Rede von
Dr.
Wolfgang
Rutschke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ja, natürlich; daß das nur schrittweise gemacht werden kann, ist mir völlig klar. Aber ich glaube, wenn wir seinerzeit mit den Ländern schneller vorangekommen wären — ich denke z. B. an das Wasserhaushaltsgesetz —, wäre eine schnellere Änderung der Verhältnisse möglich gewesen.
Meine Damen und Herren, die wirklich alarmierenden Zeichen, von denen auch die Bevölkerung aufgeschreckt worden ist, waren die Smog-Katastrophen in London und in Los Angeles, die deutlich machten, daß die Bevölkerung so intensiv von der Luftverschmutzung betroffen wird, daß sie sich damals in diesen Städten unter besonderen klimatischen Verhältnissen nur mit Masken aus Stoff oder anderem Atemschutz bewegen konnte. Durch das Unglück mit der „Torrey Canyon" ist deutlich geworden, welche Gefahren hinsichtlich der Wasserverschmutzung — in diesem Fall der Seeverschmutzung — eintreten können, weite Landstriche an der englischen Küste waren davon betroffen. Das hat das Gute gehabt, daß die Bevölkerung sah, welche Probleme auf uns zukommen, und daß das Bewußtsein der Bevölkerung, sich mit diesen Problemen auseinandersetzen zu müssen, stärker wurde. Das ist ein wichtiges Moment, das wir mit unterstützen sollten, daß die Bevölkerung sieht, daß sie selbst mit Anteil haben muß, daß sie auch etwas dazu tun muß, um die gesteckten Ziele zu erreichen.
Nun, die Probleme sind bereits genannt worden. Ich kann mich jetzt vielleicht doch etwas kürzer fassen, weil ich nicht alles wiederholen will, was hier von meinen Kollegen von der SPD und von der CDU/CSU schon vorgetragen worden ist und. dem ich durchaus zustimme. Durch die Verseuchung von Seen, Flüssen und Meeren ist klargeworden, daß man hier Schutzmaßnahmen ergreifen muß. Veröffentlichungen in der letzten Zeit haben deutlich gemacht, daß der Bodensee zu einem Brackwasser wird, wenn wir nichts tun. Auf die Verseuchung des Rheins und die Schwierigkeiten, die dort aufgetreten sind, hat Herr Kollege Dr. Bardens bereits hingewiesen. Von 1949 bis 1968 hat sich dort eine zwanzigfache Verschmutzung ergeben. Herr Bardens sprach vorhin von den zehn Jahren, in denen eine zehnfache Verschmutzung eingetreten ist. Auch die Lärmentwicklung und die Müllbeseitigung sind Fragen, die in diesen Bereich hineingehörten und wo wir Änderungen vornehmen müssen.
4812 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Dezember 1970
Dr. Rutschke
Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage in der Drucksache VI/1519 dankenswerterweise die Probleme sehr eingehend dargestellt. Diese Antwort, meine Damen und Herren, sollten Sie eingehend lesen; denn sie ist sehr ausführlich und sehr übersichtlich. Ich kann mich deshalb hier darauf beschränken, darauf zu verweisen, daß auch die Luftreinhaltung — auf Seite 3 dieser Drucksache — und die Abfallbeseitigung sowie das Lärmproblem — auf den Seiten 5 ff. — eingehend besprochen worden sind. Ich würde Ihnen das Studium dieser Drucksache wirklich empfehlen.
Nun erhebt sich immer wieder die Frage: Wie kann man das ändern, und wer ist der Schuldige? Ich glaube — ich habe das vorhin schon angedeutet —, daß wir in der Tat alle daran schuld sind und alle mithelfen können, natürlich jeweils in begrenztem Rahmen. Wir müssen das Umweltbewußtsein stärken. Jeder kann sehr viel dazu tun, hier Änderungen herbeizuführen, insbesondere bei der Müllbeseitigung. Ich würde, wenn ich die Auswahl hätte, eben nicht die Einwegflasche nehmen, sondern eine andere Verpackung. Denn ich trage sonst dazu bei, daß ein sehr kostenbewußter Unternehmer meint, die Einwegflasche sei kostenmäßig für ihn günstiger, dabei aber nicht daran denkt, daß auch die Beseitigung der Einwegflasche Kosten verursacht, die er auf andere Schultern abwälzt. Das ist vielleicht kein besonders glückliches Beispiel, aber mir fällt im Augenblick kein anderes ein.
Jeder kann, wie gesagt, durch sein Verhalten mit dazu beitragen, die anstehenden Probleme zu lösen. Herr Kollege Dr. Bardens hat darauf hingewiesen, daß die Industrie schon in der Vergangenheit erfreulicherweise erkannt hat, daß sie hier etwas tun mußte. Man weiß, daß z. B. die chemische Industrie in den letzten Jahren etwa 1 Milliarde DM für diese Aufgaben — Reinhaltung des Wassers und vermehrte Bekämpfung der Luftverschmutzung — aufgebracht hat. Das sind recht beachtliche Beträge, die zur Verfügung gestellt worden sind. Aber auch die Mineralölindustrie hat sich bereit erklärt, etwa eine Milliarde zu investieren, um den Bleizusatz, der in den jetzigen Treibstoffen vorhanden ist, auf den Satz von 0,4 % zurückzuführen.
An den Gesetzgeber müssen wir die Forderung richten, die Gesetzgebung auch im Hinblick auf den Umweltschutz zu koordinieren. Wir sollten uns also bei jedem Gesetz überlegen, inwieweit die Umwelt nachteilig beeinflußt werden kann. Vorhin wurde das Beispiel der Kfz-Hubraumsteuer angeführt. Es wurde gesagt, infolge der Hubraumsteuer würden besonders schädliche Gase konzentriert in die Luft abgegeben und die Gesetzgebung auf dem Gebiet sei deshalb überholt. Es gibt aber auch andere Meinungen dazu. Gleichwohl möchte ich die Hubraumsteuer nicht verteidigen; ich habe sie auch aus anderen Gründen für unzweckmäßig gehalten. Aber wenn man sie nicht hätte, hätten die Motoren einen größeren Hubraum und gäben dann größere Gasmengen ab. Es wäre also gehupft wie gesprungen. Das ist die andere Meinung von Fachleuten. Aber ich habe darüber kein Urteil, da ich nicht Fachmann auf diesem Gebiet bin.
Eine wichtige Erklärung hat die Bundesregierung auf den Seiten 8 und 9 der Drucksache VI/ 15l9 abgegeben. Dort erklärt sie, daß der Umweltschutz Priorität genießen muß und auch im Hinblick auf das Wachstum der Wirtschaft Priorität genießt. Das ist eine entscheidende Frage. Denn wir werden uns darüber klar sein müssen, daß entsprechende Auflagen an die Wirtschaft als Kostenelement in die Preise eingehen werden und damit die Aufbringung der Kosten natürlich verlagert wird, indem sie dann auf die Allgemeinheit, auf die Verbraucher übertragen werden. Davon wird natürlich in gewisser Hinsicht auch das Sozialprodukt tangiert. Das müssen wir in Kauf nehmen, weil die Frage des Umweltschutzes eine Priorität besitzt, die einfach nicht zu übersehen ist, die wir vielmehr mit aller Intensität jetzt durchsetzen müssen.
Wir werden uns überlegen, inwieweit man Steuerabzugsfähigkeit hierfür einführen kann — das wird eine Frage der Zweckmäßigkeit sein —, um die Industrie anzuregen, vielleicht mehr zu tun — und dies rechtzeitig zu tun —, als es von Gesetzes wegen vorgeschrieben werden könnte. Wir müssen bei der internationalen Zusammenarbeit darauf achten — auch darauf haben meine Herren Kollegen bereits hingewiesen —, daß keine Wettbewerbsverzerrungen entstehen. Denn ein Land, das der Industrie sehr strenge Bestimmungen im Hinblick auf den Umweltschutz auferlegt, würde dadurch in den Wettbewerbsnachteil kommen, daß es höhere Kosten hat als ein anderes Land, das sich an diese Bestimmungen nicht hält. Deshalb müssen wir auch auf dem internationalen Gebiet eine Regelung finden, die allen dienlich ist.
Als Mitglied des Europarats habe ich Gelegenheit gehabt, in diesen internationalen Bereich einen Einblick zu nehmen. Hierzu darf ich Ihnen folgendes sagen. Eine Reihe spektakulärer Anlässe wie die Vergiftung des Rheins oder die Ölverschmutzung des Meeres durch den gestrandeten Tanker „Torrey Canyon" haben so alarmierend gewirkt, daß das Problem im Bereich der europäischen Staaten nun als äußerst akut empfunden wurde, so akut, daß man ihm nicht mehr mit vereinzelten Maßnahmen auf nationaler oder regionaler Ebene allein beizukommen versuchte. Eine ganze Reihe von internationalen Organisationen haben sich der Sache angenommen. Es wird allenthalten davon gesprochen, in der Interparlamentarischen Union, bei der NATO, in der UNO und in der OECD, bei internationalen Gemeindekonferenzen oder bei der Europäischen Raumordnungsministerkonferenz, die im September in Bonn stattfand. Es wird viel davon geredet, aber sicher nicht genug getan.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit etwas über die Tätigkeit des Europrates auf diesem Gebiet sagen, weil ich, wie ich bereits sagte, diese Probleme aus eigener Erfahrung in der Beratenden Versammlung kenne und weil ich meine, daß das, was dort geschieht, unsere Aufmerksamkeit und Unterstützung verdient. Vielleicht tut auch der Europarat nicht genug, aber das liegt nun einmal an seiner Konstruktion. Die Beratende Versammlung jedenfalls läßt es an Hinweisen und Anregungen nicht fehlen. Fragen
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Dr. Rutschke
des Umweltschutzes und der Umwelthygiene sind in den letzten Jahren zu einem ihrer Hauptdiskusionsthemen geworden. Wenn der Ministerrat nicht die gewünschten Konsequenzen daraus zieht und wenn die Regierungen sich nur schwer entschließen, diese Anregungen aufzugreifen, so ist das eine andere Sache, die die Beratende Versammlung nicht mehr beeinflussen kann.
Immerhin hat der Europarat allein in diesem Jahr die Europäische Naturschutzkonferenz im Februar nach Straßburg und die Konferenz der europäischen Raumordnungsminister nach Bonn einberufen. Die beiden Konferenzen hatten zumindest das Ergebnis, daß man übereingekommen ist, den Umweltschutz auf europäischer Ebene zu aktivieren und sich um neue Methoden der Zusammenarbeit zu bemühen, um eines der drängendsten Probleme unserer Zeit der Lösung näherzubringen. Es versteht sich wohl von selbst, daß auf die Dauer nur internationale Bemühungen zu echten Erfolgen führen können. Auch die Europäische Gemeindekonferenz, die im Oktober im Europahaus in Straßburg tagte, hat sich sehr eingehend mit diesen Fragen beschäftigt und ihre Mitglieder aufgefordert, auf kommunaler Ebene alles zu tun, um weiteren Umweltschäden Einhalt zu gebieten.
Im Arbeitsprogramm, das der Europarat vor kurzem für die nächsten zwei Jahre aufgestellt hat, ist ein umfangreiches Kapitel mit detaillierten Vorschlägen für konkrete Aufgaben enthalten. Seit 1963 gibt es im Rahmen des Europarates ein besonderes Komitee zur Erhaltung von Natur und natürlichen Hilfsquellen und seit 1967 ein Expertenkommitee für die Luftverunreinigung. Diese Komitees haben den Auftrag, die im Arbeitsprogramm vorgesehene Untersuchung über die Reinhaltung des Süß- und des Meereswassers, über die Luftverschmutzung und Lärmbekämpung, über Bodenerosion und Aufforstung, über Natur- und Landschaftsschutz durchzuführen und konkrete Vorschläge auszuarbeiten. Auf ihre Tätigkeit geht es zurück, daß im Jahre 1968 von der Beratenden Versammlung eine Europäische Wasser-Charta angenommen werden konnte, die zunächst zwar nur auf das bedrohliche Problem der Süßwasserverschmutzung aufmerksam machte und die zuständigen Stellen sowie alle Bürger auf ihre Verantwortung hinwies. Inzwischen ist aber auch schon eine europäische Konvention in Vorbereitung, in der die Regierungen zu konkreten Maßnahmen zur Reinhaltung des Wassers verpflichtet werden.
Während der letzten Tagung der Beratenden Versammlung des Europarats berichtete der französische Kommandant Cousteau als international anerkannter Sachverständiger vor mehreren Ausschüssen des Europarats aus seinem Fachgebiet, der Verschmutzung des Meeres. Nach seinen Angaben findet man im Meereswasser bis zu 100 m unter seiner Oberfläche Rückstände von schädlichen Chemikalien, die aus den Flüssen ins Meer getragen werden und eine ernste Gefährdung der Meeresfauna darstellen. Nach neueren Schätzungen sollen in einem Jahr allein an den holländischen Küsten zwischen 20 000 und 50 000 Vögel an den Folgen der Verschmutzung
zugrunde gehen. Er forderte drakonische nationale und internationale Regelungen, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten.
Im Sozialausschuß und in anderen zuständigen Ausschüssen der Beratenden Versammlung wird laufend über eine den Zivilisationsgefahren angemessene moderne Umwelthygiene gesprochen, und sie wird auch eines der Hauptthemen sein, die ein europäisches Parlamentarierkolloquium im nächsten Jahr in Stockholm behandeln wird.
In den letzten Jahren wurden in der Beratenden Versammlung Berichte vorgelegt über Gefahren beim Gebrauch von Schädlingsbekämpfungsmitteln, über Lärmbekämpfung, Luftverunreinigung, Verschmutzung der Binnengewässer und Meere, Abfallbeseitigung, und was alles zur Verschlechterung unserer Umweltbedingungen beiträgt und in der Zukunft katastrophale Auswirkungen haben kann. An Iniatiativen der Versammlung und ihrer Ausschüsse für eine umfassende und großzügige Gesetzgebung auf dem Gebiete der Umwelthygiene fehlt es also nicht. Aufgabe des Ministerkomitees wäre es nur, diese Initiativen auch zu berücksichtigen und Normen aufzustellen, die für alle Mitgliedstaaten verbindlich wären.
Immerhin ist im Europarat bereits ein europäisches Abkommen über die Verwendung bestimmter Detergentien in Wasch- und Reinigungsmitteln vorgelegt und auch von der Bundesregierung unterzeichnet worden. Es wäre nur zu wünschen, daß bald ähnliche Abkommen zum Schutz unserer Umwelt mit sehr präzisen Vorschriften folgen.
In einer Entschließung hat die Versammlung außerdem angeregt, in den nationalen Parlamenten ein besonderes Auskunftssystem für Umweltprobleme einzurichten, um sowohl die nationale Gesetzgebung zu beeinflussen als auch die Zusammenarbeit der verschiedenen Parlamente zu intensivieren. Mir scheint, das sollten wir uns auch im Bundestag zu eigen machen.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es erstaunlich, daß wir trotz der Bemühungen des Europarats und seiner Beratenden Versammlung heute leider Anlaß haben, uns mit einem Antrag zu befassen, den alle Fraktionen gemeinsam auf Umdruck 96 *) eingebracht haben. Es ist erstaunlich, daß gerade die holländische Regierung erklärt haben soll, es gehe einen Nachbarstaat nichts an — das hat sie quasi gesagt —, was Holland in bezug auf die Wassereinleitung machen, oder nicht machen wolle.
Das läuft den Intentionen des Europarats genau zuwider. Wir bitten daher mit diesem Entschließungsantrag die Regierung, alles zu tun — vielleicht auch über den Europarat oder andere internationale Gremien —, um der holländischen Regierung klarzumachen, daß ihr Verhalten in keiner Weise gebilligt werden kann.
*) Siehe Anlage 2
4814 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 87. Sitzung. Bonn, Mittwach, den 16. Dezember 1970
Dr. Rutschke
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß in einigen Ausführungen noch die Stellungnahme der Freien Demokraten zu dem Gesamtproblem aufzeigen und ihre Forderungen mitteilen! Ich glaube, daß wir mit dieser Stellungnahme die Probleme so sehen, wie sie gesehen werden müssen.
Oberstes Ziel der Verfassungs- und Gesellschaftsordnung in der Bundesrepublik ist der Schutz der Würde des Menschen. Dieses Grundrecht kann nicht nur durch staatliche und wirtschaftliche Maßnahmen verletzt werden, sondern auch durch die Zerstörung unserer Umwelt. Es ist das Ziel einer liberalen Umweltschutzpolitik, jedem Bürger ein Höchstmaß an Entfaltungsmöglichkeiten und körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu garantieren. Dies erfordert neben einem Negativschutz vor eingetretenen Umweltschäden vorausschauende Planung des Umweltschutzes, um jedem Bürger ständig die von ihm gewünschte und gewollte Qualität des Lebens zu ermöglichen. Das bedeutet: die Erhaltung der höchstmöglichen Qualität des Lebens genießt in der Planung des Umweltschutzes Vorrang vor wirtschaftlichen Zielen wie Vermehrung des Wohlstandes und Maximierung des Gewinns. Alle wirtschafts- und unternehmenspolitische Entscheidungen werden in Zukunft daran gemessen werden, welche schädlichen Folge- und Nebenwirkungen das angestrebte Wachstumsziel, die Einführung einer neuen Technologie oder die Einführung eines neuen Produkts auf dem Markt für den Zustand unserer Umwelt haben.
Umfassender Umweltschutz muß die folgenden Punkte berücksichtigen. Erstens. Umweltschutzpolitik ist Gesellschaftspolitik. Sie verlangt eine Änderung der Wertvorstellungen in der Industriegesellschaft. Umweltzerstörung und -vergiftung muß als strafwürdige Handlung angesehen werden. Der Verursacher haftet grundsätzlich für die von ihm angerichteten Umweltschäden. Umweltschutz hat für die Industriegesellschaft im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts die gleiche Bedeutung, die im ersten Drittel die soziale Frage und im zweiten die Bildungsplanung hatte. Umweltschutzplanung ist nicht ein abstraktes Thema für Spezialisten, sondern Sache aller gesellschaftlichen Gruppen und der sozialen Verantwortung jedes einzelnen Bürgers.
Zweitens. Ausgaben für den Umweltschutz müssen in den öffentlichen Haushalten Priorität erhalten. Sie betragen zur Zeit noch nicht ein Zehntel der Ausgaben für die äußere Sicherheit. Der ERP-Fonds sollte in einen Umweltschutzfonds umgebildet werden, aus dem wichtige Umweltschutzmaßnahmen wie der Bau von Kläranlagen und die Entwicklung sauberer Technologien finanziert werden können. Ähnlich wie in Holland und Schweden müssen vor allem von Großverschmutzern besondere Abgaben erhoben werden. Ferner sollten neue Formen steuerlicher Anreize für den Bau von Umweltschutzanlagen und die Einführung sauberer Technologien gefunden werden. Neue Möglichkeiten einer Vorfinanzierung wichtiger Umweltschutzaufgaben über Privatinitiativen sollten erwogen werden.
Drittens. Umweltschutz bedarf einer genauen Kenntnis der komplizierten Zusammenhänge zwischen unbelebter und belebter Natur und deren
Wechselwirkungen mit der Kulturwelt des Menschen. Die Kenntnisse der schädlichen Folgewirkungen der technischen Entwicklung auf Gesundheit und Umwelt des Menschen sind bisher unzureichend. Gundlagenforschung, Institute für angewandte Umweltforschung und Zukunftsforschung sowie Aufklärung der Bevölkerung durch Testinstitute, Umweltwochen und Einschaltung der Kommunikationsmedien sind notwendig.
Viertens. Die bisher nur punktuell behandelten Fragen z. B. der Luftverunreinigung, des Wasserhaushalts, des Lärmschutzes und der Biozidforschung müssen in einem breit angelegten Gesamtprogramm der Bundesregierung mit klaren Zielwerten, auf die sich die Industrie und alle anderen gesellschaftlichen Gruppen einstellen können, zusammengefaßt werden. Das Gesamtprogramm muß Angaben über die Kosten vorgeschlagener Maßnahmen enthalten und Wege zu ihrer Finanzierung aufzeigen.
Das Gesamtprogramm muß sicherstellen, daß die Erforschung und Berücksichtigung der schädlichen Folge- und Nebenwirkungen neuer Produkte oder Verfahren in Zukunft nicht hinter der Entwicklung dieser Produkte und Verfahren zurückbleibt.
Fünftens. Dem Bund muß die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz auf den Gebieten der Luftreinhaltung, der Müllbeseitigung, des Wasserhaushalts, des Naturschutzes und der Landschaftspflege gegeben werden. Ein Planungs-Informations-System für alle Bereiche des Umweltschutzes muß aufgebaut werden, das modernste Meßverfahren und -methoden berücksichtigt und eine Bewertung der schädlichen Nebenwirkungen bestimmter Verfahren und Produkte ermöglicht. Nur dann können die notwendigen Gesetze mit Festlegung von Richtwerten für die Herabsetzung des Verschmutzungsgrades unserer Umwelt erlassen werden. Bundesanstalten für Entwicklung und Erprobung neuer Umweltschutzverfahren müssen gegründet werden.
Sechstens. Auf allen Gebieten des Umweltschutzes sind internationale Konventionen und Abkommen notwendig, schon wegen des grenzüberschreitenden Charakters der Umweltbelastungen, aber auch wegen der bestehenden wirtschaftspolitischen Interdependenz. Ein internationaler Gerichtshof sollte auf die Einhaltung dieser Konventionen achten. Wettbewerbsverzerrungen müssen vermieden werden. Auf der anderen Seite darf der Hinweis auf schlechteren Umweltschutz in Nachbarländern kein Grund für die Verzögerung des deutschen Umweltschutzprogramms sein.