Rede von
Kurt
Jung
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Kollege Dichgans, ich würde einem solchen Gesetz sicherlich zustimmen können, allerdings nicht für das Jahr 1975; denn ich glaube nicht, daß die Industrie bei der Triebwerkentwicklung oder aber bei der Lösung des Problems, das ich eben ansprach — an Lösungen arbeitet man ja, aber meiner Überzeugung nach kann man diese Probleme nicht hundertprozentig lösen —, nach den noch vor uns liegenden vier Jahren schon so weit wäre.
Es gibt Möglichkeiten, die ich gleich noch aufführen werde, die Lösung dieses Problems auf einen bestimmten Bereich zu beschränken, und zwar nicht von der Quelle her, sondern mit Hilfe neuer Technologien, die ich unter dem dritten Abschnitt erwähnte. Ich glaube, das müßte der erste Schritt sein, um den Menschen in der Nähe solcher Flugplätze zu helfen. Herr Kollege Dichgans, ich werde darauf nachher noch einmal zurückkommen.
In der Frage der Bekämpfung des Baulärms ist man durch die Gesetzgebung in der Zwischenzeit schon einen Schritt weitergekommen. Ansätze zur Lösung dieses Problems sind vorhanden; erste Erfolge zeichnen sich ab. Ich glaube, daß bei der Entwicklung in unserer gesamten Bauindustrie, bei der mehr und mehr im Baugeschehen in Vorfabrikation gefertigte Montagebauteile verwendet werden, auch die Lärmquellen reduziert bzw. auf bestimmte Bereiche beschränkt werden.
Bei dieser Vorfabrikation kann dann das, was ich im zweiten Bereich, dem defensiven Lärmschutz, ansprach, schon mit verarbeitet werden, nämlich die Entwicklung geräuschdämmender Bauteile zur Isolation.
Auf den Flugplätzen müßten verstärkt stationäre und mobile Lärmschutzmaßnahmen wie Lärmschutzhallen, stationäre Prüfstände oder mobile Lärmschutzeinrichtungen für den Check vor dem Start, getroffen werden. Für die Bevölkerung, die in der Nähe solcher Flugplätze wohnt, sind darüber hinaus infrastrukturelle Maßnahmen am Rande des Flugfeldes in Form von Lärmschutzwällen oder -mauern erforderlich. Aber auch durch entsprechende Bepflanzung lassen sich Vorbeugungsmaßnahmen gegen den Lärm erreichen. Insbesondere bei den landenden Maschinen entsteht bei dem sogenannten Umkehrschub, also beim Bremsvorgang ein ganz besonderer Lärm, der nach meinem Dafürhalten relativ leicht durch die Errichtung solcher Wälle oder Mauern beseitigt oder reduziert werden kann, weil sich ,der Lärm linear auf der Ebene der Piste fortsetzt.
Ich bin der Ansicht, daß in diesem Zusammenhang der Raumordnung eine ganz besondere Aufgabe zukommt. Sie muß dafür sorgen, daß Lärmemissionspunkte, nämlich Flugschneisen, Schnellverkehrsstraßen und dergleichen, nicht in die Nähe von Siedlungsgebieten geführt werden, sofern diese schon bestehen.
Es ist allerdings festzustellen, daß in den letzten Jahren und Jahrzehnten die Ausweitung der Städte und die Neuerrichtung von Siedlungsgebieten nun ausgerechnet in solche An- und Abflugschneisen hinein erfolgt ist. Das mag daran liegen, daß der Grund und Boden dort relativ günstig zu erwerben war. Anschließend aber fühlten sich die Menschen, die dort leben mußten, von diesem Lärm besonders betroffen; und selbstverständlich protestierten diese Menschen dann auch gegen den Lärm.
Auch hier liegt es also an den Gemeinden, an den Städten, an der Raumordnung überhaupt, dafür zu sorgen, daß eine solche Entwicklung abgebremst wird. Hier ist, so meine ich, gerade der zukunftsorientierte Städtebau aufgerufen, dieses Problem schon durch die Grundplanung von vornherein zu vermeiden.
Als dritten Punkt habe ich vorhin angesprochen: Solange man technisch noch nicht soweit ist, Herr Kollege Dichgans, daß man an der Quelle diese Probleme grundsätzlich beseitigen kann, sollte man das, was man in der Zwischenzeit schon entwickelt hat, auch anwenden, und sollte den Lärm auf bestimmte Bereiche beschränken. Beim Fluglärm könnte das z. B. dadurch geschehen, daß man die sogenannte VTOL-Technik, d. h. den Senkrechtstart, oder die STOL-Technik, d. h. den Kurzstart, forciert. Dafür gibt es ja gerade in der Bundesrepublik erfreuliche Ansätze. Denken Sie an die Entwicklungen, die im militärischen Bereich für Transportmaschinen vorangetrieben wurden, die man künftig auch für zivile Verkehrsflugzeuge verwenden kann. Dazu hat Professor Thalau mit seinem Gremium ein Gutachten erstellt. Ich verstehe, offen gesagt nicht,
4826 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970
Jung
daß das Wirtschaftsministerium diese Ergebnisse bisher nicht auch der Öffentlichkeit bekanntgegeben hat, und Ich verstehe nicht, daß man diesen Vorsprung, den die Bundesrepublik weltweit errungen hat, nicht auch zur Verminderung des Lärms nutzt.
Ich möchte die Bundesregierung auffordern, dieser Technologie besondere Beachtung zu schenken. Sie sollte heute schon darauf hinwirken, daß wir in der Mitte der siebziger, zumindest zu Beginn der achtziger Jahre auf diesem Gebiet den entscheidenden Durchbruch erreichen.
Ich habe dargelegt, daß Lärm durch eine Vielzahl von Quellen verursacht wird. Ein Gesetz zum Schutz gegen eine Lärmquelle wäre daher unzureichend. Diese Problematik hat die Bundesregierung in ihrem Sofortprogramm erkannt, und sie hat ein Spektrum von Maßnahmen vorgeschlagen, um den Lärm, nicht nur den Fluglärm, zu bekämpfen.
Dabei muß berücksichtigt werden, daß in sehr vielen Fällen erst noch neue Erkenntnisse gewonnen werden müssen. Ich begrüße es deshalb, daß man bereit ist, die Grundlagenforschung zu fördern, die bisher auf diesem Gebiet noch sehr unterentwickelt war. Es ist dankenswert, dort, wo Erkenntnisse erst gewonnen werden müssen, Forschungsaufträge zu erteilen.
Für den Fall, daß derzeit noch rechtliche Möglichkeiten fehlen, ist das vorhin wiederholt zitierte Bundesimmissionsschutzgesetz durchaus geeignet, die rechtlichen Grundlagen zu schaffen. Ich glaube, daß dieses Gesetz kommen wird. Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein sagte, es sei zwar wiederholt angekündigt, aber immer noch nicht vorgelegt. Nun, diese Debatte dürfte gerade dafür sehr nützlich sein. Ich glaube, daß die Bundesregierung aus dieser Debatte die Konsequenzen zieht.
— Ich werde mit Ihnen gemeinsam dafür eintreten, daß wir möglichst rasch diesem Ziel näherkommen. Die Bestandsaufnahme in der Antwort auf die Große Anfrage zeigt ja auch, daß wir noch ganz am Anfang sind, daß wissenschaftliche Erkenntnisse zum Teil noch fehlen, daß Statistiken fehlen und daß Eile daher not tut.
Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein, Sie haben vorhin gesagt, die Bundesanstalt für Immissionsschutz sei nicht unbedingt notwendig, weil derartige Einrichtungen schon bestünden. Frau Minister Strobel hat darauf schon eine Antwort gegeben. Das, was Sie befürchten, ist ja wohl nicht beabsichtigt. Die Bundesregierung hat vielmehr festgelegt, daß geprüft wird, in welchem Umfang vorhandene Einrichtungen zusammengefaßt werden können, und daß dabei auch die Vorstellungen des Wissenschaftsrates Berücksichtigung finden.
In diesem Zusammenhang fordert die FDP, daß auch eine Koordination mit der hochschulfreien Forschung stattfindet, d. h. mit der Forschung, die bei der Industrie durchgeführt wird. Dies erscheint mir besonders wesentlich in solchen Bereichen, wo eine direkte Gefährdung der Gesundheit nicht vermeidbar ist, z. B. bei dem Problem der Biozide in Nahrungsmitteln.
Es ist begrüßenswert, daß der interministerielle Kabinettsausschuß wiederum ein DDT-Verbot geprüft hat und daß eine Änderung des Pflanzenschutzgesetzes vorgesehen ist, bei der auch in Aussicht genommen ist, bestimmte Biozide nur noch beschränkt anzuwenden oder sogar ganz zu verbieten. Ich hoffe, daß diese Gesetzesänderung bald verabschiedet werden kann, nachdem die Unterlagen bereits im Juli dieses Jahres den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet worden sind.
Die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet einer verstärkten Biozid-Forschung, insbesondere zugunsten sauberer, nicht persistenter Biozide, hat Frau Strobel vorhin angesprochen. Wir begrüßen sehr, daß man bereit ist, diese Zusammenarbeit von seiten der Bundesregierung besonders zu fördern.
Die Kooperation in allen Bereichen der Wissenschaft ist auch bei der Entwicklung neuer Technologien notwendig. Dabei geht es nicht nur darum, Verfeinerungen und Verbesserungen von Überwachungsgeräten zu erreichen, sondern insbesondere auch um eine Schwerpunktförderung sauberer Technologien.
Ich möchte mich hier, da mir nicht mehr so viel Zeit zur Verfügung steht, auf die Bemerkung beschränken — in der Debatte wurde schon wiederholt darauf hingewiesen —, daß es notwendig ist, die Wiederverwendung unvermeidbarer schmutziger Abfallstoffe in anderer Form zu ermöglichen, d. h. die Stoffe in den Produktionsprozeß zurückzuführen. Bedenken wir z. B., welche Entwicklung die Verpackungsstoffe in den Jahren 1954 bis 1962 genommen haben. Das Hohlglas hat um 120 %, die Blechpackungen haben um 84 % und die Kunststoffverpackungen — meine Damen und Herren, hören Sie gut zu! — um 3780 % zugenommen. Das Battelle-Institut erwartet, daß gegenüber 450 000 t im Jahre 1968 bis zum Jahre 1980 eine Steigerung gerade auf diesem Gebiet auf über 1 Million t erfolgen wird. Da müssen wir doch erkennen, daß es notwendig ist, gerade für diese Kunststoffe eine entsprechende Verwertung zu finden; denn diese Kunststoffe haben oftmals die Eigenschaft, daß bei der Vernichtung wiederum toxische Gefahren auftreten. Ich glaube, daß das vorgesehene Abfallbeseitigungsgesetz dazu beitragen muß, die Gefahren zu vermeiden.
Ebenso ist aber auch die Entwicklung verrottbarer Kunststoffe, schnell abbaubarer Biozide, Pestizide und bleifreier Antiklopfmittel notwendig. Bundesinnenminister Genscher hat ja bis zum Jahre 1980 eine fast hundertprozentige Lösung des Abgasproblems vorausgesagt. Ich glaube, das könnte man auch schon etwas früher machen; denn es ist an sich keine allzugroße Schwierigkeit, klopffestes Benzin mit einer Oktanzahl von 91 bis 93 schon in allerkürzester Zeit herzustellen und mit Hilfe katalytischer Nachverbrenner das Kohlenmonoxyd und un-verbrannte Kohlenwasserstoffe aufzuoxydieren.
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Besonders wichtig ist aber, daß die Bundesregierung auch eine Verbraucheraufklärung betreibt, um umweltfreundliches Verhalten zu fördern, an die Verantwortung aller appelliert, um damit auch umgekehrt einen Anreiz für die Industrie zu geben, saubere Technologien zu entwickeln.
Auch die Steuerpolitik muß umweltfreundlich gestaltet werden. Kollege Dr. Rutschke sprach schon das Problem der Kfz-Steuer an, und er beleuchtete die dabei bestehenden Bedenken auch von der fachlichen Seite. Wir müssen in der Steuerpolitik Abschreibungen für Maßnahmen der Luft- und Wasserreinhaltung, aber auch Abschreibungen für Maßnahmen zur Lärmreduzierung vorsehen. Dabei wäre auch die Besteuerung z. B. der Einwegflaschenproduktion, die in einigen Ländern schon besteht, zu überlegen.
Ich begrüße für die FDP-Fraktion, daß die Bundesregierung klargestellt hat, daß qualitative Aspekte menschlichen Lebens für eine erträgliche Umwelt gegenüber den quanitativen Aspekten, nämlich der Maximierung des Zuwachses, stärker betont werden. Ich glaube, daß das, was uns die Bundesregierung hier vorgelegt hat, eine fortschrittliche Konzeption für eine zukunftssichere Gesellschaftsordnung darstellt.