Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird die heutige Tagesordnung erweitert um
1. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, FDP betr. Nachwahlen ,
2. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Sozialpolitik über die von der Bundesregierung vorgelegten Entwürfe der Verordnung über die Soziale Sicherheit der Grenzgänger und der Verordnung über die Soziale Sicherheit der Saisonarbeiter ,
3. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Sozialpolitik über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegte Verordnung des Rates der EWG zur Abänderung der Verordnungen Nr. 3 und Nr. 4 des Rates der EWG über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer ,
4. Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Inneres über eine von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegte Verordnung über die Einzelheiten für die Feststellung der Ruhegehälter der in Artikel 83 Absatz 3 des Statuts genannten Beamten sowie für die Aufteilung der aus der Zahlung dieser Ruhegehälter entstehenden Lasten auf den Versorgungsfonds der EGKS und die Haushaltspläne der EWG und der EAG .
Außerdem ist schon durch Beschluß in der 60. Sitzung des Bundestages am 13. Februar 1963 die Tagesordnung erweitert worden um die
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Änderungsgesetzes zum AVAVG .
Es ist beabsichtigt, diese Tagesordnungspunkte nach
Nr. 9, also vor der Debatte über die Probleme der
Reform des Umsatzsteuersystems, aufzurufen. — Das Haus ist damit einverstanden.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat unter dein 12. Februar 1963 die Verordnung Z Nr. 1/63 über Preise für Zuckerrüben der Ernte 1963, die Verordnung Z Nr. 2/63 zur Änderung der Verordnung Z Nr. 3/58 über Preise für Zucker zur Kenntnisnahme übersandt. Die Verordnungen liegen im Archiv zur Einsichtnahme aus.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 55 des Rates hinsichtlich der Regelung für Malz — Drucksache IV/972 -
an den Ausschuß für Außenhandel — federführend — und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitberatend —
Verordnung des Rates über die vorübergehende Änderung der Verordnung Nr. 55 des Rates hinsichtlich der Regelung für denaturiertes Manihotmehl — Drucksache IV/946 —
an den Ausschuß für Außenhandel — federführend — und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten —mitberatend —.
Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde .
Zunächst die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Ich rufe auf die Frage X/11 — des Abgeordneten Josten —:
Wie weit sind die Pläne für die Umgehungsstraße Altenahr gediehen?
Herr Kollege, dem Bundesminister für Verkehr ist im vergangenen Jahr von der Auftragsverwaltung des Landes Rheinland-Pfalz ein Vorentwurf für die Umgehungsstraße Altenahr vorgelegt worden. Dieser Entwurf ist vom zuständigen Referenten in der Örtlichkeit mit Vertretern des Landes besprochen worden. Da die Kosten bei der vorgesehenen Lösung mit 25 bis 30 Millionen DM in keinem Verhältnis zu den erzielten Verbesserungen stehen würden, wurde die Auftragsverwaltung gebeten, eine neue Linienführung für die Umgehungsstraße zu untersuchen. Die hierzu notwendigen Luftaufnahmen werden in Kürze durchgeführt, sie sind durch den Winter verzögert worden. Erst dann kann die Planung fortgesetzt werden. Ich hoffe, daß sie so gefördert werden kann, daß noch während des zweiten Vierjahresplanes mit den Arbeiten begonnen werden kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten!
Metadaten/Kopzeile:
2776 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß besonders in den Sommermonaten die Verkehrsverhältnisse in Altenahr katastrophal sind, so daß eine möglichst schnelle Verwirklichung der Pläne für die Umgehungsstraße dringend erforderlich wäre?
Die Verhältnisse in Altenahr sind mir sehr wohl bekannt. Es liegt ja nahe genug bei Bonn, daß man sich um diese Sache auch von hier aus kümmern kann. Im übrigen ist die Lage im Ahrtal wie in den ganzen Tälern der Eifel und auch des Hunsrück, wie Sie wissen, sehr schwierig. Infolgedessen bedürfen diese Arbeiten mit Rücksicht auf die Bebauung und auch auf die Nutzung der Grundstücke zu landwirtschaftlichen und Weinbauzwecken einer besonders gründlichen Vorbereitung. Dadurch kann es leider Gottes nicht so schnell gemacht und kann auch nicht so schnell gebaut werden. Ich darf Sie z. B. daran erinnern, wie lange wir uns mit der Umgehungsstraße für Kirn und jetzt mit der Umgehungsstraße für Idar-Oberstein herumschlagen. Da liegen ja ähnliche Verhältnisse vor.
Ich rufe auf die Frage X/12 — des Abgeordneten Dr. Rutschke —:
Welche Gründe sind dafür maßgebend, daß die Nordtangente der B 10 bei Karlsruhe entgegen den Vorstellungen des Verkehrsausschusses des Landtages von Baden-Württemberg und dem Vorschlag des Bürgermeisters von Neureut durchgeführt werden soll?
Herr Kollege Rutschke hat drei Fragen gestellt. Ich darf fragen, ob er einverstanden wäre, wenn ich sie hintereinander beantworte.
Wie Sie belieben. Dann rufe ich auch auf die Fragen X/13 und X/14:
Billigt es der Herr Bundesverkehrsminister, daß angesichts der Bemühungen der Bundesregierung um Beschaffung von Bauland in den Ballungsgebieten die vorgesehene Führung der B 10 wertvolles, zum Teil schon erschlossenes Bau- oder Bauerwartungsland seiner Bestimmung entziehen wird?
Ist sich der Herr Bundesverkehrsminister der Gefahren für die Bevölkerung von Neureut — vor allem für die Schulkinder — bewußt, die sich daraus ergeben, daß die Führung der B 10 den Ortsteil Heide von der Gemeinde Neureut abschneiden soll?
Herr Kollege, die Vorplanung für die neue Nordtangente in Karlsruhe im Zuge der Bundesstraße 10 ist im engen Einvernehmen zwischen der Stadt Karlsruhe, dem Regierungspräsidium Nord-Baden und dem Innenministerium Baden-Württemberg in Stuttgart aufgestellt worden. Diese Arbeiten sind inzwischen so weit gediehen, daß an Hand der Vorplanung die Ausarbeitung eines baureifen Entwurfs in Angriff genommen werden konnte. Ziel der Planung ist es, für die Bundesstraßen 10 eine zügige Schnellverbindung mit voraussichtlich autobahnartigem Querschnitt zwischen der neuen Rheinbrücke bei Karlsruhe-Maxau und dem Pfinztal östlich von Karlsruhe zu schaffen. Neben diesen Gesichtspunkten, die im Interesse des Fernverkehrs eine möglichst kurze Verbindung, und zwar unterAusschaltung der bestehenden Ortsdurchfahrt von Karlsruhe, zwischen der Pfalz und dem gesamten nordbadisch-württembergischen Raum als wünschenswert erscheinen lassen, soll die neue Nordtangente 1. für den im Vorfeld der Stadt Karlsruhe außerordentlich starken Pendlerverkehr aus den Pfinztalgemeinden eine bessere Verbindung nach dem Zentrum der Stadt, 2. nach dem hauptsächlich westlich von Karlsruhe gelegenen Industriegebiet mit drei Ölraffinerien und einem großen Zweigwerk von Mercedes-Benz neben bereits bestehenden Werken sowie 3. für das neue Industriegebiet zu beiden Ufern des Rheins eine gute, kreuzungs- und ortsdurchfahrtsfreie Verbindung mit dem System der Bundesfernstraßen einschließlich Autobahn östlich und nördlich Karlsruhe schaffen. Es ist naheliegend, daß die geplante Straße die ihr gestellten Aufgaben um so besser bewältigen kann, je kürzer und damit um so stadtnäher die geplante Linienführung sein wird. Deshalb haben die planenden Stellen einvernehmlich eine Trasse vorgeschlagen, die bei Grötzingen — östlich von Karlsruhe — von der bestehenden Bundesstraße 10 abzweigt, eine noch vorhandene Baulücke zwischen den Stadtteilen Rintheim und Hagsfeld ausnützt, um dann in nahezu gerader westlicher Linienführung südlich der Gemeinde Neureut und dann nordwestlich an Karlsruhe-Knielingen vorbei an die Zufahrtsrampe der neuen Rheinbrücke Karlsruhe-Maxau anzuschließen, wobei nördlich davon die beiden Raffinerien östlich des Rheins gut angeschlossen werden könnten.Eine andere Variante für die künftige Führung der Bundesstraße 10 im Karlsruher Raum war zwar 1 vor einem Jahr noch im Gespräch, als dem Verkehrsausschuß des Landtages ein Antrag vorlag, der eine günstige Verkehrsverbindung des Atomreaktorgeländes bei Leopoldshafen zum Gegenstand hatte. In der Diskussion darüber wurden mehrere Straßen genannt, die vordringlich ausgebaut werden sollten, im wesentlichen Straßen des Landes. Die Nordtangente der Bundesstraße 10 zählte allerdings nicht dazu. Da der Verkehrsausschuß des Landtages außerdem keinen Beschluß in dieser Angelegenheit gefaßt hat, sehe ich keinen Widerspruch zu der bereits durchgeführten Planung und den von Ihnen erwähnten Vorstellungen des Verkehrsausschusses des Landtages von Baden-Württemberg, an die sich ja sonst auch das Landesministerium würde halten müssen.In diesem Zusammenhang darf ich noch erwähnen, daß dem Bundesverkehrsministerium bisher die Planung noch nicht offiziell zur Einsichtnahme oder gar zur Zustimmung übersandt worden ist. Ich habe allerdings anläßlich eines Besuches in Karlsruhe im Herbst des vergangenen Jahres Gelegenheit gehabt, mir die gesamte Planung von den Vertretern der Stadt selbst und von den Vertretern des Regierungspräsidiums Nord-Baden in Karlsruhe sowie von den Repräsentanten der Industriewerke westlich von Karlsruhe vortragen zu lassen. Ich bin deshalb darüber unterrichtet, welche Schwierigkeiten der Planung einer dringend notwendigen neuen Bundesfernstraße im Karlsruher Raum entgegenstehen. Sie sind aber vergleichsweise nicht einschneidender, als sie bei der Vorfeldbereinigung der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963 2777
Bundesminister Dr.-Ing. SeebohmGroßstädte auch sonst aufzutreten pflegen, und bei weitem nicht so einschneidend wie bei den Planungen im Vorfeld z. B. von Stuttgart.Selbstverständlich wird es auch von mir sehr bedauert, wenn durch die Planung von neuen Bundesfernstraßen und von Umgehungsstraßen Gelände in Anspruch genommen werden muß, das für später als Bauland in Betracht kommen könnte. Ich lege deshalb großen Wert darauf und habe auch immer wieder darauf hingewiesen, daß solches Gelände möglichst durch die Straßenplanungen nicht beeinträchtigt werden sollte. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, daß gerade die Raumplanung im Vorfeld der großen und auch der größeren Städte voraussetzt, daß neu zu erschließende Wohn- und Siedlungsflächen günstige Straßenverbindungen erhalten. Wenn bei der Führung der neuen Karlsruher Nordtangente jedoch Gelände, das als Siedlungsgelände in Betracht kommt, nicht gänzlich gemieden werden kann, so müssen diese Nachteile meines Erachtens im Zusammenhang mit den zu erwartenden verkehrlichen Vorteilen gesehen werden. Dabei ist es Aufgabe der planenden Stellen und nicht von uns, die wir ja hinterher die Entscheidung haben, einen vertretbaren Weg herauszufinden, der sowohl in bautechnischer und verkehrlicher Hinsicht möglichst allen Anforderungen gerecht wird als auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine zufriedenstellende Lösung darstellt, auf die der Bund, der ja schließlich alles zu bezahlen hat, besonders bedacht sein muß.Die bisher durchgeführte Planung für eine neue Bundesstraße 10 im Vorfeld von Karlsruhe wurde von vornherein darauf abgestellt, daß dieser Straßenzug einen autobahnartigen Querschnitt mit getrennten Richtungsfahrbahnen erhalten soll. Schon der zu erwartende starke Tanklastwagenverkehr aus den drei Raffinerien zwingt dazu. Alle Kreuzungen mit anderen Verkehrswegen müssen deshalb in niveaufreier Form gelöst werden. Eine Gefährdung der Schulkinder auf ihrem Schulweg vom Ortsteil Heide nach Neureut dürfte deshalb durch diese Straße nicht eintreten, weil sie ja die Unterführungen benutzen können.Ich habe hier noch einen größeren Plan der ganzen Angelegenheit vorliegen, so daß irgendwelche Spezialfragen noch leicht erläutert werden können.
Nach den Richtlinien für die Fragestunde sollen die Fragen kurz gefaßt sein und eine kurze Antwort ermöglichen. Ich glaube, wenn wir noch in das Studium des Plans einträten, würde das den Rahmen der Fragestunde sprengen.
Noch eine Zusatzfrage? — Bitte, Herr Abgeordneter Rutschke.
Herr Bundesminister, Sie sagten vorhin, daß diese geplante Trasse südlich Neureut vorbeiführen werde. Darf ich Sie darauf hinweisen, daß die Trassenführung quer durch das Gebiet von Neureut hindurchgeht, und zwar in einer Breite von 435 Metern, so daß die gesamte Siedlungsplanung der Gemeinde Neureut damit
völlig über den Haufen geworfen ist? Die Gemeinde Neureut entwickelt sich naturgemäß und vernünftigerweise in Richtung Stadt Karlsruhe. Die jetzige Planung verhindert diese gesunde Entwicklung, dabei geht sehr wertvolles, teilweise bereits erschlossenes Baugelände unwiederbringlich verloren.
Herr Kollege, es ist eben hier die Frage, ob die Entwicklung des Industriezentrums westlich von Karlsruhe mit seinem Anschluß an das große Straßennetz bedeutender ist als die Planung der Gemeinde Neureut, die eine Vorortgemeinde von Karlsruhe ist. Bitte bedenken Sie, daß aus den drei Raffinerien alle Minute ein Tanklastwagen ausfährt und daß dieser Tanklastwagen auf kürzestem Wege zur Autobahn muß. Es ist natürlich zweckmäßig, daß man hier eine möglichst kurze Linie sucht und daß man dabei nicht auf die Planungen einzelner kleinerer Gemeinden Rücksicht nimmt; denn die Durchfahrt derartiger Lastwagen durch die Stadt Karlsruhe stellt eine Gefährdung dar, die wir unter allen Umständen so schnell wie möglich beseitigen müssen.
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, welche Ansicht hat man im Hinblick auf die Vorschläge der Gemeinde Neureut, die Straße nördlich an Neureut vorbeizuführen? Dieser Verkehr — pro Minute ein riesiger Tanklaster — würde doch sonst quer durch das Gebiet der Gemeinde Neureut gehen und auch das Siedlungsgebiet Ortsteil Heide betreffen.
Herr Kollege, die Planungen, sind, wie gesagt, einvernehmlich sowohl von der Stadt wie vom Regierungspräsidium wie vom Innenministerium gemacht worden, also auch von den für die Landkreise zuständigen Stellen. Wenn Sie sich einmal die Lage von Neureut ansehen — Sie kennen sie genauso gut wie ich —, sehen Sie, daß mit der nördlichen Linie nicht zu erreichen ist, daß die Lastwagen, die von hier kommen, diese Linie auch tatsächlich benutzen. Vielmehr werden sie dann weiterhin durch die Stadt fahren.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Erler!
Herr Minister, ist Ihnen aufgefallen, daß bei der Besprechung mit den Landesbehörden, von der Sie vorhin berichtet haben, Vertreter der beteiligten Gemeinden nördlich Karlsruhe nicht anwesend gewesen sind? Sind Sie nicht der Meinung, daß es zweckmäßig gewesen wäre, auch im Hinblick auf die Kosten, einmal zu prüfen, ob eine Straße, die um ein geringfügiges länger ist, aber dafür keine Wohn- und Industrieanlagen der Zerstörung anheimfallen läßt, volkswirtschaftlich leichter er-
Metadaten/Kopzeile:
2778 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963
Erlerträglich wäre und weniger Schaden in der dortigen Umgebung anrichten würde?
Herr Kollege Erler, alle Herren einschließlich des Landrats waren zu der Besprechung eingeladen. Sie sind nicht gekommen. Dafür kann ich nicht; denn die Einladenden waren in erster Linie das Regierungspräsidium Nordbaden und der Herr Oberbürgermeister von Karlsruhe. Wir haben da an Hand der Karten diese Fragen sehr genau geprüft und haben auch, weil sich natürlich der Landesinnenminister und der Regierungspräsident für die Problematik des nördlich Karlsruhe liegenden Raums sehr verantwortlich fühlen, diese Fragen eingehend besprochen. Schon damals ist der Herr Oberbürgermeister von Karlsruhe von mir gebeten worden, das Problem noch einmal, gegebenenfalls auch durch wissenschaftliche Verkehrsexperten, untersuchen zu lassen. Ich sagte ja vorhin, ich habe noch keinen endgültigen Planungsvorschlag, und ich habe noch keine endgültige Entscheidung über die Linienführung treffen ,können.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Erler!
Sind Sie bereit, bei der endgültigen Planung nicht nur die Meinung des Oberbürgermeisters von Karlsruhe, sondern auch die Vorschläge der nördlich von Karlsruhe liegenden Gemeinden sachlich prüfen zu lassen und mit in Ihre Erwägungen einzubeziehen?
Sie dürfen glauben, Herr Kollege Erler, daß ich alle solche Fragen selber sachlich prüfe und daß ich sie auch sachlich entscheide. Man hat aber abzuwägen, welche Notwendigkeiten schwerer wiegen. Eine Stadt wie Karlsruhe hat eben ihr Gewicht auch gegenüber den Vorortgemeinden. Das ist nicht anders zu machen.
— Es klang aber aus Ihrer Frage, verehrter Herr Kollege, als ob der Bundesminister für Verkehr keine sachliche Prüfung vornähme.
— Das ist eine Angelegenheit, die zunächst der Regierungspräsident von Karlsruhe durchzuführen hat.
Herr Abgeordneter Rutschke, Sie haben keine Möglichkeit zu einer Zusatzfrage mehr.
Ich habe drei Fragen ge stellt, habe also die Möglichkeit zu sechs Zusatzfragen.
Sie können das natürlich potenzieren, das kann ja zusammengefaßt werden. Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Minister, darf ich die Frage des Herrn Kollegen Erler insoweit wiederholen und fragen, ob Sie bereit sind, nun auch die Gemeinden nördlich von Karlsruhe noch einmal bei dieser Planung zu hören.
Selbstverständlich, sobald die weiteren Vorschläge des Innenministeriums vorliegen; denn ich muß zunächst dem Innenministerium überlassen, daß es diese Fragen selbst prüft. Das ist ja seine Aufgabe. Die Planungen werden von dem Innenministerium des Landes Baden-Württemberg und dem Regierungspräsidium Nordbaden aufgestellt. Diese müssen erst einmal mit den entsprechenden Leuten sprechen. Wenn sich dabei keine Einigung ergibt, dann ist für mich die Möglichkeit gegeben, vor der endgültigen Entscheidung auch noch einmal diese Kreise zu hören, die zu der Besprechung in Karlsruhe, wie gesagt, eingeladen waren, aber leider wegen Verhinderung des Herrn Landrates nicht erschienen waren.
Ich rufe dann auf die Frage X/15 — des Herrn Abgeordneten Oetzel —:Wann gedenkt die Bundesregierung die schon vor über 30 Jahren geplante Umgehungsstraße im Raume Witten zu bauen, um die längst unzureichende, in 3,5 km Länge durch das Stadtgebiet führende Gemeinschaftsstrecke der Bundesstraßen B 226 und B 235 vom Fernverkehr zu entlasten?Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 13. Februar 1963 lautet:Der Raum Witten kann nur im Zusammenhang mit der verkehrlichen Neuordnung im Raume Bochum/Witten/Wetter/Hagen gesehen werden. Als Grundlage für die zwischen Bochum und Hagen zu wählende Linienführung und die Bemessung des Straßenquerschnittes wurden bereits umfangreiche und eingehende verkehrswirtschaftliche Untersuchungen durchgeführt, die z. Z. von der Straßenbauverwaltung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe ausgewertet werden. Erst nach Abschluß dieser Vorarbeiten und genereller Abstimmung der Planung mit den betroffenen kommunalen Stellen kann in die Entwurfsbearbeitung mit anschließender Entwurfsprüfung eingetreten werden. Zur weiteren baureifen Vorbereitung der Maßnahme bedarf es dann der Durchführung der gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren zur Festlegung der Linienführung und zur Planfeststellung. Der eigentlichen Bauausführung muß dann noch der Grunderwerb vorangehen. Bei den in dicht besiedelten Gebieten gemachten Erfahrungen ist z. Z. nicht übersehbar, ob die umfangreichen und zeitraubenden Vorbereitungen so zeitgerecht abgeschlossen werden können, daß eine Inangriffnahme der Bauarbeiten für die Umgehungsstraße Witten noch im 2. Vierjahresplan erfolgen kann.Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Minister.Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Zunächst die Frage XI/1 — des Herrn Abgeordneten Kuntscher —:Ich frage den Herrn Bundespostminister, wann mit der Einrichtung des Selbstwählferndienstes beim Postamt in Bremervörde zu rechnen ist.Bitte, Herr Bundespostminister.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963 2779
Um den Selbstwählfemdienst im Bereich der Knotenvermittlungsstelle Bremervörde einrichten zu können, müssen erst die räumlichen Voraussetzungen für die Unterbringung der technischen Einrichtungen geschaffen werden. Hierzu gehören der Erwerb eines netztechnisch günstig gelegenen Grundstücks und die Errichtung eines Neubaus. Die Baukapazität der Oberpostdirektion Bremen ist jedoch durch den in den nächsten Jahren geplanten Ausbau des Selbstwählferndienstes des Bezirks Bremen so ausgelastet, daß die Räume in Bremervörde frühestens gegen Ende des Jahres 1966 bereitgestellt werden können. Der Aufbau der technischen Einrichtungen für den Selbstwählferndienst in Bremervörde ist daher nicht vor 1967 möglich.
Eine Zusatzfrage!
Eine Zusatzfrage! Stimmt es, Herr Bundespostminister, daß die Oberpostdirektion Bremen die äußeren Voraussetzungen für den Ausbau des Selbstwählferndienstes, d. h. den Grundstückserwerb, in den vergangenen Jahren sehr nachlässig betrieben hat und daß dadurch Bremervörde im Bremer Bereich für den Ausbau des Selbstwählferndienstes fast an letzter Stelle liegt?
Herr Kollege Kuntscher, ich weiß nicht, wie aktiv die Oberpostdirektion Bremen im Grundstückskauf war und inwieweit das auf Bremervörde zutrifft. Aber ich weiß, daß wir nur dann Grundstücke kaufen, wenn auch die Planungsvoraussetzungen so weit vorangeschritten sind, daß sich der Einsatz der Mittel für den Kauf von Grundstücken auch gegenüber der Öffentlichkeit und gegenüber dem Rechnungshof rechtfertigen läßt.
Noch eine Zusatzfrage?
Herr Bundespostminister, würden Sie diesem Vorwurf, daß in den letzten Jahren die Pflichten beim Grundstückserwerb vernachlässigt worden sind, nachgehen, und könnten Sie mir dann darüber einen Bericht geben?
Selbstverständlich werde ich das prüfen lassen. Sie bekommen von mir einen schriftlichen Bericht.
Ich rufe auf die Frage XI/2 — des Abgeordneten Kuntscher —:
Ist dem Herrn Bundespostminister die beachtliche finanzielle Schädigung aller Inhaber von Fernsprechanschlüssen im Raum Bremervörde bekannt, die dadurch entsteht, daß im Selbstwählferndienst ein 3-Minuten-Gespräch von Bonn nach Bremervörde im Nachtdienst 0,64 DM kosten würde, daß aber das gleiche Gespräch im Handwähldienst von Bremervörde nach Bonn 2,29 DM bzw. bei Tag 3,36 DM kostet?
Wie bereits in früheren Fragestunden
zu dieser Frage ausführlich dargelegt worden ist, beruht die unterschiedliche Gebührenregelung darauf, daß die Kosten im handvermittelten Ferndienst wesentlich höher sind als im Selbstwählferndienst.
Zusatzfrage?
Sieht der Herr Postminister einen Weg, diese Ungerechtigkeiten baldigst zu beseitigen, damit nicht für schlechtere Leistungen höhere Gebühren zu zahlen sind?
Herr Kollege Kuntscher, ich habe zu diesen Fragen im Bundestag bereits sehr, sehr ausführlich Stellung genommen. Ich bin aber gerne bereit, noch einmal mit ein paar Sätzen darauf zurückzukommen.
Der Selbstwählferndienst ist die moderne Verbindung zwischen zwei Sprechstellen. Er ist erst seit dem Jahre 1952 im Bundesgebiet systematisch ausgebaut worden. Es ist natürlich unmöglich, ein so großes Fernsprechgebiet wie die Bundesrepublik Deutschland in wenigen Jahren auszubauen. Wir sind zügig vorangekommen. Die Investitionsmittel für diesen Zweck haben sich allein in den letzten vier Jahren verdoppelt. Das ist auch der einzige Weg, um die sogenannte Ungerechtigkeit der Gebührengestaltung aus der Welt zu schaffen. Daß wir durch möglichst hohe Investitionen den Selbstwählferndienst möglichst rasch zum Endausbau bringen, das ist mein Ziel, das ich wiederholt im Bundestag erklärt habe, und 'danach werde ich nach wie vor handeln.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kuntscher.
Ich möchte den Herrn Bundespostminister noch fragen, ob ihm auch bekannt ist, daß der Fernsprechdienst des Postamts Bremervörde um 21 Uhr auf das Postamt Bremerhaven umgeschaltet wird, daß damit nicht nur höhere Gebühren und schlechtere Leistungen, sondern auch noch unangemessene Wartezeiten bei der Verbindung eines Gespräches entstehen und daß es bei der letzten Katastrophenübung vorgekommen ist, daß man eine Viertelstunde brauchte, um den Kreisbrandmeister, der im Nachbarort von Bremervörde wohnt, telefonisch zu erreichen?
Die Sprechbereitschaft in den einzelnen Fernmeldeämtern richtet sich nach dem Gesprächsanfall. Auf Grund der auch Ihnen bekannten Personalnot, die die Deutsche Bundespost insbesondere in den unregelmäßigen Diensten wie dem Nachtdienst und vor allem auch in Auswirkung der Jugendarbeitsschutzgesetzgebung, die dieses Haus beschlossen hat, trifft, wird es für uns immer schwieriger, Kräfte zu bekommen. Wir müssen daher den Versuch unternehmen, nach 21 Uhr ein Fernmeldeamt zu einem anderen Fernmeldeamt zu schalten,
Metadaten/Kopzeile:
2780 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963
Bundesminister Stücklenum die Kräfte dort rationell einsetzen zu können. Der Anfall der Gespräche nach 21 Uhr ist im allgemeinen nicht so groß. Wir haben aber nicht die Möglichkeit, den Anfall so zu steuern, daß die Gespräche gleichmäßig und regelmäßig einlaufen. Aus diesem Grunde kommt es vor, daß Wartezeiten auftreten; das ist unvermeidbar.Herr Kollege Kuntscher, für Katastrophenfälle kann man eine gewisse Vorsorge treffen. Aber es ist nicht möglich, für Naturkatastrophen von dem Ausmaß der Flutkatastrophe im norddeutschen Raum alle Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß ein störungsfreier Betrieb in diesem Bezirk möglich ist; denn nicht nur diese eine Stelle wird versucht haben, irgendeine Dienststelle zu erreichen, sondern zum gleichen Zeitpunkt werden eben Hunderte von Ferngesprächen angefallen sein, so daß also hier ein Stau aufgetreten ist. Ich bitte daher zu berücksichtigen, daß solche Naturkatastrophen nicht eingeplant werden können, weil dazu Investitionen in einem unverhältnismäßig hohen Ausmaß erforderlich wären.
Ich glaube, Herr Postminister, Sie haben mich nicht ganz verstanden — —
Ihre Möglichkeiten sind erschöpft, Herr Kollege Kuntscher. Sie haben keine Möglichkeit, eine weitere Frage zu stellen. Sie haben bereits zwei Zusatzfragen gestellt.
Wir kommen zur Beantwortung der Frage XI/3 — des Abgeordneten Hammersen —:
Treffen Pressemeldungen zu, wonach es im Fernsprechverkehr Vorwählnummern für Orte in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere im Schwarzwald, gibt, die nach dem amtlichen Fernsprechbuch noch keine solche Nummern haben und für die daher die amtlichen Fernsprechauskunftstellen die Angabe dieser Vorwählnummern verweigern und interessierte Fernsprechteilnehmer statt dessen auf den kostspieligeren Handvermittlungsdienst verweisen?
Die Frage wird von Herrn Abgeordneten Dürr übernommen.
Nicht nur im Schwarzwald, sondern fast überall im Bundesgebiet können bei Kenntnis der entsprechenden Kennzahl einige Ortsnetze selbst gewählt werden, die noch nicht „zum Selbstwählferndient zugelassen" und deshalb in den amtlichen Unterlagen noch nicht verzeichnet sind. Die verschiedentlich geäußerte Vermutung, daß die Deutsche Bundespost diese Kennzahlen nicht veröffentliche, um die Ausnutzung des zum Teil billigeren Tarifs zu verhindern, ist unzutreffend. Als Ganzes gesehen ist der Selbstwählferndienst auch für die Deutsche Bundespost weitaus wirtschaftlicher als der handvermittelte Ferndienst. Außerdem bestehen größte Schwierigkeiten, den Personalbedarf für den handvermittelten Ferndienst zu befriedigen, weshalb die Deutsche Bundespost bestrebt ist, den restlichen handvermittelten Ferndienst baldmöglichst zu automatisieren. Die Automatisierung des Fernverkehrs ist aber ein gewaltiges Vorhaben, das auf Jahre hinaus die Planungs- und Finanzierungsmöglichkeiten der Deutschen Bundespost und die Fertigungsmöglichkeiten der Fernmeldeindustrie in
Anspruch nimmt. Aus diesem Grund kann der Selbstwählferndienst nur schrittweise eingeführt werden.
Technisch liegt dem Umstand, daß manche Ortsnetze zwar anwählbar sind, obwohl sie noch nicht zum Selbstwählferndienst zugelassen sind, folgender Sachverhalt zugrunde. — Es tut mir leid, Herr Präsident, daß ich nun etwas ausführlicher werden muß, weil diese Frage wiederholt im Bundestag gestellt wurde und weil mir sehr daran liegt, daß hier endgültige Klarheit besteht. — Für den Selbstwählferndienst und den restlichen handvermittelten Ferndienst wird weitgehend ein gemeinsames Fernwahl-netz benutzt, über das fast alle Ortsnetze im Bundesgebiet erreichbar sind. Die restlose Zulassung der an sich anwählbaren Ortsnetze scheitert aber an zwei Gründen:
1. Die Aufnahme des Selbstwählferndienstes hat eine außerordentliche Verkehrssteigerung zur Folge, setzt also eine Vermehrung der Wahlleitungen voraus.
2. Im Selbstwählferndienst werden neben den unter Umständen schon vorhandenen Wahlleitungen außerordentlich aufwendige zentrale Einrichtungen für die automatische Leitweglenkung und Gebührenberechnung benötigt. Im allgemeinen sind diese Einrichtungen von vornherein für den späteren Vollausbau des Selbstwählferndienstes geeignet, ihrer Zahl nach aber nur für eine bestimmte Verkehrsmenge, die dem Leistungsvermögen des Fernwahlnetzes entspricht, bemessen.
Die genannten Einrichtungen für Leitweglenkung und Gebührenerfassung sind so beschaffen, daß der nicht zugelassene Verkehr im allgemeinen technisch verhindert wird. Aus wirtschaftlichen Gründen hat man aber auf eine bis zum letzten Ortsnetz gehende Unterscheidung verzichtet; man begnügt sich damit, den Verkehr gebietsweise zu steuern. In dem Bestreben, möglichst viel Selbstwählferndienste zuzulassen, wird bisweilen schon der Verkehr zu einzelnen Ortsnetzen zugelassen, obwohl die übrigen Ortsnetze dieses Gebiets wegen Mangels an Leitungen oder aus anderen technischen Gründen noch nicht zum Selbstwählferndienst zugelassen werden können. In diesen Fällen ist es bei Kenntnis der Kennzahlen möglich, auch andere, noch nicht zum Selbstwählferndienst zugelassene Ortsnetze dieses Gebietes anzuwählen.
Die Deutsche Bundespost mußte sich im Interesse der Teilnehmer entschließen, den einen oder anderen Weg zu gehen. Um Fehlinvestitionen zu vermeiden, haben wir bereits die technischen Einrichtungen für den Selbstwählferndienst in die Ämter eingebaut, obwohl die Leitungsbündel noch nicht ausreichend verstärkt werden konnten. Wenn wir neben der bereits installierten Technik für den Selbstwählferndienst die Leitungsbündel verstärkt haben, dann wird der Selbstwählferndienst offiziell freigegeben.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, ist es also unvermeidlich, daß die Möglichkeit, einen Ort im Selbst-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963 2781
Dürrwählferndienst anzuwählen, obwohl die Nummer noch nicht im amtlichen Verzeichnis steht, nicht nur für kurze Zeit, sondern zum Teil jahrelang besteht?
Ja, das könnte sogar Jahre dauern.
Ich rufe nun aus Drucksache IV/967 die Frage IV — des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer — aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für ,das Post- und Fernmeldewesen ,auf:
Was kann die Deutsche Bundespost tun, um die Poststempel auf Postsendungen leserlicher zu machen?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Ich rufe die Frage I — der Frau Abgeordneten Dr. Hubert — auf:
Warum wurde das vom Deutschen Bundestag am 11. Juni 1959 verabschiedete Ratifizierungsgesetz über das europäische Niederlassungsabkommen vom 13. Dezember 1955 noch nicht hinterlegt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gemäß Art. 26 des Europäischen Niederlassungsabkommens kann jeder Partnerstaat bei der Unterzeichnung dieses Abkommens oder bei der Hinterlegung seiner Ratifikationsurkunde Vorbehalte zu dem Abkommen machen, soweit ein in seinem Gebiet zu dieser Zeit geltendes Gesetz mit dem Abkommen nicht übereinstimmt. Die Bundesregierung hatte dementsprechend dem Europarat im Januar 1956, also kurz nach der Unterzeichnung des Abkommens, eine vorläufige Vorbehaltsliste übermittelt und ihn davon in Kenntnis gesetzt, daß eine endgültige Liste bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde eingereicht werden würde.
Die Bundesregierung ist daran interessiert, daß die Zahl der Vorbehalte möglichst klein gehalten wird und zur Zeit noch bestehende Beschränkungen aufgehoben werden. Die von mir erwähnte vorläufige Liste hat in der Zwischenzeit infolge der Umgestaltung des deutschen Rechts wesentliche Änderungen erfahren. Sie ist stark verkleinert worden. Die Beseitigung weiterer Vorbehalte ist vorgesehen. Sobald die endgültige Vorbehaltsliste fertiggestellt ist, wird die Ratifikationsurkunde hinterlegt werden.
Es darf noch bemerkt werden, daß zum Inkrafttreten des Abkommens die Hinterlegung von fünf Ratifikationsurkunden erforderlich ist, bisher aber nur drei Ratifikationsurkunden, und zwar die von Norwegen, Dänemark und Belgien, hinterlegt worden sind.
Zu einer Zusatzfrage Frau Dr. Hubert.
Warum ist dann aber dem Bundestag, als ihm dieses Gesetz zur Ratifikation vorgelegt wurde, nicht mitgeteilt worden, daß es bis zur Hinterlegung noch sehr lange dauern würde? Das Gesetz ist von uns doch schon 1959 ratifiziert worden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es tut mir leid, Frau Abgeordnete, ich weiß nicht genau, was dem Bundestag damals mitgeteilt worden ist. Wie ich mich zu erinnern glaube, ist von seiten der Regierung- aber immer darauf hingewiesen worden, daß man bestrebt sein würde, die lange Liste der Vorbehalte, die wir im damaligen Zeitpunkt erklären mußten, zu verkürzen. Das setzt jedoch voraus, daß entsprechende gesetzliche Bestimmungen verabschiedet werden, z. B. über den Erwerb von Grundbesitz durch Ausländer oder über die Zulassung von Ausländern zu gewissen gewerblichen Tätigkeiten. Derartige Gesetze sind in der Zwischenzeit vom Bundestag beschlossen worden. Zwei weitere Gesetzesvorlagen liegen dem Bundestag zur Zeit vor. Wenn sie verabschiedet sind, wird sich die Vorbehaltsliste weiter erheblich verkürzen. Diesen Zeitpunkt möchten wir abwarten.
Ich darf vielleicht noch hinzufügen, daß wir glauben, dadurch, daß wir unsere Vorbehaltsliste verkürzen, zugleich einen gewissen Einfluß auf unsere Partner ausüben zu können dahin, daß sie das gleiche tun, so daß am Schluß das Abkommen in einer Form in Kraft tritt, in der alle Partner möglichst wenig Vorbehalte erklären.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Frau Abgeordnete Dr. Hubert.
Sollte es eigentlich nicht so sein, daß alle Vorarbeiten abgeschlossen sind, wenn ein solches Gesetz dem Parlament zur Ratifikation vorgelegt wird? Man muß doch annehmen, daß das dann der Schlußakt ist und die Ratifikationsurkunde sofort hinterlegt wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, die Vorlage des Vertrages an das Parlament ist möglichst frühzeitig nach der Unterschriftsleistung erfolgt. Der Vertrag sieht vor, daß Vorbehalte erklärt werden können. Insofern wäre die Erklärung auch einer langen Vorbehaltsliste mit dem Vertrag durchaus vereinbar. Aber aus politischen Gründen liegt der Bundesregierung daran, diese Vorbehaltsliste möglichst kurz zu machen, und das setzt die von mir eben geschilderten Anstrengungen voraus.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.Ich rufe auf die Frage des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern:Hat die Bundesregierung seit meiner Frage betr. Mangel an Formularen des neuen Personalausweises noch keinen Weg gefunden, diesen Mangel zu beseitigen?Bitte, Herr Minister!
Metadaten/Kopzeile:
2782 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963
Auf meine Veranlassung, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, arbeitet die Bundesdruckerei mit Hochdruck und bis zur äußersten Ausnutzung ihrer Kapazität. Ich darf einige Zahlen bekanntgeben. Im September 1962 waren es noch 710 000 Stück pro Monat, im Januar 1963 schon 1 090 000. Trotzdem wird der Bedarf nicht zu befriedigen sein, so daß sich die Notwendigkeit ergibt, ein Verlängerungsgesetz vorzulegen, das demnächst den Bundestag erreicht.
Eine Zusatzfrage!
Glauben Sie nicht, Herr Minister, daß Ihr Haus ziemlich schwerfällig gearbeitet hat, wenn erst jetzt das Gesetz vorgelegt wird, nachdem schon im letzten Sommer offenkundig war, daß es auch bei stärkerer Ausnutzung der Kapazität nicht möglich sein würde, mit dem Druck der Ausweise rechtzeitig dem Bedarf gerecht zu werden?
Ich bin der Meinung, daß es noch ausreicht, wenn das Gesetz jetzt vorgelegt wird, da bis jetzt keine Stockungen empfindlicherer Natur eingetreten sind.
Eine weitere Zusatzfrage!
Schmitt-Vockenhausen: Werden Sie also das Gesetz sehr schnell einbringen, damit in der Reisezeit für die Bevölkerung keine allzu großen Schwierigkeiten eintreten?
Ich werde Sie wahrscheinlich bitten, ein Initiativgesetz vorzulegen, damit es schneller geht.
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Ich rufe auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Hamm aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft — Fragen III/1 und III/2 —:
Ist es zutreffend, daß nach einem Gutachten, das im Auftrag der Landesregierung Nordrhein-Westfalen eingeholt worden ist, die entsprechend der Rechtsverordnung des Bundeswirtschaftsministeriums über die Abbaubarkeit hergestellten Detergentien eine erhöhte Giftigkeit aufweisen, die nicht nur den Fischbestand in den Gewässern, sondern auch die Trinkwasserversorgung gefährden kann?
Wird das Bundeswirtschaftsministerium die in Frage III/1 genannte Rechtsverordnung dahin ergänzen, daß mit der erhöhten Abbaubarkeit der Detergentien eine Erhöhung der Toxizität nicht verbunden sein darf?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antworten liegen noch nicht vor. Sie werden nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt werden.
Ich rufe auf die Frage der Abgeordneten Frau Dr. Hubert aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die private Bevorratung mit Arzneimitteln bei bestimmten chronischen Leiden zu fördern?
Darf ich bitten, Frau Ministerin!
Ich halte eine private Bevorratung mit bestimmten Medikamenten für ebenso wichtig wie die mit Lebensmitteln. Das gilt z. B. für die Mittel für Zuckerkranke, aber auch für Epileptiker, für Kranke mit bösartiger Blutarmut oder mit grünem Star.
Die Bundesregierung kann hier, soweit ich es im Augenblick sehe, dreierlei Helfendes tun:
Erstens werden die Ärzte darauf aufmerksam gemacht werden müssen, daß sie ihren Patienten raten, sich allmählich einen Vorrat für vier Wochen anzulegen.
Zweitens. Da nicht alle Kranken selbst die Mittel aufbringen können, diesen Vorrat anzuschaffen — obgleich er nachher umgewälzt wird —, werden wir mit dem Bundesministerium für Arbeit und mit den Krankenkassen darüber verhandeln, inwieweit die Kosten für den Vorrat bei den Kranken, bei denen er notwendig ist, übernommen werden können.
Drittens. Die Versorgung der Zivilbevölkerung mit diesen ständig gebrauchten Mitteln ebenso wie die gesamte zivile Arzneimittelversorgung wird sich sehr stark auf die Apotheken stützen müssen.
Zu einer Zusatzfrage Frau Dr. Hubert!
Würde die Bundesregierung unter Umständen auch Überlegungen anstellen, ob man für eine größere Bevorratung dieser meist sehr teuren Medikamente nicht steuerliche Erleichterungen insofern vorsehen sollte, als man etwa die steuerliche Abzugsfähigkeit festlegt?
Steuerliche Erleichterungen für die Vorratshaltung, die ja teurer ist, kommen vor allem für die Apotheken in Betracht. Aber Ihr Gedanke, diese Erleichterung eventuell auch den Kranken zu geben, ist gut, und ich werde ihn prüfen lassen.
Ich danke Ihnen, Frau Ministerin.Wir sind damit am Ende dieses Tagesordnungspunktes.Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Aufbesserung von Leistungen aus Renten- und Pensionsversicherungen sowie aus Kapitalzwangsversicherungen
Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (Drucksachen IV/922, zu IV/922)
.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seinen Schriftlichen Bericht. Eine Ergänzung des Berichtes
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963 2783
Vizepräsident Dr. Dehlerwird nicht gewünscht, eine allgemeine Aussprache ebenfalls nicht.Ich rufe auf die §§ 1, — 2, — 3. — Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.Zu § 4 liegt der Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Umdruck 187 *) vor. Zur Begründung hat das Wort der Herr Abgeordnete Burgemeister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit diesem Gseetzentwurf soll eine Aufwertung von Renten- und Pensionsversicherungen sowie Kapitalzwangsversicherungen bewirkt werden. Während die drei genannten Versicherungsarten in ihrer Zielsetzung gleichgerichtet sind, nämlich der Dekkung des Lebensunterhalts im Alter zu dienen bestimmt waren, sollen sie durch den Gesetzentwurf verschieden aufgewertet werden. Renten- und Pensionsversicherungen sollen nach dem Vorschlag des Ausschusses, der in Drucksache IV/922 niedergelegt ist, nunmehr im Verhältnis 1 : 1 umgestellt, d. h. voll aufgewertet werden. Die Kapitalzwangsversicherungen dagegen sollen nur um weitere 15 Punkte aufgewertet werden und damit, obwohl sie der gleichen Zielsetzung wie die beiden anderen Versicherungsarten dienten, nicht im gleichen Maße aufgewertet werden.
Wir sind der Meinung, daß die Kapitalzwangsversicherung, die ganz besonders zur Deckung des Lebensunterhalts im Alter bestimmt war und die noch dazu durch gesetzliche Maßnahmen zwingend vorgeschrieben war, ebenfalls in etwa im Verhältnis 1 : 1 umgestellt werden sollte.
Um dieses Ziel zu erreichen, legen wir dem Hohen Hause den Änderungsantrag Umdruck 187 vor. Wenn Sie, meine Damen und Herren, diesem Vorschlag zustimmen, wird damit praktisch auch eine Umstellung der Kapitalzwangsversicherungen im Verhältnis 1 : 1 bewirkt. Bei der Zusammenrechnung des Aufwertungsbetrages, der sich aus dem Währungsumstellungsgesetz ergibt, der Altsparerentschädigung, die für diese Versicherungen schon gewährt worden ist, weiter der im Jahre 1956 erfolgten Anhebung des Unterschiedsbetrages um 45 % und des in unserem heutigen Vorschlag wiederum vorgesehenen Aufbesserungssatzes von 45 % ergibt sich im Grunde genommen ebenfalls eine Umstellung 1 : 1.
Ich darf Sie im Namen meiner Fraktion bitten, diesem Änderungsantrag Ihre Zustimmung zu geben, damit diese drei Versicherungen gleichermaßen aufgewertet werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Soetebier.
*) Siehe Anlage 2
Herr Präsident! Meine Damen t und Herren! Die Freien Demokraten haben seit eh und je die Forderung nach Gleichstellung der Zwangsversicherten aus der Handwerkergesetzgebung und der sonstigen Sozialgesetzgebung mit den Versicherten anderer Sozialversicherungssparten erhoben. Wir freuen uns, daß durch diesen Änderungsantrag der Abschluß einer Ungerechtigkeit, die seit Jahren bestand, herbeigeführt wird. Wir glauben, daß damit auch denen Rechnung getragen wird, die sich damals unter dem Zwang der Zeit versichern mußten, bisher aber immer noch darauf warteten — vor allem die Älteren —, mit den durch die Sozialversicherung, ich möchte sagen, staatlich hundertprozentig anerkannten Versichertenkreisen gleichgestellt zu werden. Wir bitten also ebenfalls, diesem Antrag zuzustimmen, damit eine alte Ungerechtigkeit endlich ihre Beseitigung findet.
Keine weiteren Wortmeldungen. — Ich kann wohl über die Ziffern 1 und 2 des Antrags auf Umdruck 187 gemeinsam abstimmen lassen. Ich rufe also auf die Anträge der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Umdruck 187. Wer zustimmen will, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe auf § 4 mit diesen soeben beschlossenen Änderungen. Wer zustimmen will, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ebenfalls einstimmige Annahme.Ich rufe weiter auf § 5, — § 6, — § 7, — § 8, — § 9, — Einleitung und Überschrift. — Wer zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ebenfalls einstimmige Annahme.Ich schließe die zweite Beratung und eröffne diedritte Beratung.Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer dem Gesetzentwurf in der Fassung der Beschlüsse der zweiten Lesung zustimmt, erhebe sich vom Platz. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:Beratung ides Antrags der Abgeordneten Dr. Schmidt , Bading, Margulies, Jacobi (Köln) und Genossen betr. Raumordnung (Drucksache IV/473).Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir stimmen ab. Wer dem vorliegenden Antrag zustimmt, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.Wir kommen zu Punkt 9 der Tagesordnung:
Metadaten/Kopzeile:
2784 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963 2785
Metadaten/Kopzeile:
2786 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963 2787
b) Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Reform der deutschen Umsatzsteuer
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines . . . Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines . . . Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes .Wer begründet die Große Anfrage der SPD? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kurlbaum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als die sozialdemokratische Bundestagsfraktion im Juni vorigen Jahres ihre Große Anfrage einbrachte, ließ sie sich von dem Gedanken leiten, daß die Umsatzsteuer-Systemreform unbedingt eines neuen Impulses bedürfe. Wir waren der Meinung, daß die Frage des Systemwechsels entscheidungsreif geworden war, weil, seitdem die sozialdemokratische Bundestagsfraktion im Jahre 1956 durch ihren Antrag auf Drucksache 2234 diese Grundsatzfrage im Bundestag aufgeworfen hatte, schon sieben Jahre vergangen waren. Wir waren auch der Meinung, daß diese Frage entscheidungsreif geworden war, nachdem meine Fraktion gelegentlich der Konzentrationsdebatte im Oktober 1959 die Bundesregierung durch ihren Antrag auf Drucksache 1279 aufgefordert hatte, eine Gesetzesvorlage für eine konzentrationsneutrale Umsatzsteuer vorzulegen. Bei dieser sogenannten KonzentrationsDebatte hatte bemerkenswerterweise der Herr Bundeswirtschaftsminister zugesagt, daß die Bundesregierung nach der Jahreswende — also nach der Jahreswende 1959/60 — so rechtzeitig einen gesetzgeberischen Vorschlag für eine wettbewerbsneutrale Umsatzsteuerreform vorlegen würde, daß die gesetzgeberischen Arbeiten noch in der dritten Legislaturperiode durchgeführt werden könnten. Wir wissen alle, daß die Bundesregierung diese Zusage des Herrn Bundeswirtschaftsministers nicht gehalten hat und daß bis heute eine solche gesetzgeberische Vorlage der Bundesregierung nicht zustande gekommen ist.Seit Jahren sind von seiten der Wissenschaft und auch von seiten der Praxis immer wieder ernste Hinweise dafür gegeben worden, daß der Weiterbestand gerade kleinerer und mittlerer selbständiger Unternehmen auch durch das geltende Umsatzsteuerrecht in Frage gestellt ist. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hatte schon gelegentlich der Konzentrations-Debatte davor gewarnt, mit gesetzgeberischen Maßnahmen zum Schutz der kleineren und mittleren Unternehmungen zu warten, bis die Ergebnisse der sogenannten KonzentrationsEnquete vorliegen würden. Auf unsere Warnungen ist leider nicht gehört worden. Heute wissen wir, daß wir auf die Ergebnisse der KonzentrationsEnquete noch bis in das Jahr 1964 hinein werden warten müssen. Wir wissen daher heute, daß seit 1959 fünf wertvolle Jahre dann für gesetzgeberische Maßnahmen verlorengegangen sein werden.Schließlich hat sich seit der Währungsreform im Zusammenhang mit den Zollsenkungen im Rahmen der EWG herausgestellt, daß wichtige Wirtschaftszweige in der Bundesrepublik in eine gefährliche Lage gekommen sind. Wer gestern in den zuständigen Ausschüssen die Beratung über die Erhöhung der Umsatzausgleichsteuer miterleben konnte, dem ist klar geworden, wie problematisch und wie unbefriedigend alle die Versuche bleiben müssen, im Rahmen unseres geltenden mangelhaften Umsatzsteuerrechts diese Wettbewerbsverzerrungen auch nur zu mildern. Trotzdem sind seit der Einbringung
Metadaten/Kopzeile:
2788 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963
Kurlbaumder Großen Anfrage der SPD weitere siebeneinhalb Monate, ungenutzt von der Bundesregierung, vergangen. Wenn man die Sommerpause, die das Bundesfinanzministerium ja zur Vorbereitung der Antwort hätte benutzen können, in Abzug bringt, sind immerhin seit der Wiederaufnahme der Arbeit des Parltments viereinhalb Monate bis zum heutigen Tage vergangen, an dem es nunmehr möglich sein wird, die Ansichten der Bundesregierung zu diesem vordringlichen Problem zu hören.Inzwischen haben im Oktober und November des vergangenen Jahres eine Gruppe der CDU und die SPD-Fraktion im ganzen Gesetzentwürfe eingebracht, um die gesetzgeberischen Arbeiten an der Umsatzsteuerreform unabhängig von einer nicht mehr erwarteten Initiative der Bundesregierung in Gang zu bringen.Nun haben wir in den letzten Tagen — gestern und vorgestern — in den Zeitungen gelesen, daß nunmehr die Bundesregierung und die CDU/CSU-Fraktion im ganzen auch einen Entschluß gefaßt haben. Er kommt leider außerordentlich spät. Immerhin begrüßen wir es, daß ein solcher Entschluß zustande gekommen ist. Es wäre schön gewesen, wenn dieser Entschluß früher gefaßt worden wäre. Trotzdem stellen wir mit Genugtuung fest, daß nun immerhin ein Entschluß auf der Linie zustande gekommen ist, die wir seit Jahren vertreten haben.Ich glaube nicht, daß es sehr viel Zweck hat, heute im Plenum technische Einzelheiten einer zukünftigen gesetzlichen Regelung zu diskutieren. Das wird Aufgabe der Ausschüsse sein. Es kommt jetzt entscheidend darauf an, daß nunmehr, nachdem die Bundesregierung und die CDU/CSU-Fraktion eine Minute vor zwölf noch einen Entschluß gefaßt haben, die Beratungen in den Ausschüssen so schnell wie möglich in Angriff genommen werden. Die uns vorliegenden technischen Probleme — das wissen wir alle, die wir uns mit diesen Fragen beschäftigt haben — werden schwierig sein und eine lange Beratung erfordern.Durch den kurzfristig vor dieser Debatte gefaßten Entschluß der Bundesregierung sind nun allerdings die Hauptfragen unserer Großen Anfrage beantwortet worden. Da die Bundesregierung sich eindeutig — und wir werden das heute hoffentlich bestätigt bekommen — zu einem Mehrwertsteuersystem bekannt hat, sind die Fragen in unserer Großen Anfrage nach dem von der Bundesregierung vertretenen System und nach den Grundsatzforderungen, die durch die Systemreform verwirklicht werden sollen, im wesentlichen beantwortet.Es ist auch unsere Frage beantwortet, welchen Standpunkt die Bundesregierung in den vor ihr stehenden Verhandlungen im Ministerrat der EWG und in der Konferenz der EWG-Finanzminister vertreten wird. Es kann ja nach den Erklärungen der Bundesregierung nunmehr ausschließlich das System einer Mehrwertsteuer sein.Was aber auf Grund der jüngsten Erklärungen der Bundesregierung, wie sie uns durch die Presse bekannt geworden sind, noch nicht eindeutig geklärt ist, ist die Frage der notwendigen statistischenUnterlagen für die Systemreform. Wir sind auf diesem Gebiete besonders vorsichtig vorgegangen, weil in den Beratungen des Finanzausschusses gelegentlich der Behandlung des Gesetzes über die Umsatzsteuerstatistik im vergangenen Jahre von den Vertretern des Bundesfinanzministeriums ausdrücklich erklärt worden ist, daß auch auf Grund des neuen Gesetzentwurfes die statistischen Unterlagen für eine Umsatzsteuer-Systemreform noch nicht in ausreichendem Umfange vorhanden sein würden. Wir sind also sehr begierig, vom Bundesfinanzminister zu hören, inwieweit er dieses Problem lösen will und inwieweit das Bundesfinanzministerium kurzfristig die notwendigen Unterlagen herbeischaffen wird.Es ist selbstverständlich, daß wir unseren Vorschlag einer statistischen Steuererklärung dann fallenlassen werden, wenn man uns in den Ausschußberatungen davon überzeugen wird, daß eine solche statistische Erklärung nicht mehr notwendig ist. Selbstverständlich werden wir es begrüßen, wenn dieser zeitliche Umweg nicht notwendig ist und wir uns mit allen Kräften der Beratung der Systemreform unverzüglich werden widmen können.Noch auf eins möchte ich hinweisen. In unserem Steuergesetzentwurf, den wir im vierten Quartal des vergangenen Jahres eingereicht haben, haben wir uns für den Vorumsatzabzug entschieden, im Gegensatz zu der Gruppe der CDU, die dem Vorsteuerabzug den Vorzug gibt. Ich möchte hier ausdrücklich erklären, daß wir eine solche Frage für eine technische Frage halten
und nicht zu einer Grundsatzfrage machen werden. Wir werden unsere Entscheidungen davon abhängig machen, was die Verhandlungen und Beratungen in den Ausschüssen ergeben. Allerdings möchten wir immerhin zur Begründung unseres Standpunktes darauf hinweisen, daß sowohl der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium als nunmehr auch der Neumark-Ausschuß sich unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse dafür entschieden haben, dem Vorumsatzabzug den Vorzug zu geben. Aber, wie gesagt, das wird für uns keine Grundsatzfrage sein. Wir begrüßen es, daß auch der Gesetzentwurf der CDU-Gruppe vorliegt; denn zweifellos hat auch dieser Gesetzentwurf mit dazu beigetragen, die Angelegenheit in der Sache weiterzubringen.Lassen Sie mich zum Schluß noch eine allgemeine politische Bemerkung machen. Unsere politischen Gegner haben in der Vergangenheit immer wieder versucht, den Wert unserer Arbeit als Oppositionspartei hier im Bundestag in Frage zu stellen. Ich glaube, daß die SPD auch bei dieser Gelegenheit bewiesen hat, daß es ihr um die Sache und um die Verwirklichung der Steuergerechtigkeit auch in diesem Einzelfall geht, also um ein rein sachliches Problem. Sie hat dieses Problem schon seit Jahren erkannt und schon zu einer Zeit zäh verfolgt, als es noch bei anderen Fraktionen mindestens zum Teil und vor allen Dingen bei der Bundesregierung an einem wirklichen Verständnis für diese Fragen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963 2789
Kurlbaumgefehlt hat. Ich glaube, meine Fraktion hat bei dieser Gelegenheit auch wieder den eindeutigen Beweis erbracht, daß sie willens ist, eine konstruktive Opposition in diesem Hause zu betreiben.
Die Große Anfrage der Fraktion der FDP wird vom Abgeordneten Dr. Imle begründet. Er hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es scheint ein Wettlauf einzusetzen, wer sich die Federn an den Hut stecken kann, wenn wir hier zu einer Umsatzsteuerreform kommen, und da möchten wir natürlich in diesem Wettlauf nicht fehlen. Das ist klar.
— Diese Ovationen nehme ich natürlich gerne entgegen.
Ich darf darauf hinweisen, daß wir bereits in der letzten Legislaturperiode den Ihnen allen ja bekannten Entwurf Zierold-Pritsch beraten haben. Wir hatten ihn allerdings noch nicht im Parlament eingebracht, weil wir erst einmal sondieren wollten, wie die Dinge eigentlich liegen, da wir der Meinung sind, daß man sehr eingehende Prüfungen anstellen muß, wenn eine Umsatzsteuerreform vorgenommen werden soll. Wir wollten damals natürlich erst einmal die Wirtschaft dazu hören. Und siehe da, die großen Verbände der Wirtschaft usw., die befragt wurden, zeigten sich sehr zurückhaltend, d. h. man bekam kein Bild darüber, welche Stellung dazu bezogen wurde. Das war bei uns der Anlaß, diese Dinge zunächst einmal zurückzustellen.
— Also, ich weiß gar nicht, Herr Kurlbaum, welchen Konzern Sie damit meinen. D e n haben wir allerdings nicht gefragt, sondern wir haben die großen Verbände befragt, ob das der Bundesverband der Deutschen Industrie ist, ob das die Großhandelsverbände oder die Fachverbände oder die Verbände des Handwerks und des Einzelhandels sind. Sie können die Liste bei uns gern einsehen. Sie wird mindestens zwei Seiten umfassen; die werden nicht einmal ausreichen.Das Problem der Umsatzsteuer ist eigentlich erst aufgetaucht, seitdem sie 1951 das vierte Prozent bekommen hat. Damit traf die Erklärung von Popitz, des Schöpfers der Umsatzsteuer — der kumulativen Umsatzsteuer, wie wir sie haben —, nicht mehr zu, daß eine Umsatzsteuer des jetzigen Systems, wenn sie 2 % überschreitet, wettbewerbsverzerrend wirkt, also nicht mehr wettbewerbsneutral ist.Seit dieser Zeit haben schon alsbald die Bemühungen eingesetzt, die Umsatzsteuer durch eine Reform wettbewerbsneutral zu machen. Diese Bemühungen haben seitdem nicht aufgehört. Der Kollege Kurlbaum hat soeben schon auf den Vorschlag des Wissenschaftlichen Beirats aus dem Jahre 1953 hingewiesen. Ich darf noch anfügen, daß wir auch den Vorschlag von Professor Schmölders von 1953 haben. Dann hat sich 1954/55 Herr Zierold-Pritsch damit befaßt, der nachher den Entwurf fertiggestellt hat. Weiter haben Herr Ritschel, der frühere Kollege Dr. Eckhardt und ebenfalls Herr Dr. Becker und Herr Haller daran gearbeitet.Ich darf noch einmal kurz darauf hinweisen, warum das jetzige System eben nicht mehr wettbewerbsgerecht ist. Der erste Grund ist die Kumulativwirkung. Diese Umsatzsteuer hat dazu geführt, daß Wirtschaftsstufen übersprungen werden und damit im Endergebnis eine vertikale Konzentration gefördert wird. Der zweite Grund liegt in den erheblichen Mängeln beim grenzüberschreitenden Verkehr. Ich nehme an, der Herr Bundesfinanzminister wird nachher dazu noch eingehend sprechen. Wir kennen alle das Problem im Import und Export, z. B. zwischen Frankreich und uns; dort werden 20 bis 25 % zurückgewährt, während bei uns eine demgegenüber nur kleine Rückerstattung in Frage kommt.Die Dinge sind nun so vorangetrieben worden, weil sich auch die EWG-Kommission eingehend damit befaßt hat. Diejenigen, die es angeht, kennen ja auch die Richtlinien, die dazu ergangen sind. Es würde die anderen Kollegen sicherlich zu sehr strapazieren, wenn ich darauf hier jetzt noch einginge. Ich glaube, das sollte man dem zuständigen Ausschuß überlassen. — Herr Schulhoff, mit dem „strapazieren" waren jetzt nicht Sie gemeint.Was ist nun der Sinn unserer Anfrage, die wir damals gestellt haben? Wir wollen feststellen, welche Möglichkeiten im einzelnen bestehen und wie das ganze Problem auch mit Rücksicht auf die Harmonisierung in der EWG gelöst werden kann. Dem Vernehmen nach stellt sich die Bundesregierung auf den Standpunkt, daß wir nun wohl ein Mehrwertsteuersystem mit Vorsteuerabzug bekommen sollen.In den anderen Staaten, mit denen wir innerhalb der EWG in Verbindung stehen, auch außerhalb der EWG, in der EFTA, gibt es andere Systeme, die man hier auch einmal beleuchten sollte. Ich darf sie hier kurz erwähnen. In Norwegen gibt es eine Einzelhandelssteuer von 10%. In Italien wird sich diese Steuer kaum einführen lassen. Holland und Belgien besteuern den Einzelhandel überhaupt nicht. Eine zweite Art ist die Grossistensteuer, wie wir sie in England und in der Schweiz haben. Aber dazu ist eine Registrierpflicht erforderlich. Sie läßt sich in einem Land wie der Schweiz noch durchführen, wo eben kurz telefoniert wird; aber in der Bundesrepublik wird das nicht möglich sein. Dasselbe würde bei einer Produktionssteuer der Fall sein. Wir glauben, diese kann nicht zum Zuge kommen.Ein ganz besonderes Problem wird sicherlich die Besteuerung der Dienstleistungen sein. Ich denke insbesondere an die Dienstleistungen im Handwerk, aber auch im Verkehrsgewerbe. Man wird sich bei der Besteuerung des Verkehrsgewerbes sicherlich Gedanken darüber machen müssen, ob ein Fortfall der Beförderungsteuer angebracht ist oder nicht, ins-
Metadaten/Kopzeile:
2790 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963
Dr. Imlebesondere auch deswegen, weil es in den EWG-Staaten eine Beförderungsteuer nicht gibt.
— Zum Handwerk wollte ich jetzt gerade etwas sagen.
— Die kommt auch noch, Herr Schmidt.Beim Handwerk also muß bei besonders wertschöpfenden Zweigen eine sorgfältige Prüfung erfolgen. Man hat da zunächst immer die Gold- und Silberschmiede angeführt. Aber die neuesten Berechnungen führen dazu, daß sie gar nicht dazugehören, weil sie alle auch Handel treiben und bei einer Wertschöpfung von etwa 40 % liegen. Bei einer Wertschöpfung von 40 % ist aber die gleiche Belastung wie heute gegeben.
— Beim Friseur, Herr Schulhoff! Aber Sie können das Umsatzsteuerrecht doch nicht nach dem Friseur ausrichten!
— Das war ein Zwischenruf, aber keine Berichtigung.Beim Baugewerbe haben wir das gleiche Problem. Die Wertschöpfung im Baugewerbe liegt bei 60 %. In Frankreich hat man sich damit geholfen, daß man nur 60 % der Wertschöpfung zugrunde gelegt hat und so ungefähr zu der gleichen Belastung gekommen ist.Aber die Dienstleistungen spielen auch noch bei anderen Berufen eine Rolle. Ich erinnere an die Handelsvertreter und an die freien Berufe.Damit kommen wir zu dem Problem, wie es mit den Befreiungen und den Ermäßigungen steht, die unser ganzes Umsatzsteuerrecht heute so außerordentlich kompliziert gemacht haben. Die Experten sind sich wohl alle darüber einig, daß das neue System, das wir haben wollen und wohl auch bekommen werden, nur dann richtig funktioniert, wenn es, wie es so schön heißt, lupenrein oder chemisch rein ist, d. h. möglichst wenig Ausnahmen enthält. Ich glaube nicht, daß es zu 100 % rein sein wird, weil wahrscheinlich doch irgendwo Ausnahmen gemacht werden müssen; denn sonst kommen die Dinge irgendwie ins Fließen, und wir übersehen das nicht.Im Zusammenhang mit den Ausnahmen wird die Landwirtschaft ein besonderes Problem darstellen. Aber ich habe den Eindruck, die Landwirtschaft selber hat sich noch zuwenig mit dem Problem befaßt, um eine eigene klare Aussage hierzu machen zu können. Man hat z. B. vergessen, daß sie die bezahlte Umsatzsteuer bei den von ihr bezogenen Betriebsmitteln — z. B. Mähdrescher oder sonstige Maschinen — später wieder absetzen kann. Wir werden da genaue Überlegungen anstellen und Prüfungen vornehmen. Wir wissen, daß das ein heißes Eisen ist, aber das Problem muß geklärt werden.Ein besonderes Problem bildet die Höhe des Steuersatzes. Nach den letzten Erklärungen operiert man immer mit dem Satz von 10 %. Es wäre eine sehr glückliche Lösung, wenn wir dazu kämen, weil das Rechnen damit sehr einfach wäre: man streicht einfach eine Stelle ab.
— Aber Herr Schmidt, ich bin an sich für null, wenn wir es so sagen wollen.
— Völlig einig! Aber wir werden nach den jetzigen Berechnungen nur dann auf 8 % kommen, wenn wir keine Befreiungen zulassen.
Das ist die Voraussetzung. Bei 8% gibt es aber Schwierigkeiten in den Berechnungen, und genau dasselbe tritt ein, wenn Sie über 10 % hinausgehen. Ich wollte damit nur sagen, daß insofern eine Erleichterung bei der Verwaltung und auch bei den Betrieben eintreten würde.Besondere Aufmerksamkeit werden wir auch den Investitionen widmen müssen. Hier ist die Frage, ob wir einen sofortigen Abzug oder nur einen Abzug pro rata zulassen sollten, da sich sonst irgendwelche Liquiditätsschwierigkeiten ergeben könnten.
— Nein, das wissen wir wohl. Ich stelle das heraus, weil ich annehme, daß der Herr Bundesfinanzminister etwas dazu sagen wird, und weil wir darüber etwas hören wollen.Eine weitere Frage ist, wie sich die Mehrwertsteuer auf den Großhandel auswirkt. Sie wissen, daß gerade von dieser Branche erhebliche Bedenken geltend gemacht worden sind.Es muß aber auch verhindert werden, daß bei der Einführung der Mehrwertsteuer ein Druck auf die Preisgestaltung ausgeübt wird. Wir werden uns sehr eingehend damit befassen müssen, damit hier keine Schwierigkeiten innerhalb der Wirtschaft entstehen. Ich kann auch hierzu nur feststellen, daß sich alle Fraktionen dieses Hauses darüber einig sind, daß das Problem so schnell wie möglich geklärt werden muß. Gut Ding will eben Weile haben. Wir hoffen auch auf eine recht baldige Einbringung des Entwurfs. Ich würde es sogar begrüßen, wenn uns der Herr Bundesfinanzminister einen ganz bestimm-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963 2791
Dr. Imleten Termin angeben könnte, damit die Arbeit im Finanzausschuß zusammen mit den anderen vorliegenden Entwürfen begonnen werden kann. Wir hoffen, daß uns die heutige Antwort der Bundesregierung diese Arbeit in erfreulichem Umfang erleichtern wird.
Die beiden Großen Anfragen der Fraktion der SPD und der Fraktion der FDP sind begründet.
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es sehr, daß die Großen Anfragen der Fraktionen der SPD — Drucksache IV/548 — und der FDP — Drucksache IV/684 — mir Gelegenheit geben, die überaus bedeutsame Frage der Umsatzsteuerreform unter Berücksichtigung aller Probleme in ihrer Gesamtheit darzulegen. Ich darf noch hervorheben, daß Abgeordnete der CDU/CSU den Entwurf eines neuen Umsatzsteuergesetzes in Gestalt einer Mehrwertsteuer mit Vorsteuerabzug — Drucksache IV/660 — eingebracht haben und daß die Fraktion der SPD den Entwurf eines Gesetzes für eine einmalige statistische Steuererklärung auf der Grundlage einer Mehrwertsteuer mit Vorumsatzabzug — Drucksache IV/691 — vorgelegt hat. Außerdem haben die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eine grundsätzliche Überprüfung der Umsatzbesteuerung von Leistungen im Rahmen der Umsatzsteuerreform gefordert — Drucksache IV/736 —. Ferner liegen Anträge auf Erhöhung der Umsatzausgleichsteuer — Drucksache IV/661 — und auf andere Änderungen des geltenden Umsatzsteuerrechts an zuständiger Stelle vor.Die Mängel unserer gegenwärtigen Umsatzsteuer sind nicht erst seit heute im Gespräch. Viele beklagen die konzentrationsfördernde Wirkung dieser Steuer sowie die Tatsache, daß man den Grenzausgleich bei ihr nicht für jede Ware genau vornehmen kann. Mir erscheint eine umfassende Behandlung des Themas Umsatzsteuerreform vor allem deshalb wichtig, weil in der Öffentlichkeit die schwierigen Fragen dieser Reform häufig nicht erschöpfend behandelt und in ihrer Tragweite nicht voll übersehen werden.Bevor ich auf die einzelnen Fragen eingehe, gestatten Sie mir, daß ich zwei Hinweise auf Gesichtspunkte voranstelle, die für die Umsatzsteuerreform im Augenblick, aber auch auf absehbare Zeit von ausschlaggebender Bedeutung sind.Im Hintergrund aller Betrachtungen zu einer Reform unserer Umsatzbesteuerung steht die Tatsache, daß das dem Bund durch Art. 106 des Grundgesetzes ausschließlich zugewiesene Aufkommen der Umsatzsteuer die mit Abstand bedeutendste Einnahmequelle des Bundes ist. Dieses Aufkommen erbringt seit Jahren mehr als 40% aller Bundessteuereinnahmen und wird einschließlich Umsatzausgleichsteuer für das Haushaltsjahr 1963 auf 20,2 Milliarden DM geschätzt. Der Bund könnte bei seinergegenwärtigen Finanzlage Minderungen des ihm nach dem geltenden Recht zufließenden Umsatzsteueraufkommens nur in Kauf nehmen, wenn er diese Ausfälle aus anderen Quellen decken könnte, und dieser Weg steht dem Bund nicht offen. Er kann nicht auf die ihm nach dem Grundgesetz zugewiesenen einzelnen Verbrauchsteuern — deren Wirkungsbereich bekanntlich nur begrenzt ist — oder gar auf die Zölle ausweichen. Der Bund hat sogar für den Haushalt 1963 — nachdem 1962 ein finanzieller Beitrag der Länder geleistet wurde — eine Erhöhung des Bundesanteils an dem Aufkommen der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer in Aussicht genommen.Hieraus ergibt sich sehr deutlich, wie eng die finanzielle und steuerpolitische Bewegungsfreiheit des Bundes ist. Eingriffe in die Gestaltung einer so bedeutsamen Finanzquelle wie der Umsatzsteuer sind also für den Bund fraglos mit einem außerordentlich großen Budgetrisiko verbunden. Jedenfalls sind bei einer Umsatzsteuerreform heute weniger als je Haushaltsausfälle des Bundes zu verantworten, was ich mit allem Nachdruck hervorheben möchte.Mein zweiter Hinweis bezieht sich auf die Entwicklung der Steuerharmonisierung im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Nach Art. 99 des Vertrages von Rom hat die EWG-Kommission zu prüfen, wie die Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer, die Verbrauchsabgaben und sonstige indirekte Steuern, einschließlich der Ausgleichsabgaben für den Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, im Interesse des Gemeinsamen Marktes harmonisiert werden können. Die Kommission muß dem Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft entsprechende Vorschläge unterbreiten, der hierüber einstimmig zu entscheiden hat. Die Kommission hat sich in mehrjährigen Untersuchungen um eine Klärung der Voraussetzungen einer solchen Harmonisierung bemüht. Auf der Grundlage des Ergebnisses dieser Untersuchungen hat sie dem Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vor kurzem ihre Vorschläge zur Harmonisierung der Umsatzsteuern unterbreitet, die bereits im Finanzausschuß des Parlaments in Bearbeitung sind.Die Bundesregierung hat das Hohe Haus und den Bundesrat entsprechend dem Gesetz zu den Verträgen zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft von diesen Vorschlägen unterrichtet. Diese in Bearbeitung befindliche Vorlage hat die Nr. IV/850.Unter diesen Umständen kann die Frage einer Reform der Umsatzsteuer in der Bundesrepublik nicht völlig losgelöst von der Harmonisierung der Umsatzsteuern in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft behandelt werden.Im übrigen tragen auch die beiden Großen Anfragen dem Gewicht der Entwicklung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Rechnung, indem sie sich bekanntlich nicht nur auf die Frage einer innerdeutschen Umsatzsteuerreform, sondern auch
Metadaten/Kopzeile:
2792 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963
Bundesminister Dr. Dahlgrünauf die Harmonisierung der Umsatzsteuern im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erstrecken.Aus Gründen der Übersichtlichkeit werde ich mich in meinen weiteren Ausführungen zunächst mit den allgemeinen Fragen der Umsatzsteuerreform in der Bundesrepublik beschäftigen, um am Schluß zu den Fragen überzugehen, die sich aus der Zugehörigkeit der Bundesrepublik zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ergeben.Zu einer Urteilsbildung in der bereits seit dem Bestehen der Umsatzbesteuerung immer wieder erhobenen Frage nach der besten Umsatzsteuer, die sich auch in den beiden Großen Anfragen der Fraktionen der FDP und der SPD findet, gehört vorab die Klarstellung, daß es Grundsatzforderungen an eine Umsatzbesteuerung gibt, denen kein Umsatzsteuersystem gleichzeitig und in gleichem Umfange gerecht werden kann, weil die völlige oder auch nur weitgehende Erfüllung einer dieser Forderungen oft zwangsläufig die Erfüllbarkeit einer anderen Forderung ausschließt.Jede Gestaltung der Umsatzbesteuerung hat zunächst davon auszugehen, daß die Umsatzsteuer wirtschaftlich als allgemeine Verbrauchsteuer wirken soll. Sie steht damit im Gegensatz zu den Spezialakzisen, die nur auf ausgewählten einzelnen Gütern des Verbrauchs lasten. Da die Umsatzsteuer den Verbrauch besteuert, ergänzt sie im Rahmen des gesamten Steuersystems sinnvoll die direkte Besteuerung der Personen und Gesellschaften nach dem erzielten Einkommen, nach dem Ertrag und nach dem Vermögen.Im einzelnen möchte ich folgendes bemerken:Aus dem wirtschaftlichen Charakter einer allgemeinen Verbrauchsteuer ergibt sich als eine Grundsatzforderung, daß die Umsatzsteuer nach ihrer Gestaltung von den Unternehmungen als echte betriebliche Kostensteuer mit dem Preis der Ware oder Leistung auf .den Verbraucher überwälzt werden kann. Die Umsatzsteuer muß daher so gestaltet sein, daß die Überwälzung möglichst einfach und leicht vonstatten gehen kann.Die Umsatzsteuer sollte weiterhin die wirtschaftlichen Wettbewerbsbedingungen nicht beeinflussen. Sie sollte also auch nicht — hiermit bejahe ich zugleich die Frage 2 a) der Großen Anfrage der Fraktion der SPD — die Zusammenfassung von aufeinander folgenden Wirtschaftsstufen steuerlich begünstigen und damit aus steuerlichen Gründen die wirtschaftliche Konzentration, unabhängig von den Bedürfnissen der Volkswirtschaft, fördern. Die Erfüllung dieser Forderung, die von der Bundesregierung als besonders bedeutsam angesehen wird, sollte jedoch nicht durch Maßnahmen erkauft werden, die ihrerseits andere schwere Wettbewerbsstörungen hervorrufen. Auf diese Frage werde ich später noch eingehen.Ferner sollte die Umsatzbesteuerung so beschaffen sein, daß die steuerliche Belastung der Waren möglichst genau feststellbar ist. Nur dann läßt sichnämlich ein Grenzausgleich für jede einzelne Ware entsprechend durchführen, womit ich zugleich Frage 2 c) der Großen Anfrage der Fraktion der SPD beantwortet habe.Die Umsatzsteuer sollte weiterhin dem Staat, dessen Bedarfsdeckung sie dient, ein möglichst stetiges und sicheres Aufkommen gewährleisten.Andererseits ,sollte die Umsatzsteuer wegen ihres hohen Aufkommens so gestaltet sein, daß sie der konjunkturpolitischen Forderung einer antizyklischen Steuerpolitik nicht entgegenwirkt.Eine weitere Grundsatzforderung von großer Bedeutung betrifft die Praktikabilität der Besteuerung. Eine Steuer darf nicht so kompliziert gestaltet sein, daß sie Wirtschaft und Verwaltung überfordert.
— Schon Popitz, Herr Schulhoff, der Schöpfer unserer Umsatzsteuer, warnte davor, sich bei der Abfassung von Steuergesetzen nur von volkswirtschaftlichen Erkenntnissen leiten zu lassen.
Zwischenfragen sind jetzt nicht möglich, sondern erst während der Aussprache.
Popitz, der Schöpfer unserer Umsatzsteuer, sagte:Diese Erkenntnisse sind nötig, sie können gar nicht ausgedehnt genug sein und müssen alle Einzelheiten unserer Wirtschaftsgestaltung umfassen. Aber sie können unmöglich in den Steuergesetzen in allen diesen Einzelheiten ihren Niederschlag finden. Eine Steuerlehre, die dies anstrebt, ist methodisch falsch; denn sie verkennt die Bedeutung und die Grenzen der Steuertechnik, deren äußerer Ausdruck die rechtliche Formung ist. In der Besteuerung entscheidet schließlich der rechtliche Erfolg. Er ist bei wesentlichen Verstößen gegen wirtschaftliche Erkenntnisse gewiß nicht oder nicht auf die Dauer zu erreichen. Er bleibt aber ebenso aus, wenn die Gestaltung der Steuer so kompliziert wird, daß die Gesetze undurchführbar werden.Im übrigen benachteiligt eine zu komplizierte Steuer insbesondere die kleineren Unternehmen. Den größeren wird im Regelfall eine Unternehmensberatung zur Verfügung stehen, die es ihnen leichter macht, die Schwierigkeiten der Besteuerung zu überwinden.Welches Urteil läßt sich nun unter diesen Gesichtspunkten über die gegenwärtig in der Bundesrepublik geltende und erhobene Umsatzsteuer fällen? Zunächst muß man wissen, daß diese Besteuerungsform auf dem Prinzip einer Allphasen-Bruttoumsatzbesteuerung fußt. Die Steuer erfaßt auf allen Stufen des Wirtschaftsablaufs grundsätzlich jeden Verkauf und jede Leistung. Dabei wird sie für jeden Umsatz vom vollen vereinnahmten oder vereinbarten Ent-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963 2793
Bundesminister Dr. Dahlgrüngelt erhoben. Dieses in Deutschland seit über 40 Jahren in den Grundzügen unverändert bestehende System, das auch viele andere Länder übernommen haben, zeigt — mißt man es an den vorerwähnten Grundsatzforderungen — eine Reihe von — das wollen wir nicht vergessen — ungewöhnlichen Vorzügen, denen jedoch auch sehr gewichtige harte Nachteile gegenüberstehen.Die Vorzüge des geltenden Systems sind, was die Sicherung der Bedarfsdeckung und die Praktikabilität der Besteuerung angeht, nicht zu bestreiten. Dies tritt bei einer Kritik an diesem System, so berechtigt eine solche in anderer Hinsicht sein mag, oft zu sehr in den Hintergrund. Bei gegenüber allen anderen Systemen niedrigen Steuersätzen erbringt die geltende Umsatzsteuer für den Staat ein hohes und sicheres Aufkommen. Es kommt hinzu, daß ihre Erhebung — sieht man von Sondervergünstigungen, mit denen sie allerdings zunehmend ausgestattet worden ist, ab — bei dem größten Teil der Steuerfälle einfach ist.Diese Vorteile dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß unsere Umsatzsteuer in ihrer heutigen Gestalt auch erhebliche Nachteile besitzt.Der Keim zu diesen Nachteilen liegt im System. Es handelt sich um die Kumulativwirkung, die dadurch eintritt, daß die Steuer bei jedem Umsatz vom vollen Entgelt, also einschließlich der vorhergehenden Steuer, erhoben wird. Diese Kumulierung der Steuer führt zu unterschiedlichen Gesamtbelastungen der Waren, je nachdem, wie oft eine Ware auf dem Weg bis zum Verbraucher umgesetzt wird. Verkauft — um ein vereinfachtes Beispiel zu geben — eine Ziegelei einem Bauunternehmer Ziegel zur Herstellung eines Gebäudes für 50 000 DM, so hat die Ziegelei bei einem Steuersatz von 4 v. H. 2000 DM Umsatzsteuer zu zahlen. Der Bauunternehmer schuldet seinerseits 4000 DM Umsatzsteuer, wenn er von seinem Auftraggeber für die Herstellung des Gebäudes einen Kaufpreis von 100 000 DM fordert. Der bereits versteuerte Einkaufspreis der Ziegel von 50 000 DM wird also in dem Umsatz des Bauunternehmers noch einmal erfaßt. Insgesamt sind von der Ziegelei und von dem Bauunternehmer 6000 DM Umsatzsteuer zu entrichten. Gliedert der Bauunternehmer jedoch seinem Betrieb eine eigene Ziegelei an, so entfällt die Versteuerung des Erwerbs der Ziegel. Es liegt nur noch e i n Umsatz vor, der beim Verkauf des fertigen Gebäudes getätigt wird und bei einem Kaufpreis von 100 000 DM zu einer Gesamtsteuerschuld von nur 4000 DM an Stelle von 6000 DM im ersten Fall führt.Wem es also gelingt, Wirtschaftsstufen auszuschalten oder mehrere Stufen in seinem Unternehmen zusammenzufassen, der kann dadurch Umsatzsteuer sparen. Unsere derzeitige Umsatzsteuer begünstigt daher die vertikale Konzentration. Dieser Nachteil konnte, insbesondere mit Rücksicht auf die erwähnten Vorteile, in Kauf genommen werden, solange der Steuersatz sehr niedrig war. Popitz hat bereits darauf hingewiesen, daß die Mängel dieser Steuer um so erträglicher seien, je niedriger der Steuersatz sei.In der Nachkriegszeit sind die Umsatzsteuersätze zur Deckung des zunehmenden Finanzbedarfs des Bundes zweimal erhöht worden. Der allgemeine Steuersatz beträgt zur Zeit 4 v. H. Damit ist der im System vorhandene nachteilige Einfluß der Steuer auf die Unternehmensgestaltung sehr gewichtig geworden. Er könnte sich bei zunehmender Verschärfung des Wettbewerbs auch noch nachteiliger auswirken, als er es heute tut.Die sich aus solchem Grunde ergebende Begünstigung der Konzentration hat gesellschaftspolitisch unerwünschte Wirkungen. Der Bundesregierung liegt vor allem die Erhaltung der selbständigen Klein- und Mittelbetriebe am Herzen. Ich denke in diesem Zusammenhang auch an die Zuliefererbetriebe, die in unserer arbeitsteiligen Wirtschaft eine wichtige Rolle spielen und spielen sollen. Es wäre jedoch falsch, anzunehmen, daß nur große Unternehmen von der Begünstigung der Konzentration durch die Bruttoumsatzsteuer Vorteile erlangen können. Mehrstufige Unternehmen gibt es in allen Größenklassen der Wirtschaft. So sind z. B. die Handwerker, wenn sie in ihrem Unternehmen Fabrikation und Vertrieb ihrer Waren bis zum letzten Verbraucher vereinen, begrifflich den mehrstufigen Unternehmen zuzurechnen. Andererseits gibt es auch manche Großunternehmen, deren Tätigkeit sich nur auf eine Wirtschaftsstufe erstreckt.In diesem Zusammenhang sei im übrigen bemerkt, daß die derzeitige Umsatzsteuer die arbeitsintensiven Unternehmen — hierbei handelt es sich vorzüglich um Betriebe des Mittelstandes — im Verhältnis zu den kapitalintensiven Unternehmen günstig behandelt, da letztere in höherem Maße von der zum Teil hohen umsatzsteuerlichen Vorbelastung der Investitionsgüter betroffen werden.Ein weiterer bedeutsamer Nachteil unserer Umsatzsteuer ergibt sich beim zwischenstaatlichen Warenverkehr. Es ist allgemein üblich, daß die Staaten ihre Ausfuhrwaren von der auf ihnen ruhenden Umsatzsteuer entlasten und die Einfuhrwaren an der Grenze mit einer entsprechenden Ausgleichsabgabe belegen. Wie ich schon sagte, ist die umsatzsteuerliche Belastung der Inlandswaren bei unserer Umsatzsteuer auf Grund der Kumulativwirkung unterschiedlich und im Einzelfall auch nicht bekannt. Daher läßt sich der Grenzausgleich im zwischenstaatlichen Handelsverkehr nicht für jede Ware genau in Höhe der tatsächlichen Belastung durchführen.Es gibt nun gewisse Möglichkeiten, die dargestellten Mängel unserer derzeitigen Umsatzsteuer zu beseitigen oder abzuschwächen. So ist zum Beispiel vorgeschlagen worden, das gegenwärtige System durch Ausgleichsmaßnahmen in der Form von Zusatzsteuern für mehrstufige Betriebe oder von Phasenpauschalierungen und durch eine vollständige Befreiung des gesamten Großhandels von der Umsatzsteuer zu verbessern.Ausgleichsmaßnahmen ließen sich jedoch im Bereich der Produktion, wo .sie in erster Linie notwendig wären, wegen der differenzierten Struktur wichtiger Bereiche der deutschen Wirtschaft nur in
Metadaten/Kopzeile:
2794 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963
Bundesminister Dr. DahlgrünSchwerpunkten durchführen, und das könnte die wettbewerbsstörenden Wirkungen der AllphasenBruttoumsatzsteuer nur auf bestimmten Gebieten beseitigen. So gab es zum Beispiel bis 1958 eine Zusatzsteuer bei der Verbindung von Herstellung und Einzelhandel. Alle diese Maßnahmen sind naturgemäß mit erheblichen technischen und wettbewerblichen Schwierigkeiten verknüpft. Im konkreten Falle kann sich außerdem die durch eine Zusatzsteuer bedingte Mehrbelastung im internationalen Wettbewerb sehr nachteilig auswirken. Eine vollständige Befreiung des Großhandels von der Umsatzsteuer würde zwar jeglichen steuerlichen Anreiz zu dessen Ausschaltung beseitigen; die Finanzlage des Bundes — das darf ich offen sagen — verbietet jedoch z. Z. eine solche Maßnahme.Eine gewisse Verbesserung des Grenzausgleichs im Rahmen des jetzigen Systems könnte im übrigen dadurch erreicht werden, daß man in umfangreichen Einzelberechnungen die umsatzsteuerliche Belastung sämtlicher Waren möglichst genau festzustellen versucht. Auf Durchschnittssätze könnte man wegen der oft auch in der gleichen Branche unterschiedlichen Unternehmensstruktur der deutschen Wirtschaft trotzdem nicht verzichten. Sie müßten außerdem wegen des stetigen Wandels im wirtschaftlichen Geschehen immer wieder überprüft werden.Nach den vorstehenden Ausführungen ist es verständlich, daß man in unserem Lande schon seit langem nach einem Umsatzsteuersystem sucht, das die Vorzüge des gegenwärtigen Systems auf der einen Seite möglichst weitgehend bewahrt, zugleich aber wettbewerbsneutral ist, keine Anreize zur Konzentration bietet und einen genauen Grenzausgleich ermöglicht. Auf diesem Gebiet sind in dieser und in den vergangenen Legislaturperioden, wie das auch schon in den Begründungen der Fraktionssprecher zu den Großen Anfragen dargelegt worden ist, umfangreiche Vorarbeiten geleistet worden. Ich möchte es mir ersparen, im einzelnen diese sehr eingehenden Untersuchungen noch einmal aufzuführen, die nicht nur von der Verwaltung selbst, sondern auch von den Wissenschaftlern — so insbesondere vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium der Finanzen — sowie von besonderen Kommissionen und Arbeitsgruppen auch der Fraktionen durchgeführt wurden.Auf Grund dieser Vorarbeiten und Untersuchungen verfügt die Bundesregierung über ein umfangreiches, gründlich bearbeitetes Material zur Frage der Umsatzsteuerreform. Sie ist auch im Besitz von statistischen Unterlagen für die Ausarbeitung entsprechender Gesetzentwürfe. Die Ergebnisse vorhandener und die demnächst zu erwartenden Ergebnisse neu eingeleiteter Statistiken dürften zur Durchleuchtung und Charakterisierung der mit einem Systemwechsel verbundenen ökonomischen und finanziellen Wirkungen — soweit diese überhaupt abschätzbar sind — ausreichen. Sie würden es ermöglichen, verhältnismäßig zuverlässig den bei jedem in Betracht kommenden Umsatzsteuersystem erforderlichen allgemeinen Steuersatz sowie die Auswirkungen gegebenenfalls notwendiger abweichender Steuersätze in besonderen Fällen annähernd zu ermitteln. Dagegen ließen sich die Auswirkungeneines Systemwechsels auf das Preisniveau mit statischen Mitteln nicht abschätzen. Hier müßte, da sich bei uns die Preise im allgemeinen am Markte bilden, immer von Annahmen ausgegangen werden.In diesem Zusammenhang möchte ich bemerken, daß der Vorschlag der SPD-Fraktion, durch statistische Steuererklärungen der Wirtschaft auf der Grundlage einer Mehrwertsteuer Probeberechnungen vorzunehmen, im Grunde durchaus einleuchtend ist.
Man wird aber statistische Steuererklärungen nicht für ein zurückliegendes Jahr verlangen können, in dem die Unternehmer noch keine besonderen Aufzeichnungen vorgenommen haben, wie sie der SPD-Entwurf notwendig machen würde. Außerdem würden die statistischen Erhebungen eine außerordentliche Mehrarbeit für Wirtschaft und Verwaltung mit sich bringen und nur dann von vollem Wert sein, wenn feststünde, daß der von der SPD eingebrachte Mehrwertsteuerentwurf ungefähr in dieser Form auch Gesetz werden würde. Dazu darf ich im folgenden noch Stellung nehmen.Die Fragen 1 der Fraktion der FDP und 1 Absatz 3 der Fraktion der SPD darf ich, so hoffe ich, hiermit als beantwortet ansehen.Nach den bisherigen Untersuchungen zur Umsatzsteuerreform ist die Bundesregierung der Auffassung, daß für eine Ablösung des bestehenden Systems ein alle Phasen der Produktion und Verteilung umfassendes Mehrwertsteuersystem in Betracht kommt. Zur Frage 2 der Großen Anfrage der Fraktion der FDP, ob für eine Umsatzsteuerreform außer einem Mehrwertsteuersystem noch andere Systeme in Erwägung zu ziehen sind, bemerke ich folgendes:Die oben erwähnten, allein aus der Kumulativwirkung unseres jetzigen Systems folgenden Mängel ließen sich allerdings auch durch eine Umsatzbesteuerung vermeiden, die nur auf einer einzigen Umsatzphase vorgenommen wird. In Betracht käme in diesem Zusammenhang eine Einzelhandelsteuer, eine Grossistensteuer oder eine Produktionsteuer.Die theoretisch reinste Form der allgemeinen Verbrauchsbesteuerung ist die Einzelhandelsteuer, die nur die zum Verbrauch bestimmten Güter und Leistungen erfaßt, weil sie gleichmäßig wirken kann und am wenigsten Ausgleichsmaßnahmen an der Grenze erfordert. Der Nachteil dieser in Norwegen und Schweden eingeführten Steuer ist, daß der gesamte Umsatzsteuerbedarf auf einer Stufe erhoben wird, auf der sich eine verhältnismäßig große Zahl von wirtschaftlich nicht so starken Unternehmern befindet. Aus diesem Grunde, aber auch wegen der bei Einführung der Steuer eintretenden starken Belastungsverschiebungen erscheint es schwer möglich, diese Besteuerungsform in der Bundesrepublik wirtschaftlich und politisch durchzusetzen.Sehr eingehend ist auch die Möglichkeit geprüft worden, unser Umsatzsteuersystem durch eine Grossistensteuer abzulösen. Dieses in der Schweiz mit guten Erfahrungen angewandte Umsatzsteuersystem läßt die Besteuerung dann eintreten, wenn
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963 2795
Bundesminister Dr. Dahlgründie Waren an den Einzelhändler oder unter dessen Umgehung direkt an den Letztverbraucher abgesetzt werden. Die Grossistensteuer müßte in der Bundesrepublik mit einem Steuersatz von mindestens 14 % erhoben werden; vergleichsweise weise ich in diesem Zusammenhang darauf hin, daß dieser Steuersatz in der Schweiz 5,4 % beträgt. Darüber hinaus ließe sich die bei der Grossistensteuer unabdingbare Registrierung aller Produzenten und Großhändler in einem dem Wechsel der Verhältnisse laufend anzupassenden Register sowie die Überwachung der steuerfreien Umsätze zwischen den registrierten Unternehmen wegen ihrer großen Zahl in der Bundesrepublik technisch nur sehr schwer lösen. Hinsichtlich der Belastungsverschiebungen und der politischen Durchsetzbarkeit scheint mir das gleiche zu gelten wie für eine Einzelhandelsteuer.Bei einer Produktionsteuer, der dritten Möglichkeit, tritt die Besteuerung ein wenn die Waren von dem Produzenten an den Großhändler, den Einzelhändler oder unmittelbar an die Letztverbraucher abgesetzt werden. Gegen die Einführung dieses Systems spricht vor allem, daß die Struktur der deutschen Wirtschaft eine weitgehende Überschneidung von Produktions- und Handelsfunktionen zeigt. Die Produktionsteuer wäre daher mit großen technischen Abgrenzungsschwierigkeiten verbunden, wenn man nicht Wettbewerbsverzerrungen und Kumulationswirkungen in Kauf nehmen will. Es würden also nur an die Stelle der Nachteile unseres jetzigen Systems andere Mängel treten. Hinzu kämen auch bei der Produktionsteuer dann noch die Nachteile eines schwerfälligen Registers zur Eintragung der Produzenten und vieler Großhändler, die sich zur Vermeidung wettbewerblicher Nachteile als Produzenten behandeln lassen müßten.Das Ziel, das mit der Einführung der Mehrwertsteuer erreicht werden soll, besteht doch darin, daß gleiche oder vergleichbare Waren und Leistungen ohne Rücksicht auf die Länge des Umsatzweges bis zum Verbraucher gleichmäßig belastet sind. Dieses Ziel, das eine Ausschaltung der Kumulativwirkung erfordert, wird grundsätzlich dadurch erreicht, daß die Besteuerung nicht an den Bruttoumsatz des Unternehmens, sondern an seinen Nettoumsatz anknüpft. Unter dem Nettoumsatz versteht man den Unterschied zwischen dem Bruttoumsatz des Unternehmers und den an ihm bewirkten, mit Umsatzsteuer bereits belasteten Vorleistungen anderer Unternehmer. In diesem Nettoumsatz spiegelt sich grundsätzlich der Wertzuwachs wider, den der einzelne Unternehmer durch seine unternehmerische Tätigkeit erbracht hat und der allein der Besteuerung unterliegen soll. Wenn es gelingt, dieses Prinzip in der praktischen Ausgestaltung der Besteuerung rein zu verwirklichen, ergeben sich die folgenden außerordentlichen Vorzüge gegenüber dem jetzt geltenden Umsatzsteuersystem:Erstens. Wettbewerbsstörungen durch unterschiedliche umsatzsteuerliche Belastungen konkurrierender Waren treten bei gleichem Steuersatz nicht ein. Die Mehrwertsteuer ist also insoweit wettbewerbsneutral.Zweitens. Die Einsparung von Umsatzstufen kann nicht zu einer Minderung der umsatzsteuerlichen Belastung der Waren oder Leistungen führen. Die Mehrwertsteuer ist daher auch insoweit konzentrationsneutral.Drittens. Die umsatzsteuerliche Gesamtbelastung einer Ware oder Leistung entspricht stets dem nominellen Steuersatz, weil alle Bestandteile des Entgelts nur einmal von der Steuer erfaßt werden. Die Gesamtsteuerbelastung läßt sich daher für jede einzelne Ware oder Leistung genau feststellen. Die im grenzüberschreitenden Warenverkehr bei einem Fortbestehen der Steuergrenzen notwendigen umsatzsteuerlichen Entlastungen durch Rückvergütungen und Belastungen durch Ausgleichsabgaben können also exakt vorgenommen werden. Man ist nicht mehr auf die Anwendung von Durchschnittssätzen angewiesen. Mit dieser Feststellung hoffe ich zugleich Frage 11 der Großen Anfrage der Fraktion der FDP beantwortet zu haben.Wie schwierig es jedoch ist, diese im Prinzip gegebenen Vorzüge der Mehrwertsteuer bei ihrer praktischen Gestaltung zu verwirklichen, deutet sich bereits bei der Beantwortung der Frage an, nach welcher Methode die Besteuerung des Nettoumsatzes schließlich erfolgen soll. Hierfür kommen im wesentlichen zwei Möglichkeiten in Betracht: der Vorumsatzabzug und der Vorsteuerabzug.Beim Verfahren des Vorumsatzabzuges ist der Bruttoumsatz wie bei der gegenwärtigen Umsatzsteuer zu ermitteln. Zusätzlich muß der Unternehmer aber die Vorumsätze, die an ihn bewirkt wurden und die mit Umsatzsteuer belastet sind, feststellen. Vom Unterschiedsbetrag zwischen dem Bruttoumsatz und diesen Vorumsätzen wird sodann die Steuer berechnet. Hat also ein Unternehmen in einem bestimmten Zeitraum Waren für insgesamt 100 000 DM veräußert, die es für 80 000 DM eingekauft hat, so beträgt der Nettoumsatz — dies ist die Wertschöpfung ides Unternehmens — 20 000 DM, und wenn ich einen Mehrwertsteuersatz von 10 % annehme, beläuft sich die Steuer auf 2000 DM.Beim Vorsteuerabzugsverfahren ist ebenfalls zunächst der Bruttoumsatz festzustellen, in dem von mir gebildeten Beispielsfall also 100 000 DM. Von ihm wird die Steuerschuld berechnet, somit 10 000 DM Umsatzsteuer. Der Unternehmer kann aber die auf den Vorumsätzen lastenden und aus seinen Einkaufsrechnungen ersichtlichen Vorsteuerbeträge abziehen. Diese haben in meinem Beispielsfall eine Höhe von 10 % von 80 000 DM, also 8000 DM. Der endgültig zu zahlende Steuerbetrag ist also auch bei diesem Verfahren 2000 DM, nämlich 10 000 DM weniger 8000 DM, und entspricht damit dem beim Vorumsatzabzugsverfahren errechneten Betrag.Bei der Entscheidung darüber, ob dem Vorumsatzabzug oder dem Vorsteuerabzug der Vorzug zu geben ist, sind eine Reihe sehr bedeutsamer Gesichtspunkte zu berücksichtigen, von denen ich nur die folgenden hervorheben möchte. Wenn die Mehrwertsteuer nur mit einem einheitlichen Steuersatz und ohne Befreiungen erhoben werden soll, besteht kein wesentlicher Unterschied zwischen diesen beiden Methoden. Herr Kollege Kurlbaum hat dazu
Metadaten/Kopzeile:
2796 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963
Bundesminister Dr. Dahlgrünbereits bei der Begründung der Großen Anfrage seiner Fraktion gesagt, daß dies auch für die SPD-Fraktion lediglich eine technische Frage sei. Zugunsten des Vorumsatzabzugs, den der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums empfohlen hat, könnte dann sprechen, daß die Errechnung der Steuer einfacher ist, weil bei diesem Verfahren die Vorsteuerbeträge nicht gesondert festzuhalten sind.Bestehen dagegen unterschiedliche Steuersätze oder auch Befreiungen, so weist der Vorsteuerabzug wesentliche Vorzüge gegenüber dem Vorumsatzabzug auf. Wie Untersuchungen in der Industrie gezeigt haben, gibt es beim Vorumsatzabzug keine praktisch befriedigende Möglichkeit, Vorumsätze aufzuteilen und den verschieden hoch besteuerten Bruttoumsätzen, zu denen sie wirtschaftlich gehören, entsprechend zuzuordnen. Da nur Schätzungen möglich sind, ergeben sich zwangsläufig Wettbewerbsstörungen zwischen den einzelnen Unternehmen. Dies zeigt sich insbesondere bei den Aufwendungen für Investitionsgüter, die der Unternehmer zur Ausführung unterschiedlich besteuerter Umsätze verwendet. Man stelle sich zum Beispiel vor, daß betrieblich genutzte Lagerhallen von Fabrikationsbetrieben mit Anschaffungspreisen von je 500 000 DM in ständig wechselndem Umfang der Lagerung unterschiedlich besteuerter Fabrikationserzeugnisse dienen. Es leuchtet ein, daß eine Aufteilung der Vorumsätze von je 500 000 DM auf die verschieden besteuerten Bruttoumsätze nur durch grobe Schätzungen erfolgen und damit zu erheblichen Abweichungen von Unternehmen zu Unternehmen führen kann.Läßt man andererseits steuerbefreite oder ermäßigt besteuerte Vorumsätze voll zum Abzug zu, so wirken sich zwar die auf den Vorstufen gewährten Vergünstigungen in der Belastung der Endprodukte aus; denn die Vorumsätze werden in diesem Fall so behandelt, als ob sie auf der Vorstufe voll besteuert worden wären. Für den grenzüberschreitenden Verkehr ließe sich dann jedoch ein genauer Grenzausgleich einfach nicht mehr durchführen, weil die Endbelastung der Waren nicht dem nominellen Steuersatz entspricht und auch nicht bekannt ist. Ohne pauschale Durchschnittssätze wie beim gegenwärtigen Umsatzsteuersystem ergäben sich somit unter Umständen Verstöße gegen zwingende Bestimmungen des GATT- und auch des EWG-Vertrages.Alle diese Nachteile ergeben sich auch bei dem Mehrwertsteuerentwurf der SPD, weil er steuerermäßigte und befreite Umsätze vorsieht, die voll zum Abzug zugelassen werden.Demgegenüber bedarf es beim Verfahren des Vorsteuerabzugs keiner schwierigen Aufteilung der Vorumsätze auf die Bruttoumsätze des Unternehmers. Der Unternehmer kann bei diesem Verfahren nur die Vorsteuerbeträge von seiner Steuerschuld abziehen, die er den Rechnungen seiner Lieferanten entnimmt. Damit wird außerdem erreicht, daß die umsatzsteuerliche Gesamtbelastung auch bei der Anwendung ermäßigter Steuersätze stets dem nominellen Steuersatz entspricht und damit bekannt ist.Bei diesem Verfahren gibt es demnach im Innern wirklich keine Wettbewerbsstörungen, und der Grenzausgleich kann für jede Ware und für jede Leistung exakt durchgeführt werden.Aus diesen Gründen ist dem Verfahren des Vorsteuerabzugs, wie es auch in Frankreich angewandt wird, unbedingt der Vorzug zu geben. Für ihn haben sich auch für den Fall der Einführung der Mehrwertsteuer Spitzenorganisationen der Wirtschaft wie der Deutsche Industrie- und Handelstag sowie der Bundesverband der Deutschen Industrie ausgesprochen. Den Vorteil des Vorsteuerabzugs haben auch die Steuersachverständigen der Mitgliedstaaten der EWG bei der Untersuchung der verschiedenen Steuersysteme in einer von der EWG-Kommission einberufenen Arbeitsgruppe festgestellt.Damit ist auch Nr. 2 der Großen Anfrage der Fraktion der FDP beantwortet.Als Folge der Besteuerung des Mehrwerts ergeben sich zum Teil erhebliche Verschiebungen in der Steuerzahllast für die einzelnen Wirtschaftszweige und auch für die einzelnen Unternehmen innerhalb dieser Wirtschaftszweige. Die Steuerzahllast wird sich hauptsächlich auf Wirtschaftszweige und Unternehmen mit einer hohen Wertschöpfung verlagern, das sind vor allem lohnintensive Unternehmungen und auch Dienstleistungsunternehmen. So muß zum Beispiel ein Handwerksbetrieb mit einem Gesamtumsatz von 100 000 DM gegenwärtig 4000 DM an Umsatzsteuer zahlen. Hat dieser Betrieb eine Wertschöpfung von 50 %, hat er also Einkäufe in Höhe von 50 000 DM getätigt, so beträgt die Mehrwertsteuerzahllast bei einem angenommenen Mehrwertsteuersatz von wieder 10% 10 000 DM abzüglich 5000 DM, also letzten Endes 5000 DM. Die Steuerzahllast eines solchen Betriebes erhöht sich demnach um 25%. Aus diesem Beispiel darf jedoch nicht geschlossen werden, daß das Handwerk bei einer Mehrwertsteuer allgemein mehr Steuer zahlen müßte.
Bei manchen Handwerkszweigen ist die Wertschöpfung vielmehr so niedrig, daß sich ihre Steuerzahllast gegenüber der jetzigen sogar vermindern würde.Eine höhere Steuerzahllast wird sich — um in diesem Zusammenhang Frage 9 der Großen Anfrage der Fraktion der FDP zu beantworten — trotz relativ niedriger Wertschöpfung allerdings auch für den Großhandel ergeben, weil seine Umsätze heute weitgehend Steuerbefreiung genießen oder nur mit einem Steuersatz von 1 °/o belegt sind. Dies erklärt die eindeutige Ablehnung der Mehrwertsteuer durch den Großhandel.
— Gut. Ich habe bisher nur davon gehört, daß der überwiegende Teil des Großhandels oder seine Vertretung dagegen ist.Es ist daher die Frage gestellt worden, ob es nicht zweckmäßig wäre, diese Wirkung der Mehrwertsteuer auf die genannten Wirtschaftszweige zu beseitigen oder abzuschwächen. Ebenso ist auch vor-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963 2797
Bundesminister Dr. Dahlgrüngeschlagen worden, die bestehenden Freibeträge für Unternehmer mit relativ niedrigen Umsätzen unter dem Gesichtspunkt der Mittelstandsförderung in die Mehrwertsteuer zu übernehmen. Hierzu darf ich grundsätzlich folgendes bemerken.Die Vorteile, die das reine Mehrwertsteuersystem vor dem geltenden deutschen Umsatzsteuersystem hat und die vor allem auf dem Gebiete der Wettbewerbsneutralität liegen, entfallen, wenn in nennenswertem Maße Ausnahmen zugelassen werden, mögen diese in Steuerbefreiungen, Steuerermäßigungen oder in der Möglichkeit bestehen, für eine andere Besteuerung zu optieren.
Das ist auch ein Gedanke, der im Gespräch gewesen ist.Im einzelnen möchte ich in diesem Zusammenhang auf folgendes hinweisen: Daß Befreiungen oder Steuerermäßigungen für einzelne Wirtschaftszweige oder nach Unternehmensgrößen die Vorzüge der Mehrwertsteuer weitgehend beeinträchtigen, folgt aus ihrem besonderen Charakter.
Abgesehen davon, daß der Umsatz eines Unternehmers kein brauchbarer Maßstab für seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist, ergeben sich durch solche Eingriffe in die Steuerzahllast naturnotwendig Störungen der Wettbewerbsneutralität, die bei einer grundsätzlich wettbewerbsneutralen Steuer vermieden werden sollten und nicht zu verantworten sind. Es käme hinzu, daß den steuerbefreiten Wirtschaftszweigen die Ausschaltung droht, wenn ihren Abnehmern nicht der Vorsteuerabzug mit dem normalen Steuersatz gewährt werden würde.
Hierzu bedürfte es aber der Einführung des Abzugs fiktiver Vorsteuern. Diese wiederum würden den genauen Grenzausgleich unmöglich machen. Auf der anderen Seite würde sicherlich die Befreiung bestimmter Wirtschaftszweige von der Mehrwertsteuer dazu führen müssen, daß den betreffenden Unternehmungen der Abzug der auf den Lieferungen und Leistungen an sie lastenden Vorsteuern versagt werden müßte; sonst gäbe es Branchen und Wirtschaftszweige, die ohne eigene Steuerpflicht laufend Erstattungen von Steuerbeträgen erhalten würden, die andere Unternehmen an das Finanzamt entrichtet haben. Hieraus kann sich aber unter Umständen im ganzen eine Mehrbelastung der Ware ergeben, die an der Grenze nicht voll ausgeglichen werden kann.Die hier angedeutete Problematik wird im Fall der Einführung der Mehrwertsteuer für den Bereich der Landwirtschaft, Herr Kollege Schmidt, von besonderer Bedeutung sein, weil es sich als notwendig erweisen könnte, den Unternehmen dieses Wirtschaftsbereiches eine volle oder teilweise Befreiung von der Mehrwertsteuer zu gewähren. Die Bundesregierung wird im Falle der Einführung einer Mehrwertsteuer die Belange der deutschen Landwirtschaft mit besonderer Sorgfalt prüfen.Unter diesen Umständen erscheint weder eine Mittelstandsförderung auf dem Gebiet der Umsatzsteuer, wie sie im jetzigen Recht enthalten ist, noch eine Begünstigung von Wirtschaftszweigen zur Vermeidung einer Erhöhung der auf sie entfallenden Steuerzahllast vertretbar. Eine gewisse Umwälzung der Belastungsverhältnisse ist nun einmal mit der Umstellung auf das System der Mehrwertsteuer untrennbar verbunden und läßt sich nicht ändern oder mindern, ohne zugleich das Prinzip dieser Steuer aufzuheben. Anderenfalls würde die Gefahr bestehen, daß die im jetzigen System enthaltenen Belastungsverhältnisse auf komplizierterem Wege aufrechterhalten bleiben und daß damit zugleich auf die Verbesserung der Wettbewerbsneutralität verzichtet wird.Die gleichen Gesichtspunkte gelten für das von verschiedenen Seiten zugunsten kleinerer Unternehmen vorgeschlagene Recht zur Option für die Brutto-Umsatzsteuer. Eine solche Möglichkeit sehen auch die beiden dem Hohen Haus vorliegenden Mehrwertsteuerentwürfe der SPD und einiger Abgeordneter der CDU/CSU — wenn auch mit unterschiedlichem Umfang — vor.Durch diese Option soll allen Steuerpflichtigen bis zu einer gewissen Umsatzgrenze die Möglichkeit gegeben werden, sich der Besteuerung nach dem Bruttoumsatz zu unterwerfen. Hierdurch würde sich jedoch nicht nur ein äußerst kompliziertes, durch sachgerechte Erwägungen nicht zu rechtfertigendes Nebeneinander der gegenwärtigen Umsatzsteuer und der Nettoumsatzsteuer ergeben. Es muß außerdem darauf hingewiesen werden, daß z. B. bei einer Umsatzgrenze von 480 000 DM rund 90 v. H. aller Steuerpflichtigen ein Recht zur Option hätten, wenn es auch nicht alle von ihnen ausüben würden. Auch verfassungsrechtlich erscheint eine solche Regelung sehr bedenklich. Es entstünden dadurch schwere Störungen des Wettbewerbs. Unternehmer mit hoher Wertschöpfung, die wegen Überschreitens der Umsatzgrenze, nicht optieren könnten, hätten eine im Verhältnis wesentlich höhere Steuerzahllast zu tragen als Unternehmer mit Bleichhoher Wertschöpfung, die von der Option noch Gebrauch machen dürften.Dies zeigt folgendes Beispiel: Zwei konkurrierende Unternehmen haben eine gleich hohe Wertschöpfung von je 60 v. H., jedoch unterschiedlich hohe Gesamtumsätze von 400 000 DM bzw. 800 000 DM. Liegt die Optionsgrenze bei 480 000 DM, so hätte der für die Bruttoumsatzsteuer optierende Betrieb mit einem Gesamtumsatz von 400 000 DM an Stelle einer zu zahlenden Mehrwertsteuer von 24 000 DM — auch hier unterstelle ich für das Beispiel zur Vereinfachung einen Mehrwertsteuersatz von 10 v. H. — eine Umsatzsteuer von 16 000 DM zu entrichten, da der Bruttosteuersatz 4 v. H. beträgt. Demgegenüber hätte der Konkurrent mit einem Gesamtumsatz von 800 000 DM, der nicht optieren darf, eine Mehrwertsteuer von 48 000 DM zu zahlen. Obwohl also sein Umsatz nur doppelt so
Metadaten/Kopzeile:
2798 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963
'Bundesminister Dr. Dahlgrünhoch ist wie der seines Konkurrenten, hätte er das Dreifache an Umsatzsteuer zu zahlen.Dieses Optionsrecht würde im übrigen den Optanten nur dann wirkliche Vorteile bringen, wenn ihren Abnehmern — sofern diese selbst mehrwertsteuerpflichtige Unternehmer sind — der Abzug fiktiver Vorsteuern gestattet würde. Andernfalls würde sich für die Optanten eine zunehmende Gefahr der Ausschaltung ergeben. Der Entwurf von Abgeordneten der CDU/CSU sieht — vielleicht kann man sagen: sah — solche fiktiven Abzüge vor. Dabei wird übersehen, daß infolge dieser Maßnahme die Belastung der Waren nicht mehr erkennbar ist und daher der Ausgleich beim grenzüberschreitenden Warenverkehr nicht mehr genau vorgenommen werden kann. Es ist zu beachten, daß zu den zur Option berechtigten Unternehmern auch zahlreiche Zulieferbetriebe der Exportindustrie gehören würden.Das Optionsrecht ließe sich auch nicht aus der Überlegung rechtfertigen, kleinere Unternehmer von der größeren Arbeitslast, die die Mehrwertsteuer mit sich bringt, zu befreien. Das ergibt sich aus folgender Überlegung: Die Mehrwertsteuer hätte nur für Unternehmen mit hoher Wertschöpfung eine gegenüber der jetzigen Besteuerung vermehrte Steuerzahllast zur Folge. Für Unternehmer mit niedriger Wertschöpfung würde sie sich im Regelfall vermindern. Unternehmer mit niedriger Wertschöpfung — so zum Beispiel viele Einzelhändler — müßten daher die durch Ausübung der Option für die Bruttoumsatzsteuer eintretende Arbeitsentlastung mit einer unter Umständen erheblich höheren Steuerzahllast erkaufen. Beträgt nämlich die Wertschöpfung eines Einzelhändlers 25 v. H., so hätte er bei einem Gesamtumsatz von 400 000 DM einen Mehrwertsteuerbetrag von 10 000 DM zu entrichten. Bei einer Option dagegen würde die mit einem Steuersatz von 4 v. H. erhobene Bruttoumsatzsteuer zu einer Steuerbelastung von 16 000 DM führen. Die Steuerschuld wäre also um 60 v. H. höher ,als im anderen Fall.Unter Berücksichtigung dieser außerordentlich schwerwiegenden Nachteile haben sich der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen ebenso wie namhafte Wirtschaftsverbände nachdrücklich gegen die Einführung eines Optionsrechts für die Bruttoumsatzsteuer ausgesprochen.Welche unerwünschten wirtschaftlichen Verzerrungen sich ergeben können, wenn man aus sonst begreiflichen Gründen kleinere Unternehmen aus der Mehrwertsteuer herausnimmt, zeigen die bekannt gewordenen Erfahrungen mit der französischen Regelung für Handwerksbetriebe. Diese Betriebe unterliegen nicht mehr der Mehrwertsteuer, sondern einer niedrigeren Lokalsteuer, wenn sie nicht mehr als zwei fremde Arbeitskräfte beschäftigen. Es soll dort die Zahl der kleinen Handwerksbetriebe von Jahr zu Jahr zugenommen haben, was u. a. darauf zurückgeführt wird, daß sie, um in den Genuß der Steuervergünstigung zu kommen, die Zahl ihrer fremden Hilfskräfte nach Möglichkeit eingeschränkt haben.Auch Befreiungen oder Steuerermäßigungen bei gewissen Waren und Leistungen, an die man etwa aus sozialpolitischen Erwägungen denken könnte, sind an sich mit dem Prinzip der Wettbewerbsneutralität, das mit der Mehrwertsteuer erstrebt wird, nicht vereinbar. Freilich ergeben sich hierbei nicht so schwerwiegende Mängel wie bei den zuvor dargestellten Vergünstigungen.Sollte es unvermeidbar sein, für gewisse Waren und Leistungen Steuerermäßigungen zu gewähren, so wird man darauf achten müssen, daß konkurrierende Güter und Leistungen nicht verschieden besteuert werden. Ich denke hier insbesondere an Lebensmittel, weil sich deren Besteuerung mit dem vollen Steuersatz der Mehrwertsteuer angesichts der gegenwärtig bestehenden weitreichenden Vergünstigungen unter Umständen preiserhöhend auswirken würde.Frage 6 der Großen Anfrage der Fraktion der FDP darf ich mit diesen und den vorhergehenden Ausführungen als erledigt ansehen.Die von der Fraktion der FDP unter Ziffer 4 ihrer Großen Anfrage gestellte Frage nach der Behandlung der Dienstleistungen ist in diesem Zusammenhang wie folgt zu beantworten: Kumulativwirkungen und Wettbewerbsverzerrungen ließen sich nur dann vermeiden, wenn man den Dienstleistungsunternehmen ebenso wie ihren Abnehmern den Abzug der tatsächlich entrichteten Vorsteuern ermöglicht. Will man das Umsatzsteuerrecht wettbewerbsneutral gestalten, können die Dienstleistungen demnach nicht durch eine besondere Dienstleistungssteuer, sondern nur durch die Mehrwertsteuer erfaßt werden. Dies würde allerdings nicht ausschließen, daß man unter Umständen für gewisse Dienstleistungen aus ähnlichen Erwägungen, wie sie für die Lebensmittel gelten, einen ermäßigten Steuersatz gewährt. Hierbei darf es sich jedoch nicht um Werkleistungen handeln, weil diese mit dem Produktionsprozeß in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Ihre Begünstigung würde wiederum zu erheblichen Wettbewerbsstörungen führen.Die Bundesregierung wird der Besteuerung der Dienstleistungen bei einer Umsatzsteuerreform ihre besondere Aufmerksamkeit widmen und damit dem Wunsch, den die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP in der Drucksache IV/736 zum Ausdruck gebracht haben, Rechnung tragen.Die Bundesregierung wird ferner darauf achten, daß bei der steuerlichen Erfassung der Verkehrsleistungen die Pobleme, die bei einem etwaigen Ersatz der Beförderungsteuer durch eine Mehrwertsteuer auftreten, sowie die Schwierigkeiten, die sich unter Umständen aus der Anwendung eines einheitlichen Steuersatzes und der beschränkten Maglichkeit des Vorsteuerabzuges ergeben, gebührend berücksichtigt werden.Die Vorteile der Mehrwertsteuer würden auch verringert werden, wenn sie auf bestimmte Stufen der Produktion oder des Handels beschränkt würde. Es ist vorgeschlagen worden, die Mehrwertbesteuerung zugunsten des Einzelhandels nur bis zur Großhandelsstufe einschließlich oder sogar — um auch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963 2799
Bundesminister Dr. Dahlgründen von der Umschichtung der Steuerzahllastverhältnisse besonders betroffenen Großhandel nicht zu benachteiligen — nur auf den Produktionsstufen durchzuführen. Wie bei der in anderem Zusammenhang erwähnten Produktionssteuer würde eine Beschränkung der Mehrwertsteuer auf die Produktionsstufen zu technischen Abgrenzungsschwierigkeiten führen, weil die Struktur der Wirtschaft, wie ich schon einmal gesagt habe, eine weitgehende Überschneidung von Produktions- und Handelsfunktionen zeigt. Außerdem würde eine auf die Produktionsstufen beschränkte Besteuerung einen besonders hohen Steuersatz erfordern.Liegt nur die Einzelhandelsstufe außerhalb des Anwendungsbereichs der Mehrwertsteuer, so würden unter anderem Wettbewerbsprobleme für Einzelhändler eintreten, die auch an Produzenten, z. B. an Handwerker, liefern, und im übrigen würde für den Großhandel — worauf der Gesamtverband des Deutschen Groß- und Außenhandels hingewiesen hat — eine Ausschaltungsgefahr entstehen. Eine wirklich wettbewerbsneutrale Gestaltung der Umsatzbesteuerung ließe sich daher nur mit einer auf allen Stufen des Wirtschaftsablaufs erhobenen Mehrwertsteuer erreichen.Frage 3 der Großen Anfrage der Fraktion der FDP darf ich damit als beantwortet ansehen.Ein weiteres Problem von erheblicher Bedeutung wird durch Frage 5 der Großen Anfrage der Fraktion der FDP angesprochen. Es handelt sich um die Abzugsfähigkeit der auf den angeschafften Investitionsgütern lastenden Vorsteuerbeträge. Um Kumulativwirkungen und Wettbewerbsstörungen bei der Mehrwertsteuer zu vermeiden, müßte man den Abzug grundsätzlich gestatten.Sehr umstritten ist dagegen die Frage, ob das Gesetz den Abzug dieser Vorsteuerbeträge sofort in voller Höhe oder nur in dem Umfang vorsehen soll, wie diese Steuern über die zeitanteiligen Abschreibungen in die Preise der Güter und Leistungen eingehen. Beide Möglichkeiten weisen eine Reihe von Vorzügen, aber auch gewichtigen Nachteilen auf. Über die sich hieraus ergebenden Probleme hat der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium ,der Finanzen in seinem Gutachten „Probleme der Netto-Umsatzbesteuerung" sehr eingehende Untersuchungen vorgelegt. Eine Mehrheit des Beirats hat sich für einen sofortigen Vollabzug der auf den Investitionsgütern lastenden Vorsteuern ausgesprochen. Dieses Verfahren wird auch bei der französischen Mehrwertsteuer angewandt. Es erleichtert die Rationalisierung und das Wachstum der Wirtschaft. Immerhin fragt es sich, ob der vom Vollabzug ausgehende Investitionsanreiz nicht zu stark und vor allem nicht zu unterschiedlich wirksam würde. Gewisse Nachteile ergeben sich weiterhin in konjunktureller Hinsicht. Der Vollabzug hat die unerwünschte Wirkung, daß das Steueraufkommen im Konjunkturaufschwung bei nachhaltigen Neuinvestitionen in der Wirtschaft weniger schnell als das Sozialprodukt steigt, während es im Konjunkturabschwung langsamer als das Sozialprodukt abnimmt. Andererseits würde sich die Mehrwertsteuerbei einem sofortigen Vollabzug der Vorsteuern auf Investitionen außerordentlich vereinfachen und vor allem für die kleineren Unternehmen besser praktikabel werden.Alle diese Gesichtspunkte machen noch eine gründliche Prüfung dieser Probleme erforderlich.Die Mehrwertsteuer in jeder Form und Gestaltung kann nicht ohne Mehrarbeit für Wirtschaft und Verwaltung durchgeführt werden. Auch darauf möchte ich bei dieser Gelegenheit hinweisen.Diese Mehrarbeiten machen allerdings — um in diesem Zusammenhang Frage 8 der Großen Anfrage der Fraktion der FDP zu beantworten — die Mehrwertsteuer weder für die Wirtschaft, auch nicht für die kleineren Unternehmer, noch für die Verwaltung undurchführbar. Die technischen Schwierigkeiten können dadurch am wirksamsten vermindert werden, daß die Mehrwertsteuer systemgerecht durchgeführt wird.
Unter Umständen müßten für die kleineren Steuerpflichtigen Grundsätze einer Pauschalbesteuerung, insbesondere einer pauschalen Ermittlung der Abzüge, gefunden werden. Es muß aber mit Nachdruck hervorgehoben werden, daß die Grenzen der Praktikabilität außerordentlich schnell erreicht sind, wenn die Errechnung der Nettoumsatzsteuer durch Sondervorschriften kompliziert wird. In diesem Fall würde sich im übrigen, wie ich bereits ausgeführt habe, der Nachteil der Mehrarbeit wesentlich stärker bei den kleineren Unternehmern auswirken, da diese nicht in gleichem Maße auf ein steuerlich geschultes Personal und die entsprechenden Möglichkeiten der Unternehmensberatung zurückgreifen können.Wie die Oberfinanzdirektionen nahezu übereinstimmend erklärt haben, würde die Finanzverwaltung ihre neuen Aufgaben, die durch die Prüfung der Vorsteuerabzüge bei den Unternehmern und deren Abnehmern entstehen würden, ohne Personalvermehrung nicht befriedigend bewältigen können.
In dieser Hinsicht bereitet mir die Einführung der Mehrwertsteuer — trotz dieses Gesichtspunktes, Herr Kollege Dr. Schmidt — eine gewisse Sorge, die hier nicht verschwiegen werden soll.Ein steuerpsychologischer Nachteil der Mehrwertsteuer liegt in der Tatsache, daß sie nur mit einem optisch relativ hohen Steuersatz erhoben werden kann, wenn das Aufkommen erzielt werden soll, das die jetzige Umsatzsteuer erbringt. Dabei läßt sich die Frage 7 der Großen Anfrage der Fraktion der FDP nach der Höhe dieses Satzes zur Zeit nicht abschließend beantworten, weil die Höhe des Steuersatzes von der Ausgestaltung der Mehrwertsteuer, insbesondere von dem Umfang der Vergünstigungen und Befreiungen entscheidend abhängt. Bei einer annähernd systemrein durchgeführten Mehrwertsteuer, die den zuvor dargelegten Anforderungen entspräche, müßte der allgemeine
Metadaten/Kopzeile:
2800 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963
Bundesminister Dr. DahlgrünSteuersatz, wenn man das große Risiko der Übergangszeit in Betracht zieht, meiner Ansicht nach mindestens 10 % betragen. Es muß auch damit gerechnet werden, daß sich aus diesem hohen Steuersatz ein erhöhter Anreiz zu Steuerumgehungen ergibt. Dieser Gefahr könnte nur mit einer wesentlichen Verstärkung des Prüfungsdienstes der Finanzverwaltung begegnet werden.Die Betrachtungen zur Problematik einer Umsatzsteuerreform durch Einführung der Mehrwertsteuer wären unvollständig, wenn nicht auch auf die Gefahren von Preiserhöhungen hingewiesen würde. Hiermit gehe ich zugleich auf die Frage 10 der Großen Anfrage der Fraktion der FDP ein. Wie bereits erwähnt, führt die Besteuerung des Mehrwerts zu einer Umschichtung der Steuerzahllast in den einzelnen Wirtschaftszweigen und den einzelnen Unternehmen. Hierdurch ergeben sich zwangsläufig auch Veränderungen in der Struktur des Preisgefüges. Manche Branchen werden ihre Preise senken können, andere dagegen — so solche mit hohem Veredelungsgrad — werden sie erhöhen müssen. Theoretisch müßten sich zwar unter der Voraussetzung, daß der Steuersatz zur Erreichung des gleichen Aufkommens zutreffend gefunden ist und die Mehroder Minderbelastungen von den Unternehmungen in der tatsächlichen Höhe im Preis weitergegeben werden, diese Veränderungen im Ergebnis ausgleichen. Es kann jedoch die Befürchtung nicht ausgeschlossen werden, daß sich auch unerwünschte Preisauftriebstendenzen ergeben können, zumal eine deutlich höhere Steuerzahllast bei Einführung derMehrwertsteuer vor allem den ersten Stufen der Produktion auferlegt wird. Mit unserer Wirtschaftsauffassung wäre es nicht vereinbar, wenn man etwa versuchen wollte, diese Gefahr durch gesetzliche Preisregulierungen auszuschließen. Entscheidend für die Auswirkung auf die Preise wird immer die Marktsituation im Zeitpunkt der Systemänderung sein. Von einem Gesamtstandpunkt aus darf allerdings von einer wettbewerbsneutralen Umsatzsteuer — das möchte ich besonders hervorheben — eine freie Entfaltung des Wettbewerbs und mindestens auf längere Sicht eine günstige Auswirkung auf die Preise erwartet werden.Ich darf diesen Überblick, bei dem ich mich bemüht habe, wesentliche Probleme und Schwierigkeiten anzudeuten, wie folgt zusammenfassen. Unser derzeitiges Umsatzsteuersystem hat neben seinen großen Vorzügen fraglos erhebliche Mängel. Die Untersuchungen, welches andere System an seine Stelle gesetzt werden könnte, haben ergeben, daß in erster Linie die Mehrwertsteuer mit Vorsteuerabzug in Betracht kommt. Die Mehrwertsteuer hat jedoch — wie Sie aus meinen Ausführungen ersehen haben — neben Vorzügen auch Nachteile. Die Vorzüge der Mehrwertsteuer, nämlich der saubere Grenzausgleich und die Neutralität im innerstaatlichen Wettbewerb, würden allerdings — wie ich in ausdrücklicher Übereinstimmug mit dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft hervorheben möchte — weitgehend verlorengehen, wenn die Voraussetzungen nicht erfüllt würden, die ich soeben für ihre Gestaltung fordern mußte, nämlich 1. Durchführung der Mehrwertsteuer bis zum Einzelhandel einschließlich, 2. grundsätzliche Einbeziehung der sonstigen Leistungen in die Mehrwertsteuer, 3. keine Sonderregelungen, die sich nach der Umsatzgröße der Unternehmen richten, grundsätzlich keine Sonderregelungen für bestimmte Wirtschaftszweige, allenfalls Sonderregelungen für bestimmte Waren, z. B. landwirtschaftliche Erzeugnisse, und für gewisse Dienstleistungen, die mit dem Produktionsprozeß nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Wenn es uns gelingt, die Mehrwertsteuer so zu gestalten, dann ist sie unter Abwägung aller Vorzüge und Nachteile ohne Zweifel unserer gegenwärtigen Umsatzsteuer vorzuziehen.
Wie schwierig freilich die Probleme sind, zeigt sich daran, daß auch die Wirtschaft sich bis heute noch nicht zu einer einheitlichen Auffassung in der Frage der Umsatzsteuerreform durchringen konnte. Die Einstellung zur Mehrwertsteuer hängt keineswegs von der Größe der Unternehmen ab; die Meinungen sind vielmehr unterschiedlich von Wirtschaftszweig zu Wirtschaftszweig, von Branche zu Branche, ja sogar von Unternehmen zu Unternehmen. Viele, die zur Einführung der Mehrwertsteuer neigen, knüpfen diese Zustimmung an Voraussetzungen, wie z. B. das Optionsrecht, gegen die aus den aufgeführten Gründen schwerste Bedenken bestehen.Wie ich schon eingangs erwähnte, kann die Frage der Umsatzsteuerreform nicht losgelöst von den Bemühungen um eine Harmonisierung der Umsatzsteuern in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft behandelt werden. Die Frage Nr. 12 der Fraktion der FDP darf ich dahin beantworten, daß wir die Pläne zur Harmonisierung der Umsatzsteuern innerhalb der EWG selbstverständlich bei der Reform der deutschen Umsatzsteuer zu berücksichtigen haben. Dabei sind auch die Fragen des grenzüberschreitenden Verkehrs zu beachten. Bei den Umsatzsteuern gilt gegenwärtig ebenso wie bei den speziellen Verbrauchsteuern im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten — anders bei den direkten Steuern — das Prinzip der Besteuerung nach den Bedingungen des Bestimmungslandes, das ohne Steuergrenzen nicht durchführbar ist. Es ist allgemein bekannt, daß nur Frankreich mit seinem Mehrwertsteuersystem einen für jede einzelne Ware fast genauen umsatzsteuerlichen Grenzausgleich bei den Einfuhren und den Ausfuhren vornehmen kann. Die übrigen Mitgliedstaaten einschließlich der Bundesrepublik sind auf die Anwendung pauschaler Durchschnittssätze angewiesen. Die Bundesrepublik hat bei allen bisherigen Gesprächen über eine Umsatzsteuerharmonisierung im Bereich des Gemeinsamen Marktes mit Nachdruck die Auffassung vertreten, daß sich die Harmonisierung der Umsatzsteuern nicht auf den Übergang zu einem gemeinsamen Umsatzsteuersystem unter Aufrechterhaltung der Steuergrenzen beschränken könne. Sie ist der Ansicht, daß diese Steuergrenzen mit dem Geist des Vertrages von Rom nicht zu vereinbaren sind und daß daher auch bei den Umsatzsteuern zum Prinzip der Besteuerung nach dem Ursprungsland überge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963 2801
Bundesminister Dr. Dahlgrüngangen werden sollte; denn die Mitgliedstaaten haben sich durch diesen Vertrag zur Errichtung eines Gemeinsamen Marktes mit binnenmarktähnlichen Bedingungen verpflichtet. Mit einer solchen Zielsetzung erscheint es unvereinbar, daß die Zollmauern und Kontingente zwischen den Mitgliedstaaten abgeschafft werden, die Steuergrenzen jedoch bestehen bleiben.
Die Bedeutung des Gemeinsamen Marktes kann sich nicht in dem Status einer Zollunion erschöpfen. Der Übergang zu der Besteuerung nach dem Ursprungslandprinzip ist aber auch deshalb erforderlich, weil sich zur Zeit der Grenzausgleich nicht auf die direkten Steuern erstreckt, obwohl sich auch diese Steuern unter bestimmten wirtschaftlichen Voraussetzungen auf die Preise der Güter auswirken, ohne daß sich diese Wirkung im einzelnen nachweisen und bestimmen läßt.So wichtig es ist, auf dem Gebiet der Umsatzsteuern binnenmarktähnliche Verhältnisse zu schaffen, so kann man doch nicht ohne weiteres die Steuergrenzen aufheben. Hierdurch würden sich schwere Wettbewerbsstörungen nicht nur innerhalb des Gemeinsamen Marktes, sondern auch im Verkehr mit Drittländern ergeben. Im Verkehr mit den letzteren würden sich je nach der Höhe der Steuersätze typische Einfuhrländer und Ausfuhrländer entwickeln. Vor einer Aufhebung der Steuergrenzen bedarf es also vielmehr einer vorherigen Harmonisierung der Systeme, einer Angleichung der Steuerbefreiungen und — da an die Einführung flexibler Wechselkurse nicht gedacht ist — einer Annäherung auch der Steuersätze. Anderenfalls wäre auch nicht die zu einer Aufhebung der Steuergrenzen erforderliche Zustimmung aller Mitgliedstaaten zu erwarten.Die EWG-Kommission hat, wie erwähnt, dem Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ihren Vorschlag zur Harmonisierung der Umsatzsteuern im Bereich des Gemeinsamen Marktes nunmehr zugeleitet. Dieser Vorschlag sieht die schrittweise Einführung eines den Mitgliedstaaten gemeinsamen Mehrwertsteuersystems vor, das sich bis zur Großhandelsstufe einschließlich erstreckt. Den Mitgliedstaaten soll es jedoch freistehen, auch den Einzelhandel in die gemeinsame Mehrwertsteuer einzubeziehen oder auf der Einzelhandelsstufe eine autonome zusätzliche Steuer zu erheben.Die stufenweise Harmonisierung soll in folgender Weise durchgeführt werden. Spätestens zu Beginn des vierten Jahres nach Erlaß einer Harmoniesierungsrichtlinie durch den Ministerrat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sollen die Mitgliedstaaten mit einem kumulativen Mehrphasensteuersystem dieses durch ein nichtkumulatives System ersetzen. Bis zum Ende einer zweiten Etappe, spätestens jedoch mit Ablauf der Übergangszeit des EWG-Vertrages, ist das gemeinsame Mehrwertsteuersystem einzuführen, dessen Struktur und Anwendungsmodalitäten vom Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft noch vor Ende der ersten Etappe zu beschließen sind. Einer späterenEntschließung des Rates soll es vorbehalten bleiben, in welcher Weise und binnen welcher Frist das Endziel der Harmonisierung, nämlich die Beseitigung der Steuergrenzen zwischen den Mitgliedstaaten, erreicht werden soll.Es läßt sich gegenwärtig noch nicht übersehen, welche Stellung der Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu dem Vorschlag der Kommission beziehen wird. Inzwischen hat er den Vorschlag dem Europäischen Parlament sowie dem Wirtschafts- und Sozialausschuß des Europäischen Parlaments, wie es Art. 100 des EWG-Vertrages vorschreibt, zur Stellungnahme zugeleitet. Außerdem beabsichtigen die Finanzminister der EWG-Staaten, sich bei ihrem nächsten Treffen mit dem Vorschlag der Kommission zu beschäftigen.Die Bundesregierung begrüßt den Vorschlag der EWG-Kommission. Sie betrachtet ihn als eine geeignete Grundlage für die Beratung der auch von ihr für notwendig erachteten Harmonisierung der Umsatzsteuern im Gemeinsamen Markt. Im einzelnen darf ich zum Inhalt des Vorschlages noch kurz auf folgendes hinweisen. Der Vorschlag der Kommission sieht zwar eine gemeinsame Mehrwertsteuer vor, läßt aber noch für längere Zeit die Frage offen, wie diese Mehrwertsteuer ausgestaltet werden soll; denn die Struktur und die Anwendungsmodalitäten dieser gemeinsamen Steuer sollen nach dem Vorschlag erst dann festgelegt werden, wenn ,sich die Länder zur Einführung dieser Steuer bereits verpflichtet haben. Die Ausgestaltung der Mehrwertsteuer ist aber für die Wirksamkeit und daher auch für eine positive Stellungnahme zu ihr von entscheidender Bedeutung. Die Bundesregierung beabsichtigt daher, bei der Behandlung des Vorschlages im Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft darauf hinzuwirken, daß die Gestaltung der gemeinsamen Mehrwertsteuer in ihren Grundzügen bereits in der Richtlinie selbst festgelegt wird. Diese Gestaltung sollte soweit als möglich den Vorstellungen von einer Mehrwertsteuer entsprechen, wie ich sie Ihnen vorhin dargelegt habe.Der Vorschlag sieht zwar die Verpflichtung zur Einführung einer gemeinsamen Mehrwertsteuer in einer bestimmten Frist vor. Die Frage, in welcher Weise und binnen welcher Frist die Ausgleichsmaßnahmen an den Grenzen beseitigt werden sollen, wird dagegen erst einer weiteren Prüfung durch die Kommission und durch den Ministerrat vorbehalten. Da es sich hier jedoch um das ausdrückliche Endziel der Harmonisierung handelt, würden wir es für richtiger halten, wenn auch der Zeitpunkt, zu dem die Steuergrenzen beseitigt werden sollen, schon in der Richtlinie selbst verbindlich festgelegt würde.Die nach dem Vorschlag der EWG-Kommission gegebene Möglichkeit, in der ersten Stufe ein anderes nichtkumulatives Umsatzsteuersystem einzuführen und zur Mehrwertsteuer erst in einer zweiten Stufe überzugehen, ist für die Bundesrepublik — und wohl auch für andere Mitgliedstaaten — nicht praktisch. Man kann es der Wirtschaft und der Verwaltung — schon im Hinblick auf die damit verbundenen starken Eingriffe in das Preisgefüge — nicht zumuten, zwei Systemänderungen in so kurzer
Metadaten/Kopzeile:
2802 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963
Bundesminister Dr. DahlgrünZeit vorzunehmen. Das gilt auch für eine wesentliche Umgestaltung einer einmal eingeführten Mehrwertsteuer. Man müßte daher darauf hinwirken, daß eine gemeinsame Steuer ohne Vorstufe, aber mit Gewährung einer angemessenen Frist eingeführt wird. Die Mitgliedstaaten müssen in der Lage sein, nicht nur die verwaltungsmäßigen Vorbereitungen der Einführung einer solchen Steuer ohne Zeitdruck zu bewältigen, sondern auch einen konjunkturell und haushaltsmäßig günstigen Zeitpunkt zu wählen.Die von der Kommission vorgesehene Möglichkeit, vor der gemeinsamen Mehrwertsteuer zunächst ein anderes nichtkumulatives System einzuführen, birgt auch die Gefahr in sich, daß sich die Umsatzsteuern der Mitgliedstaaten, insbesondere hinsichtlich der Sätze und Befreiungen, noch weiter auseinanderentwickeln.Ich beabsichtige, diese Gesichtspunkte bei den Beratungen der Finanzminister der EWG-Staaten und im Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu vertreten und dabei namens der Bundesregierung zum Ausdruck zu bringen, daß diese willens ist, ihren Beitrag zu einer Harmonisierung der Umsatzsteuern in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu leisten.Die Fragen Nr. 2 b, Nr. 3 Abs. 1 und Nr. 4 der Fraktion der SPD sind damit von mir, wie ich hoffe, in größerem Zusammenhang beanwortet worden.Abschließend möchte ich für die Bundesregierung folgende Erklärung abgeben, durch die ich zugleich die Fragen Nr. 3 Abs. 2 und Nr. 5 der Fraktion derSPD ,als beantwortet anzusehen bitte: Wann die Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sich über die von der Kommission vorgeschlagene Mehrwertsteuer einigen werden, ist noch ungewiß. Unabhängig hiervon wird die Bundesregierung, falls die sich anschließende Aussprache in diesem Hohen Hause nicht wesentlich neue Gesichtspunkte ergeben sollte, alsbald einen Gesetzentwurf vorlegen, durch den eine Mehrwertsteuer eingeführt wird, die den von mir dargelegten Grundsatzforderungen Rechnung trägt und damit eine wettbewerbsneutrale Umsatzbesteuerung gewährleistet.
Meine Damen und Herren, das Haus hat die Beantwortung der Großen Anfragen der Fraktionen der SPD und FDP entgegengenommen. Gemäß § 106 letzter Satz der Geschäftsordnung frage ich nun, ob das Haus eine Aussprache wünscht. Ich bitte diejenigen Mitglieder des Hauses, die die Aussprache wünschen, die Hand zu heben. — Das sind nach der einmütigen Meinung des Vorstandes keine 30 Mitglieder des Hauses. Die Angelegenheit ist erledigt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Hauses ein auf Mittwoch, den 6. März, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.