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ID0217900200

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    2. Deutscher Bundestag — 179. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1956 9911 179. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1956. Mitteilung betr. Übertritt des Abg. Platner aus der Fraktion der CDU/CSU zur Fraktion der DP 9911 C Redaktionelle Berichtigung zum Gesetz über die Dauer des Grundwehrdienstes und über die Gesamtdauer der Wehrübungen 9911 C Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfragen 268, 288, 296, 301, 304 (Drucksachen 2571, 2989; 2815, 2990; 2859, 2991; 2873, 2992; 2917, 3002) 9911 D Wahl eines Mitgliedes und eines stellvertretenden Mitgliedes für den Vermittlungsausschuß 9912 A Wahl eines Stellvertreters der Bundesrepublik Deutschland zur Beratenden Versammlung des Europarates 9912 A Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gewährung eines Vorschusses auf Rentenleistungen nach der Neuordnung der gesetzlichen Rentenversicherungen (Rentenvorschußgesetz) (Drucksache 2960) 9912 B Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik 9912 B Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FVP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung einer Vorschußzahlung in den gesetzlichen Rentenversicherungen (Rentenvorschußzahlungsgesetz — RVZG —) (Drucksache 2993) 9912 B Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik 9912 B Fortsetzung der Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1957 (Haushaltsgesetz 1957) (Drucksache 2900) 9912 C Schoettle (SPD) 9912 C Dr. Vogel (CDU/CSU) 9919 B Lenz (Trossingen) (FDP) 9926 D Niederalt (CDU/CSU) 9928 C Dr. Blank (Oberhausen) (FVP) . . 9932 D Dr. Schild (Düsseldorf) (DP) 9935 D Dr. Keller (GB/BHE) 9940 D Überweisung an den Haushaltsausschuß 9944 C Nächste Sitzung 9944 C Berichtigung zum Stenographischen Bericht der 175. Sitzung 9944 C Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 9944 B Die Sitzung wird um 14.00 Uhr durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier eröffnet.
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    Berichtigung. zum Stenographischen Bericht der 175. Sitzung Auf Seite 9695 D Zeilen 2 und 3 von unten ist zu lesen: Würden Sie nicht zu Ihrer Sparkasse oder zu Ihrer Bank gehen, wenn Sie die Wahl zwischen einem Sparguthaben und einem Pfandbrief haben, . .. . Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Ackermann 15. 12. Altmaier 19. 12. Dr. Atzenroth 12. 12. Dr. Baade 12. 12. Barlage 14. 12. Berendsen 12. 12. Fürst von Bismarck 13. 12. Frau Dr. Bleyler 15. 12. Blöcker 13. 12. Brandt (Berlin) 13. 12. Brauksiepe 13. 12. Brockmann (Rinkerode) 12. 12. Cillien 15. 12. Dr. Dehler 15. 12. Frau Dietz 13. 12. Dr. Dittrich 22. 12. Dr. Dresbach 30. 12. Engelbrecht-Greve 13. 12. Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Euler 12. 12. Feldmann 14. 12. Dr. Franz 12. 12. Franzen 13. 12. Frehsee 12. 12. Freidhof 12. 12. Frühwald 15. 12. Dr. Furler 12. 12. Frau Geisendörfer 15. 12. Gerns 12. 12. Gockeln 14. 12. Dr. von Golitschek 12. 12. Grantze 22. 12. Haasler 15. 12. Hansen (Köln) 13. 12. Heix 12. 12. Hellenbrock 12. 12. Herold 13. 12. Heye 13. 12. Höfler 14. 12. Hörauf 15. 12. Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Jahn (Frankfurt) 14. 12. Jahn (Stuttgart) 14. 12. Dr. Jentzsch 12. 12. Frau Kipp-Kaule 12. 12. Dr. Köhler 15. 12. Könen (Düsseldorf) 12. 12. Dr. Königswarter 14. 12. Kühlthau 12. 12. Kuntscher 15. 12. Lahr 12. 12. Lenz (Brühl) 14. 12. Lermer 12. 12. Maier (Mannheim) 12. 12. Majonica 15. 12. Massoth 13. 12. Dr. Mende 12. 12. Metzger 12. 12. Frau Meyer-Laule 15. 12. Meyer (Wanne-Eickel) 12. 12. Mißmahl 15. 12. Morgenthaler 31. 12. Mühlenberg 13. 12. Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 14. 12. Müser 14. 12. Neuburger 13. 12. Odenthal 31. 12. Ollenhauer 15. 12. Paul 13. 12. Dr. Pferdmenges 14. 12. Dr. Pohle (Düsseldorf) 12. 12. Pöhler 13. 12. Frau Praetorius 14. 12. Dr. Preiß 12. 12. Putzig 12. 12. Raestrup 22. 12. Scheel 22. 12. Schmücker 12. 12. Frau Schröder 15. 12. Stauch 13. 12. Stümer 13. 12. Teriete 12. 12. Wehr 14. 12. Dr. Welskop 12. 12. Frau Wolff (Berlin) 12. 12.
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    Rede von Erwin Schoettle


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war gerade im Begriff, in wildem Zorn die Anwesenheit des Bundesfinanzministers zu verlangen, als er auftauchte; ich kann mir also den Zornesausbruch ersparen und gleich zu meiner Haushaltsrede kommen.
    Der Herr Bundesfinanzminister hat am vergangenen Freitag dem Hohen Hause eine mehr als dreistündige Vorlesung über den neuen Bundeshaushalt 1957 gehalten. Ich möchte mich heute nicht mehr zur Form des Vortrags äußern, obwohl die Versuchung naheläge und einige Kollegen aus allen Fraktionen des Hauses mit mir einig waren in den Gefühlen, die mich am Freitag bewegt haben.
    Nur eine formelle Beschwerde möchte ich gleich zu Beginn anbringen. Daß das Haus selbst nicht gut besetzt war, das hat die Kenner leider nicht überrascht. Daran haben wir uns in sieben Haushaltsjahren in diesem Hause gewöhnt und gewöhnen müssen. Aber der Herr Bundesfinanzminister hat schließlich vorige Woche nicht seinen eigenen Haushalt, sondern den Haushalt der Bundesregierung eingebracht, und da finde ich und fanden es viele meiner Freunde befremdend, daß die Regierungsbank bis auf einige Beobachter leer war, die vielleicht keine anderweitige Beschäftigung gefunden hatten.

    (Beifall bei der SPD, beim GB/BHE und bei der FDP.)

    Ich meine, auch der Empfang eines ausländischen Staatsoberhauptes ist keine genügende Begründung dafür, daß die Einbringung des wichtigsten Gesetzgebungswerks eines Haushaltsjahrs von der Regierung so behandelt wird. Ich sage das für alle künftigen Fälle. Ich könnte mir denken, daß unsere Beratungen gerade über das finanzielle Grundgesetz der Bundesrepublik etwas mehr Aufmerksamkeit fänden, wenn auch die Regierung selber schon bei der Einbringung zeigte, wie wichtig ihr diese Sache ist.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Bitte, ich will hier keine pädagogische Mission ausüben. Aber ich möchte das gesagt haben, weil ich glaube, daß es so nicht in Ordnung ist.

    (Abg. Dr. Dresbach: Wir wollen das Parlament aber nicht ausnehmen von dem Vorwurf!)

    — Auch das Parlament gehört in den Vorwurf hinein, Herr Kollege Dresbach; ich stimme Ihnen da voll zu. Aber ich habe ja vorweg gesagt: Wir haben uns leider daran gewöhnen müssen, daß in den vergangenen Jahren die Teilnahme des Hauses


    (Schoettle)

    an den Haushaltsberatungen außerordentlich kümmerlich war.

    (Abg. Sabel: Können wir das den Nichtanwesenden mitteilen?)

    Auf jeden Fall war der letzte Freitag kein großer Tag. Wie gesagt, es handelt sich hier um eine formale Beanstandung, die ich gleich am Anfang vorbringe. Die Gründe dafür glaube ich Ihnen dargelegt zu haben.
    Der Herr Bundesfinanzminister hat den Entwurf des Haushalts 1957 einen Haushalt der Stabilität und der sozialen Sicherheit genannt. Es bleibt die Frage zu prüfen, inwiefern diese kühne Bezeichnung durch die Tatsachen gerechtfertigt wird. Der Herr Bundesfinanzminister — dazu kennen wir seine politische Vergangenheit zu genau — ist sicher über den Verdacht erhaben, daß er mit solchen klingenden Titeln die Erinnerung an eine Zeit heraufbeschwören wollte, die ihre sogenannten Parteitage mit ebenso schönen wie falschen Firmenschildern versah.

    (Abg. Wehner: Sehr wahr!)

    Ein Bundeshaushalt ist aber schließlich keine Demonstration, sondern ein nüchternes Zahlengebäude, das die Absichten und Programme der Regierung wiedergibt.
    Diese erste Beratung kann dem Vertreter der Opposition nur Anlaß sein zu einer allgemeinen Auseinandersetzung mit dem vorgelegten Entwurf und seiner politischen Grundlage. Es ist mir unmöglich, auf alle die zahllosen Einzelheiten einzugehen, die der Minister auf 96 Schreibmaschinenseiten vor dem Hause ausgebreitet hat. Es ist mir auch unmöglich, das volkswirtschaftliche Zahlenwerk im einzelnen zu analysieren, das er hier mitgeteilt hat und das wir im wesentlichen in den Allgemeinen Vorbemerkungen zum Bundeshaushalt nachlesen können, zumal der Ausgangspunkt für viele dieser volkswirtschaftlichen Statistiken und Analysen das Jahr 1949 war, von dem wir alle wissen, daß es ein sehr ungeeignetes Jahr für Vergleiche ist. Aber wollen wir das zunächst einmal lassen; wir werden ja noch genügend Gelegenheit haben, uns mit diesen Dingen zu beschäftigen. Im übrigen bedürfte es , wenn ich das tun wollte, dazu des ministeriellen Stabes, über den der Herr Bundesfinanzminister selbst verfügt. Und der steht mir leider nicht zur Verfügung.
    Lassen Sie mich, ehe ich zu dem kritischen Teil meiner Ausführungen komme, einige positive Bemerkungen machen. Die erste ist diese: Die äußere Gestalt des Entwurfs des Haushaltsplans 1957 stellt nach meiner Meinung eine weitere Stufe in dem Prozeß einer Modernisierung unseres öffentlichen Haushalts dar. Ich spreche hier nicht vom Haushaltsgesetz — dazu haben wir eine Reihe von Anmerkungen zu machen; ich will das auf später verschieben —, sondern von dem Rahmenwerk des Haushalts selbst und von dem, was sich im Laufe der letzten Jahre in ihm an Neuerungen und neuen Einsichten niedergeschlagen hat.
    Die Allgemeinen Vorbemerkungen zum Haushalt sind in der Darstellung der Einzelheiten umfangreicher geworden, vielleicht zu umfangreich in den Einzelheiten und nicht gründlich genug in den Analysen und Prognosen. Sie sind aber im Kern — das muß man anerkennen — der Beginn dessen, was man in der weiteren Entwicklung als eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ansehen könnte, freilich nur im Kern. Es ist immerhin erfreulich, daß der Bundesfinanzminister in seiner Etatrede selbst die Notwendigkeit anerkannt hat, zur volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu kommen, wenn auch ohne Vollzugsverbindlichkeit. Da wir diese Forderung ständig erhoben haben, möchte ich hinzufügen: wir sind in diesem Punkt mit ihm einer Meinung und sind, wenn wir in den vergangenen Jahren dieses Thema hier im Hause zur Sprache gebracht haben, auch nie über die Formel „volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ohne Vollzugsverbindlichkeit" hinausgegangen. Ich halte diese Bemerkung für notwendig, damit aus meinen Forderungen nach einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht falsche Schlußfolgerungen gezogen werden, wie das aus propagandistischen Gründen leicht denkbar wäre.
    Meine Freunde und ich finden es allerdings bedauerlich, daß die Allgemeinen Vorbemerkungen auf ihrer ersten Seite den ausdrücklichen Vermerk tragen — das halte ich für eine Abwertung ihrer Bedeutung —, daß sie von der Bundesregierung nicht förmlich beschlossen seien und daß sie im wesentlichen nur die Auffassung des Bundesministeriums der Finanzen darstellten. Dies erscheint uns deshalb bedauerlich, weil die in den Allgemeinen Vorbemerkungen enthaltenen Untersuchungen und statistischen Darstellungen volkswirtschaftlicher Tendenzen und Ergebnisse nach den Aussagen des Bundesfinanzministers die Grundlage für entscheidende Positionen des Haushalts sind. Daß sich die Bundesregierung und ihre einzelnen Mitglieder diese Grundlagen durch einen Kabinettsbeschluß expressis verbis zu eigen machen, ist vielleicht etwas zuviel verlangt angesichts der Tatsache, daß wichtige Kabinettsmitglieder, angefangen vom Herrn Bundeskanzler über den Wirtschafts-, den Ernährungs- und den Arbeitsminister bis zum — last, but not least — Finanzminister nicht selten die widerspruchsvollsten wirtschaftspolitischen Auffassungen vertreten.

    (Zustimmung bei der SPD und dem GB/BHE.)

    Das letzte gehörte nicht zum Positiven; ich hoffe, daß es so auch verstanden wurde.
    Lassen Sie mich noch eine positive Anmerkung machen. Zum erstenmal, wie ich glaube, ist im Gesamtplan des Bundeshaushalts in der Drucksache 2900 von der Seite 33 ab — ich zitiere genau, weil ich wünsche, daß viele Mitglieder des Hauses das auch wirklich nachlesen — ein Funktionenplan beigefügt, der die Ausgaben des Haushalts nach Zweckbestimmungen ohne Rücksicht auf ihre Bewirtschaftung durch die einzelnen Ressorts zusammenfaßt. Wenn dieses Instrument weiterentwickelt wird, kann es zu einer weit größeren Übersichtlichkeit und Durchsichtigkeit des Bundeshaushalts führen, als wir das bisher gewohnt waren.
    Und nun zur Vorlage selbst. Es sei ein Haushalt der Stabilität und der sozialen Sicherheit, sagte der Bundesfinanzminister. Der „Volkswirt", dieses sicherlich nicht der Opposition nahestehende Wirtschaftsblatt, sprach unhöflicherweise von einem Haushaltsplan der optischen Täuschung. Und von anderer Seite ist der Bundeshaushalt 1957 als Verschiebebahnhof bezeichnet worden.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Das sind sehr harte Charakterisierungen, von
    denen ich nur so viel sagen kann, daß ein Körnchen


    (Schoettle)

    Wahrheit in ihnen steckt; das ist nicht zu leugnen, wenn man die Details kennt.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Das gilt vor allem für jene merkwürdige Erscheinung der Schäfferschen Finanzpolitik, die unter dem Namen „Juliusturm" in die Geschichte eingegangen ist. Und dabei hat der Herr Bundesfinanzminister noch vor ganz kurzer Zeit öffentlich erklärt, daß es ihn eigentlich nicht mehr gebe. Vermutlich, „weil nicht sein kann, was nicht sein darf". Dabei beruht der jetzige Haushaltsausgleich nahezu ausschließlich, wenn man von dem fünfprozentigen Abstrich bei einer Reihe von Positionen absieht, auf der Heranziehung von 2,2 Milliarden DM aus dem „Juliusturm". Das ist eine Methode des Haushaltsausgleichs, die den allergrößten Bedenken begegnet, und zwar nicht nur auf der Seite der Opposition; denn diese Methode bricht mit dem Grundsatz, daß die Ausgaben eines Haushaltsjahrs durch die Einnahmen dieses Jahres gedeckt sein sollen, und mobilisiert Ausgabenreste vergangener Jahre, die unter allen Gesichtspunkten, vor allem aber unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten, für den öffentlichen Haushalt eigentlich tot sein sollten. Sie mobilisiert diese Rücklagen für die Schließung einer Haushaltslücke, für die man sonst keine Deckung gefunden hätte. Dabei steht heute schon fest — ich will das gleich hier sagen —, daß die im Verteidigungshaushalt veranschlagten rund 9 Milliarden DM im Haushaltsjahr 1957 ebensowenig ausgegeben werden können, wie das in früheren Jahren möglich war, und daß dadurch erneut ein gewaltiger Ausgabenrest entsteht, der wieder dem „Juliusturm" zufließen wird. Wenn die Bundesregierung und ihr Finanzminister nicht wie hypnotisiert auf den Verteidigungshaushalt starren würden und seine Summe ohne Rücksicht auf die Möglichkeit ihrer Verwendbarkeit für tabu erklärt hätten, wäre hier ein ausgezeichnetes Mittel für den Haushaltsausgleich und für die Erfüllung einiger anderer wichtiger Zwecke, die in diesem Haushalt nach unserer Meinung zu kurz kommen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Aber darauf werde ich in einem anderen Zusammenhang noch zu sprechen kommen.
    Hier möchte ich die Mitglieder des Hauses auf den grünen „Schnellbrief" Nr. 16 des Instituts Finanzen und Steuern hinweisen. Es lohnt sich, ihn eingehend zu studieren; denn dieses Dokument gibt über die Entwicklung des „Juliusturms" und seinen voraussichtlichen Stand Ende des Haushaltsjahres 1957 eine bessere Auskunft als alle Erklärungen des Herrn Bundesfinanzministers und seines Hauses. Bei diesen Erklärungen kann man manchmal den Eindruck nicht loswerden, daß damit die Absicht verfolgt wird, weniger Klarheit als Verwirrung zu stiften.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Aber noch einmal zum Thema „Haushalt der Stabilität". Wenn der Herr Bundesfinanzminister damit sagen will, daß der Haushalt des Bundes im Rahmen unserer gesamten Volkswirtschaft ein Element der Stabilität oder der Stabilisierung darstelle, so wird das nicht unbestritten bleiben können. Die Stabilität unserer volkswirtschaftlichen Entwicklung wurzelt in ganz anderen Bereichen, und die Finanzpolitik der Bundesregierung in den letzten Jahren muß eher als ein Element der Beunruhigung und Gefährdung der volkswirtschaftlichen Stabilität angesehen werden. Daß sie sich nicht so auswirken konnte, liegt an den glücklichen Umständen, unter denen sich die Hochkonjunktur über Jahre hinweg fortsetzen konnte. Wer könnte eine Garantie dafür übernehmen, daß diese Umstände fortdauern? Meine Damen und Herren, wir sollten ja nicht vergessen, wie rasch internationale Ereignisse, wie wir sie im Monat November erlebt haben, die Fundamente einer nationalen Volkswirtschaft erschüttern können, weil sie die Voraussetzungen zerstören, unter denen Konjunkturen und wirtschaftliche Blüte entstehen. Wir sind aus dieser Gefahrenzone nicht heraus. Es gibt besorgte Leute, die darauf aufmerksam machen, daß der Bundeshaushalt 1957 vermutlich schon der letzte relativ bequeme Haushalt sei.
    Wenn der Herr Bundesfinanzminister allerdings gemeint haben sollte, daß der von ihm vorgelegte Haushaltsentwurf selbst stabil sei, dann muß hinter eine solche Auffassung bei dieser ersten Beratung ein starkes Fragezeichen 'gesetzt werden angesichts der Tatsache, daß eine Reihe von wichtigen Bestandteilen des Haushalts in ihren letzten Umrissen noch gar nicht feststehen, daß sicher zu erwartende Ausgaben nicht veranschlagt sind und daß bei anderen Ausgabepositionen führende Regierungsmitglieder Auffassungen vertreten haben, die mit denen nicht übereinstimmen, die ihren Niederschlag im Haushaltsentwurf gefunden haben. Ganz abgesehen davon sind wichtige volkswirtschaftliche und nationalpolitische Aufgaben entweder überhaupt nicht oder nur unzulänglich veranschlagt.
    Zum Beweis dieser Behauptung einige Beispiele. Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Freitagrede selbst davon gesprochen, daß die Finanzhilfe für die Saar, die ohne Zweifel im Haushalt 1957 auf die Bundesregierung zukommt, nicht in den Haushalt aufgenommen worden ist. Man weiß, daß es sich dabei zunächst mindestens um eine Größenordnung von 350 bis 360 Millionen DM handelt. Der Finanzminister sprach davon, daß diese Mittel aus freien Beträgen genommen werden sollten. Ich habe immer noch die gegenteilige Behauptung im Ohr, daß es keine freien Beträge gebe. Vielleicht hat der Herr Bundesfinanzminister an das ERP-Sondervermögen gedacht, von dem uns allerdings wiederholt gesagt worden ist, daß es vom interministeriellen Ausschuß restlos und voll verplant sei. Wo sind da die freien Beträge? Vielleicht wissen wir nichts von ihnen. Hier klafft auf jeden Fall eine Lücke im Haushaltsentwurf, und zwar eine Lücke von beträchtlichem Ausmaß.
    Eine andere Lücke droht der Entwurf noch zu bekommen, wenn die Erhöhung der Beamtengehälter spruchreif wird. Sie muß im Haushalt 1957 mit absoluter Sicherheit kommen. Die Erhöhung der Beamtengehälter ist lange fällig. Der Entwurf beruht in diesem Punkt auf der Annahme einer Erhöhung der jetzigen Bezüge auf 160 % des Standes von 1927. Darauf hat sich der Herr Bundesfinanzminister festgelegt. Aber unwidersprochen ist eine Mitteilung geblieben, die die Vertreter des Deutschen Beamtenbundes, an ihrer Spitze der Herr Kollege Kramel von der größten Regierungsfraktion, über eine Unterhaltung mit dem Herrn Bundeskanzler veröffentlicht haben. Nach dieser Mitteilung hat Herr Dr. Adenauer den Beamtenvertretern in seiner eindrucksvollen knappen Art erklärt, daß eine Erhöhung der Gehälter auf 160 % in keiner Weise genüge. Man muß also, da der Herr Bundeskanzler bekanntlich die Richt-


    (Schoettle)

    linien der Politik bestimmt, damit rechnen, daß er seine Auffassung auch in diesem Falle durchsetzt. Das würde eine beträchtliche Erhöhung des jetzigen Haushaltsansatzes bedeuten.
    Aber vielleicht handelt es sich auch hier nur um die zarte Rücksichtnahme des Regierungschefs auf die herannahende Bundestagswahl. Wir sind gespannt darauf, wie es in einem solchen Falle mit der Anwendung des vom Herrn Bundesfinanzminister hier geschwungenen Schwertes des Art. 113 des Grundgesetzes stehen wird.

    (Beifall bei der SPD.)

    Selbstverständlich möchte ich den Herrn Bundesfinanzminister gerade in diesem Fall nicht ermutigen — ich möchte das ausdrücklich sagen —, zu Art. 113 zu greifen; denn auch wir glauben, daß die Bezüge der öffentlich Bediensteten einer wirklichen Angleichung an die gesteigerten Lebenshaltungskosten und an das allgemeine Lohn- und Gehaltsniveau bedürfen.

    (Zurufe von der Mitte.)

    — Meine Damen und Herren, was dem einen recht ist, mag dem anderen doch wohl billig sein. Im übrigen sind wir vermutlich einer Meinung: daß es nicht Wahlspeck ist, sondern einigermaßen den Realitäten gerecht wird.
    Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung zu einer anderen Seite des Themas Stabilität. Mit großem Nachdruck hat Herr Schäffer in seiner Rede auf die Tatsache hingewiesen, daß die D-Mark heute zu den härtesten Währungen der Welt gehört. Jeder, der einmal eine Reise gemacht hat, wie ich es in der letzten Zeit zu tun Gelegenheit hatte, weiß, daß diese Behauptung stimmt. Der Herr Bundesfinanzminister hat es als eine der wichtigsten Aufgaben der Bundesregierung bezeichnet, die Stabilität der Währung zu sichern. Ich darf für meine Freunde von der sozialdemokratischen Opposition erklären, daß wir dieses Ziel der Stabilität der Währung in vollem Umfang billigen und daß wir in unserer eigenen Politik — sei es in der Opposition oder, wie wir hoffen, in absehbarer Zeit in der Regierungsverantwortung

    (Lachen und Zurufe von der Mitte: Wenn!)

    — sei es, sage ich, in der Opposition oder, wie wir hoffen, in absehbarer Zeit in der Regierungsverantwortung — stabile Währung, Steigerung der Produktivität unserer nationalen Wirtschaft und Vollbeschäftigung als fundamentale Voraussetzungen einer gesunden Entwicklung betrachten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Dazu gehört aber auch, meine Damen und Herren, eine gesunde Preisentwicklung.

    (Erneuter Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Conring: Und ein ausgeglichener Haushalt!)

    Im Außenverkehr ist unsere Währung sicher außerordentlich stabil und hart. Im Innenverkehr sollte man dabei aber nicht übersehen, daß die ständige Steigerung des Preisniveaus zu einer gewissen Abwertung geführt hat. Die Bundesregierung kann gerade auf diesem Gebiet nicht von sich behaupten, daß sie erfolgreich gewesen sei. Sie hat mit ihrer Mehrheit in diesem Hause durch die Erhöhung staatlich festgesetzter Preise, wie für Milch, Mieten usw., und infolge der durch staatliche Maßnahmen manipulierten Preise bei Fleisch, Butter und Kartoffeln nicht unwesentlich zur Erhöhung des Preisniveaus beigetragen. Und zuletzt war sie nicht imstande, weil sie die Mittel nicht genützt hat oder ihr die Mittel nicht zu Gebote standen, die Preiserhöhungen bei Kohle und Stahl und die dadurch ausgelöste Preiswelle zu verhindern.

    (Abg. Dr. Conring: Worauf beruht das wohl?)

    — Ach, „worauf beruht das wohl?" Kommen Sie nicht mit den Löhnen! Das Argument kennen wir schon!
    Auf jeden Fall: die Art des Haushaltsausgleichs, die der Herr Bundesfinanzminister für 1957 gewählt hat, nämlich die Auflösung von Zentralbankguthaben des Bundes, ist ebenfalls kein Element der Stabilität.
    Ich komme zu dem Anspruch, den der Herr Bundesfinanzminister für seinen Entwurf erhoben hat, daß er ein Haushalt der sozialen Sicherheit sei. Er hat in diesem Zusammenhang auf die Steigerung der Soziallasten im Bundeshaushalt verwiesen, wie sie sich seit 1954 ergeben haben. Leider hat er darüber hinaus auch wieder das alte Kunststück vorgeführt, im Rahmen seiner Haushaltsbegründung die gesamten Sozialleistungen in der Bundesrepublik zu addieren, in denen doch — was auch der Herr Bundesfinanzminister weiß — ein großer Prozentsatz von Eigenleistungen der Versicherten enthalten ist.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Man sollte mit diesem Spiel doch endlich aufhören

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der Mitte: Das hat er nicht gesagt!)

    und sollte sich damit begnügen, von den tatsächlichen Leistungen zu sprechen. Wenn man von Sozialleistungen spricht, sollte man auch ehrlich sein und sagen: In dem, was man da addiert, steckt eine große Menge von Kriegsfolgelasten, und außerdem sind die Verpflichtungen des Staates gegenüber seinen eigenen Bediensteten und denen, die in den Ruhestand getreten sind, darin enthalten. Die ganzen Pensionslasten in diesen Zusammenhang hineinzustellen, heißt doch einfach das Bild verschieben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Im übrigen ist soziale Sicherheit nicht dadurch zu beweisen, daß man Globalsummen ausweist. Entscheidend ist das Niveau der individuellen Existenzsicherheit, und bei dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin, einige Bemerkungen zum Thema Sozialreform zu machen.
    Im Bundeshaushalt 1957 sind die Zahlen veranschlagt, die sich aus dem Regierungsentwurf für die Reform der Rentenversicherung ergeben. Für dieses Teilstück der großen Sozialreform, die uns in allen Regierungserklärungen seit 1949, zuletzt 1953 noch einmal besonders betont, als eine umfassende Reform versprochen wurde, kann man im Hinblick auf den Gang der Dinge nur die allergrößten Sorgen haben.
    Zunächst muß überhaupt bezweifelt werden, daß die im Entwurf veranschlagten Summen für die Steigerung der Rentenleistungen der endgültigen Fassung des Gesetzes gerecht werden.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)



    (Schoettle)

    Daß die ganze Rentenreform durch die Regierung in einer geradezu fahrlässigen Weise verzögert wurde — ich benütze dieses scharfe Wort, weil es einfach der Realität entspricht — und erst durch einen sozialdemokratischen Initiativgesetzentwurf vorwärtsgetrieben wurde, sei nur nebenbei bemerkt.
    Wichtiger erscheint mir in diesem Zusammenhang, daß auch in dieser Frage die Bundesregierung keinerlei einheitliche Konzeption hat.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Der Herr Bundeskanzler hat sich noch auf dem Kongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Hamburg vor wenigen Monaten feierlich für die Produktivitätsrente ausgesprochen. Was er darunter verstanden hat und wieweit seine Auffassungen mit den sonst üblichen etwas zu tun hatten, vermag ich hier nicht zu untersuchen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat einen Entwurf geliefert, der für einen großen Teil der Rentner überhaupt keine oder nur ganz geringfügige Erhöhungen ihrer bisherigen Bezüge bringt

    (Zuruf von der Mitte: Stimmt ja nicht!)

    bzw. bringen würde, wenn er Gesetz würde. Die Korrektur dieser Fehlleistung soll nach den Absichten der Koalition und des Finanzministers in der Weise erfolgen, daß für rund 21/2 Millionen Rentner durchschnittlich 8 DM pro Monat Rentenaufbesserung herauskommen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Was aber ganz besonders vermerkt werden muß, ist der Umstand, daß der Bundesfinanzminister unter Berufung auf seine finanzielle Verantwortung die Versicherungsmathematiker gegen den Bundesarbeitsminister mobilisiert und damit erneut ein Element der Unsicherheit und Verwirrung in die Beratungen der Rentenreform hineingetragen hat. Ich will an dieser Stelle nicht mit dem Finanzminister über die Weisheit seiner Aktion rechten. Aber festgestellt muß werden, daß bei der Regierung auch hier wieder das völlige Fehlen einer gemeinsamen Linie drastisch zutage tritt. Es sind nicht nur die Beamten der Bundesregierung, von denen kürzlich Herr Staatssekretär Hartmann hier im Hause festgestellt hat, daß sie sich in Sachen Sozialreform nicht einig seien; es sind die Spitzen der Regierung, die in voller Konfusion durcheinanderlaufen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn man sich das Schicksal dieses so oft als Aufgabe Nr. 1 bezeichneten Gesetzgebungswerks ansieht, wenn man weiß, wieviel Haushaltsmittel allein schon in die Vorbereitung hineingesteckt worden sind, dann wundert man sich nachträglich noch, warum die damalige Mehrheit im 1. Deutschen Bundestag den sozialdemokratischen Antrag auf Schaffung einer unabhängigen Sachverständigenkommission mit der Aufgabenstellung der in England üblichen „Königlichen Kommissionen" abgelehnt hat.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Hätte man damals unseren Vorschlag nicht aus kurzsichtigen parteipolitischen Motiven begraben, wir wären früher und billiger zu besseren Vorschlägen für die Sozialreform gekommen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Zusammenfassend zu diesem Punkt stelle ich fest, daß aller Voraussicht nach auch hier der Entwurf des Bundeshaushalts 1957 noch nicht das letzte Wort darstellt und darstellen kann, daß also auch hier ein schwacher Punkt des Entwurfs vorliegt.
    Dasselbe gilt für den Haushalt des Bundesernährungsministeriums und in engerem Sinne für den Grünen Plan, der nach dem Gesetz erst am 15. Februar 1957 vorgelegt werden muß, was anerkanntermaßen gewisse Schwierigkeiten bietet für die Verarbeitung im Rahmen des ordentlichen Haushalts. Die finanzielle Seite des Grünen Berichts ist noch eine völlig unbekannte Größe. Ich bin überzeugt, daß gerade in diesem Fall die Interessenten und die Wahlüberlegungen ihre Rolle mitspielen werden.
    Apropos Interessenten! Von ihnen hat der Herr Bundesfinanzminister in seiner Rede mit bitteren Worten gesagt, daß sie die Gesetzgebung komplizieren und — das wollte er vermutlich dazu sagen — auch verteuern. Er mag sich in den Reihen seiner eigenen politischen Freunde umsehen, und er wird dort genügend Leute von dem Typus finden, der sonst in der sogenannten Lobby anzutreffen wäre.
    Nach diesem Seitenhieb wieder zur Sache.
    Daß von den sechseinhalb Milliarden DM Mehranforderungen, die die Bundesressorts zum Haushalt 1957 eingereicht hatten, ein großer Teil dem Rotstift des Bundesfinanzministers zum Opfer gefallen ist, wird man nicht bedauern können. Es bleibt noch genügend übrig. Man wird vor allem die Stellenanforderungen und Stellenhebungen bei den Beratungen im Haushaltsausschuß sehr gründlich zu überprüfen haben. Da scheint uns auch einiges sich getan zu haben, was nicht durchgehen darf.
    Auf der anderen Seite sind auch eine Reihe von Kürzungen gegenüber früheren Haushaltsansätzen vorgenommen worden, die nicht einfach geschluckt werden dürfen. Ich denke da vor allem an zwei Kürzungen: an die Bundeszuschüsse für die Zonenrandgebiete, die eine Kürzung um 30 % erfahren haben, und an die Herabsetzung des Bundeszuschusses und des Bundesdarlehens an das Land Berlin um insgesamt rund 100 Millionen DM.
    Die Herabsetzung der Bundesleistungen für die Zonenrandgebiete hat der Herr Bundesfinanzminister vor allem damit begründet, daß die Intensivierung des Finanzausgleichs und andere finanzwirtschaftliche Vorgänge es den beteiligten Ländern möglich machten, mit größeren Mitteln in diesen Gebieten einzugreifen. Meine Freunde halten diese Begründung nicht für stichhaltig und die Kürzung der Zuschüsse nationalpolitisch nicht für vertretbar, zumindest in diesem Zeitpunkt nicht vertretbar.

    (Beifall bei der SPD und beim GB/BHE.)

    Wir werden in den Beratungen darauf zurückkommen.
    Das gleiche gilt für die Kürzungen bei den Berlinzuschüssen. Wir werden uns auch in diesem letzteren Fall darum bemühen, die alte Leistung wiederherzustellen, zumal gerade jetzt das Thema „Bundeshauptstadt Berlin" eine besondere Aktualität gewonnen hat. Dieses Problem ist sicher nicht durch bravouröse Anträge zu lösen, wie sie kürzlich


    (Schoettle)

    aus diesem Hause gekommen sind. Es muß aber gelöst werden, und zwar auf eine systematische Weise, die beginnt mit dem Aufbau, dem Wiederaufbau der bundeseigenen Liegenschaften in Berlin, die es in großer Zahl gibt, und mit der Schaffung von Räumen für die Unterbringung von Bundesbehörden. Wenn so planmäßig begonnen wird mit der bewußten Absicht, tatsächlich so viele Bundesbehörden wie möglich unter Erhaltung ihrer vollen Aktionsfähigkeit nach Berlin zu verlegen, dann, glaube ich, ist auf diesem Gebiet etwas Wichtiges getan.
    Zu den wesentlichen Aufgaben, die in diesem Bundeshaushalt nicht im Verhältnis zu ihrer aktuellen Bedeutung ausgestattet sind, gehört auch der Verkehrshaushalt. Jahr um Jahr beklagen wir Zehntausende von Verkehrstoten, eine um das Vielfache größere Zahl von Verletzten und viele Millionen Mark an volkswirtschaftlichem Verlust. Der Bundesverkehrsminister hat ein Zehnjahresprogramm entwickelt, über dessen Einzelheiten man streiten kann. Aber die Frage erhebt sich, wo denn auch nur ein Teil dieses Programms in diesem Haushalt in Erscheinung tritt.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Solange solche Planungen im Schoße der Regierung nicht auch ihren haushaltsmäßigen Niederschlag finden, sind sie wohl nichts anderes als unverbindliche Propaganda.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Es ist von symptomatischer Bedeutung, daß in diesem Haushaltsentwurf die Mittel zum Ausbau der Bundesautobahn und der Bundesstraßen im außerordentlichen Etat auftauchen und im Wege einer Anleihe aufgebracht werden sollen. Die Lage auf dem Kapitalmarkt ist wohl derart, daß diese Finanzierungsmethode von vornherein als reichlich aussichtslos angesehen werden muß. Wenn überhaupt dieser Ausgabeposten gedeckt werden soll, dann wird es vermutlich auf dieselbe Weise geschehen wie in den vergangenen Jahren, indem nämlich der Herr Bundesfinanzminister aus laufenden Einnahmen dank der günstigen Entwicklung die Ausgaben des Extraordinariums finanziert. Die Frage ist erlaubt, warum man denn unter solchen Umständen noch immer die Fiktion eines außerordentlichen Haushalts überhaupt aufrechterhält. Vielleicht kommt man einmal dazu, einen Investitionshaushalt zu machen, so daß diese Frage sich dann von selber beantwortet.
    Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat übrigens — worauf ich bei dieser Gelegenheit hinweisen möchte — in der Bundestagsdrucksache 2707 Vorschläge für die Finanzierung eines großzügigen Straßenbau- und -unterhaltungsprogramms gemacht, an denen das Haus und die Bundesregierung nicht vorübergehen können. Ich glaube, diese Vorschläge sind durchzuführen, ohne daß dabei unüberwindliche Haushaltsschwierigkeiten auftauchen.
    In der Rede des Herrn Bundesfinanzministers ist übrigens der Passus besonders aufgefallen, den er dem Problem der Sanierung der Bundesbahn gewidmet hat. Er sprach davon, daß der Abbau der betriebsfremden Lasten bei der Bundesbahn allein eine Gesundung dieses größten Wirtschaftsunternehmens der öffentlichen Hand nicht bewirken könne, sondern daß dazu auch tarifpolitische Maßnahmen nötig seien. Wie war das gemeint, Herr
    Bundesfinanzminister? Man möchte gern etwas mehr darüber wissen, wie Sie sich das vorstellen. Will der Herr Minister eine allgemeine Tariferhöhung einschließlich der Sozialtarife propagieren? Wenn ja, dann möge er das schon bald bewerkstelligen. Es würde sicherlich hervorragend in eine Politik der Währungsstabilisierung passen, wenn auf diese Weise neue Preissteigerungstendenzen ausgelöst würden. Der Herr Bundesfinanzminister sollte den Ruhm für eine solche Maßnahme nicht seinem etwaigen Amtsnachfolger überlassen.
    Schließlich muß ich noch ein Thema in die Debatte werfen und dazu sozialdemokratische Anträge für die Ausschußberatungen ankündigen. Es ist seit langem Gegenstand der Sorge aller Unterrichteten, daß Deutschland trotz der großen wirtschaftlichen Blüte der letzten Jahre auf wesentlichen Gebieten seiner geistigen Ausrüstung in einer gefahrdrohenden Weise gegenüber anderen Ländern im Rückstand geblieben ist. Die Förderung der wissenschaftlichen Forschung auf allen Gebieten, nicht nur im Bereich der Naturwissenschaften und der Technik, sondern auch auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften, die Förderung des wissenschaftlichen und technischen Nachwuchses, die Erweiterung der wissenschaftlichen und technischen Ausbildungsstätten stehen weit hinter dem zurück, was in anderen Ländern geleistet wird

    (Zustimmung bei der SPD)

    und bringen die Bundesrepublik auf die Länge gesehen in einen schwer zu überwindenden Nachteil, der seine Konsequenzen für die gesamte nationale Wirtschaft haben wird.
    Die sozialdemokratische Partei hat auf ihrem Münchener Parteitag im Frühsommer dieses Jahres diese Aufgabe zur Debatte gestellt und schließlich über das letzte Wochenende auf einer großen Konferenz in Düsseldorf ein umfassendes Programm zur Lösung dieser im wahrsten Sinne des Wortes nationalen Aufgabe verkündet.
    Es ist eine nationale Aufgabe, meine Damen und Herren, und man möge denen, die sie zuerst auf die Tagesordnung setzten, nicht den Vorwurf machen, sie wollten damit parteipolitische Geschäfte besorgen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Aktivität der Sozialdemokraten auf diesem Gebiete hat niemand das Recht genommen, von sich aus selber in der gleichen Richtung aktiv zu werden;

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    aber sie hat dazu geführt, daß auch die größte Regierungspartei in Bewegung geraten ist und einen Briefwechsel mit dem Herrn Bundeskanzler in der Richtung führt, daß Kabinettsausschüsse und andere Institutionen gebildet werden sollen, die sich mit der Materie befassen. Wir Sozialdemokraten glauben nicht, daß die Größe und die Schwierigkeit der Aufgabe, die wir auch kennen, durch solche Maßnahmen am Rande wirklich erfaßt werden. Wir sind uns bewußt, daß es vielerlei Schwierigkeiten geben wird, die sich der Verwirklichung dieser Dinge in den Weg stellen können. Die finanzielle Schwierigkeit allerdings dürfte angesichts der Dringlichkeit der Aufgabe nicht allein entscheidend sein. Von den verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten möchte ich hier schweigen; die wären zu untersuchen.

    (Zuruf des Abg. Dr. Willeke.)



    (Schoettle)

    — Wenn man sich auf den Standpunkt stellt, Herr Kollege Willeke, daß es besser ist, nichts zu tun, als Schwierigkeiten zu überwinden zu suchen, so brauchen wir uns allerdings nicht zu unterhalten.

    (Abg. Dr. Willeke: Dann sind wir uns ja einig!)

    Im Bundeshaushalt 1957 sind — und darauf wird der Herr Bundesfinanzminister in der Abwehr unserer Forderungen ja wohl hinweisen — an zahlreichen Stellen unter dem Titel „Wissenschaft und Forschung" insgesamt 336 Millionen DM veranschlagt. Wenn man sich diese Positionen im einzelnen ansieht, schrumpfen sie allerdings, was die eigentliche Forschung betrifft, beträchtlich zusammen. Daß man auf dem Gebiet der Kleintierzucht und auf anderen wichtigen Wirtschaftsgebieten Forschung treiben muß, haben wir allerdings auch begriffen und immer wieder im Bundeshaushalt honoriert. Aber das trifft ja den Kern der Frage nicht. In der Regel handelt es sich um reine Zweckforschung oder um die finanzielle Ausstattung von Bundesinstituten. Was darüber hinaus der eigentlichen Forschung und der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zufällt, ist ein geringer Bruchteil dessen, was wirklich nötig wäre. Wir werden dem Hause konkrete Anträge unterbreiten und sie in den Haushaltsberatungen vertreten, und dann wird sich zeigen, wieweit auf diesem wichtigen Gebiet unserer nationalen Existenz in diesem Hause und mit dieser Regierung eine Verständigung möglich ist.
    Das Argument der unmöglichen Finanzierung akzeptieren wir nicht. Solange der Verteidigungshaushalt erklärtermaßen weit über das Maß dessen hinaus dotiert ist, was in diesem Haushaltsjahr ausgegeben werden kann, und solange für die Rüstungsaufwendungen der Bundesrepublik Milliardenbeträge aus dem „Juliusturm" zur Verfügung stehen, ist die Möglichkeit der Förderung einer für die Gesamtposition der Bundesrepublik ebenso wichtigen Aufgabe im Rahmen der Einnahmen dieses Haushalts durchaus gegeben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ehe ich zum Schluß komme, meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch einen Punkt zu berühren, der mir trotz seiner zahlenmäßigen Geringfügigkeit wichtig erscheint, weil er ein kleines Streiflicht auf die Möglichkeiten einer Verwaltungsreform im Bundesbereich wirft. Bei der letzten Kabinettsumbildung sind die beiden noch verbliebenen Sonderminister über Bord gegangen. Folgerichtig ist deshalb der Einzelplan 30 in diesem Haushaltsentwurf nicht mehr zu finden. Aber sind deshalb die Ministerien verschwunden? Keine Spur! Sie sind in das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit übergeführt worden und leben dort fröhlich weiter, wahrscheinlich mit den ehemaligen Herren Ministern als Sonderbeauftragten an der Spitze. Wir sind nicht bereit, uns mit dieser Art von Verwaltungsvereinfachung abzufinden, und werden bei den Haushaltsberatungen im Ausschuß darauf zurückkommen.

    (Abg. Niederalt: Die Haushaltsberatungen abwarten!)

    — Ich danke Ihnen für diesen Hinweis und hoffe, daß dabei praktisch wenigstens etwas herauskommt.

    (Abg. Niederalt: Wie immer!)

    — Schön!
    Es ist davon gesprochen worden — das sei mein letztes Wort zum Haushalt selber —, daß dieser Haushalt seine Aufgabe im Wahljahr 1957 erfüllen solle. Ich habe vergeblich den Haushalt durchsucht, um festzustellen, wo denn nun die ganz großen Brocken Wahlspeck verteilt sind, und ich muß gestehen, daß mir das allerdings nicht gelungen ist. Vielleicht kommt es noch, wenn die Auflockerung des Schäfferschen Entwurfs bei den Beratungen im Laufe der nächsten Monate eintritt. Aber ein Punkt ist mir doch aufgefallen, von dem man annehmen kann, daß er tatsächlich mit dem Wahljahr zu tun hat, und das ist die bemerkenswerte Steigerung des Titels für Korrespondenzen, d. h. für den Bezug von Nachrichtendiensten beim Bundespresse- und Informationsamt. Der Posten steigt nämlich von 350 000 auf 2 350 000 DM.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Da muß man sich denn doch die Frage vorlegen, was eigentlich mit diesen 2 Millionen DM beabsichtigt ist. Korrespondenzen gibt es nicht so viele; die sind einem ja auch bekannt. Sollen etwa neue geschaffen werden mit dem Zweck der Finanzierung bestimmter Wahlhelfer auf dem Gebiet der Propaganda, oder was soll sonst mit diesen 2 Millionen DM geschehen? Hier riecht es aber wirklich verflucht nach Wahlspeck und nach Wahlvorbereitungen.

    (Abg. Niederalt: Glauben Sie, daß man mit 2 Millionen hier wirklich etwas machen könnte? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ich weiß ja auch, daß Sie viel mehr zur Verfügung haben werden. So naiv bin ich nicht, Herr Kollege Niederalt, daß ich die 2 Millionen DM für entscheidend halte, aber daß sie gerade an dieser Stelle im Bundeshaushalt auftauchen, ist immerhin interessant und einer Bemerkung würdig.
    Nun gestatten Sie mir noch einige Schlußbemerkungen. Der Herr Bundesminister für Finanzen hat, wie wir das von ihm nun schon gewohnt sind, auch in seiner diesjährigen Haushaltsrede der sparsamen, auf finanzielle Stabilität bedachten Tätigkeit der Bundesregierung, insbesondere selbstverständlich des Bundesfinanzministers, die Ausgabefreudigkeit des Parlaments und der Abgeordneten gegenübergestellt. Ich hoffe, daß Sie sich jetzt alle in Ihren Sitzen aufrichten und sich entweder besonders geehrt oder besonders getadelt fühlen. Der Herr Bundesfinanzminister hat gleichzeitig im Hinblick auf die Versuchungen des Wahljahrs den Knüppel des Art. 113 geschwungen und versprochen, daß er davon gegebenenfalls rücksichtslos Gebrauch machen werde.
    Hier hat sich unter aktiver Mitwirkung des Herrn Bundesfinanzministers eine Legende gebildet, die von der Presse leider weitgehend ohne genauere Prüfung übernommen worden ist. Wir von der sozialdemokratischen Opposition könnten angesichts der Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause solchen ministeriellen Ermahnungen gegenüber sagen: „Wem sagst du das? Betrifft mir nicht!"

    (Abg. Dr. Dresbach: Na, na!)

    Und gegenüber der Behauptung, daß wir mit unseren Forderungen und Wünschen, wenn sie erfüllt worden wären, noch viel größere finanzielle Belastungen verursacht hätten — das wird jetzt auch so herumgeboten —, können wir wohl darauf verweisen, daß es die Aufgabe der Opposition ist, auf


    (Schoettle)

    allen Gebieten stoßend und drängend tätig zu sein. Außerdem sind wir stolz darauf, daß oft unser Anstoß erst bestimmte Dinge von unmittelbarer Dringlichkeit in Bewegung gebracht hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Im ganzen aber stellen wir die Frage an die Mitglieder dieses Hauses: Meine Damen und Herren, was halten Sie eigentlich von sich selber,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    wenn Sie sich immer wieder ohne Widerspruch gefallen lassen, daß Sie von der Regierungsbank der Verantwortungslosigkeit und der verantwortungslosen Ausgabefreudigkeit bezichtigt werden? Was halten Sie eigentlich von sich selber? Waren die Beschlüsse dieses Hauses über die Erhöhung der Renten in der Sozialversicherung und in der Kriegsopferversorgung verantwortungslos? Waren die Beschlüsse dieses Hauses zum Grünen Plan in der Landwirtschaft verantwortungslos? Waren die Beschlüsse zur Steuerreform verantwortungslos? Prüfen Sie selber und geben Sie die Antwort darauf!

    (Beifall bei der SPD.)

    Man sollte endlich mit diesem Gerede aufhören, das doch nur dazu geeignet ist, das Parlament und die Parlamentarier im Bewußtsein der Bevölkerung abzuwerten, ohne daß unser Staatswesen als Ganzes etwas dabei gewinnt.
    Im übrigen, meine Damen und Herren, werden wir in den Ausschußberatungen das Unsere dazu tun, nach Möglichkeit das Rechte, das Bessere zu erreichen und diesem Haushalt das Gesicht zu geben, das er haben sollte.

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rudolf Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin mit dem eben gerade von meinem Kollegen Schoettle zitierten früheren hessischen Finanzminister Dr. Troeger absolut einig in der Definition einer wirklichen Konjunkturpolitik in Deutschland. Traeger zitierte in seinem langen Bericht im „Vorwärts" — den ich sehr lesenswert finde — den Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums mit seinem Gutachten vom 3. Juli 1956 und gab folgende Definition:
    Eine richtige Konjunkturpolitik besteht in der Erhaltung der Kaufkraft der Währungseinheit, die man tunlichst stabil halten soll, in der Beschäftigung der Produktionskräfte, die möglichst hoch gehalten werden soll, und drittens in einer ausgeglichenen Zahlungsbilanz.
    Dient der uns vorgelegte Haushalt diesen Zwekken, oder dient er ihnen nicht? Das ist die Frage.
    Ist er ein ausgewogenes Programm der Regierung oder enthält er wesentliche Lücken? Ist die Kritik berechtigt, die Sie eben hier so temperamentvoll vorgetragen erhielten? Ich will versuchen, auf diese Fragen eine Antwort zu geben.
    Lassen Sie mich zunächst einmal dem Herrn Bundesfinanzminister und seinen Mitarbeitern den Dank meiner Freunde abstatten für das ungewöhnliche Kompendium der Vorbemerkungen, die wir in diesem Jahre wieder rechtzeitig vorgelegt erhielten

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    und aus denen man allein ein gutes Dutzend von Dissertationen hohen Grades verfertigen könnte.

    (Abg. Dr. Dresbach: Das ist ein Lehrbuch, kein Kompendium!)

    — Herr Kollege Dr. Dresbach, ich glaube, aus diesen jährlichen Vorbemerkungen werden einige Dutzend von hoffentlich begabten Volkswirtschaftlern ihren Honig saugen.
    Aber lassen Sie mich einmal mit einigen Gegenfragen auf das antworten, was hier gegen diesen Haushalt und gegen die Politik der Regierung vorgebracht worden ist. Haben wir uns der 21 Milliarden DM Spareinlagen zu schämen, die im Vertrauen auf die Stabilität der Währung von Millionen von deutschen Sparern neu eingelegt worden sind?

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Ist es ein Verbrechen, einen in der deutschen Finanzgeschichte noch niemals erreichten Devisen- und Goldbestand von über 18 Milliarden DM bei einem Notenumlauf von nur etwas über 14 Milliarden DM vorweisen zu können?

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sollen wir uns dafür beschimpfen lassen, daß wir innerhalb der letzten Jahre 3,5 Millionen Wohnungen zustande gebracht haben und auch in diesem Jahre trotz aller Kritik, die an unserer Wohnungsbaupolitik geübt worden ist, wiederum mindestens auf der gleichen Höhe von 550 000 Wohnungseinheiten bleiben werden?

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Und eine weitere Frage an die Volkswirtschaftler: Ist das deutsche Volk in dem zurückliegenden Zeitraum von vier Jahren — oder sagen Sie auch sieben Jahren — zu irgendeinem Zeitpunkt schlecht versorgt oder nicht genügend versorgt worden? Auch diese Frage wollen wir uns doch angesichts der Vorgänge in benachbarten Ländern einmal in allem Ernst stellen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Selbst die Fachleute der Opposition waren sicherlich ebenso wie wir nicht nur überrascht, sondern vielleicht sogar ein wenig besorgt über das plötzliche Anwachsen des Verbrauchs und der Verbrauchsgüterindustrie in der letzten Zeit. Gerade die letzten Monate brachten ein merkliches Zurückgehen der Investitionen. Dächten wir inmitten einer aufs engste verbundenen freien Weltwirtschaft rein egoistisch, dann würden uns die Vorwürfe unserer Verbündeten — lesen Sie vor allen Dingen eine der letzten Nummern der „Times" — nicht treffen, wir entzögen uns den Verteidigungsopfern, um dafür in ihre Exportmärkte einzubrechen. Wir nehmen diese Vorwürfe ernst, und auch keine Opposition wird an ihnen vorübergehen können. Keine deutsche Regierung der Zukunft — ich glaube, Herr Kollege Schoettle, Ihre Freunde werden wahrscheinlich noch sehr lange schwanger gehen können mit der Hoffnung, die Regierung bilden zu können —,

    (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungssparteien)



    (Dr. Vogel)

    wie auch immer sie heißen mag, wird sich einen Alleingang auf wirtschaftlichem oder politischem Gebiet leisten können.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wenn wir uns darin einig sind, sollten wir uns auch in vielem in der Beurteilung unserer innenpolitischen Lage und unserer Verpflichtungen wesentlich einiger sein, als ,das in dieser Kritik bis jetzt zum Ausdruck gelangt ist.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Die Regierung hat einen in Ausgaben und Einnahmen ausgeglichenen Haushaltsentwurf vorgelegt. Ihre Einnahmenschätzungen werden auch von scharfen Kritikern als angemessen betrachtet. Wer übrigens die Vorschätzungen in der Rede des Bundesfinanzministers mit den wirklichen Eingängen der letzten Jahre vergleicht, wird anerkennen müssen, daß die 5,5 % mehr Steuereinnahmen als 1955 allein nicht zu den maßlosen Angriffen befugen, die wir in den zurückliegenden eineinhalb Jahren gegen den Herrn Bundesfinanzminister gehört haben. Es ist bis jetzt immer das Kennzeichen einer jeden Hochkonjunktur gewesen, Finanzüberschüsse zu haben. Das können wir auch bei einer ganzen Reihe benachbarter Länder - ich nehme z. B. nur England heraus — ständig unter Beweis stellen. Denken Sie bitte auch an die Jahre 1928 und 1929 in der deutschen Finanzgeschichte zurück, als damals ein deutscher Reichsfinanzminister einen Überschuß von 500 Millionen RM haben konnte, eine Summe, die damals doch etwas sehr Erhebliches bedeutet hat.
    Hat man dem Bundesfinanzminister in den vergangenen zwei Jahren die Anhäufung von Reserven vorgeworfen, so greift man ihn jetzt wegen der Auflösung dieser Reserven und wegen des Abbaus des „Juliusturms" an. Wem soll er es nun eigentlich recht machen?

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Die Steuern sind in diesem Jahre 1956 in einem Gesamtausmaß von annähernd 4 Milliarden DM gesenkt worden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die kritisierte Deckung der Ausgaben angesichts der Kassenlage des Bundes etwa durch Steuererhöhungen vollzogen werden könnte.
    Was hat man denn überhaupt gegen die Ausgabenseite des Bundes vorzubringen? Wir haben hier einige der wichtigsten Vorwürfe gehört. Parlamente der vergangenen Jahre, der vergangenen Jahrzehnte bemühten sich heftig um die Beschneidung von Regierungsausgaben. Uns hier ist, glaube ich, wohl allgemein ein solcher Eifer ziemlich fremd geworden. Im Gegenteil, der Drang zur Ausweitung von Ausgaben hat Formen angenommen, Kollege Schoettle, die der Bundesfinanzminister mit gutem Recht kritisieren konnte.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ich sage es Ihnen. Das trifft uns genauso, wie Sie das trifft. Aber ich werde dazu noch etwas Näheres zu sagen haben. Gott sei Dank wächst aber die Zahl derjenigen Staatsbürger unter uns, die sich darüber Gedanken zu machen beginnen, wie wir in der Zukunft weiter verfahren wollen.
    Hier, meine Damen und Herren, komme ich zu einem sehr entscheidenden Punkt. Die Kritik der Opposition konzentriert sich auf die Verteidigungsausgaben, aber nicht etwa mit dem Ziel, die
    Staatsausgaben insgesamt einzuschränken, sondern die Verteidigungsausgaben weitgehend durch andere Ausgaben zu ersetzen.
    Darf ich einmal einen Streifzug durch die mir bis jetzt bekanntgewordenen Forderungen von Ihnen, meine Damen und Herren der Opposition, unternehmen. Sie haben auf Ihrem agrarpolitischen Kongreß in Vilbel ein Landprogramm aufgestellt. Wenn ich die darin konzentrierten Forderungen nach gesteigerter Flurbereinigung, Wegebau, Straßenbau, Elektrizitäts-, Trinkwasserversorgung, Maschinengemeinschaften, vor allem aber die neu geforderten sozialen Sicherungen zusammennehme, ergeben sich weit über den Grünen Plan hinaus viele Hunderte von Millionen an neuen Ausgaben.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Aachen] : Sehr richtig!)

    Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf auf Drucksache 2707 ein Straßenbauprogramm entwickelt. Es fordert allein für das Jahr 1957 1060 Millionen DM an zusätzlichen Ausgaben.

    (Zuruf von der Mitte: An zusätzlichen Ausgaben!)

    In Düsseldorf haben Sie ein Forschungs- und Nachwuchsprogramm vorgelegt. Es fordert vom Bund in diesem ersten Jahr 1957 wohl allein rund 500 Millionen DM neue Ausgaben.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ich werde darauf später noch näher eingehen.
    In Ihrem Gesetzentwurf auf Drucksache 2197 verlangen Sie die Übernahme aller Luftschutzkosten auf den Bund. Auch das bedeutet Hunderte von Millionen Ausgaben mehr.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Ihre Forderung nach Anhebung der Sozialrenten auf 75 % des Durchschnittslohnes nach Ihrem Gesetzentwurf auf Drucksache 2314 würde nach den Ausrechnungen von Dr. Heubeck allein für das Jahr 1957 bereits eine Mehrbelastung des Bundes von 1,6 Milliarden DM beinhalten. Sie haben uns ein Bauprogramm in Aussicht gestellt. Nach Ihren Anträgen zur zweiten und dritten Lesung des Haushalts in diesem Frühjahr müssen wir uns darauf gefaßt machen, daß ein solches Bauprogramm auch eine runde Milliarde beinhalten wird.
    Umgekehrt beharren Sie, wenn ich mich nicht täusche — Sie haben es bis jetzt noch nicht zurückgenommen —, auf einer Aufhebung der Kaffee-, der Tee- und der Leuchtmittelsteuer, d. h. also auf einer Senkung der Bundeseinnahmen um rund 500 Millionen DM.
    Für das Forschungsprogramm hat Bankpräsident Dr. Troeger einen Deckungsvorschlag gemacht: höhere Erbschaftsteuer, Wegfall aller Begünstigungen und einiges mehr.
    Meine Damen und Herren, wir müssen uns darüber klar sein, was Sie mit diesen Steuerprogrammen bezwecken. Sie müssen sich doch darüber im klaren sein, daß sie vor allen Dingen eine Tötung der Unternehmerinitiative bedeuten und daß Sie damit auf ein Experiment zurückgreifen, das man sich in anderen Ländern jetzt wieder abzubauen bemüht.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Lassen Sie mich noch eines zu der letzten Wehrdebatte sagen. Ihr Sprecher erklärte, eine jede Regierung habe unterschriebene Verträge zu


    (Dr. Vogel)

    achten. Auch wenn Sie jemals die Chance haben sollten, eine Regierung zu bilden, werden Sie sich an die Verträge halten müssen, bis es Ihnen nach Ihrem Wunsche gelingt, sich zu lösen. Wenn Sie aber Verträge respektieren wollen, dann können Sie unmöglich auf der andern Seite alle Anstrengungen unternehmen, um diese Verträge finanziell zu töten.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Das bezweckt aber doch eindeutig Ihr haushaltsmäßiges Vorgehen in der Vergangenheit und hinsichtlich des vor uns liegenden Jahres. Dieser latente Widerspruch zwischen den Beteuerungen zur Vertragstreue und Ihren Handlungen im Haushaltsausschuß und im Parlament bringt Sie nicht nur bei uns, sondern erst recht bei den mit uns verbündeten Mächten um die auch von Ihnen geforderte Glaubwürdigkeit Ihrer politischen Aussagen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Darf ich in Ihr Gedächtnis eine Forderung zurückrufen, die ich bei der dritten Lesung des Haushalts 1956 hier vorbrachte — in der Hoffnung, wir könnten uns darauf einigen, Herr Kollege Schoettle —:
    Es sollte keinen Streit zwischen Koalition und Opposition über die Notwendigkeit geben, so schnell wie möglich eine zumindest dem in der Sowjetzone geschaffenen militärischen Potential ebenbürtige Verteidigungsmacht der Bundesrepublik aufzubauen.
    Wir haben von Ihnen bis zur Stunde noch kein klares Bekenntnis zu der Notwendigkeit einer Bundeswehr gehört. Wir dürfen aber vielleicht annehmen, Sie können die Notwendigkeit zumindest einer freiwilligen Bundeswehr nicht bestreiten. Ein Freiwilligenheer aber kostet mehr als der von uns beabsichtigte Aufbau einer Bundeswehr.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das wissen Sie genauso wie wir. Wenn man das aber nicht bezweifeln kann, dann bedeutet Ihre Haltung gegenüber einem Verteidigungshaushalt einen Widerspruch in sich.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Lassen Sie mich einen weiteren Stein des Anstoßes aus dem Wege zu räumen versuchen: das Problem der Haushaltsdeckung durch den Rückgriff auf Reste und Rückstände. Sie haben, Herr Kollege Schoettle, schon früher gegen die Bedienung des außerordentlichen Haushalts durch Steuerüberschüsse aus dem ordentlichen Haushalt einiges eingewandt. Neuerdings richten sich die Vorwürfe von Ihnen, von Professor Gülich und anderen, wie ich in der Presse gelesen habe, gegen die Praxis des laufenden Haushaltsjahres und des Voranschlages 1957. Haushaltsrechtlich — das können Sie nicht bestreiten, das bestreite auch ich nicht — begeht der Bundesfinanzminister keinen Verstoß gegen die Haushaltsordnung, wenn er so vorgeht, wie er vorgegangen ist. Es liegt mir fern, die jetzt zum zweitenmal angewandte Methode des Ausgleichs aus Rückstellungen etwa schön und nachahmenswert zu finden. Vieles läßt sich dagegen vorbringen. Ein Argument halte ich dagegen für absolut nicht stichhaltig. Man kann nämlich nicht sagen: dieser Rückgriff auf Rückstellungen beschwöre Inflationsgefahren herauf, wie das in der Presse Ihrer Freunde gesagt wird. Derartige Gefahren drohen von ganz anderer Seite. Bei einem Sozialprodukt von beinahe 180 Milliarden DM bewirken 2 bis 3 Milliarden Mehrausgaben keine Inflationsgefahr. Die Auszahlung wesentlicher Teile des Verteidigungshaushalts für die Beschaffung von Rüstungsmaterial im Ausland ist eine feststehende Tatsache. Die Bank deutscher Länder darf als besonders hellhörig und empfindlich für alle Gefahrenmomente einer Währungsbedrohung angesehen werden. In ihrem ausgezeichneten Monatsbericht vom November sagt sie dazu auf Seite 19 folgendes — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —:
    Vom geldpolitischen Standpunkt aus interessiert vor allem die veranschlagte Auflösung von Rücklagen des Bundes. . . . Hier ist nun zunächst zu bemerken, daß es zu der im Haushaltsplan veranschlagten Auflösung von Rücklagen — ebenso wie zu der gleichfalls veranschlagten Kreditaufnahme von rund 1,1 Milliarde DM — nur kommen wird, wenn die Haushaltsansätze auch kassenmäßig voll ausgeschöpft werden. Auf Grund der bisherigen Erfahrungen über den Haushaltsvollzug bleibt das jedoch abzuwarten.
    Sie sagt dann weiter:
    Zu bedenken ist ferner, daß die währungspolitischen Wirkungen einer Auflösung von Kassenreserven wesentlich davon abhängen, ob sie im Inland oder für Einfuhrzwecke verausgabt werden. Würden Kassenreserven für die Einfuhr von Rüstungsgütern eingesetzt, wäre dies bei dem gegenwärtigen Stand unserer Devisenbilanz und unserer Gold- und Devisenreserven währungspolitisch unbedenklich. . . . . Bei den oben erwähnten Ausgabeansätzen für die Aufstellung der eigenen Verteidigungsstreitkräfte wurde jedoch davon ausgegangen, daß bei ihrer Verausgabung der Bezug von Rüstungsgütern aus dem Ausland eine nicht geringe Rolle spielen würde.
    Unter dieser Voraussetzung
    — so sagt die Bank deutscher Länder —
    brauchen gegen den Haushaltsansatz für die Verwendung von Kassenreserven vom Standpunkt der Währungspolitik Bedenken nicht geltend gemacht zu werden.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Wenn die Bank deutscher Länder hier nichts einzuwenden hat, kann das Inflationsargument also als nicht stichhaltig beiseite geschoben werden.
    Sie sagten weiter, Herr Kollege Schoettle: Wenn 9 Milliarden nicht ausgegeben werden können, dann sollte man den Haushaltsansatz streichen, oder man sollte etwas anderes damit anfangen. Aber eigentlich sollte doch niemand froher darüber sein, daß in dem „Juliusturm" noch einiges drinbleibt, als Sie. Wenn Sie sich der Hoffnung hingeben, unsere Nachfolgeschaft anzutreten, dann muß das doch bei Ihnen eitel Freude und nicht Bedenken auslösen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Schoettle: Das ist unter Ihrem Niveau!)

    Wenn ich einen Rückblick auf die vergangene Epoche der Besatzungskosten werfe, dann muß ich feststellen, daß in den vergangenen Jahren wesentlich höhere Summen ausgegeben worden sind, als in dem diesjährigen und in dem vergangenen Haushalt für die Verteidigung ausgegeben worden sind, ohne daß die befürchteten Wirkungen einge-


    (Dr. Vogel)

    treten sind. Wir müssen uns als Folge einer von uns nicht gewollten Verlangsamung der Wiederbewaffnung eben auch mit der Zahlung von Stationierungskosten in irgendeiner Form abfinden. An die Leistung eines deutschen Beitrages zu den Unterhaltskosten für die verbündeten Streitkräfte sind seinerzeit keine Bedingungen geknüpft worden.
    Ich möchte aber im Zusammenhang mit der heutigen Beratung auf ein Problem hinweisen, das gerade in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit lebhafte Beachtung gefunden hat und das in einem bestimmten Zusammenhang mit diesen Stationierungskosten steht. Es handelt sich nämlich um die Bereinigung der strittigen Forderungen aus Sach-
    und Werkleistungen einschließlich Bauleistungen gegen die früheren Besatzungsmächte aus Aufträgen vor Inkrafttreten der Bonner und Pariser Verträge. Die Summe der noch nicht befriedigten Forderungen, die nicht von der Bundesrepublik, sondern von den jetzigen Stationierungsmächten geschuldet werden, ist statistisch nicht genau festzustellen; sie geht aber in viele Millionen hinein. Dürfen wir die Erwartung aussprechen, daß die Bundesregierung ihre bisherigen Bemühungen fortsetzen wird, um die Auszahlung der strittigen Forderungen durch die Stationierungsmächte auf dem Verhandlungswege zu erreichen? Ich möchte außerdem noch einmal der Hoffnung Ausdruck geben, daß die Stationierungsmächte auch ihrerseits auf eine alsbaldige und angemessene Bereinigung aller dieser Forderungen Wert legen werden und im Zusammenhang mit der von uns zu erwartenden Bereitstellung der 1,4 Milliarden DM auch ihrerseits entsprechende Mittel bereitstellen werden. Ich möchte weiter hoffen, daß uns eine Erfüllung der gerade bei der jetzigen Pariser Konferenz ausgesprochenen Erwartung eines schnelleren Aufbaus der deutschen Verteidigungsstreitkräfte durch eine ebenso schnelle Räumung der nicht gebrauchten deutschen Kasernen ermöglicht wird.
    Noch ein Letztes zu diesem Fragenkomplex. Der jetzt in der Aushandlung begriffene Truppenvertrag sollte — das ist unsere bestimmte Erwartung — zum mindesten keine Verschlechterung gegenüber dem früheren Vertrag bringen. Lassen Sie mich hier nur eine Bemerkung zu dem Problem der Kasernenräumung einflechten, weil darüber ganz irrige Vorstellungen in der deutschen Öffentlichkeit vorhanden sind. In den Haushaltsjahren 1955 und 1956 sind nicht weniger als 405 Millionen DM dafür bereitgestellt worden. Davon sind 100 Millionen allein zur Gewährung von Darlehen an Hypothekenbanken zur Förderung des Wohnungsbaues bei der Freimachung von Kasernen da. Wir legen allergrößten Wert auf die Durchführung dieser Ersatzwohnungsbauten. Bis jetzt ist noch keine Million von diesen 405 Millionen ausgegeben Worden.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Hier liegt aber eine wesentliche Reserve für den Wohnungsbau. Meine Freunde wären bereit, auf die Bereitstellung weiterer Haushaltsmittel für diesen Zweck im Haushalt des Verteidigungsministeriums zu drängen, unter anderem auch im Vorgriff auf das Haushaltsjahr 1957, wenn wir sicher sein würden, daß diese 405 Millionen DM rechtzeitig, noch in diesem Frühjahr, verteilt und verplant werden können.
    Hier berühre ich bereits das Problem des Wohnungsbaus generell. Schon jetzt läßt sich das Ergebnis dieses Jahres ungefähr überschauen. Das Jahr 1956 wird uns rund 550 000 Wohnungen und damit wieder eine Spitzenleistung im Wohnungsbau bringen. Die Baukapazität war in diesem Jahre bis zur Stunde voll ausgelastet. Das Hineinpumpen weiterer großer Beträge hätte mit Sicherheit zu wesentlichen Kostensteigerungen in der Bauwirtschaft geführt. Erinnern wir uns doch, meine Freunde, mit welcher Sorge wir im Spätherbst des Jahres 1955 und in diesem Frühjahr auf die Überhitzung im Bausektor geschaut haben und welche unangenehmen Ausstrahlungen von dort auch auf andere Industriezweige übergegangen sind.
    Da an der Bauleistung dieses Jahres wohl kaum jemand etwas aussetzen wird, wird nun die Öffentlichkeit mit düsteren Kassandrarufen für das Baujahr 1957 angefüllt. Daß wir alles tun werden, um erste Hypotheken für den sozialen Wohnungsbau zu beschaffen, ist außer Zweifel. Aber schließlich, meine Damen und Herren, ist der Wohnungsbau nicht allein Sache des Bundes, sondern er ist genauso Sache der Länder und der Gemeinden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Bundesregierung hat im Haushaltsplan 1957 nicht weniger als 1,5 Milliarden DM öffentlicher Gelder bereitgestellt. Wir beobachten mit einiger Sorge, daß die Länder hier nicht mitziehen. Es geht nicht an, daß sie diese Aufgabe mehr und mehr dem Bund allein überlassen. Sie haben dafür und vor allem für die Beschaffung von erststelligen Hypotheken die Möglichkeit des § 42 Abs. 3 des Zweiten Wohnungsbau- und Familienheimgesetzes, nämlich öffentliche Baudarlehen vorübergehend auch für die erststellige Finanzierung mit einzusetzen. Nach dem Gesetz sollen die Mittel, sobald es der Kapitalmarkt erlaubt, durch ordentliche Mittel wieder abgelöst werden. Die Länder sollten also gerade in diesen Wochen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen; denn sie sind für die Durchführung des Gesetzes mit verantwortlich.
    Nach wie vor sehen meine Freunde in der Bildung von Wohnungseigentum in der Form von Familienheimen eines der wesentlichsten Ziele unserer gesamten Innenpolitik.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die enorme Entwicklung der Bauspartätigkeit — allein mit 1,2 Milliarden DM in den letzten neun Monaten dieses Jahres — beweist, daß weite Teile der Bevölkerung nach einem Eigenheim dringend verlangen.
    Lassen Sie mich auch ein paar Worte zum Straßenbau sagen, der ebenfalls von meinem Herrn Vorredner angesprochen worden ist. Sie von der SPD haben in Ihrem Straßenbauprogramm eine Zweckbindung der Mineralölsteuer verlangt. Das ist im Grunde genommen doch eine Sünde gegen das, was wir bis jetzt eigentlich immer gemeinsam vertraten; denn wir hatten uns, glaube ich, gemeinschaftlich gegen zu weitgehende Zweckbindungen zur Wehr gesetzt. Ferner wurde die Zweckbindung der Hälfte des Mineralölzolls und bei den Ländern der Kraftfahrzeugsteuer gefordert. In der Praxis würde das bedeuten, daß die Bundesausgaben für Straßenbauten im Jahre 1956 auf über 1,8 Milliarden DM ansteigen würden.
    Ich muß hier einmal ganz offen einige Bedenken gegen derartige Summen zum Ausdruck bringen. Um solche Summen zu verkraften, ja, allein schon


    (Dr. Vogel)

    um die von mir und meinen Freunden vertretene Summe von 1,1 Milliarden DM im Straßenbau dieses Jahr sinngemäß zu verkraften, gehören zwei Dinge. Dazu gehört erstens eine ausreichende Besetzung der Landesstraßenbauämter, die nicht da ist. Sie werden sich genauso wie ich in Ihren Wahlkreisen unschwer davon überzeugen können, wenn Sie dort einmal Rücksprache mit Ihren Straßenbauämtern halten, daß die Leute nicht in der Lage sind, die Verplanungen rechtzeitig vorzunehmen, weil man ihnen nicht die Techniker gibt und weil sie sie auf der anderen Seite auch nicht bekommen können. Sie werden zweitens feststellen, daß die Baufirmen in der Zeit der Hochkonjunktur, gerade in den Sommermonaten, wo ja alle Arbeitskräfte gebraucht werden, bei weitem nicht die Arbeitskräfte bekommen, die sie brauchen, um solche Summen zu verkraften. Ich erinnere mich, daß sich nach meinen Erhebungen in meinem Wahlkreis ergeben hat — das darf für Baden-Württemberg mindestens als durchschnittlich gelten —, daß keine der größeren Baustellen in diesem Sommer und Herbst mehr als 70 % der verlangten Arbeitskräfte erhalten hat. Infolgedessen sind alle in die größten Terminschwierigkeiten gekommen.
    Wir müssen also dieses Straßenbauprogramm, das auch wir fordern, behutsam und etwas langsamer, als es vorgesehen ist, aber stetig vorantreiben. Ich glaube, wir sollten insofern auch etwas Planung — hier gehe ich mit Ihnen völlig einig — hineinbringen, als wir zunächst einmal das Dringendste, nämlich den Wohnungsbau, fördern und dann die dort freiwerdenden Mittel in den Straßenbau investieren. Diese zwei oder drei Jahre wird es auch noch so gehen. Wir werden Mühe haben, in diesem nächsten Haushaltsjahr mehr als eine Summe von 1,1 oder 1,2 Milliarden DM zu verbauen.
    Lassen Sie mich hier noch einen Wunsch vor allen Dingen an die Adresse des Bundesverkehrsministers richten. Wir halten es nicht für vorteilhaft und gut, daß z. B. bei der Straßendeckenerneuerung, bei dem Frostprogramm, möchte ich einmal sagen, die Mittel von 100 Millionen DM im laufenden Jahr bereits auf 41 Baustellen verstreut waren und im kommenden Haushaltsjahr auf 86 Baustellen verstreut werden sollen. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob wir dann im Sommer uns überhaupt noch auf den Hauptverkehrsstraßen werden bewegen können oder ob wir nur auf Umleitungen werden fahren müssen. Wir haben ja in diesem Sommer schon einiges auf diesem Gebiet erlebt.
    Mit großer Befriedigung haben meine Freunde von dem langen Gespräch des Vorsitzenden der westdeutschen Rektorenkonferenz, des Herrn Rektors Coing von der Universität Frankfurt, und des Herrn Bundeskanzlers gehört, einem Gespräch, das dem dieses Haus seit längerer Zeit beschäftigenden Problem der Förderung von Forschung, Wissenschaft und Nachwuchs gewidmet war. Die westdeutsche Rektorenkonferenz hatte ebenso wie die deutsche Forschungsgemeinschaft und die überparteilich zusammengesetzte Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft wesentliche Vorarbeiten geleistet. Der Herr Bundeskanzler wird auf Grund der von Herrn Rektor Coing erbetenen Vorschläge die Herren Ministerpräsidenten der Länder zu einem Gespräch über das einladen, was für Forschung und weit darüber hinaus für die Förderung des Nachwuchses und die Bereitstellung von Fachkräften für die aufstrebenden Länder gemeinsam getan werden kann.
    Ich betone hier ausdrücklich das Wort „gemeinsam".

    (Beifall in der Mitte.)

    Niemand hat die Länder bislang daran gehindert, auf diesem auch uns so am Herzen liegenden Gebiet Außergewöhnliches zu leisten. Niemand von uns verkennt die großen finanziellen Belastungen, die den Ländern andererseits durch den Wiederaufbau der zerstörten Universitätsgebäude erwachsen waren. Und man sollte diese Leistungen nicht klein einschätzen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Vor einigen Jahren sah das Problem noch anders aus. Ich folge hier einmal kurz einem Bericht von Professor von Caemmerer, dem Rektor der Universität Freiburg, in der „Stuttgarter Zeitung" vom 11. Dezember. Im Jahre 1939 studierten in ganz Deutschland 55 000 Studenten. Heute sind es in der Bundesrepublik und West-Berlin 120 000. Das wollte ich auch einmal bemerken, um mit diesen Zahlenangaben einen Vergleich zu ermöglichen.
    Gelingt es der Bundesregierung und den westdeutschen Ministerpräsidenten, zu einer praktikablen Rechtsform ihrer Zusammenarbeit zu gelangen — ich möchte das auf Grund der Erfahrungen der Vergangenheit ausdrücklich unterstreichen —,

    (Sehr gut! in der Mitte)

    dann sollte die Bundesregierung selbst unverzüglich einen entsprechenden Kabinettsausschuß gründen und die Federführung darin einem Minister — wir denken uns: z. B. dem Herrn Atomminister auf Grund seiner langjährigen Erfahrungen — übertragen.
    Wir haben in dem vor uns liegenden Haushaltsplan nicht weniger als 336 Millionen DM für Forschung, Nachwuchs, Wissenschaft usw. ausgeworfen. Sie haben es bemängelt, daß darin auch Positionen enthalten sind, die man nicht hineinnehmen sollte. Darüber kann man streiten. Bundesforschungsanstalten sollen in erster Linie der Forschung und nicht der Ausbildung dienen. Man kann sie daher, glaube ich, mit gutem Recht in der Masse zu den Forschungseinrichtungen rechnen. Man kann wohl auch ohne Übertreibung ruhig sagen, daß die gewaltigen neuen Summen des Verteidigungshaushalts doch größtenteils über Direktaufträge an die Universitäts- und Hochschulinstitute, vor allem der Technischen Hochschulen, gehen werden und dort also den Etat wesentlich ausweiten dürften.
    Diese Summe von 336 Millionen DM stellt immerhin eine ganz respektable Leistung der Bundesregierung innerhalb des Gesamthaushalts dar. Unbestreitbar werden durch diese neuen großen Ansätze im Verteidigungshaushalt einerseits und im Atomhaushalt mit seinen 84 Millionen DM andererseits im Schwerpunktprogramm der Forschungsgemeinschaft der deutschen Wissenschaft Summen frei, die bis dahin durch diese rein technischen Aufgaben dort blockiert worden waren.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Schließlich dürfen wir auch darauf hinweisen, daß wir für dieses Haushaltsjahr 1956 einen Sonderfonds von 50 Millionen DM für die freie Forschung aus dem Bundesverteidigungshaushalt abgezweigt haben, der, soviel ich weiß, zu einem allgemeinen Programm zur Ausstattung der Institute mit den notwendigen wissenschaftlichen Geräten heran-


    (Dr. Vogel)

    gezogen worden ist. Ich erinnere Sie weiter an den Dozenten- und Assistentenplan, den wir nur mit Rücksicht auf die Empfindlichkeit der Länder in diesem Jahr im Haushalt des gesamtdeutschen Ministeriums verankert hatten. Was ich jedoch bis jetzt über die Verwirklichung unserer guten Absicht hörte, bei den Hochschulen 400 neue Assistenten- und Dozentenstellen zu schaffen — wir haben den Anfang damit gemacht —, sollte alle diejenigen zur Vorsicht mahnen, die glauben, die Bereitstellung von einigen hundert Millionen DM mehr trage schon allein zur Lösung dieses sehr komplizierten Problems bei. Wir haben nämlich die Erfahrung gemacht, daß bis jetzt noch keine von diesen 400 von uns bezahlten neuen Stellen wirklich besetzt wurde, weil die Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern auf diesem Gebiet zu groß sind.
    Die allerwichtigste und allerdringlichste Aufgabe ist zunächst einmal die Schaffung neuer Lehrkraftstellen. Was die Länder bis jetzt auf diesem Gebiete vollbrachten, ist höchst unterschiedlich. Es ist z. B. nicht mehr als recht und billig, daß man sich auch in Nordrhein-Westfalen als dem größten Industrieland der Bundesrepublik seit einiger Zeit besonnen hat, mit anderen Ländern, z. B. BadenWürttemberg, in der Schaffung von Lehr- und Ausbildungsanstalten vor allen Dingen für die Techniker pro Kopf der Bevölkerung gleichzuziehen.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Aachen] : Sehr richtig!)

    Wenn ich deswegen vor allen Dingen recht nachdrücklich von einem guten Übereinkommen zwischen Bund und Ländern über eine sorgsame Abgrenzung der beiderseits zu übernehmenden Lasten als einer von uns allen gewünschten Lösung sprach, so hatte das seine Berechtigung in den trüben Erfahrungen im vergangenen Jahre.
    Lassen Sie mich aber hier für alle meine Freunde ein ganz besonderes Gewicht auf folgende Erklärung legen: Uns ist die Schaffung einer wissenschaftlichen Elite mindestens ebenso wichtig wie die Ausbildung einer breiten Schicht von Ingenieuren, Technikern und Spezialkräften.

    (Beifall in der Mitte.)

    Gerade ein Land mit unserer stolzen geisteswissenschaftlichen Tradition und der ungeheuren Vielfalt seiner wirtschaftlichen Betätigung bedarf der Spitzenkräfte mit einer möglichst umfassenden, allseitigen Ausbildung. Diese Elite soll das volle Menschenbild verkörpern und nicht in der Enge der für Spezialberufe herangezüchteten Spezialisten in großen Massenproduktionsstätten haften bleiben. Mit Minister Balke, der mit seiner Lehrtätigkeit an der Hochschule und seiner jahrzehntelangen Praxis in der Industrie selbst eine unbestrittene Urteilsfähigkeit besitzt, bin ich darin einig, daß die Festlegung von jungen Menschen für spätere technische Berufe mit allergrößter Sorgfalt erfolgen sollte. Es ist nämlich keinesfalls so sicher — das hat Minister Balke in einer Pressekonferenz hier ausgeführt —, daß z. B. die Atomtechnik einmal nach zehn Jahren eine in die Breite gehende Masse von Spezialkräften erfordert. Sicher werden wir dagegen erheblich mehr Ingenieure, Techniker, Werkmeister und Facharbeiter brauchen, um nicht nur unseren wachsenden Eigenbedarf zu decken, sondern um auch die von uns wohl sicher gewünschte Hilfe für die in der Entwicklung befindlichen Länder des Auslands, die
    nach unserer Hilfe rufen, zu leisten. Jedes Programm für Forschung und Nachwuchs wird sich also gleichzeitig auf eine Reihe von getrennten Ebenen beziehen müssen. Eine sehr sorgfältige Abstimmung aller Komponenten aufeinander und zusammen auf das, was uns in der deutschen Jugend nachwächst, wird zur Lösung dieses unerhört schwierigen und komplizierten Problems notwendig sein. Wir bedürfen dazu der Mitarbeit aller. Bund und Länder allein können ebensowenig wie mit den Gemeinden zusammen diese Aufgabe lösen. Wir brauchen dazu die tatkräftige Mithilfe der gesamten deutschen Wirtschaft und der Gewerkschaften.
    Im Rahmen einer Haushaltsrede kann ich naturgemäß nicht an der finanziellen Seite dieses Problems vorübergehen. Von den 336 Millionen des Bundes habe ich bereits gesprochen. Wir werden jetzt hören, was die Länder aufzubringen gewillt sind und was Wirtschaft und Gewerkschaften von sich aus zu tragen bereit sind. Ich selbst sehe durchaus finanzielle Möglichkeiten auch ohne eine zusätzliche neue Belastung des Haushalts 1957 an anderer Stelle. Auch das ERP-Vermögen wollen wir hier keineswegs aus dem Auge verlieren. Es ist ja nicht unbedingt erforderlich, daß alle diese Leistungen allein über den Bundeshaushalt gehen müssen. Wir dürfen diesem Hohen Hause jedoch mit allem Nachdruck versichern, daß wir unter Ausschöpfung aller unserer Möglichkeiten bereit sind, an der finanziellen Bewältigung dieses von uns als so wichtig anerkannten Problems mitzuhelfen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Noch eine kleine Hinzufügung zu diesem Gesamtproblem. Meine Damen und Herren, mißt man nicht dem Begriff „Automation" eine etwas übertriebene Bedeutung bei?

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Mit Fremdworten ist das in Deutschland überhaupt so eine Sache. Ich denke an eine so zungenbrecherische Wortfolge wie die früher übliche „Expropriation der Expropriateure", die im 19. Jahrhundert einmal eine ziemliche Rolle gespielt hat. Man sollte sich hüten, neue Fetische zu schaffen. Man sollte in einer Zeit, die Nüchternheit und Klarheit verlangt, diese Dinge unbefangen und mit großer Ruhe betrachten. Die Automation wird gerade bei uns in Deutschland bei unserer unerhört vielfältigen Industrie vermutlich nur recht wenige Teile der Wirtschaft erfassen und infolge ihrer unerhörten Kosten langsamer vor sich gehen, als das vielleicht in Ländern der Fall ist, die, wie die Vereinigten Staaten oder die Sowjetunion, mit riesigen Massenproduktionen zu tun haben.
    Wenn überhaupt von einer „Revolutionierung" gesprochen werden kann, die in einem Teil unserer Wirtschaft gegenwärtig vor sich geht, dann halte ich einen anderen Vorgang für weitaus wichtiger, nämlich die Technisierung der deutschen Landwirtschaft.

    (Abg. Dr. Dresbach: Sehr richtig!)

    Dieser Prozeß, der durch den jetzigen Bestand von allein 520 000 Schleppern gekennzeichnet wird, verändert nicht nur die Existenz einer immer noch sehr breiten Bevölkerungsschicht grundlegend, sondern wandelt auch das soziologische Bild Deutschlands sehr stark um. Darum halten wir den Grünen Bericht als den Ausdruck der Erkenntnis einer völlig neuen Situation für außerordentlich bedeut-


    (Dr. Vogel)

    sam. Ich werde dazu am Schluß noch einige Worte sagen.
    Lassen Sie mich jetzt einmal einen Blick werfen auf die Erwartungen, von denen der Herr Bundesfinanzminister im Hinblick auf das Jahr 1957 ausging. Er berechnet seine Einnahmen auf der Basis einer Produktivitätssteigerung von 8 %. Die bisher vorliegenden Berichte und Schätzungen lassen eine solche Erwartung meiner Überzeugung nach durchaus zu. Es muß keineswegs ein Schaden sein, wenn die Produktivität gegen Ende dieses Jahres nicht mehr in dem gleichen Tempo zunimmt wie Ende 1955 und im Frühjahr 1956. Eine gemäßigte Zuwachsrate beinhaltet weitaus weniger Gefahrenquellen als das allzu stürmische Tempo, das wir im Herbst des vergangenen Jahres und im Frühjahr dieses Jahres miterlebt haben. Die Zurückhaltung bei der Vergebung neuer Aufträge im Inland ist erheblich gewachsen. Stärker denn je allerdings ist der Einfluß des Exportanteils auf die innerdeutsche Produktion geworden. Die Exportaufträge in den letzten Monaten lagen um nicht weniger als 25 % über denen der Monate des Jahres 1955. Die Finanzierung dieses Exports aber durch ausländische Kreditquellen wollen wir dabei keineswegs übersehen. Alles in allem ist heute die Wirtschaft durch Selbstfinanzierung durch ausländische Kreditquellen wesentlich unabhängiger gegenüber der BdL geworden, als das zu irgendeinem Zeitpunkt der Fall war. Ich möchte annehmen, daß vielleicht im Winter noch die Möglichkeit gegeben sein wird, daß die Bank deutscher Länder erneut eine Diskontsenkung ins Auge faßt, denn die gegenwärtige Geldmarktlage ließe so etwas durchaus zu. Solange die Lebenshaltungskosten in Deutschland und unsere Inlandpreise jedoch weiter erheblich unter dem Niveau der mit uns im Wettbewerb stehenden anderen Industriemächte liegen, wird man sich über die Fortdauer der Konjunktur in Deutschland keine Sorgen zu machen brauchen.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf Ihnen einmal, was das auch hier angesprochene Preis- und Lohnproblem und damit auch das soziale Problem anbelangt, ein Zitat aus den „Gewerkschaftlichen Monatsheften" vorlesen. Unter der Überschrift „Lohnpolitik und Arbeitszeitverkürzungen" lese ich:
    Die Gewerkschaften können wieder eine stolze Erfolgsbilanz ihrer Lohn- und Arbeitszeitpolitik vorlegen. Es ist ihnen erneut gelungen, entscheidende Schritte auf dem Wege zur 40-
    Stunden-Woche mit vollem Lohn- und Gehaltsausgleich zurückzulegen.
    Hinzutritt. daß es in der Bundesrepublik fast niemanden mehr gibt, der die Forderung nach Verkürzung der Arbeitszeit, die bei ihrer Verkündung vor drei Jahren vielen als reine Utopie erschien, nicht bejahen und unterstützen würde.
    Im ersten Halbjahr 1956 sind die durchschnittlichen Bruttoverdienste der Industriearbeiter ohne Bergbau auf 1,93 DM angestiegen. Die Facharbeiter erzielten in fast allen Industriegruppen einen Durchschnittsverdienst von über 2,— DM je Stunde. Die Differenz zwischen Fach- und Hilfsarbeiterverdiensten hat sich weiter verringert.
    Im zweiten Quartal allein, für das bis jetzt
    endgültige Ergebnisse vorliegen, sind insgesamt 603 Gehalts- und Lohntarifverträge für' 1,7 Millionen Arbeiter und 540 000 Angestellte abgeschlossen worden. Die neuen Verträge brachten eine durchschnittliche Einkommenserhöhung von 9,4 % für die Arbeiter und 8,6 % für die Angestellten.
    Ich verlese dieses Zitat ausdrücklich, weil wir durchaus der Meinung sind, daß die deutsche Arbeiterschaft an der Produktionszuwachsrate der deutschen Wirtschaft teilhaben soll, und weil wir darüber keinesfalls etwa unglücklich sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir möchten auf der anderen Seite auch die Erwartung aussprechen, daß man sinnlose Vorwürfe nach unserer Seite hin unterläßt, als ob wir hier etwa allein die Verantwortung dafür trügen, wenn Preise und Löhne in Bewegung geraten.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Ich muß Herrn Kollegen Schoettle noch etwas entgegenhalten bezüglich dessen, was er hier über das Zusatzgesetz für die Mindestrenten gesagt hat. Ich glaube, Sie kennen die letzten Beschlüsse des Fachausschusses nicht. Es geht hier keineswegs — das ist mir vorhin erst noch gesagt worden — um so kleine Beträge, sondern um wesentlich, ich glaube sogar, um dreifach höhere Beträge, als Sie sie genannt haben. Ich möchte mich hier auch nicht über die Beamtenbesoldungsreform und über eine ganze Reihe von anderen Themen auslassen, so drängend sie sind und so gut sie hier in dieses Thema hineinpassen würden.
    Über die Rentenreform wird in den nächsten Tagen dem Hause so viel berichtet werden, daß ich es mir wohl ersparen kann, jetzt noch besonders und näher darauf einzugehen. Mein Freund Niederalt wird nachher noch Gelegenheit haben, eine Reihe von Fragen zu behandeln, die ich mir gleichfalls ersparen möchte, Ihnen hier vorzutragen.
    Allerdings kann ich mir eines nicht versagen, Herr Kollege Schoettle. Sie haben mit einem nicht ungewohnten Anlauf gegen die Erhöhung gewisser Positionen im Bundespresse- und Informationsamt geschossen. Darf ich Ihnen dazu nur eine Zahl nennen: Im englischen Haushalt ist in diesen Tagen die Summe für das britische Informationsamt um 12 Millionen auf 160 Millionen erhöht worden.

    (Abg. Dr. Keller: Auch ohne Kontrolle? — Abg. Schoettle: Entschuldigen Sie, Herr Dr. Vogel, was meinen Sie damit? Den British Council oder was sonst?)

    — Nein, nicht den British Council, sondern das britische Informationsamt!

    (Abg. Schoettle: Das möchte ich mir erst einmal ansehen!)

    — Ich habe es auch nur aus einer britischen Zeitschrift entnommen und bin gern bereit, Ihnen die Sache zuzuleiten.

    (Abg. Schoettle: Seien Sie vorsichtig mit Vergleichen! — Gegenruf des Abg. Dr. Dresbach: Herr Schoettle, das ist doch alles eine Morgengabe für Sie! — Heiterkeit. — Abg. Schoettle: Wir werden uns darüber unterhalten, Herr Dresbach!)

    Meine Damen und Herren! Wir konnten das alles schaffen, was in diesem Hause als das Programm der Regierung aufgebracht worden ist, durch einen bewußten Appell an die ungebrochene Schaffens-


    (Dr. Vogel)

    freudigkeit, an die Unternehmungslust und an die Risikofreude der deutschen wirtschaftenden Menschen. Dieser Weckruf hatte vollen Erfolg. Dieser über alle Erwartungen große Erfolg ermöglichte auch die großen sozialen Leistungen, die wir Jahr für Jahr hier ausweisen konnten. Was sollte uns denn nun eigentlich veranlassen, diesen steilen Weg eines Erfolges zu verlassen?

    (Sehr gut! bei der CDU/ CSU.)

    Niemand ist sich klarer bewußt als wir, was uns noch zu tun obliegt. Niemand ist sich auch klarer als wir darüber, daß nach zwei Katastrophen in einer Generation nicht alles in sieben Jahren auf einmal aufgebaut werden kann.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Wir können nicht alle Probleme zu gleicher Zeit lösen.
    Inmitten aber einer Zeit so großer Strukturwandlungen und Umstürze, einer Zeit niegekannter Massenwanderungen und anhaltender neuer Flüchtlingsströme haben wir uns bemüht, diesen Staat auf feste Säulen zu stellen. Wir halten nach wie vor an einem der Gründungsziele der Christlich-Demokratischen Union und der CSU unbeirrbar fest, wonach der gesündeste Staat der Staat ist, der sich auf eine möglichst breite Basis unabhängiger Existenzen gründet.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dieses Prinzip haben wir in zahlreichen grundlegenden Gesetzen im Laufe der letzten Jahre verankert. Wir haben dem Handwerkerstand eine neue gesetzliche Grundlage verschafft. Wir haben der Landwirtschaft durch zahlreiche Gesetze und durch den Grünen Plan ermöglicht, sich zu behaupten und zu einer neuen gesicherten Grundlage zu kommen. Unsere Politik der Schaffung von Eigentum für möglichst breite Volksmassen hat sich im Zweiten Wohnungsbaugesetz markant niedergeschlagen. Darüber hinaus sind wir stolz darauf, vom Mitbestimmungsrecht aus angefangen über die Kriegsopferversorgung und das jetzt in den Schlußphasen befindliche große Werk der Rentenreform auch den nicht an der Konjunktur mit teilhabenden Schichten unseres Volkes einen entsprechenden Anteil gesichert zu haben.
    Wir haben — das wird, glaube ich, leider jetzt ein wenig übersehen — mit der Lastenausgleichsgesetzgebung unter Eingliederung von 10,5 Millionen Heimatvertriebenen in unsere Wirtschaft und in unsere Gesellschaft eine in der modernen Welt einzig dastehende Leistung vollbracht.

    (Abg. Kunze [Bethel]: Sehr richtig!)

    Sie hat zu neuen Besitzgründungen von Zehntausenden neuer selbständiger Existenzen geführt, darunter allein von 75 000 bäuerlichen Existenzen. Inmitten und während des Wiederaufbaues einer zerstörten und demontierten Wirtschaft die alljährliche Aufbringung von mehr als 4 Milliarden DM der Besitzenden in Deutschland zugunsten derjenigen, die alles verloren haben, ist eine historische Leistung allerersten Ranges gewesen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Wir sind fest entschlossen, diese Politik des Ausgleichs unbeirrt weiterzuverfolgen. Die Erfolge der Konjunktur der zurückliegenden sieben Jahre haben die Richtigkeit unserer Wirtschaftspolitik eindeutig gerechtfertigt.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Unser Wirtschaftssystem hat sich allen anderen gegenüber als zum mindesten ebenbürtig, dem östlichen System der Planung und Zwangsbewirtschaftung jedoch unendlich überlegen gezeigt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir sehen keinen Grund, uns nach einer so langen ununterbrochenen Kette des Aufstiegs und eines von uns mitgeschaffenen Wohlstandes, den sich 1949, als wir hier in den Bundestag einzogen, keiner von uns hätte jemals träumen lassen,

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) jetzt in Experimente zu stürzen.


    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Wir wollen auch eines völlig klarstellen: daß auch ein sogenannter „deutscher Weg des Sozialismus" — oder nennen Sie es meinetwegen auch einen „jugoslawischen Weg" — erst recht keinen Anreiz für uns zu bieten vermag.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir haben, meine sehr verehrten Damen und Herren, allen Anlaß, umgekehrt dem Herrn Bundeskanzler und — lassen Sie mich hier zwei Männer herausgreifen, die anderen werden das verzeihen — dem Herrn Bundesfinanzminister und dem Herrn Bundeswirtschaftsminister für diese weithin sichtbaren und unbestreitbaren Erfolge in der Erreichung eines nationalen Wohlstandes und der Sicherung unserer Freiheit unseren Dank auszusprechen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)