Protokoll:
2179

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 2

  • date_rangeSitzungsnummer: 179

  • date_rangeDatum: 12. Dezember 1956

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 14:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 18:05 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 179. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1956 9911 179. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1956. Mitteilung betr. Übertritt des Abg. Platner aus der Fraktion der CDU/CSU zur Fraktion der DP 9911 C Redaktionelle Berichtigung zum Gesetz über die Dauer des Grundwehrdienstes und über die Gesamtdauer der Wehrübungen 9911 C Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfragen 268, 288, 296, 301, 304 (Drucksachen 2571, 2989; 2815, 2990; 2859, 2991; 2873, 2992; 2917, 3002) 9911 D Wahl eines Mitgliedes und eines stellvertretenden Mitgliedes für den Vermittlungsausschuß 9912 A Wahl eines Stellvertreters der Bundesrepublik Deutschland zur Beratenden Versammlung des Europarates 9912 A Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gewährung eines Vorschusses auf Rentenleistungen nach der Neuordnung der gesetzlichen Rentenversicherungen (Rentenvorschußgesetz) (Drucksache 2960) 9912 B Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik 9912 B Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FVP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung einer Vorschußzahlung in den gesetzlichen Rentenversicherungen (Rentenvorschußzahlungsgesetz — RVZG —) (Drucksache 2993) 9912 B Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik 9912 B Fortsetzung der Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1957 (Haushaltsgesetz 1957) (Drucksache 2900) 9912 C Schoettle (SPD) 9912 C Dr. Vogel (CDU/CSU) 9919 B Lenz (Trossingen) (FDP) 9926 D Niederalt (CDU/CSU) 9928 C Dr. Blank (Oberhausen) (FVP) . . 9932 D Dr. Schild (Düsseldorf) (DP) 9935 D Dr. Keller (GB/BHE) 9940 D Überweisung an den Haushaltsausschuß 9944 C Nächste Sitzung 9944 C Berichtigung zum Stenographischen Bericht der 175. Sitzung 9944 C Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 9944 B Die Sitzung wird um 14.00 Uhr durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier eröffnet.
  • folderAnlagen
    Berichtigung. zum Stenographischen Bericht der 175. Sitzung Auf Seite 9695 D Zeilen 2 und 3 von unten ist zu lesen: Würden Sie nicht zu Ihrer Sparkasse oder zu Ihrer Bank gehen, wenn Sie die Wahl zwischen einem Sparguthaben und einem Pfandbrief haben, . .. . Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Ackermann 15. 12. Altmaier 19. 12. Dr. Atzenroth 12. 12. Dr. Baade 12. 12. Barlage 14. 12. Berendsen 12. 12. Fürst von Bismarck 13. 12. Frau Dr. Bleyler 15. 12. Blöcker 13. 12. Brandt (Berlin) 13. 12. Brauksiepe 13. 12. Brockmann (Rinkerode) 12. 12. Cillien 15. 12. Dr. Dehler 15. 12. Frau Dietz 13. 12. Dr. Dittrich 22. 12. Dr. Dresbach 30. 12. Engelbrecht-Greve 13. 12. Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Euler 12. 12. Feldmann 14. 12. Dr. Franz 12. 12. Franzen 13. 12. Frehsee 12. 12. Freidhof 12. 12. Frühwald 15. 12. Dr. Furler 12. 12. Frau Geisendörfer 15. 12. Gerns 12. 12. Gockeln 14. 12. Dr. von Golitschek 12. 12. Grantze 22. 12. Haasler 15. 12. Hansen (Köln) 13. 12. Heix 12. 12. Hellenbrock 12. 12. Herold 13. 12. Heye 13. 12. Höfler 14. 12. Hörauf 15. 12. Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Jahn (Frankfurt) 14. 12. Jahn (Stuttgart) 14. 12. Dr. Jentzsch 12. 12. Frau Kipp-Kaule 12. 12. Dr. Köhler 15. 12. Könen (Düsseldorf) 12. 12. Dr. Königswarter 14. 12. Kühlthau 12. 12. Kuntscher 15. 12. Lahr 12. 12. Lenz (Brühl) 14. 12. Lermer 12. 12. Maier (Mannheim) 12. 12. Majonica 15. 12. Massoth 13. 12. Dr. Mende 12. 12. Metzger 12. 12. Frau Meyer-Laule 15. 12. Meyer (Wanne-Eickel) 12. 12. Mißmahl 15. 12. Morgenthaler 31. 12. Mühlenberg 13. 12. Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 14. 12. Müser 14. 12. Neuburger 13. 12. Odenthal 31. 12. Ollenhauer 15. 12. Paul 13. 12. Dr. Pferdmenges 14. 12. Dr. Pohle (Düsseldorf) 12. 12. Pöhler 13. 12. Frau Praetorius 14. 12. Dr. Preiß 12. 12. Putzig 12. 12. Raestrup 22. 12. Scheel 22. 12. Schmücker 12. 12. Frau Schröder 15. 12. Stauch 13. 12. Stümer 13. 12. Teriete 12. 12. Wehr 14. 12. Dr. Welskop 12. 12. Frau Wolff (Berlin) 12. 12.
Gesamtes Protokol
Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0217900000
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich dem Hause bekannt: erstens, daß mir der Herr Abgeordnete Platner am 11. Dezember 1956 mitgeteilt hat, daß er aus der Fraktion der CDU/CSU ausgeschieden und der Fraktion der Deutschen Partei beigetreten ist.
Zweitens: Das in der 176. Sitzung des Deutschen Bundestages beschlossene Gesetz über die Dauer des Grundwehrdienstes und über die Gesamtdauer der Wehrübungen bedarf nach Mitteilung des Vorsitzenden des Ausschusses für Verteidigung einer redaktionellen Berichtigung. Im § 2 a ist auf den § 2 Abs. 1 a Bezug genommen. Diese Bezugnahme muß richtig heißen „§ 2 Abs. 1". Es geht dabei um die Feststellung, daß der sogenannte Bereitschaftsdienst grundsätzlich nicht auf die Gesamtdauer der Wehrübungen, die in § 2 Abs. 1 geregelt ist, angerechnet wird.
Der Vorsitzende des Ausschusses für Verteidigung hat mir bestätigt, daß an Hand der Protokolle des Ausschusses, eines von ihm selbst eingebrachten Antrags sowie nach dem sachlichen Inhalt der Absätze 1 und 1 a klargestellt sei, daß die Bezugnahme nur den § 2 Abs. 1 betrifft. Ist das Haus mit dieser Berichtigung des § 2 a einverstanden? — Das ist der Fall; es ist so beschlossen.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 5. Dezember 1956 die Kleine Anfrage 268 der Abgeordneten Dr. Graf (München), Gumrum und Genossen betreffend Berücksichtigung kriegssachgeschädigter Unternehmen bel der Vergabe von öffentlichen Auftragen (Drucksache 2571) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2989 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 4. Dezember 1956 die Kleine Anfrage 288 der Abgeordneten Bausch und Genossen betreffend Werbefernsehen (Drucksache 2815) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2990 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 6. Dezember 1956 die Kleine Anfrage 296 der Fraktion der SPD betreffend Landwirtschaftliche Pachtpreise (Drucksache 2859) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2991 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 4. Dezember 1956 die Kleine Anfrage 301 der Abgeordneten Arnholz und Genossen betreffend Verkauf von wertgeminderter oder ungenießbarer Kühlhausbutter in Braunschweig (Drucksache 2873) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2992 verteilt.


(Präsident D. Dr. Gerstenmaier)

Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 10. Dezember 1956 die Kleine Anfrage 304 der Fraktion der SPD betreffend Ruhegehaltszahlung an den früheren Oberreichsanwalt Lautz (Drucksache 2917) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 3002 verteilt.
Damit kommen wir zur Tagesordnung. Ich rufe Punkt 1 auf:
Wahl eines Mitgliedes und eines stellvertretenden Mitgliedes für den Ausschuß nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß).
Hierzu liegt mir ein Brief der CDU/CSU-Fraktion vor, in dem es heißt, daß folgende Veränderungen von seiten der CDU/CSU-Fraktion eintreten sollen: Herr Dr. Hellwig, ordentliches Mitglied, und Herr Dr. Bucerius, stellvertretendes Mitglied, sollen aus dem Vermittlungsausschuß ausscheiden; dafür werden von seiten der CDU/ CSU benannt: Herr Abgeordneter Schmücker als ordentliches Mitglied und Herr Dr. Hellwig als stellvertretendes Mitglied. Meine Damen und Herren, ich frage Sie, ob Sie mit diesem Vorschlag einverstanden sind. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 2 der Tagesordnung:
Wahl eines Stellvertreters der Bundesrepublik Deutschland zur Beratenden Versammlung des Europarates.
Die CDU/CSU-Fraktion teilt mir mit, daß der Abgeordnete Dr. Hellwig aus der Beratenden Versammlung des Europarates auszuscheiden wünsche. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion benennt an seiner Stelle als stellvertretenden Delegierten zur Beratenden Versammlung des Europarates das Mitglied des Hauses Dr. Günther Serres. Ich frage, ob das Haus damit einverstanden ist. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 a der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gewährung eines Vorschusses auf Rentenleistungen nach der Neuordnung der gesetzlichen Rentenversicherungen (Rentenvorschußgesetz) (Drucksache 2960).
Ich frage, ob zur Einbringung das Wort gewünscht wird. — Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll auf Einbringung und Debatte verzichtet werden. Wird dennoch das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wir treten in die Beratung ein. — Das Wort wird nicht gewünscht. Beantragt ist Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik. Wer diesem Überweisungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 3 b auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FVP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung einer Vorschußzahlung in den gesetzlichen Rentenversicherungen (Rentenvorschußzahlungsgesetz — RVZG —) (Drucksache 2993).
Es ist vereinbart, daß auch hier auf Einbringung und Debatte verzichtet wird. Wird das Wort dennoch gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Auch hier ist Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik vorgesehen. Wer dieser
Überweisung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Punkt 4 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1957 (Haushaltsgesetz 1957) (Drucksache 2900).
Die Einbringung des Haushaltsgesetzes ist in der letzten Sitzung erfolgt. Wir treten heute in die erste Lesung ein. Ich eröffne die Beratung. — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schoettle.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0217900100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war gerade im Begriff, in wildem Zorn die Anwesenheit des Bundesfinanzministers zu verlangen, als er auftauchte; ich kann mir also den Zornesausbruch ersparen und gleich zu meiner Haushaltsrede kommen.
Der Herr Bundesfinanzminister hat am vergangenen Freitag dem Hohen Hause eine mehr als dreistündige Vorlesung über den neuen Bundeshaushalt 1957 gehalten. Ich möchte mich heute nicht mehr zur Form des Vortrags äußern, obwohl die Versuchung naheläge und einige Kollegen aus allen Fraktionen des Hauses mit mir einig waren in den Gefühlen, die mich am Freitag bewegt haben.
Nur eine formelle Beschwerde möchte ich gleich zu Beginn anbringen. Daß das Haus selbst nicht gut besetzt war, das hat die Kenner leider nicht überrascht. Daran haben wir uns in sieben Haushaltsjahren in diesem Hause gewöhnt und gewöhnen müssen. Aber der Herr Bundesfinanzminister hat schließlich vorige Woche nicht seinen eigenen Haushalt, sondern den Haushalt der Bundesregierung eingebracht, und da finde ich und fanden es viele meiner Freunde befremdend, daß die Regierungsbank bis auf einige Beobachter leer war, die vielleicht keine anderweitige Beschäftigung gefunden hatten.

(Beifall bei der SPD, beim GB/BHE und bei der FDP.)

Ich meine, auch der Empfang eines ausländischen Staatsoberhauptes ist keine genügende Begründung dafür, daß die Einbringung des wichtigsten Gesetzgebungswerks eines Haushaltsjahrs von der Regierung so behandelt wird. Ich sage das für alle künftigen Fälle. Ich könnte mir denken, daß unsere Beratungen gerade über das finanzielle Grundgesetz der Bundesrepublik etwas mehr Aufmerksamkeit fänden, wenn auch die Regierung selber schon bei der Einbringung zeigte, wie wichtig ihr diese Sache ist.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Bitte, ich will hier keine pädagogische Mission ausüben. Aber ich möchte das gesagt haben, weil ich glaube, daß es so nicht in Ordnung ist.

(Abg. Dr. Dresbach: Wir wollen das Parlament aber nicht ausnehmen von dem Vorwurf!)

— Auch das Parlament gehört in den Vorwurf hinein, Herr Kollege Dresbach; ich stimme Ihnen da voll zu. Aber ich habe ja vorweg gesagt: Wir haben uns leider daran gewöhnen müssen, daß in den vergangenen Jahren die Teilnahme des Hauses


(Schoettle)

an den Haushaltsberatungen außerordentlich kümmerlich war.

(Abg. Sabel: Können wir das den Nichtanwesenden mitteilen?)

Auf jeden Fall war der letzte Freitag kein großer Tag. Wie gesagt, es handelt sich hier um eine formale Beanstandung, die ich gleich am Anfang vorbringe. Die Gründe dafür glaube ich Ihnen dargelegt zu haben.
Der Herr Bundesfinanzminister hat den Entwurf des Haushalts 1957 einen Haushalt der Stabilität und der sozialen Sicherheit genannt. Es bleibt die Frage zu prüfen, inwiefern diese kühne Bezeichnung durch die Tatsachen gerechtfertigt wird. Der Herr Bundesfinanzminister — dazu kennen wir seine politische Vergangenheit zu genau — ist sicher über den Verdacht erhaben, daß er mit solchen klingenden Titeln die Erinnerung an eine Zeit heraufbeschwören wollte, die ihre sogenannten Parteitage mit ebenso schönen wie falschen Firmenschildern versah.

(Abg. Wehner: Sehr wahr!)

Ein Bundeshaushalt ist aber schließlich keine Demonstration, sondern ein nüchternes Zahlengebäude, das die Absichten und Programme der Regierung wiedergibt.
Diese erste Beratung kann dem Vertreter der Opposition nur Anlaß sein zu einer allgemeinen Auseinandersetzung mit dem vorgelegten Entwurf und seiner politischen Grundlage. Es ist mir unmöglich, auf alle die zahllosen Einzelheiten einzugehen, die der Minister auf 96 Schreibmaschinenseiten vor dem Hause ausgebreitet hat. Es ist mir auch unmöglich, das volkswirtschaftliche Zahlenwerk im einzelnen zu analysieren, das er hier mitgeteilt hat und das wir im wesentlichen in den Allgemeinen Vorbemerkungen zum Bundeshaushalt nachlesen können, zumal der Ausgangspunkt für viele dieser volkswirtschaftlichen Statistiken und Analysen das Jahr 1949 war, von dem wir alle wissen, daß es ein sehr ungeeignetes Jahr für Vergleiche ist. Aber wollen wir das zunächst einmal lassen; wir werden ja noch genügend Gelegenheit haben, uns mit diesen Dingen zu beschäftigen. Im übrigen bedürfte es , wenn ich das tun wollte, dazu des ministeriellen Stabes, über den der Herr Bundesfinanzminister selbst verfügt. Und der steht mir leider nicht zur Verfügung.
Lassen Sie mich, ehe ich zu dem kritischen Teil meiner Ausführungen komme, einige positive Bemerkungen machen. Die erste ist diese: Die äußere Gestalt des Entwurfs des Haushaltsplans 1957 stellt nach meiner Meinung eine weitere Stufe in dem Prozeß einer Modernisierung unseres öffentlichen Haushalts dar. Ich spreche hier nicht vom Haushaltsgesetz — dazu haben wir eine Reihe von Anmerkungen zu machen; ich will das auf später verschieben —, sondern von dem Rahmenwerk des Haushalts selbst und von dem, was sich im Laufe der letzten Jahre in ihm an Neuerungen und neuen Einsichten niedergeschlagen hat.
Die Allgemeinen Vorbemerkungen zum Haushalt sind in der Darstellung der Einzelheiten umfangreicher geworden, vielleicht zu umfangreich in den Einzelheiten und nicht gründlich genug in den Analysen und Prognosen. Sie sind aber im Kern — das muß man anerkennen — der Beginn dessen, was man in der weiteren Entwicklung als eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ansehen könnte, freilich nur im Kern. Es ist immerhin erfreulich, daß der Bundesfinanzminister in seiner Etatrede selbst die Notwendigkeit anerkannt hat, zur volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu kommen, wenn auch ohne Vollzugsverbindlichkeit. Da wir diese Forderung ständig erhoben haben, möchte ich hinzufügen: wir sind in diesem Punkt mit ihm einer Meinung und sind, wenn wir in den vergangenen Jahren dieses Thema hier im Hause zur Sprache gebracht haben, auch nie über die Formel „volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ohne Vollzugsverbindlichkeit" hinausgegangen. Ich halte diese Bemerkung für notwendig, damit aus meinen Forderungen nach einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht falsche Schlußfolgerungen gezogen werden, wie das aus propagandistischen Gründen leicht denkbar wäre.
Meine Freunde und ich finden es allerdings bedauerlich, daß die Allgemeinen Vorbemerkungen auf ihrer ersten Seite den ausdrücklichen Vermerk tragen — das halte ich für eine Abwertung ihrer Bedeutung —, daß sie von der Bundesregierung nicht förmlich beschlossen seien und daß sie im wesentlichen nur die Auffassung des Bundesministeriums der Finanzen darstellten. Dies erscheint uns deshalb bedauerlich, weil die in den Allgemeinen Vorbemerkungen enthaltenen Untersuchungen und statistischen Darstellungen volkswirtschaftlicher Tendenzen und Ergebnisse nach den Aussagen des Bundesfinanzministers die Grundlage für entscheidende Positionen des Haushalts sind. Daß sich die Bundesregierung und ihre einzelnen Mitglieder diese Grundlagen durch einen Kabinettsbeschluß expressis verbis zu eigen machen, ist vielleicht etwas zuviel verlangt angesichts der Tatsache, daß wichtige Kabinettsmitglieder, angefangen vom Herrn Bundeskanzler über den Wirtschafts-, den Ernährungs- und den Arbeitsminister bis zum — last, but not least — Finanzminister nicht selten die widerspruchsvollsten wirtschaftspolitischen Auffassungen vertreten.

(Zustimmung bei der SPD und dem GB/BHE.)

Das letzte gehörte nicht zum Positiven; ich hoffe, daß es so auch verstanden wurde.
Lassen Sie mich noch eine positive Anmerkung machen. Zum erstenmal, wie ich glaube, ist im Gesamtplan des Bundeshaushalts in der Drucksache 2900 von der Seite 33 ab — ich zitiere genau, weil ich wünsche, daß viele Mitglieder des Hauses das auch wirklich nachlesen — ein Funktionenplan beigefügt, der die Ausgaben des Haushalts nach Zweckbestimmungen ohne Rücksicht auf ihre Bewirtschaftung durch die einzelnen Ressorts zusammenfaßt. Wenn dieses Instrument weiterentwickelt wird, kann es zu einer weit größeren Übersichtlichkeit und Durchsichtigkeit des Bundeshaushalts führen, als wir das bisher gewohnt waren.
Und nun zur Vorlage selbst. Es sei ein Haushalt der Stabilität und der sozialen Sicherheit, sagte der Bundesfinanzminister. Der „Volkswirt", dieses sicherlich nicht der Opposition nahestehende Wirtschaftsblatt, sprach unhöflicherweise von einem Haushaltsplan der optischen Täuschung. Und von anderer Seite ist der Bundeshaushalt 1957 als Verschiebebahnhof bezeichnet worden.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Das sind sehr harte Charakterisierungen, von
denen ich nur so viel sagen kann, daß ein Körnchen


(Schoettle)

Wahrheit in ihnen steckt; das ist nicht zu leugnen, wenn man die Details kennt.

(Zustimmung bei der SPD.)

Das gilt vor allem für jene merkwürdige Erscheinung der Schäfferschen Finanzpolitik, die unter dem Namen „Juliusturm" in die Geschichte eingegangen ist. Und dabei hat der Herr Bundesfinanzminister noch vor ganz kurzer Zeit öffentlich erklärt, daß es ihn eigentlich nicht mehr gebe. Vermutlich, „weil nicht sein kann, was nicht sein darf". Dabei beruht der jetzige Haushaltsausgleich nahezu ausschließlich, wenn man von dem fünfprozentigen Abstrich bei einer Reihe von Positionen absieht, auf der Heranziehung von 2,2 Milliarden DM aus dem „Juliusturm". Das ist eine Methode des Haushaltsausgleichs, die den allergrößten Bedenken begegnet, und zwar nicht nur auf der Seite der Opposition; denn diese Methode bricht mit dem Grundsatz, daß die Ausgaben eines Haushaltsjahrs durch die Einnahmen dieses Jahres gedeckt sein sollen, und mobilisiert Ausgabenreste vergangener Jahre, die unter allen Gesichtspunkten, vor allem aber unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten, für den öffentlichen Haushalt eigentlich tot sein sollten. Sie mobilisiert diese Rücklagen für die Schließung einer Haushaltslücke, für die man sonst keine Deckung gefunden hätte. Dabei steht heute schon fest — ich will das gleich hier sagen —, daß die im Verteidigungshaushalt veranschlagten rund 9 Milliarden DM im Haushaltsjahr 1957 ebensowenig ausgegeben werden können, wie das in früheren Jahren möglich war, und daß dadurch erneut ein gewaltiger Ausgabenrest entsteht, der wieder dem „Juliusturm" zufließen wird. Wenn die Bundesregierung und ihr Finanzminister nicht wie hypnotisiert auf den Verteidigungshaushalt starren würden und seine Summe ohne Rücksicht auf die Möglichkeit ihrer Verwendbarkeit für tabu erklärt hätten, wäre hier ein ausgezeichnetes Mittel für den Haushaltsausgleich und für die Erfüllung einiger anderer wichtiger Zwecke, die in diesem Haushalt nach unserer Meinung zu kurz kommen.

(Beifall bei der SPD.)

Aber darauf werde ich in einem anderen Zusammenhang noch zu sprechen kommen.
Hier möchte ich die Mitglieder des Hauses auf den grünen „Schnellbrief" Nr. 16 des Instituts Finanzen und Steuern hinweisen. Es lohnt sich, ihn eingehend zu studieren; denn dieses Dokument gibt über die Entwicklung des „Juliusturms" und seinen voraussichtlichen Stand Ende des Haushaltsjahres 1957 eine bessere Auskunft als alle Erklärungen des Herrn Bundesfinanzministers und seines Hauses. Bei diesen Erklärungen kann man manchmal den Eindruck nicht loswerden, daß damit die Absicht verfolgt wird, weniger Klarheit als Verwirrung zu stiften.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Aber noch einmal zum Thema „Haushalt der Stabilität". Wenn der Herr Bundesfinanzminister damit sagen will, daß der Haushalt des Bundes im Rahmen unserer gesamten Volkswirtschaft ein Element der Stabilität oder der Stabilisierung darstelle, so wird das nicht unbestritten bleiben können. Die Stabilität unserer volkswirtschaftlichen Entwicklung wurzelt in ganz anderen Bereichen, und die Finanzpolitik der Bundesregierung in den letzten Jahren muß eher als ein Element der Beunruhigung und Gefährdung der volkswirtschaftlichen Stabilität angesehen werden. Daß sie sich nicht so auswirken konnte, liegt an den glücklichen Umständen, unter denen sich die Hochkonjunktur über Jahre hinweg fortsetzen konnte. Wer könnte eine Garantie dafür übernehmen, daß diese Umstände fortdauern? Meine Damen und Herren, wir sollten ja nicht vergessen, wie rasch internationale Ereignisse, wie wir sie im Monat November erlebt haben, die Fundamente einer nationalen Volkswirtschaft erschüttern können, weil sie die Voraussetzungen zerstören, unter denen Konjunkturen und wirtschaftliche Blüte entstehen. Wir sind aus dieser Gefahrenzone nicht heraus. Es gibt besorgte Leute, die darauf aufmerksam machen, daß der Bundeshaushalt 1957 vermutlich schon der letzte relativ bequeme Haushalt sei.
Wenn der Herr Bundesfinanzminister allerdings gemeint haben sollte, daß der von ihm vorgelegte Haushaltsentwurf selbst stabil sei, dann muß hinter eine solche Auffassung bei dieser ersten Beratung ein starkes Fragezeichen 'gesetzt werden angesichts der Tatsache, daß eine Reihe von wichtigen Bestandteilen des Haushalts in ihren letzten Umrissen noch gar nicht feststehen, daß sicher zu erwartende Ausgaben nicht veranschlagt sind und daß bei anderen Ausgabepositionen führende Regierungsmitglieder Auffassungen vertreten haben, die mit denen nicht übereinstimmen, die ihren Niederschlag im Haushaltsentwurf gefunden haben. Ganz abgesehen davon sind wichtige volkswirtschaftliche und nationalpolitische Aufgaben entweder überhaupt nicht oder nur unzulänglich veranschlagt.
Zum Beweis dieser Behauptung einige Beispiele. Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Freitagrede selbst davon gesprochen, daß die Finanzhilfe für die Saar, die ohne Zweifel im Haushalt 1957 auf die Bundesregierung zukommt, nicht in den Haushalt aufgenommen worden ist. Man weiß, daß es sich dabei zunächst mindestens um eine Größenordnung von 350 bis 360 Millionen DM handelt. Der Finanzminister sprach davon, daß diese Mittel aus freien Beträgen genommen werden sollten. Ich habe immer noch die gegenteilige Behauptung im Ohr, daß es keine freien Beträge gebe. Vielleicht hat der Herr Bundesfinanzminister an das ERP-Sondervermögen gedacht, von dem uns allerdings wiederholt gesagt worden ist, daß es vom interministeriellen Ausschuß restlos und voll verplant sei. Wo sind da die freien Beträge? Vielleicht wissen wir nichts von ihnen. Hier klafft auf jeden Fall eine Lücke im Haushaltsentwurf, und zwar eine Lücke von beträchtlichem Ausmaß.
Eine andere Lücke droht der Entwurf noch zu bekommen, wenn die Erhöhung der Beamtengehälter spruchreif wird. Sie muß im Haushalt 1957 mit absoluter Sicherheit kommen. Die Erhöhung der Beamtengehälter ist lange fällig. Der Entwurf beruht in diesem Punkt auf der Annahme einer Erhöhung der jetzigen Bezüge auf 160 % des Standes von 1927. Darauf hat sich der Herr Bundesfinanzminister festgelegt. Aber unwidersprochen ist eine Mitteilung geblieben, die die Vertreter des Deutschen Beamtenbundes, an ihrer Spitze der Herr Kollege Kramel von der größten Regierungsfraktion, über eine Unterhaltung mit dem Herrn Bundeskanzler veröffentlicht haben. Nach dieser Mitteilung hat Herr Dr. Adenauer den Beamtenvertretern in seiner eindrucksvollen knappen Art erklärt, daß eine Erhöhung der Gehälter auf 160 % in keiner Weise genüge. Man muß also, da der Herr Bundeskanzler bekanntlich die Richt-


(Schoettle)

linien der Politik bestimmt, damit rechnen, daß er seine Auffassung auch in diesem Falle durchsetzt. Das würde eine beträchtliche Erhöhung des jetzigen Haushaltsansatzes bedeuten.
Aber vielleicht handelt es sich auch hier nur um die zarte Rücksichtnahme des Regierungschefs auf die herannahende Bundestagswahl. Wir sind gespannt darauf, wie es in einem solchen Falle mit der Anwendung des vom Herrn Bundesfinanzminister hier geschwungenen Schwertes des Art. 113 des Grundgesetzes stehen wird.

(Beifall bei der SPD.)

Selbstverständlich möchte ich den Herrn Bundesfinanzminister gerade in diesem Fall nicht ermutigen — ich möchte das ausdrücklich sagen —, zu Art. 113 zu greifen; denn auch wir glauben, daß die Bezüge der öffentlich Bediensteten einer wirklichen Angleichung an die gesteigerten Lebenshaltungskosten und an das allgemeine Lohn- und Gehaltsniveau bedürfen.

(Zurufe von der Mitte.)

— Meine Damen und Herren, was dem einen recht ist, mag dem anderen doch wohl billig sein. Im übrigen sind wir vermutlich einer Meinung: daß es nicht Wahlspeck ist, sondern einigermaßen den Realitäten gerecht wird.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung zu einer anderen Seite des Themas Stabilität. Mit großem Nachdruck hat Herr Schäffer in seiner Rede auf die Tatsache hingewiesen, daß die D-Mark heute zu den härtesten Währungen der Welt gehört. Jeder, der einmal eine Reise gemacht hat, wie ich es in der letzten Zeit zu tun Gelegenheit hatte, weiß, daß diese Behauptung stimmt. Der Herr Bundesfinanzminister hat es als eine der wichtigsten Aufgaben der Bundesregierung bezeichnet, die Stabilität der Währung zu sichern. Ich darf für meine Freunde von der sozialdemokratischen Opposition erklären, daß wir dieses Ziel der Stabilität der Währung in vollem Umfang billigen und daß wir in unserer eigenen Politik — sei es in der Opposition oder, wie wir hoffen, in absehbarer Zeit in der Regierungsverantwortung

(Lachen und Zurufe von der Mitte: Wenn!)

— sei es, sage ich, in der Opposition oder, wie wir hoffen, in absehbarer Zeit in der Regierungsverantwortung — stabile Währung, Steigerung der Produktivität unserer nationalen Wirtschaft und Vollbeschäftigung als fundamentale Voraussetzungen einer gesunden Entwicklung betrachten.

(Beifall bei der SPD.)

Dazu gehört aber auch, meine Damen und Herren, eine gesunde Preisentwicklung.

(Erneuter Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Conring: Und ein ausgeglichener Haushalt!)

Im Außenverkehr ist unsere Währung sicher außerordentlich stabil und hart. Im Innenverkehr sollte man dabei aber nicht übersehen, daß die ständige Steigerung des Preisniveaus zu einer gewissen Abwertung geführt hat. Die Bundesregierung kann gerade auf diesem Gebiet nicht von sich behaupten, daß sie erfolgreich gewesen sei. Sie hat mit ihrer Mehrheit in diesem Hause durch die Erhöhung staatlich festgesetzter Preise, wie für Milch, Mieten usw., und infolge der durch staatliche Maßnahmen manipulierten Preise bei Fleisch, Butter und Kartoffeln nicht unwesentlich zur Erhöhung des Preisniveaus beigetragen. Und zuletzt war sie nicht imstande, weil sie die Mittel nicht genützt hat oder ihr die Mittel nicht zu Gebote standen, die Preiserhöhungen bei Kohle und Stahl und die dadurch ausgelöste Preiswelle zu verhindern.

(Abg. Dr. Conring: Worauf beruht das wohl?)

— Ach, „worauf beruht das wohl?" Kommen Sie nicht mit den Löhnen! Das Argument kennen wir schon!
Auf jeden Fall: die Art des Haushaltsausgleichs, die der Herr Bundesfinanzminister für 1957 gewählt hat, nämlich die Auflösung von Zentralbankguthaben des Bundes, ist ebenfalls kein Element der Stabilität.
Ich komme zu dem Anspruch, den der Herr Bundesfinanzminister für seinen Entwurf erhoben hat, daß er ein Haushalt der sozialen Sicherheit sei. Er hat in diesem Zusammenhang auf die Steigerung der Soziallasten im Bundeshaushalt verwiesen, wie sie sich seit 1954 ergeben haben. Leider hat er darüber hinaus auch wieder das alte Kunststück vorgeführt, im Rahmen seiner Haushaltsbegründung die gesamten Sozialleistungen in der Bundesrepublik zu addieren, in denen doch — was auch der Herr Bundesfinanzminister weiß — ein großer Prozentsatz von Eigenleistungen der Versicherten enthalten ist.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Man sollte mit diesem Spiel doch endlich aufhören

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der Mitte: Das hat er nicht gesagt!)

und sollte sich damit begnügen, von den tatsächlichen Leistungen zu sprechen. Wenn man von Sozialleistungen spricht, sollte man auch ehrlich sein und sagen: In dem, was man da addiert, steckt eine große Menge von Kriegsfolgelasten, und außerdem sind die Verpflichtungen des Staates gegenüber seinen eigenen Bediensteten und denen, die in den Ruhestand getreten sind, darin enthalten. Die ganzen Pensionslasten in diesen Zusammenhang hineinzustellen, heißt doch einfach das Bild verschieben.

(Beifall bei der SPD.)

Im übrigen ist soziale Sicherheit nicht dadurch zu beweisen, daß man Globalsummen ausweist. Entscheidend ist das Niveau der individuellen Existenzsicherheit, und bei dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin, einige Bemerkungen zum Thema Sozialreform zu machen.
Im Bundeshaushalt 1957 sind die Zahlen veranschlagt, die sich aus dem Regierungsentwurf für die Reform der Rentenversicherung ergeben. Für dieses Teilstück der großen Sozialreform, die uns in allen Regierungserklärungen seit 1949, zuletzt 1953 noch einmal besonders betont, als eine umfassende Reform versprochen wurde, kann man im Hinblick auf den Gang der Dinge nur die allergrößten Sorgen haben.
Zunächst muß überhaupt bezweifelt werden, daß die im Entwurf veranschlagten Summen für die Steigerung der Rentenleistungen der endgültigen Fassung des Gesetzes gerecht werden.

(Sehr richtig! bei der SPD.)



(Schoettle)

Daß die ganze Rentenreform durch die Regierung in einer geradezu fahrlässigen Weise verzögert wurde — ich benütze dieses scharfe Wort, weil es einfach der Realität entspricht — und erst durch einen sozialdemokratischen Initiativgesetzentwurf vorwärtsgetrieben wurde, sei nur nebenbei bemerkt.
Wichtiger erscheint mir in diesem Zusammenhang, daß auch in dieser Frage die Bundesregierung keinerlei einheitliche Konzeption hat.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Der Herr Bundeskanzler hat sich noch auf dem Kongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Hamburg vor wenigen Monaten feierlich für die Produktivitätsrente ausgesprochen. Was er darunter verstanden hat und wieweit seine Auffassungen mit den sonst üblichen etwas zu tun hatten, vermag ich hier nicht zu untersuchen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat einen Entwurf geliefert, der für einen großen Teil der Rentner überhaupt keine oder nur ganz geringfügige Erhöhungen ihrer bisherigen Bezüge bringt

(Zuruf von der Mitte: Stimmt ja nicht!)

bzw. bringen würde, wenn er Gesetz würde. Die Korrektur dieser Fehlleistung soll nach den Absichten der Koalition und des Finanzministers in der Weise erfolgen, daß für rund 21/2 Millionen Rentner durchschnittlich 8 DM pro Monat Rentenaufbesserung herauskommen.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Was aber ganz besonders vermerkt werden muß, ist der Umstand, daß der Bundesfinanzminister unter Berufung auf seine finanzielle Verantwortung die Versicherungsmathematiker gegen den Bundesarbeitsminister mobilisiert und damit erneut ein Element der Unsicherheit und Verwirrung in die Beratungen der Rentenreform hineingetragen hat. Ich will an dieser Stelle nicht mit dem Finanzminister über die Weisheit seiner Aktion rechten. Aber festgestellt muß werden, daß bei der Regierung auch hier wieder das völlige Fehlen einer gemeinsamen Linie drastisch zutage tritt. Es sind nicht nur die Beamten der Bundesregierung, von denen kürzlich Herr Staatssekretär Hartmann hier im Hause festgestellt hat, daß sie sich in Sachen Sozialreform nicht einig seien; es sind die Spitzen der Regierung, die in voller Konfusion durcheinanderlaufen.

(Beifall bei der SPD.)

Wenn man sich das Schicksal dieses so oft als Aufgabe Nr. 1 bezeichneten Gesetzgebungswerks ansieht, wenn man weiß, wieviel Haushaltsmittel allein schon in die Vorbereitung hineingesteckt worden sind, dann wundert man sich nachträglich noch, warum die damalige Mehrheit im 1. Deutschen Bundestag den sozialdemokratischen Antrag auf Schaffung einer unabhängigen Sachverständigenkommission mit der Aufgabenstellung der in England üblichen „Königlichen Kommissionen" abgelehnt hat.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Hätte man damals unseren Vorschlag nicht aus kurzsichtigen parteipolitischen Motiven begraben, wir wären früher und billiger zu besseren Vorschlägen für die Sozialreform gekommen.

(Beifall bei der SPD.)

Zusammenfassend zu diesem Punkt stelle ich fest, daß aller Voraussicht nach auch hier der Entwurf des Bundeshaushalts 1957 noch nicht das letzte Wort darstellt und darstellen kann, daß also auch hier ein schwacher Punkt des Entwurfs vorliegt.
Dasselbe gilt für den Haushalt des Bundesernährungsministeriums und in engerem Sinne für den Grünen Plan, der nach dem Gesetz erst am 15. Februar 1957 vorgelegt werden muß, was anerkanntermaßen gewisse Schwierigkeiten bietet für die Verarbeitung im Rahmen des ordentlichen Haushalts. Die finanzielle Seite des Grünen Berichts ist noch eine völlig unbekannte Größe. Ich bin überzeugt, daß gerade in diesem Fall die Interessenten und die Wahlüberlegungen ihre Rolle mitspielen werden.
Apropos Interessenten! Von ihnen hat der Herr Bundesfinanzminister in seiner Rede mit bitteren Worten gesagt, daß sie die Gesetzgebung komplizieren und — das wollte er vermutlich dazu sagen — auch verteuern. Er mag sich in den Reihen seiner eigenen politischen Freunde umsehen, und er wird dort genügend Leute von dem Typus finden, der sonst in der sogenannten Lobby anzutreffen wäre.
Nach diesem Seitenhieb wieder zur Sache.
Daß von den sechseinhalb Milliarden DM Mehranforderungen, die die Bundesressorts zum Haushalt 1957 eingereicht hatten, ein großer Teil dem Rotstift des Bundesfinanzministers zum Opfer gefallen ist, wird man nicht bedauern können. Es bleibt noch genügend übrig. Man wird vor allem die Stellenanforderungen und Stellenhebungen bei den Beratungen im Haushaltsausschuß sehr gründlich zu überprüfen haben. Da scheint uns auch einiges sich getan zu haben, was nicht durchgehen darf.
Auf der anderen Seite sind auch eine Reihe von Kürzungen gegenüber früheren Haushaltsansätzen vorgenommen worden, die nicht einfach geschluckt werden dürfen. Ich denke da vor allem an zwei Kürzungen: an die Bundeszuschüsse für die Zonenrandgebiete, die eine Kürzung um 30 % erfahren haben, und an die Herabsetzung des Bundeszuschusses und des Bundesdarlehens an das Land Berlin um insgesamt rund 100 Millionen DM.
Die Herabsetzung der Bundesleistungen für die Zonenrandgebiete hat der Herr Bundesfinanzminister vor allem damit begründet, daß die Intensivierung des Finanzausgleichs und andere finanzwirtschaftliche Vorgänge es den beteiligten Ländern möglich machten, mit größeren Mitteln in diesen Gebieten einzugreifen. Meine Freunde halten diese Begründung nicht für stichhaltig und die Kürzung der Zuschüsse nationalpolitisch nicht für vertretbar, zumindest in diesem Zeitpunkt nicht vertretbar.

(Beifall bei der SPD und beim GB/BHE.)

Wir werden in den Beratungen darauf zurückkommen.
Das gleiche gilt für die Kürzungen bei den Berlinzuschüssen. Wir werden uns auch in diesem letzteren Fall darum bemühen, die alte Leistung wiederherzustellen, zumal gerade jetzt das Thema „Bundeshauptstadt Berlin" eine besondere Aktualität gewonnen hat. Dieses Problem ist sicher nicht durch bravouröse Anträge zu lösen, wie sie kürzlich


(Schoettle)

aus diesem Hause gekommen sind. Es muß aber gelöst werden, und zwar auf eine systematische Weise, die beginnt mit dem Aufbau, dem Wiederaufbau der bundeseigenen Liegenschaften in Berlin, die es in großer Zahl gibt, und mit der Schaffung von Räumen für die Unterbringung von Bundesbehörden. Wenn so planmäßig begonnen wird mit der bewußten Absicht, tatsächlich so viele Bundesbehörden wie möglich unter Erhaltung ihrer vollen Aktionsfähigkeit nach Berlin zu verlegen, dann, glaube ich, ist auf diesem Gebiet etwas Wichtiges getan.
Zu den wesentlichen Aufgaben, die in diesem Bundeshaushalt nicht im Verhältnis zu ihrer aktuellen Bedeutung ausgestattet sind, gehört auch der Verkehrshaushalt. Jahr um Jahr beklagen wir Zehntausende von Verkehrstoten, eine um das Vielfache größere Zahl von Verletzten und viele Millionen Mark an volkswirtschaftlichem Verlust. Der Bundesverkehrsminister hat ein Zehnjahresprogramm entwickelt, über dessen Einzelheiten man streiten kann. Aber die Frage erhebt sich, wo denn auch nur ein Teil dieses Programms in diesem Haushalt in Erscheinung tritt.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Solange solche Planungen im Schoße der Regierung nicht auch ihren haushaltsmäßigen Niederschlag finden, sind sie wohl nichts anderes als unverbindliche Propaganda.

(Zustimmung bei der SPD.)

Es ist von symptomatischer Bedeutung, daß in diesem Haushaltsentwurf die Mittel zum Ausbau der Bundesautobahn und der Bundesstraßen im außerordentlichen Etat auftauchen und im Wege einer Anleihe aufgebracht werden sollen. Die Lage auf dem Kapitalmarkt ist wohl derart, daß diese Finanzierungsmethode von vornherein als reichlich aussichtslos angesehen werden muß. Wenn überhaupt dieser Ausgabeposten gedeckt werden soll, dann wird es vermutlich auf dieselbe Weise geschehen wie in den vergangenen Jahren, indem nämlich der Herr Bundesfinanzminister aus laufenden Einnahmen dank der günstigen Entwicklung die Ausgaben des Extraordinariums finanziert. Die Frage ist erlaubt, warum man denn unter solchen Umständen noch immer die Fiktion eines außerordentlichen Haushalts überhaupt aufrechterhält. Vielleicht kommt man einmal dazu, einen Investitionshaushalt zu machen, so daß diese Frage sich dann von selber beantwortet.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat übrigens — worauf ich bei dieser Gelegenheit hinweisen möchte — in der Bundestagsdrucksache 2707 Vorschläge für die Finanzierung eines großzügigen Straßenbau- und -unterhaltungsprogramms gemacht, an denen das Haus und die Bundesregierung nicht vorübergehen können. Ich glaube, diese Vorschläge sind durchzuführen, ohne daß dabei unüberwindliche Haushaltsschwierigkeiten auftauchen.
In der Rede des Herrn Bundesfinanzministers ist übrigens der Passus besonders aufgefallen, den er dem Problem der Sanierung der Bundesbahn gewidmet hat. Er sprach davon, daß der Abbau der betriebsfremden Lasten bei der Bundesbahn allein eine Gesundung dieses größten Wirtschaftsunternehmens der öffentlichen Hand nicht bewirken könne, sondern daß dazu auch tarifpolitische Maßnahmen nötig seien. Wie war das gemeint, Herr
Bundesfinanzminister? Man möchte gern etwas mehr darüber wissen, wie Sie sich das vorstellen. Will der Herr Minister eine allgemeine Tariferhöhung einschließlich der Sozialtarife propagieren? Wenn ja, dann möge er das schon bald bewerkstelligen. Es würde sicherlich hervorragend in eine Politik der Währungsstabilisierung passen, wenn auf diese Weise neue Preissteigerungstendenzen ausgelöst würden. Der Herr Bundesfinanzminister sollte den Ruhm für eine solche Maßnahme nicht seinem etwaigen Amtsnachfolger überlassen.
Schließlich muß ich noch ein Thema in die Debatte werfen und dazu sozialdemokratische Anträge für die Ausschußberatungen ankündigen. Es ist seit langem Gegenstand der Sorge aller Unterrichteten, daß Deutschland trotz der großen wirtschaftlichen Blüte der letzten Jahre auf wesentlichen Gebieten seiner geistigen Ausrüstung in einer gefahrdrohenden Weise gegenüber anderen Ländern im Rückstand geblieben ist. Die Förderung der wissenschaftlichen Forschung auf allen Gebieten, nicht nur im Bereich der Naturwissenschaften und der Technik, sondern auch auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften, die Förderung des wissenschaftlichen und technischen Nachwuchses, die Erweiterung der wissenschaftlichen und technischen Ausbildungsstätten stehen weit hinter dem zurück, was in anderen Ländern geleistet wird

(Zustimmung bei der SPD)

und bringen die Bundesrepublik auf die Länge gesehen in einen schwer zu überwindenden Nachteil, der seine Konsequenzen für die gesamte nationale Wirtschaft haben wird.
Die sozialdemokratische Partei hat auf ihrem Münchener Parteitag im Frühsommer dieses Jahres diese Aufgabe zur Debatte gestellt und schließlich über das letzte Wochenende auf einer großen Konferenz in Düsseldorf ein umfassendes Programm zur Lösung dieser im wahrsten Sinne des Wortes nationalen Aufgabe verkündet.
Es ist eine nationale Aufgabe, meine Damen und Herren, und man möge denen, die sie zuerst auf die Tagesordnung setzten, nicht den Vorwurf machen, sie wollten damit parteipolitische Geschäfte besorgen.

(Beifall bei der SPD.)

Die Aktivität der Sozialdemokraten auf diesem Gebiete hat niemand das Recht genommen, von sich aus selber in der gleichen Richtung aktiv zu werden;

(Sehr richtig! bei der SPD)

aber sie hat dazu geführt, daß auch die größte Regierungspartei in Bewegung geraten ist und einen Briefwechsel mit dem Herrn Bundeskanzler in der Richtung führt, daß Kabinettsausschüsse und andere Institutionen gebildet werden sollen, die sich mit der Materie befassen. Wir Sozialdemokraten glauben nicht, daß die Größe und die Schwierigkeit der Aufgabe, die wir auch kennen, durch solche Maßnahmen am Rande wirklich erfaßt werden. Wir sind uns bewußt, daß es vielerlei Schwierigkeiten geben wird, die sich der Verwirklichung dieser Dinge in den Weg stellen können. Die finanzielle Schwierigkeit allerdings dürfte angesichts der Dringlichkeit der Aufgabe nicht allein entscheidend sein. Von den verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten möchte ich hier schweigen; die wären zu untersuchen.

(Zuruf des Abg. Dr. Willeke.)



(Schoettle)

— Wenn man sich auf den Standpunkt stellt, Herr Kollege Willeke, daß es besser ist, nichts zu tun, als Schwierigkeiten zu überwinden zu suchen, so brauchen wir uns allerdings nicht zu unterhalten.

(Abg. Dr. Willeke: Dann sind wir uns ja einig!)

Im Bundeshaushalt 1957 sind — und darauf wird der Herr Bundesfinanzminister in der Abwehr unserer Forderungen ja wohl hinweisen — an zahlreichen Stellen unter dem Titel „Wissenschaft und Forschung" insgesamt 336 Millionen DM veranschlagt. Wenn man sich diese Positionen im einzelnen ansieht, schrumpfen sie allerdings, was die eigentliche Forschung betrifft, beträchtlich zusammen. Daß man auf dem Gebiet der Kleintierzucht und auf anderen wichtigen Wirtschaftsgebieten Forschung treiben muß, haben wir allerdings auch begriffen und immer wieder im Bundeshaushalt honoriert. Aber das trifft ja den Kern der Frage nicht. In der Regel handelt es sich um reine Zweckforschung oder um die finanzielle Ausstattung von Bundesinstituten. Was darüber hinaus der eigentlichen Forschung und der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zufällt, ist ein geringer Bruchteil dessen, was wirklich nötig wäre. Wir werden dem Hause konkrete Anträge unterbreiten und sie in den Haushaltsberatungen vertreten, und dann wird sich zeigen, wieweit auf diesem wichtigen Gebiet unserer nationalen Existenz in diesem Hause und mit dieser Regierung eine Verständigung möglich ist.
Das Argument der unmöglichen Finanzierung akzeptieren wir nicht. Solange der Verteidigungshaushalt erklärtermaßen weit über das Maß dessen hinaus dotiert ist, was in diesem Haushaltsjahr ausgegeben werden kann, und solange für die Rüstungsaufwendungen der Bundesrepublik Milliardenbeträge aus dem „Juliusturm" zur Verfügung stehen, ist die Möglichkeit der Förderung einer für die Gesamtposition der Bundesrepublik ebenso wichtigen Aufgabe im Rahmen der Einnahmen dieses Haushalts durchaus gegeben.

(Beifall bei der SPD.)

Ehe ich zum Schluß komme, meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch einen Punkt zu berühren, der mir trotz seiner zahlenmäßigen Geringfügigkeit wichtig erscheint, weil er ein kleines Streiflicht auf die Möglichkeiten einer Verwaltungsreform im Bundesbereich wirft. Bei der letzten Kabinettsumbildung sind die beiden noch verbliebenen Sonderminister über Bord gegangen. Folgerichtig ist deshalb der Einzelplan 30 in diesem Haushaltsentwurf nicht mehr zu finden. Aber sind deshalb die Ministerien verschwunden? Keine Spur! Sie sind in das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit übergeführt worden und leben dort fröhlich weiter, wahrscheinlich mit den ehemaligen Herren Ministern als Sonderbeauftragten an der Spitze. Wir sind nicht bereit, uns mit dieser Art von Verwaltungsvereinfachung abzufinden, und werden bei den Haushaltsberatungen im Ausschuß darauf zurückkommen.

(Abg. Niederalt: Die Haushaltsberatungen abwarten!)

— Ich danke Ihnen für diesen Hinweis und hoffe, daß dabei praktisch wenigstens etwas herauskommt.

(Abg. Niederalt: Wie immer!)

— Schön!
Es ist davon gesprochen worden — das sei mein letztes Wort zum Haushalt selber —, daß dieser Haushalt seine Aufgabe im Wahljahr 1957 erfüllen solle. Ich habe vergeblich den Haushalt durchsucht, um festzustellen, wo denn nun die ganz großen Brocken Wahlspeck verteilt sind, und ich muß gestehen, daß mir das allerdings nicht gelungen ist. Vielleicht kommt es noch, wenn die Auflockerung des Schäfferschen Entwurfs bei den Beratungen im Laufe der nächsten Monate eintritt. Aber ein Punkt ist mir doch aufgefallen, von dem man annehmen kann, daß er tatsächlich mit dem Wahljahr zu tun hat, und das ist die bemerkenswerte Steigerung des Titels für Korrespondenzen, d. h. für den Bezug von Nachrichtendiensten beim Bundespresse- und Informationsamt. Der Posten steigt nämlich von 350 000 auf 2 350 000 DM.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Da muß man sich denn doch die Frage vorlegen, was eigentlich mit diesen 2 Millionen DM beabsichtigt ist. Korrespondenzen gibt es nicht so viele; die sind einem ja auch bekannt. Sollen etwa neue geschaffen werden mit dem Zweck der Finanzierung bestimmter Wahlhelfer auf dem Gebiet der Propaganda, oder was soll sonst mit diesen 2 Millionen DM geschehen? Hier riecht es aber wirklich verflucht nach Wahlspeck und nach Wahlvorbereitungen.

(Abg. Niederalt: Glauben Sie, daß man mit 2 Millionen hier wirklich etwas machen könnte? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich weiß ja auch, daß Sie viel mehr zur Verfügung haben werden. So naiv bin ich nicht, Herr Kollege Niederalt, daß ich die 2 Millionen DM für entscheidend halte, aber daß sie gerade an dieser Stelle im Bundeshaushalt auftauchen, ist immerhin interessant und einer Bemerkung würdig.
Nun gestatten Sie mir noch einige Schlußbemerkungen. Der Herr Bundesminister für Finanzen hat, wie wir das von ihm nun schon gewohnt sind, auch in seiner diesjährigen Haushaltsrede der sparsamen, auf finanzielle Stabilität bedachten Tätigkeit der Bundesregierung, insbesondere selbstverständlich des Bundesfinanzministers, die Ausgabefreudigkeit des Parlaments und der Abgeordneten gegenübergestellt. Ich hoffe, daß Sie sich jetzt alle in Ihren Sitzen aufrichten und sich entweder besonders geehrt oder besonders getadelt fühlen. Der Herr Bundesfinanzminister hat gleichzeitig im Hinblick auf die Versuchungen des Wahljahrs den Knüppel des Art. 113 geschwungen und versprochen, daß er davon gegebenenfalls rücksichtslos Gebrauch machen werde.
Hier hat sich unter aktiver Mitwirkung des Herrn Bundesfinanzministers eine Legende gebildet, die von der Presse leider weitgehend ohne genauere Prüfung übernommen worden ist. Wir von der sozialdemokratischen Opposition könnten angesichts der Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause solchen ministeriellen Ermahnungen gegenüber sagen: „Wem sagst du das? Betrifft mir nicht!"

(Abg. Dr. Dresbach: Na, na!)

Und gegenüber der Behauptung, daß wir mit unseren Forderungen und Wünschen, wenn sie erfüllt worden wären, noch viel größere finanzielle Belastungen verursacht hätten — das wird jetzt auch so herumgeboten —, können wir wohl darauf verweisen, daß es die Aufgabe der Opposition ist, auf


(Schoettle)

allen Gebieten stoßend und drängend tätig zu sein. Außerdem sind wir stolz darauf, daß oft unser Anstoß erst bestimmte Dinge von unmittelbarer Dringlichkeit in Bewegung gebracht hat.

(Beifall bei der SPD.)

Im ganzen aber stellen wir die Frage an die Mitglieder dieses Hauses: Meine Damen und Herren, was halten Sie eigentlich von sich selber,

(Sehr richtig! bei der SPD)

wenn Sie sich immer wieder ohne Widerspruch gefallen lassen, daß Sie von der Regierungsbank der Verantwortungslosigkeit und der verantwortungslosen Ausgabefreudigkeit bezichtigt werden? Was halten Sie eigentlich von sich selber? Waren die Beschlüsse dieses Hauses über die Erhöhung der Renten in der Sozialversicherung und in der Kriegsopferversorgung verantwortungslos? Waren die Beschlüsse dieses Hauses zum Grünen Plan in der Landwirtschaft verantwortungslos? Waren die Beschlüsse zur Steuerreform verantwortungslos? Prüfen Sie selber und geben Sie die Antwort darauf!

(Beifall bei der SPD.)

Man sollte endlich mit diesem Gerede aufhören, das doch nur dazu geeignet ist, das Parlament und die Parlamentarier im Bewußtsein der Bevölkerung abzuwerten, ohne daß unser Staatswesen als Ganzes etwas dabei gewinnt.
Im übrigen, meine Damen und Herren, werden wir in den Ausschußberatungen das Unsere dazu tun, nach Möglichkeit das Rechte, das Bessere zu erreichen und diesem Haushalt das Gesicht zu geben, das er haben sollte.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0217900200
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.

Dr. Rudolf Vogel (CDU):
Rede ID: ID0217900300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin mit dem eben gerade von meinem Kollegen Schoettle zitierten früheren hessischen Finanzminister Dr. Troeger absolut einig in der Definition einer wirklichen Konjunkturpolitik in Deutschland. Traeger zitierte in seinem langen Bericht im „Vorwärts" — den ich sehr lesenswert finde — den Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums mit seinem Gutachten vom 3. Juli 1956 und gab folgende Definition:
Eine richtige Konjunkturpolitik besteht in der Erhaltung der Kaufkraft der Währungseinheit, die man tunlichst stabil halten soll, in der Beschäftigung der Produktionskräfte, die möglichst hoch gehalten werden soll, und drittens in einer ausgeglichenen Zahlungsbilanz.
Dient der uns vorgelegte Haushalt diesen Zwekken, oder dient er ihnen nicht? Das ist die Frage.
Ist er ein ausgewogenes Programm der Regierung oder enthält er wesentliche Lücken? Ist die Kritik berechtigt, die Sie eben hier so temperamentvoll vorgetragen erhielten? Ich will versuchen, auf diese Fragen eine Antwort zu geben.
Lassen Sie mich zunächst einmal dem Herrn Bundesfinanzminister und seinen Mitarbeitern den Dank meiner Freunde abstatten für das ungewöhnliche Kompendium der Vorbemerkungen, die wir in diesem Jahre wieder rechtzeitig vorgelegt erhielten

(Beifall bei den Regierungsparteien)

und aus denen man allein ein gutes Dutzend von Dissertationen hohen Grades verfertigen könnte.

(Abg. Dr. Dresbach: Das ist ein Lehrbuch, kein Kompendium!)

— Herr Kollege Dr. Dresbach, ich glaube, aus diesen jährlichen Vorbemerkungen werden einige Dutzend von hoffentlich begabten Volkswirtschaftlern ihren Honig saugen.
Aber lassen Sie mich einmal mit einigen Gegenfragen auf das antworten, was hier gegen diesen Haushalt und gegen die Politik der Regierung vorgebracht worden ist. Haben wir uns der 21 Milliarden DM Spareinlagen zu schämen, die im Vertrauen auf die Stabilität der Währung von Millionen von deutschen Sparern neu eingelegt worden sind?

(Sehr gut! in der Mitte.)

Ist es ein Verbrechen, einen in der deutschen Finanzgeschichte noch niemals erreichten Devisen- und Goldbestand von über 18 Milliarden DM bei einem Notenumlauf von nur etwas über 14 Milliarden DM vorweisen zu können?

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sollen wir uns dafür beschimpfen lassen, daß wir innerhalb der letzten Jahre 3,5 Millionen Wohnungen zustande gebracht haben und auch in diesem Jahre trotz aller Kritik, die an unserer Wohnungsbaupolitik geübt worden ist, wiederum mindestens auf der gleichen Höhe von 550 000 Wohnungseinheiten bleiben werden?

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Und eine weitere Frage an die Volkswirtschaftler: Ist das deutsche Volk in dem zurückliegenden Zeitraum von vier Jahren — oder sagen Sie auch sieben Jahren — zu irgendeinem Zeitpunkt schlecht versorgt oder nicht genügend versorgt worden? Auch diese Frage wollen wir uns doch angesichts der Vorgänge in benachbarten Ländern einmal in allem Ernst stellen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Selbst die Fachleute der Opposition waren sicherlich ebenso wie wir nicht nur überrascht, sondern vielleicht sogar ein wenig besorgt über das plötzliche Anwachsen des Verbrauchs und der Verbrauchsgüterindustrie in der letzten Zeit. Gerade die letzten Monate brachten ein merkliches Zurückgehen der Investitionen. Dächten wir inmitten einer aufs engste verbundenen freien Weltwirtschaft rein egoistisch, dann würden uns die Vorwürfe unserer Verbündeten — lesen Sie vor allen Dingen eine der letzten Nummern der „Times" — nicht treffen, wir entzögen uns den Verteidigungsopfern, um dafür in ihre Exportmärkte einzubrechen. Wir nehmen diese Vorwürfe ernst, und auch keine Opposition wird an ihnen vorübergehen können. Keine deutsche Regierung der Zukunft — ich glaube, Herr Kollege Schoettle, Ihre Freunde werden wahrscheinlich noch sehr lange schwanger gehen können mit der Hoffnung, die Regierung bilden zu können —,

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungssparteien)



(Dr. Vogel)

wie auch immer sie heißen mag, wird sich einen Alleingang auf wirtschaftlichem oder politischem Gebiet leisten können.

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn wir uns darin einig sind, sollten wir uns auch in vielem in der Beurteilung unserer innenpolitischen Lage und unserer Verpflichtungen wesentlich einiger sein, als ,das in dieser Kritik bis jetzt zum Ausdruck gelangt ist.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Die Regierung hat einen in Ausgaben und Einnahmen ausgeglichenen Haushaltsentwurf vorgelegt. Ihre Einnahmenschätzungen werden auch von scharfen Kritikern als angemessen betrachtet. Wer übrigens die Vorschätzungen in der Rede des Bundesfinanzministers mit den wirklichen Eingängen der letzten Jahre vergleicht, wird anerkennen müssen, daß die 5,5 % mehr Steuereinnahmen als 1955 allein nicht zu den maßlosen Angriffen befugen, die wir in den zurückliegenden eineinhalb Jahren gegen den Herrn Bundesfinanzminister gehört haben. Es ist bis jetzt immer das Kennzeichen einer jeden Hochkonjunktur gewesen, Finanzüberschüsse zu haben. Das können wir auch bei einer ganzen Reihe benachbarter Länder - ich nehme z. B. nur England heraus — ständig unter Beweis stellen. Denken Sie bitte auch an die Jahre 1928 und 1929 in der deutschen Finanzgeschichte zurück, als damals ein deutscher Reichsfinanzminister einen Überschuß von 500 Millionen RM haben konnte, eine Summe, die damals doch etwas sehr Erhebliches bedeutet hat.
Hat man dem Bundesfinanzminister in den vergangenen zwei Jahren die Anhäufung von Reserven vorgeworfen, so greift man ihn jetzt wegen der Auflösung dieser Reserven und wegen des Abbaus des „Juliusturms" an. Wem soll er es nun eigentlich recht machen?

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Die Steuern sind in diesem Jahre 1956 in einem Gesamtausmaß von annähernd 4 Milliarden DM gesenkt worden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die kritisierte Deckung der Ausgaben angesichts der Kassenlage des Bundes etwa durch Steuererhöhungen vollzogen werden könnte.
Was hat man denn überhaupt gegen die Ausgabenseite des Bundes vorzubringen? Wir haben hier einige der wichtigsten Vorwürfe gehört. Parlamente der vergangenen Jahre, der vergangenen Jahrzehnte bemühten sich heftig um die Beschneidung von Regierungsausgaben. Uns hier ist, glaube ich, wohl allgemein ein solcher Eifer ziemlich fremd geworden. Im Gegenteil, der Drang zur Ausweitung von Ausgaben hat Formen angenommen, Kollege Schoettle, die der Bundesfinanzminister mit gutem Recht kritisieren konnte.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Ich sage es Ihnen. Das trifft uns genauso, wie Sie das trifft. Aber ich werde dazu noch etwas Näheres zu sagen haben. Gott sei Dank wächst aber die Zahl derjenigen Staatsbürger unter uns, die sich darüber Gedanken zu machen beginnen, wie wir in der Zukunft weiter verfahren wollen.
Hier, meine Damen und Herren, komme ich zu einem sehr entscheidenden Punkt. Die Kritik der Opposition konzentriert sich auf die Verteidigungsausgaben, aber nicht etwa mit dem Ziel, die
Staatsausgaben insgesamt einzuschränken, sondern die Verteidigungsausgaben weitgehend durch andere Ausgaben zu ersetzen.
Darf ich einmal einen Streifzug durch die mir bis jetzt bekanntgewordenen Forderungen von Ihnen, meine Damen und Herren der Opposition, unternehmen. Sie haben auf Ihrem agrarpolitischen Kongreß in Vilbel ein Landprogramm aufgestellt. Wenn ich die darin konzentrierten Forderungen nach gesteigerter Flurbereinigung, Wegebau, Straßenbau, Elektrizitäts-, Trinkwasserversorgung, Maschinengemeinschaften, vor allem aber die neu geforderten sozialen Sicherungen zusammennehme, ergeben sich weit über den Grünen Plan hinaus viele Hunderte von Millionen an neuen Ausgaben.

(Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Aachen] : Sehr richtig!)

Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf auf Drucksache 2707 ein Straßenbauprogramm entwickelt. Es fordert allein für das Jahr 1957 1060 Millionen DM an zusätzlichen Ausgaben.

(Zuruf von der Mitte: An zusätzlichen Ausgaben!)

In Düsseldorf haben Sie ein Forschungs- und Nachwuchsprogramm vorgelegt. Es fordert vom Bund in diesem ersten Jahr 1957 wohl allein rund 500 Millionen DM neue Ausgaben.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Ich werde darauf später noch näher eingehen.
In Ihrem Gesetzentwurf auf Drucksache 2197 verlangen Sie die Übernahme aller Luftschutzkosten auf den Bund. Auch das bedeutet Hunderte von Millionen Ausgaben mehr.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Ihre Forderung nach Anhebung der Sozialrenten auf 75 % des Durchschnittslohnes nach Ihrem Gesetzentwurf auf Drucksache 2314 würde nach den Ausrechnungen von Dr. Heubeck allein für das Jahr 1957 bereits eine Mehrbelastung des Bundes von 1,6 Milliarden DM beinhalten. Sie haben uns ein Bauprogramm in Aussicht gestellt. Nach Ihren Anträgen zur zweiten und dritten Lesung des Haushalts in diesem Frühjahr müssen wir uns darauf gefaßt machen, daß ein solches Bauprogramm auch eine runde Milliarde beinhalten wird.
Umgekehrt beharren Sie, wenn ich mich nicht täusche — Sie haben es bis jetzt noch nicht zurückgenommen —, auf einer Aufhebung der Kaffee-, der Tee- und der Leuchtmittelsteuer, d. h. also auf einer Senkung der Bundeseinnahmen um rund 500 Millionen DM.
Für das Forschungsprogramm hat Bankpräsident Dr. Troeger einen Deckungsvorschlag gemacht: höhere Erbschaftsteuer, Wegfall aller Begünstigungen und einiges mehr.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns darüber klar sein, was Sie mit diesen Steuerprogrammen bezwecken. Sie müssen sich doch darüber im klaren sein, daß sie vor allen Dingen eine Tötung der Unternehmerinitiative bedeuten und daß Sie damit auf ein Experiment zurückgreifen, das man sich in anderen Ländern jetzt wieder abzubauen bemüht.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Lassen Sie mich noch eines zu der letzten Wehrdebatte sagen. Ihr Sprecher erklärte, eine jede Regierung habe unterschriebene Verträge zu


(Dr. Vogel)

achten. Auch wenn Sie jemals die Chance haben sollten, eine Regierung zu bilden, werden Sie sich an die Verträge halten müssen, bis es Ihnen nach Ihrem Wunsche gelingt, sich zu lösen. Wenn Sie aber Verträge respektieren wollen, dann können Sie unmöglich auf der andern Seite alle Anstrengungen unternehmen, um diese Verträge finanziell zu töten.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Das bezweckt aber doch eindeutig Ihr haushaltsmäßiges Vorgehen in der Vergangenheit und hinsichtlich des vor uns liegenden Jahres. Dieser latente Widerspruch zwischen den Beteuerungen zur Vertragstreue und Ihren Handlungen im Haushaltsausschuß und im Parlament bringt Sie nicht nur bei uns, sondern erst recht bei den mit uns verbündeten Mächten um die auch von Ihnen geforderte Glaubwürdigkeit Ihrer politischen Aussagen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Darf ich in Ihr Gedächtnis eine Forderung zurückrufen, die ich bei der dritten Lesung des Haushalts 1956 hier vorbrachte — in der Hoffnung, wir könnten uns darauf einigen, Herr Kollege Schoettle —:
Es sollte keinen Streit zwischen Koalition und Opposition über die Notwendigkeit geben, so schnell wie möglich eine zumindest dem in der Sowjetzone geschaffenen militärischen Potential ebenbürtige Verteidigungsmacht der Bundesrepublik aufzubauen.
Wir haben von Ihnen bis zur Stunde noch kein klares Bekenntnis zu der Notwendigkeit einer Bundeswehr gehört. Wir dürfen aber vielleicht annehmen, Sie können die Notwendigkeit zumindest einer freiwilligen Bundeswehr nicht bestreiten. Ein Freiwilligenheer aber kostet mehr als der von uns beabsichtigte Aufbau einer Bundeswehr.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das wissen Sie genauso wie wir. Wenn man das aber nicht bezweifeln kann, dann bedeutet Ihre Haltung gegenüber einem Verteidigungshaushalt einen Widerspruch in sich.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Lassen Sie mich einen weiteren Stein des Anstoßes aus dem Wege zu räumen versuchen: das Problem der Haushaltsdeckung durch den Rückgriff auf Reste und Rückstände. Sie haben, Herr Kollege Schoettle, schon früher gegen die Bedienung des außerordentlichen Haushalts durch Steuerüberschüsse aus dem ordentlichen Haushalt einiges eingewandt. Neuerdings richten sich die Vorwürfe von Ihnen, von Professor Gülich und anderen, wie ich in der Presse gelesen habe, gegen die Praxis des laufenden Haushaltsjahres und des Voranschlages 1957. Haushaltsrechtlich — das können Sie nicht bestreiten, das bestreite auch ich nicht — begeht der Bundesfinanzminister keinen Verstoß gegen die Haushaltsordnung, wenn er so vorgeht, wie er vorgegangen ist. Es liegt mir fern, die jetzt zum zweitenmal angewandte Methode des Ausgleichs aus Rückstellungen etwa schön und nachahmenswert zu finden. Vieles läßt sich dagegen vorbringen. Ein Argument halte ich dagegen für absolut nicht stichhaltig. Man kann nämlich nicht sagen: dieser Rückgriff auf Rückstellungen beschwöre Inflationsgefahren herauf, wie das in der Presse Ihrer Freunde gesagt wird. Derartige Gefahren drohen von ganz anderer Seite. Bei einem Sozialprodukt von beinahe 180 Milliarden DM bewirken 2 bis 3 Milliarden Mehrausgaben keine Inflationsgefahr. Die Auszahlung wesentlicher Teile des Verteidigungshaushalts für die Beschaffung von Rüstungsmaterial im Ausland ist eine feststehende Tatsache. Die Bank deutscher Länder darf als besonders hellhörig und empfindlich für alle Gefahrenmomente einer Währungsbedrohung angesehen werden. In ihrem ausgezeichneten Monatsbericht vom November sagt sie dazu auf Seite 19 folgendes — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —:
Vom geldpolitischen Standpunkt aus interessiert vor allem die veranschlagte Auflösung von Rücklagen des Bundes. . . . Hier ist nun zunächst zu bemerken, daß es zu der im Haushaltsplan veranschlagten Auflösung von Rücklagen — ebenso wie zu der gleichfalls veranschlagten Kreditaufnahme von rund 1,1 Milliarde DM — nur kommen wird, wenn die Haushaltsansätze auch kassenmäßig voll ausgeschöpft werden. Auf Grund der bisherigen Erfahrungen über den Haushaltsvollzug bleibt das jedoch abzuwarten.
Sie sagt dann weiter:
Zu bedenken ist ferner, daß die währungspolitischen Wirkungen einer Auflösung von Kassenreserven wesentlich davon abhängen, ob sie im Inland oder für Einfuhrzwecke verausgabt werden. Würden Kassenreserven für die Einfuhr von Rüstungsgütern eingesetzt, wäre dies bei dem gegenwärtigen Stand unserer Devisenbilanz und unserer Gold- und Devisenreserven währungspolitisch unbedenklich. . . . . Bei den oben erwähnten Ausgabeansätzen für die Aufstellung der eigenen Verteidigungsstreitkräfte wurde jedoch davon ausgegangen, daß bei ihrer Verausgabung der Bezug von Rüstungsgütern aus dem Ausland eine nicht geringe Rolle spielen würde.
Unter dieser Voraussetzung
— so sagt die Bank deutscher Länder —
brauchen gegen den Haushaltsansatz für die Verwendung von Kassenreserven vom Standpunkt der Währungspolitik Bedenken nicht geltend gemacht zu werden.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Wenn die Bank deutscher Länder hier nichts einzuwenden hat, kann das Inflationsargument also als nicht stichhaltig beiseite geschoben werden.
Sie sagten weiter, Herr Kollege Schoettle: Wenn 9 Milliarden nicht ausgegeben werden können, dann sollte man den Haushaltsansatz streichen, oder man sollte etwas anderes damit anfangen. Aber eigentlich sollte doch niemand froher darüber sein, daß in dem „Juliusturm" noch einiges drinbleibt, als Sie. Wenn Sie sich der Hoffnung hingeben, unsere Nachfolgeschaft anzutreten, dann muß das doch bei Ihnen eitel Freude und nicht Bedenken auslösen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Schoettle: Das ist unter Ihrem Niveau!)

Wenn ich einen Rückblick auf die vergangene Epoche der Besatzungskosten werfe, dann muß ich feststellen, daß in den vergangenen Jahren wesentlich höhere Summen ausgegeben worden sind, als in dem diesjährigen und in dem vergangenen Haushalt für die Verteidigung ausgegeben worden sind, ohne daß die befürchteten Wirkungen einge-


(Dr. Vogel)

treten sind. Wir müssen uns als Folge einer von uns nicht gewollten Verlangsamung der Wiederbewaffnung eben auch mit der Zahlung von Stationierungskosten in irgendeiner Form abfinden. An die Leistung eines deutschen Beitrages zu den Unterhaltskosten für die verbündeten Streitkräfte sind seinerzeit keine Bedingungen geknüpft worden.
Ich möchte aber im Zusammenhang mit der heutigen Beratung auf ein Problem hinweisen, das gerade in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit lebhafte Beachtung gefunden hat und das in einem bestimmten Zusammenhang mit diesen Stationierungskosten steht. Es handelt sich nämlich um die Bereinigung der strittigen Forderungen aus Sach-
und Werkleistungen einschließlich Bauleistungen gegen die früheren Besatzungsmächte aus Aufträgen vor Inkrafttreten der Bonner und Pariser Verträge. Die Summe der noch nicht befriedigten Forderungen, die nicht von der Bundesrepublik, sondern von den jetzigen Stationierungsmächten geschuldet werden, ist statistisch nicht genau festzustellen; sie geht aber in viele Millionen hinein. Dürfen wir die Erwartung aussprechen, daß die Bundesregierung ihre bisherigen Bemühungen fortsetzen wird, um die Auszahlung der strittigen Forderungen durch die Stationierungsmächte auf dem Verhandlungswege zu erreichen? Ich möchte außerdem noch einmal der Hoffnung Ausdruck geben, daß die Stationierungsmächte auch ihrerseits auf eine alsbaldige und angemessene Bereinigung aller dieser Forderungen Wert legen werden und im Zusammenhang mit der von uns zu erwartenden Bereitstellung der 1,4 Milliarden DM auch ihrerseits entsprechende Mittel bereitstellen werden. Ich möchte weiter hoffen, daß uns eine Erfüllung der gerade bei der jetzigen Pariser Konferenz ausgesprochenen Erwartung eines schnelleren Aufbaus der deutschen Verteidigungsstreitkräfte durch eine ebenso schnelle Räumung der nicht gebrauchten deutschen Kasernen ermöglicht wird.
Noch ein Letztes zu diesem Fragenkomplex. Der jetzt in der Aushandlung begriffene Truppenvertrag sollte — das ist unsere bestimmte Erwartung — zum mindesten keine Verschlechterung gegenüber dem früheren Vertrag bringen. Lassen Sie mich hier nur eine Bemerkung zu dem Problem der Kasernenräumung einflechten, weil darüber ganz irrige Vorstellungen in der deutschen Öffentlichkeit vorhanden sind. In den Haushaltsjahren 1955 und 1956 sind nicht weniger als 405 Millionen DM dafür bereitgestellt worden. Davon sind 100 Millionen allein zur Gewährung von Darlehen an Hypothekenbanken zur Förderung des Wohnungsbaues bei der Freimachung von Kasernen da. Wir legen allergrößten Wert auf die Durchführung dieser Ersatzwohnungsbauten. Bis jetzt ist noch keine Million von diesen 405 Millionen ausgegeben Worden.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Hier liegt aber eine wesentliche Reserve für den Wohnungsbau. Meine Freunde wären bereit, auf die Bereitstellung weiterer Haushaltsmittel für diesen Zweck im Haushalt des Verteidigungsministeriums zu drängen, unter anderem auch im Vorgriff auf das Haushaltsjahr 1957, wenn wir sicher sein würden, daß diese 405 Millionen DM rechtzeitig, noch in diesem Frühjahr, verteilt und verplant werden können.
Hier berühre ich bereits das Problem des Wohnungsbaus generell. Schon jetzt läßt sich das Ergebnis dieses Jahres ungefähr überschauen. Das Jahr 1956 wird uns rund 550 000 Wohnungen und damit wieder eine Spitzenleistung im Wohnungsbau bringen. Die Baukapazität war in diesem Jahre bis zur Stunde voll ausgelastet. Das Hineinpumpen weiterer großer Beträge hätte mit Sicherheit zu wesentlichen Kostensteigerungen in der Bauwirtschaft geführt. Erinnern wir uns doch, meine Freunde, mit welcher Sorge wir im Spätherbst des Jahres 1955 und in diesem Frühjahr auf die Überhitzung im Bausektor geschaut haben und welche unangenehmen Ausstrahlungen von dort auch auf andere Industriezweige übergegangen sind.
Da an der Bauleistung dieses Jahres wohl kaum jemand etwas aussetzen wird, wird nun die Öffentlichkeit mit düsteren Kassandrarufen für das Baujahr 1957 angefüllt. Daß wir alles tun werden, um erste Hypotheken für den sozialen Wohnungsbau zu beschaffen, ist außer Zweifel. Aber schließlich, meine Damen und Herren, ist der Wohnungsbau nicht allein Sache des Bundes, sondern er ist genauso Sache der Länder und der Gemeinden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Bundesregierung hat im Haushaltsplan 1957 nicht weniger als 1,5 Milliarden DM öffentlicher Gelder bereitgestellt. Wir beobachten mit einiger Sorge, daß die Länder hier nicht mitziehen. Es geht nicht an, daß sie diese Aufgabe mehr und mehr dem Bund allein überlassen. Sie haben dafür und vor allem für die Beschaffung von erststelligen Hypotheken die Möglichkeit des § 42 Abs. 3 des Zweiten Wohnungsbau- und Familienheimgesetzes, nämlich öffentliche Baudarlehen vorübergehend auch für die erststellige Finanzierung mit einzusetzen. Nach dem Gesetz sollen die Mittel, sobald es der Kapitalmarkt erlaubt, durch ordentliche Mittel wieder abgelöst werden. Die Länder sollten also gerade in diesen Wochen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen; denn sie sind für die Durchführung des Gesetzes mit verantwortlich.
Nach wie vor sehen meine Freunde in der Bildung von Wohnungseigentum in der Form von Familienheimen eines der wesentlichsten Ziele unserer gesamten Innenpolitik.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die enorme Entwicklung der Bauspartätigkeit — allein mit 1,2 Milliarden DM in den letzten neun Monaten dieses Jahres — beweist, daß weite Teile der Bevölkerung nach einem Eigenheim dringend verlangen.
Lassen Sie mich auch ein paar Worte zum Straßenbau sagen, der ebenfalls von meinem Herrn Vorredner angesprochen worden ist. Sie von der SPD haben in Ihrem Straßenbauprogramm eine Zweckbindung der Mineralölsteuer verlangt. Das ist im Grunde genommen doch eine Sünde gegen das, was wir bis jetzt eigentlich immer gemeinsam vertraten; denn wir hatten uns, glaube ich, gemeinschaftlich gegen zu weitgehende Zweckbindungen zur Wehr gesetzt. Ferner wurde die Zweckbindung der Hälfte des Mineralölzolls und bei den Ländern der Kraftfahrzeugsteuer gefordert. In der Praxis würde das bedeuten, daß die Bundesausgaben für Straßenbauten im Jahre 1956 auf über 1,8 Milliarden DM ansteigen würden.
Ich muß hier einmal ganz offen einige Bedenken gegen derartige Summen zum Ausdruck bringen. Um solche Summen zu verkraften, ja, allein schon


(Dr. Vogel)

um die von mir und meinen Freunden vertretene Summe von 1,1 Milliarden DM im Straßenbau dieses Jahr sinngemäß zu verkraften, gehören zwei Dinge. Dazu gehört erstens eine ausreichende Besetzung der Landesstraßenbauämter, die nicht da ist. Sie werden sich genauso wie ich in Ihren Wahlkreisen unschwer davon überzeugen können, wenn Sie dort einmal Rücksprache mit Ihren Straßenbauämtern halten, daß die Leute nicht in der Lage sind, die Verplanungen rechtzeitig vorzunehmen, weil man ihnen nicht die Techniker gibt und weil sie sie auf der anderen Seite auch nicht bekommen können. Sie werden zweitens feststellen, daß die Baufirmen in der Zeit der Hochkonjunktur, gerade in den Sommermonaten, wo ja alle Arbeitskräfte gebraucht werden, bei weitem nicht die Arbeitskräfte bekommen, die sie brauchen, um solche Summen zu verkraften. Ich erinnere mich, daß sich nach meinen Erhebungen in meinem Wahlkreis ergeben hat — das darf für Baden-Württemberg mindestens als durchschnittlich gelten —, daß keine der größeren Baustellen in diesem Sommer und Herbst mehr als 70 % der verlangten Arbeitskräfte erhalten hat. Infolgedessen sind alle in die größten Terminschwierigkeiten gekommen.
Wir müssen also dieses Straßenbauprogramm, das auch wir fordern, behutsam und etwas langsamer, als es vorgesehen ist, aber stetig vorantreiben. Ich glaube, wir sollten insofern auch etwas Planung — hier gehe ich mit Ihnen völlig einig — hineinbringen, als wir zunächst einmal das Dringendste, nämlich den Wohnungsbau, fördern und dann die dort freiwerdenden Mittel in den Straßenbau investieren. Diese zwei oder drei Jahre wird es auch noch so gehen. Wir werden Mühe haben, in diesem nächsten Haushaltsjahr mehr als eine Summe von 1,1 oder 1,2 Milliarden DM zu verbauen.
Lassen Sie mich hier noch einen Wunsch vor allen Dingen an die Adresse des Bundesverkehrsministers richten. Wir halten es nicht für vorteilhaft und gut, daß z. B. bei der Straßendeckenerneuerung, bei dem Frostprogramm, möchte ich einmal sagen, die Mittel von 100 Millionen DM im laufenden Jahr bereits auf 41 Baustellen verstreut waren und im kommenden Haushaltsjahr auf 86 Baustellen verstreut werden sollen. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob wir dann im Sommer uns überhaupt noch auf den Hauptverkehrsstraßen werden bewegen können oder ob wir nur auf Umleitungen werden fahren müssen. Wir haben ja in diesem Sommer schon einiges auf diesem Gebiet erlebt.
Mit großer Befriedigung haben meine Freunde von dem langen Gespräch des Vorsitzenden der westdeutschen Rektorenkonferenz, des Herrn Rektors Coing von der Universität Frankfurt, und des Herrn Bundeskanzlers gehört, einem Gespräch, das dem dieses Haus seit längerer Zeit beschäftigenden Problem der Förderung von Forschung, Wissenschaft und Nachwuchs gewidmet war. Die westdeutsche Rektorenkonferenz hatte ebenso wie die deutsche Forschungsgemeinschaft und die überparteilich zusammengesetzte Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft wesentliche Vorarbeiten geleistet. Der Herr Bundeskanzler wird auf Grund der von Herrn Rektor Coing erbetenen Vorschläge die Herren Ministerpräsidenten der Länder zu einem Gespräch über das einladen, was für Forschung und weit darüber hinaus für die Förderung des Nachwuchses und die Bereitstellung von Fachkräften für die aufstrebenden Länder gemeinsam getan werden kann.
Ich betone hier ausdrücklich das Wort „gemeinsam".

(Beifall in der Mitte.)

Niemand hat die Länder bislang daran gehindert, auf diesem auch uns so am Herzen liegenden Gebiet Außergewöhnliches zu leisten. Niemand von uns verkennt die großen finanziellen Belastungen, die den Ländern andererseits durch den Wiederaufbau der zerstörten Universitätsgebäude erwachsen waren. Und man sollte diese Leistungen nicht klein einschätzen.

(Beifall in der Mitte.)

Vor einigen Jahren sah das Problem noch anders aus. Ich folge hier einmal kurz einem Bericht von Professor von Caemmerer, dem Rektor der Universität Freiburg, in der „Stuttgarter Zeitung" vom 11. Dezember. Im Jahre 1939 studierten in ganz Deutschland 55 000 Studenten. Heute sind es in der Bundesrepublik und West-Berlin 120 000. Das wollte ich auch einmal bemerken, um mit diesen Zahlenangaben einen Vergleich zu ermöglichen.
Gelingt es der Bundesregierung und den westdeutschen Ministerpräsidenten, zu einer praktikablen Rechtsform ihrer Zusammenarbeit zu gelangen — ich möchte das auf Grund der Erfahrungen der Vergangenheit ausdrücklich unterstreichen —,

(Sehr gut! in der Mitte)

dann sollte die Bundesregierung selbst unverzüglich einen entsprechenden Kabinettsausschuß gründen und die Federführung darin einem Minister — wir denken uns: z. B. dem Herrn Atomminister auf Grund seiner langjährigen Erfahrungen — übertragen.
Wir haben in dem vor uns liegenden Haushaltsplan nicht weniger als 336 Millionen DM für Forschung, Nachwuchs, Wissenschaft usw. ausgeworfen. Sie haben es bemängelt, daß darin auch Positionen enthalten sind, die man nicht hineinnehmen sollte. Darüber kann man streiten. Bundesforschungsanstalten sollen in erster Linie der Forschung und nicht der Ausbildung dienen. Man kann sie daher, glaube ich, mit gutem Recht in der Masse zu den Forschungseinrichtungen rechnen. Man kann wohl auch ohne Übertreibung ruhig sagen, daß die gewaltigen neuen Summen des Verteidigungshaushalts doch größtenteils über Direktaufträge an die Universitäts- und Hochschulinstitute, vor allem der Technischen Hochschulen, gehen werden und dort also den Etat wesentlich ausweiten dürften.
Diese Summe von 336 Millionen DM stellt immerhin eine ganz respektable Leistung der Bundesregierung innerhalb des Gesamthaushalts dar. Unbestreitbar werden durch diese neuen großen Ansätze im Verteidigungshaushalt einerseits und im Atomhaushalt mit seinen 84 Millionen DM andererseits im Schwerpunktprogramm der Forschungsgemeinschaft der deutschen Wissenschaft Summen frei, die bis dahin durch diese rein technischen Aufgaben dort blockiert worden waren.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Schließlich dürfen wir auch darauf hinweisen, daß wir für dieses Haushaltsjahr 1956 einen Sonderfonds von 50 Millionen DM für die freie Forschung aus dem Bundesverteidigungshaushalt abgezweigt haben, der, soviel ich weiß, zu einem allgemeinen Programm zur Ausstattung der Institute mit den notwendigen wissenschaftlichen Geräten heran-


(Dr. Vogel)

gezogen worden ist. Ich erinnere Sie weiter an den Dozenten- und Assistentenplan, den wir nur mit Rücksicht auf die Empfindlichkeit der Länder in diesem Jahr im Haushalt des gesamtdeutschen Ministeriums verankert hatten. Was ich jedoch bis jetzt über die Verwirklichung unserer guten Absicht hörte, bei den Hochschulen 400 neue Assistenten- und Dozentenstellen zu schaffen — wir haben den Anfang damit gemacht —, sollte alle diejenigen zur Vorsicht mahnen, die glauben, die Bereitstellung von einigen hundert Millionen DM mehr trage schon allein zur Lösung dieses sehr komplizierten Problems bei. Wir haben nämlich die Erfahrung gemacht, daß bis jetzt noch keine von diesen 400 von uns bezahlten neuen Stellen wirklich besetzt wurde, weil die Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern auf diesem Gebiet zu groß sind.
Die allerwichtigste und allerdringlichste Aufgabe ist zunächst einmal die Schaffung neuer Lehrkraftstellen. Was die Länder bis jetzt auf diesem Gebiete vollbrachten, ist höchst unterschiedlich. Es ist z. B. nicht mehr als recht und billig, daß man sich auch in Nordrhein-Westfalen als dem größten Industrieland der Bundesrepublik seit einiger Zeit besonnen hat, mit anderen Ländern, z. B. BadenWürttemberg, in der Schaffung von Lehr- und Ausbildungsanstalten vor allen Dingen für die Techniker pro Kopf der Bevölkerung gleichzuziehen.

(Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Aachen] : Sehr richtig!)

Wenn ich deswegen vor allen Dingen recht nachdrücklich von einem guten Übereinkommen zwischen Bund und Ländern über eine sorgsame Abgrenzung der beiderseits zu übernehmenden Lasten als einer von uns allen gewünschten Lösung sprach, so hatte das seine Berechtigung in den trüben Erfahrungen im vergangenen Jahre.
Lassen Sie mich aber hier für alle meine Freunde ein ganz besonderes Gewicht auf folgende Erklärung legen: Uns ist die Schaffung einer wissenschaftlichen Elite mindestens ebenso wichtig wie die Ausbildung einer breiten Schicht von Ingenieuren, Technikern und Spezialkräften.

(Beifall in der Mitte.)

Gerade ein Land mit unserer stolzen geisteswissenschaftlichen Tradition und der ungeheuren Vielfalt seiner wirtschaftlichen Betätigung bedarf der Spitzenkräfte mit einer möglichst umfassenden, allseitigen Ausbildung. Diese Elite soll das volle Menschenbild verkörpern und nicht in der Enge der für Spezialberufe herangezüchteten Spezialisten in großen Massenproduktionsstätten haften bleiben. Mit Minister Balke, der mit seiner Lehrtätigkeit an der Hochschule und seiner jahrzehntelangen Praxis in der Industrie selbst eine unbestrittene Urteilsfähigkeit besitzt, bin ich darin einig, daß die Festlegung von jungen Menschen für spätere technische Berufe mit allergrößter Sorgfalt erfolgen sollte. Es ist nämlich keinesfalls so sicher — das hat Minister Balke in einer Pressekonferenz hier ausgeführt —, daß z. B. die Atomtechnik einmal nach zehn Jahren eine in die Breite gehende Masse von Spezialkräften erfordert. Sicher werden wir dagegen erheblich mehr Ingenieure, Techniker, Werkmeister und Facharbeiter brauchen, um nicht nur unseren wachsenden Eigenbedarf zu decken, sondern um auch die von uns wohl sicher gewünschte Hilfe für die in der Entwicklung befindlichen Länder des Auslands, die
nach unserer Hilfe rufen, zu leisten. Jedes Programm für Forschung und Nachwuchs wird sich also gleichzeitig auf eine Reihe von getrennten Ebenen beziehen müssen. Eine sehr sorgfältige Abstimmung aller Komponenten aufeinander und zusammen auf das, was uns in der deutschen Jugend nachwächst, wird zur Lösung dieses unerhört schwierigen und komplizierten Problems notwendig sein. Wir bedürfen dazu der Mitarbeit aller. Bund und Länder allein können ebensowenig wie mit den Gemeinden zusammen diese Aufgabe lösen. Wir brauchen dazu die tatkräftige Mithilfe der gesamten deutschen Wirtschaft und der Gewerkschaften.
Im Rahmen einer Haushaltsrede kann ich naturgemäß nicht an der finanziellen Seite dieses Problems vorübergehen. Von den 336 Millionen des Bundes habe ich bereits gesprochen. Wir werden jetzt hören, was die Länder aufzubringen gewillt sind und was Wirtschaft und Gewerkschaften von sich aus zu tragen bereit sind. Ich selbst sehe durchaus finanzielle Möglichkeiten auch ohne eine zusätzliche neue Belastung des Haushalts 1957 an anderer Stelle. Auch das ERP-Vermögen wollen wir hier keineswegs aus dem Auge verlieren. Es ist ja nicht unbedingt erforderlich, daß alle diese Leistungen allein über den Bundeshaushalt gehen müssen. Wir dürfen diesem Hohen Hause jedoch mit allem Nachdruck versichern, daß wir unter Ausschöpfung aller unserer Möglichkeiten bereit sind, an der finanziellen Bewältigung dieses von uns als so wichtig anerkannten Problems mitzuhelfen.

(Beifall in der Mitte.)

Noch eine kleine Hinzufügung zu diesem Gesamtproblem. Meine Damen und Herren, mißt man nicht dem Begriff „Automation" eine etwas übertriebene Bedeutung bei?

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Mit Fremdworten ist das in Deutschland überhaupt so eine Sache. Ich denke an eine so zungenbrecherische Wortfolge wie die früher übliche „Expropriation der Expropriateure", die im 19. Jahrhundert einmal eine ziemliche Rolle gespielt hat. Man sollte sich hüten, neue Fetische zu schaffen. Man sollte in einer Zeit, die Nüchternheit und Klarheit verlangt, diese Dinge unbefangen und mit großer Ruhe betrachten. Die Automation wird gerade bei uns in Deutschland bei unserer unerhört vielfältigen Industrie vermutlich nur recht wenige Teile der Wirtschaft erfassen und infolge ihrer unerhörten Kosten langsamer vor sich gehen, als das vielleicht in Ländern der Fall ist, die, wie die Vereinigten Staaten oder die Sowjetunion, mit riesigen Massenproduktionen zu tun haben.
Wenn überhaupt von einer „Revolutionierung" gesprochen werden kann, die in einem Teil unserer Wirtschaft gegenwärtig vor sich geht, dann halte ich einen anderen Vorgang für weitaus wichtiger, nämlich die Technisierung der deutschen Landwirtschaft.

(Abg. Dr. Dresbach: Sehr richtig!)

Dieser Prozeß, der durch den jetzigen Bestand von allein 520 000 Schleppern gekennzeichnet wird, verändert nicht nur die Existenz einer immer noch sehr breiten Bevölkerungsschicht grundlegend, sondern wandelt auch das soziologische Bild Deutschlands sehr stark um. Darum halten wir den Grünen Bericht als den Ausdruck der Erkenntnis einer völlig neuen Situation für außerordentlich bedeut-


(Dr. Vogel)

sam. Ich werde dazu am Schluß noch einige Worte sagen.
Lassen Sie mich jetzt einmal einen Blick werfen auf die Erwartungen, von denen der Herr Bundesfinanzminister im Hinblick auf das Jahr 1957 ausging. Er berechnet seine Einnahmen auf der Basis einer Produktivitätssteigerung von 8 %. Die bisher vorliegenden Berichte und Schätzungen lassen eine solche Erwartung meiner Überzeugung nach durchaus zu. Es muß keineswegs ein Schaden sein, wenn die Produktivität gegen Ende dieses Jahres nicht mehr in dem gleichen Tempo zunimmt wie Ende 1955 und im Frühjahr 1956. Eine gemäßigte Zuwachsrate beinhaltet weitaus weniger Gefahrenquellen als das allzu stürmische Tempo, das wir im Herbst des vergangenen Jahres und im Frühjahr dieses Jahres miterlebt haben. Die Zurückhaltung bei der Vergebung neuer Aufträge im Inland ist erheblich gewachsen. Stärker denn je allerdings ist der Einfluß des Exportanteils auf die innerdeutsche Produktion geworden. Die Exportaufträge in den letzten Monaten lagen um nicht weniger als 25 % über denen der Monate des Jahres 1955. Die Finanzierung dieses Exports aber durch ausländische Kreditquellen wollen wir dabei keineswegs übersehen. Alles in allem ist heute die Wirtschaft durch Selbstfinanzierung durch ausländische Kreditquellen wesentlich unabhängiger gegenüber der BdL geworden, als das zu irgendeinem Zeitpunkt der Fall war. Ich möchte annehmen, daß vielleicht im Winter noch die Möglichkeit gegeben sein wird, daß die Bank deutscher Länder erneut eine Diskontsenkung ins Auge faßt, denn die gegenwärtige Geldmarktlage ließe so etwas durchaus zu. Solange die Lebenshaltungskosten in Deutschland und unsere Inlandpreise jedoch weiter erheblich unter dem Niveau der mit uns im Wettbewerb stehenden anderen Industriemächte liegen, wird man sich über die Fortdauer der Konjunktur in Deutschland keine Sorgen zu machen brauchen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf Ihnen einmal, was das auch hier angesprochene Preis- und Lohnproblem und damit auch das soziale Problem anbelangt, ein Zitat aus den „Gewerkschaftlichen Monatsheften" vorlesen. Unter der Überschrift „Lohnpolitik und Arbeitszeitverkürzungen" lese ich:
Die Gewerkschaften können wieder eine stolze Erfolgsbilanz ihrer Lohn- und Arbeitszeitpolitik vorlegen. Es ist ihnen erneut gelungen, entscheidende Schritte auf dem Wege zur 40-
Stunden-Woche mit vollem Lohn- und Gehaltsausgleich zurückzulegen.
Hinzutritt. daß es in der Bundesrepublik fast niemanden mehr gibt, der die Forderung nach Verkürzung der Arbeitszeit, die bei ihrer Verkündung vor drei Jahren vielen als reine Utopie erschien, nicht bejahen und unterstützen würde.
Im ersten Halbjahr 1956 sind die durchschnittlichen Bruttoverdienste der Industriearbeiter ohne Bergbau auf 1,93 DM angestiegen. Die Facharbeiter erzielten in fast allen Industriegruppen einen Durchschnittsverdienst von über 2,— DM je Stunde. Die Differenz zwischen Fach- und Hilfsarbeiterverdiensten hat sich weiter verringert.
Im zweiten Quartal allein, für das bis jetzt
endgültige Ergebnisse vorliegen, sind insgesamt 603 Gehalts- und Lohntarifverträge für' 1,7 Millionen Arbeiter und 540 000 Angestellte abgeschlossen worden. Die neuen Verträge brachten eine durchschnittliche Einkommenserhöhung von 9,4 % für die Arbeiter und 8,6 % für die Angestellten.
Ich verlese dieses Zitat ausdrücklich, weil wir durchaus der Meinung sind, daß die deutsche Arbeiterschaft an der Produktionszuwachsrate der deutschen Wirtschaft teilhaben soll, und weil wir darüber keinesfalls etwa unglücklich sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir möchten auf der anderen Seite auch die Erwartung aussprechen, daß man sinnlose Vorwürfe nach unserer Seite hin unterläßt, als ob wir hier etwa allein die Verantwortung dafür trügen, wenn Preise und Löhne in Bewegung geraten.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Ich muß Herrn Kollegen Schoettle noch etwas entgegenhalten bezüglich dessen, was er hier über das Zusatzgesetz für die Mindestrenten gesagt hat. Ich glaube, Sie kennen die letzten Beschlüsse des Fachausschusses nicht. Es geht hier keineswegs — das ist mir vorhin erst noch gesagt worden — um so kleine Beträge, sondern um wesentlich, ich glaube sogar, um dreifach höhere Beträge, als Sie sie genannt haben. Ich möchte mich hier auch nicht über die Beamtenbesoldungsreform und über eine ganze Reihe von anderen Themen auslassen, so drängend sie sind und so gut sie hier in dieses Thema hineinpassen würden.
Über die Rentenreform wird in den nächsten Tagen dem Hause so viel berichtet werden, daß ich es mir wohl ersparen kann, jetzt noch besonders und näher darauf einzugehen. Mein Freund Niederalt wird nachher noch Gelegenheit haben, eine Reihe von Fragen zu behandeln, die ich mir gleichfalls ersparen möchte, Ihnen hier vorzutragen.
Allerdings kann ich mir eines nicht versagen, Herr Kollege Schoettle. Sie haben mit einem nicht ungewohnten Anlauf gegen die Erhöhung gewisser Positionen im Bundespresse- und Informationsamt geschossen. Darf ich Ihnen dazu nur eine Zahl nennen: Im englischen Haushalt ist in diesen Tagen die Summe für das britische Informationsamt um 12 Millionen auf 160 Millionen erhöht worden.

(Abg. Dr. Keller: Auch ohne Kontrolle? — Abg. Schoettle: Entschuldigen Sie, Herr Dr. Vogel, was meinen Sie damit? Den British Council oder was sonst?)

— Nein, nicht den British Council, sondern das britische Informationsamt!

(Abg. Schoettle: Das möchte ich mir erst einmal ansehen!)

— Ich habe es auch nur aus einer britischen Zeitschrift entnommen und bin gern bereit, Ihnen die Sache zuzuleiten.

(Abg. Schoettle: Seien Sie vorsichtig mit Vergleichen! — Gegenruf des Abg. Dr. Dresbach: Herr Schoettle, das ist doch alles eine Morgengabe für Sie! — Heiterkeit. — Abg. Schoettle: Wir werden uns darüber unterhalten, Herr Dresbach!)

Meine Damen und Herren! Wir konnten das alles schaffen, was in diesem Hause als das Programm der Regierung aufgebracht worden ist, durch einen bewußten Appell an die ungebrochene Schaffens-


(Dr. Vogel)

freudigkeit, an die Unternehmungslust und an die Risikofreude der deutschen wirtschaftenden Menschen. Dieser Weckruf hatte vollen Erfolg. Dieser über alle Erwartungen große Erfolg ermöglichte auch die großen sozialen Leistungen, die wir Jahr für Jahr hier ausweisen konnten. Was sollte uns denn nun eigentlich veranlassen, diesen steilen Weg eines Erfolges zu verlassen?

(Sehr gut! bei der CDU/ CSU.)

Niemand ist sich klarer bewußt als wir, was uns noch zu tun obliegt. Niemand ist sich auch klarer als wir darüber, daß nach zwei Katastrophen in einer Generation nicht alles in sieben Jahren auf einmal aufgebaut werden kann.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Wir können nicht alle Probleme zu gleicher Zeit lösen.
Inmitten aber einer Zeit so großer Strukturwandlungen und Umstürze, einer Zeit niegekannter Massenwanderungen und anhaltender neuer Flüchtlingsströme haben wir uns bemüht, diesen Staat auf feste Säulen zu stellen. Wir halten nach wie vor an einem der Gründungsziele der Christlich-Demokratischen Union und der CSU unbeirrbar fest, wonach der gesündeste Staat der Staat ist, der sich auf eine möglichst breite Basis unabhängiger Existenzen gründet.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Dieses Prinzip haben wir in zahlreichen grundlegenden Gesetzen im Laufe der letzten Jahre verankert. Wir haben dem Handwerkerstand eine neue gesetzliche Grundlage verschafft. Wir haben der Landwirtschaft durch zahlreiche Gesetze und durch den Grünen Plan ermöglicht, sich zu behaupten und zu einer neuen gesicherten Grundlage zu kommen. Unsere Politik der Schaffung von Eigentum für möglichst breite Volksmassen hat sich im Zweiten Wohnungsbaugesetz markant niedergeschlagen. Darüber hinaus sind wir stolz darauf, vom Mitbestimmungsrecht aus angefangen über die Kriegsopferversorgung und das jetzt in den Schlußphasen befindliche große Werk der Rentenreform auch den nicht an der Konjunktur mit teilhabenden Schichten unseres Volkes einen entsprechenden Anteil gesichert zu haben.
Wir haben — das wird, glaube ich, leider jetzt ein wenig übersehen — mit der Lastenausgleichsgesetzgebung unter Eingliederung von 10,5 Millionen Heimatvertriebenen in unsere Wirtschaft und in unsere Gesellschaft eine in der modernen Welt einzig dastehende Leistung vollbracht.

(Abg. Kunze [Bethel]: Sehr richtig!)

Sie hat zu neuen Besitzgründungen von Zehntausenden neuer selbständiger Existenzen geführt, darunter allein von 75 000 bäuerlichen Existenzen. Inmitten und während des Wiederaufbaues einer zerstörten und demontierten Wirtschaft die alljährliche Aufbringung von mehr als 4 Milliarden DM der Besitzenden in Deutschland zugunsten derjenigen, die alles verloren haben, ist eine historische Leistung allerersten Ranges gewesen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Wir sind fest entschlossen, diese Politik des Ausgleichs unbeirrt weiterzuverfolgen. Die Erfolge der Konjunktur der zurückliegenden sieben Jahre haben die Richtigkeit unserer Wirtschaftspolitik eindeutig gerechtfertigt.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Unser Wirtschaftssystem hat sich allen anderen gegenüber als zum mindesten ebenbürtig, dem östlichen System der Planung und Zwangsbewirtschaftung jedoch unendlich überlegen gezeigt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir sehen keinen Grund, uns nach einer so langen ununterbrochenen Kette des Aufstiegs und eines von uns mitgeschaffenen Wohlstandes, den sich 1949, als wir hier in den Bundestag einzogen, keiner von uns hätte jemals träumen lassen,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU) jetzt in Experimente zu stürzen.


(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Wir wollen auch eines völlig klarstellen: daß auch ein sogenannter „deutscher Weg des Sozialismus" — oder nennen Sie es meinetwegen auch einen „jugoslawischen Weg" — erst recht keinen Anreiz für uns zu bieten vermag.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir haben, meine sehr verehrten Damen und Herren, allen Anlaß, umgekehrt dem Herrn Bundeskanzler und — lassen Sie mich hier zwei Männer herausgreifen, die anderen werden das verzeihen — dem Herrn Bundesfinanzminister und dem Herrn Bundeswirtschaftsminister für diese weithin sichtbaren und unbestreitbaren Erfolge in der Erreichung eines nationalen Wohlstandes und der Sicherung unserer Freiheit unseren Dank auszusprechen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0217900400
Das Wort hat der Abgeordnete Lenz (Trossingen).

Hans Lenz (FDP):
Rede ID: ID0217900500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Mitglied des Geheimen Conseils, der obersten Regierungsbehörde der Herzogtümer Weimar und Eisenach, ein Mann, der über große Verwaltungserfahrungen verfügte, ein gewisser Johann Wolfgang von Goethe, läßt im zweiten Teil seines „Faust" den Marschalk seinem Schatzmeister - wahrscheinlich in Erinnerung daran, daß er einmal Staatsminister gewesen war — sagen: „Wir wollen alle Tage sparen und brauchen alle Tage mehr." Das scheint das Motto zu sein, unter dem die Finanzminister aller Länder und Zeiten seit der Offenlegung des Budgets vor den Volksvertretungen ihre Etats einbringen. Auch als am letzten Freitag unser Finanzminister mit einem Wort des Bedauerns zugeben mußte, daß nun wiederum der Rekordhaushalt des letzten Jahres erweitert werden mußte und weitere 3000 Bundesbedienstete eingestellt werden müssen, ging etwas von diesem Geist durch den Saal: „Wir wollen alle Tage sparen und brauchen alle Tage mehr."

(Sehr wahr! links.)

Der Herr Finanzminister hat die finanzwirtschaftlichen Überlegungen, von denen man beim Haushalt auszugehen hat, wenn ich ihn richtig verstanden habe, auf zwei Punkte abgestellt, nämlich auf seine Einnahmeprognosen und sodann auf einen Vergleich der Zuwachsraten des Brutto-


(Lenz [Trossingen])

sozialprodukts und der Steuereinnahmen. Es ist zweifellos erfreulich, feststellen zu können, daß die Schätzungen des Bundesfinanzministeriums — wir wissen, daß es dafür nicht allein verantwortlich ist — mit den allgemeinen Schätzungen nunmehr übereinstimmen und daß die Differenzen in den Einnahmeprognosen im großen und ganzen behoben sind. Dagegen erscheint mir die Problematik in der Art des Vergleichs der Zuwachsraten recht ernst. Man wird nicht ohne weiteres zustimmen können, daß sich die Zuwachsraten hierbei auch auf solche Steuern erstrecken, die weder in der Abhängigkeit von der Erweiterung oder Entwicklung des Sozialprodukts stehen noch der Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs dienen. Hier spielen der vom Bundesfinanzminister ausdrücklich einbezogene Lastenausgleich und gewisse Gemeindesteuern eine Rolle. Das Ergebnis wird nämlich ein bißchen anders, wenn man diese Steuern ausschließt. Dann ist z. B. die Zuwachsrate der Steuern des Jahres 1955 gegenüber 1954 11,2 v. H. statt 10,9 v. H. bei einem Zuwachs des Sozialprodukts von 12,8 v. H. Es wird kaum richtig sein, Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie sich in Ihrer Haushaltsrede lediglich auf die Zuwachsraten vom Jahre 1954 an beschränken. Man wird wahrscheinlich einen längeren Zeitraum nehmen müssen, und dann entspricht der Anstieg des Bruttosozialprodukts von 136 Milliarden im Jahre 1951 auf 179 Milliarden im Jahre 1956 voll dem Anstieg des Steueraufkommens von 36,6 Milliarden im Jahre 1951 auf 57,6 Milliarden im Jahre 1956.
Ich habe diese Zahlen dem hier schon erwähnten außerordentlich wichtigen Werk der Allgemeinen Vorbemerkungen entnommen. Es ist schade, daß wir mit diesem Werk nicht auch die Zeit geliefert bekommen, die es uns erlaubt, es gründlich zu studieren. Aber ich frage: sollte man einen solchen Vergleich der Zuwachsraten von Bruttosozialprodukt und Steueraufkommen nicht besser überhaupt unterlassen? Das Steueraufkommen soll in seinem Ausmaß der Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs dienen. Es hat keine eigene Entwicklung wie das Bruttosozialprodukt, sondern für sein Ausmaß sind die Bedürfnisse, die Wünsche des öffentlichen Finanzbedarfs maßgebend, und diese sind vom Sozialprodukt weitgehend unabhängig. Man denke nur an den Verteidigungshaushalt, an die Soziallasten und andere gesetzlich beschlossene Etatposten. Man wird diesen höchst fraglichen Zusammenhang der Entwicklung von Sozialprodukt und Steueraufkommen als finanzwirtschaftlichen Ausgangspunkt für die Überlegungen für einen neuen Haushalt besser ausschließen. Aber hier an dieser Stelle begänne nun eine Steuerdebatte, mit der wir jetzt beim Haushalt nichts zu tun haben, vielleicht leider nichts zu tun haben.
Herr Dr. Vogel, Sie haben mit vorsichtigen Worten, denen eine gewisse Skepsis innewohnte, den Haushaltsausgleich als zwar rechtlich in Ordnung, aber nicht besonders schön bezeichnet. Ich glaube, man darf sagen: Man kann ihn auch nicht als stabil bezeichnen. Wir wollen doch wieder zurückfinden! Im Haushaltsausschuß sind wir uns im großen und ganzen in dem Bestreben einig, auf die klassischen Begriffe der Haushaltsgebarung zurückzukommen. Der Staatshaushalt sollte keine Reserven bilden, und er sollte auch keine Reserven auflösen. Der Staatshaushalt soll laufend durch Einnahmen und Ausgaben im Gleichgewicht gehalten werden.

(Abg. Dr. Conring: Das wird aber von jedem anderen Haushalt auch verlangt!)

- Nun werden in zwei Jahren schon, Herr Kollege Conring, durch laufende Mittel bleibende Ausgaben gedeckt. Wer will die Regierung, wer will das Parlament hindern, auf diesem auf die Dauer gesehen doch recht verhängnisvollen Weg weiterzugehen? Vielleicht der Art. 113 des Grundgesetzes? Ich weiß es nicht. Im Augenblick gehen die Dinge noch gut, solange die Kasse voll ist. Aber wir werden im Jahre 1958/59 schon die verhängnisvollen Folgen dieser Ausgleichsmanipulationen zu spüren bekommen.

(Sehr richtig! rechts.)

Wir haben uns auch leider viel zu sehr daran gewöhnt, den außerordentlichen Haushalt, das Extraordinarium, als einen Verschiebebahnhof zu betrachten, in den man Posten hineinschiebt, die man im Augenblick nicht decken kann oder decken will. Auch das ist nicht der Sinn des außerordentlichen Haushalts. Man hat doch auf der anderen Seite, wie wir im Schwäbischen sagen, „hehlingen" Bundesvermögen und Sondervermögen angesammelt, die in irgendeiner Form einmal aktiviert werden müssen.
Herr Dr. Vogel, wir sind sehr einig, und im großen und ganzen ist sich auch das Haus darüber einig, welch entscheidende Bedeutung der Förderung der Forschung zukommt. Die Frage ist — Sie haben das angeschnitten, und ich möchte das mit unterstreichen —, ob wir hier nun nicht einmal zu einem wirklich ernsthaften grundlegenden Gespräch zwischen Bund und Ländern kommen müssen. Es kann doch nicht so bleiben, daß wir in dem Dispositiv des Bundeshaushalts bei soundso viel Titeln die Anmerkung finden: Soundso viele Millionen gesperrt, bis gewissermaßen das Land oder die Länder sich bereit erklären, einen entsprechenden Beitrag zu leisten. Ich glaube, daß der Satz: „Wenn du, Land, es nicht tust, dann kommt eben das Projekt nicht zustande" auf die Dauer verhängnisvoll ist. Denken wir etwa an bestimmte Schulbauprobleme in den Zonenrandgebieten oder an die Ausbildungs- oder Stipendienprobleme bei unserer studierenden Jugend!

(Beifall rechts.)

Wir müssen hier zu gewissen Opfern, möchte ich beinahe sagen, bereit sein, ohne dadurch die Länder aufzufordern, nach bestimmten Bundestöpfchen zu schielen, aus denen sie dann schöpfen können, und ihre eigenen Kulturaufgaben zurückzustellen. Aber Sie werden es einem Mitglied einer Fraktion, die nach wie vor für eine Bundeskultusverwaltung ist, nicht verübeln, wenn es gerade diese Tendenz des Bundeshaushalts nicht für richtig hält.
Ich glaube, wir könnten uns dazu verstehen, einem Kabinettsausschuß — etwa unter dem Vorsitz von Minister Balke — zuzustimmen, nicht zuletzt deshalb, weil wir seinerzeit dagegen waren, daß das Atomministerium gebildet wurde. Wir hätten es, ohne die Wichtigkeit dieser Aufgabe irgendwie zu bestreiten, lieber gesehen, wenn sie zumindest noch ein Weilchen im Wirtschaftsministerium geblieben wäre.

(Abg. Dr. Dresbach: Das wird nächstens ein Ministerium für Technik unter Leo Brandt! — Abg. Schoettle: Was Sie alles wissen, Herr Dresbach! — Heiterkeit.)

— Da wir heute in einer Haushaltsdebatte sind,
würde ich vorschlagen, mit Prophetien ein wenig


(Lenz [Trossingen])

vorsichtig umzugehen. Wir wissen nichts Genaues darüber, was der Mensch hinter jenem Vorhang in der dunklen Zelle tut, wenn er sein Kreuz hinter einen Namen setzt.

(Beifall rechts.)

Das ist ein Beitrag zu dem Thema „Der Mensch,
das unbekannte Wesen", Herr Kollege Dresbach.
Ich wollte sagen, es ist nichts dagegen einzuwenden, daß sich die Forschungsaufgaben um eine Persönlichkeit mit Kabinettsrang herumranken. Wir sind nämlich in größter Sorge, daß hier laufend eine Zersplitterung zentral wichtiger Aufgaben vor sich geht und daß wir — ich will es einmal mit ein wenig Übertreibung sagen; aber einen Kern davon verteidige ich — langsam zu den unterentwickelten Ländern gehören, wenn wir nicht gerade auf diesem Gebiet einer straffen Zentralisierung das Wort reden.
Ich versuche, dem Haushaltsrecht und der allgemeinen Haushaltsgebarung gerecht zu werden, und möchte ein Petitum vortragen, das mir schon seit einigen Jahren Beschwerden macht. Wir erleben es immer wieder, daß der Bundeshaushalt, durch die Referentenebene gehetzt, das Kabinett durchläuft und dann in den Bundesrat kommt. In diesen 14 Tagen lesen wir dann in Leitartikeln in den Wirtschaftsteilen der großen Zeitungen zunächst Analysen des Bundeshaushalts. Vielleicht lesen wir darin auch, wie wir über diesen Bundeshaushalt zu denken haben. Ich finde diesen Zustand, daß der Bundestag den Bundeshaushalt erst nach dem Durchgang durch den Bundesrat erhält, unserer und des Parlaments nicht würdig.

(Abg. Dr. Hellwig: Dann müssen Sie das Grundgesetz ändern!)

— Wir müssen dann den Mut haben, Herr Kollege Hellwig, eine Grundgesetzänderung einzubringen, damit bei dem Haushaltsgesetz, einem der wesentlichsten Gesetze, die dieses Haus zu verabschieden hat — es ist nicht irgendein Gesetz —, das in jedem Jahre wiederkommt und das das große Ordnungselement unseres Staates ist, eine Ausnahme besteht und wir gleichzeitig mit dem Bundesrat den Haushaltsentwurf bekommen. Nicht nur wir, sondern auch die Ressorts gewinnen dadurch Zeit. Wir wissen, wie es bei den Ressorts vor sich geht: daß sie sich leider sehr oft nicht die Zeit nehmen können, um die entscheidenden Probleme wirklich zu Ende zu denken. Ich bitte das Hohe Haus wirklich, sich diesen Gedanken einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Selbstverständlich weiß ich, daß ich als einzelner damit nicht durchdringen kann. Wir haben aber immer wieder festgestellt, daß wir durch den starken Zeitdruck wesentliche Dinge versäumen. Ich möchte — ich hoffe, Ihren Beifall, Herr Professor Gülich, zu finden, und bitte den Ältestenrat, diesen Wunsch zu beachten —, daß wir diesmal mehr Zeit für die zweite Lesung haben; sie ist uns beim letzten Durchgang außerordentlich beschnitten worden, was sich sehr nachteilig ausgewirkt hat. Ich glaube, wir könnten hier eine ganze Menge rationalisieren — um Gottes willen nicht automatisieren —, indem wir vielleicht die Verwaltungshaushalte auf zwei Jahre beschließen. Ich glaube, daß allein das Vorhandensein unseres Kollegen Ritzel genügt, in Zukunft die Ressorts vor unbedachten Autokäufen oder Umzügen zu bewahren.

(Heiterkeit.)

Mein leider viel zu früh verstorbener Parteifreund Ullrich von Hutten

(Heiterkeit — Abg. Dr. Dresbach: Na, na!) hat einmal auf der Schule in Pforta


(Abg. Dr. Dresbach: Habt ihr noch mehr so alte Herren da?)

— der ist jung geblieben — die Aufgabe bekommen, einen Spruch für eine Sonnenuhr zu verfassen. Er hat dafür den Satz gewählt: „Ultima Tatet", „Die letzte verbirgt sich". Vielleicht hat er gemeint, die Todesstunde zeigt sich nicht an, vielleicht hat er gemeint, es bleibt immer ein Rest. Bei dem, was die Finanzminister von Bund und Ländern uns sagen, bleibt immer ein Rest, und wir werden versuchen, in den Beratungen des Haushaltsausschusses dem Herrn Bundesfinanzminister und seinen hohen Mandarinen diese letzten Geheimnisse zu entreißen, um in diesem verführerischen Jahr, Wahljahr genannt, mit all seinen Wünschen, die an uns herangetragen werden, dem deutschen Volke einen Haushalt präsentieren zu können, dessen wir uns nicht zu schämen brauchen.

(Beifall bei der FDP und in der Mitte.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0217900600
Herr Abgeordneter Niederalt hat das Wort.

Alois Niederalt (CSU):
Rede ID: ID0217900700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin leider nicht in der Lage, mit einem so netten Dichterwort zu beginnen wie mein geschätzter Vorredner.

(Zuruf des Abg. Dr. Gülich.)

— Ganz nüchtern, Herr Kollege Gülich, muß ich wieder in die Haushaltsprobleme zurückführen. Wenn ich mich an die erste Stellungnahme zum Bundeshaushalt zurückerinnere, die ich hier für meine Freunde im Jahre 1954 abgeben durfte, so muß ich heute eigentlich etwas beschämt darüber lächeln, daß ich damals mit ehrlicher Entrüstung herausgestellt habe, dieser Etat habe einen außergewöhnlichen Umfang. Das war im Jahre 1954. Nunmehr, durch einige parlamentarische Jahre, Jahre der Haushaltsarbeit, reifer und erfahrener gemacht, wundert mich beinahe nichts mehr. Ich habe damals gesagt, dieses sogenannte Gesetz der ständig wachsenden Staatsausgaben dürfe doch nicht als Naturgesetz angesehen werden. Meine Damen und Herren, es ist kein Naturgesetz!

(Abg. Dr. Dresbach: Nein, es kommt von Adolph Wagner!)

Wir müssen uns ganz klar darüber sein: es ist ein ungeschriebenes Gesetz, das wir uns durch unsere moderne Gesellschaftsauffassung und durch die Mittel der Massendemokratie entweder selbst aufzwingen oder aufzwingen lassen.
Der Haushalt 1954, der erste in dieser Legislaturperiode, betrug rund 27 Milliarden DM. Ich möchte ausdrücklich betonen: dabei waren auch schon im Jahre 1954 die 9 Milliarden DM Verteidigungslasten genau in der gleichen Höhe wie heute im Haushalt. Dieser Haushalt von 1954 war ein Kind im Verhältnis zu dem Haushalt des Jahres 1957 mit seinen 34,4 Milliarden DM, ein Kind, damals auch schon kräftig, und man sah ihm an, daß es entwicklungsfähig war.
Der heutige Haushalt ist ein großer Junge geworden, nach meinen Begriffen viel zu groß, viel zu aufgeschossen.

(Abg. Dr. Hellwig: Ein Vielfraß!)



(Niederalt)

Dabei zeigt dieser Junge immer noch keine Anzeichen dafür, daß er etwa mit seinem Wachsen aufhören wollte. Ungewöhnlich und jedenfalls für mich nicht sehr befriedigend ist die Tatsache, daß dieser Junge außer seiner natürlichen Ernährung durch die normalen Einnahmen des Haushalts noch zusätzliche Nahrung durch die Rückgriffe auf die „frühere Vorsorge", wie der Herr Bundesfinanzminister sich ausdrückt, in Höhe von 2,2 Milliarden DM erhält. In diesem Jahr soll diese zusätzliche Nahrung letztmalig gewährt werden. Ich hoffe und wünsche, daß der Herr Bundesfinanzminister hiermit recht behält.
Aber dann taucht sofort die Frage auf: was wird dann, wenn Appetit und Organismus unseres Jungen sich an den Umfang der normalen Nahrung plus der zusätzlichen Nahrung gewöhnt haben? Man wird heute noch mit gutem Gewissen sagen können, daß durch das Wachsen des Sozialprodukts und andere Umstände der Zustand nicht gefährlich ist; aber immerhin müssen wir auch heute schon aus dieser Situation eines zur Beherzigung herausstellen: Wir müssen uns merken, daß ein Haltesignal niedergegangen ist, das rotes Licht für weitere Ausgabegesetze zeigt. Dieses rote Licht wird für uns, die wir einer Regierungspartei angehören, genauso gelten wie für die Damen und Herren der Opposition.
Es nützt nichts, von schönen Plänen aus Düsseldorf zu hören, wenn wir nicht gleichzeitig mit diesen schönen Plänen auch hören, ob und welche Steuern erhöht werden sollen, damit die Einnahmen für die Durchführung dieser Pläne vorhanden sind. Denn auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, wissen, daß der Verteidigungshaushalt nicht kleiner wird. Sie rechnen auch mit dem Verteidigungshaushalt, und wenn Sie auf dem Standpunkt stehen, eine Freiwilligenarmee genüge, dann wissen Sie, daß diese Freiwilligenarmee mindestens auch 9 Milliarden DM kostet. Also bleibt, wenn wir all die schönen Pläne durchführen wollen, Herr Kollege Schoettle, gar nichts anderes übrig, als daß wir uns dann auch über die Methode schlüssig werden, wie die Mittel für diese schönen Pläne aufzubringen sind. Da bleibt nur das eine: die Einnahmen zu erhöhen.
Es ist müßig, darüber zu rechten, wer die Schuld an dem jährlichen Anwachsen unseres Etats hat. Selbstverständlich: unmittelbar haben wir sie, das Parlament, das jährlich die Ausgabegesetze beschließt. Mittelbar aber — das möchte ich ganz deutlich hervorheben — trägt die Schuld jeder Staatsbürger, der entweder selber oder durch seine Verbände und Organisationen bei jeder Gelegenheit den Schrei nach dem Staat ausstößt. Die Höhe des Etats ist nun einmal der sichtbare Ausdruck des Verhältnisses zwischen dem Staat und der freien Gesellschaft. Wer mit dem hohen Etat nicht zufrieden ist, der muß daraus die Konsequenz ziehen, und zwar nicht nur in schönen Betrachtungen bei der Haushaltsdebatte, sondern durch die Tat, durch die Arbeit im Laufe des parlamentarischen Jahres, indem er dort, wo ausgabeträchtige Gesetze beschlossen werden, seine Stimme erhebt.
Trotzdem scheinen mir aber zwei psychologische Momente das jährliche Anwachsen des Etats doch wesentlich mit zu fördern, so daß wir eigentlich gar nicht merken, woher und wieso der Etat wiederum so stark angewachsen ist. Das eine Moment ist die Möglichkeit der Flucht in die große Zahl, die Möglichkeit der Flucht in die Anonymität eines 30- oder 35-Milliarden-Haushalts. Jeder von uns, der auf irgendeinem Sektor besonders tätig ist und irgendeine Ausgabe unterbringen will, sagt sich — das ist psychologisch verständlich —: Auf diese 20, auf diese 30, auf diese 50 Millionen kommt es nicht mehr an, es muß doch ein leichtes sein, bei einem 35-Milliarden-Haushalt auch noch diese 50 Millionen unterzubringen; ich weiß zwar nicht, weil ich den Haushaltsplan ja nicht so genau kenne, wie ich die Deckung herbringen soll, aber der Bundesfinanzminister wird das schon schaffen, wenn er nur meinem Petitum wohlwollend gegenübersteht. — Das ist das erste Moment, die Flucht in die Anonymität des großen Haushalts.
Das zweite psychologische Moment scheint mir die Tatsache zu sein, daß wir mit unseren Gesetzen, soweit sie Ausgabeverpflichtungen enthalten, immer häufiger auch den Haushalt der künftigen Jahre verpflichten und daß wir damit den Haushalt weitgehend binden. Etwas zugespitzt, meine Damen und Herren, möchte ich das so ausdrücken, daß wir den Haushalt des Jahres 1957, über den wir gegenwärtig beraten, zu seinem weitaus größten Teil eigentlich schon verabschiedet haben. Wir haben diesen Plan schon verabschiedet in den Spezialgesetzen. der Jahre 1954, 1955, 1956, die die Ausgaben enthalten haben. Im Augenblick haben wir zu dem allergrößten Teil des Haushalts praktisch nichts anderes zu tun, als eventuell noch kleine Veränderungen an den Jahresraten durchzuführen.

(Abg. Dr. Dresbach: Sehr richtig!)

Wir sind eben mit dieser Gesetzgebung, die den Haushalt der künftigen Jahre bindet, praktisch schon in einen mehrjährigen Wirtschaftsplan eingetreten.

(Vizepräsident Dr, Jaeger übernimmt den Vorsitz.)

Aus diesen Erkenntnissen sollten wir auch gewisse Schlußfolgerungen ziehen. Ich möchte Ihnen jetzt einen Vorschlag unterbreiten, der mir beim Durchdenken dieser Probleme während der Vorbereitung auf diese Etatberatung gekommen ist. Er wird sicher noch nicht vollkommen sein; ich hatte noch keine Gelegenheit, mich mit Experten darüber zu unterhalten.
Nach meiner Auffassung müßte der Haushaltsplan in drei große Gruppen von Ausgaben gegliedert werden, oder mindestens müßte diese Gliederung dem Haushaltsplan in einem Anhang hinzugefügt werden.
Die erste Gruppe umfaßt alle Ausgaben für den Verwaltungsaufwand. Das sind also die Ausgaben für das Personal des Bundes und die Sachausgaben der Verwaltung. Der Haushalt 1957 beispielsweise erfordert allein für diese erste Gruppe rund 2,9 Milliarden DM. Auf diesem Gebiet der allgemeinen Verwaltungsausgaben hat die Haushaltsberatung und Haushaltsgenehmigung noch die echte historische Bedeutung.

(Abg. Schröter [Wilmersdorf] : Historische nur!)

Hier hat das Parlament noch, wie einst die Volks vertreter den Monarchen oder den absoluten Fürsten gegenüber, die Tendenz, die Ansätze zu streichen, soweit es eben die Durchführung der Aufgaben gerade noch zuläßt. Das ist noch der ursprüngliche Budgetgedanke, der aber bei allen an


(Niederalt)

deren Ausgaben — auch das muß einmal klar festgestellt werden — eigentlich gar nicht mehr gilt. Denn der ursprüngliche Budgetgedanke ist bei den anderen Ausgaben gerade nicht mehr vorhanden. Während früher die Volksvertretung mit der Tendenz zu streichen dem absoluten Fürsten oder dem Monarchen gegenüberstand, ist es heute so, daß das Parlament auf Grund berechtigter oder weniger berechtigter Wünsche die Ausweitung des Haushalts zu erreichen sucht und daß der einzige, der die Ausweitung abwehrt, der Finanzminister ist.
Die zweite Gruppe umfaßt feste Ausgaben, die auf Gesetze zurückzuführen sind, aus denen sich die finanziellen Leistungen für mehrere Jahre ergeben, Ausgaben, bei denen also eigentlich nur eine bestimmte oder zu bestimmende Jahresrate zu beraten und zu genehmigen ist. Hierher möchte ich beispielsweise die Verteidigungslasten rechnen, die sozialen Leistungen, das Bundesentschädigungsgesetz, Israelvertrag, Heimkehrergesetz usw. Ich führe alle diese Beispiele nur an, um deutlich zu machen, was mir vorschwebt. Es handelt sich also um Beträge, bei denen, wie ich schon bemerkt habe, die Haushaltsberatung eigentlich nur noch formaler Natur ist, weil die gesetzliche Verankerung für die Ausgaben in den Spezialgesetzen schon längst erfolgt ist.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Die dritte Gruppe von Ausgaben würden jene veränderlichen und neuen Ausgaben sein, die von der Regierung oder vom Parlament für notwendig gehalten werden.
Was möchte ich nun mit diesem Vorschlag, in dem Bundeshaushalt entweder selbst oder mindestens in einem Anhang diese Gruppengliederung klar herauszustellen, erreichen? Einmal möchte ich für jeden Abgeordneten, aber auch für jeden Staatsbürger klar ersichtlich machen, wie groß oder, besser gesagt, wie gering eigentlich die jährliche Dispositionssumme im Haushalt ist, die überhaupt manövrierfähig ist. Die gewünschte Gruppierung, von der ich eben sprach, ist natürlich implizite schon jetzt im Bundeshaushalt enthalten. Aber sie ist in allen möglichen Ausgaben versteckt. Und der Bundeshaushalt ist ein dickes, dickes Buch mit mehr als sieben Siegeln geworden. Der Zweck ist also, das für jeden Staatsbürger deutlich erkennbar herauszustellen.

(Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Also sozusagen ein pädagogischer Zweck!)

— Dann, Herr Kollege, ist keine Möglichkeit der Flucht in die Anonymität der großen Zahl mehr gegeben. Denn dann wird sich klar und deutlich herausstellen, daß diese große Zahl nicht existiert. Wenn Sie den heute vorliegenden Haushalt 1957 mit dieser Gruppierung zugrunde legen, ergibt sich nach meiner überschlägigen Schätzung, daß die eigentliche freie Dispositionssumme, die also der Regierung und dem Parlament für Ausgaben zur Verfügung steht, die nicht auf Gesetzen beruhen, gesetzlich nicht begründet sind, kaum eine Milliarde DM beträgt.
Zweitens möchte ich mit diesem Vorschlag erreichen, daß durch die deutlich sichtbare, geringe Dispositionssumme, die ich soeben nannte, wieder eine lebendigere Beziehung zwischen den Einnahmen und den Ausgaben hergestellt wird. Wenn nämlich jeder Abgeordnete und wenn jeder Staatsbürger weiß, daß die Dispositionssumme nur so gering ist, dann weiß er auch: jeder neue Ausgabewunsch muß entweder zu einer Streichung anderer Ausgabenansätze auf der einen Seite oder aber zu einer Erhöhung der Einnahmen, also zu einer Steuererhöhung, auf der andern Seite führen. Ich bin fest überzeugt davon, daß manches Gesetz nicht oder wenigstens nicht in der Form erlassen worden wäre, wenn wir für die Durchführung des Gesetzes etwa gezwungen gewesen wären, Steuern zu erhöhen. Mit anderen Worten: Ich will den selbstverständlichen Gedanken, daß die Ausgabe vorher eben die Einnahme erfordert, etwas deutlicher heraustreten lassen. Außerdem könnte durch diese neue Gruppierung des Haushalts vielleicht auch noch ein nicht minder wichtiger Nebenzweck erreicht werden, daß nämlich der Staatsbürger wieder etwas mehr Interesse an unserem Haushalt gewinnt.
Ich möchte den Vorschlag zur Diskussion stellen. Ich bin gern bereit, Anregungen entgegenzunehmen. Ich glaube, wir kämen wenigstens einen kleinen Schritt weiter. Es hat ja keinen Sinn, uns hier alljährlich Gedanken darüber zu machen und mit Worten gegen das jährliche Anwachsen des Etats zu protestieren, wenn wir nicht ernste Schritte unternehmen, dagegen etwas zu tun.
Meine Damen und Herren, ich habe bei den alljährlichen Haushaltsberatungen die Verpflichtung in mir gefühlt, auch auf das Anwachsen der Zahl der Bundesbediensteten in unserer Verwaltung einzugehen. Wenn ich mich an die früher hier geführten Debatten über den Haushalt zurückerinnere, so darf ich feststellen, daß gerade auf diesem Gebiet im ganzen Hause immer Einmütigkeit geherscht hat. Leider bleibt es aber auch in diesem Punkte meist bei schönen Reden, Wenn ich die Dinge recht sehe, so sind für das ständige Anwachsen der Anzahl der Bundesbediensteten in der Hauptsache zwei Gründe maßgebend: erstens die komplizierten und nach meiner Auffassung viel zu vielen Gesetze und zweitens der Drang nach Perfektionismus auf seiten der Exekutive. Sprecher aller Parteien haben hier schon zum Ausdruck gebracht, daß es höchste Zeit sei, unsere Gesetzesmaschine auf etwas ruhigeren Touren laufen zu lassen. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach, und wir machen weiter munter Gesetze. Wir reglementieren alles, wessen wir nur habhaft werden. Es gäbe bei der Aufzählung dieser Reglementierung viele, viele Beispiele. Ich möchte nur einige aus der neuesten Zeit anführen. Ich will dabei nicht das Ladenschlußgesetz erwähnen. Nach meiner Auffassung wäre das durch eine Verordnung des zuständigen Regierungspräsidenten besser geregelt worden.

(Beifall bei der CSU.)

Aber ich muß als Beispiel das Kriegsfolgenschlußgesetz mit seiner komplizierten Fassung nennen. Jetzt schon werden allein 600 neue Bundesbedienstete für das Kriegsfolgenschlußgesetz für notwendig erachtet, und ich bin der festen Überzeugung, daß die 600 Bediensteten nicht reichen.
Ich muß in diesem Zusammenhang auch den Ruf nach der Verkehrssünderkartei erwähnen, der quer durch alle Fraktionen von Kollegen laut wurde. Das ist wiederum eine Sache, die mindestens 100 Bedienstete, nach der Meinung mancher noch viel, viel mehr Bedienstete erfordern würde.


(Niederalt)

Als Beispiel aus allerjüngster Zeit muß ich hier den Antrag der FDP auf Drucksache 2709 erwähnen, der ein Gesetz fordert, in dem jedem Staatsbürger ein Rechtsanspruch auf Schadensersatz in einem Katastrophenfall gegeben wird. Der Staat soll anscheinend auch noch Herr über Wind und Wetter werden.
Wir wissen zwar, daß schon der alte Tacitus gesagt hat: je verdorbener der Staat, desto mehr Gesetze. Aber wenn irgendeine parlamentarische Gruppe oder irgendein Ministerium — auch das muß gesagt werden — irgendwann auf einen Sachverhalt stößt, der noch nicht gesetzlich geregelt ist, haben wir schon einige Wochen darauf einen Gesetzentwurf.
Um ein anderes Beispiel zu bringen: die Länderfinanzverwaltungen bemühen sich zur Zeit im Benehmen mit dem Bundesfinanzministerium, zur Vereinfachung der Steuerverwaltung das sogenannte Lochkartensystem einzuführen, mit dem man außerordentlich viele Kräfte einsparen würde. Es hat sich gezeigt, daß das Lochkartensystem nur im Erhebungsverfahren, nicht dagegen im Veranlagungsverfahren angewandt werden kann. Warum? Weil unsere Steuergesetzgebung viel zu kompliziert ist. Ein Drittel bis zur Hälfte der mit Steuererhebung und -veranlagung beschäftigten Beamten könnte nach Ansicht von Sachverständigen eingespart werden. Leider haben wir nicht die Kraft, endlich an diese Steuervereinfachung zu gehen; im Gegenteil, wir komplizieren immer mehr.
Meine Damen und Herren, warum sage ich das? Weil ich mit der ewigen Kritik an der sogenannten Aufblähung der Verwaltung aufräumen möchte. Sie ist nicht zu rechtfertigen, solange wir nicht selber bei der Gesetzgebung die Kraft aufbringen, mit der Vereinfachung anzufangen; an uns liegt es in erster Linie.

(Beifall in der Mitte.)

Es hat keinen Sinn, meine Damen und Herren, aus Anlaß der Einbringung des Haushalts schöne Reden zu halten.

(Zuruf von der SPD.)

Diese Reden sind reine Festtagsbetrachtungen.

(Erneuter Zuruf links.)

— Damit sind alle Parteien angesprochen, Herr Kollege. Das geht quer durch alle Fraktionen; das wissen Sie so gut wie ich. Wichtig ist nur die Tat. Wir müssen unser Wollen unter Beweis stellen im grauen Parlamentsalltag.
Als zweite Ursache der ständigen Zunahme der Zahl der Bundesbediensteten habe ich den Drang nach Perfektionismus genannt. Ich muß dem vielleicht noch das Wort „Ressortegoismus" hinzufügen; manchmal ist es sogar Abteilungsegoismus. Wir machen unsere Erfahrungen im Haushaltsausschuß des Bundestags. Wieviel unnütze Arbeitskraft wird vergeudet durch Überlagerung, um nicht zu sagen: manchmal durch den Widerstreit verschiedener Auffassungen in den einzelnen Ressorts, vor allem, soweit es sich um Ressorts handelt, die mit wirtschaftlichen Dingen zu tun haben! Wieviel unnütze Kraft wird durch die übertriebene Mitzeichnung innerhalb der Ministerien und bei dem Zusammenwirken der einzelnen Ministerien aufgewendet! Beharrungsvermögen und Zuständigkeitseifersucht spielen hier eine Rolle, streuen Sand in diese komplizierte Maschine, und das kostet neue Beamte und neues Geld.
Ähnlich ist es im Verhältnis zwischen Bund und Ländern. Auch hierzu ein praktisches Beispiel. Im Haushaltsausschuß habe ich bei den Beratungen im vergangenen Jahr dagegen protestiert, daß im Haushaltsplanentwurf plötzlich die Stellen der Bundesforstbeamten wesentlich vermehrt wurden. Darauf hat uns der Vertreter des Bundesfinanzministeriums dargelegt, daß von den Ländern, die bisher die Betreuung der Bundesforsten gegen eine Pauschalgebühr mit übernommen hatten, eine derart hohe Pauschalgebühr verlangt wurde, daß es für den Bund ein Geschäft bedeutete, selbst Bundesforstbeamte anzustellen.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Meine Damen und Herren, wenn es so gemacht wird, dann dürfen sich die Länder nicht wundern und im Bundesrat nicht Kritik üben, daß die Zahl der Bundesbediensteten immer größer wird.

(Abg. Dr. Dresbach: Das sagt ein Bayer!)

— Das gleiche gilt im Land Nordrhein-Westfalen. Wenn ich beispielsweise an das Finanzverwaltungsgesetz des Jahres 1950 denke, nach dem die Bundesaufgaben auf dem zivilen und militärischen Bausektor den Ländern übertragen sind, wenn ich an die neueren Bestrebungen des Landes Nordrhein-Westfalen denke, dann muß ich auch wieder sagen: wenn das, was einigen Ländern vorschwebt, durchgesetzt werden sollte, dann erreichen sie nur das eine: daß eben der Bund gezwungen ist, auch auf diesem Sektor eigene Behörden zu schaffen.
Alle diese Fragen sind natürlich unendlich kompliziert. Sie können von hier aus nur angedeutet werden. Weiter behandelt werden müssen sie wohl in dem Unterausschuß „Verwaltungsvereinfachung". Dieser Unterausschuß muß nach meiner Auffassung der ständige Motor sein, der die Dinge antreibt und immer wieder die Fehlerquellen aufzeigt.
Lassen Sie mich zum Schluß, meine Damen und Herren, auf ein völlig anderes Kapitel kommen. Der neue Haushaltsplan 1957 hat große Beunruhigung in weiten Teilen der Bevölkerung von Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und auch Bayern hervorgerufen. Diese Beunruhigung ist auf die geplante 30%ige Kürzung des regionalen Förderungsprogramms zurückzuführen, die ja der Kollege Schoettle schon angeschnitten hat. Sie wissen, daß das regionale Förderungsprogramm des Bundes trotz der relativ bescheidenen Mittel, die dafür zur Verfügung standen, sich außerordentlich segensreich ausgewirkt hat. Ich habe im vergangenen Jahre gerne die Gelegenheit wahrgenommen, der Bundesregierung für diese Mittel herzlichst zu danken. Die in diesem Jahr vorgesehene Kürzung würde das, was mühsam im Aufbau begriffen ist, entweder außerordentlich hemmen oder zum Teil sogar zerstören. Sie würde alle strukturverbessernden Maßnahmen, die Projekte auf dem Gebiet des Straßenbaus, der Wasserversorgung, der Elektrifizierung, des Fremdenverkehrs, stark einschränken und die Wirtschaft der Grenzgebiete, die ohnedies erst in einem weiten, weiten Abstand hinter der Wirtschaft des Westens nachhinkt, um ein weiteres Stück zurückwerfen.
Die Kürzung würde vor allem die spärliche Industrie in den Grenzräumen, die wir dort haben und die nur durch die Frachthilfe überhaupt bewogen werden kann, dort auszuhalten, zum Abwandern zwingen. Meine Damen und Herren, sehen Sie sich doch einmal das Heft des Instituts


(Niederalt)

für Raumforschung in Bad Godesberg über die aktiven und passiven Wanderungsräume unserer Bundesrepublik an! Das Heft ist meines Wissens allen Abgeordneten zugeschickt worden. Dort wird mit erschreckender Deutlichkeit aufgezeigt, wie sich in unserer Bundesrepublik immer mehr wirtschaftliche Ballungsräume bilden und wie auf der andern Seite entlang dem Eisernen Vorhang wirtschaftsarme, um nicht zu sagen: wirtschaftstote Räume entstehen.

(Abg. Dr. Conring: Aber auch in anderen Teilen der Bundesrepublik!)

Das können wir doch nicht einfach so dahintreiben lassen.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Ich betone es immer und immer wieder, meine Damen und Herren: es handelt sich hier nicht um eine Frage, die etwa nur in regionaler Hinsicht von Bedeutung wäre. Es handelt sich hier vielmehr um eine gesamtpolitische, gesamtwirtschaftliche und gesamtsoziale Frage, die uns alle angeht,

(Beifall bei der CDU/CSU, SPD und beim GB/BHE)

die Bewohner im Westen genauso wie die Bewohner, die im Schatten des Eisernen Vorhangs unter außergewöhnlich erschwerenden Umständen leben und dort zu wirtschaften versuchen. Das ist nicht billige Interessenpolitik, etwa in regionaler Hinsicht gesehen, das ist auch nicht der leichtfertige Schrei nach dem Staat. Ich stehe nach wie vor auf dem Standpunkt: in der Wirtschaft so wenig Staat wie nur möglich. Aber angesichts der dortigen Situation müssen wir auch sagen: so viel Staat wie nötig, um die Voraussetzungen eines fairen Leistungswettbewerbs zu sichern, so viel Staat wie nötig, um die Gleichgewichtsstörungen in unserer Wirtschaft und Sozialpolitik zu verhindern. Das ist schließlich, nach meiner Auffassung wenigstens, das Wesen der sozialen Marktwirtschaft überhaupt.
Aus der Begründung, die die Bundesregierung für die Kürzung gibt, geht übrigens klar hervor, daß auch die Bundesregierung der Auffassung ist, daß die Mittel in der bisherigen Höhe nach wie vor erforderlich sind. Die Bundesregierung hat nur versucht, die Mittel etwas auf die Länder abzuwälzen, die Länder etwas in den Vordergrund treten zu lassen. Sie hat das damit begründet, daß durch den Finanzausgleich und durch andere Maßnahmen die Länder hierzu nun in der Lage seien. Ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich vermute, daß die 1,8 Milliarden DM, die die letzte Steuersenkung den Bund gekostet hat und bei der die Länder angeblich um 600 Millionen zu gut weggekommen sind, der tiefste und letzte Grund für diese Kürzung gewesen sind. Aber ich kann mich jetzt nicht auf eine Diskussion darüber einlassen, ob das, was die Bundesregierung hier annimmt, richtig ist oder nicht. Ich kann nur feststellen: wenn die Maßnahme so durchgeführt würde, wie sie geplant ist, würde das auf dem Rücken dieses wirtschaftlich sowieso geschlagenen Gebietes ausgetragen; denn es steht fest, daß die Länder in diesem Augenblick nicht in der notwendige Höhe einspringen können.
Die Finanzminister unserer Zeit haben - ich habe das vorhin schon angedeutet — zu ihren bisherigen Aufgaben eine wichtige neue Funktion hinzuerhalten. Sie besteht darin, den Haushalt gegen Ausweitungstendenzen, die häufig durch das Parlament in den Haushalt hineingetragen werden, zu verteidigen. Wir wissen, daß Bundesfinanzminister Schäffer, durchdrungen von seinem hohen Verantwortungsgefühl, diese neue Funktion außergewöhnlich streng ausübt und dabei, wie gerade dieses Beispiel zeigt, sogar sein eigenes Herz verleugnet. Wir schätzen diese Einstellung des Bundesfinanzministers und haben ihr oft und oft — das muß einmal deutlich gesagt werden — unseren Tribut gezollt, indem wir auf Anträge, die in der Öffentlichkeit sicher attraktiv gewesen wären, verzichtet haben. In diesem Fall allerdings können wir dem Bundesfinanzminister nicht folgen, und wir haben dagegen protestieren müssen in der Sprache, die dem Abgeordneten zukommt, in der Sprache des Antrags. Wir werden aber mit ihm zusammen nach Deckungsmöglichkeiten suchen müssen, und wir werden den Weg dazu auch finden; ich habe im Haushaltsausschuß bereits Andeutungen darüber gemacht. Dabei gehe ich davon aus, daß die Ansätze nur wieder in der Höhe des Vorjahres erscheinen. Auch im Wahljahr wollen wir also maßhalten.
Eine — ich darf das erwähnen — sich bayerisch nennende Landespartei hat gegen diese erwähnte Kürzung der Grenzlandmittel energisch protestiert. Sie hat dabei gesagt, diese Maßnahme sei unverständlich, „wo doch der Bund im Geld schwimme". Solche Redensarten, die unserem berechtigten Anliegen nur schaden und nicht nützen können, machen wir uns bestimmt nicht zu eigen, da bei solchen Reden Dummheit und Verantwortungslosigkeit in gleicher Rangfolge Pate stehen. Wir wissen vielmehr um den Ernst der Haushaltsabgleichung. Andererseits wissen wir auch um das große Anliegen, das ein allgemeines Anliegen ist. Die gesamte Bundesrepublik ist heute Grenzland geworden, Grenzland gegenüber der Welt des Ostens, und wir müssen im Hinblick auf diese Situation große und schwere Opfer bringen. Es wäre nicht zu verstehen und es wäre ungerecht, wenn jener Teil unserer Bundesrepublik, der diese Grenzlandlage wirtschaftlich und politisch in vorderster Front zu meistern hat, von uns im Bundestag nicht mit unterstützt würde.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217900800
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blank (Oberhausen).

Dr. Martin Blank (FDP):
Rede ID: ID0217900900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Haushalt der Stabilität und der sozialen Sicherheit" hat nicht nur der Herr Bundesfinanzminister, sondern haben auch seine Mitarbeiter im Bundesfinanzministerium den Haushaltsvoranschlag 1957 getauft.
Stabiltät — das ist heute schon gelegentlich in Frage gezogen worden. Ich muß sagen, was man sich so landläufig unter Stabilität vorstellt, das ist vielleicht mit diesem Haushalt noch nicht erreicht, von dem wir schon vorher gehört hatten, wie außerordentlich schwer der Ausgleich sein würde. Die Mittel, die zu dem Ausgleich nunmehr vorgeschlagen werden, verdienen eine besondere Betrachtung.
Die soziale Sicherheit kann angesichts der Lage unseres Landes und unserer Bevölkerung, angesichts der Beschäftigungslage der arbeitsfähigen Menschen usw. allerdings als gegeben angesehen werden, und für diese Sicherheit geschieht laufend noch Zusätzliches.


(Dr. Blank [Oberhausen])

Stabilität haben wir in unserer Gesamtwirtschaft in dem aufzuweisen, was unsere Währung betrifft, die einer der wesentlichsten Gradmesser für Ruhe, Sicherheit und Zuverlässigkeit ist. Das gilt in erster Linie natürlich nach außen, wo, wie der Herr Bundesfinanzminister in seiner Rede vom vorigen Freitag ausgeführt hat, unsere Deutsche Mark eine der härtesten Währungen in der Welt überhaupt geworden ist. Es gilt aber auch — cum grano salis — zweifellos nach innen. In seinen sehr interessanten Übersichten über die Entwicklung verschiedener wirtschaftlicher Tatbestände in den letzten Jahren hat der Herr Bundesfinanzminister uns sehr interessante Zahlen über die Entwicklung der Kaufkraft je Währungseinheit in den verschiedensten Ländern vorgelegt, und dabei schneiden wir in der Bundesrepublik - man kann nur sagen: glücklicher- und zugleich auch verdienterweise — gut ab. Ich habe es überhaupt für sehr richtig gehalten, daß der Herr Bundesfinanzminister uns so aufschlußreiche Zahlen für die Jahre 1950 bis 1956 über die Daten Bruttosozialprodukt, Durchschnittseinkommen, Zahl der Beschäftigten, Zahl der Arbeitslosen, Nettovermögensbildung usw. gegeben hat.
Besonders eindrucksvoll ist es immer wieder, sich die Zahlen über die Entwicklung unseres Außenhandels zu vergegenwärtigen, der eine Vervielfachung erfahren hat. Daran ist unser Wirtschaftssystem durchaus nicht unschuldig. Glücklicherweise konnten im Außenhandel die völlig abgerissenen Bande wieder geknüpft werden, und zwar in einem Ausmaß, wie es sicher noch vor wenigen Jahren kaum jemand für möglich gehalten hat. Darin liegen natürlich andererseits gewisse Gefahren, weil in einem Ausmaß, wie es früher nie der Fall war, unsere inländische Beschäftigung im wesentlichen Umfange von der Fortdauer dieser Ausfuhr abhängig ist. Immerhin liefern gerade diese Zahlen den Beweis, daß eine zweckmäßige Wirtschaftspolitik geführt worden ist.
Auch die Finanzpolitik ist ein Teil dieser Wirtschaftspolitik, und sie muß nun im Zusammenhang unserer heutigen Aussprache besonders betrachtet werden.
Zur Zeit leben wir in dem Zustand des Vertrauens zu unserer Wirtschaft, zu unserer Währung. Wir sehen das auch im Verhalten des deutschen Sparers und im Verhalten des Auslands uns und unserer Wirtschaft gegenüber. Ich möchte mit besonderem Nachdruck den vom Herrn Bundesfinanzminister gebrauchten Satz unterstreichen: Gutes Geld ist besser als „mehr". Die Notwendigkeit, alles zu tun, um unsere Wirtschaft, unser Geld, unsere Währung stabil zu erhalten, ist heute so oft betont worden, daß dazu weitere Worte nicht mehr verloren zu werden brauchen.
Allerdings — das ist auch in der Rede des Bundesfinanzministers zum Ausdruck gebracht worden —: wir müssen damit rechnen, daß die fortschreitende, steil ansteigende Expansion unserer ganzen wirtschaftlichen Betätigung menschlicher Voraussicht nach nun allmählich eine gewisse Verlangsamung erfahren muß, weil wir uns sowohl kapazitätsmäßig wie arbeitskraftmäßig den Grenzen dessen, was in der Bundesrepublik überhaupt geschafft werden kann,. erheblich genähert haben.
Die Belastung des Sozialprodukts in der Bundesrepublik mit öffentlichen Zwangsabgaben, d. h. also mit Steuern und Sozialabgaben, ist nach der
Darlegung des Herrn Bundesfinanzministers in Deutschland immer noch höher als in allen anderen vergleichbaren Industrieländern. Ich bin nun persönlich nicht der Meinung, daß man daraus etwa folgern oder herleiten könnte, Steuersenkungen seien nicht mehr am Platze. Ich möchte eher das Gegenteil glauben. Ich darf mir vorbehalten, später auf diesen Punkt noch zurückzukommen.
Zur äußeren Form des Bundeshaushaltsplans 1957 darf ich mit Genugtuung auch im Namen meiner Freunde feststellen, daß es dem Bundesfinanzminister und der Bundesregierung wiederum gelungen ist, den Haushalt rechtzeitig, sogar einen Monat früher vorzulegen, als die Verfassung vorschreibt. Nun ist es ja, wenn wir diese erste Beratung hier hinter uns gebracht haben, die Aufgabe des Haushaltsausschusses, für eine fristgerechte Verabschiedung zu sorgen. Welche Schwierigkeiten der zeitgerechten Durchführung dieser Aufgabe entgegenstehen, darüber ist eben gerade auch vom Kollegen Niederalt schon gesprochen worden. Immerhin glaube ich, die Mitglieder des Haushaltsausschusses, die mit mir seit Jahren dieses besondere Geschäft betreiben, werden alles tun, um in diesem Jahr zu einer fristgerechten Verabschiedung zu kommen. Dabei darf ich erwähnen, daß wir uns darüber schon in der Erwartung des Haushaltsplans im Haushaltsausschuß ernstlich den Kopf zerbrochen und einen vorläufigen Plan aufgestellt haben, wie wir der, man darf wohl sagen, gewaltigen Materie Herr werden wollen. Gelingen kann das nur in einer möglichst reibungslosen und zwanglos sich ergebenden engen Zusammenarbeit zwischen dem Parlament und seinem Ausschuß auf der einen und den Regierungsressorts auf der anderen Seite. Ich hoffe, es wird gelingen, daß jeweils, wenn der Haushaltsausschuß sich entschließt, einen bestimmten Einzelplan in Behandlung zu nehmen — das wird ja tagelang vorher bekanntgegeben —, auch das zuständige Ressort, möglichst mit seinem Minister an der Spitze, für die Verhandlungen zur Verfügung stehen kann.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, man kann sagen, daß mit der Aufstellung dieses ausgeglichenen — ich sage nur ausgeglichenen — Haushaltsplans die Bundesregierung technisch eine bedeutende Leistung vollbracht hat. Wir haben davon gehört, welche Schlachten zwischen den Fachressorts einerseits und dem Bundesfinanzministerium andererseits geschlagen werden mußten, bis die Sache so weit war, daß sie zur Vorlage an das Kabinett kommen konnte, und wir haben davon gehört, daß sich das Kabinett, ganz im Gegensatz zur bisherigen Übung, diesmal in nicht weniger als sechs Sitzungen mit dem Haushaltsplan befaßt hat. Der Ausgleich ist letztlich durch zwei Maßnahmen zustande gekommen, nämlich durch einen Rückgriff auf die Bundesrücklage und zweitens durch die im Haushaltsgesetz vorzusehene fünfprozentige Kürzung eines großen Teiles der Haushaltsansätze dergestalt, daß nur 95 % des jeweils im Haushalt gedruckten Ansatzes als bewilligt gelten.
Dies ist ein Ausweg — ich möchte es nicht anders bezeichnen -, der sich hoffentlich nicht wiederholen wird; denn bei jedem einzelnen Titel auch die die Mittel verwaltende Stelle diese 95 % ausrechnen zu lassen, erscheint mir wenig praktisch. Zudem ist das Ergebnis von 300 Millionen DM bei einem Haushalt von über 30 Milliarden DM — das steht ja auch in den entsprechenden Übersichten —, also von knapp 1 %, nicht sehr eindrucksvoll.


(Dr. Blank [Oberhausen])

Der große „Schluck aus der Pulle" wurde durch den Rückgriff auf die Bundesrücklagen genommen. „Bundesrücklage" ist eine neue Vokabel, die in allerletzter Zeit gefunden worden ist und die natürlich sehr viel ernsthafter und amtlicher klingt als „Juliusturm". Ich finde „Bundesrücklage" ganz schön. Ich bin allerdings nicht ganz davon überzeugt, daß es wirklich eine Rücklage im eigentlichen Sinn des Wortes ist. Ich stelle mir - so ist das wenigstens im wirtschaftlichen Leben — unter einer Rücklage eine Summe vor, die ich habe und die ich ausdrücklich für später zurückstelle, indem ich sie mir für den Augenblick unter Konsumverzicht oder wie auch immer abspare. Unsere Rücklage scheint mir jedoch in erster Linie dadurch entstanden zu sein, daß mehr Geld aufkam und weniger Geld ausgegeben werden konnte, als veranschlagt war, und es ist gewissermaßen von selbst zur Rücklage geworden. Jetzt darf man sich natürlich freuen, .und es ist geradezu zum Ausgleich des Haushalts 1957 notwendig, daß diese Rücklage zur Verfügung steht; aber man fragt sich doch, ob es nicht noch besser gewesen wäre und ob es nicht auch möglich gewesen wäre, das Entstehen dieser Rücklage von vornherein zu verhindern. Denn ich persönlich — und ich glaube, ich stehe mit dieser Auffassung nicht allein — bin der Ansicht, daß das Geld in der Hand des Steuerzahlers geeignet ist, einen größeren volkswirtschaftlichen Nutzen zu erzielen, als wenn dieses Geld dem Steuerzahler mit drückenden Steuern abgenommen und dann in irgendwelchen öffentlichen Kassen „stillgelegt" wird.
Ich habe schon im Vorjahr, als zum erstenmal davon die Rede war, daß sich große Summen ansammeln, zum Ausdruck gebracht, daß das bei weitem probateste Mittel gegen einen unerwartet hohen Zustrom in öffentlichen Kassen die Senkung von Steuern sei. Nun will ich gar nicht leugnen, daß in der Vergangenheit in dieser Beziehung etliches getan worden ist. Die Steuern sind namhaft gesenkt worden; über die Summe, um die es sich je Haushaltsjahr handelt, ist schon gesprochen worden.
Auch ich habe den Brief mit dem grünen Rand, von dem der Kollege Schoettle vorhin gesprochen hat, erhalten und studiert. Ich bin überzeugt, der Herr Bundesfinanzminister hat ihn auch, und wir alle möchten ganz gern noch bei Gelegenheit von ihm hören, ob er mit dem sehr einleuchtenden und sich größtenteils auf amtliche Angaben stützenden Brief des Instituts „Finanzen und Steuern" übereinstimmt, der für das kommende Haushaltsjahr die gleiche Entwicklung voraussagt, wie wir sie in diesem Jahr erlebt haben.
Der ordentliche Haushalt wird wieder um 1,7 Milliarden DM höher liegen als im Vorjahr. Herr Kollege Niederalt hat gerade eben so ausführlich über den vermeintlichen, aber wahrscheinlich vermeidlichen Zug zu ständig wachsenden Staatsausgaben gesprochen, daß ich darüber kein Wort mehr verlieren möchte. Wenn trotzdem die Gesamtsumme des Haushaltsvoranschlags 1957 unter der Summe des Vorjahrs liegt, so ist das auf die wesentliche Verminderung des außerordentlichen Haushalts zurückzuführen, der nun gegenüber dem ordentlichen Haushalt mit seinen rund 1,2 Milliarden DM ein etwas kümmerliches Dasein fristet.
Ich persönlich muß sagen — auch das ist in der heutigen Debatte schon angeklungen —, daß mir die Weiterführung dieses Prinzips des außerordentlichen Haushalts. im alten kameralistischen Sinne, je länger je mehr fragwürdig erscheint.

(Abg. Niederalt: Sehr richtig!)

Der Zustand, in dem sich unser Kapitalmarkt leider immer noch befindet, läßt auch eine normale und ursprünglich einmal vorgesehene Bedienung des außerordentlichen Haushalts aus Anleihen gar nicht zu. Unser Kapitalmarkt funktioniert nicht in der richtigen Weise, und infolgedessen kommen wir zu dem in den letzten Jahren regelmäßig eingeschlagenen Ausweg, dann auch die im außerordentlichen Haushalt veranschlagten Ausgaben schließlich aus dem ordentlichen Haushalt zu bestreiten. Ich bin der Meinung: die Reform der nur in wenigen Punkten an die heutigen Erfordernisse angeglichenen Reichshaushaltsordnung ist nun so dringlich geworden, daß wir mit allem Nachdruck verlangen müssen, in absehbarer Zeit auch den ersten Entwurf einer wirklichen Bundeshaushaltsordnung vorgelegt zu bekommen. Auf Seite 245 — auf einer Seite! — der Allgemeinen Vorbemerkungen wird über den derzeitigen Stand der Reformbestrebungen im Haushaltsrecht berichtet. Darüber hätte ich gerne mehr gelesen, und ich möchte diese Gelegenheit benutzen, alle beteiligten Instanzen mit Nachdruck darum zu bitten, diese Dinge vorwärtszutreiben und — das möchte ich gleich hinzufügen —, wenn irgend möglich, auch die grundsätzlichen Fragen bezüglich des Fortbestehens eines außerordentlichen Haushalts usw. in Angriff zu nehmen. Dabei wird dann auch Gelegenheit sein, die Gedanken, die der Kollege Niederalt soeben vorgetragen hat, mit zu erörtern und schließlich zu irgendeiner neuen gesetzlichen Regelung zu kommen. Ein Abschluß der Vorbereitungsarbeiten ist für 1957 in Aussicht gestellt. Hoffen wir, daß es dazu kommt. Ich gebe mich über die Schwierigkeit dieser Aufgaben — daran arbeitet der interministerielle Ausschuß unter Mitwirkung des Bundesrechnungshofs und auf der anderen Seite auch der Wissenschaftliche Beirat — keinerlei Täuschung hin; aber Beschleunigung in höchstmöglichem Maße scheint mir dringend erwünscht.
Wir sehen ein Anwachsen der Ausgaben im Bundeshaushalt in diesem Jahr in erster Linie auf den Gebieten des Wohnungsbaus, der Sozialaufwendungen, des Straßenbaus, ferner für Atomfragen, für die Landwirtschaft im Zusammenhang mit dem „Grünen Plan" für die Liquidation der Vergangenheit und auch für die Bundesverwaltung selbst. Über die Zunahme der Bundesbediensteten im Ausmaß von rund 3000 Personen ist hier schon gesprochen worden. Gemessen an der Gesamtzahl ist das nicht viel. Aber ich glaube, daß wir, wenn wir erst an die Einzelpläne, die Organisations- und Stellenpläne herangehen, auch werden prüfen müssen, wieviel Hebungen und — wie der Herr Bundesfinanzminister sich ausgedrückt hat — Qualitätsverbesserungen neben den rein ziffernmäßigen Vermehrungen uns vorgeschlagen werden.
An verschiedenen Stellen in der Rede des Herrn Bundesfinanzministers wurde des Wahljahrs Erwähnung getan; der Ausdruck ist auch heute schon wieder einige Male gebraucht worden. Ich persönlich muß sagen, ich finde das Zusammenbringen der Begriffe „Haushaltsplan" und ,,Wahljahr" nicht sehr glücklich.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Ich bin der Meinung, daß wir damit niemandem
einen Gefallen tun. Wenn wir unsere Erwägungen


(Dr. Blank [Oberhausen])

und unsere Überlegungen anstellen und unsere Beschlüsse bezüglich der Gestaltung des Haushalts fassen, sollten uns Wahlrücksichten, Rücksichten aus Anlaß eines Wahljahres, so fern wie möglich sein.
Ich habe die Allgemeinen Vorbemerkungen schon verschiedentlich erwähnt. Dieses Werk hat nun den Umfang von über 600 Seiten angenommen. Ich wage gar nicht, irgendein Mitglied dieses Hohen Hauses zu fragen, ob es diese mehr als 600 Seiten schon gelesen hat. Ich persönlich habe es nicht gekonnt. Herr Kollege Lenz hat mit Recht die Sonderlieferung von Zeit dazu verlangt. Was in diesen Allgemeinen Vorbemerkungen steht, ist, soweit ich es bisher habe übersehen können, allerdings außerordentlich lesenswert. Am Anfang bringen sie eine sehr interessante und etwas zurückhaltende Auseinandersetzung mit der Bank deutscher Länder über die allgemeine Wirtschafts- und Währungspolitik. Im ganzen gibt gerade die Einleitung auch einen sehr eindrucksvollen Überblick über den Wirtschaftsablauf bis zum 30. September dieses Jahres, und zwar über den Wirtschaftsablauf nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch im Ausland.
Sehr bemerkenswert erscheint mir der endgültige Abschluß des Haushaltsjahrs 1955. Darüber wird man noch diskutieren müssen. Die Angelegenheit ist auch wieder in dem grün umrandeten Brief berührt, von dem ich schon gesprochen habe.
Dann wird erfreulicherweise eine sehr ausführliche Darstellung den Haushaltsresten seit 1949 gewidmet. Das ist ein Spezialstudium, dem sich eines Tages die Leute, die es angeht, noch einmal werden widmen müssen. Ob dieses System — in der Rede des Herrn Bundesfinanzministers kommt auch die Version vom „Töten der Haushaltsreste" vor — in dieser Weise überhaupt erhalten bleiben soll, wird meines Erachtens angesichts der Haushaltsrechtsreform noch im einzelnen untersucht werden müssen.
Die Kassenlage des Bundes — ich will hier keine weiteren Einzelheiten vortragen — wies am 30. September 1956, wie aus den Allgemeinen Vorbemerkungen hervorgeht, die sehr ansehnliche Summe von 7,3 Milliarden DM aus. Es wird dazu gesagt, daß es sich hier zum großen Teil um gebundene Gelder handle, nicht allerdings um Bindungsermächtigungen. Hier liegt eines der großen Probleme. Ich weiß nicht, ob den Kollegen aufgefallen ist, daß der Herr Bundesfinanzminister in seiner Rede einen Unterschied zwischen dem alten „Juliusturm", der den Besatzungsmächten gehörte, und dem neuen gemacht hat, der aus Gründen entstanden ist, die hier heute verschiedentlich erörtert worden sind, der aber nun einen sehr viel ernsthafteren Namen hat. Er heißt eben jetzt .,Bundesrücklage". Ich wollte nur bei dieser Gelegenheit noch einmal kurz darauf aufmerksam machen.
Die weiteren Zusammenstellungen und insbesondere auch die Anlagen zu den Allgemeinen Vorbemerkungen verdienen nach unserer Überzeugung allergrößtes Interesse. Sie sind außerordentlich aufschlußreich. Die Aufschlüsselungen, Aufgliederungen, sind höchst interessant und können dem, der damit umzugehen versteht, viele Fragen beantworten, die er sonst vielleicht noch an irgendeine Regierungsstelle richten würde.
Die Aufschlüsse über die Bundesbeteiligungen, die einzelnen Gesellschaften usw. sind dankenswerterweise erheblich weiter ausgebaut worden. Wir haben jetzt die Bilanzen, wir haben die Personalien der Aufsichtsräte und Vorstände und haben ja außerdem aus dem Haushaltsvoranschlag gesehen, daß der Herr Bundesfinanzminister offensichtlich beabsichtigt, Beteiligungen im Werte von 50 Millionen DM zu veräußern. Das würden wir sehr begrüßen. Wir würden nicht einmal Anstoß daran nehmen, wenn noch eine Null mehr an dieser Fünf hinge. Daß das im einzelnen Fall jeweils geprüft wird, so daß niemals von irgendeiner Seite mit Recht der Vorwurf der Verschleuderung von Bundesvermögen erhoben werden kann, dafür sind wir allerdings auch.
Für den Haushaltsfachmann sind die Allgemeinen Vorbemerkungen ein fast unentbehrliches Vademekum, und ich glaube, daß es richtig ist, dieses umfangreiche Werk zu verfassen, weil es die Arbeit im ganzen erleichtert.
Noch wenige Worte zum Haushaltsgesetz selbst. Wir haben im § 3 Abs. 2 die neue Regelung bezüglich einer während des Haushaltsjahrs auftretenden Notwendigkeit zu Übertragungen von einem Titel zum anderen. Hier soll der Haushaltsausschuß insofern eingeschaltet werden, als solche Übertragungen nur mit seiner Genehmigung erfolgen dürfen. Der Haushaltsausschuß wird sich, glaube ich, dieser Aufgabe unterziehen. Es wäre allerdings vielleicht zu prüfen, von welcher Mindestgrenze ab man das Papier beschreibt und den Apparat des Haushaltsausschusses bemüht, wenn eine solche Übertragung vorgenommen wird.
Daß der § 6 immer noch die Nichtanwendung des § 75 der Reichshaushaltsordnung zum Inhalt hat, ist — das habe ich nun praktisch schon jedes Jahr hier zum Ausdruck gebracht — äußerst bedauerlich. Dieser § 75 der Reichshaushaltsordnung wird wahrscheinlich der Reform der Reichshaushaltsordnung zum Opfer fallen. Das ist jedenfalls besser als die regelmäßig Jahr für Jahr wiederkehrende Außerkraftsetzung einer Bestimmung, die ja nicht ohne sehr weittragende und ernsthafte Überlegungen in die Reichshaushaltsordnung eingesetzt worden war.

(Abg. Dr. Gülich: Was wollen Sie an die Stelle des § 75 setzen? Das ist nicht so einfach!)

— Nein, sicherlich! Deshalb habe ich auch gesagt: wir können ihn nicht einfach streichen, sondern ich bin der Meinung, dieses Verfahren hat sich nun
— ob mit Recht oder mit Unrecht, das lasse ich ganz dahingestellt — offenbar als unanwendbar erwiesen. Also müssen wir ein anderes Verfahren finden. Das gehört nach meiner Überzeugung mit in die Reform der Haushaltsordnung.
Wir werden nach dem Plan, den wir hoffentlich einhalten können, an die große Arbeit herangehen, diesen Haushaltsplan 1957 zu bewältigen. Meine Fraktion schlägt vor, den Bundeshaushaltsplan 1957, Drucksache 2900, nebst allen Anlagen wie üblich dem Haushaltsausschuß zu überweisen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217901000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schild.

Dr. Heinrich Schild (CDU):
Rede ID: ID0217901100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion


(Dr. Schild [Düsseldorf])

der Deutschen Partei habe ich zu diesem Haushaltsentwurf, zu den Vorbemerkungen, zu der Etatrede des Herrn Bundesfinanzministers einiges zu sagen. Es ist selbstverständlich schwer, nachdem wesentliche Dinge bereits in diesen drei Stunden behandelt worden sind, auf vieles Grundsätzliche noch einmal zurückzukommen, und ich werde mich bemühen, es nicht zu tun, um nichts zu wiederholen.
Ich habe zunächst namens meiner Fraktion dem Herrn Bundesfinanzminister und seinem Hause den Dank dafür abzustatten, daß diese Vorlagen in dieser Art, in diesem Umfang, in dieser Konzentration des Stoffes und zu diesem Zeitpunkt vorgelegt worden sind. Ich möchte besonders betonen, daß die Erkenntnisse, die wir aus dem Funktionsplan erhalten können, in vieler Hinsicht vielleicht noch verbesserungs- und erweiterungsbedürftig sind.
Ich habe für meine Fraktion den Wunsch vorzutragen — wie ich es bereits im Haushaltsausschuß in einer der letzten Sitzungen getan habe —, daß diese Vorbemerkungen noch durch eine Aufgliederung sämtlicher Ausgaben ergänzt werden, die — in diesem Etat mindestens in Höhe von 10 Milliarden DM — an die Länder zurückfließen, auch aufgeteilt nach den einzelnen Spezialtiteln: Wohnungsbau, Zonengrenzgebiete, oder wie man sie nun alle aufführen könnte. Dann kann man schon bei der Vorlage des Etats die Rückwirkung der Bundesfinanzpolitik auf die Länder bzw. die Relation der Bundesfinanzpolitik zur Länderfinanzpolitik zum wenigsten in etwa erkennen. Ich möchte betonen, daß wir diesen Wunsch seit drei Jahren vorgetragen haben. Bis jetzt haben wir eine derartige Zusammenstellung nicht erhalten. Sie werden ja wissen, insbesondere soweit die Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuß tätig sind, daß wir uns bei den vielen Dotationen und Anforderungen, Beihilfen oder Darlehen an irgendwelche Institutionen in den Ländern ständig darüber streiten, was das Land dazu tut und was der Bund seinerseits bei der einen oder anderen Aufgabe leisten müßte. Wenn man sich in dem finanzpolitischen Konzert zwischen Bund und Ländern darüber ein wirkliches Bild machen will, dann muß man zum mindesten bei der Haushaltsvorlage ein absolut klares Konzept haben, wie sich die 10 oder 11 oder 12 Milliarden, die aus der Bundeskasse an die Länder zurückfließen, verteilen, gleichgültig, ob sie von den Ländern zu ihren eigenen Gunsten verwaltet und verausgabt werden oder ob sie vermögenbildend dem Bunde verbleiben. Man muß wissen, wie diese Dinge zusammenhängen. Ich bin der Überzeugung, daß wir alle, die wir an diesem Haushalt arbeiten, eine derartige Übersicht vermissen und daß wir daraus sehr ernste und maßgebliche Schlüsse auch für das Gesamtverhältnis zwischen Bund und Ländern finden könnten.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit wiederholen, was ich bereits im vorigen Jahr gesagt habe: daß die finanzpolitische Harmonie zwischen Bund und Ländern auch in diesem Jahr nicht erreicht ist. Dieses ewige Tauziehen um die bestimmten Steuereingänge, dieses ewige Tauziehen um Haushaltsposten, insbesondere bei den Beihilfen, Zuwendungen und Darlehen, müßte in einem harmonisch abgestimmten Verwaltungsverhältnis langsam verschwinden. Ich weiß, daß das eine Frage des Grundgesetzes ist. Aber es ist des Schweißes der Edlen wert, die Reformierung von Grundgesetzbestimmungen wirklich einmal zu praktizieren
und diese Frage der Artikel 105, 106, 107 usw.
nicht immer wieder auf die lange Bank zu schieben.
Genauso liegt es mit der Frage der Haushaltsordnung und ihrer Reform. In den letzten vier Jahren haben wir uns innerhalb des Haushaltsausschusses, aber auch in diesem Hohen Hause häufig über die Unmöglichkeit gewisser haushaltsrechtlicher Bestimmungen auseinandergesetzt. Es ist bisher weder zu einer Regierungsvorlage gekommen, noch sind wir in der Lage gewesen, aus der Mitte des Hauses heraus einen Initiativgesetzentwurf für die Reform der Haushaltsordnung vorzulegen. Auch der Kreis von Mitarbeitern und Sachverständigen, der an der Haushaltsordnung und ihrer Reform arbeitet, ist bislang noch nicht zu irgendeinem Ergebnis gekommen. Trotzdem sind wir der Auffassung, daß gerade durch eine Reform der Haushaltsordnung auf vielen Gebieten auch eine klarere Übersicht über die Kompetenzen des Bundes und der Länder eintreten wird.
Das Parlament hat bei der Vermögensverwaltung des Bundes eigentlich wenig zu sagen. Die ganzen Fragen der Vermögensverwendung und Vermögensbewertung, das, was uns in den Vorbemerkungen an großem Bundesvermögen aufgezählt und aufgegliedert worden ist, alles das sind Fragen, die letzten Endes die einzelnen Ressorts und die Bundesregierung allein bestimmen, ohne daß das Parlament dabei irgendeine Mitwirkungsmöglichkeit hat. Wir sind nicht in der Lage, von uns aus irgendwelche Anträge zu stellen oder irgendwelche Dinge zu erörtern, die diese Vermögenskomplexe in ihrer Bewertung ändern, obwohl doch in den Vorbemerkungen eine absolut klare, detaillierte Bemerkung enthalten ist, daß das Bundesvermögen mit nominalen Wertansätzen angegeben ist, daß aber dahinter wesentlich höhere reale Werte vorhanden sind. Ich bin der Auffassung, daß das auf die Dauer nicht praktisch ist und daß es für die Glaubwürdigkeit unseres Staatsaufbaues, unserer Verwaltung im Verhältnis zum Parlament besser wäre, wenn das Parlament über diese Fragen der Vermögensbildung und der Vermögensverwendung mehr Kontrolle hätte, als es bis heute hat. Das ist eine Frage der Haushaltsordnung.
Genauso wichtig in der Haushaltsordnung sind die Probleme, die mit der öffentlichen Vergabe von Aufträgen zusammenhängen. Ich erinnere hier an § 26 der Haushaltsordnung und andere, die genauso wichtig für den Staat selbst, für den Fiskus, wie für die beteiligte Wirtschaft sind, die in dem öffentlichen Auftragsvergebungs- und Submissionsverfahren aus der Natur der Sache heraus mitwirken und die öffentliche Aufträge übernehmen muß; erinnern Sie sich an die Rüstungsaufträge und alles, was damit zusammenhängt. Auch da müssen neue Methoden, neue Wege, neue Mittel und neue Formen gefunden werden, um uns auf dem Gebiet des Haushaltsrechts und der Haushaltsordnung moderner zu verhalten.
Im Blick auf die allgemeine, grundsätzliche, politische Bewertung dieses Haushalts, insbesondere hinsichtlich des Erfolges der Regierungspolitik auf dem wirtschafts- und finanzpolitischen Gebiet, bemerke ich der Kürze halber, daß ich mich den Ausführungen des Herrn Kollegen Vogel grundsätzlich anschließe. Ich möchte bezüglich der Charakterisierung dieses Haushalts als eines Haushalts der Stabilität und der sozialen Sicherheit aber doch etwas


(Dr. Schild [Düsseldorf]))

bemerken, was in der bisherigen Debatte nicht angesprochen worden ist. Ich habe den Eindruck, daß diese Firmierung, diese Charakterisierung des Haushalts mehr eine gefühlsbetonte Generallinie als eine nur sachlich fundierte Kennzeichnung ist. Die Stabilität unserer Wirtschaft und unserer Währung ist ja letzten Endes etwas anderes als die Stabilität dieses Haushalts in sich. Über die Stabilität der Wirtschaft und der Währung enthalten die Vorbemerkungen die Aussage, daß wir seit dem Jahre 1950 eine Entwertung unserer D-Mark um höchstens 5,5 % haben. Nun, ich bin der Überzeugung, daß, wenn Sie das dem allgemeinen Volk sagen, es sich unter dieser Zahl nichts vorstellen kann. Es hat aus seinem praktischen Erleben heraus doch auch eine andere Auffassung.

(Sehr richtig! bei der DP.)

Denn es darf nun einmal nicht verschwiegen werden, daß eine Wohnung, die man im Jahre 1952 für 10 000 DM bauen konnte, im Jahre 1956 etwa 13 000 oder 13 500 DM kostet. Das wird zum Teil mit einem sogenannten Teuerungskoeffizienten abgetan. Man benutzt dann das wirtschaftspolitische und finanzpolitische Wort „Teuerung". Damit allein ist es aber nicht abgetan; es ist nicht nur ein Teuerungskoeffizient, der unter Umständen auch einmal wieder zurückgehen kann. Diese Wohnungsbaupreisfrage hängt nicht mit einer Mengenkonjunktur oder mit einer Produktionsausweitung zusammen.
Bei der Mangellage, die wir auf dem Wohnungsmarkt noch haben, bedeutet die Kostensteigerung für alle Sparer, die langfristig für den Wohnungsbau sparen, doch etwas anderes als eine 5%ige Geldentwertung. Die Geldentwertung ist in bezug auf den Wohnungsbau und überhaupt auf die Bauwirtschaft wesentlich größer als 5 %. Die Auffassung vom allgemeinen Geldwert, von Sparmöglichkeiten und vom Wert des Sparens richtet sich doch letzten Endes ganz allgemein von der Masse des Volkes aus gesehen danach, was man mit einem Geldsparwert wirtschaftlich an Grund- und Bodeneigentum erreichen kann. Das ist der eigentliche Beurteilungsmaßstab dafür, welchen inneren Wert das Geld in unserem wirtschaftenden Volke darstellt, aber weniger die Preise und Werte der kurzlebigen, der täglichen Verbrauchsgüter. Die Relation zwischen den Preisen und den Löhnen hat sich in den letzten Jahren im wesentlichen immer wieder ausgeglichen. Auch nicht die mittelfristigen Gebrauchsgüter, sondern die langfristigen Güter sind bei der Eigentumsbildung an Grund und Boden die entscheidenden Objekte, die unser Volk hinsichtlich der Bewertung interessieren. Hier, möchte ich sagen, ist die Stabilität nicht so gewährleistet, wie es nach den Darlegungen, die hier vielfach gemacht worden sind, den Anschein hat.
Bei diesem Komplex der Wohnungs- und Bauwirtschaft möchte ich auch noch einmal die Gefahren betonen, die mit der Rentenreform verbunden sind. Meine politischen Freunde haben in den Beratungen des Sozialpolitischen Ausschusses mit allem Ernst und aller Intensität darauf hingewiesen, daß das Abgehen von der Kapitaldeckung auf dem Kapitalmarkt entscheidende Folgen haben wird.

(Sehr richtig! bei der DP.)

Ich möchte an dieser Stelle mit Rücksicht auf die Eigentumsbildung an Grund und Boden, an Wohnungen und Familienheimen und die damit zusammenhängenden Finanzierungsprobleme davor warnen, das Kapitaldeckungsprinzip in der Sozialversicherung aufzugeben, und zwar deswegen, weil wir ihre ersten Hypotheken für den zukünftigen sozialen Wohnungsbau, gleichgültig ob er öffentlich finanziert ist oder nicht, immer wieder brauchen.
Ich möchte auch darauf verweisen, daß gerade das Wohnungseigentum im Althausbesitz und die Rentabilität dieses Hausbesitzes in den letzten Zeiten nicht mit der Intensität gefördert worden sind, wie man das hätte erwarten können. Die Richtlinien für die Zinsverbilligungszuschüsse, die aus Bundesmitteln zu Althausreparaturdarlehen schon nach dem letzten Haushaltsplan gegeben werden sollten, sind bis heute nicht vorhanden. Nachdem wir doch mehrere Millionen DM für diese Aktion zur Verfügung gestellt haben, hätte man erwarten können, daß man davon bereits in diesem Herbst Gebrauch machte. Dem ist aber nicht so.
Nun zurück zu den Grundsätzen der Finanz- und Haushaltspolitik. Meine politischen Freunde haben ernste Sorgen, daß trotz allen guten Willens und trotz aller Bemühungen bei den Vorarbeiten zum Haushaltsplan zur Erzielung einer Stabilität die Bemühungen für echte Sparsamkeit doch nicht so gelaufen sind, wie sie hätten laufen können. Ich pflichte dem Kollegen Niederalt zwar darin bei, daß sehr viele Positionen dieses Haushalts gesetzliche Zwangsläufigkeiten sind; aber ich stimme ihm darin nicht bei, daß nur ein Rest von einer Milliarde DM diesen gesetzlichen Zwangsläufigkeiten nicht unterliegen soll. Vielmehr bin ich der Auffassung, daß dieser Bewegungsposten im Haushalt, über den Haushaltsausschuß und Plenum beraten und beschließen können, wesentlich höher ist, daß er zumindest in der Größenordnung um 4 Milliarden DM herum liegt. Die Kollegen des Haushaltsaussmusses, die in dieser Materie bewandert sind, werden mir zustimmen, daß das die Mindestsumme ist, die beweglich ist und über die wir diskutieren können. Und da scheint mir, daß die echte Sparsamkeit der Verwaltung auch nach außen hin, für die Öffentlichkeit nicht so erkennbar ist, wie wir es wünschen müssen.
Es ist schon etwas, wenn der Bundesfinanzminister Anforderungen der Ressorts von rund 6 Milliarden DM hat abwehren müssen. Es würde zum zeitgemäßen Stil unserer Verwaltung gehören, wenn sie einen öffentlich erkennbaren Willen zu echter Sparsamkeit hätte. Dafür sollte sie auch Richtlinien des Kabinetts, des Bundeskanzlers und der Ressortminister, bekommen. Es wäre besser gewesen, diese 6 Milliarden wären in den Akten der einzelnen Ressorts und in denen des Bundesfinanzministers gar nicht erst erschienen. Diese 6 Milliarden DM Anforderungen sind ja nicht solche, die aus den gesetzlichen Verpflichtungen kommen. Daß die Ressorts die Summen, die auf echten gesetzlichen Verpflichtungen beruhen, in den Haushalt einsetzen müssen, ist eine Selbstverständlichkeit. Aber diese 6 Milliarden DM können letzten Endes nur über die beweglichen Posten entstanden sein. Ich bedauere von dieser Stelle aus, daß es überhaupt notwendig geworden ist, Anforderungen von 6 Milliarden DM abzuwehren. Ich bin der Auffassung, es wäre zweckmäßig, daß man sich bei der nächsten Etataufstellung von vornherein nach einem anderen Stil richtet, damit es gar nicht erst zu einer derartigen Abwehraktion des Herrn Bundesfinanzministers kommen muß.


(Dr. Schild [Düsseldorf])

Ich bin ferner der Ansicht, daß die Tätigkeit des Bundesbeauftragten für die Wirtschaftlichkeit keine echte Resonanz in den Ressorts und in unserer gesamten Verwaltung hat. Schon der Begriff „Bundesbeauftragter für die Wirtschaftlichkeit" scheint mir bei der Situation, in der wir uns insgesamt finanz- und steuerpolitisch befinden, nicht mehr am Platze zu sein. Wir sollten klar und deutlich zu dem Begriff „Sparkommissar" zurückkehren.

(Sehr gut! rechts.)

Das ist ein im Volke und im Volksmund ganz klarer Begriff. Wenn dieser Begriff des Sparkommissars oder des Sparbeauftragten wieder in dieses Haus und in die Ressorts der Regierung einzöge, dann, glaube ich, wäre damit mehr gewonnen als mit dem „Bundesbeauftragten für die Wirtschaftlichkeit". Deshalb haben meine Freunde den Wunsch, daß wir auch nach dieser Richtung hin in Zukunft eine ganz klare Formulierung treffen.
Wir bedauern außerordentlich, daß immer wieder das Problem der Zwangsläufigkeit der Ausgaben auf uns zukommt, wie es insbesondere Herr Ministerialdirektor Vialon als der Exponent des Bundesfinanzministeriums in den Beratungen des Haushaltsausschusses immer wieder ausspricht. Ich gebe dem Herrn Kollegen Niederalt recht — wenn auch nicht in der Höhe der Summe, aber dem Grundsatz nach —, daß wir noch sehr viele Möglichkeiten haben, bei denen wir über die Notwendigkeit von Ausgaben, die nicht zwangsläufig auf uns zukommen, entscheiden können. Das Parlament sollte sich diese Bewegungsmöglichkeit und Entscheidungsmöglichkeit unter allen Umständen bewahren.
Nun ein Wort zur Vermögensbildung im Bunde. Dieses Problem ist in der heutigen Debatte über den Haushalt bislang nicht angeschnitten worden. Ich halte mich aber für verpflichtet, hierzu einiges zu sagen, weil es mir eine sehr entscheidende Entwicklungsfrage für jetzt und für die Zukunft zu sein scheint. Die Vermögensbildung der öffentlichen Hand, so wie sie sich in den letzten Jahren vollzogen hat, entspricht nach unserer Auffassung im Verhältnis zu der Vermögensbildung in der privaten Wirtschaft, bei den Staatsbürgern, nicht der Situation, die wir wünschen.

(Sehr gut! rechts.)

Die Vermögensbildung ist im vorletzten Jahre
allein beim Bund um 6 Milliarden DM gestiegen.

(Hört! Hört! rechts.)

Bei Bund, Ländern und Gemeinden zusammen ist die Vermögensbildung durch echte, vermögensbildende Investitionen in einem Jahre um 12,2 Milliarden DM gestiegen,

(Hört! Hört! rechts)

während die Vermögensbildung in der gesamten Privatwirtschaft, sagen wir schlechthin: bei allen Staatsbürgern, höchstens um einen Betrag von 35 bis 36 Milliarden DM gestiegen ist. Das ist kein normales Verhältnis mehr, wenn man die Situation der vermögenslosen Flüchtlinge, der Kriegsbeschädigten, der Heimkehrer, der Besatzungs- und Währungsgeschädigten betrachtet. Wir wissen alle, daß die Vermögensbildung in diesen Kreisen am schlechtesten möglich war, auch wenn sie Arbeit hatten, auch wenn sie im Beruf waren, auch wenn sie eine selbständige wirtschaftliche Existenz hatten, weil die Kredit- und Kapitalvorleistungen, die ihnen allen gegeben werden mußten, ja kein echtes
Vermögen, sondern Schulden sind, auch wenn sie sie langsam abtragen können und müssen. Bei dieser Situation kann die Vermögensbildung der öffentlichen Hand auf die Dauer so nicht mehr weitergehen.

(Sehr richtig! rechts.)

Wir sind deshalb der Auffassung, es muß ernste Vorsorge getroffen werden, daß diese Vermögensbildung in irgendeiner Form abgedrosselt wird und daß öffentliche Finanzierungen — beispielsweise des Wohnungsbaues, beispielsweise für die zukünftigen Atomfragen, beispielsweise für die Rüstung — mit anderen Methoden durchgeführt werden als mit Steuerabschöpfung und anschließender Kapitalbildung bei der öffentlichen Hand.

(Beifall rechts und in der Mitte.)

Das Investitionshilfegesetz hat uns eine solche Methode gezeigt, und das Investitionshilfegesetz könnte auch Modell sein für andere öffentliche Finanzierungen, damit die Mittel nicht zum Staatsvermögen führen, sondern letzten Endes Privatvermögen bleiben, wenn sie auch dem Staat über eine gewisse Zeit hin zur Verfügung gestellt werden müssen, damit er seine Aufgaben erfüllen kann.

(Sehr gut! rechts.)

Oder denken wir an das frühere System der Steuergutscheine! Das war auch ein System, mit dem man sehr viele öffentliche Finanzierungen durchführen konnte, ohne daß diese Mittel unbedingt Staatsvermögen wurden; sie verblieben letzten Endes den privaten Staatsbürgern als Vermögensbesitz.
Nach dieser Richtung hin müssen wir nach unserer Auffassung in den kommenden Zeiten eine andere Politik betreiben als die etwas lapidare und auch finanztheoretisch und finanzwirtschaftlich verhältnismäßig einfache Politik: Steuern nehmen, Kapital bilden und Hypotheken und Darlehen ausgeben. Man kann auch ganz anders finanzieren, aber nur dann, wenn man die gesetzlichen Voraussetzungen dazu schafft.
Aber das Bundesvermögen, wie wir es in den Vorbemerkungen feststellen, hat für meine politischen Freunde noch einen besonders eklatanten, fragwürdigen Teil. Das ist das Kapitel der Bundesbeteiligungen an Unternehmungen. Wenn Sie die Vorbemerkungen genau durchsehen, werden Sie finden, daß der Bund nicht nur an der Grundstoffindustrie beteiligt ist - wir wollen ihm das auf vielen Gebieten nicht bestreiten —, daß er nicht nur an Verkehrsunternehmungen beteiligt ist — auch das liegt im Interesse der Allgemeinheit —, auch daß er in Zukunft unter Umständen an Unternehmungen der Atomenergie beteiligt sein wird. Wer kann das übersehen? Im Augenblick ist es noch nicht der Fall. Aber daß er entweder direkt oder indirekt an etwa 20 Kohlenhandelsgesellschaften beteiligt ist, von denen jede einzelne ein Kapital von 20- bis 100 000 Mark hat, daß er beteiligt ist an Bauunternehmungen, daß er beteiligt ist an kleineren und mittleren Maschinenfabriken, an Hotelbetrieben, an Eisenhandlungen, am Kraftfahrzeughandel und an Reparaturwerkstätten, an Schraubenfabriken, an mit Grubenholz handelnden Unternehmungen, an Zentralheizungsfertigungsbetrieben, an Wäschefabriken, an Betrieben für die Herstellung von Hartfaserplatten und sonstigen Betrieben aller Art, dafür haben wir kein Verständnis.

(Beifall rechts.)



(Dr. Schild Düsseldorf])

Wir sind der Auffassung, daß diese Betriebe so oder so, d. h. aber nicht mit Verlust — das hat man heute überhaupt nicht nötig —, aber zu einem ganz klaren reellen Preis ohne Überforderung abgestoßen werden müssen. Denn der Staatsbürger kann verlangen, daß der Staat nur solche Wirtschaftsbereiche für sich mit in Anspruch nimmt, bei denen das Allgemeinwohl mit auf dem Spiel steht. Aber an Wäschefabriken und Kohlenhandlungen braucht weder eine direkte noch eine indirekte Bundesbeteiligung vorhanden zu sein; das hat mit der Wahrnehmung des Allgemeinwohls überhaupt nichts zu tun. Wir erwarten, daß vor allem der Unterausschuß „Bundesbeteiligungen", der — und damit spreche ich unseren Kollegen Hellwig an — seit Juni oder Juli 1955 nicht mehr getagt hat, seine Arbeit wieder aufnimmt und sich überlegt, welche von diesen in den Vorbemerkungen aufgeführten Beteiligungen und Betriebe man wirklich, ohne ein großes Politikum daraus zu machen, abstoßen und der Privatwirtschaft überlassen kann.
Aus den allgemeinen Bemerkungen in der Rede des Herrn Bundesfinanzministers interessiert uns ferner eine sehr grundsätzliche Auffassung, die er darin kundgetan hat. Er sprach von der mangelnden Bereitschaft der wirtschaftlichen Selbstverwaltungsverbände, die den Staat von Aufgaben entlasten könnten, welche die Selbstverwaltungsverbände schneller, besser und billiger erledigen könnten. Dazu möchte ich sagen, daß ich eine solche mangelnde Bereitschaft von wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörperschaften bisher nicht festgestellt habe. Aber das Umgekehrte habe ich gesehen, nämlich daß die Hoheitsverwaltung mit Argusaugen darüber wacht, daß die Kompetenzen zwischen Hoheitsverwaltung und Selbstverwaltung immer zugunsten der Hoheitsverwaltung manipuliert werden.
Die wirtschaftlichen Selbstverwaltungsorgane sind noch nicht in allen Bereichen in dem entsprechenden Ausmaß vorhanden, daß sie wirklich ernste Staatsaufgaben übernehmen können. Ich darf beispielsweise erwähnen, daß wir im Bundesgebiet noch keine Hauptlandwirtschaftskammer haben. Was könnte die Hauptlandwirtschaftskammer an Bundeseinrichtungen, an landwirtschaftlichen Instituten übernehmen und verwalten, die in unserem Etat unter der Firma des Ernährungsministers rangieren, für die der Ernährungsminister zuständig ist und die eigentlich in den Bereich der Selbstverwaltung der Landwirtschaft gehören! Das ist eine Frage der Vereinfachung.

(Abg. Dr. Hellwig: Die müßten wir auch bezahlen! — Abg. Pelster: Die tun es auch nicht umsonst!)

— Aber ob in der Hoheitsverwaltung hundert Beamte sitzen, die diese Dinge machen müssen, oder ob man die Aufgaben sogar mit finanziellen Zuschüssen und Beihilfen von der wirtschaftlichen Selbstverwaltung sachkundiger, zweckmäßiger und befriedigender machen läßt, das ist die Frage, um die es geht.

(Abg. Pelster: Die sitzen doch auch da!)

Ich habe das selber am Beispiel der Förderungsmittel für das Gewerbe erlebt, die in diesem Hause beschlossen wurden und die für die Handwerkswirtschaft im Etat enthalten sind. Jede kleine Fachschule, jeder kleine Kursus, jede kleine Einrichtung muß, wenn sie daran partizipieren will, einen langen Schrieb und Behördenzug machen, um endlich vom Bundeswirtschaftsministerium 10 000 oder
15 000 oder 20 000 DM bewilligt zu bekommen. Wieviel einfacher wäre es, wenn man diese 6 Millionen DM Gewerbeförderungsmittel der Spitzenorganisation der deutschen Handwerkskammern übertrüge und sie dafür verantwortlich machte, daß sie nach festgelegten Richtlinien verwendet und richtig abgerechnet werden. Es brauchten sich nicht zwei oder drei Beamte im Bundeswirtschaftsministerium mit diesen Dingen zu befassen, bei denen stets Rückfragen und lästige Nebenfragen entstehen.
Wenn man es ernstlich will, kann man also sehr gut die Selbstverwaltung ausbauen, um Hoheitsaufgaben abzubauen und auf die Selbstverwaltung zu übertragen.

(Abg. Dr. Brühler: Sehr gut!)

Ich habe aber für diesen Willen bisher keine klare politische Substanz gesehen, daß Ressorts der Bundesregierung oder auch der Länderregierungen nach dieser Richtung hin operieren.
Meine Damen und Herren, nun noch ein letztes Wort zu diesen Dingen! Wer die Verhandlungen im Haushaltsausschuß und in diesem Hohen Hause vier Jahre mitgemacht hat, der weiß, daß es bei den finanziellen Bewegungsmitteln des Bundeshaushalts vielfach darum geht, an diese Krippe, an diese Quelle der Beihilfen, Darlehen und Zuschüsse heranzukommen. Nach meinen Erfahrungen und nach meinen Eindrücken ist es bei der Dotierung wirtschaftsfördernder, sowie kulturell und sozial fördernder Maßnahmen nicht immer mit der Methode und dem Stil der ausgleichenden Gerechtigkeit zugegangen,

(Abg. Pelster: Sehr gut!)

sondern wer gerade mal etwas wußte, wer gerade mal von einer Sache Wind bekam oder wer gerade mal den richtigen Drücker in der Hand hatte — meistens Zufall! —, der konnte mit irgendwelchen Wünschen — die natürlich immer sachlich begründet sind — und Anträgen an diese Mittel herankommen.

(Abg. Dr. Keller: An der Quelle saß der Knabe!)

Ich halte es für wichtig, hier einmal Remedur zu schaffen, und zwar nicht nur hinsichtlich des Punktes, Herr Kollege Pelster, den Sie erwähnen, nämlich der dauernden Zementierung dieser Mittel, sondern ich halte es auch für notwendig, daß wir einmal eine gerechtere Verteilung der Bewegungsmittel vornehmen. Bei dieser gerechteren Verteilung sollte man sich daran erinnern, daß die 2 Millionen mittlerer und kleiner Gewerbetriebe des Handwerks, des Einzelhandels, des Gaststättengewerbes, der kleinen und mittleren Industrie und aller möglichen sonstigen Gewerbebetriebe dieser Art in der Wirtschaftsförderung dieses Haushalts praeter propter mit 8 Millionen DM bedacht sind, während andere Gruppen mit 50 Millionen, mit 60 Millionen für denselben Zweck dotiert werden. Ich meine jetzt nicht etwa agrarpolitische Finanzierungssummen, die aus den Marktordnungsgesetzen stammen, sondern die allgemeinen, gewerbefördernden, berufsfördernden Unterstützungssummen. In der Dotierung mit diesen Mitteln besteht im Haushalt keine echte Relation unter den verschiedenen Berufsständen. Die Lösung dieser Frage muß für den nächsten Haushalt nachgeholt werden. Meine Fraktion wird entsprechende Anträge stellen.


(Dr. Schild [Düsseldorf])

Wir wünschen auch, daß die Mittelstandspolitik, die der Herr Bundesfinanzminister, soweit sie finanzielle Bedeutung hat, in seinen Vorbemerkungen auseinandergesetzt hat, noch erweitert wird. Eine solche Erweiterung sehen wir in der Errichtung des Mittelstandsinstituts, das zunächst mit 200 000 DM im Etat des Wirtschaftsministers dotiert ist. Wir begrüßen die Einrichtung des Mittelstandsinstituts. Wir haben aber vorläufig noch einen etwas schlechten Beigeschmack bei der Sache. Wir haben keine Regierungsvorlage, aus der zu ersehen wäre, was mit diesem Institut gemeint ist und welchen Aufgabenbereich es haben soll. Wir wissen doch alle, daß ähnliche Institute bereits vorhanden sind: das Deutsche Handwerksinstitut, die Forschungsstelle für den Handel, das Institut für die freien Berufe und andere Institute. Es kann also sein, daß das Mittelstandsinstitut eine gewisse Koordinierungsarbeit leisten soll. Es kann aber auch sein, daß es geschichtliche Doktorarbeiten oder Habilitationsschriften veranlassen wird. Dafür hätten wir kein Interesse.
Ich möchte dazu grundsätzlich sagen: Ein Mittelstandsinstitut muß alle Fragen der Selbständigen unserer Zeit in den verschiedenen Berufsschichten soziologisch-wissenschaftlich behandeln. Dazu aber fehlt eigentlich eine ganz bestimmte Voraussetzung: die Übersicht darüber, wie alle diese Schichten im Kampfe um ihre Selbständigkeit im einzelnen gesehen und global betrachtet steuerlich und sozial belastet sind. Das festzustellen ist nur möglich, wenn wir eine andere Finanzstatistik bekommen, über die ich auch in den letzten Jahren hier bereits manches gesagt und angeregt habe. Dazu gehört, daß wir die Finanzämter mit dem Hollerithverfahren ausrüsten, um sehr schnell zu statistischen Ergebnissen zu kommen, um sehr schnell auch Rückschlüsse über die Steuerbelastungen bei neuen Steuergesetzen oder beim Abbau von Steuergesetzen ziehen zu können. Wir brauchen eine derartige Finanzstatistik als Aufgliederungsstatistik über die Belastung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen sehr nötig. Nur wenn sie vorhanden ist, ist auch ein Mittelstandsinstitut — wenn es nicht auf repräsentative Statistiken, auf Tests angewiesen sein will — in der Lage, sich einen klaren Überblick über die Belastung der Betriebe mit öffentlichen Abgaben zu machen.
Genauso liegt es für die Mittelstandspolitik mit den Mittelstandskrediten. Wir freuen uns, daß es der Landwirtschaft infolge der Tüchtigkeit, aber auch infolge des Einflusses des Herrn Bundesministers für Ernährung gelungen ist, noch einmal 200 Millionen DM flüssig zu machen, um eine gewisse Umschuldung von landwirtschaftlichen kurzfristigen Krediten auf langfristige Kredite vornehmen zu können. Wir freuen uns, daß zu diesem Zwecke auch Zinsverbilligungszuschüsse — wenn sie auch nicht marktkonform sind; vieles in unserer Wirtschaft ist nicht marktkonform — gegeben werden. Aber wir haben den Eindruck, daß, wenn man schon jetzt in der Öffentlichkeit sagt: „Dieser Präzedenzfall darf sich aber unter keinen Umständen wiederholen!", damit gemeint ist, daß die gewerbliche Mittelschicht — also etwa 2 Millionen kleine und mittlere Gewerbebetriebe — eine ähnliche Kreditaktion nicht erwarten dürfe. Ich möchte eindeutig betonen, daß wir rein aus Gründen der Gerechtigkeit — denn es handelt sich hier um Handwerker, Kaufleute, Einzelhändler, Gewerbetreibende, die neben dem Bauern sitzen und die Kreditmöglichkeiten des Bauern sehen und erleben und sich deshalb auch fragen, ob sie selber auch in dieselbe Lage kommen können oder nicht — eine derartige Kreditaktion für die gewerbliche und freiberufliche Mittelschicht seitens des Wirtschaftsministeriums und des Finanzministeriums für absolut notwendig halten. Denn der langfristige Kreditbedarf des gewerblichen Mittelstandes erfordert allein als Umschuldungsbedarf eine Summe von 1,5 Milliarden DM, wie amtlich im Wirtschaftsministerium festgestellt worden ist. Ich bitte deshalb auch nach dieser Richtung hin es uns nicht zu verübeln, wenn wir von der Deutschen Partei diesbezügliche Anträge stellen werden.
Ich darf zum Schluß sagen, daß weitere Anträge, die wir einzubringen gedenken, insbesondere mit der Atomforschung und mit der Neuregelung des Kindergeldgesetzes zusammenhängen werden. Speziell beim Kindergeldgesetz, Herr Kollege Vogel, handelt es sich ja in diesem Hause um ein sehr heißes Eisen; aber wir werden uns bemühen, meine Damen und Herren, mit diesen Anträgen die dringend notwendigen Entlastungen für den Mittelstand zu erreichen. Ich hoffe, daß wir für die angekündigten Anträge bei der zweiten Lesung Gelegenheit haben, uns über den Erfolg unserer Arbeit nach den verschiedenen Richtungen hin auseinanderzusetzen. Die Deutsche Partei wird bei den Haushaltsberatungen im Sinne meiner Darlegungen mitwirken.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217901200
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Keller.

Dr. Wilfried Keller (GB/BHE):
Rede ID: ID0217901300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als vermutlich letztem oder einem der letzten Sprecher gestatten Sie mir in aller Offenheit eine „allgemeine Vorbemerkung", allerdings nicht zum Bundeshaushalt selbst. Alle Vorredner, vor allem die der großen Fraktionen, haben eingangs festgestellt, daß diese Debatte wieder einmal vor leeren Bänken stattfindet. Aber auch die Leere ist offenbar graduell verschieden. Man könnte fast von einem gleichmäßig wachsenden Verhältnis sprechen: je größer der Bundeshaushalt wird, um so leerer wird das Haus. Heute haben wir einen Rekordhaushalt, aber leider offenbar auch einen Rekord in bezug auf die Leere des Hauses. Und unter solchen Umständen will die heute hier gar nicht einmal vertretene Mehrheit dieses Hauses beantragen, die Sitzungen noch über 21 Uhr hinaus auszudehnen. Wenn wir die parlamentarische Arbeit so fortführen wollen, dann kann ich nur sagen: Gute Nacht! In einem Land, das an den Grenzen der Freiheit liegt und das seine parlamentarische Demokratie im Volk verwurzeln sollte, was offenbar da und dort noch notwendig ist, sollte man solche Wege nicht gehen.

(Sehr richtig! beim GB/BHE.)

Ich möchte zunächst etwas zu den Bemerkungen des Kollegen Nie der alt sagen, die mir im Hinblick auf eine größere Rationalisierung der Verwaltung, die Ausschaltung von Pannen usw. sehr gefallen haben. Ich sehe vor meinem geistigen Auge bereits Ihre Unterschrift, Kollege Niederalt, unter einem Antrag auf Änderung des Grundgesetzes zum Zwecke der Einführung der Bundesfinanzverwaltung, den wir dann auch sehr gern unterschreiben werden.

(Sehr gut! bei der SPD.)



(Dr. Keller)

Es ist wahrscheinlich der einzige wirklich praktische Weg, über das Stadium der Diskussionen hinauszukommen und dieses Ziel zu erreichen.

(Abg. Niederalt: Da gibt es viele andere Wege!)

— Nun, wir werden sehen.
Der Herr Bundesfinanzminister hat mit seinen Ausführungen den Ausgangspunkt der heutigen Debatte gegeben. Um ihm zunächst wenigstens ein Kompliment zu machen, muß ich sagen, daß diese Ausführungen ein Meisterstück gewesen sind, ein Meisterstück an farbiger Malerei mit werbendem Charakter, in dem sehr viel und sehr geschickt mit Zahlen operiert worden ist. Der Leser liest in den Zeilen weiter, der Hörer hört den Worten zu, und sie merken gar nicht, daß da einmal absolute und einmal relative Zahlen auftauchen oder daß einmal zur Vereinfachung die Familienangehörigen hinzugezählt werden. Es ist immerhin eindrucksvoll gewesen, und ich verstehe es auch, daß sich eine Regierung, die nun acht Jahre an der Macht ist, bemüht, im Wahljahr eine Bilanz aufzustellen, in der man nicht nur Schlechtes finden kann; das will ich auch gar nicht behaupten. Aber ich glaube, die Aufgabe oppositioneller Parteien ist es, in einer solchen Debatte darauf hinzuweisen, wo sie Ansatzpunkte der Kritik oder einen übertriebenen Optimismus sehen — und der Gesamtdeutsche Block/ BHE ist eine Oppositionspartei.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat diesen Haushalt einen Etat der sozialen Sicherheit und der Stabilität — oder umgekehrt — genannt. Ich werde mich mit dem Problem der sozialen Sicherheit an Hand dieses Haushalts noch befassen. Aber ich möchte doch sagen, daß ich in einem ganz kleinen, verschämten, aber sehr inhaltsschweren Passus seiner Rede, den ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten wohl aus dem Protokoll zitieren darf, den Pferdefuß dieses stabilen Haushalts gefunden zu haben glaube. Es heißt dort:
Ich habe — um dieses Kapitel abzuschließen — nur Zweifel, ob wir uns nicht für 1958 und die folgenden Jahre durch den Stau an Verpflichtungen Schwierigkeiten schaffen, deren Behebung nur auf grundlegend neuen Wegen möglich ist.
Welch inhaltsschwere Worte in welch kleinem gefälligem Satz! Es ist natürlich — die Herren Vorredner haben ja darauf hingewiesen —, daß in den großen Sozial- und Verteidigungsblöcken gewisse zwingende Lasten geschaffen worden sind, und ob deren Umfang mehr oder weniger weit geht, ist hier keine so entscheidende Frage. Er ist an sich groß genug. Dadurch wird immer ein gewisses Kompendium an Verpflichtungen, denen wir nicht entgehen können, vor uns hergeschoben. Und dann kommt eines Tages, 1958 oder später, die Stunde, wo es gelten wird, Wechsel einzulösen, für die heute offenbar eine Deckung noch nicht gefunden ist.
Aber ich möchte, das werden Sie verstehen, vom Gesamtanliegen unserer Partei her einige Grundlagen zur Geschädigten-Politik aufzeigen, die ja auch der Herr Bundesfinanzminister besonders angesprochen hat. Er hat hier gesagt: Kein Berufsstand in Deutschland, kein Bevölkerungskreis einschließlich der im Eingliederungsprozeß befindlichen Vertriebenen und Flüchtlinge, der nicht von diesem Haushalt eine echte und große Förderung seines Lebensstandards erwarten kann. Es gibt auch andere, etwas weniger schön gefärbte und deutlichere Äußerungen aus demselben Lager, die — ich darf auch hier noch einmal kurz zitieren — kürzlich in der Zeitschrift „Der Monat" veröffentlicht worden sind. Es heißt dort:
Hört man die Sprecher der Vertriebenen, dann ist die Not noch sehr groß. Fragt man aber die zuständigen amtlichen Stellen in Bund und Ländern, dann bekommt man zur Antwort, daß die Fürsorge vielfach das Maß des Notwendigen überschritten habe.

(Abg. Pelster: Stimmt doch wohl!)

- Ich möchte mir ersparen, hier den Namen dieses Kollegen zu nennen. So kann man es nicht tun. Es hat seinerzeit Äußerungen verschiedener Art von kompetenter Seite zu dieser Frage gegeben. Wir haben um die Weihnachtszeit vom Herrn Bundesminister für Vertriebene und Geschädigte Worte gehört, die so gefaßt waren, daß man zwangsläufig interpretieren mußte, auch er sehe die Dinge weitgehend als erledigt an. Es hat darauf einen kleinen, nicht unserer Initiative entsprungenen, offenen Briefwechsel zu dieser Frage gegeben. Aber er hat dann in einer bekanntgewordenen Denkschrift seines Ministeriums darauf hingewiesen, daß 50% der Geschädigten auch — und ich möchte sagen: sogar — nach seiner Meinung eben noch nicht als eingegliedert und auch nicht als annähernd eingegliedert bezeichnet werden können. In anderen Fragen liegt es ähnlich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit den Empfangsworten in Friedland allein ist es noch nicht getan, wenn wir nachher nach Jahr und Tag von den Spätheimkehrern die Briefe bekommen und erfahren, daß sie eben noch keine Arbeit, noch keine Existenz finden konnten.

(Abg. Dr. Strosche: So ist es!)

Mit den Sowjetzonenflüchtlingen steht es ähnlich. Wir haben kein Recht mehr, ihnen die sorglose Ankunft im freien Westen zu versprechen, wenn nachher die Lage so ist, daß, wie wir erst kürzlich aus einer offiziellen Bekanntmachung erfahren haben — Herr Staatssekretär Nahm hat sich hier so geäußert —, 20% der jugendlichen Sowjetzonenflüchtlinge bewußt wieder in das Land der Unfreiheit zurückgekehrt sind, aus dem sie damals geflohen sind. Das sind doch Warnzeichen — das ist die Statistik Ihres Staatssekretärs, Herr Pelster! —, die uns irgendwie zu denken geben sollten und zu der Überlegung führen müßten, daß hier eben noch manches nachzuholen ist, wenn wir zu einem Etat der sozialen Sicherheit kommen wollen. Die Behandlung der Sozialreform, allein das Verfahren, das man hier eingeschlagen hat, ist dafür ein Beispiel. Es wurde heute schon angesprochen.
Noch ein Wort zum Wohnungsbau. Der Etat enthält in dieser Beziehung viele begrüßenswerte Erhöhungen. Darüber ist keiner froher als wir. Aber man darf doch nicht vergessen, daß z. B. die Erhöhung des Grundstocks all dieser Leistungen — der berühmte immer wiederkehrende 500-Millionen-Fonds ist diesmal um 200 Millionen auf 700 Millionen aufgestockt worden — nur einer Entwicklung nachgekommen ist, die mit der Steigerung der Baukosten, der Materialpreise und Löhne, mit den Verhältnissen auf dem Grundstücksmarkt, im Kapitalverkehr usw. solche Erhöhungen überhaupt erst notwendig gemacht hat, wenn man nur einigermaßen Schritt halten wollte. Selbst aus dem


(Dr. Keller)

Lager der Regierungsparteien, aus dem Mund meines bayerischen Kollegen Niederalt sind heute Worte gekommen, die zeigen, daß man in bezug auf das Grenzlandprogramm die Dinge in Bonn offenbar bisher noch anders sieht, als sie draußen gesehen werden, als sie auch z. B. in Passau gesehen werden. Ich glaube, daß man im Wahlkreis des Herrn Bundesfinanzministers über diese geplanten Einschränkungen nicht sehr zufrieden sein wird. Ich traue ihm allerdings — das muß ich offen bekennen — das Geschick zu, die Dinge dort rhetorisch wieder irgendwie in Ordnung zu bringen. Aber auf diesem Gebiet muß sicher mehr getan werden.
Wenn heute von der anderen Seite eine Monster- und Paradebilanz unseres Wirtschaftswunders aufgemacht worden ist — wir freuen uns mit darüber —, dann sollten wir auch ein soziales Problem, das durch den Haushalt mindestens durchläuft, aus dieser Debatte nicht ausklammern: es ist der Lastenausgleich. Wir sind nicht der Meinung, daß der Lastenausgleich mit einer Laufzeit von 30 Jahren und einem geschätzten Gesamtvolumen von etwa 60 Milliarden DM auf die Dauer das Stiefkind des Wirtschaftswunderlandes bleiben kann.

(Beifall beim GB/BHE.)

Die Vermögensbildung, von der wir heute hier gehört haben, beträgt sage und schreibe für fünf oder sechs Jahre — je nachdem, wie man sie zusammenzählt — 141 Milliarden DM — das Gott sei Dank Erhaltengebliebene gar nicht gerechnet — gegenüber dem in 30 Jahren zahlbaren Betrag von 60 Milliarden DM an Lastenausgleich, den man zunächst glaubt noch aufrechterhalten zu können.
Es sollte hier auch eine andere Prüfung einmal ernstlich angestellt werden: Ist es auf die Dauer richtig, ist es auf die Dauer aufrechtzuerhalten auch unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes des Grundgesetzes —, daß verschiedenen Geschädigtenkategorien so verschiedene Entschädigungssätze für den Schaden geboten werden, den sie in der Gesamtkatastrophe erlitten haben, wie das zur Zeit der Fall ist?

(Sehr richtig! beim GB/BHE.)

Sie wissen, daß die Skala vom Lastenausgleich bis zur Entschädigung der besatzungsgeschädigten Deutschen sehr, sehr weit gespannt ist; sie geht von wenigen Prozent bis zu beinahe 100 Prozent. Dieser Staffelraum ist auch im Hinblick auf das Grundgesetz nicht richtig. Wir sind auch aus sozialen Gründen der Meinung, daß man ernsthaft überlegen sollte, ob im Zeichen des wirtschaftlichen Aufstiegs und im Zeichen der wirtschaftlichen Entwicklung der Großbetriebe auf der Abgabenseite nicht eine sozial gerechtere Staffelung eingeführt werden sollte,

(Sehr gut! beim GB/BHE)

ob man nicht die Kleinen allmählich mehr entlasten und den Ausgleich dort suchen sollte, wo er gefunden werden kann.
Von diesen besonderen Anliegen abgehend noch einige nicht sehr lange Bemerkungen zur allgemeinen Politik, die heute wohl ihren Platz hier haben sollen. Wir haben vor einiger Zeit eine Kabinettsumbildung gehabt. Wir haben noch keine Debatte darüber gehabt; ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht war. Aber heute kann man wohl eine Kleinigkeit dazu sagen. Der Einzelplan 29 ist ja noch
einmal davongekommen. Aber in den Fällen der sogenannten Ministerien Kraft und Schäfer ist damals die Entscheidung gefallen. Ich glaube, man sollte einmal sagen, daß diese Entscheidung offenbar ganz überwiegend nicht in der konzentrierten staatsmännischen Kunst einiger Stunden, sondern unter dem steigenden und nicht haltmachenden Druck der deutschen Öffentlichkeit gefallen ist, die sich diese Dinge auf die Dauer einfach nicht mehr bieten lassen wollte.

(Beifall beim GB/BHE.)

Es entsteht kein guter Eindruck — Herr Schoettle hat darauf mit dem Gewicht des Vorsitzenden des Haushaltsausschusses schon hingewiesen —, wenn man sieht, daß durch die Hintertür des Einzelplans 24 die ordensumkränzten Geister der Herren Kraft und Schäfer — vielleicht diese selbst; ich weiß es nicht — wieder eintreten, um das weiterzumachen, was selbst in einer Regierungserklärung als ein verfehltes Unternehmen und als eine Fehlplanung bezeichnet worden ist.
Lassen Sie mich dabei offen ein Wort sagen. Das Volk hat nach alledem, was man draußen hört, wenig Verständnis für manche Orden in einem Zeitalter, in dem man den Menschen, die als Helfer des Deutschen Roten Kreuzes in Ungarn ihren Kopf für die Menschlichkeit hingehalten haben — das scheint mir ein viel höheres Verdienst zu sein —, Erinnerungsmedaillen an die Brust steckt.

(Sehr richtig! beim GB/BHE.)

Noch eins zur Regierung selbst. Wieder wird in der Einzelberatung der Reptilienfonds sicherlich eine große Rolle spielen. Er ist ein wenig vermindert worden. Die Waage ist dafür aber auf der anderen Seite gleich wieder ein wenig höher hinaufgeschnellt. Wir haben im Interesse eines echten demokratischen Gedankens eine Bitte an die Regierung oder an die Regierungsparteien: Belasten Sie gerade in einem Wahljahr die Öffentlichkeit nicht mit dem Dunkel solcher Dinge. Heben Sie wenigstens in einem Wahljahr den Reptilienfonds auf, um zu zeigen, daß sehr viele Vermutungen, die in der Öffentlichkeit herumgeistern, offenbar nicht so berechtigt sind, wie viele oft glauben. Ich muß ehrlich sagen, daß die nicht sehr schöne Antwort des Bundesfinanzministeriums auf die kürzliche Anfrage betreffend den Bezug des „sehr bekannten, außerordentlich guten und sehr billigen" Wirtschaftsdienstes der CDU, das „Wirtschaftsbild", dessen Einnahmen Herr Bach verwaltet, hier zu Bemerkungen und Befürchtungen Anlaß gegeben hat, die diese Bitte besonders unterstreichen sollten.

(Abg. Pelster: Das war nicht sehr geistreich!)

— Ja, man denkt über das Geistreiche verschieden, Kollege Pelster.
Nun, es ist noch ein weiterer Ministerwechsel eingetreten, den wir offen gesagt begrüßen. Ich möchte hier dem Kollegen Blank, der dort seine Pflicht und Schuldigkeit getan und nur das ausgeführt hat, was ein anderer wollte, und der dafür letzten Endes dann gehen mußte, nicht zu sehr auf seine parlamentarischen Hühneraugen treten, die er sich im Laufe der Zeit erworben hat. Aber ich muß doch sagen, daß das Erscheinen von Minister Strauß in der Regierung — das ist keine Liebeserklärung einem politisch Andersdenkenden gegenüber — doch bei vielen Menschen im Volke draußen und auch bei uns gewisse Hoffnungen auf eine Entwicklung eröffnet hat, in der man den Ereignissen Rechnung trägt und nicht stur am alten Zopf


(Dr. Keller)

festhält, in der man eben die Dinge so ernst nimmt, wie sie genommen werden müssen.
Wir haben in der letzten Zeit eine sehr überschäumende Entwicklung gehabt. Keiner in diesem Hause sollte versuchen, zu sagen, er habe das alles im vorhinein schon gewußt! Wir haben kürzlich bei der Wehrdienstzeitdebatte hier eine Rede des Kollegen Dr. Lenz gehört, die schon besorgniserregend in die Richtung wies, daß man versuchen würde, zu sagen: „Haben wir alles gewußt; wir waren die einzigen, und wir werden daraus das politische Kapital schlagen, das wir im Augenblick brauchen." Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit so ernsten nationalen Dingen sollte man ein solches Spiel wirklich nicht treiben, zumal sich doch allem Anschein nach im Zuge der Entwicklung, die von keiner Seite vorausgesehen werden konnte, auf manchen Gebieten eine Einigung anzubahnen scheint. Dabei versucht jeder, sein Gesicht noch ein wenig zu wahren, während er doch entschlossen ist — von beiden Seiten meine ich das —, zuzugeben, daß eine neue Entwicklung uns vor neue Gemeinsamkeiten und neue Aufgaben stellt. Ich darf es kurz machen. Ich habe den Eindruck, daß die Regierung von der illusionären Verteidigungspolitik, der sie durch den früheren Minister Blank oder vielleicht auch manchmal von höchster Seite konzentriert zu huldigen schien, zu einer vernünftigeren, realistischeren Verteidigungspolitik abschwenkt. Das dürfte wohl im Interesse jedes Deutschen gelegen sein.
Man spricht nicht mehr stur von den 500 000 Mann, die allein die Seligkeit retten können. Man spricht von den Waffen, und die Erfahrung der Woche, in der wir sagen konnten: „Wir sind noch einmal davongekommen", hat gezeigt, wo und mit welchen Mitteln heute die Welt bewegt oder in ihren Fugen festgehalten wird. Wenn solchen Dingen Rechnung getragen wird, wollen wir das begrüßen. Wir haben gern gehört, daß gewisse als veraltet geltende Waffen, zu deren Anschaffung damals der Haushaltsausschuß unter der alten Ägide noch seine Zustimmung gegeben hatte, nun zunächst nicht beschafft werden. Wir wollen hoffen, daß. diese Pressemeldung zutrifft.
Man hat ähnlich erfreuliche Dinge über die Einstellung des Baus des „Pentagon" gehört, das zunächst auf 55 Millionen DM veranschlagt worden war und für das wegen der steigenden Baukosten, die ja jeden Voranschlag sprengen, bereits größere Zahlen genannt worden sind. Es scheint allerdings aus dem Einzelplan 14 wieder eine kleine erste Rate auf, die etwas beunruhigt. Aber vielleicht bleibt Herr Strauß bei seinen vielversprechenden anfänglichen Äußerungen.
Ich möchte nicht verschweigen, daß aus den Ereignissen auch eine Erfahrung gezogen werden müßte, nämlich die, daß der Schutz der Zivilbevölkerung auf dem Gebiete der ärztlichen und medikamentösen Versorgung und auf dem Gebiete des Luftschutzes bedeutend mehr bedacht und berücksichtigt werden muß, als es im Augenblick der Fall ist.
Eines möchte auch ich noch unterstreichen — alle Redner haben es gesagt, und wir wollen uns da keineswegs ausschließen —: Für Technik und Forschung muß mehr getan werden in einer Welt, in der uns, wenn wir ohne Krieg davonkommen sollten — und das hoffen wir zu Gott —, wahrscheinlich eines Tages das Schlachtfeld des wirtschaftlichen Kampfes unentrinnbar auf seinen Plan ziehen wird. In einer Zeit, in der der organisierte Wettlauf um die technische Beherrschung der Welt begonnen hat, darf sich das deutsche Volk nicht mehr weiter so ausschließen, wie es augenblicklich der Fall ist.

(Sehr gut! beim GB/BHE.)

Zuweilen wird zuwenig getan; an mancher Stelle wäre ein Mehr am Platze. Wir haben immer noch im Auswärtigen Amt eine Unterabteilung Ost mit dem bemerkenswert großen, riesigen, geradezu globalen Bereich, der vom Eisernen Vorhang bis hinüber ins ferne große China reicht. Gerade angesichts der Entwicklung der letzten Weltereignisse, der Aussichten und der Pläne, die international bestehen, ist das doch auf die Dauer gar nicht zu verantworten. Herr von Brentano hatte seine Anlaufzeit. Er hat sie hinter sich. Wir wollen ihn bitten, nun einmal einzusehen, daß verläßliche Grundlagen für Dinge, die vielleicht eines Tages wirklich die Welt bewegen werden, nicht gewonnen werden können — das ist ganz unmöglich — im Rahmen einer so bescheiden und dürftig ausgestatteten Ostabteilung des Auswärtigen Amts, wie wir sie heute vor uns sehen.
Ich möchte mit zwei aktuellen Problemen schließen, die irgendwie zusammengehören. Wir bekommen zum neuen Jahr den Anfang einer deutschen Wiedervereinigung mit dem Saargebiet. Es ist eine Frage, ob es sehr gut ist, daß das Parlament, das zu einem Teil sehr heiß die Wiedervereinigung mit dem Saargebiet herbeigesehnt und mit herbeizuführen geholfen hat, an diesem Empfang offenbar nicht beteiligt ist und daß diejenigen hinfahren, die sich die Verdienste dafür wahrscheinlich nur in geringerem Umfang — wenn sie ehrlich sind — zuschreiben sollten. Nun, das ist eine andere Frage. Aber wir sehen, daß heute bereits Veröffentlichungen in der Zeitung sind, die sagen: Der soziale Besitzstand an der Saar wird nicht ohne weiteres gewahrt werden, ein Kabinettsbeschluß hat den Bundesarbeitsminister Storch desavouiert. Es wäre ein schlechter Beginn, nicht nur für die Wiedervereinigung an der Saar, sondern für jede Form von Wiedervereinigung, wenn wir hier nicht dafür sorgten, daß der Wille zur Wiedervereinigung, die wir wollen, der sich an der Saar gezeigt hat, nicht letzten Endes — nicht an seinen reichsten, sondern an den ärmsten Einwohnern des Landes; ich denke an das Kindergeld, an die Kriegsopferrenten und ähnliche Dinge — praktisch bestraft wird. Ich glaube, daß der Deutsche Bundestag sich nicht in der Lage sehen wird, zuzulassen, daß zu allen Wiedervereinigungsproblemen ein so schlechter Grundstein gelegt wird.
Abschließend ein Wort zu dem aktuellen Problem Berlin. Selbstverständlich — ich hoffe das - liegt das Problem Berlin jedem am Herzen. Aber dann muß man es anders behandeln, als man es bisher behandelt hat. Ich entsinne mich sehr gut, daß mein Freund Seiboth und andere vor langer Zeit mit einem Antrag an das Haus herangetreten sind, durch den Aufbau des Reichstags in Berlin ein Symbol zu schaffen, das man nicht übersehen kann und das eine attraktive Wirkung auf den Wiedervereinigungswillen ausübt. Diesem Antrag hat man damals sehr unfreundliche Schultern gezeigt. Dann kam auf einmal die begrüßenswerte Meinung des Kollegen Dr. Bucerius, der sagte: Wir gehen nach Berlin! Sehr viel Papier ist darüber verschrieben worden, sehr viel hat man im Rundfunk darüber gehört. Dann kam der Gegendampf — wenn ich so


(Dr. Keller)

sagen darf - von der Bundesregierung, aus technischen Gründen sei es nicht möglich.
Dieses Schaukelspiel mit Berlin ist nicht richtig; Berlin ist einfach zu schade, als daß man ein solches Schaukelspiel betreiben sollte.

(Sehr gut! beim GB/BHE.)

Ich sage das deswegen, weil - leider - auch nach den letzten aktuellsten Ereignissen Grund zu der Annahme besteht, daß der Wille, nach Berlin zu gehen, nicht gar zu ernst ist. Ich denke an Äußerungen, die dem Herrn Bundeskanzler zugeschrieben werden, ohne daß das Bundeskanzleramt - wie dieselbe Meldung, die wir heute gelesen haben, ausdrücklich betont - ein Dementi eingelegt hätte. Er soll gesagt haben - einer der Angesprochenen ist im Augenblick leider nicht hier -, die Frage der Hauptstadt wäre keinesfalls mit Berlin zu lösen, gleichgültig, ob es besetzt sei oder nicht.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

- Dann soll es dementiert werden.

(Abg. Pelster: Man kann doch nicht alle Dummheiten dementieren!)

- Das sind keine Dummheiten, das sind uns traurig stimmende Wahrheiten.

(Abg. Pelster: Wer sagt, daß das Wahrheiten sind?)

- Ich bin bereit, einen Kollegen dieses Hauses zu zitieren, der berichtet hat, seinerzeit sei aus demselben Munde gesagt worden, die Hauptstadt Deutschlands müsse auf Rebenhügeln stehen, sie dürfe nicht auf kolonialem Boden stehen. Ein Mitglied dieses Hauses hat erklärt, es sei gern bereit, diesen Ausspruch zu bestätigen.
Meine Damen und Herren, für uns liegt die politische Zielsetzung nicht in Bonn und dem, was wir im Laufe der Zeit als den Geist von Bonn erfahren mußten; für uns liegt sie in Berlin und dem Geist von Berlin.

(Beifall beim GB/BHE und bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0217901400
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich schlage Ihnen Überweisung an den Haushaltsausschuß vor. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich berufe die nächste, die 180. Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 13. Dezember 1956, 14 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.