ich darf im Zusammenhang mit dieser Feststellung hier einmal mit Genehmigung des Herrn Präsidenten den Deutschen Naturschutzring zitieren:
Blamabel ist der mühsam getarnte Rückzug, zu dem Bundesinnenminister Genscher mit seinem laut, allzulaut proklamierten Umweltschutzprogramm gezwungen wurde, blamabler noch im Detail die Verordnung über die Blei -zusatzgrenze in Benzin, die anmutet, als sei hier eine Vorlage der Ölfirmenlobby ungelesen übernommen worden.
Die Öffentlichkeit beobachtet also kritisch Ihre Aktivitäten. Man sollte eben draußen nicht den Eindruck erwecken, als ob mit dem Angebot des Sofortprogramms die dringensten Probleme schon einer Lösung zugeführt würden, wie es der Herr Bundeskanzler anläßlich der Kundgebung des Deutschen Naturschutzringes behauptet hat.
Leider ist auch festzustellen, daß zwischen dem ersten Programmentwurf und dem, den Sie nachher der Öffentlichkeit übergeben haben, Unterschiede sind; eine Reihe von Punkten sind nicht mehr aufgeführt worden. Ich frage mich, warum Sie z. B. darauf verzichtet haben, die Entwicklung von ElektroAutomobilen zu fördern, wie Sie im ersten Programm noch angekündigt haben. Ich hielte eine solche Förderung für eine wirklich gute Sache, und sie wäre wahrscheinlich auch noch im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten gewesen. Sie hatten in dem Programm zunächst in Aussicht gestellt, den Entwurf eines Abfallbeseitigungsgesetzes dem Kabinett schon im November vorzulegen. Auch davon ist jetzt nicht mehr die Rede. Wir wissen vielmehr, daß dieser Entwurf dem Kabinett und dann dem Flohen Hause erst später vorgelegt wird.
Zum zweiten. In dem Sofortprogramm tauchen eine ganze Reihe „guter alter Bekannter" auf, so das Bundesimmissionsschutzgesetz. Schon in der letzten Gesundheitsdebatte haben wir über den Umweltschutz gesprochen. — Herr Kollege Gruhl, ich bin noch so altmodisch, daß ich nach wie vor den Umweltschutz zur Gesundheitspolitik rechne. Insofern haben wir heute also nicht die erste Debatte. — Schon vor zwei Jahren hat Frau Bundesminister Strobel dem Hohen Hause angekündigt, daß ein Bundesimmissionsschutzgesetz vorgelegt wird. Jetzt haben wir das Jahr 1970 und erneut eine solche Ankündigung. Ich bin wirklich gespannt, ob wir uns im nächsten Jahr mit diesem Gesetz zu befassen haben.
Sie haben in dem Sofortprogramm die Neuschaffung von zwei Bundesanstalten gefordert, einmal der Bundesanstalt für Immissionsschutz und zum anderen der Bundesanstalt für Wasserwirtschaft und Abfallbeseitigung. Ich will hier gar nicht näher in die Diskussion darüber eintreten, ob es sinnvoll ist, für den Umweltschutz zwei Bundesanstalten zu
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Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
schaffen, oder ob es nicht doch besser wäre, sich mit einer Bundesanstalt für den Umweltschutz zu begnügen, wie es die CDU und auch die SPD gefordert haben. Das Entscheidende scheint mir zu sein, daß hier die Schaffung zweier neuer Bundesanstalten gefordert wird, obwohl wir alle miteinander wissen, daß beim Bundesgesundheitsamt längst das Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene vorhanden ist. Wenn ich den Katalog der Aufgaben, die Sie für diese beiden Institute vorgesehen haben, einmal kritisch durchsehe, dann kann ich Ihnen nur sagen, daß die meisten dieser Aufgaben durchaus von dem bereits bestehenden Bundesinstitut wahrgenommen werden können. Es kann doch einfach nicht angehen, daß der Bundesinnenminister hier ein neues Bundesinstitut oder sogar zwei fordert, nur weil er sich unter Umständen mit dem Bundesgesundheitsminister nicht über die Ressortzugehörigkeit eines neuen Umweltinstituts einigen kann.
Es geht nicht allein um das Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene. Wir wissen, daß auf der Bundesebene, aber auch im Bereich der Länder eine ganze Reihe wirklich hochqualifizierter wissenschaftlicher Institutionen vorhanden sind, die schon seit Jahren im Bereich des Umweltschutzes tätig sind und gute Grundlagenarbeit geleistet haben. Hier hätte man — und das ist das Versäumnis dieses Sofortprogramms — ohne großen finanziellen Aufwand eine bessere Koordinierung im Kabinett herbeiführen können. Man muß — das ist eine Forderung, die ich hier erhebe — die bisherigen Institutionen starker nutzen. Man muß sie auch entsprechend ausbauen.
Aber es ist die Frage, ob der Bundesminister für Familie, Jugend und Gesundheit, dem dieses Institut im Rahmen des Bundesgesundheitsamts untersteht, überhaupt noch dieses Interesse daran hat. Denn im Aufgabenbereich hat es sehr viel mit der in das Innenministerium übergeleiteten Abteilung Umweltschutz zu tun. Wir erleben doch im Haushaltsausschuß seit Jahren, daß immer wieder Mittel für dieses Institut eingeplant werden, daß wir sie aber aus haushaltsrechtlichen Gründen wieder streichen müssen, weil das Bundesministerium für Familie, Jugend und Gesundheit bisher nicht in der Lage war, den Organisationsplan für das Bundesgesundheitsamt vorzulegen; eine Voraussetzung für den Ausbau einer Bundesinstitution für den Umweltschutz, die längst vorhanden ist, mit qualifizierten Leuten. Sie laufen Gefahr, meine Damen und Herren von der Regierung, daß in Berlin qualifizierte Mitarbeiter weggehen, nur weil sie über die Zugehörigkeit des Instituts und seinen weiteren Ausbau im unsicheren gelassen werden. Hier wäre für das Kabinett und den Ausschuß für Umweltschutz eine gute Möglichkeit, sich der bisherigen Institutionen des Bundes zu bedienen.
Das Problem der Behebung des erheblichen Mangels an Fachkräften hätte im Sofortprogramm eine noch stärkere Würdigung finden müssen. Wir wissen, daß der ganze Umweltschutz nicht nur eine Frage der Finanzen ist, nicht nur eine Frage der Gesetzgebung, sondern daß für die Behebung bestimmter Mißstände die entsprechende Anzahl qualifizierter Fachleute in den verschiedenen Ebenen notwendig ist.
Wir alle wissen, daß gerade hier noch ein erheblicher Mangel besteht. Hier muß gleichfalls ein Schwerpunkt der künftigen Arbeit für den Umweltschutz liegen.
Ich meine, daß auch Probleme, die aus der Gesundheitspolitik sehr stark in den Umweltschutz hineinragen, mit in diesem Sofortprogramm hätten zum Ausdruck gebracht werden müssen. Das sind einmal die Fragen der Lebensmittel, der Düngemittel, der Massentierhaltung, hier insbesondere der Importe aus dem Ausland. Das sind alles Dinge, die auf die Umwelt oder auf den Menschen in ganz besonderer Weise einwirken. Ich darf nur daran erinnern, daß allein durch die Fütterung mit Antibiotika oder mit Hormonen ganz erhebliche Schäden beim Menschen oder zumindest die Resistenz bei bestimmten Erregerstämmen verursacht werden können. Ich glaube, daß auch das zum Umweltschutz gehört.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, gern.
Herr Kollege, Sie meinen also auch, daß ein isoliertes Wirkstoffgesetz in diesem Zusammenhang nicht günstig wäre?
Wir müssen diese Frage zumindest im Zusammenhang mit dem Umweltschutz sehen. Bisher das werden Sie mir zugeben — ist weder im Sofortprogramm noch in der Antwort der Bundesregierung auf diese Frage eingegangen worden. Das wollte ich mit meiner Anregung hier sagen.
Ein ganz entscheidender Mangel, so meine ich, ist aber der Mangel an Koordination in der Bundesregierung in Fragen des Umweltschutzes. Ich muß es mir versagen — im Hinblick schon auf die fortgeschrittene Zeit —, Ihnen aufzuzählen, welche Ministerien sich alle mit Umweltschutz befassen, welche Minister zu diesem Thema Aussagen machen. Ob es im nächsten Jahr bei der ECE-Tagung in Prag der Herr Bundeswohnungsminister ist, der über Umweltschutz berichten wird, oder andere Minister etwa beim Übersee-Tag, — hier ist wirklich für den Außenstehenden nicht erkennbar, wer denn in dieser Bundesregierung für den Umweltschutz verantwortlich ist und wo die Zuständigkeiten liegen. Es ist einfach nicht ausreichend, wenn lediglich auf der Ebene der Minister ein Kabinettsausschuß gebildet wird, sondern ich meine, viel entscheidender ist noch, das ein interministerieller Ausschuß auf der Referentenebene die Arbeiten der einzelnen Ministerien in diesen Bereichen zusammenfaßt.
Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluß.
4820 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970
Gern.
Die Bundesregierung ist aufzufordern, die Aktivitäten von Bund, Ländern und Gemeinden stärker zu koordinieren, sich vor allem auch der wissenschaftlichen Institutionen der Länder zu bedienen. Hier wiederum das sage ich noch einmal —hat die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft ein gutes Vorbild gesetzt, in der Bund und Länder bzw. ihre Abgeordneten gut zusammenarbeiten und hervorragende Vorlagen erarbeitet haben. Das ist auch Anlaß für die CDU/CSU-Fraktion gewesen, in ihrem Antrag zum Umweltschutz die Bundesregierung aufzufordern, eine Deutsche Kommission für Umweltfragen einzurichten, damit sie die verschiedenen Aktivitäten auf Bundes-, Landes und Gemeindeebene im Interesse der Lösung des Problems stärker zusammenfaßt. Erst dann, wenn die Bundesregierung Maßnahmen ergreift, wie ich sie hier angedeutet habe, und das Sofortprogramm sowie die Ausarbeitung und Weiterentwicklung der Grundlinien eines Umweltschutzprogrammes und die Bekanntgabe der mittelfristigen Finanzplanung vornimmt, erst dann wird das Hohe Haus darüber entscheiden können, ob der Umweltschutz tatsächlich zu den Prioiritäten dieser Regierung gehört.
Das Wort hat der Abgeordnete Bay.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege zu Sayn-Wittgenstein hat die Frage gestellt, ob es wohl richtig sei, heute in diesem Hause eine Debatte über Umweltschutz zu führen, da das Umweltschutzprogramm der Regierung erst im Frühjahr vorliegen werde. Ich halte es für richtig, daß wir heute darüber debattieren, und zwar deshalb, weil es notwendig ist — politisch notwendig —, daß dieses Haus sich zu der vor uns allen stehenden Aufgabe bekennt und eine gemeinsame Marschrichtung findet.
Es gilt dabei, das Problem so darzustellen, daß sowohl sein Umfang als auch die Schwierigkeit, es zu lösen, von diesem Hause und von der Öffentlichkeit voll begriffen werden. Denn trotz aller schon vorhandenen Publizität entsteht der Eindruck, daß sich durch die Kenntnis vieler Einzelheiten, aber durch teilweise mangelnde Kenntnis der Zusammenhänge Dinge entwickeln, die sich etwa nur als Forderung des Bürgers an die Regierung zeigen, ohne daß die Gesamtverantwortlichkeit aller deutlich wird.
Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort eine sehr klare, zusammenfassende Definition des Begriffes Umweltschutz gefunden. Ich halte das für sehr gut. Die Gesamtbetrachtung mit ihren Konsequenzen scheint im allgemeinen noch nicht so durchschlagend gewirkt zu haben, daß es z. B. dazu gekommen wäre, daß der Streit zwischen Bund und Ländern um die Zuständigkeiten für den Bund auf diesem Gebiet hätte beendet werden können; ganz im Gegenteil.
Nebenbei gesagt: auch das Verhalten unserer holländischen Nachbarn zeigt, daß der Gesamtzusammenhang, in dem die Dinge gesehen werden müssen, von ihnen zwar vielleicht erkannt wurde, jedoch noch nicht zu Konsequenzen geführt hat. Ich halte es deshalb für notwendig, auch dazu einen kleinen Beitrag zu geben.
Wir müssen davon ausgehen, daß die vom Menschen unbehelligte natürliche Umwelt, die wir hier einmal Biosphäre nennen können, ein in sich unabhängiges und sich immer wieder selbst regulierendes System darstellt, das in der Lage ist, alle seine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und seine Abfallstoffe durch hockentwickelte Auflösungsvorgänge zu zersetzen und wieder zu verwenden. Der Mensch seinerseits hat es im Laufe seiner Geschichte gelernt, aus den Stoffen und Energien dieser ihn umgebenden Biosphäre seine eigene künstliche Welt aufzubauen, die man in diesem Zusammenhang einmal Technosphäre nennen könnte.
Entscheidend ist nun für unser Problem, daß die Technosphäre nicht nur von den Reserven der Biosphäre völlig abhängig ist und bleibt, sondern daß sie auch eine wachsende Menge von Abfällen, ungenutzten Stoffen und neuen Stoffverbindungen an die Biosphäre abgibt und diese damit belastet. Kurz gesagt, der Mensch hat seine Zivilisationswelt damit aufgebaut, daß er die ihm zur Verfügung stehende Natur ausgebeutet, aber ebenso auch verschmutzt und vergiftet hat. Das konnte so lange ertragen werden, wie die Zahl der Menschen klein und ihre technischen Möglichkeiten gering waren. Das ist nun anders geworden, wie wir wissen. Bevölkerungsexplosion und Umweltschädigung sind die lebensgefährlichen Begleiter des raschen zivilisatorischen und technischen Fortschritts geworden.
Das ökologische Gleichgewicht, also der Haushalt der Biosphäre, ist insgesamt bereits empfindlich und an einigen Stellen sogar für immer gestört. Am deutlichsten hat sich für uns die Schädigung der Umwelt bisher durch Verschmutzungen aller Art bemerkbar gemacht. Das zu beschreiben tut nicht not. Aber diese Verschmutzung wird noch viel bedrohlicher sein, wenn bisher geübte Verhaltensweisen des Menschen nicht rasch und energisch genug korrigiert werden. Dazu ein ganz einfaches Beispiel. Die Antwort der Bundesregierung erwähnt, daß der Benzinverbrauch in unserem Lande zwischen 1952 und 1969 von 1,75 Millionen Tonnen auf 13,9 Millionen Tonnen pro Jahr gestiegen ist. Entsprechend sind natürlich die Abgase dieser Verbrennung in ihrer Menge gestiegen. Machen wir in gleichem Tempo weiter und unter den gleichen Bedingungen, so werden wir etwa um 1980 die Verbrennungsprodukte nahezu der doppelten Benzinmenge zu ertragen und unserer Umwelt zuzumuten haben.
Man darf wohl — und das ist mit entscheidend — davon ausgehen, daß sowohl die Produktions- und Verkaufserwartungen der Automobilindustrie und der Kraftstoffproduzenten als auch die Mobilitätsansprüche des Verbrauchers einen solchen Trend begünstigen. Das bedeutet aber, daß die Grenzen der Belastbarkeit etwa in diesem Bereich selbst dann in absehbarer Zeit ereicht sein werden, wenn
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Bay
sich in Bälde eine wesentlich saubere Verbrennung bei unseren Motoren durchsetzen läßt.
Zur Verschmutzung kommt die Vergiftung mit Tausenden von chemischen Produkten, die ausdrücklich als Gifte in die komplizierten Prozesse der Biosphäre eingeführt werden, und dann noch mit recht aggressiven Abfallprodukten der Industrie. Die Auswirkungen dieser Gifte auf alle Lebewesen sind zwar teilweise im einzelnen, aber kaum in ihrer summarischen Wirkung bekannt. Die so entstandene toxische Gesamtsituation ist ein vom Menschen nicht direkt gewolltes, aber doch voll und ganz von ihm zu verantwortendes Riesenexperiment an sich und seiner Umwelt, das man zumindest als höchst fahrlässig bezeichnen muß.
Nicht ganz so auffällig sind die Schädigungen der Biosphäre durch ihre direkte Zerstörung und ihre unverantwortliche Ausbeutung. Sie sind deshalb nicht weniger schlimm. Nichtbeobachtung und Zerstörung natürlicher Zusammenhänge und unüberlegtes Übertragen rein technischer Maßstäbe auf organische Einheiten, wie z. B. Wasserläufe, haben der Landschaft und damit uns allen schwere Schäden zugefügt. Ich nenne hier nur: Bodenerosion, Humusrückgang und Verminderung der Wasserreserven.
Nicht als Schreckschuß, aber doch als Beispiel dafür, daß der Mensch in Zukunft mit den begrenzten Reserven der Umwelt wird rechnen müssen, will ich einige Bemerkungen zur Sauerstoffgesamtbilanz machen, die wir heute aufzustellen haben. Wir wissen, daß jedes höhere Leben nur unter Sauerstoffzufuhr möglich ist, und der Mensch kann durch seine Atmung aus den normalen 21 Volumenprozent des Luftsauerstoffs nur etwa 5 Volumenprozent entnehmen. Bei den 16 Volumenprozent darunter kann er nichts mehr holen. Jedes Prozent unter dem normalen Satz von 21 % bedeutet, daß der Mensch bei gleicher Arbeit schneller und tiefer atmen muß, wirkt also ebenso belastend wie etwa die geringere Sauerstoffdichte in größeren Höhen.
Gefährlicher noch ist die Erhöhung des Kohlensäuregehalts der Luft infolge jeder Verbrennung. Die Verminderung des Sauerstoffs und die Vermehrung der Kohlensäure wirken sich desto nachteiliger aus, je mehr Spuren anderer Gase oder Beimengungen wie Staub in der Atemluft enthalten sind. Je unreiner also die Luft ist, desto exakter müssen der hohe Sauerstoffgehalt und der geringe Kohlensäuregehalt eingehalten werden.
Zwar wird in unserem Lande durch die Pflanzenwelt Sauerstoff nachgeliefert; wir verbrauchen aber etwa dreimal so viel Sauerstoff, wie geliefert wird, mindestens 80 % davon für die Energiegewinnung. Das bedeutet, daß wir wie alle anderen Industriestaaten auf Zufuhr von außen angewiesen sind.
Ich führe das lediglich deshalb an, um darzulegen, daß auch an einer Stelle, bei der man zunächst gar nicht den Eindruck hat, daß es sich so verhalten könne, die Vorausberechnungen nötig sind, wenn wir unser Leben im Rahmen der Industrialisierung und eines Konsums, der darauf basiert, menschenwürdig führen wollen.
Diese wenigen Angaben mögen zeigen, daß die Grenzen dessen sichtbar und zum Teil auch erreicht sind, was die vom Menschen geschaffene technische Welt der natürlichen Umwelt sowohl an Verlusten als auch an Belastungen zumuten darf. Die Feststellung dieser Grenzsituation, die wir haben oder die vor uns steht, ist für den Bereich der Politik deshalb so wichtig, weil es natürlich genug Gründe dafür gibt, die Situation zu verharmlosen und daher zuwenig oder aber das Falsche zu tun. Selbstverständlich müssen unzählige Einzeldinge erforscht und getan werden. Maßgeblich jedoch für den Erfolg ist letztlich, daß man über eine geeignete Strategie für das Ganze verfügt. Eine solche Strategie wird dann richtig sein, wenn sie sowohl das Maß der Ausbeutung der Umwelt als auch ihre Belastung mit allen Forderungen in Einklang bringt, die im Sinne der Erhaltung und Schonung der Biosphäre und ihrer Reserven zu stellen sind.
Das gilt auch dann, wenn wir im Einzelfall heute noch nicht in der Lage sind, diese Forderungen vollständig zu nennen. Nur wenn der Mensch in Zukunft die ihn tragende Biosphäre in allen Bereichen zu schützen beginnt und das im Sinne einer zunehmenden Symbiose, also eines für beide Teile, Menschen und Umwelt, gedeihlichen Zusammenlebens, durchhält, wird er auf diesem Planeten eine Zukunft haben.
Das Problem zeigt seinen ganzen Umfang, wenn man es mit der Entwicklungshilfe in Verbindung bringt. In der Entwicklungshilfe kann es ganz offensichtlich nicht nur darum gehen, zu Beginn des nächsten Jahrhunderts 6 oder 7 Milliarden Menschen satt zu machen. Denn was die Industrievölker der Umwelt der nördlichen Halbkugel an Verlusten und Schäden zugefügt haben und noch zufügen, darf sich auf der südlichen Erdhälfte nicht wiederholen. Es stellt sich dabei die Frage, ob es überhaupt denkbar ist, alle technischen Möglichkeiten der Europäer und Amerikaner ohne weiteres auf die anderen Länder zu übertragen. Jedenfalls wird man sagen müssen: da Entwicklungshilfe sein muß, wird sie nur in Verbindung mit Umweltschutz geschehen dürfen.
Was die Gesamtaufgabe „Umweltschutz" vor allem politisch beinhaltet, hat die Bundesregierung in ihrer Antwort u. a. durch den Satz ausgedrückt, daß eine Neubewertung der Ziele der Industriegesellschaft notwendig sei. Dem ist voll zuzustimmen. Das kann dann aber nicht heißen — so ist es auch heute noch oft zu hören —, daß wir nun eben einmal ein Industrieland seien und daher sehen müßten, wie der Zustand der Umwelt für den Menschen gerade noch erträglich zu gestalten sei. Es geht keineswegs nur um die Beseitigung oder Minderung von Schädigungen, sondern es muß bei der Hauptursache angesetzt werden, nämlich bei der gesamten Produktion, besonders natürlich der industriellen, aber doch wohl auch der landwirtschaftlichen. Denn ich möchte hier bemerken, daß gerade die Landwirtschaft unter den drei Stichworten „Landschaftserhaltung", „gesunde Nahrungsmittel" und „Sauerstoffproduktion" Aufgaben zugewiesen bekommt, die nur mit ihrer Hilfe erfüllt werden können, die ihr aber auch neue Aspekte verschaffen.
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Bay
Die Priorität, die wir bisher der Produktion von Gütern und deren Konsum und damit den wirtschaftlichen Belangen gegeben haben, muß durch die Priorität ökologischer Maßstäbe gegenüber den wirtschaftlichen abgelöst werden. Wirtschaftspolitik und Wirtschaft selbst können auf die Dauer nur noch unter voller Berücksichtigung der Gesundheit des Menschen und der ihn umgebenden Natur sinnvoll getrieben werden, und Gewinn- und Konsummöglichkeiten werden hier ihr unbedingtes Regulativ finden müssen. Man sollte sich keine Illusionen darüber machen, wie schwer das durchzusetzen sein wird, sicher ebenso schwer wie die Aufgabe, zwischen den Völkern den Frieden zu schaffen. Diese Schwierigkeit besteht deshalb, weil wir alle ohne Ausnahme gewohnt sind, in Kategorien zu denken und zu handeln, die in aller Regel nicht umweltschützend sind.
Hieraus ergibt sich das Problem, das von der Regierung am Schluß ihrer Antwort angeschnitten worden ist, das Problem der Information und Bildung auf diesem Gebiet. Es ist richtig, daß diese Aufgabe ansteht, nud ich möchte seine Erörterung dadurch noch erweitern, daß ich sage: letztlich wird die Mehrzahl unserer Mitbürger nur durch praktische Teilnahme am Umweltschutz für ihn selbst gewonnen werden können. Information und Bildung reichen dafür nicht aus. Es gibt in meinem Wahlkreis im Land Baden-Württemberg ein sehr nettes Beispiel hierzu, eine Initiative in dieser Richtung. Ein Gewässerschutzverband hat an den Landtag Baden-Württemberg einen Vorschlag gerichtet, demzufolge die Fischpächter der öffentlichen Gewässer sowohl das Recht als auch die Pflicht bekommen sollen, Schäden an ihrem Gewässerabschnitt zu melden; dafür wären Meldestationen in erreichbarer Nähe einzurichten. — Man mag über die rechtlichen Konsequenzen noch streiten, aber solche Maßnahmen sollten institutionalisiert werden, weil sie dem Bürger am allerbesten zeigen, worum es geht.
Und wenn die Auseinandersetzung unten an Ort und Stelle geführt wird, wird sie auch Frucht bringen.
Kommen Sie bitte zum Schluß.
Die Priorität ökologischer Gesichtspunkte wird auch bei der Entwicklung und Anwendung umweltfreundlicher technischer Verfahren und umweltverträglicher Produkte zum Tragen kommen müssen. Das kann nicht mehr allein dem Marktmechanismus überlassen bleiben, sondern es muß gesetzlich abgesichert werden. Hierzu würden u. a. eine volle zivilrechtliche Haftung des Produzenten für Umweltschäden seiner Produkte, staatliche Vorprüfungsverfahren für neue Produkte und Festsetzung von Normen für die Entwicklung neuer Produkte und Verfahren nach dem Grundsatz der Vorsorge gehören.
Meine Damen und Herren, ich möchte nicht schließen, ohne die Menschen erwähnt zu haben, die seit
Jahrzehnten vor der heute so gefährlich gewordenen Entwicklung gewarnt haben. Es waren Wissenschaftler und einfache Leute. Sie taten das, obwohl sie damals hart gegen den Strom eines blinden Fortschrittsglaubens und eines allgemeinen Konsumdenkens schwimmen mußten. Vielleicht waren diese Menschen nicht klüger als die anderen, aber sie hatten mehr Mut, die Wahrheit zu sehen, zu sagen und sich dafür auch auslachen zu lassen.
Ich wünsche diesem Hohen Hause viel Mut, damit das, was der Umweltschutz von ihm verlangt, von ihm auch getan werden kann.
Meine Damen und Herren, wir haben Anlaß, dem Abgeordneten Bay zu seiner Jungfernrede zu gratulieren.
Das Wort hat Frau Bundesminister Strobel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Alle, die im Umweltschutz tätig sind und sich für ihn einsetzen, wissen, daß gerade im Umweltschutz billige, leichte und schnelle Lösungen nicht möglich sind. Ich möchte sagen, wir wissen das zum Teil aus langer leidvoller Erfahrung, wenn ich allein an das Schicksal des Fluglärmgesetzes in der vorigen Legislaturperiode denke.
— Das Gesundheitsministerium war daran nicht wenig beteiligt, würde ich sagen.
Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein, Sie wissen aber auch, daß das Immissionsschutzgesetz, dessen Entwurf in der vorigen Legislaturperiode im Gesundheitsministerium erarbeitet worden war, ohne Grundgesetzänderung ein Torso geblieben wäre, denn es hätte sich nur auf den wirtschaftlichen Bereich beziehen können. Der gesamte private Bereich und der gesamte hoheitliche Bereich hätten gefehlt. Es gibt ja Berechnungen, die ziemlich deutlich werden lassen, daß der wirtschaftliche, der industrielle Bereich etwa ein Drittel der gesamten Umweltverschmutzung herbeiführt. Daran sind wir in der letzten Legislaturperiode mit der Vorlage dieses Gesetzentwurfes gescheitert. Ich bin froh, wenn sich jetzt Lösungen abzeichnen, die ein umfassendes Immissionsschutzgesetz möglich machen. Die Debatte heute zeigt ja, wie notwendig das ist.
Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein, Sie haben reklamiert, daß wir in das Sofortprogramm der Bundesregierung zum Umweltschutz nicht auch all die mit dem Lebensmittelrecht zusammenhängenden Probleme aufgenommen haben. Ich möchte daran erinnern, daß schon in der Regierungserklärung die Gesamtreform des Lebensmittelrechts angekündigt wurde. Sie wird zu Beginn des nächsten Jahres den gesetzgebenden Körperschaften vorgelegt. Im Rahmen dieses Gesetzes werden nicht allein Lebensmittel, Kosmetika, Tabakwaren und Bedarfsgegen-
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Bundesminister Frau Strobel
stände erfaßt, dazu gehört auch eine Änderung des Arzneimittelrechts, um der mißbräuchlichen Anwendung von Arzneimitteln bei Tieren vorzubeugen. Damit erfassen wir einen sehr, sehr großen Bereich des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung. Wir haben dies hier im Sofortprogramm nicht noch einmal angeführt.
Die Gesamtschau ist in diesem ganzen Bereich sehr wichtig. Trotzdem glaube ich, es gibt Teilbereiche, bei denen man gar nicht warten kann, bis das große Dach da ist, sondern man muß, soweit es irgend möglich ist, bereit sein, Lösungen für Teilbereiche zu schaffen. Wir haben in der Bundesrepublik in Teilbereichen schon recht gute Lösungen. Ich denke an die Bestimmungen über die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, ich denke an die Höchstmengenverordnung bezüglich Rückständen von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln, ich weiß, daß wir die Verbreitung der Biozide im Teilgebiet Wasser und Luft nach gesundheitspolitischen Gesichtspunkten kontrollieren. Ich möchte hier aber, gerade weil die Biozide ein so außerordentlich wichtiges Gebiet im Rahmen des Umweltschutzes sind, darauf aufmerksam machen, daß die zentrale Überwachung der Verbreitung von Bioziden in der Umwelt ein neues Konzept braucht, daß man in Teilbereichen verhältnismäßig leicht vorwärtskommt, daß es aber sehr viel schwieriger ist, die Gesamtsituation toxikologisch zu beurteilen. Bei vielen anderen Bioziden, die nur in niedrigen Dosen, über lange Zeiträume und aus den verschiedensten Quellen auf den Menschen einwirken, brauchen wir das Zusammenwirken der verschiedensten Disziplinen.
Die Bundesregierung hat die Absicht, auf dem Wege über eine koordinierte Zusammenarbeit aller beteiligten Fachinstitutionen, unterstützt durch die Einrichtungen der Bundesländer, eine zentrale Erfassungs- und Auswertungsstelle zu schaffen, um eine ganzheitliche toxikologische Bewertung zu ermöglichen und um zulässige Höchstmengen für die Belastung des Menschen mit Bioziden festsetzen zu können. Die Ergebnisse werden sich in Normen, Verordnungen, Spezialgesetzen niederschlagen. Aber das alles geht, wenn es ordentlich, nüchtern und richtig gemacht werden soll, nicht von heute auf morgen.
Ich bin dankbar dafür, daß es in dieser Debatte soviel Nüchternheit gibt. Denn ich glaube, es ist wichtig zu sehen, daß in Anbetracht der großen wirtschaftlichen und finanziellen Aufwendungen, die ein umfassender Umweltschutz erfordert, die Kosten nach Nutzen und Risiko abgewogen werden müssen. Es gibt aber — und mein Kollege Bay hat es schon betont, ich möchte es unterstreichen — Grenzen, die im Interesse des Gesundheitsschutzes nicht aus wirtschaftlichen Überlegungen überschritten werden dürfen.
Dies gilt besonders für Höchstmengen bei Bioziden. Sie bewegen sich im Umweltbereich ohne Rücksicht auf Ländergrenzen dabei meine ich nicht nur die Bundesländer , und wir können sie wirksam überhaupt nur überwachen, wenn eine konkrete internationale Koordinierung erfolgt. Das gilt auch
im Hinblick auf die Notwendigkeit, dabei vermeidbare Wettbewerbsverzerrungen auszuschließen.
Nun hat die OECD jetzt die Arbeiten intensiv aufgenommen. Es gibt dort eine besondere Arbeitsgruppe Gesundheitsschutz mit Bezug auf Biozide, und gestern war ja hier in Bonn anwesend — Herr Prinz Sayn konnte am Abend dabei sein — der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation. Wir haben mit Herrn Dr. Candau diese Probleme besprochen. Die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der toxikologischen Auswertung und Beurteilung der in der Umwelt verbreiteten Bioziden wird gemeinsam als vordringlich beurteilt und in Angriff genommen. Wegen der zentralen Bedeutung der Verbreitung von Bioziden in der Umwelt einschließlich Lebensmittel hat das Bundesgesundheitsministerium die Aufgabe übernommen, im Rahmen des Sofortprogramms eine interministerielle — und das geschieht auf Referentenebene, Herr Kollege Wittgenstein — Projektgruppe für Bioziden in der Umwelt einzurichten.
— Herr Kollege Wittgenstein, es ist nicht meine Sache, das zu beantworten; aber lassen Sie mich sagen: jeder weiß doch, daß, wenn auf Ministerebene interministerielle Ausschüsse bestehen, sie dann auch bis herunter auf Referentenebene bestehen, daß diese Dinge dann von der Referentenebene angefangen bis in den Kabinettausschuß vorangetragen werden. Das ist eigentlich so selbstverständlich, daß man nicht meinen sollte, daß man das hier so genau erklären müßte.
Im allgemeinen — das wollte ich gern noch sagen — wird mindestens in der Gesamtschau der ganz einfache private Haushalt nicht in die Umwelt einbezogen. Ich meine, wir müssen sehen, daß auch er nicht ausgeklammert werden kann. Denn auch der private Haushalt läßt sich heute nicht mehr ohne Zuhilfenahme einer Fülle chemischer Stoffe bewältigen und führen. Die Menge der Erzeugnisse, die heute dafür angeboten werden, dürfen wir nicht als indifferent ansehen; wir müssen auch sie in die Gesamtschau einbeziehen. Ich denke nur an die Beispiele Blumenpflege, Gartenpflege und all diese Dinge. Die Stoffe, die da verwendet werden, sind nicht harmlos. Sie sind auf der anderen Seite aber auch nicht entbehrlich. Deshalb muß man das alles so gründlich prüfen. Es geht bis hin zu den Verbrennungsprodukten des Haushalts, und auch die Arzneimittel sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Ich wollte das gerade auch als Gesundheitsminister in dieser Debatte gern sagen.
Ich möchte noch ein Wort zum Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene sagen. Im Sofortprogramm der Bundesregierung steht, daß die Regierung prüft, inwieweit bereits bestehende Institute für die Aufgaben, die im Sofortprogramm gestellt sind, nutzbar gemacht werden können. Diese Prüfung kann auch nicht von heute auf morgen geschehen. Wenn ich Ihnen sage, daß beim Finanzministerium jetzt die gesamten Unterlagen für den
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Bundesminister Frau Strobel
Ausbau des Bundesgesundheitsamtes, einschließlich Bauvolumen, liegen, dann müssen wir natürlich auf der anderen Seite sehen, daß unter Umständen diese Ausbauabsichten durch die nunmehr im Sofortprogramm für die Prüfung als notwendig genannten Institute beeinflußt werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Frau Minister, würden Sie mir zugeben, daß im ersten Programm, dem Entwurf zum Sofortprogramm, von den Bundesinstitutionen, insbesondere vom Institut für Wasser-, Boden und Lufthygiene nicht die Rede war, so daß sich jeder verwundert fragte, ob der Bundesregierung die Tatsache, daß ,dieses Institut vorhanden ist, überhaupt nicht bekannt ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Prinz zu SaynWittgenstein, dieses ist ein typisches Beispiel dafür, daß zunächst einmal Entwürfe auf Referentenebene gemacht, dann in einem interministeriellen Ausschuß auf Referentenebene beraten werden und daß dann eben die verschiedenen Ressorts zur Anreicherung der Entwürfe beitragen. Da das heute alles drinsteht, werden Sie mindestens feststellen müssen, daß wir nicht geschlafen haben.
— Ich bin im Grunde fertig.
Sie haben nur eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter. — Das Wort hat der Abgeordnete Jung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Verlaufe dieser Debatte ist bisher relativ wenig über das Problem Lärm und insbesondere Fluglärm gesagt worden. Gestatten Sie mir deshalb, daß ich zunächst einmal dieses Problem beleuchte, das vor über 100 Jahren schon den Philosophen Schopenhauer bewegte.
— Den Fluglärm nicht, nein, sondern den Lärm. Er beklagte, daß z. B. das Kindergeschrei, das Trommeln und das Türenwerfen wahrhaft gehirnlähmende Gedankenmörder seien. Was würde er erst heute sagen, wenn er sich diesem Verkehrslärm gegenübersähe, diesem ständig hohen Lärmpegel, verursacht auch durch den Baulärm, durch Rammen, durch Preßlufthämmer; oder aber was würde er erst sagen, wenn er diesen Überschallknall, den wir hin und wieder, ja, sehr oft sogar, zu beklagen haben, verspürte, nachdem er damals das „vermaledeite
infernale Peitschenknallen der Fuhrleute in den hallenden Gassen der Städte" beklagte und dazu sagte, daß dies dem Leben alle Ruhe und Sinnigkeit nehme.
Nun, ich glaube, wir müssen heute feststellen, daß die Mehrheit der Bevölkerung sich von diesem Lärm gestört fühlt — und zwar 41 % der Erwachsenen bei Tag, 25 % zusätzlich während der Nacht, 17 % bei Tag und Nacht. Deshalb müssen wir die Probleme angehen und von den verschiedenen Aspekten her beurteilen.
Der erste Aspekt! Man müßte, scheint mir, medizinisch mehr als bisher untersuchen, wodurch die Menschen beeinträchtigt werden und welche Gefahren damit verbunden sind.
Der Lärm ist einer der vielen elementaren Stressfaktoren, aber die kausalen, direkten Zusammenhänge sind noch nicht endgültig erwiesen. Psychische und organische Reaktionen werden aber allgemein anerkannt. Die Frage ist hierbei, inwieweit sich das Individuum durch die Gewöhnung darauf einstellt oder inwieweit es durch diese Gewöhnung allergisch reagiert.
Nur ein Beispiel: Die Fans auf einer Beatveranstaltung werden, selbst wenn die Lautstärke 60, 70 oder 80 Dezibel übersteigt, das durchaus als angemessen betrachten. Und ich glaube, Herr Kollege Hammans, wenn z. B. auf einer Veranstaltung im bayerischen Wahlkampf mit dem Kollegen Strauß 80 Dezibel überschritten wurden, hatten seine Anhänger das sicherlich auch als angemessen betrachtet.
Sie sehen, das Problem kann durchaus auch subjektiv gesehen werden.
Ich will die Erörterung nicht vertiefen. Ich glaube, man sollte in dieser Debatte mehr den zweiten Aspekt beleuchten: den akustisch-technischen Aspekt. In diesem Bereich möchte ich eine Untergliederung vornehmen. Erstens: Herabsetzung der Lärmimmissionen an der Quelle, zweitens: defensiver Lärmschutz, drittens: neue Technologien, die den unvermeidbaren Lärm auf bestimmte Bereiche beschränken.
Zur Herabsetzung der Lärmimmissionen an der Quelle! Der Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein hat vorhin Beispiele genannt, die ich durchaus begrüße, nämlich z. B. die Förderung der Entwicklung von Elektrokraftfahrzeugen oder die Entwicklung von Kraftfahrzeugen mit geringerem Leistungsgewicht. Ich werde darauf bei der Frage der Besteuerung noch einmal zurückkommen, weil ich meine, das Problem liegt etwas tiefer, als es heute im Laufe der Debatte von einigen Kollegen bereits dargestellt wurde.
Bei der Entwicklung von lärmarmen Triebwerken für Flugzeuge sind z. B. in Amerika schon erste erfreuliche Ansätze gemacht worden. Ich glaube, daß uns diese Entwicklung, wenn sie vorangetrieben wird, der Lösung des Problems der Herabsetzung der Lärmimmissionen näherbringen wird.
Ein Problem ganz besonderer Art ist das des Peitschenknalles des 20. Jahrhunderts, nämlich des
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Jung
Überschallknalls. Ich meine, das ist ein ungelöstes Problem der nächsten Jahrzehnte, weil es — das ist physikalisch bedingt — einfach nicht von der Quelle her bekämpft werden kann. Das Problem kann man nur international durch Überflugverbote besiedelter Gebiete im Überschallbereich lösen.
Ich glaube auch, daß auf militärischem Gebiet das Verständnis der Verantwortlichen durchaus gegeben ist. Hier könnte man das Problem auf ein Minimum zurückführen, wenn man den Überschallflug von Militärflugzeugen, der zu Übungszwecken stattfindet, nur bei Wetterlagen mit einer geschlossenen Wolkendecke durchführt. Den Überschallflug kann man ja ohnehin nicht in der Wetterzone durchführen, sondern nur in großen Höhen, und bei einer geschlossenen Wolkendecke würde dieser plötzliche Knall weitgehend durch die geschlossene Wolkenschicht absorbiert und nicht die Belästigungen bringen, wie wir sie derzeit oft haben.
Eine Zwischenfrage, bitte!
Herr Kollege, wären Sie von Ihrer Grundhaltung zum Problem der Bekämpfung des Luftlärms an der Quelle her bereit — einer Grundhaltung, der ich durchaus zustimme —, an einer Gesetzgebung mitzuwirken, um etwa von 1975 an Starts und Landungen von Flugzeugen, die mehr als einen bestimmten zulässigen Lärm verursachen, schlicht zu verbieten, und auf diese Weise die Industrie zu technischen Entwicklungen zu zwingen, zu denen sie sicherlich in der Lage ist?
Herr Kollege Dichgans, ich würde einem solchen Gesetz sicherlich zustimmen können, allerdings nicht für das Jahr 1975; denn ich glaube nicht, daß die Industrie bei der Triebwerkentwicklung oder aber bei der Lösung des Problems, das ich eben ansprach — an Lösungen arbeitet man ja, aber meiner Überzeugung nach kann man diese Probleme nicht hundertprozentig lösen —, nach den noch vor uns liegenden vier Jahren schon so weit wäre.
Es gibt Möglichkeiten, die ich gleich noch aufführen werde, die Lösung dieses Problems auf einen bestimmten Bereich zu beschränken, und zwar nicht von der Quelle her, sondern mit Hilfe neuer Technologien, die ich unter dem dritten Abschnitt erwähnte. Ich glaube, das müßte der erste Schritt sein, um den Menschen in der Nähe solcher Flugplätze zu helfen. Herr Kollege Dichgans, ich werde darauf nachher noch einmal zurückkommen.
In der Frage der Bekämpfung des Baulärms ist man durch die Gesetzgebung in der Zwischenzeit schon einen Schritt weitergekommen. Ansätze zur Lösung dieses Problems sind vorhanden; erste Erfolge zeichnen sich ab. Ich glaube, daß bei der Entwicklung in unserer gesamten Bauindustrie, bei der mehr und mehr im Baugeschehen in Vorfabrikation gefertigte Montagebauteile verwendet werden, auch die Lärmquellen reduziert bzw. auf bestimmte Bereiche beschränkt werden.
Bei dieser Vorfabrikation kann dann das, was ich im zweiten Bereich, dem defensiven Lärmschutz, ansprach, schon mit verarbeitet werden, nämlich die Entwicklung geräuschdämmender Bauteile zur Isolation.
Auf den Flugplätzen müßten verstärkt stationäre und mobile Lärmschutzmaßnahmen wie Lärmschutzhallen, stationäre Prüfstände oder mobile Lärmschutzeinrichtungen für den Check vor dem Start, getroffen werden. Für die Bevölkerung, die in der Nähe solcher Flugplätze wohnt, sind darüber hinaus infrastrukturelle Maßnahmen am Rande des Flugfeldes in Form von Lärmschutzwällen oder -mauern erforderlich. Aber auch durch entsprechende Bepflanzung lassen sich Vorbeugungsmaßnahmen gegen den Lärm erreichen. Insbesondere bei den landenden Maschinen entsteht bei dem sogenannten Umkehrschub, also beim Bremsvorgang ein ganz besonderer Lärm, der nach meinem Dafürhalten relativ leicht durch die Errichtung solcher Wälle oder Mauern beseitigt oder reduziert werden kann, weil sich ,der Lärm linear auf der Ebene der Piste fortsetzt.
Ich bin der Ansicht, daß in diesem Zusammenhang der Raumordnung eine ganz besondere Aufgabe zukommt. Sie muß dafür sorgen, daß Lärmemissionspunkte, nämlich Flugschneisen, Schnellverkehrsstraßen und dergleichen, nicht in die Nähe von Siedlungsgebieten geführt werden, sofern diese schon bestehen.
Es ist allerdings festzustellen, daß in den letzten Jahren und Jahrzehnten die Ausweitung der Städte und die Neuerrichtung von Siedlungsgebieten nun ausgerechnet in solche An- und Abflugschneisen hinein erfolgt ist. Das mag daran liegen, daß der Grund und Boden dort relativ günstig zu erwerben war. Anschließend aber fühlten sich die Menschen, die dort leben mußten, von diesem Lärm besonders betroffen; und selbstverständlich protestierten diese Menschen dann auch gegen den Lärm.
Auch hier liegt es also an den Gemeinden, an den Städten, an der Raumordnung überhaupt, dafür zu sorgen, daß eine solche Entwicklung abgebremst wird. Hier ist, so meine ich, gerade der zukunftsorientierte Städtebau aufgerufen, dieses Problem schon durch die Grundplanung von vornherein zu vermeiden.
Als dritten Punkt habe ich vorhin angesprochen: Solange man technisch noch nicht soweit ist, Herr Kollege Dichgans, daß man an der Quelle diese Probleme grundsätzlich beseitigen kann, sollte man das, was man in der Zwischenzeit schon entwickelt hat, auch anwenden, und sollte den Lärm auf bestimmte Bereiche beschränken. Beim Fluglärm könnte das z. B. dadurch geschehen, daß man die sogenannte VTOL-Technik, d. h. den Senkrechtstart, oder die STOL-Technik, d. h. den Kurzstart, forciert. Dafür gibt es ja gerade in der Bundesrepublik erfreuliche Ansätze. Denken Sie an die Entwicklungen, die im militärischen Bereich für Transportmaschinen vorangetrieben wurden, die man künftig auch für zivile Verkehrsflugzeuge verwenden kann. Dazu hat Professor Thalau mit seinem Gremium ein Gutachten erstellt. Ich verstehe, offen gesagt nicht,
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daß das Wirtschaftsministerium diese Ergebnisse bisher nicht auch der Öffentlichkeit bekanntgegeben hat, und Ich verstehe nicht, daß man diesen Vorsprung, den die Bundesrepublik weltweit errungen hat, nicht auch zur Verminderung des Lärms nutzt.
Ich möchte die Bundesregierung auffordern, dieser Technologie besondere Beachtung zu schenken. Sie sollte heute schon darauf hinwirken, daß wir in der Mitte der siebziger, zumindest zu Beginn der achtziger Jahre auf diesem Gebiet den entscheidenden Durchbruch erreichen.
Ich habe dargelegt, daß Lärm durch eine Vielzahl von Quellen verursacht wird. Ein Gesetz zum Schutz gegen eine Lärmquelle wäre daher unzureichend. Diese Problematik hat die Bundesregierung in ihrem Sofortprogramm erkannt, und sie hat ein Spektrum von Maßnahmen vorgeschlagen, um den Lärm, nicht nur den Fluglärm, zu bekämpfen.
Dabei muß berücksichtigt werden, daß in sehr vielen Fällen erst noch neue Erkenntnisse gewonnen werden müssen. Ich begrüße es deshalb, daß man bereit ist, die Grundlagenforschung zu fördern, die bisher auf diesem Gebiet noch sehr unterentwickelt war. Es ist dankenswert, dort, wo Erkenntnisse erst gewonnen werden müssen, Forschungsaufträge zu erteilen.
Für den Fall, daß derzeit noch rechtliche Möglichkeiten fehlen, ist das vorhin wiederholt zitierte Bundesimmissionsschutzgesetz durchaus geeignet, die rechtlichen Grundlagen zu schaffen. Ich glaube, daß dieses Gesetz kommen wird. Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein sagte, es sei zwar wiederholt angekündigt, aber immer noch nicht vorgelegt. Nun, diese Debatte dürfte gerade dafür sehr nützlich sein. Ich glaube, daß die Bundesregierung aus dieser Debatte die Konsequenzen zieht.
— Ich werde mit Ihnen gemeinsam dafür eintreten, daß wir möglichst rasch diesem Ziel näherkommen. Die Bestandsaufnahme in der Antwort auf die Große Anfrage zeigt ja auch, daß wir noch ganz am Anfang sind, daß wissenschaftliche Erkenntnisse zum Teil noch fehlen, daß Statistiken fehlen und daß Eile daher not tut.
Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein, Sie haben vorhin gesagt, die Bundesanstalt für Immissionsschutz sei nicht unbedingt notwendig, weil derartige Einrichtungen schon bestünden. Frau Minister Strobel hat darauf schon eine Antwort gegeben. Das, was Sie befürchten, ist ja wohl nicht beabsichtigt. Die Bundesregierung hat vielmehr festgelegt, daß geprüft wird, in welchem Umfang vorhandene Einrichtungen zusammengefaßt werden können, und daß dabei auch die Vorstellungen des Wissenschaftsrates Berücksichtigung finden.
In diesem Zusammenhang fordert die FDP, daß auch eine Koordination mit der hochschulfreien Forschung stattfindet, d. h. mit der Forschung, die bei der Industrie durchgeführt wird. Dies erscheint mir besonders wesentlich in solchen Bereichen, wo eine direkte Gefährdung der Gesundheit nicht vermeidbar ist, z. B. bei dem Problem der Biozide in Nahrungsmitteln.
Es ist begrüßenswert, daß der interministerielle Kabinettsausschuß wiederum ein DDT-Verbot geprüft hat und daß eine Änderung des Pflanzenschutzgesetzes vorgesehen ist, bei der auch in Aussicht genommen ist, bestimmte Biozide nur noch beschränkt anzuwenden oder sogar ganz zu verbieten. Ich hoffe, daß diese Gesetzesänderung bald verabschiedet werden kann, nachdem die Unterlagen bereits im Juli dieses Jahres den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet worden sind.
Die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet einer verstärkten Biozid-Forschung, insbesondere zugunsten sauberer, nicht persistenter Biozide, hat Frau Strobel vorhin angesprochen. Wir begrüßen sehr, daß man bereit ist, diese Zusammenarbeit von seiten der Bundesregierung besonders zu fördern.
Die Kooperation in allen Bereichen der Wissenschaft ist auch bei der Entwicklung neuer Technologien notwendig. Dabei geht es nicht nur darum, Verfeinerungen und Verbesserungen von Überwachungsgeräten zu erreichen, sondern insbesondere auch um eine Schwerpunktförderung sauberer Technologien.
Ich möchte mich hier, da mir nicht mehr so viel Zeit zur Verfügung steht, auf die Bemerkung beschränken — in der Debatte wurde schon wiederholt darauf hingewiesen —, daß es notwendig ist, die Wiederverwendung unvermeidbarer schmutziger Abfallstoffe in anderer Form zu ermöglichen, d. h. die Stoffe in den Produktionsprozeß zurückzuführen. Bedenken wir z. B., welche Entwicklung die Verpackungsstoffe in den Jahren 1954 bis 1962 genommen haben. Das Hohlglas hat um 120 %, die Blechpackungen haben um 84 % und die Kunststoffverpackungen — meine Damen und Herren, hören Sie gut zu! — um 3780 % zugenommen. Das Battelle-Institut erwartet, daß gegenüber 450 000 t im Jahre 1968 bis zum Jahre 1980 eine Steigerung gerade auf diesem Gebiet auf über 1 Million t erfolgen wird. Da müssen wir doch erkennen, daß es notwendig ist, gerade für diese Kunststoffe eine entsprechende Verwertung zu finden; denn diese Kunststoffe haben oftmals die Eigenschaft, daß bei der Vernichtung wiederum toxische Gefahren auftreten. Ich glaube, daß das vorgesehene Abfallbeseitigungsgesetz dazu beitragen muß, die Gefahren zu vermeiden.
Ebenso ist aber auch die Entwicklung verrottbarer Kunststoffe, schnell abbaubarer Biozide, Pestizide und bleifreier Antiklopfmittel notwendig. Bundesinnenminister Genscher hat ja bis zum Jahre 1980 eine fast hundertprozentige Lösung des Abgasproblems vorausgesagt. Ich glaube, das könnte man auch schon etwas früher machen; denn es ist an sich keine allzugroße Schwierigkeit, klopffestes Benzin mit einer Oktanzahl von 91 bis 93 schon in allerkürzester Zeit herzustellen und mit Hilfe katalytischer Nachverbrenner das Kohlenmonoxyd und un-verbrannte Kohlenwasserstoffe aufzuoxydieren.
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Besonders wichtig ist aber, daß die Bundesregierung auch eine Verbraucheraufklärung betreibt, um umweltfreundliches Verhalten zu fördern, an die Verantwortung aller appelliert, um damit auch umgekehrt einen Anreiz für die Industrie zu geben, saubere Technologien zu entwickeln.
Auch die Steuerpolitik muß umweltfreundlich gestaltet werden. Kollege Dr. Rutschke sprach schon das Problem der Kfz-Steuer an, und er beleuchtete die dabei bestehenden Bedenken auch von der fachlichen Seite. Wir müssen in der Steuerpolitik Abschreibungen für Maßnahmen der Luft- und Wasserreinhaltung, aber auch Abschreibungen für Maßnahmen zur Lärmreduzierung vorsehen. Dabei wäre auch die Besteuerung z. B. der Einwegflaschenproduktion, die in einigen Ländern schon besteht, zu überlegen.
Ich begrüße für die FDP-Fraktion, daß die Bundesregierung klargestellt hat, daß qualitative Aspekte menschlichen Lebens für eine erträgliche Umwelt gegenüber den quanitativen Aspekten, nämlich der Maximierung des Zuwachses, stärker betont werden. Ich glaube, daß das, was uns die Bundesregierung hier vorgelegt hat, eine fortschrittliche Konzeption für eine zukunftssichere Gesellschaftsordnung darstellt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schneider.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst hervorheben, daß bei der derzeitigen Verfassungslage in der Tat ein Immissionsschutzgesetz, das auch die Privaten und den öffentlichen Bereich eingeschlossen hätte, nicht verabschiedet werden konnte, daß wir aber unserer Hoffnung und unserer Erwartung Ausdruck geben, daß dieses Gesetz im Zeitpunkt der Verabschiedung des Verfassungsgesetzes auch tatsächlich vorliegt, daß als Verfassungs- und Folgegesetz gleichzeitig verabschiedet werden können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Der Lachende hat die Schreckensnachricht nur noch nicht empfangen." Denn schreckliche Dinge kommen auf uns zu.
Das Umweltbewußtsein wurde mehrfach beschworen. Ich will es nicht tun. Würde ich es tun, hätte ich die Frage zu stellen, ob die derzeitige Präsenz des Deutschen Bundestages bei dieser Debatte direkt oder indirekt proportional zum jeweils vorhandenen Umweltbewußtsein des einzelnen Abgeordneten ist.
— Was die Umwelt angeht, Herr Minister, muß ich sagen: Der Umweltschutz ist hier weitestgehend hergestellt, weil wir mindestens über Sauerstoffmangel nicht zu klagen haben, da für jeden das Zehnfache dessen an Sauerstoff zur Verfügung steht, was er bei normaler Besetzung des Hauses zur Verfügung hätte.
Ich muß Sie also freundlich daran erinnern, daß wir heute von Umweltbewußtsein sprechen und nicht mehr vom Verkehrsbewußtsein oder vom totalen Verkehrsbewußtsein.
Was mir besonders am Herzen liegt, ist die Aufgabe, die die Gemeinden im Zusammenhang mit dem Umweltschutz zu bewältigen haben. Wir haben heute lange von der Aufgabe des Bundes gesprochen, was auch verständlich ist — denn wir sind der Bundesgesetzgeber —, und von den Aufgaben der Länder. Wenn ich recht zugehört habe, hat als einziger der Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein einmal das Wort „Gemeinde" ausgesprochen.
Umweltschutz ist Schutz für den Menschen. Und wo wohnt dieser Mensch? Er wohnt nicht in Amerika, nicht in Deutschland, sondern er wohnt entweder in Washington oder in Bonn oder in Köln oder in München. Hier gilt heute mehr denn je das Wort, das der berühmte Steuer- und Finanzrechtler und Finanzpolitiker Popitz Anfang der zwanziger Jahre gesagt hat: „Der kanalisierte Bürger lebt teurer." Wenn dies schon beim „kanalisierten Bürger" der Fall war, als man mit der kommunalen Hygiene eben begonnen hatte, um wieviel mehr stimmt dies für den Bürger, der — und das mit Recht — einen möglichst umfassenden, vollständigen, zeitgerechten, entwicklungsfähigen Umweltschutz für sich in Anspruch nehmen will? Ich denke nur an die Abfallbeseitigung, an die Abfallverwertung, an die Müllverbrennung, die in manchen Gemeinden Kosten in Höhe von über 50 Millionen DM erfordert, an die Abwasserbeseitigung, an den Bau von Kläranlagen usw.
Ich möchte in den Umweltschutz allerdings auch etwas anderes einbeziehen, nicht nur ein Handeln zur Beseitigung der Umweltschäden, sondern auch die Erhaltung einer gesunden Umweltatmosphäre, nämlich die Erhaltung unserer Bäume, unserer Wasserflächen, unserer Parks in den Gemeinden, vor allen Dingen in den Großstädten, und nicht zuletzt eine Flächennutzungsplanung, die die bebaute Siedlung in die freie Natur anbindet; denn Städtebau — und dies sagt auch unser Gesetzentwurf zur Sanierung und Entwicklung unserer Gemeinden — muß die Bemühungen um Verbesserung unserer Umwelt ergänzen, und zwar entscheidend ergänzen.
4828 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970
Dr. Schneider
Wer in manchen deutschen Großstädten bei Inversionslagen durch die Straßen geht, gewinnt den Eindruck, hier handelt es sich nicht mehr um eine Atmosphäre, sondern bestenfalls noch um eine Immissphäre, also um ein Gebräu von Immissionen mit schrecklichen Zusätzen. Wir aber kämpfen beim Umweltschutz um die Atmosphäre.
Es hat mich gefreut, Herr Minister, von Ihnen zu hören, daß die Länder bisher Vorbildliches geleistet haben. Ich unterstelle dabei — ich möchte es ausdrücklich tun, und ich darf Ihr Nicken als ein konkludentes Handeln des Zustimmens auslegen —, daß wir in dieses Lob auch unsere Gemeinden einschließen, die hier Außerordentliches geleistet haben.
Wenn Sie den Umweltschutz mit dem unternehmerischen Handeln in Verbindung bringen, dann sprechen Sie natürlich direkt das Problem der Bauleitplanung in unseren Gemeinden an. Es ist ja nicht so, als habe man für den Umweltschutz von seiten des Bundesgesetzgebers bisher nichts oder nichts Wesentliches getan. Im Bundesbaugesetz wird darauf hingewiesen, daß die Bauleitpläne sich nach der Sicherheit und der Gesundheit der Bevölkerung zu richten hätten. Es heißt an anderer Stelle, daß die Bauleitpläne die Belange des Natur- und Landschaftsschutzes zu berücksichtigen haben. Bei den Bebauungsplänen wird ausdrücklich auf die Lösung des Problems der Abwasserbeseitigung, auf die Versorgungsanlagen und auf die Beseitigung von festen Abfallstoffen Bezug genommen.
Des weiteren ist zu sagen, daß wir auch im Städtebauförderungsgesetz von der Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen sprechen; allerdings — und in dieser Beziehung wäre der Entwurf bei den weiteren Beratungen noch zu ergänzen — wird in diesem neuen Entwurf nicht ausreichend auf den Bereich der Entsorgung Bezug genommen.
Beim Bundesraumordnungsgesetz vom 8. April 1965 werden die Belange der Reinhaltung des Wassers, die Sicherung der Wasserversorgung und die Reinhaltung der Luft sowie der Schutz der Allgemeinheit vor Lärmbelästigung ausdrücklich erwähnt, und der Bundesgesetzgeber wird beauftragt, ausreichend für diese Belange Sorge zu tragen. Ich darf also betonen, daß der Bundesgesetzgeber bisher nicht untätig gewesen ist.
Freilich darf hinzugefügt werden, daß der Mensch von heute, der Mensch im Zeitalter der industriellen Technik ein Umweltschädling geworden ist. Er macht mehr Lärm, als seinen Mitmenschen gut tut. Dies freilich, möchte ich sagen, ist keine Erscheinung, die es erst heute gibt. Vorhin hat der Kollege Jung Schopenhauer zitiert. Es gäbe in vielen Dramen großartige Szenen und Stellen, in denen sich die Leute über den Lärm, über den Krach beschweren und auch über die nicht vorhandene Sonne. Ich darf vielleicht, weil es mir gerade einfällt, eine Stelle aus dem „Faust" zitieren. Als dieser Osterspaziergänger die Menschen aus dem hohlen dunklen Tor hervortreten sah, sagte er begeistert:
Denn sie sind selber auferstanden: — wovon denn? —
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern, Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern, Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie bebend sich die Menge Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Und dann beginnt die herrliche Ausflugsszene. Also: Umweltschutz schon in dieser Zeit,
dichterisch verbräumt, faustisch überhöht, nicht ohne mephistophelischen Aspekt. Der Mephisto hat sich daran auch gefreut.
Ich darf nun einen Zeitgenossen — um auf der Höhe des Faust zu bleiben — zitieren, nämlich Herrn Professor Alexander Mitscherlich, der im Jahre 1965
— Natürlich lese ich auch Mitscherlich, und zwar nicht erst seit er sein Buch geschrieben hat „Die Unwirtlichkeit unserer Städte" mit dem Untertitel „Anstiftung zum Unfrieden". Er selber hat im Vorwort dieses Werk ein „Pamphlet" genannt. Offensichtlich liest er nicht allzuviel politische Literatur, sonst hätte er den Satz nicht sagen können, das sei eine literarische Gattung, die heute in Vergessenheit geraten sei. Vielleicht mag es auf diesem Gebiet wenig Pamphlete geben; Pamphlete anderer Art, die im politischen Raum angesiedelt sind, kennen wir alle miteinander genügend.
Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten ein Wort zitieren, das von einer Quasi-Natur spricht, in der der Mensch heute lebt, und diese Quasi-Natur ist eine städtische Natur. Dort stellt er richtig fest, daß mit dem Einbruch der industriellen Technik eine antistädtische Tendenz sich breitmacht und daß unsere Welt und Umwelt antistädtisch, damit antiurban ist. Damit wird also ein Problembereich angerührt, der heute hier nicht diskutiert werden kann, der aber im Zusammenhang mit einer etwas gehobenen Umweltschutzdebatte durchaus angesprochen werden muß. Mitscherlich sagt:
Auch im Binnenraum der technischen Zivilisation, der ihn mehr und mehr als sekundäre, für ihn allein relevante Quasi-Natur umgibt, bleibt der Mensch der primären Natur verhaftet.
Hier kann natürlich im Raum der Stadt, wo der Mensch lebt, viel mehr getan werden. Es wird schon Erhebliches unternommen. Wir wissen auch, was noch zu tun wäre.
Aber wir stehen vor folgender grotesker Situation. Wir haben mit bester Absicht und zum Teil mit gutem Erfolg einmal zur Behebung der Verkehrsmängel in den Gemeinden einen Gemeindepfennig für das Auto geschaffen. Ich begrüße diese Maß-
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Dr. Schneider
nahme. Aber wir haben es bisher unterlassen, einen Umweltpfennig für den Menschen zu schaffen.
Was diesen Umweltpfennig angeht, meine ich natürlich keine besondere Abgabe.
Dies mögen Sie so deuten. Aber, Herr Professor Schäfer, wenn ich an die Diskussion denke über die autogerechte Stadt, an die gelehrten Reden feierlicher und weniger feierlicher Natur, wenn ich mir die Expertisen anschaue, mit denen sich die kommunalen Spitzenverbände, nicht zuletzt der Deutsche Städtetag, jahrelang herumschlagen mußten, finde ich, daß zunächst an das Auto gedacht worden ist. Da hat es Fachleute gegeben, wäre man deren Vorschlägen gefolgt, hätten wir unsere Städte samt und sonders niedergelegt, insbesondere dort, wo es Gott sei Dank auch noch enge Straßen gibt, von denen der „Faust" gesprochen hat, die wir inzwischen, was die Kanalisation anlangt, umweltgerecht entsorgt haben. Damals hätte man für das Auto alles und für den Fußgänger wenig getan. Die Literatur weist das aus. Gott sei Dank ist es nicht soweit gekommen.
Was meine ich mit dem Umweltpfennig? Mit dem Umweltpfennig meine ich — und das haben die Herren Vorredner heute morgen auch schon gesagt —, daß wir vom Verursachungsprinzip auszugehen haben und daß der Umweltschutz ein Kostenfaktor ist,
der ein Preisfaktor wird und den der Bürger mitbezahlen muß, wenn er die Erfolge und die günstigen Auswirkungen eines Umweltschutzes für sich in Anspruch nehmen will. Freilich weiß ich auch, daß dies bedeutet, daß ein Teil unseres Sozialprodukts für den Umweltschutz verwendet werden muß. Wer es ernst meint, wer das ernstlich haben will, der wird sich für eine solche Lösung entscheiden.
Aus der Sicht der Gemeinden bedeutet dies, daß wir die Gemeinden finanziell in die Lage versetzen müssen, ihren Part zum Umweltschutz zu leisten. Wie Sie wissen, hat die große Finanzverfassungsreform für die Gemeinden allerlei Vorteile gebracht. Diese Vorteile sind aber längst durch Preissteigerungen im letzten Jahr aufgewogen. Sie wissen, daß die Gemeinden variable Hebelsätze anstreben. Sie wissen, daß die Gemeinden einen höheren Anteil an der Einkommensteuer verlangen, daß sie noch einmal 3 Pfennig aus dem Mineralölsteueraufkommen haben wollen und daß sie die Berechnungsgrundlage 80/160 000 in Anspruch nehmen wollen. Dies alles soll sie in die Lage versetzen, mit Hilfe höherer gemeindlicher Einnahmen einen besseren Beitrag zum kommunalen Umweltschutz zu leisten. Wer also hier den Gemeinden mehr gibt, tut mehr für die Menschen, die in diesen Gemeinden wohnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schimschok von der Fraktion der SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich in meinem Diskussionsbeitrag auf die Luftverschmutzung beschränken.
Die Bundesregierung schreibt in der Beantwortung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Bardens und Genossen sowie der Fraktionen der SPD und der FDP, daß auf dem Gebiet der Luftreinhaltung sichtbare Erfolge erzielt worden seien. Diese Erfolge, meine Damen und Herren, begrüßen wir. Durch wirksame Maßnahmen zur Reinhaltung der Luft konnte zwar die Konzentration des Großstaubes erheblich vermindert werden, während jedoch die Feinstaubkonzentration, die sich besonders nachteilig auf den menschlichen Organismus auswirkt, weil der Feinstaub atembar ist, also in die Lungenbläschen gerät, von 1966 bis 1969 wesentlich angestiegen ist.
Wie Herr Professor Schlipköter, Direktor des Medizinischen Instituts für Lufthygiene und Silikoseforschung und des Instituts für Hygiene der Universität Düsseldorf, erwähnte, hat der Feinstaub, schon bevor er eingeatmet wird, auf die Gesundheit der Menschen negative Auswirkungen, weil er Anteile des Sonnenlichts absorbiert und somit die UV-Einstrahlung vermindert. Diese ultravioletten Strahlen wirken stimulierend und befähigen den Organismus, das zur Rachitisverhütung notwendige Vitamin D aufzubauen.
Es kann auch zu anderen akuten Gesundheitsschädigungen durch Luftverschmutzung kommen. So ist z. B. festgestellt worden — um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, meine Damen und Herren, brauchen wir nicht einmal die Aussage der Wissenschaftler; wir alle erleben es ja —, daß es während der austauscharmen Wetterlagen, also in Smog-Zeiten, durch die besonders hohe Emissionskonzentration zu deutlicher Erhöhung der Sterbeziffern kommt.
Der Feinstaub enthält auch — das erscheint mir sehr wichtig zu wissen — krebserzeugende Substanzen, von denen ich die kanzerogenen Kohlenwasserstoffe — vor allem Benzpyren — erwähnen möchte. Die Konzentration von Benzpyren in der Luft ist von 1965 bis 1969 ebenfalls gestiegen. Tierexperimente haben ergeben, daß man beispielsweise bei Mäusen Karzinome durch Bepinselung mit Benzpyren erzeugen kann. Subkutane Injektionen mit Benzpyren hatten Sarkome und Injektionen in die Lunge Lungentumore zur Folge.
Wieweit der menschliche Organismus — ich denke hier vor allen Dingen an die Lunge — mit Benzpyren fertig wird, konnte ich nicht genau ermitteln. Aber in einem anderen Referat las ich, daß die Häufigkeit der Lungenkarzinome bei Stadtbewohnern erheblich höher liegt als bei Bewohnern ländlicher Gebiete.
Von Interesse dürfte auch sein, daß die Konzentrationsfähigkeit der Menschen durch Luftverschmutzung beeinträchtigt wird. Die hohen Unfallziffern im Ruhrgebiet stehen möglicherweise mit den Auto- und Industrieabgasen in Zusammenhang.
Herr Professor Dr. Schlipköter wies in seinem Referat darauf hin, daß neueste Untersuchungen zu
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Frau Schimschok
der Annahme berechtigen, daß sich verschiedene Stoffe auf den Menschen nicht nur, was seine eigene Gesundheit betrifft, negativ auswirken, sondern daß sie darüber hinaus die menschliche Erbsubstanz zu schädigen vermögen.
Ich persönlich würde, falls diese Sorge berechtigt ist und ein Wissenschaftler wird wohl nicht leichtfertig derartige Äußerungen machen —, sagen: es muß schnellstens alles Erdenkliche getan werden, um die Menschen vor den Gefahren einer verpesteten Umwelt zu schützen.
Das Wort „Umweltschutz" erscheint mir in diesem Zusammenhang auch schlecht gewählt. Wir können die Umwelt nicht mehr nur schützen — verbessern müssen wir sie, und dazu wird es allerhöchste Zeit!
Bis 1975 wird mit einem Zuwachs von 6 Millionen Personenkraftwagen gerechnet, was natürlich mit einer Steigerung von Kraftfahrzeug-Emissionen verbunden ist. Können wir uns angesichts dessen die Toleranzgrenze bis 1977 als Zeitpunkt für die allgemeine Herabsetzung des Bleigehalts auf 0,15 g in einem Liter Mineralöl erlauben? Auch die Frage der Autoabgase bitte ich zu überprüfen. Technisch ist das Problem bereits gelöst. Aber hinkt die Produktion nicht hinter der Entwicklung her?
Bereits erlassene Gesetze und Verordnungen und die Initiativen, die dankenswerterweise von verschiedenen Ländern ergriffen worden sind, reichen nicht mehr aus. Sorgen vor einer Belastung der Wirtschaft — ich denke hier an die Verursacher — dürfen uns nicht davon abhalten, wirksame Gesetze zu schaffen, zumal die Verschmelzung von Industrie-und Wohngebieten immer mehr zunimmt. Ich möchte die Bitte aussprechen, den gesundheitlichen Fragen den Vorrang zu geben, weil wir uns sonst an den jetzt lebenden Menschen und an den kommenden Generationen schuldig machen. Letzten Endes, meine Damen und Herren, kann eine Wirtschaft nicht mit kranken Menschen florieren.
Die Verpestung der Luft ist nicht mehr nur von regionaler Bedeutung, sondern ist ein weltweites Problem. Das ist weitgehend bekannt, und es sind auch Konsequenzen daraus gezogen worden. Ich denke hier u. a. an die Ministerkonferenz des Europarates, auf der eine Entschließung angenommen wurde, die als „europäische LuftreinhalteCharta" bezeichnet wird. Verschiedene in der Bundesrepublik schon realisierte Vorschriften — z. B. die Gewerbeordnung und die allgemeine Vorschrift in § 47 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung, nach der Kraftfahrzeuge so beschaffen sein müssen, daß die Verunreinigung der Luft durch Abgase das nach dem jeweiligen Stand der Technik unvermeidbare Maß nicht übersteigt — tragen den grundlegenden Empfehlungen des Europarates Rechnung.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß kommen. Sicher können wir das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen und die reine Luft des vorindustriellen Zeitalters nicht zurückgewinnen. Aber wir müssen alles tun, damit wir nicht in lufthygienische Verhältnisse absinken, die die Menschheit in ihrem Wohlergehen gefährden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Krall.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit Präsident Nixon in seiner Rede vom 10. Februar 1970 eindringlich auf die Notwendigkeit eines umfassenden Umweltschutzes hingewiesen hatte, konnten wir ein außerordentliches Interesse der Öffentlichkeit am Problem „Umweltschutz" verzeichnen. Seitdem wird immer wieder davon gesprochen, Umweltschutz sei zur Mode geworden. Seien wir froh darüber, meine Damen und Herren, denn ohne die gesteigerte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf diesem Gebiet wäre eine sachliche Auseinandersetzung über die notwendigen Maßnahmen nicht gewährleistet. Ich darf daran erinnern, daß es Politiker waren, Menschen, die damals in der politischen Verantwortung standen, die bereits vor mehr als zehn Jahren mahnend auf die Notwendigkeit des Umweltschutzes hingewiesen hatten, aber von vielen belächelt wurden.
Lassen Sie mich an dieser Stelle insbesondere den Massenmedien danken. Sie haben den Boden für Reformen mit bereitet, sie haben der Öffentlichkeit behußtgemacht, daß wir nun endlich handeln müssen, ehe wir uns im vollen Bewußtsein selbst vernichten. Ohne die Einsicht jedes einzelnen können wir die Verschlechterung unserer Lebensbedingungen nicht verhindern, geschweige denn Versäumnisse der Vergangenheit wiedergutmachen. Wir müssen endlich darüber hinausgehen, ständig mit schönen Worten zu erklären, wir seien für Umweltschutz. Damit schaffen wir den Müll nicht aus der Welt, reinigen wir weder Luft noch Wasser.
Ich begrüße deshalb im Namen meiner Fraktion, daß diese Bundesregierung das Problem nicht nur erkannt, sondern bereits tatkräftig angegangen hat. Das geht deutlich aus der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage hervor. Noch stehen wir am Anfang, und es wird uns zunächst große Mühe bereiten, den gesamten Komplex in den Griff zu bekommen. Zu viele Hindernisse sind noch zu beseitigen. Nur der gute Wille aller Beteiligten kann uns hier weiterhelfen. Deshalb bitte ich Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, mit uns gemeinsam einen Weg zur Lösung der Probleme zu finden. Dazu ist es jedoch notwendig, daß Sie von der Bundesregierung nicht fordern, sie solle binnen zweier Jahre nachholen, was seit Jahrzehnten versäumt wurde. Es ist schlicht unlauter, der Bundesregierung vorzuwerfen, sie habe keine konkreten Maßnahmen ergriffen. Auch das beweist die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage. Sie hat hier ganz klare Akzente gesetzt.
— Sie haben doch einiges sehr stark bemängelt, Herr Kollege. Sie selbst haben in Ihrem Antrag zum Umweltschutz klar zum Ausdruck gebracht, daß zunächst wichtige Untersuchungen notwendig sind, um die ohnehin nicht ausreichenden Mittel dann sinn-
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Krall
voll einsetzen zu können. So lassen Sie uns doch gemeinsam nach den optimalen Möglichkeiten in sachlicher Auseinandersetzung suchen.
Hier muß an erster Stelle die Erkenntnis stehen, daß das Problem des Umweltschutzes nicht national allein gelöst werden kann. Nur die Kooperation aller Industriestaaten wird, auf lange Sicht gesehen, den Erfolg erst sicherstellen können. Was hilft es, wenn wir beispielsweise darangehen, unsere Gewässer zu reinigen, unsere Nachbarn aber nicht bereit sind, mitzuziehen. Die Kooperation auf internationaler Ebene läßt noch sehr zu wünschen übrig. Solange sich Länder aus wirtschaftlichen Konkurrenzgründen nicht zur Zusammenarbeit bereitfinden, solange wird jede nationale Maßnahme nur Stückwerk bleiben. Die Welt ist klein geworden, meine sehr verehrten Damen und Herren, und wenn wir uns nicht selbst vernichten wollen, müssen wir zusammenarbeiten.
In diesem Zusammenhang gewinnt auch die Ostpolitik dieser Bundesregierung besondere Bedeutung. Sie macht es erst möglich, daß das Blockdenken hinter den Notwendigkeiten zur Zusammenarbeit zurückbleiben wird.
Viele internationale Organisationen haben sich inzwischen des Umweltschutzes angenommen. Das klang hier heute mehrfach an. Es gibt einen Umweltausschuß der NATO, der OECD; die ECE hält 1971 in Prag einen Umweltschutzkongreß ab, die UNO veranstaltet 1972 in Stockholm einen „Weltkongreß Umweltschutz". Hier wäre eine Zusammenfassung aller Kräfte notwendig, zeichnet sich doch eine Entwicklung ab, die sich in der Entwicklungspolitik jahrelang negativ auswirkte und leider auch noch auswirkt. Die eine Hand weiß nicht, was die andere tut. So werden wir im Gestrüpp der Institutionen und ihrer Apparate steckenbleiben.
Ich appelliere deshalb eindringlich an die Bundesregierung und an die Mitglieder dieses Hohen Hauses, die Bemühungen um die Zusammenfassung aller Kräfte im nationalen und internationalen Bereich verstärkt fortzusetzen, ohne die wir die Eskalation der Verschlechterung unserer Lebensbedingungen nicht einmal zum Stillstand bringen können. Insbesondere fordere ich im Rahmen der europäischen Raumordnung eine Einbeziehung des Umweltschutzes, ohne den eine Raumordnung sinnlos wird.
Die Maßnahmen, die wir künftig treffen müssen, werden von allen große Opfer erfordern. Die öffentlichen Haushalte allein werden sie nicht bringen können. Wir werden das Verantwortungsbewußtsein jedes einzelnen stärken müssen, wenn wir nicht nur nach der Allmacht des Staates rufen wollen. Dazu, meine Damen und Herren, fordere ich Sie alle auf: Zeigen wir Verantwortung und Einsicht, ehe nur der Zwang uns unsere Existenz zu sichern vermag.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Tübler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, daß ich mich in Anbetracht der vorgeschrittenen Zeit sehr kurz fassen kann und daß vielleicht mein Beispiel dann auch ein Vorbild für die nachfolgenden Redner sein wird, so daß wir einigermaßen schnell über die Runden kommen.
Die bisherige Debatte zeigt, daß wir von allen Seiten her das Problem des Umweltschutzes mit allem Ernst betrachten und auch in der Zukunft betrachten müssen. Ich möchte auf die Ausführungen des Kollegen Jung noch einiges antworten. Ich bin sehr froh darüber, daß er die Frage des Fluglärms und der Lärmpegel schlechthin angesprochen hat, und vor allen Dingen, daß er auch die Förderungsprogramme weiterer Technologien angesprochen hat. Ich meine, Herr Kollege Jung, das sollte Vorbedingung sein — und das ist ja auch das Ziel unseres so zeitig gestellten Antrages —, daß das bisher bereits Erarbeitete fortgeführt wird, und es sollte das vornehmste Ziel der Bundesregierung und auch aller Fraktionen sein, auf diesem Gebiet zu koordinieren und zusammenzufassen. Denn eines möchte ich doch an dieser Stelle einmal anmerken: Ich habe das Gefühl, daß teilweise nebeneinanderher geforscht wird und daß man die Erkenntnisse, die man hat, noch nicht gern preisgeben will. Ich meine, unsere Forderung sollte zwei Dinge umfassen: Erstens sollten wir die Bundesregierung auffordern, für diese Dinge auch finanzielle Mittel im Rahmen des Möglichen zur Verfügung zu stellen. Zweitens aber sollte auch — mein Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein hat es ganz deutlich angesprochen — die Koordinierung der interministeriellen Arbeit möglich sein, — nicht, daß hier auch weiterhin Kompetenzschwierigkeiten innerhalb des Kabinetts bestehen. Ich nehme aber an, der Herr Innenminister wird damit fertig werden.
Ich möchte noch ein Wort von Ihnen aufgreifen, Herr Innenminister. Sie haben heute vormittag von der „Umwelthysterie" gesprochen. Das ist ein Wort, das mir sehr gut gefallen hat. Denn bei der Darstellung einiger Dinge und bei der Selbstdarstellung einiger Redner zum Umweltschutz habe ich manchmal das Gefühl, daß an der Sache vorbeigeredet wird und daß dort ein gewisser Effekt erzielt wird, der nicht in unserem Sinne sein dürfte. Ich meine, wir sollten als verantwortliche Politiker einiges dazu tun, daß unsere Bevölkerung etwas besser erzogen wird, etwas umweltbewußter für die Zukunft lebt. Diese Dinge fangen nicht erst beim erwachsenen Menschen an, sondern man sollte damit bereits beim Kind beginnen. Wir sollten uns überlegen, wieweit wir auch unseren Kultusministern ans Herz legen, dafür zu sorgen, daß diese Dinge bereits im Kindesalter zu einer Selbstverständlichkeit werden.
Meine Damen und Herren, damit möchte ich mich begnügen. Ich meine, wir sollten uns hier vor ständigen Wiederholungen hüten.
Ich hoffe, daß mein kurzer Beitrag etwas dazu beigetragen hat.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Konrad.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man wird sich zur Umwelt und zu den Fragen, die sie aufwirft, hier nicht gut äußern können, wenn man nicht literarisch vorbereitet ist. Ich beginne deswegen mit Robert Koch, der mit prophetischer Gabe noch vor Anbruch des 20. Jahrhunderts gesagt hat: „Eines Tages wird der Mensch den Lärm ebenso unerbittlich bekämpfen müssen wie die Cholera und die Pest, um existieren zu können." Da Robert Koch ja erwiesenermaßen bei der Bekämpfung von Cholera und Pest einiges geleistet hat, wird man ihm als einen zuverlässigen Propheten, in der Sprache des Alten Testaments sogar als großen Propheten ansprechen können, was den Lärm anlangt.
Wie recht er gesehen hat, beweist uns eine Umfrage des Allensbacher Institutes für Demoskopie. Danach fühlen sich zwei Fünftel unserer Bevölkerung im Jahre 1969 durch Lärm belästigt; jeder dritte sagt, es sei ihm manchmal zu laut, jeder neunte sagt, daß es ihm sogar immer zu laut sei und daß ihn der Lärm störe.
Wie ist es dazu gekommen? Wer um die Jahrhundertwende über die Straßen spazierte, hatte es mit einem Geräuschpegel zu tun, der sich nicht wesentlich von dem einer gepflegten Konservation unterschied. Aus unserem Blickwinkel heraus paradiesische Zustände. Der Kaffeklatsch der Damen war lauter als das Geräusch des Straßenverkehrs. In den letzten 20 Jahren hat sich der Straßenverkehr bei uns versiebeneinhalbfacht, der Luftverkehr hat sich verdreißigfacht. Die meisten Bürger der Bundesrepublik — und zwar jeder dritte — fühlen sich durch den Straßenverkehr belästigt. Mit dem Luftverkehr und dem davon ausgehenden Lärm ist es ein bißchen besser; da ist es nur jeder fünfzigste Bürger. Die gewerblichen Anlagen und die Baustellen werden zwar nicht als zahlenmäßig sonderlich ins Gewicht fallend betrachtet, wer aber einmal in einer ruhigen Wohngegend die Baumaschinen hat am Abend anrücken sehen, der hatte keine ruhige Nacht mehr, und in den weiteren Wochen hat er sich auch noch damit beschäftigt, über die Störung durch den Baumaschinenlärm nachzudenken.
Meine Damen und Herren, ein ernstes Problem: der Lärm am Arbeitsplatz. Ich verstehe nicht viel davon, will ihn deswegen übergehen, möchte ihn aber nicht unerwähnt lassen.
Ich will mich einmal der Frage zuwenden: Was geschieht nun bei uns zur Bekämpfung des Lärms? Auch hier natürlich bemüht, einen guten historischen Zeugen beizubringen, bin ich auf Elisabeth I. von England gestoßen, die durch Gesetz Ausgang des 16. Jahrhunderts handgreifliche Ehehändel nach 10 Uhr nachts verboten hatte.
— Aber, aber! Mein Glaube bewahrt mich davor, zur
Echternacher Springprozession zu gehören. Wenn ich
im 16. Jahrhundert bin, kann ich nicht gut noch weiter zurückgehen; sonst hätte ich bei Cäsar angefangen, der ja auch schon nachts das Kutschenfahren verboten hat. Also die Vorbereitung war vielfältig.
Bei Elisabeth ist nur die Frage der Motivation vielleicht noch eines Wortes wert. Für eheliche Händel hatte die Königin, die auf ihren jungfräulichen Ruf bedacht war, wenig Sinn.
Aber bleiben wir bei dem, was uns jetzt ins Haus steht. Man muß der Bundesregierung dafür dankbar sein, daß sie in ihrer Antwort auf die Große Anfrage die Lärmbelastung ausführlich, vollständig und anschaulich geschildert hat. Sie hat nach der einschränkenden Bemerkung, sie habe bei Amtsantritt feststellen müssen, daß die wissenschaftlichen Erkenntnisse noch nicht den rechten Eingang in die Politik gefunden hätten, doch die Kontinuität zur Arbeit früherer Bundesregierungen selbst hergestellt und beispielsweise auf ein so wichtiges Gesetz wie das zur Änderung der Gewerbeordnung und des Bürgerlichen Gesetzbuches aufmerksam gemacht, weil wir damit und in Verbindung mit einer Verordnung zu § 16 der Gewerbeordnung einen schon brauchbaren Lärmschutz gegen den Industrielärm bekommen haben. Das Gesetz gegen den Baustellenlärm hat sich in der Praxis durchaus bewährt.
Doch kann der Bericht der Bundesregierung nicht über eines hinwegtäuschen: Die Schritte, auf dem Wege von einer Lärmbekämpfung durch Verwaltungsbehörden auf Grund von Länder- oder Kreis- und Ortsverordnungen hinweg zu einer einheitlichen Gesetzgebung zu kommen, sind noch nicht zahlreich genug, sind noch zu zaghaft. Deswegen erwarten wir Beachtliches von der Bundesregierung, wenn sie im Sommer 1971 das Immissionsschutzgesetz vorlegen wird. Hiermit müssen die erlangten wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Arbeit des Tages umgesetzt werden. Es muß den Verwaltungen, die mit dem Gesetz werden arbeiten müssen, ein brauchbares Handwerkszeug an die Hand gegeben werden.
Ich halte es für äußerst hoffnungsvoll, daß in den Ländern Hessen und Bayern nunmehr Ministerien für den Umweltschutz eingerichtet worden sind und daß dabei auch erkannt worden ist, daß die schönsten Gesetze nichts nützen, wenn sie nicht einheitlich, nachdrücklich und mit Sachverstand angewandt werden. Insofern kann die Koordination — hier vertikal gesehen — von der Bundesgesetzgebung bis zur Gesetzesanwendung durch den Bürgermeister und seine Ordnungsbehörden großen Nutzen für uns alle bringen.
Daß natürlich die Raumordnung die ganzen Lärmprobleme planerisch erfaßt, ist heute schon angesprochen worden und kann von mir schlicht übergangen werden.
Ich kann mich damit noch mit einem Wort des Dankes an Sie, Herr Innenminister, wenden, weil Sie uns in Ihrer heutigen Ansprache noch einmal mit großer Deutlichkeit die richtige Bewertung der Umweltvorschriften mahnend vor Augen geführt haben. Denn nur wenn alle Bürger den Wert der Umwelt erkennen und die zu ihrem Schutz erlassenen Vor-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970 4833
Konrad
schriften beherzigen, kommen wir zu einem gedeihlichen Miteinander, d. h., wir müssen alle etwas dazu beitragen. Damit meine ich auch, daß solche modernen Landeskirchen und modernen Diözesen ein Wort der Anerkennung verdienen, die nicht auf ihrem Läuterecht bestehen, sondern das Glockenläuten auch nach dem Schlafbedürfnis des geplagten Menschen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts ausrichten. Eine Überlegung, die wir heute durchaus anstellen können, da wir uns doch im Vormarsch auf jene auch als Heilige Nacht bezeichnete Stille Nacht befinden. Vielen von uns wäre daran gelegen, wenn wir das ganze Jahr hindurch eine stille Nacht hätten. Sie brauchte nicht immer so heilig zu sein wie die des 24. Dezember.
Ein nachhaltiger Schritt vorwärts zur Bekämpfung des Lärms ist das Fluglärmgesetz. Die Bundesregierung, die sich mit der Beantwortung der Großen Anfrage und mit dem Sofortprogramm einen modernen „Umwelthut" angeschafft hat, kann sich jetzt also die schmückende Feder an denselben stecken, die ihr auf Grund der Initiative des Parlaments überreicht wird. Dabei ist zunächst einmal zu sagen, daß der 5. Bundestag das Hauptverdienst hat. Er hat, gestützt auf die Arbeiten in der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft, das Initiativgesetzgebungswerk mit der Drucksache V/355 eingeleitet. Das Kind hat bei langen Beratungen ein wechselvolles Schicksal gehabt. Als es, im Bundestag zur Welt gebracht, den mitspracheberechtigten, einflußreichen Verwandten im Bundesrat vorgezeigt wurde, hatten die Herren dort zu mäkeln anstatt einverstanden zu sein. Die Bemühungen des Vermittlungsausschusses müßte man eigentlich fast an die Grenze der Kurpfuscherei rücken; denn sie haben dazu geführt, daß das Kind „Fluglärmgesetz" verstarb. Diagnose: Diskontinuität. Eine Krankheit, die nur im parlamentarischen Raum auftritt, dort allerdings, obwohl glücklicherweise selten, tückisch ist und nur letalen Ausgang kennt. Das betrübliche Schicksal ist natürlich auf eine Veränderung der Umwelt zurückzuführen. Diese ist mit Lärm verbunden, Lärm von zwei bis drei Monaten Dauer. Und so sind wir wieder beim Thema.
Aber ich wollte ganz ernsthaft allen denjenigen, die am Fluglärmgesetz im 5. und 6. Bundestag mitgearbeitet haben, und in erster Linie denen, die dem jetzt federführenden Innenausschuß die Arbeit erleichtert haben, ein Wort des Dankes für ihre Bemühungen sagen.
Ein Wort besonderen Dankes gebührt hier der Bundesvereinigung gegen den Fluglärm und — man muß das doch wohl sagen können, ohne das Mißfallen der eigenen Fraktionskollegen zu erregen —auch Herrn Dr. Dichgans,
sonst von uns nicht immer gelobt, hier aber ganz
einfach nicht zu umgehen. Denn immer, wenn Dr.
Gruhls Kräfte und meine versagten, haben Sie uns auf Vordermann gebracht, die Kosten für Fernschreiben, Telefon und sogar für Mittagessen nicht gespart. Es ist also eine ganze Menge, was wir Ihnen persönlich und in der Sache zu verdanken haben.
Das Fluglärmgesetz berücksichtigt in seiner heutigen Form die Gesichtspunkte, die ein solches Gesetz nun einmal berücksichtigen muß. Die gesundheitspolitischen und die wirtschaftspolitischen Interessen sind vernünftig koordiniert; was politisch durchsetzbar und finanziell möglich ist, haben wir beschlossen. Wir haben dabei die Vorarbeiten einschließlich der sehr gründlichen Sachverständigenanhörungen im Ausschuß für das Gesundheitswesen des 5. Bundestages berücksichtigt.
Dem Gesetz ist von außerhalb des Bundestages viel Opposition entgegengebracht worden. Es war eine außerparlamentarische Opposition, die sich durch Sachkunde auszeichnete. Aber es ist mir immer verdächtig gewesen, warum so viele unter dem Schlachtruf „Principiis obsta" angetreten sind. Sie wollten nicht die Anfänge der Fluglärmbekämpfung, sie wollten lieber gar nichts. Als ich mich dann daranmachte festzustellen, woher das kommt, bin ich darauf gekommen, daß die Sentenz bei Ovid in „Mittel gegen die Liebe" zu finden ist. Sie wollten also nicht etwas Gutes.
— Wird mir der Zwischenruf von der Redezeit abgezogen?
— Ich habe ja gesagt: Die anständige Hälfte des Zitats „Principiis obsta" — verweigere dich beizeiten.
Zu spät wird bereitet der Heiltrank.
Es wird mir eben mitgeteilt, daß für den Redner 30 Minuten vorgesehen sind; das war mir nicht gesagt worden.
Ich hatte die Absicht, es hier gediegen und gründlich zu machen; aber bei dem Zeitbedarf der vorhergehenden Kollegen habe ich mir gedacht, daß 15 Minuten schon zuviel sind — und davon habe ich eigentlich nur noch zwei. Der Herr Präsident wird mir wahrscheinlich ein paar Minuten des Überziehens gütigst genehmigen; ich muß ja in diesem Falle auch noch etwas zur Sache sagen.
4834 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970
Konrad
Lassen Sie mich bemerken, daß diejenigen, die den Entwurf beraten haben, den Zielkonflikt zwischen Flugbetrieb und Bevölkerung wegen des Lärms durchaus erkannt haben. Aber wir wollten wirklich so schnell wie möglich mit einem Gesetz kommen; und wir sind der Meinung, daß allen Angriffen zum Trotz, auch wenn sie von sehr sachverständiger Seite kommen, mit diesem Gesetz etwas sogar gegenüber den Beratungen des 5. Bundestages Verbessertes heute dieses Haus passiert. Wir haben die Anregungen und die kritischen Äußerungen gewissenhaft aufgenommen.
Wir müssen berücksichtigen, daß in der Form des Fluglärms das Lärmproblem besonders intensiv auf die Betroffenen zukommt. Lärm, ,das sind nun einmal Geräusche, die den Menschen stören, belästigen oder gefährden. Und sie tun das, weil sie auf Grund der Wirkung zum Lärm geworden sind. Also muß die Lärmbekämpfung die Störung, Belästigung oder Gefährdung der Menschen verhindern oder soweit wie möglich vermindern.
Das kann beim Fluglärm auf zweierlei Weise geschehen. Der beste Weg ist die Lärmbekämpfung an der Quelle. Aber wir wissen alle, daß die Schubwirkung der Flugzeuge immer größer wird. Wenn wir auch anerkennen müssen, daß der Jumbo-Jet in Anbetracht seiner vervielfachten Schubwirkung erheblich leiser ist als die Boeing 707, so wissen wir doch, daß der Geräuschpegel insgesamt nicht wesentlich herabgesetzt wird. Der Flugverkehr wird immer größere Ausmaße annehmen. Dazu möchte ich noch etwas sagen, wenn es der Präsident erlaubt. Mit der Lärmbekämpfung an der Quelle erreichen wir jedenfalls nicht alles.
Deswegen müssen wir auch die Immission, die Einwirkung des Lärms beim Betroffenen, bekämpfen. Dazu hat das Gesetz zwei Lärmschutzzonen innerhalb des großen Lärmbereichs vorgesehen. Wir haben die Zonen so festgesetzt, daß wir zwar nicht die Gesamtplanung des Flughafens zugrunde legen, wenn der Lärmschutzbereich festgelegt wird, aber mindestens die für zehn Jahre voraussehbare Planung. Im übrigen ist das so hoch gefeierte Gesetz des Kantons Zürich in diesem Punkte nicht anders als unser Gesetz.
Meine Damen und Herren, ich will mich in dem, was ich eigentlich noch ausführen wollte, viel kürzer fassen. Ich will jetzt einmal ganz deutlich sagen: der Bürger hat .ein Recht auf eine verhältnismäßige Stör- und Beeinträchtigungsfreiheit. Können wir ihm das mit diesem Gesetz liefern?
— Zum Teil: ja, vollkommen: nein.
Wir haben in diesem Gesetz aber auch den Zweiten Abschnitt, der den Luftbetrieb wesentlich verbessert. Im Zweiten Abschnitt haben wir die beiden Kommissionen, von denen die eine den Minister berät und die andere an den Flughäfen gebildet wird. Das Mitspracherecht der betroffenen Bürger ist zwar gering im Verhältnis zur Wirtschaftsmacht der Flughafenhalter und der Flugzeughalter, aber es ist eine Macht, und diese kann sich im Gespräch, in der Beratung und in der Information, die sie aus
den Plänen des Flugplatzhalters erhält und aus der sie sich eine Meinung bildet, auch durchsetzen.
Im übrigen aber müssen wir das Fluglärmgesetz mit dem Entschließungsantrag als eine Einheit sehen. Der Entschließungsantrag soll uns allen nach dem Bericht der Bundesregierung aufzeigen, in welcher Weise das Gesetz verbessert werden kann. Wir, die wir das Gesetz im Innenausschuß beraten haben, sind nicht zu stolz, schon heute zuzugeben, daß wir die Notwendigkeit zu einer Verbesserung sehen. Wir sind uns nur nicht über das Zeitmaß einig, in dem sie erfolgen muß. Daher legen wir die Berichtspflicht für die Bundesregierung fest.
Wir müssen als Gesetzgeber die Interessen aller Beteiligten abwägen, dürfen nicht einseitig sein und dürfen nicht schlicht, wie es oft in den Zeitungen und auch von Verwaltungsstellen gefordert wird, die nicht denken mögen, mit Verboten vorgehen. Wir müssen immer das technisch Mögliche mit dem wirtschaftlich Vertretbaren zusammen sehen. Das hat der Herr Innenminister heute gesagt, und das hat der Bundeskanzler am 29. November beim Deutschen Naturschutzring gesagt. Lassen Sie mich ganz kurz wiederholen. Der Bundeskanzler sprach vom Verzicht auf ökonomisch Rentables, aber gesellschaftlich Bedenkliches und von der Durchsetzung dessen, was vielleicht ökonomisch unrentabel sein mag, aber gesellschaftlich notwendig ist. Wir brauchen das soziale Gleichgewicht zwischen dem Angebot an privatwirtschaftlichen und dem Angebot an öffentlichen Gütern. Das ist die Richtlinie, nach der alle werden antreten müssen, die den Fluglärm weiterhin als eine große und schwere Gefahr ansehen und die der betroffenen Bevölkerung Abhilfe unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Notwendigkeiten verschaffen möchten.
Meine Damen und Herren, andere Zeiten, andere Sitten und auch andere Gesetzgeber. Als Christian Fürchtegott Gellert noch das Volk durch Fabeln zu erziehen versuchte, hat er sich auch über Lärm und Lärmmessung geäußert. Ich bin entsetzt, daß ausgerechnet jetzt die Frau Präsidentin hinter mir sitzt, wage es jedoch zu sagen:
Man stelle sich nur vor, wenn tausend Weiber sehrein. Was muß das für ein Lärmen sein!
Meine Damen und Herren, das waren noch Zeiten, wo man solche Geräusche immerhin des Erwähnens wert fand. Wir würden die Stimgewalt von tausen weiblichen Demonstranten vergleichsweise gering achten gegenüber dem, was eine einzige schwere Luftverkehrsmaschine, was die motorisierten Fahrzeuge im Straßenverkehr bieten. Wir müssen heute anders messen und auch anders bekämpfen. Die Erwähnung in einer Fabel in der stillen Hoffnung, damit Ruhe zu erzielen, reicht nicht aus; es bedarf des Gesetzgebers.
Ich habe als letztes noch folgendes zu sagen. Die CDU/CSU hat zwei Änderungsanträge vorgelegt. Die SPD-Fraktion kann beiden Anträgen nicht zustimmen. Der eine ist der Antrag Umdruck 97 *).
*) Siehe Anlage 3
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970 4835
Konrad
Wir sind der Meinung, daß die Aufzählung im zweiten Teil des Gesetzes, wie sich die Kommissionen zusammensetzen, vollständig ist und die von Ihnen gewünschte Gruppe keine besonderen Rechte hat. Ihre Rechte werden durch die Vertreter der Gemeinden in der Umgebung des Flugplatzes wirkungsvoll wahrgenommen. Der Antrag Umdruck 99 **) entbehrt der sachlichen Berechtigung. Denn das wäre ja eine feine, nach dem Luftverkehrsgesetz zur Prüfung berufene Behörde, die nicht prüfen wollte, welche rechtlichen, planerischen und finanziellen Maßnahmen bei der Neuanlage eines Flughafens zu treffen sind.
Ich habe noch, nachdem ich gesagt habe, warum wir das ablehnen, ein Wort der Verdeutlichung hinzuzufügen, das ich eigentlich als Berichterstatter hätte aussprechen müssen. Einmal ist in § 14 Nr. 5 des Gesetzes zu § 32 b Abs. 1 Satz 2 davon die Rede, daß die Kommission bei „Verkehrsflughäfen" gebildet wird. Dann kommt im Text laufend der Ausdruck „Flugplatz". Wir sind uns alle darüber einig gewesen, daß bei militärischen Flugplätzen selbstverständlich keine Kommission gebildet wird und daß die Verwendung des Wortes „Flugplatz" rein technischer Art ist. Die Kommission wird nur bei Verkehrsflughäfen gebildet.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege, würden Sie mir zugeben, daß es unser wichtigster Beitrag zur Lärmbekämpfung in diesem Hause wäre, wenn wir uns alle bemühen würden, etwas knapper zu sprechen?
Herr Kollege, ich habe keineswegs die angemessene Zahl von Dezibel A überschritten. Ihre Frage war rein polemisch, ging scharf am Sachverhalt vorbei und sollte Ihnen Gelegenheit zur Selbstdarstellung geben. Mir hat diese Frage nicht gefallen.
Meine Herren und Damen, wir gratulieren dem Kollegen Konrad zu seiner Jungfernrede.
Das Wort hat der Abgeordnete Susset.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den meisten Diskussionsbeiträgen heute wurde auf die Rede des Herrn Bundeskanzlers vor dem Deutschen Naturschutzring hingewiesen. Auch mein Vorredner brachte zum Ausdruck, was hier u. a. ausgeführt wurde: Wir müssen künftig auf manches verzichten, was zwar ökonomisch rentabel, aber gesellschaftlich bedenklich ist. Gerade dazu möchte ich,
**) Siehe Anlage 4
nachdem zum Lärm schon sehr viele Ausführungen gemacht wurden, etwas sagen, und zwar zum Landschaftsschutz und zur Landschaftspflege.
Heute kam in den meisten Beiträgen zum Ausdruck, daß wir hier in Zukunft umdenken müssen. Herr Minister Genscher brachte heute früh in seiner Erklärung zum Ausdruck, daß es zum menschlichen Recht gehört, eine gesunde Landschaft zu haben. Ich glaube, wir müssen uns die Frage stellen: Wie können wir dazu beitragen, daß weiterhin auch unsere Landschaft gesund bleibt? Und wer ist wohl am ehesten in der Lage, diese Aufgabe zu erfüllen?
Unser Kollege Gruhl hat heute früh darauf hingewiesen, in welch bedenklichem Maße in den letzten Jahren die Zahl der Brachflächen zugenommen hat. Das hat auch der Herr Bundeskanzler anläßlich der Veranstaltung des Naturschutzringes getan. Es ist erfreulich, hier diese Feststellungen zu hören. Aber wenn man sich Gedanken darüber macht, was nun effektiv geschieht, um diese Entwicklung aufzuhalten, so muß man tatsächlich sagen: es ist nicht mehr ganz so erfreulich.
Die Zunahme der Brachflächen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist doch sicherlich eine Folge der immer prekärer werdenden Lage der Landwirtschaft besonders in jenen Gebieten, die von der Natur benachteiligt sind. Gerade in diesen landschaftlich reizvollen Gebieten wird die landwirtschaftliche Nutzung immer problematischer. Wir sind uns aber alle darüber einig, daß es nicht zu einer I Verödung der Flächen kommen darf.
Was müssen wir dann tun? Ich glaube, wir dürfen dann nicht nur von Umweltschutz reden, sondern wir müssen untersuchen, wie wir unter Umständen eine Verbesserung erreichen können. Die Situation ist dort deshalb so schwer, weil in diesen Problemgebieten die Grönlandnutzung in den meisten Fällen die einzige Produktionsmöglichkeit ist. Wenn wir nun die Grünen Berichte der Vergangenheit sehen, so können wir feststellen, daß hier von Jahr zu Jahr eine Verschlechterung der Lage eingetreten ist.
Deshalb müssen wir, wenn wir Wert darauf legen, daß die Bewirtschaftung dieser Flächen auch in Zukunft gesichert ist, für die dort lebende landwirtschaftliche Bevölkerung auch die Voraussetzungen schaffen, daß sie bereit ist, diesen Auftrag für die Allgemeinheit zu übernehmen. Wenn wir nicht bereit sind, diese Gebiete auf Dauer unter Bewirtschaftung zu halten, dann wird es auch nicht möglich sein, dem Wunsch der Bevölkerung, eine gepflegte Erholungslandschaft zu haben, nachzukommen. Wenn wir unsere Mittelgebirgslandschaften betrachten, so können wir feststellen, daß gerade dort freiwerdende Flächen überhaupt nicht mehr in Bewirtschaftung genommen werden. Wenn wir hier von Auffangbetrieben reden, dann müssen wir zunächst einmal jemand haben, der bereit ist, unter den derzeitigen wirtschaftlichen Bedingungen diesen Auf-
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fangbetrieb zu eröffnen, oder der bereit ist, diese Fläche unter Kultur zu nehmen.
Deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir, wenn wir nicht wollen, daß die Landschaft dieser Räume zerstört wird, Wert darauf legen, daß dort eine möglichst große Zahl von Voll-, Neben- und Zuerwerbsbetrieben erhalten bleibt, weil gerade in jenen Räumen die Zu- und Nebenerwerbsbetriebe in vielen Fällen noch die einzige Möglichkeit der Landbewirtschaftung auf Dauer sind.
Ihre Zustimmung, Herr Minister Genscher, freut mich. Aber jetzt muß ich doch fragen, ob bei der Verabschiedung des einzelbetrieblichen Förderungsprogramms diesen Dingen Rechnung getragen wurde. Die Regierung hat bei Verabschiedung dieses Förderungsprogramms eindeutig auf den Vollerwerbsbetrieb und auf das Reineinkommen abgestellt. Wenn Sie einmal fragen, was für ein Einkommen pro Arbeitskraft etwa in Baden-Württemberg erwirtschaftet wird, so wird Ihnen gesagt: zwischen 5000 und 7000 DM in diesem Bergbauerngebiet. Das heißt, daß sie da nicht mehr die Förderungsvoraussetzung haben und aus diesem Grunde diese Fläche aus der Bewirtschaftung ausscheidet.
Es gibt sehr viele wissenschaftliche Abhandlungen darüber, von Professor Weinschenk, von Professor Reisch und jetzt neuerdings von Herrn Professor Priebe in seinem Buch: „Die Landwirtschaft in der Welt von morgen". Ich möchte aus Zeitmangel nicht näher darauf eingehen, ob man die Förderschwelle vielleicht noch einmal durch einen Abzug von 10 oder 15 % verbessern könnte oder ob man zusätzlich 2000 DM an außerlandwirtschaftlichem Einkommen zuschlagen kann, sondern ich möchte hier ganz klar sagen, daß es eine positive Maßnahme für den Umweltschutz und für die Landschaftspflege in der Zukunft wäre, wenn wir bereit wären, in jenen Gebieten überhaupt von der Förderschwelle abzusehen, d. h. sie hier gar nicht als Förderungskriterium zu benutzen.
Wir haben auch im Ausschuß diese Dinge sehr oft angesprochen. Da hinten sitzt unser Ausschuß-vorsitzender, Herr Dr. Schmidt . Er weiß, daß wir bei der Frage des sozialen Ergänzungsprogramms immer darauf hingewiesen haben, daß es notwendig ist, die Nebenerwerbsbetriebe gerade in jenen Gebieten in das Programm genauso einzubeziehen wie die Vollerwerbsbetriebe.
Ich bin aber nicht der Meinung, daß es allein mit agrarpolitischen Mitteln möglich wäre, die Landbewirtschaftung in diesen Gebieten auf die Dauer aufrechtzuerhalten. Vielmehr ist es notwendig, durch eine geordnete regionale Struktur- und Wirtschaftspolitik die Einkommen in diesen Problemgebieten den Einkommen in der übrigen Wirtschaft anzupassen. Denn mit den Ferien auf dem Bauernhof allein ist es nicht getan. Das scheint mir im Moment das Hauptschlagwort in den verschiedensten Gebieten
zu sein, sowohl vom Bund, als auch von den Ländern aus. Nicht nur die Bundesregierung sagt das, unsere Landesregierung auch. Mit diesem Schlagwort allein ist es nicht getan.
Ich begrüße es, daß die Kompetenzen für den Bereich Naturschutz und Landschaftspflege seit dem 1. Oktober im Referat „Landschaftskultur" des Bundesernährungsministeriums untergebracht sind und daß Herr Minister Ehmke nicht Recht behalten hat, der einmal hier in der Fragestunde, als ich ihn darauf hin ansprach, gesagt hat, es sei im Kabinetts-ausschuß entschieden worden, daß dieses Gebiet dem Innenministerium zugeschlagen werde. Es freut uns, daß die beiden Parteifreunde Genscher und Ertl nun also den Ausgleich so vorgenommen haben, wie er von der Sachbezogenheit her notwendig ist.
Heute früh wurde von der Kooperation auf diesem Gebiet gesprochen. Seitens der Bundesregierung sollte dafür gesorgt werden — und auch wir, die Abgeordneten aller Parteien, sollten dafür sorgen, daß es ebenfalls in den Bundesländern so wird —, daß die Fragen des Landschaftsschutzes und der Landschaftspflege nur in einem Ministerium behandelt werden, nicht wie bei uns in Baden-Württemberg im Kultusministerium, in einem anderen Bundesland im Innenministerium. Dieses Gebiet sollte analog wie im Bund auch in den Ländern jeweils in dem vom Sachverstand her zuständigen Ministerium untergebracht werden. Denn dieses Ressort ist schließlich verantwortlich für Wald, Feld und Flur, also für die gesamte nicht überbaute Landschaft.
Noch ein paar Worte zum Wald. Auch mit ihm müssen wir uns befassen, wenn wir über Umweltschutz reden. Wir wissen, daß die Waldwirtschaft in der Gegenwart und in 'der Zukunft bei weiter wachsender Verdichtung neben den produktiven Aufgaben besonders auch Schutzaufgaben für unsere Umwelt zu erfüllen hat. Denn die Waldwirtschaft trägt wesentlich zur Sicherung unserer natürlichen Lebensgrundlagen bei. Sie dient dadurch in besonderer Weise dem Umweltschutz. Wir müssen deshalb den Wald als wesentliches Element in die Betrachtung der Umwelt in den Umweltschutzdebatten einbeziehen.
Nun stellt sich die Frage, ob wir die Waldwirtschaft nur noch unter ökonomischen Zielsetzungen oder unter Zurückstellung von Rentabilitätsüberlegungen im Sinne landespflegerischer Gesichtspunkte sehen. Ich bin der Meinung, daß die waldbesitzenden Gemeinden bei der ständig wachsenden Bedeutung des Waldes für die Allgemeinheit durchaus auch einen Anspruch auf Übernahme von Gegenleistungen haben, die für die Allgemeinheit erbracht werden.
Aus diesem Grunde drängen besonders die kommunalen Waldbesitzer auf einen Ausgleich. Das sind meist schwach strukturierte Gemeinden. Ich könnte Ihnen aus meiner eigenen Gemeinde Berechnungen darüber vortragen, was es in den vergangenen Jahren an wirtschaftlichen Möglichkeiten überhaupt gegeben hat. Deshalb sollte eine Abgeltung der Ko-
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sten vorgesehen werden, so wie heute nachmittag mein Kollege Schneider auch wollte, daß wir die Gemeinden finanziell in die Lage versetzen, daß sie die ihnen übertragenen Aufgaben für den Umweltschutz erfüllen können. Von der Allgemeinheit darf erwartet werden, daß die Bemühungen der Forstwirtschaft gebührend anerkannt, unterstützt und finanziell abgegolten werden.
Heute haben die meisten Redner immer wieder gesagt: Das wird uns sehr viel Geld kosten. Demgegenüber wünsche ich, daß das, was Herr Kollege Rutschke sagte — wir müssen den Fragen des Landschaftsschutzes und des Umweltschutzes größere finanzielle Priorität einräumen —, vor allem bei der Aufstellung des Haushalts, besonders was den Bereich des Ernährungs- und Landwirtschaftsministeriums anbelangt, in Zukunft berücksichtigt wird. Denn es ist wohl nicht damit getan, wenn, wie ich kürzlich in der Zeitung las, Jungsozialisten irgendwo ein Stück Wald provokatorisch in Beschlag nehmen und damit zum Ausdruck bringen wollen, daß dieser Wald nun im Eigentum aller sei.
Damit läßt sich dieses Problem nicht lösen,
wir müssen vielmehr einsehen, daß hier mehr und mehr Leistungen für die Allgemeinheit übernommen werden von Menschen, die dazu finanziell eigentlich nicht in der Lage sind.
Meine Damen und Herren, man könnte hier noch einiges anführen, aber hier werden ja noch einige Redner sprechen. Ich möchte zum Schluß sagen, daß es an der Zeit ist, daß wir merken, daß Rücksichtslosigkeiten unsere Umwelt gefährden. Wir können unseren Beitrag leisten, und zwar einen Beitrag, der sicherlich nicht so teuer ist,
als wenn wir diese Arbeiten einmal durch Landschaftspflegetrupps in kommunale, Landes- und Bundeshände übergeben müssen. Die Landwirtschaft ist bereit, diesen Auftrag billiger auszuführen. Wenn heute in dieser Debatte die Bereitschaft wachsen würde, gerade für die in jenen Räumen Wirtschaftenden etwas mehr übrig zu haben, so hätte diese Umweltschutzdebatte, was den Bereich Landschaftsschutz und Naturschutz anbelangt, ihre Bedeutung erlangt.
Auch dies war eine Jungfernrede. Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt .
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich einige Ausführungen zu der Großen Anfrage Drucksache VI/ 1519 machen, soweit sie sich auf das Trink- bzw. Brauchwasser und die Abfallbeseitigung in diesem Zusammenhang bezieht. Ich fasse dabei das Sofortprogramm — das möchte ich eingangs feststellen — als Bestandsaufnahme mit gezielten Direktiven auf, vor allem in Richtung einer kommenden Gesetzgebung. Daß dieses Programm von einer Bundesregierung überhaupt vorgelegt wurde, ist doch wohl nur zu begrüßen.
Ich will nun auf die anzusprechenden Probleme sehr konkret eingehen. Meine Herren Vorredner erleichtern mir diese Aufgabe insofern, als sie vieles schon vorweggenommen haben. Ich will mich auf das Wesentlichste beschränken.
Der Wasserbedarf in der Bundesrepublik belief sich 1963 auf 13,3 Milliarden Kubikmeter und wird sich voraussichtlich bis zum Jahre 2000 noch verdoppeln. 1963 war es noch möglich, 44 % des Wasserbedarfs durch Quell- und Grundwasser zu sichern. Man muß jedoch damit rechnen, daß sich der 1963 errechnete Anteil an Oberflächenwasser — das waren 56 % weiter steigern wird. Dagegen kann das stark verschmutzte Oberflächenwasser nur nach erheblichen technischen Aufwendungen und mit hohen Kosten weiter benutzt werden.
Nun zum Wasserkreislauf selbst. Als Regenwasser erfährt es die erste Belastung mit Staub, Abgasen und Radioaktivität. Das muß hier in dieser Deutlichkeit einmal angesprochen werden! Denn in der Bundesrepublik gelangen im Jahr 20 Millionen t Ruß, Staub, Kohlenmonoxyd, Schwefeldioxyd und Stickstoffoxyde in die Luft. Regen bringt schließlich einen Teil wieder auf die Erde zurück, einschließlich der radioaktiven Substanzen. So nimmt es wenig wunder, daß sich das Strontium 90 der Kuhmilch beispielsweise als Indikator für die Umweltradioaktivität förmlich anbietet.
Selbstverständlich gelangen Düngemittel, Pestizide und Herbizide — dem Sog folgend — in die Flußläufe und Binnenseen und verschmutzen zusätzlich das Wasser und somit auch das Grundwasser.
Leider fehlt — das wurde in der Drucksache bereits herausgestellt — eine sorgfältige Klärung des verbrauchten Wassers. Dazu eine Zahl: 1969 gab es in der Bundesrepublik für 25% der Einwohner noch nicht einmal eine Sammelkanalisation, die die Abwässer aufnehmen konnte, und im selben Jahr waren für 16 % keinerlei Kläranlagen vorhanden. Für 25 % standen nur mechanische Kläranlagen und für 38 % mechanisch-biologische Kläranlagen zur Verfügung. Man kann sich jetzt ausmalen, was unseren Flüssen, Bächen und Binnenseen alles zugemutet wird. Das zeigt — um es kurz zu machen — die von Kilometer zu Kilometer steigende Keimzahl unseres Rheinstroms, der schlechthin oftmals — und zwar berechtigt! — als Kloake bezeichnet wird. Denn die Anrainergemeinden, viele Großstädte und industrielle Betriebe lassen ihre Abwässer unge-
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klärt in den Strom hineinfließen. Zechen und Hütten lassen Kalkseifen und Gichtschlamm ab. Die Kokereien sorgen für die Phenole und die Kaliwerke für das Einleiten von Kochsalz. Die chemische Industrie entleert Ammoniak-Schwefel-Verbindungen und Säuren, Laugen und Salze sowie Schwermetalle in den Flußlauf. Die Papier-, Pappe- und Zellstoffabriken leiten Abwässer ein, die Pilze gedeihen und Schwefelwasserstoff sich bilden lassen.
Aus der Landwirtschaft und dem Weinbau stammen Kunstdünger und Jauche, Biozide, Quecksilber und Arsen. Außerdem lassen die Rheinschiffe 01 ab, das als glänzende Schicht auf dem Rheinstrom schwimmt.
Bleiben wir weiter beim Rheinstrom; dazu noch einige Worte! Während er am Hochrhein — kurz nach seinem Ursprung — keine oder nur eine geringe Zahl von Keimen aufweist, nimmt diese Zahl in Richtung zum Bodensee laufend zu; kurz vor Einleitung in die Nordsee sind es bereits etliche Millionen Keime, die im Rheinwasser nachweisbar sind.
Wo bleibt da noch die Möglichkeit einer Selbstreinigung dieses Flusses? Der Rhein selbst bietet — das muß hervorgehoben werden — Brauch- und Trinkwasser für rund 19 Millionen Menschen. Es gibt Städte und Gemeinden, die uferfiltriertes Wasser aus dem Rhein entnehmen, und es gibt wiederum andere Städte, die darauf angewiesen sind, ein Drittel bis ein Fünftel — je nach Bedarf — uferfiltriertes Rheinwasser zu benutzen, indem sie es als sogenanntes verschöntes Wasser dem Grundwasserspiegel zuführen.
Daß auch das Beseitigen der Phenole aus diesem uferfiltrierten Wasser durchgeführt werden muß, ist eine Selbstverständlichkeit. Doch leider das muß man sagen — schmeckt an manchen Tagen im Trinkwasser einer Großstadt dieser Stoff trotz Kohlenfilterung und Überchlorung durch; denn derartige Stoffe sind wie Öle, Benzine und andere Treibstoffe noch in der Konzentration von 1 : 1 000 000 geschmacklich nachweisbar.
Eine weitere Sorge bedeutet die sogenannte Versalzung des Rheinstroms; unter „Versalzung" bitte ich hierbei alle Alkalisalze zu verstehen. Hinter Emmerich beim Übergang des Rheines über die deutsch-holländische Grenze wurden im Strom täglich in 200 Millionen cbm Wasser 40 000 t Kochsalz, 16 150 t Sulfate, 2260 t Nitrate, 103 t Phosphate, 554 t Ammoniak und 295 t Eisen gemessen. Dazu ein Vergleich: Wenn man diese Stoffe per Schiene abtransportieren müßte, dann würde man Tag für Tag dazu 3000 Waggons benötigen; anders ausgedrückt: ein Güterzug aus diesen Waggons hätte eine Länge von 30 Kilometern.
Zwei Gefahrenmomente sollen nicht unerwähnt bleiben, die für unsere Flüsse und Seen insgesamt Bedeutung haben. Es ist immer ein großes Risiko, wenn Öl- und andere Treibstoff-Pipelines in ihrem Bereich angelegt werden, denn trotz mehrfacher Sicherung durch Anlegen von Schutz- und Sicherheitsgürteln sowie von Schichten um die eigentliche Pipeline herum kam es in der Vergangenheit immer wieder zum Auslaufen von Öl in den Untergrund
und zur Verschmutzung des Grundwassers, und dazu wird es auch in der Zukunft immer wieder kommen. Es gibt Orte in der Bundesrepublik, die nach dem ersten Weltkrieg neue Wassereinzugsgebiete schaffen mußten, weil während der Besatzungszeit in Treibstoffdepots der Besatzungsmächte die Tanks ausliefen und der Treibstoff in das Grundwasser sickern konnte. Wir wissen alle, daß dieses so verschmutzte Wasser ungenießbar ist, und auch heute sind, wie gesagt, die eben geschilderten Vorkommnisse keine Seltenheit. Die Industrialisierung und der Verkehr mit ölangetriebenen Schiffen auf den Flußläufen verstärken diese Ölverschmutzung weiter.
Bei den Kernkraftwerken wird zur Kühlung der Kondensatoren gleichfalls Flußwasser entnommen. Die Maximaltemperatur des eingeleiteten Kühlwassers sollte bei 33 Grad Celsius liegen, während die maximale Mischtemperatur im Fluß bei 28 Grad Celsius liegen sollte. Hier muß aber erwähnt werden, daß auch die durchschnittliche Mischtemperatur von 28 Grad Celsius bereits den Bereich der Letaltemperatur vieler Fischarten erreicht oder wenigstens nur knapp darunter liegt. Damit ist das Problem überhaupt erst angeschnitten, denn es würde bei Bildung zu hoher Mischwassertemperaturen eine Abwanderung der Fische, soweit überhaupt noch welche vorhanden sind, erfolgen bzw. die biologische Verarmung des Flusses eintreten. Damit wäre auch die biologische Selbstreinigungskraft des Flusses in Frage gestellt.
Es wäre deshalb zu überlegen, meine Damen und Herren, ob man nicht geschlossene Kühlwassersysteme in den Kernkraftwerken benutzen oder aber diese in der Nähe von Meeren einrichten sollte, wo der Temperaturausgleich des Mischwassers schneller erfolgen würde.
Sollte ein Flußlauf auch noch die anfallenden radioaktiven Abwässer in geringer Konzentration zugeleitet bekommen, so ist selbstverständlich mit einer Anreicherung radioaktiver Stoffe in Fischen, Wasserpflanzen und anderen Organismen zu rechnen. Diese Radionukleide erreichen den Menschen einmal durch den Genuß der Fische selbst oder aber durch die Nahrungskette Gräser, Kräuter und Weidevieh.
Nun einige Worte über die Abfallbeseitigung, soweit sie Einfluß auf die Trinkwasservorkommen nimmt. Auf Seite 5 der Drucksache VI/ 1519 wurde auf das Nichtvorhandensein von genügend modernsten Abfallbeseitigungsstätten hingewiesen. Hier soll auf die Gefahren und Schäden durch eine nicht ordnungsgemäße Abfallbeseitigung eingegangen werden. Die ungeordnete und unkontrollierte Ablagerung bzw. Deponie der Abfallstoffe macht die meisten Schwierigkeiten. Kommt es zur wilden Verkippung von Abfällen, die Giftstoffe, Krankheitserreger usw. enthalten, so kann das Oberflächenwasser, aber auch das Grundwasser verunreinigt werden. Infektionen, durch gewisse Stoffe, direkt oder indirekt durch Tiere auf den Menschen übertragen, können alle möglichen Krankheiten auslösen. Hinzu kommt, daß die chemische Qualität des Wassers verändert werden kann, nämlich durch eine
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zusätzliche Verhärtung oder aber durch andere chemische Substanzen organischer oder anorganischer Art. Die Gesamtmenge fester Abfallstoffe beträgt derzeit mehr als 200 Millionen Kubikmeter pro Jahr. Dazu kommen etwa 25 Millionen Kubikmeter Klärschlamm. So wurde es im Jahre 1967 errechnet.
Die Altölabfälle werden auf ca. 370 000 t beziffert. Der Raumordnungsbericht des Jahres 1968 gibt an, daß mehr als 90 % aller abzulagernden Abfallstoffe ohne besondere Vorsichtsmaßnahmen in der Landschaft deponiert werden, und zwar auf etwa 50 000 Ablagerungsplätzen.
Den denkbar schlechteste Weg ist allerdings das Einleiten von Abfallstoffen in die Meere, wovon weder die Nord- und Ostsee noch die Adria verschont blieben. Es kann uns auch nicht gleichgültig sein, hören zu müssen, daß Munition und radioaktive Stoffe in Zementbehältern dem Meere übergeben werden, denn wir wollen ja die Meere nicht vernichten, sondern haben sie u. a. als Wasser- und Nährstofflieferanten bitter nötig.
Alarmierend ist der Bericht von Kommandant Cousteau; er wurde bereits erwähnt. Ich darf hier nur noch einmal herausstellen, was Cousteau über die Wirkung des DDT sagte. Er stellt fest, daß in der Leber von Pinguinen in der Antarktis sowie im Tran der Thunfische im Pazifik DDT in tödlichen Konzentrationen gefunden wurde. Im Kalifornischen Golf seien aus dem gleichen Grunde die Pelikane nicht mehr in der Lage, feste Schalen für ihre Eier zu bilden, so daß die Jungtiere im Ei sterben. Ähnliche Erscheinungen seien auch beim Seeadler aufgedeckt worden.
Sie wissen, daß diese Stoffe praktisch trotz aller Vorreinigung ohne weiteres in den Untergrund abfließen können. Aus diesem Grunde erwähne ich diese Tatsache.
Wir brauchen zum Leben Trinkwasser. Das ist uns allen klar. Es ist nach dem deutschen Lebensmittelgesetz ein Lebensmittel, und zwar nach den §§ 1 und 3 dieser Gesetzgebung. Wir wissen aber auch, daß die Wassermenge unseres Planeten nur knapp 1 % Süßwasser aufweist. Vielleicht sind wir auch eines Tages gezwungen, unterirdische Wasserleitungen vom Ausland über Hunderte von Kilometern in die Bundesrepublik zu führen, wie es beispielsweise Nordamerika macht, indem es eine Leitung von 500 km Länge von Kanada in die Nordstaaten leitet. Wir können auch nicht wie etwa die Russen Eisberge zum Schmelzen bringen, wir können keinen künstlichen Regen über der Sahara oder anderen Steppengebieten erzeugen; richtiger gesagt: wir könnten es dort wohl, aber bei uns wäre es nicht möglich. Weiterhin hat es auch keinen Sinn, darüber zu diskutieren — wenigstens im Augenblick nicht —, ob man größere Mengen Meerwasser entsalzen sollte, um sie dann als Süßwasser zu verbrauchen. Ich möchte aber daran erinnern, daß wir vielleicht eines Tages auch darauf angewiesen sein könnten, in der Nord- und Ostsee nach Süßwasserquellen zu bohren, wie es Dr. Ständer mit Erfolg vor der griechischen Küste getan hat.
Im Absatz XII der Europäischen Wassercharta — ich möchte hier nur ein wenig die Gesetzgebung ansprechen, denn den größten Teil meiner geplanten Ausführungen zu den bundesdeutschen Gesetzen, etwa dem Wasserhaushaltsgesetz, und den Gesetzen der elf Bundesländer habe ich streichen können, weil viele meiner Vorredner sie bereits angesprochen hatten — heißt es:
Das Wasser kennt keine Staatsgrenzen; es verlangt eine internationale Zusammenarbeit.
Die internationalen Probleme, die sich aus der Nutzung der Gewässer ergeben, sollten im Interesse der Erhaltung von Menge und Güte des Wassers von Anliegerstaaten gemeinsam gelöst werden. Gewiß, es besteht die internationale Kommission zur Reinhaltung des Rheins, der Mosel, der Saar und des Bodensees. Es gibt auch die ständige deutschniederländische Kontrollkommission, die sich beim letzten Fischsterben sehr massiv eingesetzt hat; es hat aber keinen Sinn, nur von der Notwendigkeit sauberer Gewässer zu sprechen, an eine saubere Umwelt zu denken, wenn man sich sonntags oder in den Ferien aus den Großstädten, den industriellen und gewerblichen Betrieben aufs Land und in die Natur zurückzieht, sondern man muß auch in seinem Innern überzeugt sein, daß eine saubere Umwelt zum Weiterbestand bzw. zur Weiterentwicklung des menschlichen, tierischen und auch pflanzlichen Lebens auf diesem Planeten notwendig ist. Dazu gehört noch viel Aufklärungs- und Erziehungsarbeit. Es ist nicht zuletzt Aufgabe dieses Hohen Hauses, daran wirkungsvoll mitzuarbeiten.
Das Wort hat der Abgeordnete Gallus.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte gleich zu Beginn eine Feststellung treffen, und zwar die, daß ich mich mit allem Nachdruck für die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes auch in bezug auf den Landschaftsschutz einsetzen möchte. Ich bin nämlich der Überzeugung, daß gerade diese Frage nicht nur eine Frage der Länder, sondern ganz bestimmt in der Zukunft eine Frage des Bundes sein wird, darüber hinaus aber eine internationale Frage, insbesondere eine der EWG werden wird. Ich bin der Meinung, daß wir uns sogar bemühen sollten, beizeiten die entsprechenden Gesetze vorzulegen, damit wir in diesem Punkte nicht in bezug auf die EWG eines schönen Tages den kürzeren ziehen.
Wir haben alle die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD/FDP gelesen, in der der Tatbestand in bezug auf den Umweltschutz insbesondere im Blick auf den Landschaftsschutz mit folgenden Worten festgestellt wurde:
Auch viele Tier- und Pflanzenarten sind gefährdet. Immer häufiger werden Bewirtschaftung und Pflege landwirtschaftlich genutzter Flächen aufgegeben. In vielen Gebieten stellen diese Brachflächen die Landschaftspflege vor eine Aufgabe, die bald gelöst werden muß.
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Gallus
Darüber hinaus möchte ich hier ganz klar zum Ausdruck bringen, daß nicht nur die wild lebenden Tiere, sondern auch unsere Haustiere sehr stark durch negative Erscheinungen der Umwelt beeinträchtigt sind. In steigendem Maße haben wir zu einem erheblichen Prozentsatz Schäden an Innereien bei Schlachttieren, wie wir sie vor Jahren überhaupt noch nicht für möglich gehalten haben. Schon aus diesem Grunde plädiere ich dafür, daß diese Probleme in die Bundesgesetzgebung einbezogen werden.
Die Erholungsgebiete stellen landschaftlich reizvolle Gebiete dar, die sehr schwer landwirtschaftlich zu nutzen sind. Ich glaube, hier müssen wir uns ein Beispiel daran nehmen, in welch vorbildlicher Weise gerade in der Schweiz und in Osterreich diese Probleme gelöst worden sind. Bereits meine Vorredner, besonders aber Herr Kollege Susset, haben darauf hingewiesen, daß dieses Problem nur mit den Menschen in diesen Räumen gelöst werden kann. Dieser Auffassung möchte ich voll beipflichten. Ich bin darüber hinaus der Auffassung, daß sie nicht mit alten Menschen gelöst werden kann, sondern nur mit jungen Menschen, die überhaupt bereit sind, in diesen von der Natur benachteiligten Gebieten dieser Natur gegenüber ihren Mann zu stehen und sie andererseits zu erhalten.
Zu dem Schluß aber, zu dem gerade Herr Kollege Susset gekommen ist, möchte ich keinesfalls kommen, daß nämlich das einzelbetriebliche Förderungsprogramm von Herrn Ertl dieser Tatsache überhaupt keine Bedeutung beigemessen habe, auch nicht der Tatsache der Neben- und Zuerwerbslandwirtschaft. Im Gegenteil, ich bin der Meinung, daß sehr wohl gerade diese Seite des Förderungsprogramms, die sich mit dem Fremdenverkehr, mit dem Einbau von Fremdenzimmern, mit dem Ausbau der Wohnungen und all diesen Fragen befaßt,
von entscheidender Bedeutung ist. Dabei vertrete ich darüber hinaus die Meinung, daß dieses Programm Sonderregelungen für die entsprechenden Gebiete offenläßt. Hier ist für alle Raum gegeben, für die Länder wie für den Bund mit Sonderprogrammen in Absprache mit den Ländern, und Sie werden bereits die neuesten Meldungen von Brüssel vernommen haben, daß dort eine ganze Menge von Geldern gehortet sind, die in dem betreffenden Teil Europas nun für die Lösung dieser Probleme eingesetzt werden. Ich bin der Meinung, daß in Zusammenarbeit dieser drei hierfür Zuständigen: Länder, Bund und EWG, die Probleme angegangen werden müssen.
— Sie können daran zweifeln, das ist Ihre Sache;
aber ich bin der Meinung, daß schon die regionale Abstufung mit 10% einen Weg in dieser Richtung darstellt. Aber ob es richtig ist, von dieser Stelle aus z. B. den Herrn Priebe als den Kronzeugen einer Agrarpolitik, die in dieser Richtung eine Besserung wenigstens theoretisch anstreben wollte, zitieren zu
wollen, das allerdings würde ich sehr bezweifeln, wenn Sie sich die letzte Ausgabe von Agrar-Europ vornehmen, wo es heißt:
Professor Priebe, durch Beiträge in Fernsehen und Illustrierten eher bekannt als durch wissenschaftliche Leistungen, hat ein Buch herausgebracht, das sich nicht nur durch reichliche Absurditäten auszeichnet, sondern auch durch eine politische Polemik, wie sie in dieser Tonart bislang höchstens von Links- und Rechtsextremisten zu hören war.
Ich nehme an, daß Sie das auch vorher gewußt haben.
Ich möchte darüber hinaus sagen, es wäre bestimmt auch falsch, meine sehr verehrten Kollegen von der CDU, in diesem Zusammenhang den Herrn Weinschenk zu zitieren. Denn Herr Weinschenk hat zum mindesten beim Hearing hier im Bundestag erklärt, daß nach seiner Vorstellung nur noch so viele landwirtschaftliche Betriebe am Leben erhalten werden sollten, wie nach optimaler technischer Ausrüstung eine Chance für diese Betriebe gegeben ist. Darunter fallen bei Gott die Neben- und Zuerwerbsbetriebe nicht. Da ist mir in jeder Phase das durchaus entwicklungsfähige Ertl-Programm viel lieber. — Herr Kollege Susset, bitte!
Herr Kollege Gallus, Weinschenk ging davon aus, daß hier die optimalen Betriebe —
Sind Sie der Meinung, daß es in diesen Gebieten andere Größen sind?
Herr Kollege, ich glaube, das trifft die Sache nicht.
Wir sind hier der Auffassung, daß in dieser Frage Sonderprogramme am Platze sind. Wie wandlungsfähig die ersten Agrarpolitiker in der EWG sind, beweist doch die Tatsache, daß sich Herr Mansholt in der letzten Zeit intensiv dieser Fragen angenommen hat. Ich persönlich stehe auf dem Standpunkt, daß natürlich — und ich glaube, auf dieser Ebene können wir uns einigen — diese Fragen, die die Landwirtschaft im Zusammenhang mit dem Umweltschutz betreffen, keine rein agrarpolitischen Fragen sein müssen und sein sollten.
Ich halte es für politisch — auch agrarpolitisch
außerordentlich bedeutsam, meine sehr verehrten
Damen und Herren, daß hier nun Brücken von der
Agrarpolitik zum Umweltschutz geschlagen werden.
Ich vertrete nicht die Meinung — jetzt im Umkehrschluß —, daß die Mittel, die heute für die Agrarpolitik zur Verfügung stehen, in diesem Bereich auf der anderen Seite auch noch den Umweltschutz abdecken sollen. Denn um diese Probleme überhaupt regeln zu können, wären Milliarden von D-Mark notwendig.
Meine sehr verehrten Anwesenden,
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über eines müssen wir uns auch klar sein: daß wir in der Frage der zukünftigen Bewirtschaftung dieser Gebiete noch keineswegs am Ende sind. Ich bin der Auffassung, daß man intensiv an diese Fragen herangehen muß, in welcher Form diese Gebiete am günstigsten bewirtschaftet werden können.
Ich bin darüber hinaus der Meinung, daß wir uns nicht nur mit diesen Erholungsgebieten zu befassen haben, sondern auch mit Gebieten, die mitten in landwirtschaftlich günstigen Gebieten liegen, etwa dem Schwäbischen Wald mit den Hanglagen, also den Naherholungsgebieten. Ich bin der Auffassung, daß die Bundesrepublik Deutschland in bezug auf die Erschließung von Naherholungsgebieten ein „unterentwickeltes Land" darstellt, Hier hat die Landwirtschaft dem gesamten Volk etwas anzubieten. Wir wissen, daß die Bewirtschaftung dieser Hänge unrentabel ist. Auch dieses Problem ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die nur zwischen Bund und Ländern gelöst werden kann, weil gerade für die Erschließung derartiger Gebiete erhebliche Mittel notwendig sein werden.
Meine sehr verehrten Anwesenden,
— Herr Kollege, entschuldigen Sie! —, wenn wir von dieser Sache sprechen, muß ich darauf hinweisen, daß auch in diesem Bereich Überlegungen am Platze sind, wie wir durch extensive Bewirtschaftung dieser Flächen von dem Problem wegkommen.
Zum Schluß möchte ich sagen, daß die verschiedenen Programme soweit sie die Betriebsförderung in Betracht ziehen, allein nicht genügen; wir müssen in der Zukunft mehr auch darauf abheben, daß entsprechende Bewirtschaftsungszuschüsse für solche Gegenden nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in ganz Europa gegeben werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Giulini.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde einer derjenigen sein, die am kürzesten reden, obwohl ich eigentlich einer von denen bin, die auf der „anderen Seite" stehen: Ich stelle nämlich Schwefelsäure her, ich habe mit Phosphaten, Sulfaten und all diesen Dingen zu tun. Ich möchte dennoch folgende Behauptung wagen: es gibt in der deutschen Chemie eigentlich kein Verfahren, durch das der Abfall nicht beseitigt oder einer vernünftigen Verwendung zugeführt werden kann.
Sie wissen, daß 27 % der Umweltverschmutzung angeblich durch die Chemie verursacht wird. Aber ich glaube, die Interessenlage ist dieselbe: Alles das, was also SO2-Gas über den Schornstein abdampft oder an zu heißem Wasser in den Rhein fließt, ist in Wirklichkeit verlorene Kalorie und verlorener
Rohstoff, den man mühsam aus fremden Ländern beziehen müßte.
Ich behaupte sogar, daß schon die Hausfrau beginnen könnte, den Umweltschutz — ihren eigenen, wenn Sie so wollen — in zwei verschiedene Kategorien einzuteilen: In einen weichen und in einen harten, wo die ganzen Metallabfälle hineinkommen. Man könnte witzigerweise sogar sagen, daß die Hausfrauen vielleicht später einen roten und einen schwarzen Mülleimer haben müßten — wobei ich das nicht parteilich meine , in denen der eine Müll weich und der andere Müll hart verstaut werden muß und dann entsprechend sortiert werden kann.
Es kommt ein Zweites hinzu. Ein bewußter, vernünftiger Unternehmer hat heute neben den drei klassischen Kostenfaktoren Energie, Lohn und Rohstoff einen vierten Kostenfaktor hinzuzuzählen: die Verwertung des Schmutzes, die Verwertung des Abfalls. Ich meine, Herr Minister Genscher, daß der Staat hier die Aufgabe hat — ich sage das als ein in der Industrie Tätiger —, einen heilsamen Druck auszuüben. Ich möchte sagen, daß Frau Minister Strobel und ihre Vorgängerin diesen heilsamen Druck mit großem fraulichen Charme ausgeübt haben, z. B. durch das Wasserhaushaltsgesetz, durch das verboten wurde — nicht sofort, aber in einer bestimmten Zeitfolge —, biologisch nicht abbaubare Detergentien ins Wasser fließen zu lassen. Zuerst haben alle geschrien, das gehe nicht. Nachher gab es vier Verfahren, und heute wird kein Waschmittel mehr hergestellt, in dem nicht ein biologisch abbaubares Detergentium enthalten ist.
Sie können andere Beispiele nehmen. Bei Hochöfen fällt Schlacke an, die heute zu Zement verarbeitet wird. Die Kalibergwerke, die ursprünglich Salz fördern sollten, mußten Kali ausscheiden. Heute wird Kali als Düngemittel verwendet. Sie können als Beispiel beim Aluminium die doch sehr üblen Reste an rotem Schlamm nehmen, die in Amerika noch in die Flüsse bzw. in das Meer gepumpt werden, die man heute zu Eisen, eventuell sogar zu Baustoffen umwandeln kann.
Ich könnte Ihnen noch viele andere Beispiele nennen, vor allem jenes, wo man heute — nach vielen Jahren — Gipsplatten aus einem Stoff herstellen kann, der eigentlich ins Wasser fließen sollte. Bei der Herstellung von Phosphorsäure nach einem nassen Verfahren, bei dem Schwefelsäure benutzt wird, entsteht Kalziumsulfat. Dieses Kalziumsulfat ist Gips. Das ist bisher in den Rhein oder in andere Flüsse geflossen. Heute kann man daraus Bauplatten herstellen.
Herr Minister Genscher, ich gebe der Regierung folgende Anregung. Der Bund sollte in Zukunft —das ist ohne Geld möglich; das dürfte wichtig sein — bei der Vergabe von großen Wohnungseinheiten oder sonstigen Bauvorhaben solche Baumaterialien berücksichtigen, die aus der Abfallbeseitigung stammen. Ich weiß, das geht nicht sofort, aber das wäre eine Möglichkeit, zunächst einmal ohne große Geldausgaben Anreize zu geben.
4842 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970
Dr. Giulini
Ich möchte noch zwei Dinge sagen. Ich bin der Ansicht, daß wir nicht so viel von Geld reden sollten. Das ist natürlich auch nötig. Ich behaupte aber, daß der Geist, der Intellekt herausgelockt werden muß. Ich sehe hier eine Art Dreieck zwischen Staat, Wirtschaft und Forschung: Der Staat muß die Industrie auffordern — durch den heilsamen Druck, den ich schon erwähnt habe —, die Wissenschaft zu engagieren. Es muß gefragt werden, wo man etwas tun kann.
Ich komme aus der Praxis und weiß, was an anderen Verfahren, an der Benutzung anderer Rohstoffe, an anderen Prozeßwegen oder an Reinigungsstufen möglich ist, wenn man nur will.
Ich appelliere auch an meine Kollegen in der Industrie, die natürlich nicht sehr erfreut sind, wenn ich sage, man könne das machen. Aber man muß es machen; denn schließlich arbeiten ja diese Herren selbst und ihre Mitarbeiter in der Luft, die sie selbst „herstellen".
Ein letztes Problem — das ist klar; es ist heute morgen vom Herrn Minister und anderen Damen und Herren schon gesagt worden — sind die Kosten. Wenn natürlich die Konkurrenz in der EWG und in der Welt mit demselben Produkt zu einem Preis auf den Markt kommen kann, der niedriger als der Preis ist, der wegen der Kosten, die durch die Umweltbewältigung entstehen, bei uns gefordert werden muß, muß man in irgendeiner geeigneten Weise dafür sorgen, daß hier eine Art Abfindung gezahlt wird. Dann muß man den, der im eigenen Land produziert, schützen, weil er die Umwelt bewältigt. — Das vielleicht als letzte Anregung.
Ein Stichwort zum Schluß, meine Damen und Herren: der Dreck muß weg!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmidt .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der heutigen Aussprache über die Fragen des Umweltschutzes ist eine Anzahl von Teilbereichen angesprochen worden. Wenn ich mich noch einmal zu Wort gemeldet habe, so mit der Absicht, noch einige Bemerkungen über die Zusammenhänge zwischen Umweltschutz und Technik zu machen.
Erfreulicherweise wird in dem Sofortprogramm der Bundesregierung besonders darauf hingewiesen, daß für die Zukunft eine Entwicklung von Verfahren und Produkten anzustreben ist, die die Welt gar nicht erst belasten. Diese Feststellung ist nachdrücklich zu unterstützen.
Die mit dem Umweltschutz verbundenen Probleme hängen in der Tat mit der Technisierung und der Industrialisierung unseres Lebens auf das engste zusammen. Es ist unbestritten, daß die ständig fortschreitende Technisierung als negatives Begleitmoment eine erhöhte Gefährdung unserer Umwelt zur Folge hat. Zur Erhaltung des Lebens sind technische Neuerungen unumgänglich; sie fordern jedoch eine verstärkte technisch-wissenschaftliche Behandlung der Bereiche Umwelt-, Verbraucher- und Arbeitsschutz.
Die öffentliche und individuelle Sicherheit wird heute mehr als früher und ich glaube sagen zu können, morgen mehr als heute vom verbesserten technischen System beeinflußt. Ich denke z. B. an Chemiewerke, Großtanker, Kernkraftwerke, Hüttenwerke, Pipelines usw. Ich denke aber auch an die erhöhten Gefahrenpotentiale, wie z. B. Kernbrennstoffe, Treibstofflager, Staudämme, Tanklager, und nicht zuletzt erhöhte Produktionsziffern an Fahrzeugen zu Lande, zu Wasser und in der Luft und an die großflächige Verwendung von Insektiziden.
Der Schutz vor diesen Gefahren ist ein ernstes Anliegen nicht nur der Regierung der Bundesrepublik, sondern der aller Industrienationen, ich glaube, man darf hier sagen, von denen die Vereinigten Staaten von Amerika und Schweden sich in der Vorbeugung gegenüber diesen Gefahren besonders stark engagiert haben.
Während für den Verbraucher- und Arbeitsschutz schon seit Jahren Bestimmungen erarbeitet werden, für deren Einhaltung die Gewerbeaufsichtsämter, die Berufsgenossenschaften und die Technischen Überwachungsämter zuständig sind, sind die Probleme des Umweltschutzes noch nicht in geschlossener Form erkannt, bearbeitet und fixiert worden.
Von daher ist es zu begrüßen, daß der Bundesminister für Wirtschaft im Rahmen seiner Aufgaben, den technischen Fortschritt der Wirtschaft zu fördern und den Menschen zu schützen, seit Jahren der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt eine Vielzahl von Aufgaben übertragen hat, die in direkter oder indirekter Form als Beiträge zum Umweltschutz zu werten sind. Deshalb, meine ich, sind Einrichtungen des Bundes wie die Physikalisch-Technische Bundesanstalt — wir haben auch noch einige andere Einrichtungen — für diese Aufgaben ganz besonders geeignet und auch entsprechend förderungswürdig.
Es ist festzustellen—lassen Sie mich das sagen—, daß die Welt von morgen von der Wissenschaft und von der Technik erwartet, daß sie die Umwelt des Menschen stetig auf allen Gebieten verbessern. In diese Verbesserungen müssen aber auch die damit häufig verbundenen negativen Nebenwirkungen einbezogen werden; diese müssen möglichst ausgeschaltet werden.
Ich möchte hierzu kurz ein Beispiel anführen. Die Technik hat es in wenigen Jahren ermöglicht, daß man in knapp sieben Stunden von Europa nach New York und in weniger als 30 Stunden von hier nach Australien fliegt. Dies ist ohne Zweifel eine große Leistung. Aber wie sehen die negativen Nebenwirkungen aus, die nun ihrerseits einen Umweltschutz erfordern? Da sind z. B. die Bürger in den Wohngebieten im Einzugsbereich dieser Flugzeuge verstärkten Lärmbelästigungen und Luftverschmutzungen ausgesetzt.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970 4843
Schmidt
Da die Nachteile bestimmter technischer Fortschritte fast immer voraussehbar sind, sollte es eine der dringendsten Fragen sein, wie aus der wissenschaftlichen Entwicklung und dem technischen Fortschritt die größten Vorteile auch für den Umweltschutz gezogen werden können, d. h. man sollte das eine tun, ohne das andere zu lassen. Auf den heute hier zur Beratung anstehenden Umweltschutz bezogen heißt das: Technischer Fortschritt bedingt zum Schutze der Umwelt eine weitgehende Verminderung der mit dem Fortschritt verbundenen und die Umwelt belastenden Nebenwirkungen. Es wäre zu wünschen, daß nicht nur die Legislative und die Exekutive sich ,mit den Problemen des Umweltschutzes auseinandersetzen. Auch der Bürger muß sein Interesse diesen so wichtigen Fragen mehr als bisher zuwenden. Nur so können die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen, die Flora und die Fauna, noch erhalten werden.
Das bedeutet aber auch., daß die Umwelt vor den Gefahren der Technik nur durch eine diese Gefahren ausgleichende Technik geschützt werden kann. Von daher ist es sehr zu begrüßen, daß die Bundesregierung in ihrem Regierungsprogramm vom 28. Oktober 1969 zugesagt hat, sich der Frage des Umweltschutzes zuzuwenden, und im Frühjahr des kommenden Jahres ein Gesamtprogramm für den Umweltschutz vorzulegen. Es ist zu erwarten, daß daraus dann die erforderlichen Initiativen für gesetzliche Maßnahmen zur Lösung der Umweltschutzproblematik zu entnehmen sein werden.
Zu einem umfassenden Umweltschutz gehören aber auch bundeseinheitliche Gesetze. Das ist heute morgen schon einmal gesagt worden, ich möchte es noch einmal nachdrücklich unterstreichen. Wenn wir diese Notwendigkeit nicht berücksichtigen, schaffen wir zwangsläufig Wettbewerbsunterschiede für Verursacher der Umweltschäden. Mit solchen Unterschieden in der Verwirklichung des Umweltschutzes wäre zwangsläufig keine einwandfreie Lösung zu erwarten.
Eine so wichtige Frage wie der Umweltschutz ist nicht nur ein Problem des Staates bzw. einzelner Gemeinden oder der Wirtschaft, sondern sie ist unser aller Problem. Entscheidend ist jedoch, daß dieses Haus mit der Schaffung sinnvoller Gesetze dem Umweltschutz die Bedeutung zuerkennt, die ihm zukommt. Meine Fraktion wird hierzu ihre Unterstützung nicht versagen.
Das Wort hat als vorletzter Redner der Herr Abgeordnete Dr. Hammans.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf den Reigen der Redner der CDU/CSU-Fraktion abschließen und versuchen, ein wenig zusammenzufassen und an einigen Eckpunkten nur noch ein paar Gedanken hinzuzufügen, die nicht erwähnt worden sind.
Ich brauche z. B. nichts über den Zustand des Rheines zu sagen. Das hat Herr Dr. Schmidt in eindeutiger Weise getan. Ich möchte nur vorschlagen, in einer internationalen Gesetzgebung zu einer lückenlosen Überprüfung und ständigen Kontrolle des Rheins in einer Kette von Prüfstationen von der Quelle bis zum Meer hin zu kommen. In diesen Stationen sollte stündlich gemessen werden, in welchem Zustand sich der Rhein befindet. Dann kann man Sünder auf dem Weg des Rheines erkennen, die zur Kasse bitten und sie die Quelle des Übels beseitigen lassen.
Das ist aber nur in internationaler Zusammenarbeit möglich. Hierbei spielen nicht nur Länder der EWG eine Rolle, sondern auch zwei Länder, die nicht der EWG angehören, nämlich Österreich und die Schweiz. Wir müssen erreichen, daß diese Aufgaben international bewältigt werden. Der Rhein ist ein gutes Beispiel dafür, daß es heute nicht mehr genügt, Umweltschutz auf nationaler Ebene zu betreiben. Denn ein Fluß, der für halb Westeuropa eine solche Bedeutung hat, hat nur dann noch eine Chance, vor dem totalen Aussterben gerettet zu werden, wenn er aus der nationalen Verantwortung, wo jeder egoistisch handelt — ich könnte Ihnen x Beispiele nennen —, herauskommt und in eine internationale Verantwortung geführt wird. Es gibt zwar seit 1965 die internationale Kommission zum Schutze des Rheins vor Verunreinigung. Aber diese Kommission hat kaum mehr Bedeutung, als daß sie eine beratende Funktion ausübt.
Ich brauche das Problem der Kernkraftwerke nicht mehr zu erwähnen. Auf die Überhitzung des Rheins, die dabei entstehen würde, ist Herr Schmidt eingegangen.
Meine Damen und Herren, der Rhein ist nur eines, allerdings ein wichtiges von vielen gravierenden Beispielen für die Notwendigkeit einer internationalen Gesetzgebung. Genau wie bei uns in einigen Bundesländern gibt es auch in europäischen Ländern durchaus vernünftige Gesetze zum Schutz der Wasserreinhaltung. Aber was nutzen sie, wenn sie nicht angewandt werden und wenn ihre Einhaltung nicht kontrolliert wird, wie ich es schon angedeutet habe. Wir müssen endlich den Anfang mit Gesetzen machen, die für alle Nationen gelten, die an den Rhein grenzen und ihn mit ihren Schiffen befahren. Mag auch das Wort „Umweltschutz" durch seine Aktualität Hysterie, Herr Minister, ausgelöst haben und zu einem schrecklichen Schlagwort degradiert worden sein, so möchte ich dennoch an Sie appellieren, etwas zu tun; denn die Zeit zum Handeln ist nun gekommen. Am Beispiel des Rheins können die Menschen beweisen, ob sie bereit sind, die Qualität der Umgebung des Menschen vor die Quantität des materiellen Erfolgs zu stellen.
Im übrigen, Herr Minister Genscher, hat diese Debatte gezeigt, daß Sie in diesem Hohen Hause eine ganze Menge von Fachleuten haben, die Ihnen bei der Lösung der großen Aufgabe zur Seite stehen werden. Sie sehen die Bereitschaft zum Handeln im ganzen Hause. Sie sehen die Opposition in den
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Dr. Hammans
Startlöchern. Ich möchte Ihnen nur zurufen: Carpe diem, Minister Genscher!
Lassen Sie mich schließen. Ich möchte auf den Entschließungsantrag hinweisen, der Ihnen auf dem grünen Umdruck vorliegt. Es ist ein mehr aktuelles Problem. Es handelt sich um den Entschließungsantrag betreffend den Plan der niederländischen Nachbarn, eine Abwässerdruckleitung, die ungeklärte Industriewässer in die Ems-Mündung leiten soll, und zwar leider Gottes sogar in großen Mengen, zu bauen. Auf die hier auftretenden Folgen brauche ich nicht näher einzugehen. Die CDU/CSU-Fraktion wird dieser Entschließung zustimmen, sie wird sie gern mittragen. Wir wollen hoffen, daß die Holländer ein Zeichen setzen und ihre Pläne vor Inkrafttreten eines internationalen Gesetzes ändern, das ihnen das, was sie vorhaben, sowieso verbieten müßte.
Das Wort hat de, Abgeordnete Peters .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum Abschluß einer ganztägigen Diskussion sehe auch ich mich gezwungen, noch etwas zu dem Entschließungantrag Umdruck 96 zu sagen. Ich bedanke mich dafür, daß er von allen drei Fraktionen unterschrieben wurde. Er befaßt sich mit konkreten Dingen.
In den nordöstlichen Landesteilen der Niederlande findet durch die Einleitung großer Mengen ungeklärter Abwässer seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts eine starke Verschmutzung der Oberflächengewässer statt. Die penetrante Dunstglocke über Stadt und Land hat sich zu einer unerträglichen und der Gesundheit abträglichen Belästigung der Menschen entwickelt. Zur Lösung dieses Fehnkolonial-Abwasserproblems, wie die Niederländer sagen, wurde bisher praktisch nichts unternommen. Die entsprechenden Dienststellen der Niederlande sind jetzt jedoch auf die ausgefallene und, wie ich meine, sonderbare Idee gekommen, die anfallenden Abwässer in einer Größenordnung von 24 Millionen Einwohner-Gleichwerten, also soviel, wie 24 Millionen Menschen täglich produzieren, mit Hilfe einer Druckleitung ungeklärt in das Emsästuar einzuleiten, d. h. man will die größte Dreckdruckleitung der Welt bauen, den Dreck in ein Grenzgewässer einleiten und damit dem Nachbarn vor die Tür kehren. Dieser Nachbar ist der Landesteil Ostfriesland mit seiner Bevölkerung.
Im Gegensatz zu den weltweiten und intensiven Bemühungen um die Reinhaltung von Luft, Wasser und Boden streben die amtlichen niederländischen Stelle eine „Lösung" an, die eine geographische Verlagerung der Verschmutzung aus den eigenen Fehngebieten in das Ems- und Wattengebiet der Nordsee vorsieht. Damit wird allen deutschen Bemühungen um die Reinhaltung der Gewässer und gleichzeitig allen berechtigten Forderungen der Niederländer bezüglich der Sauberhaltung des Rheins, wie ich meine, ins Gesicht geschlagen. Eine Beseitigung der Schmutzstoffe entsprechend dem
Verursacherprinzip wurde dabei von den Niederländern zu keiner Zeit auch nur in Erwägung gezogen.
Weder die bisherigen Verhandlungen zwischen niederländischen und deutschen Delegationen und Ministern noch die deutschen Erklärungen, daß man sich keinesfalls mit der Einleitung ungeklärter Abwässer in das Ems- und Wattengebiet abfinden könne, haben den niederländischen Fachminister und das niederländische Parlament bewegen können, eine wirkliche Lösung zu suchen. Ohne die notwendigen biologischen und ökologischen Forschungen unternommen zu haben, behaupten die Niederländer, daß die Einleitung des Schmutzwassers in der vorgesehenen Größenordnung zu keinerlei Schädigungen im Emsästuar und im Wattengebiet führt. Dieser Auffassung wird seit Jahren von deutschen und niederländischen Wissenschaftlern widersprochen. Aber die niederländischen Dienststellen nehmen die ernsthaften Einwendungen einfach nicht zur Kenntnis. Während neutrale Naturwissenschaftler aus beiden Ländern behaupten, daß die Einleitung derartiger Schmutzmengen zu einem biologisch toten Gewässer führt, behauptet Herr Minister Bakker in Den Haag das Gegenteil, indem er feststellt, man könne den Sauerstoffspiegel auf etwa 50 °/o absenken, ohne daß Schädigungen einträten. Hier ist der Minister — dabei will ich mich sehr vorsichtig und zurückhaltend ausdrücken — mindestens Opfer falscher Information.
Leider ist es so, daß zusätzlich zu der geplanten Druckleitung Abwässer in unbekannter Größenordnung aus den Städten und ,der Industrie in Groningen, Delfzijl, Appingedam und der ganzen Provinz Groningen kommen. Hinzu kommt dann auch noch das in Bau befindliche Kraftwerk Emshaven und die Aufforderung Delfzijls zur Industrieansiedlung mit der Bemerkung, daß man unbegrenzt Abwasser in die Ems ableiten könne.
Ich bin hier aus vielerlei Gründen zur Zurückhaltung gezwungen. Dennoch muß ich berichten, daß eine niederländische Firma vor Wochen ohne Genehmigung deutscher Stellen bei uns begonnen hat, giftige Produktionsrückstände zu verbrennen. Außerdem stellte am 30. November ein deutsches Küstenboot fest, daß in der unteren Ems durch niederländische Tankschiffe täglich 800 bis 1600 t einer stark riechenden bräunlichen Flüssigkeit außenbords gepumpt werden. Es handelt sich um Fabrikabwässer, die — Herr Minister, das wird Sie besonders interessieren — seit drei Jahren mit Genehmigung des Reichswasserstraßenamts Delfzijl im Geltungsbereich des Ems-Dollart-Vertrages eingeleitet werden.
Hier frage ich mich: Was haben wir von diesem Nachbarn, während er hinhaltend mit deutschen Regierungsstellen verhandelt, noch alles zu erwarten, bzw. was werden wir in der Zwischenzeit noch alles erfahren?
Die Durchführung der Pläne für die Druckleitung
— die Holländer selber nennen sie die ,,Smeerpijp"
— brächte, abgesehen von den allgemeinen Folgen für die Umwelt, für Ostfriesland Schäden, die nicht wiedergutgemacht werden könnten. Sie brächte die
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970 4845
Peters
Vernichtung der Küstenfischerei und eine ganz entscheidende Schwächung des Fremdenverkehrs mit einer steigenden Jahreseinnahme zwischen 100 und 200 Millionen DM. Während sich das Gesamtgebiet Ostfrieslands wirtschaftlich zunehmend auf den Fremdenverkehr stützt, sind die Inselgemeinden ausschließlich darauf angewiesen. Voraussetzung des Aufkommens aus dem Ferien- und Urlaubsaufenthalt unserer Gäste sind jedoch das Vorhandensein von sauberen Stränden und unverschmutztem Wasser. Der Wegfall dieser Voraussetzungen entzieht dem ostfriesischen Fremdenverkehr jegliche Grundlage. Wesentliche Beachtung verdient dabei auch der Gesichtspunkt der Erhaltung eines wichtigen Erholungsgebietes für die Menschen der Ballungsräume.
Ein ganz besonderes Problem ist die Gefährdung des Küstenschutzes. Durch das zu erwartende Absterben der Mikroorganismen verändert sich das biologische Gleichgewicht des Wattengebietes so, daß es mit größter Wahrscheinlichkeit vom Wasser abgetragen würde. Die Watten sind jedoch in das bisherige Küstenschutzsystem voll einbezogen. Wenn überhaupt, könnte der natürliche Schutz der Watten nur mit Milliardenbeträgen technisch ersetzt werden.
Man muß mit besonderem Ernst darauf hinweisen, daß zu diesen Problemen des Umwelt-, Küsten-, Fischerei- und Naturschutzes und zu den wirtschaftlichen Schäden für den Landesteil Ostfriesland, die mit dem Projekt des Leitungsbaues verbunden sind, hinzu kommt, daß dabei zusätzlich eine Wettbewerbsverzerrung gigantischen Ausmaßes zwischen deutschen und niederländischen Industrien staatlich finanziert wird. Nach der Verseuchung und Verpestung eigener Landesteile sollen die Industriebetriebe der Niederlande nunmehr auf Staatskosten deutsche Gewässer und Landesteile verseuchen dürfen. Diese Absicht ist so verwerflich, daß man Mühe hat, die parlamentarische Sprachregelung nicht zu verletzen.
Entgegen den Ergebnissen der letzten Regierungsverhandlungen am 24. September dieses Jahres, die ein beiderseitiges Stillhalten bis zum Vorliegen weiterer wissenschaftlicher Daten vorsahen, haben das Provinzialparlament in Groningen und die Zweite Kammer in Den Haag finanzielle Beschlüsse zur Verwirklichung des Projekts der Druckleitung gefaßt. Ich muß in Anbetracht dieser Tatsachen Zweifel an der niederländischen Absicht äußern, mit der Bundesrepublik ein beiderseitig befriedigendes Ergebnis in der Sache überhaupt anzustreben.
Während in allen führenden Industrienationen große Anstrengungen unternommen werden, um die Umwelt zu schützen, wollen die Niederlande ein inländisches Problem, das im wahren Sinne des Wortes zum Himmel stinkt, auf Kosten der Nachbarn lösen. Dagegen muß auch dieses Haus protestieren. Die Bundesregierung wird den Landesteil Ostfriesland nur dann vor den befürchteten Beeinträchtigungen bewahren können, wenn sie alle politischen und rechtlichen Möglichkeiten voll ausschöpft. Die Annahme der vorliegenden Entschließung wird ihr dabei helfen können. Ich bitte deshalb um Ihre Zustimmung.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen damit zu den Einzelabstimmungen.
Ich rufe Punkt 3 a zur Abstimmung auf. Der Altestenrat empfiehlt Überweisung an den Rechtsausschuß als federführenden Ausschuß und zur Mitberatung an den Innenausschuß. Wer dem Vorschlag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um sein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 c zur Abstimmung auf. Der Altestenrat empfiehlt Überweisung an den Innenausschuß als federführenden Ausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit sowie an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Wer diesem Überweisungsvorschlag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Nun rufe ich den Entschließungsantrag zu den Punkten 3 a bis 3 c auf. Ich nehme an, daß kein Überweisungswunsch vorliegt, so daß wir gleich zur Abstimmung kommen können. Wer diesem Entschließungsantrag auf Umdruck 96 `) seine Zustimmung geben will, den bitte ich um sein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist einstimmig so beschlossen.
Nunmehr komme ich zu Punkt 3 d, also zu dem Entwurf eines Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm in der Umgebung von Flughäfen. Ich lasse über die §§ 1 bis 13 a in zweiter Beratung abstimmen. Wer diesen Paragraphen die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Zu § 14 liegt der Antrag auf Umdruck 97 **) vor. Zur Begründung hat Herr Abgeordneter Niegel das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf darauf hinweisen, daß sich der Änderungsantrag auf Umdruck 97 auf die §§ 32 a und 32 b des Luftverkehrsgesetzes bezieht, die durch § 14 Nr. 5 des vorliegenden Gesetzentwurfs geändert werden sollen. Meine Ausführungen beziehen sich auf beide Teile unseres Antrages.
Es geht darum, daß beim Bundesminister des Innern und beim Bundesminister für Verkehr ein Beratender Ausschuß zum 'Schutz gegen Fluglärm gebildet werden soll. Außerdem soll jeweils eine Kommission gebildet werden, wenn neue Flugplätze geschaffen werden. Diesen Kommissionen bzw. diesem Ausschuß soll eine Reihe von Institutionen und Ver-
*) Siehe Anlage 2 **) Siehe Anlage 3
4846 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970
Niegel
tretern angehören. Vertreter der Organisationen der Grundeigentümer sind als Mitglieder des Ausschusses bzw. der Kommissionen bisher nicht vorgesehen. Es hat sich herausgestellt, daß die Grund- und Hauseigentümer von der Neuanlage von Flugplätzen besonders stark betroffen sind. Durch die Lärmbelästigung sind sie sehr stark betroffen. Außerdem wird der Wert der Grundstücke durch diese Belästigung gemindert. Deshalb sollte man diese Gruppe sowohl in den Ausschuß als auch in die Kommission mit aufnehmen. Ich bin der Meinung, daß es viel besser ist, wenn man diese Gruppe von Betroffenen mit dabei hat, mit ihnen die Probleme erörtert, als daß sie draußen vor der Tür stehen und dann möglicherweise zu Protestaktionen greifen, wie es dieser Tage im Landkreis Erding der Fall war, wo ein neuer Flughafen für München errichtet wird.
Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen, auch unter dem Motto: Wenn wir mehr Demokratie wollen, sollten wir die Betroffenen hier mit aufnehmen.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Umdruck 97. Wer ihm die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Der Antrag auf Umdruck 98 *) ist zurückgezogen.
Wir stimmen über § 14 in der Ausschußfassung ab. Wer dem § 14 die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig beschlossen.
Wir stimmen weiter über die §§ 14 a, 15, Einleitung und Überschrift ab. Wer die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Einstimmig so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Gesetz in dritter Beratung seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Wir kommen zu Ziffer 2 des Ausschußantrags, nach der der Antrag auf Drucksache VI/7 für erledigt erklärt werden soll. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Zu Ziffer 3 des Ausschußantrags liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 99 **) vor. Zur Begründung hat Herr Abgeordneter Bremer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine kurze Begründung. Herr Kollege Konrad hat vorhin das soeben verabschie-
*) Siehe Anlage 5 **) Siehe Anlage 4
dete Gesetz als einen bemerkenswerten Fortschritt hingestellt, und ich stimme dem voll und ganz zu.
Aber wir wissen alle miteinander, meine Damen und Herren: das Gesetz läßt eine ganze Menge Wünsche offen, Wünsche, die offenbleiben mußten, weil sonst einfach der Haushalt überfordert werden würde. Ich erwähne nur als Beispiel, daß wir in dieses Gesetz hineingeschrieben haben, daß ein Bauverbot für die Schutzzone I ausgesprochen werden kann. Wir räumen jedoch den dort Lebenden keine Möglichkeit ein, mit öffentlicher Entschädigung sich auszusiedeln. — Dieses Beispiel mag für andere stehen. Der Grund liegt immer nur darin, daß wir mit Rücksicht auf die hohen Aufwendungen, die diese bereits bestehenden Flughäfen auslösen würden, eine kleinere, bescheidenere Lösung wählen müssen.
Es liegt daher sehr nahe, daß wir einmal miteinander überlegen — und der Regierung diese Überlegung aufgeben! —, ob nicht — jedenfalls für neu anzulegende Flughäfen — das verwirklicht werden kann, was wir unter einem modernen Umweltschutz verstehen. Damit ist naturgemäß auch die Frage des Gleichheitsgebotes angesprochen. Hierüber mag die Regierung einmal nachdenken und uns mit ihrem Bericht in zwei Jahren das Ergebnis ihrer Nachprüfung übermitteln.
Mit dem Antrag soll erreicht werden, daß wir für neue Flughäfen möglichst Vorstellungen des modernen Umweltschutzes verwirklichen können. Daher bitte ich Sie herzlich — auch wenn Sie wie ich weiß, zum Teil Bedenken haben —, mit Rücksicht auf die Bevölkerung, die in der Nähe der bereits bestehenden Flugplätze lebt, dem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Umdruck 99. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke. Bitte die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Damit kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag. Wer diesem Entschließungsantrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke sehr. Bitte die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Wir stimmen nun über den Antrag ab, die zu der Vorlage eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke sehr. Bitte die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe jetzt Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister
— Drucksache VI/477 —
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970 4847
Vizepräsident Frau Funcke
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache VI/ 1560 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Hauser
b) Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform
— Drucksache VI/1550 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Eyrich
Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus
Wird dazu das Wort begehrt? — Das ist nicht der Fall.
Dann stimmen wir in zweiter Lesung über die §§ 1 bis 71, Einleitung und Überschrift ab. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Bitte die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen nun zur
dritten Beratung
des Gesetzentwurfs. Wird das Wort dazu gewünscht? — Bitte Herr Abgeordneter Eyrich.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion darf ich zu dem vorliegenden Gesetzentwurf folgende Stellungnahme abgeben.
Die Fraktion der CDU/CSU wird der durch den Sonderausschuß für die Strafrechtsreform nicht unerheblich geänderten und erweiterten Gesetzesvorlage in ihrer Mehrheit zustimmen. Sie tut das in der Erkenntnis, daß mit dem Entwurf eine weitgehende Vereinbarung zwischen dem öffentlichen Interesse einerseits und dem Interesse des straffällig Gewordenen andererseits zustande gekommen ist.
Die Konfliktsituation, die bei einem solchen Gesetzgebungsverfahren unvermeidbar ist, konnte im Wege eines — so scheint es mir — vernünftigen Kompromisses gelöst werden.
Erstens. Die Vereinheitlichung des Registerwesens in einer Behörde, die mit den neuesten technischen Mitteln der Datenverarbeitung ausgerüstet sein wird, gibt die Gewähr einer schnelleren Übermittlung der Daten und führt damit zu einer rascheren und besseren Unterrichtung der Strafverfolgungsbehörden für deren — auch im Interesse des schutzwürdigen Bürgers — oftmals kurzfristig zu treffenden Entscheidungen. Jeder Praktiker weiß, wie notwendig eine rasche Unterrichtung des Gerichts gerade bei Haftsachen ist, und zwar nicht nur um der Effektivität willen, sondern auch zur Vermeidung von Entscheidungen, die besonders drastisch in das Leben eines Bürgers eingreifen.
Zweitens. Die gefundene Lösung entspricht aber auch dem Erfordernis der Resozialisierung des Täters. Die Unterscheidung zwischen einem privaten Führungszeugnis, dem sogenannten Behördenführungszeugnis und der Auskunftserteilung nur an Gerichte und Staatsanwaltschaften ermöglichte es in besonderer Weise, dem Anliegen der Resozialisierung auch in diesem Gesetz gerecht zu werden. Der Ausschuß ist dabei so weit gegangen, wie es mit der wirksamen Funktion eines Zentralregisters und der Auskunftserteilung vereinbar ist. Wir stimmen dem Bemühen zu, einerseits die schutzwürdigen Interessen etwa des Arbeitgebers zu wahren, andererseits aber dem Bestraften die Chance zu geben, nach Verbüßung der Strafe und einem gewissen, gegenüber der jetzigen Regelung stark verkürzten Zeitablauf wieder in ein Arbeitsverhältnis zu gelangen. Dabei — und das ist ganz besonders anzumerken — sind die Interessen der Jugendlichen ganz besonders stark berücksichtigt worden.
Soweit es von diesem Gesetz abhängt, ist alles getan worden, was die Resozialisierung eines straffällig Gewordenen ermöglichen kann. Das kann uns alle nicht darüber hinwegtäuschen — gestatten Sie mir, daß ich diese Bemerkung zu diesem Problem mache —, daß das Gesetz insofern nur eine Hilfe für eine Aufgabe bieten kann, die letztlich von unserer Gesellschaft in ihrer Gesamtheit heute mehr denn je gelöst werden muß.
Die Entscheidung über eine wirksame Resozialisierung kann nicht dieses Gesetz herbeiführen; sie ist der gesamten Gesellschaft überantwortet.
Es ist keine Frage, meine Damen und Herren: Nicht alle Anregungen konnten in dem Gesetz ihren Niederschlag finden. Lassen Sie mich aber insbesondere zu zwei ganz entscheidenden Punkten, die in diesem Gesetz geregelt worden sind, kurz Stellung nehmen.
Von vielen Seiten, insbesondere von der Ärzteschaft, ist gerügt worden, daß Einweisungen psychisch Kranker in Heil- und Pflegeanstalten auf Grund von Landesgesetzen im Zentralregister eingetragen werden sollen. Die Gruppe, die diese Auffassung vertritt, sieht in einer solchen Maßnahme des Gesetzes eine Diskriminierung der Menschen, deren Rehabilitation mehr als die aller anderen eine vordringliche Aufgabe sei.
Ich kann Ihnen versichern, daß es sich der Ausschuß nicht leicht gemacht hat, in dieser Frage zu einer vernünftigen und praktikablen Lösung zu gelangen. Niemand wird gerade die Forderung, die von seiten der Ärzte erhoben worden ist, in den Wind schlagen wollen. Wir meinen demgegenüber aber, daß es keine Diskriminierung darstellt, wenn wir diese Tatsachen in das Zentralregister eintragen. Es ist im Interesse der Menschen, die eingewiesen worden sind, geradezu erforderlich, daß etwa die Strafverfolgungsbehörden von ihrer früheren Krankheit wissen. Aus der Erfahrung darf ich Ihnen sagen, daß in der Regel jede Entscheidung eines Gerichts oder einer Staatsanwaltschaft für diese Gruppe günstiger sein wird, als sie es sein könnte, wenn Staatsanwaltschaft und Gericht von diesen Umständen keine Kenntnis hätten.
4848 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970
Dr. Eyrich
Die CDU/CSU-Fraktion hat für das Anliegen mancher sachverständigen Kollegen aus ihren eigenen Reihen und auch für das Anliegen des Kollegen Dr. Bardens Verständnis, glaubte aber aus den dargelegten Gründen, eine andere Regelung nicht treffen zu können.
In einer anderen Frage vermag die Fraktion der CDU/CSU diesem Gesetzentwurf allerdings nur unter starken Bedenken zuzustimmen. Es handelt sich darum, daß die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt im Zusammenhang mit einer mit Strafe bedrohten Handlung nicht ins Führungszeugnis aufgenommen werden soll. Durch eine Anordnung des Gerichts, nach der der Täter in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht wird, ist die Gemeingefährlichkeit des Betroffenen in der Regel festgestellt. Es ist nicht in jedem Falle sicher, ob mit der Entlassung auch eine endgültige Heilung des Betroffenen verbunden ist.
Wenn dem aber so ist, dann muß z. B. auch der private Arbeitgeber bei der Einstellung eines solchen Menschen wissen, wie es um ihn steht. Ich meine, daß es viel besser ist, wenn der Arbeitgeber von Anfang an davon Kenntnis hat, wie es um diesen Menschen steht, als wenn dieser Betroffene dauernd in der Gefahr leben muß, daß frühere Einweisungen dem Arbeitgeber doch noch bekanntgemacht werden und er dann letztlich möglicherweise mit der Entlassung aus seinem bisherigen Arbeitsverhältnis zu rechnen hätte.
Außerdem ist an dieser Stelle doch immerhin anzumerken, daß wir sehr darauf achten müssen, daß das Führungszeugnis im wesentlichen die wichtigen Umstände enthält, die erforderlich sind, um sich ein Urteil über den Betreffenden zu machen. Es geht im Grunde um das Vertrauen, das die Bevölkerung und die Arbeitgeber in dieses Register haben können.
Meine Damen und Herren, wir sehen davon ab, einen Änderungsantrag in dieser Sache zu stellen, glauben aber, daß die weitere Entwicklung mit großer Aufmerksamkeit verfolgt werden muß, um notfalls den Gesetzgeber nochmals mit dieser Frage zu befassen.
Alles in allem, meine Damen und Herren, wir werten trotz dieser dargestellten Probleme dieses Gesetz als einen Schritt zu einer größeren Effektivität des Registers und zu einer wirksamen Resozialisierung. Deshalb stimmen wir diesem Gesetz zu.
Das Wort hat der Abgeordnete de With.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat der Strafrechtssonderausschuß in 14 Sitzungen die Vorlage der Bundesregierung für ein Bundeszentralregistergesetz behandelt. Dem Schriftlichen Bericht des Ausschusses hat der Bundestag, soweit er in diesem Ausschuß vertreten ist, einstimmig zugestimmt. Ich freue mich über die Ankündigung des Kollegen Eyrich, die besagt, daß seine Fraktion auch im Plenum mit der Mehrheit der Stimmen dem Gesetz zustimmen wird.
Gleichwohl handelt es sich hier um ein echtes Reformgesetz von weittragender gesellschaftspolitischer Bedeutung. Das Bundeszentralregistergesetz verwirklicht wiederum ein Stück der von der Bundesregierung angekündigten Reformen im Strafrechtswesen. Reform des Strafrechts soll nicht nur Reform des Strafgesetzbuches oder Änderung der Strafprozeßordnung bedeuten; sie bedeutet auch Reform der Vorschriften, die die Verhältnisse des Staates zum Bürger regeln, nachdem die Strafverfolgungsbehörden gesprochen haben, also Reform des Strafvollzuges, die noch in dieser Legislaturperiode durchgeführt werden soll, Reform des Rechts der unschuldig Verfolgten — das Gesetz haben Sie in der vergangenen Woche verabschiedet — und Reform des Strafregisterwesens.
Die Vorlage des Strafrechtssonderausschusses hat die wesentlichen Grundabsichten der Bundesregierung unangetastet gelassen. Der Ausschuß hat jedoch sehr viele Vorschriften bei einem technisch sehr schwierigen Gesetz nicht unwesentlich geändert. In einigen Punkten ist der Ausschuß zugunsten der Betroffenen dabei nicht unerheblich über die Vorschläge der Bundesregierung hinausgegangen. Der Entwurf bringt Ihnen in der vorliegenden Fassung in formeller und materieller Hinsicht gegenüber dem geltenden Recht folgende wesentliche Verbesserungen:
Zum Formellen!
1. Der Entwurf beseitigt die bisher hier bestehende Rechtszersplitterung. Er vereinigt in einem Gesetz die Bestimmungen der Strafregisterverordnung, des Gesetzes über die beschränkte Auskunft aus dem Strafregister, gewisse registerrechtliche Vorschriften des Jugendgerichtsgesetzes, die Bestimmungen über die gerichtliche Erziehungskartei und eine Reihe von Vorschriften über polizeiliche Führungslisten.
2. Der Entwurf faßt die derzeit beinahe 100 Strafregister zu einem Register, dem Bundeszentralregister in Berlin, zusammen.
3. Dieses Register wird schließlich mit einer elektronischen Datenverarbeitungsanlage ausgerüstet, im Gegensatz zu dem heute noch vorherrschenden Handbetrieb, wodurch in Zukunft alle Anfragen noch am Tage des Einganges erledigt werden können.
Zum Materiellen.
Aufgabe ist und bleibt es, mit dem Register dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft zu entsprechen und dabei trotzdem die Wiedereingliederung der Betroffenen zu gewährleisten. Bisher war jedoch generell — wobei es einige Lücken gab — dem Sicherheitsbedürfnis zu sehr entsprochen und der Notwendigkeit der Wiedereingliederung zu wenig Rechnung getragen worden.
1. Das Recht des Betroffenen auf Auskünfte, die ihn betreffen, wird in Zukunft gestärkt. Der Kreis derer, die Auskunft erhalten können, wird zugunsten des Betroffenen eingeschränkt.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970 4849
Dr. de With
Nach dem neuen Recht wird es das Privatführungszeugnis, das Behördenführungszeugnis und die unbeschränkte Auskunft für Strafverfolgungsbehörden usw. geben. Damit verschwindet das bisherige polizeiliche Führungszeugnis mit dem eingeschränkten Anspruch auf Auskunft und den Fehlerquellen, die sich aus dem Nebeneinander von Strafregister und polizeilichen Führungslisten ergaben.
In Zukunft hat der Bürger mit dem Privatführungszeugnis einen unbeschränkten Anspruch auf Auskunft. Diese ist allerdings eingeschränkt. Bei berechtigtem Interesse kann der Bürger über den Generalbundesanwalt jedoch auch unbeschränkte Auskunft erhalten. Damit verliert das Register weitgehend den Charakter einer „schwarzen Liste" für den Burger.
Wenn normalerweise eine Behörde ein Führungszeugnis benötigt, muß sie dies in Zukunft dem Bürger mitteilen. Dieser kann dabei sein Führungszeugnis einsehen, ehe das Zeugnis in die Hände der Behörde kommt, und der Bürger kann dabei verlangen, daß es vernichtet wird, um zu verhindern, daß die Behörde über ihn Auskunft erhält. Die Behörde kann direkt ein Führungszeugnis über einen Bürger nur dann verlangen, wenn das für hoheitliche Aufgaben erforderlich ist und der Bürger ein Führungszeugnis trotz Aufforderung nicht eingereicht hat oder aber das „Direkterholen" der Behörde sachgemäß erscheint.
Im übrigen erhalten die Strafverfolgungsbehörden und obersten Bundes- und Landesbehörden wie bisher unbeschränkt Auskunft. Das Weitergaberecht dieser obersten Behörde ist jedoch im Gegensatz zum alten Recht wesentlich eingeschränkt.
2. Im Sinne einer umfassenderen Sicherung werden Maßnahmen mehr als bisher eingetragen. Wem ein Waffenschein versagt wurde oder wem das Ausbilden von Lehrlingen verboten ist, über den wird es in Zukunft im Bundeszentralregister einen Eintrag geben. Denn es ist nicht einzusehen, warum derartige Personen für die Allgemeinheit weniger gefährlich sein sollen als irgendwelche „kleineren" Vorbestrafte. Eingetragen werden aber auch Personen, die auf Grund richterlichen Beschlusses nach Landesrecht verwahrt werden, also die bereits erwähnten psychisch Kranken.
Im Gegensatz zum ursprünglichen Entwurf der Bundesregierung sind hier jedoch wesentliche Einschränkungen vorgenommen worden. Einmal kann — das ist die größte Einschränkung, die unsere Vorlage kennt — Auskunft über Einträge insoweit nur durch die Staatsanwaltschaften und durch die Gerichte verlangt werden, und darüber hinaus kann Tilgung erfolgen, wobei ein in der Psychiatrie erfahrener Sachverständiger beigezogen werden soll. Dadurch, glauben wir, ist einmal dem Sicherheitsbedürfnis Rechnung getragen worden, zum anderen aber auch dem Bedürfnis der psychisch Kranken zur Rehabilitation.
3. In Zukunft darf sich — im großen und ganzen — der Ersttäter der wirklich kleinen Kriminalität als nicht vorbestraft bezeichnen, weil seine Tat in aller Regel in das Führungszeugnis nicht aufgenommen
wird. Die Tilgungsfristen werden gegenüber dem heutigen Recht erheblich verkürzt. Damit wird dem begegnet, was unter dem Schlagwort Eingang in die Gazetten fand, die Bundesrepublik werde zum Land der Vorbestraften.
Ein Beispiel mag den Unterschied erhellen. Wer als Pkw-Fahrer einen alten Rentner anfährt und wegen dessen Strafantrages vom Gericht einen Strafbefehl über 100 DM Geldstrafe, ersatzweise zehn Tagen Freiheitsstrafe, wegen fahrlässiger Körperverletzung erhält, wurde nach altem Recht zehn Jahre in das Strafregister eingetragen, und während einer Frist von fünf Jahren galt er vorbehaltslos als vorbestraft. Nach dem beabsichtigten Recht wird er, falls er Vorstrafen nicht aufweist, sich als nicht vorbestraft bezeichnen dürfen, weil diese Tat in das polizeiliche Führungszeugnis nicht aufgenommen wird.
Abschließend kann man sagen, daß mit diesem Gesetz — ohne das Sicherheitsbedürfnis zu beeinträchtigen — endlich dem Gedanken der Rehabilitation in einer unserer Zeit entsprechenden Form Bahn gebrochen wurde. Damit wurde einer alten Forderung der Sozialdemokraten entsprochen. Damit kam aber auch eine Entwicklung zum Abschluß, die erst 1911 durch die Forderungen Lilienthals, Kahls, Liszts und Goldschmidts nach der Rehabilitation durch Fristablauf begonnen und schon 1920 — also während der Weimarer Republik — durch das Gesetz über beschränkte Auskunft aus dem Strafregister und die Tilgung von Strafvermerken Gestalt gewonnen hatte. Seitdem, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind 50 Jahre verflossen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Diemer-Nicolaus.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Drucksache VI/1550 ist umfangreich; die Beratungen über dieses Gesetz waren langwierig und umfangreich; die Bedeutung dieses Gesetzes für die Allgemeinheit ist groß und erheblich, und trotzdem haben wir heute abend nur eine relativ kurze Aussprache über dieses Gesetz. Warum? Weil sich alle Parteien, die hier im Bundestag vertreten sind, darüber einig waren, daß wir ein modernes Gesetz brauchen, daß wir die Zentralisierung brauchen, daß wir vor allen Dingen im Hinblick auf die Resozialisierung eine Abkürzung der Fristen brauchen. Deswegen waren auch die Beratungen nicht irgendwie parteipolitisch gefärbt, sondern es waren sachliche Beratungen, um hier gemeinsam ein Gesetz zu schaffen und zwar ein modernes Gesetz, ein auch technisch modernes Gesetz.
Meine beiden Vorredner haben im einzelnen schon zu den Problemen Stellung genommen und die wesentlichen Verbesserungen vorgetragen. Ich möchte in Ergänzung dazu nur noch auf folgendes aufmerksam machen: Wir haben uns Mühe gegeben, dieses technisch moderne Gesetz zu schaffen, indem wir auch nach Wien gereist sind und uns dort die Ein-
4850 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970
Frau Dr. Diemer-Nicolaus
richtungen eines Computers angesehen haben. Dort gibt es schon ein derartiges Zentralregister.
Ich habe kürzlich in der Presse — ich weiß nicht mehr, in welcher — einen Artikel über die Computergerechtigkeit so im Zeichen einer Entrüstung gelesen. Ein Computer könne doch keine Gerechtigkeit schaffen. Ich möchte hier eindeutig klarstellen: Das ist auch nicht die Absicht. Aber wir müssen heute, wenn wir nachher Computer wirksam einsetzen wollen, uns bei der Fassung der Gesetze Mühe geben, so daß sie auch computergerecht gemacht werden, damit die Computer uns auch nachher die entsprechende Unterstützung und Hilfe leisten können, die wir erwarten.
Wir als Freie Demokraten haben wiederholt gefordert, daß die Ergänzung unserer Strafrechtsreform durch eine Modernisierung gerade dieses Strafregisterwesens erfolgt. Wir sind befriedigt, daß das so relativ früh schon in dieser Legislaturperiode geschehen konnte, und wir werden dem Gesetz gern unsere Zustimmung geben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller-Emmert.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich halte nicht lange auf; ich habe nur ganz kurz einiges zu sagen, und zwar in meiner Eigenschaft als Vorsitzender des Strafrechtsausschusses.
Wenn Gesetze, die besondere Schwierigkeiten gemacht haben und die auch eine wichtige Materie lösen, verabschiedet werden, ist es meines Erachtens notwendig, darauf hinzuweisen, daß ein gutes Werk gelungen ist und daß die Zusammenarbeit gerade bezüglich dieses Gesetzes in unserem Ausschuß besonders gut war.
Ich benutze die Gelegenheit, allen Kollegen, insbesondere auch den Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, sehr herzlich dafür zu danken, daß wir uns gemeinsam an diese schwierige Materie gemacht und damit wohl ein Gesetz geschaffen haben, mit dem wir alle zufrieden sein können.
Ich bedanke mich auch namens des Ausschusses — das darf ich wohl sagen, weil das auch eine besonders schwierige Arbeit war — bei den Mitarbeitern unseres Ausschusses, bei den Herren Maier und Rischau. Ich bedanke mich auch bei den Herren des Ministeriums, die unermüdlich mitgewirkt haben, so daß ein vernünftiges Gesetz zustande kam. Der Ausschuß — ich glaube, das muß auch deutlich herausgestellt werden — hat den Regierungsentwurf in entscheidenden Punkten geändert und eine mühevolle Beratung hinter sich gebracht.
Als Letztes darf ich sagen, daß die Hinweise von Herrn Kollegen Eyrich nach meiner vollen Überzeugung richtig sind, die dahin gehen, daß dieses Gesetz dann tot ist, wenn nicht die Bevölkerung mitarbeitet und von sich aus erkennt, daß die Bemühungen um die Resozialisierung unbedingt notwendig sind.
Bei der Vorbereitung der Beratungen habe ich im Straftilgungsgesetz aus dem Jahre 1920 einen Satz gefunden, den ich zum Abschluß vorlesen möchte. Er zeigt deutlich, welche Schwierigkeiten auch schon damals bestanden. Er zeigt deutlich, daß das Problem der Resozialisierung eine Aufgabe ist, vor die wir immer gestellt sind. Damals hieß es in der Begründung zu diesem Entwurf:
Eine gründliche Abhilfe gegen die Mißstände der Erschwerung der Eingliederung straffällig Gewordener ist nur im Wege einer fortschreitenden Aufklärung des Volkes und einer Läuterung der sittlichen Auffassung von den Pflichten möglich, die der einzelne und die Gesamtheit auch gegenüber vorbestraften Personen haben.
Ich glaube, dieser Appell gilt auch heute noch. Wir sollten uns in der Zukunft nach ihm richten.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Jahn.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Mit dem Bundeszentralregistergesetz wird ein weiteres wichtiges Teilstück moderner Rechtspolitik verwirklicht. Nach jahrelanger Vorbereitung hat die Bundesregierung dem Hohen Hause zu Beginn dieses Jahres einen Entwurf vorgelegt, der das Strafregisterrecht auf eine neue Grundlage stellen soll. Das Ihnen jetzt zur Verabschiedung vorliegende Gesetz hat zwei Schwerpunkte: einen organisatorischen und einen grundsätzlich rechtspolitischen.
In der Bundesrepublik Deutschland ist das Strafregisterwesen derzeit auf fast 100 Strafregister bei den einzelnen Staatsanwaltschaften verteilt. Nunmehr wird diese Vielzahl der noch in veralteten Karteien geführten Strafregister zusammengefaßt. Ihre Aufgabe übernimmt ein einheitliches Bundesstrafregister mit einer elektronischen Datenverarbeitungsanlage in Berlin. Dadurch wird es neben der erwünschten Verwaltungsvereinfachung möglich werden, die erforderlichen Auskünfte wesentlich schneller als bisher zu erteilen. Das wird auch dazu führen, zugleich die Kriminalität wirkungsvoller zu bekämpfen.
— Drucksache VI/1568 —
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jungmann, Burger und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes
— Drucksache VI/1562 —
11. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Zuwiderhandlungen gegen weinrechtliche Vorschriften der Europäischen Gemeinschaf ten
— Drucksache VI/ ... —
Es handelt sich um von Mitgliedern des Hauses und der Bundesregierung eingebrachte Gesetzentwürfe. — Das Wort zu den einzelnen Punkten wird nicht gewünscht.
Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats ersehen Sie aus der Tagesordnung. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Demnach sind die Gesetzentwürfe wie folgt überwiesen worden:
zu Punkt 8: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend —, Ausschuß für Bildung und Wissenschaft, Innenausschuß,
zu Punkt 9: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit,
zu Punkt 10 Buchstaben a und b: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend —, Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung,
zu Punkt 11: Rechtsausschuß — federführend —, Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Ich rufe jetzt Punkt 12 der heutigen Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Rollmann, Burger, Frau Stommel, Josten und Genossen
betr. Vorlage eines Änderungsgesetzes zum Ausbildungsförderungsgesetz
— Drucksache VI/ 1572 —
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rollmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch die besonderen Bewilli-
4854 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970
Rollmann
gungsbedingungen für die Vergabe von Bundesmitteln zur Förderung von Studenten an den wissenschaftlichen Hochschulen vom 19. November 1970 werden die Förderungssätze des Honnefer Modells zum 1. Januar 1971 erhöht. Wir haben den Antrag eingebracht, weil wir der Meinung sind, daß zum 1. Januar nicht nur die Studenten an den wissenschaftlichen Hochschulen, sondern auch die Schüler und Studenten an Fachschulen, Berufsaufbauschulen, Abendrealschulen, Abendgymnasien und Kollegs in den Genuß einer höheren Förderung kommen sollten.
Uns veranlaßt dazu das Prinzip der gleichmäßigen Förderung der jungen Generation, in welcher Ausbildung auch immer sie sich befinden mag, das wir für richtig halten und vertreten. Die Verbesserung der Förderung dieser Schüler und Studenten soll nicht nur die Erhöhung des Förderungsmeßbetrages, sondern auch — wie beim Honnefer Modell — die Erhöhung der Freibeträge umfassen.
Mit diesem Antrag wollen wir die Bundesregierung dazu veranlassen, umgehend einen entsprechenden Gesetzentwurf im Parlament einzubringen, damit die Verbesserung der Förderung dieser Schüler und Studenten, wenn auch nicht mehr am 1. Januar, dann doch aber wenigstens rückwirkend zum 1. Januar in Kraft treten kann. Es ist für uns ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit, daß wir hier für die Schüler und Studenten an den eben bezeichneten Bildungseinrichtungen in der gleichen Weise eintreten, wie wir bisher immer für die Studenten an den wissenschaftlichen Hochschulen und ihre Förderung eingetreten sind.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hauck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der soeben begründete Antrag der CDU/CSU-Fraktion rennt offene Türen ein. Auch der Kollege Rollmann war in der Ausschußsitzung am 10. Dezember 1970 dabei, als der Staatssekretär Westphal mitteilte, daß sofort nach dem Beschluß der Ministerpräsidenten, die die Sätze des Honnefer Modells angehoben haben, auch die Bundesregierung an die Arbeit gegangen ist, um eine Gesetzesinitiative zu ergreifen.
— Er war aber noch nicht bei der Antragstelle. Ich habe ihn damals auch gesehen.
Nun, der Antrag wird unserem Ausschuß überwiesen. Wir sind derselben Meinung. Die Regierung arbeitet daran. Das ist eine gute Sache, um die Chancengleichheit — so wie von Ihnen gefordert — zu erreichen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Altestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit als federführendem Ausschuß und zur Mitberatung den Ausschüssen für Arbeit und Sozialordnung und für Bildung und Wissenschaft sowie dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 13 der heutigen Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den 8. Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen der EWG-Marktorganisationen auf dem Agrargebiet für die Zeit vom 1. Juli 1968 bis 31. Dezember 1969
— Drucksachen VI/776, W1577 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schmidt .
Das Wort hat der Herr Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, ganz kurz einige Bemerkungen als Berichterstatter, weil es darüber einen schriftlichen Text nicht gibt.
Die beiden mitberatenden Ausschüsse, der Ausschuß für Wirtschaft und der Haushaltsausschuß, haben diesen Bericht ebenfalls zur Kenntnis genommen und das Votum des Ernährungsausschusses unter Nr. 2 gebilligt. Mit diesem Beschluß heben wir den Beschluß des Bundestages von 1962 auf. Damals wurde dieser Bericht geschaffen. Er war nützlich, wurde von Jahr zu Jahr umfangreicher, sachlicher und besser, eine Fundgrube für alle, die sich mit der europäischen Integration befassen und daraus etwas lernen wollten. Insbesondere war dabei das EWG-Chinesisch zu lernen. Ich meine, eine bessere Lektüre über diese Fragen hat es kaum gegeben. Man sollte an dieser Stelle den Mitarbeitern des BML dafür Dank sagen.
Mit dem heutigen Beschlußvorschlag in Drucksache VI/ 1577 wird dieser Bericht mit dem Bericht über die Lage der Landwirtschaft — sprich: Grüner Bericht — zusammengefaßt. Wir meinen, daß die Integration so weit fortgeschritten ist, daß sich diese beiden Berichte ergänzen und wiederholen müßten. Daher wünschen wir die Zusammenfassung in einen Bericht. Die Regierung hat zugesagt, daß sie diesen Wunsch bereits bei dem nächsten Bericht, der am 15. Februar fällig ist, berücksichtigen wird.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort wird nicht mehr begehrt. Wer dem Antrag des Ausschusses mit den Nr. 1 und 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe die Punkte 14 bis 21 der heutigen Tagesordnung auf:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970 4855
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
14. Beratung des Mündlichen Berichts des Innenausschusses über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (Euratom) des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der Sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Kernforschungsstelle, die in Belgien dienstlich verwendet werden
— Drucksachen VI/1346, VI/ 1571 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Schäfer
15. Beratung des Mündlichen Berichts des Innenausschusses über den Bericht der Bundesregierung
betr. NATO-Truppenstatut und Zusatzvereinbarungen;
hier: Abkommen zwischen ,der Bundesrepublik Deutschland, Kanada und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland über die Durchführung von Manövern und anderen Übungen im Raum SoltauLüneburg vom 3. August 1959
— Drucksachen VI/1073, VI/1575 —
Berichterstatter: Abgeordneter Berger
16. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Entwurf der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Durchführung einer Stichprobenerhebung über Arbeitskräfte
— Drucksachen VI/1395, VI/1578 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Müller
17. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU
betr. Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden
— Drucksachen VI/1360, VI/ 1588 —
Berichterstatter: Abgeordneter Haar
18. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für
— eine Richtlinie des Rates über die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für die selbständigen Tätigkeiten des Reisegewerbes
— eine Richtlinie des Rates über die Einzelheiten der Übergangsmaßnahmen auf dem
Gebiet der selbständigen Tätigkeiten des Reisegewerbes
— Drucksachen VI/ 1026, VI/ 1564 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Luda
19. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für einige selbständige Tätigkeiten (aus Hauptgruppe 01 bis Hauptgruppe 90 CITI)
— Drucksachen VI/291, VI/1565 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Luda
20. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über die Harmonisierung der wesentlichen Bestimmungen auf dem Gebiet der Deckung von kurzfristigen Risiken (Politischen Risiken) öffentlicher und privater Käufer
— Drucksachen VI/789, VI/1569 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Sprung
21. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates über die Anwendung von Artikel 85 Absatz (3) des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen
eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 17
— Drucksachen VI/982, VI/1580 — Berichterstatter: Abgeordneter Lenders
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall.
Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber über die Ausschußanträge gemeinsam abstimmen? — Das ist der Fall.
Wer den Ausschußanträgen auf den Drucksachen VI/ 1571, VI/1575, VI/1578, VI/ 1588, VI/ 1564, VI/ 1565, VI/1569 und VI/1580 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Nunmehr rufe ich Punkt 22 auf:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft
über die von der Bundesregierung erlassene
Verordnung zur Änderung des Deutschen
4856 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Teil-Zolltarifs
über die von der Bundesregierung erlassene Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksachen VI/1481, VI/1482, VI/ 1539 —
Berichterstatter: Abgeordneter Kaffka
Hier hat das Haus nur von dem Bericht des Ausschusses für Wirtschaft Kenntnis zu nehmen. Der Herr Berichterstatter wünscht das Wort nicht. Anträge zu dem Bericht liegen nicht vor. Im empfehle dem Haus, von dem Bericht Kenntnis zu nehmen. Keine Wortmeldungen. — Dann stelle ich fest, daß das Haus den Bericht zur Kenntnis genommen hat.
Punkt 23:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen
— Drucksache VI/ 1140 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache VI/1612 —
Berichterstatter: Abgeordneter Haehser
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache VI/1583 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jobst
Ich frage zunächst, ob einer der Herren Berichterstatter das Wort begehrt. — Das ist nicht der Fall. Ich nehme an, daß die Erklärungen zur dritten Beratung abgegeben werden.
Ich rufe in zweiter Beratung auf Art. 1, — Art. 2, — Art. 3, — Einleitung und Überschrift. — Wer dem Gesetzentwurf in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist in zweiter Beratung einstimmig gebilligt.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Herr Abgeordnete Dr. Jobst.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe namens der CDU/CSU-Fraktion folgende Erklärung abzugeben.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zieht die Konsequenz aus dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom Juli des vergangenen Jahres, durch den die Bestimmungen über die Kostenregelung bei der Beseitigung von schienengleichen Eisenbahnkreuzungen aufgehoben wurden. Die entstandene Lücke wird mit dem Änderungsgesetz zwar geschlossen, das brennende Problem der Beseitigung der Bahnübergänge wird damit aber nicht entscheidend angepackt.
Im Zuge eines modern ausgebauten Straßennetzes in der Bundesrepublik wird es auch bis weit über das Jahr 2000 hinaus noch viele Tausende höhengleiche Kreuzungen zwischen Schiene und Straße geben, wenn nichts Entscheidendes zur Beseitigung dieser aus der Zeit des Pferdefuhrwerks stammenden Erscheinung getan wird. Die Bahnübergänge bilden trotz technischer Sicherungen nach wie vor besondere Gefahrenpunkte für den Straßenverkehr wie auch für den Schienenverkehr. Sie sind eine Quelle für Unfälle mit grausamen und meist auch übermäßig kostspieligen Folgen, die die Öffentlichkeit immer wieder aufschrecken. Die Zahl der Unfälle an diesen Bahnübergängen hat sich 1969 gegenüber 1968 um etwa 20 % erhöht.
Diese Bahnübergänge beeinträchtigen darüber hinaus stark die Verkehrsabwicklung. Mit zunehmender Verkehrsdichte führen die Sperrungen an den Bahnübergängen zu erheblichen Stauungen, die die Flüssigkeit des Verkehrs auf der Straße empfindlich beeinträchtigen. Millionen von Straßenverkehrsteilnehmern entstehen Tag für Tag Verluste an Zeit, Geld und Nervenkraft, die auf die Dauer nicht tragbar sind. Die in großem Tempo zunehmende Verkehrsdichte macht deshalb rasche und wirksame Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit an Eisenbahnkreuzungen notwendig. Die derzeitigen Verhältnisse wie die künftige Entwicklung erfordern es, daß alle Bahnübergänge im Zuge von kraftfahrzeugfähigen Straßen innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes durch Überführungen ersetzt werden.
Die Fraktion der CDU/CSU sieht in der Beseitigung der Bahnübergänge eine übergeordnete Aufgabe des Bundes,
die gleichrangig mit den übrigen Maßnahmen im Rahmen der Infrastruktur behandelt werden sollte und der die gleiche Priorität wie dem Ausbau des Bundesfernstraßennetzes zukommen müßte. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wird diesem Problem nicht gerecht. Dieser kann nur als eine Übergangsregelung angesehen werden.
Wir halten es für erforderlich, daß eine Bestandsaufnahme aller Bahnübergänge erfolgt und im Rahmen eines Dringlichkeitsprogramms die sich aufdrängende Zielvorstellung, alle Bahnübergänge mit kraftfahrzeugfähigen Straßen im Interesse der Sicherheit und der besseren Verkehrsabwicklung in einem tragbaren Zeitraum zu beseitigen, verwirklicht wird. Entscheidend ist dabei, daß ein Verfahren gefunden wird, das nicht so zeitraubend ist wie das im Gesetz vorgeschriebene. Es ist daher die Vorlage eines neuen Kreuzungsgesetzes erforderlich.
Das Wort zu einer Erklärung für die Fraktion der SPD hat der Abgeordnete Tönjes.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970 4857
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre zwar reizvoll, Herr Kollege Jobst, auf Ihre Ausführungen zu antworten, aber leider habe ich nur den Auftrag, eine Erklärung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion abzugeben. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion erklärt zur dritten Lesung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen folgendes.
1. Das von der Bundesregierung vorgelegte Änderungsgesetz zum Eisenbahnkreuzungsgesetz enthält eine im wesentlichen ausgewogene Regelung. Den Änderungsvorschlägen des Bundesrates konnte nur soweit zugestimmt werden, wie diese eine praktikablere Handhabung des neuen Gesetzes erwarten lassen oder auf redaktionelle Berichtigungen abzielen.
2. Das Eisenbahnkreuzungsgesetz war durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Juli 1969 in einem wesentlichen Punkt unvollständig geworden. Die Vorschrift, wonach ein Land unabhängig von seiner Beteiligung als Baulastträger Kosten für höhengleiche Kreuzungsmaßnahmen zu tragen hatte, war bekanntlich für nichtig erklärt worden. Der notwendigen Änderung mit der Maßgabe, daß an der Kostendrittelung festgehalten wird, wobei das letzte Drittel an den Bahnübergängen vom Bund zu tragen ist, an denen ein Schienenweg der Deutschen Bundesbahn beteiligt ist, stimmen wir voll zu. Die Mehrbelastung des Bundeshaushalts muß dabei akzeptiert werden.
3. Den Vorschlägen der kommunalen Spitzenverbände bezüglich der vollen Kostenübernahme für die Beseitigung höhengleicher Kreuzungen von Schiene und Straße konnten wir nicht zustimmen. Wir stoßen dabei auf finanzielle Schwierigkeiten, die nicht gelöst werden können.
4. Bei der vorgesehenen Kostenbeteiligung gemäß § 12 soll das Veranlassungsprinzip weiterhin gelten. Einer Kostenhalbierung, wie sie der Bundesrat vorgeschlagen hat, konnten wir nicht zustimmen. Auch sind wir der Meinung, daß die Einbeziehung der Betriebserschwerniskosten der Deutschen Bundesbahn in die Kostenmasse weiterhin möglich sein soll. Diese werden in der Zukunft mit wachsender Auslastung der Eisenbahnstrecken weiter steigen. Sie können von der Deutschen Bundesbahn unmöglich allein getragen werden.
5. Wir verkennen nicht, daß die Beseitigung höhengleicher Kreuzungen ein vordringliches Problem ist. Wir müssen dabei die Anstrengungen der Deutschen Bundesbahn würdigen, die Sicherheit von Übergängen zu heben. Von 1966 bis 1970 hat die Deutsche Bundesbahn 1800 Bahnübergänge beseitigt und weitere 900 verbessert. In den nächsten fünf Jahren sollen im Rahmen des Zweiten Ausbauplanes für die Bundesfernstraßen weitere 400 Bahnübergänge beseitigt werden. Wenn die finanzielle Basis des Straßenbaus verstärkt werden kann, wird sich dies auch auf die Maßnahmen zur Beseitigung von höhengleichen Kreuzungen auswirken.
6. Die weiteren, im Gesetzentwurf vorgesehenen verfahrenstechnischen Vereinfachungen und Klarstellungen, insbesondere im Zusammenhang mit der Einstellung des Eisenbahnbetriebs oder nach Einzug der Straße, wurden im Ausschuß beraten und mit den der Bundesregierung akzeptierten Änderungswünschen des Bundesrats gebilligt.
Die Fraktion der SPD wird dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen.
Vizepräsident Dr. 'Schmitt-Vockenhausen: Meine Damen und Herren! Das Wort zu einer Erklärung für die Fraktion der FDP hat der Herr Kollege Ollesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Fraktion der Freien Demokraten erkläre ich: Der vorliegende Gesetzentwurf wurde notwendig — darauf ist von den Vorrednern schon hingewiesen worden — auf Grund eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes, der wesentliche Teile des bis heute geltenden Gesetzes für nichtig erklärte. Von daher bringt dieser Gesetzentwurf keine besondere Lösung eines seither bestehenden Problems, sondern gießt das bisher geltende Gesetz in die verfassungskonforme Form. Die Freien Demokraten stimmen diesem Gesetzentwurf zu, der in der Hauptsache die Aufteilung der Kosten bei der Beseitigung von schienengleichen Kreuzungen beinhaltet.
Die Freien Demokraten konnten sich nicht den Vorstellungen des Bundesrates anschließen, eine Dringlichkeitsliste aufzustellen und Umfang und Zahl der zu beseitigenden Kreuzungen von vornherein festzulegen. Sie sind der Auffassung, daß die Beseitigung von Kreuzungen ein wichtiges Ziel unserer Verkehrspolitik ist, aber eben nur ein wichtiges Ziel neben den anderen bedeutsamen Zielen: dem Fernstraßenbau, der Förderung des Personennahverkehrs, der Förderung des Verkehrs in den Gemeinden. Für diese Maßnahmen sind heute und in Zukunft enorme Mittel erforderlich. Wir sind nicht in der Lage, Prioritäten anders zu setzen, als sie in der Vergangenheit hier im Hause und im Bundesverkehrsministerium gesetzt worden sind.
Wir verhehlen dabei nicht, daß wir der Auffassung waren, daß die Handhabung des Gesetzes entbürokratisiert werden sollte.
Die Freien Demokraten teilten die Ansicht des Bundesrates, daß die Herstellung von Vergleichsentwürfen unnötig lange Zeit in Anspruch nimmt und sehr hohe Kosten erfordert. Sie sahen sich jedoch außerstande, eine gerechtere Aufteilung der auf die einzelnen Träger entfallenden Kosten vorzuschlagen, als es im bisherigen Verfahren üblich ist.
Wir werden diesem Gesetzentwurf in der dritten Beratung unsere Zustimmung geben.
Meine Damen und Herren! Wir stehen am Ende der Aussprache; ich schließe die Beratung.
4858 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
) Wer dem Gesetzentwurf in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich von seinem Platz zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Meine Damen und Herren! Damit kommen wir zu Punkt 24 unserer heutigen Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Köster, Frau Schanzenbach, Krall und den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines, Zweiten Gesetzes zur Änderung des Ersten Gesetzes über individuelle Förderung der Ausbildung
— Drucksache VI/1501 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache VI/1611 — Berichterstatter: Abgeordneter Baier
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache VI/ 1582 —
Berichterstatter: Abgeordneter Köster
Ich frage zunächst, ob von den Herren Berichterstattern das Wort gewünscht wird? — Das ist nicht der Fall. Wir treten nun in die
zweite Beratung
ein. — Das Wort wird nicht gewünscht; die Beratung ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf, und zwar über Art. 1, Art. 2, Einleitung und Überschrift. Wer dem Gesetzentwurf in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung
des Gesetzentwurfs. — Das Wort dazu wird nicht begehrt. Die Beratung ist geschlossen.
Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich von seinem Platz zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen. Weitere Anträge des Ausschusses liegen nicht vor.
Ich rufe Punkt 25 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Siebenten Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes
— Drucksache VI/1432 —
Schriftlicher Bericht des Verteidigungsausschusses
— Drucksache VI/1596 — Bericht des Haushaltsausschusses
— Drucksache VI/1610 — Berichterstatter: Abgeordneter Damm
Das Wort wird von den Herren Berichterstattern nicht begehrt. Ich frage, ob das Wort in der Aussprache gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall. Bevor wir zur Abstimmung kommen, darf ich noch darauf aufmerksam machen, daß in die Ihnen vorliegende Drucksache VI/1432 eine Ergänzung einzufügen ist. Unter Nr. 3 von Art. 1 der Vorlage heißt es:
§ 7 erhält die Überschrift „Besondere Zuwendung".
Eingefügt wird:
Abs. 2 Satz 1 erhält folgende Fassung: „Die Zuwendung beträgt 125 Deutsche Mark."
Im Abstimmungsexemplar ist diese Änderung vermerkt.
Ich rufe die Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. — Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Wir treten ein in die
dritte Beratung.
— Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle fest, daß das Gesetz in dritter Lesung einstimmig verabschiedet ist.
Meine Damen und Herren, wir stehen somit am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Plenarsitzung des Deutschen Bundestages für Donnerstag, den 17. Dezember 1970, 14 Uhr, ein. Auf der Tagesordnung steht die Fragestunde.
Die Sitzung ist geschlossen.