Rede von
Hans-Dietrich
Genscher
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(FDP)
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, mit dem die Kompetenz des Bundesgesetzgebers für Vollregelungen in den wichtigen Bereichen des Umweltschutzes vorgeschlagen wird, erfordert einige grundsätzliche Bemerkungen zu diesen jeden Bürger betreffenden und oft sehr belastenden Fragen. Das Hohe Haus würde einen Fehler machen, wenn diese Verfassungsänderung losgelöst vom Hintergrund der Gesamtproblematik des Umweltschutzes diskutiert und wenn sie gleichsam nur als eine Frage funktionaler Machtverteilung zwischen Bund und Ländern behandelt würde.
Meine Damen und Herren, zu den Lebens- und Existenzfragen der gesamten Menschheit wie Friedenssicherung und Ernährung ist im letzten Drittel dieses Jahrhunderts der Umweltschutz getreten. Der Umweltschutz ist zu einer gesellschaftspolitischen Aufgabe ersten Ranges geworden. Die Bundesregierung ist weit davon entfernt, einer Umwelthysterie das Wort zu reden. Die Folgen wären nur Resignation und Fatalismus. Die Gefahren, die uns drohen, sind ernst, aber die Menschheitsgeschichte lehrt uns, daß menschlicher Verstand und Tatkraft auch mit scheinbar unlösbaren Aufgaben fertig geworden sind.
Das Grundgesetz kennt das Wort „Umweltschutz" noch nicht. Im Grundrechtskatalog fehlt ein Menschenrecht auf unschädliche Umwelt. Dennoch ist der Schutz der Umwelt des Menschen eine Pflicht aller staatlichen Gewalt, die ihr mit den Grundentscheidungen unserer Verfassung aufgegeben ist. Nichts Geringeres als die Würde des Menschen wird durch die Zerstörung und Schädigung seiner Umwelt angetastet. Die Menschenwürde ist getroffen, wenn der Mensch zum wehrlosen Objekt seiner Umwelt wird.
Zum menschenwürdigen Dasein gehört, daß der Mensch frei atmen kann, ohne befürchten zu müssen, mit jedem Atemzug schädliche Stoffe aufzunehmen. Zum menschenwürdigen Dasein gehört, daß der Mensch Wasser trinken kann und daß er sich mit sauberem Wasser waschen kann. Und es gehört dazu, daß er ein Recht auf von Motoren- und Maschinenlärm nicht gestörten Schlaf hat.
Dieses Recht auf menschenwürdiges Dasein zu schützen ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt. Das sagt sich leichter, als es in der Praxis zu verwirklichen ist. Verwaltungsbehörden und Gerichte werden weit mehr als bisher darauf achten müssen, daß bei der tagtäglichen Abwägung der Interessen derartige geschriebene oder ungeschriebene Rechte des einzelnen Menschen auf unschädliche Umwelt nicht verletzt werden. Das Recht auf ungestörten Schlaf ist genauso schätzenswert wie das auf Eigentum oder auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Das Recht auf reine Luft ist schon deshalb so schutzwürdig, weil
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der Mensch den Gefahren der Luftverunreinigung nicht ausweichen kann.
Umweltschutz kann in Anbetracht dieser Bedrohung nicht mehr rein defensiv, sozusagen polizeilich betrieben werden. Wir dürfen nicht warten, bis Schäden auftreten, und erst dann nach Abhilfe suchen. Die Zeit verlangt vorbeugenden Schutz auf Grund weitsichtiger Planung und darauf beruhender Forschung und Entwicklung. Umweltschäden sind Folgen von Produktionsprozessen und Konsumverhalten. Umweltfreundlichen Produkten oder Verfahren müssen Chancen gegeben werden, sich im Wettbewerb gegenüber den umweltfeindlichen Produkten durchzusetzen. Der Verbraucher muß als bester Verbündeter des Umweltschutzes gewonnen werden.
In der Ihnen vorliegenden Antwort auf die Große Anfrage weist die Bundesregierung auf die Notwendigkeit hin, die qualitativen Aspekte menschlichen Lebens gegenüber den quantitativen Aspekten des wirtschaftlichen Wachstums nicht zu übersehen. Das verlangt eine Neuorientierung der gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen aller gesellschaftlichen Kräfte. Es wäre aber falsch, aus dieser Aussage den Schluß zu ziehen, daß Maßnahmen des Umweltschutzes stets auf Kosten des Wirtschaftswachstums gehen müssen. Zwar werden in den kommenden Jahrzehnten den einzelnen Bürgern und auch der gesamten Volkswirtschaft für Aufgaben des Umweltschutzes weit höhere Lasten aufgebürdet werden müssen, als sie heute schon getragen werden, aber wir haben auf diesem Gebiet lange Zeit über unsere Verhältnisse gelebt und müssen das heute teuer bezahlen. Wirtschafts- und unternehmenspolitische Entscheidungen werden in Zukunft weit mehr daran gemessen werden, welche schädlichen Folgen das angestrebte Ziel, das neue Verfahren oder Produkt für den Zustand unserer Umwelt hat. Wachstum, Produktivität und Umweltschutz sind keine gegensätzlichen Zielvorstellungen. Sie bedingen und ergänzen einander vielmehr. Wir müssen diese Lasten aufbringen für Maßnahmen, ohne die ein wirtschaftliches Wachstum langfristig nicht möglich ist. Es handelt sich dabei um ebenso notwendige Ausgaben für Infrastruktur, wie es die für Bildung und Straßenbau sind. In Zukunft wird es ein Unternehmen schwer haben, Mitarbeiter zu finden, wenn es ihnen nicht saubere Luft, lärmfreie Wohnungen und leicht erreichbare Erholungslandschaften bieten kann. Hinzu kommen die Lasten, die die Volkswirtschaft durch umweltbedingte Krankheiten zu tragen hat.
Wir dürfen vor allen Dingen nicht übersehen, daß die Zukunftsaufgabe Umweltschutz für ein der Zeit aufgeschlossenes Unternehmertum vielfache Chancen bietet. Bei zahlreichen Herstellungsverfahren wurde schon jetzt aus der Not eine Tugend gemacht. Es wurden Verfahren entwickelt, die nicht nur die Umweltbelastung verringern, sondern die wegen des damit verbundenen Gewinns an Rohstoffen und Energie wesentlich rentabler sind als die bisher üblichen sogenannten schmutzigen Verfahren. Der weltweite Markt für saubere Produkte und Verfahren wird ständig wachsen.
Ich wiederhole, meine Damen und Herren, nicht nur die Produktion ist umweltrelevant, es ist eben-sosehr das Konsumverhalten selbst. Wir dürfen nicht der Gefahr erliegen, allein den industriellen Störer der Ökologie im Auge zu haben. Durch das Konsumverhalten jedes einzelnen Bürgers werden der Umwelt nicht geringere Lasten aufgebürdet. Vom Verpackungsluxus über das lärmstarke Gartengerät bis hin zur vielleicht unbedachten Verwendung von Giftstoffen reicht die Verantwortung jedes einzelnen von uns.
Vorausschauende Umweltpolitik verlangt nach Lösungen, um dieses Konsumverhalten zu beeinflussen. Letztlich kann ein freiheitlich verfaßter Staat ohne das verantwortliche Mitwirken jedes Bürgers auch hier keine Besserung erreichen. Schon aus diesem Grunde kann Umweltpolitik nur erfolgreich sein, wenn der einzelne Subjekt und nicht Objekt einer solchen Politik ist.
Meine Damen und Herren, wir alle, die wir im politischen Raum Verantwortung tragen, haben die Pflicht, das Umweltbewußtsein in unserem Land zu stärken. Das gilt nicht nur für das Konsumverhalten, er gilt genauso für die Bewertung der dem Schutz unserer Umwelt dienenden Vorschriften. Wer die Umweltvorschriften verletzt, meine Damen und Herren, begeht nicht nur ein Kavaliersdelikt; er verhält sich in Wahrheit sozial gefährlich, seine Handungen haben einen hohen kriminellen Gehalt. Das muß in den Strafvorschriften zum Ausdruck kommen. Es muß sich aber auch im Urteil der Mitbürger niederschlagen.
— Auch das, Herr Kollege!
— Ja, darüber wollen wir ja hier sehr ernsthaft diskutieren. Aber man muß ja nicht immer gleich daran denken, Herr Kollege.
Die Bundesregierung sieht die Bewältigung der Umweltgefahren als einen Schwerpunkt ihres Programmes innerer Reformen an. Das Sofortprogramm vom 17. September dieses Jahres mußte sich notwendigerweise auf diejenigen Maßnahmen beschränken, die mit den vorhandenen Kompetenzen und Mitteln jetzt schon getan werden können. Die wesentlichen Aufgaben dieses Sofortprogramms und die dabei gesetzten Prioritäten entnehmen Sie der Antwort auf die Große Anfrage. Ich möchte sie an dieser Stelle nicht wiederholen. Aber die Vorarbeiten für ein Gesamtprogramm der Bundesregierung, das über den ersten Schritt des Sofortprogramms hinaus die Zielvorstellungen und die Methoden zu ihrer Verwirklichung umfassend untersuchen und darstellen wird, laufen. Eine Reihe von Arbeitsgruppen haben mit den Vorarbeiten begonnen. In ihnen arbeiten Experten des Bundes, der Länder, der Industrie, der Sachverständigenverbände und wissenschaftlichen Institute zusammen. Dieses Gesamtprogramm soll mit den Ländern und anderen
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interessierten Einrichtungen abgestimmt werden und
wird dann Richtmaß für unsere weitere Arbeit sein.
Unbefriedigend ist noch die Zuständigkeitsregelung und die Koordinierung zwischen dem Bund einerseits und den Ländern andererseits. Sie bedarf dringend der Regelung. Auch dann, wenn die Gesetzgebungskompetenz, wie ich hoffe, dem Bund zugesprochen wird, werden die Länder diese Gesetze durchführen müssen. In dieser Durchführung liegt zweifellos die schwerere Aufgabe. Die Länder haben jahrelang in Erfüllung dieser meist undankbaren und bis vor kurzem recht unpopulären Aufgaben Vorbildliches geleistet. Ich betone dies hier schon deshalb, um den Eindruck zu vermeiden, als liege in dem notwendigerweise stärkeren Engagement des Bundes ein Werturteil über die bisherigen Leistungen der Länder.
Erschwert wird die Koordinierung zwischen Bund und Ländern durch die unterschiedlichen Zuständigkeiten in den Ländern selbst. Die Innenministerkonferenz scheidet als Koordinierungsorgan aus, weil in einer Reihe von Ländern wesentliche Bereiche des Umweltschutzes in anderen Ministerien bearbeitet werden. Ich halte es deshalb für zweckmäßig, daß eine Ministerkonferenz geschaffen wird, in der die die Aufgaben des Umweltschutzes koordinierenden Minister des Bundes und der Länder regelmäßig zusammenkommen, um auf diese Weise die teilweise noch unbefriedigende Zusammenarbeit zu verbessern.
Für die Politik der Bundesregierung zur Verbesserung des Umweltschutzes ist der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf zur Ergänzung des Grundgesetzes von zentraler Bedeutung. Durch ihn sollen die bisher bestehenden Kompetenzen für eine Rahmengesetzgebung des Bundes auf den Gebieten des Wasserhaushalts sowie des Naturschutzes und der Landschaftspflege in konkurrierende Kompetenzen übergeführt werden. Außerdem soll nach ihm eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung geschaffen werden.
Die Bundesregierung — das sage ich aus aktuellem Anlaß — will diese neuen Zuständigkeiten nicht für sich, sondern unser politisches Ziel ist es, daß dieses Hohe Haus, der Bundesgesetzgeber, in die Lage versetzt wird, für diese wichtigen Gebiete die Vollkompetenz zu haben. Ein Bundesstaat wie die Bundesrepublik Deutschland, in dem den Parlamenten der Gliedstaaten von Verfassungs wegen auch gesetzgeberische Aufgaben obliegen, muß notwendig mit einem gewissen Maß unterschiedlicher Regelungen leben. Die Bundesregierung weiß und bejaht das. Sie hat sich gleichwohl entschlossen, diesen Entwurf einzubringen, und zwar in der Überzeugung, daß wir der Herausforderung, die die zunehmende Belastung und Verschmutzung der Umwelt für den Menschen der 70er und 80er Jahre bedeutet, nur begegnen und diese Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der vom Menschen geschaffenen Technik nur bestehen können, wenn die einheitlichen und gemeinschaftlichen Anstrengungen aller Kräfte in unserem Volk nicht durch eine Rechtszersplitterung behindert werden.
Eine Vereinheitlichung der im Bundesgebiet geltenden Normen ist schon deshalb ununmgänglich, weil in wesentlichen Bereichen des Umweltschutzes eine Rechtsangleichung der europäischen Staaten und teilweise auch mit außereuropäischen Rechtsordnungen notwendig geworden ist. Die Erfordernisse zeitgemäßen Umweltschutzes verlangen eine Anpassung der nationalen Rechtsordnungen derjenigen Staaten, durch die bestimmte gemeinsame Naturgüter wie Gewässer, Meere und auch die Luft in Anspruch genommen werden.
Meine Damen und Herren, eine Verstärkung der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes ist unabdingbar. Zusammenarbeit und Erfahrungsaustausch sparen Geld. Viele Umweltprobleme können nur gemeinsam gelöst werden. Unterschiedliche Rechtsnormen, etwa unterschiedliche Vorschriften über Autoabgase, können geradezu zu einer Einschränkung des Welthandels führen. Die Lasten aus der Bekämpfung der Umweltgefahren können die einzelnen Volkswirtschaften in Wahrheit nur dann tragen, wenn sich kein Land ausschließt, um für sich Wettbewerbsvorteile auf dem Weltmarkt zu schaffen.
Es darf keine billigen Flaggen des Umweltschutzes geben.
Aus diesem Grunde ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes verstärkt werden muß. Ohne ausreichende Gesetzgebungskompetenz indessen kann die Bundesregierung in Zukunft ihren Verpflichtungen aus internationalen Abkommen über den Umweltschutz nur schwer gerecht werden. Wir können nicht auf internationale Rechtsangleichung drängen, wenn wir sie im nationalen Bereich nicht selbst bewältigen können.
Für den Wasserhaushalt hat die Bundesregierung schon in der vergangenen Legislaturperiode versucht, die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zu erreichen und so zu Maßnahmen gegen typische Verschmutzungen in Ballungsgebieten zu kommen. Es gibt Beispiele dafür, daß auf diesem Gebiet eine Reihe von Problemen viel besser gelöst werden könnte, wenn wir eine Bundeskompetenz hätten. Der Deutsche Bundestag hat dieses Vorhaben in der letzten Legislaturperiode mit der für Verfassungsänderungen erforderlichen Mehrheit gebilligt; es ist aber im Bundesrat gescheitert.
Der neue Anlauf der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode geschieht nicht aus Rechthaberei. Die Bundesregierung hofft vielmehr, daß sich der Bundesrat bei einer neuerlichen Überprüfung der Dringlichkeit des Anliegens, der Dringlichkeit der Schaffung bundeseinheitlichen Wasserrechts nicht verschließen wird. Es sind verschiedene Faktoren, die bei einer solchen neuen Prüfung auch in diesem Haus noch schwereres Gewicht haben werden als vor einigen Jahren. Die Belastung der Gewässer hat weiter zugenommen. Das Problem der Abfallbeseitigung insgesamt und besonders auch seine Bedeutung für den Wasserhaushalt ist noch stärker in den Vordergrund getreten.
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Bundesminister Genscher
Wie Sie wissen, gibt es elf verschiedene Wassergesetze der Länder, die in wesentlichen Teilen, wie der Regelung der Gewässerbenutzung, den Anforderungen an das Einleiten von Abwässern und dem Lagern wassergefährdender Stoffe, voneinander abweichen. Der Bundesrat hat gegen die Verfassungsänderung eingewandt, daß eine Vereinheitlichung des geltenden Rechts nur hinsichtlich der Lagerung wassergefährdender Stoffe notwendig sei. Diese könne der Bund auch auf Grund seiner Rahmenkompetenz vornehmen. Für den Gewässerschutz und für die rechtliche Ausgestaltung der Gewässerbenutzung bedürfe es keines einheitlichen Rechts, da solche Regelungen nur abgrenzbare Lebensräume beträfen und keine übergebietliche Bedeutung hätten.
Dieser Argumentation vermag die Bundesregierung nicht zu folgen. Ein Gewässer hat zwar sicher sein abgrenzbares Einzugsgebiet, es hält sich dabei aber nicht an Landesgrenzen. Unsere Bundeswasserstraßen, deren Reinhaltung uns besonders große Sorgen bereitet, fließen durchweg durch mehrere Länder. Die Anforderungen für die Reinigung der Abwässer müssen schon deshalb im ganzen Bundesgebiet von den gleichen Grundsätzen ausgehen, weil regional unterschiedliche Anforderungen zu unzumutbaren Wettbewerbsverzerrungen für Industrie und Gewerbe führen würden.
In Zukunft wird man auch Wege suchen müssen, um den Verursacher der Verunreinigung über Abwasserabgaben zu den Kosten. der Gewässerreinhaltung heranzuziehen. Derartige Abwasserabgaben sind rechtspolitisch und wirtschaftlich nur vertretbar, wenn sie nach einheitlichen Maßstäben erhoben werden. Anderenfalls würde man Gefahr laufen, daß regionale Großzügigkeit gegenüber dem Verschmutzer mit wirtschaftlicher Anziehungskraft belohnt würde.
Für die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung gilt nichts anderes. Auch insoweit hat der Deutsche Bundestag die Initiative der Bundesregierung zur Schaffung einer konkurrierenden Kompetenz schon in der vergangenen Legislaturperiode gebilligt. Auch insoweit hat der Bundesrat geglaubt, ihr nicht zustimmen zu können. Ich will die Gründe, die für diese Grundgesetzergänzung sprechen, hier nicht im einzelnen wiederholen; sie sind Ihnen bekannt. Sie ergeben sich auch aus der Ihnen vorliegenden schriftlichen Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen.
Mir liegt daran, hier etwa ausführlicher auf den Vorschlag der Bundesregierung einzugehen, auch die Rahmenkompetenz für Naturschutz und Landschaftspflege in eine konkurrierende Kompetenz umzuwandeln. Dieser Vorschlag ist im Bundesrat — übrigens im Gegensatz zu den anderen Anträgen — auf nahezu einhellige Ablehnung gestoßen — zu Unrecht, wie ich meine. Der Bundesrat hat vor allen Dingen eingewandt, daß für eine der Vielgestaltigkeit der Landschaften gerecht werdende Regelung die Rahmenkompetenz ausreiche. Der Bund habe von ihr bisher keinen Gebrauch gemacht.
Die Bundesregierung ist dagegen der Ansicht, daß landschaftspflegerische Maßnahmen, die nicht mehr wie früher rein konservierend, sondern gestaltend und vorsorgend sein müssen, auf Grund der Rahmenkompetenz nicht möglich sind. Die Vielgestaltigkeit der Landschaft, die ja auch innerhalb der meisten Länder vorherrscht, fordert nicht eine Vielgestaltigkeit des Rechts.
Einzelmaßnahmen im Umweltschutz, so dringlich sie geworden sind, bleiben Einzellösungen, wenn sie nicht im größeren Zusammenhang gesehen und betrieben werden. Einer dieser Zusammenhänge ist das komplexe System des Naturhaushalts der Landschaft. Wir können darin nicht ein einzelnes Element isoliert behandeln, ohne daß die anderen Glieder der ökologischen Wirkungsketten davon berührt wären. Isoliertes oder bloß sektorales Vorgehen birgt die Gefahr in sich, die natürlichen Kreisläufe empfindlich zu stören oder gar zu unterbrechen.
Was wir zur Erhaltung und Wiedergewinnung einer menschenwürdigen Umwelt für die Zukunft brauchen, ist ein ökologisch fundiertes Management der Landschaft, unserer natürlichen Umwelt. Genauso wie ihre Einzelelemente — Luft und Wasser — nicht an irgendwelchen Verwaltungsgrenzen haltmachen, ist die Landschaft nur als Ganzes zu erfassen und nur als Ganzes zu gestalten. Das ist der Grund dafür, daß wir eine Bundeskompetenz wünschen.
Als überzeugendes Beispiel für die Einsicht in diese Tatsache darf ich hier den Beschluß zitieren, den die Konferenz der Landesbeauftragten für Naturschutz und Landschaftspflege als der gesetzlichen Fachberater der Länderregierungen während des Deutschen Naturschutztages 1970 in Berlin einstimmig gefaßt hat. Dieser Beschluß lautet:
Die Konferenz der Landesbeauftragten für Naturschutz und Landschaftspflege begrüßt die Absicht, dem Bund im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung Zuständigkeiten für den Wasserhaushalt, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung sowie Naturschutz und Landschaftspflege zu übertragen, und richtet deshalb an die gesetzgebenden Organe die dringende Bitte, der Ergänzung des Grundgesetzes zuzustimmen.
Der heutigen Aussprache ist es nicht angemessen, längere verfassungspolitische Ausführungen zu machen. Lassen Sie mich deshalb in aller Kürze in der Sache wiederholen, was ich im Bundesrat bei der ersten Beratung dieses Entwurfs zur Ergänzung des Grundgesetzes gesagt habe: Erstens. Dieser Entwurf ist nicht Teil eines Anschlags der Bundesregierung auf die Eigenstaatlichkeit der Länder. Er bringt keine grundlegenden Verschiebungen der Kompetenzen, sondern er baut auf bereits bestehenden Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes auf. Der Bereich der Zuständigkeiten der Länder für die Gesetzgebung wird nur am Rande berührt.
Zweitens. Dieser Entwurf ist auch keine Absage an das Institut der Rahmengesetzgebung schlechthin, das wir vom Grundsatz her bejahen.
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Drittens. Mit Recht ist gesagt worden, ein wirksamer Umweltschutz setze nicht nur Gesetzgebungskompetenzen des Bundes voraus, er erfordere auch und vor allem umfangreiche und kostspielige Investitionen. Dieses Problem, ein Problem auch der Fortführung der Finanzreform, stellt sich für die Enquete-Kommission. Weder die Bundesregierung noch die Enquete-Kommission noch später der Deutsche Bundestag selbst werden ihm ausweichen können. Das schließt aber die Notwendigkeit nicht aus, vorerst und vordringlich zu einer bundeseinheitlichen Gesetzgebung zur Bewältigung der Umweltfragen zu kommen. Diesem ersten Ziel dient der Ihnen vorliegende Entwurf.
Ich habe am Anfang meiner Ausführungen darauf Bezug genommen, daß es notwendig sein wird, in unserem Land das Umweltbewußtsein jedes einzelnen Bürgers zu stärken. Ich möchte allerdings sagen: Wir werden nicht allein mit einer solchen Stärkung des Umweltbewufitseins in unserem Land auskommen. Es ist genauso notwendig, daß der Begriff der Umweltmoral, den wir für das Zusammenleben der einzelnen Menschen brauchen, auch im Zusammenleben der Völker untereinander gilt. Wenn der Minister eines anderen europäischen Landes im Zusammenhang mit einer aktuellen Frage erklärt hat, was ein Staat mit seinem Anteil an einem Gewässer mache, sei allein seine Sache,
so mutet das an wie ein Rückfall in die ökologische Steinzeit.
Das sollte aus dem internationalen Verkehr verschwinden.
Meine Damen und Herren, unsere Bitte an das Hohe Haus, der Verfassungsänderung zuzustimmen, dient nicht zuletzt auch dem Ziel, neben der Schaffung der Zuständigkeiten in unserem Lande zu zeigen, daß wir die Gestaltung unserer Umwelt und die Bekämpfung der Umweltgefahren als eine umfassende Aufgabe in unserem Bundesstaat betrachten. Deshalb erbitten wir Ihre Unterstützung.