Rede von
Alois
Niederalt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin leider nicht in der Lage, mit einem so netten Dichterwort zu beginnen wie mein geschätzter Vorredner.
— Ganz nüchtern, Herr Kollege Gülich, muß ich wieder in die Haushaltsprobleme zurückführen. Wenn ich mich an die erste Stellungnahme zum Bundeshaushalt zurückerinnere, die ich hier für meine Freunde im Jahre 1954 abgeben durfte, so muß ich heute eigentlich etwas beschämt darüber lächeln, daß ich damals mit ehrlicher Entrüstung herausgestellt habe, dieser Etat habe einen außergewöhnlichen Umfang. Das war im Jahre 1954. Nunmehr, durch einige parlamentarische Jahre, Jahre der Haushaltsarbeit, reifer und erfahrener gemacht, wundert mich beinahe nichts mehr. Ich habe damals gesagt, dieses sogenannte Gesetz der ständig wachsenden Staatsausgaben dürfe doch nicht als Naturgesetz angesehen werden. Meine Damen und Herren, es ist kein Naturgesetz!
Wir müssen uns ganz klar darüber sein: es ist ein ungeschriebenes Gesetz, das wir uns durch unsere moderne Gesellschaftsauffassung und durch die Mittel der Massendemokratie entweder selbst aufzwingen oder aufzwingen lassen.
Der Haushalt 1954, der erste in dieser Legislaturperiode, betrug rund 27 Milliarden DM. Ich möchte ausdrücklich betonen: dabei waren auch schon im Jahre 1954 die 9 Milliarden DM Verteidigungslasten genau in der gleichen Höhe wie heute im Haushalt. Dieser Haushalt von 1954 war ein Kind im Verhältnis zu dem Haushalt des Jahres 1957 mit seinen 34,4 Milliarden DM, ein Kind, damals auch schon kräftig, und man sah ihm an, daß es entwicklungsfähig war.
Der heutige Haushalt ist ein großer Junge geworden, nach meinen Begriffen viel zu groß, viel zu aufgeschossen.
Dabei zeigt dieser Junge immer noch keine Anzeichen dafür, daß er etwa mit seinem Wachsen aufhören wollte. Ungewöhnlich und jedenfalls für mich nicht sehr befriedigend ist die Tatsache, daß dieser Junge außer seiner natürlichen Ernährung durch die normalen Einnahmen des Haushalts noch zusätzliche Nahrung durch die Rückgriffe auf die „frühere Vorsorge", wie der Herr Bundesfinanzminister sich ausdrückt, in Höhe von 2,2 Milliarden DM erhält. In diesem Jahr soll diese zusätzliche Nahrung letztmalig gewährt werden. Ich hoffe und wünsche, daß der Herr Bundesfinanzminister hiermit recht behält.
Aber dann taucht sofort die Frage auf: was wird dann, wenn Appetit und Organismus unseres Jungen sich an den Umfang der normalen Nahrung plus der zusätzlichen Nahrung gewöhnt haben? Man wird heute noch mit gutem Gewissen sagen können, daß durch das Wachsen des Sozialprodukts und andere Umstände der Zustand nicht gefährlich ist; aber immerhin müssen wir auch heute schon aus dieser Situation eines zur Beherzigung herausstellen: Wir müssen uns merken, daß ein Haltesignal niedergegangen ist, das rotes Licht für weitere Ausgabegesetze zeigt. Dieses rote Licht wird für uns, die wir einer Regierungspartei angehören, genauso gelten wie für die Damen und Herren der Opposition.
Es nützt nichts, von schönen Plänen aus Düsseldorf zu hören, wenn wir nicht gleichzeitig mit diesen schönen Plänen auch hören, ob und welche Steuern erhöht werden sollen, damit die Einnahmen für die Durchführung dieser Pläne vorhanden sind. Denn auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, wissen, daß der Verteidigungshaushalt nicht kleiner wird. Sie rechnen auch mit dem Verteidigungshaushalt, und wenn Sie auf dem Standpunkt stehen, eine Freiwilligenarmee genüge, dann wissen Sie, daß diese Freiwilligenarmee mindestens auch 9 Milliarden DM kostet. Also bleibt, wenn wir all die schönen Pläne durchführen wollen, Herr Kollege Schoettle, gar nichts anderes übrig, als daß wir uns dann auch über die Methode schlüssig werden, wie die Mittel für diese schönen Pläne aufzubringen sind. Da bleibt nur das eine: die Einnahmen zu erhöhen.
Es ist müßig, darüber zu rechten, wer die Schuld an dem jährlichen Anwachsen unseres Etats hat. Selbstverständlich: unmittelbar haben wir sie, das Parlament, das jährlich die Ausgabegesetze beschließt. Mittelbar aber — das möchte ich ganz deutlich hervorheben — trägt die Schuld jeder Staatsbürger, der entweder selber oder durch seine Verbände und Organisationen bei jeder Gelegenheit den Schrei nach dem Staat ausstößt. Die Höhe des Etats ist nun einmal der sichtbare Ausdruck des Verhältnisses zwischen dem Staat und der freien Gesellschaft. Wer mit dem hohen Etat nicht zufrieden ist, der muß daraus die Konsequenz ziehen, und zwar nicht nur in schönen Betrachtungen bei der Haushaltsdebatte, sondern durch die Tat, durch die Arbeit im Laufe des parlamentarischen Jahres, indem er dort, wo ausgabeträchtige Gesetze beschlossen werden, seine Stimme erhebt.
Trotzdem scheinen mir aber zwei psychologische Momente das jährliche Anwachsen des Etats doch wesentlich mit zu fördern, so daß wir eigentlich gar nicht merken, woher und wieso der Etat wiederum so stark angewachsen ist. Das eine Moment ist die Möglichkeit der Flucht in die große Zahl, die Möglichkeit der Flucht in die Anonymität eines 30- oder 35-Milliarden-Haushalts. Jeder von uns, der auf irgendeinem Sektor besonders tätig ist und irgendeine Ausgabe unterbringen will, sagt sich — das ist psychologisch verständlich —: Auf diese 20, auf diese 30, auf diese 50 Millionen kommt es nicht mehr an, es muß doch ein leichtes sein, bei einem 35-Milliarden-Haushalt auch noch diese 50 Millionen unterzubringen; ich weiß zwar nicht, weil ich den Haushaltsplan ja nicht so genau kenne, wie ich die Deckung herbringen soll, aber der Bundesfinanzminister wird das schon schaffen, wenn er nur meinem Petitum wohlwollend gegenübersteht. — Das ist das erste Moment, die Flucht in die Anonymität des großen Haushalts.
Das zweite psychologische Moment scheint mir die Tatsache zu sein, daß wir mit unseren Gesetzen, soweit sie Ausgabeverpflichtungen enthalten, immer häufiger auch den Haushalt der künftigen Jahre verpflichten und daß wir damit den Haushalt weitgehend binden. Etwas zugespitzt, meine Damen und Herren, möchte ich das so ausdrücken, daß wir den Haushalt des Jahres 1957, über den wir gegenwärtig beraten, zu seinem weitaus größten Teil eigentlich schon verabschiedet haben. Wir haben diesen Plan schon verabschiedet in den Spezialgesetzen. der Jahre 1954, 1955, 1956, die die Ausgaben enthalten haben. Im Augenblick haben wir zu dem allergrößten Teil des Haushalts praktisch nichts anderes zu tun, als eventuell noch kleine Veränderungen an den Jahresraten durchzuführen.
Wir sind eben mit dieser Gesetzgebung, die den Haushalt der künftigen Jahre bindet, praktisch schon in einen mehrjährigen Wirtschaftsplan eingetreten.
Aus diesen Erkenntnissen sollten wir auch gewisse Schlußfolgerungen ziehen. Ich möchte Ihnen jetzt einen Vorschlag unterbreiten, der mir beim Durchdenken dieser Probleme während der Vorbereitung auf diese Etatberatung gekommen ist. Er wird sicher noch nicht vollkommen sein; ich hatte noch keine Gelegenheit, mich mit Experten darüber zu unterhalten.
Nach meiner Auffassung müßte der Haushaltsplan in drei große Gruppen von Ausgaben gegliedert werden, oder mindestens müßte diese Gliederung dem Haushaltsplan in einem Anhang hinzugefügt werden.
Die erste Gruppe umfaßt alle Ausgaben für den Verwaltungsaufwand. Das sind also die Ausgaben für das Personal des Bundes und die Sachausgaben der Verwaltung. Der Haushalt 1957 beispielsweise erfordert allein für diese erste Gruppe rund 2,9 Milliarden DM. Auf diesem Gebiet der allgemeinen Verwaltungsausgaben hat die Haushaltsberatung und Haushaltsgenehmigung noch die echte historische Bedeutung.
Hier hat das Parlament noch, wie einst die Volks vertreter den Monarchen oder den absoluten Fürsten gegenüber, die Tendenz, die Ansätze zu streichen, soweit es eben die Durchführung der Aufgaben gerade noch zuläßt. Das ist noch der ursprüngliche Budgetgedanke, der aber bei allen an
deren Ausgaben — auch das muß einmal klar festgestellt werden — eigentlich gar nicht mehr gilt. Denn der ursprüngliche Budgetgedanke ist bei den anderen Ausgaben gerade nicht mehr vorhanden. Während früher die Volksvertretung mit der Tendenz zu streichen dem absoluten Fürsten oder dem Monarchen gegenüberstand, ist es heute so, daß das Parlament auf Grund berechtigter oder weniger berechtigter Wünsche die Ausweitung des Haushalts zu erreichen sucht und daß der einzige, der die Ausweitung abwehrt, der Finanzminister ist.
Die zweite Gruppe umfaßt feste Ausgaben, die auf Gesetze zurückzuführen sind, aus denen sich die finanziellen Leistungen für mehrere Jahre ergeben, Ausgaben, bei denen also eigentlich nur eine bestimmte oder zu bestimmende Jahresrate zu beraten und zu genehmigen ist. Hierher möchte ich beispielsweise die Verteidigungslasten rechnen, die sozialen Leistungen, das Bundesentschädigungsgesetz, Israelvertrag, Heimkehrergesetz usw. Ich führe alle diese Beispiele nur an, um deutlich zu machen, was mir vorschwebt. Es handelt sich also um Beträge, bei denen, wie ich schon bemerkt habe, die Haushaltsberatung eigentlich nur noch formaler Natur ist, weil die gesetzliche Verankerung für die Ausgaben in den Spezialgesetzen schon längst erfolgt ist.
Die dritte Gruppe von Ausgaben würden jene veränderlichen und neuen Ausgaben sein, die von der Regierung oder vom Parlament für notwendig gehalten werden.
Was möchte ich nun mit diesem Vorschlag, in dem Bundeshaushalt entweder selbst oder mindestens in einem Anhang diese Gruppengliederung klar herauszustellen, erreichen? Einmal möchte ich für jeden Abgeordneten, aber auch für jeden Staatsbürger klar ersichtlich machen, wie groß oder, besser gesagt, wie gering eigentlich die jährliche Dispositionssumme im Haushalt ist, die überhaupt manövrierfähig ist. Die gewünschte Gruppierung, von der ich eben sprach, ist natürlich implizite schon jetzt im Bundeshaushalt enthalten. Aber sie ist in allen möglichen Ausgaben versteckt. Und der Bundeshaushalt ist ein dickes, dickes Buch mit mehr als sieben Siegeln geworden. Der Zweck ist also, das für jeden Staatsbürger deutlich erkennbar herauszustellen.
— Dann, Herr Kollege, ist keine Möglichkeit der Flucht in die Anonymität der großen Zahl mehr gegeben. Denn dann wird sich klar und deutlich herausstellen, daß diese große Zahl nicht existiert. Wenn Sie den heute vorliegenden Haushalt 1957 mit dieser Gruppierung zugrunde legen, ergibt sich nach meiner überschlägigen Schätzung, daß die eigentliche freie Dispositionssumme, die also der Regierung und dem Parlament für Ausgaben zur Verfügung steht, die nicht auf Gesetzen beruhen, gesetzlich nicht begründet sind, kaum eine Milliarde DM beträgt.
Zweitens möchte ich mit diesem Vorschlag erreichen, daß durch die deutlich sichtbare, geringe Dispositionssumme, die ich soeben nannte, wieder eine lebendigere Beziehung zwischen den Einnahmen und den Ausgaben hergestellt wird. Wenn nämlich jeder Abgeordnete und wenn jeder Staatsbürger weiß, daß die Dispositionssumme nur so gering ist, dann weiß er auch: jeder neue Ausgabewunsch muß entweder zu einer Streichung anderer Ausgabenansätze auf der einen Seite oder aber zu einer Erhöhung der Einnahmen, also zu einer Steuererhöhung, auf der andern Seite führen. Ich bin fest überzeugt davon, daß manches Gesetz nicht oder wenigstens nicht in der Form erlassen worden wäre, wenn wir für die Durchführung des Gesetzes etwa gezwungen gewesen wären, Steuern zu erhöhen. Mit anderen Worten: Ich will den selbstverständlichen Gedanken, daß die Ausgabe vorher eben die Einnahme erfordert, etwas deutlicher heraustreten lassen. Außerdem könnte durch diese neue Gruppierung des Haushalts vielleicht auch noch ein nicht minder wichtiger Nebenzweck erreicht werden, daß nämlich der Staatsbürger wieder etwas mehr Interesse an unserem Haushalt gewinnt.
Ich möchte den Vorschlag zur Diskussion stellen. Ich bin gern bereit, Anregungen entgegenzunehmen. Ich glaube, wir kämen wenigstens einen kleinen Schritt weiter. Es hat ja keinen Sinn, uns hier alljährlich Gedanken darüber zu machen und mit Worten gegen das jährliche Anwachsen des Etats zu protestieren, wenn wir nicht ernste Schritte unternehmen, dagegen etwas zu tun.
Meine Damen und Herren, ich habe bei den alljährlichen Haushaltsberatungen die Verpflichtung in mir gefühlt, auch auf das Anwachsen der Zahl der Bundesbediensteten in unserer Verwaltung einzugehen. Wenn ich mich an die früher hier geführten Debatten über den Haushalt zurückerinnere, so darf ich feststellen, daß gerade auf diesem Gebiet im ganzen Hause immer Einmütigkeit geherscht hat. Leider bleibt es aber auch in diesem Punkte meist bei schönen Reden, Wenn ich die Dinge recht sehe, so sind für das ständige Anwachsen der Anzahl der Bundesbediensteten in der Hauptsache zwei Gründe maßgebend: erstens die komplizierten und nach meiner Auffassung viel zu vielen Gesetze und zweitens der Drang nach Perfektionismus auf seiten der Exekutive. Sprecher aller Parteien haben hier schon zum Ausdruck gebracht, daß es höchste Zeit sei, unsere Gesetzesmaschine auf etwas ruhigeren Touren laufen zu lassen. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach, und wir machen weiter munter Gesetze. Wir reglementieren alles, wessen wir nur habhaft werden. Es gäbe bei der Aufzählung dieser Reglementierung viele, viele Beispiele. Ich möchte nur einige aus der neuesten Zeit anführen. Ich will dabei nicht das Ladenschlußgesetz erwähnen. Nach meiner Auffassung wäre das durch eine Verordnung des zuständigen Regierungspräsidenten besser geregelt worden.
Aber ich muß als Beispiel das Kriegsfolgenschlußgesetz mit seiner komplizierten Fassung nennen. Jetzt schon werden allein 600 neue Bundesbedienstete für das Kriegsfolgenschlußgesetz für notwendig erachtet, und ich bin der festen Überzeugung, daß die 600 Bediensteten nicht reichen.
Ich muß in diesem Zusammenhang auch den Ruf nach der Verkehrssünderkartei erwähnen, der quer durch alle Fraktionen von Kollegen laut wurde. Das ist wiederum eine Sache, die mindestens 100 Bedienstete, nach der Meinung mancher noch viel, viel mehr Bedienstete erfordern würde.
Als Beispiel aus allerjüngster Zeit muß ich hier den Antrag der FDP auf Drucksache 2709 erwähnen, der ein Gesetz fordert, in dem jedem Staatsbürger ein Rechtsanspruch auf Schadensersatz in einem Katastrophenfall gegeben wird. Der Staat soll anscheinend auch noch Herr über Wind und Wetter werden.
Wir wissen zwar, daß schon der alte Tacitus gesagt hat: je verdorbener der Staat, desto mehr Gesetze. Aber wenn irgendeine parlamentarische Gruppe oder irgendein Ministerium — auch das muß gesagt werden — irgendwann auf einen Sachverhalt stößt, der noch nicht gesetzlich geregelt ist, haben wir schon einige Wochen darauf einen Gesetzentwurf.
Um ein anderes Beispiel zu bringen: die Länderfinanzverwaltungen bemühen sich zur Zeit im Benehmen mit dem Bundesfinanzministerium, zur Vereinfachung der Steuerverwaltung das sogenannte Lochkartensystem einzuführen, mit dem man außerordentlich viele Kräfte einsparen würde. Es hat sich gezeigt, daß das Lochkartensystem nur im Erhebungsverfahren, nicht dagegen im Veranlagungsverfahren angewandt werden kann. Warum? Weil unsere Steuergesetzgebung viel zu kompliziert ist. Ein Drittel bis zur Hälfte der mit Steuererhebung und -veranlagung beschäftigten Beamten könnte nach Ansicht von Sachverständigen eingespart werden. Leider haben wir nicht die Kraft, endlich an diese Steuervereinfachung zu gehen; im Gegenteil, wir komplizieren immer mehr.
Meine Damen und Herren, warum sage ich das? Weil ich mit der ewigen Kritik an der sogenannten Aufblähung der Verwaltung aufräumen möchte. Sie ist nicht zu rechtfertigen, solange wir nicht selber bei der Gesetzgebung die Kraft aufbringen, mit der Vereinfachung anzufangen; an uns liegt es in erster Linie.
Es hat keinen Sinn, meine Damen und Herren, aus Anlaß der Einbringung des Haushalts schöne Reden zu halten.
Diese Reden sind reine Festtagsbetrachtungen.
— Damit sind alle Parteien angesprochen, Herr Kollege. Das geht quer durch alle Fraktionen; das wissen Sie so gut wie ich. Wichtig ist nur die Tat. Wir müssen unser Wollen unter Beweis stellen im grauen Parlamentsalltag.
Als zweite Ursache der ständigen Zunahme der Zahl der Bundesbediensteten habe ich den Drang nach Perfektionismus genannt. Ich muß dem vielleicht noch das Wort „Ressortegoismus" hinzufügen; manchmal ist es sogar Abteilungsegoismus. Wir machen unsere Erfahrungen im Haushaltsausschuß des Bundestags. Wieviel unnütze Arbeitskraft wird vergeudet durch Überlagerung, um nicht zu sagen: manchmal durch den Widerstreit verschiedener Auffassungen in den einzelnen Ressorts, vor allem, soweit es sich um Ressorts handelt, die mit wirtschaftlichen Dingen zu tun haben! Wieviel unnütze Kraft wird durch die übertriebene Mitzeichnung innerhalb der Ministerien und bei dem Zusammenwirken der einzelnen Ministerien aufgewendet! Beharrungsvermögen und Zuständigkeitseifersucht spielen hier eine Rolle, streuen Sand in diese komplizierte Maschine, und das kostet neue Beamte und neues Geld.
Ähnlich ist es im Verhältnis zwischen Bund und Ländern. Auch hierzu ein praktisches Beispiel. Im Haushaltsausschuß habe ich bei den Beratungen im vergangenen Jahr dagegen protestiert, daß im Haushaltsplanentwurf plötzlich die Stellen der Bundesforstbeamten wesentlich vermehrt wurden. Darauf hat uns der Vertreter des Bundesfinanzministeriums dargelegt, daß von den Ländern, die bisher die Betreuung der Bundesforsten gegen eine Pauschalgebühr mit übernommen hatten, eine derart hohe Pauschalgebühr verlangt wurde, daß es für den Bund ein Geschäft bedeutete, selbst Bundesforstbeamte anzustellen.
Meine Damen und Herren, wenn es so gemacht wird, dann dürfen sich die Länder nicht wundern und im Bundesrat nicht Kritik üben, daß die Zahl der Bundesbediensteten immer größer wird.
— Das gleiche gilt im Land Nordrhein-Westfalen. Wenn ich beispielsweise an das Finanzverwaltungsgesetz des Jahres 1950 denke, nach dem die Bundesaufgaben auf dem zivilen und militärischen Bausektor den Ländern übertragen sind, wenn ich an die neueren Bestrebungen des Landes Nordrhein-Westfalen denke, dann muß ich auch wieder sagen: wenn das, was einigen Ländern vorschwebt, durchgesetzt werden sollte, dann erreichen sie nur das eine: daß eben der Bund gezwungen ist, auch auf diesem Sektor eigene Behörden zu schaffen.
Alle diese Fragen sind natürlich unendlich kompliziert. Sie können von hier aus nur angedeutet werden. Weiter behandelt werden müssen sie wohl in dem Unterausschuß „Verwaltungsvereinfachung". Dieser Unterausschuß muß nach meiner Auffassung der ständige Motor sein, der die Dinge antreibt und immer wieder die Fehlerquellen aufzeigt.
Lassen Sie mich zum Schluß, meine Damen und Herren, auf ein völlig anderes Kapitel kommen. Der neue Haushaltsplan 1957 hat große Beunruhigung in weiten Teilen der Bevölkerung von Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und auch Bayern hervorgerufen. Diese Beunruhigung ist auf die geplante 30%ige Kürzung des regionalen Förderungsprogramms zurückzuführen, die ja der Kollege Schoettle schon angeschnitten hat. Sie wissen, daß das regionale Förderungsprogramm des Bundes trotz der relativ bescheidenen Mittel, die dafür zur Verfügung standen, sich außerordentlich segensreich ausgewirkt hat. Ich habe im vergangenen Jahre gerne die Gelegenheit wahrgenommen, der Bundesregierung für diese Mittel herzlichst zu danken. Die in diesem Jahr vorgesehene Kürzung würde das, was mühsam im Aufbau begriffen ist, entweder außerordentlich hemmen oder zum Teil sogar zerstören. Sie würde alle strukturverbessernden Maßnahmen, die Projekte auf dem Gebiet des Straßenbaus, der Wasserversorgung, der Elektrifizierung, des Fremdenverkehrs, stark einschränken und die Wirtschaft der Grenzgebiete, die ohnedies erst in einem weiten, weiten Abstand hinter der Wirtschaft des Westens nachhinkt, um ein weiteres Stück zurückwerfen.
Die Kürzung würde vor allem die spärliche Industrie in den Grenzräumen, die wir dort haben und die nur durch die Frachthilfe überhaupt bewogen werden kann, dort auszuhalten, zum Abwandern zwingen. Meine Damen und Herren, sehen Sie sich doch einmal das Heft des Instituts
für Raumforschung in Bad Godesberg über die aktiven und passiven Wanderungsräume unserer Bundesrepublik an! Das Heft ist meines Wissens allen Abgeordneten zugeschickt worden. Dort wird mit erschreckender Deutlichkeit aufgezeigt, wie sich in unserer Bundesrepublik immer mehr wirtschaftliche Ballungsräume bilden und wie auf der andern Seite entlang dem Eisernen Vorhang wirtschaftsarme, um nicht zu sagen: wirtschaftstote Räume entstehen.
Das können wir doch nicht einfach so dahintreiben lassen.
Ich betone es immer und immer wieder, meine Damen und Herren: es handelt sich hier nicht um eine Frage, die etwa nur in regionaler Hinsicht von Bedeutung wäre. Es handelt sich hier vielmehr um eine gesamtpolitische, gesamtwirtschaftliche und gesamtsoziale Frage, die uns alle angeht,
die Bewohner im Westen genauso wie die Bewohner, die im Schatten des Eisernen Vorhangs unter außergewöhnlich erschwerenden Umständen leben und dort zu wirtschaften versuchen. Das ist nicht billige Interessenpolitik, etwa in regionaler Hinsicht gesehen, das ist auch nicht der leichtfertige Schrei nach dem Staat. Ich stehe nach wie vor auf dem Standpunkt: in der Wirtschaft so wenig Staat wie nur möglich. Aber angesichts der dortigen Situation müssen wir auch sagen: so viel Staat wie nötig, um die Voraussetzungen eines fairen Leistungswettbewerbs zu sichern, so viel Staat wie nötig, um die Gleichgewichtsstörungen in unserer Wirtschaft und Sozialpolitik zu verhindern. Das ist schließlich, nach meiner Auffassung wenigstens, das Wesen der sozialen Marktwirtschaft überhaupt.
Aus der Begründung, die die Bundesregierung für die Kürzung gibt, geht übrigens klar hervor, daß auch die Bundesregierung der Auffassung ist, daß die Mittel in der bisherigen Höhe nach wie vor erforderlich sind. Die Bundesregierung hat nur versucht, die Mittel etwas auf die Länder abzuwälzen, die Länder etwas in den Vordergrund treten zu lassen. Sie hat das damit begründet, daß durch den Finanzausgleich und durch andere Maßnahmen die Länder hierzu nun in der Lage seien. Ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich vermute, daß die 1,8 Milliarden DM, die die letzte Steuersenkung den Bund gekostet hat und bei der die Länder angeblich um 600 Millionen zu gut weggekommen sind, der tiefste und letzte Grund für diese Kürzung gewesen sind. Aber ich kann mich jetzt nicht auf eine Diskussion darüber einlassen, ob das, was die Bundesregierung hier annimmt, richtig ist oder nicht. Ich kann nur feststellen: wenn die Maßnahme so durchgeführt würde, wie sie geplant ist, würde das auf dem Rücken dieses wirtschaftlich sowieso geschlagenen Gebietes ausgetragen; denn es steht fest, daß die Länder in diesem Augenblick nicht in der notwendige Höhe einspringen können.
Die Finanzminister unserer Zeit haben - ich habe das vorhin schon angedeutet — zu ihren bisherigen Aufgaben eine wichtige neue Funktion hinzuerhalten. Sie besteht darin, den Haushalt gegen Ausweitungstendenzen, die häufig durch das Parlament in den Haushalt hineingetragen werden, zu verteidigen. Wir wissen, daß Bundesfinanzminister Schäffer, durchdrungen von seinem hohen Verantwortungsgefühl, diese neue Funktion außergewöhnlich streng ausübt und dabei, wie gerade dieses Beispiel zeigt, sogar sein eigenes Herz verleugnet. Wir schätzen diese Einstellung des Bundesfinanzministers und haben ihr oft und oft — das muß einmal deutlich gesagt werden — unseren Tribut gezollt, indem wir auf Anträge, die in der Öffentlichkeit sicher attraktiv gewesen wären, verzichtet haben. In diesem Fall allerdings können wir dem Bundesfinanzminister nicht folgen, und wir haben dagegen protestieren müssen in der Sprache, die dem Abgeordneten zukommt, in der Sprache des Antrags. Wir werden aber mit ihm zusammen nach Deckungsmöglichkeiten suchen müssen, und wir werden den Weg dazu auch finden; ich habe im Haushaltsausschuß bereits Andeutungen darüber gemacht. Dabei gehe ich davon aus, daß die Ansätze nur wieder in der Höhe des Vorjahres erscheinen. Auch im Wahljahr wollen wir also maßhalten.
Eine — ich darf das erwähnen — sich bayerisch nennende Landespartei hat gegen diese erwähnte Kürzung der Grenzlandmittel energisch protestiert. Sie hat dabei gesagt, diese Maßnahme sei unverständlich, „wo doch der Bund im Geld schwimme". Solche Redensarten, die unserem berechtigten Anliegen nur schaden und nicht nützen können, machen wir uns bestimmt nicht zu eigen, da bei solchen Reden Dummheit und Verantwortungslosigkeit in gleicher Rangfolge Pate stehen. Wir wissen vielmehr um den Ernst der Haushaltsabgleichung. Andererseits wissen wir auch um das große Anliegen, das ein allgemeines Anliegen ist. Die gesamte Bundesrepublik ist heute Grenzland geworden, Grenzland gegenüber der Welt des Ostens, und wir müssen im Hinblick auf diese Situation große und schwere Opfer bringen. Es wäre nicht zu verstehen und es wäre ungerecht, wenn jener Teil unserer Bundesrepublik, der diese Grenzlandlage wirtschaftlich und politisch in vorderster Front zu meistern hat, von uns im Bundestag nicht mit unterstützt würde.