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ID0406108600

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    Deutscher Bundestag 61. Sitzung Bonn, den 15. Februar 1963 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . . . . . 2775 A Fragestunde (Drucksachen IV/958, IV/967) Frage des Abg. Josten: Umgehungsstraße Altenahr Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . . 2775 D, 2776 A Josten (CDU/CSU) . . . . . . . 2776 A Fragen des Abg. Dr. Rutschke: Führung der B 10 bei Karlsruhe Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 2776 B, 2777 C, D, 2778 A, B, C Dr. Rutschke (FDP) . 2777 B, D, 2778 B, C Erler (SPD) . . . . . 2777 D, 2778 A Frage des Abg. Oetzel: Umgehungsstraße bei Witten . . . . 2778 D Fragen des Abg. Kuntscher: Selbstwählferndienst in Bremervörde Stücklen, Bundesminister 2779 A, B, C, D Kuntscher (CDU/CSU) . . 2779 A, B, C, D, 2780 A Frage des Abg. Hammersen: Vorwählnummern im Fernsprechverkehr Stücklen, Bundesminister 2780 B, 2781 A Dürr (FDP) 2780 D Frage des Abg. Dr. Mommer: Lesbarkeit der Poststempel . . . . 2781 A Frage der Abg. Frau Dr. Hubert: Ratifizierungsgesetz über das europäische Niederlassungsabkommen Dr. Carstens, Staatssekretär 2781 A, C, D Frau Dr. Hubert (SPD) . . . 2781 C, D Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Formulare für den neuen Personalausweis Höcherl, Bundesminister . . . 2782 A, B Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 2782 A Fragen des Abg. Dr. Hamm (Kaiserslautern) : Erhöhte Giftigkeit durch Abbaubarkeit der Detergentien . . . . . . . . 2782 B II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963 Frage der Abg. Frau Dr. Hubert: Bevorratung mit Arzneimitteln bei chronischen Leiden Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister . . . . . . 2782 C, D Frau Dr. Hubert (SPD) 2782 C Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Aufbesserung von Leistungen aus Renten- und Pensionsversicherungen sowie aus Kapitalzwangsversicherungen (Drucksache IV/810); Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (Drucksachen IV/922, zu IV/922) — Zweite und dritte Beratung — Burgemeister (CDU/CSU) . . . . 2783 A Soetebier (FDP) . . . . . . . . 2783 C Antrag betr. Raumordnung (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal], Bading, Margulies, Jacobi [Köln] u. Gen.) (Drucksache IV/473) 2783 D Bericht über die Ausführung des Beschlusses des Bundestages vom 14. Juni 1961 betr. § 116 des Deutschen Richtergesetzes (Drucksache IV/634) Dr. Bucher, Bundesminister . . . 2784 A Wittrock (SPD) 2784 A Dr. h. c. Güde (CDU/CSU) . . . 2785 B Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . 2786 A Antrag betr. Nachwahlen (CDU/CSU, FDP) (Drucksache IV/982) 2786 C Schriftlicher Bericht des Sozialpol. Ausschusses über die Entwürfe der Verordnung über die Soziale Sicherheit der Grenzgänger und der Verordnung über die Soziale Sicherheit der Saisonarbeiter (Drucksachen IV/375, IV/983) . . . . . 2786 C Schriftlicher Bericht des Sozialpol. Ausschusses über die Verordnung des Rates der EWG zur Abänderung der Verordnungen Nr. 3 und Nr. 4 des Rates der EWG über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer (Drucksachen IV/917, IV/984) 2786 D Mündlicher Bericht des Ausschusses für Inneres über die Verordnung über die Einzelheiten für die Feststellung der Ruhegehälter der in Artikel 83 Absatz 3 des Statuts genannten Beamten sowie für die Aufteilung der aus der Zahlung dieser Ruhegehälter entstehenden Lasten auf den Versorgungsfonds der EGKS und die Haushaltspläne der EWG und der EAG (Drucksachen IV/964, IV/985) 2787 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Änderungsgesetzes zum AVAVG (Drucksache IV/744); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (Drucksache IV/910) — Zweite und dritte Beratung — 2787 A Große Anfrage betr. Umsatzsteuer-Systemreform (SPD) (Drucksache IV/548); in Verbindung mit der Großen Anfrage betr. Reform der deutschen Umsatzsteuer (FDP) (Drucksache IV/684), dem Entwurf eines . . . Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Drucksache IV/866) — Erste Beratung — und dem Entwurf eines . . . Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Drucksache IV/867) — Erste Beratung — Kurlbaum (SPD) 2787 C Dr. Imle (FDP) 2789 A Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 2791 A Nächste Sitzung 2802 C Anlagen 2803 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963 2775 61. Sitzung Bonn, den 15. Februar 1963 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Dr. Arndt (Berlin) 16. 2. Dr. Aschoff 15. 2. Dr. Atzenroth 15. 2. Dr. Dr. h. c. Baade 15.2. Bauer (Wasserburg) 15. 2. Bazille 15. 2. Frau Berger-Heise 15. 2. Beuster 15. 2. Fürst von Bismarck 22. 2. Blachstein 15. 2. Böhme (Hildesheim) 15. 2. Corterier 15. 2. Dr. Danz 15. 2. Deringer 15. 2. Diebäcker 15.2. Dopatka 21.2. Dr. Dörinkel 20. 2. Dr. Dr. h. c. Dresbach 31. 3. Ehren 15. 2. Frau Eilers 15. 2. Eisenmann 15. 2. Etzel 15. 2. Figgen 20.4. Dr. Dr. h. c. Friedensburg 15. 2. Fritsch 15. 2. Frau Funcke (Hagen) 15. 2. Funk (Neuses am Sand) 16. 2. Dr. Furler 15. 2. Gaßmann 15. 2. Gedat 15. 2. Gehring 15.2. Freiherr zu Guttenberg 15. 2. Hahn (Bielefeld) * 15.2. Hamacher 15. 2. Hammersen 15. 2. Harnischfeger 15. 2. Hauffe 28.2. Höfler 15. 2. Kalbitzer * 15.2. Katzer 28. 2. Dr. Kempfler 15.2. Frau Dr. Kiep-Altenloh 15. 2. Frau Kipp-Kaule 15. 2. Klein (Saarbrücken) 15. 2. Kohlberger 15.2. Dr. Kohut 15. 2. Dr. Kopf 15. 2. Frau Krappe 15. 2. Kraus 15. 2. Krug 15. 2. Dr. Krümmer 15. 2. Kühn (Hildesheim) 16. 2. Leber 15.2. Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Lemmer 28. 2. Lenz (Bremerhaven) 15. 2. Leonhard 15. 2. Liehr 15. 2. Dr. Löbe 1. 3. Lücker (München) 15. 2. Dr. Mälzig 15. 2. Margulies * 15. 2. Mattick 15. 2. Maucher 15. 2. Frau Dr. Maxsein 15. 2. Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 15. 2. Metzger * 15. 2. Michels 15. 2. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller 15. 2. Müller (Berlin) 31. 3. Müller (Nordenham) 2. 3. Murr 15. 2. Nellen 15.2. Neubauer 17. 2. Neumann (Allensbach) 15. 2. Neumann (Berlin) 23. 2. Oetzel 28. 2. Opitz 15. 2. Frau Dr. Pannhoff 15. 2. Dr.-Ing. Philipp 15. 2. Pöhler 15. 2. Ramms 15, 2. Dr. Reinhard 15. 2. Dr. Reischl 15. 2. Dr. Rieger (Köln) 15. 2. Ritzel 15.2. Ruf 16. 2. Sander 15. 2. Schoettle 15. 2. Dr. Schwörer 15.2. Seidl (München) 15. 2. Seither 11.3. Spitzmüller 15. 2. Dr. Stammberger 28.2. Steinhoff 15. 2. Dr. Steinmetz 15. 2. Stingl 15. 2. Dr. Stoltenberg 15. 2. Strauß 18. 3. Strohmayr 15. 2. Dr. Tamblé 15. 2. Urban 15. 2. Frau Vietje 15. 2. Dr. Wahl 28. 2. Weber (Georgenau) 15.2. Wellmann 15.2. Werner 24. 2. Wittmer-Eigenbrodt 30. 4. Dr. Wuermeling 1. 3. Wullenhaupt 19.2. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments 2804 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 61. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Februar 1963 Anlage 2 Umdruck 187 Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP zur zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Aufbesserung von Leistungen aus Renten- und Pensionsversicherungen sowie aus Kapitalzwangsversicherungen (Drucksachen IV/810, IV/922, zu IV/922). 1. In § 4 Abs. 1 werden die Worte „30 vom Hundert" durch die Worte „45 vom Hundert" ersetzt. 2. § 4 Abs. 1 a erhält nachstehende neue Fassung: „(1 a) Aus den in § 5 des saarländischen Gesetzes Nr. 669 bezeichneten Versicherungsverträgen schuldet der Versicherer den Anspruchsberechtigten mit Wirkung vom 1. Januar 1963 zuzüglich zu der in § 6 des saarländischen Gesetzes Nr. 669 bestimmten zusätzlichen Versicherungssumme eine weitere zusätzliche Versicherungssumme in Höhe der sich nach § 6 Abs. 1 Satz 1 des saarländischen Gesetzes Nr. 669 ergebenden zusätzlichen Versicherungssumme. § 6 Abs. 1 Satz 2 und 3 des saarländischen Gesetzes Nr. 669 gilt entsprechend." Bonn, den 14. Februar 1963 Schmücker und Fraktion Freiherr von Kühlmann-Stumm und Fraktion
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    Rede von Dr. Rolf Dahlgrün


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es sehr, daß die Großen Anfragen der Fraktionen der SPD — Drucksache IV/548 — und der FDP — Drucksache IV/684 — mir Gelegenheit geben, die überaus bedeutsame Frage der Umsatzsteuerreform unter Berücksichtigung aller Probleme in ihrer Gesamtheit darzulegen. Ich darf noch hervorheben, daß Abgeordnete der CDU/CSU den Entwurf eines neuen Umsatzsteuergesetzes in Gestalt einer Mehrwertsteuer mit Vorsteuerabzug — Drucksache IV/660 — eingebracht haben und daß die Fraktion der SPD den Entwurf eines Gesetzes für eine einmalige statistische Steuererklärung auf der Grundlage einer Mehrwertsteuer mit Vorumsatzabzug — Drucksache IV/691 — vorgelegt hat. Außerdem haben die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eine grundsätzliche Überprüfung der Umsatzbesteuerung von Leistungen im Rahmen der Umsatzsteuerreform gefordert — Drucksache IV/736 —. Ferner liegen Anträge auf Erhöhung der Umsatzausgleichsteuer — Drucksache IV/661 — und auf andere Änderungen des geltenden Umsatzsteuerrechts an zuständiger Stelle vor.
    Die Mängel unserer gegenwärtigen Umsatzsteuer sind nicht erst seit heute im Gespräch. Viele beklagen die konzentrationsfördernde Wirkung dieser Steuer sowie die Tatsache, daß man den Grenzausgleich bei ihr nicht für jede Ware genau vornehmen kann. Mir erscheint eine umfassende Behandlung des Themas Umsatzsteuerreform vor allem deshalb wichtig, weil in der Öffentlichkeit die schwierigen Fragen dieser Reform häufig nicht erschöpfend behandelt und in ihrer Tragweite nicht voll übersehen werden.
    Bevor ich auf die einzelnen Fragen eingehe, gestatten Sie mir, daß ich zwei Hinweise auf Gesichtspunkte voranstelle, die für die Umsatzsteuerreform im Augenblick, aber auch auf absehbare Zeit von ausschlaggebender Bedeutung sind.
    Im Hintergrund aller Betrachtungen zu einer Reform unserer Umsatzbesteuerung steht die Tatsache, daß das dem Bund durch Art. 106 des Grundgesetzes ausschließlich zugewiesene Aufkommen der Umsatzsteuer die mit Abstand bedeutendste Einnahmequelle des Bundes ist. Dieses Aufkommen erbringt seit Jahren mehr als 40% aller Bundessteuereinnahmen und wird einschließlich Umsatzausgleichsteuer für das Haushaltsjahr 1963 auf 20,2 Milliarden DM geschätzt. Der Bund könnte bei seiner
    gegenwärtigen Finanzlage Minderungen des ihm nach dem geltenden Recht zufließenden Umsatzsteueraufkommens nur in Kauf nehmen, wenn er diese Ausfälle aus anderen Quellen decken könnte, und dieser Weg steht dem Bund nicht offen. Er kann nicht auf die ihm nach dem Grundgesetz zugewiesenen einzelnen Verbrauchsteuern — deren Wirkungsbereich bekanntlich nur begrenzt ist — oder gar auf die Zölle ausweichen. Der Bund hat sogar für den Haushalt 1963 — nachdem 1962 ein finanzieller Beitrag der Länder geleistet wurde — eine Erhöhung des Bundesanteils an dem Aufkommen der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer in Aussicht genommen.
    Hieraus ergibt sich sehr deutlich, wie eng die finanzielle und steuerpolitische Bewegungsfreiheit des Bundes ist. Eingriffe in die Gestaltung einer so bedeutsamen Finanzquelle wie der Umsatzsteuer sind also für den Bund fraglos mit einem außerordentlich großen Budgetrisiko verbunden. Jedenfalls sind bei einer Umsatzsteuerreform heute weniger als je Haushaltsausfälle des Bundes zu verantworten, was ich mit allem Nachdruck hervorheben möchte.
    Mein zweiter Hinweis bezieht sich auf die Entwicklung der Steuerharmonisierung im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Nach Art. 99 des Vertrages von Rom hat die EWG-Kommission zu prüfen, wie die Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer, die Verbrauchsabgaben und sonstige indirekte Steuern, einschließlich der Ausgleichsabgaben für den Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, im Interesse des Gemeinsamen Marktes harmonisiert werden können. Die Kommission muß dem Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft entsprechende Vorschläge unterbreiten, der hierüber einstimmig zu entscheiden hat. Die Kommission hat sich in mehrjährigen Untersuchungen um eine Klärung der Voraussetzungen einer solchen Harmonisierung bemüht. Auf der Grundlage des Ergebnisses dieser Untersuchungen hat sie dem Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vor kurzem ihre Vorschläge zur Harmonisierung der Umsatzsteuern unterbreitet, die bereits im Finanzausschuß des Parlaments in Bearbeitung sind.
    Die Bundesregierung hat das Hohe Haus und den Bundesrat entsprechend dem Gesetz zu den Verträgen zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft von diesen Vorschlägen unterrichtet. Diese in Bearbeitung befindliche Vorlage hat die Nr. IV/850.
    Unter diesen Umständen kann die Frage einer Reform der Umsatzsteuer in der Bundesrepublik nicht völlig losgelöst von der Harmonisierung der Umsatzsteuern in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft behandelt werden.
    Im übrigen tragen auch die beiden Großen Anfragen dem Gewicht der Entwicklung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Rechnung, indem sie sich bekanntlich nicht nur auf die Frage einer innerdeutschen Umsatzsteuerreform, sondern auch



    Bundesminister Dr. Dahlgrün
    auf die Harmonisierung der Umsatzsteuern im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erstrecken.
    Aus Gründen der Übersichtlichkeit werde ich mich in meinen weiteren Ausführungen zunächst mit den allgemeinen Fragen der Umsatzsteuerreform in der Bundesrepublik beschäftigen, um am Schluß zu den Fragen überzugehen, die sich aus der Zugehörigkeit der Bundesrepublik zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ergeben.
    Zu einer Urteilsbildung in der bereits seit dem Bestehen der Umsatzbesteuerung immer wieder erhobenen Frage nach der besten Umsatzsteuer, die sich auch in den beiden Großen Anfragen der Fraktionen der FDP und der SPD findet, gehört vorab die Klarstellung, daß es Grundsatzforderungen an eine Umsatzbesteuerung gibt, denen kein Umsatzsteuersystem gleichzeitig und in gleichem Umfange gerecht werden kann, weil die völlige oder auch nur weitgehende Erfüllung einer dieser Forderungen oft zwangsläufig die Erfüllbarkeit einer anderen Forderung ausschließt.
    Jede Gestaltung der Umsatzbesteuerung hat zunächst davon auszugehen, daß die Umsatzsteuer wirtschaftlich als allgemeine Verbrauchsteuer wirken soll. Sie steht damit im Gegensatz zu den Spezialakzisen, die nur auf ausgewählten einzelnen Gütern des Verbrauchs lasten. Da die Umsatzsteuer den Verbrauch besteuert, ergänzt sie im Rahmen des gesamten Steuersystems sinnvoll die direkte Besteuerung der Personen und Gesellschaften nach dem erzielten Einkommen, nach dem Ertrag und nach dem Vermögen.
    Im einzelnen möchte ich folgendes bemerken:
    Aus dem wirtschaftlichen Charakter einer allgemeinen Verbrauchsteuer ergibt sich als eine Grundsatzforderung, daß die Umsatzsteuer nach ihrer Gestaltung von den Unternehmungen als echte betriebliche Kostensteuer mit dem Preis der Ware oder Leistung auf .den Verbraucher überwälzt werden kann. Die Umsatzsteuer muß daher so gestaltet sein, daß die Überwälzung möglichst einfach und leicht vonstatten gehen kann.
    Die Umsatzsteuer sollte weiterhin die wirtschaftlichen Wettbewerbsbedingungen nicht beeinflussen. Sie sollte also auch nicht — hiermit bejahe ich zugleich die Frage 2 a) der Großen Anfrage der Fraktion der SPD — die Zusammenfassung von aufeinander folgenden Wirtschaftsstufen steuerlich begünstigen und damit aus steuerlichen Gründen die wirtschaftliche Konzentration, unabhängig von den Bedürfnissen der Volkswirtschaft, fördern. Die Erfüllung dieser Forderung, die von der Bundesregierung als besonders bedeutsam angesehen wird, sollte jedoch nicht durch Maßnahmen erkauft werden, die ihrerseits andere schwere Wettbewerbsstörungen hervorrufen. Auf diese Frage werde ich später noch eingehen.
    Ferner sollte die Umsatzbesteuerung so beschaffen sein, daß die steuerliche Belastung der Waren möglichst genau feststellbar ist. Nur dann läßt sich
    nämlich ein Grenzausgleich für jede einzelne Ware entsprechend durchführen, womit ich zugleich Frage 2 c) der Großen Anfrage der Fraktion der SPD beantwortet habe.
    Die Umsatzsteuer sollte weiterhin dem Staat, dessen Bedarfsdeckung sie dient, ein möglichst stetiges und sicheres Aufkommen gewährleisten.
    Andererseits ,sollte die Umsatzsteuer wegen ihres hohen Aufkommens so gestaltet sein, daß sie der konjunkturpolitischen Forderung einer antizyklischen Steuerpolitik nicht entgegenwirkt.
    Eine weitere Grundsatzforderung von großer Bedeutung betrifft die Praktikabilität der Besteuerung. Eine Steuer darf nicht so kompliziert gestaltet sein, daß sie Wirtschaft und Verwaltung überfordert.

    (Abg. Schulhoff: Sehr richtig!)

    — Schon Popitz, Herr Schulhoff, der Schöpfer unserer Umsatzsteuer, warnte davor, sich bei der Abfassung von Steuergesetzen nur von volkswirtschaftlichen Erkenntnissen leiten zu lassen.

    (Abg. Dr. Koch meldet sich zu einer Zwischenfrage.)



Rede von Dr. Thomas Dehler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
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    Rede von Dr. Rolf Dahlgrün


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Popitz, der Schöpfer unserer Umsatzsteuer, sagte:
    Diese Erkenntnisse sind nötig, sie können gar nicht ausgedehnt genug sein und müssen alle Einzelheiten unserer Wirtschaftsgestaltung umfassen. Aber sie können unmöglich in den Steuergesetzen in allen diesen Einzelheiten ihren Niederschlag finden. Eine Steuerlehre, die dies anstrebt, ist methodisch falsch; denn sie verkennt die Bedeutung und die Grenzen der Steuertechnik, deren äußerer Ausdruck die rechtliche Formung ist. In der Besteuerung entscheidet schließlich der rechtliche Erfolg. Er ist bei wesentlichen Verstößen gegen wirtschaftliche Erkenntnisse gewiß nicht oder nicht auf die Dauer zu erreichen. Er bleibt aber ebenso aus, wenn die Gestaltung der Steuer so kompliziert wird, daß die Gesetze undurchführbar werden.
    Im übrigen benachteiligt eine zu komplizierte Steuer insbesondere die kleineren Unternehmen. Den größeren wird im Regelfall eine Unternehmensberatung zur Verfügung stehen, die es ihnen leichter macht, die Schwierigkeiten der Besteuerung zu überwinden.
    Welches Urteil läßt sich nun unter diesen Gesichtspunkten über die gegenwärtig in der Bundesrepublik geltende und erhobene Umsatzsteuer fällen? Zunächst muß man wissen, daß diese Besteuerungsform auf dem Prinzip einer Allphasen-Bruttoumsatzbesteuerung fußt. Die Steuer erfaßt auf allen Stufen des Wirtschaftsablaufs grundsätzlich jeden Verkauf und jede Leistung. Dabei wird sie für jeden Umsatz vom vollen vereinnahmten oder vereinbarten Ent-



    Bundesminister Dr. Dahlgrün
    gelt erhoben. Dieses in Deutschland seit über 40 Jahren in den Grundzügen unverändert bestehende System, das auch viele andere Länder übernommen haben, zeigt — mißt man es an den vorerwähnten Grundsatzforderungen — eine Reihe von — das wollen wir nicht vergessen — ungewöhnlichen Vorzügen, denen jedoch auch sehr gewichtige harte Nachteile gegenüberstehen.
    Die Vorzüge des geltenden Systems sind, was die Sicherung der Bedarfsdeckung und die Praktikabilität der Besteuerung angeht, nicht zu bestreiten. Dies tritt bei einer Kritik an diesem System, so berechtigt eine solche in anderer Hinsicht sein mag, oft zu sehr in den Hintergrund. Bei gegenüber allen anderen Systemen niedrigen Steuersätzen erbringt die geltende Umsatzsteuer für den Staat ein hohes und sicheres Aufkommen. Es kommt hinzu, daß ihre Erhebung — sieht man von Sondervergünstigungen, mit denen sie allerdings zunehmend ausgestattet worden ist, ab — bei dem größten Teil der Steuerfälle einfach ist.
    Diese Vorteile dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß unsere Umsatzsteuer in ihrer heutigen Gestalt auch erhebliche Nachteile besitzt.
    Der Keim zu diesen Nachteilen liegt im System. Es handelt sich um die Kumulativwirkung, die dadurch eintritt, daß die Steuer bei jedem Umsatz vom vollen Entgelt, also einschließlich der vorhergehenden Steuer, erhoben wird. Diese Kumulierung der Steuer führt zu unterschiedlichen Gesamtbelastungen der Waren, je nachdem, wie oft eine Ware auf dem Weg bis zum Verbraucher umgesetzt wird. Verkauft — um ein vereinfachtes Beispiel zu geben — eine Ziegelei einem Bauunternehmer Ziegel zur Herstellung eines Gebäudes für 50 000 DM, so hat die Ziegelei bei einem Steuersatz von 4 v. H. 2000 DM Umsatzsteuer zu zahlen. Der Bauunternehmer schuldet seinerseits 4000 DM Umsatzsteuer, wenn er von seinem Auftraggeber für die Herstellung des Gebäudes einen Kaufpreis von 100 000 DM fordert. Der bereits versteuerte Einkaufspreis der Ziegel von 50 000 DM wird also in dem Umsatz des Bauunternehmers noch einmal erfaßt. Insgesamt sind von der Ziegelei und von dem Bauunternehmer 6000 DM Umsatzsteuer zu entrichten. Gliedert der Bauunternehmer jedoch seinem Betrieb eine eigene Ziegelei an, so entfällt die Versteuerung des Erwerbs der Ziegel. Es liegt nur noch e i n Umsatz vor, der beim Verkauf des fertigen Gebäudes getätigt wird und bei einem Kaufpreis von 100 000 DM zu einer Gesamtsteuerschuld von nur 4000 DM an Stelle von 6000 DM im ersten Fall führt.
    Wem es also gelingt, Wirtschaftsstufen auszuschalten oder mehrere Stufen in seinem Unternehmen zusammenzufassen, der kann dadurch Umsatzsteuer sparen. Unsere derzeitige Umsatzsteuer begünstigt daher die vertikale Konzentration. Dieser Nachteil konnte, insbesondere mit Rücksicht auf die erwähnten Vorteile, in Kauf genommen werden, solange der Steuersatz sehr niedrig war. Popitz hat bereits darauf hingewiesen, daß die Mängel dieser Steuer um so erträglicher seien, je niedriger der Steuersatz sei.
    In der Nachkriegszeit sind die Umsatzsteuersätze zur Deckung des zunehmenden Finanzbedarfs des Bundes zweimal erhöht worden. Der allgemeine Steuersatz beträgt zur Zeit 4 v. H. Damit ist der im System vorhandene nachteilige Einfluß der Steuer auf die Unternehmensgestaltung sehr gewichtig geworden. Er könnte sich bei zunehmender Verschärfung des Wettbewerbs auch noch nachteiliger auswirken, als er es heute tut.
    Die sich aus solchem Grunde ergebende Begünstigung der Konzentration hat gesellschaftspolitisch unerwünschte Wirkungen. Der Bundesregierung liegt vor allem die Erhaltung der selbständigen Klein- und Mittelbetriebe am Herzen. Ich denke in diesem Zusammenhang auch an die Zuliefererbetriebe, die in unserer arbeitsteiligen Wirtschaft eine wichtige Rolle spielen und spielen sollen. Es wäre jedoch falsch, anzunehmen, daß nur große Unternehmen von der Begünstigung der Konzentration durch die Bruttoumsatzsteuer Vorteile erlangen können. Mehrstufige Unternehmen gibt es in allen Größenklassen der Wirtschaft. So sind z. B. die Handwerker, wenn sie in ihrem Unternehmen Fabrikation und Vertrieb ihrer Waren bis zum letzten Verbraucher vereinen, begrifflich den mehrstufigen Unternehmen zuzurechnen. Andererseits gibt es auch manche Großunternehmen, deren Tätigkeit sich nur auf eine Wirtschaftsstufe erstreckt.
    In diesem Zusammenhang sei im übrigen bemerkt, daß die derzeitige Umsatzsteuer die arbeitsintensiven Unternehmen — hierbei handelt es sich vorzüglich um Betriebe des Mittelstandes — im Verhältnis zu den kapitalintensiven Unternehmen günstig behandelt, da letztere in höherem Maße von der zum Teil hohen umsatzsteuerlichen Vorbelastung der Investitionsgüter betroffen werden.
    Ein weiterer bedeutsamer Nachteil unserer Umsatzsteuer ergibt sich beim zwischenstaatlichen Warenverkehr. Es ist allgemein üblich, daß die Staaten ihre Ausfuhrwaren von der auf ihnen ruhenden Umsatzsteuer entlasten und die Einfuhrwaren an der Grenze mit einer entsprechenden Ausgleichsabgabe belegen. Wie ich schon sagte, ist die umsatzsteuerliche Belastung der Inlandswaren bei unserer Umsatzsteuer auf Grund der Kumulativwirkung unterschiedlich und im Einzelfall auch nicht bekannt. Daher läßt sich der Grenzausgleich im zwischenstaatlichen Handelsverkehr nicht für jede Ware genau in Höhe der tatsächlichen Belastung durchführen.
    Es gibt nun gewisse Möglichkeiten, die dargestellten Mängel unserer derzeitigen Umsatzsteuer zu beseitigen oder abzuschwächen. So ist zum Beispiel vorgeschlagen worden, das gegenwärtige System durch Ausgleichsmaßnahmen in der Form von Zusatzsteuern für mehrstufige Betriebe oder von Phasenpauschalierungen und durch eine vollständige Befreiung des gesamten Großhandels von der Umsatzsteuer zu verbessern.
    Ausgleichsmaßnahmen ließen sich jedoch im Bereich der Produktion, wo .sie in erster Linie notwendig wären, wegen der differenzierten Struktur wichtiger Bereiche der deutschen Wirtschaft nur in



    Bundesminister Dr. Dahlgrün
    Schwerpunkten durchführen, und das könnte die wettbewerbsstörenden Wirkungen der AllphasenBruttoumsatzsteuer nur auf bestimmten Gebieten beseitigen. So gab es zum Beispiel bis 1958 eine Zusatzsteuer bei der Verbindung von Herstellung und Einzelhandel. Alle diese Maßnahmen sind naturgemäß mit erheblichen technischen und wettbewerblichen Schwierigkeiten verknüpft. Im konkreten Falle kann sich außerdem die durch eine Zusatzsteuer bedingte Mehrbelastung im internationalen Wettbewerb sehr nachteilig auswirken. Eine vollständige Befreiung des Großhandels von der Umsatzsteuer würde zwar jeglichen steuerlichen Anreiz zu dessen Ausschaltung beseitigen; die Finanzlage des Bundes — das darf ich offen sagen — verbietet jedoch z. Z. eine solche Maßnahme.
    Eine gewisse Verbesserung des Grenzausgleichs im Rahmen des jetzigen Systems könnte im übrigen dadurch erreicht werden, daß man in umfangreichen Einzelberechnungen die umsatzsteuerliche Belastung sämtlicher Waren möglichst genau festzustellen versucht. Auf Durchschnittssätze könnte man wegen der oft auch in der gleichen Branche unterschiedlichen Unternehmensstruktur der deutschen Wirtschaft trotzdem nicht verzichten. Sie müßten außerdem wegen des stetigen Wandels im wirtschaftlichen Geschehen immer wieder überprüft werden.
    Nach den vorstehenden Ausführungen ist es verständlich, daß man in unserem Lande schon seit langem nach einem Umsatzsteuersystem sucht, das die Vorzüge des gegenwärtigen Systems auf der einen Seite möglichst weitgehend bewahrt, zugleich aber wettbewerbsneutral ist, keine Anreize zur Konzentration bietet und einen genauen Grenzausgleich ermöglicht. Auf diesem Gebiet sind in dieser und in den vergangenen Legislaturperioden, wie das auch schon in den Begründungen der Fraktionssprecher zu den Großen Anfragen dargelegt worden ist, umfangreiche Vorarbeiten geleistet worden. Ich möchte es mir ersparen, im einzelnen diese sehr eingehenden Untersuchungen noch einmal aufzuführen, die nicht nur von der Verwaltung selbst, sondern auch von den Wissenschaftlern — so insbesondere vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium der Finanzen — sowie von besonderen Kommissionen und Arbeitsgruppen auch der Fraktionen durchgeführt wurden.
    Auf Grund dieser Vorarbeiten und Untersuchungen verfügt die Bundesregierung über ein umfangreiches, gründlich bearbeitetes Material zur Frage der Umsatzsteuerreform. Sie ist auch im Besitz von statistischen Unterlagen für die Ausarbeitung entsprechender Gesetzentwürfe. Die Ergebnisse vorhandener und die demnächst zu erwartenden Ergebnisse neu eingeleiteter Statistiken dürften zur Durchleuchtung und Charakterisierung der mit einem Systemwechsel verbundenen ökonomischen und finanziellen Wirkungen — soweit diese überhaupt abschätzbar sind — ausreichen. Sie würden es ermöglichen, verhältnismäßig zuverlässig den bei jedem in Betracht kommenden Umsatzsteuersystem erforderlichen allgemeinen Steuersatz sowie die Auswirkungen gegebenenfalls notwendiger abweichender Steuersätze in besonderen Fällen annähernd zu ermitteln. Dagegen ließen sich die Auswirkungen
    eines Systemwechsels auf das Preisniveau mit statischen Mitteln nicht abschätzen. Hier müßte, da sich bei uns die Preise im allgemeinen am Markte bilden, immer von Annahmen ausgegangen werden.
    In diesem Zusammenhang möchte ich bemerken, daß der Vorschlag der SPD-Fraktion, durch statistische Steuererklärungen der Wirtschaft auf der Grundlage einer Mehrwertsteuer Probeberechnungen vorzunehmen, im Grunde durchaus einleuchtend ist.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Man wird aber statistische Steuererklärungen nicht für ein zurückliegendes Jahr verlangen können, in dem die Unternehmer noch keine besonderen Aufzeichnungen vorgenommen haben, wie sie der SPD-Entwurf notwendig machen würde. Außerdem würden die statistischen Erhebungen eine außerordentliche Mehrarbeit für Wirtschaft und Verwaltung mit sich bringen und nur dann von vollem Wert sein, wenn feststünde, daß der von der SPD eingebrachte Mehrwertsteuerentwurf ungefähr in dieser Form auch Gesetz werden würde. Dazu darf ich im folgenden noch Stellung nehmen.
    Die Fragen 1 der Fraktion der FDP und 1 Absatz 3 der Fraktion der SPD darf ich, so hoffe ich, hiermit als beantwortet ansehen.
    Nach den bisherigen Untersuchungen zur Umsatzsteuerreform ist die Bundesregierung der Auffassung, daß für eine Ablösung des bestehenden Systems ein alle Phasen der Produktion und Verteilung umfassendes Mehrwertsteuersystem in Betracht kommt. Zur Frage 2 der Großen Anfrage der Fraktion der FDP, ob für eine Umsatzsteuerreform außer einem Mehrwertsteuersystem noch andere Systeme in Erwägung zu ziehen sind, bemerke ich folgendes:
    Die oben erwähnten, allein aus der Kumulativwirkung unseres jetzigen Systems folgenden Mängel ließen sich allerdings auch durch eine Umsatzbesteuerung vermeiden, die nur auf einer einzigen Umsatzphase vorgenommen wird. In Betracht käme in diesem Zusammenhang eine Einzelhandelsteuer, eine Grossistensteuer oder eine Produktionsteuer.
    Die theoretisch reinste Form der allgemeinen Verbrauchsbesteuerung ist die Einzelhandelsteuer, die nur die zum Verbrauch bestimmten Güter und Leistungen erfaßt, weil sie gleichmäßig wirken kann und am wenigsten Ausgleichsmaßnahmen an der Grenze erfordert. Der Nachteil dieser in Norwegen und Schweden eingeführten Steuer ist, daß der gesamte Umsatzsteuerbedarf auf einer Stufe erhoben wird, auf der sich eine verhältnismäßig große Zahl von wirtschaftlich nicht so starken Unternehmern befindet. Aus diesem Grunde, aber auch wegen der bei Einführung der Steuer eintretenden starken Belastungsverschiebungen erscheint es schwer möglich, diese Besteuerungsform in der Bundesrepublik wirtschaftlich und politisch durchzusetzen.
    Sehr eingehend ist auch die Möglichkeit geprüft worden, unser Umsatzsteuersystem durch eine Grossistensteuer abzulösen. Dieses in der Schweiz mit guten Erfahrungen angewandte Umsatzsteuersystem läßt die Besteuerung dann eintreten, wenn



    Bundesminister Dr. Dahlgrün
    die Waren an den Einzelhändler oder unter dessen Umgehung direkt an den Letztverbraucher abgesetzt werden. Die Grossistensteuer müßte in der Bundesrepublik mit einem Steuersatz von mindestens 14 % erhoben werden; vergleichsweise weise ich in diesem Zusammenhang darauf hin, daß dieser Steuersatz in der Schweiz 5,4 % beträgt. Darüber hinaus ließe sich die bei der Grossistensteuer unabdingbare Registrierung aller Produzenten und Großhändler in einem dem Wechsel der Verhältnisse laufend anzupassenden Register sowie die Überwachung der steuerfreien Umsätze zwischen den registrierten Unternehmen wegen ihrer großen Zahl in der Bundesrepublik technisch nur sehr schwer lösen. Hinsichtlich der Belastungsverschiebungen und der politischen Durchsetzbarkeit scheint mir das gleiche zu gelten wie für eine Einzelhandelsteuer.
    Bei einer Produktionsteuer, der dritten Möglichkeit, tritt die Besteuerung ein wenn die Waren von dem Produzenten an den Großhändler, den Einzelhändler oder unmittelbar an die Letztverbraucher abgesetzt werden. Gegen die Einführung dieses Systems spricht vor allem, daß die Struktur der deutschen Wirtschaft eine weitgehende Überschneidung von Produktions- und Handelsfunktionen zeigt. Die Produktionsteuer wäre daher mit großen technischen Abgrenzungsschwierigkeiten verbunden, wenn man nicht Wettbewerbsverzerrungen und Kumulationswirkungen in Kauf nehmen will. Es würden also nur an die Stelle der Nachteile unseres jetzigen Systems andere Mängel treten. Hinzu kämen auch bei der Produktionsteuer dann noch die Nachteile eines schwerfälligen Registers zur Eintragung der Produzenten und vieler Großhändler, die sich zur Vermeidung wettbewerblicher Nachteile als Produzenten behandeln lassen müßten.
    Das Ziel, das mit der Einführung der Mehrwertsteuer erreicht werden soll, besteht doch darin, daß gleiche oder vergleichbare Waren und Leistungen ohne Rücksicht auf die Länge des Umsatzweges bis zum Verbraucher gleichmäßig belastet sind. Dieses Ziel, das eine Ausschaltung der Kumulativwirkung erfordert, wird grundsätzlich dadurch erreicht, daß die Besteuerung nicht an den Bruttoumsatz des Unternehmens, sondern an seinen Nettoumsatz anknüpft. Unter dem Nettoumsatz versteht man den Unterschied zwischen dem Bruttoumsatz des Unternehmers und den an ihm bewirkten, mit Umsatzsteuer bereits belasteten Vorleistungen anderer Unternehmer. In diesem Nettoumsatz spiegelt sich grundsätzlich der Wertzuwachs wider, den der einzelne Unternehmer durch seine unternehmerische Tätigkeit erbracht hat und der allein der Besteuerung unterliegen soll. Wenn es gelingt, dieses Prinzip in der praktischen Ausgestaltung der Besteuerung rein zu verwirklichen, ergeben sich die folgenden außerordentlichen Vorzüge gegenüber dem jetzt geltenden Umsatzsteuersystem:
    Erstens. Wettbewerbsstörungen durch unterschiedliche umsatzsteuerliche Belastungen konkurrierender Waren treten bei gleichem Steuersatz nicht ein. Die Mehrwertsteuer ist also insoweit wettbewerbsneutral.
    Zweitens. Die Einsparung von Umsatzstufen kann nicht zu einer Minderung der umsatzsteuerlichen Belastung der Waren oder Leistungen führen. Die Mehrwertsteuer ist daher auch insoweit konzentrationsneutral.
    Drittens. Die umsatzsteuerliche Gesamtbelastung einer Ware oder Leistung entspricht stets dem nominellen Steuersatz, weil alle Bestandteile des Entgelts nur einmal von der Steuer erfaßt werden. Die Gesamtsteuerbelastung läßt sich daher für jede einzelne Ware oder Leistung genau feststellen. Die im grenzüberschreitenden Warenverkehr bei einem Fortbestehen der Steuergrenzen notwendigen umsatzsteuerlichen Entlastungen durch Rückvergütungen und Belastungen durch Ausgleichsabgaben können also exakt vorgenommen werden. Man ist nicht mehr auf die Anwendung von Durchschnittssätzen angewiesen. Mit dieser Feststellung hoffe ich zugleich Frage 11 der Großen Anfrage der Fraktion der FDP beantwortet zu haben.
    Wie schwierig es jedoch ist, diese im Prinzip gegebenen Vorzüge der Mehrwertsteuer bei ihrer praktischen Gestaltung zu verwirklichen, deutet sich bereits bei der Beantwortung der Frage an, nach welcher Methode die Besteuerung des Nettoumsatzes schließlich erfolgen soll. Hierfür kommen im wesentlichen zwei Möglichkeiten in Betracht: der Vorumsatzabzug und der Vorsteuerabzug.
    Beim Verfahren des Vorumsatzabzuges ist der Bruttoumsatz wie bei der gegenwärtigen Umsatzsteuer zu ermitteln. Zusätzlich muß der Unternehmer aber die Vorumsätze, die an ihn bewirkt wurden und die mit Umsatzsteuer belastet sind, feststellen. Vom Unterschiedsbetrag zwischen dem Bruttoumsatz und diesen Vorumsätzen wird sodann die Steuer berechnet. Hat also ein Unternehmen in einem bestimmten Zeitraum Waren für insgesamt 100 000 DM veräußert, die es für 80 000 DM eingekauft hat, so beträgt der Nettoumsatz — dies ist die Wertschöpfung ides Unternehmens — 20 000 DM, und wenn ich einen Mehrwertsteuersatz von 10 % annehme, beläuft sich die Steuer auf 2000 DM.
    Beim Vorsteuerabzugsverfahren ist ebenfalls zunächst der Bruttoumsatz festzustellen, in dem von mir gebildeten Beispielsfall also 100 000 DM. Von ihm wird die Steuerschuld berechnet, somit 10 000 DM Umsatzsteuer. Der Unternehmer kann aber die auf den Vorumsätzen lastenden und aus seinen Einkaufsrechnungen ersichtlichen Vorsteuerbeträge abziehen. Diese haben in meinem Beispielsfall eine Höhe von 10 % von 80 000 DM, also 8000 DM. Der endgültig zu zahlende Steuerbetrag ist also auch bei diesem Verfahren 2000 DM, nämlich 10 000 DM weniger 8000 DM, und entspricht damit dem beim Vorumsatzabzugsverfahren errechneten Betrag.
    Bei der Entscheidung darüber, ob dem Vorumsatzabzug oder dem Vorsteuerabzug der Vorzug zu geben ist, sind eine Reihe sehr bedeutsamer Gesichtspunkte zu berücksichtigen, von denen ich nur die folgenden hervorheben möchte. Wenn die Mehrwertsteuer nur mit einem einheitlichen Steuersatz und ohne Befreiungen erhoben werden soll, besteht kein wesentlicher Unterschied zwischen diesen beiden Methoden. Herr Kollege Kurlbaum hat dazu



    Bundesminister Dr. Dahlgrün
    bereits bei der Begründung der Großen Anfrage seiner Fraktion gesagt, daß dies auch für die SPD-Fraktion lediglich eine technische Frage sei. Zugunsten des Vorumsatzabzugs, den der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums empfohlen hat, könnte dann sprechen, daß die Errechnung der Steuer einfacher ist, weil bei diesem Verfahren die Vorsteuerbeträge nicht gesondert festzuhalten sind.
    Bestehen dagegen unterschiedliche Steuersätze oder auch Befreiungen, so weist der Vorsteuerabzug wesentliche Vorzüge gegenüber dem Vorumsatzabzug auf. Wie Untersuchungen in der Industrie gezeigt haben, gibt es beim Vorumsatzabzug keine praktisch befriedigende Möglichkeit, Vorumsätze aufzuteilen und den verschieden hoch besteuerten Bruttoumsätzen, zu denen sie wirtschaftlich gehören, entsprechend zuzuordnen. Da nur Schätzungen möglich sind, ergeben sich zwangsläufig Wettbewerbsstörungen zwischen den einzelnen Unternehmen. Dies zeigt sich insbesondere bei den Aufwendungen für Investitionsgüter, die der Unternehmer zur Ausführung unterschiedlich besteuerter Umsätze verwendet. Man stelle sich zum Beispiel vor, daß betrieblich genutzte Lagerhallen von Fabrikationsbetrieben mit Anschaffungspreisen von je 500 000 DM in ständig wechselndem Umfang der Lagerung unterschiedlich besteuerter Fabrikationserzeugnisse dienen. Es leuchtet ein, daß eine Aufteilung der Vorumsätze von je 500 000 DM auf die verschieden besteuerten Bruttoumsätze nur durch grobe Schätzungen erfolgen und damit zu erheblichen Abweichungen von Unternehmen zu Unternehmen führen kann.
    Läßt man andererseits steuerbefreite oder ermäßigt besteuerte Vorumsätze voll zum Abzug zu, so wirken sich zwar die auf den Vorstufen gewährten Vergünstigungen in der Belastung der Endprodukte aus; denn die Vorumsätze werden in diesem Fall so behandelt, als ob sie auf der Vorstufe voll besteuert worden wären. Für den grenzüberschreitenden Verkehr ließe sich dann jedoch ein genauer Grenzausgleich einfach nicht mehr durchführen, weil die Endbelastung der Waren nicht dem nominellen Steuersatz entspricht und auch nicht bekannt ist. Ohne pauschale Durchschnittssätze wie beim gegenwärtigen Umsatzsteuersystem ergäben sich somit unter Umständen Verstöße gegen zwingende Bestimmungen des GATT- und auch des EWG-Vertrages.
    Alle diese Nachteile ergeben sich auch bei dem Mehrwertsteuerentwurf der SPD, weil er steuerermäßigte und befreite Umsätze vorsieht, die voll zum Abzug zugelassen werden.
    Demgegenüber bedarf es beim Verfahren des Vorsteuerabzugs keiner schwierigen Aufteilung der Vorumsätze auf die Bruttoumsätze des Unternehmers. Der Unternehmer kann bei diesem Verfahren nur die Vorsteuerbeträge von seiner Steuerschuld abziehen, die er den Rechnungen seiner Lieferanten entnimmt. Damit wird außerdem erreicht, daß die umsatzsteuerliche Gesamtbelastung auch bei der Anwendung ermäßigter Steuersätze stets dem nominellen Steuersatz entspricht und damit bekannt ist.
    Bei diesem Verfahren gibt es demnach im Innern wirklich keine Wettbewerbsstörungen, und der Grenzausgleich kann für jede Ware und für jede Leistung exakt durchgeführt werden.
    Aus diesen Gründen ist dem Verfahren des Vorsteuerabzugs, wie es auch in Frankreich angewandt wird, unbedingt der Vorzug zu geben. Für ihn haben sich auch für den Fall der Einführung der Mehrwertsteuer Spitzenorganisationen der Wirtschaft wie der Deutsche Industrie- und Handelstag sowie der Bundesverband der Deutschen Industrie ausgesprochen. Den Vorteil des Vorsteuerabzugs haben auch die Steuersachverständigen der Mitgliedstaaten der EWG bei der Untersuchung der verschiedenen Steuersysteme in einer von der EWG-Kommission einberufenen Arbeitsgruppe festgestellt.
    Damit ist auch Nr. 2 der Großen Anfrage der Fraktion der FDP beantwortet.
    Als Folge der Besteuerung des Mehrwerts ergeben sich zum Teil erhebliche Verschiebungen in der Steuerzahllast für die einzelnen Wirtschaftszweige und auch für die einzelnen Unternehmen innerhalb dieser Wirtschaftszweige. Die Steuerzahllast wird sich hauptsächlich auf Wirtschaftszweige und Unternehmen mit einer hohen Wertschöpfung verlagern, das sind vor allem lohnintensive Unternehmungen und auch Dienstleistungsunternehmen. So muß zum Beispiel ein Handwerksbetrieb mit einem Gesamtumsatz von 100 000 DM gegenwärtig 4000 DM an Umsatzsteuer zahlen. Hat dieser Betrieb eine Wertschöpfung von 50 %, hat er also Einkäufe in Höhe von 50 000 DM getätigt, so beträgt die Mehrwertsteuerzahllast bei einem angenommenen Mehrwertsteuersatz von wieder 10% 10 000 DM abzüglich 5000 DM, also letzten Endes 5000 DM. Die Steuerzahllast eines solchen Betriebes erhöht sich demnach um 25%. Aus diesem Beispiel darf jedoch nicht geschlossen werden, daß das Handwerk bei einer Mehrwertsteuer allgemein mehr Steuer zahlen müßte.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Bei manchen Handwerkszweigen ist die Wertschöpfung vielmehr so niedrig, daß sich ihre Steuerzahllast gegenüber der jetzigen sogar vermindern würde.
    Eine höhere Steuerzahllast wird sich — um in diesem Zusammenhang Frage 9 der Großen Anfrage der Fraktion der FDP zu beantworten — trotz relativ niedriger Wertschöpfung allerdings auch für den Großhandel ergeben, weil seine Umsätze heute weitgehend Steuerbefreiung genießen oder nur mit einem Steuersatz von 1 °/o belegt sind. Dies erklärt die eindeutige Ablehnung der Mehrwertsteuer durch den Großhandel.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was nicht stimmt, Herr Minister!)

    — Gut. Ich habe bisher nur davon gehört, daß der überwiegende Teil des Großhandels oder seine Vertretung dagegen ist.
    Es ist daher die Frage gestellt worden, ob es nicht zweckmäßig wäre, diese Wirkung der Mehrwertsteuer auf die genannten Wirtschaftszweige zu beseitigen oder abzuschwächen. Ebenso ist auch vor-



    Bundesminister Dr. Dahlgrün
    geschlagen worden, die bestehenden Freibeträge für Unternehmer mit relativ niedrigen Umsätzen unter dem Gesichtspunkt der Mittelstandsförderung in die Mehrwertsteuer zu übernehmen. Hierzu darf ich grundsätzlich folgendes bemerken.
    Die Vorteile, die das reine Mehrwertsteuersystem vor dem geltenden deutschen Umsatzsteuersystem hat und die vor allem auf dem Gebiete der Wettbewerbsneutralität liegen, entfallen, wenn in nennenswertem Maße Ausnahmen zugelassen werden, mögen diese in Steuerbefreiungen, Steuerermäßigungen oder in der Möglichkeit bestehen, für eine andere Besteuerung zu optieren.

    (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal]: Sehr richtig!)

    Das ist auch ein Gedanke, der im Gespräch gewesen ist.
    Im einzelnen möchte ich in diesem Zusammenhang auf folgendes hinweisen: Daß Befreiungen oder Steuerermäßigungen für einzelne Wirtschaftszweige oder nach Unternehmensgrößen die Vorzüge der Mehrwertsteuer weitgehend beeinträchtigen, folgt aus ihrem besonderen Charakter.

    (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Sehr richtig!)

    Abgesehen davon, daß der Umsatz eines Unternehmers kein brauchbarer Maßstab für seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist, ergeben sich durch solche Eingriffe in die Steuerzahllast naturnotwendig Störungen der Wettbewerbsneutralität, die bei einer grundsätzlich wettbewerbsneutralen Steuer vermieden werden sollten und nicht zu verantworten sind. Es käme hinzu, daß den steuerbefreiten Wirtschaftszweigen die Ausschaltung droht, wenn ihren Abnehmern nicht der Vorsteuerabzug mit dem normalen Steuersatz gewährt werden würde.

    (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Das sollte sich auch die Landwirtschaft einmal überlegen!)

    Hierzu bedürfte es aber der Einführung des Abzugs fiktiver Vorsteuern. Diese wiederum würden den genauen Grenzausgleich unmöglich machen. Auf der anderen Seite würde sicherlich die Befreiung bestimmter Wirtschaftszweige von der Mehrwertsteuer dazu führen müssen, daß den betreffenden Unternehmungen der Abzug der auf den Lieferungen und Leistungen an sie lastenden Vorsteuern versagt werden müßte; sonst gäbe es Branchen und Wirtschaftszweige, die ohne eigene Steuerpflicht laufend Erstattungen von Steuerbeträgen erhalten würden, die andere Unternehmen an das Finanzamt entrichtet haben. Hieraus kann sich aber unter Umständen im ganzen eine Mehrbelastung der Ware ergeben, die an der Grenze nicht voll ausgeglichen werden kann.
    Die hier angedeutete Problematik wird im Fall der Einführung der Mehrwertsteuer für den Bereich der Landwirtschaft, Herr Kollege Schmidt, von besonderer Bedeutung sein, weil es sich als notwendig erweisen könnte, den Unternehmen dieses Wirtschaftsbereiches eine volle oder teilweise Befreiung von der Mehrwertsteuer zu gewähren. Die Bundesregierung wird im Falle der Einführung einer Mehrwertsteuer die Belange der deutschen Landwirtschaft mit besonderer Sorgfalt prüfen.
    Unter diesen Umständen erscheint weder eine Mittelstandsförderung auf dem Gebiet der Umsatzsteuer, wie sie im jetzigen Recht enthalten ist, noch eine Begünstigung von Wirtschaftszweigen zur Vermeidung einer Erhöhung der auf sie entfallenden Steuerzahllast vertretbar. Eine gewisse Umwälzung der Belastungsverhältnisse ist nun einmal mit der Umstellung auf das System der Mehrwertsteuer untrennbar verbunden und läßt sich nicht ändern oder mindern, ohne zugleich das Prinzip dieser Steuer aufzuheben. Anderenfalls würde die Gefahr bestehen, daß die im jetzigen System enthaltenen Belastungsverhältnisse auf komplizierterem Wege aufrechterhalten bleiben und daß damit zugleich auf die Verbesserung der Wettbewerbsneutralität verzichtet wird.
    Die gleichen Gesichtspunkte gelten für das von verschiedenen Seiten zugunsten kleinerer Unternehmen vorgeschlagene Recht zur Option für die Brutto-Umsatzsteuer. Eine solche Möglichkeit sehen auch die beiden dem Hohen Haus vorliegenden Mehrwertsteuerentwürfe der SPD und einiger Abgeordneter der CDU/CSU — wenn auch mit unterschiedlichem Umfang — vor.
    Durch diese Option soll allen Steuerpflichtigen bis zu einer gewissen Umsatzgrenze die Möglichkeit gegeben werden, sich der Besteuerung nach dem Bruttoumsatz zu unterwerfen. Hierdurch würde sich jedoch nicht nur ein äußerst kompliziertes, durch sachgerechte Erwägungen nicht zu rechtfertigendes Nebeneinander der gegenwärtigen Umsatzsteuer und der Nettoumsatzsteuer ergeben. Es muß außerdem darauf hingewiesen werden, daß z. B. bei einer Umsatzgrenze von 480 000 DM rund 90 v. H. aller Steuerpflichtigen ein Recht zur Option hätten, wenn es auch nicht alle von ihnen ausüben würden. Auch verfassungsrechtlich erscheint eine solche Regelung sehr bedenklich. Es entstünden dadurch schwere Störungen des Wettbewerbs. Unternehmer mit hoher Wertschöpfung, die wegen Überschreitens der Umsatzgrenze, nicht optieren könnten, hätten eine im Verhältnis wesentlich höhere Steuerzahllast zu tragen als Unternehmer mit Bleichhoher Wertschöpfung, die von der Option noch Gebrauch machen dürften.
    Dies zeigt folgendes Beispiel: Zwei konkurrierende Unternehmen haben eine gleich hohe Wertschöpfung von je 60 v. H., jedoch unterschiedlich hohe Gesamtumsätze von 400 000 DM bzw. 800 000 DM. Liegt die Optionsgrenze bei 480 000 DM, so hätte der für die Bruttoumsatzsteuer optierende Betrieb mit einem Gesamtumsatz von 400 000 DM an Stelle einer zu zahlenden Mehrwertsteuer von 24 000 DM — auch hier unterstelle ich für das Beispiel zur Vereinfachung einen Mehrwertsteuersatz von 10 v. H. — eine Umsatzsteuer von 16 000 DM zu entrichten, da der Bruttosteuersatz 4 v. H. beträgt. Demgegenüber hätte der Konkurrent mit einem Gesamtumsatz von 800 000 DM, der nicht optieren darf, eine Mehrwertsteuer von 48 000 DM zu zahlen. Obwohl also sein Umsatz nur doppelt so



    'Bundesminister Dr. Dahlgrün
    hoch ist wie der seines Konkurrenten, hätte er das Dreifache an Umsatzsteuer zu zahlen.
    Dieses Optionsrecht würde im übrigen den Optanten nur dann wirkliche Vorteile bringen, wenn ihren Abnehmern — sofern diese selbst mehrwertsteuerpflichtige Unternehmer sind — der Abzug fiktiver Vorsteuern gestattet würde. Andernfalls würde sich für die Optanten eine zunehmende Gefahr der Ausschaltung ergeben. Der Entwurf von Abgeordneten der CDU/CSU sieht — vielleicht kann man sagen: sah — solche fiktiven Abzüge vor. Dabei wird übersehen, daß infolge dieser Maßnahme die Belastung der Waren nicht mehr erkennbar ist und daher der Ausgleich beim grenzüberschreitenden Warenverkehr nicht mehr genau vorgenommen werden kann. Es ist zu beachten, daß zu den zur Option berechtigten Unternehmern auch zahlreiche Zulieferbetriebe der Exportindustrie gehören würden.
    Das Optionsrecht ließe sich auch nicht aus der Überlegung rechtfertigen, kleinere Unternehmer von der größeren Arbeitslast, die die Mehrwertsteuer mit sich bringt, zu befreien. Das ergibt sich aus folgender Überlegung: Die Mehrwertsteuer hätte nur für Unternehmen mit hoher Wertschöpfung eine gegenüber der jetzigen Besteuerung vermehrte Steuerzahllast zur Folge. Für Unternehmer mit niedriger Wertschöpfung würde sie sich im Regelfall vermindern. Unternehmer mit niedriger Wertschöpfung — so zum Beispiel viele Einzelhändler — müßten daher die durch Ausübung der Option für die Bruttoumsatzsteuer eintretende Arbeitsentlastung mit einer unter Umständen erheblich höheren Steuerzahllast erkaufen. Beträgt nämlich die Wertschöpfung eines Einzelhändlers 25 v. H., so hätte er bei einem Gesamtumsatz von 400 000 DM einen Mehrwertsteuerbetrag von 10 000 DM zu entrichten. Bei einer Option dagegen würde die mit einem Steuersatz von 4 v. H. erhobene Bruttoumsatzsteuer zu einer Steuerbelastung von 16 000 DM führen. Die Steuerschuld wäre also um 60 v. H. höher ,als im anderen Fall.
    Unter Berücksichtigung dieser außerordentlich schwerwiegenden Nachteile haben sich der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen ebenso wie namhafte Wirtschaftsverbände nachdrücklich gegen die Einführung eines Optionsrechts für die Bruttoumsatzsteuer ausgesprochen.
    Welche unerwünschten wirtschaftlichen Verzerrungen sich ergeben können, wenn man aus sonst begreiflichen Gründen kleinere Unternehmen aus der Mehrwertsteuer herausnimmt, zeigen die bekannt gewordenen Erfahrungen mit der französischen Regelung für Handwerksbetriebe. Diese Betriebe unterliegen nicht mehr der Mehrwertsteuer, sondern einer niedrigeren Lokalsteuer, wenn sie nicht mehr als zwei fremde Arbeitskräfte beschäftigen. Es soll dort die Zahl der kleinen Handwerksbetriebe von Jahr zu Jahr zugenommen haben, was u. a. darauf zurückgeführt wird, daß sie, um in den Genuß der Steuervergünstigung zu kommen, die Zahl ihrer fremden Hilfskräfte nach Möglichkeit eingeschränkt haben.
    Auch Befreiungen oder Steuerermäßigungen bei gewissen Waren und Leistungen, an die man etwa aus sozialpolitischen Erwägungen denken könnte, sind an sich mit dem Prinzip der Wettbewerbsneutralität, das mit der Mehrwertsteuer erstrebt wird, nicht vereinbar. Freilich ergeben sich hierbei nicht so schwerwiegende Mängel wie bei den zuvor dargestellten Vergünstigungen.
    Sollte es unvermeidbar sein, für gewisse Waren und Leistungen Steuerermäßigungen zu gewähren, so wird man darauf achten müssen, daß konkurrierende Güter und Leistungen nicht verschieden besteuert werden. Ich denke hier insbesondere an Lebensmittel, weil sich deren Besteuerung mit dem vollen Steuersatz der Mehrwertsteuer angesichts der gegenwärtig bestehenden weitreichenden Vergünstigungen unter Umständen preiserhöhend auswirken würde.
    Frage 6 der Großen Anfrage der Fraktion der FDP darf ich mit diesen und den vorhergehenden Ausführungen als erledigt ansehen.
    Die von der Fraktion der FDP unter Ziffer 4 ihrer Großen Anfrage gestellte Frage nach der Behandlung der Dienstleistungen ist in diesem Zusammenhang wie folgt zu beantworten: Kumulativwirkungen und Wettbewerbsverzerrungen ließen sich nur dann vermeiden, wenn man den Dienstleistungsunternehmen ebenso wie ihren Abnehmern den Abzug der tatsächlich entrichteten Vorsteuern ermöglicht. Will man das Umsatzsteuerrecht wettbewerbsneutral gestalten, können die Dienstleistungen demnach nicht durch eine besondere Dienstleistungssteuer, sondern nur durch die Mehrwertsteuer erfaßt werden. Dies würde allerdings nicht ausschließen, daß man unter Umständen für gewisse Dienstleistungen aus ähnlichen Erwägungen, wie sie für die Lebensmittel gelten, einen ermäßigten Steuersatz gewährt. Hierbei darf es sich jedoch nicht um Werkleistungen handeln, weil diese mit dem Produktionsprozeß in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Ihre Begünstigung würde wiederum zu erheblichen Wettbewerbsstörungen führen.
    Die Bundesregierung wird der Besteuerung der Dienstleistungen bei einer Umsatzsteuerreform ihre besondere Aufmerksamkeit widmen und damit dem Wunsch, den die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP in der Drucksache IV/736 zum Ausdruck gebracht haben, Rechnung tragen.
    Die Bundesregierung wird ferner darauf achten, daß bei der steuerlichen Erfassung der Verkehrsleistungen die Pobleme, die bei einem etwaigen Ersatz der Beförderungsteuer durch eine Mehrwertsteuer auftreten, sowie die Schwierigkeiten, die sich unter Umständen aus der Anwendung eines einheitlichen Steuersatzes und der beschränkten Maglichkeit des Vorsteuerabzuges ergeben, gebührend berücksichtigt werden.
    Die Vorteile der Mehrwertsteuer würden auch verringert werden, wenn sie auf bestimmte Stufen der Produktion oder des Handels beschränkt würde. Es ist vorgeschlagen worden, die Mehrwertbesteuerung zugunsten des Einzelhandels nur bis zur Großhandelsstufe einschließlich oder sogar — um auch



    Bundesminister Dr. Dahlgrün
    den von der Umschichtung der Steuerzahllastverhältnisse besonders betroffenen Großhandel nicht zu benachteiligen — nur auf den Produktionsstufen durchzuführen. Wie bei der in anderem Zusammenhang erwähnten Produktionssteuer würde eine Beschränkung der Mehrwertsteuer auf die Produktionsstufen zu technischen Abgrenzungsschwierigkeiten führen, weil die Struktur der Wirtschaft, wie ich schon einmal gesagt habe, eine weitgehende Überschneidung von Produktions- und Handelsfunktionen zeigt. Außerdem würde eine auf die Produktionsstufen beschränkte Besteuerung einen besonders hohen Steuersatz erfordern.
    Liegt nur die Einzelhandelsstufe außerhalb des Anwendungsbereichs der Mehrwertsteuer, so würden unter anderem Wettbewerbsprobleme für Einzelhändler eintreten, die auch an Produzenten, z. B. an Handwerker, liefern, und im übrigen würde für den Großhandel — worauf der Gesamtverband des Deutschen Groß- und Außenhandels hingewiesen hat — eine Ausschaltungsgefahr entstehen. Eine wirklich wettbewerbsneutrale Gestaltung der Umsatzbesteuerung ließe sich daher nur mit einer auf allen Stufen des Wirtschaftsablaufs erhobenen Mehrwertsteuer erreichen.
    Frage 3 der Großen Anfrage der Fraktion der FDP darf ich damit als beantwortet ansehen.
    Ein weiteres Problem von erheblicher Bedeutung wird durch Frage 5 der Großen Anfrage der Fraktion der FDP angesprochen. Es handelt sich um die Abzugsfähigkeit der auf den angeschafften Investitionsgütern lastenden Vorsteuerbeträge. Um Kumulativwirkungen und Wettbewerbsstörungen bei der Mehrwertsteuer zu vermeiden, müßte man den Abzug grundsätzlich gestatten.
    Sehr umstritten ist dagegen die Frage, ob das Gesetz den Abzug dieser Vorsteuerbeträge sofort in voller Höhe oder nur in dem Umfang vorsehen soll, wie diese Steuern über die zeitanteiligen Abschreibungen in die Preise der Güter und Leistungen eingehen. Beide Möglichkeiten weisen eine Reihe von Vorzügen, aber auch gewichtigen Nachteilen auf. Über die sich hieraus ergebenden Probleme hat der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium ,der Finanzen in seinem Gutachten „Probleme der Netto-Umsatzbesteuerung" sehr eingehende Untersuchungen vorgelegt. Eine Mehrheit des Beirats hat sich für einen sofortigen Vollabzug der auf den Investitionsgütern lastenden Vorsteuern ausgesprochen. Dieses Verfahren wird auch bei der französischen Mehrwertsteuer angewandt. Es erleichtert die Rationalisierung und das Wachstum der Wirtschaft. Immerhin fragt es sich, ob der vom Vollabzug ausgehende Investitionsanreiz nicht zu stark und vor allem nicht zu unterschiedlich wirksam würde. Gewisse Nachteile ergeben sich weiterhin in konjunktureller Hinsicht. Der Vollabzug hat die unerwünschte Wirkung, daß das Steueraufkommen im Konjunkturaufschwung bei nachhaltigen Neuinvestitionen in der Wirtschaft weniger schnell als das Sozialprodukt steigt, während es im Konjunkturabschwung langsamer als das Sozialprodukt abnimmt. Andererseits würde sich die Mehrwertsteuer
    bei einem sofortigen Vollabzug der Vorsteuern auf Investitionen außerordentlich vereinfachen und vor allem für die kleineren Unternehmen besser praktikabel werden.
    Alle diese Gesichtspunkte machen noch eine gründliche Prüfung dieser Probleme erforderlich.
    Die Mehrwertsteuer in jeder Form und Gestaltung kann nicht ohne Mehrarbeit für Wirtschaft und Verwaltung durchgeführt werden. Auch darauf möchte ich bei dieser Gelegenheit hinweisen.
    Diese Mehrarbeiten machen allerdings — um in diesem Zusammenhang Frage 8 der Großen Anfrage der Fraktion der FDP zu beantworten — die Mehrwertsteuer weder für die Wirtschaft, auch nicht für die kleineren Unternehmer, noch für die Verwaltung undurchführbar. Die technischen Schwierigkeiten können dadurch am wirksamsten vermindert werden, daß die Mehrwertsteuer systemgerecht durchgeführt wird.

    (Zustimmung in der Mitte und bei der SPD.)

    Unter Umständen müßten für die kleineren Steuerpflichtigen Grundsätze einer Pauschalbesteuerung, insbesondere einer pauschalen Ermittlung der Abzüge, gefunden werden. Es muß aber mit Nachdruck hervorgehoben werden, daß die Grenzen der Praktikabilität außerordentlich schnell erreicht sind, wenn die Errechnung der Nettoumsatzsteuer durch Sondervorschriften kompliziert wird. In diesem Fall würde sich im übrigen, wie ich bereits ausgeführt habe, der Nachteil der Mehrarbeit wesentlich stärker bei den kleineren Unternehmern auswirken, da diese nicht in gleichem Maße auf ein steuerlich geschultes Personal und die entsprechenden Möglichkeiten der Unternehmensberatung zurückgreifen können.
    Wie die Oberfinanzdirektionen nahezu übereinstimmend erklärt haben, würde die Finanzverwaltung ihre neuen Aufgaben, die durch die Prüfung der Vorsteuerabzüge bei den Unternehmern und deren Abnehmern entstehen würden, ohne Personalvermehrung nicht befriedigend bewältigen können.

    (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Die kontrollieren sich gegenseitig!)

    In dieser Hinsicht bereitet mir die Einführung der Mehrwertsteuer — trotz dieses Gesichtspunktes, Herr Kollege Dr. Schmidt — eine gewisse Sorge, die hier nicht verschwiegen werden soll.
    Ein steuerpsychologischer Nachteil der Mehrwertsteuer liegt in der Tatsache, daß sie nur mit einem optisch relativ hohen Steuersatz erhoben werden kann, wenn das Aufkommen erzielt werden soll, das die jetzige Umsatzsteuer erbringt. Dabei läßt sich die Frage 7 der Großen Anfrage der Fraktion der FDP nach der Höhe dieses Satzes zur Zeit nicht abschließend beantworten, weil die Höhe des Steuersatzes von der Ausgestaltung der Mehrwertsteuer, insbesondere von dem Umfang der Vergünstigungen und Befreiungen entscheidend abhängt. Bei einer annähernd systemrein durchgeführten Mehrwertsteuer, die den zuvor dargelegten Anforderungen entspräche, müßte der allgemeine



    Bundesminister Dr. Dahlgrün
    Steuersatz, wenn man das große Risiko der Übergangszeit in Betracht zieht, meiner Ansicht nach mindestens 10 % betragen. Es muß auch damit gerechnet werden, daß sich aus diesem hohen Steuersatz ein erhöhter Anreiz zu Steuerumgehungen ergibt. Dieser Gefahr könnte nur mit einer wesentlichen Verstärkung des Prüfungsdienstes der Finanzverwaltung begegnet werden.
    Die Betrachtungen zur Problematik einer Umsatzsteuerreform durch Einführung der Mehrwertsteuer wären unvollständig, wenn nicht auch auf die Gefahren von Preiserhöhungen hingewiesen würde. Hiermit gehe ich zugleich auf die Frage 10 der Großen Anfrage der Fraktion der FDP ein. Wie bereits erwähnt, führt die Besteuerung des Mehrwerts zu einer Umschichtung der Steuerzahllast in den einzelnen Wirtschaftszweigen und den einzelnen Unternehmen. Hierdurch ergeben sich zwangsläufig auch Veränderungen in der Struktur des Preisgefüges. Manche Branchen werden ihre Preise senken können, andere dagegen — so solche mit hohem Veredelungsgrad — werden sie erhöhen müssen. Theoretisch müßten sich zwar unter der Voraussetzung, daß der Steuersatz zur Erreichung des gleichen Aufkommens zutreffend gefunden ist und die Mehroder Minderbelastungen von den Unternehmungen in der tatsächlichen Höhe im Preis weitergegeben werden, diese Veränderungen im Ergebnis ausgleichen. Es kann jedoch die Befürchtung nicht ausgeschlossen werden, daß sich auch unerwünschte Preisauftriebstendenzen ergeben können, zumal eine deutlich höhere Steuerzahllast bei Einführung der
    Mehrwertsteuer vor allem den ersten Stufen der Produktion auferlegt wird. Mit unserer Wirtschaftsauffassung wäre es nicht vereinbar, wenn man etwa versuchen wollte, diese Gefahr durch gesetzliche Preisregulierungen auszuschließen. Entscheidend für die Auswirkung auf die Preise wird immer die Marktsituation im Zeitpunkt der Systemänderung sein. Von einem Gesamtstandpunkt aus darf allerdings von einer wettbewerbsneutralen Umsatzsteuer — das möchte ich besonders hervorheben — eine freie Entfaltung des Wettbewerbs und mindestens auf längere Sicht eine günstige Auswirkung auf die Preise erwartet werden.
    Ich darf diesen Überblick, bei dem ich mich bemüht habe, wesentliche Probleme und Schwierigkeiten anzudeuten, wie folgt zusammenfassen. Unser derzeitiges Umsatzsteuersystem hat neben seinen großen Vorzügen fraglos erhebliche Mängel. Die Untersuchungen, welches andere System an seine Stelle gesetzt werden könnte, haben ergeben, daß in erster Linie die Mehrwertsteuer mit Vorsteuerabzug in Betracht kommt. Die Mehrwertsteuer hat jedoch — wie Sie aus meinen Ausführungen ersehen haben — neben Vorzügen auch Nachteile. Die Vorzüge der Mehrwertsteuer, nämlich der saubere Grenzausgleich und die Neutralität im innerstaatlichen Wettbewerb, würden allerdings — wie ich in ausdrücklicher Übereinstimmug mit dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft hervorheben möchte — weitgehend verlorengehen, wenn die Voraussetzungen nicht erfüllt würden, die ich soeben für ihre Gestaltung fordern mußte, nämlich 1. Durchführung der Mehrwertsteuer bis zum Einzelhandel einschließlich, 2. grundsätzliche Einbeziehung der sonstigen Leistungen in die Mehrwertsteuer, 3. keine Sonderregelungen, die sich nach der Umsatzgröße der Unternehmen richten, grundsätzlich keine Sonderregelungen für bestimmte Wirtschaftszweige, allenfalls Sonderregelungen für bestimmte Waren, z. B. landwirtschaftliche Erzeugnisse, und für gewisse Dienstleistungen, die mit dem Produktionsprozeß nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Wenn es uns gelingt, die Mehrwertsteuer so zu gestalten, dann ist sie unter Abwägung aller Vorzüge und Nachteile ohne Zweifel unserer gegenwärtigen Umsatzsteuer vorzuziehen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Wie schwierig freilich die Probleme sind, zeigt sich daran, daß auch die Wirtschaft sich bis heute noch nicht zu einer einheitlichen Auffassung in der Frage der Umsatzsteuerreform durchringen konnte. Die Einstellung zur Mehrwertsteuer hängt keineswegs von der Größe der Unternehmen ab; die Meinungen sind vielmehr unterschiedlich von Wirtschaftszweig zu Wirtschaftszweig, von Branche zu Branche, ja sogar von Unternehmen zu Unternehmen. Viele, die zur Einführung der Mehrwertsteuer neigen, knüpfen diese Zustimmung an Voraussetzungen, wie z. B. das Optionsrecht, gegen die aus den aufgeführten Gründen schwerste Bedenken bestehen.
    Wie ich schon eingangs erwähnte, kann die Frage der Umsatzsteuerreform nicht losgelöst von den Bemühungen um eine Harmonisierung der Umsatzsteuern in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft behandelt werden. Die Frage Nr. 12 der Fraktion der FDP darf ich dahin beantworten, daß wir die Pläne zur Harmonisierung der Umsatzsteuern innerhalb der EWG selbstverständlich bei der Reform der deutschen Umsatzsteuer zu berücksichtigen haben. Dabei sind auch die Fragen des grenzüberschreitenden Verkehrs zu beachten. Bei den Umsatzsteuern gilt gegenwärtig ebenso wie bei den speziellen Verbrauchsteuern im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten — anders bei den direkten Steuern — das Prinzip der Besteuerung nach den Bedingungen des Bestimmungslandes, das ohne Steuergrenzen nicht durchführbar ist. Es ist allgemein bekannt, daß nur Frankreich mit seinem Mehrwertsteuersystem einen für jede einzelne Ware fast genauen umsatzsteuerlichen Grenzausgleich bei den Einfuhren und den Ausfuhren vornehmen kann. Die übrigen Mitgliedstaaten einschließlich der Bundesrepublik sind auf die Anwendung pauschaler Durchschnittssätze angewiesen. Die Bundesrepublik hat bei allen bisherigen Gesprächen über eine Umsatzsteuerharmonisierung im Bereich des Gemeinsamen Marktes mit Nachdruck die Auffassung vertreten, daß sich die Harmonisierung der Umsatzsteuern nicht auf den Übergang zu einem gemeinsamen Umsatzsteuersystem unter Aufrechterhaltung der Steuergrenzen beschränken könne. Sie ist der Ansicht, daß diese Steuergrenzen mit dem Geist des Vertrages von Rom nicht zu vereinbaren sind und daß daher auch bei den Umsatzsteuern zum Prinzip der Besteuerung nach dem Ursprungsland überge-



    Bundesminister Dr. Dahlgrün
    gangen werden sollte; denn die Mitgliedstaaten haben sich durch diesen Vertrag zur Errichtung eines Gemeinsamen Marktes mit binnenmarktähnlichen Bedingungen verpflichtet. Mit einer solchen Zielsetzung erscheint es unvereinbar, daß die Zollmauern und Kontingente zwischen den Mitgliedstaaten abgeschafft werden, die Steuergrenzen jedoch bestehen bleiben.

    (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Sehr richtig!)

    Die Bedeutung des Gemeinsamen Marktes kann sich nicht in dem Status einer Zollunion erschöpfen. Der Übergang zu der Besteuerung nach dem Ursprungslandprinzip ist aber auch deshalb erforderlich, weil sich zur Zeit der Grenzausgleich nicht auf die direkten Steuern erstreckt, obwohl sich auch diese Steuern unter bestimmten wirtschaftlichen Voraussetzungen auf die Preise der Güter auswirken, ohne daß sich diese Wirkung im einzelnen nachweisen und bestimmen läßt.
    So wichtig es ist, auf dem Gebiet der Umsatzsteuern binnenmarktähnliche Verhältnisse zu schaffen, so kann man doch nicht ohne weiteres die Steuergrenzen aufheben. Hierdurch würden sich schwere Wettbewerbsstörungen nicht nur innerhalb des Gemeinsamen Marktes, sondern auch im Verkehr mit Drittländern ergeben. Im Verkehr mit den letzteren würden sich je nach der Höhe der Steuersätze typische Einfuhrländer und Ausfuhrländer entwickeln. Vor einer Aufhebung der Steuergrenzen bedarf es also vielmehr einer vorherigen Harmonisierung der Systeme, einer Angleichung der Steuerbefreiungen und — da an die Einführung flexibler Wechselkurse nicht gedacht ist — einer Annäherung auch der Steuersätze. Anderenfalls wäre auch nicht die zu einer Aufhebung der Steuergrenzen erforderliche Zustimmung aller Mitgliedstaaten zu erwarten.
    Die EWG-Kommission hat, wie erwähnt, dem Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ihren Vorschlag zur Harmonisierung der Umsatzsteuern im Bereich des Gemeinsamen Marktes nunmehr zugeleitet. Dieser Vorschlag sieht die schrittweise Einführung eines den Mitgliedstaaten gemeinsamen Mehrwertsteuersystems vor, das sich bis zur Großhandelsstufe einschließlich erstreckt. Den Mitgliedstaaten soll es jedoch freistehen, auch den Einzelhandel in die gemeinsame Mehrwertsteuer einzubeziehen oder auf der Einzelhandelsstufe eine autonome zusätzliche Steuer zu erheben.
    Die stufenweise Harmonisierung soll in folgender Weise durchgeführt werden. Spätestens zu Beginn des vierten Jahres nach Erlaß einer Harmoniesierungsrichtlinie durch den Ministerrat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sollen die Mitgliedstaaten mit einem kumulativen Mehrphasensteuersystem dieses durch ein nichtkumulatives System ersetzen. Bis zum Ende einer zweiten Etappe, spätestens jedoch mit Ablauf der Übergangszeit des EWG-Vertrages, ist das gemeinsame Mehrwertsteuersystem einzuführen, dessen Struktur und Anwendungsmodalitäten vom Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft noch vor Ende der ersten Etappe zu beschließen sind. Einer späteren
    Entschließung des Rates soll es vorbehalten bleiben, in welcher Weise und binnen welcher Frist das Endziel der Harmonisierung, nämlich die Beseitigung der Steuergrenzen zwischen den Mitgliedstaaten, erreicht werden soll.
    Es läßt sich gegenwärtig noch nicht übersehen, welche Stellung der Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu dem Vorschlag der Kommission beziehen wird. Inzwischen hat er den Vorschlag dem Europäischen Parlament sowie dem Wirtschafts- und Sozialausschuß des Europäischen Parlaments, wie es Art. 100 des EWG-Vertrages vorschreibt, zur Stellungnahme zugeleitet. Außerdem beabsichtigen die Finanzminister der EWG-Staaten, sich bei ihrem nächsten Treffen mit dem Vorschlag der Kommission zu beschäftigen.
    Die Bundesregierung begrüßt den Vorschlag der EWG-Kommission. Sie betrachtet ihn als eine geeignete Grundlage für die Beratung der auch von ihr für notwendig erachteten Harmonisierung der Umsatzsteuern im Gemeinsamen Markt. Im einzelnen darf ich zum Inhalt des Vorschlages noch kurz auf folgendes hinweisen. Der Vorschlag der Kommission sieht zwar eine gemeinsame Mehrwertsteuer vor, läßt aber noch für längere Zeit die Frage offen, wie diese Mehrwertsteuer ausgestaltet werden soll; denn die Struktur und die Anwendungsmodalitäten dieser gemeinsamen Steuer sollen nach dem Vorschlag erst dann festgelegt werden, wenn ,sich die Länder zur Einführung dieser Steuer bereits verpflichtet haben. Die Ausgestaltung der Mehrwertsteuer ist aber für die Wirksamkeit und daher auch für eine positive Stellungnahme zu ihr von entscheidender Bedeutung. Die Bundesregierung beabsichtigt daher, bei der Behandlung des Vorschlages im Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft darauf hinzuwirken, daß die Gestaltung der gemeinsamen Mehrwertsteuer in ihren Grundzügen bereits in der Richtlinie selbst festgelegt wird. Diese Gestaltung sollte soweit als möglich den Vorstellungen von einer Mehrwertsteuer entsprechen, wie ich sie Ihnen vorhin dargelegt habe.
    Der Vorschlag sieht zwar die Verpflichtung zur Einführung einer gemeinsamen Mehrwertsteuer in einer bestimmten Frist vor. Die Frage, in welcher Weise und binnen welcher Frist die Ausgleichsmaßnahmen an den Grenzen beseitigt werden sollen, wird dagegen erst einer weiteren Prüfung durch die Kommission und durch den Ministerrat vorbehalten. Da es sich hier jedoch um das ausdrückliche Endziel der Harmonisierung handelt, würden wir es für richtiger halten, wenn auch der Zeitpunkt, zu dem die Steuergrenzen beseitigt werden sollen, schon in der Richtlinie selbst verbindlich festgelegt würde.
    Die nach dem Vorschlag der EWG-Kommission gegebene Möglichkeit, in der ersten Stufe ein anderes nichtkumulatives Umsatzsteuersystem einzuführen und zur Mehrwertsteuer erst in einer zweiten Stufe überzugehen, ist für die Bundesrepublik — und wohl auch für andere Mitgliedstaaten — nicht praktisch. Man kann es der Wirtschaft und der Verwaltung — schon im Hinblick auf die damit verbundenen starken Eingriffe in das Preisgefüge — nicht zumuten, zwei Systemänderungen in so kurzer



    Bundesminister Dr. Dahlgrün
    Zeit vorzunehmen. Das gilt auch für eine wesentliche Umgestaltung einer einmal eingeführten Mehrwertsteuer. Man müßte daher darauf hinwirken, daß eine gemeinsame Steuer ohne Vorstufe, aber mit Gewährung einer angemessenen Frist eingeführt wird. Die Mitgliedstaaten müssen in der Lage sein, nicht nur die verwaltungsmäßigen Vorbereitungen der Einführung einer solchen Steuer ohne Zeitdruck zu bewältigen, sondern auch einen konjunkturell und haushaltsmäßig günstigen Zeitpunkt zu wählen.
    Die von der Kommission vorgesehene Möglichkeit, vor der gemeinsamen Mehrwertsteuer zunächst ein anderes nichtkumulatives System einzuführen, birgt auch die Gefahr in sich, daß sich die Umsatzsteuern der Mitgliedstaaten, insbesondere hinsichtlich der Sätze und Befreiungen, noch weiter auseinanderentwickeln.
    Ich beabsichtige, diese Gesichtspunkte bei den Beratungen der Finanzminister der EWG-Staaten und im Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu vertreten und dabei namens der Bundesregierung zum Ausdruck zu bringen, daß diese willens ist, ihren Beitrag zu einer Harmonisierung der Umsatzsteuern in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu leisten.
    Die Fragen Nr. 2 b, Nr. 3 Abs. 1 und Nr. 4 der Fraktion der SPD sind damit von mir, wie ich hoffe, in größerem Zusammenhang beanwortet worden.
    Abschließend möchte ich für die Bundesregierung folgende Erklärung abgeben, durch die ich zugleich die Fragen Nr. 3 Abs. 2 und Nr. 5 der Fraktion der
    SPD ,als beantwortet anzusehen bitte: Wann die Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sich über die von der Kommission vorgeschlagene Mehrwertsteuer einigen werden, ist noch ungewiß. Unabhängig hiervon wird die Bundesregierung, falls die sich anschließende Aussprache in diesem Hohen Hause nicht wesentlich neue Gesichtspunkte ergeben sollte, alsbald einen Gesetzentwurf vorlegen, durch den eine Mehrwertsteuer eingeführt wird, die den von mir dargelegten Grundsatzforderungen Rechnung trägt und damit eine wettbewerbsneutrale Umsatzbesteuerung gewährleistet.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der SPD.)