Rede von
Prinz
Botho
zu
Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Die bisherige Debatte hat deutlich gezeigt, daß in bestimmten Sachfragen große Übereinstimmung unter den Kollegen vorhanden ist. Das wundert auch nicht weiter, denn eine ganze Reihe von Kollegen arbeiten — etwa in der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft — in diesen Sachproblemen zusammen; hervorragende Initiativen sind von der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft zu den Fragen des Umweltschutzes bereits dem Hohen Hause vorgelegt worden.
Ich meine aber, daß es der Debatte gut bekommt, wenn man auch einige kritische Anmerkungen hier vorbringt, weil ich meine, daß sowohl das Sofortprogramm wie auch die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage einige kritische Bemerkungen rechtfertigen.
Zunächst einmal, Herr Minister, hätte ich es für wünschenswert gehalten, wenn in der Antwort auf die Große Anfrage noch stärker der Hinweis auf die bsiherigen Leistungen im Bereich des Umweltschutzes zum Ausdruck gekommen wäre, der Leistungen nicht nur des Bundes, sondern vor allem auch der Länder und Gemeinden. Eine solche Aufstellung und Zusammenfassung wäre für die Diskussion über die Prioritäten im Umweltschutz notwendig gewesen.
Gerade weil Sie in Ihrer Einführungsrede heute morgen darauf hingewiesen haben, daß wir uns auch vor einer Hysterie im Umweltschutz hüten sollten, wäre es, glaube ich, gut und nützlich, wenn man aufzeigte, daß wir im Bereich des Umweltschutzes in
der Bundesrepublik Deutschland nicht heute am Nullpunkt anfangen.
Nicht zuletzt hat ja auf Grund dieser Tatsache der amerikanische Innenminister vor einigen Jahren einmal in einem Bericht an den Präsidenten der Vereinigten Staaten darauf hingewiesen, daß die Pionierarbeit, die man in Deutschland in bestimmten Bereichen des Umweltschutzes, sei es auf der Bundes-, sei es auf der Landesebene, geleistet hat, durchaus Aufmerksamkeit verdient.
Sie haben in Ihrer Antwort auf die Anfrage der SPD und der FDP ausgeführt, daß dem Umweltschutz ein besonderer Vorrang in dem Programm der inneren Reformen zukommt. Diese Behauptung haben wir zur Kenntnis genommen. Allerdings, so meine ich, fehlen dafür noch Beweise. Einmal sind zu der Frage der Prioritäten im Bereich der inneren Reformen bisher eine ganze Reihe widerspruchsvoller Äußerungen seitens der Regierung bekanntgeworden. Wir wissen von dem Wettlauf der Minister, von diesem Kuchen der inneren Reformen einen möglichst großen Happen abzubekommen. Nicht zuletzt hat dazu der Herr Bundeskanzler mit der Äußerung beigetragen, daß man das interne Arbeitsprogramm dieser Bundesregierung zur Innenpolitik nicht bekanntgegeben wird. Daher muß die Bundesregierung möglichst bald mitteilen, welchen Vorrang der Umweltschutz im Programm der inneren Reformen haben wird. Darauf hat auch der Kollege Dr. Rutschke mit Recht hingewiesen.
Ganz entscheidend ist ja mit dieser Frage auch das Problem der Finanzierung dieser Ausgaben, die mittelfristige Finanzplanung verbunden. Hier, so kann ich nur sagen, fehlt diese Übersicht bisher noch völlig; und ich bedaure sehr, daß auch die Antwort auf die Anfrage von meinem Kollegen Dr. Gruhl und mir und der CDU-Fraktion hinsichtlich der finanziellen Situation für den Umweltschutz dem Hohen Hause bisher nicht bekanntgegeben worden ist.
Ich wundere mich um so mehr darüber, daß das Ministerium hier sogar um eine Fristverlängerung bitten läßt, um diese Frage zu beantworten, weil Sie doch selbst, Herr Minister, in Ihrem Schreiben vom 31. 8. 1970 zur Kabinettsvorlage die Ansicht geäußert haben, daß die Aufstellung einer solchen Finanzierungsübersicht erforderlich ist, um jede Gefahr unkoordinierter Tätigkeit oder auch nur ihren Anschein auszuschließen. Dieser Auffassung kann ich nur zustimmen, nur müssen hier diese Zahlen auf den Tisch, einmal für die weitere Arbeit in diesem Hohen Haus, zum anderen für die Planung nicht nur des Bundes, sondern auch der Länder. An und für sich bin ich Ihnen dankbar, daß Sie in der Antwort auf die Große Anfrage mitteilen, daß Sie an eine Aufstockung der Mittel für Wasser- und Abwasserwirtschaft aus dem ERP-Vermögen denken, wobei Sie die zusätzlichen Mittel über den Kapitalmarkt beschaffen wollen. Im Interesse der Gemeinden kann ich nur sagen, daß das eine gute Sache ist; denn wir wissen, daß allein für ein Jahr Anträge in der Größenordnung von 260 Millionen DM vorliegen. Sie müssen bei einer solchen Finanzierungsart aber von Anfang an auch daran denken, daß die Belastungen des Bundeshaushalts oder des ERP-Vermögens durch
4818 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970
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die Kreditaufnahme sehr schnell den Punkt erreichen, an dem der Schuldendienst höher ist als das,
was Sie an Krediten zur Verfügung stellen können.
In der Antwort auf die Große Anfrage wird u. a. festgestellt, daß ebenso wie in vielen anderen Industrieländern auf dem komplexen Gebiet des Umweltschutzes bestimmte Bestandsaufnahmen fehlten. Das ist eine wichtige Feststellung. Aber ich hätte mir gewünscht, daß Sie den Mut besessen hätten, auch zu sagen, daß diese Aufstellung auch heute noch nicht endgültig ist, daß sie noch nicht einmal erstellt ist. Aus dem Text ergibt sich nämlich zumindest der Eindruck, als ob eine solche Bestandsaufnahme inzwischen schon vorhanden wäre. Auch dies ist noch hinzuzufügen: Sie sagen: ebenso wie in vielen anderen Industrieländern. Auch da sollte man im Interesse der Aufklärung der Öffentlichkeit sagen, daß praktisch in allen Industrieländern eine solche Aufstellung fehlt, daß sie aber für die zukünftige Arbeit notwendig ist. Bei der Bestandsaufnahme dessen, was geschehen ist und was zu geschehen hat, stellt auch der finanzielle Teil einen entscheidenden Faktor dar. Auch das muß hier noch einmal ganz klar zum Ausdruck gebracht werden.
Der Herr Bundeskanzler hat anläßlich der Abschlußkundgebung des Deutschen Naturschutzringes gesagt: „Zur Lösung der dringendsten Probleme hat die Bundesregierung auf Vorschlag des Kabinettsausschusses für Umweltfragen am 17. September ein Sofortprogramm verabschiedet". Ich meine, mit dieser Beurteilung können wir alle, die wir im Umweltschutz tätig sind, nicht übereinstimmen. Wir erkennen an, daß ein Einstieg in diese Materie versucht worden ist. Aber Sie können nicht für sich in Anspruch nehmen, daß schon dieses Sofortprogramm die Lösung der dringendsten Probleme bringt. Davon kann man nicht sprechen.
Es ist außer Zweifel, daß der Antrag der CDU/ CSU-Fraktion vom 20. Mai dieses Jahres entsprechende Aktivitäten in der Bundesregierung ausgelöst hat: Der Kabinettsausschuß ist gegründet worden, die Anfrage der SPD und der FDP ist zustande gekommen, und schließlich ist als erstes Ergebnis das Sofortprogramm aufgestellt worden, von dem ich noch einmal sagen möchte, daß bisher präzise Zielvorstellungen nicht vorhanden sind und auch Lösungsalternativen nicht dargestellt werden.
— Eine Umweltschutzdebatte, lieber Herr Kollege Bardens, wäre wahrscheinlich im Frühjahr, wenn nämlich die Grundlinien zum Umweltschutzprogramm, das dem Kabinett gleichfalls vorgelegt worden ist, zu einem endgültigen Programm zusammengefaßt werden, besser. Wahrscheinlich können wir uns dann in der Sache hier noch intensiver unterhalten und auseinandersetzen.
Es ist außer Zweifel, daß in diesem Sofortprogramm einige neue Initiativen angeboten werden, mit deren konkreter Erarbeitung allerdings erst begonnen werden soll. Es sind auch Fortschritte -
etwa in der Entwicklung des Programms — erkennbar. Denken Sie nur an die Bleizusätze, wo erst
Fristen vorgesehen wurden, die dann schon in der Antwort auf die Große Anfrage eine Verbesserung erfahren haben.
Wie Sie wissen, war die Öffentlichkeit nach der großen Ankündigung dieses Programms dann enttäuscht über das, was kam. Ich darf im Zusammenhang mit dieser Feststellung hier einmal mit Genehmigung des Herrn Präsidenten den Deutschen Naturschutzring zitieren:
Blamabel ist der mühsam getarnte Rückzug, zu dem Bundesinnenminister Genscher mit seinem laut, allzulaut proklamierten Umweltschutzprogramm gezwungen wurde, blamabler noch im Detail die Verordnung über die Blei -zusatzgrenze in Benzin, die anmutet, als sei hier eine Vorlage der Ölfirmenlobby ungelesen übernommen worden.
Die Öffentlichkeit beobachtet also kritisch Ihre Aktivitäten. Man sollte eben draußen nicht den Eindruck erwecken, als ob mit dem Angebot des Sofortprogramms die dringensten Probleme schon einer Lösung zugeführt würden, wie es der Herr Bundeskanzler anläßlich der Kundgebung des Deutschen Naturschutzringes behauptet hat.
Leider ist auch festzustellen, daß zwischen dem ersten Programmentwurf und dem, den Sie nachher der Öffentlichkeit übergeben haben, Unterschiede sind; eine Reihe von Punkten sind nicht mehr aufgeführt worden. Ich frage mich, warum Sie z. B. darauf verzichtet haben, die Entwicklung von ElektroAutomobilen zu fördern, wie Sie im ersten Programm noch angekündigt haben. Ich hielte eine solche Förderung für eine wirklich gute Sache, und sie wäre wahrscheinlich auch noch im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten gewesen. Sie hatten in dem Programm zunächst in Aussicht gestellt, den Entwurf eines Abfallbeseitigungsgesetzes dem Kabinett schon im November vorzulegen. Auch davon ist jetzt nicht mehr die Rede. Wir wissen vielmehr, daß dieser Entwurf dem Kabinett und dann dem Flohen Hause erst später vorgelegt wird.
Zum zweiten. In dem Sofortprogramm tauchen eine ganze Reihe „guter alter Bekannter" auf, so das Bundesimmissionsschutzgesetz. Schon in der letzten Gesundheitsdebatte haben wir über den Umweltschutz gesprochen. — Herr Kollege Gruhl, ich bin noch so altmodisch, daß ich nach wie vor den Umweltschutz zur Gesundheitspolitik rechne. Insofern haben wir heute also nicht die erste Debatte. — Schon vor zwei Jahren hat Frau Bundesminister Strobel dem Hohen Hause angekündigt, daß ein Bundesimmissionsschutzgesetz vorgelegt wird. Jetzt haben wir das Jahr 1970 und erneut eine solche Ankündigung. Ich bin wirklich gespannt, ob wir uns im nächsten Jahr mit diesem Gesetz zu befassen haben.
Sie haben in dem Sofortprogramm die Neuschaffung von zwei Bundesanstalten gefordert, einmal der Bundesanstalt für Immissionsschutz und zum anderen der Bundesanstalt für Wasserwirtschaft und Abfallbeseitigung. Ich will hier gar nicht näher in die Diskussion darüber eintreten, ob es sinnvoll ist, für den Umweltschutz zwei Bundesanstalten zu
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schaffen, oder ob es nicht doch besser wäre, sich mit einer Bundesanstalt für den Umweltschutz zu begnügen, wie es die CDU und auch die SPD gefordert haben. Das Entscheidende scheint mir zu sein, daß hier die Schaffung zweier neuer Bundesanstalten gefordert wird, obwohl wir alle miteinander wissen, daß beim Bundesgesundheitsamt längst das Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene vorhanden ist. Wenn ich den Katalog der Aufgaben, die Sie für diese beiden Institute vorgesehen haben, einmal kritisch durchsehe, dann kann ich Ihnen nur sagen, daß die meisten dieser Aufgaben durchaus von dem bereits bestehenden Bundesinstitut wahrgenommen werden können. Es kann doch einfach nicht angehen, daß der Bundesinnenminister hier ein neues Bundesinstitut oder sogar zwei fordert, nur weil er sich unter Umständen mit dem Bundesgesundheitsminister nicht über die Ressortzugehörigkeit eines neuen Umweltinstituts einigen kann.
Es geht nicht allein um das Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene. Wir wissen, daß auf der Bundesebene, aber auch im Bereich der Länder eine ganze Reihe wirklich hochqualifizierter wissenschaftlicher Institutionen vorhanden sind, die schon seit Jahren im Bereich des Umweltschutzes tätig sind und gute Grundlagenarbeit geleistet haben. Hier hätte man — und das ist das Versäumnis dieses Sofortprogramms — ohne großen finanziellen Aufwand eine bessere Koordinierung im Kabinett herbeiführen können. Man muß — das ist eine Forderung, die ich hier erhebe — die bisherigen Institutionen starker nutzen. Man muß sie auch entsprechend ausbauen.
Aber es ist die Frage, ob der Bundesminister für Familie, Jugend und Gesundheit, dem dieses Institut im Rahmen des Bundesgesundheitsamts untersteht, überhaupt noch dieses Interesse daran hat. Denn im Aufgabenbereich hat es sehr viel mit der in das Innenministerium übergeleiteten Abteilung Umweltschutz zu tun. Wir erleben doch im Haushaltsausschuß seit Jahren, daß immer wieder Mittel für dieses Institut eingeplant werden, daß wir sie aber aus haushaltsrechtlichen Gründen wieder streichen müssen, weil das Bundesministerium für Familie, Jugend und Gesundheit bisher nicht in der Lage war, den Organisationsplan für das Bundesgesundheitsamt vorzulegen; eine Voraussetzung für den Ausbau einer Bundesinstitution für den Umweltschutz, die längst vorhanden ist, mit qualifizierten Leuten. Sie laufen Gefahr, meine Damen und Herren von der Regierung, daß in Berlin qualifizierte Mitarbeiter weggehen, nur weil sie über die Zugehörigkeit des Instituts und seinen weiteren Ausbau im unsicheren gelassen werden. Hier wäre für das Kabinett und den Ausschuß für Umweltschutz eine gute Möglichkeit, sich der bisherigen Institutionen des Bundes zu bedienen.
Das Problem der Behebung des erheblichen Mangels an Fachkräften hätte im Sofortprogramm eine noch stärkere Würdigung finden müssen. Wir wissen, daß der ganze Umweltschutz nicht nur eine Frage der Finanzen ist, nicht nur eine Frage der Gesetzgebung, sondern daß für die Behebung bestimmter Mißstände die entsprechende Anzahl qualifizierter Fachleute in den verschiedenen Ebenen notwendig ist.
Wir alle wissen, daß gerade hier noch ein erheblicher Mangel besteht. Hier muß gleichfalls ein Schwerpunkt der künftigen Arbeit für den Umweltschutz liegen.
Ich meine, daß auch Probleme, die aus der Gesundheitspolitik sehr stark in den Umweltschutz hineinragen, mit in diesem Sofortprogramm hätten zum Ausdruck gebracht werden müssen. Das sind einmal die Fragen der Lebensmittel, der Düngemittel, der Massentierhaltung, hier insbesondere der Importe aus dem Ausland. Das sind alles Dinge, die auf die Umwelt oder auf den Menschen in ganz besonderer Weise einwirken. Ich darf nur daran erinnern, daß allein durch die Fütterung mit Antibiotika oder mit Hormonen ganz erhebliche Schäden beim Menschen oder zumindest die Resistenz bei bestimmten Erregerstämmen verursacht werden können. Ich glaube, daß auch das zum Umweltschutz gehört.