Rede von
Hans
Lenz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Mitglied des Geheimen Conseils, der obersten Regierungsbehörde der Herzogtümer Weimar und Eisenach, ein Mann, der über große Verwaltungserfahrungen verfügte, ein gewisser Johann Wolfgang von Goethe, läßt im zweiten Teil seines „Faust" den Marschalk seinem Schatzmeister - wahrscheinlich in Erinnerung daran, daß er einmal Staatsminister gewesen war — sagen: „Wir wollen alle Tage sparen und brauchen alle Tage mehr." Das scheint das Motto zu sein, unter dem die Finanzminister aller Länder und Zeiten seit der Offenlegung des Budgets vor den Volksvertretungen ihre Etats einbringen. Auch als am letzten Freitag unser Finanzminister mit einem Wort des Bedauerns zugeben mußte, daß nun wiederum der Rekordhaushalt des letzten Jahres erweitert werden mußte und weitere 3000 Bundesbedienstete eingestellt werden müssen, ging etwas von diesem Geist durch den Saal: „Wir wollen alle Tage sparen und brauchen alle Tage mehr."
Der Herr Finanzminister hat die finanzwirtschaftlichen Überlegungen, von denen man beim Haushalt auszugehen hat, wenn ich ihn richtig verstanden habe, auf zwei Punkte abgestellt, nämlich auf seine Einnahmeprognosen und sodann auf einen Vergleich der Zuwachsraten des Brutto-
sozialprodukts und der Steuereinnahmen. Es ist zweifellos erfreulich, feststellen zu können, daß die Schätzungen des Bundesfinanzministeriums — wir wissen, daß es dafür nicht allein verantwortlich ist — mit den allgemeinen Schätzungen nunmehr übereinstimmen und daß die Differenzen in den Einnahmeprognosen im großen und ganzen behoben sind. Dagegen erscheint mir die Problematik in der Art des Vergleichs der Zuwachsraten recht ernst. Man wird nicht ohne weiteres zustimmen können, daß sich die Zuwachsraten hierbei auch auf solche Steuern erstrecken, die weder in der Abhängigkeit von der Erweiterung oder Entwicklung des Sozialprodukts stehen noch der Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs dienen. Hier spielen der vom Bundesfinanzminister ausdrücklich einbezogene Lastenausgleich und gewisse Gemeindesteuern eine Rolle. Das Ergebnis wird nämlich ein bißchen anders, wenn man diese Steuern ausschließt. Dann ist z. B. die Zuwachsrate der Steuern des Jahres 1955 gegenüber 1954 11,2 v. H. statt 10,9 v. H. bei einem Zuwachs des Sozialprodukts von 12,8 v. H. Es wird kaum richtig sein, Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie sich in Ihrer Haushaltsrede lediglich auf die Zuwachsraten vom Jahre 1954 an beschränken. Man wird wahrscheinlich einen längeren Zeitraum nehmen müssen, und dann entspricht der Anstieg des Bruttosozialprodukts von 136 Milliarden im Jahre 1951 auf 179 Milliarden im Jahre 1956 voll dem Anstieg des Steueraufkommens von 36,6 Milliarden im Jahre 1951 auf 57,6 Milliarden im Jahre 1956.
Ich habe diese Zahlen dem hier schon erwähnten außerordentlich wichtigen Werk der Allgemeinen Vorbemerkungen entnommen. Es ist schade, daß wir mit diesem Werk nicht auch die Zeit geliefert bekommen, die es uns erlaubt, es gründlich zu studieren. Aber ich frage: sollte man einen solchen Vergleich der Zuwachsraten von Bruttosozialprodukt und Steueraufkommen nicht besser überhaupt unterlassen? Das Steueraufkommen soll in seinem Ausmaß der Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs dienen. Es hat keine eigene Entwicklung wie das Bruttosozialprodukt, sondern für sein Ausmaß sind die Bedürfnisse, die Wünsche des öffentlichen Finanzbedarfs maßgebend, und diese sind vom Sozialprodukt weitgehend unabhängig. Man denke nur an den Verteidigungshaushalt, an die Soziallasten und andere gesetzlich beschlossene Etatposten. Man wird diesen höchst fraglichen Zusammenhang der Entwicklung von Sozialprodukt und Steueraufkommen als finanzwirtschaftlichen Ausgangspunkt für die Überlegungen für einen neuen Haushalt besser ausschließen. Aber hier an dieser Stelle begänne nun eine Steuerdebatte, mit der wir jetzt beim Haushalt nichts zu tun haben, vielleicht leider nichts zu tun haben.
Herr Dr. Vogel, Sie haben mit vorsichtigen Worten, denen eine gewisse Skepsis innewohnte, den Haushaltsausgleich als zwar rechtlich in Ordnung, aber nicht besonders schön bezeichnet. Ich glaube, man darf sagen: Man kann ihn auch nicht als stabil bezeichnen. Wir wollen doch wieder zurückfinden! Im Haushaltsausschuß sind wir uns im großen und ganzen in dem Bestreben einig, auf die klassischen Begriffe der Haushaltsgebarung zurückzukommen. Der Staatshaushalt sollte keine Reserven bilden, und er sollte auch keine Reserven auflösen. Der Staatshaushalt soll laufend durch Einnahmen und Ausgaben im Gleichgewicht gehalten werden.
- Nun werden in zwei Jahren schon, Herr Kollege Conring, durch laufende Mittel bleibende Ausgaben gedeckt. Wer will die Regierung, wer will das Parlament hindern, auf diesem auf die Dauer gesehen doch recht verhängnisvollen Weg weiterzugehen? Vielleicht der Art. 113 des Grundgesetzes? Ich weiß es nicht. Im Augenblick gehen die Dinge noch gut, solange die Kasse voll ist. Aber wir werden im Jahre 1958/59 schon die verhängnisvollen Folgen dieser Ausgleichsmanipulationen zu spüren bekommen.
Wir haben uns auch leider viel zu sehr daran gewöhnt, den außerordentlichen Haushalt, das Extraordinarium, als einen Verschiebebahnhof zu betrachten, in den man Posten hineinschiebt, die man im Augenblick nicht decken kann oder decken will. Auch das ist nicht der Sinn des außerordentlichen Haushalts. Man hat doch auf der anderen Seite, wie wir im Schwäbischen sagen, „hehlingen" Bundesvermögen und Sondervermögen angesammelt, die in irgendeiner Form einmal aktiviert werden müssen.
Herr Dr. Vogel, wir sind sehr einig, und im großen und ganzen ist sich auch das Haus darüber einig, welch entscheidende Bedeutung der Förderung der Forschung zukommt. Die Frage ist — Sie haben das angeschnitten, und ich möchte das mit unterstreichen —, ob wir hier nun nicht einmal zu einem wirklich ernsthaften grundlegenden Gespräch zwischen Bund und Ländern kommen müssen. Es kann doch nicht so bleiben, daß wir in dem Dispositiv des Bundeshaushalts bei soundso viel Titeln die Anmerkung finden: Soundso viele Millionen gesperrt, bis gewissermaßen das Land oder die Länder sich bereit erklären, einen entsprechenden Beitrag zu leisten. Ich glaube, daß der Satz: „Wenn du, Land, es nicht tust, dann kommt eben das Projekt nicht zustande" auf die Dauer verhängnisvoll ist. Denken wir etwa an bestimmte Schulbauprobleme in den Zonenrandgebieten oder an die Ausbildungs- oder Stipendienprobleme bei unserer studierenden Jugend!
Wir müssen hier zu gewissen Opfern, möchte ich beinahe sagen, bereit sein, ohne dadurch die Länder aufzufordern, nach bestimmten Bundestöpfchen zu schielen, aus denen sie dann schöpfen können, und ihre eigenen Kulturaufgaben zurückzustellen. Aber Sie werden es einem Mitglied einer Fraktion, die nach wie vor für eine Bundeskultusverwaltung ist, nicht verübeln, wenn es gerade diese Tendenz des Bundeshaushalts nicht für richtig hält.
Ich glaube, wir könnten uns dazu verstehen, einem Kabinettsausschuß — etwa unter dem Vorsitz von Minister Balke — zuzustimmen, nicht zuletzt deshalb, weil wir seinerzeit dagegen waren, daß das Atomministerium gebildet wurde. Wir hätten es, ohne die Wichtigkeit dieser Aufgabe irgendwie zu bestreiten, lieber gesehen, wenn sie zumindest noch ein Weilchen im Wirtschaftsministerium geblieben wäre.
— Da wir heute in einer Haushaltsdebatte sind,
würde ich vorschlagen, mit Prophetien ein wenig
vorsichtig umzugehen. Wir wissen nichts Genaues darüber, was der Mensch hinter jenem Vorhang in der dunklen Zelle tut, wenn er sein Kreuz hinter einen Namen setzt.
Das ist ein Beitrag zu dem Thema „Der Mensch,
das unbekannte Wesen", Herr Kollege Dresbach.
Ich wollte sagen, es ist nichts dagegen einzuwenden, daß sich die Forschungsaufgaben um eine Persönlichkeit mit Kabinettsrang herumranken. Wir sind nämlich in größter Sorge, daß hier laufend eine Zersplitterung zentral wichtiger Aufgaben vor sich geht und daß wir — ich will es einmal mit ein wenig Übertreibung sagen; aber einen Kern davon verteidige ich — langsam zu den unterentwickelten Ländern gehören, wenn wir nicht gerade auf diesem Gebiet einer straffen Zentralisierung das Wort reden.
Ich versuche, dem Haushaltsrecht und der allgemeinen Haushaltsgebarung gerecht zu werden, und möchte ein Petitum vortragen, das mir schon seit einigen Jahren Beschwerden macht. Wir erleben es immer wieder, daß der Bundeshaushalt, durch die Referentenebene gehetzt, das Kabinett durchläuft und dann in den Bundesrat kommt. In diesen 14 Tagen lesen wir dann in Leitartikeln in den Wirtschaftsteilen der großen Zeitungen zunächst Analysen des Bundeshaushalts. Vielleicht lesen wir darin auch, wie wir über diesen Bundeshaushalt zu denken haben. Ich finde diesen Zustand, daß der Bundestag den Bundeshaushalt erst nach dem Durchgang durch den Bundesrat erhält, unserer und des Parlaments nicht würdig.
— Wir müssen dann den Mut haben, Herr Kollege Hellwig, eine Grundgesetzänderung einzubringen, damit bei dem Haushaltsgesetz, einem der wesentlichsten Gesetze, die dieses Haus zu verabschieden hat — es ist nicht irgendein Gesetz —, das in jedem Jahre wiederkommt und das das große Ordnungselement unseres Staates ist, eine Ausnahme besteht und wir gleichzeitig mit dem Bundesrat den Haushaltsentwurf bekommen. Nicht nur wir, sondern auch die Ressorts gewinnen dadurch Zeit. Wir wissen, wie es bei den Ressorts vor sich geht: daß sie sich leider sehr oft nicht die Zeit nehmen können, um die entscheidenden Probleme wirklich zu Ende zu denken. Ich bitte das Hohe Haus wirklich, sich diesen Gedanken einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Selbstverständlich weiß ich, daß ich als einzelner damit nicht durchdringen kann. Wir haben aber immer wieder festgestellt, daß wir durch den starken Zeitdruck wesentliche Dinge versäumen. Ich möchte — ich hoffe, Ihren Beifall, Herr Professor Gülich, zu finden, und bitte den Ältestenrat, diesen Wunsch zu beachten —, daß wir diesmal mehr Zeit für die zweite Lesung haben; sie ist uns beim letzten Durchgang außerordentlich beschnitten worden, was sich sehr nachteilig ausgewirkt hat. Ich glaube, wir könnten hier eine ganze Menge rationalisieren — um Gottes willen nicht automatisieren —, indem wir vielleicht die Verwaltungshaushalte auf zwei Jahre beschließen. Ich glaube, daß allein das Vorhandensein unseres Kollegen Ritzel genügt, in Zukunft die Ressorts vor unbedachten Autokäufen oder Umzügen zu bewahren.
Mein leider viel zu früh verstorbener Parteifreund Ullrich von Hutten
hat einmal auf der Schule in Pforta
— der ist jung geblieben — die Aufgabe bekommen, einen Spruch für eine Sonnenuhr zu verfassen. Er hat dafür den Satz gewählt: „Ultima Tatet", „Die letzte verbirgt sich". Vielleicht hat er gemeint, die Todesstunde zeigt sich nicht an, vielleicht hat er gemeint, es bleibt immer ein Rest. Bei dem, was die Finanzminister von Bund und Ländern uns sagen, bleibt immer ein Rest, und wir werden versuchen, in den Beratungen des Haushaltsausschusses dem Herrn Bundesfinanzminister und seinen hohen Mandarinen diese letzten Geheimnisse zu entreißen, um in diesem verführerischen Jahr, Wahljahr genannt, mit all seinen Wünschen, die an uns herangetragen werden, dem deutschen Volke einen Haushalt präsentieren zu können, dessen wir uns nicht zu schämen brauchen.